Nikolaus Schröck Change Agents im strukturellen Dilemma
VS RESEARCH
Nikolaus Schröck
Change Agents im strukturelle...
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Nikolaus Schröck Change Agents im strukturellen Dilemma
VS RESEARCH
Nikolaus Schröck
Change Agents im strukturellen Dilemma Eine qualitativ-rekonstruktive Studie zu Orientierungen schulischer Steuergruppen
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Sibylle Rahm
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 2009
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Dorothee Koch / Dr. Tatjana Rollnik-Manke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17119-7
Geleitwort
Angesichts der Herausforderungen gesellschaftlichen Wandels sind Bildungsinstitutionen aufgefordert, unter Mobilisierung organisationseigener Ressourcen Schulentwicklung zu betreiben. Nicht nur die Schulleitung, sondern auch schulische Steuergruppen müssen schulische Veränderungsmaßnahmen einleiten, durchführen und evaluieren. Die unter Heranziehung vielfältiger Theorienhorizonte entwickelte Programmatik der Schulentwicklung unterstreicht die hohe Bedeutung der Change Agents im schulischen Qualitätsentwicklungsprozess. Die vorgelegte Studie von Herrn Dr. phil. Nikolaus Schröck unternimmt die theoretische Verortung des Steuergruppenkonzeptes sowie die empirische Untersuchung der Orientierungen von Steuergruppenmitgliedern. Die Erschließung theoretischer und empirischer Perspektiven auf Change Agents basiert auf gründlicher Forschungsarbeit, die die Schulentwicklungsforschung durch das Aufmachen begründeter Perspektiven für weitere Innovationen einen entscheidenden Schritt voranbringt. Der Verfasser entfaltet gesellschaftliche und bildungspolitische Begründungszusammenhänge, die auf die Notwendigkeit schulischen Wandels weisen. Die systematische Qualitätsentwicklung der Einzelschule impliziert eine mikropolitische Sicht auf Bildungsinstitutionen, die sich als lernende Einrichtungen auf der Basis eigener Ressourcen weiterentwickeln sollen. Im Sinne einer geteilten Führungsverantwortung sind nicht nur Schulleitungen, sondern auch das mittlere Management aufgefordert, schulischen Wandel zu gestalten. In der deutschen Schulberatung gilt die Einrichtung von Steuergruppen als probates Mittel einer Gestaltung lernender Schulen. Die Aufgaben der Steuergruppen sind komplex und überlappen sich mit Tätigkeitsfeldern der Schulleitung. Die Schulberatungsliteratur ist breit angelegt, doch liegen nur wenige Forschungsergebnisse zu Modellen einer shared leadership vor. Vor allem der Steuergruppenansatz ist unzulänglich erforscht. Evaluationsforschung weist jedoch bereits auf Spannungsfelder geteilter Führungsverantwortung. Theorieofferten, die heterogenen Theoriehorizonten entstammen, implizieren strukturelle Ungereimtheiten, die für Change Agents schwierige Ausgangsbedingungen bedeuten.
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Geleitwort
Die vorgelegte Studie unternimmt die empirische Untersuchung dieser Zusammenhänge. Sie fragt nach Selbstauskünften der Change Agents zu ihrer Verortung in schulischen Strukturen und nach den Orientierungen der Steuergruppenmitglieder. Vorgenommen wird die Rekonstruktion kollektiver Orientierungen von Steuergruppen, die sich mit komplexen Führungsaufgaben konfrontiert sehen. Das Gruppendiskussionsverfahren und die Interpretation der gewonnenen Daten nach der dokumentarischen Methode werden in Anlehnung an Bohnsack auf die entfaltete Fragestellung bezogen. Für die vorgelegte Forschungsfrage bedeutsam ist die Unterscheidung von kommunikativ-generalisierendem, theoretischem Wissen auf der einen und dem handlungspraktischen, konjunktiven Wissen auf der anderen Seite. Gerade im programmatisch aufgeladenen Bereich der Schulentwicklung muss Forschung Tiefendimensionen der Handlungspraxis, die den Akteuren nicht unbedingt reflexiv begrifflich zugänglich sein muss, erfassen, um den Gegenstandsbereich umfassend zu erhellen. Als Ergebnis der komparativen Analyse und der sich anschließenden sinngenetischen Typenbildung stellt der Verfasser vier Idealtypen von Steuergruppen vor. Die empirischen Forschungsergebnisse werden überzeugend u. a. in professionstheoretische Diskurse um Autonomie-Paritäts-Normen eingebunden. Diese stellen für Steuergruppenarbeit eine nicht lösbare Herausforderung dar. Gleichzeitig dokumentieren die erhobenen Daten Unwägbarkeiten, die organisationsund schulentwicklungstheoretisch explizit werden können. Die Diskussion der gewonnenen Daten stellt einen bedeutsamen wissenschaftlichen Beitrag zur Aufklärung innovativer Leitungsmodelle in der Schulentwicklung dar. Prof. Dr. Sibylle Rahm
Vorwort
Schulen sind steigenden gesellschaftlichen Anforderungen ausgesetzt, sie sind aufgefordert auf den sozialen Wandel zu reagieren. Von ihnen wird erwartet, auf die gravierenden Mängel des Schulwesens zu reagieren, wie sie in den internationalen Vergleichsstudien deutlich wurden. Als Lernende Organisation sollen Schulen selbst aktiv werden und auf die Herausforderungen gestaltend eingehen. Die Einzelschule wird somit zum Akteur der Schulentwicklung. Damit Schulen dies leistet können, werden in Konzepten zu Schulentwicklung Steuergruppen empfohlen und in der Praxis eingerichtet. Steuergruppen sollen, als Change Agents agieren und das Zustandekommen und die Nachhaltigkeit von Entscheidungen und ihre Umsetzung absichern und unterstützen. Ausgangspunkt meines Interesse an schulischen Steuergruppen war die Beobachtung, dass Steuergruppen international zwar keine Rolle spielen, in der Konzeptliteratur und der Praxis der Schulentwicklung in Deutschland aber zu einem zentralen Moment geworden sind. So wurde z. B. in einer Studie am IFS Dortmund festgestellt, dass im Schuljahr 2004/05 40% der Sekundarlehrer Deutschlands in Steuergruppen tätig waren. In der Praxis der Schulberatung werden Steuergruppen mittlerweile wie selbstverständlich eingesetzt. Die große Bedeutung, die Steuergruppen für den Schulentwicklungsprozess zugeschrieben wird, steht im Widerspruch zum geringen Wissen über die Arbeit von Steuergruppen. Die bislang vorliegenden Untersuchungen können die Diskrepanz zwischen der konzeptionellen Empfehlung, mit Steuergruppen zu arbeiten, und den Widersprüchlichkeiten im Alltag schulischer Steuergruppen nicht aufklären. Die Spannungsfelder, in denen Steuergruppen arbeiten, sind empirisch keineswegs hinlänglich erforscht. Sowohl aus inhaltlichen wie auch aus methodischen Gesichtspunkten ergeben sich Desiderate: Zum einen erfassen die bisherigen Forschungen nicht die Ebene der Handlungspraxis von Steuergruppen. Zum anderen berücksichtigen die vorwiegend durchgeführten Einzelbefragungen nicht den kollektiven Charakter von Schulentwicklungsprozessen im Allgemeinen und der Arbeit in Steuergruppen im Besonderen. Eine empirisch begründete Erklärung der vorliegenden Befunde steht noch aus – wie kommt es beispielsweise, dass Steuergruppen irritieren?
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Vorwort
Gegenstand meiner Studie ist die Handlungspraxis schulischer Steuergruppen. Durch die Methodik sowohl in der Datenerhebung wie auch in der Datenauswertung wird dem kollektiven Charakter ihres Agierens Rechnung getragen. Eine derartige Forschungsarbeit ist nicht ohne Unterstützung möglich, die ich von vielen Seiten erfahren habe. Ohne die Beteiligung der schulischen Akteure hätte die vorliegende Arbeit gar nicht entstehen können. Deswegen gilt mein besonderer Dank zunächst den Lehrkräften, die sich in Steuergruppen engagiert haben und die mir einen Einblick in ihre Tätigkeit ermöglichten. Mein Dank gilt Schulleiterinnen und Schulleitern, die entweder selbst an einer Gruppendiskussion teilgenommen haben – oder die Kontakte zu ihrer Steuergruppe hergestellt haben. Herzlich bedanken möchte ich mich bei den beiden Betreuerinnen meiner Arbeit, Prof. Dr. Sibylle Rahm und Prof. Dr. Annette Scheunpflug für ihre Begleitung. Unterstützung habe ich zudem von Frau Prof. Dr. Barbara Asbrand erfahren, die maßgeblich an der Ausarbeitung des Forschungsdesigns beteiligt war. Die Teilnahme an der Forschungswerkstatt von Prof. Dr. Ralf Bohnsack an der Freien Universität Berlin legte die Grundlage zur Auswertung des empirischen Materials. Ein herzlicher Dank gilt ebenso den Mitgliedern unserer universitätsübergreifenden Interpretationsgruppe Bamberg/Erlangen-Nürnberg. Insbesondere meinen Kolleginnen Dr. Claudia Bergmüller von der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Sigrid Zeitler von der HumboldtUniversität zu Berlin möchte ich danken für die Diskussion in allen Phasen der Arbeit. Für die beständige Ermutigung und Motivation danke ich meinem Kollegen am Lehrstuhl für Schulpädagogik PD Dr. Roland Bätz. Dank auch an Hans B. Schmid vom Pädagogischen Institut der Stadt Nürnberg für die Gespräche – über Schulentwicklung im Allgemeinen und Steuergruppen im Besonderen. Darüber hinaus haben mir weitere Kolleginnen und Kollegen ihre Zeit geschenkt und mit mir meine Ergebnis immer wieder neu diskutiert oder Kontakte zu Steuergruppen hergestellt. Ihnen sei allen herzlich gedankt. Bei der Textkorrektur und der Formatierung der Arbeit haben mich Yvonne Goldammer und Andreas N. Schubert unterstützt. Schließlich danke ich ganz herzlich meiner Frau Elisabeth und meinem Sohn Simon, für das stärkende familiäre Umfeld und die große Geduld und Unterstützung, die sie mir immer wieder haben zuteil werden lassen. Nikolaus Schröck
Inhalt
1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7
Einführung .......................................................................................... 11 Problemhorizont der Untersuchung ...................................................... 11 Diskussionskontext ............................................................................... 13 Steuergruppen im Praxisdiskurs............................................................ 16 Steuergruppen im Forschungsdiskurs ................................................... 19 Theoriemodelle zur Verortung von Steuergruppen............................... 26 Forschungsdesiderat, Forschungsfrage und Forschungsdesign............. 29 Aufbau der Arbeit ................................................................................. 31
2 2.1 2.2
2.4.2 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.6
Methodischer Ansatz der Studie........................................................ 33 Grundannahmen der qualitativen Forschung ........................................ 33 Methodologische Grundlagen der dokumentarischen Methode und des Gruppendiskussionsverfahrens ................................................ 35 Zum Zusammenhang von Methode und Fragestellung......................... 36 Das Gruppendiskussionsverfahren........................................................ 37 Abgrenzung zu Gruppenbefragung, Gruppeninterview und Gruppengespräch .................................................................................. 38 Grundzüge des Gruppendiskussionsverfahrens .................................... 38 Die Interpretation nach der dokumentarischen Methode ...................... 46 Formulierende Interpretation ................................................................ 47 Reflektierende Interpretation und Diskursanalyse ................................ 48 Komparative Analyse und Typenbildung ............................................. 54 Zur Auswahl des Samples..................................................................... 56
3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5
Darstellung der empirischen Ergebnisse .......................................... 59 Kurzportraits der empirischen Demonstrationsfälle ............................. 59 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle ............. 62 Die Gruppe Weizen .............................................................................. 62 Die Gruppe Gerste ................................................................................ 76 Die Gruppe Mais................................................................................. 102 Die Gruppe Roggen ............................................................................ 122 Die Gruppe Hirse ................................................................................ 136
2.3 2.4 2.4.1
10
Inhalt
4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
Typenbildung .................................................................................... 153 Typ 1: Agieren im Modus der Abarbeitung........................................ 154 Typ 2: Agieren im Modus von schulentwicklerischer Deutungshoheit ................................................................................... 155 Typ 3: Agieren im Modus der Nebenregierung .................................. 156 Typ 4: Agieren im Modus aufgabenorientierter Professionalität ........ 158 Steuergruppentypen im Überblick ...................................................... 159
5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.3
Diskussion der Ergebnisse................................................................ 161 Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse.................................. 161 Steuergruppen und die Hierarchiestruktur von Schulen ..................... 162 Auswirkungen der Hierarchieproblematik.......................................... 163 Umgang der Steuergruppen mit dem Hierarchiedilemma................... 165 Theorieperspektiven auf die Ergebnisse ............................................. 165 Steuergruppen und die Autonomie von Lehrkräften........................... 165 Steuergruppen und organisationale Konfliktpotentiale....................... 168 Steuergruppen und die Struktur der Schule ........................................ 169 Hypothesen zu Steuergruppen als Innovation in der Schule............... 171
6 6.1 6.2 6.3
Ausblick ............................................................................................. 179 Anregungen für die Praxis .................................................................. 179 Anregungen für die weitere Forschung............................................... 181 Anregungen für die Theoriearbeit....................................................... 182
7
Literaturverzeichnis ......................................................................... 185
1 Einführung
Die gesellschaftlichen Anforderungen an Schulen sind in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Schulen sind durch die Bildungspolitik aufgefordert, diesen Anforderungen gerecht zu werden und sich entsprechend zu entwickeln. Im Kontext dieser Entwicklungsaufgabe werden schulische Steuergruppen eingerichtet. Sie sollen die Schulentwicklung in Einzelschulen initiieren, organisieren und begleiten. In der hier vorliegenden Untersuchung steht die Arbeit dieser Steuergruppen im Mittelpunkt. Es geht darum, die Handlungspraxis von Steuergruppen wissenschaftlich zu erhellen. Zu diesem Zweck werden die Orientierungen in den Blick genommen, die die Handlungspraxis der in Steuergruppen agierenden Personen strukturieren. Die Studie ist im Bereich der qualitativ-rekonstruktiven Forschung zu Schulentwicklungsprozessen angesiedelt. In diesem Kapitel werde ich zunächst die den steigenden Entwicklungsanforderungen an Schulen zugrunde liegenden Probleme anreißen, um anschließend – auf diese Entwicklungsanforderungen bezogen – zu charakterisieren, was im Rahmen der vorliegenden Arbeit unter „Schulentwicklung“ verstanden wird. Danach werden sowohl der Praxisdiskurs als auch zentrale Forschungsarbeiten zu Steuergruppen dargestellt und theoretische Modelle zur Verortung der Steuergruppen nachgezeichnet. Vor diesem Hintergrund wird abschließend die Forschungsfrage präzisiert und der Aufbau der Arbeit dargestellt.
1.1 Problemhorizont der Untersuchung Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Steuergruppen steht, dies wird der Forschungsüberblick in Kapitel 1.3 zeigen, noch am Anfang. Somit wird mit dieser Arbeit auf neue Herausforderungen im Praxisfeld der Schule reagiert, die bisher wissenschaftlich noch wenig im Fokus stehen (vgl. u. a. Altrichter/Rolff 2000, S. 213). Handlungsbedarf für Schulentwicklung entsteht nach Rahm vor allem dann, wenn eine Diskrepanz zwischen den Ansprüchen einer Gesellschaft oder ihren Teilbereichen und der Schulkultur besteht, wenn sich also die Gesellschaft
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1 Einführung
gewandelt hat, die Schulen aber in ihren Traditionen verhaftet bleiben (Rahm 2005 193, S. 24). Herausforderungen für die schulische Wirklichkeit entstehen u. a. durch den beschleunigten sozialen Wandel (vgl. u. a. Hentig 2003; Holtappels/Leffelsend 2003; Scheunpflug 2003). Veränderte Sozialisationsbedingungen durch die Pluralisierung von Lebensformen, die zunehmende Individualisierung oder der Verlust von Erfahrungsräumen (Beck/Beck-Gernsheim 1994) und die Mediatisierung von Erfahrungen führen zu neuen Ansprüchen an die Schule. Beispielsweise verändern sich inhaltliche Anforderungen durch die Globalisierung (Beck/Beck-Gernsheim 1994; Asbrand 2006). Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund tragen bisher nicht gekannte Erfahrungen und Erwartungen in die Schule (Stanat 2006). Der Wertepluralismus führt zu neuen Anforderungen an schulisches erzieherisches Handeln. Per Dalin konstatiert vor diesem Hintergrund in Bezug auf die Schule „durchgreifende Veränderungen der Wahrnehmung, Reflexion und Erklärung der Wirklichkeit, ferner eine Veränderung von Haltungen, Machtverhältnissen und Strukturen“ (Dalin 1997 223, S. 56 ff., Hervorhebungen i. O.). Angesichts dieser Herausforderungen würde sich die Frage nach der „Zukunft von Erziehung und Bildung“ (Dalin 1997, S. 58) neu stellen. Für Dalin lautet die zentrale Frage: „Was muss eine Schule heute leisten, damit ihre Schüler als Erwachsene die Aufgaben meistern können, vor die das nächste Jahrhundert sie stellen wird?“ (Dalin 1997 223, U 4). In den letzten Jahren wurde zudem deutlich, dass Schulen in Deutschland ihren Schülern kaum mehr hinreichende Qualifikationen vermitteln, um in einer globalisierten Gesellschaft anschlussfähig zu bleiben (vgl. PISA-Konsortium 2001; Baumert/Artelt/Klieme et al. 2003; Klieme 2004). Drastisch formuliert diesen Befund die Kommission zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards: „Unabweisbar haben die empirischen Vergleichstudien [TIMSS und PISA, d. Verf.], die nach fast 20 Jahren erstmals die Realität der Schulen analysiert und im internationalen Kontext verglichen haben, gravierende Mängel offen gelegt“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2003, S. 11). Deutlich wurde auch, dass das deutsche Bildungswesen keine hinreichende Chancengleichheit gewährt und zu wenig Schülerinnen und Schüler hohe Kompetenzniveaus erreichen. Zudem bestehen zwischen einzelnen Lehrkräften erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die Qualität der Lehr-Lern-Prozesse. (Zusammenfassend werden die Ergebnisse z. B. referiert in Einsiedler 1997; Helmke/Weinert 1997; Stigler/Gonzales/Kawanaka et al. 1997; Klieme/Knoll/ Schümer 1998; Helmke/Schrader 2001)
1.2 Diskussionskontext
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Diese Defizite führten auf der Ebene der Bildungspolitik zu einem Paradigmenwechsel, der als Umstellung von der Input- auf die Outputsteuerung beschrieben werden kann. In dessen Folge einigten sich z. B. alle Bundesländer auf gemeinsame verpflichtende Bildungsstandards (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2003). Aus dieser – auf der Makroebene des Schulwesens angesiedelten – Umstellung von Input- auf Outputsteuerung resultiert nach Rolff ein zweifacher Paradigmenwechsel bei der Schulentwicklung auf der Mesoebene:
Der Paradigmenwechsel von den Inhalten zu den Kompetenzen Der Paradigmenwechsel vom Lehren zum Lernen (Rolff 2007, S. 131 f.)
Mit diesem Wechsel verbunden ist die Forderung nach Schulentwicklung im Sinne einer systematischen Qualitätsentwicklung der Einzelschule.
1.2 Diskussionskontext Der Begriff »Schulentwicklung« wird oft und auf ganz unterschiedliche Weise definiert. Eine sehr umfassende Definition findet sich in einem der Berichte über das OECD-Projekt International School Improvement. Dort heißt es: „Schulentwicklung (school improvement) nennt man systematische, längere Zeit andauernde Maßnahmen zur Veränderung der Lernbedingungen und anderer darauf bezogener Faktoren in einer oder mehreren Schulen zu dem Zweck, die Ziele der Schule effektiver zu realisieren.“ (Velzen/Miles/Ekholm et al. 1985 )
In dieser Definition wird betont, dass die Einheit der Veränderung die Schule ist und nicht einzelne Lehrkräfte oder einzelne Klassen; dass Maßnahmen systematisch und über einen längeren Zeitraum hinweg durchgeführt werden; dass bei einer spezifischen pädagogischen Neuorientierung neben den Lernbedingungen im engeren Sinne auch die Kontextbedingungen (z. B. organisationaler, personaler, finanzieller Art) beachtet werden müssen.
Dieses Verständnis von Schulentwicklung zeugt von einem veränderten Blick auf die Schulen. Wurden sie bisher als bürokratisch verwaltete Institutionen wahrgenommen, die als von einer zentral administrierten Bildungsplanung steuerbar gedacht wurden, geht es heute um die Schule als lernende Organisation,
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1 Einführung
die sich aktiv selbst verändert und auf Herausforderungen gestaltend eingeht (Büeler 1998b; Fullan 1999; Krainz-Dürr 1999; Schratz/Steiner-Löffler 1999). Die Einzelschule als Akteur der Schulentwicklung rückte zunächst als „Gestaltungseinheit“ (Fend 1986, S. 275 ff.), dann als „Motor der Entwicklung“ (Rolff 2007, S. 11) in den Blickpunkt. Altrichter zeigt in seinen „Phasen der Schulentwicklung“ (Altrichter 2006, S. 6 ff.) auf, inwiefern mit der Hinwendung zur Einzelschule auch eine Veränderung in der Art und Weise der Steuerung von Schulentwicklungsprozessen stattfand. Er spricht von einer Phase der Ermöglichungsstrategie, die bis in die erste Hälfte der 1990er Jahre andauerte. In dieser Zeit lag sowohl die inhaltliche als auch die organisatorische Verantwortung allein bei den Lehrkräften der Einzelschule. Es schloss sich eine Phase der Anforderungsstrategie an: Die sowohl intern als auch extern formulierten Anforderungen zeigten sich z. B. in Konzepten wie verpflichtender Schulprogrammarbeit, Selbst- und Fremdevaluation oder der Einführung von Vergleichsarbeiten. Die Ergebnisse der internationalen Schulvergleichsstudien (TIMSS, PISA) führten zur dritten Phase. Externe Elemente wie Bildungsstandards und regelmäßige Vergleichsarbeiten sollen nun die Entwicklung der Einzelschule steuernd begleiten. Altrichter bezeichnet dies als Phase der Steuerung der Selbststeuerung. In allen Phasen, die Altrichter anführt, steht im Zentrum von Schulentwicklung die Autonomie der einzelnen Schule und deren Problemlösekompetenz. Schulen sollen Potenziale entwickeln, um auf den sozialen Wandel angemessen reagieren zu können und um über hinreichende Kompetenz zur Bewältigung damit einhergehender Probleme zu verfügen. Dies erfordert systematische und beständige Arbeit an der Verbesserung ihrer Qualität in verschiedenen Qualitätsbereichen. Aus den Ergebnissen der Schulqualitätsforschung können, je nach Strukturierungsansatz, unterschiedliche Bereiche von Schulqualität definiert werden. Haider schlägt z. B. folgende fünf Qualitätsbereiche vor (Haider 1999):
Lehren und Lernen Professionalität und Personalentwicklung Schulmanagement Lebensraum Klasse Schulpartnerschaften und Außenbeziehung
Prozesse, mit deren Hilfe umfassende Veränderungen auf diesen Gebieten an einer Schule angestrebt werden, verlangen nach Holtappels „zielgerichtete, plan-
1.2 Diskussionskontext
15
volle und umfassende Organisations-, Koordinierungs- und Steuerungsaktivitäten“ (Holtappels 2007, S. 21 f.). Weick hatte schon 1976 darauf hingewiesen, dass Schulen tendenziell ein System von lose verbundenen Einheiten (loosely coupled systems) darstellen und damit nur schwer systematisch verändert werden können (Weick 1976). Dies wird auch durch die Fallstudien-Analyse von Noblit und Pink gestützt (Noblit/Pink 1987), die deutlich macht, dass Schulen keine gut strukturierten Organisationen mit systematischen, geplanten Veränderungsansätzen sind. Schulentwicklung ist deshalb eine Aufgabe, die von den Schulen professionell bewältigt werden muss. Diese Aufgabe stellt sich verschiedenen Akteuren, die in Schulentwicklungsprozesse eingebunden sind bzw. eingebunden werden. Zu diesen Akteuren, die sich mit schulischen Entwicklungsprozessen intensiv auseinandersetzen müssen, gehört die Leitung. In Schulen, die bürokratisch verwaltete Institutionen sind, ist die Leitung einzig an die Schulleiterin bzw. den Schulleiter gebunden. Schulleitungen von lernenden Schulen müssen hingegen ein neues Führungsverständnis entwickeln, das den Anforderungen der Komplexität einer lernenden Organisation (Senge 1998; Senge 2000) genügt. Sie müssen pädagogischorganisatorische Entwicklungsplanung betreuen, Qualitätskontrolle über Evaluation, Berichterstattung und Personalentwicklung steuern, Mittel selbstständig bewirtschaften sowie partizipative Prozesse anleiten, die Lernen im gesamten Kollegium ermöglichen. Die Leitung einer Schule trägt damit die Verantwortung für ihre eigenen Lernprozessen ebenso wie für die anderer Lerner in der Schule – seien es Schüler oder Lehrkräfte (MacBeath 2007). Schulentwicklung wird vor diesem Hintergrund nur über ‚Shared Leadership’ möglich, d. h. sowohl über eine transformationale Führung, die Visionen schafft und mit Überzeugungskraft auf die Mitarbeiter(innen) überträgt, als auch über eine transaktionale Führung mit dem Augenmerk auf effektive und effiziente Zielerreichung. Komplexe Führungsverantwortung wird im Sinne einer Shared Leadership aber nicht nur von einzelnen Leitungspersonen, sondern von einer Gruppe exponierter Mitglieder einer Schule getragen. Nicht nur die Schulleitung ist damit für die Entwicklung einer Schule verantwortlich; vielmehr wird in diesem Zusammenhang Verantwortung an ein mittleres Management (z. B. Fachleitungen) delegiert. Erwartungen an das mittlere Management, das unterschiedliche Statusgruppen umfassen kann, betreffen den Aufbau organisationaler Strukturen, die Koordination von Entwicklungsaufgaben auf mittlerem Niveau, die Unterstützung der Schulleitung bei der Aufgabenbewältigung sowie die Entlastung des Kollegiums. Mit der Einführung eines mittleren Managements in Schulen verbindet sich die Vorstellung einer schulischen Qualitätsentwicklungsbewegung, in
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1 Einführung
der alle Mitglieder einer Bildungsorganisation in intensivem Dialog miteinander stehen (MacBeath 2007). In deutschsprachigen Ländern ist ein mittleres Management an Schulen allerdings noch kaum etabliert, so dass die Potenziale des mittleren Managements bislang wenig genutzt werden. Um Schulreformen auf einer mittleren Ebene zu initiieren und zu etablieren, werden in Deutschland vielfach Steuergruppen eingerichtet. Diese Steuergruppen bestehen im Regelfall aus engagierten Lehrkräften einer Schule, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Entwicklungsprozesse einer Schule zu steuern und zu begleiten, wobei diese Arbeit in der Regel allerdings nicht laufbahnrelevant ist (vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 1.3). Altrichter, Messner und Posch bezeichnen die Arbeit mit Steuergruppen deshalb auch als „Vorwegnahme des in vielen deutschsprachigen Schulsystemen fehlenden mittleren Managements“ (Altrichter/Messner/Posch 2004, S. 97).
1.3 Steuergruppen im Praxisdiskurs Steuergruppen „spielen in der internationalen Diskussion zur Schulentwicklung“ zwar „keine Rolle“ (Holtappels 2007, S. 11), sind aber im Schulentwicklungsdiskurs des deutschsprachigen Raumes zu einem zentralen Moment von Schulentwicklungskonzeptionen geworden (vgl. Rolff 2007, S. 94 ff.). Ausführlich beschrieben wird die Praxis der Etablierung und der Arbeit von Steuergruppen u. a. bei Altrichter, Berkemeyer & Holtappels sowie bei Rolff (Altrichter/Messner/ Posch 2004; Rolff 2007; Berkemeyer/Holtappelts 2007b). 1 Im Rahmen dieses Kapitels wird der Praxisdiskurs um die Steuergruppenarbeit deshalb nur überblicksartig dargestellt. Der tragende Gedanke hinter der Einrichtung einer Steuergruppe besteht darin, dem Kollegium die Möglichkeit zu eröffnen, an der Gestaltung einer autonomen Schule zu partizipieren. Dazu bedarf es einer breiten Verankerung im Kollegium, das der Motor der Schulentwicklung sein soll. Steuergruppen sollen der Lehrerschaft „[...] eine Basis [bieten], die Schulentwicklung und ihre weitere Professionalisierung selbst in die Hände zu nehmen“ (Rolff 2007, S. 94). Die hier deutlich werdenden Erwartungen an Steuergruppen haben unmittelbare Konsequenzen für deren Rekrutierung: In der Praxisliteratur wird angeraten, Steuergruppen zum Teil – gerade an großen Schulen – aus dem vorhandenen, bisher für systematische Schulentwicklungsprozesse nicht genutzten mittleren 1 Auf diese Autoren wird in der folgenden Darstellung des Konzeptes der Arbeit mit Steuergruppen vorrangig rekurriert.
1.3 Steuergruppen im Praxisdiskurs
17
Management zu rekrutieren; daneben sollen engagierte Lehrkräfte sowie die Mitglieder der Schulleitung mitwirken. Schulische Steuergruppen werden in der Regel als Mikrokosmos der Schulgemeinde konzipiert (vgl. Holtappels/Berkemeyer 2007) und sollen die unterschiedlichen Interessenlagen im Kollegium, wie etwa die jüngerer versus älterer Kolleg(inn)en, die geisteswissenschaftlich versus naturwissenschaftlich ausgerichteter Fachkräfte oder die der verschiedenen Geschlechter, angemessen berücksichtigen. Gleiches gilt für differente Sichtweisen in Bezug auf Schulentwicklungsprozesse sowie die Einbeziehung der Interessen von möglichst allen beteiligten Statusgruppen (Eltern, Schüler(innen), Personalvertretung, Schulleitung). Allen an Schulentwicklung Interessierten sowie den wohlwollenden Skeptikern soll durch die personelle Durchmischung der Steuergruppe Partizipation ermöglicht werden. Folgende Kriterien werden für die Zusammensetzung einer Steuergruppe formuliert (vgl. Altrichter/Messner/Posch 2004, S. 98):
Vertretung formeller Entscheidungsträger, wie etwa der Schulleitung, Personalvertretung, Vertretung leitender schulischer Gremien Mandat informeller Gruppen, die dezidierte Interessen vertreten oder Meinungsträger sind Erreichung einer schulischen Vielfalt (Befürworter und Skeptiker) Arbeitsfähigkeit der Gruppe (ca. 5-10 Personen) Einbeziehung vorhandener Qualitätsentwicklungsgruppen Bereitschaft zu Kooperation und Engagement
Als wichtiges Prinzip wird die Freiwilligkeit der Teilnahme genannt. Lehrer(innen) sollen aus eigenem Antrieb an der Weiterentwicklung ihrer Schule mitwirken. Dies setzt ein hohes berufliches Engagement und eine ausgeprägte Identifikation mit der Schule voraus. Da davon auszugehen ist, dass ein solches Engagement in informellen Initiativgruppen zur Qualitätsentwicklung zu finden ist, werden solche Zusammenschlüsse als geeigneter Ausgangspunkt für die Bildung einer Steuergruppe angesehen. In der Schulentwicklungsprogrammatik wird die Notwendigkeit einer Verantwortungsübernahme der Steuergruppe bezüglich des Schulentwicklungsprozesses betont. Steuergruppen können anknüpfen an die Kompetenzen und Stärken des Kollegiums, sie können Initiativen und Projekte unterstützen und ein entwicklungsförderliches Feedback geben. Damit soll durch die Steuergruppe auch zu einem förderlichen Schulklima beigetragen werden. Damit die Steuergruppe diese Aufgaben umsetzen kann, weist Rolff auf die Notwendigkeit hin,
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1 Einführung
dass die Steuergruppe durch das Kollegium legitimiert wird (Rolff 2007, S. 100 f.). Um diese Legitimation zu erreichen, muss die Steuergruppenarbeit zum einen als sinnvoll erachtet werden. Zum anderen sollte zwischen der Steuergruppe und dem Kollegium ein Vertrauensverhältnis bestehen. Dieses könnte durch einen klaren Auftrag, Transparenz bei der Aufgabenerfüllung und Rechenschaftslegung im Sinne von kontinuierlicher Berichterstattung gefördert werden. Die für Steuergruppen vorgeschlagenen Aufgaben bestehen in der Initiierung von schulischen Reformprojekten, der Leitung von Evaluationsprozessen, der Personalentwicklung und der Förderung der Kommunikation innerhalb des Kollegiums (Rahm 2005). Im Rahmen des Change-Managements wird die Steuergruppe als für die Prozesssteuerung und die Koordination der Arbeit von Qualitätsgruppen, für Information und Verbreitung von Materialien, für die Organisation des Veränderungsprozesses und die unterstützende Beratung der Schulleitung verantwortlich gesehen (Holtappels/Berkemeyer 2007). Darunter fallen u. a. folgende konkrete Aufgaben:
Die Beobachtung, Organisation und Moderation des gesamten schulischen Qualitätsentwicklungsprozesses Die Durchführung von Bestandsaufnahmen (Stärken-Schwächen-Diagnose) Die Unterstützung der Schulleitung bei der Instrumentenentwicklung und der Steuerung der schulinternen Evaluation Die Initiierung, Begleitung, Koordination und Vernetzung einzelner Projekte Die Organisation von Feedbackkonferenzen (Bekanntgabe und Würdigung von Erfolgen) Die Ermittlung und Abstimmung von Qualifizierungsbedarfen Die Abstimmung von Maßnahmen zur Unterrichtsentwicklung Die Information der beteiligten Statusgruppen, wie z. B. Personalrat, Fachgruppenleiter (sowie der Aufbau eines Informationsflusses) (vgl. Rolff 2001, S. 13; Altrichter/Messner/Posch 2006, S. 98 f.)
In der Steuerungs- und Unterstützungsfunktion ergeben sich durchaus Überlappungen mit den Aufgaben der Schulleitung, die die Gesamtverantwortung für die Schulentwicklung übernehmen muss. Dabei wird die Steuergruppe anders als die Schulleitung als unmittelbar im Kollegium verankert gesehen. Ihr werden damit andere Einflussmöglichkeiten als der Schulleiterin/dem Schulleiter zugeschrieben. Rolff weist auch darauf hin, dass „[d]ie übernommene Mitverantwortung für den Schulentwicklungsprozess [...] nicht einer Verselbständigung der Steuergruppe, sondern der Unterstützung des Kollegiums bei der Planung und Entwicklung von Projekten“ dient (Rolff 2001, S. 14).
1.4 Steuergruppen im Forschungsdiskurs
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1.4 Steuergruppen im Forschungsdiskurs Betrachtet man die Publikationen zum Thema Schulentwicklung, so kann festgestellt werden, dass die praxisorientierte Ratgeberliteratur den Hauptanteil ausmacht (vgl. auch Esslinger-Hinz 2006, S. 10 ff.). Der bisherigen Schulentwicklungsforschung attestierten Altrichter und Rolff im Jahr 2000, dass sie insgesamt als defizitär bezeichnet werden kann und „ein Hinterbänklerdasein" (Altrichter/Rolff 2000 213, S. 4) fristet. Maag Merki konstatiert acht Jahre später, dass sich nun „Teilaspekte von Schulentwicklung theoretisch und empirisch konsistent modellieren“ lassen, weist aber darauf hin, dass „zukünftige Forschungen […] notwendig [sind], bis ein umfassendes Bild von Schulentwicklung als Struktur, Prozess und Wirkungskonstellationen im Detail skizziert werden kann“ (Maag Merki 2008, S. 29). Besonders über Steuergruppen, die nach Holtappels „ein speziell deutsches und zudem junges Phänomen“ (Holtappels 2007, S. 31) sind, liegen nur wenige empirische Arbeiten vor. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Arbeit von Steuergruppen und des mittleren Managements seitens der Forschung bislang nur relativ wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Insgesamt betrachtet, ist offensichtlich, dass die Basis an empirisch gesichertem Wissen zur Schulentwicklung im Allgemeinen und zu Steuergruppen im Speziellen sehr klein ist. Daher werden im Folgenden nicht nur die Ergebnisse empirischer Forschungen zu Steuergruppen, sondern auch Beobachtungen aus der Arbeit mit Steuergruppen und aus der Beratungstätigkeit überblicksartig dargestellt. Die Bedeutung, die Steuergruppen mittlerweile in Deutschland haben, zeigt die Lehrerumfrage des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund. Kanders und Rösner ermittelten, dass, bezogen auf den Zeitraum 2004 bis 2005, 40 % aller Sekundarlehrer in Deutschland in Steuergruppen mitgearbeitet haben (Kanders/Rösner 2006). Vor diesem Hintergrund stellen für Rolff Steuergruppen „eine der bedeutsamsten Innovationen in der jüngeren Schulgeschichte dar“ (Rolff 2006, S. 94). Aus einer Studie des Instituts für Schulentwicklung an der Universität Dortmund liegen empirische Ergebnisse zur Arbeitsweise und zu den Wirkungen schulischer Steuergruppen vor. Sie sind aus der Evaluationsforschung zum Projekt „Qualitätsentwicklung in Netzwerken“ des Landes Niedersachsen (Holtappels 2007) hervorgegangen. Hierfür wurden 60 Steuergruppen sowie die im Projekt involvierten Kollegien mit Hilfe eines Fragebogens zu Funktion, Akzeptanz, Arbeitsweise und Wirksamkeit der Steuergruppen befragt. Die Befunde deuten darauf hin, dass die Aufgaben von Steuergruppen in den Augen der Lehrkräfte einen engen Bezug mit der Führung einer Schule insgesamt und insbesondere zur
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Schulleitung aufweisen. Die Mitglieder der Steuergruppen selbst sind in hohem Maße bereit, Verantwortung für die Entwicklungsprozesse an ihrer Schule zu übernehmen. Relativ niedrig sind die Werte auf der Skala der Akzeptanz im Kollegium, wobei sich die Steuergruppen selbst noch kritischer einschätzen als die jeweiligen Kollegien und ein Misstrauen seitens der Kolleginnen und Kollegen wahrnehmen. Die Steuergruppenarbeit wird in der Selbstauskunft als teamartig strukturiert beschrieben. Die Wirksamkeit ihrer Arbeit schätzen die Steuergruppen deutlich höher ein als die jeweiligen Kollegien. Auch in der Einschätzung der Funktionen und Aufgaben von schulischen Steuergruppen unterscheidet sich die Sichtweise der Steuergruppenmitglieder erheblich von der des Kollegiums. Während beispielsweise lediglich 17,2 % der Lehrkräfte der Steuergruppe eine orientierende Funktion für den Entwicklungsprozess zuschreiben, sehen 89,6 % der Steuergruppenmitglieder diesen Tatbestand erfüllt. In der Untersuchung geben fast alle Befragten an, sich innerhalb der Steuergruppe selbst Aufträge zu erteilen. 21 % der Befragten nennen jedoch auch den Personalrat als Auftraggeber; nahezu die Hälfte berichtet über die Entgegennahme von Aufträgen seitens der Schulleitung. Weitere Auftraggeber sind die regionalen Steuergruppen, die Schulentwicklungs- und Prozessberater(innen) sowie das Ministerium. Die Schulleitung als Auftraggeber bezeichnen Berkemeyer und Holtappels als „pikante Konstellation“: „Denn eine Steuergruppe, als den Schulentwicklungsprozess steuerndes Gremium, soll in aller Regel kein ausführendes Organ der Schulleitung sein; hinzu kommt, dass in den weitaus meisten Steuergruppen die Schulleitung Mitglied ist, somit in einer großen Zahl von Schulen die Steuergruppe zumindest partiell von der Schulleitung ‚gesteuert’ wird“ (Berkemeyer/Holtappels 2007a, S. 111). Dieser Befund wird erhärtet, wenn man ihn zu den Aktivitäten der beiden Statusgruppen (Schulleitungsmitglieder, Lehrkräfte) innerhalb der Steuergruppe in Beziehung setzt: Bei den befragten Steuergruppen sind „es keineswegs die Lehrkräfte [...], die im Rahmen der Steuergruppenarbeit und somit einem Konzept ‚integrierter Führung’ aktiv werden, sondern die Mitglieder der Schulleitung. In allen Tätigkeitsfeldern [...] sind die Unterschiede zwischen den Gruppen als starke Effekte zu interpretieren“ (Berkemeyer/Holtappels 2007a, S. 123). Es sind die Schulleitungsmitglieder der Steuergruppe, die agieren, die steuern, und nicht die Lehrkräfte. Nach Berkemeyer und Holtappels ein „kritischer Befund“ (Berkemeyer/Holtappels 2007a, S. 123). Dies ist ein erster empirischer Hinweis auf das Dilemma der Nähe der Steuergruppe zur Schulleitung bei gleichzeitiger Verpflichtung auf die Anliegen des Kollegiums.
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Auf ein weiteres, auch für die hier vorliegende Untersuchung wichtiges Ergebnis des Evaluationsforschungsprojektes weisen Berkemeyer/Holtappels in einer anderen Veröffentlichung hin: „Schulische Steuergruppen sind als organisationsinterne ‚Kollektive Akteure’ zu betrachten“ (Berkemeyer/Holtappels 2006, S. 184). Dabei verstehen sie Steuergruppen „als Teil einer Art neuer ‚Schulgovernance’“ (Berkemeyer/Holtappels 2006, S. 177) und deuten ‚Kollektive Akteure’ mit Bezug auf Schimank (Schimank, S. 306 ff.) „als Aggregateffekt individuellen Handelns [...], wobei die Zurechnung verschiedener Handlungen nicht mehr auf Individualebene, sondern auf kollektiver Akteursebene erfolgt“ (Berkemeyer/Holtappels 2006, S. 178). Angesichts ihrer Befunde deuten sie „Steuergruppen als Agenten schulischer Reform“ und konstatieren, dass „Schulen einen neuen Akteur [erhalten], der sich mit konkreten Fragen der Schulentwicklung befasst und an der Realisierung von schulischen Zielen aktiv und gestaltend mitwirkt“ (Berkemeyer/ Holtappels 2006, S. 184). In einer Fußnote weisen die Autoren darauf hin, dass es „zu mikropolitischen Auseinandersetzungen“ führen kann, wenn „die Schulleitung oder ein Schulleitungsmitglied Teil der Steuergruppe ist“ (Berkemeyer/Holtappels 2006, S. 178). Auch dies kann als ein Hinweis auf das Problemfeld gesehen werden, das sich aus der Konstellation Steuergruppe – Schulleitung ergibt. Empirisch erfasst wurde in diesem Projekt auch die Bedeutung von Qualifizierungsmaßnahmen für Steuergruppen. Die Untersuchungsergebnisse machen deutlich, dass Methoden und Inhalte von Schulungsangeboten von etwa der Hälfte der Befragten als gut umsetzbar erlebt werden. Gleichzeitig wird die Mitarbeit in Steuergruppen als Professionalisierungsprozess erfahren. 93 % der Befragten meinen, dass sie durch die Arbeit in der Steuergruppe Schulentwicklungsprozesse differenzierter wahrnehmen; 80 % geben an, ihr methodisches Repertoire erweitert zu haben (Berkemeyer/Holtappels 2007a, S. 116). Unterstützungsinitiativen seitens des Ministeriums, durch andere Steuergruppen oder durch Kolleg(innen) anderer Schulen, durch die Schulaufsicht, durch Schulberater(innen) oder Beratungsagenturen sowie durch Fortbildungsbeauftragte erfahren ebenfalls Wertschätzung. Vor allem externe Schulentwicklungs- und Prozessberater(innen) werden als hilfreich wahrgenommen. Ein interessanter Befund ergibt sich, wenn die Steuergruppen nach den Arbeitsbereichen gefragt werden, die sich durch die Fortbildung verbessert haben. Nach dem Bereich der „Organisation und Planung“ wird der Bereich „Transparenz und Akzeptanz der Steuergruppe“ am häufigsten genannt. Dass dieser Bereich aber auch zu den am zweithäufigsten angegebenen „Hinderungsgründen der Steuergruppenarbeit“ (Feldhoff 2007, S. 153 f.) gehört, weist darauf hin, dass er ein Problem in der Steuergruppenarbeit
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darstellt. Insgesamt wurde das Fortbildungsangebot von den Teilnehmer(inne)n positiv bewertet. Aufgrund der angewandten Methode lassen sich in dieser Studie zwar quantitativ repräsentative Ergebnisse angeben, diese sind jedoch auf das explizite Wissen der Lehrkräfte beschränkt. Da die bloße Äußerung einer Absicht und die konkrete Handlung häufig weit auseinanderliegen, erhält man dadurch nur Andeutungen darüber, wie es in der Praxis tatsächlich aussieht. Welches implizite Wissen der Lehrkräfte ihr Erleben und ihr Alltagshandeln in der Praxis strukturiert – und damit die Befunde erklären würde – kann mit diesem Vorgehen nicht erhellt werden. Im Modellvorhaben »Selbstständige Schule NRW« wurden 723 Lehrerkräfte an 30 mindestens dreizügigen Grundschulen von Fitzen (Fitzen 2007) in einer schriftlichen Erhebung befragt. Die Daten weisen darauf hin, dass an Grundschulen, anders als bei anderen Schularten, eine geringere Regelungsdichte bezüglich der schulischen Entwicklungsarbeit besteht. Dies ist möglicherweise auf den größeren Zusammenhalt in Grundschulkollegien zurückzuführen. Die Aufgabenverteilung erfolgt nach Interesse, Kompetenz, Zeitressourcen und Qualifikation, nicht jedoch nach klar geregelten Aufgabengebieten. Die Mehrzahl der Mitglieder arbeitet gern in der Steuergruppe mit und betrachtet sie als persönliche Herausforderung. Betont wird die kollegiale Kooperation trotz hierarchischer Grundverhältnisse, die in der Steuergruppe nicht aufgehoben sind. Ein im Kontext meiner Studie zentrales Ergebnis dieser Untersuchung ist es, dass Steuergruppen als neues Strukturelement vom Kollegium akzeptiert werden und dass sie als wirksam bei der Umsetzung des Schulprogramms eingeschätzt werden (Fitzen 2007 214, S. 173). Interessant sind in diesem Zusammenhang allerdings die differierenden Einschätzungen der Steuergruppenmitglieder und des Kollegiums in welchen Bereichen die Steuergruppen wirksam sind. Während z. B. die Kollegien die Aktivitäten der Steuergruppe zur „Systematischen Personalentwicklung“ zu 45.5 % für sehr wirksam/wirksam halten, teilen nur 42.9 % der Steuergruppenmitglieder diese Einschätzung. In allen anderen Bereichen schätzen die Steuergruppenmitglieder die Wirksamkeit der schulischen Steuergruppe deutlich höher ein als die Kollegien (Fitzen 2007, S.171). Dieser Befund weist darauf hin, dass noch kein gemeinsames Rollenverständnis entwickelt wurde. In einem rheinland-pfälzischen Qualitätsentwicklungsprojekt (QuiSS-rpII) wird die Bewältigung einer solchen Rollendiffusion angegangen. 2002 wurden die Schulen in Rheinland-Pfalz zur Qualitätsprogrammarbeit verpflichtet. Mit dem Qualitätsprogramm wurden ein umfassender innerschulischer Konsens und – auf der Basis rechtlicher Vorgaben – pädagogische sowie fachlich-didaktische
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Ziele formuliert. Ein Akzent bestand in der Stärkung der Kooperation innerhalb der Kollegien (Goldstein/Müller/Schmidt 2004, S. 135). Im Teilprojekt ´Leitung und Aufsicht´, einem Ansatz zur Entwicklung der Kooperation zwischen Schulleitung und Schulaufsicht sowie deren gemeinsamer Professionalisierung, werden Dialoge angebahnt, die für die Qualitätsentwicklung an Einzelschulen von Bedeutung sind. Gerade aufgrund der Verzahnung von Steuergruppen mit dem Kollegium und der Schulleitung sowie der Schulaufsicht ist es notwendig, Rollenerwartungen zu klären und Schnittstellen prozessorientiert zu definieren. Eine dialogische Qualitätsprogrammarbeit macht eine Abstimmung der Erwartungshaltungen von Schulleitung und Schulaufsicht gerade auch bezüglich der Steuergruppen unabdingbar. „Je nach dem Stand der Entwicklung innerhalb der einzelnen Schule kommen auf Steuergruppen zentrale Führungsaufgaben zu, die bislang eher bei der Schulleitung angesiedelt waren. Wie Schulleitungen zukünftig mit dieser sich wandelnden Führungsrolle zurechtkommen werden, bleibt abzuwarten“ (Goldstein/Müller/Schmidt 2004, S. 142). Dieses aus Sicht der Praxis formulierte Erfahrungsdefizit ist auch ein Hinweis auf ein Forschungs- und Theoriedesiderat. Im Rahmen des Projektes „Schule & Co.“ (Lohre 1998) wurde eine Qualifizierung schulischer Steuergruppen durchgeführt und von Joachim Herrmann evaluiert. An dem von 1997 bis 2002 als Gemeinschaftsprojekt des nordrheinwestfälischen Schulministeriums und der Bertelsmannstiftung durchgeführten Projekt nahmen 52 Schulen aller Schulformen aus der Stadt Leverkusen und dem Kreis Herford teil. Um die Steuergruppen der teilnehmenden Schulen zu qualifizieren, erarbeitete eine Unternehmensberatung ein Fortbildungskonzept mit 17 je eintägigen Bausteinen. In der qualitativen Evaluation stellt Herrmann (Herrmann 2000) neben fünf zentralen Aufgabenfeldern der Steuergruppen 2 auch zwei Konfliktpunkte der Steuergruppenarbeit fest. Als konflikthaft erwiesen sich: (1) die hohe Zeit- und Arbeitsbelastung der Steuergruppen und (2) Differenzen zwischen der Steuergruppe und dem Kollegium. Neben inhaltlichen Differenzen, beispielsweise über die Ziele, traten hier auch Konflikte auf, die Herrmann auf das Spannungsfeld zurückführt, in dem die Steuergruppe agiert. Handelnd zwischen Schulleitung und Kollegium, arbeitet sie einerseits eng mit der Schulleitung zusammen, andererseits ist sie dem Kollegium verpflichtet, das sie beauftragt hat. 2 Zielformulierung und Zielklärung, Strukturierung und Organisation des Schulentwicklungsprozesses, Teamentwicklung in der Steuergruppe und im Kollegium, Information und Kommunikation sowie Moderation und Präsentation.
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Wie schon in der Studie zur Arbeitsweise und zu den Wirkungen schulischer Steuergruppen des Projektes ‚Qualitätsentwicklung in Netzwerken’ (s. o.) scheint ein Dilemma auf, das sich aus der besonderen Stellung der Steuergruppe innerhalb der Konstellation Schulleitung – Kollegium – Steuergruppe ergibt. Herrmann (2006) berichtet weiterhin über drei Arten von Problemen, die er in seiner Arbeit mit Steuergruppen an Schulen in Hamburg und NordrheinWestfalen beobachtet hat: das Auftrags-, das Handwerks- und das Kulturproblem. Als „Auftragsproblem“ bezeichnet er die mangelnde Klarheit des Arbeitsauftrags, den die Steuergruppe vom Kollegium erhält. „Handwerksproblem“ nennt er die nicht ausreichende Befähigung der Steuergruppe, Methoden des Projektmanagements und der Moderation den Gegebenheiten entsprechend in die Praxis umzusetzen; es macht eine Begleitung der Steuergruppe im Sinne eines Coachings erforderlich. Unter den Begriff „Kulturproblem“ schließlich fasst er das Problemfeld, das sich daraus ergibt, dass eine Steuergruppe in Hinsicht auf das Hierarchiegefüge einer Schule eine Hierarchieebene darstellt, ohne dass sie formal vom Kollegium abgehoben wäre. Diese Widersprüchlichkeit, bezogen auf das Organisationsgefüge der Schule, bedeutet seiner Beobachtung nach „für das verbreitete Selbstverständnis einer Schule und eines Kollegiums [...] eine Irritation [...], eine Anmaßung“ (Herrmann 2006, S. 26-28). Während das Auftrags- und das Handwerksproblem prinzipiell als von den Steuergruppen oder den Berater(inne)n bei Schulentwicklungsprozessen bearbeitbar erscheinen, verweist das „Kulturproblem“ auf das Strukturgefüge hierarchisch organisierter Schulen und damit auf ein tiefer liegendes, nicht durch Beratung oder Qualifizierung lösbares Problem. Dass Steuergruppen in Schulen irritierend wirken, wird auch von Altrichter, Messner und Posch berichtet (Altrichter/Messner/Posch 2004, S. 99 ff.). Sie führten im Rahmen ihrer Tätigkeit als Schulentwicklungsberater Gespräche mit österreichischen Lehrkräften und fertigten Gedächtnisprotokolle über Reflexionssitzungen von Steuergruppen an. Die Irritation erklären sich die Autoren durch das zuerst bei Lortie beschriebene Autonomie-Paritäts-Muster (Lortie 1975). Gegen dessen Prinzipien werde durch die Einrichtung von Steuergruppen verstoßen, indem Lehrkräften ermöglicht wird, sich in den Unterricht ihrer Kolleg(innen) einzumischen, und zugleich über die (Nicht-)Zugehörigkeit zu der Steuergruppe eine Ungleichheit in das System eingeführt wird. Aus der Begleitung von Schulentwicklungsprozessen heraus beschreiben Altrichter, Messner und Posch vier charakteristische Situationen, in denen Steuergruppe agieren (Altrichter/Messner/Posch 2004, S. 101 ff.). Diese Situationen
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stellen jeweils ein spezifisches Interaktionsmuster zwischen Kollegium, Schulleitung und Steuergruppe dar: • • • •
Steuergruppen fungieren als Alibieinrichtungen Steuergruppen agieren in umkämpftem Terrain Steuergruppen agieren als Aufsichtsrat Steuergruppen handeln als kooperative Führung
(1) Als Alibieinrichtung fungieren Steuergruppen dann, wenn sie sich mit der Programmatik der Schulentwicklung zufriedengeben und keine eigenen Ziele erarbeiten oder verfolgen. Die Kontakte zwischen Schulleitung und Steuergruppe erfolgen eher informell und konsensuell. Obwohl z. B. ein eigenes Aufgabenprofil der Steuergruppe vorhanden ist und die Benennung einzelner Mitglieder durch das Kollegium erfolgt, ist die Steuergruppe in der schulischen Öffentlichkeit nicht präsent. Es gibt keine explizite Informationspolitik und keine sichtbare Steuerung der Schulangelegenheiten. Die Verantwortung bleibt bei der Schulleitung; an den Vereinzelungsstrukturen hat sich nichts geändert. Gleichzeitig wird die Programmatik der Schulentwicklung eingehalten. (2) Steuergruppen können in schulische Machtkämpfe verwickelt werden. Im Streit um innerschulische Einflussbereiche rivalisieren andere Gruppen mit der Steuergruppe um die Gunst der Schulleitung und/oder die des Kollegiums. Die Gefährdung der Machtposition anderer Statusgruppen durch die Steuergruppe kann massive Konflikte hervorrufen. So kann es beispielsweise zwischen der Steuergruppe und der Personalvertretung zu Unstimmigkeiten bezüglich der jeweiligen Kompetenzen, des ‚Hoheitsgebietes’, kommen. (3) In der Rolle als Aufsichtrat können Steuergruppen einen starken Druck sowohl auf die Schulleitung als auch auf das Kollegium ausüben. Beschlüsse und Richtlinien seitens der Schulleitung werden im Sinne eines verbesserten schulischen Managements eingefordert und ihre Umsetzung überwacht. In Verbindung damit kann sich der Umgangs- und Konferenzstil verändern, und es findet eine deutliche Machtverschiebung in Richtung Steuergruppe statt. Die Schulkultur kann durch eine legitimierte Steuergruppe, die offensiv Verantwortung übernimmt, nachhaltig beeinflusst werden. Auch diese Konstellation macht nach Altrichter, Messner und Posch deutlich, dass „eine Steuergruppe Machtverschiebung in die Organisation bringt“ (Altrichter/Messner/Posch 2004, S. 106). (4) Die kooperative Führung durch die Steuergruppe ist das Ergebnis von Verhandlungen. Zwischen Schulleitung und Steuergruppe werden die Entscheidungsoptionen der Beteiligten ausgehandelt und die Basis für die Führungsver-
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antwortung wird somit deutlich verbreitert. Das Steuerungsverständnis ist ein kollektives, auch wenn die Schulleitung in der letzten Verantwortung steht. Dies betrifft vor allem den Bereich der Personalführung, in dem die Schulleitung dominieren muss. Offene Reflexion, Konfliktmanagement und Transparenz zeichnen den Entwicklungsprozess in diesem Interaktionsmuster aus. Die Herausarbeitung dieser Konstellationen anhand von Beispielsituationen ist sehr anschaulich und ermöglicht das Verstehen einiger Aspekte von Schulentwicklungsprozessen, an denen Steuergruppen beteiligt sind. Eine systematische empirische Fundierung in Form etwa einer Typenbildung steht aber noch aus. „Wie diese Irritationen“, die Altrichter, Messner und Posch beschreiben, „aussehen und entstehen können“, beschreibt Philipp aus der „Sicht eines Trainers und Coaches“ (Philipp 2007, S. 85 ff.). Für Philipp ist die „Teamanbindung der Gruppe in das eigene System, mithin die eigene Schule“, das „Kernproblem der Arbeit von Steuergruppen“(Philipp 2007, S. 88). Ebenso wie Altrichter, Messner und Posch verweist er auf das Autonomie-Paritäts-Muster, betont aber, dass „diese permanente ‚Verletzung’ des Gleichheitsgrundsatzes seitens der Steuergruppe durch die von ihr ausgehende Botschaft an die übrigen Kolleginnen und Kollegen: ‚Irgendwann musst auch du dich ändern!’“ „extrem verstärkt wird“ (Philipp 2007, S. 89, Hervorhebungen i. O.).
