Kieler Studien • Kiel Studies 335 Dennis Snower (Herausgeber) Institut fiir Weltwirtschaft an der Universitat Kiel
Frank Bickenbach, Lars Kumkar, Henning Sichelschmidt, Riidiger Soltwedel, Hartmut Wolf
Ausbau der Flughafeninfrastruktur: Konflikte und institutionelle Losungsansatze
Springer
Dipl.-Volksw. Frank Bickenbach Institut fiir Weltwirtschaft D-24100 Kiel
[email protected] Dr. Lars Kumkar Institut fiir Weltwirtschaft D-24100 Kiel
[email protected] Dipl.-Volksw. Henning Sichelschmidt Institut fiir Weltwirtschaft D-24100 Kiel
[email protected] Prof. Dr. Riidiger Soltwedel Institut fur Weltwirtschaft D-24100 Kiel Ruediger. Soltwedel @ ifw-kiel. de Dr. Hartmut Wolf Institut fiir Weltwirtschaft D-24100 Kiel
[email protected] Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Pubhkation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet iiber abrufbar
ISSN 0340-6989 ISBN-10 3-540-29418-X Springer Berhn Heidelberg New York ISBN-13 978-3-540-29418-4 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschutzt. Die dadurch begrundeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfaltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Fine Vervielfaltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulassig. Sie ist grundsatzHch vergiitungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Untemehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2005 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Umschlaggestaltung: Erich Kirchner, Heidelberg Gedruckt auf saurefreiem Papier 42/3153-5 4 3 2 10
Vorwort
Von einem Rughafenausbau und dem Betrieb der neu geschaffenen Flughafenanlagen ist eine Vielzahl von Personen und Unternehmen in unterschiedlicher Weise betroffen. Als Folge der ungleichen interpersonellen Verteilung von Nutzen und Kosten sind Flughafenausbauplanungen regelmaBig heftig umstritten und stoBen auf hartnackigen Widerstand. Bei den gegenwartigen institutionellen Regelungen fuhrt dieser Widerstand dazu, dass sich die staatlichen Planungsund Genehmigungsverfahren fur neue Fughafenanlagen bis zur endgultigen Entscheidung iiber einen oft extrem langen Zeitraum hinziehen, ohne dass es dabei gelange, bei Projektbefurwortern und -gegnern Zweifel an der okonomischen Rationalitat der Entscheidungen auszuraumen und deren Akzeptanz zu sichem. Insgesamt verursachen diese Probleme hohe volkswirtschaftliche Kosten; diese umfassen neben den direkten Kosten der Entscheidungs- und Konfliktlosungsverfahren die Kosten der resultierenden jahrelangen Verzogerungen von Entscheidungen iiber FlughafenausbaumaBnahmen sowie der Risiken moglicher Fehlentscheidungen. Die vorliegende Studie untersucht, inwieweit diese Probleme auf Defizite im institutionellen Umfeld zurUckzufiihren sind, innerhalb dessen iiber FlughafenausbaumaBnahmen entschieden wird. Ziel ist es, institutionelle Hemmnisse fiir eine rationale Infrastrukturpolitik im Flughafensektor zu identifizieren und Leitlinien fiir eine Reform des institutionellen Rahmens der Flughafeninfrastrukturpolitik zu entwickeln. Im Mittelpunkt stehen drei Fragen: Von welchen grundlegenden Interessenlagen und strategischen Erwagungen werden die Konflikte um Flughafenausbauentscheidungen beeinflusst? Welche Instrumente und Verfahren der Entscheidungsfindung und Konfliktlosung werden eingesetzt und wie sind diese aus volkswirtschaftlicher Sicht zu beurteilen? Welche institutionellen Reformen sind geeignet, die Effizienz und die Akzeptanz von Verfahren und resultierenden Entscheidungen zu erhohen? Diese Studie fiigt sich ein in eine Reihe von Forschungsarbeiten des Instituts fiir Weltwirtschaft zur Wettbewerbsund Regulierungspolitik im Bereich der Infrastrukturindustrien des Verkehrs-, des Energie- und des Telekommunikationssektors. Unser besonderer Dank gilt Dr. Lars Kumkar, dem die Federfiihrung fiir die Studie oblag und der entscheidende Akzente fiir ihre Bearbeitung setzte, bis ein tragischer Unfall seine weitere Mitarbeit verhinderte. Dr. Claus-Friedrich Laaser
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Vorwort
stand fur intensive Diskussionen zur Verfugung. Fur die redaktionelle Betreuung der Studie danken wir Dietmar Gebert sowie Kerstin Stark, die das Manuskript kompetent und schnell druckfertig gemacht hat.
Kiel, im Oktober 2005
Frank Bickenbach Henning Sichelschmidt Riidiger Soltwedel Hartmut Wolf
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 2 Grundlagen der Analyse 2.1 Institutionenokonomische Grundkonzepte 2.2 Grundprobleme einer effizienzorientierten Infrastrukturentwicklung im Rughafensektor 2.2.1 Exteme Nutzen und Kosten eines Flughafenausbaus: Das NIMBY- und das BANANA-Problem 2.2.2 Transaktionsprobleme privater Verhandlungslosungen 2.3 Grundlegende staatliche Entscheidungsstrukturen 2.3.1 Direkt-demokratische Entscheidungsfmdung 2.3.2 Reprasentativ-demokratische Entscheidungsfmdung 2.3.3 Biirokratische Entscheidungsfmdung 2.4 Die Bedeutung der foderalen Kompetenzverteilung 2.5 Zusammenfassung 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse im intersektoralen und internationalen Vergleich 3.1 GroBe Infrastrukturprojekte in Deutschland 3.1.1 Rughafeninfrastruktur: Entwicklung des Rechtsrahmens und Konfliktlosungsstrategien 3.1.2 Andere Infrastruktursektoren: Rechtsrahmen und Erfahrungen 3.2 Flughafeninfrastrukturprojekte in England und der Schweiz 3.2.1 Rechtsrahmen und Planungssystem in England 3.2.2 Rechtsrahmen und direkt-demokratische Einwirkungsmoglichkeiten in der Schweiz 3.3 Schlussfolgerungen 4 Leitlinien einer Reform 4.1 Die Leitlinien im Uberblick 4.2 Leitlinie 1: Klare horizontale Aufgaben- und Kompetenzzuordnung, Privatisierung
VIII Inhaltsverzeichnis
4.3
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4.6
4.2.1 Uberblick 4.2.2 Fokussierung der Aufgaben des Planfeststellungsverfahrens (PFV) 4.2.3 Entpolitisierung des PFV 4.2.4 Zusammenfassung Leitlinie 2: Funktionsfahiger institutioneller Wettbewerb 4.3.1 Uberblick 4.3.2 Foderale Kompetenzzuordnung fur Ausgestaltung und Durchfuhrung der PFV 4.3.3 Foderale Kompetenzzuordnung fiir PFV-fremde Politikaufgaben im Bereich der Flughafeninfrastruktur 4.3.4 Zusammenfassung Leitlinie 3: Offenheit, Transparenz und Verbindlichkeit des behordlichen Verfahrens 4.4.1 Oberblick 4.4.2 Prozedurale Restriktionen 4.4.3 Gerichtliche tJberprufung 4.4.4 Zusammenfassung Leitlinie 4: Kompensationspflichten, Auflagen und Nutzungsbeschrankungen 4.5.1 Uberblick 4.5.2 Intemalisierung externer Effekte - umweltokonomische Grundlagen 4.5.3 Besonderheiten im Flughafenbereich und ihre Konsequenzen 4.5.4 Zusammenfassung Leitlinie 5: Administration des Planfeststellungsbeschlusses (Ex-post-Governance) 4.6.1 Uberblick 4.6.2 Zur Struktur des Governance-Problems 4.6.3 Zur Organisation der Ex-post-Govemance 4.6.4
Zusammenfassung
5 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse Literaturverzeichnis
Verzeichnis der Ubersichten
Ubersicht 1: Das Beispiel des Planungs-, Genehmigungs- und Durchsetzungsprozesses fiir den Bau der Startbahn 18 West in Frankfurt/M. Ubersicht 2: Der Planungs- und Genehmigungsprozess des neuen GroBflughafens Berlin Ubersicht 3: Der Planungs- und Genehmigungsprozess fur den Bau der vierten Startbahn des Flughafens Frankfurt/M. Ubersicht 4: Das Genehmigungsverfahren fiir die 2. Landebahn des Flughafens Manchester Ubersicht 5: Das Genehmigungsverfahren fiir Heathrow Terminal 5 Ubersicht 6: Der Planungs- und Genehmigungsprozess fiir die 5. Ausbauetappe des Flughafens Ziirich-Kloten Ubersicht 7: Die Volksabstimmungen zum Ausbau des Flughafens Ziirich
Einleitung
Deutschland verfiigt iiber eine Vielzahl von Flughafen, die fiir den gewerblichen Luftverkehr genutzt werden. AUerdings konzentriert sich der Luftverkehr bisher in hohem MaBe auf wenige GroBflughafen, von denen einige ihre aktuellen Kapazitatsgrenzen liber weite Teile ihrer Betriebszeiten entweder bereits erreicht haben oder in den nachsten Jaiiren erreichen werden. Auf diesen Flughafen zeichnen sich emsthafte Infrastrukturengpasse ab, die ihre Entwicklungschancen ohne AusbaumaBnahmen nachhaltig beeintrachtigen konnen. Gleichzeitig sind viele andere Flughafen - zum Teil in erheblichem MaBe - unterausgelastet. Angesichts des weiterhin dynamischen Wachstums des Luftverkehrs planen viele Flughafen einen Ausbau ihrer Infrastrukturkapazitaten. Solche Vorhaben treffen jedoch in den meisten Fallen - auch und gerade bei den hoch belasteten Flughafen - auf erheblichen offentlichen Widerstand, der in aller Regel liber den Kreis der von AusbaumaBnahmen unmittelbar negativ betroffenen Flughafenanlieger hinausreicht. Dieser Widerstand ist in Verbindung mit den komplexen und kostenintensiven Planungs- und Genehmigungsprozessen geeignet, den Zubau neuer Flughafenkapazitaten entweder zu verhindern oder zumindest jahrelang zu verzogern. So vergingen beispielsweise zwischen dem Beginn des Genehmigungsverfahrens fiir den Bau der Startbahn 18 West des Frankfurter Flughafens und deren Inbetriebnahme im Jahr 1984 liber 18 Jahre, wobei auf die eigentliche Bauphase weniger als 2 Jahre entfielen. Kennzeichnend fiir Entscheidungen liber FlughafenausbaumaBnahmen ist die Starke Politisierung der erforderlichen Planungs- und Genehmigungsprozesse. Hinzu kommen oft jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen liber bereits getroffene Genehmigungsentscheidungen. Beides tragt dazu bei, sowohl bei Beflirwortern als auch bei Gegnem von AusbaumaBnahmen Zweifel an der Rationalitat der Flughafeninfrastrukturpolitik zu nahren. So wird auf der einen Seite von den Beflirwortern neuer Flughafenkapazitaten regelmaBig auf die standortpolitische Bedeutung einer leistungsfahigen Verkehrsinfrastruktur hingewiesen und kritisiert, dass unter den gegebenen Rahmenbedingungen eine den volkswirtschaftlichen Erfordemissen entsprechende Flughafenkapazitatspolitik entweder gar nicht oder zumindest nur stark eingeschrankt moglich und dann mit auBerordentlich hohen Planungs- und Durchsetzungskosten verbunden sei. Auf der anderen Seite verweisen Ausbaugegner auf bereits vorhandene unausgelastete Infrastrukturkapazitaten nicht nur im Flughafensystem insgesamt, sondem auch bei anderen Verkehrstragem und kritisieren die ihrer Meinung nach unzu-
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Kapitel 1 Einleitung
reichende Berucksichtigung okologischer Belange in der Flughafenplanung. Beide Seiten beklagen also - wenn auch aus jeweils unterschiedlicher Sicht und mit unterschiedlicher Zielsetzung -, dass die tatsachlichen volkswirtschaftlichen Kosten und Nutzen von Infrastrukturvorhaben bei den Genehmigungsentscheidungen nicht ausreichend beriicksichtigt wurden. Verantwortlich dafiir sei das institutionelle Regelwerk, innerhalb dessen die Entscheidungen zu fallen sind; es fiihre zu einer strukturell bedingten Ungleichbehandlung privater und sozialer Interessen im Entscheidungsprozess. Die vorliegende Arbeit untersucht aus institutionenokonomischer Sicht, welche Konsequenzen sich aus dem gegebenen institutionellen Regelwerk fur die rationale Entwicklung der Flughafeninfrastruktur ergeben. Ziel ist es, institutionelle Mangel zu identifizieren und Reformvorschlage zur effizienzorientierten Weiterentwicklung des institutionellen Rahmens zu erarbeiten. Zu diesem Zweck werden zunachst auf einer noch recht abstrakten Ebene die Grundprobleme dargestellt, mit denen eine effizienzorientierte Flughafeninfrastrukturpolitik notwendig konfrontiert ist und denen der institutionelle Rahmen fUr Ausbauentscheidungen gerecht werden muss. Es werden sowohl die grundlegenden Interessengegensatze beschrieben, iiber die im Rahmen der Flughafeninfrastrukturpolitik entschieden werden muss, als auch die Transaktionskosten und Opportunismusprobleme, mit denen komplexe Koordinationsprobleme wie der effiziente Ausbau der Flughafeninfrastruktur notwendig behaftet sind. AuBerdem werden die grundlegenden Vor- und Nachteile diskutiert, die alternative Grundformen institutioneller Arrangements der Entscheidungsfindung (speziell unterschiedliche hoheitliche Entscheidungsverfahren und die mit diesen jeweils verbundenen unterschiedlichen horizontalen und foderalen Kompetenzzuweisungen) bei der Bewaltigung dieser Probleme aufweisen (Kapitel 2). Im nachsten Schritt werden die bisherigen Erfahrungen, die mit unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen fiir die Infrastrukturpolitik im Flughafensektor und auch in anderen Infrastrukturbereichen gesammelt werden konnten, anhand ausgewahlter Fallbeispiele aus dem In- und Ausland analysiert. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Art und Weise, wie die fiir rationale Infrastrukturentscheidungen benotigten Informationen gewonnen werden, wie insbesondere die Betroffenen in den Entscheidungsprozess einbezogen und wie die Entscheidungskompetenzen zugeordnet werden, und der Bedeutung, die dies insgesamt fiir die Kosten des Entscheidungsprozesses und die Akzeptanz der Entscheidungsergebnisse hat (Kapitel 3). Daran anschlieBend werden auf den bis dahin gewonnenen Ergebnissen aufbauend Leitlinien fiir eine Reform des institutionellen Rahmens ftir eine effizienzorientierte Flughafeninfrastrukturpolitik abgeleitet. Sie zielen darauf, die gesamtwirtschaftliche Effizienz und die Akzeptanz des Entscheidungsverfahrens und der Entscheidungen selbst zu erhohen. Die Leitlinien beziehen sich dabei
Kapitel 1 Einleitung
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zum einen auf Reformen der horizontalen und der foderalen Aufgaben- und Kompetenzzuordnung, die dazu beitragen, Zustandigkeiten zu klaren und Verantwortlichkeit zu fordern und das Genehmigungsverfahren von sachfremden Aufgaben und dysfunktionalen Konflikten zu entlasten und die Potentiale fiir einen funktionsfahigen institutionellen Wettbewerb zu starken. Zum anderen beziehen sie sich auf Reformen des eigentlichen Genehmigungsverfahrens, speziell der Regeln zur Herbeifiihrung, zum Inhalt und zur Administration einer Genehmigungsentscheidung und der damit gegebenenfalls verbundenen Auflagen und Kompensationsregeln. Diese tragen dazu bei, die Moglichkeiten und Anreize aller von einem Flughafenausbau (negativ) Betroffenen zur konstruktiven Mitarbeit im Genehmigungsverfahren zu starken und eine adaquate Beriicksichtigung ihrer berechtigten Belange in den Planungs- und Genehmigungsentscheidungen zu sichern und auf diese Weise die gesamtwirtschaftlichen Kosten der FlughafenkapazitatspoHtik zu senken (Kapitel 4). Zum Schluss werden die wesentHchen Ergebnisse und Empfehlungen der Untersuchung zusammengefasst (Kapitel 5).
Grundlagen der Analyse
In diesem Kapitel werden zunachst die Grundkonzepte des institutionenokonomischen Untersuchungsansatzes erlautert (Abschnitt 2.1). AnschlieBend werden die grundlegenden Probleme identifiziert, mit denen eine effizienzorientierte Infrastrukturentwicklung im Flughafensektor konfrontiert ist (Abschnitt 2.2). Im nachsten Schritt wird diskutiert, inwieweit staatliche Entscheidungsmechanismen zur Losung dieser Probleme beitragen konnen (Abschnitt 2.3). Daran anschlieBend werden die Vor- und Nachteile altemativer foderaler Kompetenzverteilungen erortert (Abschnitt 2.4). Eine kurze Zusammenfassung beschlieBt das Kapitel (Abschnitt 2.5).
2.1
Institutionenokonomische Grundkonzepte
Die vorliegende Analyse der institutionell bedingten Probleme der FlughafeninfrastrukturpoHtik sowie die Entwicklung eines adaquaten Ansatzes zu deren Losung baut auf Konzepten und Einsichten der Neuen Institutionenokonomik (NIO) auf. Im Mittelpunkt des Forschungsprogramms der Neuen Institutionenokonomik steht die Analyse von „Institutionen". ^ Institutionen sind Systeme von (formellen und informellen) Regeln einschlieBlich der Instrumente zu deren Durchsetzung (North 1989: 239; Richter und Furubotn 1996: 7). Sie zielen darauf ab, individuelles Verhalten zu beschranken und/oder durch Setzung von Anreizen in eine bestimmte Richtung zu lenken und dadurch Ordnung in das Verhalten zu bringen und Unsicherheit zu reduzieren (Richter und Furubotn 1996: 7; North 1989: 239).^ Sie tragen so dazu bei, die Informations- und Koordinationskosten in einer arbeitsteihg organisierten Gesellschaft zu senken. Die Funktionsfahigkeit einer Institution hangt dabei davon ab, dass die Regeln den betroffenen Individuen allgemein bekannt und „mit einem DurchsetzungsmechaEinen allgemeinen tJberblick iiber die Neue Institutionenokonomik bieten North (1986), Richter (1990), Samuels (1991), Cheung (1992), Schenk (1992), Richter und Furubotn (1996), Jickeh (1996: 33 ff) sowie Erlei et al. (1999). North (1992: 3) defmiert: „Institutionen sind die Spielregeln einer Gesellschaft oder, formlicher ausgedriickt, die von Menschen erdachten Beschrankungen menschlicher Interaktion. Dementsprechend gestalten sie die Anreize im zwischenmenschlichen Tausch, sei dieser politischer, gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Art."
2.1 Institutionenokonomische Grundkonzepte nismus bewehit sind, der eine Sanktionierung bzw. Sanktionsdrohung im Falle eines RegelverstoBes bewirkt" (Engerer und Voigt 2002: 155). Institutionen bestehen also regelmaBig aus zwei Komponenten: einer Regelkomponente und einer Durchsetzungs- bzw. Sanktionskomponente. Der explizite Verweis auf die Durchsetzungs- bzw. Sanktionskomponente von Institutionen korrespondiert mit der fur die NIO charakteristischen Betonung der Bedeutung von Informationsunvollkommenheiten und Bindungsproblemen sowie der daraus resultierenden Gefahren opportunistischen Verhaltens der individuellen Akteure, die bei institutionellen Gestaltungsfragen explizit zu beriicksichtigen sind. Opportunistisches Verhalten bzw. Opportunismus bezeichnet die „Verfolgung des Eigeninteresses unter Zuhilfenahme von List" (Williamson 1990: 54) bzw. die konsequente Ausnutzung strategischer Vorteile (Masten 1999: 39). Dies beinhaltet die Bereitschaft der individuellen Akteure, zur Verfolgung ihrer individuellen Interessen gegebenenfalls auch ihre eigenen Praferenzen und andere transaktionsrelevante Informationen (ganz oder teilweise) zu verbergen oder zu verfalschen und gemachte Zusagen und getroffene Vereinbarungen und allgemeine Regeln zu brechen und Liicken in den Vereinbarungen bzw. Regeln eigenniitzig auszunutzen. Charakteristisch fur die NIO ist zudem das „Denken in Vertragen", also die Interpretation sozialer (okonomischer oder politischer) Interaktions- oder Transaktionsbeziehungen als Vertragsbeziehungen.^ Die okonomische oder politische Interaktion von zwei oder mehr Akteuren wird als Vertragsbeziehung interpretiert und analysiert: Die in einer konkreten Beziehung grundsatzlich erzielbaren Interaktions- bzw. Kooperationsgewinne, aber auch wichtige OpportunisBereits die Definition von Institutionen verweist auf den engen Zusammenhang zwischen Institutionen und Vertragen. Vgl. hierzu auch die Definition von Erlei et al. (1999: 23/25), die unter einer Institution „eine Regel oder ein Regelsystem, einen Vertrag oder ein Vertragssystem (jeweils inklusive ihrer Durchsetzungsmechanismen), durch den oder das das Verhalten von Individuen kanahsiert wird", verstehen. AhnUch wie der Begriff der Institution wird auch der Begriff des Vertrags innerhalb der NIO im Allgemeinen recht umfassend und im Speziellen durchaus unterschiedHch definiert. Im Folgenden wird der Vertragsbegriff denkbar weit gefasst; er geht Uber den Vertrag im Rechtssinne weit hinaus. „Als Vertrag werden namlich samthche institutionellen Vorkehrungen gedeutet, welche die Moglichkeiten der strategischen Interaktion von individuellen Entscheidungstragem definieren, beeinflussen und koordinieren. So werden neben privaten Vereinbarungen auch Untemehmensverfassungen, soweit sie die Entscheidungsbefugnis individueller Entscheidungstrager regeln, als Vertrag verstanden. Gleiches gilt fur politische Regeln, die ... mit dem ausdriicklichen Ziel implementiert werden, die Entscheidungsspielraume der individuellen Entscheidungstrager zu definieren .... Auch sie tragen die Merkmale dessen, was die Vertragstheorie unter einem Vertrag versteht" (Schweizer 1999: 5/6). Ein derart weit gefasster Vertragsbegriff erlaubt es, unterschiedUchste Formen der Koordinierung bzw. Begrenzung individueller Handlungen nach einheitlichen Prinzipien und mit einheitlichen Methoden zu analysieren.
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Kapitel 2
Grundlagen der Analyse
musgefahren (Vertragsprobleme) werden identifiziert und verschiedene institutionelle (vertragliche) Arrangements werden im Hinblick auf ihren Beitrag zur Realisierung dieser Gewinne bzw. zur Losung oder Minderung dieser Probleme analysiert und bewertet. Diese Vorgehensweise der NIO ist - in Verbindung mit der Betonung von Transaktionskosten (siehe S. 8) - besonders geeignet, eine umfassende Sichtweise sowohl der moglichen Kooperationspotentiale als auch der Kooperationsprobleme zu befordern. So betont die Vertragsperspektive, dass die Akteure grundsatzlich zwar ein gemeinsames Interesse daran haben, alle verfugbare Information zur Erhohung des gemeinsamen Interaktionsgewinns zu nutzen; die Betonung der Opportunismusgefahren weist aber zugleich darauf bin, dass die einzelnen Akteure unter Umstanden Moglichkeiten und Anreize haben, individuelle Informationsvorspriinge zu nutzen, um ihren jeweils eigenen Anteil am Interaktionsgewinn durch eine opportunistische Zuriickhaltung oder Verzerrung von Informationen auch auf Kosten des Anteils der Transaktionspartner und moglicherweise auch des Gesamtgewinns zu erhohen. Entsprechendes gilt im Fall einer langerfristigen Beziehung fiir das gemeinsame Interesse der Akteure, die von ihnen getroffenen Vereinbarungen und ihr Verhalten flexibel an geanderte wirtschaftliche oder technische Bedingungen anzupassen, und fiir die Gefahr, dass entsprechende Freiraume von einem Akteur auf Kosten der Vertragspartner ausgenutzt werden. Schwerwiegende Opportunismusprobleme konnen sich insbesondere in Situationen ergeben, die durch Informationsunvollkommenheiten oder/und Abhangigkeiten der Transaktionspartner voneinander gekennzeichnet sind. Sowohl Informationsunvollkommenheiten als auch Abhangigkeiten konnen dabei jeweils bereits vor „Vertragsschluss" bestehen oder sich im Verlauf der Transaktionsbeziehung ergeben und dann zu einer Machtverschiebung zwischen den Parteien fiihren. Entsprechend kann zwischen opportunistischem Verhalten vor Vertragsschluss (Ex-ante-Opportunismus) und opportunistischem Verhalten nach Vertragsschluss (Ex-post-Opportunismus) unterschieden werden. Informationsunvollkommenheiten liegen vor, wenn entweder Informationsasymmetrien zwischen den Transaktionsbeteiligten selbst bestehen und diese Asymmetrien nur unter hohen Kosten beseitigt werden konnen oder wenn zwar die Informationsstande der Vertragsparteien identisch sind, allerdings hohe Kosten dabei entstehen, Dritte (z.B. private Schlichter oder Gerichte) in den gleichen Stand des Wissens zu versetzen („Verifizierbarkeitsproblem"). Falls eine Partei zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen liber private Informationen verfugt, wird sie oftmals einen Anreiz haben, diese Informationen nur selektiv oder verzerrt weiterzugeben, um dadurch vorteilhafte Vertragskonditionen zu erlangen („adverse Selektion"). Zudem konnen nach Vertragsschluss hinreichende Informationen darliber fehlen, ob die Vertragsbestimmungen durch die Hand-
2.1 Institutionenokonomische Grundkonzepte lungen der Akteure erftillt werden; dies birgt Anreize, gegen die Vertragsbestimmungen zu verstoBen („moral hazard") (Bickenbach et al. 2002: 219). Abhdngigkeit als Quelle besonderer Opportunismusgefahren ergibt sich insbesondere infolge beziehungsspezifischer Investitionen. Im Zuge der Anbahnung und/oder der effizienten Abwicklung einer Transaktionsbeziehung ist es haufig erforderlich, dass ein (oder mehrere) Transaktionspartner irreversible, spezifische Investitionen - etwa in dauerhafte Vermogensgegenstande („Vermogensspezifitat") - tatigt, die keinen oder einen signifikant geringeren Wert aufweisen, wenn die spezielle Beziehung nicht zustande kommt oder vorzeitig beendet wird. Eine solche spezifische Investition hat zur Folge, dass der Investor - sobald die Investitionen getatigt und damit die diesbeziiglichen Kosten versenkt worden sind - zur Realisierung der potentiellen Transaktionsgewinne und zur Amortisation seiner Investition auf wenige, im Extremfall auf einen einzigen, speziellen Transaktionspartner angewiesen ist. Diese Abhangigkeit verschlechtert die Verhandlungsposition des Investors und fuhrt dazu, dass der Wettbewerb zwischen mehreren potentiellen Transaktionspartnem als Instrument zur KontroUe von Opportunismusgefahren nicht greifen kann (Pies 2001: 8). Dies gilt selbst dann, wenn sich die Transaktionspartner vor Tatigen der Investition in einer (beiderseitig) wettbewerblichen Situation befunden haben.'* Eine solche Abhangigkeit bzw. Machtverschiebung kann insbesondere zum so genannten „Hold-up-Problem" fuhren: Diejenige Partei, die bereits eine beziehungsspezifische Investition getatigt und die diesbeziiglichen Kosten versenkt hat, lauft Gefahr, Handelskonditionen akzeptieren zu mlissen, die eine Amortisation der Investitionen nicht erlauben. Ohne besondere Sicherungsinstrumente (etwa in Form bindender langfristiger Vertrage), die vor einem Verlust von Quasirenten^, die zur Amortisation der Investition erforderlich sind, schlitzen, werden die Parteien, wenn iiberhaupt, im AUgemeinen nur in zu geringem Umfang in spezifische Anlagen oder auch spezifische Fahigkeiten oder Informationen investieren. Der mogliche Kooperationsgewinn konnte nicht oder alienfalls teilweise realisiert werden. Diese Gefahr besteht grundsatzlich nicht nur dann, wenn die Parteien zum Zeitpunkt der Investition noch gar keine Vertragsbeziehung eingegangen sind - etwa weil bereits die Anbahnung der Beziehung spezifische Investitionen erfordert. Sie besteht vielmehr auch dann, wenn die Parteien bereits eine vertragliche Vereinbarung getroffen haben, diese jedoch Liicken enthalt, die im Laufe der Beziehung erst noch (durch neue Verhandlungen) ausgefuUt werden miissen. Williamson (1985: 61-63) bezeichnet dies als „fundamentale Transformation". Die „Quasirente" ist der Mehrertrag, den ein Produktionsfaktor in seinem gegenwartigen Einsatz gegeniiber dem Einsatz in der nachstbesten Verwendung erzielt (Klein etal. 1984:257).
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Kapitel 2 Grundlagen der Analyse
Oder wenn die Vertragskonditionen insgesamt nachverhandelt werden konnen, nachdem die spezifische Investition erfolgt ist.^ Entsprechende Opportunismusgefahren konnen Transaktionen verhindern, die sonst fiir alle Vertragspartner vorteilhaft waren. Und auch wenn keiner der Partner plant, sich tatsachlich opportunistisch zu verhalten, konnen sich Transaktionshemmnisse ergeben, sofem es nicht gelingt, entsprechenden Absichtserklarungen von vomherein Glaubwurdigkeit zu verleihen. Oftmals lassen sich solche Probleme durch zweckmaBig gestaltete Institutionen bzw. Vertrage begrenzen. Allerdings sind der Aufbau und die Unterhaltung von Institutionen (bzw. sind Anbahnung, Abschluss und Durchsetzung von Vertragen) nicht kostenlos. Und da sie mit Kosten verbunden sind, sind institutionelle bzw. vertragUche Arrangements immanent unvollkommen. Von zentraler Bedeutung flir das Verstandnis bzw. die Ausgestaltung von Institutionen und Vertragen ist deshalb die Existenz von Transaktionskosten. Diese umfassen zum einen die direkten Kosten der Koordinierung wirtschaftlicher Aktivitaten, die sich als unmittelbare Kosten der Griindung und Unterhaltung von Institutionen bzw. der Anbahnung, Vereinbarung und Durchsetzung vertraglicher Vereinbarungen konkretisieren („Transaktionskosten im engen Sinne"). Ini weiten Sinne umfassen Transaktionskosten aber auch die volkswirtschaftlichen (Opportunitats-)Kosten der unter einem bestimmten institutionellen bzw. vertraglichen Arrangement zustande kommenden Entscheidungen. Zu den Transaktionskosten zahlen also auch die Kosten von Fehlentscheidungen und Verzogerungen, wie beispielsweise im Fall der FlughafeninfrastrukturpoHtik die Opportunitatskosten, die mit einem nicht durchgefuhrten, aber an sich volkswirtschaftlich sinnvollen Ausbau eines Flughafens oder mit einem volkswirtschaftlich unsinnigen Ausbau eines Flughafens verbunden sind.^ Die Existenz von Transaktionskosten verhindert regelmaBig das Erreichen „erstbester" („idealtypischer") Losungen bi- oder multilateraler Koordinationsprobleme im Sinne der neoklassischen Wohlfahrtsokonomik, die nur bei vollkommener Information aller Wirtschaftssubjekte und vollstandig kostenloser Aushandlung und Durchsetzung von Vereinbarungen erreichbar waren. Stattdessen kommt es aufgrund von Informationsunvollkommenheiten und Bindungsproblemen fast immer zu allenfalls „zweitbesten" Ergebnissen. Gemessen an der
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Sofem die andere Seite unter diesen Umstanden glaubhaft damit drohen kann, die Transaktionsbeziehung zu beenden, wird der Investor in Nachverhandlungen des Vertrags einwilligen und dann auch bereit sein, ungiinstigeren Vertragsbestimmungen zuzustimmen, als er es vor Tatigen der Investition (bzw. vor Vertragsschluss) getan hatte. Aus volkswirtschaftlicher Sicht umfassen die Transaktionskosten im weiten Sinne dabei alle Kosten unabhangig von der Frage, ob sie bei den die Entscheidung treffenden Akteuren selbst anfallen oder fiir diese exteme Kosten darstellen.
2.1 Institutionenokonomische Grundkonzepte neoklassischen erstbesten Losung konnen somit nicht alle potentiellen Koordinations- bzw. Interaktionsgewinne realisiert werden. AUerdings sind bestimmte Arrangements mit geringeren Transaktionskosten verbunden als andere; die Wahl eines konkreten institutionellen Arrangements hat somit Effizienzwirkungen. Vor diesem Hintergrund ist dasjenige institutionelle Arrangement als effizient zu bezeichnen, das die Transaktionskosten im weiten Sinne minimiert, also die Kosten, die durch die Abweichung der tatsachlich erzielten von einer erstbesten Losung eines gegebenen bi- oder multilateralen Koordinationsproblems entstehen.^ Beeinflusst wird die Effizienz und damit auch die sachgerechte Wahl des institutionellen Arrangements fur eine konkrete Interaktionsbeziehung insbesondere durch die spezifischen Charakteristika der Beziehung, aber auch durch das institutionelle Umfeld, d.h. die Gesamtheit der gesellschaftlichen Spielregeln, innerhalb derer sich die wirtschaftliche Aktivitat abspielt. Das institutionelle Umfeld beeinflusst dabei sowohl die grundsatzlich zur Wahl stehenden institutionellen Arrangements als auch deren relative Vorteilhaftigkeit. FUr komplexe bi- oder multilaterale Koordinationsprobleme, bei denen die Akteure iiber erhebliche Spielraume fur opportunistisches Verhalten verfugen, hangt die Effizienz eines institutionellen Arrangements (d.h., hangen die mit diesem verbundenen Transaktionskosten i.w.S.) maBgeblich von dessen Fahigkeit ab, diese Opportunismusspielraume bzw. -gefahren zu begrenzen und auf diese Weise wohlfahrtserhohende Vereinbarungen zu unterstiitzen. Es gilt, die wichtigsten Opportunismusgefahren zu reduzieren, ohne zugleich die Moglichkeiten allzu sehr zu beschranken, relevante Informationen der Vertragspartner zu nutzen und die Vertragsbedingungen in langfristigen Beziehungen an sich andemde Umfeldbedingungen anzupassen. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Sofern zwei potentielle Vertragspartner eine langer andauemde Transaktionsbeziehung in einem komplexen und durch hohe Zukunftsunsicherheit gepragten Umfeld eingehen, wurde der beiderseitige Verzicht auf jegliche Einschrankung kiinftiger Handlungsspielraume des jeweiligen Transaktionspartners beiden ermoglichen, auf spater unerwartet eintretende Umfeldereignisse uneingeschrankt flexibel mit Verhaltensanpassungen zu reagieren und so den potentiellen Beziehungsgewinn zu steigem. Sofern aber einer der Partner unter diesen Umstanden irreversibel in die Vertragsbeziehung investiert, setzt er sich der Gefahr aus, dass die andere Vertragspartei die sich dadurch zu seinen Lasten ergebene Machtverschiebung kunftig opportunistisch ausnutzt. Er wird daher nicht bereit sein, entsprechend zu investieren, selbst wenn sich der potentielle Transaktionsgewinn durch seine InvestitionszurtickhalDie weite Definition der Transaktionskosten erlaubt es somit, das Effizienzziel in das Ziel der Senkung bzw. Minimierung der Transaktionskosten zu ubersetzen.
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Kapitel 2 Grundlagen der Analyse
tung insgesamt verringert. Vielmehr wird er seine Investitionen an die Vereinbarung glaubwurdiger Schutzvereinbarungen koppeln, die seine Quasirente sichem, indem sie bestimmte Handlungsoptionen seines Vertragspartners ausschlieBen. Diese Handlungsbeschrankungen verringem aber zugleich auch die Moglichkeiten, auf unvorgesehene Zukunftsereignisse flexibel reagieren zu konnen und konnen daher erstbeste Transaktionsergebnisse ausschlieBen. Letzteres ist (nur) deshalb der Fall, well es den Vertragsparteien jedenfalls bei komplexen, langfristigen Beziehungen unmoglich ist, bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses alle handlungsrelevanten zukiinftigen Entwicklungen zu antizipieren und flir jede Eventualitat eindeutig, verbindlich und durchsetzbar festzuschreiben, welche Handlungen jede der Vertragsparteien jeweils zu ergreifen hat und wie die Ertrage und Kosten dieser Handlungen zuzurechnen sind („Unmoglichkeit vollstandiger Vertrage"). Da sowohl die Formulierung als auch die Durchsetzung von Vertragen mit Transaktionskosten i.e.S. verbunden ist, ist es im Regelfall unmoglich, alle potentiellen Eventualitaten im Vertrag zu beriicksichtigen. Die Vertragsparteien sind somit im Allgemeinen darauf beschrankt, unvollstdndige Vertrage zu schlieBen. Unvollstdndige Vertrage bestimmen die Rechte und Verpflichtungen der Parteien nur teilweise und nur fUr einige Eventualitaten. Die Vertragspartner beschranken sich etwa darauf, nur die allgemeinen Ziele und einige Konditionen des Vertrags zu fixieren und dariiber hinaus die Regeln und Instrumente zu definieren, die fiir die Durchfiihrung und Auslegung des Vertrags und fUr die Schlichtung etwaiger Streitfalle Anwendung finden sollen.^ Soweit die zukiinftigen Verpflichtungen der Vertragsparteien in der Praxis langfristiger, komplexer Beziehungen bei Vertragsschluss (ex ante) Uberhaupt glaubwurdig festgeschrieben werden konnen, werden sie zwangslaufig eher undifferenziert und inflexibel sein. Dies wiederum wird im weiteren Verlauf der Beziehung (ex post) in der Regel zu mehr oder weniger groBen Ineffizienzen fuhren. Der Verzicht auf die Festschreibung konkreter Handlungspflichten erlaubt es den Vertragspartnem hingegen, flexibel auf unvorhergesehene Eventualitaten zu reagieren, aber gerade diese unvollkommene Bindung birgt die Gefahr des ex-post-opportunistischen Verhaltens der Vertragspartner. Bei der Ausgestaltung unvoUstandiger Vertrage oder Regeln gilt es somit, zwischen dem Schutz vor opportunistischem Verhalten auf der einen Seite und der Moglichkeit der flexiblen Reaktion auf unvorhergesehene Veranderungen auf der anderen Seite abzuwagen (Bickenbach et al. 2002: 21). Die Theorie unvoUstandiger Vertrage ist ein wesentliches Element der Transaktionskostenokonomik und der Neuen Theorie der Verfiigungsrechte (Grossman und Hart 1986; Hart und Moore 1990). Fiir eine Diskussion der methodologischen Grundlagen und Probleme der Theorie unvoUstandiger Vertrage vgl. Tirole (1999), Maskin und Tirole (1999a, 1999b) sowie Hart und Moore (1999).
2.2 Grundprobleme
2.2
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Grundprobleme einer effizienzorientierten Infrastrukturentwicklung im Flughafensektor
Planungen zur Erweiterung oder Neuschaffung von Flughafenkapazitaten sind regelmaBig stark umstritten. Im Folgenden werden die Ursachen der darin zum Ausdruck kommenden Interessenkonflikte identifiziert und die grundlegenden Transaktionsprobleme, die bei einer effizienzorientierten Flughafeninfrastrukturentwicklung zu beachten sind, dargestellt.
2.2.1
Externe Nutzen und Kosten eines Flughafenausbaus: Das NIMBYund das BANANA-Problem
Von einem Flughafenausbau ist regelmaBig eine Vielzahl von Personen und Untemehmen in unterschiedlicher Art und Weise betroffen. Zum einen handelt es sich um den Projekttrager und die Eigentiimer der fur den Ausbau benotigten Grundstiicke. Ersterer hat die betriebswirtschaftlichen Kosten der Erweiterung und des anschlieBenden Betriebs der Flughafenkapazitat zu tragen und profitiert dafur im Gegenzug von der Moglichkeit, mehr Verkehr abzufertigen und auf diese Weise seinen Gewinn zu steigem. Letztere erzielen fiir den Verkauf ihrer Grundstiicke an den Projekttrager Verkaufserlose. Zum anderen sind aber auch Bewohner der Flughafenregion und dort angesiedelte Unternehmen betroffen, die nicht Eigentiimer der benotigten Grundstiicke sind. Ursache dafur sind positive und negative externe Folgeeffekte des Flughafenausbaus, die vor allem durch den Betrieb der neu geschaffenen Flughafenanlagen verursacht werden. Zu den positiven externen Effekten zahlen neben den verbesserten AngebotsmogUchkeiten der Luftverkehrsunternehmen vor allem die dadurch geschaffenen Potentiale einer besseren luftverkehrlichen Anbindung der Flughafenregion an das iiberregionale Verkehrsnetz. Bessere Verkehrsverbindungen sind grundsatzlich geeignet, Transportkosten zu reduzieren und damit die Position der regionalen Wirtschaft im interregionalen und internationalen Standortwettbewerb zu verbessern. Eine Verbesserung der Standortbedingungen kann sich in einem hoheren regionalen Einkommens- und Beschaftigungsniveau niederschlagen.^^ Als negative externe Effekte sind vor allem die okologischen Belastungen in Form der Flachenversiegelung sowie der Luft-, Bodenschadstoff- und Larmbelastungen und auch besondere (Unfall-)Gefahren fiir die unmittelbar an ein Flughafenareal angrenzenden oder in Einflugschneisen gelegenen Gebiete zu nennen,
^^ Vgl. zu einem Uberblick iiber entsprechende empirische Studien Wolf (2003: 9 ff).
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die mit dem Betrieb der neuen Infrastrukturanlagen verbunden sind.^^ Hinzu kommen globale Umweltbelastungen als Folge des zunehmenden Luftverkehrs. Die Bereitschaft der verschiedenen Akteure, FlughafenausbaumaBnahmen zu realisieren bzw. zu akzeptieren, wird im Wesentlichen von ihren Erwartungen daruber abhangen, von welchen Effekten sie jeweils selbst konkret betroffen sein werden und wie sich ihr jeweiliger Nettonutzen dann konkret darstellen wird. Der Flughafenbetreiber wird bereit sein, in den Aufbau neuer Flughafenanlagen zu investieren, wenn er erwartet, dass die ihm aus dem Betrieb der neuen Anlagen zuflieBenden Einnahmen die entsprechenden Investitions-, Unterhaltungsund Betriebskosten ubersteigen werden. Externe Folgeeffekte des Flughafenausbaus sind fur ihn nur insoweit von Interesse, als davon die Durchsetzung der geplanten InfrastrukturmaBnahme gegenliber moglichen Projektgegnern beeinflusst wird. Die Bewohner der Flughafenregion und die dort tatigen Unternehmen sind dagegen unmittelbar von den positiven und negativen extemen Effekten des Flughafenausbaus und des nachfolgenden Betriebs der Anlagen betroffen. Ihre Bereitschaft, den Flughafenausbau zu akzeptieren, wird vor allem davon bestimmt, von welchen positiven und negativen Ausbaueffekten sie jeweils selbst betroffen sind. Von Bedeutung ist dabei, dass sich die positiven und negativen extemen Effekte ungleich im Raum verteilen. Wahrend sich die mit der Nutzung der neu geschaffenen Flughafenkapazitat verbundenen okologischen Belastungen und andere Gefahren weitgehend auf die nahe Nachbarschaft des Flughafens konzentrieren, verteilen sich die positiven Einkommens- und Beschaftigungseffekte ungleich weitraumiger und kommen auch Bewohnem der Flughafenregion zugute, die von den okologischen Belastungen nicht - oder zumindest nicht in dem Ma6e wie die unmittelbaren Flughafenanlieger - betroffen sind. Die in der nahen Nachbarschaft des Flughafens angesiedelten Anlieger konnen unter Umstanden von einem Flughafenausbau profitieren, sofern sie als Eigentumer von Grundstiicken, die flir den beabsichtigten Ausbau benotigt werden, fur sie gunstige Bodenverkaufe tatigen konnen und/oder sie selbst von positiven Einkommens- und Beschaftigungseffekten einer Kapazitatserweiterung des Flughafens betroffen sind. Andererseits haben sie die - zum GroBteil raumlich begrenzten - okologischen Belastungen und die - ebenfalls raumlich begrenzten - besonderen Gefahren zu tragen, die mit dem Betrieb neuer Flughafenkapazitat verbunden sind. Wie die Erfahrung zeigt, schatzen viele Flughafenanlieger die von ihnen zu tragenden negativen Folgewirkungen eines Rughafenausbaus oftmals hoher ein als die sie betreffenden positiven Effekte. Dies fiihrt regelmaBig dazu, dass entsprechende AusbaumaBnahmen von vielen Flug^ ^ Eine detaillierte Ubersicht uber die mit dem Betrieb eines Flughafens verbundenen okologischen Belastungen fmdet sich ebenfalls in Wolf (2003: 86 ff).
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hafenanliegem selbst dann abgelehnt werden, wenn entsprechende Vorhaben volkswirtschaftlich sinnvoU sind, wenn also bei Realisierung des Vorhabens die Summe aller individuellen Nutzen die Summe aller individuellen Kosten libersteigt, so dass ein sozialer LFberschuss erzielt wurde. Flughafen gehoren damit zu derjenigen Art von Anlagen, die in der Literatur als „NIMB Y-Anlagen" („Not-InMy-Backyard"-Anlagen) bezeichnet werden: Deren grundsatzliche Vorteilhaftigkeit wird von den allermeisten Burgern zwar nicht emsthaft bestritten; ihr Standort in der eigenen Nachbarschaft wird aber zumeist abgelehnt, was eine Durchsetzung selbst volkswirtschaftlich rentabler Investitionen in die Bereitstellung dieser GUter zumindest erschwert, wenn nicht gar verhindert.^^ Anders als die unmittelbaren Flughafenanlieger bleiben die Bewohner im weiteren Flughafenumland von den mit der Schaffung neuer Flughafenkapazitat verbundenen - weitgehend regional begrenzten - okologischen Lasten verschont, so dass sie aus diesem Grund keinen Anlass haben, Flughafenausbauplanungen abzulehnen.^^ Zumindest ein Teil von ihnen kann sogar erwarten, von dem verbesserten Infrastrukturangebot und den dadurch generierten positiven Beschaftigungs- und Einkommenseffekten selbst zu profitieren, so dass sie entsprechenden Infrastrukturinvestitionen des Flughafenbetreibers positiv gegeniiberstehen werden. Insgesamt wird die Haltung der weiter entfernt vom Flughafen lebenden Bewohner zu Ausbauplanungen damit vor allem von den positiven extemen Effekten, die sich im weiteren Flughafenumland bemerkbar machen, gepragt. Die bisherigen AusfUhrungen legen nahe, dass zumindest ein erheblicher Teil des Widerstands gegen die Bereitstellung neuer Flughafeninfrastrukturkapazitat auf eine ungleiche interpersonelle Verteilung der mit der geplanten InfrastrukturmaBnahme verbundenen Kosten und Nutzen zurlickzufiihren ist. Sofern dem keine signifikanten Transaktionskosten entgegenstunden, konnte erwartet werden, dass sich solche (NIMBY-)Konflikte durch Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen alien Betroffenen effizient losen lieBen. Allerdings sind solche Verhandlungen - wie noch zu zeigen sein wird (Abschnitt 2.2.2) - mit erheblichen Transaktionsproblemen belastet, die das Erreichen gesamtwirtschaftlich effizienter Losungen in der Regel ausschlieBen, so dass besondere institutionelle Regelungen der Entscheidungsfmdung iiber Flughafenausbauplanungen effizienzsteigernd sein konnen (Abschnitt 2.3).
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Vgl. stellvertretend fiir viele Richman und Boemer (2004). ^^ Zwar werden auch sie von moglichen globalen Umweltbelastungen, die als Folge des weiter zunehmenden Luftverkehrs zu erwarten sind, potentiell betroffen sein; diese Effekte werden aufgrund ihrer geringen Bedeutung fiir das individuelle Nutzenkalkiil jedoch im Allgemeinen von nachrangiger Bedeutung fiir die Akzeptanz des Projekts
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Dariiber hinaus sieht sich eine effizienzorientierte Flughafeninfrastrukturpolitik oftmals nicht nur mit NIMBY-Konflikten konfrontiert, sondem auch mit Widerstanden, die - unabhangig von der im konkreten Fall gegebenen gesamtwirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit des geplanten Projekts - auf einer generellen Ablehnung jedweder AusbaumaBnahmen beruhen. Entsprechende „BANANAHaltungen" („Build Absolutely Nothing Anywhere Near Anything/Anybody"Haltungen) entspringen keinem projektbezogenen individuellen Kosten-NutzenKalkiil, sondem stiitzen sich auf gesellschaftliche Metawerte, mit denen die Realisierung der Planungen aus Sicht der Projektgegner unvereinbar ist.^"* Dies erschwert von vomherein eine strikt projektbezogene Konfliktlosung und kann sie eventuell sogar ganz ausschlieBen.
2.2.2
Transaktionsprobleme privater Verhandlungslosungen
Effiziente Verhandlungsergebnisse iiber FlughafenausbaumaBnahmen miissten festlegen, • ob und wann, wo und in welchem Umfang Flughafeninfrastrukturinvestitionen getatigt werden sollen; • wie neue Flughafenkapazitat zu nutzen ist (insbesondere welche Auflagen und Nutzungsbeschrankungen von den Betreibern und Nutzern einzuhalten sind); • welche Zahlungen gegebenenfalls von wem an wen zu leisten sind; • wie die ursprlinglichen Ausbau-, Nutzungs- und Kompensationsentscheidungen spater an technische und wirtschaftliche Entwicklungen anzupassen sind. Die getroffenen Vereinbarungen miissten dabei so ausgestaltet werden, dass der soziale Uberschuss aus dem Projekt insgesamt maximiert wird. In einer rein hypothetischen Welt ohne Unsicherheiten und Transaktionskosten (i.e.S.), in der die Aushandlung und Durchsetzung vertraglicher Vereinbarungen zwischen alien Betroffenen kostenlos moglich ware, konnte man davon ausgehen, dass private Verhandlungen zu entsprechenden effizienten Ergebnissen fiihren wurden (Coase 1960). Alle Betroffenen und samtliche kiinftigen Ef-
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Beispielsweise werden neue Flughafenanlagen von Teilen der Bevolkerung deshalb abgelehnt, weil sie zusatzlichen Flugverkehr ermoglichen und die dadurch induzierten Schadstoffemissionen zu globalen Umweltproblemen beitragen wurden. Hierbei ist es flir die grundsatzhchen (BANANA-)Gegner des Projekts irrelevant oder es wird von ihnen grundsatzhch bestritten, dass die mit dem Projekt verbundenen Vorteile moghcherweise diese umweltpohtischen Nachteile uberwiegen konnen oder dass Schadstoffemissionen an anderer Stelle oder mittels anderer MaBnahmen mit moghcherweise geringeren volkswirtschafthchen Opportunitatskosten vermieden werden konnen.
