Susanne von Hehl Bildung, Betreuung und Erziehung als neue Aufgabe der Politik
Familie und Familienwissenschaft Herau...
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Susanne von Hehl Bildung, Betreuung und Erziehung als neue Aufgabe der Politik
Familie und Familienwissenschaft Herausgegeben von Sigrun-Heide Filipp, Irene Gerlach, Siegfried Keil, Notburga Ott und Kirsten Scheiwe.
Susanne von Hehl
Bildung, Betreuung und Erziehung als neue Aufgabe der Politik Steuerungsaktivitäten in drei Bundesländern
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Diss. Universität Münster, 2010, unter dem Titel: Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als neue Aufgabe der Politik. Untersucht an den Beispielen Bayern, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen.
. . 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17850-9
Inhalt
5
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
10
Tabellenverzeichnis
11
Abkürzungsverzeichnis
12
Vorwort der Herausgeberin
14
Vorwort
16
Einleitung
17
1
Zur Entwicklung und Bildung von Humanvermögen
33
1.1 1.1.1
Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung Das Verhältnis von privater und öffentlicher Verantwortung beim Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in historischer Perspektive Zur Bedeutung der Familie als Bildungsort – familiale Grundfunktionen gestern und heute Exkurs: Zu den Besonderheiten des deutschen Mutterdiskurses Rahmenbedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen heute
33
1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.2 1.2.1
Vom Nutzen guter Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsprozesse Kinder als wichtiges öffentliches Gut in Deutschland – zur Bedeutung „guter“ Bildungspolitik 1.2.2 Externe Effekte frühkindlicher Bildungsangebote 1.2.2.1 Effekte auf die Entwicklung von Kindern 1.2.2.2 Effekte auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern 1.2.2.3 Volkswirtschaftliche Effekte von Kindertagesbetreuung 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5
Zur Zielbestimmung eines neuen Systems öffentlicher Verantwortung für Bildung, Betreuung und Erziehung Aufgaben und Funktion der Bildungsorte – veränderte Zielbestimmung und Nachfrage Bildungsförderung durch Qualitätssicherung als Ziel des Bildungs- und Betreuungssystems Chancengerechtigkeit als Ziel des Bildungs- und Betreuungssystems Zum Konzept der Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung Schlussfolgerungen für die strukturelle und konzeptionelle Weiterentwicklung der Bildungsorte und -akteure
33 41 47 49 53 53 56 56 58 60 63 63 66 71 76 83
6
Inhalt
1.3.5.1 Bildung im frühkindlichen Bereich Stärkung und Unterstützung des Bildungsorts Familie Neue Funktion von Kindertageseinrichtungen, unter anderem als Familienzentren Erziehungspartnerschaften zwischen Einrichtungen und Familien Kooperation von Kindertageseinrichtungen und Tagespflege Gestaltung von Übergängen zwischen Kindertageseinrichtungen und Schule 1.3.5.2 Bildung im Primar- und Sekundarbereich
85 85 87 90 92 93 95
Kooperation von Jugendhilfe und Schule Schule als Lebensort – neue Aufgaben von Schule Ganztagsschulen als qualitativ andere Schulformen Elternarbeit in der Schule
95 97 99 102
1.3.5.3 Bildung als Kooperations- und Vernetzungsaufgabe
102
Vernetzung zwischen den verschiedenen Bildungsorten und familienbezogenen Diensten Sozialraumorientierung als wesentliches Kriterium der Vernetzung verschiedener Dienste
102 103
2
Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als neue Aufgabe des Staates 107
2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3
Familienpolitik im 21. Jahrhundert Zukunftsgerechte Politik für Kinder und Familien Neue Akteure in der Familienpolitik Herausforderungen von außen – die deutsche Politik im internationalen Kontext Bildung, Betreuung und Erziehung im deutschen Wohlfahrtsstaat Zur Rolle des Staates in einer zukunftsgerechten Politik für Kinder und Familien
2.1.4 2.1.5
Kompetenzen und Finanzierungszuständigkeiten im föderalen Staatsaufbau 2.2.1 Der Föderalismus in Deutschland und seine Kompetenzverteilung im Bereich der Humanvermögensbildung 2.2.2 Der Bund als Akteur in der Familienpolitik 2.2.3 Die Landesebene als Akteur in der Humanvermögensbildung 2.2.3.1 Zuständigkeiten der Länder 2.2.3.2 Regionale Unterschiede zwischen den Bundesländern 2.2.3.3 Aktivitäten der Bundesländer nach PISA
107 107 110 112 114 117
2.2
2.2.4 Die familienpolitische Bedeutung der Kommunen 2.2.4.1 Die Aufgabenverpflichtungen der Gemeinden am Beispiel des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz
121 121 125 131 131 134 139 143 148
Inhalt
7
2.3
Strukturen und Rahmenbedingungen im Bereich der Bildung, Betreuung und Erziehung 152 2.3.1 Rechtliche Regelungen und Rahmenbedingungen in der Kinder- und Jugendhilfe 152 2.3.1.1 Kommunale Organisation der Jugendhilfe 155 2.3.2 Einrichtungen, finanzielle und personelle Situation im Elementarbereich 2.3.2.1 Betreuungsquoten und Finanzsituation im Bereich der Kindertageseinrichtungen 2.3.2.2 Personalsituation und -entwicklung im Bereich der Kindertageseinrichtungen 2.3.2.3 Steuerungsstrukturen im Bereich der Kindertagesbetreuung 2.3.2.4 Struktur, Finanzierung und Personal in der Tagespflege 2.3.2.5 Zum Verhältnis von Markt und Staat im Bereich der Kindertagesbetreuung 2.3.3
Organisatorische Struktur und personelle Situation im deutschen Schulwesen
Strukturprobleme und Entwicklungserfordernisse im Bereich der Humanvermögensbildung 2.4.1 Strukturprobleme und Entwicklungshemmnisse im vorschulischen Bildungsbereich 2.4.2 Strukturprobleme und Veränderungsbedarf im schulischen Bildungsbereich 2.4.3 Das Finanzierungssystem der Kindertagesbetreuung – die föderale Finanzverflechtungsfalle und Lösungsansätze 2.4.3.1 Nachfrageorientiertes Steuerungsmodell sowie alternative Konzepte 2.4.3.2 Individualisierte Finanzierung durch Bildungsgutscheine 2.4.3.3 Qualitätsinformationen als zentrale Bausteine eines nachfrageorientierten Systems – das Beispiel der Gütesiegel
158 158 165 171 176 181 184
2.4
2.4.4 2.4.4.1 2.4.4.2 2.4.4.3 2.4.4.4
3
Zentrale Zielkonflikte und Probleme im Bereich der Humanvermögensbildung Zwischen Notwendigkeiten und Finanzknappheit Steuerungshemmnisse durch die föderale Struktur Problem der Messbarkeit qualitativer Dimensionen Konstruktions- und Legitimationsprobleme von Standards
Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert – Herausforderungen für die Bundesländer
196 197 201 204 206 211 212 216 216 217 218 218
221
3.1
Zur methodischen Herangehensweise
221
3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5
Konzeptionelle Grundlagen in den Bundesländern Öffentliche Gesamtverantwortung für das Aufwachsen von Kindern Bildungsbegriff und Bildungskonzepte Ziele und Inhalte des Bildungs- und Erziehungssystems Akteure in der Bildung und ihre Zusammenarbeit Reformbedarf auf kommunaler Ebene
226 226 228 230 232 235
8 3.3 3.3.1 3.3.1.1 3.3.1.2 3.3.1.3 3.3.1.4
Inhalt Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich in den Ländern Öffentliche Verantwortung für frühkindliche Bildung Der Bildungsort Familie Umgang mit dem Bildungsanspruch kleiner Kinder Erziehungspartnerschaften Kindertagesbetreuung im Spannungsfeld von Familie, Jugendhilfe und Bildungswesen
237 237 237 244 248 250
3.3.2 Die Zielbereiche der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung 3.3.2.1 Eigenständiger Bildungsauftrag des Elementarbereichs 3.3.2.2 Ziele und Aufgaben von Kindertageseinrichtungen
253 253 256
3.3.3 3.3.3.1 3.3.3.2 3.3.3.3
261 261 265
Sicherung der Bildungsqualität im Elementarbereich Entwicklung des Bildungsauftrags in der Tagespflege Planungskonzepte zur Umsetzung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes Sicherung des Bildungsanspruchs in Kindertageseinrichtungen durch Standardsetzung 3.3.3.4 Zur Steuerung über das Instrument der Finanzierung 3.3.3.5 Zur Steuerung über Elternnachfrage 3.3.3.6 Zur Steuerung über weitere Instrumente Die staatliche Aufsicht nach § 45 SGB VIII Unterstützung des Personals bei der Qualitätsentwicklung 3.3.3.7 Steuerung der Zusammenarbeit der verschiedenen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen Kooperation von Kindertageseinrichtungen und anderen (familienunterstützenden) Einrichtungen und Diensten Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen und Familien Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen und Schulen 3.4 3.4.1 3.4.1.1 3.4.1.2 3.4.1.3 3.4.1.4 3.4.2 3.4.2.1 3.4.2.2 3.4.2.3
Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Primar- und Sekundarbereich in den Ländern Bildung in Jugendhilfe und Schule Ausbau des Ganztagsangebots in den Ländern Steuerung der Kooperation von Jugendhilfe und Schule Steuerung der Übergänge zwischen den Bildungsorten Steuerung der Kooperation von Schulen mit Familien und familienunterstützenden Diensten
Sicherung der Bildungsqualität Programme und Vereinbarungen zur Qualitätssicherung im Schulbereich Planungskonzepte zum Ausbau der Ganztagsschulen Unterstützung der Schaffung lokaler Bildungslandschaften in den Kommunen 3.4.2.4 Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte
266 275 281 282 282 284 287 287 290 292 297 297 297 300 306 307 309 309 314 318 323
Inhalt 3.5
9 Bereichsübergreifende Steuerungsinstrumente und -akteure in den Ländern Steuerung der kommunalen Angebotsstruktur Kinder- und Jugendhilfebereich Bereich frühkindlicher Bildung Finanzierungsstrukturen Sozialraumorientierte Bedarfsplanung „Lokale Bündnisse für Familien“ Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII Stadtteil- und Sozialraumkonferenzen Erfolgsfaktoren kommunaler runder Tische in der Jugendhilfe
325 325 325 327 329 331 333 334 335 336
3.5.3 3.5.4 3.5.5 3.5.6 3.5.7
Kompetenzübertragung auf Gebietskörperschaften und Abstimmungsprozesse zwischen den Steuerungsgruppen Ressortübergreifende Strukturen auf Landes- und kommunaler Ebene Kooperationsstruktur zwischen den föderalen Ebenen Ausgleich von Benachteiligungseffekten in Bildungsprozessen Einbindung außerstaatlicher Akteure Externe Störfaktoren aus Sicht der Interviewten
337 339 341 344 347 353
4
Folgerungen und Schlussbetrachtungen
4.1
Zusammenfassende Schlussbetrachtungen
355
4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3
Handlungsempfehlungen für die Politik Handlungsempfehlungen für den Bund Handlungsempfehlungen für die Länder Handlungsempfehlungen für Kommunen und Kreise
367 367 370 372
3.5.1 3.5.1.1 3.5.1.2 3.5.1.3 3.5.1.4 3.5.1.5 3.5.1.6 3.5.1.7 3.5.1.8 3.5.2
Literaturverzeichnis
355
375
10
Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2:
Zusammenhang zwischen Frauenbeschäftigungsquote und Geburtenziffer
60
Relative Wahrscheinlichkeit, das Gymasium zu besuchen, für Kinder aus der höchsten Sozialschicht gegenüber Kindern aus der mittleren Sozialschicht
73
Abbildung 3:
Investitionen pro unter 10-jährigem (2005) im Ländervergleich
139
Abbildung 4:
Personalschlüssel in Kindertageseinrichtungen (15.03.2006) im Ländervergleich
166
Abbildung 5:
Verteilung der Fünftklässler, die im vorangegangenen Jahr die Grundschule besuchten, auf die Schularten im Schuljahr 2006/07 nach Ländern
185
Abbildung 6:
Bildungsausgaben 2005 nach Bildungsbereichen
187
Abbildung 7:
Voll gebundene, teilweise gebundene und offene Ganztagsschulen des Primar- und Sekundarbereichs I 2006
193
Abbildung 8:
Modellierung des Forschungsdesigns
221
Abbildung 9:
Kindertagesbetreuung im Spannungsfeld der Handlungsparameter Familie, Jugendhilfe und Bildungswesen
253
Abbildung 10: Charakter der Elternansprache in den Konzepten der drei Bundesländer
292
Abbildung 11: Rolle der Wirtschaft in den drei Ländern im Bereich der Humanvermögensbildung
352
Tabellenverzeichnis
11
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Übersicht über die kurz-, mittel- und langfristigen Effekte besserer Kita-Qualität auf das Kind
58
Tabelle 2: Gesamtschau der Effekte des bedarfsgerechten Ausbaus von Tageseinrichtungen bezogen auf den zeitlichen Wirkungseintritt
61
Tabelle 3: Kinder im Alter von unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und Tagespflege 2007
136
Tabelle 4: Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt in Tageseinrichtungen und Tagespflege in Ost- und Westdeutschland 2007 nach täglicher Betreuungszeit
136
Tabelle 5: Nutzung von Kindertagesbetreuung durch Schulkinder unter elf Jahren 2007 und von Ganztagsschulangeboten durch Schüler/innen an Grundschulen im Schuljahr 2006/07
137
Tabelle 6: Kleinster und grösster Wert der Betreuungsquoten in den Kreisen am 15.3.2006 nach Ländern und Altersgruppen
159
Tabelle 7: Demografische Entwicklung, Kindergarten-Platzbedarf und Personalbedarf in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen
160
Tabelle 8: Pädagogisches Personal in Kindertageseinrichtungen in West- und Ostdeutschland 2007 nach Berufsausbildungsabschlüssen
167
Tabelle 9: Anteil der Schüler/innen im Ganztagsbetrieb im Primar- und Sekundarbereich I in öffentlicher und privater Trägerschaft 2006 nach Schularten und Ländern
192
Tabelle 10: Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bei Lehrern – unvollständige Übersicht nach Angaben der GEW
202
Tabelle 11: Exemplarische Übersicht über die Kosten und Nutzen nach Trägern und Empfängern der föderalen Ebenen bei Einführung eines Gütesiegels
215
Tabelle 12: Anfragen an die Bildungskonzepte der Bundesländer
222
Tabelle 13: Formen der Ganztagsbetreuung und der damit verbundenen Zielsetzungen in den drei Bundesländern
298
Tabelle 14: Förderung im Rahmen des „Investitionsprogramms Bildung und Betreuung“ in den drei Bundesländern..
317
Tabelle 15: Ressortzuständigkeit von Jugendhilfe und Schule auf Landesebene
339
12
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
AGOLJB ARGE AVBayKiBiG BayEUG BayKiBiG BayKiG BayVerfGH BayVBl BB BbgSchulG BE BGB BLK BMBF BMFSFJ BVerfGE BVerwG BT BW BY CDU CSU D DDR DIW DJI EGV EU GEW GG GTK HB HE IZBB JMK
Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesjugendbehörden Arbeitsgemeinschaft (nach § 44b SGB II) Ausführungsverordnung zum Bayer. Kinderbildungs- und betreuungsgesetz Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen Bayerisches Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz Bayerisches Kindergartengesetz Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bayerische Verwaltungsblätter Brandenburg Brandenburgisches Schulgesetz Berlin Bürgerliches Gesetzbuch Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung Bundesministerium für Bildung und Forschung Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Bundestag Baden-Württemberg Bayern Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlich-Soziale Union in Bayern Deutschland (Bundesgebiet insgesamt) Deutsche Demokratische Republik Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Deutsches Jugendinstitut Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (seit 2009: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) Europäische Union Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Grundgesetz Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder in Nordrhein-Westfalen Bremen Hessen Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ Jugendministerkonferenz
Abkürzungsverzeichnis KiBiz KICK KitaG KJFöG KJHG KMK MV NI NICHD NW/NRW O OECD OGS PISA RP SchulG SGB SL SN SPD ST SH SWS TAG TH TIMSS UN VfGBbg W
13 Kinderbildungsgesetz in Nordrhein-Westfalen Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz Kindertagesstättengesetz des Landes Brandenburg Kinder- und Jugendförderungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen Kinder- und Jugendhilfegesetz Kultusministerkonferenz Mecklenburg-Vorpommern Niedersachen National Institute of Child Health and Human Development Nordrhein-Westfalen Ostdeutschland einschließlich Berlin Organisation for Economic Co-operation and Development Offene Ganztagsschule Programme for International Student Assessment Rheinland-Pfalz Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen Sozialgesetzbuch Saarland Sachsen Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Semesterwochenstunden Tagesbetreuungsausbaugesetz Thüringen Trends in International Mathematics and Science Study United Nations Urteil des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg Westdeutschland
14
Vorwort der Herausgeberin
Vorwort der Herausgeberin
Die Policy-Analyse gehört zu den vergleichsweise „jungen“ Kindern der Politikwissenschaft. Das Interesse an ihr erwachte in Deutschland mit den Versuchen Politikfelder systematisch zu steuern, etwa in der Form der Planungs- und Steuerungsgesetze der späten 1960er Jahre. In ihrem Fokus steht die ursprünglich von Thomas S. Dye formulierte Frage, was politische Akteure tun, warum sie es tun und was dieses Tun letztlich bewirkt. Umfassende Analysen einzelner Politikbereiche sind – von wenigen Ausnahmen abgesehen – allerdings bis heute selten, das gilt insbesondere für Familien- und Bildungspolitik. Die Ursachen dafür liegen in den überaus anspruchsvollen und komplexen Anforderungen, die mit solchen Analysen bezüglich der Verbindung normativer, struktureller und prozessorientierter Darstellungen und nicht zuletzt auch bezüglich vorhandener Datenbestände verbunden sind. Die vorliegende Arbeit, die ich als Dissertation gerne und mit großem Erkenntnisgewinn begleitet habe, geht über die üblichen Anforderungen an Policy-Analysen noch ein Stück hinaus: Sie ist der Analyse eines Politikfeldes gewidmet, dass sowohl Ressortgrenzen als auch diejenigen der föderalen Aufgabenteilung überschreitet: Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung vor dem Hintergrund der sich wandelnden Problemlagen in der Familien- ebenso wie in der Bildungspolitik. In der Familienpolitik vollzog sich im Verlauf der 90er Jahre vor dem Hintergrund der abzusehenden Folgen demografischer Strukturverschiebungen und dem Einzug des Konzeptes vom Humanvermögen in den Diskurs ein Paradigmenwechsel. Die vormals massiv verteidigten Grenzen zwischen Familie und Staat, zwischen Privatheit und Öffentlichkeit wurden durchlässiger. Die Anerkennung familialer Leistungen ebenso wie die Identifizierung von Leistungsdefiziten der Familie legten ein Nachdenken über die Frage nahe, welcher Formen und Inhalte der Anerkennung und Unterstützung Familie im Bereich von Erziehung und Betreuung, aber auch Bildung bedurfte und umgekehrt auch wie und unter welchen Umständen Familie sich in neue Formen der Kooperation einbringen konnte. Zur Betreuung gehört die umfassende Sorge für das leibliche und seelische Wohl bzw. Wohlbefinden von Kindern. Sie durch öffentliche Kleinkindbetreuung und -erziehung auch Familien ergänzend zu gestalten, wurde einerseits mit den Folgen der industriellen Arbeitsteilung, d.h. mit der Trennung von Familienhaushalt und Erwerbsarbeit und der Notwendigkeit begründet, erwerbstätige Eltern zu entlasten. Andererseits bedeutet öffentliche Betreuung aber in Kombination mit der elterlichen Sorge auch die gezielte Förderung von Kindern. Erziehung umfasst Leistungen der Betreuung ebenso wie die Aufforderung und Anregung zur Bildung sowie das Vorleben und die Vermittlung von Regeln, Normen und Werten. Die Aufgaben der Erziehung in den ersten Lebensjahren verlangen auf Seiten der Erwachsenen (Eltern und Fachkräfte) ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, Wissen sowie Beziehungs- und Erziehungskompetenzen. Immer deutlicher ist in den letzten Jahren geworden, dass das Wohl der Kinder nur gewährleistet werden kann, wenn diese Aufgaben gemeinsam, d.h. im Sinne einer engen Erziehungspartnerschaft von Eltern und Fachkräften wahrgenommen und wenn im Hinblick auf die öffentlichen Angebote hohe Investitionen in
Vorwort der Herausgeberin
15
die Professionalisierung der Fachkräfte und in die pädagogische Qualität getätigt werden. Bildung wiederum ist nicht mit schulischer Bildung, d.h. mit einer unterrichtlich vermittelten Aneignung von Wissen und Fähigkeiten gleichzusetzen. Vielmehr meint Bildung die lebenslange aktive Aneignung der Welt, der Kultur, der Natur, die mit der Geburt beginnt. So gesehen ist der Kindergarten von seinen geschichtlichen Anfängen an als Bildungseinrichtung konzipiert worden. Fröbels „Spielgaben“ und Maria Montessoris „Materialien zur Sinnesübung“ sind so als entwicklungsangemessene Bildungsmittel zu verstehen. Betreuung, Erziehung und Bildung sind also von ihren Aufgaben her nicht nur stark miteinander vernetzt, sondern aufeinander angewiesen. Die zentralen Akteure jedoch – Familien, Betreuungs- und Bildungseinrichtungen – agieren nicht nur weitgehend ohne systematische Kooperation, sondern werden politisch durch komplett getrennte Steuerungskompetenzen und -routinen geprägt: Familien weitgehend durch die Bundespolitik, Betreuung durch die Kommunen, Bildung durch die Länder. Historisch war die im 19. Jahrhundert in Deutschland entstehende öffentliche Kleinkinderziehung (Krippen, Bewahranstalten, Kleinkinderschulen, Volkskindergärten) anfangs der Kontrolle durch die Ortsschulbehörden im Rahmen des Schulaufsichtsrechts unterstellt, die auch die Genehmigung zum Betrieb der Einrichtung erteilten. Die strikte Abgrenzung der Kleinkinderziehung zur Schule erfolgte erst im 20. Jahrhundert mit der Entwicklung von Jugendämtern und der Verabschiedung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes 1922. Damit fiel die öffentliche Kleinkinderziehung in die Verwaltungszuständigkeit der kommunalen Jugendämter, in der sie bis heute verblieben ist. Mit der Verankerung eines Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz für alle Dreijährigen 1996 sowie eines solchen ab 2013 auch für ein- bis dreijährige Kinder mit dem Kinderförderungsgesetz aus dem Jahr 2008 sind nicht nur Fragen zur Organisation und Finanzierung der notwendigen Reformen in der Praxis aufgeworfen worden, sondern ist gleichzeitig ein Konzept der geteilten Verantwortung von Eltern, Staat und Gesellschaft für Betreuung, Erziehung und Bildung von der Geburt an offensichtlich geworden. Dieses Konzept der geteilten Verantwortung verspricht Lösungspotenzial, es wirft aber gleichzeitig Fragen nach der Organisation von politischer und administrativer Verantwortung in den zu verbindenden Handlungsbereichen Betreuung, Erziehung und Bildung auf und mahnt ein Nachdenken über Zuständigkeiten und Kooperationsmöglichkeiten der zentralen politischen Akteure an. Die vorliegende Arbeit beschreibt die Ausgangssituation und Problemlage in den Handlungsbereichen überaus differenziert, sie identifiziert darüber hinaus aber nicht nur Reformbedarfe, sondern markiert mögliche Lösungswege auf der Basis realer Kooperationsformen und -inhalte, die die Autorin in einer Auswahl von Bundesländern zusammengetragen hat. Sie bringt eine Fülle von Innovationspotenzial mit sich, das nicht zuletzt auch in die Ausformulierung von Empfehlungen an die politischen Akteure einmündet. Greven, im Dezember 2010
Prof. Dr. Irene Gerlach
16
Vorwort
Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist im Mai 2010 von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen worden. Viele Personen haben zu ihrem Gelingen beigetragen. Ihnen allen möchte ich von Herzen danken. An erster Stelle sei hier meine ‚Doktormutter‘ Prof. Dr. Irene Gerlach genannt, die die Arbeit mit großem Engagement betreut hat und mich durch kritische Anmerkungen wie praktische Ratschläge bei der Erstellung unterstützt hat. Eine Betreuung, wie man sie sich wünscht! Meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Klaus Schubert, der die Arbeit stets mit Interesse verfolgt hat, bin ich ebenfalls zu Dank verpflichtet. Mein besonderer Dank gilt meinen Interviewpartner/innen, die sich trotz ihrer dienstlichen Verpflichtungen die Zeit für unsere teilweise sehr umfangreichen Gespräche nahmen und durch ihre Anmerkungen das qualifizierte ‚Rohmaterial‘ für die Arbeit zur Verfügung gestellt haben. Meinen Mitstreiter/innen während der Promotionsphase, den Kommiliton/innen am Institut für Politikwissenschaft und im Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik, allen voran David Juncke M.A., danke ich sehr für die intensiven Fachdiskussionen sowie die freundschaftliche Zusammenarbeit, die für mich von außerordentlichem Wert war. Darüber hinaus gilt meinen Korrekturleser/innen Christina Schulz, Anja Witte M.A. und Prof. Dr. Ulrich von Hehl mein besonderer Dank für den mit der Übernahme der Tätigkeit erwiesenen Freundschaftsdienst. Für die Aufnahme in die Reihe Familie und Familienwissenschaft gebührt mein Dank dem Herausgebergremium und Frau Dorothee Koch, die die Drucklegung kompetent begleitete. Die vorliegende Arbeit zum Thema Familie wurde nur dadurch ermöglicht, dass meine eigene Familie viel Geduld und Rücksichtnahme aufgebracht hat. Ihr danke ich sehr, auch dafür, dass sie mir vorbehaltlos den Rücken gestärkt hat. Widmen möchte ich dieses Buch Axel, der mich stets unterstützt und ermutigt hat. Bremen, im Dezember 2010
Susanne von Hehl
Einleitung
17
Einleitung
Seit Beginn ihrer Institutionalisierung ist die Familienpolitik1 in der Bundesrepublik durch fortwährende Veränderungen gekennzeichnet – in struktureller und prozessualer ebenso wie in normativer und inhaltlicher Hinsicht (vgl. dazu auch Münch 1990; Gerlach 1996). In den letzten Jahren ist allerdings festzustellen, dass diese Veränderungen eine andere Dimension erhalten. Urteilte noch der Fünfte Familienbericht 1994, die Familienpolitik sei „bis heute ein Stiefkind der deutschen Sozialpolitik geblieben“ (BMFuS (Hg.) 1994: 30), so hat sich das politische Klima seitdem, u.a. bedingt durch die vorherrschende Diskussion um den demografischen Wandel und die mit ihm verbundenen Herausforderungen für den Sozialstaat, gewandelt. „Die Politik hat das Thema Familie ‚wieder entdeckt‘“ (Gesterkamp 2004), ja die Familienpolitik wird von Parlamentariern sogar als eines der Top-Themen der Politik eingeschätzt, wie eine Befragung von Parlamentariern zur sozialen Gerechtigkeit im Auftrag der Bertelsmann Stiftung gezeigt hat (Vehrkamp/Kleinsteuber 2006). Ähnlich wie im Bereich der Bildungspolitik, die lange Zeit als so genanntes „weiches“ Politikfeld galt und infolge gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse – des Wandels von der Industriegesellschaft zur Wissens- bzw. Weiterbildungsgesellschaft2 – in den vergangenen Jahren eine deutliche Aufwertung3 erfahren hat, ist auch bei der Familienpolitik ein allmählicher Policy-Wandel ersichtlich. Während sich dieser zuerst, im Laufe der 1990er Jahre, als Neuorientierung des familienwissenschaftlichen Diskurses vollzog, ist ihm seit der Jahrtausendwende auch ein Bedeutungswandel in der öffentlichen Diskussion gefolgt. Eingeleitet wurde diese veränderte Betrachtungsweise nicht zuletzt durch den „Gestaltwandel des deutschen Wohlfahrtsstaates“ (Bleses/Rose 1998: 291), der zu einer Verschiebung der Gewichte zwischen den Sektoren Arbeit und Familie zugunsten der Familie führte. Hervorgerufen durch das Problem der abnehmenden Allgemeinverbindlichkeit des Normalarbeitsverhältnisses und der Normalfamilie4 wurden Veränderungsnotwendigkeiten im überkommenen Wohlfahrtsstaatsgefüge deutlich sichtbar. Eine öffentliche Debatte über die neuen Rahmenbedingungen, unter denen Sozialpolitik heute stattfindet, sowie eine entsprechende Diskussion um die Systeme der sozialen Sicherung und Strukturprobleme des Wohlfahrtsstaates (vgl. Schmid 2002: 47ff) waren die Folge.
1 Definiert als „die Summe aller Handlungen und Maßnahmen, die im Rahmen einer feststehenden Verfahrens-, Kompetenz- und Rechtfertigungsordnung eines Staates normativ und/oder funktional begründbar die Situation von Familien im Hinblick auf eine als wünschenswert definierte Erfüllung von deren Teilfunktionen hin beeinflussen“ (Gerlach 2004: 210). 2 Vgl. Bell 1985, Arnold/Gieseke (Hg.) 1999. 3 Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass sich die Ausgaben für Weiterbildung und Forschung im Bundeshaushalt in den vergangenen Jahren konstant erhöht haben (vgl. Statistisches Bundesamt http://www.destatis.de), aber auch daran, wie stark Bildung in die „politische Alltagsrhetorik“ (Rauschenbach 2009) eingeflossen ist. 4 Die Familie unterlag wie kaum eine andere gesellschaftliche Institution in den letzten Jahrzehnten tief greifenden Wandlungsprozessen, die sich mit den Stichworten „Individualisierung“, „Pluralisierung der Lebensformen“ und „Enttraditionalisierung“ kennzeichnen lassen (Butterwegge 2003: 228).
S. von Hehl, Bildung, Betreuung und Erziehung als neue Aufgabe der Politik, DOI 10.1007/978-3-531-92834-0_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Einleitung
Die aus dem herkömmlichen wohlfahrtsstaatlichen Handlungsparadigma und der veränderten gesellschaftlichen Entwicklung resultierenden Spannungen werden durch die veränderte demografische Entwicklung mit ihren beiden Hauptkomponenten „Rückgang der Bevölkerungszahl“ und „drastische Verschiebung in der Altersstruktur der Bevölkerung“ verschärft. Diese Entwicklung hat Konsequenzen für die Sozialversicherungen, für den Arbeitsmarkt, für das Bildungssystem, für das Steueraufkommen, für die gesamte Volkswirtschaft – kurz für alle gesellschaftlichen Bereiche. Obgleich dies seit Jahrzehnten von Bevölkerungswissenschaftler/innen angemahnt wird, hat sich erst in den 1990er Jahren in der Öffentlichkeit das Bewusstsein um die demografische Problematik verstärkt. „In kaum einem anderen Politikfeld scheint die Zeitspanne zwischen der wissenschaftlichen und der öffentlichen Diskussion so ausgeprägt zu sein“ (Schönig 2002: o.S.). In der Familie wird dabei gemeinhin ein zentraler Schlüssel zur Lösung des demografischen Problems gesehen (Mayer 1999: 26). Eine der Motivationen, Familienpolitik überhaupt zu betreiben, ist schließlich die, Familien in ihrer generativen, regenerativen sowie sozialisierenden Funktion zu stärken. Bei der Frage, welche familienpolitischen Instrumente staatlicherseits hier Erfolg versprechend sein könnten, gewinnt in letzter Zeit das der Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer mehr an Bedeutung. Vielfältige Forschungen der vergangenen Jahre haben nämlich gezeigt, dass die lange Jahre die bundesrepublikanische Familienpolitik prägende Annahme, die Förderung der Freistellung der Mutter aus dem Erwerbsleben zum Zwecke der Kindererziehung und eine geringe Müttererwerbstätigkeit seien der Geburtenrate förderlich, mittlerweile obsolet zu sein scheint. Die Neigung zur Familiengründung geht derzeit vor allem in solchen Milieus zurück, „in denen ein stabiles Familienleben (samt der bisherigen Rollenverteilung) in Konflikt gerät mit den Anforderungen beruflicher Mobilität und biographischer Flexibilität“ (Butterwegge 2003: 230), wie sie für die Kultur der Spätmoderne bezeichnend sind.5 Der lange Zeit gesetzte Zusammenhang zwischen Wohlstand und Fortschritt eines Landes und sinkenden Kinderzahlen, der in der Tat die Entwicklung der westeuropäischen Länder seit Jahrhunderten bestimmt hat, scheint ab einem bestimmten Niveau des gesellschaftlichen Entwicklungsstandes nicht mehr zu gelten. Heute verzeichnen in Europa „jene Länder die höchsten Geburtenziffern, in denen der gesellschaftliche Entwicklungsstand am weitesten fortgeschritten ist“ (Kröhnert u.a. 2004 1f), in denen mit anderen Worten kein Widerspruch zwischen den familialen Leitbildern und Rollenvorstellungen und der gesellschaftlichen Realität zu finden ist. Die Unvereinbarkeit von Kind und Beruf wird damit allgemein als wesentlicher Faktor für die Fertilitätsentwicklung betrachtet, „und es liegt nahe zu vermuten, dass dieser Umstand auch zum Teil den hohen Anteil kinderloser Frauen in Westdeutschland erklärt“ (Kreyenfeld/Spieß/Wagner 2002: 207). Was mittlerweile ebenso als gesichert gilt, ist die Tatsache, dass die monetären Transferleistungen für Familien und die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Elternzeit in Deutschland allein kaum Einfluss auf die Fertilität haben. Um Menschen in modernen Industriegesellschaften zu höheren Kinderzahlen zu motivieren, scheint es also politisch Erfolg versprechender, die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft zu fördern – ohne dass dies hieße, die Höhe von Geburtenprämien, Kindergeld und sonstigen Transferleistungen zu vernachlässigen (Kröhnert u.a. 2004: 2f).6 5
S. zu den Gründen für den Geburtenrückgang in Deutschland auch Grünheid 2003. Zu den Möglichkeiten zur Erhöhung der Fertilitätsrate in Deutschland vgl. auch Engelbrech 2001: 2ff, Höpner 2004. 6
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So verwundert es nicht, dass sich mittlerweile auch in der Politik die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass einem weiteren Absinken der Geburtenrate nur entgegenzutreten ist durch eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, eine Maßnahme also, die lange Zeit in anderen, nämlich frauenpolitischen, Zusammenhängen bereits diskutiert wurde. Eng verknüpft mit dieser Frage ist zugleich die Problemstellung einer ausreichenden außerfamilialen Kinderbetreuungsinfrastruktur, die damit „als „bottleneck“ einer auf die Steigerung von Geburtenraten zielenden Politik entdeckt [wurde] und eine bisher nicht für möglich erachtete Koalition von Befürwortern einer auch ganztägigen Kinderbetreuung generiert“ (Sell 2002: 13) hat. In der Tat ist ersichtlich, dass seit geraumer Zeit neue Akteure in der Familienpolitik tätig sind und ihre Bedeutung in das öffentliche Bewusstsein und in den politischen Diskurs tragen: politische Stiftungen, Wirtschafts- und Unternehmensverbände, Gewerkschaftsvertretungen, die Kirchen etc. Auch ihr vermehrtes Engagement hat dazu geführt, dass weit über den internen Zirkel der familienpolitischen Fachleute hinaus eine breite öffentliche Diskussion über familienpolitisches Handeln eingesetzt hat und der Familienpolitik eine größere Bedeutung im politischen Verhandlungsgefüge zukommt. Nicht zuletzt haben auch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere zur Ausgestaltung des Familienlasten- und -leistungsausgleichs, dazu beigetragen, dass die Sensibilität für familienpolitische Grundsatzfragen erhöht wurde. Zunehmend wird Familie heute als „(volkswirtschaftlich) bedeutsames Leistungssystem“ begriffen. Vor diesem Hintergrund geht es darum, „durch Familienpolitik einen Ausgleich zwischen den Bevölkerungsteilen, die Familienleistungen erbringen und denjenigen, die dies nicht tun, zu erwirken. Die Vehemenz, mit der diese Aufgabenstellung zu Beginn des dritten Jahrtausends (…) deutlich wird, geht zu einem großen Teil auf familienpolitische Steuerungsverzichte oder -defizite der vorangegangenen Jahre zurück“ (Gerlach 2004: 33). Der Rückgang der Geburtenquoten weist daher auch auf einen Konstruktionsfehler der Familienpolitik hin, der sich unter anderem lange in einer allgemeinen Missachtung der Erziehungsleistung von Eltern und einer unzureichenden gesellschaftlichen Wertschätzung des Aufbaus zukünftigen Humanvermögens geäußert hat (vgl. Stolz-Willig 2003: 214). Hierauf hat das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahren immer wieder aufmerksam gemacht: Die Entwicklung seiner Urteilssprechung ist durchaus als Reaktion auf die zunehmend beschleunigte Dynamik einzustufen, die sich aus dem Missverhältnis kollektivierter Risiken in den Sicherungssystemen des Sozialstaats und der „Privatisierung“ der Kosten für die bestandssichernde nachwachsende Generation ergibt, auf welches die Politik nicht rechtzeitig und ausreichend reagiert hat (vgl. hierzu Gerlach 2000). Die Bedeutung von Familien als Ort der Humanvermögensproduktion ist so in den vergangenen Jahren immer stärker sichtbar geworden. Innerhalb des Gesamtsystems Familie gerät damit auch die Rolle der Kinder als „qualitatives Gut“ mit ihren eigenen Interessen stärker in den Blick als dies in der rein bevölkerungspolitischen Diskussion der Fall ist, wo Kinder – so hat man zumindest vor dem Hintergrund zahlreicher öffentlicher Verlautbarungen den Eindruck – vor allem als quantitativer Faktor interessieren. Zwar urteilte Kaufmann schon 1995: „Das gesellschaftspolitische Interesse an Familie besteht vor allem um dieser nur von der Vielzahl aller Einzelfamilien gemeinsam zu erbringenden Leistung des Aufziehens und der Sozialisation des Nachwuchses willen. Gesellschaftstheoretisch formuliert: dem Teilsystem Familie kommt die Funktion der Nachwuchssicherung (im quantitativen wie im qualitativen Sinne) zu. Die Bereitstellung ausrei-
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chenden und motivierten Nachwuchses ist die Leistung, welche die übrigen gesellschaftlichen Teilsysteme (z.B. Wirtschaft, Politik, Wissenschaft usw.) unter den Prämissen unserer Kultur von den Familien erwarten können. In dieser Hinsicht sind sie unersetzlich“ (Kaufmann 1995: 3f.). Aber erst seit Ende der 1990er Jahre können wir in mehreren Politikfeldern eine Verknüpfung der familienpolitischen Debatte mit einer neuen Sichtweise der Bildung und Erziehung (nicht mehr nur Betreuung) von Kindern beobachten. Öffentlich ins Bewusstsein rückte dies mit den Ergebnissen der 2001 erschienenen ersten PISA-Studie der OECD, die eine bildungspolitische „Zäsur“ in Deutschland hervorrief und den Bildungsort „Familie“ neu sichtbar machte. Die PISA-Studie – eine groß angelegte Untersuchung der „Erträge“ von Schulen in den OECD-Mitgliedsstaaten7 – enthüllte nämlich, dass das deutsche Bildungssystem OECD-weit zu den am stärksten selektierenden zählt und Deutschland in der Studie das Land mit dem stärksten Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und erworbenen Kompetenzen ist (MPIB 2002: 8f). Die starke Abhängigkeit individueller Bildungswege von den familiären Lebensverhältnissen zeigte dabei deutlich, dass das formelle Bildungswesen in Deutschland weniger als in anderen Ländern in der Lage ist, familiäre Bildungsferne zu kompensieren (Colberg-Schrader 2003: 266). Gerade Länder, in denen das Hausfrau-Mutter-Modell vorherrscht, konnten in der Studie häufiger eher schlechte Ergebnisse vorweisen, was damit in Zusammenhang gebracht wird, dass sie „teilweise die Entwicklung moderner Betreuungssysteme versäumt haben“ (Erler 2004: 13). Im Zuge dessen hob in Deutschland eine breite öffentliche Diskussion an; das verheerende Abschneiden Deutschlands beherrschte wochenlang die Medien8 – wobei zu diskutieren wäre, „ob in Deutschland nicht in Wirklichkeit die Peinlichkeit der schlechten Platzierung die Gemüter sehr viel mehr berührte als das Erschrecken über die damit zum Ausdruck gebrachten vermeintlichen oder tatsächlichen Schwächen in den schulischen Leistungen der befragten Kinder“ (Rauschenbach 2002: 13). Parteiübergreifend wurde der Ruf nach Reformen laut und eine Vielzahl von Programmen wurde diskutiert sowie teilweise umgesetzt9. Nicht nur öffnete die Studie die Tür für ein Benchmarking in der Bildungspolitik – bis dato politisch nicht durchsetzbar – vor allem erfuhr auch der vorschulische Bereich neue Aufmerksamkeit. Die Vorschläge konzentrierten sich dabei auf ein „Maßnahmenbündel, das Betreuung und Bildung sowohl im vorschulischen Bereich als auch im Zusammenhang der Einführung von Ganztagsschulen verbinden will, um Defizite bei Kindern rechtzeitig auszugleichen und darüber hinaus Begabungen gezielt fördern zu können“ (Gerlach 2004a: 120). Wenn auch etliche der ergriffenen Maßnahmen als „hektische Sofortmaßnahmen“ (Rauschenbach 2002: 13) gelten können und sich die öffentliche Diskussion sehr schnell fast ausschließlich darauf richtete, wie das Lernen in Institutionen besser organisiert werden kann (Colberg-Schrader 2003: 266)10, ist in der Praxis festzustellen:
7 Das Kürzel PISA (Programme for International Student Assessment) steht dabei für eine international standardisierte Leistungsmessung, die von den Teilnehmerstaaten der OECD gemeinsam entwickelt wurde und mit 15jährigen Schülerinnen und Schülern in ihren Schulen durchgeführt wird. Die erste Erhebung fand im Jahr 2000 statt. Danach erfolgten die Erhebungen in einem Dreijahreszyklus (Baumert u.a. 2001: 17). 8 Die OECD zählte allein in den ersten zwei Monaten nach Erscheinen der Studie über 500 Artikel in den bekannteren deutschen Printmedien (OECD 2002). 9 Vgl. Baumert u.a. 2001: 15. 10 So urteilt Frank: „Die Bildungsdebatte ist zusammengeschnurrt zur Schulbildungsdebatte“ (Frank 2004: 3).
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„In der Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern zur Umsetzung des Programms des Bundes zum Ausbau von Ganztagsschulen erhält die Kooperation von Schule und Jugendhilfe einen zentralen Stellenwert (...). Die Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule ist ein wichtiges Thema in den Bildungsplänen und -vereinbarungen, die zurzeit in verschiedenen Ländern für Kindertageseinrichtungen für die Zeit vor der Schule erarbeitet werden. Nicht nur die Dauer des Besuchs von Kindertageseinrichtungen, auch ihre Qualität und die Prozesse des Übergangs vom Kindergarten in die Grundschule rücken dadurch in die Aufmerksamkeit der Kultuspolitik“ (Rauschenbach u.a. 2004: 11f).
Die strikte Trennung von privater und öffentlicher Erziehung, von Bildung, Betreuung und Erziehung, wie sie die Bundesrepublik lange verfochten hat, wird mit solchen Plänen obsolet. Das bisherige Konzept der Humanvermögensbildung11 in der Bundesrepublik, welches Familie und Schule als fraglos gegebene Stützpfeiler der Kindheit und Jugend ansah, wobei die Familie vor allem für die Betreuung und Erziehung der Kinder, die Schule für die Bildung verantwortlich ist, trägt in seiner Ausschließlichkeit offensichtlich nicht mehr – wenn es dies jemals getan hat und man die Jugendhilfe als „Reparaturbetrieb“ der Gesellschaft einmal ausblendet. Diese Tendenz, Betreuung, Erziehung und Bildung eher im Nacheinander als eine aufsteigende Abfolge im kindlichen Lebenslauf zu konzipieren, hat dazu geführt, dass „innerhalb der Kindertagesbetreuung eine Unterschätzung der Seite der Bildung (...) ebenso festzustellen ist wie auch umgekehrt die Schule die Themen ‚Betreuung und Erziehung‘ weitgehend vernachlässigt hat“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 19). Zudem wurde in der Vergangenheit die Rolle der Familie als eigenständiger Bildungsort, in dem nicht nur betreut und erzogen, sondern in entscheidender Weise zur Humanvermögensbildung der Gesellschaft beigetragen wird, völlig vernachlässigt. Dadurch, dass die Familie zu einem in sich stark differenzierten und selbstreferenziellen gesellschaftlichen Teilsystem wurde, das in unterschiedlicher Hinsicht den funktionalen Erfordernissen einer veränderten Gesellschaft nicht mehr gerecht wurde und werden konnte, entwickelte sich in den vergangenen Jahren ein grundsätzlich neuer Charakter familienpolitischer wie bildungspolitischer Aufgabenstellung. Deutschland kann, wie der Zwölfte Kinder- und Jugendbericht konstatierte, „nicht länger darauf hoffen (...), dass Familien bei erheblich veränderten Rahmenbedingungen immer noch so funktionieren wie vor 30, 50 oder 100 Jahren. Deutschland muss die politische Gestaltung der damit verbundenen Aufgaben in Angriff nehmen“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 49). Dies erfordert neue Konzepte, die die Trias von Bildung, Betreuung und Erziehung zusammenführen und die bisherige Trennung der politischen Zugehörigkeit – in Bildung als institutionalisierte Ausbildungspolitik und Erziehung und Betreuung als davon losgelös11
Die Begrifflichkeit stützt sich auf die mit dem Fünften Familienbericht 1994 in den öffentlichen Diskurs eingeführte Konzeption, welche sich vom Konzept des „Humankapitals“ unterscheidet (vgl. dazu beispielsweise LangeVester 2006). Unter der Bildung von Humanvermögen versteht der Bericht „die Vermittlung von Befähigungen zur Bewältigung des Alltagslebens, das heißt: den Aufbau von Handlungsorientierungen und Werthaltungen in der Welt zwischenmenschlicher Beziehungen“ (BMFuS (Hg.) 1994: 28). Der Begriff bezeichnet dabei „zum einen die Gesamtheit der Kompetenzen aller Mitglieder einer Gesellschaft, von jungen und alten Menschen, von Kindern, Eltern und Großeltern, von Kranken, Behinderten und Gesunden. Zum anderen soll mit diesem Begriff in einer individualisierenden, personellen Wendung das Handlungspotential des Einzelnen umschrieben werden, d.h. all das, was ihn befähigt, sich in unserer komplexen Welt zu bewegen und sie zu akzeptieren“ (ebd.).
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ten Teil der Sozialpolitik – neu regeln. Dabei ist vor allem die Frage, „wer in welcher Form und in welchem Umfang für die Bildung, Betreuung und Erziehung der nachwachsenden Generation zuständig ist“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 17), neu zu definieren. Die stärkere Gewichtung des Pols der öffentlichen Verantwortung für Kinder liegt hier nicht allein – wenn überhaupt – in einer neuen Sichtweise von Kindern und ihren Bedürfnissen begründet, sondern es sind eher volkswirtschaftliche Argumente, die auf eine stärkere Akzeptanz von erwerbstätigen Müttern sowie auf die quantitative und qualitative Reproduktion der Gesellschaft zielen (s. auch BMFSFJ (Hg.) 1998: 6). Während früher die Erziehungs- und Sozialisationsaufgabe allein den Eltern als deren Privatangelegenheit zugeschrieben, die Bedeutung gesellschaftlicher Einrichtungen für die Humanvermögensbildung nicht thematisiert und der Bildungspolitik eine entsprechend geringe Beachtung geschenkt wurde, droht – nach Meinung mancher – die Diskussion nunmehr fast ins Gegenteil umzuschlagen: „Es mehren sich Aussagen, die familialen ‚Vorleistungen‘ für das Bildungssystem würden angesichts gesellschaftlicher Veränderungen nur mehr unzureichend erbracht, weshalb es staatliche Aufgabe wäre, diese Verantwortung den Eltern früher und in größerem Umfang abzunehmen“ (Ott 2002: 23). Diese Argumentation wurde durch eine breite öffentliche Diskussion um Kindesvernachlässigung und Kinderschutz im Jahr 2006 noch einmal verstärkt. Insofern können die derzeitigen Entwicklungen durchaus als Chance gesehen werden, ein im gesellschaftlichen Konsens getragenes Konzept einer abgestimmten Familien- und Bildungspolitik zu entwickeln, das von der Versäulung der bisherigen Bildungsorte zu einer stärkeren Verbindung und Verknüpfung der verschiedenen Bildungsinstanzen sowie von Bildung, Betreuung und Erziehung führt. Das Neben- und teilweise Gegeneinander von Familie, Schule und außerschulischen sowie vor- und außerschulischen öffentlichen Angeboten könnte so überwunden und zu einem neuen Mit- und Ineinander der verschiedenen Sozialisationsinstanzen führen (Rauschenbach 2002: 16f). Der Frage, welche Aufgabe der Familie in einem solchen Konzept zufällt und welche Bedeutung familienunterstützende Maßnahmen in diesem Zusammenhang spielen, kommt hier selbstverständlich eine große Bedeutung zu. Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung eines solchen neuen und tragfähigen Bildungskonzepts hat der Zwölfte Kinder- und Jugendbericht gespielt, der das Thema Bildung – mehr als alle Berichte zuvor – vor dem Hintergrund einer Trias von Bildung, Betreuung und Erziehung akzentuiert und damit einen erweiterten Bildungsbegriff über den fachpolitischen Diskurs hinaus in der breiteren Öffentlichkeit konzeptionell verankert hat. Der Bericht lässt sich von der Idee leiten, „dass öffentliche Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsangebote künftig so organisiert werden müssen, dass dadurch nicht nur ein Aufwachsen in einem neuen Zusammenspiel von privater und öffentlicher Erziehung, von Familie und Kindertagesbetreuung, von Schule und außerschulischen, auch gewerblichen Angeboten ebenso verlässlich wie qualifiziert möglich wird, sondern dass dadurch auch nachhaltige familien- und kindheitspolitische Effekte zu erwarten sind“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 18). Damit wird auch die „Relevanz des Zusammenspiels familialer und nicht-familialer Erziehung unter der Zielsetzung der Qualitätssicherung der Erziehung und Betreuung in den jeweiligen Umwelten hervorgehoben“ (BMFSFJ (Hg.) 1998: 20f). Neben anderem setzt die Umsetzung eines solchen Konzeptes eine Verschiebung im Aufgabenverständnis des Staates voraus, weg von den „Kontroll- und Bevormundungsstrategien, wie sie für die Vergangenheit charakteristisch waren, zu einem Aufgabenverständ-
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nis im Sinne von Unterstützungsleistungen und Hilfsangeboten“ (BMFSFJ (Hg.) 1998: 15). Ein solcher Perspektivwechsel ist in anderen Bereichen bereits im Gange, was unter anderem darin erkennbar ist, dass „sich spätestens mit Beginn der [19]80er Jahre die Perspektive staatlichen Handelns geändert hat: Schritt der Staat bis dahin quasi a posteriori ein, um auszugleichen, so erhält das präventive Handeln zunehmend mehr Gewicht“ (Gerlach 2004: 34). Im Kinder- und Jugendhilfegesetz, das in seiner Grundtendenz „Jugendhilfe als Dienstleistung definiert und als wichtige Aufgaben z.B. die Sicherstellung der Lebenswelt von Kindern sowie die Unterstützung der Familien in ihren Erziehungsaufgaben beschreibt“ (BMFSFJ (Hg.) 1998: 15) wurde diese Verschiebung längst vorgenommen, allerdings ohne dass dies in der Vergangenheit Auswirkungen auf das formale Bildungssystem gehabt hätte. Immer häufiger ist seit den ersten PISA- und TIMSS12-Studien im formalen Bildungssystem die Rede davon, Bildungspolitik und Schulentwicklung sollten sich am „Output“ orientieren, d.h. an den Leistungen der Schule, vor allem an den Lernergebnissen der Schülerinnen und Schüler, um so ein qualitativ hochwertiges Angebot sicherzustellen. „Diese ‚Output-Orientierung‘ lässt sich zwanglos mit einem gewandelten Verständnis staatlicher Steuerung verbinden, wie es auch in anderen Bereichen der Gesellschaft zu beobachten ist. Nicht mehr durch detaillierte Richtlinien und Regelungen, sondern durch Definition von Zielen, deren Einhaltung auch tatsächlich überprüft wird, sorgt der Staat für Qualität“ (BMBF (Hg.) 2003: 11f). Neben vorsorgenden Angeboten kommt daher vor allem der Qualitätsentwicklung und -sicherung von Angeboten eine bedeutende Stellung zu, wenn es um ein gewandeltes Verständnis staatlicher Aufgaben im 21. Jahrhundert geht. Wie die Rolle des Staates heute überhaupt aussieht, wie er aufgrund der komplexen Zusammenhänge und Interdependenzen Steuerungsaufgaben wahrnimmt, wird in der Politikwissenschaft seit geraumer Zeit intensiv diskutiert. Einig ist man sich mittlerweile, dass es zu kurz greift, das scheinbare Zurückdrängen des Staates und die gewachsene Bedeutung nichtmarktlich-privater und gemischt staatlich-gesellschaftlicher Regelung, wie sie auch in der Bildungs- und Familienpolitik immer stärker sichtbar werden, einfach nur als Verlust zentraler politischer Steuerungsfähigkeit zu interpretieren. Tatsächlich handelt es sich „in erster Linie um einen Formwandel staatlichen Handelns. Staatliche Akteure werden zunehmend in Verhandlungssysteme eingebunden, sei es mit anderen staatlichen Instanzen oder mit gesellschaftlichen Verhandlungspartnern und Gegenspielern. Manchmal ist die Rolle des Staates gar darauf beschränkt, die Spielregeln für die Verhandlungen zwischen Verbänden vorzugeben. Das bedeutet eine Schwerpunktverlagerung hin zu Koordinationsaufgaben. Genauer könnte man sagen, dass das Management von Interdependenz zu einer zentralen Staatsaufgabe geworden ist“ (Mayntz 2004: 72). Diese veränderte Rolle des Staates wird im Bereich der Bildungs- und Familienpolitik dadurch ergänzt, dass sich die Verantwortung der verschiedenen föderalen Ebenen hier derzeit mitten in einem Neustrukturierungsprozess befindet. Sind laut Grundgesetz im Bereich der Familien- und auch der Bildungspolitik Bund, Länder und die Kommunen von staatlicher Seite als Akteure präsent, zeigt sich die Bedeutung der Bundesländer und Kommunen unter zwei Perspektiven. Zum einen sind sie aufgefordert, bundesstaatliches Recht 12 TIMSS, als Kürzel für „Trends in International Mathematics and Science Study“, steht für eine international vergleichende Schulleistungsuntersuchung, die seit 1995 im vierjährigen Turnus von der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) durchgeführt wird und Mathematik- und Naturwissenschaftsleistungen in der Grundschule sowie den Sekundarstufen I und II untersucht.
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zu vollziehen, zum anderen werden die Länder im Rahmen ihrer legislativen und exekutiven Aufgabenwahrnehmung im Zusammenhang der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 72 und 74 GG) und die Gemeinden im Rahmen der freiwilligen Aufgaben (Art. 28 Abs. 2 GG) auch zu politischen Gestaltern. Die Föderalismusreform 2006 hat die Rolle der Länder im Vergleich zu der des Bundes im Bereich bildungspolitischer Fragestellungen noch einmal gestärkt. Dabei ist sie durchaus als Kontrapunkt zu werten, da das neue Kooperationsverbot, nach dem der Bund keine Finanzierungsbeihilfen für den Bildungsbereich mehr gewähren darf, im Gegensatz zum politischen Handeln der vergangenen Jahre zu sehen ist, das in Richtung einer stärkeren Kohärenz von Bundes- und Landesebene deutete, wie sich beispielhaft am „Investitionsprogramm Zukunft Bildung und Betreuung“ zeigt. Da Bildung in die Landeskompetenz gehört, Betreuung dagegen in den Kommunen organisiert wurde und wird, hat jede konzeptionelle Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung, wie sie in verschiedenen Bundesländern unter anderem durch die Schaffung neuer Bildungspläne vorbereitet und umgesetzt wurde und wird, selbstverständlich Auswirkungen auf die Akteursstruktur der föderalen Aufgabenverteilung. Im Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprinzip stellen die Kommunen dabei die Orte des umfassendsten Kontaktes zwischen Staat und Bürger/innen dar. Sie fungieren als Initiatoren und Koordinatoren gesellschaftlicher Hilfe- und Dienstleistungsangebote (vgl. IES 1996). Trotz vieler in der Öffentlichkeit immer wieder diskutierter Strukturprobleme ist in den letzten Jahren ein vermehrtes kommunales Engagement im Bereich der Familienwie Bildungspolitik zu konstatieren, welches vor allem auf die Herausforderungen durch den demografischen Wandel zurückzuführen ist13. Zu Beginn des neuen Jahrtausends stellt der demografische Wandel – so ist sicher ohne Übertreibung festzustellen – eine zentrale Herausforderung für viele Kommunen dar, da sie von seinen Konsequenzen mit am deutlichsten betroffen sind: In regional ganz unterschiedlicher Ausprägung werden sich die Bevölkerungszahlen verringern, immer weniger junge Menschen werden in den Kommunen mit immer mehr älteren und hochbetagten Menschen zusammenleben. Gleichzeitig wächst der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund. Dementsprechend verwundert nicht, dass derzeit insbesondere die kommunale Familienpolitik vor einer durchgreifenden Neubewertung ihrer Handlungsperspektiven (Schönig 2002: o.S.) steht und die historisch sehr günstige Ausgangsposition von den Protagonisten der kommunalen Familien- wie Bildungspolitik vielerorts entschlossen genutzt wird. Diese Neubewertung äußert sich dabei als Familienfürsorge- ebenso wie als Gesellschaftsstrukturpolitik – wenn auch örtlich in unterschiedlicher Art und Weise. Die politischen Ansätze vor Ort sind dabei zwangsläufig auch beeinflusst von der Art und Weise, wie die jeweiligen Bundesländer die derzeitigen familien- und bildungspolitischen Herausforderungen angehen. Forschungsstand Bei einem dermaßen bewegten Policy-Bereich ist es nicht verwunderlich, dass die Forschungslage zum Untersuchungskomplex in den vergangenen Jahren durch eine Vielzahl von Veröffentlichungen gekennzeichnet ist. Dies gilt vor allem für den pädagogischen bzw. bildungspolitischen Bereich. Die Intention der Beiträge ist dabei unterschiedlich: Während einige als wissenschaftliche Beiträge, mit oder ohne empirische Belege, verfasst sind, fin13
S. dazu auch Lennep 2003: 8, Gerlach 2004: 124ff.
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den sich daneben ebenso programmatische Beiträge mit bildungspolitischer bzw. praxisorientierter Ausrichtung. Eine wichtige Rolle im Bereich der Überblicksstudien spielen in diesem Kontext der Länderbericht der OECD zur Politik der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung in Deutschland (OECD 2004), der Zwölfte Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ (Hg.) 2005) sowie die ersten nationalen Bildungsberichte von 2006 und 2008, in welche der Bereich der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung ebenso wie der der nonformalen Bildung im Schulalter selbstverständlich integriert und mit Datenmaterial unterfüttert ist (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008). Daneben sind im Rahmen der Konzeptentwicklung zum nationalen Bildungsbericht etliche weiterführende Expertisen entstanden. Zudem wird das jahrelang immer wieder beklagte Desiderat unzureichenden Datenmaterials über vorhandene Angebotsformen und ihre Kosten insbesondere für den Bereich der Elementarbildung seit einiger Zeit systematisch zu beheben versucht. Zu nennen sind als bedeutende Akteure hier neben dem Statistischen Bundesamt vor allem das Deutsche Jugendinstitut (in Kooperation mit der Universität Dortmund), welches beispielsweise mit einer Kinderbetreuungsstudie 2005 erstmals eine repräsentative Erhebung der Betreuungssituation von Kindern unter sechs Jahren in Deutschland geliefert hat. Auch der Stand des Ausbaus für ein bedarfsgerechtes Angebot an Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren wird nun jährlich evaluiert. Wenn man den Forschungsstand betrachtet und dabei den Lebenslauf von Kindern in den Mittelpunkt einer Systematisierung stellt, ist für den Bereich der unter Dreijährigen zu beobachten, dass die lange Jahre geltende Vernachlässigung dieses Bereichs in der pädagogischen Forschung mittlerweile erkannt wird und im Bereich der Anwendungsforschung erste Tendenzen einer Gegensteuerung erkennbar sind14. Während der Bereich der Elementarpädagogik auch in wissenschaftlicher Hinsicht lange als wenig erschlossen gelten konnte15, was vor allem darauf zurückgeführt wurde, dass sich Deutschland wenige Lehrstühle für Frühpädagogik leistet, sind seit der Jahrtausendwende Bemühungen erkennbar, durch verstärkte Forschungsaktivitäten die großen Lücken etwas zu schließen (vgl. beispielsweise Fthenakis (Hg.) 2003; Fthenakis u.a. 2005; Schäfer (Hg.) 2003; Tietze/Viernickel (Hg.) 2003). Dabei wird die in der Jugendhilfepraxis durch die Ausgestaltung des § 24 des SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) bedeutsame Altersgrenze unter drei- und über dreijähriger Kinder häufig überwunden – was, insbesondere wenn es um pädagogische Fragestellungen geht, auch durchaus nahe liegend ist. Der Bereich der Tagespflege, der in verschiedenen westdeutschen Bundesländern derzeit intensiv im Blickpunkt steht, rückt – als Bereich zwischen Markt und Familie – seit einigen Jahren auch verstärkt in den Blick der Forschung (s. beispielsweise Jurczyk u.a. 2004; Diller u.a. (Hg.) 2005). Trotzdem ist zu konstatieren, dass der Wissensstand über die vielen zusätzlichen bzw. vollständig kompensierenden Betreuungsarrangements außerhalb des „öffentlichen“ Sektors, beispielsweise Großmütter, Tagesmütter, Nachbarn, Au-PairStellen usw. nach wie vor defizitär ist (vgl. Sell 2002: 18). Verschiedene Stiftungen beleuchten zudem den Bereich der frühkindlichen Entwicklung im Rahmen eigener praxisorientierter Forschungsaktivitäten. So arbeitet die Robert14
Für die Grundlagenforschung gilt dies, wie in vielen anderen Themenbereichen auch, noch weniger. Im Gegensatz zum Bereich der Entwicklungspsychologie, wo die Frage frühen Lernens bereits länger als wichtiger Bestandteil der Forschungslandschaft gesehen wird (vgl. Ahnert (Hg.) 1998).
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Bosch-Stiftung derzeit an einem Programm zur Professionalisierung von Frühpädagogen; die Bertelsmann Stiftung hat im Rahmen ihrer Aktivitäten im Bereich frühkindlicher Bildung, unter anderem zur Reform frühkindlicher Bildungssysteme und zur Schaffung von so genannten „Netzwerken für Kinder“ nicht nur unterschiedlichste Kooperationen vorangetrieben, sondern auch verschiedenste Berichte erstellt bzw. in Auftrag gegeben, so beispielsweise 2006 eine Expertise, die Kooperationen zwischen Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege in den Blick nimmt sowie eine Expertise zur Bildungsarbeit mit Familien (Wagenblass 2005); wegweisend ist daneben der 2008 erstmals herausgegebene Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme (Bertelsmann Stiftung 2008). Auch die Adenauer Stiftung greift in letzter Zeit immer wieder das Thema der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung auf (s. Henry-Huthmacher 2008, 2007, 2004 sowie KonradAdenauer-Stiftung (Hg.) 2001). Als quantitativ bedeutsamerer Forschungsbereich, nicht nur hinsichtlich der Forschungsaktivitäten, galt lange Zeit der Bereich der drei- bis sechsjährigen Kinder. Vor allem die Frage der Qualität der Kindertagesbetreuung steht seit einigen Jahren im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, so wurden im Kontext der „Nationalen Qualitätsinitiative“16 verschiedene Gutachten zur Weiterentwicklung eines qualitativ hochwertigen Systems der Bildung von Kindern erarbeitet, in dem insbesondere pädagogische Fragestellungen beantwortet wurden (z.B. BMFSFJ (Hg.) 2003). Daneben haben auch andere Forschungen immer wieder die Frage der pädagogischen Qualität von Kindertageseinrichtungen untersucht, teilweise bereits vor der öffentlichen Diskussion im Kontext der PISA-Studie (z.B. Tietze u.a. 1997, Tietze (Hg.) 1998, Tietze u.a. 2005, Sturzbecher (Hg.) 1998, Liegle u.a. 1998, Strätz 1995; Schäfer (Hg.) 2003, Laewen/Andres (Hg.) 2002 – um nur einige zu nennen). Zu verweisen ist in diesem Zuammenhang auch auf das Land Brandenburg, das bereits in den 1990er Jahren der Frage der Qualität von Kindertageseinrichtungen große Aufmerksamkeit gewidmet hat (vgl. MBJS (Hg.) 2006). Etliche Träger von Kindertageseinrichtungen sowie Fachverbände haben mit Qualitätshandbüchern oder ähnlichem auf die wachsende Bedeutsamkeit dieser Fragestellung reagiert (s. beispielsweise Rheinischer Verband Evang. Tageseinrichtungen für Kinder e.V. (Hg.) 2002). Dieses verstärkte Interesse an Fragen der qualitativen Weiterentwicklung des Kindertagesbetreuungsbereichs hängt natürlich nicht zuletzt damit zusammen, dass Qualitätsfragen mittlerweile als politisch bewusst eingesetztes Steuerungsmittel fungieren. Während beispielsweise Nordrhein-Westfalen 2003 eine Bildungsvereinbarung zur Entwicklung träger- und einrichtungsspezifischer Bildungskonzepte verabschiedet (MSJK 2003) und seit 30.10.2007 ein neues Kinderbildungsgesetz implementiert hat, wurde in Bayern das Staatsinstitut für Frühpädagogik der Universität Bamberg beauftragt, einen Entwurf für einen Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan zu konzipieren (Bayerisches Staatsministerium u.a. (Hg.) 2003), der in der Praxis erprobt wurde und seit dem 1.08.2005 gesetzlich verankert ist (s. Bayer. Staatsministerium/IFP (Hg.) 2006). Die vielfältigen Aktivitäten der Bundesländer und der Kultusministerkonferenz (KMK) hat Hovestadt im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in zwei Studien zusammengetragen (Hovestadt 2003; Hovestadt/Kessler 2004). Hierbei wurde deutlich, dass bis dato lediglich punktuelle Aktivi16 In der „Nationalen Qualitätsinitiative“ haben seit Anfang 2000 die Mehrzahl der Bundesländer sowie Expert/innen mit dem Bundesfamilienministerium zusammen gearbeitet, um pädagogische Qualität und Qualitätskriterien im Elementarbereich für die bis sechsjährigen Kinder zu definieren.
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täten entwickelt worden waren und die konzeptionelle Ausgestaltung häufig mangelhaft war. Daneben hat vor allem Diskowski dazu beigetragen, die Handhabung von Bildungsplänen und -standards in den Kindertageseinrichtungen der verschiedenen Bundesländer transparent zu machen (Diskowski 2003, 2005). Eine Länderübersicht der Rechtslage, Finanzierung etc. der Kitas in den verschiedenen Bundesländern ist auf den Internet-Seiten des brandenburgischen Ministeriums aufgeführt (http://www.mbjs.brandenburg.de/sixcms/ detail.php/lbm1.c.235427.de). Konzeptionelle Überlegungen zur Steuerung der Qualität in vorschulischen Einrichtungen finden sich überdies im Rahmen der Expertisen, die für den Zwölften Kinder- und Jugendbericht erstellt wurden, so unter anderem bei Larrá (2005) oder bei Bock-Famulla (2005), dort mit dem Schwerpunkt auf dem Steuerungsinstrument der Finanzierung. Auch die Kooperation der verschiedenen Bildungs- bzw. Unterstützungsorte wird häufiger thematisiert. Hier ist beispielhaft das Staatsinstitut für Frühpädagogik mit seinen bereits seit den 1990er Jahren erschienenen praxisorientierenden Beiträgen zu nennen (Textor/Blank 2004; Textor/Winterhalter-Salvatore 1999). Textor hat sich darüber hinaus intensiv dem Thema der Erziehungspartnerschaften zwischen Familie und öffentlichen Bildungorten, wie Kindertageseinrichtungen, gewidmet (Textor 2005 und 2006). Auf die Aktivitäten der Bertelsmann Stiftung wurde bereits hingewiesen (s. unter anderem Bertelsmann Stiftung (Hg.) 2006a, 2007a oder auch http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/ rde/xchg/SID-711CD88A-429EB126/bst/hs.xsl/335.htm). Im Bereich der über sechsjährigen Kinder ist für diese Untersuchung vor allem die in den vergangenen Jahren vorangetriebene Verknüpfung von Jugendhilfe und Schule in Form von Ganztags(grund)schulen von Interesse. Im Rahmen der Nationalen Qualitätsinitiative sind hierzu nicht nur mit der Entwicklung von Qualitätskriterien relevante Forschungsergebnisse entstanden (Strätz u.a. 2003). Verschiedene Bundesländer haben ihre Initiativen zudem wissenschaftlich im Rahmen der Schulforschung begleiten lassen bzw. lassen sie begleiten (vgl. Höhmann u.a. 2004; Klieme u.a. 2004; Beher u.a. 2005). Des Weiteren wurde mit der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) ein länderübergreifendes Forschungsprogramm zur Entwicklung von Ganztagsschulen und -angeboten abgeschlossen, erarbeitet von einem Forschungskonsortium, das aus dem Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF; Prof. Klieme), dem Deutschen Jugendinstitut (DJI; Prof. Rauschenbach) und dem Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS; Prof. Holtappels) besteht (s. Holtappels u.a. 2008). Gut aufbereitet ist die Entwicklung der umfassenden Forschungslage zu Ganztagsschulen außerdem bei Radisch/Klieme 2003 und Oelerich 2005. Im Sinne eines übergreifenden Bildungsansatzes sind die Ganztagsschulen als Verknüpfung von Jugendhilfe und Schule auch von Nicht-Schulforscher/innen verstärkt in den Blick genommen worden (z.B. Rauschenbach 2005; Wahler u.a. 2005). Zu nennen ist hier beispielhaft das BLK17-Verbundprojekt „Lernen für den GanzTag“, in dessen Rahmen etliche Expertisen zu verschiedenen Aspekten des ganztägigen Lernens erstellt worden sind. Des Weiteren haben Strätz u.a. (2003) im Rahmen der Nationalen Qualitätsinitiative Kriterien für die Qualität von Tageseinrichtungen für Schulkinder entwickelt. Über das Konzept der Ganztagsschulen hinaus ist die Kooperation von Schule und Jugendhilfe seit Jahren im Blick insbesondere von Vertreter/innen der Jugendhilfe. Beispiel17
Die ehemalige Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK), die Ende 2007 im Zuge der Föderalismusreform ihre Tätigkeit beendet hat.
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haft genannt seien hier nur das Bundesjugendkuratorium, das in verschiedenen Stellungnahmen die Rolle der Bildung außerhalb der Schule betont und für ein neues Verhältnis von Bildung und Jugendhilfe plädiert hat bzw. das vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge herausgegebene Handbuch „Kooperation von Jugendhilfe und Schule“ (Hartnuß/Maykus (Hg.) 2004), s. hierzu auch Sachverständigenkommission Zwölfter Kinder- und Jugendbericht (Hg.) 2005. Von Seiten der verschiedenen Bundesländer existiert zudem eine Vielzahl von Studien zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule vor Ort. Hinsichtlich der Neuausrichtung des Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystems sind in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Forderungen und Aktionskatalogen von Fachleuten ebenso wie von Verbandsvertreter/innen artikuliert worden18. In der Regel allerdings beschränken sich diese nur auf Teilbereiche des Familienhilfe-, Jugendhilfe- oder Bildungssystems19 und sind systemimmanent gedacht20. Wenige Fachleute formulieren ganzheitlich ausgerichtete Empfehlungen, die systemübergreifend eine allgemeine Neukonzeption einer nachhaltigen Humanvermögensbildung entwerfen. Beispielhaft sei hier auf die Empfehlungen des Arbeitsstabes Forum Bildung 2001/2002 sowie des Zwölften Kinder- und Jugendberichts von 2005 verwiesen. Während sich die Empfehlungen des Forum Bildung an verschiedenen übergreifenden Bildungszielen orientieren21, unterteilt der Zwölfte Kinder- und Jugendbereich seine Empfehlungen im Sinne seines Anspruchs, an Lebenslauf und Bildungsbiographie der Kinder orientiert zu sein, in Form einer Wirkungsorientierung nach den Altersstufen der Kinder (frühe Kindheit, Schulalter, systemübergreifend). Die Empfehlungen des Forum Bildung intendieren im Wesentlichen eine Weiterentwicklung der Bildungsorte, ohne ihre Funktion in Frage zu stellen. Der Zwölfte Kinder- und Jugendbericht geht hier erheblich weiter22 und fordert beispielsweise die Ausweitung des Rechtsanspruchs auf eine öffentlich geförderte Kindertagesbetreuung auch für Kinder unter drei Jahren sowie „eine grundlegende Veränderung der Schule“ und den schnellstmöglichen Aufbau ganztägiger Angebote für Kinder und Jugendliche (BMFSFJ (Hg.) 2005: 40f). Richtet man sein Augenmerk auf die politiktheoretische Verortung der Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung bzw. auf Forschungen zu steuerungsinstrumentellen Fragen, sehen die Ergebnisse dünner aus. Von rechtlicher Seite aus hat insbesondere Wiesner (Wiesner 2003; Wiesner 2003a; Wiesner 2005) die Frage der Verortung der Tagesbetreuung im Spannungsfeld zwischen Elternwillen, Jugendhilfe und dem Bildungsbereich vorangetrieben. Daneben sind von Seiten der Jugendhilfe von verschiedenen Repräsentant/innen kommunale Steuerungsmöglichkeiten untersucht worden, z.B. im Bereich der Jugendhilfeplanung (vgl. Merchel/Reissmann 2004, Pitschas 2002, Seckinger/van Santen/P 18
S. unter anderem Baden-Württembergischer Handwerkstag 2002 oder Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 2005. 19 So beispielsweise das Aktionsprogramm des Netzwerks Kinderbetreuung zu Qualitätszielen in Einrichtungen für kleine Kinder 1996 (s. Konrad-Adendauer-Stiftung (Hg.) 2001: 23ff). 20 Beispielhaft sei hier auf die Empfehlungen des Innovationskreises Weiterbildung für eine Strategie zur Gestaltung des Lernens im Lebenslauf verwiesen (BMBF (Hg.) 2008). 21 „Das Forum sieht dabei frühe Förderung, individuelle Förderung, die Verwirklichung lebenslangen Lernens für alle, die Erziehung zu Verantwortung und die Reform der Aus- und Weiterbildung der Lehrenden als vordringlich an“ (Arbeitsstab Forum Bildung 2001: 19). 22 Die erheblich zurückhaltenderen Formulierungen des Forum Bildung erklären sich auch dadurch, dass es sich im Wesentlichen aus politischen Verantwortungsträgern zusammensetzte, ergänzt um Träger- und Akteursvertreter/innen, während die „Sachkommission Zwölfter Kinder- und Jugendbericht“ im Wesentlichen aus Fachleuten bestand.
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luto 2000, Münder/Ottenberg 1999) bzw. auch in Verknüpfung mit Schulentwicklungsplanung (Hetz/Schnurr o.J.). Darüber hinaus werden die neuen Herausforderungen für die Kommunen durch die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule von Verbandsseite in vielfältigen praxisorientierten Beiträgen thematisiert; für den Bereich der Politikwissenschaft hat dies Gerlach getan (Gerlach 2004a). Die Möglichkeit der Steuerung der Kindertagesbetreuung über das Instrument der Finanzierung ist erst in den letzten Jahren intensiver betrachtet worden. So sind von Seiten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung einige Untersuchungen initiiert worden, die sich zum einen – anschließend an Schweizer Forscher (Müller Kucera/Bauer 2001) – mit dem Nutzen von Kinderbetreuung für die öffentliche Hand beschäftigten (Spieß u.a. 2002), die daneben aber auch neue Finanzierungs- und Organisationsmodelle institutioneller Kinderbetreuung entwickelt haben (Kreyenfeld/Spieß/Wagner 2001). Diese Ergebnisse werden ergänzt durch die Arbeiten beispielsweise von Bock-Famulla, Sell und Diskowski. Und auch die Bertelsmann Stiftung hat ein umfangreiches Programm zur Wirksamkeit von Bildungsinvestitionen gestartet (s. http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/ bst/hs.xsl/prg_93829.htm). Kosten und Nutzen eines Gütesiegels und anderer Finanzierungsaspekte im Bildungsbereich sind unter bildungsökonomischen Gesichtspunkten in den vergangenen Jahren von verschiedenen Forscher/innen betrachtet und durchgerechnet worden (z.B. Spieß/Tietze 2001, Dohmen/Cleuvers (Hg.) 2002, Dohmen 2005, Dohmen/Himpele 2006); die Problematik der Bildungsfinanzierung wurde zudem vom Institut der deutschen Wirtschaft (Anger u.a. 2006 und 2007) und vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung aufgegriffen (Ehmann 2003) ebenso wie vom Deutschen Jugendinstitut (Diller u.a. (Hg.) 2004). Auch die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die finanziellen Spielräume des Bildungssystems werden inzwischen erforscht (vgl. Prognos AG 2006). Während allokative Tendenzen des Bildungs- und Betreuungssystems damit verstärkt in den Blick geraten, sind immer noch große Lücken erkennbar, was die distributiven Tendenzen des Systems angeht (vgl. hierzu auch die in Becker/Lauterbach (Hg.) 2004 gesammelten Beiträge sowie Butterwegge/Klundt (Hg.) 2003, Spieß u.a. 2003). Außerdem ist die Rolle der Familie als Bildungsort jenseits von Markt und Staat bisher wenig untersucht worden (vgl. Ott 2000 sowie aktuelle Forschungen des Deutschen Jugendinstituts). Die Tatsache, dass in der Familien- wie der Bildungspolitik in den vergangenen Jahren neue Akteure auf den Plan getreten sind, ist bisher ebenfalls noch nicht in den Blickpunkt der Forschung gerückt. Die Aktivitäten von Akteuren wie Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften, politischen Stiftungen, Kirchen etc., die sich mit familien- wie bildungspolitischen Konzepten und Handlungsansätzen immer stärker engagieren, sind bis dato noch nicht wissenschaftlich analysiert worden. Ziele und Aufbau der Arbeit Obwohl das Politikfeld der Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung sicherlich eine der zukünftigen Herausforderungen insbesondere der Landespolitik darstellen wird, ist festzustellen, dass eine Analyse der Humanvermögensbildung in unserer Gesellschaft vor dem Hintergrund einer familienpolitischen Gesamtkonzeption bisher noch nicht erfolgt ist. „Soweit sich die ökonomische Sichtweise zunehmend in der politischen Diskussion, bei
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Urteilsbegründungen des Verfassungsgerichts, aber vor allem in den Stellungnahmen wissenschaftlicher Beratungsgremien wieder findet, bleibt dieser Aspekt des genuinen Interesses der nächsten Generation an ihrer Humanvermögensbildung unterbelichtet und der gesellschaftliche Beitrag zu dieser in einer mit der familienpolitischen Diskussion unverbundenen Bildungspolitik verhaftet“ (Ott 2002: 14). Die Frage, welche Konzepte der Humanvermögensbildung als sinnvoll erscheinen, wie sie politisch umgesetzt werden können und welche Auswirkungen diese Umsetzung auf die Struktur nicht nur der Bildungs-, sondern vor allem der Familienpolitik haben dürfte, ist somit bisher nicht hinreichend beantwortet. Dies ist insofern zu bedauern, als damit die Chance vergeben wird, diesen notwendigen politischen Prozess der Verknüpfung unterschiedlicher Politikbereiche – der Bildungs- und Familienpolitik sowie der Kommunal- und Landespolitik – (politik-)wissenschaftlich zu begleiten und frühzeitig Vorschläge für strukturelle Lösungen einzubringen. Mit dieser Arbeit soll der Versuch unternommen werden, die politischen Steuerungsaktivitäten im Bereich der Verbindung von Bildung, Erziehung und Betreuung zu analysieren und Vorschläge für eine Neustrukturierung der (familienpolitischen) Akteursstruktur zu erarbeiten. Die Untersuchung zielt dabei auf folgende Fragestellungen ab:
Welche Konzepte zur Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung existieren in verschiedenen Bundesländern und welche Steuerungsinstrumente werden zu ihrer Umsetzung eingesetzt? Welche Ziele werden in den Konzepten sichtbar und welche Aufgabe kommt den verschiedenen Bildungsorten, insbesondere dem Bildungsort Familie, dabei zu? Durch welche Instrumente versuchen die politischen Akteure, die Bildungsqualität zu sichern? Welche Notwendigkeiten zur strukturellen Veränderung hinsichtlich des Kompetenzund Akteursgefüges in Politik/Verwaltung lassen sich aus der Analyse ableiten?
Hinsichtlich der grundgesetzlich und landesgesetzlich verankerten Zuständigkeiten erscheint hier insbesondere die Zusammenarbeit verschiedener Bildungsorte (Kindertageseinrichtung, Schule, Eltern etc.) beachtenswert, da die getrennten Zuständigkeiten an diesen Schnittstellen besonders problematisch sein dürften. Aus untersuchungspraktischen Gründen wird sich die Studie beispielhaft auf die Bundesländer Bayern, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg konzentrieren23. NordrheinWestfalen steht dabei für ein Land, dass durch seine dichte Besiedelung fast eher als Stadtdenn als Flächenstaat gelten kann und dass durch eine lange sozialdemokratische Bildungstradition geprägt ist. Bayern, als ein dezidierter Flächenstaat, dagegen steht für eine konservativ geprägte Bildungs- und Familienpolitik. Brandenburg wiederum wurde deswegen gewählt, weil so die de facto noch unterschiedlichen Makrosystembedingungen in Ost- und Westdeutschland (vgl. Tietze (Hg.) 1998: 33), die insbesondere in einem ideologisch lange eher verminten Gebiet wie dem der Produktion des Humanvermögens einer Gesellschaft sichtbar werden dürften, in die Untersuchung einbezogen werden können.
23 In diesem Kontext sei einschränkend auf die begrenzten Potenziale eines Vergleichs (als wichtigem Instrument des Performanzmanagements) hingewiesen, die ihre Ursache in den unterschiedlichen Traditionen der Länder sowie der Pfadabhängigkeit von Politik und der nicht zwangsläufig gegebenen Übertragbarkeit politischer Problemlösungen haben.
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Um die Auswirkungen landespolitischer Steuerungstätigkeit vor Ort nachvollziehen zu können, werden beispielhaft pro Bundesland zwei Kommunen in die Untersuchung einbezogen, eine städtische und eine ländliche. So soll untersucht werden, welche Chancen sowie Schwierigkeiten konzeptioneller wie steuerungsinstrumenteller Art sich in der Umsetzung vor Ort zeigen. Durch die Kombination zweier Methoden – einer Literaturrecherche, ergänzt durch leitfadengestützte Expert/inneninterviews – wird gewährleistet, dass auch (noch) nicht schriftlich fixierte Überlegungen und Aktionen in die Untersuchung einbezogen werden konnten. Als Interviewpartner/innen fungierten dabei Vertreter/innen kommunaler Planung (auf Ebene der Jugendämter bzw. Jugenddezernate) sowie in den jeweiligen Ministerien für die Rahmensetzung zuständige Mitarbeiter/innen, sofern diese zu einem Gespräch bereit waren. Da die Untersuchung eine Analyse der Humanvermögensbildung intendiert, ist es folgerichtig, ihre Systematik an der Biografie der nachwachsenden Generation auszurichten und eine Unterteilung in Altersstufen bzw. Elementarbereich sowie Primar- und Sekundarbereich zu wählen, was sich in der Variablenbildung wie der Gliederung der Unterkapitel dieser Arbeit niederschlägt. Zugleich zeigt diese Untergliederung die normative Ausrichtung der Arbeit auf, die in ihrer Beschreibung einen stetigen Wechsel von empirischen Beschreibungen und Analysen einerseits und normativen Argumentationen und Ansprüchen andererseits erforderlich macht. Dabei wird eine Schwerpunktsetzung auf dem Bereich der frühkindlichen Bildung gewählt, da hier der „effektivste und effizienteste Ansatzpunkt“ (Carle 2008: 11) für eine Verbesserung der Humanvermögensbildung gesehen werden kann. Eine solche Untersuchung kann angesichts der Breite des Themas auch nicht ansatzweise umfassend sein. Eine Komplettierung des Themas würde den Rahmen einer Arbeit sprengen, weshalb ein kursorischer, zum Teil auch exemplarischer Weg der Analyse beschritten wird. Nachfolgend wird in einem ersten Kapitel ein Einblick in die Entwicklung von Humanvermögen im 21. Jahrhundert gegeben. Hierbei wird aufgezeigt, wie es zu der Verschiebung von privater zu öffentlicher Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen gekommen ist und welche Bildungsorte hierbei bedeutsam sind. Daneben werden in dem Kapitel die Ziele eines neuen Systems öffentlicher Verantwortung für Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern herausgearbeitet, die Bedeutsamkeit der Humanvermögensbildung für die Gesellschaft aufgezeigt und Anforderungen an ein zukunftsfähiges System der Bildung, Erziehung und Betreuung benannt. Im darauf folgenden Kapitel sollen die Folgerungen der vorher geäußerten Überlegungen für das staatliche Handeln im 21. Jahrhundert erläutert werden. Dabei werden die heutigen familienpolitischen Aufgaben des Staates im Vergleich zu früher sowie die Kompetenzen und Finanzierungszuständigkeiten im föderalen Staatsaufbau beleuchtet. Des Weiteren werden Strukturen und Rahmenbedingungen im Bereich der Bildung, Betreuung und Erziehung aufgezeigt sowie daraus resultierende Strukturprobleme und Entwicklungshemmnisse für die Humanvermögensbildung vorgestellt. Im anschließenden dritten Kapitel wird die Frage thematisiert, wie verschiedene Bundesländer mit den erarbeiteten Herausforderungen umgehen. Anhand verschiedener Variablen (wie z.B. der Stärkung der Bildungsorte, Standards zur Qualitätssicherung, der Einbindung außerstaatlicher Akteure) werden dabei Steuerungsmöglichkeiten, -instrumente und
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-konzepte der Bundesländer untersucht. Dies erfolgt in Bezug auf übergreifende konzeptionelle Grundlagen ebenso wie mit Blick auf Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich sowie den Primar- und Sekundarbereich in den Ländern und schulssendlich bereichsübergreifende Steuerungsinstrumente. Zum Schluss werden als Folgerung aus diesen Ergebnissen Vorschläge für strukturelle Veränderungsnotwendigkeiten bei der Organisation der staatlichen Steuerung des Handlungsfeldes vorgestellt, die für die Umsetzung eines Konzepts der Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert hilfreich sein dürften.
1.1 Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung
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1 Zur Entwicklung und Bildung von Humanvermögen 1.1 Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung 1.1.1 Das Verhältnis von privater und öffentlicher Verantwortung beim Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in historischer Perspektive „Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung“ betitelte der Elfte Kinder- und Jugendbericht 2002 (BMFSFJ (Hg.) 2002) seine Darstellung der Lebenssituation junger Menschen und der Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Er war damit wegweisend in der Bundesrepublik, die – unter anderem geprägt durch die Nachwirkungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und ganz im Gegensatz zur Politik der DDR – von ihrer Gründung an Erziehung als nahezu alleiniges Recht der Familie angesehen hat und öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern lange Jahre mit einer „Verstaatlichung“ gleichgesetzt hat. Bereits bei der Erstellung des Grundgesetzes wurde mit Art. 6 Abs. 2 GG die erstrangige Erziehungsverantwortung der Eltern verankert; die staatlichen Organe wurden zugleich auf eine „nachrangige Wächterfunktion“ (Peschel-Gutzeit 2008: 49) beschränkt und das Eingriffsrecht der staatlichen Gemeinschaft – über die allgemeine Schulpflicht hinaus – damit auf den Tatbestand der „Gefährdung des Kindeswohls“ eingeschränkt (ebd.). Mit der Festschreibung der Schulpflicht und der staatlichen Verantwortung im Bildungsbereich nach Art. 7 GG wurde parallel die Vermittlung von Bildung in die Hände des Staates gelegt. Damit beruht unsere verfassungsrechtliche Ordnung auf der Fiktion der Trennung von Erziehung und Bildung. Ein im Lebenszusammenhang integrierter Sozialisationsprozess wird künstlich aufgespalten (Greese 2004) und Betreuung, Erziehung und Bildung „doch eher im Nacheinander als eine aufsteigende Abfolge im kindlichen Lebenslauf konzipiert und organisiert“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 51). Während Betreuung und Pflege als besondere Aufgabe in der frühkindlichen Phase gelten, wird Erziehung als Einübung von Regeln und Verhaltensweisen in der Kleinkindphase, insbesondere im Vorschulalter verstanden, wogegen Bildung als spezifische Herausforderung und Aufgabe der Schule bzw. ab dem Schulalter gilt. Dieser impliziten Ordnung folgt auch die Ausbildung und Organisation der entsprechenden Angebote im öffentlichen Bildungs- und Erziehungswesen, wobei die hierarchische Abfolge sich auch in der Qualifikation und Bezahlung der Fachkräfte niederschlägt, die tendenziell im frühkindlichen Bereich am niedrigsten und im höheren Schul- und Hochschulbereich am höchsten ist. Auch wenn die Zentrierung auf die Kombination von Familie und Schule typisch ist für alle modernen Industriestaaten, unterscheidet sich die deutsche Variante in einem wesentlichen Punkt von dem anderer Länder: in dem für die Bundesrepublik typischen „selbstverständlichen Zusammenspiel einer geschlechtsspezifisch organisierten Familie einerseits und einer auf diesem Familienmodell aufruhenden Halbtagsschule andererseits“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 45). Denn nur durch eine familieninterne Rollenaufteilung mit einem berufstätigen Vater als dem Alleinernährer und einer im Haushalt sorgenden Mutter (im Einzelfall auch umgekehrt) ließ sich die Halbtagsschule als Regelschule problemlos realisieren. Nur so konnten auch die frühkindliche Betreuung und Versorgung der Kinder sowie ihre Erziehung privat ermöglicht werden. Die Folgen dieser Ordnung sind vielfältig: Zum einen haben wir in Deutschland so viel „Familienerwartung und Familienzumutung (..) wie
S. von Hehl, Bildung, Betreuung und Erziehung als neue Aufgabe der Politik, DOI 10.1007/978-3-531-92834-0_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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kaum ein anderes der wirtschaftlich hoch entwickelten Länder in der Welt. Im internationalen Vergleich haben wir wenig Schule (Halbtagsschule als Regelschule) mit extrem hoher sozialer Selektion und so viel Kinder- und Jugendhilfe wie sonst niemand in Europa“ (Greese 2004: 451). Zum anderen stand die Frage der Kinderbetreuung in Deutschland lange „unter dem Diktum des „Kinderhütens“ im Sinne eines „notfallorientierten Bereitschaftsdienstes“ (..), der in der Praxis als vergleichsweise bildungs- und erziehungsferne Tätigkeit aufgefasst wurde“ (Henry-Huthmacher 2007: 22). Die Suche nach den Ursachen dieser Entwicklung verweist auf die Anfänge institutioneller Kinderbetreuung in Deutschland24, die durch ein doppeltes Spannungsverhältnis gekennzeichnet sind: das von privater Erziehung und öffentlicher Verantwortung (Bock/Timmermann 2000: 21) einerseits sowie von dem Doppelmotiv der Fürsorge im Sinne einer Schutz- und Erziehungsfunktion und Bildung im Sinne einer Förderfunktion (Wiesner 2003a: 3) andererseits. Die ersten Einrichtungen der öffentlichen Kleinkinderziehung entstanden in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; sie sollten dem Kampf gegen die Massenarmut dienen und wurden zu großen Teilen von (konfessionellen) Vereinen getragen. „Indem man Mütter aus den Haushalten der sozialen Unterschichten tagsüber von der Pflege- und Erziehungsarbeit entlastete, konnten diese durch Erwerbsarbeit zu einer Entspannung der prekären wirtschaftlichen Situation beitragen. Gleichzeitig ergab sich dadurch (..) die Möglichkeit, die Kleinkinder in den dafür bereit gestellten Einrichtungen der Gefährdung und Verwahrlosung nicht nur zu entziehen, sondern sie nach den jeweiligen trägerspezifischen Erziehungsvorstellungen zu pflegen und erzieherisch zu formen“ (Wiesner 2003a: 3)25. Mit Friedrich Fröbel und der seine Gedanken weitertragenden und -entwickelnden Fröbel-Bewegung tauchte kurz danach, bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts, eine stark kindbezogene pädagogische Konzeption auf. Fröbel ging von der Erkenntnis aus, dass die ersten sechs Lebensjahre eines Menschen besondere Wichtigkeit besäßen: Kindern sollten hier sowohl Gelegenheit zur freien Entwicklung gegeben als auch Anregungen vermittelt werden. Aufgrund dieser Bedeutung plädierte er dafür, die Beachtung und Pflege der Kindheit als gemeinsame Aufgabe der Familien, des Kindergartens und des ganzen Gemeinwesens wahrzunehmen und leitete konzeptionell die „Etablierung einer öffentlichen Erziehungswelt für Kinder“ (Liegle 2006: 129) ein. Seine Konzeption sah den Kindergarten als unterste Stufe des Bildungssystems vor, den nicht nur die Kleinkinder besonders bedürftiger Familien, deren Mütter einer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit nachgehen mussten, besuchen sollten, sondern alle Kinder. Deutlich wird damit eine „familienkritische Komponente“ der Fröbelschen Konzeption: Es sollte der Familie ganz allgemein, das heißt unabhängig von ihrer sozialen Lage und Schichtzugehörigkeit eine ergänzende erzieherische Institution beigeordnet werden (vgl. ebd.: 111ff). Diese Kindergärten als familienunterstützende Einrichtungen sollten nicht nur der kindlichen Entwicklung dienen, sondern auch der Mütterbildung: Sie „sollten (…) nicht eigentlich die Mütter von der Erziehungsarbeit entlasten, sondern sie gerade an das rechte Erziehen heranführen“ (Reble 1975: 230). Bei dieser familienkritischen Komponente des Fröbelschen Modells stehenzubleiben, griffe aber 24 Die Betreuung von Kindern in einem anderen Haushalt, wie in der Tagespflege, wird hier erst einmal vernachlässigt, aber auch sie hat ihre historischen Vorläufer in Gestalt der „Zieh, Halte- und Kostkinder“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 248). 25 Der aus dieser Zeit stammende Begriff „Bewahranstalt“ bezeichnete also nicht den Aspekt der „Aufbewahrung“ oder gar der „Verwahrung“, sondern den des „Bewahrens“ vor gefährdenden Einflüssen (ebd.).
1.1 Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung
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zu kurz. Fröbel ging es in seiner Konzeption vielmehr darum, die sich im Laufe der Moderne herausbildende „Pädagogisierung der Kindheit“ ernstzunehmen und die für moderne Gesellschaften typische Trennung zwischen Privatsphäre und öffentlichem Raum produktiv aufzuheben. Der Kindergarten war für ihn der geeignete Raum, um diese Vermittlung zu leisten. Die gemeinsame Verantwortung von Familie und Kindergarten für die Erziehung und Bildung der Kinder müsse getragen und unterstützt werden vom politischen Gemeinwesen. Dieses wiederum sei auf Bürger/innen angewiesen, deren Kindheit umfassend beachtet und, wie Fröbel es formulierte, „gepflegt“ worden sei (Liegle 2006: 130). Hiermit werden die Grundzüge einer Konzeption entwickelt, die bis heute nachwirken. Faktisch blieben die meisten Kindertageseinrichtungen vorerst jedoch Betreuungseinrichtungen für Kinder aus benachteiligten sozialen Schichten, mit ganztägigen Öffnungszeiten, der Betreuung in großen Gruppen und dem Ziel, Kindern „elementare Kenntnisse und handwerkliche Fertigkeiten, ferner durch christliche Werte legitimierte Ordnungs- und Verhaltensregeln sowie Leitvorstellungen zu vermitteln“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 248). Diesem Typus standen Einrichtungen wie beispielsweise der Fröbelsche Kindergarten gegenüber, die meist nur wenige Stunden am Tag geöffnet hatten und in denen die Kinder aus eher bürgerlichen Schichten sich in kleinen Gruppen und beaufsichtigt von vergleichsweise gut qualifiziertem pädagogischen Personal „spielend und lernend mit ihrer Welt auseinandersetzen konnten“ (ebd.). Auch wenn heute alle Tageseinrichtungen gesetzlich den gleichen Auftrag haben, nämlich Betreuung, Bildung und Erziehung zu gewährleisten (§ 22, Abs. 2 SBG VIII), sind die Traditionslinien mit der sich in ihnen abbildenden sozialen Selektion und der Spannung zwischen Fürsorge und Bildung immer noch wirksam (DJI 2004: 119). Es fehlte in den kommenden Jahrzehnten nicht an Versuchen, beide Funktionen zu einem einheitlichen Konzept zusammenzuführen – das bekannteste ist sicherlich das in den 1870er Jahren entwickelte Konzept des Volkskindergartens. Dass sich solche integrierten Konzepte mit Bildungsanspruch und entsprechend längeren Betreuungszeiten für die Kinder nur bedingt durchsetzen konnten, verweist auf das Spannungsverhältnis von privater Erziehung und öffentlicher Verantwortung und die Besonderheiten des deutschen Mutterdiskurses (s. Kap. 1.1.3). Dieser assoziierte vor dem Hintergrund eines bürgerlichen Familien- und Mutterideals die Mutterrolle mit der Hausfrauenrolle und sah die Aufzucht der Kleinkinder im familialen Rahmen vor (BMFSFJ (Hg.) 2005: 248). Der Staat betrachtete diese Entwicklung anfänglich eher aus der Ferne und nahm nur über das Vereinsrecht sowie das Schulaufsichtsrecht indirekten Einfluss. Staatliches Engagement in der institutionellen Kinderbetreuung zeichnete sich erst im Zuge der sozialpolitischen Bestrebungen Bismarcks ab (Kreyenfeld/Spieß/Wagner 2002: 203). Nicht zuletzt der seit den 1880er Jahren mit Besorgnis beobachtete Geburtenrückgang führte zu einem stärkeren Engagement des Staates im Bereich der Mutter-, Säuglings- und Kleinkinderfürsorge unter dem Leitbegriff „Sozialhygiene“. Preußen fungierte hier als Vorreiter, wo der Kindergarten bereits ab dem 1.1.1900 als Einrichtung der Kinder- und Jugendfürsorge mit der Aufgabe betraut war, „einer Verwahrlosung des Kindes vorzubeugen und damit die sonst drohende Fürsorgeerziehung zu verhindern“ (Wiesner 2003a: 5). Damit war die öffentliche Kleinkinderziehung als Teil der Kinder- und Familienfürsorge gestärkt, eine Entwicklung, die mit Inkrafttreten des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes (RJWG) 1922, dem Vorläufer des heutigen Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG), auch über Preußen hinaus im Reich
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1 Zur Entwicklung und Bildung von Humanvermögen
rechtlich fixiert wurde26. Mit der Zuordnung der öffentlichen Kleinkindererziehung zur Jugendhilfe erhielt das öffentliche Engagement einen „doppelten Nachrang, nämlich hinter den der Familie und – getreu dem Subsidiaritätsprinzip der Jugendhilfe – hinter den Aktivitäten freier Träger“ (Wiesner 2003a: 6). Dies galt nicht nur für die Trägerschaft der Einrichtungen, sondern auch für ihre Finanzierung, die weiterhin autonom von den die Kinderbetreuungseinrichtungen tragenden Kirchen bzw. Vereinen betrieben wurde und erst allmählich in zunehmendem Maße von Gemeinden unterstützt wurde. Erst in den 1970er Jahren sollte über die Kindergartengesetze der Bundesländer eine gesicherte staatliche Mitfinanzierung von Einrichtungen in freier Trägerschaft erfolgen. Das sich herausbildende öffentliche Interesse an der Gestaltung kindlichen und jugendlichen Heranwachsens – versinnbildlicht in der Herausbildung der öffentlichen Vorschulbildung und -erziehung – führte vom anfänglichen Vorherrschen interventionistischer und fürsorgerischer Motive hin zu einem zunehmend an Unterstützung und Förderung von Kindern und Jugendlichen orientierten Selbstverständnis. Voraussetzung für diese Entwicklung einer zwischen Familie und öffentlichen Institutionen aufgeteilten Erziehung war die „Pädagogisierung der Kindheit“ (Liegle 2006: 125) und die zugrunde liegende Erkenntnis, dass Kindern und Jugendlichen sowohl für die subjektive Lebensgestaltung als auch für die Zukunft der Gesellschaft hohe Bedeutung zukommt. Wurden Kinder zunächst im Prozess des Aufwachsens als passive Subjekte wahrgenommen, die in ihrem Dasein von Erziehenden abhängig sind, so werden sie seit dem späten 20. Jahrhundert als Subjekte mit eigenem Recht betrachtet, die ihre Entwicklung aktiv mitgestalten (müssen). Die Vorstellung, dass das Kind „unfertig“ sei und daher von den Erwachsenen unterwiesen werden müsse, damit es den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht wird, ging explizit von einer gesellschaftlich gesetzten Norm für das korrekte Aufwachsen von Kindern aus, die im Laufe der Jahrzehnte immer stärker kritisiert wurde. Ersetzt wird diese Annahme von der mittlerweile vorherrschenden These, dass der Alltag des Aufwachsens gemeinsam durch das Zusammenwirken von Erwachsenen und Kindern hergestellt wird und werden muss. Damit aber wird der Eigenwert von Kindern anerkannt – jenseits einer damit verbundenen Funktionalität für Staat und Gesellschaft (Alt/Lange 2008: 8). Dies schlägt sich im 20. Jahrhundert nieder in der Verabschiedung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (1989), die Kindern erstmals universell verankerte Rechte zuspricht, unter anderem das Recht auf bestmögliche Bildung von Anfang an, auf die Entfaltung ihrer Persönlichkeit, Begabung und geistig-körperlichen Fähigkeiten sowie auf umfassende Mitsprache und Mitgestaltung bei ihrer Bildung und allen weiteren, sie (mit)betreffenden Entscheidungen. Ergänzt wurde die Ratizifizierung der Konvention in Deutschland durch die 1997 vom Bundestag verabschiedete Reform des Kindschaftsrechts, 2000 durch die Änderung des § 1631 Abs. 2 BGB, die das Recht von Kindern auf eine gewaltfreie Erziehung konkretisiert hat, sowie jüngst die Verankerung des § 8a SGB VIII (Kinderschutz). Auch räumt das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) Kindern und Jugendlichen eine Fülle von Beteiligungsrechten ein und fordert den Dialog und die Kooperation mit ihnen in allen Handlungsfeldern (Tietze/Viernickel (Hg.) 2003: 24). 26 Zwar war zwischenzeitlich bei der Reichsschulkonferenz von 1920, die nicht nur die historische Entscheidung über die Einführung der Grundschule traf, sondern auch über den Auftrag der Kleinkindererziehung diskutierte, die alte Forderung nach einer Verallgemeinerung des Kindergartens wieder aufgekommen. Die Position, die die Bereitstellung von Kindergartenplätzen für alle Kinder, deren Eltern den Besuch wünschten, eine staatliche Aufsicht und die Trägerschaft der Kommunen und Landgemeinden forderte, konnte sich allerdings nicht durchsetzen (Wiesner 2003a: 5).
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Zeitgleich mit der Entwicklung und dem Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung fand in Deutschland im Bildungs- und Erziehungssystem eine weitere bedeutsame Wandlung statt, die bis heute nachwirkt: die Umwandlung der ganztägigen Unterrichtsschule zur im europäischen Vergleich fast einmaligen Form der Halbtagsschule. Weitgehend in Vergessenheit geraten ist dabei in der Öffentlichkeit, dass die ganztätige, das heißt Vor- und Nachmittag umfassende Schulorganisation bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die Normalform der Schule darstellte (Ludwig 1993: 32). Schrittweise wurde die ganztägige Unterrichtsschule ab dem Ende des 19. Jahrhunderts in die halbtägige Form umgewandelt, ein Prozess, der in den 1920er Jahren weitgehend abgeschlossen war, auch wenn sich die „klassische“ zeitliche Organisation mit geteiltem Unterricht an Vor- und Nachmittag für die Volksschule in einigen Regionen noch bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts hielt. Neben der Einwirkung des bürgerlichen Familien- und Frauenideals (s. Kap. 1.1.3) spielten bei dieser Entwicklung im Volksschulwesen hauptsächlich zwei Gründe eine Rolle: „Einerseits führte die lange Zeit nur mäßige Durchsetzung der in manchen deutschen Staaten bereits seit dem 17. Jahrhundert festgeschriebenen Unterrichtspflicht zunehmend zur Etablierung von halbtägigen Kompromisslösungen, die besonders für Kinder aus den unteren Sozialschichten gedacht waren (...) Andererseits spielte besonders in den ländlichen Gebieten Preußens der Lehrer- und Raummangel in Verbindung mit immer größeren Klassenfrequenzen eine wichtige Rolle“ (Radisch/Klieme 2003: 19f). Im höheren Schulwesen lag die Einführung des halbtägigen Unterrichts vor allem in durch die hohe wöchentliche Stundenzahl erhobenen „Überbürdungsklagen von Medizinern“ (ebd.: 20) sowie der zunehmenden Zahl von Schüler mit einem weiten Schulweg begründet, unterstützt durch Zustimmung der Lehrerschaft sowie weiter Teile der Bevölkerung. Unbeachtet blieb freilich in der öffentlichen Diskussion, dass diese schulorganisatorische Änderung aus heutiger Sicht zugleich einen Vorentscheid über viele didaktische, methodische, sozialerzieherische und andere pädagogische Fragestellungen einschloss (Ludwig 1993: 35). Nach 1945 war das geteilte Deutschland in Bezug auf Bildung, Betreuung und Erziehung „in mancher Hinsicht eine Art Großlabor, das zeigte, wie sich unterschiedliche Rahmenbedingungen von Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit auf Werthaltungen auswirken“ (Erler 2007: 11) – oder umgekehrt Werthaltungen auf die Gestaltung von Rahmenbedingungen. Gemeinsam waren beiden Systemen die halbtägige Grundschule und die Unterteilung der angebotenen Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsleistungen in drei Hauptgruppen:
Einrichtungen für Kinder unter drei Jahren (Krippe), Einrichtungen für Kinder zwischen drei Jahren und dem Schuleintrittsalter (sechs Jahre) (Kindergarten) und Angebote für Schulkinder27.
Zugleich führte eine unterschiedliche Politik- und Versorgungsentwicklung der zwei sehr unterschiedlichen politischen Systeme zur Herausbildung zweier verschiedenartiger Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssysteme. Sie unterschieden sich neben der unterschiedlichen ideologischen Ausrichtung in der Struktur und Finanzierung der Einrichtungen, der 27 Neben der Schule sind als Einrichtungen hier die Horte bedeutsam, als Nachfolger der ehemaligen Arbeits- und Industrieschulen im späten 18. Jahrhundert, in denen die Kinder auf die Arbeit vorbereitet wurden (Vogelsberger 2002: 36).
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Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten, den staatlichen Unterstützungsleistungen für Familien etc. Hinter diesen Unterschieden standen unter anderem unterschiedliche Auffassungen von Kindheit, Elternschaft und Familie (OECD 2004: 17) sowie verschiedenartige ordnungspolitische Vorstellungen über das Verhältnis zwischen öffentlicher Sphäre und Privatsphäre. In der DDR wurde das Aufziehen von Kindern schon früh als öffentliche Aufgabe angesehen, hatten Staat und Gesellschaft doch „verfassungsgemäß gemeinsam die Aufgabe, Bildung und Erziehung sicherzustellen“ (Vogelsberger 2002: 39). Kindergärten und Horte wurden vollständig in das Bildungswesen integriert, als rechtliche Grundlagen dienten dabei das „Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule“ (1946) und das „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ von 1965 sowie zentral entwickelte Bildungs- und Erziehungspläne für die pädagogische Ausgestaltung (DJI 2004: 45). Der Bereich der Krippen gehörte konzeptionell zum Bildungssystem (ab 1965 mit eigenem Bildungsauftrag), administrativ aber zum Gesundheitswesen. Während im Westen das Subsidiaritätsprinzip dazu führt(e), dass das Prinzip der Trägervielfalt die Kitalandschaft dominiert(e) und nur ein geringer Anteil der Kindertageseinrichtungen in staatlicher Trägerschaft war, befanden sich Tageseinrichtungen in der DDR fast ausnahmslos in öffentlicher oder betrieblicher Trägerschaft und waren stark zentralistisch und einheitlich organisiert. Anders als in Westdeutschland kam ihnen weniger familienunterstützende, als vielmehr familienergänzende Bedeutung zu: Die ideologische Zielsetzung des Bildungsbereichs, „den Prozess der Formung der zukünftigen Staatsbürger [einzuleiten], die den Werten und Bedürfnissen einer sozialistischen Gesellschaft gerecht werden sollten“ (OECD 2004: 17), in Verbindung mit dem wirtschaftspolitischen Ziel, Mütter gezielt als Arbeitskräfte in die Produktion einzubeziehen, führte zu einem systematischen Ausbau ganztägig geöffneter Einrichtungen. So stieg die Zahl der Krippenplätze „von etwa 6 Prozent in den Fünfzigern auf 56 Prozent im Jahr 1989 (82 Prozent der Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr) – hinzugezählt werden müssen die Plätze in Dauerheimen und anderen Formen. Verbunden mit den Regelungen des Mutterschutzes und Erziehungsurlaubes, die jeder Frau ein volles ‚Babyjahr‘ sicherten, gab es in der Altersgruppe der ein- bis dreijährigen Kinder praktisch eine Vollversorgung“ (DJI 2004: 46). 1989 war die DDR „weltweit das Land mit dem quantitativ am weitesten ausgebauten Früherziehungssystem“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 249). Von ihrem Selbstverständnis her grenzten sich die Einrichtungen scharf zur Jugendhilfe ab, deren Aufgaben auf den jugendfürsorgerischen Bereich beschränkt waren, insbesondere auf das Vormundschaftswesen und die Heimerziehung für „schwer erziehbare“ und „familiengelöste“ Kinder und Jugendliche (Thimm/Kantak 2004: 654). Der Unterschied zum Westen wird besonders deutlich bei den Arrangements für die Kinder im schulpflichtigen Alter (Horte), deren Eltern (Mütter) berufstätig waren. Während im Westen nur für 5,5 Prozent der Kinder (1990) ein Platz zur Verfügung stand (ebd.), gab es im Osten Ende der 1980er Jahre Plätze für alle Kinder bis zur vierten Klasse, wobei die Inanspruchnahme von mehr als 90 Prozent in der ersten Klasse bis zur vierten auf etwa 40 Prozent sank (DJI 2004: 46). Horterziehung war gesellschaftlich akzeptiert sowie Teil des Systems der Erziehung der Jugend zur sozialistischen Persönlichkeit, dem sich die einzelnen Schüler/innen kaum entziehen konnten (BMFSFJ (Hg.) 2005: 484). In der ostdeutschen Teilrepublik überwog so das „Modell der primären Verantwortung von Staat und Gesellschaft für Kinder“, in der westdeutschen das einer „primären Verantwortung der Familie für Kinder“ (BMFSFJ (Hg.) 1999: 146).
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Während der Kindergarten in der DDR 1965 per Gesetz in das Bildungswesen integriert wurde, erlebte er in der Bundesrepublik eine langsame Wandlung und „gestufte Aufwertung“ von der „Verwahranstalt“ über die „Regel-Einrichtung“ zur Bildungseinrichtung (vgl. Kreyenfeld/Spieß/Wagner 2002: 203). Hierbei waren vor allem die späten 60er und frühen 70er Jahre des 20. Jahrhunderts bedeutsam als die Zeit der Bildungsreform, welche durch den Sputnikschock, die zunehmende Bewusstwerdung der sozialen Ungerechtigkeit im Bildungswesen und die bildungspolitischen Notwendigkeiten des Wirtschaftswachstums angestoßen wurde (Schäfer 2008: 25) und in deren Folge „bildungspolitische Zielvorgaben Eingang fanden in die staatlichen Entscheidungsprozesse, insbesondere in die Planung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen“ (Wiesner 2003a: 7). Plötzlich wuchs dem Kindergarten und der vorschulischen Erziehung eine Vorreiterrolle in der Bildungs- und Gesellschaftsreform zu, und er wurde mit dem Strukturplan des Deutschen Bildungsrates und durch den Bildungsgesamtplan (1970) fachlich als Elementarbereich des Bildungswesens anerkannt28. Die allgemeine pädagogische Förderung aller Kinder, durch die Methode des „Situationsansatzes“ in den Einrichtungen, trat als vorrangige Aufgabe damit neben die herkömmliche Aufgabe der Versorgung und Bewahrung (Wiesner 2003a: 8). Auch wenn die gesetzliche Fixierung des Bildungsauftrags noch 20 Jahre auf sich warten ließ, etablierte sich der Kindergarten als halbtags geöffnete Bildungseinrichtung – wenn auch in der Praxis die Erziehung der Kinder weiterhin im Vordergrund stand und die Stärkung kindlicher Bildungsprozesse hinter den erzieherischen Anspruch zurücktrat (vg. Bachler 2004: 1). Die Versorgungsquote wurde in den kommenden Jahren kräftig gesteigert, die Ausbildungs- und Weiterbildungskapazitäten gestärkt und bei der Versorgung mit Fachkräften und der Erzieher-Kind-Relation konnten bis 1981 erhebliche Verbesserungen erzielt werden, die zum Teil auch auf den starken Geburtenrückgang zurückzuführen sind. Während der Kindergarten bildungspolitisch definiert und aufgewertet wurde, „verlagerten sich die ideologischen Auseinandersetzungen um die Frage, ob institutionelle Kleinkindererziehung den Kindern schade und die Familie aushöhle auf den Bereich der unter Dreijährigen“ (Colberg-Schrader 1994: 163f). Die in Westdeutschland „starke Ideologie der Mutterschaft“ (OECD 2004) führte dazu, dass in mehr als der Hälfte aller Jugendamtsbezirke noch Ende der 1980er Jahre überhaupt keine Plätze für unter dreijährige Kinder angeboten wurden (vgl. Tietze (Hg.) 1998: 13). In der gesamten Bundesrepublik gab es bis Anfang der 1990er Jahre für weniger als 2 Prozent der Kinder unter drei Jahren Plätze in öffentlichen bzw. öffentlich geförderten Einrichtungen, ergänzt um 2 Prozent Plätze in der Tagespflege – bei nicht bekannter Zahl privater Arrangemens (DJI 2004: 46). Ebenso wie die ganztägige Betreuung von Kindern in Kindergärten sowie die Betreuung von Kindern im Hort blieb auch die in der Krippe in Westdeutschland „lange Zeit eine Randerscheinung für Kinder aus benachteiligten Haushalten“ (Kreyenfeld/Spieß/Wagner 2001: 19). Die Jahre nach der Wiedervereinigung sind in Deutschland gekennzeichnet durch eine verstärkte Gewichtung öffentlicher Verantwortung für Kinder, wie sie in zahlreichen Dokumenten der Sozialberichterstattung29 sowie in Gesetzen artikuliert worden ist. In erster 28 S. zur Rolle der Kindergärten in der alten Bundesrepublik zwischen Familien- und Bildungspolitik auch Kuller 2004: 285ff, zu den curricularen Ansätze in der Elementarerziehung der 1970er Jahre auch Vogelsberger 2002: 53ff. 29 Beispielhaft sei hier auf den Achten Jugendbericht (1990) einschließlich der Stellungnahme der Bundesregierung, mit seiner Betonung der Lebensweltorientierung in der Jugendhilfe und der Kennzeichnung der öffentlichen Tagesbetreuung von Kindern als Teil der sozialen Infrastruktur verwiesen. Auch der Fünfte Familienbericht (1994) betonte die Notwendigkeit einer verbesserten öffentlichen Anerkennung und Unterstützung der Familien
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Linie zu nennen sind hier das Kinder- und Jugendhilfegesetz von 1990 sowie das Schwangeren- und Familienhilfegesetz von 1992. Mit dem neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG), das die Kinder- und Jugendhilfe als Teil der Sozialgesetzgebung festschreibt, fand eine Abkehr von den stärker intervenierend und fürsorgerisch beschriebenen Aufgaben im Gesetzestext des Vorgängergesetzes, des Jugendwohlfahrtsgesetzes, statt. Stattdessen wurden der Dienstleistungscharakter der Kinder- und Jugendhilfe gesetzlich betont (Münder 2007: 3) und präventive Maßnahmen wie ein bedarfsgerechter Ausbau der öffentlichen Tagesbetreuung gestärkt. Während der explizite Förderauftrag und die Platzierung der Ausführungen zu den Tageseinrichtungen für Kinder (einschließlich der Tagespflege) in einem eigenständigen Abschnitt des Gesetzes aber in den westlichen Bundesländern als Fortschritt angesehen wurde, wurden die Regelungen des KJHG in den ostdeutschen Ländern „als Entwertung der Bildungsinstitutionen Kindergarten, Hort und Krippe begriffen“ (DJI 2004: 47). Das gesellschaftlich kontrovers diskutierte Schwangeren- und Familienhilfegesetz leitete zwei Jahre später (1992) mit der Kodifizierung eines Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz, der auch in das Sozialgesetzbuch bzw. das KJHG übernommen wurde, einen Paradigmenwechsel in der frühkindlichen Bildung ein und erkannte erstmals die öffentliche Verantwortung für vorschulische Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsangebote an. Nicht nur kam es nach der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz im Jahr 1996 zu einer starken Ausweitung und zugleich auch Ausdifferenzierung der öffentlichen Kinderbetreuungsangebote (Henry-Huthmacher 2007: 23), es kann auch eine Aufwertung der Bedeutung der frühen Jahre im Bildungssystem und eine stärkere Fokussierung präventiver Maßnahmen konstatiert werden. Im schulischen Bereich zeigte sich die verstärkte öffentliche Verantwortung in einer intensiven öffentlichen und politischen Diskussion um den Ausbau ganztagsschulischer Angebote, die in den vergangenen Jahren in verschiedene Initiativen der Bundesregierung sowie der Bundesländer mündete (s. Kap 3.2). Wenn heute trotz der de iure nach wie vor starken Stellung der Familie bei der Humanvermögensbildung vom „Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung“ gesprochen wird, dann unter anderem deshalb, weil de facto mittlerweile eine Vielzahl von Institutionen und Personen das Leben von Familien und das Aufwachsen von Kindern mitgestalten. Spätestens mit dem Eintritt in den Kindergarten greifen öffentliche Sozialisations- und Unterstützungsinstanzen, eine Entwicklung, die 1996 durch den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab drei Jahren gestärkt wurde. Der Kindergarten gilt heute gemeinhin als „selbstverständlicher Bestandteil der kindlichen Sozialisation“ (Sell 2002: 20f); die Einschätzung, dass Kinder „den Kindergarten brauchen, um hier erste Schritte in öffentliche Räume machen zu können, und daß sie mit der Erweiterung ihres sozialen Aktionsradius spezifische Fähigkeiten und Kompetenzen erwerben, die in der Familie nicht vermittelt werden können, ist inzwischen Alltagswissen geworden“ (Colberg-Schrader 1994: 160f). Die Kindertageseinrichtungen haben sich damit neben Familie und Schule zu einer zentralen Sozialisationsinstanz entwickelt und werden als selbstverständlicher Bestandteil der gesellschaftlichen Grundversorgung von Kindern betrachtet. „Aus der Familienkindheit ist eine Familien- und Kindergartenkindheit geworden“ (Wagenblass 2005: 58).
und ihrer Leistungen sowie die öffentliche Verantwortung für Kinder, nicht zuletzt mit dem Hinweis auf die Tatsache, dass Kinder das wichtigste Humanvermögen jeder Gesellschaft darstellen (BMFSFJ (Hg.) 1999: 147f).
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1.1.2 Zur Bedeutung der Familie als Bildungsort – familiale Grundfunktionen gestern und heute Das in Familien vermittelte und angeeignete Humanvermögen stellt, wie die Befunde der nationalen und internationalen Qualitäts- und Wirkungsforschung gezeigt haben, die wichtigste Voraussetzung und wirksamste Grundlage lebenslanger Bildungsprozesse dar (vgl. z.B. Tietze u.a. 2005). Die Familie ist der erste und wichtigste Ort der Betreuung, Erziehung und Bildung, die „basale Lernwelt, in der Kinder aufwachsen, in der sie jenes Urvertrauen entwickeln und jene elementaren Fähigkeiten und Fertigkeiten erlangen können, die sie befähigen, sich zunehmend eigenständig in der Welt zu bewegen“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 46). Die Bildungseinrichtungen können in ihrer derzeitigen Organisation nur dann erfolgreich arbeiten, „wenn die Schüler auf hinreichende Stützressourcen in der Herkunftsfamilie zurückgreifen können, d.h. wenn sie in einem Netzwerk sozialer Beziehungen heranwachsen, das den Kompetenzerwerb fördert und unterstützt“ (BMFSFJ (Hg.) 2002a: 23). Damit kommt der Familie – über ihre übrigen Funktionen hinaus, die gemeinsam als Reproduktions-, Sozialisations-, Haushalts-, Solidaritäts- und Erholungsfunktion zusammengefasst werden (Gerlach 2004: 39) – die Funktion eines „gatekeepers“ zu, der Zugänge zu anderen Erfahrungswelten – der Schule wie auch weiteren außerschulischen Bildungsorten – öffnet oder verschließt (Betz 2006: 182). Die besondere Wirkungskraft des Bildungsorts Familie ergibt sich neben genetischen Faktoren aus dem zeitlichen Primat der Familienerziehung. Als erste Instanz im Lebenslauf der Kinder kommt ihr nicht nur eine kanalisierende Funktion im Hinblick auf die Eröffnung von Zugängen zu weiteren Lebenswelten zu. Zugleich liegt ihre Bedeutung darin begründet, dass sie eine Form der „überdauernden Umwelt des Kindes“ (Liegle 2006: 52) darstellt und über den zeitlich begrenzten Besuch anderer Bildungseinrichtungen fortdauernd wirkt. Der vielleicht wichtigste Faktor aber findet sich in ihren besonderen Merkmalen als intimes Beziehungssystem wieder: Von allen institutionellen Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsarrangements unterscheidet sich die Familie durch ihre geringe funktionale Spezialisierung, also dadurch, dass sie das einzige soziale System ist, in dem – im Sinne der Systemtheorie – die ganze Person der Bezugspunkt für Kommunikation ist. Im „Soziotop Familie“ fließt für Kinder dem Grunde nach alles zusammen: „Geborgenheit, Schutz, Versorgung, Zuwendung, Lernen, Kommunikation, Vertrauen, Freude, Lust, Schmerz, Weltaneigung, Ernährung und vieles mehr. Familie ist insoweit ein archetypischer Ort, an dem für Kinder in der Regel die unterschiedlichen Bestandteile eines gedeihlichen Aufwachsens zur Verfügung stehen, allerdings, wenn man so will, in einer spezifischen Form: in einer bis zur Unkenntlichkeit ineinander vermengten Form von Bildung, Betreuung und Erziehung“ (Rauschenbach 2009: 125). Lernprozesse finden hier weniger durch bewusste Erziehungsmaßnahmen als vielmehr durch die Teilnahme an einem gemeinsamen Alltag und durch die von den Eltern vorgelebten Verhaltensweisen und Werte statt. Theodor Fontane hat diese „Nicht-Erziehung“ in seinen Kindheitserinnerungen in dem Satz zusammengefasst: „Wie die Eltern sind, das entscheidet“ (zit. n. Liegle 2006: 52). Dies gilt freilich nicht nur im positiven, sondern auch im negativen Sinne. Die Familienerziehung stellt somit nicht nur den „wichtigsten Schutz- und Anregungsfaktor, sondern auch den wichtigsten Risikofaktor für die Entwicklung von Kindern“ dar (ebd.: 51). Mit Blick auf ihre Bildungsleistung steht die Familie in gewisser Weise in einem „Spannungsverhältnis“, wie der Zwölfte Kinder- und Jugendbericht konstatiert, „zwischen ‚alles ist möglich‘ und ‚nichts ist
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sicher‘“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 121f), das heißt dass die Familie in ganz erheblichem Umfang Bildungsleistungen vermitteln kann – oder dies auch nicht tut. Wie die Schülerbefragung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen 2005 offenbarte, erlebt beispielsweise immer noch jeder dritte südeuropäische, türkische oder jugoslawische Jugendliche, eigenen Angaben zufolge, regelmäßig schwere Gewalt bzw. Misshandlungen im Elternhaus – eine Quote, die doppelt so hoch ist wie bei den Deutschen. Schüler, die überdurchschnittlich schwer und oft Gewalt im Elternhaus ausgesetzt waren, tauchen auch am häufigsten in der Täterstatistik auf und hier signifikant häufiger als gewalttätige Mehrfachtäter (Baier/Pfeiffer 2007). „Wer hier nach Auswegen sucht, kommt nicht umhin, nach Möglichkeiten zu suchen, um in die Familien hineinwirken zu können, die durch brutale Erziehungsmethoden den Boden für diese Entwicklung bereiten“ (Mönch 2006: 78). Wenn man die Bedeutung der Familie erkannt hat, „so kann man sich nur wundern, wie wenig Mittel zur Verfügung stehen, um Eltern auf ihre große Verantwortung vorzubereiten“ (Bichot 2003: 221). Und in der Tat liegt das Dilemma offensichtlich darin, „dass die elterliche Erziehungskompetenz als alltagsweltlich gegeben, als immer schon vorhanden vorausgesetzt wird – ungeachtet der Frage, wo und wie diese denn erworben worden sein soll“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 48). Wenn aber Erziehung betrachtet wird als „angeborene Fähigkeit oder Erziehungskompetenz, die stillschweigend von einer Generation an die nächste weitergegeben wird“, bedeutet dies zugleich, dass die Entwicklung und Bildung des Humanvermögens auf der „schicksalhaften Weitergabe des Überlieferten“ (Wehrmann 2007a: 131) fußt, was auch negative Vorbilder und Einflüsse impliziert. So betrachtet muss die große Abhängigkeit schulischen Erfolgs von der familialen Herkunft, wie er durch Schulvergleichsstudien öffentlich belegt wurde, nicht verwundern. Das, was ein Kind in seiner Familie erlebt und lernt, ist dabei durch zahlreiche Faktoren auf unterschiedlichen Ebenen beeinflusst, unter anderem durch
die ökonomische Situation der Familie, ihre Erwerbstätigkeit bzw. Beschäftigungschancen, die sozialen und kulturellen Ressourcen der Eltern, vor allem ihren Bildungsstand, ihre zeitliche Verfügbarkeit, die sozio-emotionale Qualität der Eltern-Kind-Beziehung (vgl. BMFSFJ (Hg.) 2005: 252, Tietze (Hg.) 1998: 122).
Wie Tietze und andere (Tietze (Hg.) 1998) herausgefunden haben, fällt die Prozessqualität der familialen Bildungsleistungen (s. zur Qualitätsdiskussion auch Kap 2.3.2) günstiger aus, „wenn die Eltern einen höheren Bildungsstatus haben, die Mütter in geringerem Umfang berufsbedingt von zu Hause abwesend sind, keine Großeltern im Haushalt mitleben und weniger (oder keine) Geschwisterkinder vorhanden sind“ (Tietze (Hg.) 1998: 167). Auch mehr Raum in der Wohnung sowie günstige materiale und soziale Kontextfaktoren im Wohnumfeld sind hier hinzuzurechnen (Spielorte und ihre Nutzung durch das Kind, Kontaktmöglichkeiten zu anderen Kindern und ihre Nutzung) (ebd.). Der Ressourcenausstattung kommt also für die Bildungsqualität eine größere Bedeutung zu als der Familienform (Wiss. Beirat 2002: 20). Definiert man „Familie“ „als einen intergenerationellen Zusammenhang zwischen mindestens einer Elternperson und einem Kind, welche zusammenwohnen und zusammen-
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wirtschaften – also im Alltag in einem gemeinsamen Haushalt leben –, so kann festgestellt werden: Fast alle Kinder wachsen in Familien auf“ (BMFSFJ (Hg.) 1999: 128), die überwiegende Mehrzahl von ihnen (ca. 80 Prozent) nach wie vor bei beiden (verheiratet oder unverheiratet zusammenlebenden) Elternteilen. Zwar ist eine gestiegene Pluralität von Familienformen zu konstatieren – z.B. in Form eines „Bedeutungsverlust[s] des traditionellen Familienmodells“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 46), einer Zunahme von allein erziehenden Elternteilen oder Patchworkfamilien. Allerdings ist „jenseits der familialen Lebensformen, also in den nicht-familialen Lebensformen die eigentliche Pluralisierung von unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens auszumachen“ (Wingen 2001: 60). Die im Vergleich zu früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten größte Veränderung bei den empirisch gelebten Familien- bzw. Lebensformen liegt in dem zahlenmäßig erheblichen Zuwachs vor allem im Bereich der Alleinlebenden begründet, bei gleichzeitig starker Abnahme aller Lebensformen mit Kindern (Gerlach 2004: 73). Immer weniger Haushalten mit Kindern – zumal immer weniger Haushalten mit mehr als zwei Kindern – stehen heute immer mehr Haushalte ohne Kinder gegenüber. Die Selbstverständlichkeit, die Elternschaft in der deutschen Nachkriegsgesellschaft aufwies – versinnnbildlicht in dem Auspruch des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer „Kinder kriegen die Leute immer“ – scheint heute passé. Kinder werden immer weniger selbstverständlich geboren. Sie sind „statt dessen stärker das Resultat einer bewussten individuellen Lebensplanung, bei der die Vorteile mit den Nachteilen vor allem im Hinblick auf die Erwerbstätigkeit der Mutter, die eingeschränkte materielle Sicherheit der zukünftigen Familie, aber auch mit der Sorge, den gewachsenen Ansprüchen an die Erziehung der Kinder nicht genügen zu können, verglichen werden“ (Wagenblass 2005: 22). Denn die Erziehung von Kindern ist für Familien insgesamt „anspruchsvoller, widersprüchlicher und konfliktreicher geworden“ (Böllert 2003: 37). Die zunehmende Komplexität der Lebenslagen junger Menschen konkretisiert sich eben zuallererst in Familien und stellt diese vor erheblich und gravierend veränderte Anforderungen. Familien müssen heute nicht nur verstärkt die Aufgaben übernehmen, die Heterogenität der verschiedenen Erziehungsorte und -stile, die mittlerweile an der Erziehung der Kinder beteiligt sind, zusammenzuführen und zu integrieren. Angesichts einer Pluralisierung von Wertvorstellungen gewinnt auch die Vermittlung eines tragfähigen Werte- und Normensystems besondere Bedeutung. Daneben sind die Vorbereitung auf einen kompetenten Umgang mit den Angeboten der Konsumund Medienwelt im Kontext einer immer stärker medial geprägten und in Marktzusammenhängen eingebundenen Jugendphase sowie die Unterstützung bei der Schul- und Berufswahl vor dem Hintergrund eines Bedeutungszuwachses von Bildung Herausforderungen, mit denen sich Familien zunehmend mehr konfrontiert sehen (BMFSFJ (Hg.) 2002: 125). Damit nimmt der Bereich der Vermittlung „bildungsrelevanter Sozialisationserfahrungen“ (Böhnisch) in der Familienerziehung immer breiteren Raum ein. Für die Eltern kommt es weniger darauf an, „ihren Kindern Berufswege vorzugeben, sondern sie in der Richtung emotional und materiell zu unterstützen, dass sie sich in der Unübersichtlichkeit der beruflichen Chancen zurechtfinden, Umwege einschlagen, Übergänge bewältigen und Berufsenttäuschungen verarbeiten können“ (Böhnisch 2002: 285). Angesichts dieser Bedeutung von Bildung und damit auch der Schule „als der zentralen Zuweisungsstelle von sozialen Lebenschancen“ (Henry-Huthmacher 2008: 13) wird die Planung, Betreuung und Flankierung der schulischen und beruflichen Karriere des Kindes und Jugendlichen für die Eltern zu einer neuen wesentlichen Funktion.
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Während in zurückliegenden Epochen der Klassen- bzw. Statuserhalt in der Familie hauptsächlich über die Weitergabe von ökonomischem Kapitel gewährleistet wurde, tritt die (mittelbare) Vererbung von Bildungskapital mehr und mehr an diese Stelle. Deutschland scheint, so deutet es die Konrad-Adenauer-Stiftung, „auf dem Weg in eine neue Art von Klassengesellschaft zu sein, wobei die Trennungslinie eben nicht nur über Einkommen und Vermögen, sondern auch über kulturelle Dimensionen wie etwa Bildungskapital und Bildungsaspirationen, aber auch Werte und Alltagsästhetik verläuft“ (Henry-Huthmacher 2008: 8). Die Studie folgert: „In sozialpolitischer Hinsicht ist diese Entwicklung problematisch für die gesellschaftliche Solidarität“ (ebd.). Die Folge ist ein gnadenloser Wettbewerb um die beste Ausgangsposition: „Eltern wollen selbstverständlich nur das Beste für ihre Kinder, vor allem aber wollen sie die beste Schule. Hier packt sie ein ganz und gar undemokratischer Ehrgeiz: Das schulpflichtige Kind soll es besser haben als alle anderen“, heißt dies in einem Beitrag unter dem Titel „Die große Schulangst“ (März 2004). Stärker als in der Vergangenheit treten auf der Suche nach einer guten Ausgangsposition bereits die Kinder in Konkurrenz zu anderen Kindern und Jugendlichen (vgl. Maschke/Stecher 2007, Brake/Büchner 2003). „Die neue Elternpflicht heißt ‚Optimale Startchancen fürs Kind‘ – und was wir heute als Anspruchshaltung der Eltern erleben, ist nicht zuletzt ein Versuch, dies Gebot zu erfüllen“ (Beck-Gernsheim 1998: 111). Diese gesellschaftlich wirksame „Norm der verantworteten Elternschaft“ (HenryHuthmacher 2008: 3f) mit ihren Ansprüchen an das, was Eltern heute leisten sollen, hat den „Leistungsdruck durch selbstgewählte Leistungsanforderungen“ (Nave-Herz 1997: 59) erhöht, zugleich aber auch die Unsicherheit und Ambivalenz der Elternrolle gesteigert. Angesichts dessen verwundert es nicht, wenn die im Jahr 2008 erschienene Eltern-Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zeigt, dass sich Eltern heute vielfältigem Druck ausgesetzt sehen, sowohl hinsichtlich ihrer subjektiven Befindlichkeit als auch hinsichtlich der objektiv gestiegenen Anforderungen: „Viele Eltern sind verunsichert, ein Drittel fühlt sich im Erziehungsalltag oft bis fast täglich gestresst, die Hälfte immerhin gelegenheitlich“ (HenryHuthmacher 2008: 14). Wie groß die Verunsicherung der Eltern ist, zeigt die Flut an Erziehungsratgebern und Elternzeitschriften, die deutliche steigende Zahl Rat suchender Eltern in Beratungsstellen sowie eine deutliche Konjunktur populärer Fernsehsendungen in Sachen Erziehung. Der selbstverständliche Umgang von Eltern mit ihren Kindern scheint dagegen verloren gegangen zu sein. Zwar darf dies nicht nur als Verlust gewertet werden, sondern stellt auch einen Gewinn dar, „und zwar in dem Sinne, dass das erzieherische Handeln in verstärktem Maße selbstreflexiv geworden ist“ (Liegle 2006: 51). Allerdings scheint zugleich „auch das gesellschaftliche Vertrauen in die Erziehungskompetenzen der Eltern (..) geringer geworden zu sein. Probleme der Kinder werden gleichgesetzt mit dem Versagen von Eltern (…) Die eigene Verunsicherung und das schwindende gesellschaftliche Vertrauen führt dazu, dass Eltern zunehmend an sich zweifeln, sich überfordert und allein gelassen fühlen“ (Wagenblass 2005: 68f). Diese Verunsicherung mündet, unterstützt durch andere Faktoren, bei immer mehr Eltern in eine Überforderungssituation30 mit folgenreichen Auswirkungen auf die hiervon betroffenen Kinder. Die Qualität des Erziehungshandelns wird dabei durch die Erosion verlässlicher Beziehungen, die sich in steigenden Trennungs- und Scheidungszahlen äußern, sowie vor allem durch die ökonomischen Belastungen von Familien und immer unsicherere Beschäftigungsperspektiven belastet (Wissen30
Nach Schätzungen von Expert/innen sind heute knapp ein Drittel der Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert (Henry-Huthmacher 2008: 18).
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schaftlicher Beirat 2005: 7). Die Überforderung des Systems Familie wird vor allem durch zwei Widersprüche vorangetrieben:
dem Widerspruch zwischen den steigenden gesellschaftlichen Anforderungen an die Leistungen von Familien und den steigenden wirtschaftlichen Anforderungen an die Leistungen der Familienmitglieder als einzelne Wettbewerbsteilnehmer/innen: Während das Leitbild der wettbewerbsorientierten Wirtschaft jeden Einzelnen als Wettbewerbsteilnehmer begreift und die Arbeitswelt mit ihrem Flexibilitätscredo „einen Totalzugriff auf die Eltern, vor allem auf die Väter“ (Henry-Huthmacher 2008: 16) vollzieht, wird gesellschaftlich erwartet, dass Eltern viel Zeit und Energie in ihre Kinder investieren31. Seit den 1970er Jahren ist denn auch die von Eltern in Kinder investierte Zeit stark angestiegen (Gauthier u.a. 2002). Zugleich stieg aber auch die Zahl erwerbstätiger Mütter an, wie die Datenreporte des Statistischen Bundesamtes belegen. So verwundert es nicht, dass mitterweile ein zunehmender Zeit- und Organisationsdruck aufgrund der Schwierigkeit, Familie und Beruf zu vereinbaren, das Familienleben prägt. dem Widerspruch zwischen einer Zunahme immer komplexerer Erziehungs- und Sozialisationsaufgaben, die von den Familien geleistet werden sollen, und der (konstant gebliebenen) gesellschaftlichen Erwartung, dass die Kompetenzen zur Erfüllung dieser komplexen Aufgaben schon von allen Familien selbstverständlich mitgebracht werden. So wird in weiten Teilen der (politischen) Öffentlichkeit davon ausgegangen, „dass Familien aus sich heraus in der Lage sind, die vielschichtigen Erziehungs- und Sozialisationsaufgaben angemessen bewältigen zu können. Darüber aber, wie die hierzu erforderlichen Kompetenzen und Fähigkeiten erworben werden können, herrscht weitgehend Unklarheit“, wie der Elfte Kinder- und Jugendbericht festhält (BMFSFJ (Hg.) 2002: 125). Und der Zwölfte Kinder- und Jugendbericht ergänzt und erweitert diesen Gedanken: „Das Dilemma der Erziehungsfrage liegt, zugespitzt formuliert, darin, dass die elterliche Erziehungskompetenz als alltagsweltlich gegeben, als immer schon vorhanden vorausgesetzt wird – ungeachtet der Frage, wo und wie dies denn erworben worden sein soll –, so dass die eigene Verunsicherung als individuelle Unfähigkeit betrachtet und infolgedessen tabuisiert wird“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 48).
Diese „Elternunfreundlichkeit der Gesellschaft“ (Henry-Huthmacher 2008: 20) liegt vor allem darin begründet, dass bis heute übersehen wird, welche Bedeutung dem Bereich der Familie als Ort für das Aufwachsen von Kindern zukommt und welche Kompetenzen dementsprechend von Eltern gefordert sind. In der familien- und bildungspolitischen Diskussion wie im Alltag bleibt dies vielfach ausgeblendet. Dabei dürfte sich diese Entwicklung mit der abnehmenden Anzahl von Kindern und ihrer zugleich wachsenden gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Bedeutsamkeit zukünftig eher verschärfen als entspannen. Im Gegensatz zu der bedeutsamen Stellung der Familie, wie sie in Artikel 6 des Grundgesetzes festgeschrieben ist, war in den vergangenen Jahrzehnten politisch eine auffällige Geringschät31 Eine Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts bestätigt die herausragende Bedeutung von gemeinsam verbrachter Familienzeit für Kinder: „Geteilte Zeit stiftet Nähe zwischen den Familienmitgliedern, ermöglicht gegenseitige Anteilnahme, Unterstützung, Fürsorge. Indem man sich mit dem Anderen beschäftigt, miteinander kommuniziert oder etwas gemeinsam unternimmt, entsteht Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit, kurz: familiäre Identität“ (Wehr 2008: 13).
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zung bzw. Gleichgültigkeit gegenüber familiären Leistungen gegeben. Seit Jahren beklagen nicht nur Eltern- und Familienverbände, „dass der Staat die Familien in ihrer vielfältigen und anspruchsvollen Erziehungsaufgabe allein lässt, ihnen wenig Infrastruktur zur Verfügung stellt, also seiner öffentlichen Verantwortung für das Aufwachsen nur unzureichend gerecht wird“ (Bundesjugendkuratorium 2004: IIIf). Zwar schlägt „das Herz der Politik“ laut und vernehmlich für die Familie, der „Impulsgeber für eine familienbezogene Sozialund Gesellschaftspolitik“ ist aber sehr viel mehr in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht installiert (Wingen 2001: 19). Der besondere Beitrag der Familien zur Schaffung und Erhaltung des „Humanvermögens“ der Gesellschaft wurde lange als selbstverständlich angesehen, unter anderem deshalb, weil diese Leistungen täglich weithin im Verborgenen erbracht werden, nicht im Markt entlohnt werden und nicht in den nationalökonomischen Sozialproduktberechnungen erscheinen (Wingen 2001: 13)32. Sie werden, wie der Fünfte Familienbericht betonte, auch deshalb im Verborgenen erbracht, weil das Bildungswesen durch seine Inhalte einseitig jene Qualifikationen betont, „die in der Erwerbsarbeit einsetzbar sind, ohne daß dies durch das Zeitmuster des menschlichen Lebens und die Lebensweisen wie auch durch die Berufsarbeit selbst so gerechfertigt ist“ (BMFuS (Hg.) 1994: 67). Eine Bildung aber, die sich als fachliche Berufsqualifikation im engeren Sinn versteht, „kann das Ziel, den einzelnen zur ständigen Neuorientierung im technisch-wissenschaftlichen Wandel zu befähigen, verspielen, wenn sie nicht in das Konzept einer allgemeinen menschlichen Daseinskompetenz eingebettet ist. Die Gesellschaft kann ihrer Verantwortung für die nachfolgende Generation schließlich nur dann gerecht werden, wenn sie sich ihre Fähigkeit zu Erziehung und Wertvermittlung – als Daseinsvorsorge – sichert“ (ebd.: 67f). Bei der Bewältigung der familiären Herausforderungen hat die Bundesrepublik lange Zeit „ auf die Autonomie, Unversehrtheit und Selbstregulationskraft der Familie gesetzt“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 46). Dass die Eltern, damit sie von ihrem Elternrecht33 nach Art. 6 GG auch Gebrauch machen können, vom Staat dabei pädagogisch und materiell unterstützt werden müssen (s. Kunkel/Röchling 2004: 18), wurde und wird weitgehend ausgeblendet. So wie entsprechende Unterstützungsangebote „bislang weitgehend nicht institutionalisiert worden sind, werden auch Kinder und Jugendliche selbst kaum an die Aufgaben einer Familiengründung und einer perspektivischen Elternrolle herangeführt“ (BMFSFJ (Hg.) 2002: 125). Eine Gesellschaft wie die Bundesrepublik, die der Familie als „anspruchsvolles Beziehungsgeflecht und als vielschichtige Erziehungs- und Sozialisationsinstanz“ eine so bedeutsame Funktion bei der Humanvermögensbildung zuweist, muss die Frage beantworten, warum sie in ihren Bildungsinstitutionen junge Menschen zwar auf die außerfamilialen Anforderungen einer Erwachsenenrolle vorbereitet, Fragen wie etwa die nach der Erziehung, Pflege und Betreuung von Kindern dort aber nach wie vor ausgeblendet werden (ebd.).
32 S. zur Weiterentwicklung des Familienleistungsausgleichs auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats (BMFSFJ (Hg.) 2002a). 33 Dieses Elternrecht ist untrennbar mit der Erziehungspflicht der Eltern verknüpft, weshalb das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 29.07.1968 (BVerfGE 24, 145) das Elternrecht als Elternverantwortung bezeichnet hat. „Darin kommt zum Ausdruck, dass das Elternrecht nur so weit geht, wie es dem Wohl des Kindes dient. Eine Gegenüberstellung von Elternrecht und Kindesrecht ist deshalb unangebracht; vielmehr ist das Elternrecht von vornherein dadurch beschränkt, dass es dem Kindeswohl dienen muss, also ‚fremdnützig‘ ist“ (Kunkel/Röchling 2004: 17).
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Es ergibt sich damit heute die paradoxe Situation, dass einerseits ein immer größerer Teil kindlichen Lebens in öffentlicher Verantwortung abläuft, zugleich aber die Famile als „zentrale intermediäre Vermittlungsinstanz zwischen dem einzelnen und der Gesellschaft“ (Wingen 2001: 28) an Wichtigkeit gewonnen hat. Der Familie kommt als „bedrock of society“ (Esping-Andersen 1999) parallel zu Staat und Markt nach wie vor eine bedeutende Funktion nicht nur bei der Bildung und Entwicklung von Humanvermögen, sondern darüber hinaus im gesamten Wohlfahrtsgefüge zu. Die teilweise in der Öffentlichkeit vorherrschende Einstellung, Eltern und Familien würden durch die Bereitstellung öffentlicher Einrichtungen für Kinder aus ihrer Elternschaft „entlassen“, muss daher zurückgewiesen werden. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Eltern und Familien tragen nicht mehr „nur“ Verantwortung für die Bildung und Erziehung ihrer Kinder zu Hause, sondern auch für das, was in den Einrichtungen an Bildungs- und Erziehungsprozessen geschieht (Bundesjugendkuratorium 2004: IIIf.). Als Vermittlerin zwischen Individuum und Gesellschaft bildet die Familie nach wie vor die Grundlage jeden demokratischen Gemeinwesens. Als bevorzugter Ort der Entstehung und Erhaltung von Humanvermögen, wie der Fünfte Familienbericht feststellte, hat die Familie noch an Bedeutung zugelegt.Vor diesem Hintergrund muss eine Konzeption einer zukunftsorientierten Gestaltung der Humanvermögensbildung bei der Familie als zentralem Ausgangspunkt ansetzen. 1.1.3 Exkurs: Zu den Besonderheiten des deutschen Mutterdiskurses Die Privatisierung der Vermittlung familialer Kompetenzen ist ebenso wie die Privatisierung der Betreuung und Erziehung von Vorschulkindern eine Folge der ideologischen Betrachtung von „Mutterschaft“, die bis heute in Westdeutschland nachwirkt (vgl. OECD 2004: 17). Ihre Entstehung und Begründung ist nicht restlos geklärt und vermutlich durch viele Faktoren geprägt. Die Verknüpfung von Weiblichkeit und Mütterlichkeit wird bereits in der Reformation vermutet. Seitdem galt „nicht mehr die Braut Christi, die als Geliebte des himmlischen Bräutigams Mutter im Geiste ist, als die gottgefälligste weibliche Existenzform, sondern die Ehefrau und Mutter“ (Vinken 2001: 10). Eine durch den deutschen Idealismus geprägte Aufwertung der Familie als „Raum des alleinigen Heils“ (Vinken 2001) und eine starke Tradition der Familialisierung und Feminisierung von Fürsorgeaufgaben, deren Wurzeln bis ins 18. und 19. Jahrhundert zurückreichen, haben diesen „Maternalismus“ offenbar ebenso bestärkt wie die Mütterideologie des Nationalsozialismus (Jurczyk 2005: 17)34. Die moralische Aufwertung des emotionalisierten Binnenraums von Familie als „richtiger“ Lebenswelt für Mütter und Kinder führte in Verbindung mit der wachsenden Bedeutung einer „kindzentrierten Pädagogik“ zu der spezifisch deutschen Situation, dass die Verantwortung für die Betreuung und Erziehung kleiner Kinder auf die Kernfamilie beschränkt und dem weiblichen Geschlecht zugewiesen wurde. Aufbauend auf der Prämisse, dass „die kindliche Entwicklung am besten gelingt, wenn das Kind mit der ausschließlichen Zuwendung und Versorgung durch die Mutter aufwächst“ (HenryHuthmacher 2008: 10), entstand die Norm der „guten Mutter“, die das Verhalten junger Mütter bis heute prägt. Versinnbildlicht wird sie in dem Leitspruch: „Eine Mutter gehört zu ihren Kindern“ bzw. der analog dazu entstandenen Wortschöpfung der „Rabenmutter“ als 34
Vgl. zur Widersprüchlichkeit von Mutterrolle und Nachwuchsbetreuung in der Nazi-Zeit auch Schmidt 1998: 62f.
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Bezeichnung für Mütter, die sich dem Leitbild verweigern. Bis heute fällt Deutschland in europäischen Umfragen dadurch auf, dass ein sehr viel höherer Prozentsatz von Menschen als z.B. in Frankreich und Schweden die Mutter (bzw. wenn diese es nicht kann, weibliche Verwandte) als optimale Betreuungsperson für Vorschulkinder ansieht und der Meinung ist, dass kleine Kinder unter einer Erwerbstätigkeit ihrer Mütter leiden (Fagnani 2004). Das „normative Ausmaß an Verzicht und Aufopferung“ (Henry-Huthmacher 2008: 10), das Mütter für ihre Kinder zu erbringen haben, ist dementsprechend immens – und eventuell mit ein Grund dafür, warum in Umfragen von kinderlosen jungen Menschen Kinder mit „Verpflichtung“ und „Einschränkungen“ assoziiert werden, weniger mit „Freude“ oder „einem erfüllten Leben“ (s. unter anderem Institut für Demoskopie Allensbach 2004). Im Unterschied beispielsweise zu den französischen Nachbarn wird das Kind in Deutschland nicht in das Leben seiner Eltern integriert, „sondern es wird zum Sinn und Zweck des Lebens der Mutter, eine religiös anmutende Verkehrung, die schon ein einziges Kind bewirkt und rechtfertigt“ (Vinken 2001: 55). Diese lange Zeit geltende (Allein-) Zuständigkeit für die Erziehung und Versorgung von Kindern stellt eine große Heraus- wie Überforderung dar und zugleich für viele Frauen einen Ausgleich für ihren Ausschluss von anderen Formen gesellschaftlicher Teilhabe und Anerkennung (Jurczyk 2005: 17). Die ideologisch aufgeladene Feminisierung von Fürsorgetätigkeiten („care“) führte zugleich zur Herausbildung eines Wohlfahrtsstaatsregimes, das auf der Basis eines Alleinernährermodells die familiäre Absicherung von sozialen Risiken präferiert, weshalb Deutschland in der Wohlfahrtsstaatsforschung auch als „strong male-breadwinner country“ (s. beispielsweise Sainsbury (Hg.) 1999) bezeichnet wird. Nicht nur der Bildungs- und Betreuungsbereich, auch männlich orientierte berufliche Strukturen wie die Belohnung langer täglicher Anwesenheitszeiten im Betrieb bzw. ungleiche Lohnniveaus zwischen Frauen und Männern, das Steuerrecht ebenso wie die Systeme sozialer Sicherung bauen nach wie vor auf der Tatsache auf, dass die Ehefrau als nichtverdienender oder allenfalls zuverdienender Teil der Familie dem Arbeitsmarkt nicht bzw. allenfalls bedingt zur Verfügung steht. Ein entsprechendes Verhalten von Müttern und Väter wird so bestätigt und die „soziale Konstruktion der Geschlechtscharaktere“ (Jurczyk 2005) reproduziert. Auch wenn diese Zahlen zurückgehen und, wie die Datenreporte des Statistischen Bundesamtes belegen, die Müttererwerbstätigkeit seit Jahren ansteigt, bleibt die Organisation wohlfahrtsstaatlicher Absicherung bisher bestehen und findet ein Policy-Wandel hin zu einer Neudefinition des Verhältnisses von Familie, Markt und Staat bisher nur sehr allmählich statt. Nun hat die Familienforschung der letzten Jahrzehnte gezeigt, „dass die Kernfamilie keineswegs apriori entwicklungsangemessene Betreuungsformen und -strategien für den jungen Nachwuchs bereitstellt“ (Ahnert 2007: 10) und ein hoher mütterlicher Betreuungsanteil nicht notwendigerweise eine bestmögliche Betreuung für das Kind garantiert. Nicht zuletzt die große, an über 1100 Säuglingen und Kleinkindern durchgeführte NICHD Early Child Care Research Studie (1997) hat festgestellt, dass Tagesbetreuung und damit tägliche Trennungen per se die Mutter-Kind-Bindung nicht belasten. Auch wird von der Forschung darauf hingewiesen, dass eine ausschließlich mütterliche Betreuung nicht etwa die Regel, sondern in der menschlichen Entwicklungsgeschichte selten praktiziert wurde. Historische Betrachtungen und kulturvergleichende Studien „belegen in allen untersuchten Gesellschaften hohe Zeitanteile nicht-mütterlicher Betreuung auch für Kleinkinder“ (Tietze 2002: 497) durch die erweiterte Familie sowie die Nachbarschaft. Deshalb sei es unverständlich, „wie sich eine Mythologie entwickeln konnte, die die ausschließliche mütterliche Betreuung als
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die ‚traditionelle‘ oder ‚natürliche‘ Form der menschlichen Kinderbetreuung ansieht, während alle Abweichungen von diesem Modell als unnatürlich und potentiell gefährlich beschrieben werden“ (Lamb/Sternberg 1998: 16). Diese Entwicklung hat mit dazu geführt, dass die Frage, ob Tagesbetreuung von dreibis sechsjährigen Kindern im Kindergarten schädlich sei, heute in Deutschland nicht mehr gestellt wird (Tietze (Hg.) 1998: 25). Auch die Nachfrage und Akzeptanz von Ganztagsschulen bei Eltern nimmt stetig zu – zumindest wenn sie als Wahlmöglichkeit zur Halbtagssschule angeboten wird (Oelerich 2005: 23). Der notwendige Verzicht, den Mütter in der gesellschaftlichen Wahrnehmung für ihre Kinder zu erbringen haben, ist zwar „heute wesentlich geringer als vor 30 oder 40 Jahren“ (Henry-Huthmacher 2008: 10), dennoch sind, wie wir gesehen haben, „die Erwartungen an die mütterliche Zuwendungsbereitschaft und Versorgung der Kinder nicht wesentlich geringer geworden“ (ebd.). Für Mütter bedeutet dies einen Konflikt zwischen dem Mutterbild ihrer Eltern- und Großelterngeneration, „dem Bild der modernen Frau, die auch jenseits der Kinder ein ‚Stück eigenes Leben‘ hat, und der Mutterrolle, die sie durch die Erwartungshaltung ihrer Kinder und der Umwelt erfahren. Diesen Rollenkonflikt gilt es für Frauen individuell zu lösen und die Mutter- und Elternrolle dementsprechend zu gestalten“ (Henry-Huthmacher 2008: 11). Die öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern beinhaltet hier nach wie vor wenig Unterstützung von Müttern und Eltern – allen Lobpreisungen der Familie zum Trotz. 1.1.4 Rahmenbedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen heute Das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen zu Beginn des 21. Jahrhunderts findet im Vergleich zu dem früherer Generationen unter vielfach veränderten Bedingungen statt. Kinder wachsen heute in einer kulturell vielfältigen, sozial komplexen und hoch technisierten Welt auf, die beschleunigten Wandel aufweist (s. BMFSFJ (Hg.) 2003: 17). Während das Leben von Kindern in den 1960er und 1970er Jahren durch Homogenität und Kontinuität gekennzeichnet war, wachsen sie heute „in eine plurale Gesellschaft hinein. Das bedeutet zwar einerseits ein höheres Maß an individueller Freiheit. Andererseits jedoch erzeugt diese Freiheit mehr Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten“ (Fritzen-Herkenhoff/HenryHuthmacher 2001: 7). Der Schweizer Arzt, Physiker und Mathematiker Albert Zeyer bemüht Überlegungen aus der Chaostheorie, um zu erklären, was sich für Kinder heute geändert hat (Zeyer 2000) und macht damit auf ein zentrales Problem aufmerksam. Erstmals wachsen mit den heutigen Generationen Menschen auf, in der die Jugend nicht mehr wie jahrzehntelang üblich, als „Inbegriff des Fortschritts und des Vorgriffs auf eine bessere Zeit“ (Dettling 2001: 36) gelten kann. Das lange Jahre geltende Erziehungsparadigma, dass die eigenen Kinder es einmal besser haben sollten als man selbst, wird für viele Eltern obsolet, wenn breite Schichten der westlichen Industrienationen mit einer Verschlechterung der lange Jahre geltenden und als selbstverständlich angesehenen Rahmenbedingungen rechnen müssen und in einer immer stärker globalisierten Welt der Wettbewerb um Ressourcen auf allen Ebenen des persönlichen wie gesellschaftlichen Lebens wächst. Bereits in der Familie erfahren heute immer mehr Kinder Diskontinuitäten in familiären Konstellationen (z.B. Trennung der Eltern, Patchworkfamilien), die sie zudem mit immer weniger Geschwistern teilen können. Mit der wachsenden Erwerbstätigkeit beider Elternteile – unter anderem notwendig, weil heute weder eine kontinuierliche Erwerbstätig-
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keit beider Partner gewährleistet ist, noch die Sicherheit, gemeinsam das gesamte Leben miteinander zu verbringen –, die immer stärker mit von „Normalarbeitsverhältnissen“ abweichenden Arbeitszeiten einhergeht und zunehmenden Anforderungen an Flexibilität und Mobilität, verringern sich die gemeinsamen Familienzeiten und wird die Organisation des Familienalltags erschwert (BMFSFJ (Hg.) 2005: 20). Während für viele Menschen der Umgang mit der hohen Arbeitsbelastung eine Herausforderung darstellt, ist für andere die Sicherung der Lebensgrundlagen schwierig. Immer mehr Kinder wachsen in prekären Lebensverhältnissen auf: Mittlerweile ist das Armutsrisiko von Kindern und Jugendlichen „eineinhalb- bis zweifach höher als das Armutsrisiko von Erwachsenen, und fällt umso höher aus, je jünger die Kinder sind“ (Bayerisches Staatsministerium/IFP (Hg.) 2006: 16) – mit gravierenden Auswirkungen auf die gesundheitliche, emotionale und kognitive Entwicklung dieser Kinder (s. dazu Kap. 1.3.3). Weil immer mehr insbesondere akademisch ausgebildete Frauen und Männer kinderlos bleiben, sinken die Geburtenraten. Kinder bekommen daher in einer „alternden Gesellschaft“ einen immer stärkeren „Exklusivitätscharakter“, verbringen weniger Zeit im öffentlichen Raum und mehr Zeit in altersspezifischen Institutionen, die ihren Lebensalltag stärker prägen. Im Gegensatz zu früheren Generationen sind Kinder und Jugendliche einer „medialen Durchdringung des Alltags“ (BMFSFJ (Hg.) 2005) ausgesetzt. Sie wachsen in eine durch Internationalisierungprozesse geprägte Welt hinein, die sie, auch durch den Anstieg von Kindern mit Migrationshintergrund in Deutschland, immer früher mit Menschen anderer Kulturen, Religionen und Nationalitäten in Berührung bringt und in der ihr Wissen immer schneller veraltet. Sie wachsen hinein in eine immer stärker arbeits- und funktionsteilige Gesellschaft, die im Gegensatz zur Industriegesellschaft geprägt ist von der zunehmenden Entgrenzung von Privatheit und Öffentlichkeit, einer wachsenden Verschränkung von Produktions- und Reproduktionsbereich und einem langfristigen Absinken informellen Hilfepotenzials durch das Ausdünnen verwandtschaftlicher Hilfsnetze. Während junge Menschen früherer Generationen noch darauf vertrauen konnten, dass sie mit einem Grundlagenwissen ausgestattet wurden, auf das sie mit Abschluss ihrer Berufsausbildung ein Leben lang zurückgreifen konnten (Bildungsvorrat), stehen heute heranwachsende Kinder und Jugendliche vor der Herausforderung, sich ständig weiterentwickeln und kontinuierlich neues Wissen verarbeiten zu müssen. Um dieses lebenslange Lernen erfolgreich bewältigen zu können, rücken lernmethodische Kompetenzen wie Lernfähigkeit, Eigenverantwortlichkeit, Selbstmotivation, Kommunikationsfähigkeit, aber auch Kompetenzen zur Bewältigung von Übergängen und Veränderungen in den Vordergrund und lösen den herkömmlichen Wissenskanon ab: Das „statische Bildungsvorratsmodell“ muss einem „dynamischem Bildungserneuerungsmodell“ weichen (Bayerisches Staatsministerium/IFP (Hg.) 2006: 18) (s. auch Kap. 1.3.4). Trotz dieser Entwicklungen allerdings werden die Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen immer noch hauptsächlich „auf der Basis der eigenen Lebenserfahrungen als Kinder und Eltern in der Industriegesellschaft [thematisiert]. So wird in Deutschland heute noch für die überwiegende Mehrzahl der Kinder die Lebensphase bis zum 14. Lebensjahr so organisiert, wie sie in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts konzipiert war“ (Bertram 2006: 2). Vor dem Hintergrund der für Deutschland kennzeichnenden weitgehenden Rolle der Familie als wesentlichem Gestalter der Humanvermögensbildung kann es nicht verwundern, wenn die Privatisierung zentraler Bildungsleistungen sich heute in sehr unterschiedlichen Lebensperspektiven junger Menschen auswirkt. Die Wege, über die Kin-
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der und Jugendliche ihre Wege ins Erwachsenenleben gehen, werden dementsprechend immer vielfältiger. Während auf der einen Seite Jugendliche – überwiegend aus privilegierten Familien – „Königswege ins Erwachsenenleben“ nehmen können, wie der Soziologe Franz Xaver Kaufmann dies nennt: familiär sehr gefördert, vom Gymnasium hinein über Auslandspraktika in klare Zukunftsperspektiven hinein, müssen auf der anderen Seite die meisten Jugendlichen auf „Trampelpfaden“ ihren individuellen Weg ins Erwachsenenleben selbst suchen (vgl. Dettling 2001: 43), familiär mehr oder weniger unterstützt. Die schicht- bzw. milieubezogene Differenzierung, die das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen sowie die Lebenssituation ihrer Familien kennzeichnet, wird daneben ergänzt um eine regionale Differenzierung. Viel hängt für Kinder davon ab, „in welcher Kommune und in welchem Bundesland sie aufwachsen“ (Bertelsmann Stiftung o.J.: 4). Dieser Tatbestand, der lange Zeit in der öffentlichen Diskussion wenig beachtet war, findet durch Benchmarking-Prozesse und Vergleichsstudien mittlerweile immer mehr Beachtung (s. z.B. Familienatlas der Bundesregierung (BMFSFJ (Hg.) 2005a). Diese regionalen Disparitäten wirken im Wesentlichen über
„alters- und haushaltsspezifische sowie soziale und kulturelle Mischungen bzw. Entmischungen in der Bevölkerungszusammensetzung des sozialen Umfeldes, die Verfügbarkeit und die Qualität des Wohnungs- und Freiflächenangebots, den Zugang zu Angeboten für Bildung, Erziehung und Betreuung (z.B. Schulen, Kindertageseinrichtungen, soziale und kulturelle Angebote), die Versorgung mit Kommunikations- und Unterstützungsangeboten sowie mit haushaltsbezogenen Dienstleistungen und Gütern sowie unterschiedliche individuelle sowie familiäre sozio-ökonomische Gestaltungsspielräume und Zukunftsperspektiven im Zusammenhang mit dem regionalen Arbeitsplatzangebot und mit Armutsrisiken“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 86).
Mittlerweile ist bekannt und wird auch öffentlich diskutiert, dass sich die Situation von Kindern zwischen, aber auch innerhalb der einzelnen Bundesländer teilweise stark unterscheidet. Dies gilt für Faktoren wie beispielsweise Art und Ausmaß frühkindlicher Bildungserfahrungen oder die Gesundheitssituation von Kindern, aber auch die Lebenssituation in Familien35. Hierbei zeigt sich nicht nur eine Differenz zwischen Ost und West, sondern auch eine zwischen dem Norden und Süden Deutschlands wie zwischen großen urbanen Zentren sowie den Flächenstaaten. Die süddeutschen Bundesländer liegen hier bis auf das Saarland, „über dem nationalen Durchschnitt, während die norddeutschen Bundesländer darunter liegen und sich vor allem die Stadtstaaten hier noch einmal besonders negativ absetzen“ (Bertram 2006: 34). Insbesondere die Stadtstaaten, aber auch die großen Kommunen in den Flächenstaaten, wie etwa die großen Ruhrgebietsstädte, sind dabei zunehmend doppelten Polarisierungstendenzen (Schultz u.a. 2006) ausgesetzt: Einerseits verlassen junge wohlhabende Familien mit Kindern im Vorschulalter die großen Städte und ziehen in die Umlandgemeinden, andererseits konzentrieren sich in bestimmten Stadtvierteln und Quartieren zunehmend Familien mit nichtdeutschem Hintergrund und solche in prekä35
Dieses ist insbesondere für Kinder in Ostdeutschland sehr viel stärker als in den westlichen Bundesländern, durch „ein Leben ohne Geschwister, ein zeitweises oder dauerhaftes Zusammenleben mit einem einzigen Elternteil und zunehmende Transformationserfahrungen im Wechsel unterschiedlicher Familienformen“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 62) gekennzeichnet.
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ren Lebenslagen. „Diese sozioökonomischen und ethnischen Polarisierungstendenzen machen es in den großen Städten und damit auch in den Stadtstaaten außerordentlich schwer, Kinder, Jugendliche und Familien in bestimmten Quartieren so zu unterstützen, dass die Chancengleichheit der Kinder hier auch nur annähernd gewahrt werden kann“ (Bertram 2006: 34). Teilweise große Differenzen in der Bildungsbeteiligung, den Bildungsabschlüssen bis hin zu den sozioökonomischen Lebenslagen zwischen jungen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund sind die Folge. Insbesondere bei der Bildungsbeteiligung ausländischer Kinder tun sich bedeutende regionale Unterschiede auf. So differiert der Anteil der ausländischen Jugendlichen an Sonderschulen oder solcher, die die Hauptschule ohne Abschluss verlassen, aber auch derjenigen, die das Abitur erreichen, in den einzelnen Bundesländern deutlich (s. bspw. v. Below 2003) – angesichts der Tatsache, dass bereits heute jedes dritte in Deutschland lebende Kind unter sechs Jahren einen Migrationshintergrund hat bzw. in einem Milieu aufwächst, das durch einen anderen kulturellen Hintergrund und durch eigene Zuwanderung bzw. durch Zuwanderung der Eltern geprägt ist (Rauschenbach 2009: 63), aber auch angesichts der großen Arbeitsmarktdefizite gering Qualifizierter36 keine zu vernachlässigende Entwicklung. Eine Ursache der Bildungsbefunde „ist sicherlich die unterschiedliche Bildungspolitik der deutschen Bundesländer, die den Zugang zur Bildung für bildungsfernere Schichten eher erleichtern oder erschweren kann“ (v. Below 2003: 13). Die großen Variationen bei den Bildungsabschlüssen betreffen aber nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund. Wie die Schulvergleichsstudien der vergangenen Jahre gezeigt haben, sind all die Kinder benachteiligt, deren Elternhäuser die für einen erfolgreichen Durchlauf des Bildungssystems notwendige Lernhaltung wie auch eine angemessene Sprachbeherrschung als Grundvoraussetzung nicht gewährleisten. Damit stellt sich zwangsläufig die Frage, ob die großen Variationen bei den Leistungen im Schulsystem in Deutschland und die außerordentlich geringe Integration von Kindern mit nichtdeutschem Hintergrund nicht auch damit zu tun haben, „dass wir in unserem Bildungssystem wesentlich eine Institution von Leistungskompetenzen sehen, während alle anderen Aspekte der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen an die Familie delegiert werden“ (Bertram 2006: 19). Es ist selbstverständlich, dass in einem solchen System die Selektion besonders ausgeprägt ist. Die Trennung von Bildung und Erziehung führt so zu einer Benachteiligung all der Kinder, die aus Familien kommen, in denen die notwendigen Leistungen zur Anschlussfähigkeit nicht erbracht werden. Solange eine Gesellschaft eine sehr homogene Bevölkerungsstruktur hat oder davon ausgegangen wird, dass nur die Kinder in der Schule Erfolg haben sollen, bei denen man voraussetzen kann, dass die Eltern ihre Kinder im Sinn der Schule „richtig“ erziehen, spielt diese Trennung von Bildung, Betreuung und Erziehung keine Rolle. Problematisch wird es allerdings in einer Gesellschaft mit einer heterogenen Bevölkerung mit ganz unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Zwischen den günstiger und den ungünstiger ausgestatteten Stadtvierteln, Kommunen und Bundesländern tut sich bereits heute eine große Lücke auf. Durch unterschiedliche wirtschaftliche Rahmendaten, aber auch durch die unterschiedliche Humanvermögensbildung wird das Anwachsen der klaffenden Lücke intergenerativ 36 So haben Personen mit Fachhochschul- oder Universitätsabschluss eine Erwerbsquote von 86 Prozent und eine Arbeitslosenquote von vier Prozent. Bei Fachschulabschluss oder beruflichem Ausbildungsabschluss belaufen sich diese Quoten auf 75 Prozent und neun Prozent. Bei Personen ohne Abschluss betragen die Quoten 32 Prozent und 23 Prozent (Allmendinger 2005).
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noch verstärkt und beschleunigt – von der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ entfernen sich Deutschlands Regionen immer mehr (Block/Klemm 2005: 27). Ob diese Differenzen allein mit den Ressourcen der jeweiligen Bundesländer gelöst werden können, wird teilweise schon bezweifelt: „Manche Probleme zeigen auch die Grenzen einer wesentlich föderal strukturierten Aufgabenteilung. Denn in einzelnen Bundesländern kumulieren verschiedene Entwicklungen dermaßen, dass die Leistungsfähigkeit und Leistungskraft des jeweiligen Bundeslandes völlig überfordert ist sicherzustellen, dass die verlässliche Lebensumwelt von Kindern in diesem Bundesland den Kindern die gleichen Lebenschancen ermöglicht wie in anderen Bundesländern“ (Bertram 2006: 14). Zugleich zeigt sich mit der wachsenden Anzahl von Kindern, denen bereits in frühen Jahren verschiedenste Entwicklungsmöglichkeiten versagt werden, „dass es mit einer ‚öffentlichen Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern‘ hier zu Lande nicht gut bestellt ist“ (Meier-Gräwe 2008: 37). Diese Entwicklung stellt eine Ungerechtigkeit für diese Kinder dar (vgl. zur Bedeutung von Chancengerechtigkeit als Ziel Kap. 1.3.3) und verhindert erfolgreiche Bildungswege und Lebenschancen. Sie bedeutet zugleich eine stetig wachsende Belastung für die bundesdeutsche Gesellschaft. 1.2 Vom Nutzen guter Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsprozesse 1.2.1 Kinder als wichtiges öffentliches Gut in Deutschland – zur Bedeutung „guter“ Bildungspolitik Für den Erfolg moderner Volkswirtschaften ist mehr denn je die Ausstattung mit Humankapital entscheidend (BMFuS (Hg.) 1994: V). Der Zusammenhang von Qualifikation und technischem Fortschritt führt nämlich dazu, dass der Produktivitätsfortschritt in den hochentwickelten Industrieländern mit einer ständigen Höherqualifizierung verbunden ist (Drewello/Wurzel 2002: 9). Industrienationen wandeln sich folglich in Gesellschaften, in denen Wissen und Kreativität die am meisten umkämpften und wertvollsten Güter darstellen. In Zeiten, da die fertigungsintensive Produktion in billigere Regionen verlagert oder von vollautomatischen Maschinen übernommen wird, stellen nicht mehr natürliche Ressourcen, Maschinen oder Arbeitskräfte die entscheidenden Produktionsmittel moderner Gesellschaften dar, „sondern die Fähigkeiten, Probleme zu erkennen, Lösungen zu finden oder schon vorhandenes Wissen neu zu kombinieren“ (Berlin-Institut (Hg.) 2007a: 5). Auch die Zusammenhänge zwischen der demografischen Entwicklung und dem wirtschaftlichen Wachstum spielen in diesem Kontext eine Rolle (vgl. Rürup/Gruescu 2003: 45) mit der Folge, dass die Forderung nach einer Erhöhung und Verbesserung der Qualifizierung aufkommt, will Deutschland international weiter wettbewerbsfähig bleiben (vgl. Becker/Schütt 2007, Klös/Seyda 2007). „Schon heute machen Kreativität und Einfallsreichtum fünf von zehn Euro in der Wertschöpfungskette aus. In vielen Branchen bereits mehr (…). Wissen wird zum entscheidenden Standortfaktor für jede Gesellschaft im globalen Wettbewerb. (…) Bildung ist in diesem Kontext die volkswirtschaftlich wichtigste Investition“ (Kluge 2005: 10). Im Wettbewerb mit der globalen Konkurrenz stellt Bildung einen der wesentlichen Standortfaktoren und die wichtigste Form der Zukunftsvorsorge dar, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich. Denn von „gesellschaftlicher Bildung hängen entscheidend der Bestand demokratischer Kultur, die Tragfähigkeit des sozialen
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Zusammenhalts und der gesellschaftlichen Solidarität, die Akzeptanz der zentralen Werte und Regeln der Zivilisation unserer Gesellschaft ab“ (Bundesjugendkuratorium 2001), auch wenn dies in der öffentlichen Diskussion häufig übersehen wird. Als so genanntes meritorisches Gut37 hat Bildung eine besondere Bedeutung für die Gesamtgesellschaft wie für den Einzelnen. Aus zweierlei Gründen sind individuelle Bildungsprozesse heute bedeutsam: „Zum einen auf Grund der sich zunehmend verkürzenden Halbwertszeiten für verwertbares Wissen, andererseits auf Grund der verändernden Ansprüche an den eigenen Lebensentwurf und dessen Umsetzung. Will der Einzelne beiden Ansprüchen – dem gesellschaftlichen wie dem individuellen – gerecht werden, lässt sich dies auf der Handlungsebene nur durch Lernen einlösen“ (Maschke/Stecher 2007: 12), weshalb die Forderung des „lebenslangen Lernens“ aufgestellt wird. Bildung bietet „persönliche Orientierung in einer immer komplexer werdenden Welt, (..) ermöglicht Teilhabe und die Gestaltung des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens und (..) ist der Schlüssel zum Arbeitsmarkt und Grundlage für wirtschaftliche Entwicklung“ (Arbeitsstab Forum Bildung 2002: 15). Mit diesen drei Dimensionen – der Entwicklung der Persönlichkeit, Teilhabe an der Gesellschaft und Beschäftigungsfähigkeit – wird hier ein Bildungsbegriff vertreten (s. dazu auch Kap. 1.3.4), der neben der Perspektive der Wirtschaft auch die der Gesellschaft sowie die des Individuums erfasst. Alle drei Dimensionen lassen sich nicht voneinander trennen, spiegeln sich aber in der alleinigen Messung formaler Bildungsqualifikationen nicht wieder. Mit Blick auf die Herausforderungen der globalisierten Wirtschaft und die damit verbundenen sozialen und kulturellen Folgen wird Bildung als zentrale gesellschaftliche Ressource grundsätzlich neu bewertet. Gesellschaften, die wie die moderne Gesellschaft unter anderem durch die Trennung zwischen Produktions- und Reproduktionsbereich, zwischen öffentlicher und Privatsphäre sowie durch die Entdeckung und zunehmende Betonung der Kindheit als eigenständige Lebensphase und als Vorbereitungszeit auf das Erwachsenenleben gekennzeichnet sind (vgl. BMFSFJ (Hg.) 1999: 145), sind darauf angewiesen, dass zur Herausbildung ihres Humanvermögens neben die unabsichtliche Erziehung in der Familie die absichtsvolle Erziehung in öffentlichen Einrichtungen treten muss. „Das Konzept einer öffentlich verantworteten Bildung wird immer wichtiger, je weiter sich die Schere zwischen technologischer Perfektion und den Schwächen des Menschen als eines sozialen Wesens auftut, je komplexer und unüberschaubarer die Verhältnisse und Zusammenhänge in modernen Gesellschaften sind, die nach demokratischen Verfahren bewältigt werden müssen“ (Bildungskommission NRW 1995: XIII). Nicht nur formale Bildung, sondern auch „Alltagsbildung“, womit nach Rauschenbach alle Bildungsleistungen gemeint sind, die neben dem formalen Bildungssystemen vermittelt werden, „ist eine so vielschichtige Angelegenheit geworden, dass deren Vermittlung nicht mehr einfach auf dem zufälligen Zustandekommen auf den lebensweltlichen Pfaden und Wegen des Aufwachsens und Erwachsenwerdens beruhen kann“ (Rauschenbach 2009: 231). Die „zentrale bildungspolitische Herausforderung der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ besteht demnach in einer neuen Verhältnisbestimmung zwischen formaler Bildung und Alltagsbildung sowie einem verbesserten Neben- und Ineinander „von curricularem und erfahrungsbasiertem, von tauschwertund gebrauchswertorientiertem Lernen“ (ebd.: 89). Dies ist unter anderem deshalb notwen37
Meritorische Güter sind, vereinfachend ausgedrückt, solche, die sowohl für den Konsumenten als auch für die Gesellschaft einen Nutzen stiften. Prinzipiell als privates Gut individuell und über Märkte gehandelt, können die Marktergebnisse durch politische Entscheidungen korrigiert werden, womit aus einem privaten Gut durch politischen Beschluss ein meritorisches Gut wird (s. Bock-Famulla 2005: 226).