1.5 Theoriemodelle zur Verortung von Steuergruppen Buhren und Rolff stellen die Frage „Braucht Schulentwicklung Theorie?“ und beantworten sie mit „Ja“. Sie glauben zwar nicht, dass schon eine „anspruchsvolle Theorie“ vorliege (Buhren/Rolff 2008, S. 4), konstatieren aber gleichzeitig ein „neue[s] Interesse an Theorie“ zur Schulentwicklung (Buhren/Rolff 2008, S. 4). Dies weist aber auch darauf hin, dass bisher nur wenige Arbeiten zu einer Theorie der Schulentwicklung vorliegen. Ein kursorischer Überblick macht das immer noch vorhandene Theoriedefizit deutlich: Rahm konstatiert einen „komplexen Theorieverbund“, der in der Schultheorie verortet werden sollte (vgl. hierzu ausführlich Rahm 2005; Rahm 2008). Esslinger-Hinz sieht „Schnittmengen zwischen Schulentwicklung und didaktischer Theoriebildung“ und überführt diese Schnittmengen in ein „Konzept zur Schulentwicklungstheorie“ (Esslinger-Hinz 2006, S. 31); Maag Merki entwirft Voraussetzungen und Strukturen einer „Architektur der Schulentwicklung“ (Maag Merki 2008, S. 22) und Thiel leistet „[o]rganisationssoziologische Vorarbeiten zu einer Theorie der Schulentwicklung (Thiel 2008, S. 31)“. Hingewiesen werden muss in diesem Zusammenhang
1.5 Theoriemodelle zur Verortung von Steuergruppen
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allerdings auch auf die Beiträge zur Governanceforschung (vgl. u. a. Altrichter/Brüsemeister/Wissinger 2007; Heinrich 2007; Altrichter/Langer 2008), die neue und weiterführende Perspektiven aufzeigen. Diskutiert werden also vorrangig Voraussetzungen, Vorarbeiten oder Konzepte zur Schulentwicklungstheorie. Vor diesem Hintergrund - und trotz des zunehmenden Interesses an der Theorieentwicklung - konstatieren Buhren und Rolff, dass Schulentwicklung „bisher nicht besonders theorieorientiert [war]“ (Buhren/Rolff 2008, S. 6). In Bezug auf schulische Steuergruppen ist der Stand theoriegeleiteter Reflexion noch spärlicher. Die wenigen Theorieofferten werden im Folgenden skizziert. Fitzen (2007) nähert sich schulischen Steuergruppen aus organisationspsychologischer Sicht. Sie passt das organisationspsychologische Rahmenmodell von Krech, Crutchfield und Ballachey (Krech/Crutchfield/Ballachey 1962) zur Erforschung der Effektivität von Gruppen an die Verhältnisse schulischer Steuergruppen an. Dieses Modell verwendet sie dann für ihre empirische Untersuchung, in der sie Steuergruppen als besondere Arbeitsgruppen innerhalb der Infrastruktur einer Schule beschreibt. Die Akzeptanz der Steuergruppe und ihre Wirksamkeit werden in einem theoretischen Modell als abhängige Variablen aufgefasst. Sie hängen ab von den Gruppen-, Umwelt- und Aufgaben-Variablen.
Gruppen-Variablen beziehen sich auf die Zusammensetzung, auf Regeln und Arbeitsweisen, Aufgabenverteilung, Arbeitszufriedenheit, den Umgang mit Konflikten, die Zielorientierung und die Qualität der Teamarbeit. Umwelt-Variablen meinen die Wahl der Mitglieder und deren Arbeitsaufträge, die Funktion von Steuergruppen (Entlastung) sowie die Beziehung zu anderen Gruppen der Organisation. Aufgaben-Variablen beinhalten Art der Aufgabe, Steuerung und Verantwortungsübernahme (Fitzen 2007, S. 160).
Berkemeyer, Brüsemeister und Feldhoff (Berkemeyer/Brüsemeister/Feldhoff 2007) beschreiben organisationstheoretische und professionstheoretische Ansätze zur Deutung von Steuergruppen. Sie stellen die These auf, dass die Besonderheit und Leistung schulischer Steuergruppen nicht innerhalb eines dieser beiden Ansätze gefunden werden kann, sondern eben gerade dazwischen liegt. Berkemeyer, Brüsemeister und Feldhoff fokussieren auf diese Eigenschaft der Intermediarität. Darauf bauen sie eine eigene Modellskizze auf, die sich zwischen beiden Deutungslinien bewegt. Folgende organisationstheoretische Ansätze werden von den Autoren aufgegriffen:
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Entscheidungstheorie: Hier werden die schulischen Steuergruppen in Anschluss an Luhmanns Organisationstheorie (Luhmann 1995; Luhmann 2000) entscheidungstheoretisch aufgefasst und als „Entscheidungsvorbereiter“ verstanden, die Entscheidungsoptionen vorbereiten und anbieten, nicht aber selbst treffen. Agenturtheorie: In der Agenturtheorie werden Steuergruppen im Rahmen des von einem Vertragsverhältnis ausgehenden Principal-Agent-Modells gedeutet (vgl. Schimank 2002). Die Akteure werden in diesem Modell als Vertragspartner innerhalb eines hierarchischen Systems gesehen (z. B. Schulleitung versus Kollegium). Mit Steuergruppen wird nun ein „gemischtes Gremium“ etabliert, in dem alle am Vertragsverhältnis Beteiligten vertreten sind. Inhaltlich kommt ihnen die Rolle eines Change-Agent für Erneuerungsprozesse innerhalb der Organisation zu. Managementtheorien: Aus der Vielfalt von Ansätzen fokussieren die Autoren auf die Aspekte Effektivität und Effizienz als Gemeinsamkeiten dieses Theorienspektrums. Sie weisen auch auf die Problematik der Übertragbarkeit auf das Schulsystem hin. Insbesondere die Führungsdimensionen in Schule könnten durch Managementtheorien in den Blick genommen werden. Die Steuergruppen werden dabei als Agenturen für Change-Management gesehen. Organisationstheoretische Deutungszugänge von Weick und Mintzberg mit Berücksichtigung der Professionsmerkmale: Folgt man dem evolutionstheoretischen Ansatz nach Weick (Weick 1976; Weick 1982), bei dem der Analyseschwerpunkt auf der Art und Weise der Kopplung der Elemente liegt (loosely coupling / tightly coupling), ist es Aufgabe der Steuergruppe, lose gekoppelte Systeme, wie sie im Erziehungs- und Bildungssystem vorkommen, zu steuern. Im situationsbezogenen Ansatz nach Mintzberg (Mintzberg 1979; Mintzberg 1992) wird die Schule von ihrer Struktur her dem Typ der Profibürokratie zugeordnet. Bei diesem Typus gibt es ein Nebeneinander von Professions- und Organisationsmerkmalen. In der Schule koexistieren die beiden interdependenten Aufgabenbereiche Unterricht (Profession) und Strukturierung (Organisation). Der Bereich Strukturierung umfasst dabei z. B. die Vergabe und die gemeinsame Nutzung von Räumen oder auch die Erarbeitung einer Stundentafel. Berkemeyer, Brüsemeister und Feldhoff fügen diesen Aspekten noch die „Schulprogrammarbeit“ und die „Tätigkeit der Steuergruppe“ hinzu (Berkemeyer/Brüsemeister/Feldhoff 2007 S. 67). Der Steuergruppe kommt gemäß diesem Ansatz die Rolle eines Kontaktinstrumentes zwischen Unterricht und Strukturierung zu. Bei den professionstheoretischen Perspektiven unterscheiden Berkemeyer, Brüsemeister und Feldhoff zwischen reinen Professionsbeschreibungen und sol-
1.6 Forschungsdesiderat, Forschungsfrage und Forschungsdesign
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chen mit Ansätzen, die die Organisation mitberücksichtigen. Rein professionstheoretisch gesehen geht es um eine Vergrößerung der eigenen Autonomie, was auch die Kontrolle über die Definition von zu lösenden Problemen beinhaltet. Erfolgreich sind Professionalisierungsprozesse demnach also nicht aufgrund der erfolgreichen Lösung eines praktischen Problems, sondern dann, wenn es einer Organisation gelingt, ein zu lösendes Problem zu definieren. Auch bei Steuergruppen geht es zunächst einmal darum, die zu lösenden Probleme zu erkennen und auszuleuchten, und nicht darum, sie schon zu lösen. Professionsansätze, die die Organisation berücksichtigen, thematisieren Verbindungen und Friktionen zwischen professionellem und organisationalem Handeln. Aus einer negativen Verschränkung der beiden Bereiche werden der Widerstand der Professionellen gegenüber bürokratischen Regeln und eine bedingte Loyalität gegenüber Hierarchien erklärt, wie sie beispielsweise von Krainz-Dürr berichtet werden, die über einen „antihierarchischen Affekt der Lehrkräfte“ berichtet (Krainz-Dürr 2000). Berkemeyer, Brüsemeister und Feldhoff weisen darauf hin, dass schon die ersten Beschreibungen von schulischen Steuergruppen (vgl. Dalin/Rolff 1990) die „Vielfalt von Phänomenen der Organisation und der Profession [...] sowie das ‚Dazwischenliegende’ beider Bereiche“ (Berkemeyer/Brüsemeister/Feldhoff 2007, S. 72) aufgreifen. Aus den „Unterschiede[n] und Spannungen zwischen organisationalen und professionalen Perspektiven“ erklären sich die Autoren mit Verweis auf Dalin und Rolff (1990) die Schwierigkeit und Konfliktbeladenheit der Etablierung von Steuergruppen (Berkemeyer/Brüsemeister/Feldhoff 2007, S. 75). Berkemeyer et al. versuchen in ihrem intermediären Ansatz nun, eine positive Verschränkung der Bereiche aufzuzeigen. Schulische Steuergruppen werden als zwischen den organisationalen und den professionalen Perspektiven „oszillierende Akteure“ gesehen und stellen demnach eine „Transformationsagentur“ dar, die aus Sicht der Autoren „Annäherungsmöglichkeiten zwischen Profession und Organisation“ eröffnet (Berkemeyer/Brüsemeister/Feldhoff 2007, S. 75).
1.6 Forschungsdesiderat, Forschungsfrage und Forschungsdesign Die große Bedeutung, die Steuergruppen für den Schulentwicklungsprozess zugeschrieben wird, steht im Widerspruch zum geringen Wissen über die Arbeit von Steuergruppen. Die bislang vorliegenden Untersuchungen konnten die Diskrepanz zwischen der konzeptionellen Empfehlung, mit Steuergruppen zu arbeiten, und den Widersprüchlichkeiten im Alltag schulischer Steuergruppen nicht aufklären. Die Spannungsfelder, in denen Steuergruppen arbeiten, sind empirisch keineswegs hin-
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länglich erforscht. Alle bisherigen Befunde zur Arbeit von Steuergruppen weisen allerdings in eine ähnliche Richtung: Mit der Einführung von Steuergruppen ergeben sich Machtverschiebungen, die im Schulalltag bearbeitet werden müssen. Bisher fehlen systematische Untersuchungen dessen, was die Handlungspraxis von Steuergruppen ausmacht, d. h. zum einen Untersuchungen zu konkreten Erfahrungen, zum anderen Untersuchungen zu dahinterliegenden, abstrakteren Orientierungen, die das Erleben der Praxis und das Agieren in der Praxis strukturieren. Auch wird in den bisherigen Forschungen nicht berücksichtigt, dass die Mitglieder von Steuergruppen gemeinsam an den Prozessen beteiligt sind und damit kollektiv eine Reformpraxis konstituieren. Aufgrund der Tendenz zu Einzelbefragungen fließen in die empirischen Untersuchungen nur die individuellen Perspektiven der handelnden Personen ein, das Phänomen kollektiver Orientierungen wird dabei nicht erfasst. Dies ist umso bedeutsamer, nachdem Berkemeyer und Holtappels Steuergruppen als neuen kollektiven Akteur im System Schule identifiziert haben (vgl. Berkemeyer/Holtappels 2006). An diesen Stellen setzt das Forschungsinteresse meiner Arbeit an. Die Fragestellungen meiner Untersuchung lauten: 1. 2.
Wie verorten sich Steuergruppen in schulischen Strukturen? Welche Orientierungen bestimmen ihre Handlungspraxis?
Aus der Betrachtung der konjunktiven Erfahrungsräume der Handelnden in Steuergruppen lässt sich deren Handeln und die Einbettung in das Umfeld – dazu gehören beispielsweise die spezifischen Macht-Konstellationen zwischen Schulleitung und Kollegium – genauer beschreiben. Aus diesen Gründen werden im Folgenden mittels einer rekonstruktiven Studie die kollektiven Orientierungen von Steuergruppen in Schulentwicklungsprozessen empirisch erhoben und anschließend interpretiert. Auf diese Weise sollen die Spannungen, aber auch die Möglichkeiten, die das Handlungsfeld von Steuergruppen kennzeichnen, skizziert werden, um dann deren mögliche Bedeutung für Schulentwicklungsprozesse verstehen zu können. Ziel der Arbeit ist damit die Entwicklung einer empirisch gewonnenen, gegenstandsbezogenen Theorie über die Situation schulischer Steuergruppen. Entsprechend der Fragestellung wurde ein abduktives rekonstruktives Verfahren gewählt. Die Datenerhebung erfolgte mit Hilfe des Gruppendiskussionsverfahrens nach Bohnsack (vgl. Loos/Schäffer 2001; Bohnsack 2003; Bohn-
1.7 Aufbau der Arbeit
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sack/Przyborski/ Schäffer 2006) Diese Gruppendiskussionen wurden mit der dokumentarischen Methode (Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2001; Loos/ Schäffer 2001; Bohnsack 2003; Przyborski 2004) ausgewertet. Sie ermöglicht den Zugang auch zu den handlungsrelevanten impliziten Wissensbeständen, über die die Akteure verfügen, ohne sie explizieren zu können.
1.7 Aufbau der Arbeit Eingangs wurden bereits knapp der Gegenstandsbereich sowie der bisherige Stand der Forschung und vorhandene Theorieansätze skizziert. Die weitere Arbeit gliedert sich wie folgt: In Kapitel 2 der Arbeit wird der methodische Ansatz dieser Untersuchung beschrieben. Um die Entscheidung für das Gruppendiskussionsverfahren als Erhebungsmethode und für die dokumentarische Methode als Interpretationsverfahren zu verdeutlichen, wird zunächst grundsätzlich auf die Entscheidung für ein qualitatives Forschungsdesign eingegangen. Die Darstellung des methodologischen Hintergrunds der gewählten Forschungsmethoden macht sowohl die Unterscheidung zwischen theoretischem und handlungsleitendem Wissen als auch die Fokussierung auf kollektive Orientierungen deutlich. Das Vorgehen beim Theoretical Sampling, die Erhebungsmethode der Gruppendiskussion, die Verfahrensweise bei der Interpretation der Gruppendiskussionen nach der dokumentarischen Methode und das dabei verwendetet Instrumentarium sowie der Prozess der komparativen Analyse und der Typenbildung werden direkt im Anschluss erklärt. In Kapitel 3 werden die Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt. Anhand von fünf exemplarischen Falldarstellungen, die der Demonstration dienen, werden die handlungsleitenden Orientierungen der Steuergruppen beschrieben Dabei werden die Demonstrationsfälle sukzessive immer mehr miteinander in Verbindung gebracht und verglichen. So kann anhand der Falldarstellung aufbauend die komparative Analyse nachvollzogen werden. In Kapitel 4 führt die Abstraktion der Fälle sodann zur Entwicklung einer sinngenetischen Typenbildung, die es erlaubt, die Steuergruppen empirisch fundiert zu beschreiben. In Kapitel 5 werden die Ergebnisse zunächst noch einmal zusammengefasst und dann vor dem Hintergrund theoretischer Perspektiven diskutiert. Dabei wird u. a. auf das Handlungs-Struktur-Modell von Anthony Giddens zurückgegriffen. Auf der Grundlage des Diffusionsmodells von Rogers werden sodann theoriegeleitet Hypothesen formuliert.
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1 Einführung
In Kapitel 6 werden schließlich Anregungen für die Praxis, die Forschung und die Theoriearbeit gegeben, indem offene Fragestellungen aufgezeigt und weiterer Forschungsbedarf thematisiert werden.
2 Methodischer Ansatz der Studie
In dem hier dargestellten Forschungsprojekt werden qualitativ-empirische Daten in Gruppendiskussionen erhoben und mit Hilfe der dokumentarischen Methode interpretiert (Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2001; Loos/Schäffer 2001; Bohnsack 2003; Przyborski 2004; Bohnsack/Przyborski/Schäffer 2006). Das damit verbundene hypothesengenerierende, qualitativ-rekonstruktive Forschungsparadigma bedingt bestimmte methodologische Grundannahmen, die im Folgenden näher ausgeführt werden. Zu Beginn dieses Kapitels werden die Grundannahmen der qualitativen Forschung in ihrer Relevanz für diese Untersuchung dargestellt. In einem zweiten Schritt gilt es dann, die methodologischen Grundlagen der verwendeten Erhebungs- und Interpretationsverfahren aufzuzeigen. Daran anschließend wird der Zusammenhang des methodischen Ansatzes mit der Fragestellung des Forschungsprojektes erläutert und abschließend werden das Gruppendiskussionsverfahren sowie der Prozess und das Instrumentarium der dokumentarischen Methode als Interpretationsverfahren vorgestellt.
2.1 Grundannahmen der qualitativen Forschung Der Terminus ‚qualitative Forschung’ bezeichnet als ein Sammelbegriff sehr unterschiedliche theoretische, methodologische und methodische Zugänge zur sozialen Wirklichkeit. Nach Krüger lassen sich als eine Art Schnittmenge folgende gemeinsame Merkmale festhalten (Krüger 2000): Erstes Kennzeichen qualitativ-empirischer Forschung ist es, dass sie die ganzheitlichen Eigenschaften (Qualia) eines sozialen Feldes möglichst gegenstandsnah zu erfassen sucht (Terhart 1997, S. 27). Hierfür ist zweitens die Offenheit des Feldzuganges eine wichtige Voraussetzung, da qualitative Forschung auf eine möglichst komplexe Analyse des Gegenstandsfeldes abzielt. Qualitative Forschungsstrategien wollen Verallgemeinerungen und Modelle aus dem Untersuchungsfeld selbst gewinnen. Sie überprüfen keine Hypothesen an der Wirklichkeit. Sie formulieren auch vorab keine Theoriekonzepte für den jeweiligen Gegenstandsbereich. Der Forschungsprozess wird
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2 Methodischer Ansatz der Studie
zwar durch Fragestellungen und theoretische Überlegungen angeleitet, diese werden jedoch im Untersuchungsprozess ständig modifiziert und erweitert (vgl. Lamnek 1995, S. 22; Strauss/Corbin 1996, S. 8). Eine dritte allen qualitativen Ansätzen gemeinsame Eigenschaft ist die bewusste Wahrnehmung und Einbeziehung des Forschers/der Forscherin und der Kommunikation mit den Erforschten als konstitutives Element des Erkenntnisprozesses. Die Interaktion des Forschers/der Forscherin mit seinen/ihren Forschungsgegenständen wird systematisch als Moment der Herstellung des Gegenstandes selbst mit reflektiert (Flick 1995, S. 41). Das vierte gemeinsame Merkmal qualitativer Forschungsansätze ist die Orientierung am Verstehen als Erkenntnisprinzip. Verstanden werden sollen die Sicht eines Subjektes oder mehrerer Subjekte, der Ablauf sozialer Situationen oder die auf eine Situation zutreffenden kulturellen bzw. sozialen Regeln. Während sich manche Formen der qualitativen Forschung darauf beschränken, die soziale Welt aus der Perspektive der Handelnden selbst nachzuzeichnen, untersuchen andere Ansätze, wie Menschen in interaktiven Prozessen soziale Wirklichkeit herstellen (Krüger 1999, S. 204) Qualitativ empirische Forschung ist auf entsprechende Erhebungsmethoden und Auswertungsformen angewiesen, die diesen vier Merkmalen gerecht werden Vor diesem Hintergrund wurden für die vorliegende Untersuchung das Gruppendiskussionsverfahren und die dokumentarische Methode gewählt. In der Gruppendiskussion bestimmen die Teilnehmenden die Themen selbst und können so ihren realen Erfahrungsraum entfalten. Dies ermöglicht eine gegenstandsnahe Erfassung des Feldes. Die Auswahl der Stichprobe folgt einem ‚Theoretical Sampling’, dessen Hauptmerkmal der Verzicht auf einen vorab erstellten Auswahlplan zugunsten einer „Kette aufbauender Auswahlentscheidungen entlang des Forschungsprozesses“ ist (Strübing 2004, S. 30). Auf diese Weise wird dem Prinzip der Offenheit des Feldzuganges entsprochen. Bei der dokumentarischen Methode wird der gesamte Diskursverlauf inklusive der Äußerungen des Forschers/der Forscherin interpretiert und so dem Anspruch genüge getan, die Interaktion des Forschers/der Forscherin mit dem Forschungsgegenstand explizit in den Interpretationsprozess einzubeziehen. Dabei zielt die Interpretation darauf, über die Rekonstruktion gemeinsam geteilter Erfahrungen einen empirischen Zugang zum handlungsleitenden Wissen und somit zur Handlungspraxis der Akteure zu erhalten (vgl. Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2001; Loos/Schäffer 2001; Bohnsack 2003). Die vorliegende Untersuchung reiht sich somit bei denjenigen qualitativen Forschungsarbeiten ein, in denen soziale Wirklichkeit in interaktiven Prozessen hergestellt wird (vgl. hierzu auch Schäffer 2003, S. 352).
2.2 Methodologische Grundlagen der dokumentarischen Methode
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2.2 Methodologische Grundlagen der dokumentarischen Methode und des Gruppendiskussionsverfahrens Bohnsack fundiert das Gruppendiskussionsverfahren und die dokumentarische Methode methodologisch auf der Wissenssoziologie Karl Mannheims (Bohnsack 2003). Somit ist mit der Entscheidung für diese Forschungsmethoden auch die Übernahme der wissenssoziologischen Prämissen nach Mannheim verbunden (vgl. Mannheim 1959; Mannheim 1964; Mannheim 1980; Bohnsack 2003). Zwei methodologische Grundannahmen Mannheims sind für die vorliegende Arbeit wesentlich: zum einen die Unterscheidung zwischen verschiedenen Wissensarten – dem kommunikativ-generalisierenden, theoretischen Wissen auf der einen und dem handlungspraktischen, konjunktiven, atheoretischen Wissen auf der anderen Seite –, zum anderen die Auffassung, dass Wissensbestände in gemeinsam geteilten Erfahrungsräumen und damit kollektiv erworben werden. Das kommunikativ-generalisierende Wissen bewegt sich auf der Ebene gesellschaftlicher Normen und Werte und strukturiert das Handeln der Proband(inn)en auf der semantischen Ebene. Es kann von den Proband(inn)en expliziert werden und beinhaltet bewertende, normative Aussagen über die Handlungspraxis oder das Selbstbild. Im Fall dieses Forschungsprojektes könnte dies z. B. der explizite Bezug der Lehrer(innen) auf den Schulentwicklungsdiskurs sein. Der methodische Zugang zum kommunikativen Wissen bereitet keine Schwierigkeiten, da es leicht abgefragt werden kann. So können beispielsweise Lehrkräfte relativ leicht Merkmale einer ‚guten Schule’ benennen. Schwieriger dagegen ist es, einen empirischen Zugang zu dem in ihrer jeweiligen Handlungspraxis verankerten Erfahrungswissen der Lehrkräfte zu erhalten. Dies ist durch dezidiertes ‚Abfragen’ kaum möglich, da es sich um implizite Orientierungen handelt, die den Proband(inn)en als Habitus nicht unbedingt reflexiv zugänglich sind, aber das Denken, das Welt- und Selbstbild und das praktische Handlungswissen der Proband(inn)en bestimmen. Dieses habitualisierte, atheoretische Wissen wird in der Handlungspraxis oder in der Sozialisation erworben. Da dieses Wissen von den Akteuren selbst nicht begrifflich expliziert werden kann, erfolgt dessen Explikation stellvertretend durch den wissenschaftlichen Interpreten/die wissenschaftliche Interpretin. Das handlungsleitende, habitualisierte Wissen wird in kollektiv geteilten, konjunktiven Erfahrungsräumen, wie generations-, bildungs-, geschlechts- oder organisationsspezifischen Erfahrungsräumen oder Milieus, ausgebildet. Es wird also davon ausgegangen, dass das Alltagshandeln, das Denken und die Vorstellungen des Common Sense sozial konstruiert sind. Die Rekonstruktion dieser kollektiven Orientierungen in der dokumentarischen Interpretation ermöglicht
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2 Methodischer Ansatz der Studie
einen empirischen Zugang zu diesen konjunktiven Erfahrungen aus der gelebten Handlungspraxis heraus, da diese in der Kommunikation einer Gruppe aktualisiert werden – z. B. kollektive Erfahrungen eines Kollegiums oder eines Lehrerteams, das seit einer gewissen Zeit zusammenarbeitet. Konjunktive Erfahrungen sind aber auch dann empirisch rekonstruierbar, wenn sie über die Realgruppe der Gruppendiskussion hinausgehen, wie z. B. konjunktive, geschlechtstypische Erfahrungen von Lehrerinnen oder der gemeinsame Erfahrungshintergrund von Schulleiterinnen und Schulleitern.
2.3 Zum Zusammenhang von Methode und Fragestellung Im hier dargestellten Forschungsprojekt sollen die handlungsleitenden Orientierungen von Steuergruppen herausgearbeitet werden. Wie dargestellt (vgl. Kapitel 1.5) handelt es sich bei der Fragestellung dieser Untersuchung um ein exploratives Forschungsinteresse, bei dem kaum auf vorhandene Forschungsergebnisse rekurriert werden kann. Schon allein aus diesem Grund empfiehlt sich ein hypothesengenerierendes Verfahren. Aus der Vielzahl qualitativ-empirischer Verfahren, die sich insgesamt dem qualitativen, hypothesengenerierendem Paradigma zuordnen lassen (vgl. Flick 1995; Lamnek 1995; Friebertshäuser/Prengel 1997; Marotzki/Krüger 1999; Flick/Kardorff/Steinke 2000), wurde angesichts des Forschungsgegenstandes der sozialen Kommunikation eine Methode gewählt, die sich explizit als ein rekonstruktives Verfahren versteht (Bohnsack 2003). Im Sinne der ‚Grounded Theory’ (empirisch fundierte Theorie) soll auf der Basis der empirischen Rekonstruktion von Orientierungen der Steuergruppen eine gegenstandsbezogene Theorie entwickelt werden (vgl. u. a. Glaser/Strauss 1979; Bohnsack 2003). In der Schulentwicklungsliteratur wird immer wieder der Teamgedanke hervorgehoben, die Bedeutung einer gemeinsamen Erarbeitung von Schulprogrammen ist unumstritten und „Kooperieren [wird] als schulentwicklungsrelevanter Bestandteil der Berufsauffassung“ bezeichnet (Esslinger 2002). Sowohl auf der konzeptionellen Ebene wie auch in der Schulpraxis ist die Arbeit von Lehrern und Lehrerinnen in Teams (Steuergruppen, Klassen- und Fachteams) ein zentraler Aspekt des Gelingens von Schulentwicklung (vgl. u. a. Fullan 1999; Klippert 2000). Bei den exemplarisch genannten Bereichen wird in der Forschung allerdings überwiegend mit individualisierten Verfahren unterschiedlichster Art gearbeitet. Es werden offene Verfahren, wie z. B. biographische oder narrative Interviews, und geschlossene (halbstandardisierte oder standardisierte) Verfahren verwendet (vgl. u. a. Esslinger 2002; Feldhoff 2007; Berkemeyer/Holt-
2.4 Das Gruppendiskussionsverfahren
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appels 2007a). Damit sind zwar Einblicke in die individuellen Interessenlagen der Beteiligten möglich, die Bedeutung der gemeinsamen Prozesse kann allerdings weniger erhellt werden. Viele Fragestellungen zur Schulentwicklung befassen sich mit kollektiven Phänomenen und sind von ihren grundlagentheoretischen Überlegungen her dafür prädestiniert, mit einer Methode wie dem Gruppendiskussionsverfahren bearbeitet zu werden, durch das es möglich wird, die kollektiven Orientierungsmuster herauszuarbeiten. Entsprechend der dokumentarischen Methode nach Bohnsack können Orientierungen von Lehrern und Lehrerinnen als Kombination von theoretischreflexivem und habitualisiertem Wissen verstanden werden. Die Rekonstruktion der Orientierungsrahmen von Lehrern und Lehrerinnen im Sinne der dokumentarischen Methode erlaubt somit den Blick sowohl auf die normativen Schulentwicklungsdiskurse und -konzepte als auch auf habitualisiertes handlungsleitendes Wissen, das in der Handlungspraxis der Schul- und Unterrichtspraxis erworbenes Erfahrungswissen ist und Schulentwicklungsprozesse ebenso bestimmt wie die Schulentwicklungssemantiken. Die dokumentarische Methode ist für den in diesem Forschungsprojekt bearbeiteten Gegenstand der Wissenskonstruktion im Kontext der Schulentwicklung auch deshalb besonders geeignet, da diese Thematik, die der Steuergruppen, sowohl in den schulhausinternen Diskussionen wie auch in der Konzeptliteratur in hohem Maße normativ aufgeladen ist. Die Erwartungen an Steuergruppen sind hoch. Sie sollen nicht nur Schulentwicklungsprozesse initiieren, planen und organisieren (vgl. Kapitel 1.3), Rolff schreibt ihnen z. B. auch zu, als Instrument für den Abbau von Hierarchie in der Schule geeignet zu sein: „Eine Schule mit Steuergruppe ist nicht mehr hierarchische Bürokratie und nicht mehr nur nachgeordnete Dienststelle“ (Rolff 2006, S. 46). Die dokumentarische Methode verfügt über methodologisch begründete und in der Forschungspraxis bewährte methodische Verfahren, mit der Normativität des Feldes und dem Vorverständnis der Forscher(innen) umzugehen. Mit der auf Mannheim zurückgehenden Unterscheidung zwischen wissenschaftlicher Analyseeinstellung und Beobachtungen des Common Sense findet hier die Standortgebundenheit jeglicher Interpretation, auch die des wissenschaftlichen Interpreten/der wissenschaftlichen Interpretin, ihre Beachtung (vgl. Loos/Schäffer 2001).
2.4 Das Gruppendiskussionsverfahren Das Gruppendiskussionsverfahren gewinnt in der sozial- und erziehungswissenschaftlichen Forschung immer stärker an Bedeutung, da mit dem Einsatz des
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2 Methodischer Ansatz der Studie
Verfahrens die Hoffnung verbunden ist, „kollektive Phänomene in erziehungsund sozialwissenschaftlichen Feldern adäquater als mit herkömmlichen – individualisierenden – Verfahren erfassen zu können“ (Loos/Schäffer 2001, S. 9). Da in der Literatur unterschiedliche Formen des Zugangs zu gruppenförmigen, kommunikativen Interaktionen unterschieden werden, soll an dieser Stelle zunächst eine Abgrenzung vorgenommen werden. Hierbei wurde der Unterteilung von Loos/Schäffer in Gruppenbefragung, Gruppengespräch und Gruppendiskussion gefolgt (vgl. Loos/Schäffer 2001S. 11 ff.).
2.4.1 Abgrenzung zu Gruppenbefragung, Gruppeninterview und Gruppengespräch Gruppenbefragungen oder Gruppeninterviews finden z. B. in der Marktforschung seit langem Verwendung (Bohnsack 2003, S. 105 f.). Diese können in unterschiedlichen ‚Settings’ durchgeführt werden. Personen können z. B. gleichzeitig – jede für sich – standardisierte Fragebögen ausfüllen, oder sie beantworten offen eine Reihe von Fragen anhand eines Leitfragebogens – „immer in Gruppensituation in Anwesenheit eines Forschers“ (Atteslander 1991, S. 174). Die Gruppe als solche ist nicht Gegenstand der Erhebung, eine ausführliche Diskussion unter den Befragten ist nicht beabsichtigt. Gruppenbefragungen sind eine aus zeitökonomischen und finanziellen Erwägungen heraus durchgeführte Variante der Einzelbefragung. Gruppengespräche sind Gespräche, die sich ‚nebenbei’ ergeben. Je nach Forschungsinteresse wird ein unterschiedlicher Fokus gewählt. Das Interesse der Konversationsanalyse z. B. liegt mehr auf den – je nach Anlass unterschiedlichen – typischen Formen und Ablaufmustern und weniger auf den Inhalten solcher Gespräche (vgl. etwa Sacks 1995). In der ethnographischen Forschung etwa werden zufällig sich ergebenden Gespräche im Feld zwischen Forscher und Beforschten für das Sammeln von Informationen über den beforschten Kulturbereich genutzt. Der Verlauf und die Dynamik der Gespräche werden hier nicht zum Gegenstand der Analyse gemacht. Wegen ihres informellen Charakters sind dies häufig Gruppen- und keine Einzelgespräche.
2.4.2 Grundzüge des Gruppendiskussionsverfahrens Die Gruppendiskussion nach Bohnsack unterscheidet sich vom Gruppengespräch zum einen dadurch, dass ihr Zustandekommen von außen initiiert wird: Die
2.4 Das Gruppendiskussionsverfahren
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Gruppe kommt zusammen, um sich über ein zunächst vorgegebenes Thema zu unterhalten. Im Gegensatz zur Gruppenbefragung geht es hierbei nicht um möglichst effektives Abfragen von Einzelmeinungen. Das Verhalten bzw. die Interventionen der Diskussionsleitung sind vielmehr darauf ausgerichtet, dass sich ein Austausch über ein Thema in der Gruppe entwickelt. Nach Loos/Schäffer lässt die Gruppendiskussion sich so „in einer ersten Annäherung als ein Verfahren definieren, in dem in einer Gruppe fremdinitiiert Kommunikationsprozesse angestoßen werden, die sich in ihrem Ablauf und der Struktur zumindest phasenweise einem ‚normalen’ Gespräch annähern“ (Loos/Schäffer 2001, S. 13, Hervorhebungen i. O.). Vom Gruppendiskussionsverfahren, wie es in dieser Untersuchung verwendet wird, sollte nur dann gesprochen werden, wenn die im Folgenden aufgeführten methodologischen Prämissen berücksichtigt werden. Gruppendiskussionen werden in der Regel mit Realgruppen durchgeführt, die auch im Alltag ein Gruppenkontext verbindet, da sie so über einen konjunktiven Erfahrungsraum verfügen, der den zu rekonstruierenden gemeinsamen Orientierungsrahmen der Gruppe bestimmt. „Bei Realgruppen, also solchen Gruppen, die auch außerhalb der Erhebungssituation bestehen oder über strukturidentische, sozialisationsgeschichtliche Hintergründe verfügen (z. B. den gleichen Beruf ausüben), kann man nun davon ausgehen, dass diese über eine gemeinsame Erfahrungsbasis verfügen, denn diese ist ja eine der, wenn nicht so¬gar die Gemeinsamkeit, die die Gruppe zusammenhält, oder auf deren Grundlage sie sich konstituiert hat“ (Loos/Schäffer 2001, S. 44, Hervorhebungen i. O.). Ausgangspunkt ist die Annahme, dass der kollektiv geteilte Erfahrungshintergrund, d. h. der konjunktive Erfahrungsraum einer Realgruppe in der Situation der Gruppendiskussion, in der Handlungspraxis des Redens und Diskutierens aktualisiert wird und in der dokumentarischen Interpretation des Diskurses rekonstruiert werden kann. In dieser Arbeit wurden Gruppendiskussionen mit zwei verschiedenen Gruppen von Teilnehmer(inne)n durchgeführt:
Steuergruppen, Gruppen von Schulleiter(innen)
Zudem wurden für den Vergleich zwei Gruppen von Trainer(inne)n für Schulentwicklung einbezogen. 3 3 Diese Gruppendiskussion wurde von Bergmüller (2008) erhoben und dem Verfasser für diese Studie zur Verfügung gestellt.
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2 Methodischer Ansatz der Studie
Alle Gruppen hatten schon Erfahrung mit Schulentwicklung. Dies war notwendig, denn eine ergiebige Gruppendiskussion ist nur dann zu erwarten, wenn an vorhandene Erfahrung angeknüpft werden kann und die Fragestellung für die Gruppe eine Relevanz hat (Loos/Schäffer 2001). Bei den Steuergruppen handelte es sich immer um die Mitglieder der Steuergruppe einer Schule, also um Realgruppen, die auch außerhalb der Erhebungssituation weiter als Gruppe agieren. Der gemeinsame Erfahrungshintergrund ist hier ihre Tätigkeit in der Steuergruppe. Auch die Gruppen der Trainer(innen) arbeiteten über drei Jahre hinweg in einem gemeinsamen Kontext. Die Schulleitungsgruppe wurde zusammengestellt, ist also keine Realgruppe im engeren Sinne. Nach Bohnsack (2003) erlaubt das Interesse an abstrakten konjunktiven Erfahrungsräumen, die nicht abhängig von der direkten sozialen Face-to-Face-Kommunikation sind, sondern als soziale Kontexturen die Diskurspraxis bestimmen, wie z. B. geschlechts-, organisations oder schulartspezifische Erfahrungen, die Erhebung von Gruppendiskussionen mit anderen als Realgruppen im engeren Sinn. „Das eröffnet die Möglichkeit, auch Gruppen, die vom Forscher ‚künstlich’ zusammengesetzt wurden, auf die den Teilnehmern gemeinsamen (abstrakteren) Erfahrungsdimensionen bzw. Erfahrungsräume hin zu befragen und auf diese Weise geschlechts-, generations- und milieuspezifische Erfahrungsräume zu rekonstruieren“ (Bohnsack 2003, S.128, Hervorhebung i. O.). In diesen Gruppen werden die von der Gruppe geteilten existenziellen Erfahrungshintergründe in der Gruppendiskussion aktualisiert und implizite Orientierungsrahmen entfaltet, die auf diesen konjunktiven Erfahrungsräumen gründen. Für die Schulleitungsgruppe ergibt sich der gemeinsame konjunktive Erfahrungsraum aus ihrer Schulleitungstätigkeit und dem Handeln in Schulentwicklungsprozessen. In der Gruppendiskussion geht es darum, dass die Mitglieder der Gruppe die für sie relevanten Themen zur Sprache bringen und in ihrer eigenen Ausdrucksweise und Sprache diskutieren und bearbeiten. Es ist nicht im Sinne des Gruppendiskussionsverfahrens, dass die Probanden und Probandinnen Interviewfragen abarbeiten, die sich aus dem wissenschaftlichen Interesse bzw. der Forschungsfrage ergeben. Ziel ist eine selbstläufige Diskussion, die durch den Forscher/die Forscherin so wenig wie möglich inhaltlich oder formal bestimmt wird. Die Initiierung von Themen und auch die Diskursorganisation, d. h. die Frage, wer in der Gruppe viel oder wenig redet, wer die Themen setzt oder beendet und ob Themen konsensual oder dissensual bearbeitet werden, sind absichtlich der Gruppe überlassen und später Teil der Interpretation im Rahmen der Diskursanalyse. Eine offene und bewusst vage gehaltene Eingangsfrage zielt
2.4 Das Gruppendiskussionsverfahren
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darauf ab, eine selbstläufige Diskussion der Gruppe zu initiieren und vor allem Erzählungen über die Handlungspraxis anzuregen. In der Gruppendiskussion müssen Interventionen des Diskussionsleiters/der Diskussionsleiterin vor allem am Beginn der Gruppendiskussion den Zweck erfüllen, eine möglichst weit gehend von den interviewten Personen selbst gestaltete Kommunikation in Gang zu setzen (vgl. insgesamt Loos/Schäffer 2001, S. 51 ff.; Bohnsack 2003, S. 207 ff.). Gesprächsimpulse des Forschers/der Forscherin im Verlauf der Gruppendiskussion, sog. immanente Nachfragen, sollen sich aus dem Gesprächsverlauf und den von der Gruppe angesprochenen Themen ergeben. Sie dienen lediglich dazu, die Diskussion in Gang zu halten, und zielen auf die Generierung von Erzählungen und Beschreibungen (Loos/Schäffer 2001, S. 52 f.; Bohnsack 2003, S. 210). Direkte und inhaltliche Nachfragen durch den Forscher/die Forscherin bzw. die Initiierung von Themen, die entsprechend der Forschungsfrage von Belang sind, erfolgen erst dann, wenn der durch die Gruppenmitglieder bestimmte Teil der Gruppendiskussion abgeschlossen ist bzw. „wenn man als Diskussionsleiter während der Diskussion den Eindruck gewonnen hat, daß die Gruppe ihren Rahmen schon in ausreichendem Maße hat zur Entfaltung bringen können, [...] wenn sich also das immanente Potential der Gruppe erschöpft hat“ (Loos/Schäffer 2001, S. 53, Hervorhebung i. O.). Themen, die im weiteren Verlauf der Gruppendiskussion vom Diskussionsleiter/der Diskussionsleiterin angesprochen werden, sog. exmanente Nachfragen, können auch solche sein, die sich bei der Interpretation von Gruppendiskussionen mit anderen Gruppen, also aus dem Forschungsprozess, als relevant ergeben haben und deshalb Gegenstand der komparativen Analyse sind. Die Eingangsfrage in dieser Untersuchung lautete bei Steuergruppen in etwa folgendermaßen: „Beginnen Sie doch einfach einmal und erzählen Sie, was so alles passiert ist im Laufe Ihrer Schulentwicklung.“ Bei Schulleiter(inne)n bestand der Eingangsimpuls aus einer ähnlichen Aufforderung: „Erzählen Sie doch einmal mit Beispielen, wie Ihr Schulentwicklungsprozess konkret begann bzw. verlaufen ist.“ Exmanente Nachfragen im Anschluss an die selbstläufige Diskussion, die auf die Eingangsfrage folgte, wurden zu folgenden Themenbereichen gestellt:
Zielstellungen des Schulentwicklungsprozesses Erfolge, Schwierigkeiten und Rahmenbedingungen Verhältnis zum Kollegium und zur Schulleitung Belastungen, benötigte Kompetenzen und Fortbildungen
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2 Methodischer Ansatz der Studie
Wurden die Themen von den Gruppenmitgliedern bereits im selbstläufigen Teil der Gruppendiskussion angesprochen, mussten sie selbstverständlich nicht nachgefragt werden. In allen Gruppendiskussionen der Steuergruppen wurden die Themen Verhältnis zur Schulleitung, Verhältnis zum Kollegium und Problembereiche selbstläufig abgearbeitet. In der Regel ergaben sich auch aus den exmanenten Gesprächsimpulsen weitere selbstläufige Diskussionen, die die Themen aufnahmen und weiterentwickelten oder auch neue Themen in die Diskussion brachten. Waren alle Themen abgearbeitet, wurden in der letzten, der direktiven Phase direkt Widersprüche und Inkonsistenzen angesprochen, die während der Diskussion aufgefallen waren. In An dieser Stelle wurden kaum Erzählungen oder Beschreibungen generiert, sondern eher argumentativ Sachverhalte dargestellt. In dieser letzten Phase der Diskussion ist dies aber auch erwünscht. Mit der Frage, ob noch Themen angesprochen werden sollten, die für die Gruppe wichtig sind, oder ob noch etwas offen geblieben sei, konnte die Gruppendiskussion jeweils abgeschlossen werden. Bohnsack weist darauf hin, dass bei „der Durchführung von Gruppendiskussionen [...] Forscher und Forscherin vor der – in gewissem Sinne paradoxen – Aufgabe [stehen], einen Diskurs (denjenigen der Erforschten untereinander) zu initiieren, ohne diesen nachhaltig zu strukturieren. Das heißt, die Diskussionsleitung sollte – zumindest in der ersten, der Hauptphase der Diskussion – in das kommunikative ‚Regelsystem’ und das Relevanzsystem der Gruppe nur insoweit eingreifen, als dies dazu dient, den Diskurs der Erforschten untereinander in Gang zu bringen bzw. zu halten, d. h. Selbstläufigkeit zu initiieren und zu bewahren“ (Bohnsack 2003, S. 207 f., Hervorhebungen i. O.). Da die Anforderungen an den Diskussionsleiter nicht mit der Alltagskommunikation übereinstimmen, formuliert Bohnsack folgende „reflexive Prinzipien“, die es bei der Durchführung von Diskussionen zu berücksichtigen gilt:
Die gesamte Gruppe ist Adressat(in) der Forscherintervention (1) Vorschlag von Themen, nicht Vorgabe von Propositionen (2) Demonstrative Vagheit (3) Kein Eingriff in die Verteilung der Redebeiträge (4) Generierung detaillierter Darstellungen (5) Immanente Nachfragen (6) Die Phase exmanenter Nachfragen (7) Die direktive Phase (8) (Bohnsack 2003, S. 207 ff.)
2.4 Das Gruppendiskussionsverfahren
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Ein Kurzprotokoll mit dem das Datum, dem Codename der Gruppe, der Mikrophonposition und der Position der Teilnehmer(innen) in Relation zum Mikrophon wurde direkt nach der Gruppendiskussion angefertigt. Dies geschah, während die Teilnehmenden einen Kurzfragebogen ausfüllten, mit dem soziobiographische Daten erfasst wurden. Diese Informationen wurden später dem Kurzprotokoll beigefügt. Die Gruppendiskussionen wurden im MP3-Format aufgezeichnet, entsprechend der Empfehlung von Loos und Schäffer mehrmals abgehört und der thematische Verlauf sowie die vermutlichen Fokussierungsmetaphern, also Passagen mit hoher kommunikativer Dichte und reger Beteiligung der Diskussionsteilnehmenden, notiert (Loos/Schäffer 2001, S. 61). Anschließend wurden die Gruppendiskussionen unter Verwendung der Transkriptionsregeln aus der Forschungspraxis von Bohnsack u. a. (Loos/Schäffer 2001, S. 57) in großen Teilen wörtlich transkribiert. Bei der Transkription wurden nur wenige Passagen ausgelassen, die aufgrund des erstellten thematischen Verlaufs als für die Fragestellung sicher nicht relevant angesehen wurden. Auslassungen wurden im Transkript vermerkt, so dass zunächst nicht transkribierte Passagen auch später nochmals abgehört und ggf. transkribiert werden konnten. Die Transkripte der Gruppendiskussionen haben jeweils einen Umfang von 20 bis 40 Seiten. Die Namen der an der Gruppendiskussionen Teilnehmenden, geographische Angaben und andere Eigennamen wurden anonymisiert, z. B. als „X-Stadt“ oder „A-Schule“ Darüber hinaus wurden markante Angaben der Teilnehmenden, z. B. Ort und Datum von Fortbildungsveranstaltungen, Namen von Preisen etc., absichtlich verändert, um durch die Maskierung ein Wiedererkennen der Gruppen zu erschweren, ohne dabei den Charakter der Gruppendiskussion zu verändern. Die Sprecher(innen) wurden im Transkript mit Großbuchstaben bezeichnet, weibliche Gruppenmitglieder erhielten zusätzlich ein w, männliche ein m; Y markiert den Forscher; Sprecher(innen), die auf der Audioaufnahme nicht zu identifizieren waren, wurden mit einem Fragezeichen versehen. Für Kerncharaktere der Gruppen wurden Fantasienamen gewählt, die mit dem Großbuchstaben der Maskierung beginnen (beispielsweise erhielt die Person „Am“ der Gruppe Weizen den Codenamen Anton). Die Gruppen erhielten willkürlich gewählte Gruppennamen wie Weizen, Gerste oder Mais, die bewusst keinen inhaltlichen Bezug zum Thema der Arbeit oder zu Aussagen der Gruppen haben, damit nicht bereits durch den zufällig gewählten Gruppennamen Assoziationen die Interpretation betreffend geweckt werden.
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2 Methodischer Ansatz der Studie
Das Transkriptbeispiel 4 aus der Eröffnungssequenz der Gruppendiskussion der Gruppe Gerste zeigt exemplarisch die wichtigsten Transkriptionsregeln. Gruppe Gerste, Zeile 1-25 Y
Dw Cw
Dw Cw Bm Cw Bm Cw Dw Bm
Dw Cw Bm
Cw
Des einfachste ist wenn sie so beginnen und erzählen was so alles passiert ist im Laufe ihrer Schulentwicklung. Mhm.(.) °dann müssten wir erst a mal wissen wann sie angefangen hat?° Na vor 7 Jahren ham wir festgestellt. war so a des was wir als letztes Mal zusammengestellt ham mit dem Chef war so die letzte Zeit ab 7. als er begonnen hat mit dem Seminar und ne, ¬ Ja und diese allererste große Konferenz die mir moderieren ham lassen. Die erste Umfrage ja. Na ja des sieht er so. ¬ Des sieht er so. Dass die Schulentwicklung damit begonnen hat dass er kam. @( )@ @Ja. gut. gut wir waren vorher da aber@ @( )@ Ich denk da da hat sich vorher schon a was getan ne, da gab es diesen diesen pädagogischen Arbeitskreis aus dem dann die Freiarbeit hervorgegangen ist, zum Beispiel Des war eigentlich des war sowas wo’s wirklich was sich gebündelt hat. °War des vorher schon?° Des war vorher ja. des war noch unter Martini ja. des kam so aus ner aus ner gewissen Unzufriedenheit raus auch. aufgrund dieser dieser Situation Kollegium Direktorat. (.) Mhm Mhm.
4 Dieser Ausschnitt aus der Gruppendiskussion der Gruppe Gerste wird im Weiteren auch als Beispiel für die formulierende und die reflektierende Interpretation herangezogen.
2.4 Das Gruppendiskussionsverfahren
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Tabelle 1: Richtlinien der Transkription 5 Transkriptionsregeln: ¬ Schulentwihalt-halt (.) (3) @(.)@ @(3)@ @(natürlich)@ natürlich natürlich °natürlich° ( ) (Schulleitung)
mhm hm [räuspert sich]
Beginn einer Überlappung von zwei Sprecher(inne)n oder direkter Anschluss bei einem Sprecher(innen)wechsel Abbruch einer Phrase, nicht zu Ende gesprochenes Wort ohne Pause gesprochene, zusammengezogene Wörter kurze Pause, kurzes Absetzen Pause, Angabe der Dauer in Sekunden kurzes Lachen Lachen, Angabe der Dauer in Sekunden lachend gesprochen betont gesprochen laut gesprochen leise gesprochen Aussagen sind auf der Aufnahme nicht zu verstehen, Länge der Klammer entspricht etwa der Dauer der Äußerungen schwer verständliche Äußerung, die Korrektheit der Transkription ist nicht sicher, aber wahrscheinlich zustimmendes „mhm“ fragendes „mh“ Kommentare zu parasprachlichen, nicht verbalen oder gesprächsexternen Ereignissen
Verwendung der Satzzeichen in der Transkription: Punkt Semikolon Fragezeichen Komma
stark sinkende Sprachmelodie schwach sinkende Sprachmelodie stark ansteigende Sprachmelodie schwach ansteigende Sprachmelodie
Groß- und Kleinschreibung Hauptwörter werden groß geschrieben, bei Neuansetzen eines Sprechers/einer Sprecherin und am Beginn eines „Häkchens“ wird das erste Wort mit Großbuchstaben begonnen. Nach Satzzeichen wird klein weiter geschrieben, um deutlich zu machen, dass Satzzeichen die Intonation anzeigen und nicht grammatikalisch gesetzt werden.
5
Die Transkriptionsregeln entsprechen Bohnsack 2003, S. 235; bzw. Loos/Schäffer 2001, S.57.
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2 Methodischer Ansatz der Studie
2.5 Die Interpretation nach der dokumentarischen Methode Das Ziel der dokumentarischen Methode besteht darin, über eine Analyse und Kontrastierung des Materials ein Orientierungsmuster zu finden, wodurch eine Typenbildung und die damit verbundene Abstraktion ermöglicht werden. Konstitutiv für die dokumentarische Methode ist die ihr zugrunde liegende methodologische Leitdifferenz von kommunikativ-generalisierendem bzw. immanentem Sinngehalt auf der einen Seite und konjunktivem bzw. dokumentarischem Sinngehalt auf der anderen Seite. Die Forschungspraxis folgt dem in der Interpretationsarbeit durch zwei klar voneinander abgegrenzte Arbeitsschritte: 1.
2.
In der formulierenden Interpretation werden ein thematischer Verlauf und eine thematische Feingliederung erarbeitet. In diesem Schritt geht es um das, was (wörtlich) gesagt wird, also das, was thematisch behandelt wird. In der reflektierenden Interpretation geht es darum, wie bzw. in welchem Rahmen ein Thema behandelt wurde. Die reflektierende Interpretation beinhaltet auch die komparative Analyse, d. h. den Vergleich mit anderen Gruppen und den fallinternen Vergleich.
Der Übergang von der formulierenden zur reflektierenden Interpretation kennzeichnet auch den Wechsel von den „Was- zu den Wie-Fragen“ (Bohnsack/Nohl 2001, S. 303) und somit den Wechsel in der Analyseeinstellung des Forschers/der Forscherin (vgl. Kapitel 2.5.2). Nach diesen beiden Interpretationsschritten kommt es dann zur Diskursbeschreibung und zur Typenbildung. Diese Arbeitsschritte dienen der Integration und der Darstellung der Ergebnisse. In der Diskurs- oder Fallbeschreibung werden die wesentlichen Aspekte der formulierenden und der reflektierenden Interpretation aufgenommen, um so eine zusammenfassende Beschreibung der Fälle und der Interpretationsergebnisse zu erhalten. Bei der Typenbildung werden auf der Basis von Gemeinsamkeiten der Fälle (z. B. die gemeinsame Erfahrung aller Mitglieder von Steuergruppen einer bestimmten Schulart) spezifische Kontraste im Umgang mit diesen Erfahrungen herausgearbeitet (z. B. unterschiedliche Umgangsformen mit Hierarchien). Im Folgenden werden nun die Arbeitsschritte der dokumentarischen Interpretation, in denen das empirische Material der Gruppendiskussionen bearbeitet wurde, genauer dargestellt.
2.5 Die Interpretation nach der dokumentarischen Methode
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2.5.1 Formulierende Interpretation Für die detaillierte formulierende Interpretation werden zum einen diejenigen Passagen der Gruppendiskussion ausgewählt, die eine thematische Relevanz hinsichtlich der Ausgangsfragestellung oder der Vergleichbarkeit mit anderen Gruppen besitzen, und zum anderen diejenigen Passagen, die sich durch eine hohe interaktive und metaphorische Dichte auszeichnen, weil sich hier ein besonderes Engagement der Gruppe dokumentiert. In diesem ersten Schritt geht es darum, das, was von den Probanden und Probandinnen bereits begrifflich expliziert – also bereits selbst interpretiert – wurde, zusammenfassend zu reformulieren. Die formulierende Interpretation „verbleibt noch im Bereich des ‚immanenten’ Sinngehalts“ (Bohnsack 2003, S. 134, Hervorhebung i. O.), ohne allerdings zum „Wahrheitsgehalt“ der Aussagen Stellung zu nehmen. Nach Bohnsack bleibt „der Interpret innerhalb des (Orientierungs-)Rahmens der Gruppe, er macht diesen noch nicht zum Gegenstand begrifflich-theoretischer Explikation“ (Bohnsack 2003, S. 134, Hervorhebung i. O.). Loos und Schäffer betonen, dass diese „Enthaltsamkeit gegenüber der Interpretation auf der Ebene des Ausdruckssinnes [...] eine der schwierigsten Anforderungen“ (Loos/Schäffer 2001, S. 62) ist und daher besonders beachtet werden muss. Mit Hilfe der Frage Was sind die Themen der Steuergruppen? werden in der formulierenden Interpretation die immanent relevanten Themen der Gruppe ermittelt. Indem für inhaltliche Passagen Überschriften für Ober- und Unterthemen formuliert werden, wird die thematische Struktur des Diskurses zusammenfassend identifiziert. In der paraphrasierenden Beschreibung geht es um die Erlebnisdarstellungen, Erzählungen und theoretischen Beschreibungen innerhalb der immanenten Sinnebene. Eine ‚Interpretation’ findet insofern schon statt, weil zum einen aus der milieugebundenen Sprache der Erforschten in die milieugebundene Sprache des Forschers/der Forscherin übersetzt wird und zum anderen durch die Paraphrasierungen etwas formuliert wird, was so im Transkript nicht zu finden ist. Die formulierende Interpretation verfolgt darüber hinaus den Zweck, sich einen Überblick über die gesamte Gruppendiskussion zu verschaffen und sicherzustellen, dass keine Aspekte bei der Interpretation übersehen werden. Zur Illustration im Folgenden ein kleiner Ausschnitt aus einer formulierenden Interpretation: 6
6 Der Ausschnitt stellt die formulierende Interpretation des oben dokumentierten Beispiels aus dem Transkript der Gruppendiskussion der Gruppe Gerste dar.
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2 Methodischer Ansatz der Studie 1-124 1-124 1-10 1-2 3-4 5-7
7-10
11-32 11-13 14-15 16-20
21-25
Eingangssequenz Thema: Der Prozess der Schulentwicklung Unterthema: Wann und womit begann die Schulentwicklung? Interviewer fragt nach Ereignissen während des Schulentwicklungsprozesses Zuerst müssen wir wissen, wann sie begonnen hat. Es begann vor sieben Jahren. Auch als wir das das letzte Mal mit dem Chef zusammenstellten, haben wir das festgestellt. Es begann, als der Chef mit dem Seminar begann, mit der allerersten großen Konferenz und der ersten Umfrage. Unterthema: Es ist nicht nur ein Verdienst des Schulleiters Das ist die Sicht des Schulleiters, dass die Schulentwicklung erst begann, als er kam. Uns gab es schon vorher. Es hat sich schon vorher etwas getan z. B. gab es den pädagogischen Arbeitskreis aus dem die Freiarbeit hervorging. Hier hatte sich etwas gebündelt. Das war schon vorher, noch unter dem alten Direktor und kam aus einer „gewissen Unzufriedenheit raus“, wegen dieser „Situation Kollegium-Direktorat“.
2.5.2 Reflektierende Interpretation und Diskursanalyse Die reflektierende Interpretation ist der wesentliche Schritt der dokumentarischen Methode. Hier wird die Diskursorganisation der Gruppendiskussion analysiert, d. h. die Art und Weise, wie die Beteiligten aufeinander Bezug nehmen. Erst jetzt ist die „Analyseeinstellung auf das gerichtet, was sich in dem, wie etwas gesagt wird, über den dahinter stehenden konjunktiven Erfahrungsraum, die kollektive Handlungspraxis dokumentiert“ (Loos/Schäffer 2001, S. 63, Hervorhebung i. O.). In diesem Forschungsprojekt wird dementsprechend nun nicht mehr danach gefragt, was die Mitglieder der Steuergruppen über Schulentwicklungsprozesse sagen, sondern danach, wie, in welcher Art und Weise, sie darüber reden. Bohnsack formuliert dies auch im Sinne der Luhmann'schen Systemtheorie als den „Übergang von den Beobachtungen erster zu den Beobachtungen zweiter Ordnung“ (Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2001, S. 13).