2.2 Grundprobleme
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fekte von Infrastrukturausbau und -nutzung waren ex ante bekannt und hinreichend klar zu beschreiben und auch samtliche vertragliche Pflichten der Beteiligten waren ex ante beschreibbar und ex post ubeq)mfbar und durchsetzbar, so dass vollstandig kontingente und bindende effiziente Vereinbarungen zwischen alien Betroffenen getroffen und durchgesetzt werden konnten (Richman und Boemer 2004: 17). Tatsachlich aber sind diese Bedingungen in der realen Welt nicht gegeben. Stattdessen existieren vielfaltige Informationsunvollkommenheiten und die Aushandlung und Durchsetzung vertraglicher Vereinbarungen verursacht Transaktionskosten. Bin erstes Problem rein privater Verhandlungen liber geplante Flughafeninfrastrukturprojekte besteht dabei in der groBen Zahl der von konkreten AusbaumaBnahmen Betroffenen, die zudem stark unterschiedliche Interessen verfolgen. Effiziente Verhandlungsergebnisse waren allenfalls dann zu erwarten, wenn alle diese Betroffenen an der Aushandlung einer Vereinbarung direkt Oder zumindest indirekt (durch Vertreter) beteiligt waren. Allein die Vielzahl der Beteiligten lieBe jedoch schon extrem hohe Verhandlungskosten (Transaktionskosten i.e.S.) erwarten. Hinzu kommt, dass a priori nicht alle Betroffenen allgemein bekannt sind, so dass unklar bleibt, wer liber den Projekttrager und die Eigentlimer der benotigten Grundstlicke hinaus an entsprechenden Verhandlungen zu beteiligen ware. Besonders nachteilig dlirfte sich dabei auswirken, dass oft nicht nur der Kreis derjenigen, die durch positive und negative Effekte in ihrem Nutzen beeinflusst werden, sowie der Umfang ihrer jeweiligen Betroffenheit unklar sind, sondern dass unter Umstanden auch gar nicht klar ist, wer (in einem konkreten Fall) in seinen geschlitzten (Eigentums-)Rechten betroffen ist. Insbesondere angesichts der mit einem Ausbauprojekt verbundenen Unsicherheit liber die zuklinftige Belastung der Anwohner vor allem durch Larm kann es, je nach Definition der Eigentumsrechte, ausgesprochen schwierig sein, a priori festzustellen, wessen Zustimmung flir eine Realisierung einer Vereinbarung (rechtlich) unentbehrlich ist und wer damit gegebenenfalls auch gerichtlich gegen ein von ihm nicht mitgetragenes Verhandlungsergebnis vorgehen kann.^^ Private Verhandlungen liber Infrastrukturprojekte sind liber diese Probleme hinaus mit einer Reihe weiterer spezifischer Transaktionsprobleme belastet, die sich in Anlehnung an Richman und Boerner (2004) in drei Kategorien einteilen lassen, namlich in (i) Verhandlungsextemalitaten, (ii) InformationsunvoUkom15
GroBer noch als die Unsicherheit liber die Betroffenheit Einzelner durch negative exteme Effekte (speziell Larmbelastungen) ist in aller Regel die Unsicherheit darliber, wer in welchem Umfang von den moghchen positiven Einkommens- und Beschaftigungseffekten des Flughafenausbaus profitieren wird (und sich gegebenenfalls an einer Kompensation von negativ Betroffenen beteiligen konnte). Allerdings besteht hier in aller Regel keine (zusatzliche) Unsicherheit liber die rechtliche Situation, da positive pekuniare Extemalitaten oder Gegenleistungen fur entsprechende Effekte in aller Regel nicht einklagbar sind.
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Grundlagen der Analyse
menheiten und (iii) spezifische Investitionen (fiir die letzten beiden Kategorien vgl. auch Abschnitt 2.1). (i) Verhandlungsexternalitdten Die Verhandlungen zwischen dem Projekttrager (der Flughafengesellschaft) und den einzelnen Betroffenen lassen sich nicht (sinnvoU) voneinander separieren. Von den Verhandlungen bzw. Vereinbarungen zwischen dem Projekttrager und einem einzelnen Betroffenen gehen namlich potentiell bedeutende Effekte (Restriktionen und Anreize) auf die Verhandlungen des Projekttragers mit den anderen Betroffenen aus. Solche „Verhandlungsexternalitaten" sind im Fall privater Verhandlungen liber Flughafenprojekte von erheblicher Bedeutung. Dies hat seine Ursache in (spezifischen) technischen Charakteristika des „Verhandlungsgegenstands", insbesondere dem Bedarf an zusammenhangenden Grundstucksflachen, den Restriktionen, die sich aus physikalischen Schallausbreitungseigenschaften ergeben, und den Kollektivguteigenschaften von SchallvermeidungsmaBnahmen sowie von positiven Einkommens- und Beschaftigungseffekten eines Flughafenausbaus. Der Bau oder die Erweiterung eines Flughafens erfordert den Erwerb einer relativ groBen zusammenhangenden GrundstUcksflache, die in der Regel von verschiedenen Eigentumem erworben werden muss. Sobald die Standortsuche fiir die neu zu errichtenden Infrastrukturanlagen abgeschlossen und die benotigte Grundstiicksflache damit festgelegt ist, ist der Projekttrager unabdingbar auf die Nutzung jedes einzelnen Grundstiicks angewiesen, das Teil der benotigten Gesamtflache ist. Diese Abhangigkeit begunstigt strategisches Verhalten der Grundstuckseigentiimer und erschwert das Erreichen effizienter Verhandlungsergebnisse. Insbesondere kann es sich fiir jeden einzelnen Grundstuckseigentiimer aus strategischen Griinden lohnen, zunachst den Verkauf seiner Grundstlicksflachen (bzw. Verhandlungen dariiber) zu verweigem, um auf diese Weise den Verkaufspreis in die Hohe zu treiben. Er konnte darauf hoffen, dass sich das Flughafenunternehmen zunachst mit den ubrigen EigentUmern benotigter Grundstucke iiber einen Verkauf einigt. Der Erwerb der benotigten Gesamtflache, wenn nicht gar die Realisierung des Ausbauprojekts insgesamt, hinge dann letztlich nur noch von seiner Zustimmung ab, was ihn in eine strategisch giinstige Verhandlungsposition brachte. Ein entsprechendes Taktieren einzelner (oder gar vieler) Grundstiickseigentumer wlirde die Transaktionskosten privater Verhandlungen weiter stark erhohen. Entsprechendes gilt fiir EigentUmer von GrundstUcken im Umfeld des Flughafens, die durch den Betrieb des Flughafens in ihren (Eigentums-)Rechten verletzt werden oder zumindest verletzt werden konnten. In diesem Fall kann jedoch noch erschwerend hinzukommen, dass unter Umstanden zunachst gar nicht klar ist, wer entsprechend betroffen ist. Ahnlich wie fiir EigentUmer von zu erwer-
2.2 Grundprobleme
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benden Grundstucken kann es auch fiir Anwohner, die durch den Betrieb des Flughafens tatsachlich in ihren Rechten betroffen waren, lohnend sein, sich aus strategischen Grlinden zunachst nicht am Verhandlungsprozess zu beteiligen, sondem das von den anderen Parteien erzielte Ergebnis abzuwarten. Sofem sie namlich anschlieBend damit drohen konnen, die Vereinbarung platzen zu lassen und gegen deren Umsetzung zu klagen, befinden sie sich in einer vorteilhaften Verhandlungsposition, die hohe Kompensationsleistungen erhoffen lasst. Selbst fiir Betroffene, deren Rechte durch eine ReaHsierung des Projekts letztlich gar nicht verletzt wiirden, konnte sich eine entsprechende Drohung lohnen, wenn eine Klage ihrerseits zu einer erheblichen Verzogerung der Projektrealisierung fiihren wiirde oder aufgrund einer unsicheren Rechtssituation nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine entsprechende Klage erfolgreich ware. Die Transaktionskosten privater Verhandlungen iiber Flughafeninfrastrukturprojekte werden dadurch noch weiter erhoht, dass die einzelnen von den positiven Standorteffekten des Flughafenprojekts Begunstigten - sofern sie diese uberhaupt rechtzeitig erkennen - angesichts der groBen Zahl ahnlich Betroffener einen Anreiz haben, sich in Verhandlungen zur Internalisierung positiver externer Effekte bzw. zur Kompensation negativ Betroffener als Trittbrettfahrer zu verhalten. Auch wenn sie hoffen, dass das Projekt realisiert wird und eine hierfur (unter Umstanden) notwendige Kompensation negativ Betroffener gegebenenfalls tatsachlich erfolgt, werden sie selbst versuchen, hierzu moglichst keinen eigenen fmanziellen Beitrag zu leisten. Und sie werden sich deshalb moglicherweise auch gar nicht erst an entsprechenden Verhandlungen beteiligen. Die Verhandlungen iiber Flughafeninfrastrukturprojekte werden insbesondere dadurch noch zusatzlich erschwert, dass technische Restriktionen einheitliche Losungen erzwingen, selbst wenn die Betroffenen stark unterschiedliche Praferenzen haben. So ist die Larmbelastung der einzelnen Betroffenen aufgrund physikalischer Schallausbreitungseigenschaften nicht unabhangig voneinander individuell variierbar. Individuelle Vereinbarungen zwischen dem Projekttrager und einzelnen Flughafenanliegem iiber larmreduzierende MaBnahmen haben immer auch (positive) Auswirkungen auf die anderen fluglarmbelasteten Anwohner. Dabei kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die anderen Flughafenanlieger von sich aus gleiche Regelungen anstreben bzw. vereinbaren wiirden. So werden einige Anwohner beispielsweise eine moglichst weitgehende Reduktion der Larmbelastung anstreben, wahrend andere bereit sind, eine hohere Larmbelastung hinzunehmen, wenn sie dafur entsprechend kompensiert werden. Und auch hinsichtlich unterschiedlicher Kompensationsmoglichkeiten werden sich die Praferenzen der Anwohner in der Regel unterscheiden. So konnte sich etwa im Fall eines Flughafenausbaus das Verhandlungsinteresse einzelner Anlieger darauf richten, fiir vermehrte Larmbelastungen am Tag durch verscharfte Nachtflugbeschrankungen entschadigt zu werden, wahrend andere Anwohner
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monetare Kompensationszahlungen anstreben. Aufgrund des KoUektivgutcharakters larmreduzierender MaBnahmen, von denen alle Anwohner entsprechend der physikalischen Larmausbreitungsgesetze (positiv) betroffen sind, sind die Moglichkeiten einer differenzierten - die Praferenzunterschiede berticksichtigenden - Behandlung unterschiedlicher Anwohner jedoch eng begrenzt. Die physikalischen Larmausbreitungseigenschaften machen eine unabhangige Variation der Larmbelastungen speziell benachbarter Grundstucke weitgehend unmogUch. Es besteht mithin ein hoher Koordinierungs- und Einigungsbedarf zwischen den verschiedenen Anhegern, wodurch die Transaktionskosten privater Verhandlungen weiter erhoht werden. Gravierende Verhandlungsexternahtaten und Transaktionsprobleme ergeben sich schUeBHch auch daraus, dass bereits einzelne prinzipielle Ausbaugegner (BAN AN As) grundsatzHch in der Lage sind, mit relativ geringem Kostenaufwand praktisch jede volkswirtschaftHch noch so vorteilhafte, aber von ihnen selbst abgelehnte FlughafenausbaumaBnahme zu verhindem. HierfUr reicht es aus, dass sie ein einziges fiir das Projekt (am gegebenen Standort) zwingend benotigtes Grundstiick besitzen bzw. strategisch erwerben konnen. Der Widerstand eines einzelnen Ausbaugegners, der iiber eine entsprechendes Grundstiick verfugt, macht insofern jedwede (bereits erzielte) Einigung zwischen Projekttrager und alien anderen Betroffenen wertlos. (ii) Informationsunvollkommenheiten Private Verhandlungen zwischen dem Projekttrager und den sonstigen vom Flughafenausbau Betroffenen werden iiber das beschriebene Problem der Verhandlungsexternahtaten hinaus auch durch Informationsunvollkommenheiten belastet. Diese betreffen erstens „objektive" Informationen iiber die zur Verhandlung anstehenden grundlegenden Alternativen und deren technische und okonomische Konsequenzen. Zweitens betreffen sie die subjektive Bewertung der vom Bau und Betrieb des Flughafens ausgehenden externen Effekte, insbesondere der Larmbelastung durch die Betroffenen sowie die Bewertung der fur den Bau bzw. die Erweiterung erforderlichen Grundstucke. Und drittens betreffen sie die Ex-ante-Beschreibung und die Ex-post-KontroUe der vertraglichen Verpflichtungen der Parteien. In aller Regel wird der potentielle Flughafeninvestor iiber eine Vielzahl effizienzrelevanter Fakten weitaus besser informiert sein als die iibrigen Betroffenen. Dies betrifft sowohl die zur Verhandlung anstehenden grundlegenden Alternativen, etwa mogliche Standorte und Nutzungsbeschrankungen bzw. -auflagen, als auch insbesondere deren technische und okonomische Konsequenzen. So wird sowohl das AusmaB der im Flughafenumland zu erwartenden Belastungen als auch die Hohe der zu erwartenden positiven externen Effekte maBgeblich von der kiinftigen Verkehrsentwicklung des Flughafens und damit so-
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wohl von dem kunftigen Angebotsverhalten des Flughafenbetreibers als auch von den kunftigen Entwicklungen der Luftverkehrsmarkte bestimmt, die der Flughafenbetreiber besser einschatzen kann als die ubrigen Betoffenen. Auch iiber die moglichen Gefahren, die mit dem Betrieb der neuen Infrastrukturanlagen verbunden sind, wird er in der Regel besser informiert sein als die Flughafenanlieger. Der Flughafenbetreiber wird diese Informationen jedoch nur schwer glaubwiirdig an seine Verhandlungspartner vermitteln konnen. Aufgrund der grundlegenden, strategischen Interessengegensatze zwischen der Flughafengesellschaft und den von extemen Effekten Betroffenen werden Letztere in aller Regel den Verdacht hegen, dass vom Flughafen bereitgestellte Information von diesem strategisch manipuliert wird und entsprechend selektiv oder verzerrt ist. Angesichts seiner Interessenlage waren gegenteilige Beteuerungen des Flughafenunternehmens - selbst wenn sie zutreffend waren - fiir die von den Externalitaten Betroffenen nicht ohne weiteres glaubwiirdig. Entsprechende Glaubwtirdigkeitsprobleme konnen die Transaktionskosten privater Verhandlungen erheblich erhohen. Sie konnen zu erhohten Kosten der Informationsgewinnung und -verifikation und zur Nicht-Beriicksichtigung relevanter und (jedenfalls einer Seite) bekannter Information fiihren. Erhebliche Transaktionsprobleme sind auch aufgrund der Tatsache zu erwarten, dass die subjektive Bewertung der externen Effekte - insbesondere die der Larmbelastung - durch die davon Betroffenen nicht allgemein bekannt, sondern private Information der jeweiligen Betroffenen sind.^^ Rational handelnde (opportunistische) Anwohner haben in einer solchen Situation einen Anreiz, die von ihnen bei gegebener Larmimmission subjektiv empfundene Belastung und die Hohe der fiir einen Ausgleich dieser Belastung aus ihrer Sicht notwendigen Kompensationszahlung aus strategischen Griinden zu iibertreiben.^^ Personen, die grundsatzlich bereit sind, einem Infrastrukturausbau zuzustimmen, soweit sie fiir zu erwartende personliche Nachteile kompensiert werden, werden versuchen, sich so einen moglichst groBen (erwarteten) Anteil am gesamten sozialen Uberschuss aus dem Projekt zu sichern. Dies gilt sowohl fiir tatsachlich Geschadigte als auch fiir solche Akteure, die zwar gar nicht betroffen sind, denen es aber gelingt, eine Schadigung vorzutauschen. Ihr Handlungsspielraum wird dabei 16 Vergleichbares gilt hinsichtlich der subjektiven Bewertung der Grundstucke, die vom Flughafenuntemehmen zur Realisierung des Projekts aufgekauft werden miissen, durch die bisherigen EigentUmer. ^^ Generell ist unbekannt, ab wann in welchem AusmaB einzelne Flughafenanlieger die sie betreffenden okologischen Folgeeffekte des Flughafenausbaus als belastend empfinden. Beispielsweise wird Fluglarm von verschiedenen Menschen in einem unterschiedlichen AusmaB als storend empfunden. Die individuellen Larmtoleranzen der Betroffenen hangen nicht zuletzt auch immer von ihren subjektiven Wertvorstellungen und von ihrer jeweiligen physischen und psychischen Belastbarkeit ab (Hermann: 1994: 1 ff; Holtzhausen und Beckers 1995).
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zwar dadurch begrenzt, dass der Vorhabentrager ab einer gewissen Hohe der insgesamt zu zahlenden Kompensationen auf sein Bauvorhaben verzichten wird und sie als Konsequenz gar keine Kompensationen erhalten. Aufgrund asymmetrischer Information iiber die maximale Zahlungsbereitschaft des Flughafenunternehmens und die Schadenshohen bzw. die Forderungen der anderen Betroffenen kann es in privaten Verhandlungen iiber die Hohe der Kompensationen allerdings leicht dazu kommen, dass die InfrastrukturmaBnahme nicht realisiert wird, obwohl sie volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Um eine hohere subjektiv empfundene Larmbelastung glaubwurdig vorzutauschen und ihre erwartete Kompensation zu maximieren, werden rational handelnde Akteure namlich auch solche Kompensationsangebote ablehnen, die ihre tatsachUche subjektive Belastung um einen gewissen - aber nicht hinreichend groBen - Betrag Ubersteigen, obwohl dadurch zugleich auch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass ein effizientes Projekt nicht zustande kommt und sie gar keine Kompensation erhalten. Diese Gefahr wird durch BANANA-Opponenten noch verstarkt: Die Moglichkeit, Kompensationen einzufordem, kann im Prinzip auch von den grundsatzlichen Gegnem des Infrastrukturvorhabens strategisch genutzt werden. Sie konnen versuchen, die Kompensationszahlungen so hoch zu „schrauben", dass sich die Bereitstellung zusatzlicher Infrastrukturkapazitat fiir den Flughafen gar nicht mehr lohnt (Werbeck 1993a, 1993b). Transaktionsprobleme aufgrund von InformationsunvoUkommenheiten betreffen drittens die Ex-ante-Beschreibung und Ex-post-Kontrolle der vertraglich vereinbarten Verpflichtungen der verschiedenen Parteien (insbesondere des Flughafenuntemehmens). Entsprechende Probleme ergeben sich selbst fiir eine scheinbar relativ eindeutige Verpflichtung wie die Einhaltung eines generellen Nachtflugverbots. Schon aus Sicherheitsgriinden wird ein solches Verbot niemals absolut sein konnen. Weitere mehr oder weniger restriktive Ausnahmeregelungen konnen aus wirtschaftlichen Griinden sinnvoll sein. Die Definition und vertragliche Festschreibung entsprechender Ausnahmetatbestande sowie die spatere tjberpriifung, ob entsprechende Tatbestande im Fall von Nachtflugbewegungen tatsachlich vorgelegen haben, verursacht Kosten und wird in aller Kegel nur unvollkommen moglich sein. In vielen anderen Fallen potentiell sinnvoUer Verhandlungsergebnisse gilt dies in noch weitaus starkerer Weise. Ein Beispiel sind Vereinbarungen iiber Larmobergrenzen oder larmimmissionsabhangige Kompensationszahlungen, deren Einhaltung oft nur unter erheblichem Aufwand zu kontrollieren ist. Besonders hoch - und in der Regel letztlich prohibitiv - waren die entsprechenden Mess- bzw. Informationskosten im Fall einer ansonsten moglicherweise sinnvollen Vereinbarung zur Internalisierung positiver Standorteffekte des Flughafenausbaus. Angesichts der Vielzahl anderer Einflussfaktoren ware eine Messung der - vom Flughafen auf die Region oder gar auf die einzelnen Anwohner tatsachlich ausgehenden - Einkommens- und Beschaftigungs-
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effekte, die hinreichend exakt und objektiv ware, um als sinnvolle Grundlage ftir vertragliche Vereinbarungen zwischen Flughafen und den (individuellen) Bewohnem der Flughafenregion dienen zu konnen, mit uniiberwindbaren Problemen verbunden. Generell erschweren entsprechende Informations- und Kontrollprobleme die Vereinbarung und Durchsetzung privater Vereinbarungen uber Flughafenprojekte und konnen die Realisierung effizienter Projekte (bei diesem institutionellen Arrangement) voUstandig verhindern. (Hi) Spezifische Investitionen Eine weitere Verscharfung der Transaktionsprobleme privater Verhandlungen ergibt sich aus der groBen Bedeutung irreversibler und langlebiger Investitionen insbesondere des Flughafeneigners.^^ Einmal getatigte Investitionen in Flughafeninfrastrukturanlagen sind raumlich immobil und in hohem MaBe verwendungsspezifisch und damit ftir den Investor im Wesentlichen versunken (Abschnitt 2.1). Da sich die Verhandlungsposition des Investors gegeniiber den Anwohnern, auf deren Zustimmung er fiir den Betrieb des Flughafens angewiesen ist, erheblich verschlechtert, wenn er die spezifischen Investitionen in neue Anlagen erst einmal getatigt hat, muss er bestrebt sein, bereits vor Tatigen der Investitionen mit alien durch den (spateren) Betrieb in ihren Rechten moglicherweise betroffenen Anwohnern (langfristige) Vereinbarungen iiber die Nutzung des Flughafens sowie mogliche Betriebsbeschrankungen und Kompensationsleistungen zu treffen, die ihm einen langfristigen (profitablen) Betrieb des Flughafens ermoglichen. Die Verhandlungspartner konnten die durch die spezifischen Investitionen entstandene Abhangigkeit des Flughafenunternehmens ansonsten dazu ausnutzen, den Flughafenbetreiber zu hoheren Kompensationsleistungen zu verpflichten und ihn der zur Amortisation der Investitionen erforderlichen Quasirenten zu berauben. Eine umfassende Ex-ante-Festlegung der zukiinftigen Nutzungsbedingungen stoBt jedoch auf das Problem, dass die zukiinftige optimale Nutzung der Anlagen (und ihr Wert sowohl ftir den Flughafenbetreiber als auch fur die Bewohner der Flughafenregion) wesentlich von kiinftigen technischen und wirtschaftlichen (und unter Umstanden auch politischen) Entwicklungen mitbestimmt werden, die zum Zeitpunkt moglicher Verhandlungen Uber den Ausbau in hohem MaBe ungewiss sind. Hieraus ergibt sich fiir die Verhandlungspartner der bereits in Abschnitt 2.1 diskutierte Zielkonflikt zwischen einem Schutz der spezifischen Investitionen (insbesondere des Flughafenunternehmens) - bzw. der zu deren Amortisation erforderlichen Quasirenten vor einer opportunistischen Ausbeutung auf der einen Seite und der Sicherung
^^ Nicht nur die Investitionen in die Flughafeninfrastruktur, sondem auch Investitionen in Gebaude und Grundstiicke in der Nahe des Flughafens weisen hohe Irreversibilitaten und eine lange Kapitalbindungsdauer auf
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der Fahigkeit zur flexiblen Anpassung der Nutzungsbedingungen an sich andernde Umfeldbedingungen auf der anderen.
2.3
Grundlegende staatliche Entscheidungsstrukturen
Im vorigen Abschnitt wurde deutlich gemacht, dass die mit rein privaten Verhandlungen verbundenen Blockademoglichkeiten Einzelner - in Verbindung mit einer Reihe problemspezifischer Transaktionsprobleme - dazu fuhren, dass private Vereinbarungen zur Flughafeninfrastrukturentwicklung mit extrem hohen oft prohibitiven - Transaktionskosten verbunden sind. Institutionelle Alternativen, die eine aktivere Rolle des Staates im Entscheidungsprozess vorsehen und private Verhandlungen und Vereinbarungen ganz oder zumindest teilweise durch hoheitliche, d.h. politische und/oder blirokratische Entscheidungsprozesse ersetzen, konnten dazu beitragen, die Transaktionsprobleme privater Verhandlungen zu verringem. Allerdings sind diese Alternativen mit eigenen Problemen behaftet, die sich insbesondere aus den spezifischen Anreizstrukturen ergeben, denen staatliche Entscheidungstrager unterliegen. Diese unterscheiden sich je nach Art und Ausgestaltung der hoheitlichen Entscheidungsverfahren. Sie werden in den folgenden Abschnitten 2.3.1-2.3.3 ftir drei stilisierte hoheitliche Entscheidungsstrukturen - „direkte Demokratie", „reprasentative Demokratie" und „Burokratie" - skizziert. Dabei wird in alien drei Fallen davon ausgegangen, dass liber die Genehmigung bzw. Bereitstellung neuer Flughafeninfrastruktur hoheitlich entschieden wird und dass die staatlichen Entscheidungstrager iiber weitreichende Kompetenzen zur einzelfallbezogenen Definition und Allokation von Grundstiicks- und Umweltnutzungsrechten und damit insbesondere auch iiber weitgehende Enteignungsmoglichkeiten verfugen.
2.3.1
Direkt-demokratische Entscheidungsfindung
In einer direkten Demokratie entscheiden die Burgerinnen und Burger als Stimmbiirger politische Sachfragen im Wege einer Volksabstimmung selbst. Im hier interessierenden Zusammenhang waren die Wahlberechtigten dazu aufgerufen, iiber die Genehmigung des Baus und Betriebs zusatzlicher Flughafenanlagen und/oder iiber besondere Bau- und Betriebsauflagen, die dem Vorhabentrager auferlegt werden, abzustimmen. Das Abstimmungsergebnis wiirde dann unmittelbar iiber die Genehmigung des in Rede stehenden Infrastrukturvorhabens und die damit verbundenen Auflagen entscheiden: Sofem eine ausreichende
2.3 Grundlegende staatliche Entscheidungsstrukturen
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Mehrheit der Abstimmenden das Vorhaben befurwortet, wird es genehmigt, andemfalls nicht. Im Rahmen direkt-demokratischer Verfahren verfugen die individuellen Abstimmungsberechtigten liber keine absoluten Vetorechte, so dass individuelle Blockademoglichkeiten von Flughafenprojekten ausgeschlossen sind. Dies reduziert die direkten Kosten der Entscheidungsfindung (Transaktionskosten i.e.S.)Zugleich hat das Fehlen individueller Vetomoglichkeiten jedoch zur Folge, dass im Fall direkt-demokratischer Entscheidungen nicht mehr sichergestellt werden kann, dass nicht einzelne Burger (oder auch eine mehr oder weniger groBe Minderheit von Burgem) durch die Umsetzung eines per Mehrheitsbeschluss beschlossenen Projekts subjektiv oder auch objektiv schlechter gestellt werden.^^ Dariiber hinaus ist auch keineswegs sichergestellt, dass direkt-demokratische Abstimmungen zu volkswirtschaftlich effizienten Entscheidungen im Sinne einer Maximierung der Summe der (teils negativen) individuellen Nettonutzen aller Betroffenen fUhren. Dies ist - wie in den folgenden Absatzen erlautert wird selbst dann nicht garantiert, wenn durch eine geeignete Abgrenzung des Kreises der Stimmberechtigten sichergestellt ist, dass alle durch die zur Abstimmung stehende Entscheidung (potentiell) positiv oder negativ Betroffenen stimmberechtigt sind und somit grundsatzlich die Moglichkeit haben, Einfluss auf die Entscheidungsfindung zu nehmen. In der direkten Demokratie haben die einzelnen Biirger nur einen geringen Anreiz, Kosten aufzuwenden, um sich iiber die nutzenrelevanten Konsequenzen unterschiedlicher Politikalternativen zu informieren, da sie wegen der groBen Zahl Abstimmungsberechtigter kaum Einfluss auf das Abstimmungsergebnis haben. Je groBer der Kreis der Stimmberechtigten ist, umso geringer ist ceteris paribus fur jeden einzelnen Stimmberechtigten die Wahrscheinlichkeit, dass er das Abstimmungsergebnis mit seinem Votum entscheidend beeinflussen kann. Damit sinkt zugleich auch der individuelle Nutzen, den jeder einzelne Stimmberechtigte von seiner Beteiligung am Abstimmungsprozess erwarten kann, und es lohnt sich fUr ihn immer weniger, Kosten aufzuwenden, um sich dariiber zu informieren, welche Nutzen und Kosten fiir ihn von den zur Abstimmung stehenden Alternativen - etwa der Realisierung und der Nicht-Realisierung eines spezifischen Infrastrukturprojekts - ausgehen wiirden bzw. welche Alternative die fiir ihn vorteilhafteste ist. Speziell im Hinblick auf die mit verschiedenen moglichen Projektvarianten oder alternativen Auflagen fiir den Einzelnen verbundenen Nutzen und Kosten und hierbei insbesondere im Hinblick auf diejenigen Effekte, die erst in fernerer Zukunft und nur unter bestimmten Bedingungen eintreten, konnen entsprechende Informationskosten durchaus erheblich sein. ^^ Dies spiegelt sich bei „wahrheitsgetreuer" Abstimmung ja gerade in dem abweichenden Abstimmungsverhalten der Minderheit.
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Kapitel 2
Grundlagen der Analyse
Direkt-demokratische Entscheidungen sind deshalb oftmals insensitiv gegeniiber effizienzrelevanten EinflussgroBen (Kessler 2003). Angesichts der individuellen Kosten einer Teilnahme an der Abstimmung und der geringen Wahrscheinlichkeit, das Abstimmungsergebnis beeinflussen zu konnen, kann es fur den einzelnen Abstimmungsberechtigten sogar rational sein, gar nicht erst an der Abstimmung teilzunehmen. Weil sich die sozialen Kosten des Betriebs zusatzlicher Flughafenkapazitat auf die nahe Nachbarschaft des Flughafens konzentrieren und dort (individuell) umso starker empfunden werden, wahrend sich der soziale Nutzen auf eine weitaus groBere Zahl von Betroffenen verteilt und zudem liber Einkommens- und Beschaftigungseffekte nur indirekt zum Ausdruck kommt, so dass er von vielen der davon positiv Betroffenen kaum - oder zumindest nur verhaltnismaBig schwach - wahrgenommen wird, wird der Anreiz zur Teilnahme an der Abstimmung in der kleineren Gruppe stark (negativ) Betroffener aus dem nahen Flughafenumfeld tendenziell hoher sein als in der groBeren Gruppe individuell schwach (positiv) betroffener Bewohner der weiter vom Flughafen entfemt liegenden Gebiete. Tendenziell wirkt sich dies dahingehend aus, dass sich die Position der von den okologischen Belastungen unmittelbar Betroffenen starker im Abstimmungsergebnis widerspiegelt, als dies ihrem Anteil an alien Stimmberechtigten entspricht. Hieraus folgt jedoch nicht, dass direkt-demokratische Abstimmungsverfahren dazu fiihren, dass die sozialen Kosten gegeniiber den sozialen Nutzen der geplanten Anlagen systematisch iiberbetont werden und damit verfahrensbedingt tendenziell zu vielen - auch volkswirtschaftlich vorteilhaften - AusbaumaBnahmen eine Genehmigung versagt wird. Direkte Abstimmungsverfahren sind namlich nur in der Lage, diskrete Praferenzpositionen der Abstimmenden zum Ausdruck zu bringen. Sie generieren hingegen keine Informationen uber individuelle Praferenzintensitaten, die fur die Hohe der volkswirtschaftlichen Kosten und Nutzen der InfrastrukturmaBnahme jedoch entscheidend sind. Letztendlich wird lediglich offenbart, wie viele der Abstimmungsteilnehmer die geplante InfrastrukturmaBnahme ablehnen oder befurworten, wahrend das AusmaB der individuellen Betroffenheit einzelner Abstimmender - und damit letztendlich auch das Vorzeichen des (positiven oder negativen) sozialen Kosten-NutzenSaldos - unbekannt bleibt. Angesichts des Zusammenwirkens generell geringer (aber asymmetrischer) Anreize der Stimmberechtigten, sich iiber die nutzenrelevanten Konsequenzen der zur Abstimmung stehenden Alternativen zu informieren und sich iiberhaupt an der Abstimmung zu beteiligen, und der Nichtberiicksichtigung unterschiedlicher Praferenzintensitaten ist nicht zu erwarten,
2.3 Grundlegende staatliche Entscheidungsstrukturen
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dass direkt-demokratische Abstimmungen zu volkswirtschaftlich effizienten Infrastrukturentscheidungen fiihren.^^ Das Fehlen individueller Vetomoglichkeiten impliziert - wie bereits erwahnt -, dass einzelne Burger in Folge direkt-demokratischer Entscheidungen eine NutzeneinbuBe erleiden konnen. Ohne zusatzliche institutionelle Sicherungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass von der Entscheidung der Mehrheit unter Umstanden sogar ganz erhebliche negative Externalitaten auf eine Minderheit ausgehen („Tyrannei der Mehrheit")- Angesichts der in Abschnitt 2.2.1 beschriebenen Interessenkonflikte ist diese Moglichkeit im Fall direkt-demokratischer Entscheidungen liber Fragen einer Flughafenkapazitatserweiterung und -nutzung keineswegs nur theoretischer Natur. Vielmehr bestunde hier eine durchaus reale Gefahr, dass sich die Mehrheit der positiv Betroffenen - oder auch eine Mehrheit von positiv Betroffenen und per se nur schwach negativ Betroffenen - auf Kosten der Minderheit der besonders stark negativ Betroffenen auf eine fur sie gUnstige Regelung - etwa eine Realisierung des Erweiterungsprojekts bei begrenzten, nur aus Sicht der gering Betroffenen hinreichenden Entschadigungsleistungen - „einigen". Ein weiteres Problem direkt-demokratischer Entscheidungsverfahren, das gerade im Bereich der Flughafenpolitik von potentiell erheblicher Bedeutung ist, resultiert daraus, dass sich die Abstinmiungen in aller Regel auf Einzelentscheidungen beziehen und sich die heutige Mehrheit hinsichtlich ihres Abstimmungsverhaltens bei zukUnftigen, dasselbe Flughafenprojekt betreffenden Abstimmungen - etwa iiber weitere Ausbauvorhaben oder eine Verscharfung von Auflagen oder Kompensationspflichten - nicht binden kann. Insbesondere kann die Mehrheit nicht glaubhaft ausschlieBen, dass sie Abhangigkeiten aufgrund dann realisierter Infrastrukturinvestitionen in Zukunft opportunistisch ausnutzt, etwa indem sie Nutzungsbeschrankungen oder Entschadigungspflichten nachtraglich „willkurlich" verscharft. Die Flughafenbetreiber und auch die Flughafennutzer werden die hierdurch bedingten Risiken bereits bei ihren aktuellen ^^ Diese Aussage kann anhand eines hypothetischen Beispiels mit nur zehn Stimmberechtigten illustriert werden: Angenommen, die ReaHsierung eines geplanten Projekts, Uber dessen Durchfiihrung direkt-demokratisch abzustimmen ist, sei fur vier Stimmberechtigte (netto) mit schwerwiegenden Nachteilen verbunden, wahrend der Nettonutzen der anderen sechs Stimmberechtigten sehr gering (aber positiv) sei. Nahmen alle Stimmberechtigten an der Abstimmung teil und orientierten sie sich dabei ausschUeBhch an ihrem eigenen Nettonutzen, so wiirde die Abstimmung mit sechs BefUrwortungen und vier Ablehnungen zur ReaHsierung des Projekts fiihren, obwohl der aggregierte Nettonutzen des Projekts negativ ist. WUrden sich jedoch beispielsweise die Halfte der nur schwach betroffenen grundsatzUchen Befurworter des Projekts aufgrund der fUr sie mit einer Abstimmung verbundenen Kosten (oder aufgrund mangelnder Informiertheit iiber die fiir sie mit dem Projekt verbundenen Vorteile) nicht an der Abstimmung beteiligen, so kame es in direkt-demokratischer Abstimmung hingegen zu einer Ablehnung des Projekts (mit vier zu drei Stimmen).
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Kapitel 2 Grundlagen der Analyse
Investitionsvorhaben berticksichtigen, so dass direkt-demokratische Entscheidungsverfahren aufgrund der mangelnden Bindungsmoglichkeiten zu einer zu geringen Bereitschaft zur Investition in volkswirtschaftlich rentable Infrastrukturanlagen fuhren konnen.
2.3.2
Reprasentativ-demokratischeEntscheidungsHndung
Politische Willensbildung im Rahmen einer reprasentativen Demokratie bedeutet, dass die Burger nicht direkt iiber konkrete Sachprobleme entscheiden, sondem kollektiv politische Reprasentanten wahlen, die dann fiir sie iiber die Sachfragen entscheiden. Ahnlich wie im Fall direkt-demokratischer Entscheidungen verfUgen einzelne Betroffene auch im Fall der Entscheidungsdelegation an gewahlte Politiker Uberkeine individuellen Vetorechte und die damit verbundenen strategischen Blockademoghchkeiten. Soweit PoHtiker nicht fiir eine einzelne Entscheidung, sondem fiir eine Vielzahl von Entscheidungen aus unterschiedlichen Politikbereichen gewahlt werden, kann davon ausgegangen werden, dass die direkten Entscheidungskosten relativ zum Fall direkt-demokratischer Entscheidungsverfahren - selbst bei BerUcksichtigung einer notwendig werdenden Entlohnung der Politiker - weiter sinken. Bedeutender fiir die relative Vorteilhaftigkeit der unterschiedlichen institutionellen Altemativen diirften jedoch andere, grundlegendere potentielle Vor- und Nachteile reprasentativ-demokratischer Entscheidungsverfahren sein (Maskin und Tirole 2004 und die dort angegebene Literatur). Ein potentieller Vorteil einer Delegation politischer Entscheidungen gegenliber direkt-demokratischen Entscheidungsverfahren besteht darin, dass gewahlte (oder auch emannte) Reprasentanten (vgl. Abschnitt 2.3.3) als Spezialisten fiir politische Entscheidungen eher als „normale" Btirger iiber die Erfahrung, das Urteilsvermogen und die Information verfiigen - bzw. starkere Anreize haben, sich diese anzueignen -, die fiir „gute" Entscheidungen erforderlich sind. Weitere potentielle Vorteile der reprasentativen Demokratie resultieren daraus, dass sie grundsatzHch die Moglichkeit bietet, die Interessen aller Betroffenen und insbesondere auch die Intensitat ihrer Praferenzen bei der Entscheidungsfmdung zu berticksichtigen und Minderheitenrechte und -interessen zu schiitzen und so die Gefahr einer „Tyrannei der Mehrheit" zu mindem. Auch im Hinblick auf die Moglichkeiten einer politischen Selbstbindung zur Vermeidung zeitinkonsistenter Entscheidungen bietet die reprasentative Demokratie potentiell Vorteile. Die Delegation von Entscheidungskompetenzen an gewahlte politische Vertreter ist jedoch auch mit spezifischen Problemen verbunden. Diese ergeben sich insbesondere aus den eingeschrankten Kontroll- und Sanktionsmoglichkeiten der
2.3 Grundlegende staatliche Entscheidungsstrukturen
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Vertretenen gegeniiber ihren Reprasentanten. Es kann namlich nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die politischen Reprasentanten mit ihren Entscheidungen ausschlieBlich die Interessen ihrer Wahler oder gar „ubergeordnete Ziele" wie das „Gemeinwohr' oder die Maximierung des sozialen tJberschusses verfolgen. Stattdessen muss realistischerweise davon ausgegangen werden, dass sie eigene Ziele verfolgen, die sie unter den Bedingungen der ihnen vorgegebenen institutionellen Restriktionen verwirklichen. Es besteht somit die Gefahr, dass die von den Politikern getroffenen Entscheidungen eher die Interessen der PoUtiker selbst als die der Wahler widerspiegeln. Die relative Bedeutung der potentiellen Vor- und Nachteile hangt maBgeblich davon ab, welche Interessen der gewahlte Politiker selbst an der von ihm zu treffenden Entscheidung bzw. deren Konsequenzen hat und in welchem Umfang Politiker und Wahler (sowie spezifische Interessengruppen) ihre jeweiligen Praferenzen im politischen Prozess zur Geltung bringen konnen. Dies wiederum hangt u.a. von der Intensitat des politischen Wettbewerbs ab.^^ Dabei ist eine Intensivierung des Wettbewerbs zwischen den Politikern und eine starkere KontroUe der Entscheidungen der Politiker durch die Mehrheit der Wahler - wie im Folgenden noch naher ausgefiihrt wird - keineswegs immer nur vorteilhaft. Politiker erlangen ihr Mandat durch Wahlen. Ihre Karrierechancen und damit auch ihr Einkommen hemes sen sich nach ihren allgemeinen Wahlchancen. Neben einem moglichen Eigeninteresse an den anstehenden Entscheidungen ist es deshalb vor allem der Effekt auf ihre Wiederwahlchancen, also auf die Wahlentscheidungen der Burger, der die Entscheidungen der gewahlten PoHtiker motiviert.^^ RegelmaBig wiederkehrende Wahlen bieten die Moglichkeit, Mandatstrager im Fall unbefriedigender Leistungen bzw. Entscheidungen abzuwahlen, und machen diese dadurch den Wahlern gegeniiber verantwortlich. Die Moglichkeit der Abwahl kann die Mandatstrager dazu veranlassen, anstehende Sachprobleme - trotz abweichender eigener Praferenzen - im Interesse ihrer Wahler zu entscheiden. Zudem bieten regelmaBige Wahlen die Moglichkeit, Politiker, deren Entscheidungen darauf hindeuten, dass ihre Interessen deutlich von denen der Mehrheit der Wahler abweichen, abzuwahlen und so die Interessenkongruenz zwischen Mandatstragem und Burgermehrheit zu erhohen (Maskin und Tirole 2004). AUerdings funktioniert dieser Anreiz- und Selektionsmechanismus in der Praxis reprasentativer Demokratien immer nur sehr unvollkommen. Hierfur sind 21
Die Intensitat des politischen Wettbewerbs wird dabei auBer durch institutionelle Faktoren auch durch das Gewicht beeinflusst, das Politiker dem Wiederwahlmotiv relativ zu ihrem direkten Eigeninteresse an der Entscheidung beimessen. 22 Dabei konnen sowohl die „Eigeninteressen" der Politiker als auch ihre Wahlchancen durch organisierte Interessengruppen beeinflusst werden (siehe die Ausfuhrungen am Ende dieses Abschnitts).
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Kapitel 2 Grundlagen der Analyse
neben Informationsasymmetrien zwischen Wahlem und Politikem, die eine Beurteilung der Politiker durch die Wahler erschweren, vor allem verschiedene institutionelle Regelungen verantwortlich. Insbesondere werden politische Reprasentanten in aller Regel nicht fiir eine einzelne politische Entscheidung, sondern fiir einen langeren Zeitraum und eine Vielzahl politischer Entscheidungen aus einer breiten Palette unterschiedlicher Politikfelder gewahlt. Hinzu kommt, dass politische Verantwortlichkeiten oft unklar abgegrenzt sind und dass (in Abhangigkeit vom Wahlsystem) meist nicht einzelne Politiker, sondem Parteien bzw. von diesen aufgestellte „Listen" von Politikern zur Wahl stehen. Zudem haben einzelne Wahler oder kleinere Gruppen von Wahlern - ahnlich wie im Fall direkt-demokratischer Abstimmungen - nur einen verschwindend geringen Einfluss auf das Wahlergebnis. All dies hat zur Folge, dass gewahlte Politiker iiber unter Umstanden durchaus erhebliche - Freiraume verfiigen, in konkreten Einzelfragen vom Willen der Wahler(mehrheit) abweichende Entscheidungen zu treffen, ohne damit rechnen zu miissen, hierfur abgewahlt zu werden.^^ Trotz der Opportunismusgefahren, die mit entsprechenden Entscheidungsfreiraumen der gewahlten Politiker verbunden sind, gehen von einer Intensivierung des Wettbewerbs zwischen den Politikem und einer Starkung der Verantwortlichkeit der Politiker gegeniiber der Wahlermehrheit keineswegs nur Vorteile aus. Sahen sich die gewahlten Politiker bei jeder einzelnen Entscheidung „gezwungen", so zu entscheiden, wie es die Mehrheit der Wahler zum Zeitpunkt der Entscheidung praferiert, gingen die wesentlichen Unterschiede zwischen direkt-demokratischen und reprasentativ-demokratischen Entscheidungsverfahren weitgehend verloren; die potentiellen Vorteile der Delegation politischer Entscheidungen lieBen sich nicht realisieren. Hinsichtlich der Starkung der Verantwortlichkeit der Politiker gegeniiber den Wahlem besteht also ein Zielkonflikt: Einerseits ermoglicht sie es den Wahlem, ihre Reprasentanten besser auszuwahlen und zu disziplinieren; zum anderen kann sie die Mandatstrager aber auch dazu verleiten, „populistische" Entscheidungen zu treffen und sich bei der Mehrheit der Wahler „anzubiedern", selbst wenn dies aufgmnd (i) mangelnder Informiertheit der Wahler oder (ii) einer Vemachlassigung von Minderheiteninteressen oder (iii) fehlender Weitsicht oder fehlender Bindungsmoglichkeiten der Wahlermehrheit zu ineffizienten Entscheidungen fiihrt: Ad (i): Verfiigen Politiker iiber diskretionare Entscheidungsfreiraume und haben sie ein - moglicherweise durch spezifische Interessengmppen beeinflusstes Eigeninteresse an ihren Entscheidungen, so haben sie einen Anreiz, Kosten auf^^ Diese Freiraume sind dabei tendenziell umso groBer, je weiter entfemt die nachsten Wahlen sind und je geringer aus Sicht der Wahler die Bedeutung der betreffenden Entscheidung relativ zu anderen anstehenden Fragen ist.
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zuwenden, um sich iiber die Konsequenzen der zur Entscheidung stehenden Alternativen zu informieren.-^'^ Entsprechende Informationen sind fiir einen Politiker jedoch weitaus weniger wert, und seine Anreize, Kosten aufzuwenden, um sie zu erhalten, sind entsprechend geringer, wenn er befiirchten muss, abgewahlt zu werden, wenn er auf der Basis dieser Informationen entscheidet. Fiir den Erfolg im politischen Wettbewerb kommt es weniger darauf an, die aus „Expertensicht" richtige Entscheidung zu kennen bzw. zu treffen, als vielmehr, die von den - unter Umstanden recht schlecht informierten - Wahlern bevorzugte zu verfolgen. Populare Entscheidungen zu treffen erfordert jedoch weniger Information iiber die tatsachHchen Konsequenzen poHtischer Entscheidungsalternativen als vielmehr Informationen iiber die „offentliche Meinung" (Maskin und Tirole 2004: 1043). Ad (ii): Nur soweit Politiker im Fall von Interessengegensatzen zwischen unterschiedlichen Wahlergruppen in der Lage sind, gegebenenfalls auch gegen die Interessen der Mehrheit der Wahler zu entscheiden, ohne dafiir unmittelbar abgewahlt zu werden, haben sie die Moglichkeit, Minderheiteninteressen zu schiitzen und unterschiedliche Praferenzintensitaten bei der Entscheidungsfmdung angemessen zu beriicksichtigen. Die Moglichkeit, Politiker abzuwahlen, kann der Mehrheit zu viel Macht iiber Politiker und damit zu viel Einfluss auf deren Entscheidung geben.-^^ Ad (iii): Im Vergleich zu direkt-demokratischen Verfahren kann eine Delegation von Entscheidungen an Politiker dazu beitragen, die langerfristigen Konsequenzen einer hoheitlichen Entscheidung relativ zu deren kurzfristigen Effekten starker zu gewichten und Zeitinkonsistenzprobleme zu entscharfen.^^ Allerdings werden auch diese Moglichkeiten durch die Anreize bzw. Restriktionen be^^ Da der gewahlte Politiker einen groBeren Einfluss auf die Entscheidung hat als der einzelne stimmberechtigte Biirger in der direkten Demokratie, verfiigt er ceteris paribus auch iiber groBere Anreize, Kosten aufzuwenden, um relevante Information zu erwerben (Kessler 2003). Dies bedeutet freilich nicht, dass nicht auch die von den Entscheidungen direkt Betroffenen iiber wohlfahrtsrelevante Informationen verfiigen; und es lost noch nicht das Problem, dass die Betroffenen oftmals Anreize haben werden, diese Informationen nur unvollstandig oder verzerrt an die politischen Entscheidungstrager weiterzugeben (Abschnitt 2.2). 25 Insbesondere die simultane Delegation einer Vielzahl von Aufgaben kann dazu beitragen, ausgepragte Minderheiteninteressen zur Geltung zu bringen. 1st eine bestinmite Entscheidung fiir eine Minderheit von besonderer Bedeutung, wahrend sie fiir die Mehrheit relativ zu anderen Entscheidungen nur von geringer Bedeutung ist, so kann es fiir einen Politiker auch im Hinblick auf seine Wiederwahlchancen unter Umstanden sinnvoll sein, in der betreffenden Frage im Sinne der Minderheit zu entscheiden (Besley und Coate 2003). ^^ Wie bereits mehrfach betont, sind Letztere im Bereich der Flughafenpolitik insbesondere im Zusammenhang mit den im Fall einer Flughafenerweiterung notwendig werdenden umfangreichen und langlebigen, spezifischen Investitionen der Flughafengesellschaft von erheblicher Bedeutung.
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Kapitell
Grundlagen der Analyse
grenzt, die sich daraus ergeben, dass sich die Politiker regelmaBig Wahlen stellen miissen. Selbst wenn die Praferenzen des politischen Entscheidungstragers - im Gegensatz zu denen der Mehrheit der Wahler - nicht zeitinkonsistent sind,^^ so kann er sich aufgrund der Wiederwahlrestriktion doch veranlasst sehen, sich opportunistisch (zeitinkonsistent) zu verhahen. Entsprechendes gilt auch fiir den Fall, dass gewahlte Politiker grundsatzlich in der Lage waren, eine personliche Reputation daflir aufzubauen, gegebene Zusagen (etwa gegeniiber der Flughafengesellschaft) einzuhalten und sich aus spezifischen Investitionen ergebende Spielraume fUr ex-post-opportunistisches Verhalten nicht auszunutzen. Der Anreiz der Politiker, sich im Fall intensiven politischen Wettbewerbs dennoch opportunistisch zu verhalten, resultiert daraus, dass ein Mandatstrager, der sich auf eine Politik verpflichtet, die nicht im zukiinftigen (Ex-post-)Interesse der Wahlermehrheit liegt, stets Gefahr lauft, bei den nachsten Wahlen dafiir abgewahlt zu werden. Ein Oppositionskandidat, der keine entsprechende Bindung eingegangen ist, konnte der Wahlermehrheit eine ihren Interessen entsprechende (Anpassung der) Politik versprechen und wiirde die Wahlen -jedenfalls sofern das Thema fiir die Mehrheit der Wahler tatsachlich von wahlentscheidender Bedeutung ist damit gewinnen (Strausz 2000). Die durch die „Unvollkommenheit" des politischen Wettbewerbs bzw. die begrenzten Kontroll- und Sanktionsmoglichkeiten in reprasentativ-demokratischen Systemen bedingte Begrenzung des politischen Einflusses der Wahler erweitert die Entscheidungsfreiraume der Politiker und damit ihre Moglichkeiten, die langfristige Wohlfahrt befordemde Entscheidungen zu treffen. Zugleich erhoht sie jedoch auch die Moglichkeiten der politischen Entscheidungstrager, ihre eigenen Interessen zur Geltung zu bringen, und sie ermoglicht es organisierten Interessengruppen, verstarkt Einfluss auf die Entscheidungen zu nehmen. Eine solche Einflussnahme kann mittels direkter Bestechung, durch monetare Oder nichtmonetare Wahlkampfunterstutzung oder durch Angebote fiir eine Beschaftigung nach Ausscheiden aus dem Amt bzw. Parlament erfolgen oder schlicht durch den subtilen Einfluss der Nahe, der sich aus dem Wunsch der offentlichen Entscheidungstrager „nach guten Beziehungen zu den Vertretern der Interessengruppen, mit denen sie taglich zu tun haben, ergibt" (Seabright 1994: 91). In jedem Fall hat die Einflussnahme durch organisierte Interessengruppen zur Folge, dass deren spezifische Interessen mit einem hoheren Gewicht in die politische Entscheidungsfmdung eingehen, als dies ohne eine entsprechende Einflussnahme der Fall ware. Letztlich werden politische Entscheidungen im Rahmen der reprasentativen Demokratie daher stark von der jeweiligen Organisier-
^^ Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Politiker selbst kein eigenstandiges Interesse an den Konsequenzen seiner Entscheidung hat.