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dig, weil diese „Alltagsbildung“ „eine viel größere Quelle der sozialen Spaltung bzw. der Reproduktion sozialer Ungleichheit [ist], als dies bislang öffentlich und politisch wahrgenommen wird“ (ebd. 230). Hier liegt das Konzept der „Kultur des Aufwachsens“ begründet, das erstmals im Zehnten Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung skizziert wurde (BMFSFJ (Hg.) 1998). Öffentliche Einrichtungen ergänzen und erweitern danach „nicht nur die Leistungen der Eltern, sondern übernehmen einen Teil der Aufgaben, den unter modernen Lebensverhältnissen Eltern nicht mehr in angemessener Weise ausfüllen können“ (ebd.:20). Eine solche öffentliche Verantwortung bedeutet so verstanden nicht eine „Verstaatlichung von Erziehung und Bildung“ (BMFSFJ (Hg.) 2002) im Sinne einer Ablösung privater Verantwortung, sondern impliziert eine bewusste Anerkennung „einer öffentlichen Verpflichtung neben der und im Zusammenwirken mit der privaten Verantwortung für das Aufwachsen der nachwachsenden Generation“ (Rauschenbach 2002: 19). Die Existenz einer solch öffentlichen Erziehung „neben“ der Familie, die sich nicht allein aus einer familienergänzenden Funktion legitimiert, sondern als ein eigener Erziehungs- und Bildungsbereich für Kinder mit einem spezifischen Auftrag gelten kann, stellt einen Policy-Wandel mit gravierenden Folgen dar. „Damit tendiert die öffentliche Erziehung für Kinder zu einem ähnlichen Legitimationsstatus wie die Schule, die ihre Legitimation auch nicht primär aus einer vermeintlichen ‚Familienergänzung‘ zieht“ (Bundesjugendkuratorium 2008: 15). Die öffentliche Bewusstwerdung der Bildung38 des Humanvermögens impliziert zudem eine veränderte Sichtweise von Kindern und Jugendlichen. War das in Deutschland vorherrschende Bild des Kindes lange Zeit geprägt durch die romantische Überhöhung und Idealisierung der Kindheit auf der einen, ihre Sichtweise als Objekte ohne eigene Rechte auf der anderen Seite, so liegt dem fachlichen wie öffentlichen Diskurs nun die normative Kennzeichnung zugrunde, dass Kindern ein eigener Wert zukommt, die Gesellschaft darüber hinaus auch einen Nutzen von ihnen hat. Verstärkt wird ihre Bedeutung durch den demografischen Wandel, wodurch Kinder und Jugendliche in die Rolle einer gesellschaftlichen Minderheit geraten und zu einem zunehmend „knappen und kostbaren“ Gut (AGJ 2008: 1) werden. In der Sprache der Theorie der öffentlichen Güter können sie aufgrund ihres Charakters als sowohl individuelles wie auch kollektives Gut auch als „Mischgut“ qualifiziert werden (Wingen 2000: 345). In der öffentlichen Debatte, die wesentlich von der Wirtschaft mitbetrieben wird, geht allerdings häufig unter, dass Kindern und Jugendlichen gesellschaftlich nicht nur eine Funktion als zukünftigen Arbeitskräften und damit das soziale Sicherungssystem finanzierenden Menschen zukommt, sondern dass sie auch als Bürger/innen Verantwortung für die Gestaltung und den Fortbestand der Demokratie tragen (werden). Ihnen kommt also nicht nur mit Blick auf die Wissensgesellschaft eine hohe Bedeutung zu, sondern auch mit Blick auf die Bürger- oder Zivilgesellschaft (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) 2002: 9). Von ihren Kompetenzen und ihrem Engagement hängt entscheidend „der Bestand demokratischer Kultur, die Tragfähigkeit des sozialen Zusammenhalts und der gesellschaftlichen Solidarität, die Akzeptanz der zentralen Werte und Regeln der Zivilisation unserer Gesellschaft ab. Nicht allein ‚Wissen‘, sondern ‚Bildung‘ in einem umfassenden Sinn sichert den Standort Deutschland und die Zukunft unserer Gesellschaft, die ihren Mitgliedern Teilhabe 38
Diese Aufwertung zeigt sich unter anderem darin, dass sich 2002 erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik eine Regierungserklärung dem Thema „Bildung als Zukunftsressource, als Ort der Verteilung sozialer Chancen“ widmete.
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1 Zur Entwicklung und Bildung von Humanvermögen
und Selbstbestimmung zugleich sichert“ (Bundesjugendkuratorium 2001).39 Was in den USA bereits Ende der 1980er Jahre als „cultural literacy“ auch unter dem Gesichtspunkt von Demokratie diskutiert wurde, also welches Wissen sich Kinder und Jugendliche als Bürger/innen aneignen müssen bzw. was sie wissen müssten, „sollte heute auch in der deutschen Debatte eine zentrale Rolle spielen, und zwar aus der Notwendigkeit sozialer und politischer Teilhabe und Teilnahme“ (Andresen u.a. 2005: 41), und ergänzend könnte hinzugefügt werden: sowie aufgrund des damit verbundenen nachhaltigen Nutzens. 1.2.2 Externe Effekte frühkindlicher Bildungsangebote 1.2.2.1 Effekte auf die Entwicklung von Kindern „Ob ein Kind zu einem warmherzigen, offenen und vertrauensvollen Menschen mit Sinn für das Gemeinwohl heranwächst oder aber zu einem gefühlskalten, destruktiven, egoistischen Menschen, das entscheiden die, denen das Kind anvertraut ist, je nachdem, ob sie ihm zeigen, was Liebe ist, oder aber dies nicht tun (...) Auch künftige Staatsmänner und Politiker werden zu Charakteren geformt, noch bevor sie das fünfte Lebensjahr erreicht haben. Das ist erschreckend, aber es ist wahr“, sagte die bekannte Kinderbuchautorin Astrid Lindgren bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (Lindgren 1978) und verwies damit auf die weichenstellende, langfristig wirkende Bedeutsamkeit frühkindlicher Bildungsprozesse für die menschliche Entwicklung. Jean Paul betont den gleichen Aspekt, wenn er feststellt: „Jeder neue Erzieher wirkt weniger ein als der vorige, bis zuletzt, wenn man das ganze Leben als eine Erziehungsanstalt nimmt, ein Weltumsegler von allen Völkern zusammengenommen nicht so viel Bildung bekommt als von seiner Amme“ (zit.n. Adam 2002: 7). In keiner anderen Lebensphase sind Entwicklungs- und Bildungsprozesse so eng miteinander verflochten, ist die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung so intensiv wie in der frühen Kindheit (BMFSFJ (Hg.) 2005: 142). In keiner anderen Lebensphase machen Menschen so große Entwicklungsschritte: Nie wieder in seinem Leben lernt ein Mensch so schnell, so effektiv, so enorm viel und so sehr aus eigenem Antrieb heraus wie in seinen ersten Lebensjahren (Elschenbroich 2001). Die Förderung von Kindern hat also in diesem Alter „die besten Erfolgsaussichten – für das einzelne Kind ebenso wie für die nachwachsende Generation und damit für die Entwicklungspotenziale der Gesellschaft“ (BMFSFJ (Hg.) 2003: 253). Dies verweist auf die Effekte und Wirkungen frühkindlicher Bildungsangebote. Während die Forschung über die individuellen, gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Wirkungen von Kindertageseinrichtungen (als den quantitativ bedeutsamsten frühkindlichen öffentlichen Bildungseinrichtungen) in Deutschland erst relativ am Anfang steht, kann sie international bereits auf viele Studien und Befunde zurückblicken. Zwar ist aus forschungsmethodischer Sicht die Messung des Nutzens von Betreuungs- und Bildungsangeboten auf die betreuten Kinder schwierig, da kausale Zusammenhänge schwer nachzuwei39 Die insbesondere in der Pädagogik geführte Debatte, wonach die Rede von Bildung als dem „künftigen Humanvermögen“ der Gesellschaft „Züge der Instrumentalisierung der kindlichen Bildungsprozesse für die Interessen einer Gesellschaft, die ihre internationale Konkurrenzfähigkeit sicherstellen will“, trage (Liegle 2006: 9), hilft in ihrer Allgemeinheit daher nicht weiter. Allerdings weist sie zu Recht darauf hin, dass kindliche Bildungsprozesse einen Eigenwert haben, der sich nicht in der Rolle von Kindern als zukünftigen Bürger/innen und Arbeitnehmer/innen erschöpft.
1.2 Vom Nutzen guter Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsprozesse
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sen sind40. Dennoch haben verschiedene Studien41 gezeigt, dass eine unzureichende Kinderbetreuung negative Effekte auf die Kinder hat bzw. umgekehrt, dass gute Einrichtungen, die ein gewisses Mindestniveau überschreiten, positive Effekte auf Kinder ausüben, insbesondere auf benachteiligte Kinder. Unabhängig von dem Anregungsmilieu, das die Kinder zu Hause in der Familie erfahren, zeigt sich, dass Kinder bei besserer pädagogischer Qualität in den Einrichtungen eine günstigere Sprachentwicklung zeigen, sozial kompetenter im Umgang mit anderen Kindern, Erwachsenen und im Gruppengeschehen sind und besser abschneiden bei der Bewältigung verschiedener Alltagssituationen.42 Im Extremfall können Entwicklungsunterschiede von bis zu einem Jahr auf Qualitätsunterschiede in der institutionellen Betreuung zurückgeführt werden (Tietze (Hg.) 1998: 319ff). Je nach Untersuchung erweist sich dabei mal das eine, mal das andere Qualitätsmerkmal als stärkerer Faktor für Bildungseffekte. Auch für den Bereich der Tagespflege sind ähnlich positive Zusammenhänge zwischen der Qualität der Tagespflegebetreuung und der sozial-emotionalen Entwicklung der Kinder belegt (s. Jurczyk u.a. 2004: 151f). Allerdings wirken sich gute frühkindliche Angebote nicht nur kurzfristig positiv im Sinne von Entwicklungsvorteilen für Kinder aus. Die Nutzung frühkindlicher Bildungsund Betreuungsangebote hat daneben auch Einfluss auf die Nutzung späterer Bildungsangebote: Je länger Kinder den Kindergarten besuchen, desto besser ist ihr allgemeiner Entwicklungsstand und desto geringer ist das Risiko, dass bei ihnen Bedenken hinsichtlich der Einschulung bestehen oder eine Zurückstellung empfohlen wird (Becker/Biedinger/Rohling 2006: 40). Dies gilt insbesondere für Migrantenkinder, die von einem längeren Kindergartenbesuch besonders profitieren und ihre Chancen auf eine bessere schulische Platzierung deutlich erhöhen (Spieß/Büchel/Wagner 2003: 255). Auch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen, für den Durchschnitt der Kinder von 36 auf rund 50 Prozent, wenn sie zuvor eine Krippe besucht haben (Fritschi/Oesch 2008). Ein hohes Bildungsniveau aber wirkt für den Einzelnen als ein „lebenslang wirkender Schutzfaktor gegen ungesunde Lebensweise“ (Maschke/Stecher 2007: 71). Menschen mit höherer Bildung leben tendenziell länger und gesünder, sind politisch interessierter und stärker bereit, sich politisch aktiv in die Gesellschaft einzubringen und neigen weniger zu ausländerfeindlichen Einstellungen. Daneben wirkt sich ein hohes Bildungsniveau auch positiv auf die beruflichen Chancen sowie das Einkommen von Menschen aus (s. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 182ff). Die kurz-, mittel- und langfristigen Effekte besserer Qualität in Kindertageseinrichtungen auf Kinder sind in der folgenden Tabelle zusammenfassend dargestellt.
40 Zu den Schwierigkeiten der Messung von Auswirkungen von Kinderbetreuung auf die Entwicklung von Kindern s. auch Currie 2003. 41 Hervorzuheben ist in diesem Kontext insbesondere die bereits erwähnte sehr umfassende amerikanische NICHD Early Child Care Research Studie, in der die Entwicklung von mehr als 1000 Kindern vom ersten Lebensmonat an über mehrere Jahre hinweg erforscht wurde (s. NICHD 1997, 2003). 42 Zu detaillierteren Auswirkungen und Bildungsergebnissen der unterschiedlichen Betreuungsformen s. die zusammenfassenden Betrachtungen des Zwölften Kinder- und Jugendberichtes (BMFSFJ (Hg.) 2005: 305ff).
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1 Zur Entwicklung und Bildung von Humanvermögen
Tabelle 1: Übersicht über die kurz-, mittel- und langfristigen Effekte besserer KitaQualität auf das Kind Kurzfristig unmittelbarer Partizipationsnutzen: Umgang mit anderen Kindern, höhere Zufriedenheit, besseres Sozialverhalten, höheres Selbstwertgefühl etc. höhere IQ-Werte bessere Gesundheit und Ernährung verbesserte Eltern-Kind-, insbesondere auch Mutter-Kind-Beziehung etc. Mittelfristig evtl. frühere Einschulung weniger Klassenwiederholungen geringerer Verweis auf Sonderschulen geringeres Schulabbruchrisiko höhere Abschlusswahrscheinlichkeit kürzere Verweildauer im Bildungssystem höhere Übergangswahrscheinlichkeit auf weiterführende Bildungseinrichtungen (Optionsertrag) besseres soziales Verhalten Langfristig frühere Einkommenserzielung höheres Erwerbseinkommen (netto) geringeres Arbeitslosigkeits- und Sozialleistungsrisiko eine höhere Arbeitsproduktivität geringere Kriminalitätsraten (Quelle: Dohmen 2005: 52)
Individuen können damit auf der einen Seite ihr Leben auf einer soliden Grundbildung aufbauen und von den vielfältigen Chancen zur Kumulation weiterer Bildung profitieren. Umgekehrt tragen sie aber auch lebenslang die Folgen von Bildungsdefiziten und Bildungsarmut. Denn durch die Langfristigkeit seiner Wirkungen ist der Einzelne wie die Gesellschaft von den Ergebnissen der Bildungsanstrengungen vergangener Zeiten geprägt (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 203). Das Bildungsniveau wirkt sich nachhaltig nicht nur darauf aus, wie Eltern Partnerschaft in der Familie leben, sondern „auch darauf, wie Familien ihre Leistungen der Daseinssicherung und -vorsorge erbringen“ (Wingen 1997: 131). Damit wirken die Effekte generationenübergreifend nach, zumal in sämtlichen Untersuchungen deutlich wird, dass die Effekte, die von der Qualität der Familie auf den Entwicklungsstand von Kindern ausgehen, deutlich größer sind als die aller Institutionen (Tietze 2002: 511), was die besondere Bedeutung des Bildungsorts Familie für die Humanvermögensbildung erneut betont. 1.2.2.2 Effekte auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern Über die unmittelbaren Effekte frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsangebote für die betreuten Kinder hinaus ist feststellbar, dass die institutionelle Betreuung eines Kindes „ausgeprägte Rückwirkungen auf die Lebenssituation der Mutter“ (Tietze (Hg.) 1998: 163) und insbesondere ihre Erwerbsbeteiligung hat. Insbesondere der amerikanische Forschungsraum weist eine ganze Reihe von Studien auf, die diesen Zusammenhang untersu-
1.2 Vom Nutzen guter Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsprozesse
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chen (Spieß 1998: 14)43. Festgestellt wurden dabei „vielfältige Hinweise darauf, dass über ein umfassendes Angebot an Plätzen in Kindertageseinrichtungen die Erwerbsbeteiligung von Müttern intensiviert wird“ und ein mangelhaftes Betreuungsangebot die Wünsche der Frauen nach Aufnahme einer Erwerbsarbeit stark beeinflusst (Büchel/Spieß 2002: 1). Im Gegenzug begünstigt die verstärkte Förderung von Kindertageseinrichtungen, insbesondere das Angebot von Ganztagsplätzen, die Erwerbstätigkeit von Müttern signifikant (Büchel/Spieß 2002a: 95ff). Dieser Zusammenhang weist auf die Unvereinbarkeit von Kinderbetreuung und Erwerbsbeteiligung hin, wie sie für industrialisierte Nationen typisch war und bis heute teilweise ist (Brewster/Rindfuss 2000: 271). Recht eindeutig lässt sich dies auch für Deutschland nachweisen. So konnte gezeigt werden, „dass die Wochenarbeitszeit von Müttern mit Kindern im Kindergartenalter von der regionalen Versorgungsquote und dem Anteil von Ganztagsplätzen abhängt“ (Gerlach 2004: 281). Daneben ist sie auch vom Alter des Kindes beeinflusst (Spieß 1998: 254) sowie vom Bildungsniveau und dem sozioökonomischen Hintergrund der Eltern (Büchel/Spieß 2002: 1). In der Folge hat sich in Deutschland eine zunehmende bildungsspezifische Polarisierung der Erwerbsmuster berufstätiger Mütter herausgebildet: So ist der Anteil der Vollzeit erwerbstätigen Mütter unter den Akademikerinnen heute doppelt so hoch wie der unter den Frauen ohne beruflichen Ausbildungsabschluss (Kreyenfeld u.a. 2007: 4). Wenn aber überwiegend Mütter, die über ein geringes Bildungsniveau verfügen, das Angebot nutzen, „sich über einen längeren Zeitraum aus dem Erwerbsleben zurückzuziehen, werden die bereits heute erkennbaren Tendenzen der Polarisierung der Erwerbsmuster zwischen den höher und den geringer qualifizierten Frauen mit Kindern in Zukunft weiter zunehmen“ (Kreyenfeld u.a. 2007: 4). Dies wird gestützt durch amerikanische Untersuchungsergebnisse, wonach Eltern, die die Entwicklungserfordernisse ihres Kindes in den Mittelpunkt stellen, deutlich häufiger frühkindliche Einrichtungen frequentieren als solche, die Gesichtspunkte wie Ortsnähe oder die Kosten einer Betreuung in den Vordergrund ihrer Suche stellen und sich eher für private Lösungen der Kinderbetreuung entscheiden (Johansen/Leibowitz/Waite 1996: 759ff)44. Gesamtgesellschaftlich wirken sich aber nicht nur das Bildungsniveau der Mütter sowie das Kinderbetreuungsangebot auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern aus. Darüber hinaus steht die Erwerbsbeteiligung von Müttern in einem gewissen Zusammenhang mit der Geburtenrate eines Landes. Während noch vor zwei Jahrzehnten ein negativer Zusammenhang zwischen der Geburtenrate eines Landes und der Rate weiblicher Erwerbstätiger nachweisbar war, hat sich dies mittlerweile geändert: So weisen tendenziell die Länder höhere Geburtenraten auf, die die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf aufgebrochen haben (Brewster/Rindfuss 2000: 278f), was insbesondere in den Effekten des Steuersystems und der Kinderbetreuungsmöglichkeiten begründet liegt, wie Apps/Rees zeigen konnten: “The results suggest that countries with individual rather than joint taxation, and which support families through improved availability of alternatives to domestic child care, rather than through direct child payments, are likely to have both higher female labor supply and higher fertility. These results are strengthened when we take account of the heterogenity among households that undoubtedly exists” (Apps/Rees 2001: 1). Die indirekten Zusam-
43 S. zu dem Thema Frauenerwerbstätigkeit und Kinderbetreuung beispielsweise auch Riley/Glass 2002, Merkle 1994, Stier/Lewin-Epstein/Braun 2001. 44 S. zu den verschiedenartigen Forderungen nach Kinderbetreuung von unterschiedlich gut ausgebildeten Müttern auch Blau/Hagy 1998.
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1 Zur Entwicklung und Bildung von Humanvermögen
menhänge zwischen Geburtenraten und der Frauenbeschäftigungsquote werden auch in der nachfolgenden Abbildung deutlich: Abbildung 1:
Zusammenhang zwischen Frauenbeschäftigungsquote und Geburtenziffer
(Quelle: Rürup/Gruescu 2003: 11)
Zusammenhänge zwischen Kinderbetreuungsquote, Frauenbeschäftigungsquote und Geburtenziffer sind somit nicht kausal herzustellen (s. hierzu auch Hank/Kreyenfeld 2002 und 2003 sowie Birg u.a. 2007), sehr wohl sind allerdings im internationalen Vergleich gewisse indirekte Zusammenhänge unübersehbar. Während für die Entwicklung von Kindern also vor allem die qualitativen Faktoren von frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten bedeutsam sind, wirken auf die Müttererwerbstätigkeit besonders ihre quantitativen Faktoren, was auf die doppelte Zielstellung und Nutzenbetrachtung des frühkindlichen Bildungssystems hinweist. 1.2.2.3 Volkswirtschaftliche Effekte von Kindertagesbetreuung Wie ersichtlich, ist mit institutionalisierten frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten, wenn sie eine gewisse Qualität erreichen, ein gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Nutzen verbunden. Dies betrifft auf der Mikroebene den Nutzen für die betreuten Kinder, auf der Mesoebene den Nutzen für die Eltern der betreuten Kinder, insbesondere die Mütter, sowie auf der Makroebene den gesellschaftlich und volkswirtschaftlich wirken-
1.2 Vom Nutzen guter Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsprozesse
61
den Nutzen45. Bei der Beurteilung dieses Nutzens ist es erforderlich, eine „restriktive“ und eine „erweiterte“ Fassung zu unterscheiden (s. Sell 2007: 97). Denn der Nutzen im engeren Sinne bezieht sich ausschließlich auf die Betreuungsdimension und die damit verbundenen positiven Effekte wie z.B. eine höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen oder aber eine kürzere Unterbrechung der Erwerbstätigkeit. Bei der „erweiterten“ Fassung geht es dagegen um eine Berücksichtigung der Vielzahl an weiteren positiven externen Effekten, die sich aus den Bildungserträgen ableiten lassen (s. dazu auch Spieß 1998). In diesem Kontext sind die höheren Wachstumsraten in der Volkswirtschaft durch eine höhere Erwerbsquote und die bessere Ausnutzung der ansonsten brachliegenden beruflichen Qualifikationen der Mütter ebenso zu nennen wie die höhere Kaufkraft der Familien, ergänzt durch erhebliche interne Erträge der durch Kinderbetreuung ermöglichten Verkürzung der Erwerbsunterbrechung für die betroffenen Mütter (Sell 2004: 65)46. Eine höhere Müttererwerbstätigkeitsquote wirkt sich zugleich über erhöhte Steuereinnahmen sowie durch die deutliche Verringerung der transferleistungsbedingten Haushaltsbelastung des Staates bzw. der Sozialversicherungen positiv auf die öffentlichen Finanzen aus. Daneben ist sie auch deshalb gesellschaftlich so bedeutsam, weil die Integration gut qualifizerter junger Frauen und Mütter in das Erwerbsleben heute eine wesentliche Basis für den ökonomischen Erfolg einer Gesellschaft im internationalen Wettbewerb darstellt (s. Bertram 2006: 2). Nicht zuletzt entsteht ein positiver Effekt durch die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Betreuungseinrichtungen und die Ausdehnung der marktlichen Wertschöpfung durch Transformation bislang (unbezahlter) Familienarbeit in marktrelevante Transaktionen (Sell 2007: 95f). Neben diesen positiven direkten wie indirekten externen Effekten zeigen die Forschungsergebnisse, dass sich durch qualitativ hochwertige institutionalisierte Bildungs- und Betreuungsangebote auch langfristig wirkende Kosten von Bildungsversäumnissen einsparen lassen, auch wenn die empirische Abschätzung von Langzeitfolgen noch schwierig und „geeignete Simulationsmodelle (..) erst in der Entwicklung begriffen“ sind (Holodynski 2007: 45). Dies ist deshalb so bedeutsam, da es sich hierbei um in der Regel sehr teure „End-of-the-pipe“-Technologien handelt wie z.B. die stationäre Unterbringung von Kindern und Jugendlichen oder steigende Kriminalitätskosten durch Kinder und Jugendliche (Sell 2004: 67). Zusammenfassend können die externen Effekte eines bedarfsgerecht ausgebauten, qualitativ hochwertigen öffentlichen Kinderbildungs- und Betreuungssystem bezogen auf den zeitlichen Wirkungseintritt wie folgt dargestellt werden: Tabelle 2: Gesamtschau der Effekte des bedarfsgerechten Ausbaus Tageseinrichtungen bezogen auf den zeitlichen Wirkungseintritt Gesellschaftliche Effekte
Volkswirtschaftliche Effekte
von
Einsparungen
Einnahmen Kurzfristige Effekte Anstieg Mütter-Erwerbstätigkeit
Steigendes Einkommenssteueraufkommen
Abnehmende SozialhilfeAusgaben
45 S. zu Kosten und Nutzen von Kindertageseinrichtungen für unterschiedliche Akteursgruppen auch Müller Kucera/Bauer 2001. 46 S. dazu die Ergebnisse von Beblo/Wolf (2002) hinsichtlich der Lohneffekte von Erwerbsunterbrechungen bei Müttern.
62 Belebung des Arbeitsmarktes durch Schaffung neuer Arbeitsplätze in Kitas Höhere Kaufkraft der Familien und Fachkräfte in Kitas Vorerst Fortsetzung Geburtenrückgang ĺ Abnahme Platz-Bedarf (Ausbau kann mit der Zeit Geburtenanstieg bewirken)
1 Zur Entwicklung und Bildung von Humanvermögen Steigendes Beitragsaufkommen der Sozialversicherung
Abnehmende Ausgaben der Arbeitslosenversicherung
Steigende Einnahmen der Wirtschaft
Steigendes Mehrwertsteueraufkommen Abnehmender JugendhilfeBudgetbedarf für bedarfsgerechten Ausbau Kita-Plätze
Mittelfristige Effekte Verbesserung des schulischen Outputs der Kinder/Rückgang der Zurückstellungen, Schuljahrgangswiederholungen, Förderschulzuweisungen
Abnehmende Ausgaben im Schulbereich
Längerfristige Effekte Bessere Erwerbseinkommen der nachwachsenden Generation
Höhere Kaufkraft der nachwachsenden Generation Geringere Wahrscheinlichkeit von Sozialhilfebezug und Straffälligkeit
Steigendes Einkommenssteueraufkommen Steigendes Beitragsaufkommen der Sozialversicherung Steigende Einnahmen der Wirtschaft/steigendes Mehrwertsteueraufkommen Abnehmende SozialhilfeAusgaben und Justiz-Ausgaben
(Quelle: BMFSFJ (Hg.) 2003: 256)
Angesichts verschärfter Konflikte um die Verteilung staatlicher Mittel sind diese Effekte zur Legitimation der den Bildungs- und Betreuungsangeboten zugewiesenen Ressourcen bedeutsam: Sie legitimieren die öffentliche (Mit-)Finanzierung. Denn in Anbetracht der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung können die Ausgaben für Kindertagesbetreuung als Investitionen verstanden werden (Bock-Famulla 2002: 5), womit die Betrachtung der Erträge und Renditen in den Blickpunkt rückt. Sie sind dann gegeben, wenn der Nutzen die entstehenden gesellschaftlichen Kosten übersteigt, werden häufig aber auf monetäre Erträge begrenzt. In den letzten Jahren haben allerdings verschiedene Studien auch die qualitativen, nicht monetären Erträge sowie die indirekten monetären Folgen zu quantifizieren versucht. Hier sind zuerst verschiedene US-amerikanische Evaluationsstudien zu Interventionsmaßnahmen im Vorschulbereich für bestimmte Risikogruppen zu erwähnen47. Die Überführung der dabei ermittelten Effekte in eine Kosten-Nutzen-Rechnung „zeigt im Ergebnis stets einen substanziellen gesellschaftlichen Nettoertrag der Interventionsmaßnahmen in der Größenordnung des Zwei- bis Siebenfachen je eingesetztem US-Dollar“ (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 192f). Diese Ergebnisse werden gestützt durch europäische Untersuchungen, die sich auf einen Ertrag von bis zu vier Euro für einen investierten Euro belaufen (s. Bock-Famulla 2002, Müller Kucera/Bauer 2001). In einer für die Bertelsmann Stiftung durchgeführten Studie zu den Folgekosten unzureichender Bildung folgerten Wößmann/Piopiunik (2009) zudem, dass durch eine Bildungsreform Erträge in Höhe von 47
S. dazu auch Spieß 1998.
1.2 Vom Nutzen guter Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsprozesse
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2.808 Milliarden Euro bis ins Jahr 2090 möglich wären. Eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft, welche 2007 die Renditen für Investitionen in einen Ausbau und eine zusätzliche Nutzung von Kindergartenplätzen berechnete, kam auf Renditen zwischen drei und acht Prozent für den Staat und zwischen elf und 13 Prozent für die Volkswirtschaft, je nach qualitativer Weiterentwicklung des Systems (Anger u.a. 2007). Nicht nur makroökonomisch (mit Blick auf internationale Vergleiche zwischen dem Bildungsniveau der Erwerbsbevölkerung und der Rate des wirtschaftlichen Wachstums), sondern auch mikroökonomisch (durch Berechnungen der Rendite von Bildungsinvestitionen) betrachtet, lassen sich Bildungsinvestitionen somit begründen (Prognos AG 2006: 65). Angesichts dieser positiven Kosten-Nutzen-Relationen in einem für andere Investitionen „traumhaften“ Ausmaß erscheint die tatsächliche Ausgestaltung der Kinderbetreuungs- und -bildungsinfrastruktur in Deutschland als eine Art „unterlassene Hilfeleistung“ – nicht nur individuell gesehen, sondern auch volkswirtschaftlich (Sell 2004: 71). Die noch vor einigen Jahren in Deutschland existente öffentliche Diskussion, in der Kindertageseinrichtungen vor allem als Kostenverursacher genannt wurden, die (seit Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz) die öffentlichen Kassen in steigendem Umfang belasten (s. BMFSFJ (Hg.) 2003: 252), wird vor dem Hintergrund der neueren Forschungsergebnisse in ihrer Kurzsichtigkeit enttarnt. Einsparungen im Bildungsbereich können „zwar dazu beitragen, kurzfristig die öffentlichen Haushalte zu entlasten. Mittel- und langfristig aber würden sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schwächen und den Haushalten die Einnahmenbasis entziehen“ (Prognos AG 2006: 63). Insgesamt stützen die Ergebnisse der neueren Wachstumsforschung damit die These, „dass Maßnahmen zur Verbesserung der Quantität und Qualität des Humankapitals ein zentraler Bestandteil einer jeden auf Wachstumsförderung gerichteten Politikstrategie sein sollten“ (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 193), eine Forderung, die auch in die Lissabon-Strategie der EU Eingang gefunden hat. 1.3 Zur Zielbestimmung eines neuen Systems öffentlicher Verantwortung für Bildung, Betreuung und Erziehung 1.3.1 Aufgaben und Funktion der Bildungsorte – veränderte Zielbestimmung und Nachfrage Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen finden an vielen Orten statt, in der Familie, der Schule, in Einrichtungen und Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe, in der Gleichaltrigen-Gruppe, im Gebrauch und in der Nutzung von Medien, aber auch beim Besuch kommerzieller Freizeitangebote, in Vereinen, Nachhilfeinstituten, bei Auslandsreisen oder beim Jobben (vgl. BMFSFJ (Hg.) 2005: 24)48. In dieser Arbeit sollen besonders diejenigen Bildungsorte betrachtet werden, bei denen man von Bildungsorten im engeren Sinn sprechen kann, also Einrichtungen oder Akteuren mit einem expliziten oder zumindest impliziten Bildungsauftrag, die zudem von einer großen Anzahl von Kindern und Jugendlichen durchlaufen werden49. Dabei wird, der Zielsetzung der Arbeit entsprechend, ein be48
S. zu den besonderen Bildungserfahrungen in non-formalen und informellen Bildungssettings auch Rauschenbach u.a. 2004. 49 Aus dem Grund werden Bildungsorte wie beispielsweise die offene Jugendarbeit nur am Rande thematisiert.
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1 Zur Entwicklung und Bildung von Humanvermögen
sonderes Augenmerk auf die Bildungsorte des frühen Lebensalters gelegt. Wie stark die Organisation des Bildungswesens durch die Traditionen der langjährigen Arrangements von Bildung, Betreuung und Erziehung geprägt sind, wurde bereits erläutert. Wenn heute aufgrund von demografischer wie wirtschaflicher Entwicklung, der Finanzsituation der öffentlichen Haushalte, Internationalisierungs- und Globalisierungstrends, aufgrund des Strukturwandels zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft und veränderten Familienund anderen Lebensformen die Aufgabe und Funktion von Bildungsorten neu zu überdenken ist (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 5), so geschieht dies vor dem Hintergrund ihrer Auswirkungen auf die Entwicklungschancen und -notwendigkeiten von Kindern und Jugendlichen, aber auch vor dem Hintergrund der Bedürfnisse und Interessen der verschiedenen beteiligten Akteure, die im Folgenden genauer betrachtet werden sollen. Bildungsziele fallen eben nicht vom Himmel und haben nicht den Status unbefragbarer Gewissheiten, sondern sie verdanken sich historischen Kontexten und nationalen Traditionen ebenso wie der Wirkmächtigkeit und Durchsetzungsfähigkeit von Interessen im politischen Prozess (vgl. BMBF (Hg.) 2003: 58). So stand beispielsweise der Ausbau von Tageseinrichtungen für Kinder in den vergangenen Jahren ganz überwiegend im Zeichen frauen-, familien- und arbeitsmarktpolitischer Belange. Fast ausschließlich wurde er mit der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf begründet, selten mit der Förderung der Kindesentwicklung – und wenn, dann war die Förderung der Kindesentwicklung ein Punkt unter vielen, wie bei der Begründung des Ausbaus der Tagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren. Nicht die Bildungsbedürfnisse und -ansprüche der Kinder standen offensichtlich im Vordergrund, sondern die Bedürfnisse und Interessen der Erwachsenen(-Gesellschaft) (vgl. Wiesner 2005: 120; Liegle 2006: 102). Dieser Tatbestand zeigt eine Problematik auf, die die Zielbestimmung des Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystems erschwert: Die Sichtweisen und Interessen der verschiedenen Betroffenen sind nicht immer deckungsgleich, ja sie differieren zum Teil erheblich. Darüber hinaus werden nicht alle Interessen gleich gut in das Verhandlungssystem eingespeist, insbesondere die der Kinder kommen häufig zu kurz: Die Debatte um den Ausbau der Kindertagesbetreuung mit ihrer Schwerpunktsetzung bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und nicht in erster Linie der Frage der kindlichen Entwicklung und der Förderung der kindlichen Persönlichkeit ist ein prominentes Beispiel für diese Zurückstellung kindlicher Interessen (Bertram 2006: 5). Sie wird gestützt durch ein fragmentarisiertes System, in dem die unterschiedlichen Bedürfnisse von Kindern, deren Befriedigung für ihre intellektuelle, soziale und gesundheitliche Entwicklung notwendig ist, von unterschiedlichen Institutionen und Professionen bearbeitet werden, welche zudem rigoros voneinander getrennten Institutionen angehören. Bisher hat es, wie eine Studie im Auftrag von UNICEF rügt, in Deutschland „keine Einrichtung geschafft, Forschungsgruppen zu etablieren, um großflächig unter einer längsschnittlichen Perspektive die Bedingungen kindlicher Entwicklung in unterschiedlichen sozialen Kontexten zu untersuchen“ (ebd.). Und ergänzend: „Diese Zersplitterung der Alltagspraxis und der politischen Zuständigkeiten mit der bisherigen Unfähigkeit der Forschung, hier integrative Ansätze vorzulegen, hängen auch damit zusammen, dass in Deutschland die Frage der Gestaltung der Lebensumwelt von Kindern außerhalb der Familie, insbesondere im jüngeren Alter, praktisch nie ein zentrales Thema von Politik, Stadtplanung, Jugendhilfe und Forschung war“ (ebd.).
1.3 Zur Zielbestimmung eines neuen Systems öffentlicher Verantwortung
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Aus Sicht der Kinder, die erst in jüngster Zeit zunehmende Beachtung findet, ist bei der Neukonzipierung eines Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystems vor allem entscheidend, dass ihre sieben Grundbedürfnisse erfüllt sind: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Das Bedürfnis nach beständigen liebevollen Beziehungen, das Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit und Sicherheit, das Bedürfnis nach individuellen Erfahrungen, das Bedürfnis nach entwicklungsgerechten Erfahrungen, das Bedürfnis des Kindes nach Grenzen und Strukturen, das Bedürfnis nach stabilen kulturellen Umfeldbedingungen und das Bedürfnis nach einer sicheren Zukunft für die Menschheit (s. Resch/Lehmkuhl 2008: 7ff).
Gilt dies im Allgemeinen, so ist im Konkreten festzustellen, dass nach exemplarisch zitierbaren qualitativen Daten für befragte fünfjährige Kinder die „Anwesenheit anderer Kinder“ am wichtigsten ist, wenn es um eine für sie zufriedenstellende institutionelle Bildungs- und Betreuungsstruktur geht. Die Erzieherinnen werden danach beurteilt, wie häufig sie „Spaßaktivitäten“ organisieren oder auch Unterstützung und Zuneigung bieten. Geschätzt wird außerdem ein breites und vielfältiges Angebot an Spielzeug, Einschränkungen in der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit werden nicht geschätzt (BMFSFJ (Hg.) 2003: 84). Neben dem Zusammensein mit anderen Kindern wird von Kindern damit ein anregungsreiches und wertschätzendes Lernumfeld eingefordert, das ihnen zudem ihre Beteiligungsrechte sicherstellt. Bei den Jugendlichen kommt der Wunsch nach einem möglichst hohen Schulabschluss hinzu. Während dies von den älteren Jugendlichen bereits in den 1990er Jahren geäußert wurde, „zeigen die aktuellen Daten, dass ein guter Schulabschluss vor allem für die Jüngeren – die 13- bis 15-Jährigen – zunehmend wichtig geworden ist“ (Maschke/Stecher 2007: 57). Die Eltern legen wiederum besonderen Wert darauf, dass sie in einem institutionellen Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystem mit ihren Zielsetzungen, Bedürfnissen und Wünschen respektiert und beachtet werden. Ihre Wünsche betreffen dabei ganz allgemein den Anspruch, in der Erziehung des Kindes unterstützt zu werden (z.B. durch zuverlässige und responsive Erzieher), aber auch die Forderung, durch die Fremdbetreuung entlastet zu werden (Öffnungszeiten, Flexibilität der Bring- und Abholzeiten). Auffällig ist, dass die Betreuungswünsche von Eltern unter dreijähriger Kinder stark davon abhängen, welche Angebote und Erfahrungen vor Ort vorhanden sind: „Je mehr Angebote für Kinder unter drei Jahren vor Ort vorhanden sind, je mehr Erfahrungen mit ihnen kollektiv gesammelt wurden, je ‚normaler‘ es ist, sie zu nutzen, desto häufiger wünschen sich Eltern einen KitaPlatz oder einen Platz bei einer Tagesmutter. Fehlen umgekehrt entsprechende Angebote und Erfahrungen, sind auch die Wünsche danach geringer“ (Riedel 2007: 11). Insbesondere hinsichtlich des öffentlichen Bildungssystems überwiegt bei Eltern die Skepsis, wie eine jüngst erschienene Studie zeigte. Kritisiert werden jedenfalls besonders „die schlechte Ausstattung, zu große Schulklassen, überforderte und/oder wenig engagierte Lehrer, schlecht strukturierter Unterricht, wenig individuelle Förderung des Kindes, mangelhafte verlässliche Schulzeiten, fehlende Übungskultur“ (Henry-Huthmacher 2008: 22). Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, wenn vor allem an die Ganztagsschulen Erwartungen gerichtet werden, insbesondere die einer besseren pädagogischen Förderung
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zum Beispiel durch interessante zusätzliche Kurse bzw. eine Hausaufgabenbetreuung sowie eine bessere Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbstätigkeit. Die enorm gestiegene Heterogenität der Elternschaft, etwa im Hinblick auf ethnische und religiöse Zugehörigkeiten und entsprechend divergierende Überzeugungen, Erwartungen und Normen bildet bei allem eine besondere Herausforderung und vervielfältigt die Bedürfnisse zusätzlich. Daneben sind im System der Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungseinrichtungen die Perspektiven der Beschäftigten zu berücksichtigen, die vor allem an guten Arbeitsbedingungen in den Einrichtungen interessiert sind (Bezahlung, Betreuerschlüssel bzw. Klassengröße, Ausstattung, Teamklima, berufliche Entwicklungsmöglichkeiten, Partizipationsmöglichkeiten etc.). Die Expert/innen wiederum sind interessiert an objektivierbaren, quantifizierbaren und damit überprüfbaren Merkmalen, die solche Aspekte der Bildung, Betreuung und Erziehung fokussieren, denen eine die kindliche Entwicklung fördernde Wirkung zugesprochen wird (z.B. Betreuerschlüssel, Gruppengröße, pädagogischer Ansatz, Merkmale der Betreuer-Kind-Interaktion) (BMFSFJ (Hg.) 2003: 84). Die Bedürfnisse und normativen Überzeugungen einer Gesellschaft spiegeln sich ebenfalls in den Anforderungen an die Zielbestimmung und Qualität des institutionellen Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystems. Dies wird im Ländervergleich deutlich. So werden in skandinavischen Ländern beispielsweise die sozioemotionalen Enwicklungsaspekte bei der Erziehung von Kindern besonders betont, während in Frankreich die kognitive Entwicklung der Kinder Priorität erhält (BMFSFJ (Hg.) 2003: 84f). Aus volkswirtschaftlicher Betrachtungsweise wiederum kommt einem Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystem die Bedeutung zu, zum einen der Erreichung allokativer Ziele zu dienen, durch die Internalisierung positiver Sozialisations- und Bildungseffekte und die Verbesserung der Humankapitalallokation, zum zweiten der Erreichung distributiver Ziele, durch die Verbesserung von Startchancengleichheit für Kinder und von Chancengleichheit für Frauen auf dem Arbeitsmarkt (Kreyenfeld/Spieß/Wagner 2001). Eine Neuaustarierung des Verhältnisses von privater und öffentlicher Erziehung setzt ein Konzept eines integrierten Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystems voraus, das auch mit den Widersprüchen umgehen können muss, die bei der Umsetzung dieser ganz unterschiedlichen Zielsetzungen und Interessen entstehen (vgl. Lamb/Sternberg 1998: 24). Immer geht es zudem um die Frage nach dem Spannungsverhältnis zwischen kurzfristigen und langfristigen (ökonomischen und pädagogischen) Zielen, um die Frage, welches Ziel die Gesellschaft mit einem öffentlichen Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsangebot in erster Linie verbindet, welchen Nutzen sie sich davon verspricht und was sie sich dies kosten lassen will (vgl. Bock/Timmermann 2000: 19). Dies, so eine der Thesen dieser Arbeit, ist gesamtgesellschaftlich nach wie vor nicht hinreichend geklärt. 1.3.2 Bildungsförderung durch Qualitätssicherung als Ziel des Bildungs- und Betreuungssystems „Bildung ist eine langfristige Angelegenheit: Selbst wenn wir sie heute sozusagen auf Knopfdruck in einer Sekunde verändern könnten, würde es 20 Jahre dauern, bis eine neue Generation das reformierte Bildungssystem durchlaufen hat und ins Berufsleben eintritt“ (Becker/Schütt 2007). Die Langfristigkeit von Bildungsprozessen zeigt sich auch darin, wie nachhaltig wirksam ihre Folgen sind. Denn die Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung,
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der gesellschaftlichen Teilhabe und der Gestaltung der Gesellschaft sowie der beruflichen Integration und des beruflichen Fortkommens sind entscheidend durch die Qualität von Bildungsprozessen beeinflusst. Bildungsförderung durch Qualitätssicherung stellt daher eines der wesentlichen Ziele des Bildungs- und Betreuungssystems dar; die Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsprozesse gehört zu den Kernaufgaben einer Familien- wie Bildungs- und Jugendhilfepolitik (Arbeitsstab Forum Bildung 2002: 80). Auch angesichts der Tatsache, dass nicht unerhebliche Ressourcenmittel von Staat und Gesellschaft in die Humanvermögensbildung fließen, stellt unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten50 die Effizienz des Mitteleinsatzes ein bedeutendes Ziel des Bildungs- und Betreuungssystems dar. Die steuerungspolitisch zentrale Frage, wann diese Mittel gut investiert sind bzw. wie die Umsetzung einer guten Qualität gesichert ist, bedingt eine normative Schwerpunktsetzung. Eine erste Voraussetzung ist daher ein Konsens darüber, was unter guter Qualität zu verstehen ist. Nun wird nicht zuletzt insbesondere von Pädagogen eingewandt, dass ein solcher Konsens nicht herbeizuführen sei51, da unter pädagogischer Qualität ein mehrdimensionales, facettenreiches und wertebehaftetes Gebilde zu verstehen ist. Qualität ist „ein schillernder Begriff“ (Tietze (Hg.) 1998: 19) und – darüber besteht in der neueren Literatur Einigkeit – immer relational (s. beispielsweise Harvey/Green 2000: 36f). Sie „ergibt sich aus der Übereinstimmung zwischen Erwartungen hinsichtlich der Leistungen und der tatsächlich erbrachten Dienstleistung“ (Oelerich 2005: 54) und ist immer auch eingebettet in die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen der Zeit52. Eine wie auch immer geartete Definition von pädagogischer Qualität von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen beinhaltet ganz bestimmte Sichtweisen und Interessen, wobei von den verschiedenen Betroffenen (Eltern, Kinder, Beschäftigte, Arbeitgeber, Gesellschaft etc.) jeweils ganz andere Aspekte der Qualität in den Vordergrund der Betrachtung gestellt werden53 (Spieß/Tietze 2001: 12; 50
Bereits Aristoteles sah in der Gerechtigkeit eine wesentliche Tugend von politischen Gemeinwesen. Familienpolitische Maßnahmen sind hier unter verschiedenen Gerechtigkeitsgesichtspunkten zu betrachten: Verteilungsgerechtigkeit als Bedarfsgerechtigkeit (Sicherstellung von menschenwürdigen Mindestbedarfen unabhängig vom Markt), Verteilungsgerechtigkeit als Leistungsgerechtigkeit (Verteilung von Ressourcen über den Markt oder andere Begründungssysteme nach Leistung), Partizipationsgerechtigkeit als Startchancengerechtigkeit (Ausgleich von unterschiedlichen Startchancen der Kinder), Partizipationsgerechtigkeit als Prozesschancengerechtigkeit (Ausgleich von unterschiedlichen Teilhabechancen von Eltern und Kinderlosen) sowie intergenerationelle Gerechtigkeit (vgl. Wissenschaftlicher Beirat 2002a: 72ff). 51 Die „Unklarheit, was Qualität eigentlich konkret bedeutet und wie Konzeptbegriffe (…) in bewertbare Qualitätsmaßstäbe übersetzt werden können“ (Merchel 1998: 35), verlagert in der Praxis die Verantwortung für pädagogisch hochwertiges Arbeiten alleine auf die Fachkräfte. Dies liegt sicher auch darin begründet, dass der Begriff „Qualität“ von vielen pädagogisch Tätigen sehr lange überwiegend als „persönliche Qualität“ interpretiert und umgesetzt wurde: „Die erzieherische Aufgabe wurde weniger als eine allgemeine und professionelle, sondern als eine individuelle und persönliche Leistung verstanden“ (Bock/Timmermann 2000: 432), was die dringliche Notwendigkeit einer nachhaltigen Vermittlung von überindividueller, d.h. professioneller Handlungskompetenz deutlich macht (Erath/Amberger 2000: 20f). Der schwierige öffentliche Stand der Jugendhilfe dürfte auch in dieser Entpolitisierung der Entwicklung von Qualitätssicherungskriterien einen Ursprung haben. 52 Während man sich beispielsweise noch „vor zehn Jahren unweigerlich dem Vorwurf technokratischen und positivistischen Denkens aussetzte, wenn man die Meinung vertrat, dass die Qualität von Kindertageseinrichtungen oder anderer pädagogischer Dienstleistungen anhand begründeter Merkmale beurteilbar sei, ist heute ein deutlicher Einstellungswandel zu bemerken“ (Viernickel 2008: 31). Zahlreiche empirische Arbeiten zur Beschreibung von Qualität und Entwicklung von Qualitätskriterien haben dazu beigetragen, zu den wichtigen nordamerikanischen und europäischen Einflüssen hierauf s. Tietze/Viernickel (Hg.) 2003: 18f. 53 Zu einem Überblick über verschiedene Perspektiven bei der Feststellung und Definition von „Bildungs- und Erziehungsqualität“ s. beispielsweise Fthenakis 2003b: 212ff.
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s. dazu auch Kap. 1.3.1). Dies ist natürlich richtig. Aus dieser Interessenvielfalt erfolgt jedoch keinesfalls, dass eine Verständigung über Inhalte, Ziele und Wertigkeiten pädagogischer Qualität nicht möglich ist (s. dazu Tietze (Hg.) 1998: 363). Einem Qualitätssicherungsprozess muss hier ein umfassender Qualitätsentwicklungsprozess vorausgehen. Natürlich ist eine allgemein akzeptierte Antwort auf die Frage, was gute Qualität ausmacht, schwierig. Jeder Versuch, Qualitätsfragen zu bearbeiten, provoziert notwendigerweise kritische Hinweise auf Mängel. Denn die Bestimmung von Qualität im Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsbereich bedeutet, den hohen Grad von Komplexität im System zu reduzieren, der – im Gegensatz zu industriellen Fertigungsverfahren – unter anderem durch die Beschränkungen durch interaktive Leistungserstellung von Adressaten und Professionellen und die Schwierigkeiten der Überprüfung von Ergebniszielen gegeben ist. Die Reduktion dieser Komplexität gibt Anlass zu der Frage, bis zu welchem Reduktionsgrad man einen Versuch noch für zulässig erachten kann (Merchel 1998: 20). Beste Qualität wäre wahrscheinlich dann gegeben, wenn die Forderungen und Bedürfnisse aller Interessengruppen – also die der Kinder und Jugendlichen, Eltern, Fach-, Lehr- und Leitungskräfte, der Träger, zudem die Erwartungen der Gesellschaft und Wirtschaft an das, was das Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystem leisten und bieten sollten, immer und überall befriedigt würden. Dies ist allerdings ein nicht einzulösender Anspruch (Tietze/Viernickel (Hg.) 2003: 11), der auch in anderen Kontexten des menschlichen Zusammenlebens nie gegeben sein dürfte. Spätestens seit Donabedians Untersuchungen medizinischer Abläufe Anfang der 1980er Jahre ist ein Bewusstsein eingetreten, dass Qualität auf unterschiedlichen Ebenen betrachtet werden kann und muss: Es kann der Prozess beurteilt werden, das Ergebnis oder Produkt oder auch die Ausgangsbedingungen – das Konzept einer Einrichtung und die dort vorherrschenden strukturellen Bedingungen (vgl. Donabedian 1982). Mittlerweile wird neben der Prozessqualität – die als „Zentralbereich pädagogischer Qualität“ (Tietze (Hg.) 1998: 225) verstanden wird – und der Strukturqualität (den strukturellen Rahmenbedingungen als Input der Ergebnisqualität) als dritter Bereich häufig die Ergebnisqualität (die fachlichen und fachübergreifenden Wirkungen des Bildungsprozesses, im Schulbereich oft auch als „output“ bezeichnet) betrachtet, wenn es um die Qualität einer Einrichtung im Bildungsund Betreuungssystem geht54. Indem durch Standards festgelegt wird, „in welchem Umfang und auf welche Art und Weise bestimmte Qualitätskriterien zuverlässig und regelmäßig umgesetzt werden“ (Tietze/Viernickel (Hg.) 2003: 15), sollen die elementarsten Bedingungen für die Ausübung guter pädagogischer Arbeit gewährleistet werden. Ebenso wichtig wie Standards, wenn nicht wichtiger, sind daneben „die Bestimmungen für die Unterstützung der Beschäftigten bei ihrer laufenden Tätigkeit und für eine Verbesserung ihrer zukünftigen Arbeit“ (OECD 2004: 44). Bislang allerdings vernachlässigen die eingesetzten Qualitätskonzepte häufig solche kontextuelle Faktoren: „den Führungsstil der Leitung, das Arbeitsklima in der Einrichtung, Vergütung und Arbeitsbedingungen des Fachpersonals, die Trägerschaft der Einrichtung, aber auch die angewendeten Finanzierungs- und Regulierungsmodalitäten“ (BMFSFJ (Hg.) 2003a: 9). Angesichts der unterschiedlichen Ziele, Funktionen und Steuerungsmodelle der einzelnen Bildungsbereiche kann es zwar kein allgemeines Modell der Qualitätsentwicklung 54 Tietze et al. ersetzen den dritten Bereich durch den der pädagogischen Orientierungen, worunter sie die pädagogisch bedeutsamen Vorstellungen, Werte und Überzeugungen der an den pädagogischen Prozessen unmittelbar beteiligten Erwachsenen fassen (s. Tietze (Hg.) 1998; Tietze 2002).
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und -sicherung für das gesamte Bildungssystem geben, allerdings sind zentrale Elemente für alle Bildungsbereiche relevant, wie das Forum Bildung bereits 2002 mit seinen „Leitsätzen zur Qualitätsentwicklung und -sicherung“ aufgezeigt hat (Arbeitsstab Forum Bildung 2002: 80ff). Wie internationale Forschungsergebnisse zeigen, bauen gelingende Lernprozesse im Wesentlichen auf drei Grundlagen auf: „(1) auf der Engagiertheit der beteiligten Kinder und Erwachsenen, (2) auf einem gemeinsamen Dialog und Prozess der Sinnkonstruktion sowie (3) auf Instruktion. Kinder und Pädagogen sind demnach Bildungspartner, die gemeinsam Verständnis und Wissen konstruieren“ (BMFSFJ (Hg.) 2003: 159). Angesichts dieser Tatsache, wonach emotionales Wohlbefinden und Engagiertheit55 entscheidende Qualitätskriterien und notwendige Bedingung erfolgreicher Lernprozesse sind, scheint es überfällig, zwei Kriterien stärker in den Blick zu nehmen als dies landläufig geschieht: zum einen das Personal und sein Verhalten gegenüber Kindern (s. dazu Holodynski 2007: 60), zum anderen altersgemäße Formen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Der heute nur noch wenig bekannte Pädagoge Max Adler reklamierte bereits 1926 mehr Wissen und Bildung für Pädagog/innen, „denn auch derjenige, der bloß kleine Kinder unterrichtet, muss gründliches und allseitiges Wissen haben, weil kleine Kinder viel mehr fragen als große, ja als Erwachsene, weil sie noch überall Probleme sehen, wo das Interesse und die Wissbegierde der Erwachsenen längst abgestumpft ist. (…) Wir müssen eben allemal mit der armseligen Vorstellung brechen, dass für die Erziehung das Zufällige, nebenher und recht schlecht Geleistete gerade gut genug ist. Erziehung ist ein Beruf, und dazu noch einer der schwierigsten“ (Adler 1926: 103). Gestützt wird dies durch die Ergebnisse der modernen Hirnforschung, weshalb der Hirnforscher Wolf Singer fordert, das Geschäft der Erziehung nur den Besten zu übertragen und Erziehung zum angesehensten und am besten bezahlten Beruf zu machen (Singer 1999: 64). Pädagogische Fachkräfte spielen eine Schlüsselrolle in der Begleitung von Bildungsund Erziehungsprozessen, daneben auch in der innovativen Weiterentwicklung der verschiedenen Bildungsorte. Die Ausbildung und berufsbezogene Fort- und Weiterbildung dieser Fachkräfte sind demnach zentrale Instrumente der Qualitätssicherung im Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystem (vgl. BMFSFJ (Hg.) 2003: 157), zugleich aber auch die Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen, unter anderem in Form einer angemessenen Bezahlung ihrer Tätigkeit inklusive sozialer Absicherung, welche insbesondere in der Tagespflege häufig (noch) nicht gegeben ist. Derzeit ist in Deutschland aber über den tatsächlichen Stand und die Wirksamkeit pädagogischer Qualifikationen, die das Fachpersonal in der Ausbildung erwirbt und im Fortbildungswesen vertieft, wenig bekannt. Ebenfalls unbekannt ist, inwieweit durch das – regional, trägerspezifisch und systemisch unterschiedlich ausgebaute – Fachberatersystem pädagogische Prozessqualität in der Praxis sichergestellt wird oder überhaupt in den Blick gerät (Tietze (Hg.) 1998: 362f). Als „Kernelement einer zukunftsweisenden Bildungs- und Erziehungspraxis“ (Bayerisches Staatsministerium/IFP (Hg.) 2006: 402) und „Mittel der Erziehung zur Demokratie“ (Fatke 2007: 19) ist zudem die Beteiligung der Kinder an den sie betreffenden Prozessen 55 Engagiertheit wird dabei verstanden als „eine besondere Qualität menschlicher Aktivität, erkennbar in Konzentration und Ausdauer charakterisiert durch Motivation, Begeisterung, Faszination, Einbezogenheit, Offenheit für Anregungen, intensive Erfahrung in sensorischen und kognitiven Bereichen, ein deutliches Gefühl von Zufriedenheit und von Energiefluß in körperlicher und geistiger Hinsicht, bestimmt durch Explorations- und Forschungsdrang wie auch durch individuelle Entwicklungsbedürfnisse“ (Strätz 2000: 7).
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anzusehen. Wie Robert Putnam festgestellt hat, mehren Beteiligungsprozesse „soziales Kapital, weil sie Menschen zur gemeinschaftlichen Kooperation anregen und damit sowohl wirtschaftliches Handeln als auch politisches Regieren leichter und effizienter machen. Vor allem in Strategiepapieren, die sich um die Wettbewerbsfähigkeit von Regionen kümmern, wird daher die Partizipation von jungen Menschen als Mittel zur Aufrechterhaltung der Innovationsfähigkeit angesehen“ (Olk/Roth 2007: 51). Der normative Rahmen für diese Beteiligung wird von den Kinderrechten gebildet, die in den 1990er Jahren eine deutliche Aufwertung erfahren haben. Zwar folgt hieraus kein umfassender Anspruch von Kindern und Jugendlichen, an allen sie betreffenden Angelegenheiten in einer von ihnen selbst gewählten Form beteiligt zu werden. „Die Beteiligungsanlässe und -formen werden vielmehr gesetzlich geregelt, und zwar unter Berücksichtigung des Elternrechts. Dabei ist zwischen den Beteiligungsformen (Information, Anhörung, Zustimmung usw.) ebenso zu unterscheiden wie zwischen den sozialen Bereichen (z.B. Familie, Schule, Kinder- und Jugendhilfe), in denen die Beteiligung stattfinden soll“ (Richter 2007: 87). Auch steht eine grundsätzliche Festschreibung von Kinderrechten in der zentralsten Gesetzgebung Deutschlands noch aus. Allerdings sind Kinder „ein wichtiges Thema auf Landesverfassungsebene“ (Menzel 2002: 496), was neben der Beschreibung allgemeiner Rechte insbesondere für die Verankerung von Erziehungszielen gilt56. Diese Erziehungsziele stellen – zumindest in der Theorie – „ein grundlegendes Element der Verfassungskultur dar“ (ebd.: 497). Neben den bereits genannten Kriterien der Beteiligungsrechte sowie der Gleichbehandlung von Kindern, der Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte sowie ihrer Arbeitsbedingungen sind eine angemessene Größe und Zusammensetzung der Gruppen sowie ausreichende räumliche Bedingungen und Materialvielfalt sowohl im Bereich der Kindertageseinrichtungen als auch der Tagespflege als Qualitätskriterien anzusehen. Für den Bereich der Tagespflege ist ergänzend hinzuzufügen, dass die Vermittlung und Beratung der Tagespflegepersonen57 sowie die Möglichkeit des Austauschs mit anderen Tagespflegepersonen gegeben sein muss (vgl. Keimeleder 2003: 1ff, Jurczyk u.a. 2004: 186). Ein qualitativ hochwertiges Angebot intendiert zugleich den Aufbau wirksamer lokaler Trägerstrukturen und eine Erlaubnispflicht für Betreuungsverhältnisse vom ersten Kind an (BMFSFJ (Hg.) 2005: 286). Bei der Bildung im Primar- und Sekundarbereich dagegen, die noch stärker als im Elementarbereich zur Teilhabe am öffentlichen Leben befähigen und auf die Staatsbürgerrolle vorbereiten sowie die Fähigkeiten vermitteln soll, trotz vielfältiger Unsicherheiten im Lebensverlauf das eigene Leben als Lernprozess selbst gestalten zu können (vgl. BMBF (Hg.) 2003: 63), steht insbesondere die Schule vor der Herausforderung, „für möglichst alle Schülerinnen und Schüler zu produktiven Räumen des Lernens und ihrer längerfristigen Entwicklung zu werden“ (Oelerich 2005: 54). Der Kooperation von Jugendhilfe und Schule kommt in diesem Kontext eine besondere Bedeutung zu (s. Kap. 1.3.6). Bisher allerdings wird die Qualitätssicherung von Jugendhilfe und Schule nicht nur nicht in der Praxis verknüpft, sondern sogar völlig getrennt voneinander diskutiert. Während beispielsweise im Rahmen der Nationalen Qualitätsinitiative in einem Teilbereich ein nationaler Qualitätskri56 Sie bewegen sich im Grundbereich zwischen familien- und schulrechtlichen Regelungen, wobei ihre systematische Verortung variiert. Dabei trennt Bayern als einziges Bundesland formal zwischen an die Eltern adressierten Erziehungszielen (Art. 126) und Bildungszielen (Art. 131) (ebd.). 57 S. zu Qualitätskriterien im Hinblick auf die Vermittlung und fachliche Begleitung in der Kindertagespflege auch Landesvereinigung für Kinderbetreuung in Tagespflege NRW 2004: 4ff, Weiß 2003.
1.3 Zur Zielbestimmung eines neuen Systems öffentlicher Verantwortung
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terienkatalog für Schulkinder in Tageseinrichtungen entwickelt wurde (Strätz u.a. 2003), fokussierte die Entwicklung nationaler Bildungsstandards lediglich auf den schulischen und hier besonders den kognitiven Bereich, und blendete andere Bildungsorte, wie den Bereich der Jugendhilfe, komplett aus (s. BMBF (Hg.) 2003). Wie unter anderem die als Orientierungsqualität im Bereich der Tageseinrichtungen für Schulkinder zu Grunde gelegten Dimensionen „Lebensweltorientierung“, „Partizipation“, „Integration“ sowie „regionale Bedarfsorientierung“ (Strätz u.a. 2003: 47) auf den Bereich der Schule übertragen und in die Entwicklung von Qualitätssicherungsverfahren einbezogen werden können, ist daher noch offen. 1.3.3 Chancengerechtigkeit als Ziel des Bildungs- und Betreuungssystems „Zu den wichtigsten bildungspolitischen Zielen demokratischer Gesellschaften gehört es, allen Heranwachsenden gleich gute Bildungschancen zu geben, sie individuell optimal zu fördern und gleichzeitig soziale, ethnische und kulturelle Disparitäten der Bildungsbeteiligung und des Bildungserfolgs auszugleichen“ (Baumert u.a. 2001: 323f). Damit hat das Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystem aus normativer Sicht neben Fragen der Verteilungsgerechtigkeit auch den Gesichtspunkt der Chancengerechtigkeit bei seiner Ausgestaltung zu berücksichtigen. Im optimalen Fall wäre beim Eintritt in das Berufsleben eine gleichberechtigte Möglichkeit der Teilhabe an Bildungsprozessen von Kindern gegeben. Wie die empirische Bildungsforschung, zuletzt öffentlichkeitswirksam die internationalen Leistungsstudien, durch die statistisch enge Verknüpfung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg belegt hat, ist das deutsche Bildungssystem derzeit noch weit vom Ziel der Realisierung von Chancengerechtigkeit entfernt (s. u.a. Böttcher 2005: 7). Dies betrifft nicht nur das Schulsystem; zudem sind auch die Chancen für den außerschulischen Bildungserwerb ungleich verteilt: So sind die Teilnahme an bildungsorientierten außerschulischen Aktivitäten und die Chancen zur Aneigung von zentralen (bildungsrelevanten) sozialen Schlüsselqualifikationen und Daseinskompetenzen ebenfalls abhängig von der sozialen Herkunft des Kindes (Büchner 2002: 306). Nicht zuletzt aufgrund dieser Tatsachen ist in den letzten Jahren auf nationaler und auf europäischer Ebene immer stärker die Diskussion um die „social exclusion“, die soziale Ausgrenzung, entstanden (Ehmann 2003: 5). Im Kontext von Teilhabechancen und Möglichkeiten der Bildungsbeteiligung rücken insbesondere die soziale und ethnische Zugehörigkeit von Kindern verstärkt in den Fokus. Denn vor allem Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund sowie solche, deren Eltern unoder angelernte Arbeiter sind bzw. solche aus ländlich dünn besiedelten Räumen haben nach wie vor relativ geringe Zugangschancen zu höheren Bildungsgängen und -abschlüssen, auch wenn im Verlauf der letzten Jahrzehnte eine Abschwächung der sozialen Benachteiligung bezüglich der Bildungsbeteiligung bei den mittleren Bildungsabschlüssen festzustellen ist (s. BMFSFJ (Hg.) 2005: 442)58. 58 Dagegen ist die lange Jahre geltende geschlechtsspezifische Benachteiligung von Mädchen mit Blick auf die Bildungschancen so nicht mehr festzustellen. Beim Gymnasialbesuch haben sie die Jungen „inzwischen deutlich überholt und sind mit 56 % in der leistungsstärkeren Schulform repräsentiert, Jungen hingegen mit 55 % in Hauptschulen bzw. mit 56 % in Sonderschulen“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 441). Allerdings sind die Mädchen gegenwärtig immer noch in den nachschulischen Bildungsgängen benachteiligt sowie in ihren Zugangsmöglichkeiten zur Erwerbstätigkeit sowie zu hohen beruflichen Positionen und Gehaltsklassen. Ein Grund wird darin gesehen, dass
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Die bildungsbezogene Benachteiligung von Kindern mit Behinderungen wird dagegen im Diskurs um gleichberechtigte Teilhabechancen häufig vernachlässigt. Dies mag damit zusammenhängen, dass in den letzten Jahren eine wachsende Zahl von Kindern mit Behinderungen in die herkömmlichen Einrichtungen aufgenommen und damit Teil der regulären Gruppen wurde (OECD 2004: 47), entsprechend dem Konzept der integrativen Erziehung, wie es unter anderem durch transnationale Vereinbarungen und Deklarationen, beispielsweise die UN-Konvention über die Rechte des Kindes und die UN-Behindertenrechtskonvention, gefordert ist. Wie die vertiefende OECD-Studie „Wo haben Schüler mit Migrationshintergrund die größten Erfolgschancen?“ von 2006 gezeigt hat, erreichen 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler ausländischer Herkunft, die in hiesigen Schulen unterrichtet wurden (Schüler der zweiten Generation), noch nicht einmal ein Niveau, das sie befähigt, die Kenntnisse in Lesen und Mathematik auf einfache praktische Probleme anzuwenden. Angesichts des hohen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in Deutschland sind dies erschreckende Zahlen, die durch andere Ergebnisse bestätigt werden: „Zugewanderte sind im Durchschnitt schlechter gebildet, häufiger arbeitslos und nehmen weniger am öffentlichen Leben teil als die Einheimischen (…) Mit Abstand am schlechtesten integriert ist die Gruppe mit türkischem Hintergrund“ (Berlin-Institut (Hg.) 2009: 6f)59. Ergebnisse des Integrationssurveys des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung weisen daneben auf die Differenzen zwischen den Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen aus verschiedenen Zuwanderergruppen sowie -generationen hin (v. Below 2003) 60. Einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen üben darüber hinaus das Bundesland und die Region aus, in dem die Kinder und Jugendlichen aufwachsen. Benachteiligt sind vor allem „Kinder und Jugendliche, die in Stadtvierteln mit einer relativ homogenen Bevölkerungszusammensetzung aus niedrigen Sozialschichten – hierzu gehören auch viele Migrantenfamilien – aufwachsen, die in ländlichen Gebieten mit mangelnden Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsangeboten leben, sowie Kinder und Jugendliche aus strukturell benachteiligten Gebieten mit einem mangelnden Arbeitsmarktangebot, hohen Abwanderungsquoten und infrastrukturellen Ausdünnungen“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 21). Die Quote des Hauptschulbesuchs schwankt zwischen den Bundesländern – und selbst innerhalb der Regionen einzelner Bundesländer – ganz erheblich, ebenso wie die relative Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium zu besuchen.
sich ihre Ausbildung auf einige wenige Ausbildungsberufe konzentriert und damit prinzipiell krisenanfälliger ist, ein zweiter in der nach wie vor bestehenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Familie (ebd.: 21, 441). 59 Trotz aller Defizite zeigt der Bericht aber auch Erfolgsgeschichten erfolgreicher Integration auf, wobei deutlich wird, dass Bildung hierzu „den wichtigsten, stets notwendigen, gleichwohl aber nicht hinreichenden Schlüssel“ (ebd. 73). darstellt. 60 S. zur Lebenslage von Familien mit Migrationshintergrund in Deutschland auch den Sechsten Familienbericht (BMFSFJ (Hg.) 2000).
1.3 Zur Zielbestimmung eines neuen Systems öffentlicher Verantwortung Abbildung 2:
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Relative Wahrscheinlichkeit, das Gymasium zu besuchen, für Kinder aus der höchsten Sozialschicht gegenüber Kindern aus der mittleren Sozialschicht
(Quelle: Maschke/Stecher 2007: 39)
Wie die Tabelle zeigt, fällt dabei der Einfluss der sozialen Herkunft auf die schulische Laufbahn (nach Kontrolle von Begabungsunterschieden) in Nordrhein-Westfalen (Wert von 4,35) stärker aus als in Brandenburg (2,38) hingegen schwächer als in Bayern (6,65). Diese Disparitäten betreffen auch und gerade Kinder und Jugendliche aus Familien mit Migrationshintergrund (s. v. Below 2003). Die Befunde sozialstruktureller Analysen des Bildungserfolgs von Kindern verdeutlichen, dass die materiellen Ressourcen (Vermögen und Einkommen), über die die Eltern verfügen, eine hohe Relevanz für den Bildungserfolg von Kindern haben61. Dabei können direkte und indirekte Auswirkungen unterschieden werden (s. Wissenschaftlicher Beirat 2002: 30f):
Direkte Effekte ergeben sich daraus, dass Eltern mit unterschiedlich hohen materiellen Ressourcen eine unterschiedlich starke Unterstützung der Bildungsbemühungen der Kinder leisten können,
61 Hierbei werden armutsbedingte Belastungen von Kindern „weniger als direkte Reaktionen auf die sozioökonomische Deprivationslage gesehen, sondern primär als durch die Familie vermittelt“ (Merten 2003: 144). Mit anderen Worten: Armut ist ein wichtiger, aber nur ein Faktor, der die Lebenslage eines Kindes bestimmt. Kinder, die trotz Armut im Wohlergehen leben, weisen förderliche Voraussetzungen auf, die den mit Armut einhergehenden Auswirkungen entgegenwirken können. „Als solche „Schutzfaktoren“ wirken sich Kenntnisse der deutschen Sprache bei zumindest einem Elternteil, keine Überschuldung, ausreichend gute Wohnbedingungen, gutes Familienklima mit geringen Streitigkeiten sowie regelmäßige gemeinsame Aktivitäten der Familie aus“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 169). S. zu den Folgen von Armut auf die Lebenslagen von Kindern auch Hübenthal 2009.
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1 Zur Entwicklung und Bildung von Humanvermögen indirekte Effekte daraus, dass durch einen hohen Einkommensanteil von notwendigen Bildungsinvestitionen in Familien die Risiken in Bezug auf ein mögliches Scheitern der Bildungsbemühungen der Kinder an Gewicht gewinnen.
Mit anderen Worten: „Ist der Nutzen von langfristigen Investitionen in die Bildung von Kindern ungewiss, werden bei prekären Einkommenslagen, Armut und dauerhafter sozioökonomischer Deprivation kurze und scheinbar sichere Bildungslaufbahnen vorgezogen“ (Lauterbach/Lange/Becker 2003: 158). Problematisch ist vor allem die Tatsache, dass bereits frühzeitige Benachteiligungen, in Verbindung mit einem schichtspezifisch unterschiedlichen Entscheidungsverhalten der Eltern beim Übergang ins weiterführende Schulwesen, dazu führen, dass die Kinder je nach Herkunft in ganz unterschiedlicher Weise an höheren Bildungsgängen beteiligt werden, was die weiteren Bildungs- und Berufschancen extrem prägt (s. dazu auch Schneider 2004). Die Schere zwischen sozial belasteten Kindern und Jugendlichen und zu Hause gut geförderten öffnet sich beim Durchlaufen des formalen Bildungssystems weiter, so dass die Ungleichheit nicht etwa abgebaut, sondern im Gegenteil stabilisiert wird. Verschärfend wirkt sich dabei aus, dass die Wahl des Bildungsgangs schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt, und zwar in fast allen Bundesländern nach dem vierten Schuljahr, getroffen werden muss (Wissenschaftlicher Beirat 2002: 29f). Während in Deutschland die Kopplung von sozialer Lage der Herkunftsfamilie und dem Kompetenzerwerb der nachwachsenden Generation ungewöhnlich straff ist, „gelingt es in anderen Staaten ganz unterschiedlicher geographischer Lage und kultureller Tradition, trotz ähnlicher Sozialstruktur der Bevölkerung, die Auswirkungen der sozialen Herkunft zu begrenzen“ (Baumert u.a. 2001:393). Dies führt die Forschung auf eine erfolgreichere Förderung von Kindern und Jugendlichen aus sozial schwächeren Schichten zurück, die interessanterweise nicht notwendigerweise mit einer Absenkung des Niveaus verbunden sein muss. „Im Gegenteil: Eher deutet sich eine Tendenz an, dass bei einer Verminderung sozialer Disparitäten auch das Gesamtniveau steigt, ohne dass in der Leistungsspitze Einbußen zu verzeichnen wären“ (ebd.). Vor diesem Hintergrund liegt die Vermutung nahe, dass es sich um systemisch bedingte Unterschiede handelt, „da im Schulsystem und in der Berufswelt bestimmte Interessen, Einstellungen und Wertorientierungen erwartet und verlangt werden, die mit bestimmten Ausprägungen des kulturellen und sozialen Kapitals zusammenhängen und als Voraussetzungen für den Erwerb von schul- und berufsbezogenen Kompetenzen (z.B. im Umgang mit Symbolsystemen wie der Sprache oder in der Fähigkeit zu Selbstdisziplin, Konzentration und Zusammenarbeit) gelten“ (Wissenschaftlicher Beirat 2002: 32). Die PISA-Studie spricht in diesem Kontext von der Schule als „Mittelschichtinstitution, die einen Habitus verlangt und honoriert, wie er im Normalfall in Mittelschichtfamilien ausgebildet wird“ (Baumert u.a. 2001: 329f). Kinder aus Familien, in denen diese Kompetenzen nicht vermittelt werden, haben es im deutschen Schulwesen schwer. Dazu kommt die besondere Familienlastigkeit des deutschen Schulwesens, die dazu führt, dass schon die Grundschule „heute von den Kindern ohne Mithilfe der Eltern oder der Erziehungsberechtigten nicht erfolgreich durchlaufen werden“ kann (Ehmann 2003: 46). Der geringe Umfang und die Organisation des Unterrichts insbesondere im Grundschulwesen machen die aktive Mitwirkung der Eltern erforderlich: bei den Hausaufgaben, beim Üben des Lesens und Rechnens etc. Während dies in Mittelschichtfamilien selten ein Problem ist, das Umfeld zudem so gestaltet ist, dass die schulischen Anforderungen im Alltag wie
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selbstverständlich mitvollzogen werden können (es gibt Bücher, Fragen der Kinder können beantwortet und um weitere Informationen ergänzt werden etc.), erhalten Kinder weniger bildungsbewusster Eltern die notwendige zusätzliche Förderung im öffentlichen Bildungswesen kaum (ebd.). Das gehäufte schulische Scheitern von Kindern aus benachteiligten Familien zeigt, was passiert, wenn Eltern es der Schule allein überlassen, ihren Kindern die Kulturtechniken und selbstorganisiertes Lernen zu vermitteln und auf elterliche Unterstützung und Nachhilfe verzichten. „Nur wenn die der Schule und dem Unterricht vorgelagerten Rahmungen relativ reibungslos funktionieren, nur wenn sich Schule einigermaßen voraussetzungslos auf entsprechende Vorleistungen verlassen und auf diese auf unkomplizierte Weise zurückgreifen kann, ist sie nach ihren Maßstäben und zu ihren Bedingungen in der Lage, Erfolg einigermaßen zuverlässig zu gewährleisten“ (Rauschenbach 2009: 81). Schule allein kann in ihrer aktuellen Verfasstheit offensichtlich „ohne die Mithilfe der Eltern nicht ihren Bildungsauftrag erfüllen, allen (!) Kindern eine angemessene Bildung zu vermitteln. Das ist sowohl ein Problem mancher Familien wie auch das große Problem des derzeitigen Schulsystems, hier für Kinder aus Familien mit multiplen Risiken hinreichend kompensatorisch wirken zu können“ (Holodynski 2007: 38).62 Dies kann als das „eigentliche Dilemma der heutigen Schule“ und „ihre eigentliche Herausforderung“ (Rauschenbach 2009: 81) angesehen werden. Auch über die schulische Ausbildung hinaus ist festzustellen, dass Eltern in unterschiedlichem Ausmaß die Entwicklung bildungsrelevanter Kompetenzen und Fertigkeiten fördern, die nicht im direkten Zusammenhang mit der schulischen Ausbildung stehen, für den weiteren Lebensweg der Kinder aber von großer Bedeutung sind. Nicht nur die Interessen und materiellen Verhältnisse der Eltern wirken sich auf diese Förderungsbemühungen aus, sondern auch z.B. das Wissen über Möglichkeiten außerschulischer Bildungsaktivitäten und institutioneller Angebote sowie die Überzeugung, dass entsprechende Angebote für die Entwicklung der Kinder einen wichtigen Beitrag leisten können (Wissenschaftlicher Beirat 2002: 33). In Anbetracht dieses engen Zusammenhangs zwischen ökonomisch benachteiligten Lebenslagen von Familien und dem Bildungsniveau der Eltern wird der hohe Stellenwert von Bildung für die individuelle Lebensbewältigung deutlich63. Angesichts der Tatsache, wonach die „Vererbung“ von Bildungsarmut in einer Wissensgesellschaft – bei stets zunehmendem Anforderungsniveau und immer schärferer Konkurrenz mit Niedriglohnländern – wie ein „ausbruchsicheres Gefängnis“ (Allmendinger 2005) wirkt, stellt sich zugleich die Frage, wie derartige „Armuts-Bildungs-Spiralen“ durchbrochen werden können (BMFSFJ (Hg.) 2005: 21). Die Entwicklung von Bewältigungskompetenzen kann hier als eine entscheidende Aufgabe des öffentlichen Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystems angesehen werden, neben anderen Faktoren, wie niedrigschwelligen, herkunftsunabhängigen Zugängen zu den Angeboten, möglichst wenig selektionsverstärkenden Übergängen zwischen den Bildungsinstanzen und ausgleichenden Wirkungen des Bildungssystems in Anbetracht der unterschiedlichen Ausgangslagen (Rauschenbach 2008: 4). Die Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit im Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystem und gleichen Chancen für alle Mädchen und Jungen an bildungsfördernden Lern- und Lebenswelten setzt somit voraus, dass in Deutschland eine konzeptionelle Ver62 S. zu den Zusammenhängen von familialen Lernprozessen und bildungsrelevanten Erfahrungen auch BMFSFJ (Hg.) 2005: 198f. 63 S. dazu auch die OECD-Veröffentlichung „Bildung auf einen Blick“ 2008, die den positiven Einfluss des Bildungsstands auf den Erfolg am Arbeitsmarkt aufzeigt (BMBF/KMK 2008).
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knüpfung von bildungs- mit sozialpolitischen Aspekten gelingt64, um eine kompensatorische Förderung von Kindern durch das Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystem zu erreichen. Das umfasst zum einen die öffentlichen Bildungsorte, vor allem im Elementarbereich. Angesichts der positiven kompensatorischen Auswirkungen frühkindlicher Bildungsangebote (s. Kap. 1.2.2) wird unter anderem debattiert, wie der Krippen- und Kindergartenbesuch von sozial benachteiligten und Migrantenkindern intensiviert werden kann (s. dazu auch Spieß/Büchel/Wag-ner 2003: 268; Carle 2008: 11). Dies nimmt Bezug auf die im Vergleich kürzeren Kindergartennutzungszeiten von Migrantenkindern: Die Kindergartenbesuchsdauer setzt bei ihnen tendenziell später ein und hält ingesamt kürzer an (Becker/Biedinger/Rohling 2006: 39). In diesen kürzeren Kindergartenzeiten der Migrantenkinder wird eine Ursache für ihre Nachteile bei Schulbeginn vermutet65. Daneben differieren die Betreuungszeiten offensichtlich auch in anderer Hinsicht und werden durch einen evtl. vorliegenden Migrationshintergrund der Kinder sowie die Familienform und die Erwerbssituation der Eltern beeinflusst66 (Betz/Rother 2008: 11). Immer offensichtlicher wird auch der Bedarf an Unterstützung im Bereich der sprachlichen Kompetenzentwicklung, nicht nur der Kinder, sondern auch ihrer Eltern (s. dazu auch Kap. 3.5.5). Des Weiteren ist es erforderlich, Bildungsangebote sowohl im vorschulischen als auch im schulischen Bereich sehr viel häufiger als in der Vergangenheit als Ganztagsangebote auszugestalten, um derart die Förderungsmöglichkeiten, insbesondere für benachteiligte Kinder und Jugendliche, zu verbessern. Daneben erfordert ein chancengerechtes Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystem auch eine sehr viel früher einsetzende und intensivere Förderung von Familien, insbesondere solcher, die sozial benachteiligt sind (s. Kap. 1.3.5), sowie einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel: Es setzt voraus, dass das Bildungssystem Verantwortung für den Bildungsprozess jedes einzelnen Kindes übernimmt und unterschiedliche Bildungsvoraussetzungen und Bildungsniveaus sowie differenzierte Fähigkeiten und Fertigkeiten individuell unterstützt und begleitet werden. Statt einer frühen leistungsmäßigen Differenzierung würde so die individuelle Förderung in den Mittelpunkt vorschulischen wie schulischen Lernens rücken. 1.3.4 Zum Konzept der Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung Ein neues Konzept der Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung muss mit einer Definition der verwendeten Begrifflichkeiten starten. Diese werden im Deutschen mit einer Vielfalt an Bedeutungsinhalten verwendet. Vor allem der Bildungsbegriff hat dabei im Laufe der Geschichte viele Wandlungen erfahren67. Ursprünglich, in der Mystik des 14. 64 Analog zu den angelsächsischen Ländern, wo unter „social policy“ „immer schon gleichermaßen education und social security verstanden“ wurde (Allmendinger/Leibfried 2004: 31). 65 S. ebd., zu den verteilungspolitischen Konsequenzen der Kinderbetreuung auch die Analyse von Kreyenfeld/Spieß 2002. 66 Ähnliches gilt für den Besuch von Kindertageseinrichtungen der unter Dreijährigen und die Betreuung von Grundschulkindern. Allerdings belegen bei ersterem die Variablen „regionale Bedingungen“ und die dort vorherrschenden „Normalitätserwartungen“ die ersten Plätze vor Familienform und Erwerbstätigkeit der Eltern; bei letzterem wiederum nimmt die Erwerbstätigkeit der Eltern einen geringeren Stellenwert ein als dies bei der Betreuung von unter Dreijährigen der Fall ist (DJI 2005: 108). Lediglich etwa drei Prozent der Kinder besuchen vor der Schule überhaupt keinen Kindergarten (Becker/Biedinger/Rohling 2006: 39). 67 S. zur Geschichte des deutschen Bildungsbegriffs auch Reble 1975, Böhme/Tenorth 1990.
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Jahrhunderts, wurde er von Gott her verstanden, „als Aktualisierung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, als Wiedergebildetwerden in Gott, als Wiedervereinigung mit Gott aus Gottes Gnade“ (Textor 2007). Der heute als „klassisch“ angesehene Bildungsbegriff wurde dagegen erst um 1800 entwickelt: Da in der Gesellschaft der Einzelne immer mehr „verzweckt“ würde und sich spezialisieren müsse, sei eine „volle Menschlichkeit“ kaum noch möglich. Deshalb müsse diese durch eine allseitige, ganzheitliche Menschenbildung gefördert werden (ebd.). „Von Humboldt ausgehend stellt Bildung ein Verhältnis zwischen dem individuellen Ich und der Welt dar. Dabei wird Individualität nur durch die Auseinandersetzung mit dieser Welt gewonnen. Das Subjekt braucht ein Gegenüber, durch das es sich bilden kann“ (Schäfer 2008: 23). Mit Bildung werden infolge dieser Sichtweise zwei Aspekte verbunden: der biografische Prozess des Bildens ebenso wie das Produkt dieses Prozesses, wesentlich durch die Vermittlung von Erfahrungen und Wissen gekennzeichnet (DJI 2004: 57). Neben anderem wurde auch die Bildung im 19. Jahrhundert zu einem Statussymbol: Die „gebildeten“ wollten sich bewusst von den „ungebildeten Massen“ abheben, um so ihre gesellschaftliche Vormachtstellung zu begründen und zu sichern. Als Bildungsgüter galten im Bildungsbürgertum vor allem die Geisteswissenschaften, Kunst und Musik (Textor 2007). Diese soziale Exklusivitätsfunktion des Bildungsbegriffs im Sinne einer Konzentration auf das Produkt „Bildung“ im Sinne formalisierter Kenntnisse wirkt bis heute in vielfältiger Hinsicht nach. „Wer ‚Bildung‘ sagt und sich etwas von ihr verspricht, meint in der Regel ‚Bildungsabschlüsse‘, nicht Bildung selbst als Vorgang im Menschen, als Aneignung von Welt und Ausbildung der Person“ (Frank 2004: 3). Auch die Geringschätzung der Frühpädagogik in Deutschland liegt hier begründet: „Bildungsprozesse werden immer noch für umso wichtiger eingeschätzt, je höher die dabei ‚vermittelten‘ Bildungsgüter auf unserer kulturellen Werteskala stehen, je edler die moralischen Empfindungen erscheinen, die sie leiten, und je vernünftiger sich die Personen geben, die gebildet werden. Die frühkindliche Bildung findet demzufolge kaum ein politisches Interesse, keine wirksame Lobby und fehlt deshalb weitgehend auch in den sozial- und humanwissenschaftlichen Forschungsplänen“ (Schäfer 1995: 17). Ähnlich wie der Bildungsbegriff hat auch der Erziehungsbegriff im Verlauf der Geschichte viele Bedeutungen erfahren, oft sind dabei Überschneidungen mit dem Bildungsbegriff festzustellen. Als gemeinsames Fundament können Selbstständigkeit und Mündigkeit als Ziel sowohl von Bildung als auch von Erziehung gelten (BMFSFJ (Hg.) 2005: 106). Im Gegensatz zur Bildung wird Erziehung allerdings mehr auf das (soziale) Verhalten und die diesem zugrundeliegenden Einstellungen, Werthaltungen, Regeln etc. bezogen und als (intentionales) Einwirken eines Erziehenden auf einen zu Erziehenden angesehen (vgl. Schäfer 2008: 23). Während im Bildungsbegriff der Einzelne als Subjekt des Bildungsprozesses betont wird, ist das Kind beim Erziehungsbegriff als zu Erziehender in der Rolle eines Objekts. Es soll seine Handlungen an dem Normengefüge und den Sitten seiner Gesellschaft ausrichten, welche durch Erziehungsziele vorgegeben sind. Bildung und Erziehung stellen Grundbegriffe der Erziehungswissenschaft im deutschsprachigen Raum dar; Betreuung erscheint demgegenüber als ein abgeleiteter Begriff (BMFSFJ (Hg.) 2005: 106). Noch stärker als der Erziehungsbegriff betont er den Objektcharakter des Kindes. Er unterstreicht „den sozialpolitisch-organisatorischen Versorgungscharakter und stellt in erster Linie die Bedürfnisse der Erwachsenen in den Vordergrund“ (BJK 2004). Mit dem Betreuungsbegriff werden in der Regel Funktionen betont, die für Bildungs- und Erziehungsprozesse eigentlich unabdingbar sind: Schutz, Fürsorge, Zuwen-
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dung, der Aufbau von Bindungen sowie der einer persönlichen Beziehung können als „Antwort der Erwachsenen auf die kindlichen Bedürfnisse nach Bindung, nach Nahrung, nach Wärme, Hygiene, Pflege“ (Diskowski 2006: 2) und damit als eine der Grundlagen jedes Interaktionsprozesses angesehen werden. Die drei Begriffe Bildung, Betreuung und Erziehung, deren Abgrenzung innerhalb der Pädagogik uneinheitlich erfolgt (Spieß 1998: 34), können lediglich als unterschiedliche Dimensionen bei der Förderung von Kindern und Jugendlichen betrachtet werden, nicht etwa als voneinander zu trennende Prozessfaktoren. So wie es „keine bildungsfreie Betreuungssituation“ gibt, existiert auch „kein erziehungsfreies Bildungsarrangement“ (Diskowski 2006: 2), was auf den intensiven Zusammenhang der drei Förderdimensionen Bildung, Betreuung und Erziehung verweist. Die Trias von „Erziehung, Bildung und Betreuung“, wie sie das Kinder- und Jugendhilfegesetz vorgibt, hat „die Gesamtheit und Unteilbarkeit kindlicher Entwicklung als Perspektive“ (MBJS (Hg.) 2006: 6). Nach Auffassung der OECD liegt hier eine wertvolle Ressource des deutschen Systems (OECD 2004: 49). Spätestens mit der ersten PISA-Studie im Jahr 2001 wurde der Reformbedarf von Bildungskonzepten68 in Deutschland deutlich. Bauten die bisherigen Konzepte nämlich auf einer Weltsicht auf, nach der „die Welt wohlgeordnet und strukturiert sei und in ihren Abläufen und Gesetzmäßigkeiten prinzipiell erfasst werden könne“ (BMFSFJ (Hg.) 2003: 69), wurde diese Gewissheit mit der Bewusstwerdung des gesellschaftlichen, insbesondere familialen Wandels fraglich. Im Folgenden setzte eine intensive öffentliche Diskussion über die Konzeption und Ausgestaltung von Bildungsangeboten ein69. Neben den kognitiven Aspekten mangelnder Leistungsfähigkeit hat diese Debatte vor allem den Blick für ein erweitertes, modernisiertes Verständnis von Bildung und Bildungsprozessen geschärft. Dieses Verständnis betont neben den kognitiven auch die emotionalen und sozialen Dimensionen des Bildungsbegriffs und erweitert damit, der internationalen Diskussion folgend, ihre Zieldimension hin zur Integration formeller, nicht-formeller und informeller Bildungsprozesse in ein einheitliches Konzept, das sich an Lebenslauf und Bildungsbiographie der Kinder orientiert, nicht an den Interessen der einzelnen Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssysteme. Das Bundesjugendkuratorium formuliert diese Erweiterung folgendermaßen: „Bildung ist mehr als ein Katalog akkumulierten Wissens, ein Kanon von Inhalten, über den man verfügen muss, um – wie gerne behauptet – als gebildeter Mensch zu gelten. (…) Bildung meint auch Wissenserwerb, geht aber darin nicht auf. Sie ist zu verstehen als Befähigung zu eigenbestimmter Lebensführung, als Empowerment, als Aneignung von Selbstbildungsmöglichkeiten“ (Bundesjugendkuratorium 2001). Oder anders ausgedrückt: „Nicht mehr die Vermittlung einiger weniger basaler Kulturtechniken und Grundfertigkeiten wird (…) zur Strukturmaxime einer Bildung des 21. Jahrhunderts, sondern vielmehr eine umfassende, gewissermaßen allwettertaugliche Ausstattung mit Kompetenzen, mit Fertigkeiten und Fähigkeiten sowie einer moralischen Urteilskraft, die Menschen befähigt, sich in einer offenen, pluralen, ungewissen und globalisierten Weltgesellschaft kompetent zu bewegen“ (Rauschenbach 2009: 23). 68 Dem Bildungsbegriff kommt in der öffentlichen wie der fachinternen Debatte eine zentrale Bedeutung als Drehund Angelpunkt bei der (Neu-)definition eines Förderverständnisses von Kindern und Jugendlichen zu, unter anderem deshalb, weil er von den drei Begriffen Bildung, Betreuung und Erziehung durch den Subjektstatus des zu Bildenden am meisten Handlungspotenzial beinhaltet (s. zu den Begrifflichkeiten beispielhaft auch die Herleitung im Zwölften Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ (Hg.) 2005: 54). 69 Zum inhaltlichen Eingriff der Jugendhilfe in die Bildungsdebatte nach PISA s. auch Merchel 2005: 222f.
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Mit dem normativen Ziel einer eigenständigen Lebensführung in möglichst allen Lebensbereichen wird stärker als in den vergangenen Jahrzehnten der umfassende persönlichkeitsbildende Charakter des Bildungsbegriffs betont unter Einbeziehung seiner informellen und nicht-formellen Aspekte. In dieser Ganzheitlichkeit knüpft der Bildungsbegriff damit an die (historische) christliche Sichtweise an, wonach Bildung „als Zusammenhang von Lernen, Wissen, Können, Wertbewusstsein, Haltungen (Einstellungen) und Handlungsfähigkeit im Horizont sinnstiftender Deutungen des Lebens“ (Kirchenamt der EKD (Hg.) 2004: 5) verstanden wird70. Im Unterschied zum „traditionellen“, also überwiegend kognitiven Bildungsverständnis gründet dieses neue ganzheitliche Verständnis auf dem kindlichen Anspruch auf eigene Rechte, die nicht abgeleitet sind von denen Erwachsener. Zugleich liegt ihm eine Vorstellung vom kompetenten Kind zugrunde, das Mitgestalter seiner Entwicklung und seines Lernens ist (Fthenakis 2003: 12). Damit wird die aktive Rolle der Kinder und ihr Eigenanteil an ihren Bildungs- und Entwicklungsprozessen betont: im Sinne eines sozialen Prozesses des Sich-Bildens, der auf der Grundlage von Potenzialen stattfindet, die jeder Mensch von Natur aus mitbringt71. Ein solches Bildungsverständnis basiert auf der normativen Annahme, „dass Bildung in hohem Maße mit Teilhabe und Teilnahme in ‚kleinen Lebenswelten‘ ebenso wie an politische, kulturelle und soziale Entscheidungs- und Handlungsfelder geknüpft ist“ (Andresen u.a. 2005: 12) und schließt damit an sozialpädagogischen Bildungskonzepten, wie dem häufig kritisierten72 kindzentrierten Situationsansatz aus der Elementarpädagogik, aber auch dem Aneignungskonzept der Jugendhilfe73 an. Bildung in diesem Verständnis konzentriert sich nicht, wie das bisherige Bildungs- sowie Jugendwohlfahrtssystem, auf die Identifikation und Beseitigung kindlicher Schwächen. Vielmehr hat die neue Bildungsphilosophie zum Ziel, „in erster Linie die Stärken eines jeden Kindes zu identifizieren, diese weiter zu stärken, darauf aufbauend dem Kind zu helfen, ein positives Selbstkonzept zu entwickeln und ihm beizubringen, vor allem in Risikosituationen, seine Stärken gezielt einzusetzen, statt weiterhin die Schwächen zu kurieren“ (Fthenakis 2007: 79). Solche Bildungsprozesse finden in einer konkreten sozialen Situation und in Interaktion mit anderen Menschen statt und sind nicht zwingend an organisierte Arrangements gebunden. Damit wird der alte Monopolanspruch der Bildungsinstitutionen, insbesondere der Schule, für die (formale) Bildung einer nachwachsenden Generation relativiert. Zugleich rückt die Bedeutung des informellen Lernens wesentlich stärker ins Bewusstsein als noch vor wenigen Jahren (Wissenschaftlicher Beirat 2006: 16). Familien, Kindertageseinrichtungen, peer-groups etc. werden ebenso und zugleich als sehr einflussreiche Orte der Bildung verstanden wie Schulen und Universitäten, nur jeweils mit anderem Hintergrund und anderen, ja eigenen Möglichkeiten. Zudem wirkt sich dieser Bildungsansatz auf die Bildungsinhalte und deren Vermittlungsformen aus: Neben der Stärkung individueller Autonomie werden die Mitgestaltung der sozialen und kulturellen Umgebung sowie der Aufbau kindlicher Eigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsorientierung zu Bildungszielen (vgl. Bayerisches Staatsministerium/IFP (Hg.) 2006: 24; s. auch Wissenschaftlicher Beirat 2002: 39f). 70
Insofern könnte lang darüber diskutiert werden, ob es sich hierbei wirklich um etwas historisch Neues und nicht vielmehr um die Rückwendung zum einstmals mit Bildung Verknüpften handelt. 71 S. zu der Betonung der Selbstbildungspotenziale im frühkindlichen Bereich auch Schäfer (Hg.) 2003. 72 S. beispielhaft Liegle 2006: 100f. 73 S. zur „Aneignung“ als Bildungskonzept der Jugendhilfe z.B. auch Deinet/Icking 2005: 6ff.
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In einem solchen Konzept einer lebenslaufunterstützenden Bildungsarbeit spielt der Aspekt der Zeit eine wesentliche Rolle. Erfolgreiche lebensbegleitende Bildungsprozesse haben in allen Bildungsorten und Lernmodalitäten die Verfügbarkeit von Zeit zur Voraussetzung. „Bildung braucht Zeit für die lernenden Individuen, aber auch für diejenigen, die solche Bildungsprozesse unterstützen (sollen)“ (Wissenschaftlicher Beirat 2002: 27). Im Kontrast zur Erwachsenengesellschaft mit ihrer Zeitknappheit gehört es zu den Besonderheiten kindlichen Lernens und damit zu den „wichtigsten Regeln“ von Bildungs- und Erziehungsprozessen im Kindesalter, „Zeit zu verlieren, nicht Zeit zu gewinnen (…) in dem Sinne, dass die eigentümlichen und eigenwertigen Lernprozesse der Kinder unterstützt, angeregt, herausgefordert werden und (...) dass wir der Kindheit ihre Zeit und jedem einzelnen Kind seinen individuellen Zeitrhythmus im Durchgang durch die verschiedenen Stufen und Formen der Weltaneignung einräumen“ (Liegle 2006: 108f). Der derzeitige Wandel sozialer Zeitstrukturen in biographischen Prozessen, im Sinne einer Entgrenzung und „Flexibilisierung von Bildungszeiten und Bildungsorten, Arbeitszeiten und Arbeitsorten, Lernzeiten und Lernorten, Lebenszeiten und Lebensorten“ (ver.di o.J.: 79) lässt die Zeitdiskussion zu einem zentralen Thema der Zukunftsgestaltung in Bezug auf Bildung, Betreuung und Erziehung werden. In diesem Zusammenhang muss ein Konsens darüber hergestellt werden, wie viel Zeit und Raum Kinder für sich brauchen, aber auch wie viel ihnen gesellschaftlich zugestanden wird. Die Kernfrage lautet daher, wie die (nicht steuerbare) Individualität von Bildungsprozessen und ihre unterschiedliche Dauer mit dem gesellschaftlichen Bedarf nach einer gewissen Normierung und Standardisierung von Bildungsprozessen und dem nach allgemeiner Qualifizierung in Einklang gebracht werden kann. Damit ist auf das Verhältnis von kindlicher Autonomie und sozialer Verantwortung sowie die gesellschaftliche Dimension von Bildungsprozessen verwiesen (vgl. DJI 2004: 62). Die derzeitige Debatte in Deutschland fügt sich hier in einen internationalen Diskurs ein: Wenn die Bildung ihrer Jugend die wichtigste Ressource für die Zukunft einer Gesellschaft darstellt, dann müssen die Bildungsansprüche und Entfaltungsmöglichkeiten der Kinder auch der Maßstab sein, „an dem sich die Ansprüche von Kindern wie von Erwachsenen und Gesellschaft insgesamt, die Strukturen von Organisationen und das Wissen und Handeln von Professionen orientieren müssen“ (Bundesjugendkuratorium 2004). Demzufolge ist das Verhältnis von gesellschaftlichen und individuellen (kindlichen) Interessen neu zu bestimmen. Eine einfache Schwarz-Weiß-Sicht (Gesellschaft vs. Individuum) hilft hier nicht weiter. Denn schon neurobiologisch ist der Mensch in seiner Bildungsfähigkeit auf Gesellschaft bezogen. Er wird „am Du zum Ich“, wie Martin Buber schreibt. Sein Gehirn ist als körperliches Organ „zugleich ein gesellschaftliches Organ: Schon im Mutterleib und in den ersten Lebensabschnitten nach der Geburt saugt es sich (…) mit Gesellschaft voll“ beschreibt der Hirnforscher Gerhard Roth trefflich diesen Prozess (zit. n. Kasten 2003: 58). Kinder brauchen „Weltwissen“ (vgl. Elschenbroich 2001) – nicht nur deshalb, weil sie in der „Wissensgesellschaft“ heutiger Prägung aufwachsen. Sie brauchen es und eignen es sich auch deshalb an, „weil der Aufbau eines Subjekt-Welt-Bezugs den Kernbereich ihres Selbstwerdens ausmacht“ (Liegle 2006: 9). Allein ein weitgefasster Bildungsbegriff, der über den Begriff des „Wissens“ hinausgeht, und die gesellschaftliche Dimension von Bildung einbezieht, kann diese Dualität auflösen. Rauschenbach spricht in diesem Kontext von Bildung als jener „Dimension, die sich am deutlichsten auf die unmittelbare Einflussnahme einer Person bezieht, bei der (…) nicht deren aktuelles Wohlergehen, ihr
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Schutz oder die kurzfristige Linderung einer Not im Vordergrund steht, sondern der Erwerb einer eigenen erweiterten, individuellen Handlungskompetenz“ (Rauschenbach 2009: 228). Ein solch breites Bildungsverständnis hat allerdings durch die Schwierigkeit seiner Abgrenzung auch seine Tücken. Zudem wird das Thema Aufwachsen teilweise „fast völlig mit Bildung gleichgesetzt, fast so, als ob alles im Leben eines jungen Menschen auf Bildung, auf Zukunft, auf Verwertbarkeit, auf das Erwachsenendasein ausgerichtet wäre“ (Rauschenbach 2008: 5). Ist Bildung also „der einzige, der künftig allumfassende Referenzpunkt, das ultimative Koordinatensystem“ (ebd: 6)? Bisher gibt es kaum ein wissenschaftlich gesichertes Selbstverständnis darüber, was Bildungsprozesse von anderen Lernprozessen unterscheidet. Das Forum Bildung hat daher 2001 vorgeschlagen, den weiten Bildungsbegriff zu konkretisieren, um das Bildungssystem in Bezug auf die Ermöglichung von Bildung in diesem weiten Sinne beurteilen und weiterentwickeln zu können. Sein Vorschlag versucht, Bildung in Kompetenzen zu transformieren und so zu konkretisieren: „In einer auf Pluralität und ständigem Wechsel gegründeten Gesellschaft führt der Weg zur Realisierung dieses umfassenden Bildungsbegriffs über den Erwerb von Kompetenzen, die den Einzelnen zur Orientierung und zum produktiven Umgang mit Pluralität und Wandel befähigen. Zu diesen Kompetenzen zählen vor allem:
Lernkompetenz (Lernen des Lernens), die Verknüpfung von ‚intelligentem‘ inhaltlichen Wissen mit der Fähigkeit zu dessen Anwendung, methodisch-instrumentelle (Schlüssel-)Kompetenzen, insbesondere im Bereich Sprachen, Medien und Naturwissenschaften, soziale Kompetenzen sowie Wertorientierungen“ (Arbeitsstab Forum Bildung 2002: 55).
Dieser Vorschlag des Verständnisses von Bildung als Prozess eines Kompetenzerwerbs74 in verschiedenen Bereichen wird vom Zwölften Kinder- und Jugendbericht aufgegriffen und weiterentwickelt. Er systematisiert dies im Sinne eines Erwerbs
„von kulturellen Kompetenzen (im Sinne der Fähigkeit, sich die Welt mittels Sprache und Symbolen zu erschließen), von instrumentellen Kompetenzen (im Sinne der Fähigkeit, mit der Welt der Natur, der Waren und Werkzeuge umgehen und sich in ihr bewegen zu können), von sozialen Kompetenzen (im Sinne der Fähigkeit, sich mit der sozialen Mitwelt handelnd auseinander zu setzen) sowie von personalen Kompetenzen (im Sinne der Fähigkeit, mit der eigenen Körperlichkeit, Emotionalität, Gedanken- und Gefühlswelt klar zu kommen)“ (Rauschenbach 2006: 125).
Ein solch ganzheitliches Verständnis der partizipativen Kompetenzentwicklung stellt die Bildungspolitik vor erhebliche Herausforderungen: Bildung, verstanden als „vielschichtiger Prozess der Auseinandersetzung von Individuum und Umwelt“ (Maykus/Schulz 2006: 85), muss mittels eines ebenso vielschichtigen Systems an Bildungsförderung unterstützt werden – durch verschiedene Bildungsorte, -methoden und Professionen, so dass eine Vielfalt 74
S. zum Begriff der „Kompetenzen“ kritisch auch Schäfer 2008: 10.
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von Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten für alle Kinder gegeben ist. Da die Entwicklungs- und Bildungsprozesse der Kinder so weitgehend von den Umwelten abhängen, in die sie hinwachsen, egal ob Familie, Tagespflege, Kindertagesbetreuung etc., „ergibt sich als große gesellschaftliche Herausforderung, die Qualität der Bildungswelt der Familie ebenso wie die der Bildungsorte Tagespflege und Kindertageseinrichtungen sowie sonstiger bildungsrelevanter Erfahrungsräume und Lernwelten zu schaffen“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 188). Ein vom Kind ausgehendes, institutions- und altersübergreifendes Bildungsverständnis setzt zudem voraus, dass die strikte traditionelle Einteilung zwischen Elementar-, Primarund Sekundarbereich, zwischen Tagespflege, Krippe, Kindergarten, Hort und Schule überwunden wird. Die verschiedenen Bildungsorte und -akteure, die privat wie öffentliche Verantwortung für die Entwicklung von Kindern tragen, müssen so aufeinander bezogen werden, dass die verschiedenen Kompetenzbereiche tatsächlich gleichermaßen zur Geltung kommen und die Bildungsorte und Lernwelten sich in ihrer Wirkung wechselseitig verstärken (Rauschenbach 2009: 102). Gebraucht werden damit nicht nur Teilkonzepte für die unterschiedlichen Altersgruppen, sondern auch ein Gesamtkonzept im Sinne eines grundlegenden Bildungsplans für alle Kinder. In den leitenden schulpädagogischen und schulpolitischen Debatten wird ein solches verändertes Bildungsverständnis bisher „nicht oder allenfalls marginal aufgegriffen“ (Merchel 2005: 177). Auch andere Herausforderungen ergeben sich: In den Institutionen frühkindlicher Bildung und Betreuung muss das Bildungsverständnis mit dem bisher geltenden Bildungsauftrag aus der Einheit von Betreuung, Bildung und Erziehung koordiniert werden. Daneben muss es sich der auf eine direkt verwertungsbezogene Perspektive bezogenen Bildungserwartungen von Wirtschaft und Politik erwehren, die die Entwicklung spezifischer Kompetenzen betonen – insbesondere im Vorschulbereich, wo die Nachfrageperspektive der Eltern und der Arbeitgeber die Konzepte beeinflusst. Nicht nur schulischerseits, sondern auch hier scheint „die inhaltliche Konkretion der Bildungsdimension (…) noch nicht ausgereift“ (Bock-Famulla 2002a: 97). Nötig wird damit ein Konzept einer ressortübergreifenden Politik, die bildungspolitische und kinder- und jugendhilfepolitische Maßnahmen mit familienpolitischen Maßnahmen verbindet, unter der gemeinsamen Zielsetzung der langfristigen Unterstützung und Förderung der Bildungsprozesse der nachwachsenden Generationen. Nur eine solche integrierte Bildungs-, Sozial- und Familienpolitik kann die in komplexen modernen Gesellschaften festzustellende mehrfache Entgrenzung von Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsprozessen, wie sie der Zwölfte Kinder- und Jugendbericht herausgearbeitet hat (im Sinne einer zeitlich-biografischen, institutionellen und thematischen Entgrenzung (BMFSFJ (Hg.) 2005: 92f)) abmildern und eindämmen – durch ein konstruktives Zusammenspiel von Bildungsorten, strukturierten und abgesicherten Formen der Kooperation, die einen Dialog ermöglichen, sowie durch sozialräumliche Vernetzungen im Sinne von Erziehungs- und Bildungspartnerschaften. Eine solche Strategie zur Verbesserung der Bildungs- und Teilhabechancen der nachwachsenden Generation „baut auf der Zusammenarbeit in Nachbarschaften und Sozialräumen auf, sie fördert Selbsthilfe und mobilisiert Ressourcen“ (Borsche 2004: 268). Zugleich erfordert sie das Modell einer gemeinsamen Verantwortung von Familien sowie von Staat und Gesellschaft für Kinder im Sinne eines neuen Generationenvertrags. Die Familie als „kleinste Demokratie im Herzen der Gesellschaft“, wie es 1994 von den Vereinten Nationen mit der Proklamation des Internationalen Jahres der Familie formuliert wurde (vgl. Gerhard 2004), spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Eltern
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müssen reale Möglichkeiten zur einflussreichen Teilhabe an der Praxis von anderen Bildungsorten haben. Sie müssen darüber hinaus auch ihre politische Verantwortung für das Aufwachsen der nachwachsenden Generation ausüben wollen und können. Hierzu bedarf es neben Partizipationsmöglichkeiten auch gesellschaftlicher Initiativen, in denen Motivation und Fähigkeiten von Eltern unterstützt werden, solche Verantwortung wahrzunehmen, indem sie an anderer Stelle von Aufgaben entlastet werden (Bundesjugendkuratorium 2004). Eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren dieses Modells besteht darüber hinaus in der Einbindung aller für Bildung und Erziehung verantwortlichen Träger und Institutionen sowie der Einbeziehung von jungen Menschen als Mitgestaltende und Mitverantwortliche. Gerade weil der Staat bei der Humanvermögensbildung auf die Partnerschaft von Familien, Initiativen und gesellschaftlichen Organisationen angewiesen ist, sollte er – wie das Bundesjugendkuratorium forderte – „seine Aktivitäten auf die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen konzentrieren. Aufgabe des Staates ist es, Bildungsprozesse von Kindern zu ermöglichen, Gestaltungsspielräume zu eröffnen, Begrenzungen abzubauen, die Ausbildung der Fachkräfte zu verbessern und Bildungs- und Partizipationsmöglichkeiten von Eltern und Erzieherinnen zu befördern, d.h. die Bedingungen der Möglichkeit von Bildung zu gewährleisten“ (ebd.). Daneben sollte die Vielfalt von Lernorten zu „Lernnetzwerken“ (Hans-Böckler-Stiftung (Hg.) 1998) verknüpft werden, die die verschiedenen Bildungsorte verbinden. Insbesondere die Kommunen als Orte, an denen schulisches, soziales und emotionales Lernen und Bilden stattfindet, sind in der Pflicht, ihre Steuerungsverantwortung für die Verzahnung der verschiedenen Akteure, Träger, Einrichtungen und Angebote wahrzunehmen – im Sinne kommunaler Bildungslandschaften. Nur so können der erforderliche Rahmen zur optimalen Nutzung der örtlichen Ressourcen sichergestellt und verbindliche Kooperationsstrukturen hergestellt werden, so dass alle Institutionen und Organisationen der Bildung, Betreuung und Erziehung ihre Kompetenzen ganzheitlich darauf ausrichten, einen strukturierten und kontinuierlichen Bildungs- und Förderverlauf für junge Menschen sicherzustellen (s. Deutscher Verein 2007). 1.3.5 Schlussfolgerungen für die strukturelle und konzeptionelle Weiterentwicklung der Bildungsorte und -akteure Jede Bildungspolitik greift zu kurz, die nur in formelle Bildung investiert und die anderen Bereiche übergeht. Die Verpflichtung gegenüber der nachwachsenden Generation sowie die Sorge um die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft erfordern eine entsprechende Umsteuerung des Bildungsdiskurses (Bundesjugendkuratorium 2001), was nicht zuletzt eine Anpassung der Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsinstitutionen an die veränderten Rahmenbedingungen verlangt: „Krippe, Kindergarten, Hort, aber auch die Schule in ihrer bisherigen Form waren Einrichtungen des 20. Jahrhunderts. Für das 21. Jahrhundert werden neue Formen von Einrichtungen benötigt, in denen vielfältigere Angebote für Kinder sowie Angebote für Eltern und Beratungs- und Professionalisierungsangebote für die Fachkräfte miteinander verbunden sind“ (BMFSFJ (Hg.) 2003a: 35). Dies setzt unter anderem auch eine Überarbeitung der bisherigen Bildungscurricula voraus, die stark von den Erwartungen des Nationalstaats geprägt sind, mit der Folge einer Vernachlässigung von Multilingualität
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und interkultureller Kompetenz (Fthenakis 2003: 10, s. dazu auch Beauftragte der Bundesregierung (Hg.) 2005: 12). Wenn Bildung als allgemeine und notwendige Ressource von Lebens- und Zukunftsbewältigung angesehen wird, deren Leistungen zwar individuell erbracht, aber von der Gesellschaft insgesamt unterstützt werden müssen, dann ist es vordringlich, geeignete Strukturen für Bildungsprozesse bereitzustellen (Wissenschaftlicher Beirat 2002: 38). Dies macht eine Organisation erforderlich, die die Zugänglichkeit, Erreichbarkeit und Lebensweltbezogenheit dieser Prozesse für alle Gesellschaftsmitglieder, insbesondere für Kinder und Jugendliche, sichert (Bundesjugendkuratorium 2001). Eine solche Organisation ist nur als Kooperationserfordernis in Form von Netzwerken von Bildungsorten vorstellbar und gestaltbar. Alle Bildungsorte und -akteure zusammen als Teile dieser Netzwerke „stehen in einem komplexen Wechselwirkungsverhältnis zueinander“ (Wissenschaftlicher Beirat 2002: 38)75. Besondere Aufmerksamkeit verdienen hier die wichtigen (bildungs-) biographischen Übergänge: von der Familie in die Tagespflege oder Krippe, von Tagespflege oder Krippe in den Kindergarten, vom Kindergarten in die Grundschule und von der Grundschule in die weiterführende Schule. Dabei ist das Spannungsverhältnis zwischen den verschiedenen Bildungskulturen mit all seinen Ambivalenzen und Reibungspunkten zu berücksichtigen, damit die Differenzen bewusst und pädagogisch bearbeitbar bleiben können (Wissenschaftlicher Beirat 2002: 26). Für jedes Bildungskonzept mit der Festlegung übergreifender Bildungsziele stellt dies eine besondere Herausforderung dar. Ähnlich wie dies in anderen Ländern bereits geschehen ist76, wird auch Deutschland nicht darum herum kommen, zentrale Fragen zu diskutieren und einen gesellschaftlichen Konsens unter anderem darüber zu erreichen,
welche Grundsätze, Leitziele, Lern- und Kompetenzfelder im Bildungssystem als relevant gelten und wie eng oder wie breit diese curricular geregelt werden sollten; wie viel Raum Kindern und Jugendlichen zur aktiven Gestaltung ihrer Bildungsprozesse zugestanden wird; welche Aufgaben auf Pädagog/innen zukommen: Werden sie als Vermittler von vorgeschriebenen Curricula gesehen oder als Mitgestalter von Lernprozessen, als Praxisforschende, als Netzwerkexpert/innen, als Anwält/innen für Kinder und Jugendliche? wie die Übergänge zwischen den Bildungsinstitutionen konzeptualisiert werden (vgl. Oberhuemer 2003: 53f).
Auch wenn der Staat aufgrund seiner sozialstaatlichen Verantwortung für die Folgen von Bildung die Aufgabe hat, eine solche gesellschaftliche Diskussion voranzutreiben sowie zu moderieren, ist er als Akteur doch nicht alleine in der Pflicht. Angesichts der hohen Kostenfolgen der von Anforderungen der Arbeitswelt verursachten Bedarfe (s. MBJS (Hg.) 2006: 32) im Bildungsbereich ist beispielsweise die Wirtschaft stärker als in der Vergangenheit als Akteur in den Bildungsbereich einzubinden. Wie dies teilweise schon umgesetzt wird, ist in Kap. 3.5.6 dargestellt. Im Folgenden sollen Überlegungen zur strukturellen und konzeptionellen Weiterentwicklung der verschiedenen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsorte und -akteure vorgestellt werden.
75 76
S. zur Bedeutung von Netzwerken für Lern- und Innovationsprozesse auch Drewello/Wurzel 2002: 20f. S. dazu beispielhaft Oberhuemer 2003.
1.3 Zur Zielbestimmung eines neuen Systems öffentlicher Verantwortung
85
1.3.5.1 Bildung im frühkindlichen Bereich Stärkung und Unterstützung des Bildungsorts Familie Nicht nur die Rolle der öffentlichen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungseinrichtungen, sondern die aller Erziehungs- und Bildungsorte muss vor dem Hintergrund der eben artikulierten Notwendigkeiten neu ausbuchstabiert werden – und zwar nicht „im Sinne eines Kulturkampfes zwischen öffentlicher und privater Erziehung, d.h. nicht gegen die Familie, sondern zusammen mit den Familien im Interesse der Kinder“ (Rauschenbach 2002: 19). Das Thema „Erziehung“ kann folglich „nicht (mehr) als eine Marginalie abgehandelt werden – weder auf der privaten noch auf der politischen und gesellschaftlichen Ebene“ (Wissenschaftlicher Beirat 2005: 8). Unerlässlich ist eine intensivere Betrachtung der familialen Erziehungs- und Bildungsleistung und verstärkte öffentliche Verantwortung für die Stärkung der elterlichen Erziehungskompetenzen, wie sie der Wissenschaftliche Beirat für Familienfragen beim Bundesfamilienministerium bereits vor Jahren eingefordert hat: „Wenn (…) Eltern für die Bildungsdefizite ihrer Kinder verantwortlich gemacht werden, wird (..) außer Acht gelassen, dass die Bildungsleistungen der Familie an Voraussetzungen (im Sinne von materiellen und zeitlichen Ressourcen, aber auch von Wissen, rationaler Haushaltsführung und Anforderungen an das Konsumverhalten und die Lerndisziplin der Kinder) gebunden sind, die in vielen Familien nicht oder nicht hinreichend gegeben sind und deshalb im Rahmen von familienbezogenen Unterstützungsmaßnahmen geschaffen werden müssen“ (Wissenschaftlicher Beirat 2002: 27). Notwendig ist es, „die gesellschaftlichen Institutionen wie Medien, Unternehmen, Kirchen für eine Stärkung von Beziehungsund Erziehungskompetenzen zu gewinnen und darüber hinaus Angebote aufzubauen, zu fördern und zu koordinieren, die möglichst flächendeckend dazu beitragen, dass Eltern und andere Personen, die Erziehungsverantwortung tragen, Rat und Unterstützung finden, wenn sie ihre Beziehungs- und Erziehungskompetenzen erweitern oder stärken wollen“ (Wissenschaftlicher Beirat 2005: 22). Neben Maßnahmen der Familienpolitik (wie beispielsweise einem Familienlasten- und -leistungsausgleich, der Bekämpfung von Familienarmut, der Stärkung des Selbsthilfepotenzials von Familien), die auf eine angemessene nicht nur materielle, sondern strukturelle Sicherung des Familienlebens ausgerichtet sind, sowie Maßnahmen einer intensiveren Beteiligung der Eltern in Bildungssettings geht es in diesem Kontext insbesondere um Maßnahmen zur Stärkung der Erziehungskompetenz, also vordringlich um Aufgaben der Familienbildung und -beratung. Als ihr Ziel77 kann die Unterstützung von Familien durch solche Angebote bezeichnet werden, „die zu einer erfolgreichen Familienerziehung beitragen, eine bedürfnisorientierte Gestaltung des Familienlebens erleichtern, ein möglichst problemloses Durchlaufen des Lebens- und Familienzyklus ermöglichen sowie zur Nutzung von Chancen für die gemeinsame positive Weiterentwicklung und ein partnerschaftliches Miteinander anhalten“ (Textor 2007). Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe unterstreicht der einstimmige Beschluss der Jugendministerkonferenz vom 22./23.5.2003, in dem die stärkere Betonung öffentlicher Verantwortung für das Aufwachsen junger Menschen besonders herausgestrichen wird (JMK 2003). Dieser Beschluss stellt eine logische Weiterentwicklung der durch die Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes gestärkten Bedeutung von präventiven und partizipativen Maßnahmen in der Jugendhilfe und der aus ihnen resultierenden 77
S. dazu auch Pettinger/Rollik 2005.
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1 Zur Entwicklung und Bildung von Humanvermögen
Aufwertung von Familienbildung und -beratung dar78. In deren Folge wurde die Beratung und Unterstützung von Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder als Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe festgeschrieben (§ 1 Abs. 3 SGB VIII), was vor allem durch Angebote nach den §§ 16ff SGB VIII wahrgenommen wird79. Auch wenn somit die Familienbildung als „Institution, die zwischen Familie und Gesellschaft vermittelt“ (Kuller 2004: 274)80 aufgewertet wurde, ergibt sich in der Praxis in Deutschland die Situation, dass sie, „verglichen mit anderen Arbeitsfeldern, nicht sehr stark ausgebaut“ ist (BMFSFJ (Hg.) 2005: 257). Die Angebote, die es im Bereich der Familienbildung gibt81, haben zudem nach wie vor überwiegend mit einem als „Präventionsdilemma“ (Helming/Thiessen 2008) bezeichneten Problem zu kämpfen: Die Familien, die besonders hohen Bedarf haben, werden am wenigsten erreicht. Dies liegt vor allem in der Angebotsgestaltung begründet, die in der Familienbildung ähnlich wie in der Familienberatung von einer „Komm-Struktur“ dominiert ist, „d.h. die Familien müssen sich aktivieren, indem sie sich über familienbildende oder beratende Angebote informieren und die Einrichtungen aufsuchen, in denen diese stattfinden“ (Wagenblass 2005: 77). Eltern müssen, um die Angebote zu nutzen, „über so viel selbstregulatorische Kompetenz verfügen, dass sie erkennen, wann und welche Hilfe sie benötigen und wie sie sich diese Hilfe verschaffen“ (Holodynski 2007: 50). Diese Kompetenz ist aber nicht automatisch bei allen Familien gegeben, insbesondere bei solchen mit multiplen Risiken nicht (ebd.: 51). Aus diesem Grund steht jede Weiterentwicklung des Systems vor der Aufgabe, in der Ansprache der Zielgruppen neue Wege zu finden, und vor der zentralen Frage, „wie Eltern motiviert werden können, damit sie zum einen überhaupt Hilfe und Unterstützung annehmen und sich für Angebote öffnen, zum anderen die angenommene Hilfe nicht abbrechen und bei den Angeboten verbleiben“ (Helming/Thiessen 2008: 20). In den letzten Jahren sind deshalb verstärkt „präventive Förderprogramme auf den ‚Jugendhilfemarkt‘ gekommen, die sich gezielt an bildungsungewohnte Familien sowie an Familien mit psychosozialen Risiken und Belastungen richten“ (Thrum/Sann 2008: 18). Diese greifen Erfahrungen aus der Praxis auf, wonach überforderte Eltern niedrigschwellige Unterstützungsangebote so gut wie nie ablehnen, wenn diese zeitnah zur Geburt eines Kindes und wertschätzend angeboten werden (Helming/Thiessen 2008: 21)82. Die angelsächsischen Beispiele der Judy-Centres in Maryland, USA, und der Early Excellence Centres in England zeigen den Erfolg von Zentren für Familien, die sich als Integration von Kindergarten, 78
S. dazu Helming/Thiessen 2008: 20. Dort werden „mögliche Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe zur allgemeinen Förderung der Erziehung in den Familien genannt; dazu gehören: Angebote der Familienbildung, die auf Bedürfnisse und Interessen sowie auf Erfahrungen von Familien in unterschiedlichen Lebenslagen und Erziehungssituationen eingehen, die Familie zur Mitarbeit in Erziehungseinrichtungen und in Form der Selbst- und Nachbarschaftshilfe besser befähigen sowie junge Menschen auf Ehe, Partnerschaft und das Zusammenleben mit Kindern vorbereiten; Angebote der Beratung in allgemeinen Fragen der Erziehung und der Entwicklung junger Menschen; Angebote der Familienfreizeit und der Familienerholung, insbesondere in belastenden Familiensituationen, die bei Bedarf die erzieherische Betreuung der Kinder einschließen“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 256). 80 S. zur Entwicklung dieses Politikfeldes in den vergangenen Jahrzehnten auch Kuller 2004: 223ff. 81 S. dazu auch Schiersmann u.a. 1998, zur Entwicklung des Systems „Familienbildung“ auch Textor 2001. 82 Bewährt haben sich in diesem Kontext unter anderem Methoden der „Aufsuchenden Elternhilfe“ in Verbindung mit Gruppenarbeit bei jungen Müttern rund um die Geburt; Familienhebammen, die in Verbindung mit einem Familientreff im Stadtteil als „Türöffnerinnen“ auch für die Gruppenangebote des Treffs fungieren sowie interkulturelle Tandems von Familienberater/innen, die Erstgespräche in den Familien zu Hause durchführen (Helming/Thiessen 2008: 21). S. aber auch das Praxisbeispiel der Stadtteilmütter, unter anderem in Berlin erfolgreich durchgeführt, und seine Rolle für die Elternbildung von Migranten (Hildebrandt 2007), zur Evaluation von Hausbesuchsprogrammen auch Holodynski 2007: 72. 79
1.3 Zur Zielbestimmung eines neuen Systems öffentlicher Verantwortung
87
Familienbildungsstätte, Familienberatung und Familienfürsorge unter einem Dach verstehen und den Familien mit multiplen Risiken umgehend und umfassend helfen können83. Solche neuen Konzepte und Methoden, die auf die Vielfalt familialer Bedarfe reagieren und familiennah angeboten werden, müssen daher flächendeckend ausgebaut werden. Zugleich sind Hilfs- und Kontrollmechanismen besser miteinander zu verknüpfen. Ein solcher Ausbau setzt Analysen darüber voraus, welche Angebotsformen wo vorhanden sind und von welchen Eltern sie genutzt werden. Solange der Erfolg von Maßnahmen der Eltern- und Familienbildung dagegen, wie bisher üblich, weitgehend durch Selbstberichte der Beteiligten zu belegen ist (vgl. BMFSFJ (Hg.) 2005: 264), ist jegliche Steuerung hier erschwert. Neue Funktion von Kindertageseinrichtungen, unter anderem als Familienzentren Die öffentlichen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungseinrichtungen im Elementarbereich stehen heute vor der großen Aufgabe, bei ihrer Förderung nicht nur unterschiedlichen Begabungen Rechnung tragen zu müssen, sondern auch gesellschaftliche und individiuelle Benachteiligungen ausgleichen und damit Chancengerechtigkeit für Kinder schaffen zu müssen. Dies gilt in besonderer Weise für Kinder mit Migrationshintergrund (Wiesner 2005: 120f). Kindertageseinrichtungen sind daneben heute mit ganz unterschiedlichen Lebenssituationen der Kinder und Familien konfrontiert. Während Einrichtungen in so genannten „sozialen Brennpunkten“ kaum andere als sozial benachteiligte Kinder betreuen, haben Kitas in sozial gering belasteten Wohngegenden kaum etwas mit benachteiligten Kindern zu tun. Entsprechend unterschiedlich sind nicht nur die Wahrnehmung und die Angebote, auch die Arbeitsbedingungen und der Handlungsbedarf divergieren, wie eine Studie im Auftrag der Bertelsmann Stifung zeigt (Holz 2007). Vor allem hinsichtlich der Ressourcenausstattung werden dabei deutliche Verbesserungsnotwendigkeiten gesehen (ebd.). Angesichts der vielen Herausforderungen und der Tatsache, dass die Einrichtungen gleichermaßen als „vorweg genommene Schule“, „Familienersatz und Institution zur Kompensation familiärer Defizite“, „Erziehungsberatung für Eltern“ und als „lebenswerter Ort für Kinder“ verstanden und in ihrem Handeln letztlich auch an diesen Zuschreibungen gemessen werden, ist besonderes Augenmerk darauf zu legen, welche dieser Erwartungen realistisch sind und welche konzeptionellen, organisatorischen und strukturellen Weiterentwicklungen notwendig sind, damit die Einrichtungen auch in die Lage versetzt werden, den Erwartungen annähernd zu entsprechen (Bundesjugendkuratorium 2008: 13). Andernfalls dürfte „die hohe Wertschätzung allzu schnell umschlagen in Überforderungen für Einrichtungen und Fachkräfte, was zur Demotivierung und zu Lähmungen in der weiteren Entwicklung der Kindertageseinrichtungen führen kann“ (ebd.: 4). Zugleich ist die für die westlichen Bundesländer charakteristische „Vernachlässigung des Bildungsaspekts in den vergangenen Jahrzehnten“ (MBJS (Hg.) 2006) durch eine Neukonzeption der Bereiche Bildung, Betreuung und Erziehung in anderer Weise auszutarieren – ohne dass durch die neue Betonung des Bildungsaspekts von Kindertageseinrichtungen ihre anderen Aufgaben vernachlässigt werden. Dies erfordert die (Weiter-)Entwicklung eines pädagogischen Gesamtkonzepts, in welchem alle Belange der Förderung von Kindern in Balance gebracht werden und in welchem das Wohl des Kindes im Zentrum steht (DJI 83
S. zur neuen Denk- und Arbeitsweise dieses „Sure-Start-Ansatzes“ auch Hoffmann 2004.
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1 Zur Entwicklung und Bildung von Humanvermögen
2004: 62). Nicht zu vergessen ist, dass bei Kindertageseinrichtungen und Tagespflege besonders die Vermittlung von lernmethodischen Fähigkeiten („lernen zu lernen“) und von Basiskompetenzen gefragt ist, die es dem Kind ermöglichen, im sozialen Kontext verantwortlich zu handeln. Dazu gehören „sowohl personale (z.B. Orientierungskompetenz; Fertigkeiten zum Umgang mit Veränderungen, Krisen und kulturellen Differenzen) als auch soziale Kompetenzen (z.B. Fähigkeit zum Aufbau von guten Beziehungen zu Erwachsenen und Kindern; Empathie und Perspektivenübernahmefähigkeit; Fähigkeit, verschiedene Rollen einzunehmen; Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit; Konfliktmanagement)“ (BMFSFJ (Hg.) 2003a: 8). Bereits Pestalozzi wies vor 200 Jahren auf das Ineinander der „Bildung mit Kopf, Herz und Hand“ hin. In diesem Sinne gibt es „im Grunde genommen (…) für eine kluge Pädagogik nichts besseres als ein Lern- und Bildungsszenario, dem man dieses nicht sofort ansieht, dem es gelingt, spielerisch, offen, situativ und an den Eigeninteressen der Lernenden ausgerichtet den Erwerb von Wissen, Kenntnissen und Kompetenzen anzuregen“ (Rauschenbach 2009: 153f). Dies gilt es zu berücksichtigen, wenn es um die Diskussion der Aufgabe der Schulvorbereitung der Einrichtung sowie die Normierung von Bildungsprozessen in Form von Standards geht84. Als ersten „(pädagogisch gestalteten) öffentlichen Räumen, in denen Kinder außerhalb der Familie ihre Beteiligungsmöglichkeiten im Alltag erfahren können“ (Knauer 2007: 271), kommt den Kindertageseinrichtungen zugleich eine besondere Verantwortung bei der Vermittlung und dem Erwerb demokratischer Grundkompetenzen zu. Das impliziert Mitspracherechte der Kinder (s. Fritzen-Herkenhoff/Henry-Huthmacher 2001: 7) sowie eine Einstellung, die Kinder als gleichberechtigte Subjekte behandelt – ohne dass Erwachsene damit ihre Verantwortung für ein gelingendes Aufwachsen abgeben (Knauer 2007: 271). Darüber hinaus stehen die Kindertageseinrichtungen angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen heute vor der Aufgabe, sich „stärker als bisher zu Tageseinrichtungen für Kinder und Familien“ (Hocke 2003: 291) zu entwickeln85 und ihre Konzepte an der Heterogenität von Familien zu orientieren (s. Diller/Riedel 2005: 4). Dies beinhaltet nicht nur Öffnungszeiten, die sich stärker als in der Vergangenheit am Bedarf von Familien orientieren (vgl. hierzu auch Wehrmann 2007a: 128). Zugleich ist damit eine Weiterentwicklung in Form einer Funktionserweiterung der Einrichtungen verbunden, neben der vorrangigen, frühkindlichen Förderung ergänzt um Aufgaben der Elternbildung und im Gemeinwesen, mit dem Ziel, die Erziehungskompetenz der Eltern zu stärken, aber auch die soziale Einbindung und die Möglichkeiten des Kontaktes zu anderen Familien mit Kindern zu fördern (BMFSFJ (Hg.) 2005: 255). Durch eine solche Entwicklung zu professionellen, wohnbereichsnahen, niedrigschwelligen Kinder- und Familienzentren als wichtigem Bestandteil 84
Eine einfache Übertragung schulischer Arbeitspraktiken und Standards greift hier zu kurz, wie von Kritiker/innen der „Verschulungstendenzen des Kindergartens“ angemerkt wird (s. beispielhaft dafür Textor 2008). Vielmehr lässt sich ein positiver Einfluss der Kindertageseinrichtungen (und auch der Familie) auf die Entwicklung der Kinder am ehesten unter der Bedingung nachweisen, dass es eine „umfassende Unterstützung und Anregung von Bildungsprozessen gibt, (…) die eine gezielte Schulvorbereitung ausdrücklich ablehnt und ausschließt“ (Liegle 2006: 149). 85 Dies knüpft an der Ausnahmerolle der Kindertageseinrichtungen an, welche „als einzige Einrichtung der Jugendhilfe, einen direkten Kontakt zu nahezu allen Eltern von Kindern zwischen drei und sechs Jahren“ (Wehrmann 2004: 120) haben. Bereits im Neunten und Zehnten Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung wurde daher ausführlich erörtert, dass Kindertageseinrichtungen über Potenziale und Ressourcen verfügen, die bisher viel zu wenig für die Unterstützung von Familien und die Aktivierung des Gemeinwesens genutzt werden (Diller 2006: 55).
1.3 Zur Zielbestimmung eines neuen Systems öffentlicher Verantwortung
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einer zukunftsorientierten Politik für Familien werden Orte geschaffen, an denen Familien mit ihren Kindern wichtige unterstützende Angebote „aus einer Hand“ erhalten (DJI 2005: 13). Das innovative Profil liegt bei solchen Zentren86 in der Verzahnung bisher getrennter Angebote, mit dem Ziel, die Bedarfe von Familien in einem integrierten Gesamtkonzept aufzugreifen und neue Ideen sowie eine qualitative Weiterentwicklung durch Synergieeffekte zu ermöglichen. Dieses Angebot, das konkret beispielsweise Erziehungsberatung, Elternbildung, Gesundheitsberatung, Haushaltskurse, Sprachkurse etc. umfasst87, ist geöffnet für Familien im Stadtteil und kommunal bzw. jugendhilfepolitisch im Gemeinwesen verankert (z.B. durch lokale Bündnisse für Familie bzw. die Einbindung regionaler Firmen und sonstiger gesellschaftlicher Partner in den Aufbau). Solche Unterstützungsangebote setzen allerdings voraus, dass Kinder und Eltern sie auch als Teil ihrer Lebenswelt begreifen und annehmen. Dazu müssen diese Institutionen und Einrichtungen so organisiert werden, dass Eltern und Kinder das Gefühl haben, Teil dieser Institutionen und Einrichtungen zu sein. Dies ist insbesondere in Städten bzw. Stadtteilen mit einem hohen Anteil an Kindern mit nichtdeutschem Hintergrund oft schwer zu realisieren, weil viele Eltern nicht deutsch sprechen, in den Einrichtungen zugleich fast ausschließlich Erzieher/innen aus Deutschland arbeiten, die den familiär-kulturellen Perspektiven der Familien mit nichtdeutschem Hintergrund eher fern stehen (Bertram 2006: 38f). Neben verstärkten interkulturellen Kompetenzen der Fachkräfte ist es in diesem Kontext nötig, auch Eltern mit Migrationshintergrund stärker in die sprachliche Förderung einzubeziehen, beispielsweise durch Sprachkurse für Eltern in den Einrichtungen (Wissenschaftlicher Beirat 2002: 34). Unter anderem kommt dem auch deshalb besondere Bedeutung zu, weil die sprachliche Kommunikation zwischen Eltern und Kindern eine wichtige Rolle spielt, wenn es gilt, Sprachprobleme von Kindern zu beheben. Da für Kinder aus Zuwandererfamilien die Sprachkompetenz derzeit aber die entscheidende Hürder in ihrer Bildungskarriere darstellt (Baumert u.a. 2001: 374), ist die Beherrschung der deutschen Sprache auf einem dem jeweiligen Bildungsgang angemessenen Niveau eine der zentralen Aufgaben des Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystems. Länder, in denen die Leistungsunterschiede zwischen der einheimischen und der Schülerpopulation mit Migrationshintergrund relativ gering sind, weisen in der Regel denn auch „fest etablierte Sprachförderungsprogramme mit relativ klar definierten Zielen und Standards“ auf (OECD 2006: 6). Solche Programme und Konzepte zur Sprachförderung sollten wissenschaftlich fundiert und mit langfristiger Perspektive ausgestattet sein und nicht nur im Sinne einer Defizitorientierung auf die Sprachdefizite in der deutschen Sprache fokussieren, sondern auch die spezifischen mehrsprachigen und interkulturellen Entwicklungsprofile von Migrantenkindern in den Blick nehmen (BMFSFJ (Hg.) 2003: 144, vgl. auch BMFSFJ (Hg.) 2003a: 11). Sie setzen zudem den stärkeren Einsatz von bilingualem und mehrsprachigem Personal in Betreuungs- und Bildungseinrichtungen voraus, das mit der Mehrsprachigkeit der Kinder, der Vielfalt des kulturellen Hintergrunds und der immer stärkeren
86 Konzeptionell angelehnt an die Early Excellence Centres in England, unterscheidet sich die deutsche Diskussion allerdings dadurch, dass nicht nur arme und sozial benachteiligte Familien gefördert werden sollen (s. Diller 2006: 56). 87 S. zu Voraussetzungen für einen Erfolg der Zentren auch Diller 2007: 18, zu Schwachstellen und Verbesserungspotenzialen bei Eltern-Kind-Zentren Diller/Riedel 2005: 25f.
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Diskrepanz zwischen den unterschiedlichen pädagogischen Konzepten und Erziehungsvorstellungen von Fachkräften und Eltern umgehen kann (BMFSFJ (Hg.) 2003: 147)88. Erziehungspartnerschaften zwischen Einrichtungen und Familien Der Zusammenarbeit von öffentlichen Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungseinrichtungen, insbesondere solchen im Elementarbereich, und Familien kommt bei einer stärkeren öffentlichen Verantwortung besondere Bedeutung zu. Denn „das gemeinschaftliche Engagement, der vereinte Blick auf die Entwicklung des Kindes und der regelmäßige Austausch von Eltern und Fachkräften sind die Basis, auf der die gemeinsame Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern getragen werden“ (Wagenblass 2005: 65) und eine optimale Förderung der kindlichen Entwicklung erfolgen kann. In diesem Kontext wird gängigerweise von „Erziehungspartnerschaften“ gesprochen, die von ihrem Konzept her über die gängige Praxis in der Zusammenarbeit mit Eltern hinausgehen. Der Gedanke einer Erziehungspartnerschaft geht dabei von einem ergänzenden Verhältnis von Familie und Kindergarten aus, in dem beide Teile die Verantwortung für die Förderung des Kindes übernehmen, und rückt die Abstimmung von Erziehungszielen und -praktiken zwischen Eltern und Erzieher/innen in den Vordergrund (DJI 2003: 137). Neuerdings wird auch unter Verwendung des Begriffs „Bildungspartnerschaft“ die gemeinsame Verantwortung für die Bildung des Kindes betont (Textor/Blank 2004: 6)89. Folgende Ziele lassen sich durch solche Partnerschaften erreichen:
Wechselseitige Öffnung von Kindertagesstätte und Familie, Vermittlung zwischen privater und öffentlicher Erziehung, Förderung von Kontakten zwischen Familien, Gewinnung der Mitarbeit von Eltern im Kindergartenalltag, bei besonderen Aktivitäten, bei Projekten und Veranstaltungen, Verbesserung der Qualität der Familienerziehung, Beratung von Eltern bei besonderem Förderbedarf, Erziehungsschwierigkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten (Sturzbecher 1998: 186f).
Dies setzt voraus, dass neben der individuellen Beziehung von Eltern und Erzieher/innen die Mitbestimmungsmöglichkeiten erweitert bzw. neue Formen der Elternarbeit und Elternmitwirkung entwickelt werden (IES 2004: 1); denn Erziehungspartnerschaften bedürfen einer institutionellen Absicherung, damit sie ihre positive Wirkung voll entfalten können. Sie verlieren auf diese Weise „den Charakter der Beliebigkeit und führen zu einer ernsthaften, wenn auch möglicherweise schwierigen Kooperation über drängende Fragen der Erziehung“ (Wissenschaftlicher Beirat 2005: 29). Zudem entlastet eine solche Institutionalisierung die Fachkräfte, indem die Umsetzung des hohen Anspruchs an Kooperation erleichtert 88 Angesichts des großen Anteils christlicher Kindergärten in den westdeutschen Bundesländern und ihrer Personalpolitik, die häufig die Einstellung von Fachkräften, die einer nichtchristlichen Religionsgemeinschaft angehören, erschwert, muss hier langfristig eine Lösung gefunden werden, die insbesondere in Regionen mit einem hohen muslimischen Anteil den Einsatz von bilingualen Fachkräften ermöglicht (vgl. ebd.). 89 Andere wiederum bleiben beim Begriff Erziehungspartnerschaft, da diese „Bildungspartnerschaft und selbstverständlich auch Betreuungspartnerschaft“ einschließe (Liegle 2006: 135).
1.3 Zur Zielbestimmung eines neuen Systems öffentlicher Verantwortung
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wird90. Neben institutionalisierten Formen der Elternbeteiligung umfasst dies auch vielfältige praktische Betätigungsmöglichkeiten für Eltern unter Beachtung der lokalen Gegebenheiten (DJI 2004: 110)91. Diese sind einzubetten in ein „umfassendes Konzept der Elternansprache, der Elterngewinnung, der Elternbildung, der Information und Beratung“ (Deutscher Verein 2007), welches Eltern und Familien als zentrale Bildungspartner ansieht, sie zugleich aber auch hierzu befähigt. Hiermit ist auf die Notwendigkeit einer inneren Verschränkung der familienpolitischen Steuerungsfelder verwiesen, in denen Familienpolitik im Hinblick auf ihre unterschiedlichen Grundziele wirksam wird, insbesondere auf örtlicher Ebene (Wingen 1997: 131). Wenn ein solches Konzept auch interkulturelle Ansätze umfasst sowie vermehrt Fachkräfte mit Migrationshintergrund bzw. interkulturellen Kenntnissen eingesetzt werden, könnte dies auch hinsichtlich der Zusammenarbeit mit und der aktiven Teilhabe von Migranteneltern unterstützend wirken (DJI 2004: 113). Darüber hinaus müssten auch weitere Bedingungen gegeben sein, um Erziehungspartnerschaften erfolgreich umsetzen können. Eine wesentliche ist die notwendige verbesserte Aus- und Weiterbildung von Fachkräften. Denn Erziehungspartnerschaften setzen voraus, „dass die Grundlagen gelingender Beziehungs- und Erziehungsprozesse nicht nur Eltern, sondern auch den anderen an der Erziehung des Kindes Beteiligten bereits in der Ausbildung oder in der Fortbildung vermittelt werden“ (Wissenschaftlicher Beirat 2005: 28). Zurzeit sind Erzieher/innen insbesondere in der Zusammenarbeit mit Eltern aus bildungsfernen Schichten unsicher, was wenig verwundert, erfordert doch eine solche Zusammenarbeit mit Eltern auch Qualifikationen in Erwachsenenbildung, ein Aspekt, der bisher in der Ausbildung von Erzieher/innen kaum eine Rolle spielt (Rauschenbach u.a. 2004: 199). Sozialisations- und vor allem familienbezogenes Wissen sowie familienpädagogisches und -psychologisches Know-how ist daher in die Ausbildung der Fachkräfte vermehrt zu integrieren. Sowohl Fachkräfte als auch Eltern bringen Wissenslücken mit: Die einen über die Familiensituation sowie das Verhalten und Erleben des Kindes außerhalb der Einrichtung, die anderen über den Erziehungsalltag und die Entwicklung des Kindes in der Tagesstätte. Beide Seiten können diese Lücken nur durch einen gleichberechtigten Dialog auflösen, in dem sie darüber erfahren, wie sich das Kind in der jeweils anderen Lebenswelt verhält. Dieser Gesprächsaustausch stellt die Grundlage dar „für eine offene, vertrauensvolle und intensive Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten beim gemeinsamen ‚Geschäft‘ der Erziehung und Bildung von Kindern“ (Sturzbecher 1998: 185). Zu klären ist, wie eine solche Grundlage entstehen kann, wenn die Eltern nicht nur als kompetente Bildungs- bzw. Erziehungspartner, sondern zugleich auch als Konsumenten bzw. Kunden der Angebote der Kindertagesstätten angesehen werden, teilweise sogar explizit als Zielgruppe von Bildungsangeboten (s. Kap. 3.3.3.7). Hier ist es dringend notwendig, das Verhältnis zwischen den Einrichtungen und den Eltern konzeptionell neu zu bestimmen (s. dazu DJI 2003: 135, BMFSFJ (Hg.) 2003: 170). Ebenfalls geklärt werden müsste in diesem Zusammenhang die Funktion der Fachkräfte, denen „einerseits übereinstimmend zu geringe Kompetenzen im Umgang mit Eltern und in Methoden der Erwachsenenbildung atttestiert werden, die aber andererseits Elternkurse durchführen oder organisieren sollen“ (DJI 2004: 113).
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S. zu einem realistischen Konzept der Zusammenarbeit von Erzieher/innen und Eltern auch Prott 2003. S. zu erfolgreichen Formen der Elternarbeit auch Textor/Blank 2004.
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Kooperation von Kindertageseinrichtungen und Tagespflege Neben der Intensivierung der Kooperation von Familie und Kindertageseinrichtung wird auch die Vernetzung im Elementarbereich und da konkret eine intensivierte Zusammenarbeit zwischen Tagespflege und Kindertageseinrichtungen schon lange in der Kinder- und Jugendhilfe gefordert, „um Ressourcen besser zu bündeln und evtl. neue Angebotsformen zu entwickeln, die dem Bedarf besser entsprechen als die klassisch separierten Maßnahmen und Institutionen“ (Schneider/Zehnbauer 2005: 168). Die bisherigen Erfahrungen mit konkreten Kooperationsbezügen, durch die Neuregelungen im Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) auf eine neue, verbesserte rechtliche Grundlage gestellt, sind dabei „ermutigend, aber immer noch dünn gesät, wie schon Mitte der 1990er Jahre festgestellt wurde (…), bestätigt nach einer Länderumfrage 2001 und durch neuere Recherchen“ (ebd.: 171). Wie Untersuchungen von erfolgreichen Kooperationsmodellen zeigen (Stempinski 2006; Schneider/Zehnbauer 2005; Jurczyk u.a. 2004), beziehen sich die meisten Beispiele92 auf relativ eng umrissene Zielsetzungen (wie z.B. eine Gestaltung von Übergängen für Kinder, die aus der familiären Tagesbetreuung in die Kindertageseinrichtung hinüberwechseln) und sind nicht in ein Gesamtkonzept eingebunden, sondern punktuell entwickelt worden. Sie sind bislang zudem „wenig bekannt und kaum dokumentiert“ (Schneider/Zehnbauer 2005: 172). Die Gründe für diese „Kooperationszurückhaltung“ werden vor allem in der Tatsache gesehen, dass sich beide Bereiche über Jahrzehnte hinweg nebeneinander her entwickelt haben mit jeweils eigenen Strukturen und Fachdiskursen. Dies führt dazu, dass die Ausgangssituation vor Ort dadurch gekennzeichnet ist, dass
zum einen „in den Ämtern und bei den öffentlichen und freien Trägern unterschiedliche Personen jeweils für die Kindertagespflege und die Kindertageseinrichtungen zuständig sind und dass kein regelmäßiger Informationsaustausch zwischen diesen Bereichen existiert“ (Stempinski 2006: 20); zum anderen „gerade jene freien Träger, die bundesweit über ein großes Netz von Tageseinrichtungen für Kinder verfügen – allen voran die Wohlfahrtsverbände – bis auf wenige Ausnahmen bislang in der Tagespflege nicht präsent sind“ (Schneider/Zehnbauer 2005: 179).
Daneben verfügen weder die Beschäftigen in Kindertageseinrichtungen noch die in der Tagespflege über ausreichende Verfügungszeiten für die Kooperation. Zudem begegnen sich in der Kooperation in der aktuellen Situation häufig keine „gleichgewichtigen“ Partner, so ist in der Kindertagespflege die Fachlichkeit vielerorts erst aufzubauen und das notwendige Qualitätsniveau herzustellen (Stempinski 2006: 18). Wie alle Erfahrungen zeigen, ergibt sich Kooperation nicht von selbst: Sie muss „auf der Basis eines Einvernehmens über ein fachliches Profil und gemeinsame Qualitätsstandards sowie der Orientierung am Kind aufbauen“ (Stempinski 2006: 52). Sie „benötigt Initiative und Unterstützung und funktioniert auch nur dann längerfristig, wenn alle Beteiligten sie wollen und ihren Vorteil davon haben, wenn also eine ‚Win-Win‘-Situation entsteht“ (Schneider/Zehnbauer 2005: 181). Vor dem Hintergrund dieser Situation setzt eine intensivere Kooperation von Kindertageseinrichtungen und Tagespflege voraus, dass die Tagespflege stärker als in der Vergangenheit zur öffentlichen Aufgabe gemacht wird und 92
S. zu einer Typisierung der Beispiele auch Jurczyk u.a. 2004: 250ff.
1.3 Zur Zielbestimmung eines neuen Systems öffentlicher Verantwortung
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von Bund bzw. Ländern in Landesausführungsgesetzen geregelt und in Bildungs- und Erziehungsplänen thematisiert wird sowie Rahmenbedingungen für die Qualifizierung von Tagespflegepersonen verbindlich festgeschrieben werden, von den Jugendhilfeträgern als gleichwertiger Bestandteil der Jugendhilfeplanung anerkannt, in einem kommunalen Gesamtkonzept zur Bildung und Betreuung von Kindern integriert wird und die entsprechenden Verwaltungsbereiche auf kommunaler oder regionaler Ebene zusammengelegt und in ein Ressort zusammengeführt werden. Dies schließt eine Angleichung der Elternbeiträge für die verschiedenen Betreuungsformen ein und erfordert eine differenzierte Ermittlung der Bedarfe (s. dazu auch Stempinski 2006: 55f, Bertelsmann Stiftung (Hg.) 2006a: 4f, Schneider/Zehnbauer 2005: 184f).
Gestaltung von Übergängen zwischen Kindertageseinrichtungen und Schule Übergänge als „kritische Lebensereignisse“ bergen immer sowohl Potenziale und Chancen als auch Risiken in sich. Wie sie bewältigt werden, hängt von der Auseinandersetzung mit den Anforderungen sowie der Bearbeitung durch den Einzelnen ab (BMFSFJ (Hg.) 2005: 338). Bezogen auf den Übergang vom Kindergarten in die Schule kommt in Deutschland als Besonderheit hinzu, dass die Trennung bzw. der Abstand zwischen beiden Institutionen „historisch begründet und besonders stark ausgeprägt ist“ (Liegle 2006: 143). Der Übergang ist daher ein besonders herausfordernder, misslingt er, „hat das häufig weit reichende Konsequenzen für die weitere Bildungslaufbahn und die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes. Daher sollte einem ungünstigen Entwicklungsverlauf möglichst frühzeitig entgegengewirkt werden“ (LBS-Initiative Junge Familie 2005: 8), zumal in der heutigen Zeit, in der man im Bildungsverlauf nicht mehr von standardisierten Übergangssituationen ausgehen kann, sondern sie individuell nach der Situation des Kindes und den Bedingungen der beteiligten Einrichtungen betrachten muss (Bayerisches Staatsministerium/IFP (Hg.) 2006: 98). In diesem Kontext taucht häufig der Begriff der „Schulfähigkeit“ auf. Dieser Begriff, ursprünglich im verkürzten Sinne einer abfragbaren Liste von Fertigkeiten als Voraussetzung für einen gelingenden Schulstart verstanden, hat im letzten Jahrzehnt eine starke Wandlung erfahren (Griebel/Niesel 2003: 144). Schulfähigkeit wird heute fachlicherseits nicht als Vorgabe für Kinder, sondern als Aufgabe gesehen, die von allen (Schule, Kita, Hort, Eltern) gemeinsam inhaltlich zu füllen ist (Bertelsmann Stiftung u.a. (Hg.) 2006)93. In diesem erweiterten Sinne umfasst sie die gesamte Schulvorbereitung des Kindes im Kindergarten sowie die wechselseitige Kooperation zwischen Familie, Kindergarten und Grundschule. Dies erfordert eine „kontinuierliche Kommunikation zwischen Familie, Tageseinrichtung und Schule über das Verständnis von Bildung, Erziehung, Lernen und Spielen“ (ebd.: 3). Dass dies durchaus mit einem eigenständigen, an den lebensphasenspezifischen Bildungsprozessen und Entwicklungsaufgaben orientierten Bildungsauftrag vereinbar ist, zeigt die im „Gemeinsamen Rahmen für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen“ von Jugendministerkonferenz und Kultusministerkonferenz im Jahre 2004 festgeschriebene Zielsetzung: „Kindertageseinrichtungen sind Bildungsinstitutionen mit eigenem Profil. Sie legen Wert auf die Anschlussfähigkeit des in ihnen erworbenen Wissens und der 93
S. auch Kammermeyer o.J.
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1 Zur Entwicklung und Bildung von Humanvermögen
erlernten Fähigkeiten und Fertigkeiten, und sie gehen davon aus, dass sich die Schule den Prinzipien der Elementarpädagogik öffnet und die Kinder, die vom Elementar- in den Primarbereich wechseln, verstärkt individuell fördert. Einerseits sollen die Kinder aufnahmefähig sein für die Schule und andererseits zugleich die Schule aufnahmefähig für die Kinder. Die Schule setzt die Bildungsarbeit der Tageseinrichtungen auf ihre Weise fort.“ Ähnlich argumentiert auch die OECD (2001) in ihrem ersten Ländervergleich zur Frühpädagogik: So sei es zur Unterstützung des lebenslangen Lernens ab dem ersten Lebensjahr und zur Erleichterung der Übergänge zwischen den Stufen des Bildungssystems wichtig, „die unterschiedlichen Perspektiven und Ansätze der Frühpädagogik und der Schulpädagogik zu verbinden“ und die „Stärken von beiden Perspektiven“ zu nutzen (zit. n. Liegle 2006: 145). An den Nahtstellen zwischen den Einrichtungen werden dabei alle zu Partnern: „Alle Bildungseinrichtungen stehen als professionelle Begleiter von Übergangsprozessen in der Verantwortung, sich für Kinder und Familien sowie füreinander zu öffnen, damit Klarheit, Austausch und Bedeutungsfindung in der Zusammenarbeit entstehen können“ (Bayer. Staatsministerium/IFP (Hg.) 2006: 103) und die frühkindlichen Bildungsprozesse in Schule und Hort ihre nahtlose Fortsetzung finden können. Dies setzt eine frühzeitige und umfassende Zusammenarbeit aller Beteiligten voraus, aufeinander abgestimmte pädagogische Konzepte sowie die Entwicklung gemeinsamer Kooperationsvorhaben94. Als Formen bieten sich an95
„gegenseitige Hospitationen von Erzieher/innen und Lehrer/innen in der Schule bzw. im Kindergarten; gegenseitige Besuche von Kindergartengruppen/Kindertagesschulen und Schulklassen mit entsprechendem Austausch der Kinder; Zusammenarbeit in Einzelfällen, ausführliche Information über die zu übergebenden Kinder und bisherigen pädagogische Erfahrungen und auch eine gemeinsame Elternarbeit“ (Hartnuß/Maykus (Hg.) 2004: 1165).
Damit dies gelingen kann, sind klare Regelungen nötig, die unter anderem klären, wie ein Austausch von Informationen gelingen kann, der sowohl den Interessen aller Beteiligten als auch datenschutzrechtlichen Belangen entspricht. Daneben müssen Kooperationszeiten auch finanziert werden und dürfen nicht dem privaten Engagement von Fachkräften überlassen werden. Und schließlich sind bessere Kenntnisse übereinander wichtig, was gemeinsame Aus- bzw. Weiterbildungen von Fachkräften aus Kindertageseinrichtungen und Schulen erforderlich macht.
94 Vom Institut für Frühpädagogik wurde hierzu ein lokales Transitionsprogramm entwickelt. Bei einem solchen Programm werden möglichst alle Personen und Institutionen, die am Übergang vom Kindergarten in die Schule beteiligt sind, einbezogen (LBS 1/2005: 8). Mit der Herausforderung, ein gemeinsames Leitbild für Kita und Grundschule zu entwickeln, hat sich auch das BLK-Verbundprojekt TransKiGs befasst (s. S. 294). 95 S. zu konkreten Maßnahmen und Angeboten zur besseren Bewältigung des Übergangs vom Kindergarten in die Schule auch Textor/Blank 2004: 42f.
1.3 Zur Zielbestimmung eines neuen Systems öffentlicher Verantwortung
95
1.3.5.2 Bildung im Primar- und Sekundarbereich Kooperation von Jugendhilfe und Schule Zum „künftigen Kernstück der Schaffung eines Systems von Bildung, Betreuung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 483) könnte die systematische institutionelle Kooperation von Jugendhilfe und Schule werden. Denn die alte Arbeitsteilung zwischen Schule und Jugendhilfe gilt heute als „überholt“ (Wissenschaftlicher Beirat 2006: 16); das bundesdeutsche Schulsystem ist zudem in seiner gegenwärtigen Verfasstheit „nicht allein in der Lage, den veränderten gesellschafts- und bildungspolitischen Verhältnissen und den sich daraus ergebenden Herausforderungen gerecht zu werden“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 483). Dies stellt beide Bereiche vor große Herausforderungen. Die bisherige Struktur ist dabei gekennzeichnet durch zwei Systeme, die „strukturell nicht aufeinander bezogen sind“, was Deutschland von europäischen Nachbarländern wie Schweden, Finnland oder Frankreich unterscheidet (BMFSFJ (Hg.) 2005: 463). Das institutionelle Verhältnis von Jugendhilfe und Schule erweist sich, unter anderem auf Grund der voneinander getrennten Entwicklung der Systeme96, auf der Ebene der beiden Gesamtsysteme „als Geschichte eines Nicht-Verhältnisses“ (ebd.: 462). Beide Teilsysteme basieren auf unterschiedlichen strukturdimensionalen Kennzeichen und sind durch unterschiedliche Organisationsziele gekennzeichnet, die aus den unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktionen der beiden Bereiche resultieren. Während im Mittelpunkt der Jugendhilfe die gesellschaftliche Integrationsfunktion steht, wird dieser Aspekt bei der Schule „durch eine Qualifikationsfunktion und eine Selektionsfunktion (…) überlagert“ (Merchel 2005: 179). Gesamtgesellschaftlich wird daher der Zweck der Schule vor allem in der Vermittlung von Bildung gesehen, wobei „Bildung“ in der Regel nicht so sehr mit Blick auf eine umfassende „Persönlichkeitsbildung“ verstanden wird, „sondern begrenzter ausgerichtet auf ‚Leistung‘, auf die Vermittlung von kulturellen Grundfertigkeiten sowie auf die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten als Grundlage für eine Berufsqualifizierung“ (ebd.: 176). Im Gegensatz dazu wird die Jugendhilfe in ihrer gesellschaftlichen Funktion und „auch im öffentlichen Bewusstsein ‚immer mit der Kompensation von individuellen oder strukturellen Benachteiligungen verknüpft‘ und ‚nicht mit der Herstellung der Zukunftsfähigkeit einer postmodernen Gesellschaft‘ (…), wie das bei schulischer Bildung der Fall ist“ (ebd.: 224f). Die auf Länderebene stark zentralisierte institutionelle Struktur der Schule kontrastiert zudem „mit dem dezentralen Charakter der Kinder- und Jugendhilfe, deren wichtigste Handlungsebene die der Kommunen ist“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 464). Dementsprechend ist eine Kooperation beider Bereiche keine leichte Aufgabe. In den 1990er Jahren hat diese Kooperation bereits einen „quantitativen und qualitativen Bedeutungszuwachs“ (Olk 2004) erlebt, langsam haben Jugendhilfe und Schule angefangen, „aufeinander zuzuwachsen“ (Greese 2004). Wie eine repräsentative Befragung des Deutschen Jugendinstituts zur Kooperation von Schulen mit außerschulischen Akteuren von 2005 zeigt, ist eine „Kooperationskultur an Schulen weit verbreitet (…) Die wichtigsten Partner der Schulen sind dabei die schulnahen Dienste, die Einrichtungen und Betriebe in der Kommune sowie die anderen Schulen“ (Lipski 2005: 5). Allerdings zeigen die Ergebnisse zugleich, dass die Zusammenarbeit von Schule mit außerschulischen Partnern nicht zwingend in eine neue Lernkultur mündet, „im Sinne einer Zusammenführung von 96
S. zur Historie des Verhältnisses von Jugendhilfe und Schule auch Homfeldt 2004.
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1 Zur Entwicklung und Bildung von Humanvermögen
unterrichtlicher Fächerorientierung und außerunterrichtlicher Lebensweltorientierung“ (ebd.). Vielmehr, so folgert der Autor der Studie, scheinen die Voraussetzungen für eine neue Lernkultur bisher kaum bzw. noch nicht gegeben zu sein: Die Entwicklung einer solchen Kultur im Sinne einer konzeptionellen Einheit von Unterricht und außerunterrichtlichen Aktivitäten würde eine intensive Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Prinzipien von Jugendhilfe (wie Freiwilligkeit, Pluralität, Lebensweltorientierung) und Schule (wie Verpflichtung, Standardisierung, Lehrplanorientierung, Zukunftsbezug) erfordern sowie mit der Frage ihrer möglichen Zusammenführung (ebd: 4), die bisher gesamtsystemisch ausgeblieben ist. Dies erfordert eine Neupositionierung nicht nur der Rolle der Schule, sondern auch der Jugendhilfe. Bisher allerdings hat sich diese „in ihrer Entwicklung zu wenig auf Bildungsprozesse bezogen und Fragen der Prävention wie auch ihre problembearbeitende Funktion in den Mittelpunkt gestellt“ (Maykus 2005: 7). Statt sich als Partnerin der Schule zu sehen, hat sie sich im Verhältnis zur Schule vor allem als kompensatorisch verstanden97 und in den aktuellen Tendenzen zum Ausbau schulischer Nachmittagsangebote bisweilen eine Konkurrenz um die „freie Zeit“ der Jugendlichen gesehen (s. dazu Olk 2005: 54). Welche Rolle die Jugendhilfe dann spielen kann, wenn sich die Schule als Lernort, aber auch als Erfahrungs- und Lebensraum weiterentwickelt, ist vielfach ungeklärt98. Eine wesentliche Funktion der Jugendhilfe könnte dabei, im Sinne ihrer rechtlichen Verpflichtung die einer „Kennerin und Anwältin der Zielgruppe, die von PISA als Risikogruppe im Bildungssystem identifiziert worden ist“ sein (ver.di 2003: 44). In diesem Zusammenhang kann Jugendhilfe der Schulpädagogik Hilfestellung leisten, wenn es um die Bedürfnisse und Problemlagen dieser Zielgruppe geht, und kann so mit dafür sorgen, dass Schule eine Lebensund Kommunikationskultur entwickelt, die es allen Schüler/innen ermöglicht, diese als Chance für ihr eigenes Leben zu erleben. Zudem könnte und müsste die Jugendhilfe in ihrer Anwaltsfunktion dafür sorgen, dass partizipative Elemente der Kinder- und Jugendbeteiligung im Schulalltag selbstverständlich integriert sind. Daneben könnte die Jugendhilfe mit einem Ausbau der „quartiersbezogenen Beratungsarbeit“ zum Moderator von Bildungsprozessen im Gemeinwesen werden (s. auch Bundesjugendkuratorium 2001). Gelingensbedingungen und notwendige Rahmenfaktoren für eine solche Kooperation wurden in der Vergangenheit zahlreich herausgearbeitet99. Unverzichtbar und konstitutiv für erfolgreiche Kooperationsprozesse sind demnach 97
verbindliche Aufgabenbeschreibungen und Zielvorgaben, deren Erreichung regelmäßig überprüft wird, eine gemeinsame Konzeption mit strukturellen Vorgaben für den Verständigungsprozess, klare Zuständigkeiten bei den Akteuren, Transparenz und Informationsaustausch, die Institutionalisierung eines integrativen Arbeitsverbundes (mit geregelten Formen der institutionellen Zusammenarbeit), Kontinuität im Hinblick auf Dauer und Stabilität,
Wobei sie häufig ihre ungelöste soziale Herausforderung ausklammert, dass es ihr nämlich bislang offenkundig auch nicht immer gelingt, „vor allem jene zu erreichen und zu fördern, die besonders davon profitieren könnten: die benachteiligten Kinder und Jugendlichen mit erhöhtem Förderbedarf“ (Rauschenbach 2008: 7). 98 Vielleicht deshalb wird bisweilen auch davon gesprochen, die Jugendarbeit habe „ihre beste Zeit wohl schon hinter sich“ (Rauschenbach 2009: 184). 99 S. dazu auch Thimm 2006: 60f.
1.3 Zur Zielbestimmung eines neuen Systems öffentlicher Verantwortung
97
eine Koordination und Steuerung der Kooperation (Floerecke/Holtappels 2004: 915ff).
Um dies zu erreichen, müssen allerdings zeitgemäße gesetzliche Rahmenbedingungen auf Bundes- und Länderebene geschaffen werden, wozu vor allem die Intensivierung der Planungsaktivitäten, organisierte Kommunikations- und Kooperationsstrukturen auf kommunaler Ebene sowie eine Aufstockung der Mittel zählen, die eine sach- und aufgabenangemessene Arbeit ermöglichen (s. dazu BMFSFJ (Hg.) 2005: 483). Zugleich böte sich so die Chance, über kommunalpolitische Strukturveränderungen hin zu einer „stärker ausgeprägten organisatorischen und damit möglicherweise konzeptionellen Kleinräumlichkeit der Schulpolitik und -verwaltung zu kommen“ (Coelen 2004: 272). Schule als Lebensort – neue Aufgaben von Schule Angesichts ihres hohen Einflusses auf die Selbstkonzeptentwicklung von Kindern und Jugendlichen und ihrer Bedeutung für den Kompetenzerwerb muss die Schule als ein zentraler Ort in jedem umfassenden Bildungskonzept angesehen werden (s. Maschke/Stecher 2007: 62, Büchner 2002: 293, Rauschenbach 2009: 77). Ein umfassendes Bildungsverständnis aber ist durch Schule in ihrer klassischen Prägung als „Unterrichtsschule“, die bis heute dominant ist, kaum oder nur in Ansätzen realisierbar (s. Bundesjugendkuratorium 2003, Hans-Böckler-Stiftung (Hg.) 1999: 13, BMFSFJ (Hg.) 2005: 212f). Schule erweist sich als zu starr, zu unflexibel und zu wenig interdisziplinär ausgerichtet, um den unterschiedlichen Bedürfnissen und Entwicklungsvoraussetzungen von jungen Menschen zu entsprechen und so die erforderlichen Konsequenzen aus den vorliegenden wissenschaftlichen Forschungsergebnissen für eine optimale Bildungsförderung zu ziehen. Wenn die Bildungsförderung für alle Kinder optimiert werden soll, kann dies nur durch ein radikales Umdenken erfolgen und intendiert ein neues Verständnis von Schule. Eine solche neue Schule als „Lebensraum“ bzw. „Haus des Lernens“ (Bildungskommission NRW 1995/Arbeitsstab Forum Bildung 2001) muss ihre Zielsetzung und Durchführung stärker auf ganzheitliche Einstellungen und Kompetenzen beziehen und
Wissensvermittlung und Persönlichkeitsbildung wieder stärker in Beziehung zueinander setzen, fachliches und überfachliches Lernen ins Gleichgewicht bringen, soziales Lernen, aber auch anwendungsorientiertes Lernen mit Bezug zu biographischen, historischen und umfeldbezogenen Erfahrungen ermöglichen (vgl. Bildungskommission NRW 1995: XIIIf).
Angesichts der Vielfalt von Lebenslagen heute, die zunehmend von sozialer und kultureller Pluralität, von Multikulturalität und Multireligiösität geprägt sind, werden Schulen gebraucht, die sich bei der Förderung von Lernprozessen auf unterschiedliche individuelle Voraussetzungen einstellen (Kirchenamt der EKD (Hg.) 2004: 4). Sie müssen die individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt stellen, was voraussetzt, dass sie je nach den spezifischen örtlichen Erfordernissen auch unterschiedliche Wege gehen (können). Neben der größeren Selbstständigkeit von Einzelschule ist dazu eine stärkere Vernetzung im Sozialraum notwendig. Eine „Schulkultur als Gestaltungsaufgabe“
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1 Zur Entwicklung und Bildung von Humanvermögen
meint mehr als die pädagogische Unterstützung schulischer Sozialisationsprozesse, denn eine Schulkultur ist lebensweltlich regional eingebettet und wirkt über die Schule hinaus in die Region zurück (Wissenschaftlicher Beirat 2002: 26). Die neue Schule muss sich daher als „aktiver Teil des Gemeinwesens“ (Bundesjugendkuratorium 2003) verstehen und sich in einem sozialräumlichen Kontext als Ort sehen, an dem Fachkräfte unterschiedlicher Profession zusammenkommen und ihre speziellen Kompetenzen einbringen (Lübking 2004: 265), mit dem Ziel, Kindern und Jugendlichen „soziale Möglichkeitsräume und Gelegenheitsstrukturen zum biographischen Lernen“ (Büchner 2002: 315) anzubieten und entsprechende Unterstützungsleistungen bereitzustellen. Die adressatenbezogene Erfüllung von Aufgaben wird damit, ebenso wie in anderen Sektoren, auch in Schulen Einzug halten müssen. Gefordert ist neben einer stärkeren Gemeinwesenorientierung und Öffnung der Schule gegenüber den außerschulischen Lebens- und Erfahrungsräumen der Schülerschaft hier vor allem eine intensivierte Kooperation mit anderen Bildungsorten (Jugendarbeit, Kindertageseinrichtungen etc.). Zugleich ist die Gestaltung sozialer Nahräume nicht Aufgabe der Fachkräfte alleine, sondern setzt die Beteiligung aller Betroffenen voraus. Dies intendiert Schulen, die Schüler/innen ebenso wie ihre Eltern als mitwirkende Akteure ansehen und an der Ausgestaltung des Alltags beteiligen. Die neue Schule ist „nicht mehr nur Sache der Lehrkräfte, sondern muss ebenso Sache der Schüler, der Eltern und des Umfeldes sein. Man könnte auch formulieren: Sie darf nicht mehr nur Sache des Staates bleiben, sondern muss zur Sache der Gesellschaft werden“ (Holzapfel 2000: 69). Diese „Gesellschaftlichkeit von Schule“ kontrastiert stark mit einem immer noch vorhandenen Selbstverständnis einer Schule, die ihren besonderen Charakter gerade aus einer gewissen „Distanzierung von Alltags- und Lebensweltkontexten“ bezieht (BMFSFJ (Hg.) 2005: 473). Sie stellt zudem veränderte Anforderungen an die Rolle von Lehrkräften. Das „Leitbild des fachwissenschaftlichen ‚Unterrichtsbeamten‘“ (Landtag NRW 2008: 159) – das heißt einer Person, die sich aufgrund eines wissenschaftlichen Studiums in erster Linie als Fachwissenschaftler versteht, also primär für die Bildung, nicht die Betreuung und Erziehung der Kinder und Jugendlichen zuständig fühlt –, welches sich überwiegend in der Schule des 20. Jahrhunderts durchgesetzt hat (ebd.), kann heute keine Geltung mehr beanspruchen. Wenn soziales Lernen gleichermaßen bedeutsam wird, können die Lehrkräfte nicht mehr nur vorrangig Wissensvermittler sein. „Ihr professionelles Selbstverständnis muß sich in der neuen Rolle des ‚Coaching‘, der Kompetenz von Lernberatern und ‚Lernhelfern‘ (learn-facilitators) ausdrücken, die gegenüber den Lernenden als Lernerfahrene, als Experten einen gewissen Vorsprung haben“ (Bildungskommission NRW 1995: 85). Sie müssen dazu vor allem Arbeitsbedingungen vorfinden, die „pädagogisches Engagement und eine verantwortungsbewusste wie initiativreiche Tätigkeit fördern und die Weiterentwicklung der eigenen Professionalität ermöglichen“ (ebd: XXVIII). Sie müssen zudem durch andere Professionen unterstützt werden. Der Einsatz „multiprofessioneller Teams mit einem aufgabenangemessenen Qualifikationsprofil“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 42) ist hier gefordert. Das Forum Bildung hat daher bereits 2001 eine zielgerichtete Reform von Aus- und Weiterbildung der Lehrenden im Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsystem gefordert100. Diese sei die Vorausetzung für die „Entwicklung von Kindertageseinrichtungen, Schulen, Berufsbildungseinrichtungen, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen zu ‚Häusern 100
S. dazu Arbeitsstab Forum Bildung 2001: 13f, zu den Empfehlungen für eine grundlegende Reform und ein verändertes Kompetenzprofil des Lehrerberufs auch Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) 2002, Zukunftskommission Gesellschaft 2000 (Hg.) 2000.