2.5 Die Interpretation nach der dokumentarischen Methode
49
Durch die reflektierende Interpretation können die impliziten Orientierungen der Probandinnen und Probanden rekonstruiert werden. Die reflektierende Interpretation fragt danach, wie die Teilnehmer(innen) der Gruppendiskussion über das Thema sprechen, in welchem Rahmen sie ein Thema behandeln, und „dieser Orientierungsrahmen [...] ist der zentrale Gegenstand dokumentarischer Interpretation“ (Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2001, S. 15). In der Art und Weise, wie ein Thema diskutiert wird, dokumentiert sich der habitualisierte, handlungsleitende Orientierungsrahmen der Gruppe, der dokumentarische Sinn, der in einer gemeinsamen konjunktiven Erfahrung der erforschten Steuergruppenmitglieder begründet ist: „Während die formulierende Interpretation als Rekonstruktion des Themas des Diskurses mit seinen Untergliederungen, also als Rekonstruktion der thematischen Gliederung zu verstehen ist, zielt die reflektierende Interpretation auf die Rekonstruktion und Explikation des Rahmens, innerhalb dessen das Thema abgehandelt wird, auf die Art und Weise, wie, d. h. mit Bezug auf welches Orientierungsmuster, welchen Orientierungsrahmen, das Thema behandelt wird“ (Bohnsack 2003, S. 135). Der Rahmen einer Gruppe kann z. B. identifiziert werden, indem die Orientierung von Gegenhorizonten abgegrenzt wird. Von vornherein kommt hier auch der komparativen Analyse (s. u.) eine zentrale Rolle zu. Erst vor dem Vergleichshorizont, der sich aus der Betrachtung anderer Fälle ergibt, zeichnet sich ein empirisch überprüfbarer und konturierter Orientierungsrahmen ab. Für die Begrifflichkeiten zur Beschreibung und Analyse der Diskursorganisation steht ein elaboriertes Instrumentarium zur Verfügung, das im Wesentlichen von (Bohnsack 1989; Bohnsack 2003) aus der Praxis der empirischen Analyse gewonnen und von (Przyborski 2004) erweitert wurde. An dieser Stelle werden die wichtigsten Kategorien kurz charakterisiert und dann in einer Tabelle zusammengefasst. Kollektive Orientierungen einer Gruppe kommen ganz grundsätzlich in Form einer Proposition, also einer Stellungnahme zu einem Thema, zum Ausdruck. Oftmals muss erst aus dem Kontext erschlossen werden, ob eine Proposition vorliegt oder nicht, dies lässt sich nicht ausschließlich an der betreffenden Äußerung selbst feststellen. Deutlich kann die Proposition von ihrem Gegenstück, der Konklusion, abgegrenzt werden. Mit ihr wird die Behandlung eines Themas beendet. Zwischen der Proposition und der Konklusion findet die Elaboration des Themas statt, in der eine Aus- und Weiterbearbeitung der Orientierung stattfindet. Die Elaboration kann eine große Formenvielfalt annehmen. So kann eine
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2 Methodischer Ansatz der Studie
Proposition in Form der Beispielsnennung elaboriert werden (Exemplifizierung), in Form einer detaillierten Erzählung oder Beschreibung oder aber in argumentativer Form. Ebenso kann eine Proposition mit einer Differenzierung in ihrer Reichweite eingeschränkt werden, wodurch ihr Orientierungsgehalt modifiziert wird. Ein Thema schließt entweder mit einer echten Beendigung wobei die Gruppe beispielsweise mit einem Kompromiss ein kontroverses Thema abschließt, ein Thema kann aber auch „rituell“ beendet werden: Ohne dass eine Einigung in der Sache formuliert wird, wird z. B. auf metasprachlicher Ebene ein Endpunkt gesetzt (etwa „Lassen wir die Streiterei“). Die Art und Weise, wie sich eine Konklusion vollzieht (vgl. Tab. 2), lässt Rückschlüsse auf die Art der Diskursorganisation zu. Die Kategorien zur Diskursanalyse nehmen die Abfolge der Äußerungen der Proband(inn)en in den Blick. Durch diese sequentielle Analyse der Gruppendiskussionen werden die verschiedenen Beiträge in Bezug zueinander gebracht wodurch der Orientierungsgehalt rekonstruiert werden kann. Ob es sich um geteilte Orientierungen der Gruppe handelt, wird durch das jeweilige Organisationsprinzip der Diskurse deutlich. Es stellt ein „Dokument für die Gemeinsamkeit bzw. Verschiedenheit der Erfahrungshintergründe der Diskutant/inn/en“ dar (Przyborski 2004, S. 95). Seine Gestalt lässt sich durch verschiedene Modi der Diskursorganisation beschreiben (vgl. Tab. 3). Durch diese Analyse wird „somit ein [...] Zugang zur Kollektivität“ möglich (Przyborski 2004, S. 95). Es wird grundsätzlich unterschieden zwischen inkludierenden Modi und exkludierenden Modi. Bei den inkludierenden Modi liegt eine gemeinsame Orientierung der Gruppe zu einem Thema vor, die durch univoke, parallele oder antithetische Bezugnahme der Redebeiträge aufeinander vorgebracht werden kann. Bei den exkludierenden Modi der Diskursorganisation gibt es keine geteilte Orientierung der Gruppenmitglieder; der Diskurs kann entweder durch offenes Widersprechen gekennzeichnet sein und oppositionell geführt werden oder aber mit verdeckten Widersprüchen und Rahmeninkongruenzen ablaufen, was man als divergent bezeichnet.
2.5 Die Interpretation nach der dokumentarischen Methode
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Tabelle 2: Kategorien zur Beschreibung der Diskursorganisation 7 Proposition
erstes Aufwerfen einer Orientierung, Themeneinleitung
Elaboration
Jede Aus- und Weiterbearbeitung einer Orientierung
argumentativ
durch Argumente belegt
im Modus der Exemplifizierung
mit Beispielen vertieft
im Modus der Beschreibung
mit Beschreibungen belegt
im Modus der Erzählung
mit Erzählungen belegt
Aufzeigen der Grenzen einer Orientierung (nicht als negativer Gegenhorizont) Differenzierung
Einschränkung von Reichweite/Relevanz einer Orientierung Modifizierung eines Orientierungsgehalts
Validierung
Bestätigung; alles kann validiert werden
propositionell
Aufgreifen der gesamten aufgeworfenen Orientierung
performatorisch
Aufgreifen eines Teils der Orientierung
Ratifizierung
Anzeigen des Verstehens, ohne inhaltliche Zustimmung wie bei der Validierung
Antithese
Verneinung der Proposition; negativer Gegenhorizont
Synthese
zunächst einander entgegenstehende Orientierungsgehalte; Synthesen vollziehen sich meist in Konklusionen; Diskutierende nähern sich dem Kern der Orientierung antithetisch vgl. antithetischer Diskursverlauf
Opposition
Entwurf einer Orientierung, die mit der zuerst entfalteten unvereinbar ist kein gemeinsamer Orientierungsrahmen vorhanden führt zur rituellen Beendigung eines Themas keine konsensfähigen thematischen Konklusionen; Themensprünge
Divergenz
Scheinbare Bezugnahmen, die Fremdrahmungen sind verdeckte Rahmeninkongruenz
Konklusion
„echt“
-
im Modus der Formulierung einer Orientierung/Proposition im Modus der Validierung einer Orientierung im Modus der Generalisierung einer Orientierung im Modus einer Synthese
rituell
-
durch Ausklammern eines Themas im Modus einer Metarahmung im Modus der Metakommunikation durch Themenverschiebung als rituelle Synthese als performatorische rituelle Konklusion
Abschluss der Entfaltung einer Orientierung; beendet ein Thema
Zwischenkonklusion/ Anschlussproposition
Erweiterung eines Themas; anderes Aufrollen des Themas
Trans(pos)ition
Konklusion, in der ein neues Thema aufgeworfen und die alte Orientierung in ihrem Grundgehalt mitgenommen wird
7 Zusammenfassung der Beschreibung des Instrumentariums der Diskursanalyse von Przyborski (2004), gestaltet von Heike Hofgräff
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2 Methodischer Ansatz der Studie
Tabelle 3: Modi der Diskursorganisation 8 Inkludierende Modi Parallele Diskursorganisation
Antithetische Diskursorganisation
Univoke Diskursorganisation
Gemeinsame Orientierung auf Basis gemeinsamer, homologer Erfahrungen
Gemeinsame Orientierung auf Basis gemeinsamer, homologer Erfahrungen
Gemeinsame Orientierung auf Basis gemeinsamer, homologer Erfahrungen
Aneinanderreihung von Darstellungen
-
-
-
Prototypischer Modus
entfaltet durch Widerstreit, Verneinung, konkurrierendes Gegeneinander gemeinsame Orientierungsgrundlage erst in der Synthese als einander ergänzende Komponenten einer Orientierung
Ablauf: These – Antithese – Synthese
sowohl strukturidentische, homologe Erfahrungen als auch dieselben, identischen Erfahrungen - Erfahrung aus derselben Perspektive, aber gleiche Ereignisse können auch unterschiedlich erfahren werden - Findet sich in Diskursen auf der Grundlage derselben Erfahrungsbasis Kennzeichnend: gleichzeitiges Sprechen (unisono, univok)
Exkludierende Modi Oppositionelle Diskursorganisation
Divergente Diskursorganisation
Keine geteilten Erfahrungen vorhanden
Keine geteilten Erfahrungen vorhanden
Einander widersprechende Orientierungen
-
Orientierungen münden nicht in Synthese (wie im antithetischen Diskurs), sondern in ritueller Konklusion
Diskursbewegungen knüpfen aneinander an Häufige Bestätigung oder leichte Differenzierung einer Proposition, im Anschluss aber einander widersprechende Orientierungsrahmen aufwerfend - Rahmeninkongruenzen bleiben verdeckt Orientierungen münden nicht in Synthese, sondern in ritueller Konklusion
8 Zusammenfassung der Darstellung der Diskursmodi von Przyborski (2004), gestaltet von Heike Hofgräff
2.5 Die Interpretation nach der dokumentarischen Methode
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Um den Prozess und das Instrumentarium der reflektierenden Interpretation zu veranschaulichen, wird im Folgenden der kurze Ausschnitt aus der Gruppendiskussion der Gruppe Gerste – nach der formulierenden Interpretation (s. o.) – nun einer reflektierenden Interpretation unterzogen. 1-124 1-2
3-10
10-25
Eingangssequenz Eingangsfrage: Die Frage nach dem, „was so alles passiert ist“, initiiert grundlegend eine Erzählung. Proposition von Dw mit validierender Elaboration durch Cw und Dw Dw schlägt durch eine rhetorische Frage vor, den Beginn zu rekonstruieren. Cw nennt den Zeitpunkt (vor sieben Jahren) und verstärkt diese Angabe durch den Hinweis auf eine Zusammenstellung, die mit dem Chef erarbeitet wurde. Sie nennt aber nicht nur den Zeitpunkt, sondern auch ein Ereignis, das Seminar, mit dem es begann, und verweist noch einmal auf den Chef, „als er begonnen hat“, der dies initiierte. Dw bestätigt mit einem weiteren Beispiel. Durch diesen definierten Zeitpunkt, die gemeinsam mit dem Schulleiter erarbeitete und damit auch abgestimmte Dokumentation, bekommt die Schulentwicklung einen offiziellen Charakter. Der externe Moderator dieser Veranstaltung unterstreicht diesen offiziellen Beginn. Antithese durch Bm in Interaktion mit Dw, Em und Cw Der Hinweis von Bm, dass hier nur die Sichtweise des Schulleiters wiedergegeben wurde und schon bevor der Schulleiter kam, Schulentwicklung vorhanden war, wird von Cw mit der Bemerkung „Gut wir waren vorher da“ ins Lächerliche gezogen und damit abgewertet. Im folgenden antithetischen Diskurs arbeitet die Gruppe nun ihre Perspektive und ihre Rolle bei der Initiierung und Gestaltung des Schulentwicklungsprozesses heraus. Dabei zeichnen sich schon in der Eingangspassage Distanz und Konkurrenz zwischen Schulleiter und Steuergruppe ab. Hinter der Frage, wer den Schulentwicklungsprozess initiiert hat, steht der Anspruch der Steuergruppe, im Kontext von Schulentwicklung auf der gleichen Ebene wie der Schulleiter zu agieren. Das Muster „vorher – nachher“ kann als stellvertretend für die Frage „er oder wir“ gesehen werden, und schon hier deutet sich die Relevanz der Hierarchiefrage für die Gruppe an.
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2 Methodischer Ansatz der Studie
Der antithetisch organisierte Diskurs endet mit einer Konklusion im Modus einer Synthese. Daran, dass es zu einer Einigung kommt, lässt sich ein inkludierender Modus der Diskursorganisation ablesen. Somit stellt die Bedeutung die der Hierarchie beigemessen wird ein kollektives Merkmal der Gruppe dar.
2.5.3 Komparative Analyse und Typenbildung Ein zentraler Schritt im Forschungsprozess, der ständig mitläuft und sich nicht eindeutig zeitlich verorten lässt, ist der der komparativen Analyse und der Typenbildung. Komparative Analyse Um nochmals zu rekapitulieren: Die methodologische Leitdifferenz der Auswertung ist die Unterscheidung des immanenten vom dokumentarischen Sinngehalt bei Mannheim (Mannheim 1964): Das, was gesagt, erzählt, diskutiert wird, also das, was thematisiert wird, ist zu trennen von dem, was sich in dem Gesagten über die Orientierungen der Diskutanten offenbart. Es stellt sich also die Frage, wie ein Thema, d.h. in welchem Rahmen, behandelt wird. Da sich der Orientierungsrahmen erst vor dem Horizont des Vergleichs mit anderen Fälle bzw. Gruppen zeigt, kommt der komparativen Analyse von Anfang an eine zentrale Bedeutung zu, damit das Untersuchungsmaterial interpretativ aufschlossen werden kann. Für die komparative Analyse werden im Arbeitsschritt der reflektierenden Interpretation zunehmend fallexterne Vergleichshorizonte eingebracht und systematisch explizit gemacht. Zunächst ergeben sich diese Vergleichshorizonte aus dem Erfahrungshintergrund des Interpreten/der Interpretin. Im Verlaufe des Forschungsprojektes werden sie dann „systematisch durch empirisch generierte [Vergleichshorizonte] ersetzt, indem in komparativer Analyse [...] verglichen wird, wie die verschiedenen Gruppen dasselbe Thema unterschiedlich behandeln“ (Loos/Schäffer 2001, S. 63). Ohne den Vergleich würde die Interpretation in unkontrollierbarer Weise von den Alltagstheorien und den eigenen Erfahrungen des Interpreten/der Interpretin bestimmt werden – seinem/ihrem impliziten Vergleichshorizont – und intersubjektiv nicht mehr nachvollziehbar sein. Die methodische Kontrolle liegt in der sukzessiven Ersetzung des Vergleichshorizonts des Interpreten/der Interpretin durch die empirisch gewonnenen Vergleichshorizonte.
2.5 Die Interpretation nach der dokumentarischen Methode
55
Die fallexterne hat im Unterschied zur fallinternen komparativen Analyse auch den Zweck, die jeweiligen Einzelfälle zu abstrahieren und den Blick auf die sie konstituierenden existentiellen Hintergründe zu fokussieren. Im Falle der vorliegenden Untersuchung ließ sich z. B. vor dem Hintergrund des oppositionellen Handlungsmodus der Gruppe Gerste in Bezug auf die Schulleitung die eher angepasste Umgehensweise der Gruppe Weizen herausarbeiten. Grundlage für den komparativen Vergleich ist der „Kontrast in der Gemeinsamkeit“ (Bohnsack 2003, S. 143), z. B. der unterschiedliche Umgang mit demselben Thema, etwa dem Verhältnis der Steuergruppe zum Kollegium. Typenbildung Das Ziel dieser Arbeit ist die Entwicklung einer empirisch gewonnenen, gegenstandsbezogenen Theorie über das Handlungsfeld schulischer Steuergruppen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, muss nach der intensiven Interpretation der Einzelfälle ein weiterer Interpretationsschritt folgen, damit generalisierbare Erkenntnisse formuliert werden können zu gelangen. In der Typenbildung wird der entscheidende Schritt zur Abstraktion des Einzelfalls und damit zur Generalisierbarkeit der Ergebnisse vollzogen. Die dokumentarische Methode unterscheidet zwei Stufen der Typenbildung: Bei der sinngenetischen Typenbildung werden zentrale Orientierungsmuster herausgearbeitet und im fallinternen wie auch im fallexternen Vergleich abstrahiert und spezifiziert. Darauf aufbauend kann in einem weiteren Schritt eine soziogenetische Typenbildung durchgeführt werden, bei der die sinngenetische Typenbildung durch die „Rekonstruktion von Erfahrungsräumen“ (Nentwig-Gesemann 2001, S. 277) weitergeführt wird. Im Rahmen dieser Arbeit wurde auf die Entwicklung einer soziogenetischen Typenbildung verzichtet, deshalb wird im Folgenden nur der Prozess der sinngenetischen Typenbildung dargestellt (vgl. zur soziogenetischen Typenbildung NentwigGesemann 2001, S. 295 ff.). Sinngenetische Typenbildung Im Anschluss an die „interpretative Generierung“ (Nentwig-Gesemann 2001) der Orientierungsrahmen der Gruppen werden die Fälle zunächst auf Gemeinsamkeiten hin analysiert. Das Tertium Comparationis ist in diesem ersten Schritt einer sinngenetischen Typenbildung ein gemeinsames Thema. Thematisch vergleichbare Passagen der Gruppendiskussionen werden auf gemeinsame Orientierungsmuster hin analysiert. In dieser Untersuchung stellte z. B. die Auseinandersetzung der Steuergruppen mit der Schulleitung, die in allen Grup-
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2 Methodischer Ansatz der Studie
pen selbstläufig, d. h. unabhängig von einer Intervention des Forschers, thematisiert wurde, eine sofort ins Auge springende thematische Gemeinsamkeit der Fälle dar. Aus der Herausarbeitung eines homologen Musters des gesamten empirischen Materials lässt sich dann eine Basistypik für alle Fälle generieren; für diese Untersuchung ergab sich die Basistypik ‚Umgang mit Hierarchie’. Nachdem die Basistypik im fallinternen Vergleich an unterschiedlichen Themen der Gruppen validiert wurde, folgt in einem nächsten Schritt die Spezifizierung der Basistypik durch weitere fallübergreifende und fallinterne Vergleiche. Allerdings wird nun nicht mehr auf Gemeinsamkeiten der Gruppen, sondern auf die Kontraste geachtet. Das Tertium Comparationis ist nicht mehr ein vergleichbares Thema, sondern die herausgearbeitete Basistypik, in diesem Fall die Hierarchie. Durch die Fallkontrastierungen lassen sich so für die homologe Basistypik ganz unterschiedliche Ausprägungen generieren. Um die erarbeiteten spezifizierten Typen zu validieren, rücken die Einzelfälle im nächsten Interpretationsschritt wieder in den Fokus. Es gilt zu überprüfen, ob die abstrahierten typischen Handlungsmuster nur für bestimmte Situationen von handlungspraktischer Bedeutung sind oder ob sie einen „übergeordneten Rahmen“ (Nentwig-Gesemann 2001, S. 293) der Gruppe bilden und somit generalisierbar sind. In der vorliegenden Forschungsarbeit wurde auf der Basis der dokumentarischen Methode die Bildung von Typen auf einer sinngenetischen Ebene vollzogen (vgl. Kap. 4). Wie gezeigt wurde, handelt es sich bei dieser Typenbildung also nicht um eine Typisierung der Ergebnisse im Sinne einer Zusammenfassung und Kategorisierung von Aussagen. Vielmehr wurden durch das „konsequente Abarbeiten an empirisch fundierten Vergleichshorizonten“ (Nentwig-Gesemann 2001, S. 289) die rekonstruierten Orientierungsrahmen vom Einzelfall abgelöst und zum Typus ausgearbeitet, wodurch die zugrunde liegenden Dimensionen des existentiellen Hintergrundes erklärt wurden.
2.6 Zur Auswahl des Samples Für die empirische Analyse der Orientierungen von Steuergruppen wurde nach Realgruppen aus unterschiedlichen Schularten, aus Schulen unterschiedlicher Größe, aus staatlichen und privaten Schulen, nach Gruppen aus Bundesländern mit im Vergleich zu Bayern in unterschiedlichem Maße hierarchisch strukturiertem Schulsystem und aus Schulen mit unterschiedlicher Erfahrung in der Schulentwicklung gesucht. Als weitere Vergleichsgruppen, die eine ergänzen-
2.6 Zur Auswahl des Samples
57
de Perspektive auf die Sichtweise der Steuergruppen ermöglichten, dienten eine Gruppe Schulleiter(innen) und zwei Gruppen von Trainerinnen und Trainern für Unterrichtsentwicklung. 9 Die Gruppe der Schulleiter(innen) ermöglicht eine Fremdperspektive aus der Binnenstruktur der Schule heraus, die Trainergruppe eröffnet eine Perspektive, die eine Außensicht auf Schulentwicklungsprozesse erlaubt. Die Suchstrategie zur Auswahl der Gruppen war anfangs von theoretischen Vorannahmen geleitet. Gemäß dem Prinzip des Theoretical Sampling wurde sie im Verlauf des Forschungsprozesses verfeinert. Erst im Laufe der Interpretation der Fälle ergaben sich die weiteren nötigen Vergleichshorizonte zur Kontrastierung. So zeigte sich die Notwendigkeit von Vergleichsgruppen außerhalb Bayerns erst im Verlauf des Forschungsprozesses, damit unterschiedliche bildungspolitische Rahmenbedingungen einfließen konnten. Erst durch den Fallvergleich zwischen den Steuergruppen und einer Gruppe von Schulleiter(inne)n konnte die Bedeutung der Fachgruppenleiter und die Problematik der Instrumentalisierung der Steuergruppen herausgearbeitet werden. Folgende Vergleichshorizonte haben sich insgesamt als relevant erwiesen und führten zum vorliegenden Sample:
Steuergruppen aus Schulen mit viel bzw. wenig Erfahrung in Schulentwicklung, verschiedener Schularten (z. B. Gymnasium vs. Hauptschule), Bayerns und anderer Bundesländer Der Vergleichshorizont bezüglich unterschiedlicher Akteursebenen (Schulleitung, Trainer(innen)/Moderator(inn)en, Steuergruppen)
Insgesamt wurden Gruppendiskussionen mit zwölf Realgruppen geführt, von denen fünf Gruppen als empirische Demonstrationsfälle ausgewählt wurden. An ihnen lassen sich im Rahmen der komparativen Analyse die im Interpretationsprozess herausgearbeiteten Orientierungen deutlich nachvollziehen und die relevanten Vergleichshorizonte abbilden.
9 Die beiden Trainer(innen)gruppen wurden der Dissertation von Claudia Bergmüller entnommen und einer komparativen Analyse im Hinblick auf die für diese Untersuchung wichtigen Vergleichshorzionte unterzogen (vgl. Bergmüller 2008).
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2 Methodischer Ansatz der Studie
Die erhobenen Gruppendiskussionen entstammen folgenden Institutionen bzw. sind folgendermaßen charakterisiert: Steuergruppen Gruppe Weizen:
Gruppe Gerste:
Gruppe Mais: Gruppe Amarant:
Gruppe Reis: Gruppe Hafer: Gruppe Dinkel:
Gruppe Grünkern: Gruppe Hirse:
Gymnasium in kirchlicher Trägerschaft, Kleinstadt, Preisträger Gymnasium, Kleinstadt, Preisträger, Teilnahme an systematischer Schulung Hauptschule, Land Grund- und Hauptschule, Großstadt, Teilnahme an Fortbildungen zur pädagogischen Schulentwicklung Oberstufengymnasium (außerhalb Bayerns) Gymnasium, Großstadt, nur Frauen Berufsschule, Großstadt, Teilnahme an systematischer Schulung Berufsschule, Kleinstadt, Preisträger Gymnasium (außerhalb Bayerns)
Trainer(innen) für Unterrichtsentwicklung Gruppe Merkur: Trainer(innen) für Unterrichtsentwicklung an Grundund Hauptschulen Gruppe Hermes: Trainer(innen) für Unterrichtsentwicklung an Grundund Hauptschulen Schulleiter(innen) Gruppe Roggen:
Schulleiter und Schulleiterin aus Gymnasien und Realschulen
Als empirische Demonstrationsfälle wurden die Gruppen Weizen, Gerste, Mais, Hirse und die Gruppe Roggen ausgewählt.
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Im folgenden Kapitel werden zunächst die Gruppen des Samples, die als empirische Demonstrationsfälle dienen, kurz vorgestellt. Danach folgt die Darstellung der Ergebnisse der Datenauswertung im Sinne der Diskursbeschreibung nach Bohnsack (vgl.Bohnsack 2003, S. 139 ff.).
3.1 Kurzportraits der empirischen Demonstrationsfälle Die Porträts der empirischen Demonstrationsfälle sollen den Einstieg in das empirische Material erleichtern und sind folgendermaßen aufgebaut: Zunächst werden der Zugang zu den Gruppen, die Zusammensetzung und die Besonderheiten der Gruppe beschrieben. Dazu werden auch Informationen aus den Fragebögen, die nach den Diskussionen von den Teilnehmer(inne)n ausgefüllt wurden, herangezogen. Der Diskurs wird kurz charakterisiert und die thematischen Schwerpunkte der Diskussion werden genannt. Die Gruppe Weizen Die Gruppe Weizen war die erste interviewte Gruppe. Es handelt sich um die Steuergruppe eines Gymnasiums in kirchlicher Trägerschaft mit ca. 650 Schüler(inne)n und 52 hauptberuflichen und 16 nebenberuflichen Lehrkräften. Der Kontakt kam durch den ehemaligen Schulleiter zustande. An der Gruppendiskussion nahmen fünf Lehrer und zwei Lehrerinnen teil. Die Schule war Preisträgerin bei verschiedenen Schulentwicklungswettbewerben, weist also viel Erfahrung mit Schulentwicklung auf. Neue Lehrkräfte werden durch besondere Maßnahmen unterstützt. Fünf der Steuergruppenmitglieder haben an diesen Maßnahmen teilgenommen. Die Gruppendiskussion wurde zu Schuljahresende durchgeführt. Im Anschluss an die Gruppendiskussion fand das Schulfest statt, bei dem alle Mitglieder der Steuergruppe aktiv waren. Die Gruppendiskussion wies ein hohes Maß an Selbstläufigkeit auf und dauerte ca. 70 Minuten. Durch das nachfolgende Schulfest entstand gegen Ende ein gewisser Zeitdruck.
60
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Fokussierte Passagen der Gruppendiskussion waren (1) die Stellung/Rolle des ehemaligen Schulleiters, (2) die Aktivitäten im Rahmen des Schulentwicklungsprozesses und (3) die Unterrichtsentwicklung. Die Gruppe Gerste Die Gruppe Gerste, Steuergruppe eines Gymnasiums in einer Kleinstadt, besteht aus zwei Lehrerinnen und drei Lehrern. Der Kontakt kam über ein Fortbildungsinstitut zustande, mit dem die Schule mehrere Veranstaltungen zum Thema Schulentwicklung durchgeführt hatte. Die Schule betrieb zum Zeitpunkt der Datenerhebung seit sieben Jahren Schulentwicklung. Zeitgleich mit Beginn des Schulentwicklungsprozesses hatte ein Schulleiterwechsel stattgefunden. Ähnlich wie die Schule der Gruppe Weizen war diese Schule schon in einigen Schulentwicklungswettbewerben erfolgreich. Alle Mitglieder der Gruppe haben mehrere Fortbildungen zur Schulentwicklung besucht und nahmen zum Zeitpunkt der Gruppendiskussion gemeinsam an einer Qualifizierung für Koordinierungsteams teil. Zwei Kollegen haben eine Ausbildung als Schulentwicklungsmoderator, sie haben auch schon an anderen Schulen im Bereich Schulentwicklung gearbeitet. Die Gruppendiskussion dauerte 75 Minuten und verlief in hohem Maße selbstläufig. In der Phase der exmanenten Nachfragen ergaben sich allerdings noch einmal Themen, die von der Gruppe vorher eher gemieden worden waren, die sie dann aber sehr intensiv bearbeitete. Stark fokussiert waren diejenigen Passagen, in denen sich die Gruppe (1) mit ihrer eigenen Rolle/Aufgabe auseinandersetzt, (2) das Verhältnis zum Schulleiter und dem Kollegium diskutiert und sich (3) mit der Frage beschäftigt, was Schulentwicklung eigentlich sei. Die Gruppe Mais Die Gruppe Mais agiert an einer Hauptschule in einer Kleinstadt im ländlichen Raum. Ihr gehören zwei Lehrerinnen und vier Lehrer an. Vier der Teilnehmenden gehörten von Anfang an zur Steuergruppe. Der Kontakt kam über einen Schulentwicklungsmoderator zustande, der die Schule kurz begleitet hatte. Während des Schulentwicklungsprozesses gab es einen Wechsel in der Schulleitung. Cm war von Beginn an Mitglied der Steuergruppe und wurde nach dem Schulleiterwechsel Konrektor. Die Diskussion fand im Anschluss an den Unterricht der Lehrkräfte statt. Obwohl sie vor Beginn der Gruppendiskussion darauf hinwiesen, dass sie wenig Zeit hätten, dauerte die Diskussion 90 Minuten und verlief sehr selbstläufig.
3.1 Kurzportraits der empirischen Demonstrationsfälle
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Intensive Diskussionen gab es in den Passagen, in denen (1) der Beginn und die Probleme des Schulentwicklungsprozesses, (2) das Verhältnis zum Schulleiter, (3) die Steuergruppe und das Kollegium verhandelt wurden. Fokussierte Qualität haben auch die Passagen, in denen die Gruppe das Thema (4) Hierarchie und die Mitwirkung an Entscheidungen bearbeitet. Die Gruppe Roggen Die Gruppe Roggen setzt sich aus einer Schulleiterin und drei Schulleitern aus Gymnasien und Realschulen zusammen. Alle haben Erfahrungen mit Schulentwicklungsprozessen und nehmen gemeinsam mit ihren Steuergruppen an einer Qualifizierungsreihe zum Thema Schulentwicklung teil. Der Kontakt kam über das Fortbildungsinstitut zustande. In der 67 Minuten dauernden, selbstläufigen Gruppendiskussion wurden vor allen Dingen die Themen (1) treibende Kräfte im Schulentwicklungsprozess, (2) Institutionalisierung von Schulentwicklung sowie (3) Schulentwicklungsarbeit als Teil der Lehrerbildung diskutiert. Als weiteres intensiv behandeltes Thema wurde durch exmanente Nachfrage (4) die Rolle der Steuergruppe initiiert und mit ausführlichen Narrationen diskutiert. Die Gruppe Hirse Die Gruppe Hirse besteht aus vier Lehrerinnen und drei Lehrern eines Gymnasiums außerhalb Bayerns. Die Gruppe hat in zwei Projekten Erfahrung mit Schulentwicklung gesammelt und ist mehr als eine Projektgruppe mit klar definiertem Arbeitsauftrag sowie fest terminiertem Beginn und Ende des Schulentwicklungsprojektes zu sehen als eine institutionalisierte Steuergruppe zur Steuerung eines gesamten Schulentwicklungsprozesses. Der Kontakt wurde über den Schulleiter einer anderen Schule vermittelt. Die Diskussion fand im Anschluss an den Unterricht statt und dauerte 63 Minuten. Aufgrund des gegen Ende entstehenden Zeitdrucks wurde auf das Ausfüllen der Hintergrundfragebögen verzichtet. Von der Gruppe Hirse werden, wie bei der Gruppe Roggen, nur die Diskurse beschrieben, die für die komparative Analyse relevant sind. Dies sind die Themen (1) die Steuergruppe im Kollegium, (2) Hierarchieebenen im Kollegium und (3) Haltung des Kollegiums zu den Innovationsmaßnahmen.
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle In diesem Kapitel werden die empirischen Ergebnisse der Datenauswertung dargestellt. Im Sinne der Diskursbeschreibung nach Bohnsack (vgl.Bohnsack 2003, S. 139 ff.) werden die fünf empirischen Demonstrationsfälle des Samples ausführlich mit Textpassagen und den wesentlichen Aspekten, die sich aus der dokumentarischen Interpretation ergeben haben, vorgestellt. Die Auswahl der Passagen orientiert sich an den zentralen Themen der Gruppen. An diesen Transkriptausschnitten wird die Rekonstruktion der jeweiligen Rahmenorientierungen dargestellt. Bei diesen Passagen, die durch eine hohe Beteiligung der Gruppenmitglieder, durch interaktive Dichte und teilweise auch durch eine bildhafte Sprache oder ausführliche Narrationen gekennzeichnet sind, handelt es sich um Fokussierungsmetaphern (vgl.Bohnsack 2003, S. 124, 137 f.). In diesen Sequenzen fokussieren die Diskussionsteilnehmer ihre zentralen Erfahrungen, so dass die primären Orientierungsrahmen der Gruppen hier besonders deutlich werden (ebd.). Die Fallanalysen sind jeweils thematisch und nicht chronologisch im Sinne des eigentlichen Diskursverlaufs gegliedert.
3.2.1 Die Gruppe Weizen Zentrale Themen der Gruppe Weizen sind (1) die Stellung/Rolle des ehemaligen Schulleiters, (2) die Aktivitäten im Rahmen des Schulentwicklungsprozesses und (3) die Unterrichtsentwicklung. Diese Themen wiederholen sich im Verlauf der Gruppendiskussion mehrfach, was deren Relevanz für die Gruppe unterstreicht und einen komparativen Vergleich innerhalb der Gruppe ermöglicht. Rolle des Schulleiters Die Rolle des ehemaligen Schulleiters wird in unterschiedlichen Passagen der Diskussion aufgegriffen. Auf die Eingangsfrage nach dem Verlauf des bisherigen Schulentwicklungsprozesses hin wird als Erstes seine Bedeutung für den Schulentwicklungsprozess thematisiert. Eingangspassage (Z. 4-22): Fm:
Ursprünglich war es die Idee des früheren Schulleiters dass so etwas ins Leben gerufen wurde (wenn ich mich richtig entsinne), der uns des vorgestellt hat.
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle Am: Xm: Am: Bw: Em:
Cw: Em: Cw: Bw:
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Es ging los mit dem ILS-Projekt. mit Schule gestalten; ¬ Mmh. mit Befragungen, ( ) Anfang. Ja. Das is richtig. und die Beteiligung an diesem Projekt hat es erforderlich gemacht dass wir tiefer eingestiegen sind. und dann du hast auch Recht Franz wars unter starken eh (Fort)begehren unseren damaligen Schulleiters. Wobei schon der Wunsch an der Teilnahme auch von dem Schulleiter kam. An dem an dem ILS-Projekt? ja. An dem ILS-Projekt. An dem ILS-Projekt? (2) jaja, des is richtig. (2) aber auch die Idee dann nach dem ILS-Projekt ein gemeinsames Schulprogramm zu erarbeiten des is von unserem früheren Schulleiter ausgegangen. war sehr stark.
Fm geht auf die personalen und organisatorischen Beziehungen ein, an die er sich aber nicht mehr genau erinnert. Er bleibt auf der Suche nach einem Initiationsimpuls auf einer organisatorischen Ebene. Eine inhaltliche Motivation für den Beginn des Schulentwicklungsprozesses, wie z. B. der Bezug zur damaligen Schulsituation, wird nicht genannt (anders z. B. in den Gruppen Mais oder Hirse). Am und Em sowie Cw bleiben ebenfalls auf dieser formalen Ebene und bekräftigen die starke Position des Schulleiters:
Auf Wunsch des Schulleiters erfolgte die Teilnahme am ILS-Projekt. Die Idee, ein Schulprogramm auszuarbeiten, ging „stark“ vom Schulleiter aus.
Mit hoher interaktiver Dichte rekonstruiert die Gruppe den ehemaligen Schulleiter als Initiator und Impulsgeber der Aktivitäten. Indem die Genese des ILSProjekts und die Erarbeitung des Schulprogramms nur durch den Impuls des Schulleiters, aber nicht inhaltlich von den Motiven der Beteiligten und von den Erfordernissen des Schulalltages her begründet werden, wird der Schulleiter auch als Person außerhalb des Kollegiums und der Steuergruppe gekennzeichnet. Dies bedeutet aber auch, dass die Schulentwicklung als ein durch Impulse von außen, genauer: von vorgesetzten Stellen, initiierter Prozess verstanden wird.
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Diese Orientierung an von außen gesetzten Impulsen ist ein erster Hinweis auf die hierarchische Orientierung der Gruppe. Damit kann bereits in der Eingangssequenz ein wesentlicher Aspekt des Orientierungsrahmens der Gruppe, die Orientierung an einer Hierarchie, rekonstruiert werden. In der folgenden Textstelle führt Dm hin zu den Beziehungsstrukturen in der Schule, hier geht es speziell um das Verhältnis des Kollegiums zum Schulleiter. Passage „Position der Steuergruppe“ (Z. 127-140): Dm:
Xm: Dm:
Xm:
(2) Also ne interessante Frage is @(natürlich welche Rolle spielt der Schulleiter)@ und inwiefern hat er dieses Projekt vorangetrieben und teilweise auch geschultert und inwiefern hat das Kollegium mitgezogen und auch mitgeschultert. war ja für uns immer auch die Kernfrage und eh ich denk der Schulleiter hatte ne starke Position und aus der starken Position heraus war er auch Motor. Genau, die treibende Kraft Er war die treibende Kraft. aber ich denk es gibt auch innerhalb des Kollegiums also deshalb sitzen wir ja letztlich auch hier, gab es etliche die da sich engagiert haben und wirklich aus Überzeugung auch da mitgezogen haben. Ja mitgezogen, aber dass das von uns ausgegangen wäre glaube ich jetzt weniger.
Weil der Schulleiter eine starke Position hatte, war er der Motor. Die dominante Rolle, die der Schulleiter nach Dm innehatte, wird hier strukturell, mit seiner Position und damit mit seiner Amtsautorität, begründet und nicht inhaltlich. Es spielt keine Rolle, dass ein Schulleiter sich eine starke Position auch selbst erarbeitet haben könnte. Einerseits war der Schulleiter die „treibende Kraft“, andererseits gab es auch „innerhalb des Kollegiums [...] etliche“, die aus „Überzeugung […] mitgezogen“ haben. Den Gegenhorizont zu den Kolleg(inn)en, die „aus Überzeugung mitgezogen haben“, bilden diejenigen, die entweder nicht aus Überzeugung oder gar nicht mitzogen. Dieser Gegenhorizont wird durch die Betonung von Dm, dass es auch innerhalb des Kollegiums engagierte Kollegen gab, erst richtig evident. Während der Schulleiter als aktiv (treibend) beschrieben wird, haben auch die „engagierten“ Kollegen nur „mitgezogen“. Dm beschreibt das
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
65
Kollegium als ein ausführendes Organ, das im besten Fall mitmacht, aber keine eigenen Impulse setzt. Der Schulleiter hat das Projekt nicht nur vorangetrieben, er hat es „teilweise auch geschultert“. Diese Differenzierung weist darauf hin, dass der Schulleiter auch inhaltlich für das Projekt Verantwortung übernommen und es durch seine Arbeit getragen hat. Deutlich dokumentiert sich eine Distanz der Kolleg(inn)en zu dem Prozess. Es ist nicht ihr eigener, und sie haben ihn sich auch nicht zu eigen gemacht. Weiterhin tritt in dieser Passage das Bild eines aktiven, impulsgebenden Schulleiters und eines reaktiven Kollegiums hervor. Der Schulleiter führt in einer traditionellen Rolle das Kollegium, das mehr oder weniger seinen Vorgaben folgt. In der Differenzierung von Xm „dass das von uns ausgegangen wäre glaube ich jetzt weniger“ wird diese Orientierung validiert. Die Rollenverteilung zwischen Schulleiter und Kollegium bedarf außer der starken Position des Schulleiters keiner weiteren Begründung. Hierin dokumentiert sich wieder eine ausgeprägte Orientierung an Hierarchie, welche es auch plausibel werden lässt, dass die Initiativen nicht von der Steuergruppe, sondern gleichsam von oben kommen. Diese Orientierung an Hierarchie bei den Impulsen für die Schulentwicklungsarbeit konnte in ihrer Ausschließlichkeit nur bei der Gruppe Weizen rekonstruiert werden. Bei den anderen Gruppen ist Orientierung an Hierarchie zwar auch relevant, wird aber durch weitere Orientierungen eingeschränkt. In der folgenden Passage wird noch einmal die Selbsteinordnung der Steuergruppe innerhalb der Hierarchiestruktur der Schule deutlich. Rekonstruiert werden kann an dieser Stelle aber auch die inhaltliche Ausrichtung der Steuergruppe. Passage „Position der Steuergruppe“ (Z. 221-244): Am:
Xm:
Xw: Xm: Cw:
Des is richtig ja. also ich denke was wir unheimlich erreicht ham is ( ) Organisation und von der Struktur her. Auch die Tatsache dass jetzt die siebte oder achte Version des Jahresplans hängt; dass der immer wieder organisiert wird und dass der rauskommt, dass der (Gerold) schon frühzeitig Termine weiß die er dann weitergibt, dass ist auch ne Erleichterung, ja das sind so kleine Sachen. (2) Stimmt, das war ja auch( ) zweigleisig läuft. Das stimmt.
66 Xm: Xm:
Cw: Xm:
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse ( ) gar net denkbar gewesen. Aber das sind natürlich Sachen die Herr Doktor Schmitt (war net so sein) Ziel des is unser Ziel gewesen; wie wir damit umgehen ( ) Er hat die großen Ziele gehabt ne und wir ham die kleinen gehabt. Also wenn man es auf den Punkt bringt in der schulorganisatorischen Schiene und auf der schulorganisatorischen Schiene ham wir einiges erreicht da sind auch Fortschritte da im Sinne der Erleichterung. was die unterrichtlich-inhaltliche Schiene anlangt, ich denk da müssten wir den Zug in @(Bewegung bringen)@ oder erneut in Bewegung bringen und weiterfahren.
Die Arbeitserleichterung auf der „schulorganisatorischen Schiene“, Jahrespläne erstellen, Termin frühzeitig weitergeben, sind die „kleinen“ Ziele, welche die Mitglieder der Steuergruppe hatten – Tätigkeiten, die keine großen Gestaltungsspielräume lassen, andererseits aber auch nicht benötigen. Die „großen Ziele“ überließen sie dem Schulleiter, den sie hier als Herrn „Doktor Schmitt“, also als Akademiker, betiteln. Diese „großen Ziele“ betreffen u. a. auch die „unterrichtlich-inhaltliche Schiene“. Das Gegensatzpaar große Ziele / kleine Ziele korrespondiert mit dem Paar Schulleiter/Steuergruppe. Indem die Steuergruppe sich selbst als klein und den Schulleiter als groß bezeichnet, wird die Beziehungsstruktur deutlich. Sichtbar wird auch die Unverbundenheit der „kleinen“ organisatorischen Tätigkeiten der Steuergruppe mit dem „großen“ Ziel der Veränderung auf der „unterrichtlich-inhaltlichen Schiene“. Unterrichtsentwicklung war weder Aufgabe noch Anliegen der Steuergruppe. Die Verbindung des „großen Ziels“ mit der akademischen Bezeichnung für den Schulleiter, „Herr Doktor“, unterstreicht ebenfalls die Distanz der Steuergruppe zur Unterrichtsentwicklung. Die Anmerkung von Xm, dass sie auf der „unterrichtlich-inhaltlichen Schiene“ den „Zug in Bewegung bringen“ müssten, dokumentiert zum einen, dass die Steuergruppe die Notwendigkeit einer Unterrichtsentwicklung durchaus sieht, zum andern deutet sich aber auch an, dass der neue Schulleiter die bisherige Rollenteilung nicht fortführt, so dass die Steuergruppe nun darüber nachdenkt/sich aufgefordert sieht, dies selbst anzugehen. Der Wechsel in der Schulleitung ermöglicht es der Steuergruppe, sich den Prozess nun zu eigen zu machen und Verantwortung auch für die „großen Ziele“, die Unterrichtsentwicklung, zu übernehmen. An dieser Stelle bleibt dieses Vorhaben zwar noch sehr vage und wird nur
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
67
im Konjunktiv formuliert. Es zeigt sich auch, dass die Steuergruppe die aktuellen Diskussionen im Bereich der Schulentwicklung, etwa die Unterscheidung zwischen Organisationsentwicklung und Unterrichtsentwicklung, kennt, aber auf der handlungspraktischen Ebene noch keinen Umgang damit gefunden hat. Aktivitäten im Schulentwicklungsprozess Breiten Raum nahmen während der Diskussion immer wieder die verschiedenen Aktivitäten ein, die im Rahmen des Schulentwicklungsprozesses durchgeführt wurden. Eingangspassage (Z. 42-71): Dm:
Am: Xm: Dm:
Xm: Dm:
Am: Gm:
Am:
Xw:
Also es gab ja noch von außen den Anstoß, also vom Träger; des war achtundneunzig neunundneunzig zweitausend um den Dreh. Qualitätsmanagement. ( ) Aber das hat für die Schulentwicklung (.) bloß a geringe Rolle gespielt oder? ( ). Doch doch. es gab Anstöße und wir waren dann auch für den Träger auch Pilotschule um dieses Qualitätshandbuch zu führen Richtig. und da waren wir Piloteinrichtung, das war der Impuls auch von außen und die Anforderung des Trägers ( ) an unsere Schule. AberEs gab aber auch an pädagogischen Studientag da ham mer so einzelne Punkte bearbeitet; da war zum Beispiel die Lehrerkonferenz ein Thema da is dann diese Hausordnung draus entstanden und die Lehrerkonferenz unten in dem Mehrzweckraum und da waren noch andere Arbeitsgruppen die sich konkret mit Sachen aus dem Schulleben beschäftigt ham; mir fällt jetzt bloß die Lehrerkonferenz und die Hausordnung ein. Was ham mer denn da noch gemacht? Aber ich denk des Qualitätsmanagement hat nicht so die große Rolle gspielt weil da immer bloß nur wenige mit beschäftigt waren und insofern des zwar mitgekriegt ¬ Mmh.
68 Am:
Xm: Bw:
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse ham dadurch dass halt der erste Tag zum Beispiel für die Fünftklässer geregelt is und so was; aber ich denk des war net des was wir in der Steuergruppe so gemacht ham. ( ) Es war im Hintergrund. Aber es hat profitiert davon ne.
Als weiteren initiativen Impulsgeber für den Schulentwicklungsprozess bringt Dm den Träger der Schule ins Spiel, der „von außen den Anstoß“ für Qualitätsmanagement gab. Hieraus entwickelt sich ein antithetischer Diskurs zwischen Am einerseits und Dm und Xm andererseits. Die Kontroverse dreht sich um die Bedeutung des Qualitätsmanagements für die Schulentwicklung. Dm weist darauf hin, dass hinsichtlich des Qualitätsmanagements die Schule für den Träger Pilotschule war. Die Betonungen „Pilotschule“ und „Piloteinrichtung“ zeigen, dass für Dm die Auswahl der Schule eine Auszeichnung darstellt. Hierdurch werden die Stellung und das Renommee der Schule verbessert. Weiterhin ergibt sich die Möglichkeit, durch die externen Anforderungen des Trägers weitere Impulse für die schulische Weiterentwicklung zu erhalten. Gm behandelt das Oberthema „Was war [...] des Zentrale?“ nun unter dem Aspekt des Verhältnisses von Schulentwicklung und Qualitätsmanagement. Als Gegenhorizont zum Qualitätsmanagement beschreibt er einen pädagogischen Studientag, an dem „so einzelne Punkte“ bearbeitet wurden. Er erinnert sich allerdings nur noch an die Themen Lehrerkonferenz und Hausordnung. Der Versuch, inhaltliche Elemente oder Schwerpunkte des Schulentwicklungsprozesses zu benennen, gelingt nur bruchstückhaft und wird nicht weitergeführt. Die Themen, an die sich Dm erinnert, sind keine Themen der Unterrichtsentwicklung, sondern bleiben auf dem organisatorischen Bereich beschränkt. In dem sprunghaften Wechsel vom Thema Qualitätsmanagement zum pädagogischen Studientag dokumentiert sich, dass die Gruppe den zentralen Inhalt ihres Schulentwicklungsprozesses noch nicht gefunden hat. Propositional und performativ kommt in dieser Passage eine gewisse Strukturlosigkeit insofern zum Ausdruck, als es nicht gelingt, das Zentrale herauszuarbeiten. Die Darstellung zerfällt in Details, die bruchstückhaft aneinandergereiht werden. Diese sich in der antithetischen Diskussion abbildende Strukturlosigkeit dokumentiert eine fehlende Kohärenz der Ausrichtung des Schulentwicklungsprozesses sowie ein fehlendes gemeinsames Verständnis von Schulentwicklung. Es bleibt die Orientierung an Außenimpulsen, hier an der „Anforderung des Trägers“.
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
69
Nachdem es nicht gelungen ist, auf dem Wege der Bestimmung von Präferenzen und Schwerpunktsetzungen eine Ordnung und Struktur in die eigene Arbeit zu bringen, schlägt Dm eine chronologische Ordnung vor. Eingangspassage (Z. 94-122): Dm:
Bw: Dm: Bw: Dm: Bw: Dm: Bw: Dm. Bw: Dm: Xm: Xm: Xw: Dm: Bw:
Dm: Xw: Dm:
Wir könnten das doch auch mit Jahreszahlen versehen also fünfundneunzig Einstieg eh Schule gestalten ILSProjekt als eine von fünf Schulen Gymnasien in Bayern wir ham dran teilgenommen und dann hat sich drei Jahre später drei Jahre später hat sich doch dann ham wir den pädagogischen Studien gemacht ham wir den pädagischen Studientag gemacht zum Thema Schulprogramm Schulprogramm genau. und ham uns da auf den Weg gemacht Schulprogramm entwickelt und das war dann n Jahr später ham wirs auch nochmal gehabt als Thema In Umrissen fertig und seitdem ham wir doch Elemente eines Schulprogramm Genau. und des war in der zeitlichen Abfolge und dann war kam der (Freudetalpreis) Ja des war zweitausend. Jaja, zweitausend genau. Genau. Der Freudetalpreis und dann hat uns der Preis des Ministeriums gelockt. hat uns gelockt @( )@. Genau. und darauf haben wir uns auch vorbereitet und das ham wir auch beim Studientag gemacht. stimmt des stand im Zentrum dann. ( ) und das war ja der Höhepunkt dann zwotausendzwo. Zwei. ( ) Zwotausendzwei. das ist die Chronologie jetzt.
Mit dieser chronologischen Strukturierung entzieht sich die Gruppe endgültig der Thematisierung inhaltlicher Aspekte des Schulentwicklungsprozesses. Als erste eigene Motivation (neben derjenigen, Aufwand und Arbeit einzusparen) wird nun der Preis des Kultusministeriums genannt. Der Anstoß hierfür
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
kam durch einen anderen Preis, der einfach so „kam“, auf den man also nicht gezielt hingearbeitet hatte. Sich in dieser nahezu ausschließlichen Weise durch einen Preis motivieren zu lassen, ist wiederum Ausdruck einer starken Steuerung durch Impulse von außen. Bw beschließt das von ihr selbst initiierte Thema der Suche danach, was zentral für sie war, mit dem Hinweis, dass die Orientierung am Preis im „Zentrum“ stand. Dm und Xw bestätigen dies, indem sie diesen Zeitraum als „Höhepunkt“ bezeichnen. Unterrichtsentwicklung Das Thema Unterrichtsentwicklung wird von der Gruppe nur sehr zögerlich diskutiert. Darin dokumentiert sich, dass der Fokus der Gruppe im Schulentwicklungsprozess auf der Organisationsentwicklung und nicht auf einer inhaltlich begründeten Unterrichtsentwicklung liegt. Durch die sehr bildhafte Sprache, in der sie dieses Thema bearbeitet, weist sie aber auch auf die Relevanz des Themas hin. Passage „Unterrichtsentwicklung als neuer Schwerpunkt“ (Z. 241-272): Xm:
Am:
Bw: Am: Bw: Am:
Bw: Am:
[…] Was die unterrichtlich-inhaltliche Schiene anlangt, ich denk da muessten wir den Zug in @(Bewegung bringen)@ oder erneut in Bewegung bringen und weiterfahren. Also ich weiß net wir ham doch einiges was den Unterricht betrifft einiges an Neuerungen ( ); ihr Freiarbeit in Biologie, ich hab in Mathe und Physik, anderen Fächern Stationenarbeit hab inzwischen lange Erfahrung; es sind inzwischen Anfragen da ob man sowas mal ausstellen kann, na mit Lehrkräften vorführen kann hat ne andere Schule angfragt, also ich denk da ham mer schon einiges geleistet; Aber ich denk es sind punktuelle Sachen. also ich denk Unterrichtsentwicklung ( ) War nie unser zentrales Thema. Das ist richtig; aber es ist trotzdem entstanden und des is was des is ein sehr langwieriger Prozess, weil dass das was du verändern musst Das hat natürlich mit den Strukturen zu tun. Das hat auch viel mit den Strukturen zu tun in die wir eingepresst sind sozusagen und ich denk des is jetzt
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
Bw: Am:
Bw: Xm: Bw:
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einfach des schulweit jeder macht jetzt plötzlich etwas anderes des ( ). Nee, des des kannst ja auch nicht. Des is so ein schleichender Prozess, wo man einfach sich am anderen orientiert, der hat des schon mal ausprobiert des schau ich mir jetzt mal an und dann nimmt des a bissle mehr ( ) also ich denk das geht schon sehr langsam. aber ich denk Anfänge sind gemacht und es is sicher noch ein weiter Weg um des ja weiter fortzuführen. Ich denk des is unser neuer Schwerpunkt; ne, Mmh. Da müssen wir uns jetzt drauf konzentrieren.
Xm führt das Thema Unterrichtsentwicklung ein, indem er das Bild eines Zuges verwendet, der (erneut) in Bewegung gesetzt werden müsste. Die Einschränkung „erneut“ und das Bild des Weiterfahrens weisen darauf hin, dass im Bereich der Unterrichtsentwicklung schon auch Aktivitäten entwickelt wurden. Am arbeitet in einer antithetischen Differenzierung die schon erfolgten Aktivitäten als Gegenposition zu Xm heraus: Er elaboriert seine Position durch Beispiele und verweist darauf, dass selbst von anderen Schulen Anfragen hinsichtlich ihrer Unterrichtsentwicklungsprojekte kommen. Mit diesem Hinweis auf die Anfragen unterstreicht er die Güte der bisher geleisteten Arbeit. Es dokumentiert sich, dass Am die bisherige Unterrichtsentwicklungsarbeit an der eigenen Schule nicht genügend gewürdigt sieht. Bw stützt Xm mit dem Hinweis, dass dies nur punktuelle Aktivitäten gewesen seien und dass Unterrichtsentwicklung kein zentrales Thema für die Schule war. Hier dokumentiert sich zum einen die Außenorientierung der Gruppe, denn von außen werden nicht nur die Impulse für die Schulentwicklungsarbeit aufgenommen, auch die Würdigung der bisherigen Arbeit muss durch Externe erfolgen. Es dokumentiert sich aber auch das Fehlen einer gemeinsamen Vorstellung von Unterrichtsentwicklung. Der Versuch einer Synthese gelingt erst nicht so recht, da Am darauf besteht, dass „trotzdem“ etwas entstanden sei, und er dies auch gewürdigt sehen will („und des is was“). Die Annäherung von Ams Position, punktuelle Aktivitäten sind etwas, und der Position von Bw, punktuell ist noch keine Unterrichtsentwicklung, aneinander gelingt über die Anmerkung, dass „trotzdem“ etwas entstanden ist. Am ermöglicht damit eine Einigung auf schwierige Strukturen; auf dieser Ebene gelingt nun die Synthese.