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barkeit und ZahlungsfahigkeitZ-bereitschaft unterschiedlicher Gruppeninteressen beeinflusst. Es ist auch aus diesem Grund nicht sichergestellt, dass die mit einem geplanten Infrastrukturvorhaben verbundenen Kosten und Nutzen aller Betroffenen in den Entscheidungen unverzerrt beriicksichtigt werden.^^
2.3.3
Biirokratische EntscheidungsHndung
Burokratische Verfahren der Entscheidungsfindung trennen Entscheidungsprozesse iiber einzelne MaBnahmen vom allgemeinen politischen Prozess. Entscheidungstrager sind Burokraten, die nicht fur relativ kurze Legislaturperioden gewahlt, sondem fiir langere Zeitraume emannt werden. Sie sind daher in ihren Entscheidungen weniger abhangig von tagespoHtischen Ereignissen und Schwankungen der „Wahlerstinimung" als PoHtiker. Dies gilt in besonderem MaBe fiir die Entscheidungstrager in politisch unabhangigen Behorden, auf die sich die folgende Diskussion biirokratischer Entscheidungsfindung konzentriert. Eine Behorde ist „politisch unabhangig", wenn sie bei ihren Einzelfallentscheidungen vor politischer Einflussnahme geschiitzt ist. Einer politisch unabhangigen Behorde werden also mehr oder weniger groBe diskretionare Entscheidungsspielraume bei der Erfullung ihrer Aufgaben eingeraumt, ohne dass politische Akteure (Regierung oder Parlament) im Einzelfall (direkten) Einfluss auf die Entscheidung nehmen oder diese gar an sich ziehen und selbst treffen konnen. Ein weiteres Merkmal politisch unabhangiger Behorden ist, dass ihnen vom Gesetzgeber haufig spezielle Aufgaben und Ziele vorgegeben werden, die sich von denen der allgemeinen Politik unterscheiden (Neven et al. 1993; Bickenbach et al. 2002). Einer unabhangigen Behorde wird also in der Kegel nicht das Ziel der „Maximierung des Gemeinwohls" vorgegeben - dessen Verfolgung von Parlament und Regierung gefordert wird -, sondem davon ableitbare „Teilziele".^^ LFber diese Ziel- bzw. Aufgabendefinition hinaus konnen biiro-
^^ Allerdings muss die Einflussnahme organisierter Interessengruppen und die damit einhergehende starkere Gewichtung ihrer spezifischen Interessen nicht in jedem Fall zu schlechteren Entscheidungen fiihren. Zumindest theoretisch kann sie die Qualitat der Entscheidungen und die soziale Wohlfahrt sogar erhohen. Dies konnte etwa dann der Fall sein, wenn sie einen Ausgleich fUr eine ansonsten zu starke bzw. einseitige Beriicksichtigung der (Ex-post-)Interessen der Wahlermehrheit darstellt. So konnte eine organisierte Einflussnahme des Flughafenuntemehmens auf flughafenpolitische Entscheidungen dazu beitragen, die mit den umfangreichen spezifischen Investitionen des Flughafenuntemehmens verbundenen Probleme zeitinkonsistenter bzw. opportunistischer Entscheidungen der Wahlermehrheit zu reduzieren. 29 Beispielweise wird eine unabhangige Wettbewerbsbehorde in aller Regel nicht auf das Ziel der Maximierung des AUgemeinwohls verpflichtet, sondem auf das davon ableitbare, engere Ziel der Sichemng des Wettbewerbs.
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Kapitell
Grundlagen der Analyse
kratische Entscheidungstrager auch auf die Einhaltung mehr oder weniger strikter inhaltlicher und/oder prozeduraler Entscheidungsregeln verpflichtet werden (siehe Ausfiihrungen am Ende dieses Abschnitts).^^ Hieraus folgt, dass sich die Handlungsanreize und -restriktionen von Biirokraten unabhangiger Behorden in mehrerlei Hinsicht von denen der Politiker unterscheiden. Anders als Politiker unterliegen Burokraten keiner direkten Sanktionsmoglichkeit durch die Wahler. Entsprechend schwach ist die Ruckkopplung ihrer Entscheidungen auf Anderungen in den Praferenzen der Wahler. Zugleich fuhrt die gesetzliche Vorgabe spezifischer Aufgaben und Ziele - und unter Umstanden dariiber hinaus konkreter inhaltlicher oder prozeduraler Entscheidungsregeln - dazu, dass Burokraten an diesen Zielen - und gegebenenfalls der Einhaltung der vorgegebenen Regeln - gemessen werden konnen. Grundsatzlich konnen ihre Entscheidungen damit von Gerichten leichter liberpriift und besser kontrolliert werden als die Entscheidungen von Politikem;^^ freilich ist auch im Fall biirokratischer Entscheidungen eine perfekte gerichtliche tJberwachung insbesondere aufgrund bestehender InformationsunvoUkommenheiten nicht moglich. Dass sich Burokraten nicht in regelmafiigen Abstanden einer Wiederwahl stellen miissen, bedeutet natiirlich nicht, dass ihre Anreize nicht auch von Karriereiiberlegungen beeinflusst werden. Allerdings entscheidet liber die Karriereund damit die Einkommenschancen von Burokraten nicht die Beurteilung ihrer Entscheidungen durch die Wahler, sondern vor allem die Beurteilung ihrer Fahigkeiten durch Fachkollegen innerhalb (Beforderung) oder auBerhalb (Wechsel in die Privatwirtschaft) der Burokratie (Alesina und TabeUini 2004).^^ Die Unterschiede in Anreizen und Restriktionen, denen einerseits Politiker und andererseits Burokraten unterliegen, lassen auf spezifische Vor- und Nachteile im Hinblick auf die Qualitat ihrer Entscheidungen schlieBen, aufgrund derer reprasentativ-demokratische und biirokratische Entscheidungsstrukturen fUr Jewells unterschiedliche Arten von Entscheidungen bzw. unterschiedliche Handlungsfelder vorteilhaft erscheinen. ^^ ijber die Definition der Aufgaben und Ziele der unabhangigen Behorde und gegebenenfalls konkreter inhaltlicher und prozeduraler Entscheidungsregeln haben Politiker und damit auch die Wahler einen indirekten Einfluss auf die Entscheidungen politisch unabhangiger Behorden. ^^ Das diffuse politische Ziel der Forderung des „Gemeinwohls" ist hingegen kaum justiziabel und damit zum Zwecke der Kontrolle politischer Entscheidungen durch die Gerichte kaum geeignet. Die Aufgabe, die Entscheidungen der Politiker an diesem Ziel zu messen, bleibt somit allein der Bewertung durch die Wahler iiberlassen. ^^ Nimmt man das Beispiel unabhangiger Zentralbanken, so ist dort die Leistungsbewertung durch Fachkollegen innerhalb und auBerhalb der Zentralbanken von besonderer Bedeutung, da die Zentralbanken nicht nur vor der Einflussnahme durch die Politik geschiitzt, sondern dariiber hinaus auch der gerichtlichen Kontrolle weitgehend entzogen sind.
2.3 Grundlegende staatliche Entscheidungsstrukturen
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Im vorigen Abschnitt (Abschnitt 2.3.2) wurde bereits dargelegt, dass es durchaus Vorteile fiir die Qualitat delegierter Entscheidungen haben kann, wenn die KontroUe der Entscheidungstrager durch die Wahlermehrheit nur unvollkommen ist. Insbesondere wurde argumentiert, dass es die Anreize gewahlter Reprasentanten, in entscheidungsrelevante Information zu investieren, ceteris paribus erhoht, wenn diese liber Freiraume verfiigen, erworbene Information bei ihren Entscheidungen in ihrem Sinne zu nutzen. Dies spricht dafiir, dass Biirokraten, die keiner Wiederwahlrestriktion unterliegen, eher noch starkere Anreize zum Informationserwerb haben als PoHtiker. Vor allem bei Sachfragen technischer Natur, bei denen nicht nur die Entscheidung selbst, sondern auch die Bewertung der Entscheidungen bzw. der Leistung des Entscheidungstragers durch AuBenstehende selbst spezifische technische Expertise erfordert, sind die Anreize eines BUrokraten, in den Erwerb spezifischer Informationen und Fahigkeiten zu investieren, in der Regel starker als die eines Politikers. Denn wahrend die fur Burokraten relevante Leistungsbeurteilung - wie bereits erwahnt - durch Experten^^ erfolgt, geht die fiir Politiker relevante Leistungsbeurteilung (Wiederwahlentscheidung) von den „normalen" Wahlern aus, die kaum tiber die entsprechende Expertise verfiigen. ^"^ Diese Vorteile fUr die Qualitat delegierter Entscheidungen spricht dafur, Aufgaben, die eher technischer Natur sind und deren effiziente Erfiillung umfangreiche Investitionen in spezifische Informationen und spezielle Fahigkeiten oder technische Kompetenzen verlangt, eher an Burokraten als an Politiker zu delegieren.^^ Allgemeiner gilt dies tendenziell fiir alle Aufgaben, bei denen die Wahler die Folgen der Entscheidungsalternativen schlecht einschatzen konnen, bei denen der Erwerb entscheidungsrelevanter Information mit Kosten verbunden ist und bei denen die Wahler auch nach der Entscheidung nur unzureichend oder erst spat Informationen Uber die Qualitat der Entscheidungen erhalten (Maskin und Tirole 2004; Alesina und Tabellini 2004). Aufgabe und Zielsetzung von BUrokraten werden vorab festgeschrieben und haben eine gewisse Persistenz. Hierdurch erhalt ihr Verhalten eine gewisse Starrheit und Inflexibihtat. Im Vergleich zur groBeren Flexibilitat poHtischer Entscheidungen kann dies je nach Situation sowohl vorteilhaft als auch nachteilig sein: Sind die Praferenzen der Wahler iiber verschiedene Ziele oder die Gewichtung verschiedener Aufgaben a priori unsicher und verandem sich diese im Zeitablauf, so fUhrt diese Starrheit dazu, dass biirokratische Entscheidungstrager oftmals Ziele verfolgen werden, die nicht den aktuellen Interessen der Burger 33
Vorgesetzte und Kollegen, mogliche zukiinftige Arbeitgeber oder auch Richter, ^^ Dieser Anreizeffekt wird durch die engere Aufgabenabgrenzung und die damit verbundene starkere Spezialisierung der BUrokraten eher noch verstarkt. Allerdings ware in solchen Fallen eine Delegation an gewahlte Politiker direkt-demokratischen Entscheidungsverfahren gegenuber immer noch vorzuziehen.
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Kapitel 2 Grundlagen der Analyse
entsprechen.^^ Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zu den Entscheidungen gewahlter Politiker, die sich - vor allem kurz vor Wahlen - an den jeweils aktuellen Wahlerpraferenzen orientierten. Die relative Starrheit im Verhalten der Biirokraten ist allerdings keineswegs immer ein Nachteil fur die Effizienz der Entscheidungen. So sind biirokratische Entscheidungen gerade wegen dieser Starrheit wesentlich weniger anfallig fiir Zeitinkonsistenzprobleme als politische Entscheidungen; beispielsweise kann ihre Starrheit helfen, eine opportunistische Ausbeutung spezifischer Investitionen zu verhindem und so die Investitionsbereitschaft zu erhohen. Wahrend die Entscheidungen von PoHtikern aufgrund des Wiederwahlmotivs stets auf die Expost-Praferenzen der Wahler bezogen sind, kann Biirokraten bewusst eine Zielsetzung („Mission") vorgegeben werden, die ihre Entscheidungen von den Expost-Interessen der Wahler abkoppelt. Eine solche „strategische" Delegation ermoglicht es der Gesellschaft, Bindungs- bzw. Zeitinkonsistenzprobleme zumindest zu entscharfen.^^ Die Obertragung von Entscheidungskompetenzen auf politisch unabhangige Behorden kann sich somit positiv auf die Glaubwurdigkeit einer langfristig angelegten Flughafeninfrastrukturpolitik auswirken und damit insbesondere Investitionsunsicherheiten der Flughafenbetreiber verringem. Aus ahnlichem Grund ist zu erwarten, dass biirokratische Entscheidungsverfahren politischen bei solchen Aufgaben bzw. Entscheidungen iiberlegen sind, bei denen (mindestens aus Sicht der Wahler) kurzfristig die Kosten dominieren und erst langfristig die Vorteile iiberwiegen. Politische Entscheidungstrager werden (insbesondere kurz vor Wahlen) eher als politisch unabhangige Biirokraten versucht sein, „populare" Entscheidungen zu treffen, selbst wenn von diesen langfristig iiberwiegend negative Wohlfahrtseffekte ausgehen, und „unpopulare", aber langfristig sinnvolle Entscheidungen zu vermeiden oder zumindest auf die Zeit nach den nachsten Wahlen zu verschieben. SchlieBlich ermoglicht die Delegation von Entscheidungen an Biirokraten einen besseren Schutz von Minderheiteninteressen bzw. -rechten vor der „Tyrannei der Mehrheit", als dies bei repasentativ-demokratischen oder gar direkt-de^^ Bestimmend fiir das Verhalten der Biirokraten sind nicht die Praferenzen der Biirger zum Zeitpunkt der Entscheidung, sondem die den Biirokraten vorgegebenen Ziele und Aufgaben, die (bestenfalls) die fniheren oder zu einem frUheren Zeitpunkt erwarteten Praferenzen der Wahler widerspiegeln. Da sie von den Burgem nicht abgewahlt werden konnen, haben burokratische Entscheidungstrager selbst innerhalb der durch ihre Aufgaben- oder Zielsetzung defmierten Entscheidungsfreiraume kaum einen Anreiz, sich andemde Wahlerpraferenzen in ihren Entscheidungen nachzuvollziehen. ^^ Zur Entscharfung entsprechender Probleme kann dabei sowohl eine enge Aufgabendefmition (bzw. die Aufteilung von Aufgaben auf verschiedene Behorden) beitragen als auch eine strategische, d.h. von den tatsachlichen (ex post) Wahlerpraferenzen bewusst abweichende Zieldefinition (Alesina und Tabellini 2004).
2.3 Grundlegende staatliche Entscheidungsstrukturen
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mokratischen Entscheidungsverfahren moglich ist (Maskin und Tirole 2004).^^ Hierzu tragt sowohl die weitgehende Unabhangigkeit biirokratischer Einzelfallentscheidungen vom aktuellen Willen der Wahlermehrheit bei als auch insbesondere die Vorgabe spezifischer Aufgaben und Ziele sowie spezifischer inhaltlicher und prozeduraler Entscheidungsregeln, die eine verbesserte Kontrolle der Entscheidungen durch die Gerichte ermoglichen. Wie im Fall der Entscheidungsdelegation an gewahlte Politiker besteht jedoch auch im Fall biirokratischer Entscheidungen grundsatzlich die Gefahr, dass sich die Entscheidungstrager durch organisierte Interessengruppen beeinflussen und fur deren spezifische Ziele vereinnahmen lassen.^^ AUerdings unterscheiden sich zwischen biirokratischen und politischen Entscheidungstragern sowohl die relative Bedeutung unterschiedlicher Instrumente bzw. Wege der Einflussnahme als auch die Moglichkeiten, diese durch geeignete institutionelle Sicherungen zu begrenzen."^^ So ist die Einflussnahme mittels Wahlkampfunterstiitzung, speziell auch solche nichtmonetarer Art, in demokratischen Systemen nur relativ schwer zu begrenzen. Da sie nur fur Politiker, nicht aber fur unabhangige Biirokraten relevant ist, ist die Vereinnahmungsgefahr von Politikern insofem groBer als die von Biirokraten. Umgekehrt ist im AUgemeinen fiir biirokratische Entscheidungstrager aufgrund ihres engeren Aufgabenbereichs die Gefahr groBer, dass sie sich allein schon aufgrund ihres haufigen, engen Kontakts zu bestimmten Interessengruppen - man denke etwa an das Verhaltnis sektorspezifischer Regulierer zu den von ihnen regulierten Unternehmen - mit deren Zielen identifizieren und von diesen vereinnahmen lassen."*^ Eine groBere Verantwortlichkeit ^^ Vgl. auch Buchanan und Congleton (1998) sowie unten die Abschnitte 4.3 und 4.4. ^^ Dabei ist zunachst kaum ein pauschales Urteil daruber moglich, ob diese Gefahr - bei ahnlich weiten Entscheidungsfreiraumen - bei biirokratischen oder bei reprasentativdemokratischen Entscheidungen groBer ist. 40 Kaum ein Unterschied besteht hinsichtlich der MogUchkeit einer direkten (monetaren) Bestechung der Entscheidungstrager, die sowohl bei Politikern als auch bei Biirokraten illegal ist und sich durch jeweils ahnliche MaBnahmen bekampfen lasst, auch wenn sie sich selbst in gut funktionierenden Rechtsstaaten niemals ganz ausschlieBen lasst. 41 Dafiir, dass auch die Gefahr der Beeinflussung uber Angebote fiir eine Beschaftigung nach Ausscheiden aus dem Amt im Fall biirokratischer Entscheidungstrager tendenziell eher groBer ist als fur Politiker, spricht, dass eine entsprechende Beschaftigung aufgrund der groBeren technischen Expertise der Biirokraten sowohl fiir sie als auch fur mogliche private Arbeitgeber eher attraktiver ist als im Fall von Politikern. Dem konnte allerdings entgegenwirken, dass Politiker im AUgemeinen ein wesentlich hoheres Risiko haben, ihr Amt zu verlieren, als Biirokraten. Im Fall biirokratischer Entscheidungstrager kommt allerdings noch hinzu, dass diese ihre zukunftigen Karrierechancen aufgrund ihrer speziellen Expertise auch ohne explizite Beeinflussungsversuche unter Umstanden vor allem bei den von ihren Entscheidungen betroffenen Unternehmen sehen.
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Kapitel 2 Grundlagen der Analyse
der Entscheidungstrager gegeniiber den Wahlern ware hier ein moglicherweise wichtiges Gegengewicht zur Beeinflussung durch spezifische Interessen. Da fur politisch unabhangige blirokratische Entscheidungstrager die Kontroll- und Sanktionsmoglichkeit durch die Wahler als moghches Gegengewicht jedoch weitgehend entfallt, sind hier andere Sicherungsvorkehrungen von umso groBerer Bedeutung. Ein wesentHcher Unterschied zwischen PoHtik und BUrokratie besteht deshalb darin, dass im Fall biirokratischer Entscheidungen bessere Moglichkeiten bestehen, das Risiko einer Vereinnahmung der Entscheidungstrager durch spezifische Gruppeninteressen durch geeignete, der konkreten Entscheidungsaufgabe angepasste inhaltliche und prozedurale Entscheidungsregeln zu begrenzen. Allerdings ist die Verringerung der Opportunismusgefahren auch hier nicht kostenlos zu haben. Eine verstarkte Regelbindung verursacht Transaktionskosten anderer Art - insbesondere Kosten der Inflexibilitat -, die gegen die Vorteile einer geringen Vereinnahmungsgefahr abzuwagen sind. Vor diesem Hintergrund ist zwischen drei Grundformen biirokratischer Entscheidungsstrukturen bzw. -verfahren zu unterscheiden. Es sind dies (i) informelle, (ii) inhaltlich stark regelgebundene und (iii) prozedural regelgebundene Entscheidungsstrukturen Im Fall informeller Entscheidungsstrukturen stehen den Biirokraten - innerhalb des durch die allgemeine Aufgaben- bzw. Zieldefinition gegebenen Rahmens - weite Entscheidungsspielraume zur Verfugung, so dass sie flexibel auf die von den privaten Akteuren gelieferten Informationen reagieren konnen. Hierdurch werden die Kosten der aus Regelvorgaben resultierenden mangelnden Entscheidungsflexibilitat vermieden. Andererseits wird jedoch die Kontrolle der Verwaltungsentscheidungen erschwert, und die Gefahr, dass die den Biirokraten durch haufige Kontakte nahestehenden Interessengruppen im Entscheidungsprozess ungerechtfertigt bevorzugt werden, ist relativ hoch (Hoffmann-Riem 1990: 28; Weise 1999). Unter inhaltlich stark regelgebundenen Entscheidungsstrukturen sind biirokratische Strukturen zu verstehen, in denen ex ante klare und „moglichst vollstandige" inhaltliche Regeln defmiert werden, nach denen sich die biirokratischen Entscheidungstrager zu richten haben. Solche Regeln sind grundsatzlich geeignet, biirokratisches Handeln einer Kontrolle durch AuBenstehende - etwa durch Gerichte - zuganglich zu machen, und verringem die Gefahr einer Vereinnahmung biirokratischer Entscheidungen durch spezifische Interessengruppen. WesentHcher Vorteil dieses institutionellen Arrangements ist somit eine Senkung der aus biirokratischem Opportunismus resultierenden Ineffizienzen. Allerdings sind „vollstandige" Regeln notgedrungen inflexibel und bergen daher die Gefahr einer mangelnden Anpassungsfahigkeit des administrativen Handelns an unvor-
2.4 Die Bedeutung derfoderalen Kompetenzverteilung
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hergesehene Problemlagen, die insbesondere bei komplexen Entscheidungsproblemen - wie sie bei Infrastrukturprojekten typisch sind - zu erwarten sind."^^ Prozedural regelgebundenes Verwaltungshandeln belasst den Burokraten weite inhaltliche Entscheidungsspielraume, stellt aber besondere Anforderungen (Beteiligungsrechte, Transparenzpflichten etc.) an die bei der Entscheidungsfindung einzuhaltenden Verfahren. Diese zielen insbesondere darauf ab, die Gefahr einer verdeckten einseitigen Einflussnahme zu reduzieren und Asymmetrien in den Einflussmoglichkeiten unterschiedlicher Interessengruppen abzubauen. Diesem Vorteil stehen die Kosten gegeniiber, die durch moglicherweise entscheidungsirrelevante, aber vorgeschriebene Verfahrensablaufe verursacht werden."^^ Prozedurale Vorgaben an das Verwaltungshandeln versuchen also einen Kompromiss im Zielkonflikt zwischen der einerseits gewiinschten Entscheidungsflexibilitat und der andererseits notwendigen KontroUe von Verwaltungsentscheidungen herzustellen. Damit bleibt festzuhalten, dass unterschiedliche blirokratische Entscheidungsstrukturen mit spezifischen Vor- und Nachteilen behaftet sind, die im Rahmen der Kompetenzdefinition und -zuordnung sorgfaltig gegeneinander abzuwagen sind.
2.4
Die Bedeutung der foderalen Kompetenzverteilung
Die bisherige Diskussion von Politik und Burokratie als alternative Formen staatlicher Entscheidungsinstitutionen beschrankte sich im Wesentlichen auf „horizontale" Aspekte der intemen staatlichen Organisation. Die Bedeutung der foderalen Dimension des Staates, also der „vertikalen" Kompetenzzuweisung auf unterschiedliche gebietskorperschaftliche Ebenen, ftir die insgesamt anfallenden Transaktionskosten und damit fur die Effizienz der Planungs- und Genehmigungsverfahren wurde dabei noch ausgeblendet. Tatsachlich ist jedoch auch die foderale Zuweisung von Entscheidungskompetenzen etwa zwischen Bund und Landem (oder auch Kommunen) fur die Hohe der Transaktionskosten und damit ^^ Vgl. auch die Abschnitte 2.1 und 2.2. Sind beispielsweise die Genehmigungsbehorden verpflichtet, im Rahmen von Infrastrukturgenehmigungsverfahren alle von einer geplanten InfrastrukturmaBnahme potentiell Betroffenen anzuhoren, so ist zwar sichergestellt, dass den biirokratischen Entscheidungstragem samtliche Argumente fiir und gegen eine Realisierung der zu pnifenden InfrastrukturmaBnahme zur Kenntnis gebracht werden (konnen). Gleichzeitig sind die Behorden aber auch gezwungen, offensichtlich entscheidungsirrelevante Argumente anzuhoren, was leicht zu einer erheblichen Ausweitung des Verfahrenszeitraums fUhren und damit die Kosten des Entscheidungsverfahrens in die Hohe treiben kann (Abschnitt 4.4).
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Kapitell
Grundlagen der Analyse
fur die Effizienz der Verfahren bzw. Entscheidungen von Bedeutung. Es ist namlich davon auszugehen, dass Politiker und Beamte auf den verschiedenen foderalen Ebenen liber unterschiedliche Moglichkeiten und Anreize verfugen, angemessene Entscheidungen zu treffen. Im Folgenden werden daher die aus okonomischer Sicht wesentlichen Vor- und Nachteile einer foderalen (vertikalen) Zentralisierung oder Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen skizziert."^"^ Grundsatzlich spricht eine Reihe wichtiger Grtinde dafiir, offentliche Aufgaben moglichst problemnah und damit in der Regel eher dezentral wahrzunehmen. Die Vorteile einer dezentralen Kompetenzzuordnung beziehen sich wesentlich auf die bessere Information dezentraler politischer Akteure und eine bessere Politikdifferenzierung sowie auf bessere Experimentier- und Lernmoglichkeiten in dezentralen Systemen. So verfugen staatliche Akteure auf einer unteren foderalen Ebene tendenziell iiber bessere Informationen hinsichtlich der jeweiligen lokalen Bedingungen, und sie haben in der Regel bessere Moglichkeiten und starkere Anreize, entsprechende Informationen zu erwerben und flir eine angemessene Differenzierung und Ausrichtung der Politik an die lokalen Bedingungen und Burgerinteressen zu nutzen. Zu den Vorteilen einer dezentralen Kompetenzverteilung gehort auch, dass sie eine bessere Kontrolle staatlicher Organe durch die Burger ermoglicht und so die Verantwortlichkeit der Politiker erhoht. Die Einflussmoglichkeiten der BUrger auf die politischen Entscheidungen sind auf dezentraler Ebene sowohl hinsichtlich des Einsatzes ihrer (Wahler)Stimme {voice) als auch hinsichtlich ihrer Ausweich- oder Abwanderungsmoglichkeiten {exit) groBer als auf zentraler Ebene."^^ Auch dies tragt dazu bei, dass eine Dezentralisierung von Kompetenzen im AUgemeinen zu einer besseren Beriicksichtigung lokaler Besonderheiten und Biirgerinteressen bei der staatlichen Aufgabenerfullung fiihrt. Fiir eine Dezentralisierung spricht auch, dass sie zu einem verstarkten Experimentieren mit unterschiedlichen Regelungen und damit auch zu einem Lernen liber die angemessene Politiklosung fiihrt. Der Wettbewerb zwischen verschiedenen Gebietskorperschaften derselben foderalen Ebene um uberlegene Politikaltemativen und die daraus resultierenden Vorteile im interregionalen Stand^^ Traditionell basiert die normative okonomische Analyse der Aufgaben- und Kompetenzverteilung in foderal strukturierten Gemeinwesen auf der Theorie des Fiskalfoderalismus, die auf die grundlegenden Arbeiten von Musgrave (1959) und Gates (1972) zuriickgeht, sowie auf polit-okonomischen Erweiterungen dieser Theorie. (Einen Uberblick iiber Theorie und Empirie des Fiskalfoderalismus gibt Gates 1999.) In den letzten Jahren wurden bei der Diskussion altemativer foderaler Kompetenzverteilungen zunehmend auch Informations- und Bindungsprobleme (Vertragsprobleme) berucksichtigt (Inman und Rubinfeld 1997; Qian und Weingast 1997). Vgl. fur die folgende Diskussion auch Bickenbach (1999, 2000). ^^ Zur Bedeutung von „voice" und „exit" bzw. „Widerspruch" und „Abwanderung" vgl. Hirschman(1970, 1974).
2.4 Die Bedeutung der foderalen Kompetenzverteilung
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ortwettbewerb kann ein „effizientes Entdeckungsverfahren" (Hayek 1968) fiir angemessene Politiklosungen darstellen. AUerdings gibt es auch einige wichtige Argumente, die in Bezug auf einzelne Aufgaben eher fiir eine Kompetenzzentralisierung sprechen. So kann eine Kompetenzzentralisierung vor allem dann von Vorteil sein, wenn die von Politikem Oder Behorden auf einer unteren foderalen Ebene getroffenen Entscheidungen erhebliche, die raumlichen Grenzen ihrer Verantwortungsbereiche Uberschreitende Effekte haben oder wenn eine effiziente Politik bei dezentralen Entscheidungen eine weitgehende Koordinierung oder Harmonisierung der verschiedenen Entscheidungstrager bzw. Politiken der regionalen Gebietskorperschaften erfordert. Im Fall dezentral getroffener Entscheidungen ist eine (vollstandige) Beriicksichtigung von Effekten, die auBerhalb des raumlichen Verantwortungsbereichs der jeweils zustandigen Gebietskorperschaft auftreten, - aufgrund fehlender Information und/oder fehlender Anreize - wenig wahrscheinHch.^^ Eine Kompetenzzentralisierung fiihrt somit zu einer besseren Koordination politischer Entscheidungen und Internalisierung grenzuberschreitender (interjurisdiktionaler) Extemalitaten. Dies gilt jedenfalls uberall dort, wo vertragliche Vereinbarungen zwischen den Gebietskorperschaften - etwa aufgrund zu erwartenden opportunistischen Verhaltens der politischen Akteure vor oder nach Vertragsschluss nicht geeignet sind, eine effektive Koordination sicherzustellen (Abschnitt 2.1). Dies gilt insbesondere fiir Politikbereiche, in denen bedeutende grenzUberschreitende Extemalitaten und Interessendifferenzen zwischen den dezentralen politischen Akteuren bestehen; hier ist es ohne eine zumindest partielle Kompetenzzentralisierung kaum moglich, komplexe und flexible Vereinbarungen zu treffen und zugleich deren Durchsetzung glaubwurdig zu sichern."*^ Eine (begrenzte) ZentraHsierung von Kompetenzen etwa auf Bundesebene kann auch dann sinnvoU sein, wenn sie den Landem hilft, sich einzeln oder wechselseitig auf eine Politik zu verpflichten, die zwar langfristig in ihrem jeweiligen eigenen Interesse liegt, aber - z.B. aufgrund politischen Drucks spezifischer Interessengruppen - in den einzelnen Landern ohne (begrenzte) Kompetenzzentralisierung nicht durchzusetzen oder beizubehalten ist. ^^ Bezogen auf die Flughafeninfrastrukturpolitik ist beispielsweise davon auszugehen, dass PoUtiker oder auch BUrokraten eines Bundeslandes bei ihren Flughafenausbauentscheidungen die mit einer Kapazitatserweiterung des im eigenen Land gelegenen Flughafens moghcherweise verbundenen positiven und negativen Auswirkungen auf die Burger in angrenzenden Bundeslandem ohne geeignete institutionelle Sicherungen kaum gleichgewichtig beriicksichtigen wUrden. ^' Die Vorteile einer KompetenzzentraUsierung hangen somit nicht allein vom AusmaB des Koordinationsbedarfs bzw. der Hohe der grenzUberschreitenden Extemahtaten ab, sondem auch von verschiedenen Aspekten (Informationsasymmetrien, Komplexitat, Anpassungsbedarf etc.), die Einfluss darauf haben, ob bzw. in welchem Umfang Koordinationsvorteile auch durch vertragliche Vereinbarungen zwischen dezentralen Gebietskorperschaften realisiert werden konnten.
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Kapitel 2 Grundlagen der Analyse
Zudem kann eine Kompetenzzentralisierung es den staatlichen Entscheidungstragem unter Umstanden erleichtem, eine Reputation dafiir zu erwerben, strategische Vorteile nicht zu Lasten der von ihr Abhangigen auszunutzen, und dadurch mogliche Unterinvestitionsgefahren als Folge von Bindungs- bzw. Zeitinkonsistenzproblemen verringem. Eine Kompetenzzentralisierung erweitert namlich den raumlichen Zustandigkeitsbereich der Entscheidungsinstanz und damit die Zahl „ahnlicher" Entscheidungssituationen, so dass diese die Riickwirkungen jeder Einzelentscheidung auf eine vergleichsweise groBere Zahl von Akteuren bzw. Situationen beachten muss. Mogliche volkswirtschaftlich negative Folgewirkungen eines Vertrauensbruchs - etwa in Form von Investitionszuriickhaltung der von ihren Entscheidungen abhangigen Unternehmen - haben deshalb vergleichsweise groBere Auswirkungen als bei dezentraler Kompetenzzuweisung. Dies kann sich disziplinierend auf das Verhalten staatlicher Entscheidungsinstanzen auswirken (Wolf 2003: 210 f.). Allerdings kann sich die Zentralisierung von Entscheidungskompetenzen diesbeziiglich auch als kontraproduktiv erweisen, da sie die Abwanderungsmoghchkeiten der von staatlichen Entscheidungen Betroffenen und damit zugleich die von einer drohenden Abwanderung ausgehende Disziplinierungswirkung zumindest reduziert, so dass opportunistisches Verhalten fiir eine zentrale Entscheidungsinstanz mit geringeren Opportunitatskosten verbunden und somit ceteris paribus lohnender ware. Fiir eine Zentralisierung konnen schlieBlich auch mogliche Kostenersparnisse seitens der offentlichen und privaten Akteure sprechen. Sowohl beim Entwurf als auch bei der Implementierung und Durchsetzung von Regeln und politischen Einzelfallentscheidungen und insbesondere beim Erwerb und bei der Bereitstellung der hierfiir notwendigen Fachkompetenz konnen GroBenvorteile bestehen, die sich im Falle einer Zentralisierung besser ausschopfen lassen. Insgesamt lasst sich aus den Ergebnissen der Diskussion kein eindeutiges Urteil iiber die relative Vorteilhaftigkeit einer zentralen gegeniiber einer dezentralen Kompetenzallokation ableiten. Letztendlich hangt die angemessene Kompetenzzuordnung von der Bedeutung der verschiedenen, mit den jeweiligen Alternativen verbundenen Vor- und Nachteile bei der Erfullung einzelner offentlicher Aufgaben ab. Entsprechend dem Subsidiaritatsprinzip sollte dabei im Zweifelsfall jedoch einer Dezentralisierung von Kompetenzen der Vorzug vor einer Zentralisierung gegeben werden. Die Verantwortung fiir eine Aufgabe und die fiir ihre Erfiillung erforderlichen Kompetenzen sollten also der jeweils untersten der dafiir grundsatzlich geeigneten foderalen Einheiten iibertragen werden. Eine Verlagerung der Kompetenzen auf eine zentrale (iibergeordnete) Ebene sollte nur dann erwogen werden, wenn klar abzusehen ist, dass die dezentrale (nachgeordnete) Ebene nicht in der Lage ist, die Aufgabe befriedigend zu erfiillen, und eine Zentralisierung eindeutige Vorteile bietet. Dem liegt die Erfahrung zu Grunde, dass die theoretischen Vorteile von Zentralisierung, Koordina-
2.5 Zusammenfassung
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tion und (staatlicher) Planung oft iiberschatzt werden und sich allzu oft empirisch nicht manifestieren, wahrend die Vorteile von Dezentralisierung, Wettbewerb und Differenzierung a priori oft eher unterschatzt werden.
2.5
Zusammenfassung
Der effiziente Ausbau der Flughafeninfrastruktur stellt ein ausgesprochen komplexes (multilaterales) Koordinationsproblem dar und ist als solches mit hohen Transaktionskosten und mit Opportunismusproblemen behaftet. Hierzu tragen insbesondere die Vielzahl der Betroffenen und die Heterogenitat ihrer Interessen, die Langlebigkeit und Spezifitat von Investitionen in Flughafenanlagen sowie vielfaltige InformationsunvoUkommenheiten vor allem bezuglich der Folgeeffekte von FlughafenausbaumaBnahmen bei. Diese Probleme lassen sich durch geeignete institutionelle Regelungen zwar reduzieren, aber nicht voUig beseitigen, so dass gemessen an der neoklassischen erstbesten Losung nicht alle potentiellen Koordinationsgewinne reaUsiert werden konnen. AUerdings sind bestimmte Arrangements mit geringeren Transaktionskosten (i.w.S.) verbunden als andere, so dass von der Wahl des konkreten institutionellen Arrangements Effizienzwirkungen ausgehen. Vor diesem Hintergrund ist dasjenige institutionelle Arrangement als effizient zu betrachten, das die Transaktionskosten im weiten Sinn minimiert, also die Kosten, die durch die Abweichung der tatsachlich erzielten von einer erstbesten Losung entstehen. Dabei hangt die Effizienz eines institutionellen Arrangements maBgeblich von dessen Fahigkeit ab, die (im konkreten Fall) wichtigsten Opportunismusgefahren zu begrenzen, ohne zugleich die Moglichkeiten, relevante Informationen der Transaktionspartner zu nutzen und Entscheidungen bzw. Handlungsrestriktionen in langfristigen Beziehungen den sich andemden Umfeldbedingungen anzupassen, allzu sehr zu beschranken. Angesichts der groBen Zahl der durch exteme Effekte des Flughafenbetriebs Betroffenen und der durch die asymmetrische Verteilung dieser Effekte verursachten Interessenkonflikte fiihren die mit privaten Verhandlungen verbundenen Blockademoglichkeiten Einzelner in Verbindung mit einer Reihe problemspezifischer Transaktionsprobleme dazu, dass private Vereinbarungen zur Flughafeninfrastrukturentwicklung mit extrem hohen - in der Regel wohl prohibitiven Transaktionskosten verbunden waren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch volkswirtschaftlich eigentlich rentable Flughafeninfrastrukturprojekte scheitern lassen wurden. Die (spezifischen) Transaktionskosten, mit denen rein private Verhandlungen belastet waren, lassen sich grundsatzlich durch institutionelle Alternativen verringem, die eine aktivere RoUe des Staates im Entscheidungsprozess vorsehen
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Kapitel 2 Grundlagen der Analyse
und private Verhandlungen und Vereinbarungen ganz oder zumindest teilweise durch hoheitliche, d.h. politische und/oder blirokratische Entscheidungsprozesse ersetzen. Allerdings sind diese institutionellen Altemativen mit eigenen Problemen behaftet, die sich insbesondere aus den spezifischen Anreizstrukturen ergeben, denen staatliche Entscheidungstrager unterliegen. Diese wiederum unterscheiden sich je nach Art und Ausgestaltung der hoheitlichen Entscheidungsverfahren. Im Fall direkt-demokratischer Entscheidungen haben die einzelnen Burger nur einen geringen Anreiz, Kosten aufzuwenden, um sich liber die nutzenrelevanten Konsequenzen unterschiedlicher Politikaltemativen zu informieren. Direktdemokratische Entscheidungen sind deshalb oftmals insensitiv gegeniiber relevanten EinflussgroBen, von denen die volkswirtschafdiche Rentabilitat geplanter Flughafeninfrastrukturprojekte abhangt. Direkt-demokratische Abstimmungen generieren zudem keine Informationen liber individuelle Praferenzintensitaten, die flir die volkswirtschaftliche Vorteilhaftigkeit eines zur Abstimmung stehenden Projekts jedoch entscheidend sind. Ohne zusatzliche institutionelle Sicherungen kann zudem nicht ausgeschlossen werden, dass von der Entscheidung der Mehrheit unter Umstanden sogar ganz erhebliche negative Externalitaten auf eine Minderheit ausgehen („Tyrannei der Mehrheit"). Diese Moglichkeit scheint im Fall direkt-demokratischer Entscheidungen liber Fragen einer Flughafenkapazitatserweiterung und -nutzung angesichts der dort vorherrschenden Interessenkonflikte von erheblicher praktischer Relevanz. Ein weiteres Problem direktdemokratischer Entscheidungsverfahren, das gerade im Bereich der Flughafenpolitik von potentiell erheblicher Bedeutung ist, resultiert daraus, dass sich die heutige Mehrheit hinsichtlich ihres Abstimmungsverhaltens bei zuklinftigen Abstimmungen nicht binden kann. Insbesondere kann sie nicht glaubhaft ausschlieBen, dass sie Abhangigkeiten aufgrund realisierter Infrastrukturinvestitionen in Zukunft opportunistisch ausnutzt, etwa indem sie Nutzungsbeschrankungen oder Entschadigungspflichten des Flughafenunternehmens nachtraglich erheblich verscharft. Die aus entsprechenden Bindungs- bzw. Zeitinkonsistenzproblemen flir den potentiellen Investor resultierenden Risiken konnen volkswirtschaftlich sinnvolle Infrastrukturinvestitionen verhindern. Einige Probleme direkt-demokratischer Entscheidungen lassen sich durch eine Delegation der Entscheidungen an gewahlte Politiker oder politisch unabhangige Behorden zumindest entscharfen. So verfugen gewahlte oder ernannte Reprasentanten als Spezialisten flir politische Entscheidungen eher als normale Burger liber die Erfahrung, das Urteilsvermogen und die Information, die fur effiziente Entscheidungen erforderlich sind. Zudem eroffnet die Entscheidungsdelegation grundsatzlich die Moglichkeit, die Interessen aller Betroffenen und insbesondere auch die Intensitat ihrer Praferenzen bei der Entscheidungsfindung zu berlicksichtigen und Minderheitenrechte und -interessen zu schlitzen und so die Gefahr
2.5 Zusammenfassung
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einer „Tyrannei der Mehrheit" zu mindem. Auch im Hinblick auf die Moglichkeiten einer politischen Selbstbindung zur Vermeidung zeitinkonsistenter Entscheidungen bietet die Entscheidungsdelegation potentiell Vorteile. Die Delegation von Entscheidungskompetenzen an gewahlte politische Vertreter oder an politisch unabhangige Burokraten ist jedoch auch mit spezifischen Problemen verbunden. Diese ergeben sich insbesondere aus den eingeschrankten Kontroll- und Sanktionsmoglichkeiten der Vertretenen gegeniiber ihren Reprasentanten. Ohne geeignete Anreize und Restriktionen besteht die Gefahr, dass die getroffenen Entscheidungen eher die Interessen der politischen oder biirokratischen Entscheidungstrager selbst als die der Burger widerspiegeln. Die Handlungsanreize und -restriktionen von gewahlten Politikern und von Burokraten unabhangiger Behorden unterscheiden sich in mehrerlei Hinsicht voneinander. Diese Unterschiede lassen auf spezifische Vor- und Nachteile im Hinblick auf die Qualitat ihrer Entscheidungen schlieBen, aufgrund derer reprasentativ-demokratische und biirokratische Entscheidungsstrukturen fur jeweils unterschiedliche Arten von Entscheidungen vorteilhaft erscheinen. Als Folge dieser Unterschiede haben Burokraten - vor allem bei Sachfragen technischer Natur, bei denen nicht nur die Entscheidung selbst, sondern auch deren nachtragliche Bewertung durch AuBenstehende spezifische technische Expertise erfordert - starkere Anreize zum Informationserwerb als Politiker. Da Aufgabe und Zielsetzung von Burokraten vorab festgeschrieben werden und eine gewisse Persistenz haben, erhalt ihr Verhalten zugleich eine gewisse Starrheit. Im Vergleich zur groBeren Flexibilitat politischer Entscheidungen kann dies je nach Situation sowohl vorteilhaft als auch nachteilig sein: Sind die Praferenzen der Wahler iiber verschiedene Ziele oder die Gewichtung verschiedener Aufgaben a priori unsicher und verandern sich diese im Zeitablauf, so fuhrt diese Starrheit dazu, dass biirokratische Entscheidungstrager oftmals Ziele verfolgen werden, die nicht den aktuellen Interessen der Burger entsprechen. Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zu den Entscheidungen gewahlter Politiker, die sich - vor allem kurz vor Wahlen - an den jeweils aktuellen Wahlerpraferenzen orientieren. Die relative Starrheit im Verhalten der Burokraten ist allerdings keineswegs immer ein Nachteil fiir die Effizienz der Entscheidungen. So sind biirokratische Entscheidungen gerade wegen dieser Starrheit wesentlich weniger anfallig fiir Zeitinkonsistenzprobleme und fiir eine Vernachlassigung der langerfristigen Konsequenzen einer hoheitlichen Entscheidung relativ gegeniiber deren kurzfristigen Effekten als politische Entscheidungen. Dariiber hinaus ermoglicht die Delegation von Entscheidungen an Biirokraten einen besseren Schutz von Minderheiteninteressen bzw. -rechten vor der „Tyrannei der Mehrheit", als dies bei reprasentativ-demokratischen oder gar direkt-demokratischen Entscheidungsverfahren moglich ist. Auch die Moglichkeiten, eine einseitige Beeinflussung bzw. Vereinnahmung der Entscheidungen durch spezifische In-
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Kapitel 2 Grundlagen der Analyse
teressen durch geeignete institutionelle Sicherungen zu begrenzen, unterscheiden sich zwischen biirokratischen und politischen Entscheidungstragem. Insbesondere bestehen im Fall biirokratischer Entscheidungen bessere Moglichkeiten, das Risiko einer Vereinnahmung der Entscheidungstrager durch spezifische Gruppeninteressen durch geeignete, der konkreten Entscheidungsaufgabe angepasste inhaltliche und prozedurale Entscheidungsregeln zu begrenzen. AUerdings verursacht eine verstarkte Regelbindung Transaktionskosten anderer Art - insbesondere Kosten der Inflexibilitat -, die gegen die Vorteile einer geringen Vereinnahmungsgefahr abzuwagen sind. Insgesamt folgt aus den hier skizzierten theoretischen tJberlegungen, dass biirokratische Entscheidungen reprasentativ-demokratischen gegeniiber dort tendenziell iiberlegen sind, wo gute Entscheidungen spezialisierte Fahigkeiten und umfangreiche Investitionen in spezifische Informationen erfordern (und auch die nachtragliche Leistungsbewertung technische Expertise verlangt), wo den Praferenzen der Burger entsprechende Ziele und Leistungskriterien fur den Entscheidungstrager ex ante gut beschrieben werden konnen und iiber die Zeit relativ stabil sind und/oder wo der Vermeidung von zeitinkonsistenten oder kurzsichtigen Entscheidungen sowie dem Schutz von Minderheiteninteressen eine besondere Bedeutung zukommt. AUerdings ware in solchen Fallen eine Delegation an gewahlte Politiker direkt-demokratischen Entscheidungsverfahren gegeniiber immer noch vorzuziehen. Neben der horizontalen Zuordnung von Entscheidungskompetenzen etwa zwischen Politikem und Btirokraten ist auch die vertikale Kompetenzverteilung zwischen verschiedenen foderalen Ebenen des Staates (Bund und Landem oder auch Kommunen) fiir die Hohe der insgesamt anfallenden Transaktionskosten und damit fUr die Effizienz hoheitlicher Entscheidungen iiber FlughafenausbaumaBnahmen von Bedeutung. Die Vorteile einer dezentralen Kompetenzzuordnung beziehen sich wesentlich auf die bessere Information dezentraler politischer Akteure und eine bessere Politikdifferenzierung sowie auf bessere Experimentier- und Lernmoglichkeiten in dezentralen Systemen. Dagegen kann eine Kompetenzzentralisierung vor allem dann von Vorteil sein, wenn die von Politikern oder Behorden auf einer unteren foderalen Ebene getroffenen Entscheidungen erhebliche, die raumlichen Grenzen ihrer Verantwortungsbereiche iiberschreitende Effekte haben oder wenn eine effiziente Politik bei dezentralen Entscheidungen eine weitgehende Koordinierung oder Harmonisierung der Politiken der regionalen Gebietskorperschaften erfordert. Fiir eine Zentralisierung konnen auch mogliche Kostenerspamisse durch die Ausschopfung von GroBenvorteilen seitens der offentlichen und privaten Akteure sprechen. Insgesamt lasst sich aus den Ergebnissen der bisher vorgetragenen Diskussion kein eindeutiges Urteil iiber die relative Vorteilhaftigkeit einer zentralen gegeniiber einer dezentralen Kompetenzallokation ableiten. Letztendlich hangt die angemessene foderale
2.5 Zusammenfassung
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Kompetenzzuordnung von der Bedeutung der verschiedenen, mit den alternativen Kompetenzzuordnungen jeweils verbundenen Vor- und Nachteile bei der ErfUllung der einzelnen hoheitlichen Aufgaben ab. Entsprechend dem Subsidiaritatsprinzip soUte dabei im Zweifelsfall jedoch einer Dezentralisierung von Kompetenzen der Vorzug vor einer Zentralisierung gegeben werden. Die in diesem Kapitel aus theoretischen LFberlegungen abgeleiteten Tendenzaussagen zu den relativen Vorteilen altemativer horizontaler und vertikaler Zuordnungen hoheitlicher Entscheidungskompetenzen werden im nachsten Kapitel mit den empirischen Erfahrungen konfrontiert, die in verschiedenen Landern mit unterschiedliehen institutionellen Rahmenregelungen bei der Entscheidung iiber groBe Infrastrukturprojekte gemacht warden.
Planungs- und Durchsetzungsprozesse im intersektoralen und internationalen Vergleich In diesem Kapitel werden anhand konkreter Fallbeispiele die Erfahrungen analysiert, die mit unterschiedlichen institutionell-rechtlichen Rahmenbedingungen fiir die Infrastrukturpolitik in Deutschland sowie auch in England und in der Schweiz hinsichtlich der Durchsetzung von groBen Infrastrukturvorhaben gemacht wurden. Auf diese Weise sollen Erkenntnisse dariiber gewonnen werden, wie sich alternative institutionelle Arrangements in der Praxis auf die Planung und Durchsetzung solcher Infrastrukturprojekte auswirken. Zunachst werden die Erfahrungen ausgewertet, die mit dem Rechtsrahmen in Deutschland gesammelt werden konnten (Abschnitt 3.1). AnschlieBend wird die Untersuchung auf die Flughafensektoren der beiden anderen Lander ausgedehnt (Abschnitt 3.2). SchlieBlich werden die verschiedenen Erfahrungen, die mit den unterschiedlichen nationalen planungs- und genehmigungsrechtlichen Ansatzen jeweils gewonnen werden konnten, miteinander verglichen und erste Schlussfolgerungen hinsichtlich der Anforderungen, denen ein geeignetes institutionelles Arrangement geniigen muss, abgeleitet (Abschnitt 3.3).
3.1
GroBe Infrastrukturprojekte in Deutschland
Die in der Bundesrepublik mit der Realisierung von groBen Infrastrukturvorhaben verbundenen Planungs- und Durchsetzungsprozesse sind in ein umfangreiches rechtliches Regelwerk eingebettet, das bis etwa Ende der achtziger Jahre immer wieder durch zusatzliche Bestimmungen erweitert und erganzt wurde."^^ Mit zunehmender Regelungsdichte gestalteten sich auch die staatlichen Genehmigungsverfahren immer schwerfalliger und zeitintensiver, wahrend die offentliche Akzeptanz von InfrastrukturausbaumaBnahmen in den davon unmittelbar betroffenen Regionen allgemein gering und das Widerstandspotential hoch blieb. Angesichts dieser insbesondere von der Politik und den Tragem von Infrastrukturprojekten als unbefriedigend empfundenen Situation wurde seit Anfang der neunziger Jahre mehrfach versucht, das Planungs- und Genehmigungsrecht zu vereinfachen, indem auf bestimmte Priiftatbestande verzichtet und die Verfahrensablaufe gestrafft wurden. Verschiedentlich wurden auch Versuche unter^^ Das einschlagige Regelwerk wurde zuletzt mit In-Kraft-Treten des Gesetzes iiber die Umweltvertraglichkeitsprufung vom 12. Februar 1990 (BGBL 1990 I: 205) urn zusatzliche Priiftatbestande erweitert.
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland
47
nommen, die offentliche Akzeptanz von InfrastrukturausbaumaBnahmen - bei grundsatzlich unverandertem Rechtsrahmen - durch verfahrensmaBige Reformansatze zu erhohen. Im Folgenden werden zunachst die Erfahrungen mit der Durchsetzung von Infrastrukturvorhaben fiir den Flughafensektor ausgewertet (Abschnitt 3.1.1). Im nachsten Schritt wird die Untersuchung um die Erfahrungen erweitert, die mit der Durchsetzung von groBen InfrastrukturmaBnahmen in anderen Sektoren gemacht wurden (Abschnitt 3.1.2).