1.3 Zur Zielbestimmung eines neuen Systems öffentlicher Verantwortung
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des Lernens‘ und ihre Öffnung für das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Umfeld“ (Arbeitsstab Forum Bildung 2001: 13). Damit dies in der Realität umgesetzt werden kann, ist eine andere Wahrnehmung staatlicher Gesamtverantwortung vonnöten: durch Bestimmung der grundlegenden Ziele und Strukturen des Schulwesens, durch Vorgabe der materiellen und rechtlichen Rahmenbedingungen und durch die Gewährleistung der Qualität der Ergebnisse schulischer Arbeit. Leitvorstellung muss „ein orientierendes und fördernd-unterstützendes staatliches Handeln [sein], das stärker als bisher auf Qualitätsverbesserung und Innovation als auf Sicherstellung und Vereinheitlichung ausgerichtet ist“ (Bildungskommission NRW 1995: XXVI). Es geht darum, den Beschäftigten wie den Schüler/innen „mehr als bisher zuzutrauen und zugleich die staatliche Verantwortung auf einen notwendigen, aber überprüfbaren Kern zu konzentrieren“ (Hans-Böckler-Stiftung (Hg.) 1999: 9). Die einzelne Schule würde „mehr Autonomie, Verantwortlichkeit und Handlungsfreiheit – im Rahmen von allgemeinen Bildungsstandards – als bisher erhalten und ein auf den Sozialraum abgestimmtes Konzept erarbeiten können“ (Borsche 2004: 268). Solche allgemeinen Bildungsstandards101 können nur auf der Grundlage eines stimmigen, weitgehend konsensfähigen Bildungskonzepts entwickelt werden. Sie müssen zudem in ein System der Qualitätssicherung eingefügt sein, „in dem Schulentwicklungsprozesse der Einzelschule im Mittelpunkt stehen“ (Klemm 2004: 7). Ein solches Qualitätssicherungssystem muss der Gewährleistung der Betreuung von Schulkindern eine wesentlich stärkere Bedeutung beimessen als dies in der Vergangenheit der Fall war. Aus diesem Grund kommt Ganztagsschulen bei der Umsetzung eines neuen Bildungskonzepts eine große Bedeutung zu. Ganztagsschulen als qualitativ andere Schulformen Als Ort und zugleich geeignetes Instrument, um „zumindest teilweise die Diskrepanzen zu überbrücken, die derzeit zwischen formalen, non-formalen und informellen Bildungszusammenhängen und den dafür jeweils relevanten Bildungsorten und Bildungsmodalitäten bestehen“ (Wissenschaftlicher Beirat 2006: 15), werden Ganztagsschulen angesehen. Ihnen wird die Aufgabe zugetraut und überantwortet, die Bildungsleistungen von Schule, Familie, außerschulischer Kinder- und Jugendhilfe und Gleichaltrigengruppe bündeln, miteinander verknüpfen und aufeinander beziehen zu können, mit dem Ziel, „eine lebensweltlich gehaltvolle personale, soziale, kulturelle und politische Kompetenzentwicklung der Schüler/innen – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft“ (ebd.) zu ermöglichen102. Rauschenbach spricht von der Herausforderung des „bildungspolitischen Dreisprungs“ (Rauschenbach 2005: 6), also wie es zu schaffen ist, dass zugleich die schwächeren Kinder besser und die guten Kinder gezielter gefördert werden können sowie das schulische Bildungskonzept um Elemente und Inhalte nicht-formaler Bildung und Erziehung erweitert werden kann. Insbesondere hinsichtlich der Entkopplung von sozialer Herkunft und schulischer Leistung erhofft man sich von einer ganztägigen schulischen Organisation Erfolgsaussichten, da unterschiedliche Förder- und Unterstützungsangebote der Familien durch intensivere schulische Angebote besser ausgeglichen werden können (Radisch/Klieme 2003: 15) und Schu101
S. zu den Merkmalen guter Bildungsstandards: BMBF (Hg.) 2003: 24ff. S. zu den Chancen und Möglichkeiten von Ganztagsschulen auch Wissenschaftlicher Beirat 2006: 21f, Schulz 2006: 78.
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le aufgrund der zeitlichen und konzeptionellen Ausdehnung eher als „Lebensort und als Gesellungsraum“ (Oelerich 2005: 50) erlebt und gestaltet werden kann. Durch ganztägige Bildungsangebote für Schulkinder sollen die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit für beide Elternteile erleichtert, die schulische Bildung verbessert und die erzieherischen Aspekte von Schulleben gestärkt werden (Merchel 2005: 171f)103. Zudem soll der Rückstand des deutschen Bildungssystems im europäischen Vergleich behoben werden, da in der Mehrzahl der EU-Länder Ganztagsschulen bzw. im Raum der Schulen angesiedelte Ganztagsangebote den Regelfall darstellen (ebd.: 48). Von Ganztagsangeboten wird dabei dann gesprochen, wenn drei Kriterien erfüllt sind:
Das Angebot der Schule umfasst an mindestens drei Wochentagen mindestens sieben Zeitstunden; allen teilnehmenden Schülerinnen und Schülern wird ein Mittagessen angeboten; die nachmittäglichen Angebote werden unter Aufsicht und Verantwortung der Schulleitung organisiert, in enger Kooperation mit der Schulleitung durchgeführt und (stehen) in einem engen konzeptionellen Zusammenhang mit dem vormittäglichen Unterricht (Sekretariat der KMK 2008: 4).
Zugleich werden Ganztagsangebote von der KMK nach der Form ihres Angebots und ihrem Verpflichtungsgrad für die Schüler/innen unterschieden, also inwiefern sie als gebundene oder offene Angebote durchgeführt werden (ebd.: 5). Mit einer flächendeckenden Ausweitung solch ganztägiger Angebote werden „eine große Menge an Hoffnungen und Lösungserwartungen für vielfältige (nicht nur schulische) Probleme“ (Radisch/Klieme 2003: 17) verbunden. Dies nimmt Bezug auf die positiven Effekte von Ganztagsschulen, die bisher „im Hinblick auf Unterricht, Leistungsbereitschaft, Lernerfolg, Lernorganisation, individuelle Förderung der Schüler/innen sowie Wahrnehmung außerunterrichtlicher Aktivitäten von Seiten der Schüler/innen“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 212) festgestellt werden konnten 104. Eine Ausdehnung der schulischen Inanspruchnahme der Lebenszeit von Kindern ist allerdings, nicht nur vor dem Hintergrund des in Art. 6 GG verbrieften Elternrechts105 allein zu rechtfertigen, „wenn es gelingt, mit Hilfe der Ganztagsschule ein neues, für die Entwicklung der heranwachsenden Kinder und Jugendlichen förderliches Mischungsverhältnis von Bildung, Erziehung und Betreuung zu erreichen“ (Wissenschaftlicher Beirat 2006: 14). Es geht also nicht darum, dass Ganztagsschulen einen „Beitrag zu einer weiteren Verbreitung einer ‚Spaßgesellschaft‘ darstellen, in dem sie ‚zu einer Art Aufbewahrungsort für Kinder‘ werden, wenn deren Eltern anderen Aktivitäten nachgehen wollen“ (ebd.: 18). Wie viele Umfragen zeigen, fordern mehr und mehr Eltern – aus welchen Gründen auch immer – für ihre Kinder solche „Angebotsschulen“, behalten sich die Nutzung der Angebote vor, lehnen eine längerfristige Verbindlichkeit der 103
Dabei ist zu beobachten, dass im Zuge der Diskussion der letzten Jahre weniger bildungspolitische als vielmehr sozial- und arbeitsmarktpolitische Argumente zur Begründung eines Ausbaus ganztägiger schulischer Betreuungsformen angeführt wurden; als zentraler Ausgangspunkt diente zumeist der Verweis auf den tiefgreifenden Wandel der Institution Familie (Radisch/Klieme 2003: 13). Erst seit der Veröffentlichung der Ergebnisse der PISA-Studie 2001 rücken bildungspolitisch und schulpädagogisch orientierte Argumente wieder mehr in den Mittelpunkt der Diskussion (ebd.: 15). 104 Eine Zusammenfassung der Erkenntnisse der Ganztagsschulforschung zu den pädagogischen Gestaltungsformen und Wirkungen findet sich u.a. bei Höhmann u.a. 2004: 270ff. 105 S. dazu Wissenschaftlicher Beirat 2006: 75f.
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Teilnahme und Nutzung ab (Wahler u.a. 2005: 69). Zugleich sei, „wie viele Lehrkräfte berichten, unter Eltern die Mentalität, Verbindlichkeit mit Nötigung und Unzuverlässigkeit mit Freizügigkeit gleichzusetzen, stark ausgeprägt. Betreuungsangebote öffentlicher oder freier Träger werden quasi als ‚Selbstbedienungsladen‘ und als eine Art Basar mit Waren betrachtet, auf die man einerseits einen Rechtsanspruch habe, die man aber nach eigenem Gutdünken nutzen könne (oder auch nicht)“ (ebd.). Eine Ganztagsschule im hier verstandenen Sinn ist damit nicht gemeint. Sie legitimiert sich primär über ihr neues Bildungsverständnis, das sie in Überwindung des formalen Bildungsverständnisses der Schule des früheren Jahrhunderts durch Partnerschaften mit außerschulischen Akteuren als „neue pädagogische Kultur“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 38) entwickelt. Eine reine Ausweitung von Schule als Unterricht durch eine angehängte Betreuung wird dem Anspruch einer solchen „Ganztagsbildung“106 nicht gerecht. Ein wesentliches Qualitätskriterium107, das bei sinnvoll gestalteten Ganztagskonzepten gesichert sein muss, ist das der Verlässlichkeit. Aus dem Grund stellt die Beantwortung der Frage, wieviel Freiwilligkeit bzw. Verpflichtung in Ganztagsangeboten gegeben sein sollte bzw. inwiefern gebundene oder offene Formen von Ganztagsschulen vorzuziehen sind, eine der zentralen Herausforderungen bei der Umsetzung dar (Oelerich 2005: 72). Die besondere Stärke gebundener im Vergleich zu offenen Angeboten liegt in den besseren individuellen Fördermöglichkeiten sowie der stärkeren Minderung herkunftsbedingter Ungleichheiten (Wahler u.a. 2005: 88ff). Ein Blick auf die Schulpraxis zeigt, „dass gebundenere Konzepte eher im Kindesalter und für den schulischen Übergang Anklang finden, offenere Konzepte hingegen in der Sekundarstufe I und im Jugendalter verbreitet sind“ (ebd.: 95). Als Bezugspunkt für das soziale Zusammenleben in Schule und Gemeinwesen können so verstandene Ganztagskonzepte geeignet sein, zur Stärkung der nach demokratischen Grundprinzipien organisierten Zivilgesellschaft beizutragen, indem nicht zuletzt die Mitglieder der nachwachsenden Generation zur Teilnahme und Kooperation in schulischen und öffentlichen Angelegenheiten befähigt und motiviert werden (Wissenschaftlicher Beirat 2006: 24). Dies setzt aber voraus, dass die Konzeptionsgestaltung der ganztägig arbeitenden Schulen die Partizipation von Kindern und Jugendlichen beinhaltet und sicherstellt. Auch wenn viele der Argumente für Ganztagsschulen Erwachsenenbelange tangieren bzw. „Institutionsstrategien“ verwirklicht werden, gilt immer noch, dass Schule in erster Linie für Kinder gemacht wird. Eine Kooperation mit der Jugendhilfe bietet hier die Chance, eine Brücke herzustellen zwischen der Schule und den lebensweltlichen Lernorten junger Menschen, Beteiligungsstrukturen von Kindern und Jugendlichen sicherzustellen und die sozialräumliche Verankerung der Ganztagsschule zu fördern (s. dazu auch Maykus 2005: 16f). Schule und regionales Umfeld müssen, insbesondere in sozialen Brennpunkten, füreinander „Versorgungsfunktionen im Hinblick auf bildungsspezifische, erzieherische und kulturelle Angebote, auf pädagogische und fachliche Ressourcen und auf die räumlich-materielle Infrastruktur“ entwickeln (Holtappels 2003: 185). Nicht nur weil viele Schulen bereits von einer „sozialen Entmischung“ geprägt sind, braucht es zudem lokale Konzepte von Ganztagsbildung, die qualitativ über die Einzelschule, Trägerorganisation und auch den Stadtteil 106
Dieser Begriff als ganztägig ermöglichte Bildung signalisiert, „dass sich Bildung im umfassenden Sinne erst mit Hife der systematischen Zusammenführung von formaler Bildung (schulischer Unterricht), non-formaler Bildung (außerschulische Kinder- und Jugendarbeit/Bildungsangebote am Nachmittag) und informeller Bildung in angemessener Weise realisieren lässt“ (Wissenschaftlicher Beirat 2006: 18). 107 S. zu Qualitätsmerkmalen von Ganztagsschulen auch Oelerich 2005: 61ff, Thimm 2006.
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hinausreichen, als Planungs- und Gestaltungsperspektive aller Bildungspartner (Stolz 2008: 15). Dazu zählen eine Abstimmung von Planungen sowie neue Formen der Steuerung für Schule und Jugendhilfe auf kommunaler Ebene. Elternarbeit in der Schule Die Zusammenarbeit mit Eltern stellt nicht nur für die Bildungseinrichtungen im Elementarbereich eine besondere Bedeutung dar, sondern auch für Schulen. Wie das Bundesverfassungsgericht in der Urteilsbegründung zum so genannten Förderstufenurteil vom 6.12.1972 (BVerfGE 34, 165) klargestellt hat, ist der staatliche Erziehungsauftrag in der Schule, von dem Art. 7 Abs. 1 GG ausgeht, „dem elterlichen Erziehungsrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet. Diese gemeinsame Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule, welche die Bildung der einen Persönlichkeit des Kindes zum Ziel hat, lässt sich nicht in einzelne Kompetenzen zerlegen. Sie ist in einem sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken zu erfüllen“. So wie schulische Lernerfahrungen in die Welt der Familien eingebracht werden können, sollten umgekehrt auch schulische Lernprozesse an die außerschulischen Lernerfahrungen der Kinder und Jugendlichen angebunden sein. „Dazu braucht die Familie Informationen aus der Schule über die Entwicklung des Kindes, und die Schule benötigt Informationen über das Leben in der Familie, um die Bedürfnisse, Interessen und Potentiale eines Kindes angemessen erkennen und fördern zu können“ (Wissenschaftlicher Beirat 2006: 81). Dies gilt vor allem dann, wenn unter anderem durch den vermehrten Aufbau von Ganztagsschulen Schule immer mehr zum Erfahrungs- und Lebensraum wird und sich der Erziehungsanteil der Familie zeitlich verringert. Bisher gilt dagegen für die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Familien ähnlich wie für die zwischen Kindertageseinrichtungen und Familien, dass sie durchaus verbesserungswürdig ist, wobei die Gründe dafür vielfältig sind (s. ebd.: 83ff, Bernitzke 2006: 36f). Zum Aufbau von Erziehungspartnerschaften auch im schulischen Bereich ist es daher notwendig, neben einer Erweiterung der Lehrerbildung um Module wie „Familie und Bildung – Erziehung in Familie und Schule“ und „konstruktive Gesprächsführung“, Erziehungspartnerschaften in Schulkonzeptionen und als Aufgabe der Schulentwicklung zu verankern sowie ein Schulklima zu schaffen, das „einladenden“ Charakter hat und den Eltern deutlich macht, dass die Schule ihre Mitwirkung braucht (Wissenschaftlicher Beirat 2006: 88)108. Besonders die Kompetenz der Migranten(selbsthilfe)verbände müsste in diesem Kontext viel stärker eingebunden werden109. 1.3.5.3 Bildung als Kooperations- und Vernetzungsaufgabe Vernetzung zwischen den verschiedenen Bildungsorten und familienbezogenen Diensten Um angesichts der aktuellen Herausforderung einer qualitativen Aufwertung der Humanvermögensbildung „tragfähige Brücken zu bauen zwischen dem ‚Wirtschaftsstandort 108
S. zu erfolgreicher Elternarbeit auch Bernitzke 2006. S. dazu beispielhaft die erfolgreiche Bildungsarbeit der spanischsprechenden Migrant/innen (Sánchez Otero 2004, Fischer u.a. 2007).
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1.3 Zur Zielbestimmung eines neuen Systems öffentlicher Verantwortung
103
Deutschland‘ und dem ‚Kinderstandort Deutschland‘“ (Seehausen 2004: 164), bedarf es unter anderem „kompetenter Vermessungsspezialisten“ (ebd.), die Brücken zwischen Familie, Jugendhilfe, Bildungssystem und Wirtschaft errichten. Vor allem braucht es eine intensivierte präventiv angelegte110 und sozialräumlich orientierte Kooperation zwischen den verschiedenen Angeboten und Diensten, um Kinder und ihre Eltern besser zu erreichen und beim Aufwachsen zu begleiten (vgl. Meier-Gräwe 2008: 39). Nur so kann aus einer fragmentierten eine integrierte Angebotsstruktur entwickelt werden, mit der – so wird zusätzlich angenommen – kostengünstiger und effektiver gearbeitet werden kann (Diller 2007a: 6). Damit gerät der Mehrwert von Netzwerken in den Blickpunkt der Betrachtung: „Netzwerke verschaffen Gesellschaften mehr Flexibilität, sie sind innovationsfähiger als die normalen Institutionen. Sie entwickeln Synergieeffekte und setzen neue Kräfte frei; die Koordination der Akteure ist über Face-to-face-Kontakte leichter zu händeln“ (zit. n. ebd.). Kooperation und Vernetzung111 wird dementsprechend nicht nur in Zeiten knapper Kassen besondere Bedeutung beigemessen, wenn es um eine Verbesserung der Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen geht. Sie wird allerorts gefordert; die Gestaltung und Steuerung von Netzwerken dagegen kaum thematisiert. Offensichtlich wird die Komplexität und Dynamik der Vernetzungsarbeit unterschätzt oder es wird vergessen, dass kooperierende Netzwerke keine Selbstläufer sind und die Qualität der Netzwerkarbeit sowohl abhängig ist von den professionellen Kompetenzen der Beteiligten, d.h. von ihrer Kooperations-, Planungs- und Reflexionskompetenz, als auch von infrastrukturellen und institutionellen Voraussetzungen (Diller 2007a: 8). Anders ist nicht zu erklären, dass – obwohl Netzwerkarbeit bundesweit einen prominenten Platz einnimmt – die Berufsgruppe der Erzieher/innen beispielsweise in ihrer Ausbildung nach wie vor keine Kompetenzen für Kooperations- und Vernetzungsarbeit erwerben kann (ebd.: 5). Ein kooperierendes, multiprofessionelles Binnennetzwerk kann aber nicht ausschließlich von Einrichtungsmitarbeiter/innen initiiert werden. Wenn Jugendhilfe und Schule, Erziehung und Bildung zusammenwachsen, brauchen sie eine gemeinsame Rechtsetzung, z.B. in Form eines gemeinsamen Datenschutzrechtes (Greese 2004: 454), damit Konflikte um Fragen des Datenschutzes zwischen den Beschäftigten der verschiedenen Institutionen gar nicht erst auftreten können, aber auch eine verbindliche Regelung der Kooperationsaktivitäten. Auch auf kommunaler Ebene müssen Strukturen entwickelt werden und Ressourcen bereitgestellt werden, die den Aufbau eines kommunalen Netzwerks fördern. Der öffentliche Jugendhilfeträger ist damit in seiner Rolle als kommunaler Planungsverantwortlicher als Motor/Treiber der Kooperationsaktivitäten gefragt (Diller 2007a: 9f)112. Sozialraumorientierung als wesentliches Kriterium der Vernetzung verschiedener Dienste Mit dem Erfordernis der Vernetzung im Sozialraum rückt ein Faktor ins Blickfeld, der in den letzten Jahren als „Renaissance des sozialen Raums“ (Füssel/Münder 2005: 276) neue Aufmerksamkeit erfahren hat. Mit der in der Jugendhilfe populären Sozialraumorientie110
S. zu Präventionsansätzen in der Jugendhilfe MGFFI (Hg.) 2005: 8. Dabei zeigt sich, dass „die Begrifflichkeiten ‚Kooperation‘, ‚Koordination‘ und ‚Vernetzung‘ auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch nicht einheitlich und nicht trennscharf voneinander abgegrenzt werden. Sie werden eher im Sinne eines Kontinuums ansteigender Integration der Arbeit verwendet und in ihrem zeitlichen Horizont betrachtet“ (Stempinski 2006: 8). S. zur begrifflichen Bestimmung auch Pettinger/Rollik 2005: 140f. 112 S. hierzu auch das Beispiel der lokalen Bündnisse für Familien in Kap. 4.5.1.5. 111
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rung, verstanden als „konzeptionelle Ausrichtung von Angeboten und Einrichtungen an Bedarfen und Lebenslagen von Menschen in ihren jeweiligen Sozialräumen, z.B. Stadtteilen und Wohnquartieren“ (Deinet/Icking 2005: 12) ist eine sowohl organisationsstrukturelle als auch methodische Perspektivenverschiebung in der Jugendhilfe gemeint. Dabei geht es um eine stärkere Einbeziehung sozialräumlicher Ressourcen und Perspektiven in die individuelle Hilfegestaltung, was eine andere organisationsstrukturelle Verankerung der Jugendhilfeorganisationen und vor allem des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe verlangt, in Form einer „Dezentralisierung, Zusammenführung von Fach- und Finanzverantwortung auf der Basis der Bewirtschaftung regionaler Budgets, verstärkte[r] Berücksichtigung und Akzeptanz fallunabhängiger Arbeit sowie Entspezialisierung von Einrichtungen“ (Merchel 2005: 201). Als Brücke zwischen Jugendhilfe und Schule kann die Sozialraumorientierung insofern dienen, als der Stadtteil bzw. Sozialraum sowohl für Schulen als auch für die Jugendarbeit die wesentliche Klammer ihrer Arbeit darstellt. Lebenslagen sind ohne die regionale Dimension nicht zu denken (Bayer/Bauereiss 2002: 206). Die Schule ist Bestandteil von Sozialräumen junger Menschen, und Bildungsprozesse sind „zu einem erheblichen Teil auch sozial und räumlich in ihrem Verlauf beeinflusst, fördern oder erschweren Bildungsbiografien“ (Maykus 2005: 9). Indem Schulen ihren Erziehungs- und Bildungsauftrag dahingehend erweitern, dass sie zum Lebensort für Kinder und Jugendliche werden bzw. werden können, bedeutet dies automatisch eine stärkere Verzahnung zwischen Schulen und den jeweiligen Sozialräumen, in denen sie liegen (Deinet/Icking 2005: 18). Durch die Nutzung des Handlungsfeldes „Kommune“ kann zudem die gesellschaftlich notwendige Befähigung von Schüler/innen zur bürgerschaftlichen Partizipation im Gemeinwesen vorangetrieben und soziale und politische Partizipation erfahren und erlernt werden (Koopmann 2007: 143). Vor dem Hintergrund der Gliederung des Schulsystems ergibt sich allerdings das Problem, dass die weiterführenden Schulen in der Regel Einzugsbereiche haben, die „weit über homogene Sozialräume hinausgehen“ (Greese 2004: 452). Die derzeit im Sekundarbereich geltende regionale Schulstruktur lässt sich zwar gut um den Aufbau regionaler Bildungsnetzwerke erweitern, stellt für die sozialräumliche Ausrichtung der Jugendhilfe allerdings eine Herausforderung dar (Merchel 2005: 229). In einem ersten Schritt muss es daher darum gehen, in Kommunen den Zuschnitt der sozialräumlichen Orientierung der Jugendhilfe und der Schulbezirke in eine bessere Übereinstimmung zu bringen, so dass gewährleistet ist, dass beide Bereiche auch die gleichen Bereiche meinen, wenn sie von Sozialräumen sprechen (Deinet/Icking 2005: 19). In einem zweiten Schritt ist es dann notwendig, die „außerordentlich divergenten Planungstraditionen, Planungsaufgaben und Planungskontexte“ (Merchel 2005: 206)113 beider Planungsbereiche zu vereinheitlichen. Dabei ist darauf zu achten, dass sich die Planungen und Berichterstattungen am Kindeswohl ausrichten und nicht die Leistungsfähigkeit und Effizienz der verschiedenen Institutionen in den Mittelpunkt stellen (s. dazu auch Bertram 2006: 27). Dies setzt voraus, dass die subjektiven Einschätzungen der Kinder und Jugendlichen Raum 113 Während die Jugendhilfeplanung, aufgrund ihrer Festlegung im SGB VIII (§ 80), zu verstehen ist als ein Ort, wo Angebote und Maßnahmen der Jugendhilfe sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht diskutiert und ausgehandelt wird, handelt es sich bei einem kommunalen Schulentwicklungsplan „zunächst primär als ein Instrument der quantitativen Bedarfsdeckung“, bei dem „die Analyse und Prognose der Schülerzahlen, die Bestimmung von Raumbedarf und Ausstattungsstandards, die Berechnung der Investitions- und Folgekosten“ im Mittelpunkt stehen (Merchel 2005: 205f).
1.3 Zur Zielbestimmung eines neuen Systems öffentlicher Verantwortung
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erhalten und Gehör finden und die Datensätze um diese z.B. durch Befragungen gewonnenen Einschätzungen zu ergänzen. Derart umgesetzt bietet eine solch integrierte Bildungs-, Sozial- und Familienpolitik die Chance, zur Schaffung jener „Kultur des Aufwachsens“ beizutragen, die so oft beschworen wird (Wissenschaftlicher Beirat 2002: 16).
2.1 Familienpolitik im 21. Jahrhundert
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2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als neue Aufgabe des Staates 2.1 Familienpolitik im 21. Jahrhundert 2.1.1 Zukunftsgerechte Politik für Kinder und Familien Angesichts der Tatsache, dass Kinder und ihre Bildung der einzige „Rohstoff“ Deutschlands sind, wird die Bedeutsamkeit einer Politik ersichtlich, welche die Humenvermögensbildung in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt. Wenn mittlerweile „zwischen 20 und 30 Prozent der nachwachsenden Generation bildungsarm bleiben, funktionale Analphabeten sind und in der Folge selbst wieder auf staatliche Transferzahlungen zurückgreifen müssen“ (Meier-Gräwe 2008: 38), dann ist dies aus der Perspektive der Zukunftssicherung der bundesdeutschen Gesellschaft und ihrer Positionierung im internationalen Standortwettwerb mehr als fahrlässig. Eine zukunftsgerechte Kinder- und Familienpolitik liegt allerdings nicht nur darin begründet, dass es für eine Volkswirtschaft notwendig ist, wenn Kinder und Jugendliche die in ihnen liegenden Fähigkeiten optimal und unabhängig von sozialen Restriktionen wie sozialer Herkunft oder Wohnort entwickeln. Zugleich ist sie auch unter Gerechtigkeitsaspekten erforderlich und lässt sich grundsätzlich aus der Rolle des Staatsbürgers in der Gesellschaft ableiten. Dieser Gedanke wird in der öffentlichen Debatte in Deutschland gegenwärtig eher selten geäußert, die Perspektive der Humanressourcen, „die schon der älteren, kameralistischen Wohlfahrtstheorie geläufig war, kommt im deutschen Verständnis von Sozialpolitik – im Unterschied zum internationalen Trend der Wohlfahrtsdiskussion – nur wenig zum Tragen“ (Kaufmann 2003: 296). In der Folge dieses Verständnisses wird Bildungspolitik bis heute gemeinhin nicht zur Sozialpolitik gezählt (s. dazu auch Randhahn 2009), „obwohl das Bildungswesen zu den wichtigsten Institutionen einer Verteilung der Lebenschancen und damit als zentraler Faktor der Bekämpfung sozialer Ungleichheit zu gelten hat“ (Kaufmann 2003: 296). Bildungspolitische Debatten vernachlässigen zudem, in der Folge dieses Verständnisses, die Bildungsprozesse in Familien und anderen nonformalen Bildungsorten und Lebenswelten und dementsprechend ihre Auswirkungen auf politisches Handeln, wie der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfamilienministerium mit Blick auf die nur schwer nachvollziehbare „deutliche Schullastigkeit der aktuellen Reformdiskussion“ kritisiert hat (Wissenschaftlicher Beirat 2002: 14). Angesichts der Bedeutung von Familie als wichtige Institution neben dem Staat und dem Markt ist sie in einem Konzept der Humanvermögensbildung auch zentral zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Notwendigkeit eines familienpolitischen Handelns kann daher ein doppelter Begründungscharakter konstatiert werden: So erschöpft sich die Aufgabe einer zukunftsgerechten Familienpolitik nicht allein darin, Familie – eventuell noch unter Bezug auf moralisch legitimierte Leitbilder – in die Situation möglichst optimaler Funktionserfüllung zu versetzen. Zugleich ist sie zu „einem wesentlichen Akteur der Begründung und Realisierung von Gerechtigkeit (…) geworden und dies unter Bezug auf die Zweckrationalität entsprechender Maßnahmen i.S. der Garantie gesellschaftlicher Wohlfahrtsproduktion“ (Gerlach 2004: 342).
S. von Hehl, Bildung, Betreuung und Erziehung als neue Aufgabe der Politik, DOI 10.1007/978-3-531-92834-0_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
Eine gerechte Verteilung der Kosten und Lasten der Humanvermögensbildung ist in den vergangenen Jahren immer öfter vehement eingefordert worden. Dies beinhaltet eine öffentliche Verantwortung für die Bildung und Erziehung von Kindern im Sinne einer Stärkung der Erziehungskompetenzen der Eltern und der Bildungskompetenzen der Kinder und Jugendlichen sowie der Einlösung des Rechts aller in Deutschland lebenden Kinder und Jugendlichen auf umfassende Teilhabe an den Ressourcen der Gesellschaft als „Aufgabe und Ziel aller Politik- und gesellschaftlichen Bereiche in Deutschland“ (BMFSFJ (Hg.) 2002: 53). Diese Notwendigkeit der Schaffung einer neuen Kultur des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen ist als Balanceakt zu verstehen, der „die Anerkennung der Eigenrechte der Kinder, die soziale Unterstützung von Kindern und materielle Zuwendungen für Kinder und Familien in einen sinnvollen Zusammenhang bringt und eine soziale Lebenswelt der Kinder, für Kinder und mit Kindern schafft, die das Zusammenleben der Generationen mit geeigneten kulturellen Teilhabe- und sozialen Anschlusschancen für alle Beteiligten ermöglicht“ (Büchner 2002: 315). Daraus folgt – wie auch Ländervergleiche der Familienpolitik in Europa immer wieder zeigen (s. unter anderem Gerlach u.a. 2004) – die Notwendigkeit eines integrierten Konzepts einer Bildungs-, Arbeits-, Sozial- und Gesellschaftspolitik, welches die Lebensperspektive von Kindern und Jugendlichen genauso einbezieht wie die Bedürfnisse von Eltern und die gesellschaftlichen Ansprüche an die Bildung von Humanvermögen. Angesichts der Unterschiedlichkeit der Lebenssituationen von Kindern und Familien ist dabei der Einsatz unterschiedlicher Instrumente ratsam, was zur Forderung einer „zielgruppenorientierten Familienpolitik“ (Gerlach 2004: 238) führt. Getreu der Einsicht, dass nicht isolierte Einzelmaßnahmen zum Ziel führen (wie in Deutschland lange entsprechend der Logik und der Zuständigkeiten betrieben), hieße das, in Anlehnung an die Politik nordeuropäischer Länder, „Politik für Familien und Kinder als einen Policy Mix zu begreifen, der unterschiedliche Maßnahmen zur ökonomischen Entwicklung, zur Infrastruktur wie zur Neuorganisation der Aufgabenteilung zwischen Familie und Institutionen für Kinder integriert“ (Bertram 2006: 11). Eine solche zukunftsgerechte Politik für Kinder und Familien im Sinne eines „neuen Generationenvertrages“ kann, wie bereits vom Elften Kinder- und Jugendbericht gefordert, „nur durch einen Systemwechsel bei den sozialen Leistungen, durch eine Umverteilung der Belastungen zwischen den Generationen, durch eine familienfreundliche Gestaltung der Arbeitswelt sowie den Ausbau einer bedarfsgerechten sozialen Infrastruktur in öffentlicher Verantwortung entstehen“ (BMFSFJ (Hg.) 2002: 54). Dies meint eine bessere Förderung infrastruktureller Angebote im Sinne eines Vorrangs vor der Erweiterung finanzieller Transferleistungen („Dienste vor Geld“) sowie eine stärkere individuelle Förderung von Familien, die auch den Faktor „Zeit“ als weithin „vergessenen Aspekt der Familienpolitik“ (Dettling 2001: 50) in ihr Konzept einbindet. Eine solch „komplexe Familienpolitik“ (ebd.: 69) ist auch als Reaktion auf die Komplexität der heutigen Gesellschaft zu sehen. Sichtbar wird diese Komplexität, wenn man die rechtliche Verankerung des Familienverständnisses in Deutschland betrachtet. Obwohl die Familie nach dem Grundgesetz unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung steht und ihre Bedeutung mit keiner anderen Institution oder menschlichen Gemeinschaft vergleichbar ist, existiert im deutschen Rechtssystem keine einheitliche Definition des Begriffs Familie114: Der Begriff ist vielmehr das „Ergebnis von gesellschaftlichen Definitions- und Aushandlungsprozessen“ und in seinem Verständnis „ein zeitbedingtes, kultur- und systemabhängiges Konstrukt, das sich 114
S. zum rechtlichen Verständnis von Familie auch Gerlach 2004: 249ff.
2.1 Familienpolitik im 21. Jahrhundert
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im Zuge gesellschaftlicher Wandlungsprozesse immer wieder verändert hat“ (Wagenblass 2005: 18). Die in der Politik lange Zeit postulierte Dualität von Familie und Ehe ist dabei immer stärker von einem Verständnis von Familie abgelöst worden, dass diese als Ort ansieht, an dem Kinder leben bzw. als solchen, an dem Eltern für Kinder und Kinder für Eltern dauerhaft Verantwortung übernehmen (ebd.: 13). Für einen Staat wie Deutschland, der sich mit dem Grundgesetz eine klare Wertorientierung gegeben hat, kann sich eine solche Anpassung der Politik an die soziale Realität als Gratwanderung darstellen: „Der zum Schutz von Ehe und Familie aufgerufene, dazu verpflichtete Staat gerät gerade heute leicht in ein sachliches und zeitliches Dilemma zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ein Grundrecht, das zugleich eine gesellschaftliche Institution achten und fördern will, muss womöglich eine Wertentscheidung aus der Vergangenheit in einer partiell anders denkenden Gegenwart durchsetzen oder gar im Blick auf die Zukunft ‚umgestaltend‘ wirken, um die Idee in der Wirklichkeit zu bewahren“ (Di Fabio 2002). Vor allem aufgrund der Tatsache, dass moderne ebenso wie postmoderne Gesellschaften nicht mehr über einheitliche Sinnstiftungsquellen verfügen, stellt die daraus folgende Pluralität an Orientierungen, Lebensstilen und Einstellungen alle Politikbereiche, die in ihrem Kern mit sozialethischen Fragestellungen verbunden sind, vor besondere Begründungsnotwendigkeiten. Dies gilt auch für die Familienpolitik und das Familienrecht (Gerlach 2004: 249). Aus rechtlicher Perspektive ist das durch das Grundgesetz festgelegte Verhältnis von Elternrechten, Staatsrechten und Kinderrechten durchaus als Begründung für verstärkte Aktivitäten des Staates im Bereich der Humanvermögensbildung heranzuziehen. Zwar sichert das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG die Eltern in umfassender Weise vor staatlicher Intervention in Fragen von Pflege und Erziehung ihrer Kinder, es steht jedoch in einer „dreifachen Pflichtbindung“ und ist „inhaltlich als fremdnütziges Freiheitsrecht der Eltern konzipiert, das einzig auf das ‚Wohl des Kindes‘ hin ausgerichtet ist“ (Depenheuer 2006: 6). Neben dem Recht ist es auch gerade eine Pflicht der Eltern, über deren Wahrung gem. Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG die „staatliche Gemeinschaft“ wacht. Zudem normiert Art. 7 GG neben dem Eltenrrecht ein eigenständiges staatliches Erziehungsmandat in Gestalt der Schule. Damit kommt den Eltern verfassungsrechtlich ein Vorrang bei der Kindererziehung zu – allerdings haben sie kein Recht zur beliebigen Erziehung. In Grenzen dirigiert die Verfassung somit das Erziehungsziel und gibt dem Staat „ein eigenes Mandat zur Beobachtung und Verbesserung der elterlichen Erziehungsleistungen mit dem Ziel, allen Kindern einen chancengleichen Zugang zur staatlichen Pflichtschule zu ermöglichen“ (ebd.: 2). Dass die Politik ihrem Gestaltungsauftrag hier in den vergangenen Jahrzehnten nur bedingt nachgekommen ist, zeigen die Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die die „Sache“ der Familie häufig gesellschaftlich erst durchsetzen mussten. Gerlach konstatiert daher, die Familie sei „zum ständigen Mahnfall für das Bundesverfassungsgericht geworden“ (Gerlach 2000: 141). Ganz offensichtlich sind in den Verhandlungsstrukturen des gegenwärtigen politischen Systems Interessen von Kindern und Familien nicht hinreichend durchsetzungsfähig, wobei „die Vermischung von politischer Interventionsschwäche und funktionaler Ineffektivität gewählter Lösungsansätze“ klar als Staatsversagen eingeordnet werden kann (ebd.: 125). Grundsätzlich wird in der öffentlichen Debatte um die Weiterentwicklung der Unterstützung für Kinder und Familien in Deutschland davon ausgegangen, dass hier keine Mehrkosten entstehen dürfen. Zugleich wird allerdings mit großer Selbstverständlichkeit hingenommen, dass die jetzt schon im europäischen Kontext sehr hohen Gesundheitskosten in Deutschland weiter steigen sollen, während sie in den nordeu-
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2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
ropäischen Staaten, etwa Finnland, in den vergangenen Jahren gesunken sind. Dies zeigt das „Missverhältnis in der politischen Debatte“ (Bertram 2006: 40) und den offenkundigen Umstand, „dass die Investitionen in die Zukunft der Kinder als nicht so wichtig erscheinen wie andere gesellschaftliche Bereiche“ (ebd.). Die Zurückhaltung der Politik gründet daneben auch in der Schwierigkeit der Nachweisbarkeit kausaler Zusammenhänge zwischen dem Einsatz kinder- und familienpolitischer Maßnahmen und der Messbarkeit ihres Erfolges, was diese zur leichten Manövriermasse in Zeiten klammer Kassen macht und jede politische Steuerung erschwert. Bereits bei bisherigen familienpolitischen Maßnahmen zeigen sich große Schwierigkeiten beim Nachweis von Umfängen und Richtungen der Transferströme zwischen Eltern und Kinderlosen sowie Jungen und Alten115. Auch die für die Vergangenheit kennzeichnende Unkenntnis familienpolitischer Erträge durch den fehlenden direkten Zusammenhang zwischen den finanziellen Mitteln, die Staaten für Kinder und Familien aufwenden, und der in diesen Staaten vorhandenen Kinderzahl mag hierzu beigetragen haben. Vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse der vergangenen Jahre, die einen Zusammenhang zwischen gleichstellungspolitischen Maßnahmen und Geburtenraten in europäischen Ländern zeigen116 (s. dazu auch Kap. 1.2.2), ist die Politik gefordert, als familienpolitischer Akteur tätig zu werden und den Interessen von Kindern und Familien bessere Geltung zu verschaffen. 2.1.2 Neue Akteure in der Familienpolitik Die Akteursszene in der Familienpolitik hat sich in den vergangenen Jahren sehr verändert, ja erweitert. Neben den „traditionell“ typischen Akteuren117 – außer dem Bund, den Bundesländern und Gemeinden (s. dazu Kap 3.2) sind dies die Verbände der Wohlfahrtspflege, die Familienverbände etc. – sind weitere Spieler auf den Plan getreten. Nach dem in der wohlfahrtsstaatlichen Forschung recht populären Vetospieleransatz (Tsebelis 1995/2002) dürften damit das Agenda-Setting und der Policy-Output erheblich beeinflusst werden. Bisher allerdings ist dieser familienpolitische Akteurswandel von der historischen und 115
Aus diesem Grund wurde von verschiedenen Forschern unter anderem die Methode der „Generationenbilanzierung“ entwickelt als ein intertemporales Budgetierungssystem. Die Nettosteuerzahlung der Generationen, hergeleitet aus dem Barwert aller Zahlungsströme, die sie an den fiskalischen Sektor über ihr verbleibendes Lebens bezahlen (Steuern, Beiträge, Gebühren u.ä.), abzüglich dem Barwert aller Zahlungsströme, die sie vom fiskalischen Sektor über ihr restliches Leben erhalten (Bildung, öffentliche Güter, Transfers, Renten, Kranken- und Pflegeversicherungsleistungen u.ä.), wird dabei miteinander verglichen (Fetzer/Hagist 2004: 2). Bisher wird die Methode aber kaum über den Kreis der Fachwelt hinaus angewandt. 116 Jenseits von wirtschaftlichen Gegebenheiten, die immer auch Auswirkungen auf die Geburtenraten haben und sich in Krisenzeiten negativ auf die Geburtenraten in westlichen Industriegesellschaften auswirken (Brewster/Rindfuss 2000: 291f), zeigen internationale Vergleiche, dass in Westeuropa tendenziell dort am meisten Kinder geboren werden, wo Gesellschaften die Gleichstellung der Geschlechter am besten gewährleisten (s. dazu auch Neyer 2006): Je moderner eine Gesellschaft und je größer die Emanzipation der Frauen, um so höher sind tendenziell auch die Kinderzahlen. „Mit anderen Worten: Je schwieriger die Situation der Frauen, um so weniger Nachwuchs kommt zur Welt“ (Kröhnert u.a. 2004: 8). Um Menschen in modernen Industriegesellschaften zu höheren Kinderzahlen zu motivieren, scheint es daher am erfolgversprechendsten, die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft zu fördern, unter anderem durch gleichstellungspolitische Maßnahmen sowie einen Ausbau der Kinderbetreuung, um so den (sich in niedrigen Geburtenraten ausdrückenden) Widerspruch zwischen Kinderwünschen und Lebensentwürfen aufzuheben (ebd.: 10ff). 117 S. zur mehrgliedrigen Trägerstruktur der Familienpolitik Wingen 1997: 313ff.
2.1 Familienpolitik im 21. Jahrhundert
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politikwissenschaftlichen Forschung – von Ausnahmen abgesehen – erstaunlich selten aufgegriffen worden (Kuller 2004: 5). Zum einen ist der familienpolitische Akteurswandel durch eine Bedeutungssteigerung im Bereich nicht-staatlicher Akteure gekennzeichnet. Dies gilt vor allem für die Wirtschaft. So engagieren sich Unternehmen ebenso wie Unternehmensverbände immer öfter im Bereich betrieblicher Familienpolitik; und auch für die Gewerkschaften hat sich mit der Orientierung auf Frauen- und Familienpolitik in den letzten Jahren ein neues Handlungsfeld ergeben, was zu einem für Familienpolitik zunehmend sensibilisiertem Selbstverständnis der Tarifpartner geführt hat und familienpolitische Aktionsfelder verstärkt in Tarifverträgen auftreten lässt (Gerlach 2004: 140f). Allerdings ist festzustellen, dass betriebliche Familienpolitik gegenwärtig noch weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt, was darauf zurückgeführt wird, dass momentan „nur ein geringer betriebswirtschaftlicher Anreiz besteht, familienorientierte Maßnahmen in Unternehmen zu implementieren“ (Althammer 2007: 62)118. Die betriebliche Familienpolitik kann daher lediglich als Ergänzung staatlicher Familienpolitik, keinesfalls als ihr Substitut angesehen werden. Neben der Bedeutungssteigerung von Arbeitgebern und Kommunen als Akteuren und Gestaltern von Familienpolitik ist das familienpolitische Handlungsfeld verstärkt durch die Einbindung zivilgesellschaftlicher Potenziale gekennzeichnet (Gerlach 2007: 19). Dies zeigt sich in der wachsenden Einbeziehung eben dieser Akteure in die familienpolitische Gestaltung vor Ort durch die „Lokalen Bündnisse für Familie“, die in immer mehr Kommunen entstehen. Daneben hat in den letzten Jahren auch (häufig unterstützt durch Landesjugendämter und Kommunen) die Familienselbsthilfe an Bedeutung gewonnen. Dahinter verbirgt sich eine Vielzahl von Initiativen und Netzwerken, die sich in Selbstorganisation mit den spezifischen Problemen und Lebenslagen von Familien beschäftigen, bei der Bewältigung des Familienalltags unterstützen und Entlastungsmöglichkeiten bieten (s. Gerlach 2004: 142). Zugleich ist auch im politischen und rechtlichen Raum eine Akteurserweiterung zu konstatieren. Zu nennen ist hier einmal das Bundesverfassungsgericht, das unter den familienpolitischen Akteuren insofern eine Sonderstellung einnimmt, als ihm der Verfassungsgesetzgeber ursprünglich nicht die Rolle der Politikgestaltung zugedacht hatte. Trotzdem ist es im Verlauf der 1990er Jahre zu einem Akteur „mit besonderer Dominanz“ (Gerlach 2007) geworden und wird bisweilen sogar als „Nebenregierung“ in der deutschen Familienpolitik (Berth 2007) bezeichnet. Wie sich heute ohne Übertreibung sagen lässt, sind alle den Familienlasten- bzw. -leistungsausgleich bestimmenden Eckwerte vom Bundesverfassungsgericht formuliert worden (Gerlach 2007: 15). Daneben haben sich auch auf politischer Ebene Akteursveränderungen vollzogen, was sich beispielhaft an der Rolle der Parteien in der Familienpolitik zeigen lässt. Sie haben ihr Auftreten und ihre familienpolitischen Forderungen in den letzten Jahren zum Teil ganz erheblich verändert. Dies mag zum einen an der „massiv die Familie unterstützenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen, das zunehmend die Bedeutung von Familie als Leistungsträgern herausgearbeitet hat.“ (ebd.). Zum anderen erhöhen aber auch empirische Sachverhalte wie der demografische Wandel sowie der wachsende Anteil von von Armut betroffenen Familien, insbesondere von Alleinerziehenden, den Regelungsdruck auf die Politik. Alle Parteien haben daher nach der Jahrtausendwende familien- bzw. kinderpolitische (Bündnis90/Die Grünen) Grundsatzprogramme verfasst, die sich in ihren 118
S. zu den Motiven unternehmerischen Engagements in der Familienpolitik auch Gerlach 2004: 139f.
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2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
Zielen nur noch punktuell voneinander unterscheiden119, was darauf hinzudeuten scheint, „dass Familienpolitik heute nicht mehr als Institutionenpolitik betrieben wird, sondern sich zu einer Politik der Anerkennung und des Ausgleichs von Familienleistungen gewandelt hat“ (Gerlach 2004: 132). Neben dem Bundesverfassungsgericht hat sich hier vermutlich auch ausgewirkt, dass die Medien dem Thema Familie immer häufiger Aufmerksamkeit widmen und dadurch den öffentlichen Druck auf die Politik in den vergangenen Jahren erhöht haben120. Nicht zuletzt ist als gewichtiger und stetig an Bedeutung zunehmender familienpolitischer Akteur die Europäische Union (EU) zu werten, die in der Familienpolitik lange Zeit lediglich über ihre sozialpolitischen Maßnahmen eine Rolle spielte. Dies hat sich in den vergangenen Jahren zusehends geändert, wie eine Reihe von Richtlinien121 deutlich machen sowie diesbezügliche Änderungen des Amsterdamer Vertrags und auch die ausdrückliche Erwähnung der Familie in der Charta der Grundrechte der EU, die mit dem Vertrag von Nizza unterzeichnet worden ist (Art. 7, 9 und 33 der Charta). Inwiefern auch die EUGrundrechtecharta und deren Integration in den Verfassungsvertrag nationalstaatliche Angleichungsprozesse nach sich ziehen werden, wird abzuwarten sein, zumal der Familienbegriff dort beispielsweise anders gefasst ist als im Grundgesetz (Gerlach 2007: 15). 2.1.3 Herausforderungen von außen – die deutsche Politik im internationalen Kontext Nicht nur durch den empirischen Handlungsdruck und das veränderte Akteursfeld, sondern auch durch Herausforderungen von außen ist die deutsche Politik der Humanvermögensbildung und -entwicklung in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten unter einen wachsenden Veränderungsdruck geraten. Zum einen haben externe Prozesse, unter anderem die Wandlung der ökonomischen Produktionsprozesse, den Staat modernen Typs „als Leistungs- und Anstaltssystem zur Sicherung und Steuerung sozialer Bedürfnisse“ in eine signifikante Krise gebracht, wie Nitschke feststellt (2000: 83, s. dazu auch 83ff). So zwingt die Globalisierung von Wirtschaft und Politik, noch verstärkt durch die Wirtschaftskrise, die Nationalstaaten gegenwärtig, ihre Selbstkonzeptionen vor dem Hintergrund veränderter politischer Gestaltungskompetenzen und -prozesse neu zu formulieren. Dies liegt in der Lösung der Wirkungsbedingungen von Kapital und Arbeit begründet, welche gerade für den Sozialstaat, dessen Entwicklung mit dem Paradigma der Partnerschaft von Kapital und Arbeit so eng verbunden war, von großer Relevanz ist: Das Kapital, das spätestens seit der Einführung der Sozialversichung und ihrer Arbeitgeberbeiträge Mitträger des Sozialstaats ist, hat nun die Möglichkeit, diese Last durch Wanderung zu reduzieren (Zacher 2000: 75f). Im Sinne eines „Benchmarking“ werden in diesem Zusammenhang die klassischen sozialstaatlichen Konzeptionen miteinander verglichen und auf ihre Problemlösungsfähigkeit hin abgeklopft, wobei der deutsche Sozialstaat122 „große Defizite und Anpassungsschwierigkeiten an die veränderten Rahmenbedingungen“ zeigt (Gerlach 2000: 126). Die Krise aber allein auf den Sozialstaat zu beziehen griffe zu kurz. Der Nationalstaat als solcher steht zu 119
Unterschiede ergeben sich lediglich mit Blick auf den Familienbegriff sowie in Bezug auf die jeweils bevorzugten familienpolitischen Instrumente (Gerlach 2007: 15). S. zur Rolle von Medien als Akteure in der Familienpolitik auch Bundesforum Familie (Hg.) 2002. 121 S. beispielhaft die EU-Richtlinie für den Elternurlaub, die die Reform von Erziehungszeit und -geld 2001 erforderlich machte. 122 S. zu den Hauptbestandteilen des deutschen Sozialstaats zusammenfassend Schmid 2003: 404. 120
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Beginn des 21. Jahrhunderts vor einer Funktionsveränderung123, die unter anderem durch inter- bzw. supranationale Organisationen, besonders die „Herausforderung Europa“ (Gisevius 1994), ausgelöst wird124. Wie sich im Bereich der Humanvermögensbildung zeigt, nehmen diese Organisationen auf unterschiedliche Weise Einfluss auf die Politik der Mitgliedsstaaten (Buse 2004: 11): Indirekt über politischen Druck durch Benchmarking und Leistungsvergleiche (wie beispielsweise im Fall der OECD-Studien, der UNESCO-Berichte oder rechtlich unverbindlicher EU-Vergleiche) sowie als Folge europäischer Beschlüsse, zum Teil auch als direktes Politikerfordernis. Vor allem die Beschlüsse der Europäischen Räte von Lissabon, Stockholm, Barcelona und Madrid, das Memorandum der EU-Kommission zum Lebenslangen Lernen und das Zehn-Jahres-Arbeitsprogramm der EU zur Verwirklichung der „Ziele für die Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung in Europa“ sind in diesem Kontext als wesentlich zu nennen. Spätestens mit dem Lissabonner Gipfel vollzog sich dabei in der europäischen Binnenpolitik ein entscheidender Paradigmenwechsel – auch als “silent revolution“ beschrieben (Hepp 2006), da sie in ihrer Bedeutung für die Politik der Mitgliedsstaaten vielfach unterschätzt werden: „Die neu entdeckte Gemeinschaftsaufgabe Bildung wurde nun als der ‚wirtschaftliche Erfolgsfaktor‘ des 21. Jahrhunderts definiert, um die für 2010 von der EU anvisierten Ziele in der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik zu erreichen“ (Hepp 2006: 261). Als Schlüsselressource für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum und soziale Kohäsion erhält Bildung seither – trotz formell fehlender Kompetenzen der Union auf diesem Feld – in den Beschlüssen der Regierungschefs der Europäischen Union wie auch im Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission ein immer stärker werdendes Gewicht (Buse 2004: 8f). Und auch die Familienpolitik ist in das „Zentrum europäischer Politik“ (Neyer 2006: 2) gerückt, nicht nur dadurch, dass die EU in Barcelona den Beschluss gefasst hat, nach dem die Mitgliedsstaaten bis 2010 Kinderbetreuungsmöglichkeiten für mindestens 33 Prozent der Kinder unter drei und mindestens 90 Prozent der Kinder über drei Jahren anbieten müssen. Um die rechtliche Hürde des in Maastricht festgeschriebenen Harmonisierungsverbots nach Art. 149 (4) EGV und Art. 150 (4) EGV zu umgehen, wurde zudem in den vergangenen Jahren die Methode der „offenen Koordinierung“ (OMK) eingeführt. „Dieses Verfahren sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten anhand von Zielvorgaben (benchmarks) durch jährliche Umsetzungsberichte (monitoring) ihre Fortschritte untereinander vergleichen (peerreview) und dabei versuchen, gute Beispiele anderer Mitgliedsstaaten aufzugreifen, um damit ihre eigenen Umsetzstrategien zu verbessern (best practice)“ (Hepp 2006: 261f). Auch wenn dieses Verfahren, besonders eine damit verbundene mögliche Kompetenzausweitung der Gemeinschaft, innerhalb der Union umstritten ist und unter anderem vom Bundesrat als „entschieden subsidiaritätsfeindlich abgelehnt“ (ebd.: 263) wurde125, liegt es auf der Hand, dass sich die Mitgliedsstaaten der von diesem Verfahren ausgehenden starken politischen Selbstbindung, dem Druck der Überwachung, des Berichtswesens und der Evaluierung auf Dauer schwerlich entziehen können. Unter anderem wird dies anhand des in Deutschland durch internationale Studien erzeugten politischen Veränderungsdrucks im Bildungs- und Förderungssystem deutlich: Neben den PISA- und TIMSS-Leistungs123
S. zu den klassischen Funktionen des Nationalstaats Nitschke 2000: 11ff. S. zu den Auswirkungen der EU auf demokratische Prozesse im Nationalstaat beispielsweise Wedel 2000. 125 S. zu den Auswirkungen der europäischen Integration auf die Stellung der Bundesländer als wichtiger bildungspolitischer Akteur unter anderem Münch 1997: 272ff. 124
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vergleichsstudien sowie der jährlichen Berichterstattung der OECD über die Entwicklung der Bildungssysteme „Education at a Glance“ haben auch die Weltberichte „Bildung für alle“ der Weltkulturorganisation UNESCO – um nur einige zentrale Studien zu nennen – die im internationalen Vergleich geringe Besuchsquote des Kindergartens, die niedrige Zahl von Studierenden sowie die starke Kopplung von Kindergarten- wie Schulbesuch und daraus resultierendem Bildungserfolg an die familiäre Herkunft von Kindern aufgezeigt. Sie haben viel Kritik ausgelöst, aber auch hektische Aktivitäten der politischen Umsteuerung initiiert (s. Kap. 2.2.3). 2.1.4 Bildung, Betreuung und Erziehung im deutschen Wohlfahrtsstaat Neben den Akteuren haben sich im Bereich der Familienpolitik in den vergangenen Jahren auch die Steuerungsziele und Leitmotive erheblich geändert. Stand zu Beginn der Institutionalisierung der Familienpolitik der teilweise Ausgleich der Kinderkosten vor allem für die Mehrkinderfamilie im Mittelpunkt, war es später das Ziel der Realisierung von Rechtsgleichheit von Frauen und Männern in Familien, gefolgt von solcher ehelicher und unehelicher Kinder, während heute vor allem der Aspekt der Leistungsgerechtigkeit126 im Zentrum der Neudefinition sozialstaatlicher Solidarstrukturen steht (Gerlach 2000: 138f). Staatliche Unterstützungsleistungen für Eltern und Familien wurden dementsprechend lange vor allem als ökonomische Maßnahmen127 gestaltet, verbunden mit solchen rechtlicher Art, weshalb als zentrale Bestandteile der deutschen Familienpolitik lange Jahre das Kindergeld, der steuerliche Kinderfreibetrag, das Erziehungsgeld und auch das Ehegattensplitting galten (Spieß 1998: 146)128. Gezielte Infrastrukturmaßnahmen bzw. soziale Dienste wurden zwar seit den 1960er Jahren schrittweise entwickelt (s. Kuller 2004: 334f), werden aber erst seit einigen Jahren als zukunftsweisende Interventionsform eingeschätzt und massiv ausgebaut. Diese Umsteuerung stellt für die Politik für Kinder und Familien einen bedeutenden Paradigmenwechsel dar (DJI 2004: 20) und ist einzuordnen in ein verändertes Verhältnis von Familie und Staat im deutschen Sozialstaat des 21. Jahrhunderts129. Im vormodernen Staat und auch dem Sozialstaat der Industriegesellschaft hatte die Familie als intermediäre Institution zwischen Individuum und Gesellschaft bezüglich sozialer Sicherungsfunktionen eine „Schlüsselstellung“ (Gerlach 2000) inne. Das deutsche Modell des Wohlfahrtsstaates, das in seiner Form ein Produkt der Industriegesellschaft ist und auf den Prämissen der „klassischen Moderne“130 beruht, war und ist gekennzeichet durch 126
S. zu den verschiedenen Formen familialer Gerechtigkeit auch Fußnote 50. Franz-Xaver Kaufmann hat eine seit Jahren in der Familienforschung gebräuchliche Systematik vorgelegt und spricht in diesem Kontext von familienpolitischen Interventionsformen. Er unterscheidet dabei die rechtliche, die ökonomische, die (sozial-)pädagogische und die ökologische Intervention (Kaufmann 1982). Diesen Interventionsformen entsprechen die Instrumente Recht, Geld und Kommunikation (Münch 1990: 146ff). 128 Eine Bilanzierung dieser Maßnahmen ist bis heute schwierig. Ein Versuch der Bilanzierung bzw. Kategorisierung familienbezogener Leistungen und Maßnahmen des Bundesfamilienministeriums in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut im Jahr 2006 zeigt einen Maßnahmenkatalog, der insgesamt 153 Einzelmaßnahmen umfasst, darunter nicht nur Maßnahmen und Leistungen, die im Zusammenhang mit Kindern erbracht werden (145), sondern auch ehegattenbezogene Leistungen (8). Eine Quantifizierung von 91 dieser Einzelmaßnahmen ergab eine Gesamtsumme von 184,6 Mrd. Euro für das Jahr 2005 (Eichhorst/Tobsch 2007: 1). 129 S. zu den Beziehungsformen und Handlungslogiken von Familie und Staat auch Kohli 1997: 282ff. 130 Deren konstitutive Merkmale werden von Giddens (1997: 186f) als Trias von industrieller Lohnarbeit, patriarchalischer Familie und nationalstaatlich gebundener Solidarität charakterisiert (s. Zimmer 2000: 97). 127
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die „vergleichsweise strenge Trennung zwischen den Bereichen Produktion und Reproduktion bzw. zwischen den verschiedenen Geschlechterrollen“ (Bleses/Seeleib-Kaiser 1999: 121)131. Die Organisation der deutschen (Nachkriegs-)Gesellschaft beruhte auf drei, lange nicht als solche erkannten Voraussetzungen, nämlich „(erstens) auf der Annahme durchgängiger Erwerbsarbeit der Personen männlichen Geschlechts zwischen dem 20. und dem 65. Lebensjahr, (zweitens) auf der Annahme, dass diese männlichen Erwerbspersonen auch heiraten und dann den Unterhalt ihrer Ehefrauen auch mitbestreiten, und (drittens) darauf, dass diese primär auf die Hausfrauenrolle festgelegten Ehefrauen unentgeltlich im Durchschnitt zwei bis drei Kinder aufziehen“ (Zukunftskomission Gesellschaft (Hg.) 2000: 18). Dieses Festhalten an einem Familienideal, so urteilt Kuller, erscheine „in mancher Hinsicht eher wie ein äußerliches Korsett, das in Zeiten morsch gewordener Lebensrealitäten wieder künstlich Halt geben sollte“ (Kuller 2004: 225). Aufgrund dieser Erwerbsund Familienzentrierung im Sinne des „Bread-Winner-Modells“ – ergänzt durch das strukturprägende Element des Versicherungssystems – wird der deutsche Wohlfahrtsstaat in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung den konservativen Wohlfahrtsstaaten132 zugeordnet. Gerade diese Konzeption gerät aber durch die veränderten Rahmenbedingungen und die dadurch deutlich werdenden Defizite und Anpassungsschwierigkeiten unter großen Handlungsdruck133, da ihre Voraussetzungen heute nicht mehr ohne weiteres gelten. Die sozialstaatliche Entwicklung hat mit der Entwicklung der Lebensbedingungen nicht Schritt gehalten. Das sozialpolitische Regelwerk hat sich verfestigt, während die Lebensläufe der auf die Sicherung angewiesenen Menschen immer unsteter und flexibler wurden und werden (Fehmel 2007: 1). Bezogen auf die Familie heißt dies: Zwar war und ist Familie dort, wo es sie gibt, eines der verlässlichsten sozialen Netze. Wenn aber immer weniger Menschen familiale Verantwortung übernehmen bzw. sich die Organisation des Familienlebens und die familial zu bewältigenden Herausforderungen gewandelt haben, steht der Staat vor der Frage, wie Alltagssolidaritäten auch außerhalb der Familie organisiert werden können. Zudem ergibt sich für eine Gesellschaft, in der die für die Industriegesellschaft typische Trennung von Privatheit und Öffentlichkeit immer weniger gegeben ist134, die Herausforderung, ihre Gesellschaftspolitik an dieser Neuentwicklung auszurichten. Kinder müssten dann beispielsweise nicht mehr wie in der industriellen Gesellschaft ein Grund zum Rückzug aus der Öffentlichkeit sein – womit die nachindustrielle Gesellschaft übrigens wieder an Gegebenheiten der vorindustriellen Gesellschaft anknüpfen würde (Dettling 2001: 53ff). Eine angemessene Sozialpolitik müsste somit nicht nur die Fixierung auf Erwerbsarbeit überwinden, lebenslauforientiert und gegenüber den Lebensentwürfen der Menschen möglichst offen sein (Fehmel 2007: 1). Darüber hinaus können nur im Zuge einer weitreichenden De-Familialisierung, also unter anderem durch Regelungen zur Gewährleistung 131
S. zur historischen Entwicklung des deutschen Sozialstaats auch Münch 1997: 46ff, Zacher 2000: 62ff. Diese duch Gösta Esping-Andersen geprägte Typologisierung der Wohlfahrtsstaaten in sozialdemokratische, konservative und liberale Modelle hat die vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung sehr geprägt und ihr neue Impulse gegeben, auch wenn die an Esping-Andersens Typologisierung anschließende Diskussion zum Teil andere Klassifizierungen einzelner Länder oder neue Typen von „Wohlfahrtsregimen“ vorgeschlagen bzw. auch die Methode selbst in Frage gestellt hat (s. Kaufmann 2003: 21f). 133 S. zu der Pfadabhängigkeit und den Strukturproblemen des konservativ-korporatistischen Regimetyps auch Kohl 2000: 131ff. 134 Dies zeigt sich in der rasanten Zunahme a-typischer und flexibilisierter Arbeitszeiten, der durch die technischen Medien gegebenen Aufhebung der Grenzziehung zwischen privatem Raum und Öffentlichkeit etc. Globalisierung und Digitalisierung beeinflussen eben nicht nur das Volumen, sie verändern auch Qualität und Charakter der Arbeit und damit sämtlicher Lebensbereiche (vgl. Dettling 2001: 89). 132
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der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen (und Männer), ein verändertes Geschlechtsrollenregime und eine fortbestehende Familienorientierung der Menschen in Einklang gebracht werden (Huinink 2002: 59)135. Neben einem veränderten Verhältnis von Familie und Staat erforderte ein solcher modernisierter Sozialstaat eine neue Balance von Bildungs- und Sozialpolitik, in der nicht mehr wie in der bisherigen Variante „Sozialpolitik auf Kosten der Bildungspolitik profiliert wird“ (Leibfried/Wagschal 2000: 43). Allein so ließen sich neue Balancen für einen erweiterten Sozialstaat finden, der nicht mehr nur „Kompensationsstaat“ (Leibfried/Wagschal) sein kann. Bisher war der deutsche Sozialstaat aber vor allem dann aktiv, wenn die Menschen passiv waren (Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit), und dann passiv, wenn die Menschen aktiv waren (Dettling 2001: 55). Beispielhaft zeigt sich dies anhand der aktiven Arbeitsmarktpolitik, in deren Rahmen die Bundesagentur für Arbeit 2004 rund zwei Milliarden Euro für die Integration Jugendlicher ausgegeben hat, die massive Probleme am Ausbildungsstellenmarkt haben und häufig als nicht ausbildungsfähig, als „bildungsarm“ bezeichnet werden. Hierzu zählen Jugendliche ohne Hauptschulabschluss, nahezu zehn Prozent jedes Jahrgangs, oder Jugendliche, die nicht einmal die unterste Kompetenzstufe I der Pisa-Studie erreichen, wiederum etwa ein Zehntel der 15-jährigen in Deutschland (Allmendinger 2005). Jährlich verlassen in Deutschland fast 80.000 Jugendliche die Schulen ohne Abschluss. Mehr als die Hälfte der Ausbildungsplatzbewerber sind so genannte Altbewerber, also junge Menschen, die schon im Vorjahr erfolglos nach einer Lehrstelle gesucht haben (Becker/Schütt 2007). So wichtig die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik in diesem Kontext sein mögen, zumindest bei den Eingliederungschancen in den Arbeitsmarkt kommen sie oft aus strukturellen Gründen zu kurz. Denn Weiterbildungsmaßnahmen sind vor allem dann wirkungsvoll, wenn sie auf einer stabilen Erstausbildung aufbauen können. Dass eine stabile Erstausbildung aber bei vielen Jugendlichen fehlt, ist „zum erheblichen Teil institutionell zu verantworten, denn die in Deutschland aufwachsenden Kinder sind ja nicht etwa dümmer als die Kinder in anderen Ländern – etwa als die in Finnland, wo es schlicht keine Bildungsarmut gibt, also alle Kinder die Kompetenzstufe I erreichen“ (Allmendinger 2005). In diesem Kontext stellt sich daher die Frage: „Warum sollen wir uns die Programme der aktiven Arbeitsmarktpolitik Milliarden von Euro kosten lassen, wenn dieses Geld in der Bildungspolitik viel besser und effizienter angelegt werden könnte? Warum ist das teilweise aus Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung zu finanzieren und erhöht so die Lohnnebenkosten, statt dass es aus allgemeinen Steuermitteln bezahlt wird?“ (ebd.). Im Zuge des Umbaus des Sozialstaates wandelt sich wie in den angelsächsischen Ländern auch in Deutschland allmählich das Verständnis von Bildung: „Sie wird zunehmend als ‚präventive Vorsorge‘ begriffen“ (Kussau/Brüsemeister 2007: 17). Dieses neue Verständnis hat viele, insbesondere westliche Industrieländer dazu veranlasst, ihre Bildungssysteme zu überprüfen und neu zu regulieren, wobei die Bildungserfahrungen der frühen Kindheit als bedeutende Phase der individuellen Bildungsbiographie verstärktem staatlichen Interesse ausgesetzt sind (s. dazu auch Oberhuemer 2003: 38ff). Dahinter verbirgt sich ein gewandeltes Verständnis vom Staat. In Zukunft müsste er „wieder zum Staat der Daseinsvorsorge auf der Höhe der Zeit unserer Gesellschaft werden, deren Wohl und Wege heute gleichermaßen von Humankapitalbildung und sozialem Gleichgewicht abhängt“ (Leibfried/Wagschal 2000: 43), mit anderen Worten Menschen 135
S. zur Förderung der Gleichheit der Geschlechter als wichtigste familienpolitische Variable auch Schulze 2002.
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also aktiv unterstützt, so dass sie Krisen kreativer bewältigen und immer wieder aktiv werden können.136 Anstatt eines Abbaus des Sozialstaates geht es also um eine Neuinterpretation wohlfahrtsstaatlicher Verantwortlichkeit und um einen veränderten Zuschnitt des wohlfahrtsstaatlichen Handlungsrepertoires (Zimmer 2000: 93) vor dem Hintergrund veränderter normativer Grundlagen: Letztlich geht es um eine „Umverteilung nicht nur von den Kinderlosen zu den Familien, sondern auch von den Alten zu den Jungen“ (Ostner/Leitner/ Lessenich 2001: 45). Im Vordergrund stehen nicht mehr die Ziele der Lebensstandardsicherung, des Statusschutzes und der erworbenen Rechtsansprüche für die Älteren, sondern eine intensivere Unterstützung der Kinder als den „einzig verbliebenen ‚unschuldigen‘, d.h. ohne eigenes Zutun oder Versagen, Unterstützungsbedürftigen und deshalb auch sozialpolitischer Unterstützung würdigen“ (ebd.) Gesellschaftsmitgliedern. Die familienpolitischen Reformen sind in diesen Kontext einzuordnen: Dem sozialpolitischen Um- und Abbau in den Sozialversicherungen und in der Sozialhilfe steht ein Ausbau staatlicher Leistungen in der Familienpolitik gegenüber (ebd.: 46). 2.1.5 Zur Rolle des Staates in einer zukunftsgerechten Politik für Kinder und Familien In der Politikwissenschaft stand in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten bei der Untersuchung politischer Steuerung137 und den diesbezüglich handelnden Akteuren im Wohlfahrtsstaat nicht wie in früheren Zeiten die einzelne (staatliche) Organisation138 oder Behörde im Zentrum der Analyse, sondern mehr und mehr setzte sich die Erkenntnis durch, dass auch nicht-staatliche Akteure an der Erstellung von Politik beteiligt sind und Lösungen für politische Probleme in einem „korporativen Staat“ nur als Ko-Produktionen verschiedener Akteure erfolgen (können). Damit wird die Verflechtung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren betont, wie sie für den deutschen Wohlfahrtsstaat kennzeichend ist139 und im Konzept der Zivilgesellschaft durchscheint (s. dazu Bauer 2000: 235f). Auf die wachsende Bedeutung nicht-staatlicher Akteure ist in den vergangenen Jahren von der Forschung auch unter dem Schlagwort „Governance“ aufmerksam gemacht worden. Damit wird betont, dass – aufgrund der steigenden Komplexität politischer und gesellschaftlicher Prozesse – staatliche Akteure heute zunehmend in Verhandlungssysteme eingebunden sind, sei es mit anderen staatlichen Instanzen oder mit gesellschaftlichen Verhandlungspartnern und Gegenspielern, weshalb Politik als „Gemeinschaftsproduktion von gesellschaftlichen und politischen Akteuren verstanden“ (Braun/Giraud 2009: 161) und von einem „Formwandel staatlichen Handelns“ gesprochen wird (Mayntz 2004: 72). 136
S. dazu auch die internationale Untersuchung von Döring 2007. Unter Steuerung wird dabei nach Mayntz/Scharpf ein gezielter Eingriff mit der Absicht der Veränderung autonom ablaufender Systementwicklungen verstanden (Mayntz/Scharpf (Hg.) 1995: 11). Damit wird im Gegensatz zu einer rein systemtheoretischen Perspektive Luhmannscher Prägung von Steuerungsakteuren ausgegangen, die beabsichtigte Wirkungen erzielen wollen (s. Larrá 2005: 238). 138 S. zum Organisations- und Institutionenbegriff in der Politikwissenschaft auch Göhler 1994. 139 Ihm wird generell eine „Vermittlungsfunktion zwischen den Widersprüchen der verschiedenen Gesellschaftsbereiche bzw. Subsysteme von Staat, Markt und Familie bzw. zwischen marktgesellschaftlicher Privatsphäre und rechtsstaatlicher Öffentlichkeit“ (Dingeldey 2008: 314) zugeschrieben. Entsprechend ist auch die Steuerung der Wohlfahrtsproduktion als Spannungsverhältnis zwischen staatlicher Steuerung und gesellschaftlicher Selbststeuerung zu verstehen, die sich unter anderem durch einen spezifischen Mix der Arbeitsteilung zwischen Staat, Markt, Verbänden, Familie und Individuen ausdrückt (ebd.). 137
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Mit der Verwendung des Begriffs „Governance“ tritt die traditionell von der politischen Theorie betonte Trennung von Staat und Gesellschaft in den Hintergrund (Heinelt 2004: 30), und es stellt sich die Frage nach den dem Staat verbleibenden Funktionen, insbesondere dann, wenn diese über die konjunkturell unterschiedliche Nachfrage nach Verhandlungsangeboten hinausgehen. Anders ausgedrückt: “The state no longer exercises authority always directly and exclusively through its own powers and resources, but more and more indirectly, by providing and complementing the powers and resources of non-state actors” (Genschel/Zangl 2008: 22). Wenn der Staat aber zunehmend nicht nur in der Durchführungsverantwortung, sondern in der Gewährleistungsverantwortung oder schließlich nur noch Prozess anregend auftritt, entwickeln sich Kooperations- und Abstimmungsnetzwerke, die sich von der ehemaligen hierarchischen staatlichen Steuerung stark unterscheiden (Gerlach 2007: 20). Unterschiedliche Verantwortungsträger sind so gleichermaßen in die Pflicht genommen, was institutionalisierte Formen der Abstimmung nahelegt, die zu organisieren und moderieren eine besondere Aufgabe staatlicher Politik darstellt (Wingen 2001: 100). Der Staat wird zum „Verhandlungspartner” (Prätorius 2000), Regieren zum „gesamtgesellschaftlichen Managementauftrag mit weithin unzureichenden Ressourcen und einem gewachsenen Maß an Herausforderungen und Ungewissheiten“ (Jesse/Sturm 2003: 478). Der Staat kann nicht nur die gesellschaftliche Aufgabenerfüllung delegieren; „auch die Politikentwicklung, die Vorbereitung von exekutiven oder legislativen Entscheidungen und die Ausarbeitung von Maßnahmenprogrammen findet heute zum guten Teil im Zusammenwirken zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren statt“ (Mayntz 2004: 69). Manchmal ist die Rolle des Staates gar darauf beschränkt, die Spielregeln für die Verhandlungen zwischen Verbänden vorzugeben140. Das bedeutet eine Schwerpunktverlagerung hin zu Koordinationsaufgaben und macht das „Management von Interdependenzen“ (Benz 2004) zu einer zentralen Staatsaufgabe. Mit dieser Arbeitsweise und Akteurskonstellation mögen zwar Effizienzgewinne in der Politikgestaltung verbunden sein, zugleich werden mit ihr aber auch erhebliche Defizite in der Legitimität von Politik und im Hinblick auf die Symmetrie von Interessenartikulation in Verhandlungssystemen deutlich (Gerlach 2004: 354). Denn der so genannte „Dritte Sektor“ ist ja kein „herrschaftsfreier gesellschaftlicher Bereich“ (Bauer 2000: 240), weshalb auch kritisch zu bemerken ist, dass mit der neuen Steuerungsform „zwangsläufig eine erhebliche Machtkonzentration verbunden ist, die zu Ungleichgewichten zwischen den beteiligten Akteuren führen kann“ (Kreyenfeld/Spieß/Wagner 2002: 202)141. Der in den 1990er Jahren vollzogene Wechsel im Verständnis von Staatsaufgabenerfüllung vom interventionsfreudigen „aktiven Staat“ zum nur „aktivierenden“ Staat, der Selbsthilfeprozesse anregt und unterstützt sowie Marktprozesse nutzt, muss daher nach Policy-Bereichen differenziert gesehen werden. Erst eine Ressourcengleichheit aller Teil140
Wenn auch nicht vergessen werden darf, dass nicht-staatliche Akteure nach wie vor zentral auf den Staat angewiesen bleiben, um effektiv funktionieren zu können, womit die Grenze dieser Perspektive markiert wird (vgl. dazu Genschel/Zangl 2008:17ff). 141 In Deutschland mag die Ausbildung von Verhandlungssystemen im Hinblick auf viele Politikfelder sehr gut funkioniert haben, allerdings weist die Ausgrenzung von Interessen aus der organisierten Interessenvertretung zwischen Staat und Verbänden systematische Züge auf. Sie ist „strukturell gekennzeichnet durch horizontale, vertikale oder zeitliche Ungleichheit. D.h. Interessen ganzer Lebensbereiche können sich gegenüber solchen aus anderen Lebensbereichen nicht durchsetzen (horizontale Ungleichheit). Bildungsnahe und ressourcenstarke Bevölkerungskreise können sich besser durchsetzen als soziale Randgruppen (vertikale Ungleichheit). Interessen schließlich, die als Tauschäquivalent in gegenwärtige politische Zyklen von Wahl und Wiederwahl eingebracht werden können, setzen sich besser durch als solche der Zukunft (zeitliche Ungleichheit)“ (Gerlach 2004: 354f).
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nehmenden an Markt- und Verhandlungssystemen würde den Staat tatsächlich entlasten. Bei einer systematischen Benachteiligung bestimmter Bevölkerungsgruppen, und dazu gehören insbesondere Kinder und Jugendliche sowie Familien, verbleibt ihm dagegen ein großer Teil interventionistischer Aufgaben (Gerlach 2004: 355). Damit ist die Rolle der Politik als Gestalterin von Rahmenbedingungen angesprochen im Sinne eines Wächteramtes über die Entwicklung vergleichbarer Lebensqualitäten und sozialer Ausgleiche für alle (ver.di o.J.: 10). Der Staat ist, über das Setzen von rechtlich bindenden Regelungen hinaus, also heute im Bereich der Familienpolitik in mehreren Rollen gefragt, als „Harmonisierer“, „Moderator“, „Koordinator“ und „Anreizbieter“ (Gerlach 2007: 20f):
Harmonisierend kann und muss der Staat dort tätig werden, wo selbst auf den ersten Blick unproblematisch erscheinende Maßnahmen wie beispielsweise familienbezogene Vergütungsbestandteile und Arbeitszeitregelungen in der Umsetzung für Unternehmen aufgrund rechtlicher Vorschriften Probleme mit sich bringen. Als Moderator kann und sollte der Staat die Gestaltung kinder- und familienfreundlicher Lebensumwelten anregen, Ziele mitformulieren, unterschiedliche Akteure zu Netzwerken verbinden. Als Koordinator kann und sollte der Staat über die Sensibilisierung hinaus die Suche nach Lösungswegen organisieren142. Anreizbietend muss der Staat tätig werden, wenn es um die Sozialisierung der Kosten für Kinder und Familie geht, was nur durch entsprechende Anreizstrukturen gelingen kann.
Damit ist der Staat in mehrfacher Hinsicht gefragt, seiner Steuerungsaufgabe gerecht zu werden. Wenn er nicht mehr über seine eigene Organisation steuern kann und will und Entscheidungen delegiert, dann braucht er Mechanismen, die die Entscheidungen auf gesellschaftlicher Ebene beeinflussen können. Neben den traditionellen Steuerungsmedien Markt, Geld und Wettbewerb kommt daher heute vor allem modernen, „weichen“ Steuerungsmodi wie Vertrauen, Solidarität, Kommunikation etc. große Bedeutung zu (vgl. Jann/Wegrich 2004: 208f). Anstelle der klassischen staatlichen Regulierung durch Verbot und Anreiz treten damit zwangsläufig indirekte, „weiche“ Steuerungsinstrumente in den Vordergrund143, unter anderem die bereits erwähnte, Ende der 1990er Jahre etablierte „Offene Methode der Koordinierung“ der Europäischen Union (s. Evers 2006: 8). Der Mix an Instrumenten, der dem Staat zur Verfügung steht, ist einerseits „historisch gewachsen, besitzt also eine gewisse Pfadabhängigkeit. Andererseits aber ändert sich der Gebrauch und Einsatz nach den jeweils geltenden politischen Wertvorstellungen und der aktuellen Zusammensetzung von Regierungen“ (Braun/Giraud 2009: 159). Dies zeigt sich auch in dieser Untersuchung. Die Fokussierung entweder auf den Markt oder Staat als Steuerungsinstanz erscheint vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen als nicht mehr zutreffend144. Vielmehr ist, um 142
S. zu hier auftretenden Problemen auch Wingen 1997: 331ff. S. dazu Schubert 1991, Braun/Giraud 2009. Wenn sie das jemals war. Denn die Dienstleistungsorganisationen des Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesens waren bereits im Wohlfahrtsstaat der Industriegesellschaft nicht notwendigerweise staatlicher Art und haben in der Regel Leistungen erbracht, die bis dahin vor allem in Privathaushalten erbracht wurden. Wie die sozialwissenschaftliche Steuerungsdiskussion der letzten 20 Jahre gezeigt hat, haben sich insbesondere im Bereich der
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auch den meritorischen Charakter im Bereich der Humanvermögensbildung angemessen berücksichtigen zu können, eine integrative Betrachtung der Bereiche Staat, Markt und Zivilgesellschaft notwendig (Bock-Famulla 2005: 225), wenn man nicht sogar im Bereich personenbezogener Dienste von einer “mixed economy“, also einer Angebotsvielfalt von privaten gewinnorientierten Anbietern, Nonprofit-Organisationen und staatlichen Anbietern, eine möglichst bedarfsgerechte Leistungserbringung erwartet (Ott 2000: 281). Dabei muss aus staatlicher Sicht allerdings sichergestellt sein, dass das gesellschaftliche Ziel der Herstellung von Chancengleichheit durch eine solche Angebotsvielfalt nicht behindert wird. Denn wie Umfragen zeigen, sehen „Personen mit einem höheren Haushaltseinkommen und Personen mit einem höheren Bildungsabschluss mit größerer Wahrscheinlichkeit die Zuständigkeit für wichtige Bereiche der Familienpolitik bei privaten Kräften“ (Spieß 2004). Dies ist verteilungspolitisch dann relevant, wenn aufgrund ihrer Präferenzen und ihrer höheren Finanzkraft insbesondere diese Gruppen teurere marktwirtschaftliche und andere private Angebote nutzen (ebd.). Staatliche Anbieter im Bereich der Humanvermögensbildung sind so vor besondere Herausforderungen gestellt: In der Konkurrenz mit Anbietern aus den anderen Bereichen muss die Qualität ihrer Leistungserbringung im Besonderen dazu dienen, den hier gebildeten Kindern und Jugendlichen keine schlechteren Startchancen in ihr Leben entstehen zu lassen. Daher „erfordert eine größere Mischung von staatlichen, marktwirtschaftlichen und anderen privaten Angeboten vor allem im Bereich von Humandienstleistungen – wie die Betreuung von Kindern und älteren Menschen – eine staatlich organisierte Qualitätssicherung, die alle Anbieter betrifft. Ordnungspolitisch würde dies bedeuten, dass die staatliche Zuständigkeit weniger als bisher darin besteht, ein staatliches (d.h. kommunales) Angebot bereitzustellen, sondern vielmehr darin, die Inanspruchnahme von vielfältigen Infrastrukturleistungen zu fördern und deren Qualität sicherzustellen“ (ebd.).
sozialen Dienste bürokratische Steuerungsformen allein als ebenso untauglich erwiesen wie marktwirtschaftliche Steuerungsformen allein, weshalb Kombinationen unterschiedlicher Steuerungstypen und professionellen, solidarischen und korporatistischen Steuerungsformen der Vorzug gegeben wurde und wird (s. Kaufmann 2000: 178).
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2.2 Kompetenzen und Finanzierungszuständigkeiten im föderalen Staatsaufbau 2.2.1 Der Föderalismus in Deutschland und seine Kompetenzverteilung im Bereich der Humanvermögensbildung In Deutschland, aufgebaut als ein föderaler145 Bundesstaat, im Rahmen dessen die staatlichen Aufgaben von verschiedenen Ebenen und Gebietskörperschaften wahrgenommen werden, prägt der Föderalismus durch seine Kompetenz-, seine Finanz- und seine institutionelle Ordnung die Familien-, Sozial- und Bildungspolitik (vgl. Kuller 2004: 10ff). Die Gesetzgebungszuständigkeiten sind dabei durch das Grundgesetz festgelegt146, wobei der Schwerpunkt der Gesetzgebung in den Händen des Bundes liegt147. Auf der Grundlage der Zuständigkeit für die öffentliche Fürsorge steht dem Bund die Gesetzgebung für den Bereich des frühkindlichen Bildungssystems zu. Daneben obliegt ihm die Kompetenz für alle Gemeinschaftsaufgaben. Bundesrecht kommt nach Art. 31 GG zudem Vorrang vor dem Landesrecht zu. Die Bundesländer werden im Rahmen der ausschließlichen Ländergesetzgebungskompetenz unter anderem im Bildungsbereich tätig. Zugleich können sie unter Ausnutzung ihrer Spielräume bei der konkurrierenden Gesetzgebung aktiv werden. Liegt der Schwerpunkt der Gesetzgebung in den Händen des Bundes, so ist der Vollzug – von wenigen Ausnahmen abgesehen – vom Grundgesetz in Art. 83 als Sache der Länder festgelegt148. Dieser „Exekutivföderalismus“ stellt eine Kompensation der schwachen Stellung der Länder im Gesetzgebungsprozess dar (Huber 2005: 33). Im Laufe der vergangenen Jahre sind dem Bund, insbesondere auf dem Gebiet der Gesetzgebung immer mehr Kompetenzen zugewachsen. Seit den 1950er Jahren wurden die Entscheidungsebenen zwischen Bund und Ländern immer stärker verflochten und vermischt, so dass sich „eine Tendenz zu Vereinheitlichung und Zentralisierung“ (Avenarius 2002: 24) beobachten lässt. Der damit einhergehende Autonomieverlust der Länder wird durch ihren wachsenden Einfluss auf die Bundesgesetzgebung, den sie durch den Bundesrat ausüben, nur teilweise ausgeglichen. Die auf der Ebene unterhalb der Bundesländer angesiedelten Gemeinden werden verfassungsrechtlich als Teil der Länder betrachtet, haben aber das Recht der Selbstverwaltung „im Rahmen der Gesetze“. Sie üben im Rahmen der „Daseinsvorsorge“ insbesondere im Bereich der Sozialpolitik bzw. der frühkindlichen Bildung Zuständigkeiten aus, wobei kleinere Kommunen Landkreisen als übergeordneten kommunalen Einheiten angehören (OECD 2004: 19). Nach Art. 104a Abs. 1 GG tragen Bund und Länder gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt149; die Finanzierungsverantwortung folgt also dem Grundsatz der Verwaltungs145 Mit Föderalismus ist dabei das Organisationsprinzip für ein gegliedertes Gemeinwesen gemeint, in dem prinzipiell gleichberechtigte und eigenständige Glieder zu einer übergreifenden politischen Gesamtheit zusammengeschlossen sind (Münch 1997: 15). 146 Wie vor allem Gerhard Lehmbruch herausgearbeitet hat, besteht eine kulturelle „Pfadabhängigkeit“ des deutschen Föderalismus, die seine eigentümliche Entwicklung erklärt – sowie zugleich den Möglichkeitsraum eventueller Veränderungen erheblich einschränkt (Hennecke 2005: 16). 147 S. zum Zusammenspiel von Bund und Ländern im deutschen Föderalismus auch Huber 2005; Gerlach 2002: 111ff. 148 Zwar verfügt der Bund auch über eigene Bundesverwaltungen, die Länder übernehmen aber den Hauptteil der Ausführung von Gesetzen (Gerlach 2002: 118). 149 S. zur Verteilung der Ausgabenlasten zwischen Bund und Ländern Avenarius 2002: 56ff.
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kompetenz. Dieses „Konnexitätsprinzip“ bewirkt unter den Bedingungen des Exekutivföderalismus (Art. 83f GG), dass Bundesgesetze den Ländern auch erhebliche finanzielle Lasten auferlegen können (Huber 2005: 42). Zwar hat der Leitgedanke dieses Prinzips – der Verantwortungsgrundsatz nämlich, dass Aufgabenverantwortlichkeit und Finanzierungszuständigkeit in einer Hand liegen sollen, also diejenige Gebietskörperschaft die Ausgaben tragen soll, die die Entscheidung über das Anfallen der Kosten getroffen hat – viele Vorteile. Die Schwachstelle der Konnexität liegt allerdings in dem Umstand begründet, dass sie das Auseinanderfallen von Verwaltungszuständigkeit und Aufgabenverantwortlichkeit nicht vollständig erfasst oder, anders ausgedrückt, Regelungs-, Durchführungs- und Finanzierungsverantwortung nicht in einer Hand liegen. So kann der Bund durch seine Gesetzgebung Länder- und Kommunalverwaltungen zur bloßen Exekution oder zu eher mechanischen Dienstleistungen im Rahmen der Ausführung von Gesetzen heranziehen, die Ländern und Kommunen keinen Spielraum geben (Blanke 2005: 132f – s. dazu auch das Beispiel des Bundesgesetzes über den Rechtsanspruch des Kindes auf den Besuch eines Kindergartens ab dem vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt (§ 24 SGB VIII) in Kap 3.2.4). Im internationalen Vergleich zeichnet sich der deutsche Föderalismus so durch die „hohe Fremdbestimmtheit der Aufgaben deutscher Länder und Gemeinden“ (Blanke 2005) aus150. Sie entspringt insbesondere der grundgesetzlichen Forderung nach „Einheitlichkeit“ bzw. „Gleichwertigkeit“ der Lebensverhältnisse (Art. 72 Abs. 2 GG)151. Dies hat nicht nur zu einer „schleichenden Zentralisierung“ im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz geführt, sondern auch die gesetzausführenden Länder und Gemeinden mit Ausgabenverpflichtungen belastet, die nicht immer aus dem Steueraufkommen des Bundesgesetzgebers kompensiert werden (Blanke 2005: 157). Insbesondere im Bereich der Familienpolitik zeigt sich dabei der Widerspruch zwischen einem Aufgabenzuwachs für die Kommunen auf der einen und der Kompetenzordnung im föderalen Entscheidungsprozess auf der anderen Seite (Gerlach 2004a: 119). Während Investionen in eine familienfreundliche Infrastruktur im Wesentlichen von den Kommunen getätigt werden müssen, profitieren die Länder und vor allem der Bund von den dadurch gewonnenen Steuereinnahmen (vgl. Müller Kucera/Bauer 2001; Spieß u.a. 2002). Nicht umsonst wird daher die in Art. 106 GG geregelte Steuerverteilung als „Schwachpunkt in der Finanzordnung“ des Föderalismus bezeichnet (Fischer u.a. 2004: 12). Um die Durchführung von Aufgaben im Bereich der Humanvermögensbildung in den Kommunen zu fördern, hat der Bund in den vergangenen Jahren wiederholt Finanzmittel bereitgestellt (s. Kap. 2.2.2). Obwohl die Finanzierungsverantwortung für den Elementarwie den Primar- und Sekundarbereich nicht beim Bund, sondern bei den Ländern bzw. Kommunen liegt, kann der Bund nach Art. 104a GG unter bestimmten Bedingungen zweckgebunden als Finanzier auftreten. Die mit dieser Finanzierung einhergehende Aufwertung der Rolle des Bundes als Akteur im Bereich der Humanvermögensbildung steht in gewissem Sinne im Widerspruch zu den durch die Föderalismusreform gewachsenen Kompetenzen der Bundesländer. Da die wachsende „Politikverflechtung“ (Fritz W. Scharpf) im föderalistischen Prinzip durch die hohe Zahl von Gemeinschaftsaufgaben von Bund und 150
S. zu ordnungspolitischen Problemen des Föderalismus auch Hennecke 2005: 14f. Einige Verfassungsrechtler sprechen hier allerdings von einem „Verfassungsmärchen“ (Merten), da die Bestimmung in Art. 72 Abs. 2 GG kein Staatsziel, sondern eine Kompetenzausübungsschranke darstelle: Da Kompetenzvorschriften grundsätzlich nur ein Tätigwerden gestatten, nicht aber vorschreiben, verpflichte sie den Bundesgesetzgeber nicht, sondern begrenze nur im Interesse der Länder die Aktivitäten des Bundesgesetzgebers (vgl. Merten 2005: 80).
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Ländern nach Art 91a und 91b GG (Blanke/Schwanengel 2005: 7) als gemeinhin unzureichend angesehen wurde, wurde von Bundestag und Bundesrat im Oktober 2003 eine Kommission für die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung eingesetzt. Diese Kommissionsarbeit brachte allerdings nach Meinung externer Beobachter/innen nur „bescheidene und punktuelle Fortschritte“ (Hennecke 2005: 34) hervor, unter anderem weil der gesamte Bereich der Finanzverfassung in den Beratungen ausgeklammert wurde. Die Entflechtung der Mischzuständigkeiten zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich führte allerdings dazu, dass der Bund seine – bereits vor der Reform geringen – Kompetenzen im Bereich der Bildungspolitik weiter beschnitten hat. Die Bildungspolitik stellt damit heute „eine der letzten bedeutenden Zuständigkeitsbastionen der Länder“ (Blanke/Schwanengel 2005: 9) dar. So gilt das Schulwesen als „Kernstück der Länderstaatlichkeit“, die „umfassende Gestaltungskompetenz“ der Länder umfasst dabei „geradezu monopolartig Planung, Verwaltung und Finanzierung“ (Hepp 2006: 244). Das gerade hier gegebene Spannungsverhältnis „soviel Einheit wie nötig bei soviel Vielfalt wie möglich“ spiegelt „die grundsätzliche Problematik der Gestaltung der bundesstaatlichen Ordnung wie in einem Brennglas wider“ (Wieland 2005: 139). Der Bereich der frühkindlichen Bildung ist hierin nicht erfasst152. Er wird als zum System der Kinder- und Jugendhilfe gehörig definiert und ist somit dem Kompetenztitel der öffentlichen Fürsorge zuzuordnen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG). Für diesen Bereich hat der Bund das Gesetzgebungsrecht, „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht“ (Art. 72 Abs. 2 GG). Im Übrigen liegt die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern. Macht der Bund von seiner Kompetenz Gebrauch – was er durch die Verabschiedung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe – SGB VIII (häufig KJHG genannt) 1990 getan hat – so können die Länder nach § 26 SGB VIII durch eigene gesetzliche Regelungen den vom Bund gesetzten gesetzlichen Rahmen ausfüllen, konkretisieren oder ergänzen und für vom Bund nicht geregelte Bereiche gesetzliche Bestimmungen erlassen (OECD 2004: 19). Alle Bundesländer haben dies getan und Landesausführungsgesetze zum KJHG mit folgenden Schwerpunkten erlassen: Anforderungen an das Personal, sachliche Ausstattung, Gruppengröße, Eltern- und Kindermitwirkung, Finanzierung usw. (Münder 2004: 11). Weiterhin werden die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe von den kommunalen Gebietskörperschaften (Kreisen, Städten und Gemeinden) ausgeführt und aus eigenen Steuereinnahmen sowie aus Mittelzuweisungen der Länder finanziert. Das deutsche System ist somit insbesondere im Bereich der Humanvermögensbildung „komplex und hochgradig dezentralisiert“ (OECD 2004: 22). Es gibt jedoch Institutionen, die Verbindungen zwischen den verschiedenen Akteuren und Ebenen herstellen und der Diversifikation Grenzen setzen. Auf nationaler Ebene sind hier die Konferenzen der Landesminister zu nennen, in denen politische Leitlinien diskutiert und abgestimmt werden. Im Bereich der Bildung, für die die Länder die alleinige Zuständigkeit besitzen, „verfügt die Ständige Konferenz der Kultusminister über größeren Einfluss als das vergleichbare Gremium für Kinder- und Jugendhilfe, das einen Bereich abdeckt, in dem sich alle drei Regierungsebenen die Verantwortung teilen“ (ebd.). Beispiele für einen Koordinierungsmechanimus stellen auch die staatlichen Landesjugendämter dar, wie sie vom Bundesgesetz 152
S. zur gegenwärtigen Kompetenzverteilung im frühkindlichen Bildungsbereich aus rechtlicher Perspektive auch Wieland 2005: 140f.
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für jedes Land vorgesehen sind (§ 69 (3) SGB VIII). Sie verbinden in gewisser Weise die beiden unteren Regierungsebenen (ebd.). Angesichts dieser Komplexität verwundert es nicht, dass die Rollen und Kompetenzen der verschiedenen staatlichen Ebenen „einer permanenten Diskussion unterworfen sind“ (OECD 2004: 22). Im Bereich der Humanvermögensbildung werden vor allem zwei Kritikpunkte herausgestellt. Zum einen betrifft dies die Tatsache, dass das Grundgesetz als „Verfassung eines in sich ruhenden und sich selbst genügenden Nationalstaats konzipiert ist, in dem es in erster Linie darum geht, die Macht auf möglichst viele Träger zu verteilen“ (Huber 2005: 22), sich dieser Gedanke der vertikalen Gewaltenteilung angesichts der weitgehenden Übertragung von Zuständigkeiten auf die europäische Ebene aber bis zu einem gewissen Grad überlebt hat. Angesichts des Erfordernisses einer zukunftsgerechten verfassungsrechtlichen Ausgestaltung des Bildungsföderalismus sowie der Gewährleistung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Bildungsstandorts vor dem Hintergrund der europäischen Integration und der Globalisierung könnten sich „Bund und Länder aus gesamtstaatlicher Verantwortung einem Kompromiss in der Frage der Bildungskompetenzen auf Dauer schwerlich verschließen“ (Hepp 2006: 241). Zum zweiten steht die deutsche Besonderheit, den frühkindlichen Bildungsbereich dem Kompetenztitel der öffentlichen Fürsorge zuzurechnen und nicht dem Bildungssystem, immer wieder in der Diskussion. Vorausschickend muss angemerkt werden, dass das Bundesland Bayern hier eine Ausnahme darstellt: Als einziges Land hatte es 1972 aufgrund seiner Gesetzgebungskompetenz für das Bildungswesen (Kulturhoheit der Länder) ein Kindergartengesetz (BayKiG 1972) erlassen153. Der bayerische Sonderweg154 hinterließ seine Spuren bis in das KJHG, wo er aufgrund der Klausel in § 26 respektiert wird. Die für alle anderen Bundesländer geltende historisch gewachsene Zuordnung der Kindertageseinrichtungen zum Bereich der öffentlichen Fürsorge – mit der Folge der Finanzverantwortung für die Gemeinden als die für das Soziale verantwortliche Ebene – wurde vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 10.03.1998 (BVerfGE 97, 332) ausdrücklich bestätigt. Es sieht den Schwerpunkt des „Kindergartenwesens“ (nach wie vor) in einer fürsorgenden Betreuung mit dem Ziel einer Förderung sozialer Verhaltensweisen und damit (präventiver) Konfliktvermeidung. Hinter dieser dem Bereich der öffentlichen Fürsorge zuzuordnenden Aufgabe stehe der vorschulische Bildungsauftrag zurück (Wiesner 2003: 295f). Auch wenn trotz der Zuordnung der Tagesbetreuung von Kindern zur Jugendhilfe heute umstritten ist, ob es wirklich zu einer Integration dieses Arbeitsfelds in das System der Jugendhilfe gekommen ist155, ist spätestens seit der PISA-Studie die Auseinandersetzung um den Standort der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen wieder aufge153 Diese Verortung wurde vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH v. 04.11.1976 in BayVBl 1977, 81) bestätigt, der sich dabei auf ein modernes Verständnis des Kindergartens als Bildungseinrichtung in Abkehr von einer fürsorgerischen Wohlfahrtseinrichtung berief (BMFSFJ (Hg.) 2003: 260). S. zur Zuordnung von Kitas zum Bildungswesen in Bayern auch Münder 2004: 12. 154 Zwar entwickelten auch andere Bundesländer eine spezifizische „Kindertagesstättenpolitik“, die meist auf den Kindergarten konzentriert blieb. Doch kam es nirgends sonst in der ehemaligen Bundesrepublik zu einer solchen offensichtlichen Abkehr von der Zuordnung zur Jugendhilfe (Wiesner 2003a: 10). 155 Verfassungsrechtliche Kompetenzfragen, Sonder- und Ausnahmeregelungen im KJHG für diesen Bereich und eine Praxis, „die die Bereitstellung von Einrichtungen eher als kommunale Daseinsvorsorge denn als Umsetzung des KJHG begreift“ (Wiesner 2003a: 12) sprächen eher dagegen. Die Versorgung mit Tageseinrichtungen als Aufgabe der Daseinsvorsorge zu betrachten zeigt auch der Versuch mehrerer Bundesländer, in Landesausführungsgesetzen die Zuständigkeit für den Bereich der Tagesbetreuung nicht beim Kreis, sondern auf der Gemeindeebene anzusiedeln (Wiesner 2003: 296).
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flammt. So gibt es inzwischen eine breite Diskussion, ob bei einem sich wandelnden Verständnis über die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und einer Betonung des Bildungsaspekts die Zuordnung zur Kinder- und Jugendhilfe haltbar ist. Zugleich führt die Einführung des individuellen Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz (ab 1994 für einen Kindergartenplatz, ab 2013 auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr) dazu, dass der dem Bereich der Jugendhilfe eigene Nachrang der Hilfsangebote kaum mehr zu begründen ist. Denn zu den Strukturprinzipien der Kinder- und Jugendhilfe gehört – im Gegensatz zur staatlichen Schulpflicht – der Grundsatz des Nachrangs (§ 10 SGB VIII), der sich in der Jugendhilfe auf das Verhältnis zum elterlichen Erziehungsauftrag zuspitzt: Aufgabe der öffentlichen Jugendpflege ist primär die individuelle Unterstützung der Eltern bei der Ausübung ihres Erziehungsrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG zum Ausgleich von Defiziten und sozialen Benachteiligungen. Im Gegensatz zur Schulpflicht besteht also ein Wunschund Wahlrecht der Erziehungsberechtigten, das vom Staat zu respektieren ist (Wieland 2005: 142). Ob ein solches Rangverhältnis zwischen der elterlichen Erziehung und der Erziehung von Kindern in Tageseinrichtungen heute vor allem im Kindergarten(alter) noch begründet werden kann, ist angesichts der heutigen Struktur der Familie sehr umstritten (vgl. Wiesner 2003: 296). Da zudem die Jugendministerkonferenz 2002 in Reaktion auf die PISA-Studie „die besondere Bedeutung des Bildungsauftrags der Einrichtungen der Kinderbetreuung im Vorschulalter“ nachdrücklich betont hat, wird abzuwarten sein, ob das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zur Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern im Bildungswesen für den vorschulischen Bereich in den kommenden Jahren überprüfen wird. 2.2.2 Der Bund als Akteur in der Familienpolitik Obwohl der Bund im Bereich der Familienpolitik und der Kinder- und Jugendhilfe eine Gesetzgebungskompetenz innehat, liegt die Finanzierungsverantwortung für den Bereich der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe ausschließlich bei den Ländern und den Kommunen. Der Bund kann also grundsätzlich keine Mittel für das frühkindliche Bildungsangebot zur Verfügung stellen, es sei denn, er tut dies zweckgebunden auf der Basis von Art. 104a GG. Eine solche Finanzierung ist aber an bestimmte Bedingungen gebunden und betrifft lediglich die Investitionskosten (OECD 2004: 21). An diesem Beispiel wird bereits die begrenzte Rolle des Bundes im Bereich der Humanvermögensbildung deutlich. Jenseits seiner Gesetzgebungskompetenzen ist er im frühkindlichen Bildungsbereich zuständig für
die Sicherung des Rechtsanspruchs auf einen Halbtagskindergartenplatz für Kinder zwischen drei Jahren bis zum Schuleintritt; die Unterstützung der Kreise und Städte bei ihrer Aufgabe, für Kinder unter drei Jahren und für Kinder im schulpflichtigen Alter ein bedarfsgerechtes Angebot vorzuhalten; den Schutz von Kindern in Einrichtungen (Erlaubnis für den Betrieb der Einrichtung, örtliche Prüfungen) (ebd.: 20f).
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Daneben hat der Bund im Rahmen seiner Bundeskompetenz die Möglichkeit, Modellprojekte anzuregen, ins Leben zu rufen und zu finanzieren (meist in Zusammenarbeit mit einigen Ländern), die die Bildungslandschaft beleben und weiterentwickeln. Im Rahmen dieser beschränkten Kompetenzen hat der Bund in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Anstrengungen unternommen, um die Humanvermögensbildung zu stärken. Dies betrifft finanzielle Anstrengungen zum Ausbau von Plätzen im Bereich der Kindertagesbetreuung (so z.B. die Bereitstellung von 510 Millionen Euro für die Aufrechterhaltung des frühkindlichen Bildungsangebots in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung) bzw. zur Schaffung von Ganztagsschulen (so wie die Zuweisung von vier Milliarden Euro an die Länder zur Stützung der Investitionskosten für den Ausbau von Ganztagsschulen), auf die die Länder, als eigentlich Zuständige, in der Regel nach dem Grundsatz: „Erst protestieren und dann liquidieren“ (Wieland 2005: 145) reagierten. Daneben wurde auch mithilfe anderer Steuerungsinstrumente der Versuch unternommen, in qualitativer und quantitativer Hinsicht die Humanvermögensbildung zu stärken. Eines der Ziele der Inititiativen des Bundes ist dabei die bessere Unterstützung der Eltern bei ihren Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsaufgaben. Der „Nationale Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland 2005–2010“ der Bundesregierung ist „ein Versuch, in die angedeutete Richtung bildungs-, kinder-, familien- und sozialpolitische Akzente zu setzen“ (Wissenschaftlicher Beirat 2006: 20), ohne dass diesbezüglich allerdings große Erfolge zu vermelden wären. Ein anderes Ziel der Initiativen des Bundes ist der quantitative und qualitative Ausbau von Betreuungsangeboten: „Die Bundesregierung will die Kindertagesbetreuung nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ ausbauen, um ihren hohen gesellschaftlichen Nutzen zur Entfaltung zu bringen“ (Text_J 35).
Zu erwähnen ist in diesem Kontext beispielhaft die „Nationale Qualitätsinitiative im System der Tageseinrichtungen für Kinder“ (NQI). Unter Beteiligung von zehn Bundesländern und von unterschiedlichen Trägern von 1999 bis 2003 mit fünf Teilprojekten von vier Instituten mit dem Ziel durchgeführt, die Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsqualität in Kindertageseinrichtungen dauerhaft zu verbessern, stellte sie eines der größten Projekte dar. In einer ersten Phase wurden dazu Qualitätskriterien, Instrumente und Verfahren zur internen und externen Evaluation entwickelt und erprobt, die dann in einer zweiten Phase bundesweit im Feld verankert wurden. An der Entstehung und Erprobung dieses nationalen Qualitätskriterienkatalogs waren bundesweit viele hundert Fachkräfte beteiligt (s. auch Tietze/Viernickel (Hg.) 2003: 7). Allerdings wurde die Qualitätsinitiative nicht kooperativ mit Schulen entwickelt, so dass die Schnittstellen zwischen Kindergarten und Schule bzw. zwischen Jugendhilfe und Schule nicht gemeinsam erfasst wurden. Qualitätskriterien liegen also nun für sämtliche Bildungsbereiche jenseits des Schulsystems vor. Nach Meinung von Carle ist dies symptomatisch für ein allgemeines Defizit, „nämlich die bislang in Deutschland nicht gelungene Abstimmung eines anschlussfähigen Bildungsangebots für Kinder“ (Carle 2008: 94). Darüber hinaus folgte die Bundesregierung den Vorschlägen des Forums Bildung, wonach ein wichtiger Beitrag zur Qualitätssicherung und -steigerung in der Verbesserung der Qualität des pädagogischen Fachpersonals sowie im Ausbau der Unterstützungssysteme des Personals besteht. So will der Bund „mit dem geplanten Forschungsschwerpunkt „frühkind-
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liche Bildung“ einen Beitrag zur Verwirklichung des Bildungsauftrags des Kindergartens leisten“ (Deutscher Bundestag 2007a). „Ein dichtes Netz an Beratung und Weiterbildungsangeboten würde (..) einen besseren Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Praxis ermöglichen, eine Forderung, die die OECD in ihrem Länderbericht über Deutschland aufstellt. Mit Blick auf die notwendige Qualitätsverbesserung und die Stärkung des Bildungsauftrages in Kindertageseinrichtungen gewinnt die kontinuierliche Fort- und Weiterbildung einen immer höheren Stellenwert. Die Bundesregierung unterstützt dies unter anderem durch Modellprojekte und Forschungsvorhaben“ (Text_J 39),
nicht nur im Bereich der Kindertageseinrichtungen, sondern auch dem der Tagespflege: Das Bundesfamilienministerium hat im Herbst 2008 ein eigenes Aktionsprogramm „Kindertagespflege“ gestartet, das vom Deutschen Jugendinstitut begleitet wird156. In enger Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen soll durch das Programm die Qualität der Kindertagespflege verbessert und gesichert, das Personalangebot für die Tagespflege erweitert sowie die Infrastruktur der Kindertagespflege ausgebaut und optimiert werden. Zugleich fördert der Bund die Qualifizierung von in der Tagespflege tätigen Personen mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds in Höhe von mindestens zehn Millionen Euro (Deutscher Bundestag 2007a). Gemeinsam mit den Ländern und der Bundesagentur für Arbeit soll zudem ein gemeinsames Gütesiegel eingeführt werden, mit dem Ziel, „Tagesmütter und -väter bundesweit entsprechend fachlich anerkannter Mindeststandards von 160 Stunden nach dem Curriculum des Deutschen Jugendinstituts (DJI) bzw. qualitativ vergleichbarer Lehrpläne zu qualifizieren“ (BMFSFJ 2009). Ein weiteres Instrument, mit dem der Bund den qualitativen und quantitativen Ausbau der Kinderbetreuung vorantreiben will, stellen Internetportale dar. Sie dienen der Information von Eltern, Multiplikator/innen und Fachkräften und wollen „praktisches und theoretisches Wissen“ (Text_J 37) zur Verfügung stellen157. Mit der Verabschiedung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes (TAG) am 27.12.2004 hat der Bund daneben einen „Paradigmenwechsel“ (Diller u.a. (Hg.) 2005) eingeleitet. Durch das Gesetz „erhielt die Verpflichtung der öffentlichen Jugendhilfe, die Qualitätsentwicklung, -sicherung und -feststellung in allen Einrichtungen durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, Gesetzesrang (§ 22a SGB VIII). Hieraus erwachsen Handlungsaufforderungen an das Land als überörtlichen Träger wie auch an die Kreise und kreisfreien Städte als örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe“ (MBJS (Hg.) 2006: 33). Auch wenn das Gesetz im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens158 abgeschwächt wurde und sich nun aufgrund der kompetenzrechtlichen Grenzen zum Bedauern vieler Fachleute darauf beschränkt, den Förderauftrag im Bereich der frühkindlichen Bildung „durch einzelne Elemente näher zu spezifizieren (§ 22 Abs. 3)“ (Wiesner 2005: 125), kommt ihm doch durch den gesetzlichen Verpflichtungscharakter sowie den zugleich verankerten Ausbau der Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren große Bedeutung zu. Erstmals in der Geschichte Westdeutschlands macht damit „eine Regierung Vorgaben für den Ausbau der 156
S. dazu www.dji.de/aktionsprogramm-kindertagespflege. S. dazu beispielsweise das gemeinsam mit Partnerunternehmen in einer Initiative etablierte Portal http://www.wissen-und-wachsen.de oder die Darstellung von innovativen Projekten und Modellversuchen von Bund und Ländern unter http://www.bildungsserver.de/innovationsportal/. 158 S. zum Gang des Gesetzgebungsverfahren Wiesner 2005: 115ff. 157
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Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren und bricht ein hartnäckiges gesellschaftliches Tabu, demzufolge Kleinstkinder allein durch die Mutter zu betreuen sind“ (Diller u.a. 2005: 7). Mit dem Kinderförderungsgesetz vom 10.12.2008 wurden diese Verpflichtungen noch einmal erweitert und objektrechtlich festgeschrieben sowie präzisiert. Unter anderem sind nun für die Bundesländer konkrete Ausbaustufen bis zum 31.07.2013 festgeschrieben. Ab August 2013 schreibt das Gesetz für alle Kinder vom vollendeten ersten Lebensjahr an einen Rechtsanspruch für ein Betreuungsangebot fest. Für die Kindertagespflege werden klare Standards festgesetzt, auch die Entgeltregelungen für Tagespflegepersonen werden verankert. Zudem enthält das Gesetz Regelungen hinsichtlich der
Berücksichtigung von privat-gewerblichen Trägern bei der öffentlichen Förderung, Anpassung des SGB VIII an die Anforderungen der Föderalismusreform I, Regelung der Finanzhilfen des Bundes zum Ausbau der Tagesbetreuung, Änderung der Umsatzsteuerverteilung und Einführung eines Betreuungsgeldes ab 2013.
Der Bund beteiligt sich im Rahmen des Gesetzes bis 2013 mit vier Milliarden Euro an den Kosten des Ausbaus. Die Beteiligung an den Investitionskosten wurde durch ein Sondervermögen von 2,15 Milliarden Euro auf Grund des Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetzes sichergestellt. Das Kinderförderungsgesetz regelt die nötigen Änderungen im Finanzausgleichsgesetz zur Beteiligung des Bundes an den Betriebskosten. Durch eine Änderung der Umsatzsteuerverteilung zu Gunsten der Länder sind dies 1,85 Milliarden Euro zwischen 2009 und 2013 und ab 2014 dauerhaft 770 Millionen Euro jährlich. Des Weiteren wurden die Kommunen durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenund Sozialhilfe um jährlich geschätzte bundesweit 2,5 Milliarden Euro entlastet, die ab 2005 für den Ausbau der Kinderbetreuung verwendet werden sollen. „Der Bund hat sich durch die so genannte Revisionsklausel verpflichtet, in entsprechendem Umfang aufzustocken, wenn die angestrebte Entlastung in Höhe von 2,5 Milliarden Euro jährlich nicht erreicht wird“ (Text_J 31).
Im Gegenzug mussten sich die Länder verpflichten, jährlich über neu eingerichtete und gesicherte Betreuungsplätze zu berichten. Mit dieser Verpflichtung zu jährlichen Berichten über den Stand des Ausbaus wurde der politische Druck auf die Bundesländer erhöht, ihren Ausbauverpflichtungen auch wirklich nachzukommen. Wie die Berichte zeigen, nach denen mittlerweile für jedes achte Kind im Westen und fast jedes zweite Kind im Osten ein Betreuungsangebot zur Verfügung steht, gibt es trotz deutlicher Steigerungsraten bei einer anvisierten Betreuungsquote von 35 Prozent im Jahr 2013 weiterhin noch viel zu tun (BMFSFJ 2009). Stellen die beiden Gesetze zweifelsohne einen Erfolg für die Bundesregierung dar, so sind andere Ausbauaktivitäten weniger Erfolg versprechend verlaufen. Das „Förderprogramm betriebliche Kinderbetreuung“ beispielsweise, durch das mit bis zu 150 Millionen Euro Betreuungsplätze für Kleinkinder in deutschen Unternehmen geschaffen werden sollten, scheiterte – nach Presseberichten trotz großen Interesses der Unternehmen. Der Grund wird nach Angaben der Presse darin gesehen, dass das Programm so ungeschickt konzipiert sei, „dass es viele Betriebe fast automatisch ausschließt. Ursache dafür sind die Förderricht-
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linien, die das Familienministerium gemeinsam mit Brüsseler EU-Beamten erstellt hat“ (Süddeutsche Zeitung online v. 28.11.2008). Eine Evaluation des Programms könnte zweifelsohne interessante Erkenntnisse über notwendige Bedingungen bei der Kooperation zwischen nationaler und EU-Ebene bringen, ob es dazu aber kommt, ist mehr als fraglich. Neben diesen Großprojekten zum Ausbau der Kindertagesbetreuung im frühkindlichen Bildungsbereich wurde in den vergangenen Jahre ein zweites „Großprojekt“ auf den Weg gebracht, dass das „Aufwachsen von Kindern in Deutschland nachhaltig beeinflussen“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 12) dürfte, das „Investitionsprogramm Zukunft Bildung und Betreuung – IZBB“. Im Rahmen dieses Investitionsprogramms gewährte der Bund auf der Basis des (alten) Artikels 104 a Abs. 4 GG Finanzhilfen für Investitionen zum Aufbau bzw. zur Weiterentwicklung von Ganztagsschulen, wobei die Finanzhilfen auf die Bundesländer anteilig verteilt wurden und von den Ländern durch einen zehnprozentigen Eigenanteil aufgestockt werden mussten. Das Angebot konnte auch, und das stellte eine Neuerung dar, von außerschulischen Trägern angeboten werden. Schule und außerschulische Träger mussten sich allerdings auf ein gemeinsames Konzept verständigen, wobei die Verantwortung bei der Schulleitung lag. Da der Bund in der Kultuspolitik keine eigene Kompetenz hat, versuchte er, über das Instrument einer Verwaltungsvereinbarung mit den Ländern politische Impulse zu setzen. Auch wenn die Umsetzung des Programms durch die Länder ebenso wie der Mittelabfluss sehr unterschiedlich waren (s. dazu beispielsweise Wissenschaftlicher Beirat 2006: 37ff), zeigt sich doch, dass durch das Programm unter anderem die Erforschung der Zusammenarbeit von Schulen mit außerschulischen Akteuren „einen hohen politischen Stellenwert“ (Lipski 2005a: 3) bekam. Mit dem quantitativen Ausbau von Betreuungsangeboten durch die Bundesprogramme wird zudem erstmals für das ehemalige Bundesgebiet denkbar, „dass nicht nur ein verschwindend geringer Teil der Kinder bereits in frühen Jahren einen wesentlichen Teil des Tages in öffentlich organisierten und verantworteten Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungseinrichtungen verbringt“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 12). Kindheit wird damit „zu einem nicht unerheblichen Teil zu einer ‚InstitutionenKindheit‘“ (ebd.). Im Zuge des starken Problemdrucks und in der Folge der miserablen PISA-Ergebnisse wurden seit 2000 außerdem eine Reihe großer Programme zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus der Taufe gehohen, z.B. das BQF-Programm zur beruflichen Qualifizierung für Zielgruppen mit besonderem Förderbedarf, das Projekt KAUSA (Koordinierungsstelle Ausbildung in Ausländischen Unternehmen), das Programm „Schule-Wirtschaft-Arbeitsleben“ sowie die Bund-Länder-Initiative „Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund (FÖRMIG)“, die 2004 speziell zur Förderung von Einwandererkindern aufgelegt wurde und sicher eines der anspruchsvollsten, weil umfassendsten Programme darstellt, zumal sie darauf angelegt ist, Schnittstellen im Bildungssystem zu verdrahten. Weitere Aktivitäten des Bundes erfolgten in den vergangenen Jahren mit dem augenscheinlichen Ziel die Datenlage im Bereich der Humanvermögensbildung zu verbessern. So wurde 2006 der erste Bildungsbericht vorgelegt – „im Unterschied zu anderen gesellschaftlichen Bereichen, für die regelmäßig in staatlichem Auftrag umfassende Situations- und Entwicklungsanalysen vorgelegt werden, fehlten bislang entsprechende Berichte für die Gesamtheit des Bildungswesens“ (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 1). Auch hat das Bundesbildungsministerium Mitte 2009 eine Initiative zur Förderung der empiri-
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schen Bildungsforschung im Bereich der „Steuerung im Bildungssystem“ gestartet, in dessen Rahmen eine Koordinierungsstelle eingerichtet wurde. Des Weiteren entwickelte die Bundesregierung in den vergangenen Jahren mehrere Programme, um die Infrastruktur zu verbessern und die verschiedenen kinder- und familienbezogenen Dienste und Akteure stärker zu vernetzen. So wurde 2007 das Aktionsprogramm "Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme" ins Leben gerufen, in dessen Rahmen die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und das Deutsche Jugendinstitut (DJI) in gemeinsamer Trägerschaft das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) betreiben. Das Programm will in den verschiedenen Bundesländern existierende Projekte und Modelle zur Unterstützung der Entwicklung von Kindern und zu einem besseren Schutz in der frühen Kindheit (wissenschaftlich) begleiten, fördern und gezielt evaluieren. Kinder sollen so durch eine möglichst wirksame Vernetzung von Hilfen des Gesundheitswesens und der Kinder- und Jugendhilfe früher und besser vor Gefährdungen geschützt werden, was unter anderem voraussetzt, dass insbesondere die Erreichbarkeit von Risikogruppen verbessert wird. Daneben wurde das „Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser“ 2006 ins Leben gerufen, mit dem Ziel in jedem Jugendamtsbezirk durch ein Mehrgenerationenhaus mindestens einen Ort zu schaffen, an dem „Kinder, Jugendliche und deren Eltern sich im Alltag häufig und selbstverständlich begegnen, sich helfen und voneinander lernen. (…) Mehrgenerationenhäuser gehen offen auf Unternehmen zu, sie suchen nach Kooperationsmöglichkeiten und bieten Unternehmen die Chance, sich – nicht nur in finanzieller Hinsicht – für das Gemeinwohl und für Familien zu engagieren (Corporate Social Resonsibility)“ (Text_J 59, 77).
Mit dem Aktionsprogramm geht das Familienministerium einen Weg weiter, den es unter anderem mit der Initiative „Allianz für Familie“ bereits einige Jahre vorher beschritten hatte, nämlich den der stärkeren Einbindung von Akteuren aus Wirtschaft und Gesellschaft in die Familienpolitik. Die gemeinsam mit Wirtschafts- und Gewerkschaftsverbänden sowie weiteren Akteuren ins Leben gerufene Aktion sollte mithelfen, „Kinder gut zu fördern und Eltern bei ihrer Erziehungsaufgabe zu unterstützen“ (Schmidt/Braun 2005: 3). Dazu sollten „vorhandenes Geld und vorhandene Strukturen“ (ebd.) wirksamer eingesetzt werden; man setzte „strategische Partnerschaften“ (ebd.). Im Rahmen der Allianz wurde unter anderem das Programm „Lokale Bündnisse für Familie“ gestartet, das lokale familienpolitische Aktivitäten vernetzen soll, vom Bund durch eine Servicestelle angeregt und beraten. Die in diesem Programm sichtbar werdende Zusammenarbeit von Bund und Kommunen wurde und wird auch an anderen Stellen ausgebaut. So hat das Bildungsministerium beispielsweise mit seinem Programm „Lernen vor Ort“ 2008 eine Aktion gestartet, die – als Kooperationsprojekt von Bund, Kommunen und Stiftungen – das größte Programm des Bundes zur Weiterentwicklung des lebensbegleitenden Lerrnens werden und Public Private Partnerships159 aktiv vorantreiben soll. Das Ziel des Programms ist es, Bildung als „kommunale Chefsache“ zu verankern und Kreise und kreisfreie Städte zu ermutigen, „ein kommunales Bildungsmanagement (weiter) zu entwickeln und dabei mit weiteren Schlüsselak159
Darunter werden Austausch- und Kooperationsbeziehungen zwischen staatlichen, zivilgesellschaftlichen und/oder wirtschaftlichen Akteuren verstanden. Sie stellen ein im öffentlichen Sektor zunehmend verbreitetes Phänomen dar (vgl. Oppen/Sack 2008).
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teuren der Bildung zu kooperieren. Zu einer solchen ganzheitlichen Initiative gehört auch, etwaige bereits vor Ort bestehende Programme, Projekte, Ressourcen oder Netzwerke in die Planung einzubeziehen, um durch eine Abstimmung vor Ort die Kräfte zu bündeln“ (BMBF 2008a: 4). In diesem Kontext werden Kooperationen mit verschiedenen Ressorts in der Bekanntmachung angeregt, ohne dass allerdings der Bereich der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe berücksichtigt würde. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sowohl die frühkindliche Bildung als auch die Familienbildung in den Richtlinien des Programms ausdrücklich als zu fördernde Bildungsbereiche genannt sind, verwundert diese Einschränkung, ebenso wie die Tatsache, dass das Programm nicht mit dem für die beiden Bildungsbereiche zuständigen Familienministerium abgestimmt wurde. Ähnlich wie bei anderen Aktivitäten auch zeigt sich hier die Tendenz des Bundes im Bereich der Humanvermögensbildung, den eigenen Kompetenzbereich weit auszudehnen und die Rolle der Kommunen als Akteure aktiv zu stärken – unter anderem, wie in diesem Falle, unter Zuhilfenahme privater Mittel und unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher und finanzstarker Akteure wie beispielsweise Stiftungen. Deutlich wird allerdings in den Aktivitäten auch die „föderale Hürde“ (Allmendinger/Leibfried), vor der jegliche Reformen stehen. Wenn es um die gesamtgesellschaftliche Aufgabe geht, bildungsfördernde Lebenswelten für Kinder zu gestalten und Mädchen und Jungen die Teilhabe daran zu sichern, müssten Bund, Länder und Kommunen gemeinsame Perspektiven entwickeln und ihre Maßnahmen aufeinander abstimmen (Bertelsmann Stiftung o.J.: 4). Sonst bleiben alle Aktivitäten Stückwerk. Es geht um die „Schonung und Einhegung des deutschen Föderalismus“ im Sinne eines „koordinierten Bildungs-Föderalismus (..), der die Abhängigkeit der Sachausstattung von den Gemeindefinanzen, der Personalausstattung von den Ländern und die diversen Struktur-Trennungen – Dreigliedrigkeit, Bildung gegen Betreuung – deutlich und nachvollziehbar relativiert“ (Allmendinger/Leibfried 2004: 31). Diesbezüglich bleibt allerdings noch viel zu tun. 2.2.3 Die Landesebene als Akteur in der Humanvermögensbildung 2.2.3.1 Zuständigkeiten der Länder Die föderalen Schwerpunkte haben sich in Deutschland, wie bereits angedeutet wurde, gegenüber dem Verfassungsansatz von 1949 entscheidend verändert. Immer mehr Aufgaben wurden von der subnationalen auf die nationale Ebene verlagert160. Der Bund hat „den Becher seiner Kompetenzen in der über 50jährigen Herrschaft des Grundgesetzes bis zur Neige geleert“ (Blanke/Schwanengel 2005: 14) und dabei das Selbstbewusstsein mancher Länder „gleich mitverschluckt“ (ebd.), wie Blanke/Schwanengel resümieren. An die Stelle der verlorengegangenen Landesstaatsgewalt trat die Beteiligung der Länder an der Bundesstaatsgewalt. Die zu konstatierenden „Entmachtungen der Landeslegislative“ sind dabei durch „Einflußzunahme der Landesexekutiven kompensiert worden, die sich indessen weniger auf den eigenen Landesbereich als über den Bundesrat auf die Bundesverhältnisse 160
Als Gründe werden hierfür aufgeführt: „erstens die finanzielle Überforderung der subnationalen und dezentralen Einheiten durch die Reaktion auf soziale Entwicklungen, vor allem wenn diese drohten, die Stabilität des Systems zu beeinträchtigen. Zweitens das Problem des Risikoausgleichs bei Versicherungssystemen sowie drittens die Notwendigkeiten, sich den Bedingungen einer mobilen Gesellschaft anzupassen“ (Münch 1997: 283).
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auswirken“ (Schmidt-Jortzig 2005: 60).161 Heute ist das bundesdeutsche Verbundsystem dadurch gekennzeichnet, dass „fast alle politischen Ebenen an der Gestaltung fast aller Staatsaufgaben mitwirken“ (Münch 1997: 286), wenn auch, wie einschränkend hinzugefügt werden muss, in sehr unterschiedlicher Weise. Die Gestaltungsmacht der Länder ist dabei insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass der Vollzug der Bundesgesetze fast ausschließlich als ihre Aufgabe gilt. Da es aufgrund der pluraleren und individualisierten Gesellschaft immer notwendiger wird, „standardisierte Vorgaben der zentralstaatlichen Ebene den Bedingungen vor Ort und den Erfordernissen der Adressaten anzupassen“ (ebd.: 288), erwachsen daraus Möglichkeiten zur politischen Gestaltung. Diese sind aufgrund der Ausgabenintensität dieser Aufgabe allerdings von der Leistungsfähigkeit eines Landes und seiner jeweiligen Finanzausstattung abhängig, was zu sehr unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Bundesländer führt (ebd.: 180f). Diese Unterschiede in der Leistungsfähigkeit der Länder haben eine solche Wirkmächtigkeit, dass in der Bildungspolitik die Polarisierung der 1970er Jahre, „als die Differenzen zwischen A- und B-Ländern mitunter mit konfessioneller Schärfe ausgetragen wurden“ (Hepp 2006: 24), längst „durch den Interessengegensatz von eher reichen und armen Ländern, von Stadt- und Flächenstaat sowie von alten und neuen Bundesländern (…) überlagert worden“ (ebd.: 250) ist. Die Gestaltungskraft der Länder wird aber nicht nur durch ihre Leistungsfähigkeit bestimmt. Daneben liegt sie auch darin begründet, inwiefern das auf Landesebene, in Politik wie Verwaltung tätige Personal Agilität und den Willen zur eigenständigen politischen Gestaltung aufweist und landespolitische Initiativen startet, anstatt sich auf die Beurteilung der Bundespolitik zurückzuziehen und lediglich auf Vorgaben zu reagieren. Da dies nicht durchgängig der Fall ist, sind jenseits externer Rahmenbedingungen die Länder „für ihren Bedeutungsverlust (..) auch in hohem Maße selbst verantwortlich“ (Blanke/Schwanengel 2005: 14), wie kritisch angemerkt wird. Für die Familienpolitik ist festzustellen, dass die Landesebene auch ohne die Verabschiedung eigener Gesetze als Akteur auftreten kann, z.B. durch eine Ergänzung familienpolitischer Bundesleistungen, wie dies mit den Landeserziehungsgeldregelungen oder mit entsprechender Wohneigentumsförderung in verschiedenen Bundesländern geschehen ist162. Weitere landespolitische Förderungsfelder liegen beispielsweise in der Familienberatung und -bildung, im Bereich von Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, in unterschiedlichen Formen der Ausgestaltung von Kinderbetreuung sowie in der Förderung von Familienerholung (Gerlach 2004: 126ff). Im Rahmen ihrer Möglichkeiten gehen die Bundesländer dabei „sehr autonom“ (Bellers 1993: 38) vor: Vergleicht man die familienpolitischen Maßnahmen, so fehlt ein einheitliches Konzept; „von einer Abstimmung zwischen den Bundesländern kann keine Rede sein“ (ebd.). Für die Schulpolitik, für die jedes einzelne Land nach Art. 7 Abs. 1 GG die Verantwortung trägt, gilt dagegen, dass eine gewisse Abstimmung zwischen den Länderaktivitäten durch die Koordination im Rahmen der Ständigen Konferenz der Kultusminister (KMK)163 161
Dies erklärt unter anderem, weshalb der Verlust an Entscheidungsmöglichkeiten, den die Länder im Laufe der Zeit erfahren haben, von ihnen und ihrer Bevölkerung mit relativ großer Gelassenheit getragen worden ist (Münch 1997: 163). 162 Diese Leistungen, auf die von Seiten der Adressat/innen kein Rechtsanspruch besteht, werden in den Ländern, Kreisen und Gemeinden je nach politischer Schwerpunktsetzung und Haushaltslage in unterschiedlichem Maße gewährt. 163 Diese verfügt allerdings aufgrund der Länderautonomie nicht über eigene Entscheidungskompetenz, sondern stellt lediglich die Bündelung der Einzelkompetenzen der einzelnen Kultusminister dar“ (Hepp 2006: 248).
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erfolgt, weshalb ein „allzu starkes Auseinanderdriften des Schulsystems (..) bislang weitgehend verhindert werden“ konnte (Avenarius 2002: 119) 164. Zu den Aufgaben der Länder gehören hier im Rahmen der Schulhoheit insbesondere die Festlegung der Bildungsziele, Aufbau und Gliederung des Schulwesens165, die Entwicklung und Revision der Lehrpläne, die Festsetzung verbindlicher Standards für Leistungsbewertungen (Noten, Zeugnisse) und die Zulassung von Lernmitteln (Schulbücher u.a.). Daneben sind die Bundesländer für die Aus- und Fortbildung der Fachkräfte verantwortlich, nicht nur im schulischen, sondern auch im fachschulischen Bereich, also zum Beispiel hinsichtlich der Ausbildung von Erzieher/innen. Im Rahmen der staatlichen Schulaufsicht im engeren Sinne sind die Fachaufsicht unter anderem zur Wahrung der Rechtmäßigkeit der Unterrichts- und Erziehungsarbeit in den Schulen zu nennen, die Dienstaufsicht über die Lehrer/innen sowie die Rechtsaufsicht über die Schulträger (Avenarius 2002: 121f). Da der staatliche Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) im schulischen Bereich dabei dem elterlichen Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) nicht nach-, sondern gleichgeordnet ist, muss die Schule in ihrer Erziehungsarbeit dem Elternrecht Rechnung tragen166. Sämtliche Bundesländer räumen daher Eltern (wie auch Schüler/innen) die Möglichkeit einer mehr oder weniger weitreichenden Beteiligung (Partizipation) am Schulgeschehen ein und sehen dafür bestimmte Organisationsformen, teilweise auch die Mitwirkung der Betroffenen in einer gemeinsamen Schulkonferenz, vor (Avenarius 2002: 123). Das Erziehungsrecht ist darüber hinaus ein wichtiges Thema auf Landesverfassungsebene. Konkret finden sich etwa Maßgaben zur Zuständigkeit für die Kindererziehung (Eltern und Staat) sowie, in den Verfassungen der neuen Bundesländer, Bestimmungen zur Einrichtung von Kindertagesstätten. Eine besondere Rolle spielen in den Verfassungen zudem die materiellen Erziehungsziele, die der Formulierung gesellschaftlicher Orientierungswerte dienen und sich fast durchweg „auf abstrakt formulierte oberste Erziehungsund Bildungsziele wie Bekenntnisse zu Demokratie, Gerechtigkeit, Freiheit, Friede, Toleranz, Solidarität, Heimat oder Religion“ (Hepp 2006: 245) beschränken. Dabei spiegeln die Akzentuierungen in den Verfassungen den Zeitgeist ihrer Entwicklung wider: „So betonen die älteren Verfassungen überwiegend integrative, pflicht- und gemeinschaftsorientierte Werte, während die jüngeren Verfassungen, z.B. in den neuen Bundesländern, Individualund Selbstentfaltungswerte stärker hervorheben“ (ebd.). Die parlamentarische Diskussion und rechtliche Festschreibung dieser Erziehungsziele steht allerdings in bemerkenswertem Gegensatz zu ihrer praktischen Bedeutung: „Man gewinnt den Eindruck, die Erziehungsziele seien für die Parlamente wichtiger als die Schulen (kann man hier doch ‚Weltbilder‘ gegenüberstellen und diskutieren, ohne konkrete Probleme zu lösen oder Sacharbeit leisten zu müssen). Das Landesverfassungsrecht ist im Ergebnis wortreich und weihevoll bis an die Grenze des Kitschs“ (Menzel 2002: 496). Breiter als das Grundgesetz regeln die Landesverfassungen daneben insbesondere die Grundlagen des Schul- und Bildungsrechts. Verbreitet sind landesverfassungsrechtliche Grundrechte auf (Aus-)Bildung, die im Ergebnis in der Verfassungspraxis als Staatsziele fungieren (ebd.: 499). 164
Dies heißt allerdings nicht, dass nicht jedes Bundesland einen anderen Weg geht, wie sich beispielsweise bei der Implementierung und Intensivierung von Ganztagsstrukturen zeigt. 165 Dies betrifft u.a. die Einrichtung von Ganztagsschulen und anderen Formen ganztägiger Schulangebote. 166 Wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, ist die gemeinsame Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule in einem „sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken“ zu erfüllen (BVerfGE 34, 165 [183]).
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Bei der Frage rechtlicher Regelungen und der finanziellen Ausstattung im Bereich der Humanvermögensbildung nehmen die Landesgesetze dementsprechend eine wichtige Rolle ein. Dabei zeigt sich, „dass hier – ähnlich wie in einer OECD-Studie schon für die Lehrpläne in Deutschland festgestellt wurde – eine solche Fülle an unterschiedlichen Vorschriften, Richtlinien und Ausführungsbestimmungen existiert, dass der gesamte Komplex allenfalls für Experten überschau- und nachvollziehbar ist“ (Wahler u.a. 2005: 15). Die wichtige Bedeutung der Landesebene als gesetzliche Regelungsinstanz gilt aber nicht nur für den Bildungsbereich, sondern auch für die aus § 26 SGB VIII entstehenden Verpflichtungen im Bereich der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe. Vor allem sind sie in erster Linie als „Finanzierungsregelungen“ zu verstehen, „die die Bedarfsplanung und Finanzierung sowie die Bedingungen der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen festlegen, also Ausstattung, Zuständigkeiten, Elternmitbestimmung, Personalausstattung und Qualifikation“ (Peukert 2000: 92). Daneben sind die Bundesländer im Bereich der frühkindlichen Bildung vor allem als „Hauptstandardsetzer“ (Spieß 1998: 167) gefragt, wenn es gilt, von den Trägern nach § 45 (1) SGB VIII einzuhaltende Qualitätsmindeststandards festzulegen167. Diese Standards, die von den Landesjugendämtern als von den Landesregierungen unabhängige und von diesen wie von den Kommunalverwaltungen finanzierte Stellen kontrolliert werden, erstrecken sich auf verschiedene Bereiche, einschließlich der Zahl der benötigten Plätze, Öffnungszeiten, Elternbeiträge, Richtlinien für Gebäude und Gebäudeinstandhaltung, Gruppengröße, Betreuer-Kind-Relation und Platzbedarf im Innen- und Außenbereich (OECD 2004: 41). Obwohl diese Standards für die Gewährleistung der strukturellen Anforderungen an die Einrichtungen, das Wohlergehen der Kinder und die pädagogische Arbeit unerlässlich sind, stellen sie, so kritisiert die OECD, „doch im Allgemeinen keine hohen Anforderungen und haben nach Einschätzung des OECD-Teams nicht ausreichend zu einer anhaltenden Qualitätsverbesserung beigetragen“ (ebd.). Es besteht zudem die Gefahr, dass die Chancen einer Erhöhung der Standards durch die derzeitige in verschiedenen Bundesländern gegebene Tendenz des „Bürokratie-Abbaus“ sowie der „Kommunalisierung“, inklusive einer damit einhergehenden Schwächung der Aufsichtsverantwortung des Landesjugendamts, zunichte gemacht werden und langfristig zu sinkenden Standards auf Landesebene führen können (s. dazu auch Kap. 3.4.2.3). 2.2.3.2 Regionale Unterschiede zwischen den Bundesländern Vor dem Hintergrund der einflussreichen Stellung der Bundesländer als Standardsetzer und Finanzier von Bildungsangeboten verwundert es nicht, dass die regionale Variation im Bereich der Humanvermögensbildung relativ breit ist. Die großen Gestaltungsspielräume weisen dabei Probleme, unter anderem durch regionale Kontextfaktoren auf, die einer direkten politischen Beeinflussung nicht zugänglich sind (Roeder 2003: 183). Dazu zählt zum Beispiel die demografische Entwicklung, welche die Bundesländer, Prognosen zufolge, in unterschiedlichem Ausmaß herausfordert168. Von den drei untersuchten Ländern ist insbe-
167 Auf Bundesebene ist durch § 22 (3) SGB VIII lediglich die Betreuung durch geeignete Fachkräfte vorgeschrieben. 168 S. zur Treffsicherheit von Bevölkerungsvorausberechnungen auch Bretz 2002.
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sondere Brandenburg hiervon betroffen169. Es dürfte zwischen den Jahren 2004 bis 2030 rund 13 Prozent seiner Bevölkerung verlieren – mit entsprechenden Folgen, nicht nur für die finanzielle Zukunft des Landes (s. Berlin-Institut 2007). Im Bereich der Humanvermögensbildung wird zugleich sichtbar, dass neben den unterschiedlichen finanziellen Situationen der Bundesländer und verschiedenartigen Strukturen auch unterschiedliche politische Kulturen170 das politische Handeln prägen. Die politische Kulturforschung konnte konkrete Nachweise erbringen, dass „kulturelle Muster – hauptsächlich als in der Bevölkerung verankerte Wertorientierungen – (…) eine Prägekraft für die Pfade der gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen eines Landes oder einer Region besitzen“ (Pickel/Pickel 2006: 17)171. Unterhalb einer gemeinsamen deutschen – nationalen – politischen Kultur ist in Deutschland, unter anderem als Folge der jahrhundertealten Kleinstaaterei, eine Vielzahl regionaler, ja lokaler politischer Kulturen anzutreffen, wobei sich „zwei Hauptscheidelinien politischer Kultur“ (Wehling 2006) ausmachen lassen: einmal Deutschland Süd und Deutschland Nord, zum anderen Deutschland West und Deutschland Ost. Beide Scheidelinien sind das Ergebnis radikaler historischer Einschnitte, die Deutschland tief geprägt haben: „Folge der konfessionellen Teilung im Gefolge von Reformation und Gegenreformation im ersten Fall, Folge der politischen Teilung nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg im zweiten Fall, eine Teilung, die zugleich auch eine wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Spaltung Deutschlands bedeutete“ (Wehling 2006: 95). Diese Unterschiede reichen tief in das Wertesystem hinein, einschließlich der sich daraus ergebenden Erwartungen an die Politik. Dies zeigt sich beispielsweise anhand eines paternalistischeren Staatsverständnisses in den ostdeutschen Bundesländern: So wird vom Staat in den Neuen Ländern „eine sehr viel aktivere Rolle erwartet, nicht nur, aber auch bei der Herstellung von sozialer Gerechtigkeit, sozialer Sicherheit und wirtschaftlichem Wohlergehen“ (ebd.: 97). Allerdings ist über die daraus folgenden regional sehr unterschiedlichen Politikstile als Sonderfall regionaler Verhaltensstile wissenschaftlich bisher kaum gearbeitet worden (ebd.: 101). Beispielhaft lassen sich die Auswirkungen der unterschiedlichen politischen Kulturen zwischen den Bundesländern anhand der Versorgung mit und Inanspruchnahme von Kinderbetreuungsplätzen in den Ländern verdeutlichen. Denn insbesondere die Inanspruchnahme von Ganztagsplätzen für Kindergartenkinder (inkl. Mittagsverpflegung) sowie mit Plätzen für unter dreijährige Kinder sowie für sechs- bis zehnjährige in Horten variiert nach wie vor – trotz Angleichungstendenzen in den vergangenen Jahren – sehr zwischen den Bundesländern, wobei ein deutlicher West-Ost-Gegensatz erkennbar ist172: 169
S. als beispielhafte Herangehensweise die Studie zu den Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung auf die Arbeitsfelder der Kinder- und Jugendhilfe bis zum Jahre 2010 in Brandenburg, die von der Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik im Auftrag des Landesjugendamtes Brandenburg erstellt wurde (Schilling/Fendrich 2002). 170 Verstanden als neutral-beschreibender Begriff „im Sinne einer Bezeichnung der Gesamtheit der Werte, Glaubensüberzeugungen und Einstellungen der Bürger gegenüber Politik oder politischen Objekten“ (Pickel/Pickel 2006: 49). 171 Insbesondere die Arbeiten von Gabriel Almonds und Sidney Verbas (1963) sind hier zu erwähnen, die unter dem Namen „Civic-Culture“-Studie einen relativ großen Bekanntheitsgrad innerhalb der politikwissenschaftlichen Zunft erhielten und „als Ausgangspunkt einer analytischen Untersuchung des Phänomens ‚politische Kultur‘ in der Politikwissenschaft gelten“ (Pickel/Pickel 2006: 59) können. 172 Dies trotz der Tatsache, dass nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern massiv Plätze abgebaut wurden (s. Hank/Tillmann/Wagner 2001), während in den westlichen Bundesländern in den vergangenen Jahren viele Plätze überhaupt erst eingerichtet wurden. So enthüllte beispielsweise noch Ende der 1980er Jahre eine
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Tabelle 3: Kinder im Alter von unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und Tagespflege 2007
(Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008: 243)
Tabelle 4: Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt in Tageseinrichtungen und Tagespflege in Ost- und Westdeutschland 2007 nach täglicher Betreuungszeit
(Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008: 244)
Befragung von Jugendämtern in den westlichen Bundesländern, dass in mehr als der Hälfte der Jugendamtsbezirke kein einziger Platz in einer Einrichtung für unter Dreijährige zur Verfügung stand. In den Jugendamtsbezirken der kreisfreien Städte (Großstädte) lag die durchschnittliche Versorgung bei 4,5 Prozent, in denen der Landkreise bei nur 0,1 Prozent. Bei der Tagespflege betrugen die Versorgungsquoten 1,5 bzw. 0,3 Prozent (Tietze (Hg.) 1998: 45).
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Tabelle 5: Nutzung von Kindertagesbetreuung durch Schulkinder unter elf Jahren 2007 und von Ganztagsschulangeboten durch Schüler/innen an Grundschulen im Schuljahr 2006/07
(Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008: 261)
In den Tabellen wird damit nicht nur das unterschiedliche Platzangebot, insbesondere im Bereich unter dreijähriger Kinder sowie im Bereich von Ganztagsplätzen ersichtlich. Sie weisen auch auf die gewachsenen, unterschiedlich definierten Kindheitskonzepte und Sozialisationstheorien der beiden deutschen Staaten hin, die in Bezug auf die außerfamiliäre Betreuung von Kindern zu zwei völlig gegensätzlichen Grundthesen geführt haben (s. Ahnert 1998: 9): 1. 2.
Außerfamiliäre Betreuung kann zu Entwicklungsrisiken führen und soziale und emotionale Störungen wahrscheinlich machen, da die Intimität der frühen Sozialbeziehungen beeinträchtigt wird, die das Kind mit den primären Betreuungspersonen eingeht. Außerfamiliäre Betreuung bietet in einem erweiterten Sozialisationsraum bessere Möglichkeiten zu sozialer Interaktion und ist deshalb insbesondere auf die sozialen Entwicklungspotenziale des Kindes ausgerichtet.
Kaum ein anderer sozial- bzw. familienpolitischer Bereich hat dementsprechend „eine ähnlich ausgeprägte Ideologieabhängigkeit offenbart“ (ebd.). Dies äußert sich auch in interkulturellen Erziehungsunterschieden, wie sie Tietze et. al. zwischen west- und ostdeutschen Müttern und Erzieherinnen ermittelt haben (Tietze (Hg.) 1998). Danach wird das Kind im Osten stärker als „Objekt“ von Erziehung betrachtet, erfährt die Entfaltung des Kindes als Subjekt (Selbststeuerung, Kreativität und Phantasie, Selbstwertgefühle fördern) weniger Betonung als im Westen. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die Mütter und Erzieherinnen im Westen das Zusammenspiel zwischen Familie und Kindergarten in verschiedenen Bereichen als problematischer ansehen als die Erziehenden im Osten (z.B. im
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Hinblick auf die Übereinstimmung des Angebots mit familialen Bedürfnissen, unzureichende Entlastung der Eltern, Einbeziehung der Eltern), was die Forscher als Folge „einer jahrzehntelangen Kindergartentradition in Ostdeutschland erkennen können, für die, anders als im Westen, die Betreuung und Erziehung durch die Einrichtung in Form eines Ganztagsangebots schon immer ein verläßlicher und gesellschaftlich akzeptierter Partner für die Familien war“ (Tietze (Hg.) 1998: 117). Neben den quantitativen lassen sich auch qualitative Unterschiede feststellen, die sich allerdings nicht nur auf die gerade gezeigten West-Ost-Unterschiede beschränken. Deutliche regionale Unterschiede zeigen sich auch hinsichtlich unterschiedlich hoher Elternbeiträge und Trägeranteile, differierender Personalausstattung und Öffnungszeiten173 sowie hinsichtlich des Finanzierungssystems, das in einigen Bundesländern mittlerweile auf eine stärkere Subjektförderung umgestaltet wurde (s. hierzu auch Kap. 2.4.3). Anhand der Elternbeiträge wird dabei die Komplexität des Finanzsystems deutlich. Die Beiträge der Eltern, die im Schnitt 20 Prozent der Gesamtbetriebskosten der Einrichtungen abdecken, variieren nämlich in ihrer Höhe nicht nur zwischen den Bundesländern, sondern auch innerhalb eines Landes, wenn Kommunen oder Träger die Beiträge festsetzen. Betreuungszeiten, Alter der Kinder und Anzahl (Geschwisterermäßigungen) sind weitere Variablen, die den Beitrag beeinflussen. Da die Beitragstabellen mehrheitlich auf kommunaler Ebene, teilweise sogar einrichtungsspezifisch festgelegt werden (Diakonisches Werk der EKD (Hg.) 2008: 18), ergibt dies Unterschiede, die teilweise noch nicht einmal von den Jugendämtern selbst präzisiert werden können. Eine politische Steuerung ist in solchen Fällen nicht möglich. Zwar ist in einigen Bundesländern die Beitragsfreiheit für Kindergartenplätze intendiert bzw. bereits umgesetzt, allerdings nicht in den drei betrachteten Ländern Bayern, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. Dass diese Dezentralität des Finanzierungssystems in enger Verbindung mit der regionalen Variation in der Versorgung mit Kinderbetreuungsplätzen steht (Kreyenfeld/Spieß 2002: 64), verweist auf Steuerungsprobleme des Systems und die weitgehende Autonomie, die die Träger und einzelnen Einrichtungen genießen. Ein Zusammenhang zwischen der Versorgung mit Kinderbetreuungsplätzen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bundesländer lässt sich dagegen nicht herstellen, wie sich am Beispiel der differierenden Investitionshöhe der Bundesländer zeigen lässt.
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S. zu den unterschiedlichen landesgesetzlichen Regelungen zu Strukturbedingungen der Kindertagesbetreuung in den drei untersuchten Bundesländern auch Sturzbecher 1998: 73ff.
2.2 Kompetenzen und Zuständigkeiten im föderalen Staatsaufbau Abbildung 3:
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Investitionen pro unter Zehnjährigem (2005) im Ländervergleich
(Quelle: Bertelsmann Stiftung (Hg.) 2008: 11)
Vielmehr weist das hohe Engagement der ostdeutschen Länder für die institutionelle Kindertagesbetreuung trotz ihrer schlechten finanziellen Situation auf andere Schwerpunktsetzungen hin, die die damit verbundenen Kosten als unvermeidbar ansehen (Sturzbecher 1998: 72). 2.2.3.3 Aktivitäten der Bundesländer nach PISA Im Zuge des Schocks nach Bekanntgabe der schlechten Ergebnisse der ersten PISA-Studie haben die Bundesländer in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Reformaktivitäten gestartet, mit dem Ziel, „Deutschland wieder an die Spitze zu bringen“, wie die Kultusministerkonferenz dies auf ihrer Sondersitzung im Dezember 2001 formulierte. Die Kultusministerkonferenz einigte sich dazu auf sieben Handlungsfelder, in denen die Länder Reformen vorantreiben wollten (s. dazu KMK 2001a): 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Frühe Sprachförderung, Übergang von der Vorschule in die Schule, Leistungsvergleiche, Einführung von Bildungsstandards, Bildungsverlierer stärken, bessere Ausbildung für Lehrer, Förderung der Ganztagsschule.
Viele der Reformvorschläge und bildungspolitische Programme in der Folge von PISA haben deutlich erkennbar grenzüberschreitenden Charakter. Obwohl in der PISA-Studie der Leistungsstand 15-jähriger Schüler/innen verglichen wurde, rückte sehr schnell auch die Elementarpädagogik ins Blickfeld. War vor der Jahrtausendwende in Deutschland „die Auffassung weit verbreitet, dass man mit dem ernsthaften Lernen erst dann beginnen kön-
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ne, wenn das Gehirn ausgereift sei“ (Braun/Stern 2007: 4), hieß es nach dem Erscheinen der ersten PISA-Studie plötzlich, „man könne gar nicht früh genug anfangen, weil Kinder angeblich effizienter lernen als Erwachsene. Beide Positionen sind wissenschaftlich nicht haltbar“ (ebd.). Frühkindliche Förderung ist dementsprechend kein Themenbereich mehr, der ausschließlich von den Betroffenen sowie den wenigen Wissenschaftler/innen in diesem Feld behandelt wird; „eine Vergesellschaftung der Diskussion kann konstatiert werden“ (DJI 2004: 17). Sie geht einher mit einer starken Betonung wirtschaftlicher Zusammenhänge und beurteilt unter Zuhilfenahme verschiedener volkswirtschaftlicher Betrachtungsweisen (s. Kap 2.2.) Aufwendungen für frühkindliche Bildung, Betreuung und Bildung als Investitionen in das Humankapital der Gesellschaft. Den Tageseinrichtungen für Kinder wird in dieser Diskussion eine zunehmend wichtige Rolle für verschiedene Politikfelder zugedacht: „Sie sollen dazu beitragen, Schwangerschaftsabbrüche zu reduzieren und Geburtenzahlen zu steigern, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern und die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern weiter zu stärken; sie sollen Chancengerechtigkeit für Kinder unterschiedlicher Herkunft und zwischen Jungen und Mädchen anstreben sowie die Integration von behinderten Kindern und Migrantenkindern fördern und als Stätten der Elternbildung sowie als soziale Zentren im Gemeinwesen genutzt werden“ (ebd.). Die gesteigerten Erwartungen an die Institutionen frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung mündeten in den Bundesländern dementsprechend in unterschiedliche Aktivitäten zur Förderung der Kinder (DJI 2004: 56). Sämtliche Länder haben Bildungspläne und -programme entwickelt oder Bildungsvereinbarungen getroffen, um auf diesem Wege eine fachliche und zugleich gesellschaftliche Verständigung über den Bildungsauftrag in der Elementarpädagogik herbeizuführen (Hovestadt 2003: 59). Diese verschiedenen Bildungsprogramme eint die Absicht, Bildungsprozesse und -angebote in Tageseinrichtungen für Kinder und Tagespflege zu systematisieren und zu optimieren174; von daher können sie allesamt als curriculare Vorgaben angesehen werden – genauer: „als staatliche Vorgaben, die sowohl in die bisherige konzeptionelle Freiheit der Träger eingreifen als auch die Rechte der Eltern betreffen“ (DJI 2004: 57). Nicht nur die Entwicklung175 und Implementierung, sondern auch die vorgeschlagenen Inhalte der Pläne unterscheiden sich allerdings erheblich zwischen den Ländern. So finden sich Pläne, die sämtliche Bereiche abdecken, andere beschränken sich auf bestimmte Bereiche. Der bayerische Plan, der den größten Umfang hat, hat in wesentlichen Teilen „durchaus Grundlagencharakter und Verwandtschaft mit einem Lehrbuch“ (Hovestadt 2003: 59), wogegen die nordrhein-westfälische „Bildungsvereinbarung“ sowie die brandenburgischen „Grundsätze elementarer Bildung“ erheblich kürzer und knapper gehalten sind. Gemeinsam ist sämtlichen Plänen, dass sie die Rolle der Eltern für den Bildungsprozess des Kindes hervorheben und anerkennen, „dass Kinder umso mehr von Angeboten profitieren, wenn die beteiligten Erwachsenen ihre Bildungsvorstellungen aufeinander abstimmen“ (DJI 2004: 58). Einige Länder, darunter auch Bayern, gehen noch 174
Bei der Durchsicht aktueller Bildungs- und Erziehungsprogramme der deutschen Bundesländer fällt allerdings auf, dass sie in der Regel einer Institutionenlogik folgen und mehrheitlich für Kinder im Kindergartenalter, also jenseits des dritten Lebensjahres konzipiert sind, selbst wenn die Entwicklungsverläufe der Kinder von Geburt an in den Blick genommen werden. „Obwohl immer wieder auch Forderungen erhoben werden, die UnterDreijährigen am pädagogischen Alltag zu beteiligen, sind unmittelbare Betreuungsempfehlungen für sie nur selten vorhanden“ (Ahnert 2007: 20), was auch in der mangelhaften Ausgestaltung der frühpädagogischen Forschung in Deutschland begründet gesehen wird (s. dazu BMFSFJ (Hg.) 2003: 223ff, DJI 2004: 116f). 175 Während einige Bundesländer wissenschaftliche Institute mit der Ausarbeitung beauftragt haben, haben andere sie in Eigenregie der zuständigen Ministerien ausgearbeitet.
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einen Schritt weiter und stärken die Eltern in ihrer Rolle als Nachfragende (s. dazu auch Kap. 2.4.3 und 3.3.3.5). Die Jugendministerkonferenz hat darüber hinaus mit ihrem Beschluss zur Stärkung der Erziehungskompetenz von Eltern (Beschluss v. 22./23.05.2004) die Bedeutsamkeit einer vermehrten staatlichen Unterstützung von Eltern betont. Ein Schwerpunkt in den Ländern betrifft dann auch die Verstärkung der gezielten Ansprache von Eltern, „um v.a. Kindern aus Migrationsfamilien und sozial benachteiligten, bildungsfernen Familien den Zugang zum Kindergarten zu ermöglichen – über drei Jahre hinweg“ (BMFSFJ (Hg.) 2003: 278) sowie die Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen mit sozial benachteiligten, bildungsfernen Eltern und solchen mit Migrationshintergrund zu intensivieren176. Damit reagieren die Länder auf den „Mittelstand-Bias“ des derzeitigen Kinderbetreuungssystems (Kreyenfeld/Spieß 2002: 71), der sich nicht nur in der stärkeren Belastung von Familienhaushalten unterer Einkommensgruppen mit Gebühren zeigt, sondern auch in der selteneren Nutzung des Angebots oder der deutlich weniger intensiven Zusammenarbeit zwischen Einrichtungen und Familien aus benachteiligten Verhältnissen. Die Jugendminister/innen der Bundesländer haben bei ihrer Jugendministerkonferenz 2002 beschlossen, bezogen auf die sehr kleine Gruppe, die vor dem Schulbesuch keine Kindertageseinrichtung besucht, gezielte Strategien zu entwickeln, mit denen Eltern die Bedeutung elementarer Bildung im Kindergarten vermittelt und die Bereitschaft zur Annahme dieses Angebots gefördert wird. Als strategische Lösungsansätze, die dieses Ziel im Blick haben, wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Wege diskutiert: (1) die Einführung eines KindergartenPflichtjahrs, (2) die Abschaffung der Gebühren für Kindertageseinrichtungen und (3) die Verstärkung gezielter Ansprache (BMFSFJ (Hg.) 2003: 274ff), ohne dass hier bisher allerdings nennenswerte Ergebnisse zustande gekommen wären, wenn man einmal von der in verschiedenen Ländern mittlerweile eingeführten Gebührenfreiheit des letzten Kindergartenjahres absieht. Verschiedene Bundesländer haben zudem Maßnahmen initiiert, um eine bedarfsorientierte Angebotsstruktur für Familien weiterzuentwickeln (DJI 2005: 27, s. dazu auch DJI 2002). In diesen Netzwerken wird den Kindertageseinrichtungen aufgrund ihres institutionellen Settings ein herausragender Stellenwert eingeräumt (Diller 2007a: 6). Kooperation und Vernetzung mit anderen Stellen zählen dementsprechend mittlerweile „zu den Kernaufgaben von Kindertageseinrichtungen“ (Bayerisches Staatsministerium/IFP (Hg.) 2006: 450); die Kitas arbeiten dabei zusammen mit den Grundschulen, mit medizinisch-sozialen Diensten177 sowie weiteren kommunalen Ämtern, Behörden, Institutionen und Diensten178. Obwohl die Forderung nach Kooperation in den gesetzlichen Grundlagen der Hilfesysteme rechtlich verankert ist (bspw. § 80, § 36 SGB VIII) sind die Angebote, auch solche des schulischen Bildungssystems und Angebote der Beratung179 oder Erwachsenenbildung, in der Regel nicht aufeinander bezogen (MGFFI (Hg.) 2005: 10). Bezeichnend hierfür ist die Kooperation zwischen Grundschulen und Kindertageseinrichtungen, die sehr häufig das Ergebnis des Engagements einzelner Personen ist. Sie wird vorwiegend von Seiten des Kindergartens initiiert und die Zusammenarbeit konzentriert sich häufig auf „befürchtete 176
S. zur Förderung von Kindern mit einem anderen kulturellen Hintergrund in Kitas BMFSFJ 2003 (Hg.): 143ff. Wobei dies häufiger das Angebot medizinischer (insb. zahnmedinizischer) Prüfungen umfasst als Hilfsangebote in Form von Beratungsdiensten für die Eltern (Tietze (Hg.) 1998: 203f). 178 S. zur Kooperation von Jugendhilfe, Familien, Betrieben auch Seehausen 2004: 150ff. 179 S. zur Zusammenarbeit von Schulen und Erziehungs- und Familienberatungsstellen z.B. Hartnuß/Maykus (Hg.) 2004: 1170. 177
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oder akute Problemfälle“: „Weithin fehlen abgestimmte Konzepte zwischen Kindergärten und Grundschulen, gemeinsame Elternarbeit und gemeinsame Fortbildungen des Personals“ (BMFSFJ (Hg.) 2003: 188). Auch wird eine politische Steuerung der Netzwerkaktivitäten unterlassen und diese stattdessen in die Beliebigkeit der jeweiligen Fachkräfte gestellt. Vermutlich auch deshalb haben Jugend- und Kultusministerkonferenz 2009 in einem gemeinsamen Beschluss eine Optimierung des Übergangs von der Tageseinrichtung für Kinder in die Grundschule verabredet (JMK/KMK 2009). Überdies haben die Länder in den vergangenen Jahren insbesondere im Bereich des quantitativen Ausbaus der Kinderbetreuungsangebote, vor allem für unter dreijährige Kinder, Aktivitäten entfaltet. Zugleich wurde in mehreren Ländern die Zuständigkeit für die Kindertagesbetreuung neu geregelt und teilweise in den Verantwortungsbereich des Ministeriums verlegt, das auch für die Schulen zuständig ist. Diese Zuordnungen weisen auf ein verändertes Verständnis der Aufgabe der Kindertageseinrichtungen in den Landesregierungen hin (Hovestadt 2003: 69). Auch in Primar- und Sekundarbildung konzipierten die Länder unter dem Veränderungsdruck von Politik und Öffentlichkeit verschiedenste Maßnahmen. Nahezu alle Bundesländer haben in den vergangenen Jahren „Änderungen ihrer Einschulungsregeln vorgenommen, nehmen Schulversuche vor oder diskutieren Wege der Neugestaltung“ (Hovestadt/Kessler 2004: 19). Die meisten Länder, darunter auch Bayern, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen, haben die Einschulungsphase flexibler gestaltet bzw. planen jahrgangsübergreifenden Unterricht in der Anfangsphase der Grundschule. Beträchtliche Aktivitäten wurden in den vergangenen Jahren zudem im Bereich der Förderung und des Ausbaus von Ganztagsschulen entwickelt. So hat das Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB), mit dem der Bund in den Jahren 2003 bis 2008 den Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen mit Mitteln in Höhe von vier Milliarden Euro unterstützt hat, in sämtlichen Ländern „eine zwar in der Intensität variierende, aber doch deutlich feststellbare Reformbewegung in die Schulentwicklung gebracht“ (Schulz 2006: 64). Während 2002 nur 16 Prozent aller Schulen in Deutschland Ganztagsschulen waren, hat sich dieser Anteil mittlerweile fast verdoppelt180 (s. dazu differenzierter Sekretariat der KMK 2008). Neben dem Bundesprogramm zum Ausbau von Ganztagsschulen und den ergänzenden Landesprogrammen wird die Ganztagsschulentwicklung sowohl auf Bundesebene als auch auf der Ebene der einzelnen Länder von vielfältigen Initiativen unterstützt (s. auch Kap. 3.4.1.1). Einen Schwerpunkt der Aktivitäten scheinen die Länder daneben auf die Standardisierung und Messung von Bildungsleistungen zu legen, womit primär auf eine Verbesserung des Outputs des Bildungssystems gezielt wird. Alle Bundesländer haben sich dazu verpflichtet, die Leistungen ihrer Schüler regelmäßig zu testen und damit vergleichbar zu machen. Zudem gelten seit 2004 nationale Bildungsstandards für die Grundschule und Sekundarstufe I, die definieren, welche Kompetenzen Schüler/innen etwa am Ende der Grundschule und am Ende der Sekundarstufe I erreicht haben sollen. Durch Vergleichsarbeiten, Lernstandserhebungen, zentrale Prüfungen am Ende der Sekundarstufe I und II etc. wird die Einhaltung dieser Standards überprüft.
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Hierbei muss allerdings berücksichtig werden, dass die meisten als so genannte offene Ganztagsschulen arbeiten – die Nachmittagsangebote sind für die Schüler also nicht verpflichtend. Nach dem Willen der KMK soll sich das jedoch mittelfristig ändern.
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Des Weiteren wurden und werden in sämtlichen Bundesländern neue Wege der Schulentwicklung diskutiert bzw. umgesetzt. Hier sei beispielsweise auf den Komplex der „externen Evaluation“ verwiesen, also die Etablierung von Parallelarbeiten in den Schulen, von regelmäßigen Vergleichsarbeiten zwischen den Schulen und von zentralen Abschlussprüfungen als „ein grundlegend neues Element der deutschen Schulentwicklung“, dessen hiermit eingeleiteter und inzwischen fest verankerter Wechsel von der Input- und Prozess- hin zur Wirkungssteuerung nach Einschätzung von Beobachtern den deutschen Schulalltag stärker verändern dürfte „als all das, was die Schulpolitik in den letzten Jahrzehnten vor PISA veranstaltet hat“ (GEW (Hg.) 2004: 27). Damit einher geht in allen Ländern eine Erhöhung der schulischen Eigenverantwortung (bei der Programmentwicklung, Budgetierung und schulbezogenen Ausschreibung von Stellen) und eine Modifizierung der Rolle von Schulleitung und Schulaufsicht, um so die Rolle der einzelnen Schule als Ort der Qualitätsentwicklung im Bildungssystem zu stärken (BMBF/KMK 2004: 17). Sämtliche Länder arbeiten daneben – teilweise schon seit längerem – an Reformen der Lehrerbildung. Damit werden derzeit viele verschiedene Reformschritte im Bildungsbereich umgesetzt. Selten werden die von Seiten der Länder entwickelten Aktivitäten allerdings wissenschaftlich genauer unter die Lupe genommen. Wo dies geschieht, fällt das Fazit bisweilen kritisch aus wie in Nordrhein-Westfalen, wo Maschke/Stecher in ihrem Gutachten für die Enquetekommission „Chancen für Kinder“ 2007 urteilten: „Unser Eindruck ist, dass für zahlreiche der schulischen Reforminstrumente wenige bis gar keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über deren tatsächliche Wirkung vorliegen und auch nicht zu der Frage, unter welchen Bedingungen diese Wirkung effektiv bzw. effizient erreicht werden kann. Es ist zwingend notwendig, Neuerungen einer eingehenden wissenschaftlichen Evaluation zu unterziehen. Dies im besten Fall vor der flächendeckenden Implementation des jeweiligen Instruments“ (Maschke/Stecher 2007: 98). 2.2.4 Die familienpolitische Bedeutung der Kommunen Im föderalen Staatsaufbau bilden die Kommunen nach Bund und Ländern faktisch eine dritte Ebene, staatsrechtlich gehören sie jedoch zu den Ländern. Sie verfügen zwar über das verfassungsrechtlich garantierte Recht der Selbstverwaltung, welches aufgrund historischer Traditionen eine erhebliche Rolle im deutschen Gemeinwesen spielt (Kaufmann 2003: 301) und erfüllen eigene Aufgaben. Anders als die Länder aber besitzen sie keine Staatsqualität. Die Regelung kommunaler Strukturen, Aufgaben und Befugnisse fällt damit in die Kompetenz der Bundesländer, die bei ihrer Gesetzgebungsarbeit an Art. 28 GG gebunden sind, weshalb sich in den einzelnen Landesverfassungen inhaltlich weitgehend gleichartige Bestimmungen zur Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltung finden (Gisevius 1994: 32). Die Gemeinden eines bestimmten Gebietes bilden einen Gemeindeverband, den Landkreis. Große Gemeinden gehören in der Regel keinem Kreis an, sondern verwalten sich als kreisfreie Städte bzw. Stadtkreise selbst. Im Rahmen der in Art 28 GG festgeschriebenen kommunalen Selbstverwaltung entscheiden die Bürger/innen über die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft selbst, wie es das Bundesverfassungsgericht betont (BVerfGE 11, 266/274ff). Die Gemeinden besitzen Autonomie, „d.h. die Befugnis, Rechtsnormen als Satzungen zu erlassen (…) Außerdem verfügen sie, wenn auch nur in beschränktem Umfang, über Finanzhoheit und über Personalhoheit“ (Avenarius 2002: 117).
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Gängigerweise werden die Gemeindeaufgaben nach den Aufgabengruppen Grundversorgung, Dienstleistungen, sozialer Ausgleich, Gestaltungsfunktionen und Zukunftsplanung, Ordnungsfunktion sowie Systemstabilisierung unterschieden, was die „fast universale Bedeutung der Gemeinden“ (Gerlach 2004a: 119) unterstreicht. Während die Kommunen im eigenen Wirkungskreis frei und nur durch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung begrenzt sind, handeln sie im übertragenen Wirkungskreis nach staatlicher Weisung. Dieses „mittelbare“ Lebensrecht der Gemeinden zeigt sich unter anderem darin, dass Bund und Länder Gesetze verabschieden können, die zwar mit weitreichenden Konsequenzen für die Kommunen verbunden sein können, eine institutionelle Mitarbeit der Gemeinden im Gesetzgebungsprozess aber nicht vorsehen. Weitere Indizien sind die Finanzierung der Gemeinden aus den Länderhaushalten, die Staatsaufsicht sowie die Genehmigungsvorbehalte des Staates gegenüber Gemeindebeschlüssen – insbesondere Haushalte und Kreditaufnahmen betreffend. Der kommunale Wirkungskreis wird durch die Kommunalaufsicht kontrolliert, die als Rechtsaufsicht die Rechtmäßigkeit des kommunalen Handelns prüft, sowie eine Fachaufsicht, die außer der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns auch prüft, ob weisungsgemäß und zweckmäßig vorgegangen wurde (Avenarius 2002: 118). Vor dem Hintergrund dieser komplizierten Gemengelage verwundert es nicht, wenn die Stellung der Kommunen in sozialwissenschaftlichen Ansätzen sehr unterschiedlich gewichtet wird und die Einschätzung von „großer Skepsis über ihre Fähigkeit zur Politikgestaltung bis hin zu sehr optimistischen Thesen zu den Potentialen dezentraler Politik“ (Münch 1997: 221) reicht. Wesentliche Funktionen181 kommen den Kommunen zweifellos im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe zu – auch wenn sie hier ihre Zuständigkeit mit den freien Wohlfahrtsverbänden zu teilen haben. Das SGB VIII hat dem öffentlichen Jugendhilfeträger die Verpflichtung auferlegt, entsprechende Angebote, Dienste, Leistungen bereitzustellen, was bedeutet, dass „im Bereich der Jugendhilfe die öffentlichen Träger den entsprechenden Sicherstellungs- bzw. Gewährleistungsauftrag haben“ (Münder/Otterberg 1999: 20). Die Kommunen und Kreise sind damit unter anderem für die Gewährleistung von Betreuungsangeboten, die Schaffung von Plätzen in Kindertageseinrichtungen und den Ausbau des Angebots verantwortlich. Zu ihren Aufgaben gehören die regelmäßige Bedarfsplanung und die Erstellung von Entwicklungsplänen. Sie verfügen zugleich bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen in den Einrichtungen über einen großen Gestaltungsspielraum (Holz 2008: 24). Eine Besonderheit der kommunalen Selbstverwaltung liegt dabei in der nach dem SGB VIII (§ 70) vorgeschriebenen Zweigliedrigkeit des Jugendamtes: Die Aufgaben der öffentlichen Jugendhilfe werden neben der Verwaltung des Jugendamtes durch den Jugendhilfeausschuss wahrgenommen, in dem neben Mitgliedern der Vertretungskörperschaft auch sachkundige Bürger/innen und Vertreter/innen der anerkannten Träger der freien Jugendhilfe stimmberechtigt sind (§ 71 SGB VIII). Damit kommt dem Jugendhilfeausschuss ein gewisser „Sonderstatus“ (Merchel 2002) in der kommunalen Politik zu, da in seine Entscheidungsmechanismen auch Vertreter/innen der Zivilgesellschaft eingebunden sind182. 181
S. zur Rolle der Kommunen in der deutschen Sozialpolitik Münch 1997: 46ff. Dieser „Sonderstatus“ wurde in den vergangenen Jahren häufiger in Frage gestellt, unter anderem von einigen Bundesländern sowie dem Deutschen Städte- und Gemeindebund und vom Deutschen Landkreistag mit Verweis auf Prinzipien der Verwaltungsmodernisierung. Dabei wurde gefordert, Regelungen zur Flexibilisierung der die Jugendhilfe prägenden Strukturprinzipien in den Ländern zuzulassen, „was zur Folge hätte, dass die bisherige
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Deutlich stärker als in anderen Bereichen der Humanvermögensbildung sind hier partizipative Elemente der Beteiligung von Bürger/innen eingebaut (Rauschenbach u.a. 2004: 58). Diese Verknüpfung staatlicher und zivilgesellschaftlicher Kräfte ist die praktische Folge des „präventiven, integrativen und partizipativen“ (Gerlach 2004: 122) Politikansatzes des KJHG, welcher seit seiner Verabschiedung und seiner folgenschweren Ergänzung um die Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz 1996 sowie in Form des Tagesbetreuungs- sowie des Kinderförderungsgesetzes auf die kommunale Kinder- und Jugend- wie Familienpolitik erheblichen Einfluss genommen hat. Hier wird die Bedeutsamkeit der Gemeinden deutlich als „Orte des umfassendsten Kontaktes zwischen Staat und Bürgern bzw. Bürgerinnen“ (Gerlach 2004a: 119). Im Hinblick auf die Familienpolitik erweisen sich die Kommunen zudem als die „Schauplätze“ (Strohmeier 2002), an denen sich die Wirkungen bzw. die Wirkungslosigkeit von Familienpolitik zeigen. Denn jede nationale Familienpolitik wird lokal implementiert und erlebt, weshalb die Kommunen letzten Endes über die konkrete Lebenslage der Kinder und Familien entscheiden – sei es nun in freiwilliger oder pflichtiger Selbstverwaltung (Bellers 1993: 39). Die Lebensumwelt von Kindern und Familien „ist nun einmal nicht die Nation, sondern die Region und die Gemeinde“ (Bertram 2006: 13), weshalb eine Politik, die zukunftsorientiert die Lebensbedingungen von Kindern und Familien verbessern will, die Kommunen und die Länder ansprechen muss. Aus dem verfassungsrechtlichen Auftrag, der sich an die Städte, Gemeinden und Kreise als originäre Träger von Familienpolitik im Zusammenhang ihrer Selbstverwaltungsgarantie wendet (Art. 28 Abs. 2 GG), lässt sich deren Aufgabe als „anregende, koordinierende und bei landes- oder bundespolitisch bedingten Handlungsdefiziten mit eigenen Maßnahmen tätige Akteure von Familienpolitik ableiten“ (Gerlach 2004: 124). Kommunale Familienpolitik kann zusammengefasst folgendermaßen beschrieben werden: a. b.
c.