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Indem Am nicht auf das Thema Unterrichtsentwicklung eingeht, sondern auf den langwierigen Prozess verweist, weicht er aber auch dem Thema aus und verlässt die konkrete Handlungsebene, er diskutiert abstrakte Probleme. Dies kann als ein Hinweis darauf interpretiert werden, dass Am wohl bewusst ist, dass Unterrichtsentwicklung noch nicht sehr systematisch angegangen wurde. Bw vollzieht den von Am vorgenommenen Themenwechsel mit dem Hinweis auf „Strukturen“ nun auch begrifflich. Am bestätigt dieses Thema und äußert verstärkend, dass man in die Strukturen „eingepresst“ sei. Diese von außen gesetzten Strukturen wirken hemmend auf die Aktivitäten, die die Gruppe aus inhaltlichen Gründen bearbeiten möchte. Unterrichtsentwicklung ist erst einmal schwierig aufgrund extern vorgegebener Strukturen. Deutlich wird noch einmal, dass Unterrichtsentwicklung bis jetzt nicht systematisch in Angriff genommen wurde. Auch die Anmerkung, dass „schulweit [...] jetzt plötzlich“ jeder etwas anderes mache, bestätigt die Einschätzung, dass eher individuell, unkoordiniert und auch willkürlich vorgegangen wird. Anhand der Einigung auf der Ebene der Organisation kann eine Orientierung der Gruppe an Strukturen rekonstruiert werden. Am leitet die Konklusion des Themas ein, indem er das Bild des schleichenden Prozesses noch einmal heranzieht, und mit den Hinweisen, dass es zwar sehr langsam gehe, aber Anfänge gemacht seien und es sicher noch ein weiter Weg sei. Bw beschließt das Thema und bestätigt Unterrichtsentwicklung als neuen Schwerpunkt. In dieser Passage werden konkrete Inhalte (Freiarbeit, Stationenarbeit) als Schul- bzw. Unterrichtsentwicklungsaktivitäten genannt und diese Inhalte werden auf Personen bezogen („ich hab [...]“, „ihr Freiarbeit“). Dies dokumentiert die eigene Betroffenheit beim Thema Unterrichtsentwicklung und zeigt, dass zumindest mehrere Lehrkräfte in den Prozess eingebunden sind. Dieser neue Schwerpunkt Unterrichtsentwicklung und die sich daraus ergebenden neuen Anforderungen an die Steuerung des Prozesses für die Steuergruppe werden im folgenden Textausschnitt ebenfalls thematisiert. Passage „Unterrichtsentwicklung als neuer Schwerpunkt“ (Z. 281-313): Xm:
Aber ich denk da is der Zug weitergefahren ne, etz um a paar Stationen schon weiter. nochmal zum Thema Unterrichtsentwicklung; ich glaub was auf jeden Fall was bewirkt hat dass wir da begonnen haben dass wir es nicht nur thematisieren sondern dass wir es auch ab und zu ausprobieren in bestimmten Bereichen dass da erste Versuche gemacht worden sind; ich möchte des
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
Xm:
Bw:
Xm: Bw: Xm:
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unterstreichen was der ( ) gesagt hat, es ist nicht zu verallgemeinern. eh ich denke dass sind Entwicklungen die auch differenziert zu sehen sind einfach. in den einzelnen Unterrichtsfächern sind andere Ansätze da, wir machens ja auch in den Fachsitzungen mittlerweile zum Thema, und ich glaub das kommt auch aus diesem (.) Steuergruppenbereich mit heraus aus diesem Bereich da von dieser Schulentwicklung dass man da jetzt erste Erkenntnisse hat und ich denkt daran eine unserer Hauptanliegen war immer drüber nachzudenken wie kriegen wir die Gedanken die der kleinen Steuergruppe vermittelt werden auf das gesamte Kollegium; wie gehts da weiter, und ich glaub da ham wir auch schon gewisse Anstöße gesetzt, wir sind noch nicht soweit dass wir damit zufrieden sein können da muss glaube ich noch ein bisschen mehr getan werden aber des geht glaub ich los langsam. (3)( ) in Zukunft(.) wir könnten da jetzt auch den Impuls von außen nutzen; es gibt einen neuen Lehrplan fürs Gymnasium der sieht viel Spielraum vor für die einzelnen Fächer und da könnte man wenn man das geschickt anpackt auch sehr viel im Hinblick auf Unterrichtsentwicklung der Kernfächer vorantreiben, vor allem Deutsch, Englisch und Mathematik. Nur ich denk es müsste dann a bissl mehr vernetzt werden auch mit vielleicht Fachbetreuersitzung; weil sonst sind da verschiedene GremiumJaja. die da so nebeneinander herlaufen und eh die müssen sich ein stückweit befruchten auch gegenseitig. Ja.
Xm macht deutlich, dass er die Diskussion um die Vergangenheit nicht mehr weiterführen will, und betont die Wirkung des „Ausprobierens“, des aktiven Handelns im Bereich der Unterrichtsentwicklung. Für ihn ist es wichtig, zu differenzieren und unterschiedliche Ansätze gelten zu lassen. Die Thematisierung der Unterrichtsentwicklung in den Fachsitzungen, die er als Beispiel für Differenzierung anführt, zeigt deutlich, wie vorsichtig die Steuergruppe das Thema Unterrichtsentwicklung angeht. Auf keinen Fall soll der Eindruck entstehen, dass dem
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Kollegium etwas vorgegeben wird, dass man sich in den ureigenen Bereich einer Lehrkraft, das Unterrichten, einmischt. Die Steuergruppe beachtet hier sowohl die individuelle Autonomie der einzelnen Lehrkraft wie auch die hierarchische Struktur der Schule. Über Unterricht wird in den Fachschaften diskutiert, der Ansprechpartner im Hierarchiegefüge ist der Fachleiter / die Fachleiterin. Abgesichert wird dieses Handeln durch den Hinweis von Xm auf „erste Erkenntnisse“ aus dem „Steuergruppenbereich“ der Schulentwicklung. Es wird nicht ausgeführt, um welche Erkenntnisse es sich handelt, als Begründung genügt der allgemeine Hinweis auf die Theorie. Die Handlungen werden wieder nicht durch eigene Notwendigkeiten oder Motive begründet, sondern durch externe Impulse. Xm formuliert die Orientierung an externen Impulsen explizit als eines „unserer Hauptanliegen“. Denn für die Gruppe war es wichtig, „immer drüber nachzudenken wie kriegen wir die Gedanken die der kleinen Steuergruppe vermittelt werden auf das gesamte Kollegium“. Damit definiert er auch die Rolle der Gruppe, sie gibt die Impulse von außen an das Kollegium weiter. Der reaktive Charakter dieser Gruppe kann hier deutlich rekonstruiert werden. In ihrem Selbstverständnis reicht sie als Vermittler Inhalte der Schulentwicklungsliteratur an das Kollegium weiter. Diese Inhalte werden jedoch nicht mit eigenen Bedürfnissen oder Interessen begründet. Auch für die Unterrichtsentwicklung werden Impulse von außen benötigt, sei es als Legitimation der Arbeit der Steuergruppe oder überhaupt als Anstoß, auch in diesem Bereich tätig zu werden. Xm bestätigt diese Interpretation durch den Hinweis, dass jetzt auch der neue Lehrplan eine Möglichkeit darstellt, die Unterrichtsentwicklung voranzutreiben. Deutlich wird aber auch, dass der Informationsfluss immer nur unidirektional, von außen über die Steuergruppe an das Kollegium, angelegt ist. Die Interessen, Bedürfnisse, aber auch das Wissen des Kollegiums spielen in den Ausführungen der Gruppe keine Rolle. Die Einschränkung von Bw, dass dann „a bissl mehr vernetzt“ werden muss, zeigt, dass die Steuergruppe sich sehr wohl der Problematik einer beliebigen inhaltlichen Themensetzung ohne Zusammenhang bewusst ist. Dass sich die verschiedenen Gremien (u. a. Steuergruppe und Fachbetreuer) gegenseitig befruchten müssen, weist zum einen auf ein Misstrauen gegenüber den Fachbetreuer(inne)n hin. Ihnen wird nicht zugetraut, systematische Unterrichtsentwicklung durchzuführen, ohne sich mit Schulentwicklung beschäftigt zu haben. Zum anderen wird auch das Hierarchieproblem aufgezeigt. Die Fachbetreuer(innen) haben in der Struktur einer Schule ihre definierte Position. Sie sind den Lehrkräften übergeordnet und damit auch legitimiert, Anweisungen bzw. Anregungen zur Unterrichtsentwicklung zu geben. Das Problem für die Steuergruppe besteht nun darin,
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
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wie sie die Fachbetreuer(innen), ihre Vorgesetzten, „beraten“ können, ohne dass deren Führungsrolle in Frage gestellt wird. Die einfache Beendigung des Themas drückt eine gewisse Ratlosigkeit aus. Man ist sich der Problematik bewusst, weiß aber keinen Weg. Die lange Pause (neun Sekunden) bestätigt, dass niemand das Thema Lehrerautonomie bzw. Unterricht weiter diskutieren will. Zusammenfassung In der Selbstverständlichkeit, mit der die Steuergruppe davon ausgeht, dass die wesentlichen Impulse und Strukturierungsvorgaben vom Schulleiter kommen, zeigt sich eine ausgeprägte Orientierung an Hierarchie. Um die „großen Ziele“, die Inhalte, kümmert sich der Schulleiter. Die Steuergruppe selbst kümmert sich um die „kleinen Ziele“, die Arbeitserleichterung. Das bedeutet aber auch, dass sie sich wesentlich mit ihren eigenen Belangen befassen. Die Ausführungen zur Rolle der Schulleitung weisen auf eine hierarchisch strukturierte und traditionell/autoritär geführte Schule hin, in der die Steuergruppe ohne Konflikte mit dem Schulleiter nur auf Impulse von außen bzw. von oben hin handelt. Der Bereich der Unterrichtsentwicklung wird ebenfalls dem Schulleiter als Aufgabe zugerechnet. Obwohl dieser Bereich die originäre Aufgabe einer Lehrkraft ist, finden sich keine Hinweise auf Diskussionen darüber im Kollegium. In der zögerlichen Haltung gegenüber der Unterrichtsentwicklung und in der Betonung der Individualität der Lehrkräfte zeigt sich, dass die Gruppe sich den anderen Lehrkräften gleichgestellt fühlt und die Autonomie der einzelnen Lehrkräfte akzeptiert. Auch dies ist ein Hinweis auf die Einfügung der Gruppe in die hierarchischen Strukturen und auf ihre reaktive Haltung. In der Zusammenschau der Diskussion kann Hierarchie als zentrale Rahmenorientierung rekonstruiert werden:
Die Gruppe reagiert wesentlich auf Impulse von außen, genauer: von oben. Sie ist fokussiert auf Außenimpulse, die Übermittlung erfolgt auf hierarchischem Weg. Die dominante Ausrichtung der Gruppe ist die Orientierung an der Hierarchie. Dieses grundlegende Orientierungsmuster kann über verschiedene Themen hinweg rekonstruiert werden.
Die folgenden, spezifischeren Orientierungen lassen sich der Rahmenorientierung Hierarchie unterordnen.
Motive für die eigene Arbeit sind der Versuch, Arbeitserleichterungen zu erreichen, sowie das Gewinnen von Preisen. Letzteres ist wiederum Aus-
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse druck einer Orientierung an von außen gesetzten Impulsen. In diesen beiden Aspekten manifestiert sich eine Akzeptanz der und eine Eingliederung in die Hierarchie. Man beschränkt sich auf seinen untergeordneten Handlungsbereich und ist nicht um eine Erweiterung des Aktionsradius und um mehr Verantwortungsübernahme bemüht. Die Orientierung an Wettbewerben zeigt ein Bestreben, von außen bzw. oben gesetzte Erwartungen zu erfüllen, sowie die Akzeptanz und Inkorporation externer Maßstäbe. Der Versuch einer inhaltlich sinnhaften Strukturierung der eigenen Aktivitäten im Sinne von Schwerpunktsetzungen gelingt nicht. An diese Stelle tritt eine chronologische Darstellung der eigenen Aktivitäten. Es dokumentiert sich eine fehlende inhaltliche Zielklarheit. Darin, dass die Gruppe nicht auf Inhalte und inhaltliche Notwendigkeiten des Schulentwicklungsprozesses eingeht, sondern auf die formalen und organisatorischen Anforderungen, zeigt sich ihre Fokussierung auf die Struktur, die Organisation. Diese Struktur ist eine hierarchische und wird nicht in Frage gestellt. Auch der Schulentwicklungsprozess der Gruppe ist organisational-strukturell motiviert und nicht inhaltlich begründet. Daraus ergibt sich für die Steuergruppe auch dessen Ausrichtung auf Organisationsentwicklung mit dem Schwerpunkt auf der Arbeitserleichterung. Unterrichtsentwicklung wird nur zögernd diskutiert, und immer unter Beachtung der Hierarchie-Ebene. Beim Verhältnis der Steuergruppenmitglieder zum Kollegium wird das nicht vorhandene Hierarchiegefälle bedacht und die Autonomie der einzelnen Lehrkräfte berücksichtigt: Man mischt sich nicht in den Unterricht eines Kollegen, einer Kollegin ein. Indem man bei der Unterrichtsentwicklung den Weg über die Fachleiter gehen will, wird deren hierarchisch höhere Position berücksichtigt und ein hierarchisch legitimierter Weg eingeschlagen.
3.2.2 Die Gruppe Gerste In der Gruppendiskussion der Gruppe Gerste sind diejenigen Passagen stark fokussiert, in denen die Gruppe (1) sich mit ihrer eigenen Rolle/Aufgabe auseinandersetzt, (2) das Verhältnis zum Schulleiter und dem Kollegium diskutiert und (3) sich mit der Frage beschäftigt, was Schulentwicklung eigentlich ist. Rolle des Schulleiters Direkt nach dem Eingangsimpuls „Was ist so alles passiert ist im Laufe ihrer Schulentwicklung?“ thematisiert die Gruppe Gerste die Rolle des Schulleiters. Ähnlich wie bei der Gruppe Weizen geschieht dies sofort in der Eingangspassage.
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
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Eingangspassage (Z. 3-22): Dw: Cw:
Dw: Cw: Bm: Cw: Bm: Cw: Dw: Bm:
Dw: Cw: Bm:
Cw: Em: Cw:
Mhm.(.) °dann müssten wir erst a mal wissen wann sie angefangen hat?° Na vor sieben Jahren ham wir festgestellt. war so a des was wir des letzte Mal zusammengestellt ham mit dem Chef war so die letzte Zeit ab sieben. als er begonnen hat mit dem Seminar und ne, ¬ Ja und diese allererste große Konferenz die mir moderieren ham lassen. Die erste Umfrage ja. Na ja des sieht er so. ¬ Des sieht er so. Dass die Schulentwicklung damit begonnen hat dass er kam. @( )@ @Ja. gut. gut wir waren vorher da aber@ @( )@ Ich denk da da hat sich vorher schon a was getan ne, da gab es diesen diesen pädagogischen Arbeitskreis aus dem dann die Freiarbeit hervorgegangen ist, zum Beispiel Des war eigentlich des war sowas wo’s wirklich was sich gebündelt hat. °War des vorher schon?° Des war vorher ja. des war noch unter Barolo ja. des kam so aus ner aus ner gewissen Unzufriedenheit raus auch. aufgrund dieser dieser Situation Kollegium Direktorat. (.) Mhm Mhm. °Also die eigentlichen Impulse kamen dann schon mit Beginn des Seminars.° Mit dem Seminar ja.
Dw schlägt durch eine rhetorische Frage vor, den Zeitpunkt zu rekonstruieren, zu dem der Schulentwicklungsprozess begann. Cw nennt einen Zeitpunkt (vor sieben Jahren) und verstärkt diese Angabe durch den Hinweis auf eine Zusammenstellung, die mit dem „Chef“ erarbeitet wurde. Sie nennt aber nicht nur den Zeitpunkt, sondern auch ein Ereignis, das Seminar, mit dem „er“ begann, und verweist somit noch einmal auf den Schulleiter als Initiator. Dw bestätigt dies mit einer Konferenz als weiterem Beispiel. Durch diesen definierten Zeitpunkt in
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
der gemeinsam mit dem Schulleiter erarbeiteten und damit auch abgestimmten Dokumentation bekommt die Schulentwicklung einen offiziellen Charakter. Der externe Moderator dieser Veranstaltung unterstreicht diesen offiziellen Beginn. Der Hinweis von Bm, dass hier nur die Sichtweise des Schulleiters wiedergegeben worden sei und dass schon bevor der Schulleiter kam, Schulentwicklung stattgefunden habe, wird von Cw mit der Bemerkung „Gut wir waren vorher da“ ins Lächerliche gezogen und somit relativiert. Im folgenden antithetischen Diskurs arbeitet die Gruppe nun ihre Perspektive und ihre Rolle bei der Initiierung und Gestaltung des Schulentwicklungsprozesses heraus. Dabei zeichnen sich schon in der Eingangspassage Distanz und Konkurrenz zwischen Schulleiter und Steuergruppe ab. Hinter der Frage, wer den Schulentwicklungsprozess initiiert hat, steht der Anspruch der Steuergruppe, im Kontext von Schulentwicklung auf der gleichen Ebene wie der Schulleiter zu agieren. Das Muster „vorher – nachher“ kann stellvertretend für die Frage „er oder wir“ gesehen werden, und schon hier deutet sich – wie bei der Gruppe Weizen – die Relevanz der Hierarchiefrage für die Gruppe an. Wie wichtig die Hierarchiefrage für die Gruppe Gerste ist, zeigt sich auch in der folgenden Passage. Hier beschreibt und bewertet die Gruppe das Führungsverhalten des neuen Schulleiters im Vergleich zu dem des alten Schulleiters. Passage „Arbeitsaufwand für die Schulentwicklung“ (Z.817 – 847): Y: Am:
Können Sie des noch ein bisschen ausführen was sich so verändert hat in der Schulleitung jetzt? Na in der Schulleitung hat sich des verändert dass wir vorher im Prinzip ja also muss ma noch weiter ausholen. wir hatten vorher wie soll ma sagen an sehr patriarchalischen Chef der im Prinzip alles im Alleingang entschieden hat. ich vermute mal einfach ich hab da kein Einblick aber ich vermute mal einfach dass es irgendwelche Abstimmungsprozesse oder oder dass man sich mit einander beraten hat wie wie man Prozesse angeht net gegeben hat. der Schulleiter hat entschieden. Und hat auch den Mitarbeitern im Direktorat gesagt was entschieden worden ist. vermute ich jetzt einfach aber is Spekulation. ich weiß net ob ihr es anders seht. Und dann kam ein neuer Schulleiter und es hat sich schon äh deutlich einiges getan im Umgang. des muss man einfach sagen des is ein ganz ganz anders Arbeiten. aber auch da äh is es schon so
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
Xw: Am:
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dass man immer wieder drauf hinweisen muss dass vielleicht Dinge vielleicht auch gemeinschaftlich besprochen werden. Aber es wird besser. also des würd ich sagen is auch ein kleiner Erfolg dann wenn man der vielleicht dann da is. und insofern war des dann ein erster Schritt äh in der Schulleitung dann auch dann Schulentwicklung irgendwo zu verankern und des zum Aufgabenbereich auch in der Schulleitung zu machen ne, dass man net einfach sagt na ja gut jetzt machen wir irgendwann auch noch des. sondern äh wie sich des jetzt natürlich wieder von der Arbeitszeit her auswirkt und ob da einfach irgendwo was drauf gepackt ist des kann ich jetzt a net beurteilen im Endeffekt. des is klar. Mhm. Weil die Stellen sind ja nicht mehr geworden des muss man einfach sehen und a die Entlastungsstunden sind nicht mehr geworden.(2)
Mit der Charakterisierung der Arbeitsweise des früheren Schulleiters beschreibt Am einen Gegenhorizont zu einem in seinen Augen adäquaten Schulleitungshandeln. Dieser Gegenhorizont ist gekennzeichnet durch Intransparenz von Entscheidungsprozessen, durch alleinige, einsame Entscheidungen des Schulleiters sowie durch das Verkünden dieser Entscheidungen. Insgesamt wird ein autoritärer Führungsstil beschrieben, bei dem nicht nur für das Kollegium, sondern auch für den „Mitarbeitern im Direktorat“ keine Mitwirkungsmöglichkeit gegeben war. Unter dem aktuellen Schulleiter solche Möglichkeiten immer wieder eingefordert werden, aber sie sind prinzipiell erreichbar. Diese Beteiligung an Entscheidungsprozessen wird als „kleiner Erfolg“ betrachtet. Vor der Folie dieses Gegenhorizontes kann Ams Bild einer angemessenen Führung rekonstruiert werden: Ein solcher Führungsstil ist gekennzeichnet von Abstimmungsprozessen, Beratungen, gemeinsam getragenen Entscheidungen. Er ermöglicht die Mitwirkung des Kollegiums. In dieser Passage dokumentiert sich aber auch, dass die Gruppe von der Schulleitung erwartet, nicht nur Mitwirkung zu ermöglichen, sondern Schulentwicklungsprozesse aktiv zu fördern und zu unterstützen. Gefordert wird von der Schulleitung, die zeitliche Belastung, die ein Schulentwicklungsprozess mit sich bringt, zu berücksichtigen. Der Gruppe geht es nicht um Arbeitserleichterungen in ihrem eigenen, individuellen Arbeitsbereich, sondern darum, die Arbeit an der Schulentwicklung nicht noch als Zusatzaufgabe mit der
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
entsprechenden Belastung zu erhalten. Hier ist ein deutlicher Unterschied zur Gruppe Weizen festzustellen, die vor allen Dingen ihre eigene Arbeitsentlastung als Ziel der Bemühungen sieht (vgl. Gruppe Weizen die Passage Position der Steuergruppe, Z. 221-244 und Zusammenfassung). Die Forderung an die Schulleitung, Schulentwicklung auch durch sichtbare Entscheidungen mit zu tragen, z. B. durch Berücksichtigung von Schulentwicklungsaufgaben in der Schulleitung, dokumentiert, dass diese Gruppe ihren Schulentwicklungsprozess bisher als weitgehend autonom und losgelöst von der Schulleitung durchgeführt sieht. Nach ihrem Verständnis ist Schulentwicklung demokratisch und als Bottom-up-Prozess angelegt, der aber einer Verankerung in der Schulleitung bedarf. Die Schulleitung muss Freiräume für eine partizipative Schulentwicklung schaffen. Der Aufgabenbereich der Schulleitung wird also nicht in der inhaltlichen Ausgestaltung des Schulentwicklungsprozesses gesehen, sondern darin, die organisatorischen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass keine zusätzlichen Belastungen entstehen. Hier wird ein maximaler Kontrast zur Gruppe Weizen deutlich. Während die Gruppe Weizen die inhaltliche Gestaltung an den Schulleiter abgibt und sich auf eigene Arbeitserleichterungen beschränkt, fordert die Gruppe Gerste Mitwirkungskompetenzen ein und weist dem Schulleiter die Aufgabe zu, den Schulentwicklungsprozess durch geeignete organisatorische Rahmenbedingungen zu unterstützen, in denen Mitwirkung geleistet werden kann. Das Muster „er oder wir“ wird von der Gruppe weiter aktualisiert. Wiederum besteht sie auf Gleichstellung mit dem Schulleiter und beanspruchen darüber hinaus für die Schulentwicklung eine inhaltliche Gestaltungsautonomie. Die Beanspruchung der Teilhabe an der Macht ist für die Gruppe auch ein Absichern ihrer Autonomie gegenüber dem Schulleiter. Im Unterschied zur Gruppe Weizen (vgl. Gruppe Weizen, Passage Position der Steuergruppe, Z. 127-140) wird im Bezug auf den Schulentwicklungsprozess eine Führungsfunktion des Schulleiters alleine qua Amtsautorität nicht akzeptiert. Die Orientierung der Gruppe an Partizipation bzw. an Integration in die Leitung, begründet durch die sich zugeschriebene Kompetenz, stellt einen im Hierarchiegefüge der Schule strukturell nicht einlösbaren Anspruch dar. Dieser Widerspruch zwischen faktischer Macht und inhaltlicher Kompetenz erzeugt den Spannungsbogen zwischen dem Schulleiter und der Steuergruppe. Was ist Schulentwicklung? Die Abarbeitung am Begriff Schulentwicklung nimmt breiten Raum in der Diskussion der Gruppe Gerste ein. Ihr Verständnis von Schulentwicklung wird unter drei Gesichtspunkten ausdifferenziert.
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
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Passage „Nutzen des Begriffes Schulentwicklung“ (Z. 125-142): Em:
Cw: Em: Cw: Am:
Bm: Am: Dw: Cw: Dw: Cw:
Wobei des Wort Schulentwicklung eigentlich also wenn ich mich jetzt erinnere äh wie er’s die letzen 2 Jahre wenn es hoch kommt. Ja eben. Als Begriff unter gekommen is. ¬ Als Begriff da is. Als systematischen Prozess vor allen Dingen nä, des is ja des Entscheidende. wir ham halt bis jetzt immer so an verschiedenen Stellen rumgewurschtelt. und wurschteln immer noch rum. Ja. ich weiß net ob des dadurch dass wir einen Begriff dafür haben systematischer geworden ist. Nee. Nee. aber man siehts bewusster. also ich hätte früher nie für uns in Anspruch nehmen ¬ Ich ordne die Dinge anders ein jetzt ja. ¬ traun dass mir des versuchen. @(.)@ Ja.
Em und Cw bringen als neues Thema den Begriff Schulentwicklung ein und weisen auf die kurze Zeit hin, seit der er bekannt ist. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff ermöglicht die Verständigung über eine subjektive Theorie von Schulentwicklung. Für Am ist Schulentwicklung vor allen Dingen ein „systematischer Prozess“, den er vor dem Gegenhorizont des „Rumwurschtelns“ hervorhebt. Die Systematisierung von Schulentwicklung wurde schon in der Eingangspassage (vgl. Z. 38-45) thematisiert. Wieder kommt es zur Unterscheidung „vorher – nachher“, jetzt genauer zur Ausdeutung der Differenz: „vorher“ entspricht unsystematisch, ist „rumgewurschtelt“, und „nachher“ bedeutet einen systematischen Prozess. Das kommunikative Wissen über Schulentwicklung (Schulentwicklung als systematischer Prozess) steht im Gegensatz zur eigenen Praxis, dem Rumwurschteln. Durch die interaktiv erarbeitete antithetische Differenzierung zwischen Bm, Am, Dw und Cw wird deutlich, dass der Begriff allein nicht zur Systematisierung führte, aber schon das Vorhandensein des Begriffs eine andere Sichtweise bewirkte und zur Klärung der eigenen Vorstellungen über Schulentwicklung beitrug. Auch wenn das kommunikative Wissen und die konjunktive Handlungspraxis nicht miteinander verbunden werden können, ermöglicht die
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Bezeichnung Schulentwicklung für Dw eine Einordnung der bisherigen Tätigkeiten, und damit einhergehend ist allein schon der Begriff eine Unterstützung bei der Bewältigung der Schulentwicklungsarbeit („Nee. Aber man sieht‘ s bewusster. Also ich hätte früher nie für uns in Anspruch nehmen [...] traun dass mir des versuchen“). Schulentwicklung hat Systematik, wird von der Gruppe als erster Aspekt einer Alltagstheorie der Schulentwicklung entwickelt. Ein zweiter Aspekt wird in der Passage Konnotationen der Schulentwicklung entfaltet. Passage „Konnotationen von Schulentwicklung“ (Z. 143-170): Em:
Cw: Em:
Dw:
Cw:
Dw:
Cw: Bm:
°Oder vom LFB dann her dieser Begriff dann eingeführt worden ist. ne, des müsste von innen heraus kommen net von außen. Irgend jemand geht auf Fortbildung geht dann an die Schule zurück und erzählt es ein paar Kollegen sondern dass von innen heraus°. Mhm. °Der Sinn für Weiterentwicklung einer Schule in alle Richtungen in welche Richtungen auch immer kommen müsste. und dann man gezielt eben diese Fortbildungen besuchen darf und dann wieder zurück an die Schule geht.° Na in dem Zusammenhang war für mich a Mal des war für mich persönlich so a ganz erst der Beginn so ein Artikel über Schulprofil wo ich immer des waren für mich immer so hehre Begriffe und dann Schulprofil fand ich so ne Definition. des Schulprofil is eben des was die Menschen da drinnen sind dass du halt mit den Leuten die wir haben eben können wir nur ganz bestimmte Art der Schulentwicklung machen und des hat mich total erleichtert, und entspannt weil ich mir gedacht hab @( a ja wenn es so is dann seh ich ne Möglichkeit)@ Ja wobei man schon a dazu sagen muss dass das Wort Schulentwicklung eher ein Schreckwort für viele im Kollegium war. ¬ Ja ja des war ja für mich auch Schulprofil weil in dem Zusammenhang ist immer von Schulprofil auch geredet worden und ich hab gedacht hä ja wie entwickle ich a Schulprofil? Aber du hast es ja. Wir hams. Wir müssen es bloß raus arbeiten. Ja ja.
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
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Über die Bemerkung, dass der Begriff Schulentwicklung evtl. auch von der Lehrerfortbildungseinrichtung (LFB) eingeführt worden ist, führt Em das Thema auf die Frage, wer Schulentwicklung definiert bzw. strukturiert. Für Em müsste es von „innen heraus“ geschehen. Die zusätzliche Betonung des negativen Gegenhorizontes „net von außen“ unterstreicht die Bedeutung der eigenen Autonomie. Mit seinem Beispiel der denkbaren Beeinflussung durch eine Fortbildung kommt seine Skepsis gegenüber einer Fremdsteuerung noch einmal deutlich zum Ausdruck. Hier wird ein zweiter Aspekt einer Schulentwicklungstheorie der Gruppe entfaltet: Schulentwicklung muss von innen heraus erfolgen. Dies korrespondiert mit der Rahmenorientierung der Gruppe, der Autonomie. Die Mitglieder möchten die Akteure ihres Prozesses sein und die Richtung der Entwicklung bestimmen und dementsprechend dann auch die nötigen Fortbildungen aussuchen. Deutlich wird auch hier der Versuch, ihre konjunktive Handlungspraxis und ihr kommunikatives Wissen miteinander zu verbinden. Im Gegensatz zur Gruppe Weizen werden von der Gruppe Gerste die Impulse von außen wesentlich skeptischer betrachtet und abgewertet. Dw berichtet von einem Artikel, der sie „total erleichtert“ hat. Nach diesem Artikel ergibt sich das Schulprofil aus den Menschen, die an der Schule sind. Dies ermöglicht ihr eine Definition von Schulentwicklung, bei der allein die eigenen Ziele gelten, der eigene Anspruch verbindlich ist, und dies war für sie entlastend. Durch die antithetische Differenzierung von Cw, dass Schulentwicklung „eher ein Schreckwort“ für viele im Kollegium war, kann der Kern der gemeinsamen Orientierung herausgearbeitet werden. Gemeinsam entwickeln Cw und Dw die Synthese, in der es möglich ist, den Begriff Schulprofil als antithetische Orientierungskomponente für Fremdbestimmung in der Rahmenorientierung Autonomie aufzuheben. Dass „Schulprofil“ und „Schulentwicklung“ als „hehre Begriffe“ bezeichnet werden, dokumentiert die Distanz zwischen den nur schwer erreichbaren, z. T. auch nicht fassbaren normativen Vorgaben der Schulentwicklungssemantik und der Handlungspraxis der Gruppe. Schulentwicklung und Schulprofil sind verbunden mit externen Ansprüchen. Sie stellen damit einen negativen Gegenhorizont dar. Erst die Definition, dass jede Schule ja schon ein Schulprofil hat, das nicht erst erarbeitet werden muss und somit auch keine Komponenten enthält, die von außen diktiert werden, ermöglicht es, die Begriffe im Orientierungsmuster Autonomie einzuordnen. Ein Schulprofil zu entwickeln, wird gesehen als das „Herausarbeiten“ von bereits Vorhandenem. Wenn nur freigelegt werden muss, was schon vorhanden ist, benötigt man auch keine fremden Experten; ein Höchstmaß an Autonomie
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
wird erreicht. Damit gelingt es auch, die Kluft zwischen normativer, überfordernder Schulentwicklungsrhetorik und eigener Praxis zu überwinden, es gelingt die Verbindung von kommunikativem Wissen und konjunktiver Handlungspraxis. Denn mit dem Leitgedanken, dass Schulentwicklung von innen heraus erfolgen soll, kann jedes eigene Handeln („Gewurschtel“) mit der Berufung auf Schulentwicklungskonzepte gerechtfertigt werden. Die Steuergruppe stützt sich auf eine den eigenen Ansprüchen angepasste Interpretation von Innerer Schulentwicklung. Diese Definition dient der Entlastung und der Beruhigung des Kollegiums. Es wird eine Theorie entwickelt, die eine inhaltliche Freiheit des Schulentwicklungsprozesses zulässt und legitimiert. Auch in der folgenden, gleich anschließenden Passage wird diese Orientierung deutlich und noch weiter ausdifferenziert. Bm leitet diese Passage kurz zuvor mit einer Thematisierung der Anforderungen an einen „Chef“ (Z. 171 f.) ein, dessen Aufgabe es nicht sei, „irgendwas zu initiieren. sondern dass der nur sehen muss was ist eigentlich da.“ Diese Forderung nach Autonomie des Kollegiums kennzeichnet den gesamten folgenden antithetischen Diskurs. Passage „Schulentwicklung braucht einen organisatorischen Rahmen“ (Z. 177-220): Bm:
Xw: Bm: Dw: Bm: Dw: Am:
Ja ja. aber des da hab ich auch mal was gelesen ich weiß nimmer wo des stand ja. dass es a net die Aufgabe von am Chef is quasi irgendwas zu initiieren. sondern dass der nur sehen muss was ist eigentlich da ¬ Ja genau. ¬ an Fähigkeiten von den Personen her ne, Mhm. Und dann ist Schulentwicklung eher so meine Möglichkeit mich zu entwickeln. In der Schule ne, Und den Anderen den Raum zu geben und erneut zu sagen ich suche mit denen des passieren kann.(.) Ich glaub trotzdem aber dass Schulentwicklung äh einen organisatorischen Rahmen schon stellen muss ne, also dass das der Prozess auch irgendwo laufen kann. weil wenn da schlecht kommuniziert wird oder einfach schlecht geplant ist äh von den einzelnen Schritten dann dann hat ma halt irgendwie an Wust von verschiedenen Dingen. und äh ja eben kein klares Profil mehr ne,
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle Cw: Dw: Cw:
Dw:
Cw:
Am:
Cw: Dw:
Cw: Dw: Xm: Dw:
Cw:
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Dann passiert des was wir. ¬ Des is ja kein Widerspruch. des is ja kein Widerspruch. Ja ne. da passiert des dass wir eben dieses Schulprofil damals versucht haben zu ermitteln und nie weiter dran geblieben sind. ne, insofern sicher hast Recht. dass man bestimmte Vorlaufzeiten einfach und bestimmte Zielpunkte auch fixieren muss. Ne wenn de Struktur hast dann sorgst du ja für die Leute so versteh ich des schon ne, wenn ich den Rahmen vergrößer. Aber des is glaub ich erst in jüngerer Zeit so bewusster gelaufen ne, °und immer noch net so ganz zufrieden stellend.° Na ja ich mein jetzt bloß weil des klang jetzt ein bisschen so nach ja nach Persönlichem jeder engagiert sich irgendwie persönlich ne, und äh des is dann des Schulprofil im Endeffekt als als Zusammenspiel von allen Einzelmaßnahmen sozusagen. und des find ich dann a wieder problematisch. ne weil also °findst nicht?° °Was er jetzt grad gesagt hat meinst du?° Ja. weil für mich sind des keine Maßnahmen sondern ich denk des Primäre is des was du an Menschenmaterial unter Anführungszeichen vorfindest. ich kann des is ja jetzt des was wir in SCHILF auch versuchen dass wir grundsätzlich sagen wo sind hier die Bedürfnisse? was ne, wo kann ich ansetzen muss ich da ansetzen was ich hab wo die Leut mit können. wenn ich jetzt sag ich möchte des oder jenes unbedingt machen und weiß aber genau die ich hab die Leut net dazu im Kollegium. ¬ °Is klar.° Dann läuft des hier einfach vorbei. Mhm. Also insofern ich halt‘s ganz für wichtig dass ma‘s dass ma‘s strukturiert und dass ma des dass ma Maßnahmen ordnet ¬ Aber net nur von oben eben. sondern aus der aus dem Bedürfnis und aus den °Fähigkeiten raus°
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Bm fokussiert den hierarchischen Einfluss, den es zu verhindern gilt, durch die Forderung nach größtmöglicher individueller Autonomie. Es geht um „meine Möglichkeit, mich zu entwickeln“, also um die individuelle Entwicklungsmöglichkeit der einzelnen Lehrkraft. Individualisierung sichert auch Autonomie, so dass sich mit dieser immer wiederkehrenden Betonung auch die Sorge dokumentiert, ein Externer, z. B. auch der Schulleiter, der nicht als Teil des Kollegiums gesehen wird, könnte diese Autonomie einschränken. Die mit einer uneingeschränkten individuellen Autonomie einhergehende Beliebigkeit geht Am zu weit. Er bringt hier noch einmal (vgl. Z. 131 ff.) die Notwendigkeit eines „organisatorischen Rahmens“ vor. Ohne gute Planung sieht er die Gefahr eines „Wustes an verschiedenen Dingen“ und dass dann eben “kein klares Profil“ entsteht. Hier wird zum einen auf die Notwendigkeit der Verschränkung von Organisation und Inhalt hingewiesen und zum anderen auch explizit die Unverzichtbarkeit eines intendierten, kohärenten Schulprofils betont. Dw und Cw entfalten einen Gegenhorizont und versuchen die Position von Am zu integrieren, indem sie darauf hinweisen, dass dies keinen Widerspruch darstelle. Am habe „insofern“ recht, als eine „bestimmte“ Systematik notwendig ist. Es dokumentiert sich die Angst vor einer „Systematik“, die von außen kommend von der Gruppe nicht mehr kontrolliert werden kann. „Diese“ Systematik ist in Ordnung, da sie ja den „Leuten“ dient. Somit kann der Einwand von Am in die Vorstellung der Gruppe von Schulentwicklung integriert werden, ohne dass sie ihre Positionen ändern muss. Außerdem ist „des“, die Schulentwicklung mit System, erst in „jüngerer Zeit so bewusster gelaufen“. Diese Art der Schulentwicklung gibt es also noch nicht so lange und sie läuft auch noch nicht zufrieden stellend. Auch dieser Diskurs dient dazu, die eigene Handlungspraxis mit dem kommunikativen Wissen über Schulentwicklung zu vereinbaren. Am vermeidet eine konflikthafte Auseinandersetzung, indem er seine eigenen Aussagen abschwächt („ich mein ja bloß“, „das klang ein bisschen“). Dw erläutert, warum sie keinen Widerspruch sieht, indem sie darauf hinweist, dass sie die von Am erwähnten „Einzelmaßnahmen“, nicht als „Maßnahmen“ betrachtet, sondern die Menschen, die dahinterstehen, als primär einschätzt. Die Verwendung des Begriffs „Menschenmaterial“ macht allerdings die Diskrepanz zwischen dem eigenen normativen Anspruch (im Zentrum steht der Mensch) und ihrer eigenen Handlungspraxis deutlich. Dw und Cw integrieren nun beide Bereiche. Es ist wichtig zu strukturieren und zu ordnen, aber „net nur von oben eben“, sondern aus den Bedürfnissen und Fähigkeiten des Kollegiums heraus. Hier dokumentiert sich die Verbindung von „oben“ und Strukturieren, d .h. Struktur hat immer auch etwas mit Hierarchie zu
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
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tun. Struktur wird zwar benötigt, aber sie ist nur sinnvoll, wenn sie nicht von „oben“ kommt und damit auch nicht das eigene Handeln fremdbestimmt wird. Dieser Strukturierungs- bzw. Systematisierungsaspekt ihrer Alltagstheorie von Schulentwicklung wird in diesem Abschnitt aber noch weiter ausdifferenziert. Diese „bestimmte Systematik“ ermöglicht nicht nur individuelles Handeln, sie verhindert auch willkürliche und unabgestimmte Aktivitäten. Bei dieser Ausdifferenzierung kristallisiert sich auch der dritte Baustein ihrer Schulentwicklungstheorie heraus: Es geht immer um die Autonomie des Kollegiums bei der Gestaltung des Prozesses. Damit wird deutlich, dass die Steuergruppe auf der kommunikativ-generalisierenden Ebene die Mitglieder des Kollegiums als Akteure des Schulentwicklungsprozesses sieht, die aktiv den Prozess gestalten sollen. Sie selbst sehen sich als Mitglieder dieses Kollegiums. Dass sich in diesem antithetischem Diskurs wirklich die Gruppenmeinung dokumentiert, zeigt sich daran, dass bei der Synthese und der Konklusion des Themas wechselseitig die gegenseitigen Positionen formuliert werden (Dw formuliert die Position von Am, Cw formuliert die Position von Dw). Der antithetische Diskurs ist somit ein Bemühen darum, eine Theorie zu finden, mit der die eigene Praxis legitimiert werden kann. Die Steuergruppe Im weiteren Verlauf der Diskussion thematisiert die Steuergruppe ihr Selbstverständnis und ihre eigene Rolle. Die hohe metaphorische und interaktive Dichte dieser Passage weist auf die Wichtigkeit des Themas für die Gruppe hin. Passage „Aufgabe der Steuergruppe“ (Z. 221-254): Bm: Dw: Bm: Cw: Bm:
Cw: Bm: Y: Cw:
Mhm. mhm.(3) des is a der Grund warum man eigentlich diesen Begriff Steuergruppe net so gern hatten für ¬ Ja. uns. ne, und des würde bedeuten dass da ¬ Lenkungsgruppe ¬ ja genau Lenkungsgruppe war’s. das das da ob des jetzt einer is oder fünf is fast scho Wurst ne, Es ist irgendwo elitär @()@. Äh die lenken und die anderen müssen halt da mit ob sie jetzt in die Kurven wollen oder net.(.) Wie war des bei Ihnen? ham sie gelenkt? (.) In den Augen mancher wahrscheinlich schon ja. (.) denk ich. aber es waren eher diejenigen die eben dann den
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Bm: Cw: Am: Bm: Cw: Bm: Cw: Bm: Cw:
Bm: Em:
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse Widerstand daraus abgeleitet ham. ich glaub positiv ist der Begriff nicht bewertet worden °damals in der Schulgemeinschaft°. Es war eigentlich von Anfang an die Angst ne, dass da jetzt ¬ Tun a paar die sich für gescheiter halten. Genau. Und die sich profilieren wollen und deswegen steuern die irgendwo hin wo ¬ Ja genau. die modernen Methoden ¬ Was eigentlich völlig falsch ist. ¬ des is alles a bisserl so zynisch (.) ironisch. ¬ Ja ja. (.) aber ich mein de facto ham wir natürlich ¬ De facto ham ma sicher sicher. ich denk a es wird net ganz ohne gehen. des is Illusion zu glauben dass die Kräfte sich von selber irgendwo bündeln in ne einheitliche Richtung. Mhm mhm. °Na ja wenn ma des dann Koordinierungsgruppe eigentlich mehr nennen wollen die Abkürzung K.O. Gruppe oder so was tödliches ne,° @des beinhaltet viel Negatives@
Indem Bm die Ablehnung des Begriffes Steuergruppe/Lenkungsgruppe thematisiert, knüpft er an die Hierarchieproblematik aus der Eingangspassage an (vgl. Eingangspassage, Z. 3-22). Ob der Schulleiter („einer“) oder die Steuergruppe („fünf“) sagt, was in der Schule gemacht werden soll, ist dann fast egal. Lenkung, Beeinflussung von oben wird als „elitär“ bezeichnet. Die Gruppe sieht sich als Teil des Kollegiums, und so überträgt sie ihr Selbstverständnis auf das Kollegium. Ihre Rahmenorientierung ist Autonomie, und damit gilt für das Kollegium ebenfalls der Autonomieanspruch. Dies bedeutet aber auch, die Gruppe möchte nicht gelenkt werden und von ihrem normativen Anspruch her auch selbst nicht lenken. Der direkten Frage, ob man gesteuert habe, wird insofern ausgewichen, als nicht die eigenen Perspektiven geschildert werden, sondern auf die Wahrnehmung „mancher“ Kollegen rekurriert wird. Allerdings waren es nur „manche“, die sie als steuernd erlebten, und es waren eher diejenigen, die daraus eine Be-
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
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gründung für ihren Widerstand zogen. Eine Auseinandersetzung mit den eigenen normativen Ansprüchen (keine Steuerung von außen und der eigenen Handlungspraxis) kann so vorerst vermieden werden. Indem Cw Reaktionen des Kollegiums schildert, beschreibt sie aber die empirische Wirklichkeit, in der die Mitglieder der Gruppe steuern bzw. lenken. Auch der nochmalige Verweis auf den negativ besetzten Begriff kann als Vermeidungsstrategie interpretiert werden. Die Bemerkungen, dass die Reaktionen des Kollegiums „völlig falsch“ und „zynisch“ seien, zeigen die Kränkung der Steuergruppe, proklamiert sie doch das Gegenteil dessen, was ihr vom Kollegium vorgeworfen wird. Wenn Bm einräumt: „de facto ham wir natürlich“, dann wird deutlich, dass es der Gruppe nicht gelungen ist, ein Verständnis von Leiten und Führen zu entwickeln. Für sie bleibt ein Widerspruch zwischen der Notwendigkeit des Leitens und dem Sich-selbst-Entwickeln bestehen. Er kann als Grundwiderspruch zwischen ihrem normativen Anspruch, ihrem kommunikativen Wissen und ihrer konjunktiven Handlungspraxis nicht aufgelöst werden. Cw bestätigt noch einmal, dass die Gruppe gesteuert hat, weist aber darauf hin, dass es für den Grundwiderspruch keine Lösung geben wird. Es sei eine „Illusion“ zu glauben, dass „die Kräfte sich von selber bündeln“. Das Ideal scheitert. Der Versuch von Em, das Problem durch die neue Bezeichnung „Koordinierungsgruppe“ zu lösen, scheitert nicht nur an der möglichen Abkürzung „K.O.Gruppe“, die „tödlich“ wäre und den Kollegen nur neuen Anlass zur Skepsis geben könnte, er macht auch deutlich, dass dies für die Gruppe ein echtes Dilemma ist. Auf welchen Grundannahmen sich dieses Dilemma gründet, wird auch noch einmal in der nächsten Passage deutlich. Passage „Aufgabe der Steuergruppe“ (Z. 270-272): Dw:
Und des is halt des Problem mit steuern äh koordinieren. @( )@ Koordinieren würde aber heißen dass auch sich schon was bewegt was man koordinieren kann. Ne,
Durch die Anmerkung, dass Koordination nur gelingen kann, wenn sich schon etwas bewegt, wird auf das sich nicht bewegende Kollegium hingewiesen. Das Kollegium wird als träge dargestellt, als negativer Gegenhorizont zum Ideal eines motivierten, aktiven und sich selbst entwickelnden Kollegiums, das wirklich nur noch die Koordinierungsfunktion der Gruppe benötigen würde. Stattdessen hat man ein Kollegium vor sich, das man immer wieder anregen muss und dem man die Richtung zeigen muss. Diese Vorstellung von ihrem Kollegium trifft aber auf den normativen Anspruch, Leiten bzw. Steuern per se als hierarchisches
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Machtinstrument abzulehnen. Die Gruppe würde gerne koordinieren (Anspruch, Ideal), muss in der Praxis aber steuern. Diese Rollenproblematik taucht im Verlauf der Gruppendiskussion immer wieder auf, was sich unter anderem an der folgenden Stelle zeigt. Passage „Spannungen im Kollegium“ (Z. 527-528): Cw:
¬ Weil Du damals gesagt hast @sind wir nur Reparaturbetrieb oder wollen wir wirklich gestalten@?
Auch hier fragt die Steuergruppe nach ihrer Rolle. Der Reparaturbetrieb als Bild für ein fremdbestimmtes, Aufträge ausführendes Organ, das nur Korrekturen vornimmt, ist nicht autonom und kann nicht selbständig nach eigenen Vorstellungen gestalten. In der Fokussierungsmetapher „Reparaturbetrieb“ oder „gestalten“ verdichtet sich die Rahmenorientierung Fremdbestimmung vs. Autonomie. Für die Gruppe stellt sich somit auch die Frage, ob wirklich grundlegende Veränderungen angestrebt werden sollen, die dann ein noch viel größeres Maß an Steuerung vonseiten der Steuergruppe benötigen würden. Neben der Rahmenorientierung Autonomie dokumentiert sich in diesen Passagen aber auch, dass die Steuergruppe nicht mehr Teil des Kollegiums ist und dass dies ebenfalls einen Widerspruch zwischen ihrer konjunktiven Handlungspraxis und ihrem Anspruch/Wunsch, Teil des Kollegiums zu sein, darstellt. Dieses Verhältnis der Steuergruppe zum Kollegium wird im Folgenden dargestellt. Das Kollegium und wir Das Thema „Das Kollegium und wir“ war in allen Gruppen relevant und wurde mit hoher Intensität und meist narrativ diskutiert. Die Gruppe Gerste diskutiert im folgenden Textabschnitt verschiedene Schulentwicklungsmaßnahmen, die Reaktionen des Kollegiums darauf und die Konsequenzen, die sie daraus gezogen hat. Passage „Spannungen im Kollegium“ (Z. 393-443): Y:
°Sie ham so den Ärger von Kollegen noch angesprochen jetzt so mit den Maßnahmen die jetzt gekommen sind vom Kultusministerium.° gab es denn auch Spannungen im Kollegium die im Zusammenhang mit dem Schulentwicklungsprozess äh mit dem Schulentwicklungsprozess zusammen hingen? (.)
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle Cw:
Xm: Bm:
Am:
Xw:
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Na ich glaub man kann es net den einzelnen Abteilungen etzt zuordnen des war mehr vielleicht auch ein Generationenproblem zum Teil, dass sich manche Kollegen als überständig behandelt gefühlt haben. weil sie eben nicht bereit waren so schnell auf dieses Pferd mit aufzuspringen. und des dann als na ja die alte Pädagogik gilt halt nichts mehr des is nichts mehr Wert wenn man Erfahrung mitbringt. man muss meine Methoden anfeinden. des waren diese Aussagen die dann eher zu Spannungen auch geführt haben. Mhm. Ja da ham sich teilweise richtige Fronten gebildet ne, zwischen den Modernisierern wo die halt dann andere Unterrichtsformen äh erlernt ham oder oder durchgeführt ham. Dann hingen irgendwelche Plakate da wie man des machen kann und denjenigen die gesagt ham is denn des alles falsch was ich die letzten 20 Jahre gemacht hab? (.) Ja wo es jetzt ein Problem gezeigt hat is die Kommunikation. Des is auch so ne Schwierigkeit also da is auch einiges schief gelaufen. weil Dinge dann zwar gut gemeint waren, aber schlecht kommuniziert worden sind. und äh des is bei den Kollegen dann zum Teil falsch angekommen und wenn es im ersten Schritt falsch ankommt des gibt’s ja auch verschiedene Parteien die damit zu kämpfen haben. äh dann dann is meistens der Karren schon ziemlich im Sumpf drin. ne, und des dann wieder wieder flott zu kriegen und klar zu machen dass es eigentlich um was anderes gegangen wäre und dass es doch vielleicht ganz sinnvoll is des des funktioniert dann nicht mehr. ja des is auch ein Prozess wo wir jetzt hier einfach Erfahrungen sammeln mussten. wo wir gemerkt ham wir müssen auch Dinge vorher stärker filtern. wir müssen Bedenken aufnehmen des des einbeziehen in Dinge die dann vielleicht äh weiter gegeben werden an die Kollegen dass man net einfach so mit jeder Neuigkeit dann so rausprescht. ¬ Ja.
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Em:
Cw: Em: Cw: Em:
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse und denen vor den Kopf knallt. ¬ Oder auch manchmal Entschuldigung auch manchmal denkt es sei bereits kommuniziert worden und es is überhaupt net angekommen. nä, wo wir Dinge für selbstverständlich halten und bei anderen is überhaupt noch net der So spezielle Inhalte von dieser extra dazu anberaumten Sitzung da. ne, wenn de an deinen Vortrag denkst und der Tisch rechts hinten die des ganz einfach ¬ @( )@ boykottiert ham. so seh ich des. mit dem Rücken zu Dir gesetzt haben. ¬ Und weiter geredet ham. Ganz einfach. Ja.
Die Frage nach „Spannungen im Kollegium, die im Zusammenhang mit dem Schulentwicklungsprozess“ stehen, wird von Cw erst einmal mit „mehr vielleicht auch ein Generationenproblem“ beantwortet, also nicht sofort mit Schulentwicklung in Verbindung gebracht. Dieses „Generationenproblem“ entstand durch zwei Problemlagen. Zum einen durch die Verweigerung, an einer verpflichtenden Unterrichtsentwicklung teilzunehmen („weil sie eben nicht bereit waren so schnell auf dieses Pferd mit aufzuspringen“), zum anderen dadurch, dass die Einführung neuer Unterrichtsformen als Bedrohung bzw. Abwertung auf „manche Kollegen“ wirkten („alte Pädagogik gilt halt nichts mehr“, „is denn des alles falsch was ich die letzten 20 Jahre gemacht hab?“). Die Problemlinie verläuft demnach zwischen den „Modernisierern“ und denjenigen, die nicht bereit waren, auf das „Pferd mit aufzuspringen“. Die distanzierte Form, in der dieses Beispiel für Probleme im Schulentwicklungsprozess geschildert wird, lässt darauf schließen, dass die Steuergruppe diesen Konflikt nicht als von ihr verursacht sieht. Diejenigen, die sich „überständig behandelt gefühlt haben“, hätten ja die Möglichkeit gehabt, dieses Problem zu vermeiden, sie hätten ja nur aufzuspringen brauchen. Die Inhalte des Konfliktes, neue Unterrichtsmethoden vs. „alte Pädagogik“, werden nicht in Frage gestellt. Die Orientierung der Steuergruppe in Bezug auf ihr Verhältnis zum Kollegium und ihre Handlungspraxis dokumentieren sich allerdings im nächsten Problemkreis, den Am anspricht, der Kommunikation. Die Gruppe erledigt Dinge, die „zwar gut gemeint waren, aber schlecht kommuniziert worden sind“. Sie meint
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
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es gut und arbeitet für das Kollegium. Diese Arbeit kommt aber nicht immer gut an. Dies dokumentiert, dass diese Tätigkeiten nicht unbedingt mit dem Kollegium abgesprochen sind, dass die Steuergruppe vielmehr selbst definiert, was für die Kolleginnen und Kollegen gut sein könnte. Diese paternalistische Orientierung, fürsorgend für das Kollegium da zu sein, wird in der Handlungspraxis auch durchgeführt, steht aber im Widerspruch zur Rahmenorientierung Autonomie. Die schlechte Kommunikation fährt den „Karren“ in den Sumpf und dies zu korrigieren ist nicht mehr möglich. Die Selbstkritik der Gruppe bezieht sich nicht auf irgendwelche Inhalte, sondern nur auf die Art der Kommunikation. Die Konsequenzen, die sie für ihr eigenes Schulentwicklungshandeln formuliert, stellen den normativen Gegenhorizont zu ihrem bisherigen Tun dar. Die Steuergruppe hat das Kollegium überfahren und überfordert. Nun „filtert“ und dosiert sie ihre Informationen an das Kollegium. Für die Steuergruppe sind Dinge selbstverständlich und klar, dem Kollegium noch nicht. Alle Maßnahmen, die sie nun plant, zielen darauf, das Kollegium mitzunehmen, mit den Kollegen gemeinsam Schulentwicklung zu betreiben. Hinter diesem partizipativen Ansatz steht jedoch eine paternalistische Grundhaltung. Eine selbstverantwortete Schulentwicklung durch das Kollegium postuliert die Steuergruppe zwar, traut sie dem Kollegium aber nicht zu. Hier zeigt sich wieder das kompetenzorientierte Führungsverständnis der Gruppe. Gegenüber dem Schulleiter wird der Anspruch auf die Machtpartizipation mit ihrer Kompetenz in Schulentwicklungsdingen begründet, gegenüber dem Kollegium führt ihr Wissen zu einem Kompetenzgefälle („wo wir Dinge für selbstverständlich halten und bei anderen is überhaupt noch net [...]“) und zu diesem paternalistischen Verhältnis. Die Steuergruppe überlegt, was sie dem Kollegium zumuten kann, was das Kollegium versteht. Dass dies nicht immer gelingt, wird am Beispiel von Em deutlich, der von Boykottieren spricht und von ganz klaren Zeichen der Brüskierung der Steuergruppe (bei einem Vortrag dem Redner den Rücken zuwenden, weitersprechen und ihn somit ignorieren). Die Themen des Schulentwicklungsprozesses, die zu Konflikten führen, betreffen allerdings auch unmittelbares Unterrichtshandeln („andere Unterrichtsformen“) und greifen so direkt in die Autonomie der einzelnen Lehrkraft bei der Unterrichtsgestaltung ein. Der Vorfall wird jedoch ebenfalls in den Bereich der Kommunikation eingeordnet und damit erst einmal in seiner Reichweite eingeschränkt. Es handelt sich also weniger um ein schwieriges Grundsatzproblem als vielmehr um ein lösbares Kommunikationsproblem. In dieser Passage, wie auch in der folgenden, dokumentiert sich auch, dass die Steuergruppe in hohem Maße aktiv ist und dass die inhaltlichen Schwerpunkte des Schulentwicklungsprozesses klar auf der Unterrichtsentwicklung liegen. Es wird
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
von Sitzungen berichtet und über Methoden gesprochen. Die Mitglieder der Steuergruppe sehen sich als Aktive ihres Schulentwicklungsprozesses und setzten relevante Themen, wie z. B. neue Unterrichtsmethoden. Der Schulleiter wird in diesem Zusammenhang nicht erwähnt; darin dokumentiert sich die geringe Relevanz des Schulleiters für die inhaltliche Schwerpunktsetzung der Schulentwicklung. Die Spannung zwischen Steuergruppe und Kollegium zeigt sich auch bei einem weiteren Thema im Kontext von Schulentwicklung, der Elternarbeit. Auch in diesem Textabschnitt wird sehr deutlich, welches Verhältnis die Steuergruppe zum Kollegium hat. Passage „Spannungen im Kollegium“ (Z. 498-528): Dw:
Cw: Dw: Bm: Cw: Dw:
Am: Cw: Am:
Ich überleg gerade wie diese eine Konferenz wo wir so nen Eklat gehabt ham. worum ging es denn da? wo ich hinterher gesagt hab: Mensch eigentlich ist die Botschaft ihr macht da was Mensch lasst uns mitmachen. was war denn des? wo du dann hinter her gesagt hast Hannes ehm wir müssen des da hast du wieder deine Struktur angemahnt und gesagt lasst uns des endlich, ja also ich find es ja wirklich gut, also jetzt net, @()@ du bist da halt immer der Mahner ¬ °Mhm° Worum ging es denn da gleich wieder? des war doch. war des die Jahresanfangskonferenz? Ne des war die Geschichte mit dem 2. Elternsprechtag. Ja genau. des is es. Des is wo. des war für mich nämlich symptomatisch weil wir da ham wir ja wirklich gemeint wir nehmen was auf was sowieso längst gewünscht is im Kollegium und ham des dann einfach festgeklopft und ham gesagt so Leute von jetzt an machen wir es so und so. und dann gab es einen wahnsinnigen Eklat wie könnt ihr uns des einfach über stülpen. ne, Des stand ja dann schon im Terminplan gleich drin; ne, Ja des war ein bisserl ungünstig vom Kommunikationsweg. Kein keine Diskussionsmöglichkeiten mehr hat dann sind die Wogen natürlich berechtigterweise hochgegangen. des war so der Anlass wo wir gesagt haben man muss
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
Dw:
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irgendwie die Dinge anders vorbereiten auch vorher. ne, wenn so heikle Geschichten dann entstehen. Des war eigentlich der Grund für die Institutionalisierung dieser Gruppe dass wir gesagt ham also jetzt müssen wir dann tatsächlich ein paar Leute zam kriegen dass wir.