3.1.1
Flughafeninfrastruktur: Entwicklung des Rechtsrahmens und Konfliktlosungsstrategien
Nach einer Darstellung des traditionellen Rechtsrahmens fiir die InfrastrukturpoUtik und einer Diskussion der Probleme, die sich bei seiner Anwendung im Flughafensektor ergeben haben, wird untersucht, ob die Vereinfachung des Planungs- und Genehmigungsrechts zu Beginn der neunziger Jahre und/oder die bisherigen verfahrensmaBigen Reformansatze dazu beigetragen haben, die mit dem traditionellen Rechtsrahmen verbundenen Probleme zu losen. Der traditionelle Rechtsrahmen Die ausschheBliche Gesetzgebungskompetenz fiir den Luftverkehr - und damit auch fur den Flughafensektor - Hegt in Deutschland beim Bund (Art. 73 Nr. 6 GG). Entsprechend ist die Luftverkehrsverwaltung grundsatzHch in bundeseigener Verwaltung zu fuhren (Art. 87 d Nr. 1 GG). AUerdings hat der Bund gemaB Art. 87 d Nr. 2 GG von der Moglichkeit Gebrauch gemacht, die Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung auf die Lander zu ubertragen. Somit nehmen die Lander in Auftragsverwaltung fiir den Bund luftverkehrsrechtHche Planungs- und Genehmigungskompetenzen wahr (§31 Abs. 2 LuftVG). Der durch den traditionellen Rechtsrahmen vorgegebene Planungs- und Genehmigungsprozess fiir Flughafeninfrastrukturanlagen stellt sich als mehrstufiges Entscheidungsverfahren dar, das fiir alle Flughafen, die die Voraussetzungen eines Flughafens oder Landeplatzes mit beschranktem Bauschutzbereich nach § 17 LuftVG erfiillen, grundsatzlich aus • dem Raumordnungsverfahren (einschlieBlich Umweltvertraglichkeitspriifung) gemaB § 6 Abs. 1-2 LuftVG, • der luftrechtlichen Genehmigung gemaB § 6 LuftVG sowie • der luftrechtUchen Planfeststellung gemaB § 8 LuftVG
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Kapitel 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse
besteht.^^ Auf eine Planfeststellung kann allerdings verzichtet werden, sofem es sich bei den geplanten Infrastrukturanlagen um Vorhaben von „unwesentlicher Bedeutung" handelt (§ 8 Abs. 2 LuftVG). Falle von unwesentlicher Bedeutung liegen insbesondere dann vor, wenn Rechte anderer nicht beeinflusst werden Oder wenn der Kreis der Betroffenen bekannt ist oder ohne ein formliches Anhorungsverfahren ermittelt werden kann und mit den Beteiligten entsprechende Vereinbarungen getroffen werden.^^ Die Planfeststellungspflicht entfallt ebenfalls fiir Flughafen, die die Voraussetzungen fiir einen beschranktem Bauschutzbereich nach § 17 LuftVG nicht erfiillen. In beiden Fallen stellt die luftrechtliche Genehmigung die einzige, letzte und endgiiltige Rechtsgrundlage fiir die Anlage und den Betrieb eines Flughafens dar (Bidinger 1996: 30). Das Raumordnungsverfahren Das Raumordnungsverfahren dient der Klarung und Beriicksichtigung konkurrierender ojfentlicher Belange im Genehmigungsprozess. Zweck ist die Beantwortung der Frage, ob die (bzw. welche der altemativ) vom Vorhabentrager in Aussicht genommenen Standorte zur Realisierung des angestrebten Vorhabens geeignet sind. Konkret werden die vom Projekttrager eingereichten Planungsvarianten durch die hierfur zustandige Landesbehorde auf ihre Raum- (z.B. Siedlungsentwicklung) und Umweltvertraglichkeit gepriift. Das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens ist bei der spater vorzunehmenden Planfeststellung zu beriicksichtigen, hat gegeniiber der Planfeststellungsbehorde aber keine rechtlich bindende Wirkung (Hermann 1994: 218 ff.). Das Raumordnungsverfahren stellt sich als verwaltungsinterner Abstimmungsprozess unter Einbeziehung der Bundes- und Landesbehorden, deren Aufgabenbereich durch das Infrastrukturvorhaben beriihrt wird, sowie der von dem Vorhaben direkt betroffenen Gemeinden dar. Projektbetroffene Burger sind indirekt in das Verfahren einzubinden: Die involvierten Gemeinden sind verpflichtet, die zu prlifenden Planungen zur offentlichen Einsicht auszulegen und Einwendungen von direkt Betroffenen entgegenzunehmen. Die Gemeinden selbst konnen dann diese Einwendungen im eigentlichen Verfahrensprozess gegeniiber
^^ Die Feststellung der Voraussetzungen fUr einen begrenzten Bauschutzbereich liegt bei den Landesluftfahrtbehorden. Die Voraussetzungen sind erfullt, wenn die zustandige Luftfahrtbehorde die Erteilung von Baugenehmigungen im Umkreis von 1,5 km um den Flughafenbezugspunkt an ihre Zustimmung bindet (§17 LuftVG). Derzeit erfiillen alle Verkehrsflughafen diese Voraussetzungen. ^^ LuftVG in der zum 1. Februar 1991 gultigen Fassung. Die Definition eines Vorhabens als „von unwesentlicher Bedeutung" i.S. des § 8 Abs. 2 LuftVG wurde im Zuge der Verabschiedung des Planungsvereinfachungsgesetzes, auf das noch detailliert zuriickzukommen sein wird, modifiziert (BGBl. 1993 I: 2123).
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland der zustandigen Landesbehorde vorbringen (Rechtsanwalte Baumann, Kriiger, Eidinger oJ.). Das Raumordnungsverfahren endet mit einer landesplanerischen Beurteilung des beantragten Infrastrukturvorhabens. Diese Beurteilung kann weder von Privatpersonen noch von Gemeinden verwaltungsgerichtlich angegriffen werden (Hermann 1994: 222).5l Die luftrechtliche Genehmigung Gegenstand der luftrechtlichen Genehmigung sind die Anlage und der Betrieb eines Flugplatzes als Flughafen des allgemeinen Verkehrs („Verkehrsflughafen") Oder als Flughafen flir besondere Zwecke („Sonderflughafen") (§ 6 LuftVG i.V.m. § 38 LuftVZO). Die Genehmigung kann mit Auflagen verbunden und befristet werden (§ 6 Abs. 1 LuftVG). Priifungsgegenstand der Genehmigung ist insbesondere, ob das Vorhaben „ ... den Erfordernissen der Raumordnung und Landesplanung entspricht und ob die Erfordernisse des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie des Stadtebaus und der Schutz vor Fluglarm angemessen beriicksichtigt sind" (§ 6 Abs. 2 LuftVG). Bei der Priifung ist das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens zu beriicksichtigen. Die luftrechtliche Genehmigung ist zu versagen, wenn „ ... das in Aussicht genommene Gelande ungeeignet (ist) oder ... Tatsachen die Annahme (rechtfertigen), dass die offentliche Sicherheit und Ordnung gefahrdet wird" (§ 6 Abs. 2 LuftVG). Sie ist auBerdem zu versagen, wenn durch die Anlegung und den Betrieb des beantragten Flughafens „ ... die offentUchen Interessen in unangemessener Weise beeintrachtigt werden" (§ 6 Abs. 3 LuftVG). Eine bereits erteilte „ ... Genehmigung ist zu erganzen oder zu andern, wenn dies nach dem Ergebnis des Planfeststellungsverfahrens (§§ 8-10 LuftVG) notwendig ist" oder wenn die „ ... Anlage oder der Betrieb des Flughafens wesentlich erweitert oder geandert werden soil" (§ 6 Abs. 4 LuftVG).52 Zustandig flir die Erteilung der luftrechtlichen Genehmigung sind grundsatzlich die Lander im Auftrag des Bundes (§31 Abs. 2 LuftVG). Die Genehmigung wird grundsatzlich von der Luftfahrtbehorde des Landes erteilt, in dem das in
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Eben darin manifestiert sich der verwaltungsinteme Charakter des Raumordnungsverfahrens (Hermann 1994: 222). Eine erteilte Genehmigung ist zuriickzunehmen, wenn die Voraussetzungen fur ihre Erteilung nicht vorgelegen haben. Sie ist zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen fiir ihre Erteilung nachtraglich nicht nur voriibergehend entfallen sind. Sie kann widerrufen werden, wenn die erteilten Auflagen nicht eingehalten werden (§ 48 Abs. 1 LuftVZO).
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Planungs- und Durchsetzungsprozesse
Aussicht genommene Flughafenareal liegt (§ 39 Abs. 1 LuftVZO).^^'^^ Allerdings konnen die Lander nicht daruber entscheiden, ob durch die Genehmigung „... offentliche Interessen des Bundes..." beriihrt werden (§ 31 Abs. 2), die gegebenenfalls eine Genehmigung nach der allgemeinen MaBgabe des § 6 Abs. 2 LuftVG ausschliefien konnen.^^ Der Bundesminister fur Verkehr ist ermachtigt, im Einverstandnis mit dem Minister des Innem und mit Zustimmung des Bundesrats Rechtsverordnungen zur Durchfuhrung von SicherheitsmaBnahmen nach §§ 19b und 20a LuftVG zu erlassen (§32 Abs. 2a LuftVG).^^ Die luftrechtliche
Planfeststellung
An die luftrechtHche Genehmigung schlieBt sich im traditionellen Genehmigungsprozess das Planfeststellungsverfahren gemaB § 8 LuftVG an. Zielsetzung der Planfeststellung ist die Einpassung des Verkehrsflughafens als raum- bzw. bodenbeanspruchendes Vorhaben in seine Umgebung und die rechtsgestaltende Regelung der dadurch beriihrten offentlich- und privatrechtlichen Beziehungen zwischen dem Flughafenuntemehmer und den Betroffenen durch die von der Landesregierung nach § 10 Abs. 1 LuftVG bestimmte Planfeststellungsbehorde. Im Mittelpunkt der Planfeststellung steht damit die Klarung und Beriicksichtigung der mit den Interessen des Vorhabentragers und offentlichen Belangen kon^^ Welche Stelle Luftfahrtbehorde eines Landes ist, richtet sich nach dem jeweiligen Landesrecht. In aller Regel sind es die Landesverkehrsministerien (Bidinger 1996: 30). ^^ Erstreckt sich das Gelande oder der Bauschutzbereich auf mehrere Lander, so ist die Luftfahrtbehorde desjenigen Landes, in dem der uberwiegende Teil des Gelandes liegt, Genehmigungsbehorde. Die Genehmigung bedarf dann der Zustimmung der Luftfahrtbehorden der beteiligten Lander (§ 39 Abs. 2 LuftVZO). ^^ Die „offentlichen Interessen des Bundes" werden im Luftverkehrsgesetz nicht naher spezifiziert. Die Beantwortung der Frage, ob im konkreten Fall durch die Anlegung und den Betrieb eines Flughafens offentliche Interessen des Bundes beriihrt wiirden, die gegebenenfalls eine Genehmigung ausschlieBen konnten, erfolgt erforderlichenfalls auf Grund einer gutachterlichen Stellungnahme der fiir die Flugsicherung zustandigen Stelle (derzeit: Deutsche Flugsicherung GmbH/ehemalige Bundesanstalt fur Flugsicherung) (§ 31 Abs. 3 LuftVG). ^^ § 19b LuftVG verpflichtet die Betreiber von Verkehrsflughafen, (i) die baulichen Anlagen auf dem Flughafengelande so zu gestalten, dass die erforderliche bauliche und technische sowie die sachgerechte Durchfuhrung der personellen Sicherungsund SchutzmaBnahmen und die Kontrolle der nicht allgemein zuganglichen Bereiche ermoglicht werden; (ii) Post, aufgegebenes Gepack, Fracht und Versorgungsgiiter sicher zu transportieren; (iii) nicht allgemein zugangliche Bereiche und Anlagen vor unberechtigtem Zugang zu sichern; und (iv) Luftfahrzeuge, die Gegenstand von Bedrohungen (insbesondere von Bombendrohungen) sind, auf Sicherheitspositionen zu verbringen und die Entladung sowie die Ver- und Entsorgung der Luftfahrzeuge durchzufiihren. § 20a LuftVG verpflichtet die Luftverkehrsuntemehmen zu analogen Sicherheits- und SicherungsmaBnahmen.
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland kurrierenden privaten Belange im Genehmigungsprozess durch die Planfeststellungsbehorde. Der Planfeststellung kommt Konzentrationswirkung zu, d.h., sie ersetzt alle anderen nach Rechtsvorschriften notwendigen offentlich-rechtlichen Genehmigungen, Verleihungen, Erlaubnisse und Zustimmungen (§9 Abs. 1 LuftVG).^^ Im Planfeststellungsbeschluss sind dem Flughafenunternehmer die Errichtung und die Unterhaltung der Anlagen aufzuerlegen, die fur das „... offentliche Wohl oder zur Sicherung der benachbarten Grundstucke gegen Gefahren oder Nachteile notwendig sind" (§ 9 Abs. 2 LuftVG). Konkret wird im Planfeststellungsverfahren nach erneuter tJberprufung des fur das Infrastrukturprojekt beantragten Standorts und unter Berticksichtigung des Ergebnisses des Raumordnungsverfahrens eine verbindliche Entscheidung iiber die Zulassigkeit der Errichtung der beantragten Anlagen und der vom Projekttrager gegebenenfalls zum Schutz rechtsrelevanter offentlicher und privater Belange zu erfuUenden Schutzvorkehrungen getroffen (Hermann 1994: 218, 239). Die Umweltvertraglichkeit ist nochmals und speziell fur den fur das Vorhaben beantragten Standort zu untersuchen (§ 8 Abs. 1 LuftVG).^^ Voraussetzung der Planfeststellung ist die vorherige offentliche Anhorung der davon Betroffenen durch eine Anhorungsbehorde. Diese hat samtliche durch das Neu- Oder Ausbauvorhaben betroffenen privaten und offentlichen Belange von Relevanz aufzunehmen und der eigentlichen Planfeststellungsbehorde zuzuleiten.^^ Die Planfeststellungsbehorde muss im Rahmen ihrer Entscheidung iiber das beantragte Vorhaben die konkurrierenden Belange gegeneinander abwagen sowie mit ihrem Beschluss bestmoglich zum Ausgleich bringen (Bidinger 1996: 31). Letzteres bedeutet vor allem, dass sie den Flughafenunternehmer fiir den Bau und den Betrieb der beantragten Infrastrukturanlagen auf besondere und von ihr nach MaBgabe des Einzelfalls festzulegende Bau- und Betriebsbestimmungen zu verpflichten hat, die zur Gewahrleistung des in § 9 Abs. 2 LuftVG geforderten Schutzes des offentlichen Wohls und der benachbarten Grundstucke gegen Ge^^ Ausgenommen von der Konzentrationswirkung sind lediglich die Zustandigkeit des Bundesverkehrsministeriums fiir die vom ihm gegebenenfalls festzustellende Notwendigkeit der Einrichtung von Flugsicherungseinrichtungen und die Zustandigkeit der fiir die erforderlichen Baugenehmigungen zustandigen Behorden (§9 LuftVG). ^^ Vgl. hierzu auch die Darstellung des Planfeststellungsprozesses in Fraport (o.J.). 59 Anhorungs- und Planfeststellungsbehorde konnen, miissen aber nicht identisch sein. Sie werden im konkreten Fall beide von der Regierung des Landes, innerhalb dessen das fragliche Gelande liegt, bestimmt (§10 Abs. 1-2 LuftVG). So sind beispielsweise im Fall des geplanten Neubaus der vierten Landebahn des Flughafens Frankfurt/M. das Regierungsprasidium Darmstadt Anhorungs- und das Hessische Ministerium fiir Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung Planfeststellungsbehorde. Im Fall des beabsichtigten Ausbaus des Berliner Flughafens Schonefeld fungierten das brandenburgische Landesamt fiir Bauen, Verkehr und StraBenwesen als Anhomngsund das Ministerium fiir Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg als Planfeststellungsbehorde.
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fahren und Nachteile notwendig sind. Von besonderer Bedeutung ist diesbeziiglich der Schutz vor Fluglarm (Hermann 1994: 253, 259 ff.; Bidinger 1996: 31). Allerdings fehlen gesetzlich normierte Grenzwerte fur die maximal zulassigen Umweltbelastungen, die vom Flughafenunternehmer zwingend einzuhalten sind (bzw. deren Uberschreitung zwingend Schadenersatzanspriiche der negativ Betroffenen begriindet); dies verursacht zusatzliche Unsicherheit hinsichtlich der angemessenen Berucksichtigung von Larmschutzerfordemissen.^^ Die Planfeststellungsbehorde besitzt bei ihren Abwagungsentscheidungen und insbesondere auch bei der Festlegung moglicher Betriebs- oder anderer Schutzauflagen fiir den Flughafenunternehmer einen Ermessensspielraum, der sich aus der Komplexitat und Mehrdimensionalitat des Abwagungsproblems an sich ergibt. Dieser Ermessensspielraum wird lediglich durch die prozedurale Verpflichtung der Planfeststellungsbehorde auf das in § 10 Abs. 2-7 LuftVG normierte Verwaltungsverfahren sowie durch die Einhaltung der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsatze rechtsstaatlicher Planung begrenzt (Hermann 1994: 245 ff.; Bidinger 1996: 31; SRU 2002: 280 ff.). Im Wesentlichen schreibt § 10 Abs. 2-5 und Abs. 7 fiir das durchzufiihrende Verwaltungsverfahren (i) die offentliche Bekanntmachung der zur Genehmigung vorliegenden Plane, (ii) die Anhorung aller durch das beantragte Vorhaben betroffenen Behorden des Bundes, der Lander und Gemeinden und der „ubrigen Beteiligten",^^ (iii) die Erorterung aller gegen das geplante Vorhaben erhobenen Einwendungen sowie (iv) die Begriindung sowohl der Planfeststellung als auch der Entscheidungen iiber die Einwendungen vor.^^ Anhorung und Erorterung stellen den formellen Kern des Planfeststellungsverfahrens dar (Hermann 1994: 246). In den Fallen, in denen zwischen der Anhorungsbehorde und den Einwendern keine einvernehmliche Einigung iiber die InfrastrukturmaBnahme erzielt werden kann, wird iiber die Einwendungen in der Planfeststellung entschieden (§10 Abs. 5 LuftVG). Sofem offentliche Interessen beriihrt werden, die in die Zustandigkeit von Bundesbehorden oder von im Auftrag des Bundes tatigen Behorden fallen, und keine Verstandigung zwischen der Planfeststellungsbehorde und diesen Behorden zustande kommt, hat die Planfeststellungsbehorde im Benehmen mit dem Bundesminister fiir Verkehr zu entscheiden (§10 Abs. 6 LuftVG). ^^ Vgl. dazu detailliert die spater folgenden Ausfiihrungen in diesem Abschnitt (vgl. S. 61f.). ^^ Die Gruppe der „ubrigen Beteiligten" ist im LuftVG nicht naher spezifiziert. Faktisch handelt es sich hierbei nicht allein um Privatpersonen, sondem auch um Untemehmen (z.B. Luftverkehrsgesellschaften, Expressdienste, andere Transportuntemehmen), die von dem beantragten Infrastrukturvorhaben betroffen sind. ^^ Fiir die ersten drei Verfahrensstufen sind in § 10 Abs. 2-5 und Abs. 7 LuftVG jeweils zeitliche Fristen vorgegeben.
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland Die Grundsdtze rechtsstaatlicher Planung folgen aus (Hermann 1994: 245 ff.; Bidinger 1996: 31) • dem Erfordemis einer Planrechtfertigung, • den gesetzlichen Planungsleitsatzen sowie vor allem • den Anforderungen des sich auf Abwagungsvorgang und Abwagungsergebnis erstreckenden Abwagungsgebots und • dem Problembewaltigungsgebot. Das Erfordemis der Planrechtfertigung verlangt, dass das beantragte Infrastrukturprojekt uberhaupt geeignet und „vernunftigerweise geboten" (Hermann 1994: 247) sein muss, um offentliche Planungs- und Entwicklungsziele zu verwirklichen.^^ Zur Feststellung der Planrechtfertigung kommt es noch nicht darauf an, die fiir das Vorhaben sprechenden offentlichen gegen die konkurrierenden privaten Interessen abzuwagen. Es geniigt festzustellen, dass die offentlichen Interessen - wie beispielsweise die Befriedigung eines erhohten Mobilitatsbediirfnisses der Bevolkerung - generell geeignet sind, entgegenstehende Rechtspositionen - wie beispielsweise den individuellen Schutz vor Fluglarmbelastungen - zu uberwinden (Hermann 1994: 247 ff.).^^ Unter Planungsleitsatzen versteht das Bundesverwaltungsgericht solche Vorschriften, die fiir die Planung strikte Beachtung verlangen und somit nicht durch planerische Abwagung uberwunden werden konnen. Beispielsweise muss - in Analogic zur luftrechtlichen Genehmigung nach § 6 Abs. 2 LuftVG - sichergestellt sein, dass die Erfordemisse des Larmschutzes angemessen beriicksichtigt sind (Hermann 1994: 253). Das Abwdgungsgebot erfordert gemaB der standigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Planfeststellungsbehorde (i) samtHche abwagungserheblichen offentlichen und privaten Belange ermittelt, (ii) diese ihrer Bedeutung nach bewertet und (iii) einen Ausgleich zwischen diesen in einer Weise vomimmt, die „ ... zur objektiven Gewichtung der Belange in Verhaltnis steht" (BVerwG 1978).^^ Zu den abwagungserhebHchen Belangen zahlt insbesondere die Belastigung durch Fluglarm (Hermann 1994: 259, 262). Das Abwagungsgebot stellt den materiellen Kern der Planfeststellung dar (Bidinger 1996: 31).
Vgl. zu den entsprechenden Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts FuBnote 190 in Hermann (1994: 247). Vgl. dazu die in Hermann (1994: 248 f) genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu den Erweiterungen der Flughafen Dusseldorf, Frankfurt/M. und Stuttgart. ^^ Zitiert nach Bidinger (1996: 31).
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Es liegt nicht in der Kompetenz der Planfeststellungsbehorde, dariiber zu entscheiden, welche Belange von dem in Rede stehenden Flughafenprojekt betroffen und damit im Abwagungsprozess zu beriicksichtigen sind. Vielmehr hat sie alle Belange luckenlos zusammenzustellen und auf dieser Grundlage alle konkurrierenden Belange gegeneinander abzuwagen (Hermann 1994: 257). Zur Erlangung der hierfur notwendigen Informationen sind der Vorhabenplan innerhalb eines Monats in den Gemeinden, die durch das Bauvorhaben betroffen sind, offentlich auszulegen ( § 1 0 Abs. 3 LuftVG) und die gegen den Plan innerhalb von zwei Wochen nach Beendigung der Auslegung schriftlich vorgebrachten Einwendungen offentlich anzuhoren (§ 10 Abs. 4 LuftVG).^^ Als Ergebnis der Erorterungen und der parallel dazu einzuholenden Stellungnahmen der anderen Behorden, deren Aufgabenbereich durch das Projekt beriihrt wird (§ 10 Abs. 2 Ziff. 3 LuftVG), soil die Anhorungsbehorde spatestens einen Monat nach Abschluss der Erorterungen eine Stellungnahme zu dem Projekt gegeniiber der Planfeststellungsbehorde abgeben ( § 7 3 Abs. 9 VwVfG).^^ Das Problembewdltigungsgebot verlangt, dass die Planfeststellungsbehorde alle dem Projekt zurechenbaren Interessenkonflikte vollstandig zu bewaltigen und insbesondere - soweit moglich - einen Ausgleich widerstreitender Interessen herzustellen hat (Bidinger 1996: 31). Zur Erreichung des anzustrebenden Interessenausgleichs hat sie dem Flughafenunternehmer im Planfeststellungsbeschluss die Errichtung und Unterhaltung von solchen Anlagen aufzuerlegen, die fur das offentliche Wohl oder zur Sicherung der Benutzung der benachbarten Grundstucke gegen Gefahren oder Nachteile notwendig sind (§ 9 Abs. 2 LuftVG). Dabei hat sie insbesondere auch jede Larmbelastigung zu beriicksichtigen, die iiber ein als geringfugig einzuschatzendes MaB hinausgeht.^^ Sie kann nach ihrem planerischen Ermessen alle diejenigen MaBnahmen zum Larmschutz festsetzen, die ihr zur Abwehr unverhaltnismaBiger Beeintrachtigungen der Anwohner
^^ Zur offentlichen Anhorung sind gemaB den Bestimmungen des im konkreten Fall geltenden Landesrechts auch Vertreter von gesellschaftlichen Interessengruppen (wie beispielsweise Umweltschutzverbanden, Kirchen, Industrie- und Handelskammem) einzuladen und anzuhoren. ^^ Insgesamt sind die gesetzlichen Fristen so bemessen, dass von der Einreichung der Plane durch den Vorhabentrager bei der Anhorungsbehorde bis zu deren Stellungnahme an die Planfeststellungsbehorde etwa 7 Monate vergehen sollen. Diese Frist wird allerdings in aller Regel deutlich uberschritten. So vergingen beispielsweise im Fall des beabsichtigten Ausbaus des Berliner Flughafens Schonefeld allein von der Einreichung der Planunterlagen bei der Anhorungsbehorde bis zum Ende der Erorterungen 21 Monate. Die Abgabe der anhorungsbehordlichen Stellungnahme an die Planfeststellungsbehorde erfolgte erst nahezu weitere 9 Monate spater (Ministerium fiir Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg 2002). ^^ Vgl. dazu die in SRU (2002: 280) zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland geboten erscheinen. Als mogliche SchutzmaBnahmen kommen sowohl MaBnahmen des aktiven wie auch des passiven Larmschutzes in Betracht.^^ Ein gesetzlich einklagbarer Anspruch der Flughafenanlieger auf entsprechende SchutzmaBnahmen ist in den einschlagigen Rechtsnormen nicht vorgesehen,^^ wird allerdings durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann begriindet, wenn in fluglarmbelasteten Gebauden ein maximaler Innenlarmpegel von 55 dB(A) uberschritten wird. Er beschrankt sich dann auf passive SchallschutzmaBnahmen (SRU 2002: 281 f.). Nur wenn passiver Schallschutz nicht geeignet ist, Larmbelastungen unter das vorgegebene LarmmaB zu driicken, muss den larmbetroffenen Flughafenanwohnern nach § 74 Abs. 2 VwVfG eine geldHche Entschadigung zugestanden werden (Sommer 2003). Unabhangig vom Planfeststellungsverfahren, aber ebenfalls aus dem Bau und Betrieb eines Flughafens folgend und daher hier kurz zu erwahnen sind moghche weitere Entschadigungsanspriiche, die sich ergeben konnen, wenn entweder Sicherheitsbediirfnisse des Flugbetriebs, wie sie in §§ 12, 14-17 und 18a LuftVG im Mittelpunkt stehen, oder Larmschutzbediirfnisse der Anwohner, die vor allem durch §§ 5-7 FluglarmG geschiitzt werden, von den zustandigen Behorden zum Anlass fiir bauliche Beschrankungen oder die Festsetzung eines Larmschutzbereichs nach § 4 FluglarmG genommen werden. Da beide MaBnahmen entweder die Nutzung von Grundstiicken beeintrachtigen oder Kosten beispielsweise fiir SchallschutzmaBnahmen (§7 FluglarmG) verursachen, losen sie entsprechende Erstattungsanspriiche der Grundstuckseigentumer aus (§§8 und 9 FluglarmG, § 19 LuftVG). Der nach Abschluss des gesamten Verfahrens erreichte Planfeststellungsbeschluss legt die Zulassigkeit und die Art der Durchfiihrung des Flughafenausbaus fest. Gegen den Beschluss steht den davon direkt Betroffenen der Rechtsweg Uber die Verwaltungsgerichte offen. Entsprechende Klagen konnen sich sowohl auf Formfehler im Genehmigungsprozess als auch auf VerstoBe gegen das Abwagungs- und Problembewaltigungsgebot stutzen (Hermann 1994: 329 ff.). Mit erreichter Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses sind alle Unterlassungs-, Anderungs- oder Beseitigungsansprtiche gegen den Vorhabentrager ausgeschlossen, gleichgultig, ob sie aus dem Privatrecht oder aus dem offentUchen Recht hergeleitet werden (§ 9 Abs. 3 LuftVG, § 75 Abs. 2 VwVfG). Treten nach Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses nicht vorherseh69
Aktive LarmschutzmaBnahmen setzen an den Larmemissionen an, passive an den Larmimmissionen. Zu den aktiven MaBnahmen zahlen Betriebsbeschrankungen (wie beispielsweise ein Nachtflugverbot) und Betriebsregelungen (wie beispielsweise bestimmte Anflugverfahren). Zu den passiven MaBnahmen zahlen bauliche Schutzvorkehrungen (wie etwa Larmschutzwande und Schallschutzfenster). 70 Einschlagige Rechtsnormen sind das Luftverkehrsgesetz, das Gesetz zum Schutz gegen Fluglarm und das Bundes-Immissionsschutzgesetz.
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bare nachteilige Wirkungen des Vorhabens auf (z.B. Larmbelastungen), so kann der Betroffene allerdings nachtragliche Schutzvorkehrungen oder gegebenenfalls Entschadigung in Geld verlangen (§ 75 Abs. 2-5 VwVfG). Entsprechende Anspriiche sind im Zweifelsfall auf dem gerichdichem Klageweg durchzusetzen. Probleme der rechtlichen Regelungen und ihre Konsequenzen fur Planung und Durchsetzung von Flughafeninfrastrukturmafinahmen Die aktive Einbeziehung des Staates als Konfliktlosungsinstanz in den Planungsund Entscheidungsprozess hat den Vorteil, dass volkswirtschaftlich vorteilhafte InfrastrukturmaBnahmen nicht zwangslaufig daran scheitern mussen, dass einzelne Betroffene aus strategischen Motiven entsprechende Vorhaben individuell blockieren konnen, wie es im Fall rein privater Verhandlungen zwischen dem jeweiligen Vorhabentrager und den Eigentiimern der benotigten Grundstucke zu erwarten ware. Zudem werden auch mogliche Verhandlungsprobleme vermieden, die sich aus der fehlenden Definition und Zuweisung individueller Umweltnutzungsrechte ergeben konnten. SchlieBlich ermoglichen die Entscheidungsspielraume, die den Planfeststellungsbehorden im Rahmen des von ihnen anzustrebenden Interessenausgleichs zur Verfiigung stehen, zumindest vom Grundsatz her flexible Konfliktlosungen, die der Komplexitat der zu losenden Probleme gerecht werden konnen7^ Allein dadurch werden allerdings die wesentlichen Transaktionsprobleme, mit denen eine effizienzorientierte Flughafeninfrastrukturpolitik konfrontiert ist, nicht gelostJ^ So garantiert der traditionelle Rechtsrahmen keine vollstandige (auch monetare) Kompensation der von einer FlughafeninfrastrukturmaBnahme negativ Betroffenen. Stattdessen beschrankt sich der von der Planfeststellungsbehorde zwingend anzustrebende Schadenausgleich auf aktive und passive SchallschutzmaBnahmen, mit denen mogliche Nachteile der negativ betroffenen Flughafenanwohner verringert, aber nicht voUstandig ausgeglichen werden7^ Diese erleiden daher im Fall eines positiven Planfeststellungsbeschlusses eine NutzeneinbuBe, es sei denn, die Planfeststellungsbehorde verpflichtet iiber die gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus das Flughafenunternehmen auf eine vollstandige Entschadigung entweder monetarer oder nichtmonetarer Form oder das Unternehmen bietet von sich aus eine solche an. Beides ist aber a priori keineswegs sichergestellt. Fiir die negativ be'^ Vgl. hierzu ausfiihrlich Kapitel 2. ^^ Vgl. zu den Transaktionsproblemen, mit denen eine effizienzorientierte Flughafeninfrastmkturpolitik konfrontiert ist, Kapitel 2. ^^ Die durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dem Flughafenunternehmen zwingend auferlegte Pflicht, ab einem Innenschallpegel von 55 dB(A) passive SchallschutzmaBnahmen zu ergreifen, beriicksichtigt nicht den Verlust an Lebensqualitat, den die betroffenen Flughafenanlieger aufgrund der zu erwartenden Schallemissionen auBerhalb ihrer Wohngebaude erleiden werden.
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland troffenen Flughafenanlieger ist es deshalb eine rationale Strategic, auch volkswirtschaftlich vorteilhaften Flughafenausbauvorhaben Widerstand entgegenzusetzen, um auf diese Weise eine moglichst weitgehende Kompensation fur die von ihnen zu tragenden Belastungen entweder auf administrativem Weg oder durch freiwillige Leistungen des Projekttragers zu erreichen oder entsprechende Vorhaben gar ganzlich zu verhindern. Problematisch ist auch, dass die Planfeststellungsbehorde in aller Kegel Teil der Landesregierung ist oder zumindest deren Weisungen unterliegt, so dass sich fUr die von Flughafeninfrastrukturplanungen Betroffenen die Moglichkeit ergibt, politischen Einfluss auszuiiben, um die Planfeststellungsentscheidung in ihrem jeweils eigenen Interesse zu beeinflussenJ^ Ahnlich problematisch ist auch die Tatsache zu bewerten, dass sich die Flughafengesellschaften ausnahmslos entweder ganz oder zumindest mehrheitlich im offentlichen Eigentum befinden und die Lander im Regelfall wesentliche Anteilseigner sind, so dass sie (fast) immer unmittelbar selbst von den zu treffenden Entscheidungen wirtschaftlich betroffen sind7^ Dies kann nicht nur zu Interessenkonflikten der Planfeststellungsbehorde fiihren, sondem erleichtert es auch den daran Interessierten, die Behorde offentlich der Parteilichkeit zu bezichtigen, um auf diese Weise in groBeren Bevolkerungskreisen Zweifel an der Objektivitat des behordlichen Abwagungsprozesses zu wecken und so den politischen Druck auf die Behorde zu erhohen. So zeigt auch die Erfahrung, dass regelmaBig behauptet wird, das Planfeststellungsergebnis stiinde von vornherein fest und im Genehmigungsprozess wiirden vor allem die wirtschaftlichen Interessen des Vorhabentragers eine Rolle spielen. Das Verfahren selbst sei lediglich eine „Farce". Zusatzlich wird es sowohl fiir die Projektbefurworter als auch fur die Projektgegner zu einer erfolgversprechenden Strategic, je nach Interessenlage die volkswirtschaftlichen Vor- oder Nachteile der geplanten FlughafenkapazitatsmaBnahme in der Offentlichkeit ubertrieben darzustellen. Entsprechende Verlautbarungen zielen darauf, politisches Wahlerpotential, auf das die Regierung zu ihrem Machterhalt angewiesen ist, in seiner Einschatzung der Vorteilhaftigkeit der geplanten InfrastrukturmaBnahme zu beeinflussen und flir eine - je nach Interessenlage - ablehnende oder befiirwortende Haltung zum geplanten Flughafenkapazitatsausbau zu gewinnen. Letztendhch sollen auf diese Weise die politischen Kosten einer Planfeststellungsentscheidung, die den Interessen der jeweils eigenen Interessengruppe zuwiderlauft, in die Hohe getrieben werden. ^^ In aller Regel fungiert das Landeswirtschaftsministerium als Planfeststellungsbehorde. ^^ Eine Ausnahme stellt diesbezliglich das Land Nordrhein-Westfalen in seiner Beziehung zum Flughafen Diisseldorf dar, an dem das Land seit 1997 eigentumsrechtlich nicht mehr beteiligt ist. An alien anderen Verkehrsflughafen sind die Lander, in deren Gebiet sich die Anlagen jeweils befinden, als Miteigentumer beteiligt.
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Solche Anschuldigungen sind tendenziell geeignet, auch auBerhalb des Kreises der unmittelbar Betroffenen und somit liber das eigentliche NIMBY-Problem hinaus einen grundsatzlichen Widerstand weiterer (nicht unmittelbar betroffener) Bevolkerungskreise gegen Genehmigungs- und Planfeststellungsbeschliisse hervorzurufen. Dies kann die politischen Durchsetzungskosten erhohen bzw. Entscheidungen verzogem und so den Projekttrager mit Kosten der Nicht-Entscheidung belasten, die entweder zur Unrentabilitat seines Vorhabens fuhren und ihn zur Aufgabe seiner Planung zwingen oder ihn zumindest zu weitgehenden Kompensationsleistungen - gegebenenfalls auch iiber das volkswirtschaftHche Optimum hinaus - und/oder Planungskompromissen zwingen. Die volkswirtschaftlichen Kosten der Nicht-Entscheidung werden dabei gegebenenfalls in Kauf genommen.^^ Der Versuch, den allgemeinen politischen Prozess zur Austragung der Verteilungskonflikte zu nutzen und die Politik entsprechend zu instrumentalisieren, birgt jedoch die Gefahr, Effizienzkriterien aus dem Blick zu verlieren. Zudem wird der Konflikt durch das Fehlen einer flexiblen Ex-post-Administration von Planfeststellungsbeschlussen verscharft. Ein einmal erlassener Planfeststellungsbeschluss gilt namlich prinzipiell zeitlich unbefristet und kann nur auf spateren Antrag des Projekttragers und dann nur als Ganzes und nicht etwa nur beziiglich bereits planfestgestellter Teilregelungen aufgehoben werden. Zwar werden auf diese Weise die langlebigen Investitionen des Vorhabentragers vor einem spateren opportunistischen Widerruf der einmal erteilten Plangenehmigung geschtitzt, so dass dieser Planungssicherheit genieBt. Weil aber ein neuer Planfeststellungsbeschluss nicht notwendigerweise auf die in Rede stehenden Betriebsregelungen beschrankt sein muss, sondem auch zur Verscharfung bereits bestehender sowie zur Verhangung neuer Betriebsauflagen fiihren kann, ist der Antrag auf Anderung einer einmal erlassenen Planfeststellung fiir den Investor mit einem hohen Risiko behaftet (Geisler 2002: 10).^'^ Dies erschwert eine mog76
Die Kosten einer verzogerten oder nicht getroffenen Entscheidung bestehen fur den Projekttrager in den wirtschaftlichen Nachteilen, die ihm aufgrund einer verspateten oder verweigerten Genehmigungsentscheidung entstehen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht kommen die Kosten hinzu, die der Flughafenregion als Folge einer verzogerten Fertigstellung oder verweigerten Genehmigung eines volkswirtschaftlich sinnvollen Ausbaus von Flughafenkapazitat entstehen. 77 Ahnliche Probleme konnen sich ergeben, wenn andere Regulierungsvorschriften wie beispielsweise die allgemeine Bedienungspflicht der Flughafen - entsprechende Kompensationsleistungen - etwa den Ausschluss bestimmter Verkehrsarten von dem Flughafen - verhindem. Beispielhaft sei auf die geplante, aber zum Zeitpunkt der Fertigstellung der vorliegenden Arbeit noch nicht planfestgestellte Verlangerung der bereits bestehenden Landebahn des Flughafens Kiel-Holtenau verwiesen. Die Proteste der dortigen Flughafenanlieger gegen die Verlangerung richten sich nach eigener Aussage nicht grundsatzlich gegen das Ausbauprojekt, sondem gegen eine in Folge der Landebahnverlangerung befurchtete Ausweitung des Feriencharterflugver-
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland liche Anpassung der verfugten Betriebsauflagen an im Zeitverlauf veranderte Rahmenbedingungen und schrankt das Spektrum moglicher Konfliktlosungen im Rahmen des Planungs- und Genehmigungsprozesses flir neue Infrastrukturanlagen ein. Beispielsweise konnte ein Flughafenbetreiber versuchen, den Flughafenanliegern als Kompensation flir die mit dem Betrieb zusatzlicher Infrastrukturanlagen verbundenen Larmbelastungen eine Anderung der Betriebsregelungen fiir die Altanlagen - wie beispielsweise eine Einschrankung des Nachtflugbetriebs - anzubieten. Ein solches Angebot ist aber langfristig nur glaubwiirdig, wenn es durch eine Anderung der bisherigen Planfeststellungsauflagen rechtlich abgesichert wird. Der Betreiber geht mit einem entsprechenden Antrag jedoch ein erhebliches Risiko ein, weil ein neuer Planfeststellungsbeschluss zusatzliche Betriebsbeschrankungen oder Verscharfungen der bisherigen Auflagen fiir den Betrieb der Altanlagen enthalten kann. AuBerdem hat die Beschrankung der Planfeststellungspflicht auf InfrastrukturmaBnahmen von wesentlicher Bedeutung zur Folge, dass kiinftige Umweltbelastungen, die sich nach Realisierung der planfeststellungspflichtigen InfrastrukturmaBnahmen infolge eines weiteren (diesmal) nicht planfeststellungspflichtigen Flughafenausbaus einstellen konnen, im Planfeststellungsprozess nicht zwingend zu problematisieren sind. Wie jedoch die Erfahrung zeigt, sind gerade die allmahlichen oder die durch den Bau von nicht planfeststellungspflichtigen Nebenanlagen bewirkten Betriebssteigerungen die haufigste Ursache fur eine trotz leiserer Flugzeuge weiter zunehmende - oder zumindest nicht abnehmende Larmbelastung in der Flughafenumgebung (SRU 2002: 280). Zusammen fiihren die zeitliche Unbefristetheit und Starrheit eines einmal erreichten Planfeststellungsbeschlusses und die Beschrankung der Planfeststellungspflicht auf InfrastrukturmaBnahmen von wesentlicher Bedeutung zu einer Situation, in der sich der Planfeststellungsentscheid fiir die Flughafenanlieger als „Alles-oder-Nichts-Entscheidung" darstellt. Sie werden daher selbst dann einer geplanten InfrastrukturmaBnahme Widerstand entgegensetzen, wenn sie grundsatzlich noch dazu bereit waren, die mit dem Betrieb der geplanten planfeststellungspflichtigen Anlagen unmittelbar verbundenen Belastungen hinzunehmen, sie aber befiirchten miissen, dass damit Entwicklungen angestoBen werden, die kiinftig zu einer Zunahme von Umweltbelastungen fiihren, ohne dass diese Entwicklungen dann noch von ihnen zu beeinflussen sind. Damit wird der Planfeststellungsprozess fiir eine konkret geplante InfrastrukturmaBnahme sehr leicht
kehrs. Das Land Schleswig-Holstein hatte als Reaktion auf den offentlichen Widerstand angeklindigt, nach Realisierung des Ausbauprojekts Feriencharterflugverkehr vom Kieler Flughafen auszuschlieBen. Dem steht allerdings die allgemeine Bedienungspflicht der Flughafen entgegen.
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Planungs- und Durchsetzungsprozesse
mit Problemen belastet, die iiber die eigentliche Entscheidung uber die konkret zu priifende Planung hinausreichen.^^ Ahnlich wirkt die spate direkte Beteiligung der von einer Flughafenplanung negativ Betroffenen, die erst auf der dritten Prozessstufe - dem Planfeststellungsverfahren - stattfindet7^ Die vorhergehende Standortsuche wird allein von dem Vorhabentrager und - im Rahmen des Raumordnungsverfahrens - von staatlichen Entscheidungstragem getragen. Wie die Erfahmngen zeigen, versuchen insbesondere die potentiell betroffenen Gemeinden einen politischen Einfluss geltend zu machen, um die Standortentscheidung in ihrem Interesse zu beeinflussen. Dabei spielt die NIMBY-Problematik erwartungsgemaB (Abschnitt 2.2) eine wichtige Rolle. So werden Flughafenprojekte in der Regel zwar von den Umlandgemeinden allgemein begriiBt, gleichzeitig versuchen diese jedoch, den Entscheidungsprozess durch Stellungnahmen dahingehend zu beeinflussen, dass das jeweils eigene Gebiet von dem Projekt nicht (oder zumindest in moglichst geringem MaBe) negativ betroffen wird.^^ Dies flihrt sehr leicht zu einer Politisierung der Standortentscheidung, die sich dann nicht mehr allein an den mit unterschiedlichen Standorten jeweils verbundenen volkswirtschaftHchen, sondem insbesondere auch an den entsprechenden politischen Kosten und Nutzen ausrichtet.^^ Auf diese Weise wird das politische Widerstandspotential, das mit jeweils alternativen Standortentscheidungen verbunden ist, eine wesentliche Determinante der Standortwahl.
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Ein entsprechender Widerstand von Flughafenausbaugegnem wird sehr haufig mit dem Argument begriindet, man miisse eine „Salamitaktik" des Flughafenbetreibers verhindem. So stiitzt sich beispielsweise der Widerstand, der derzeit von einer Biirgerinitiative gegen eine Verlangerung der vorhandenen Startbahn des Flughafens Kiel-Holtenau geleistet wird, u.a. auf das Argument, dass mit der Genehmigung der Startbahnverlangerung eine Verkehrsentwicklung auf diesem Flughafen induziert wiirde, die durch die offiziellen politischen Entscheidungsgriinde fiir diese InfrastrukturmaBnahme nicht gedeckt sei. ^^ Zwar konnen zu erwartende Einwendungen und Anspriiche der Flughafenanlieger und sonstiger Betroffener von den Behorden bereits im Raumordnungsverfahren und auch im luftrechtlichen Genehmigungsverfahren (vorgreifend) beriicksichtigt werden. Ein entsprechender gerichtlich durchsetzbarer Rechtsanspruch der Betroffenen besteht jedoch nicht. 80 Vgl. dazu exemplarisch Sack (2000), der den BUrgermeister von Morfelden-Walldorf - einer Anliegergemeinde des Flughafens Frankfurt/M. - mit folgenden Worten zitiert: „20 km vom Flughafen weg denkt niemand mehr an die Belastungen, sondem nur noch an die Wohlfahrtswirkungen." Vgl. auch Rucht (1984: 147 ff., 215), der das Verhalten der Umlandgemeinden im Verlauf der Planung und Genehmigung des Munchner Franz-Josef-StrauB-Flughafens so wie der Startbahn 18 West des Frankfurter Flughafens untersucht. Vgl. exemplarisch die Darstellung des Standortwahlprozesses fiir den Munchner Franz-Josef-StrauB-Flughafen in Rucht (1984: 147 ff). Vgl auch die spater folgende Darstellung der Standortsuche fiir den neu zu errichtenden Berliner GroBflughafen.
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland
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Zum Zeitpunkt der Einleitung des Planfeststellungsverfahrens - und damit zum Zeitpunkt der erstmaligen direkten Beteiligung der unmittelbar betroffenen Flughafenanlieger und der Flughafennutzer - sind regelmafiig wesentliche Planungsentscheidungen (wenn auch nicht de jure, so aber de facto) bereits gefallen. Die betroffenen Flughafenanlieger k5nnen den spateren Planfeststellungsbeschluss dann nur noch mit dem Ziel einer voUstandigen Ablehnung oder einer Durchsetzung moglichst hoher Schutzstandards oder anderer Kompensationspflichten des Flughafenunternehmens, aber nicht mehr hinsichtlich moglicher Alternativstandorte beeinflussen. Problematisch ist ferner die unscharfe Formulierung der von den Behorden zwingend zu beriicksichtigenden Schutzanspriiche der Flughafenanwohner und insbesondere die fehlende Vorgabe kodifizierter Grenzwerte, anhand derer „... Gefahren oder Nachteile" im Sinne von § 9 Abs. 2 LuftVG eindeutig definiert sind. Die daraus letztlich resultierende Notwendigkeit, strittige umweltpolitische Umweltschutzanforderungen per Einzelfallentscheidung von den Gerichten klaren zu lassen, ist eine wesentliche Ursache dafiir, dass bei nahezu jeder groBeren Flughafenerweiterung die Gerichte zur Entscheidung von Umweltschutzkonflikten herangezogen werden. Obwohl das Genehmigungsverfahren mit der Planfeststellung vom Grundsatz her abgeschlossen ist, kommt es daher in aller Regel nach Verkundung des Planfeststellungsbeschlusses zu lang anhaltenden verwaltungsgerichtlichen Auseinandersetzungen. Faktisch kann die gerichtliche Klarung der Klagen als eigenstandiger und bedeutender vierter Verfahrensschritt bei der Genehmigung von Flughafenprojekten bezeichnet werden. Den Gerichten kommt die Aufgabe zu, dartiber zu entscheiden, ob die im konkret in Rede stehenden Planfeststellungsbeschluss angeordneten Bedingungen ftir die Durchfuhrung der beantragten InfrastrukturmaBnahme ausreichen, um dem gesetzlich unscharf formulierten Schutzanspruch der Flughafenanlieger im konkreten Fall zu geniigen. Zwar haben die Gerichte bis hin zum Bundesverwaltungsgericht mit Hilfe von Sachverstandigen inzwischen Zumutbarkeitsschwellen abgeleitet, liber die hinaus weitere Belastungen der Flughafenanwohner nicht mehr zu rechtfertigen sind. Allerdings diirfen diese Schwellenwerte nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht allgemein im Sinne bundesweit einheitlich anzuwendender Grenzwerte angewendet werden. Stattdessen muss jeweils liber den Einzelfall unter Beriicksichtigung der individuellen Gegebenheiten entschieden werden (SRU 2002: 280 f.).^^ ^^ Der Sachverstandigenrat fiir Umweltfragen weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass „... den Richtem durch die vollkommen vage Formal des § 9 Abs. 2 LuftVG zugemutet (wird), unterschiedUchste physiologische und psychologische Wirkungen des Larms zu bewerten, die vielfach gar nicht eindeutig den Kategorien ,gesundheitsschadnch' und/oder ,nur belastigend' zugeordnet werden konnen.... Dass diese Bewertung erhebUche Entscheidungsspielraume eroffnet und damit in gerichtU-
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Kapitel 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse
Fiir Flughafenausbaugegner kann es oftmals sinnvoll sein, Informationen im eigentlichen Planfeststellungsprozess zuriickzuhalten und sie erst im Zuge der verwaltungsrechtlichen Klarung der Zulassigkeit bereits erlassener Planfeststellungsbescheide zu offenbaren. Damit verbinden sie die Hoffnung, dass ihre Belange vor Gericht besser beriicksichtigt werden oder zumindest eine Riickverlagerung des Genehmigungsprozesses zur erneuten Prlifung durch die Planfeststellungsbehorde erreicht und somit Zeit gewonnen wird; schon der Zeitgewinn ist fiir die Projektgegner in aller Regel mit einem positiven Nutzen verbunden. AuBerdem werden auf diese Weise die Kosten der Projektdurchsetzung in die Hohe getrieben und damit der wirtschaftliche Nutzen der zu genehmigenden InfrastrukturmaBnahme fiir den Vorhabentrager verringert (Wink 1995). Die Einschaltung der Verwaltungsgerichte fiihrt denn auch regelmaBig zu lang andauemden Verzogerungen im Durchsetzungsprozess, bis endgultige Rechtssicherheit hergestellt ist. Oftmals erstreckt sich die gerichtliche Klarung der Anfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses iiber einen deutlich langeren Zeitraum als das eigentliche Genehmigungsverfahren. Beispielhaft sei auf die beiden Mitte der sechziger Jahre von der Flughafen Frankfurt AG gleichzeitig beantragten Vorhaben (i) der westlichen Verlangerung der beiden damals bereits vorhandenen, parallel verlaufenden Startbahnen des Frankfurter Flughafens und (ii) des Baus der neuen Startbahn 18 West in Frankfurt/M. verwiesen (tJbersicht 1): Vom Antrag der Flughafen Frankfurt AG auf Realisierung beider MaBnahmen im Dezember 1965 bis zum ersten Planfeststellungsbeschluss im Marz 1968 vergingen etwas mehr als 2 Jahre. Dieser Planfeststellungsbeschluss wurde aufgrund von Formfehlem ein halbes Jahr spater aufgehoben. Die Aufhebung wurde 2 Jahre spater bestatigt. Drei Monate spater erging der zweite Planfeststellungsbeschluss zu beiden geplanten MaBnahmen, dessen sofortige Vollziehbarkeit bezuglich des Ausbaus des bereits vorhandenen Parallelbahnsystems jedoch etwa ein halbes Jahr spater vom Verwaltungsgericht Darmstadt gestoppt wurde. Von da an vergingen nochmals iiber 7 Jahre mit gerichtlichen Auseinandersetzungen um den Planfeststellungsbeschluss zur Verlangerung der beiden Parallelbahnen, bis dieses Vorhaben nach weiteren 3 Jahren Vorbereitungs- und Bauzeit abgeschlossen werden konnte. Was die Startbahn 18 West anbelangt, so vergingen nach der Festlegung des zweiten Planfeststellungsbeschlusses im Marz 1971 und dessen gerichthcher Wiederaufhebung im Februar 1982 noch 9 Jahre, bis der Hessische Verwaltungsgerichtshof die letzte gerichtlich anhangige Beschwerde abwies, und ein weiteres Jahr, bis iiber einen von den Projektgegnem eingereichten Gesetzesentwurf iiber die Zulassung eines Volksbegehrens iiber das Neubauvorhaben gerichtchen Einzelfallentscheidungen auch eine gewisse Willkiir provoziert, liegt auf der Hand." Vgl. diesbezuglich auch Berkemann (2001: 141 f).