„Diese zielt auf die Sicherung und Stärkung der sozialen Strukturen in der Kommune, ihrer Bezirke und Nachbarschaften. Sie unterstützt die Familien bei der Entwicklung und Pflege des Humanvermögens, d.h. o sie erleichtert die Entscheidung für ein Leben mit Kindern durch kinderfreundliche Rahmenbedingungen im Wohnbereich, elternfreundliche Arbeitsplätze etc., o sie unterstützt die Vermittlung von Fachwissen und Daseinswissen, o sie stärkt die Selbsthilfekräfte in Familien- und Nachbarschaftsnetzwerken sowie in Familieninitiativen und Selbsthilfegruppen. Sie wirkt auf ein familienfreundliches Klima hin und bietet verlässliche Rahmenbedingungen für langfristige biographische Entscheidungen“ (BMFSFJ (Hg.) 1998a: 15f).
Diese Aufgabenbeschreibung „kennzeichnet Familienpolitik auf kommunaler Ebene vielleicht aufgrund ihres subsidiären Charakters noch stärker als dies für Familienpolitik im allgemeinen gilt, als Querschnittsaufgabe zwischen der Kinder- und Jugendhilfe, der Wohnungs- und Bodenpolitik, der Siedlungsplanung und Wohnumfeldgestaltung, der WirtGeltung grundlegender Strukturmuster aufgehoben und tendenziell durch eine Vielzahl länderspezifischer oder gar regionaler Organisationslösungen ersetzt würde“ (Merchel 2002: 107).
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schaftsförderung, der Sozial- und Gesundheitspolitik, der Schul-, Sport- und Kulturpolitik und der kommunalen Verwaltung“ (Gerlach 2004: 125f). Diesem Querschnittscharakter begegnen die Kommunen durch die Entwicklung von Planungs- und Realisierungsinstrumenten wie Familienförderplänen, Familienberichten, Familienpässen oder Familien- und Kinderfreundlichkeits-Prüfverfahren, wobei die Realität kommunalen Handelns zweifach beschränkt ist. Zum einen verfügt die kommunale Familienpolitik in der Regel über keine verwaltungsstrukturelle Zuordnung, weshalb es sich häufig um eine Form „versteckter Familienpolitik“ (Zander/Dietz 2003) handelt. Zudem erfährt die Realität kommunalen Handelns dadurch starke Beschränkungen, dass die Gemeinden im Entscheidungsprozess über die Strukturen des deutschen Finanzausgleichs keine Mitwirkungsmöglichkeiten haben. Sie können sich also gegen die Überfrachtung mit Aufgaben durch Bund und Länder nahezu nicht wehren und auf die Einhaltung des Konnexitätsprinzips nur hoffen. Zugleich bietet das gegenwärtig gültige Finanzausgleichssystem in Deutschland kaum Anreizstrukturen für viele Bereiche einer kommunalen Familienpolitik (Gerlach 2004: 123). Gleichwohl wächst den Gemeinden in der Rolle der Initiatoren oder Koordinatoren gesellschaftlicher Hilfe- und Dienstleistungsangebote ständig Bedeutung bei der Familienpolitik zu, was auch darin begründet liegt, dass Familien- und Kinderfreundlichkeit zunehmend zu einem wichtigen Standortfaktor183 in den Städten und Gemeinden wird (Lübking/Uedelhoven 2001: 63). Vor dem Hintergrund des durch demografischen Wandel und Globalisierung hervorgerufenen zunehmenden Wettbewerbs der Kommunen um Einwohner, Finanzen und Wirtschaftsstrukturen stellt die Notwendigkeit erfolgreicher Kommunalentwicklung die Städte und Gemeinden vor besondere Herausforderungen. Dass dem Thema der Kinder- und Familienfreundlichkeit dabei eine hohe Bedeutung zukommt, hat unter anderem die Bürgermeisterbefragung der Bertelsmann Stiftung 2005 gezeigt, die zugleich auch die Vielfalt bereits unternommener Aktivitäten vor Ort deutlich gemacht hat (Bertelsmann Stiftung 2005). Daneben zeigt ein Blick in die kommunale Realität, dass auch das kommunale Engagement im Bildungsbereich deutlich zugenommen hat. „Vor Ort hat sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr das Verständnis durchgesetzt, dass durch ein strukturiertes Zusammenwirken aller Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsorte und -angebote ein die unterschiedlichen Lebenslagen der jungen Menschen berücksichtigendes bildungspolitisches Gesamtkonzept entwickelt und im kommunalen Raum implementiert werden kann“ (Deutscher Verein 2007). Damit reagieren immer mehr Kommunen auf das Erfordernis einer kommunalen Bildungsplanung. Diese stellt eine Steuerungsform dar, welche die Verengungen und Begrenzungen auf die Teilsysteme von Bildung, Betreuung und Erziehung – Schulentwicklungsplanung und Jugendhilfeplanung – überwindet. Sie sichert darüber hinaus einen Kooperationsprozess, „in dem alle Beteiligten verantwortlich ihre Kompetenzen und Möglichkeiten in den Gestaltungsprozess von Bildung, Erziehung und Betreuung einbringen“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 558) und entwickelt schließlich ein Angebot, das den Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsbedarf des jeweiligen Sozialraumes erfasst. Neue Gestaltungsmöglichkeiten werden in diesem Kontext durch eine wachsende Öffnung der Schulen in den Stadtteil hinein und den Ausbau von Ganztagsschulen eröffnet, die die
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S. dazu auch Hellmann/Borchers 2002.
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kommunalen Zuständigkeiten und damit die inhaltlichen und personellen Gestaltungsmöglichkeiten erweitert haben184. Damit Kommunen über diese Beispiele hinaus generell stärker an der inhaltlichen Gestaltung von Schulentwicklung beteiligt werden und Schule und Jugendhilfe sich besser aufeinander beziehen können, wäre eine Anpassung bzw. Synchronisierung der administrativen und politischen Strukturen im Bereich der Bildungs- und Jugendpolitik von Bund, Ländern und Gemeinden vonnöten, die bislang noch auf sich warten lässt (BMFSFJ (Hg.) 2005: 559). Eine solche grundsätzlich neue Verknüpfung von Bildung und Betreuung nach PISA, auch unter dem Gesichtspunkt der demografisch verursachten Standortdebatte, würde zudem eine Reform staatlicher Finanzierungsverantwortung erfordern (Gerlach 2004a: 135). Wie das Beispiel der Kindertageseinrichtungen zeigt, reicht es nicht aus, einfach die fachpolitische Steuerung in die Verantwortung der Kommune zu geben und die Rahmenbedingungen von der Finanzkraft der Kommunen bzw. Kreise abhängig zu machen, ohne dass die Kommunen zugleich von Investitionen in qualitativ hochwertige Bildungs- und Betreuungseinrichtungen profitieren. Die bisherige Bedarfsplanung der Kommunen nach § 24 SGB VIII185 jedenfalls ist „in vielen Regionen mehr als ernüchternd“ (Sell 2002: 19). Jede kommunale Gesamtstrategie186 ist immer auch abhängig von landespolitischer Unterstützung. Zugleich benötigt sie, um erfolgreich zu sein, umfassende Informationen über die Lebenssituation und -lage ihrer Bürger/innen und Familien, d.h. differenzierte und regionalisierte Daten über Bedarfe, Handlungspotenziale und Defizitlagen. Vor diesem Hintergrund hat eine kommunale Familienberichterstattung in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen (Hensen/Heuchel 2006: 49, s. dazu auch Kap. 2.3.1). Darüber hinaus wurden in vielen Kommunen in den vergangenen Jahren im Rahmen der Initiative „Lokale Bündnisse für Familien“ Steuerungsinstrumente neu geschaffen, um die kommunale Familienpolitik voranzutreiben. Bisweilen werden diese Bündnisgründungen sogar von Länderseite unterstützt (wie zum Beispiel in Brandenburg187). Wie eine Evaluation des Deutschen Jugendinstituts zeigt, zielen viele Kommunen mit der Bündnisgründung darauf, „durch eine familienfreundlichere Gestaltung des Lebensumfeldes auch den Standort selbst aufzuwerten. Häufig werden auch am Familienalltag ansetzende Defizite [als Motive für die Bündnisgründung] benannt, z.B. im Bereich der Kinderbetreuung, der Information und Beratung von Familien oder in der familienfreundlichen Gestaltung der Arbeitswelt. In diesen drei Handlungsfeldern waren zwei Drittel der Bündnisse aktiv“ (Heitkötter/Schröder 2005: 3). Die lokalen Prozesse der Bündnisgründung lassen sich dabei in drei Richtungen typisieren: Fast die Hälfte der Bündnisse gehen aus top-down-initiierten Prozessen der Politik oder Verwaltung hervor. Immerhin jedes dritte Lokale Bündnis entsteht durch eine Bottom-up-Initiative, d.h. der Impuls zur Bündnisgründung kommt von 184
S. dazu das Beispiel der offenen Ganztagsgrundschulen in Nordrhein-Westfalen (s. beispielsweise Frey 2005). Da der § 24 unklar formuliert ist und im Gesetz keine eindeutigen Kriterien des „Bedarfs“ festgelegt sind, versuchen die Kommunen, „den tatsächlichen ‚Bedarf‘ – entsprechend ihrer Haushaltslage – möglichst eng zu definieren“ (BT-Drucksache 14/6027). Gestützt wird dieses Vorgehen noch durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach der Begriff „Bedarf“ im Sinne von § 24 Satz 2 SGB VIII nicht im Sinne einer faktischen Nachfrage, sondern normativ unter Berücksichtigung der Planungsverantwortung des zuständigen Jugendhilfeträgers zu bestimmen ist (vgl. Urteil des BVerwG v. 27.01.2000 – BVerwG 5 C 19.99). 186 S. zur Umsetzung einer kommunalen Gesamtstrategie der Familien- und Kinderfreundlichkeit auch Hellmann/Borchers 2002: 179ff. 187 S. dazu MASGF u.a. 2005: 21. 185
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einer Einzeleinrichtung oder einem Einzelakteur. Und ein gutes Viertel der Bündnisgründungen weisen follow-up-initiierte Entstehungsverläufe auf, d.h. es bestehen bereits Netzwerkstrukturen, die mit der Bündnisgründung eine Weiterentwicklung oder Konsolidierung anstreben (ebd.). Inwiefern allerdings diese neu gegründeten Bündnisse auch mit den herkömmlichen Kinder- und Jugendhilfestrukturen vernetzt werden, wird in den Kommunen sehr unterschiedlich gehandhabt (s. dazu Kap. 3.5.1.5). Vor diesem Hintergrund ist eine gewisse Skepsis hinsichtlich der Nachhaltigkeit vieler dieser Bündnisse angebracht. Die Schaffung von Netzwerken als Form der Aktivierung gesellschaftlicher Akteure wird kritischen Stimmen zufolge von den Kommunen mittlerweile auch deshalb so gerne eingesetzt, weil auf diese Weise gezielt staatliche Zwecksetzungen erfüllt werden können (Wohlfahrt 2002: 93). Das erscheint vor dem Hintergrund der angespannten Situation der öffentlichen Haushalte besonders attraktiv. Damit ist auf ein Problem verwiesen, das „die Selbstverwaltungsgarantie von Art. 28 II in der Realität stark in Frage stellt“ (Gerlach 2002: 159) – die immer schwierigere Finanzlage der Kommunen. Eines der Hauptprobleme des derzeitigen kommunalen Finanzsystems stellt dabei der hohe Anteil von zuweisungsgebundener Fremdfinanzierung188 dar, welcher de facto die kommunale Gestaltungsmacht stark einschränkt. Manche sprechen gar von einem Kompetenzverlust der Gemeinden: „Von einer kommunalen Selbstverwaltung kann heute in einem politischen Sinne nicht (mehr) die Rede sein. Die Kommunen haben ihre politische Autonomie weitgehend verloren“ (Dettling 2001: 25). Seit Beginn der 1990er Jahre wurden daher „umfangreiche Möglichkeiten entwickelt und erprobt, die eine Wiederbelebung der kommunalen Gestaltungschancen i.S. der Selbstverwaltungsgarantie intendieren“ (Gerlach 2002: 150)189. Für die „Krise der Selbstverwaltung“ (Gerlach 2002) kann zwar nicht nur die fehlende aufgabengerechte Finanzausstattung verantwortlich gemacht werden. Die wachsende Bedeutung gesetzlicher Aufgabenzuweisungen ohne entsprechende Finanzmittelzuweisungen bei gleichzeitig erfolgender Reduzierung von Steuerertragszuständigkeiten etc. spielt aber eine wichtige Rolle, wie das Beispiel des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz zeigt. 2.2.4.1 Die Aufgabenverpflichtungen der Gemeinden am Beispiel des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz Der für die Familienpolitik typische Widerspruch von Aufgabenzuwachs für die Kommunen und der Kompetenzordnung im föderalen Entscheidungsprozess (Gerlach 2004: 119) 188
S. zur Finanzierung kommunaler Aufgaben auch Gisevius 1994: 109ff. Das Thema, das die Kinder- und Jugendhilfe in den vergangenen Jahren mehr bzw. weniger intensiv beeinflusst hat, kann zusammenfassend mit Verwaltungsmodernisierung – zugespitzt im Begriff neuer Steuerung – beschrieben werden. Das Neue Steuerungsmodell der Kommunalen Gemeinschaftsstelle (KGSt) (s. dazu auch Lenk 2000) avancierte seit Beginn der 1990er Jahre zu einem Leitbild für eine moderne Verwaltung und sollte durch den Einsatz von Instrumenten wie eine stärkere Wettbewerbs- und Kundenorientierung, eine Steuerung der Verwaltung über ihre Angebote und Leistungen, die Einrichtung einer dezentralen Führungs- und Organisationsstruktur etc. zu mehr Effektivität und Effizienz im Verwaltungshandeln führen (Mamier u.a. 2002: 269f). In Form von Kontraktmanagement, Controlling, Produktorientierung, Kosten-Leistungs-Rechnung, Qualitätsmanagement, Interkommunalen Vergleichen etc. hat sie auch in der Kinder- und Jugendhilfe Einzug gehalten (s. BMFSFJ (Hg.) 2002: 44), wobei die Erfahrungen mit der Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells nicht nur als positiv angesehen werden (s. Wohlfahrt 2002: 88f). Vor allem die durchgreifende Ökonomisierungsperspektive (s. Neubauer/Fromme/Engelbert 2002: 7) und der in ihrem Gefolge „schleichende Mentalitätswandel“ (Merchel 2002: 115) mit seinen Auswirkungen auf die Kinder-, Jugend- und Familienpolitik werden dabei kritisiert.
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kann beispielhaft an der Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz für alle Dreijährigen ab 1996 illustriert werden. Ursprünglich sollte der Rechtsanspruch bereits im neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz verankert werden, das 1990 in Kraft trat (Wiesner 2003a: 11)190. Aufgrund massiver Vorbehalte einzelner Länder musste der Bund dies allerdings zunächst zurückstellen, bis die Forderung im Kontext der Diskussion um die Neuordnung des Rechts auf den Schwangerschaftsabbruch zwei Jahre später Auftrieb erhielt und sich mit etwas Verspätung die Gelegenheit ergab, im Rahmen einer Novellierung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes (§ 218 Art. 5) mit breiter Mehrheit einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zu verabschieden. Dieser passte nun „in das von allen politischen Parteien gewünschte Konzept, den Schutz des ungeborenen Lebens nicht mehr über strafrechtliche Vorschriften, sondern im Wesentlichen über sozial- und familienrechtliche Regelungen zu erreichen“ (Wiesner 2003: 295). Damit konnte der Rechtsanspruch nicht als bildungs- und kinderpolitisches, sondern als sozial- und familienpolitisches Anliegen durchgesetzt191 werden, was als symptomatisch für die politische Diskussion angesehen werden kann. Seit dem 1.01.1996 gilt in Deutschland ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt; wegen der Schwierigkeiten, in Westdeutschland ein ausreichendes Angebot zu schaffen, galt aber bis zum 31.12.1998 eine Übergangsregelung (s. Statistisches Bundesamt 2004: 5). Der im Zuge dieses Rechtsanspruchs quantitative Ausbau des Betreuungsangebots machte Tageseinrichtungen für Kinder nun auch in Westdeutschland zum Regelangebot für die Drei- bis Sechsjährigen. Darüberhinausgehend haben verschiedene ostdeutsche Bundesländer, darunter auch Brandenburg192, den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz über die Regelungen des § 24 SGB VIII hinaus ausgeweitet. Allerdings waren die Erfahrungen mit der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz in Westdeutschland nicht nur positiv. Vielmehr wurde er oft damit erkauft, dass qualitative pädagogische Standards wie Gruppenstärken oder Bau- und Ausstattungsstandards gesenkt wurden (Tietze/Viernickel (Hg.) 2003: 9). „Die Zahl der Kinder pro Gruppe wuchs und geringer qualifiziertes Personal wurde eingestellt“ (Henry-Huthmacher 2007: 31). Zudem band die notwendige Schaffung neuer Kindergartenplätze in vielen Kommunen so viele Ressourcen, dass die bedarfsgerechte Schaffung von Betreuungsmöglichkeiten für unter Dreijährige und Schulkinder, die ebenfalls, aber mit geringerer Verbindlichkeit im KJHG steht, dadurch in den Hintergrund trat. Und auch die Wirkung auf andere „freiwillige“ Leistungen der Jugendhilfe, für die die Ressourcen durch den Ausbau der Kindergartenplätze geschmälert wurden, wurde hingenommen (Larrá 2005: 265). Kindertageseinrichtungen sahen sich in den Folgejahren nach 1996 verstärkt dem Vorwurf
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Bereits der Diskussionsentwurf zum Bildungsgesamtplan aus dem Jahre 1973 sah sogar für jedes Kind ab dem dritten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz vor (Wiesner 2003: 294). 191 Wie sich nicht nur an diesem Beispiel zeigt, werden „politische Entscheidungen zur verstärkten Gewichtung der öffentlichen Verantwortung in der Sorge für Kinder (..) offenbar begünstigt und beschleunigt, wenn sich die genannten Argumentationsstränge wechselseitig verstärken und in handlungsleitenden Motiven der politischen Akteure niederschlagen“ (BMFSFJ (Hg.) 1999: 148). 192 Dort existiert ein unbedingter Rechtsanspruch für Kinder vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Übergang in die fünfte Schuljahrgangsstufe, mit einem Betreuungsumfang von sechs Stunden täglich im Vorschulalter und vier Stunden täglich im Schulalter sowie ein bedingter Rechtsanspruch für jüngere und ältere Kinder, zudem längere Betreuungszeiten, wenn es die familiäre Situation erforderlich macht (§ 1 KitaG).
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ausgesetzt, die öffentlichen Haushalte durch die Umsetzung dieser Pflichtleistung mit zu hohen Ausgaben zu belasten (vgl. Sturzbecher 1998: 72). Das Problem lag offensichtlich darin, dass der quantitative Ausbau erfolgen musste, „ohne dass die Finanzierung entsprechend angepasst worden wäre“ (Tietze/Viernickel (Hg.) 2003: 9). Mit der Einführung des Rechtsanspruchs kamen umfassende Aufgabenverpflichtungen bzw. Neugewichtungen auf die Gemeinden zu, ohne dass im Gegenzug die kommunalen Einnahmen gleichermaßen erhöht worden wären (Gerlach 2004: 119). Auch die zugleich zu beobachtende Erhöhung der Elternbeiträge für die Kindergartenplätze kann als Indiz dafür genommen werden, dass die kommunalen Haushalte nicht in der Lage waren, „aus ihren Mitteln den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz durchzusetzen“ (Kreyenfeld/Spieß/Wagner 2001: 47). Die Behauptung, wonach der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz vom Bund beschlossen und die Länder und Kommunen damit alleingelassen worden seien, lässt sich aber nicht halten. Vielmehr wurden im Zuge einer Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern „den Ländern und Kommunen Mittel in einer Größenordnung von etwa 400 Millionen DM zur Verfügung gestellt“ (Lindner in: Landtag NRW 2005: 681), um hiermit den Ausbau zu finanzieren. Offensichtlich sind diese Mittel bei den Kommunen aber nicht bzw. nicht in ausreichendem Maße angekommen. So scheint der Ausbau der Kindertageseinrichtungen nicht flächendeckend zu einer nachhaltigen Ausgabensteigerung im Elementarbereich geführt zu haben. Wenn man jedenfalls die Entwicklung der reinen öffentlichen Ausgaben für Kindertageseinrichtungen zwischen 1992 und 1996 betrachtet, weisen diese unterschiedliche Bewegungen auf: Während die Ausgaben zwischen 1992 und 1993 um mehr als 22 Prozent zunahmen, waren sie in den Folgejahren wieder leicht rückläufig und bewegten sich im Jahr 1995 ca. 200 Millionen DM unter dem Niveau von 1993. Erst im Jahr 1996 erhöhten sie sich dann wieder (s. Bock/Timmermann 2000: 80). Setzt man die Ausgaben für Tageseinrichtungen für Kinder in Beziehung zu den Ausgaben für die Jugendhilfe insgesamt, so zeigt sich, dass ihr Anteil nach 1993 sogar langsam sinkt (ebd.)193. Offensichtlich hat hier der Abbau von Standards kostensenkend gewirkt, wobei den Kommunen zweifellos geholfen haben dürfte, dass in einer Vielzahl von Bundesländern die gesetzlichen Grundlagen sowie die finanzpolitisch gesetzten Rahmenbedingungen für die Arbeit in den Einrichtungen verändert wurden: Insbesondere bestand ein Trend zum Abbau von landeseinheitlichen Standards, der mit einer Stärkung kommunaler Verantwortlichkeit und Zuständigkeit verknüpft wurde (BockFamulla 2002a: 98). Statt zu einer zunehmenden Steuerung der Länder im Zuge des Rechtsanspruchs scheint es tendenziell in den westdeutschen Ländern zu einer verstärkten Kommunalisierung im Bereich der Kindertageseinrichtungen gekommen zu sein mit der Folge, dass die Betreuungssituation nicht nur nach Bundesländern, sondern auch interkommunal qualitativ wie quantitativ stark differiert. Aufgrund der immer schwierigeren Finanzlage prüfen immer mehr Kommunen, für welche der bislang erbrachten Leistungen überhaupt eine gesetzliche Verpflichtung besteht und setzen die vorhandenen Mittel vorrangig für die Angehörigen der eigenen Kommune ein, wie sich auch bei der Finanzierung von Kindertageseinrichtungen zeigt194. 193
S. zur Platzkostenentwicklung im Kontext der Einführung des Rechtsanspruchs auch BMFSFJ (Hg.) 2005: 324. So hat es in den vergangenen Jahren in verschiedenen Bundesländern immer wieder heftige Diskussion um die Frage der Finanzierung von Kindertageseinrichtungen gegeben im Fall von Kindern, die ihren Wohnsitz in einer anderen Gemeinde haben (sog. „gemeindefremde Kinder“). Diese mussten sogar gerichtlich entschieden werden (s. dazu auch Parlamentarischer Beratungs- und Gutachterdienst 2006).
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Es verwundert daher nicht, dass die Diskussion um neue Finanzierungssysteme für Kindertageseinrichtungen in den vergangenen Jahren neu entbrannt ist: Der gesamte Bereich werfe „Fragen nach der Neuordnung des bisherigen Kompetenz- und Akteursgefüges in der Familien- und Bildungspolitik“ (Gerlach 2004: 120) auf. Die bildungsökonomische Betrachtung von Bildungsinstitutionen hat damit „eine Renaissance erlebt“ (Bock/Timmermann 2000: 13). Parallel dazu findet und fand im Kontext von Kindertageseinrichtungen eine Qualitätsdebatte statt, wobei „auffällig ist (..), dass die gestiegenen Ansprüche an Kindertageseinrichtungen, die strukturellen Verschlechterungen sowie die Qualitätsdebatte kaum zueinander in Beziehung gesetzt werden“ (Bock-Famulla 2002a: 99). Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung hat der Bund bei der Implementierung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes einen anderen Weg eingeschlagen und „von dem nahe liegenden Modell eines Rechtsanspruchs für Kinder unter drei Jahren, der an bestimmte Kriterien gebunden ist, (…) mit Rücksicht auf die kommunalen Gebietskörperschaften“ abgesehen (Wiesner 2005: 122). „Ob sich diese Zurückhaltung auszahlt, wird abzuwarten sein. Die Erfahrungen mit dem geltenden Recht zeigen, dass nur der Rechtsanspruch den notwendigen Druck zum bedarfsgerechten Ausbau vermittelt. Auch wenn sich eine objektiv-rechtliche Verpflichtung hinsichtlich ihres normativen Charakters nicht von einem Rechtsanspruch unterscheidet, so fehlt ihr doch die individuelle Einklagbarkeit. Die Kommunalaufsicht der Landesinnenressorts hat sich bisher nicht sonderlich wirkungsvoll erwiesen, sondern geriert sich eher als Interessenvertretung der Kommunen“ (ebd.). Um sich an der Finanzierung der zu schaffenden Betreuungsplätze im Rahmen des TAG von 2006 bis 2010 indirekt zu beteiligten, hat der Bund die Länder und Kommunen durch die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe (Hartz IV) über eine Summe von 1,5 Milliarden Euro entlastet, die für die Kinderbetreuung verwendet werden soll. Für die Schaffung zusätzlicher Plätze von 2008 bis 2013 beteiligt sich der Bund direkt an der Finanzierung, um zu gewährleisten, dass die bereitgestellten Mittel auch tatsächlich für den Ausbau eingesetzt werden. Mit dem Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetz (KBFG) wurde im Jahr 2007 ein Sondervermögen in Höhe von vier Milliarden Euro errichtet, das an die Länder Finanzhilfen für Investitionen nach Art. 104b GG zum Ausbau der Betreuung von Kindern unter drei Jahren gewähren soll. Eine Verwaltungsvereinbarung „Investitionsprogramm Kinderbetreuungsfinanzierung“ (2008–2013) hat die Gewährung dieser Finanzhilfen zwischen Bund und Ländern geregelt, wobei „bemerkenswert ist (..), dass im Sinne einer Erfolgskontrolle die Länder dem BMFSFJ jährlich zum 31.10. (erstmals: 2009) über die Anzahl der jeweils bis zum 31.12. des Vorjahres neu eingerichteten und gesicherten Betreuungsplätze in Tageseinrichtungen sowie in der Tagespflege berichten müssen“ (Diller u.a. 2007: 2). Diese Verwaltungsvereinbarung wäre zum 1.1.2009 außer Kraft getreten, wenn es bis zum 31.12.2008 nicht gelungen wäre, die notwendigen Änderungen im KJHG (SGB VIII), also den Rechtsanspruch für einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem ersten vollendeten Lebensjahr, im Bundesgesetzblatt zu verkünden (ebd.). Inwiefern auch in diesem Fall die Kommunen über qualitative Einsparungen oder Kürzungen in anderen Bereichen der Jugendhilfe versuchen werden, die Finanzierung des Platzausbaus zu kompensieren, wird zu sehen sein. Solange weiterhin die Kommunen lediglich die Kosten für Kindertageseinrichtungen tragen, von deren Nutzen aber nicht direkt finanziell profitieren, dürfte sich an der problematischen Situation wenig ändern.
152
2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen im Bereich der Bildung, Betreuung und Erziehung 2.3.1 Rechtliche Regelungen und Rahmenbedingungen in der Kinder- und Jugendhilfe Zur Förderung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sowie zur Unterstützung von Eltern und Familien gibt es in der Bundesrepublik Deutschland ein vielfältiges Angebot sozialer Arbeit und Dienste, die zu einem großen Teil im Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG, juristisch genau Art. 1, Achtes Buch Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe, kurz SGB VIII) geregelt sind. Das Hauptanliegen des SGB VIII ist die Bereitstellung einer breiten Spanne von Leistungen und Angeboten, die Kindern, Jugendlichen und Eltern in unterschiedlichen Lebenssituationen eine Hilfe sind. Zu den wichtigsten Leistungen gehören: „Angebote der Jugendarbeit (z.B. außerschulische Jugendbildung, Sport, Spiel und Geselligkeit), der Jugendsozialarbeit195 und des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes; Förderung der Erziehung in der Familie (gerade auch in Konfliktsituationen, für den Fall der Scheidung und bei Alleinerziehenden); Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege; Hilfe zur Erziehung und Hilfe für junge Volljährige“ (Avenarius 2002: 236). Die Kinder- und Jugendhilfe soll nach dem Willen des Bundesgesetzgebers „junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen“ (§ 1 Abs. 3 SGB VIII). Diese Förderung beinhaltet auch die „Betreuung, Bildung und Erziehung“ des Kindes (§ 22 Abs. 1 SGB VIII)196 (Tietze 2005: 53). Allerdings steht diese Forderung im Schatten des in Deutschland geltenden Erziehungsrechts der Eltern, das nur durch die allgemeine Schulpflicht eingeschränkt wird. Was vor oder neben der Schule für die Bildung der Kinder getan wird, ist – wie im GG Art. 6 Abs. 2 verankert – der Verpflichtung nach der Familie überlassen197. Das SGB VIII hat in §§ 1, 2 den Passus aus dem Grundgesetz übernommen: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft“. Mit dem zweiten Satz wird das Verhältnis zwischen staatlichem Wächteramt und der elterlichen Fürsorgepflicht in dem Sinne festgeschrieben, dass die Kinder- und Jugendhilfe einzugreifen hat, wenn Eltern ihre Aufgaben der Pflege und Erziehung im Einzelfall nicht ausreichend wahrnehmen und das Wohl des Kindes gefährdet ist. Die Kinder- und Jugendhilfe ist zudem verpflichtet, mit anderen öffentlichen Einrichtungen, deren Tätigkeit sich auf die Lebenssituation junger Menschen und ihrer Familien auswirkt, zusammenzuarbeiten (Kooperationsverpflichtung gemäß § 81 SGB VIII). Gleichwohl hat die Kinder- und Jugendhilfe „keinen der Schule vergleichbaren, unmittelbaren und eigenständigen Bildungsauftrag, der der Kompetenz des Staates zugeordnet wäre und dem Erziehungsauftrag der Eltern gegenüberstünde“ (Rauschenbach u.a. 2004: 86). Die Bildungsdebatte im Kontext der PISA195
Unter dem Oberbegriff Jugendsozialarbeit werden im Rahmen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) Angebote und Leistungen zusammengefasst, die insbesondere für die Unterstützung benachteiligter Jugendlicher und besonderer Zielgruppen konzipiert sind (Jugendberufshilfe, Schulsozialarbeit etc.) (Rauschenbach 2009: 208). 196 Seit dem 1.1.2005 ist diese Formulierung in „Erziehung, Bildung und Betreuung“ geändert, wodurch „eine veränderte Sichtweise mit ihrer größeren gesellschaftlichen Wertschätzung der Aufgaben aller Tageseinrichtungen für Kinder“ (DJI 2005: 22) deutlich wird. 197 Im Grundgesetz ist diesbezüglich auch nur von „Pflege und Erziehung“ als Pflicht der Eltern die Rede, die Bildung wird in Art. 6 nicht erwähnt. Zwar führt die Kinderrechtskonvention entsprechende Rechte der Kinder auf, hat aber keinen individuell einklagbaren Charakter.
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung
153
Studie hat erneut die Grundsatzfrage nach dem gesellschaftspolitischen Auftrag der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen auf der einen und der Fähigkeit des Systems Jugendhilfe, diesem Auftrag gerecht zu werden, auf der anderen Seite aufgeworfen (Wiesner 2003: 293). Im Gegensatz zu seinem Vorgängergesetz in der alten Bundesrepublik Deutschland, das überwiegend ein „Aufsichts- und Eingriffsgesetz zum Schutz der Kinder“ (DJI 2004: 33) war, stützt sich das SGB VIII auf die Prinzipien der Prävention (Dienste und Leistungen rechtzeitig und vorbeugend anzubieten), Integration (Dienste und Leistungen für alle Kinder, Jugendlichen und Familien in ihrem sozialen Umfeld anzubieten) sowie Partizipation (Dienste und Leistungen möglichst mit den Kindern, Jugendlichen und Familien zu finden bzw. auszugestalten). Der ehemals fürsorgerische Charakter der Jugendhilfe hat sich damit schwerpunktmäßig immer stärker hin zur Prävention verschoben, die den fürsorgerischen Aufgaben vorgelagert ist. Durch diese präventive Ausrichtung soll erreicht werden, dass fürsorgerische Leistungen nur noch in Ausnahmefällen erbracht werden, also dort, wo es gemäß dem Schutzauftrag für die Sicherung des Wohls der Minderjährigen erforderlich ist (Füssel/Münder 2005: 243). Das SGB VIII hat die Struktur der Kinder- und Jugendhilfe und die Aufgaben ihrer verschiendenen Akteure nicht nur unter dem Aspekt des Vorrangs der elterlichen Erziehungsverpflichtung beschrieben, sondern auch auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips unter dem Aspekt des Vorrangs freier Träger bei der Bereitstellung des Angebots (DJI 2004: 33f): Soweit anerkannte Träger der freien Jugendhilfe tätig werden können, soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen. Sie soll zudem die eigenverantwortliche Tätigkeit von Jugendverbänden und Jugendgruppen unterstützen und mit der freien Jugendhilfe partnerschaftlich zusammenwirken (Avenarius 2002: 236). Nichtsdestotrotz trägt die öffentliche Jugendhilfe die Gesamtverantwortung für die Bereitstellung von Jugendhilfeangeboten, was neben der starken Stellung frei-gemeinnütziger Träger die zentrale Rolle der kommunalen Jugendämter betont. Denn die Jugendhilfe ist im Wesentlichen kommunale Aufgabe. Zwar fallen in die Zuständigkeitsbereiche von Bund und Ländern die Gesetzgebungskompetenzen198. Die Aufgabenerfüllung wurde mit dem SGB VIII zugleich auf der örtlichen Ebene konzentriert (Jordan/Sengling 2000: 244): Städte und Landkreise verantworten, planen und fördern die örtliche Jugendhilfe in kommunaler Selbstverwaltung. Die Städte und Gemeinden tragen zudem die Hauptlast der Jugendhilfekosten199. Darüber hinaus hat das Bundesgesetz dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe eindeutige Kompetenzen für die Jugendhilfeplanung gegeben und damit eine Schlüsselrolle für die quantitative Steuerung. Dagegen liegt die Aufgabe der Sicherung einer Mindestqualität (vgl. § 45 SGB VIII in Verbindung mit § 85 Abs. 2 Ziffer 6 SGB VIII) auf Landesebene. Diese letzte Regelung wird allerdings immer wieder in Frage gestellt. Von Seiten der Bundesländer gab es „bereits mehrere Vorstöße, den Bundesländern hierfür eine eigene 198
In den Zuständigkeitsbereich des Bundes fällt die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Kinder- und Jugendhilfe Art. 72 Abs. 1 Nr. 7 GG, der er mit der länderübergreifenden Festschreibung der Förderungsgrundsätze im Kinder- und Jugendhilfegesetz nachgekommen ist. Die sechzehn Bundesländer haben diesen gesetzlichen Rahmen des Bundes durch eigene Landesgesetze ausgefüllt, ergänzt und erweitert. Daneben fördern die Länder die Jugendhilfeträger „mit dem Ziel der Weiterentwicklung und des gleichmäßigen Ausbaus der Jugendhilfe und unterstützen die örtlichen Träger der Jugendhilfe durch Beratung und Fortbildung“, unter anderem durch ihre Landesjugendämter (Jordan/Sengling 2000: 243). 199 Die Finanzierung der Nettoausgaben öffentlicher Jugendhilfe liegt zu rund 65 Prozent bei den kommunalen Gebietskörperschaften, rund 34 Prozent tragen die Länder und 1 Prozent der Bund (Jordan/Sengling 2000: 271).
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2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
Regelungskompetenz zuzugestehen, d.h. ihnen damit auch die Möglichkeit zu geben, die Frage der Sicherung eines Mindestqualitätsstandards auf die örtliche Ebene übertragen zu können“ (Larrá 2005: 243). Zwischenzeitlich vorgenommene Novellierungen des SGB VIII mit der Absicht, eine größere Verbindlichkeit zur Realisierung von Qualität herzustellen, haben dagegen eine fachlich-inhaltliche Qualifizierung der Vorschriften sowie eine angenäherte Gleichbehandlung aller Angebote vorangetrieben (DJI 2005: 20f). So ist beispielsweise die Formulierung eines Mindestbedarfs zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „bedarfsgerecht“ im Hinblick auf die Förderung von Kindern unter drei Jahren neu hinzugekommen. Auch wurde für den Ausbau der Tagesbetreuung von Kindern unter drei Jahren eine Übergangsregelung über den Ausbau des Angebots eingeführt (§ 24a) (Schmid/Wiesner 2005: 276). Neben der „Kommunalisierung“ der Jugendhilfe ist diese durch ihre „Familienorientierung“ gekennzeichnet. Dies zeigt sich nicht nur in dem rechtssystematischen Ansatz des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, den Anspruch auf Hilfen zur Erziehung nicht dem Kind, sondern den Eltern zu geben (Maas 1991: 10)200. Das Gesetz widmet der Familienförderung „einen eigenen Abschnitt und betont auch auf diese Weise seine starke Orientierung an der Familie als der zentralen Erziehungsinstitution“ (Maas 1991: 21). Hilfen werden nicht erst dann angeboten, wenn die Erziehung von Kinder und Jugendlichen in der Familie bereits ernsthaft gefährdet ist, sondern bereits vorher. Die Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe, Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder zu beraten und zu unterstützen (§ 1 Abs. 3 SGB VIII), wird vor allem durch Angebote nach den §§ 16ff. SGB VIII wahrgenommen. Als mögliche Leistungen zur allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie gehören:
Angebote der Familienbildung, Angebote der Beratung in allgemeinen Fragen der Erziehung und der Entwicklung junger Menschen, Angebote der Familienfreizeit und der Familienerholung, insbesondere in belastenden Familiensituationen, die bei Bedarf die erzieherische Betreuung der Kinder einschließen.
Näheres über Inhalt und Umfang dieser Aufgaben findet sich im Bundesgesetz nicht, dafür aber der Hinweis, dass dies in den Landesgesetzen zu regeln sei, weshalb neben dem SGB VIII vor allem Verwaltungsvorschriften von Länderministerien zur Familienbildung sowie Landesgesetze zur Erwachsenen- und Weiterbildung wichtige Rechtsgrundlagen für diesen Bereich sind (BMFSFJ (Hg.) 2005: 256). Allerdings ist die Praxis durch eine große Diskrepanz zwischen dem hohen Stellenwert dieser präventiven Angebote einerseits und dem geringen Anspruchsgehalt der angebotenen Hilfen andererseits gekennzeichnet (Maas 1991: 21). So bestehen beispielsweise nur einzelne länderrechtliche Ausführungsrichtlinien zu § 16 SGB VIII, ebenso – auf kommunaler Ebene – nur vereinzelte längerfristige Festlegungen und Planungssicherheit im Rahmen der Jugendhilfeplanung. Dies hat seine Auswirkungen unter anderem auf die Praxis der Familienbildung, die in Deutschland „nicht sehr stark ausgebaut“ ist (BMFSFJ (Hg.) 2005: 257, 200
Eine Ausnahme findet sich paradoxerweise gerade im Bereich der frühkindlichen Erziehung, Bildung und Betreuung, „denn der so genannte Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für jedes Kind ab dem dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt stellt ein individuelles Recht dar, das nur an die Person des Kindes und nicht an irgendwelche Voraussetzungen auf Elternseite gebunden ist“ (DJI 2005: 18).
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung
155
s. dazu detaillierter Pettinger/Rollik 2005). Die Verwirklichung dieser Hilfen hängt häufig „von der Leistungsbereitschaft des Jugendhilfeträgers ab“ (Maas 1991: 21), was auch dadurch ermöglicht wird, dass es sich bei diesen Angeboten um keine wirklich einklagbaren subjektiv-öffentlichen Rechte handelt. Damit werden die Schwächen der Kinder- und Jugendhilfe und ihre starke Abhängigkeit von der finanziellen Leistungsfähigkeit bzw. -bereitschaft der Kommunen deutlich. Aufgrund der wichtigen Rolle der Kommunen für den Bildungsort Jugendhilfe soll ihre Bedeutung im Folgenden genauer betrachtet werden. 2.3.1.1 Kommunale Organisation der Jugendhilfe Die zentrale Anlaufstelle für Kinder, Jugendliche und Familie in Sachen Jugendhilfe ist das örtliche Jugendamt, das „dafür Sorge zu tragen hat, dass Angebote und Leistungen
der Jugendarbeit (§§ 11 und 12) und der Jugendsozialarbeit (§ 13), der allgemeinen Beratung und Familienförderung (§ 16), der Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung (§ 17) und bei der Ausübung der Personensorge (§ 18), der Tagesbetreuung für Kinder in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (§§ 22ff), der Hilfe zur Erziehung (§§ 27ff), der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche (§ 35a) und der Hilfen für junge Volljährige (§ 41) und weitere Leistungen (vgl. § 2 Abs. 2)
ausreichend, d.h. bedarfsgerecht zur Verfügung stehen“ (BMFSFJ 2007a: 46). Darüber hinaus ist das Jugendamt für Aufgaben zuständig, die sich aus dem Auftrag zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefahren ergeben (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 SGB VIII), und wirkt in familien- und kindschaftsrechtlichen Angelegenheiten sowie in Jugendgerichtsverfahren mit, wenn es darum geht, die rechtlichen und materiellen Belange von Kindern und Jugendlichen zu vertreten (ebd.: 46f). Im Gefolge des Kinder- und Jugendhilfegesetzes hat sich die Rolle des Jugendamtes in den vergangenen Jahren allmählich verändert: von einer Kontrollbehörde zu einem Ansprechpartner für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Familien (Merchel in: Landtag NRW 2007a: 11). Die Organisation des Amtes orientiert sich häufig aber noch an der Ressortierung der „klassischen“ Arbeitsfelder, was einen integrierten Arbeitsansatz eher „erschwert, wenn nicht verhindert“ (Jordan/Sengling 2000: 250). In immer mehr Ämtern wird dies allerdings mittlerweile zugunsten eines sozialräumlichen Arbeitsansatzes umgebaut (s. Kap. 3.5.1.4). Als „bedeutendstes und einflussreichstes Gremium der kommunalen Jugendhilfe“ (Merchel/Reismann 2004: 14) kann, über das Jugendamt hinaus, der Jugendhilfeausschuss angesehen werden, der gleichsam den „Ort von Kooperation auf der ‚höchsten‘, also politischen Ebene des regionalen Geschehens in der Jugendhilfe“ (ebd. 240) darstellt. Er wird durch verschiedene andere Kooperationspartner und -orte unterstützt, wie Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII (arbeitsfeldbezogen oder sozialraumbezogen) oder spezielle themenbezogene Gesprächs- und Abstimmungskreise (z.B. zwischen Jugendhilfe und Schule etc.), die Entscheidungen mit vorbereiten, welche dann im Jugendhilfeausschuss
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2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
politisch entschieden und verantwortet werden (müssen). Obwohl die Verwaltung formal innerhalb des Ausschusses nur eine beratende Funktion hat, übt sie – wie Merchel/ Reismann zeigen konnten – doch „elementare Steuerungsfunktionen aus. Ein Großteil der Themen, die im Jugendhilfeausschuss behandelt werden, wird von der Verwaltung gesetzt, und mit einer Vielzahl von Vorlagen prägt die Verwaltung des Jugendamtes auch die Art, in der die Themen im Jugendhilfeausschuss behandelt werden“ (ebd.: 243). Wegen der Einbeziehung von Vertreter/innen der freien Träger und von weiteren beratenden Mitgliedern handelt es sich beim Jugendhilfeausschuss um ein Gremium, das „im Vergleich zu anderen politischen Ausschüssen durch einen relativ hohen Grad von Fachlichkeit in den Qualifikationen und Kompetenzen seiner Mitglieder gekennzeichnet ist“ (ebd.: 188). Trotzdem sind die Steuerungsleistungen „häufig stark von den Eigenheiten, den Kompetenzen und dem Engagement der im Ausschuss tätigen Personen abhängig“ (ebd.). Daneben zeigt sich eine weitere Tendenz: Die Parteizugehörigkeit der politischen Vertreter/innen spielt in der Ausschussarbeit „eine geringere Rolle als in anderen Ausschüssen oder im Rat (…) Die den Parteien zugrundeliegenden unterschiedlichen Werthaltungen und Grundüberzeugungen, z.B. in Sachen Kinderbetreuung oder Familienpolitik, werden dabei zwar immer wieder deutlich, aber sie werden vorwiegend als fachpolitische Akzentsetzungen und weniger zur parteipolitischen Profilierung eingebracht und ausgetragen“ (ebd.: 201). Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser geringen parteipolitischen Instrumentalisierung der Jugendhilfepolitik ist festzustellen, dass der Stellenwert der Jugendhilfe im kommunalpolitischen Kontext relativ gering ist. Insbesondere im Rückblick auf die vergangenen Jahre ist festzustellen, dass – während der Bildungssektor die Argumentationskraft seiner Interessen maßgeblich verbessern konnte – sich die Argumentationsfähigkeit der Interessen der Jugendhilfe in der politischen Arena eher verschlechtert hat (ebd. 247). Im kommunalen Alltag wird eine „Einmischung“ des Jugendhilfeausschusses in die Kommunalpolitik kaum sichtbar: „Mit Ausnahme des aktuellen Themas ‚Kooperation von Jugendhilfe und Schule‘ bleibt der Jugendhilfeausschuss in seinem ‚Agenda-Setting‘ auf den engeren institutionellen Kontext der Jugendhilfe beschränkt. Zwar nehmen die Jugendamtsleiter und die Ausschussmitglieder auf der proklamatorischen Ebene für sich in Anspruch, dass der Ausschuss eine ‚Lobby für Kinder und Jugendliche‘ darstelle, aber dies wird im Hinblick auf die Vermittlung dieses Anspruchs in den gesamten kommunalpolitischen Raum nicht ausreichend sichtbar“ (ebd.: 248). Inwiefern dies durch eine – immer wieder diskutierte – Zusammenlegung mit dem Schulausschuss verbessert würde, wird skeptisch beurteilt: Abgesehen von der rechtlichen Problematik einer Zusammenlegung bestünde hier die Gefahr, dass die fachlichen Perspektiven der Jugendhilfe hier von dem strukturell „stärkeren Interesse“ und von der spezifischen Aufgaben- und Organisationslogik des Schulbereichs überlagert würden (s. auch Merchel/Reismann 2004: 248). Wie unterschiedlich die Organisationslogik in beiden Bereichen ist und auf welche Probleme eine kommunale Kooperation stößt, zeigt sich besonders deutlich am Beispiel der immer wieder geforderten Verknüpfung von Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung. Während die Kooperation von Jugendhilfe und Schule „in der Praxis längst Realität“ (Hetz/Schnurr o.J.: 3) ist, stellt eine gemeinsame bzw. aufeinander abgestimmte Planung von Schulentwicklung und Jugendhilfe dagegen bislang „nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme“ dar (ebd.). Die Gründe hierfür werden vor allem darin gesehen, „dass beide Institutionen unterschiedlich in die politischen und administrativen Strukturen eingebunden sind und dass sich ihre Planungsinstrumente und ihr Planungsverständnis dementsprechend
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung
157
unterschiedlich entwickelt haben“ (ebd.). In drei wesentlichen Punkten unterscheiden sich Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung dabei besonders (vgl. ebd.: 11):
in ihrer institutionellen Einbindung: Während es sich bei Jugendhilfe und Jugendhilfeplanung um kommunale Aufgaben handelt, ist Schule Ländersache. Die Kommunen haben als Schulträger lediglich die Verantwortung für Gebäude, Betrieb und technisches Personal (äußere Schulangelegenheiten); in ihrem Planungsverständnis: Jugendhilfeplanung ist beteiligungs- und prozessorientiert und hat einen sehr umfassenden und komplexen Gegenstandsbereich, der die Entwicklung längerfristiger und zukunftsbezogener Strategien intendiert. Schulentwicklungsplanung stellt dagegen eine reine kommunale Standort- und Versorgungsplanung dar; sie ist ergebnisorientiert und setzt die Planungsvorgaben der Schulbehörden im örtlichen Kontext um; in ihren Planungsmethoden: Jugendhilfeplanung setzt neben einer umfassenden quantitativen und qualitativen Datengrundlage auf eine differenzierte Planungsstruktur, um die Beteiligung und die Einbindung in die politischen Entscheidungswege sicherzustellen. Schulentwicklungsplanung arbeitet dagegen fast ausschließlich mit quantitativen Kategorien und spielt sich vorwiegend im Kontext der öffentlichen Verwaltung ab.
Aufgrund der Tatsache, dass die Schulentwicklungsplanung derzeit die Gestaltung eines pädagogisch förderlichen Umfelds mit ihren Methoden nicht nennenswert beeinflussen kann (s. LWL 2007: 38), stößt sie allerdings, insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, mehr und mehr an ihre Grenzen. Sie befindet sich „in einem Prozess der Neuorientierung zum einen im Hinblick auf eine thematische Neuorientierung und Ausdifferenzierung ihrer Bezugspunkte und zum anderen im Hinblick auf ihre methodischen Vorgehensweisen“ (Merchel 2004: 604). Auch deswegen werden Jugendhilfeplanung und Schulentwicklungsplanung in der Praxis nun immer häufiger zusammengeführt, mit dem Ziel, bedarfsgerechte Angebote in den Sozialräumen bereit zu stellen. In diese Richtung zielen auch die Forderungen nach Etablierung
eines Systems der kommunalen Bildungsberichterstattung, mit dem Ziel, die kleinräumig erhobenen Daten- und Planungsbefunde insbesondere zu den Bereichen der Schule/Bildung, der Sozialstruktur der Kommune und der Kinder- und Jugendhilfe aufzubereiten und daraus konkrete Handlungsbedarfe zu entwickeln (vgl. Deutscher Verein 2007) bzw. eines Systems der kommunalen Familienberichterstattung, welches den Bereich der Familienhilfe darin noch integriert (s. Jordan/Hensen 2004).
Einzelne Kommunen haben inzwischen höchst differenzierte Systeme der Sozialberichterstattung entwickelt, die jedoch häufig einer „fragmentierten Institutionenlogik“ (Bertram 2006) folgen: „Nicht das Kindeswohl steht im Mittelpunkt, sondern die Leistungsfähigkeit und Effizienz der jeweiligen Institutionen“ (ebd.: 27). Diese Ansätze ließen sich im Sinne eines umfassenden Konzepts des Kindeswohls weiterentwickeln, auch weil viele der dazu nötigen Daten auf kommunaler wie Landesebene längst erfasst werden. Dies gilt für Gesundheits- und Bildungsdaten (auch solche non-formaler oder informeller Bildung im
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Kindes- und Jugendalter201) wie soziale und wirtschaftliche Daten. Sie müssten allerdings noch stärker durch subjektive Einschätzungen von Kindern und Jugendlichen wie Eltern und Familien ergänzt werden (s. Bertram 2006: 27), um ein umfassendes Gesamtbild ermitteln zu können. Der Nutzen solcher integrierter Strategien liegt auf der Hand und verweist auf die alte Erkenntnis, dass kommunale Gesamtstrategien nachhaltiger wirken, wenn es gelingt die Bürger/innen an ihnen zu beteiligen (s. dazu Meinhold-Henschel 2007: 235ff). Neben anderem sind dazu bestimmte strukturelle Voraussetzungen notwendig. So setzt dies beispielsweise den Abschied von der überkommenen Trennung von „äußerer“ (in der Regel kommunaler) und „innerer“ (auf Landesebene verorteter) Schulaufsicht voraus sowie einer Planungsphilosophie, die davon ausgeht, dass materiell-logistische Entscheidungen – etwa über die Schulstandortwahl, bauliche Gestaltung, Ausstattung von Schulen und Kapazitätsbestimmungen – von schulpädagogisch-curricularen Vorgaben für die Einzelschulen abkoppelbar wären (BMFSFJ (Hg.) 2005: 474f). Immer häufiger wird daher eine stärkere Kommunalisierung des Schulwesens gefordert (s. Lübking 2004: 263), da diese „wegen ihrer erziehungswissenschaftlichen Sinnhaftigkeit und trotz aller Risiken (…) die bessere Basis für das komplementäre und arbeitsteilige Verhältnis zur Jugendhilfe“ (Coelen 2004: 272) biete. Ein solcher Zugewinn an Autonomie für die kommunale bzw. regionale Ebene bedeutet nicht, dass sich die öffentliche Hand aus ihren Pflichtaufgaben zurückzieht oder dass die Kommunen mit der Verantwortung allein gelassen werden (vgl. Hartnuß/Maykus (Hg.) 2004: 1181). Vielmehr geht es darum, Planungsvorgaben und Standards an demografische wie jugend- und bildungspolitische Erfordernisse anzupassen, mit dem Ziel die Entscheidungshoheit der Kommunen zu stärken und den durch die großen inneren Unterschiede der einzelnen Regionen entstehenden Verzerrungseffekte zentraler Planung entgegenzuwirken. 2.3.2 Einrichtungen, finanzielle und personelle Situation im Elementarbereich 2.3.2.1 Betreuungsquoten und Finanzsituation im Bereich der Kindertageseinrichtungen Öffentlich verantwortete Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern im vorschulischen Alter wird in Deutschland vorwiegend als institutionelles Angebot im Rahmen von Kindertageseinrichtungen202 bereitgestellt. Große Unterschiede fallen dabei zwischen der Bereitstellung mit Plätzen für unter bzw. für über dreijährige Kinder auf, vor allem in den westlichen Bundesländern (s. Kap. 2.2.3). Trotz deutlicher Verbesserungen in den vergangenen Jahren ist hier bei den unter Dreijährigen immer noch von einer geringen Versorgungsquote zu sprechen, was dazu führt, dass dieses Angebot oft Kindern von erwerbstätigen Eltern vorbehalten ist und anderen, die bei der Zuteilung der knappen Plätze bevorzugt berücksichtigt werden. Offensichtlich wirkt hier immer noch „eine Tradition fort, die den Verbleib der unter Dreijährigen in der Familie stützt“ (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 34). Im europäischen Vergleich liegt Deutschland dadurch nach wie vor hinter dem Gesamtdurchschnitt der europäischen Länder zurück (s. BMFSFJ (Hg.) 2007: 12).
201
S. zu den Nachteilen der derzeitigen Datenbestände im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe Rauschenbach u.a. 2004: 145ff. 202 Diese können als Krippen, Kindergärten oder altersgemischte Einrichtungen ausgestaltet sein.
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung
159
Nicht nur im Bereich der unter Dreijährigen, auch bzgl. der Bereitstellung von Plätzen für Kinder im Kindergartenalter zeigen sich gravierende Unterschiede zwischen Kommunen, Regionen und Ländern, wie auch folgende Tabelle am Beispiel der Betreuungsquoten im frühkindlichen Bildungsbereich deutlich macht. Tabelle 6: Kleinster und grösster Wert der Betreuungsquoten in den Kreisen am 15.3.2006 nach Ländern und Altersgruppen Land
Betreuungsquote in % Für Kinder im Alter von … bis unter … Jahren Unter 3
3–6
Kleinster Wert
Größter Wert
Kleinster Wert
Größter Wert
Bayern
1,8
20,2
68,2
99,5
Brandenburg
31,7
46,7
86,1
97,7
Nordrhein-Westfalen
2,8
14,1
73,1
92,0
(Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hg.) 2007: 8).
Wie der „Länderreport Frühkindliche Bildungssystems 2008“ der Bertelsmann Stiftung zeigt, führen unter anderem diese unterschiedlichen Quoten dazu, dass „die Bildungschancen für kleine Kinder sehr stark davon abhängen, in welchem Bundesland sie geboren werden“. Da erst allmählich ein Markt an privat bereitgestellen Kindertageseinrichtungen in Westdeutschland entsteht – unter anderem bedingt durch hohe Zugangsbarrieren (Hank/Kreyenfeld 2002: 100), sind dort viele berufstätige Eltern darauf angewiesen, verschiedene Betreuungsarten zu kombinieren. Für viele Kinder stellt sich der Alltag heute als „Betreuungspuzzle“ dar, in das, bedingt durch mit der Berufstätigkeit der Eltern nicht zu verbindende, unflexible öffentliche Kinderbetreuungsangebote, verschiedene Betreuungspersonen eingebunden sind: „Gut zwei Drittel der Fünf- bis Sechsjährigen werden (neben ihrer institutionellen Betreuung) regelmäßig von mindestens einer weiteren Personengruppe betreut“ (Henry-Huthmacher 2007: 25). Wie das DJI-Kinderpanel nachweist, nehmen bis zu zehn Prozent der Eltern der acht- bis neunjährigen Schulkinder ein zusätzliches Angebot der Nachmittagsbetreuung in Anspruch. Dies deutet – ebenso wie die in Westdeutschland bei Krippen-, Hort- bzw. ganztägigen Kindergartenplätzen gängigen Bedarfsregelungen und Dringlichkeitsprüfungen – auf ein defizitäres Angebot hin (vgl. BMFSFJ (Hg.) 2005: 399). Verschiedene Umfragen haben deutlich gemacht, inwiefern diese ungünstige Betreuungsssituation ein Hindernis bei der Stellensuche von Müttern darstellt. Demnach wünschen sich knapp 70 Prozent der nicht erwerbstätigen Frauen in den westdeutschen Bundesländern mit Kindern bis zu zwölf Jahren die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, nur 23 Prozent sind dort freiwillig nicht erwerbstätig, wie eine repräsentative Onlinebefragung von McKinsey, stern und T-Online zur „Perspektive Deutschland“ gezeigt hat (s. http://www.perspektive-deutschland.de/05040.php). 89 Prozent der Mütter von Kleinkindern und 75 Prozent der Mütter von Kindergartenkindern gaben als Grund für ihre Nichterwerbstätigkeit an, keine ausreichenden Betreuungsmöglichkeiten zu finden (BMFSFJ (Hg.) 2007: 17). Nach Berechnungen des DIW Berlin würden in Deutschland
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über 1,2 Millionen Kinderbetreuungsplätze nachgefragt, wenn diese angeboten würden (Spieß/Wrohlich 2005: 223), womit ein Ergebnis gestützt wird, das auch die DJIKinderbetreuungsstudie 2005 gezeigt hat: Mit dem Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen steigt die Nachfrage. Neben der Region, in der jemand lebt203, ist die Inanspruchnahme von Betreuungsund Bildungsangeboten auch von der Familienform und familialen Herkunft, der Erwerbstätigkeit der Eltern, Familieneinkommen und Bildungsstatus der Eltern sowie Geschwisterkonstellation beeinflusst (BMFSFJ (Hg.) 2005: 294f). Dabei zeigt sich, dass in Familien umso mehr auf informelle Netzwerke zurückgegriffen wird, je geringer der soziale Status und das Einkommen ist (Wagenblass 2005: 62). Nach wie vor wird daher durch das institutionalisierte Arrangement „die sich darin abbildende soziale Selektion (…) gefestigt“ (DJI 2004: 43). Ein besonderes Problem stellen in ganz Deutschland zunehmend die mangelnden Angebote für Familien mit Kleinkindern dar, in denen ein Elternteil arbeitslos oder die Mutter Hausfrau ist. Im Zuge der Haushaltskonsolidierungen wird durch Bedarfsprüfungen etc. zunehmend versucht, diesen Kindern, sofern sie unter zwei oder drei Jahre sind, jede Beteiligung an öffentlichen Angeboten zu versagen – oder diese voll von den Eltern bezahlen zu lassen (Erler 2004: 17). Vor dem Hintergrund der durch Schulvergleichsstudien nachgewiesenen starken Abhängigkeit der kindlichen Schulleistungen von der Länge des Kindergartenbesuchs (s. Bos u.a. 2003: 128f, Rauschenbach u.a. 2004: 144) und der Integrationsprobleme vieler Migrantenfamilien stellt dies eine beunruhigende Entwicklung dar, die durch die beabsichtigte Zahlung eines Betreuungsgeldes noch einmal verschärft werden dürfte (s. zu einer kritischen Betrachtung auch BMFSFJ (Hg.) 2008: 36ff). Bevölkerungsprognosen lassen erkennen, dass aufgrund der deutlichen regionalen Unterschiede der Bevölkerungsentwicklung die Differenzen wohl weiter zunehmen werden (Rauschenbach u.a. 2004: 127). Während in den ostdeutschen Bundesländern seit 1990 ein Einbruch bei den Geburtenzahlen erkennbar war und für die Zukunft eher mit leicht steigenden Zahlen zu rechnen ist, wird in den westlichen Ländern mit einer sinkenden Zahl von Kindern (vor allem in Ballungsräumen) gerechnet, wie die Tabelle am Beispiel der Gegenüberstellung von Brandenburg und Nordrhein-Westfalen zeigt. Tabelle 7: Demografische Entwicklung, Kindergarten-Platzbedarf und Personalbedarf in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen Brandenburg
Nordrhein-Westfalen (A: Rheinland, B: Westfalen-Lippe)
Entwicklung der Kinderzahl bis 2012
+ 25%
A: -17%
Versorgungsquote (3 bis 7 Jahre)
95,35%
B: -17% A: 83% B: 93%
Entwicklung der Plätze
203
Deutliche Zunahme bis 2004, danach schwache Abnahme der Platzzahlen
A: möglicherweise Kompensation über Anstieg der Versorgungsquote B: Umwandlung in andere Bereiche
Beispielsweise ist die Ausstattung mit Plätzen tendenziell in städtischen Gegenden besser als im ländlichen Raum (DJI 2004: 10).
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung
161
Personalentwicklung
Absehbarer Nachwuchsmangel ab 2004
Nicht erwähnt
Andere gesellschaftliche Entwicklungen
Nicht erwähnt
Frauenerwerbstätigkeit steigend, daher Mehrbedarf an Betreuungsleistung trotz abnehmbarer Kinderzahl
(Quelle: Pasternack/Schildberg 2005: 92)
Dies hat vor allem in Westdeutschland Veränderungen bei den Zusammensetzungen von Gruppen in den Tageseinrichtungen zur Folge, da sich Kindergärten angesichts abnehmender Kinderzahlen wie auch des gesellschaftspolitisch gewollten Platzausbaus für jüngere Kinder zunehmend für unter dreijährige Kinder öffnen (BMFSFJ (Hg.) 2005: 288f)204. Damit ist bereits angedeutet, dass bei der öffentlichen Kindertagesbetreuung insbesondere in Westdeutschland in den vergangenen Jahren bedeutende Veränderungen erfolgt sind. Die Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab drei Jahren hat hierbei als „Initialzündung der Entwicklung öffentlicher Kinderbetreuungsangebote im Westen Deutschlands“ (Rauschenbach 2007: 5) gewirkt. Mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) wurde dann 2005 die Grundlage für eine notwendige und nachhaltige Verbesserung der Betreuungssituation von Kindern im Alter unter drei Jahren geschaffen205 und der Förderungsauftrag der außerfamilialen Kinderbetreuung zu Erziehung, Bildung und Betreuung durch die Formulierung von Qualitätsmerkmalen akzentuiert. Unter anderem hat der Gesetzgeber darin das Niveau der Mindestversorgung für die Betreuung für Kinder unter drei Jahren vorgeschrieben (§ 24 Abs. 3 SGB VIII) und so die Bedarfsgerechtigkeit genauer definiert, was aus Fachkreisen immer wieder gefordert wurde (s. DJI 2004: 120). Darüber hinaus haben sich Bund, Länder und Kommunen 2007 darauf verständigt, die Kindertagesbetreuung, ausgerichtet an einem bundesweit durchschnittlichen Bedarf für 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren, bis 2013 weiter auszubauen – auf dann insgesamt rund 750.000 Plätze (davon rund 70 Prozent in Kindertageseinrichtungen und etwa 30 Prozent in der Kindertagespflege). Um diese ehrgeizigen Ziele zu erreichen, die sich an den Zielsetzungen der Lissabon-Agenda der EU orientieren, wäre ab 2008 eine Ausbauleistung von rund 70.000 zusätzlichen Plätzen pro Jahr zu veranschlagen. Gemäß dem im Rahmen der Jugendhilfe geltenden Subsidiaritätsprinzip werden die Angebote im Elementarbereich bis heute in weiten Teilen von nichtstaatlichen Organisationen und Verbänden (über 60 Prozent der Angebote) gestellt, insbesondere von den Kirchen und konfessionellen Wohlfahrtsverbänden, daneben auch von Elterninitiativen und Vereinen, wenn auch mit weitgehender öffentlicher Finanzierung206. Die Trägerstrukturen frühkindlicher Bildung sind dabei so uneinheitlich und komplex, dass sie auch als „Labyrinth“ (Wehrmann 2007: 41) bezeichnet werden. 204
Ohne dass dies bisher allerdings konzeptionelle Veränderungen zur Folge hätte – wie beispielsweise ein Konzept der altersgemischten Gruppen (s. Merker 1998: 125ff). Dies wird durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK), das wie das TAG 2005 in Kraft trat, und ebenfalls eine Reform des KJHG darstellt, ergänzt. Dieses Gesetz setzt die Erlaubnis zur Kindertagespflege (§ 43) neu fest und unterstützt die durch das TAG initiierte Verbesserung der Kindertagesbetreuung. 206 Während das Feld der institutionellen Tagesbetreuung von Kindern im Kindergartenalter dabei hauptsächlich von den beiden großen konfessionellen Trägerverbänden in Deutschland besetzt ist, „nehmen – abgesehen von den öffentlichen Trägern – nicht-konfessionelle Trägerverbände und verschiedene Vereine die Hauptverantwortung für die anderen Kinder wahr, vor allem für die Jüngsten“ (DJI 2005: 120). 205
162
2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
Allerdings sind nicht nur die Trägerstrukturen im Bereich der Kindertagesbetreuung kompliziert, auch tragen die Vielzahl der Finanzierungsbeteiligten und Finanzierungsformen dazu bei, dass das Finanzierungssystem der Kindertageseinrichtungen „bundesweit ein ‚Verwaltungsdschungel‘ (ist), der kaum in seiner gesamten Komplexität transparent gemacht werden kann“ (Bock-Famulla 2004: 20)207. Die OECD spricht in ihrem Bericht 2004 von einem „labyrinthischen Finanzierungssystem“ (OECD 2004: 35) des frühkindlichen Bildungssystems in Deutschland: Zwar sei es möglich, einen groben Überblick über die Finanzierung zu geben, aber jeder Versuch einer detaillierteren Darstellung werde „durch die Komplexität eines Systems, in dem 16 Länder für die Finanzierungsvereinbarungen auf ihrem eigenen Gebiet jeweils selbst zuständig sind, erheblich erschwert“ (ebd.). Anders als in den meisten anderen europäischen Ländern hat der Bund auf Grund der Kompetenzordnung des Grundgesetzes eben keine direkte Funktion bei der Grundfinanzierung der frühkindlichen Betreuungseinrichtungen. Stattdessen existieren in den 16 Bundesländern Regelungen, die sich zum Teil erheblich voneinander unterscheiden. Nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes, nach der die Finanzierungslast an die Ausführungsverantwortung geknüpft ist, sind für die Gewährung von Leistungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes prinzipiell die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe (§§ 3 Abs. 2 Satz 2 und 85 Abs. 1 SGB VIII) zuständig, in der Regel die Jugendämter der Kreise und kreisfreien Städte208. In allen Bundesländern beteiligen sich zudem die Länder mit Mitteln aus ihren Haushalten an den Investitionen in Tageseinrichtungen und deren Betrieb, etwa durch die Übernahme anteiliger Personalkosten, über Zuschüsse zu den Betriebskosten, den Sach- und Investitionskosten oder eine Kombination davon. Landesgesetze und Rechtsverordnungen regeln die jeweiligen Finanzierungsmodalitäten (DJI 2004: 93). Dabei gilt in den meisten Bundesländern das Prinzip der Angebotsfinanzierung209. Eine der bedeutendsten fiskalischen Maßnahmen stellt die „Subventionierung von Tageseinrichtungsanbietern“ (Spieß 1998: 160) dar. Um öffentliche Mittel zu erhalten, müssen Kindertageseinrichtungen die Zulassung des jeweiligen Landesjugendamts besitzen, die Standards des Bundeslandes erfüllen und als Teil des Plans für Kommunalleistungen, der jährlich vom Kreisjugendamt oder Jugendamt erstellt wird, angenommen werden. Anders als bei anderen Finanzierungsbereichen obliegt die Finanzierung der Kindertageseinrichtungen also ganz überwiegend den Kommunen mit einer Unterstützung durch die Bundesländer sowie den Trägern und Eltern als weiteren Finanziers, was zu einer großen Heterogenität der Finanzierungsstruktur beiträgt. Grob beziffert (aber nur als Durchschnitt für alle 16 Bundesländer) übernehmen Kommunen und Länder dabei „75–80 % der Kosten, die Eltern etwa 14 % der Kosten und die freien Träger den Rest“ (OECD 2004: 35)210. OECD-Daten zeigen ein Verhältnis von 62 Prozent öffentlichen zu 38 Prozent privaten Ausgaben (Haushalte und Organisationen/Träger), im Gegensatz zu Relationen von 81 207 S. zu einer systematischen Betrachtung des komplexen Finanzierungssystems der Kindertagesbetreuung auch Diskowski 2004. 208 Doch sind auch kreisangehörige Gemeinden an den Kosten der Tagesbetreuung beteiligt. 209 In den vergangenen Jahren wurden in vielen Ländern, darunter auch Bayern und Nordrhein-Westfalen die Ländergesetze reformiert. Die neuen Gesetze, obwohl in vielen Punkten heterogen ausgestaltet, lassen die Tendenz zu einer kindbezogenen Förderung sowie damit verbundenen neuen Finanzierungssystemen erkennen (s. dazu differenzierter Kap. 3.4.3). 210 Eine weitere Differenzierung der öffentlichen Ausgaben zeigt darüber hinaus, dass die Kommunen in den vergangenen Jahrzehnten eine steigende Lastenverschiebung zu ihren Ungunsten abzeptieren mussten. Betrug ihr Anteil an den öffentlichen Ausgaben der Kinder- und Jugendhilfe 1960 noch 60 Prozent, lag er 1995 bereits bei 76,5 Prozent, 2000 gar bei 80 Prozent (Gerlach 2004a: 138).
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung
163
Prozent zu 19 Prozent im Primar- und Sekundarbereich und sogar über 91 Prozent zu 9 Prozent im Tertiärbereich (BMFSFJ (Hg.) 2005: 99). Auffällig ist in jedem Fall im internationalen Vergleich der hohe Anteil von Privatfinanzierung – dies verbindet übrigens den Elementar- mit dem (organisatorisch dem Schulwesen zugeordneten) Primarbereich (s. zum hohen Privatisierungsanteil des Primarbereichs auch Carle 2008: 6). Dieser hohe Anteil nicht-öffentlicher Finanzierung im Elementarbereich folgt aus zwei zentralen Prinzipien der Jugendhilfe. Zum einen ist hier die traditionelle Auffassung kennzeichnend, wonach die Träger der freien Jugendhilfe grundsätzlich aus eigenem Antrieb, im eigenen Interesse und eigenen Zielen folgend tätig werden, während die öffentliche Jugendhilfe diese Tätigkeit nur zu unterstützen hat. „Da die Tätigkeit des Trägers auf seinem eigenen Interesse beruht und die Finanzierung durch die öffentliche Jugendhilfe nur eine ‚Förderung‘ dieser Tätigkeit darstellt, ist eine Vollfinanzierung des Trägers mit diesem Verständnis im Grundsatz nicht vereinbar und bleibt eine Ausnahme“ (Diskowski 2004: 77) – was die hohen privaten Trägeranteile im Bereich der Kindertageseinrichtungen erklärt211. Zum zweiten ist die Kinder- und Jugendhilfe in der Tradition von Fürsorgeleistung durch das so genannte Nachrangprinzip geprägt, was zur Folge hat, dass in den zentralen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe durchgängig eine Kostenbeteiligung der Adressat/innen vorgesehen ist (Füssel/Münder 2005: 274)212. Diese (pauschalierte) Kostenbeteiligung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, die für die Kindertagesbetreuung in §§ 90, 91 SGB VIII geregelt ist, ist in den Ländern ganz unterschiedlich organisiert213, so dass es hinsichtlich der Festsetzung der Höhe der Elternbeiträge und ihrer Staffelung zu ganz unterschiedlichen Regelungen nicht nur von Land zu Land, sondern auch von Kommune zu Kommune kommt (Münder 2004: 19)214. Einen genauen Überblick darüber zu erhalten ist aufgrund der Komplexität und Vielfältigkeit derzeit praktisch nicht möglich. Zugleich sind die Möglichkeiten, mit den vorhandenen Daten Transparenz herzustellen, „defizitär“ (Bock/Timmermann 2000: 104). So sind beispielsweise nur Elternbeiträge, die über die Kommune einbehalten werden, in öffentlichen Statistiken aufgeführt, nicht aber solche, die direkt an die Träger der freien Jugendhilfe gezahlt werden. Auch werden die Eigenanteile der freien Träger von Kindertageseinrichtungen in der amtlichen Statistik nicht (angemessen) erfasst (Schilling 2007: 13). Angesichts der Tatsache, dass so viele Kindertageseinrichtungen, besonders in den westlichen Bundesländern, unter freier Trägerschaft stehen und diese in der Regel einen nicht unwesentlichen Anteil an der Finanzierung der Einrichtungen übernehmen, wird ein erheb211
Inwiefern dieses Prinzip nach der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz noch rechtliche Gültigkeit beanspruchen kann, wird von Fachleuten bezweifelt. Nach Meinung einiger entspricht es nicht mehr der rechtlichen Situation im Bereich der Kindertagesbetreuung, weil die öffentliche Jugendhilfe durch den Rechtsanspruch nun eine Leistung zu gewährleisten hat und sich dazu der Angebote von anderen Trägern bedient (s. dazu Diskowski 2004: 77). 212 S. zur rechtlichen Situation der Kostenbeteiligung von Eltern auch Münder 2004: 17ff. 213 Gemeinhin steigen die Elternbeiträge in Relation zu den Platzkosten (Betreuungsumfang und -aufwand). Zudem werden sie nach sozialen Gesichtspunkten gestaffelt, die Kriterien orientieren sich an der wirtschaftlichen Situation, z.B. dem Familieneinkommen, der Kinderzahl im Haushalt oder der Zahl der Kinder einer Familie, die zeitgleich eine Einrichtung besuchen (DJI 2004:94). 214 Trotz dieser unterschiedlichen Regelungen allerdings zeigen Studien zu Verteilungswirkungen der Nutzung von Kindertageseinrichtungen in Deutschland, dass die Elternbeiträge vor allem für Haushalte der unteren und mittleren Einkommensschicht immer noch eine relativ höhere Belastung darstellen als für Haushalte der oberen Einkommensschicht. Angesichts der höheren Nutzungsquote von Haushalten mittlerer Einkommensschicht profitieren sie am meisten von der derzeitigen öffentlichen Förderung von Kindertageseinrichtungen (Kreyenfeld/ Spieß/Wagner 2001: 105).
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licher Teil der Ausgaben damit gar nicht ausgewiesen. Einen zusätzlichen Nachteil stellen die unzureichenden Bezüge zwischen Ausgaben und Leistungen dar: Die Ausgaben für Kindertageseinrichtungen werden nämlich nicht nach Betreuungsarten, Öffnungszeiten oder Personalschlüssel differenziert, so dass „sowohl ein interkommunaler als auch ein Bundesländer-Vergleich, der ausschließlich auf hoch aggregierten Ausgabendaten beruht, über wenig Aussagekraft verfügt. Erschwert wird die Datenerfassung bzw. der Vergleich der Daten weiterhin dadurch, daß in den bundesländerspezifischen Regelungen für Kindertageseinrichtungen unterschiedliche Kostenkategorien verwendet werden. So zählen in Nordrhein-Westfalen zu den Betriebskosten die Personal- und Sachkosten, während in Baden-Württemberg beispielsweise nur die Personalkosten hierunter subsumiert werden“ (Bock/Timmermann 2000: 104). Zudem sind die Ausgaben nicht nach Angeboten für die einzelnen Altersgruppen aufschlüsselbar, was das Ganze zusätzlich verkompliziert (s. Schilling 2004: 35f). Jeder Kostenvergleich ist daher schwierig. Die tatsächlichen Gesamtkosten für die frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung können dementsprechend in Deutschland nur geschätzt werden (DJI 2004: 115) 215. Im Jahre 2003 beliefen sie sich auf ca. 13,4 Milliarden Euro, davon ca. 10,5 Milliarden Euro öffentliche Mittel. Dies sind immerhin 55 Prozent der gesamten Ausgaben für die Kinderund Jugendhilfe, 1,1 Prozent der Ausgaben von allen öffentlichen Haushalten und 0,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP)216 (DJI 2005: 208). Dabei haben sich die Ausgaben für Tageseinrichtungen für Kinder zwischen 1992 und 2003 erhöht, wenn auch nicht in dem Umfang, wie dies durch die Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz zu vermuten wäre (ebd.: 210). Insbesondere der Rückgang der Ausgaben für Investitionen zwischen 1992 und 2005 dürfte hier ursächlich wirken, welcher belegt, dass die Ausweitung des Betreuungsangebotes offensichtlich vor allem durch Umschichtungen der vorhandenen personellen und räumlichen Ressourcen bewerkstelligt wurde (s. Schilling 2007: 14). Seit einigen Jahren sind in vielen Bundesländern Anstrengungen zur Reduktion der Höhe der öffentlichen Ausgaben für Kindertageseinrichtungen zu beobachten. Wiederholt sind von den Ländern Gesetzesinitiativen mit dem Ziel auf den Weg gebracht worden, das Leistungsspektrum der Kinder- und Jugendhilfe einzuschränken217. Eine „oftmals formulierte Forderung lautet: mehr Leistung mit gleich bleibenden oder weniger Ressourcen“ (Bock-Famulla 2004: 14). Mehr Leistungen mit gleich bleibenden Mitteln wären, ökonomisch betrachtet, nur möglich, wenn Produktivitätsreserven im System der Kindertageseinrichtungen vorlägen. Ob dies der Fall ist, kann paradoxerweise mangels geeigneten Datenmaterials aber nicht beantwortet werden. Vor diesem Hintergrund muss die Forderung eher als eine verteilungspolitische, denn als eine sachlich gerechtfertigte angesehen werden. Diese These wird verstärkt durch die Tatsache, dass diese Forderung von „Landräten, Kämmerern und Haushaltspolitikern“ erhoben wird anstatt von Kinder- und Jugendpolitiker/innen. Offensichtlich werden Kinder und Jugendliche vielerorts immer noch als „Dispositionsmasse“ betrachtet anstatt als „knappe Ressource“, für deren Bildung und Erziehung zudem eine öffentliche Mitverantwortung besteht (Wiesner 2005: 105). 215
S. dazu differenzierter Bock/Timmermann 2000, Schilling 2004. Skeptische Anmerkungen hinsichtlich der Darstellung des Verhältnisses von Bildungsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt bzw. zu den Staatsausgaben finden sich beispielsweise in Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung 2004: 8. 217 So sollten beispielsweise durch eine so genannte „Finanzkraftklausel“ die fachlichen Standards aber auch die Vereinbarungen zwischen den Jugendämtern und den Leistungserbringern nach §§ 78a ff. SGB VIII jeweils von der örtlichen Haushaltslage abhängig gemacht werden dürfen (Wiesner 2005: 104). 216
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung
165
2.3.2.2 Personalsituation und -entwicklung im Bereich der Kindertageseinrichtungen Analog der Betreuungsplatzentwicklung im Bereich der Kindertageseinrichtungen zeichnet sich auch die Entwicklung der Personalstruktur in der Kinder- und Jugendhilfe in den vergangenen 30 Jahren durch einen erheblichen quantitativen Ausbau aus, hier zudem ergänzt um einen qualitativen Aufschwung. Vor dem Hintergrund der Bedeutsamkeit des Personals für die Qualität der Arbeit, wie dies unter anderem im Bereich institutioneller Kindertagesbetreuung nachgewiesen wurde, kommt diesem Umstand hinsichtlich der Humanvermögensbildung große Bedeutung zu: Denn die Qualifikation des Personals ist neben dem Personalschlüssel in Einrichtungen, also der Relation von Erzieher/innen zu Kindern, als Faktor bei der Gestaltung der Prozessqualität218 in Einrichtungen bedeutsam (Bock/Timmermann 2000: 57). Der Personalschlüssel pro Einrichtung variiert dabei im Bundesländervergleich erheblich219 und hat, wie Abbildung 4 zeigt, bei allen Schwierigkeiten in der Vergleichbarkeit (s. DJI 2004: 40) eine Spannbreite von 1:4,2 bis 1:7,8 bei den unter dreijährigen Kindern und von 1:8,0 bis 1:13,5 bei den Kindern im Kindergartenalter, wobei die finanzschwächeren ostdeutschen Bundesländer – obwohl (oder auch gerade weil) Spitzenreiter in der Teilhabequote sowie bei der Investitionshöhe, in der Schlussgruppe zu finden sind. Allerdings ist einschränkend anzumerken, dass die Platzierung nicht nur durch Finanzgegebenheiten markiert wird, andernfalls würde sich das ebenfalls finanzschwache Saarland kaum in der Spitzengruppe finden. Offensichtlich ist die Personalausstattung „Ausdruck unterschiedlicher Bewertungsmaßstäbe in den einzelnen Ländern, deren Grundlagen und Bezugsgrößen nicht nachvollziehbar sind“ (Diakonisches Werk der EKD 2008: 10).
218
Dabei handelt es sich um ein multifaktoriell bedingtes Phänomen, so dass „Interventionsstrategien zur Verbesserung von Strukturbedingungen breit und mit einer simultanen Verbesserung der verschiedenen Einflußfaktoren ansetzen müssten“ (Tietze (Hg.) 1998: 284). Als ein allgemeines Muster kann, bei gegebenen Unterschieden im Detail von Studie zu Studie, festgehalten werden: „Ein höheres Niveau der Prozessqualität ist gegeben, (d.h. die Kinder erfahren einen stärker entwicklungsfördernden und sensitiveren Umgang), wenn die Gruppen kleiner sind, der Erzieher-Kind-Schlüssel günstiger ausfällt, das pädagogische Personal höhere formale bzw. berufsbezogene Qualifikationen aufweist und mehr verdient, mehr Raum für die Kinder gegeben ist und den Erzieherinnen mehr Zeit für die Vor- und Nachbereitung der pädagogischen Arbeit zugestanden wird“ (Tietze 2002: 509). 219 Manche Bundesländer organisieren die frühkindliche Förderung zudem so, dass einer verantwortlichen Fachkraft eine zweite Person zugeordnet wird, die so genannte Zweitkraft. Landesrecht bestimmt, ob die Zweitkraft als zweite Fachkraft oder Hilfskraft geführt wird und wer mit welcher Ausbildung Zweitkraft werden darf. Allerdings erfüllen diese Zweitkräfte, für die in einigen Bundesländer Kinderpflegerinnen oder Praktikant/innen eingesetzt werden, nicht nur Aufgaben einer Hilfskraft, sondern vertreten die Gruppenleitung auch bei Krankheit, Fortbildung oder Urlaub. D.h., sie erfüllen in nicht feststellbarem Umfang Aufgaben von Erzieher/innen, obwohl sie geringer als diese qualifiziert oder noch in Ausbildung sind (DJI 2004: 101f).
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2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
Abbildung 4:
Personalschlüssel in Kindertageseinrichtungen (15.03.2006) im Ländervergleich
(Quelle: Bertelsmann Stiftung (Hg.) 2008: 10)
Unterschiede zwischen der Personalsituation der Länder, insbesondere in den neuen und den alten Bundesländern, sind auch in anderer Hinsicht festzustellen. Während die Zahl der pädagogischen Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen in Westdeutschland beispielsweise zwischen 1974 und 2002 von 96.5000 auf rund 226.400 stieg, wobei ein großer Teil dieses Stellenausbaus zwischen 1992 und 1998 im Zuge der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz stattfand, führte vor allem der drastische Einbruch der Geburtenzahlen in Ostdeutschland dazu, dass die Zahl der Beschäftigten von 1991 bis 2002 von 106.300 auf 48.300 zurückging (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 40). Zugleich erhöhten sich in den vergangenen Jahren die Teilzeitstellen sowie die Zahl der befristeteten Arbeitsverhältnisse – beides im Westen Deutschlands stärker als im Osten: Waren beispielsweise 1998 ca. elf Prozent des Personals in Kindergärten befristet angestellt, so waren es 2002 rund 18 Prozent, wobei gemeinhin davon ausgegangen wird, dass sich dieser Anteil mit der Einführung von Finanzierungsmodellen, die sich an der Zahl tatsächlich betreuter Kinder und dem zeitlichen Umfang ihrer Anwesenheit orientieren, d.h. aufgrund einer Flexibilisierung des Arbeitskräftebedarfs, weiter erhöht (ebd.). Ende 2002 war deutschlandweit zudem nicht einmal mehr die Hälfte des Personals in Vollzeit beschäftigt, im Westen noch knapp die Hälfte, im Osten sogar nur noch ein Fünftel, obwohl dort die Einrichtungen überwiegend ganztägig betrieben werden, was bedeutet, dass „die Arbeit in Kindertageseinrichtungen für einen Teil des Personals keine ausreichende Existenzsicherung bietet“ (DJI 2004: 104). Für alle Bundesländer gleichermaßen gilt, dass das Arbeitsfeld der Kindertageseinrichtungen von Frauen dominiert wird: Rund 95 Prozent des Personals sind weiblich (ebd.: 102), wobei zu beobachten ist, dass um so weniger Männer anzutreffen sind, je jünger die Kinder sind. Ein geringerer Anteil an Männern findet sich daneben in der Bildungsund Betreuungspraxis mit Kindern, ein höherer Anteil dagegen in Beratungs- und Managementpositionen, d.h. auch, je höher die benötigte Grundausbildung, desto eher sind Männer anzutreffen (ebd.). Zwar stellen in fast allen OECD-Ländern Frauen die große Mehrheit der Lehrkräfte im Elementar-, Primar- und Sekundarbereich I. In Deutschland ist dies im Elementarbereich (Kindergärten und Vorschulen) mit 98 Prozent und im Primarbereich
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung
167
(Grundschulen) mit 83 Prozent allerdings besonders stark ausgeprägt (BMBF/KMK 2006: 20). Erzieherinnen und Erzieher sind mit 64 Prozent der Beschäftigten (Ende 2002, DJI 2004: 99) die Hauptberufsgruppe im System der Tageseinrichtungen. Die Mehrzahl der Beschäftigten verfügt damit – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern und sofern sie nicht noch in der DDR ausgebildet wurden – (wenn überhaupt) lediglich über eine dreijährige fachschulische „Breitbandausbildung“ als Erzieher/in, die eine breite Grundausbildung für die Arbeit in allen Feldern der Kinder- und Jugendhilfe vermittelt220. Die nachfolgende Spezialisierung erfolgt in der Praxis, unter anderem durch die kontinuierliche Wahrnehmung von Angeboten der Fortbildung und Fachberatung zur Vertiefung und Aktualisierung der Qualifikation. Hierzu sollen die öffentlichen Träger der Jugendhilfe Angebote bereitstellen und bei der Finanzierung der freien Träger einen angemessenen Anteil für Fortbildung und Fachberatung einrechnen (§ 72 Abs. 3 SGB VIII), was regional sehr unterschiedlich ausgestattet, konzipiert und organisiert ist sowie von Bundesland zu Bundesland variiert (DJI 2004: 102f). Der Anteil der Akademiker/innen an den Fachkräften für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung ist dagegen sehr gering und liegt unter vier Prozent (ebd.: 101), wie folgende Tabelle zeigt. Tabelle 8: Pädagogisches Personal in Kindertageseinrichtungen in West- und Ostdeutschland 2007 nach Berufsausbildungsabschlüssen
(Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008: 248)
Grundlegende berufliche Kompetenzen wie die Fähigkeit zur Beobachtung, Planung, zur kritischen Reflexion eigener Praxis sowie einer vielseitigen Dokumentation von Lernprozessen werden bisher weder in der bisherigen Ausbildung von Erzieher/innen noch in der von Lehrer/innen hinreichend berücksichtigt (BMFSFJ (Hg.) 2003: 159). Auf Träger- und Einrichtungsebene wird zugleich immer deutlicher, „dass die derzeitigen Personalstandards unzureichend sind, um zum einen die aktuellen Bildungsanforderungen (Umsetzung der Bildungspläne und -programme, Flexibilität bei Öffnungszeiten, mehr Ganztagsangebote, neue Gruppenstrukturen durch Aufnahme von zweijährigen Kindern) qualitativ angemessen umzusetzen und zum anderen Anforderungen an zunehmende Flexibilisierung der Öffnungszeiten abzusichern“ (Diakonisches Werk der EKD 2008: 10). 220
Da sich die Ausbildungsordnungen zwischen den Ländern teilweise sehr unterschieden haben, hat die Kultusministerkonferenz (KMK) 2000 zur zeitgemäßen Anpassung der Erzieherausbildung Lernbereiche für prozesshaftes, ganzheitliches Lernen anstelle von Unterrichtsfächern eingeführt. Seitdem gilt eine Rahmenstundentafel, innerhalb derer die Länder Schwerpunkte setzen können (DJI 2004: 100).
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Angesichts der bildungsbezogenen Aufwertung der Kindertageseinrichtungen, aber auch der Öffnung des europäischen Binnenmarktes, der eine wechselseitige Anerkennung von Berufsabschlüssen erzwingt, wird die Höherqualifizierung von Fachkräften im Elementarbereich daher seit einigen Jahren intensiv diskutiert. Die Jugendminister/innen der Länder, das Bundesjugendkuratorium, die Sachverständigenkommission für den Elften Kinderund Jugendbericht, das Forum Bildung sowie die Fach- und Berufsverbände – alle setzen sich für eine Verbesserung und Aufwertung der Aus- und Weiterbildung der Erzieher/innen ein221, da sie der Bedeutung frühkindlicher Förderung zu wenig gerecht werde und im europäischen Vergleich auf zu niedrigem Formalniveau liege, was die berufliche Mobilität der Erzieher/innen einschränke (s. dazu auch BMFSFJ (Hg.) 2003: 158). Daneben wird die Qualifikation und Professionalität der im Bildungs-, Betreuungsund Erziehungsbereich Tätigen durch den gesellschaftlichen Wandel sowie die strukturellen und fachlichen Entwicklungen im Bereich der Jugendhilfe wie der Schule vor neue Anforderungen gestellt. Der soziokulturelle Kontext der Bildungs- und Erziehungsarbeit und die gegenwärtig sehr unterschiedlichen Bedingungen des Aufwachsens erfordern von den pädagogischen Fachkräften, insbesondere denen in Kindertageseinrichtungen, eine zunehmend individualisierende und präventive Arbeit mit Kindern und Familien (ebd.: 159). Notwendig wird damit ein verändertes Rollenverständnis und Berufsbild der Fachkräfte222, das insbesondere folgende Elemente umfasst:
stärkere individuelle Förderung und Beratung der Lernenden, Unterstützung der Einrichtungsentwicklung und Verwirklichung der Eigenverantwortung von Bildungseinrichtungen, verstärkte Zusammenarbeit mit Eltern und Einrichtungen im Sozialraum, Weiterbildung zum Ausbau der pädagogischen und fachlichen Professionalität (vgl. Arbeitsstab Forum Bildung 2001: 13).
Vor allem für Leitungskräfte müsste daneben den Aufgaben Planen, Beraten, Koordinieren mehr Raum eingeräumt werden (vgl. Strätz u.a. 2003: 71). Skizziert man in diesem Kontext das erforderliche Qualifikationsprofil von Fachkräften, so fällt ins Auge, „dass die notwendigen Qualifikationen ein sehr breites und differenziertes Spektrum umfassen müssen“ (Deutscher Verein 2007a: 7). Vorgeschlagen wird daher beispielsweise die Anhebung der Erzieherausbildung auf Fachhochschulniveau, was in vielen Bundesländern zu einer Schaffung von Fort- und Weiterbildungsangeboten von Fachhochschulen und Hochschulen für Erzieher/innen geführt hat. Neue Bachelor-of-education-Studiengänge wurden für den Bereich der „Pädagogik der Kindheit“ konzipiert mit dem Ziel der Professionalisierung bzw. Spezialisierung im Praxisfeld der Tageseinrichtungen für Kinder, z.B. für die Übernahme von Leitungsaufgaben oder die Begleitung von Bildungsprozessen von Null- bis Sechs- bzw. Null- bis Zwölfjährigen. Die verschiedenen Studiengänge werden allerdings von Fachleuten kritisiert als „inhaltlich wie strukturell so uneinheitlich angelegt, dass Gemeinsames kaum durchschimmert“ (Thole 2006: 31). Auch die Bundesregierung fördert den Elementarbereich mit Maß221
Diese Entwicklung ist auch vor dem Hintergrund der Sorge um die zukünftige Rekrutierung des Fachpersonals zu sehen (s. Deutscher Bundestag 2007). 222 S. zur Notwendigkeit der Entwicklung eines neuen professionellen Selbstverständnisses auch Sturzbecher 1998: 243.
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nahmen der Bildungsforschung, z.B. mit dem bei „Schulen ans Netz“ angesiedelten Projekt „BiBEr – Bildung-Beratung-Erziehung – Medienpädagogisches Netzwerk Frühförderung“, das die Entwicklung eines gemeinsamen Bildungsverständnisses im Elementar- und Primarbereich und die Implementierung der neuen Bildungspläne in den Ländern unterstützt“ (Deutscher Bundestag 2007b: 4). Bisher sind Befürchtungen über höhere Personalkosten und die Frage der Abstimmung zwischen den Ländern Gründe dafür, dass modellhafte Entwicklungen für eine Erzieherausbildung auf akademischem Niveau lediglich auf Initiative von wenigen Fachhochschulen und Universitäten – zum Teil in Kooperation mit Einrichtungsträgern – begonnen wurden (DJI 2004: 107). Ein Vergleich der Gesamtausbildungskosten für Erzieher/innen (s. dazu Pasternack/Schildberg 2005: 36f) macht allerdings deutlich, dass die derzeitige Erzieherausbildung eine im Vergleich zu anderen pädagogischen Ausbildungen nur unwesentlich günstigere Ausbildung bei gleichzeitig erheblich geringerem Qualifizierungsniveau ist (GEW 2006: 9). Auch das Argument, dass eine höhere Qualifizierung von Erzieher/innen durch die tarifliche Höhergruppierung zwangsläufig mit höheren Personalkosten einhergehe, lässt sich bei näherer Betrachtung nicht halten, da die Eingruppierung sich mittlerweile stärker an Aufgabenbeschreibung und Dienstzeit des Personals sowie der Größe der Einrichtung orientiert als am Ausbildungsabschluss der Beschäftigten (s. Pasternack/Schildberg 2005: 93ff). Aus Fachkreisen wird daher gefordert, die Einführung institutionsübergreifender Bildungspläne zu nutzen, um, in Anlehnung an Erfahrungen in anderen Ländern223, „das Profil eines neuen Pädagogen zu entwerfen, der aufgrund seiner Qualifikation geeignet ist, das gesamte Spektrum von null bis zehn Jahren abzudecken“, wie Fthenakis anmerkt (s. Bachler 2004: 3). Personal- und fachpolitisch viel interessanter als Ausbildunsprofile für drei oder vier Jahre zu entwerfen, sei es, diese auf die ersten zehn oder zwölf Entwickungsjahre eines Kindes auszudehnen, „denn auf diese Weise weiß dann jede Erzieherin, was in der Grundschule passiert und genauso umgekehrt“ (ebd.). Eine solche gemeinsame Ausbildung von Früh- und Schulpädagog/innen nach Maßgabe eines entwicklungsorientierten Curriculums würde eine bessere Konsistenz im Bildungsverlauf der Kinder gewährleisten und den Übergang vom Kindergarten in die Schule verbessern (Wehrmann 2007b: 148). Zugleich sei eine Liberalisierung der Ausbildung vonnöten, die die Möglichkeit eröffnet, „je nach den Stärken der Auszubildenden, unterschiedliche Profile zu entwerfen, dann in der Praxis eine Kombination dieser Profile herbeizuführen und dann die Pädagogen im Bildungsverlauf mehr im Team, statt als Einzelakteure arbeiten zu lassen“ (Bachler 2004: 3). Die Ausbildung müsse zudem die neuen bildungs- und familienpolitischen Anforderungen an die Einrichtungen aufgreifen (Deutscher Verein 2007a: 9). Die Überlegungen für ein dermaßen umgebautes, ganzheitlich aufgezogenes Ausbildungssystem thematisieren eine Schwierigkeit in der Regel allerdings nicht: die nämlich, wonach die für eine professionelle pädagogische Tätigkeit notwendigen Wissens- und Erfahrungsressourcen „zumindest genuin nicht über die Wissenschaft, sondern vielmehr über lebensweltliche, biographisch angehäufte und alltagspraktische Kompetenzen generiert“ (Thole 2006: 28) werden. Anders ausgedrückt: „Dem Studium wird bezüglich der Hervorbringung beruflicher Handlungskompetenz nur eine marginale, in der Regel fast ausschließlich zertifizierende Relevanz zugesprochen“ (ebd.). Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse kommt einem weiterentwickelten und intensivierten Fort- und Weiterbildungssystem beim Ausbau der Professionalität im Bildungs-, 223
S. beispielsweise die Ausbildungen in Schweden und Australien (vgl. Wehrmann 2007b: 150ff).
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2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
Erziehungs- und Betreuungssystem eine große Bedeutung zu. In der Kritik steht dabei vor allem die bisher weitgehend praktizierte Trennung zwischen Aus- und Fortbildung, die eine notwendige intensive Rückkopplung von Praxisfragen und aktueller Praxisentwicklung in die Ausbildung behindert (Arbeitsgruppe „Professionalisierung frühkindlicher Bildung“ 2005: 287). Daneben wird die Intensivierung von systematisch konzipierten und ausgebauten Fort- und Weiterbildungsangeboten gefordert, die beispielsweise die besonderen Fortbildungserfordernisse von Mitarbeiter/innen an Ganztagsschulen berücksichtigt (vgl. Oelerich 2005: 70) ebenso wie den Aufbau eines Fachberatersystems, durch das institutionenübergreifend Früh- und Schulpädagog/innen in Kindergärten und Schulen beraten und weiterqualifiziert werden (vgl. BMFSFJ (Hg.) 2003: 157; Wehrmann 2007b: 148). Großer Handlungsbedarf wird auch bei der (Nach-)Qualifizierung der Fachkräfte in Bezug auf die besondere Situation von Kindern unter drei Jahren gesehen. Eine Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass die Ausweitung der Platzkapazitäten in diesem Bereich bisher häufig nicht mit einer qualitativen Ausweitung der Arbeit verknüpft ist. Auffällig groß ist die Kritik der im Rahmen der Studie Befragten „an der mangelnden Vorbereitung der Träger auf Kinder unter drei [Jahren] und an der Kompetenz der Erzieherinnen und Tagesmütter, Kinder unter drei [Jahren] fachkundig zu bilden und zu betreuen“ (Bertelsmann Stiftung (Hg.) 2006: 2). Ob all die eingeführten Maßnahmen in der Praxis zu einer positiven Veränderung führen, hängt nicht nur von der Aus- und Weiterbildung ab, sondern auch davon, welche Arbeitsbedingungen die Fachkräfte in den Einrichtungen vorfinden224. Derzeit erhöht sich der Bedarf an Austauschzeiten für die Zusammenarbeit mit anderen Fachkräften, mit Eltern, mit anderen Akteuren und Institutionen im Quartier für die Fachkräfte, ebenso der Bedarf an Zeiten der Vor- und Nachbereitung, insbesondere für Erzieher/innen. Im Rahmen einer umfassenden Personalentwicklung ist zu berücksichtigen, dass sämtliche neuen Aufgaben von den Fachkräften nicht im Rahmen des bisherigen Zeitbudgets erfüllt werden können, sofern nicht andere Aufgaben wegfallen. Insbesondere in Kindertageseinrichtungen fällt aber auf, dass der Umfang der Verfügungszeit, also der Arbeitszeit ohne Kinder, von Bundesland zu Bundesland und teilweise auch von Träger zu Träger sehr variiert, Zeitfenster zum Teil sogar überhaupt nicht als Bestandteil der Arbeitszeit verankert sind. Laut einer Studie im Auftrag der GEW stehen Erzieher/innen im Schnitt lediglich zwei Stunden pro Woche für die Vorbereitung zur Verfügung. 21 Prozent der Befragten haben dafür überhaupt kein Zeitbudget (GEW (Hg.) 2007: 45). Untersuchungen der vergangenen Jahre wie der jüngeren Zeit unterstreichen das hohe Maß an Berufsmotivation der Fachkräfte, aber auch die schlechten Arbeitsbedingungen insbesondere in Kindertageseinrichtungen225 (s. beispielsweise Sturzbecher 1998: 105ff, GEW (Hg.) 2007). Die Kluft zwischen den anspruchsvollen Aufgaben des Arbeitsfeldes auf der einen Seite und der vernachlässigten Berufssituation (Qualifizierung, Personalbemessung, Bezahlung) auf der anderen Seite wirkt sich bereits massiv in den Einrichtungen aus (s. Colberg-Schrader 1994: 175). Die „Hierarchie in punkto Ausbildung, Bezahlung und letztlich auch die dahinter zum Aus224
S. dazu beispielsweise die Ergebnisse der Minnesota-Studie, die gezeigt haben, dass Erzieherinnen eine bedeutende Quelle für Veränderungen sein können, wenn sie eine entsprechende Professionalität mitbringen und professionelle Arbeitsbedingungen vorfinden (Suess/Sroufe 2008: 14). 225 Neben den geringen Zeitkontingenten für Vorbereitungszeiten werden vor allem die zunehmend befristeten Beschäftigungsverhältnisse und die niedrigen Verdienstmöglichkeiten von Erzieher/innen immer wieder problematisiert.
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung
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druck kommende öffentliche Anerkennung verhält sich diametral entgegengesetzt zu der immer stärker ins Blickfeld gerückten Wichtigkeit der frühen Bildungsjahre“ (Rauschenbach 2008: 5). 2.3.2.3 Steuerungsstrukturen im Bereich der Kindertagesbetreuung Ein Schlüsselmerkmal des frühkindlichen Bereichs in Deutschland ist die Vielfalt an Tageseinrichtungen, Organisationsstrukturen und Bildungskonzepten. Bis heute ist die Organisation der Kindertageseinrichtungen in Deutschland durch die Anfänge der Kindergartenpädagogik und die damals entstehende weltanschauliche Ausrichtung sowie die Verantwortung der Gemeinden geprägt mit folgenden Konsequenzen:
„Weitgehende Freiräume in der Gestaltung des Angebots, unterschiedliche Rahmenbedingungen, regionale Versorgungsunterschiede je nach Art und Struktur des Arbeitsmarktes, insgesamt vielfältige Trägerschaft/regionale Dominanz, häufig fachfremde Trägerschaft unter Mitwirkung von Ehrenamtlichen“ (DJI 2004: 43).
Dabei wirkt sich die unklare Verortung der Kindertageseinrichtungen negativ auf ihre Steuerungsfähigkeit aus. Zwar kommt ihnen rechtlich laut dem Kinder- und Jugendhilfegesetz die Aufgabe der „Betreuung, Bildung und Erziehung“ (§ 22 Abs. 2 KJHG) zu, zugleich gelten sie mit ihrer Verortung in der Jugendhilfe aber als „Ersatzeinrichtungen für die elterliche Betreuung“ (Ehmann 2003: 34), nicht als Bildungsstätten – mit erheblichen Folgen für ihre Ausgestaltung. In den verschiedenen Spezifizierungen durch Landesgesetze fällt denn auch bis zu den Novellierungen im Zuge der PISA-Studie eine wesentlich stärkere Betonung von Zielen der sozialen Erziehung auf als von solchen der kognitiven und schulvorbereitenden Erziehung, was „in einer Linie mit den Reformbestrebungen der Kindergartenpädagogik seit den 70er Jahren“ gesehen wird (Tietze (Hg.) 1998: 288f). Ein immer wieder geäußerter Kritikpunkt stellt zugleich die im SGB VIII verankerte, normativ geprägte Bedarfsdefinition226 (§ 24) dar, die den Akteuren erhebliche Ermessensspielräume lässt und sich „weniger auf die Behebung eines ‚objektiv‘ feststellbaren Mängelzustands als vielmehr auf einen ‚politisch‘ definierten Soll-Zustand bezieht“ (Bock/Timmermann 2000: 28). Die Situation im Elementarbereich lässt sich dementsprechend durch eine „auffallende Inkonsistenz charakterisieren: So finden sich auf der einen Seite eine starke Regulierung hinsichtlich der Finanzen und Verwaltungsvorschriften und eine nahezu totale Deregulierung des Bildungs- und Erziehungsauftrags auf der anderen Seite. Es gibt nur wenige Länder in der Welt, in der das Vertrauen in die individuelle Fachkraft einer Tageseinrichtung so unbegrenzt ist, dass man ihr, je nach Standpunkt, zumutet bzw. anvertraut, die letzte Entscheidung für die Qualität der Bildung und Erziehung unserer Kinder autonom zu treffen und zu verantworten“ (BMFSFJ (Hg.) 2003: 73). Kinder erleben dementsprechend Bildung, 226
Der Bedarf wird ebenso wie Bedürfnisse oder Nachfrage als wichtige Kategorie für die Planung und Bereitstellung von Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe angesehen und stellt eine Kategorie dar „mit der Bedürfnisse und Nachfrage nach bestimmten Kriterien erhoben, geprüft und gebilligt werden“ (DJI 2004: 70).
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2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
Betreuung und Erziehung in Kindertageseinrichtung unter ganz unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Bildungsprozesse werden in Deutschland in sehr unterschiedlicher Qualität gestaltet (Diakonisches Werk der EKD 2008: 10). Wenn also in den vergangenen Jahren immer wieder Kritik an der Konzeption wie Ausgestaltung des Systems der Tageseinrichtungen in Deutschland laut wurde (s. dazu beispielhaft DJI 2004: 36, BMFSFJ (Hg.) 2003: 13), dann unter anderem aufgrund der deutlichen Kluft zwischen dem hochgeschätzten Konzept der Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung auf der einen Seite und seiner mangelhaften Überführung in die Realität (s. BMFSFJ (Hg.) 2005: 51). Das Leitbild des „sich ganzheitlich entwickelnden Kindes, dessen Entwicklung durch ein sorgsam abgestimmtes Angebot aus Betreuung, Bildung und Erziehung gefördert wird“ (DJI 2004: 53) trifft in der Realität auf einen Mangel an Visionen und an einer Steuerungsstrategie für den frühkindlichen Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsbereich (Bock-Famulla 2005: 176). Vor allem die mangelnde Qualitätssicherung steht dabei in der Kritik. „Obwohl heute ein weitgehender Konsens darüber vorliegt, dass der Qualitätssicherung bei Humandienstleistungen ein ganz besonderer Stellenwert zukommt, fehlt eine systematische Auseinandersetzung mit den Gründen und Möglichkeiten einer solchen Qualitätssicherung“, kritisierten Spieß/Tietze (2001: 2) schon vor einigen Jahren und kamen in einer Untersuchung zu dem Schluss, „dass das deutsche Qualitätssicherungssystem zu keinen ausreichenden Ergebnissen führt und von daher reformbedürftig ist“ (ebd.). Das im Durchschnitt unbefriedigende Niveau in der Qualität pädagogischer Prozesse und vor allem die starke Streuung weisen unverkennbar auf Steuerungsdefizite im Bereich des Früherziehungssystems hin227 und vermitteln „das Bild eines weithin fehlenden oder unsystematisch betriebenen Qualitätsmanagements im Praxisfeld der Frühpädagogik“ (Schreyer u.a. 2003: 357). Aufgrund der Begrenzung der Steuerungsmechanismen scheinen diese Defizite allerdings auch nicht verwunderlich (Tietze (Hg.) 1998: 362). Denn entgegen der allgemeinen Vorstellung „wird in der Jugendhilfe und der Kindertagesbetreuung ‚von oben‘ oder aus dem Zentrum kaum gesteuert, vielmehr nehmen die Steuerungs- und Einflussmöglichkeiten von der einzelnen Gruppe, von der einzelnen Einrichtung, über die Träger, die Jugendämter und die Länder bis zum Bund immer weiter ab“ (Diskowski 2003: 23)228. In der Vielzahl der Steuerungsebenen und darin, dass diese sich streng voneinander abgrenzen, wird dementsprechend auch eines der Strukturprobleme des Bereichs gesehen (ebd.). Häufig erfolgt öffentliche Steuerung durch rechtliche Vorgaben (Regulierung) (Larrá 2005: 248). Der Gedanke einer rechtlichen Normierung von Qualität ist den Traditionen der Kinder- und Jugendhilfe, die Subsidiarität und Trägerhoheit als maßgebliche Strukturprinzipien hat, aber relativ fremd (MBJS (Hg.) 2006: 14). Dementsprechend zurückhaltend waren die Steuerungsvorgaben im Bereich der Kinderbetreuung lange Zeit229, insbesondere 227
S. dazu die bahnbrechende Studie von Tietze (Hg.) 1998, die beträchtliche Unterschiede in der pädagogischen Struktur- und Prozessqualität zwischen Gruppen und Einrichtungen festgestellt und gefolgert hatte: „Die bisherigen fachlichen und fachpolitischen Instrumente, um pädagogische Qualität zu steuern und zu sichern, sind offensichtlich unzureichend. Diese Situation ist angesichts der durch diese Studie belegten großen Bedeutung pädagogischer Qualität für die Entwicklung von Kindern nicht tolerierbar und bedarf dringend der Verbesserung“ (ebd.: 337). 228 S. zur Steuerung im Bereich der Kindertagesbetreuung auch Larrá 2005: 247 sowie Diskowski 2009. 229 Zumindest im bundesdeutschen System. In der DDR dagegen waren Einrichtungs- und Bildungsziele mit hohem Konkretisierungsgrad für jede Altersstufe (auch für Kinder ab dem Säuglingsalter) festgelegt und den pädagogischen Mitarbeiter/innen in den öffentlichen Kindertageseinrichtungen vorgegeben. Dies änderte sich nach der Wende, als ein Prozess der Deregulierung pädagogischer Standards einsetzte, während eine Zunahme an
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im qualitativen Bereich: Auf Bundesebene gab es die Vorgabe des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz und die Verpflichtung des bedarfsgerechten Vorhaltens von Ganztagsplätzen und Betreuungsmöglichkeiten für Schulkinder und unter Dreijährige (vgl. §§ 22ff. SGB VIII). Die Länder – als Hauptstandardsetzer – füllten diesen Rahmen teilweise durch Ausführungsgesetze aus, die Finanzierungsbedingungen und häufig Mindeststandards für Strukturqualität regeln, ergänzt um Richtlinien und interne Verwaltungsvorschriften. Dabei waren und sind es in erster Linie Input-Standards, welche gesetzlich vorgeschrieben sind, also Qualitätsstandards wie Gruppengröße, Raumausstattung, Qualifikation des Personals, das Vorhandensein eines formal dargelegten pädagogischen Programms etc., ergänzt um eine Vielzahl von Sicherheitsvorschriften allgemeiner Art230. Qualitative Vorgaben gibt es dagegen kaum. Alles, was nicht rechtlich kodifiziert ist, soll über die staatliche Aufsicht – im Wesentlichen ausgeübt durch die Landesjugendämter, die die Betriebsgenehmigungen für Einrichtungen erteilen – auf einem qualitativen Mindestniveau gehalten werden (vgl. § 45 und § 46 in Verbindung mit § 85 Abs. 2 Ziffer 6 des SGB VIII). Über das Erlaubnisverfahren nach § 45 SGB VIII hinaus haben die Länder keine unmittelbaren Eingriffsmöglichkeiten, da sie nicht Träger der Einrichtungen und auch nicht Anstellungsträger der Fachkräfte sind. Aber auch das Verfahren der Erlaubniserteilung ist hinsichtlich seiner Steuerungs- und Qualitätssicherungsfunktionen ein stumpfes Schwert: Denn einen Anspruch auf eine Betriebserlaubnis hat jeder Träger, der das Wohl der Kinder in seiner Einrichtung sicherstellt, ungeachtet der Frage, ob er eine qualitativ besonders gute oder eine besonders nachgefragte Einrichtung betreibt. Da Auflagen für den Betrieb oder das Versagen der Erlaubnis schwerwiegende Eingriffe in die Trägerrechte darstellen, muss schon aus rechtlichen Gründen an den Bewertungsmaßstab „Wohl der Kinder“ ein strenger Maßstab angelegt werden (MBJS (Hg.) 2006: 14). Die Aufsicht steht für ihre Entscheidungen damit immer unter hohem Rechtfertigungsdruck231, was ihre Bedeutung als Kontrollinstrument ziemlich einschränkt. De facto wird daher im deutschen System neben einigen allgemeinen Regelungen im SGB VIII und in Landesgesetzen die Betreuungsqualität durch eine Vielzahl teils unübersichtlicher kommunaler Regelungen und Erlasse gesteuert (vgl. Reidenbach 1996). Darüber hinaus kommt den freien und kommunalen Trägern eine erhebliche Bedeutung bei der praktischen Ausgestaltung zu (Kreyenfeld/Spieß/Wagner 2002: 212). Während sich Fachkräfte heute einem immer stärker werdenden Druck bezüglich der Nachweisbarkeit ihrer Lehr- und Lernergebnisse ausgesetzt sehen und Einrichtungsträger heute zunehmenden öffentlichen „Anforderungen der Profilbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ (BMFSFJ (Hg.) 2002b) unterliegen, war die Qualität des pädagogischen Angebots im Sinne konzeptioneller Fragen bis Mitte der 1990er Jahre Angelegenheit der Träger allein. Von ihrem Engagement hing die Entwicklung ab, weshalb die Praxis ein sehr heterogenes Bild vermittelte. Seit einigen Jahren besteht jedoch ein wachsendes Interesse, nicht nur von Seiten der politischen Administration, sondern auch von den Träger- und Fachorganisationen an einer Regulierung, z.B. im Hinblick auf Bau-, Feuer- und andere Sicherheitsstandards oder bei den Hygieneanforderungen zu beobachten war, die zum Teil zu hohen Folgekosten und Einschränkungen der pädagogischen Qualität führen (DJI 2004: 48). 230 S. dazu Reidenbach 1996: 59ff. 231 Da eine Versagung der Betriebserlaubnis für Einrichtungen einen Eingriff in Grundrechte darstellt, kann sie nicht nur mit einer pauschalen Vernachlässigung von Bildungsaufgaben begründet werden, wie verschiedene Gerichtsurteile der vergangenen Jahre belegt haben (vgl. Diskowski 2003: 25).
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systematischeren Bewertung und Dokumentation sowie an verbindlicheren Kriterien für die Bewertung der Qualität der Bildungs- und Erziehungsarbeit (Oberhuemer 2004: 17). Etliche Bundesländer haben durch die Vorlage von Bildungsplänen bzw. -programmen in den vergangenen Jahren einheitlichere Rahmenvorgaben im Bereich der Kindertageseinrichtungen eingeführt232. Sogar bundeseinheitliche Rahmenvorgaben sind durch die Aktivitäten der Jugendminister- sowie der Kultusministerkonferenz, insbesondere den „Gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen“ 2005 vorgelegt worden. Diese haben bisher allerdings in unterschiedlichem Maß Verbindlichkeit erlangt. Auf der einen Seite soll eine normierende Wirkung von ihnen ausgehen, zugleich sind auf der anderen Seite die Durchsetzung im Rahmen der Erlaubniserteilung, die Bindung der Finanzierung an die Einhaltung oder gesetzliche Regelungen geplant bzw. auch schon umgesetzt. Erst am Anfang steht dagegen die bildungs- sowie rechtspolitische Diskussion nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer rechtlichen Normierung von Bildungszielen im Sinne curricularer Vorgaben (MBJS (Hg.) 2006: 15). Auch von vielen Trägerverbänden sind inzwischen eigene „Handbücher und Materialien zu Qualitätsmanagement und -entwicklung entwickelt worden, begleitet teilweise von intensiven Fortbildungmaßnahmen zu diesem Thema“ (DJI 2005: 9). Diese Entwicklungen sind Folge einer in Deutschland aufgekommenen intensiven Qualitätsdiskussion im frühkindlichen Bildungsbereich, welche durch kontinuierliche fachliche Entwicklungen seit Beginn der 1970er Jahre und gesellschaftliche Veränderungen initiiert und beeinflusst wurde (Tietze/Viernickel (Hg.) 2003: 9). Stimuliert wurde diese Entwicklung besonders durch zwei Ereignisse:
Zum einen das mit der Wiedervereinigung erfolgte Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Früherziehungssysteme – einerseits der Kindergarten als Teil des Jugendhilfesystems in einer pluralen Trägerlandschaft mit zum Teil unklaren pädagogischen Orientierungen und andererseits ein zentral gesteuerter Kindergarten als organisatorischer Bestandteil des Bildungssystems mit klaren curricularen Vorgaben – wodurch die Frage nach der Qualität der Systeme angeregt wurde (ebd.: 10) sowie zum zweiten der quantitative Ausbau von Betreuungsplätzen im Zuge des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz in den 1990er Jahren sowie des Tagesbetreuungsausbaugesetzes zehn Jahre später und der damit insbesondere bei Kämmerern und Finanzpolitiker/innen aufkommenden Begehr, quantitative Probleme zumindest teilweise auf Kosten der Qualität zu lösen (vgl. Tietze (Hg.) 1998: 340).
Verglichen etwa mit der Bildungsdebatte der 1970er Jahre, besteht das „Neue“ an der derzeitigen öffentlichen Debatte darin, dass es nicht mehr nur Pädagog/innen sind, die die Debatte motiviert und inhaltlich gefüllt haben (Fthenakis 2004: 33). Die „Situation, dass die Curriculumentwicklung als Aufgabe von Experten angesehen wurde, scheint sich nunmehr verändert zu haben“ (Fthenakis 2003a: 20). Eine zunehmende Einflussnahme durch marktorientierte Strömungen und die damit zusammenhängende Privatisierung der Dienste auf dem Sektor der Früherziehung sowie Bestrebungen, Bildung und Curriculum zu Bedarfsgü-
232
Erste Versuche dazu gehen bis in die 1970er Jahre zurück, als in zahlreichen Bundesländern der „Bildungsauftrag des Kindergartens“ auch in Rahmenplänen und bei der Formulierung von Bildungsstandards, die damals noch „Lernziele“ hießen, formuliert wurden (Dollase 2007: 7).
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tern zu machen, kennzeichnete die Entwicklung der vergangenen Jahre (ebd.).233 Während der ökonomische Diskurs noch vor einigen Jahren als dem pädagogischen unverbunden gegenüberstehend angesehen wurde, weshalb auch von einer „Zweiteilung der Debatte“ (Sell) gesprochen wurde, wird in dieser Arbeit die These vertreten, dass das Policy-Handeln mittlerweile stärker von ökonomischen als pädagogischen Fragen geprägt ist (s. dazu auch Bock-Famulla 2002a). Diese Dominanz liegt neben anderem vermutlich auch darin begründet, dass der pädagogische Diskurs zu häufig bei der Qualitätsentwicklung stehen geblieben ist und die Frage unbeantwortet gelassen hat, wie die entwickelten Qualitätskriterien in der Praxis gesichert werden können – einschließlich der Frage, wie mit den Akteuren verfahren werden kann und muss, die diese Sicherungsmechanismen nicht erfüllen. Wissenschaftlich systematisch wurde die Qualität von Tageseinrichtungen für Kinder erst relativ spät, nämlich erstmals in den 1990er Jahren untersucht. Eine Reihe von Verfahren wurde diskutiert und erprobt. Diese reichten „von traditionellen, für den Kindergartenbereich charakteristischen dialog-orientierten Verfahren (Kronberger Kreis 1998) über sog. Output-orientierte Steuerungsverfahren (Kommunale Gemeinschaftsstelle 1994) bis zu aus der Industrie und dem kommerziellen Dienstleistungsbereich entlehnten Verfahren der Organisationsentwicklung und -zertifizierung nach bereichsneutralen international anerkannten Standards“ (Tietze 2002: 512). Um erstmals länder- und trägerübergreifend Qualitätskriterienkataloge und darauf bezogene Instrumente und Verfahren der Qualitätsfeststellung zu entwickeln, startete das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ende 1999 die „Nationale Qualitätsinitiative im System der Tageseinrichtungen für Kinder“ (NQI), von der bereits die Rede war. Zusätzlich hoben die im Jahr 2001 veröffentlichten zwölf Empfehlungen des Forums Bildung die frühe und individuelle Förderung von Kindern in der Kindertageseinrichtung und der Grundschule als wichtige bildungspolitische und fachliche Aufgabe hervor (Arbeitsstab Forum Bildung 2001). Ausgehend von der Analyse des Bildungsangebots in Kindertageseinrichtungen gelangte das Forum Bildung zu dem Schluss, dass Deutschland im europäischen Vergleich von entsprechenden Fördermöglichkeiten zu wenig Gebrauch mache und empfahl, den Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen zu definieren und durch entsprechende Maßnahmen zu verwirklichen. Mit der Thematisierung der Qualitätsfrage im TAG (§ 22a) wurde 2005 die Aufgabe der Qualitätssicherung ausdrücklich vom Gesetzgeber anerkannt. Einrichtungen sollen danach durch geeignete Maßnahmen die Qualität ihrer Arbeit sicherstellen und weiterentwickeln. Das umfasst die Erarbeitung einer pädagogischen und organisatorischen Konzeption, den Einsatz von Instrumenten und Verfahren zur Evaluation der Arbeit sowie die systematische Dokumentation der Entwicklungs- und Lernprozesse der Kinder (BMFSFJ (Hg.) 2005: 303). Während damit eine Tendenz zu einheitlicheren Rahmenvorgaben im Bereich der pädagogischen Qualität erkennbar ist, ist zugleich ein gegenläufiger Trend in den Ländern festzustellen, „Verbindlichkeiten zu schwächen und die konkrete Ausstattung, d.h. die Strukturqualität vor Ort den Finanzverhandlungen mit den Kommunen zu überlassen“ (Larrá 2005: 253). Da die Kindertageseinrichtungen zu den am meisten mit Standards belegten kommunalen Bereichen gehören, ist offensichtlich ein hohes Potenzial für Standard-
233
S. dazu auch die von Spieß u.a. angestoßene Debatte über die Qualitätssicherung durch unabhängig verliehene Gütesiegel (s. dazu Kap. 3.4.3) und damit die Frage, inwiefern Elemente des Wettbewerbs in das System der Steuerung zu integrieren sind.
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senkungen und -abschaffungen und damit Einsparungen zu vermuten234. Hier scheint ein strukturelles Problem durch: Kommunen und Länder sind eben nicht nur Standardsetzer, sondern auch maßgebliche Finanziers von Kindertageseinrichtungen. Ihr Interesse an hohen Qualitätsstandards, das ja in der Regel mit höheren Kosten verbunden ist, muss sich daher zwangsläufig mehr oder weniger in Grenzen halten. Dieser prinzipielle Interessenkonflikt wurde insbesondere bei der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz deutlich, wo immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass quantitative bzw. finanzielle Probleme auf Kosten der Qualität gelöst würden. So formulierte beispielsweise der Städtetag (1997: 743): „Angesichts dieser Entwicklungen [Belastung kommunaler Verwaltungshaushalte] sind nachhaltige Konsolidierungen im Kindergartenbereich unverzichtbar. Deshalb müssen jetzt Standards überprüft werden, desgleichen Gruppengrößen“. Damit ist letztlich nichts anderes als die Absenkung der Qualitätsstandards gemeint (s. Spieß/Tietze 2001: 20). Weniger schwerwiegend und daher unproblematischer sind Steuerungsaktivitäten, die nicht über Vorgaben von Mindeststandards und Handlungsanweisungen, sondern über positive Anreize wirken. Eine Methode ist die Bindung von Finanzmitteln an die Erfüllung von operationalisierbaren Qualitätskriterien, die deshalb auch als „wirksamster Steuerungshebel“ (Larrá 2005: 254) bezeichnet wird. Diese kann eingesetzt werden, wenn solche Kriterien ausreichend konkret und eindeutig, also messbar und leicht überprüfbar sind. Sie muss lediglich „gesetzeskonform sein, willkürfrei sein und dem Gleichheitsgrundsatz folgen“ (Diskowski 2003: 25). Immer mehr Kommunen und auch Länder bedienen sich dieser Methode, weshalb sie noch genauer betrachtet werden soll (s. dazu auch Kap. 3.3.3.4). Noch offen ist die steuerungspolitisch entscheidende Frage, inwieweit die einzelnen Maßnahmen zu einer Anhebung der pädagogischen Qualität in der Tagesbetreuung von Kindern führen (Tietze 2002: 512). Mit wissenschaftlich fundierten Daten kann dies für das Feld der Kindertagesbetreuung derzeit noch nicht belegt werden. Auch Steuerungseffekte rechtlicher Vorgaben auf der Organisations- und Handlungsebene sind kaum untersucht, so dass über ihre Wirksamkeit derzeit lediglich spekuliert werden kann (Larrá 2005: 248). 2.3.2.4 Struktur, Finanzierung und Personal in der Tagespflege Neben der Betreuung in Kindertageseinrichtungen ist bei den unter drei Jahre alten Kindern die Betreuung in der Tagespflege235 ein bisher vor allem im Westen der Bundesrepublik Deutschland236 und dort vor allem bei Eltern höherer Einkommensgruppen237 verbreitetes
234
S. zu Ansätzen von Bund, Ländern und Kommunen zur Standardabsenkung Reidenbach 1996: 107ff. In Anlehnung an eine Definition des Deutschen Jugendinstituts soll im Folgenden Tagespflege definiert werden als Form der Tagesbetreuung, die folgende Kriterien aufweist: „Das Kind wird von einer Person betreut, die nicht zum Haushalt der Eltern gehört. Häufig werden dabei deren eigene Kinder mitbetreut. Die Betreuung erfolgt gegen ein Entgelt. Die Betreuung erfolgt regelmäßig; der Stundenumfang der Betreuung kann dabei von bis zu zehn Stunden täglich bis zu wenigen Stunden an einem Tag pro Woche reichen. Die Betreuung ist jedoch im Prinzip – im Gegensatz zum Au-Pair – unbefristet. Der Ort der Betreuung ist der Haushalt der Tagespflegeperson oder der der Eltern des Kindes; die Betreuung kann – bislang eher in Ausnahmefällen – auch in angemietenen Räumen stattfinden“ (Jurczyk 2005: 22). 236 In den neuen Bundesländern ist sie, mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern und zunehmend Brandenburg (s. MBJS (Hg.) 2006: 9), zahlenmäßig eher unbedeutend, unter anderem weil das Angebot dort erst 1990 eingeführt wurde (DJI 2004: 83). 235
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Angebot, das im Zuge des Ausbaus der Betreuungsplätze derzeit weitere Bedeutung erlangen soll: Circa ein Drittel der zu schaffenden Plätze beim Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige sollen im Bereich der Tagespflege entstehen. Erschwert wird jede Diskussion über die Kindertagespflege dadurch, dass kein aussagekräftiges Zahlenmaterial über die tatsächliche Verbreitung dieser Betreuungsform vorhanden ist. Zum weit überwiegenden Teil erfolgt sie auf privater Basis und wird damit über die Kinder- und Jugendhilfestatistik nicht erfasst. Daneben aber wird die Kindertagespflege häufig als „Sammelbegriff für im Detail unterschiedliche familiennahe Betreuungsformen wie
Betreuung im Haushalt der Tagesmutter, Betreuung durch eine Kinderbetreuerin im Haushalt der Eltern, Betreuung im Rahmen einer Tagesgroßpflegestelle“ (Schmid/Wiesner 2005: 275) verwendet.
Grundsätzlich muss bei der Tagesbetreuung von Kindern die private, familiale, von der öffentlichen Form unterschieden werden. Unter familialer Tagesbetreuung versteht man in erster Linie die Betreuung durch nahe oder entferntere Angehörige oder Verwandte bzw. Bekannte des Kindes (Großeltern, Tante, Onkel, Nachbarn). Diese familiale Form der Betreuung zeichnet sich durch das meist unentgeltliche Betreuen der Kinder und die nicht zwingend vorhandene pädagogische Berufsausbildung der Betreuer aus. Ein weiteres wesentliches Merkmal dieser nichtinstitutionellen Tagesbetreuung ist die Tatsache, dass die Vereinbarung zur Betreuung auf privater Basis geschieht, also keine öffentliche Stelle (Jugendamt, Beratungsstelle) am Zustandekommen des Pflegeverhältnisses beteiligt ist. Diese Art von Pflegeverhältnissen machte in den vergangenen Jahren nach Schätzungen etwa die Hälfte aller Tagespflegeverhältnisse aus (Vogelsberger 2002: 14f). Dass die Tagespflege lange Zeit trotz der intensivierten Diskussion um die Qualität von Kindertagesbetreuung als das Stiefkind der Familie angesehen und eher ausgespart238 wurde, wird auf zwei Ursachen zurückgeführt: Zum einen wurde sie aus professionellpädagogischer Sicht lange als die qualitativ weniger gute und deshalb eher ab- als auszubauende Kinderbetreuungsform bewertet, zum anderen verblieb sie zu überwiegenden Anteilen bis heute „in einem Graubereich zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, Familienselbsthilfeinitiativen, Vereinen, Jugendamt und Markt“ (Jurczyk u.a. 2004: 13) – ein Relikt dessen, dass es als die Sache der Mütter angesehen wurde, die Betreuung kleiner Kinder selbst zu organisieren, wenn sie dieser Aufgabe nicht selbst nachkommen konnten oder wollten. Untersuchungen des Deutschen Jugendinstituts haben gezeigt, dass vor allem in Westdeutschland dem Bereich des „geregelten“ Marktes ein großer „grauer Markt“ privat ver237
Wie das DJI-Kinderpanel 2002 nachgewiesen hat, steigt die Quote der Betreuung mit dem Einkommen der Familien an: „Kinder aus Familien mit hohem Status werden mit 15,1 % überdurchschnittlich häufig, Kinder aus Familien mit mittlerem und unterem Einkommens- und Schichtstatus mit 1,9 % bis 0,8 % unterdurchschnittlich häufig von Tagesmüttern bzw. Kinderbetreuerinnen betreut“ (Jurczyk u.a. 2004: 129). 238 Das Deutsche Jugendinstitut, das in verschiedenen Projekten wichtige Erkenntnisse zu Fragen der Qualität in der Tagespflege gewonnen hat, urteilt, „dass der Forschungsstand zur Tagespflege insgesamt noch weit hinter dem zur Kinderbetreuung und -förderung in Tageseinrichtungen liegt“ (http://db.dji.de/cgi-bin/db/dbrecout.php? db=5&dbsuche=&tabelle=db_stamm&rowid=2155&reiter=3). Zur Entwicklung der Debatte um den Forschungsstand in der Tagespflege s. auch Tietze 2005: 50f.
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mittelter Betreuungsverhältnisse ohne öffentliche Kontrolle gegenübersteht. Immer noch wirkt hier die in Westdeutschland so prägende Mutterideologie nach mit ihrer historisch begründeten Konnotation von Weiblichkeit und Mütterlichkeit und der „Unterstellung, dass Frauen qua Natur mit Kindern richtig umgehen könnten bzw. dass ihr Erfahrungswissen durch die Erziehung eigener Kinder sie hinreichend qualifiziere, um auch andere Kinder zu betreuen“ (Jurczyk 2005: 20) – mit Folgen für viele Tagespflegeverhältnisse: ihre rechtliche Ungeregeltheit, schlechte Bezahlung, mangelnde Abgesichertheit sowie unzureichenden Qualifiziertheit. Hintergrund hierfür ist, dass die Tagespflegetätigkeit vieler Frauen als Verlängerung „ihrer“ privaten Arbeit in der Familie wahrgenommen wird: „Sie wird mit Liebe, mit Herz, mit ‚natürlichen‘ Fähigkeiten assoziiert, nicht mit Qualifikation und angelerntem Wissen“ (ebd.).239 Dass die Tagespflege „ein auf weite Strecken hin unübersichtliches System der Bildung, der Betreuung und der Erziehung“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 284) ist, hängt somit vor allem mit ihrer starken Informalität und ihrem privaten Charakter zusammen. Wie viele Kinder in Deutschland derzeit in einem Tagespflegeverhältnis betreut werden, ist nicht ganz klar. Die Auswertung repräsentativer Datenreihen durch das Deutsche Jugendinstitut kommt zu keinem eindeutigen Ergebnis, sondern geht von einer Bandbreite der Kinder unter drei Jahren in Tagespflege aus, die von 31.000 bis über 150.000 Kinder reicht. Dies entspricht einer Betreuungsquote von 1,4 bis 4,1 Prozent der Kinder dieser Altersgruppe in Tagespflege (Schmid/Wiesner 2005: 275). Auch eine Betrachtung der Kinder- und Jugendhilfeausgaben für Tagespflegeleistungen führt zu einer verzerrten Darstellung, weil dort nur die Tagespflegeverhältnisse erfasst sind, bei denen für die öffentliche Hand Kosten entstehen. Der weit überwiegende Teil der Tagespflege findet in die Kinder- und Jugendhilfestatistiken gar keinen Eingang, weil die Eltern die Kosten zum größten Teil selbst tragen (Jurczyk u.a. 2004: 110). Der Übergang von der privaten zur öffentlichen Tagesbetreuung findet dann statt, wenn zu der privatrechtlichen Vereinbarung (zwischen Erziehungsberechtigten und Betreuungsperson) ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zwischen den personensorgeberechtigten Eltern und dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe hinzutritt (s. dazu auch Deutscher Verein 2005). Denn unter bestimmten Voraussetzungen, die in § 24 SGB VIII geregelt sind, wird Tagespflege als Leistung der Jugendpflege gewährt. War die Kindertagespflege im Jugendwohlfahrtsgesetz noch ins Pflegekinderwesen einbezogen, so änderte sich dies mit der Einführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Seitdem wird sie dem Bereich der Kindertagesbetreuung zugeordnet, aus dem auch die Kindertageseinrichtungen ihren Auftrag ableiten. Trotzdem war die fachliche Einstufung der Kindertagespflege im Gesetz „ambivalent und widersprüchlich formuliert worden: Gleichzeitig wurde einerseits die Tagespflege in einen gleichrangigen Status zur Einrichtungsbetreuung erhoben und andererseits wurde mit demselben Gesetz die bis 1991 bestehende Pflegeerlaubnis ab dem ersten Tageskind abgeschafft und die überwiegende Zahl der Tagespflegeverhältnisse (...) einer Regulierung über den freien Markt anheimgegeben“ (Stempinski 2006: 7). Der Ersatz von Aufwendungen (§ 23 Abs. 3 SGB VIII) stand im pflichtgemäßen Ermessen des Jugendamtes. Tagespflegepersonen, die nicht mehr als drei Tageskinder betreuten, benötigten beispielsweise nach § 44 SGB VIII keine Pflegeerlaubnis öffentlicher Stellen (Jurczyk u.a. 2004: 56). Diese schwache Rechtsposition war mit 239
S. zu einer Typologie von Tagesmüttern auch Weinkopf 2005: 146f sowie zur Untersuchung zu Lebens- und Erwerbsperspektiven von Tagesmüttern Keimeleder 2003: 5f.
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung
179
dafür verantwortlich, dass „die Tagespflege als Leistung der Jugendhilfe im Leistungsspektrum der Jugendämter ein Schattendasein“ fristete (Schmid/Wiesner 2005: 275). Die Folgen sind in der „qualitativ sehr heterogenen Form“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 285) der Tagespflege als Kinderbetreuung zu berücksichtigen. Wie empirische Befragungen beispielsweise zur Qualität in der Tagespflege in Berlin und Brandenburg zeigen, ist in der Tagespflege eine geringere durchschnittliche Qualität und eine größere Streuung in der pädagogischen Prozessqualität zu finden als in Kindertageseinrichtungen (s. Tietze 2005: 57ff). Allerdings kam es in den vergangenen Jahren zu erheblichen Weiterentwicklungen für den Bereich der Tagespflege. Die Widersprüche in der rechtlichen Normierung wurden mit der Novellierung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, durch das Inkrafttreten des Tagesbetreuungsausbaugesetzes (TAG) sowie durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinderund Jugendhilfe (KICK) im Jahr 2005 zum Teil korrigiert. Die angestrebte Gleichrangigkeit der Betreuungsformen wurde dabei expliziter ausformuliert im Sinne des Bemühens, nicht zwei voneinander unabhängige Betreuungssäulen fortzuentwickeln, sondern diese in einem Gesamtkonzept zu verankern (Jurczyk/Heitkötter 2007: 20). War die Kindertagespflege bis Ende 2004 ein Angebot, das „geeignet und erforderlich“ sein musste, um als alternative Betreuungsform für ein Kind gefördert zu werden, ist sie nun ein Angebot neben vielen anderen (DJI 2005: 23) und stellt für den Träger der öffentlichen Jugendhilfe nun eine „objektive Verpflichtung“ (Schmid/Wiesner 2005) dar. Die Vermittlung in Kindertagespflege wurde als fachliche Tätigkeit des Jugendamtes bestimmt. Die Pflegeerlaubnis ab dem ersten Tageskind wurde in der Kindertagespflege wieder eingeführt (§ 43 SGB VIII). Die beiden Betreuungsformen wurden unter die gleichen Fördergrundsätze für Kinder subsumiert. Nach § 23 Abs. 1 SGB VIII umfasst die Förderung von Kindertagespflege zudem die fachliche Beratung, Begleitung und weitere Qualifizierung der Tagespflegeperson durch das Jugendamt mit dem Ziel, „die soziale und pädagogische Kompetenz der Tagespflegeperson zu erhöhen und sie bei der Umsetzung des gesetzlichen Förderauftrages (§ 22 SGB VIII) zu unterstützen“ (Schmid/Wiesner 2005: 278). Zugleich wurden erste verbindliche Maßnahmen, die soziale Absicherung der Tagespflegepersonen zu verbessern und damit eine höhere Kontinuität zu gewährleisten und die Fluktuation der Fachkräfte in der Kindertagespflege zu verringern, auf Bundesebene eingeführt (Beitrag zur Altersvorsorge, Unfallversicherung). Explizit ausformuliert wurde in diesem Zusammenhang auch die Anforderung an die Fachkräfte, miteinander zu kooperieren (Stempinski 2006: 7). Während noch vor nicht allzu langer Zeit darüber geklagt wurde, dass die Tagespflege in den meisten Bundesländern gesetzlich nicht geregelt sei (vgl. Gerszonowicz 2000: 80) bzw. nur etwa die Hälfte der Länder überhaupt Ausführungsbestimmungen zur Tagespflege erlassen habe (vgl. DJI 2002: 137), hat sich in dieser Hinsicht seit kurzem „ein deutlicher Wandel vollzogen“ (Jurczyk u.a. 2004: 101). Dabei verhalten sich die Länder in Bezug auf die gesetzliche Regelung sehr unterschiedlich: „Manche sehen bis heute keinen Regelungsbedarf auf Landesebene, andere sind den bundesgesetzlichen Regelungen um Jahre vorausgeeilt (z.B. Mecklenburg-Vorpommern)“ (Stempinski 2006: 8). Verschiedene Bundesländer, darunter auch Bayern, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen, haben landesgesetzliche Regelungen für die Tagespflege entwickelt, darüber hinaus gibt es Richtlinien oder Empfehlungen zu verschiedenen Aspekten der Qualität, zur Qualifizierung von Tagespflegepersonen, Finanzierung, Vermittlung und ähnlichem. Solche Regularien können landesweite Geltung haben oder auch nur von lokaler Bedeutung für den örtlichen Träger der Jugendhilfe oder die Gemeinde sein (DJI 2004: 84). Auffällig ist, dass – obwohl die Tages-
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pflege als Betreuungsform in Westdeutschland eine bei weitem längere und bedeutsamere Tradition hat als in Ostdeutschland – sich die gesetzlichen Grundlagen zur Tagespflege in den neuen Bundesländern durch deutlichere Bemühungen auszeichnen, einen für die Qualität förderlichen rechtlichen Rahmen zu erreichen240. Galt dies zunächst besonders für Mecklenburg-Vorpommern, das als erstes neues Bundesland die Tagespflege gezielt unterstützt und ihr durch verbindliche Regelungen ein klares Profil gegeben hat, so wurden inzwischen auch für andere Länder, darunter auch Brandenburg, insoweit vorbildliche Gesetzgebungen erlassen, als z.B. eine Qualifizierung von Tagespflegepersonen gezielt vorgeschrieben ist und – im Unterschied zu anderen Ländergesetzen – der notwendige Stundenumfang konkretisiert wird (s. dazu auch Kap. 3.3.3.1). Damit erhält die familiennahe Tagesbetreuung mit dem aktuellen Ausbau der Betreuung für Kinder unter drei Jahren einen neuen Stellenwert. Im Interesse des Kindeswohls, der Familie und der Tagespflegepersonen soll sie „aus ihrem ambivalenten und intransparenten Sonderstatus in die öffentliche Verantwortung“ überführt und zu einer eigenständigen Form öffentlicher Kinderbetreuung ausgebaut werden, die an den Stärken einer familiennahen Tagespflege ansetzt, jedoch zur Sicherung ihrer Qualität und zur Optimierung ihrer Potenziale öffentlich verantwortet, organisiert und reguliert wird (Jurczyk u.a. 2004: 41). Für die besondere Fokussierung im Rahmen des raschen Ausbaus der frühen Kinderbetreuung auf Tagespflege sind verschiedene Gründe ausgemacht worden (Jurczyk 2005: 13):
Erstens die sich flexibilisierende elterliche Erwerbsarbeit: So haben nur noch 16 Prozent aller abhängig Beschäftigten so genannte Normalarbeitszeiten; inbesondere nehmen Nacht- und Wochenendarbeit zu (Bauer u.a. 2004). Auch die Lage und Dauer von mütterlicher Teilzeitarbeit entspricht nicht mehr dem gängigen Bild der Vormittagsarbeit (Stöbe-Blossey 2004), was eine flexiblere Kinderbetreuung erfordert, zweitens die angesichts knapper öffentlicher Gelder nicht zu vernachlässigende Erwartung, dass die Kosten für einen Betreuungsplatz in Tagespflege niedriger sind als in Einrichtungen, sowie die Familiennähe der Tagespflege, die dem traditionellen westdeutschen Familienideal eher entspricht, demzufolge Familialität als unabdingbar für das Aufwachsen von Kindern angesehen wird.
Berechnungen zeigen allerdings, dass die Umsetzung eines qualifizierten Angebots in der Tagespflege nur noch mit einem geringen Kostenvorteil gegenüber Plätzen für unter Dreijährige in institutionellen Kindertageseinrichtungen verbunden ist (s. dazu Schilling 2005). In Anbetracht der Tatsache, dass die Ausgestaltungsmöglichkeiten der Tagespflege mit dem novellierten Bundesgesetz SGB VIII so erweitert wurden, dass Tagespflege mittlerweile auch in angemieteten Räumen stattfinden kann, die charakteristischen Unterscheidungsmerkmale der Betreuungsformen damit immer mehr verschwimmen, ist die Sicherung einer qualitativ hochwertigen Tagespflege um so bedeutsamer. Ansonsten ist zu befürchten, dass 240
Dies wird vor allem in dem erheblichen Widerstand begründet gesehen, auf den die Einführung und Förderung von Tagespflege in Ostdeutschland sowohl in der Fachöffentlichkeit als auch bei der Bevölkerung stößt: So war die familiennahe Betreuung vor der Wende nur gering verbreitet und anerkannt. Zugleich wird verbreitet kritisiert, dass es durch die Einführung der Tagespflege zu einem (weiteren) Abbau der – gesellschaftlich akzeptierten – institutionellen Kinderbetreuung sowie zu Entlassungen des pädagogischen Personals kommt (Jurczyk u.a. 2004: 102).
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung
181
es mit der Ausweitung der Tagespflege zu einer Umsteuerung der Kinderbetreuung in Richtung kostengünstiger Elementarförderung mit entsprechenden sinkenden fachlichen Standards kommt (Stempinski 2006: 35). Die Sicherung eines qualitativ hochwertigen Tagespflegesystems stellt eine Herausforderung dar. Als System der Bildung, Betreuung und Erziehung mit einer geringen Verankerung in den traditionellen Steuerungsmechanismen der Jugendhilfe, von einzelnen regionalen Ausnahmen abgesehen, das durch auch künftig zu erwartende vielfältige Erscheinungsformen geprägt ist, ist die Tagespflege schon strukturell für unzureichende Qualität anfällig. Um ein qualitativ hochwertiges Tagespflegesystem zu sichern, sind vier Teilsysteme auszuformen:
erstens ein Nachfragesystem, das Anspruchsberechtigung, Planungshorizonte, Kostenund Leistungssicherheit als Bedarfe von Eltern und Kindern berücksichtigt; zweitens ein Angebotssystem, das Umfang, Verfügbarkeit, Verlässlichkeit und Qualität der Tagespflege umfasst. Hierzu gehören auch die Qualifizierung, Fachberatung, Begleitung und Vernetzung der Tagespflegepersonen sowie eine verstärkte Zusammenarbeit von Tageseinrichtungen und Tagesmüttern; drittens muss ein lokales Steuerungssystem die jeweilige quantitative und qualitative Nachfrage mit dem Angebotssystem abstimmen, in das die verschiedenen Träger eingebunden werden können. Die Verantwortung vor Ort muss dabei in den Händen der öffentlichen Jugendhilfe verbleiben; viertens bedarf es eines überregionalen, auf Landes- und Bundesebene ansetzenden Steuerungssystems, das richtungslenkende Rahmenvorgaben macht (Jurczyk 2005: 25f).
Notwendig ist zugleich ein ausreichendes Finanzierungssystem, welches unter anderem die „bestehende Lücke zwischen der begrenzten Zahlungsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern auf der einen und dem Interesse der Tagesmütter und Kinderfrauen an einer angemessenen Vergütung und sozialen Absicherung auf der anderen Seite“ (Weinkopf 2005: 163) schließt. Die Förderung der Elternbeiträge müsste zudem so gestaffelt werden, dass Eltern für einen qualifizierten Tagespflegeplatz oder den Platz in institutioneller Kindertagesbetreuung den gleichen Beitrag zu entrichten haben. Daneben müsste die Regelung geändert werden, wonach die jeweiligen Träger der öffentlichen Jugendhilfe und damit die kommunale und Kreisebene im Wesentlichen die Finanzierungslasten zu tragen haben (Jurczyk u.a. 2004: 102). 2.3.2.5 Zum Verhältnis von Markt und Staat im Bereich der Kindertagesbetreuung Die Politik institutioneller Kinderbetreuung in Deutschland ist nur richtig einzuordnen, wenn ihre Besonderheit als bereitgestellter „sozialer Dienst“ zwischen Markt und Staat betrachtet wird. In institutionalisierter Form wird außerhäusliche Kinderbetreuung von öffentlichen und frei-gemeinnützigen Trägern bereitgestellt (darunter Einrichtungen kirchlicher wie nicht-kirchlicher Wohlfahrtsverbände, aber auch so genannte Elterninitiativen241 als Selbsthilfegruppen). Im Gegensatz zu anderen Feldern sozialer Dienstleistungen (z.B. 241
S. detaillierter zur Organisation und Funktion der Selbsthilfeinitiativen Fromm 2000: 91ff.
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2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
Kranken- und Altenpflege) sind bisher erst wenige privat-gewerbliche Anbieter in diesem Bereich anzutreffen (s. Kreyenfeld/Wagner 2000: 311) – allerdings mit steigender Tendenz. Auch für den Bereich der Tagespflege ist festzustellen, dass immer mehr Jugendämter im Zuge der Übertragung öffentlicher Aufgaben an freie Träger bzw. mit zunehmender Privatisierung auch die Vermittlung von Tagespflegeplätzen freien oder gewerblichen Trägern übertragen (Gerszonowicz 2005: 42)242. Für den Bereich der Kindertagesbetreuung ist daneben als weitere Besonderheit festzustellen, dass auf kommunaler Ebene Vertreter der Kommunen und der freien Träger über das Angebot an Betreuungsplätzen entscheiden, also bei der Wahrnehmung der Gesamtplanungsverantwortung über die Jugendhilfeausschüsse freie Träger beteiligt sind. Zugleich zeichnet sich das deutsche Kinderbetreuungssystem innerhalb Europas durch „einen der höchsten privaten Finanzierungsanteile“ (Anger/Plünnecke 2006) aus – unter anderem eine Folge des Marktungleichgewichts. Aufgrund der öffentlichen Subventionsvergabe sowie der Verhandlungsmacht der freien Träger spiegelt die Angebotsvielfalt in diesem „Markt“ nämlich nicht zwingend die Präferenzen der Nachfragenden wider (Spieß 1998: 265). Faktisch haben Eltern kaum Möglichkeiten, auf das Angebot Einfluss zu nehmen. Zwar wird gerade in diesem Zusammenhang gerne auf das Subsidiaritätsprinzip und die „Selbststeuerungskräfte“ in der Gesellschaft verwiesen, wie Kreyenfeld und andere betonen. „Dies mag zwar prinzipiell auf Elterninitiativen zutreffen, jedoch kaum auf die etablierten Wohlfahrtsverbände, die in diesem Kontext die wesentlich gewichtigere Rolle spielen“ (Kreyenfeld/ Spieß/Wagner 2002: 210). Als Innovationshemmnis wird hier besonders auf die überwiegend übliche Finanzierung von Kindertagesstätten durch staatliche „Objektsubventionierung“ verwiesen: Die Subventionen von Land und Kommune, die in der Regel für Einrichtungen die wichtigste Finanzierungsquelle darstellen, fließen direkt an die Einrichtungenn, so dass diese zur Absicherung ihrer Finanzierung nicht darauf angewiesen sind, die Wünsche der Nachfrager zu berücksichtigen (Fromm 2000: 94). Vielfach wird daher eine stärkere Berücksichtigung des Marktprinzips im Bereich der Kindertagesbetreuung gefordert (s. dazu beispielhaft Kreyenfeld/Spieß/Wagner 2001). Von Seiten etablierter Träger wird dies verständlicherweise kritisch gesehen und bemängelt, dass die Entwicklung bedarfsgerechter Angebote alleine durch erhöhten Druck, dem Träger und Einrichtungen ausgesetzt werden, vorangetrieben werden solle. Dabei werde jedoch unterschätzt, „dass die Entwicklung bedarfsgerechter Angebote viel wesentlicher von einer vernünftigen Ausstattung mit Personal- und Zeitressourcen abhängt anstatt von Druckmechanismen“ (Diakonisches Werk der EKD 2008: 16). Umfassende Evaluationsmethoden, mit denen die Effekte der Steuerungsinstrumente gemessen werden können, fehlen bislang. Unterschätzt wird zudem die Unterfinanzierung im Bereich der Kindertagesbetreuung. Denn mehr Wettbewerb bedeutet bei gleich bleibenden Finanzen noch lange keine verstärkte Berücksichtigung der Wünsche der Nachfrager, sondern kann auch eine Umverteilung innerhalb des Systems zu Lasten schwächerer Marktteilnehmer bedeuten. Als hemmend erweist sich in diesem Kontext die im fachlichen wie politischen Diskurs ungeklärte grundlegende Frage, inwiefern die Qualität des Angebotes an institutioneller Kinderbetreuung dem freien Markt überlassen bleiben kann und soll, inwiefern der Marktmechanismus also im Bereich der frühkindlichen Bildung als Qualitätssicherungsinstrument fungiert bzw. wie das Verhältnis von Markt, Staat und Familie hier auszugestalten 242
S. zur Vermittlung von Tagespflege als Dienstleistung von Trägern auch Gerszonowicz 2005: 42f.
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung
183
ist.243 Konkret bedeutet dies für den Bereich der Kindertageseinrichtungen, dass zu klären ist, in welchen Bereichen der Staat die Qualität in den Einrichtungen sichert und kontrolliert bzw. inwiefern er diese Aufgabe den Nutzer/innen der Dienstleistung „Kinderbetreuung“ und damit dem Markt überlässt, mit der Intention, über die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Einrichtungen an den Bedürfnissen dieser Nutzer/innen orientierte Qualitätsmerkmale im System zu verankern. Dahinter steht die grundsätzlich in der Volkswirtschaftslehre vertretene Sichtweise, dass der Marktmechanismus als Qualitätssicherungsinstrument fungiert: „Da Anbieter ihre Güter und Dienstleistungen absetzen wollen, werden sie ihre Produkte zu einer Qualität herstellen und anbieten, welche den Präferenzen der Nachfrager entspricht. Sind die Nachfrager mit der angebotenen Qualität nicht zufrieden, wechseln sie auf andere Anbieter oder Produkte“ (Spieß/Tietze 2001: 8f). Allerdings gibt es eine Vielzahl von Bereichen, in denen der Marktmechanismus als Qualitätssicherungsinstrument nicht funktioniert, insbesondere bei solchen Gütern bzw. Dienstleistungen, die keine „Erfahrungsgüter“ sind, z.B. bei Humandienstleistungen, wie der Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern in Kindertageseinrichtungen: „Zwar können die Eltern als Nachfrager die Kindertagesstätte, in der ihr Kind betreut wird, wechseln, wenn sie schlechte Erfahrungen gemacht haben – auf der Seite der Kinder aber ist eine solche Erfahrung oft irreversibel. Außerdem sind die Folgen einer schlechten Betreuungsqualität teilweise erst sehr viel später ersichtlich“ (ebd.). Hinzu kommt eine weitere charakteristische Eigenschaft: Das Phänomen des „asymmetrischen Informationsverhältnisses“. Es bedeutet, dass die Anbieter über die Qualität der angebotenen Leistung in der Regel besser informiert sind als die Nachfrager, was zu einer Informationsungleichheit und damit Verzerrung führt (s. dazu detaillierter Fromm 2000: 91f). Eine Steuerung der pädagogischen Qualität des Angebots über das Nachfrageverhalten von Eltern setzt voraus, dass Eltern ein Interesse daran haben, sich über pädagogische Aspekte der Betreuung von Kindern in Kindertageseinrichtungen zu informieren. Empirische Studien zur Einschätzung der Qualität der Kindertageseinrichtungen, die Eltern für ihr Kind gewählt hatten, zeigen allerdings, „daß die Meinung der Eltern über die Qualität der Betreuug und die Qualität, wie sie nach fachwissenschaftlichen Standards gemessen wird, nicht korrelieren“ (Kreyenfeld/Wagner 2000: 329). Dies verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass die Interessen von Eltern und von Kindern nicht zwingend deckungsgleich sein müssen. Im Zuge einer wachsenden Fokussierung von Eltern und Familien als Zielgruppe im Bereich der Kindertageseinrichtungen wird diese Tatsache häufig verdrängt. In den vergangenen Jahren ist – zu Recht – häufig betont worden, dass Kindertageseinrichtungen neben ihrer Verantwortung für die Entwicklung von Kindern auch die Bedürfnisse von Eltern nicht aus dem Blick verlieren dürfen (z.B. Hank/Kreyenfeld 2002). Zum einen betrifft dies die Unterstützung des Betreuungsbedarfs von berufstätigen Eltern (beispielsweise durch eine Orientierung der Öffnungszeiten am Bedarf, s. hierzu Wehrmann 2007a: 128), zum anderen bedeutet dies, dass mit der Entlastung und Stärkung der Eltern zur Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgabe neue Aufgaben auf die Kindertageseinrichtungen zukommen (s. dazu auch Kap. 1.3.6). Durch diese verstärkende Integration familienunterstützender Angebote verwischen die traditionellen Grenzen von Kindertageseinrichtungen zur Aufgabe der Familienförderung wie auch zur Erziehungshilfe (MBJS (Hg.) 2006: 8). Diese Aufgabenerweiterung impliziert immensive Entwicklungs- und Veränderungsperspektiven der 243
Im Bereich des Schulwesens ist dieser Diskurs bisher noch nicht angekommen; hier wird das Primat staatlicher Sicherungsinstrumente (noch) nicht hinterfragt.
184
2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
Einrichtungen. Sie stehen unter der Prämisse, „dass sich die Gestaltung eines zukunftsgerechten Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystems nicht an Institutions- und Organisationslogiken oder an strukturellen Eigenheiten und Grenzen orientieren darf, sondern in erster Linie der Aufgabe verpflichtet ist, Bildungsgerechtigkeit für alle Kinder und Jugendlichen herzustellen und Bildungsprozesse individuell zu fördern“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 246). Unabhängig vom geltenden Wirkungsmechnismus gilt, dass kein System der Humanvermögensbildung ohne institutionelle Regulierung auskommt, insbesondere nicht ohne eine Regulierung der Betreuungsqualität (Kreyenfeld/Spieß/Wagner 2002: 212). Durch solche Qualitätsstandards soll der „Qualitätsunkenntnis der Nachfrager bei und nach Markteintritt“ (Spieß 1998) begegnet und sollen die Informationsasymmetrien in der Kinderbetreung beseitigt werden. Dass diese Qualitätssicherung derzeit im inhaltlichen Bereich nur sehr schwach ist, liegt unter anderem an der Steuerung über Input-Faktoren, in der Hoffnung, über diese, unter anderem die Ausbildung des Personals, auch gute Ergebnisse zu gewährleisten (Kreyenfeld/Wagner 2000: 310)244. Allerdings sind diese relativ schwach ausgeprägt. Derzeit ist die Diskussion um geeignete und zielführende Verfahren in der Qualitätssicherung in vollem Gange und im Bereich der Kindertagesbetreuung dadurch geprägt, dass das Augenmerk der unterschiedlichen Akteure vorwiegend auf einzelne Qualitätsmerkmale gerichtet wird, die Vielfalt der Komponenten pädagogischer Qualität und ihre Verwobenheit bislang jedoch zu wenig im Zusammenhang gesehen werden. Dies gilt auch für die aktuelle Diskussion, in der „mit einer verbesserten Erzieherinnenausbildung, mit Curricula und Rahmenplänen, Einrichtungskonzeptionen und Kriterienkatalogen für die pädagogische Arbeit vorwiegend nur Merkmale der Orientierungs- und Strukturqualität thematisiert, Merkmale der Prozessqualität jedoch kaum ins Blickfeld gerückt werden. Auch so genannte ‚Outcomes‘ bei Kindern wurden in der Vergangenheit kaum berücksichtigt“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 34). Zugleich wird selten näher thematisiert, dass die staatlichen Aktivitäten im Bereich der Qualitätssicherung auch dadurch abgeschwächt werden, dass sie von „Finanzinteressen“ der öffentlichen Hand verzerrt sein können (Spieß 1998: 265). Diese entstehen unter anderem dadurch, dass die hauptsächlich investierende (kommunale) Ebene nur geringfügig von Investitionskosten profitiert, da der Nutzen quantitativ vor allem auf anderen Ebenen (Bundes- und Landesebene) anfällt. Ein Investitionsinteresse entsteht allerdings nur dann, wenn die zuständige öffentliche Ebene auch finanziell von solchen Aktivitäten profitiert. Dies verweist auf Strukturprobleme im föderalen Staatsaufbau, die alleine mit „mehr Markt“ und „weniger Staat“ nicht zu lösen sind. 2.3.3 Organisatorische Struktur und personelle Situation im deutschen Schulwesen Das Schulwesen der Bundesrepublik Deutschland unterscheidet sich in weiten Teilen vom vorschulischen Bildungsbereich. Ähnlich wie dieser ist es allerdings in seiner Konzipierung durch die föderalistischen Strukturen geprägt und zeichnet sich in seinem Aufbau durch große Heterogenität und Vielfältigkeit aus (BMFSFJ (Hg.) 2005: 430). 244
S. zu Auswirkungen regulativer und fiskalischer Eingriffe (in Form von Qualitätsmindeststandards) auch Spieß 1998: 199ff.
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung
185
Die meisten Kinder erleben das Schulsystem ab dem sechsten Lebensjahr erstmals in Form einer vierjährigen (in Brandenburg und Berlin sechsjährigen) Grundschule245. Der Entscheidungsspielraum der Eltern für den Zeitpunkt der Einschulung ist dabei in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich groß (Kratzmann/Schneider 2008: 9f) 246. Dagegen haben bei der Wahl der weiterführenden Schulen in den meisten Ländern die Eltern das letzte Entscheidungsrecht. Nach der vierten bzw. sechsten Klasse findet für die meisten Kinder der Übergang in das mehrgliedrige Sekundarstufensystem statt, welches in nahezu jedem Bundesland anders organisiert ist. Schulpolitisch wird das Bild in den Bundesländern durch sehr unterschiedliche Landesprofile bestimmt, die teilweise eine lange Vorgeschichte haben. „Sie unterscheiden sich hinsichtlich Schulformen, pädagogischen Zielsetzungen, inhaltlichen Akzentuierungen, Leistungskriterien oder auch in organisatorisch-administrativer Hinsicht“ (Hepp 2006: 247). Dementsprechend verwundert es nicht, dass, wie die folgende Abbildung deutlich macht, bei der Verteilung der Kinder auf die Schularten deutliche länderspezifische Unterschiede existieren. Abbildung 5:
Verteilung der Fünftklässler*, die im vorangegangenen Jahr die Grundschule besuchten, auf die Schularten im Schuljahr 2006/07 nach Ländern (in %)
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
Integrierte Gesamtschule Gymnasium Realschule Schulart mit mehreren Bildungsgängen Hauptschule Schulartunabhängige Orientierungsstufe
D
W
O BW BY BE BB HB HH HE MV NI NW RP SL SN ST SH TH
*Für Berlin und Brandenburg werden wegen der sechsjährigen Grundschule Siebtklässler betrachtet. (Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008: 63) 245 Ausnahmen existieren hier für Kinder mit Behinderungen, die bisweilen schon im Grundschulalter in Sonderschulen unterrichtet werden. 246 In der Gesamtheit hat sich in Deutschland in den vergangenen Jahren eine Senkung des Schuleintrittsalters ergeben (s. zu konkreten Zahlen Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 44). Bis zum Jahr 1997 galt hinsichtlich der Schulpflicht das Hamburger Abkommen vom 18.10.1964 zwischen den Ländern, das festlegte, dass für alle Kinder, die bis zum 30. Juni des aktuellen Jahres das sechste Lebensjahr vollendeten, zum 1. August Schulpflicht bestand. Falls ein erfolgreicher Schulbesuch nicht zu erwarten war, war aber eine Zurückstellung vom Schulbesuch möglich. In Anbetracht eines hohen Anteils an Rückstellungen vom Schulbesuch gestand die Kultusministerkonferenz im Jahr 1997 den Ländern das Recht zu, den Stichtag zur Schulpflicht vorzuverlegen. Da die Bundesländer von dieser Möglichkeit unterschiedlich stark Gebraucht gemacht haben, unterscheiden sich die Regelungen nach Bundesländern nun. Während von den drei betrachteten Ländern Bayern den Stichtag auf den 31.12. vorverlegt hat (Umsetzung sukzessive bis Schuljahr 2010/2011), gilt in Brandenburg seit dem Schuljahr 2005/2006 der 30.09. als Stichtag. In Nordrhein-Westfalen wiederum ist beschlossen worden, den Stichtag schrittweise von 31.07. (2007) bis zum 31.12. (2014) anzuheben. Was diese heterogene Einschulungspraxis in den Bundesländern für die Lernerfolge von Kindern heißt, ist noch unklar (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 44).
186
2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
Die einzigen in allen Ländern vorhandenen Schulformen sind das Gymnasium, das je nach Bundesland variierend in acht oder neun Schuljahren zum Abitur führt, sowie die Sonderschulen bzw. Förderschulen, die in der Regel bis zur neunten oder zehnten Klasse besucht werden. Daneben existieren in den meisten alten Bundesländern noch Realschulen und Hauptschulen, die durch ein geringes oder ausgeweitetes Angebot an Integrierten oder Kooperativen Gesamtschulen – häufig als Ganztagseinrichtung konzipiert – ergänzt werden247. In den meisten neuen Bundesländern ebenso wie in immer mehr westlichen Bundesländern gibt es hingegen ein Schulsystem, das aus dem Gymnasium, einer Schulform mit Haupt- und Realschulbildungsgängen sowie den Sonderschulen248 besteht (BMFSFJ (Hg.) 2005: 432). Damit haben die neuen Bundesländer unter anderem auf den dramatischen Abfall der Schülerzahlen reagiert, der durch den gravierenden Geburtenrückgang hervorgerufen wurde. Sie haben so bereits Erfahrung in einem Prozess, der den westlichen Bundesländern durch den demografischen Wandel in den kommenden Jahren erst noch bevorstehen dürfte: Prognosen zufolge werden die Schülerzahlen bis 2020 um mehr als 2 Millionen zurückgehen, bezogen auf das Jahr 2005 ist das ein Minus von 17 Prozent (Prognos AG 2006: 8). Während nach Berechnungen der Kultusministerkonferenz diese Rückgänge in absoluten Größen in Nordrhein-Westfalen (-436.000) und Bayern (-236.000) am stärksten ausfallen, verringern sich die Schülerzahlen relativ gesehen in Brandenburg (-35 Prozent) am stärksten (ebd.). Insbesondere in den neuen Bundesländern ist diese Entwicklung bereits heute so gravierend, dass sie die Schulpolitik und den Schulalltag ganz erheblich prägen: Schulstandortschließungen, Schulfusionen, Entwicklung neuer Schularten249, Versetzung und Abordnung von bzw. Befristung der Verträge von Lehrkräften etc. gehören zu den Folgen (Hovestadt/Kessler 2004: 55). In Deutschland unterrichteten im Schuljahr 2002/2003 rund 676.000 Lehrer/innen an allgemeinbildenden Schulen einschließlich der Sonderschulen, davon fast 190.000 an Grundschulen, fast 70.000 an Sonderschulen und über 400.000 an den verschiedenen Schulformen der Sekundarstufe I und II250. Da die Gehälter für das Lehrpersonal im OECD-Vergleich zu den höchsten gehören (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 25), wundert es nicht, dass die Personalkosten eine zentrale Rolle bei den Bildungsausgaben einnehmen. Wie ein Blick auf die öffentlichen Bildungsausgaben zeigt, werden für den Schulbereich deutlich höhere Summen ausgegeben als für die vorschulische Erziehung.
247
In seiner Verfasstheit fußt dieses System auf der durch das Drei-Klassen-Wahlrecht gekennzeichneten Ständegesellschaft des 19. Jahrhunderts (Ehmann 2003: 44). 248 Obwohl die Kultusministerkonferenz (KMK) bereits 1994 in einem Beschluss zur sonderpädagogischen Förderung (vom 6.5.1994) integrative Modelle in Regelschulen vorgesehen hatte, bleiben diese, insbesondere in den neuen Bundesländern, noch immer eher die Ausnahme (BMFSFJ (Hg.) 2005: 434). 249 Zum Beispiel das Modell der „kleinen Grundschule“ in Mecklenburg-Vorpommern (Fickermann u.a. 1997). 250 Quantitativ zuverlässige Informationen zu dem sonstigen in Schulen arbeitenden Personal, d.h. zu Schulsozialarbeiter/innen, Schulpsycholog/innen oder zum schulischen Verwaltungspersonal, liegen leider bislang nicht vor, was vermutlich damit zusammenhängt, dass dieses Personal nicht von den Bundesländern, sondern im Wesentlichen von den einzelnen Kommunen oder teilweise aus zeitlich befristeten Projektmitteln finanziert wird (BMFSFJ (Hg.) 2005: 439f).
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung Abbildung 6:
*
187
Bildungsausgaben 2005 nach Bildungsbereichen* (in %)
Abgrenzung nach der ISCED-Gliederung: International Standard Classification for Education Einschließlich Forschungsausgaben der Hochschulen
1)
(Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008: 31)
Von der öffentlichen Hand wurden in Deutschland 2005 50,1 Milliarden Euro für allgemein bildende Schulen aufgewendet, was einem Anteil von 2,2 Prozent am BIP entspricht (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008: 229). Allerdings ist auch im Schulbereich die Abbildung der Finanzströme aufgrund der föderalen Verflechtung schwierig. Nach der föderalen Kompetenzordnung sind die Länder nur für die inneren Schulangelegenheiten zuständig, das heißt die Gestaltung der Schulen, das unterrichtende Personal (inklusive seiner Ausbildung und Einstellung), Fragen der inhaltlichen Ausgestaltung der einzelnen Schularten und -formen, Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien etc. Zusätzlich üben sie die Aufsicht über die Schulen nach Art. 7 Abs. 1 GG aus251. Die so genannten äußeren Schulangelegenheiten sowie das Recht der kommunalen Schulträgerschaft sind dagegen in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG als Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft bestimmt252. Die institutionelle Verfasstheit des Schulsystems in Deutschland ist zusammenfassend durch sechs Eckpunkte zu charakterisieren (BMFSFJ (Hg.) 2005: 435f):
251
Das Schulsystem unterliegt dem Prinzip der Staatlichkeit. Der Besuch des Schulwesens basiert nicht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, sondern dem der Schulpflicht.
Nach neuerer Rechtsprechung beinhaltet der Begriff der „Schulaufsicht“ die „Gesamtheit der staatlichen Befugnisse zur Organisation, Planung, Leitung und Beaufsichtigung des Schulwesens“ (so BVerwGE 47, 201 [204]) oder, in ähnlicher Diktion in den Worten des Bundesverfassungsgerichts, die „Befugnisse des Staates zur Planung und Organisation des Schulwesens mit dem Ziel, ein Schulsystem zu gewährleisten, das allen jungen Bürgern und Bürgerinnen gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet“ (BVerfGE 59, 369 (377) (s. dazu detaillierter auch Füssel/Münder 2005: 264). 252 Insgesamt gilt die inzwischen als klassisch zu bezeichnende, noch aus der Weimarer Zeit des letzten Jahrhunderts stammende Formel: „Die Gemeinde baut (…) der Schule das Haus; Herr im Hause ist aber der Staat“ (Füssel/Münder 2005: 255).
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2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates Die institutionelle Ordnung des Schulwesens ist durch das Prinzip des Universalismus charakterisiert, das heißt die Schule sortiert ihre Mitglieder (die Schüler/innen) nach bestimmten Kategorien, vornehmlich nach Alter in Jahrgangsklassen oder nach Leistung etwa in Fachleistungskursen, behandelt sie aber nicht als persönliche Sonderfälle. Die ganze Person findet im Schulprozess nur eingeschränkt Berücksichtigung. Die institutionelle Ordnung der Schule basiert auf dem Leistungsprinzip, wobei einschränkend festzuhalten ist, dass das deutsche Schulsystem als Ganzes offenbar stark zur Reproduktion von sozialen Disparitäten in den Bildungsverläufen tendiert (s. Kap. 1.3.3). Das schulische Lernen basiert auf dem Primat simulierter und pädagogisch aufbereiteter Erfahrung. Die pädagogische Arbeit der Lehrenden ist durch ein hohes Maß an Selbstständigkeit gekennzeichnet, da die vorgegebenen Rahmenpläne der Länder breite Handlungs- und Interpretationsspielräume für die eigene Unterrichtspraxis bieten.