Gleich in ihrem Eingangsstatement formuliert Dw den Anspruch des Kollegiums auf Partizipation: „ihr macht da was Mensch lasst uns mitmachen.“ Die Steuergruppe ist sich bewusst, dass sie dem Kollegium etwas übergestülpt hat. Allerdings etwas, von dem sie gedacht hatte, das wäre etwas, „was sowieso längst gewünscht is im Kollegium“. Die paternalistische Haltung der Steuergruppe tritt deutlich zutage. Eigentlich wollte man die Interessen des Kollegiums berücksichtigen und diagnostizierte, was das Kollegium wünscht bzw. braucht, und führte das dann durch. Die Richtigkeit der Aktion wird nicht in Frage gestellt, deshalb ist dieser „wahnsinnige Eklat“ auch nur entstanden, weil es „ein bisserl ungünstig vom Kommunikationsweg“ war. Die Rahmung des Konfliktes, bei dem „die Wogen natürlich berechtigterweise hochgegangen“ sind, als Kommunikationsproblem ermöglicht auch seine Lösung durch eine andere Vorbereitung. Die Gruppe bleibt somit bei ihrer Orientierung, dass man das Kollegium bei Themen, aus denen „heikle Geschichten“ entstehen können, entsprechend vorbereiten muss (vgl. vorhergehende Passage). Der Ruf des Kollegiums nach Partizipation wird zwar gehört, aber nicht als Problem erkannt. Damit wird auch deutlich, dass die Gruppe nicht mehr Teil des Kollegiums ist. Es hat sich eine Art Lehrer-Schüler-Verhältnis entwickelt, indem die Steuergruppe für das Kollegium, aber nicht im Auftrag des Kollegiums handelt. Die Autonomie, die sie gegenüber dem Schulleiter oder auch externen Institutionen fordert, gilt nicht im Verhältnis zum Kollegium. Sie gestaltet, entscheidet für das Kollegium, ohne dafür eine Legitimation vom Kollegium erhalten zu haben. Ihre Legitimation ist ihre Kompetenz. Während in den bisherigen Passagen das Verhältnis des Kollegiums zur Steuergruppe vor allen Dingen aus der Sicht der Steuergruppe rekonstruiert werden konnte, weist die folgende Textstelle auf die Sichtweise des Kollegiums hin. Auf die Frage des Interviewers nach Gesprächen mit dem Kollegium entwickelt sich das Thema der Wertschätzung durch das Kollegium. Passage „Kommunikation mit dem Kollegium“ (Z. 644-676): Cw:
Des war ja lange Zeit gar net im Bewusstsein dass wir existieren. des hast du ja dann a gesagt mit Leuten
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Dw: Bm:
Dw: Cw: Bm: Em:
Cw: Em: Cw: Dw: Em:
Cw: Em: Cw: Em: Cw: Bm:
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse selbst mit denen du relativ engen Kontakt hattest. was tut ihr da? was gibt es da? Was gibt’s a Lenkungsgruppe? @( )@ Ja ja klar. des war auch im Personalrat ne, wie ich da was erzählt hab Steuergruppe. was Steuergruppe was is n des scho wieder? scho wieder a irgend a Gruppe die wir net kennen. dann hab ich scho versucht zu erzählen was wir da machen und halt die Notwendigkeit einer solchen Gruppe (.) zu zu formulieren und äh dass des nix böses is. @( )@ @(Dass wir auch Fremde zulassen.)@ Ja ja. Na aufgefallen is es wie wir jetzt da auf Fortbildung weg waren. nahe unserer Stadt da is weniger aufgefallen. zwei Tage bei Bad X-Stadt also die üblichen Glückwünsche schönen Urlaub. Was macht ¬ Wellness an da? ach ja bei X-Stadt. wie oft geht ihr in die Sauna? habt ihr genügend Handtücher dabei? ¬ @( )@ ¬ @( )@ Die üblichen Schmeicheleien der Kollegen. da is dann schon aufgefallen dass a Gruppe weg is vor allen Dingen mit dem Chef zusammen. Mhm. Des is na recht bei vielen seltsam angekommen dass da der Chef jetzt sind wir mit dem Chef fort. ¬ @( )@ Was soll jetzt des wieder? Die Ingroup. @(2)@ Na ja. Klar.
In der Erinnerung der Steuergruppe gab es die Gruppe schon „lange Zeit“, ohne dass sie im Kollegium wahrgenommen wurde. Dies bestätigt die Rekonstruktion des vorherigen Absatzes, dass die Steuergruppe ohne eine förmliche Legitimation durch das Kollegium agierte. Wie die Steuergruppe entstanden ist, wird nicht geklärt, deutlich wird aber, dass sie nicht durch ein Votum des Kollegiums eingesetzt wurde. Der Hinweis von Bm auf die Diskussion im Personalrat zeigt, wie wenig das Thema einer Steuergruppe an der Schule präsent ist. Eine Steuergrup-
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
97
pe ist kein organischer, in der Struktur verankerter und vorgesehener Teil der Schule. Er ruft beim Personalrat erst einmal Misstrauen, Skepsis und die Furcht vor inhaltsleerem Aktionismus hervor („Steuergruppe was is n des scho wieder? scho wieder a irgend a Gruppe die wir net kennen“). Die Argumentation von Bm bestätigt diese Interpretation. Er erläutert die „Notwendigkeit einer solchen Gruppe“ und zerstreut Befürchtungen („dass des nix böses is“). Die Funktion und die Anbindung der Steuergruppe sind nicht bekannt. Sie wird als Fremdkörper im System der Schule betrachtet. Obwohl Cw lachend Bm ergänzt und einwirft, „[d]ass wir auch Fremde zu lassen“, ist klar zu sehen, dass die Steuergruppe außerhalb des Kollegiums steht. Der Rest des Kollegiums sind „Fremde“, die zu Sitzungen zugelassen werden. Die Entscheidungshoheit, wer kommen darf, liegt bei der Steuergruppe. Die geschilderten Reaktionen des Kollegiums auf eine Fortbildung der gesamten Steuergruppe mit dem Schulleiter in einem etwas besser ausgestatteten Tagungshaus stellen die Ernsthaftigkeit und Notwendigkeit der Fortbildung in Frage. Diese Sticheleien werden nicht weiter problematisiert. Die fehlenden inhaltsbezogenen Anmerkungen unterstreichen die autarke Stellung der Gruppe, die diesen Status eher als exklusiv genießt. Es fällt aber nicht nur auf, dass die Gruppe in ein attraktives Tagungshaus zur Fortbildung geht, sie geht auch mit dem „Chef zusammen“. Dies ist ein weiterer Aspekt, der die Sonderposition der Gruppe unterstreicht. Für eine Gruppe von Lehrkräften, die nicht dem Schulleitungsbereich zugerechnet werden, ist es ungewöhnlich, gemeinsam mit dem Schulleiter eine Fortbildung zu besuchen. Der Schulleiter ist nicht Mitglied des Kollegiums, und Lehrkräfte, die mit ihm zusammenarbeiten, werden zumindest misstrauisch beäugt. Hier dokumentiert sich auch der Generalverdacht der Zusammenarbeit der Steuergruppe mit dem Schulleiter, dem auch alle anderen Gruppen ausgesetzt sind. Diese skeptisch gesehene Nähe zum Schulleiter, die sie ja selbst suchen, und die geringe Wertschätzung ihrer Arbeit durch das Kollegium führen bei der Gruppe Gerste zu Enttäuschungen. Auf die exmanente Frage nach den Perspektiven ihrer Arbeit stellt die Gruppe die Weiterführung und Notwendigkeit ihrer Arbeit insgesamt in Frage. Passage „Werden wir noch gebraucht“ (Z. 1209-1227): Cw:
Ich denke es steht und fällt im Moment mit diesen Unwägbarkeiten die noch auf uns zu kommen. durch die Entwicklung der Schule ganz allgemein. ich denk nicht dass unsere Aktivität gelitten hat eigentlich oder unsere Bereitschaft uns einzubringen. aber wenn natürlich ständig die Knüppel zwischen die Beine
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Em:
Bm: Em:
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse geworfen werden dann wird es nimmer effizient sein °in dem Maß fortzuschreiten° (.) des hast du vorhin ja formuliert ne? @(den Masochismus den wir hier net betreiben wollen)@ °Wir ham dann noch diese restlichen Module noch vor uns. Steuerungsgruppe; Fortbildungseinrichtung die wir logischerweise noch durchziehen werden. aber des wird sicher wieder des Gleiche. wie stellt sich des Kollegium uns gegen über im Entwicklungsprozess? wenn die sagen jetzt hört‘s halt bitte endlich mal auf ich kann es nimmer hören es setzt sowieso kein Mensch mehr um. °da können wir uns ja schon mal überlegen was tun wir eigentlich hier? Mhm. des seh ich auch so. Hab ich eigentlich da ka Lust mehr irgendwie.
Die Gruppe entfaltet keine positiven Entwicklungsperspektiven, sondern es wird eher eine resignative Haltung sichtbar. Für Cw hängen die Perspektiven der Weiterarbeit stark von „Unwägbarkeiten“ und allgemeinen Entwicklungen ab. Hier bezieht sie sich auf die allgemeinen Rahmenbedingungen von Schulen, die sich ihrer Ansicht nach verschlechtert haben und das Arbeiten an der Schulentwicklung erschweren. Insbesondere die Einführung des achtstufigen Gymnasiums und die Arbeitszeitverlängerung für Lehrkräfte 10 stellen für die Steuergruppe die „Knüppel“ dar, die ihnen „zwischen die Beine geworfen werden“. Indem Cw betont, dass es nicht an ihrer Aktivität oder ihrer Bereitschaft, sich einzubringen, liege, verstärkt sie die Wichtigkeit dieser Rahmenbedingungen für eine gelingende Arbeit. Em elaboriert die Proposition von Cw, indem er ein Zukunftsszenario entwirft, bei dem das weitere Engagement der Gruppe sehr stark von der Wertschätzung des Kollegiums abhängt. Hier dokumentiert sich auch, dass die Steuergruppe große Schwierigkeiten hat, den Prozess der Schulentwicklung an die Lehrkräfte heranzutragen. Die Haltung des Kollegiums gegenüber der Gruppe und dem Entwicklungsprozess ist das entscheidende Kriterium für ihre Weiterarbeit. Das Kollegium muss ‚ja’ zu diesem Prozess und zur Arbeit der Steuergruppe sagen. Die Gruppe will nun einen Auftrag vom Kollegium, um weiter für das Kollegium zu arbeiten. Em formuliert aus der Sicht des Kollegiums die Forderung nach Autonomie. Er legt damit die tat-
10 Diese Themen werden explizit in Z. 903-917 der Passage Arbeitsaufwand für die Schulentwicklung genannt.
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
99
sächliche Handlungspraxis offen, und es dokumentiert sich so die Diskrepanz zum kommunikativ-generalisierenden Anspruch der Steuergruppe. Damit dokumentiert sich auch, dass der Schulentwicklungsprozess bisher nicht der Prozess des Kollegiums ist, es ist der Prozess der Steuergruppe. Die Steuergruppe agiert, denkt und handelt für das Kollegium. Als negativen Gegenhorizont zu ihren Erwartungen und Idealen skizziert Em ihren konjunktiven Erfahrungsraum, der diese resignative Perspektive hervorbringt. Während in dieser Passage zunächst die Rahmenbedingungen und die Wertschätzung ihrer Arbeit durch das Kollegium als Gründe für das Ende ihres Engagements genannt werden, erweitert Am kurz darauf die Argumentation mit der Feststellung, dass es an der Schule ganz gut laufen würde und die Gruppe gar nicht mehr nötig wäre. Passage „Werden wir noch gebraucht“ (Z. 1234-1236): Am:
Na noch dazu muss man sagen dass die Schule aus meiner Sicht so schlecht a net läuft dass ma an allen Ecken und Enden wirklich ständig eingreifen müsste.
Hier dokumentiert sich wieder die Handlungspraxis der Gruppe. Wenn es nötig wäre, würden die Mitglieder mit ihrer Expertise eingreifen und tätig werden. Die Beschreibung der Steuergruppe als kompetenter Ratgeber und Helfer unterstreicht ihren paternalistischen Grundansatz. Unter Beteiligung aller Gruppenmitglieder werden dann viele Projekte rekonstruiert, die an der Schule durchgeführt werden und gut laufen. Dass diese Projekte gut laufen, schreiben sich die Steuergruppenmitglieder nicht sich selbst zu. Bm stellt deshalb die rhetorische Frage nach dem Platz der Koordinierungsgruppe. Passage „Werden wir noch gebraucht“ (Z. 1269-1278): Bm:
Mhm. bloß seh ich jetzt da noch net wo da wo da dann der Platz für Koordinierungsgruppe ist. ne, weil des sind Sachen die eigentlich von selber laufen. weil‘ s jeweils an Verantwortlichen gibt der des der des kompetent in die Hand nimmt und wir ham ein Direktorat des in der Lage is des ehm zu koordinieren. braucht‘ s da noch mal a Koordinierungsgruppe?
100 Em: Dw: Bm:
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse Ne also ¬ ich denk also ich versteh ¬ Oder oder braucht’s meine Mitarbeit? wenn’s so is.
Die Frage nach dem „Platz“ spricht die Verortung der Steuergruppe in der Struktur der Schule an. Die Frage nach der Notwendigkeit einer Steuergruppe („braucht‘s da noch mal a Koordinierungsgruppe?“) an einer Schule, die gut organisiert ist, ist die Frage nach dem Sinn. Damit formuliert Bm Grundfragen, die entstehen, wenn Steuergruppen in Schulentwicklungsprozessen eingesetzt werden (vgl. hierzu ausführlich Kapitel 5):
Wo sind Steuergruppen in der hierarchischen Struktur von Schule verortet? Sind Steuergruppen immer das adäquate Instrument zur Steuerung von Schulentwicklungsprozessen?
Die Gruppe löst dieses Identitätsproblem, indem sie in ihr altes handlungspraktisches Muster zurückfällt. Passage „Werden wir noch gebraucht“ (Z. 1280-1283): Dw:
Aber ich versteh scho uns weiterhin als so ein Gremium des des da irgendwie des Ohr am Puls hat und und dann eben sagt was is angesagt als nächstes. damit‘s eben des was an positiven Strömungen da is net wieder versandet
Die Grundmotivation der Gruppe, zu gestalten und ihre Autonomie zu bewahren, führt zur Auflösung der Krise. Die Gruppe vertraut weiterhin auf ihre Kompetenz und hat „des Ohr am Puls“ und sie wird weiterhin die Ausrichtung des Schulentwicklungsprozesses alleine gestalten, als ein Gremium, das „dann eben sagt was is angesagt als nächstes“. Die Rahmenorientierung Autonomie und ein kompetenzorientierter Paternalismus sind weiterhin die Richtschnur ihres Handelns. Zusammenfassung Immer wieder fordert die Gruppe Gerste Autonomie für sich bzw. das Kollegium. Für das Kollegium beansprucht sie Autonomie, wenn sich die Steuergruppe als Mitglied des Kollegiums definiert und sich z. B. gegen die Beeinflussung durch Externe abgrenzt. Wenn die Gruppe allerdings selbst vom Kollegium spricht, wird deutlich, dass sie sich nicht als Teil des Kollegiums sieht, sondern
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
101
in einer herausgehobenen Rolle. Für das Kollegium wird Autonomie als normativer Anspruch formuliert, ihm auf der handlungspraktischen Ebene aber nicht zugestanden. Die Verantwortung für das richtige Handeln übernimmt die Steuergruppe. Damit wird deutlich, dass die Orientierung der Gruppe an Autonomie zwar kommunikativ-generalisierend für das gesamte Kollegium eingefordert wird, handlungspraktische Relevanz aber nur die eigene Autonomie erlangt. Diese eigene Autonomie wird aber im Gegensatz zur Gruppe Weizen immer für die Schulentwicklungsarbeit genutzt, nicht für den eigenen Vorteil oder zur Erreichung individueller Arbeitserleichterung (vgl. Gruppe Weizen die Passage Position der Steuergruppe, Z. 221-244). Die Autonomieforderung der Gruppe Gerste gründet sich auf ihre Kompetenz. Die Gruppe sieht sich im Bereich der Schulentwicklungsarbeit als die kompetente Instanz an der Schule an und leitet daraus nicht nur ihr eher paternalistisches Verhalten gegenüber dem Kollegium ab, auch die Partizipation an der Schulleitungsmacht wird damit begründet. Schulentwicklung wird von der Gruppe als demokratischer Prozess definiert, und so wird ein Hierarchiegefälle zu ihren Ungunsten im Bereich der Schulentwicklung nicht akzeptiert. Dies stellt aber einen im hierarchischen Strukturgefüge der Schule nicht einlösbaren Anspruch dar. Dem Schulleiter werden keine inhaltlich gestalterischen Kompetenzen und Befugnisse zugebilligt, sondern die Regelung der Rahmenbedingungen zugewiesen. Aber auch dem Kollegium wird nicht zugetraut, dass es selbständig aktiv werden könnte. Der Schulentwicklungsprozess ist der Prozess der Steuergruppe. Die Gruppe entfaltet eine eigene Theorie von Schulentwicklung, die die Aspekte Systematisierung und Autonomie bei der Gestaltung des Prozesses beinhaltet. Aber auch der Aspekt Systematisierung und Strukturierung der Schulentwicklungsarbeit wird nur so lange als positiv angesehen, wie er die Autonomie des Kollegiums nicht einschränkt. Somit kann als Rahmenorientierung der Gruppe Gerste das Streben nach Autonomie innerhalb der vorherrschenden Hierarchiestruktur rekonstruiert werden.
Die Gruppe beansprucht Autonomie und Partizipation für sich, gesteht dies aber im inhaltlichen Bereich weder dem Schulleiter noch dem Kollegium zu. Dem Schulleiter wird auf der Organisationsentwicklungsebene die Aufgabe der Ermöglichung von Rahmenbedingungen zugeteilt, im Bereich der Unterrichtsentwicklung aber die Mitarbeit verwehrt, weil dies eine Einmischung in den Aufgabenbereich der Gruppe wäre und die individuelle Autonomie ge-
102
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse fährden würde. Dem Kollegium wird die Partizipation nicht zugestanden, weil ihm die Kompetenz fehlt, diese Partizipation sinnvoll zu nutzen.
Weitere Orientierungen differenzieren die Rahmenorientierung Autonomie aus:
Schulentwicklung wird verbunden mit der Hierarchiefrage. Externe Ansprüche an die Gruppe werden abgelehnt, weil sie von „oben“ kommen. Gegenstand der Auseinandersetzung mit dem Schulleiter in diesem Bereich ist die Frage danach, wer in der Schulentwicklung das Sagen hat. Die Gruppe sieht sich als aktiv, die Mitglieder agieren, sie sind die Macher. Gleichzeitig bestehen große Vorbehalte dagegen, zu führen. Wenn sie gegenüber dem Kollegium eine Führungsrolle einnähmen, würden sie ja dessen Autonomie, die sie so vehement nach oben verteidigen, in Frage stellen, und damit in ihrer eigenen Argumentation an Glaubwürdigkeit verlieren. Die normativen Ansprüche der Schulentwicklungsrhetorik (demokratischer, partizipativer Prozess) an Schulentwicklungsprozesse werden geteilt. Die Diskrepanz zwischen normativem Anspruch und empirischer Handlungspraxis führt zur Überforderung der Gruppe und damit zu einer resignativen Haltung, die nur durch ein Festhalten an alten Handlungsmustern überwunden werden kann.
3.2.3 Die Gruppe Mais Die Rahmenorientierung der Gruppe Mais wird an den Themen (1) Beginn und Probleme des Schulentwicklungsprozesses, (2) das Verhältnis zum Schulleiter, (3) die Steuergruppe und das Kollegium und (4) Hierarchie und die Mitwirkung an Entscheidungen rekonstruiert. Beginn und Probleme des Schulentwicklungsprozesses Für die Gruppe Mais war der Beginn des Schulentwicklungsprozesses sehr problematisch und diese Problematik wirkte sich auf den gesamten Prozessverlauf aus. Auf die übliche Eingangsfrage nach dem, was so alles passiert sei im Laufe ihrer Schulentwicklung, reagiert die Gruppe mit der Darstellung des problembeladenen Beginns und bleibt über lange Zeit bei diesem Thema. Hierin zeigt sich auch die Wichtigkeit des Themas für die Gruppe.
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
103
Eingangspassage (Z. 5-28): Cm:
Ew:
Cm: Ew: Cm:
Fm:
Begonnen hat des Ganze mit einer Sitzung mit einer freiwilligen Sitzung an einem schulfreien Tag wo der damalige Schulleiter der Meinung war man müsste die Arbeit anderer Schulen äh die dort geleistet wurde bei uns mal vorstellen(.) und da waren dann etwa zwei Drittel der Lehrer bereit diesen freien Tag zu opfern und dann hat man hier diese Veranstaltung mit externen Leuten durchgeführt. (.) Ich glaub zu dem Zeitpunkt damals äh oder in etwa zu dem Zeitpunkt war ich mit dem Schulleiter in Dillingen auf ner Fortbildung da ging es auch um Thema äh Schulentwicklung und wir sind dann da mit @(diesen großen Fragebögen und ner Menge von Plakaten und so was)@ äh hier wieder angereist und des hat sich dann irgendwie (.) vereinigt. @(.)@ zu am Anfang doch relativ vielen Aktivitäten. Wobei des zunächst im Kollegium äh großes Staunen äh Entsetzen hervorgerufen hat ¬ @( )@ weil die Plakatflut und das was da eventuell an Mehrarbeit und an an Arbeit überhaupt auf uns zukommt doch viele erschreckt hat.(.) Die ganze Entstehungsgeschichte dieser Sache wie’s jetzt angesprochen wurde hat’s nicht erleichtert die Schulentwicklung auf den Weg zu bringen.(.)
Cm thematisiert den Start der Schulentwicklungsaktivitäten, indem er die erste diesbezügliche Veranstaltung erwähnt. Schon im ersten Satz stellt er dar, dass die Initiative vom Schulleiter ausging („der damalige Schulleiter war der Meinung“) und dass (2) diese Veranstaltung für das Kollegium ein „Opfer“ war („freiwillige Sitzung“, „schulfreier Tag“, „freien Tag zu opfern“). Cms Distanzierung vom Schulleiter wird auch durch die Formulierung „der damalige Schulleiter war der Meinung […]“ deutlich. Es zeigt sich, dass das Kollegium an diesem Initiierungsprozess selbst nicht aktiv beteiligt war und dass der Schulentwicklungsprozess nicht aus einer eigenen Problemlage heraus angestoßen wurde. Ew ergänzt die Rekonstruktion des Prozess mit ihrem Hinweis darauf, dass sie zu der Zeit mit dem Schulleiter eine Fortbildung zum Thema Schulentwick-
104
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
lung besucht habe, dass sie mit vielen Arbeitsergebnissen zurückkamen und diese beiden Ereignisse sich dann „irgendwie vereinigten“. Die erste Veranstaltung zur Schulentwicklung, nicht vom Kollegium angeregt und angereichert durch die Materialien aus der Schulentwicklungsfortbildung, entwickelte dann, in der Wahrnehmung der Steuergruppe, eine solche Dynamik, dass es zu „relativ vielen Aktivitäten“ kam und das Kollegium selbst erschrak, wie viel es sich vorgenommen hatte. Als Versuch einer Synthese stellt Fm fest, dass dieser Beginn es nicht erleichtert habe, „Schulentwicklung auf den Weg zu bringen“. Er spricht von der Auftaktveranstaltung als „dieser Sache“ und drückt damit seine Distanz dazu deutlich aus. „Diese Sache“ war eine Angelegenheit des Schulleiters und nicht eine des Kollegiums. Während Fm hier noch sehr allgemein die „ganze Entstehungsgeschichte“ für den misslungenen Start verantwortlich macht, elaboriert die Gruppe im weiteren Verlauf die Gründe und die Auswirkungen. Eingangspassage (Z. 28-41): Cm:
Fm:
Cm:
Weil des Kollegium des Gefühl hatte ein Schulleiter möchte hier sein Hobby sein sein Spleen sein äh zur zur ins Zentrum der Schule hier äh stecken; wobei man sagen muss dass der Schulleiter damals eh unsere Schule ein besonderes Profil aufdrücken wollte; und dadurch sowieso alles in Bewegung gesetzt hat was hier den Laden etwas flapsig gesagt nach vorne bringen kann.(.) Bezüglich der Steuer- oder Koordinierungsgruppe ehm beziehungsweise für die Teilnehmer dieser Gruppe hatte es net unbedingt immer an leichten Stand im Lehrerkollegium bedeutet ehm da diese Mitglieder durchaus auch misstrauisch beäugt wurden. Und beäugt werden. ¬ Richtig.(.)
Für Cm ist der ehemalige Schulleiter das Problem gewesen. Er wollte ohne Rücksicht auf das Kollegium „sein Hobby“ ins Zentrum stellen. Damit interpretiert Cm die Motivation des Schulleiters für sein Handeln als nicht sachorientiert und für die Schule nicht notwendig. Dass der Schulleiter „sowieso alles in Bewegung gesetzt hat“, kennzeichnet einen Aktionismus ohne Ziel („alles“) und nachvollziehbare Begründung.
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
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Cm drückt auch eine sehr große Distanz zwischen Schulleiter und Kollegium aus. Er spricht von „unsere[r]“ Schule, der der Schulleiter „ein besonderes Profil aufdrücken wollte“. Auf der einen Seite also „unsere Schule“, auf der anderen Seite der Schulleiter, der den „Laden [...] nach vorne bringen“ wollte. In der Darstellung von Cm ist der Schulleiter kein Mitglied des Kollegiums, sondern eher ein Externer. Allerdings hat dieser Schulleiter aber auch die Schule „nach vorne bringen“ wollen, und damit attestiert Cm ihm nicht nur persönliche („sein Hobby“), sondern auch schulspezifische Gründe, ohne diese inhaltlich weiter auszuführen. Auch in den Ausführungen von Fm wird die Orientierung der Gruppe, dass der Prozess unglücklich lief und sie sich vom Schuleiter nichts aufdrücken lässt, deutlich. Er weist auf die negativen Folgen dieser „externen“ Stellung des Schulleiters für die Steuergruppe hin. Die Nähe zum Schulleiter und dem von ihm angestoßenen Prozess weckte nach Fm das Misstrauen des Kollegiums. Nach Wahrnehmung der Steuergruppe wurde und wird sie „misstrauisch beäugt“. Dieses Misstrauen hält also bis heute an. Die Steuergruppe steht unter Beobachtung und es wird schon die Gefahr für die Steuergruppe deutlich, vom Kollegium ausgeschlossen zu werden. Sie rutscht in den Raum zwischen Kollegium und Schulleiter. Im folgenden Textabschnitt rekurriert Bm noch einmal auf die erste Veranstaltung und rekonstruiert sie. Eingangspassage (Z. 42-64): Bm:
Fm: Bm:
Äh noch mal zu dem Beginn zurück ich denk. äh der Beginn war jetzt wie gesagt diese Veranstaltung an dem Buß- und Bettag vor einigen Jahren. und da war ich weiß nimmer wie er hieß jemand da aus ¬ y-Stadt ¬ y-Stadt von ner Schule die irgendein Schulentwicklungsprogramm schon initiiert hatte. und er hat des vorgestellt und er hat des a verstanden soweit ich mich erinner äh ja Lust zu wecken dahingehend äh dass eben das was an der eigenen Schule passiert net ausschließlich von der Schulleitung initiiert wird. sondern einfach äh teilweise in den Verantwortungsbereich der Lehrkräfte selber über geht; und dann waren da verschieden Themenfelder, die äh sich herausgestellt haben des hat mit eurer Vorbereitung zu tun gehabt in Dillingen, wo
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse wir irgendwie dann äh in der Gruppe versucht haben Schwerpunkte zu finden. was brennt uns auf den Nägeln von den ganzen äh möglichen Aspekten und dann ham sich einige heraus kristallisiert äh die wir dann auch angegangen sind und des ham wir anschließend dem Lehrerkollegium insgesamt vorgestellt und ham für diese Punkte so Arbeitsgruppen ins Leben gerufen und damit des net versandet eben auch gleichzeitig a Steuerungsgruppe oder Koordinierungsgruppe.
Ein externer Referent aus einer anderen Schule berichtete damals von den Erfahrungen an seiner Schule. Bm erinnert sich, dass dieser es durchaus verstand, „Lust zu wecken“, und dass „das was an der eigenen Schule passiert net ausschließlich von der Schulleitung initiiert wird“. Die Feststellung, dass ein Impuls zur Initiierung nicht nur vom Schulleiter kommen muss, weist zum einen auf die Distanz zum ehemaligen Schulleiter hin und auf den Versuch bzw. den Wunsch nach Loslösung vom Schulleiter. Zum anderen dokumentiert sich aber auch, dass die Gruppe oder das Kollegium bereit und motiviert waren, Verantwortung zu übernehmen. Inhaltlich wurden auf dieser ersten Veranstaltung Schwerpunkte aus Themenfeldern erarbeitet. Diese Themenfelder waren keine eigenen, sondern waren während der Fortbildung des Schulleiters und Ews erarbeitet worden. Durch die Schwerpunktsetzung „was brennt uns auf den Nägeln“ dokumentiert sich, dass das Kollegium sich den Prozess trotzdem zu eigen gemacht hat. Neben themenbezogenen Arbeitsgruppen wurde auch die Steuergruppe gebildet, die darauf achten sollte, dass nichts „versandet“. Der Steuergruppe wurde hier eine gewisse Kontroll- und Motivationsfunktion zugewiesen. Sie soll auf Nachhaltigkeit achten und den Prozess in Gang halten. Schulentwicklung geht vom Kollegium aus, und da die Steuergruppe für diesen Prozess, der ein Prozess des Kollegiums ist, zuständig ist, sieht sie sich als Gruppe für das Kollegium. Der Schulleiter kann als Symbol für eine Topdown-Strategie gesehen werden. Die Betonung liegt in dieser Passage nicht auf der Abgrenzung vom Schulleiter, sondern stärker auf der Hervorhebung des eigenen Anspruchs, diesen Prozess als Prozess des Kollegiums gestalten zu wollen. Diese Rekonstruktion bestätigt somit die Rahmenorientierung und differenziert sie weiter aus. Gemeinsam werden im weiteren Verlauf dieser Passage verschiedene Arbeitsgruppen rekonstruiert. Die interaktive Dichte dieser Passage zeigt, dass diese Aufzählung auch der gegenseitigen Sichvergewisserung des konjunktiven Er-
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
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fahrungsraumes dient. Es ist etwas passiert und es ist in den Arbeitsgruppen geschehen. Die Steuergruppe ist sich auch dieser Gruppen bewusst und erinnert sich an Details, was auf eine intensive Partizipation schließen lässt. Diese Arbeitsgruppen waren auf die Lösung akuter Probleme ausgerichtet. Eine Zielsetzung auf ein systematisch angelegtes Entwicklungsvorhaben hin ist nicht erkennbar. Der Charakter der Arbeitsgruppen dokumentiert somit ein hohes Maß an Aktionismus als Reaktion auf diesen Anstoß zur Schulentwicklung und bestätigt die Rekonstruktion in der Eingangspassage, Z. 28-41 zur Einschätzung des Schulleiters durch Cm. In der folgenden Passage rekonstruiert die Gruppe den weiteren Verlauf ihres Schulentwicklungsprozesses. Eingangspassage (Z. 115-159): Ew:
Bm: Ew: Bm:
Es war halt a der Eindruck also mein Eindruck dass am Anfang jetzt halt doch bei relativ vielen guter Wille da war. aber wo sich dann des Ganze so ein bisschen dahingehend entwickelt hat dass einfach zusätzliche Arbeitstermine Treffen nötig waren war net immer äh ham die halt net immer so stattgefunden. ich weiß net ob I des jetzt falsch seh,(.) Ja mir ham a paar Sachen abgeschlossen wie diese Transparenz Geschichte. Des war abgeschlossen genau. Wobei die sicher net abgeschlossen ist thematisch. aber als Gruppenarbeit war sie dann abgeschlossen. (.) ja und dann kam irgendwie im Lauf der Zeit einfach ein Schulleiterwechsel muss ma da sehen ne, der dann natürlich des Organisationsgefüge irgendwie in der Richtung zumindest a bisschen dann zumindest aufgehalten hat bis ma einfach da sich an die neue Situation gewöhnt hat. und die Schulleitung eben sich da an die neue Situation gewöhnt hatte. wobei der jetzige Schulleiter von vornherein gesagt hatte er möchte also die Steuerungsgruppe auf alle Fälle beibehalten und äh möchte da einfach so gegenüber haben. was auf der Strecke geblieben ist sind ja Arbeitsgruppen die tatsächlich jetzt spezielle Probleme angehen. weil einfach zu viele andere Sachen im Vordergrund äh standen die immer erledigt werden mussten. ja also wir
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Cm:
Ew: Cm:
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse ham letztes Jahr ne Reihe von Veranstaltungen gehabt äh die ma auch vorbereiten musste. die Größte war dann die 20-Jahr-Feier dieser Schule und des bindet natürlich sehr viel Kräfte; so dass für weitergehende Ideen dann irgendwie kein Spielraum mehr da ist; und dann kommt so seh ich des hinzu dass natürlich unser Arbeitgeber nichts unversucht lässt äh uns möglichst diese Freiräume die noch da waren vielleicht vor ein paar Jahren zu nehmen und uns so zu belasten dass wirklich kanner mehr irgendwie Lust hat irgendwo noch zusätzlich was zu machen.(.) Wobei ma des letzte Jahr Beispiele aufführen kann wir hatten ne Gruppe die auch als äh solche gelten kann die ne Festschrift ne ne Riesenfestschrift da entwickelt hat äh die also enorm viel Zeit und Aufwand gekostet hat. also des könnt ma genauso hier dem Kind ein Namen geben. wir hatten ne Riesenorganisation von nem 25 ¬ 20. ¬ jährigen Schulfest äh also wenn I wenn I pro pro dieser Einrichtung bin dann seh ich des auch alles im Rahmen dieser Kleingruppen.(.)
Ew formuliert, dass zwar guter Wille da gewesen sei, dass aber in dem Moment, als die Konkretisierung anstand, die Arbeitstreffen kaum oder gar nicht stattgefunden haben, da sie eine zusätzliche Arbeitsbelastung darstellten. Es wird konstatiert, dass zusätzliches Engagement nicht vorhanden gewesen sei oder keine Motivation dafür erzeugt werden konnte. Schulentwicklung bleibt auf der Ankündigungsebene stecken. Bm relativiert das scharfe Urteil von Ew, indem er feststellt, dass einige Sachen abgeschlossen worden seien. Er differenziert aber sofort seine eigene Aussage und weist darauf hin, dass die „Transparenzgeschichte“ zwar gruppenarbeitsmäßig, jedoch nicht inhaltlich abgeschlossen sei. Die Unterscheidung „gruppenarbeitsmäßig“ vs. „thematisch“ dokumentiert, dass formal ein Auftrag abgearbeitet wurde, Dienst nach Vorschrift gemacht wurde, eine inhaltliche Verantwortungsübernahme aber nicht stattfand. Eine eigene Motivation, die Arbeitsgruppe inhaltlich zu füllen und befriedigend zu einem Ende zu führen, ist nicht erkennbar. Man erkennt zwar die Notwendigkeit der Arbeit, spürt aber nicht die Verpflichtung oder das Bedürfnis, sie auch eigenverantwortlich auszu-
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
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führen. Hier dokumentiert sich eine ambivalente Orientierung, bei der zwar die Notwendigkeit gesehen wird, etwas zu verändern, gleichzeitig aber auch die fehlende Bereitschaft, Ressourcen zu investieren. Die Steuergruppe, die ja installiert wurde, um den Prozess nicht „versanden“ zu lassen (vgl. Eingangspassage, Z. 63) wird in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Dies zeigt, dass auch die Steuergruppe ihre Aufgabe nicht realisieren konnte. 11 Der Hinweis von Bm auf den Schulleiterwechsel wird in einen Zusammenhang mit den abgeschlossenen Arbeitsgruppen gebracht. Dadurch, dass man sich erst an „die neue Situation“ gewöhnen musste, wurde „des Organisationsgefüge“ „irgendwie zumindest aufgehalten“. Der Bezug auf das „Organisationsgefüge“ weist auf die notwendigen Rahmenbedingungen hin. Es werden keinerlei Inhalte erwähnt und dies dokumentiert, dass die Blickrichtung des Schulentwicklungsprozesses sich von der Unterrichtsentwicklung eher zur Organisationsentwicklung hin verlagert hat. Deutlich wird zudem, dass der Prozess noch nicht so verankert war, dass auch bei einem Schulleiterwechsel die Arbeitsgruppen einfach weitergearbeitet hätten und dass der neue Schulleiter nicht mit Aktionismus einstieg. Diese Verlangsamung des Prozesses, die der Schulleiterwechsel bewirkt hat, wird nicht negativ gesehen. Hervorgehoben wird, dass der neue Schulleiter von „vorneherein“ die Steuergruppe als Ansprechpartner behalten wollte. Durch diese Hervorhebung kann geschlossen werden, dass der Wunsch des Schulleiters auch der Wunsch der Steuergruppe war. Die Steuergruppe will aktiv am Prozess teilnehmen und möchte auch eine Anerkennung ihrer Bedeutung. Nach Bm wollte der Schulleiter aber nicht nur die Steuergruppe behalten, er wollte sie „so gegenüber haben“. Mit dieser Formulierung stellt sich die Steuergruppe auf Augenhöhe mit dem Schulleiter und definiert ihre Rolle innerhalb der Schulentwicklung als gleichrangig. Da diese Sequenz unwidersprochen bleibt, kann dies als Gruppenmeinung interpretiert werden. Bm merkt hier an, dass mit dem Schulleiterwechsel allerdings auch die konkreten Arbeitsgruppen nicht mehr weitergeführt wurden. Entschuldigend führt er als Begründung die starken Belastungen in dieser Zeit durch „andere Sachen“ („20-Jahr-Feier“) an. Der Hinweis auf die Belastungen durch den „Arbeitgeber“, das Kultusministerium, weist auf die notwendigen Rahmenbedingungen für Schulentwicklung hin. Schulentwicklung in diesem Stadium wird von Bm an dieser Schule als zusätzliche Arbeit und Belastung gesehen und wenn in dieser Situation auch noch andere „Belastungen“ dazukommen, dann bleibt für Schul-
11
Vgl. hierzu ausführlich das Thema Steuergruppe.
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
entwicklung keine Zeit mehr. Das Kollegium kann sich dann nicht mehr mit speziellen Themen beschäftigen. Cm widerspricht der Darstellung, dass die Schulentwicklungsarbeit für andere Sachen zurückstehen musste, da man einige Aktivitäten auch als Schulentwicklung bezeichnen könnte. Für Cm ist Schulentwicklung die Arbeit in Kleingruppen. Diese antithetische Differenzierung kann zum einen als Versuch gewertet werden, die eigene Arbeit nicht zu stark abzuwerten, sie dient zum anderen aber auch der Klärung des Begriffes Schulentwicklung. Um etwas im Bereich Schulentwicklung vorweisen zu können, werden verschieden Aktivitäten als Schulentwicklung deklariert. Die Inhalte der vorhergehenden Prioritätensetzung, nämlich die Ausrichtung an der Unterrichtsentwicklung, dem Kerngeschäft der Schulentwicklung, sind verloren gegangen, stattdessen werden die 20-Jahr-Feier und die Erstellung einer Festschrift angeführt. Die Unklarheit darüber, was alles als Schulentwicklungsarbeit bezeichnet werden kann, ist ein Hinweis auf eine fehlende gemeinsame Vorstellung von der Zielrichtung des Schulentwicklungsprozesses. Was mit der Schulentwicklung erreicht werden sollte, kann nicht verbalisiert werden. Deutlich wird aber auch, dass Schulentwicklung insgesamt als ein Zusatz angesehen wird, der mit großem Arbeitsaufwand einhergeht, aber unverbunden bleibt mit dem Alltag der Lehrkräfte. Auch die Verwendung des Begriffs „Einrichtung“ für die Arbeit in Arbeitsgruppen als Merkmal von Schulentwicklung weist auf eine starke Distanzierung von der Schulentwicklung hin. Insgesamt bleibt die Rahmenorientierung „Ein Prozess, der von außen kommt, ist nicht unser Prozess“ bestehen und wird von Fm in Interaktion mit Cm in der folgenden Passage validiert. Passage „Die Steuergruppe und das Kollegium“ (Z. 194-201): Fm:
Xm: Fm: Cm: Fm:
Und wie von vorhin angesprochen Entstehungsgeschichte spielt schon auch a Rolle. (.) verquickt mit bestimmten Personen. Ja ja. Auf alle Fälle. Des war ein unglücklicher Start. Des is eine Belastung die sich die es nicht erleichtert hat und die sich bis heute spürbar noch erhalten hat.
Zwei Gründe für den unglücklich verlaufenen Prozess dokumentieren sich in dieser kurzen Passage noch einmal ganz deutlich. Zum einen waren es die Vorgehensweise und die Überforderung des Kollegiums in der Auftaktveranstaltung
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
111
und zum anderen war der Prozess stark mit der Person des Schulleiters verbunden und von daher negativ belegt. Dass die Belastungen, von denen Fm spricht, sich vor allen Dingen auf die Steuergruppe beziehen, wird im nächsten Abschnitt deutlich. Die Steuergruppe und das Kollegium Das Verhältnis der Steuergruppe zum Kollegium wird von der Steuergruppe ausführlich thematisiert. Es beginnt im Anschluss an eine Passage über Arbeitsgruppen, die nicht mehr existieren. Passage „Die Probleme der Steuergruppe“ (Z. 159-191): Cm:
Fm:
Ew: Fm:
[…](.) Nur äh diese Steuergruppe hat sich also seit Beginn äh der Einrichtung konsequent regelmäßig getroffen. unter der alten und auch unter der neuen Schulleitung. und ich glaub auch dass mittlerweilen die Akzeptanz äh besser is nimmer so kritisch gesehen wird die ganze Geschichte wie vor äh in den ersten 2 Jahren. da da war die Gruppe als Handlanger der Schulleitung äh zu verstehen die Kritik im Lehrerzimmer äh kam dann wenn der Betreffende des betreffende Mitglied net da war hintenrum. also die wurde sehr kritisch gesehen. geht ihr wieder mit dem Schulleiter klüngeln. äh ich war selber damals als Lehrer Mitglied und hab versucht im Kollegium diese Stimmung ab zu bauen äh und zu sagen Leute da wird nichts geklüngelt da wird sich einfach über Schulproblematik unterhalten und wird versucht Lösungen zu finden. und jetzt bin ich auf der Seite der Schulleitung und versuch des Gleiche auch wieder. ich vielleicht weil ich jetzt auf der anderen Seite bin hör ich die Kritik nicht mehr so. äh des müssten die Kollegen können des besser beurteilen. Ist vielleicht besser geworden aber man schaut in die Menschen nicht hinein äh gewisse sag ich a mal Vorsicht denk ich herrscht schon noch. es ist besser geworden aber es ist immer noch net.(keine) Zumindest so die erste Aufregung hat sich gelegt. und so dieses. ¬ Ja ja des schon.
112 Cw:
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse Ja des kommt dazu dass a Teil der Kollegen Kolleginnen ka Notwendigkeit sieht für diese Einrichtung einer Steuerungs- oder Koordinierungsgruppe. zu der Fasson gibt’s eh keinen Spielraum groß irgendwas zu verändern und von daher kann man sich des sparen und macht halt seinen Dienst nach Vorschrift.(.)
Mit dem Hinweis, dass sich nur die Steuergruppe seit Beginn der „Einrichtung“ regelmäßig getroffen habe, leitet Cm auf das neue Thema hin. Die Steuergruppe hat sich nicht nur regelmäßig, sondern auch konsequent, sowohl „unter“ dem vorherigen als auch „unter“ dem jetzigen Schulleiter, getroffen. Mit diesen Formulierungen unterstreicht Cm das ernsthafte Bemühen der Steuergruppe und die Unabhängigkeit vom Schulleiter. Sie haben die Schulentwicklung nicht nur so nebenbei erledigen wollen, sondern sind „konsequent“ dabeigeblieben. Welche inhaltliche Arbeit erledigt wurde, wird allerdings nicht referiert. Der formale Rahmen, nämlich dass man sich getroffen hat, reicht als Beleg für Engagement und ernsthafte Arbeit aus. Die fehlende inhaltliche Ausgestaltung der Treffen weist darauf hin, dass man sich alleine über die Struktur definiert, dass die Steuergruppe keine Vorstellung von Schulentwicklung hat und somit auch nicht inhaltlich argumentieren kann. Die Verortung der Steuergruppe „unter“ dem Schulleiter kennzeichnet die hierarchische Situation und weist auf den konjunktiven Erfahrungsraum der Gruppe hin. Hier zeigt sich eine Diskrepanz zu ihrem Anspruch, mit dem Schulleiter in Schulentwicklungsdingen auf einer Ebene zu agieren (vgl. Eingangspassage, Z. 115-159). In der Wahrnehmung der Gruppe wurde die Stellung der Steuergruppe im Kollegium als zu „schulleiternah“ und kritisch gesehen. Zwar hat sich die Akzeptanz der Steuergruppe gebessert, aber es herrscht noch eine „gewisse Vorsicht“. Die Bezeichnungen „Handlanger“ und „mit dem Schulleiter klüngeln“ dokumentieren die Kränkungen, denen die Steuergruppe zu Beginn des Prozesses ausgesetzt war. Problematisch war dies auch deshalb, weil Kritik nicht offen, sondern „hintenrum“ geäußert wurde. Für die Steuergruppe war dies eine schwierige Situation und Fm ist skeptisch, ob sich diese Haltung des Kollegiums wirklich verändert hat („ist vielleicht besser geworden“, „man schaut in die Menschen nicht hinein“). Die Vorsicht, die er beim Kollegium immer noch festzustellen meint, ist auch bei ihm erkennbar. Er ist sich nicht sicher, ob er nicht doch noch als „Handlanger“ des Schulleiters angesehen wird. Diese Passage macht auch noch einmal die Distanz zwischen Schulleiter und Kollegium deutlich. Diese Distanz wird übertragen auf die Steuergruppe und auf den gesam-
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ten Schulentwicklungsprozess. Schulentwicklung wurde von außen initiiert und vom Kollegium nicht akzeptiert. Jeder, der sich in diesem Prozess engagierte, wurde dem „Lager“ des Schulleiters zugerechnet und stellt sich damit gegen das Kollegium. Cm führt als weiteren Aspekt für die Skepsis des Kollegiums gegenüber einer Steuergruppe an, dass ein Teil des Kollegiums die Steuergruppe für überflüssig hält. Da es sowieso keinen Spielraum gebe, könne man sich die Bemühungen auch „sparen“. Als Begründung für die Untätigkeit der Steuergruppe wird die eigene Ohnmacht angeführt. Allerdings wird auch nicht ausgeführt, was man gerne verändern möchte und worin genau das Einengende besteht. Die Konsequenz, stattdessen „Dienst nach Vorschrift“ zu machen, kann als Resignation, aber auch als Strategie im Umgang mit Top-down-Vorgaben interpretiert werden. Bei der Diskussion über die Notwendigkeit einer Steuergruppe dokumentiert sich in der folgenden Passage auch das Streben der Steuergruppe nach Anerkennung durch das Kollegium. Passage „Anerkennung durch das Kollegium“ (Z. 232-256) Fm:
Bm:
Es ist noch die Frage ob die Steuergruppe indem Rahmen wie sie fungiert so grundsätzlich in der Schulentwicklung gedacht ist? Des ist die Frage. Wie es der Herr aus Y-Stadt eigentlich uns vorgestellt hat und wie wir sie hier handhaben. Des in dem Sinne wirklich Schulentwicklung ist oder ob des wirklich a erweiterter Stab der Schulleitung ist, des is hier die Frage; und ich glaub des ist a des dass diese Diskrepanz auslöst mit dem Lehrerkollegium. Na ja ich denk scho diese diese Diskrepanz des kommt scho daher dass viele einfach halt a keine Notwendigkeit sehen oder da einfach auch net mitmachen wollen. Bei Schulentwicklungsmaßnahmen. Denn wenn ma was anfängt dann kostet ja des natürlich irgendwie Kraft und Zeit zusätzlich; und wer dafür net bereit ist der hat sowieso eh seh ich da kann Sinn drin.(.) Und des is halt schwierig oder die Situation wäre toll und einfach wenn alle wenn ein Lehrerkollegium praktisch geschlossen sagt wir wollen Schulentwicklungsmaßnahmen betreiben in welcher Richtung auch immer. Und damit wir se betreiben können brauchen wir eben eine gewisse organisatorische
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Ew:
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse Grundstruktur; und da brauchen wir in diesem Rahmen ne Steuerungsgruppe wenn darüber Einigkeit besteht und dann ist des O.K. Aber die besteht bei uns nicht. Na ja des wäre der Idealfall aber du wirst bei soviel Leuten jetzt nie hinkriegen.
Fm lenkt mit seiner Frage nach der Arbeitsweise und der Stellung der Steuergruppe den Fokus wieder auf die Differenz zwischen ihrer eigenen Handlungspraxis und dem Theorieanspruch. Es dokumentiert sich die Unzufriedenheit mit der eigenen Praxis, mit ihrer Rolle als Steuergruppe. Die Arbeit als verlängerter Arm der Schulleitung ist nicht nur unbefriedigend, sondern ist auch der Grund für die Probleme der Steuergruppe mit dem Kollegium. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die Unverträglichkeit zwischen den realen Entscheidungsstrukturen und der Idealvorstellung der Steuergruppe weisen auf das Grunddilemma, die Führungsstruktur, hin. Es geht um die grundsätzliche Frage, wer entscheidet. Hier werden auch Ansätze von Reflexivität im Hinblick auf die Überprüfung der eigenen Praxis anhand von Konzepten der Schulentwicklung erkennbar. Bm elaboriert die Proposition von Fm. Für ihn wollen „viele“ nicht, weil sie keine Notwendigkeit für Schulentwicklungsmaßnahmen sehen oder zusätzliche Arbeit befürchten und deshalb gar nicht erst etwas beginnen. Für Bm haben Maßnahmen zur Schulentwicklung gar keinen Sinn, wenn nicht die Bereitschaft des Kollegiums vorhanden ist. Damit wird nicht das Agieren der Steuergruppe für die Entfremdung zwischen der Gruppe und dem Kollegium verantwortlich gemacht, sondern das Kollegium selbst steht in der Verantwortung. Dies entlastet erst einmal die Steuergruppe, enthält aber auch ein hohes Maß an Frustrationspotential. Alle Bemühungen, alle Arbeit der Steuergruppe sind nach dieser Argumentation ja umsonst. Hier dokumentieren sich auch ein gewisses Ohnmachtsgefühl und wieder der Wunsch nach Anerkennung der eigenen Arbeit durch das Kollegium. Noch deutlicher wird dies, wenn Bm den Gegenhorizont des Idealbildes eröffnet und damit die Diskrepanz zu ihrem konjunktiven Erfahrungsraum, der erlebten Realität, beschreibt. In diesem „Idealfall“ will das gesamte Kollegium eine Schulentwicklung und ruft quasi nach einer Steuergruppe. Die Steuergruppe möchte nicht nur akzeptiert, sondern auch wirklich benötigt werden. Die Würdigung ihrer Arbeit durch das Kollegium ist für die Steuergruppe ein sehr wichtiger Faktor. Die Gruppe will geschätzt, gebraucht und anerkannt werden. Deutlich wird an dieser Passage auch das Dilemma zwischen dem Wunsch nach Konsens und der Tatsache eines heterogenen Kollegiums. Dieses Konsens-
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bestreben („wenn ein Lehrerkollegium praktisch geschlossen sagt wir wollen Schulentwicklungsmaßnahmen betreiben“) dokumentiert auch den Wunsch der Steuergruppe, dieser Prozess möge ein Prozess des Kollegiums sein. Das Idealkollegium will „Schulentwicklungsmaßnahmen betreiben in welcher Richtung auch immer“ und im Rahmen einer „organisatorische Grundstruktur“ wird auch die Steuergruppe benötigt. Weder der Schulentwicklungsprozess, der genannt wird, noch die Arbeit der Steuergruppe werden näher ausgeführt. Die Formulierung „in welche Richtung auch immer“ zeigt deutlich, dass die Gruppe keine elaborierte Vorstellung über die Ziele eines bzw. ihres Schulentwicklungsprozesses hat. Auch ihre Stellung und Arbeit als Steuergruppe wird nur vage skizziert („da brauchen wir in diesem Rahmen ne Steuerungsgruppe“). Die Gruppe hat keine eigene Identität entwickelt und hat selbst keine Vorstellung von ihrer Rolle. Der Gegensatz zwischen Ideal und Machbarkeit bzw. Wirklichkeit, der diese Passage prägt, drückt die Suche der Steuergruppe nach Überwindung dieser Diskrepanz aus. Die Frage der Entscheidungsstrukturen an der Schule und ob die Steuergruppe nur „Handlanger der Schulleitung“ ist oder wie sie “grundsätzlich in der Schulentwicklung gedacht ist“, spiegeln diese Diskrepanz wider, ohne dass die Steuergruppe ihr Idealbild formulieren könnte. Gerade der konjunktive Erfahrungsraum, in dem die Gruppe die Heterogenität des Kollegiums erlebt, steht im Gegensatz zum Konsensprinzip, das in der Schulentwicklungsdebatte kommunikativ-generalisierend formuliert wird. Diese Problematik zeigt sich nochmals in der folgenden Passage, in der auch die diffusen Vorstellungen der Gruppe („wenn irgendwie Ideen zu Tage kommen“) sichtbar werden. Passage „Anerkennung durch das Kollegium“ (Z. 270-275) Bm:
[...] Aber bei uns is halt irgendwo in nem Teil des Kollegiums die Idee noch wach und in am anderen Teil war sie nie wach @(des is a weng so unser Problem)@ A Teil is sicher unentschlossen würde sich mitziehen lassen wenn irgendwie Ideen zu Tage kommen.
Hierarchie und Mitwirkung an Entscheidungen Auf die exmanenten Fragen von Y „Was waren denn so wenn Sie zurückdenken ihre größten Erfolge?“ und „Was könnten Sie sich noch vorstellen wo es hingeht?“ thematisiert die Gruppe ihre Rolle in der Hierarchie- und Entscheidungsstruktur der Schule.
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Passage „Anerkennung durch das Kollegium“ (Z. 480-515) Cm:
Dw:
Ew:
Also einer der wesentlichen Erfolge der ganzen Geschichte ist dass natürlich diese Koordinierungsgruppe diese Steuergruppe äh Entscheidungen der Schulleitung transparenter macht. dass des net immer diese diese in vier Wänden hinter verschlossenen Türen Entscheidungen sind sondern dass viele Sachen hier vordiskutiert werden und sogar schon vor entschieden werden. und des find ich halt von beiden Seiten her gesehen früher als Lehrer und jetzt in der Schulleitung sehr wichtig. dass das net von oben herab was kommt sondern dass hier bereits Entscheidungen fallen. die dann schon von einer größeren Basis aus getragen werden. und es vielleicht dann leichter is so was dann auch im Kollegium zu vermitteln. weil des net nur von der Schulleitung nach unten delegiert wird sondern im Kollegium vielleicht schon diskutiert und transparent gemacht wird. des is für mich einer der wesentlichen äh Punkte hier.(.) Und des Positive da daran ist vielleicht wirklich, dass wir ich sitz ja normalerweise immer in meinem normalen Lehrerzimmer drinnen ich krieg die Stimmungen mit kann die auch wieder hier in diese Koordinierungsgruppe mit eingeben und versuch des auch dass ich sag okay gut in des Kollegium denkt vielleicht komplett anders als z. B. die Schulleitung und da können versuchen wir also schon in diesem Kreis wirklich zum Teil einen Kompromiss zu finden. äh wir können keinen Kompromiss finden wenn irgendwelche ehm Zwangsdinge von oben kommen ich mein da ist die Schulleitung dran gebunden und logischerweise dann auch wir. aber ansonsten versuchen wir schon wenn es irgend möglich ist einen Kompromiss zu finden. und des hier vorher zu diskutieren und dann auch hinterher im Kollegium wirklich zu sagen Nein die Koordinierungsgruppe hat des eigentlich so wir ham des durch diskutiert und sind der Meinung ehm des und des is vielleicht des Beste. und des find ich eigentlich schon sehr positiv.(4) °ich schließ mich an°
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
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Cm bezeichnet als einen „wesentlichen Erfolg“, dass die Koordinierungsgruppe die Entscheidungen der Schulleitung „transparenter macht“. In seiner Argumentation wird allerdings deutlich, dass es nicht um Transparenz, sondern um die Mitsprache der Koordinierungsgruppe geht. In der Koordinierungsgruppe werden Dinge „vordiskutiert“ und sogar „vorentschieden“. Der Hinweis, „dass net von oben herab was kommt“, zeigt, dass hier wieder das Hierarchieproblem aufscheint und verhandelt wird. Die Koordinierungsgruppe wird als Möglichkeit gesehen, Hierarchie abzubauen, weil nicht nur „nach unten delegiert wird“. Die Teilnahme an der Macht, die eigentlich abgelehnt wird, wird legitimiert und begründet durch einen Zuwachs an Demokratie. Hier wird wiederum ein sehr naives Demokratieverständnis deutlich (vgl. Z. 241-254) und gleichzeitig auch die Verführung durch Macht. Indem Cm darauf hinweist, dass die Steuergruppe die Entscheidungen der Schulleitung transparenter macht und es durch ihre Mitwirkung an den Entscheidungen leichter fällt, diese Beschlüsse dem Kollegium zu vermitteln, beschreibt er hier neben der Handlungspraxis auch eine Funktion der Gruppe. Die Gruppe ist nach seinem Verständnis doch „Stab der Schulleitung“ (vgl. Z. 230-240) und, auch wenn sie es immer wieder beklagt, sie hat sich aus dem Kollegium gelöst. Es dokumentiert sich wiederum das ambivalente Verhältnis zur Teilhabe an der Macht. Eine zweite Funktion der Steuergruppe bringt Dw ein. Die Steuergruppe dient als Antenne der Schulleitung. Sie kann im Lehrerzimmer Stimmungen der Kollegen aufnehmen, welche dann in die Entscheidungsprozesse der Schulleitung mit einfließen können. Dies wertet sie als sehr positiv, weil dann schon im Vorfeld Kompromisse gefunden werden können. Hier dokumentiert sich das Bemühen der Steuergruppe, Konflikte zu vermeiden, sowie ein instrumenteller Begriff von Kompromiss. Kompromisse werden angestrebt, „wenn es irgend möglich ist“, und dienen nur der Konfliktvermeidung. Kompromisse sind nur dann nicht möglich, wenn „Zwangsdinge von oben kommen“, an die die Schulleitung und natürlich auch die Steuergruppe gebunden sind. In dieser Passage positioniert Dw die Steuergruppe wieder sehr deutlich neben der Schulleitung. Sie ist ebenso wie die Schulleitung gebunden an Weisungen von oben und kann somit nicht dafür verantwortlich gemacht werden. Können Kompromisse geschlossen werden, steht die Steuergruppe aber auch zu den Entscheidungen und vertritt sie gegenüber dem Kollegium. Die Hierarchie wird klar aufrechterhalten. Die Vorstellung von Transparenz ist einseitig auf den Informationsfluss zur Schulleitung und zur Steuergruppe hin gerichtet. Schulleitung und auch Steuer-
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
gruppe brauchen Informationen aus dem Kollegium, um ihre Entscheidungen treffen zu können. Es wird nicht daran gedacht, die Entscheidungstransparenz auch reversibel zu gestalten. Hier treffen Machtdiskurs und Demokratiediskurs aufeinander. Auch auf eine weitere exmanente Frage des Interviewers nach der Rolle der Steuergruppe im Schulentwicklungsprozess thematisiert die Gruppe ihr Verhältnis zum Schulleiter und zum Kollegium. Passage „Wir arbeiten so weiter“ (Z. 904-923) Cm:
Fm:
Cm:
Ich bin für alles offen. Hab ich keine. Für mich persönlich keine keine Zielrichtung sondern äh es is auch bei uns hier in der Steuergruppe so dass die Anstöße net vom Schulleiter kommen. Sondern die die kommen vorwiegend aus der Gruppe heraus. Von den Lehrern und dann äh äh wird ja so was erst a mal diskutiert und dann weiter gedacht. Und dann die Lösung die hier gefunden wird auch dann von der Schulleitung gleich oder im Lehrerzimmer umgesetzt. Also is es net jetzt hier die die Zielsetzung des des von uns her da zu steuern. Also des kommt aus der Gruppe heraus. Im Gegenteil ich würde sagen die Steuergruppe hat bei der Schulleitung viele Dinge initiiert die Schulleitung aufgenommen hat und dann umgesetzt hat. °Des muss man schon mal sagen°. Finde ich. Mei Empfinden.(3) Wobei mein Verständnis auch so ist. Sonst brauch ich ja die Gruppe net. Weil sonst wär ich a sturer Hund und setz halt durch was ich für richtig halt. Oder wir zu zweit. Dann könnten wir die Gruppe auflösen. Dann ist jeder Nachmittag für die Katz. (.)