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland
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titersicht 1: Das Beispiel des Planungs-, Genehmigungs- und Durchsetzungsprozesses fiir den Bau der Startbahn 18 West in Frankfurt/M. 28.12.1965:
Die Flughafen Frankfurt AG (FAG) stellt beim Hessischen Minister fiir Wirtschaft und Verkehr den Antrag auf Genehmigung der AusbaumaBnahmen. Das beantragte Projekt umfasste zwei Teile, namlich (a) Verschiebung und Verlangerung der bereits vorhandenen Parallelbahnen in westlicher Richtung und (b) Bau einer in Nord-Sud-Richtung verlaufenden Startbahn 18 West. 23.08.1966: Der Hessische Minister fUr Wirtschaft und Verkehr erteilt die luftrechtliche Genehmigung. Februar 1967: Das Regiemngsprasidium Darmstadt leitet das Planfeststellungsverfahren ein. Insgesamt werden im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens 3 849 Einspriiche gegen die AusbaumaBnahmen des Frankfurter Flughafens erhoben. September/ Es finden insgesamt 4 Erorterungstermine statt. Die vorgebrachten BeOktober 1967: denken, die sich insbesondere gegen die Auswirkungen des Larms und des Waldsterbens richten, konnen nicht ausgeraumt werden und werden an das zustandige Landesministerium verwiesen. 26.03.1968: Der Hessische Minister fiir Wirtschaft und Verkehr billigt den Flughafenausbau durch Planfeststellungsbeschluss, der gegeniiber dem beantragten Projekt lediglich „einige geringfiigige Abstriche und zusatzhche Auflagen" (Rucht 1984: 205) enthalt. 05.11.1968: Der Planfeststellungsbeschluss wird als Folge von Anfechtungsklagen durch das Verwaltungsgericht Darmstadt aus formalen Griinden aufgehoben: Die Stadt Offenbach war am Anhorungsverfahren im Rahmen der Planfeststellung nicht beteiligt worden. AuBerdem war nach Auffassung des Gerichts die Zustandigkeitsanordnung des Hessischen Ministers fiir Wirtschaft und Verkehr nicht ordnungsgemaB veroffentlicht worden. 18.12.1970: Die Revision des Urteils vom 5.11.1968 wird abgelehnt. Damit wird ein neues Planfeststellungsverfahren notwendig. Im Rahmen des 2. Planfeststellungsverfahrens werden 8 900 Einspriiche gegen die Flughafenplanungen erhoben. In 5 Erorterungsterminen wurden Stellungnahmen von 4 Landkreisen, 35 Kommunen sowie den beteiligten Fachbehorden behandelt. 23.03.1971: Der Hessische Minister fiir Wirtschaft und Verkehr erlasst den neuen Planfeststellungsbeschluss. Die Entscheidung ist inhalthch deckungsgleich mit dem 1. Planfeststellungsbeschluss vom 26.03.1968. Es folgen gerichtliche Auseinandersetzungen um (a) die sofortige Vollziehbarkeit der von der FAG beantragten Bahnverlangerungen und (b) die prinzipielle Giiltigkeit der Planfeststellung und insbesondere um den Bau der Startbahn West.
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Kapitel 3
Planungs- und Durchsetzungsprozesse
Fortsetzung Ubersicht 1 Die Auseinandersetzung um die sofortige Vollziehbarkeit der planfestgestellten Bahnverldngerungen 07.07.1971: Das Verwaltungsgericht Darmstadt hebt die sofortige Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses hinsichtlich der von der FAG beabsichtigten Bahnverlangerungen auf. 27.09.1971: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof verwirft Beschwerden gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 07.07.1971 als unzulassig. 22.02.1972: Das Verwaltungsgericht Darmstadt bekraftigt die Rechtfertigung der Bahnverlangerungen. 28.02.1975: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof weist die Klage des Landes Hessen und der FAG gegen die Aufhebung der Sofortvollziehbarkeit der Bahnverlangerungen ab. 07.07.1978: Das Bundesverwaltungsgericht stellt durch seine Entscheidung den Sofortvollzug wieder her. Marz 1979: Die Bauarbeiten am Parallelbahnsystem beginnen. Juni 1982: Die zweite der verlangerten Parallelbahnen wird in Betrieb genommen. Das Vorhaben ist damit abgeschlossen. Die Auseinandersetzung um die GUltigkeit des Planfeststellungsbeschlusses und insbesondere des Baus der Startbahn West 22.02.1972: Das Verwaltungsgericht Darmstadt hebt den Beschlussteil zum Bau der Startbahn West auf. 24.04.1973: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof erklart den Planfeststellungsbeschluss vom 23.03.1971 wegen nicht ordnungsgemaBer Veroffentlichung der Zustandigkeit des Hessischen Ministers fur Wirtschaft und Verkehr fUr nichtig. Marz 1974: Das Bundesverwaltungsgericht hebt das Urteil vom 24.04.1973 auf und uberweist die Rechtsstreitigkeiten zuriick an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof. 1976: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof fallt insgesamt 3 Entscheidungen, mit denen (a) der Bau der Startbahn West untersagt, (b) die Verlangerung und Verschiebung der bestehenden Parallelbahnen im Prinzip gebilligt und (c) die Verlangerung und Verschiebung der bestehenden Parallelbahnen an besondere Betriebsbeschrankungen (insbesondere Einschrankung des Nachtflugbetriebs) gebunden wird. 07.10.1976: Das Bundesverwaltungsgericht erklart die Revision gegen die Urteile des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs aus dem Jahr 1976 fiir zulassig. 17.01.1978: Das Verwaltungsgericht Darmstadt hebt den die Startbahn West betreffenden Teil des Planfeststellungsbeschlusses auf. 07.07.1978: Das Bundesverwaltungsgericht weist die Prozesse um den Bau der Startbahn West emeut an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zuriick, reduziert allerdings den klinftigen Entscheidungsspielraum dieses Gerichts auf die Prognosen des klinftigen Luftverkehrsaufkommens des Frank-
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland
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Fortsetzung Ubersicht 1 furter Flughafens und auf die Auswirkungen der Rollbahnverschiebungen. Gleichzeitig wird ein Teil der anhangigen Klagen endgultig abgewiesen. Sommer 1978: Ausbaugegner reagieren auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.07.1978 mit einer Verfassungsbeschwerde, die allerdings vom Bundesverfassungsgericht nicht angenommen wird. Fruhjahr 1980: Die Prognosen iiber das klinftige Luftverkehrsaufkommen des Frankfurter Flughafens werden fertig. Herbst 1980: Wahrend der miindlichen Verhandlungen wird deutlich, dass der Hessische Verwaltungsgerichtshof sich nicht gegen den Bau der Startbahn West entscheiden, sondem lediglich eine Erganzung des Planfeststellungsbeschlusses durch Larmauflagen fordem wird. Daraufhin wird die Mehrzahl der Klagen zuriickgezogen. 22.07.1978: Der Hessische Minister fUr Wirtschaft und Verkehr ordnet die sofortige VoUziehbarkeit des Baus der Startbahn West an. Die durch 11 Klager beantragte Widerherstellung der aufschiebenden 08.10.1980: Wirkung der Anfechtungsklagen wird durch den Hessischen Verwaltungsgerichtshof abgelehnt. Damit wird die Anordnung vom 22.07.1978 zum sofortigen Vollzug bestatigt. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof weist die noch anhangigen Klagen 22.10.1980: der Stadt Morfelden-Walldorf und der Gemeinde Buttelbom gegen den Bau der Startbahn West ab. Revision gegen dieses Urteils wird ausgeschlossen. Marzl981: Das Bundesverwaltungsgericht lehnt die Beschwerde der Stadt Morfelden-Walldorf ab. SommerAusbaugegner bereiten zur Vorbereitung eines Volksbegehrens und eines Winter 1981 daran anschlieBenden Volksentscheids einen Gesetzentwurf vor, mit dem der Bau der Startbahn West doch noch auf gesetzlichem Wege verhindert werden soil. Der Antrag auf das Volksbegehren scheitert an der Entscheidung des 15.01.1982: Staatsgerichtshofs, der den vorgelegten Gesetzentwurf fiir verfassungswidrig erklart. August 1982: Die Bauarbeiten zur Betonierung der Piste der Startbahn West beginnen. Inbetriebnahme der Startbahn West. 12.04.1984: Quelle: Rucht (1984: 200 ff.); Flughafen Frankfurt/M. AG (1986: 101). lich entschieden war. Im August 1982 konnte schlieBlich mit der Betonierung der Piste begonnen werden, die weitere 8 Monate spater als neue Startbahn in Betrieb genommen wurde (Rucht 1984: 200ff.). Im Fall des neuen Miinchener Flughafens „Franz-Josef-StrauB" dauerten die gerichtlichen Auseinandersetzungen um die 1976 erlassene Planfeststellung 13 Jahre (Bidinger 1996: 21 ff.). Klagen gegen Planfeststellungsbeschliisse zielen haufig nicht in erster Linie auf eine Klarung umstrittener Rechtspositionen, sondern auf eine Verzogerung der Projektrealisierung, mit denen die (auch: politischen) Kosten des Vorhabens
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Kapitel 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse
in die Hohe getrieben werden sollen, um dieses damit fiir den Investor moglichst unattraktiv zu machen oder diesem zumindest Zugestandnisse abzutrotzen, die iiber die im Planfeststellungsbeschluss verfugten Investitions- und Betriebsregelungen hinausreichen.^^ Die Klager sind dabei gegeniiber dem Flughafen als Vorhabentrager insofem im Vorteil, als sie regelmaBig nur den Status quo aufrechterhalten wollen mit der Folge, dass die bei einer Verzogerung des Projekts entstehenden Kosten der Nicht-Entscheidung ganz uberwiegend nicht bei ihnen, sondem - in Form entgangenen Erlosaufkommens - beim Flughafen und den betroffenen Fluggesellschaften anfallen. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass der traditionelle Rechtsrahmen nur bedingt geeignet ist, eine rationale Infrastrukturpolitik und insbesondere auch eine umfassende Beriicksichtigung konkurrierender Interessen sicherzustellen: Die (indirekten) Einwendungsmoglichkeiten der von Infrastrukturvorhaben negativ Betroffenen im Rahmen des Raumordnungsverfahrens sowie die Anhorungs-, Abwagungs- und Problembewaltigungspflichten der Planfeststellungsbehorde sind - mit Einschrankungen - dazu geeignet, Informationen iiber die mit einem Flughafeninfrastrukturvorhaben verbundenen sozialen Kosten und Nutzen zu generieren. Allerdings fehlen Mechanismen, die den von RughafeninfrastrukturmaBnahmen Betroffenen Anreize geben, ihre individuellen Kosten und Nutzen wahrheitsgemaB zu offenbaren. Stattdessen werden einerseits die Gegner einer solchen MaBnahme geneigt sein, die bei ihnen anfallenden sozialen Kosten zu ubertreiben, um die Verwirklichung der in Rede stehenden FlughafeninfrastrukturmaBnahme entweder ganz zu verhindern oder zumindest hinauszuzogem. Andererseits bestehen auf Seiten der Projektbefiirworter Anreize, den sozialen Nutzen der Bereitstellung neuer Flughafeninfrastrukturkapazitat zu Ubertreiben. Zudem ist nicht sicher, ob die im Genehmigungsprozess generierten Informationen von den Genehmigungsbehorden immer adaquat genutzt werden. So ist die politische Unabhangigkeit der Behorden nicht sichergestellt, so dass politisch bedeutsame Interessengruppen unter Umstanden Einfluss auf die Genehmigungsentscheidung nehmen konnen. Vor diesem Hintergrund werden die Genehmigungsbehorden nur eingeschrankt als unabhangige Schiedsrichter zwischen den 83
Vgl. exemplarisch die Ausfuhrungen des Biindnis der Burgerinitiativen (o.J.), das gegen einen Ausbau des Frankfurter Flughafen eintritt: „Bei alien GroBprojekten spielt die (halbwegs) fristgerechte Abwicklung eine sehr groBe Rolle.... Daher ist es eine bewahrte Strategie der Gegner solcher Projekte, die Realisierung zumindest zu verzogem. Solche Verzogerungen haben immer wieder zum Uberdenken von Planungen gefiihrt, weil sich z.B. zwischenzeitlich vollig neue Aspekte ergeben haben, die ein vollig neues Licht auf die Vorhaben werfen .... Mit der mit einer Zeitverzogerung verbundenen Erhohung von Kosten, die ganz erheblich werden kann, sind die Projekttrager mit fortschreitender Zeit immer mehr gewillt, zumindest ,akzeptablere' Kompromisse zu schlieBen. ... Ein wichtiges Ziel der Gegner eines Ausbaus des Frankfurter Flughafens ist es demnach, den weiteren Planungsverlauf moglichst stark zu verzogem."
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland
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Vorhabentragern einerseits und den negativ Betroffenen andererseits angesehen. Dies wirkt sich negativ auf die Akzeptanz des Genehmigungsverfahrens aus und fuhrt generell zu einer starken Politisierung des Genehmigungsprozesses. AuBerdem wird die endgtiltige Durchsetzung bereits genehmigter InfrastrukturmaBnahmen regelmaBig auf die Ebene der Gerichte verlagert, wobei deren Moglichkeiten zur Losung der eigentlichen Konfliktursachen jedoch begrenzt sind. Die Verteilungskonflikte werden auBerdem durch das Fehlen einer flexiblen Ex-post-Administration der Planfeststellungsbeschliisse verscharft, die auf die Nichtexistenz einer effektiven Ex-post-Governance-Struktur zuruckzufuhren ist. Die Folge sind hohe Transaktionskosten insbesondere in der Projektdurchsetzungsphase: Sie zeigen sich zum einen in den Kosten fehlender Akzeptanz, damit der ausgedehnten Rechtsverfahren und den dadurch generierten Projektdurchsetzungs-(oder: -verwerfungs-)kosten. Sie konnen sich zum anderen aber auch in einer eher mittel- bis langfristig wirksamen mangelnden Akzeptanz der Verfahrensergebnisse durch die vom Ausgang der Genehmigungsprozesse negativ Betroffenen zeigen und damit Folgekosten hervorrufen, die iiber die Auswirkungen der eigentUch in Rede stehenden Flughafeninfrastrukturprojekte hinausweisen. FUr Letzteres mogen - trotz aller zeit- und ortsgebundenen Besonderheiten - die teils auch poHtisch-ideologisch motivierten gewalttatigen Auseinandersetzungen im Nachgang zur Genehmigung der Frankfurter Startbahn 18 West als Beispiel dienen. Die Vereinfachung des Planungs- und Genehmigungsrechts zu Beginn der neunziger Jahre Zu Beginn der neunziger Jahre wurde der Versuch untemommen, die im Rahmen der Genehmigung von Flughafenprojekten einzuhaltenden Verfahrensablaufe zu straffen und zu vereinfachen, um auf diese Weise die Durchsetzung von VerkehrsinfrastrukturmaBnahmen zu beschleunigen und damit insbesondere die Standortbedingungen der neuen Bundeslander zu verbessem. Zu diesem Zweck wurden 1991 das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz (VWPBG) und 1993 das Planungsvereinfachungsgesetz (PLVeinfG) vom Bundestag verabschiedet. Das - auf die neuen Bundeslander begrenzte - Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz sah in seiner ursprlinglichen Fassung vom 16. Dezember (BGBl. 1991: 2174) u.a. folgende Modifikationen des traditionellen Rechtsrahmens vor^^:
Das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz vom 16. Dezember 1991 war im Zuge der deutschen Wiedervereinigung als Ubergangsgesetz konzipiert und dementsprechend zunachst bis 1995 befristet (BGBL 1991: 2174). Es wurde - in modifizierter Form - mehrfach (zuletzt bis Dezember 2005) verlangert (BGBL 2004: 3644).
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Kapitel 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse
• Die Offentlichkeit wird in die UmweltvertraglichkeitsprUfung erst im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens einbezogen (§ 2 VWPBG). • Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet im ersten und letzten Rechtszug tiber samtliche Streitigkeiten, die ein Planfeststellungsverfahren betreffen (§ 5 VWPBG). • Die Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss hat keine aufschiebende Wirkung (§ 4 II VWPBG). • Die Anlage und der Betrieb neuer Verkehrsflughafen bediirfen vor der Planfeststellung keiner luftrechtlichen Genehmigung (nach § 6 Abs. 1 LuftVG). Die Genehmigung ist nach dem Ergebnis des Planfeststellungsverfahrens zu erteilen (§ 10 VWPBG). Damit wurde nicht nur der eigentliche Genehmigungsprozess gestrafft und vereinfacht (§§2 und 10 VWPBG), sondem es wurden auch die Klagemoglichkeiten Betroffener gegen Genehmigungsentscheidungen eingeschrankt (§ 5 VWPBG) und Moglichkeiten der gerichtlichen Verzogerung der Umsetzung bereits erlassener Planfeststellungsbeschlusse beschnitten (§ 4 II VWPBG).^^ Das Planungsvereinfachungsgesetz (BGBL 1993: 2123)^^ sieht vor, dass • an Stelle der Planfeststellung eine Plangenehmigung treten kann (Art. 4b PLVeinfG), • Planfeststellung und -genehmigung bei Anderungen oder Erweiterungen von unwesentlicher Bedeutung unterbleiben konnen (Art. 4c PLVeinfG), wobei der Begriff „unwesentliche Bedeutung" neu defmiert wurde,^^ • betriebliche Regelungen Gegenstand der Planfeststellung sein konnen, wobei aber nunmehr Anderungen solcherart getroffener betrieblicher Regelungen nur noch einer Anderungsgenehmigung bediirfen (Art. 4d PLVeinfG), • die luftrechtliche Genehmigung keine Voraussetzung mehr fur ein Planfeststellungs- Oder -genehmigungsverfahren ist (Art. 4 d PLVeinfG),
°^ Abwagungsmangel sind kraft Gesetzes nur noch dann erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Ergebnis von Einfluss gewesen sind. Zudem konnen bei derartigen Mangeln der Planfeststellungsbeschluss oder die Plangenehmigung nur noch aufgehoben werden, wenn der jeweilige Fehler nicht durch Planerganzung oder ein erganzendes Verfahren aufgehoben werden kann (Guckelberger 1998: 26). ^^ Die Regelungen des Planungsvereinfachungsgesetzes wurden inzwischen im Wesentlichen in das LuftVG integriert {BGBL 1999: 549 ff.). ^^ Ein Vorhaben unwesentlicher Bedeutung ist nunmehr defmiert als ein Vorhaben, fur das „ ... nach dem Gesetz iiber die UmweltvertraglichkeitsprUfung keine UmweltvertraglichkeitsprUfung durchzuflihren ist, andere offentliche Belange nicht beriihrt sind oder die erforderlichen behordlichen Entscheidungen vorliegen und sie dem Plan nicht entgegenstehen und Rechte anderer nicht beeinflusst werden oder wenn mit den vom Plan Betroffenen entsprechende Vereinbarungen getroffen wurden" (§ 8 Abs. 3 LuftVG in der im September 2004 gultigen Fassung).
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland
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• die Anhorungsbehorde die Stellungnahme der betroffenen Behorden sowie die Auslegung des Plans in den betroffenen Gemeinden innerhalb eines Monats veranlasst und die betroffenen Behorden ihre Stellungnahmen innerhalb von drei Monaten abgeben miissen (Art. 4e PLVeinfG). Insgesamt zielen die gesetzlichen Reformschritte darauf ab, (i) unnotige Zeitverluste im eigentlichen Genehmigungsverfahren zu vermeiden sowie (ii) Moglichkeiten strategischer Blockaden von Infrastrukturvorhaben durch Projektgegner und dabei insbesondere auch (iii) Moglichkeiten zur Verzogerung der Umsetzung bereits erlassener Planfeststellungsbescheide durch langwierige und durch mehrere Gerichtsinstanzen gehende Rechtsstreitigkeiten zu begrenzen. Sie ermoglichen daher zumindest vom Grundsatz her eine beschleunigte Durchsetzung von Infrastrukturvorhaben, ohne allerdings zur Losung der eigentlichen Probleme einer rationalen Flughafeninfrastrukturpolitik beizutragen. So existiert weiterhin kein gesetzlicher Anspruch negativ Betroffener auf eine voUstandige Entschadigung fiir die von ihnen zu tragenden Belastungen. Das entsprechende Verteilungsproblem wird damit nicht gelost und fiir die Betroffenen bleibt es rational, sich opportunistisch zu verhalten. AuBerdem wurde keine effektive Expost-Governance-Struktur geschaffen, die eine flexible Anpassung bereits erlassener PlanfeststellungsbeschlUsse an veranderte Rahmenbedingungen ermoglicht und gleichzeitig die Interessen der Flughafenanlieger schiitzt, so dass entsprechende Glaubwiirdigkeitsprobleme fortbestehen. Auch die weiterhin gegebene Moglichkeit des politischen Einflusses auf die Genehmigungsbehorden und die daraus folgende mangelnde Akzeptanz des Genehmigungsprozesses und der Genehmigungsentscheidungen sowie die dadurch hervorgerufene Politisierung des Planfeststellungsprozesses wurden nicht beseitigt. Zudem ist fraglich, ob der durch die mogliche Beschleunigung der Durchsetzung von Planfeststellungsbescheiden erhoffte Zeitgewinn nicht teilweise wieder durch eine Zuspitzung der im Vorfeld von Planfeststellungsbeschlussen ausgetragenen Konflikte aufgezehrt wird. Verfahrensmafiige Reformansdtze In den neunziger Jahren wurde mit den Planungen zum Bau eines neuen Berliner GroBflughafens und einer neuen Landebahn fiir den Flughafen Frankfurt/M. begonnen. Dem rechtlich vorgegebenen Planungs- und Genehmigungsprozess wurde mit dem „Berliner Biirgerdialog" bzw. der „Frankfurter Mediation" ein neuer Verfahrensschritt vorangestellt, der auf eine friihzeitige - d.h. bereits vor Einleitung der gesetzlich vorgeschriebenen Genehmigungsverfahren erfolgende Beteiligung moglichst aller direkt von den Ausbauvorhaben des Berliner (bzw. Frankfurter) Flughafens Betroffenen im Planungsprozess abzielt und Elemente von Verhandlungslosungen aufweist. Beide Verfahren bedienen sich grundsatz-
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Kapitel 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse
lich der informellen Verhandlung zwischen gesellschaftlichen Interessengruppen in Form eines Mediationsprozesses als eines altemativen Konfliktlosungsinstruments. Die Verhandlungsergebnisse sind jedoch nicht rechtsverbindlich. Sie erganzen lediglich die formal durch §§6-10 LuftVG vorgegebenen Planungsund Genehmigungsprozesse (Lewin 2001: 8). Ziel eines Mediationsverfahrens ist es, alle an einem Konflikt beteiligten Parteien unter Hinzuziehung eines neutralen Mediationsleiters in einen Vermittlungsprozess iiber die unterschiedlichen Interessen einzubeziehen und auf diese Weise Problemlosungen zu finden, die flir alle am Konflikt Beteiligten akzeptabel sind (Fietkau 1994: 6; Lewin 2001: 9; Rossler 2001: 2). Da die Mediationsverfahren in Berlin und Frankfurt/M. jeweils vor Beginn des formellen Verwaltungsverfahrens stattfanden und zu einem solch friihen Zeitpunkt noch nicht unbedingt die Notwendigkeit besteht, iiber bereits konkret geplante und beantragte Projekte zu verhandeln, bestand in beiden Fallen die grundsatzliche Moglichkeit, unter Einbeziehung von Projektbetroffenen iiber Planungs- und Projektaltemativen zu diskutieren und bereits im Vorfeld Kompromisslosungen zwischen den direkt Betroffenen - Rughafen, Luftverkehrsunternehmen, Anlieger, lokale und regionale Wirtschaft - auszuhandeln. Im Folgenden werden zunachst die Hintergriinde und der Verlauf der Planungs- und Genehmigungsprozesse beider Infrastrukturvorhaben bis zum Stand im August 2004 dargestellt. AnschlieBend werden die Erfahrungen analysiert, die bisher mit den beiden Verfahren gemacht wurden. Der Burgerdialog Flughafen Berlin-Brandenburg International Berlin verfiigt mit Schonefeld, Tegel und Tempelhof iiber drei innerstadtisch Oder stadtnah gelegene Flughafen, die wirtschaftlich unter dem Dach der BerlinBrandenburg Flughafen-Holding (BBF) zusammengefasst sind.^^ Angesichts einer stark unterschiedlichen Verkehrsentwicklung auf den einzelnen Flughafen^^ und im Bestreben, die luftverkehrliche Anbindung Berlins durch Schaffung eines (auch interkontinentalen) Luftverkehrsdrehkreuzes qualitativ zu verbessem, beschlossen die Lander Berlin und Brandenburg bereits kurz nach der Wiedervereinigung, in Brandenburg einen Standort fiir einen neuen Flughafen „BerlinBrandenburg International (BBI)" zu suchen, der die bisherigen Standorte ersetzen sollte (Stuckert 1996: 102; Mediator GmbH oJ., Mediation im offentH°^ Gesellschafter der BBF sind die Bundesrepublik Deutschland (26 Prozent), das Land Brandenburg (37 Prozent) sowie Berlin (37 Prozent). ^^ Die Kapazitaten des Flughafens Tegel waren bereits Anfang der neunziger Jahre in Spitzenverkehrszeiten weitgehend ausgelastet, wahrend der Flughafen Tempelhof stark unterausgelastet war und in seiner verkehrlichen Entwicklung stagnierte (Stuckert 1996: 102 f). Inzwischen ist eine gerichtliche Auseinandersetzung um die Stilllegung des Flughafens entbrannt (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2004b).
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland chen Bereich). Der Planungsprozess wurde durch ein Mediationsverfahren - den „Burgerdialog" - begleitet. Im August 1992 hatte die Interministerielle Kommission Luftverkehr Brandenburg die Ergebnisse eines vorbereitenden Standortsuchverfahrens vorgestellt, in dem die potentiellen Standorte Juterbog, Sperenberg und Schonefeld-Siid untersucht worden waren (Biirgerbewegung Berlin-Brandenburg oJ., Das Berliner Flughafensystem). Im Juli 1993 wurde der Burgerdialog eroffnet (Ubersicht 2). Um eine Einbindung moglichst aller relevanten Interessengruppen in das Mediations verfahren zu gewahrleisten, wurden Vertreter von Burgerinitiativen, Umweltverbanden, Gewerkschaften, Behorden, der regionalen Wirtschaft und der lokalen Politik, des Bundesverkehrsministeriums sowie der Verkehrs- und Umweltministerien der Lander Berlin und Brandenburg direkt in den Verhandlungsprozess einbezogen.^^ AuBerdem wurde jeweils eine lokale Verbindungsgruppe zu jedem der potentiellen Standortbereiche (Juterbog, Schonefeld-Siid und Sperenberg) geschaffen.^^ Erganzend wurden regelmaBig offentliche Veranstaltungen durchgefUhrt, in denen Einzelpunkte der Flughafenplanung mit interessierten Burgern diskutiert wurden, die nicht direkt in den Burgerdialog eingebunden waren (Mediator GmbH oJ., Mediation im offentlichen Bereich). Das Verfahren zog sich iiber einen Zeitraum von insgesamt 39 Monaten (JuH 1993 bis September 1996) hin. In dieser Zeit wurden etwa 100 Sitzungen abgehalten (Konas oJ.).^^ Der Burgerdialog lief teilweise parallel zu dem Raumordnungsverfahren fur die potentiellen Flughafenstandorte und zur anstehenden Standortentscheidung und diente der Vorbereitung eines entsprechenden Planfeststellungsverfahrens.^^ Hauptsachlich wurden Fragen der generellen Notwendigkeit eines neuen Flughafens sowie Aspekte der Sozialvertraglichkeit bestehender und moglicher neuer Standorte diskutiert. Dabei spielten auch landesplanerische Strategien eine RoUe (Mediator GmbH o.J., Biirgerdialog Berlin-Brandenburg International). Zudem gelang es den Umweltverbanden, die Frage nach der Notwendigkeit eines neuen GroBflughafens mit der Thematik eines integrierten Verkehrssystems zu verMediator des Verfahrens war die „Mediator GmbH - Zentrum fur Konfliktmanagement und -forschung an der Carl von Ossietzky Universitat Oldenburg". Neben den bereits direkt in den eigentlichen Verhandlungsprozess einbezogenen Gruppen (mit Ausnahme des Bundesverkehrsministeriums und des Berliner Umweltund Verkehrssenats) waren in den lokalen Verbindungsgruppen Kirchen sowie Landund Forstwirtschaften einbezogen (Mediator GmbH o.J., Mediation im offentlichen Bereich). 09
Vgl. zur Organisation des Burgerdialogs und den beteiligten Interessengruppen auch ZilleBen (1995: 13 ff). Das Raumordnungsverfahren wurde im Mai 1994 eroffnet und im November desselben Jahres abgeschlossen (BBF o.J., Zeitplan).
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Kapitel 3
Planungs- und Durchsetzungsprozesse
Ubersicht 2: Der Planungs- und Genehmigungsprozess des neuen GroBflughafens Berlin^ August 1992:
Juli 1993: Mai 1994: November 1994:
Februar 1995:
Juni1995:
Februar 1996:
Mai/Juni 1996:
September 1996: Anfang 1997:
September 1997:
Dezember 1999:
Die interministerielle Kommission Luftverkehr Brandenburg stellt die Ergebnisse eines vorbereitenden raumstrukturellen Standortsuchverfahrens vor: Die potentiellen Standorte Jiiterbog Ost und West erfiillen die intern vorgegebenen Kriterien optimal. Der Standort Schonefeld erfiillt die im Hinblick auf einen Neubau definierten Eignungskriterien nicht. Beginn des Burgerdialogs. Eroffnung des Raumordnungsverfahrens fiir die drei potentiellen Standorte Juterbog Ost, Sperenberg und Schonefeld. In der Raumordnerischen Gesamtabwagung lehnt die oberste Landesplanungsbehorde den Standort Schonefeld ab. Der Standort Sperenberg wird favorisiert. Der Aufsichtsrat der Berlin-Brandenburg Flughafen-Holding (BBF) entscheidet, die Vorbereitungen fiir die Umweltvertraglichkeitspriifungen fiir die Standorte Sperenberg und Schonefeld sofort aufzunehmen. Der Bundesverkehrsminister interveniert zugunsten einer Standortentscheidung Schonefelds, da der Bund nicht bereit ist, die geschatzten 1,4 Mrd. DM Mehrkosten eines Flughafenneubaus in Sperenberg zu tragen. Die in Zusammenhang mit der beabsichtigten Privatisierung des Berlin-Brandenburg International Airport (BBI) mit einem Markttest betraute Investmentbank Barclays de Zoete Wedd spricht sich fiir den Standort Schonefeld aus. Die Geschaftsfiihrung der BBF spricht sich gegen Schonefeld aus. Konsensbeschluss des Bundesverkehrsministers, des Ministerprasidenten Brandenburgs und des Regierenden Biirgermeisters von Berlin zugunsten eines Ausbaus des Schonefelder Flughafens. Die Entscheidung fiir den Standort Schonefeld macht im Vorfeld des Planfeststellungsverfahrens Anpassungen der Grundlagen des Landesentwicklungsplans in Brandenburg erforderlich, um eine Bedingung fiir die Genehmigungsfahigkeit des BBI herzustellen. Ende des Biirgerdialogs aufgrund der mangelnden Bereitschaft der BBF, anstelle des Landes Brandenburg die weiteren Kosten zu tragen. Die Projektplanungs-Gesellschaft Schonefeld (PPS) beginnt mit der Erarbeitung der Unterlagen fiir das Planfeststellungsverfahren (PFV) zum Ausbau des Schonefelder Flughafens. Die PPS tritt die Vorbereitungen des Planfeststellungsverfahrens fiir die Verkehrsanbindung des BBI an das brandenburgische Ministerium fiir Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr ab. Einleitung des Planfeststellungsverfahrens fiir den Ausbau des Schonefelder Flughafens.
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland
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Fortsetzung Ubersicht 2 Juni 2002: Die Landesregierung Brandenburg und der Berliner Senat billigen den Entwurf fur einen neuen Landesentwicklungsplan „Flughafenstandortentwicklung (LEP FS)" sowie den Entwurf der flughafenbezogenen Festlegungen im gemeinsamen Landesentwicklungsprogramm der Lander Berlin und Brandenburg. Damit ziehen die beiden Landesregierungen die Schlussfolgerungen aus dem noch anhangigen Verfahren beim brandenburgischen Verfassungsgericht. Das Gericht hatte von der gemeinsamen Landesplanung u.a. eine ausfuhrliche Standortbegriindung flir Schonefeld im Zusammenhang mit der SchlieBung der Berliner Flughafen Tegel und Tempelhof gefordert. Abschluss des Anhorungsverfahrens. Juli 2002: August 2004: Planfeststellungsbeschluss. Inbetriebnahme des Flughafens Berlin-Brandenburg International. Geplant 2008: ^Stand: August 2004. Quelle: BBF (o.J., Untemehmensgeschichte; o.J., Zeitplan); Burgerbewegung Berlin-Brandenburg (o.J., Das Berliner Flughafensystem); Staatskanzlei des Landes Brandenburg (2002). kniipfen und im Burgerdialog zumindest diskutieren zu lassen (Konas o.J.). Im Rahmen eines formellen Raumordnungsverfahrens ist dies nicht vorgesehen. Im Verlauf des Mediationsverfahrens zeigte sich, dass die Teilnehmer teils extrem unterschiedliche Positionen sowohl hinsichtlich der Notwendigkeit eines Flughafenneubaus als auch hinsichtlich der Standortfrage vertraten. Angesichts dessen konnten sie sich nicht auf eine gemeinsame Standortempfehlung einigen. Der Mediator betonte aber, dass der Burgerdialog dessen ungeachtet „... in vielfaltiger Weise einen substantiellen Beitrag zur Verbesserung der Planungsgrundlagen leisten konnte. So konnten die Antragsunterlagen durch zahlreiche Hinweise und Diskussionen mit den Betroffenen inhaltlich optimiert werden. Die landesplanerische Beurteilung des brandenburgischen Ministeriums flir Umwelt, Naturschutz und Raumordnung spiegelt zudem viele Argumente wider, die im Burgerdialog genannt worden waren" (Mediator GmbH o.J., Burgerdialog Berlin-Brandenburg International). Im Juni 1996 beschlossen die Gesellschafter des Vorhabentragers BBF, auf den Bau eines neuen Flughafens zu verzichten und stattdessen den bestehenden Flughafen Schonefeld um eine neue Landebahn zu erweitem. AuBerdem wurde beschlossen, mit Inbetriebnahme der neuen Bahn die Flughafen Tegel und Tempelhof zu schUeBen. Nachdem sich die Geschaftsfuhrung der BBF im Anschluss an diese Entscheidungen und trotz eines eindeutigen Votums der Mediationsteilnehmer zur Fortsetzung des Burgerdialogs geweigert hatte, die weitere Finanzierung des Mediationsverfahrens zu iibernehmen, endete der Burger-
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Kapitel 3
Planungs- und Durchsetzungsprozesse
dialog Ende September 1996 (Mediator GmbH o.J., Mediation im offentlichen Bereich).94 Die Entscheidung zugunsten des Ausbaus des Schonefelder Flughafens stand sowohl im Widerspruch zum damals geltenden Landesentwicklungsplan als auch zu den Ergebnissen des Raumordnungsverfahrens, das flir den Fall einer Realisierung des Projekts in Schonefeld u.a. die meisten Larmbetroffenen und keinerlei positive Arbeitsmarkteffekte (i.S. einer Nettozunahme der Anzahl der Arbeitsplatze) feststellte (Biirgerbewegung Berlin-Brandenburg o.J., Das Berliner Flughafensystem; Konas o.J.).^^ Letztendlich wurde sie durch eine personliche Intervention des Bundesverkehrsministers maBgeblich befordert.^^ Das Planfeststellungsverfahren fur die Erweiterung des Flughafens Schonefeld wurde Ende 1999 eingeleitet {Berliner Wirtschaft 2000). Das Anhorungsverfahren nach § 10 Abs. 5 LuftVG wurde im M i 2002 abgeschlossen (FEBB 2002).^^ Im Rahmen der Anhorung waren 133 000 Einwendungen von 67 000 Biirgem und 180 Einwendungen von Institutionen und Gemeinden vorgebracht worden (Biirgerbewegung Berlin-Brandenburg o.J., Aktuell). Der Planfeststellungsbeschluss erging im August 2004 und damit etwa ein halbes Jahr spater als eigentlich geplant (BBF o.J., Zeitplan). Urspriinglich war geplant, den Ausbau des Flughafens im Jahr 2007 abzuschlieBen (Berliner Wirtschaft 2000). Es ist jedoch bereits jetzt abzusehen, dass es zu einer groBen Zahl gerichtlicher Einwendungen seitens negativ betroffener Burger kommen wird.^^'^^ Die BBF selbst geht inzwischen (Stand August 2004) nach offizieller Verlautbarung von
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Das Land Brandenburg hatte die Kosten bis zur Standortentscheidung getragen, lehnte dann aber eine weitere Kosteniibemahme wegen finanzieller Engpasse ab (Mediator GmbH o.J., Blirgerdialog Berlin-Brandenburg International). Konas (o.J.) berichtet, dass sich die Kosten des Burgerdialogs fur das Jahr 1995 auf 500 000 DM belief en.
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Die Standortentscheidung wurde ausschlieBlich auf das Argument der zu erwartenden Investitionskosten gestutzt, die fur den Standort Schonefeld als vergleichsweise gering prognostiziert wurden. Der damalige Vorstandsvorsitzende der Lufthansa, Ruhnau, wertete die Intervention als „ ...eine politische Vereinbarung mit dem Ziel, Einfluss auf die Verfahrensentscheidung und die Verfahrenablaufe zu nehmen", was „ ... eine eindeutige Verletzung der durch das Bundesverwaltungsgericht gesetzten Regeln" darstelle (Biirgerbewegung Berlin-Brandenburg o.J., Homepage). Die offentliche Anhorung selbst erstreckte sich iiber einen Zeitraum von nahezu 9 Monaten (Ministerium fiir Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg 2002). Vgl. exemplarisch die Ankiindigung der Biirgerbewegung Berlin-Brandenburg (o.J., Das Berliner Flughafensystem). Nicht auszuschlieBen ist, dass es sich bei den zu erwartenden Biirgerklagen teilweise auch um verdeckte Verbandsklagen handeln wird. GemaB VWPBG ist das Bundesverwaltungsgericht als erste und einzige Instanz fiir die Entscheidung iiber diese Einwendungen zustandig.
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3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland einem Baubeginn im Jahr 2006 und einer Inbetriebnahme des ausgebauten Schonefelder Flughafens zum Winterflugplan 2010 aus.^^^ Mediation Flughafen Frankfurt/M. Der Flughafen Frankfurt/M. operiert als Folge seiner dynamischen Verkehrsentwicklung schon seit vielen Jahren iiber nahezu seine gesamte Betriebszeit an seiner Kapazitatsgrenze. Entscheidender Engpassfaktor ist das Landebahnsystem. Zuletzt war mit der Inbetriebnahme der Startbahn 18 West im Jahr 1984 die Kapazitat des Bahnsystems erhoht worden. Im Zuge und zur Erleichterung der Durchsetzung des Projekts war damals sowohl von der Flughafen Frankfurt AG (jetzt: Fraport) als auch von der Hessischen Landesregierung unter ihrem damaligen Ministerprasidenten Bomer angektindigt worden, dass mit der Startbahn 18 West der endgultige Ausbauzustand des Frankfurter Flughafens erreicht sei. Im Jahr 1997 eroffnete die Lufthansa mit der Forderung nach einer deutlichen Ausweitung der Flughafenkapazitat die Diskussion um den Bau einer vierten Landebahn (Obersicht 3).^^^ Im JuH 1998 regte die Hessische Landesregierung unter ihrem damaligen Ministerprasidenten Eichel die Vorschaltung eines Mediationsverfahrens vor das formelle Genehmigungsverfahren an, um auf diese Weise bereits vor Eintritt in das formelle Planungs- und Genehmigungsverfahren die okologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen alternativer Ausbau- und Nicht-Ausbau-Varianten untersuchen und unter Einbeziehung der unterschiedlichen Interessengruppen eine Losung der Konflikte erarbeiten zu lassen, die von moglichst vielen Beteiligten akzeptiert werden kann (Mediationsgruppe Flughafen Frankfurt oJ., Das Mediationsverfahren). Das Mediationsverfahren, das ergebnisoffen sein sollte (Fraport o.J.), dauerte von August 1998 bis Januar 2000 (Sack 2000). Es wurde von einem dreikopfigen Mediationsteam geleitet.^^^ Dessen Mitglieder strukturierten in Kooperation mit wissenschaftlichen und
100 Ygj ^^2u die Internet-Website der BBF . ^^^ Die Lufthansa - Hauptkunde des Frankfurter Flughafens - kiindigte an, bei Nichterweiterung des Landebahnsystems in Frankfurt einen erheblichen Teil ihres dort abgewickelten Drehscheibenverkehrs nach Miinchen zu verlagem, da der Frankfurter Flughafen ohne Kapazitatserweiterung gegeniiber konkurrierenden Drehscheibenflughafen nicht mehr konkurrenzfahig sei. ^^^ Das Mediatorenteam bestand aus (a) Prof Dr. Kurt Oeser (ehemaliger Umweltpfarrer der Evangelischen Kirche in Deutschland, der seit den sechziger Jahren als engagierter Verfechter fiir eine Begrenzung des Fluglarms und fUr zahlreiche Veroffentlichungen zu dieser Problematik bekannt ist und im Konflikt um die Startbahn 18 West auf Seiten der Ausbaugegner stand), (b) Prof Dr. Klaus Hanisch (ehemaliger Prasident des Europaischen Parlaments) und (c) Dr. Frank Niethammer (Prasident der Industrie- und Handelskammer Frankfurt/M.) (Mediationsgruppe Flughafen Frankfurt o.J., Das Mediationsverfahren).
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Kapitel 3
Planungs- und Durchsetzungsprozesse
Ubersicht 3: Der Planungs- und Genehmigungsprozess fiir den Bau der vierten Startbahn des Flughafens Frankfurt/M.^ 1997: Juli 1998:
Beginn der Diskussion um einen Flughafenausbau Die Hessische Landesregierung regt ein ergebnisoffenes Mediationsverfahren an. Beginn des Mediationsverfahrens. August 1998: Ende des Mediationsverfahrens und Vorstellung der MediationsJanuar 2000: ergebnisse. Mai 2000: Der Hessische Landtag spricht sich einstimmig fiir ein Nachtflugverbot aus. Juni 2000: Politische Grundsatzentscheidung zugunsten des Bans einer vierten Landebahn. September 2000: Der Fraport-Aufsichtsrat verkiindet die eigene Entscheidung zum Bau der vierten Landebahn. Oktober2001: Einleitung des Raumordnungsverfahrens. Juni 2002: Abschluss des Raumordnungsverfahrens. Einleitung des Planfeststellungsverfahrens. September2003: Ein Gutachten des TUV Pfalz weist auf Sicherheitsrisiken durch Friihjahr 2004: ein nahe der geplanten Landebahn gelegenes Chemiewerk hin. Herbst 2004 (geplant): Vervollstandigung der Planfeststellungsunterlagen durch Fraport AG. Ende 2005 (geplant): Beginn des Erorterungstermins. Herbst 2006 (geplant): Fertigstellung der Stellungnahme der Anhorungsbehorde zum Anhorungs verfahren. 2007( geplant): Planfeststellungsbeschluss. 2009/2010 (geplant): Inbetriebnahme der neuen Landebahn. ^Stand: August 2004.
Quelle: Sack (2000); Fraport (o.J.), Frankfurter Klingelschmidt (2004).
Allgemeine
Zeitung
(2004a);
methodischen Beratungsinstitutionen sowie einem organisatorischen Projektmanagement die Diskussionen in der Mediationsgruppe. In dieser waren Reprasentanten der Fluggesellschaften, des Flughafenbetreibers, der Flugsicherung, der Kommunen, des Bundesverkehrsministeriums, der Hessischen Verkehrs- und Umweltministerien, der IHK Frankfurt, der Gewerkschaften und einer Biirgerinitiative vertreten (Mediationsgruppe Flughafen Frankfurt o.J., Das Mediationsverfahren). Umweltschutzverbande und andere Burgerinitiativen verweigerten jedoch ihre Teilnahme (Sack 2000). Die Mediationsgruppe empfahl eine Paketlosung, die aus fiinf Teilen besteht und von den Mitgliedem einvemehmlich verabschiedet wurde (Mediationsgrup-
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland pe Flughafen Frankfurt oJ., Das Mediationspaket - die Empfehlungen der Mediationsgruppe): • Optimierung des bestehenden Systems (d.h. Verbesserung des Flugverkehrssystems in der Luft und am Boden);^^^ • Bau einer neuen Landebahn (die etwa 120 Flugbewegungen pro Stunde erlaubt),^^^ jedoch noch keine Empfehlung fur ihre raumliche Ausrichtung;^^^ • Nachtflugverbot von 23:00 bis 5:00 Uhr sowie zusatzliche MaBnahmen zur Larmreduzierung zu den so genannten Tagesrandzeiten (spater Abend, friiher Morgen); • Anti-Ldrm-Pakt in Form eines verbindlichen Programms zur Larmreduzierung (mit ausdriicklicher Einbindung aktiver wie passiver SchallschutzmaBnahmen); • Schaffung eines Regionalen Dialogforums, das die Umsetzung des Mediationspaketes begleitet, indem es inhaltliche Fragen, etwa „zum Thema Nachtflugverbot Oder welche LarmschutzmaBnahmen am Frankfurter Flughafen durchgesetzt werden konnen", diskutiert und sich auBerdem mit der „Entwicklung des Frankfurter Flughafens und mit seinen Auswirkungen auf die RheinMain-Region heute und in Zukunft" beschaftigt sowie als Forum zur Diskussion von Fragen der langfristigen Entwicklung des Flugverkehrs und der Flughafen fungiert. Die Mediationsgruppe betonte, dass das Paket nur als Ganzes bestehe und nicht in einzelne Bestandteile aufgeteilt werden konne. Wer einen Teil aus diesem Paket herauslose, konne sich nicht auf das Ergebnis der Mediation berufen. Der Hessische Landtag sprach sich im Mai 2000 einstimmig fur ein Nachtflugverbot aus. Die Landtagsfraktionen von CDU, FDP und SPD betonten in der vorangegangenen Debatte, dass sie sich an dem Mediationspaket orientieren werden. Im Juni 2000 trat das Regionale Dialogforum erstmals zusammen, das nach Verstandnis der Hessischen Staatskanzlei als ein Beratungsgremium mit empfehlendem Charakter gedacht ist, welches die Umsetzung des Mediationspa-
^^^ Konkret wurden folgeiide MaBnahmen empfohlen (Mediationsgruppe Flughafen Frankfurt o.J., Das Mediationspaket - die Empfehlungen der Mediationsgruppe): (a) Verlagerung von Luftverkehr von Frankfurt/M. auf andere Flughafen oder auf die Eisenbahn so weit wie moglich sowie (b) Einsatz modemer Navigations- und Flugsicherungstechniken beim Betrieb der bestehenden Landebahnen. ^^^ Die Mediationsgruppe lehnte sowohl eine deutlich geringere als auch eine deutlich hohere Flugbewegungskapazitat des Flughafens nach Bau der Landebahn ausdrUcklich ab (Mediationsgruppe Flughafen Frankfurt o.J., Das Mediationspaket - die Empfehlungen der Mediationsgruppe). ^^^ Die Mediationsgruppe hat drei alternative Ausbauvarianten als „ ...denkbar..." bezeichnet (Mediationsgruppe Flughafen Frankfurt o.J, Wie geht es weiter?).
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kets begleitet. Anfanglich beteiligten sich auch Umweltschutzverbande und Biirgerinitiativen, die ihre Beteiligung am Mediationsverfahren verweigert batten, an der Arbeit in diesem Forum (Sack 2000). Der Frankfurter Flughafenbetreiber reagierte auf die Mediationsempfehlungen mit folgenden an den Bau der vierten Landebahn gekoppelten Zusagen (Fraport O.J.): • Priifung der Verlagerung des Nachtflugpoststems nach Hahn oder an einen anderen Standort; • Forderung der Nutzung anderer Verkehrstrager (insbesondere der Eisenbahn); • Selbstbeschrankungen der Fluggesellschaften in der Nachtflugzeit; • Verbindliche Einfiihrung und Nutzung larmarmer An- und Abflugverfahren in der Nacht; • Bereitstellung von Mitteln fur ein Schallschutzprogramm fiir besonders larmbelastete Gebiete in Hohe von insgesamt 76,6 Mill. Euro; • Koppelung der Landeentgelte an den tatsachlich gemessenen Larm; • Anhebung der fmanziellen Belastung von Nachtfliigen; • Verbesserung der Fluglarmiiberwachung; • Einrichtung eines Infofons flir Burgeranfragen zum Thema Larm und Ausbau. Der hessische Ministerprasident Koch sprach sich in der Folgezeit wiederholt fiir eine Koppelung von Nachtflugverbot und Ausbau des Flughafens aus.^^^ Der Flughafenbetreiber hat inzwischen ein Nachtflugverbot beantragt (Fraport o.J.) und Besitzern besonders larmbetroffener Grundstucke Entschadigungszahlungen zugesichert {Frankfurter Rundschau 2003a). Im November 2002 unterzeichneten die Lander Hessen und Rheinland-Pfalz einen gemeinsamen Vertrag, der zur Ermoglichung eines Nachtflugverbots in Frankfurt den Ausbau des Flughafens Hahn auf den Standard eines intemationalen Verkehrsflughafens vorsieht {Kurier Online 2002a).l0'7 Noch Anfang 2003 ging Fraport als Flughafenbetreiber offiziell davon aus, dass der Planfeststellungsbeschluss im Herbst 2004 gefallt sein wiirde und noch im gleichen Jahr mit den Ausbauarbeiten begonnen werden konne. Die neue Startbahn sollte nach diesen Planungen im Jahr 2006 in Betrieb gehen (Fraport O.J.). Inzwischen sind jedoch neue Priiftatbestande aufgetaucht, die den Entscheidungsprozess verzogert haben. Entsprechend revidierte das Unternehmen seine Erwartungen. Nunmehr erwartet es den Planfeststellungsbeschluss fiir das Jahr 2007 (Fraport 2004: 11). 106 gj. kieidete dies in die Formel „Kein Ausbau ohne Nachtflugverbot - kein Nachtflugverbot ohne Ausbau" {Handelsblatt 2003). ^^^ Der bisher bestehende Nachtflugpoststem soil von Frankfurt/M. nach Hahn verlagert werden. Der Vertrag sieht vor, die Landebahn des Hahner Flughafens zu verlangem und die dortigen Rollwege und Vorfelder zu erweitem (Kurier Online 2002a).