Hinsichtlich der schulischen Bildungsziele hat sich die KMK 1973 auf folgende übereinstimmende Ziele verständigt: „Die Schule soll Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten vermitteln, zu selbständigem kritischem Urteil, eigenverantwortlichem Handeln und schöpferischer Tätigkeit befähigen, zu Freiheit und Demokratie sowie zur Toleranz, Achtung vor der Würde des anderen Menschen und Respekt vor anderen Überzeugungen erziehen, friedliche Gesinnung im Geist der Völkerverständigung wecken, ethische Normen sowie kulturelle und religiöse Werte verständlich machen, die Bereitschaft zu sozialem Handeln und politischer Verantwortung fördern, zur Wahrnehmung von Rechten und Pflichten in der Gesellschaft anhalten und über die Bedingungen der Arbeitswelt orientieren“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 427). Während diese Erklärung gleichsam einen bildungspolitischen Minimalkonsens über bestimmte Grundwerte darstellt253, werden die Bildungsziele für einzelne Fächer, Fächerkombinationen und Lernbereiche der verschiedenen Schulstufen und Schulformen in den Lehrplänen bzw. Rahmenrichtlinien der einzelnen Bundesländer geregelt. Nach grober Schätzung gibt es mehr als 2.500 aktuell gültige Lehrpläne in Deutschland (ebd.). Ebenso unübersichtlich und uneinheitlich sind auch die Stundentafeln in den verschiedenen Bundesländern, die den zeitlichen Rahmen für die Angebote in den einzelnen Unterrichtsfächern festlegen. Sie sind allerdings durch die von der Kultusministerkonferenz in jüngster Zeit formulierten einheitlichen nationalen Bildungsstandards, welche die Vergleichbarkeit schulischer Abschlüsse, die Durchlässigkeit des Schulsystems sowie die interne und externe Evaluation der Qualität im Bildungssystem sichern sollen, zum Teil eingeschränkt worden. War die einzelne Schule noch bis vor einigen Jahren „das letzte Glied in einer eher hierarchisch aufgebauten Schuladministration“ (ebd.: 437), so haben die Debatten um eine Qualitätsentwicklung im Schulwesen sowie eine Modernisierung der Verwaltung in einigen Bundesländern inzwischen dazu geführt, dass Entscheidungs- und Handlungskompetenzen von den oberen und mittleren Schulverwaltungsebenen auf die Ebene der einzelnen Schulen 253 Ergänzt wird dieser durch das aus dem Grundgesetz (Art. 2 und 3) herleitbare Recht auf eine chancengerechte Bildung für Kinder und Jugendliche in Deutschland unabhängig von Geschlecht, regionaler Herkunft oder religiöser bzw. politischer Anschauung. Außerdem ist im Grundgesetz nicht nur die föderale Struktur der staatlichen Schulaufsicht, sondern auch der schulische Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates geregelt, der dem elterlichen Erziehungsrecht gleichgestellt ist und der das Ziel hat, neben der Vermittlung von Wissensstoff die einzelnen Schüler/innen zu selbstverantwortlichen Mitgliedern der Gesellschaft heranzubilden (ebd.: 426).
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung
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verlagert wurden. Unter dem Stichwort der „Schulautonomie“ zeichnen sich somit Tendenzen zu einer größeren Verselbstständigung der Schulen ab (Avenarius 2002: 122). An die Stelle von detaillierten Einzelvorgaben tritt dabei „ein Steuern auf Distanz“ (Füssel/Münder 2005: 275)254. Dies betrifft Entscheidungen über Personalfragen, die interne Stundenplanund Lehrplangestaltung, die Entwicklung von Schulprogrammen und die Mitwirkung bei der Selbstevaluation von Schulen. Diese Entwicklung ist eine Folge der „grundsätzlichen Wende“ (BMBF (Hg.) 2003), die generell in der Bildungspolitik durch die Bildungsvergleichsstudien TIMSS und PISA eingeleitet wurde. Wurde das Bildungssystem vorher ausschließlich durch den „Input“ gesteuert, d.h. durch Haushaltspläne, Lehrpläne und Rahmenrichtlinien, Ausbildungsbestimmungen für Lehrpersonen, Prüfungsrichtlinien usw., so ist nun immer häufiger davon die Rede, die Bildungspolitik und die Schulentwicklung sollten sich am „Output“ orientieren, d.h. an den Leistungen der Schule, vor allem an den Lernergebnissen der Schüler/innen. Als Output werden dabei neben der Vergabe von Zertifikaten im Wesentlichen der Aufbau von Kompetenzen, Wissensstrukturen, Einstellungen, Werthaltungen und anderes verstanden, also die Persönlichkeitsmerkmale, mit denen die Basis für ein lebenslanges Lernen zur persönlichen Weiterentwicklung und gesellschaftlichen Beteiligung gelegt ist. Diese „Output-Orientierung“ lässt sich zugleich zwanglos mit „einem gewandelten Verständnis staatlicher Steuerung verbinden, wie es auch in anderen Bereichen der Gesellschaft zu beobachten ist. Nicht mehr durch detaillierte Richtlinien und Regelungen, sondern durch Definition von Zielen, deren Einhaltung auch tatsächlich überprüft wird, sorgt der Staat für Qualität“ (ebd.: 11f). Im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Bereichen findet die Bildungsdebatte im schulischen Bereich allerdings systemimmanent statt und unter Vernachlässigung anderer Bildungsorte und -akteure255. Für den Bereich des schulischen Bildungssystems fällt zudem auf, dass die Ziele bisher allein als „Bildungsziele“256 definiert werden: Weder „Erziehungs-“ noch „Betreuungsziele“ werden von Bildungsforscher/innen wie Bildungspolitiker/innen offensichtlich als gleichwertige Ziele des Schulsystems angesehen. Insbesondere die Grundschule als die Schulform, der in der Praxis verstärkt ein Erziehungsauftrag zuwächst, hat darunter zu leiden (s. auch Kap. 3.2.3). Im Gefolge von PISA und IGLU wurde sie mit Forderungen überhäuft, wie folgender Beschluss der KMK deutlich macht: „In der Grundschule zielen die Maßnahmen der Länder vor allem auf eine zeitlich flexible Einschulung, die Vermeidung von Rückstellungen und Verbesserung der Grundschulbildung sowie die durchgängige Verbesserung der Lesekompetenz und des grundlegenden Verständnisses mathematischer und naturwissenschaftlicher Zusammenhänge. Durch eine möglichst frühzeitige Einschulung soll nicht nur den veränderten Lebensverhältnissen vieler Familien Rechnung getragen werden, sondern auch dem frühzeitigen sinnvollen Umgang mit der Lernbereitschaft der Kinder und der Notwendigkeit, die Lernzeiten optimal zu nutzen (…). Mit Blick auf die Ergebnisse von PISA soll in der Mehrzahl der Länder die Zusammenarbeit zwischen vorschulischen Einrichtungen und der Primarstufe, vor allem auch bei der Diagnostik, der Information der Eltern, der Einrichtung gezieler vorschulischer 254
S. zur Vereinbarkeit von schulischen Selbstverwaltungsmodellen mit der Aufsichtspflicht des Staates unter anderem gemäß Art. 7 Abs. 1 GG auch Menzel 2002: 500f. So ist eine Verknüpfung mit der Bildungsdebatte in Jugendhilfe und Familienpolitik bisher nicht erkennbar. 256 Diese liegen in historischen Kontexten und nationalen Traditionen begründet und normieren die Beziehungen von Individuen und Gesellschaft, indem sie „Anspruch und Form der Vergesellschaftung und die Rolle der Subjekte“ (BMBF 2003: 63) bestimmen. 255
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2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
Sprachförderkurse intensiviert und Angebote von flexiblen Schuleingangsphasen weiter entwickelt werden“ (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 17./18.10.2002). In der Folge wurde in allen Bundesländern in den letzten zehn Jahren der Schulanfang gravierend umgebaut. Vielfältige Veränderungen wurden erprobt und sind heute zum Teil in den Bundesländern auch ohne Schulversuchsstatus möglich oder bereits der Regelfall. Diese umfassen:
„Eine veränderte Stichtagsregelung, Einschulung mehrmals im Jahr, keine Zurückstellungen mehr, Herabsetzung des Einschulungsalters, Inanspruchnahme des Kindergartens durch alle Kinder, bessere Bildungsqualität im Vorschulbereich durch Bildungspläne, kompensatorische Wirkung durch Sprachstandserhebungen und Sprachförderprogramme vor der Schule, Einführung einer flexiblen, jahrgangsgemischten und oft auch integrativen Schuleingangsphase, Schuleingangsdiagnostik als unterrichtsnahe Prozessdiagnostik“ (Carle 2008: 13f).
Während der Bildungsauftrag auch bedingt durch die immer engere Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen und Grundschule sowie die Ausweitung von Ganztagsgrundschulen somit im Primarbereich immer stärker einem Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag weicht, ist für den Sekundarbereich eine andere Entwicklung erkennbar. Vor dem Hintergrund des Vergleichs mit anderen Staaten, die bei den Bildungsvergleichsstudien besser abgeschnitten hatten257, wurden als Ansatzpunkte für Reformen und Innovationen im Bildungssystem im Sekundarbereich, neben der Erhöhung der Eigenverantwortung von Schulen, herausgearbeitet:
die Vorgabe von Bildungsstandards (zum Teil in Verbindung mit einem nationalen Curriculum), die regelmäßige Durchführung von Evaluationen bzw. zentralen Tests, der Ausbau schulinterner differenzierter Bildungsangebote, eine differenzierte Ressourcenzuweisung in Verbindung mit einer gezielten Unterstützung der Akteure im Bildungsprozess (BMBF (Hg.) 2003a: 260).
Die Entscheidung der Kultusminister/innen 2002, Bildungsstandards auf nationaler Ebene zu etablieren258, mit dem Ziel, die Verantwortung der Schulen und Lehrkräfte für die Lernergebnisse zu erhöhen, vergleichbare Bildungsqualität in allen Länder herzustellen und zur Gleichheit der Chancen auf Bildung bundesweit beizutragen (s. dazu auch (BMBF (Hg.) 2003: 47), hat dazu geführt, dass in den vergangenen Jahren in sämtlichen Bundesländern Bildungsstandards für das weiterführende Schulsystem entwickelt wurden. Sie sollen die allgemeinen Bildungsziele aufgreifen und festlegen, welche Kompetenzen Kinder und Jugendliche bis zu einer bestimmten Jahrgangsstufe mindestens erworben haben sollen 257
S. dazu BMBF (Hg.) 2003a. S. zu den Perspektiven der Entwicklung von Bildungsstandards in Deutschland zusammenfassend BMBF (Hg.) 2003: 131ff. 258
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung
191
(vgl. ebd.: 9). Vor dem Hintergrund der Erwartung, Basisfähigkeiten zu generalisieren und zugleich Kriterien der Messbarkeit von Kompetenzen genügen zu müssen, sehen sich Bildungsstandards mehrfacher Kritik ausgesetzt (s. dazu ebd.: 56). Die derzeit vorliegenden Bildungsstandards seien eine „recht undurchschaubare Mischung aus fachlichen Qualifikationszielen, Kerncurricula und Lehrplänen, die (…) aus einem Mangel herrührt: dem Versäumnis eines ausgearbeiteten Bezugs zu spezifischen Lerntheorien“ (Jürgens 2005: 31). Inwiefern es gelingen kann, die unzureichende Fixierung auf die fachlichen Leistungen von Schülerinnen und Schüler zu erweitern, um notwendige weitere Punkte, wie affektive oder soziale Aspekte, den Erwerb übergreifender Kompetenzen, ist derzeit umstritten (vgl. Oelerich 2005: 55). Dies fußt auf der Einschätzung, wonach die Feststellung von Ergebnissen (Wirkungen) sich generell als um so schwieriger erweist, je spezifischer die Analyse erfolgen soll, bis hin zu der Problematik, dass die Identizifizierung von direkten UrsacheWirkungs-Relationen im Bildungsbereich von Fachleuten für undurchführbar gehalten wird (Strätz u.a. 2003: 126). Die verstärkte Gewichtung der Qualitätsentwicklung im schulischen Bildungsbereich führte zugleich dazu, dass die KMK 2003 die Gründung eines von allen Ländern getragenen Instituts für Qualitätsentwicklung bekannt gab. Kurz danach folgte die erste Veröffentlichung eines umfangreichen nationalen Bildungsberichts, der in regelmäßigen Abständen erscheinen soll (s. Hepp 2006: 252). Zugleich haben die Bundesländer in den vergangenen Jahren in Bezug auf die Lehrerbildung eine Vielzahl von Reformmaßnahmen erlassen bzw. geplant. Diese betreffen vor allem
die Einführung von Kerncurricula, die Einrichtung von Zentren für Lehrerbildung, die Stärkung der Fachdidaktik in der Lehrerausbildung, die Neuordnung der Studienstruktur mit Stärkung des Praxisbezugs und Einführung studienbegleitender Prüfungen, die Verkürzung des Vorbereitungsdienstes, die Verbesserung der Begleitung in der Berufseingangsphase (s. Landtag NRW 2007b).
Hinsichtlich weiterer Veränderungen ist zudem der in jüngerer Zeit in den Bundesländern erfolgte Ausbau der Ganztagsangebote zu nennen (s. dazu auch Kap. 3.4.1.1), womit sich Deutschland schrittweise den Standards und Formen der Schulorganisation anderer europäischer Länder annähert. Der Ausbau folgt einem breiten gesellschaftlichen Konsens für mehr Ganztagsschulen und andere Ganztagsangebote, der sich seit Beginn des Jahres 2001 in Deutschland abzeichnet259; manche sprechen gar von einer „plötzlichen Konjunktur“ (Ganztagsschulverband 2003: 1) der Ganztagsschulen. Bund und Länder haben in den vergangenen Jahren erhebliche Finanzmittel in den Ausbau von Ganztagsangeboten investiert. Die Zahl der schulischen Verwaltungseinheiten mit Ganztagsbetrieb stieg dementsprechend
259
So ist beispielsweise die Quote der Bundesbürger/innen, die meinen, „es sollten mehr Ganztagsangebote eingerichtet werden“, in den vergangenen Jahren von 39 Prozent in 1991 (als tiefstem Stand) bis auf 56 Prozent in 2004 gestiegen; der Anteil der Gegner hat sich seit 1981 dagegen kontinuierlich verringert, von 40 Prozent auf 21 Prozent fast halbiert (Höhmann u.a. 2004: 265). Und auch bei Eltern hat die Akzeptanz von Ganztagsschulen im Verlauf der letzten Jahre deutlich zugenommen (s. dazu Oelerich 2005: 23).
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2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
von 4.951 im Jahr 2000 um 38 Prozent auf 6.810 im Jahr 2004. 2006 wiesen 23 Prozent aller schulischen Verwaltungseinheiten einen Ganztagsbetrieb aus260. Tabelle 9: Anteil der Schüler/innen im Ganztagsbetrieb im Primar-/ Sekundarbereich I in öffentlicher und privater Trägerschaft 2006 nach Schularten und Ländern (in %)
GR: OS: HS: SMBG: RS:
Grundschule Schulartunabhängige Orientierungsstufe Hauptschule Schulart mit mehreren Bildungsgängen Realschule
GY: IGS: FWS: FÖ:
Gymnasium Integrierte Gesamtschule Freie Waldorfschule Förderschule
(Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008: 260)
Allerdings zeigen sich große regionale Disparitäten sowie Unterschiede zwischen den einzelnen Schularten. Waren traditionell in Westdeutschland Ganztagsangebote vor allem bei integrierten Gesamtschulen sowie Sonderschulen verbreitet, ist der zahlenmäßig stärkste Anstieg in den vergangenen Jahren bei den Grundschulen zu beobachten (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 57). Auch die entwickelten Ganztagsmodelle geben kein einheitliches Bild ab. In Abhängigkeit von den länderspezifischen gesetzlichen Bestimmungen existiert „eine breit gefächerte Struktur ganztagsschulischer Angebotsformen (..), die beträchtliche Unterschiede in den Praxisformen und pädagogischen Konzepten aufweist“ (Wahler u.a. 2005: 7). Zu den Standardangeboten zählen ein Mittagstisch inklusive Mittagsbetreuung sowie Hausaufgabengruppen und Arbeitsgemeinschaften, wobei die Hausaufgabenbetreuung aus Sicht der Eltern (und mit Abstrichen auch der Schüler/innen) „das tragende und unverzichtbare Element der offenen oder gebundenen Ganztagsschule“ (ebd.: 54) darstellt. Dies verwundert nicht, existiert doch eine Fülle von Belegen für die 260
Dies bedeutet allerdings nicht, dass in diesen Schulen auch alle Klassen im Ganztagsbetrieb stattfinden, sondern lediglich, dass mindestens für einen Teil der Schüler/innen Ganztagsangebote vorgehalten werden (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 58).
2.3 Strukturen und Rahmenbedingungen in Bildung, Betreuung und Erziehung
193
positiven Auswirkungen der regelmäßigen Teilnahme an der Hausaufgabenbetreuung auf das familiäre Klima (s. ebd.). Insgesamt überwiegt bei den Ganztagsschulen in Deutschland eindeutig das offene Organisationsmodell. Abbildung 7:
Voll gebundene, teilweise gebundene und offene Ganztagsschulen des Primar- und Sekundarbereichs I 2006 (in % aller Ganztagsschulen der jeweiligen Schulart)
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
Offen
Teilweise gebunden
Voll gebunden Grundschule
Hauptschule
Schulart mit mehreren Bildungsgängen
Realschule
Gymnasium*
Integrierte Gesamtschule
Förderschule
*Ohne gymnasiale Oberstufe (Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008: 72)
Das Personal teilt sich an vielen der offenen Angebote nach zwei voneinander relativ klar getrennten Arbeitsbereichen auf. Auf der einen Seite Lehrkräfte, die für den (vormittäglichen) Unterricht zuständig sind und ansonsten kaum in den Nachmittagsbereich involviert sind, auf der anderen Seite das vielfach bei außerschulischen Trägern angestellte Personal, das für die Organisation und Durchführung des Nachmittagsangebots aufkommt. Faktisch handelt es sich bei diesen Angeboten, wie der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfamilienministerium kritisiert, um eine bloße Verlängerung der Halbtagsschule durch Angebote am Nachmittag, die vor dem Hintergrund der umfassenden Ziele von Ganztagsschulen unbefriedigend sei und „nicht geeignet, ein aufeinander abgestimmtes, anspruchsvolles Bildungsprogramm zu entwickeln“ (Wissenschaftlicher Beirat 2006: 43f). Zudem seien die Arbeitsbedingungen und Qualifikationen der zusätzlichen (vor allem sozialpädagogischen) Kräfte „suboptimal“ und deren Beteiligung an Konzeptionsentwicklung und schulischen Leitungsstrukturen noch zu selten (ebd.: 44). Dass die Ganztagsschulen trotzdem in dieser Form organisiert werden, liegt häufig unter anderem in „finanz- und haushaltspolitischen Erwägungen“ begründet (Wahler u.a. 2005: 67): Angebote außerschulischer Anbieter stellen eine äußerst kostengünstige Alternative zur Beschäftigung und Einstellung zusätzlicher Lehrkräfte dar. Die Angebote von Vereinen, freien Trägern etc. sind in der Regel kostenlos oder kostengünstig, die an Einzelpersonen bezahlten Honorare teilweise extrem niedrig. Außerdem ergibt sich so die Gelegenheit, zur Finanzierung der Angebote am Nachmittag auch Elternbeiträge zu erheben, was weder der besseren Förderung aller Kinder und Jugendlichen dienlich ist noch der Zielsetzung der Ganztagsschule entspricht (Wissenschaftlicher Beirat 2006: 42).
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2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
Damit ist der Punkt der Finanzierung von Ganztagsangeboten in den Bundesländern angesprochen, der teilweise sehr komplex ist (s. dazu auch Wahler u.a. 2005: 17ff, 28ff) und sich zwischen den Bundesländern und sogar zwischen einzelnen Kommunen innerhalb der Länder unterscheidet. Die unterschiedlichen Förderprogramme, Verwaltungsvorschriften und Eckwertkonzeptionen beziehen sich auf Personalschlüssel und -qualität, auf die Finanzierungsmodalitäten, auf pädagogische Konzeptionen und vieles mehr (Wissenschaftlicher Beirat 2006: 42). Durchgängig findet in allen Bundesländern eine Aufteilung der Ganztagsaufgaben zwischen der kommunalen Ebene und der Landesebene statt, was sich auch auf die Finanzierung bezieht. In Flächenstaaten hat sich das Prinzip durchgesetzt, dass die Personalkosten vom Land und die Sachkosten sowie die Kosten für das Verwaltungspersonal vom kommunalen Schulträger aufgebracht werden (Wahler u.a. 2005: 15). Die Kommunen haben darüber hinaus eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten, nicht nur bei der Finanzierung der Angebote sondern auch der Planung und Konzeptentwicklung, bei den Verfahren und Regelungen der Kooperation von Jugendhilfe und Schule etc. und können hier in sämtlichen Bundesländern eigene Standards setzen. Dies betrifft insbesondere die Personalsituation (Personalschlüssel, Qualifikation des Personals), räumliche Bedingungen und die Koordination der Angebote unterschiedlicher Träger (BMFSFJ (Hg.) 2005: 510). Aufgrund der sehr heterogenen Durchführungspraxis bzgl. der Steuerung und Koordination von Angeboten in den Kommunen sieht der Zwölfte Kinder- und Jugendbericht hier auch zentralen Handlungsbedarf und schlägt unter anderem den Einbezug der Landesjugendämter in die Planung und Gestaltung der Programme zum Ausbau von Ganztagsschulen vor, um die Kooperation von Jugendhilfe und Schule an Ort und Stelle fachlich qualifiziert durchführen zu können (ebd.: 523). Als Problem ergibt sich hier, dass es bisher in Deutschland noch an systematischem Wissen darüber fehlt, wie „solche Bildungsangebote – ggf. gemeinsam mit außerschulischen Kooperationspartnern – konzipiert und implementiert werden, in welchen Kooperationsformen und organisatorischen Netzwerken dies geschieht, unter welchen Voraussetzungen (schulische Bedingungen, außerschulischer Kontext, familiäre Situation der Schülerinnen und Schüler) sie am besten eingeführt werden können und hohe Akzeptanz finden, wie eine starke Partizipation erreicht und Schwierigkeiten überwunden werden, und welche Konsequenzen die neue Gestaltung der Schule schließlich für die Betroffenen selbst, aber auch für das soziale Umfeld der Schule hat“ (Klieme/Rauschenbach/Holtappels 2004: 3). Einzelne Länder lassen ihre ganztägigen Schulangebote bereits wissenschaftlich begleiten und evaluieren (so z.B. die Implementierung der offenen Ganztagsgrundschule in Nordrhein-Westfalen, s. Beher u.a. 2005), andere jedoch nicht. Während der Umbau der Schullandschaft in Ganztagsschulen eines der Schlüsselthemen der Schulpolitik darstellt und durch Ganztagsschulen die Grenzen zwischen Jugendhilfe und Schule teilweise neu abgesteckt werden, ist weiterhin ungeklärt, welche Rolle die Kinder- und Jugendhilfe darin spielen kann (Rauschenbach 2008: 6). Klar ist, dass der Kooperation mit Schule für die Jugendhilfe eine wachsende Bedeutung zukommt. Dies gilt insbesondere für die Arbeits- und Handlungsfelder, die im Wesentlichen Kooperationspartner für ganztagsschulische Angebote sind oder deren engere Zusammenarbeit mit Schulen derzeit im Fokus politischer Bemühungen stehen: der Bereich der Kindertagesstätten (inkl. der Horte), die Jugendarbeit sowie die Jugendberufshilfe bzw. Jugendsozialarbeit (Oelerich 2005: 46). Die Jugend- oder Schulsozialarbeit kann dabei als „intensivste Form der Kooperation von Jugendhilfe und Schule“ (Olk 2005: 33) gelten, da sie ebenso wie die Jugendbe-
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rufshilfe durch ihre unmittelbare Verwobenheit in das Schulgeschehen direkt in die Unterstützung und die Förderung der Bildung von Kindern und Jugendlichen eingebunden ist. Schulbezogene Jugendsozialarbeit, als Teil der Jugendhilfe gemäß § 13 SGB VIII verstanden und auf einem ganzheitlichen, lebensweltorientierten Förderansatz basierend, zielt auf die schulische, berufliche und soziale Integration junger Menschen, das heißt deren chancengleiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Adressat/innen der schulbezogenen Jugendsozialarbeit sind dementsprechend Schüler/innen, die Hilfe bei ihrer sozialen Integration und der Sicherung ihrer schulischen Ausbildung benötigen. Die Aufgaben der Jugendsozialarbeit reichen vom Einsatz bei Schul- und Lernschwierigkeiten bzw. psychosozialen Problemen bei Kindern und Jugendlichen durch individuelle Beratung, Gruppenarbeit oder Projekte bis zu konkreten Bildungsangeboten in Form von arbeitsweltbezogenen Bildungsund Orientierungsangeboten. Daneben stellt auch die Elternarbeit einen Teilaspekt der unterstützenden Tätigkeit der Jugendsozialarbeit dar (Maykus/Schulz 2006: 91f). Der Jugendsozialarbeit kommt somit nicht nur die Funktion der Hilfe zur Alltags- und Lebensbewältigung zu, sondern auch der Persönlichkeitsbildung261 sowie der beruflichen Orientierung. Sie stellt demnach einen wichtigen Baustein im Hinblick auf präventive Unterstützungsmaßnahmen dar. Als Kooperationsfeld zwischen Jugendhilfe und Schule hat sie sich in den letzten Jahren in sehr unterschiedlichen Konzepten entwickelt, zudem differieren Ansiedlung und Struktur der jeweiligen Konzepte ebenfalls (Deinet/Icking 2005: 43, s. dazu auch Kap. 3.4.1.2). Als Formen der Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule an Schulen kommen darüber hinaus derzeit in der Praxis vor (BMFSFJ (Hg.) 2005: 513ff):
Angebote der Jugendhilfe an der Schule, Trägerschaft des Nachmittagsprogramms durch einen außerschulischen Träger, Konzeptentwicklung in Kooperation von Schule und außerschulischem Träger, Schulentwicklung in Kooperation von Schule und Träger der Jugendhilfe.
Wenn sich die beiden Arbeitsfelder „Jugendhilfe“ und „Schule“ einander annähern, stellt sich die Frage nach einer organisatorischen Verankerung dieser Kooperation und somit nach einer Verkopplung beider Bereiche auf der politischen und administrativen Steuerungsebene (Merchel 2005: 214). Schließlich sind erfolgreiche Kooperationen zwischen einzelnen Schulen und Einrichtungen der Jugendhilfe auf förderliche Rahmenbedingungen auf örtlicher und überörtlicher Ebene angewiesen, beispielsweise den Aufbau und die Entwicklung kooperativer Arbeitsstrukturen auf lokaler und regionaler Ebene, die gegenseitige Beteiligung an Ausschusssitzungen und Kommunikationsprozessen zwischen Schulbehörde und örtlicher Jugendhilfe sowie weiteren Akteuren auf örtlicher und regionaler Ebene und nicht zuletzt Koperationen zwischen Schul- und Jugendhilfeplanung (BMFSFJ (Hg.) 2005: 344). Das Kinder- und Jugendhilfegesetz hat hierzu für die Jugendhilfe rechtlich klare Vorgaben geschaffen, indem die Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Zusammenarbeit mit der Schule verpflichtet (§ 81 Nr. 1 Zusammenarbeit mit „Schulen und Stellen der Schulverwaltung“) und arbeitsfeldbezogene Hinweise für die Kooperation von Jugendhilfe und Schule gegeben werden (§ 11 Abs. 3 Nr. 1 schulbezogene Jugendarbeit). Das Gesetz fixiert 261 S. zum Bildungsauftrag und -verständnis in Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit auch Rauschenbach u.a. 2004: 209ff.
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2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
darüber hinaus weitere Kooperationsverpflichtungen, beispielsweise in § 4 (Zusammenarbeit der freien und öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe), in § 36 (individuelle Hilfeplanung), in § 50 (Mitwirkung an vormundschafts- und familiengerichtlichen Verfahren), in § 52 (Mitwirkung an Verfahren nach dem JGG) und in § 80 SGB VIII (kooperative Jugendhilfeplanung). Überdies schreiben § 5 (Wunsch- und Wahlrecht) und § 78 SGB VIII (Arbeitsgemeinschaften) fest, dass Kinder- und Jugendhilfe kooperativ sein muss. Einige Bundesländer haben die Verpflichtung zur Kooperation mit der Schule zudem in Jugendförderungesetzen verankert (z.B. NRW in §§ 7, 10, 19 KJFöG). Auch wenn der funktionale Gehalt dieser Vorgaben gering sein mag und Füssel/Münder von einem „klassischen Anwendungsdefizit“ sprechen (Füssel/Münder 2005: 285), ist der normative Gehalt dieser Vorgaben doch wichtig. Im Schulbereich finden sie keine adäquate Entsprechung, auch wenn fast alle Bundesländer inzwischen Regelungen zur Kooperation von Schule und Jugendhilfe in ihre Schulgesetze aufgenommen und mit einer Vielzahl von Akteuren im Bereich der Jugendhilfe, Kultur, Musik, Sport, Naturschutz, mit Hilfsdiensten, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden Rahmenvereinbarungen zur Kooperation geschlossen haben (s. dazu SPI NRW (Hg.) 2006: 47ff). Eine gesamtdeutsche Untersuchung zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule bzw. zur Schulsozialarbeit steht heute allerdings noch genau so aus wie länderübergreifende (Vergleichs-)Studien zu den Kooperationsmodellen und Ergebnissen (Olk 2004: 78). 2.4 Strukturprobleme und Entwicklungserfordernisse im Bereich der Humanvermögensbildung Das föderale Prinzip im Bereich der Humanvermögensbildung in Deutschland ist durch strukturelle Probleme gekennzeichnet, die das politische Handeln prägen und die Realisierung von Entwicklungserfordernissen beeinträchtigen. Neben dem Fehlen einer klaren Steuerungsinstanz ist vor allem eine unklare Zieldefinition, also die mangelnde Definition qualitativ hochwertiger Humanvermögensbildung, zu konstatieren. Die Tatsache, dass der Bereich der Humanvermögensbildung durch eine komplexe Mischung unterschiedlicher, sich teilweise auch widersprechender Ziele und Vorgaben gekennzeichnet ist, die, historisch gewachsen, in ihrer systemischen Verankerung wie strukturellen Verortung in weiten Teilen auf den Bedingungen der Instrustriegesellschaft des 20. Jahrhunderts aufbauen (wenn nicht – wie im Bereich des Schulsystems – sogar auf der des 19. Jahrhunderts) und nur bedingt geeignet sind, Bildung, Betreuung und Erziehung im 21. Jahrhundert zu gestalten, erscheint als wenig befriedigend. Strategische Bildungsziele, die bereichsübergreifend angelegt, an Ergebnissen orientiert und perspektivisch ausgerichtet sind, sind gering entwickelt. Insbesondere die Trennung von dem zur Jugendhilfe gehörenden Bereich der Tageseinrichtungen und dem Schulsystem wirkt hier hemmend. Eine gemeinsame Sicht, wo Deutschland in beiden Bereichen langfristig stehen will und welche Ressourcen und Verfahren nötig sind, um dieses Ziel zu erreichen, ist bisher nicht vorhanden (s. OECD 2004: 67). Besonders deutlich wird dies in der komplexen Qualitätssicherungsdiskussion, die derzeit sowohl im Bereich der Kindertageseinrichtungen als auch im Schulbereich geführt wird und sich im Wesentlichen auf Merkmale der Struktur- und Orientierungsqualität beschränkt (BMFSFJ (Hg.) 2005: 349). So bedeutsam beide Qualitätsmerkmale sind, geraten
2.4 Strukturprobleme im Bereich der Humanvermögensbildung
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doch mit ihrer ausschließlichen Betrachtung andere Qualitätskomponenten aus dem Blick, vor allem die Prozessqualität als das auf Bildung, Betreuung und Erziehung der Kinder konkret bezogene pädagogische Handeln in den Einrichtungen (wie auch in der Kindertagespflege) einerseits sowie im Hinblick auf Bildungsergebnisse (Outcome) bei den Kindern andererseits. Obwohl beide Qualitätsbereiche durchaus in verlässlicher Form feststellbar wären, wie deutsche und ausländische Untersuchungen zeigen, finden sie in den gegenwärtig praktizierten Ansätzen staatlicher Qualitätssicherung und Qualitätssteuerung (und auch in den meisten anderen aktuellen Reformansätzen zur Qualitätssicherung) keine bzw. keine hinreichende Beachtung (ebd.: 350). Steuerungstechnisch ergibt sich zudem die Herausforderung, dass konkrete Vorgaben im Sinne von klaren Kriterien zwar leicht in ihrer Umsetzung zu überprüfen sind, dass sie angemessene Lösungen für den örtlichen Einzelfall aber häufig eher erschweren. Bei inhaltlichen Vorgaben können eine große Konkretheit und ein hoher Operationalisierungsgrad zudem dazu führen, dass oberflächlich bestimmte Kriterien zwar erfüllt werden. Die professionelle Haltung, die eigentlich Voraussetzung für eine angemessene Umsetzung wäre, bleibt aber unverändert, wie Erfahrungen aus dem Schulbereich zeigen (Larrá 2005: 266). Notwendig wären also Maßnahmen, die strukturelle mit inneren Reformen verbinden, die dezentralen Ebenen stärken und insbesondere die Akteure vor Ort im Bildungssystem in die Lage versetzen, eigenständige Reformanstrengungen zu unternehmen (Heinrich-BöllStiftung (Hg.) 2002: 4). Darüber hinaus zeichnet sich das föderale Prinzip durch eine Reihe von strukturellen Problemen aus, die eine nachhaltige Weiterentwicklung erschweren, ja sogar behindern und die vor dem Hintergrund der Notwendigkeit zukunftsfähiger Lösungen dringend angegangen werden müssten. 2.4.1 Strukturprobleme und Entwicklungshemmnisse im vorschulischen Bildungsbereich Im frühkindlichen Bildungsbereich, der in Deutschland in seiner strukturellen und rechtlichen Verfasstheit „bis heute fest in den Traditionen der Fürsorge verhaftet ist“ (Diskowski 2003: 13), stellt der neuerdings geltende klare Bildungsauftrag eine Herausforderung besonderer Art dar, nicht nur in struktureller, sondern auch in konzeptioneller und instrumenteller Hinsicht. Denn die weitverbreitete konzeptionelle Übereinstimmung – zumindest im Westen der Republik –, keine Vorschule sein zu wollen, ist als Negativbestimmung nicht ausreichend, wenn es gilt, die Ziele und Aufgaben von Kindertageseinrichtungen zu bestimmen und konzeptionell zu verorten262. Die Gewährleistung eines bedarfsgerechten, qualitativ hochwertigen Bildungsangebots im Elementarbereich impliziert zudem eine Ausweitung der staatlichen Steuerung des Systems: „Die bisherige Haltung der Länder bei der Systemsteuerung und die daraus resultierende weit reichende Gestaltungsfreiheit auf lokaler Ebene (Kommunalisierung) werden der gebotenen Anerkennung und Behandlung der Elementarbildung als öffentlicher Pflichtaufgabe nicht gerecht“ (BMFSFJ (Hg.) 2003a: 17). Bildungs- und Erziehungspläne sind eine notwendige, für sich allein genom262
In diesem Kontext rächt sich vielleicht auch, dass die fachliche Weiterentwicklung in Deutschland nur auf vereinzelte Lehrstühle und wenige Institute zurückgreifen kann und die Hauptlast der Fachentwicklung – entgegen der anderer Bildungsbereiche – von Projekten, Fortbildnern und Praxisberaterinnen getragen wird, die nicht über die Ressoucen verfügen, systematisch und konzeptionell gründlich zu arbeiten (Diskowski 2003: 17).
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2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
men aber keine hinreichende Vorbedingung zur Weiterentwicklung des Systems263. In diesen Bildungs- und Erziehungsplänen müssten folgende Merkmale hochwertiger Qualität in Bezug zueinander gesetzt werden:
die Konzeptionsentwicklung264 in den Einrichtungen unter Berücksichtigung der Tatsache, was es heißt, wenn vermehrt Kinder unter drei Jahren in die Angebote der Kindertageseinrichtungen einbezogen werden, wie sämtliche Kinder in ihren verschiedenen Entwicklungs- und Bildungsbedürfnissen unter Aspekten der Chancengerechtigkeit gefördert und in ihren Kompetenzen gestärkt werden können, Bildungs- und Entwicklungskonzepte, die klären, was kindliche Partizpation beinhaltet, und die Kindern ausreichende Handlungsmöglichkeiten einräumen, evaluative Elemente, intern in den Kindertageseinrichtungen wie extern verankert, um die Qualität steuern zu können, da es sich bei der Evaluation um das „wahrscheinlich mächtigste Werkzeug im Bildungssektor“ (Broadfoot 1996) handelt, wie sich gezeigt hat265, eine zentrale Rolle der Fachberatung mit der Funktion als Multiplikatorin für die Reformimpulse auf der einen und für die Auswertung und Rückbindung der dezentral ablaufenden Prozesse in den Kontext einer Gesamtstrategie auf der anderen Seite. Sie muss auch die Funktion der Verknüpfung zwischen Kindertagespflege und Förderung in Kindertageseinrichtungen übernehmen. Dies impliziert eine Ausweitung der bisherigen Fachberatungsressourcen und einen Abbau des Missverhältnisses zwischen den Ressourcen für Fachberatung im Elementarbereich sowie den „Overhead-Ressourcen“ im Schulsystem (Schulaufsichtsbehörden und Schulberatungsinstitutionen usw.) (s. Bundesjugendkuratorium 2008: 35 und 46).
Die zunehmende Komplexität der bildungspolitischen Zuschreibungen wie der erzieherischen bzw. sozialisatorischen Anforderungen in den Einrichtungen wie in der Tagespflege erfordert zudem eine konzeptionelle und instrumentelle Entsprechung beim Fachpersonal – wenn es denn nicht nur um eine semantische Aufwertung der Funktionalitäten im frühkindlichen Bildungsbereich gehen soll (Sell 2007: 92). Die lange Zeit geltende Auffassung, wonach frühkindliche Bildungsprozesse von Fachkräften befriedigend gestaltet werden können, die auf einem formal niedrigen Ausbildungsniveau professionalisiert werden, lässt sich jedenfalls nicht halten266. Nicht übersehen werden darf, dass das Schreiben von Bildungsvereinbarungen, -empfehlungen, -plänen oder -programmen nur ein erster Schritt ist. Der notwendige zweite Schritt, ihre Umsetzung in die Praxis, „ist viel aufwändiger und erfordert umfangreiche Begleitung und Qualifizierungsmaßnahmen, die vielerorts noch unbefriedigend sind und bis zu Beispielen reichen, bei denen die durch curriculare Vorgaben gesteigerten Erwartungen an das Arbeitsfeld der Kindertageseinrichtungen von Verschlechterungen der Rahmenbedingungen begleitet werden“ (DJI 2005: 10). 263
S. zu kritischen Fragen in diesem Kontext auch Diskowski 2009: 112. S. zur pädagogischen Konzeption als Qualitätsmerkmal in Kindertageseinrichtungen auch Gragert u.a. 2007. S. zur Steuerung von Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsqualität durch Evaluation auch Schreyer u.a. 2003: 352 ff. 266 Fthenakis bezeichnet sie sogar als „Kardinalfehler“ und einen der „klassischen Irrtümer deutscher Bildungspolitik“ (Fthenakis 2007: 82). 264 265
2.4 Strukturprobleme im Bereich der Humanvermögensbildung
199
Zusammengefasst lassen sich im internationalen Vergleich folgende Strukturprobleme des frühkindlichen Bildungsbereichs festhalten (vgl. dazu auch OECD 2004: 51ff):
267
Es fehlt eine langfristige und kohärente, auf nationaler Ebene abgestimmte Perspektive der Ziele der Humanvermögensentwicklung in Deutschland inklusive der Beantwortung der Frage, was nötig sein wird, um dieses Ziel zu erreichen und einschließlich des Festlegens klarer Verantwortlichkeiten für die Umsetzung sowie gemeinsamer nationaler Standards. Problematisch wirken sich hier die unterschiedlichen Finanzierungsarten der Einrichtungen aus, die dazu führen, dass die Ziele des frühkindlichen Bildungsbereichs häufig eher vom aktuell verfügbaren Budget bestimmt scheinen als von dem Bemühen, das Budget auf die wachsenden Herausforderungen und Qualitätsanforderungen heutiger Tageseinrichtungen wie der Tagespflege abzustimmen. Bildungs- und Betreuungsangebote werden vor allem „vom Ende her, an der Misere der leeren kommunalen Kassen diskutiert“ (Fthenakis 2004: 43). Damit spiegelt die finanzielle Ausstattung des frühkindlichen Bildungsbereichs eine vergleichsweise geringe Wertschätzung durch die Gesellschaft wider. Es existieren Unklarheiten in der Beziehung zwischen Einrichtungen des Elementarund des Primar- und Sekundarbereichs: Dies betrifft zwar auch die Problematik, dass die Einrichtungen zwei nach unterschiedlichen Logiken funktionierenden Systemen (Jugendhilfe und Schule) zugeordnet sind267. Noch hemmender scheint der ungeklärte Auftrag der Schulen zu wirken, denn wenn Kindertageseinrichtungen mehr Aufmerksamkeit darauf verwenden sollen, die Kinder auf die Schule vorzubereiten, müssten logischerweise auch die Schulen mehr Aufmerksamkeit darauf verwenden, sich besser auf die Kinder vorzubereiten, was eine erhebliche Erweiterung auch ihres Auftrages nach sich zieht. Eine unangemessene Ausbildung der Fachkräfte im frühkindlichen Bildungsbereich ist ebenso festzustellen wie eine schlechte Bezahlung, das weitgehende Fehlen von männlichen Fachkräften sowie solchen mit Migrationshintergrund in den Einrichtungen sowie die fehlende Verbindung zwischen dem Inhalt von Plänen, Ausbildung und Bewertung auf der einen und der alltäglichen Praxis auf der anderen Seite. Hier wäre ein flächendeckendes, leistungsfähiges System für eine Unterstützung der Beschäftigten bei der Analyse, Diskussion, Bewertung und Verbesserung ihrer Arbeit notwendig sowie eine intensivierte Beziehung zwischen Wissenschaft und Praxis. Defizite bei der Forschung und Datensammlung erschweren eine Vergleichbarkeit quer über alle Bundesländer und führen dazu, dass nur eine Handvoll Menschen in Deutschland einen vollständigen Überblick über das Finanzierungssystem haben.
Im EU-Vergleich bildet Deutschland damit eher eine Ausnahme, da in den meisten Ländern die Kindertageseinrichtungen dem Bildungsbereich zugeordnet sind, womit im Regelfall eine höhere formale Qualifikation des Personals wie auch ein gezielteres Curriculum für die pädagogische Arbeit verbunden sind (Tietze 2002: 503). Wiesner (2004: 12) vertritt allerdings die Auffassung, dass es trotz der historischen Zuordnung zur Jugendhilfe bis heute nicht zu einer Integration des Arbeitsfelds Kindertageseinrichtungen in das System gekommen ist, was sich u.a. zeigt in verfassungsrechtlichen Kompetenzfragen, in Sonder- und Ausnahmeregelungen im KJHG für diesen Bereich und in einer kommunalen Praxis, die die Bereitstellung von Einrichtungen eher als kommunale Daseinsvorsorge denn als Umsetzung des KJHG begreift. Die Schwachstellen der derzeitigen Zuordnung würden sich zudem beheben lassen durch eine stärkere bundesgesetzliche Konkretisierung des Bildungsauftrages sowie Normierung des Rahmens der Qualität der Förderung im frühkindlichen Bildungsbereich sowie eine neue Aufgabenteilung zwischen Jugendhilfe und Schule (Wiesner 2003: 300, s. zur Diskussion um den Verbleib der Tageseinrichtungen in der Jugendhilfe auch BMFSFJ (Hg.) 2003: 259ff).
200
2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
Im internationalen Vergleich werden allerdings auch die Stärken und Ressourcen des deutschen Systems sichtbar:
reichhaltige und integrative Konzepte sowie ein sozialpädagogischer Ansatz, der in idealer Weise den Kontakt zu den Eltern und den Gemeinden beinhaltet, eine hervorragende Versorgungslage in den neuen Bundesländern und die allmähliche Verbesserung der Situation in den westlichen Ländern, eine gute Ressourcengrundlage im internationalen Vergleich, der gemeinnützige Charakter des Systems und seine Grundlagen, die nicht auf eine Gewinnorientierung zielen, ein überzeuger Einsatz für Dezentralisierung und lokale Autonomie sowie grundsätzliche Einsicht in die Notwendigkeit einer Änderung des Systems, sowohl quantitativ wie qualitativ (s. OECD 2004: 49f).
Mit dem Engagement verschiedender Bundesländer zur Umgestaltung von Kindertageseinrichtungen (s. hierzu auch Kap 4.3) befinden sich diese derzeit in einem „Umgestaltungsprozess“ (Rauschenbach 2008: 6), so dass in den vergangenen Jahren in Sachen Kinderbetreuung in Westdeutschland „maßgebliche Fortschritte erzielt“ (Jurczyk/Heitkötter 2007: 20) worden sind. Gesellschaftlich nach wie vor nicht hinreichend geklärt sind dabei allerdings Fragen, was die Umgestaltung für die Ausbildung des Personals konkret heißt, „wie nahe und mit welchem Grad der Eigenständigkeit die Kindertageseinrichtungen an die Schule und an das Bildungswesen herangerückt werden, wie mit dem massiv bedrängenden Thema der Kinder mit Migrationshintergrund umzugehen ist und in welchem Umfang weitere Mittel für eine Qualitätsoffensive bereitgestellt werden müssen“ (Rauschenbach 2008: 6). Entwicklungserfordernisse werden im deutschen System der frühkindlichen Bildung vor allem hinsichtlich folgender Aspekte gesehen (s. dazu auch BMFSFJ (Hg.) 2003: 324ff):
einer Bündelung der Zuständigkeiten und Ressourcen für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen auf Regierungsebene; einer Neubestimmung und Neubewertung des Kostenansatzes für die Elementarbildung vor dem Hintergrund der Einsicht, dass Ausgaben für Kindertageseinrichtungen keine verlorenen Zuschüsse, sondern Investitionen von hohem volkswirtschaftlichen Ertrag sind sowie einer Aufstockung und Neuverteilung der Finanzierungslasten. Vorgeschlagen wird, dass sich der Bund am Ausbau von Tageseinrichtungen beteiligt, die Länder wie im Schulbereich die Personalkosten tragen und die Kommunen für die Sachkosten aufkommen; einem Abschied von der Beliebigkeit und Unverbindlichkeit der Systemstruktur, die den Trägern weitgehend freie Wahl bei der Ausgestaltung und Ausstattung der Betreuungseinrichtungen, der Auswahl und dem Einsatz des Personals bis hin zur Entwicklung von Qualitätskriterien und deren Sicherung lässt. Wehrmann (Wehrmann 2007b: 155) empfiehlt daher ein Ausschreibungsverfahren, in dem sich die Träger in regelmäßigen Zeitabständen, zum Beispiel alle fünf Jahre, neu bewerben und den Nachweis für ihre Befähigung zur frühkindlichen Betreuung und Bildung erbringen müssen. Andere (wie Kluge 2005) plädieren für ein unabhängiges Qualitätssiegel, eine
2.4 Strukturprobleme im Bereich der Humanvermögensbildung
201
Zertifizierung, die Kindertageseinrichtungen je nach Leistungsstand und Zielerreichung auszeichnet und zur kontinuierlichen Verbesserung anregt. Unabdingbar scheinen in jedem Fall konkrete Hilfen für die Gestaltung pädagogischer Prozesse, wie beispielsweise eine Erhöhung der Zahl der Fachberater/innen sowie eine Neudefinition ihrer Rolle (s. dazu auch Tietze (Hg.) 1998: 262); einer Verständigung der Länder auf gemeinsame Bildungs- und Qualitätsstandards268 (s. dazu auch BMFSFJ (Hg.) 2003: 265ff ) sowie den Abschluss von Staatsverträgen zwischen Bund und Ländern, um die erforderlichen Standards zum Bildungs- und Erziehungsauftrag, zur Qualifikation der Fachkräfte sowie zu Bau und Ausstattung von Kindertageseinrichtungen zu sichern; der flächendeckenden Entwicklung von Kooperationsbeziehungen von Kindertageseinrichtungen mit Schulen und anderen Stellen, die für die Förderung von Kindern von grundlegender Bedeutung sind; Anstrengungen zur Verbesserung der Datenlage und Forschungsförderung, darunter auch zur Intensivierung des (inter)nationalen Austauschs.
2.4.2 Strukturprobleme und Veränderungsbedarf im schulischen Bildungsbereich Nicht nur im Elementarbereich, sondern auch in dem der schulischen Bildung ist die Prozessqualität nicht als optimal zu bezeichnen. „Die Schwächen des Bildungssystems wirken sich bereits jetzt negativ aus und können mittelfristig zu einer existenziellen Bedrohung der Innovationsfähigkeit werden“, urteilte die Expertenkommission Forschung und Innovation 2009 (EFI (Hg.) 2009: 6). Die Aufgaben für die Politik Deutschlands im Bereich Forschung und Innovation im nächsten Jahrzehnt werden von der Expertenkommission vor allem im Umbau des Bildungssystems gesehen, hin zu einer Expansion und qualitativen Verbesserung (ebd.: 10f). Während im Bereich der frühkindlichen Bildung besonders die Akteursvielfalt, die unklaren Steuerungsziele und ihre starke Abhängigkeit von finanziellen Gegebenheiten im Sinne von „Billiglösungen“ als problematisch zu bezeichnen sind, wirken im Bereich des Schulsystems vor allem die starke Selektionsfunktion in Verbindung mit einer geringen Ergebnisorientierung sowie der mangelnde Lebensweltbezug als Probleme: Das deutsche Schulsystem ist wenig durchlässig und wirkt sozial hoch selektiv, da Kinder aus bildungsfernen und sozial schwachen Familien und aus Familien mit Migrationshintergrund nicht nur geringe Chancen auf den Besuch weiterführender Bildungsgänge haben, sondern auch umgekehrt unter den Risikoschüler/innen überproportional vertreten sind. Zudem gelingt es ihm nicht hinreichend, allen Schüler/innen eine Grundbildung im Blick auf elementare Kompetenzen zu vermitteln. Nicht zuletzt hat sich das deutsche Schulsystem strukturell zu einer eigenen Lebenswelt entwickelt, tendenziell abgekoppelt vom nichtkognitiven Leben im familialen Umfeld und dem sozialen Nahraum der Kinder und Jugendlichen (s. auch BMFSFJ (Hg.) 2005: 213). 268
Hierbei sind die veränderten Lebensbedingungen der Kinder zu berücksichtigen. Denn beispielsweise erfolgte die Festlegung auf die maximale Gruppengröße von in der Regel 25 Kindern zu Zeiten, als etwa 40 Prozent der Kinder über maximal vier Stunden eine Tageseinrichtung besuchten. Vor dem Hintergrund der heutigen besuchten Zeit sowie den Anforderungen an eine individuelle Begleitung der kindlichen Entwicklung kann diese Gruppenstärke nicht mehr als Ausgangspunkt für Bemessungen dienen (s. zu den Auswirkungen von Qualitätsparametern auf die Entwicklung von Kindern auch Tietze (Hg.) 1998: 16.)
202
2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
Hinsichtlich der Reformbemühungen der Bundesländer (s. dazu auch Kap. 3.4) ist festzustellen, dass die Bundesländer in den vergangen Jahren „erheblich mehr Aktivität auf die Standardisierung und Messung von Bildungsleistungen als auf die systematische und gezielte Entwicklung der Schul- und Unterrichtsqualität“ verwendet haben (Hovestadt/ Kessler 2004: 44): Sämtliche Bundesländer haben, teilweise durch Beschlüsse der Kultusministerkonferenz, verbindliche Bildungsstandards formuliert und Verfahren der Leistungsevaluation eingeführt. In mehreren Ländern wird die Bedeutung der Schulprogramme als Instrument der Schul- und Unterrichtsentwicklung betont. Zudem wurde von der Kultusministerkonferenz 2001 in ihrem Maßnahmekatalog unter anderem beschlossen, die Professionalisierung der Lehrertätigkeit zu verbessern, und zwar „insbesondere im Hinblick auf diagnostische und methodische Kompetenz als Bestandteil systematischer Schulentwicklung“ (Beschluss der KMK vom 5./6.12.2001). Mit Blick auf die Vielzahl an Herausforderungen, die durch die eingeführten neuen Maßnahmen auf die Lehrkräfte zukommen, erscheint dies auf den ersten Blick sehr sinnvoll. Denn die Eingangsphasen zur Grundschule erfordern eine neue Didaktik; in den meisten Ländern haben die Lehrkräfte es mit neuen Rahmenlehrplänen zu tun, sie sollen neue Formen der Schülerleistungsevaluation einsetzen und sie für ihren Unterricht auswerten; sie sollen benachteiligte Kinder besonders fördern und vieles mehr. Hierbei handelt es sich um eine erhebliche Organisationsentwicklung, die auch Bedarf an Umstrukturierungen und Entwicklung beim Personal zur Folge hat. Dabei können verschiedene Wege zur Professionalität der Lehrertätigkeit beitragen, neben den Ausbildungsinhalten beispielsweise auch Fortbildungen, Prozesse eigenverantwortlicher Schulentwicklung oder kollegiale Beratung. Zugleich haben die Lehrkräfte allerdings unter dem Druck der öffentlichen Haushalte und als Folge der veränderten Schülerzahlen in einigen Ländern erhebliche Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen hinnehmen müssen, wie nachfolgende Tabelle beispielhaft deutlich macht. Tabelle 10: Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bei Lehrern – unvollständige Übersicht269 nach Angaben der GEW Neue Bundesländer
Brandenburg
Gehalt
Lehrdeputat
Weiteres
Weiteres
Kürzung/Streichung Weihnachtsgeld
Mehrarbeit durch zusätzliche Prüfungen (z.B. Verg leichsarbeiten) ohne Ausgleich
Weniger Vollzeitbeschäftigungen
Weniger Qualifizierte Fortbildungsangebote
Fortsetzung Stellenabbau
Mehr Abordnungen, (Schulschließungen)
Abordnungen und Versetzungen betr. jährlich etwa 15–20 % aller Lehrkräfte
Minderung der regelmäßigen Arbeitszeit um 78 bis 92 % (nach Schulart), damit teilw. Enttarifierung
Sachsen
Sachsen-Anhalt
269
Halbierung des Weihnachtsgeldes, Streichung Urlaubsgeld (für Beamte)
Kürzung von Anrechnungsstunden insb. an berufsbildenden Schulen
Für die übrigen Länder lagen keine Angaben vor.
2.4 Strukturprobleme im Bereich der Humanvermögensbildung Thüringen
Kürzung/Streichung Urlaubs-/ Weihnachtsgeld bei Beamten und bei Neueinstellungen
203
Zunahme von Mehrarbeit an Förderschulen, berufsbildenden Schulen wg. fehlender Lehrerstunden, Arbeitszeitverlängerung im öffentlichen Dienst Alte Bundesländer
Gehalt
Lehrdeputat
Weiteres
Baden-Württemberg
Wegfall bzw. Kürzung von Sonderzahlungen
An Gymnasien/Berufsschulen plus 1 Stunde
Bayern
Streichung Urlaubsgeld, Kürzung Weihnachtsgeld
Alle Schularten plus 1 bzw. ½ Stunde
Kürzung von Anrechnungsstunden
Berlin
Streichung Urlaubsgeld, Kürzung Weihnachtsgeld, Eigenanteil bei der Beihilfe (Reduzierung der Gehälter um 8 %)
Plus ½ bis 2 Stunden, Wegfall der Altersermäßigung
Angestellte Lehrkräfte in tariflosem Zustand, Zwangsteilzeit bei Neueinstellungen
Hamburg
Erhöhung der Arbeitszeit der meisten Lehrer durch neues Arbeitszeitmodell
Abbau von ca. 1.000 Lehrerstellen trotz gestiegener Bedarfe
Hessen
Pflichtstundenerhöhung (höher als jemals in Hessen)
Befristungen
Rheinland-Pfalz
Kürzung Weihnachtsgeld, Kostendämpfungspauschale, Zuzahlung bei Wahlleistungen, Aussetzen der Leistungsprämie u. der A 14Beförderung 2003
Arbeitszeiterhöhung, Mehrarbeit durch Schulentwicklungsaufgaben
Saarland
Streichung Urlaubsgeld, Kürzung Weihnachtsgeld
Alle Schularten plus ½ bis 1 Stunde
Erhöhung der Klassengrößen an Grundschulen von 27 auf 29
Schleswig-Holstein
Streichung Urlaubsgeld, Kürzung Weihnachtsgeld
Pflichtstundenerhöhung an Gymnasien, Gesamtschulen, Berufsschulen
z.T. Präsenzzeiten an verlässlichen Grundschulen
(Quelle: Hovestadt/Kessler 2004: 57)
Weiteres
Stellenabbau
204
2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
Auch ist eine „breit angelegte systematische Strategie der Fortbildung oder der Personalentwicklung, mit der die vorhandenen Lehrkräfte auf solche Aufgaben wie die Schuleingangsphase, Englisch im Grundschulunterricht, Ganztagsunterricht, Qualitätsentwicklung, Eigenständigkeit der Schulen etc.“ vorbereitet werden, in den vergangenen Jahren nicht in Sicht gewesen (Hovestadt/Kessler 2004: 56). Damit bleibt im Bereich der Schulpolitik noch einiges für die Bundesländer zu tun. 2.4.3 Das Finanzierungssystem der Kindertagesbetreuung – die föderale Finanzverflechtungsfalle und Lösungsansätze Die Finanzverfassung ist als „Funktion“ und „Spiegel“ der Staatsverfassung und als „Mikrokosmos der Bundesstaatlichkeit“ bezeichnet worden (Blanke 2005: 127). Finanzen sind das Mittel und die Voraussetzung von Autonomie, weshalb in der politischen Arena Vorschläge einer Neuordnung, „die nicht auch als Finanzierungskonzepte formuliert werden, politisch schwach bleiben“ (Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) 2002: 4). Die Finanzierungsarchitektur im Bereich der frühkindlichen Bildung wird in Deutschland in der Forschung gemeinhin als „unsystematisch und in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung kontraproduktiv“ (Sell 2004a: 170) charakterisiert, weshalb sie hier als ein Beispiel für Strukturprobleme im Bereich der Humanvermögensbildung genauer betrachtet werden soll. Dabei steht die Finanzierung der Kindertageseinrichtungen im Mittelpunkt, unter anderem deshalb, weil sich die öffentliche Hand im Bereich der Tageseinrichtungen fiskalisch deutlich stärker engagiert als im Bereich der Tagespflege und der Betreuung durch eine Kinderfrau (Spieß 1998: 270)270. Wie bei vielen Aspekten im frühkindlichen Bildungsbereich in Deutschland ist es auch bei der Finanzierung von Kindertageseinrichtungen zwar möglich, einen groben Überblick zu geben. Die konkrete Finanzierungsaufteilung variiert zwischen den einzelnen Bundesländern allerdings erheblich271, vor allem hinsichtlich der Finanzierungsbeteiligung der Länder sowie der Regelungen zur Höhe der Elternbeiträge. „Einer der Experten für das labyrinthische Finanzierungssystem beschrieb diesen Umstand schlicht mit den Worten: ‚Es gibt kein deutsches Finanzierungssystem!‘“ (OECD 2004: 35). Dabei ist die Finanzierungsstruktur in den Ländern ebenso heterogen wie die Wahl der Finanzierungsinstrumente, die von einer Angebotsfinanzierung ohne Gebühren über Gebühren in unterschiedlicher Höhe und einer Pro-Gruppe-, Pro-Platz- oder Pro-Kopf-Finanzierung bis hin zu KitaGutscheinen, wie sie im August 2003 in Hamburg eingeführt wurden, reichen. Grob zusammengefasst kann man sagen, dass der Bereich der Kindertagesbetreuung gegenwärtig zu 47 Prozent aus kommunalen Mitteln und zu 31 Prozent aus Landesmitteln finanziert wird, ergänzt um Elternbeiträge und Mittel der freien Träger – und seit 2008 auch erstmalig mit Unterstützung des Bundes (Rauschenbach 2009: 138). Im internationalen Vergleich fällt besonders der vergleichsweise hohe Privatfinanzierungsanteil der Elementarerziehung auf (s. dazu auch Kap. 2.3.2).
270
S. zu den Finanziers von Tagespflege z.B. Schumann 2003: 4ff. Ein Überblick über die Finanzierungsregelungen (wie auch die Rechtsgrundlagen, Versorgungssituation und Personalregelungen) in den Bundesländern findet sich auf den Internetseiten des brandenburgischen Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport unter http://www.mbjs.brandenburg.de/sixcms/detail.php/lbm1.c.235427.de.
271
2.4 Strukturprobleme im Bereich der Humanvermögensbildung
205
Als entscheidender Steuerungsmangel des Systems stellt sich die föderale Organisation mit ihrer Inkongruenz der Kosten- und Nutzenstellen dar, die auch als „föderale Finanzierungsverflechtungsfalle“ (Sell) bezeichnet worden ist: Während ein Großteil der (laufenden) Kosten nämlich auf der kommunalen Ebene anfällt, die Beteiligung der Länder von Bundesland zu Bundesland erheblich schwankt und der Bund keinen finanziellen Beitrag zur Finanzierung der Kinderbetreuungsplätze leistet, realisieren sich die Nutzen fast ausschließlich auf der Ebene der Länder und des Bundes. Unter fiskalischen Gesichtspunkten rechnet sich das Engagement der Kommunen hier laut einer Studie des DIW nicht, denn es fließt „der weitaus größere Teile der induzierten Steuer- und Beitragseinnahmen in die Kassen der Länder und des Bundes beziehungsweise der Sozialversicherungsträger; auch werden diese durch Minderausgaben entlastet“ (Vester 2004: 31). Die sichtbarste Folgeerscheinung dieser vorwiegend kommunalen Finanzierung ist die erhebliche regionale Variation in der Versorgung mit Betreuungsplätzen (Kreyenfeld/ Spieß/Wagner 2002: 209). Aufgrund der weitreichenden planerischen Gestaltungsfreiheit der Kommunen hängt das Angebot zwangsläufig in erster Linie von der Finanzkraft und der Schwerpunktsetzung der Kommunen ab, was eine verzögerte Reaktion auf veränderte Bedarfe zur Folge haben kann sowie dazu führt, dass kommunale Sparzwänge einen großen Einfluss auf die Ausgestaltung des Angebots haben (können). Das Finanzierungssystem ist aber auch in anderen Bereichen mängellastig:
272
Die in sämtlichen Bundesländern erhobenenen Elternbeiträge272 (vgl. § 90 Abs.1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII) steuern (im Zusammenhang mit anderen familienbedingten Lasten) in ihrer Höhe die Nachfrage nach Plätzen und deren Inanspruchnahme. Trotz ihrer einkommensabhängigen Staffelung stellen die Gebühren aber für Haushalte der unteren und mittleren Einkommensschichten immer noch eine relativ höhere Belastung dar als für Haushalte der oberen Einkommensschicht. Kinder aus Familien, die der unteren Einkommensgruppen zuzuordnen sind, nutzen Kindertageseinrichtungen zugleich in einem geringeren Ausmaß. Dies heißt, dass ihnen – im Durchschnitt – eine geringere Förderung zukommt ((Kreyenfeld/Spieß 2002: 71). Als problematisch gestaltet sich zudem, dass die Elternbeiträge im Bereich der Kindertagespflege höher sind als im Bereich der Einrichtungen, weshalb Eltern in vielen Bundesländern für einen Tagespflegeplatz höhere Beiträge zahlen als für Krippenplätze (s. dazu Schumann 2003: 3). Eltern haben angesichts der gegebenen Angebotsknappheit zumindest in Westdeutschland den Status von „Leistungsempfängern“ und damit kaum oder keine Möglichkeiten, über ihr Nachfrageverhalten auf das quantitative und qualitative Angebot Einfluss zu nehmen. Aus der Perspektive der Einrichtungen wird ihnen aufgrund einer in den meisten Bundesländern immer noch klar dominierenden „Komm-Struktur“ keine eigenständige Kundenrolle zugewiesen, was sie im Zusammenspiel mit fehlenden Wettbewerbselementen aufgrund der hoch regulierten Versorgungslandschaft zu Randfiguren werden lässt (Sell 2002: 29). Hiermit hängt auch die in vielen Ländern rechtlich
In der Regel werden Elternbeiträge für die Nutzung einer Tageseinrichtung einkommensabhängig erhoben. Schätzungsweise zehn Prozent der Eltern sind von der Gebührenzahlung befreit. Verlässliche Daten zur durchschnittlichen Höhe von Elternbeiträgen in Deutschland existieren aber nicht, denn die Gebühren bzw. Beiträge werden in der Regel auf kommunaler oder Trägerebene festgesetzt. Zwar erachten alle Länder die Beitragsfreiheit von Kindertageseinrichtungen als Ziel – verschiedene Länder haben bereits begonnen, das dritte Kindergartenjahr beitragsfrei zu stellen – sie sehen dies aber erst mittel- oder langfristig als realisierbar an (BMFSFJ 2003 (Hg.): 276f, s. zum finanzwissenschaftlichen Charakter der Kindergartenbeiträge auch Henman 2002: 114ff).
206
2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates vorgegebene einseitige Unterstützung von gemeinnützigen Anbietern eng zusammen, die privat-gewerbliche Tageseinrichtungen nicht zulässt (ebd.: 23). Schließlich kann die ob der Vielzahl der Akteure kaum verwunderliche mangelnde Transparenz als sehr problematisch bezeichnet werden. So können in verschiedenen Bundesländern die Träger individuell entscheiden, ob sie Auskünfte über die Betriebskosten geben, was die Frage aufwirft, „ob die Zahlung öffentlicher Mittel nicht mit einer gesetzlich verankerten Pflicht zur Offenlegung des Verbleibs öffentlicher Zuschüsse verknüpft werden sollte“ (Bock/Timmermann 2000: 133). Als „besonders verblüffend“ bezeichnen Bock/Timmermann zudem die Entdeckung im Rahmen ihrer Untersuchung „Wie teuer sind unserer Kindergärten?“, „daß häufig weder die Leitung noch die MitarbeiterInnen der Einrichtungen über die Betriebskosten ihrer Einrichtung informiert sind und die Leitung keine Budgetverantwortung trägt“ (ebd.: 110). Angesichts der enormen Summen, die die Gesellschaft jährlich für den Bereich der Kindertageseinrichtungen aufwendet – geschätzte 10, 5 Mrd. Euro allein von der öffentlichen Hand, also 54 Prozent aller öffentlichen Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe (Schilling 2004: 32)273 – kann diese Intransparenz des Systems in der Tat nur verwundern.
Vor dem Hintergrund dieser Finanzierungsproblematik und ihrer Folgen, deren augenfälligste darin besteht, dass der qualitative und quantitative Ausbau des Systems durch den fehlenden direkten Nutzen für die hauptsächlich finanzierenden Kommunen stockt, erstaunt es nicht, dass allenthalben nach Auswegen aus dieser „Finanzverflechtungsfalle“ gesucht wird und seit einigen Jahren in der Forschung die Meinung verbreitet ist, „dass das Finanzierungssystem von Kindertageseinrichtungen grundsätzlich auf den Prüfstand gehört“ (Dohmen 2005: 65). 2.4.3.1 Nachfrageorientiertes Steuerungsmodell sowie alternative Konzepte Bereits der Elfte Kinder- und Jugendbericht machte im Jahr 2002 auf die Steuerung durch Finanzierungsansätze als vernachlässigtes Thema in der Kinder- und Jugendhilfe aufmerksam (vgl. BMFSFJ (Hg.) 2002: 73). Jegliche Auseinandersetzung mit Steuerungsfragen impliziert die Notwendigkeit, angestrebte Ziele benennen zu können274. Für einen historisch gewachsenen Bereich wie den der Kindertagesbetreuung stellt sich in besonderem Maße die Frage, welche Ziele einer Steuerungsdiskussion heute zu Grunde liegen bzw. liegen sollten. Zwar besteht ein breiter Konsens über die Notwendigkeit der öffentlichen Finanzierung von Kindertageseinrichtungen. Allerdings besteht nur ein geringes Interesse an den Verteilungseffekten dieser öffentlichen Finanzierung (was unter anderem auch mit der Schwierigkeit zusammenhängt, solche Effekte empirisch zu erheben) (Kreyenfeld/Spieß 2002). Hinsichtlich der öffentlichen Finanzierung bzw. Förderung können drei verschiedene Idealtypen unterschieden werden (Kreyenfeld/Spieß/Wagner 2001: 107): staatliche Produk273
Hierin sind noch nicht die Kosten enthalten, die derzeit durch den quantitativen Ausbau und die qualitative Verbesserung des Früherziehungssystem auf die öffentliche Hand zukommen (s. zum Finanzbedarf der Früherziehung bei bedarfsdeckendem Ausbau z.B. Tietze (Hg.) 1998: 14f), auch wenn sich diese durch den prognostizierten Rückgang der Kinderzahlen und die geplante Vorverlegung des Schuleintrittsalters relativieren (BMFSFJ (Hg.) 2005: 335). 274 S. zur Steuerung in der Kinder- und Jugendhilfe analytisch auch Bock-Famulla 2005: 178ff.
2.4 Strukturprobleme im Bereich der Humanvermögensbildung
207
tion, private Produktion mit Objektsubventionierung und private Produktion mit Subjektsubventionierung.
Von staatlicher Produktion wird dann gesprochen, wenn der Staat bzw. seine Gliederungen selbst als Anbieter von Betreuungsangeboten auftreten – etwa bei öffentlichen Kindertageseinrichtungen. Um Objektsubventionierung privater Produktion handelt es sich dort, wo privatgewerbliche oder gemeinnützige Anbieter durch direkte Zuschüsse, Steuerbegünstigungen, Sammlungsrecht oder personelle Unterstützung gefördert werden. Der Nutzer (Leistungsempfänger) hat in diesem Prinzip so gut wie keinen Einfluss auf die Gestaltung des Angebots, die Begünstigten sind die Träger als Zuwendungsempfänger. Die Nutzer können und müssen durch privatrechtliche Betreuungsverträge ihre individuellen Ansprüche realisieren. Damit tritt das eigentliche öffentlich-rechtliche Leistungsverhältnise „Eltern/Kind – Jugendamt“ hinter das privatrechtliche Betreuungsverhältnis „Eltern/Kind – Träger“ zurück (Diskowski 2004: 81) 275. Bei der Subjektförderung dagegen erhält nicht die anbietende Institution, sondern – unter Umständen nach Bedürftigkeitskriterien eingeschränkt – das Individuum eine Förderung vom Staat, um entsprechende Bedarfe abzudecken. Hier kann die Subventionierung über Transferzahlungen, steuerliche Absetzbarkeit oder auch Gutscheine erfolgen. Während die objektbezogene Finanzierung die Erstellung und den Betrieb des Objektes ermöglicht, stattet eine subjektbezogene Finanzierung den Nachfrager mit den entsprechenden Mitteln aus, mit denen er das entsprechende Angebot auswählt (ebd.: 82). Damit wird der Anbieterwettbewerb gefördert. Die Anbieter müssen um die Nachfrager (also Eltern und Kinder) konkurrieren.
Diese Finanzierungstypen, die eine Reihe von Konsequenzen verteilungspolitischer, angebotsorientierter und politisch-normativer Art bedingen (Gerlach 2004a: 133, s. dazu auch Bock-Famulla 2005: 204ff), kommen in der Praxis in etlichen Mischformen276 vor (vgl. auch Diskowski 2004). Da die Vielfalt der Ländergesetze bei der Finanzierung der Tageseinrichtungen für Kinder durch die Gesetzgebung des SGB VIII rechtlich legitimiert ist, haben sich in der Konsequenz verschiedene Formen der Finanzierung entwickelt, die sich bisher überwiegend der zuwendungsorientierten Objektförderung zuordnen lassen. Nüchtern betrachtet hat ein freier Träger daher in den meisten Bundesländern relativ große Ausgestaltungsspielräume (s. dazu auch Bock/Timmermann 2000: 148), und es existieren wenig Anreize, bei der Angebotsausgestaltung die Betreuungsbedarfe der Eltern zu berücksichtigen (Kreyenfeld/Spieß/Wagner 2001: 113). Angesichts der weitverbreiteten Ansicht, dass „mit einem bloßen ‚Mehr vom Gleichen‘ (..) eine qualitative Verbesserung des deutschen Bildungssystems kaum erreichbar [ist]“ (Hans-Böckler-Stiftung (Hg.) 1998a: 43), wird die Diskussion über eine Reform der Finanzierung der Kindertageseinrichtungen in Deutschland dominiert von Forderungen nach einem Wechsel hin zu einer stärkeren Subjektförderung. Statt der bisher üblichen, weitgehend zentralen Planung und Steuerung des Angebots der Kindertageseinrichtungen 275
Hierin wird ein Grund dafür gesehen, dass Rechtsansprüche und Leistungserwartungen so wenig öffentlich thematisiert werden (ebd.: 81f). 276 Dies liegt bereits im SGB VIII begründet mit seiner Subventionsfinanzierung nach § 74 bzw. der Leistungsentgeltfinanzierung nach §§ 77/78a ff. SGB VIII.
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wird zunehmend über eine nachfrageorientierte Steuerung nachgedacht, um auf diesem Wege einen bedarfsgerechten Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur zu erreichen und parallel einen Wettbewerb zwischen den Einrichtungen auszulösen, damit die Nachfrager ihre Präferenzen besser artikulieren können. Besonders prominent geworden ist die Forderung nach einem Systemwechsel hin zu einer Subjektförderung durch die konzeptionellen Arbeiten von Kreyenfeld, Spieß und Wagner (s. u. a. 2001). Neue Modelle der Angebotsplanung und Finanzierung in Deutschland sind in einigen Regionen (Bayern und NRW als Flächenstaaten, Hamburg als Stadtstaat) bereits – häufig als Mischformen mit einer personen- und leistungsorientierten Finanzierung – eingeführt. Damit einher geht eine Diskussion um eine Struktur der Förderung, die sich nicht mehr an Gruppen und Einrichtungen, sondern an Kinderzahlen orientiert und damit an der tatsächlichen Inanspruchnahme des Angebots, differenziert beispielsweise nach dem „pädagogischen Aufwand“ (durch Zusatzpauschalen für Sprachförderung, behinderte Kinder usw.). Erkennbar ist ein Trend in Richtung pauschalierter, leistungsabhängiger Entgeltformen, wie sie auch aus dem Bereich der Pflege und des Gesundheitswesens bekannt sind (Sell 2007a: 165)277. Dies wird in der Regel verknüpft mit einer Öffnung des Marktes für privat-gewerbliche Träger, was vor dem Hintergrund der Tatsache, dass auch durch sie positive externe Effekte verursacht werden, volkswirtschaftlich als begründet angesehen wird (Spieß 1998: 269). Hinsichtlich der Entwicklung der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland und ihrer rechtlichen Verortung im SGB VIII erscheint dieser Trend nur folgerichtig: Auch mit dem Ausbau des sozialrechtlichen Charakters des SGB VIII hat eine zunehmende Finanzverlagerung auf die subjektbezogene Entgeltfinanzierung stattgefunden – während die ehedem weit verbreitete objektbezogene (zweiseitige) Finanzierung demgegenüber tendenziell rückläufig ist. Füssel/Münder beurteilen diese Entwicklung als „in der Sache systemgerecht, da die subjektbezogene Entgeltfinanzierung der Schaffung individueller subjektiver Rechtsansprüche entspricht“ (Füssel/Münder 2005: 269). Als große Schwachstelle der klassischen, eher objektbezogenen Finanzierung kann hierbei die Tatsache gelten, dass über einen Input (in Form von Bestimmungen beim Personal, den Finanzen, Raum- und Ausstattungsvorschriften etc.) ein qualitativ hochwertiges pädagogisches Angebot bereitgestellt wird (Output), über das die bei Kindern als Adressaten erwünschten Wirkungen von Betreuung, Bildung und Erziehung (§ 22 SGB VIII) erreicht werden (Outcome), ohne dass die Zusammenhänge von Input, Output und Outcome hinreichend geklärt werden. Dies spricht wenig für deren Verteidigung als sinnvolles Steuerungsinstrument, zumal zwei Fragen durch sie nicht beantwortet werden können: „Werden die (ohnehin nur in ungenauer Vorstellung repräsentierten) Ziele eines hochwertigen, pädagogischen Angebots (Produkt, Output) bzw. die intendierten Wirkungen bei den Adressaten (Outcomes) erreicht (ist also die Steuerung 277
Im Gegensatz dazu sind Überlegungen zur nachfrageorientierten Steuerung der Schulen in Deutschland noch sehr wenig diskutiert – anders als in manch anderen Ländern, wo es dezidierte Erfahrungen mit diesem Finanzierungsinstrument gibt (Dohmen 2002a: 111). Allerdings haben im Zuge der Einführung neuer Steuerungssysteme in den 1990er Jahren und der damit einhergehenden Dezentralisierung der Ressourcenverantwortung globale Finanzmittelzuweisungen (Budgetierung) einen Bedeutungszuwachs erfahren, die die einzelschulische Dispositionskompetenz über Ressourcen erweitert haben. Zwar gibt es mittlerweile hinreichende Evidenz für damit erzielte Sparerfolge, überzeugende empirische Belege für die von dezentraler Ressourcenverantwortung erwartete Verbesserung der Effektivität des Ressourceneinsatzes stehen bislang allerdings auch in diesem Bereich noch aus (Weiß 2002: 117). Erweitert wurde zudem die Beteiligung des privaten Sektors an der Finanzierung des öffentlichen Schulwesens, in dem den Schulen neuerdings „eine aktivere Rolle bei der Mittelaufbringung abverlangt“ (ebd.: 119) wird (s. dazu auch Ehmann 2003: 21).
2.4 Strukturprobleme im Bereich der Humanvermögensbildung
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effektiv), und werden die bereitgestellten Ressourcen wirtschaftlich eingesetzt (ist also die Steuerung effizient)?“ (Tietze (Hg.) 1998: 378). Die stärker nachfrageorientierte Steuerung kann hier weiterhelfen, allerdings nur, wenn sie eine steuerungsgeeignete Definition von Output findet, wenn es ihr also gelingt, auch qualitative Sachverhalte in aussagekräftigen Kennziffern auszudrücken. Nur dann nämlich „lassen sich klare Qualitätsziele für den Output (das Produkt) setzen, läßt sich ein Management in der Organisation aufbauen, das auf diese Ziele hin ausgerichtet ist, und kann überprüft werden, ob die Ziele tatsächlich erreicht wurden“ (ebd.: 379)278. Das Modell einer nachfrageorientierten Steuerung setzt daneben weitere Bedingungen voraus. So muss es ein ausreichendes Angebot an freien Plätzen in Kindertageseinrichtungen geben, damit die Nutzer eine Auswahl treffen können. Da diese Grundvoraussetzung in vielen Regionen nicht erfüllt ist, werden hier Entscheidungsmöglichkeiten suggeriert, die in der Realität derzeit nur bedingt vorhanden sind. Sind sie vorhanden und führt der Wettbewerb dazu, dass sich Öffnungszeiten flexibilisieren oder mehr Transparenz der Angebote entsteht, darf die Gegenseite der Medaille zudem nicht übersehen werden: Die Arbeitsbedingungen für die Fachkräfte werden ebenfalls „flexibilisiert“, die Träger geben ihre unzureichende Planungssicherheit in Form von Teilzeitverträgen oder Befristungen an das Personal weiter (Diakonisches Werk der EKD 2008: 12). Diese Verschlechterung der Arbeitsbedingungen kommt in einer Zeit, in der vom Personal erwartet wird, eine Vielzahl von Neuerungen zu entwickeln und umzusetzen. Sie erhöht die Gefahr personeller Wechsel, die gerade im Bereich sehr kleiner Kinder, wo konstante Betreuungspersonen so bedeutsam sind, mit Nachteilen für die Betreuungsqualität verbunden sind und führt mittelfristig gesehen dazu, dass es nicht leichter wird, das hochqualifizierte Personal für den Elementarbereich zu finden und zu halten, das so dringend gebraucht wird. Wie sinnvoll Subjektsubventionen sind, hängt daneben vor allem davon ab, ob der Konsument bzw. Nutzer, in diesem Fall die Eltern, überhaupt in der Lage ist, „über den eigenen Konsum zu entscheiden“ (Kreyenfeld/Spieß/Wagner 2001: 115). Die derzeit diskutierten Modelle gehen davon aus, dass Eltern sich umfassend über verschiedene Konzepte informieren – setzen also voraus, dass Eltern ihrer Erziehungs- und Bildungsverantwortung in umfangreicher Weise nachkommen. Die Kritik ist durchaus ernst zu nehmen, dass damit „die Chance des Kindes auf Bildung noch stärker als bisher an die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags durch die Eltern“ gekoppelt wird (Diakonisches Werk der EKD 2008: 13), zumal bisher die Frage unbeantwortet bleibt, wie sichergestellt wird, dass nicht die Kinder, deren Eltern sich wenig informieren, in den schlechteren (und weniger nachgefragten) Einrichtungen landen und sich die soziale Segregation damit nur noch verstärkt. Inwiefern Marktprinzipien für das Allgemeingut „Bildung, Erziehung und Betreuung“ geeigneter sind als staatliche Steuerung, müsste vermutlich differenzierter analysiert werden als dies bisher geschehen ist279. Die Diskussionen über Finanzierungskonzepte von Kindertageseinrichtungen waren in der Vergangenheit deutlich dominiert von Fragen der Marktsteuerung zur Erzielung von Effizienzsteigerungen, nach dem Motto: mehr Leistung mit gleich bleibenden oder weniger Ressourcen. Aus ökonomischer Sicht ist dies allerdings nur möglich, wenn Produktivitätsreserven vorliegen. Ob dies im System der Kindertages278
S. zum Modell der Qualitätssicherung nach internationalen Normen für Dienstleistungen Tietze (Hg.) 1998: 380ff. 279 So fehlen vor allem Studien, die die Effekte verschiedener Steuerungsinstrumente untersuchen (BMFSFJ (Hg.) 2003: 312).
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einrichtungen tatsächlich der Fall ist, ist mangels geeigneten Datenmaterials eine kaum zu beantwortende Frage (Bock-Famulla 2004: 15). Die Erfahrungen mit gewinnorientierten Tageseinrichtungen in den angelsächsischen Ländern zeigen zudem, „dass sich diese in der Regel an das obere Ende des Marktes richten, d.h. an Kinder aus Familien mit höheren Einkommen, und dass sie in Gegenden, wo der größte Bedarf an qualitativ hochwertigen sozio-pädagogischen Betreuungsformen besteht, viel weniger vertreten sind. Zudem wird Gewinn im Marktsystem der Kinderbetreuung häufig davon abgeleitet, dass die Gehälter niedrig bleiben, was sich wiederum auf das Ausbildungsniveau negativ auswirkt“ (OECD 2004: 50). Sie geben damit keine befriedigende Antwort auf die Kernfrage des Kinderbetreuungssystems, nämlich, wie das Recht jedes einzelnen Kindes auf Bildung und damit auch auf gesellschaftliche Teilhabe nachhaltig gesichert werden kann280. Ziel neuer Finanzierungsmodelle sollte es sein, „alle Kindertageseinrichtungen zu qualitativ hochwertigen Bildungseinrichtungen weiterzuentwickeln“ (BMFSFJ (Hg.) 2003: 312), weshalb eine Integration der Qualitäts- und Bildungsdiskussion in die Entwicklung von Finanzierungskonzepten unumgänglich scheint. Auch eine subjektorientierte Bildungsfinanzierung muss die Frage klären, was mit den Verlierern im Konkurrenzwettbewerb geschieht. Wie sind jene am unteren Ende der Skala dazu zu bringen, qualitativ besser zu werden? Dieser Frage würde bei Weitem mehr Aufmerksamkeit gebühren, als ihr bisher in der öffentlichen Debatte zukommt. Nur durch öffentlich diskutierte und staatlich organisierte Indikatorensysteme zur Beurteilung der Qualität und Qualitätskontrollen sowie eine besondere Förderung von Einrichtungen, die Defizite aufweisen, wird es gelingen, hier erfolgreich zu sein. Dies aber würde einen Abschied von der – im Bildungssystem in Deutschland lange propagierten – Gleichbehandlung aller Einrichtungen voraussetzen und eine besondere Förderung derjenigen mit schlechteren Ergebnissen (Ehmann 2002: 102f). Wie diese konkret aussehen kann, wird zu diskutieren sein. Problematisch bleibt auch bei den derzeit implementierten stärker subjektorientierten Finanzierungssystemen, dass Kostenträger und Nutzenempfänger weiterhin auseinanderfallen, was dazu führt, dass Qualitätsverbesserungen nur als kostenrelevante Größe angesehen werden, während die Nutzengewinne an anderer Stelle nicht wahrgenommen werden (vgl. Dohmen 2005: 64). Bei einer Fortführung der gegebenen asymmetrischen Kosten-NutzenVerteilung „werden auch zukünftig enorme negative Anreize hinsichtlich Quantität aber eben auch Qualität der Betreuung und Bildung gesetzt werden“, wie Sell (2004a: 183) kritisiert, weshalb er für ein neues Mischsystem plädiert, das sich durch eine Kombination von objekt- und subjektorientierten Komponenten auszeichnet und die Kosten auf die drei Ebenen Gemeinden – Länder – Bund neu verteilt. Diese Neuordnung der Finanzierungslast zwischen Bund, Ländern und Kommunen, die auch von anderen gefordert wird (s. BMFSFJ (Hg.) 2003: 303f, Gerlach 2004a: 138f), impliziert vor allem eine Erweiterung der Finanzverantwortung des Bundes als Hauptnutzer eines guten frühkindlichen Bildungssystems – nicht nur durch eine Anschubfinanzierung zum Ausbau der Einrichtungen, wie im Bereich der Ganztagsschulen in den vergangenen Jahren programmmäßig umgesetzt, sondern in Form einer dauerhaften Beteiligung des Bundes auch an den Betriebskosten der Einrichtungen. Die Länder könnten dem Vorbild der Finanzlastverteilung im Schulbereich folgend den Personalaufwand tragen und die Kommunen (nur noch) den Sachaufwand. Die Gelder des Bundes könnten entweder über eine „parafiskalisch“ organisierte Kinderkasse, an die jeder erwachsene Bundesbürger Bei280
S. zum Marktversagen in der Qualitätssicherung Kreyenfeld/Wagner 2000: 328f.
2.4 Strukturprobleme im Bereich der Humanvermögensbildung
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träge zu entrichten hat (s. dazu auch Spieß 1998), bereitgestellt werden bzw. über die Form eines Geldleistungsgesetzes, dass sich nicht an die Gemeinden richtet, sondern an die Nachfrager nach Kinderbetreuungsleistungen, also die Eltern stellvertretend für ihre Kinder281, um so aus der „föderalen Durchfinanzierungssperre“ (Sell 2005) vom Bund an die Kommunen auszubrechen. Die Steuerung der Inanspruchnahme würde in diesem Fall über Betreuungsgutscheine erfolgen müssen. 2.4.3.2 Individualisierte Finanzierung durch Bildungsgutscheine Die Idee der Bildungs- bzw. Betreuungsgutscheine als eine Form der Subjektsubventionierung, ursprünglich auf Thomas Paine (18. Jh.) und John Stuart Mill (19. Jh.) zurückgehend, wurde 1955 von Milton Friedman in die Diskussion über Bildungsfinanzierung eingebracht. Bei diesen Gutscheinen handelt es sich um Coupons, die vom Staat an die einzelnen Bildungsberechtigten bzw. deren Familien übergeben werden und mit denen diese bei den einzelnen Bildungseinrichtungen Leistungen nachfragen können (s. Dohmen 2004: 128f). Im Sinne einer Stärkung der Nachfragerseite kommt dem Gutscheinmodell besondere Bedeutung in der Bildungsfinanzierung zu, da es „die lernenden Individuen in den Mittelpunkt der Finanzbeziehungen rückt“ (Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) 2002: 14)282 und damit für die Einrichtungen ein Anreiz geschaffen wird, sich stärker um diese zu bemühen283. Idealtypisch können Bildungsgutscheine nach folgenden Kriterien unterschieden werden:
„ob der Wert der Gutscheine variiert, insbesondere, ob er an das Einkommen der Haushalte gebunden ist, ob die Gutscheine durch private Mittel ergänzt werden können (Ausschließlichkeit) und ob die Einlösung der Gutscheine an Auflagen gebunden ist (Regulierung)“ (Kreyenfeld/Spieß/Wagner 2001: 127).
Welches Gutscheinmodell dabei für welchen Zweck optimal ist, hängt entscheidend davon ab, welche politischen Ziele verfolgt werden, das heißt beispielsweise, ob allokative Effizienz oder soziale Gerechtigkeit höher bewertet werden sollen284. So können die Gutscheine nach Anwendungsbereichen, nach Gebühren, nach ihrem Wert, nach sozialer Staffelung usw. gestaltet und differenziert werden, um so auch den unterschiedlichen Bedingungen ihrer Einführung (z.B. zwischen ländlichen Regionen und Ballungsräumen) Rechnung zu tragen. Die Aufmerksamkeit, die das Finanzierungsmodell der Bildungsgutscheine derzeit in der wissenschaftlichen wie politischen Diskussion findet, kontrastiert auffällig mit einer 281
S. dazu auch das „Kitageld-Modell“ von Sell (2005). Aus diesem Grund fordert die Stiftung auch über die Gutscheine hinausgehende Bildungskonten, die für jedes Kind von Geburt an eingerichtet werden und durch die Umleitung bisheriger Transferzahlungen unterstützt werden sollen. Bildung soll so „von den frühkindlichen Einrichtungen bis zum Abschluss der Sekundarstufe II und in der beruflichen Erstausbildung gebührenfrei sein“ (Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) 2002: 5). 283 S. dazu auch Spieß 1998. 284 S. zu Vor- und Nachteilen verschiedener Gestaltungsprinzipien eines Gutscheinmodells auch Kreyenfeld/Wagner 2000: 326. 282
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„äußerst dürftigen empirischen Befundlage“ (Weiß 2002: 119). Die Evaluationen aus den verschiedenen Ländern, in denen Gutscheine oder gutscheinähnliche Modelle eingesetzt werden, zeigen, dass die Euphorie, mit der das Thema bisweilen behandelt wird, nicht gerechtfertigt ist (Dohmen 2002: 132). Vielmehr zeigt das Beispiel der 2003 als nachfrageorientiertes Gutscheinsystem eingeführten Kita-Card in Hamburg zahlreiche Schwächen bei der praktischen Handhabung auf285, so dass man daraus lernen kann, wie wichtig es ist, sehr genau darauf zu achten, unter welchen Umständen und unter welchen Rahmenbedingungen Gutscheinmodelle diskutiert und eingeführt werden. Zudem setzt ihre erfolgreiche Einführung „ein vollständig durchdachtes Konzept und eine angemessene Einführungs- und Evaluationsphase voraus, was leider häufig übersehen bzw. unzureichend berücksichtigt wird“ (Dohmen 2004: 140). Nicht zuletzt ist zu bedenken, dass jegliche Subjektsubventionen, also auch Gutscheine, in der Regel stärker „staatlicher ‚Ad-hoc-Kürzungspolitik‘ ausgesetzt sind als ‚in Stein gemeißelte‘ Objektsubventionen“ (Kreyenfeld/Spieß/Wagner 2001: 115). Vor allem in Zeiten schwieriger Haushaltslagen der Hauptkostenträger bringt – wie das Beispiel Hamburg zeigt – die Implementierung von Gutscheinen „den aus ihrer ursprünglichen Verwendung in der Kriegswirtschaft gut bekannten Rationierungscharakter zur Entfaltung“ (Sell 2007a: 166), was darauf zurückzuführen ist, dass ein nachfrageorientiertes Finanzierungssystem auf keine schlagkräftige Lobby zurückgreifen kann, die bei den Hauptkostenträgern für höhere Finanzmittel streitet, wie dies die Trägerverbände im subjektorientierten System getan haben bzw. tun. Um so wichtiger erscheint in nachfrageorientierten Systemen eine Transparenz der Finanzierungskosten, damit so die Möglichkeit gegeben ist, das staatliche Engagement für den frühkindlichen Bildungsbereich auch zu kontrollieren. 2.4.3.3 Qualitätsinformationen als zentrale Bausteine eines nachfrageorientierten Systems – das Beispiel der Gütesiegel Wenn Nachfrager/innen oder Nutzer/innen bestimmten (Bildungs-)Einrichtungen einfach zugewiesen werden, ohne ein eigenes Entscheidungsrecht zu haben, wie dies in Deutschland vielfach im Bereich der Primarbildung der Fall ist, können Qualitätsinformationen als unnötig oder überflüssig angesehen werden. Prinzipiell unabdingbar sind sie allerdings dann, wenn Nachfragende über die Nachfrage nach bestimmten Gütern und Dienstleistungen selbst entscheiden müssen oder sollen – und wenn die Qualität der angebotenen Leistungen differiert (Dohmen 2005: 6). Insbesondere in nachfrageorientierten Finanzierungsmodellen stellt daher der Grad der Informiertheit der Eltern über die Qualität der verschiedenen Betreuungsangebote, aus denen sie ihre Wahl treffen, ein zentrales Kriterium dar. Während Informationen über solche Aspekte wie Dauer, Flexibilität oder Erreichbarkeit des Betreuungsangebots, die für die Entscheidung der Eltern bedeutsam sein mögen, von diesen leicht beschafft werden können, wenn sie ihnen nicht ohnehin zur Verfügung stehen, stellt sich die Information im Hinblick auf die pädagogische Qualität als eine, die dem Wohlbefinden und der Entwicklungsförderung der Kinder dient, als ungleich schwieriger dar (Tietze (Hg.) 1998: 385). Um Fehlsteuerungen in diesem sensiblen Bereich zu vermeiden, ist ein nachfrageorientiertes Modell aus seiner Logik heraus deshalb zwingend um ein Qualitätsinformations285
S. dazu beispielsweise Diller 2004a.
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system für die Nachfrager zu ergänzen. Prinzipielle Informationen darüber, dass eine Einrichtung zumindest einem gewissen Standard entspricht, wären für die Eltern hilfreich und würden deren Informations- und Suchkosten verringern. Verschiedene Möglichkeiten sind hierzu gegeben. Eine erste, nahe liegende Möglichkeit wäre, dass die Betriebsgenehmigung diesen Mindeststandard gewährleistet, was auch der ursprüngliche Hintergrund ihrer Einführung war. Wie beispielsweise die Arbeiten von Tietze et al. (1998, 2005) zeigen, ist dies allerdings nicht immer der Fall. Offensichtlich ist entweder die enge Verbindung von Träger und der Betriebsgenehmigung ausstellender Organisation problematisch oder aber die für die Erteilung maßgeblichen (strukturellen) Faktoren stehen nicht oder nur in begrenztem Zusammenhang mit der pädagogischen Qualität (Dohmen 2005: 27). Da die Instrumente der inputorientierten Qualitätssteuerung, aber auch trägerimmanente Qualitätsentwicklungsverfahren alleine es nicht schaffen, die große Differenz der Güte der Einrichtungen zu mindern, wird in der Forschung über neue Strategien und Instrumente nachgedacht, die die Qualität auf der Ebene der einzelnen Einrichtung verlässlicher erfassen und dokumentieren286. Insbesondere die Vergabe von nach Qualitätsaspekten differenzierten Gütesiegeln (s. Spieß/Tietze 2001) wird hier intensiv diskutiert. Dahinter steht die Überlegung, neutrale Instanzen287, die von öffentlichen Geldern gefördert werden, mit der Vergabe von Gütesiegeln für die Qualität einer Kindertageseinrichtung zu beauftragen. Die Vergabe soll, so der Gedanke des Modells, auf der Basis zuverlässiger, bundeseinheitlicher Qualitätsfeststellungen unter Einbezug eines breiten Satzes abgestimmter Qualitätsmerkmale erfolgen – dazu gehören insbesondere auch solche der Prozessqualität (BMFSFJ (Hg.) 2005: 353). Der Grundgedanke eines Gütesiegelsystems besteht darin, dass mit der Vergabe von Gütesiegeln für Einrichtungen
jedem Kind eine geprüfte Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungsqualität gesichert wird; für Eltern erforderliche Qualitätsinformationen bereitgestellt werden, die in einem unkontrollierten System entweder gar nicht oder vorwiegend nur von privilegierten Eltern eingeholt werden können; für Verantwortliche in den Einrichtungen und Träger ein nachhaltig wirksamer Anreiz für eine generelle Qualitätsverbesserung gegeben wird, indem Einrichtungen mit Gütesiegel einen höheren öffentlichen Zuschuss erhalten als solche ohne Gütesiegel (vgl. Jurczyk u.a. 2004: 193)288.
Als wesentliche Nutzenempfänger eines Gütesiegels würden die Eltern damit von der Bereitstellung von Informationen profitieren, die sie sonst mühsam selbst einholen müssten (Dohmen 2005: 47). Daneben würde mit einem solchen Instrument die pädagogische Qualität auch als Wettbewerbsinstrument eingesetzt. Damit baut das Modell unter anderem auf zwei Voraussetzungen auf: Zum einen setzt es einen Konsens über die Dimensionen einer guten pädagogischen Qualität, zumindest innerhalb der deutschen frühpädagogischen Profession, voraus. Zum zweiten wäre es nur 286
S. zur Qualitätssicherung durch Qualitätsmanagementsysteme auch BMFSFJ (Hg.) 2005: 350ff. Um Interessenkonflikte zu vermeiden, erscheint eine Trennung von Zertifizierung, Finanzierung und ggf. Träger hier sinnvoll (Dohmen 2005: 30). 288 S. zu den Kosten und Nutzen der Einführung eines Gütesiegels auch Dohmen 2005: 36ff, zu den Leistungen eines Gütesiegels in der Tagespflege Jurczyk u.a. 2004: 192f. 287
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wirksam, wenn es mit anderen Steuerungsinstrumenten im Finanzierungsbereich verbunden wäre, also Modellen nachfrageorientierter Steuerung, die die Finanzierungshöhe von der Leistung der Einrichtung abhängig machen. Denn unabhängig von der Gütesiegelausgestaltung (s. hierzu auch Dohmen 2005: 28ff) sind Verbesserungen nur dann zu erwarten, wenn ein externer Anreiz zur Qualitätsverbesserung289 besteht, also wenn beispielsweise das Entscheidungsverhalten der Eltern Auswirkungen auf das Budget oder die Ausstattung der Einrichtungen hat. Damit aber stellt sich erneut die Frage, wie die Einrichtungen zu höherer Qualität zu motivieren sind, die durch eine schlechtere Struktur- und/oder Prozessqualität die Kindesentwicklung weniger fördern. Sie vom „Markt“ verschwinden zu lassen, setzt ein bestehendes Überangebot an Platzkapazitäten voraus, damit die Bildungs- und Betreuungswünsche der Kinder und ihrer Eltern in einem solchen Fall anderweitig aufgefangen werden könnten, was höhere Kosten für die Hauptfinanzierungsträger bedeuten würde. Wenn damit auch ein höherer Nutzen einhergeht, wie beim Gütesiegel intendiert (s. Tabelle 11), wäre dies unter Gerechtigkeitsaspekten vertretbar. Die politische Diskussion um höhere Kosten für den Elementarbereich dürfte ohnehin in den kommenden Jahren befördert werden.
289
Über ein Gütesiegel hinaus plädiert Spieß (1998) daher für regelmäßige Qualitätskontrollen, die nicht dem Ermessen der örtlichen Jugendhilfeträger überlassen werden und bei denen zudem die Eltern ein stärkeres Mitspracherecht (beispielsweise durch „Qualitätskommissionen“) haben.
2.4 Strukturprobleme im Bereich der Humanvermögensbildung
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Tabelle 11: Exemplarische Übersicht über die Kosten und Nutzen nach Trägern und Empfängern der föderalen Ebenen bei Einführung eines Gütesiegels Kommune Zertifizierungskosten
Kosten
Kosten der Qualitätsanpassung (überwiegend) Qualitätsbedingt höhere Zuweisungen an Kitas, höhere Gehälter etc. (evtl.)
Geringere Sozialhilfeausgaben
Monetäre Nutzen/ Kostenreduktionen
Höhere Einkommensteuereinnahmen (15 %), ggf. auch frühere Höhere Gewerbesteuereinnahmen Niedrigere Ausgaben bei anderen Jugendhilfeausgaben etc.
Land Höhere Schulausgaben bei mehr Übergängen in weiterführendes Gymnasium und Hochschule Kosten der Qualitätsanpassung (unterschiedlich)
Bund
Kommission und Umsetzungskosten
Qualitätsbedingt höhere Zuweisungen an Kita-Einrichtungen (evtl.)
Geringere „Reparatur“kosten (z.B. Sonderschulen) Höhere Einkommensteuereinnahmen (42,5 %), ggf. auch frühere Niedrigere Sozialausgaben Geringere Kriminalitätskosten (Strafverfolgung, Strafvollzug)
Geringere Bildungs- und Reparaturkosten (z.B. berufsvorbereitende Maßnahmen) Höhere Einkommensteuereinahmen (42,5 %), ggf. auch frühere Frühere und höhere Sozialversicherungseinnahmen, geringerer Bundeszuschuss Bessere Wettbewerbsfähigkeit Höheres Wirtschaftswachstum Bessere Gesundheit = geringere Krankenversicherungskosten
Nicht-monetäre Nutzen/ externe Effekte
Standortfaktor Qualifikation, Familie, Bildung
Standortfaktor Qualifikation, Familie, Bildung
Standortfaktor Qualifikation, Familie, Bildung
Sonstige externe Effekte (Demokratie, soziales Kapital)
Sonstige externe Effekte (Demokratie, soziales Kapital)
Sonstige externe Effekte (Demokratie, soziales Kapital)
(Quelle: Dohmen 2005: 58)
Angesichts der Tatsache, dass die Wahlbereitschaft und auch das Informationsverhalten der Eltern sehr von ihrem Bildungsniveau beeinflusst wird, worauf verschiedene Untersuchungen hindeuten (vgl. Dohmen 2005: 27), sind daneben staatlicherseits verstärkte Informations- sowie Beratungsangebote insbesondere für bildungsfernere Schichten erforderlich. Zwar bieten derzeit nicht nur Bundes- und Länderministerien, sondern auch weitere Akteure, wie Träger und Forschungsportale, eine Vielzahl von Informationsbroschüren und Internetportale an, die Eltern mit wesentlichen Informationen versorgen. Während insbesondere Eltern mit einem Internetzugang in der Regel eine gute Informationsbasis vorfinden, ist die Verfügbarkeit an Informationen in benachteiligten/ärmeren Bevölkerungsgruppen oder solchen mit unzureichenden Deutschkenntnissen eingeschränkt (DJI 2004: 111f). Hier sind vor allem die örtlichen Jugendämter in der Pflicht, ihrem Auftrag nach § 24 Abs. 4 SGB VIII nachzukommen und Methoden zu kreieren290, um alle Eltern darüber zu informieren, welche Anbieter für sie prinzipiell in Frage kommen und welche Betreuungsqualität diese 290
Wie die Erfahrungen niedrigschwelliger Familienarbeit zeigen, reichen schriftliche Informationen in Form von Broschüren, ausgelegt an öffentlichen Plätzen, hier nicht aus. Vielmehr wäre ein intensivierter Zugang zu den Familien notwendig, was allerdings personalkostenintensiver ist.
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anbieten. Hierbei sollten neben Informationen über Tageseinrichtungsanbieter auch solche über Tagespflegeanbieter zur Verfügung gestellt werden. 2.4.4 Zentrale Zielkonflikte und Probleme im Bereich der Humanvermögensbildung 2.4.4.1 Zwischen Notwendigkeiten und Finanzknappheit Sämtliche Reformen im Bereich der Humanvermögensbildung stehen heute vor der Herausforderung, Lösungen finden zu müssen, die trotz schwieriger öffentlicher Haushaltslage eine Weiterentwicklung dieser gesellschaftlich bedeutsamen Bereiche ermöglichen. Nun ist die Anwendung ökonomischer Prinzipien in diesem Bereich per se nicht problematisch, im Gegenteil: Ökonomische Prinzipien geben Orientierung für einen wirtschaftlichen Ressourceneinsatz bei der Realisierung der festgelegten Ziele und bieten einen Entscheidungsmaßstab für die Ressourcenkalkulation, der nicht nur die Einrichtungsebene (betriebswirtschaftliche Perspektive), sondern auch die Gesellschaftsebene (volkswirtschaftliche Perspektive) beachtet. Erreicht werden soll so eine möglichst günstige Relation zwischen angestrebtem Ergebnis und eingesetzten Ressourcen, eine Optimierung des Ressourcengebrauchs und -verbrauchs (BMFSFJ (Hg.) 2003: 257f). Allerdings sind dabei die Grenzen ökonomischer Prinzipien zu bedenken: Das ökonomische Prinzip kann nicht die Inhalte der Humanvermögensbildung definieren. Es ist lediglich auf die ressourcenschonendste Realisierung vorgegebener Ziele orientiert und zeigt, welcher Weg einzuschlagen ist, um das, was gewollt wird, so wirtschaftlich wie möglich zu erreichen. Zu diesem Zweck muss also zunächst festgelegt werden, was die Ziele im Bereich der Humanvermögensbildung sind und was für realisierbar gehalten wird (s. Bock-Famulla 2002a: 105). In der Praxis scheint aber eine „Dominanz ökonomischer Faktoren“ (Bock-Famulla 2002a) gegeben zu sein, die darüber weit hinausreicht. Anders ist nicht zu erklären, weshalb sich in der Praxis umgesetzte Konzepte „nur eingeschränkt an pädagogisch-fachlichen Qualitätsanforderungen orientieren, da die realisierbare Qualität auch von den verfügbaren Finanzmitteln abhängig ist und dieser Zusammenhang in den finanzpolitischen Entscheidungen bislang kaum Bedeutung erhalten hat“ (ebd.: 99). Aus dem Grund werden vordringlich jene Elemente fachlich-pädagogischer Qualität umgesetzt, für die Finanzmittel vorhanden sind oder deren Umsetzung kaum zusätzliche monetäre Ressourcen erfordert und die zum Beispiel nur durch höhere Anforderungen an das Fachpersonal erbracht werden können (ebd.). Dies zeigt sich etwa anhand des 1996 eingeführten Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz, in dessen Folge quantitative Probleme bzw. Kostenprobleme auf Kosten der Qualität gelöst wurden. Obwohl mit der Einführung des Rechtsanspruchs die Diskussion um die Finanzierung von Kindertageseinrichtungen eine neue Qualität erreicht hat, wurde trotz offenkundiger Finanzkrise der Kommunen, die der Erfüllung des Rechtsanspruchs faktisch entgegensteht, keine Diskussion eröffnet, wie diese Ziele über neue Wege der Finanzierung erreicht werden können. Der wachsende öffentliche Druck, den Ausbau von Kindertageseinrichtungen voranzutreiben, führte dagegen zunehmend zur Einführung marktorientierter Steuerungselemente291. Dass die Ausgaben den Aufgaben zu folgen haben 291
Vor diesem Hintergrund sind auch die Vorbehalte und Widerstände zu erklären, die die neuen nachfrageorientierten Finanzierungsansätze begleiten. Sie „beruhen auf dem Umstand, dass alle bisherigen Bemühungen der
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und nicht umgekehrt und dass die Aufgaben nur nach Maßgabe der vorhandenen Mittel verwirklicht werden können, sind Grundsätze, die offensichtlich häufig übersehen wurden (BMFSFJ (Hg.) 2003: 257f). Zudem beinhaltet ein sinnvoller Einsatz ökonomischer Prinzipien, dass neben der Einrichtungsebene auch die Gesellschaftsebene, also die volkswirtschaftliche Perspektive, hinreichend abgebildet wird. Im Bereich der Humanvermögensbildung ist aber gerade dies in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen: Der immense volkswirtschaftliche Nutzen qualitativ hochwertiger Bildungsarbeit, insbesondere im frühkindlichen Bereich, findet bislang keine konkrete Darstellung. Dies ist neben den Schwierigkeiten der Nachweisung von Kausalitäten und damit der Messbarkeit auch auf die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen im Bereich der Humanvermögensbildung zurückzuführen. 2.4.4.2 Steuerungshemmnisse durch die föderale Struktur Die föderale Struktur unseres Gemeinwesens mag für die Stabilität des politischen Systems viele Vorteile bringen, hinsichtlich der Humanvermögensbildung werden die Hemmnisse der derzeitigen Verfasstheit deutlich. Diese bestehen zum einen darin, dass die Trennung von Kosten- und Nutzenebenen keine überzeugende Motivationsgrundlage für einen nachhaltigen Ausbau des Systems liefert (Gerlach 2004: 137). Die Organisation, wonach vor allen Dingen die Kommunen, im Verbund mit dem jeweiligen Bundesland, für das KitaSystem zuständig sind, während die Länder (überwiegend) die finanzielle Verantwortung für die Schulen und Hochschulen und der Bund für die Nachqualifizierungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit tragen, bedeutet zugleich, „dass eine eventuell unzureichende Bildungsqualität in vorgelagerten Bildungsbereichen nicht mit Kosten auf der gleichen Trägerebene in nachgelagerten Bereichen verbunden ist. Die Folge wäre umgekehrt auch, dass mit Kosten verbundene Qualitätsverbesserungen im Kita-Bereich, die durch die jeweiligen Kommune und das Land finanziert werden müssten, nicht mit Einsparungen bei diesen beiden Kostenträgern einhergehen müssen. Vielmehr entstehen Einsparungen auch und gerade bei denjenigen, die nicht an den qualitätsbedingt höheren Kosten partizipieren“ (Dohmen 2005: 57). Insbesondere der Bereich der frühkindlichen Bildung zeichnet sich zudem, bedingt unter anderem durch Trägerhoheit und Elternrechte, durch eine Vielzahl von Steuerungsebenen aus, die sich „streng voneinander abgrenzen“ und „ihre Einflussbereiche verteidigen“ (Diskowski 2003: 23), was der Entwicklung von übergreifenden Steuerungszielen nicht dienlich ist292. Nicht ohne Grund werden daher immer wieder Reformen im Sinne eindeutiger Regelungen im Bereich der Humanvermögensbildung gefordert. Inwiefern sich diese allerdings politisch umsetzen lassen, ist derzeit eher kritisch zu sehen.
Länder und Kommunen darauf abzielten, über neue Finanzierungsmodelle Einsparungen zu erzielen“ (BMFSFJ (Hg.) 2003: 258). 292 Zu untersuchen wäre, inwieweit dieser „Steuerungswirrwarr“ mit dazu beigetragen hat, dass insbesondere im Bereich der Kindertageseinrichtungen fachliche Ziele ökonomischen Prinzipien unterworfen wurden. Denn eine Verständigung der verschiedenen Steuerungsebenen auf gemeinsame fachliche Ziele ist durch die derzeitige Systemstruktur sehr erschwert.
218
2 Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung als Aufgabe des Staates
2.4.4.3 Problem der Messbarkeit qualitativer Dimensionen Jedes Steuerungsverfahren im Bereich der Humanvermögensbildung ist mit der Schwierigkeit konfrontiert, Zieldimensionen bestimmen und deren Erreichbarkeit messen zu müssen. Im Bereich der Humanvermögensbildung ist dies eine besondere Herausforderung. Versuche, pädagogische Handlungskontexte mit Hilfe der Kategorien Ziele und Maßnahmen zu beschreiben und zu analysieren, das heißt Zweck-Mittel-Rationalitäten anzuwenden, bilden hier in besonderer Weise einen „historischen Streitpunkt“ (Bock-Famulla 2002a: 107). Bildung gilt nach wie vor, ob in der konservativen Bildungstradition oder aus linksliberaler Warte, vielen als ebenso wenig messbar wie „Mündigkeit“. Die in anderen Bereichen längst üblichen Methoden öffentlicher Aufgabenkritik und Evaluation der Ergebnisse sind im Bereich des Bildungswesens bis heute „eher fremd“ (Holzapfel 2000: 63). Im Kern geht es um das pädagogische Dilemma, dass – aufgrund der nur schwer hergestellten Kausalitäten und der Unbestimmbarkeit vieler Faktoren – eine klare Prognose von erreichbaren Zielen beim Einsatz spezifischer Mittel bzw. Prozesse als kaum möglich angenommen werden kann (s. Bock/Timmermann 2000: 446f), weshalb lange darauf verzichtet wurde. Die daraus resultierende fehlende Transparenz bei der Zielbestimmung und der Mangel an intersubjektiv akzeptierten Evaluationsinstrumentarien haben allerdings Nebenwirkungen: Sie haben einerseits zu diffusen und überbordenden Erwartungen an den Bildungsbereich geführt, denen andererseits keine Verfahren gegenüberstehen, die bei den Fachkräften zur Selbstvergewisserung der eigenen Arbeit beitragen können (Holzapfel 2000: 64). Im Zuge eines Perspektivwechsels ist die idealistische Bildungstradition in den vergangenen Jahren mehr und mehr von einem neuen Pragmatismus durchsetzt worden, der daran erinnert, dass professionelles pädagogisches Handeln in der Praxis immer als intentionales, zielgerichtetes Handeln abläuft und seine Zielerreichung prozesshaft und zirkulär überprüft (Strätz u.a. 2003: 136). Eine Evaluation der Ergebnisse sei also keine Neuentdeckung für die Einrichtung, sondern knüpfe an Bestehendes an, greife Praxisrealität auf (ebd.: 134). Nicht die Wirtschaftlichkeit von Bildungseinrichtungen insgesamt, wohl aber die bestimmter Maßnahmen zur Förderung bestimmter Bildungs- und Erziehungsziele ließen sich beurteilen (BMFSFJ (Hg.) 2003: 259), weshalb die ziel- und maßnahmenbezogene Anwendung von Effizienz- und Effektivitätskriterien gefordert sei. Im Prinzip geht es also darum, Ziele für die Arbeit in Bildungseinrichtungen „explizit als allgemeingültige Orientierungspunkte für professionelles Handeln zu vereinbaren“ (Bock/Timmermann 2000: 455), wobei die Herausforderung darin besteht, für politische Entscheidungen deutlicher als bisher qualitative Ziele in die Diskussion einzubringen und Methoden der Messbarkeit zu entwickeln, die ihre Vielschichtigkeit möglichst umfassend abbilden293. 2.4.4.4 Konstruktions- und Legitimationsprobleme von Standards Die Entwicklung von Bildungsstandards, die qualitative Dimensionen berücksichtigen, ist ungleich schwieriger als beispielsweise die Entwicklung von Standards für den industriellen Produktionsbereich mit quantifizierbaren Einheiten, insbesondere wenn es sich um kindbezogene Standards handelt. Will man die zu fördernden Schlüsselqualifikationen oder 293 S. dazu beispielhaft auch das Modell zur Entscheidungsfindung zwischen pädagogischen, ökonomischen und politischen Zielen für Bildung in Kindertageseinrichtungen Bock/Timmermann 2000: 457ff.
2.4 Strukturprobleme im Bereich der Humanvermögensbildung
219
Kompetenzen soweit konkret fassen, dass sie eine orientierende Zielvorgabe sind, „gerät man leicht in die Gefahr, das eigentliche Ziel zu verfehlen“ (Diskowski 2003: 22)294. Wohl auch deshalb sind Bildungsstandards häufig Kritik ausgesetzt295. Dazu trägt aber sicher auch die Vielfalt und unterschiedliche Verbindlichkeit bei, die beispielsweise Standards der Kindertagesbetreuung in den einzelnen Bundesländern auszeichnen, wodurch sich der „Eindruck einer gewissen ‚Beliebigkeit‘“ (Sturzbecher 1998: 84) aufdrängt296. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass die von Kindern und Jugendlichen „gezeigte ‚Performance‘, d.h. der sichtbare und messbare Lernerfolg, der letztlich ja auch in Form von Schulzeugnissen bewertet wird, mitnichten den tatsächlichen Lernerfolg oder -misserfolg widerspiegeln muss“ (Braun/Stern 2007: 15). Die Entwicklung von Steuerungsinstrumenten zur Messung qualitativ hochwertiger Bildungsarbeit stellt also einen komplizierten Prozess dar (s. dazu auch Rauschenbach u.a. 2004: 172ff), bei dem pädagogische Zieldimensionen und Handlungssituationen in Outputund Input-Größen festzulegen und zu operationalisieren sind (BMFSFJ (Hg.) 2003: 259). Damit ist es aber nicht getan. Denn letztlich sind es nicht die Qualitätsmindeststandards selbst, die eine gute Qualität gewährleisten, sondern „it is the stringency, coverage and enforcement of regulations that affect quality of care“ (Phillips 1993: 83). Ob Standards eingehalten und erreicht werden, muss überprüft und gemessen werden. Auch hier hat das deutsche System große Lücken. Nicht nur fehlen anerkannte Feststellungsverfahren, insbesondere im frühkindlichen Bereich. Auch bietet das System keine Anreize für eine Überschreitung von Mindeststandards oder macht diese für die Nachfrager/innen ersichtlich (s. dazu Spieß/Tietze 2001: 18f). Schließlich ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass Mindeststandards „stärker nach fiskalischen Motiven bestimmt werden, wenn Aufsicht und Finanzierung in einer Hand liegen“ (Wiesner 2003a: 16). Damit rückt die Trennung von aufsichtsführender und finanzierender Stelle und die Forderung nach einer neutralen Instanz, die von staatlicher Seite den Auftrag der Qualitätsprüfung erhält, erneut in den Blick und werden strukturelle Veränderungsnotwendigkeiten bei der Organisation der staatlichen Steuerung deutlich.
294 Möglicherweise um dieser Problematik aus dem Wege zu gehen, werden in Kommunen gegenwärtig überwiegend quantitative Kriterien für Kindertageseinrichtungen als Maßstab für Effizienzmessungen genannt, mutmaßen Bock/Timmermann (2000: 440). 295 S. zu den Legitimationsproblemen von Bildungsstandards beispielhaft BMBF (Hg.) 2003: 55f. 296 In der Bildungsforschung wurde es zudem lange versäumt, eine Verständigung über pädagogisch begründete Standards herbeizuführen, weshalb es in der Praxis, insbesondere in außerschulischen Bildungseinrichtungen leicht war und ist, bestimmte Standardsenkungen politisch durchzusetzen (Tietze (Hg.) 1998: 368).
221
3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert – Herausforderungen für die Bundesländer 3.1 Zur methodischen Herangehensweise Nicht nur die Bundespolitik, sondern insbesondere die Landes- und auch Kommunalpolitik stehen zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor der Herausforderung, die Strukturprobleme und Entwicklungserfordernisse im Bereich der Humanvermögensbildung anzugehen und eine Neukonzeption einzuleiten, die die geänderten Bedingungen kindlichen Lebens berücksichtigt. Wie die Bundesländer dabei vorgehen und wie dies durch kommunales Handeln ergänzt wird, soll im Folgenden beispielhaft untersucht werden. Bei diesem “view from the states“ (Elazar 1966) geht es nicht um eine systematische Deskription der Aktivitäten der Länder, sondern um die beispielhafte Herausarbeitung von Besonderheiten, Unterschieden wie Gemeinsamkeiten – mit dem Ziel, daraus schlussendlich Handlungsempfehlungen für die föderalen Ebenen zu erarbeiten. Modellhaft ist das Forschungsdesign in folgender Abbildung dargestellt. Abbildung 8:
Darstellung des Forschungsdesigns Handlungsempfehlungen
Politikausformung
Bildungskonzepte
Bildungsorte
Normative Sichtweise
Familie
Ziele und Inhalte
Akteure Kindertageseinrichtungen
Steuerungsinstrumente/ Messverfahren zur qualitativen Sicherung
Kommune Land
Tagespflege
Freie Träger
Schule Jugendhilfe
etc.
Familie etc.
Systemische Ebene
Instrumentelle Ebene
Humanvermögensbildung
Aufgrund der Komplexität des Politikfeldes hat die Studie einen qualitativen Ansatz gewählt und wird sich beispielhaft auf die Bundesländer Bayern, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg konzentrieren. Nordrhein-Westfalen steht dabei für ein Land, das durch seine dichte Besiedelung von mancher Problemlage her fast eher als Stadt- denn als Flächenstaat gelten kann und das durch eine lange sozialdemokratische Bildungstradition geprägt ist. Bayern dagegen als ein dezidierter Flächenstaat steht für eine konservativ geprägte BilS. von Hehl, Bildung, Betreuung und Erziehung als neue Aufgabe der Politik, DOI 10.1007/978-3-531-92834-0_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
222
3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
dungs- und Familienpolitik. Brandenburg wiederum wurde deswegen gewählt, weil so die de facto noch unterschiedlichen Makrosystembedingungen in Ostdeutschland (vgl. Tietze (Hg.) 1998: 33), die insbesondere in einem ideologisch lange eher verminten Gebiet wie dem der Produktion des Humanvermögens einer Gesellschaft sichtbar werden, in die Untersuchung einbezogen werden können. Um die Auswirkungen landespolitischer Steuerungstätigkeit vor Ort nachvollziehen und untersuchen zu können, welche Chancen sowie Schwierigkeiten konzeptioneller wie steuerungsinstrumenteller Art sich in der Umsetzung vor Ort zeigen, wurden pro Bundesland zwei Kommunen in die Untersuchung einbezogen, eine städtische und eine ländliche. Damit ergibt sich die Möglichkeit, anhand der Darstellung positiver Praxis beispielhaft zeigen zu können, wie kommunales Handeln auf verschiedenen Feldern das landespolitische Engagement ergänzen kann. Durch die Kombination von Literaturauswertung297 und leitfadengestützten Expert/inneninterviews298, beide mit den Mitteln der Inhaltsanalyse untersucht, wurde gewährleistet, dass auch (noch) nicht schriftlich fixierte Überlegungen und Aktionen in die Untersuchung einbezogen werden konnten. Damit wählt die Studie einen Ansatz, der auf der einen Seite durch die Beschränkung auf einige Beispiele der Komplexität des Politikfeldes und der Kontextabhängigkeit der Handlungsstrategien der beteiligten Akteure gerecht wird, zugleich aber durch den Einsatz der qualitativen Inhaltsanalyse die klassifikatorische Beschreibung größerer Mengen von Text ermöglicht. Folgende Forschungsfragen lagen dabei der Untersuchung zugrunde: Tabelle 12: Anfragen an die Bildungskonzepte der Bundesländer I. x x x x x x x
297
Konzeptionelle Grundlagen in den Bundesländern Stehen im Mittelpunkt der Bildungskonzepte der Länder der Lebenslauf und die Bildungsbiografie der Kinder? Wird in den Konzepten ein erweiterter Bildungsbegriff deutlich und ist die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung (BBE) systematischer Bestandteil der Konzepte? Existiert eine öffentliche Gesamtverantwortung für eine „Bildung für alle“ in den Ländern? Wer ist in welcher Form und in welchem Umfang für die BBE der nachwachsenden Generation verantwortlich? Was sind die Ziele und Inhalte des Bildungs- und Erziehungssystems? Was soll Kindern vermittelt werden? Werden Kinder als mitgestaltende Akteure in den Konzepten ernst genommen? Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Familie – Kita – Schule/Jugendhilfe konzeptionell angedacht? Existieren Erziehungspartnerschaften zwischen Einrichtungen/Schulen und Elternhäusern? Wie werden diese von öffentlicher Stelle unterstützt und koordiniert?
Hierbei fanden insbesondere Berücksichtigung: die Koalitionsvereinbarungen und Regierungsprogramme bzw. -erklärungen der Regierungen, die zum Zeitpunkt der Analyse (2005–2007) Regierungsverantwortung trugen, sowie die jeweiligen Schulgesetze bzw. die entsprechenden Ausführungsgesetze zum SGB VIII in den drei Ländern, ergänzt um die jeweiligen Bildungspläne bzw. -vereinbarungen. 298 Die Abschriften der geführten Interviews finden sich in anonymisierter Fassung in die Studie integriert. Sie sind in einem internen Anhang dokumentiert, um den Interpretationsprozess transparent und nachvollziehbar gestalten und zugleich den Ansprüchen nach Vertraulichkeit der Gesprächspartner gerecht werden zu können.
3.1 Zur methodischen Herangehensweise II.
223
Konzepte und Steuerungsinstrumente für das Vorschulalter
Öffentliche Verantwortung für frühkindliche Bildung x x x x x x x
Wird die Familie als grundlegender und bedeutsamer Ort der Vermittlung von Bildung anerkannt? Werden Angebote zur Stärkung der Erziehungskompetenz von Eltern systematisch angeboten? Werden Bildungsgelegenheiten für Kinder neben der Bildungswelt der Familie schon frühzeitig gegeben? Wie wird mit dem Bildungsanspruch der Kinder umgegangen in Bezug auf Rechtsanspruch, Kostenfreiheit, Zugangschancen für alle Kinder/ausreichende Angebote, Ganztagsplätze? Werden Kindertageseinrichtungen als Teil des Bildungs- oder des Jugendhilfebereichs gesehen? Welche Vorgaben existieren zur Partizipation von Eltern in Einrichtungen? Welche Bedeutung haben Lokale Bündnisse für Familien, wird eine Begleitforschung oder Kooperation betrieben?
Zielbereiche der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung x x x
Wird die frühe Kindheit als eigenständige Phase von Entwicklungs- und Bildungsmöglichkeiten angesehen? Haben Tagespflege und Kindertageseinrichtungen einen eigenständigen Bildungsauftrag oder dienen sie der Schulvorbereitung bei Drei- bis Sechsjährigen? Welche Ziele, Funktionen und Aufgaben haben Tagespflege und Kindertageseinrichtungen in den Ländern?
Sicherung der Bildungsqualität x x x x x x x x x x III.
Wie wird der Bildungsauftrag der Tagespflege gesichert und vom Land gesteuert? Wie wird der Bildungsanspruch in Kindertageseinrichtungen gesichert? Welche fachlichen bzw. qualitativen Standards werden vom Land gesetzt? Wie wird über die Finanzierung die Qualität gesteuert? Wie wird die staatliche Aufsicht wahrgenommen? Wie wird das Personal bei der Qualitätsentwicklung unterstützt? Existiert ein öffentlich verantwortetes Bildungs- und Qualitätsmonitoring im Vorschulalter bzw. ist es geplant? Wie wird die Zusammenarbeit der verschiedenen Bildungs- und Hilfseinrichtungen gesichert? Inwieweit wird in den Ländern über das Kriterium der Elternnachfrage gesteuert: Werden z.B. durch Elternnachfrage Reformprozesse beim Ausbau der Qualität erzielt? Existieren landesweite Planungskonzepte zur Umsetzung des TAG? Konzepte und Steuerungsinstrumente für das Schulalter
Bildung in Jugendhilfe und Schule x x x x x x x
Wie reagieren die Länder auf die Bildungs- und Betreuungsdefizite der Halbtagsschule? Hat die Jugendarbeit in den Ländern einen gesetzlich verankerten Bildungsauftrag? Werden am Ort ‚Schule‘ Leistungen der Jugendhilfe angeboten bzw. werden alternative Lernformen einbezogen? Wie werden qualitative Standards beim quantitativen Ausbau der Ganztagsschulen bzw. der Schulsozialarbeit gesichert? Existieren personelle Sicherungen des Zusammenspiels von Bildungsorten? Wie werden die Übergänge zwischen privaten und öffentlichen Bildungsorten bzw. den verschiedenen öffentlichen Bildungsorten gesteuert? Werden die Angebote aufeinander abgestimmt? Gibt es soziale Dienstleistungsangebote für Familien an Schulen?
224
3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
Sicherung der Bildungsqualität x x x x
IV. x x x x x x x x x
Welche Vereinbarungen zur Sicherung der Qualität und zur Steuerung der Qualitätsentwicklung im Schulbereich existieren in den Ländern? Existieren landesweite Planungskonzepte zum Ausbau der Ganztagsschulen? Ist das Verfahren des Mittelabrufs beim Programm „IZBB“ klar geregelt? Ist in den Ländern eine größere Selbstständigkeit der Einzelschule und stärkere Vernetzung im Sozialraum intendiert? Wie wird ein differenziertes Angebot in einer pluralen lokalen Bildungslandschaft gesichert? Wie werden die Fachkräfte aus- und weitergebildet? Finden gemeinsame Aus- und Weiterbildungen von Lehrkräften und sozialpädagogischen Fachkräften statt? Bereichsübergreifende Steuerungsinstrumente Wie wird die Planung und Ausgestaltung der lokalen Angebotsstruktur vom Land gesteuert? Welche Kompetenzen sind auf welche Ebene der Gebietskörperschaften in den Ländern übertragen worden? Wie laufen die Abstimmungsprozesse zwischen den Steuerungsgruppen mit Blick auf Ziele und Instrumente? Sind ressortübergreifende Strukturen auf Landes- und kommunaler Ebene geschaffen worden? Wie ist die Kooperationsstruktur zwischen den Ländern und dem Bund ausgestaltet? Ist eine sozialraumorientierte Bedarfsplanung in den Kommunen vorgegeben? Finden dabei qualitative Erhebungen Berücksichtigung? Wird die Möglichkeit der Steuerung über Finanzierungsstrukturen aktiv aufgegriffen? Wie versucht man, kumulative Benachteiligungseffekte in Bildungsprozessen auszugleichen? Wird versucht, außerstaatliche Akteure (z.B. Wirtschaft) aktiv in die Bildung der nachwachsenden Generation einzubinden? Welche Hemmnisse werden von den Fachleuten als externe Störfaktoren ausgemacht und wie wäre ihnen zu begegnen?
Als Interviewpartner/innen fungierten Vertreter/innen kommunaler Planung (auf Ebene der Jugendämter bzw. Jugenddezernate) sowie in den jeweiligen Bundes- wie Landesministerien für die Rahmensetzung zuständige Mitarbeiter/innen, sofern sie zu einem Gespräch bereit waren, da hier zu vermuten war, dass sie aufgrund ihrer beruflichen Stellung als Verantwortungsträger in einer steuernden Ebene über spezifisches Betriebs-, Prozess- und Kontextwissen verfügen. Bemerkenswert dabei war die hohe Bereitschaft der angefragten Expert/innen, sich an dieser Studie zu beteiligen. Bis auf drei Personen sagten alle angefragten zwölf Interviewpartner/innen ein Gespräch zu und auch die drei Personen, die keine Zeit fanden bzw. wegen Krankheit verhindert waren, schickten (in zwei Fällen) eine Vertretung bzw. stellten Informationen per E-Mail zur Verfügung (in einem Fall). Die Gespräche wurden 2006 geführt, so dass auf aktuellere Themen noch nicht Bezug genommen werden konnte. Die Befragung erfolgte anhand eines Interviewleitfadens, dessen Kernfragen den Gesprächspartner/innen im Vorfeld zugeschickt wurden, um ihnen die Möglichkeit der Vorbereitung zu geben. Der Aufbau des Leitfadens orientierte sich dabei an der Gesamtgliederung der Studie und umfasste Fragen zu folgenden Komplexen299:
299
Bei dem auf Bundesebene geführten Interview beschränkten sich die Komplexe aufgrund der anderen Zuständigkeiten auf die Fragebereiche der Kompetenzordnung/Kooperation der verschiedenen Ebenen sowie der Qualitätsentwicklung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.
3.1 Zur methodischen Herangehensweise
225
allgemeine Informationen: Neben Informationen über die Person fiel hierunter auch eine allgemeine Einstiegsfrage, frühkindliche Bildung sowie Gestaltung der Übergänge zwischen den Systemen, Kooperation von Jugendhilfe und Schule, Instrumente der Steuerung von Seiten des Landes/der Kommune, bei den Ländervertreter/innen: Zusätzliche Fragen zu den Bildungskonzepten des Landes.
Allerdings stellte der Leitfaden nur ein Grundgerüst dar, welches durch Fragen ergänzt wurde, die sich speziell auf die jeweilige Institution bzw. die Zuständigkeit des/der jeweils Interviewten bezogen und die sich im freien Gespräch ergaben, wodurch sich eine teilweise unterschiedliche Auffassung und Beantwortung der Fragen erklärt. Allen Interviewten wurde eine Abschrift des Interviewprotokolls geschickt mit der Möglichkeit, eventuell falsch vermittelte Informationen richtig stellen zu können. Ihnen wurde Anonymität zugesichert sowie ein Exemplar der Studie zugesagt. Auf diese Art und Weise war es möglich, auch vertraulichere Sachverhalte zu erfahren, die keine offizielle Verwendung finden sollten, für die Studie aber hilfreiche Hintergrundinformationen darstellen. Da die im Expert/inneninterview befragten Personen im Gegensatz zu anderen Formen des offenen Interviews weniger als Einzelpersonen, sondern vielmehr in der Eigenschaft als Expert/in für ein bestimmtes Handlungsfeld interessierten (Flick 1996: 109), wurde auf die Erstellung von Erfahrungs- und Beobachtungsprotokollen verzichtet. Allerdings wurden die Expert/innen zu Beginn des Gesprächs zu ihrer Ausbildung, ihrem Zuständigkeitsbereich sowie dem Aufbau ihres Hauses und ggf. relevanten beruflichen Vorerfahrungen zu ihrer jetzigen Tätigkeit befragt, um ihre Antworten vor diesem Hintergrund besser bewerten zu können. Die Kontaktaufnahme zu möglicherweise geeigneten Kommunen wurde durch die Vertreter/innen der Ministerien vermittelt. Dieses Vorgehen war aus forschungspraktischen Gründen geboten, auch wenn der damit gegebene Einfluss der Interviewpartner/innen auf die Auswahl der Gesprächspartner möglicherweise nicht ohne Auswirkung auf die Ergebnisse der Befragungen bleibt. Ergänzt wurden die Informationen aus den Interviews durch die Auswertung von Materialien, die die Gesprächspartner/innen der Studie zur Verfügung gestellt hatten. Zur Datenauswertung wurde auf die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Gläser/Laudel (2006) zurückgegriffen, die auf die besonderen Fragestellungen der Studie angepasst wurde. Diese klar strukturierte Vorgehensweise schien besonders geeignet, der Komplexität des Themas und ihrer Mehrdimensionalität gerecht zu werden und zugleich die Transparenz und intersubjektive Nachvollziehbarkeit des Prozesses zu sichern. Als Dimensionen der Variablen, anhand derer die Analyse stattfand, wurden jeweils berücksichtigt:
Zeitrahmen, in dem sich die jeweilige Variable bewegt bzw. verändert hat, Gegenstand der Variablen, Ziel/Inhalte der Variablen, Ebene der Variablen im föderalen System, eingesetzte Steuerungsinstrumente, Kooperationspartner/Akteure, die jeweils angesprochen sind,
226
3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert Ursachen der Variablen, Wirkung der Variablen auf die Politikausformung.
Im Folgenden sollen zusammenfassend die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung dargestellt werden. 3.2 Konzeptionelle Grundlagen in den Bundesländern 3.2.1 Öffentliche Gesamtverantwortung für das Aufwachsen von Kindern Eine verstärkte öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern stellt im 21. Jahrhundert nicht nur eine Notwendigkeit dar, sondern auch eine Herausforderung für die Politik. Die Untersuchungen dieser Studie weisen darauf hin, dass diese Herausforderung in allen drei untersuchten Bundesländern angekommen ist und die staatliche Verantwortung für die Lebensperspektiven von Kindern in verschiedener Hinsicht wächst. Dies zeigt sich zum einen in einer wachsenden Wertschätzung präventiver Angebote der Jugendhilfe und in einer verstärkten Wahrnehmung von Jugendhilfe als wichtige kommunale Aufgabe, wie es sinnbildlich in folgender Aussage zusammengefasst ist: „.. ich glaube schon, dass sich durch die öffentlichen Diskussionen, die da in vielfältiger Weise stattfinden, sei es PISA, sei es Schulrechtsänderung, sei es Tagesbetreuung, sei es Familienzentrum, sei es demografischer Wandel eine Bewusstseinsänderung einstellt. Das sind ja alles Themen, die das Thema Jugendhilfe ausmachen. Ich glaube, das diese Diskussion sehr dazu bei getragen hat, dass man Jugendhilfe überhaupt wahrnimmt. Und das tut natürlich Jugendhilfe insgesamt sehr gut, weil das auch zu einer Wertschätzung führt, auch für die Kollegen im ASD [Allgemeinen Sozialen Dienst], die sich bisher immer als die ungewürdigten ‚Wühler an der Front‘ gesehen haben. Deren Arbeit hat sich nicht verändert, aber ich glaube, die Wertschätzung ist doch eine etwas andere. Man registriert die Arbeit und so manch einer ist jetzt zurückhaltender als früher und sagt: ‚Naja, ich sehe ja, was bei Euch los ist, die Probleme müssen ja auch beackert werden, und das ist Euer Job’. Vielleicht ist das jetzt ein bisschen übertrieben, aber ich glaube schon, dass sich da etwas bewegt oder bewegt hat“ (Text_K 170).
Zum Zweiten ist in den beiden westdeutschen Bundesländern eine neue Bedeutsamkeit des Elementarbereichs ersichtlich, was nicht nur zu einer Aufwertung der Einrichtungen im öffentlichen Bewusstsein führt, sondern auch zu neuen Aufgaben für diese, wie insbesondere das Beispiel der Kindertageseinrichtungen zeigt (s. Kap. 3.3.1). Zugleich hält offensichtlich der Ausbau der Ressourcenausstattung mit der Aufgabenerweiterung nicht Schritt, was in den Kommunen als Gefahr der Überfrachtung durch neue Aufgaben wahrgenommen wird: „Man muss auch sagen, auf die Erzieherinnen ist ja auch in den letzten Jahren sehr viel eingebrochen: Gewalterziehung, machen wir im Kindergarten, natürlich auch für die Eltern; Fernseherziehung, machen wir im Kindergarten, natürlich auch für die Eltern; Spracherwerb, machen wir im Kindergarten, natürlich auch für die Eltern; Bewegungskindergarten – zertifizierte Bewegungskindergärten haben wir sehr viele in X. vom Landessportbund – alles. Und alles ohne zusätzliches Personal mit immer schwieriger werdenden Kindern und immer mehr erziehungsunfähigen Eltern. Das ist schon schwer“ (Text_G 59).
3.2 Konzeptionelle Grundlagen in den Bundesländern
227
Für den Bereich der Kindertageseinrichtungen deutet sich hier eine Kluft zwischen Aufgabenerfordernissen und unzureichender Ressourcenausstattung an, die als Beleg für die Unterausstattung des frühkindlichen Bildungsbereichs dienen kann (s. dazu Kap. 2.4.3), zugleich aber auch auf einen weiteren Punkt hindeutet: Offensichtlich nämlich ist die öffentliche Verantwortung noch nicht so weit gediehen, dass damit auch eine verbesserte Finanzausstattung verbunden wäre. Die Ausgangslage für das ostdeutsche Bundesland Brandenburg stellt sich hier etwas anders dar, da die Bedeutung des Bildungsortes Kita als familienergänzende Einrichtung, nach Meinung der Interviewten, keine neue Entwicklung ist, sondern in einer längeren (DDR-)Tradition steht. „Da muss man sicher die besondere Situation eines Ostlandes sehen, das ja [zu DDR-Zeiten, SvH] mit einem sehr klar strukturierten pädagogischen Ziel gearbeitet hat, dem Bildungs- und Erziehungsplan – in der Krippe hieß er ein bisschen anders – und einem Auftrag der Schule, der über Unterricht hinausging. Ich nenne es jetzt einmal nicht Erziehung, aber ein Auftrag, der über Unterricht hinausging und das ist natürlich ein ganz anderes Fundament. Die Frage der Diskussion von Bildung war also in Brandenburg überhaupt nichts Neues“ (Text_C 5).
Kindertageseinrichtungen wird – im Gegensatz zu den beiden westlichen Ländern – daher stärker ein Versorgungsauftrag unterstellt, weshalb ihnen tendenziell neben einer familienergänzenden auch eine familienersetzende Funktion zugesprochen wird. „Wenn man Ganztagseinrichtungen hat, muss man sich schließlich darum kümmern, dass Kinder satt sind, dass sie gesund sind, dass sie zu trinken haben, dass ihre kleinen Wunden versorgt werden, alles dieses. Es ist eben nicht der Vormittags-Kindergarten und zwei Stunden, wo man sagen kann: ‚Hinterher gehen sie sowieso nach Hause, Mutti kümmert sich schon‘. Das muss man glaube ich stärker mitsehen. Das ist nicht im Fokus der Westpädagogik, weil sie diese Ganztagseinrichtungen eigentlich immer noch ein Stück als etwas Exotisches für die Mühseligen und Beladenen ansieht, also nicht eigentlich Kindergarten. Aber das ist ein Übergangsphänomen, in 20 Jahren ist das vorbei“ (Text_C 36, 37).
In diesem Punkt zeigt sich ein Ost-West-Gegensatz, der auf ganz unterschiedliche Betrachtungsweisen und Erfahrungen mit privaten Bildungsorten, insbesondere der Familie als Bildungsort verweist: Während für die westlichen Bundesländer die geringer werdende Übernahme von Bildungsleistungen durch die Familie im Sinne des oben angesprochenen („immer mehr „erziehungsunfähige“ Eltern“) als neues Phänomen durchscheint, scheint in Brandenburg die Übernahme öffentlicher Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern selbstverständlich(er). Auch in Brandenburg wird allerdings eine veränderte Rolle der Familien konstatiert, die vor allem als verstärkte Verunsicherung der Eltern erlebt wird. Im Elementarbereich äußert sich dies nach Meinung der Interviewten darin, dass verstärkt klar messbare Bildungsziele und eine Verschulung des Elementarbereichs unterstützt bzw. gefordert werden, um so konkrete Ergebnisse erhalten zu können. „Das ist doch oft auch Unsicherheit und Angst von den Eltern. Die sehen in der Kita, dass die den ganzen Tag bloß spielen. Früher haben sie ab und zu wenigstens noch mal etwas gebastelt, jetzt nicht mehr. Bilder bringen sie auch nicht mehr mit. Wenn ich mein Kind frage: ‚Was hast du denn gemacht?’, dann sagt das: ‚Wir haben gespielt’. Was läuft denn da? – Und dann sehen
228
3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert sie den Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt und man liest über PISA – die engagierten Eltern haben doch Angst um ihre Kinder, das kann man ihnen auch nicht ausreden. Man muss ihnen versichern, dass das genau das richtige ist, was man macht“ (Text_C 80).
Neben den Unterschieden ist damit in Bezug auf die öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern in den westlichen wie dem östlichen Bundesland eines gemeinsam: Die Wahrnehmung einer veränderten Rolle und Funktion des Bildungsorts Familie, die qualitative (und in Westdeutschland auch quantitative) Veränderungen für die öffentlichen Bildungsorte nach sich zieht. 3.2.2 Bildungsbegriff und Bildungskonzepte Insbesondere in Bezug auf den in den Bundesländern konzeptionell verwendeten Bildungsbegriff und die Frage, inwiefern die politischen Konzepte die Bildungsbiografie des Kindes in den Mittelpunkt stellen, fallen in allen drei untersuchten Bundesländern, insbesondere den beiden westdeutschen, große Widersprüche auf zwischen verschiedenen offiziellen Verlautbarungen, die auf eine nicht konsistente politische Begriffs- und Zielklärung hindeuten. Beispielhaft hierfür ist Nordrhein-Westfalen, wo der Ministerpräsident, Dr. Jürgen Rüttgers, in seiner Regierungserklärung am 13.07.2005 angekündigt hatte: „Bildung hat für uns Priorität. Sie ist für uns ein Kernelement der sozialen Ordnungspolitik. In Nordrhein-Westfalen müssen wir von den hinteren Rangplätzen bei PISA wegkommen“ (Rüttgers 2005: 20f).
In folgerichtiger Ausformung des letzten Satzes erläuterte der Ministerpräsident im Weiteren das politische Ziel, „dass alle Absolventen unserer Schulen, lesen, schreiben und rechnen können sollen“ (ebd.: 21). Andere Bildungsziele und Bildungsorte, wie beispielsweise Kindertageseinrichtungen, wurden nicht benannt, auch andere Berufsgruppen spielten als Fachkräfte in diesem Kontext keine Rolle, was auf eine Bildungspolitik hindeutet, die, offensichtlich in Reaktion auf öffentlich heftig diskutierte Bildungsstudien, klar messbare, schulisch vermittelte Bildungsziele in den Fokus ihrer Ausgestaltung stellt. Zugleich allerdings ist in der Koalitionsvereinbarung von 2005 ein verstärkter Erziehungsauftrag der Schulen ebenso angesprochen wie ein Bildungsauftrag der Kindergärten: „Die Qualität unseres Bildungswesens werden wir durch eine bessere Lehrerversorgung und durch mehr Leistungsorientierung und Wettbewerb verbessern. Wir werden die Selbstentfaltung der Kinder, ihre Neigungen und Talente unter verbesserten Bedingungen frühestmöglich fördern und fordern. Grundlagen dafür werden in der vorschulischen Betreuung gelegt. Kindergärten und Schulen haben einen Bildungs- und Erziehungsauftrag“ (CDU/FDP 2005: 32).
Wie dieser Bildungsauftrag der Kindergärten ausgeformt sein muss, um die an anderer Stelle proklamierten Ergebnisse zu erbringen, ist nicht weiter ausgeführt. Bereits mit diesen Aussagen entsteht ein Widerspruch innerhalb der Landespolitik, zum einen zu dem 2006 verabschiedeten 2. Schulrechtsänderungsgesetz, in dessen Referentenentwurf (Landesregierung NRW 2006) offensichtlich noch davon ausgegangen wurde, dass Bildung mit der Schule beginnt:
3.2 Konzeptionelle Grundlagen in den Bundesländern
229
„Wenn nämlich mit der Schule die Bildung beginnen soll, aber erst die allernotwendigsten Voraussetzungen für den erfolgreichen Bildungserwerb geschaffen werden müssen, so ist dies ein Bereich, der von dem staatlichen Erziehungsauftrag nicht losgelöst betrachtet werden kann“ (Begründung zu § 36).
Zum Zweiten taucht ein Widerspruch zu der Bildungsvereinbarung NRW auf, die 2003 (noch unter der Vorgängerregierung) als gemeinsame Erklärung von Land und den großen Trägerverbünden im Elementarbereich verabschiedet worden war und in der es mit Blick auf einen umfassenden Bildungsbegriff heißt: „Der Begriff „Bildung“ umfasst nicht nur die Aneignung von Wissen und Fertigkeiten. Vielmehr geht es in gleichem Maße darum, Kinder in allen ihnen möglichen, insbesondere in den sensorischen, motorischen, emotionalen, ästhetischen, kognitiven, sprachlichen und mathematischen Entwicklungsbereichen zu begleiten, zu fördern und herauszufordern (...) Ziel der Bildungsarbeit ist es daher, die Kinder in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu unterstützen und ihnen Gelegenheit zu verschaffen, ihre Entwicklungspotenziale möglichst vielseitig auszuschöpfen und ihre schöpferischen Verarbeitungsmöglichkeiten zu erfahren“ (MSJK 2003: 6).
In diesem Punkt deuten sich Differenzen zwischen der Politik der CDU/FDP-Regierung und der früheren SPD-/Grüne-Regierung an. Dies zeigt sich auch in einer veränderten Schwerpunktsetzung im Bereich der Elementarbildung: Die konservativ-liberale Regierung hat eine Weiterentwicklung der Kindergärten zu Familienzentren begonnen und deren flächendeckenden Ausbau: „Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor allem für Frauen zu erleichtern, werden wir die Förder- und Arbeitsbedingungen in Kindertageseinrichtungen verbessern und die Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren weiterentwickeln. Neben ihrem Auftrag als Einrichtungen für Bildung, Erziehung und Betreuung von unter Dreijährigen, Kindergartenkindern und schulpflichtigen Kindern (Drei-Säulen-Modell) werden sie Vermittlungszentrum für Tagesmütterund -väter, Zentrum für vorschulische Sprachförderung, zur schulvorbereitenden Einrichtung für schulpflichtige, aber nicht schulreife Kinder und zu einem Knotenpunkt des familienunterstützenden Netzwerkes in den Kommunen. Mit den Familienzentren und den Ganztagsschulen wollen wir Schritt für Schritt ein lückenloses, bedarfsgerechtes und verlässliches Betreuungsgefüge aufbauen, das hohen pädagogischen Ansprüchen genügt“ (CDU/FDP 2005: 38).
Interessanterweise wird diese Weiterentwicklung nicht unter bildungs- und damit kinderpolitischen Gesichtspunkten begründet, sondern frauen- und arbeitsmarktpolitisch. Damit knüpft Nordrhein-Westfalen an einen Weg an, der auf Bundesebene unter anderem mit dem „Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser“ 2006 eingeschlagen wurde, den der Verknüpfung von kinder-, familien- und arbeitsmarktpolitischen Aspekten nämlich. „Das Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser zielt (..) darauf ab, arbeitsmarktpolitische und familienpolitische Maßnahmen miteinander zu vernetzten, nicht zuletzt, um eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erreichen. Daher ist im Rahmen des Programms die Förderung der gesellschaftlichen Kompetenz gleichrangig mit dem Ziel, mit und für die unterschiedlichen Generationen wirtschaftliche Kompetenzen aufzubauen und zu festigen. Mehrgenerationenhäuser sollen sich in ihrer Region als Dienstleistungsunternehmen etablieren, indem sie einerseits eine Vermittlungsplattform für unterschiedliche Dienstleistungen sind, etwa für Kinderbetreuung, Wäscheservice, Mittagstisch oder Altenbetreuung, und andererseits auch selbst
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert Leistungen erbringen – je nach ihrem Schwerpunkt kann das zum Beispiel Altenpflege sein oder Kinderbetreuung. Zudem bieten sie vielfältige Chancen für Existenzgründer.(…) So werden Mehrgenerationenhäuser vor allem im Bereich familiennaher Dienstleistungen zu einem Motor für Existenzgründungen und etablieren einen lokalen Markt für benötigte Dienstleistungen, die in der Region bisher nicht angeboten wurden“ (Text_J 77).
Für die Familienzentren hat diese Verknüpfung zur Folge, dass verständlicherweise besonders der Betreuungsaspekt betont wird. Während man bei der Schule den Eindruck haben muss, dass der Bildungsbegriff den der Betreuung und Erziehung überlagert, scheint dies im Bereich des Elementarwesens offensichtlich für den Betreuungsbegriff zu gelten. Neben allen Neuerungen zeigt sich damit eine relativ klassische Funktionszuweisung der Bildungsorte, die gestützt wird durch den Eindruck einer Zweiteilung nordrhein-westfälischer Bildungs- und Erziehungspolitik: Auf der einen Seite die Institutionen der Jugendhilfe, die schwerpunktmäßig verantwortlich sind/gemacht werden für die Betreuung und die Ausprägung informeller und nicht-formaler Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen, auf der anderen Seite die Schule, die zuständig ist für die Vermittlung der notwendigen formalen Qualifikationserfordernisse und mit der die Bildung eigentlich erst beginnt. „Schule ist Schule. Schule ist sakrosankt. (…) Mit der Schule beginnt die Bildung, davor, so sehen das Viele, ist das Kinderkram, ist das Spielen im Sandkasten“ (Text_B 111).
Beides scheint konzeptionell auf politischer Ebene nicht verbunden zu werden, worauf folgender Auszug aus einem auf Landesebene geführten Interview hinweist: Frage:“Existiert ein gemeinsames bildungspolitisches Konzept in der Regierung?“ Antwort: „Nein, ich glaube nicht“ (Text_B 113-115).
Damit deutet sich hier ein Problem an (s. dazu auch Kap. 3.4.2.1): Die Gleichsetzung von „Bildung“ mit „formaler Bildung“ nämlich und die unzureichende konzeptionelle Verknüpfung der verschiedenen Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsorte. Inwiefern dies zukünftig durch den seit 2008 in Nordrhein-Westfalen beratenen neuen Bildungsrahmen für Kinder im Alter von null bis zehn Jahren geändert wird, wird zu sehen sein. 3.2.3 Ziele und Inhalte des Bildungs- und Erziehungssystems Wenn die staatliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern wächst, stellt sich die Frage, ob sich dies auch in den Zielen und Inhalten des Bildungs- und Erziehungssystems in den untersuchten Bundesländern widerspiegelt. Zum einen ist daher von Interesse, wie in den drei Ländern der Bildungsauftrag der nachwachsenden Generation ausgestaltet ist. Dabei zeigen sich Unterschiede zwischen den drei Ländern, die auf unterschiedliche politische Schwerpunktsetzungen verweisen. So findet sich lediglich im ostdeutschen Bundesland Brandenburg ein subjektiv festgeschriebenes Recht auf Bildung in der Landesverfassung (Art. 29 Abs. 1). Das lange Jahre sozialdemokratisch regierte Nordrhein-Westfalen hat in seiner Verfassung einen Anspruch jedes Kindes auf Erziehung und Bildung verankert (Art. 8), wogegen sich in der bayerischen Verfassung lediglich die Aussage findet:
3.2 Konzeptionelle Grundlagen in den Bundesländern
231
„Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch darauf, eine seinen erkennbaren Fähigkeiten und seiner inneren Berufung entsprechende Ausbildung zu erhalten“ (Art. 128 Abs. 1).
Nordrhein-Westfalen stellt darüber hinaus das einzige der drei Länder dar, das, wenn schon nicht einen Bildungs-, dann zumindest einen Förderauftrag der Kinder- und Jugendarbeit in seinem Kinder- und Jugendförderungsgesetz festgeschrieben hat (§ 2 Abs. 1 KJFöG), der über das in in § 1 SGB VIII verankerte Recht auf Erziehung, Elternverantwortung und Jugendhilfe hinausgeht. Ein solcher Auftrag fehlt in Bayern und Brandenburg. Allerdings haben mittlerweile alle drei Bundesländer den Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen und Schule in ihren entsprechenden Gesetzestexten festgeschrieben (Bayern: Art. 4 BayKiBiG bzw. Art. 1 BayEUG, Brandenburg: § 4 BbgSchulG bzw. § 3 KitaG, NRW: § 2 KiBiz bzw. § 2 SchulG). Allen drei Ländern ist darüber hinaus eine Entwicklung hin zu einer klareren Konturierung der Bildungsziele sowie einer stärkeren Steuerung im frühkindlichen Bildungsbereich gemeinsam. So wurde in allen drei Ländern der Bildungsauftrag der Tagespflege gesetzlich neu verankert (§ 16 BayKiBiG, § 2 KitaG, § 3 KiBiZ). Sie ist damit als Bildungsangebot den Kindertageseinrichtungen gleichgestellt, was eine gewaltige Aufwertung der Tagespflege darstellt. Zugleich sind die gesetzlichen Grundlagen für die Kindertageseinrichtungen erweitert und Bildungspläne bzw. -programme konzipiert und eingeführt worden. Neben einer klareren Benennung von Bildungszielen (s. dazu auch Kap. 3.3.2.2) ist in allen drei Ländern eine Pflicht der (mit öffentlichen Geldern geförderten) Tageseinrichtungen verankert worden, eigene pädagogische Konzeptionen zu erstellen und nachzuweisen (§ 19 BayKiBiG, § 3 KitaG, Art. 13 KiBiz). Auch wurde, im Sinne der Umsetzung von dem neuen § 8a SGB VIII300, der Kinderschutz in den vergangenen Jahren in allen drei Bundesländern als Regelaufgabe der Kindertageseinrichtungen eingeführt (§ 3 AVBayKiBiG, § 4 und 11 KitaG, § 10 KiBiz). Die Verpflichtung der Tageseinrichtungen für den kindlichen Gesundheitsschutz wurde deutlich intensiviert, insbesondere in den beiden westdeutschen Bundesländern, die diesbezüglich in ihren alten Gesetzen schwächere Vorgaben zu verzeichnen hatten als Brandenburg. Aber nicht nur im Bereich der frühkindlichen Bildungsziele, auch hinsichtlich der Ziele im schulischen Bereich ist in den drei Ländern in den vergangenen Jahren eine Weiterentwicklung zu beoachten gewesen. So ist erkennbar, dass der Grundschule immer stärker die Rolle als Verbindungsglied zwischen dem Elementarbereich mit seiner Systemlogik und seinen Bildungszielen und dem Sekundarschulsystem zukommt, weshalb ihre Zusammenarbeit mit Kindertageseinrichtungen auch in allen drei Ländern ausgebaut wird (s. Kap. 3.3.3.7). Von ihren Aufgaben her weist die Grundschule in allen drei Ländern neben einem Bildungs- auch einen Erziehungsauftrag auf, in dem sie grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln und damit Voraussetzungen für die weitere Schullaufbahn schaffen sowie die kindliche Entwicklung fördern soll (Art 7, Abs. 4 BayEUG, § 19 Bbg SchulG, § 11 SchulG NRW). Insbesondere in den beiden westdeutschen Bundesländern gilt die Zunahme des Erziehungsauftrags auch für Schulen im Sekundarschulbereich. Auch wenn manche Formulierung der Schulgesetze dabei den Eindruck einer gewissen Willkürlichkeit erweckt, ist insgesamt doch festzustellen, „dass es für Schulen (zunehmend) wichtiger ist, sich auch als Erziehungsinstitution zu begreifen, statt sich nur auf die Wissensvermittlung im Unterricht zu konzentrieren“ (IES (Hg.) 2004: 2). Als Zeichen dieser neuen Einstellung, die insbeson300
S. dazu Münder 2007.
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
dere durch die Diskussion um die schlechten Ergebnisse bei der ersten PISA-Untersuchung befördert worden zu sein scheint, ist die Einführung von „Kopfnoten“ zu bewerten – in Nordrhein-Westfalen (ab Schuljahr 2007/2008), Brandenburg (2005/2006) und Bayern 301 (2005/2006) : Lern- und Arbeitskompetenzen sowie das soziale Verhalten von Schüler/innen (in Bayern lediglich Grundschüler/innen) werden seitdem durch Noten auf den Zeugnissen bewertet. In Bayern sind zudem drastische Schritte gegen Schüler geplant, die den Unterricht stören – bis hin zur frühzeitigen Beendigung der Schulpflicht: „Wir stärken Erziehung und Disziplin an den Schulen. Damit stellen wir das Recht jedes Schülers auf störungsfreien Unterricht sicher. (...) Die Schulen erhalten mehr erzieherische Möglichkeiten. Bei Schülern, die den Unterricht hartnäckig stören und zu einer Gefahr für ihre Mitschüler und Lehrer werden, kann zukünftig die Schulpflicht vorzeitig beendet werden. In solchen Fällen werden zukünftig auch Schüler aller Jahrgangsstufen auch an Hauptschulen vom Unterricht ausgeschlossen werden können. Die neu geschaffenen Clearing-Stellen werden sich um diese Jugendlichen kümmern“ (CSU 2003: 5).
Zugleich fällt insbesondere in den beiden westdeutschen Ländern eine verstärkte Wettbewerbs- und Leistungsorientierung im Bildungsbereich auf. Beispielhaft für die neue Philosophie steht die Aussage des bayerischen Regierungsprogramms von 2003: „Damit Bayern stark bleibt: Exzellente Bildung auf internationalem Niveau, die Leistungsbereitschaft und Disziplin ebenso fordert, wie sie Fähigkeiten und Talente fördert. Schüler und Studenten in Bayern müssen sich im Wettbewerb um Zukunftschance dem nationalen und internationalen Wettbewerb stellen. Wir setzen auf Qualität, auf Leistung bei bestmöglicher Förderung von individuellen Fähigkeiten und Begabungen, genauso wie auf Erziehung und Disziplin an den Schulen. Fördern und Fordern sind und bleiben die Grundlagen bayerischer Bildungspolitik“ (CSU 2003: 6).
In beiden Ländern fällt damit eine große Kluft zwischen der Philosophie des Elementarund der des Sekundarschulbereichs auf, wie auch an anderen Stellen noch ersichtlich wird. 3.2.4 Akteure in der Bildung und ihre Zusammenarbeit Die verstärkte Bedeutsamkeit von Fragestellungen, die dem Output des Erziehungs- und Bildungssystems stärkere Bedeutung als in der Vergangenheit zumessen, wirkt sich auch auf die Debatte um Mitgestaltungsmöglichkeiten von Kindern im Bildungs- und Erziehungssystem aus. So hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt die Erkenntnis in der Fachwelt durchgesetzt, dass es sich bei Bildungsprozessen um Ko-Konstruktionen handelt, die die aktive Mitgestaltung der Kinder erfordern. „Die Kinder sollen entwicklungsangemessen an Entscheidungen zum Einrichtungsalltag und zur Gestaltung der Einrichtung beteiligt werden“, heißt es dementsprechend im bayerischen Gesetzestext (Art. 10 (2) BayKiBiG).
301
Offensichtlich aufgrund des massiven öffentlichen Drucks wurden diese allerdings zwei Jahre später wieder abgeschafft und werden seitdem nur noch in Textform verfasst (Süddeutsche Zeitung v. 25.01.2008).
3.2 Konzeptionelle Grundlagen in den Bundesländern
233
„Das Kind gestaltet entsprechend seinem Entwicklungsstand seine Bildung von Anfang an aktiv mit“ (§ 1 AVBayKiBiG).
In Brandenburg und Nordrhein-Westfalen fehlt diese klare Aussage; Nordrhein-Westfalen betont lediglich den Mitwirkungscharakter der Kinder: „Die Kinder wirken bei der Gestaltung des Alltags in der Kindertageseinrichtung ihrem Alter und ihren Bedürfnissen entsprechend mit“ (§ 13 (4) KiBiz).
Die entwicklungsangemessene Mitwirkung von Kindern im Alltag ist in Brandenburg im Gesetz nicht erwähnt. Eine ähnliche Schwerpunktsetzung der Bundesländer findet sich auch mit Blick auf den rechtlich vorgeschriebenen Akteursstatus von Schüler/innen. Über Mitwirkungsrechte in Gremien und Informations- und Beteiligungsrechte der Schüler/innen hinaus, die in allen drei Ländern garantiert sind, führt vor allem Bayern die Rechte und Pflichten der Schüler/innen im Schulalltag (Art. 56, 62 BayEUG) detailliert auf. Zwar betonte der damalige NRW-Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers in seiner Regierungserklärung 2005 das staatsbürgerschaftliche Ziel, Kinder „besser an die Demokratie heranzuführen und die Beteiligungsrechte junger Menschen zu stärken“, sah hierfür allerdings vornehmlich die Kommunen in der Pflicht, „bestehende Beteiligungsmodelle in den Kommunen“ zu koordinieren und weiterzuentwickeln (Rüttgers 2005: 40). Diesbezügliche verbindliche Vorgaben an die Schulen hat das neue Schulgesetz der Landesregierung dementsprechend nicht enthalten. Jenseits der praktischen Umsetzung – über die mit dieser Beschreibung natürlich nichts ausgesagt ist – können diese beispielhaft aufgeführten Differenzen als Belege für unterschiedliche Grundmuster und ideologische Vorstellungen in den drei Ländern dienen. Es fällt jedenfalls auf, dass Bayern hier eine deutlich aktivere Rolle der Kinder und Jugendlichen als Bildungspartner rechtlich be- und festschreibt: Sowohl die Rechte als auch die Pflichten sind intensiver ausgestaltet als in den beiden anderen Bundesländern; in Brandenburg sind als Gegenpol die Beteiligungsrechte, aber auch -pflichten deutlich geringer ausgestaltet. Nordrhein-Westfalen dagegen fällt in diesem Punkt durch ein anderes Staatsverständnis auf, dass in diesem Punkt vornehmlich eine andere föderale Ebene, die der Kommunen nämlich, in der Pflicht sieht und eine Steuerung durch das Land hier ablehnt. Die seit Beginn des 19. Jahrhunderts gegebene stärker zentralistische Regierung in Bayern und das in Folge von allen drei Ländern stärkste Staatsverständnis dort wirken sich offenbar auch hier aus. Neben den Kindern als Bildungspartnern sind in den vergangenen Jahren durch die Wahrnehmung der Vielfalt von Lebenswelten und Lernorten auch andere Akteure vermehrt in den Blickpunkt der Fachwelt geraten. In den drei Bundesländern zeigt sich dies in Form einer intensiveren Kooperation von öffentlichen und privaten sowie den verschiedenen öffentlichen Bildungsorten und -akteuren (s. dazu auch Kap. 3.3.3.7 sowie beispielhaft die Kampagne Erziehung in Nürnberg (Kammerer (Hg.) 2004)). Hier soll im Folgenden die Rolle der Eltern als Bildungspartner beispielhaft beleuchtet werden. Im frühkindlichen Bereich stehen sie insbesondere in Bayern und NordrheinWestfalen im Fokus des politischen Handelns. So schreibt Bayern den Einrichtungen im Elementarbereich vor, „bei der Umsetzung der Bildungs- und Erziehungsziele partnerschaftlich mit den primär für die Erziehung verantwortlichen Eltern“ zusammenzuarbeiten
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
(§ 1 Abs. 5 AVBayKiBiG). Wichtige Fragen der Bildung, Erziehung und Betreuung des Kindes sind mit ihnen zu erörtern und zu beraten (§ 14 (2) BayKiBig). Nordrhein-Westfalen geht sogar noch weiter, indem die Einrichtungen mit ihrem pädagogischen Personal und die Tagespflegepersonen „den Bildungs- und Erziehungsauftrag im regelmäßigen Dialog mit den Eltern durchzuführen und deren erzieherische Entscheidungen zu achten“ (§ 3 KiBiz) haben. Daneben dürfen in Nordrhein-Westfalen Daten von Kindern, zum Beispiel im Rahmen der Bildungsdokumentation, nicht ohne schriftliche Einwilligung an Dritte weitergegeben werden. Die Eltern haben ein Recht zur Einsicht und erhalten die Dokumentation, wenn das Kind die Einrichtung verlässt (Hovestadt 2003: 32). Vor dem Hintergrund einer Grundüberzeugung, die die Erziehungsverantwortung im frühkindlichen Bereich in erster Linie bei den Eltern verortet (s. dazu auch Kap. 3.3.1.1), verwundert diese Aufgabensetzung nicht. Zudem erhofft man sich offensichtlich, zumindest in Nordrhein-Westfalen, von dem partnerschaftlichen Zusammenspiel eine Stärkung und Stütze der elterlichen Erziehungskompetenz, wie es die Bildungsvereinbarung in Nordrhein-Westfalen klar benennt (MSJK 2003: 9). In Brandenburg dagegen spielen die Eltern als Bildungspartner eine deutlich geringere Rolle, stattdessen werden sie eher als eigene Zielgruppe von Angeboten angesehen (s. Kap. 3.3.1.1). Diese Ost-West-Unterschiede treten im Schulbereich weniger deutlich zutage. Dort wird in allen drei Ländern die institutionelle Zusammenarbeit mit den Eltern verstärkt gefördert. „Die Novellierung von Schulgesetzen in den Bundesländern zeigt, dass den Eltern eine aktivere Rolle zugestanden wird (...). Sie sind Partner in der gemeinsamen Wahrnehmung des Bildungs- und Erziehungsauftrags“ (Bernitzke 2006: 5). Nordrhein-Westfalen hat dies folgendermaßen begründet: „Die Koalition unterstützt die Zusammenarbeit der an der Erziehung beteiligten Partner. Dazu gehört insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule. Die Wertebasis wird in der Familie gelegt. Diese muss in der Schule gefestigt werden“ (CDU/FDP 2005: 14).
Alle drei Bundesländer betonen in ihren Schulgesetzen die Pflicht der Schulen, bei der Erfüllung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags das Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder zu achten (Art 1, Abs. 2 BayEUG, § 4 BbgSchulG, § 2(2) SchulG) und verweisen auf das Erfordernis einer engen Zusammenarbeit (Art. 74 Abs. 1 BayEUG, § 4 BbgSchulG, § 2(2) SchulG). Eine solche Zusammenarbeit als Erziehungspartnerschaft umfasst:
in allen drei Bundesländern o die Verpflichtung der Schule zur Beratung der Erziehungsberechtigten bei Fragen der Schullaufbahn, der Wahl der Bildungsmöglichkeiten etc. (Art. 78 Abs. 1 BayEUG, § 46 BbgSchulG, § 44 SchulG); o die Mitwirkung der Eltern im Rahmen der Mitwirkungsgremien – wobei lediglich Nordrhein-Westfalen dies als Vorgabe an die Eltern in Form einer Soll-Bestimmung im Schulgesetz verankert hat (§ 42 SchulG) – mit dem Ziel, dadurch die Eigenverantwortlichkeit der Schule zu fördern (§ 62 (1) SchulG, § 74 (1) Bbg SchulG) sowie ein demokratisches Schulleben zu gestalten (§ 74 (1) Bbg SchulG); o die Zusammenarbeit in Fragen der Schulgesundheitspflege (gemeinsam mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst) mit dem Ziel „gesundheitlichen Störungen vorzubeugen, sie frühzeitig zu erkennen und Wege für deren
3.2 Konzeptionelle Grundlagen in den Bundesländern
235
Behebung aufzuzeigen“ (Art. 80 Abs. 1 BayEUG, § 54 SchulG). In Brandenburg gelten die Maßnahmen im Rahmen der Schulgesundheitspflege als verbindliche Veranstaltungen der Schule und werden „von den Gesundheitsämtern im Einvernehmen mit der jeweiligen Schule durchgeführt“ (§ 45 BbgSchulG); in Bayern und Nordrhein-Westfalen zudem die Verpflichtung der Eltern, dafür zu sorgen, dass ihr Kind seine schulischen Pflichten erfüllt (Art. 76 BayEUG, § 42 SchulG). Brandenburg spricht in § 4 BbgSchulG von der „Pflicht der Eltern zur Erziehung“; in Nordrhein-Westfalen daneben die Aufgabe der Schulen, Bildungs- und Erziehungsvereinbarungen abzuschließen, mit denen sich Schulen, „Schülerinnen und Schüler und Eltern auf gemeinsame Erziehungsziele und -grundsätze verständigen und wechselseitige Rechte und Pflichten in Erziehungsfragen festlegen“ sollen (§ 42 Abs. 5 SchulG NRW).
Die bayerische Staatsregierung hat sich in ihrem Regierungsprogramm 2003 vorgenommen, die Erziehungspartnerschaft von Elternhaus und Schule weiter auszubauen. „In noch größerem Umfang als bisher sollen die Schulen in Zusammenarbeit von Lehrern, Eltern und Schülern Schulverfassungen erarbeiten“ (CSU 2003: 6). Auch sollten an jeder Schule künftig mehr Ansprechpartner für Schüler und Eltern (auch am Nachmittag) zur Verfügung stehen (ebd.: 7). Neben einer intensiveren Zusammenarbeit von Elternhaus und Schule zeigen sich in den Bundesländern auch verstärkte Vorgaben zur Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen und Schulen mit anderen Schulen sowie anderen Einrichtungen, die das Leben von Kindern und Jugendlichen beeinflussen (s. Kap. 3.3.3.7 und andere). Eine zentrale Rolle in den Kooperationsvorgaben aller dreier Länder nimmt die Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen ein. Damit werden zwei Tendenzen deutlich: Zum einen zeigt sich, dass die drei Länder grundsätzlich mit der Förderung einer stärkeren Zusammenarbeit von Akteuren im Bereich der Humanvermögensbildung eine ähnliche Zielsetzung anstreben. Zugleich wird aber auch ersichtlich, dass insbesondere im Bereich der frühkindlichen Bildung noch Ansätze einer unterschiedlichen Familienideologie zwischen den westdeutschen und dem ostdeutschen Bundesland durchscheinen und darauf verweisen, dass dem privaten Bildungsort Familie in den beiden westdeutschen Ländern eine andere Bedeutung zukommt als in Brandenburg. Interessant ist allerdings, dass sich diese im Schulbereich weitgehend nivelliert haben, zumindest im Bereich der rechtlichen Ausgestaltung. 3.2.5 Reformbedarf auf kommunaler Ebene Insbesondere die auf kommunaler Ebene geführten Interviews machen deutlich, dass die kommunale Ebene derzeit auf eine Vielzahl von Entwicklungsprozessen reagieren muss, die vielfach in tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen begründet sind:
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert Veränderungen in den Binnenstrukturen von Familien durch steigende Trennungsquoten und zunehmend scharfe Auseinandersetzungen im Trennungsfall mit entsprechenden Auswirkungen auf Familien- und Jugendhilfeangebote; dem demografischen Wandel mit seinen Folgen einer stärkeren Heterogenität der Kommunen (insbesondere im ostdeutschen Bundesland Brandenburg), dem Abwandern qualifizierter Fachkräfte und der Verschiebung der Alterspyramide und Sozialstruktur der Gesellschaft sowie dadurch erhöhtem kommunalen Handlungsdruck; der Zunahme des Kinderschutzes als Aufgabe des öffentlichen Jugendhilfeträgers; der verstärkten Aufmerksamkeit für die Notwendigkeit frühkindlicher Bildungsangebote sowie für die Bedeutung des Themas „Kinder- und Familienfreundlichkeit“ nicht nur bei politischen Entscheidungsträgern, die – teilweise in Verbindung mit wachsendem Druck der Eltern – zu einer anderen Bedeutung von präventiven Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe in der politischen Diskussion führt und Kürzungen in diesem Bereich nicht mehr so leicht zur Disposition stehen lässt. Zeitgleich erhöhen sich durch die intensivere Fokussierung auf Qualitätsstandards sowie die Vielzahl neuer Aufgaben bei häufig gleich bleibender Ressourcenausstattung die Anforderungen an die Fachkräfte, was die Gefahr von Überforderung in sich birgt.
Diese Entwicklungen stellen die kommunale Politik vor große Herausforderungen, verhindern, in Verbindung mit der derzeitigen Dynamik in der Rechtsentwicklung, das Fortführen langjähriger Lösungen und erfordern Innovationsprozesse. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass in den vergangenen Jahren auf der kommunalpolitischen Agenda verschiedene neue Schwerpunkte aufgetaucht sind. Dazu wird im kommunalen Jugendhilfebereich von den Interviewten vor allem eine zunehmende Konzentration auf den Bereich der Kindertageseinrichtungen sowie die Neuentdeckung des Themas Kinderarmut gezählt. „Ich denke, es haben sich insgesamt – das ist aber relativ allgemein gehalten – drei, vier Schwerpunkte herausentwickelt. Einmal ist natürlich die zunehmende Konzentration auf den ganzen Bereich der Kindertageseinrichtungen, der Erziehung, Bildung und Betreuung vor und auch neben der Schule zu nennen. Das ist in den letzten Jahren das Feld, wo am meisten investiert wird und das auch am meisten im Fokus der öffentlichen und fachlichen Debatte ist.(…) Das zweite große Thema ist die ganze Frage der Armut von Kindern, was Auswirkungen hat auf die gesamte Sozialstruktur.(…) Und der dritte Punkt ist, dass Jugendhilfe insgesamt sehr stark unter einem Legitimationsdruck steht, einmal was in den letzten Jahren die Kostenentwicklung von Hilfen zur Erziehung angeht und die vielleicht noch nicht ausreichend ausgeprägten Steuerungsinstrumente, und damit zusammenhängend natürlich auch immer wieder die Diskussionen etwa im Bundesrat im Kontext der Föderalismusdebatte, was die Strukturen der Jugendhilfe anbelangt – also inwieweit letztendlich über die Organisationsgestaltungsmöglichkeiten der Länder die bewährte Struktur eines zweigliedrigen Jugendamtes in Frage gestellt oder vielleicht gefährdet wird. Das sind, glaube ich, die wesentlichsten Punkte, wo sich in den letzten Jahren etwas verändert hat“ (Text_H 19).