Cm betont an dieser Stelle zum wiederholten Male die Unabhängigkeit vom Schulleiter. Er skizziert einen Entscheidungsweg „von den Lehrern“, also dem Kollegium, das „erst a mal diskutiert“, über die Steuergruppe, die die Lösung erarbeitet, bis zur Schulleitung, von der diese Lösung dann „gleich oder im Lehrerzimmer umgesetzt“ wird. Die Steuergruppe hat in diesem Szenario die Lösungskompetenz, während die Schulleitung nur ausführendes Organ ist. Selbst Anstöße von der Schulleitung werden nicht akzeptiert. Die Rahmenorientierung
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
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„dies ist unser Prozess und nicht der Prozess der Schulleitung“ kann wieder rekonstruiert werden. Die Betonung von Cm „Also is es net jetzt hier die die Zielsetzung des des von uns her da zu steuern“ macht ebenfalls wieder die Diskrepanz zwischen ihrem Anspruch und ihrer Handlungspraxis deutlich. Die „Zielsetzung“ der Gruppe ist es, Sprachrohr des Kollegiums gegenüber der Schulleitung zu sein und damit weiterhin Teil dieses Kollegiums zu bleiben. Wie die vorhergehenden Passagen aber gezeigt haben, kann dieser Anspruch nicht eingelöst werden. Damit dokumentiert diese Passage kommunikativgeneralisierende theoretische Vorstellungen der Gruppe, aber nicht ihre konjunktive Handlungspraxis. Auf die Frage, ob es noch etwas Wichtiges gebe („Ein Bereich, ein Vorfall, ein Ereignis, das ganz wichtig war?“) in Bezug auf ihren Schulentwicklungsprozess formuliert Cm Ratschläge einer Herangehensweise für andere Schulen. Passage „Pragmatische Schulentwicklung“ (Z. 1035-1054) Cm:
Ew: Am: Bm: Fm:
Wenn a Schule der Meinung is sie müsste des anfangen weil es modern is, dann soll’s die Finger davon lassen. und wenn a Teil des Kollegiums der Meinung is äh äh des brauch ma net dann muss man die auch schmoren lassen und des ham wir so gemacht und dadurch is jetzt da relative Ruhe auf dem Gebiet. die ich weiß jetzt mittlerweile gar nimmer ham sie uns jetzt akzeptiert als Gruppe oder oder is ihnen des mittlerweile wurscht. auf jeden Fall die Gruppe existiert weiter und die paar Gegner leben mit ihrer Meinung auch noch. im gleichen Kollegium des wegen musste keiner gehen oder ist von sich aus gegangen. man sollte vielleicht des ganze nicht überbewerten. sondern als einen Teil von Schule zu sehen wo ma a bisserl was bewegen kann. manchmal wenn ich so manche Leute höre und Leute die des verkaufen offiziell sehen die da drin des A und O der Zukunft der Schule. und äh des des kann I so net unterschreiben. Des is der Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Ja genau. Ja. Der große Unterschied.
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Cm formuliert in den Ratschlägen seine pragmatische Schulentwicklungstheorie, die sich aus den Erfahrungen der Gruppe speist und die es ermöglicht, die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit zu überwinden. Die Kolleg(inn)en einer Schule müssen wirklich überzeugt sein von ihrem Vorhaben und es muss nicht immer das ganze Kollegium beteiligt werden. Der Hinweis „dann muss man die auch schmoren lassen“ weist auf den Leidensdruck hin, der erst groß genug sein muss, dann würden sich diese Kollegen schon beteiligen. Die Betonung „Des is der Unterschied zwischen Theorie und Praxis“ ist die Formulierung der Orientierung Ideal und Wirklichkeit. Zusammenfassung Für die Gruppe Mais hatte der Beginn des Schulentwicklungsprozesses Auswirkungen auf wesentliche Bereiche ihres Handelns. Immer wieder wird die Abgrenzung zum Schulleiter bzw. zur Schulleitung thematisiert. Die Steuergruppe formuliert zwar immer wieder den Anspruch auf die Gestaltung des Schulentwicklungsprozesses, es gelingt ihr aber nicht, eine eigene Vorstellung von der Zielstellung oder den Inhalten zu entwickeln. Ihre Anstrengungen richten sich auf die Teilhabe an oder die Übernahme von Entscheidungen. Dem Schulleiter werden im Bereich der Schulentwicklung keinerlei Befugnisse zugestanden. Die Gruppe positioniert sich neben oder sogar über ihm und gibt ihm Anweisungen. In dieser Abgrenzung dokumentiert sich die Rahmenorientierung der Gruppe: Dies ist unser Prozess und wir, die Steuergruppe, möchten ihn gestalten; wir sind die entscheidende Instanz in der Schule.
Die Gruppe Mais behandelt die Hierarchiethematik mit einem anderen Akzent als die Gruppen Weizen und Gerste. Während Weizen sich völlig in die Hierarchie einordnet und nur auf Impulse von oberen Hierarchieebenen reagiert, beansprucht Gerste zwar Autonomie in ihrem Schulentwicklungshandeln, akzeptiert aber die Schulleitung im hierarchischen System. Mais dagegen installiert sich als alternative, selbständige Leitungsinstanz der Schule und betont beständig und bei den unterschiedlichsten Themen ihre Unabhängigkeit vom Schulleiter. Diese angestrebte Leitungsposition der Gruppe erzeugt allerdings ein Problem im Verhältnis zum Kollegium. Für das Kollegium ist die eigenständige Stellung der Steuergruppe, unabhängig vom Schulleiter, nicht erkennbar und so wird sie der Schulleitung als „Handlanger“ zugeordnet. Die Steuergruppe selbst ist somit weder Mitglied des Kollegiums noch formaler Bestandteil der Schulleitung, erhebt aber Anspruch auf eine Machtposition. Sie
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findet keinen Platz innerhalb der hierarchischen Struktur der Schule. Deshalb oszilliert sie zwischen ihrem Ideal, dem Kollegium weiterhin anzugehören, was zwar Machtlosigkeit bedeutet, aber dem von ihr propagierten Modell der Parität entspricht, und ihrem Bestreben, eine Stellung als Entscheidungsgremium zu erreichen, mit der Konsequenz, ihr Ideal zu verraten. In ihrer Handlungspraxis hat die Gruppe sich schon für die Leitungsebene entschieden. Dies allerdings immer in der Distanzierung von und im Konflikt mit der Schulleitung. Begründet wird dieses Handeln dadurch, dass so Hierarchie abgebaut werden könne. Die Gruppe erliegt der Verführung zur Macht. Die Konzentration auf die Machtthematik ermöglicht auch die Distanzierung von den Inhalten des Prozesses. Diese Inhalte zu definieren, wird als Aufgabe des Kollegiums gesehen, wobei jedes Thema akzeptabel ist, was zu einer gewissen Beliebigkeit im Schulentwicklungsprozess führt. Als weitere Rahmenorientierung der Gruppe kann der Versuch rekonstruiert werden, die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit zu überwinden.
Ähnlich wie bei der Gruppe Gerste entstehen die Diskrepanzen aus dem eigenen Anspruch und der empirischen Handlungspraxis. Auch die Gruppe Mais strebt einen demokratischen, partizipativen, vom Kollegium getragenen Prozess an. Dies scheitert aber nach Einschätzung der Gruppe am Desinteresse des Kollegiums. Deshalb nehmen die Gruppenmitglieder Stimmungen im Kollegium auf und diskutieren oder entscheiden Dinge vor. Damit entfernen sie sich in ihrer Handlungspraxis allerdings wieder vom Ideal einer vom Konsens Gleichberechtigter getragenen Schulentwicklung. Eine Diskrepanz entsteht auch, wenn sie die Notwendigkeit eines eigenen Engagements sehen, aber nicht bereit sind eigene Ressourcen dafür bereitzustellen. Hier unterscheiden sie sich klar von der Gruppe Gerste, die durchaus bereit ist eigene Arbeitskraft für den Schulentwicklungsprozess der Schule zu investieren. Die Gruppe Mais löst dieses Dilemma, indem sie sich ihre eigene Alltagstheorie der Schulentwicklung (eine pragmatische Schulentwicklungstheorie) entwirft, die auf Abwarten und auf kleine Schritte setzt. Dies ermöglicht der Gruppe einerseits ihre Leitungsposition zu legitimieren, denn ein Schulentwicklungsprozess benötigt ja eine Steuergruppe, erlaubt aber gleichzeitig auch ein geringes Engagement.
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
3.2.4 Die Gruppe Roggen Fokussierte Themen der Gruppe Roggen sind (1) Wer treibt Schulentwicklung voran? (2) Wie kann Schulentwicklung institutionalisiert werden? (3) Schulentwicklungsarbeit als Teil der Lehrerbildung und auf exmanente Nachfrage (4) die Rolle der Steuergruppe. In der Falldarstellung werden lediglich die Themen (1) und (4) behandelt, da nur sie für den komparativen Vergleich mit den Steuergruppen von Relevanz sind. Wer treibt Schulentwicklung voran? Für die Schulleiter und die Schulleiterin war eine wesentliche Frage, wie Schulentwicklung initiiert und nachhaltig in der eigenen Schule implementiert werden kann. An diesem Thema wird die geringe Bedeutung der Steuergruppen für die Schulleitungsgruppe bereits erkennbar. Passage „Unterrichtsentwicklung wird von den Fachbetreuer(inne)n gemacht“ (Z. 107-116): Am:
Bm: Am: Cm: Dw: Am: Dw:
dann liegt ja n wesentlicher Motor in der Unterrichtsentwicklung in den Fachbetreuern; ich hab jetz bei mir gemerkt dass wenn Fachbetreuung von alteingesessenen Fachbetreuern oder -betreuerinnen wechseln auf junge dann kommt genau die ¬ Mh Unterrichtsentwicklung vielviel stärker in Schwung (.) also die Fachbetreuer ham da schon ne ¬ Mh ¬ Mh erhebliche Einflussnahme ¬ Mh
Am thematisiert die Frage, wer Unterrichtsentwicklung anstößt, initiiert, in Gang hält. Für ihn sind es die Fachbetreuer(innen), die deren „wesentlicher Motor“ sind. Dies weist auf die Bedeutung der einzelnen Fächer für die Unterrichtsentwicklung hin. Diejenigen, die schulorganisatorisch für die Unterrichtsfächer zuständig und verantwortlich sind, sind auch die Schlüsselpersonen der Weiterentwicklung; sie haben erheblichen Einfluss und können so die Schulentwicklung befördern. Diese Orientierung findet sich auch bei der Gruppe Weizen in der
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Passage Unterrichtsentwicklung als neuer Schwerpunkt, in der die Gruppe die Thematisierung der Unterrichtsentwicklung in den Fachsitzungen andenkt. Hier scheint das Thema der Legitimation von Einflussnahme auf den Unterricht der einzelnen Lehrkraft auf. Fachbetreuer(innen) in Leitungsfunktion auf einer mittleren Managementebene sind qua Amt legitimiert, Innovationen auch in den Unterricht der Fachkolleg(inn)en zu tragen. Sie beschränken sich auf ihr Fach, haben somit eine begrenzte Autonomie. Am formuliert auch keine Bedenken, dass es Schwierigkeiten geben könnte, wenn Einfluss auf die Unterrichtsgestaltung der einzelnen Lehrkraft genommen wird. Die Funktion der Fachbetreuer(innen) innerhalb der Schulstruktur ist völlig klar. Sie stehen in der Hierarchie eine Stufe über den normalen Lehrkräften und sind so auch berechtigt Einfluss auf die Unterrichtsentwicklung in ihrem Fach zu nehmen. Die Bedeutung der Berücksichtigung von Hierarchieebenen in Schulentwicklungsprozessen wird im Kontrast zu den Steuergruppen Weizen, Gerste und Mais sehr deutlich. Während die Steuergruppen die Autonomie der einzelnen Lehrkraft für ihre Unterrichtsplanung bzw. -gestaltung anerkennen und hier in ihren Bemühungen um eine Unterrichtsentwicklung an Grenzen stoßen, ist für die Schulleiter und die Schulleiterin diese Problematik nicht gegeben. Fachbetreuer(inne)n wird in diesem Sinne „schon ne erhebliche Einflussnahme“ zugestanden. Fachbetreuer(innen) die auf den Unterricht von Lehrkräften Einfluss nehmen, verstoßen nicht gegen eine Schulkultur, die durch die Parität Gleichgestellter strukturiert und stabilisiert wird. Das einzige Problem, das bei den Fachbetreuer(inne)n im Hinblick auf Unterrichtsentwicklung gesehen wird, ist personenbezogen. Fachbetreuer(innen) müssen der Unterrichtsentwicklung auch aufgeschlossen gegenüberstehen und sie aktiv vorantreiben. Am macht dies am Alter fest: Durch junge Fachbetreuer(innen) komme die „Unterrichtsentwicklung vielviel stärker in Schwung“. In der gesamten Passage wird im Kontext Unterrichtsentwicklung die Steuergruppe kein einziges Mal erwähnt. Unterrichtsentwicklung soll zwar fächerübergreifend angelegt sein, wird aber von den Fächern / den Fachbetreuer(inne)n her gestaltet. Hier dokumentiert sich, dass Unterrichtsentwicklung für die Gruppe Roggen nicht als Aufgabe der Steuergruppe wahrgenommen wird. Auch in der folgenden Passage wird von der Gruppe die Frage der Initiierung von Schulentwicklung behandelt. Passage „Schulentwicklung muss institutionalisiert werden“ (Z. 158-179): Dw:
ne also @(.)@ des is also eine der großen Fragen für mich (.) wer schiebt an, wer gibt Ideen wer gibt Impulse des is der eine Bereich (.) und ich denk das ist der Fachbetreuer des is der Lehrer selbst des sind
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse die Schulleitungsleute und jetzt muss es also irgendwo Räume geben ich mein jetzt net im im räumlichen architektonischen Sinn sondern im zeitlichen strukturellen Sinn in denen dann ein Gespräch entstehen kann in denen Ziele geklärt werden (.) Dinge verworfen werden und so weiter; und ich denk das so der nächste Schritt dann weil Sie ham gefragt wie hats begonnen und ähm dieses Beginnen mit den Impulsen is wichtig und jeder is euphorisch und dann brauchts ja was (.) ja wo findets jetzt statt @(.)@ wo gehts jetzt weiter wo is der Austausch wo is die Diskussion; ich hab vorhin mal weil Sie vorhin gefragt haben gibts positive Beispiele an Ihren Schulen ham wir vorhin mal die Frage gehabt (.) hab ich zum Beispiel es is wichtig dass des Kollegium einmal im Jahr alle verbindlich etwas zusammen tun (.) Stichwort pädagogischer Tag. is ja nicht selbstverständlich eigentlich mh
Dw beendet in diesem Diskursbeitrag das vorhergehende Thema, indem sie die Frage nach den Akteuren in der Schulentwicklung beantwortet. Neben den Fachbetreuer(inne)n sind es die Lehrkräfte selbst und die Schulleitung. Wie im gesamten Diskurs kommt auch an dieser Stelle die Steuergruppe nicht vor, obwohl Dw hier originäre Aufgaben einer Steuergruppe nennt, wie sie Schulentwicklungsratgeber (vgl. Kap. 1.3) definieren. Dies dokumentiert wiederum die geringe Relevanz der Steuergruppe für die Schulleiterin und die Schulleiter. Neben den Personen, die für Schulentwicklung Verantwortung übernehmen, thematisiert Dw noch einmal die Problematik der Verstetigung aus der Eingangssequenz. Vor allen Dingen stellt sich für Dw die Frage nach dem zeitlichstrukturellen Raum für Schulentwicklung an Schulen. Für Dw ist klar, dass in einem Schulentwicklungsprozess Ziele geklärt und Angelegenheiten diskutiert werden müssen und dass gerade nach einem euphorischen Start auch die Weiterarbeit organisiert sein muss. Die Arbeit mit Zielen zeigt, dass Dw in Qualitätsschleifen denkt und dass für sie Schulentwicklung als Prozess institutionalisiert werden muss. Deutlich wird somit das Interesse von Dw an einer systematischen Institutionalisierung. Dw betont das „Gespräch“, den „Austausch“, die „Diskussion“ und dass „Dinge verworfen werden“. Damit dokumentiert sich auch die Ausrichtung von Dw an der Prozesshaftigkeit der Institutionalisierung, die als Kommunikationspro-
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
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zess im Kollegium ablaufen soll. Die anschließend erfolgenden Validierungen der anderen Gruppenmitglieder bestätigen dies als kollektive Orientierung der Gruppe. Unklar bleibt, wo und wann diese notwendigen Dinge stattfinden sollen. Für Dw ist es z. B. wichtig, dass das Kollegium einmal im Jahr verbindlich etwas zusammen unternimmt. Weiter wird dies nicht ausgeführt, und damit dokumentiert die Vagheit der Äußerung gleichzeitig die fehlende konjunktive Handlungspraxis. Institutionalisierung wird angestrebt, doch wie sie erreicht werden kann, ist unklar. Die Frage der Institutionalisierung von Schulentwicklung durchzieht die gesamte Diskussion der Gruppe Roggen. Im Rahmen der Schulentwicklung sehen die Mitglieder dieser Gruppe die Institutionalisierung klar als ihre originäre Aufgabe. Eine Verbindung zur Steuergruppe ihrer Schule wird von ihnen selbst nicht hergestellt. Aktive der Schulentwicklungsprozesse an ihrer Schule sind andere Personengruppen. Während für die inhaltliche Gestaltung des Prozesses die Fachbetreuer(innen) Verantwortung übernehmen sollen, sind sie als Schulleiter(innen) selbst für dessen Institutionalisierung verantwortlich. Rolle der Steuergruppe Die folgende Textpassage wird nach 45 Minuten selbstläufiger Diskussion durch eine exmanente Nachfrage von Y („Sie ham ja eine Steuergruppe in den Schulen (.) schildern Sie doch mal ganz konkret die Arbeit ihrer Steuergruppe an der Schule“) initiiert. In diesem Textausschnitt werden neben den Orientierungen der Schulleitungsgruppe im Hinblick auf die Steuergruppe auch die zwei Wissensarten der dokumentarischen Methode, kommunikativ-generalisierendes einerseits und atheoretisches, habitualisiertes Wissen andererseits, sehr gut sichtbar. Direkt vor dieser Passage verwendet Cm das Bild der Steuergruppe als Motor („bei uns an der Schule ist die Steuergruppe der Motor der ganzen Entwicklung“). Diese Metapher ist, ebenso wie der Hinweis auf die „unheimlich wichtige Funktion“ der Steuergruppe, eher Schulentwicklungssemantik und damit kommunikativgeneralisierendes Wissen. Die Schulleiter und die Schulleiterin kennen selbstverständlich die Schulentwicklungsliteratur und die normativen Erwartungen, die sie enthält. Dass es sich hier um keine handlungsleitende Orientierung handelt, wird u. a. durch deutlich, dass die drei Schulleiter und die Schulleiterin vorher lange über Schulentwicklung diskutiert und dabei viele Themen angesprochen haben, sich aber erst auf eine exmanente Nachfrage hin mit der Steuergruppe beschäftigen.
126
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Passage „Die Steuergruppe als Arm der Schulleitung“ (Z. 665-685): Am:
Dw: Am: Bm:
Dw: Bm:
Am: Cm: Bm:
[...] und da geht’s auch zum Beispiel über diese Feedbackkultur (.) um Kommunikationsstrukturen (.) des sin recht vernünftige Vorschläge (.) die man natürlich über die Steuergruppe wieder in den Lehrerrat einbringen muss; denn sonst (.) gibt’s ja dann da ¬ Hm wieder diese Zwistigkeiten [...] Also (.) die Steuergruppe hat ne unheimlich wichtige Funktion (.) äh eben die Schulentwicklung zu organisieren; sie übernimmt eigentlich selbständig relativ viel (.) Konflikte kann ich mich nicht entsinnen weil des eigentlich n ständiges Gespräch is wo automatisch ausgetauscht wird; wie machen wir weiter, was ist zweckmäßig, ähm (.) und sie hat, um auf die Rolle von vorhin wieder zurück zukommen auch ne wichtige Funktion in dem Sinne dass die Steuergruppe von sich aus bestimmte Dinge vorantreiben kann die ich nicht direkt vorantreiben kann; ¬ Ja also sozusagen als (.) indirekter Motor von mir; dass man da was reinbringt (.) macht ihr doch mal (.) oder wie seht ihr des, ob ihr des könnt? so dass die Steuergruppe an manchen Dingen sehr viel effektiv weiter kommt als ich des direkt machen könnte. Wenn man so nen Impuls als Schulleiter gibt wird’s oft (zum Zwang) @(.)@ Die Widerstände gegen den Zwang sind weg Ja ja klar (.) also es is ne andere Diskussion wenn des Kollegen aus dem Kollegium machen (.) und äh diese Impulse geben als wenn ich die von außen gebe (.) ganz klar.
Die Gruppe Roggen diskutiert in dieser Passage die Funktionen einer Steuergruppe. Neben dem immanenten Gehalt der Schilderung dokumentiert sich in der Art und Weise, wie dieses Thema behandelt wird, auch die Rahmenorientierung der Schulleiterin und der Schulleiter hinsichtlich ihres Führungsverständnisses und der Rolle der Steuergruppe hierbei.
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
127
Von den Schulleitern und der Schulleiterin werden der Steuergruppe in diesem Textabschnitt drei Funktionen zugeschrieben. Die Steuergruppe soll das Kollegium über die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe informieren. Sie hat somit erstens eine Kommunikationsfunktion. Die Information des Kollegiums dient aber nicht der Partizipation. Das Kollegium soll von Kolleg(inn)en informiert werden, um „Zwistigkeiten“ zu vermeiden. Die Kommunikationsfunktion der Steuergruppe gehört somit in den Kontext einer grundsätzlichen Konfliktvermeidungstaktik der Schulleiter und dient als Strategie zur Vermeidung negativ gerahmter Auseinandersetzungen. Weiter soll die Steuergruppe „eben die Schulentwicklung [...] organisieren“. Diese Organisationsfunktion, als zweite Funktion, wird nicht weiter ausgeführt; es bleibt bei der Benennung. Stärker ausgeführt wird dagegen die dritte Funktion der Steuergruppe, die in den Worten von Bm „ne wichtige Funktion“ ist. Die Steuergruppe soll „bestimmte Dinge vorantreiben“, die Bm als Schulleiter „nicht direkt vorantreiben kann“. Er formuliert hier explizit, dass er die Steuergruppe als Instrument zur verdeckten Durchsetzung seiner Interessen sieht. Sie soll ein „indirekter Motor von mir“ [i. e. des Schulleiters] sein (vgl. hierzu auch die Gruppe Mais die Passage Die Probleme der Steuergruppe: „die Gruppe als Handlanger der Schulleitung“). Der Verweis auf das Problem, dass Widerstände gegen Innovationen im Kollegium aufkommen, nur weil sie vom Schulleiter initiiert wurden, sowie auf die Möglichkeit, diesen Widerstandsreflex durch den Einsatz der Steuergruppe zu vermeiden, verdeutlicht die Instrumentalisierung der Steuergruppe. Die Validierung von Dw und die Elaborationen von Am und Cm zeigen an, dass es sich um kollektiv geteilte, implizite Wissensbestände handelt, die die Handlungspraxis der Schulleiter und der Schulleiterin strukturieren. Im Gegensatz dazu wird die Organisationsfunktion der Steuergruppe nur genannt und nicht durch Beispiele oder Beschreibungen elaboriert. Dies ist ein Beleg dafür, dass die Schulleiter und die Schulleiterin zwar über kommunikativ-generalisierendes Wissen um diese Funktion von Steuergruppen (vgl. Kap 1.3) verfügen, dieses aber nicht in ihrer Handlungspraxis verankert ist. Der Formulierung von Bm, dass die Steuergruppe „eigentlich selbstständig“ organisiert, stehen seine Anfragen an die Steuergruppe gegenüber: „macht ihr doch mal (.) oder wie seht ihr des, ob ihr des könnt?“. Das Betonen der selbstständigen Arbeit der Steuergruppe zeigt, dass dies gerade nicht selbstverständlich ist, sondern dass der Steuergruppe Handlungsautonomie nur in einem vom Schulleiter vorgegebenen Rahmen zugestanden wird.
128
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Die Steuergruppe soll die Ziele der Schulleitung unterstützen, die Selbständigkeit bezieht sich nur auf die Art und Weise der Umsetzung dieser vorgegebenen Ziele. Die Vereinnahmung der Steuergruppe für die Interessen der Schulleitung kann auch an weiteren Stellen der Gruppendiskussion rekonstruiert werden. In dieser Funktion soll die Steuergruppe ausgleichen und Widerstände vermeiden. Sie dient als Puffer zwischen Kollegium und Schulleitung. Dieser Abfederung ist unidirektional ausgelegt: Die Steuergruppe soll der Schulleitung helfen allerdings eventuelle Konflikte mit dem Kollegium zu vermeiden. Damit ist die Steuergruppe für die Schulleiterin und die Schulleiter kein Organ des Kollegiums oder eine Einrichtung für das Kollegium, sondern ein Instrument der Schulleitung gegen das Kollegium. Dies ist die zentrale Rahmenorientierung der Gruppe Roggen im Bezug auf die Steuergruppen. Sie tritt in der vorliegenden Stelle besonders deutlich hervor. Es handelt es sich um eine Fokussierungsmetapher, die durch hohe interaktive Dichte und eine bildhafte Sprache gekennzeichnet ist. In dieser Orientierung haben die Steuergruppen für die Gruppe Roggen eine unterstützende, konfliktvermeidende Funktion und dienen damit dem Machterhalt und der Machtabsicherung der Schulleitungen. Dass die Schulleiter(innen) die Steuergruppen als Instanz unidirektionaler Vermittlung hin zum Kollegium verstehen, geht einher mit ihrer Vorstellung von Führung. Impulse der Weiterentwicklung gehen von der Schulleitung aus, und damit von oben nach unten. Den Lehrkräften müssen „diese Impulse“ so näher gebracht werden, dass sie ohne Konflikte akzeptiert werden und keinen Widerstand hervorrufen. Zum einen dokumentiert sich an dieser Passage, dass die Schulleitung alleinige Führungsverantwortung für sich beansprucht und keine Beteiligung des Kollegiums vorgesehen ist. Die Schulleiterin und die Schulleiter meinen zu wissen, was gut für die Schule und das Kollegium ist, und tragen in paternalistischer Fürsorge Verantwortung für die Umsetzung. Aus diesem Führungsverständnis und dieser Rollenzuschreibung an die Steuergruppen ergibt sich für die Schulleiter und die Schulleiterin aber auch ein erhebliches Konfliktpotential, das sich in den folgenden Textpassagen rekonstruieren lässt. Passage „Die Reduzierung der Schulleitung auf Verwaltungsbeamte durch die Steuergruppe“ (Z. 917-961): Dw:
[...] ich denk dass die Koordinierungsgruppe auch mehr wahrnimmt von dem was Schulleiter tun und deswegen auch (.) Dinge wiederum anders verstehen kann und auch a andre ja, a andere Sicht in ein Kollegium tragen
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
?m: Dw:
Am: Dw:
Bm: Dw:
129
kann was ein Schulleiter tut; also net im Sinne des Fanclubs sondern in dem Sinne was-was da eigentlich auch noch dranhängen könnte (.) also ich- letztendlich is es eine Knowhow-Erweiterung; ich hab die ganze Zeit überlegt was eigentlich da noch rüberkommt; auf der anderen Seite glaub ich dass man manchmal äh auch Dinge abgeben muss (.) als Schulleiter; also wenn man so ganz tolle pädagogische Ideen hat (.) sag ich jetz mal und plötzlich feststellt eigentlich hat jetzt des Steuerteam oder des Koordinierungsteam diese tollen pädagogischen Ideen dann kommt man selber nicht mehr so gut raus; also @(.)@ @(.)@ ne, also einerseits sind wir froh wenn die des aufgreifen andererseits muss man auch sehr selbstkritisch sagen (.) ähm ja man muss einfach was abgeben auch; oder die Gefahr is des hab ich kürzlich mal ganz scharf dann formuliert ähm (.) als es hieß ja du kümmerst dich nur um diese formalen Sachen (.) dass die an einem hängen bleiben; die Pädagogik machen dann die anderen und die Schulentwicklung machen die anderen, und der Schulleiter is immer der der sagt ne des könnt ihr machen au des könnt ihr nicht machen aber ich kümmer mich dann um den Hausmeister und um die Baulichkeit und die Finanzen und um dieses; Schulleiter kommen ja eigentlich nur aus der Pädagogik; das heißt sie ham auch Lust auf Pädagogik und wollen auch gestaltend wirken (.) und ich glaub des is so’n Punkt über den wir alle dann irgendwann in der Zukunft auch nachdenken müssen; ne, ¬ Mh äh weil dann wir sind ja keine Verwaltungsfachmänner und –frauen und das wollen wir ja auch net sein (.) wir wollen ja von der Sache selber mitwirken und mitgestalten Ja dieser Vorwurf du kümmerst dich nur um Bau- und um Finanz- und sonst was (.) völlig klar nä, (.) und dann ¬ @(.)@ ja
130 Bm: Dw: Bm: Dw: Bm: Dw: Bm:
Dw:
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse kommt aber auch der Gegenvorwurf, äh, jetzt ich brauch Geld, weil für des Projekt brauch ich dieses und ¬ ja dieses und jenes; wo ich dann sag ja ich hab keine ¬ richtig. Finanzen mehr @(2)@ @(3)@ @(ja was hast’n gemacht?)@ äh (.) da wird’s plötzlich wieder eingefordert (.) was vorher nicht gesehen wurde. Ja.
Im ersten Teil dieses Diskurses betont Dw wieder eine Mittlerfunktion der Steuergruppe. Das Kollegium hat von sich aus keinen Einblick in die komplexe Arbeit einer Schulleiterin/eines Schulleiters und kann deshalb dahinterliegende Beweggründe nicht verstehen. Die Steuergruppe hat mehr Einblick in die Arbeit der Schulleiterin als das Kollegium und soll dieses Wissen in das Kollegium hineintragen. Sie ist hier eine Vermittlungsinstanz, um den Lehrkräften die Beweggründe der Schulleiterin transparent und damit einsichtig zu machen, sodass mehr Verständnis für das Agieren der Schulleitung entsteht. Diese Rollenzuschreibung an die Steuergruppe bildet, wie in der vorhergehenden Passage, aber auch das Verhältnis zwischen Schulleitung und Kollegium als ein Spannungsfeld mit latentem Konfliktpotential ab. Dieses Potential möchten die Schulleiterin und die Schulleiter mit Hilfe der Steuergruppe reduzieren. In dieser Rolle wird die Steuergruppe wieder der Seite der Schulleitung zugeordnet und somit klar vom Kollegium weggerückt. Dass die Steuergruppe dadurch den Spannungen zwischen Schulleitung und Kollegium ausgesetzt sein könnte, ist für die Schulleiterin kein Thema. Diese Problematik lässt sich u. a. an der Gruppe Mais aufzeigen (vgl. Gruppe Mais, Passage Die Probleme der Steuergruppe: „Da da war die Gruppe als Handlanger der Schulleitung äh zu verstehen [...] Also die wurde sehr kritisch gesehen. Geht ihr wieder mit dem Schulleiter klüngeln“). Dass die Schulleitung in Schulentwicklungsprozessen aber „auch Dinge abgeben“ muss, wird von Dw formuliert und findet die Zustimmung der anderen Gruppenmitglieder. In ihrer erfahrungsbasierten Schilderung wird allerdings deutlich, dass dieses Abgeben mit ihrem Führungsverständnis, mit der Interpretation ihrer Rolle in Schulentwicklungsprozessen, nicht ohne weiteres vereinbar ist.
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
131
Die Position als Schulleiterin bzw. Schulleiter wird auch legitimiert durch „so ganz tolle pädagogische Ideen“, die man hat. Schulleiterinnen und Schulleitern wird so eine pädagogische Leitfunktion zugeschrieben, die sich z. B. durch die Hervorbringung von Ideen nachweisen lässt. Wenn diese Funktion nun an die Steuergruppe abgetreten wird, dann kommt „man selber nicht mehr so gut raus“. Abgabe von Aufgaben bedeutet demnach Abgabe von Reputation, von sichtbarer Anerkennung. Es dokumentiert sich ein an Hierarchie gebundenes Kompetenzverständnis: Je höher jemand in der Hierarchie steht, desto mehr Kompetenz und Innovationspotential wird ihm zugeschrieben und gleichzeitig von ihm erwartet. Ein solches mit Hierarchie verknüpftes Kompetenzverständnis beinhaltet aber auch ein Risiko: In dem Moment, in dem Verantwortung und Entscheidungen an das Kollegium, an Lehrkräfte, an die Steuergruppe abgegeben werden, in dem von dieser Seite auch Kompetenz gezeigt wird, ist die eigene Autorität, die ja auf einer höheren Kompetenzzuschreibung gründet, bedroht. Schulleiter(innen) beanspruchen für sich auch eine pädagogische Führungsverantwortung im Bereich der Schulentwicklung und nicht nur eine organisatorisch-schulrechtliche; sie erleben aber in ihrer Handlungspraxis, dass sie dies nicht leisten können. Eine Beschränkung auf die Schaffung von Rahmenbedingungen erleben sie als Reduktion ihrer Tätigkeit auf die von „Verwaltungsfachmänner[n] und -frauen“, was Dw konkret ausführt: „ich kümmer mich dann um den Hausmeister und um die Baulichkeit und die Finanzen und um dieses“. Auch die Rolle, letztendlich nur zu entscheiden, was durchgeführt wird und was nicht („der Schulleiter is immer der der sagt ne des könnt ihr machen au des könnt ihr nicht machen“), ist für Dw nicht sehr reizvoll; „Schulleiter“ wollen in „der Sache selber mitwirken und mitgestalten“. Sie möchten sich nicht damit begnügen, Projekte und Maßnahmen formal abzusegnen. Diese Diskrepanz zwischen Wollen und Können wird zum einen verschärft durch die Steuergruppe, die nun im pädagogischen Bereich genau den Teil der Führungsverantwortung übernehmen soll, den die Schulleiter(innen) gerne behalten wollen. Sie selbst sind für die inhaltliche Gestaltung des Prozesses nicht mehr nötig und die Steuergruppe wird dann als Konkurrenz wahrgenommen. Zum anderen wird die Diskrepanz aber auch verschärft durch die divergierenden Anforderungen, wie sie die Gruppenmitglieder aus dem Kollegium oder der Steuergruppe wahrnehmen. Sie nehmen zum einen den Vorwurf wahr: „du kümmerst dich nur um diese formalen Sachen“, und damit implizit die Aufforderung, sich auch inhaltlich stärker einzubringen. Zum anderen begegnet ihnen auch der Vorwurf, sich nicht genug um die Organisationsarbeit zu kümmern, wenn z. B. keine Geldmittel für irgendwelche Projekte vorhanden sind: „@(ja was hast’n gemacht?)@“.
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Die Schaffung von Rahmenbedingungen, also die Arbeit an den „formalen Sachen“, ist nicht nur wenig reizvoll, sie wird vom Kollegium auch nicht wahrgenommen („da wird’s plötzlich wieder eingefordert (.) was vorher nicht gesehen wurde“) und in ihrer Bedeutung anerkannt. Dies bedeutet, dass die Abgabe von Funktionen an die Steuergruppe für die Schulleiter und die Schulleiterin mit einer zweifachen Bedrohung einhergeht. Die Schulleitungstätigkeit wird auf einen ungeliebten Arbeitsbereich eingeschränkt, und dafür gibt es noch nicht einmal Anerkennung. Hier dokumentiert sich, dass die Mitglieder der Gruppe Roggen keine Klarheit über ihre eigene Rolle in einem Schulentwicklungsprozess haben. Diese Rollenunsicherheit wirkt sich dann natürlich auch auf das Verhältnis zur Steuergruppe aus. Wie die Autorität der Schulleiter und der Schulleiterin durch die Nutzung der Steuergruppe bedroht sein kann, schildert Dw im folgenden Textausschnitt. Passage „Rolle der Steuergruppe“ (Z. 727-751): Dw:
Y: Dw:
?m: Dw:
ähm ich denke auch (.) dass die Steuergruppe viel auch entlasten kann von (.) von der Schulleitungsgruppe (.) gleichzeitig fürchte ich mich auch davor, dass sie in den- in den Ruch gerät die Hand des Schulleiters zu sein; des halt ich für fatal. also ich denk da gilt’s massiv gegenzusteuern eben in diese Ecke (.) na ja des traut er sich oder die sich net des selber ins Kollegium zu tragen und da hat sie jetzt so ihre die machen des dann für sie @()@ also das darf’s nicht werden denk ich mir. Wie machen Sie des? wie steuern Sie da dagegen? Indem ich ganz bewusst also erstens Mal des in der Gruppe thematisiere (.) indem ich grundsätzlich nie sage tut das für mich @()@ also des is- halt ich für ja für meine Rolle dadrin (.) oder indem wir auch wenn es drum geht wir wollen das und das initiieren (.) tatsächlich diesen Punkt überlegen (.) kommt das so rüber, wirkt das so? äh oder wenn der Schulleiter des will dann muss ich’s auch selber sagen @()@ in irgendeiner Form. °Richtig° also entweder ich sag’s in ner Konferenz oder ich mach n Aushang oder nä dass wirklich klar ist äh ich möchte
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
Bm:
Dw:
133
das und nicht (.) so; des is bei uns wichtig gewesen (.) von Anfang an. Du das is klar also in dem Augenblick wo die Gruppe zum Blinddarm des Schulleiters wird also dann funktioniert’s nich nä, also Schwanz und Hund das kann nicht funktionieren; Jaja, aber die Gefahr ist groß.
Ausgehend von der Entlastung der Schulleitung durch die Steuergruppe fürchtet Dw, dass die Kooperation von Schulleitung und Steuergruppe vom Kollegium eher negativ gesehen wird und die Steuergruppe „in den Ruch gerät die Hand des Schulleiters zu sein“. Dies hält Dw „für fatal“. Ihre Sorge gilt aber nicht der Steuergruppe, die so diskreditiert würde, sondern einem drohenden Verlust ihrer eigenen Autorität. Genau die Instrumentalisierung der Steuergruppe, die die Schulleiterin und die Schulleiter in der Passage Die Steuergruppe als Arm der Schulleitung, Z. 665-684 als wichtige Funktion der Steuergruppe formuliert haben, um Konflikte zu vermeiden und ihren eigenen Einfluss abzusichern, wird nun als problematisch erkannt; denn sie birgt die Gefahr, vom Kollegium als Schwäche interpretiert zu werden („des traut er sich oder die sich net“) und somit ihre Macht zu gefährden. Die metaphorischen Ausführungen von Bm („Blinddarm des Schulleiters“; „Schwanz und Hund“) bestätigen diese Bedrohung, die Dw sieht. Gleichzeitig weisen sowohl das Bild von der Steuergruppe als Blinddarm des Schulleiters als auch die Metapher vom Schulleiter als Hund und der Steuergruppe als dessen Schwanz auf das Vorhandensein von Hierarchieebenen bzw. das Bestehen eines Machtgefälles hin. Auf der kommunikativ-generalisierenden Ebene lehnen die Schulleiter(innen) die funktionale Zu- und Unterordnung der Steuergruppe im Bezug auf die Schulleitung ab. In ihrer Handlungspraxis sind sie dieser „Gefahr“ längst erlegen. Die Instrumentalisierung der Steuergruppe durch die Schulleiter und die Schulleiterin wurde u. a. in der Passage Die Steuergruppe als Arm der Schulleitung, Z. 665-684 als eine handlungsleitende Orientierung rekonstruiert. In dieser Passage nun reflektiert Dw ebendiese Handlungspraxis. Der Gesichtspunkt der Machterhaltung, unter dem diese Reflexion vollzogen wird, bestätigt den bisher beschriebenen Orientierungsrahmen. Aus ihrer Praxis des Gegensteuerns benennt Dw eine Reihe von Maßnahmen, die alle dazu dienen, den Eindruck zu vermeiden, dass sie sich hinter der Steuergruppe verstecken würde. Damit ist das vorrangige Ziel dieser Aktionen die Inszenierung von Stärke und nicht die Herstellung von Klarheit über Zuständigkeiten.
134
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Zusammenfassung Die Schulleiterin und die Schulleiter sehen als wichtige Schulleitungsaufgabe die nachhaltige Initiierung und Implementierung von Schulentwicklung. Als aktive Personengruppen sie in diesem Prozess heben die Fachbetreuer(innen) im Bereich der Unterrichtsentwicklung und sich selbst im Bereich der Organisationsentwicklung hervor. Die Steuergruppe erwähnen sie von sich aus im Zusammenhang mit Schulentwicklung nicht. Dies folgt einem klaren, an Hierarchie orientierten Führungsverständnis. Die Fachbetreuer(innen) sind qua Amt legitimiert, Einfluss auf den Unterricht der Fachkolleg(inn)en zu nehmen und verstoßen damit nicht gegen das Autonomie-Paritäts-Muster (vgl. hierzu ausführlich Kap. 5.2.1). Sie stellen somit auch keine mögliche Konfliktursache dar. Der Steuergruppe werden auf einer kommunikativ-generalisierenden Ebene wichtige Aufgaben im Bereich der Organisation der Schulentwicklung zugewiesen. In der Handlungspraxis dient die Steuergruppe jedoch dazu, die Macht der Schulleitung abzusichern und evtl. auftretende Konflikte zu vermeiden. Als Rahmenorientierung der Schulleiterin und der Schulleiter im Bezug auf die Steuergruppe wurde die Instrumentalisierung der Steuergruppe zur Machterhaltung der Schulleitung rekonstruiert. Ihren Machtanspruch legitimiert die Gruppe Roggen mit ihrer Kompetenz und argumentiert hier ähnlich wie die Steuergruppe Gerste. Was das Verhältnis zur Steuergruppe angeht, befinden sich die Schulleiterin und die Schulleiter in einem Dilemma, denn aus der Instrumentalisierung der Steuergruppe zur Machtabsicherung ergibt sich für die Schulleitung auch eine zweifache Gefährdung des Machtanspruches: 1.
2.
Wenn der Steuergruppe zu viel Autonomie und Gestaltungsspielraum zugestanden wird, stellt sie eine Bedrohung für die Autorität des Schulleiters / der Schulleiterin dar. Die Steuergruppen können pädagogische Gestaltungskompetenz entfalten, wohingegen Schulleiter(innen) auf das bloße Ausführen von Verwaltungstätigkeiten verwiesen werden, ihre Kompetenz im pädagogischen Bereich kommt somit nicht zur Geltung. Wenn die Steuergruppe nur instrumentalisiert wird und überhaupt keine Selbstständigkeit erhält, besteht die Gefahr, dass diese „Nutzung“ im Schulleiterinteresse vom Kollegium aufgedeckt und dieses Vorschicken der Steuergruppe als Schwäche ausgelegt wird. Somit könnte ein Instrument zur Machtabsicherung zu einem die Macht bedrohenden mutieren.
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
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Kontrastierend zu den Steuergruppen lässt sich Folgendes feststellen: Die Gruppe Weizen ordnet sich völlig in das vorgegebene Hierarchiemuster der Schulleitung ein, sie agiert nur auf Anforderung, wird selbst nicht kreativ tätig und beschränkt sich auf das Ausführen von Anordnungen. Damit stellt sie für die Schulleitung keine Bedrohung im Hinblick auf eigene Profilierung dar (weder inhaltlich noch durch Verdrängung der Schulleiterin / des Schulleiters aus dem genuin pädagogischen Bereich). Die Unterrichtsentwicklung ist für die Gruppe Weizen eher eine Angelegenheit der Fachbetreuer(innen). Sie beschränken sich auf die Organisation von Organisationsentwicklungs-Maßnahmen und stellen somit das Hierarchiegefüge nicht in Frage. Die Gruppe Gerste ist die Gruppe, die mit ihrem Profil exakt den von den Schulleiter(inne)n befürchteten Problembereichen entspricht. Diese Gruppe beansprucht im Bereich der Schulentwicklung die Führungskompetenz. Die Schulleiter(innen) sollen sich auf den Bereich der Organisation oder Formalia beschränken und werden damit in genau jenes Gebiet abgedrängt, dessen Aufgaben sie eher ungern ausführen und in dem sie sich auch nicht profilieren können. In dieser Konstellation herrscht eine ständige Konkurrenz zwischen Schulleitung und Steuergruppe vor. Für den Bereich der Unterrichtsentwicklung sieht die Gruppe Gerste ebenfalls die Probleme bei der Einmischung in die Autonomie gleichgestellter Kolleginnen und Kollegen und überlegt die Einbeziehung der Fachbetreuer(innen), rechtfertigt ihre eigene Einmischung aber mit einer höheren Kompetenz. Damit argumentiert die Gruppe Gerste ebenfalls wie die Schulleiter(innen) mit Rückgriff auf die eigene Kompetenz und leitet daraus einen Anspruch und die Notwendigkeit ihrer Einflussnahme ab. Ähnlich wie bei der Schulleitungsgruppe zeichnet sich ein paternalistischer Führungsstil ab. Die Gruppe Mais steht in völliger Konkurrenz zur Schulleitung. Der Schulleitung wird keinerlei Kompetenz bezüglich der Schulentwicklung zugestanden. Der Bereich der Schulentwicklung wird als Bereich des Kollegiums und der das Kollegium repräsentierenden Steuergruppe gesehen. Im hierarchieorientierten Schulsystem führt dies allerdings zu ständigen Auseinandersetzungen. Das Kokettieren der Gruppe Mais mit der Macht führt dazu, dass sie trotz ihrer Widerstände gegen die Schulleitung von dieser instrumentalisiert wird; zumindest aus Sicht des Kollegiums werden sie zum „Handlanger“ der Schulleitung. Sehr deutlich dokumentiert sich in der Schulleitungsgruppe, dass Kollegium und Schulleitung einer Schule zwei völlig getrennte Bereiche sind, die in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. In diesem Spannungsfeld kann die Schulleitung der Steuergruppe keinen Platz zuweisen, die Steuergruppe kann in der Struktur einer hierarchisch organisierten Schule nicht verortet werden.