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland Obwohl es der Mediationsgruppe gelang, eine einstimmige Konsensempfehlung sowohl iiber den Neubau der Landebahn als auch - im Gegenzug - iiber umweltentlastende MaBnahmen des Flughafenbetreibers zu verabschieden und insbesondere mit der Forderung nach einem Nachtflugverbot eine seit Jahren bestehende Kernforderung von Umweltschutzverbanden und Burgerinitiativen an den Flughafen zu unterstiitzen, traf die Mediationsempfehlung von Anfang an auch auf Widerstand.l^^ Dieser Widerstand beschrankt sich nicht allein auf Umweltschutzverbande, Burgerinitiativen und betroffene Privatpersonen, die sich gegen jedweden Kapazitatsausbau des Frankfurter Flughafens richten, sondern umfasst auch - wenngleich von einer anderen Interessenposition aus - am Frankfurter Flughafen tatige Transportunternehmen, die zwischenzeitlich angeklindigt haben, gegen ein totales Nachtflugverbot zu klagen (Geisler 2002; Kurier Online 2002b). Bereits im Rahmen des verwaltungsintemen Raumordnungsverfahrens mischten sich Burger mit 45 000 Einwendungen in die eigentlich verwaltungsinterne Etappe des Genehmigungsprozesses ein {ZDF.de 2003). Es ist daher bereits jetzt ahnlich wie in Berhn abzusehen, dass nach erfolgtem Planfeststellungsbeschluss eine Vielzahl gerichtlich zu klarender Einwendungen erhoben werden. So lieBen mehrere Gemeinden im Sommer 2003 ihre Mitgliedschaft im Regionalen Dialogforum iiber mehrere Monate ruhen, da sie befurchteten, durch ihre Mitarbeit in diesem Gremium ihre juristische Position in spateren Rechtsverfahren zu gefahrden (Geis 2003). Gleichzeitig begannen sie, in ihren Gemeindehaushalten RUckstellungen ftir gerichtliche Auseinandersetzungen zu bilden (Bornecke 2003). Auch eine Blirgerinitiative verlieB zeitweiHg das regionale Dialogforum {Frankfurter Rundschau 2003b). Analyse der Mediationsverfahren als Mittel der vorbeugenden Konfliktlosung Die Vorschaltung eines Mediationsverfahrens vor den formellen Planungs- und Genehmigungsprozess nach §§6-10 LuftVG zielt grundsatzlich darauf ab, zwischen alien Beteiligten gegenseitiges Vertrauen sowohl hinsichtlich ihrer jeweiligen Informationspolitik als auch ihrer Konfliktlosungsbereitschaft zu schaffen und damit eine „faire" Beriicksichtigung aller Interessen im Planfeststellungsbeschluss zu gewahrleisten. Auf diese Weise soUen Planungs- und Durchsetzungsprobleme durch Erarbeiten einer allgemein akzeptierten Kompromisslosung entscharft werden. Insbesondere soil • eine umfassende und friihzeitige Einbeziehung aller Projektbetroffenen in den Planungsprozess sowie 108 Ygj exemplarisch die AuBerung eines Mitglieds der Partei Bundnis90/GrUne in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung: „Die Mediation ist vorbei, die Auseinandersetzung beginnt!" (Schlimme 2000).
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• eine „faire" Verteilung der Kosten und Nutzen des Vorhabens erfolgen, um damit insgesamt zu einer • Erhohung der Akzeptanz von Infrastrukturvorhaben in der Offentlichkeit zu kommen (Briinner 2000: 8). Auf diese Weise sollen die Informations- und Verteilungsprobleme gelost oder zumindest entscharft werden, mit denen die Entscheidungsprozesse sonst behaftet sind. An diesen Zielvorgaben sind die Ergebnisse des Berliner Burgerdialogs und des Frankfurter Mediationsverfahrens zu messen. Der Erfolg von Verhandlungslosungen im Rahmen von Mediationsverfahren setzt voraus, dass alle Beteiligten grundsatzlich dazu bereit sind, die Probleme der jeweiligen Gegenseite verstehen zu wollen, aufzunehmen und eine konsensorientierte Losung zu erarbeiten. Der Blirgerdialog Berlin ist dafiir ein Negativbeispiel: Der Verfahrensablauf zur Standortsuche des geplanten Berliner Gro6flughafens lasst Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Verfolgung des von den politischen Entscheidungstragern verkiindeten Ziels einer umfassenden und friihzeitigen Einbeziehung alter Projektbetrojfenen in den Planungsprozess aufkommen. Diese Zweifel begriinden sich nicht zuletzt auf die im Wesentlichen allein von der Politik getroffene Standortentscheidung zugunsten eines Ausbaus des Schonefelder Flughafens, die allein mit den geringen Investitionskosten, die ein Ausbau des Schonefelder Flughafens erwarten lasse, begrlindet und die trotz einer negativen raumordnerischen Beurteilung des Standorts gefallt wurde. Ahnlich ist auch der Abbruch des Burgerdialogs (unmittelbar nachdem die Entscheidung fiir Schonefeld gefallen war) zu werten. In den Prozess der Bewaltigung der mit dem Ausbau Schonefelds verbundenen Anliegerprobleme sind die davon direkt Betroffenen nur mehr im Wege des formell im Rahmen des Planfeststellungsprozesses vorgeschriebenen Anhorungsverfahrens involviert. Der Berliner Blirgerdialog konnte damit kaum zu einer wesentlich hoheren Akzeptanz des Infrastrukturvorhabens in der Offentlichkeit beitragen. Im Unterschied zum Berliner Flughafenprojekt wurden in Frankfurt/M. bereits im Mediationsprozess informelle Vereinbarungen iiber die Beriicksichtigung der Belange der von dem Bau der vierten Landebahn Betroffenen getroffen. AUerdings verweigerten sich in Frankfurt/M. nahezu alle Blirgerinitiativen und alle Umweltschutzverbande der Teilnahme an dem Mediationsverfahren mit der Begriindung, das Mediationsergebnis stiinde von vornherein fest: Es ginge nur noch um das „Wie" eines Ausbaus, nicht mehr um das „Ob" (Briinner 2000: 7).^^^
^^^ Im Einzelnen nannten die Umweltschutzverbande fur ihre Weigerung zur Teilnahme an der Mediationsgruppe folgende Begriindungen (BUND Hessen 2000): Erstens sei die Ergebnisoffenheit des Verfahrens nicht gewahrleistet. Zweitens wurden die Erfahrungen zeigen, dass die Gleichwertigkeit okonomischer und okologischer Aspekte
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland Das aus mangelndem Vertrauen in den Entscheidungsprozess resultierende Konfliktpotential wurde damit nicht beseitigt. Eine „faire " Verteilung der Kosten und Nutzen des Vorhabens kann durch das Mediationsverfahren nicht sichergestellt werden. Sofern den Flughafenanliegern von Seiten des Projekttragers keine hinreichenden Kompensationsleistungen angeboten werden, werden sie kaum bereit sein, entsprechende Mediationsergebnisse und Planungen zu akzeptieren. In Frankfurt/M. waren die Voraussetzungen fur Verhandlungen iiber Kompensationslosungen vergleichsweise gut, da es um die Erweiterung eines bereits bestehenden Flughafens ging und der Flughafenbetreiber bereit war, gegen die Zustimmung zum Flughafenausbau Konzessionen in Form von Nachtflugbeschrankungen anzubieten, so dass zunehmende Larmbelastungen am Tag gegen abnehmende Larmbelastungen in der Nacht eingetauscht werden konnten. In Berlin stand hingegen in der Anfangsphase die Standortentscheidung fur den Bau eines neuen Flughafens zur Debatte. Die Umweltbelastungen der Anwohner des letztendlich ausgewahlten Standorts mussten damit zwangslaufig nach der Standortentscheidung steigen, ohne dass sie erwarten konnten, dafur vollstandig entschadigt zu werden. Ob die Akzeptanz der in Berlin und Frankfurt/M. geplanten Flughafenprojekte durch die Vorschaltung der Mediationsverfahren vor den formellen Planungsund Genehmigungsprozess tatsachlich gestiegen ist, lasst sich anhand der verfugbaren Informationen nicht eindeutig einschatzen. Die Beobachtung eines sich sowohl in Berlin als auch in Frankfurt/M. mehr oder weniger breit und professionell formierenden Widerstands gegen die dort geplanten Flughafenausbauvorhaben zeigt jedoch, dass zumindest bei einem groBen Teil der unmittelbar projektbetroffenen Flughafenanlieger deutliche Akzeptanzprobleme bestehen. Allgemeine Akzeptanzprobleme bestehen auch bei den Umweltschutzverbanden. Die Akzeptanzprobleme werden durch Glaubwiirdigkeitsprobleme hinsichtlich des weiteren Planungs- und Genehmigungsprozesses verscharft. So wird beziiglich der Frankfurter Flughafenerweiterung bemangelt, dass die Mediationsergebnisse nicht rechtsverbindlich seien und sich die tatsachlichen Planungen erheblich von den im gesellschaftlichen Verhandlungsprozess erreichten unterscheiden konnten. Zudem seien die von Fraport angebotenen Kompensationsleistungen nicht wiederverhandlungsresistent, denn „ ... wahrend, so ein zentrales Argument der Ausbaugegner, eine Piste irreversibel in Beton gegossen wird, ist ein Nachtflugverbot eine Regelung, die immer auch Ausnahmen zulasst und gegen eine allmahliche Aushohlung nicht geschiitzt ist" (Sack 2000). In diesem Zusammenhang wird auch auf frlihere politische Versprechen hingewiesen, die immer wieder gebrochen worden seien, wie beispielsweise die Zusicherung des damaligen hessischen Ministerprasidenten Borner, dass nach der Inbetriebnahme von vomherein vemeint wiirde. Und drittens fehle es an einer Selbstbindung der Regierung an das Ergebnis des Verfahrens.
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der Startbahn 18 West kein weiterer Rughafenausbau in Frankfurt/M. mehr erfolgen wiircie. Selbst rechtliche Regelungen wiirden ausgehebelt, sobald es darum ginge, die Voraussetzungen fUr eine weitere Zunahme des Luftverkehrs zu schaffen, wie beispielsweise die Aufhebung der im Zuge der Auseinandersetzungen um die Startbahn 18 West geschaffenen Bannwaldregelung zeigg 110, 111 Letztendlich sind die dadurch verursachten Akzeptanzprobleme auf das Fehlen einer effektiven Govemance-Struktur zuruckzufuhren, die eine flexible Ex-post-Administration der ursprunglich vereinbarten Beschliisse ermoglicht und gleichzeitig die berechtigten Interessen aller Betroffenen schiitzt. Dieses Problem kann durch Mediationsverfahren allein nicht gelost werden. Zwar wurde im Fall Frankfurts mit dem Regionalen Dialogforum eine Diskussionsplattform geschaffen, die darauf abzielt, die Einhaltung der Mediationsvereinbarungen sowohl im Planfeststellungsbeschluss als auch dariiber hinaus zu gewahrleisten und trotzdem eine effiziente Anpassung der Beschlussbestimmungen an kiinftige Veranderungen im allgemeinen wirtschaftlichen und auch im besonderen flughafenbezogenen Umfeld zu ermoglichen.^^^ Allerdings sind die Beschliisse des Regionalen Dialogforums nicht rechtsverbindlich und daher nicht geeignet, entsprechende Glaubwiirdigkeitsprobleme zu beseitigen. Ein weiteres Problem betrifft die Frage der Stabilitat eines Mediationsergebnisses. So sind im Fall des Frankfurter Flughafens, wie beschrieben, bereits jetzt Bestrebungen zu erkennen, das Mediationspaket aufzuschntiren und einzelne Telle gerichtlich anzufechten. Wenn aber einzelne Telle des Pakets aufgehoben werden, geht die auf dem Verhandlungswege erreichte Balance des Interessenausgleichs verloren (Briinner 2000: 8 f.). Damit wird die Mediation selbst zumindest partiell ad absurdum gefuhrt. Letztendlich wird die Konfliktlosung wiederum auf die Ebene des formellen Planungs- und Genehmigungsverfahrens und der anschlieBenden gerichtlichen Klarungsprozesse verlagert. Tatsachlich zeigt die von verschiedenen Gemeinden angefuhrte Begriindung ihrer zeitweiligen Verweigerung weiterer Mitarbeit im Regionalen Dialogforum im Sommer 2003 und die Bildung von finanziellen Riickstellungen fiir gerichtliche Auseinandersetzungen iiber den kiinftigen Planfeststellungsbeschluss in ihren Gemein11^ Vgl. dazu beispielhaft die Kritik von Raiss (2000). ^^^ Der hessische Landtag hatte 1993 fiir den an den Frankfurter Flughafen unmittelbar angrenzenden Forst eine „Bannwaldregelung" erlassen, die diesen unter die hochste im hessischen Landesrecht vorgesehene Naturschutzstufe stellte. Auf diese Weise sollte dem politischen Versprechen, dass letztmals fur die Startbahn 18 West Baume weichen miissten, Glaubwiirdigkeit verliehen werden. Diese Bannwaldregelung steht dem Bau der geplanten vierten Landebahn in Frankfurt/M. noch entgegen und soil nun aufgehoben werden. ^^^ Tatsachlich versteht sich das Mediationsforum nach Aussage seines Vorsitzenden nicht nur als „Hiiter", sondem auch als „Weiterentwickler" des Mediationsergebnisses (Regionales Dialogforum 2003).
3.1 Grofle Infrastrukturprojekte in Deutschland dehaushalten, dass sie ihre eigentlichen Chancen zur Wahrung ihrer Interessen nicht in der Verhandlungsphase, sondern in der dem Planfeststellungsbeschluss folgenden Phase gerichtlicher Auseinandersetzungen sehen. Fazit Die Durchsetzung von wesentlichen InfrastrukturmaBnahmen im Flughafensektor trifft regelmaBig auf breiten Widerstand der (aus ihrer Sicht) negativ Betroffenen. Dies ist auf folgende Ursachen zuriickzufiihren: Erstens konnen die Anwohner im Falle eines positiven Planfeststellungsbescheids nicht a priori auf eine vollstandige Kompensation fiir die von ihnen zu tragenden Belastungen vertrauen. Zweitens hat der Gesetzgeber bisher auf die gesetzliche Vorgabe verbindHcher Belastungsgrenzwerte verzichtet, deren tjberschreitung automatisch einen Entschadigungsanspruch der negativ Betroffenen auslost. Die durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwingend gesetzte Kompensationsverpflichtung des Vorhabentragers beschrankt sich auf passive SchallschutzmaBnahmen und garantiert damit keinen weitergehenden Schadensausgleich. Die unsichere Rechtslage und die Handlungsspielraume der Planfeststellungsbehorde sind in Verbindung mit den politischen Einflussmoglichkeiten von Interessengruppen und der eigentumsrechtlichen Verflechtung zwischen der LandespoHtik und den Flughafenunternehmen geeignet, die Akzeptanz der behordlichen Entscheidungen durch die davon jeweils negativ Betroffenen entscheidend zu verringern. Auch die bisherigen rechthchen Reformansatze und verfahrensmaBigen Modifikationen konnen die Probleme, die mit einer moghchen PoHtisierung des eigentlichen Entscheidungsprozesses verbunden sind, nicht losen. Drittens flihren die mangelnde Akzeptanz von Planfeststellungsentscheidungen durch die davon negativ Betroffenen sowie die Moglichkeit, gegen Planfeststellungsbeschlusse zu klagen, schHeBlich dazu, dass sich die eigenthche Klarung der unterschiedlichen Rechtspositionen in aller Regel auf die Ebene der Gerichte verlagert. Da sich die Klager hiervon oftmals eine bessere Wahrung ihrer Interessen erhoffen als durch das eigenthche Genehmigungsverfahren und sie zudem in aller Regel bereits allein von einem Zeitgewinn bis zur tatsachlichen Realisierung eines bereits planfestgestellten Flughafenprojekts profitieren, kann es sich flir sie lohnen, private Informationen iiber die fiir sie mit der Realisierung der InfrastrukturmaBnahme verbundenen individuellen Kosten in der Phase des eigentlichen Genehmigungsprozesses zuriickzuhalten und erst im Rahmen der spateren gerichtlichen Auseinandersetzungen zu offenbaren. Insgesamt lassen auch die Erfahrungen mit Mediationsverfahren nicht erwarten, dass allein dadurch die volkswirtschaftlichen Kosten der Projektdurchset-
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zung maBgeblich verringert werden konnen. Vielmehr legen sie die Schlussfolgerung nahe, dass sich die Betroffenen nur solange freiwillig an nicht entscheidungsverbindlichen Verhandlungsverfahren beteiligen, wie sie davon ausgehen konnen, das ihnen durch die Verhandlungsergebnisse keine Nachteile im eigentlichen formellen Genehmigungsverfahren und bei der spateren gerichtlichen Klarung ihrer Rechtspositionen erwachsen.
3.1.2
Andere Infrastruktursektoren: Rechtsrahmen und Erfahrungen
In diesem Abschnitt werden erganzend die Erfahrungen, die in Deutschland mit der Durchsetzung von groBen Infrastrukturprojekten in anderen ausgewahlten Sektoren gemacht wurden, ausgewertet. Dabei wird zwischen linien- und punktformigen InfrastrukturmaBnahmen unterschieden. Beispiele fur linienformige Infrastrukturprojekte sind Schienen- und StraBenbauprojekte. Ein Beispiel fiir punktformige Vorhaben sind Entsorgungsanlagen. Schienen- und Strafienverkehrsinfrastruktur Der Rechtsrahmen Die institutionell-rechtlichen Rahmenbedingungen fur die Planung und die Genehmigung von Infrastrukturprojekten im Schienen- und StraBenverkehrsbereich gleichen im Wesentlichen den fiir den Flughafensektor geltenden Bedingungen. So setzen Bau und Betrieb von Eisenbahnstrecken regelmaBig ein Raumordnungsverfahren (einschUeBHch Umweltvertraglichkeitspriifung), eine Betriebsgenehmigung und eine Planfeststellung voraus (§§ 6, 18 Allgemeines EisenbahnG (AEG)).^^^ Vor dem Raumordnungsverfahren und als dessen Basis erfolgt eine grobe Linienbestimmung, bei der die geplanten Strecken in ihrem groBraumigen Verlauf festgelegt werden. Planfeststellung und Plangenehmigung entfallen bei Anderungen oder Erweiterungen von unwesentlicher Bedeutung (§18 Abs. 3 AEG). Bis Mitte der siebziger Jahre erfolgte die Planfeststellung gemaB § 36 Bundesbahngesetz durch die Deutsche Bundesbahn nach eigenen 113
Ein Raumordnungsverfahren ist bei bestimmten Vorhaben von uberortlicher Bedeutung (aufgelistet in § 1 der Raumordnungsverordnung von 1990) erforderlich. In der Regel werden vor Beginn des Planfeststellungsverfahrens fiir groBere Eisenbahnplanungen Raumordnungsverfahren durchgefiihrt (Ronellenfitsch 1986: 117). Dabei sind im Rahmen der Umweltvertraglichkeitspriifung vor allem Belange des Landschafts- und Naturschutzes, des Wasser- und des Larmschutzes zu beriicksichtigen (Wesemuller 1982: 251). Die Planfeststellung kann unter bestimmten Voraussetzungen (u.a. keine Umweltvertraglichkeitspnifung erforderlich, Einvemehmen mit betroffenen Tragem offentlicher Belange) durch eine Plangenehmigung nach § 18 Abs. 2 AEG ersetzt werden.
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland Planfeststellungsrichtlinien (Patzold 1979: 559).ll'* Seitdem werden Planfeststellungsverfahren bei der Eisenbahn weitgehend nach den auch fiir Flughafenprojekte anwendbaren Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) und neugefassten bahneigenen Richtlinien durchgefuhrt (Patzold 1979: 559 ff.; Ronellenfitsch 1986: 116). Dabei fungiert seit der Bahnreform das Eisenbahnbundesamt fiir Femverkehrsstrecken als Planfeststellungs- und eine Landesbehorde als Anhorungsbehorde (Wink 1995: 249). Die Detailplanung einzelner Objekte erfolgt durch Landesbehorden bzw. AuBenstellen des Eisenbahnbundesamtes (Wink 1995: 252). Unterschiede zum Flughafensektor ergeben sich fiir Schiene oder StraBe vor allem dadurch, dass die von Neubauvorhaben negativ Betroffenen einen gesetzlich festgeschriebenen Anspruch auf Kompensationsleistungen besitzen, der sich auf die Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) iiber den Schallschutz bei StraBen- und Schienenwegen stiitzt und der sich automatisch bei Uberschreiten von festgelegten Larmgrenzwerten einstellt.^^^ Im Unterschied zu Flughafenprojekten sind die Projekttrager bei tJberschreiten bestimmter Belastungsgrenzwerte nicht allein zu passiven, sondern zwingend auch zu aktiven SchallschutzmaBnahmen verpflichtet. So muss sichergestellt sein, dass durch die Infrastrukturvorhaben keine schadlichen Umwelteinwirkungen hervorgerufen werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind (§ 41 BImSchG). Werden die festgelegten Immissionsgrenzwerte iiberschritten, haben die davon Betroffenen einen Anspruch auf angemessene Entschadigung in Geld fiir die an ihren Gebauden durchgefiihrten SchallschutzmaBnahmen (§ 42 BImSchG). Die Grenzwerte werden von der Bundesregierung nach Anhorung der beteiligten Kreise mit Zustimmung des Bundesrats festgesetzt (§ 43 BImSchG). Dariiber hinaus sind raumbedeutsame Planungen und MaBnahmen so zu gestalten, dass schadliche Einwirkungen auf Wohngebiete moglichst vermieden werden (§ 50 BImSchG). Fiir Bundesstrafien und Bundesautobahnen sind Planfeststellung und Plangenehmigung in § 17 BundesfernstraBengesetz geregelt. Im StraBenbau iibernimmt zumeist eine Landesfachbehorde die Funktion als Planfeststellungsbehorde. Die fiir Schienenbauprojekte beschriebenen Umweltschutzvorschriften des BImSchG gelten uneingeschrankt auch fiir StraBenbauprojekte.
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Diese Planfeststellungsrichtlinien wurden letztmalig im Jahr 1976 fiir drei Abschnitte der Neubaustrecke Mannheim-Stuttgart angewendet (Samaras 1978: 581). Die Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes fmden auf den Flughafensektor keine Anwendung (§ 2 Abs. 2 BImSchG).
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Erfahrungen bei Bahnprojekten Die genannten Verfahrensvorschriften haben in der Vergangenheit bei GroBprojekten der Eisenbahn erhebliche Verzogerungen verursacht.^^^ Bedeutende Verzogerungen ergaben sich vor allem bei der Linienbestimmung und wirkten sich daher vor allem auf die Planungsphase aus. Oftmals versuchen die betroffenen Lander und Gemeinden, ihren politischen Einfluss zu nutzen, um die Linienfuhrung in ihrem Sinne zu beeinflussen.^^^ Gerichtliche Klagen scheinen sich dagegen eher gegen bauliche Details der einmal festgelegten Linie gerichtet zu haben. Die Bahnprojekte stieBen in den Planfeststellungsverfahren zum Teil auf prinzipielle Gegner, welche die Neubaustrecken mit grundsatzlichen okologischen und/oder okonomischen Argumenten in Frage zu stellen versuchten (Neidhardt 1978: 600). Beeinflusst von der politischen und okonomischen GroBwetterlage Mitte der siebziger Jahre (erste so genannte Energiepreiskrise 1973/74, Bericht des Club of Rome (Meadows 1972)) wurde etwa behauptet, das Wirtschaftswachstum gehe ohnehin zu Ende, die Bevolkerung des Bundesgebiets nehme langfristig ab, deswegen werde auch die Nachfrage nach Femverkehrsleistungen sinken und die Neubaustrecken seien daher uberflussig. Neidhardt (1979: 792) berichtet, dass mit den Vertretem dieser Gruppe „ ...kaum ein Kompromiss oder ein Gesprach moglich" war. Der andere, zahlenmaBig wohl liberwiegende Teil der Einspriiche gegen die Streckenbauplane wurde jedoch von Personen erhoben, die direkt von den jeweiligen Projekten betroffen waren und sich nicht gegen die Plane an sich, sondem gegen die Neubaustrecken in ihrer Nahe wandten. Mit dieser Gruppe waren grundsatzlich sachliche Gesprache und oft auch Kompromisse moglich. Dies gilt auch fiir eine weitere Gruppe von Mitbiirgem, die, ohne selbst Anwohner geplanter Trassen zu sein, doch eine wesentlich starkere Beriicksichtigung von Umweltbelangen bei Neubauplanungen forderten, als dies bis dahin iiblich war. Die linienformige Struktur der Bahnprojekte fiihrte zu einer sehr hohen Zahl jeweils lokaler Extemalitaten wie Larmbelastigung an zahlreichen Stellen, Zerstorung von ortlichen Biotopen und Naherholungsgebieten usw. Daher vermochten viele kleinere, wegen des bahnseitig allein beabsichtigten Schnellstver^^^ Die Verzogerungen nahmen im Verlauf der siebziger Jahre erheblich zu. Samaras (1978: 581, 584) fuhrt dies auf das damals stark gestiegene Umweltbewusstsein der Bevolkerung zuriick. So bemerkt die Bundesbahn im Zusammenhang mit den Planungen fur einen neuen Rangierbahnhof Munchen-Nord, durch die Unterbrechung der Arbeiten von 1965 bis 1969 infolge Vorrangs der S-Bahn-Planungen zu den Olympischen Spielen 1972 sei leider der Zeitpunkt verstrichen, zu dem der Rangierbahnhof noch ohne wesentliche Schwierigkeiten hatte gebaut werden konnen (Thoma 1979). ^ ^^ So wurde etwa die urspriinglich geplante direkte Fiihrung der Neubauschienenstrecke Hannover-Wiirzburg iiber Holzminden zugunsten eines Zwischenhalts in Gottingen aufgegeben.
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland
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kehrs nicht als Haltepunkt vorgesehene Kommunen, liber deren Gebiet die Neubaustrecken verlaufen soUten, fiir sich lediglich Nachteile, aber keinerlei Vorteile der DB-Planungen zu erkennen. Sie nahmen in aller Regel die Neubauplane dennoch hin^^^ und versuchten, in den Verhandlungen um eventuelle Kompensationen „das Maximale vom Moglichen herauszuholen" (Neidhardt 1978: 600; Samaras 1984:762).! 19 Um Verzogerungen durch Einspriiche gegen die Neubauplanungen und gQgtbenenfalls folgende zeitraubende Klagen mit entsprechenden Kosten der Entscheidungsverzogerung moglichst zu vermeiden, wurde bei den DB-Neubaustrecken vielfach Zuflucht zu relativ sehr teuren Tunnellosungen genommen;!^^ so wurden etwa 30 Prozent der Neubaustrecke Hannover-Wurzburg als Tunnel angelegt (Wesemiiller 1982: 255).^^^ Auf der Strecke Mannheim-Stuttgart wurden Tunnelbauten durch den Verzicht auf ein neues GroBraumprofil erleichtert und iiberdies die geplante Ausbaugeschwindigkeit von 300 auf 250 km/h reduziert; andererseits mussten die Anlieger bei Forderungen nach Tunneln dort Abstriche machen, wo es nicht um den Schutz besiedelter Gebiete, sondern
11^ Die - vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit FlughafenausbaumaBnahmen iiberraschende - durch die Gemeinden erfolgte Hinnahme der geplanten Trassenfuhrungen liber das jeweils eigene Gebiet lasst sich zumindest teilweise mit larmpsychologischen Grlinden erklaren. So weist der Sachverstandigenrat ftir Umweltfragen darauf hin, dass die Bahn unabhangig von akustischen Eigenschaften im Vergleich zum Kfz und zum Flugzeug als ein relativ wenig riskantes und umweltfreundlicheres Verkehrsmittel empfunden wird (SRU 2002: 274). In einer empirischen Untersuchung konnten Finke et al. (1980) zeigen, dass die Bewertung der Larmquelle eine deuthchere Aussage iiber die empfundene Larmbelastigung zulasst als die Betrachtung eines technischen LammiaBes wie des aquivalenten Dauerschallpegels. 119 Gefordert wurde etwa, Strecken so zu bauen, dass okologische Belastungen minimiert werden (z.B. im Tunnel), oder fur die Beeintrachtigungen einen Ausgleich auf anderen Gebieten etwa in Form von StraBenbauten oder Eilzughalten auf vorhandener Strecke zu schaffen. Seitens der Deutschen Bahn durfte die Einrichtung einzelner Zwischenhalte an Neubaustrecken wie etwa Limburg Slid in Hessen und Montabaur in Rheinland-Pfalz an der neuen ICE-Strecke Frankfurt-Koln auch erfolgt sein, um das Interesse der Lander an der Neubaustrecke zu starken. 1^^ Ob diese umfangreichen Investitionen im Rahmen eines Vergleichs der dadurch verursachten sozialen Kosten und des dadurch geschaffenen sozialen Nutzens als angemessen zu bewerten sind, kann angesichts des staatlichen Eigentums an der DB hier nicht beurteilt werden. Letztendlich fUhrt das Staatseigentum zu einer weichen Budgetbeschrankung fUr das Untemehmen, in deren Folge letztendlich nicht das Untemehmen selbst, sondern die Steuerzahler zumindest einen Teil der Investitionskosten iibemehmen. Dadurch wird das betriebswirtschaftliche Investitionskalkiil der DB verzerrt. 1^1 Solche Losungen sind auch noch in den neunziger Jahren bei der Planung der Neubaustrecke (Numberg-)Ebensfeld-Erfurt gewahlt worden. Diese wird aus Umweltschutzgriinden im Thiiringer Wald, den sie an seiner schmalsten Stelle quert, zu drei Vierteln in Tunneln ausgefUhrt <www.bmvbw.deA^erkehr/Schiene/Neubaustrecke Ebensfeld-Erfurt, Zugriff am 3.2.2003 >.
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uberwiegend um die Schonung von Ackerland und Wald ging (Neidhardt 1979: 791). Dariiber hinaus sind in groBem Umfang Larmschutzwande und -walle angelegt worden. Auch mit Hilfe umfangreicher landschaftspflegerischer AusgleichsmaBnahmen (z.B. Rekultivierung), fiir die fallweise besondere Landschaftsplane aufgestellt wurden (Krebs 1978: 585), konnte die Akzeptanz der Neubaustrecken verbessert werden.^^^ Insgesamt haben dennoch etwa bei der Neubaustrecke Hannover-Wurzburg die gesetzlichen Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren nahezu doppelt so lange gedauert wie die eigentlichen Bauarbeiten (Wesemliller 1982: 268). Probleme mit langen Planungs- und Bauzeiten selbst relativ kleiner Projekte sind auch in anderen Sektoren des Schienenverkehrs zu beobachten. Ein Beispiel ist die geplante Stadtbahnverbindung zwischen Kassel und Hessisch Lichtenau, bei der eine vorhandene und weiterhin im Gliterverkehr zu bedienende Eisenbahnstrecke mitbenutzt wird. Obwohl es sich also nur in Teilbereichen um einen Streckenneubau handelt, werden dennoch seit dem Beginn der Planungsarbeiten etwa funfzehn Jahre vergangen sein, wenn die Strecke voraussichtlich Ende 2005 vollstandig in Betrieb geht (Beinhauer und Meyfahrt 2001: 44; Hondius 2004: 21). Die Ursachen fiir die lange Planungs- und Bauzeit weichen zum Teil von denen der DB-Neubaustrecken ab und sind eher fiir Nahverkehrsprojekte typisch, wie die Abhangigkeiten von lange ausbleibenden und dann „plotzlich" zustande kommenden politischen Einigungen auf lokaler Ebene oder von iiberraschend eingehenden Finanzierungszusagen. Gleichwohl diirften sie teilweise auch in anderen Planungsbereichen anzutreffen sein. Hingewiesen wurde beispielsweise darauf, dass nicht so sehr das Planfeststellungsverfahren an sich zeitraubend sei. Haufig wiirden in einem solchen Verfahren jedoch notwendige, aber nicht erfolgte oder nicht abgeschlossene Abstimmungsprozesse zwischen Beteiligten aufgedeckt. Noch problematischer sei, „dass manche Trager offentlicher Belange erst im Verfahren ihre Bedenken vortragen oder ihre eigenen alteren Stellungnahmen vergessen" (Beinhauer und Meyfahrt 2001: 45). Im Verlauf langer Planungsprozesse und haufig geforderter so genannter Denkpausen wiirden zudem vorhandene Planungen immer wieder durch neue Ideen und neue Rahmenbedingungen, beispielsweise auch infolge von Fortschritten in der Technik, in Frage gestellt.^^^ ^^^ Zu diesem Zweck ging die DB verschiedentlich auch Bindungen fiir die Zeit der Baudurchfiihrung ein, etwa betreffend den Bauablauf und die dabei benutzten Transportwege fiir Baumaterial und Bodenaushub (Samaras 1984: 763). ^^^ Ein weiteres Beispiel ist die nach einer fast zehnjahrigen Diskussions- und Planungsphase und anschliefiender etwa zweijahriger Bauzeit am 4. Oktober 2003 in Betrieb gegangene kurze Verlangerung der von Pforzheim kommenden Bahnlinie iiber den Bahnhof Bad Wildbad hinaus bis zum Kurpark (Stadtverkehr 2002; Karlsruher Verkehrsverbund Bahn und Bus o.J.).
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland Ein erster Ansatzpunkt fur Verbesserungen im Ablauf von Planfeststellungsverfahren fur Bahnstrecken war eine erganzende „freiwillige" Offentlichkeitsarbeit der Bahn^^^ durch besondere Veranstaltungen, die etwa von (politischen Oder auch Kirchen-)Gemeinden oder der Bahnbau-Zentrale selbst durchgefuhrt wurden und auBerhalb der gesetzlichen Erorterungstermine formlicher Einwendungen stattfanden (Neidhardt 1978: 601). Insofem wurde das biirokratische System durch erste „Ansatze eines Verhandlungssystems im Rahmen der Offentlichkeitsbeteiligung bzw. der Stellungnahmen relevanter Trager offentiicher Belange" (Wink 1995: 252) erganzt. Ein Teil der Einwendungen, mit denen beispielsweise die Aussagen von Gutachten zu dem vom Betrieb der Neubaustrecken ausgehenden Larm immer wieder in Frage gestellt wurden, konnte von der Deutschen Bundesbahn auch dadurch abgefangen werden, dass die Bahnbauzentrale im Planfeststellungsverfahren rechtsverbindliche Garantien dafur abgab, dass bestimmte in den Gutachten vorhergesagte Werte fiir den Schallpegel an bestimmten Stellen entlang der Strecke keinesfalls uberschritten wurden. Damit nahm die Bahn das gesamte, von den Betroffenen besonders gefurchtete Risiko von Fehlprognosen auf sich (Neidhardt 1979: 794). Verschiedentlich wurde bei den Bahnprojekten auch versucht, die auf ergangene Planfeststellungsbeschlusse „ublicherweise" folgenden gerichthchen Auseinandersetzungen zu vermeiden bzw. zu verkiirzen, indem • entweder ein Weg aufiergerichtlicher Einigung mit den Betroffenen durch das Angebot von Entschadigungen oder durch (in der Regel allerdings mehr oder weniger kostspieUge) Anderungen der Planung wie insbesondere Trassenverlegungen und Tunnelbauten gesucht und erfolgreich beschritten wurde, so dass die Betroffenen nicht mehr erwarten konnten, im Klagewege noch eine nennenswerte Verbesserung ihrer Position zu erreichen, • Oder - insbesondere bei Projekten in den neuen Bundeslandern (Neubaustrecke Berlin-Stendal-Hannover^^^ - erfolgreich von den mit dem VWPBG und dem PLVeinfG gesetzlich geschaffenen Moglichkeiten Gebrauch ge-
^^^ Im Zusammenhang mit den konkreten Planungen fiir die Neubaustrecke MannheimStuttgart Mitte der siebziger Jahre - als bereits eine Grlindungswelle von Burgerinitiativen eingesetzt hatte - wurde bei der Bahn erkannt, dass die OffentUchkeitsarbeit, die bisher mehr sporadisch wahrgenommen worden war und sich im WesentUchen auf die Mandatstrager und die Medien als Zielgruppen beschrankte, ausgeweitet und intensiviert werden miisse (Neidhardt 1979: 793). ^^^ Diese Strecke ist allerdings keine echte Neubaustrecke, da sie weitgehend neben dem einen verbliebenen Gleis der alten, in der Vorkriegszeit ebenfalls fiir Schnellfahrten bis zu 160 km/h genutzten Strecke angelegt wurde; dieser Umstand mag die Planung zusatzlich erleichtert haben.
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Kapitel 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse macht wurde, die Planung durch Verklirzung von Fristen bzw. Reduzierung der Einspruchsmoglichkeiten zu beschleunigen (Klatt 1998: 553).^^^
Erfahrungen bei Strafienprojekten Zahlreiche weitere Beispiele fiir planerische Probleme mit kleinen und groBeren linienformigen Projekten bietet der Strafienverkehr mit seinen haufigen Auseinandersetzungen, besonders auch um stadtische Verkehrsplanungen, bei denen von verschiedenen Interessengruppen mitunter vollig kontrare Forderungen vertreten werden.^^^ Beispielhaft fiir Probleme des Femstrafienbaus sei die geplante Ostseeautobahn A 20 von Stettin (Anschluss A l l ) nach Ltibeck (Anschluss A 1) angefiihrt, die nach Westen zur Elbe, die westlich Hamburgs gequert werden soil, und durch das nordliche Niedersachsen weitergefiihrt werden soil. Wahrend mecklenburgische Streckenabschnitte unter dem Einfluss des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes bereits im Mai 1994, zwei Jahre nach Planungsbeginn, in Bau gingen (Melzer 1999), war noch bis Januar 2002 eine Klage beim Bundesverwahungsgericht anhangig, die sich gegen die Planungen fiir die siidliche Umfahrung Liibecks zur A 1 richtete, da diese Streckenfiihrung die okologisch bedeutsame Wakenitzniederung queren muss. Mehrere Umweltschutzorganisationen und eine Biirgerinitiative wollten sich, darin teilweise unterstiitzt von den an der schleswig-holsteinischen Landesregierung beteiligten Partei Biindnis90/ Griinen, nicht mit einer (Jberbriickung der Wakenitz abfmden, sondern bestanden aus Umweltschutzgriinden auf einer wesentlich teureren Tunnellosung (Goos 2001). Die Klage wurde am 31. Januar 2002 abgewiesen (Landesregierung Schleswig-Holstein o.J.). Umstritten war auch der inzwischen weit fortgeschrittene Bau der Anbindung an die A 1 siidwesthch Liibecks; Anwohner kritisierten insbesondere, dass die zustandigen Behorden trotz der Ankiindigung, die Anwohner bei der Planung mitreden zu lassen, bereits alle Entscheidungen vorab getroffen hatten (Mikuteit 1998). In Mecklenburg-Vorpommern hatten demgegeniiber - Pressemeldungen zufolge - Initiativen gegen den Autobahnbau eher wenig Resonanz gefunden, da ^^^ Zu den im VWPBGund im PLVeinfG festgelegten Regeln vgl. detailHert oben den Abschnitt „Die Vereinfachung des Planungs- und Genehmigungsrechts zu Beginn der neunziger Jahre". ^^^ So gab es etwa in GroB-Umstadt (Hessen) jahrelang Streit um den Bau einer UmgehungsstraBe, die von zwei Biirgerinitiativen aus der Innenstadt als Nordspange zur Entlastung der Innenstadt gefordert wurde. Dagegen sahen sich von der Trassenfiihrung betroffene Anwohner durch die Verwaltung getauscht und bezweifelten, dass die von einem Verkehrsplanungsbiiro empfohlene Nordspange die einzig mogUche und sinnvolle Entlastung der Innenstadt sei. „Sie griindeten eine Biirgerinitiative, kauften ein Sperrgrundstiick und beauftragten einen Rechtsanwalt mit der Wahmehmung ihrer Interessen beim Verwaltungsgericht" (Sellnow 1995: 57).
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland die Bevolkerung ihn mehrheitlich in der Hoffnung auf eine Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur mit zusatzlichen Erwerbsmoglichkeiten begriiBte. Zur Akzeptanz der A 20 in Mecklenburg-Vorpommern haben allerdings auch die betrachtlichen Aufwendungen fiir Natur- und Artenschutz (Wildbrticken, Krotentunnel) entlang der Autobahn beigetragen (Melzer 1999) sowie vermutlich auch die niedrige Besiedlungsdichte in weiten Teilen des Landes, die es erleichterte, Beeintrachtigungen von Anwohnern zu vermeiden. Die westliche Weiterfuhrung der A 20 ist bis in die Nahe von Bad Segeberg planfestgestellt. Fiir den weiteren Verlauf der Trasse nach Westen ist die Planung noch nicht abgeschlossen, doch zeichnen sich auch hier Umweltkonflikte etwa im Gebiet des Segeberger Forstes und der Elbquerung ab. Was innerstddtische Strafienverkehrsprojekte angeht, so ist es in vielen Stadten trotz drangenden Handlungsbedarfs kaum noch moglich, verkehrspolitische Entscheidungen grundsatzlicher Art zu treffen. Die Ansichten der in der Kommunalpolitik vertretenen politischen Parteien, der in der Offentlichkeit agierenden Interessengruppen sowie einzelner Btirger stehen einander allzu haufig unversohnlich gegeniiber. „Fachlichen Ausarbeitungen der Verwaltung wird misstraut, zu Gutachten werden sofort Gegengutachten erarbeitet" (Sellnow oJ.: 21). Ahnlich wie bei den Neubaustrecken der Bahn wird auch bei StraBenprojekten versucht, mit Klagen beim Verwaltungsgericht die Umsetzung von Verkehrslosungen, von denen sich einzelne Personen oder Gruppen benachteiligt fUhlen, zu verhindem oder wenigstens zu verzogern. Auch hier nutzen die Klager in der Regel den Umstand aus, dass die Kosten der Entscheidungsverzogerung groBtenteils nicht von ihnen als den von einer Projektrealisierung iiberwiegend negativ Betroffenen, sondern von anderen Personen, konkret: Verkehrsteilnehmern und/ oder Anwohnern anderer, durch das in Rede stehende Projekt entlasteter StraBen getragen werden (klassisches Beispiel: innerstadtische DurchgangsstraBe wird entlastet durch UmgehungsstraBe an der bislang ruhigen Peripherie der Stadt). Ansatze von Verhandlungslosungen waren angesichts der zunehmenden Durchsetzungsschwierigkeiten in den neunziger Jahren auch bei stddtischen Verkehrsprojekten zu beobachten. In neuartigen so genannten Verkehrsforen, die wie die Mediationsverfahren im Flughafenbereich unter den Begriff der alternativen Konfliktregelungsverfahren subsumiert werden konnen, wurden auf freiwilliger Basis Vertreter der verschiedenen Interessengruppen, der Politik und der Verwaltung zusammengefiihrt, um unter neutraler Leitung ihre Ansichten zu einem strittigen Thema auszutauschen. Dabei soUten nach Moglichkeit einvernehmliche Losungsvorschlage erarbeitet und als Empfehlungen an die zustandigen politischen Gremien weitergeleitet werden. Es handelt sich also durchgangig um alternative Konfliktregelungsverfahren ohne tatsachliche Entscheidungskompetenz, die nur in Erganzung zu den traditionellen Entscheidungsstrukturen Einsatz finden. Diese Verfahren ahneln stark den Mediationsverfahren im Flug-
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hafensektor, so dass ihr moglicher Beitrag zur Senkung von Entscheidungs- und Durchsetzungskosten ahnlich skeptisch zu beurteilen ist wie dort. Die gesetzlichen Mafinahmen der neunziger Jahre zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung im Planungsbereich scheinen die Transaktionskosten tendenziell jedenfalls insoweit gesenkt zu haben, als es dabei um die Kosten von Verzogerungen der Projektfertigstellung geht, wie die Erfahrungen etwa mit dem Bau der A 20 in Mecklenburg-Vorpommern und der Bahnstrecke Berlin-Hannover bestatigen (vgl. auch Guckelberger 1998: 26). Auch die Griindung privatrechtlicher Projektgesellschaften fur die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit (Klatt 1998: 553) hat die Planung und Ausfuhrung der Projekte im Vergleich zur Tatigkeit staatlicher oder bahneigener Bauamter beschleunigt. Ob liber die Beschleunigung von Planung und Durchsetzung einzelner Infrastrukturprojekte hinaus auch deren gesamte Transaktionskosten (im weiten Sinn) gesenkt werden konnten, kann hier nicht abschlieBend beurteilt werden, ist aber angesichts der Beschrankung der gesetzlichen Regelungen auf allein verfahrensbeschleunigende und klageerschwerende Mafinahmen zu bezweifeln.^^^ Die Erfahrungen bei Bahn- und StraBenprojekten zeigen, dass die Planungsund Durchsetzungsprozesse in Details etwas leichter verlaufen sind als im Flughafensektor. Erleichternd auf die Projektrealisierung hat es sich vor allem ausgewirkt, wenn den Projektgegnem Zugestandnisse in bautechnischer (Trassenverlegungen) oder monetarer Form (Kompensationen) gemacht oder ihnen zumindest Grenzwerte z.B. fiir Larm rechtsverbindHch zugesichert wurden. Die Bereitschaft der Projekttrager zu derartigen Zugestandnissen diirfte nicht zuletzt durch die Absicherung von Ansprlichen Betroffener im Bundesimmissionsschutzgesetz gefordert worden sein. Daneben sind Bahn- und StraBenprojekte allerdings auch unmittelbar durch die planungserleichtemden Gesetze der neunziger Jahre beschleunigt worden. Dagegen scheint die (im Vergleich zum Flughafensektor) starkere Einbeziehung von Bundesbehorden wie etwa dem Eisenbahnbundesamt kaum erleichternd auf die Planfeststellungsverfahren zu wirken, da sich Bundesbehorden genauso mit den Einwendungen von Projektgegnem auseinandersetzen miissen wie Landesbehorden. Entsorgungsanlagen Die rechtlichen Voraussetzungen fiir die Bereitstellung von Entsorgungsanlagen entsprechen in ihrer Struktur denjenigen, die auch fiir Flughafen- so wie Schienen- und StraBenverkehrsanlagen gelten. Die Struktur des Genehmigungsprozesses stellt sich im Einzelnen folgendermaBen dar: ^^^ Vgl. dazu oben ausfuhrlich die Kritik an den Beschleunigungsgesetzen in Abschnitt „Die Vereinfachung des Planungs- und Genehmigungsrechts zu Beginn der neunziger Jahre".
3.1 Grofie Infrastrukturprojekte in Deutschland • Abfallwirtschaftsplanung nach § 29 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG), • Raumordnungsverfahren nach § 15 Raumordnungsgesetz, • Prlifung der Umweltbelange nach UVP und KrW-/AbfG und schHeBlich • Planfeststellungs- oder Genehmigungsverfahren fiir konkrete Anlagen bzw. -anderungen. Mit Riicksicht auf die von ihnen moglicherweise ausgehenden Belastigungen Dritter sowie vor allem auf die Gefahr einer Beeintrachtigung von Umweltgutern (z.B. durch Verunreinigung von Grundwasser) bedurfen ortsfeste Abfallbeseitigungsanlagen sowie wesentliche Anderungen solcher Anlagen oder ihres Betriebs grundsatzlich einer Genehmigung nach den Vorschriften des BundesImmissionsschutzgesetzes (§31 Abs. 1 KrW-/AbfG). Fiir Errichtung und Betrieb von Deponien (sowie wesendiche Anderungen derselben) ist ein Planfeststellungsverfahren mit Umweltvertraglichkeitspriifung erforderlich (§31 Abs. 2 KrW-/AbfG); ortlich zustandig ist die mittlere bzw. obere Landesbehorde, in deren Bezirk die Deponie angelegt werden soil (§ 3 VwVfG). Die Planfeststellung erfolgt regelmaBig mit Nebenbestimmungen (Auflagen, Bedingungen Oder Befristungen), durch die insbesondere zu erwartende Beeintrachtigungen der Boden-, Luft- und Wasserreinheit so weit wie nach dem Stand der Technik moglich vermieden werden soUen (SRU 1990: 99). Das Genehmigungsverfahren, welches nach § 31 Abs. 3 KrW-/AbfG bei unbedeutenden neuen Anlagen oder unwesentlichen Anderungen bestehender (bedeutender oder unbedeutender) Anlagen an die Stelle des Planfeststellungsverfahrens treten kann, fiihrt vielfach nicht zu einer Verkurzung der gesamten Verfahrensdauer, weil der Genehmigung keine Konzentrationswirkung zukommt. Dies hat zur Folge, dass auBer der abfallrechtlichen Genehmigung haufig noch weitere Erlaubnisse nach dem Wasser-, StraBen-, Gewerbe-, Landschafts- oder Naturschutzrecht einzuholen sind (SRU 1990: 99). Wesentliches Kennzeichen der mit Entsorgungsanlagen verbundenen Umweltbelastungen ist die starke lokale Konzentration der mit ihrem Betrieb verbundenen okologischen Belastungen, der - anders als bei Flughafen- und StraBenbauprojekten - kaum lokal anfallende positive externe Effekte etwa in Form zusatzlicher Arbeitsplatze oder einer verbesserten Verkehrsanbindung - gegenuberstehen. Entsprechend stoBen die Errichtung bzw. Erweiterung von Anlagen der Abfallentsorgung, insbesondere MUUdeponien, haufig auf groBe lokale Widerstande. Diese fiihrten im Zusammenhang mit dem - jedenfalls bisher - langfristig zunehmenden Mullanfall zum Problem drohender Verknappung der Entsorgungskapazitaten, das auch durch Entlastungsstrategien wie Miillvermeidung und -verwertung nur unzureichend gelost werden konnte. Wegen der von Abfallentsorgungsanlagen ausgehenden oder auch nur beflirchteten Geruchs- und Ge-
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rauschbelastigungen - nicht allein durch Emissionen der Anlagen selbst, sondern auch durch den Verkehr der den Abfall anliefernden Fahrzeuge - stoBt die Suche nach entsprechenden Standorten vielfach auf das NIMBY-Problem (Werbeck 1993b: 5).129 Bei der Errichtung von Abfallbeseitigungsanlagen waren vielfaltige Widerstande von Seiten betroffener Privatpersonen, aber auch konkurrierender offentlicher Belange zu beobachten, die oft zu erheblichen Zeitverzogerungen fiihrten. Die Widerstande gegen die Abfallbeseitigungsplanung und die Zulassung von Beseitigungsanlagen wurden vom Sachverstandigenrat fiir Umweltfragen (SRU 1990: 101) mit einem weit verbreiteten „Vertrauensschwund in die Fahigkeit und den Willen von Politik und Wirtschaft zur Problemlosung in Fragen des Umweltschutzes" erklart. Bei den Blirgern im Einzugsbereich geplanter Anlagen entstehe regelmaBig der Eindruck, zu spat, zu unvollstandig und einseitig informiert zu werden und dariiber hinaus keine echten Beteiligungsmoglichkeiten angeboten zu bekommen. „Der im Planfeststellungsverfahren durchzufuhrende Anhorungstermin wird als ungeeignet angesehen, einen direkten Interessenausgleich herbeizufuhren" (SRU 1990: 101). Als Ursachen der Akzeptanzkrise wurden au6er Faktoren, die auch in anderen Politikfeldem zu beobachten sind, wie einem „Verlust erlebter Handlungskontrolle" und daraus resultierendem Gefiihl der Hilflosigkeit, vor allem auch negative Erfahrungen mit einem umweltunvertraglichen Umgang mit Abfallen in der Vergangenheit ausgemacht (SRU 1990: 104). Nicht unproblematisch ist vielfach bereits die Festlegung auf die Mengen, die fiir die Beseitigungs- und Verwertungskapazitaten maBgeblich sind (aktuelles Abfallaufkommen und zu erwartende Vermeidungs- und Verwertungsquoten). „Dies klingt relativ trivial, ist aber dennoch von beachtlicher Bedeutung. Denn die Errichtung einer Anlage wird zunachst damit abgelehnt, dass die Anlage unnotig ware, weil bei Ausschopfung aller Moglichkeiten zur Verwertung und Vermeidung gar keine Abfalle mehr vorhanden sein dtirften" (Dihlmann 1994: 4). Grundsatzliche Gegner einer Anlage konnen deren Notwendigkeit durch eine Orientierung an knapp geschatztem Abfallaufkommen einerseits und optimistischer Einschatzung vorhandener Entsorgungskapazitaten andererseits in Frage stellen. Im Bereich der Abfallentsorgung haben sich allerdings im Verlauf der neunziger Jahre neuere Entwicklungen insofem ergeben, als die vorhandenen Abfallbeseitigungsanlagen technisch modernisiert bzw. durch Anlagen nach dem heute moglichen technischen Standard ersetzt wurden und inzwischen so betrieben und gewartet werden, dass von ihnen ausgehende schwere Umweltbelastungen eher 129 Ygi (j^2u auch den Sachverstandigenrat fiir Umweltfragen (SRU 1990: 104): „Soweit es um das abstrakte Ziel der Schaffung von Beseitigungskapazitaten auf Kreisebene usw. geht, kann hier durchaus ein Konsens erzielt werden, der aber bei der Standortfrage sogleich zerbricht."