Der Legitimationsdruck, unter dem Jugendhilfe nach Angaben aller auf kommunaler Ebene Interviewten steht, wird allerdings – darauf deuten die Erfahrungen hin – durch die strategische Neuentdeckung der Familie im kommunalpolitischen Kontext abgeschwächt. Da nämlich durch die neue Fokussierung auf Familie die Zivilgesellschaft ganz anders angesprochen und einbezogen werden könne als dies durch reine Jugendhilfearbeit möglich war, habe dies positive Folgen für die politische Durchsetzbarkeit:
3.2 Konzeptionelle Grundlagen in den Bundesländern
237
„Ich glaube, dass die strategische Orientierung auf Familie im kommunalpolitischen Kontext vieles erleichtert hat. Wenn man es historisch betrachtet, gab es ja eigentlich kommunale Familienpolitik bis vor sieben oder acht Jahren überhaupt nicht. Familienpolitik war immer entweder als Bundes- und Landesleistungen ausschließlich auf monetäre Leistungen bezogen oder es war das Angebotsspektrum der Jugendhilfe, was es letztendlich heute auch noch ist. Durch diese strategische Orientierung auf Familie hat man die Zivilgesellschaft ansprechen können, die man mit reiner Jugendhilfe nicht erreicht hat, die ja immer ein bisschen in dem Geruch stand der Jugendfürsorge – dieser klassische Bereich ‚Jugendamt nimmt Kinder weg und ist für Not und Elend zuständig‘, was ja völlig falsch ist auch vom Verständnis her. Aber dieses Bild, der Topos ‚Familie‘ hat dazu geführt, dass man Kreise und Bereiche erschließen konnte, an die man sonst nicht herankommt“ (Text_H 27).
Angesichts dieser verbesserten Durchsetzbarkeit kann das zunehmende kommunale Engagement in der Familienpolitik auch als (mehr oder weniger bewusste) strategische Entscheidung gewertet werden. Damit wird nicht nur eine starke Dynamik im weiten Feld der Bildung, Betreuung und Erziehung, sondern auch die wachsende Bedeutung der Kommunen als familienpolitische Akteure im föderalen Staatsaufbau deutlich. 3.3 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich in den Ländern 3.3.1 Öffentliche Verantwortung für frühkindliche Bildung 3.3.1.1 Der Bildungsort Familie Der Bereich der frühkindlichen Bildung wurde in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft als vornehmlich in privater Verantwortung der Familie befindlich angesehen, in der DDR dagegen in erster Linie als staatliche Aufgabe betrachtet und in öffentlicher Verantwortung durchgeführt. Wie stark diese Sichtweise auch heute in der Politik der Bundesländer noch nachwirkt, zeigt sich, wenn man diesbezüglich die entsprechenden Gesetzestexte sowie Verlautbarungen der Landesregierungen betrachtet sowie die Aussagen der Interviewpartner/innen ergänzend hinzuzieht. Trotz Annäherungsprozessen zwischen den Ländern, die als Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungsprozesse verstanden werden können, kommt der „Familie“ als Bildungsort in den drei Ländern in offiziellen Dokumenten offensichtlich eine unterschiedliche Bedeutsamkeit zu. Im langjährig christlich-sozial regierten Bayern, in dem die Familie traditionell als Bildungsort einen gegenüber öffentlichen Einrichtungen vordringlichen Unterstützungsanspruch des Staates genoss, zeigt sich dabei die höchste Wertschätzung, verbunden mit dem größten Zutrauen in familiale Leistung. So finden sich in den zu Beginn der letzten Legislaturperiode von der Regierung herausgegebenen öffentlichen Verlautbarungen deutliche Aussagen zur Wertschätzung von Ehe und Familie, die die Bedeutsamkeit von beidem für das gesellschaftliche Zusammenleben und die exklusive Wertvermittlungsfunktion von Familie betonen: „Ehe und Familie sind die Grundlage für die Solidarität und das Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Wir setzen uns für die Wahlfreiheit der Eltern bei der eigenen Lebensgestaltung ein und schaffen bestmögliche Rahmenbedingungen für Eltern und Kinder“ (CSU 2003: 11).
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert „Denn Kinder sind unsere Zukunft und die Familie der Ort, wo sich Einstellungen, Wertorientierung, Bindungsfähigkeit und Verlässlichkeit ausbilden. In der Familie werden grundlegende Werte vermittelt: Liebe, Geborgenheit, Zuverlässigkeit, Leistungsbereitschaft, Vertrauen und Selbstvertrauen, Hilfe des Stärkeren für den Schwächeren. Das gibt es nur in der Familie und nur dort“ (Bayerischer Landtag 2003: 55).
Dieser Anspruch führt dazu, dass den öffentlichen Einrichtungen im Elementarbereich gesetzlich eine nachrangige Erziehungsfunktion zugewiesen wird: „Die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern liegt in der vorrangigen Verantwortung der Eltern. (…) Die Kindertageseinrichtungen und die Tagespflege ergänzen und unterstützen die Eltern hierbei. Das pädagogische Personal hat die erzieherischen Entscheidungen der Eltern zu achten“ (Art. 4 BayKiBiG).
Dieser verankerten Funktionszuschreibung zum Trotz hat allerdings, nach übereinstimmender Aussage sämtlicher bayerischer Interviewpartner/innen, die öffentliche Kleinstkindpädagogik in ihrer Bedeutung in den vergangenen Jahren eine Aufwertung erfahren. Ein gesellschaftliches Umdenken hat die Entscheidungsträger/innen mehr und mehr unter Druck gesetzt, die öffentliche Verantwortung für den frühkindlichen Bereich auszubauen. „Als jahrzehntelange Kämpferin für Kinderkrippen kann ich bestätigen, dass es schon ein starkes Umdenken gibt. Vorher liefen die Diskussionen immer so ab: ‚Ja, die Kinder unter Drei sollten doch bei der Mutter sein’. Und dann haben die Leute sich immer verbessert: ‚..bei den Eltern’. Aber sie haben schon die Mütter gemeint. Und das wäre schlecht für die Kinder. Der Wert einer [öffentlichen] Kleinstkindpädagogik wurde überhaupt nicht gesehen. Es wurde eigentlich höchstens akzeptiert, wenn eine Frau alleinerziehend und berufstätig war. Die Akzeptanz für die Kleinstkinderbetreuung hat sich stark verändert. Das liegt (..) sicherlich daran, dass es bei den CSU-Frauen welche gab, die das einfach diskutiert haben. Die wurden auch ihrerseits massiv von außen unter Druck gesetzt. Wir haben jahrzehntelange Auseinandersetzungen darüber, ob jetzt Fremdbetreuung von unter Dreijährigen akzeptabel ist oder nicht“ (Text_F 25, 26).
Diese Entwicklung eines veränderten Bewusstseins hin zu einer verstärkten Übernahme öffentlicher Verantwortung für die Erziehung und Bildung von Kindern zeigt sich auch in Nordrhein-Westfalen. „Es hat sich das Bewusstsein geändert, sowohl bei mir als auch hier im Jugendamt insgesamt als auch sicherlich in der Politik. Das Bewusstsein hat sich geändert, dass man nicht mehr so stark wie früher etwas naserümpfend Eltern, speziell Mütter, vielleicht betrachtet hat, die ihre Kinder in eine Betreuung geben, insbesondere meine ich natürlich die unterhalb von drei Jahren. Das ist nun auch auf dem Land mit etwas konservativen Strukturen eher der Fall, das so gedacht wird. Aber ich glaube, das hat sich durch die öffentliche Diskussion und letztlich auch durch den rechtlichen Anspruch, der jetzt aufgebaut worden ist, doch deutlich geändert. Wir müssen uns diesem Anspruch nun auch stellen, die Arbeitswelt erfordert das so“ (Text_K 54).
Wie in Bayern, so wird auch in Nordrhein-Westfalen im Gesetz die vorrangige Erziehungsverpflichtung der Eltern im frühkindlichen Bereich betont. Allerdings wird dies hier verbunden mit der Aufgabe von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege, „Eltern in der Wahrnehmung ihres Erziehungsauftrages“ zu unterstützen (§ 2 KiBiz). Daneben wird im Gesetz als eine der Kernaufgaben von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege
3.3 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich
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„die Beratung und Information der Eltern insbesondere in Fragen der Bildung und Erziehung“ (§ 3 KiBiz) festgeschrieben. Zugleich wird Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege kein „ergänzender“, wie in Bayern, sondern ein „eigenständiger Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag“ (ebd.) zugeschrieben. Dies deutet bereits auf ein etwas anderes Familienbild hin als es in Bayern durchscheint: Familie wird in NordrheinWestfalen offensichtlich als Bildungs- und Erziehungsort angesehen, der im frühkindlichen Bereich vorrangig Verantwortung trägt, allerdings der staatlichen Unterstützung und Förderung bedarf, um seinen Aufgaben gerecht werden zu können. Auf eventuelle parteipolitische Unterschiede weist in diesem Kontext die Tatsache hin, dass in Nordrhein-Westfalen noch im Vorgängergesetz von 1986, dem Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (GTK), ein solcher Vorrang der elterlichen Erziehungsverantwortung nicht zu finden war. Dort hatte es geheißen: „Der Kindergarten ist eine sozialpädagogische Einrichtung und hat neben der Betreuungsaufgabe einen eigenständigen Erziehungs- und Bildungsauftrag als Elementarbereich des Bildungssystems. Die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes und die Beratung und die Information der Erziehungsberechtigten sind von wesentlicher Bedeutung; der Kindergarten ergänzt und unterstützt dadurch die Erziehung des Kindes in der Familie“ (§ 2 GTK).
Im brandenburgischen Kindertagesstättengesetz sucht man einen Verweis auf die vorrangige Erziehungsverantwortung der Eltern dagegen vergeblich. Die Familie taucht als vorrangiger Bildungsakteur und -ort im Elementarbereich nicht auf, stattdessen stehen sich elterlicher Auftrag und der Erziehungsauftrag der Einrichtungen gleichberechtigt gegenüber: „Kindertagesstätten erfüllen einen eigenständigen alters- und entwicklungsadäquaten Betreuungs-, Bildungs-, Erziehungs- und Versorgungsauftrag (...) Sie ergänzen und unterstützen die Erziehung in der Familie und ermöglichen den Kindern Erfahrungen über den Familienrahmen hinaus“ (§ 3 KitaG).
Neben der Benennung einer vorrangigen Erziehungsverpflichtung der Eltern fehlt im Gesetz ebenso die Vorgabe an das pädagogische Personal in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege, die erzieherischen Entscheidungen der Eltern zu beachten. Im Koalitionsvertrag der Landesregierung 2004 wird Familie auch lediglich als Ort benannt, „wo Kinder aufwachsen“ und „Eltern im Alter gepflegt werden“ (SPD/CDU 2004: 21), ohne das Erziehung bzw. Bildung der nachwachsenden Generation als Aufgabe von Eltern explizit benannt würden. Die öffentliche Verantwortung für die frühkindliche Bildung und Erziehung ist in Brandenburg offensichtlich weiter verbreitet als in den beiden anderen Bundesländern, was die Familien zwar nicht aus ihrer Verantwortung entlässt, allerdings die staatliche Verantwortung für die Unterstützung der Erziehungskraft besonders betont: „Die Ergebnisse der PISA-Studien und andere empirische Befunde zeigen nicht nur bildungspolitische Handlungsbedarfe, sondern unterstreichen auch die Notwendigkeit, Sozial-, Familien-, Kinder-, Jugend- und Bildungspolitik gezielter zu verbinden. Wer allgemeine und individuelle Bildungsleistungen nachhaltig verbessern will, muss zugleich die Bildungsvoraussetzungen in den Familien unterstützen. Denn die Grundlagen für die Fähigkeit zum Lernen werden zuallererst in der Familie gelegt (...) Die Voraussetzungen dafür müssen weiter verbessert werden. Unabhängig von der finanziellen Situation der Eltern haben alle Kinder ein gleiches Recht auf gute
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert Bildung und damit auf die Entwicklung ihrer Potenziale und Chancen. Das Bildungssystem ist ein wichtiges Instrument zur Schaffung von Chancengleichheit, und die Bildungspolitik der Landesregierung setzt sich das Ziel, kein Kind zurückzulassen“ (MASGF u.a. 2005: 9).
Dazu passt der in den Expert/inneninterviews durchscheinende Anspruch des Landes, die Menschen bei der Entwickelung ihrer Bildungsvorstellungen begleiten zu wollen (s. Kap. 3.2.1 und 3.3.2.1): Staatliches Handeln geht hier offensichtlich anders als in NordrheinWestfalen und vor allem als in Bayern erheblich weniger von einem privaten Bildungsort Familie aus, dessen Erziehungs- und Bildungsziele und -entscheidungen von Seiten des Staates unhinterfragt zu akzeptieren sind, solange sie nicht dem Kindeswohl diametral widersprechen. Vor dem Hintergrund dieser Sichtweise vom Bildungsort Familie wäre zu vermuten, dass staatliche Maßnahmen zur Stärkung der Erziehungskompetenz in den Familien
vor allem in Nordrhein-Westfalen gefördert werden, das die vordringliche Erziehungsverpflichtung der Eltern betont, aber ebenso ihre Unterstützungsnotwendigkeit benennt, etwas weniger in Brandenburg, das zwar die Unterstützungsnotwendigkeiten von Familie betont, aber daneben auf die starke Stellung familienergänzender Erziehungsund Bildungsangebote setzt und am wenigsten in Bayern, das den Bildungsort Familie am stärksten von den drei Ländern als Schonraum ansieht, in den der Staat nicht einzugreifen habe, eine Sichtweise, wie sie als „klassisch westdeutsche Reaktion“ von einem Interviewten benannt wurde.
Und in der Tat ist diese Tendenz zum Ausbau von Angeboten mit dem Ziel der Stärkung elterlicher Erziehungskompetenz auszumachen, wobei die Unterschiede zwischen den Bundesländern nicht so groß sind wie vermutbar wäre. Wie häufig in der Familienpolitik deutet sich auch hier eine Überlagerung der ehedem ideologisch-normativen Ausrichtung durch eine neue Problemfokussierung an. Nordrhein-Westfalen ist seit 2007 dabei, flächendeckend seine Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren auszubauen. Bis zum Jahr 2012 sollen ein Drittel aller Einrichtungen im Land diesbezüglich weiterentwickelt sein. Bereits die Namensänderung von Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren deutet an, dass es darum geht, die vorrangige Fokussierung auf Kinder zu erweitern auf Unterstützungsangebote für Familien, also Eltern und Kinder. Als zusätzliche Aufgaben der Familienzentren im Vergleich zu Kindertageseinrichtungen werden im Gesetz benannt: „1. Beratungs- und Hilfsangebote für Eltern und Familien bündeln und miteinander vernetzen, 2. Hilfe und Unterstützung bei der Vermittlung von Tagesmüttern und -vätern und zu deren Beratung oder Qualifizierung bieten, 3. die Betreuung von unter dreijährigen Kindern und Kindergartenkindern außerhalb üblicher Öffnungszeiten von Kindertageseinrichtungen gewährleisten oder vermitteln, 4. Sprachförderung für Kinder und ihre Familien anbieten“ (§ 16 KiBiz).
Damit werden Maßnahmen aufgezählt, die sehr stark die Zielgruppe Eltern und die Stärkung von deren Kompetenzen im Blick haben sowie den Ausbau öffentlicher Betreuungsangebote für Kinder und damit eine Verlagerung von Erziehung weg vom Bildungsort
3.3 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich
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Familie hin zu den Bildungsorten Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege. Dies impliziert eine deutliche Stärkung der Fürsorgefunktion der Einrichtungen. Dadurch, dass die Einrichtungen mit einer höheren Finanzierung ihrer Arbeit bedacht werden, wenn sie sich als Familienzentren zertifizieren lassen, werden sie zur Durchführung solcher Maßnahmen motiviert. Gleiches gilt für die Einrichtungen der Familienberatung und -bildung, deren Erhalt öffentlicher Fördermittel an Kooperationsbeziehungen mit anderen Einrichtungen der Jugendhilfe gebunden ist. In den Expert/inneninterviews wurde von kommunalen Vertreter/innen in Nordrhein-Westfalen übereinstimmend rückgemeldet, dass die Ressource Kindertageseinrichtung für die Elternbildungsarbeit vor Ort mehr und mehr genutzt würde, vor allem dort, wo ein starker Bedarf signalisiert werde, bedingt allerdings nicht nur durch das Engagement des Landes, sondern besonders durch die konkreten Problemlagen vor Ort: „Die Ressource Kindertageseinrichtung haben wir schon genutzt, bevor der Herr Laschet die Idee mit den Familienzentren hatte. Die Räume stehen halt abends leer. Man muss nur ganz deutlich sagen: Man darf in der Kindertageseinrichtung natürlich nicht die Betreuerin, die Erzieherin, abends für den Mutterkurs gewinnen, sondern das muss zusätzlich gemacht werden. Das machen wir, zwar noch nicht flächendeckend, aber dort, wo ein Bedarf deutlich signalisiert wird. Also, wenn wir aus einer Kindertageseinrichtung oder mehreren, die sozialräumlich nah zusammen wohnen, die Hinweise bekommen: ‚Wir haben ein Problem mit jungen Müttern, könnt ihr dann nicht mal irgendetwas machen?’ – dann machen wir das auch“ (Text_G 139).
Neben Nordrhein-Westfalen hat auch Brandenburg ein kinder- und familienpolitisches Ausbauprogramm gestartet, zu dessen zentralen Zielen es gehört, neben der besseren Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit die Erziehungskraft der Eltern zu stärken (MASGF u.a. 2005: 5). Zu den in diesem Rahmen geförderten Maßnahmen werden unter anderem die Weiterentwicklung von „familientypischen“ Orten – wie etwa Kindertagesstätten, Schulen, Einrichtungen des Gesundheitswesens und diverse Freizeitangebote – zu Eltern-Kind-Zentren gezählt, die „eine gezielte Bündelung pädagogischer, medizinischer und sozialer Kompetenz [bieten] und (..) so Eltern bei ihren vielfältigen Aufgaben unterstützen“ können (MASGF u.a. 2005: 15). Daneben sollen die Orte, an denen Familien mit besonderen sozialen und Erziehungsproblemen häufiger anzutreffen sind, stärker für die Familienbildungsarbeit genutzt werden, zum Beispiel die vom Land geförderten Familienerholungsmaßnahmen. Eltern sollen zudem stärker als bisher in die Arbeit von Kindertagesstätten und Grundschulen einbezogen werden. „Damit in beiden Einrichtungen gemeinsame Elternarbeit möglich wird, sollen unter anderem Informationsangebote, Elternkurse und Elternfortbildungen eingerichtet werden. Wo es besonders notwendig ist, sollen die Eltern bei ihren Erziehungsaufgaben zusätzlich mit Gutscheinen für Trainingsangebote unterstützt werden“ (MASGF u.a. 2005: 13).
Klarer als Nordrhein-Westfalen setzt Brandenburg dabei auf innovative Methoden, um Eltern, insbesondere ungebildete, besser zu erreichen. Im Gegensatz zu Bayern und Nordrhein-Wesfalen wird die Fremdheit von Klienten und Fachkräften als eigentliches Problem der familienbezogenen Dienste und Herausforderung angesehen und benannt und versucht, mit anderen als den traditionell üblichen Methoden sozial schwächere und ungebildete Eltern zu erreichen – dies mit großem Erfolg.
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Beispiel: Spielkreise in der Stadt Potsdam Ein Beispiel für ein innovatives, über die herkömmlichen Angebote hinausgehendes Konzept stellen die in der Stadt Potsdam in Zusammenarbeit mit der pme Familienservice GmbH angebotenen pädagogisch begleiteten Spielgruppen dar: Dort können Kinder im Alter von null bis drei Jahren teilnehmen, deren Eltern aufgrund von Arbeitslosigkeit oder geringer Erwerbstätigkeit nur einen geringen Betreuungsbedarf haben, aber an der Erziehung und Entwicklung ihrer Kinder teilhaben wollen. Das freiwillige und kostenfreie Angebot bietet den Kindern an fünf Tagen in der Woche für je sechs Stunden (das Teilen der Plätze über ein „Platzsharing“ ist möglich) einen Förderungsraum. Daneben haben Eltern die Möglichkeit, Kenntnisse über die Entwicklung ihrer Kinder und deren Bedürfnisse zu erhalten und können ein Netzwerk der gegenseitigen Unterstützung und des gegenseitigen Lernens aufbauen. Die Betreuung und Leitung der Gruppen erfolgt durch Laienbetreuerinnen, die aus dem Kreis der „Betroffenen“ rekrutiert werden und ein Grundtraining sowie begleitende Qualifikationsangebote erhalten. Unterstützt werden sie durch Family Worker der Träger, die die Gruppen begleiten und koordinieren. Besonderes Augenmerk legen diese „auf die Zusammenarbeit mit den Eltern und der Nachbarschaft, ggf. auch durch Hausbesuche“ (Stadt Potsdam/pme Familienservice 2007: 3). Das gesamte Konzept wird durch externe Expert/innen begleitet und weiterentwickelt sowie evaluiert. Die Entwicklung der Kinder wird mit standardisierten Verfahren in Kooperation mit der Fachhochschule oder Universität Potsdam dokumentiert. Das überaus erfolgreiche Modell – Zitat eines Experten: „Wir müssen die Mütter abends rausfegen, damit sie nach Hause gehen“ (Text_C 105) – bedient sich damit „der Elemente von erprobten und innovativen Ansätzen und stellt sie zu einem neuen Konzept zusammen“ (Stadt Potsdam/pme Familienservice 2007: 2). Beispiel: Konzept zur Familienbildung als Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe im Landkreis Potsdam-Mittelmark Der Landkreis Potsdam-Mittelmark hat in den vergangenen Jahren ein Konzept zur Familienbildung entwickelt, um mit einem „adressatengerechten Bildungsangebot“ (Landkreis Potsdam-Mittelmark 2005) alle Eltern anzusprechen und die sozialraumorientierte Umsetzung des § 16 SGB VIII sicherzustellen. Mit der Entwicklung wurde die AG Familienbildung nach § 78 SGB VIII beauftragt, die einzige anerkannte AG im Land Brandenburg für den Bereich Familienbildung, was bereits zeigt, welch große Bedeutung der Landkreis diesem Thema beimisst, das ansonsten in der Jugendhilfe häufig stiefmütterlich behandelt wird. Die Konzepterstellung stellte deshalb eine besondere Herausforderung dar, weil im Landkreis bisher weder Familienbildungsstätten noch Familienzentren vorhanden sind. Das heißt es müssen andere Strukturen genutzt bzw. ausgebaut werden. Diese sollten für möglichst alle Eltern erreichbar und zugleich niedrigschwellig sein. Mit einer Fragebogenaktion wurde Ende 2003 der Bestand an Familienbildungsangeboten im Landkreis erhoben. Vor dem Hintergrund der dabei gewonnenen Erkenntnisse (unter anderem zu präferierten Themen, Terminen und Veranstaltungsorten) wurden in der Folgezeit in Zusammenarbeit mit Schulen, Kindertageseinrichtungen und Jugend- und Berufshilfeträgern sowie Wohlfahrtsverbänden Veranstaltungen ausgebaut. Eine Koordinierungsstelle für Familienbildung wurde 2008 eingerichtet. Die AG hat zudem Prüfkriterien erarbeitet, die Anbieter und Träger von Familienbildung im Landkreis nachweisen müssen, um öffentliche Fördermittel zu erhalten.
Über diese kommunalen Beispiele hinaus fördert das Land die Information von Eltern über den verstärkten Einsatz von Online-Angeboten, wie Online-Portale und eine OnlineBibliothek, in der wichtige Artikel archiviert werden. „Wir haben [Internet-]Foren zur Kindertagesbetreuung. Recht und Struktur, zum Thema Elternbeiträge, Pädagogik, Fachdiskussionen (…) da ist eine ziemlich dynamische Entwicklung in Gang gekommen“ (Text_C 119, 120).
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Die Nutzerzahlen weisen auf eine große Akzeptanz des Angebots hin: „Auf die Internetforen ist bis Ende 2005 100.000mal zugegriffen worden (allein in den letzten neun Monaten 50.000mal) und die Online-Bibliothek stößt ebenso wie die KitaDebatte sogar außerhalb des Landes auf reges Interesse“ (MBJS 2006: 19).
Brandenburg setzt mit den hier beispielhaft aufgeführten Maßnahmen auf eine Stärkung von Elternkompetenzen und hält sich mit der flächendeckenden Einführung derartiger Maßnahmen eher zurück. Stärker als Nordrhein-Westfalen scheint Brandenburg auf die Einsichtnahme und das Interesse der im Bereich der Jugendhilfe tätigen Fachkräfte zu setzen und überlässt die Planung eher den Landkreisen und Kommunen. Dies wird auch mit der unterschiedlichen Situation im Land begründet: „Wir wollten nicht das einheitliche Landesmodell implementieren, das hätte auch nicht funktioniert, weil die Bedingungen zwischen der Uckermark und Potsdam sehr unterschiedlich sind.(…) Was wir jetzt fördern, ist ein ganz breites Spektrum“ (Text_C 97, 98).
Beide Bundesländer verfolgen damit den Ansatz der Verknüpfung von ElternBildungsarbeit, der Vernetzung sozialer Dienste, der Bündelung familienbezogener Angebote sowie der Schaffung von niedrigschwelligen Angeboten zur Elternunterstützung. Bayern dagegen betrachtet die Familie offensichtlich sehr viel stärker als NordrheinWestfalen und Brandenburg als privaten Raum, in den der Staat nicht einzugreifen habe. Dies zeigt sich nicht nur am Einsatz der CSU und der bayerischen Landesregierung für ein Betreuungsgeld, das ab 2013 an Eltern gezahlt werden soll, die ihre Kinder zu Hause erziehen. Darüber hinaus intendiert die bayerische Landesregierung anders als die Regierungen der beiden anderen Länder die Förderung der Erziehungskraft der Eltern vor allem über finanzielle Zuwendungen, nicht über Bildungsangebote. Damit wird den Eltern die Entscheidung überlassen, inwieweit und auch wie diese Zuwendungen in die Bildung und Erziehung der Kinder investiert werden. „Wir wollen deshalb Familien mehr fördern als bisher. Wir wollen mehr und bessere Möglichkeiten für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Oberster Grundsatz ist die Wahlfreiheit der Eltern. Zur echten Wahlfreiheit gehört für uns auch die finanzielle Förderung der Erziehung und Betreuung in der Familie. Deshalb bleibt das Landeserziehungsgeld trotz der schwierigen Haushaltslage erhalten“ (Bayerischer Landtag 2003: 55, s. dazu auch CSU 2003: 11).
Interessanterweise wird in diesem Kontext von „Erziehung und Betreuung in der Familie“ gesprochen, Bildung wird dagegen nicht erwähnt. Während zudem Kindertageseinrichtungen durch das alte Kindergartengesetz, das bis 2005 galt, noch die Aufgabe hatten, Eltern in Erziehungsfragen zu beraten (Art. 7 Bay. Kindergartengesetz), ist hiervon im neuen Bayerischen Kinderbildungsgesetz nicht mehr die Rede. Angebote zur Stärkung der Erziehungskompetenz der Familien finden nach Auskunft der beiden untersuchten Kommunen flächendeckend denn auch allein in den klassischen Familienbildungseinrichtungen statt, ohne dass hier eine stärkere Erreichbarkeit gering gebildeter oder sozial schwacher Eltern angedacht wäre. Familie wird offenkundig in Bayern erheblich stärker als in den anderen beiden Bundesländern als funktionierendes System angesehen bzw. erlebt, das in der Fläche zwar
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durch finanzielle Hilfen gestärkt, aber nicht in seiner Bildungs- und Erziehungsfunktion durch Maßnahmen unterstützt werden muss – von Migrantenfamilien einmal abgesehen, die durch Sprachfördermaßnahmen im Rahmen der Integrationspolitik flächendeckend unterstützt werden sollen. Unabhängig von der unterschiedlichen rechtlichen Verankerung der Erziehungsfunktion der Familie in den drei Ländern besteht in allen drei Bundesländern die Tendenz, dass Familie als Erziehungsort gestärkt werden müsse. Während allerdings der Trend in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen hin zu einer stärkeren öffentlichen Unterstützung der familialen Bildung durch pädagogische Maßnahmen geht, stärkt Bayern durch finanzielle Maßnahmen die private Verantwortung der Familien. 3.3.1.2 Umgang mit dem Bildungsanspruch kleiner Kinder Wenn es um die Untersuchung der öffentlichen Verantwortung für den frühkindlichen Bildungsbereich geht, interessiert vor allem, wie mit dem Bildungsanspruch kleiner Kinder in den drei Ländern umgegangen wird. Dies betrifft das Ausmaß des Platzangebotes in öffentlichen Bildungseinrichtungen ebenso wie die Ausgestaltung dieser Plätze. In ihrer Darstellung der Handlungsaktivitäten der Bundesländer nach PISA konstatierte Hovestadt (2003) im Elementarbereich drei übergreifende Handlungsfelder und Zielsetzungen der Länder in ihrer Politik:
den quantitativen Ausbau der Angebote, eine verstärkte Kommunalisierung (also die Erweiterung der Entscheidungsspielräume der Kommunen) und die Realisierung des Bildungsauftrags, deren Klärung die Länder über Bildungsprogramme etc. herbeigeführt haben (Hovestadt 2003: 5).
Die unterschiedlichen Voraussetzungen in den Bundesländern sowie die verschiedenartige Interpretation öffentlicher Verantwortung machen sich dabei in unterschiedlichen Entwicklungslinien in der Politik der Länder, insbesondere im frühkindlichen Bildungsbereich, bemerkbar. Für die beiden westdeutschen Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen zeigt sich eine Entwicklung, die analog der bundespolitischen (Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, TAG etc.) mit verschiedenartigen Schwerpunkten abzulaufen scheint: Während der Ausbau der Infrastruktur für die drei- bis sechsjährigen Kinder in den 1990er Jahre eine erste Entwicklungslinie markierte, ausgelöst durch die Neuorganisation des Schwangerenabbruchrechts infolge einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1993, trat ungefähr mit der Jahrtausendwende der Ausbau der Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen als zweite Entwicklungslinie in den Vordergrund. „Also nicht nur zu gucken, dass ein Platz überhaupt da ist, sondern dass dort auch sehr konkret Bildungsarbeit gemacht wird. Ein Höhepunkt dieser Debatte war (..) das Bekanntwerden der PISA-Ergebnisse“ (Text_B 7).
Als anschließend folgende Entwicklungslinie wird der quantitative Ausbau der Plätze für unter drei und über sechsjährige Kinder eingeschätzt.
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„Ich habe den Eindruck, dass seit geraumer Zeit wieder der Versorgungsgedanke im Vordergrund steht: Plätze schaffen! Einmal im Blick auf die Grundschulkinder – die Offene Ganztagsgrundschule hat uns parallel zu PISA und nach PISA nachhaltig beschäftigt – und jetzt, unmittelbar durch das TAG ausgelöst, die Frage der Versorgung der unter drei Jahre alten Kinder“ (Text_B 8).
Zugleich wird (Stand: 2006) die Schwierigkeit gesehen, den qualitativen und quantitativen Ausbau voranzutreiben. „Wenn man sich den Koalitionsvertrag – wir haben ja einen Regierungswechsel nach fast 40 Jahren gehabt – der neuen, die Regierung tragenden Fraktionen im nordrhein-westfälischen Landtag ansieht, spricht er, wenn ich die beiden skizzierten Entwicklungslinien in den Blick nehme, eine deutliche Sprache: Zum einen wird der Ausbau der Kindertagesbetreuung als eine Bildungsaufgabe betont. Andererseits aber führt er auch eine klare Sprache, was den Ausbau des Platzangebots angeht. Insofern gibt es keine klare Schwerpunktsetzung, sondern den Versuch, beides zu realisieren, was, wie jetzt ein Jahr Erfahrung zeigt, nicht so ganz einfach unter einen Hut zu bringen ist“ (Text_B 10).
Diese Schwierigkeit, den quantitativen Ausbau sowie die qualitative Ausgestaltung zugleich voranzutreiben, stellt eine Herausforderung für die Politik in den beiden westdeutschen Bundesländern dar und liegt in dem geringen Versorgungsgrad mit Plätzen für unter dreijährige Kinder sowie solchen, die ganztags zur Verfügung stehen, begründet (s. dazu auch Tabelle in Kap. 2.2.3). Offenbar wurde die Funktion von Kindertageseinrichtungen lange nicht darin gesehen, Kinder so zu betreuen, dass Eltern, insbesondere Müttern, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtert wurde. „Wenn woanders länger der Bildungsaspekt vernachlässigt wurde, dann wurde bei uns ganz lange Jahre der Betreuungsaspekt vernachlässigt, indem überhaupt keine Rücksicht auf berufstätige Eltern genommen wurde. Als ich hier anfing, da gab es noch ganz viele Kindergärten, die um 12 Uhr zugemacht haben. Wie soll denn eine Frau halbtags berufstätig sein, wenn sie um 8 Uhr ihr Kind bringen kann, um 12 Uhr schon wieder abholen muss?“ (Text_F 32).
Auch bestätigte sich in der Untersuchung die These, wonach die Kommunen durch den Ausbau von Kindergartenplätzen zur Erfüllung des Rechtsanspruchs für drei bis sechsjährige Kinder in anderen Bereichen Betreuungs- und Bildungsplätze abgebaut haben. Die Erfüllung des Rechtsanspruchs für drei bis sechsjährige Kinder ging damit zumindest in Teilen auf Kosten der unter Drei- und über Sechsjährigen-Betreuung: „Und X. war die erste Kommune in Nordrhein-Westfalen, die beispielsweise trotz desaströser Finanzsituation den Rechtsanspruch nach 1995 für die Drei- bis Sechsjährigen erfüllt hat. Das war eine ziemlich teure Leistung – natürlich auf Kosten anderer Späße, wie Unter-DreijährigenBetreuung und Über-Sechsjährigen-Betreuung, klar. Da haben wir eine miese Quote“ (Text_G 12).
Als Gründe für die Ausbaupläne beider Bundesländer wird neben den veränderten rechtlichen Vorgaben des Tagesbetreuungsausbaugesetzes vor allem auf die steigende Elternnachfrage sowie (vor allem in Bayern sowie dem ländlichen Kreis in Nordrhein-Westfalen) eine veränderte öffentliche Wahrnehmung und politische Diskussion verwiesen:
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert „Es ist auf jeden Fall leichter geworden neue Einrichtungen zu schaffen, weil die Gemeinden schon jetzt umdenken. Die wissen, wir brauchen Krippen – in Bayern ist ja doch großer Nachholbedarf an Kinderkrippen und an Hortplätzen. (…) für Krippen und Horte, da hatte man bisher kein Ohr, wenn ich das so salopp ausdrücken darf. Sie haben immer gesagt: ‚Ja, wenn man was schafft, dann schafft man auch Bedürfnisse oder Bedarfe. Das zieht eine Nachfrage an sich, wenn ich eine Einrichtung schaffe’. Da hat ein Umdenken stattgefunden. Den Politikern ist klargeworden: Wir brauchen gute Kinderbetreuungseinrichtungen, damit die Familien in der Lage sind, Familie und Beruf zu vereinbaren. Und hier ist ganz eindeutig auch auf Gemeindeebene Umdenken wahrnehmbar“ (Text_F 18).
Besonders die Wirtschaft wird dabei in Bayern wahrgenommen als einflussreicher Akteur beim Agenda-Setting dieses Policy-Bereichs. „Wir haben natürlich auch, was die Betreuungssituation von U3 [unter 3-jährigen Kindern] anbelangt, in U. eine katastrophale Situation. Das hängt oder hing natürlich ein Stück weit mit der spezifisch bayerischen Situation zusammen, durch die wir keinerlei Förderung hatten. Das hat sich alles in den letzten Jahren verändert, auch, sage ich jetzt einmal, aufgrund der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, die das mit gefordert hat; das war maßgeblich mit Ausschlag gebend, dass sich da in der CSU ein gewisser Gesinnungswandel und Paradigmenwechsel ergeben hat“ (Text_H 33).
Der Ausbau von Betreuungs- und Bildungsplätzen wird in beiden Bundesländern allerdings mit einer leicht unterschiedlichen Zielrichtung betrieben. In Nordrhein-Westfalen hat das Land eine zweistufige Entwicklung intendiert, um die „unbefriedigende Betreuungssituation“ (CDU/FDP 2005: 38) zu ändern:
20.000 Plätze sollen für unter zweijährige Kinder im Land im Rahmen einer „Initiative für Tagespflege“ entstehen. Dazu ist mit dem neuen Kinderbildungsgesetz die landesgesetzliche Grundlage geschaffen worden, um „die Vermittlung von Tagesmüttern und -vätern, die fachliche Beratung, Begleitung und weitere Qualifizierung [zu] unterstützen sowie ein besseres Zusammenspiel der verschiedenen Betreuungsmöglichkeiten (zu) gewährleisten“ (ebd.). Zum Zweiten soll der demografische Wandel und der Rückgang der Kinderzahlen dazu genutzt werden, durch die Umwandlung von Plätzen für Kindergartenkinder vermehrt zweijährige Kinder in die Einrichtungen zu integrieren. Gruppen in den Kindertageseinrichtungen sollen also künftig zwei- bis sechsjährige statt bisher drei- bis sechsjährige Kinder umfassen (ohne nennenswerte Veränderungen bei Personalressourcen oder Räumlichkeiten). Wie der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung 2005 erklärt hat, sollen die Kommunen durch das neue Kinderbildungsgesetz in die Lage versetzt werden, „ein entsprechendes Angebot in den freiwerdenden Kindergartengruppen zu schaffen. Wir werden die Kommunen von möglichst vielen Bauund Betriebsstandards befreien. Damit schaffen wir Schritt für Schritt eine Steigerung der Betreuung von Unterdreijährigen von heute 2,8 auf 20%“ (Rüttgers 2005: 29).
Auch Bayern hat den Ausbau an Betreuungs- und Bildungsangeboten im Elementar- und Primarbereich geplant:
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„Wir werden die Förderung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen verbessern. Bis Ende 2008 wollen wir Bedarfsdeckung erreichen. Für Schulkinder werden wir jährlich 5.000 Plätze in Horten und Ganztagsangeboten schaffen, sowie jährlich 1.000 Plätze für Kinder unter drei Jahren. Die werden wir weiter ausbauen. Eigeninitiative in der Förderung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen soll einen noch höheren Stellenwert als bisher haben. Soweit übertriebene rechtliche Barrieren diese Eigeninitiative behindern, wollen wir sie abbauen“ (CSU 2003: 11).
Neben dem Ausbau der Angebote für Kinder unter drei Jahren beinhaltet dies den Ausbau von Hort- und Ganztagsangeboten für Schülerinnen und Schüler sowie den Ausbau der Mittagsbetreuung im Rahmen der kind- und familiengerechten Halbtagsgrundschule (ebd.). Der bedarfsgerechte Ausbau des Betreuungsangebotes soll vor allem durch die Pflicht zur kommunalen Bedarfsplanung vorangetrieben werden, die mit dem Bayerischen Kinderbildungsgesetz landesweit verankert wurde (§ 7 BayKiBig). „Im BayKiBiG geht es um den bedarfsgerechten Ausbau des Betreuungsangebots. Die Gemeinden sind gehalten, eine Bedarfsplanung durchzuführen. In diesem Zusammenhang wird auch das Angebot für die unter Dreijährigen erweitert werden.(…) Wie es ausschaut, kommt tatsächlich einiges in Bewegung. Es gibt mehr Plätze für unter Dreijährige; seit das Gesetz in Kraft ist, und das ist ja jetzt noch nicht lange her. Ich nehme deshalb an, dass das Platzangebot in den nächsten Jahren noch deutlich zunehmen wird“ (Text_E 13).
Bayern setzt damit bei den Ausbaubestrebungen vorrangig auf die Bedarfsplanung auf kommunaler Ebene und auf die gestaltende Rolle der Kommunen, während NordrheinWestfalen die örtliche Ebene zwar im Vergleich zum alten Gesetz in deutlicher Weise in die Planungsverantwortung integriert, den Ausbau aber ergänzend durch Landesinitiativen unterstützt. Anders sieht die Situation in Brandenburg aus, das aufgrund seiner hohen Platzquoten im Elementarbereich über die Grenzen Deutschlands hinaus als vorbildlich gilt. Zugleich ist, im Gegensatz zu den beiden westdeutschen Ländern, in Brandenburg ein über die Regelungen des § 24 SGB VIII hinausgehender unbedingter Rechtsanspruch für Kinder vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Übergang in die fünfte Schuljahrgangsstufe von 6 Std./tägl. im Vorschulalter bzw. 4 Std. im Schulalter gegeben. Einen bedingten Rechtsanspruch haben darüber hinaus jüngere und ältere Kinder sowie solche mit Bezug auf eine längere Betreuungszeit, wenn die familiäre Situation es erfordert (§ 1 Abs. 3 KitaG). Im Zuge einer Überarbeitung des Kindertagesstättengesetzes ist im Juni 2007 zudem ergänzt worden, dass unter dreijährige Kinder auch nach Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen weiter betreut werden sollen (§ 1 Abs. 2 KitaG). Die vorbildlichen Platzquoten, die lokal aufgrund der heterogenen Situation in Brandenburg sogar noch ein wenig differieren – in einer Stadt liegt die Versorgungsquote für null- bis dreijährige Kinder bei 43 Prozent und damit so hoch, dass nach Angaben der Stadt kein Bedarf für einen weiteren Ausbau an Krippenplätzen erkennbar sei – sind nach wie vor allerdings flankiert von der Schließung von Einrichtungen, bedingt durch den demografischen Wandel in einigen Kommunen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung verwundert die Einschätzung mehrerer Interviewpartner/innen nicht, dass der Ausbau von Tagespflegeangeboten in Ostdeutschland nicht durchsetzbar sei, solange parallel Einrichtungen geschlossen würden.
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert „Es ist ja auch ein gewisses Mentalitätsproblem. In vielen Kommunen in Ostdeutschland wird es abgelehnt, Tagespflege zu machen. Wir haben in N. die Situation, dass das fachlich sehr gut aufgefangen wurde, dass auch viele Erzieherinnen zur Verfügung standen nach den Schließungen der Einrichtungen, die sich damit gewissermaßen selbstständig gemacht haben. So hat gut die Hälfte der Tagespflegepersonen eine pädagogische Ausbildung, das ist natürlich toll.(…) [Tagespflege] setzt sich auch mehr und mehr durch. Früher gab es immer Diskussionen: ‚Kann man das denn vergleichen? In der Gruppe ist das doch viel besser; warum sollen die Kinder überhaupt zu Hause sein?’ Das ist hier auch eine Mentalitätsfrage, glaube ich, weil man immer schon frühe Kinderbetreuung gewöhnt war“ (Text_L 175, 179). „Fachinhaltlich ist das heute kein Thema mehr. Es war eins, solange man jedes Jahr sagen musste: ‚Es werden drei, vier, acht und zehn Einrichtungen geschlossen’. Da hätte man sich nicht trauen können, Tagespflege aufzubauen. Diese Haltung haben wir in vielen anderen Gemeinden und Städten auch im Land Brandenburg heute noch, weil die sagen – im falschen Verständnis leider mitunter: ‚Wir haben unsere Erzieherin `runtergekürzt mit ihren Arbeitszeiten, mitunter auf 25, 27 Stunden. Wenn das so ist, dann können wir andere nicht noch in die Tagespflege schicken. Dann müssen wir eher die Stunden für die Erzieherinnen aufstocken und wieder mehr Kita machen’. Insofern stellen sie natürlich Barrieren auf, um die Vielfalt, um im Angebot einfach zu reduzieren“ (Text_L 188).
Im Gegensatz zu den westlichen Bundesländern zeigt sich hier ein Bewusstsein, wonach Tagespflege lediglich als Hilfsform der Kinderbetreuung gesehen und nicht als gleichberechtiger Bildungsort von Bevölkerung und Politik akzeptiert wird (s. dazu auch Kap. 3.3.3.1). 3.3.1.3 Erziehungspartnerschaften In Bezug auf eine zunehmende öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern wird häufig übersehen, dass dadurch die Eltern nicht etwa aus ihrer Verantwortung entlassen werden, sondern nur das „Verhältnis zwischen elterlicher und öffentlicher Bildungsverantwortung (...) neu auszutarieren“ ist (Wiesner 2003a: 21). Erziehungspartnerschaften zwischen Familie und öffentlichen Einrichtungen werden dadurch nicht überflüssig, im Gegenteil. In allen drei Bundesländern ist es dementsprechend Ziel der Reformbestrebungen im frühkindlichen Bildungsbereich, Erziehungspartnerschaften zwischen Familie und Kindertageseinrichtung zu verwirklichen. Damit wird eine neue Leitvorstellung in der Arbeit mit den Eltern markiert, die getragen ist „von der gemeinsamen Verantwortung für die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern sowie für deren Wohlfbefinden“ (Diller u.a. 2007: 6). Begründet liegt dies neben dem gewachsenen Verständnis von Eltern als der ersten Bildungsinstanz der Kinder und ihrer Bedeutung für den Bildungserfolg unter anderem in der Rechtslage: Eltern besitzen die primäre Erziehungsverantwortung. Sie geben ihr Kind aus freien Stücken in Kindertageseinrichtungen, was denen – im Gegensatz zur Schule – keine eigenständigen Rechte gewährt. Im Vergleich zur Mitwirkung in Schulen haben Eltern daher, unter anderem auch durch ihre Rolle als Mitfinanzier des Angebots bedingt, umfangreichere Möglichkeiten zur Einflussnahme in der Zusammenarbeit (IES (Hg.) 2004: 2). Laut dem SGB VIII sind sie an Entscheidungen in wesentlichen Angelegenheiten der Tageseinrichtungen zu beteiligen (§ 23 Abs. 3 SGB VIII). Sie haben ein Wunsch- und Wahlrecht zwischen verschieden ausgerichteten Angeboten (§ 5 SGB VIII) und das Recht auf Achtung der Grundrichtung ihrer Erziehung (§ 9 SGB VIII). Alle nachgeordneten ein-
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schlägigen Landesgesetze, auch die der drei untersuchten Länder, nehmen diese Vorgaben auf, bei großer Variationsbreite der Möglichkeiten: Individuelle, eher informelle Rechte der Eltern beziehen sich dabei auf Informationen über die Entwicklung ihres Kindes (auch mittels Hospitationen). Kollektive Rechte werden in der Regel durch Gremien der Elternvertretung wahrgenommen, die unterschiedlichen Einfluss in der Tageseinrichtung und gegenüber dem Träger besitzen. Die Spannbreite reicht von Informationsrechten über Anhörungs- und Beratungsrechte bis zu Entscheidungsrechten, wobei die formelle Teilhabe von Eltern (Gremienarbeit) eine nicht unerhebliche Belastung für die Familien darstellt, denn nicht immer steht der reale Einfluss in einem „vernünftigen Verhältnis zum Aufwand“ (DJI 2004: 112). Auch wird die Wirkung der gängigen Partizipationsregelungen indirekt hinterfragt, da die herkömmliche Gremienstruktur mit ihrer Beteiligung als wenig repräsentativ erlebt wird und von ihrem Ertrag her als gering eingeschätzt wird (Text_C 118). Zudem wird bezweifelt, ob in Bezug auf eine mögliche soziale Selektion die Formen der Elternbeteiligung wirklich alle erreichen (s. dazu beispielsweise Engelbert 2002). Lediglich Einrichtungen, die von Eltern(initiativen) getragen werden, sichern Eltern einen umfassenden Einfluss auf das Geschehen (DJI 2004: 111). Über die gesetzlich garantierten Mitbestimmungsrechte hinaus haben sich in den drei Ländern verschiedene Formen und Angebote der Zusammenarbeit mit Eltern sowie ihrer Partizipation in der Einrichtung entwickelt (Aufnahme- und Einzelgespräche, Elternabende, Elternbeirat, Feste etc.). So werden die Eltern in Bayern verstärkt in die Arbeit der Tageseinrichtungen einbezogen (durch Elternbeirat und qualifiziertes Anhörungsrecht bei der Konzeptentwicklung) (Text_E 90), zusätzlich ist die Rolle der Eltern als Nachfrager gestärkt worden: Indem die Träger von Kindertageseinrichtungen verpflichtet sind, regelmäßige Elternbefragungen durchzuführen (§ 19 BayKiBiG) und es durch die veränderte Finanzierungsregelung im BayKiBiG finanzielle Auswirkungen für die Einrichtungen hat, wenn die Eltern ihre Kinder bei ihnen nicht anmelden, sollen die Einrichtungen – so die Intention des Landes – dahin gebracht werden, ein großes Interesse daran zu entwickeln, die Eltern für sich einzunehmen (ebd.). Aus den befragten Kommunen wurde während der Gespräche zurückgemeldet, dass dies Früchte trage und eine intensivere Kooperation zwischen Familie und Kita zu bemerken sei. Beispielsweise würden Elterngespräche in den Einrichtungen regelmäßiger geführt als zu Zeiten der Geltung des Vorgängergesetzes. Auch aus Kommunen anderer Bundesländer werden angesichts eigener positiver Erfahrungen mit dem Instrument der Elternbefragungen stärker verpflichtende Landesregelungen gefordert. Nordrhein-Westfalen hat dagegen mit der Einführung des Kinderbildungsgesetze die Mitbestimmungsrechte der Eltern in Kindertageseinrichtungen stärker aus der Landessteuerung entlassen, indem das Verfahren über die Zusammensetzung der Mitwirkungsgremien nun nicht mehr gesetzlich vorgegeben sind, sondern in die Hand der Träger gegeben wurde. Darüber hinaus wurde eine Vereinbarung beschlossen, wonach die Träger die Bedarfe der Eltern sammeln und weitergeben sollen, allerdings wurde diese Umsetzung vom Land nicht kontrolliert (Text_B 170 - 172). Dies führt nicht nur dazu, dass die Bedarfe von Eltern landesweit nicht systematisch erhoben werden, von kommunaler Seite wird zudem über eine sehr unterschiedliche Elternarbeit in Kindertageseinrichtungen berichtet: Teilweise sei diese mit viel Mühe für das Personal verbunden, häufig existierten auch kein Bewusstsein und keine Konzepte, wie insbesondere an einer Zusammenarbeit desinteressierte Eltern erreicht werden könnten (Text_G 151, 152).
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Auch aus Brandenburg wird kritisiert, dass die gesetzlichen Partizipationsregelungen aller Erfahrung nach häufig den Eltern nicht bekannt seien und die Frage ungelöst sei, mit welchen Methoden auch wenig aktive Eltern einbezogen werden können. Das Land setzt daher auf die Einrichtung von Internetforen und derart die Vermittlung von Hintergrundwissen als Methode der besseren Erreichbarkeit auch wenig aktiver Eltern (Text C 119, 121). Als „eine der ganz großen Baustellen in der Kindertagesbetreuung“ wird die Elternarbeit auch deshalb angesehen, weil sie von den wenigsten Fachkräften wirklich beherrscht werde und häufig bei brenzligen Themen ende, die von Erzieher/innen nicht angesprochen würden: „Das ist nach wie vor eine der ganz großen Baustellen in der Kindertagesbetreuung. Eine offene, eine offensive, eine selbstbewusste Arbeit mit Eltern, denke ich, beherrschen nach wie vor die wenigsten Erzieherinnen. Die sprechen mit Eltern über die Dinge, die man gut miteinander bereden kann. Aber sofern es ein bisschen eine heiße Kartoffel ist, werden die Themen umschifft und außen vor gelassen“ (Text_I 27).
Handlungsbedarf wird neben der Aktivierung von Eltern daher vor allem im Bereich der fachlichen Beratung des Kita-Personals gesehen. Angesichts der Tatsache, dass die Fachkräfte nicht selten Eltern gegenüber stehen, die älter sind oder ein höheres Ausbildungsniveau haben bzw. dass sie sich auf die Zusammenarbeit mit Eltern durch die Ausbildung nicht genügend vorbereitet fühlen (s. DJI 2004: 112), wird hier ein enormer Beratungsbedarf gesehen. „Wir haben jetzt zwei Eltern-Kind-Zentren (…) in Regionen mit einer hohen Auffälligkeit bei den Hilfen zur Erziehung. Die Kollegin (…) sagt: ‚Die Erzieherinnen, die schütten sich aus, was sie bedrückt und was sie sehen’. Die Möglichkeit einen fachlichen Ansprechpartner zu haben, hatten sie bisher überhaupt nicht! Das passiert scheinbar nicht mal in ihren Dienstberatungen mit ihren Kitaleiterinnen. Oder wenn sie es da tun, dann gibt es keine Lösung des Problems. Sie können sich nicht gegenseitig fachlich so beraten, dass dann die Kitaleiterin und die Erzieherin zusammen sagen: ‚Ok, du siehst jetzt bei dem Kind X eine Auffälligkeit, wie gehen wir jetzt auf die Familie zu?’“ (Text_I 28).
Trotz vielfältiger Initiativen in den Ländern bleibt daher in allen drei Bundesländern noch viel zu tun, wenn es gilt, Erziehungspartnerschaften zwischen Familien und Einrichtungen auch flächendeckend zu verankern. Auch in diesem Punkt werden wieder große Ost-WestUnterschiede deutlich. So zeigt sich in Brandenburg im Gegensatz zu den anderen beiden Bundesländern ein Politikverständnis, das stark von einer Output-Orientierung geleitet ist und sich nicht mit einem gesetzlich in irgendeiner Weise definierten Status Quo zufrieden gibt. Dem Instrument der Kommunikation sowie der Wissensvermittlung kommt demnach eine bedeutsamere Rolle bei der Politikgestaltung zu als in den beiden anderen Ländern. 3.3.1.4 Kindertagesbetreuung im Spannungsfeld von Familie, Jugendhilfe und Bildungswesen Die Rolle der Kindertagesbetreuung im Spannungsfeld von Familie, Jugendhilfe und Bildungswesen stellt einen Kernbestandteil einer Politik der Humanvermögensbildung in Deutschland dar. Angesichts der Vielzahl entwicklungspsychologischer Kenntnisse über
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Kleinkindentwicklung sowie der Tatsache, dass bereits der Deutsche Bildungsrat 1970 die Elementarbildung als erste Stufe des deutschen Bildungswesens eingeordnet und sie in ihrer Legitimation mit der Festlegung eines eigenständigen Bildungs- und Erziehungsauftrags von der Betreuung in der Familie abgekoppelt hat, überrascht, wie häufig in der Debatte über Reformen im deutschen Bildungswesen der Elementarbereich nicht als Segment des Bildungssystems wahrgenommen und anerkannt wird (Bock/Timmermann 2000: 16)302. Wie bereits der Ausbau von Kindertageseinrichtungen hin zu einer stärkeren Gewichtung des Fürsorgeprinzips (s. Kap. 3.3.1.1) gezeigt hat, scheint es hier unterschiedliche Gewichtungen zwischen den drei Bundesländern zu geben. Bayern ist dabei das Bundesland, in dem der Bereich der Kindertagesbetreuung historisch am wenigsten dem Jugendhilfebereich zugeordnet wurde. Hier stützte sich bereits das Kindergartengesetz von 1972 im Unterschied zu den Kindergartengesetzen in anderen Ländern „nicht auf das Jugendwohlfahrtsgesetz, sondern ausdrücklich auf die den Ländern vorbehaltene Gesetzgebungskompetenzen für das Bildungswesen“ (Wiesner 2003a: 10). Lange Jahre war die Kindertagesbetreuung auf ministerieller Ebene auch nicht dem Sozialministerium, sondern dem Bildungsministerium zugeordnet. Vor dem Hintergrund dieser Verankerung verwundert es nicht, wenn die bayerischen Kindertageseinrichtungen zu den am klarsten definierten Bildungszielen von allen drei Ländern verpflichtet sind und der fürsorgerische Auftrag von Kindertageseinrichtungen weniger intensiv gestärkt wird als in den anderen beiden Ländern. Allerdings betont Bayern das Nachrangigkeitsprinzip der Kindertageseinrichtungen gegenüber der Familie schon im Gesetz (Art. 4 BayKiBiG), vor allem aber durch die Praxis der geringen Vorhaltung von Ganztagsplätzen sowie von Plätzen für unter dreijährige Kinder. Im Spannungsfeld zwischen Familie, Jugendhilfe und Bildungswesen scheinen sowohl die Familie als auch das Bildungswesen somit relativ bedeutsame Handlungsparameter für die Kindertagesbetreuung in Bayern zu sein. Das Jahrzehnte SPD-regierte Nordrhein-Westfalen setzte hier weniger klare Schwerpunkte. Zwar wurde im Elementarbereich die Familie als vorrangiger Bildungsort betrachtet; im Spannungsfeld zwischen Familie, Jugendhilfe und Bildungswesen wurde die Kindertagesbetreuung dagegen eher in der Jugendhilfe platziert. Dies zeigt sich unter anderem in der ministeriellen Zuordnung, die in Nordrhein-Westfalen häufiger wechselte, das Ressort „Jugend“ allerdings erst 2000 und auch nur bis nach der nächsten Wahl in ein gemeinsames Ministerium mit dem Schulwesen führte. „Wir sind aus einem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales mit unserem Aufgabenfeld – insgesamt immer die Jugendabteilung und nicht nur der Bereich der Kindertageseinrichtungen, Kindertagesbetreuung – gewandert ins Frauenministerium, dann in ein Ministerium, das auch für die Schule zuständig ist.(…) Und jetzt wieder zurück in ein kleines Ressort: Generationen, Familie, Frauen und Integration“. (Text_B 9, 10).
Diese Wechsel können als beispielhaft für unterschiedliche politische Schwerpunktsetzungen betrachtet werden. „Das war eine völlig andere ressortmäßige Zusammensetzung, auch was die Bedeutung innerhalb des Ministeriums angeht. Im Frauenministerium waren wir ja eher dominant. Im Schulministerium gab es dann eine Verschiebung der Gewichte, andererseits auch wieder eine Bedeu302
S. zur Konfliktlinie zwischen dem Bildungs- und Sozialsystem und seine Auswirkungen auf den Kita-Bereich auch Bock-Famulla 2005: 175f.
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert tungsanhebung. Denn man kann ganz eindeutig sagen: Man hat eine andere Rolle in der Landespolitik, ob man mit der Kindertagesbetreuung unter der Flagge Frauenpolitik segelt oder unter der Flagge Bildungspolitik. Das ist eine andere Wahrnehmung, auch eine andere Außenwahrnehmung“ (Text_ B 9).
Eine klare Verortung der Politik Nordrhein-Westfalens im Bereich der Kindertagesbetreuung ist angesichts der wechselnden Schwerpunktsetzungen schwierig. Sie scheint symptomatisch für ein Policy-Feld, das aufgrund seiner widersprüchlichen Zuordnung stärker als andere auf eine klare konzeptionelle Grundlage angewiesen wäre. Diese aber kann nur erfolgen, wenn die Rolle innerhalb des Spannungfeldes von Familie, Jugendhilfe und Bildungswesen klar bestimmt würde, was in Nordrhein-Westfalen offensichtlich immer nur punktuell gelang. Ob der koalitionäre Druck hierfür ausschlaggebend war oder die Akteursvielfalt im Land, müsste genauer analysiert werden. Von allen drei Bundesländern ist Brandenburg dasjenige, das die Kindertageseinrichtungen am wenigsten nachrangig gegenüber der Familie betrachtet, wie nicht nur ihr flächendeckender Ausbau zeigt, sondern auch ihr eigenständiger, familienergänzender Auftrag: „Kindertagesstätten sind sozialpädagogische familienergänzende Einrichtungen der Jugendhilfe, in denen auch behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder tagsüber gefördert, erzogen, gebildet, betreut und versorgt werden. Kindertagesstätten sollen möglichst als Einrichtungen für verschiedene Altersstufen errichtet und betrieben werden“ (KitaG § 2).
Zweifellos deutet dies auf eine geringere Bedeutung des privaten Parameters der „Familie“ in der Konzeption des Landes hin. Stärker als in den beiden westdeutschen Ländern scheint der Bereich der Kindertagesbetreuung zudem in Brandenburg als Daseinsvorsorge aufgefasst zu werden, worauf auch die Intention des Landes hindeutet, die Verantwortung für die Gewährung von Einzelansprüchen auf der Gemeindeebene anzusiedeln303. Damit geht die Konzeption der Kindertagesbetreuung in Brandenburg am deutlichsten über die in den anderen Ländern subsidiär auf Hilfe zur Selbsthilfe angelegte Intention der Jugendhilfe hinaus. Dies kontrastiert mit der in anderen Punkten auffällig klaren Jugendhilfeverortung des Bereichs der Kindertageseinrichtungen (s. beispielweise der häufige Einsatz des Freiwilligkeitsprinzips in der Politik). Die Verortung der Kindertagesbetreuung in allen drei Ländern im Spannungsfeld der drei Handlungsparameter ist in nachfolgender Abbildung schematisch dargestellt.
303 Diese Regelung des Brandenburgischen Kindertagesstättengesetzes wurde vom Verfassungsgericht des Landes Brandenburg 2003 (VfGBbg 54/01) als unvereinbar mit dem Bundesrecht und damit verfassungswidrig erklärt. „Was hier als Spezialproblem eines oder einzelner Länder erscheint, ist letztlich eine Grundsatzfrage für die Struktur der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe und die Allzuständigkeit des Jugendamtes, die mit der Aufgabenverlagerung auf die Gemeinden zur Disposition gestellt würde“ (Wiesner 2003a: 14).
3.3 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich Abbildung 9:
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Kindertagesbetreuung im Spannungsfeld der Handlungsparameter Familie, Jugendhilfe und Bildungswesen
Bildungswesen Fornmalisierungsgrad
Öffentlichkeit
BY NRW BB
Familie
Jugendhilfe
Privatheit Fürsorgeprinzip
3.3.2 Die Zielbereiche der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung 3.3.2.1 Eigenständiger Bildungsauftrag des Elementarbereichs „In Deutschland lässt sich in den gegenwärtigen bildungspolitischen Reformdebatten eine starke Tendenz beobachten, vom Kindergarten eine ausdrückliche Schulvorbereitung zu erwarten und – zumindest im letzten Kindergartenjahr – schulbezogen Lerninhalte (Kulturtechniken) und Lernmethoden zu etablieren“, kritisierte Liegle 2006 (144). Inwiefern sich die Funktion des Elementarbereichs in den drei Bundesländern gewandelt hat, ist interessant zu betrachten. Die These, dass es hier zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt, je nachdem, ob im Elementarbereich in den Ländern eher Handlungsparameter aus der Jugendhilfe bzw. dem Bildungswesen wirken, lässt sich dabei allerdings nicht bestätigen. Vielmehr ergibt sich der Eindruck, dass unabhängig von der Verortung der Bildungscharakter des Bereichs in allen drei Ländern gestärkt wird, ohne dass aber offenbar die Frage geklärt ist, wie dies widerspruchsfrei im Primarbereich fortgeführt werden kann. Brandenburg war bundesweit eines der Länder, welches die Neukonzipierung des Bildungsauftrags in Kindertageseinrichtungen in Form eines Bundesmodellprojektes länderübergreifend vorangetrieben hat. In der Erinnerung eines damals an der Vorbereitung beteiligten Gesprächspartners ging dies allerdings nur schleppend voran, da die Bedeutsamkeit des Themas von vielen anderen Ländern damals noch nicht gesehen wurde.
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert „Wir haben Mitte der 90er Jahre gesagt, wir müssen versuchen diesen Bildungsbegriff, der in der DDR stark diesen Befähigungsaspekt hatte, neu diskutieren. In dem Kontext fand ich das, was im Westen diskutiert wurde oder Standard war, nur bedingt Vorbild. Meine These war, dass beide Seiten einen dringenden Entwicklungsbedarf haben: Der Westen muss überhaupt begreifen, dass Kinder auch Wesen sind, die etwas verstehen wollen; und der Osten muss begreifen, dass man Kinder nicht klug machen kann, sondern dass sie nur klug werden können. Insofern gibt es eine gemeinsame Entwicklungsaufgabe von unterschiedlichen Perspektiven aus. Und wir haben uns dafür eingesetzt, dass es eine Klärung des Bildungsauftrags gibt, der ja nach den 1970er Jahren im Westen brach lag.(...) Das war ziemlich mühsam; Bildung war damals kein Thema. Und es ist mir dann trotzdem gelungen, das Bundesministerium dafür zu interessieren und noch zwei Länder, nämlich die Länder Schleswig-Holstein und Sachsen, um mit denen zusammen so etwas wie die Neukonzipierung des Bildungsauftrags anzuschieben. Dann ist es mir gelungen, zwei hervorragende Wissenschaftler dafür zu interessieren. Das was damals für niemanden eigentlich ein Thema. Es gab überall nur Lachen: ‚Bildung...!’ Im Osten haben sie gesagt: ‚Das hatten wir alles, stand alles im Bildungs- und Erziehungsplan’. Im Westen haben sie gesagt: ‚Jetzt fängt der wieder an mit diesen Vorschulmappen!’ Wenn man heute ein solches Projekt anschieben würde, dann wären 16 Länder dabei. Damals war es nicht einfach, die beiden Länder zu kriegen und zu versuchen, diese Umsteuerung, Umkonzipierung hinzubekommen: Was ist eigentlich Bildung heute? (…) So wie ich es sehe, hat zumindest die fachpolitische Diskussion damit angefangen“ (Text_C 6,7).
In der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Matthias Platzeck vom 27.10.2004 klingt dieses Ziel der stärkeren Betonung des Bildungsauftrags folgendermaßen:
„An den im Bundesvergleich hohen Standards der Kindertagesbetreuung in Brandenburg halten wir ausdrücklich fest. Damit tragen wir der – inzwischen weithin unbestrittenen – Einsicht Rechnung, dass die Weichen für die Bildungs- und Lebenschancen der Menschen bereits im Vorschulalter gestellt werden. Deshalb werden wir den Bildungsauftrag der Kindertagesstätten noch stärker betonen. Als Orte der Betreuung, Erziehung und Bildung sind die Kitas von fundamentaler Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes unter den Bedingungen der wissensintensiven Gesellschaft“ (Staatskanzlei 2004: 8).
In seinem Kitagesetz betont Brandenburg den „eigenständigen alters- und entwicklungsadäquaten Betreuungs-, Bildungs- und Versorgungsauftrag“ der Kindertagesstätten sowie aller anderen Formen der Kindertagesbetreuung, der einschließt, die Kinder in geeigneter Form auf die Grundschule vorzubereiten (§ 3 KitaG). Ein Widerspruch zwischen beiden Zielen wird offensichtlich nicht gesehen, vielmehr werden die Bildungsorte als einander ergänzend betrachtet: „Als der Schule vor- und nebengelagerter Bildungsort hat die Kindertageseinrichtung die Aufgabe, mit den Kindern den Übergang in die Schule vorzubereiten; die Schule tritt in vorangegangene Bildungsprozesse ein, knüpft an sie an und setzt sie mit ihren Möglichkeiten fort“ (MBJS 2004: 1).
Allerdings lässt sich dies, wie sich in den Expert/inneninterviews zeigt, in der Praxis nicht widerspruchsfrei gestalten. Vielmehr werden gerade die Kinder aus besonders erfolgreich arbeitenden Kindertageseinrichtungen in der Schule als schwierig erlebt, da sie Kompeten-
3.3 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich
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zen mitbringen, die zwar laut Kitagesetz als lernenswert gelten, die schulische Organisation aber offensichtlich überfordern. „Wir haben zum Beispiel erlebt, dass unsere besten Bildungskitas, die in dem infans-Projekt seit Jahren mitarbeiten und die als Konsultationskitas so etwas wie Leuchttürme in der Landschaft sind, massive Probleme mit ihren Schulen bekommen: weil die Schulen sich darüber beschweren, dass die Kinder so aufmüpfig sind und so weit sind. Tatsächlich, die Schulen beschweren sich darüber, dass die Kinder so weit sind. ‚Die können ja schon lesen!’ Das ist für die Schule ein Störfaktor und bricht wieder mit dem Prinzip der homogenen Lerngruppe“ (Text_C 71).
Hier zeigt sich die Problematik der mangelnden Anschlussfähigkeit des Bildungsbereichs Schule und der Widerspruch zwischen dem eigenständigen Bildungsanspruch des Elementarbereichs sowie seinem schulvorbereitenden Auftrag sehr deutlich, aus dem das Land Brandenburg die Herausforderung ableitet, eine gemeinsame Bildungsphilosphie beider Bereiche zu entwickeln. „Das war mit einer der wesentlichen Motoren, wo wir gesagt haben: ‚Es geht nicht, wir können nicht auf der einen Seite versuchen hier ein Bildungskonzept mit Macht und mit ganz viel Anstrengung in den Kitas zum Leben zu bringen und dann wird in der Schule nur die Nase gerümpft‘. Es gibt auch die anderen Schulen, die wiederum andere Konzepte fahren und sich darüber ärgern, was in der Kita nicht passiert oder Schlechtes passiert. Man kann jetzt nicht sagen, die Kita ist gut und die Schule böse. Aber es war jedenfalls ein Ansatzpunkt zu sagen, wir müssen eine gemeinsame Bildungsphilosophie haben“ (Text_C 72).
Auch in Nordrhein-Westfalen wird der eigenständige Bildungsauftrag des Elementarbereichs betont. Schon das Vorgängergesetz des derzeit gültigen Kinderbildungsgesetzes, das Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder, stellte den eigenständigen Erziehungs- und Bildungsauftrag neben der Betreuungsaufgabe als Aufgabe des Elementarbereichs des Bildungssystems dar (§ 2 (1) GTK). Mit dem am 30.10.2007 verabschiedeten Kinderbildungsgesetz wird der „eigenständige Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag“ über die Kindertageseinrichtungen hinaus auch auf die Kindertagespflege ausgeweitet (§ 3 (1) KiBiz). Die Betonung des Bildungsauftrags der Kindertageseinrichtungen wurde verstärkt durch die Verabschiedung einer Bildungsvereinbarung, die das Land 2003 mit den Trägern der Kindertageseinrichtungen abschloss. Diese verfolgt – als „Beitrag zur Erlangung von Schulfähigkeit“ – das Ziel, „vor allem die Bildungsprozesse in Tageseinrichtungen für Kinder vom vollendeten 3. Lebensjahr bis zur Einschulung zu stärken und weiter zu entwickeln“, da „insbesondere die Kinder im letzten Jahr vor der Einschulung (..) einer intensiven Vorbereitung auf einen gelingenden Übergang zur Grundschule“ bedürften (MSJK 2003: 6). „Die eigenständige Bildungsarbeit der Tageseinrichtungen steht in der Kontinuität des Bildungsprozesses, der im frühen Kindesalter beginnt, sie orientiert sich am Wohl des Kindes und fördert die Persönlichkeitsentfaltung in kindgerechter Weise“ (ebd.: 5).
Bei der Durchführung der Bildungsarbeit sollen sich die Kindertageseinrichtungen „an den in Artikel 7 der Landesverfassung verankerten Werten“ (ebd.) orientieren. Allerdings stehen diese Aussage sowie stärker noch die der Vereinbarung zugrunde liegenden sowie sie ergänzenden Materialien in einem gewissen Kontrast zu zeitgleich getätigten Aussagen,
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
nicht nur in Bezug auf das Schulfähigkeitsprofil304. Dieses Schulfähigkeitsprofil, das den pädagogischen Fachkräften in den Kindergärten sowie den Lehrer/innen in den Grund- und Sonderschulen des Primarbereichs in der Übergangsphase vom Kindergarten in die Schuleingangsphase Orientierung geben soll, „stellt aus Sicht der schulischen Anforderungen in systematischer Form jene Kompetenzbereiche zusammen, die als grundlegende Voraussetzung für erfolgreiches Lernen gelten“ (MSJK 2003a: 4). Auch die Bildungsvereinbarung selbst, die anfangs noch die Notwendigkeit einer „intensiven Vorbereitung [der Kinder] auf einen gelingenden Übergang zur Grundschule“ betont hat, führt in Punkt 6 der Vereinbarung auf, dass die Schule „in der Kontinuität längst begonnener Bildungsprozesse“ steht (MSJK 2003: 8). Hier scheint wieder ein Widerspruch durch, wie er auch andernorts zwischen offensichtlich unterschiedlichen Bildungsverständnissen in Nordrhein-Westfalen sichtbar wird (vgl. Kap. 3.2.2). Bayern wiederum verzichtet in seinem Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz auf die Formulierung eines per se eigenständigen Bildungsauftrags aller Einrichtungen und verweist stattdessen darauf, dass es sich bei Kindertageseinrichtungen um „außerschulische Tageseinrichtungen zur regelmäßigen Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern“ (§ 2 (1) BayKiBiG) handle, die „jedem einzelnen Kind vielfältige und entwicklungsangemessene Bildungs- und Erfahrungsmöglichkeiten [bieten], um beste Bildungs- und Entwicklungschancen zu gewährleisten, Entwicklungsrisiken frühzeitig entgegenzuwirken sowie zur Integration zu befähigen“ (§ 10 (1) BayKiBiG). Der Bayerische Plan kennzeichnet zudem den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule als lebensgeschichtlich bedeutsam, kritisiert aber eine ausschließlich aus der Schulsicht formulierte „Schulfähigkeit“. Vielmehr komme es darauf an, dass dieser Übergang „als gemeinsamer Gestaltungsakt“ zu erfolgen habe, der die „Anschlussfähigkeit der Bildungs- und Erziehungsinhalte von vorschulischer Einrichtung und Schule“ erreichen muss (zit. n. Diskowski 2003: 35). Wie diese Anschlussfähigkeit in puncto einer Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen und Schulen aussieht, wird noch zu betrachten sein (s. Kap. 3.3.3.7). 3.3.2.2 Ziele und Aufgaben von Kindertageseinrichtungen Nicht nur verfügt der Elementarbereich in allen drei Ländern über einen Bildungsauftrag, daneben sind alle drei Länder in den vergangenen Jahren auch daran gegangen, Bildungsund Erziehungsziele zu benennen und die Aufgaben von Kindertageseinrichtungen genauer zu definieren. In Bayern hat das Ministerium 2005 erstmals „Bildungs- und Erziehungsziele für förderfähige Kindertageseinrichtungen in einer Ausführungsverordnung festgelegt“ (§ 13 (3) BayKiBig). Während das alte Kindergartengesetz von 1972 die Aufgaben des Kindergartens allgemein darin sah, kindgemäße Bildungsmöglichkeiten anzubieten, allgemeine und individuelle erzieherische Hilfen zu gewähren, Persönlichkeitsentfaltung und soziale Verhaltensweisen zu fördern und zu versuchen, Entwicklungsmängel auszugleichen (Art. 7 Bay. Kindergartengesetz), ist dies mit dem neuen Gesetz spezifiziert worden. Kindertageseinrichtungen bieten heute, theoretisch zumindest, „jedem einzelnen Kind vielfältige und entwicklungsangemessene Bildungs- und Erfahrungsmöglichkeiten, um beste Bildungsund Entwicklungschancen zu gewährleisten, Entwicklungsrisiken frühzeitig entgegenzu304
S. dazu Diskowski 2003: 36.
3.3 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich
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wirken sowie zur Integration zu befähigen. Eine angemessene Bildung, Erziehung und Betreuung ist durch den Einsatz ausreichenden und qualifizierten Personals sicherzustellen“ (Art 10 BayKiBiG). Ein umfangreicher Bildungs- und Erziehungsplan, der „in wesentlichen Teilen durchaus Grundlagencharakter und Verwandtschaft mit einem Lehrbuch“ hat, führt zudem detaillierte Bildungsbereiche bzw. „themenbezogene Förderbereiche“ auf, die „in Definition, Anzahl und Reihenfolge der Benennung große Ähnlichkeit mit den Unterrichtsfächern der bayerischen Grundschule“ haben (Hovestadt 2003: 59). Kindertageseinrichtungen, die eine öffentliche Förderung erhalten, müssen die Bildungs- und Erziehungsziele beachten, die in der Ausführungsverordnung des neuen Kinderbildungsgesetzes benannt sind. Das Personal in förderfähigen Kindertageseinrichtungen hat zudem den klaren Auftrag, die Kinder in ihrer Entwicklung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu unterstützen, mit dem Ziel, „zusammen mit den Eltern den Kindern die hierzu notwendigen Basiskompetenzen zu vermitteln. Dazu zählen beispielsweise positives Selbstwertgefühl, Problemlösefähigkeit, lernmethodische Kompetenz, Verantwortungsübernahme sowie Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit“ (§ 13 (1) BayKiBiG). Daneben haben die Kindertageseinrichtungen mit dem neuen Gesetz die Aufgabe bekommen, „die Integrationsbereitschaft [zu] fördern und Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund zur Integration [zu] befähigen“ (Art. 12 BayKiBiG). Allerdings ist auffällig, dass bei der Neukonzipierung des Gesetzes eine Aufgabe des Kindergartens weggefallen ist: Nach dem alten Gesetz hatte der Kindergarten die Aufgabe, Eltern in Erziehungsfragen zu beraten (Art. 7 (1) Bay. Kindergartengesetz). Diese Aufgabe ist im neuen Gesetz nicht mehr aufgeführt. Dafür gehören heute Kinderschutz, Gesundheitsvorsorge sowie die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen und Diensten im Sozialraum in erheblich verbindlicherer Weise als noch zu Zeiten des alten Gesetzes zu den Aufgaben der Einrichtungen (s. Kap. 3.3.3.7). Wie bereits dargestellt, wird in Brandenburg den Kindertageseinrichtungen über die Familie hinaus ein eigenständiger Bildungsauftrag zugesprochen, der einschließt, „die Kinder in geeigneter Form auf die Grundschule vorzubereiten“ (§ 3 (1) KitaG). Die Aufgaben der Kindertageseinrichtungen sind im Gesetz aufgeführt (§ 3 (2) KitaG); mit der Stärkung von Eigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsfähigkeit der Kinder, der Entfaltung der körperlichen, geistigen und sprachlichen Fähigkeiten des Kindes etc. (§ 3 KitaG) sind Basiskompetenzen des Kindes aufgezählt, die durch elterliche und/oder öffentliche Erziehung, Bildung und Betreuung vermittelt werden sollen. Stärker als in Bayern wird die Prozesshaftigkeit von Entwicklungsschritten betont, dagegen werden klare „Zielvorgaben“ in Brandenburg vermieden. Zwar bestimmen auch die „Grundsätze elementarer Bildung in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung im Land Brandenburg“ (sozusagen das „Pendant“ zum Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan) thematisch gegliederte Bildungsbereiche als „Rahmen“ für die Bildungsarbeit, den es mit Leben zu füllen gilt (MBJS 2004: 1). Diese sind allerdings nicht verpflichtend in der Einhaltung – aufgrund rechtlicher Bedenken des Landes gegenüber der Verbindlichmachung von Bildungsplänen. „Ich finde das Blödsinn, was die da in ihren Bildungsplan reingeschrieben haben, dass das Landesjugendamt gewährleisten soll, dass die Kitas nach dem Bildungsplan arbeiten. Ich glaube das geht rechtlich auch gar nicht. Jeder Kläger, der zum Verwaltungsgericht geht und sagt: ‚Die haben mir die Erlaubnis nicht gegeben, weil ich nicht nach dem Bildungsplan NordrheinWestfalens, sondern nach dem von Baden-Württemberg arbeite’, gewinnt den Prozess – und zwar achtkantig. Die Kitas sollen das Wohl des Kindes gewährleisten; und ich glaube die Ein-
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert haltung eines landesspezifischen Bildungsplanes ist nicht relevant für das Wohl des Kindes“ (Text_C 61).
Wie in Bayern auch ist jede förderungswürdige Einrichtung in Brandenburg verpflichtet, eine pädagogische Konzeption zu erarbeiten, in der sie die intendierte Umsetzung der Ziele und Aufgaben beschreibt. Damit ist hier eine etwas andere Schwerpunktsetzung zu finden als in Bayern, da die Aufgabe des frühkindlichen Bildungssystems weniger in der Erreichung gesellschaftlich festgelegter Bildungsziele gesehen wird als vielmehr stärker in der Orientierung an den Bedürfnissen der Kinder. Dazu zählt auch die Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen, im Sinne differenzierter und flexibler Angebote. „…wie wir von dieser monolithischen Struktur Kindertagesstätte, wie wir sie hatten, hin zu einem differenzierten Angebote zu kommen, das einerseits preiswerter ist, und das man bezahlen kann – es macht ja keinen Sinn, schöne Pläne zu machen, was wir alles gerne hätten, Brandenburg ist ein armes Land –, aber auch den Bedürfnissen der Leute hier anzupassen.(…) Das ist sozusagen die Strategie, die dahintersteckt“ (Text_C 110).
Geplant wurde daher eine Stärkung innovativer und modellhafter Vorhaben:
„Das Land wird verstärkt über innovative Lösungen und modellhafte Vorhaben informieren und so die Träger und die Kommunen dabei unterstützen, gemeinsam mit den regional Verantwortlichen flexible Angebote zu entwickeln, in die auch die Tagespflege und Notbetreuungsangebote für Familien integriert sein können“ (MASGF u.a. 2005: 19).
Daneben ist eine Erweiterung der stärker fürsorgerischen Aufgaben der Kindertageseinrichtungen festzustellen. So ist auch in Brandenburg die Gesundheitsvorsorge eine wichtige Aufgaben der Kindertageseinrichtungen geworden (s. § 11 KitaG). 2001 hat das Land einen „Grenzsteine der Entwicklung“ genannten Beurteilungsmaßstab für altersgerechte Entwicklung erstellen und erproben lassen, der in Kindertagesstätten von geschulten Erzieher/innen zunehmend angewandt wird.
„Bei Verdacht auf Verzögerungen oder Störungen der kindlichen Entwicklung werden Eltern gezielt beraten. Die Kinderärzte der Gesundheitsämter untersuchen alle drei- und vierjährigen Kinder in Kindertagesstätten auf Entwicklungsstörungen, Erkrankungen und Behinderungen. Anhand des 2003 veröffentlichten „Anti-Gewalt-Leitfadens“ werden Ärzte, Psychologen, Krankenschwestern im Hinblick auf typische Frühsymptome körperlicher Gewalt und Kindesvernachlässigung geschult“ (MASGF u.a. 2005: 15).
Darüber hinaus ist im Sinne eines Ausgleichs von Benachteiligungseffekten im Gesetz die Berechtigung und Verpflichtung der Kindertageseinrichtungen zur Feststellung des Sprachstandes sowie zur Durchführung von Sprachförderkursen festgeschrieben (§ 3 KitaG). Die Bildungs- und Erziehungsarbeit in nordrhein-westfälischen Kindertageseinrichtungen wiederum zielt laut Gesetz „darauf ab, das Kind unter Beachtung der in Artikel 7 der Landesverfassung des Landes Nordrhein-Westfalen genannten Grundsätze in seiner Entwicklung zu einer eigenständigen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern, es zu Verantwortungsbereitschaft, Gemeinsinn und Toleranz zu befähigen, seine interkulturelle Kompetenz zu stärken, die Herausbildung kul-
3.3 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich
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tureller Fähigkeiten zu ermöglichen und die Aneignung von Wissen und Fertigkeiten in allen Entwicklungsbereichen zu unterstützen (...) Zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages gehört die kontinuierliche Förderung der Sprachentwicklung des Kindes im Sinne des § 22 Abs. 3 SGB VIII“ (§ 13 KiBiz).
Anders als in Bayern wird in Nordrhein-Westfalen darauf verzichtet, Bildungsziele festzulegen, die im frühkindlichen Bereich von Eltern und öffentlichen Einrichtungen gemeinsam den Kindern vermittelt werden sollen. Anders als in Brandenburg werden Ziele für die Arbeit der Kindertageseinrichtungen gesetzlich vorgegeben und nicht nur Aufgaben definiert. Daneben haben sich die Träger der Kindertageseinrichtungen sowie das Land 2003 in der Bildungsvereinbarung auf ein „Konzept zur Gestaltung von Bildungsaufgaben“ verständigt, dem klar definierte Bildungsbereiche und Selbstbildungs-Potenziale zu Grunde liegen (MSJK 2003: 7). Zuerst mit der 2003 geschlossenen Bildungsvereinbarung, rechtlich verbindlich auch mit dem 2007 verabschiedeten Kinderbildungsgesetz wurden die Kindertageseinrichtungen zudem verpflichtet, die Bildungsentwicklung der Kinder nicht nur zu beobachten, sondern auch zu dokumentieren (§ 13 KiBiz). Wie in den beiden anderen Bundesländern auch ist in Nordrhein-Westfalen die Gesundheitsvorsorge im Gesetz verankert (§ 19 KiBiz). Im Gegensatz zum Vorgängergesetz (§ 15 GTK) haben Kindertageseinrichtungen zusätzlich den Auftrag, bei Anhaltspunkten auf eine Gefährdung des Kindes entsprechend § 8a SGB VIII das Jugendamt zu informieren. Mit der Förderung der Sprachentwicklung und der Stärkung interkultureller Kompetenzen als Aufgaben der Kindertageseinrichtungen (§ 13 (5) KiBiz) reagiert NordrheinWestfalen darüber hinaus auf die Tatsache, dass angesichts eines hohen Prozentsatzes von Kindern mit einem Migrationshintergrund die Kindertageseinrichtungen einen immer wichtigeren Anteil bei der Integration von Zugewanderten spielen. In allen drei Ländern werden somit im frühkindlichen Bereich Bildungsziele bzw. -aufgaben aufgeführt, die die ganzheitliche Entwicklung der Kinder in den Mittelpunkt stellen, ihre soziale Einbindung fördern, die öffentliche Verantwortung für Gesundheitsvorsorge und Kinderschutz betonen und Benachteiligungseffekte ausgleichen möchten. Im Vergleich zu vorherigen Gesetzen hat es in den beiden westdeutschen Bundesländern damit eine gewisse Zielerweiterung gegeben, welche einer zunehmenden öffentlichen Verantwortung für die frühkindliche Bildung zu entspringen scheint. Die vorgelegten Pläne markieren „eine neue Epoche der Bildungsplanung im Elementarbereich des Bildungswesens“ (Eibeck 2004: 8), in dem in allen drei Ländern und einvernehmlich auch bei allen Trägern der Wille besteht, bessere Bildung auf einem eigenen, kindgemäßen Weg konzeptionell abzusichern. Allerdings lässt sich hier auch direkt einer der Nachteile der Bildungspläne festmachen. In der Regel fokussieren sie nämlich lediglich auf eine Stufe des Bildungssystems, und „obwohl sie das Kind in den Mittelpunkt stellen, verstärken sie mittelbar eine an sich zu überwindende Bildungsstruktur, die die Bildungsbereiche deutlich von einander trennt und den Bildungsverlauf deshalb diskontinuierlich gestaltet“ (Fthenakis 2007: 70). Die Forderung nach einer Individualisierung von Lernprozessen endet nach wie vor an den Grenzen des Elementarbereichs (um dann im Primarbereich wieder neu diskutiert zu werden). Mit anderen Worten: Die Struktur des Bildungssystems dominiert nach wie vor die Bildungsziele und -konzepte. Dies gilt für alle drei untersuchten Bundesländer (wenn auch in unterschiedlicher Weise, wobei Bayern hier durch die Orientierung des Bildungs- und Erziehungsplans an den schulischen Bildungszielen besser ab-
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
schneidet). Das führt dazu, dass viele der Forderungen der Bildungspläne mehr oder weniger im Programmatischen steckenbleiben. Aus fachlicher Sicht kann zudem nicht nachvollzogen werden, „warum eine länderübergreifende Verständigung bezüglich der Lernfelder bislang ausbleibt und warum eine konsistente Differenzierung zwischen Lernfeldern und Meta-Kompetenzen nicht erreicht wird“ (Fthenakis 2007: 72). Der umfassende Aktionskatalog des Forum Bildung für die unterschiedlichen Bildungsbereiche wurde beispielsweise von den Länderministern beharrlich ignoriert (Hocke 2004: 9). Zwar haben die Länder bei der Entwicklung der Programme und des Bildungsauftrages bereits „in einer Weise [kooperiert], die in den anderen Bildungsbereichen unüblich ist“ (Hovestadt 2003: 60). Auch haben sich die Jugend- und die Kultusministerkonferenz 2004 auf einen „Gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen“ geeinigt, „der die Summe aus den Bildungsplänen der Länder zieht“ (DJI 2004: 58). Damit haben sich die Länder über allgemeine Grundsätze frühkindlicher Bildung, insbesondere die Ziele und die Ausgestaltung der Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen sowie die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen verständigt. Insbesondere mit Blick auf die Gestaltung der Übergänge und Schnittstellen zwischen den verschiedenen Bildungsbereichen in den unterschiedlichen institutionellen Zuständigkeiten ist dies zweifellos „eine gute Grundlage für den weiteren Prozess der Kooperation von JMK und KMK“, wie die JMK 2004 festgestellt hat (JMK/KMK 2004). Allerdings bezieht sich der Beschluss lediglich auf den Bildungsauftrag; nicht aufgenommen ist die Frage, „inwieweit die Lebenslage der Kinder eine Rolle bei der Erziehung, Bildung und Betreuung spielt und damit eine entsprechend ausgerichtete KiTa-Arbeit erforderlich macht“ (Holz 2008: 24). Der soziale Integrationsauftrag der Kindertageseinrichtungen wird hierin nicht integriert. Nicht zuletzt existieren bisher keine länderübergreifenden Qualitätssicherungsmaßnahmen und sinnvollen Untersuchungen über die Wirkungszusammenhänge hinsichtlich der Anstrengungen der Länder zur Umsetzung des Bildungsauftrags und wie diese in der Praxis funktionieren. Es ist deshalb erforderlich, dass „die unterschiedlichen Konzepte, ihre Umsetzung und ihre Ergebnisse überprüft würden“ (Diskowski 2003: 40). Genau dies scheint aber nicht der Fall zu sein. „Danach haben jetzt alle Bildungspläne gemacht, weil alle gesehen haben, wir müssen es machen. Und jetzt sitzen wir da mit diesen Bildungsplänen. Sie sind nicht begriffen. Was machen die da eigentlich mit den Bildungsplänen? Wir wissen es eigentlich nicht genau, wir gehen alle ganz unterschiedliche Wege, strukturell, rechtlich, inhaltlich. Und es gibt keinen Arbeitszusammenhang, der über diese Frage in irgendeiner Form reflektieren würde. Die Jugendministerkonferenz, die eine Evaluation in Auftrag gegeben hat – die Wirkung dieses gemeinsamen Rahmens sollte untersucht werden – die lässt sich von ihrer Arbeitsgemeinschaft Oberster Landesjugendbehörden einen umfangreichen Bericht erstellen. Dieser Bericht ist eine Synopse: Land A macht so, Land B macht so, Land C macht so. Ganz prima. Was lernen wir daraus? Nichts. (…) Solche Fragen wie: Ist das denn vernünftig, so einen umfangreichen Plan wie Bayern zu schreiben, oder 180 Seiten in Berlin für verbindlich zu erklären, wie Berlin das jetzt macht, und dann noch sanktionsbewährt, d.h. die Träger bekommen keine Zuschüsse, wenn sie sich nicht dran halten? Wie will ich denn feststellen, ob die Leute vor Ort die 180 Seiten berücksichtigen? Welche Evaluationsvorstellungen gibt es überhaupt? Kann man, wenn man so etwas verbindlich machen will – was ich richtig finde – dann solch einen detaillierten Plan schreiben, oder müsste das nicht eher einer wie in Nordrhein-Westfalen sein?, solche Fragen werden nicht thematisiert“ (Text_C 205, 206).
3.3 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich
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Hier scheint ein Steuerungsdefizit auf, das uns im Folgenden noch beschäftigen wird. 3.3.3 Sicherung der Bildungsqualität im Elementarbereich Angesichts der zunehmenden Bedeutsamkeit des frühkindlichen Bildungsbereichs spielt die Sicherung der Bildungsqualität im Elementarbereich eine immer bedeutsamere Rolle. Denn inwiefern Bildung im Elementarbereich einen externen Nutzen für die Gesellschaft bringt, hängt besonders mit der Bildungsqualität zusammen. Wie die untersuchten Bundesländer diese Bildungsqualität im Elementarbereich sicherstellen, welcher Methoden sie sich dabei bedienen und ob bzw. gegebenenfalls welche Sanktionsmechanismen zum Einsatz kommen, sind daher zentrale Fragen bei der Untersuchung staatlicher Aktivitäten zur Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung. Dies betrifft die Steuerung der Bildungsqualität in der Tagespflege ebenso wie die in Kindertageseinrichtungen, solche über rechtliche Steuerungsinstrumente ebenso wie solche der Finanzierung. 3.3.3.1 Entwicklung des Bildungsauftrags in der Tagespflege Die Tagespflege hat in den vergangenen Jahren eine rasante Entwicklung durchgemacht, die sie vom bildungspolitischen „Schmuddelkind“ zum – zumindest auf dem Papier – ernstgenommenen Familienmitglied im frühkindlichen Bereich geführt hat. Erstmals wird die Tagespflege nun in vielen Bundesländern „staatlich gefördert und ein einheitlicher rechtlicher Rahmen für alle Formen der Kindertagesbetreuung geschaffen“ (Bayerisches Staatsministerium 2005: 4). Daneben hat die Tagespflege mit den gesetzlichen Änderungen in allen untersuchten Bundesländern nun einen Bildungsauftrag erhalten, wenn dieser auch in den drei Ländern unterschiedlich aussieht. So kommt Tagespflegepersonen in Bayern die Aufgabe zu „die ihnen anvertrauten Kinder entwicklungsangemessen zu bilden, zu erziehen und zu betreuen. Sie haben dabei die erzieherischen Entscheidungen der Eltern zu achten“ (Art. 16 BayKiBiG). Im Gegensatz zu den bayerischen förderfähigen Kindertageseinrichtungen haben Tagespflegepersonen allerdings nicht den Auftrag, mit den Eltern zusammen jedem Kind die Basiskompetenzen zu vermitteln. Nordrhein-Westfalen dagegen verzichtet im Kinderbildungsgesetz auf eine eigenständige Zielsetzung für den Tagespflegebereich und schreibt als Auftrag von Kindertagespflege wie Kindertageseinrichtungen fest, das Kind „in der Entwicklung seiner Persönlichkeit [zu fördern] und (...) die Eltern insbesondere in Fragen der Bildung und Erziehung“ zu beraten und zu informieren (§ 3 (2) KiBiz). Brandenburg wiederum hat den Erziehungs-, Bildungs-, Betreuungs- und Versorgungsauftrag von Kindern neben Kindertagesstätten auch auf die Kindertagespflege und andere Angebote der Kinder- und Jugendhilfe (§ 2 KitaG, s. zu den Aufgaben und Zielen auch § 3 KitaG) erweitert, führt aber, speziell auf die Kindertagespflege bezogen, als Ziele gesetzlich lediglich aus: „Kindertagespflege dient der Betreuung von Kindern im Haushalt der Tagespflegeperson, des Personensorgeberechtigten oder in anderen geeigneten Räumen, insbesondere von jüngeren Kindern oder im Rahmen eines besonderen Betreuungsbedarfs“ (§ 2 (3) KitaG). Es verwundert in diesem Kontext, dass der Kindertagespflege hier lediglich
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ein Betreuungsauftrag erteilt wird, Bildung und Erziehung hingegen keine Rolle spielen. Entweder wurde bei der Gesetzesnovellierung diese Änderung vergessen oder aber bewusst darauf verzichtet. Dies würde darauf hindeuten, dass Kindertagespflege nicht als gleichwertiges Bildungsangebot für alle Kinder in Brandenburg gesehen, sondern vor allem in ihrer Funktion als besondere Betreuungsform wahrgenommen wird. Die Aufwertung der Kindertagespflege schlägt sich darüber hinaus auch in Aktivitäten der Kreise und Kommunen nieder, wie bei den Gesprächen vor Ort überall bestätigt wurde, vor allem hinsichtlich einer verstärkten Festlegung von Qualitäts- und Ausbildungskriterien und einer zunehmenden öffentlichen Finanzierung der Qualifizierung des Tagespflegepersonals. So werden Tagespflegeplätze zunehmend kommunal ausgebaut (finanziell und hinsichtlich qualitativer Standards), und die Aquirierung und Betreuung von Tagespflegepersonen wird vorangetrieben. Die Vermittlung von Tagespflegekräften wird mittlerweile vor Ort als kommunale Aufgabe verstanden und erfolgt in den befragten Kommunen entweder über die Stadt oder über einen von der Kommune beauftragten freien Träger, zudem wird die Qualifizierung von Tagespflegekräften kommunal gefördert – wenn auch auf (zu) niedrigem Niveau. Auch werden auf kommunaler Ebene nun (häufig) erstmals Qualitätsstandards zur Tagespflege beraten und in Kraft gesetzt. Insbesondere durch das TAG, so die Einschätzung von kommunaler Seite, hat dabei die Qualitätssicherung im Bereich der Tagespflege eine Aufwertung erfahren. „Somit haben wir mit dem TAG im Grunde genommen jetzt die Grundlage erhalten, um Tagespflege finanziell aufzuwerten, sie gleichzustellen mit der Kinderkrippe – zwar nicht gleich teuer, aber dennoch dem Kostendurchschnitt, dem Stundensatzdurchschnitt im Land Brandenburg anzugleichen. Das war damit politisch einfacher durchzusetzen. Wir haben auch gemäß TAG die Versicherungsfragen gelöst und haben dann das Tagespflegeausbaugesetz in den Punkten umgesetzt. Mit Wirkung Januar diesen Jahres ist die Richtlinie wirksam geworden. Insoweit war dieses Gesetz gerade in der Tagespflege für uns sehr hilfreich, weil wir die Begründung dafür hatten, dass Tagespflegepersonen auch abgesichert werden sollten“(Text_L 184).
Allerdings hätte das Gesetz auch zur Verbürokratisierung der Tagespflege geführt, wie vom Vertreter einer Kommune angeführt wird, die bereits vorher die Bereitstellung von Tagespflegeplätzen forciert hat: „Tagespflege hat bei uns immer eine sehr wichtige Rolle gespielt. Da muss ich sagen, hat uns das TAG in unseren Strategien ein bisschen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir haben nämlich eine sehr offene Form der Tagespflegebörse eingerichtet, mit zwei freien Trägern, die auch sehr gut funktioniert hat, wo wir uns als Jugendamt bis auf die Bereiche, wo wir wirtschaftliche Jugendhilfe gewährt haben, auch völlig `rausgehalten haben und wo auch die beiden Vereine, (…), gemeinsam Qualifizierungsmodule entwickelt haben und dann nach regionalen Gesichtspunkten eine richtige Börse, wo ohne große Mitwirkung einfach die Platzsuchenden und die Platz-zur-Verfügung-stellenden Leute gematcht [zusammengebracht] wurden. Insofern hat das funktioniert. Und es ist natürlich jetzt ein etwas verbürokratisierter Bereich. Insofern war ich an dem Punkt nur begrenzt begeistert über das TAG. Aber wir werden das weiter ausbauen, haben da inzwischen auch eine entsprechende Vorlage im Jugendhilfeausschuss. Wie gesagt, ich glaube nicht, dass das so ganz glücklich ist, wie es das TAG geregelt hat, weil man eigentlich da an dem Punkt meiner Einschätzung nach ohne allzu große Probleme das wirklich einem Aushandlungsprozess überlassen könnte, wenn man die entsprechende Infrastruktur zur Verfügung stellt, aber gut…“ (Text_H 40).
3.3 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich
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Für die Arbeit als Tagespflegeperson ist in Bayern und Nordrhein-Westfalen eine Pflegeerlaubnis nach § 43 SGB VIII notwendig. Brandenburg schreibt diese mit dem SGB VIII bereits bundeseinheitlich verfügte Tatsache landesrechtlich nicht noch zusätzlich fest. In allen drei Ländern müssen für eine öffentliche Finanzierung des Tagespflegeverhältnisses von Seiten der Tagespflegeperson bestimmte fachliche Voraussetzungen erfüllt sein, was insbesondere von Tagespflegepersonen, die nicht über eine pädagogische Ausbildung verfügen, eine Weiterqualifikation verlangt. Der Umfang dieser Qualifikation sowie die Verpflichtung zu ihrer Inanspruchnahme variiert allerdings in den Ländern. Brandenburg konkretisiert dies in seiner Tagespflegeverordnung am stärksten. Neben geeigneten Räumlichkeiten wird hier eine gesundheitliche, persönliche und fachliche Eignung der Tagespflegeperson verlangt, die durch eine Aus- und Fortbildung erlangt werden muss, welche von ihrem Umfang und ihren Inhalten her durch die Verordnung vorgegeben ist. NordrheinWestfalen dagegen hat die Qualifikation der Tagespflegepersonen vom Umfang her nicht festgelegt, sondern spricht in diesem Kontext lediglich von einer „Qualifikation auf der Grundlage eines wissenschaftlich entwickelten Lehrplans“, den „sozialpädagogische Fachkräfte mit Praxiserfahrung in der Betreuung von Kindern“ zudem nicht zu erfüllen haben (§ 17 (2) KiBiz). Durch die Verknüpfung der Fortbildung mit einer finanziellen Förderung wird in den Ländern ein Anreiz zur Höherqualifizierung geschaffen. Die umfassendste Landesförderung in Bezug auf die Qualifizierung ermöglicht dabei Bayern. Hier kann der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Qualifikation in einer gewissen Größenordnung kompett refinanzieren, wenn die Qualifikation zur Erfüllung der Fördervoraussetzungen nach Art. 20 BayKiBiG notwendig ist. Finanziert wird die Tagespflegeleistung in allen Ländern über den Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in Bayern und Nordrhein-Westfalen in Form von Pauschalen. Bayern zahlt zusätzlich zur staatlichen und kommunalen Förderung einen 20 prozentigen Qualifizierungszuschlag, wenn über die Teilnahme an der hundertstündigen Qualifikation hinaus die Bereitschaft besteht, „an Fortbildungsmaßnahmen im Umfang von mindestens 15 Stunden jährlich teilzunehmen und auch unangemeldete Kontrollen zuzulassen“ (§ 18 Nr. 1 AVBayKiBiG). Daneben wird ein Beitrag zur Altersversorgung und – soweit erforderlich – zur Krankenversicherung gefördert. Die Eltern werden im Rahmen des § 90 SGB VIII mit einer pauschalierten Kostenbeteiligung an den Kosten beteiligt. Brandenburg unterscheidet sich hier insofern, als dass die Tagespflege für unter zweijährige Kinder als eine der Betreuungsformen gilt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, was eine andere Verbindlichkeit hinsichtlich der Finanzierung für Land und Kommunen schafft (vgl. § 18 KitaG). Im Gegensatz zu den beiden westdeutschen Bundesländern werden hier keine Pauschalen aufgeführt, sondern ist im Gesetz eine komplette Übernahme der entstehenden Aufwendungen einschließlich der Abgeltung des Erziehungsaufwandes durch den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe festgeschrieben (§ 18 KitaG). Wie in den anderen beiden Ländern auch werden in Brandenburg die Eltern über Beiträge, die nach Kinderzahl, Elterneinkommen und Betreuungsumfang gestaffelt sind, an den Kosten beteiligt, allerdings findet in Brandenburg, im Gegensatz zu den beiden anderen Ländern, eine Gleichstellung der Tagespflegebeiträge mit den Elternbeiträgen der Kindertageseinrichtungen statt. Die Beratung der Tagespflegepersonen und der Eltern erfolgt in den drei Ländern durch die örtlichen Jugendämter bzw. freien Träger. Auch die Tagespflege-Landesverbände
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leisten hier Unterstützung, unterstützt von weiteren Anbietern, beispielweise in Brandenburg der Beratungsstelle der Familien-für-Kinder gGmbH, die telefonische Beratung und ein Internetforum (http://www.familien-fuer-kinder.de/forum/index.php) anbietet. Darüber hinaus hat der Landesjugendhilfeausschuss Brandenburg „Empfehlungen zur Qualität von Tagespflege“ erabeitet, in denen eindrucksvoll dargestellt wird, welche Entwicklungsbedingungen Kinder in der Tagespflege vorfinden, welche vielfältigen Anforderungen an Tagespflegepersonen gestellt und welche Unterstützungsleistungen durch die Jugendhilfe vorgehalten werden müssen (Landesjugendamt Brandenburg 2003). Bayern und Brandenburg unternehmen damit, zusammenfassend betrachtet, die stärksten Bemühungen, um die Qualität der Tagespflege zu steigern, Brandenburg durch rechtliche305, Bayern im Wesentlichen durch finanzielle Steuerung. Brandenburg akzentuiert in der spezifischen Ausformulierung der Aufgaben der Kindertagespflege allein im Landesgesetz besonders den Betreuungs-, weniger den Bildungs- und Erziehungsauftrag. Dies korreliert mit der von sämtlichen Gesprächspartner/innen in Brandenburg geäußerten Ansicht, wonach das Bewusstsein für Tagespflege als Bildungsform bei ostdeutschen Eltern anders entwickelt sei als bei westdeutschen und Tagespflege von den meisten Eltern nicht als gleichwertige Betreuungsalternative zu Kindertageseinrichtungen angesehen werde; dies würde sich mittlerweile erst langsam durch veränderte Förderrichtlinien sowie durch den Zuzug Westdeutscher ändern. „Wir haben natürlich auch eine andere regionale Situation. Diese Berlin-Nähe hat natürlich dazu beigetragen, das Eltern aus dem alten Bundesgebiet, die Tagespflege kennen und vielleicht als einzige Form der Kleinkindbetreuung kennen gelernt hatten, dass die das auch zunehmend eingefordert haben damals. Die Leute, die aus der DDR kamen, die kannten die Krippe. Für die war Tagespflege wirklich nicht das Thema. Wir haben es stark unterdrückt, Tagespflege überhaupt zu machen, als Jugendamt, weil das für kreisfreie Städte nicht gefördert wurde vom Land – im Unterschied zur Kinderbetreuung in Einrichtungen – und weil das für uns kontraproduktiv gewesen wäre. Solange wir abgebaut haben in Einrichtungen, hätten wir nie Tagespflege parallel aufgebaut“ (Text_L 181, 182).
Allein quantitativ würde aus diesen Gründen die Tagespflege in Brandenburg keine nennenswerte Rolle als Betreuungs- und Bildungsform spielen. Allerdings erleichtere die nun gesetzlich verankerte Gleichrangigkeit von Tagespflege und Tageseinrichtungen den politischen Ausbau der Angebote enorm und schaffe andere Möglichkeiten, Tagespflege auf kommunaler Ebene politisch durchzusetzen (s. oben). Nordrhein-Westfalen fällt dagegen im Vergleich dadurch auf, dass die Ziele und Aufgaben von Kindertageseinrichtungen und Tagespflege im Kinderbildungsgesetz konsequent gleichgesetzt werden, ohne dass leich intensive Schritte wie in den beiden anderen Ländern zur Umsetzung gegangen würden. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Landesregierung in den vergangenen Jahren darauf gesetzt hat, die mit dem TAG vorgegebenen Ausbauziele für die Schaffung von Betreuungsplätzen für unter Dreijährige zu großen Anteilen über den Ausbau von Tagespflegeplätzen zu erreichen, erscheint diese Gleichsetzung nur konsequent und auch politisch logisch. 305
Die beiden befragten brandenburgischen Kommunen wiesen, im Gegensatz zu den befragten Kommunen aus Bayern und Nordrhein-Westfalen, darüber hinaus detaillierte Richtlinien zur Förderung von Tagespflege mit klar benannten Qualitätskriterien auf.
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Zugleich wird deutlich, dass neben der veränderten Elternnachfrage bzw. einem geänderten politischen Bewusstsein auch ein drittes Kriterium entscheidend für die staatlichen Aktivitäten im Bereich der Tagespflege zu sein scheint: die Hoffnung auf finanzielle Einsparungen (s. auch Text_L 183). Da die Tagespflege, im Wesentlichen aufgrund der erheblich schlechteren Bezahlung von Tagesmüttern gegenüber Fachkräften in Einrichtungen (s. zu den Platzkosten im Vergleich auch Schilling 2004), für die Länder und Kommunen ein erheblich kostengünstigeres Angebot darstellt als institutionelle Einrichtungen, können die Aktivitäten der Länder und Kommunen hier auch unter der Zielsetzung finanzieller Ersparnis verortet werden. Insbesondere die im Vergleich zu den anderen beiden Bundesländern geringeren Anstrengungen der Qualitätssicherung in Nordrhein-Westfalen sind mit Blick auf den angedachten erheblichen quantitativen Ausbau an Plätzen daher kritisch zu sehen. 3.3.3.2 Planungskonzepte zur Umsetzung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes Angesichts der zwischen den drei untersuchten Ländern differierenden Zahl und Art der im frühkindlichen Bildungsbereich bereitgestellten Bildungs- und Betreuungsplätze können neben einem unterschiedlichen Bewusstsein öffentlicher Verantwortung für das Aufwachsen kleiner Kinder auch eine unterschiedliche Elternnachfrage sowie nicht zuletzt differierende finanzielle Schwerpunktsetzungen als Begründungsmuster angesehen werden. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, wenn auch die Planungskonzepte zur Umsetzung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes zwischen den drei Bundesländern stark differieren und sich ein deutlicher Ost-West-Gegensatz zeigt. Das Land Brandenburg sieht die Umsetzung des Gesetzes hier weniger als Arbeitsauftrag, da die Entwicklung vor Ort als weiter eingeschätzt wird als das TAG: „Wissen Sie, das TAG berührt uns relativ wenig. Ich würde mal sagen, da war die Entwicklung in Brandenburg weiter als das TAG jetzt ist. Quantitativ war der Ausbau keine Frage; auch qualitativ gab es zumindest das Bewusstsein – es kommt ja auch noch nicht so richtig ins Leben – aber die Frage, dass man sich um Qualität kümmern muss und dass es eine Klärung geben muss des Engagements von öffentlicher Jugendhilfe für die Qualität, das ist da. Von daher: Schön, dass es da steht, aber es ist jetzt nicht so, dass es uns furchtbar geschüttelt hätte. Es ist eher als eine erfreuliche Bestätigung wahrgenommen worden“ (Text_ C 20).
Zugleich begrüßten die beiden befragten brandenburgischen Kommunen die mit dem TAG eingeleitete Aufwertung der Tagespflege als gleichwertiges Bildungsangebot, da sie die Schaffung von Tagespflegeplätzen hierdurch vorantreiben könnten. Die beiden westdeutschen Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen dagegen sehen sich durch die Zielsetzungen des Gesetzes unter dem Druck, die Bildungs- und Betreuungsplätze im frühkindlichen Bereich bis 2012 massiv auszubauen. Bayern gibt diesen Druck über das bayerische Kinderbildungsgesetz an die Kommunen weiter: „Wir haben in Bayern dieses Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz [BayKiBiG], das unter anderem auch ganz stark verzahnt ist mit dem TAG. Da hat sich einiges geändert, auch das Umdenken hat eigentlich bereits stattgefunden auf politischer Ebene.(…) Durch die neue Gesetzgebung kam dann der Zwang, das Umdenken umzusetzen.(…) Die neue Gesetzgebung besagt, dass die Gemeinden selbst Entwicklungspläne aufstellen müssen, selbst sagen müssen:
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert ‚In dem und dem und dem Zeitrahmen wollen wir diese Bedarfsdeckung erreichen’“ (Text_F 12, 14, 59).
Damit erzielt das TAG nicht nur direkt, sondern auch indirekt Effekte mit Blick auf den Bereich der frühkindlichen Bildung, wenn diese vermutlich auch nicht von allen Akteuren als positiv empfunden werden mögen. Zwar ermöglicht es den verstärkten Ausbau von Bildungs- und Betreuungsplätzen für unter Dreijährige und führt die Tagespflege aus dem Graubereich der Privatheit in eine öffentliche Qualitätssicherung. Allerdings dürfte es mittelfristig die Situation für manche Kindertageseinrichtungen eher erschweren, wie bei der Betrachtung vor Ort deutlich wird. „Und der Wettbewerb zwischen Tagespflege und Kindertagesbetreuungseinrichtungen, denke ich, nimmt zu. Wir haben jetzt 150 Kinderpflegestellen; in diesem Jahr sind 50 dazu gekommen, eine enorme Zunahme. In den nächsten drei Jahren wird im unteren Kinderbereich das Aufkommen steigen, bis zum Jahr 2009. Nach 2010 – so sieht die Bevölkerungsprognosenberechnung aus – wird die Zahl absinken. Wenn dann die Kinderzahl sinkt, wird auch Qualität in dem Wettbewerb eine zunehmende Rolle spielen“ (Text_I 62).
So dürfte mittel- und langfristig das Prinzip des Wettbewerbs im frühkindlichen Bildungsbereich eine zunehmende Rolle spielen. 3.3.3.3 Sicherung des Bildungsanspruchs in Kindertageseinrichtungen durch Standardsetzung Um eine qualitativ hochwertige Arbeit in Kindertageseinrichtungen zu sichern und über die bloße Betreuung von Kindern hinaus einen Bildungsanspruch sicherzustellen, werden von allen drei föderalen Ebenen, Bund, Ländern und Gemeinden, verschiedene Standards und Maßnahmen gefördert bzw. durchgeführt. Trotz begrenzter Steuerungskompetenzen hat der Bund in den vergangenen Jahren vielfältige Anstrengungen unternommen, um die Kindertagesbetreuung in Deutschland nicht nur quantitativ auszubauen, sondern auch qualitativ voranzubringen. „Die Bundesregierung will die Kindertagesbetreuung nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ ausbauen, um ihren hohen gesellschaftlichen Nutzen zur Entfaltung zu bringen.(…) Der Bund unterstützt die notwendige Qualitätsinitiative durch Modellversuche, Evaluationsmaßnahmen zur Qualität, Konsultationen mit wichtigen Partnern, inhaltliche Impulse, Gutachten und den Kinder- und Jugendbericht. Beispielhaft zu nennen sind der Modellversuch „Sprachliche Förderung in der Kita“ oder das Projekt „Bildungs- und Lerngeschichten“ zur Beobachtung und Dokumentation von Lernprozessen bei Kindergartenkindern. Besonders zu erwähnen ist die bereits 1999 ins Leben gerufene „Nationale Qualitätsinitiative im System der Tageseinrichtungen für Kinder“ (NQI)“ (Text_J 35, 36).
Aufgrund der föderalen Kompetenzverteilung bleibt ihm über diese Maßnahmen hinaus nur die Möglichkeit, Rahmenbedingungen zu beschreiben und politischen Druck auf die Länder und Kommunen aufzubauen, wie dies mit dem SGB VIII, der Regelung eines individuellen Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz, aber auch mit dem TAG sowie dem Kinderförderungsgesetz geschehen ist.
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„In den §§ 22 ff. SGB VIII sind bestimmte Qualitätsgrundsätze enthalten – natürlich nur Grundsätze, Rahmenbedingungen, weil der Bund ansonsten seine Kompetenz überschreiten würde. Einige detailliertere Vorgaben, die im Referentenentwurf des TAG enthalten waren, wurden aufgrund der Kritik der Länder und der Kommunen rausgenommen.(…) Wir haben keine Sanktionsmöglichkeiten, wir haben nur die Möglichkeit des politischen Drucks. Deswegen wurde im TAG die Berichtspflicht des Bundes in § 24a Abs. 3 SGB VIII, der Übergangsregelung zum stufenweisen Ausbau der Tagesbetreuung für unter Dreijährige bis 2010, aufgenommen. In diesem Bericht hat die Bundesregierung jährlich bis 2010 den Bundestag über den Stand des Ausbaus zu informieren. So soll aufgezeigt werden, ob und in welchem Umfang in den Ländern und den Kommunen etwas voran geht“ (Text_J 43, 48).
Die drei untersuchten Bundesländer unterscheiden sich bei der Sicherung des Bildungsund Betreuungsanspruchs von Kindern durch den Einsatz verschiedener Standards und die Anwendung unterschiedlicher Steuerungsverfahren. Brandenburg kann dabei als dasjenige der drei Bundesländer angesehen werden, in dem – diesen Eindruck legen die geführten Gespräche nahe – die in der Bundesrepublik lange übliche Trennung von Bildung, Betreuung und Erziehung am kritischsten gesehen wird. Zugleich wird die Verknüpfung der Bereiche nicht als neue Entwicklung eingeschätzt. „Insoweit zehren diejenigen, die aus der alten Zeit, aus der DDR-Zeit Bildung, Erziehung, Betreuung kennen, natürlich viel auch aus diesen Zeiten, weil man es sich anders vorstellen kann. Oftmals sage ich – man kann das ja wenigstens sagen heutzutage, da ist man ja, zumindest hier bei uns, auch nach wie vor nicht schief angesehen: Man kann schon sehr oft einschätzen, dass es mal ging, dass es möglich war, und dass es auch erfolgreich verlaufen ist, vom Grundsatz her, dass Bildung, Betreuung und Erziehung in Einheit zu betrachten sind.(...) Abschließend dazu freue ich mich, dass man nach Finnland und sonst dergleichen guckt, weil wir genau wissen, die machen das, was wir immer gemacht haben, von uns gelernt aus DDR-Zeit“ (Text_ L 40, 42).
Dementsprechend hat das Land früher als andere Aktivitäten zur Sicherung des Bildungsanspruchs im Elementarbereich entwickelt (s. auch Kap. 3.3.2.1). Bereits in den Jahren 1997 bis 2000 wurde das Modellprojekt „Zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen“ in Kooperation mit den Ländern Sachsen und Schleswig-Holstein durchgeführt. Aufgabe dieses Projektes war die Grundlegung des Bildungsauftrages und eine konzeptionelle Orientierung. Auf der Grundlage der Ergebnisse wurde gemeinsam mit BadenWürttemberg 2002 ein Zehn-Stufen-Projekt „Bildung“ begonnen (Hovestadt 2003: 16). Andere Modellprojekte folgten, unter anderem das BLK-Programm „TransKiGs – Stärkung der Bildungs- und Erziehungsqualität in Kindertageseinrichtungen und Grundschule – Gestaltung des Übergangs“, an dem Brandenburg wesentlich beteiligt war. Insbesondere die Entwicklung eines Bildungsplans als Orientierungsrahmen hat dabei die Verantwortlichen beschäftigt. Angesichts der Erfahrungen eines Bundeslandes, in dem lange Jahre mit Bildungsplänen gearbeitet wurde, war die Entwicklung eines solchen Planes offensichtlich wenig umstritten, die Steuerung der pädagogischen Arbeit in Kindertageseinrichtungen nicht so hinterfragt wie in westdeutschen Ländern, was die Umsetzung eines Bildungsplans erleichterte. Als Steuerungsinstrument setzt Brandenburg stark auf die Beschreibung von Standards.
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert „Wir müssen da, glaube ich, andere Wege gehen und einer ist eben der, Standards zu beschreiben. Wir haben immer Personalstandards beschrieben, immer im Gesetz oder in der Verordnung“ (Text_C 62).
Begründet wird dies mit der begrenzten Wirksamkeit organisatorischer Regelungen, da ihre Umsetzung in der Praxis aufgrund der sehr unterschiedlichen, schlecht vergleichbaren Verhältnisse im Land schwierig und die Kontrollmöglichkeiten des Landes aufgrund der angespannten Haushaltslage begrenzt seien. „Die Idee, organisatorisch etwas zu lösen, ist von Landesseite aus in Brandenburg ganz schwierig. Wir haben ganz unterschiedliche Verhältnisse. Wir sind jetzt hier im Speckgürtel, Ballungsgebiet, Zuzug. Und dann haben wir Gegenden wie die Prignitz und die Lausitz und die Uckermark, da fahren sie eine halbe Stunde, ohne Menschen zu treffen. Da ist schon der Rahmen, wie Kinder zur Schule gehen und wie eine Kita mit der Schule zusammenarbeiten kann, was die Erwartungen sind, so unterschiedlich, dass wir hier manches aufschreiben könnten, aber denen ist das ziemlich egal, ob wir das aufschreiben oder nicht aufschreiben oder in China ein Sack Reis umfällt. Von daher war meine persönliche Einschätzung die, das wir in dieser Richtung gar nicht so sehr viel machen können“ (Text_C 74). „Wie kommt der [Bildungsplan] in die Praxis? Damit sind wir bei einem Riesenressourcenproblem. Diese Projekte mit infans zusammen, die wir seit Mitte der 90er Jahre hier machen, um den Bildungsauftrag herum, zeigen im Grunde genommen, was das für ein schwieriger Prozess ist, bis die Gedanken und Vorstellungen ins Leben kommen. Das ist nicht damit getan, dass wir etwas veröffentlichen. Es ist toll, glaube ich, was andere Länder sich leisten können, dass sie flächendeckende Fortbildung machen, aber auch das wird es nicht sein. Ich glaube, es ist ein relativ langfristiger Prozess, auch der Veränderung von Erwartungen von Eltern und Erwartungen von Schule“ (Text_C 33).
Diese Probleme sowie die Überzeugung, dass Verhaltensänderungen der mit dem Bildungsbereich befassten Menschen in den Köpfen anfangen und nicht gesetzlich vorgeschrieben werden könnten, führen zu dem verstärkten Einsatz anderer Steuerungsinstrumente als rechtlicher Vorgaben. Hier sind vor allem die Instrumente der Kommunikation und Fortbildung als wichtige Steuerungsinstrumente zu nennen (s. dazu auch Kap. 3.3.3.6). In dem Kontext setzt Brandenburg auf die Vorbildfunktionen von guten Praxisbeispielen und Einrichtungen und hat ein System der Praxisunterstützung aufgebaut, dessen einzelne Bestandteile „sich in ihrer jeweils unterschiedlichen Aufgabenstellung und Leistungsfähigkeit“ (MBJS (Hg.) 2006: 17) ergänzen sollen. „Wir reden seit vielen Jahren von einem Praxisunterstützungssystem, also Fortbildung, Praxisberatung, Konsultationskitas. Konsultationskitas sind etwas, was wir hier entwickelt haben, auch ein Stück aus DDR-Tradition, was sich jetzt im Westen auch langsam etabliert und, glaube ich, eine gute Methode ist: Peer-Beratung ist einfach effektiver, weil die Leute von Gleichen mehr annehmen als wenn da jemand anderes kommt“ (Text_C 41).
Die so genannten „Konsultationskitas“, also Kindertageseinrichtungen, die sich durch ihre gute Qualität in der Bildungsarbeit auszeichnen, wirken dabei „überregional als Repräsentanten eines Konzepts und regional, in Kooperation mit den Praxisberaterinnen, als Orte der Begegnung und des Fachaustausches“ (MBJS (Hg.) 2006: 17f). Über diese vorhandenen Strukturen der Praxisunterstützung hinaus fördert das Land „Qualitätswettbewerbe und Qualitätsmessungen und die bessere Gestaltung des Übergangs von der Kindertagesstätte in
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die Grundschule wie beispielsweise durch die Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen mit Grundschulen“ (MASGF u.a. 2005: 13). 2006 wurde erstmals ein Qualitätsbericht über den frühkindlichen Bildungsbereich erstellt (MBJS (Hg.) 2006). Seit dem Kindergartenjahr 1993/94 werden unter Verwendung der Kindergarteneinschätzskala Untersuchungen der Betreuungsqualität in Kindertagesstätten durchgeführt. Damit verfügt Brandenburg als einziges Bundesland wenigstens in Ansätzen über ein systematisches Qualitätsmonitoring. Wie der Qualitätsbericht allerdings selbstkritisch einräumt, zeigt sich in Brandenburg ein Problem in der „Entwicklung in der Breite“ (MBJS (Hg.) 2006: 12). Das Praxisunterstützungssytem ist in Brandenburg zwar qualitativ gut gestaltet, die Arbeit in den besten Einrichtungen des Landes kann nationalen wie internationalen Qualitätsstandards standhalten. Allerdings gibt es „hinsichtlich der Beratungs- und Fortbildungsdichte noch Entwicklungsbedarf“ (ebd.). „Hier machen andere Bundesländer stärkere Anstrengungen für allgemeine Entwicklungen, die alle Einrichtungen erreichen sollen“ (ebd.). Als eines dieser Bundesländer kann Bayern angesehen werden, das im Gegensatz zu Brandenburg sehr viel stärker auf rechtliche Regelungen und die verbindliche Festsetzung von Kriterien und Standards setzt. In seiner Regierungserklärung betonte der damalige Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber 2003, dass durch die Einführung des neuen Bildungs- und Erziehungsplans künftig in Kindertageseinrichtungen „verlässliche Kriterien“ gelten sollten „zum Beispiel für sprachliche Förderung und musikalische Erziehung“ (Bayerischer Landtag 2003: 55). Auch Bildungs- und Erziehungsziele werden – über die in allen befragten Ländern gängigen Vorgaben hinsichtlich des Fachkräftegebots und des Anstellungsschlüssels hinaus – verbindlich in der Ausführungsverordnung zum BayKiBiG (AVBayKiBiG) festgelegt. Statt auf freiwillige Lösungen und den Vorbildcharakter von best practice Modellen zu setzen, werden mit dem Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz Kindertageseinrichtungen zu Qualitätssicherungsmaßnahmen verpflichtet, indem die Vergabe öffentlicher Fördermittel an die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Vorgaben geknüpft ist. Überdies erfolgt sie subjektbezogen und ist an der Zahl der Kinder orientiert (s. dazu auch Kap. 3.3.3.4). Das Gesetz intendiert damit eine „mittelbare Qualitätssicherung“: „Ganz allgemein liegt der Schwerpunkt auf einer mittelbaren Qualitätssicherung. Es ist nicht daran gedacht, die staatliche Kontrolle massiv auszuweiten. Mittelbare Qualitätssicherung heißt primär, dass das, was in der Einrichtung geschieht, öffentlich wird, dass man anhand dieser Informationen auswählen kann, wo das Kind hingeht“ (Text_E 25).
Durch verstärkte Transparenz und die Stärkung der Rolle der Eltern als Nachfragende, konkret durch die Veröffentlichung der pädagogischen Konzeption von Einrichtungen sowie interne Qualitätssicherungsmaßnahmen wie Elternbefragungen etc., sollen die Bedürfnisse von Eltern stärker in den Blick genommen werden. Auch sollen die Verantwortlichen eine bessere Kenntnis erhalten, was in ihren Einrichtungen geschieht, weshalb Bayern mit dem neuen Gesetz lokale Verantwortlichkeiten und Prozesse stärkt. „Das BayKiBiG hat auch die Zielrichtung zu deregulieren. Es wird jetzt staatlicherseits so wenig wie möglich vorgeschrieben, was sicherlich zur Folge hat, dass Tagesbetreuung zu einer Angelegenheit der Kommunalpolitik wird. Viele Bürgermeister sagen auch im Zuge der örtlichen Bedarfsplanung, sie wissen jetzt erstmals, was in ihren Einrichtungen eigentlich geschieht. Bisher haben sich viele offenbar kaum damit beschäftigt“ (Text_E 26).
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Zu dieser verstärkten kommunalen Verantwortung trägt vor allem die Verpflichtung zur örtlichen Bedarfsplanung bei, die bisher in Bayern offensichtlich nicht hinreichend wahrgenommen wurde, obwohl die Vorhaltung bedarfsgerechter Plätze bereits seit 1990 im § 24 SGB VIII verankert ist. Im Gegensatz zu den beiden Bundesländern Bayern und Brandenburg, die sich durch eine langjährig konstante Steuerungspraxis im Bereich der frühkindlichen Bildung auszeichnen, ist die Situation in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren durch den Regierungswechsel 2005 und unterschiedliche Steuerungsmethoden der beiden Regierungen geprägt. Die alte rot-grüne Regierung setzte dabei ganz auf den Versuch, über eine Selbstverpflichtung der Träger, welche die Erstellung eines Bildungskonzeptes jeder Einrichtung ebenso umfasste wie die Verpflichtung zur Bildungsdokumentation und Qualitätsentwicklung, eine Sicherung der qualitativen Arbeit zu erreichen. Im August 2003 wurde dazu zwischen dem Land und den Wohlfahrtsverbänden, den kommunalen Spitzenverbänden und den Kirchen als Träger der Kindertageseinrichtungen nach § 26 GTK eine Bildungsvereinbarung als politischer Vertrag unterzeichnet. „Wesentliche Inhalte der Vereinbarung sind das träger- oder einrichtungsspezifische Bildungskonzept, die individuelle Bildungsdokumentation, die Aufgaben der Tageseinrichtungen beim Übergang zur Grundschule sowie die interne Evaluation. (...) Es wird angestrebt, dass die Tageseinrichtungen – auf der Grundlage beobachtender Wahrnehmungen und gerichtet auf die Möglichkeiten des jeweiligen Kindes – die individuellen Bildungsprozesse dokumentieren“ (Hovestadt 2003: 32). Die Bildungsdokumentation, die als Verpflichtung auch in das von der konservativliberalen Regierung 2007 verabschiedete Kinderbildungsgesetz übernommen wurde, stellte ein wesentliches Element im Bildungskonzept dar; eine Untersuchung zu ihrer Annahme in der Praxis und ihren Auswirkungen wurde noch von der alten Regierung in Auftrag gegeben. Statt über Vorgaben zu regieren, setzte Nordrhein-Westfalen damit auf einen Dialog von Staat und Trägern, was auf ein anderes Politikverständnis hindeutet, welches den Staat weniger in der Rolle des Entscheiders, als vielmehr in der des Initators gesellschaftlicher Veränderungsprozesse ansieht (s. dazu auch Kap. 3.5.6). Nach dem Regierungswechsel 2005 wurde dann in Nordrhein-Westfalen in der Koalition über den Weg der Qualitätssicherung im frühkindlichen Bereich debattiert: „Wie bauen wir überhaupt das ganze System auf? Darüber wird im Moment diskutiert, und danach kann man erst dazu kommen, wie und ob man solche Instrumente einführt. Es gibt durchaus die Überlegung der neuen Hausspitze zu sagen: ‚Wir verzichten sehr weitgehend auf staatliche Vorgaben, verabreden uns statt dessen über Ziele, die zu erreichen sind, und steuern die Zielerreichung über das Überprüfen, ob sie wirklich erreicht wurden‘. Es gibt aber auch eine andere Linie. Man kann das auch an der politischen Diskussion bei den beiden Fraktionen, die diese Regierung tragen, feststellen. Interessanterweise setzt gerade die FDP, also der kleinere Partner, der allerdings einen ausgewiesenen Jugendhilfemann als Sprecher hat, (…), stark auf eine staatliche Steuerung an dieser Stelle – so hat man jedenfalls den Eindruck, auch wenn dieser für FDP eigentlich untypisch ist. Das ist etwas, was an der Stelle diskutiert werden muss, vom eher klassischen Modell, über staatliche Vorgaben, staatliche Überprüfung, dem Festhalten an Standards auch im Gesetz, auch sehr deutlich formulierten Standards im Gesetz, bis auf der anderen Seite zu sagen: ‚Wir halten uns da ganz stark zurück‘“ (Text_B 49-52).
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Interessanterweise zeigt sich hier, dass bestimmte Steuerungsmechanismen nicht per se von bestimmten Parteien favorisiert werden. Während nämlich das (vor 2009) von einer großen Koalition regierte Brandenburg eher auf freiwillige Lösungen setzte, Bayern dagegen staatliche Regelungen favorisiert hat, haben sich in Nordrhein-Westfalen gerade die Freien Demokraten für stärkere Regulierungsbestrebungen stark gemacht. Parteipolitische Zugehörigkeit scheint hier weniger bedeutsam zu sein als der fachliche Hintergrund bzw. persönliche Standpunkt als entscheidende Variable bei der Problemdefinition. „Führen Sie sich die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten vor Augen, nicht den Koalitionsvertrag, sondern das, was er dazu vor ungefähr einem Jahr im neuen Landtag gesagt hat: ‚Wir werden‘, hat er gesagt,‘ zur Umsetzung des U3-Ausbaus die Kommunen von möglichst vielen Betriebsstandards befreien‘. Da kann man, wenn man es böswillig liest oder hört, unterstellen, damit meint er: Auch ganz klare Qualitätsvorgaben werden wir herunterfahren. Das hat jetzt auch gar nichts mit CDU-Politik zu tun. Das ist eine Debatte, die unter SPD-geführten Regierungen genau so stattgefunden hat. Es ist immer die gleiche Riege im Kabinett, die sich für so etwas ausspricht: Das ist der Innenminister, ist häufig der Chef der Staatskanzlei, der die gleiche Position hat, vor allem aber auch der Finanzminister – es sind immer dieselben, die an der Stelle die Qualitätsstandards herunterfahren wollen nach dem Motto: Kinder betreuen kann jeder“ (Text_B 53, 54).
Offensichtlich scheint die Problemlösungsphilosophie in dieser Frage stärker durch die Ressortzuständigkeit als durch die parteipolitische Grundhaltung beeinflusst. Oder wie es auf kommunaler Ebene salopp ausgedrückt wurde: „Der Standort bestimmt auch den Standpunkt“ (Text_L 141).
Mit der konservativ-liberalen Landesregierung vollzog sich ansonsten in NordrheinWestfalen eine Schwerpunktänderung in den Qualitätssicherungsbemühungen, weil anstelle der Selbstverpflichtung der Träger mit dem Kinderbildungsgesetz die Verpflichtung zur Evaluation getreten ist, also ein regulatives Instrument anstelle des strukturierenden tritt. Daneben wurde die bis dato übliche interne Evaluation durch eine externe Evaluation ergänzt, die vom Land – wenn auch nur mit Zustimmung des Trägers der Einrichtung – durchgeführt werden kann. Allerdings sollte dieses Instrument zuerst einmal zurückhaltend eingesetzt werden – auch aufgrund der ungeklärten Fragen, was mit den Einrichtungen geschehen soll, die dabei negativ auffallen. „Die Frage der externen Evaluation haben wir damals schon auf der Agenda gehabt, als es darum ging, die Bildungsvereinbarung abzuschließen.(…) Damals hat man uns nüchtern gefragt: ‚Was macht ihr denn mit den Einrichtungen, die dabei negativ auffallen?‘ Das führt dann zu interessanten Diskussionen und, wie ich das vor einem halben Jahr in einer öffentlichen Diskussion gesagt habe: ‚Das heißt eigentlich, dass wir die Einrichtungen nachhaltiger unterstützen müssen, die dabei negativ aufgefallen sind‘, erntete ich natürlich Kritik dafür: ‚Das kann doch nicht wahr sein, dass man die schlechten belohnt; eigentlich muss man doch die guten belohnen!’ Aber das ist ja gerade die spannende Frage: Darf man wirklich die guten belohnen, die schon weit sind, oder muss man nicht die, die es eigentlich nötig haben, heranführen? Das ist eine Diskussion, die wir in unserem bundesweiten Arbeitskreis der Kindergartenreferenten, den es leider nicht mehr gibt, so geführt haben. Die Kollegen C und D werden sich sicher auch noch gut dran erinnern können. Es war in unseren Verhandlungen mit den Trägerverbänden damals jedenfalls unklar, wie man damit umgeht, wenn man bei der externen Evaluation etwas feststellt, was noch nicht so gut ist. Wir hatten keine Antwort drauf, deswegen ist das damals zurückgestellt worden“ (Text_B 46-48).
272
3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
Hierbei zeigt sich das offensichtlich in sämtlichen Bundesländern existierende Problem des Umgangs mit den „Wettbewerbsteilnehmern“, die im Wettbewerb nicht bestehen. Damit wird die Grenze des Marktprinzips im Bereich der Humanvermögensbildung deutlich. Die im Beispiel benannte Reaktion der Öffentlichkeit sowie das dabei durchscheinende verletzte Gerechtigkeitsempfinden, das auftritt, wenn Einrichtungen, die bei Evaluationen negativ auffallen, zur Steigerung ihrer Qualität durch zusätzliche Ressourcen „belohnt“ werden, deutet auf eine Diskussion hin, die gesellschaftlich nicht hinreichend geführt wurde (s. dazu auch Kap. 2.4.3). Ein weiterer Unterschied zur Politik der Vorgänger-Regierung besteht in der bewusst vollzogenen Erweiterung des Akteurskreises im Bereich der frühkindlichen Bildung. So wurde im neuen Kinderbildungsgesetz die Kindertagespflege als gleichwertige Bildungsform festgeschrieben. Geplant wurde, mindestens ein Drittel der neu zu schaffenden Plätze im Bereich der unter Dreijährigen als Tagespflegeplätze zu errichten. Außerdem wurde bereits im Koalitionsvertrag 2005 und 2007 auch im Kinderbildungsgesetz festgeschrieben, dass die bisherigen Hürden für betriebliche und private Kindertageseinrichtungen gesenkt werden: Auch diese Einrichtungen sollten in den Genuss staatlicher Fördermittel kommen, durch Verwaltungsvereinfachung und neue Kooperationsmöglichkeiten mit Unternehmen und Behörden sollte die Einrichtung von betrieblichen und privaten Förder- und Betreuungsangeboten erleichtert werden (CDU/FDP 2005: 39). Wie in Bayern auch hat die konservativ-liberale Landesregierung die Elternnachfrage gestärkt, indem die Finanzierung der Kindertageseinrichtungen seitdem stärker subjektorientiert abläuft (s. Kap. 3.3.3.5). Nicht so sehr die Ziele und Aufgaben der Kindertageseinrichtungen unterscheiden sich demnach in den unterschiedlichen Steuerungsverständnissen, wie sie in NordrheinWestfalen vor und nach dem Regierungswechsel sichtbar werden, sondern vor allem die Methoden ihrer Umsetzung, die Rolle der verschiedenen Akteure und die andere rechtliche Verbindlichkeit der Absprachen, die den Staat stärker in der Rolle eines Regulators, weniger in der des Interdependenzmanagers sehen. Die mit kommunalen Vertreter/innen aus den drei Bundesländern geführten Interviews zeigten verschiedene Stärken und Schwächen der verschiedenen Steuerungsansätze auf. Die vom Land Brandenburg gesetzten Fachlichkeitsstandards wurden dabei von kommunaler Seite sehr begrüßt. Als positiv wurde besonders auf die guten Möglichkeiten der Qualitätssteigerung vor Ort verwiesen, die durch die vom Land verabschiedeten Empfehlungen ermöglicht würden (Text_L 164). Allerdings wurde gleichzeitig berichtet, dass die Fortbildungen zur Implementierung der Grundsätze in der Praxis nur wenig angenommen würden (Text_I 111). Vor allem wurde die eklatante Untersteuerung im Kitabereich bedauert, die zu horrenden Qualitätsunterschieden bei den Einrichtungen führe, was unverantwortlich gegenüber den Lebensperspektiven der Kinder sei (Text_I 97, 98, 104). Wer wolle, so die Rückmeldung, könne als Träger qualitativ sehr hochwertige Arbeit betreiben (Text_L 164). Allerdings liege die Verantwortung für die qualitative Weiterentwicklung stark in den Händen der Einrichtungen und sei von deren Einstellung abhängig (Text_I 103). Neben der Rückmeldung einer ungenügenden Sicherung der Bildungsqualität und Evaluation im frühkindlichen Bereich und den Ungleichgewichten in der Systemsteuerung zu Lasten des frühkindlichen Bereichs wird ebenfalls nur aus Brandenburg berichtet, dass die Sicherung der Qualität pädagogischer Leistungen im Kitabereich längst noch nicht selbstverständlich sei – im Gegensatz zu Qualitätssicherungsansätzen in der Jugendarbeit.
3.3 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich
273
So wirke sich die in der Politik populäre Senkung von Qualitätsstandards auch auf den Elementarbereich aus. Es sei daher wichtige Aufgabe von Fachleuten, die Chancen aufzuzeigen, die die Sicherung frühkindlicher Bildungsqualität für die Kommunen und Kreise auch unter Haushaltsgesichtspunkten im Sinne von Nachhaltigkeitsgesichtspunkten biete und finanzielle Bedenken durch fachliche Argumente zu entkräften (Text_I 96 – 98). Der zunehmende Wettbewerb zwischen den Kindertageseinrichtungen sowie zwischen Kindertageseinrichtungen und Tagespflege, der unter anderem durch den demografischen Wandel ausgelöst wird, wird daneben als Chance wahrgenommen hinsichtlich der Aufwertung von Qualitätsaspekten (Text_I 62). Dass diese in gewisser Hinsicht sicher für alle Bundesländer geltenden Tatsachen nur und besonders aus Brandenburg berichtet wurden, könnte auf den höheren Grad an Plätzen zurückzuführen sein sowie die Tatsache, dass Brandenburg vom demografischen Wandel erheblich stärker betroffen ist als die beiden anderen Länder (s. dazu Kap. 2.2.3). In den Interviews entstand allerdings auch der Eindruck, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer qualitativ hochwertigen frühkindlichen Bildung bei den brandenburgischen Gesprächspartner/innen besonders weit entwickelt ist. Offensichtlich lösen allerdings die eingesetzten Steuerungsinstrumente viele Probleme nicht, weshalb in den Gesprächen auch viel Ratlosigkeit bei den Verantwortlichen anzutreffen war. Diese scheint durch eine, im Vergleich zu den anderen beiden Ländern, relativ schwache Verhandlungsposition der fachlichen Steuerungsebene auf Landes- wie regionaler Ebene befördert, wie sie hinsichtlich der Standardvorgabe im Bereich der Kindertageseinrichtungen deutlich wird: „Wir haben immer Personalstandards beschrieben, immer im Gesetz oder in der Verordnung. Bei den Raumstandards konnten wir uns leider nie durchsetzen. Die werden durch geübtes Verwaltungshandeln gesetzt; das Landesjugendamt hat Kriterien und diese Kriterien setzen die dann als geübte Praxis um, Grundlagen und Raumstandards“ (Text_C 62). „Die Träger werden zucken, wenn wir sagen: ‚Wir geben jetzt das Geld nur noch, wenn Qualitätsarbeit gemacht wird’. Es gibt jetzt auch eine gesetzliche Regelung, dass wir, wenn wir feststellen, die inhaltliche Arbeit ist zu soundsoviel Prozent nicht erfüllt worden, dass wir dann nachträglich Geld zurückfordern können. Das wäre ein Hammer das umzusetzen, aber es wäre richtig. Da würden vielleicht einige Gemeinden sofort beschließen, alle Kitas in freie Trägerschaft zu geben. Aber dann ist es so“ (Text_I 127).
Diese Aussagen, die lediglich aus Brandenburg berichtet werden, weisen auf sehr eingeschränkte Steuerungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand hin. Angesichts der Bedeutsamkeit staatlicher Steuerung im Bereich der Humanvermögensbildung ist diese Entwicklung als äußerst bedenklich einzuschätzen. Anders als in Brandenburg fällt die Diskussion in Bayern aus, wo die mit dem neuen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz gesetzten fachlichen Standards bzw. finanziellen Gewichtungsfaktoren von den befragten Kommunen als positiv erlebt werden und konstatiert wird, dass es durch das Gesetz einen Qualitätssprung nach vorne gegeben habe. Dies betreffe vor allem den quantitativen Ausbau von Betreuungsplätzen, der nun endlich vorangetrieben werde. Die mit dem Gesetz verbindlich gewordenen Qualitätsstandards werden dabei in der Funktion als Mindeststandard als ausreichend erlebt, da zu hohe Forderungen beim Ausbau der Betreuungsplätze als Hemmschuh wirken würden; vielmehr allein mit niedrigen Standards manchmal schnelle Hilfe möglich sei. Nicht jede Standardsenkung sei
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
außerdem mit negativen Folgen für die Kinder verbunden; hier gelte es differenziert hinzusehen: „Ich habe aber auch früher erlebt, dass diese Qualitätsstandarddiskussion, die von den Fachleuten geführt wird, eine gewisse bremsende Wirkung hatte, zum Beispiel als „Netz für Kinder“Gruppen eingerichtet wurden. In grauer Vorzeit, als es noch keine oder kaum Kinderkrippen gab, gab es mal ein Förderprogramm vom Sozialministerium. Die haben sich bei der Elterninitiativbewegung ein paar Anleihen gemacht und haben so genannte altersübergreifende „Netz für Kinder“-Gruppen eingerichtet. Es sollte eine Erzieherin eingestellt werden und unter Mithilfe der Eltern stattfinden. Das musste auch nicht unbedingt in einem richtigen Kindergarten, sondern durfte auch in einer Wohnung sein. Und man brauchte keine Kindertoiletten, sondern konnte sich einfach eine Toilette vom Baumarkt holen. Auch solche Entwicklungen, denke ich, sollte man zulassen. Damals hat aber die gesamte Fachwelt gerufen, das wäre eine Senkung des Qualitätsstandards.(…) Von Seiten der Jugendhilfe, bin ich der Meinung, muss man das begrüßen und dann versuchen zu verbessern. Weil die Eltern natürlich in einer Notsituation sind. Da ist diese Qualitätsstandarddiskussion von Seiten der Fachkräfte manchmal hemmend, wobei ich keine Befürworterin der Senkung von Qualitätsstandards bin. Aber ich bin eine Befürworterin der schnellen Hilfe, wenn es nötig ist“ (Text_F 108, 109, 114).
Ein weiterer kommunal begrüßter Punkt an dem Gesetz betrifft die verstärkten Möglichkeiten der kommunalen Steuerung. Dies wird allerdings nicht unkritisch gesehen, da sie, je nach kommunaler Situation, auch zu Nachteilen für die Eltern führen könne und die Familienfreundlichkeit des Gesetzes je nach Kommune unterschiedlich ausfallen dürfte. „Diese Kindergartenfinanzierung ist für die Qualität der städtischen Einrichtungen und der großstädtischen Einrichtungen positiv. Für kleine Elterninitiativen und kleine Träger oder im ländlichen Bereich ist es ein Problem. Das Hauptproblem in dem Gesetz ist, – das spielt jetzt bei uns in U. nicht die Rolle – dass die Bedarfsfeststellung den Kommunen überlassen ist. Und da kann ich mir vorstellen, dass das gerade in ländlichen und in konservativen ländlichen Bereichen schon viel Ärger gibt und nicht unbedingt familienfreundlich sein wird“ (Text_H 56).
Unabhängig von den Steuerungsaktivitäten der Länder im frühkindlichen Bildungsbereich zeigt sich, dass die Qualitätssicherung stark durch die Struktur der kommunalen Leistungsgewährung beeinflusst wird und sich durch große kommunale Unterschiede auszeichnet. So führt die Entkopplung von Fach- und Ressourcenverantwortung auf Kreisebene beispielsweise dazu, dass eine teilweise unzureichende fachliche Kontrolle der Bildungsarbeit im ländlichen Bereich bemängelt wird. Aufgrund der rechtlichen Trennung von Leistungsgewährendem und Leistungsverpflichtetem kann eine Kontrolle von den Kreisjugendämtern gegenüber den Gemeinden nur hinsichtlich finanzieller, nicht hinsichtlich fachlicher Punkte erfolgen (wenn man die relativ niedrige Hürde der Erlaubniserteilung einmal unberücksichtigt lässt) (Text_I 119). Die Qualitätssicherung wird demnach beträchtlich erleichtert, wenn eine Kommune zugleich Leistungsverpflichteter und -gewährer ist. „Wir haben, als (..) Stadt im Land, immer noch eigene Bedingungen, auch oft bessere, muss man sagen, als die Landkreise. Und wir sind, was den Kitabereich betrifft, gleichzeitig Leistungsverpflichteter und -gewährender und haben dadurch Dinge in einer Hand, bei denen die Kreise immer mit den Gemeinden arbeiten müssen. Allerdings haben wir so natürlich auch die Verantwortung. Dadurch ist manches nicht vergleichbar“ (Text_L 331).
3.3 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich
275
Daneben zeigt sich, dass die Steuerungsaktivitäten der Kommune stark von den kommunalen Problemlagen beeinflusst werden und Aktivitäten ermöglichen, die teilweise deutlich über das Engagement des Landes hinausgehen. So existieren beispielsweiswe in einer befragten Kommune in Nordrhein-Westfalen mit sehr hohem Migrantenanteil über die landesseitig festgeschriebenen Standards hinaus flächendeckende kommunale Fortbildungsangebote für Mitarbeiter/innen in Kitas, beispielsweise im Bereich der Sprachförderung (Text_G 106). Eine befragte brandenburgische Kommune wiederum setzt die Überführung von Kindertageseinrichtungen von städtischer in freie Trägerschaften bewusst als Steuerungsinstrument ein, um dadurch personalrechtlich und in Bezug auf die Qualitätsentwicklung andere Gestaltungsmöglichkeiten zu haben. Der mit der Überführung in freie Trägerschaften verbundene höhere Koordinationsaufwand wird dafür in Kauf genommen, da sich zugleich der Verwaltungsaufwand für die Stadt stark verringert (Text_L 59-61). Eine dritte Kommune hat, bedingt durch die Entwicklung des TAG, in letzter Zeit die fachlichen Standards in Kindertagespflege überarbeitet bzw. von Kreisseite erstmals neu gesetzt (Text_I 60). An diesen Beispielen wird deutlich, wie unterschiedlich die Kommunen ihre Steuerungsaufgabe wahrnehmen bzw. bedingt durch strukturelle, finanzielle und personelle Unterschiede wahrnehmen können und wie differenziert Standardsetzung im Detail aussehen kann. Sie sind zugleich ein Beleg für die These, wonach sich kindliches Leben und kindliche Bildungschancen je nach dem Ort ihres Aufwachsens sehr unterscheiden. Angesichts des Erfordernisses, Startchancengerechtigkeit im Bereich der Humanvermögensbildung sicherzustellen, sind diese großen Differenzen kritisch zu sehen. 3.3.3.4 Zur Steuerung über das Instrument der Finanzierung Der Steuerung über das Instrument der Finanzierung soll im Rahmen der Qualitätssicherung der frühkindlichen Bildung eine besondere Beachtung geschenkt werden, da diese indirekte Steuerungsmethode weithin als „wirksamstes Steuerungsinstruments eines Bundeslandes“ im Elementarbereich eingeschätzt wird, wie es ein Interviewter ausgedrückt hat. Der Bund hat in den vergangenen Jahren in seinem politischen Handeln ganz wesentlich auf dieses Steuerungsinstrument gesetzt. Dies zeigt sich unter anderem an den Beispielen der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz sowie des Ausbaus von Plätzen für unter dreijährige Kinder. In beiden Fällen hat der Bund den Ausbau der Plätze mit beträchtlichen Finanzmitteln unterstützt bzw. tut dies weiterhin. Während der Bund sich an der Finanzierung des derzeitigen Ausbaus der Platzkapazitäten für unter dreijährige Kinder über eine Beteiligung an den Investitions- sowie den Betriebskosten beteiligt – in Form eines Sondervermögens sowie durch eine Änderung der Umsatzsteuerverteilung zu Gunsten der Länder, ergänzt um eine indirekte Entlastung der Kommunen –, wurde der Ausbau der Kindergartenplätze im Zuge der Umsetzung des Rechtsanspruchs im Wesentlichen über die Erhöhung des Länderanteils an der Umsatzsteuer finanziert, der von 37 Prozent auf 44 Prozent wuchs. Diese indirekte finanzielle Entlastung der Kommunen über eine Entlastung der Länder, wie vom Bund aufgrund des Verbots der direkten Unterstützung der Kommunen intendiert, hatte allerdings den Nachteil, dass das Geld in diesem Fall offenbar nicht komplett in den Kommunen ankam.
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert „Bei der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz im Rahmen des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes war es so, dass im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms für die Jahre ab 1995 die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern bzw. Gemeinden grundlegend neu geordnet wurden. (…) Der Anteil der Länder an der Umsatzsteuer wurde von 37 Prozent auf 44 Prozent erhöht. Das war insbesondere als finanzieller Ausgleich für die Kommunen gedacht, die den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zu realisieren hatten. Es war wohl auch schon damals das Problem – das wurde in der Anhörung zum TAG von einer Vertreterin der Kommunalen Spitzenverbände thematisiert –, dass die Länder ‚klebrige Finger‘ hatten und dieses Geld nicht an die Kommunen weitergeleitet haben, jedenfalls nicht vollständig, wie sie sagte.(…) Eine Entlastung der Kommunen hängt (..) davon ab, ob die Länder die bei ihnen eintretende Entlastung bzw. Mittel an die Kommunen weiterleiten. Das ist ein Problem, dass wir auch jetzt beim TAG hatten und haben, wo die Finanzierung über Hartz IV, also über von den Ländern an die Kommunen weiterzuleitende Entlastungen aus der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, läuft“ (Text_J 19).
Nicht nur die Steuerungskompetenz des Bundes unterliegt in diesem Bereich allerdings Einschränkungen. Denn da aufgrund der Trägerautonomie eine Anordnungsbefugnis des Landes mit Bereich der frühkindlichen Bildung nicht gegeben ist, ist auch die der Länder beschnitten, weshalb sich in den Expert/inneninterviews im Wesentlichen zwei Erfolg versprechende Möglichkeiten für die Länder herausstellten, den frühkindlichen Bildungsbereich inhaltlich zu steuern: zum einen die Option, die Träger durch Überzeugungsarbeit für Qualitätssicherungsmaßnahmen zu gewinnen, zum anderen jene, in der die Vergabe öffentlicher Mittel an die Einhaltung bestimmter Qualitätskriterien gebunden wird. Insbesondere die Steuerung über Finanzmittel erfährt im Rahmen der Neuregelung der Landesgesetzgebung im frühkindlichen Bildungsbereich in verschiedenen Bundesländern eine besondere Beachtung. Um die Qualität in den Einrichtungen stärker als bisher landesweit mitzusteuern, haben Bayern und Nordrhein-Westfalen mit ihren neuen Bildungs- und Betreuungsgesetzen den Erhalt einer staatlichen Förderung deutlicher als in der Vergangenheit an die Einhaltung von Bildungs- und Erziehungszielen gebunden. Das bayerische Fördermodell baut dabei vor allem auf zwei Grundelementen als Fördervoraussetzung auf:
der Transparenz des Angebots, d.h. der detaillierten Selbstdarstellung der Einrichtungen nach einem vorgegebenen Schema und der regelmäßigen Elternbefragung, wie sie von den Kindertageseinrichtungen verpflichtend durchzuführen sind (Krauß 2002: 63).
Hinsichtlich der Betriebskostenaufbringung (Personal- und Sachkosten) besteht in Bayern ein Rechtsanspruch auf eine kindbezogene Förderung der institutionellen Betreuungsformen und der Tagespflege unter den Fördervoraussetzungen des Art. 19 bzw. Art. 20 BayKiBiG. Diese besagen, dass die Einrichtungen neben einer Betriebserlaubnis geeignete Qualitätssicherungsmaßnahmen vorweisen, die Bildungs- und Erziehungsziele in einer pädagogischen Konzeption darstellen, regelmäßige Öffnungszeiten haben sowie eine Staffelung der Elternbeiträge entsprechend der Buchungszeiten vorsehen müssen. Die Förderung von Tagespflegeangeboten erfolgt nur, wenn die Tagespflegeperson gewisse Qualifizierungsmaßnahmen vorweisen kann, ein Ersatz für Ausfallzeiten sichergestellt ist, die fachliche Beratung der Tagespflegepersonen sichergestellt ist, die Vermittlung des Platzes über den örtlichen Träger der Jugendhilfe gelaufen ist und die Tagespflegeperson einen Qualifizierungszuschlag sowie einen Beitrag zur Altersvorsorge- sowie ggf. zur Kranken-
3.3 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich
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versicherung enthält. Investitionskosten werden nach Art. 27 BayKiBiG zusätzlich gefördert, wobei bei freigemeinnützigen Trägern und sonstigen Trägern 66 Prozent der notwendigen Kosten durch die Kommune getragen und im Rahmen des Finanzausgleichs refinanziert werden. Die staatliche Förderung erfolgt zudem mit Inkrafttreten des Gesetzes kindbezogen und nach Buchungszeitfaktoren gestaffelt (§ 19 AVBayKiBiG); für den ländlichen Raum existiert eine Öffnungsklausel (Art. 24 BayKiBiG). Auch haben die Eltern mit dem neuen Gesetz die Möglichkeit erhalten, die Buchung von Betreuungszeiten flexibel zu gestalten, ihre Beiträge werden dementsprechend buchungsbezogen gestaffelt und in ihrer Höhe vom Träger festgesetzt. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern hat das Land durch die neue Systemsteuerung keine Einsparungen vorgenommen, was „erheblich zur Akzeptanz des Systems“ beigetragen haben dürfte (Diller 2004: 109). Aber auch die Erfahrungen mit den Elternbefragungen werden als „außerordentlich positiv“ wahrgenommen: „Viele Einrichtungen griffen Verbesserungswünsche und Problemanzeigen auf. Ohne die anfängliche Verpflichtung zur Durchführung wäre die Flächendeckung jedoch wohl nicht in Ansätzen zu erreichen gewesen“ (Krauß 2004: 101). Auch Nordrhein-Westfalen hat die Finanzierung der Kindertageseinrichtungen mit dem Kinderbildungsgesetz umgestellt, von einer Angebots- hin zu einer stärkeren Nachfrageorientierung. Mit der neu geltenden Förderung, die sich stärker an der Zahl der Kinder orientiert, sollte die Planbarkeit für das Land verbessert werden, da nun bereits zu Beginn des Kindergartenjahres die Belastung für den Landeshaushalt feststehe und Nachforderungen der Träger entfielen. Mit der Orientierung an den Kinderzahlen wird eine weitere positive Auswirkung auf den Haushalt verbunden: Ihr Rückgang soll auch zu einem Rückgang der Finanzmittel beitragen, die jährlich landesseitig für den Bereich der frühkindlichen Bildung ausgegeben werden. „Der Finanzminister fordert: ‚Wir haben immer weniger Kinder im System, da kann es eigentlich nicht richtig sein, dass wir genau so viel oder sogar noch mehr Jahr für Jahr zahlen’. Er möchte an der Stelle auch eine Steuerbarkeit, Planbarkeit der Landesfinanzierung hinbekommen. Das kann man natürlich am einfachsten durch eine Pro-Kind-Förderung oder eine ProPlatz-Förderung machen, denn für jedes fehlende Kind bekommt eine Einrichtung dann entsprechend weniger Landeszuschuss. Sind in der Kindergartengruppe nur noch 23 Kindergartenkinder statt 25, dann kriegt sie eben 225tel weniger. Das ist ein entsprechender Anteil mit Einsparung bei uns“ (Text_B 102).
Offensichtlich ist das Kriterium des Sparbeitrags ein wesentlicher Motivationsgrund für die Einführung des neuen Steuerungssystems gewesen. Hierin liegt eventuell ein Grund für den massiven Widerstand, auf den die von der Landesregierung intendierte „Entwicklung eines vereinfachten und gerechten Finanzierungssystems für Kindertageseinrichtungen im Dialog mit Verbänden, Trägern und Beschäftigten“, wie in der Koalitionsvereinbarung angekündigt (CDU/FDP 2005: 39), im Land stieß306. Insbesondere die nicht ausreichend ausgestalteten Qualitätskriterien, die mit dem Gesetz stärker als bisher kommunal verhandelbar sind, sowie die nach Meinung von vielen Fachleuten nicht hinreichend bemessenen Pauschalen 306
So wurde unter anderem eine eigene Volksinitiative (http://www.volksinitiative-nrw2006.de) ins Leben gerufen, um gegen die Kürzungen der Landesförderung bei Kindern, Jugendlichen und Familien zu protestieren. Die Aktivitäten rund um die Erstellung des Kinderbildungsgesetzes zeigen dabei wie im Brennglas die Macht bzw. Ohnmacht von Politik und Verwaltung und wären eine eigene Untersuchung wert.
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
standen dabei im Mittelpunkt der Kritik. Nur mit erheblichen Zugeständnissen an die Träger konnte das Land letztlich einen Entwurf durchsetzen, der sich in wesentlichen Punkten von der ursprünglichen Vorlage unterschied, so unter anderem bei der Umwandlung der geplanten Pro-Kind-Förderung in eine Pro-Platz-Förderung. Auch in Nordrhein-Westfalen wird mit dem neuen Gesetz die Einhaltung von Bildungs- und Erziehungszielen durch Förderkriterien indirekt gesteuert, indem die finanzielle Förderung von Kindertageseinrichtungen nicht nur „eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII und die Bedarfsfeststellung auf der Grundlage der örtlichen Jugendhilfeplanung“ voraussetzt, sondern auch, „dass die Einrichtung die Aufgaben nach diesem Gesetz und auf der Grundlage der örtlichen Jugendhilfeplanung wahrnimmt [und] die Leitung einer Einrichtung und die Leitung jeder Gruppe einer sozialpädagogischen Fachkraft übertragen ist“ (§ 18 (3) KiBiz). Im Gegensatz zu Bayern stellen damit die Durchführung geeigneter Qualitätssicherungsmaßnahmen, die Einhaltung von Mindestöffnungszeiten sowie die Staffelung von Elternbeiträgen keine direkten Förderungsvoraussetzungen dar, statt dessen wird die grundlegende Bedeutung der örtlichen Jugendhilfeplanung als Förderungsvoraussetzung im Gesetz betont und das Fachkräftegebot aufgewertet. Wie in Bayern wird über den Bereich der Kindertageseinrichtungen hinaus mit dem neuen Gesetz in Nordrhein-Westfalen auch die Finanzierung von Tagespflegepersonen mit gewissen Voraussetzungen verknüpft, wie der Sicherstellung eines Betreuungsersatzes bei Ausfallzeiten, der öffentlichen Vermittlung etc. Allerdings fallen die Qualifikationserfordernisse der Tagespflegepersonen in Nordrhein-Westfalen deutlich geringer aus als in Bayern; sie sind zudem lediglich als SollBestimmung im Gesetz aufgeführt. Auch ist eine fachliche Begleitung und Beratung durch den örtlichen Jugendhilfeträger nicht zwingende Förderungsvoraussetzung. Während die Qualifikationserfordernisse für Personal in Kindertageseinrichtungen in NordrheinWestfalen mit dem neuen Gesetz also höher ausfallen als in Bayern, verhält sich dies im Bereich der Kindertagespflege umgekehrt. Was die Finanzierungssystematik angeht, ist das Grundprinzip in beiden Gesetzen allerdings ähnlich: Die Finanzierung richtet sich nach der Anzahl der Kinder und der individuellen Betreuungszeit. Unterschiede gibt es zwischen den beiden Bundesländern im Wesentlichen in drei Punkten307 (IAQ/Stöbe-Blossey 2007: 12):
307
hinsichtlich der Mindestbuchungszeit: Diese beträgt in Bayern 3 Stunden täglich (im Durchschnitt der Wochentage), in Nordrhein-Westfalen 5 Stunden täglich (25 Wochenstunden); in der Ausdifferenzierung: Nordrhein-Westfalen legt Zeiten von 25, 35 und 45 Stunden (mit jeweils plus/minus 5 Stunden tatsächlicher Buchungszeit) zugrunde, Bayern hat hier mehr Stufen und eine höhere Ausdifferenzierung in Bayern (mit dementsprechend höherem Verwaltungsaufwand für die Einrichtungen); hinsichtlich der Ausgestaltung der Pauschalen: Bayern geht konsequent von einer Kind-Pauschale aus, die je nach Alter mit Gewichtungsfaktoren versehen wird (beispielsweise doppelte Förderung für unter Dreijährige). In Nordrhein-Westfalen erfolgt die Berechnung sehr kompliziert anhand von Gruppentypen, so dass es für Kinder un-
Unabhängig von länderspezifischen, historisch gewachsenen Unterschieden wie einer unterschiedlichen Förderung von Personal- und Sachkosten bzw. einer andere Praxis der finanziellen Beteiligung von Gebietskörperschaften an der Finanzierung.
3.3 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich
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terschiedliche Pauschalen gibt, je nachdem welchen Gruppen sie zugeordnet werden, eine Regelung, die individualisierte Lösungen eher erschwert. Auch für die Eltern hat sich in Nordrhein-Westfalen mit dem neuen Kinderbildungsgesetz eine nicht unerhebliche Änderung hinsichtlich ihrer Beiträge zu den Kindertageseinrichtungen ergeben. Während die Elternbeiträge nämlich mit dem alten Gesetz landesweit einheitlich in ihrer Höhe festgelegt waren, wurde die Festlegung der Beiträge nun in die Kompetenz der Kommunen gelegt (§ 23 KiBiz). Lediglich eine soziale Staffelung sowie eine Berücksichtigung der unterschiedlich gebuchten Betreuungszeiten ist von den Kommunen laut der Regelungen im Kinderbildungsgesetz zu beachten. Je höher folglich der Anteil von Familien in unteren Einkommensgruppen und mit einem entsprechend niedrigen Beitrag in einer Kommune ist, desto schwieriger ist es damit für die Kommune, ein ausreichendes Volumen an Elternbeiträgen zu „erwirtschaften“, was faktisch eine Benachteiligung sozial schwächerer Kommunen darstellt, wie kritisiert wird (IAQ/Stöbe-Blossey 2007: 16). Im Gegensatz zu diesen neuen Finanzierungssystemen in Bayern und NordrheinWestfalen hat Brandenburg in den vergangenen Jahren keine Gesetzesnovellierung im Bereich der Kindertagesbetreuung erlebt, die die Finanzierung der Einrichtungen komplett umgekrempelt hätte. Allerdings werde – wie das Ministerium in seinem Qualitätsbericht festhält – „auch in Auswertung der Erfahrungen derjenigen Länder, die ihre Bildungspläne verbindlicher gestalten als Brandenburg, über Möglichkeiten und Grenzen einer stärkeren Finanzsteuerung nachzudenken sein“ (MBJS (Hg.) 2006: 33). Bisher zahlte das Land nach dem Kitagesetz an die leistungsverpflichteten Gemeinden pro dort lebendem Kind von null bis zwölf Jahren eine Pauschale. Anders als in Bayern und Nordrhein-Westfalen wurden also nicht die tatsächlich in Kindertageseinrichtungen betreuten Kinder bei der Festlegung des Landeszuschusses berücksichtigt. Diese „Pauschalförderung des Landes“, die sich nicht nach der Belegungsquote richtet, hatte für die Kommunen den Nachteil, so wurde in den geführten Interviews deutlich, dass im Bereich der Kinderbetreuung besonders engagierte Kommunen aus eigener Kasse draufzahlten, sich hohe Belegungsquoten also für die Kommune finanziell negativ auswirkten und daher aus Sicht der Kämmerer nicht zwingend lohnten. Inwiefern sich dies durch die jüngste Novellierung des Kitagesetzes ändern wird, wird zu sehen sein. Anders als in den beiden westdeutschen Bundesländern wird vom Land zudem keine Unterscheidung hinsichtlich der Eigenanteile der Träger getroffen. Per se trug in den vergangen Jahren in Brandenburg der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe 84 Prozent der erforderlichen Personalkosten für jeden belegten Platz308. Lediglich Träger, die mit den Fördermitteln nicht auskommen, sollen von den Gemeinden zusätzlich unterstützt werden (§ 16 KitaG). Die deutlich andere Trägerstruktur in Brandenburg, die durch einen erheblich geringeren Anteil an Kindertageseinrichtungen in freier Trägerschaft gekennzeichnet ist, wirkt sich hier offensichtlich auch hinsichtlich der Finanzierungsregelungen aus. Ähnlich wie in Bayern werden die Elternbeiträge vom Träger der Einrichtung festgesetzt und erhoben; sie haben sozialverträglich zu sein und müssen nach Elterneinkommen und Anzahl der unterhaltsberechtigten Kinder sowie dem vereinbarten Betreuungsumfang gestaffelt sein (§ 17 KitaG). Zugleich zeigt sich in den Ländern ein Einstieg in eine indikatorengesteuerte Mittelzuweisung im Bereich der Kindertageseinrichtungen, die Merkmale „Herkunft“ bzw. das 308
Neuerdings wird dies nach dem Alter der Kinder gestaffelt (§ 16 Abs. 2 KitaG).
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
soziale und familiale Umfeld der Kinder betreffend. Insbesondere die Sprachkenntnisse der Kinder dienen dabei als Indikator für zusätzliche Finanzmittel (Art. 21 Abs. 5 BayKiBiG, § 16 Abs. 2 KitaG, § 21 Abs. 2 KiBiz), wobei Bayern die indikatorengesteuerte Mittelzuweisung bisher deutlicher konsequenter gehandhabt hat als Nordrhein-Westfalen oder Brandenburg. Dort wurden zugleich das Alter der Kinder bzw. ein möglicher Behinderungsgrad bei der Mittelzuweisung berücksichtigt, während Nordrhein-Westfalen bei der Berechnung die Gruppenformen zugrunde legt, ergänzt um einen Einrichtungszuschuss, wenn diese als Familienzentrum arbeitet. Brandenburg hat dagegen lediglich einen allgemeinen pauschalierten Zuschuss für die Sprachförderung gewährt, der vom örtlichen Jugendhilfeträger nach sozialen Kriterien bemessen werden kann, wobei dies kürzlich ergänzt wurde. Damit werden in allen drei Bundesländern Finanzierungskosten durch einen Mix von Eigenleistungen des Trägers, durch Elternbeiträge, durch die Gemeinde sowie durch Zuschüsse des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe getragen, der vom Land durch einen Zuschuss unterstützt wird. Zwar haben Bayern und Nordrhein-Westfalen die Finanzierung der Kindertagesbetreuungsangebote auf eine stärkere Subjektorientierung umgestellt. Zu begrüßen ist, dass im Rahmen einer stärkeren Effizienzorientierung der Finanzierung im Kindertagesbetreuungsbereich mit der Nutzung von Ressourcen Operationalisierungskriterien verbunden werden. Allerdings ist zu bemängeln, dass der Ausbau der quantitativen Bedarfe von Eltern in den beiden westdeutschen Ländern durch landesseitig gleich bleibende bzw. nur geringfügig erhöhte Mittel im Wesentlichen zu ungunsten der fachlich-qualitativen Ansprüche umgesetzt werden muss. Dies gilt insbesondere für Nordrhein-Westfalen, das die Einführung des neuen Kinderbildungsgesetzes sogar mit Konsolidierungsbestrebungen verknüpft. Offensichtlich ist in den beiden westdeutschen Bundesländern nach wie vor das Bewusstsein wenig entwickelt, dass frühkindliche Bildungsförderung dermaßen zentral ist, dass ihr im Rahmen der Erstellung des Landeshaushalts Priorität eingeräumt wird. Bisher lassen darüber hinaus auch Kommunen und Träger „kaum Anstrengungen erkennen, für die eingeforderte hohe Qualität der frühkindlichen Bildung und Betreuung auch substantiell mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen“ (Viernickel 2008: 34). Zudem wurde von kommunaler Seite mehrfach bemängelt, dass das derzeitige Haushaltsrecht dort einem nachhaltigen Wirtschaften und Arbeiten im Weg stehe, wo es durch ein kamerales System nicht belohnt werde, weil nicht ausgegebene Finanzmittel am Ende eines Haushaltsjahres einbehalten würden. Nachhaltige Steuerungsaktivitäten der Kommunen würden so unnötig behindert. Diese Vielzahl der in den Ländern praktizierten Finanzierungsregelungen in Verbindung mit der wie in Kap 3.4.3 gezeigten Vielzahl von Finanzierungsakteuren befördert die Unübersichtlichkeit der Steuerungswirkungen dieser Regelungen. So ist nach wie vor über die konkreten Effekte der Finanzierungskonzepte auf die produzierten Leistungen wenig bekannt. Auch fehlen verlässliche Analysen, die die Finanzierungsregelungen in den Bundesländern in Bezug zu Angebotsstrukturen und sich daraus ergebenden Bildungs- und Lebenschancen der Kinder beurteilen. Bisher existieren lediglich Hinweise, dass diese Situation zu stark differierenden Angebotsstrukturen für Kinder und Familien führt (BockFamulla 2005: 190f). Vor allem wäre es interessant zu wissen, ob die quantitativen Bedarfe von Eltern, die bei einer Nachfrageorientierung im Vordergrund stehen, zu ungunsten der fachlich-qualitativen Ansprüche umgesetzt werden, wie dies bei gleich bleibenden Mitteln notwendigerweise der Fall ist.
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3.3.3.5 Zur Steuerung über Elternnachfrage Im Zuge der wachsenden Akteursvielfalt im Bereich der frühkindlichen Bildung gewinnen die Eltern als Akteure eine immer stärkere Bedeutung. Bereits 2003 stellte Hovestadt in ihrer Untersuchung fest: „Einige Länder stärken die Eltern in ihrer Rolle als Nachfragende. Die Umsetzung des Bildungsauftrages können die Eltern vorantreiben, falls sie dies Kriterium bei ihrer Wahl der Kindertageseinrichtung obenan stellen (Hovestadt 2003: 67) 309. Auch der Bund hat in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Aktivitäten entwickelt, um die Eltern in ihrer Rolle als Kunden zu stärken und sie besser in die Lage zu versetzen, ihrer Rolle als Nachfragende im frühkindlichen Bildungsbereich nachkommen zu können. Neben dem Ausbau des Platzangebotes im Bereich der unter Dreijährigen liegt der Schwerpunkt des Bundes hier vor allem in einer verstärkten Elterninformation. Verschiedene Materialien wurden zu diesem Zweck entwickelt, die den Eltern Hilfestellungen bei ihrem Weg durch die komplexe Anbieterstruktur familienpolitischer Leistungen geben. Auch informieren mittlerweile mehrere Internetportale Eltern über ihre Rechte. Neben etlichen privaten Anbietern (s. beispielsweise http://www.familien-fuer-kinder.de oder http://www.betreut.de) werden unter http://www.familien-wegweiser.de seit 2008 erstmals bundesweit zentrale Informationen rund um das Familienleben in einer Datenbank gebündelt. Die drei untersuchten Bundesländer setzen hinsichtlich ihrer Aktivitäten zur Stärkung der Eltern unterschiedliche Schwerpunkte, die in differierenden politischen Konzepten begründet liegen (s. unter anderem Kap. 3.3.1.1). Wie auf den vergangenen Seiten deutlich wurde, haben die beiden westdeutschen Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren begonnen, die Finanzierung im Bereich der Kindertageseinrichtungen subjektorientiert umzugestalten und derart stärker als bisher sicherzustellen, dass Kindertageseinrichtungen am Bedarf der Eltern orientiert arbeiten. Einrichtungen mit besserer Auslastung erhalten nun mehr Fördermittel als Einrichtungen, die wenig nachgefragt sind. In Bayern wurden die Tageseinrichtungen mit dem neuen Gesetz zudem zu einer Veröffentlichung ihrer Bildungskonzepte sowie zum verpflichtenden Einsatz von Elternbefragungen verpflichtet (§ 19 BayKiBiG). Damit werden die Eltern zu Kunden, „was sich auf die Bedeutung der Elternarbeit und die Position der Eltern auswirkt“ (Bernitzke 2006: 5). In Brandenburg, das seine Finanzierung zwar an der Zahl der Kinder, aber nicht an der Nachfrage der Eltern ausrichtet, werden Elternbefragungen bisher seltener eingesetzt. Dies soll sich allerdings, nach Aussage des Landes, in Zukunft ändern (Text_C 126). Die generell seltenere Nutzung des Steuerungsinstruments liegt eventuell auch in der anderen Situation des Landes begründet. So ist durch die erheblich größere Anzahl von Betreuungsplätzen insbesondere im Bereich der unter Dreijährigen und die flächendeckende Vorhaltung von Ganztagsplätzen im Bereich der drei- bis sechsjährigen Kinder schon eine stärkere Familienorientierung hinsichtlich der Öffnungszeiten von Einrichtungen gegeben. Wie sich am Beispiel der Tagespflege aber zeigt, die vor allem seit dem Zuzug Westdeutscher verstärkt als Betreuungsalternative nachgefragt wird, stellen die veränderten Ansprüche an frühkindliche Bildungsangebote auch hier eine Aufgabe für die öffentlichen Jugendhilfeträger dar. Zugleich wird wahrgenommen, dass die Qualität der Arbeit in Kitas mehr und 309
Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass dies selbstverständlich nur dort in Frage kommt, wo ein so großes Angebot an Kinderbetreuungsplätzen zur Verfügung steht, dass Eltern tatsächlich eine Wahl haben, welches Angebot sie auswählen möchten, was in weiten Teilen Westdeutschlands nicht der Fall sein dürfte.