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
3.2.5 Die Gruppe Hirse Die Besonderheiten der Gruppe Hirse ermöglichen die Einbeziehung weiterer wichtiger Vergleichshorizonte in den fallübergreifenden komparativen Vergleich. Zum einen ist die Gruppe Hirse im Gegensatz zu den anderen Gruppen keine Steuergruppe im klassischen Sinne der Schulentwicklung, sondern eher eine Projektgruppe (vgl. Dubs 2005, S. 234 f.; Herrmann 2006) und zum anderen ist sie an einer Schule tätig, die eine andere Hierarchieform als die bayerischen Schulen aufweist. Wie bei der Gruppe Roggen werden nur die Passagen beschrieben, die für die komparative Analyse relevant sind. Dies sind die Themen (1) die Steuergruppe im Kollegium, (2) Haltung im Kollegium zu den Innovationsmaßnahmen und (3) Hierarchieebenen im Kollegium. Die Steuergruppe im Kollegium Gleich zu Beginn der Gruppendiskussion beschreibt die Gruppe sich selbst und thematisiert damit ihr eigenes Selbstverständnis. Eingangspassage (Z.7-39) Am:
Bw: Am: Bw: Am:
Ah man könnte sagen dass es die zweite Steuergruppe is (.) zum Beispiel, dass es eine Steuergruppe gab die zwei Jahre lang getagt hat (.) und die im Wesentlichen die Aufgabe hatte (.) die Profile an unsrer Schule zu bestimmen; und äh zu organisieren; und (.) diese ist jetzt existent seit(.)? Letzten Sommer ¬ Letzten Sommer 2005 So eineinviertel Jahr dabei so ungefähr (.) und da haben wir jetzt im Wesentlichen die Aufgabe das umzusetzen; die Profilarbeit die Projektarbeit in Zusammenhang mit den (2) Aufgaben die auf uns kommen und das sind ja das hat Frau Berta schon gesagt im Wesentlichen sind wir eine äußer- von außen bestimmten Aufgaben (.) gesetzte Gruppe; und diese Aufgaben für das Kollegium die ( ) das Gesamtkollegium erst mal so nicht leisten können (2) und äh für die machen wir hier die Arbeit; aber das is jetz nich eine Gruppe die sich wie Berta schon sagte (.) als Idee hat
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
Cm:
Am: Gw:
Cm:
137
Schulentwicklung das ham wir schon lange;[räuspert sich] und wir wollen jetzt mal was voran bringen; natürlich wollen wir auch was voran bringen aber der Impuls is erst mal von außen; so °erst mal gesetzt° Ich möchte noch mal korrigieren die- äh Profiloberstufe is schon seit 2004 Sommer (.) ham wir da begonnen (.) der erste Profiljahrgang ist jetzt im dreizehnten Jahrgang; ( )stimmt Die Erfahrung mit der ersten Steuergruppe war so positiv dass diese scheinbar unüberwindliche Hürde da Profile zu finden doch unglaublich gut gemeistert worden ist durch die Vorgaben der Steuergruppe und ich denke dass das dazu beigetragen hat dass diese zweite St-zweite Steuergruppe auch eingesetzt worden ist; ähm (.) um die Fragen der ja des anstehenden fünften Prüfungselements Projektprüfung (.) äh ja zu klären wie man da einen einheitlichen Rahmen schafft; Ja
Am beruft sich auf Erfahrungen mit einer ersten Steuergruppe an dieser Schule und setzt diese (zweite) Steuergruppe somit in die Tradition einer gewissen Steuergruppenkultur. Der Verweis auf die guten Erfahrungen mit der Vorläufergruppe dient als Begründung für die Struktur der jetzigen Gruppe. Am nennt den Auftragscharakter und die zeitliche Begrenzung der Gruppe. Wie die frühere Steuergruppe auch hat die neue Gruppe die Aufgabe, von außen – von der Schulbehörde – gesetzte Vorgaben für das Kollegium umzusetzen. Weiterhin betont Am, dass die Gruppe „gesetzt“ ist, sich also nicht aus eigenem Antrieb zusammengefunden hat. Wie Am die Gruppe charakterisiert, entspricht diese Steuergruppe den klassischen Anforderungen an ein Projektteam: klare Aufgabenstellung, zeitliche Begrenzung. Die Formulierung, sie habe „Aufgaben für das Kollegium“ zu erledigen, unterstreicht zum einen den Auftragscharakter der Gruppe, weist aber zum anderen schon an dieser Stelle darauf hin, wie wichtig der Gruppe das Verhältnis zum Kollegium ist. Unterzieht man die Eingangspassagen einem komparativen Vergleich, dann fällt auf, dass alle anderen Steuergruppen zuerst ihren Prozess und dann sofort ihr Verhältnis zum Schulleiter thematisiert haben, während Hirse den Charakter
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
der Gruppe definiert, damit viel Wert auf die Formalia (den Auftrag, die begrenzte Zeit) legt und den Bezug zum Kollegium, nicht zum Schulleiter, herstellt. Diese klare Aufgabenorientierung betont Am noch einmal, indem er als Gegensatz eine fiktive Gruppe beschreibt, die „sich“ findet und als Idee hat, „jetzt mal was voranzubringen“. Schulentwicklung wird in diesem Gegenhorizont beschrieben als ein schwer fassbares, vages Globalkonstrukt. Obwohl der Impuls von außen kommt, wird ein eigener Anspruch formuliert – „natürlich wollen wir auch was voranbringen“. In diesem Sinne ist diese Steuergruppe eine Projektgruppe, die für das Gesamtkollegium Wege erarbeitet, behördliche Vorgaben umzusetzen, und damit das Kollegium in gewisser Weise auch entlastet. Die Installation der Gruppe Hirse war die Reaktion der Schule auf einen Impuls von außen. Im Vergleich mit der Gruppe Weizen wird deutlich, dass Hirse dies klar erkennt, es explizit als ihr Selbstverständnis definiert und in diesem Rahmen selbständig agiert. Der Gruppe Weizen fehlt diese Reflexion, sie bleibt passiv in einem reaktiven Modus, hat keinen Auftrag aus dem Kollegium. Die zeitliche Korrektur, die Cm anbringt, unterstreicht die Wichtigkeit der Steuergruppe und betont wieder die Kontinuität von erster zu zweiter Steuergruppe. Gw begründet die Einsetzung dieser Gruppe mit den guten Erfahrungen aus der ersten Steuergruppe. Das Erfolgserlebnis des Kollegiums, eine „scheinbar unüberwindliche Hürde“ durch die „Vorgaben der Steuergruppe“ nicht nur bewältigt, sondern „unglaublich gut gemeistert“ zu haben, hat dazu ermutigt, diese Art der Problembewältigung wieder zu wählen. Die Erfahrungen mit der ersten Steuergruppe werden euphorisch beschrieben und dienen als Legitimation für die Einrichtung der zweiten Steuergruppe. In diesem Textabschnitt dokumentiert sich auch, dass an die Steuergruppe nicht nur Aufgaben delegiert wurden, sondern ihr auch die Kompetenz erteilt wurde, dem Kollegium Vorgaben zu machen. Die Steuergruppe soll einen schuleinheitlichen Rahmen für die Projektprüfung als fünftes Prüfungselement der Abiturprüfung erarbeiten. Damit arbeitet die Gruppe eine Top-down-Reform vonseiten der Schulbehörde ab und gibt dem Kollegium Regeln und Normen vor, an die sich alle anderen halten müssen. Es handelt sich also sich nicht nur um die Erarbeitung organisatorischer Rahmenbedingungen, sondern auch um normative Setzungen. Diese Vereinheitlichung wird ohne negative Konnotation angesprochen, obwohl sie auch eine größere Verbindlichkeit für die einzelnen Kolleg(inn)en und somit auch einen Eingriff in das Autonomieprinzip bedeutet. Während die anderen Gruppen bei normativen Vorgaben immer Konflikte mit dem Kollegium anführen oder befürchten (vgl. z.B. Gruppe Gerste: Passage
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
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Spannungen im Kollegium, Z. 498-528), ist sich Hirse sicher, dass ihr Vorgehen legitimiert ist und vom Kollegium anerkannt wird. Die Eingangssequenz zeigt, dass die Gruppe dadurch gekennzeichnet ist, dass sie eine Top-down-Reform konstruktiv angeht, und dass sie sich auf das Vertrauen des Kollegiums stützt. Im folgenden Diskursverlauf arbeitet die Gruppe weitere Voraussetzungen für ihre Arbeit und damit auch für ihr Selbstverständnis heraus. Eingangspassage (Z. 40-62) Cm:
Bw: Cm: Am:
Cm: Am: Cm:
Ja und die äh andere Voraussetzung war wie ich vorhin schon gesagt habe die- was ich in der gesehen habe in der Zusammenkunft in der Pilotwerkstatt was da anders war bei uns in der Schule dass es Kollegen waren die in der Steuergruppe sich zusammengesetzt haben und da nicht Schulleitungsmitglieder und das heißt dass hier von Anfang an darauf geachtet wurde dass nicht ein irgendwas Hierarchisches irgendwie reinkommt in die Zusammenarbeit zum anderen dass äh (.) die Nähe zum Kollegium sozusagen dafür gesorgt hat dann auch (.) dass äh kein Misstrauen zwischen dem was da auf das Kollegium zukommt und dem was ähm die Leute die dort in der Steuergruppe sitzen planen.(.) und dass das dort keine Auseinandersetzungen gegeben hat; das find ich vom Kollegium auch sehr (2) angenehm und gut wie das mit den Kollegen gelaufen is Von der ersten Steuergruppe meinst du jetzt, oder auch ¬ auch letztes Jahr Bei der ersten war aber der Schulleiter dabei ne, da war also der Schulleiter direkt bei, hat aber nich so als Schulleiter in dieser Gruppe gearbeitet sondern ¬ °Genau° kollegial (.) als Gruppenmitglied eher; °Jaja gut der war einmal mit dabei°
Als weitere Voraussetzung für erfolgreiche Arbeit nennt Cm die Maßnahme, keine Schulleitungsmitglieder mit der Umsetzung zu beauftragen, sondern „Kollegen“. Die Zusammensetzung der Steuergruppe dokumentiert somit auch das demokratische Selbstverständnis der Gruppe. In Abgrenzung zu anderen Schulen wird Hierarchie als eine von außen eindringende Bedrohung gesehen, die durch
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Schulentwicklungsmaßnahmen in die Schule gelangen und die Kooperation der Steuergruppe mit dem Kollegium beeinträchtigen könnte. Hierarchien werden von der Gruppe außerhalb der Schule verortet. Über diesen negativen Gegenhorizont skizzieren sie die Schule als hierarchiefreien Raum. Damit dokumentiert sich eine Skepsis gegenüber Hierarchien, die mit einer starken Betonung des paritätischen Miteinanders einhergeht. Die Hervorhebung, „dass hier von Anfang an darauf geachtet wurde“, dokumentiert noch einmal die Sensibilität der Gruppe für mögliche, sich aus einer in die Schule gelangenden Hierarchie ergebende Konflikte. Das fehlende Hierarchiegefälle zwischen der Steuergruppe und dem Kollegium, die „Nähe zum Kollegium“, verhindert auch Misstrauen gegenüber der Arbeit, den Ergebnissen und Beschlüssen der Steuergruppe – ein Misstrauen, das den anderen Steuergruppen immer wieder vom Kollegium entgegengebracht wurde (vgl. u. a. Gruppe Mais die Passage Die Probleme der Steuergruppe, Z. 159-191; Gruppe Gerste die Passage Kommunikation mit dem Kollegium, Z. 644-676). Die Gruppe betont die Nähe zum Kollegium aber nicht nur aus ihrer Sicht, sondern formuliert auch die Loyalität des Kollegiums zur Steuergruppe, die sie am Ausbleiben von Konflikten („dass das dort keine Auseinandersetzungen gegeben hat; das find ich vom Kollegium auch sehr (2) angenehm“) festmacht. Das egalitäre Selbstverständnis wird auch auf den Schulleiter ausgedehnt. Wenn er in der Steuergruppe mitarbeitet, dann nicht in seiner Funktion als Schulleiter, sondern nur „kollegial als Gruppenmitglied“. Der eher ironische Hinweis auf seine nur einmalige Anwesenheit demonstriert die Unabhängigkeit der Gruppe vom Schulleiter. Haltung im Kollegium zu den Innovationsmaßnahmen Im Folgenden thematisiert Gw die Notwendigkeit einer inhaltlichen Nähe für die Durchführung des Vorhabens, einer Top-down-Reform, als eine unabdingbare Gelingensbedingung ihrer Arbeit. Eingangspassage (Z. 155-172) Gw:
Ich glaube dass diese Steuergruppe auch arbeiten kann liegt auch damit zusammen dass wir nicht etwas versuchen müssen umzusetzen was wir nur abgrundtief schrecklich finden; also wenn ich mal Profiloberstufe ähm komme (.) wir fanden eigentlich die Profilidee nich so schlecht; viele so dieses Zusammenarbeiten der verschiedenen Fächer äh man konnte sich das auch gut vorstellen und deshalb hatte man auch den Willen oder das Interesse daran zu arbeiten dass da was halbwegs
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
141
Vernünftiges bei rauskommt; jetzt bei dieser Steuergruppe is es vielleicht noch ein bisschen schwieriger; wir arbeiten alle in den Projekten und finden das eigentlich auch ganz gut und interessant und wichtig es kommt natürlich das dazu dass es n fünftes Prüfungselement gibt aber trotzdem dass man eben Projektarbeit gut findet und was da abläuft und da-darüber ham wir uns ja ganz viel verständigt; ich glaube das is ne Voraussetzung dafür dass wir hier überhaupt arbeiten können; wenn wir nur irgendwas nur Schreckliches hier durchsetzen müssten dann würde das bestimmt nich funktionieren;
Gw entfaltet eine Argumentation, mit der sie die Arbeitsfähigkeit der eigenen Gruppe („diese Steuergruppe“) begründet. Der propositionale Gehalt ihrer Aussage besteht darin, dass die Gruppe inhaltlich mit der Maßnahme übereinstimmt, die es zu implementieren gilt. Die inhaltliche Zustimmung der Steuergruppe wird als Voraussetzung für die Implementierung der Innovationsmaßnahme formuliert. Die Mitglieder der Steuergruppe standen dem Reformprojekt nicht ablehnend gegenüber. Würden sie die Maßnahme „schrecklich“ finden, würde die Arbeit in der Steuergruppe nicht „funktionieren“. Eine Sache, die mit dem emotionalen, körperliche Abscheu ausdrückenden Begriff „schrecklich“, verstärkt durch die Steigerungsform „abgrundtief schrecklich“, charakterisiert wird, bildet hier den negativen Gegenhorizont für die Gelingensbedingungen einer solchen Arbeitsgruppe. Das Funktionieren der Steuergruppe ist demnach abhängig von einer gewissen Zustimmung zum Gegenstand. Ist diese nicht vorhanden, kann eine Innovation nicht etabliert oder umgesetzt werden. Die Möglichkeit, dass Innovationen ausschließlich top-down angeordnet werden könnten, wird implizit ausgeschlossen. Ohne Zustimmung der Lehrkräfte ließen sich diese nicht durchsetzen. Gw betont damit die autonome Entscheidungsfähigkeit der Lehrkräfte. In ihrer Darstellung ist impliziert, dass die Mitglieder der Gruppe selbst, unabhängig von den Vorgaben, die Qualität einer Maßnahme beurteilen und sich vorbehalten, eine Innovationsmaßnahme, die inhaltlich überhaupt nicht tragbar ist („abgrundtief schrecklich“), gegebenenfalls zu umgehen. Eine konstruktive Umsetzung der Innovation ist somit abhängig von einer gewissen Akzeptanz, vom „Willen“ der Lehrkräfte, „daran zu arbeiten“. Die Lehrerinnen und Lehrer entscheiden, ob sie etwas umsetzen, und wenn sie sich für die Umsetzung entscheiden, dann so, dass „da was halbwegs Ver-
142
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
nünftiges bei rauskommt“. Dies bedeutet, dass unter diesen Umständen und Bedingungen auch konstruktiv mit Top-down-Reformen umgegangen wird. Hier dokumentiert sich die Rahmenorientierung der Gruppe, die durch ein demokratisches Selbstverständnis hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit im Kollegium bzw. zwischen Lehrkräften und Schulleitung und vom Umgang mit administrativen Vorgaben gekennzeichnet ist. Die letztendliche Entscheidungsinstanz ist immer das Kollegium, Innovationsmaßnahmen lassen sich ohne dessen Zustimmung nicht einfach von der Schuladministration verordnen. Gw stellt die Gruppe als offen gegenüber innovativen Unterrichtsmethoden dar; Projektarbeit wird von ihnen selbstverständlich praktiziert (Spannungen entstehen erst im Zusammenhang mit verbindlichen Vorgaben, wie sie z. B. für die Abiturprüfungen notwendig sind: Wenn die Projektarbeit fünftes Prüfungselement wird, wird es vielleicht schwieriger). In der Darstellung von Gw dokumentiert sich das Selbstbild der Schule. Eine reformfreudige, innovative Schule führt selbstverständlich Neuerungen wie Projektunterricht ein und praktiziert so eine bottom-up-orientierte Vorgehensweise. Externe Vorgaben sind dafür nicht notwendig. Konflikte entstehen durch top-down vermittelte verbindliche Vorgaben, wie z. B. notwendigerweise rechtlich verbindliche Regelungen in Prüfungsfragen. Die Übereinstimmung innerhalb der Gruppe bezüglich der Wichtigkeit der Projektarbeit ergibt sich aus ihrer konjunktiven Erfahrung in der Handlungspraxis. Die Zustimmung zur Projektarbeit basiert darauf, dass alle bereits mit dieser Methode arbeiten („wir arbeiten alle in den Projekten“). D. h., die handlungspraktische Erfahrung der Projektarbeit geht der Etablierung dieser Methode als Maßnahme der Schulentwicklung durch die Steuergruppe voraus. Gemeinsame Zielvorstellungen bzw. geteilte Vorstellungen davon, was guter Unterricht ist (Kooperation zwischen den Fächern, Projektarbeit), sind demnach nicht Voraussetzung für die Umsetzung von Innovationen in der Unterrichtspraxis, sondern entwickeln sich in der Handlungspraxis der Lehrkräfte. Eine Kooperation von mehreren Lehrkräften, wie sie z. B. in der Steuergruppe stattfindet, setzt die Erfahrung einer gemeinsamen Handlungspraxis voraus, inklusive der diskursiven Verständigung darüber. Die gute Erfahrung mit der Projektarbeit verbindet die Mitglieder der zweiten Steuergruppe und macht sie – so die Darstellung von Gw – arbeitsfähig. Ohne die geteilten Erfahrungen würde die Kooperation in der Gruppe nicht funktionieren. Insofern ist diese Proposition ein Dokument für das Funktionieren von Schulentwicklungsprozessen nicht im Sinne von handlungstheoretischer Zweck-
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
143
rationalität, wie sie beispielsweise in Organisationsentwicklungsmodellen vertreten wird, sondern im Sinne einer habitualisierten Handlungspraxis. Die Plausibilität einer innovativen Unterrichtsmethode ergibt sich für Gw nicht aus dem kommunikativen Wissen über ein Leitbild oder ein Schulprogramm, sondern aus der handlungspraktischen Erfahrung und der diskursiven Auseinandersetzung mit den Kollegen und Kolleginnen. Die Steuergruppe im Kollegium Die Thematik des konstruktiven Umgangs mit Vorgaben thematisiert die Gruppe an der Einführung der Profiloberstufe. Am verweist auf den Prozess der Entwicklung von Profilen für diese Profiloberstufe. Eingangspassage (Z.241-280) Am:
Bw:
Und staatlich die vernünftige Prof- auch inhaltlich vernünftige Profile zusammenzubekommen also es gab da verschiedene Stadien von den Entwicklung sozusagen dabei und na ja davon hat sich im Laufe der Zeit dann des is ja viel Diskussion im Lehrerzimmer auch gewesen und wie weit jetz in den einzelnen Fachbereichen is sicherlich unterschiedlich gewesen glaub ich und dann wahrscheinlich auch doch ich glaub sehr ungleichzeitig los gewesen in verschiedenen Gruppierungen oder was im Kollegium dann auch passiert aber ich glaub also da glaub ich wirklich dass da die Profiloberstufe durch die Vorstellung damals auch das in der ersten Konferenz dann wie das so ungefähr technisch ablaufen sich vorstellbar is wie das Ganze technisch ablaufen könnte (.) dass da ham ganz viele drauf gewartet dann noch mal und das hat dann (2) ich glaub schon durch die (.) ich glaub die ham gespürt dieses was irgendwie die von der Planungsgruppe dahinter standen und (.) dass sie sich viel Mühe gegeben haben und dass das irgendwie mehr auf auch auf ner menschlichen Basis irgendwo (.) dass das mit dazu dass das mitgeunterstützt haben; dass das dann so auch eingerichtet wurde; Also die Art und Weise wie wir die Profile geschnitten haben im Unterschied zu den meisten allermeisten
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Cm: Bw: Cw: Bw:
Fw: Bw: Gw: Fw: Bw:
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse anderen Schulen das is ja relativ äh selten so’n Modell wie wir das fahren ¬ °Ja (.) genau (.) ähm äh (.) gut° das denk ich hat damit zu tun (.) ähm (.) ja dass grade so ne Skepsis gegenüber diesem behördlich vorgeschlagenen Modell also diese zwei Varianten Kerngruppen und-und echte Profile (.) war äh und versucht worden is also so so hab ich auch den Auftrag verstanden damals an die Steuergruppe (.) die erste ¬ Mh. möglichst das Beste daraus zu machen; aus den Vorgaben ¬ Mh mh ¬ Mh und den Zwängen die uns die Behörde vorgegeben hat also wirklich das Beste daraus zu machen also wie können wir äh sozusagen das was ja an (.) Kröte da drin is dass wir eben Lerngruppen äh haben die eben in drei Fächern zusammen arbeiten müssen; ähm wie können wir sozusagen diese Kröte äh zu nem Prinzen machen, also extrem (.) ausgedrückt (.) also wie können wir dem was abgewinnen was irgendwie positiv sein kann; ...
Am differenziert erst einmal zwischen staatlich vernünftig und inhaltlich vernünftig und schreibt somit die Kompetenz für eine qualitativ hochwertige Umsetzung dieser Reform der Schule zu. Hier thematisiert Am die Frage der Gestaltungskompetenz im Sinne der Fähigkeit zur Umsetzung, aber auch die Frage der Umsetzungsmacht, da ohne die Bereitschaft des Kollegiums eine Reform gar nicht umgesetzt werden könne. Dass der Prozess zum einen viel „Diskussion im Lehrerzimmer“ benötigte und zum anderen sehr unterschiedlich an- bzw. verlief, weist auf die Heterogenität im Kollegium hin. Am betont an dieser Stelle noch einmal die wichtige Rolle der ersten Steuergruppe für diesen Prozess. Die Steuergruppe verschaffte als eine Art Servicestation dem Kollegium eine Vorstellung über die zukünftige Struktur der Profiloberstufe und über den technischen Ablauf der Einführung und brachte somit Transparenz in das Vorhaben. Inwieweit diese Informationen vorher über
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
145
die staatlichen Stellen hätten laufen sollen, wird nicht klar. Die Steuergruppe konnte aber das Unbekannte und deshalb vielleicht auch Bedrohliche einer solchen Innovation relativieren. Dies gelang nach der Schilderung von Am nicht nur durch die inhaltliche Darstellung, sondern auch durch das persönliche Engagement der Gruppe und dadurch, dass dem Kollegium deutlich wurde, dass die Gruppe selbst hinter dem Vorhaben steht und es unterstützt. Wie bereits in der Passage zuvor greift Am das Thema der Sinnhaftigkeit dieser Innovation erneut auf. Im fallinternen Vergleich kann wieder die Orientierung der Gruppe rekonstruiert werden, dass sich die Sinnhaftigkeit einer Reform nicht aus dem kommunikativen Wissen über ein Vorhaben ergibt, sondern aus dem Vertrauen in die Kompetenz und die Authentizität derjenigen, die diese Reform repräsentieren. Wichtig war für das Kollegium neben der Klarheit über das Vorhaben nämlich vor allen Dingen auch die Identifikation der Steuergruppe mit dem Vorhaben, die ihre Rolle als Change-Agents auch wahrnahm. Wiederum nicht erwähnt wird in diesem Zusammenhang die Schulleitung. Über den Hinweis, dass ihre Schule eine besondere Schule sei und die Profile anders als die meisten anderen Schulen umgesetzt habe, bringt Bw wieder das Thema „Verordnete Innovation“ ein. Nach Bw gab es „Skepsis gegenüber diesem behördlich vorgeschlagenen Modell“ und der „Auftrag“ an die Steuergruppe war, „möglichst das Beste daraus zu machen“. Ihre Ablehnung der verordneten Innovation Profiloberstufe dokumentiert sich sehr stark in der Wortwahl und im Bild, das sie verwendet („Vorgaben“ und „Zwänge[n]“ durch die „Behörde“, „Kröte und Prinz“, „wie können wir dem was abgewinnen, was irgendwie positiv sein kann“). Aus den vorhergehenden Passagen ergibt sich, dass es sich um keine inhaltliche Ablehnung handelt, sondern dass im Zentrum der Widerstand gegen ein Top-downModell steht. Die Ablehnung von Hierarchien, wie sie schon in der Eingangspassage, Z. 40-62 rekonstruiert werden konnte, scheint hier wieder sehr deutlich auf. Klar dokumentiert sich aber auch wieder die Bemühung, konstruktiv mit Vorgaben umzugehen. Diese Bemühungen basieren auf eigenen Zielvorstellungen über guten Unterricht und diese Vorstellungen dienten als Grundlage für das Modell. Die Anstrengungen haben sich gelohnt, da andere Schulen, die nur die Vorgaben der Behörde umgesetzt haben, nun Schwierigkeiten haben. Durch diesen Vergleich mit anderen Schulen legitimiert Bw zum einen ihre Aktivitäten und be-
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
tont auch die Kompetenz der Steuergruppe. Zum anderen weist sie aber auch auf die Auswirkungen einer kritiklosen Umsetzung von Vorgaben hin und legitimiert so auch ihre Skepsis gegenüber Top-down-Modellen. Hierarchieebenen im Kollegium Im folgenden Diskursabschnitt thematisiert die Gruppe die Rolle des Kollegiums und der Fachgruppen innerhalb des Innovationsprozesses. Dieses Thema wurde nicht durch die Gruppe selbst, sondern durch eine exmanente Frage des Interviewers initiiert. In den anderen Steuergruppen und auch in der Gruppe der Schulleiterin und der Schulleiter wurden die Fachbetreuer(innen) jeweils als ein Problemfeld in der innerschulischen Hierarchiestruktur angesprochen. Vor diesem Hintergrund sollte durch diese exmanente Intervention ein komparativer Vergleich zu dieser Thematik auch mit dieser Gruppe, die in einer flachen Hierarchiestruktur agiert, ermöglicht werden. Passage „Verhältnis zwischen Fachleitern, Kollegium und Steuergruppe“ (Z.707-777) Y:
Dw: Cm: Dw:
Gw:
Dw: Gw:
Sie haben ja hier (.) auch so Fachsprecher oder Fach(.)leiter Deutsch Mathematik (.) sind Sie mit denen so in Ihrer Funktion jetzt als Steuergruppe auch in Kontakt, ist das nötig, gibt’s da Austausch Schwierigkeiten (.) Unterstützung ¬ ( ) Wir sind ja hier ver- Entschuldigung ( ) Ja das willst du wahrscheinlich auch sagen nich, Zusammensetzung der Steuergruppe hat Rücksicht darauf genommen dass aus jedem Aufgabenfeld äh Leute (2) das Aufgabenfeld vertreten können; (3) die Sprecher direkt sprechen wir nich an oder aber ¬ Die sind auch nich so wichtig sondern wir kommunizieren eigentlich mit denen die in den Profilen arbeiten; also wenn wir was über Projekte ¬ Ja machen wollen dann äh sprechen wir mit denen die grad in zwölf die Projekte machen und wenn wir was über Methoden wissen wollen oder mit denen sprechen wollen dann sprechen wir die an in elf (.) das geht also eigentlich sind die Fachsprecher in diesem Fall finde
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
Bw: Am: Gw: Am:
Bw: Am: Cm: Am: Y:
Dw: Bw: Cm: Bw: Am:
Cm: Bw: Am: Bw:
147
ich nich so bedeutend; sondern die Kollegen die in den Profilen selbst sind ¬ Ja aber warum nich alle Fächer in den Profilen sind zum Beispiel (.) ja (.) ja ¬ Das is n ganz andres wichtiges Problem hast du da angesprochen aber ähm haben wir ¬ Das auch treten an die Gesamtkonferenz heran aus der heraus aus dieser können sie manchmal Aufgaben an die Fachsprecher delegieren (.) die ¬ Ja genau so rum Fachkonferenzkonferenzen besser gesagt (.) das gibt dann Aufträge an die Fachkonferenzen (.) aber das ¬ Mh läuft immer sozusagen erst übers Gesamtkollegium ¬ Was könnt- was sind des für, n Beispiel,fürfür n Auftrag (.) was kann des sein, Das war jetzt mit m Praktikum im Fach Deutsch ¬ Genau (.) mh ¬ zum Beispiel (.) wir haben das Praktikum gemacht ¬ Ja oder was wir jetzt in unserem in der Grund¬ °berufsorientierten Praktikumsunterricht° fördern und wir wollen das was in Pädagogik schon seit Jahr und Tag läuft einen berufsorientierten Praktikumsunterricht und (der hat) auch n anderes Profil und da war die Diskussion dann über die Fachkonferenzen hin dass die das diskutieren sollten ob die das für sinnvoll halten oder nicht °zum Beispiel° Mh Mh oder die Frage wie die wie die einzelnen Teile gewichtet werden bei der Projektarbeit nä, das is also ¬ °Das stimmt° auch was wir vorerst mal verwiesen haben an die Fachkonferenzen zur Beratung und die sollen darüber dann entscheiden; also nicht dass die unsere Kollegen
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Dw:
Bw: Dw: Bw: Fw: Bw: Xw:
3 Darstellung der empirischen Ergebnisse das entscheiden sondern an dass (.) dieses Gremium Fachkonferenz dadrüber entscheident; bei uns haben auch die Fachsprecher (2) ähm (.) nicht so ne Bedeutung also hier bei uns an der Schule jedenfalls (.) wie das sicher in anderen Bundesländern der Fall is die sind zum Beispiel nämlich nicht funktionsstellenmäßig hervorgehoben; und sie (.) kriegen auch keine Stundenentlastung in aller Regel; nur für die Sachen die extra ( ) also da hat der Deutschfachsprecher zum Beispiel ist das einfach so und deshalb rotiert das auch gelegentlich Na ja aber die haben doch schon die Aufgabe so wie ich das verstehe hier dass sie die Fachkonferenzen jeweils mit vorbereiten ¬ na nich vorbereiten einberufen und so aber ich denk mal (.) da tun alle natürlich etwas zu bei Aber es is sehr flach es ist keine Hierarchieebene die ¬ Hm (.) ja; über die Fachsprecher äh definiert wäre das ist glaub ich in Bayern anders nä Mh
Auf die direkte Nachfrage nach dem Kontakt zu den Fachleiter(inne)n erläutert Dw erst die Zusammensetzung der Steuergruppe und geht auf die Frage nicht ein. Dabei wird deutlich, dass sich die Zusammensetzung an inhaltlichen Kriterien, nämlich der Zugehörigkeit zu verschiedenen Fachbereichen, orientierte und nicht an hierarchischen. Die Betonung der Zugehörigkeit zur Steuergruppe nach inhaltlichen Gesichtspunkten und nicht nach hierarchischen dokumentiert auch an dieser Stelle die Hierarchieskepsis der Gruppe. Das egalitäre Selbstverständnis der Gruppe kann somit rekonstruiert werden, wenn die Gruppe die Zusammensetzung der Steuergruppe begründet, es kann nochmals rekonstruiert werden, wenn sie die Rolle der Fachsprecher(innen), die von ihnen als Primus inter Pares konzipiert werden, thematisiert. Die nicht weiter hervorgehobene Stellung wird begründet durch Rotation und dienende Funktion für die Fachkonferenz (Vorbereitung bzw. sogar nur Einberufung der Konferenz). Dass es sich nach Ansicht der Gruppe um keine wirkliche Hierarchieebene in der Schule handelt, wird explizit gemacht durch die Betonung der „flachen“ Hierarchie und des gleichen Gehaltes. Diese Rahmenorientierung „al-
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
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les geht vom Kollegium aus“ dokumentiert sich auch in dem geschilderten Beispiel. In ihrer Handlungspraxis geht die Steuergruppe ebenso vor: Die Steuergruppe macht nur Vorschläge, inhaltliche Entscheidungen werden in den zuständigen Fachgremien entschieden. Auch der skizzierte Weg, der dabei beschritten wird, dokumentiert das Bemühen der Gruppe, nicht den geringsten Zweifel an ihrem demokratischen Selbstbild aufkommen zu lassen: Die Steuergruppe tritt an die Gesamtkonferenz heran und die Gesamtkonferenz kann Aufträge an Fachkonferenzen delegieren. Es sind immer die direkt betroffenen Kollegen, die entscheiden, aber immer wird auch das Gesamtkollegium einbezogen. Die Steuergruppe übergeht das Kollegium also nicht, sondern wählt auch bei der Einbindung der Fachkonferenzen den Weg über das Gesamtkollegium. So konstituiert sich die Steuergruppe auch als Teil des Kollegiums, der einen Auftrag abarbeitet und sich immer wieder rückbindet an eben dieses Kollegium, das den Auftrag erteilt hat. Die Rolle der Fachsprecher wird beschränkt auf die Vorbereitung oder sogar nur die Einberufung von Konferenzen und wird als nicht bedeutend dargestellt. Auch die Korrektur von Am „können sie [die Gesamtkonferenz] manchmal Aufgaben an die Fachsprecher delegieren (.) die [...] Fachkonferenzkonferenzen besser gesagt“ stärkt diese Interpretation. Dass die Gruppe von sich aus im Zusammenhang mit den Fachsprechern die Hierarchiethematik einführt und explizit den Zusammenhang zwischen Fachsprechern und Hierarchiegefälle verneint, dokumentiert die Bedeutung der Hierarchiefreiheit für diese Gruppe. Das Agieren dieser Gruppe kann als vorbeugende Schutzmaßnahme vor Hierarchie verstanden werden. In dieser Schule muss demokratisches Handeln nicht erst hergestellt, sondern bewahrt oder im Sinne der Gruppe: geschützt werden. Den expliziten negativen Gegenhorizont für das Demokratieverständnis der Gruppe Hirse stellt die hierarchisch herausgehobene Stellung der Fachkonferenzleiter(innen) in Bayern dar. Zusammenfassung Die Gruppe Hirse legt sehr viel Wert auf die explizite Formulierung ihres Charakters. Sie ist eine Projektgruppe mit klar definiertem Auftrag und mit zeitlicher Begrenzung, und unterscheidet sich klar von Steuergruppen in Schulentwicklungsprozessen ab, wie sie in der Schulentwicklungsliteratur (vgl. u. a. Rolff 2001; Altrichter/Messner/Posch 2004; Holtappels 2007) beschrieben werden. Die Gruppenmitglieder beschreiben ihre Schule als eine reformfreudige, innovative Schule, die von sich aus Neuerungen erprobt und praktiziert. Externe Vorgaben sind dafür nicht notwendig.
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3 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Die Gruppe ist geprägt von einer großen Skepsis gegenüber Hierarchien. Diese Hierarchien werden außerhalb der Schule verortet, und über diesen negativen Gegenhorizont definiert sie ihre Schule als hierarchiefreien Raum oder als Schule mit „flachen Hierarchien“ (vgl. Passage Verhältnis zwischen Fachleitern, Kollegium und Steuergruppe, Z.707-777). Diese Hierarchieskepsis geht einher mit einer starken Betonung des paritätischen Miteinanders. Die Steuergruppe sieht sich klar als Teil des Kollegiums, der einen Auftrag abarbeitet und immer wieder die Kommunikation mit dem Gesamtkollegium sucht. Dies wird auch in der Rahmenorientierung der Gruppe deutlich: Die letztendliche Entscheidungsinstanz in allen Bereichen, sei es bei innerschulischen Vorhaben oder bei externen Vorgaben, ist für die Gruppe immer das Kollegium:
Dies dokumentiert ein demokratisches Selbstverständnis hinsichtlich der Zusammenarbeit im Kollegium bzw. zwischen Lehrkräften und Schulleitung. Das egalitäre Selbstverständnis wirkt sich aber auch auf den Umgang mit administrativen Vorgaben aus. Innovationsmaßnahmen lassen sich ohne Zustimmung des Gesamtkollegiums nicht von der Schuladministration verordnen.
Ein weiteres Merkmal der Gruppe Hirse ist ihre erfahrungsbasierte Vorgehensweise.
Die Erfahrungen mit der ersten Steuergruppe dienen als Legitimation für die Einrichtung der zweiten Steuergruppe. Ihre unterrichtspraktische Reformarbeit und die Umsetzung der verordneten Reform gründen auf eigene Erfahrungen.
Die Gruppe Hirse stützt sich somit auf eine selbstentwickelte, habitualisierte Handlungspraxis. Auf dieser Grundlage ergibt sich für die Mitglieder der Gruppe Hirse die Sinnhaftigkeit einer Reform nicht aus dem kommunikativen Wissen über ein Vorhaben, sondern aus dem Vertrauen in die eigene Kompetenz und die Authentizität derjenigen, die diese Reform an der Schule repräsentieren. Im fallübergreifenden komparativen Vergleich kann Folgendes festgestellt werden:
Die Gruppe Hirse wurde durch einen externen Impuls installiert. Im Vergleich mit der Gruppe Weizen, die ebenfalls stark auf Impulse von außen bzw. von übergeordneten Ebenen reagiert, wird deutlich, dass die Gruppe Hirse klar erkennt, dass sie auf externe Impulse reagiert, es explizit als ihr
3.2 Diskursbeschreibungen der empirischen Demonstrationsfälle
151
Selbstverständnis definiert und in diesem Rahmen selbständig agiert. Der Gruppe Weizen fehlt diese Reflexion, sie bleibt passiv in einem reaktiven Modus. Alle anderen Steuergruppen haben nach der Rekonstruktion ihres Prozesses sofort ihr Verhältnis zum Schulleiter thematisiert. Für die Gruppe Hirse spielt der Schulleiter in der gesamten Gruppendiskussion keine Rolle. Weder rivalisiert die Gruppe Hirse mit dem Schulleiter um Macht oder Befugnisse wie z. B. die Gruppe Gerste, noch geht sie in totale Opposition wie z. B. die Gruppe Mais und sie ordnet sich auch nicht völlig unter wie die Gruppe Weizen. Für die Mitglieder der Gruppe Hirse liegt die Entscheidungsmacht im Gesamtkollegium, dem sie angehören.
Auch für die Gruppe Hirse ist die Hierarchiefrage virulent. Allerdings stellt sich diese nicht als innerschulisches Problem dar, sondern als eine Gefahr, die von außen in die Schule eindringen könnte. Das Agieren dieser Gruppe kann so als Misstrauen gegen Hierarchien und als vorbeugende Schutzmaßnahme vor dem Entstehen von Hierarchien verstanden werden. Im Gegensatz dazu ergibt sich für die klassischen Steuergruppen die Hierarchieproblematik innerhalb der Schule. Sie wissen nicht, wo sie sich verorten sollen, agieren jedoch in einer hierarchischen Kultur. Daher ist ihr erstes Ansinnen als Steuergruppe herauszufinden, wie sie in dieser hierarchisch geprägten Kultur zurechtkommen können. Bei der Gruppe Hirse geht es darum, Hierarchie abzuwenden, bei den anderen Gruppen geht es darum, sich – bei gleichem Anspruch! – in einer gegebenen Hierarchiestruktur zurechtzufinden. Dies lösen die Gruppen unterschiedlich. Den expliziten negativen Gegenhorizont für das Demokratieverständnis der Gruppe Hirse stellt die hierarchisch herausgehobene Stellung der Fachkonferenzleiter in Bayern dar. Ein weiterer wichtiger Unterschied der Gruppe Hirse zu den anderen Gruppen liegt darin, dass die Gruppe Hirse nicht nur den Anspruch auf Demokratie und Partizipation hat, sondern auch so agiert. Das kommunikativgeneralisierende Wissen der Gruppe steht in Übereinstimmung mit ihrer Handlungspraxis. Den Anspruch, demokratisch und partizipativ etwas für das Kollegium zu tun, haben die hier untersuchten Gruppen alle. Während die anderen Steuergruppen sich aber aus dem Kollegium lösen, zwischen Kollegium und Schulleitung oszillieren und so in ein Spannungsfeld geraten, bleibt die Gruppe Hirse in das Kollegium integriert. Mit der Gruppe Hirse kann so im komparativen Vergleich die Bedeutung der Hierarchiefrage insgesamt für die Steuergruppen validiert werden.
4 Typenbildung
Um zu einer Generalisierung der empirischen Ergebnisse zu gelangen, werden nun im Folgenden die Ergebnisse aus Kapitel 3 zusammengefasst und zu einer sinngenetischen Typenbildung (vgl. Kap. 2.5.3) verdichtet. Bei der sinngenetischen Typenbildung werden auf Basis der Orientierungsrahmen der Gruppen thematisch vergleichbare Passagen der Gruppendiskussionen auf gemeinsame Orientierungsmuster hin untersucht. Durch diese fallübergreifende komparative Analyse kann eine generelle Basistypik herausgearbeitet werden. Um zu einer Spezifizierung der Basistypik zu gelangen, werden wiederum fallübergreifende Vergleiche durchgeführt, wobei hier die Basistypik als Tertium Comparationis dient. Fallintern werden diese Spezifizierungen dann validiert. Die komparative Analyse wurde während des Forschungsprozesses von Beginn an durchgeführt und in die vorangegangene Darstellung der Ergebnisse sukzessive eingearbeitet, sodass hier nun empirisch fundiert gefolgert werden kann: Die Rekonstruktion der Handlungspraxis der Steuergruppen und Schulleitungen zeigt deren unterschiedliche und widersprüchliche Orientierungen. Die Steuergruppen oszillieren in ihren Rahmenorientierungen zwischen der Akzeptanz der herrschenden Anordnungsverhältnisse und der Beanspruchung eigener Führungskompetenz. Als homologes Muster und somit als Basistypik ließ sich aus dem empirischen Material die Orientierung an der Hierarchie herausarbeiten. Zentrales Thema aller Gruppen ist damit die Hierarchiefrage und die Verortung der Gruppe innerhalb der Schulstruktur zwischen Kollegium und Schulleitung. Die Spezifizierungen der Basistypik ‚Hierarchie’ wurden durch fallübergreifende Vergleiche im Hinblick auf das Selbstbild der Gruppen, das Verhältnis der Steuergruppe zum Kollegium, das Verhältnis zur Schulleitung und ihr jeweiliges Verständnis von Schulentwicklung herausgearbeitet.
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4 Typenbildung
Durch fallinterne Vergleiche wurde dann validiert, dass die herausgearbeiteten typisierten Orientierungsmuster einen übergeordneten Rahmen bilden und nicht nur für einzelne, bestimmte Situationen handlungsleitend wurden. Diese Verdichtung der empirischen Interpretationen zu theoretischen Ergebnissen ermöglichte die Rekonstruktion von vier unterschiedlichen Modi des Agierens der Gruppen und somit konnten vier Idealtypen von Steuergruppen generiert werden.
Typ 1: Agieren im Modus der Abarbeitung Typ 2: Agieren im Modus schulentwicklerischer Deutungshoheit Typ 3: Agieren im Modus der Nebenregierung Typ 4: Agieren im Modus der aufgabenorientierten Professionalität.
Diese Typen sollen im Folgenden dargestellt werden. Dabei wird zuerst ihr Selbstbild skizziert, danach ihr Verhältnis zum Kollegium und zur Schulleitung beschrieben und abschließend ihr Verständnis von Schulentwicklung vorgestellt. Folgende Spezifika charakterisieren demnach die verschiedenen Typen.
4.1 Typ 1: Agieren im Modus der Abarbeitung Das Selbstbild von Steuergruppen, die im Modus der Abarbeitung agieren, ist durch ein geringes fachliches Selbstbewusstsein im Hinblick auf die Professionalität des Schulentwicklungsprozesses gekennzeichnet. Die Steuergruppe wartet auf Impulse aus einer oberen Hierarchieebene, z. B. der Schulleitung. Ihr Interesse besteht nicht in der Gestaltung der Schule, sondern in der Herstellung eines reibungslosen Organisationsablaufes. Sie empfindet sich als ein Rädchen in der Hierarchie der Schulverwaltung und arbeitet die in diesem Kontext anfallenden Probleme widerspruchslos ab. Eine solche Gruppe sieht sich als eine ‚Hilfstruppe der Schulleitung’. Steuergruppen dieses Typs sind sehr unsicher, was ihr Verhältnis zum Kollegium betrifft. So haben diese Steuergruppen zwar den Eindruck, dass das Kollegium ihre Arbeit schätzt, gleichzeitig konstatieren sie jedoch, dass das Kollegium wenig Interesse an ihrer Arbeit zeigt. Diese Unsicherheit dokumentiert sich auch darin, dass diese Steuergruppen eher im Verborgenen agieren und dass eine solche Steuergruppe dem Kollegium eher unbekannt ist. Seitens der Steuergruppe kommt es zu keiner Einmischung in die Autonomie der Einzellehrkräfte. Eine Steuergruppe des Typs 1 fühlt sich den anderen Lehrkräften der Schule gleichgestellt und es kommt kaum zu Konflikten mit dem Kollegium.
4.2 Typ 2: Agieren im Modus von schulentwicklerischer Deutungshoheit
155
Die Steuergruppe positioniert sich selbst in Akzeptanz der Amtshierarchie unter der Schulleitung. Sie ordnet sich in vorgegebene Strukturen ein und agiert im Sinne pflichtbewusster Verwaltungsbeamter. Anordnungen werden ausgeführt und nicht hinterfragt. Die hierarchische Stellung wird anerkannt; dadurch entstehen kaum Konflikte. Aus Sicht der Schulleitung wird eine solche Steuergruppe als ein ausführendes Organ wahrgenommen. Dieses ist für die Schulleitung hilfreich, um eigene Interessen durchzusetzen. Die Steuergruppe steht nicht in Konkurrenz zur Schulleitung; sie hat die Aufgabe, Vorgaben der Schulleitung „abzuarbeiten“. Steuergruppen dieses Typs entwickeln eine implizite Schulentwicklungstheorie, deren Fokus auf Maßnahmen der Organisationsentwicklung liegt, mit dem Ziel, eine individuelle Arbeitserleichterung für die Kolleginnen und Kollegen zu erreichen. Sie haben keine explizite Vorstellung von Schulentwicklungsprozessen. Aktivitäten in Bezug auf die Unterrichtsentwicklung werden nur zögerlich angegangen und eher in die Verantwortung der einzelnen Kolleginnen und Kollegen gestellt. Der Schulentwicklungsprozess ist im Hinblick auf seine Ziele unterbestimmt; aufgrund der fehlenden inhaltlichen Zielklarheit sind die Aktivitäten stark von externen Impulsen abhängig.
4.2 Typ 2: Agieren im Modus von schulentwicklerischer Deutungshoheit Aus der Zusammenschau der Ergebnisse meiner empirischen Untersuchung ergibt sich ein zweiter Typ von Steuergruppen: Gruppen, die im Modus schulentwicklerischer Deutungshoheit agieren. Das Selbstbild der Steuergruppen dieses Typs ist durch einen klaren Führungsanspruch gegenüber der Schulleitung im Bereich der Schulentwicklung gekennzeichnet. Die Gruppe sieht sich als aktiv und agierend. Angesichts ihrer häufig nur theoretischen Deutungshoheit ist ihr Handeln jedoch durch große Unsicherheit gegenüber dem Kollegium geprägt. Die Gruppe sieht sich als die schulische Instanz, welche die Deutungshoheit über die Schulentwicklung besitzt. Bei diesem Typ lässt sich das Verhältnis zwischen Steuergruppe und Kollegium durch die herausgehobene Rolle der Steuergruppe beschreiben. Zwar wird die Autonomie des Kollegiums betont, aber eine Einmischung in die Autonomie gleichgestellter Kolleginnen und Kollegen dennoch aufgrund sich selbst zugeschriebener höherer Kompetenz als nötig erachtet und legitimiert. Damit entsteht ein potenziell paternalistisches Verhalten gegenüber dem Kollegium, dem nicht zugetraut wird selbständig aktiv werden zu können. Eine solche Steuergruppe steht eher außerhalb des Kollegiums. Aus der Sicht der Steuergruppe empfindet
156
4 Typenbildung
das Kollegium die Steuergruppe als zu anspruchsvoll und damit als störend. Für die Steuergruppe führt diese fehlende Anerkennung aus dem Kollegium zu einer eher resignativen Haltung. Das Verhältnis zwischen Steuergruppe und Schulleitung wird aus Sicht der Steuergruppe durch die prinzipielle Akzeptanz des Führungsanspruchs der Schulleitung innerhalb der vorhandenen Hierarchiestruktur charakterisiert. Für den Schulentwicklungsprozess selbst beansprucht die Steuergruppe jedoch Autonomie. Damit erhebt sie im Hinblick auf Schulentwicklungsprozesse einen eigenen Führungsanspruch in Konkurrenz zur Schulleitung. Die Schulleitung soll sich bei ihren Tätigkeiten, die die Schulentwicklung betreffen, auf den Bereich der formalen Organisation beschränken, da die Kompetenz für die inhaltliche Gestaltung der Schulentwicklung bei den Steuergruppen liegt. Die Schulleitungen nehmen diese Verweisung auf Verwaltungstätigkeiten als Beschädigung ihrer Autorität wahr. Der kompetenzbasierte Machtanspruch der Steuergruppe bedroht die ebenfalls kompetenzlegitimierte Autorität der Schulleitung. Eine Steuergruppe dieses Typs entwickelt eine Position in Bezug auf Schulentwicklung, in der sie für sich die alleinige Deutungshoheit für die anstehenden Prozesse reklamiert. Schulentwicklung ist dadurch insofern mit der Hierarchiefrage verbunden, als die Steuergruppe sich selbst in einer Führungsrolle sieht und für sich die fachliche Kompetenz im Schulentwicklungsprozess in Anspruch nimmt. Dies beinhaltet sowohl die Definition von Schulentwicklung wie auch die Definitionsmacht über die Inhalte des Prozesses. Externe Ansprüche an die Zielrichtung des Schulentwicklungsprozesses oder seine Inhaltlichkeit werden abgelehnt. Die Gruppe entwickelt vielmehr fast missionarischen Eifer bei der Verlautbarung ihrer Ideen. Aspekte der Unterrichtsentwicklung werden von ihr jedoch nicht praktisch bearbeitet, da die Gruppe sowohl die Autonomie der einzelnen Lehrkraft als auch die innerschulische Hierarchie der Fachbetreuer(innen) akzeptiert.
4.3 Typ 3: Agieren im Modus der Nebenregierung Aus den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung lässt sich ein weiterer Typ von Steuergruppen in Schulentwicklungsprozessen herausarbeiten: diejenigen, die im Modus der Nebenregierung agieren. Das Selbstbild dieser Steuergruppen ist dadurch geprägt, dass sie sich als die entscheidende Instanz in der Schule wahrnehmen. Diese Gruppen sehen sich als Schulentwicklungsteam legitimiert zur Führung der Schule insgesamt. Gleichzeitig streben sie einen partizipativen,
4.3 Typ 3: Agieren im Modus der Nebenregierung
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vom Kollegium getragenen Prozess der Schulentwicklung an. Beide Positionen sind in hierarchisch organisierten Schulen nicht miteinander vereinbar und führen zu einer Diskrepanz zwischen normativem Anspruch und Handlungspraxis. Dies führt letztlich dazu, dass sich solche Gruppen von einer inhaltlichen Gestaltung des Schulentwicklungsprozesses distanzieren. Bei diesem Typus Steuergruppe ist das Verhältnis der Steuergruppe zum Kollegium dadurch gekennzeichnet, dass das Kollegium von der Steuergruppe als desinteressiert und misstrauisch wahrgenommen wird. Diese Steuergruppen konstatieren, dass das Kollegium ihre proklamierte eigenständige und vom Schulleiter unabhängige Stellung nicht wahrnimmt und sie – in ihren Augen fälschlicherweise – als „Handlanger der Schulleitung“ sieht. Im Gegensatz zu dieser von den Steuergruppen wahrgenommen Einschätzung durch das Kollegium sehen sie sich selbst in ihrem Verhältnis zur Schulleitung als eine alternative, selbständige Leitungsinstanz der Schule. Sie betonen beständig und bei den unterschiedlichsten Themen ihre Unabhängigkeit von der Schulleitung und erheben Machtanspruch im Hinblick auf alle Entscheidungsprozesse an der Schule. Von daher steht eine solche Steuergruppe in Distanz zum und in Konflikt mit dem Handeln der Schulleitung; viele ihrer Anstrengungen richten sich auf die Teilhabe an oder die Übernahme von Entscheidungen an der Schule. Der Schulentwicklungsprozess ist für die Mitglieder der Steuergruppe die Möglichkeit, vermeintliche oder reale Macht gegenüber dem Kollegium auszuüben. Aus Sicht der Steuergruppen gelingt es der Schulleitung nicht, ihnen im Spannungsfeld zwischen Kollegium und Schulleitung einen festen und adäquaten Platz zuzuweisen. Steuergruppen dieses Typs sind in einer hierarchisch organisierten Schule zwar kein formaler Bestandteil der Schulleitung, erheben aber Anspruch auf eine Machtposition. Das Machtstreben dieser Gruppen ermöglicht der Schulleitung diese für viele Aufgaben zu instrumentalisieren. Allerdings läuft die Schulleitung hier Gefahr, selbst an Autorität und Macht zu verlieren. Steuergruppen dieses Typs stellen für eine Schule einen dauerhaften latenten Konfliktherd dar. Entsprechend dem hohen Interesse der Mitglieder einer Steuergruppe an der Teilhabe an oder der Übernahme von Entscheidungen entwickeln diese Steuergruppen keine eigenen Vorstellungen über Ziele oder Inhalte eines Schulentwicklungsprozesses. Vielmehr geht die Konzentration auf die Machtthematik einher mit einer Distanzierung von Inhalten der Schulentwicklung. Die Verantwortung, die Inhalte des Prozesses zu definieren, wird allein dem Kollegium oder einzelnen Lehrkräften zugewiesen. Aktivitäten werden durch externe Impulse initiiert
158
4 Typenbildung
und alle über den normalen Unterricht hinausgehenden Aktivitäten der Schule werden als Schulentwicklung deklariert. Die damit verbundene Beliebigkeit der Inhalte des Schulentwicklungsprozesses ist wiederum ein Mittel für die Steuergruppe, ihre Einflusssphäre zu vergrößern. Entsprechend ist die Alltagstheorie der Schulentwicklung dieser Steuergruppen eine Entwicklungstheorie, die auf kleinschrittiges und durch äußere Impulse reaktiv bedingtes Vorgehen setzt.
4.4 Typ 4: Agieren im Modus aufgabenorientierter Professionalität Das Handeln des vierten Typs Steuergruppe lässt sich als ein Agieren im Modus aufgabenorientierter Professionalität beschreiben. Steuergruppen dieses Typs sehen sich selbst als demokratisch legitimiert. Sie sind nicht auf Hierarchien fixiert; Hierarchien werden eher außerhalb der Schule verortet. Die unterrichtsbezogene Reformarbeit sowie die Bearbeitung von Anforderungen an die Schule gründen in ihrer eigenen Erfahrung, dem Vertrauen in die eigene Kompetenz und ihrem professionellen Selbstbewusstsein. Sie stützen sich auf das Vertrauen des Kollegiums und gehen Reformen kritisch, aber konstruktiv an. Steuergruppen vom Typ vier beschreiben das Verhältnis zwischen Steuergruppe und Kollegium in der Form, dass sie sich explizit als einen Teil des Kollegiums sehen. Sie arbeiten einen Auftrag ab und stehen in ständigem Kontakt und in Kommunikation mit dem Gesamtkollegium. Sie sehen sich nur dem Kollegium verpflichtet. Die Steuergruppen dieses Typs bleiben im Kollegium integriert und sehen die Entscheidungsmacht über neue Strukturen und Entwicklungsschritte beim Gesamtkollegium. Die Steuergruppe hat den Eindruck, dass das Verhältnis zwischen Kollegium und Steuergruppe positiv ist; sie fühlt sich als eine Arbeitsgruppe in ihrer Dienstleistung geschätzt und steht nicht im Verdacht, mit der Schulleitung gegen das Kollegium zu kooperieren. Das Kollegium steht loyal zur Steuergruppe und es kommt zwischen Steuergruppe und Kollegium kaum zu Konflikten. Im Verhältnis zwischen Steuergruppe und Schulleitung zeigt diese Steuergruppe ein hohes Maß an Autonomie und Unabhängigkeit bei gleichzeitiger Akzeptanz der Schulleitung. Die klare Definition ihrer Aufgabe und die Legitimation durch das Kollegium verhindern Konflikte mit der Schulleitung. Die Schulleitung spielt eine eher untergeordnete Rolle, da die Bearbeitung der Aufgabe als die zentrale Bezugsnorm gesehen wird. Das Verhältnis zur Schulleitung wird von der Steuergruppe als entspannt angesehen. Die aufgabenorientierte Steuergruppe stellt keine Bedrohung der Position der Schulleitung dar und ihr Wirken enthält damit auch wenig Konfliktpo-
4.5 Steuergruppentypen im Überblick
159
tential. Allerdings sind eine solche Steuergruppe in ihrer demonstrativen Negation der Schulleitung und die von ihr in Anspruch genommene klare Zuständigkeit für Teilaspekte der Schulentwicklungsarbeit eine besondere Herausforderung im Bereich Leadership für die Schulleitung selbst. Die Steuergruppe sieht sich selbst als eine Projektgruppe mit einem definierten Auftrag, der in begrenzter Zeit erledigt wird. Mit diesem Verständnis des Schulentwicklungsprozesses unterscheidet sie sich deutlich von Steuergruppen, die sich einem Globalkonstrukt Schulentwicklung als Daueraufgabe verpflichtet sehen. Diese aufgabenorientierten Steuergruppen stützen sich nicht auf eine Schulentwicklungsrhetorik, sondern auf ihre habitualisierte Handlungspraxis. Sie vertrauen ihrer eigenen Kompetenz, verfolgen pragmatische Ziele und sehen in diesen den Sinn von Reformen.
4.5 Steuergruppentypen im Überblick Zusammenfassend lassen sich die Typen von Steuergruppen folgendermaßen charakterisieren: Typ 1: Agieren im Modus der Abarbeitung Die Steuergruppen dieses Typs ordnen sich in hierarchische Strukturen ein und reagieren überwiegend auf Impulse aus der höheren Hierarchieebene. Sie berücksichtigen in ihrem Handeln die Autonomie der anderen Lehrkräfte sowie die vorhandenen Hierarchieebenen, wie z. B. Fachleitungen. Ihr Handeln ist an der Entlastung der einzelnen Lehrkräfte ausgerichtet. Die fehlende eigene Aktivität verhindert Konflikte, sowohl mit dem Kollegium als auch mit der Schulleitung. Die Steuergruppe als unscheinbarer Mitläufer extern initiierter Prozesse. Typ 2: Agieren im Modus von schulentwicklerischer Deutungshoheit Die Steuergruppe dieses Typs sucht Autonomie innerhalb der vorherrschenden Hierarchiestruktur. Sie beansprucht für sich die Deutungshoheit im Bereich der Schulentwicklung und stellt sich außerhalb des Kollegiums. Die fehlende Anerkennung durch das Kollegium führt zur Resignation und zur Isolation vom Kollegium. Hier entstehen Konflikte im Kompetenzgerangel mit der Schulleitung und im missionarischen Eifer gegenüber dem Kollegium. Die Steuergruppe als verkanntes Expertengremium für Schulentwicklung.
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4 Typenbildung
Typ 3: Agieren im Modus der Nebenregierung Die Steuergruppe versteht sich als eine Art Nebenregierung zur Schulleitung. Sie setzt sich inhaltlich wenig mit dem Schulentwicklungsprozess auseinander, sondern stimmt ihr Handeln überwiegend auf dessen machtstrategische Implikationen ab. Dadurch entsteht ein hohes Konfliktpotenzial, was das Verhältnis zur Schulleitung angeht. Gleichzeitig werden diese Steuergruppen aber auch durch die Schulleitungen zur Sicherung von deren Macht gegenüber dem Kollegium benutzt. Dies führt zu Misstrauen im Kollegium. Diese Steuergruppen gehören weder zum Kollegium noch zur Schulleitung. Die Mitglieder der Steuergruppe möchten Spieler sein, werden dadurch aber eher zum Spielball. Typ 4: Agieren im Modus aufgabenorientierter Professionalität Steuergruppen dieses Typs verstehen sich als eine Projektgruppe, die für das Gesamtkollegium Wege erarbeitet, um Reformvorhaben umzusetzen. Im Rahmen ihres Auftrages praktiziert die Gruppe Leadership, die sich durch eine Rechenschaftspflicht dem Kollegium gegenüber auszeichnet. Als temporäre Arbeitsgruppe kann sie ihre ganze Energie einer inhaltlichen Ausgestaltung der jeweiligen Aufgabe widmen. Professionalität definiert sich hier nicht über die Hierarchie, sondern über die Bearbeitung einer Aufgabe. Die Gruppe ist sach- und nicht statusorientiert. Die Steuergruppe als pragmatischer Gestalter.
5 Diskussion der Ergebnisse
Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung waren die Fragen, wie sich Steuergruppen in schulischen Strukturen verorten und welche Orientierungen ihre Handlungspraxis bestimmen. Um diese Forschungsfragen zu bearbeiten, wurden neun Gruppendiskussionen mit Steuergruppen, zwei Gruppendiskussionen mit Trainern und Trainerinnen für Unterrichtsentwicklung und eine Gruppendiskussion mit Schuleiter(inne)n durchgeführt. Diese Gruppendiskussionen wurden mithilfe der dokumentarischen Methode ausgewertet. Im Folgenden werde ich die Ergebnisse meiner Arbeit zusammenfassen und in die bisherige Forschung einordnen. Anschließend wird dieser Befund unter verschiedenen Theorieprämissen diskutiert. In einem dritten Schritt werden die Erkenntnisse, die sich daraus ergeben haben, als Thesen formuliert und damit für weitergehende theoretische Überlegungen und für die empirische Forschung zur Arbeit von Steuergruppen anschlussfähig gemacht.
5.1 Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse Die Interpretation der Gruppendiskussionen machte deutlich, dass bei allen dort diskutierten Themen Hierarchieprobleme aufscheinen. Für die Steuergruppen konnte somit Hierarchie als Basistypik rekonstruiert werden (vgl. Kap. 4). Hinweise auf diese Problematik finden sich auch in anderen bisher vorliegenden empirischen Untersuchungen (vgl. hierzu auch Kap. 1.4). Wesentlich scheint dabei vor allem die strukturelle Verortung von Steuergruppen zu sein: So wird in der Untersuchung zu Steuergruppen des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund (2007a) darauf hingewiesen, dass zum einen die Schulleitung als Auftraggeber der Steuergruppen hervortritt, zum anderen aber in den Steuergruppen selbst vorrangig diejenigen Mitglieder agieren, die auch selbst der Schulleitung angehören. Die damit gegebene Nähe der Steuergruppe zur Schulleitung bei gleichzeitiger Verpflichtung auf die Interessen des Kollegiums wird als „kritischer Befund“ (Berkemeyer/Holtappels 2007a, S. 123) bezeichnet, der zu „mikropolitischen Auseinandersetzungen“ führen kann
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5 Diskussion der Ergebnisse
(Berkemeyer/Holtappels 2006, S. 184). Allerdings wird dieser Aspekt nur konstatiert und nicht weiter diskutiert. Auch die Evaluationsstudie von Herrmann zum Projekt „Schule & Co.“ (Herrmann 2000) weist auf das Spannungsfeld zwischen Schulleitung und Kollegium hin, in dem die Steuergruppen agieren. In einer weiteren Studie beschreibt Herrmann ein „Kulturproblem“, vor dem Steuergruppen stünden (Herrmann 2006, S. 26-28): Steuergruppen bewirken demnach eine Irritation des Kollegiums, indem sie das Hierarchiegefüge eines Kollegiums stören. Von Irritationen zwischen Kollegium und Steuergruppen berichten auch Altrichter, Messner und Posch. Sie weisen darauf hin, dass „eine Steuergruppe Machtverschiebungen in die Organisation bringt“ (Altrichter/Messner/Posch 2004, S. 106) und somit gegen das Autonomie-Paritäts-Muster verstoßen wird. Aus dem bisherigen Forschungsstand gibt es also bereits mehrfach Hinweise auf das Thema „Hierarchie“ als zentrale Orientierung von Steuergruppen und eine konsensuale Bewertung, dass diese Orientierung unter bestimmten Bedingungen zum Problem werden kann. Durch die hier vorliegende Untersuchung kann dieser Befund nun präzisiert werden. Im Folgenden wird aufgezeigt, (1) an welchen Stellen der hierarchisch angelegten Organisation Schule diese Hierarchiestruktur für Steuergruppen zum Problem wird, (2) wie sich diese Problematik auswirkt und für Steuergruppen zum Dilemma wird und (3) wie Steuergruppen damit umgehen.
5.1.1 Steuergruppen und die Hierarchiestruktur von Schulen Theorie und Empirie der Schulentwicklung weisen zusätzlich zur Bedeutung einer Entwicklung von Leadership in Schulleitungspositionen auch auf die Notwendigkeit einer Entfaltung von Arbeitsperspektiven für das mittlere Management hin. Die Verteilung von Führungsverantwortlichkeit auf die Schulleitung und auf das mittlere Management soll im Zuge der zunehmenden Forderung nach Autonomie der Einzelschule der Umsetzung von sich daraus ergebenden Gestaltungsfreiheiten dienen – immer mit dem Ziel, gute Schule zu praktizieren. Eigenverantwortliche Qualitätsentwicklung wird somit einerseits visionär orientierten Schulleitungen zugeschrieben, andererseits wird mit der Einführung schulischer Steuergruppen Entwicklungsverantwortung auch auf das mittlere Management übertragen. Steuergruppen sollen die Schulleitung unterstützen und als Bindeglied zum Kollegium den Veränderungsprozess mitgestalten. Durch diese Positionierung zwischen Schulleitung und Kollegium sind Steuergruppen sowohl der Führung verpflichtet und damit aufgefordert, die Schulleitung zu unterstüt-
5.1 Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse
163
zen, als auch dem Kollegium verbunden und müssen diesem gegenüber Rechenschaft in Qualitätsentwicklungsprozessen ablegen. Die vorliegende Untersuchung konnte empirisch zeigen, dass diese Stellung zwischen Schulleitung und Kollegium für Steuergruppen zum Problem wird, weil sie
sich in der hierarchisch angelegten Organisation Schule im Kontext schulischen Wandels erst einmal ihrer Aufträge und Zuständigkeiten vergewissern müssen. Sie sind beschäftigt mit der Definition ihrer Rolle im Schulentwicklungsprozess, etwa bei der Konturierung der Aufgaben und den Funktionen einer Lenkungsgruppe (vgl. z. B. Gruppe Gerste, Passage Werden wir noch gebraucht); versuchen, die Autonomie der einzelnen Lehrkraft zu beachten und diese keinesfalls einzuschränken (vgl. Gruppe Mais, Passage Pragmatische Schulentwicklung, Z. 1035-1054); bemüht sind, die Hierarchieebenen, z. B. in Bezug auf die Fachbetreuer(innen) (vgl. Gruppe Weizen, Passage Unterrichtsentwicklung als neuer Schwerpunkt, Z. 281-313), bei ihrem Handeln zu berücksichtigen und ihr Verhältnis zur Schulleitung zu definieren (vgl. z. B. Gruppe Gerste, Passage Arbeitsaufwand für die Schulentwicklung, Z. 817-84).