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die Ausnahme darstellen (SRU 2000: 398). Dadurch sind die vordem gravierenden Akzeptanzprobleme der Abfallentsorgung etwas entscharft worden. Die Verbesserungen haben nach Ansicht des Rats von Sachverstandigen fur Umweltfragen „auch dazu beigetragen, dass die Angste der Bevolkerung vor Neuerrichtung und Betrieb von Abfallbehandlungs- und -beseitigungsanlagen eingedammt werden konnten und die Auseinandersetzungen wieder auf einem sachlicheren Niveau stattfinden konnen" (ebenda). Auch die 1994 erfolgte Verabschiedung des neuen Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes mit starkerer Betonung von Abfallvermeidung und -verwertung^^^ dlirfte entspannend gewirkt haben, auch wenn an der Genehmigungspflicht fiir Entsorgungsanlagen nichts geandert wurde. ^ ^ ^ Fazit Die Analyse der Erfahrungen mit GroBprojekten in Infrastrukturbereichen auBerhalb des Luftverkehrswesens hat insgesamt ergeben, dass dort ebenfalls teils sehr lange Planungszeiten und erhebliche Durchsetzungsprobleme zu beobachten waren. Dies gilt namentiich fiir die Eisenbahn-Neubaustrecken, aber auch fiir manche Anlagen zur Abfallbeseitigung. Bei alien Sektoren lasst sich beobachten, dass mit einer Minderheit prinzipieller Gegner, die sich im Sinne der BANANA-Kritik auf grundsatzliche Argumente wie einen Vorrang des Umweltschutzes oder gar eine Ablehnung jeglichen wirtschaftlichen Wachstums stiitzen, kaum ein Gesprach und eine Kompromissfmdung moglich sind. Was die Mehrheit angeht, der es hauptsachlich darum geht, die in Rede stehenden Anlagen „not in my backyard" zu haben, so reichen allerdings die bisher iiblichen Erorterungstermine im Rahmen von Planfeststellungsverfahren erfahrungsgemaB haufig nicht mehr fiir eine Konfliktbewaltigung aus. Beobachtungen aus dem Verkehrswegebau wie aus dem Bau von Abfallbeseitigungsanlagen deuten gleichermaBen darauf hin, dass die gegen NIMBY-Anlagen erhobenen Einwendungen bei Erorterungen nach herkommlichem Muster vielfach nicht derart eingehend beriicksichtigt werden, dass die Betroffenen daraufhin eine Entscheidung zugunsten solcher Anlagen akzeptieren und auf eine Inanspruchnahme der Verwaltungsgerichte verzichten wiirden.
^^^ Die Verwertung von Abfalien (insbesondere Bauabfallen) hat im Verlauf der neunziger Jahre erheblich an Bedeutung gewonnen. Allerdings weist der Umweltrat auch darauf hin, dass „nur eine grUndliche Priifung aller umweltpolitischen Vorteile und Risiken ... ein Urteil dariiber ermoglichen (kann), ob der eingeschlagene Verwertungsweg auf lange Sicht umweltvertraglicher ist als eine kontrollierte Beseitigung" (SRU 2000: 398). ^^^ § 29 KrW-/AbfG ist eine erweiterte und prazisierte Fassung von § 6 AbfG 1986; § 31 KrW-/AbfG entspricht nahezu wortlich § 7 AbfG 1986.
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Ein Grund fiir diese Schwierigkeiten scheint auch in diesen Infrastrukturbereichen darin zu liegen, dass Verwaltungen bei der Planfeststellung und der Behandlung von Einspnichen der Betroffenen regelmaBig als „Quasipartei" wahrgenommen werden, die mit den Betreibem der beantragten Anlagen alle Einzelheiten der Anlagen vorher abgesprochen hat und deren eigentliche Kunst im Erorterungstermin darin besteht, die Zuriickweisung von Widerspriichen zu begriinden.^^^ So wird etwa eine entsprechende Auswahl der sachverstandigen Gutachter und der jeweils behandelten Fragestellungen sowie eine restriktive Informationsfreigabe an die Offentlichkeit unterstellt. Aufgrund der „faktischen Entscheidungsprajudizierung" (Wink 1995: 285) werde das Planfeststellungsverfahren dem Anspruch eines Verfahrens, in dem zusatzliche Information gewonnen und in den Entscheidungsprozess eingebracht werden soil und eine moglichst vollstandige Abwagung zwischen den Kosten und Nutzen der einzelnen Beteiligten sowie ein Ausgleich divergierender Interessen erfolgen soil, nicht gerecht. Zahlreiche Beteiligte versprechen sich beim gegenwartigen System der Planfeststellung von einer Konzentration auf gerichtliche oder politische Prozesse offenbar bessere Chancen fur die Geltendmachung ihrer Interessen (bzw. das Erreichen eines fiir sie hinnehmbaren Verhandlungsergebnisses) als von einer konstruktiven Beteiligung am verwaltungsrechtlichen Planungsverfahren selbst. Dies verstarkt die schon aus strategischen tJberlegungen eingenommene „Verweigerungshaltung" der Betroffenen und flihrt dazu, dass deren Verhalten im Verfahren bereits auf das spatere verwaltungsrechtliche Klageverfahren und die Verbesserung der dortigen Erfolgaussichten oder auf die Starkung politischer Einflussmoglichkeiten ausgerichtet ist. Sowohl bei den Verkehrsprojekten, insbesondere den Eisenbahn-Neubaustrecken, als auch bei den Abfallbeseitigungsanlagen wurde oft versucht, den (aktuellen und potentiellen) Einspnichen gegen die beabsichtigten Planfeststellungen durch eine deutlich iiber die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehende Information der Betroffenen und der interessierten Offentlichkeit zu be^^^ Wink (1995: 285, 287) meint in diesem Zusammenhang: „Das Interesse der Planungstrager wird sich ... an der Durchsetzbarkeit der Planung ... orientieren. Folglich wird denjenigen Einwendungen, bei denen die Wahrscheinlichkeit groB ist, dass ihre Beriicksichtigung als Bestandteil eines formell rechtmaBigen Verfahrens durch die Planfeststellungsbehorde oder das Verwaltungsgericht gefordert wiirde, ein starkeres Gewicht eingeraumt. Des weiteren wird bei den Stellungnahmen von Interessenvertretem gepriift, inwieweit zur Durchsetzung dieser Interessen die Moglichkeit der Mobilisierung politischer Druckmittel besteht. Dabei wird besonders auf die politische Ausrichtung der jeweiligen Landesregierung als Dienstherr des Entscheidungstragers geachtet. Diese unterschiedliche Beriicksichtigung der Interessen induziert sowohl allokative als auch qualitative Ineffizienzen. [ ] Bei den Erorterungsterminen bietet sich den Betroffenen haufig der Eindruck einer nicht unparteiischen Verhandlungsfuhrung durch die Anhorungsbehorde ...."
3.2 Flughafeninfrastrukturprojekte 97 gegnen. Dies allein reichte jedoch in der Regel nicht aus, da die eigentliche Ursache der Einspriiche - der Konflikt zwischen einer mehr oder weniger kleinen, aber in unmittelbarer Projektnahe wohnenden Minderheit, deren Interessen (z.B. Wohnqualitat, Grundstuckspreise) durch ein Projekt beeintrachtigt werden, und der in der weiteren Umgebung wohnenden und daher von dem Projekt eher profitierenden oder mindestens neutralen Mehrheit - allein durch verbesserte Informationen nicht aus der Welt geschafft wird. Erleichtemd auf die Planungs- und Durchsetzungsprozesse in den analysierten Bereichen auBerhalb des Flughafensektors wirken dagegen (i) die Anwendung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes mit seinen Grenzwerten und Kompensationsanspriichen, auf die sich negativ Betroffene eines Projekts berufen konnen, (ii) die im Vergleich zum Flughafensektor groBere Bedeutung aktiver SchutzmaBnahmen wie Larmschutzwande, Tunnellosungen und technische Verbesserungen etwa bei der Abfallentsorgung sowie (iii) rechtsverbindliche Garantien der Vorhabentrager zur Einhaltung bestimmter Umweltstandards (Schallpegel). Diese Ansatze, negative Projektwirkungen durch Kompensations- oder SchutzmaBnahmen fiir Betroffene so weit wie moglich abzufedem, lassen trotz der weiterhin bestehenden Durchsetzungsprobleme fiir GroBprojekte die Aussage zu, dass auBerhalb des Flughafensektors teilweise eher Erfolg versprechende Moglichkeiten gefunden wurden, die zahlreichen, sich aus derartigen Projekten zunachst zwangslaufig ergebenden Konflikte zu bewaltigen.
3.2
Flughafeninfrastrukturprojekte in England und der Schweiz
In diesem Abschnitt wird die bisherige Untersuchung um die Analyse der institutionell-rechtlichen Rahmenbedingungen fiir die Planung und Durchsetzung von Flughafeninfrastrukturprojekten in England und der Schweiz erweitert. Die Planungs- und Genehmigungssysteme beider Lander reprasentieren Ordnungen, die sowohl im Vergleich untereinander als auch im Vergleich zum deutschen System Elemente altemativer Kompetenzzuordnungen aufweisen: Wahrend in Deutschland die Lander damit beauftragt sind, liber die Genehmigung von geplanten Infrastrukturprojekten zu befmden, und das System damit eine ausgepragte federative Struktur aufweist, hat die Zentralregierung in England explizite Letztentscheidungskompetenzen. In der Schweiz besitzt die lokale Bevolkerung aufgrund der Moglichkeit, FlughafenausbaumaBnahmen zum Gegenstand von Volksabstimmungen zu machen, direkt-demokratische Einflussmoglichkeiten auf den Genehmigungsprozess.
98 3.2.1
Kapitel 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse Rechtsrahmen und Planungssystem in England
Anders als in Deutschland werden FlughafeninfrastrukturmaBnahmen in England nicht durch sektorspezifisches Recht geregelt.^-^^ Stattdessen wird dort der institutionell-rechtliche Rahmen fiir die Planung, Genehmigung und Durchsetzung von Rughafenprojekten durch die Regeln des allgemeinen „Systems der raumlichen Planung" („Planning System") beschrieben. Ziel dieses Systems ist die Sicherstellung einer effizienten und nachhaltigen Entwicklung der Flachennutzung (Government Office for the West Midlands 2002). Im Folgenden wird zunachst das Planning System beschrieben. AnschlieBend werden die Erfahrungen ausgewertet, die mit der Durchsetzung von Flughafenprojekten im Rahmen dieses Systems gemacht wurden. Im dritten Schritt wird das Planning System als Mittel der Planung und Durchsetzung von Flughafeninfrastrukturvorhaben bewertet. Der Rechtsrahmen Das Planning System basiert auf vier wesentlichen Elementen,^^^ namlich auf • der Existenz von regionalen und lokalen Raumentwicklungsplanen („Development Plans"), • der Genehmigungspflicht fiir Landnutzungen („Development Control"), • der Existenz von lokalen Planungsbehorden („Local Planning Authorities") und einer nationalen Planungsagentur („Planning Inspectorate Agency") sowie • besonderen Befugnissen der Zentralregierung und hier vor allem des Umweltministers (^Secretary of State of the Environment"). Die regionalen und lokalen Raumentwicklungsplane werden von regionalen bzw. lokalen Planungsbehorden aufgestellt. Sie legen fest, in welchen Gebieten welche Arten von Landnutzungen zulassig sind und bilden damit die Grundlage fiir die Genehmigung von Infrastrukturvorhaben. Bei der Aufstellung der Plane haben die Behorden so genannte „Public Policy Guidances (PPGs)" zu beriicksichtigen, die bestimmte Anforderungen, denen die Plane geniigen miissen, prazisieren.^^^ Die PPGs werden von der Zentralregierung erlassen.^^^ Diese 133 Ygj 2u Deutschland Abschnitt 3.1.1. ^^^ Die folgenden Ausfiihrungen zum engUschen Planungssystem orientieren sich - soweit nicht anders angegeben - an ODPM (2001a), Government Office for the West Midlands (2002) und AEF (o.J.). Fur Nordirland, Schottland und Wales gelten eigene - jedoch weitgehend analoge - Gesetze und Kompetenzzuordnungen. 135 ppQs konnen sich sowohl auf grundsatzhche Planungsanforderungen als auch auf die Berucksichtigung spezieller Planungsprobleme beziehen. Beispielhaft fiir grundle-
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verfugt damit iiber ein Instrument, mit dem sie die lokal und regional zustandigen Behorden bei der Ausarbeitung der Raumentwicklungsplane auf nationale Politikziele verpflichten kann. Die Planentwurfe sind der allgemeinen Offentlichkeit bekannt zu machen und mit den daran Interessierten offentlich zu erortem, bevor sie in rechtsverbindliche Plane umgewandelt werden. Jede Art der Landnutzung unterliegt einer gesonderten behordlichen Genehmigungspflicht.^-^^ Genehmigungsbehorde ist diejenige Local Planning Authority (LPA), in deren Verwaltungsgebiet das betroffene Land liegt.^^^ Sie priift, ob das beantragte Vorhaben den Vorgaben der Entwicklungsplane und den PPGs entspricht und ob eine Umweltvertraglichkeitspriifung erforderlich ist. Sie ist dariiber hinaus verpflichtet, bei ihrer Genehmigungsentscheidung alle Stellungnahmen, die ihr seitens der unmittelbar Projektbetroffenen und auch der allgemeinen Offentlichkeit zugehen, zu beriicksichtigen und konkurrierende Interessen gegeneinander abzuwagen. Grundsatzlich soil sie ihre Entscheidung innerhalb vorgegebener Fristen fallen. ^^^ Tatsachlich werden diese Fristen aber haufig nicht eingehalten.l^^ gende Anforderungen seien „PPG 1: General Policy and Principles" und „PPG 13: Transport" genannt: PPG 1 legt fest, dass das Planungsrecht nur zur Erreichung von Zielen angewendet werden darf, die nicht auf der Grundlage anderer Gesetze erreicht werden konnen. PPG 13 verpflichtet die lokalen Genehmigungsbehorden u.a. dazu, mit ihren Planungen dem allgemeinen Mobilitatsbedtirfnis der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Als Beispiele fiir die Beriicksichtigung spezieller Planungsprobleme sei auf Telle des „PPG 2: Green Belt" sowie der PPG 24: Planning and Noise" verwiesen: PPG 2 legt u.a. die Grenzen der enghschen Naturschutzgebiete fest. PPG 24 empfiehlt Larmgrenzwerte fiir Wohngebiete, iiber die hinaus die Bevolkerung nicht mit Larm belastet werden sollte. Im August 2004 existierten 25 PPGs. ^•^" Die konkrete legislative und prozedurale Umsetzung der PPGs wird in erganzenden „Circulars" geregelt, die ebenfalls von der Zentralregierung zu erlassen sind. ^^^ Rechtsgrundlage ist der „Planning Compensation Act 1991 (PCA)". ^^^ Sofem sich das Vorhaben iiber mehrere Verwaltungsgebiete erstreckt, sind Antrage auf Genehmigung bei den LP As aller unmittelbar betroffenen Gebiete zu stellen. Die LP As einigen sich dann dariiber, wer fiir die Entscheidung federfiihrend verantwortlich ist. Normalerweise ist das diejenige LP A, deren Gebiet am starksten von dem in Rede stehenden Vorhaben betroffen ist. ^^^ Sofern keine Umweltvertraglichkeitspriifung notwendig ist, ist innerhalb von 8 Wochen iiber den Projektantrag zu entscheiden. Der maximale Zeitraum vom Datum der Antragstellung bis zur Entscheidung der Genehmigungsbehorde verdoppelt sich, falls eine Umweltvertraglichkeitspriifung erforderlich ist. Dariiber hinaus kann der maximal zulassige Zeitraum zwischen Antragstellung und Entscheidung iiber die 8-Wochen- (bzw. 16-Wochen-)Frist hinaus verlangert werden, wenn der Vorhabentrager zustimmt. ^^^ Faktisch wird nur in etwa der Halfte der beantragten Projektvorhaben die vorgeschriebene 8- (bzw. 16-)Wochenfrist eingehalten. Die durchschnitthche Zeitdauer bis zur Entscheidung der lokalen Genehmigungsbehorde betragt realiter 36 Wochen. Uber ungefahr ein Viertel aller beantragten Vorhaben entscheiden die Local Planning Authorities erst nach Uber einem Jahr {Demon News o.J.).
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Kapitel 3 Planungs-und Durchsetzungsprozesse
Fur bestimmte Kategorien von Vorhaben („Schedule-l-Projekte") ist vor der Genehmigung zwingend eine Umweltvertraglichkeitspriifung („Environmental Impact Assessment" - EIA) durchzufuhren.^^^ In einem solchen Fall hat der Antragsteller der Genehmigungsbehorde einen Umweltbericht vorzulegen, in dem alle im Fall einer Projektrealisierung zu erwartenden Umweltbelastungen detailliert aufgefUhrt sind. Fiir so genannte „Schedule-2-Projekte" muss ein EIA nur dann durchgefuhrt werden, wenn von einer Realisierung des beantragten Vorhabens „erhebliche" Umweltauswirkungen zu erwarten sind. Ob die zu erwartenden Umweltbelastungen „erheblich" sind, obliegt der Entscheidung der Genehmigungsbehorde.^'*^ InfrastrukturmaBnahmen, die Flughafen mit einer Landebahn von liber 2100 m Lange betreffen, sind als Schedule-1-Projekte klassifiziert, solche, die Flughafen mit einer kiirzeren Landebahn betreffen, als Schedule-2-Projekte. Sofem eine Umweltvertraglichkeitspriifung erforderlich ist, hat der Antragsteller die Offentlichkeit dariiber zu informieren und seinen Umweltbericht alien Interessierten zuganglich zu machen. Jedermann hat dann das Recht, binnen 21 Tagen Einwendungen gegen diesen Bericht zu erheben. Falls schwerwiegende Einwendungen gegen den Bericht vorgebracht werden, kann die Genehmigungsbehorde die Bearbeitung des Genehmigungsantrags solange verweigem, bis der Antragsteller entsprechende Zusatzinformationen zur Verfugung gestellt hat.^"*^ Die Planungsbehorde kann die Genehmigung („Planning Permission") an von ihr zu formulierende projektbezogene Auflagen binden, die aber „vemtinftig" („reasonable") sein miissen. Die Behorde kann die Auflagen entweder administrativ verfiigen oder aber mit dem Antragsteller vertraglich vereinbaren („Planning Agreements"). Dariiber hinaus steht es dem Projekttrager frei, sich gegeniiber der Behorde selbst auf entsprechende MaBnahmen zu verpflichten und ihr gegeniiber entsprechende Erklarungen (, J^lanning Obligations") abzugeben.
^^^ Die Projektkategorien, fur die zwingend eine Umweltvertraglichkeitspriifung vorgeschrieben ist, sind detailliert in Schedule 1 des TCPA Regulations aufgefiihrt. ^^^ Die Projektkategorien, fur die eine Umweltvertraglichkeitspriifung auf Veranlassung der Genehmigungsbehorde durchzufiihren ist, sind detailliert in Schedule 2 des TCPA Regulations aufgefiihrt. Fiir Schedule-2-Projekte haben die Antragsteller bereits vor Einreichung des eigentlichen Genehmigungsantrags eine Anfrage an die zustandige LPA zu richten, ob eine Umweltvertraglichkeitspriifung erforderlich ist und sie entsprechend einen Umweltbericht anzufertigen haben. Die Behorde hat dann innerhalb von drei Wochen einen entsprechenden Bescheid abzugeben. Der Antragsteller kann gegen die behordliche Entscheidung Beschwerde beim Umweltminister einlegen, der dann liber die Notwendigkeit einer Umweltvertraglichkeitspriifung zu entscheiden hat. ^^^ Die Entscheidung dariiber, ob vorgebrachte Einwendungen gegen den Umweltbericht „schwerwiegend" sind, fallt die Genehmigungsbehorde nach eigenem Ermessen.
3.2 Flughafeninfrastrukturprojekte 101 Falls die lokale Genehmigungsbehorde einen Antrag auf Umwidmung von Land fiir neue Verwendungen ablehnt oder aber innerhalb der vorgeschriebenen Fristen keine Entscheidung fallt, kann sich der Antragsteller innerhalb von 6 Monaten an den Umweltminister wenden („Planning Appeal"). Dieser kann die Anrufung entweder zuriickweisen oder akzeptieren. Sofem die Anrufung nicht zuriickgewiesen wird, hat er den Fall an die politisch weitgehend unabhangige Planning Inspectorate Agency („PINS") weiterzuleiten, die ab diesem Zeitpunkt mit der Klarung der strittigen Punkte beauftragt ist. Die PINS emennt dann einen „Planning Inspector", der mit der Koordinierung der weiteren Verfahrensschritte und insbesondere mit der Durchfiihrung einer offentlichen Untersuchung („Public Inquiry") fur diesen Fall betraut Wwd}^^ Im Rahmen der Public Inquiry haben alle an dem Fall Interessierten die Moglichkeit, ihre Anliegen gegeniiber dem Planning Inspector in schriftlicher Form vorzutragen. Dieser hat alle Stellungnahmen gegeneinander abzuwagen und - erganzt um seine Abwagungen - zu protokoUieren. Er darf sich dabei ausschlieBlich auf diejenigen Argumente stlitzen, die im Verfahrensprozess entweder vom Antragsteller oder von einer der anderen beteiligten Parteien vorgebracht wurden (Brady 1996: 17). In besonderen Fallen kann er auch eine offentliche Anhorung („Hearing") durchfuhren. Ein Hearing ahnelt einer (allerdings informellen) Gerichtsverhandlung, in deren Verlauf grundsatzlich alle Parteien Gelegenheit haben soUen, ihren jeweiligen Standpunkt vorzubringen, wobei allerdings im Einzelfall der Kreis der anzuhorenden Personen eingeschrankt werden kann, sofern trotzdem gewahrleistet ist, dass die unterschiedlichen Interessen aller Konfliktparteien im Hearing reprasentiert sind.^'*^ Im Verlauf des Hearing haben alle zugelassenen Parteien nicht nur Gelegenheit, den jeweils eigenen Standpunkt vorzubringen, sondern auch - nach besonderer Erlaubnis des Inspectors - die Gegenparteien ins Kreuzverhor zu nehmen (Thorpe 1999; DemonNews o.J.). In der weit uberwiegenden Zahl aller Planning Appeals ist der Planning Inspector unmittelbar dazu befugt, rechtsgUltig iiber das strittige Projekt zu entscheiden.^4^ Er hat dann seine Entscheidung detailliert zu begriinden. Der Um^^^ Planning Inspector ist in den meisten Fallen ein Beamter der PINS. Die PINS kann aber auch andere Personen - wie z.B. Rechtsgelehrte oder unabhangige Personen des offentlichen Lebens - zum Inspector fur einen bestimmten Fall berufen (Government Office for the West Midlands 2002). ^^^ Der Umweltminister oder - stellvertretend fUr und mit Zustimmung des Ministers der fur den zu verhandelnden Fall verantwortliche Planning Inspector entscheidet dariiber, wer im konkreten Fall angehort wird. Ublicherweise werden angehort: (a) der Antragsteller, (b) die lokale(n) Planungsbehorde(n), (c) die betroffenen Ministerien der Zentralregierung sowie (d) andere Parteien. ^^" Etwa 98 Prozent der Planning Appeals werden vom Planning Inspector entschieden (Government Office for the West Midlands 2002).
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Kapitel 3
Planungs-und Durchsetzungsprozesse
weltminister kann sich die endgiiltige Entscheidung aber auch selbst vorbehalten. Das Gesamtabwagungsergebnis des Planning Inspector stellt dann eine rechtsunverbindliche Empfehlung flir die Entscheidung des Ministers dar, der seine Entscheidung ebenfalls detailliert zu begriinden hat (Brady 1996: 17). Der Minister hat darliber hinaus die Moglichkeit, die Entscheidung iiber ein beantragtes Projekt auch ohne Planning Appeal an sich zu ziehen („Call-in").^'^^ Hat er ein Call-in ausgesprochen, erarbeitet die fur das Gebiet, in dem das Vorhaben verwirklicht werden soil, zustandige regionale Regierungsbehorde („Govemment Office") eine Auflistung („Call-in-letter") der strittigen Fragen, flir die noch Informationsbedarf besteht („Rule 16 Statement"). ^"^^ Analog zum Planning-Appeal-Verfahren wird sodann ein Planning Inspector mit der Durchfuhrung einer offentlichen Untersuchung und der Abgabe einer Entscheidungsempfehlung beauftragt, bevor der Minister die rechtsverbindliche Entscheidung trifft, die er auch in diesem Fall detailliert zu begriinden hat. Ein Call-in ist insbesondere dann zu erwarten, wenn das in Rede stehende Projekt • ein „Vorhaben von nationaler Bedeutung" („issue of national importance") darstellt^"^^ oder/und • erheblich von den Vorgaben der fur das betroffene Gebiet bestehenden lokalen und regionalen Raumentwicklungsplane abweicht und gleichzeitig besonderen Kriterien entspricht^^^ oder/und
^"^^ Jahrlich erklart der Minister flir etwa 120 bis 150 der nach dem PGA genehmigungspflichtigen Vorhaben ein Call-in (Government Office for the West Midlands 2002). ^^^ Beispielsweise ist das Government Office for the West Midlands fiir Planning Appeals zustandig, die genehmigungspflichtige Projekte in der Region West Midlands betreffen. ^^^ Ein Vorhaben ist gemaB Section 77 des Town and Country Planning Act 1990 von nationaler Bedeutung, wenn seine Verwirklichung (a) bedeutende Fragen der architektonischen Gestaltung und der Stadtplanung aufwirft; (b) Auswirkungen generiert, die weit Uber den lokalen Raum hinaus ausstrahlen; (c) in der regionalen und nationalen Offentlichkeit stark umstritten ist; (d) die Verwirklichung von bedeutenden Zielen der nationalen Politik beriihrt und/oder (e) nationale Sicherheitsfragen oder zwischenstaatliche Beziehungen des Vereinigten Konigreichs betrifft (AEF o.J.). ^^^ GemaB Section 77 des Town and Country and Planning Act 1990 hat der Minister uber ein Projekt, das nicht den Bestimmungen der fiir das betoffene Gebiet gultigen Entwicklungsplane entspricht, zu entscheiden, wenn das Vorhaben (a) auf die Bereitstellung von mehr als 150 Wohnungen oder 10 000 qm Einzelhandelsflachen abzielt, (b) ein Eigenprojekt der Local Planning Authority darstellt oder auf dem Grund und Boden verwirklicht wird, das sich im Eigentum der LPA befindet, (c) in „unangebrachtem" („inappropriate") MaBe in Naturschutzgebiete eingreift oder (d) in irgendeiner anderen Art und Weise die Verwirklichung der den Entwicklungsplanen des Gebietes zugrunde Hegenden Politikziele behindert.
3.2 Flughafeninfrastrukturprojekte
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• seine Verwirklichung den Bestimmungen der Planning Policy Guidances widerspricht. FlughafeninfrastrukturmaBnahmen werden vom Umweltminister in aller Regel als Vorhaben von nationaler Bedeutung beurteilt und dementsprechende Call-ins werden verfugt. Entscheidungen des Planning Inspector und der Regierung sind grundsatzlich vor dem Obersten Gericht („High Court") von „Personen, die durch die in Rede stehende Entscheidung benachteiligt sind", anfechtbar.^^^ Das Gericht entscheidet nach eigenem Ermessen, welche potentiellen Klager zum Kreis der „negativ Betroffenen" zu zahlen sind und damit das Recht der Klageerhebung besitzen.^^^ AUerdings beschrankt sich die gerichtliche Klarung des Sachverhalts auf die Untersuchung von Verfahrensfehlern im Genehmigungsprozess und darauf, ob durch die Entscheidung geltendes Recht verletzt wurde. Der Inhalt der Entscheidungen selbst ist darliber hinaus nur unter sehr engen Voraussetzungen anfechtbar (Brady 1996: 17).153,154 ^^^ RechtHche Grundlage entsprechender gerichtlicher Klagen sind die Sections 284 und 288 des TCPA. Eine Anfechtung vor dem High Court muss innerhalb von 6 Wochen nach der Entscheidung des Planning Inspector (bzw. der Regierung) angemeldet werden. ^^^ Obwohl rechtUch nicht dazu verpflichtet, tendieren die Gerichte seit einigen Jahren verstarkt dazu, auch solche potentiellen Klager als „Betroffene" anzuerkennen, die von der in Rede stehenden Entscheidung des Planning Inspector oder des Umweltministers nicht unmittelbar selbst finanziell oder rechtlich betroffen sind (Brady 1996: 15). ^^^ Grundsatzlich lassen sich Anfechtungsklagen gegen Entscheidungen des Planning Inspector oder des Umweltministers auf folgende Umstande stutzen (Brady 1996: 17): (a) Irrationalitat der getroffenen Entscheidung; d.h., die Entscheidung ware von einem rational Denkenden so nicht getroffen worden, wenn alle relevanten Fakten im Entscheidungsfindungsprozess angemessen beriicksichtigt worden waren. (b) Nichtberiicksichtigung von entscheidungsrelevanten Tatsachen im Abwagungsprozess, wobei der Abwagungsvorgang selbst allerdings nicht einer gerichtlichen Uberpriifung zuganglich ist. (c) Nicht nachvollziehbare Begriindung der Entscheidung; d.h., der Betroffene ist nicht in der Lage, aus der Entscheidungsbegriindung die Griinde der Entscheidung herauszulesen. (d) Verletzung grundlegender Prinzipien der Rechtsprechung (z.B. indem der Inspector eine Entscheidung auf Argumente stiitzt, die im Verfahrensprozess weder vom Antragsteller noch von einer der anderen Parteien vorgebracht worden sind). Anfechtungsklagen, die sich auf die Griinde (a) und (b) berufen, sind allerdings nach standiger Rechtsprechung als von vornherein kaum Erfolg versprechend einzustufen (Brady 1996: 17). ^^^ Im Juli 2003 hat allerdings der Europaische Gerichtshof flir Menschenrechte in Zusammenhang mit der Regierungsgenehmigung fiir den Neubau eines 5. Terminals am Flughafen London-Heathrow entschieden, dass diese enge Begrenzung der Rechtsmittel einen VerstoB gegen Artikel 13 („Recht auf wirksame Beschwerde") der Europaischen Menschenrechtskonvention darstelle, weil sie eine gerichtliche Uberpriifung der Frage verhindere, ob eine mit dem zu priifenden Planungsvorhaben in Zusammenhang stehende beabsichtigte Ausweitung der Nachtfluge am Flughafen London-
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Kapitel 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse
Die Erfahrungen mit dem Planungssystem Im Folgenden werden die Erfahrungen mit der Durchsetzung von FlughafeninfrastrukturmaBnahmen unter den Bedingungen des englischen Planungssystems beispielhaft anhand zweier Flughafenausbauprojekte erortert. Dabei handelt es sich zum einen um den Bau der zweiten Landebahn fur den Rughafen Manchester. Zum anderen wird der Verlauf des Genehmigungsprozesses ftir den geplanten Terminal 5 des Flughafens London-Heathrow untersucht. Der Konflikt um die zweite Landebahn des Flughafens Manchester^^^ Der Flughafen Manchester verfiigte bis Anfang der neunziger Jahre iiber ein Einbahnsystem, dessen Kapazitat nicht ausreichte, die fur diesen Flughafen bis 2010 prognostizierten Verkehrszuwachsraten engpassfrei zu bewaltigen. Angesichts dessen beschloss die Flughafengesellschaft Manchester Airport Pic. damals, mit den Planungen fiir eine zweite Landebahn zu beginnen. Im Sonmier 1991 kiindigte sie offentlich Plane an, die Kapazitat des Flughafens durch Ausbau ihres Bahnsystems von 15 Millionen Passagieren im Jahr 1995 auf 30 Millionen Passagiere im Jahr 2010 zu verdoppeln. Es soUte der erste Neubau einer Start-/ Landebahn in GroBbritannien seit iiber 20 Jahren sein. Der Flughafen Manchester befindet sich etwa 18 km siidlich des Zentrums der Stadt Manchester. Er ist - nach Heathrow und Gatwick - der drittgroBte Flughafen GroBbritanniens und - gemessen an der Zahl der von ihm fiir grenziiberschreitende Fltige abgefertigten Passagiere - der siebtgroBte in Europa. Das Flughafengelande Uegt inmitten eines landwirtschaftHch genutzten Gebiets, dessen groBter Teil entweder aufgrund der bestehenden Entwicklungsplane Siedlungsbeschrankungen unterliegt („Green Belt Policy") oder sich im Eigentum des National Trust - einer nationalen Organisation zur Erhaltung gewachsener Landschaftsstrukturen - befmdet. Das Gebiet ist als landschafthch und okologisch wertvoll eingestuft und fiir seine sehr alten Baumbestande beriihmt (Purdy O.J.). Angesichts dessen gerieten die Planungen zum Bau der zweiten Start-/ Landebahn in Konflikt mit Umweltschutzzielen.
Heathrow eine ungerechtfertigte Beschrankung der Rechte der Anwohner nach Artikel 8 („Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens") darstellt und deshalb unzulassig sei. Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang selbst gepriift, ob die Genehmigungsentscheidung den Artikel 8 verletze. Er vemeinte diese Frage, da die Regierung ihren diesbeziiglichen Ermessensspielraum nicht iiberschritten habe (European Court of Human Rights 2003). Dennoch ist die Entscheidung wegen des Hinweises auf Artikel 13 bei der institutionellen Ausgestaltung der Flughafenpolitik zu beachten. ^^^ Die Darstellung des Planungs-, Genehmigungs- und Durchsetzungsprozesses der zweiten Landebahn des Flughafens Manchester stiitzt sich - soweit nicht anders angegeben - auf Purdy (o.J.).
3.2 Flughafeninfrastrukturprojekte 105 Bereits wenige Monate nach der erstmaligen Bekanntgabe der Flughafenausbauplane und noch vor Einreichung des Bauantrags bei den beiden in diesem Fall zustandigen lokalen Planungsbehorden kam es zu ersten Demonstrationen gegen den Bau der geplanten Landebahn (Ubersicht 4). Die Flughafengesellschaft ihrerseits bot frlihzeitig an, die Offentlichkeit in den Ausbauplanungsprozess einzubeziehen. Zwischen 1991 und 1993 - und damit ebenfalls vor Einreichung des Genehmigungsantrags bei den Genehmigungsbehorden - veranstaltete sie mehrere offentliche Veranstaltungen auf dem Flughafengelande und in Anliegergemeinden, in denen sie nicht nur liber die Plane zum Bau der neuen Landebahn informierte, sondem auch ihren vorlaufigen Strategieplan zur weiteren Entwicklung des Flughafens bis zum Jahr 2005 zur Diskussion stellte. Die Planungen wurden auBerdem bei den lokalen Planungsbehorden, in Biirgerbliros und offendichen Bibliotheken und auch am Flughafen offentlich ausgelegt und den Flughafenanliegern automatisch sowie alien anderen daran Interessierten auf Anforderung zugesandt. Zusatzlich wurde den Burgern die Moglichkeit gegeben, ihre Ansichten zu den Planungen der Flughafengesellschaft iiber spezielle Telefonverbindungen zu auBern. Im Jahr 1992 begannen die Untersuchungen zu den Umweltauswirkungen, die der Bau und der Betrieb der geplanten Landebahn mit sich bringen wurden. Mit der Feststellung des notwendigen Umfangs des von der Flughafengesellschaft abzuliefernden Umweltberichts („Scoping") wurde das unabhangige und gemeinniitzige Institute for Environmental Assessment (lEA) beauftragt.^^^ Die Untersuchungen selbst wurden von einem Team aus externen Umweltberatern und Flughafenmitarbeitern unter Mitarbeit des lEA und den beiden fur diesen Fall zustandigen lokalen Genehmigungsbehorden durchgefuhrt. Sie dauerten insgesamt 14 Monate. ^^^ Nachdem die Suche nach potentiellen Standorten fiir die neue Landebahn von der Geschaftsfuhrung der Flughafengesellschaft im November 1992 auf drei Alternativen eingeschrankt worden war und der Aufsichtsrat des Unternehmens im Marz 1993 seine endgiiltige Standortentscheidung verkiindet hatte, beantragte die Manchester Airport Pic. im Juli desselben Jahres bei den lokalen Genehmigungsbehorden die Genehmigung fur das Ausbauprojekt.
Bin Scoping ist rechtlich nicht vorgeschrieben. Seine Durchfuhrung entspricht aber den im Vereinigten Konigreich anerkannten Regeln des „Best Practice". Die Untersuchungen zum Scoping wurden von der Flughafengesellschaft bezahlt (Purdy o.J.). Der Umweltbericht umfasste insgesamt 1003 Seiten (inklusive Anhange) und wurde fur 70 britische Pfund von der Flughafengesellschaft verkauft. Fine erganzende nichttechnische Zusammenfassung wurde frei verteilt (Purdy o.J.).
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Kapitel 3
Planungs-und Durchsetzungsprozesse
Ubersicht4: Das Genehmigungsverfahren fiir die 2. Landebahn des Flughafens Manchester Sommer 1991: Manchester Airport Pic. kiindigt Plane fiir eine 2. Landebahn an. 12/1991: Hunderte von Ausbaugegnem protestieren gegen die Landebahnplanungen. 1991-1993: Manchester Airport Pic. veranstaltet freiwillig informelle Anhorungstermine, um die Offentlichkeit iiber die Planung zu informieren und mit ihr das Projekt zu diskutieren. 1992-1993: Umweltvertraglichkeitspriifung. 11/1992: Die Planungen zur Standortentscheidung werden auf 3 Altemativen eingeschrankt. 03/1993: Der Aufsichtsrat der Manchester Airport Pic. verkiindet seine Standortentscheidung. 07/1993: Manchester Airport Pic. beantragt eine Planning Permission fiir die geplante 2. Start-/Landebahn bei den lokalen Planungsbehorden. 10/1993: Der Umweltminister verfiigt ein Call-in und zieht damit das weitere Genehmigungsverfahren an sich. 06/1994: Beginn der offentlichen Untersuchung („Public Inquiry"). 03/1995: Die offentliche Untersuchung wird nach 9 Monaten (101 Verhandlungstagen) abgeschlossen. Die Landebahn wird vom Minister unter Auflagen genehmigt. Anhaltende 01/1997: Demonstrationen gegen den Rughafenausbau, die jedoch in ihrer Starke deutlich nachlassen. Sommer 1997: Baubeginn. 01/1999: Neue Proteste beginnen gegen die Abholzung zweier unter Naturschutz stehender Forste. Es kommt zu Landbesetzungen und anderen offentlichkeitswirksamen Protestaktionen. 06/1999: Gericht erlaubt die Zwangsraumung des von Ausbaugegnem besetzten Gelandes. 02/2001: Die Landebahn geht in Betrieb. Quelle: Manchester Airport Pic. (1997/98, 2000, 2001, o.J.); BBC Manchester (O.J.); Purdy (o.J). Im Oktober 1993 verfugte der Umweltminister ein Call-in und zog damit das weitere Verfahren an sich. Die Public Inquiry begann im Juni 1994 und endete nach 9 Monaten im Marz 1995. Es wurden 14 000 schriftliche Stellungnahmen zum beantragten Landebahnprojekt eingereicht und 180 Zeugen offentlich angehort. Der Umweltminister richtete in seinem Ministerium fiir die Behandlung des Falles eine eigene Abteilung ein und grtindete eigens eine Bibliothek, die damit beauftragt war, der Offentlichkeit Kopien aller Zeugenaussagen zur Verfugung zu stellen.^^^
158 pui-(jy (Q J ) berichtet, dass die Ausbaugegner schatzungsweise eine viertel Million britische Pfund fiir professionelle Berater und Rechtsanwalte ausgaben, die sie bei
3.2 Flughafeninfrastrukturprojekte 107 Der Umweltminister entschied im Januar 1997 gemeinsam mit dem Verkehrsminister zugunsten des Baus der Landebahn und verkniipfte die Entscheidung mit verschiedenen Planungs- und Betriebsauflagen fur den Flughafen, deren rechtliche Umsetzung im Einzelnen durch die lokalen Genehmigungsbehorden auf der Grundlage von Section 106 des TCPA zu gewahrleisten waren.^^^ Die Flughafengesellschaft vereinbarte in der Folgezeit mit den beiden zustandigen Local Planning Authorities ein umfangreiches Paket von Garantien und rechtlich bindenden Umweltauflagen, das beispielsweise Beschrankungen der nutzbaren Gesamtkapazitat des Flughafens, LandschaftserhaltungsmaBnahmen in Umweltschutzgebieten, die Entwicklung lokaler Verkehrsinfrastruktur, LarmschutzmaBnahmen, Entschadigungszahlungen und anderes mehr beinhaltete. Ausbaugegner kiindigten zunachst an, gegen die ministerielle Entscheidung zugunsten des Flughafenausbaus Rechtsmittel einzulegen, und sie beauftragten Rechtsanwalte, entsprechende Klagen vorzubereiten. Die gerichtliche Anfechtung soUte insbesondere auf folgende Punkte gestUtzt sein: • Der Umweltminister babe bei seiner Entscheidung nicht ernsthaft die Option eines Ausbaus des Flughafens Liverpool als Erganzungsflughafen zu Manchester Airport und damit als Ersatzprojekt zum Standort Manchester gepriift. • Die ministerielle Entscheidung widerspreche den geltenden Entwicklungsplanen fiir die betroffene Region. Es sei nicht klar, ob der Planning Inspector und der Umweltminister dies beriicksichtigt batten, obwohl sie dazu verpflichtet seien. • Der Planning Inspector habe die nationalen Planvorgaben (PPGs) nicht hinreichend beachtet. Letztendlich kam es jedoch nicht zur Einreichung von Klagen beim High Court innerhalb der dafiir gesetzlich vorgeschriebenen 6-Wochen-Frist, so dass gerichtliche Anfechtungen des ministeriellen Beschlusses unterblieben. Der gesamte Genehmigungsprozess wurde von Anfang an von Demonstrationen und anderen Protestaktionen durch Projektgegner begleitet, zu denen nicht nur direkt betroffene Flughafenanlieger, sondern auch Umweltschutzorganisationen, einzelne Umweltaktivisten und andere Ausbaugegner gehorten. Die Proteste waren breit angelegt und richteten sich nicht allein gegen den Standort der geplanten Landebahn, sondern gegen das Projekt Uberhaupt. Dabei spielten u.a. der Verhandlung unterstUtzten. Der Abschlussbericht, den der Planning Inspector an den Umweltminister weiterleitete, umfasste 1 289 Seiten. ^^^ Die offizielle Einbeziehung des Verkehrsministers in die Entscheidung eines Call-inVerfahrens war sehr ungewohnlich, wenn auch rechtlich zulassig. Begriindet wurde sie damit, dass iiber den Antrag eines Flughafens zu entscheiden war, der - wie im Ubrigen auch einige andere Flughafen - nach den Bestimmungen des Airports Act 1986 der besonderen staatlichen Aufsicht unterlag (Purdy o.J.).
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Kapitel 3
Planungs-und Durchsetzungsprozesse
auch Beflirchtungen eine Rolle, dass der Ausbau des Flughafens mit Inbetriebnahme der neuen Landebahn nicht abgeschlossen sei und weitere Folgeprojekte auch auBerhalb des Flughafens - wie etwa Neuansiedlung von Hotels, Industrie u.A. - zu erwarten seien {BBC Manchester o J . , Purdy o.J.).^^^ Bereits das Verhalten der Flughafengesellschaft bei der Vorlage ihres Umweltberichts war umstritten, da sie den Projektgegnern eine friihzeitige Einsichtnahme in den Bericht verweigerte.^^^ Im spateren Verlauf des Genehmigungsprozesses kam es u.a. auch zu Landbesetzungen und zum Aufbau von „Widerstandscamps" auf dem fUr die geplante Landebahn ausgewahlten Gelande.^^^ Der Widerstand wurde in den Medien und auch von der breiten Offentlichkeit stark beachtet, und die Namen einiger Projektgegner erlangten nationale Beriihrntheit (Purdy o J . ) . Nachdem die Proteste mit Beginn der Bauarbeiten im Sommer 1997 zunachst nachlieBen, flackerten sie Anfang des Jahres 1999 wieder auf, als die Arbeiten zum Abholzen zweier unter Naturschutz stehender Forste begannen, die dem Bau der neuen Landebahn im Wege standen. Emeut kam es zu Landbesetzungen. Umweltaktivisten ketteten sich an Baume und unterhohlten das Gelande, das fiir die Landebahn vorgesehen war, konnten das Landebahnprojekt allerdings nicht verhindem.^^^ Im Februar 2001 wurde die inzwischen fertiggestellte Landebahn in Betrieb genommen (Manchester Airport 2001). Damit waren zwischen dem Zeitpunkt der ersten offentlichen Ankundigung der Flughafenausbauplane und dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme der neuen Landebahn 10 Jahre, vom Zeitpunkt der Beantragung des Projekts bei den lokalen Genehmigungsbehorden 8 Jahre vergangen. Die eigentliche Planungs- und Genehmigungsphase dauerte gut 5 Jahre (gerechnet von der ersten offentlichen Ankiindigung des Vorhabens) bzw. 3,5 Jahre (gerechnet vom Zeitpunkt der Beantragung der Projekts bei den lokalen Planungsbehorden). 160 Mogliche Folgeprojekte auBerhalb des Flughafengelandes waren weder Gegenstand des offentlich zur Diskussion gestellten strategischen Entwicklungsplans der Flughafengesellschaft noch ihres Umweltberichts und auch nicht des eigentlichen Genehmigungsprozesses (Purdy o.J.). ^^^ Die Projektgegner sahen sich nach eigenem Bekunden nicht in der Lage, die finanziellen Ressourcen aufzuwenden, die notwendig gewesen waren, um einen eigenen Umweltbericht, der ahnlich detailhert wie derjenige der Flughafengesellschaft gewesen ware, erarbeiten zu lassen. Sie wollten daher bei der Vorbereitung ihrer im Rahmen der Public Inquiry vorzubringenden Einwendungen auf die Ergebnisse des Flughafenberichts zuruckgreifen. Die Flughafengesellschaft bestand jedoch darauf, dass die Gegner ihre Einwendungen vor Einsicht in den detaillierten Umweltreport beim Planning Inspector anzumelden hatten (Purdy o.J.). 162 Ygj ^^2u stellvertretend fiir viele die Berichte in BBC Manchester (o.J.), Eyewitness in Manchester (1999) und Urban75 (1999). 163 Ygj ^^2;u stellvertretend fiir viele ebenfalls die Berichte in BBC Manchester (o.J.), Eyewitness in Manchester (1999) und Urban?5 (1999).
3.2 Flughafeninfrastrukturprojekte 109 Der Konflikt um den Terminal 5 des Flughafens London-Heathrow Der Flughafen London-Heathrow ist - gemessen an der Zahl der jahrlich abgefertigten Passagiere - der verkehrsstarkste Flughafen Europas und weltweit die Nummer 4 (Airline Business 2002). Er dient als einer der bedeutendsten europaischen Hubs und als Heimatflughafen fiir British Airways sowie als europaische Luftverkehrsdrehscheibe der globalen Luftverkehrsallianz „Oneworld". Heathrow fungiert als Zentralflughafen („Main Airport") fiir GroBbritannien. Der Flughafen befindet sich etwa 15 km westlich des Londoner Stadtzentrums (Piccadilly Circus) (BAA oJ.). Die Hauptanflugrouten verlaufen direkt liber dem Stadtgebiet {The Economist 2002). Der Flughafen Heathrow ist derzeit mit zwei Landebahnen und vier Terminals ausgestattet und leidet seit vielen Jahren unter erheblichen Kapazitatsengpassen, die ihn zu dem am starksten uberlasteten Flughafen Europas machen. Betreiber ist die private Flughafenholding „British Airports Authority" (BAA), zu der neben Heathrow noch zwei weitere Flughafen im Raum London (Gatwick und Stanstead) gehoren.^^^ Der Flughafen Gatwick fertigt ebenfalls interkontinentale Fliige ab, wahrend Stanstead auf die Abfertigung von inlandischen und innereuropaischen Fltigen spezialisiert ist. Der GroBraum London ist auBerdem noch iiber die Flughafen London-City und Luton, die beide neben inlandischem auch innereuropaischen Luftverkehr abfertigen, an das Internationale Luftverkehrsnetz angeschlossen. Wahrend der Flughafen Gatwick ebenfalls unter Kapazitatsengpassen leidet, verfiigen die Flughafen Stanstead, London-City und Luton noch iiber unausgelastete Infrastrukturkapazitaten wahrend ihrer gesamten Tagesbetriebszeit. AUerdings hat sich das Verkehrsaufkommen Stansteads in den letzten Jahren mit dem Aufkommen der so genannten „Billigfluglinien" („Low Cost Carrier") sehr dynamisch entwickelt. Als vorlaufig letztes groBes Infrastrukturprojekt wurde auf dem Flughafen Heathrow 1986 der damals neu gebaute Terminal 4 in Betrieb genommen. Die damalige Plangenehmigungsempfehlung des mit der Verhandlung iiber den Terminal betrauten Planning Inspector war an die Bedingung gebunden, dass Terminal 4 das letzte groBe Infrastrukturprojekt in Heathrow sein wiirde. AuBerdem sprach der Inspector die dringende Empfehlung aus, die Anzahl der in Heathrow zulassigen Flugbewegungen auf jahrlich 250 000 zu begrenzen. Die Zentralregierung versprach entsprechende Betriebsauflagen, setzte ihr Versprechen aber nicht um. TatsachHch wurden im Jahr 2001 auf dem Flughafen 460 000 Fliige ?\igtiQr\igi {The Economist lOOldi). Anfang der neunziger Jahre begann die BAA mit ersten Planungen zum Bau von Terminal 5 {The Economist 2001b). Der beantragte Terminal sollte eine Ab^"^ Der BAA gehoren dariiber hinaus auch mehrere andere Flughafen in England und Schottland. Sie ist auBerdem an mehreren auslandischen Flughafen beteiligt.