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mehr in das Bewusstsein der Eltern rückt und die Mitwirkungsanforderungen an die Einrichtungen hat wachsen lassen (Text_L 147). Das Land hat auf diese Veränderungen mit der verstärkten Gestaltung von Onlineportalen reagiert, um die Partizipation von Eltern so voranzutreiben. „Wir haben [Internet-]Foren zur Kindertagesbetreuung. Recht und Struktur, zum Thema Elternbeiträge, Pädagogik, Fachdiskussionen.(…) Ich glaube, dass so etwas stark zur Partizipation beiträgt, weil Leute informiert werden, weil sie weiter informieren“ (Text_C 119, 122).
Zudem unterstützt das Land, im Rahmen seiner Möglichkeiten, die Entwicklung eines Gütesiegels für Kindertageseinrichtungen, das als Qualitätssicherungsinstrument Eltern an die Hand gegeben werden kann, um die Transparenz zu erhöhen. „(..) das Gütesiegel finde ich eine richtige Perspektive. Ich glaube auch, das wir da hinmüssen und wie gesagt, das versuchen wir. Es ist schwierig, wir können das – vielleicht bin ich auch zu vorsichtig – als Ministerium nicht offensiv fördern, weil so etwas letztendlich verwaltungsrechtlich überprüfbar sein muss. Wenn wir jetzt das Gütesiegel vergeben würden, könnte die Nachbarkita sagen: ‚Wir haben den gleichen Anspruch’. Und dann müssten die Kriterien einer verwaltungsrechtlichen Überprüfung standhalten“ (Text_C 136).
Allerdings hält sich Brandenburg hier mit dem Einsatz regulativer Instrumente zurück. So sind die Träger in Brandenburg beispielsweise bisher landesseitig nicht verpflichtet, die Eltern über ihr Angebot zu infomieren (durch Befragungen, die Erstellung von Internetseiten etc.), was in den befragten Kommunen aufgrund der daraus resultierenden unterschiedlichen Handhabung der Träger krisiert wird. „Die öffentlichen Träger würde ich jetzt erst mal verpflichten: ‚Der Träger der Einrichtung wird verpflichtet, das Angebot der Kita im Internet zu präsentieren‘. Das ist ja auch eine Festlegung nach dem KICK oder TAG.(…) Der Träger muss sich doch mit seiner Einrichtung identifizieren und Werbung, Marketing machen. Da könnte ich mich immer wieder ärgern, dass da so wenig passiert.(…) Ich kann ja nichts anweisen. Ich kann immer nur einem Bürgermeister sagen: ‚Gucken Sie doch mal (…) bei der Stadt sowieso, wie die sich auf der Internetseite schon als familienorientiert, familienfreundlich präsentiert. Da sind alle Kitas dargestellt‘“ (Text_I 62, 63, 67).
Deutlich zeigt sich in diesem Punkt der unterschiedliche Einsatz regulativer und strukturierender Steuerungsinstrumente in den Bundesländern. 3.3.3.6 Zur Steuerung über weitere Instrumente Die staatliche Aufsicht nach § 45 SGB VIII Im Bereich der Sicherung der Bildungsqualität setzen die drei Bundesländer weitere Steuerungsinstrumente ein, wobei als das in der Theorie zentralste Instrument sicher die staatliche Aufsicht und die Vergabe der Betriebserlaubnis bezeichnet werden kann: Immerhin verfügen die Bundesländer nach § 45 SGB VIII über die Möglichkeit, Kindertageseinrichtungen und Tagespflegepersonen die Erlaubnis zur Durchführung ihrer Angebote zu erteilen bzw. auch wieder zu entziehen. Diese staatliche Aufsicht „hat eine ordnungsrechtliche
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Funktion und dient der Abwehr von Gefahren für das Kindeswohl“ (Wiesner 2003a: 16). Allerdings wird diese übereinstimmend von sämtlichen Interviewpartner/innen als wenig bedeutsames Qualitätssicherungsinstrument, eher als Hintergrundinstrument eingeschätzt (s. zur Betriebsgenehmigung als Qualitätsstandard auch Dohmen 2005: 27f). Dies hat mehrere Gründe, die personeller, struktureller und rechtlicher Art sind: Zum einen ist die Personalausstattung der aufsichtführenden Stellen häufig nicht ausreichend, das heißt die Fachaufsicht erfolgt eher über stichprobenartige Kontrollen als dass sie flächendeckend durchgeführt würde (Text_E 66). Zum zweiten erschwert die strukturelle Abhängigkeit der aufsichtsführenden Stellen eine unabhängige Wahrnehmung ihrer Aufsichtspflicht: Beispielsweise ergibt sich bei der Wahrnehmung der Aufsichtspflicht durch die Landesjugendämter, wie dies in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen310 der Fall ist, das Problem, dass „die Landeswohlfahrtsverbände bzw. Landschaftsverbände als überörtliche Kommunalverbände und damit als ‚Teil der kommunalen Familie‘ aus Umlagen der kommunalen Gebietskörperschaften finanziert“ (Wiesner 2003a: 16) werden. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass die zu sichernden Mindeststandards von der aufsichtsführenden Stelle „stärker nach fiskalischen Motiven bestimmt werden, wenn Aufsicht und Finanzierung in einer Hand liegen“ (ebd.). Zusätzlich wird das Vorgehen der aufsichtsführenden Stelle gegenüber den Kindertageseinrichtungen dadurch geprägt, dass Aufsichtspflicht und Fachberatung der Einrichtungen in einer Hand liegen. Neben der strukturellen und personellen ist in puncto Qualitätssicherung durch staatliche Aufsicht aber vor allem eine rechtliche Einschränkung gegeben. Durch eine Betriebserlaubnis vom Land können nämlich, nach dieser Rechtsauffassung, keine Qualitätsaspekte der Arbeit geregelt werden. „Einen Anspruch auf eine Betriebserlaubnis hat jeder Träger, der das Wohl der Kinder in seiner Einrichtung sicherstellt, ungeachtet der Frage, ob er eine erforderliche, eine qualitativ besonders gute oder eine besonders nachgefragte Einrichtung betreibt. An den Bewertungsmaßstab ‚Wohl der Kinder‘ muss ein besonders strenger Maßstab angelegt werden, da Auflagen für den Betrieb oder das Versagen der Erlaubnis schwerwiegende Eingriffe in die Trägerrechte darstellen. Nicht das Wünschenswerte oder fachlich sinnvoller Weise Anzustrebende kann der Maßstab sein, sondern die Einhaltung von Mindeststandards“ (MBJS (Hg.) 2006: 14). Solange Einrichtungen nicht gegen das „Wohl des Kindes“ verstoßen, ist der Entzug der Betriebserlaubnis nach dieser Einschätzung rechtlich nicht möglich. All dies führt auf kommunaler Ebene zu häufig unzureichender fachlicher Kontrolle im frühkindlichen Bildungsbereich und erklärt die eingangs aufgeführten Einschätzung, wonach es sich bei der staatlichen Aufsicht um ein Hintergrundinstrument handle, mit dem eine inhaltliche Steuerung der frühkindlichen Bildungsarbeit nur bedingt möglich ist. Die historisch gewachsene Struktur der freien Trägerschaft erschwert in diesem Punkt eine stärkere staatliche Steuerung der frühkindlichen Bildungsarbeit in Einrichtungen und macht die Bedeutung der Träger für die Ausgestaltung qualitativer Bildungsarbeit in ihren Einrichtungen deutlich. 310
Nordrhein-Westfalen gehört dabei zu einem der Bundesländer, in dem unter dem Stichwort der „Kommunalisierung“ in den vergangenen Jahren Bestrebungen deutlich geworden sind, die Aufgaben der überörtlichen Träger zu reduzieren oder diese Verwaltungsebene ganz aufzuheben (CDU/FDP 2005: 10f). In diesem Zusammenhang war geplant, die Aufsicht über Tageseinrichtungen den örtlichen Trägern, also den Kreisen und kreisfreien Städten, zuzuweisen, ohne dass dies bisher verwirklicht worden wäre. Es bleibt abzuwarten, wie sich dies weiter entwickeln wird.
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Anders sieht dies teilweise im Bereich der Tagespflege aus. Aufgrund der vielerorts anderen Möglichkeiten der örtlichen Jugendhilfe, die bisweilen als Anstellungsträger der Tagespflegepersonen fungiert, ist durch die Integration von inhaltlichen Parametern in die Pflegeerlaubnis den Akteuren ein Instrument an die Hand gegeben, das eine stärkere Steuerung der inhaltlichen Bildungsarbeit ermöglicht. „In der Tagespflege sieht es natürlich ein bisschen anders aus. Bei den Pflegeerlaubnissen sind inhaltliche Parameter drin. Wenn da Verstöße passieren, dann können wir die Erlaubnis entziehen, was wahrscheinlich schon im ersten Fall in Kürze passieren wird. Das spricht sich in der Tagespflegeszene so schnell herum, dass eine Erlaubnis entzogen worden ist. Das erhöht sofort den Druck, sich auch im inhaltlichen Bereich umzutun“ (Text_I 123).
Unterstützung des Personals bei der Qualitätsentwicklung Die Qualitätsentwicklung im Bereich der frühkindlichen Bildung wird in allen drei Bundesländern unterstützt durch Personalentwicklungsmaßnahmen. Bayern und Nordrhein-Westfalen setzen dabei besonders die Instrumente „Fachberatung“ und „Fortbildungen“ ein. Die Fachberatung erfolgt in beiden Ländern durch die Träger der Kindertageseinrichtungen – bei kommunalen Einrichtungen durch Kommune bzw. Kreis –, finanziell unterstützt durch das Land. Diese spezifische Trägerabhängigkeit der Fachberatung weist gewisse Nachteile auf, wie sich in den Expert/inneninterviews am Beispiel Nordrhein-Westfalens zeigt. Zum einen unterscheidet sich das Ausmaß an Unterstützung des Personals durch Fachberatung zwischen den Trägern und ist bei der freien Wohlfahrtspflege ausgeprägter als bei den Kommunen. Zum zweiten ergeben sich für solche Kommunen Probleme, in denen nur einzelne kommunale Einrichtungen existieren und sich für die Kommune der Aufbau von fachberatenden Unterstützungsstrukturen nicht lohnt. Hier stößt die starke Trägerabhängigkeit auf strukturelle Grenzen, die vor Ort sogar dazu führen, dass für die Beschäftigten kommunaler Einrichtungen bisweilen keine Fachberatungsmöglichkeit existiert (Text_K 117). In den befragten bayerischen Kommunen stellt sich dies anders dar, was daran liegt, dass in dem befragten Landkreis die Gemeinden, die keine eigenen Kapazitäten zur Fachberatung ihrer Kitamitarbeitenden haben, durch eine Fachberatung des Landkreises – als freiwillige Leistung und gesetzlich nicht vorgeschrieben – unterstützt werden (Text_F 135, 137). Auf der Ebene des Kreises werden beispielsweise durch regelmäßig stattfindende Veranstaltungen Foren für einen Austausch der Fachkräfte von kommunalen und freien Einrichtungen geschaffen. Diese werden dadurch in ihrer Arbeit unterstützt, wobei zugleich auch eine Vernetzung der Arbeit von kommunalen und freien Kindertageseinrichtungen stattfindet. Die parallele Unterstützung des Personals durch eine Fachberatung, die durch Personen des Jugendamts in Doppelfunktion von Aufsicht und Beratung ausgeübt wird, stellt zudem – von der Struktur her wie in den anderen Bundesländern auch – einen zusätzlichen Qualitätskontrollmechanismus dar. Im Gegensatz dazu fehlt diese strukturelle Verknüpfung mit der Aufsicht bei der Fachberatung der freien Träger. Inwiefern sich dies durch eine größere Akzeptanz der Fachberatung von Seiten der Einrichtungen vorteilhaft auf die Qualitätssicherung auswirkt bzw. dies aufgrund des fehlenden Kontrollmechanismus eher als nachteilig für die staatliche Steuerung eingeschätzt werden kann, müsste weiter untersucht werden. Deutlich wird an diesem Beispiel die starke Abhängigkeit qualitativ
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hochwertiger Unterstützungsstrukturen von der finanziellen Situation bzw. der politischen Schwerpunktsetzung der jeweiligen staatlichen Ebene. Neben der Fachberatung der Fachkräfte in den Einrichtungen sind Fortbildungsmaßnahmen ein zweites Instrument, mit dem die beiden Bundesländer Bayern und NordrheinWestfalen das Personal bei der Qualitätsentwicklung unterstützen. Um allen Leiter/innen von Kindertageseinrichtungen beispielsweise die Leitlinien und Philosophie des Bildungsplans nahe zu bringen, hat Bayern unter anderem die Fortbildungskampagne „Startchance Bildung“ konzipiert und 2004 bis 2006 flächendeckend und wohnortnah in Kooperation mit Trägern, allen Fortbildungsanbietern, Landratsämtern und Kommunen durchgeführt (Text_E 30-38). Neben dieser spezifischen und zeitlich begrenzten Kampagne wird die Regelfortbildung von Erzieherinnen in Bayern durch Runde Tische koordiniert, trägerübergreifend werden Bedürfnisse und Notwendigkeiten besprochen sowie Schwerpunkte erarbeitet (Text_E 46). Im Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz hat das Land zudem festgeschrieben, dass Grundschullehrkräfte „im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Kindertageseinrichtungen einbezogen werden“ sollen (Art. 17 Abs. 2 BayKiBiG). Um dies auch in die Praxis umzusetzen, wurde im Jahr 2006 die bayernweite Fortbildungskampagne "Übergang als Chance" gestartet, welche auf die Zusammenarbeit Kindergarten – Grundschule konzentriert war und Erzieher/innen und Grundschullehrer/innen gemeinsam weitergebildet hat. Auch Nordrhein-Westfalen unterstützt die Implementierung neuer Konzepte im Kindertagesstättenbereich durch Fortbildungsmaßnahmen. Dies zeigt sich am Beispiel der landesweiten Umwandlung vieler Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren, die seit 2007 läuft und durch Fortbildungsangebote für die Fachkräfte begleitet wird. Auch die Implementierung von Sprachstands-feststellungsverfahren, die seit 2007 in allen Kindertageseinrichtungen durchgeführt werden, um derart den Sprachstand sämtlicher vierjähriger Kinder zu evaluieren, wird mit Fortbildungsmaßnahmen für das Personal in Kindertageseinrichtungen begleitet. Dazu wurden gemeinsam mit dem Schulministerium Konzepte erarbeitet und mit den kommunalen Spitzenverbänden diskutiert, um das Personal, dass die Sprachtests durchführen muss, mit zusätzlichen Kompetenzen zu versehen. Auf einem anderen Feld ist allerdings ein Rückschritt festzustellen: Während nämlich noch im alten Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder eine Vorgabe für den örtlichen Jugendhilfeträger zur Gewährung von Fortbildungsmaßnahmen enthalten war, sofern die Träger hier nicht aktiv werden (GTK § 14), fehlt dies im Kinderbildungsgesetz. Zwar wird hier das Erfordernis einer ständigen „Fortbildung der mit dem [Bildungs-]Auftrag betrauten Personen“ betont (§ 11 (1) KiBiz); dies wird allerdings nicht weiter konkretisiert. Stattdessen wird es in die Hand der Träger gelegt, welche Rolle die Fortbildung der Mitarbeitenden im Rahmen der Qualitätsentwicklungsprozesse in den Einrichtungen spielen soll (§ 11 Abs. 2 KiBiz). Kritisiert wird zudem, dass die Fortbildungen häufig nicht flächendeckend angeboten werden oder dass es daran hapert, dass die Teilnahme von Mitarbeitenden an Angeboten durch bestehende restriktive Vertretungsregelungen de facto be- oder verhindert wird (Landtag NRW 2007c: 37). Das Land Brandenburg fällt unter den drei Ländern auf, weil es als einziges der drei Länder ein umfassendes Praxisunterstützungssystem in Form von Fachberatung, Fortbildungsangeboten und Konsultationskitas entwickelt hat, welches als besonders weitreichend von der OECD gewürdigt wurde (OECD 2004: 46f). Über Beratungs- und Fortbildungsangebote hinaus zeichnet sich die Struktur des brandenburgischen Ansatzes durch seine
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Konsultationskitas aus, also Einrichtungen mit „good practice“, die interessierten Fachkräften offenstehen. Das Prinzip fußt auf der Methode der kollegialen Beratung, wonach sich in Kindertageseinrichtungen Beschäftigte Beratung in anderen Einrichtungen holen können. Auch wenn das Beratungssystem in Brandenburg qualitativ gut ist, ist es nach Ansicht der Interviewpartner quantitativ bei Weitem nicht ausreichend und müsste erheblich intensiviert werden (Text_C 42). Insbesondere die finanziell schlechte Situation von Land und Kommunen wird hier als Hemmnis gesehen. Zugleich wird als Problem auf kommunaler Ebene auch benannt, dass Kürzungen im Bereich der Fachberatung sehr selten auf Widerstand stoßen würden, was finanzielle Einschnitte hier sehr erleichtere. „Wir hatten mal drei Fachberaterinnen. Die sind auf eine reduziert worden, im Rahmen von Einsparungen. Und da hat nur eine Bürgermeisterin gesagt: ‚Das können wir doch nicht zulassen!’ Alle anderen haben dagesessen und gesagt: ‚Der Landkreis muss auch sparen’. Und das, obwohl wir 150 Kitas mit über 700 Erzieherinnen haben. Das ist für eine Fachkraft gar nicht zu schaffen, wenn sie denn permanent angefordert werden würde. Aber weil sie nicht von allen angefordert wird, geht es irgendwie“ (Text_I 30).
Die knappen Ressourcen, daneben aber auch das – ebenso wie in Bayern und NordrheinWestfalen gegebene – Freiwilligkeitsprinzip des Fachberatungssystems führen dazu, dass die Fachberatung nach Einschätzung aus den Interviews bisher von viel zu wenigen Einrichtungen genutzt wird. Das Bewusstsein vieler Fachkräfte und Leitungen für die Nutzung von Fortbildungsressourcen wird als zu wenig entwickelt wahrgenommen. Aus einem Landkreis wird sogar berichtet, dass die geringfügige Nachfrage nur dadurch zu beheben sei, dass das Jugendamt die Leitungen der Kindertageseinrichtungen häufig auffordere, Fortbildungen auch wahrzunehmen (Text_I 32). Eine andere Kommune, die als kreisfreie Stadt zugleich die Fach- wie die Ressourcenverantwortung wahrnimmt, hat in einer Finanzierungsrichtlinie die Fortbildungsaktivitäten von Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen mit der Gewährung von zusätzlichen Finanzmitteln verknüpft, um derart ein Anreizsystem für Träger zu schaffen, Fortbildungsangebote auch wahrzunehmen. Im Sinne einer qualitativen Weiterentwicklung sämtlicher in den Kindertageseinrichtungen Tätigen werden so die Fortbildungsaktivitäten der kommunalen Einrichtungen wie der Einrichtungen in freier Trägerschaft durch die Stadt gesteuert (Text_156-160). Aufgrund eines geschickten taktischen Vorgehens der Jugendamtsleitung sind diese Finanzmittel politisch auch nicht von Kürzungen betroffen (s. Kap. 3.5.1.1). Ähnlich wie die beiden brandenburgischen Kommunen haben auch Kommunen in anderen Ländern in diesem Bereich eigene Aktivitäten entwickelt. So hat eine nordrheinwestfälische Kommune bereits vor Jahren begonnen, ein Konzept zu entwickeln, um das Personal in städtischen Kindertageseinrichtungen insbesondere im Bereich der Sprachförderung durch Fortbildungsaktivitäten zu unterstützen. Elemente dieses Konzepts wurden von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen als Grundlage genommen für die Entwicklung des Fortbildungskonzepts zur Sprachförderung auf Landesebene (Text_G 8). Eine bayerische Kommune wiederum hat ihren Schwerpunkt in den vergangenen Jahren auf den Ausbau und die Systematisierung des Fortbildungsbereichs gelegt und eine intensive trägerübergreifende Zusammenarbeit aufgebaut, die die Fortbildungsaktivitäten in der Kommune nun trägerübergreifend auf qualitativer Ebene steuert (Text_H 60). Neben Fachberatung und Fortbildung wird als dritte Maßnahme der Qualitätsentwicklung des Personals derzeit in allen drei Ländern eine Reform der Erzieher/innenausbildung
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diskutiert. Noch in den 1990er Jahren scheiterte ein Versuch des Landes Brandenburg, dieses Thema in der Kultusministerkonferenz voranzubringen, da die Bedeutsamkeit des Themas bei den meisten Ländern lange nicht erkannt wurde (Text_C 51-56). Dazu beigetragen hat nach Einschätzung eines Gesprächspartners allerdings auch die Tatsache, dass das Themenfeld der frühkindlichen Bildung auch von der Jugendministerkonferenz lange nicht richtig angenommen und vorangetrieben wurde. „Für die JMK war früher – und so hat sie sich selbst auch verstanden – Kindergarten gar kein Thema. Die haben sich über Sozialarbeiter unterhalten, die Jugendarbeit, die Erziehungshilfe, eben über die harten Jungs und so weiter. Die Aufgabe Kindergarten ist klassisch eigentlich gar nicht Jugendhilfegebiet“ (Text_C 54).
Mittlerweile haben alle drei befragten Bundesländer verschiedene Aktivitäten hinsichtlich einer Weiterentwicklung der Erzieher/innenausbildung entwickelt, die getragen sind von dem mittel- bzw. langfristigen Ziel, „eine Hochschulausbildung oder vergleichbare Qualifikation für Leitungspositionen in Kindertageseinrichtungen“ anzustreben, wie dies Nordrhein-Westfalen in der Koalitionsvereinbarung der vergangenen Legislatur ausgedrückt hat (CDU/FDP 2005: 38). Hinsichtlich der Erzieher/innenausbildung werden in zahlreichen Ländern Reformen der Ausbildung initiiert sowie an verschiedenen Hochschulstandorten weiterqualifizierende Studiengänge angeboten 311. Unabhängig von diesen Aktivitäten findet die Hauptausbildung des erzieherischen Fachpersonals in den Bundesländern nach wie vor an den Fachschulen als „Breitbandausbildung“ statt, mit der Folge, dass staatlich anerkannte Erzieher/innen in sämtlichen Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe tätig werden können. Dies scheint auch in absehbarer Zeit so zu bleiben, wie folgender Beschluss der Jugendministerkonferenz vom 12./13.05.2005 vermuten lässt: „Die Jugendministerkonferenz geht davon aus, dass die Fachschul- bzw. Fachakademieausbildung noch für viele Jahre vorherrschend sein wird. Nach Auffassung der Jugendministerkonferenz ist es daher dringend notwendig, die Anrechnung der Ausbildung an der Fachschule bzw. der Fachakademie für Sozialpädagogik, aber auch der Fort- und Weiterbildungsangebote in einem modularisierten Ausbildungssystem sicherzustellen“ (JMK 2005). Angesichts der Notwendigkeit gut qualifizierter Leitungskräfte im frühkindlichen Bildungsbereich muten die Bestrebungen aller dreier Länder in diesem Feld seltsam zurückhaltend an. 3.3.3.7 Steuerung der Zusammenarbeit der verschiedenen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen Kooperation von Kindertageseinrichtungen und anderen (familienunterstützenden) Einrichtungen und Diensten Die Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung setzt eine erheblich intensivere Zusammenarbeit der verschiedenen Bildungsorte voraus, als dies in der versäulten Jugend311
In ihrer Antwort (16/11497) auf die Kleine Anfrage 16/11262 kritisiert die Bundesregierung allerdings, „dass sich die Studiengänge aufgrund der Autonomie der Hochschulen zum Teil stark voneinander unterscheiden“. Aus diesem Grund gebe es auch noch keine Rahmenprüfungsordnung, die beispielsweise verbindlich regle, was unabdingbare Bestandteile einer frühpädagogischen Ausbildung seien. Außerdem bestehe „großer Nachholbedarf“ in der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (Deutscher Bundestag 2008).
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hilfe- und Schulstruktur der Vergangenheit intendiert und möglich war. Vor dem Hintergrund verwundert es nicht, wenn bei allen untersuchten Bundesländern der Trend dahin geht, die Zusammenarbeit der verschiedenen Bildungs- und Hilfseinrichtungen voranzutreiben und auszubauen. Im frühkindlichen Bildungsbereich wird hierbei den Kindertageseinrichtungen eine zentrale Rolle als Knotenpunkt für den Ausbau und die Vernetzung von Bildungs- und Beratungsangeboten zugewiesen. Dies ist auf vorrangig zwei Gründe zurückzuführen. Zum einen haben die Kindertageseinrichtungen die quantitativ umfassendste Erreichbarkeit bei Kindern und Familien: Weit über 90 Prozent der Kinder zwischen drei und sechs Jahren in Deutschland besuchen eine Kindertageseinrichtung. Zum zweiten stellen die Kindertageseinrichtungen eine weithin geschätzte Einrichtung dar und stehen nicht wie andere Bildungs- oder Hilfsangebote bei den Eltern im Geruch, staatliche Kontrollinstanz zu sein. Wenn es um die Sicherung der Zusammenarbeit der verschiedenen Bildungsund Hilfseinrichtungen im frühkindlichen Bereich geht, haben alle drei untersuchten Bundesländer in den letzten Jahren Schritte unternommen, die im Kern die Öffnung der Kindertageseinrichtung zu anderen Hilfedienstleistern und verstärkte Kooperationen intendieren, unter anderem mit dem Ziel einer stärker präventiv ausgerichteten Arbeit. „Wir müssen im Kindergartenbereich die Ruder herumreißen und müssen Familien aufspüren, die in schwierigen Situationen sind und müssen mit den Familien arbeiten. Wir dürfen uns das nicht verkneifen. Die Erzieherin darf sich das nicht verkneifen, was sie sieht. Sie muss in die Lage versetzt werden, auf Familien zuzugehen. Und wenn sie die Situation als schwierig einschätzt, dann muss sie sich externe Unterstützung dazu holen, einen Sozialarbeiter, einen Berater, wie auch immer. Aber es darf nicht liegen gelassen werden. Es muss angepackt werden. Und zurzeit wird es oft liegen gelassen“ (Text_I 105).
Brandenburg hat daher bereits 2004 in seinem Kindertagesstättengesetz den Auftrag für Kindertagesstätten festgeschrieben, eng mit der Familie und anderen Einrichtungen und Diensten zusammenzuarbeiten. Durch die Vernetzung der Dienste und die Erweiterung des Angebots in Hinsicht auf niedrigschwellige familienunterstützende Angebote sollte eine intensivere Kooperation um die Kindertageseinrichtung herum als in der Vergangenheit im Sinne eines Frühwarnsystems für Kinder möglich werden. Explizit genannt sind dabei der Kinder- und Jugendgesundheitsdienst des Gesundheitsamtes, der „im Rahmen der Gesundheitsvorsorge (...) auf Entwicklungsbeeinträchtigungen des Kindes hinzuweisen“ ist, sowie „eine an dem Entwicklungsstand der Kinder orientierte Zusammenarbeit mit der Schule“ (§ 4 KitaG). Mit einem Pilotprogramm „Netz für Familien“ sollte „das Wohl des Kindes stärker in den Mittelpunkt gerückt und Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung wirksam unterstützt werden“ (SPD/CDU Brandenburg 2004: 22). Außerdem hat Brandenburg 2006 bis 2008 ein Programm zum Ausbau vorhandener Einrichtungen (Kindertagesstätten, Krippen, Horte oder Ähnliches) zu Eltern-Kind-Zentren durchgeführt, um Familien in Bezug auf Bildung und Erziehung zu unterstützen und diesbezügliche Angebote und Träger zu vernetzen. Durch Eltern-Kind-Zentren sollten niedrigschwellige, familienunterstützende Angebote entwickelt und erprobt werden, die vorrangig im Einzugsbereich sozial schwächerer und beratungsbedürftiger Eltern angesiedelt sind (soziale Brennpunkte). Allerdings scheiterten in der Vergangenheit entsprechende Konzepte an den unterschiedlichen Bedingungen in den Landkreisen, so dass das Land seitdem durch eine stärke-
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re Öffnung des Programms mehr Vielfalt und unterschiedlichere Aktivitäten in den Landkreisen ermöglicht. „Was wir jetzt fördern, ist ein ganz breites Spektrum. Da ist einmal ein Familienzentrum irgendwo im Landkreis. Ein solches Zentrum ist nicht flächendeckend, aber es ist die Vernetzung von drei, vier, fünf solcher Angebote, die im Kreis schon da sind. Die sollen unterstützt werden. Und es ist – zweimal hatten wir das in Kreisen – der Versuch, das gesamte Budget im Sozialbereich auf Regionalbudgets umzusteuern. Da geben wir jeweils ein bisschen Geld hinein für unterschiedliche Dinge, mal ist es Fortbildung, mal ist es Infrastruktur, mal ist es Personal, aber immer nur mit dem Ziel: Wir sind in drei Jahren wieder raus, dann müsst ihr einen Weg gefunden haben, dass sich das durch eine effektivere Gestaltung der Dienste selbst trägt“ (Text_C 98).
Darüber hinaus aber, so die Rückmeldung im Rahmen der geführten Interviews, ist die Zusammenarbeit der verschiedenen Einrichtungen von Landesseite immer noch weitgehend den Fachkräften vor Ort überlassen. Ähnlich wie Brandenburg hat auch Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren, die Vernetzung von Einrichtungen und Diensten rund um weiterentwickelte Kindertageseinrichtungen, so genannte Familienzentren, voranzutreiben. Hiermit sollte, laut Koalitionsvereinbarung, „eine niederschwellige und mit anderen Institutionen effektiv vernetzte Beratungsstruktur für Familien“ (CDU/FDP 2005: 39) entstehen. Bis 2012 soll in Nordrhein-Westfalen ein Drittel aller Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren umgewandelt werden und damit neben den Kindern auch die Eltern als Kernzielgruppe ansprechen (siehe unten). Des Weiteren wurde mit dem Kinderbildungsgesetz für alle Kindertageseinrichtungen die Zusammenarbeit mit anderen Hilfs- und Bildungseinrichtungen verpflichtend, so im Rahmen der Gesundheitsvorsorge (§ 10 KiBiz) die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, zugleich aber auch die Zusammenarbeit mit der Grundschule „in Wahrnehmung einer gemeinsamen Verantwortung für die beständige Förderung des Kindes und seinen Übergang in die Grundschule“ sowie hinsichtlich der „Durchführung der Feststellung des Sprachstandes“ (§ 14 KiBiz). Auch sind Kindertageseinrichtungen angehalten, „bei der Erfüllung ihrer Aufgaben mit öffentlichen Stellen sowie anderen Einrichtungen und Diensten zusammen [zu arbeiten], deren Tätigkeit ihren Aufgabenbereich berührt. Sie haben im Rahmen der örtlichen Jugendhilfeplanung den sozialräumlichen Bezug ihrer Arbeit sicherzustellen“ (§ 15 KiBiz). Damit wurde die Verpflichtung zur Vernetzung in Nordrhein-Westfalen, die bereits 2003 in der Bildungsvereinbarung312 aufgeführt wurde, dort allerdings nur empfehlenden Charakter hatte, nun auch gesetzlich verankert. Hinsichtlich der gesundheitlichen Entwicklung der Kinder sind Kindertageseinrichtungen wie Kindertagespflege mit dem Gesetz zudem verpflichtet, bei „Vorliegen gewichtiger Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung (..) die Eltern frühzeitig zu informieren und geeignete Hilfen zu vermitteln; bei fortbestehender Gefährdung (..) das Jugendamt entsprechend § 8a SGB VIII zu informieren“ (§ 10 KiBiz). Nach Einschätzung der befragten Experten wird durch die neuen Regelungen die Bildung von Vernetzungsstrukturen um die Kindertageseinrichtung herum gefördert. Als förderlich hat sich in einer Kommune zudem die Begleitung des Familienzentrums 312 Mit dem Auftrag „Rahmeninhalte zur Stärkung des Bildungsauftrages im Elementarbereich, zur Förderung des kontinuierlichen Bildungsprozesses der Kinder und für den gelingenden Übergang vom Kindergarten in die Grundschule“ (MSJK 2003: 4) zu verabreden, war hierbei zudem nur die Zusammenarbeit zwischen Kindertageseinrichtung und Grundschule im Fokus.
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durch einen kommunalen Arbeitskreis erwiesen, wodurch Erfahrungen der Zusammenarbeit von Kita und anderen Jugendhilfe- und Sozialdiensten ausgewertet und der Erfahrungstransfer über die beteiligten Einrichtungen hinaus in die Kommune gesichert werden (Text_K 127). In einer anderen Kommune sind klare Regelungen über die Informationsweitergabe sämtlicher am Projekt Familienzentren beteiligter Einrichtungen vereinbart worden, um den Informationstransfer zu sichern und die Kooperation voranzutreiben (Text_G 211). Auch das dritte Bundesland, Bayern, hat die Verpflichtung zur Kooperation mit Familie sowie „jenen Einrichtungen, Diensten und Ämtern (..), deren Tätigkeit in einem sachlichen Zusammenhang mit den Aufgaben der Tageseinrichtung steht“ (Art. 15 BayKiBiG) in seinem neuen Bildungs- und -betreuungsgesetz festgeschrieben. Explizit werden hier „Frühförderstellen, Erziehungs- und Familienberatungsstellen sowie schulvorbereitende(n) Einrichtungen und heilpädagogische(n) Tagesstätten“ genannt, zusätzlich die Grund- und Förderschule (ebd.). Diese Verpflichtung zur Zusammenarbeit hat, nach Meinung mehrerer Interviewpartner/innen, die Kooperation enorm befördert und ein Umdenken in den Einrichtungen ausgelöst. Beispielsweise wird bei Entwicklungsrückständen von Kindern genauer hingeschaut und werden frühzeitiger andere Fachdienste hereingenommen. Zudem wird ein anderes Fachverständnis befördert, wonach man Probleme nicht allein lösen muss, sondern andere Fachkräfte dazu holen kann, da der Rückzug der Erzieherinnen auf Datenschutzargumente nicht mehr statthaft ist. „Ich hatte früher immer ein bisschen den Eindruck, dass sich die Erzieherinnen ganz stark auf den Datenschutz zurückziehen und sagen: ‚Ach nein. Wir möchten jetzt nicht in der Erziehungsberatungsstelle anrufen’, dass sie sich leichter abgeschottet haben. Seitdem aber die rechtlichen Vorgaben da sind, fällt die Zusammenarbeit leichter. Und wir sagen auch immer wieder in der Leiterinnenkonferenz: ‚Die Verantwortung liegt nicht nur im Kindergarten, man kann auch mal Verantwortung abgeben und sagen: ‚Ich habe Probleme mit der Familie. Da muss noch ein anderer Dienst `rein in die Familie. Wir schaffen das nicht als Kindertagesstätte’’. Das bemerke ich jetzt auch, dass da ein gewisses Umdenken stattgefunden hat“ (Text_F 164).
Um die Vernetzung der Kindertagesstätten voranzutreiben hat eine befragte Kommune darüber hinaus ein eigenes Projekt „Kindertagesstätte als Ort für Familien“ gestartet. Modellhaft werden in verschiedenen Kindertagesstätten die Öffnung für Familien aus dem Stadtteil und die Einbeziehung der Nachbarschaft in die Arbeit der Kindertagesstätte erprobt. Die Kindertagesstätten sind dabei Ansprechpartner für Eltern bei Problemen und Schwierigkeiten im erzieherischen und familiären Alltag und arbeiten eng mit Diensten und Einrichtungen im Stadtteil zusammen. Dergestalt konzipiert können die Einrichtungen auch „als ein Beitrag zum Ausbau lokaler Bildungslandschaften“ (Rauschenbach 2007: 10) angesehen werden. Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen und Familien Die Vernetzung von Kindertageseinrichtungen und ihre Öffnung in den Stadtteil hinein wird allerdings nicht nur im Sinne einer Stärkung präventiver Politikansätze, sondern auch mit Blick auf eine stärker bedarfsorientierte Angebotsstruktur für Familien genutzt (s. Kap. 3.3.1.1.). Neben der angestrebten Erziehungspartnerschaft zwischen Familie und Kindertageseinrichtungen (s. Kap. 3.3.1.3) ist dabei eine verstärkte Unterstützung der Eltern das Ziel
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weiterer Reformbestrebungen im frühkindlichen Bildungsbereich, im Sinne der Forderung des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfamilienministerium: „Insbesondere dort, wo die Möglichkeiten einer Förderung kindlicher Entwicklungspotenziale innerhalb der Familie begrenzt sind, gilt es Angebote zu entwickeln und zugänglich zu machen, die Eltern darin unterstützen, ihren Kindern möglichst frühzeitig eine entwicklungsförderliche Erziehung und anregungsreiche Förderung zukommen zu lassen“ (BMFSFJ 2008: 6). Konkret umgesetzt bedeutet dies für die drei Bundesländer:
Der direkte Zugang der Kindertageseinrichtungen zu Familien, insbesondere mit Erziehungsproblemen, soll systematischer erschlossen werden. Elternbefähigung und Kompetenzentwicklung werden als Aufgaben für die Kindertageseinrichtungen verstärkt. Die Elternarbeit in Kindertageseinrichtungen soll in fast allen befragten Kommunen konsequent ausgebaut werden, im Sinne einer Stärkung präventiver Angebote.
Während bei der Erziehungspartnerschaft zwischen Familien und Einrichtungen Eltern primär in ihrer Rolle als Erziehungsexperten angesprochen werden, geht der verstärkte Ausbau von Elternkompetenzentwicklungsangeboten von einer defizitorientierten Sichtweise313 aus: Da Eltern nicht in dem Maße wie erforderlich über Elternkompetenzen verfügen, werden sie als Zielgruppe für Angebote entdeckt. Deutlich wird dies, wenn man die diesbezüglichen Aktivitäten in den Bundesländern Brandenburg und Nordrhein-Westfalen betrachtet. In beiden Bundesländern liegt bei der Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen ein Augenmerk auf der Umsetzung von Konzepten, wie Eltern, insbesondere solche aus Multiproblem-Familien, über den Weg der Kindertageseinrichtungen in ihren Kompetenzen gestärkt werden können. Der Kindertageseinrichtung wird in diesem Zusammenhang eine bessere Erreichbarkeit der Eltern zugesprochen als den klassischen Angeboten der Familienbildung. Durch die Anbindung an die Kindertageseinrichtung soll Eltern die ansonsten bestehende Hemmschwelle genommen und ihr Austausch untereinander gefördert werden (Text_K 136-138). Auf diese Art und Weise niederschwellige Elternkurse für insbesondere bildungsungewohnte Eltern werden an Kindertageseinrichtungen in einigen der befragten Kommunen bereits angeboten. Diese laufen sehr gut und sollen ausgeweitet werden (s. Kap. 3.3.1.1). Auch wird die Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtung und bildungsungewohnten Familien durch das Angebot von aufsuchender Familienarbeit der Erzieherinnen auf kommunaler Ebene intensiviert (Text_K 142). Allerdings führt das in weiten Teilen geltende Freiwilligkeitsprinzip dazu, dass die Elternbildungsangebote in Einrichtungen stark von dem Engagement insbesondere der Kitaleitungen abhängt, das sehr unterschiedlich ist und bisher wenig von Kommunen oder Ländern gesteuert wird. Ausnahmen stellen die in Nordrhein-Westfalen landesweit ausgebauten Familienzentren dar. Durch sie, ergänzt von der gesetzlich festgeschriebenen Verpflichtung für alle Kindertageseinrichtungen, „Beratungs- und Hilfsangebote für Eltern und Familien [zu] bündeln und miteinander [zu] vernetzen“ (§ 16 (1) KiBiz) macht das Land einen Schritt hin zu einer landesweit gesteuerten Vernetzung der Elternbildungsangebote, die über die bisher geltende Abhängigkeit von personellen Besonderheiten hinausgeht. Damit sind neue Aufgaben für das Personal in den Kindertageseinrichtungen verbunden und ist zugleich ein Paradigmenwechsel verbunden hin zu einer systemisch orientierten Sichtwei313
S. dazu auch Textor 2005.
292
3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
se, die über das Kind hinaus auch sein familiales Umfeld in den Blick nimmt und mit Angeboten anspricht. Wie Abbildung 10 schematisch zeigt, sind Eltern in Kindertageseinrichtungen mittlerweile in drei Rollen angesprochen: als Erziehungsexperten, als Zielgruppe von Angeboten sowie – in Bayern und Nordrhein-Westfalen – als Kunden, wobei der damit verbundene eher subjekt- bzw. eher objektbezogene Charakter auf die in den Bundesländern verankerte Familienkultur verweist (s. Kap. 3.3.1.1). Abbildung 10: Charakter der Elternansprache in den Konzepten der drei Bundesländer
Zielgruppe
Fürsorgeprinzip
Objektcharakter
BB
NRW
BY Kunden
Erziehungsexperten Subjektcharakter Marktprinzip
Mit dieser Rollenvielfalt sind zwangsläufig Konflikte in der praktischen Arbeit verbunden, was eine enorme Kompetenzerweiterung von den Fachkräften verlangt (s. Kap. 1.3.5). Angesichts dieser Tatsache ist es umso bedauerlicher, dass Maßnahmen der Personalentwickung in den Bundesländern keine höhere Bedeutsamkeit zugesprochen wird. Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen und Schulen Ein weiteres wichtiges Feld der Zusammenarbeit verschiedener Bildungseinrichtungen stellt die Kooperation von Kindertageseinrichtungen und Schulen dar. Sie ist in den vergangenen Jahren verstärkt in den Fokus der Landespolitik gerückt. Auch die Jugendminister- und die Kultusministerkonferenz haben sich der Thematik angenommen und beispielsweise 2004 einen Beschluss gefasst, der als „markanter Meilenstein der Kooperation“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 344) gelten kann (JMK/KMK 2004), wenn auch bemängelt wird, dass sowohl hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen wie aus finanzieller Sicht keine Unterstützung bei der Gestaltung der Übergänge in Aussicht gestellt wird (ebd.: 345). Eine von
3.3 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich
293
beiden Konferenzen eingerichtete Arbeitsgruppe „Jugendhilfe und Schule“ hat 2004 konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Zusammenarbeit entwickelt und eine flexible Gestaltung der Aufnahme in die Grundschule und die Weiterentwicklung von Schulmodellen mit jahrgangsübergreifenden Klassen gefordert. „In solchen Modellen sind auch gleitende Übergänge möglich, in denen Kinder eine Anzahl von Stunden pro Woche in der Schule verbringen, aber noch Kindergartenkinder sind. Perspektivisch soll dies in die Wahrnehmung einer gemeinsamen Verantwortung gegenüber den fünfjährigen Kindern durch Kindergarten und Schule münden“ (zit. nach Wiesner 2003a: 20). Mit diesen Forderungen sind also nicht nur Änderungen für die Kindertageseinrichtungen, sondern auch für die Grundschulen formuliert. In den Ländern werden diese Herausforderungen auf unterschiedliche Art und Weise angegangen. In manchen Bundesländern werden bereits die Schuleingangsphasen flexibel gestaltet; in den Schulen wird das Lernen zunehmend individualisiert, was eine enge Kooperation zwischen Kindertageseinrichtung und Schulen erfordert (Bertelsmann Stiftung (Hg.) 2007a: 3) (s. dazu auch Kap. 3.4.1.3). Baden-Württemberg versucht sogar, über modellhaft arbeitende „Bildungshäuser“ das Zusammenwachsen von Kindergärten und Grundschulen zu befördern (s. dazu auch http://www.kultusportalbw.de/servlet/PB/-s/1ragxhhlxq99h1t4rib8o4x2blq7rv57/menu/1213904/index.html?ROOT =1182956). Auch die drei untersuchten Bundesländer haben etliche Aktivitäten unternommen, um die Kooperation von Kindertageseinrichtungen und Schulen voranzutreiben. Ein wichtiger Grund für die stärkere Zusammenarbeit zwischen Elementarbereich und Grundschule wird dabei in der Sprachentwicklungsförderung gesehen. Hier sind dementsprechend über rechtliche Änderungen hinaus auch die konkretesten Maßnahmen in den drei Ländern gestartet worden (s. Kap. 3.5.5), indem in allen drei Bundesländern die Kooperation zum Zwecke von Sprachstandfeststellungsverfahren sowie Sprachfördermaßnahmen für förderbedürftige Kinder im Vorschulalter implementiert wurde. Konzeptionell nimmt der Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule in den neuen Bildungsplänen bzw. -gesetzen in Bayern und Nordrhein-Westfalen eine wichtige Stellung ein. Die brandenburger Grundsätze formulieren dagegen keine speziellen Maßnahmen der Schulvorbereitung, nicht ohne Grund, wie in den Interviews deutlich wurde. Denn die Praxis im Land zeigt, dass die in Schule und Kindertageseinrichtungen bzw. Jugendhilfe geltenden unterschiedlichen Bildungsphilosophien dafür sorgen, dass die Konzepte von Kita und Schule nicht immer passfähig sind. Zwar wurde von Seiten des Landes die „an dem Entwicklungsstand der Kinder orientierte Zusammenarbeit mit der Schule“ in Form einer Soll-Bestimmung als Auftrag der Kindertagesstätte im Kitagesetz des Landes festgeschrieben (§ 4 KitaG). Auch im Schulgesetz wurde die Zusammenarbeit mit den Tageseinrichtungen für Kinder als Aufgabe der Grundschulen verankert (§ 5 SchulG). Darüber hinaus wird vor allem an der Entwicklung einer gemeinsamen Bildungsphilosophie der beiden Systeme entwickelt werden, die als Grundlage für das weitere Vorgehen angesehen wird (Text_C 72). Auch die gezielte Mitarbeit in Modellprojekten dient dem Zweck, hier Entwicklungsprozesse zu initiieren. „(..) wir wollen versuchen exzellente Kitapraxis und exzellente Schulpraxis zusammenzubringen, zusammenzuschreiben.(…) Wir sind als Ministerium auch mit dabei, aber als Gleicher unter Gleichen. Wir wollen sehen, dass wir (..) zwischendurch sukzessive Zwischenergebnisse veröffentlichen, um die dann auch in die Wirkung zu bringen“ (Text_C 84).
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
Als wegweisend kann in diesem Zusammenhang das in den vergangenen Jahren durchgeführte BLK-Projekt TransKiGs angesehen werden, das als eines der letzten BLK-Vorhaben 2004 ins Leben gerufen wurde. Seit 2005 wurde das Verbundprojekt unter anderem in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg umgesetzt. Infolge der Neuregelung des § 91b GG über das Zusammenwirken von Bund und Ländern erfolgte die Fortführung des Verbundprojekts im Jahr 2007 in Zuständigkeit der Länder; vom Land Brandenburg wurden die Aktivitäten dabei koordiniert. Ziel des Projekts war es, die Bildungs- und Erziehungsqualität in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen zu stärken und den Übergang zwischen den beiden Bildungseinrichtugen zu verbessern. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf der Entwicklung von transferfähigen Strukturen, Strategien und Instrumenten zur Gestaltung des Übergangs. Die im Projekt entwickelten Strategien und Maßnahmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Veränderung von konkreter Praxis mit der Erarbeitung und Verankerung eines gemeinsamen Verständnisses von Bildung verknüpfen, um so ein Feld gemeinsam geteilter Überzeugungen zu schaffen – als gemeinsame Bildungsphilosophie bezeichnet (Lenkungsgruppe TransKiGs u.a. (Hg.) 2009: 10). Das Verbundprojekt, von dem eine Vielzahl von positiven Impulsen ausging, wurde von einer Begleitforschung flankiert. In diesem Handeln des Landes Brandenburg wird zugleich ein Staatsverständnis deutlich, dass das Land (offensichtlich) eher in der Funktion eines Förderers von fachlich hochwertigen Vernetzungsprozessen denn als Verpflichtungs- bzw. Kontrollinstanz sieht, weil dahinter eine stärkere Nachhaltigkeit vermutet wird. Dieses Verständnis wird allerdings von kommunaler Ebene nicht zwingend als positiv erlebt. Vielmehr wird in den Interviews deutlich, dass vor Ort persönliches Engagement und die Situation der einzelnen Einrichtung die Kooperationen sehr stark prägen. Gefordert wird daher von kommunaler Seite, die Kompetenzen der verschiedenen Professionen viel intensiver zu nutzen, was durch Verpflichtungen zur Kooperation möglich wäre (Text_L 303). Diese Verpflichtung zur Kooperation hat Bayern im Rahmen der Gesetzesnovellierung festgeschrieben. Die Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und Schulen stehen hier nicht nur in der rechtlichen Verpflichtung zusammenzuarbeiten (Art. 15 BayKiBiG, s. auch Art. 31 Abs. 1 BayEUG). Denn es handelt sich, wie es der Bayerische Bildungsplan formuliert, beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule um ein lebensgeschichtlich bedeutsames Ereignis, das „als gemeinsamer Gestaltungsakt“ zu erfolgen habe mit dem Ziel, die „Anschlussfähigkeit der Bildungs- und Erziehungsinhalte von vorschulischer Einrichtung und Schule“ zu erreichen (Diskowski 2003: 35). Auch sollen sich die pädagogischen Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen und die Lehrkräfte an den Schulen „regelmäßig über ihre pädagogische Arbeit informieren und die pädagogischen Konzepte aufeinander abstimmen“ (Art. 15 BayKiBiG). Die Einrichtungen sind verpflichtet, Kooperationsbeauftragte für die Zusammenarbeit zu bestimmen, wie es in der „Richtlinie über die Koordination der Zusammenarbeit und über regelmäßige gemeinsame Besprechungen zwischen Jugendämtern und Schulen“ von 1996 geregelt ist. Da auch auf Amtsebene Kooperationsmultiplikatoren vorzuhalten sind, sind die Kontaktwege zwischen den Einrichtungen institutionalisiert. Durch landesweit stattfindende Fortbildungen über das Thema der Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtung und Grundschule, die zur Steigerung des Gefühls der Gleichberechtigung jeweils zwei Referent/innen aus den beiden Bereichen gemeinsam durchführen, sind Fachkräfte aus Kindertageseinrichtungen und Grundschulen in den vergangenen Jahren flächendeckend informiert worden mit der Intention, die Kenntnisse voneinander zu intensivieren (Text_E 54).
3.3 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich
295
Die neu im BayKiBiG festgeschriebenen Verpflichtungen sowie die landesweit durchgeführten gemeinsamen Fortbildungen haben nach Einschätzung der auf kommunaler Ebene Befragten die Zusammenarbeit zwischen Kindergärten und Schulen in den vergangenen Jahren wesentlich vorangetrieben, vor allem auf Seiten der Kindertageseinrichtungen. Während bislang die Zusammenarbeit häufig von dem Engagement einzelner Personen abhängig war, wirkte die Vorschrift zur Zusammenarbeit als ein Katalysator jenseits persönlichen Wollens, wobei unterschiedliche Erfolge in den Regierungsbezirken auf personelle Besonderheiten zurückzuführen seien: „Wir haben eine Umfrage in den Regierungsbezirken gemacht, wie gut die Zusammenarbeit funktioniert. Und man hat die ganze Bandbreite. Es gibt Regierungsbezirke, wo recht wenig geschieht, jedenfalls bisher nicht. Und es gibt Regierungsbezirke, wo man vorbildlich zusammenarbeitet, zum Beispiel in Niederbayern.(…) Es liegt natürlich auch auf personeller Ebene, manchmal stimmt die Chemie und manchmal nicht. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es manchmal eine Moderation bräuchte, um die zwei Seiten zusammenzubringen, um sich gegenseitig kennenzulernen. Denn es ist zwar schon viel Papier bedruckt worden zu diesem Thema. Aber so richtig um die Zusammenarbeit gekümmert hat man sich oft erst auf Grund von persönlicher Initiative“ (Text_E 92, 96).
Die Bundesländer Bayern und Brandenburg setzen damit hinsichtlich der Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen und Schulen bei identischen Zielen unterschiedliche Instrumente ein, wobei in Bayern stärker strukturierend und regulierend agiert wird als in Brandenburg. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen fällt dagegen dadurch auf, dass dort kein einheitlicher Ansatz, vielmehr ein Nach- bzw. teilweise auch Nebeneinander unterschiedlicher Konzepte existiert. Die von der alten rot-grünen Regierung 2003 verabschiedete Bildungsvereinbarung zielte dabei, ebenso wie das sie ergänzende Schulfähigkeitsprofil darauf ab, „zu einer besseren Verzahnung der elementaren und der schulischen Bildung und Erziehung beizutragen, neue Impulse zu geben und jedes Kind im Kindergarten und in der Grundschule seinen Möglichkeiten entsprechend zu fördern“ (MSJK 2003a: 4). Den Kindertageseinrichtungen wurden Aufgaben für das Gelingen des Übergangs zur Grundschule zugeschrieben, so unter anderem die Dokumentation der Bildungserlebnisse. Ein Schwerpunkt wurde außerdem bei der Kooperation der Fachkräfte von Kindertageseinrichtungen und der Lehrkörper der Grundschulen gelegt. Vorgesehen waren regelmäßige gegenseitige Besuche und Hospitationen, gemeinsame Weiterbildungen und gemeinsame Einschulungskonferenzen (Hovestadt 2003: 33). Ergänzend zu der Bildungsvereinbarung wurden die Erwartungen an die Bildungsarbeit aus Sicht der Schule in einem Schulfähigkeitsprofil zusammengestellt. Auch wenn zu diskutieren wäre, inwiefern die in beiden Dokumenten aufgeführten Thesen einander ergänzen (s. Kap. 3.3.2.1), ist doch erkennbar, dass sie einen neuen Geist der Zusammenarbeit zwischen den beiden Institutionen widerspiegeln, der durch die Zusammenlegung der Fachabteilungen Schule und Kinder/Jugend in einem Ministerium ergänzt und durch die flächendeckend eingeführte Offene Ganztagsgrundschule in Nordrhein-Westfalen mit ihrer Kooperation von Jugendhilfe und Schule erweitert wurde. Dieses Konzept ist durch die konservativ-liberale Regierung und ihre neuen Schwerpunktsetzungen in den Hintergrund gerückt. Zwar wurden die inhaltlichen Schwerpunkte der Bildungsvereinbarung von der Regierung mit dem Kinderbildungsgesetz in verschiedenen Punkten aufgegriffen und in rechtlich verbindlicherer Weise festgeschrieben, so beispielsweise die Zusammenarbeit mit der Grundschule als eine Aufgabe jeder Kindertages-
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
einrichtung (§ 14 KiBiz)314. Die nach Regierungsübernahme aus politischen Gründen vollzogene erneute ministerielle Trennung beider Fachabteilungen und Verankerung in zwei unterschiedlichen Ministerien hat die Bemühungen eines stärkeren Zusammenwachsens der Bereiche aber offenbar teilweise wieder rückgängig gemacht und die Zusammenarbeit der Fachabteilungen eher verschlechtert, was sich unter anderem darin zeige, dass gemeinsame Fort- und Weiterbildungen der unterschiedlichen Bereiche schwieriger geworden seien. Deutlich wird hier auch die Bedeutsamkeit von Strukturen (polity) für politische Inhalte (policy) (s. dazu auch Kap. 3.5.3). „Was die gemeinsame Fort- und Weiterbildung angeht in Sachen Grundschule und Jugendhilfe, so ist leider etwas dadurch ins Stocken gekommen, dass wir aus dem Schulministerium herausgegangen sind. Zu Beginn der gemeinsamen Zeit, das muss 2003 gewesen sein, haben beide Fachabteilungen des MSJK sehr schnell zueinander gefunden. Das Grundschulreferat und das Kindergartenreferat waren innerhalb eines Monats zusammengekommen und haben gemeinsame Leitlinien formuliert, die heute noch Gültigkeit haben.(…) Wir hatten eigentlich die Perspektive, nicht nur den Bereich vor der Schule in den Blick zu nehmen. Sondern eigentlich geht es uns darum, das Kind, wenn es in den Kindergarten kommt, also mit rund drei Jahren, in den Blick zu nehmen, und zu begleiten, bis es die flexible Schuleingangsphase verlässt, also ungefähr sieben oder acht Jahre alt ist. Wir haben das als die gemeinsame Aufgabe von Schule und Kindertageseinrichtung gesehen, das in ein Konzept zu packen. Daran haben wir damals gearbeitet. Das ist durch neue Schwerpunktsetzungen vorerst in den Hintergrund geraten, was von der Fachwelt nach meiner Wahrnehmung auch bedauert wird; bei Vielen, auch von Stellen, die der neuen Regierung nahe stehen, wird das bedauert. Wir versuchen das ein bisschen dadurch aufzufangen, dass die beiden Minister, Schulministerin Sommer und Minister Laschet, eine Kooperationsvereinbarung getroffen haben, in der sehr deutlich gemacht wird, dass es Ziel beider Häuser ist, an diesen Punkten weiterzuarbeiten. Aber es ist etwas anderes, ob man nun mit zwei Häusern an einem Thema arbeitet, oder ob man es in einem Haus mit einer politischen Spitze tut“ (Text B_62-64).
Hinsichtlich der Kooperation von Kindertageseinrichtungen und Schule zeigen sich damit in den Ländern unterschiedliche Aktivitäten, wobei besonders auf indirekte Steuerungsinstrumente gesetzt und vor allem eine intensivere Kommunikation der Fachkräfte vorangetrieben wird. Diese werden ergänzt durch kommunales Handeln, das derzeit beispielsweise durch die Installierung regelmäßiger Gesprächskreise von Schul- und Kitaleitungen oder gemeinsame Fortbildungsmaßnahmen der Fachkräfte aus Kindergärten und Schulen versucht, die Kooperation der Bildungsorte im Sozialraum voranzutreiben (s. Kap. 3.4.1.2). Wie eine Elternbefragung der Bertelsmann Stiftung zeigt, ist das Maß der Zufriedenheit seitens der Eltern über die Aktivitäten, mit denen Kindertageseinrichtungen auf die Schule vorbereiten, mittlerweile beträchtlich. Allerdings macht die Studie auch deutlich: „Immer dort, wo die Regie dieser Aktivitäten in der Hand der Erzieherinnen liegt, scheint sich bereits sehr viel mehr zu tun, als dort, wo die Schule personell in der Kindertageseinrichtung aktiv wird (...). Insgesamt bedarf es aus Sicht der Eltern mehr Präsenz von Lehrerinnen und Lehrern in der Kindertageseinrichtung“ (Bertelsmann Stiftung u.a. (Hg.) 2006: 9). Den
314
Allerdings wird kritisiert, dass das Gesetz keine Verbindung zur Bildungsvereinbarung herstellt und geprüft werden müsse, inwiefern es mit dem Schulgesetz abgestimmt sei. „Dies betrifft vor allem die Verpflichtung, in beiden Institutionen Lernformen und Methoden zu entwickeln, die aufeinander aufbauen und die individuellen Bildungs- und Entwicklungsprozesse jedes einzelnen Kindes aufnehmen“ (Bertelsmann Stiftung 2007: 8).
3.3 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Elementarbereich
297
Weiterentwicklungen auf Seite der Kindertageseinrichtungen scheint damit noch keine gleichwertige Entwicklung auf Seiten der Schulen zu entsprechen. 3.4 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Primar- und Sekundarbereich in den Ländern 3.4.1 Bildung in Jugendhilfe und Schule 3.4.1.1 Ausbau des Ganztagsangebots in den Ländern Die breite öffentliche Debatte über die Notwendigkeit, die für Deutschland starken herkunftsbedingten Unterschiede stärker schulisch auszugleichen, hat dazu geführt, dass die Bundesländer eine Vielzahl von Maßnahmen zur Reform der Halbtagsschule diskutiert und verabschiedet haben. An vorderster Stelle ist dabei der Ausbau von schulischen und außerschulischen Ganztagsangeboten zu nennen, der „mit dem Ziel erweiterter Bildungs- und Fördermöglichkeiten, insbesondere für Schülerinnen und Schüler mit Bildungsdefiziten und besonderen Begabungen“ in den Maßnahmekatalog der Kultusministerkonferenz (2001) aufgenommen worden ist. Zugleich sollen damit die Balance von Beruf und Familie für Eltern verbessert und Familien entlastet sowie die starke Abhängigkeit der Bildungs- und Qualifizierungschancen der Kinder von ihrer sozialen Herkunft verringert werden (BMFSFJ (Hg.) 2005: 50). Auch in den drei untersuchten Bundesländern wird der Ausbau von Ganztagsschulen gefördert. Alle drei Länder setzen dabei auf eine Kooperation von Schule mit der Kinderund Jugendhilfe, „um so ein erweitertes Bildungsangebot und -verständnis verwirklichen zu können, in dem es neben der Wissensvermittlung auch um die Vermittlung sozialer, emotionaler und körperlich-expressiver Kompetenzen geht“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 498). Wie eine Auflistung der Zielsetzungen in den entsprechenden Programmen der Bundesländer zeigt, überschneiden sich diese in weiten Teilen (s. Oelerich 2005: 59f). Zum gemeinsamen Kern von Zielorientierungen ganztägiger Schulen, die sich mit unterschiedlichen Prioritäten in den länderspezifischen Umsetzungsprogrammen finden lassen, gehören folgende:
Verbesserung der Qualität der Lehr-Lern-Kultur durch Erweiterung und Differenzierung der Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten, Entwicklung erweiterter Formen der Partizipation und des Demokratielernens, familienergänzende und -unterstützende Angebote der Erziehung und Betreuung sowie einer erweiterten Erziehungspartnerschaft und Kooperation zwischen Schule und Elternhaus, Ausbau und infrastrukturelle Stabilisierung von inter-institutionell breit angelegten regionalen Bildungslandschaften mit sozialräumlich und gemeinwesenorientierten Arbeits- und Kooperationsansätzen bei und zwischen den Akteuren (Klieme/Rauschenbach/Holtappels 2004: 4f).
Unterschiede zeigen sich zwischen den Ländern vor allem bei den quantitativen Zielmarken für den Ausbau sowie bei der Form der Angebote, aber auch der konkreten Zielgruppe, an die sich das Angebot richtet.
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
Tabelle 13: Formen der Ganztagsbetreuung und der damit verbundenen Zielsetzungen in den drei Bundesländern Bundesland
Form der Ganztagsbetreuung
Motiv laut Selbstdarstellung
Bayern
„Echte“ Ganztagsschulen nur dort, wo der spezifische Förderbedarf von Schülerinnen und Schülern nicht ohne auf den ganzen Tag verteilten Unterricht abgedeckt werden kann. Betont werden die Programme x zur Förderung der kind- und familiengerechten Halbtagsschule, x zur Förderung von Ganztagsangeboten an Schulen.
Neben Wissensvermittlung geht es auch um die Vermittlung sozialer, emotionaler und körperlichexpressiver Kompetenzen.
Brandenburg
Ganztagsschulen in der voll gebundenen, teilweise gebundenen und offenen Form. In der offenen Form wird auf ein additives Modell gesetzt, bei dem der Unterricht am Vormittag durch zusätzliche Angebote am Nachmittag ergänzt wird. In der Grundschule werden Ganztagsangebote in der voll gebundenen Form aufgrund des ausgebauten Angebots an Horten nicht eingerichtet. Als Ganztagsangebote in der teilweise gebundenen Form wird ein integriertes Angebot aus verlässlicher Halbtagsgrundschule, Hort und ergänzenden Angeboten realisiert.
Verbesserung der Lern- und Förderangebote für Schülerinnen und Schüler, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, attraktivere Lern- und Lebensorte für junge Menschen
NordrheinWestfalen
Ausbau der Grundschulen zu offenen Ganztagsschulen durch Zusammenführung vorhandener Ganztagsangebote der Kinder- und Jugendhilfe
Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Verbesserung der Bildungsqualität und Chancengleichheit und Schaffung eines Ganztagsangebots aus einer Hand
Ausbau der Ganztagsangebote an Haupt- und Förderschulen
Aufwertung der Haupt- und Förderschulen zu qualifizierten Bildungsinstitutionen (Quelle: Wissenschaftlicher Beirat 2006: 46ff, eigene Ergänzungen)
In Bayern standen in den vergangenen Jahren Ganztagsangebote für Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen fünf bis zehn im Zentrum der Schulentwicklungsplanung. Neben der Förderung von Ganztagsschulen aus Bundesmitteln des IZBB hat das Land Bayern zur Zielerreichung unter dem Titel „Ganztägige Förderung und Betreuung an Schulen“ mehrere Programme aufgelegt. Das Ziel der Staatsregierung ist, die gebundene Ganztagshauptschule bis zum Schuljahr 2012/2013 flächendeckend und bedarfsgerecht auszubauen und Ganztagszüge überall dort einzuführen, wo der Sachaufwandsträger einen entsprechenden Antrag stellt und vor Ort von Eltern und Schule ein Bedarf gemeldet wird (http://www.km.bayern.de/km/schule/ganztagsschule/index.shtml). Beim Ausbau der Ganztagsangebote existiert eine enge Kooperation mit der Kinder- und Jugendhilfe und anderen außerschulischen Institutionen. Betreuung und Förderung wird vor allem von Sozialpädagog/innen, Erzieher/innen, Übungsleiter/innen und anderen übernommen. Während Bayern damit vor allem auf den Sekundarbereich, und hier vor allem auf Hauptschulen setzt, will das Land Brandenburg auch im Bereich der Primarstufe die Ganztagsangebote ausbauen. Bis zum Schuljahr 2008/2009 sollte „für 25% aller SchülerInnen
3.4 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Primar- und Sekundarbereich
299
im Grundschulbereich und für ein Drittel aller Schüler/innen der Sekundarstufe I ein ganztagsschulisches Angebot“ vorgehalten werden (SPI (Hg.) 2006: 7)315. „Mit dem Ausbau sollen Lern- und Förderangebote für möglichst viele Schülerinnen und Schüler verbessert, eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleistet und durch die Kooperation von Schule, Jugendhilfe und Trägern attraktive Lern- und Lebensorte für junge Menschen geschaffen werden“ (Wissenschaftlicher Beirat 2006: 110). Zugleich wird versucht, die Bildungs- und Betreuungsdefizite durch Horte aufzufangen. Auch Nordrhein-Westfalen setzt wie die anderen beiden Länder auf den Ausbau von Ganztagsangeboten, um eine intensivere Förderung der Kinder zu ermöglichen. Hier lag der Schwerpunkt der Förderung in den vergangenen Jahren im Ausbau von offenen Angeboten – überwiegend an Grund-, Haupt- und Förderschulen (SPI (Hg.) 2006: 18), wobei Unterschiede zwischen der rot-grünen und der konservativ-liberalen Regierung deutlich werden. Die alte rot-grüne Landesregierung hatte im Primarbereich als „herausgehobenes schul- und jugendpolitisches Vorhaben“ (MSJK 2004: 1) die flächendeckende Einführung der offenen Ganztagsgrundschule gestartet. Sie ist als kooperatives Modell von Schule und Kinder- und Jugendhilfe unter Einbeziehung freier Träger konzipiert. Der Ausbau erfolgte dabei nicht nur durch die Schaffung von neuen Angeboten, sondern auch durch die Zusammenführung vorhandener Ganztagsangebote der Kinder- und Jugendhilfe, dabei insbesondere der Horte, und bestehender schulischer Programme wie „Schule von acht bis eins“ und „Dreizehn plus“ zu einem kohärenten Ganztagssystem unter dem Dach der Schule. Das dafür erforderliche Personal ist zu zwei Dritteln vom Land und zu einem Drittel von der Kommune finanziert, wobei Kommunen bereits bestehende Angebote wie Horte einbringen und Mittel von freien Trägern und Eltern auf ihren Eigenanteil anrechnen lassen können (BMFSFJ (Hg.) 2005: 508). Dieses Modell wurde von der konservativ-liberalen Regierung weitergeführt. Die Regierung plante zudem, den weiteren Ausbau des Ganztagsangebots in den folgenden Jahren bedarfsgerecht fortzusetzen. Daneben hatte sich die nordrhein-westfälische Landesregierung zum Ziel gesetzt, die Haupt- und Förderschulen zu stärken, unter anderem durch den Ausbau von Ganztagsangeboten. Die Zielsetzung für die erweiterte Ganztagshaupt- und Ganztagsförderschule bis zum Jahr 2012 lautete, für 50.000 Schüler/innen einen Ganztagsplatz bereitzustellen. So sollten mittel- bis langfristig Bildungsqualität sowie Lernergebnisse verbessert, Benachteiligungen von Schüler/innen aus "bildungsfernen" Milieus ausgeglichen und die Chancen beim Übergang in Ausbildung und Beruf nach Abschluss der Sekundarstufe I erhöht werden. Im Gegensatz zu den offenen Ganztagsangeboten im Primarbereich ging es bei dem Ausbau des gebundenen Ganztagsschulmodells bei den Hauptschulen darum, durch eine „sinnvoll rhythmisierte Verteilung von Lernzeiten“ und durch „bedarfsgerechte Förderkonzepte und angebote“ ein verbessertes Lernklima an „Brennpunktschulen“ zu entwickeln, das zu einer „Stärkung fachlicher und überfachlicher Kompetenzen und der Persönlichkeitsbildung“ der Schüler/innen (Runderlass des MSW vom 23.01.2006) beitragen sollte. Der Schwerpunkt lag dementsprechend auf Schulen an „schwierigen“ sozialräumlichen Standorten (Maykus/Schulz 2006: 96) und verfolgte neben bildungspolitischen auch sozialpolitische Ziele. Inwiefern dies durch die neue rot-grüne Landesregierung so fortgeführt wird, wird zu sehen sein. 315
Als Ergebnis zum Beginn des Schuljahres 2009/2010 kann festgehalten werden: Rund 35 Prozent aller 450 öffentlichen Grundschulen und etwa 45 Prozent aller 214 weiterführenden Schulen unterbreiten Ganztagsangebote (http://www.mbjs.brandenburg.de/sixcms/detail.php/5lbm1.c.47857.de).
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
Während Bayern und die konservativ-liberale Landesregierung von NordrheinWestfalen beim Ausbau von Ganztagsschulen damit sozialpolitische Ziele in den Vordergrund stellen, geht der Ansatz in Brandenburg sowie unter der alten rot-grünen Regierung in Nordrhein-Westfalen von einem Regelangebot an Ganztagsangeboten aus. Ausdrücklich ist in beiden Ländern die Kooperation von Schulen mit außerschulischen Partnern, insbesondere mit der Jugendhilfe, vorangetrieben worden. Nordrhein-Westfalen hat zum Beispiel die Offene Ganztagsgrundschule dezidiert als Projekt von Jugendhilfe und Schule geplant, was „ein produktives Klima des Voneinander Lernens zwischen den Schulen, den außerschulischen Kooperationspartnern und den Kommunen“ ermöglicht habe (Frey 2005: 40)316. Brandenburg hat beispielsweise die Vergabe der IZBB-Mittel an klare Vorgaben gebunden, wie ein von Schule mit außerschulischen Partnern gemeinsam entwickeltes Ganztagsschulkonzept sowie die Vorlage von verbindlichen Kooperationsvereinbarungen (s. Kap. 3.4.1.2). Damit werden auch in diesem Punkt gewisse Unterschiede zwischen den Bildungsverständnissen ersichtlich, das durch die unterschiedlichen politischen Kulturen Ost- und Westdeutschlands geprägt zu sein scheint. Zugleich zeigt das Beispiel NordrheinWestfalens gewisse parteipolitische Differenzen auf: Während die SPD-geführte Landesregierung ihren Schwerpunkt auf eine flächendeckende Initiierung ganztägiger Bildungsangebote legte, sah die CDU-geführte Regierung, ähnlich wie die bayerische Landesregierung, ganztägige Bildungsangebote offenbar in erster Linie als sozialpolitische Aufgabe für besonders benachteiligte Schüler/innen an, wie der vordringliche Ausbau der Hauptschulen zeigt. 3.4.1.2 Steuerung der Kooperation von Jugendhilfe und Schule Mit dem Ausbau der Ganztagsangebote, wie von den Ländern derzeit vorangetrieben, stehen zugleich Fragen der Kooperation von Jugendhilfe und Schule neu auf der Tagesordnung. Ein Blick auf die Ausführungsgesetze sowie Erlasse, Richtlinien und Förderprogramme zur Kooperation der beiden Bereiche in den Bundesländern belegt eine Fülle an organisatorisch-strukturellen Regelungen (Hartnuß/Maykus 2004a: 570). In einer Reihe von Ländern, darunter auch den drei untersuchten, wird Schule in Form einer allgemeinen (General-)Klausel im Schulgesetz zur Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe aufgefordert. In Bayern finden sich ergänzend gesonderte Hinweise auf eine Zusammenarbeit von Grundschule und Kindertagesstätten, um die Phase der Einschulung für Kinder gemeinsam zu gestalten (Art. 7 Abs. 4 BayEUG). Brandenburg hat den Schulen eine Mitteilungspflicht gegenüber dem Jugendamt im Falle von Fehlverhalten von Schüler/innen auferlegt (§ 63 Abs. 3 BbgSchG). Dagegen hat die Forderung einer Abstimmung zwischen Schulentwicklungsplanung und Jugendhilfeplanung (sowie gegebenenfalls anderen kommunalen Planungsprozessen) lange die Ausnahme in den Schulgesetzen der Länder dargestellt (BMFSFJ (Hg.) 2005: 465) und wird erst neuerdings langsam angegangen. Defizite lassen sich auch hinsichtlich inhaltlich-konzeptioneller Hinweise aufzeigen ebenso wie in Bezug auf verbindliche und verlässliche Rahmungen der Kooperation sowie eine fachliche Konkretisierung (Hartnuß/Maykus 2004a: 586). Eine flächendeckende Kooperation von Jugendhilfe und Schule in Form einer Integration von Jugendhilfeaktivitäten an allen Schulformen 316 Zahlreiche Informationen zum Optimierungsbedarf der Offenen Ganztagsgrundschule in Nordrhein-Westfalen finden sich in der wissenschaftlichen Begleitforschung des Projekts (Beher u.a. 2005).
3.4 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Primar- und Sekundarbereich
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bzw. den Einsatz von multiprofessionellen Fachkräften in allen Schulen ist denn auch in keinem der drei Bundesländer bisher gegeben. Allerdings hat es hier in den vergangenen Jahren in den drei Ländern viele Änderungen gegeben. In Brandenburg wurde beispielsweise noch 2004 kritisiert, dass sich im Gegensatz zu anderen Bundesländern bisher eher wenige lokale, punktuelle Initiativen im Schnittfeld der Kooperation von Jugendhilfe und Schule entwickelt hätten, Kooperation aber nicht „flächendeckend, umfassend, systematisch“ stattfände (Thimm/Kantak 2004: 663). Das Schulgesetz des Landes enthalte zudem zwar Aussagen zur Kooperation mit dem Jugendhilfebereich (u.a. § 9 BbgSchG), diese stellten allerdings lediglich Möglichkeiten und keine Verpflichtungen dar. „Insgesamt fehlt es an einer Implementierung von Kooperation im Rahmen von Leitbildern, Stellenbeschreibungen, Geschäftsverteilungsplänen, Berichtspflichten etc.“ (Thimm/Kantak 2004: 662). Mit dem Koalitionsvertrag 2004 wurde daraufhin eine Verbesserung und „Weiterentwicklung“ der Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe, „insbesondere mit der Schulsozialarbeit“ angekündigt (SPD/CDU Brandenburg 2004: 22). Nach wie vor existiert in Brandenburg als einzigem der drei Länder eine Landeskooperationsstelle Schule – Jugendhilfe (seit 1998). Und auch die Kooperation von Schulen mit Jugendhilfe im Kontext des Ausbaus zu Ganztagsangeboten nach dem IZBB-Programm wurde in Brandenburg im Vergleich zu den anderen beiden Ländern vorbildlich geregelt (s. Kap. 3.4.2.2), weshalb die Finanzmittel nur gewährt wurden, wenn verbindliche Kooperationsbemühungen zwischen der Schule und der örtlichen Jugendhilfe nachgewiesen werden. In Nordrhein-Westfalen stand hingegen in den vergangenen Jahren im Bereich der Kooperation von Jugendhilfe und Schule die „Offene Ganztagsgrundschule“ im Mittelpunkt des politischen Handelns. Diese sieht eine Konzentration der außerschulischen Angebote auf den „Ort Schule“ vor und macht eine Kooperation von Jugendhilfe und Schule auf verschiedenen Ebenen erforderlich (s. Beher u.a. 2005: 106ff), wobei unter anderem ein zwischen Schul- und Jugendhilfeträger abgestimmtes Konzept über die Offene Ganztagsgrundschule Fördervoraussetzung ist. Angesichts der enormen Skepsis und dem anfänglichen Widerstand gegenüber dem Programm bei Amtsträgern, Verantwortlichen und freien Trägern317 verwundert es nicht, wenn die wissenschaftliche Begleitforschung des Programms 2005 in ihrem Bericht noch bemängelte, dass die konsequente Beteiligung der kommunalen Jugendhilfe mit dem Start des Programms nur vereinzelt gelungen, die Kooperationsbeziehungen hingegen noch zu verbessern wären (Beher u.a. 2005: 148). Die Entwicklung der Offenen Ganztagsschulen, die zum Teil auch mit einer Verlagerung von Betreuungskapazitäten von der Jugendhilfe auf die Schule einhergegangen ist, stellt die Jugendhilfeplanung der Jugendämter ebenso wie die Planung der Schulbehörden vor grundsätzliche Herausforderungen (DJI 2005: 149). Denn die Kommunen stehen angesichts des Ziels, bedarfsgerechte Angebote in den Sozialräumen bereit zu stellen, vor der Notwendigkeit, die Daten und Erkenntnisse der Jugendhilfeplanung und Schulentwicklungsplanung zusammenzuführen: „Leitlinie sollte dabei nicht allein die familienpolitische Komponente (Berufstätigkeit von Müttern und Vätern) sein, sondern auch das Ziel, soziale Benachteiligungen auszugleichen sowie besonderen Erziehungs- und Förderbedarfen von Mädchen und Jungen Rechnung zu tragen, und grundsätzlich das Wohl des Kindes“ (Lan317 Aus den Reihen der freien Träger, konkret vom Erzbistum Köln, wurde sogar ein Rechtsgutachen in Auftrag gegeben, das den rechtlichen Rahmen der Offenen Ganztagsgrundschule und die Beschneidung der Rolle der freien Träger kritisch reflektiert (vgl. Presseamt des Erzbistums Köln (Hg.) 2003).
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
desjugendamt Rheinland 2005: 6). Auf diese Herausforderungen haben die Kommunen und Kreise in struktureller Hinsicht unter anderem dadurch reagiert, dass – laut einer Abfrage des Landesjugendamtes Rheinland 2005 bei den Jugendämtern – bis auf drei Jugendämter alle Jugendämter im Rheinland Ansprechpartner für die Offene Ganztagsschule im Primarbereich benannt haben (Landschaftsverband Rheinland 2005: 24). Die positive flächendeckende Entwicklung einer verbesserten Kooperation von Jugendhilfe und Schule in Nordrhein-Westfalen war allerdings bislang vor allem auf den Primarbereich bezogen. Darüber hinaus ist – mit Ausnahme der Aktivitäten zur Steigerung der Ganztagshauptschulen – auf das Modell der Schul- bzw. Jugendsozialarbeit zu verweisen, in dessen Rahmen Kooperationen von Schule, Jugendpflege, Jugendarbeit und Allgemeinem Sozialen Dienst stattfinden. Besonders intensiv ist diese enge Form der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule in Bayern ausgestaltet318. Verortet insbesondere an „Brennpunktschulen“ mit dem Ziel, „soziale Benachteiligungen auch leistungsschwächerer junger Menschen ausgleichen“ (Bayerischer Landtag 2003: 58), zeichnet sich die Jugendsozialarbeit in Bayern durch ein ausgefeiltes Profil aus, das in einer Richtlinie fixiert ist und die Aufgabenbereiche von Jugendhilfe und Schule klar abgrenzt sowie Schnittmengen festlegt, die den gemeinsamen Auftrag klären319. Neben dem klaren konzeptionellen Fundament, das auch Qualitätsvorgaben zur Erstellung von Kooperationsvereinbarungen zwischen Jugendhilfe und Schule vorsieht, ist in Bayern bemerkenswert, dass im Bereich der Jugendsozialarbeit an Schulen seit 2003 ein kontinuierlicher Ausbau der Stellen erfolgt. Auf der Grundlage des Ministerratsbeschlusses vom 19.03.2002 sollten innerhalb von zehn Jahren (2003 bis 2012) bis zu 350 sozialpädagogische Fachkräfte an bis zu 500 Schulen gefördert werden. Dieser Ausbau wurde bereits erreicht. Auch wurde eine umfangreiche Fortbildungskonzeption entwickelt, um „das Profil der Jugendsozialarbeit an Schulen zu schärfen, die Aufgaben, Kompetenzen und Rollenerwartungen zu klären, den Erfahrungsaustausch zu fördern und tragfähige Kooperationsformen zu entwickeln“ (http://www.stmas.bayern.de/familie/jugend hilfe/jas.htm). Trotz dieses ausgefeilten Konzepts zeigen sich in Bayern auf kommunaler Ebene ähnliche strukturelle Grundprobleme in der Kooperation von Jugendhilfe und Schule wie in den beiden anderen Bundesländern:
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Allen Aktivitäten und Konzepten zum Trotz sind die Kooperationsbemühungen zwischen den beiden Bereichen in allen drei Bundesländern nach wie vor sehr/zu stark von der personellen Situation vor Ort und dem Engagement der handelnden Personen geprägt. Vor allem die Person der Schulleitung spielt hier eine entscheidende Rolle. Verschiedene Kommunen reagieren auf die starke personelle Trennung zwischen Jugendhilfe und Schule mit dem Ausbau einer stärkeren personellen Verflechtung und einem intensiveren interdisziplinären Arbeiten. Ein strukturelles Grundproblem stellt vor allem die föderale Aufgabenteilung dar, wonach bei der Kooperation von Jugendhilfe und Schule verschiedene Partner und föderale Ebenen am Tisch sitzen und die Kommune in ihrem Gestaltungsspielraum stark dadurch eingeschränkt ist, dass sie den in den Schulen tätigen Fachkräften gegenüber keine Weisungsbefugnis hat. So steuern de facto Schulleitungen als Landesbedienstete
S. dazu auch Lerch-Wolfrum 2004: 628ff. S. zu Merkmalen einer konstruktiven Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule auch Bayer. Staatsministerium (Hg.) 1996.
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3.4 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Primar- und Sekundarbereich
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wesentlich kommunale Entwicklungsprozesse, ohne dass die Kommunen hierauf Einfluss hätten. Bedauert wird zudem, dass der kommunale Kontakt zu Schulsozialarbeitern häufig dadurch erschwert sei, dass diese beim Land angestellt seien. Aus den brandenburgischen Kommunen wird zudem darauf hingewiesen, dass mangelnde Abstimmungsprozesse zwischen dem Land und den Kommunen auf der einen sowie nicht abgestimmte Richtlinien der Ministerien für Jugendhilfe und aus dem Schulbereich auf der anderen Seite zu vielen Schwierigkeiten führten. Kommunal ins Leben gerufene Kooperationsprojekte zwischen Jugendhilfe und Schule würden durch Schulschließungserfordernisse und andere vom Land ohne Rücksprache mit der Kommune gesetzte Rahmenbedingungen häufig erschwert, bei der Änderung äußerer Rahmenbedingungen sogar in ihrem Fortbestand gefährdet. Daneben führten die sich teilweise widersprechenden rechtlichen Regelungen im Schul- und Jugendhilfebereich zu kuriosen Regelungen, die eine völlig neue Abstimmung und Neuschreibung der betreffenden Rechtstexte erfordern würden. Beispielsweise würde die Doppelnutzung von Räumen in Schulgebäuden durch Jugendhilfe und Schule derzeit durch die verschiedenen betrieblichen Rahmenbedingungen in den betreffenden Richtlinien, z.B. hinsichtlich der Ausgestaltung der Toilettenräume, der Sicherung durch Fluchtwege, stark beeinträchtigt. Neben diesen strukturellen Problemen wurde in den Interviews häufiger auf zwei grundlegende Probleme hingewiesen, die die Kooperation nach Ansicht der Gesprächspartner/innen erschweren: o Die als kontraproduktiv empfundenen Berührungsängste des Jugendhilfe- , insbesondere frühkindlichen Bildungsbereichs gegenüber dem als übermächtig angesehenen Schulbereich, verstärkt durch die gesellschaftliche Höherwertigkeit schulischer gegenüber frühkindlicher Bildung sowie o die Schwierigkeit, durch Probleme in der Indikatorenfestlegung bei der Kooperation den Erfolg von Steuerungsbemühungen zu messen, was die politische Durchsetzbarkeit der Bemühungen beeinträchtigt.
Trotz oder eventuell auch wegen dieser strukturellen Probleme wird die Kooperation von Jugendhilfe und Schule als wichtiges Thema in allen befragten Kommunen eingeschätzt, da den Verantwortlichen bewusst ist, dass es Familien und damit der Region besser geht, „wenn das in Kita und Schule gut läuft“ (Text_I 185), wie es ein Befragter ausdrückte. Alle befragten Kommunen haben daher eine Vielzahl von unterschiedlichen Aktivitäten zur Intensivierung der Kooperation gestartet, die ein großes Innovationspotenzial aufweisen. So hat beispielsweise eine Kommune eine zentrale Ansprechstelle für Schulen errichtet, an die sich Schulleitungen bei Fragen wenden können, um derart das „Dickicht der Jugendhilfe“ besser durchschaubar zu machen. Eine andere hat innerhalb des Jugendamtes direkte Ansprechpersonen für die Schulen festgelegt und allen Schulen das Angebot unterbreitet, zur Verbesserung der Zusammenarbeit die Jugendhilfe in den Schulen vorzustellen. Ein Landkreis in Brandenburg wiederum unterstützt von Seiten des Jugendamtes Schulleitungen bei der Entwicklung von Ganztagsschulkonzepten. Ebenso hat der Landkreis damit begonnen, die für ihn erkennbaren Mängel der derzeitigen Struktur der Schulsozialarbeit durch eine Neukonzeption der Schulsozialarbeit im Sinne eines frühzeitigeren Wahrnehmens von Problemen und einer Verstärkung der Geh-Struktur der Arbeit aufzu-
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fangen. So sollte die Schulsozialarbeit, die im Kreis in der Vergangenheit – wie andernorts auch – an weiterführenden Schulen eingesetzt war, aus Gründen der besseren Wirksamkeit in den Grundschulbereich hinein verschoben werden (eine Ausweitung im Sinne einer zusätzlichen Stellenbeschaffung ist aus finanziellen Gründen nicht möglich). Neben ihrer Tätigkeit in Jugendclubs sollten die Schulsozialarbeiter im Kreis mit einem bestimmten Stundensatz in Grundschulen tätig sein und sich um die dort auftretenden Probleme kümmern. So erhofft man sich, Probleme frühzeitiger anzugehen und die Nachhaltigkeit der Arbeit zu verstärken. „In Finnland haben sie solche ‚Ausschüsse für Schulfürsorge‘, wie die da heißen. Die Aufgabe dieses Ausschusses ist es, zu schauen, ob es Kinder in der Schule gibt, die aus Familien stammen mit schwierigen Situationen und die aufgrund dieser schwierigen Situationen auch selbst in einer schwierigen Lage sind und was man tun kann, damit es diesen Kindern besser geht (...) Und die sagen sich: ‚Wenn man diese Tradition der schlechten Lebensperspektiven durchbrechen will, dann müssen wir wenigstens mit den Kindern ganz intensiv arbeiten’. Und ich denke mir, wenn jede Grundschule eine sozialarbeiterische Kompetenz regelmäßig im Haus hat und genau solche Perspektiven einnehmen würde, dann können wir das auch tun. Wir haben eigentlich die Ressourcen. Wir müssen nur anfangen. Da sind wir aber noch in der Planung. Das ist noch nicht fertig“ (Text_I 199-200).
Daneben haben verschiedene Kommunen – auch aufgrund teilweise negativer Erfahrungen der Vergangenheit – mittlerweile gemeinsame Arbeitsgruppe zur Kooperation von Schule und Jugendhilfe ins Leben gerufen mit unterschiedlichen Zielstellungen:
Die Akteure sollen sich kennenlernen und es soll ein Bewusstsein für die Probleme des anderen entstehen, um so die Hemmschwelle für Kooperationen zu senken. Die Schul- bzw. Jugendsozialarbeit soll zwischen den verschiedenen föderalen Ebenen koordiniert und so in ihrer Qualität gesichert werden; beispielsweise wurde in einer Stadt eine gemeinsame Vereinbarung zwischen allen Beteiligten entwickelt, die die Qualität der Schulsozialarbeit sichern soll (Text_L 281). Gemeinsame Aktivitäten werden geplant, zum Beispiel ein Handbuch zur Intensivierung der Zusammenarbeit oder ein Fortbildungskonzept für Fachkräfte zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule, aber auch gemeinsame Workshops und Rundschreiben an sämtliche in beiden Bereichen tätige Fachkräfte auf kommunaler Ebene, um die Aktivitäten übergreifend bekannt zu machen. Die Kooperationsbemühungen werden flächendeckend intensiviert, unter anderem durch Bedarfsabfragen und niederschwellige Informationsangebote des Jugendamtes. Es findet eine gemeinsame Schulentwicklungs- und Hortplanung statt.
Über diese Aktivitäten hinaus wird eine Verbesserung der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule von kommunaler Seite vor allem erhofft durch
eine Erweiterung der Steuerungsmöglichkeit der Kommune sowie die Abstimmung von Verwaltungsrichtlinien und Gesetzen des Jugend- und Schulministeriums.
3.4 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Primar- und Sekundarbereich
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Eine Erweiterung der kommunalen Steuerungsmöglichkeiten, beispielsweise durch eine Kommunalisierung des Grundschulwesens, stellt nach Auffassung eines Interviewten eine Möglichkeit dar, sozialräumliche Besonderheiten konzeptionell stärker gewichten zu können: „In Stadtteilen, wo ich 90 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund habe und über 20 Prozent Sozialhilfedichte, brauche ich ein anderes Konzept, brauche ich eine andere Ausstattung, als in einer Gegend, wo ich nach der vierten Klasse 90 Prozent Übertrittsquote an weiterführende Schulen habe. Also insofern, im Sinne einer sozialräumlichen positiven Diskriminierung, bräuchten wir andere Strukturen. Das kriegt man nicht zentralistisch landesweit organisiert, sondern da braucht es Rahmenvorgaben und im Prinzip müsste zumindest das Grundschulwesen stärker kommunalisiert werden“ (Text_H 36).
Konzeptionell wird eine flächendeckende Intensivierung der Kooperation von Jugendhilfe und Schule durch zwei Wege für realisierbar gehalten, wobei der Schule bei beiden Wegen die Federführung zukommt: erstens durch die Etablierung von einheitlichen Ganztagsschulen und die Integration der Strukturen der Jugendhilfe, wie es Nordrhein-Westfalen mit der Offenen Ganztagsgrundschule vormacht, bzw. zweitens den entgegengesetzten Weg einer konsequenten Trennung von Jugendhilfe und Schule, zwingend ergänzt durch die Umsetzung einer konsequenten sozialräumlichen Bildungsplanung durch die Kooperation von Jugendhilfe- und Schulleitung vor Ort. Dieser zweite Weg wird allerdings in seiner Umsetzung für wenig realisistisch gehalten. „Das ist aber Vision, die ist wenig umsetzbar. Aber das wäre eigentlich sinnvoll. Das wäre die letzte Konsequenz einer solchen sozialräumlichen Bildungsplanung.(…) Das wäre auch eine Struktur, die vertretbar wäre und die dann auch machbar wäre. Aber da geht´s ja dann darum, wer das Sagen hat. Und das kann nur die Schule haben. Insofern ist das eine Sache, die vielleicht funktionieren kann, wenn vor Ort die Leute gut miteinander können, aber die man nicht als verbindliche Struktur umsetzen kann“ (Text_H 93).
Als konzeptionell realisierbarer Weg bliebe daher, nach Einschätzung aus den Interviews, hinsichtlich einer stärkeren Kooperation von Jugendhilfe und Schule nur der von Nordrhein-Westfalen mit der offenen Ganztagsgrundschule eingeschlagene Weg der Integration der Jugendhilfe in das Schulsystem übrig. Um eine solche intensivierte Kooperation von Jugendhilfe und Schule flächendeckend, über einen Schultyp und eine Region hinaus, umzusetzen, scheint der Verbindlichkeitscharakter der Kooperationsvorgaben, insbesondere auf schulrechtlichem Gebiet, weiter ausgebaut werden und strukturelle Kooperationsdefizite, wie fehlende Ansprechpersonen sowie fehlende institutionalisierte Kommunikationsmöglichkeiten und -strukturen verringert werden zu müssen (Füssel/Münder 2005: 291, Olk 2004: 84f). Wie die Analysen der Ausführungsgesetze zum SGB VIII und der Schulgesetze in den Ländern gezeigt haben, erzielen viele der „gegenwärtigen Bestimmungen zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule kaum eine Orientierungs- und Präzisierungswirkung“ (Hartnuß/Maykus 2004a: 586f). Zwar können „Kooperationsbekanntmachungen, -empfehlungen und -erlasse der Ministerien mit Appell-Charakter unter Umständen förderlich für die Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule (..) [sein], jedoch keinesfalls die Rahmenbedingungen sowie eine tatsächliche Kooperation zwischen beiden Institutionen ‚vorschreiben‘ und gewährleisten (...) Dieser Befund gilt offensichtlich selbst dann, wenn die Kooperationen von den Ministerien emp-
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fohlen bzw. vorgeschrieben (und nicht mit einer finanziellen Förderung verknüpft)“ werden (Olk 2005: 63). Aus dem Grund scheint die regulative Steuerung in diesem Feld zwingend um finanzielle Instrumente ergänzt werden zu müssen. 3.4.1.3 Steuerung der Übergänge zwischen den Bildungsorten Insbesondere bei Übergangsprozessen zwischen den verschiedenen Bildungsorten und Lebenswelten werden die Probleme der versäulten Systeme der Humanvermögensbildung deutlich, wobei insbesondere die unterschiedliche rechtliche Verankerung der einzelnen Erziehungs- und Bildungsfelder und die abgestufte staatliche bzw. kommunale Verantwortung Bildungs- und Erziehungspartnerschaften erschweren (Wissenschaftlicher Beirat 2005: 31f). Auch in den Interviews wurde von Seiten kommunal Verantwortlicher immer wieder auf eine starke Unzufriedenheit der Fachkräfte und großen Handlungsbedarf hinsichtlich einer verbesserten Gestaltung des Übergangs von Kindertageseinrichtungen in die Schulen hingewiesen. Angesichts des offensichtlich großen Handlungsbedarfs verwundert es nicht, dass die Gestaltung der Übergänge zwischen verschiedenen Bildungsorten bzw. -akteuren von den Ländern mittlerweile aktiv betrieben wird. Der Übergang zwischen den beiden öffentlichen Bildungsorten Kindertageseinrichtung und Grundschule steht hierbei im Zentrum der politischen Aktivitäten320. „Mit Blick auf das einzelne Kind steht dabei im Vordergrund, diesen Übergang so erfolgreich zu gestalten, dass er als Chance für künftige Transitionen wirken kann (…) In Bezug auf die beteiligten Institutionen wird eine gemeinsame Gestaltung des Übergangs durch Kindergarten und Grundschule angestrebt, um die unterschiedlichen Bildungskonzepte und -aufträge aufeinander abzustimmen. Und schließlich soll das bildungspolitische Ziel unterstützt werden, die Zahl der Rückstellungen von der Schulpflicht zu minimieren“ (DJI 2004: 59) und, wie hinzuzufügen ist, das Einschulungsalter zu senken. Die Entwicklung tragfähiger Konzepte für einen systematisch begleiteten Übergang vom Kindergarten in die Grundschule ist Schwerpunkt verschiedener Modellprojekte in unterschiedlichen Regionen Deutschlands (s. beispielhaft das BLK-Projekt TransKiGs in Kap. 3.3.3.7). Bayern und Nordrhein-Westfalen haben die Gestaltung des Übergangs zwischen Kindertageseinrichtungen und Grundschulen in ihren Bildungsplänen als Aufgabe der Kindertageseinrichtungen festgeschrieben und mit den neuen Bildungsgesetzen gesetzlich verankert, z.B. die Aufgabe der Kooperation der Fachkräfte von Kindertageseinrichtungen und der Lehrkörper der Grundschulen in Form von gemeinsamen Konferenzen, Informationsveranstaltungen für Eltern, gegenseitigen Hospitationen und gemeinsamen Weiterbildungen sowie die Aufgabe der regelmäßigen Evaluation der Arbeit. Im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen verzichtet Bayern hier auf die Verpflichtung der Fachkräfte zur Dokumentation des Bildungs- und Entwicklungsprozesses der Kinder. In allen drei untersuchten Ländern wurden Sprachstandsfeststellungsdiagnosen in den Kindertageseinrichtun320 Zwar wird, wie in Kap. 4.3.3.7 beschrieben, auch die Zusammenarbeit der Kindertageseinrichtungen mit Familien ausgebaut; allerdings ist hierbei selten der Übergang von der Familie in die Einrichtung im Fokus. Auch der Übergang von bzw. zur Kindertagespflege oder die wichtige Schnittstelle des Übergangs von der Grundschule in den Sekundarbereich I (s. Lauterbach/Lange/Becker 2003: 160) sind bisher noch keine Gebiete, auf denen große politische oder rechtliche Initiativen erkennbar wären.
3.4 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Primar- und Sekundarbereich
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gen eingeführt, die die Zusammenarbeit der Einrichtungen mit Grundschulen voraussetzen (s. auch Kap. 3.5.5). Daneben steht insbesondere der veränderte Einstieg in die Grundschulzeit in den verschiedenen Bundesländern im Mittelpunkt der Handlungsbemühungen. Um den Ländern die Senkung des Einschulungsalters zu ermöglichen, wurde das von 1964 bis 1997 geltende Hamburger Abkommen der Bundesländer, nach dem ein Kind, das bis zum 30. Juni des laufenden Jahres sechs Jahre alt wird, mit Beginn des Schuljahres (1. August) schulpflichtig wird, in seiner Verbindlichkeit aufgehoben. Durch eine Empfehlung der Kultusministerkonferenz von 1997 wurde es den Ländern freigestellt, den bundeseinheitlich festgelegten Schulpflichtstichtag (30.6.) bis zum 30.9. zu verschieben. Zugleich konnten die Bundesländer weitere Einschulungstermine im Jahr eröffnen und auch die vorzeitige Einschulung selbst regeln. Die Kultusministerkonferenz hatte darüber hinaus bei ihrer Plenarsitzung am 23./24.10.1997 folgende Reformbausteine empfohlen: (1) Aufnahme aller Kinder (also nach dem Lebensalter); (2) keine Schulfähigkeitstests; (3) keine Zurückstellungen; (4) Erarbeitung der Schulfähigkeit im ersten Schuljahr; (5) altersgemischte Lerngruppen mit unterschiedlicher Verweildauer in der Eingangsstufe; (6) Einsatz von Förderpädagogen; (7) erweiterte Kooperation mit dem Kindergarten; (8) Kooperationen von Grundschulförderklassen und ersten Schuljahren; (9) halbjährliche Einschulung. Alle drei Bundesländer haben damit begonnen, das Einschulungsalter vorzuziehen mit dem Ziel, Kinder insgesamt früher, nämlich spätestens bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres einzuschulen. Nordrhein-Westfalen und Brandenburg haben darüber hinaus angefangen, die ersten beiden Schuljahre als flexible Schuleingangsphase zu gestalten, in der die Schülerinnen und Schüler in der Regel bzw. optional jahrgangsübergreifend in Gruppen unterrichtet werden sollen. Auch Bayern hat kürzlich eine Erprobungsphase an einigen Schulen gestartet. So soll eine zielgruppenspezifische und individuelle Förderung entsprechend den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und Lernfähigkeiten der Schüler/innen ermöglicht werden. „Zielsetzung der Schuleingangsphase ist es, alle schulpflichtigen Kinder eines Jahrgangs in die Grundschule aufzunehmen und sie dem Grad ihrer Schulfähigkeit entsprechend zu fördern. Schulfähigkeit wird als Entwicklungsaufgabe auch der Grundschule verstanden“ (MSJK 2004: 3). Wie Analysen hinsichtlich der Gelingensbedingungen dieses jahrgangsübergreifenden Modells zeigen, zwingt eine erfolgreiche Umsetzung „zu einer Veränderung der herkömmlichen Unterrichtsgestaltung (..), was auf die unter anderem durch die Jahrgangsmischung erhöhte Heterogenität der Lerngruppen zurückgeführt wird“ (Carle 2008: 88)321. Inwiefern sich diese Methode auf die Qualität von Schule und der schulischen Unterrichtgestaltung generell auswirken wird, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall ist mit der flexiblen Schuleingangsphase ein Schritt zur Flexibilisierung und Individualisierung schulischen Lernens getan, der folgenreich sein dürfte. 3.4.1.4 Steuerung der Kooperation von Schulen mit Familien und familienunterstützenden Diensten Während für Kindertageseinrichtungen mit Bezug auf eine stärkere familienorientierte Ausgestaltung derzeit viele Änderungen anstehen, sieht dies für den Schulbereich anders aus. Obwohl die Jugendministerkonferenz bereits 2004 in ihrem Beschluss gefordert hatte, 321
S. zur flexiblen Schuleingangsphase in den Bundesländern auch Carle 2008: 74ff, 159ff.
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die Konzepte für den anstehenden Ausbau von Ganztagsschulen und die ganztägigen schulischen Betreuungsangebote sollten „intensivere Formen der Zusammenarbeit mit Eltern aufnehmen, die ganz wesentlich auch Aspekte der Eltern- und Familienbildung einschließen“, und obwohl sie die Kultusministerkonferenz sowie die gemeinsame Arbeitsgruppe von der Arbeitsgemeinschaft der obersten Landesjugendbehörde (AGOLJB) und dem Schulausschuss zum Thema „Jugendhilfe und Schule“ gebeten hatte, „sich auch mit den Möglichkeiten für eine Verbesserung der Familienbildungsangebote und der Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe auf diesem Gebiet zu befassen“ (JMK 2003), ist diesbezüglich bis heute wenig geschehen. Wenn man von den Bemühungen zum Ausbau der Ganztagsangeboten, den in den Ländern geltenden Elternmitwirkungsrechten bzw. der im Rahmen der Schul- und Jugendsozialarbeit festgeschriebenen Elternarbeit einmal absieht, sind Ansätze zu einer Stärkung der elterlichen Erziehungskompetenz an Schulen bislang eher die Ausnahme. Nordrhein-Westfalen hat in diesem Bereich noch die meisten Aktivitäten entfaltet. Hier bildet die Offene Ganztagsgrundschule „einen möglichen Weg in Richtung einer familienorientierteren Gestaltung von Schule“ und „zugleich einen bildungspolitischen Reformansatz, innerhalb dessen das Handlungsfeld ‚Eltern – Schule‘ konzeptionell an Stellenwert gewonnen hat“ (Beher u.a. 2005: 182). Dies bezieht sich nicht nur auf den – in Brandenburg ja längst erreichten – Abbau des Betreuungsdefizits für Kinder im Schulalter und deren verbesserte Förderung322, sondern auch auf die stärkere Ermöglichung von Beteiligung der Eltern (ebd.: 188). Zudem hat das Land mit dem 2004/05 aufgelegten Projekt „Weiterbildung geht zur Schule“ eine neue Kooperation zwischen Weiterbildungsträgern und Schulen angestoßen. An 13 Standorten im Land wurden Unterstützungsangebote für Schüler/innen, Lehrer/innen und Eltern aller Schulformen ab Klasse 7 bereitgehalten. Im Anschluss daran hat das Land eine Neukonzeption der Landesförderung der Weiterbildung für die Jahre 2006 bis 2010 entwickelt, mit der die Einrichtungen dabei unterstützt werden, „zusätzliche neue Vorhaben der lebens- und erwerbsweltorientierten Weiterbildung zu entwickeln und durchzuführen“, wie es in dem betreffenden Fördermerkblatt heißt (http://www.schulministerium.nrw.de/BP/Weiterbildung/AllgemeineWeiterbildung/Foerder merkblatt/Foerdermerkblatt.html). Dazu wurden zwischen 2007 und 2010 jährlich sechs Millionen Euro aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus ist in Kommunen nur punktuell eine Kooperation der Schulen mit Familienbildungsstätten und Beratungsstellen etc. gegeben. Besonderes Engagement hat hier eine befragte Kommune an den Tag gelegt, mit der Erarbeitung von „Bausteinen für eine familienfreundliche Schule“. Die 2003 entwickelten „Bausteine“ wurden zudem ergänzt durch ein Modellprojekt („Neue Wege zur Erziehungspartnerschaft. Die familienfreundliche Schule“), welches aufgrund seines großen Erfolges in der Stadt auch nach dem eigentlichen Ende 2006 weiterläuft. Über dieses Engagement im Bereich einer intensiveren Elternarbeit der Schulen sind allerdings in allen Ländern Tendenzen der Aufgabenzuweisung an Schulen erkennbar, die fürsorgerische Funktion erfüllen (Füssel/Münder 2005: 247). So sind die Schulen in den Ländern mittlerweile verpflichtet, das Jugendamt und ggf. die Polizei zu informieren, wenn Hinweise auf Vernachlässigung und Misshandlung von Schüler/innen vorliegen. Zur Erfüllung ihres schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrages ist den Schulen zudem in allen 322
Wie die wissenschaftliche Begleitforschung gezeigt hat, wirkt sich die offene Ganztagsgrundschule insbesondere auf das Sozialverhalten der Kinder positiv aus (s. differenzierter dazu Beher u.a. 2005: 155f).
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drei Ländern die Öffnung gegenüber ihrem Umfeld vorgegeben (Art 2, Abs. 4 BayEUG, § 9 BbgSchulG, § 5 SchulG). Über alle länderspezifischen Unterschiede hinaus zeigt sich damit in allen drei Ländern die gleiche Tendenz: eine Ausweitung der Kooperation von Schulen mit anderen Bildungsorten sowie familienunterstützenden Diensten und eine Verstärkung ihres Betreuungs- und Erziehungsauftrages. 3.4.2 Sicherung der Bildungsqualität 3.4.2.1 Programme und Vereinbarungen zur Qualitätssicherung im Schulbereich Nicht nur im Bereich der frühkindlichen Bildung, sondern auch für den Bildungsort Schule ist die Frage der Sicherung der Bildungsqualität in den vergangenen Jahren intensiv diskutiert worden. Dazu beigetragen hat sicher eine stärkere Fokussierung auf den Output des Bildungssystems. Nicht mehr nur die Frage, welche Kapazitäten in das Schulsystem hineingegeben werden (Input) ist von Interesse, vielmehr wird vermehrt die Frage gestellt, was das Schulsystem leistet. Die verstärkten Klagen der Wirtschaft über zunehmend ungebildete Schulabgänger/innen, gestützt durch die schlechten Ergebnisse deutscher Schüler/innen bei den internationalen Schulvergleichsstudien, spiegeln sich hier ebenso wie ein im Zuge des Ausbaus der Ganztagsangebote deutlich werdendes neues Verhältnis zwischen der älteren und der jüngeren Generation mit einem neuen Verhältnis von gesellschaftlichen Leistungen in Form intensiverer Bildungsangebote, aber auch intensiverer Erwartungen an Kinder und Jugendlichen und deren Leistungsbereitschaft (vgl. BMFSFJ (Hg.) 2005: 490). Im Vergleich zum Bereich der frühkindlichen Bildung ist allerdings auffällig, dass die Aktivitäten der Bundesländer zur Qualitätssicherung im Schulwesen lediglich einen formalen Bildungsbegriff zugrunde legen. Die Bildungsbeiträge des außerschulischen Bereichs scheinen im Diskurs über Bildungsqualität systematisch ausgeblendet zu werden. So hat die Kultusministerkonferenz verbindliche Bildungsstandards formuliert, damit die Frage „Was sollen Schüler können?“ künftig in allen Bundesländern gleich beantwortet wird. Diese Anstrengungen zur konsequente(n) Weiterentwicklung und Sicherung der Qualität von Unterricht und Schule (KMK 2001) beziehen sich aber bisher zum einen nur auf den Fachinhalt, zum anderen auch nur auf ganz wenige Fächer, vor allem die „PISA-Fächer“ Deutsch, Mathematik und Englisch – „so, als ob man aus PISA, TIMSS usw. nicht ebenso für andere Fächer, deren Entwicklungsbedarf kaum geringer sein dürfte, lernen könnte“ (Hovestadt/Kessler 2004: 43). Zudem hat die KMK die Entwicklung von Formen der ergebnisorientierten Evaluation, also der Leistungsfeststellung, anders als die Bildungsstandards bisher weniger vorangetrieben und weitgehend den Bundesländern überlassen, so dass Hovestadt/Kessler in ihrer Recherche im Auftrag des GEW-Hauptvorstandes zu dem Schluss kamen: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt des nicht abgeschlossenen Prozesses verwenden die Bundesländer erheblich mehr Aktivität auf die Standardisierung und Messung von Bildungsleistungen als auf die systematische und gezielte Entwicklung der Schul- und Unterrichtsqualität“ (ebd.: 44). Auch für die drei untersuchten Bundesländer trifft dies zu. Auffällig ist die andere Schwerpunktsetzung als im frühkindlichen Bildungsbereich. So stehen die Aktivitäten in allen drei Ländern, insbesondere im Sekundarbereich, im Zeichen der verstärkten Leistungsorientierung. Dies zeigt sich unter anderem in der Einführung zusätzlicher Bewer-
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tungssysteme, die den „Entwicklungs- und Leistungsstand der Kinder präziser wiedergeben“ (SPD/CDU Brandenburg 2004: 40), wie der Bewertung des Arbeits- und Sozialverhaltens, die die Länder nun mit der Einführung von so genannten „Kopfnoten“ vorgeschrieben haben. Daneben soll die Unterrichtsqualität in den Bundesländern durch die Ausweitung landesweiter Vergleichstests gesteigert werden. Auch werden die Schulen durch regelmäßige externe Evaluationen in ihrer Arbeit überprüft. In Nordrhein-Westfalen war zudem angekündigt, die Ergebnisse zu veröffentlichen, um so ein Ranking aller Schulen entstehen zu lassen (CDU/FDP 2005: 35), ohne dass dies allerdings umgesetzt worden wäre. Brandenburg hat darüber hinaus mit der Änderung der Grundschulverordnung 2005 individuelle Lernstandsanalysen als Aufgabe der Grundschulen verankert. Mit der Verdichtung von schulischer Ausbildung in Gymnasien, die in nur acht Jahren zum Abitur führen (so genannte „G 8“), mit einer stärkeren Vereinheitlichung und Standardisierung zwischen den Ländern und Zentralabitur sowie mit einer Stärkung der Hauptfächer sind in sämtlichen Ländern Reformen eingeführt worden, mit denen evtl. Verbesserungen an der Leistungsspitze erzielt werden, „aber ganz sicher nicht mit Blick auf die Schwächen und Unzulänglichkeiten der so genannten ‚PISA-Risikogruppen‘. Hierzu bedarf es anderer Strategien, die z.B. gezielt auch auf die unterrichtsabgewandten Facetten von Bildung zielen“ (Rauschenbach 2008: 5). Mit Blick auf die eingesetzten Instrumente zur Stärkung schwächerer Schüler/innen sind allerdings große Unterschiede zwischen den Ländern zu erkennen. Die beiden westdeutschen Bundesländer orientieren sich hier an der bisherigen Gliederung des Schulsystems. In beiden Ländern wird versucht, die Hauptschule mit einem intensivierten Ressourceneinsatz in ihrer Qualität zu stärken und zu einem Ganztagsangebot auszubauen. Das ostdeutsche Bundesland Brandenburg reagiert auf die Herausforderungen dagegen mit einem Umbau des Schulsystems und der Zusammenführung der Schulformen Gesamtschule und Realschule. Wie bereits andere Bundesländer (Sachsen, Thüringen etc.) wird auch in Brandenburg die Zweigliedrigkeit im weiterführenden Schulsystem verankert, um so die Arbeitsmarktchancen für schwächere Schüler/innen zu erhöhen. Zudem sind die Schulträger in Brandenburg, im Gegensatz zu den westlichen Bundesländern, gesetzlich verpflichtet, Schülerinnen an allgemeinbildenden Schulen bis zur Jahrgangsstufe 10 und an Ganztagsschulen eine warme Mittagsmahlzeit zu ermöglichen (BbgSchG § 113), was auch für eine stärker fürsorgerische Konturierung der Schulpolitik spricht. Um beispielhaft die Schwierigkeiten aufzuzeigen, vor denen die Länder bei einer systemübergreifenden Weiterentwicklung der Bildungsqualität stehen, sollen im Folgenden zwei zukunftsweisende Konzepte näher beleuchtet werden: die Ausgestaltung der offenen Ganztagsgrundschule (OGS) in Nordrhein-Westfalen und der Jugendsozialarbeit in Bayern. Mit dem Modell der offenen Ganztagsgrundschule intendiert das Land, Schule zum „Haus des Lernens“ (Westerhoff 2005: 28) umzubauen. In seinem Runderlass zur offenen Ganztagsschule selbst hat das Land nur wenig konkrete Umsetzungsformen festgelegt. „Vorgegeben ist, dass die außerunterrichtlichen Angebote in Zusammenarbeit von Schule, Kinder- und Jugendhilfe und weiteren außerschulischen Trägern entwickelt und angeboten werden. Dieser Zusammenarbeit liegen ein gemeinsames Konzept und eine verbindliche Kooperationsvereinbarung zugrunde“ (Beher u.a. 2005: 11). Angesichts der unterschiedlichen Rechtslage des Jugendhilfe- wie des Schulbereichs hat die Offene Ganztagsschule eine doppelte Rechtsstruktur erhalten: Sie ist nicht nur Schulveranstaltung nach § 9 Abs. 3
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SchulG, sondern auch Veranstaltung der Jugendhilfe nach § 24 SGB VIII in Verbindung mit § 5 KiBiz (bzw. ursprünglich § 10 Abs. 5 GTK) und dient damit der Erfüllung einer Pflichtaufgabe der öffentlichen Jugendhilfeträger, nämlich der bedarfsgerechten Betreuung von Schulkindern. „Obwohl die Einrichtung und Führung einer Ganztagsschule keine Pflichtaufgabe der Kommunen ist, können auf dieser Grundlage alle Ausgaben für den Ganztag und somit auch die Ausgaben der Gemeinde für die Mittagsverpflegung nicht den freiwilligen Leistungen, sondern den pflichtigen Leistungen zugerechnet werden“ (Landtag NRW 2007: 3). Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung und -sicherung sollen sich im Rahmen der OGS vor allem auf folgende inhaltliche Schwerpunkte konzentrieren:
„Verknüpfung von Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten, Ausbildung eines gemeinsamen Berufsverständnisses des in der offenen Ganztagsgrundschule arbeitenden Personals, individuelle Fördermöglichkeiten und -ansätze und Verbindung der pädagogischen Konzepte der Schulen mit der Qualität der jeweiligen Bau- und Ausstattungsmaßnahmen“ (MSJK 2004: 16).
Damit sind zentrale Entwicklungsfelder benannt worden. Um hier eine qualitative Weiterentwicklung zu erreichen, hat das Land den Prozess der Qualitätsentwicklung und -sicherung in der offenen Ganztagsgrundschule durch eine Beratergruppe begleiten lassen, der unter Leitung des Ministeriums für Schule und Weiterbildung Vertreter/innen des Jugendministeriums, der Bezirksregierungen, der Landesjugendämter sowie des Instituts für soziale Arbeit e.V. und der Serviceagentur "Ganztägig Lernen in NRW" angehören. Die Qualitätsentwicklung in der offenen Ganztagsschule im Primarbereich wird zudem dadurch unterstützt, dass für die Teams im offenen Ganztag ein Arbeitsinstrument entwickelt wurde: QUIGS - Qualität in offenen Ganztagsschulen. Seit Frühjahr 2007 stehen den Schulen kostenlos eine Handreichung sowie eine CD-ROM mit Arbeitsmaterialien für die interne Qualitätssentwicklung zur Verfügung. Der Auf- und Ausbau des Projekts wurde in seiner Entwicklung wissenschaftlich begleitet von einem Konsortium verschiedener Forschungseinrichtungen. Damit hat sich erstmals eine Untersuchung „nach PISA in systematischer Weise mit der Entwicklung sowie dem Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen in einem Bundesland auseinandergesetzt“ (Beher u.a. 2005: 9). Insbesondere die Auswirkungen des additiven Konzepts der OGS wurden von der Begleitforschung als verbesserungswürdig angesehen. Bei dem Modell wird der vormittägliche Unterricht nämlich durch nachmittags stattfindende außerunterrichtliche Angebote ergänzt, die durch außerschulische Träger gestaltet und von unterschiedlichen Fach- wie auch Honorarkräften, Eltern und Ehrenamtlichen durchgeführt werden. Der Schulleitung obliegt die Aufgabe der „Sicherstellung eines regelmäßigen und fachgerechten Austauschs zwischen den Lehrkräften und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den außerunterrichtlichen Angeboten mit dem Ziel der Verknüpfung des Unterrichts mit den außerunterrichtlichen Angeboten in der Ganztagsschule“ (Schreiben des MSW v. 26.1.2006: 7). Damit bringt das Konzepte für die Schulleitungen als denjenigen, „die – auch bei Anbindung der Fachkräfte an Jugendhilfeträger – zumindest zu einem bedeutsamen Teil als ‚faktische Vorgesetzte‘ agieren“ (Merchel 2005: 189), ohne diesbezügliches Handwerkszeug mitbekommen zu haben, große Herausforderungen und einen entsprechenden Fortbildungsbedarf mit. Gleiches gilt für die Fachkräfte, die zentrale inhaltliche Kernbereiche gestalten müssen
312
3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
(vgl. Oelerich 2005: 70). Auch dies macht deutlich, wie wichtig es wäre, „dem außerunterrichtlichen Personal systematischer ein Mitwirkungs- und Mitentscheidungsrecht an Lehrer- und Schulkonferenzen einzuräumen, wenn die Rede von einer gemeinsamen Verantwortung in Sachen Ganztagsschule mehr als eine rhetorische Sonntagsrede sein soll“ 323 (Rauschenbach 2005: 16) . Problematisch seien überdies die nicht ausreichende partnerschaftliche Zusammenarbeit der Fachkräfte und fehlende Kommunikationsstrukturen (Olk 2004: 93ff). Zudem wird an dem Konzept kritisiert, dass die Angebote vor- und nachmittags relativ unverbunden „Nebeneinander“ stehen (Beher u.a. 2005: 48). Mit der Ausbaupraxis in einem ausschließlich additiven Modell und damit zwei Teilen, die miteinander nicht systematisch verbunden sind, werde „noch kein wirklich neues Bildungsverständnis sichtbar“ (Rauschenbach 2005: 18). Auch würden „Prozesse gemeinsamer Zielentwicklung bisher nur vereinzelt“ stattfinden (Beher u.a. 2005: 48). Das Konzept wird daher von der Forschung vor allem als „Einsteigermodell“ eingeschätzt: „ein Einsteigermodell erstens in ein flächendeckendes Ganztagsangebot für jüngere Schulkinder, von denen diese und ihre Familie profitieren; zweitens in eine gewissermaßen PISA-gerechte Veränderung der Schule mit a) Zeitrhythmisierung; b) verstärktem praktischen und lebensweltbezogenen Lernens; c) Verstärkung von kommunikativen Elementen, Eigenverantwortung und Selbsttätigkeit der Schülerinnen und Schüler; d) Erfahrungsbrücken zum Nahbereich, zu außerschulischen Lernorten. Drittens (…) als Einsteigermodell in eine partielle Überwindung der Trennung von Schule und Jugendhilfe, die in keinem Land Europas so ausgeprägt ist wie in Deutschland“ (Knauf in Landtag NRW 2003: 1). Eines der großen Probleme, mit dem Schulen mit offenen Ganztagskonzeptionen zu kämpfen haben, stellt die mangelnde Verbindlichkeit des Angebots dar, „zumal die Schulen nur sehr begrenzte Steuerungsmöglichkeiten haben, um dieses Instrument zielgruppenspezifisch einzusetzen, große Nachfrageschwankungen zu vermeiden und die hohen Fluktuationsraten zu reduzieren“ (Wahler u.a. 2005: 56). Das Freiwilligkeitsprinzip eines Ganztagsangebots, zumal in Verbindung mit finanziellen Beiträgen (beispielsweise für ein warmes Mittagessen), wirkt sich insbesondere auf Migrantenkinder und Kinder aus sozialschwachen Familien kontraproduktiv aus (Westerhoff 2005: 155). Weiterer qualitativer Entwicklungsbedarf der offenen Ganztagsgrundschule wird von Seiten der Eltern gesehen, vor allem bei der Qualität der Hausaufgabenbetreuung und der Lern- und Förderangebote (BMFSFJ (Hg.) 2005: 504). Ebenso wäre die strukturelle Einbindung der Eltern, deren Kinder den offenen Ganztag besuchen, noch zu intensivieren. Zwar ist ein grundsätzlich positives Votum der Schulkonferenz, an der die Eltern beteiligt sind, Voraussetzung für die Einrichtung eines Ganztagsangebots an Schulen. Eine weitergehender Einfluss der Eltern auf die inhaltliche Ausgestaltung des Angebots ist momentan allerdings nicht vorgesehen (s. Beher u.a. 2005: 150f). Bayern geht mit dem Ausbau der Jugendsozialarbeit und strengeren Vorschriften bezüglich der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule einen etwas anderen Weg als Nordrhein-Westfalen, um „die beiden ‚verfeindeten Sonnensysteme‘“, wie es ein Gesprächspartner ausdrückte (Text_G 110) einander anzunähern. Als Formen institutioneller Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule in Bayern werden benannt:
Mitgliedschaft des Schulbereichs im Jugendhilfeausschuss,
323 Zwar ist die Teilnahme der pädagogischen Kräfte an Lehrer- und Schulkonferenzen formal vorgesehen, die faktische Einflussnahme auf Entscheidungen ist damit allerdings noch nicht gegeben (Beher u.a. 2005: 177).
3.4 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Primar- und Sekundarbereich
313
Bestimmung von Ansprechpartnern in Jugendämtern und Schulen, regelmäßige gemeinsame Besprechungen zwischen Schule und Jugendhilfe, gegenseitige Beteiligung an Dienstbesprechungen und themenbezogenen Arbeitskreisen sowie gegenseitige Öffnung von Fortbildungsangeboten, Durchführung gemeinsamer Fortbildungsveranstaltungen und weiteres (Bayr. Staatsministerien 2000: 22ff).
Das Land hat diesbezüglich die Schulen verpflichtet, eng mit den Jugendämtern zusammenzuarbeiten (Art. 31 Abs. 1 BayEUG). Regelmäßige gemeinsame Besprechungen zwischen Jugendamt und Schulen sind vorgeschrieben, zu denen die Träger der freien Jugendhilfe (andere Stellen in geeigneten Fällen) hinzugezogen werden sollen, auch haben beide Einrichtungen Ansprechpartner für die Koordination der Zusammenarbeit zu bestimmen. Allerdings zeigt die Ausgestaltung in der Praxis auch hier Verbesserungsbedarf. Wie eine Untersuchung von Olk (2005) zur tatsächlichen Kooperation von Jugendhilfe und Schule in Bayern zeigt, waren in den meisten Jugendämtern zwar Ansprechpartner für die Schulen benannt und diesen, nach Einschätzung der Jugendämter, auch bekannt. „Allerdings fanden lediglich bei zwei Dritteln der Jugendämter eine entsprechende Zusammenarbeit mit den Schulen im Jugendamtsbezirk und nur bei etwa der Hälfte der Jugendämter regelmäßige Besprechungen zwischen den eigenen Ansprechpartnern und denen der Schulen statt“ (Olk 2005: 60f). Zudem sei die finanzpolitische Absicherung der Projekte häufig eher unbefriedigend (ebd.). Offensichtlich gilt auch hier, trotz der im Vergleich der Bundesländer guten rechtlichen Verankerung, dass die Kooperation zwischen örtlicher Jugendhilfe und den vor Ort befindlichen Schulen häufig vermittelt ist über Einzelfälle und „immer dann relevant [wird], wenn entweder die Handlungsanlässe und Problemlagen, mit denen sich örtliche Institutionen und Akteure der Jugendhilfe befassen, einen Bezug zur Schule aufweisen, oder wenn eine konkrete Schule vor Ort in Bezug auf die Schülerinnen und Schüler – etwa angesichts von Verhaltensauffälligkeiten, Gesetzes- und Normverstößen und Störungen des Unterrichts- und Schulbetriebs – den Kontakt zu Institutionen der Jugendhilfe aufnehmen“ (Olk 2005: 25). Das heißt, die Zusammenarbeit reduziert sich häufig „aus der Perspektive der Jugendhilfekräfte auf den Austausch von Informationen über einzelne Schülerinnen und Schüler sowie aus der Perspektive der Schule auf eine rasche externe Problembeseitigung“ (Olk 2005: 26). Es verwundert daher nicht, wenn neben rechtlichen Kodifizierungen weitere Rahmenbedingungen als notwendig erachtet werden, um sozialpädagogische Unterstützungsleistungen in der Schule zu etablieren und zu konkretisieren – dazu zählen vor allem
systematisch angelegte und gemeinsame Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften und Fachkräften der Jugendhilfe sowie eine Integration kooperativer Fragestellungen in schul- und sozialpädagogische Ausbildungsgänge, eine finanzielle Absicherung und fachliche Unterstützung von Kooperationsprozessen von Jugendhilfe und Schule auf Landesebene, die Ausrichtung des kooperativen Handelns an den gemeinsamen Aufgaben der Erziehung, Bildung und Ausbildung im Kontext eines lebensweltorientierten Schulkonzepts, Präsenz und Einflussnahme der Jugendhilfemitarbeiter/innen in schulischen Gremien und Entscheidungsprozessen bei gemeinsamen Arbeitsaufgaben sowie
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert die Einbeziehung schulbezogener Angebote der Jugendhilfe in die regionale Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung (vgl. Hartnuß/Maykus 2004a: 591, Olk 2005: 85f, Oelerich 2005: 45).
Trotz unterschiedlicher Konzepte lässt sich damit zeigen, dass im Wesentlichen immer die gleichen Probleme ausgemacht werden, wenn es um eine unzureichende Qualität der Angebote geht. Lösungsmöglichkeiten können daher nicht nur auf gesetzliche Neuregelungen setzen. Ohne systematisch angelegte Fort- und Weiterbildungen der Fachkräfte sowie eine Verbesserung der finanziellen Absicherung dürften Verbesserungen hier mittel- und langfristig nicht im ausreichenden Maße zu erzielen sein. Damit aber sind erhebliche Nachteile im Bereich der Humanvermögensentwicklung für finanziell deutlich schlechter aufgestellte Bundesländer wie Brandenburg ersichtlich. Wie dies im Rahmen des föderalen Staatsaufbaus ausgeglichen werden kann, wird daher in den kommenden Jahren eine der gewaltigen Herausforderungen darstellen. 3.4.2.2 Planungskonzepte zum Ausbau der Ganztagsschulen Vorangetrieben unter anderem durch das „Investitionsprogramm Bildung und Betreuung“ des Bundes aus dem Jahr 2003324, markiert der Ausbau der Ganztagsangebote einen „bildungspolitischen Paradigmenwechsel in Deutschland mit weitreichenden Implikationen für Schule und Jugendhilfe“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 484): In den beiden westlichen Bundesländern wird Schule erstmals nicht nur als für die Bildung und Erziehung des Nachwuchses zuständige Institution angesehen, sondern auch für eine verlässliche Betreuung. Wurde und wird von Schule in der Bundesrepublik zudem üblicherweise vorausgesetzt, dass Familien die erforderlichen Leistungen erbringen, um Kinder in die Lage zu versetzen, Schule zu besuchen und am Unterricht teilzunehmen, ohne dass interessieren würde, wie Familien dies leisten, steht der Ausbau von Ganztagsangeboten für ein „neues „Aushandeln“ von Leistungen, die von der Familie und von der Schule erbracht werden (ebd.: 490). Der Wissenschaftliche Beirat für Familienfragen beim Bundesfamilienministerium hat daher die Erweiterung der Ganztagsschulangebote als „Minderung der strukturellen Benachteiligung von Familien“ sowie „Beitrag zur Förderung von Familien (Art. 6 I GG)“ ausdrücklich begrüßt (Wissenschaftlicher Beirat 2006: 75). Daneben ermögliche die durch Ganztagsangebote erfolgende verdichtete Kooperation von Jugendhilfe und Schule „eine verbesserte Verbindung von schulischen und außerschulischen Bildungsprozessen bzw. Lernmodalitä-
324
Daneben ist unter anderem das IZBB-Begleitprogramm der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) mit dem Namen „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ zu erwähnen, das seit Herbst 2004 ein bedarfsorientiertes Unterstützungssystem für alle Schulen anbietet, die ganztägige Bildungsangebote entwickeln, ausbauen und qualitativ verbessern möchten. Einen weiteren wichtigen Unterstützungsbaustein stellt das vom Bundesbildungsministerium geförderte bundesweite Ganztagsschulforschungsprojekt „StEG“ (Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen) dar, mit dem von 2004 bis 2010 systematisch offenen Fragen im Zusammenhang mit der Entstehung, mit dem Betrieb und der pädagogischen Wirkung nachgegangen werden soll. Und auch die Bund-Länder-Kommission für Bildungsforschung und Forschungsförderung (BLK) hatte im Jahr 2004 unter der Federführung von NordrheinWestfalen ein Verbundprojekt mit dem Titel „Lernen für den GanzTag“ an den Start gebracht. Das Projekt, an dem unter anderem auch Brandenburg beteiligt und das bis Ende August 2008 gelaufen ist, hat gemeinsame Qualifikationsprofile und Fortbildungsmodule für pädagogische Fachkräfte in Ganztagsschulen erarbeitet und erprobt (Schulz 2006: 64f).
3.4 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Primar- und Sekundarbereich
315
ten“ (Rauschenbach 2005: 7) und damit die Möglichkeit, „Bildung umfassender, nicht nur schulisch zu bestimmen“ (ebd.). Bereits deutlich wurde, dass alle drei untersuchten Bundesländer mit dem Ausbau von Ganztagsangeboten versuchen, Kinder und Jugendliche intensiver zu fördern und zu bilden. Die beiden westdeutschen Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen, die bisher flächendeckend nur wenige Ganztagsangebote vorweisen können, haben dabei vor allem zwei Schülergruppen im Visier: zum einen die Schüler/innen der Primarstufe, zum anderen die Schüler/innen, die im Sekundarstufenbereich auf Hauptschulen bzw. soziale Brennpunktschulen gehen, bei denen also ein besonderer Förderbedarf gesehen wird. Daneben wird die Ausweitung der Ganztagsangebote in beiden Ländern mit der Notwendigkeit einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf begründet, erfüllt also neben der bildungspolitischen offensichtlich eine wichtige familienpolitische Funktion. Dass diese zumindest beim Ausbau der offenen Ganztagsschule im Primarbereich in Nordrhein-Westfalen im Vordergrund steht, zeigt die Tatsache, dass zumindest in den vergangenen Jahren der Betreuungsaspekt besonders betont wurde. Hier muss nach Meinung von Interviewten noch erheblich nachgebessert werden: „Es ist schon so, dass morgens Schule und mittags Bespaßung ist. Da muss man natürlich auch noch dran arbeiten“ (Text_G 41).
Die inhaltliche, zeitliche und räumliche Ausgestaltung der offenen Ganztagsgrundschule wird vor allem vor Ort bestimmt, wie auch vom Land intendiert (MSJK 2004a: 1), so dass den Kommunen ein großer Gestaltungsspielraum im Umsetzungsprozess zukommt, der sehr unterschiedlich ausgestaltet wird und nicht immer so offensiv wie in folgendem Beispiel. „Wir haben an allen unseren Grundschulen inzwischen Offene Ganztagsgrundschule,(…) mindestens eine Gruppe und wir haben – daraus können Sie vielleicht auch die ernsthaften Absichten ablesen – sogar an unserer kleinsten Grundschule in C., die nur 80 Schüler hat, eine Gruppe eingerichtet, obwohl wir jetzt schon wissen, dass diese Gruppe nur zwölf Kinder haben wird. Die Regelzahl liegt weit darüber, nämlich beim Doppelten. Wir (…) haben (…) gesagt: Wenn wir nicht werbend eine solche Minigruppe eröffnen, dann werden wir im nächsten Jahr überhaupt keine Interessenten finden. Also müssen wir jetzt was tun, haben gesagt, dann machen wir die jetzt mit zwölf Kindern auf. Und das tun wir auch“ (Text_K 150, 151).
Dementsprechend unterschiedlich ist die Bedarfsdeckung vor Ort, wobei, wie sich zeigt, unter anderem die Nachfrage der Eltern einen Grund für die Teilnahme der Kommunen an dem Programm darstellt (Westerhoff 2005: 141). Um die entstehenden Reibungsverluste beim Ausbau der Ganztagsschulen zu minimieren, sind die beiden befragten Kommunen dazu übergegangen, durch die Gründung eines Vereins von Mitarbeiter/innen des Jugendamtes bzw. Schulleitungen die Steuerung der Angebote von Jugendhilfe und Schule in möglichst wenigen Händen zu belassen, wodurch nach Einschätzung eines Interviewten die Steuerung erleichtert und Reibungsverluste ausgeschaltet werden. „Die Grundschulleiter, die selbst die Offene Ganztagsgrundschule am eigenen Standort haben, haben so viel Interesse daran, dass das vernünftig läuft und haben einen so genannten Trägerverein gegründet.(…) Dieser Verein übernimmt (..) die Trägerschaft der offenen Ganztagsgrundschule.(….) Die Damen und Herren machen also im Grunde in Personalunion Schulleitung und Offene Ganztagsgrundschule. Das schaltet die Reibungsverluste innerhalb der Schule
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert total aus. Es gibt allenfalls Abstimmungsnotwendigkeiten zwischen unterschiedlichen Schulleitern“ (Text_K 152, 153).
Über das Beispiel der Offenen Ganztagsgrundschule in Nordrhein-Westfalen hinaus haben alle Länder in den vergangenen Jahren konkrete Vorgaben für die Schulen in die gesetzlichen Grundlagen eingebaut, mit der offensichtlichen Intention einer Stärkung der Betreuungsfunktion der Schulen. Während Bayern die Schulen anweist, „durch Zusammenarbeit mit Horten, Tagesheimen und ähnlichen Einrichtungen die Betreuung von Schülerinnen und Schülern außerhalb der Unterrichtszeit [zu] fördern“ (Art. 31 BayEUG), fällt der entsprechende Passus im Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen durch eine weniger verbindliche Formulierung auf („Der Schulträger kann mit Trägern der öffentlichen und der freien Jugendhilfe und anderen Einrichtungen, die Bildung und Erziehung fördern, eine weitergehende Zusammenarbeit vereinbaren, um außerunterrichtliche Angebote vorzuhalten (Offene Ganztagsschule))“ (§ 9 SchulG). Allerdings folgt hier im Gegensatz zu den bayerischen und brandenburgischen Gesetzen die Vorgabe, dass dazu „die Bildung gemeinsamer Steuergruppen [von Jugendhilfe und Schule, SvH] vorgesehen werden“ solle (§ 9 SchulG). In Brandenburg differieren bei den Aussagen zu außerschulischen Betreuungsangeboten die Vorgaben für den Primarstufen- sowie den Sekundarstufen I-Bereich, wobei für den Primarbereich verbindlichere Aussagen auffallen. So wird den Trägern von Schulen der Primarstufe vorgegeben, „mit den für die außerschulische Betreuung zuständigen Trägern Absprachen über die Zusammenarbeit zwischen Schule und Hort [zu] treffen. Diese Absprachen können Angebote umfassen, die über den zeitlichen Rahmen der Stundentafel hinaus zu einer für die Eltern verlässlichen Betreuung führen“ (Abs. 1, § 18 BbgSchulG). Schulen der Sekundarstufe I dagegen „können Ganztagsangebote umfassen, wenn dafür ein Bedürfnis besteht und wenn die personellen, sächlichen und schulorganisatorischen Voraussetzungen erfüllt werden können“ (Abs. 3, § 18 BbgSchulG). Neben diesen auf Landesebene initiierten Aktivitäten waren die Kommunen und die Länder in den vergangenen Jahren durch das Investitionsprogramm Bildung und Betreuung des Bundes gefordert, Aktivitäten hinsichtlich des Ausbaus von Ganztagsangeboten zu entwickeln. Die große Offenheit des Programms, mit dem die Ganztagsschule „zum Motor für Schul- und Unterrichtsentwicklung werden und das noch stark selektiv wirkende Schulsystem dahingehend wandeln [soll], stärker Fördermöglichkeiten auszuschöpfen“ (Höhmann u.a. 2004: 284), hat den Akteuren dabei viel Handlungsspielraum gelassen. Denn der Bund hatte zugunsten der Länder auf einen klaren Kriterienkatalog für die Verwendung seiner Gelder und auf eine eigene Kontrolle verzichtet, was unter anderem vom Bundesrechnungshof auch in einem internen Bericht an das Bundesbildungsministerium heftig kritisiert worden ist. Wie verschiedene Zeitungen berichteten (Rheinischer Merkur 20/2006, Frankfurter Rundschau v. 10.5.2006), hatten sich die Rechnungsprüfer/innen insbesondere am Missbrauch von Mitteln gestört, da mithilfe des Geldes in verschiedenen Bundesländern Schulen umgebaut und saniert, aber nicht zwingend Bildungsangebote verbessert würden. Der Bund hätte zudem kaum Möglichkeiten zu kontrollieren, wie das Geld verwendet worden wäre. Und auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfamilienministerium monierte, dass die Länder durch das Programm nicht zur Finanzierung zusätzlicher Kosten in ihren Kompetenzbereichen (Personalkosten) verpflichtet und die Bundesmittel scheinbar auch eingesetzt würden, um originäre Länderaufgaben mitzuerfüllen (Wissenschaftlicher Beirat 2006: 40). Zugleich wird kritisiert, dass dadurch auch die „meisten lan-
3.4 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Primar- und Sekundarbereich
317
desspezifischen Ansätze (einschließlich Hort und Jugendhilfeangebote) als Ganztagsschulform gelten können, ohne dass Qualitätsstandards und Mindestanforderungen reale und wirksame Verbesserungen der Schulqualität garantieren“ (Höhmann u.a. 2004: 289). Ganztagsschule dürfe jedoch nicht „zu einem ‚Jahrmarkt‘ diffuser und inkompatibler Angebote“ verkommen, weshalb einheitliche Qualitätsstandards dringend notwendig seien (ebd.). Der Förderzeitraum des Investitionsprogramms wurde vom Bund bis Ende 2009 kostenneutral verlängert. In diesem Zeitraum wurden von den Ländern folgende Summen abgerufen: Tabelle 14: Förderung im Rahmen des „Investitionsprogramms Bildung und Betreuung“ in den drei Bundesländern Bundesland
Bayern Brandenburg Nordrhein-Westfalen
Fördersumme aus dem Investitionsprogramm insgesamt für die Jahre 2003-2009 in Euro 595.541.888 130.054.625 913.967.660
Anzahl der geförderten und zur Förderung vorgesehenen Schulen seit 2003 897 346 2.852
(Quelle: eigene Zusammenstellung nach Informationen von http://www.ganztagsschulen.org)
Brandenburg hat dabei bezüglich der Abrufung der Mittel von allen drei Ländern die stärksten Vorgaben gemacht und die Bewilligung von Finanzmitteln aus dem IZBB-Programm an landeseigene Bedingungen für die inhaltliche Arbeit geknüpft. Akteure, die IZBB-Mittel erhalten wollten, mussten ein von Kooperationspartnern aus Jugendhilfe und Schule gemeinsam erarbeitetes Konzept vorlegen. So sollte die Kooperation vor Ort vorangetrieben und ein Angebot gesichert werden, das ein umfassendes Bildungsverständnis beinhaltet. Mit eigenen Landesmitteln hat Brandenburg zudem die IZBB-Mittel aufgestockt, wobei das Land hier die Bedingung gestellt hat, dass die Landkreise ihre bisherige Finanzierung beibehalten müssen, die Landesmittel dagegen nicht zur Kürzung der eigenen Finanzmittel verwenden können (Text_C 150, 151). Im Gegensatz dazu zeigen sich in Bayern die Nachteile der strikten Trennung zwischen Schul- und Sozialministerium. Die Bundesmittel aus dem IZBB-Programm wurden in Bayern zwischen den beiden für Schule bzw. Jugendhilfe zuständigen Ministerien aufgeteilt. Zusätzliche landeseigene Kriterien zum Abfluss der Mittel existierten nicht, die Investitionsmittel des Bundes wurden nicht mit landeseigenen Qualitätsprozessen verknüpft. Die Vergabe der Bundesmittel wurde demnach in Bayern, nach Aussagen der Interviewten, nicht mit den Landesaktivitäten zur verstärkten Kooperation von Jugendhilfe und Schule verknüpft. Bayern arbeitet so im Ganztagsbereich mit dem Aufbau zweier verschiedener Systeme von Jugendhilfe (in Form von Horten) und Schule (in Form von Ganztagsschulen), wobei das unterschiedliche Bildungsverständnis von Schul- bzw. Jugendhilfeseite und die unzureichende politische Steuerung, nach Einschätzung der auf kommunaler Ebene Interviewten, zum Aufbau konkurrierender Systeme geführt habe. Die fehlende Konzeptvorgabe des Landes zum Ausbau der Ganztagsangebote hätte zudem zur Folge, dass die Entscheidung alleine den Gemeinden überlassen würde. Als Nachteil wurde aus einem befragten Landkreis ein „unkoordiniertes Vorgehen der Schulen und Gemeinden am Kreisjugendamt vorbei“ bemängelt, was jedwede Planungsaktivitäten, z.B. in Form einer systematischen Verknüpfung mit Jugendhilfeplanung vor Ort, erschwere (Text_F 312, 313). Aus kommu-
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
naler Sicht wurde zugleich kritisiert, dass insbesondere im Grundschulbereich ein unüberschaubares Dickicht von Betreuungsarrangements existiere. Landesweite Rahmenvorgaben wären hier nötig sowie eine Veränderung der derzeitigen, als stark hemmend empfundenen Struktur von Schul- und Jugendhilfefinanzierung. Von kommunaler Seite wurde ansonsten der landesübergreifende Ausbau der Ganztagsschulangebote sehr begrüßt, was vor allem in der Tatsache begründet liegen dürfte, dass die Ganztagschulangebote im Gegensatz zu den Horten als Teil des Bildungssystem in erster Linie landesseitig und nicht über kommunale Mittel finanziert werden. Überhaupt wurden in den Interviews Finanzierungsunklarheiten im Bereich der Ganztagsangebote gerügt, die darauf hinweisen, dass die intensivierte Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule im Bereich der Ganztagsangebote rechtlichen Regelungsbedarf schafft, der von den Ländern bisher noch nicht hinreichend beachtet worden zu sein scheint, beispielsweise dadurch, dass unterschiedliche Richtlinien zwischen Jugendhilfe- und Schulbereich mit anderen Rahmenbedingungen die Doppelnutzung von Räumen erschweren: „Das Beispiel macht es deutlich: dass dieselben Kinder in der Schule, wenn in dieser Schule auch Horträume sind, andere betriebliche Rahmenbedingungen brauchen vormittags und nachmittags. Vormittags brauchen dieselben Kinder in denselben Räumen zwei Toiletten und keinen Fluchtweg und am Nachmittag dieselben Kinder in denselben Räumen 10 Toiletten und einen Fluchtweg. Eine ganz interessante Rückmeldung (…), dass die sich wirklich mal in diesem Ministerium überlegen sollten, wie sie ihre Vorschriften ressortübergreifend abstimmen könnten“ (Text_L 238, 240).
Nicht nur politische, sondern auch veränderte rechtliche Regelungen wären also notwendig, um den Übergang Jugendhilfe – Schule zu erleichtern. 3.4.2.3 Unterstützung der Schaffung lokaler Bildungslandschaften in den Kommunen Über den Ausbau von Ganztagsschulen und die Intensivierung der Kooperation von Schule und Jugendhilfe hinaus ist unter dem Gesichtspunkt einer stärkeren Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung von Interesse, welche Steuerungsaktivitäten die Bundesländer entwickelt haben, um die Schaffung lokaler Bildungslandschaften in den Kommunen voranzutreiben. Inwiefern ist es also in den drei Ländern intendiert, die Selbstständigkeit der Schulen und damit eine stärkere Verankerung schulischen Lebens im Sozialraum voranzutreiben, und wie soll, im Rahmen einer sozialraumorientierten Bedarfsplanung, die Zusammenarbeit mit anderen im Sozialraum tätigen Bildungs- und Jugendhilfedienstleistern gesteuert werden? Die Nutzung des Instruments der sozialraumorientierten Bedarfsplanung steht dabei vor der besonderen Problematik, dass sie im Zuge der aktuellen familienund bildungspolitischen Herausforderungen eine Verknüpfung von Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung erfordert und damit zweier Planungsbereiche, die traditionell große Unterschiede aufweisen. Die Planungsbemühungen werden auch durch die unterschiedlichen statistischen Definitionen und die daraus folgende mangelnde Vergleichbarkeit erschwert. So ist beispielsweise die Definition des Indikators „Migrationsstatus“ in der Statistik der Kinder- und Jugendhilfe nicht kompatibel mit der Definition, die die Kultusministerkonferenz sowie die Statistik des Mikrozensus verwenden. Trotz dieser Schwierigkeiten
3.4 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Primar- und Sekundarbereich
319
ist allerdings in allen drei Ländern eine Entwicklung hin zu einer stärker sozialraumorientierten Bedarfsplanung festzustellen. Die Situation in Bayern ist dadurch geprägt, dass insbesondere durch das Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz die Verlagerung von Aufgaben auf die kommunale Ebene vorangetrieben wurde, mit der Folge, dass die Kommunen nun für die Sicherstellung und Planung eines ausreichenden Betreuungsangebots verantwortlich sind. Mit dem Gesetz werden die Gemeinden zur Gewährleistung eines ausreichenden Betreuungsangebots verpflichtet (Art. 5 BayKiBiG), wobei die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Gesamtverantwortung für die Platzversorgung in Kindertageseinrichtungen und Tagespflege tragen. Auch bekommt die Gemeinde, anders als in den beiden anderen Bundesländern, das Recht zugesprochen zu bestimmen, „welche bestehenden Plätze für die Deckung des örtlichen Bedarfs notwendig sind und welcher jeweilige Bedarf noch ungedeckt ist“ (Art 7(2) BayKiBiG). Dem örtlichen Jugendhilfeträger wird mit dem Gesetz aufgetragen, darauf hinzuwirken, dass die betroffenen Gemeinden bei der Planung überörtlicher Kindertageseinrichtungen zusammenwirken (Art. 8 (2) BayKiBiG), sofern ein Bedarf besteht. Das überörtliche Planungsverfahren ist damit im Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz im Gegensatz zu den Gesetzen der anderen beiden Länder klar geregelt325. Über die Kriterien der Förderung soll zudem der Überblick über die Sozialstruktur vor Ort vorangetrieben werden. „Es wird jetzt staatlicherseits so wenig wie möglich vorgeschrieben, was sicherlich zur Folge hat, dass Tagesbetreuung zu einer Angelegenheit der Kommunalpolitik wird. Viele Bürgermeister sagen auch im Zuge der örtlichen Bedarfsplanung, sie wissen jetzt erstmals, was in ihren Einrichtungen eigentlich geschieht. Bisher haben sich viele offenbar kaum damit beschäftigt“ (Text_E 26).
Damit verfolgt Bayern hier einen Weg der indirekten Steuerung, da Sanktionsmechanismen im Gesetz nicht vorgesehen sind. „Sanktionsmechanismen gibt es nicht, sind im Gesetz ja nicht vorgesehen. Das Land kann das ja nur unterstützen durch Fortbildungen, durch Leitfäden, durch Broschüren, Publikationen. Und da ist im Landesjugendamt sicher einiges entwickelt worden“ (Text_A 64).
Hierbei fällt in Bayern allerdings die große Kluft zwischen Jugendhilfe- und Schulbereich auf, die die Verzahnung der beiden Planungsbereiche nicht eben erleichtert. „(…) was wünschenswert wäre, was aber noch nicht klappt, ist eine engere Verzahnung von Jugendhilfeplanung und Schulentwicklungsplanung. Wobei man jetzt wieder wissen muss, dass Schulentwicklungsplanung in Bayern sakrosankt ist und der Freistaat den Städten abspricht, so etwas überhaupt machen zu dürfen und zu können, weil das Sache des Freistaats ist. Womit wir wieder in der Frage der Zuständigkeit der jeweiligen föderalen Ebenen sind“ (Text_H 87).
Ähnlich wie Bayern hat auch Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren den Weg einer stärkeren Kommunalisierung der Jugendhilfe verfolgt. Der Weg der indirekten Steue-
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Auch das Bayerische Schulgesetz enthält Aussagen zu Gastschulverhältnissen und dem Schulgang in benachbarten Gemeinden (Art. 43 BayEUG).
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rung anstelle gesetzlichen Zwangs wurde noch zu Zeiten der alten rot-grünen Regierung über das Ganztagsschulprogramm beschritten. „In den Erlassen, die das Schulministerium zur Einführung der offenen Ganztagsgrundschule gemacht hat, war das immer eine der Bedingungen, eine ganz klare Forderung zu sagen, da muss Schulverwaltung und Jugendhilfeplanung zusammenwachsen. Es ist allerdings nicht in dem Sinne von uns gesteuert, außer dass man über Mittel – wir haben ja Mittel gegeben in die Offene Ganztagsgrundschule – gesteuert hat, aber nicht über gesetzlichen Zwang“ (Text_B 153, 154).
So wurde als Zielperspektive im Rahmen der Installierung der offenen Ganztagsgrundschule verankert: „Neben den schulischen Ganztagskonzepten bedarf es eines auf die Kommune bezogenen, von allen Beteiligten in Schule, Kinder- und Jugendhilfe, Kultur und Sport gemeinsam verantworteten pädagogischen Rahmenkonzepts, das die Bedürfnisse der Kinder und Eltern aufgreift und festhält“ (MSJK 2004: 2). Durch die veränderte ministerielle Organisation nach dem Regierungswechsel 2005 und die alleinige Verortung des Themas im Schulministerium war anschließend allerdings keine Steuerung des Landes in dem Sinne mehr gegeben, dass das Zusammenwachsen von Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung hier vorangetrieben würde. Dagegen werden im 2004 verabschiedeten Kinder- und Jugendförderungsgesetz als drittem Ausführungsgesetz zum SGB VIII in §§ 8 und 15 die Notwendigkeiten einer kontinuierlichen Jugendhilfeplanung als „ständige Aufgabe des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe“ (§ 8 (1) KJFöG) betont. Auch wird dort eine integrierte Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung als Aufgabe der örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe festgelegt (KJFöG § 7). Während mit dem bis zum 31.7.2008 geltenden GTK der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe verpflichtet wurde, „einen Bedarfsplan für Tageseinrichtungen zu erstellen und mindestens alle 2 Jahre fortzuschreiben“ (§ 10 GTK), verweist das neue Kinderbildungsgesetz lediglich darauf, dass sich die Gestaltung der Tagesbetreuungsangebote und ihre Förderung „an den Ergebnissen der örtlichen Jugendhilfeplanung unter Berücksichtigung der Grundsätze der Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit“ (§ 21 (6) KiBiz) orientieren sollten. Damit wird ebenso wie in Bayern die Entscheidung über die Anzahl von Plätzen in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege in die Verantwortung der Gemeinden gegeben und nicht zentral auf Landesebene gesteuert. Auch wurde den Jugendämtern die Verpflichtung übertragen, die Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege zu fördern (§ 17 KiBiz). Durch den Verzicht auf Standardsetzung im Gesetz (z.B. maximale Gruppengröße, Raumangebot, Umfang Fortbildung, verbindliche Umsetzung eines Curriculums) sowie die Verlagerung wichtiger Finanzierungsregelungen auf Träger und Kommunen (z.B. bei der Erhebung von Elternbeiträgen) geht das Kinderbildungsgesetz, ähnlich wie das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz, den Weg einer Kommunalisierung dieser Bildungsaufgaben. Dies wird im Schulbereich ergänzt durch die Abschaffung der Schuleingangsbezirke in Nordrhein-Westfalen, die den Kommunen eine veränderte Schulentwicklungsplanung ermöglicht (s. CDU/FDP 2005: 34). Brandenburg unterscheidet sich von den beiden westdeutschen Bundesländern insofern, als den Kommunen hinsichtlich ihrer Bedarfsplanung im Bereich der Jugendhilfe klare gesetzliche Vorgaben gemacht sind, die ihren Handlungsspielraum einengen. So ist mit § 1 des Kindertagesstättengesetzes ein unbedingter Rechtsanspruch für Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter sowie ein bedingter Rechtsanspruch auch für unter dreijäh-
3.4 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Primar- und Sekundarbereich
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rige Kinder und Kinder der fünften und sechsten Schuljahrgangsstufe festgeschrieben, der vom örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe gewährleistet werden soll (§ 12 (1) KitaG). Darüber hinaus ist er verpflichtet, einen Bedarfsplan für die Kindertagesbetreuung aufzustellen und rechtzeitig fortzuschreiben (§ 12 KitaG). Indirekt wird in Bezug auf die Verknüpfung von Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung auch in Brandenburg gesteuert, indem das Land nämlich während der Erarbeitung des Investitionsprogramms Bildung und Betreuung beim Bund darauf hinwirkte, dass die Gelder auch in den Bereich der Jugendhilfe fließen konnten, und es zudem Landeskriterien für die Bewilligung von Mittel aus dem Programm aufgestellt hat, um sicherzustellen, dass durch das IZBB-Programm die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule intensiviert wird. „Wir haben uns dann eingesetzt und konnten erreichen, dass man die Investitionsgelder auch in den Hort oder in den Jugendclub, oder was weiß ich, stecken kann. Das wird aber schwer abgemessen, weil Schulplanung und Jugendhilfeplanung sich nicht begegnen. Wir haben Veranstaltungen durchgeführt, wo wir gesagt haben, die Schulämter laden jetzt mal die Kreise, kreisfreien Städte, Bürgermeister ein, und stellen ihre Planungsüberlegungen vor und diskutieren die Frage, wo denn Jugendämter von sich aus einen Gestaltungswillen haben. Wo wollen Jugendämter Zentren entwickeln? Wo haben Jugendämter Problembereiche? Von den Schulämtern wurde die Sache dann klassisch traditionell von oben herunter angegangen: ‚Wir verkünden euch, wie es sein wird’“ (Text_C 190).
Allerdings wird in diesem Kontext die Kommunikationsstruktur und Arbeitsmethode des Top-Down im Schulbereich als hemmend erlebt, da sie nicht mit der Bottom-Up-Methode der Jugendhilfe zusammenpasst. Eine Verknüpfung der beiden Planungsprozesse wird damit durch die unterschiedlichen Kommunikationsstrukturen erschwert, was sich nicht nur in Brandenburg zeigt. In Bayern wird dies augenfällig durch den „großen Graben zwischen Kultus- und Sozialministerium“, von dem in den Expert/inneninterviews wiederholt berichtet wurde. Aber auch andernorts stößt die „Anordnungskultur der Schulämter“ auf Unverständnis bei den Jugendämtern und den in der Jugendhilfe Beschäftigten und werden die unterschiedlichen Kommunikationsstrukturen und Methoden der Bildungsorte als extrem hemmend eingeschätzt. Vereinzelt wird daher der Versuch unternommen, eine Verknüpfung von Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung einzuleiten durch eine Verständigung beider Bereiche über gemeinsame Ziele, die als Grundlage jeden Planungsprozesses angesehen werden. Bildungspolitisch ist in allen drei Ländern die Stärkung der Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Schulen als eines der zentralen Ziele angekündigt (s. zum Prozess der Schulautonomiegesetzgebung auch Rürup/Heinrich 2007). „Größere Eigenständigkeit von Schulen, verstärkter Wettbewerb unter den Schulen sowie eine verbesserte Lehrerbildung und -fortbildung sind entscheidende Voraussetzungen besserer Bildung für unsere Kinder“, so drückte es der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck aus (Staatskanzlei Brandenburg 2004: 8). Damit scheint vor allem die Hoffnung auf eine verbesserte Platzierung im nationalen und internationalen Wettbewerb eines der Motive für die Aktivitäten der Länder zu sein. Um die Selbstständigkeit der Schulen zu stärken, haben insbesondere Brandenburg und Nordrhein-Westfalen verschiedene Maßnahmen gesetzlich verankert: Die Schulleitungen wurden rechtlich in die Lage versetzt,
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert Aufgaben als Dienstvorgesetzte wahrzunehmen sowie die Schulentwicklung und die Kooperation mit den Partnern der Schule zu verantworten (in NRW § 59 SchulG) und Sorge für die Fortbildungsverpflichtungen der Lehrkräfte und des sonstigen pädagogischen Personals zu tragen (in Brandenburg, § 71 BbgSchG).
Des Weiteren sollen die im Gesetz verankerten Mitwirkungsrechte in der Schule in beiden Ländern das notwendige partnerschaftliche Zusammenwirken aller Beteiligten in der Bildungs- und Erziehungsarbeit stärken und die Selbstständigkeit jeder Schule fördern (BbgSchulG § 74, SchulG § 62). In beiden Ländern wurden daneben in die Schulgesetze Artikel zur Selbstständigkeit der Schulen aufgenommen. Im brandenburgischen Schulgesetz wurde das Recht der Schulen auf Selbstbestimmung (in Hinsicht auf ein eigenes Profil, eigene pädagogische Ziele und Schwerpunkte, Schwerpunkte im Rahmen der Stundentafeln, Entscheidungsbefugnisse über die Verwendung von Sach- sowie Personalmitteln etc.) festgeschrieben (§ 7 BbgSchulG). Nordrhein-Westfalen hat den Schwerpunkt auf die Verknüpfung von Selbstständigkeit und Qualitätsentwicklung/-sicherung gelegt und hat die Schulen verpflichtet, „auf der Grundlage des Schulprogramms (...) in regelmäßigen Abständen den Erfolg ihrer Arbeit“ zu überprüfen (§ 3 SchulG). Die Schulaufsichtsbehörden wurden zudem mit der Überarbeitung des Gesetzes vom 27.06.2006 verpflichtet, „die Schulen in ihrer Selbstständigkeit und Eigenverantwortung zu beraten und zu unterstützen“ (§ 3 (1) SchulG NRW). Damit soll künftig nicht bloße Kontrolle, sondern Beratung im Vordergrund der Arbeit der Schulaufsicht stehen. In allen drei Bundesländern wird daneben die Teilnahme an Schulversuchen als ein Weg gesehen, „die optimale Balance zwischen landesweiten Standards und der Eigenverantwortung der Schulen [zu] finden“ (CSU 2003: 7). Aus dem Grund haben alle drei Länder die Teilnahme von Schulen an Schulversuchen ausgeweitet326. Auch wurde damit begonnen, die positiven Erfahrungen aus den Modellvorhaben allen Schulen zugänglich zu machen (s. beispielsweise für Bayern http://www.isb.bayern.de/isb/index.asp?MNav=0 &QNav =7&TNav=0&INav=0). Neben der Stärkung der Selbstständigkeit von Schulen ist die Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit anderen Bildungsakteuren vor Ort eine der neueren, auf Schulen im 21. Jahrhundert in den drei Ländern zu kommende Aufgabe. Dies betrifft vor allem die Grundschulen, die nun in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen die Aufgabe haben, zur Gestaltung des Übergangs mit den Tageseinrichtungen für Kinder zusammenzuarbeiten (NRW: §§ 5, 11 (1) SchulG, Brandenburg: § 18 (3) BbgSchulG). Auch sollen Schulen in allen drei Ländern mit den Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe, vor allem zur Sicherstellung der Betreuung von Kindern, kooperieren (Art. 31 BayEUG, § 18 (3) BbgSchulG, § 9 (3) SchulG) (s. dazu auch Kap. 3.4.1.2). Bayern schreibt den Schulen aller Schularten, insbesondere solchen im gleichen Einzugsbereich, darüber hinaus vor, untereinander zusammenzuarbeiten mit dem Ziel der Ergänzung des Unterrichtsangebots, der Durchführung gemeinsamer Schulveranstaltungen und der Abstimmung der Unterrichtszeiten. Die Zusammenarbeit zwischen Förderschulen und allgemeinen Schulen soll dabei „im Unterricht und im Schulleben besonders gefördert werden“ (Art. 30 Abs. 1 BayEUG). Alle Bundesländer gehen damit in ähnliche Richtungen, wobei auffällt, dass sich Bayern bei der gesetzlichen Verankerung von Gestaltungsinstrumenten, die die Schulen zu 326
S. z.B. die Projekte „MODUS 21“ in Bayern, „Stärkung der Selbstständigkeit von Schulen“ („MoSeS“) in Brandenburg, „Selbstständige Schule“ in Nordrhein-Westfalen.
3.4 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Primar- und Sekundarbereich
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mehr Selbstständigkeit verpflichten würden, stärker zurückhält als die anderen beiden Länder. Während in Bayern von Seiten des Sozialministeriums im Bereich der Jugendhilfe eine eindeutige Tendenz zu einer stärkeren Regelung vor Ort (im Sinne einer Kommunalisierung) erkennbar ist, sieht dies für den Schulbereich anders aus. Dies macht erneut die große Kluft deutlich, die hier zwischen beiden Bereichen herrscht. Brandenburg dagegen setzt im Bereich der Jugendhilfe deutlich stärker auf landesweite Vorgaben als die beiden westdeutschen Länder, insbesondere hinsichtlich der Verpflichtung zur Vorhaltung von Betreuungsplätzen. Hier wirkt sich offensichtlich die stärkere öffentliche Verantwortung für eine umfassende Kinderbetreuungsinfrastruktur in gesetzgeberischem Handeln aus. Auch wird eine andere Schwerpunktsetzung deutlich, die eine flächendeckende Vorhaltung von Betreuungsplätzen als Pflichtaufgabe staatlichen Handelns betrachtet und diese einer eventuell anderen Schwerpunktsetzung kommunal Verantwortlicher entzieht. 3.4.2.4 Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte Den Fachkräften in Jugendhilfe wie Schulen kommt eine große Bedeutung bei den derzeit anvisierten und angegangenen Reformprozessen im Bildungsbereich zu. Schließlich sollen sie etliche der Maßnahmen, die nach PISA in den Ländern angedacht worden sind, umsetzen. Das erfordert nicht nur Zeit und gute Rahmenbedingungen, sondern auch eine Vermittlung des Handwerkszeugs, das dazu notwendig ist, z.B. durch Änderungen in den Ausbildungsordnungen sowie Fort- und Weiterbildungen. Die Bemühungen der drei Länder bleiben auf diesem Feld allerdings stückhaft und finden häufig in den klassischen Strukturen der getrennten Fachgebiete statt. Beispielhaft lässt sich der politische Handlungsbedarf anhand der Fortbildungen für Fachkräfte zur Intensivierung der Kooperation zwischen dem Jugendhilfebereich und dem Schulwesen zeigen. Bayern hat diesbezüglich flächendeckende gemeinsame Fortbildungen von Fachkräften aus beiden Bereichen initiiert (vgl. Kap. 3.3.3.7). Auch Brandenburg hat im Rahmen der Entwicklung eines „Gemeinsamen Orientierungsrahmens für die Bildung in Kindertagesbetreuung und Grundschule“ (GORBiKS) seine Fortbildungsbemühungen ausgeweitet, allerdings „noch nicht ausreichend“ (Text_C 47). Anders sieht dies hinsichtlich der flexiblen Schuleingangsphase aus, wo Fortbildungen flächendeckend im Land angeboten werden. „Der Fortbildungsumfang beträgt für die Klassenlehrkräfte, die Lehrkräfte für den Teilungsunterricht und für die sonderpädagogisch qualifizierten Lehrkräfte 40 SWS, wobei 20 SWS gemeinsam zu organisieren sind. Für die sonderpädagogisch qualifizierten Lehrkräfte werden 20 SWS zentral am PLIB [Pädagogisches Landesinstitut Brandenburg] angeboten. Auf den Fortbildungsumfang kann die Teilnahme am Hospitationsservice mit 6 SWS angerechnet werden“ (MBJS 2003). Darüber hinaus hat das staatliche Schulamt einen Hospitationsservice organisiert, der den Lehrkräften die Möglichkeit bietet, den Unterrichtsalltag konkret zu erleben und Fragen an die Lehrkräfte zu stellen, die in den nach der flexiblen Schuleingangsphase arbeitenden Klassen tätig sind. Erfahrungen existieren in allen drei Ländern daneben hinsichtlich gemeinsamer Fortbildungen von Sozialarbeiter/innen und Lehrkräften des Sekundarstufenbereichs. Bayern kann hier auf die im Rahmen der Jugendsozialarbeit durchgeführten gemeinsamen Ausund Weiterbildungen von Lehrkräften und sozialpädagogischen Fachkräften verweisen, die in Form von Tandemfortbildungen und gemeinsamen Fachtagungen durchgeführt werden.
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert „Wir haben von jeher im Zusammenhang mit dieser Jugendsozialarbeit an Schulen begonnen, Tandem-Fortbildungen zwischen den betroffenen Lehrkräften und den sozialpädagogischen Fachkräften zu machen. Das heißt, wir haben das sowohl im Bereich der Jugendhilfe, diese Tandemfortbildungen, als auch dann im Bereich der schulischen Fortbildungen. Es ist so, dass wir ein bestimmtes Konzept haben für die Fortbildung. Das wird durch das Landesjugendamt begleitet und durchgeführt, in Kooperation mit der Akademie für Lehrerfortbildung in Dillingen. Das heißt, die Schulleiter bekommen eine Fortbildung zum Bereich der Jugendhilfe, damit man im Endeffekt weiß, wie dieses fremde System tickt, und andererseits haben wir eben diese Tandemfortbildungen für die Jugendsozialarbeit an Schulen. Dann haben wir regelmäßige gemeinsame Fachtagungen, die auch immer nur in Tandems durchgeführt werden“ (Text_A 26, 27).
Konzipiert wurden diese Fortbildungsprogramme von beiden Ministerien. Zugleich wurde ein Coaching-System mit erfahrenen Fachkräften aus Jugendhilfe und Schule aufgebaut, das neuen Projekten den Einstieg erleichtern soll. Damit verfügt Bayern hier als einziges Bundesland über ein flächendeckend durchgeführtes Konzept, das den Jugendhilfe- wie den Schulbereich gleichermaßen anspricht. Allerdings existiert ein solches Konzept lediglich für den Bereich der Jugendsozialarbeit und nicht für den Bereich der Ganztagsschulen. Als problematisch erweisen sich in der Praxis zudem die unterschiedlichen Zeitfenster von Lehrer/innen und Sozialarbeiter/innen, was die Inanspruchnahme von Fortbildungen angeht. Dies führt zu der kommunalen Erfahrung, wonach das Fortbildungsprogramm für Jugendsozialarbeiter und Lehrkräfte von Lehrer/innen weniger gut angenommen wird (Text_F 237). Im Gegensatz zu dieser Situation in Bayern werden gemeinsame Fortbildungen von Lehrkräften und sozialpädagogischen Fachkräften in Brandenburg und NordrheinWestfalen, nach Aussagen der Interviewten, vor allem von kommunaler Seite vorangetrieben. Aus beiden Bundesländern wird dabei berichtet, dass durch die Ganztagsschulprojekte gemeinsame Fortbildungen der verschiedenen Professionen intensiviert wurden und dass durch die Fortbildungen das Wissen übereinander verbessert wurde, was die Zusammenarbeit sehr erleichtere. Zugleich wird aber auch ähnlich wie in Bayern berichtet, dass die Fortbildungsangebote in der Praxis selten von Lehrkräften, eher von Schulsozialarbeiter/innen angestoßen werden. Die kommunale Steuerungsfähigkeit sei hier durch die Weisungsungebundenheit der Lehrer gegenüber der Kommune sehr eingeschränkt: „(…) den Lehrern dürfen wir ja nichts sagen. Und die uns nicht. Aber sie bestimmen doch sehr kommunales Handeln, durch Tun und Nicht-tun“ (Text_L 290).
In allen Bundesländern wird nicht nur die Reform der Erzieher/innenausbildung, sondern auch die der Lehrerbildung als eine wichtige Aufgabe der nächsten Jahre gesehen, um die Fachkräfte „auf die neuen Herausforderungen optimal vorzubereiten“, wie es die Koalitionsvereinbarung 2004 in Brandenburg ausdrückt (SPD/CDU Brandenburg 2004: 17). Aus diesem Grund werden die Curricula in allen drei Ländern überarbeitet, unter anderem mit dem Ziel, die Praxisanteile der Ausbildung zu erhöhen und den Austausch zwischen Schulen und Universitäten zu verbessern (vgl. http://www.bildungsserver.de/zeigen.html?seite =977). Nordrhein-Westfalen hat diesbezüglich sogar eine Expertenkommission unter der Leitung des bekanntesten deutschen Bildungsforschers, Jürgen Baumert vom Berliner MaxPlanck-Institut für Bildungsforschung, eingesetzt, deren Empfehlungen bei der Reform der Lehrerausbildung berücksichtigt werden sollten (http://www.schulministerium.nrw.de
3.4 Konzepte und Steuerungsinstrumente für den Primar- und Sekundarbereich
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/ZBL/Reform/Wege_der_Reform/index.html). Wie sich diese Reformbemühungen auswirken werden, wird abzuwarten sein. 3.5 Bereichsübergreifende Steuerungsinstrumente und -akteure in den Ländern 3.5.1 Steuerung der kommunalen Angebotsstruktur 3.5.1.1 Kinder- und Jugendhilfebereich Der Steuerung der Planung und Ausgestaltung der kommunalen Angebotsstruktur kommt eine ganz erhebliche Rolle zu, wenn es um die Frage nach Instrumenten und Konzepten der Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung geht. Sind doch die Kommunen die Orte, die als kleinste föderale Einheit den intensivsten Kontakt mit den Bürger/innen haben und aufgrund der föderalen Aufgabenverteilung im Besonderen mit der Bereitstellung von Einrichtungen als kommunale Daseinsvorsorge bzw. als Teil der Kinder- und Jugendhilfe befasst sind. Wie diese föderale Aufgabenverteilung nicht nur de iure, sondern auch de facto ausgestaltet ist und welche Verpflichtungen in diesem Kontext auf die Kommunen zukommen, ist ein interessanter Untersuchungsgegenstand. Für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, und damit das größte familienpolitische Handlungsfeld auf kommunaler Ebene, zeigt sich dabei aus Sicht der Interviewten, dass im Jugendhilfebereich Wettbewerbselemente eine sehr viel gewichtigere Rolle spielen als in früheren Jahren. „Und man muss (…) wirklich sagen, dass die Jugendhilfe Markt geworden ist. Früher gab es die alteingesessene Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtspflege, Diakonie, Caritas, AWO, jüdische Gemeinde, Deutsches Rotes Kreuz, heute kommen viele, viele, viele Anbieter mit berechtigten, aber auch deutlichen finanziellen Interessen an Jugendhilfemaßnahmen auf den Markt. Deshalb ist es wirklich inzwischen oftmals ein haushalterisches und ein finanztechnisches Problem, Jugendhilfe zu organisieren. Denn, wenn wir Alteingesessenen nicht per se eine Leistung wie früher geben, sondern sagen: ‚Ihr müsst Euch am Markt orientieren’, wird es auch im politischen Bereich nicht immer leicht“ (Text_G 18).
Nun gilt der Verweis auf die politischen Diskussionen mit freien Trägern aufgrund der Trägerstruktur natürlich vor allem für die beiden westdeutschen Länder. Jenseits unterschiedlicher Ausgestaltungen in den drei Bundesländern und anderer Herausforderungen durch die unterschiedliche demografische Entwicklung327 wird aber aus den Kommunen aller dreier Länder berichtet, dass die kommunale Verantwortung als Jugendhilfeträger in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen habe. Ein notwendiger Ausbau der Angebote im Jugendhilfebereich (Kinderbetreuung, erzieherische Hilfen, soziale Gruppenarbeit etc.) führe dabei häufig ebenso wie Kürzungen der Landesmittel im Kinder- und Jugendhilfebereich zu einem verstärkten finanziellen Engagement der Kommunen oder alternativ zur Schließung von Einrichtungen bzw. zur Notwendigkeit einer verstärkten finanziellen Beteiligung der Eltern, mit allen familien- und sozialpolitischen Folgen, die damit verbunden sind. 327
S. zu den Konsequenzen der demografischen Entwicklung auf die Kinder- und Jugendhilfe auch das Modellprojekt „Jugendhilfestrategien 2010“ (http://www.lja-wl.de).
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
Die Jugendämter in den befragten Städten reagieren auf diese Herausforderungen auf unterschiedliche Weise. Zum einen durch interne Optimierungsmaßnahmen, wie eine Umorganisation von der (klassischen) Organisation der Ämter nach KJHG-Aufgaben hin zu einer Organisation nach Sozialräumen (teilweise inkl. eigener Sozialraumbudgets), zum zweiten durch veränderte politische Planungs- und Durchsetzungsprozesse: So wird die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule mehr und mehr ausgebaut, auch im Sinne einer verstärkten Ämter- bzw. Dezernatszusammenlegung328. Daneben nutzt die Verwaltung ihren Informationsvorsprung und setzt Beschlussvorlagen offensiv ein, um den Handlungsdruck auf die Politik zu erhöhen und Entscheidungen zu erzwingen. „Meine persönliche Erfahrung ist immer: Wenn man damit sehr offensiv umgeht und das setzt, zum Beispiel in Beschlussvorlagen für den politischen Raum, dann ist es für die Politik viel schwerer einen Vorschlag in dieser Richtung abzulehnen. Denn sie müssen die Ablehnung begründen, zumindest im gesprochenen Wort. Das macht sich immer schwer, wenn man nach außen hin deutlich machen soll: ‚Wir, als wer auch immer-Partei, möchten nicht, dass die pädagogische Arbeit in unseren Kindereinrichtungen qualifiziert wird’. Das ist sehr schwer. Insoweit ist ein offensiver Umgang mit solchen Dingen wichtig und hat sich (…) bewährt“ (Text_L 160).