In den Gruppendiskussionen wird deutlich, dass der Prozess der Rollenfindung vor allen Dingen beeinträchtigt wird durch die Unterstellung unlauterer Motive, wie z. B. Karrieredenken, seitens des Kollegiums (vgl. u. a. Gruppe Gerste, Passage Aufgabe der Steuergruppe) oder die Annahme des Kollegiums, die Steuergruppe würde nur Aufträge der Schulleitung ausführen (vgl. u. a. Gruppe Mais, Passage Die Probleme der Steuergruppe).
5.1.2 Auswirkungen der Hierarchieproblematik Das empirische Material hat gezeigt, dass Steuergruppen sich im Spannungsfeld zwischen Schulleitung und Kollegium bewegen und dazu tendieren, sich bewusst oder unbewusst entweder der Leitung oder dem Kollegium zuzuwenden. Beide Entscheidungen haben weitreichende Konsequenzen. Die Nähe zur Schulleitung hat für die Steuergruppe den Verlust der Zugehörigkeit zum Kollegium zur Folge. Eine solche, wenn auch vielleicht nur angenommene Veränderung der Führungskonstellation ruft in der Regel Abwehrreaktionen im Kollegium hervor. So wird etwa Mitgliedern einer Steuergruppe das Wechseln auf die Seite der Schulleitung oder das Ausleben von Karrierewün-
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5 Diskussion der Ergebnisse
schen vorgehalten (vgl. auch Gruppe Mais, Passage Die Probleme der Steuergruppe, Z. 159-191). Der Widerstand im Kollegium gegen die Lenkung durch eine Steuergruppe beruht auf fehlender Legitimation der Steuergruppe und stellt in letzter Konsequenz die Berechtigung ihrer Einrichtung in Frage (vgl. Gruppe Mais, Passage Die Probleme der Steuergruppe, Z. 159-191). Bleiben Steuergruppen hingegen im Kollegium verankert, verlieren sie dadurch die Möglichkeit, auf die Entscheidungen der Schulleitung Einfluss zu nehmen (vgl. z. B. das Agieren der Gruppe Weizen). Versuchen Steuergruppen jedoch eine Zwischenposition zwischen der Schulleitung und dem Kollegium einzunehmen, werden sie leicht zum Puffer und sitzen zwischen allen Stühlen (vgl. hierzu z. B. die Passagen Anerkennung durch das Kollegium, Z. 232-256 und Die Probleme der Steuergruppe, Z. 159-191 der Gruppe Mais). Die differenten Erwartungen an sie sind nicht harmonisierbar. In Abwandlung eines Zitats des bayerischen Kabarettisten Karl Valentin (Valentin 1990) lässt sich diese Situation so beschreiben: „Mögen hätten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.“12 Die Steuergruppen befinden sich in einer dilemmatischen Situation: Sie müssen wählen zwischen der Macht, die die Nähe zur Schulleitung mit sich bringt, und der Akzeptanz seitens des Kollegiums, die aber mit dem Verlust der Einflussnahme verbunden ist. Damit stellt sich für die Steuergruppen dieses Dilemma als eines der Akzeptanz dar, das durch die Hierarchieproblematik erzeugt wird und im Folgenden deshalb als Hierarchiedilemma bezeichnet wird. Die Herausforderung für Steuergruppen liegt so in der Suche nach Akzeptanz und nach Verortung in der Schulstruktur. Dieser Suchprozess, der im Kontext schulischen Wandels und eines starken Drucks von außen auf die Schulen stattfindet, verdeutlicht, dass in der Hierarchiestruktur einer bürokratisch organisierten Schule für die Implementation eines neuen Elements des mittleren Managements bisher kein Ort vorhanden ist. Damit fehlt ein formaler Rahmen für die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Sache; das Konstrukt Schulentwicklung verbunden mit äußerst komplexen Ansprüchen - wird für die Steuergruppen somit nicht fassbar. Dies führt letztlich zu einer Verschärfung des strukturellen Konfliktfeldes.
12 Im Original lautet das Zitat: „Mögen hätt' ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut." – Oft fälschlicherweise im Plural zitiert.
5.2 Theorieperspektiven auf die Ergebnisse
165
5.1.3 Umgang der Steuergruppen mit dem Hierarchiedilemma Auf das Hierarchiedilemma, weder in der Schulleitung noch im Kollegium eine verlässliche Basis zu finden und trotzdem handeln zu sollen, reagieren die Steuergruppen unterschiedlich. Wie rekonstruiert werden konnte, reicht die Spannbreite der handlungsleitenden Orientierungen von der vorbehaltslosen Akzeptanz der Hierarchiestruktur auf allen schulischen Ebenen bis hin zum Aufbau einer kompletten „Nebenregierung“ zur Schulleitung. Steuergruppen des Typs 1: Agieren im Modus der Abarbeitung zeigen ein rein reaktives Verhalten und sehen sich nur als Ausführungsorgan von hierarchisch höher gestellten Instanzen. Steuergruppen des Typs 2: Agieren im Modus der schulentwicklerischen Deutungshoheit begehren gegen übergeordnete Hierarchieebenen auf, allerdings nur auf dem Gebiet der Schulentwicklung, während Steuergruppen des Typs 3: Agieren im Modus der Nebenregierung eine Einebnung der Hierarchie gegenüber der Schulleitung anstreben, gleichzeitig jedoch das Kollegium bevormunden und so eine neue Hierarchiestufe zwischen sich und dem Kollegium etablieren. Steuergruppen des Typs 4: Agieren im Modus der aufgabenorientierten Professionalität zeigen, wie Hierarchiedilemmata von Steuergruppen im Alltagshandeln aufgelöst werden können. Ihnen gelingt eine klare Aufgabenorientierung, die alle hierarchischen Stufungen ausblendet. Durch die Identifikation mit der Sache der Reform, die auch gleichzeitig Sache des Kollegiums ist, wird eine Passung von Aufgabe und professionellem Selbstverständnis erreicht.
5.2 Theorieperspektiven auf die Ergebnisse Im Folgenden werden diese zentralen Ergebnisse der Studie nun unter verschiedenen Theorieaspekten diskutiert.
5.2.1 Steuergruppen und die Autonomie von Lehrkräften Lortie konnte in einer soziologischen Untersuchung zum Beruf von Lehrerinnen und Lehrern im öffentlichen Schulsystem der USA zeigen, dass aufgrund der zellulären Arbeitsorganisation, in der Lehrkräfte ein berufliches Selbstverständnis als Einzelkämpfer entwickeln, jeder Eingriff in die berufliche Autonomie als Störung erfahren wird (Lortie 1975). Die strukturierenden Normen bestehen
166 1. 2.
5 Diskussion der Ergebnisse in der Autonomie des Lehrers/der Lehrerin (Unterricht ist allein Sache des Lehrenden) und in der Parität des Kollegiums (alle Lehrkräfte sind gleichberechtigt und müssen gleich behandelt werden).
Da sich diese beiden Normen gegenseitig verstärken, betrachtet Lortie sie als ein Verhaltensmuster, das er als „Autonomie-Paritäts-Muster“ bezeichnet. Dieses Muster ist einerseits eine Selbstverpflichtung für die Lehrkräfte, ihr eigenes Handeln an diesen Prämissen auszurichten, als auch eine Erwartung an die Umwelt, sich gleichfalls an diese Normen zu halten. Unterricht wird damit als ein „Privatraum“ konstituiert, der nur der eigenen Kontrolle unterliegt. Altrichter und Eder weisen nun darauf hin, dass Qualitätsmanagementsysteme in der Schulentwicklung einen „die gesamte Organisation umfassende[n]“ Anspruch erheben, der „eine individuell-autonome Berufsauffassung von LehrerInnen“ bedroht (Altrichter/Eder 2004, S. 200f). Weiter führen sie aus, dass auch durch die Einführung neuer „formeller und verbindlicher Kooperationsformen [...] wie z. B. Steuergruppen“ (Altrichter/Eder 2004, S.201) ein Eingriff in die individuelle Autonomie der Lehrkräfte stattfindet. Anhand des AutonomieParitäts-Musters wird zudem deutlich gemacht, dass Lehrkräfte Unterricht und Schulorganisation als getrennte Bereiche erleben; die organisationsbezogenen Aktivitäten werden von ihnen als lästige Zusatzaufgaben erfahren (vgl. Lortie 1975; Altrichter/Messner/Posch 2006). Steuergruppen stehen also im Widerspruch zu diesem Normensystem und damit zur Berufskultur von Lehrkräften: „Die Einrichtung einer Steuergruppe bedroht das ‚Autonomie-Paritäts-Gebot’: Sie gibt formell gleichgestellten Lehrkräften Steuerungsaufgaben und stellt Kollegen über Kollegen. So eröffnet sie den einen die Möglichkeit zur Verletzung der unterrichtlichen Autonomie der anderen“ (Altrichter/Messner/Posch 2006, S. 100 f., Hervorhebungen i. O.). Altrichter und Eder haben 2000/2001 in Schulen, die sich an einem Pilotprojekt zur Schulentwicklung beteiligten, eine Studie durchgeführt, um „Hinweise auf die Entstehungs- und Veränderungsbedingungen dieses [AutonomieParitäts-]Musters zu erhalten“ (Altrichter/Eder 2004, S. 201). Hierbei konnten sie neben dem Autonomie-Paritäts-Muster zwei weitere „Cluster von Lehrereinstellungen“ (Altrichter/Eder 2004, S. 218) ausmachen, die für die Interpretation der Ergebnisse meiner Studie von Bedeutung sind. Zum einen beschreiben sie Lehrkräfte, die zu den Leistungsträgern einer Schule zählen und für sich zwar Autonomie einfordern, aber Gleichbehandlung ablehnen und als „berufliche Einzelkämpfer/innen [sic]“ (Altrichter/Eder 2004, S. 218) vor allen Dingen die
5.2 Theorieperspektiven auf die Ergebnisse
167
„Abgrenzung des eigenen Arbeitsfeldes“ (Altrichter/Eder 2004, S. 221) im Blick haben. Zum anderen gibt es aber auch Lehrkräfte mit „ausgeprägter Teamorientierung“ (Altrichter/Eder 2004, S. 218) für die das Autonomie-Paritäts-Muster keine Rolle spielt. Nach Altrichter/Eder ist diese zweite Gruppe „vermutlich in Kooperation mit der Schulleitung entscheidend, wenn es darum geht, sich auf Prozesse der Schulentwicklung einzulassen“ (Altrichter/Eder 2004, S.220). Engagieren sich diese Lehrer(innen) in einer Steuergruppe, stehen ihnen nach Altrichter und Eder nicht nur Lehrkräfte mit dem ursprünglichen AutonomieParitäts-Muster gegenüber, sondern vor allen Dingen auch die Gruppe der „etablierten älteren Kolleg/innen [sic]“ (Altrichter/Eder 2004, S. 221), die zwar die eigene Autonomie einfordern, aber das Gleichheitsprinzip nicht für sich gelten lassen. Das Autonomie-Paritäts-Muster mit seinen Variationen kann somit als Erklärungsmuster für Hierarchiedilemmata von Steuergruppen herangezogen werden. Die Steuergruppen zögern beim Thema Unterrichtsentwicklung, weil sie damit in den „abgeschlossene[n] Raum“ (Altrichter/Eder 2004, S. 197) Unterricht, der der einzelnen Lehrkraft vorbehalten ist, eingreifen und damit das Prinzip der Autonomie verletzen würden. Deutlich wird dies in der vorliegenden Arbeit besonders an Gruppen, die dem Typ I zugeordnet werden können. Der Gruppe Weizen z. B. gelingt es nicht, ihre Ansprüche an das Kollegium zu formulieren. Sie hält sich im Hintergrund und vermeidet es, sich gegenüber dem Kollegium in irgendeiner Weise zu positionieren. Dieses Beispiel veranschaulicht, wie stark die Steuergruppe das Autonomie-Paritäts-Muster im Laufe der beruflichen Sozialisation verinnerlicht hat und wie stark die strukturierenden Normen dieses Musters die Schulentwicklungsarbeit von Steuergruppen beeinflussen. Konflikte und Spannungen ergeben sich aber nicht nur mit Lehrkräften, die nach dem klassischen Autonomie-Paritäts-Muster agieren, sondern auch durch die Konfrontation mit den „berufliche[n] Einzelkämpfer[n]“. Nach Altrichter/Eder sind dies Lehrkräfte, die über langjährige Berufserfahrung verfügen, sich als Leistungsträger der Schule sehen und die großen Einfluss darauf haben, „ob Innovationen implementiert werden können“ (Altrichter/Eder 2004, S. 221). Diese Lehrkräfte beanspruchen nicht nur Autonomie, sondern zusätzlich eine Aufhebung des Gleichheitsgrundsatzes. Sie sehen sich hierarchisch höher angesiedelt als die anderen Kolleg(inn)en und damit auch über den Steuergruppenmitgliedern. Deswegen stellen sie die Notwendigkeit einer Steuergruppe in Frage oder lehnen es zumindest ab, mit der Steuergruppe zusammenzuarbeiten.
168
5 Diskussion der Ergebnisse
5.2.2 Steuergruppen und organisationale Konfliktpotentiale Der Einsatz von Steuergruppen wird häufig mit dem Hinweis auf Organisationstheorien begründet (vgl. u. a. Holtappels 2007; Rolff 2007b). Glasl (2004, S. 124 ff.) beschreibt sieben Wesenselemente einer Organisation und das in diesen Elementen befindliche Konfliktpotential. Für die Bewertung der Handlungspraxis von Steuergruppen kann es deshalb hilfreich sein, das Konfliktpotential, das sich aus dem spezifischen Wesen von Organisationen ergibt, mit den Befunden dieser Studie in Beziehung zu setzen. Nach Glasl ergibt sich Konfliktpotential unter anderem aus einer mangelnden Sinngebung, bei der die Kernaufgabe der Organisation nicht klar ist, aus fehlenden Leitsätzen, Strategien und Programmen zur Konkretisierung der allgemeinen Ziele und Werte sowie aus vagen, „in der Luft“ schwebenden Zielen (Glasl 2004, S. 126). Auch ungeklärte Kompetenzen und Zuständigkeiten sowie die Frage nach der Akzeptanz der bestehenden Aufgaben- und Kompetenzverteilung generieren Konflikte. Deutlich sichtbar wurde das von Glasl genannte Konfliktpotential an Gruppen des Typs 2 und 3, so beispielsweise an der Gruppe Mais (vgl. Eingangspassage): Bei einer Startveranstaltung zur Schulentwicklung wurde auch diese Steuergruppe eingerichtet. Sie sollte die Stetigkeit des Prozesses sicherstellen. Die Vagheit des Auftrags („Stetigkeit sicherstellen“), der fehlende Rückhalt im Kollegium und die unklaren Kompetenzen dieser Gruppe führten zu massiven Konflikten, die eine zielgerichtete Schulentwicklung nicht mehr ermöglichten. Auch bei den anderen Steuergruppen, die Merkmale der Typen 1 bis 3 aufweisen, zeigen die Interpretationen der Gruppendiskussionen, dass gerade das gemeinsame Sinnverständnis, und damit die Grundlage einer Gesamtidentität für die Steuergruppen, häufig nicht gegeben war. Nach Glasl führt aber ein derartiges „Sinnvakuum“ zu „Streitigkeiten über Aufgaben und Kompetenzen oder Prozeduren“ (Glasl 2004, S. 125). Ein Großteil der Kompetenzstreitigkeiten und Machtkämpfe, von denen die Steuergruppen berichteten, lässt sich also folgendermaßen verstehen: Es gelingt nicht, eine überzeugende Sinngebung und damit eine organisationale Gesamtidentität herzustellen. Zudem erwies sich die Schulentwicklung für die Steuergruppen mehr als ein vages Globalkonstrukt denn als ein handhabbarer Prozess. Das Festhalten an einem Globalkonstrukt „Schulentwicklung“ und das Meiden seiner Konkretisierung, z. B. in Form einer zielgerichtet angegangenen Unterrichtsentwicklung, lassen sich vor diesem Hintergrund als Konfliktvermeidungsstrategien der Steuergruppen interpretieren. Als normative Vorgabe sollten diese zwar den Schulentwicklungsprozess mit Schwerpunkt Unterrichtsentwicklung initiieren und organisieren. Innerhalb der Organisa-
5.2 Theorieperspektiven auf die Ergebnisse
169
tion der Schule fehlte ihnen aber die explizite, formale wie auch die implizite, unausgesprochene Legitimation, um den Unterricht eines Kollegen, einer Kollegin zu bewerten oder gestaltend in ihn einzugreifen (vgl. hierzu die Ausführungen zum Autonomie-Paritäts-Muster in Kap. 5.2.1). Das Konfliktpotential dieser ungeklärten Zuständigkeiten und Befugnisse wurde in den vorgelegten Befunden vor allen Dingen im Verhältnis der Steuergruppen zu den Fachbetreuern und Fachbetreuerinnen deutlich (vgl. hierzu z. B. Gruppe Weizen, Passage Unterrichtsentwicklung als neuer Schwerpunkt oder Gruppe Roggen, Passage Schulentwicklung muss institutionalisiert werden“): Während die Fachbetreuer(innen) durch die Hierarchie eine klar erkennbare Legitimation für den Eingriff in den Unterricht ihrer Fachkolleginnen und kollegen besitzen, ist diese bei den Steuergruppenmitgliedern nicht gegeben. Die unklaren Kompetenzen und Zuständigkeiten erzeugen auch das Konfliktpotential im Verhältnis der Steuergruppe zur Schulleitung. Der Gestaltungsanspruch mancher Steuergruppen kollidiert mit dem Führungsanspruch des Schulleiters oder der Schulleiterin (vgl. Gruppen vom Typus 2 wie z. B. Gruppe Gerste). Andererseits kann sich durch die ungeklärten Kompetenzen auch eine Instrumentalisierung der Steuergruppen durch die Schulleitungen ereignen (vgl. z. B. Gruppe Mais).
5.2.3 Steuergruppen und die Struktur der Schule Nach Giddens (1988) beziehen sich Menschen in ihrem Handeln auf vorgelagerte Strukturen. Dabei schaffen sie durch dieses Handeln wiederum neue Strukturen. Giddens bezeichnet diesen Zusammenhang, also die wechselseitige Konstitution von Struktur auf der einen und des Handlungsstromes auf der anderen Seite, als Dualität von Struktur und Handlung. Im soziologischen Sinne wird Struktur dabei als alles, was eine ordnende und strukturierende Wirkung auf das Alltagsgeschehen in einem bestimmten sozialen Umfeld ausübt, definiert. Nach Giddens ist sinnvolles Handeln immer auf Struktur angewiesen, während diese Struktur sich umgekehrt wiederum nur im Handeln aktualisiert und damit mehr oder weniger reproduziert wird. Rüegg-Stürm (2003) unterteilt den Strukturbegriff von Giddens in (1) Struktur in einem engeren Sinn, als die explizite Dimension einer Organisation, und in (2) Kultur, als die implizite Dimension einer Organisation. Struktur im engeren Sinne ist demnach alles, „was eine materialisierte und personenunabhängige Form aufweist“ (Rüegg-Stürm 2003, S. 2). Dies sind z. B. schriftlich festgelegte Organigramme, die die Hierarchiestruktur beschreiben, Verordnungen, Vorschriften oder Handbücher, die den organisationalen Ablauf
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5 Diskussion der Ergebnisse
regeln, aber auch Leitbilder, die die Grundprämissen einer Organisation beschreiben. Für die Steuergruppen findet sich diese „Struktur“ z. B. in den durch Stellenbeschreibungen festgelegten Hierarchieebenen, in Lehrplänen oder auch den Vorgaben von vorgesetzten Behörden. Als Kultur einer Organisation bezeichnet Rüeeg-Stürm das, „was nirgends festgehalten ist, historisch gewachsen, uns aber nicht oder kaum bewusst ist, im Vollzug unseres Denkens, Kommunizieren und Handelns eine selbstverständliche Gültigkeit aufweist und dementsprechend eine zentrale Wirkung entfaltet“ (Rüegg-Stürm 2003, S. 2). Kultur bezeichnet in diesem Sinne also Denkmuster, Werte und Normen, Einstellungen und Haltungen. Als prägende Schulkultur 13 für die Arbeit der Steuergruppen konnte das Autonomie-Paritäts-Muster (vgl. Kap. 5.2.1) rekonstruiert werden. Wenn im Folgenden von Struktur gesprochen wird, beinhaltet dies, der Differenzierung von Rüeeg-Stürm folgend, die schulische Kultur wie auch die vorherrschenden Strukturmomente von Schule. Nach Giddens beeinflusst, wie oben ausgeführt, die Struktur einer Organisation das Handeln und dieses Handeln beeinflusst wiederum die Struktur der Organisation. In den Auseinandersetzungen der Steuergruppen mit der Hierarchiestruktur von Schule spiegelt sich diese Dualität von Struktur und Handlung im Sinne Giddens' wider. Wie sehr die Struktur von Schule das Handeln von Steuergruppen determiniert, konnte in den Gruppendiskussionen deutlich rekonstruiert werden. In ihrer Handlungspraxis aktualisieren Steuergruppen vom Typ 1 die Struktur der Organisation Schule, indem sie versuchen sich völlig in diese Hierarchiestruktur zu integrieren. Damit reproduzieren sie nicht nur die vorgegebene Struktur, sie stabilisieren sie auch in ihrer derzeitigen Form. Steuergruppen vom Typ 2 und 3 agieren in Auseinandersetzung mit oder im Widerstand gegen die Hierarchiestruktur. Damit reproduzieren sie die vorgegebene Struktur in einer abgewandelten Form, stabilisieren aber immer noch die Grundstruktur der Hierarchie. Dies gilt auch für Steuergruppen des Typs 4. Diese agieren allerdings von vornherein in einer flacheren Struktur, die nicht durch sie selbst geschaffen wird. Die Feststellung von Rolff, dass „[e]ine Schule mit Steuergruppe […] nicht mehr hierarchische Bürokratie“ sei (Rolff 2006), lässt sich demnach weder theoriegeleitet noch aus den empirischen Befunden nachvollziehen.
13 Auf die Verwendung des Begriffs von Schulkultur nach Helsper, Böhme, Kramer und Lingkost (2001) wird hier verzichtet, da dieser „weite Kulturbegriff“ (Helsper/Böhme/Kramer et al. 2001, S. 19) für die spezifische Situation der Steuergruppen nicht zielführend ist.
5.3 Hypothesen zu Steuergruppen als Innovation in der Schule
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Nach Giddens darf Struktur allerdings nicht nur mit Zwang gleichgesetzt werden, da sie Handeln nicht nur einschränkt, sondern es zugleich auch erst ermöglicht (vgl. Giddens 1988). Sinnvolles Handeln ist somit immer auch auf Struktur angewiesen. Die empirischen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung haben gezeigt, dass Steuergruppen ihr Handeln an der vorhandenen Hierarchiestruktur ausrichten. Gleichzeitig sind sie aber nicht in der formalen Hierarchiestruktur, der „expliziten Dimension“ der Organisation Schule verankert (Rüegg-Stürm 2003). Dies bedeutet, dass sie keine Struktur vorfinden, die ihr Handeln ermöglichen würde und erklärt das Dilemma, in dem Steuergruppen stecken: Sie können sich in ihrem Handeln nicht auf eine Struktur stützen, versuchen aber dennoch, im „Strukturdickicht“ der Schule zurechtzukommen. Auf der Suche nach einem formalen Ort oszillieren die Gruppen des Typs 1 bis 3 zwischen dem Kollegium und der Schulleitung und haben Schwierigkeiten, eine Basis für sinnvolles Handeln zu finden. Gruppen des Typs 4 dagegen - wie das Beispiel der Gruppe Hirse zeigt - können sich aufgrund des formalen Mandats des Kollegiums klar verorten und können so innerhalb dieser Struktur sinnvoll handeln.
5.3 Hypothesen zu Steuergruppen als Innovation in der Schule Als qualitative Arbeit hypothesengenerierend angelegt zielt die vorliegende Untersuchung auf die Formulierung von Hypothesen, um die Ergebnisse für weitergehende empirische Forschungen zur Arbeit von Steuergruppen anschlussfähig zu machen. Da Steuergruppen als „neue Akteure“ eine Innovation im schulischen System darstellen - in den Worten Rolffs (Rolff 2007a, S. 94) sogar „eine der bedeutsamsten Innovationen in der jüngeren Schulgeschichte“ -, sind sie nicht nur „Change Agents“, die Innovationen in die Schulen bringen sollen, sondern stellen selbst eine Innovation dar, die erst in die Schule gebracht und dort implementiert werden muss. Aus diesem Grund werden im Folgenden aus der Perspektive der Forschung zur Implementation von Innovationen (vgl. hierzu ausführlich Nickolaus/Gräsel 2006) die bisherigen theoretischen Überlegungen aufgegriffen und auf der Grundlage des Diffusionsmodells von Rogers (1995) zu Hypothesen verdichtet. Unter Implementation wird hierbei die Aufnahme einer Neuerung am angezielten sozialen Ort und ihre Übernahme als Standardpraktik in den dafür vorgesehenen Situationen verstanden (vgl. Altrichter/Wiesinger o. J.). Nach Rogers bestimmen fünf Determinanten die Verbreitung einer Innovation: (1) die vom potentiellen Anwender wahrgenommenen Eigenschaften der Innovation, (2) die Art, wie die Entscheidung für oder gegen die Annahme der
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5 Diskussion der Ergebnisse
Innovation getroffen wird, (3) die für die Entscheidungsfindung genutzten Kommunikationskanäle, (4) die Eigenschaften des sozialen Systems sowie (5) die Beteiligung von Change-Agents. Die erste Determinante - wahrgenommene Eigenschaften der Innovation ist für die Interpretation der Handlungspraxen der Steuergruppen besonders aufschlussreich. Durch sie werden nach Rogers bereits 49 bis 87 Prozent der Varianz in der Annahmequote (rate of adoption) einer Innovation erklärt (Rogers 1995, S. 206). Deshalb wird im Folgenden vorrangig auf diesen Teil des Diffusionsmodells von Rogers rekurriert. Fünf Eigenschaften der Innovation sind es, die nach Rogers die Annahmequote beeinflussen: 1. 2. 3. 4.
5.
Relative advantage – der von den potentiellen Anwendern wahrgenommene Vorteil im Vergleich zur vorhergehenden Praxis Compatibility – die Vereinbarkeit der Innovation mit in der Organisation gültigen Werten und Normen Complexity – die Komplexität der Innovation und damit indirekt die Verständlichkeit Triability – die Möglichkeit für die künftigen Anwender, die Neuerung auf beschränktem Gebiet und mit zeitlicher Befristung ausprobieren und mit ihr experimentierend eigene Erfahrungen zu machen Observability – die Beobachtbarkeit der Auswirkungen der Innovation bei bereits fortgeschrittenen Anwendern
Betrachtet man die hier vorliegenden empirischen Befunde zu Steuergruppen vor dem Hintergrund dieser Kategorien, lässt sich Folgendes feststellen: ad 1) Relative advantage Mit der Kategorie relative advantage beschreibt Rogers, dass die Implementation einer Innovation umso wahrscheinlicher ist, je mehr sie als vorteilhaft gegenüber der bisherigen Praxis beim Umgang mit einer Aufgabe angesehen wird. Aus den hier vorliegenden Ergebnissen lassen sich kaum Vorteile der Nutzung von Steuergruppen im ökonomischen Sinn ableiten. So wurden z. B. bei den Steuergruppen vom Typ 1-3 weder Zeit- noch Ressourcenersparnis als Begründung für die Einrichtung einer Steuergruppe angeführt. Rekonstruieren ließen sich bei diesen Gruppen aber unklare Zuständigkeiten und Zielvorstellungen (vgl. z. B. Gruppe Mais, Kap. 3.3.3), die einen Vergleich hinsichtlich möglicher Vorteile erschweren. In Anschluss an Glasl und Giddens (vgl. Kap. 5.2.2 und
5.3 Hypothesen zu Steuergruppen als Innovation in der Schule
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Kap. 5.2.3) führt dies eher zu Konflikten und damit zu einem erhöhten Ressourcenverbrauch und nicht zu einem ökonomischen Vorteil. Eine der Installierung der Steuergruppen vorausgehende Praxis bei der Beschäftigung mit Schulentwicklung wird von diesen Steuergruppen nicht benannt. Daher können sie auch keine Vorteile der Innovation Steuergruppe erkennen. Einzig Steuergruppen vom Typ 4 rekurrieren auf die Vorteile, die sich durch das Instrument Steuergruppe für die Schule ergeben; sie können auf eine Tradition der Arbeit in Arbeitsgruppen zurückblicken und somit die Vorteile einer koordinierten Beschäftigung mit Entwicklungsvorhaben erkennen (vgl. Gruppe Hirse, Kap. 3.3.5). Vorteile können sich Schulen als potentielle Anwender am ehesten im Bereich des Sozialprestiges versprechen, da es, entsprechend den normativen Vorgaben in der Schulentwicklungsdebatte, als erwünscht gilt, eine schulische Steuergruppe zu besitzen. Dies stellt zwar keinen Vorteil gegenüber einer vorherigen Praxis im Umgang mit Schulentwicklung dar, damit ließe sich aber erklären, warum relativ viele Schulen Steuergruppen einrichten (vgl. Kanders/Rösner 2006). Als erste Hypothese lässt sich so formulieren: Steuergruppenarbeit kann dann als relativer Vorteil gegenüber der bisherigen Standardpraxis wahrgenommen werden, wenn bereits vor der Einführung von Steuergruppen Schulentwicklungsprozesse in der Schule stattgefunden haben. ad 2) Compatibility In der Kategorie compatibility legt Rogers dar, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Innovation angenommen wird, umso höher ist, je besser eine Innovation zu den bestehenden Werten, zu Erfahrungen und Bedürfnissen der Anwender kompatibel ist. Mit den in der Schule gültigen Normen und bestehenden Werten sind Steuergruppen jedoch nur bedingt vereinbar. So passen sie nicht zu dem Gebot der Gleichheit und Unabhängigkeit der Lehrpersonen gemäß dem AutonomieParitäts-Muster (vgl. Kap. 5.2.1). Da sie das Ziel verfolgen, Unterrichtsentwicklung zu forcieren, greifen sie in den persönlichen Gestaltungsbereich von Kolleg(inn)en ein, ohne dabei eine formale Legitimation auf hierarchischer Basis zu haben (vgl. hierzu auch Kap. 5.2.2 sowie Kap. 5.2.3). Die empirischen Befunde haben gezeigt, dass die Steuergruppenmitglieder, die im Laufe ihrer Berufssozialisation das Autonomie-Paritäts-Muster verinnerlicht haben, konfliktträchtige Bereiche wie die Unterrichtsentwicklung meiden. Stattdessen beschränken sie ihr Agieren vorrangig auf den organisatorischen Bereich. Vom Kollegium werden sie dadurch allerdings eher als Bestandteil der Organisation gedeutet und mit bü-
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5 Diskussion der Ergebnisse
rokratischen Regeln und Hierarchien in Verbindung gebracht. Diese Assoziation der Tätigkeit der Steuergruppen mit Organisation führt wiederum zu Widerstand von Seiten des Kollegiums, der von Krainz-Dürr (2000) als antihierarchischer Affekt erklärt wird. Die Steuergruppen versuchen also Konflikten mit und Widerständen aus dem Kollegium, die sich aus dem Autonomie-Paritäts-Muster ergeben, vorzubeugen und handeln sich auf diesem Wege Konflikte und Widerstände ein, die auf dem antihierarchischen Affekt beruhen. Aus dieser Verhaltensweise wird deutlich, dass Lehrkräfte zwar gelernt haben Widerständen, die sich aus dem Autonomie-Paritäts-Muster ergeben, aus dem Weg zu gehen. Für Widerstände, die sich aus ihrer neuen Rolle im Rahmen der Innovation Steuergruppe ergeben, existiert dagegen noch keine in der beruflichen Sozialisation erworbene Vermeidungsstrategie. Die Schwierigkeit, die Steuergruppe in die mentalen Modelle der Lehrkräfte von Schule (vgl. Senge 1998) zu integrieren, wird auch an der Diskussion um die Benennung der Innovation deutlich. Intensiv diskutieren die Steuergruppen die verschiedenen Bezeichnungen, wie: „Steuergruppe“ „Lenkungsgruppe“ oder „Koordinierungsgruppe“ und die sich daraus ergebenden Deutungen des Kollegiums. Die Gruppe Gerste weist z. B. auf die negative Konnotation der im Kollegium verwendeten Abkürzung „K.O.-Gruppe“ für Koordinierungsgruppe hin (vgl. Gruppe Gerste, Passage Aufgabe der Steuergruppe). Lehrerinnen und Lehrer positionieren die Steuergruppe schon mit der Bezeichnung außerhalb des Kollegiums und rücken sie eher in die Nähe der Schulleitung. Sowohl die Lokalisierung eng bei der Schulleiterin/beim Schulleiter als auch die Deutung als selbständiges Lenkungsgremium ruft Widerstände bei den Lehrkräften hervor, so dass die Steuergruppe nicht mehr als Institution des Kollegiums agieren kann. Zugleich gehören die Steuergruppenmitglieder aber nicht formal zur Schulleitung und können auch nicht in deren Strukturen handeln. Damit fehlt ihnen die Fundierung in einer Struktur, die nach Giddens für sinnvolles Handeln erforderlich ist (vgl. Kap. 5.2.3). Aus der Konzeptliteratur zu Steuergruppen (vgl. u. a. Rolff 2001; Altrichter/Messner/Posch 2004; Holtappels/ Berkemeyer 2007) gehen keine anschlussfähigen Positionierungsvorschläge hervor, die durch Kompatibilität zum existierenden System für Klarheit sorgen würden. Anschlussfähig ist das Konzept der Steuergruppen lediglich an das Bedürfnis einiger Lehrkräfte, sich in Schulentwicklungsprozessen aktiv gestaltend einzubringen. Eine Integration in die bestehende Struktur ist dann möglich, wenn die Position der Steuergruppe hinreichend geklärt ist; am einfachsten gelingt dies bei Steuergruppen vom Typ 4, die eher die Form von Projektgruppen haben
5.3 Hypothesen zu Steuergruppen als Innovation in der Schule
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und als Instrumente des Kollegiums gesehen werden. Als Hypothese lässt sich Folgendes formulieren: Wenn Steuergruppen innerhalb von Hierarchiestrukturen agieren, ohne in ihnen formal verortet zu sein, erhöhen sich die Widerstände gegen ihre Arbeit. ad 3) Complexity Als dritte Kategorie führt Rogers die Komplexität einer Innovation (complexity) an. Je weniger komplex eine Innovation ist, je leichter sie also zu verstehen und anzuwenden ist, desto eher lässt sie sich implementieren. Die Komplexität der Innovation zeigt sich somit indirekt am Grad ihrer Verständlichkeit für die jeweilige Zielgruppe. Aufgrund der Unklarheit in Hinblick auf Funktionsweise und Aufgaben ist das Konzept Steuergruppe nicht leicht zu verstehen und auch von den Steuergruppenmitgliedern nicht leicht zu erklären (vgl. hierzu z. B. Gruppe Gerste, Passage Kommunikation mit dem Kollegium). Als „Hauptaufgabe“ schreibt Rolff den Steuergruppen die „Steuerung eines Schulentwicklungsprozesses“ zu (Rolff 2007b, S. 42). In diesem Auftrag ist eine Mischung aus Aufgaben von Schulleitung und Fachkonferenzleitung enthalten, da sowohl organisatorische als auch die Unterrichtsentwicklung betreffende Aspekte zu bearbeiten sind (vgl. hierzu auch Kap. 1.3). Um diese Aufgaben angemessen wahrnehmen zu können, bedarf es zusätzlicher Qualifikationen für die Mitglieder einer Steuergruppe. Die Inhalte der angebotenen Fortbildungsmaßnahmen richten sich vorwiegend an Konzepten zur Schulentwicklung aus (vgl. Feldhoff 2007). Die strukturellen Dilemmata jedoch, in die Steuergruppen geraten und welche in dieser Untersuchung empirisch rekonstruiert werden konnten, wurden bei Qualifizierungsmaßnahmen bisher nicht berücksichtigt. Zudem gibt es kaum Unterstützung durch andere ChangeAgents, z. B. durch externe Schulentwicklungsberater(innen). All dies trägt nicht dazu bei, dass die Innovation leicht verständlich und umsetzbar wäre. Komplex ist die Innovation auch deshalb, weil sie die Ebene der gesamten Schule betrifft, nicht etwa nur einen einzelnen Fachbereich, und weil sie über Aufgaben formaler Organisation hinausgeht. Der vage Auftrag „Steuerung eines Schulentwicklungsprozesses“ (vgl. Kap. 5.2.2) konfrontiert Steuergruppen mit einem Globalkonstrukt Schulentwicklung sowohl in inhaltlicher wie auch in organisatorischer Hinsicht, wodurch ein Komplexitätsgrad entsteht, der die Innovation für die Schulen nicht ohne weiteres einsichtig werden lässt. Erst eine hinreichende Klärung der Rolle der Steuergruppen und eine Operationalisierung ihres Arbeitsauftrags, wie sie in Gruppen vom Typ 4 erfolgt, verringert die Komplexität der Innovation Steuergruppe und macht sie für die
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5 Diskussion der Ergebnisse
Lehrkräfte verständlich und handhabbar. Dementsprechend kann aus dem Vorhergehenden folgende Hypothese abgeleitet werden: Das Globalkonstrukt Schulentwicklung erschwert es, die Innovation Steuergruppe zu verstehen, und erzeugt so Widerstand gegen die Innovation. ad 4) Triability Als weitere für die Ausbreitung einer Innovation relevante Eigenschaft benennt Rogers die Experimentierbarkeit (triability). Die Chance, dass sich eine Innovation verbreitet, erhöht sich demnach, wenn sie in einem begrenzten Rahmen und damit auch ohne großes Risiko ausprobiert werden kann. Im Anschluss an die unter „complexity“ ausgeführten Überlegungen ist festzustellen, dass durch das Globalkonstrukt Schulentwicklung kaum die Gelegenheit gegeben ist, mit der Innovation Steuergruppe auf begrenztem Gebiet zu experimentieren und eigene Erfahrungen zu machen und so Unsicherheiten zu reduzieren. Steuergruppen, wie sie propagiert werden, sind ein relativ zentraler Eingriff in die Struktur einer Schule, daher kann die Arbeit mit ihnen kaum direkt ausprobiert werden. Im Rahmen der Konzeptliteratur ist nicht vorgesehen, einer Steuergruppe nur einen Teilbereich der Schulentwicklung zuzuweisen, ebensowenig sieht das Konzept Steuergruppe ein zeitlich befristetes Probehandeln vor. Reflexionen über die Arbeit einer Steuergruppe erfolgen erst, wenn sie bereits eingerichtet ist. Möglichkeiten, sich vorab unverbindlich über Steuergruppen zu informieren, sind selten. Keine der untersuchten Steuergruppen hatte vorher Kontakt zu Steuergruppen an anderen Schulen oder sich über die Arbeitsweise dieser Innovation informiert. Verlassen Schulen jedoch das Globalkonstrukt Schulentwicklung und beauftragen eine Gruppe mit einer inhaltlich und zeitlich klar umrissenen Aufgabe, so können in diesem Rahmen Erfahrungen gemacht werden, die als Probehandeln für die spätere Installation einer Steuergruppe fungieren können. Beispielsweise bildeten die Erfahrungen, die an der Schule der Gruppe Hirse mit einer „ersten Steuergruppe“ gemacht wurden, eine gute Voraussetzung für die Einrichtung einer zweiten Gruppe. Als Hypothese lässt sich festhalten: Verfügen Schulen über keine Vorerfahrungen mit Arbeitsgruppen in Schulentwicklungsprozessen, ist eine Implementation von Steuergruppen unwahrscheinlicher.
5.3 Hypothesen zu Steuergruppen als Innovation in der Schule
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ad 5) Observability Die letzte Kategorie, die Rogers in seinem Diffusionsmodell zur Einschätzung der wahrscheinlichen Implementation von Innovationen verwendet, ist die Beobachtbarkeit, die observability. Die Annahmewahrscheinlichkeit für die Innovation liegt bei dieser Kategorie umso höher, je deutlicher ihre Auswirkungen für potentielle Anwender erkennbar sind Die Beobachtbarkeit von Erfolgen in Schulentwicklungsprozessen ist nicht unmittelbar gegeben. Ergebnisse, die die Implementation einer Steuergruppe hervorbringt, sind für Außenstehende kaum sichtbar und sind auch nicht Thema schulübergreifender Kommunikation. Da es sich bei der Arbeit der Steuergruppen nicht um einen konkreten und überschaubaren Arbeitsbereich handelt, sind die Folgen aus der Annahme der Innovation Steuergruppe – vielfach für die Gruppe selbst – nicht deutlich sichtbar. Gegenüber anderen Schulen wie auch gegenüber den eigenen Kolleginnen und Kollegen können sie nur schwer kommuniziert werden. Dies hängt zum einen zusammen mit der Komplexität der Innovation und dem umfassenden, nur schwer operationalisierbaren Auftrag der Steuergruppen. Zum anderen liegt diese Kommunikationsschwierigkeit auch darin begründet, dass die Steuergruppenmitglieder eher bemüht sind eine Profilierung zu vermeiden, um Verdächtigungen aus dem Kollegium, sich nur profilieren zu wollen, zu entgehen (vgl. Gruppe Gerste, Passage Kommunikation mit dem Kollegium). Weiterhin bestehen Steuergruppen häufig nicht aus den Meinungsführer(inne)n an einer Schule, sondern aus besonders innovativen Lehrkräften (vgl. Altrichter/Eder 2004, S. 220 f.), so dass die Verbreitung und Annahme sowie die Akzeptanz an der Schule nicht sichergestellt sind und die anderen Kolleg(inn)en die Steuergruppenmitglieder oft kritisch beäugen. Folgende Hypothese kann hieraus abgeleitet werden: Die Akzeptanz von Steuergruppen erhöht sich, wenn die Ergebnisse ihrer Arbeit transparent sind und ihnen sichtbar zugeordnet werden können Insgesamt kann festgestellt werden, dass aus Sicht der Diffusionsforschung Steuergruppen als eine eher unwahrscheinliche Innovation anzusehen sind. Die Innovation Steuergruppe hat die Funktion, die Arbeit in einem immer komplexer werdenden System Schule zu organisieren. Wie oben ausgeführt wurde, kann sie die Funktion, Ungewissheit zu reduzieren, eher nicht erfüllen. Vielmehr bringt ihre Einführung neue Ungewissheit in die Schule, mit der alle Beteiligten umgehen müssen. Systemtheoretisch gewendet bedeutet dies: Steuergruppen, gedacht als Erhöhung der Eigenkomplexität, um der erhöhten Außenkomplexität in Form
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5 Diskussion der Ergebnisse
gestiegener Ansprüche an Schule zu begegnen, erhöhen die Innenkomplexität der Organisation Schule. Diese muss sodann mit einer zweifach gestiegenen Komplexität umgehen. Eine solche Komplexitätserhöhung kann nur dann zur Absorption von Außenkomplexität führen, wenn sie klar auf ein Problem bezogen – und damit begrenzt – ist. Als abschließende Hypothese lässt sich somit formulieren: Die Einrichtung von Steuergruppen bewirkt Komplexitätssteigerung als Ergebnis von Bemühungen, Komplexität zu reduzieren.
6 Ausblick
Die in der vorliegenden Arbeit erhobenen Befunde bergen Anregungspotential für die schulische Praxis, aber auch den weiteren Forschungs- und Theoriediskurs. Dieses Anregungspotential soll im Folgenden abschließend skizziert werden.
6.1 Anregungen für die Praxis Die empirischen Befunde meiner Arbeit zeigen zwei relevante Aspekte, die für die schulische Praxis als Ausgangspunkte zu berücksichtigen sind: Das eine Problem der Steuergruppenarbeit liegt darin, dass den Steuergruppen in der schulischen Praxis die Verortung in der hierarchischen Struktur von Schule fehlt; das andere ist, dass das hierarchische Spannungsverhältnis zwischen der Schulleitung und dem Kollegium es kaum annehmen lässt, dass sich Steuergruppen ihren Ort in der schulischen Struktur selbst erarbeiten. Vor diesem Hintergrund ist die Arbeit mit Steuergruppen zur Entwicklung von Schule zunächst einmal skeptisch zu sehen. Steuergruppen, an die generell die durch den beschleunigten Wandel notwendig gewordene Anpassungsleistung der Einzelschule in Form eines globalen Arbeitsauftrags delegiert wird, stehen vor Herausforderungen, die sie, folgt man den hier vorgelegten Befunden, kaum bewältigen werden können. Vielmehr besteht die Gefahr, dass sie, wie aufgezeigt, sich zwischen dem Kollegium und der Schulleitung verschleißen. Eine mögliche Konsequenz wäre, vor diesem Hintergrund die Arbeit im Schulentwicklungsprozess an Projektgruppen zu delegieren, die durch die Schulleitung und das Kollegium definiert und mit einem klaren Arbeitsauftrag ausgestattet werden. Wie Dubs (2005, S. 234 ff.) deutlich gemacht hat, wird es dadurch tendenziell eher möglich, mit „geliehener Macht“ Aufgaben anzugehen und zu bewältigen. Dabei ist zu beachten, dass die Aufgabe eindeutig und transparent ist und die Dauer des Arbeitsauftrags befristet ist. Berkemeyer, Brüsemeister und Feldhoff schlagen vor, Steuergruppen in verstärktem Maße projektförmige Aufgaben zu übertragen, so dass sie durch die thematische Fokussierung den Aufgaben der einzelnen Lehrpersonen näherste-
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6 Ausblick
hen. Dadurch, so die Hoffnung der Autoren, würden Steuergruppen nicht vorschnell mit Organisation identifiziert werden und somit auch nicht dem antihierarchischen Affekt ausgesetzt sein. Dies bedeutet konkret, dass Steuergruppen, die sich in der schulischen Hierarchie nicht eindeutig verorten lassen, stärker projektförmige Aufgaben übernehmen sollten. Die organisatorischen Aufgaben, die sie dann übernehmen müssten, entstammten in diesem Fall „einem der Profession angemessenen ‚Deutungshabitus’“ (Berkemeyer/Brüsemeister/Feldhoff 2007, S. 75, Hervorhebung i. O.). Erfolgversprechend erscheint also der Weg, mit Projektgruppen zu beginnen, die einen sachlich und zeitlich klar umrissenen Auftrag haben und aus diesem ihre Legitimität beziehen. Aus einer solchen gewachsenen Handlungspraxis kann sich dann eine Steuergruppenkultur entwickeln. Auf jeden Fall muss davor gewarnt werden, im Zuge eines Schulentwicklungsprozesses oder einer externen Evaluation mechanisch Steuergruppen einzurichten, die dann keine in der jeweiligen Schulsituation begründete Aufgabe haben und kein klares Mandat des Kollegiums besitzen. Aus den vorliegenden Befunden ergibt sich eine zweite mögliche Konsequenz für die schulische Praxis. Das an Schulen bereits vorhandene mittlere Management, wie z. B. die Fachgruppenleiter(innen), könnte in stärkerem Maße die den bisherigen Steuergruppen zugedachten Aufgaben der Koordination und Planung eines Schulentwicklungsprozesses übernehmen. Diese Personengruppe stützt ihr Handeln auf eine gesicherte Struktur, in der sie hierarchisch verankert ist. Die Fachgruppenleiter(innen) sind die Akteursgruppe, die im Sinne von Berkemeyer, Brüsemeister und Feldhoff als „oszillierende Akteure“ zwischen den organisations- und den professionstheoretischen Bereichen (vgl. Kap. 1.5), hierarchisch abgesichert, agieren und die beiden Perspektiven positiv verbinden kann, ohne dabei in ein strukturelles Dilemma zu geraten. Mit dieser Maßnahme bestünde auch die Möglichkeit, dass die Fachkonferenzen – nach Rolff die „schlafenden Riesen der Schulentwicklung“ – aufwachen und so ihr „ große[s] Potenzial zur Unterrichtsentwicklung“ (Rolff 2007c, S. 84 f.) genutzt wird. Diese Anregungen für die Praxis, die an vorhandenen Strukturen ansetzen, sind im Sinne von Oelkers auch ein Plädoyer für eine „pragmatische Sicht“ auf die Schulentwicklung (Oelkers 2008), im Speziellen auf die Arbeit mit Steuergruppen. Zudem verweisen die Befunde meiner Arbeit darauf, dass es für die Fortund Weiterbildung von Steuergruppenteams hilfreich sein könnte, sich die eigene Situation überhaupt erst einmal bewusst zu machen. Eine solche, durch Empirie und Theorie gestützte Perspektive (vgl. Rahm/Schröck 2008) könnte dazu beitragen, dass Steuergruppen ihre eigene Situation besser durchschauen und damit abgeklärter zu agieren vermögen.
6.2 Anregungen für die weitere Forschung
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6.2 Anregungen für die weitere Forschung Die hier vorgelegten Befunde weisen auf weiteren Forschungsbedarf hin. Dieser liegt zum einen in der quantitativen Überprüfung der generierten Hypothesen. Ergiebig wäre etwa, die den Hypothesen zugrunde liegenden Merkmale zu operationalisieren und mittels einer konfirmatorischen Faktorenanalyse an das Modell von Rogers rückzubinden. Damit ließe sich nicht nur das Implementationsmodell von Rogers an der Innovation Steuergruppen replizieren, sondern es gelänge auch eine empirische Rückbindung der Theoriediskussion von Kap. 5.3. Zum anderen ergeben sich aus den Ergebnissen der Arbeit auch Impulse für weitere qualitative Forschungen: So scheint es beispielsweise sinnvoll, andere Agenten im schulischen Handeln im Hinblick auf ihre Bedeutung für Schulentwicklungsprozesse enger in den Blick zu nehmen: Interessant sind hierbei, wie im Kap. 6.2 angeregt, vor allem Fachgruppenleiter(innen) als Mitglieder eines bestehenden, bereits formal in die Hierarchiestruktur eingebundenen mittleren Managements. Zudem könnte auch die Empfehlung, mit projektgruppenartig agierenden Steuergruppen zu arbeiten, mit Hilfe einer qualitativen Forschung spezifiziert werden. Fragestellungen könnten z. B. sein:
In welcher Form werden solche Gruppen durch ein Kollegium getragen? Welche Aufgaben bewähren sich besonders und tragen so zur Schulentwicklung im Sinne einer „Lernenden Schule“ bei? Gelingt es projektgruppenartig agierenden Steuergruppen, Kohärenz in Schulentwicklungsprozessen herzustellen?
Weiterhin könnten die in dieser Untersuchung entwickelten sinngenetischen Typen zu einer soziogenetischen Typologie erweitert und dadurch empirisch erklärt werden. Die soziogenetische Typenbildung baut nach Bohnsack als erklärende Typenbildung (Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2001, S. 237) auf der sinngenetischen Typenbildung auf, bezieht aber zusätzlich Hintergrundinformationen z. B. der Biographie oder der Organisationsstruktur mit ein. Durch die Verbindung zwischen den spezifischen Erfahrungsräumen oder Erfahrungsdimensionen und der generellen Orientierung kann eine mehrdimensionale Typologie entwickelt werden, die mögliche geschlechts-, bildungs-, milieu- oder organisationsspezifische Bedingtheiten erklärt. Im Kontext dieser Untersuchung bietet es sich vor allem an, das vorliegende Sample durch Schulen mit flachen Hierarchiestrukturen zu ergänzen. Eine so entwickelte Typologie könnte dann dazu beitragen, den Einfluss bildungspoliti-
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6 Ausblick
scher Rahmenbedingungen auf Schulentwicklungsprozesse abzuschätzen. Es könnte sein, dass eine deutlich hierarchiebetonte Organisation der schulischen Verwaltung andere Arbeitsmuster entstehen lässt als eine eher an flachen Hierarchien orientierte schulische Verwaltung.
6.3 Anregungen für die Theoriearbeit Diese Arbeit bietet schließlich auch Anregungspotential für die Weiterentwicklung der Diskussion über die Theorie der Schulentwicklung. Die bisherigen Ansätze einer Schulentwicklungstheorie berücksichtigen etwa die Ergebnisse der Implementationsforschung zu wenig. Die empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen auch, dass sich das Oszillieren der Steuergruppenmitglieder zwischen Kollegium und Schulleitung u. a. auf Schwierigkeiten bei der Übernahme von Leitungsfunktionen zurückführen lässt. In der Theoriedebatte um die Führung von Schule (vgl. hierzu ausführlich Rahm 2008) müssen deshalb die theoretischen Implikationen komplexer Leitungsmodelle der Schule stärker berücksichtigt werden. Darüber hinaus sind die bisherigen theoretisch-konzeptuellen Zugänge zur Schulentwicklung noch wenig metatheoretisch eingeordnet bzw. abgesichert. Naheliegend ist es, sich mit dem Entwicklungsverständnis von Schulentwicklung zu beschäftigen. Dabei sind metatheoretisch zwei grundsätzlich verschiedene Entwicklungsverständnisse zu unterscheiden: ein handlungstheoretisch fundiertes Entwicklungsverständnis, bei dem die Intentionen und Handlungszüge der Akteure (vgl. Fend 2008, S. 145 ff.) in den Mittelpunkt gestellt werden, sowie ein systemtheoretisch fundiertes Entwicklungsverständnis, mit dem Entwicklungsmechanismen in komplexen sozialen Systemen beschrieben werden. Bätz und Scheunpflug schlagen vor, die beiden „sehr unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Grundpositionen“ (Bätz/Scheunpflug 2006, S. 57) der Handlungstheorie und der Systemtheorie in ihrer „unterschiedlichen Reichweite“ (Bätz/Scheunpflug 2006, S. 67) für die Schulentwicklung fruchtbar zu machen und beide Zugänge zu nutzen. Ermöglicht die Handlungstheorie konkretes Handeln, ausgehend von pragmatischen Überlegungen und visionären Zielvorstellungen in der Schule, so beschreibt die Systemtheorie das, was sich im System Schule ereignet. Aus der hier vorliegenden Arbeit lassen sich Anregungen für beide Perspektiven gewinnen. Handlungstheoretisch kann auf der Gegenstandsebene Steuergruppe die Gestaltung von absichtsvollen Interventionen beschrieben werden. Vor dem Hintergrund des erhobenen empirischen Materials wird sich eine hand-
6.3 Anregungen für die Theoriearbeit
183
lungstheoretisch fundierte Theorie der Schulentwicklung durch Steuergruppen nun anreichern lassen im Hinblick auf die Bedeutung eines klaren Arbeitsauftrags, der Befristung des Arbeitsauftrages, der Zustimmung und Akzeptanz seitens des Kollegiums sowie im Hinblick auf die Bedeutung eines klaren Verhältnisses zur Schulleitung. Eine handlungstheoretisch fundierte Sicht auf die Steuerung und Gestaltung von Schulentwicklungsprozessen würde also die Gelingensbedingungen von Innovation stärker in den Fokus rücken. Die Arbeit von Steuergruppen lässt sich aber auch aus einer systemtheoretischen Perspektive beobachten und bietet vor diesem Hintergrund Anregungspotential für die Weiterentwicklung bzw. Konkretisierung einer systemtheoretisch fundierten Theorie der Schulentwicklung. Aus diesem Blickwinkel rückt die selbstreferentielle Anpassung an Umwelten des Systems in den Modi Variation, Selektion und Stabilisation ins Zentrum der Beobachtung. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse meiner Arbeit ließe sich aus dieser Perspektive zunächst konstatieren, dass
die Arbeit von Steuergruppen durch die Schulleitung, das Kollegium sowie die Steuergruppe selbst jeweils selbstreferentiell interpretiert wird und diese Interpretationen voneinander abweichen und dass die durch diese unterschiedlichen Interpretationen produzierte Varianz im Hinblick auf die Implementation von Innovationen wenig produktiv erscheint.
Die Ergebnisse der hier vorliegenden Arbeit verweisen damit auch auf das von systemtheoretischen Positionen zentral diskutierte Problem, dass der Entwicklungsprozess einer Schule nicht als einfaches Wirkmodell in Richtung der durch die Schulentwicklungsarbeit verfolgten Intention verstanden werden kann, sondern dass nicht einkalkulierte Nebenwirkungen in der Schulentwicklungstheorie ihren Platz haben sollten. Zu fragen wäre dann, ob die „Innovation Steuergruppe“ aus dieser Perspektive nicht zu wenig Varianz im Hinblick auf Entwicklungsprozesse produziert; zudem ist die Frage ungeklärt, welches soziale System als Umwelt der Steuergruppe die durch die Steuergruppe produzierte Varianz selektiert. Wenn eine gewisse Varianz gegeben und die Frage der Umwelt des Systems eindeutig geklärt wäre, könnte auf der Handlungsebene mit Steuergruppen experimentiert werden und in der Schule könnte eine Entscheidung für die eine oder andere Ausgestaltungsform getroffen werden. Dem Innovationsmodell Rogers' zufolge wäre so Innovation wahrscheinlicher; das System Schule würde durch die
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6 Ausblick
Implementation der Neuerung bzw. einer Variante auf einem neuen Niveau stabilisiert werden. Ein systemtheoretisch fundierter Blick auf die Steuerung und Gestaltung von Schulentwicklungsprozessen würde also die Unwahrscheinlichkeit gelingender Innovation und die systemstabilisierende Wirkung von erfolgten Innovationen stärker in den Blick rücken. Angesichts der hier beschriebenen empirischen Ergebnisse wird somit ersichtlich, dass eine Theorie der Schulentwicklung in zwei unterschiedliche Richtungen gewinnbringend konzeptualisiert werden kann. Die Problematik um die Steuergruppen auf den Punkt gebracht, hat meines Erachtens ein Mitglied der Gruppe Gerste, das bemerkte: „Mhm. bloß seh ich jetzt da noch net wo da dann der Platz für die Koordinierungsgruppe ist?“ Dies ist genau die Frage, die Eingang in die Theoriediskussion um „Lernende Schulen“ erhalten sollte.
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