Dies verweist auf die enorme Bedeutung der Verwaltung im Prozess der Politikformulierung (s. Schnapp 2004). Erschwert wird das politische Handeln der zuständigen Fachabteilung allerdings durch die nach wie vor in der (Fach-)Öffentlichkeit vorherrschende Einstellung eines dirigistisch eingreifenden Amtes mit ihren Konsequenzen. „Das althergebrachte Verständnis von Jugendamt ist immer noch das alte. Ich mache es mal an einem Beispiel deutlich: Da gibt es in einem Kindergarten ein Kind mit einem ganz hohen Maß an Vernachlässigung festzustellen. Die Anregung einer Kollegin der Einrichtung an die Erzieherin, sie solle doch etwas dagegen tun, notfalls möchte sie hier beim Jugendamt doch vorstellig werden und dafür sorgen, dass etwas passiert, war zunächst erfolglos. Da hätte diese Erzieherin dann ganz klar und deutlich gesagt: ‚Jugendamt? Um Gottes willen, da gehe ich doch nicht hin, die nehmen mir sofort das Kind hier aus der Einrichtung raus! Und wie stehen wir denn als Einrichtung da, wenn wir das jetzt offenbaren, dass dieses Kind bei uns ist? Dann können wir ja gar keine Werbung mehr machen’. Daran kann man erkennen, wie das Verständnis vieler Bürger gegenüber Jugendamt ist. Das ist noch weit verbreitet. Das abzustellen, daran arbeiten wir“ (Text_K 175, 176).
Die Steuerungskompetenz des in diesem Bereich zentralen kommunalen Akteurs wird dadurch stark eingeschränkt. Der „Schatten der Hierarchie“ (Scharpf 1993) wirkt in diesem Punkt hemmend. Zugleich deutet sich ein weiteres Problem für die fachliche Arbeit an: die zu beobachtende schleichende Entwertung des Fachkräftegebots auf kommunaler Ebene. „Auf der kommunalen Seite gibt es seit langem eine schleichende Entwertung des Fachkräftegebots. Ich weiß von einer Reihe von Jugendamtsleitungen, die keine Fachkräfte mehr sind, sondern aus der Verwaltung kommen, und trotzdem erfolgreich Jugendämter leiten. Aber es steht im KJHG ja eigentlich anders drin. Das ist ja auch die Frage nach der Selbstständigkeit des Jugendamts. Auch da merkt man eine schleichende Entwicklung, dass dort Jugend- und Schul-
328
S. als skeptische Stimme zur Zusammenlegung von Jugendamt und Schulverwaltung sowie zur Kooperation von Jugendhilfe- und Schulausschuss Merchel 2005: 215ff.
3.5 Bereichsübergreifende Steuerungsinstrumente und -akteure
327
verwaltungsämter zusammengelegt werden, auch noch größere Einheiten gebildet werden. Also auch da möglicherweise ein Herausschleichen aus dem Gebot der Fachlichkeit“ (Text_B 58).
Der von Merchel bereits zu Beginn des neuen Jahrtausends vermutete „schleichende Mentalitätswandel“ in der Jugendhilfe im Gefolge der Neuen Steuerung mit der Folge einer „interprofessionellen Verschiebung“ (Merchel 2002: 115) scheint mittlerweile immer häufiger Realität zu sein. Welche Folgen dies für die fachliche Arbeit hat und haben wird, wäre einer genaueren Untersuchung wert. 3.5.1.2 Bereich frühkindlicher Bildung Anders als im Bereich der allgemeinen Kinder- und Jugendhilfe zeigt sich für den Bereich der frühkindlichen Bildung, dass, unabhängig von der gesetzlich festgeschriebenen Verantwortung der Kommunen, eine kommunale Steuerung derzeit nur sehr eingeschränkt möglich ist. Es fehlt offensichtlich ein zentrales übergreifendes kommunales Steuerungsinstrument. Auch lässt die Trägerhoheit der Einrichtungen wenig Spielraum für eine kommunale Steuerung. Nur bei wirtschaftlichen Konsequenzen für den kommunalen Jugendhilfeetat ist die inhaltliche oder rechtliche Kompetenz eines kommunalen Jugendamtes gegeben. „Das Problem ist, dass wir nur eine einzige städtische Einrichtung haben. Bei den anderen Einrichtungen sind wir ja nicht Herr des Geschäfts. Wir dürfen zwar 80 bis 90 Prozent der Kosten finanzieren, aber das Firmenschild darüber heißt: katholische Kirche, evangelische Kirche. Wir haben keine Personalhoheit. Wir dürfen nur einen Zuschuss überweisen (…) Bei den anderen Einrichtungen stehen wir irgendwo außen vor. Wir sind immer nur dann gefragt, wenn bei einer Einrichtung eine Umwandlung oder eine Veränderung stattfinden soll, die bestimmte wirtschaftliche, finanzielle Konsequenzen für das Jugendamt hat“ (Text_K 85, 87).
Verstärkt wird dies noch, wenn, wie in Landkreisen üblich, eine Entkopplung von Fachund Ressourcenverantwortung stattfindet und das eine auf Gemeinde-, das andere auf Kreisebene gelagert ist. „Das ist die Hauptforderung an Herrn (..), dass er in die Kitagesetzänderung die Kopplung von Fach- und Ressourcenverantwortung hereinschreibt. Wir erlassen jetzt Bescheide, die rein die Finanzierung abbilden. Da ist kein Wort drin, was wir inhaltlich von der Einrichtung erwarten. Da muss der Gesetzgeber zwingend den Hebel umlegen. Und sei es, dass wir denn erst mal fünf Seiten dazu packen und sagen: 'Hier, das erwarten wir von Euch. Im Bildungsbereich, im Betreuungsbereich, im Erziehungsbereich, zack, zack, zack. Und dann kommt – unsere Fachberaterin nicht, dann ist sie natürlich sofort der Kontrolleur, und dann wird sie keiner mehr so richtig sehen wollen – aber irgendjemand anders und wird dann mit Euch ein Interview führen und schauen, wie weit Ihr da seid'“ (Text_I 115).
Was mit den (vor allem von kommunaler Seite ins System gegebenen) Finanzmitteln im Bereich der frühkindlichen Bildung passiert und wie erfolgreich sie eingesetzt werden, wird derzeit lediglich unzureichend kontrolliert. Dies führt, im Vergleich zu anderen Politikfeldern, zu Ungleichgewichten in der Systemsteuerung, die von einem Gesprächspartner als „unverantwortlich“ bezeichnet werden.
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert „Ich sage: ‚Wenn wir 30 Millionen [Euro] investieren, dann werden wir doch wohl erwarten können, dass wir da auch Qualität in der pädagogischen Leistung haben.’ In der Jugendarbeit investieren wir ungefähr eine Million [Euro]. Und da haben wir ein Qualitätshandbuch, Berichtsbögen. Internetgestützt funktioniert das alles. Da haben wir ein Qualitätscontrolling, Zielvereinbarung – davon sind wir im Kitabereich noch Jahre entfernt. Diese Ungleichgewichte in der Systemsteuerung sind unverantwortlich. Wir brauchen uns doch nicht wundern, dass wir in PISA oder in anderen Untersuchungen im internationalen Vergleich so schlecht dastehen, wenn wir solche Primärsysteme wie Kindertagesbetreuung so laufen lassen“ (Text_I 97, 98).
Ein System von der Bedeutung und mit der Kostenlast wie die Kindertagesbetreuung würde nach einer beständigen Überprüfung der erreichen Qualität in Form eines Qualitätsmonitoring verlangen. Ein solches Qualitätsmonitoring, das sich auf die pädagogische Güte des Angebots bezieht, ist in Deutschland allerdings kaum verbreitet329. Lediglich in Brandenburg werden seit dem Kindergartenjahr 1993/94 unter Verwendung des Instruments der Kindergarteneinschätzskala KES wiederholte Messungen durchgeführt und findet wenigstens in Ansätzen ein systematisch durchgeführtes Monitoring statt (MBJS (Hg.) 2006: 21). Insbesondere im Bereich der frühkindlichen Bildung zeigen sich damit beispielhaft die Herausforderungen für familienpolitische Gestaltung auf. Bisher werden die einzelnen Kommunen mit den sich aus ihrer Planungs- und Gewährleistungsverantwortung ergebenden Herausforderungen relativ alleine gelassen, was in der föderalen Arbeitsteilung begründet liegt, wonach der Bund derzeit nicht befugt ist, „den Ländern oder Kommunen Weisungen zu erteilen oder in sonstiger Weise auf ihre Entscheidungen Einfluss zu nehmen, weder was die Qualität der Kinderbetreuung noch die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz oder die Erfüllung der objektivrechtlichen Verpflichtung zur Vorhaltung eines bedarfsgerechten Betreuungsangebots für unter Dreijährige betrifft. Die Kommunen nehmen ihre Aufgaben im Bereich der Tagesbetreuung im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung wahr. Sie unterliegen daher keiner Fachaufsicht, sondern nur der Rechtsaufsicht, die den Ländern – in der Regel den Innenministerien – obliegt“ (Text_J 44).
Dies führt zu großen kommunalen Unterschieden, da nicht überall die Ausübung der Planungs- und Gewährleistungsverantwortung dermaßen systematisch angegangen wird, wie es ein Gesprächspartner darstellt: „Man hat eine Planungs- und Gewährleistungsverantwortung als öffentlicher Träger. Aber wie setzt man die um? Über Förderung in dem Bereich geht nicht viel. Das ist alles relativ genau festgeschrieben und da hat man wenig Spielraum. Ich meine, da kann man mal, wie wir jetzt, so einen 20.000- oder 30.000-Euro Topf aufsetzen für Mini- oder Mikroprojekte und die kommunizieren, aber das war’s dann auch. Also kann es nur die Struktur geben, dass man Kommunikation und Austausch fördert. Und wo fördert man Kommunikation und Austausch? Entweder auf einer gewissen Ebene in einer Projektplattform (…). Oder dann auf einer Leitungsebene, wenn es um die Umsetzung (…) bestimmter Dinge geht, oder dann wirklich für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort über eine gewisse Tagungs- und Fortbildungskultur“ (Text_H 68).
329
S. zu Vorschlägen für eine integrierte Bildungsberichterstattung Rauschenbach u.a. 2004: 352ff.
3.5 Bereichsübergreifende Steuerungsinstrumente und -akteure
329
Über finanzielle Steuerungsmöglichkeiten hinaus, die zwangsläufig durch die schwierige Haushaltslage vieler Kommunen begrenzt sind, bleibt den Kommunen daher nur die Rolle als anregende, koordinierende und bei bewusster kommunalpolitischer Schwerpunktsetzung mit eigenen Maßnahmen tätige Akteure vor Ort. „Wir haben ja nicht das zentrale Steuerungsinstrument, unabhängig davon, ob so etwas dann auch funktioniert, wie man im Schulbereich auch anders sieht. Wir haben nicht die Möglichkeit zu sagen: ‚Das muss jetzt gemacht werden’ und über Weisung und per Ordre de Mufti das durchzusetzen. Wir können anregen, wir können bestimmte Projekte ein bisschen mit unterstützen, aber das war es dann schon. Und wir können viel kommunizieren und vielleicht auch noch mal ein bisschen mehr in den Bereich der Qualifizierungen, Fortbildungen investieren über unseren eigenen Fortbildungsbedarf hinaus. Da sind wir momentan dabei, Überlegungen anzustellen. Das ist natürlich nicht ganz einfach, weil da auch die Träger ein bisschen Bedenken haben, dass ihre Fortbildungsstrukturen dann Konkurrenz bekommen. Auf der anderen Seite, wenn wir den sozialräumlichen Ansatz wollen und wenn wir stärker die Strukturen vor Ort, wo sie die Folgen der diversen großen Politiken treffen, angehen wollen, dann braucht man eine Austauschstruktur, Informations- und eine Qualifizierungsstruktur vor Ort. Und da hilft es mir nicht – so qualifiziert die auch sein mögen –, ein Landesjugendamt oder, was weiß ich, AWOBundeszentrale-Akademie und so weiter zu haben, sondern da brauchen wir Strukturen vor Ort, wo die Kollegen aus den verschiedenen Verbänden dann in der Fortbildung ihre Erfahrungen austauschen können“ (Text_H 64).
3.5.1.3 Finanzierungsstrukturen Dass das Steuerungsinstrument der Finanzierung nicht nur ein weit unterschätztes, sondern auch ein sehr wirksames ist, wurde bereits deutlich. Neben den drei untersuchten Bundesländern, die ihre Finanzzusagen an die Träger von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege an die Einhaltung bestimmter Kriterien knüpfen, werden auch von Seiten des Bundes und der Kommunen zunehmend Versuche unternommen, über das Instrument der Finanzierung von Leistungen auf deren Inhalte Einfluss zu nehmen. Angesichts der Effekte des demografischen Wandel sowie der veränderten Familienstrukturen auf die öffentlichen Budgets (s. Baum/Seitz/Worobjew 2002: 148) ist zu vermuten, dass diesem Instrument in Zukunft eher mehr als weniger Bedeutung im politischen Handeln zukommen wird. Am Beispiel des Ausbaus der Kinderbetreuung wurde dabei deutlich, wie auf Bundesebene die Policy-Gestaltung mit finanzieller Förderung verbunden wird, um die Kommunen als aktive familienpolitische Akteure zu stärken. Finanzielle Steuerung auf kommunaler Ebene wird dagegen derzeit durch strukturelle Grundprobleme erschwert:
Das strukturelle Problem der Vorfinanzierung von Leistungen fördert eine kurzsichtige politische Sichtweise. Denn die Ausgaben für beispielsweise Kindertageseinrichtungen fallen sofort an; eventuelle (nicht direkt messbare) Erfolge sind erst später im Etat zu verbuchen, weshalb jeglicher Kämmerer – wie bei anderen präventiv wirkenden Ausgaben auch – erst einmal in Vorleistung treten muss. Diese, auch auf anderen politischen Ebenen natürlich geltende Problematik tritt auf kommunaler Ebene besonders zutage, da sie derzeit der Hauptfinanzier der Jugendhilfe-Leistungen ist. Durch die schwierige finanzielle Gesamtsituation in vielen Kommunen bzw. Kreisen sind die Handlungsfähigkeit sowie die inhaltliche Steuerung stark eingeschränkt. Wie
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert die Beispiele aus der Praxis zeigen, geraten fachliche Argumente, insbesondere in Zeiten knapper Finanzressourcen, leicht in ein Hintertreffen, wenn an erster Stelle das Argument der Einsparungen steht. Präventive Angebote (zum Beispiel freiwillige Leistungen im SGB VIII) werden vielerorts eingeschränkt bis hin zu der Tatsache, dass Hilfebedürftigen Hilfe aus Einspargründen verweigert wird (unter Umgehung der zuständigen fachlichen Stellen): „Es gibt ja Landkreise, da mussten stationäre Hilfen (Heimunterbringungen) dem Landrat vorgelegt werden. Der Landrat hat entschieden, ob ein Kind ins Heim geht oder nicht. So weitgehende Prozesse gab es. Dazu sage ich: ‚Der Landrat kann die Verantwortung gar nicht tragen. Wenn dem Kind was passiert, weil diese Hilfe versagt wurde!‘ Das geht nicht. Der Landrat muss sich auf seine Fachleute verlassen können. Aber das waren reine Einsparungsgründe” (Text_I 38).
Die teilweise geringe Steuerungskompetenz der Jugendämter als fachliche Aufsichtsbehörden zeigt sich daneben insbesondere dann, wenn Personal-, Finanz- und Fachverantwortung auseinanderfallen, also beispielsweise die Gemeinden Finanzier und/oder Träger von Kindertageseinrichtungen sind und das Jugendamt auf Kreisebene die Verantwortung für die inhaltliche Arbeit trägt. Durch diese Entkopplung ist die Steuerungsmöglichkeit einer fachlichen Aufsichtsbehörde sehr eingeschränkt, da die Rollen als fachlicher Kontrolleur, Finanzier und Träger auseinanderfallen. Am Beispiel der Elternbeiträge wird diese eingeschränkte Steuerungskompetenz besonders deutlich, da diese vielerorts kommunal oder sogar trägerintern geregelt werden und nicht kreiseinheitlich festgelegt werden können. Der fachlichen Aufsichtsbehörde bleibt hier nur die Möglichkeit zu schauen, ob der Grundsatz der Sozialverträglichkeit eingehalten wird, aber nicht die Option, über die Höhe der Beiträge das Nutzerverhalten aktiv zu steuern. Zwar können personelle Gegebenheiten vor Ort diese strukturellen Probleme etwas abmildern und die fachlichen Handlungsspielräume erweitern. So wurde bei den Befragungen in den Kommunen deutlich, dass ein gutes „Standing“ der Leitung eines Jugendamtes in der lokalen Politik direkte Auswirkungen auf die finanzielle Höhe des Etats sowie die Gestaltungsmöglichkeiten in fachlicher Hinsicht haben kann. Zugleich wird an zwei Beispielen aus Brandenburg erkennbar, wie auf kommunaler Ebene das Instrument der Finanzierung kreativ eingesetzt werden kann, um die fachliche Arbeit damit aktiv zu steuern und eine Kompetenzerweiterung herbeizuführen. So hat die Stadt Potsdam 2005 eine Finanzierungsrichtlinie verabschiedet, die die Inanspruchnahme finanzieller Mittel an die Einhaltung inhaltlicher Kriterien gekoppelt hat. Die freien Träger in der Stadt werden somit zu gewissen fachlichen und inhaltlichen Standards verpflichtet, deren Einhaltung nachzuweisen ist, wenn sie kommunale Gelder erhalten möchten (s. Landeshauptstadt Potsdam 2005). Diese Steuerung der Qualität ist allerdings nur in einer Stadt möglich, die über Fach- und Ressourcenverantwortung zugleich verfügt. Der Landkreis Potsdam-Mittelmark hat wiederum eine Kosten-Leistungs-Rechnung im Bereich der Kindertageseinrichtungen eingeführt, mit denen erstmals die Vollkosten eines Platzes in Kindertageseinrichtungen ermittelt werden können und für die Kommunen als Träger und Planer transparent gemacht werden. Die Berechnung stand auch Pate für die Entwicklung von Empfehlungen zur Betriebskostenermittlung von Kindertageseinrichtungen in Brandenburg (s. Oeter 2001). Durch die Möglichkeit eines Datenabgleichs als
3.5 Bereichsübergreifende Steuerungsinstrumente und -akteure
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Dienstleistung für die Kommunen wird der kommunale Steuerungsspielraum erweitert, weil damit erstmals überhaupt eine Transparenz der Kosten ermöglicht wird. Dass es sich dabei offensichtlich um eine relativ einmalige Berechnungsweise handelt, zeigt einmal mehr die Defizite auf, die – nicht nur auf kommunaler Ebene – eine Steuerung des Bereich der Kindertageseinrichtungen erschweren. 3.5.1.4 Sozialraumorientierte Bedarfsplanung Wenn auch mit unterschiedlichen Kompetenzen versehen, sind es doch in allen drei Ländern im Wesentlichen die Kommunen, denen die Aufgabe zukommt, die Bedarfsplanung vor Ort zu verzahnen. Dies betrifft die Schulentwicklungs- und Jugendhilfeplanung, die Kooperation von kommunalen Schulverwaltungsämtern und Jugendämtern sowie die für Schule und Jugend zuständigen Ausschüsse, aber auch den notwendigen Einbezug der unteren Ebene der staatlichen Schulverwaltung in eine kommunale Bildungsplanung (s. BMFSFJ (Hg.) 2005: 539). In allen Kommunen zeigt sich, dass eine engere Verzahnung von Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung als gemeinsame Bildungsplanung in der Umsetzung auf das strukturelle Probleme der nicht vorhandenen kommunalen Kompetenz im Bereich der Schule und Schulentwicklungsplanung stößt. „Landesgesetzlich ist die Steuerungsmöglichkeit der Kommune bei dem Thema sehr, sehr begrenzt. Und das ist sehr schade, weil wir in Sachen Wirkungsorientierung, Sozialraum, Gleichstellung von Schülern, Zugang zu Bildungsangeboten als Kommune eigentlich nur noch Erfüller sind, aber nicht steuern, planen können“ (Text_L 274).
Insbesondere die Tatsache, dass bei gemeinsamen Planungsbemühungen verschiedene Partner und föderale Ebenen am Tisch sitzen und die Kommune keine hinreichende Weisungsbefugnis in ihren Sozialräumen besitzt, stellt hier ein Problem dar, wie sich am Beispiel der Ganztagsschulplanung zeigt. „Was zu Ihrem Thema auch passt, ist für uns einfach das strukturelle Grundproblem (…), dass Sie da mehrere Partner am Tisch haben. Sie haben das Jugendamt mit dem Hort, sie haben das Schulverwaltungsamt mit dem Gebäude, sie haben den freien Träger als Partner, als Leistungserfüller. Und dann haben sie noch das staatliche Schulamt mit den Lehrkräften. Und letztlich hat das aufgrund dieser Konstellation zur Folge, dass die Schulleitung ganz entscheidend ist mit dem Lehrerkollegium, wie inhaltlich die Schule weiterentwickelt wird. Eigentlich entscheiden die über den Ganztag, obwohl natürlich 60 Prozent der Eltern zustimmen. Das heißt, eine Landesbedienstete, ein Landesbediensteter, der nur dem staatlichem Schulamt weisungsgebunden ist, entscheidet ganz stark über, wenn Sie wollen, über den ganzen Stadtteil, mit allen Auswirkungen“ (Text_L 261).
Eine Lösung für diese strukturellen Probleme wird entweder in der Trennung der Planungsbereiche (wie derzeit häufig der Fall) oder in der Verlagerung der Schulaufsicht auf die kommunale Ebene gesehen. Die Erfahrungen in den befragten Kommunen sprechen jedenfalls dagegen, dass im Rahmen der derzeitigen Strukturen eine Verknüpfung von Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung möglich ist: Eine gemeinsame Bildungsplanung setzt gemeinsame Kompetenzen der jeweiligen föderalen Ebene voraus. Allerdings ist im Ver-
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
gleich der verschiedenen Kommunen auch zu sehen, dass die befragten Kommunen unterschiedlich mit ihren begrenzten Kompetenzen umgehen.
So versuchen sämtliche der befragten Städte eine stärkere Sozialraumorientierung der Arbeit durch eine organisatorische Umgestaltung der Jugendhilfearbeit zu erreichen. Teilweise ist dies eingebunden in ein erweitertes Konzept der Organisation einer kommunalen Bildungslandschaft. „Wir arbeiten jetzt in X. sehr intensiv an einer gemeinsamen Bildungsplanung, wo das verbessert werden soll, wobei für mich da immer noch die Frage ist, wie es denn schlussendlich umgesetzt werden soll. Wenn aus der Jugendhilfeplanung Defizite aufgeführt werden, haben wir als Kommune relativ wenig Mittel, die Schule zu bewegen. Jugendhilfe hat den unschätzbaren Vorteil, dass sie auf kommunaler Ebene die Kompetenzen hat. Das ist in der Schulverwaltung ja ganz anders. Die pädagogischen Programme werden nicht vor Ort gemacht“ (Text_G 157).
Aufgrund dieser Schwierigkeit beschränken sich andere Kommunen und Kreise auf eine umfassende und qualitativ hochwertige Jugendhilfeplanung als wichtiges strategisches Projekt, um derart Familien entlasten und/oder präventive Arbeit verstärken zu können. Dementsprechend findet eine umfassende Bedarfsplanung für den Bereich der Kindertagesbetreuung statt, teilweise inkl. Elternbefragungen und/oder kommunal geregelten Elternbeiträgen, mit genauen Quoten und Zielvorgaben für die Stadtteile bzw. Gemeinden des Landkreises. Dies kann nicht nur als Dienstleistung angesehen werden; hierdurch entsteht auch politischer Druck. „Sie [die Gemeinden] sind uns sehr dankbar, dass wir ihnen diese ganze Planungsarbeit abnehmen. Aber wir nehmen uns natürlich dann auch die Freiheit, unsere Ziele zu formulieren“ (Text_F 59).
Von anderen Kommunen in den beiden westdeutschen Bundesländern Bayern und Nordrhein-Westfalen wird eine umfassende Bedarfsplanung dagegen abgelehnt, da der Aufwand als unnötig eingeschätzt wird: o In einer Kommune zeigten frühere Erfahrungen, dass das Ziel noch weit entfernt und ein intensiver Ausbau nötig wäre. Dazu sei keine aufwändige Bedarfsplanung notwendig. o In einer kleinen überschaubaren Kommune wird ein aufwändiges Verfahren der Bedarfsplanung als „unnütze Arbeit“ eingeschätzt und stattdessen unkonventionell und pragmatisch auf konkrete Nachfragen reagiert, die einen Bedarf signalisieren: „Wir haben, was die Bedarfsfeststellung angeht, die Übung, dass wir uns regelmäßig – bisher habe ich es alle Vierteljahre gemacht, jetzt werden wir es alle halbe Jahre machen – die Kinderzahlen geben lassen, differenziert nach Alter, nach geografischer Zugehörigkeit, nach gewissen Bezirkseinteilungen, die wir hier vornehmen können. Und wir nutzen diese Zahlen als Prognosebasis, um zu sehen: Wie wird es denn voraussichtlich im nächsten Jahr aussehen? (…) Und das hat uns bisher eigentlich ausgereicht, um feststellen zu können: Im nächsten Jahr wird voraussichtlich der Zustrom an Kindern in den Einrichtungen geringer sein oder höher sein. Er wird zurückgehen um eine bis zu drei Gruppen. Diese Prognosen, die wir aufgrund dessen bisher gemacht haben, haben uns bisher nicht enttäuscht. Wir haben im Grunde immer eine Punkt-
3.5 Bereichsübergreifende Steuerungsinstrumente und -akteure
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landung gemacht und haben genau das bekommen, was wir eigentlich prognostiziert hatten. (…) Es hängt mit der Tatsache zusammen, dass S. ein kleiner Planungsbereich ist (…) Was wollen sie da großartig demografisch prognostizieren? Da haben sie schnell im Blick, ob es ein Neubaugebiet gibt, ob dieses Neubaugebiet in diesem Jahr fertig wird oder ob es noch sechs Jahre dauert. (…) Und wenn die Bauaufsicht hier im Hause mir sagt, wie viele Baugenehmigungen erteilt wurden, dann weiß ich doch genau, dass die Prognose, die ich jetzt anstelle, wahrscheinlich noch im nächsten Jahr genau so zutreffend sein wird. Das ist der Vorteil kleiner Kommunen“ (Text_K 108).
Erkennbar werden in diesem Kontext Unterschiede zwischen den großen Städten auf der einen und den Landkreisen auf der anderen Seite: Hinsichtlich ihrer größeren Steuerungsbefugnisse im Bereich der Jugendhilfe, aber auch ihres (in der Regel) höheren Professionalisierungrades sind die großen Kommunen hier im Vorteil, wenn es um die Entwicklung neuer Konzepte sowie die sozialraumorientierte Ausgestaltung ihrer Angebote geht. Vor diesem Hintergrund ist auch die zunehmende Kommunalisierung von Leistungen, wie sie in Bayern und Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren erfolgte, teilweise kritisch zu sehen. 3.5.1.5
„Lokale Bündnisse für Familien“
Als ein weiteres Steuerungsinstrument der lokalen Angebotsstruktur sind in den vergangen Jahren in vielen Kommunen „lokale Bündnisse für Familien“ gegründet worden. Sie stellen ein Beispiel für ein Instrument dar, das durch die Ansprache eines breiten Kreises von lokalen Stakeholdern „dem jeweiligen Ansatz mehr öffentliches Ansehen geben und ihn bei der Implementation robuster machen“ soll (Evers 2006: 10). Lokale Bündnisse für Familien existieren in allen befragten Kommunen (bzw. sind im Aufbau), allerdings scheint die konkrete Steuerungsfunktion der Bündnisse häufig unklar zu sein. Offenbar werden sie vielerorts weniger als Planungsinstrument denn als Initiator von einzelnen Aktivitäten angesehen und sind selten mit der Jugendhilfeplanung verknüpft. Bei Landkreisen wirken die in den Gemeinden aufgebauten Bündnisse sogar wenig bis gar nicht in den Kreis hinein. Dementsprechend sind die Bündnisse auch, den Erfahrungen der Interviewten nach, nur punktuell für die Jugendhilfe von Interesse, z.B. bei der Schaffung privater Kindergartenplätze. Positiv genutzt, schaffen die lokalen Bündnisse allerdings eine wichtige strategische Öffnung der herkömmlichen Hilfestrukturen in die breite Öffentlichkeit hinein, wobei die positive Bedeutung des Themas Familie hier hilfreich wirkt. „Es kann ja niemand gegen Familie sein. Das ist ja der große Vorteil. Wie bei Friede und Menschlichkeit ist erst mal jeder für Familie. Wie sich’s dann auswirkt und was für ein Bild dahinter steckt, ist noch mal eine andere Ebene. Aber natürlich ist jeder für Friede. Und für Familie ist auch jeder. Insofern ist das ein wichtiges strategisches Element. Das ist etwas anderes als ein Jugendamt und Jugendhilfe“ (Text_H 76).
Eine Kommune, in der das lokale Bündnis für Familie in vorbildlicher Weise als Steuerungsinstrument eingesetzt wird, ist die Stadt Nürnberg. Hier wurde von Anfang an die Erkenntnis umgesetzt, dass ein Erfolg des lokalen Bündnisses nur mit, nicht gegen die klassische Jugendhilfestruktur errungen werden kann. Ein Nebeneinander der beiden Strukturen wird in Nürnberg dadurch verhindert, dass die Jugendhilfestruktur für Bündnisaktivitäten
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
genutzt wird, was als ein wesentliches Erfolgskriterium für den Erfolg des lokalen Bündnisses eingeschätzt wird. Die Infrastruktur der Jugendhilfe wird für Bündnisaktivitäten genutzt und so erweitert, daneben ergibt sich als zweiter positiver Effekt auch eine Öffnung der Jugendhilfestrukturen in die kommunale Zivilgesellschaft. Im Rahmen des lokalen Bündnisses existieren nämlich projekt- und aufgabenorientierte runde Tische, in die Externe einbezogen werden. Durch diese projektbezogene Einbindung von Betroffenen, die von allen befragten Kommunen lediglich in Nürnberg gegeben ist, werden nicht nur die klassischen Jugendhilfestrukturen geöffnet, es entsteht auch eine stärkere öffentliche Akzeptanz des Bündnisses und der Angebote für Familien, die zudem so vernetzt und besser bekannt gemacht werden können. 3.5.1.6 Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII Im Gegensatz zum Instrument der lokalen Bündnisse für Familien, das in den befragten Kommunen eher punktuell als Steuerungsinstrument der lokalen Angebotsstruktur eingesetzt wird, existieren in den meisten befragten Kommunen Arbeitsgemeinschaften (AG) nach § 78, die aktiv in der Jugendhilfeplanung mitarbeiten, klare Planungsaufgaben haben und den politischen Entscheidungen vorgeschaltet sind. Damit scheint hier in den vergangenen Jahren eine deutliche Verbesserung der Kooperation innerhalb der regionalen Jugendhilfe stattgefunden zu haben330. Die Arbeitsgemeinschaften scheinen sich als institutionalisierte und effektive Akteure in der Jugendhilfeplanung bewährt zu haben und dienen klaren Absprachen zwischen Trägern der Jugendhilfe zu genau umrissenen Bereichen. Die Entwicklung und Planung konkreter Angebote werden in Arbeitsgemeinschaften themenbezogen gemeinsam mit Trägern und Beteiligten vorgenommen, als Themenfelder werden immer wieder folgende Bereiche genannt:
Hilfen zur Erziehung, Familienbildung, Kindertagesbetreuung, Jugendarbeit bzw. Jugendpflege.
Über den jeweiligen speziellen Bereich hinaus findet keine weitergehende Planung in den Arbeitsgemeinschaften statt. Diese Aufgabe nimmt der Jugendhilfeausschuss wahr. Vor allem dort, wo starke Träger versammelt sind, die Möglichkeit des Austauschs gerne angenommen sowie der Prozess von der Kommune (Verwaltung) aktiv moderiert wird, wird die themenbezogene Kooperation der Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII als erfolgreich erlebt. Im Gegensatz kann ein Misserfolg vor allem dort beobachtet werden, wo der Mehrwert der Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft für die freien Träger nicht erkennbar wird bzw. die Differenzen zwischen diesen zu groß sind.
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So plädierte noch der Elfte Kinder- und Jugendbericht 2002 für den stärkeren Einbezug von Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII für die Jugendhilfeplanung und Merchel/Reismann stellten in ihrer Untersuchung 2004 fest, dass lediglich in jedem zweiten Jugendamt eine regelhafte Kooperation zwischen Jugendhilfeausschuss und Arbeitsgemeinschaften nach § 78 stattfinde (Merchel/Reismann 2004).
3.5 Bereichsübergreifende Steuerungsinstrumente und -akteure
335
„Wir haben den Anstoß gegeben. Wahrscheinlich darf das nicht sein, dass der öffentliche Träger den Anstoß gibt, sondern es muss tatsächlich eine Initiative von den Wohlfahrtsverbänden sein bzw. von den freien Trägern der Jugendhilfe. Wenn die das nur auf Anregung des öffentlichen Trägers machen, dann ist es eine Totgeburt. Wir haben es ein paar Jahre versucht. (…) Aber die einzelnen Träger wollten sich nicht vernetzen. Die Interessen der einzelnen Träger waren so differierend. Wir haben es sanft entschlafen lassen” (Text_F 278, 277).
Zugleich wird hieran deutlich, dass nicht jedes Engagement durch eine staatliche Steuerung auch gestärkt wird. Insbesondere dann, wenn Träger den Mehrwert für die eigene Arbeit nicht erkennen können, scheinen Top-down-Initiativen wenig Wirkung entwickeln zu können. 3.5.1.7 Stadtteil- und Sozialraumkonferenzen Ein weiteres Instrument der Vernetzung vor Ort und der Ausgestaltung der kommunalen Angebote stellen in fast allen größeren befragten Kommunen Stadtteil- bzw. Sozialraumkonferenzen dar. Lediglich aus zwei Landkreisen wird die Erfahrung berichtet, dass solche Runden in kleinen Gemeinden nicht nötig seien. „Manchmal sind die Gemeinden aber auch sehr klein. Da kennt man sich“ (Text_F 191).
Dagegen verstärken in den befragten Städten Stadtteil- bzw. Sozialraumkonferenzen die Tendenz der Sozialraumorientierung, die die Jugendhilfearbeit in immer mehr Kommunen kennzeichnet und die vor allem dann als hilfreich angesehen wird, wenn soziale Schieflagen eine intensive Vernetzung von Hilfsmaßnahmen im Stadtteil notwendig machen. Zugleich ergibt sich durch die Orientierung am Sozialraum die Möglichkeit, die Implementierung neuer Maßnahmen modellhaft in Stadtteilen zu erproben und dann in die Gesamtkommune zu vermitteln – was in Zeiten, da die Durchführung von Veränderungsprozessen immer häufiger wird, besonderen Charme hat. Die Qualität der Stadtteil- bzw. Sozialraumkonferenzen wird von den Befragten als sehr unterschiedlich eingeschätzt. „Und dann gibt es ganz differenzierte Einzelsituationen: Sozialarbeiterinnen, die in bestimmten Kommunen Sprechstunde machen, die da gut vernetzt sind mit den Angeboten vor Ort, aber wo auch der subjektive Faktor eine große Rolle spielt. Ein einheitliches Bild gibt es nicht. Vielleicht muss man diese Unterschiedlichkeit auch zulassen“ (Text_I 149).
Neben dem „subjektiven Faktor“ scheint die unterschiedliche Qualität auch auf strukturelle Parameter zurückzuführen sein. So ergibt sich beispielsweise eine besondere Schwierigkeit da, wo lediglich ein sehr dünnes Netz an Angeboten der Jugendhilfe und sozialen Dienste gegeben ist. Dies macht auf eine weitere Problematik aufmerksam: Ähnlich wie bei den Arbeitsgemeinschaften nach § 78 bleiben die professionellen Akteure der Jugendhilfe und sozialen Dienste häufig auch in den Stadtteilkonferenzen unter sich. Von den untersuchten Kommunen versucht lediglich eine Kommune den Akteurskreis systematisch zu erweitern und Akteure der Zivilgesellschaft in Stadtteilarbeitskreise einzubinden. Des Weiteren ist in allen befragten Kommunen auffällig, dass eine Verknüpfung mit dem Bildungsbereich in den Stadtteil- bzw. Sozialraumkonferenzen nur selten statt findet. Häufig ist die Schulbeteiligung eher schlecht. Als eher engagierte Verteter/innen fallen dagegen Fachkräfte der
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
Jugendsozialarbeit auf (die nach Einschätzung einer Befragten in Bayern als Katalysator für sozialraumorientierte Vernetzung wirken und zudem teilweise auch explizit den Auftrag haben, die Vernetzung voranzutreiben) sowie Fachkräfte aus Netzwerkstellen bzw. Stadtteil- oder Quartiersmanager, für die das gleiche gilt. 3.5.1.8 Erfolgsfaktoren kommunaler runder Tische in der Jugendhilfe All diese Beispiele machen deutlich, mit welch vielfältigen Instrumenten die Planung und Ausgestaltung kommunaler Angebote vorangetrieben wird. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit weisen die Runden Tische bzw. Vernetzungsrunden, die kommunal existieren, bestimmte Erfolgsfaktoren auf. In struktureller Hinsicht sind hier vor allem zu nennen
der Einbezug aller relevanten Akteure, eine Person, die die Vernetzung vorantreibt sowie die Einbindung des Bündnisses oder runden Tisches in die Jugendhilfeplanung und -struktur.
Vor allem der Mangel an Letzterem scheint ursächlich dafür zu sein, dass manchen runden Tischen bzw. Bündnissen eher das Etikett des wenig Nachhaltigen anhaftet, ohne dass eine systematische kommunale Planung und Steuerung durch sie vorangetrieben würde. „Es gibt zwei Bedingungen, dass ein Bündnis lokal erfolgreich sein kann: Es muss die Strukturen mitnehmen, und es braucht zweitens so etwas wie einen Kümmerer. Also es muss jemand freigestellt sein, der sich dann auch darum kümmert, diese Netzwerkarbeit macht. Man braucht kein Alibi, wie es manchmal auftaucht: Da ist irgendjemand und sagt: ‚Wir brauchen jetzt auch ein Bündnis’, der Landrat oder vielleicht der IHK-Präsident. Und dann macht man einen großen Treibauf. Das ist es nicht. Man muss die Jugendhilfestruktur mitnehmen. Die stellen die Infrastruktur, die klassische Hardware. Man kann es nicht gegen die Struktur machen, man kann es nicht gegen die Jugendverbände machen, sondern muss die mitnehmen. Und man muss gewisse Ressourcen bereitstellen, personelle und ein paar Mark“ (Text_H 123).
Daneben muss, um erfolgreich zu sein, die Arbeit in den Runden durch bestimmte Bedingungen gekennzeichnet sein:
klare Rahmenbedingungen der Arbeit wie beispielsweise Stringenz in der Sitzungsfolge und klare Arbeitsstrukturen, aber auch Klarheit in der Zielerreichung, eine gute Vorbereitung der Sitzungen durch die Leitung/Moderation.
Der Person der Moderation bzw. Leitung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu: Sie muss die Federführung der Sitzungen als einen Spagat zwischen Moderation und Leitung beherrschen und als „aktiver Kümmerer“ die Arbeit auch zwischen den Sitzungsfolgen vorantreiben. Dazu braucht sie nicht nur die notwendige Unterstützung in Form von in der Regel bezahlter Freistellung, sondern auch entsprechende Fortbildungen bzw. Schulungen, um auf ihre Rolle hinreichend vorbereitet zu werden.
3.5 Bereichsübergreifende Steuerungsinstrumente und -akteure
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„Gerade die Leiter dieser Runden, die können nicht ungeschult in solche Runden geschickt werden. Aber da gibt es ja so und so viel Schulungs- und Fortbildungsmaßnahmen inzwischen für Stadtteilkonferenzmanager und, und, und. Da haben wir unsere Leute, die das bisher gemacht haben, auch vorher geschult. Denn sonst gehen die da vor die Hunde“ (Text_G 130).
Zudem ist, nach Erfahrungen der Interviewten, eine Unterstützungsstruktur wie die Schaffung von Austauschsmöglichkeiten mit Kolleg/innen (aus anderen Kommunen) notwendig. Wenn diese Bedingungen gegeben sind, so wurde in den Expert/inneninterviews deutlich, ist der Mehrwert von kommunalen Runden Tischen klar gegeben und führt zu einer Motivation der Fachkräfte bis hin zu Kosteneinsparungen durch ein effizienteres Wirtschaften bzw. Arbeiten auf Ebene der Kommune wie der freien Träger. 3.5.2 Kompetenzübertragung auf Gebietskörperschaften und Abstimmungsprozesse zwischen den Steuerungsgruppen Im Rahmen der Föderalismusreform wurde erneut für die Öffentlichkeit sichtbar, welch eine Kompetenzenvielfalt insbesondere in den Politikbereichen, die für die Gestaltung der Humanvermögensbildung zentral sind, vorherrscht. Wäre dabei im Bildungsbereich die aus fachlicher Sicht nahe liegendste Lösung gefunden worden, nämlich eine Ausweitung der Bundeskompetenz, hätte dies eine Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz von den Ländern weg bedeutet. Dementsprechend heftig wurde diese Lösung von den Ländern kritisiert. Beispielhaft deutlich wird diese Sichtweise an der von bayerischer Seite geäußerten Kritik an den Aktivitäten des Bundes im Bildungsbereich, versinnbildlicht im „Investitionsprogramm Bildung und Betreuung“: „Bereits jetzt sind Bestrebungen der EU-Kommission erkennbar, in einem sog. „Einheitlichen Raum des Lernens und der Bildung“ Benchmarks für Bildung zu setzen. In ähnlicher Richtung versucht die Bundesregierung beginnend mit dem 4-Milliarden-Euro-Programm sich der Bildungszuständigkeiten der Länder zu bemächtigen. Das bedeutet letztendlich Zentralisierung und Vereinheitlichung des Bildungssystems und den Verlust einer wichtigen Länderhoheit. Dem werden wir entschiedenen Widerstand entgegensetzen, weil Bayern bewiesen hat, dass hier die größere Kompetenz der Lehrer, der bessere politische Weitblick und auch deshalb die besseren Schüler beheimatet sind“ (Bayerischer Landtag 2003: 55).
Während also die Kompetenzbefugnisse der Länder im Bildungsbereich erweitert wurden, ist der Bereich der Kinder- und Jugendhilfe im Kompetenzbereich des Bundes verblieben. Über politischen Druck versucht dieser, wie unter anderem im Bereich des Tagesbetreuungsgesetzes ersichtlich, Handlungsdruck in den Ländern zu erzeugen (s. Kap. 3.3.3.3). Dem dienen dabei nicht nur im TAG verankerte Verpflichtung der Bundesländer zur regelmäßigen Berichtspflicht, sondern auch die im Zuge des Gesetzes überarbeiteten und erweiterten Statistiken zur Kinderbetreuung (s. BMFSFJ (Hg.) 2007: 7). Der bildungspolitische Handlungsspielraum und die Steuerungskompetenz der Bundesländer ist zugleich durch das Handeln der Verwaltungsgerichte eingeschränkt, wie am Beispiel des Landes Brandenburg zu beobachten ist. Restriktive Urteile der Verwaltungsgerichte haben hier in den vergangenen Jahren eine Entwicklung angebahnt, wie sie auf Bundesebene im Bereich der Familienpolitik beobachtbar ist: Während dort mittlerweile das Bundesverfassungsgericht als wichtiger familienpolitischer Akteur auftritt (vgl. Gerlach
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
2004: 130ff), ist auch auf Landesebene ein Gericht in die Rolle eines bildungspolitischen Akteurs geraten. „Wenn wir jetzt das Gütesiegel vergeben würden, könnte die Nachbarkita sagen: ‚Wir haben den gleichen Anspruch’. Und dann müssten die Kriterien einer verwaltungsrechtlichen Überprüfung standhalten. Und so, wie in Brandenburg die Verwaltungsgerichte urteilen, (…) da hätten wir keine große Chance“ (Text_C 136).
Im Gegensatz zur Bundesebene findet die Steuerung hier allerdings indirekt statt. Inwiefern diese Entwicklung typisch für ein Bundesland ist oder auf eine veränderte Akteurszentrierung auf Landesebene generell hinweist, müsste genauer untersucht werden. Was den politischen Handlungsspielraum der Kommunen und ihre gestalterische Einflussnahme angeht, so ist dieser zwar gering. Durch die zunehmende Tendenz der Kommunalisierung von Leistungen sind hier aber auch Freiräume für die Kommunen erschlossen worden. Beispielhaft wird dies sichtbar, wenn es um die Steuerung der Sicherstellung von Betreuungs- und Bildungsplätzen für Kinder arbeitssuchender Eltern geht. Hier kooperiert in verschiedenen Kommunen mittlerweile das örtliche Jugendamt mit der Arbeitsagentur bzw. ARGE, mit dem Ziel, so die Betreuungserfordernisse der Eltern besser lösen zu können. In einer befragten Kommune hat eine enge Kooperation zwischen ARGE und Jugendamt zur Konzeption von Angeboten geführt, die die Stärkung arbeitssuchender Eltern mit der Sicherstellung kurzfristiger Betreuungsangebote verknüpft. Die Kooperation wirkt so erfolgreich, dass mittlerweile sogar ein Verbundsystem Jugendberufshilfe ins Leben gerufen wurde, um die Kompetenzen der Jugendlichen dadurch viel früher zu fördern, als die Arbeitsagentur alleine es könnte. Dort, wo eine Kooperation von Jugendamt und ARGE als konzeptionierte, strukturierte Zusammenarbeit nicht gegeben ist (bei den befragten Kommunen war dies vor allem in ländlichen Kreisen der Fall), wurden verschiedene Gründe für diesen Tatbestand genannt, am häufigsten der, wonach eine Kooperation als wenig notwendig erachtet werde, weil Probleme angeblich bislang nicht aufgetreten seien. Probleme in der Zusammenarbeit stellen sich in den Kommunen, die dies erfolgreich praktizieren, vor allem durch übergeordnete Tatbestände ein. So war im Analysezeitraum zum einen unklar, inwiefern die erfolgreiche Kooperation durch die aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20.12.2007 (2 BvR 2433/04) notwendige Neukonzeption der Arbeitsmarktpolitik vor Ort verändert wird. Zugleich wurden bereits in der Vergangenheit Datenschutzfragen als hemmend bei der intensiveren Zusammenarbeit erlebt. Aus Sicht des Jugendamtes wird die gesetzliche Regelung im SGB II, Mütter von kleinen Kindern bei der ARGE als Passivkunden von Angeboten auszuschließen, als extrem problematisch angesehen: Sie kommen so nicht in den Genuss von Betreuungs-, Vermittlungs- und Qualifizierungsangeboten und werden der Arbeit eher entwöhnt, was vor allem bei Alleinerziehenden fatale Nachwirkungen habe. Die Erfahrung beispielsweise des Projekts „Armutsprävention bei Alleinerziehenden“ 2002 bis 2005 in Nürnberg habe den Wunsch der Frauen zu arbeiten gezeigt, dem gesetzlich durch das SGB II und die Auslegung der Unzumutbarkeitsbedingungen durch die Arbeitsagentur ein Riegel vorgeschoben werde. Dieses Fernhalten von Müttern unter dreijähriger Kinder vom Arbeitsplatz schaffe nachhaltige Probleme insbesondere bei alleinerziehenden Sozialhilfeempfängerinnen. Hier müsste die Arbeitsmarktpolitik dringend frauengerechter werden. Notwendiger Handlungsbedarf zeigt sich auch bei einem weiteren Abstimmungsproblem, nämlich der Beschränkung der Wahlfreiheit auf die Wohnortgemeinde im Bereich der
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Kindertageseinrichtungen. Die kommunalen Grenzen beschränken dadurch das Wahlrecht der Eltern, was in Zeiten, wo von Arbeitnehmer/innen zunehmend eine hohe Flexibilität erwartet wird, ein großes Problem darstellt (s. Diakonisches Werk der EKD 2008: 15f). Hier ist dringend landesrechtlich eine interkommunale Vernetzung festzuschreiben und deren Finanzierung sicherzustellen, um Eltern einen freien Zugang auch über die Wohnortkommune hinaus zu ermöglichen. 3.5.3 Ressortübergreifende Strukturen auf Landes- und kommunaler Ebene Angesichts der Bedeutsamkeit von Strukturen (polity) für politische Inhalte (policy) soll im Folgenden die Kompetenzordnung bei den Gebietskörperschaften daraufhin betrachtet werden, inwiefern ressortübergreifende Strukturen auf den verschiedenen Ebene geschaffen worden sind bzw. wie die Ressortzuständigkeiten von Jugendhilfe und Schule auf Landesebene, aber auch auf Ebene der Kreise und Kommunen organisiert sind. Allein die Betrachtung der Ressortzuständigkeiten in den drei Bundesländern macht die unterschiedliche Zuordnung des Bereichs der Jugendhilfe deutlich, wie in der nachfolgenden Tabelle aufgeführt: Tabelle 15: Ressortzuständigkeit von Jugendhilfe und Schule auf Landesebene (Stand: Dezember 2008 ) Bundesland:
Ministerielle Zuständigkeiten:
Bayern
Kinder- und Jugendhilfe: Staatsministerium für Arbeit, Sozialordnung, Familie, Frauen Kindertageseinrichtungen: Staatsministerium für Arbeit, Sozialordnung, Familie, Frauen Schulen: Staatsministerium für Unterricht und Kultus
Brandenburg
Kinder- und Jugendhilfe: Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Kindertageseinrichtungen: Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Schulen: Ministerium für Bildung, Jugend und Sport
Nordrhein-Westfalen
Kinder- und Jugendhilfe: Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration (bis 2005: Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie) Kindertageseinrichtungen: Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration (bis 2005: Ministerium für Schule, Jugend und Kinder) Schulen: Ministerium für Schule und Weiterbildung (bis 2005: Ministerium für Schule, Jugend und Kinder)
Am Beispiel des Landes Nordrhein-Westfalen wird dabei ersichtlich, welchen Verschiebungen die Kinder- und Jugendhilfe ausgesetzt sein kann. Das Aufgabenfeld der Kindertageseinrichtungen ist nämlich dort in den vergangenen Jahren immer wieder in anderen
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Ressorts verortet gewesen331 – mit offenbar deutlichen Auswirkungen auf die Wahrnehmung des Bereichs (s. Kap. 3.3.1.4). Je nachdem, „unter welcher Flagge man segelt“ – so wurde in den Expert/inneninterviews deutlich, sei eine andere Gewichtung des Bereichs Kindertageseinrichtungen erkennbar, die automatisch höher sei, wenn sie mit Bildung in einem Haus ressortiere. Auch sei eine Kooperation zwischen Bildungs- und Jugendhilfebereich und -abteilung ganz anders möglich, wenn beide Bereiche in einem Haus verortet sind. Eine gute Kenntnis des Arbeitens der jeweiligen Abteilungen und ein klares Bildungskonzept der Hausspitze seien hier vorteilhaft und führten zur Kenntnis von Gemeinsamkeiten, was nicht durch interministerielle Arbeitsgruppen kompensiert werden könne, zumal wenn, wie derzeit in Nordrhein-Westfalen, noch verschiedene Parteien die Ministerien „besetzen“ bzw. „die Koalitionsfront da durch geht“ (Text_B 123). Ähnliche Mechanismen wie auf Landesebene zeigen sich auch auf der Ebene der Kreise bzw. Bezirke. So wurde in den Expert/inneninterviews deutlich, dass eine Zusammenarbeit zwischen den Ämtern der Jugendhilfe und des Schulbereichs vor Ort vor allem durch die fremden Strukturen und Arbeitskulturen erschwert wird. Eine Kooperation beider Bereiche wird zudem offensichtlich erheblich erleichtert, wenn die unterschiedlichen Strukturen und auch die Hebel, durch die (vor allem im strenger formalisierten Schulbereich) Änderungen in Gang gesetzt werden können, bei den handelnden Personen bekannt sind. Dies zeigen die positiven Kooperationserfahrungen aus einem Landkreis, in dem die Kooperation von Jugendhilfe und Schule ziemlich weit vorangetrieben ist. Hier kann die Jugendamtsleitung Erfahrung in der Leitung des Schulamtes aufweisen, kennt damit die Personen und Strukturen sowie den Sprachduktus des Amtes. „Jugendämter, die diesen Schlüssel nicht haben, den ich mitgebracht habe aus meiner Vortätigkeit, die kriegen das Schulamt nicht aufgebrochen. Die laden ein zu Gesprächsrunden, appellieren an Zusammenarbeit und Kooperation und kommen nicht voran und sagen: ‚Das Schulamt kann ich vergessen. Ich gehe auf die einzelne Schule zu, treffe mich mit dem Schulleiter und versuche auf der Arbeitsebene, die Dinge in Gang zu bringen. Das Schulamt kann ich völlig vergessen, ich bekomme keine Unterstützung’“ (Text_I 211).
Dies ist unter anderem deswegen so bedeutsam, da die Erfahrungen in sämtlichen Kreisen zeigen, dass der Kooperation der Ämter entscheidende Bedeutung zukommt, wenn es um die Intensivierung der Kooperation von Jugendhilfe und Schule generell geht. Der politische Wille dazu muss durch gemeinsame Akzente der Amtsleitungen in die Breite getragen werden, um einen Erfolg zu garantieren. So dienen in dem oben erwähnten Landkreis gemeinsame Erklärungen von Schulamts- und Jugendamtsleitung dazu, (vor allem) den Schulleitungen zu vermitteln, dass das Thema der Kooperation von Jugendhilfe und Schule wichtig ist. Mittlerweile ist die Zusammenarbeit so weit institutionalisiert, dass eine regelmäßig tagende „AG Kooperation Schule-Jugendhilfe“ sie aktiv vorantreibt. Über dieses Beispiel hinaus sind in den vergangen Jahren in verschiedenen Kommunen inhaltlich neue Schwerpunktsetzungen der Verknüpfung von Jugendhilfe und Schule vorgenommen worden, bis hin zur Zusammenlegung der Bereiche Jugend und Schule in einem Amt/Dezernat. Diese Zusammenlegung der Ämter auf kommunaler Ebene ist allerdings nicht flächendeckend gegeben. Dort, wo eine intensive Kooperation stattfindet, wird 331
Neben dem Familien- und dem Schulministerium war der Bereich in den vergangenen Jahren auch im Frauenministerium sowie davor im Sozialministerium verortet.
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die Erfahrung gemacht, dass „der Gesamtblick noch mal anders ist“ (Text_L 100). Zudem können inhaltliche Aspekte im Schulbereich besser mit Aspekten der Jugendhilfe verbunden werden, wenn auch eine persönliche Nähe gegeben ist, wie am Beispiel aus einer Kommune deutlich wird, die Schulverwaltungs- und Jugendamt zusammen gelegt hat: „Wir haben es langsam angehen lassen und vertrauen darauf, dass durch das tägliche Arbeiten der Kollegen, die hier auf dem Flur miteinander jetzt sitzen, dieser Austausch stattfindet, zum Beispiel in der Frage: Wie arbeiten Grundschulen und Kindergärten demnächst zusammen? Infoveranstaltungen für die Eltern der Vierjährigen, Sprachförderverfahren und all diese Themen, die werden jetzt nicht mehr isoliert in einer dritten Etage im Nebengebäude gemacht, sondern die werden auf einem Flur von einer Kollegin zur anderen gemacht. Und wir haben bewusst auch die Aufgabenbereiche neu sortiert und haben Wert darauf gelegt, dass die Kollegen nicht nur wie bisher Schule betreiben, sondern auch den Bereich Kindergärten mit in ihren Arbeitsbereich nehmen und dass andere Kollegen, die zum Beispiel bisher nur Kindergartenbeiträge veranlagt haben, jetzt auch die Veranlagung machen für die Offene Ganztagsgrundschule. Das klingt zwar sehr einfach, sehr selbstverständlich für andere, aber für uns ist das ein wichtiger Schritt, um den Austausch herzustellen“ (Text_K 12).
Zugleich muss eine Trennung der Ämter – dies wird auch deutlich – nicht heißen, dass keine fundierte Kooperation möglich ist. Notwendig ist vor allem eine Institutionalisierung der Zusammenarbeit, in welcher Weise auch immer, um folgenden Erfolg zu erreichen: „…wenn mal eine Person wegbricht, ist der Verfahrensstrang noch da“ (Text_G 35).
Nichtsdestotrotz ist zusammenfassend bei einem Blick auf die untersuchten Kommunen festzuhalten, dass derzeit die Kooperation der beiden Bereiche vor allem punktuell durch das Eigenengagement von Personen vorangetrieben wird, die zufällig beide Bereiche kennen oder aus anderen persönlichen Gründen eine Kooperation von Jugendhilfe und Schule für sinnvoll erachten. Dementsprechend unterschiedlich ist die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule in den Kommunen und Kreisen ausgestaltet. Mit Ausnahme des bayerischen Beispiels (s. Kap. 3.4.1.2) wird hier von Seiten der Bundesländer nur wenig steuernd eingegriffen. 3.5.4 Kooperationsstruktur zwischen den föderalen Ebenen Obwohl der Bund über die Finanzierung von Projekten im Bereich der Humanvermögensbildung ein Akteur mit nicht unbedeutendem Einfluss ist, findet eine Kooperation und Abstimmung der politischen Aktivitäten mit den Ländern bzw. auch zwischen den Ländern nur in begrenztem Maße statt. Als bedeutsame institutionalisierte Arbeitsrunden sind hier im Wesentlichen die Ministerkonferenzen (der Jugendminister- bzw. Kultusministerkonferenz) zu nennen, an denen der Bund aber nur als Gast teilnimmt, ergänzt um die regelmäßig stattfindende Konferenz der obersten Landesjugendbehörden (AGOLJB). In diesem Kontext zeigt sich eine der negativen Auswirkungen des Bürokratieabbaus der vergangenen Jahre für den fachlichen Austausch: Regelmäßige institutionalisierte Treffen der Fachleute aus den Ministerien, in denen nach übereinstimmender Auskunft verschiedener Interviewter ein fachlicher Austausch stattfand und inhaltlich viel vorangetrieben wurde, fielen weg, als die Vorgaben zum Bürokratieabbau aus Einspargründen umgesetzt wurden, ohne dass stattdessen eine neue sinnvolle Struktur aufgebaut wurde. Stattdessen werden nun Ad-hocArbeitsgruppen eingesetzt, durch die allerdings eine gleichwertige inhaltliche Arbeit sowie
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ein Austausch der Bundesländer untereinander nur noch bedingt gegeben ist. Eine geregelte Kooperation zwischen den Bundesländern oder mit dem Bund findet dadurch sehr begrenzt statt, gemeinsame Planungen bzw. ein Austausch über Steuerungsmechanismen auf der Arbeitsebene nur unsystematisch. „Jetzt gibt es Ad-Hoc-Arbeitskreise. Ad-Hoc-Arbeitskreise haben, wie nicht anders zu erwarten und von uns auch vorhergesagt, immer das Problem: Man muss sich erst einmal finden, und das ist eben schwierig (…) Das Ganze läuft nun so: Auf der Ebene der Jugendministerkonferenz wird eine Idee entwickelt, die wird dann heruntergegeben auf die Abteilungsleiterebene, die AGOLJB. Dann wird einer der Abteilungsleitungen ausgeguckt, das Thema zu bearbeiten und evtl. dazu eine Arbeitsgruppe, eine länderoffene Arbeitsgruppe, zusammenzurufen. Wir von der Kommission (…) haben zwei-, dreimal die Gelegenheit gefunden, uns am Rande von anderen Veranstaltungen zu treffen, ansonsten gibt es die Kommission institutionell nun eben nicht mehr – während wir früher drei Treffen im Jahr hatten und eine ganze Reihe von Beschlüssen in den letzten Jahren auch vorangetrieben haben“ (Text_B 143, 147, 148). „Jetzt gibt es praktisch nur noch informelle Treffen. Ich habe hier wieder ein geschlossenes Internet-Forum eingerichtet, wo wir uns austauschen. Wir schicken uns Mails hin und her. Wir treffen uns am Rande von Tagungen. Natürlich kennt man sich und ruft an: ‚Du weißt doch das und das, was habt Ihr da gemacht?’ Aber das geht natürlich verloren, im Laufe der Jahre, das ist ganz klar. Wenn es diese regelmäßigen Arbeitsstrukturen nicht gibt, gehen auch persönliche Beziehungen verloren. Wir sind richtig schön auf dem Weg in die Kleinstaaterei, das ist ganz deutlich“ (Text_C 203, 204).
Eine Kooperation in Bezug auf eine Evaluation der Arbeit ist nicht gegeben, auch keine Reflexion über Systemrationalitäten bei der Finanzierung der Bildungsarbeit. Jegliche Optimierung wird so Stückwerk. Während die Interviewten in den Bundesländern Brandenburg und Nordrhein-Westfalen dies als „Kleinstaaterei“ bzw. „doppelte Arbeit“ beklagten, verwiesen die bayerischen Gesprächspartner/innen hier lediglich auf die föderalistische Struktur und die Landeszuständigkeit, wonach durch die Eigenständigkeit der Bundesländer keine Abstimmungserfordernisse gegeben seien. Hier scheint wieder das andere Staatsverständnis in Bayern durch, wonach die föderalistische Vielfalt erheblich positiver bewertet wird als in den beiden anderen Bundesländern. Aber auch innerhalb der Länder, in der Kooperation zwischen Land und Kommunen, findet ein fachlicher Austausch nur in Ansätzen statt. Am Beispiel des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, wo durch das Konnexitätsprinzip eine starke Rolle der Kommunen gegeben ist, die sich vielfältig auf die Kooperation zwischen Land und Kommune auswirkt, zeigen sich die teilweise nachteiligen Folgen für die fachliche Weiterentwicklung. „Wir sind jetzt in einer Situation, dass die Kommunen erst einmal sagen: Jede Veränderung von Landesrecht hat Konnexitätsfolgen. Ich finde das eine irrsinnige Debatte (…) Wenn man das politisch-systemisch betrachtet, diese Diskussion um das Konnexitätsprinzip, dann muss man feststellen: Alle haben sich damals dahinter gestellt, alle Parteien im Landtag, es war ja eine Verfassungsänderung dafür notwendig. In der Diskussion jetzt kann die Anwendung dieses Prinzips aber lähmend sein, wenn es um die Weiterentwicklung geht. Und das merken wir bei der Sprachförderung. Vor drei Jahren war völlig klar nach der auch von den kommunalen Spitzenverbänden unterschriebenen Bildungsvereinbarung: Das Kind muss deutsch lernen. Vor drei Jahren war völlig klar, dass die Kindertageseinrichtung Bildungsarbeit zu leisten hat. Heute sagen die Verantwortlichen der kommunalen Spitzenverbände: ‚Wieso das denn, wie kommt Ihr denn da drauf? Das könnt Ihr aber nicht ins GTK schreiben’“ (Text_B 94, 96, 97).
3.5 Bereichsübergreifende Steuerungsinstrumente und -akteure
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Damit wirkt sich das Konnexitätsprinzip offensichtlich teilweise hemmend auf das politische Handeln aus, wie auch an anderer Stelle geäußert wird: „So einleuchtend das [Konnexitätsprinzip] auf den ersten Blick auch ist, so problematisch erweist es sich bei gründlicher Betrachtung. Dieses Prinzip funktioniert wie ‚die Schere im Kopf‘, mit der berechtigte fachliche Standards aus dem Diskurs geschnitten werden“ (Lübking 2004a: 72). An dieser Stelle zeigt sich, dass die kritisierte Trennung von Finanz- und Aufgabenverantwortung durchaus sinnvoll ist. Aus Bayern wird berichtet, dass die Einführung des Konnexitätsprinzips direkte Auswirkungen auf die Verbindlichkeit des bayerischen Bildungsplanes hat. Ursprünglich war geplant, den Bildungsplan zum Bestandteil des KitaGesetzes zu machen; davon hat die bayerische Landesregierung Abstand genommen (ebd.). Auch das fachlich häufig geforderte und für sinnvoll erachtete Prinzip, wonach die Ebene, die die Aufgabe überträgt, auch die Finanzierung sicherzustellen hat, verfügt offensichtlich über Nebenwirkungen, wie sich hier zeigt, mit deutlich negativen Auswirkungen auf die fachliche Arbeit. Eine darüber hinausgehende Kooperation zwischen Land und Kommunen mit dem Ziel einer systematischen Evaluation von Gesetzesvorhaben ist in den drei Ländern nicht gegeben. Hierfür wurden in den Expert/innengesprächen von kommunaler wie Landesseite verschiedene Gründe aufgeführt. So wirken sich die oben bereits aufgeführten nachteiligen Effekte des Bürokratieabbaus negativ hinsichtlich der Fähigkeit zum fachlichen Austausch aus. Zusätzlich erschwert wird dieser durch die auf Seite des Landes dominierende politische Betrachtungsweise, die nicht immer den aus fachlicher Sicht besten Lösungswegen entspricht. Zudem schwächen Arbeitsverdichtung sowie Fachkräfteabbau die inhaltliche Arbeit des Landes. „Es ist ja nicht nur ein Aufgabenzuwachs eingetreten, gleichzeitig wird ja auch Personal herausgezogen, 1,6 Prozent pro Jahr müssen eingespart werden, auch in der Ministerialbürokratie; das trifft dann den, den es trifft. Ich werde jetzt innerhalb kürzester Zeit meine beiden Sachbearbeiterinnen verlieren, die für den pädagogischen Bereich zuständig sind. Dann bin ich ein Fachkräfte freies Fachreferat. Da bleibt als einzige Möglichkeit auf dem Abordnungswege eine Kollegin oder einen Kollegen aus irgendeinem großen Jugendamt hierher zu lotsen, wenn die Jugendämter mitmachen“ (Text_B 135).
Aus diesen Gründen sind lediglich punktuelle inhaltliche Kooperationen zwischen Kommunen und Land gegeben bzw. findet eine Zusammenarbeit im Projektbereich statt, wobei die Kooperationen offensichtlich eher vor dem Hintergrund persönlicher Kenntnisnahme ablaufen als systematischen Kriterien entspringen. Als positiver wird im Ganzen die Kooperationsstruktur der Kommunen untereinander mit benachbarten Kommunen bzw. Kreisen in allen drei Bundesländern eingeschätzt, insbesondere auf fachlicher Ebene. Beispielhaft zeigt sich dies in der Kooperation der Jugendamtsleitungen untereinander, wie sie in einer regionalen Planungsgemeinschaft in Brandenburg in vorbildlicher Weise praktiziert wird. Dort bietet die Arbeitsgemeinschaft der Jugendamtsleiter ein regelmäßiges, als sehr gewinnbringend eingeschätztes Forum des Austauschs. Im Rahmen dieser Arbeitsgemeinschaft wurde zum 1.1.2003 auch die Gründung einer gemeinsamen Adoptionsvermittlungsstelle vereinbart, um Ressourcen in den verschiedenen Kommunen zu bündeln, was als großer Gewinn wahrgenommen wird.
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert „Aber ich denke unser bestes Projekt war die gemeinsame Adoptionsvermittlungsstelle, die wir jetzt haben. (…) Da haben wir eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung geschlossen. Das war ein Riesenaufwand, weil das durch die Stadtverordnetenversammlung, durch die Kreistage beschlossen werden musste (…) [Die Städte] H., T., N. und wir, wir betreiben eine gemeinsame Adoptionsvermittlungsstelle. Meines Wissens nach wie vor die einzige im Land Brandenburg. Und die Fachkräfte, die da tätig sind, sagen: ‚Es ist absolut prima‘ (…). Ein Qualitätssprung ohne Ende. Dadurch gibt es noch gute Reserven, wenn Jugendämter untereinander zusammenarbeiten ohne die Eigenständigkeit zu verlieren (…). Ich denke, da gibt es noch manche Felder, die man so bekleistern könnte“ (Text_I 257- 259).
Als hilfreich wirkt sich im Bereich der Ressourcenbündelung auch die Methode der interkommunalen Vergleiche aus, wie sie unter anderem im Bereich der „Hilfen zur Erziehung“ der Großstadtjugendämter existiert, mit dem Ziel, so durch den interkommunalen Austausch Stärken und Schwächen der einzelnen kommunalen Ansätze herauszufinden und voneinander zu lernen. Die aus den untersuchten Kommunen berichteten Erfahrungen lassen sich zu folgenden Vorteilen interkommunaler Vernetzung zusammenfassen; die interkommunale Vernetzung ermöglicht eine Optimierung der Leistungen durch
die gemeinsame Erarbeitung von Regelungen zur Arbeitserleichterung, das Treffen von Arbeitsabsprachen insbesondere mit umgebenden Kommunen und die Annäherung von Qualitätskriterien, eine punktuelle Bündelung von Ressourcen als Lösung kommunaler (Finanz-) Probleme, die Sicherstellung eines regelmäßigen Informationstransfers, die Möglichkeit der kollegialen Beratung und des fachlichen Erfahrungsaustauschs sowie Hilfen bei Problemlösungen.
Dabei zeigt sich, dass die Kooperation dort besonders fruchtbar ist, wo ähnliche Problemlagen gegeben sind. Allerdings sind die in den untersuchten Kommunen vorfindbaren Vernetzungsaktivitäten sehr unterschiedlicher Art und könnten durch Informations- und Fortbildungsmaßnahmen noch weiter gefördert werden. 3.5.5 Ausgleich von Benachteiligungseffekten in Bildungsprozessen Das Kriterium der Distribution ist in der Gestaltung von Bildungsprozessen in Deutschland lange vernachlässigt worden (s. Kap. 1.3.3). Zu sehr wurde lange Jahre die Jugendhilfe als Reparaturbetrieb des Bildungssystems betrachtet und auf die Familie als soziale Platzierungsinstanz vertraut, als dass der Ausgleich kumulativer Benachteiligungseffekte als wesentliche Aufgabe des formalen Bildungssystems betrachtet worden wäre. Erst mit der öffentlichen Sichtbarwerdung des Problems der unzureichenden Chancengerechtigkeit im Bildungssystem, wie sie in Folge der Bekanntgabe der Ergebnisse der ersten PISA-Studie erfolgte, änderte sich dies und bekamen distributive Kriterien in der politischen Ausgestaltung allmählich ein anderes Gewicht. Nicht nur griffen die Ministerkonferenzen die Thema-
3.5 Bereichsübergreifende Steuerungsinstrumente und -akteure
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tik verschiedentlich auf332, auch der Bund und die drei untersuchten Bundesländer legten in den vergangenen Jahren verstärkt Aktivitäten zum Ausgleich kumulativer Benachteiligungseffekte im Bildungswesen an den Tag. Nach einer intensiven Debatte über Benachteiligungseffekte in Bildungsprozessen ist die Entkopplung von sozialer Herkunft und schulischem Erfolg den Ankündigungen zufolge eines der zentralen Ziele der Bildungspolitik der Bundesregierung geworden (s. dazu beispielhaft die Begründung der Qualifizierungsinitiative „Aufstieg durch Bildung“ des BMBF (http://www.aufstieg-durch-bildung.info)). Dies soll unter anderem durch eine Steigerung der Nutzungsquote frühkindlicher Bildungsangebote vorangetrieben werden. Verschiedentliche Wege wurden in den vergangenen Jahren diskutiert, um dieses Ziel zu erreichen, unter anderem die Abschaffung der Elternbeiträge im frühkindlichen Bereich bzw. die Einführung einer Kindergartenpflicht. „Im Hinblick auf den Ausgleich von Benachteiligungen im Bildungs- und Jugendhilfesystem werden in unserem Haus derzeit verschiedene Ideen geprüft und diskutiert: Zum einen geht es um die Abschaffung der Elternbeiträge im Kindergarten. (…) Im Koalitionsvertrag ist deshalb vorgesehen, die bereits in einigen Ländern umgesetzte bzw. vorgesehene Gebührenbefreiung der Eltern im letzten Kindergartenjahr bundesweit zu realisieren. Frau Ministerin (…) möchte perspektivisch in weiteren Schritten Elternbeiträge ganz abschaffen. Gemeinsam mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden müssen Lösungen gesucht werden. (…) Dabei wird es insbesondere um die Frage gehen, wie die ausfallenden Elternbeiträge kompensiert werden können, ohne die Leistungsfähigkeit der Landkreise und Gemeinden zu überfordern und damit den Ausbau der Tagesbetreuung sowie die Qualität der Arbeit in den Kindertageseinrichtungen zu gefährden.Was auch in der Diskussion ist, ist – das haben Sie sicher der Presse entnommen – die Kindergartenpflicht. (…) Es kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht, um den Zugang zu institutioneller Erziehung, Bildung und Betreuung für alle Kinder zu eröffnen. Die Einführung einer Kindergartenpflicht, auch in Verbindung mit der Gebührenbefreiung der Eltern, könnte ein geeignetes Mittel sein. Um hier sicherzugehen, müssen wir die Faktoren und Gründe, die für den Nicht-Besuch im Kindergarten ausschlaggebend sind, genau kennen. Die bislang vorliegenden Analysen klären die Einflussfaktoren, in die der Besuch bzw. Nicht-Besuch eines Kindes im Kindergarten eingebunden ist, nur unzureichend. Wir werden deshalb zunächst differenziert untersuchen lassen, worin die Gründe dafür liegen, dass ein Kind einen Kindergarten besucht bzw. nicht besucht“ (Text_J 70 – 72).
Bisher sind hierzu allerdings noch keine weiteren Aktionen öffentlich bekannt geworden. Die Verbesserung der Bildungschancen wird darüber hinaus als ein Ziel des Aktionsprogramms Mehrgenerationenhäuser angesehen, dass 2006 ins Leben gerufen wurde. Aufgrund der Tatsache, dass lediglich ca. 500 Häuser in Deutschland bisher als Mehrgenerationenhäuser vorgesehen sind, eines pro Jugendamtbezirk, kann dies nicht als umfassendes Steuerungskonzept verstanden werden. Ihm kommt, schon aus rechtlichen Gründen, lediglich Pilotcharakter zu. In den drei untersuchten Bundesländern steht beim Ausgleich kumulativer Benachteiligungseffekte in Bildungsprozessen neben der Stärkung der Elternkompetenzen insbesondere die Verbesserung der sprachlichen Förderung von Kindern, besonders solchen mit 332
S. beispielhaft dafür die Beschlüsse zum „gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen“ (JMK v. 13./14.5.2004) sowie zur „Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe zur Stärkung und Weiterentwicklung des Gesamtzusammenhangs von Bildung, Erziehung und Betreuung“ (ebd./KMK v. 3./4.6.2004).
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Migrationshintergrund, im Vordergrund. Damit reagieren die Länder auf die von der PISAStudie herausgestellte Tatsache, dass viele Kinder in Deutschland bei ihrer Einschulung lediglich über sehr geringe unterrichtssprachliche Kenntnisse verfügen. In allen drei Ländern wurde daher in den vergangenen Jahren die Sprachförderung bereits im Elementarbereich ausgebaut. Sämtliche Bildungsprogramme für die Kindertageseinrichtungen wie auch die Rahmenvereinbarungen der KMK und der Jugendministerkonferenz haben die allgemeinen Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten als einen Förderbereich der Bildung in Kindertageseinrichtungen333 definiert (JMK/KMK 2004)334. Die gängigen Verfahren zur Sprachstandserhebung und -dokumentation im Kindergartenalter sind dabei „teils als standardisierte Tests ausgelegt, teils als Instrumente einer groben, vorläufigen Risikoabschätzung („Screening“), teils als Beobachtungsverfahren“ (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 166). Nordrhein-Westfalen weist das von allen drei Bundesländern sicherlich weitestreichende Konzept auf, da es die Sprachförderung aller Kinder mit dem neuen Kinderbildungsgesetz als Regelaufgabe der Kindertageseinrichtungen verankert hat. So sind die Kindertageseinrichtungen verantwortlich für die besondere Förderung von Kindern, die „nicht in altersgemäß üblichem Umfang über deutsche Sprachkenntnisse“ (§ 13 (6) KiBiz) verfügen. Das Land hat 2007 erstmals, verpflichtend für alle Vierjährigen, eine Sprachstandserhebung durchgeführt, bei der im ersten Durchgang bei mehr als 17 Prozent der getesteten Kinder des Jahrgangs ein zusätzlicher Sprachförderbedarf festgestellt wurde, dem bis zur Einschulung durch spezielle Fördermaßnahmen entsprochen werden soll. Den Kindertageseinrichtungen wurde dabei, wie in Bayern auch, vorgeschrieben, mit den Grundschulen zusammenzuarbeiten. Wie aus den befragten Kommunen berichtet wurde, stellt dies insbesondere für die kommunalen Einrichtungen eine Herausforderung dar, da sie aufgrund der anderen sozialen Zusammensetzung ihrer Nutzergruppe besonders viele Kinder haben, bei denen eine Sprachförderung notwendig ist. Konzepte der gezielten Sprachförderung in städtischen Kitas existierten daher bereits in der Vergangenheit (Text_G 8). Diese könnten nun ausgeweitet werden. Aber auch Brandenburg, das über deutlich weniger Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache verfügt335, hat Maßnahmen der Sprachstandsfeststellung und -förderung in den Kindertagesstätten gestartet und reagiert damit auf eine ähnlich große Zahl sprachauffälliger Kinder wie Nordrhein-Westfalen (zwischen 17 und 19 Prozent bei den Schuleingangsuntersuchungen der letzten Jahre (MBJS (Hg.) 2006: 29)). Mittelfristig sollen diese Maßnahmen in Brandenburg mit den ärztlichen Kita-Reihenuntersuchungen der Gesundheitsämter zur Früherkennung von Sprach- und Sprechstörungen unter den Verfahren zur Aufnahme in die Grundschule in Verbindung gebracht werden – auch mit Blick auf den Kin333 Dass dies trotz des nachrangigen Charakters der Jugendhilfe rechtens ist, wurde in einem im Zuge der Einführung der Sprachfördermaßnahmen erstellten Gutachten für das Land Nordrhein-Westfalen bestätigt. Dieses sieht die Einführung obligatorischer Sprachförderkurse bei festgestellten Sprachdefiziten als „legitime Staatsagenda (…) Die allgemeine Schulpflicht liefe inhaltlich leer, könnte die Schule nicht an im wesentlichen gleiche und altersgerechte Sprachkompetenz der Schüler anknüpfen“ (Depenheuer 2006: 2). 334 S. dazu auch das BLK-Programm Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund (FörMig), das von 2004 bis 2009 innovative Ansätze entwickelt, erprobt und überprüft hat, die sich für die Bildung der sprachlichen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen, die in zwei oder mehr Sprachen leben, möglichst optimal eignen. 335 Während in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2007 40,7 Prozent aller unter sechsjährigen Kinder einen Migrationshintergrund aufwiesen und in Bayern 32,8 Prozent, lag dieser Anteil in den neuen Ländern (ohne Berlin) lediglich bei 9,7 Prozent (Ergebnisse des Mikrozensus 2007).
3.5 Bereichsübergreifende Steuerungsinstrumente und -akteure
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derschutz (ebd.: 30). Während Bayern flächendeckende Sprachstandfeststellungsverfahren für Kinder im Elementarbereich auf Kinder beschränkt, deren Eltern beide nichtdeutschsprachiger Herkunft sind (§ 5 AVBayKiBiG), werden diese Einschränkungen in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen nicht vorgenommen. Während die Länder damit einen Schwerpunkt der Sprachförderung im vorschulischen Bereich gelegt haben, sind die Sprachfördermaßnahmen für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die nach der ersten internationalen PISA-Studie und dem innerdeutschen PISA-Vergleich in den westlichen Bundesländern angekündigt wurden, nur teilweise realisiert worden (Hovestadt/Kessler 2004: 37). In den beiden westdeutschen Ländern stehen hier besonders die Hauptschulen aufgrund ihres hohen Anteils an Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Zentrum. Während Nordrhein-Westfalen den Ganztagsschulanteil ausweitet und eine bessere Mittelausstattung in der Koalitionsvereinbarung (CDU/FDP 2005: 34) angekündigt hat, bietet Bayern besondere Sprachlernklassen für Kinder und Jugendliche ohne oder mit sehr geringen Deutschkenntnissen an. Die Feststellung des Förderbedarfes sowie die Zuordnung zu Fördermaßnahmen erfolgt dabei durch die Schule (Hovestadt/Kessler 2004: 36). Darüber hinaus werden bisher in keinem der drei Bundesländer über die in Kap. 3.3.2.2 erwähnten Maßnahmen hinausgehende, ernsthafte Anstrengungen unternommen hinsichtlich der Erstellung umfassender Konzepte, die die Effekte und Wirkungen von Bildungseinrichtungen im Hinblick auf den Ausgleich kumulativer Benachteiligung thematisieren und vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Untersuchungsergebnisse systematisch angehen. Auch die umfassenden Aktivitäten der Länder im Bereich des Ausbaus früher Hilfen (s. Landua u.a. 2009), in Bayern zusätzlich ergänzt durch ein Förderprogramm „Koordinierende Kinderschutzstellen“, das Kommunen finanzielle Anreize zum Ausbau bietet, werden hiermit nicht verbunden. Lediglich die Effekte der Einführung des Bildungsplans in Bayern wurden durch eine Begleitforschung geprüft, einschließlich der Frage, was „besser gemacht werden“ könnte (Text_E 126). 3.5.6 Einbindung außerstaatlicher Akteure Die Bildung der nachwachsenden Generation ist in den vergangenen Jahren nicht nur immer stärker zu einer öffentlichen Aufgabe geworden. Zugleich wirkt sich hier auch eine Entwicklung aus, die im öffentlichen Sektor seit geraumer Zeit vollzogen und unter dem Stichwort der „Privatisierung“ intensiv diskutiert wurde und wird: die verstärkte Übernahme von Leistungen durch außerstaatliche Akteure, beispielsweise die Wirtschaft. So wurden auf Bundesebene bereits zu Beginn des neuen Jahrtausends Aktivitäten gestartet, um die Wirtschaft stärker in die Bildung der nachwachsenden Generation einzubinden, beispielsweise die Initiative „Allianz für Familie“336, mit der erstmals Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften als Akteure im Feld der Familienpolitik angesprochen wurden. „Im Rahmen der ‚Allianz für Familie‘ hat die Bundesregierung gemeinsam mit Unternehmern, Gewerkschaften und Verbänden ihren Einsatz für mehr Familienfreundlichkeit weiter ausgebaut. Die Partner wollen gemeinsam im öffentlichen Bewusstsein verankern, welche ökonomischen und gesellschaftlichen Vorteile aus familienfreundlichen Maßnahmen erwachsen und da336
Mittlerweile gefolgt von der Initiative „Familienbewusste Arbeitszeiten“.
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3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert zu beitragen, dass diese Erkenntnis in die Fläche getragen wird. Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stehen die Handlungsfelder Unternehmenskultur, Arbeitsorganisation, Arbeitszeit, Personalentwicklung und familienunterstützende Dienstleistungen. Darunter fallen auch Leitfäden für eine betriebliche oder betrieblich unterstützte Kinderbetreuung und -bildung, die gemeinsam erarbeitet und veröffentlicht werden“ (Text_J 63).
Seitdem wurde die Ausweitung der Akteure im Bereich familienpolitischen Handelns kontinuierlich durch neue Programme und Aktivitäten gefördert, wobei die Rolle der Wirtschaft als Multiplikator, Finanzier bzw. Sponsor familienpolitischer Maßnahmen im Vordergrund steht. „Im Juni 2005 ging das Portal www.mittelstand-und-familie.de online, das kleinen und mittleren Unternehmen als ‚virtuelle Personalabteilung‘ Antworten auf alle Fragen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie bietet. Im Januar 2006 ist das Unternehmensprogramm ‚Erfolgsfaktor Familie. Unternehmen gewinnen‘ gegründet worden, das Familienfreundlichkeit zum gelebten Alltag in möglichst vielen Unternehmen machen will. Familienfreundlichkeit soll ein allgemeines Managementthema und zum Markenzeichen der deutschen Wirtschaft werden. Praktische, zielgruppenspezifische Hilfen, zum Beispiel in Leitfäden zum Wiedereinstieg oder zu betrieblich unterstützter Kinderbetreuung, unterstützen Unternehmen dabei, familienbewusst zu handeln. Im Juli 2006 hat die Bundesregierung zusätzlich ein Unternehmensnetzwerk ins Leben gerufen, in dem sich Interessierte über familienfreundliche Maßnahmen austauschen und gegenseitig unterstützen können. Das Netzwerk vermittelt Ansprechpartner und Erfahrungsberichte anderer Unternehmen und bietet eine Informations- und Kooperationsbörse. Es ist offen für Unternehmen, öffentliche Verwaltungen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Institutionen der freien Wohlfahrtspflege etc.. Binnen Jahresfrist sollen sich 1000 Unternehmen dem Netzwerk angeschlossen haben“ (Text_J 63).
Die Wirtschaft bringt sich dabei nicht nur aus ihrer unternehmerischen Gesellschaftsverantwortung (Corporate Social Responsibility) heraus ein, sondern tut dies auch dort, wo ein betriebswirtschaftliches Interesse für eine familienbewusste Personalpolitik bzw. verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie vorliegt. Die drei untersuchten Bundesländer vertreten unterschiedliche konzeptionelle Ansätze, wie außerstaatliche Akteure in die Bildung der nachwachsenden Generation eingebunden werden und welche Rolle sie dabei einnehmen sollen. Diese sind offensichtlich geprägt durch die politische Akteursstruktur und die Situation in dem jeweiligen Bundesland. Hinsichtlich der Stellung freier Träger von Kindertageseinrichtungen und ihrer Position im politischen Verhandlungssystem nimmt in den beiden westdeutschen Bundesländern Bayern und Nordrhein-Westfalen die freie Wohlfahrtspflege schon aufgrund ihrer „Marktdominanz“ im Elementarbereich und ihrer quantitativen Bedeutsamkeit337 eine starke Position ein, auch in ihrem Anspruch auf politische Mitsprache und inhaltliche Gestaltungsmacht. In Nordrhein-Westfalen scheint diese Zusammenarbeit aufgrund des anderen Staatsverständnisses noch etwas ausgeprägter zu sein als in Bayern. So hat sich, gegebenenfalls unterstützt durch die lange Zeit sozialdemokratischer Regierungstätigkeit, eine politische Verhandlungskultur entwickelt, die viele Punkte auf Vereinbarungsebene geklärt hat und nicht per staatlicher Verordnung.
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In beiden Ländern stellen sie ca. 70 Prozent der Angebote im Bereich der Kindertageseinrichtungen sowie das überwiegende Fortbildungsangebot.
3.5 Bereichsübergreifende Steuerungsinstrumente und -akteure
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„Die OECD hat uns gelobt, als die Delegation vor zwei Jahren zur Studie ‚Starting strong II‘ bei uns war. Der Projektleiter hat ausdrücklich gesagt: ‚Ich finde das klasse, wie Ihr in NordrheinWestfalen das macht, dass Ihr wichtige Sachen auf der Vereinbarungsebene klärt und nicht per Ordre de Mufti’. Auch für die Personalstandards haben wir eine Personalvereinbarung. Im Bayern ist es im Gesetz, in Brandenburg ist es im Gesetz, oder in der Verordnung. Das ist eigentlich, wenn man überlegt, wie ein moderner Staat auch funktioniert, ein sehr, sehr guter Ansatz“ (Text_B 98).
Diese staatliche Konsenskultur, die beispielhaft deutlich wird an der Entstehung der Bildungsvereinbarung 2003, lässt eine andere Rolle des Staates hinsichtlich politischer Aushandlungsprozesse erkennen als in den anderen beiden Bundesländern. Stärker als dort wird der Staat offensichtlich als Vermittler bzw. Moderator gesehen und erlebt. Vor dem Hintergrund dieser These ist zugleich erklärbar, warum die Gestaltung eines neuen Kinderbildungsgesetzes in Nordrhein-Westfalen eine solch heftige politische Auseinandersetzung mit den freien Trägern auslöste: Offenbar verstieß die (neue christdemokratische) Ministeriumsspitze mit ihrer Aufkündigung der Vereinbarungskultur gegen das Mitbestimmungsrecht der freien Träger, was von diesen als geltendes Gewohnheitsrecht angesehen wurde und dementsprechend erbitterten Widerstand hervorrief. Die „neue“ konflikthafte Beziehung zwischen den verschiedenen Akteuren im Bereich der frühkindlichen Bildung in Nordrhein-Westfalen wird beispielhaft auch an der Umgestaltung der Fachberatung in Nordrhein-Westfalen deutlich. Bis vor einigen Jahren veranstaltete das Land NordrheinWestfalen gemeinsame zentrale Fortbildungsveranstaltungen für die Fachberatungen im Bereich der Kindertageseinrichtungen. Diese wurden jedoch eingestellt, da sie nach Ansicht des betreffenden Landesvertreters zu stark von der freien Wohlfahrtspflege dominiert worden seien. „Es gab früher durchaus die Übung, die Fachberater alle zwei Jahre einmal zu einer gemeinsamen Veranstaltung über mehrere Tage zusammenzurufen. Mit dieser Tradition habe ich gebrochen, weil ich nämlich bei der einen, die ich durchgeführt habe, festgestellt habe, dass die freie Wohlfahrtspflege – ich sage es mal deutlich – versucht hat, mir den Mund zu verbieten, wenn ich irgend etwas sage, was nicht vorher abgestimmt war“ (Text_B 61).
Ähnlich wie bei der Betrachtung der Auswirkungen des Konnexitätsprinzips auf die Landespolitik (s. Kap. 3.5.4) wird auch hier deutlich, wie sehr der Staat nicht als übermächtiger Akteur, sondern als gleichberechtiger Verhandlungspartner angesehen werden kann, gegenüber dem man versucht, die eigenen Interessen durchzusetzen. Solche intensiven Bemühungen, politische Mitentscheidungsmacht einzufordern, wären in Brandenburg von Seiten der freien Träger vermutlich nicht möglich, da ihre Stellung schon durch die veränderte Trägerstruktur eine völlig andere ist. „Die kommunalen [Träger] haben eine ganz starke Rolle bei uns – sicher auch schon quantitativ: Wir haben immer noch 70 Prozent kommunale Träger – aber weniger als Träger, sondern vielmehr als Finanzträger. (…) Der Kontakt zur Liga [der freien Wohlfahrtspflege] ist ein freundlicher, aber die haben bei uns nicht die starke Rolle wie in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und NRW“ (Text_C 66).
Die hinsichtlich der Rolle der freien Träger erkennbaren Länder-Differenzen werden zum Teil bestätigt, wenn man die Rolle betrachtet, die Wirtschaftsunternehmen bzw. Wirt-
350
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schaftsverbände hinsichtlich der Humanvermögensbildung in den drei Bundesländern spielen. Als Sponsoren bzw. auch Kooperationspartner im Projektbereich sowie teilweise als Public Private Partnerships sind Unternehmen wie Stiftungen in allen drei Bundesländern in die Humanvermögensbildung einbezogen338, teilweise intensiver, teilweise in der Kooperation enger umgrenzt. Vor dem Hintergrund der Finanzknappheit der öffentlichen Hand sind diese Kooperationen in den vergangenen Jahren immer weiter ausgebaut worden. Die Bildungsarbeit wurde so vorangetrieben, allerdings hat sich nach Einschätzung der Interviewten teilweise damit auch die Machtbalance zugunsten solventer außerstaatlicher Akteure verschoben. Insbesondere, wenn große Stiftungen mit großen Finanzsummen lockten, sei es als Land teilweise schwierig, die inhaltliche Abhängigkeit von solchen finanzstarken Partnern zu vermeiden, zumal, wenn sie, wie bei größeren Projekten üblich, Ergebnisse entscheidend mitbestimmen wollten. „Wir haben punktuelle Zusammenarbeiten, wenn es darum geht, so etwas wie Bildungsarbeit voranzutreiben mit der Bertelsmann Stiftung, mit der Mercator Stiftung, mit der Robert-BoschStiftung. Da gibt es natürlich immer wieder Gespräche. Wenn man einmal solche Verhandlungen mitgemacht hat, dann sieht man plötzlich ein ganz anderes Verständnis vom Staat, wenn man sieht, mit welcher Selbstherrlichkeit da Entscheidungen getroffen werden. Bei der Finanzknappheit der öffentlichen Seite fühlt man sich dem Geld ausgesetzt; da ist eben nichts politisch oder verfassungsrechtlich legitimiert“ (Text_B 198).
Die Frage der Legitimation außerstaatlicher Akteure stellt sich hier mit besonderer Dringlichkeit, ein Umstand, der eine intensive politikwissenschaftliche Untersuchung dieser Problematik zwingend nach sich ziehen müsste. Insbesondere im konservativ-liberal regierten Bayern sind privatwirtschaftliche Akteure daneben auch als Anbieter von Leistungen im Elementarbereich präsent. Diese durch Art. 3 BayKiBiG ermöglichte Regelung, wonach auch privatgewerbliche Träger Kindertageseinrichtungen gründen und öffentliche Fördergelder in Anspruch nehmen können, wird vor Ort allerdings unterschiedlich umgesetzt. Während einige Kommunen die Kooperation von freien Trägern und Wirtschaft im Bereich der Kindertageseinrichtungen vorantreiben und die Finanzierung von Kitaplätzen erweitern, sind andere Kommunen hier zurückhaltend – wie in den Interviews deutlich wurde. „Die Wirtschaft macht das nicht umsonst. Wir bekommen immer wieder Anrufe, wir sollen Kindertagesstätten nennen, sie wollen gerne spenden. Aber das ist dann auch oft mit bestimmten Dingen verbunden, die den Eltern nicht Recht sein könnten. Wir geben dann zwar schon die Adressen der Kindertagesstätten weiter, empfehlen aber den Trägern – das ist ja bei uns Trägersache, ob die das Engagement annehmen wollen – das sehr kritisch zu prüfen“ (Text_F 39).
Vor allem dort, wo die Gemeinden ein Interesse daran haben, zuerst einmal die Plätze in den eigenen Einrichtungen voll zu bekommen, ist es für gewerbliche Anbieter teilweise schwierig, dass die Gemeinden ihren Bedarf anerkennen. Dies aber ist eine Voraussetzung, um öffentliche Fördergelder zu erhalten. 338
S. dazu beispielhaft die Bildungsoffensive „Haus der kleinen Forscher“, eine Initiative der HelmholtzGemeinschaft, von McKinsey & Company, Siemens AG und Dietmar Hopp Stiftung, gefördert vom BMBF, in die über 2.700 Kitas in 15 Bundesländern (Stand: Juli 2008) eingebunden sind. Beispielhaft für das Engagement von außerstaatlichen Akteuren im Schulbereich ist auch das von Nordrhein-Westfalen vorangetriebene Programm „Partner für Schule“ (http://www.partner-fuer-schule.de).
3.5 Bereichsübergreifende Steuerungsinstrumente und -akteure
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„Die [gewerblichen Anbieter] bekommen ja diese öffentlichen Gelder nur, wenn eine Bedarfsanerkennung erfolgt von den Gemeinden. Und sehr viele Gemeinden haben eigene Einrichtungen. Gerade im Kindergartenbereich wird das sehr eng. Für die Krippen könnte man es probieren, aber ich habe die Aussage auch schon gehört, vom Flughafen Y: ‚Sie wollen sich das gar nicht antun, dass sie mit dem Bürgermeister rumstreiten. Sie wollen es so schaffen’. Denn sie kriegen ja nur staatliche Gelder, wenn die Kommunen sagen: ‚Wir erkennen den Bedarf an mit fünf Plätzen, zehn Plätzen, drei Plätzen’. Und die Kommunen haben hier in H. eine sehr gute Bedarfsdeckung. Da ist Ärger vorprogrammiert“ (Text_F 47, 48).
Auch in Nordrhein-Westfalen wurden von der konservativ-liberalen Regierung mit dem Kinderbildungsgesetz erstmals die rechtlichen Möglichkeiten geschaffen, privatgewerbliche Kindertageseinrichtungen zur Förderung zuzulassen (§ 6 KiBiz). Diese von den etablierten Trägern heftig bekämpfte Einbindung von Unternehmen in den Bereich der frühkindlichen Bildung erfolgte auch vor dem Hintergrund der Erfahrung des großen Interesses von Eltern an guten privat-gewerblichen Einrichtungen. „Die neue Hausspitze bekommt eine Reihe von Angeboten, sich solche [privaten] Einrichtungen anzugucken. Die sind alle First Class, da zahlen die Eltern aber auch 600, 700, 800 und 1000 Euro im Monat – und interessanterweise klaglos. Wenn wir bei 50 Euro Elternbeitrag einen Euro zusätzlich fordern, haben wir einen Aufstand im Land. Bei den privat-gewerblichen Einrichtungen zahlen Eltern klaglos das x-fache“ (Text_B 197).
Ähnlich wie in Bayern zeigt sich auch in den nordrhein-westfälischen befragten Kommunen teilweise eine gewisse Zurückhaltung in der Akzeptanz von Wirtschaftsunternehmen als Träger von Kindertageseinrichtungen. Dies gilt für örtliche Unternehmen genauso wie für Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Die traditionelle Denkweise sieht in Westdeutschland offensichtlich die Wirtschaft hier nicht in der Verantwortung. Aus Bayern wird daneben eine zusätzliche Rolle der Unternehmen im Bereich der Humanvermögensbildung berichtet: die des Vorantreibers von Entwicklungen, insbesondere hinsichtlich einer Veränderung der politischen Diskussion. Vor allem der Ausbau der Betreuungsangebote für unter dreijährige Kinder, so zeigt sich in den befragten Kommunen, wird vor Ort entscheidend dadurch vorangetrieben, dass neben den Eltern auch Betriebe dies als Standortfaktor einfordern bzw. hier eigenständig aktiv werden. „Wir haben natürlich auch, was die Betreuungssituation von U3 [Kinder unter drei Jahre] anbelangt, in U. eine katastrophale Situation. Das hängt oder hing natürlich ein Stück weit mit der spezifisch bayerischen Situation zusammen, durch die wir keinerlei Förderung hatten. Das hat sich alles in den letzten Jahren verändert, auch, sage ich jetzt einmal, aufgrund der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, die das mit gefordert hat; das war maßgeblich mit ausschlaggebend, dass sich da in der CSU ein gewisser Gesinnungswandel und Paradigmenwechsel ergeben hat“ (Text_H 33).
Die Stärkung der Wirtschaft als Akteur kann dabei, wie sich am Beispiel der Stadt Nürnberg zeigt, kommunal entscheidend vorangetrieben durch Aktivitäten des lokalen Bündnisses (s. dazu detailliterter http://www.bff-nbg.de). Im Gegensatz zum Bundesland Bayern tritt in Brandenburg die Wirtschaft vor Ort nur wenig als Akteur im frühkindlichen Bildungsbereich in Erscheinung; auch ist ein „Corporate Citizenship“ nicht umfassend entwickelt. Das Engagement von außerstaatlichen Akteu-
352
3 Humanvermögensbildung im 21. Jahrhundert
ren, vor allem Wirtschaftsunternehmen, scheint stark dadurch geprägt zu sein, welche Versorgungslage vor Ort vorzufinden ist. Eine gute Versorgungslage wirkt sich offensichtlich negativ aus bezüglich des Engagements von außerstaatlichen Akteuren. „Wir versuchen auch, sie [die Unternehmen] da mit einzubeziehen, da, wo wir den Eindruck haben, dass sie Motor für Entwicklung sind. Aber das sind sie in Brandenburg wenig. Ich glaube da wirkt sich unsere gute Versorgungslage schlecht aus. N.N. hat einmal gesagt: ‚Euch geht es einfach zu gut, die Firmen haben doch gar kein Interesse, dass sich irgend etwas tut. Im Westen würden die lechzen und sagen: Endlich ein Ministerium, mit denen wir jetzt Verhandlungen führen können über... Es ist doch alles da!’“ (Text_C 222).
Für die Bereitschaft außerstaatlicher Akteure, insbesondere von Wirtschaftsunternehmen, in die öffentliche Humanvermögensbildung zu investieren, scheinen somit Lücken im staatlichen Netz eine notwendige Bedingung zu sein, was die großen regionalen Unterschiede bezüglich des Engagements teilweise erklärt. Daneben wird deutlich, wie stark das Akteurshandeln vom Bewusstsein um eine öffentliche oder private Verantwortung im Bereich der Humanvermögensbildung geprägt ist. Insbesondere in den beiden westlichen Ländern scheint hier die Einschätzung einer nicht-staatlichen Verantwortung im Bildungsund Erziehungswesen durchaus förderlich für die Aktivitäten nichtstaatlicher Akteure zu wirken. Nicht zuletzt wird auch in diesem Punkt ein unterschiedliches Staatsverständnis von eher konservativ bzw. eher sozialdemokratisch geprägten Regierungen deutlich: Während die bayerische und die konservativ-liberale nordrhein-westfälische Landesregierung das Engagement von Unternehmen als Träger im frühkindlichen Bildungsbereich explizit fördern bzw. gefördert haben, fällt die alte sozialdemokratisch geprägte Regierung von Nordrhein-Westfalen durch ihre konsensuale Politikkultur und die starke Nutzung kooperativer Handlungsformen im zivilgesellschaftlichen Bereich sowie größere Distanz gegenüber privatwirtschaftlichem Engagement im Bereich der Humanvermögensbildung auf. Die tendenziell unterschiedlich ausgeprägte Rolle der Wirtschaft als direkt bzw. indirekt steuernder Akteur im Vergleich der drei Bundesländer ist in nachfolgender Abbildung schematisch dargestellt. Abbildung 11: Rolle der Wirtschaft in den drei Ländern im Bereich der Humanvermögensbildung Wirtschaft als…
– +
indirekt steuernder Akteur Vorantreiber von Entwicklungen – ++
+
+
direkt steuernder Akteur Anbieter von Leistungen o +
Kooperationspartner
Brandenburg o Bayern + Nordrhein+ + Westfalen Ausprägung: schwach (–), mittel (o), stark (+), sehr stark (++)
Sponsor
3.5 Bereichsübergreifende Steuerungsinstrumente und -akteure
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3.5.7 Externe Störfaktoren aus Sicht der Interviewten Immer wieder wurde in den durchgeführten Expert/inneninterviews auf über die direkten Tatbestände hinausgehende Faktoren verwiesen, die als Hemmnisse der politischen Gestaltung der Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung angesehen werden. Unterschieden werden können hierbei Faktoren, die politisch gestaltet werden können, und solche, die sich einer aktiven kommunalen Gestaltung durch ihre Komplexität erst einmal entziehen. Als letztere konnten soziale Faktoren wie ein schlechtes soziales System bzw. schwierige wirtschaftliche Verhältnissen, die sich selbstverständlich auf die politischen Gestaltungsmöglichkeiten einer Kommune auswirken, sowie finanztechnische Faktoren identifiziert werden. Hierzu zählt zum einen ein enger finanzieller Rahmen, der kommunales Handeln im Bereich der Humanvermögensbildung erschwert, zum anderen aber auch die Tatsache, dass die Jugendhilfe immer stärker zu einem Markt wird und ihre Organisation somit zu einem haushalterischen und finanztechnischen Problem (s. Kap. 3.5.1.1). Neben diesen, nur bedingt kommunal veränderbaren Rahmenfaktoren konnten daneben als Hemmnisse für familienpolitisches Handeln auch verwaltungsinterne strukturelle Faktoren festgestellt werden. So wurde immer wieder auf die Schwierigkeit hingewiesen, die unklare Aufgabenverteilungen zwischen den verschiedenen Ämtern ohne Kooperationsabsprachen mit sich bringen. Wenn auch die Unklarheit der Aufgabenverteilung in etlichen Fällen daraus resultiert, dass mit Jugendämtern und Schulverwaltungsämtern zwei unterschiedliche föderale Ebenen kooperieren kann doch festgestellt werden, dass die Schwierigkeiten in der Kooperation dort erheblich geringer sind, wo Kooperationsabsprachen getroffen werden. Daneben ergibt sich derzeit das Problem, dass vielerorts offensichtlich insbesondere im Bildungsbereich bei der Aufgabenzuteilung keine Rücksicht auf Fachlichkeit genommen wird. „Es ist ja lustig, dass in vielen Kommunen – ich würde sagen, in X. nicht unbedingt – die Bleistiftspitze, also die Verwaltungsleute vom Schulverwaltungsamt, pädagogische Fragen versuchen zu lösen, und die Pädagogen vom Jugendamt vielfach gefordert sind, Verwaltungsfragen zu lösen. Das hat schon Esprit, muss man sagen. Da sitzt dann also der Stadtoberinspektor, was ich auch mal war, im Schulverwaltungsamt und arbeitet pädagogische Konzepte für die Offene Ganztagsgrundschule aus. Chapeau! In X. nicht“ (Text_G 36).
Offensichtlich scheint hier eine Neudefinition von Fachlichkeit notwendig zu sein, die den gewandelten Problemlagen und Handlungserfordernissen Rechnung trägt. Damit zeigt sich, dass verwaltungsintern nach wie vor einige strukturelle Faktoren noch nicht hinreichend auf die neue Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung abgestimmt worden sind. Hier besteht weiterer Handlungsbedarf für den Gesetzgeber.
4.1 Zusammenfassende Schlussbetrachtungen
355
4 Folgerungen und Schlussbetrachtungen 4.1 Zusammenfassende Schlussbetrachtungen Im Folgenden sollen die Ergebnisse der Untersuchung zusammenfassend betrachtet werden, fokussiert auf die in der Analyse verwandten Dimensionen und analog zu den eingangs formulierten (zentralen) Forschungsfragen:
Welche Konzepte zur Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung existieren in verschiedenen Bundesländern und welche Steuerungsinstrumente werden zu ihrer Umsetzung eingesetzt? Welche Ziele werden in den Konzepten sichtbar und welche Aufgabe kommt den verschiedenen Bildungsorten, insbesondere dem Bildungsort Familie, dabei zu? Durch welche Instrumente versuchen die politischen Akteure, die Bildungsqualität zu sichern? Welche Notwendigkeiten zur strukturellen Veränderung hinsichtlich des Kompetenzund Akteursgefüges in Politik und Verwaltung lassen sich aus der Analyse ableiten?
Vor diesem Hintergrund können mit Blick auf die politischen Aktivitäten in den verglichenen Bundesländern Bayern, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen seit der Jahrtausendwende verschiedene politische Tendenzen festgestellt werden. Wenn dabei im Folgenden eine problemfokussierte Sichtweise gewählt wird, welche die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Länder „ins Glied rückt“, anstatt sie als zentrales Analysekriterium obenan zu stellen, so liegt dies in der der Arbeit zugrundeliegenden Perspektive begründet. 1.
Stärkere öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern erkennbar
In allen drei untersuchten Bundesländern – besonders in den beiden westdeutschen Ländern, die hier aufgrund der Jahrzehnte geltenden Privatisierung der Erziehung eine andere Ausgangssituation haben – ist ein Trend feststellbar, wonach die staatliche Verantwortung für die Lebensperspektiven der Kinder wächst, wenn auch langsam. Dies zeigt sich nicht nur in einer neuen Wertschätzung präventiver Angebote der Jugendhilfe im politischen Diskurs. Zugleich hat die Betonung des Bildungsaspekts im Elementarbereich in allen drei Ländern ihre Spuren in einer veränderten inhaltlichen Ausgestaltung hinterlassen: Durch die Erstellung und Einführung von Bildungsplänen und -programmen erfolgte eine klarere Konturierung der Bildungsziele sowie eine stärkere Steuerung des inhaltlich untersteuerten Bereichs. In allen drei Ländern sind nun für Kindertageseinrichtungen Bildungsziele bzw. -aufgaben vorgegeben, die die ganzheitliche Entwicklung der Kinder in den Mittelpunkt stellen, ihre soziale Einbindung fördern, die öffentliche Verantwortung für Gesundheitsvorsorge und Kinderschutz betonen und Benachteiligungseffekte ausgleichen möchten. Zudem ist in allen drei Ländern der Bildungsauftrag der Tagespflege gesetzlich neu verankert worden. Im Schulbereich ist beispielhaft auf den in allen drei Ländern stattfindenden Ausbau von schulischen und außerschulischen Ganztagsangeboten zu verweisen. Alle drei untersuchten Bundesländer setzen dabei auf eine Kooperation von Schule mit der Kinder- und Jugendhilfe. Neben bildungspolitischen stehen hier vor allem familienpolitische und sozial-
S. von Hehl, Bildung, Betreuung und Erziehung als neue Aufgabe der Politik, DOI 10.1007/978-3-531-92834-0_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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4 Folgerungen und Schlussbetrachtungen
politische Motive im Mittelpunkt des Ausbaus, mit unterschiedlicher Gewichtung in den Ländern, was sich in einer verschiedenartigen Schwerpunktsetzung bezüglich der Form des Ausbaus (offene vs. gebundene Formen) bzw. der Schultypen (Grundschule vs. Haupt- und Förderschule) niederschlägt. Allerdings werden die konzeptionellen und rechtlichen Änderungen noch nicht konsequent genug miteinander und mit der finanziellen Ausstattung verknüpft, so dass in allen drei Ländern eine Kluft zwischen wachsenden Aufgabenerfordernissen von Einrichtungen und ihrer unzureichenden Ressourcenausstattung erkennbar ist. Besonders hinsichtlich der Qualitätsentwicklung im Bereich des Personals zeigt sich sehr deutlich, wie stückhaft die Reformbemühungen aller drei Länder häufig bleiben und wie stark sie bisher in den klassischen Strukturen der getrennten Fachgebiete (Jugendhilfe – Schule) verhaftet sind, auch wenn im Bereich der Elementar- und Primarbildung erste Kooperationen im Bereich der Fortbildung des Personals begonnen haben (vor allem in Bayern). 2.
Veränderte Rolle und Funktion des Bildungsorts Familie zieht Veränderungen für die öffentlichen Bildungsorte im Elementarbereich nach sich
Die stärkere öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern liegt in allen drei Bundesländern in der Wahrnehmung einer veränderten Rolle und Funktion des Bildungsorts Familie begründet mit der Folge qualitativer (und in den beiden westdeutschen Ländern auch quantitativer) Veränderungen für die öffentlichen Bildungsorte. Mehr Startchancengerechtigkeit soll erreicht werden durch verstärkte Aktivitäten zum Ausgleich kumulativer Benachteiligungseffekte im Bildungswesen. Neben der Verbesserung der sprachlichen Förderung von Kindern (insbesondere von Kindern mit Migrationshintergrund) stellt hier vor allem in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen die Stärkung der familialen Erziehungskompetenz eines der neuen Ziele öffentlicher Kindertageseinrichtungen dar (unter anderem mit dem Ausbau von Kindertageseinrichtungen zu Eltern-Kind- bzw. Familienzentren). Unterschiede im Steuerungs- bzw. Politikverständnis zwischen Bayern und den beiden anderen Ländern zeigen sich in der Ansprache der Eltern als „neue Zielgruppe von Angeboten“: Zwar eint alle Länder die gleiche Zielstellung, die Familie als Erziehungsort zu stärken und die große Differenz zwischen dem tatsächlichen Einfluss der Eltern und ihrer Rechtsposition zu verringern. Allerdings unterscheiden sich die hierzu eingesetzten Instrumente, da Bayern stärker als die beiden anderen Länder auf die finanzielle Unterstützung von Eltern setzt, während Brandenburg und Nordrhein-Westfalen verstärkt Dienstleistungsangebote einführen (s.u.). 3.
Elternnachfrage als wesentliches politisches Handlungskriterium
Trotz (oder auch wegen) der stärkeren öffentlichen Verantwortung für den Bereich der Humanvermögensbildung gewinnen die Eltern als Akteure eine immer stärkere Bedeutung. Dies gilt insbesondere in den beiden westdeutschen Bundesländern, wo die steigende Elternnachfrage explizit als eine der Ursachen für eine veränderte politische Diskussion und demzufolge den Ausbau von öffentlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten angesehen werden kann. Aber auch in Brandenburg zeigt sich, dass unter anderem durch die wachsende Elternnachfrage nach Tagespflegeangeboten ein Ausbau dieser Angebotsform vorange-
4.1 Zusammenfassende Schlussbetrachtungen
357
trieben wird. Um die Rolle der Eltern zu stärken, haben Bayern und Nordrhein-Westfalen die Finanzierung von Kindertageseinrichtungen stärker nachfrageorientiert ausgestaltet, Brandenburg denkt über diesen Schritt nach. Interessant ist, dass die Eltern neben dieser Rolle als „Kunden“ sowie der als „Zielgruppe von Angeboten“ noch in einer weiteren Rolle angesprochen werden: nämlich hinsichtlich des Ausbaus von Bildungspartnerschaften als „Erziehungsexperten“. Deutlich zeigt sich hier die unterschiedliche Sichtweise von Familie in den Ländern, wobei Bayern und Brandenburg zwei Pole eines Familienverständnisses markieren: Während Eltern in Bayern besonders als „Erziehungsexperten“ und „Kunden“ gesehen und angesprochen werden, sind sie in Brandenburg eher als „Zielgruppe von Angeboten“ im Blick. Hier scheint deutlich ein unterschiedliches Verhältnis von Familie und Staat durch. 4.
Trennung von Kinder- und Jugendhilfe- und Schulsystem als Hemmnis bei der Konzipierung und Implementierung übergreifender Politikansätze
Die Verankerung von Politikkonzepten, welche Bildung, Betreuung und Erziehung verbinden, wird in den Bundesländern sehr durch die starke Trennung zwischen Jugendhilfe- und Schulsystem erschwert. Diese äußert sich auf dreierlei Weise: 1. Insbesondere in den beiden westdeutschen Bundesländern fallen große Unterschiede in den Konzeptionen und Bildungsbegriffsverständnissen von Kinder- und Jugendministerium sowie Kultus- bzw. Schulministerium auf. Dies führt dazu, dass die Politikansätze und demzufolge Reformen beider Bereiche konzeptionell nicht (hinreichend) miteinander verknüpft werden. Vor allem ist auffällig, dass die unternommenen Aktivitäten im Schulbereich bisher (zu) wenig an den im frühkindlichen Bildungsbereich verankerten ganzheitlichen Bildungsbegriff anknüpfen und dass im schulischen Bereich bisher bei der Reformorientierung Aspekte der Leistungsgerechtigkeit klar solche der Partizipationsgerechtigkeit dominieren. In Brandenburg ist diese Entwicklung nicht so deutlich zu beobachten, was in der anderen Pfadabhängigkeit bzw. der gemeinsamen ministeriellen Verortung beider Bereiche begründet liegen mag. 2. Deutlich zeigt sich, dass in allen Ländern den Weiterentwicklungen auf Seite der Kindertageseinrichtungen hin zu einer stärkeren Familienorientierung noch keine (qualitativ) gleichwertige Entwicklung auf Seiten der Schulen entgegensteht. Zwar erfolgt in allen Ländern der Ausbau von Ganztagsangeboten, wobei das nachmittägliche Zusatzangebot in der Regel nicht von Lehrkräften vorgehalten wird. In keinem der Bundesländer werden aber bisher, analog zu der Entwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren, die Eltern als eine Zielgruppe angesehen, für die am „Ort Schule“ (über die Elternarbeit der Schul- bzw. Jugendsozialarbeit hinaus) Beratungs- oder Unterstützungsangebote, beispielsweise Sprachkurse oder Erziehungsberatung, bereit gestellt werden. 3. Auf kommunaler Ebene zeigt sich, dass die immer wieder geforderte Verknüpfung von Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung im Sinne einer sozialraumorientierten Bedarfsplanung häufig sehr durch eine schwierige Zusammenarbeit zwischen den Akteuren aus Jugendhilfe und Schulbereich beeinträchtigt ist. Dies gilt insbesondere in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen, wo diesbezüglich weniger landesweite Kooperationsabsprachen gelten als in Bayern. In den übergreifenden kommunalen Planungsstrukturen im Bereich der Humanvermögensbildung (lokale Bündnisse für Familie, Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII, Sozialraum- oder Stadtteilkonferenzen) sind Akteure aus dem Schulbereich
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4 Folgerungen und Schlussbetrachtungen
nur sehr vereinzelt zu finden. In den meisten befragten Kommunen wird die Kooperation zwischen beiden Bereichen nur punktuell durch Personen vorangetrieben, die zufällig beide Bereiche kennen oder aus anderen persönlichen Gründen eine Kooperation von Jugendhilfe und Schule für sinnvoll erachten. Dementsprechend unterschiedlich ist die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule in den Kommunen und Kreisen ausgestaltet. Mit Ausnahme Bayerns, das hier für beide Bereiche Kooperationsvorgaben erarbeitet hat, wird von Seiten der Bundesländer sehr wenig steuernd eingegriffen. Damit zeigt sich, dass verwaltungsintern wie -übergreifend nach wie vor strukturelle Faktoren noch nicht hinreichend auf die neue Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung abgestimmt worden sind. Hier besteht weiterer Handlungsbedarf für die politische Ausgestaltung. 5.
Stärkeres Zusammenwachsen der verschiedenen Bildungsorte und -akteure erkennbar
Trotz der großen Schwierigkeiten bei der Kooperation zwischen Jugendhilfe- und Schulbereich ist in Ansätzen ein langsames Zusammenrücken der verschiedenen Bildungsorte und -akteure zu erkennen. In allen drei untersuchten Bundesländern geht der Trend dahin, die Zusammenarbeit der verschiedenen Bildungs- und Hilfseinrichtungen in den verschiedenen Altersstufen der Kinder voranzutreiben und auszubauen. Im frühkindlichen Bildungsbereich kommt hierbei den Kindertageseinrichtungen eine zentrale Rolle zu als Knotenpunkt für den Ausbau und die Vernetzung von Bildungs- und Beratungsangeboten. Angesichts des offensichtlich großen Handlungsbedarfs wird die Gestaltung der Übergänge zwischen den verschiedenen Bildungsorten bzw. -akteuren von den Ländern mittlerweile aktiv angegangen, wobei insbesondere der Übergang zwischen den beiden öffentlichen Bildungsorten Kindertageseinrichtung und Grundschule im Zentrum der politischen Aktivitäten steht. Die Grundschule ist dabei in ihrer Rolle als Verbindungsglied zwischen dem Elementarbereich mit seiner Systemlogik und seinen Bildungszielen und dem Sekundarschulsystem besonders von Reformaktivitäten betroffen. Darüber hinaus zeigen sich in den Bundesländern verstärkte Vorgaben zur Zusammenarbeit von Schulen mit anderen Schulen sowie außerschulischen Partnern. Auch wenn manche Formulierung der Schulgesetze der Bundesländer den Eindruck einer gewissen Willkür erweckt und nicht immer mit Formulierungen der Gesetze im Elementarbereich abgestimmt scheint, ist insgesamt doch ein wachsender Erziehungsauftrag der Schulen festzustellen. 6.
Unterschiedliche Sichtweise der Kinder und Jugendlichen in den Konzepten der Länder
Im Vergleich der Bundesländer fällt auf, dass die Kinder und Jugendlichen in den Bildungs- und Erziehungskonzepten in unterschiedlicher Art und Weise angesprochen werden. Bayern hat in seinen Konzepten eine deutlich aktivere Rolle der Kinder und Jugendlichen als Bildungspartner rechtlich be- und festgeschrieben: Sowohl die Rechte als auch die Pflichten sind intensiver ausgestaltet als in den beiden anderen Bundesländern, während in Brandenburg als Gegenpol die Beteiligungsrechte, aber auch -pflichten deutlich geringer ausfallen. Dies deutet nicht nur auf einen anderen Umgang mit dem Steuerungsinstrument der „rechtlichen Vorgaben“, sondern auch auf ein unterschiedliches Politikverständnis in den Ländern (s.u.). Zugleich fällt in allen drei Ländern, insbesondere allerdings in Nordrhein-Westfalen, auf, dass bei der Neukonzipierung und dem quantitativen Ausbau
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von öffentlichen Angeboten bildungspolitische mit familien- und arbeitsmarktpolitischen Aspekten verknüpft werden, wobei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Ausbaumotiv klar dominiert. Mit anderen Worten: Der Betreuungscharakter steht im Vordergrund, was dazu führt, dass finanzielle Einsparungen in erster Linie bei qualitativen Aspekten erfolgen. Beispielhaft deutlich wird dies am Ausbau der Tagespflege, die angesichts ihrer deutlich niedrigeren Qualitätsstandards im Vergleich mit Tageseinrichtungen als preisgünstigeres, aber bisher selten als qualitativ hochwertigeres Betreuungsangebot angesehen werden kann. 7.
Maßnahmen zur Sicherung der Bildungs- und Betreuungsqualität fallen in den Ländern sehr unterschiedlich aus
Bei der steuerungstechnisch wichtigen Frage der Qualitätssicherung im Bereich der Humanvermögensbildung kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Standards in den drei Ländern relativ willkürlich und teilweise eher aus finanziellen denn auf der Grundlage inhaltlich-konzeptioneller Argumente festgesetzt werden. Zudem scheint die Ausgestaltung auch vom Engagement von Mitarbeitenden der Ministerialverwaltung abzuhängen. Anders sind die großen Unterschiede in den Bildungsstandards der Bundesländer nicht erklärbar, wobei jedes Bundesland seine Stärken aufweist. Während in Bayern die Jugendsozialarbeit konzeptionell besonders gut entwickelt und gesichert ist, hat Brandenburg als einziges von den drei untersuchten Bundesländern die Gewährung von Finanzmitteln aus dem „Investitionsprogramm Zukunft Bildung und Betreuung“ an landeseigene Qualitätsstandards geknüpft. Daneben fällt das Land durch sein konzeptionell hochwertiges Praxisunterstützungssystem (in Form von Fachberatung, Fortbildungsangeboten und Konsultationskitas) im Elementarbereich auf. 8.
Einsatz der Steuerungsinstrumente in den drei Ländern deutet auf ein unterschiedliches Staats- und Politikverständnis hin
Die eingesetzten Steuerungsinstrumente im Bereich der Humanvermögensbildung in den drei untersuchten Bundesländern unterscheiden sich je nach dem Staatsverständnis bzw. auch der politischen Tradition des Bundeslandes. Insbesondere im Elementar- und Primarbereich zeigt sich, dass Unterschiede zwischen den drei Ländern sich weniger an den Zielen und Aufgaben der öffentlichen Einrichtungen festmachen lassen als vielmehr hinsichtlich der Methoden ihrer Umsetzung, der Rolle der verschiedenen Akteure und der rechtlichen Verbindlichkeit von Absprachen. Einigkeit in der Zielsetzung bedeutet eben keineswegs auch Einigkeit in den politischen Handlungsstrategien (s. Hepp 2006: 241). Differenzen zwischen dem ostdeutschen Bundesland Brandenburg und den beiden westdeutschen Ländern weisen dabei auf nach wie vor gegebene Unterschiede in der politischen Kultur und dem Politikverständnis zwischen West- und Ostdeutschland hin. So setzen Bayern und Nordrhein-Westfalen wesentlich stärker als Brandenburg auf das Instrument rechtlicher Vorgaben. Die in den Expert/inneninterviews in Brandenburg immer wieder geäußerte Überzeugung, dass Verhaltensänderungen der mit dem Bildungsbereich befassten Menschen in den Köpfen anfangen und nicht gesetzlich vorgeschrieben werden könnten, mündet dagegen in einen starken Einsatz der Instrumente „Kommunikation“ und „Fortbildung“ im Land. Im Bereich der Humanvermögensbildung sieht das Land Branden-
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burg seine Rolle vor allem in der Funktion eines Förderers von fachlich hochwertigen Vernetzungsprozessen und weniger als Verpflichtungs- bzw. Kontrollinstanz. Hier wirken sich offensichtlich auch die enormen Finanzprobleme des Landes hemmend aus, welche die Ausübung von Kontrollfunktionen sehr einschränken. Zugleich zeigt sich ein – angesichts der Vorgeschichte der DDR – erwartbares Auseinanderklaffen zwischen Ost und West hinsichtlich der Gewichtung der Familie als Bildungsort, die in Brandenburg deutlich schwächer ausgeprägt ist als in den beiden westdeutschen Ländern. Die Erziehungsverantwortung wird im frühkindlichen Bereich weniger bei den Eltern verortet, zugleich werden die Eltern aber auch deutlich weniger als Bildungspartner im frühkindlichen Bereich angesprochen als dies in Bayern und NordrheinWestfalen der Fall ist. Daneben ist das Bewusstsein, dass frühkindliche Bildungsförderung so zentral ist, dass ihr nicht nur von den zuständigen Fachpolitiker/innen, sondern auch im Rahmen der Erstellung des Landeshaushalts Priorität einzuräumen ist, in Brandenburg deutlich stärker entwickelt als den beiden westdeutschen Ländern. Zugleich zeigt sich in Brandenburg eine stärkere Flexibilität im Umgang mit der Gliederung des Schulsystems, weshalb das Land als einziges der drei Länder auf die großen Herausforderungen mit einem Umbau des Schulsystems und der Zusammenführung der Schulformen Gesamtschule und Realschule reagieren will, wohingegen die beiden westlichen Länder an der Dreigliedrigkeit des Systems noch festhalten. Daneben werden in der Untersuchung Unterschiede zwischen Bayern und den anderen beiden Ländern deutlich, die in dem besonderen (föderalen) Staatsverständnis und der politischen Ausgangssituation dort begründet scheinen. Die föderale Struktur und Vielfalt wird von den bayerischen Gesprächspartner/innen als völlig selbstverständlich hingenommen, während sie von praktisch allen Befragten in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen kritisch gesehen und als „Kleinstaaterei“ bzw. „doppelte Arbeit“ beklagt wird. Im Gegensatz zu den beiden anderen Ländern hat Bayern das Kindergartenwesen dem Bildungsbereich zugeordnet – wenn auch ministeriell im Sozialressort verankert – und nimmt hier bewusst eine Ausnahmerolle in der Bundesrepublik ein. Wesentlich stärker als Brandenburg, aber auch konsequenter als Nordrhein-Westfalen setzt Bayern auf klare rechtliche Regelungen und die verbindliche Festsetzung von Kriterien und Standards. Während in NordrheinWestfalen mehr ausgehandelt wurde bzw. wird, wird dies in Bayern stärker angeordnet (nach Konsultationen mit Fachleuten bzw. Gesprächen mit Akteuren). Der Staat wird hier offensichtlich stärker als Entscheider gesehen als in den anderen Ländern, wobei diese Sichtweise sicherlich durch die finanziell bessere Situation im Land und die andere politische Ausgangslage – die seit Jahrzehnten von der gleichen Partei geprägt ist, welche zudem lange Zeit nicht auf einen Koalitionspartner Rücksicht nehmen musste – geprägt ist. Dies stützt die These, wonach „Alleinregierungen geringere Konsensbildungskosten erzeugen als Koalitionsregierungen“, in denen die Kompromisssuche häufig Aufschläge auf die Politik verlangt (Schmidt 2003: 412). Darüber hinaus ist in Bayern ein besonderes Familienverständnis feststellbar, welches dieser im Verhältnis zum Staat eine besondere Bedeutung einräumt – die katholische Subsidiaritätslehre wirkt hier offensichtlich stärker nach als in den beiden anderen Ländern. Stärker als in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen werden Eltern als „Kunden“ und „Erziehungsexperten“ angesehen, während sie deutlich weniger als in den beiden anderen Ländern als „Zielgruppe“ mit flächendeckenden Angeboten gestärkt werden sollen. Stattdessen hält Bayern hier an einer intensiveren finanziellen Unterstützung der Familien fest,
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die durch Landeserziehungsgeld und den Einsatz für das Betreuungsgeld vorangetrieben wurde. Nordrhein-Westfalen ist von den drei Ländern dasjenige, in dem sich am deutlichsten eine parteiengeprägte Policy-Akzentuierung offenbart, dadurch, dass die Situation hier durch unterschiedliche Steuerungsmethoden der Regierungen (SPD-geführt bzw. CDUgeführt) geprägt ist. So waren die Aktivitäten im Bildungsbereich unter der alten rot-grünen Regierung stärker durch ein kooperatives Politikverständnis mit dem Staat in der Rolle als Moderator geprägt, während das Land seit dem Regierungswechsel 2005 stärker als Entscheider präsent war. Ein weiterer Unterschied zur Politik der vorherigen Regierung bestand in der bewusst vollzogenen Erweiterung des Akteurskreises im Bereich der frühkindlichen Bildung. Allerdings werden in Nordrhein-Westfalen auch deutlich die Grenzen dieses Modells der Parteienzuordnung deutlich, da sich an diesem Beispiel zeigen lässt, dass bestimmte Steuerungsmechanismen nicht per se von bestimmten Parteien favorisiert werden. Gerade die Freien Demokraten haben in Nordrhein-Westfalen nämlich im frühkindlichen Bildungsbereich stärkere Regulierungsbestrebungen durchgesetzt; und ein flächendeckendes Sprachstandfeststellungsverfahren bei vierjährigen Kindern wurde ebenso wie die Gründung eines Integrationsministeriums von konservativer Seite vorangetrieben. Noch stärker als die parteipolitische Zugehörigkeit scheint im Bereich der Humanvermögensbildung offensichtlich der fachliche Hintergrund bzw. persönliche Standpunkt der entscheidenden Akteure als wesentliches Handlungskriterium zu wirken, was auch als Beleg für die starke Problemfokussierung der Kinder- und Familienpolitik angesehen werden kann. Besonders stark zeigt sich dies bei den Akteuren auf kommunaler Ebene. Neben der Pfadabhängigkeit sowie politischen Kultur und weiteren politischen Variablen wie strukturellen Gegebenheiten, der Akteurskonstellation oder der regierenden Partei können auch finanzielle Indikatoren bzw. der Problemdruck als entscheidende Parameter für Unterschiede in der Landespolitik ausgemacht werden. 9.
Nachteile der föderalen Aufgabenteilung bei der Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung
Die föderale Aufgabenverteilung im Bereich der Humanvermögensbildung stellt – über die bereits angesprochene Trennung von Jugendhilfe- und Schulsystem hinaus – durch ihre verflochtene Struktur ein ausgesprochenes Hemmnis bei der Umsetzung politischer Aktivitäten zur Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung dar. Durch die fehlende Vergleichbarkeit von Daten, die mangelnde Transparenz unter anderem der Finanzströme, insbesondere im Bereich der Jugendhilfe und das Fehlen einer Koordinierungsinstanz werden die Steuerungsaktivitäten der verschiedenen föderalen Ebenen nicht hinreichend aufeinander abgestimmt. Nicht nur die unterschiedlichen Prinzipien des staatlichen Schul- sowie des vom Subsidiaritätsprinzip beherrschten Jugendhilfesystems wirken sich hier negativ aus (s.o.). Daneben zeigt sich ein weiterer Nachteil in den unklaren Verteilungsströmen im Bereich der Finanzierung. Was mit den (vor allem von kommunaler Seite ins System gegebenen) Finanzmitteln im Bereich der frühkindlichen Bildung passiert und wie erfolgreich es gemacht wird, wird derzeit nur unzureichend kontrolliert, so dass im Vergleich zu anderen Politikfeldern – von einem Gesprächspartner als „unverantwortlich“ bezeichnete – Ungleichgewichte in der Systemsteuerung deutlich werden. Zugleich werden alle politischen Steue-
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rungsbemühungen durch die Vielfalt und mangelnde Vergleichbarkeit von Zahlen und Daten erschwert (s. beispielsweise allein die unterschiedlichen Definitionen in Statistiken). Und nicht nur das: Darüber hinaus findet eine Kooperation und Abstimmung der politischen Aktivitäten mit den Ländern bzw. auch zwischen den Ländern nur in begrenztem Maße statt. Und auch innerhalb der Länder, in der Kooperation zwischen Land und Kommunen, ist der notwendige fachliche Austausch nur in Ansätzen gegeben. 10. Bedeutung verbindlicher Bundesvorgaben wird deutlich Die Bedeutung verbindlicher Bundesvorgaben im Bereich der Humanvermögensbildung wird in verschiedenen Bereichen deutlich. Aktuell zeigt sie sich besonders im Bereich des Elementarbereichs und hier vor allem der Tagespflege, wo die unter anderem durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) geschaffene stärkere Verbindlichkeit als Hauptmotiv für eine fachinhaltliche Weiterentwicklung angesehen werden kann, insbesondere in den westdeutschen Ländern. Anhand des TAG wird zudem ersichtlich, wie durch die Verpflichtung der Bundesländer zur regelmäßigen Berichtspflicht die Möglichkeit eröffnet wird, zukünftig unter Nutzung der öffentlichen Meinung Handlungsdruck in den Ländern zu erzeugen. Dem dienen auch die im Zuge des TAG überarbeiteten und erweiterten Statistiken zur Kinderbetreuung. Insbesondere mit Blick auf eine zu intensivierende Kooperation von Jugendhilfe und Schule zeigt sich allerdings auch, dass der Verbindlichkeitscharakter der Kooperationsvorgaben weiter ausgebaut werden müsste und der Bundesgesetzgeber seine Gesetzgebungskompetenz hier weiter ausschöpfen sollte. 11. Wachsende Bedeutung der Kommunen als Akteure Die Kommunen können im Bereich der Humanvermögensbildung als Akteure mit wachsender Bedeutung angesehen werden. Auf der kommunalpolitischen Agenda sind in den vergangenen Jahren, wie sich in der Untersuchung zeigt, vielfältige neue Schwerpunkte aufgetaucht. Hier sind beispielsweise die zunehmende Konzentration auf den Bereich der Kindertageseinrichtungen, die Neuentdeckung des Themas Kinderarmut oder die neue kommunale Verantwortung bei der Schaffung lokaler Bildungslandschaften zu nennen, wie sie unter anderem in Bayern nun durch die gesetzlichen Regelungen im Elementarbereich vorangetrieben wird. Bisher werden die einzelnen Kommunen mit den sich aus ihrer Planungs- und Gewährleistungsverantwortung ergebenden Herausforderungen relativ alleine gelassen, was zu großen kommunalen Unterschieden bei ihrer Bewältigung führt, je nachdem welche finanziellen Mittel und welches personelle Know-How auf kommunaler Ebene verfügbar ist. Dadurch, dass die föderale Finanzverteilung der wachsenden Aufgabenfülle nicht gefolgt ist, so dass von einem großen Widerspruch zwischen Aufgabenzuwachs auf der einen und Kompetenzordnung im föderalen Entscheidungsprozess auf der anderen Seite gesprochen werden muss, droht für viele Kommunen eine Überforderung. Erkennbar werden in diesem Kontext in der Untersuchung Unterschiede zwischen den Städten auf der einen und den Landkreisen auf der anderen Seite: Hinsichtlich ihrer größeren Steuerungsbefugnisse im Bereich der Jugendhilfe, aber auch ihres (in der Regel) höheren Professionalisierungsgrades sind die großen Kommunen derzeit im Vorteil, wenn es um die Entwicklung neuer Konzepte sowie die sozialraumorientierte Ausgestaltung ihrer Angebote geht. In diesem Kontext zeigen sich die Vorteile der stärkeren Dezentralität (in Form von mehr
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lokaler Problemangemessenheit und Autonomie), aber auch ihre Nachteile (in Form stärkerer Ungleichheit). Vor diesem Hintergrund stellt sich für die Bundesländer die Aufgabe, die zunehmende Kommunalisierung von Leistungen, wie sie in Bayern und NordrheinWestfalen in den vergangenen Jahren erfolgte, mit einer stärkeren Unterstützung der kommunalen Ebene zu verbinden, beispielsweise in Form zusätzlicher Finanzmittel für finanzschwächere Kommunen, damit diese nicht immer weiter ins Hintertreffen geraten. Auf kommunaler Ebene ist zugleich feststellbar, wie hilfreich sich die strategische „Neuentdeckung“ der Familie im kommunalpolitischen Kontext erweisen kann. Die wachsende Steuerung in den Kommunen über Lokale Bündnisse für Familien, Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII, Stadtteil- und Sozialraumkonferenzen ermöglicht zudem eine Öffnung der herkömmlichen Hilfestrukturen in die Zivilgesellschaft hinein. Insbesondere bei den Lokalen Bündnissen für Familie zeigt sich aber, wie wichtig es ist, dass die konkrete Steuerungsfunktion der Bündnisse geklärt und diese mit der Jugendhilfeplanung verknüpft werden. 12. Einbezug außerstaatlicher Akteure Nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf Ebene der Länder wurden in den vergangenen Jahren verstärkt außerstaatliche Akteure in die Humanvermögensbildung einbezogen und wurde der Akteurskreis im Bereich familienpolitischen Handelns kontinuierlich erweitert. Die drei untersuchten Bundesländer vertreten dabei unterschiedliche konzeptionelle Ansätze, wie außerstaatliche Akteure in die Bildung der nachwachsenden Generation eingebunden werden und welche Rolle sie einnehmen sollen. Diese sind offensichtlich geprägt durch die politische Akteursstruktur und das Staatsverständnis in dem jeweiligen Bundesland. Ost-West-Unterschiede werden hier sichtbar mit Blick auf die Stellung freier Träger von Kindertageseinrichtungen und ihre Position im politischen Verhandlungssystem, aber auch hinsichtlich der Rolle der Wirtschaft als Multiplikator und Vorantreiber von Entwicklungen, unter anderem mit Blick auf eine Veränderung der politischen Diskussion, wie dies aus Bayern berichtet wird. Als Sponsoren bzw. auch Kooperationspartner im Projektbereich sowie teilweise als Partner im Public Private Partnership sind Unternehmen wie Stiftungen in allen drei Bundesländern in die Humanvermögensbildung einbezogen, wobei dies am stärksten in Bayern, am schwächsten in Brandenburg gegeben ist. Das Engagement von außerstaatlichen Akteuren, vor allem Wirtschaftsunternehmen, scheint dabei stark dadurch geprägt zu sein, welche Versorgungslage vor Ort vorzufinden ist. Für die Bereitschaft außerstaatlicher Akteure, insbesondere von Wirtschaftsunternehmen, in die öffentliche Humanvermögensbildung zu investieren, scheinen Lücken im staatlichen Netz eine notwendige Bedingung. Daneben scheint die Sichtweise einer nicht-staatlichen Verantwortung im frühkindlichen Bildungs- und Erziehungswesen durchaus förderlich auf die Aktivitäten nichtstaatlicher Akteure zu wirken. Zusammenfassend kann die Situation im Bereich der Humanvermögensbildung damit als eine zweifach problematische charakterisiert werden. Zum einen ist eine mangelnde Passförmigkeit festzustellen zwischen den aktuellen Entwicklungen und Problemerfordernissen auf der einen und der föderalen Kompetenzordnung auf der anderen Seite. Zum zweiten deuten die teilweise widersprüchlichen jugendhilfe- und bildungspolitischen Aktivitäten der drei untersuchten Bundesländer darauf hin, dass zentrale Fragen im Bereich der
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4 Folgerungen und Schlussbetrachtungen
Humanvermögensbildung gesamtgesellschaftlich noch nicht hinreichend geklärt sind. Insbesondere betrifft dies die Frage nach dem Verhältnis von Leistungs- und Partizipationsgerechtigkeit in der Humanvermögensbildung. Daneben ist aber auch offensichtlich noch ungeklärt,
welchen Stellenwert die Humanvermögensbildung gesamtgesellschaftlich im Vergleich zu anderen Bereichen einnehmen soll, wie viele Mittel hierfür bereitzustellen sind, wie politisch die gerechte Verteilung der Zugangschancen zu Bildungs- und Betreuungsangeboten sichergestellt werden soll und kann, wie zudem sichergestellt werden kann, dass die eingesetzten Finanzmittel auch effizient und effektiv eingesetzt werden.
Damit ist auch unklar, in welchem Verhältnis allokative, distributive und effiziente Kriterien im Bereich der Humanvermögensbildung zueinander stehen. Derzeit scheinen vor allem allokative Tendenzen wie solche der Effizienz des Mitteleinsatzes im Mittelpunkt der gesellschaftlichen wie politischen Diskussion zu stehen, wohingegen distributiven Aspekten eher weniger Gewicht beigemessen wird, wie nicht nur am Beispiel der Finanzierungsdebatte im Bereich der Kindertageseinrichtungen gesehen werden kann. Vor dem Hintergrund der enormen Bedeutsamkeit von Chancengleichheit im Bildungs- und Betreuungssystem für die weitere Entwicklung der Gesamtgesellschaft wie des Staates wird diese Tendenz kritisch gesehen (Bock-Famulla 2005). Was folgt nun aus diesen Untersuchungsergebnissen und welche strukturellen Veränderungsnotwendigkeiten ergeben sich daraus? Im Folgenden soll dies erst konzeptionell veranschaulicht werden, ehe es in einem zweiten Schritt darum gehen wird, für die konkreten föderalen Ebenen und die unterschiedlichen politischen Akteure Handlungsempfehlungen herauszustellen. 1.
Gesellschaftliche Neudefinition von privater bzw. öffentlicher Aufgabenteilung spiegelt den Gestaltwandel im Verhältnis von Staat und Familie wider
Die wachsende öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern spiegelt einen Gestaltwandel im Verhältnis von Staat und Familie. Sie kann als Folge der zunehmenden Spezialisierung und der wachsenden Anforderungen an familiale Leistungsfähigkeit sowie der damit verbundenen Überforderung des familialen Systems angesehen werden – nach dem Motto: „Kinder, Alte und Beruf: Die Familie ist zu klein geworden für immer größere Aufgaben“ (Grefe 2002: 15). Die fast 200 Jahre funktionierende Arbeitsteilung in Deutschland „zwischen der Familie, die erzieht, und der Schule, die bildet, zugegeben mit Überschneidungen, denn das Bildungsbürgertum bildet auch zu Hause, und die Schule hat auch einen erziehenden Unterricht“ (Struck 2004: 8), geht derzeit langsam ihrem Ende entgegen. Im Sinne einer stärker individualisierten Politikausrichtung ist in diesem Kontext nicht nur die vermehrte Übernahme von Erziehungsaufgaben durch andere öffentliche Bildungseinrichtungen notwendig, sondern darüber hinaus eine Familienorientierung von Jugendhilfe und Schule im Sinne einer ausreichenden Unterstützung der Eltern in ihrer Erziehungskompetenz. Wie die Untersuchung zeigt, ist die derzeitige Aufgabenteilung zwischen Fami-
4.1 Zusammenfassende Schlussbetrachtungen
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lie, Jugendhilfe und Schulsystem noch immer unzureichend ausgeformt, wobei besonders zu bedauern ist, dass sich der einheitliche fachpolitische Wille zur „Schaffung eines Gesamtzusammenhangs von Bildung, Betreuung und Erziehung“, wie er von einer gemeinsamen Arbeitsgruppe von Kultus- und Jugendministerkonferenz schon im Jahr 2002 formuliert worden ist, auf der Ebene der politischen Aktivitäten bislang nicht ausreichend niedergeschlagen hat (vgl. BMFSFJ (Hg.) 2005: 466f). Nach wie vor hat das Resümee des Zwölften Kinder- und Jugendberichts Geltung, der 2005 konstatierte: „Über eine formelhafte Verwendung im Bereich der Kindertagesbetreuung hinaus ist die Trias von Bildung, Betreuung und Erziehung bislang nie herausgekommen“ (ebd.: 13). Während der Vorschulbereich darauf achten muss, „nicht den (zeitlich zwar flexibilisierten, aber inhaltlich leeren) Betreuungsaspekt überzubetonen und beim Bildungsziel nicht eine verkrüppelte Hervorhebung von angeblichen ‚Schüsselkompetenzen‘ für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland zuzulassen“ (Sell 2002: 30f), steht der Schulbereich vor der Notwendigkeit, sich von den ihn noch immer charakterisierenden „ständischen Elementen“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 425) zu trennen und Fragen der Verbesserung schulischer Chancengleichheit und einer intensivierten individuellen Förderung aller Schüler/innen mehr Gewicht zu geben. Damit stellt sich für den Schulbereich die Aufgabe, neben der Leistungsgerechtigkeit auch die Startchancen- und Partizipationsgerechtigkeit zum Ausgangspunkt seiner konzeptionellen und instrumentellen Ausgestaltung zu machen. 2.
Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung setzt Neuordnung der derzeitigen föderalen Aufgabenteilung und eine Erweiterung des Gestaltungsspielraums der Kommunen voraus
Obwohl in den drei untersuchten Bundesländern in den vergangenen Jahren politische Aktivitäten unternommen wurden, die die verschiedenen Bereiche Familie, Jugendhilfe, Schule haben näher zusammenwachsen lassen, ist erkennbar, wie stark die derzeitige föderale Aufgabenteilung die Entwicklung von Konzepten hemmt, welche Bildung, Betreuung und Erziehung verbinden. Die föderale Kompetenzordnung hat finanz- und rechtspolitisch noch nicht die Akteursverschiebung nachvollzogen, die durch die wachsende familienpolitische Bedeutung der Kommunen und jene außerstaatlicher Akteure entstanden ist. Die fehlende staatliche Qualität, die den Kommunen staatrechtlich zukommt und für ihr politisches Selbstverständnis bedeutet, dass die „vorhandenen Möglichkeiten, Sozialpolitik zu gestalten, (..) oft darauf reduziert werden, auf bundes- und landespolitische Vorgaben zu reagieren“ (Münch 1997: 288) stellt sich dabei als großes Problem dar, zumal wenn, wie im Bereich der Familienpolitik, die wachsende Aufgabenfülle nicht durch eine Kompetenzerweiterung begleitet wird. Die Kommunen müssen in die Lage versetzt werden, eine „organisierende und gestaltende Funktion bei der Schaffung eines differenzierten Angebots in einer pluralen lokalen Bildungslandschaft“ (BMFSFJ (Hg.) 2005: 535) nicht nur übernehmen zu wollen, sondern auch zu können. Insbesondere aber ihre finanzielle Leistungsfähigkeit lässt dies momentan nicht ausreichend zu. Dies erklärt die im frühkindlichen Bildungsbereich zu konstatierende „Unterinvestition“, welche den Veränderungen in der konzeptionellen und inhaltlichen Ausgestaltung noch nicht Rechnung getragen hat: „Bilden ist teurer als Betreuen“ (Frank 2004: 4). Nicht nur in finanzieller Hinsicht ist daher eine Anpassung der föderalen Kompetenzordnung an die Herausforderungen im Bereich der Humanvermögensbil-
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4 Folgerungen und Schlussbetrachtungen
dung notwendig, wobei die Kompetenzverteilung „eine Schlüsselfrage für die Zukunft“ (OECD 2004: 23) darstellt. 3.
Diversifizierung als eine der großen Herausforderungen für die Politik
Die Bedingungen für das Leben von Kindern und Familien unterscheiden sich zwischen den Kommunen und Bundesländern deutlich, wie nicht nur in dieser Untersuchung deutlich wurde. Der seit 2008 herausgegebene „Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann Stiftung stellt fest, dass die Bildungschancen für kleine Kinder sehr stark davon abhängen, in welchem Bundesland sie geboren werden, wobei die Investitionen in frühkindliche Bildung und Betreuung zwischen 1.000 und 3.000 Euro pro Kind unter zehn Jahren variieren. Entsprechend unterschiedlich werden die Eltern an der Finanzierung beteiligt (Bertelsmann Stiftung (Hg.) 2008). Verstärkt wird diese Diversifizierung durch die wachsende Mobilität – auch als „Schlüsselbegriff der Moderne“ bezeichnet (s. dazu Schneider u.a. 2002: 13ff) – welche die Aufgabenteilung im föderalen Sozialstaat herausfordert. Bund und Ländern stellt sich daher heute stärker als früher die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, um regionale Disparitäten ausgleichen zu können. Nötig ist hier eine neue Verständigung darüber, „wie viel Deregulierung an welcher Stelle erforderlich ist bzw. wie viel Regulierung das System benötigt, auch um der drohenden Absenkung struktureller Qualitätsstandards im Gefolge einer möglichen Deregulierung entgegenzuwirken“ (Sturzbecher 1998: 292), also eine neue Balance zwischen zentraler und dezentraler Steuerung im Sinne einer „Multi-Level-Governance“ (Bertelsmann Stiftung 2007). Neben einer Stärkung der lokalen Verantwortung und der lokalen Akteure, durch mehr Kompetenzen (auch im Schulbereich), aber auch mehr Finanzen und vor allem intensivierte Personalentwicklungsaktivitäten und einer Intensivierung ihrer Koordinierungs- und Steuerungsfunktion umfasst dies eine detailliertere Ausgestaltung der Bundesgesetzgebungskompetenz. Daneben ist es notwendig, dass der Bund noch stärker in die Rolle des Akteurs schlüpft, der im Sinne eines Koordinators die vielfältigen Aktivitäten der verschiedenen Akteure begleitet und vernetzt und als Moderator zentrale Fragen von gesellschaftlichem Interesse auf die Tagesordnung setzt. 4.
Vernetzung bestehender und Ausbau präventiver Angebote als zentraler Policy-Ansatz
Die verstärkte Diversifizierung und Ausdifferenzierung der familialen Lebenswelten wirkt sich auf die Angebotsgestaltung aus und erfordert eine stärker zielgruppenorientierte Politik für Kinder und Familien (s. Gerlach 2004: 238). Bei der Entwicklung bedarfs- und zielgerechter Fördermaßnahmen geht es allerdings „weniger um die Etablierung neuer Dienste und Hilfsangebote als vielmehr um ihre verstärkte passgenaue Ausrichtung an den veränderten Lebens- und Problemlagen von Kindern und ihrem häuslichen Umfeld sowie um eine strukturell bessere Vernetzung und Abstimmung der bestehenden Infrastrukturen vor Ort. Die Möglichkeiten für kooperative und interdisziplinäre Ansätze im Sozialraum werden bislang allerdings nur unzureichend erschlossen“ (Meier-Gräwe 2008: 39), auch wenn das Kinder- und Jugendhilfegesetz mit seiner Betonung von Vernetzung und Kooperation (s. Wohlfahrt 2002: 93) hier eine gute Grundlage darstellt. Eine systematische und ganzheitliche Förderung von Kindern setzt deutlich stärker auf Erziehungspartnerschaften zwi-
4.1 Zusammenfassende Schlussbetrachtungen
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schen den verschiedenen öffentlichen und privaten Bildungsorten und auf eine Unterstützung und Stärkung der Lebenswelt Familie (z.B. durch integrierte Beratungsangebote) als dies bisher gegeben ist. Eine solche ganzheitliche Förderung verträgt sich nicht mit den starren Systemgrenzen, die den Bereich der Humanvermögensbildung heute immer noch dominieren sowie den zugrunde gelegten starren Altersgrenzen. Dass gerade im Bereich der Vernetzung viele Ideen zur Kooperation in der Praxis an den fehlenden finanziellen, personellen und strukturellen Voraussetzungen scheitern (BMFSFJ (Hg.) 2005: 262), zeigt den Handlungsbedarf für die politische Gestaltung auf. Neben der Vernetzung bestehender stellt der Ausbau präventiver Angebote ein zentrales politisches Erfordernis dar, welches in der intergenerationellen Weitergabe von Benachteiligung (z.B. in Form von Bildungsdefiziten, Erwerbslosigkeit, finanzieller Armut) von Eltern auf ihre Kinder begründet ist. Dieser Ansatz liegt auch im Erfordernis eines effizienten Umgangs mit Ressourcen begründet, „da fehlende Investitionen im vorschulischen Bereich und in der außerschulischen Betreuung zum massiven Anstieg der Sozialkosten führen. Kosten gibt es also in jedem Fall. Wenn nicht im Bildungs-, dann im Sozialetat, und Politiker wären gut beraten, diese Kosten in die Bildung und nicht nachträglich in die soziale Restaurierung zu investieren“ (Fthenakis in klein & groß 2000: 14). Damit allerdings gerät der soziale Nahraum und die kommunale Ebene als Handlungsebene für politisches Gestalten in den Blick und das politische Instrument der Kommunikation, welches im Gegensatz zu den Instrumenten Recht und Geld keine „reaktiv-kompensatorische Wirkweise der Maßnahmen“ bedingt (Münch 1997: 225). 4.2 Handlungsempfehlungen für die Politik Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Darstellungen lassen sich folgende Empfehlungen zur Weiterentwicklung politischen Handelns ableiten. 4.2.1 Handlungsempfehlungen für den Bund 1.
Bundesgesetzgebungskompetenz detaillierter ausgestalten
Um die Schaffung vergleichbarer Lebensbedingungen zu fördern und vor Ort Kooperationen zwischen den verschiedenen Bereichen und Hilfesystemen voranzutreiben, sollte der Bund seine Gesetzgebungskompetenz zukünftig noch gezielter nutzen und verbindlichere Vorgaben machen. Insbesondere das SGB VIII ist hier detaillierter auszugestalten mit Blick auf eine Konkretisierung der institutionellen Zusammenarbeit von Jugendhilfe mit Schule, aber auch mit Akteuren des öffentlichen Gesundheitssektors und weiterer Hilfseinrichtungen. Dies sollte auch die Festlegung von Verfahrenswegen einschließen (einschl. Vorgaben für die kommunalen Jugendämter zur Vorhaltung von eigenen Arbeitsbereichen „Jugendhilfe und Schule“). Mit Blick auf die Ausgestaltung der kommunalen Bildungsplanung ist zudem die Kooperation von Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung konkreter festzuschreiben. Zugleich ist der Verpflichtungsgrad für die Vorhaltung von präventiven Angeboten zu erhöhen und der Rechtsanspruch auszuweiten und zu konkretisieren, damit das tägliche Betreuungsangebot für Kinder die Zeit von fünf zusammenhängenden Stunden nicht unter-
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4 Folgerungen und Schlussbetrachtungen
schreitet und bei zusätzlich von den Eltern geltend gemachtem Bedarf ein rechtlich gesicherter Anspruch auf ein ganztägiges Angebot gegeben ist. Da Kinderbetreuungsangebote zudem als umfassende Bildungsangebote gesehen werden können, ist langfristig eine grundsätzliche Beitragsfreiheit für die Eltern anzustreben. Vorrang sollten allerdings der Ausbau sowie die qualitative Sicherung haben, wobei im SGB VIII verbindlichere Qualitätsvorgaben festgeschrieben werden sollten. Auch sollte die Bestimmung des § 72 SGB VIII überarbeitet und der Fachkräftebegriff im SGB VIII im Hinblick auf die besondere Rolle der Fachkräfte im Vergleich zu Laien und ihre Funktionalität sowie die notwendige Fachdisziplin genauer definiert werden, inklusive stärker konkretisierter Fortbildungsbestimmungen, die den gewandelten Problemlagen und Handlungserfordernissen Rechnung tragen. Nicht zuletzt sollten die derzeitigen Regelungen in der Arbeitsmarktpolitik, die Frauen mit Kindern unter drei Jahren von Betreuungs-, Vermittlungs- und Qualifizierungsangeboten faktisch ausschließen, überarbeitet werden. 2.
Die Weiterentwicklung und Verbreitung der Angebotsstruktur über Investitionsprogramme fördern
Angesichts der Wirkungsmächtigkeit der Ergänzung rechtlicher Vorschriften durch die Bereitstellung finanzieller Fördermitttel sollte die Weiterentwicklung und Verbreitung einer stärker zielgruppenbezogenen und vernetzten Angebotsstruktur vom Bund über Investitionsprogramme gefördert werden. Richtungsweisend sind hier die Programme zum Ausbau von Ganztagsangeboten („Investitionsprogramm Zukunft Bildung und Betreuung“) sowie die Aktivitäten des Bundes im Bereich der „frühen Hilfen“. Ein anderer Ansatz wäre die Förderung von Konsultationseinrichtungen, die Impulse für die weitere Verbreitung setzen und einen Kompetenztransfer initiieren können. Wichtig ist, dass diese Programme mit allen im Bereich der Humanvermögensbildung aktiven Ministerien abgestimmt sind, dass in allen Programmen klare Qualitätsrichtlinien festgelegt werden und die Bundesländer zur Erstellung landeseigener Qualitätsrichtlinien verpflichtet werden, wenn sie von einem Abruf der Mittel Gebrauch machen wollen. 3.
Kooperationen zwischen den verschiedenen Politikfeldern sowie zwischen den föderalen Ebenen über anreizsteuernde Instrumente aktiv vorantreiben
Die auf kommunaler Ebene notwendige Kooperation verschiedener Politikfeldakteure erfordert gleichartige Aktivitäten auf Bundes- und Landesebene. In diesem Sinne sind, im Interesse höherer Effektivität und Nachhaltigkeit, die Kooperationsabsprachen zwischen den verschiedenen, an der Humanvermögensbildung beteiligten Ministerien zu intensivieren und verbindlicher auszugestalten. Zugleich sollte der Bund den Austausch und die Vernetzung von Akteuren aller drei Ebenen vorantreiben und durch den Einsatz anreizsteuernder Instrumente Kommunen wie Länder zur Initiierung neuer Kooperationen ermutigen. Dabei sollte insbesondere darauf geachtet werden, dass auch kleinere Städte und Gemeinden stärker von einem Erfahrungsaustausch profitieren können.
4.2 Handlungsempfehlungen für die Politik 4.
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Stärkung der Steuerungsfunktion der Kommunen durch finanzielle und strukturelle Reformen
Angesichts der hemmenden Funktion der föderalen Kompetenzordnung im Bereich der Humanvermögensbildung sowie der Tatsache, dass der Ausbau der Ressourcenausstattung hier mit der Aufgabenerweiterung nicht Schritt gehalten hat, sind dringend finanzielle und strukturelle Reformen notwendig mit dem Ziel einer Stärkung der Steuerungsfunktionen der kommunalen und kreislichen Ebene. Diese ist in die Lage zu versetzen, ein qualitativ gutes Angebot vorzuhalten und Koordination, Kooperation und Prävention zu betreiben. Notwendig sind in diesem Kontext die Erweiterung der Steuerungsbefugnisse der örtlichen Jugendhilfeträger im Elementarbereich und ihre Stärkung als fachliche Aufsichtsbehörde sowie eine Erweiterung der Beteiligungsmöglichkeiten der Kommunen bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Schulen. Notwendig ist daneben dringend eine stärkere finanzielle Unterstützung der Kommunen, weshalb ein Umbau des Finanzausgleiches anzuraten ist, mindestens aber die Verankerung aufgabenbestimmter Finanzausgleiche in den Ländern. 5.
Mit den Bundesländern gemeinsam Strategie zur Humanvermögensbildung entwickeln
Angesichts der Vielzahl von Akteuren und Konzepten im Bereich der Humanvermögensbildung sowie der heterogenen Umsetzung in den Bundesländern ist es notwendig, dass der Bund eine stärker koordinierende Rolle bei der Vernetzung der Aktivitäten einnimmt. Gemeinsam mit den Ländern, ggf. unter Einsetzung einer Kommission, die Fragen der Bildungsqualität konkretisiert, sollte eine langfristige Strategie zur Humanvermögensbildung entwickelt werden, wobei besonderes Augenmerk auf der Startchancengerechtigkeit des Systems liegen sollte. Dies erfordert deutlicher als bisher qualitative Ziele in die Diskussion einzubringen und Methoden der Messbarkeit zu entwickeln, die ihre Vielschichtigkeit möglichst umfassend abbilden. Ferner sollten in einer solchen Konzeption Vorgaben und Standards zur Einbeziehung gewerblicher Akteure in die Humanvermögensbildung gemeinsam festgelegt werden. Um solche grundlegenden Aufgaben versehen zu können, ist es nötig, die zuständige Einheit im Ministerium mit ausreichenden personellen und finanziellen Ressourcen auszustatten. Ergänzend wird, im Sinne einer intensiveren Abstimmung zwischen den Ländern, der Abschluss von Staatsverträgen empfohlen, um so eine länderübergreifende Verständigung zu erreichen. Dies ist durch Landesgesetze zu ergänzen. 6.
Forschungsstruktur und Datenbasis im Bereich der Humanvermögensbildung ausbauen und mit der der Länder vernetzen
Da derzeit kein systematischer Überblick über die vielfältigen Aktivitäten der verschiedenen föderalen Ebenen im Bereich der Humanvermögensbildung gegeben ist, ist das immer noch vorherrschende Datendefizit auf Bundesebene zu verringern, das die Steuerungsaktivitäten stark hemmt. Notwendig ist eine Verbesserung der Informationsbasis auf Bundesebene in Form einer Systematisierung und Qualifizierung von Daten, Instrumenten und Methoden im Bereich der Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung. Empfehlenswert ist in diesem Kontext auch die Entwicklung eines Monitoring, mit dem die Effekte und Wirkungen von Aktivitäten im Bereich der Humanvermögensbildung gemessen und dargestellt werden können. Daneben ist dringend ein Ausbau der Forschungsinfrastruktur,
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4 Folgerungen und Schlussbetrachtungen
inbesondere im Bereich der frühkindlichen Bildung, erforderlich, um den Umbau des Systems auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse durchführen und ihn durch regelmäßige Evaluationen und empirische Forschungen begleiten zu können. 4.2.2 Handlungsempfehlungen für die Länder 1.
Gemeinsames Konzept zur Humanvermögensbildung in den Ländern entwickeln mit klaren Kooperationsabsprachen der verschiedenen Akteure
Die Notwendigkeit des Auf- und Ausbau eines öffentlichen Systems für Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit dem Ziel, ein in qualitativer wie quantitativer Hinsicht flächen- und bedarfsdeckendendes Angebot zu schaffen, setzt die Entwicklung eines gemeinsamen Konzepts zur Humanvermögensbildung in den Ländern voraus, unter Einbezug aller beteiligten Akteure. Ein solches Konzept sollte die Rolle der Kinder und Jugendlichen als Bildungspartner konkretisieren und zentrale Kooperationsvorgaben für die Akteure hinsichtlich eines weiteren Ausbaus von Bildungs- und Erziehungspartnerschaften sowie damit zusammenhängender Vernetzungsaktivitäten beinhalten. Zugleich sollten in einem solchen Konzept Voraussetzungen für den Einbezug gewerblicher Akteure in die Humanvermögensbildung sowie ein notwendiger Finanzrahmen festgelegt werden. Alternativ sollten zumindest die Bildungsziele und -konzepte sowie Verwaltungsrichtlinien und Gesetze zwischen Bildungs- und Jugendministerien aufeinander abgestimmt werden. 2.
Angebote im frühkindlichen Bildungsbereich konzeptionell, finanziell und strukturell weiterentwickeln und klare Qualitätskriterien rechtlich festschreiben
Im frühkindlichen Bildungsbereich sollte durch den Aufbau eines flächendeckenden Beratungs- und Unterstützungssystems der frühe Zugang zu öffentlich geförderten Angeboten auch für Kinder mit Migrationshintergrund und aus bildungsfernen Schichten gezielt erleichtert werden. In diesem Kontext ist besonders die Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Eltern-Kind- oder Familienzentren zu empfehlen, wobei dies durch eine entsprechende Aufstockung der finanziellen und personellen Mittel begleitet sein muss. Um Startchancengerechtigkeit zu sichern und einen effizienten Umgang mit Steuergeldern sicherzustellen ist daneben die Erarbeitung verbindlicher, kontrollier- und evaluierbarer höchster Qualitätsstandards für die umfassende Förderung von kleinen Kindern notwendig, was auch eine stärkere Verbindlichkeit von Qualitätsstandards im Bereich der Tagespflege beinhaltet. Dies ist einzubetten in ein Qualitätssicherungssystem, das ein internes Qualitätsmanagement der Träger und ein externes, von Trägern und Finanzgebern unabhängiges, am besten nach bundeseinheitlichen Kriterien arbeitendes Qualitätssicherungssystem umfasst. Bei der Konzeption, Durchführung und Evaluation solcher Maßnahmen sollte geprüft werden, inwieweit Eltern als gleichberechtigte Partner der Einrichtungen partizipieren können. Die Informationen der externen Qualitätssicherung sind so aufzubereiten, dass sie dem Verbraucherschutz, der Orientierung der Nachfrager (Eltern/Kinder) und der Stimulierung eines qualitätsorientierten Wettbewerbs der Anbieter dienen.
4.2 Handlungsempfehlungen für die Politik
371
Um die Steuerungsfunktion zu erhöhen, sollten die Länder daneben die Finanzierung im Bereich der frühkindlichen Bildung so umgestalten, das sich das Finanzierungssystem als Steuerungssystem eignet. Dies setzt landesweite Standards voraus und eine Finanzierung, die sicherstellt, dass die Einrichtungen ihren Auftrag erfüllen können (einschließlich einer indikatorenabhängigen Ressourcensteuerung (z.B. in Abhängigkeit von sozioökonomischen Faktoren)) sowie eine Evaluierung der Wirkung der Steuerung. Empfehlenswert ist auch eine intensivere Nutzung der Steuerungsmöglichkeit „Fachberatung“, die dazu flächendeckend ausgebaut und rechtlich so verankert werden müsste, dass sie in ihrer Unabhängigkeit von den Rechtsträgern (Träger als Kunden) gestärkt und von Aufsichtsfunktionen freigehalten wird. 3.
Kooperation von Jugendhilfe und Schule und Ausbau von Ganztagsangeboten intensivieren
Angelehnt an ein gemeinsam entwickeltes Konzept zur Humanvermögensbildung ist im Schulbereich die verstärkte Einrichtung von lebenslagen- und altersspezifischen Leistungen und Angeboten der Jugendhilfe und anderer Bildungsträger am „Ort Schule“ notwendig, ebenso wie der Ausbau von Ganztagsangeboten. Wie in Nordrhein-Westfalen mit dem Beispiel der offenen Ganztagsschule geschehen, sollte dieser als Kooperation von Jugendhilfe und Schule ausgestaltet werden, allerdings in Form einer stärkeren Verzahnung unterrichtlicher und außerunterrichtlicher Angebote sowie einer intensivierten Kooperation von schulischem und außerschulischem Personal. In diesem Sinne wäre in den Schulgesetzen der Länder zu verankern:
Einbezug des Personals der „außerschulischen“ Träger in den Prozess der Schulentwicklung und Sicherstellung einer Einflussnahme in schulischen Gremien und Entscheidungsprozessen bei gemeinsamen Arbeitsaufgaben; Stärkere Förderung des Lehrpersonals bei der Wahrnehmung außerunterrichtlicher Aufgaben durch eine Neuausgestaltung der Dienstzeiten (hin zu längeren Präsenzzeiten in der Schule) sowie die Einrichtung individualisierter Arbeitsplätze in der Schule; Verankerung einer größeren Autonomie der Einzelschulen, damit die Schulentwicklung stärker in die sozialräumliche Bildungsplanung vor Ort eingebunden werden kann; Förderung der Kooperation von Kindertageseinrichtungen und Schulen über verpflichtende Vorgaben zur Kooperation z.B. über flexible Schuleingangsphasen.
Darüber hinaus sind die Schulgesetze auf die Ausführungsgesetze des SGB VIII in den Ländern abzustimmen. 4.
Kommunen stärker unterstützen
Notwendig ist auch von Seiten des Landes eine wesentlich stärkere Unterstützung der Kommunen, unter anderem durch die Schaffung geregelter Kooperationsstrukturen und klarerer Vorgaben hinsichtlich einer zielgruppenorientierten Ausgestaltung und Vernetzung der Angebote. Durch einen kommunalen Finanzausgleich in den Ländern (beispielsweise in Form eines pauschalen Zuschlags für die einzelnen Jugendamtsbezirke nach Anzahl der
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4 Folgerungen und Schlussbetrachtungen
Empfänger/innen von „Hartz IV“) ist zudem sicherzustellen, dass finanzschwache Kommunen im Bereich der Humanvermögensbildung nicht ins Abseits gedrängt werden. 5.
Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte verbessern
Notwendig ist zugleich eine Reform der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften und sozialpädagogischen Fachkräften, mit dem Ziel, den Bildungsbezug generell zu stärken, auf die Kooperation mit anderen Berufsgruppen vorzubereiten sowie interdisziplinäre und institutionenübergreifende Perspektiven aufzunehmen. Die Lehrerausbildung ist dazu intensiver auf Tätigkeiten außerhalb des Unterrichts und besser auf die Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendhilfe auszurichten; in sozialpädagogischen Studiengängen ist ein stärkerer Schulbezug einzuführen und sind bildungsbezogene Aufgaben stärker in den Vordergrund zu rücken. Insbesondere sind Fragestellungen rund um aktuelle Herausforderungen wie eine kooperative Übergangsgestaltung, stärker individualisierte Bildungsarbeit oder Ganztagsarbeit in schul- und sozialpädagogische Aus- und Weiterbildungsgänge verstärkt zu integrieren. Zugleich sind mehr gemeinsame Aus- und Weiterbildungsanteile notwendig, mit dem Ziel, so die Kooperation auch in der fachlichen Praxis zu erleichtern. Nicht zuletzt ist eine Aufwertung und Verbesserung der Ausbildung von Erzieher/innen dringend erforderlich. Dies umfasst nicht nur eine höhere und nicht zuletzt international besser anerkannte Grundqualifikation, sondern bezieht auch eine intensivere Schulung bezüglich der Zusammenarbeit mit Eltern ein, insbesondere solchen aus bildungsfernen Schichten, ferner die Kooperation mit Schulen und öffentlichen Hilfs- und Gesundheitseinrichtungen. 6.
Datenbasis auf Landesebene ausbauen mit dem Ziel einer verstärkten Transparenz
Nicht zuletzt ist auch auf Landesebene die Datenbasis so auszubauen, dass die für eine Steuerung der Humanvermögensbildung notwendigen Daten vorliegen. Im Sinne eines landesweiten Qualitätsmonitoring sollten notwendige Messdaten (z.B. zu Bildungsstandmessungen, Bildungs- und Entwicklungsdiagnosen) zusammengestellt werden, mit dem Ziel, so eine Grundlage für die individualisierte Förderung zu erhalten. Angebote und Maßnahmen im Bereich der Humanvermögensbildung sind im Sinne einer qualitativen Sicherung zu evaluieren. Im Sinne einer transparenteren Darstellung ist daneben die Kommunikation über Internetforen auszuweiten und mehr Energie darauf zu verwenden, dass Sachverhalte so vermittelt werden, dass sie von möglichst vielen auch verstanden, angenommen und umgesetzt werden können. 4.2.3 Handlungsempfehlungen für Kommunen und Kreise 1.
Kommunale Bildungsplanung konzeptionell ausgestalten und zielgruppenbezogene Angebote vor Ort entwickeln
Die Ausgestaltung einer kommunalen Bildungsplanung im Sinne eines konsistenten Gesamtsystems, das die Begrenzungen der verschiedenen Teilsysteme im Bereich der Humanvermögensbildung überwindet, stellt eine der großen Herausforderungen für kommunales
4.2 Handlungsempfehlungen für die Politik
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Handeln dar. Notwendig sind daher eine Vernetzung von kommunaler Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung und ihre Abstimmung mit Sozial- und Stadtentwicklungsplanung. Die bewährten Beteiligungsinstrumente der Jugendhilfe sind hierbei zu nutzen und ggf. auszubauen. Zugleich ist die lokale Angebotsgestaltung zielgruppenorientiert und sozialräumlich vernetzt weiterzuentwickeln. 2.
Kooperationsstrukturen vor Ort ausbauen
Erfolgreiche Kooperationen bedürfen der Bereitstellung förderlicher Rahmenbedingungen auch auf örtlicher Ebene. In diesem Kontext sind die Kooperationsstrukturen vor Ort ausund kooperative Arbeitsstrukturen in Form von kontinuierlichen Absprachen und Treffen aufzubauen, nicht nur bezogen auf das politische und administrative Handeln der zuständigen Verwaltungsebenen sowie Ausschüsse. Eine zentrale Rolle spielt dabei das ressort- und budgetübergreifende Handeln in kommunaler Verwaltung und Politik. Auch der Aufbau lokaler und regionaler Arbeitskreise sollte vorangetrieben werden im Sinne einer aktiven Vernetzung aller kinder- und familienrelevanten Kräfte, über die Kooperation von Jugendhilfe und Schule hinaus. Hier empfiehlt sich die Einrichtung von Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII, aber auch die Nutzung von Stadtteil- und Sozialraumkonferenzen sowie Lokaler Bündnisse für Familien. Allerdings ist dabei darauf zu achten, dass nicht bloß neue Strukturen entstehen, sondern diese systematisch mit den bestehenden Strukturen verknüpft werden. Zugleich sollten nicht-staatliche Akteure von Anfang an angemessen einbezogen und die Strukturen so vor Ort in die Zivilgesellschaft hinein geöffnet werden. 3.
Kommunale Personalplanung und -entwicklung weiterentwickeln
Notwendig ist auf kommunaler Ebene zugleich eine Fortentwicklung der Personalplanungs-, -führungs- und -entwicklungsstrukturen. So erfordern die derzeitigen Veränderungsprozesse eine innovative Personalentwicklung wie beispielsweise den Einsatz von Zeitprofilen (Arbeitszeitkonten, Jahresarbeitszeitmodelle etc.) bei Angestellten. Um die Fachkräfte bei den enormen Veränderungsprozessen hin zu einer stärkeren Vernetzung und Zielgruppenorientierung zu unterstützen, ist auf kommunaler Ebene zugleich eine stärkere Unterstützung durch (auch interdisziplinäre) Fortbildungsangebote notwendig. Fortbildungsaktivitäten freier Träger sollten darüber hinaus von kommunaler Seite durch finanzielle Belohnungssysteme gefördert werden. Auch wenn Demokratien bekanntlich das Strukturproblem innewohnt, wonach die Gegenwart bevorzugt und die Zukunft vernachlässigt wird (Tremmel 2005: 18), scheint die Realisierungschance dieser Empfehlungen durch die derzeitige „historisch sehr günstige Ausgangsposition“ (Schönig 2002) in der Familienpolitik günstig zu sein. Die schlechten Noten für den Ausbau des frühkindlichen Bildungswesens in Deutschland – die aufgrund der Vorgeschichte und langen Tradition des Kindergartenwesens umso bitterer aufstoßen – haben bereits zu einer Vielzahl von Änderungen geführt, wie diese Untersuchung gezeigt hat. Die demografische Alterung der Gesellschaft, die alle europäischen Gesellschaften in den kommenden Jahren vor völlig neue Herausforderungen stellen wird (s. Blome u.a. 2008), könnte daneben eine veränderte Interessendurchsetzung in der Humanvermögensbil-
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dung einleiten. Die große Skepsis in der Öffentlichkeit gegenüber herkömmlichen bildungspolitischen Ansätzen339 bildet hier den Hintergrund, vor welchem Reformen umgesetzt werden können. Abzuwarten bleibt, ob es in etlichen Jahren einem flächendeckend umgesetzten Gesamtsystem der Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung so ergehen wird wie der gemeinsamen Grundschule: Heute als „schulpolitischer Glücksfall“ bezeichnet, sahen Zeitgenossen zu Beginn des 20. Jahrhunderts „den verpflichtenden Schulbesuch durchaus anders“ (Westerhoff 2005: 18).
339
So ergab die 13. IFS-Repräsentativerhebung der deutschen Bevölkerung beispielsweise, dass über 70 Prozent der Befragten der Meinung waren, die Bildungspolitik habe auf die PISA-Ergebnisse schlecht bis sehr schlecht reagiert, zugleich wird der Föderalismus im Bildungswesen sehr kritisch gesehen (Holtappels u.a. 2004: 15f).
Literaturverzeichnis
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