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Kapitel 3 Planungs-und Durchsetzungsprozesse
fertigungskapazitat von 30 Millionen Passagieren jahrlich aufweisen und damit die Gesamtkapazitat des Flughafens - gemessen in Passagieren/Jahr - nahezu verdoppeln (D^m6>nA^ew5 oJ.)-^^^ Im Februar 1993 stellte die BAA den formellen Antrag zur Genehmigung des Terminals bei der zustandigen lokalen Genehmigungsbehorde. Gleichzeitig reichte sie weitere 20 Plangenehmigungsersuchen fur andere Projekte ein, die mit dem beabsichtigten Terminalbau unmittelbar in Verbindung standen.^^^ Wenige Wochen danach sprachen der Umwelt- und der Verkehrsminister gemeinsam ein Call-in fiir das Terminalprojekt aus und zogen das weitere Genehmigungsverfahren damit an sich (Obersicht 5). Angesichts des starken offentlichen Interesses und der groBen Zahl der von dem Terminal- und den anderen damit zusammenhangenden Infrastrukturvorhaben - wie z.B. dem Bau neuer Verkehrszubringerstrecken - Betroffenen fiihrte der Planning Inspector im Vorlauf zu der eigentlichen („Major") Public Inquiry fiinf so genannte „Pre-Inquiry-Meetings" durch, in deren Verlauf die spater detailliert zu klarenden Argumente fiir und gegen das Projekt identifiziert wurden. Ferner wurden etwa 30 Hauptteilnehmergruppen („Major Parties") bestimmt, die im Verlauf der spateren Hauptuntersuchung aktiv an der Strukturierung des Anhorungsprozesses, der Verabschiedung von grundlegenden Statements zu einzelnen Konfliktpunkten sowie dem taglichen Management des Verfahrensprozesses beteiligt werden sollten.^^^ Die Major Parties vereinbarten mit dem Inspector, den spateren Anhorungsprozess problem- und nicht interessengruppenorientiert zu gestalten. Es wurden 11 zu erorternde Problemkreise vereinbart, die spater um zwei weitere erganzt wurden. Etwa 6 000 Burger lieBen sich im Rahmen der Pre-Inquiry-Meetings als miindliche Zeugen registrieren. Weitere 2 000 gaben schriftliche Stellungnahmen ab (Thorpe 1999: 9 f.). Die anschlieBende Public Inquiry wurde am 16. Mai 1995 eroffnet. Sie sollte die mit Abstand langste und aufwendigste ihrer Art in der bisherigen Geschichte des englischen Planungssystems werden und einen Zeitraum von 46 Monaten beanspruchen. Es wurde iiber insgesamt 37 Plangenehmigungsantrage verhandelt,
^^^ Zur Verdeutlichung: Wurde der Flughafen Heathrow neben seinen Startbahnen und den Zubringerwegen nur iiber den Terminal 5 verfiigen und ware dieser voll ausgelastet, ware er immer noch - gemessen an der Zahl der abgefertigten Passagiere der drittgroBte Flughafen Europas (DemonNews o.J ). ^^^ Diese zusatzlichen Plangenehmigungsersuchen betrafen z.B. die Umsiedlung von Industriebetrieben, die dem Terminalbau im Wege standen; die Umleitung von zwei Flusslaufen in ein gemeinsames Kanalbett; die nur voriibergehende Nutzung von Land wahrend der Bauphase; sowie die Anbindung von Terminal 5 an das Autobahnund offentUche Nahverkehrsnetz (Thorpe 1999: 8). ^^^ Insgesamt hatten sich 70 Organisationen und Individuen um den Status als „Major Parties" bemuht (Thorpe: 1999: 8 f).
3.2 Flughafeninfrastrukturprojekte
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Ubersicht 5: Das Genehmigungsverfahren fiir Heathrow Terminal 5 02/1993:
03/1993: 03/1994 04/1995: 05/1996:
07/1998: 03/1999: 12/2000: 11/2001: 12/2003:
Der Flughafenbetreiber British Airport Authority (BAA) stellt den Antrag zur Genehmigung (Planning Application) des Baus von Terminal 5 auf dem Flughafen Heathrow. Gleichzeitig reicht die BAA Antrage auf weitere 20 Plangenehmigungen ein, die fiir die Realisierung des Terminal5-Projekts erforderlich sind. Die Verkehrs- und Umweltminister verfugen gemeinsam das Call-in und Ziehen damit den weiteren Verfahrensprozess an sich. Der Planning Inspector veranstaltet insgesamt 5 offentliche Voruntersuchungen („Pre-Inquiry Meetings"), die der Klarung spaterer Verfahrensfragen dienen. Eroffnung der Major PubUc Inquiry. Wahrend des Prozessverlaufs werden weitere Antrage auf Plangenehmigungen eingereicht, die fiir die Genehmigung des Terminal-5-Projekts erforderlich sind. Die Regierung veroffentlicht das „White Paper on Transport: New Deal for Transport. Better for Everyone". Nach 46 Monaten wird die Major Public Inquiry beendet. Der Planning Inspector liefert seinen Abschlussbericht an den Verkehrsminister. Der Secretary of Transport, Local Government and the Regions verkiindet dem Parlament seine Entscheidung. Die Regierung veroffenthcht ein „White Paper on The Future of Air Transport", das u.a. Plane zum Bau einer weiteren Landebahn in Heathrow ankiindigt.
Quelle: Thorpe (1999); ODPM (2001b); DfT (2003a). die unmittelbar mit der Realisierung des Terniinal-5-Projekts in Verbindung standen und unter insgesamt 8 verschiedene Gesetze fielen. Die Hauptparteien waren auf der Seite der Projektbefiirworter der Antragsteller BAA sowie die British Airv^ays und die nationale Autobahnbehorde („Highways Agency")Ihnen standen auf der Gegenseite als Hauptwidersacher die fiir das Planungsgebiet zustandige lokale Genehmigungsbehorde sowie 10 Anliegergemeinden gegentiber, die sich von insgesamt 33 Rechtsanwalten und -gelehrten vertreten und beraten lieBen. Wahrend des Prozessverlaufs wurden zusatzliche Antrage auf Plananderungen eingereicht, die fiir die Genehmigungsentscheidung erforderlich waren. Als die Public Inquiry im Marz 1999 beendet wurde, beliefen sich die bis dahin verursachten Gesamtkosten auf etwa 80 Mill, britische Pfund.^^^
^"^ Insgesamt wurde tiber 37 Plangenehmigungsantrage verhandelt, die unter insgesamt 8 verschiedene Gesetze („Acts of Parliament") fielen. 433 Zeugen, die insgesamt 82 Organisationen vertraten, wurden personlich gehort. Davon gehorten 16 dem britischen oder dem europaischen Parlament an. Nahezu 6 000 Dokumente wurden ge-
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Kapitel 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse
Als eine wesentliche Ursache fiir die lange Dauer des Anhorungsverfahrens erwies sich der Streit um die gesamt- und regionalwirtschaftlichen Auswirkungen der beantragten Infrastrukturvorhaben und insbesondere auch das Fehlen nationaler Politikvorgaben in Form einer offentlich festgeschriebenen Strategic der Zentralregierung zur klinftigen Entwicklung des Flughafensystems als Ganzes. Die Regierung sah sich veranlasst, eigens aus diesem Grund ein „White Paper on Transport" herauszugeben und eine Politik anzukiindigen, die explizit auf eine Starkung der interkontinentalen Hub-Funktionen britischer Flughafen abzielte, was letztendlich bedeutete, dass eine Entlastung des Flughafens Heathrows durch eine teilweise Verkehrsverlagerung auf andere Rughafen wie etwa Stanstead und/oder Luton aus Sicht der nationalen Luftverkehrspolitik keine Alternative zu einem Ausbau des Flughafens Heathrow darstellt.^^^ Von den insgesamt 525 Verhandlungstagen wurden allein 123 Tage fiir die Klarung dieser Fragen verwendet. Weitere 117 Verhandlungstage wurden fur die Klarung von Fragen zur Anbindung des Terminals an das Zubringerverkehrsnetz am Boden, 73 Tage fiir die Verhandlung von Larmschutzfragen benotigt (Thorpe 1999: 12). Im Dezember 2000 lieferte der Planning Inspector seinen Bericht an den Verkehrsminister. Er sprach sich darin grundsatzlich fiir den Bau des beantragten Terminals aus, koppelte seine Empfehlung aber an verschiedene Betriebsbeschrankungen fiir den Flughafen Heathrow. So verlangte er ein generelles Nachtflugverbot und eine Begrenzung der jahrlich maximal zulassigen Flugbewegungen. Zudem verkiindete er, dass er sich bei seiner Empfehlung zugunsten des Terminalbaus der schwerwiegenden Umweltbelastungen bewusst gewesen sei, denen der Siedlungsraum London bei einer weiteren erheblichen Zunahme des Luftverkehrs ausgesetzt ware. Daher schrankte er seine Empfehlung dahingehend ein, dass er sein positives Votum an die Bedingung kniipfe, dass der Terminal 5 die letzte groBe FlughafeninfrastrukturmaBnahme im GroBraum London darstelle. priift. Der Planning Inspector veranstaltete 17 Anhorungstermine fiir die nicht direkt am Hauptverfahren beteiligte OffentUchkeit und die Gemeinden. Auf diesen Sitzungen sprachen 340 Betroffene. Insgesamt gingen dem Inspektor im Verlauf der Anhorung 62 118 schriftliche Stellungnahmen von BefUrwortem und Gegnem des Terminalprojekts zu. Der Inspector und sein Team untemahmen fast 100 Dienstreisen im In- und Ausland. Vgl. zum Verlauf der Public Inquiry und den dabei aufgetretenen Problemen ausfiihrlich Thorpe (1999). ^^^ Ein White Paper dient der offentlichen Ankiindigung von Politikstrategien der Regierung. Das letzte vor der Genehmigungsentscheidung iiber das Terminal-5-Projekt veroffentlichte und auf den Luftverkehr bezogene White Paper („White Paper on Airport Policy") stammte aus dem Jahr 1985 und gait zum Zeitpunkt der offentlichen Untersuchung des Terminal-5-Projekts fiir Heathrow angesichts der inzwischen eingetretenen Entwicklungen auf den Flughafen- und Luftverkehrsmarkten (Deregulierung des EU-Luftverkehrs, Privatisierung mehrerer britischer Flughafen) als nicht mehr aktuell.
3.2 Flughafeninfrastrukturprojekte 113 Im November des Folgejahres verkiindete der Verkehrsminister die Regierungsentscheidung zugunsten der Realisierung des Terminals 5 und der anderen damit zusammenhangenden Infrastrukturprojekte. Gleichzeitig kiindigte er an, der BAA die vom Inspector geforderten Betriebsrestriktionen aufzuerlegen (Caves und Humphreys 2002). Dies ist nach den vorliegenden Informationen bisher (August 2004) aber nicht geschehen. Insgesamt dauerte die Planungs- und Genehmigungsphase fiir den Neubau des 5. Terminals (gerechnet vom Zeitpunkt der Beantragung des Vorhabens bei der zustandigen lokalen Planungsbehorde) knapp 9 Jahre, von denen allein 6 Jahre auf die Public Inquiry (inkl. Pre-InquiryMeetings) entfielen. Im Dezember 2003 veroffentlichte die Regierung ein neues White Paper zum Luftverkehr (DfT 2003a). Es enthalt umfassende Ausbauplane fiir das britische Flughafensystem, die - neben zahlreichen Vorhaben auBerhalb des Bereichs der Londoner Flughafen - vor alien den Bau einer zusatzlichen Landebahn in Stanstead bis etwa 2011/12 vorsehen. Danach soil baldmoglichst (2015/2020) eine weitere Landebahn in Heathrow folgen, vorausgesetzt die dortigen Probleme mit der Luftqualitat (Stickoxide) erscheinen losbar. Eine Erweiterung des Flughafens Gatwick ist bis 2019 mit Riicksicht auf ein bestehendes rechtliches Moratorium nicht geplant; es sollen jedoch die notigen Flachen gesichert werden, um nach 2019 insbesondere bei Fortbestehen der Luftqualitatsprobleme in Heathrow ersatzweise Gatwick erweitern zu konnen (DfT 2003b).^^^ AUgemein wurden striktere Larmkontrollen und umfassende Kompensationen fiir Larm in Aussicht gestellt (DfT 2003a: 3). Dennoch stieBen die Plane der Regierung sofort nach Veroffentlichung des WeiBbuchs auf erhebliche Kritik von Umweltschiitzem (Clark 2003). Die britischen Grunen fordern im Hinblick auf die ortlichen Auswirkungen des Flughafenbetriebs einen verstarkten Einfluss der Anliegergemeinden (Vidal 2004). Bewertung des Planungssy stems Obwohl das Planning System mit den Raumentwicklungsplanen und der Institution lokaler Planungsbehorden grundsatzlich auf eine dezentrale Steuerung raumwirksamer Planungs- und Genehmigungsprozesse auf lokaler Ebene abzielt, besitzt die Zentralregierung weitreichende Moglichkeiten, die Befugnis zur Genehmigung einzelner Flughafenausbauprojekte an sich zu ziehen („Call-in")Faktisch sind bedeutende Flughafeninfrastrukturvorhaben in aller Regel von einem Call-in betroffen, so dass die Zentralregierung die tatsachliche Entscheidungsgewalt iiber solche Projekte ausiibt. Die Regierung verfiigt zudem mit dem Instrument der Public Policy Guidances iiber die Moglichkeit, Einfluss auf die ^'^ Inzwischen hat ein neues Gutachten die Probleme mit der Luftquahtat in Heathrow bestatigt (Clark 2004).
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Kapitel 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse
kiinftige Entwicklung des nationalen Flughafensystems als Ganzes zu nehmen. Uber FlughafenkapazitatsmaBnahmen wird damit in England im Wesentlichen zentral entschieden. Wie die Erfahrungen mit der Planung, Genehmigung und Durchsetzung sowohl der 2. Landebahn des Flughafens Manchester als auch des Terminals 5 des Flughafens Heathrow gezeigt haben, bedeutet die faktisch starke Zentralisierung von Entscheidungsbefugnissen liber Flughafenausbauplanungen nicht, dass dort FlughafeninfrastrukturmaBnahmen problemloser durchgesetzt werden konnten als in Deutschland. Anders als in der Bundesrepublik liegen die wesentlichen Probleme in GroBbritannien jedoch nicht in der Ex-post-Durchsetzung bereits getroffener Plangenehmigungsentscheide vor Gericht, sondern in der Ex-anteErreichung solcher Entscheidungen, die sich als sehr kostenaufwendig und zeitintensiv darstellt. Teils ist dies auf verwaltungsinterne Probleme einer mangelnden Abstimmung zwischen lokalen und regionalen Raumplanen einerseits und nationalen Politikvorgaben andererseits sowie auf die Uniibersichtlichkeit der konkret zu beriicksichtigenden Gesetzeslage zuriickzufiihren.^^^ Teils ist dies aber eben auch Resultat des gerichtsahnlichen Charakters des Entscheidungsfindungsprozesses. Der Rechtsrahmen, innerhalb dessen iiber FlughafeninfrastrukturmaBnahmen zu entscheiden ist, zielt mit den Institutionen des Planning Inspector und der Public Inquiry vom Grundsatz her auf eine friihzeitige und fur die Offentlichkeit transparente Ex-ante-L6sung von Raumnutzungskonflikten, die moghchst im Konsens der verschiedenen Konfliktparteien erfolgen soil und insbesondere die Moglichkeit bietet, im Genehmigungsverfahren - allerdings unvoUkommene Informationen iiber die Praferenzintensitaten der Betroffenen zu gewinnen und Kompensationslosungen auszuhandeln. Allerdings liegt die tatsachliche Entscheidungsmacht ausschlieBlich bei der Zentralregierung, die nicht verpflichtet ist, sich an die Empfehlungen des Planning Inspector und insbesondere auch an dessen Kompensationsempfehlungen zu halten. Stattdessen verfiigt sie bei ihren Genehmigungsentscheidungen iiber weitreichende Ermessensspielraume, die weder durch gesetzliche Normen hinsichtlich zwingend einzuhaltender Grenzwerte bei Umweltbelastungen noch durch effektive Moglichkeiten Betroffener, Genehmigungsentscheidungen gerichtlich anzufechten, verringert werden. Eine Kon^^^ So bemangelt die Regierung in ihren Uberlegungen zu einer moglichen Reform des Planning System, dass die bestehenden lokalen und regionalen Raumplane oftmals veraltet und nicht in Ubereinstimmung mit den nationalen Politikvorgaben seien und dass die Vielzahl der auf verschiedene Gesetze und nationale Politikvorgaben verteilten und bei Plangenehmigungsentscheidungen zu beriicksichtigenden Rechtsvorgaben das Genehmigungsverfahren insgesamt uniibersichtlich und fiir viele Betroffene intransparent mache (ODPM 2001a). Manchmal fehlen auch verlassliche nationale Politikvorgaben fur die lokale und regionale Raumplanung, wie das Beispiel des Terminal-5-Projekts in Heathrow zeigt.
3.2 Flughafeninfrastrukturprojekte 115 trolle ihrer Genehmigungspolitik findet stattdessen ausschlieBlich im Rahmen des allgemeinen politischen Prozesses statt.^^^ Die von der Regierung zwingend einzuholende Empfehlung des regierungsunabhangigen Planning Inspector ist zwar vom Grundsatz her geeignet, die KontroUe von Genehmigungsentscheidungen der Regierung zu erleichtern und offentliche Akzeptanzprobleme von FlughafenausbaumaBnahmen zu verringern. Die letztendlich politischen Entscheidungen iiber Flughafenausbauprojekte konnen namlich leicht mit den Empfehlungen des Planning Inspector vergUchen werden, was eine Bewertung durch die Bevolkerung erleichtert und damit Misstrauen gegentiber politischen Entscheidungen verringern kann. AUerdings stellt die mogliche Abwahl der Regierung kein effektives Sanktionsmittel gegen eine opportunistische Genehmigungspolitik dar. Zum einen ist dieses KontroUinstrument generell mit den Problemen behaftet, die sich hinsichtlich der Effektivitat einer Sanktionsdrohung als Mittel zur Begrenzung von einzelfallbezogenen Opportunismusanreizen politischer Entscheidungstrager im Rahmen reprasentativ-demokratischer politischer Prozesse ergeben.^^^ Zum anderen tragt es selbst zur Politisierung von Genehmigungsentscheidungen bei, indem es den Betroffenen einen Anreiz gibt, die politischen Kosten unerwunschter Entscheidungen durch Mobilisierung eines breiten Widerstandes, der iiber den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinausreicht, in die Hohe zu treiben und zu versuchen, auf diese Weise die Regierung unter Druck zu setzen. Die Vorkommnisse um den Bau der 2. Start-/Landebahn des Flughafens Manchester belegen dies auf anschauhche Weise. Die Mobilisierung eines breiten Widerstands gegen FlughafenausbaumaBnahmen wird zudem durch die fehlende Bindungswirkung von Anktindigungen der Regierung, ihre Genehmigungsentscheidung an langfristig gultige Bedingungen etwa hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Umweltschutzstandards zu binden, erleichtert. Sofern - wie zumindest im Fall des Flughafens Heathrow mehrfach geschehen - entsprechende Ankiindigungen spater nicht umgesetzt werden, leidet die Glaubwiirdigkeit solcher Verpflichtungserklarungen. Insgesamt ist das institutionelle Arrangement in seiner jetzigen Form nicht geeignet, wesentliche Transaktionsprobleme, mit denen eine effizienzorientierte Flughafeninfrastrukturpolitik behaftet ist, zu losen. Als problematisch erweisen sich insbesondere die Zuweisung der Genehmigungskompetenz auf politische Entscheidungstrager sowie das Fehlen einer Ex-post-Governance-Struktur, die berechtigte Interessen aller Betroffenen im Rahmen der kiinftigen Weiterentwicklung bereits verfugter Genehmigungsentscheidungen effektiv schiitzt.
Vgl. jedoch die AusfUhrungen zum Europaischen Gerichtshof fUr Menschenrechte in FuBnote 154. 173 Ygj 2u diesen Problemen Kapitel 2.
116 3.2.2
Kapitel 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse Rechtsrahmen und direkt-demokratische Einwirkungsmoglichkeiten in der Schweiz
Ahnlich wie in Deutschland sind die Planung und die Genehmigung von RughafeninfrastrukturmaBnahmen auch in der Schweiz durch spezielles Luftverkehrsrecht geregelt. Das institutionelle Umfeld, innerhalb dessen uber Flughafenausbauprojekte zu entscheiden ist, unterscheidet sich allerdings von dem deutschen durch zwei grundlegende Merkmale: Zum einen werden entscheidende Planungs- und Genehmigungsfunktionen von der schweizerischen Zentralregierung wahrgenommen: Sie fungiert nicht nur als Genehmigungsinstanz fiir konkrete Ausbauplanungen, sondern koordiniert dartiber hinaus bundesweit die Planungen zur Entwicklung der Flughafeninfrastruktur. Zum anderen besitzt die kantonale Bevolkerung die Moglichkeit, Flughafenplanungen mittels Referenden und Volksinitiativen direkt zu beeinflussen. Damit weist der institutionelle Rahmen sowohl Elemente einer zentralen politischen Willensbildung auf reprasentativ-demokratischer Basis als auch einer dezentralen politischen Willensbildung auf der Grundlage direkt-demokratischer Prozesse auf. Der flughafenspezifische Rechtsrahmen Der flughafenspezifische Rechtsrahmen, innerhalb dessen in der Schweiz iiber FlughafenausbaumaBnahmen zu entscheiden ist, wird durch • Art. 87 der Bundesverfassung, • das schweizerische Luftfahrtgesetz vom 21. Dezember 1948 (nach dem Stand vom 24. August 2004) und die damit im Zusammenhang stehenden Bundesgesetze^^"^ so wie die aufgrund dieses Gesetzes erlassene • Verordnung iiber die Infrastruktur der Luftfahrt vom 23. November 1994 (aktueller Stand vom 4. Juni 2002) beschrieben. Art. 87 der Bundesverfassung weist dem eidgenossischen Bund die Kompetenz zur Gesetzgebung fur die Luftfahrt zu. Das Luftfahrtgesetz (LFG) regelt die Genehmigung planfeststellungspflichtiger Flughafenanlagen (Art. 36-48 LFG). Fine „Plangenehmigung" ist fiir die Errichtung neuer oder die Anderung bestehender „Bauten oder Anlagen, die ganz Oder iiberwiegend dem Betrieb eines Flugplatzes dienen", erforderlich (Art. 37 Abs. 1 LFG). Genehmigungsbehorde ist das Eidgenossische Department fiir Um-
^^"^ Die hier einschlagigen Bundesgesetze betreffen allgemeine Regelungen zur Raumplanung und zum Umweltschutz. Sie sind im Einzelnen aufgefuhrt in UVEK (2000: IV-6).
3.2 Flughafeninfrastrukturprojekte
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welt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) (Art. 37 Abs. 1 LFG).!'^^ Fiir „den Betrieb von Flugplatzen, die dem offentlichen Verkehr dienen (Flughafen)", sind dariiber hinaus eine „Betriebskonzession" und ein „Betriebsreglement" erforderlich. tJber beide entscheidet das Bundesamt fur Zivilluftfahrt (Art. 36a und 36c h¥G)}^^ Das Bundesamt ist rechtlich unmittelbar dem UVEK angegliedert und organisatorisch ein Teil von ihm. Die Verordnung iiber die Infrastruktur der Luftfahrt (VIL) konkretisiert die Regelungen zum Bau von Flughafenanlagen sowie die dafur notwendigen Genehmigungsverfahren und verpflichtet die Genehmigungsbehorden auf die Beachtung des vom UVEK aufzustellenden „Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt". 1^7 Damit gilt in der Schweiz bei Planung und Genehmigung von Flughafeninfrastrukturanlagen ein mehrstufiges Entscheidungsverfahren mit den Stufen: • • • •
Sachplan, Plangenehmigung, Betriebskonzession, Betriebsreglement.
Der Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt Eine Plangenehmigung fiir Flughafeninfrastrukturanlagen, die sich „erheblich auf Raum und Umwelt auswirken", darf nur erteilt werden, wenn ein entsprechender „Sachplan" existiert (Art. 37 Abs. 5 LFG).^^^ Sachplane sind ein Instrument der nationalen Raumordnungspolitik, die sich mit Tatigkeiten des Bundes in einem bestimmten Sach- oder Teilsachbereich befassen, welche sich erhebUch
^^^ Ein Eidgenossisches Department ist in seiner Aufgabenstellung und seiner Stellung im Verwaltungsaufbau der Schweiz mit einem deutschen Bundesministerium vergleichbar. ^'" Bei Flugplatzen, die nicht dem offentlichen Verkehr dienen („Flugfelder"), tritt nach Art. 36b LFG an die Stelle der Betriebskonzession eine „Betriebsbewilligung", die ebenfalls vom Bundesamt fiir Zivilluftfahrt erteilt wird. ^'' Auch das Luftfahrtgesetz schreibt - wenn auch allgemeiner als die Verordnung Uber die Infrastruktur der Luftfahrt - die Existenz eines (nicht naher spezifizierten) „Sachplans" als Vorbedingung fur Plangenehmigungen fur Flughafenanlagen vor (Art. 37 Abs. 5 LFG). 178 Allgemein setzen Plangenehmigungen fiir alle „Vorhaben, die sich erheblich auf Raum und Umwelt auswirken", in der Schweiz die Existenz eines „Sachplans" voraus (Art. 13 des Bundesgesetzes vom 22. Juni 1979 uber die Raumplanung). FUr verschiedene Arten von raumbedeutsamen Vorhaben gelten jeweils spezifische Sachplane. Speziell fUr Flughafen gilt der bereits erwahnte Sachplan fur die Infrastruktur der Luftfahrt. Einen allgemeinen Uberblick Uber die Sachplane und ihre Grundlagen bietet Bundesamt fiir Raumplanung (1997).
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Kapitel 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse
auf Raum und Umwelt auswirken, funktional zusammenhangen und eine besondere Koordination untereinander und mit anderen Tatigkeiten erfordem (BUWAL O.J.). Insbesondere dienen sie auch der Abstimmung zwischen raumbedeutsamen nationalen Politikplanen und den Raumplanungen der Kantone (Schweizerische Vereinigung fiir Landesplanung o.J.: 3). In den Sachplanen legt der Bund dar, welche Sachziele er verfolgt, wie diese mit den Zielen der Raumordnungspolitik abgestimmt werden und welche generellen Vorbehalte fiir die Erfullung der Sachaufgaben gelten (zu beriicksichtigende Interessen, einzusetzende Mittel, Prioritaten u.A.). Aus einem Sachplan lassen sich konkrete Anweisungen an die zustandigen Bundesbehorden ableiten, namentlich was den Standort vorgesehener Anlagen oder MaBnahmen, die Realisierungsvoraussetzungen, die Arbeitsorganisation oder das Arbeitsprogramm betrifft (BUWAL o.J.). Speziell fur den Flughafensektor hat das Bundesamt fiir Zivilluftfahrt in Zusammenarbeit mit den betroffenen Kantonen und unter Mitwirkung der Bevolkerung (in der Form offentlicher Auslegung) einen „Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt (SIL)" ausgearbeitet, der strategische Leitlinien fiir eine bundesweit koordinierte Planung und Entwicklung der Luftverkehrsinfrastruktur und ein Konzept fiir anlagespezifische Entscheidungen enthalt (UVEK 2000). Der SIL wurde zwischen Oktober 2002 und August 2004 vom Bundesrat (Zentralregierung) in insgesamt drei Schritten, die sich jeweils auf einen Teilbereich des Sachplans bezogen, verabschiedet (Bundesamt fiir Zivilluftfahrt 2004). Der SIL „legt die Ziele und Vorgaben fiir die Infrastruktur der Zivilluftfahrt der Schweiz fiir die Behorden verbindlich fest" und „bestimmt fiir die einzelnen dem zivilen Betrieb von Luftfahrzeugen dienenden Infrastrukturanlagen insbesondere den Zweck, das beanspruchte Areal, die Grundziige der Nutzung, die ErschlieBung sowie die Rahmenbedingungen zum Betrieb. Er stellt zudem die Auswirkungen auf Raum und Umwelt dar" (Art. 3a VIL). Mit dem SIL hat die Zentralregierung verbindlich angekiindigt, ihre kiinftige Genehmigungs- und Konzessionierungspolitik im Flughafensektor so zu gestalten, dass ein nachfragegerechter Ausbau der drei Landesflughafen (Basel, Genf und Ziirich) moglich ist. Regionalflughafen sollen sich dort entwickeln konnen, wo ein regionalwirtschaftlicher Bedarf fiir und ein offentliches Interesse an Luftverkehrsleistungen vorliegt. Sowohl fiir die Landes- als auch fiir die Regionalflughafen fmdet das Umweltschutzrecht nur eingeschrankt Anwendung. Entsprechende „Erleichterungen" gelten insbesondere hinsichtlich der im Umweltschutzrecht festgelegten Larmgrenzwerte, deren Uberschreitung Entschadigungsanspriiche der dadurch belasteten Flughafenanwohner auslost. Bei den iibrigen Flugplatzen soil die Entwicklung ihre Grenzen im geltenden Umweltschutzrecht fmden (UVEK 2000).
3.2 Flughafeninfrastrukturprojekte 119 Die Plangenehmigung Inhalt der Plangenehmigung sind nach Art. 27e VIL vor allem „die Erlaubnis, ein Bauprojekt entsprechend den genehmigten Planen auszufiihren," sowie die davon gekoppelten „Bedingungen und Auflagen hinsichtlich der Anforderungen der Raumplanung, des Umwelt-, Natur- und Heimatschutzes sowie der luftfahrtspezifischen Anforderungen". Die Plangenehmigung wird nach Bundesrecht erteilt. Bewilligungen der Kantone sind nicht erforderlich; das kantonale Recht ist lediglich „zu beriicksichtigen, soweit es den Bau und Betrieb des Flugplatzes nicht unverhaltnismaBig einschrankt" (Art. 37 Abs. 4 LFG).!'^^ Auch durch Art. 27d VIL wird die Berticksichtigung von Antragen, die auf kantonales Recht gestlitzt werden, auf die Falle beschrankt, in denen dadurch „der Betrieb oder der Bau des Flugplatzes nicht ubermaBig behindert wird".^^^ Die Plangenehmigung wird nach Art. 27d Abs. 1 LFG erteilt, wenn das beantragte Vorhaben den Zielen und Vorgaben des SIL entspricht und die Anforderungen nach Bundesrecht erfuUt. ^ ^^ Der zur Plangenehmigung fiihrende Verfahrensablauf ahnelt weitgehend dem deutschen Planfeststellungsverfahren; so bestimmen Art. 37d bis 37f LFG u.a.: „Die Genehmigungsbehorde iibermittelt das Gesuch [um Plangenehmigung, d.Verf.] den betroffenen Kantonen und fordert sie auf, innerhalb von drei Monaten dazu Stellung zu nehmen. ... Das Gesuch ist... zu publizieren und wahrend 30 Tagen offentlich aufzulegen. ... Wer ... Partei ist, kann wahrend der Auflagefrist bei der Genehmigungsbehorde Einsprache erheben. Wer keine Einsprache erhebt, ist vom weiteren Verfahren ausgeschlossen. Bei Flughafenanlagen sind innerhalb der Auflagefrist auch samtliche enteignungsrechtlichen Einwande sowie Begehren um Entschadigung oder Sachleistung geltend zu machen. ... Die betroffenen Gemeinden wahren ihre Interessen mit Einsprache." Im Plangenehmigungsverfahren bestehen also in der Schweiz flir die Betroffenen eines Flughafenprojekts grundsatzlich ahnliche Mitwirkungsrechte wie in Deutschland.
^'^ Bis Mitte der neunziger Jahre waren Plangenehmigungen nur mit Einverstandnis der unmittelbar betroffenen Kantone und Gemeinden mogUch. Dieser Vorbehalt wurde 1994 im Zuge der Reform des Planungs- und Genehmigungsrechts abgeschafft. Vgl. zu den Griinden die spater folgenden Ausfuhrungen im Abschnitt „Direkt-demokratische EinwirkungsmogHchkeiten". ^^^ Allerdings konnen die Flughafenkantone (Zurich und Genf, Basel ist ein Sonderfall, die Flughafen Bern und Lugano sind nur von geringer Bedeutung) kraft eigener Gesetze und ihrer (Minderheits-)Beteiligungen an den Flughafen dennoch deren groBere Investitionen entscheidend beeinflussen. Dazu weiter unten mehr. ^^^ NamentHch werden in Art. 27d Abs. 1 LFG die im Bundesrecht geregelten „luftfahrtspezifischen und technischen Anforderungen sowie die Anforderungen der Raumplanung, des Umwelt-, Natur- und Heimatschutzes" genannt.
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Kapitel 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse
Fiir die EigentUmer flughafennah gelegener Grundstiicke besteht grundsatzlich auch ein Entschadigungsanspruch, sofern die Plangenehmigung die Nutzung ihres Grund und Bodens beeintrachtigt (Art. 37 a LFG i.V.m. EnteignungG). Entsprechende Entschadigungsforderungen sind von den Anspruchsberechtigten innerhalb vorgegebener Fristen anzumelden. Allerdings ist ein Entschadigungsanspruch nach standiger Rechtsprechung des Bundesgerichts nur unter drei Voraussetzungen gegeben: Erstens darf die flughafenbedingte Belastung flir die Eigentumer der betroffenen Grundstiicke zum Zeitpunkt des Grundstuckserwerbs nicht vorhersehbar gewesen sein. Zweitens miissen die Belastungen wie bspw. Larmimmissionen fur die Betroffenen von besonderer Schwere und Intensitat sein. Drittens miissen die schweren und intensiven Immissionen die Enteigneten in besonderer Weise individuell treffen (vgl. Nationalrat 2002 und Reichenbach 2003).l82 Die Betriebskonzession Inhalt der Betriebskonzession ist nach Art. 10 Abs. 1 VIL „das Recht, einen Flughafen gemass den Zielen und Vorgaben des SIL gewerbsmaBig zu betreiben und insbesondere Gebiihren zu erheben." Gleichzeitig wird fiir den Flughafen unter Vorbehalt der im Betriebsreglement festzulegenden Einschrankungen eine Betriebspflicht verfiigt. AuBerdem wird der Flughafenbetreiber darauf verpflichtet, fiir die Bereitstellung der fiir einen ordnungsgemaBen und sicheren Betrieb notwendigen Infrastruktur zu sorgen. Die konkrete Ausgestaltung der Infrastrukturanlagen und ihres Betriebs ist hingegen ausdriicklich nicht Gegenstand der Betriebskonzession (Art. 10 Abs. 2 VIL); Ersteres ist im Plangenehmigungsbescheid, Letzteres im Betriebsreglement zu regeln.^^^ Betriebskonzessionen werden vom UVEK erteilt (Art. 11 Abs. 1 VIL) und gelten fiir Landesflughafen fiir eine Dauer von jeweils 50 Jahren, fiir Regionalflughafen fiir eine Dauer von jeweils 30 Jahren (Art. 13 VIL).^^'* Dem Antrag auf Erteilung einer Betriebskonzession ist der Entwurf eines Betriebsreglements beizufugen (Art. 11 Abs. 1 VIL).
^^^ Dennoch werden in der Schweiz offenbar betrachtliche Entschadigungszahlungen zum Ausgleich von Larmbelastungen gezahlt. Diese wurden vom UVEK auf rund 300 Mill. CHF fiir die Flughafen Ziirich und Genf geschatzt, zu denen noch Entschadigungen fur Wertminderungen von Grundstucken infolge baulicher Einschrankungen in Hohe von geschatzten 2 Mrd. CHF kommen (UVEK 2001; Deutsche Verkehrs-Zeitung 2001a). 183 p^j. (jjg ^ j . Flugfelder anstelle der Betriebskonzession zu erteilende Betriebsbewilligung gelten analoge Vorschriften (Art. 17-22 VIL). ^^^ Betriebskonzessionen fiir Flugfelder werden unbefristet erteilt (Art. 21 Abs. 1 VIL).
3.2 Flughafeninfrastrukturprojekte 121 Das Betriebsreglement Der Flugplatzbetrieb wird in einem Betriebsreglement nach Art. 36c LFG und Art. 23 VIL geregelt, das u.a. Vorschriften liber die Betriebszeiten und das Anund Abflugverfahren sowie weitere besondere Vorschriften zur Benutzung des Flugplatzes enthalt und damit beispielsweise die raumliche und zeitliche Verteilung von Fluglarmbelastungen steuert. Der Interessenwahrung Betroffener dient im Rahmen des Betriebsreglements vor allem Art. 24 (b) VIL, dem zufolge ein Gesuch um die erstmalige Genehmigung oder die spatere Anderung eines Betriebsreglements u.a. Angaben dariiber enthalten muss, „welche Auswirkungen das Reglement bzw. dessen Anderung auf den Betrieb sowie auf Raum und Umwelt hat. Bei Anderungen, die der UmweltvertragHchkeitspriifung unterliegen, ist ein entsprechender Umweltvertraglichkeitsbericht vorzulegen, bei den iibrigen Vorhaben ist der Nachweis zu erbringen, dass die Vorschriften Uber den Schutz der Umwelt eingehalten sind." Ein beantragtes Betriebsreglement ist gemaB Art. 25 Abs. 1 VIL zu genehmigen, wenn • es den Inhalten und Zielen des SIL entspricht, • die Vorgaben der Betriebskonzession und der Plangenehmigung umgesetzt sind, • die luftfahrtspezifischen Anforderungen sowie auch die Anforderungen der Raumplanung und des Umwelt-, Natur- und Heimatschutzes erfullt sind, • das Larmkataster festgesetzt werden kann und • die Sicherheitszonenplane offentlich ausliegen. Ein genehmigtes Betriebsreglement ist fur den Flughafen verbindlich und kann vom Flughafenbetreiber nicht einseitig geandert werden. Es ist im Luftfahrthandbuch zu veroffentHchen (Art. 25 Abs. 2 VIL). Ein bereits in Kraft gesetztes Reglement kann vom Bundesamt fiir Zivilluftfahrt geandert werden, wenn „veranderte rechtliche oder tatsachliche Verhaltnisse die Anpassung eines bereits gultigen Betriebsreglements an den rechtmaBigen Zustand erfordern" (Art. 26 VIL). 1^^ Beantragt der Flughafenbetreiber eine Anderung des Betriebsreglements im Zusammenhang mit der Erstellung oder Anderung von Flugplatzanlagen, so kann die Genehmigungsbehorde den Antrag friihestens zu dem Zeitpunkt genehmigen, zu dem die Plangenehmigung fiir die neuen Anlagen erteilt wird (Art. 36c Abs. 4 LEG).
^^^ Dariiber hinaus konnen „der Flugverkehrsdienst, der Flugplatzleiter oder die Flugplatzleiterin ... voriibergehend Abweichungen von den veroffentlichten Betriebsverfahren anordnen, wenn es besondere Umstande, namentlich die Verkehrslage oder die Flugsicherheit, erfordem" (Art. 27 VIL).
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Kapitel 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse
Direkt'demokratische Einwirkungsmoglichkeiten Grundsatzlich stehen der Schweizer Bevolkerung verschiedene Moglichkeiten wie Referenden und Volksinitiativen zur Verfiigung, um iiber Volksabstimmungen direkt auf Infrastrukturplanungen einzuwirken.^^^ Relevant sind vor allem Abstimmungen auf kantonaler Ebene, die moglich werden, well die Verfassungen der Schweizer Kantone im Gegensatz zur rein parlamentarischen Demokratie drei direkt-demokratische Elemente aufweisen (Jans 1986: 190): • direkte Wahl der Regierung (wie des Parlamentes) durch das Volk, • obligatorische oder (auf Verlangen des Parlaments oder eines Burger-Quorums) fakultative Volksabstimmung iiber alle Gesetze sowie iiber alle Finanzbeschliisse, soweit dieselben je nach Kanton unterschiedliche Limits iiberschreiten (Finanzreferendum), • Initiativrecht, d.h., ein bestimmtes Quorum von Biirgern kann Vorschlage, iiber deren Realisierung eine Volksabstimmung entscheidet, zur Anderung der kantonalen Verfassung und Gesetze oder aber zur Durchfiihrung bestimmter Projekte machen. Im Einzelnen sind die Elemente direkter Demokratie auf Kantonsebene sehr vielfaltig. Wahrend alle Kantone die Initiative auf Teil- und Totalrevision der Verfassung sowie die Gesetzesinitiative kennen, sind die dem obligatorisehen Oder fakultativen Referendum unterstehenden Bereiche sehr unterschiedlich. Dies gilt auch fiir das - bei kostenintensiven Flughafenprojekten potentiell besonders bedeutsame - Finanzreferendum. Mit einer Ausnahme (Waadt) kennen heute alle Kantone zumindest eine der moglichen Formen des fakultativen Finanzreferendums (Kirchgassner et al. 1999: 19). Diese allgemeinen Grundsatze direkter Demokratie in der Schweiz sind allerdings fiir den Bereich der Flughafen vor einigen Jahren modifiziert worden. Durch das aktuell geltende Luftfahrtgesetz, das (mit nachfolgenden weiteren Anderungen) auf der Revision des alten LEG beruht, die in der Volksabstimmung vom 20. Februar 1994 mit 61 Prozent der abgegebenen Stimmen bestatigt wurde, sind die oben beschriebenen Genehmigungsverfahren und insbesondere die Konzentration des Genehmigungsverfahrens beim Bund eingefiihrt und auf diese Weise die bis dahin zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden zersplitterten Zustandigkeiten beseitigt worden (Fischer 1994; Neue Zurcher Zeitung 1994c). Insbesondere ist 1994 fiir alle Flugplatze „ein einziges, koordiniertes Bewilligungsverfahren" festgelegt worden, „das an die Stelle verschiedener Bewil-
^^^ Grundlegende Rechtsquellen fiir Referenden und Volksinitiativen sind die Art. 138142 der schweizerischen Bundesverfassung und analoge Bestimmungen in Kantonen und Gemeinden (Kirchgassner et al. 1999:19; Trechsel und Serdult 1999).
3.2 Flughafeninfrastrukturprojekte
123
ligungsverfahren auf mehreren Stufen (Gemeinden, Kantone, Bund) und mit mehreren Beschwerdewegen tritt" {Neue Zurcher Zeitung 1994a). Den Kantonen wird nur noch ein Anhorungsrecht eingeraumt (Art. 37d LFG). Auch in einem solchen koordinierten Verfahren kann es allerdings wegen der haufig zu erwartenden groBen Zahl von Einspriichen zu betrachdichen Verzogerungen bei Infrastrukturplanungen fuhren {Neue ZUrcher Zeitung 1994b). In die gleiche Richtung deutet die sehr hohe Zahl von Einspriichen anlasslich der offendichen Auslegung des S I L / ^ ^ obwohl es dabei noch nicht unmittelbar um Plangenehmigungen fiir konkrete Projekte geht. Zudem sind neuerdings die Einwirkungsmoglichkeiten der Bevolkerung im Kanton Zurich, in dem der groBte Schweizer Flughafen liegt, wieder erheblich ausgeweitet worden. Mit Wirkung vom 1. Januar 2003 wurde das 1999 im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung des Ziiricher Flughafens erlassene kantonale Flughafengesetz entsprechend erganzt. Die Neuregelung betrifft die bindenden Weisungen, die der Regierungsrat des Kantons nach § 19 (I) dieses Gesetzes an die staatlichen Vertreter im Verwaltungsrat der Flughafengesellschaft erteilt, wenn dieser Beschlusse treffen will, „welche Gesuche an den Bund liber Anderungen der Lage und Lange der Pisten und Gesuche um Anderungen des Betriebsreglementes mit wesentlichen Auswirkungen auf die Fluglarmbelastung betreffen." Solche Weisungen des Regierungsrats mlissen seither vom Kantonsrat in der Form des referendumsfdhigen Beschlusses genehmigt werden, wenn sie eine Zustimmung zu einem Gesuch an den Bund iiber die Anderung der Lage und Lange der Pisten betreffen (§ 19 II); damit haben die (stimmberechtigten) Bewohner des Kantons Zurich im Grundsatz die Moglichkeit, eine entsprechende Absicht der Flughafengesellschaft per Volksabstimmung zu vereiteln.^^^ Es handelt sich um ein fakultatives Referendum, das von 5000 Stimmbiirgern verlangt werden kann.^^^ ^^' AnlassUch der ersten Uberarbeitung des SIL wurden insgesamt rund 17 500 Stellungnahmen abgegeben. Listen der Stellungnahmen sind im Internet abrufbar <www. admin.ch/uvek/themen/luftverk/sil/db/stellung/d/index.htm>. 188 Ygj Gesetz uber den Flughafen ZUrich (2003). Der staatliche Anteil an der Flughafengesellschaft kann bis auf ein Drittel reduziert werden (§ 8), die Gesellschaft muss aber sicherstellen, dass Beschlusse der erwahnten Art nicht ohne Zustimmung der staatlichen Vertreter zu Stande kommen konnen (§ 10). In Genf bedlirfen Investitionen der Flughafengesellschaft mit Erweiterungscharakter nach Art. 33 (4) des Flughafengesetzes (LAIG 1993) der Zustimmung des Kantonsparlaments (Grand Conseil). 189 pormal bezieht sich das fakultative Referendum (nach schriftlicher Auskunft des Bundesamts fur Zivilluftfahrt, Bern, vom 18. August 2003) auf die gesellschaftsinteme Beschlussfassung der Flughafen Zurich AG dariiber, ob diese Uberhaupt ein Gesuch um Plangenehmigung einreichen will. Hat sie erst einmal ein solches Gesuch beim Bund eingereicht, so unterliegt dies dem normalen Ablauf eines Plangenehmigungsverfahrens.
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Kapitel 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse
Solange die Flughafen nicht vollstandig (auch materiell) privatisiert sind und fur ihre Investitionen noch offentliche Mittel vomehmlich der Kantone in Anspruch nehmen miissen, haben die Schweizer Stimmbiirger zudem auch iiber das Finanzreferendum grundsatzlich Moglichkeiten, gegen derartige Projekte ihr Veto einzulegen; dies gilt selbst dann, wenn eine marktmaBige Verzinsung und Ruckzahlung der aufzunehmenden Mittel aus Einnahmen des Flughafens zu erwarten steht. Allerdings wird die Bedeutung des Finanzreferendums auf Kantonsebene im Flughafenbereich dadurch eingeschrankt, dass benotigte Darlehen zum Teil vom Bund zur Verfugung gestellt werden konnen und auf Bundesebene ein Finanzreferendum nicht moglich ist (Linder 1999: 241).^^^ Erfahrungen und Bewertung Die Darstellung des Rechtsrahmens fur die Planung und Genehmigung von Flughafenanlagen hat gezeigt, dass die entsprechenden Planungs- und Genehmigungsergebnisse im Wesentlichen von politischen Entscheidungen gepragt werden. Die wesentlichen Entscheidungskompetenzen sind dabei auf Bundesebene angesiedelt. Die Kantone verfugen nur iiber sehr begrenzte Moglichkeiten, entsprechende Genehmigungsentscheidungen unmittelbar zu beeinflussen. Diese mit der Anderung des Luftfahrtgesetzes im Jahr 1994 durchgesetzte Kompetenzkonzentration beim Bund wurde damals damit begriindet, dass sie im Vergleich zur friiheren Rechtslage, die effektive Einspruchsmoglichkeiten der Kantone und Gemeinden im eigentlichen Genehmigungsverfahren vorsah, die Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfache, da das friihere schweizerische Recht mit unklaren Kompetenzzuweisungen und Doppelspurigkeiten selbst einfache Infrastrukturbauten fur die Luftfahrt iiber Gebiihr verzogert habe; vom Entscheid, das Funkfeuer Trasadingen zu ersetzen, bis zu dessen Einsatz vergingen zehn Jahre {Neue ZUrcher Zeitung 1994a).^^^ Wie die Erfahrungen mit der Realisierung der bisher letzten Ausbaustufe (so genannte „5. Ausbauetappe") des Flughafens Zurich gezeigt haben, hat die Kompetenzzentralisation die Durchsetzung von Infrastrukturvorhaben nicht wesentlich erleichtert. Die seit der Anderung des Luftfahrtgesetzes vom eigentlichen Planungs- und Genehmigungsprozess ausgeschlossenen Gemeinden und auch Privatpersonen versuchen namlich - nunmehr wohl noch verstarkt - ihre Interes-
^^^ Nach Art. 101a LFG konnen zins- und amortisationsgunstige Bundesdarlehen fiir die Verbesserung und Erweiterung der Flughafen Basel-Mulhausen, Genf und Zurich bis zu 25 Prozent der Baukosten und ausnahmsweise auch mehr gewahrt werden. Fiir andere Flugplatze gilt generell eine Grenze von 25 Prozent. ^^^ Ahnliche Probleme traten auch im Bereich der Eisenbahninfrastruktur auf und fiihrten dort zu einer analogen Kompetenzzentralisation (Fischer 1994).
3.2 Flughafeninfrastrukturprojekte
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sen auf dem Gerichtsweg zu wahren,^^^ nicht zuletzt, um vor allem geplante Investitionen in die Flughafeninfrastruktur auch bei Nichtzulassigkeit (oder Nichtzustandekommen) eines Referendums auf dem Rechtswege zu verhindem oder zumindest zu verzogern.^^^ Auch die einem Flughafen erteilte Betriebskonzession und das diese konkretisierende Betriebsreglement wurden im Einspruchswege gerichtlich angefochten; so musste bei der vor wenigen Jahren notwendig gewordenen Neukonzessionierung des Flughafens Zurich den zu erwartenden Einsprlichen vorsorglich die aufschiebende Wirkung entzogen werden, um den Weiterbetrieb des Flughafens sicherzustellen {Neue Zurcher Zeitung 2001). Insgesamt haben diese Klagen die Realisierung der 5. Ausbauetappe nicht nur um Jahre verzogert, sondem zusatzliche Planungs- und Betriebsauflagen erzwungen {NZZ Online 2003, 2004a).^^^ Im Ergebnis vergingen vom Zeitpunkt der im Sinne des Ausbauvorhabens positiv (sic!) ausgegangenen Abstimmung des Ztiricher Wahlvolks iiber den fiir die 5. Ausbauetappe erforderlichen Kredit auf Kantonsebene bis zum Beginn der Bauarbeiten fast fiinf Jahre. Insgesamt dauerte es nach der Veroffentlichung des Masterplans zur kiinftigen Entwicklung der Infrastmkturanlagen des Flughafens bis zum Baubeginn des geplanten Dock Midfield als Kemprojekt der Ausbauetappe 8 Jahre, bis zum Abschluss der gesamten 5. Ausbauetappe 12 Jahre (Ubersicht 6). Auch im Fall der geplanten Pistenverlange^^^ Beispielsweise hatte das Schweizerische Bundesgericht (2001) iiber Beschwerden der Stadt Opfikon, Gemeinde Hon sowie zahlreicher Privatpersonen und Eigentumergemeinschaften gegen das im Zusammenhang mit der 5. Bauetappe des Flughafens Zurich beschlossene Schallschutzkonzept zu entscheiden. Die Beschwerden, mit denen die Beschwerdefuhrer fiir sich bessere als die angebotenen SchallschutzmaBnahmen zu erreichen versuchten, wurden aus verschiedenen Griinden abgewiesen, soweit sie nicht gegenstandslos geworden waren. Ein weiteres Beispiel ist eine Beschwerde des Kantons Aargau, mit der dieser anlasslich der Neukonzessionierung des Flughafens Ziirich-Kloten scharfere Betriebsauflagen (weniger An- und Abfliige iiber Aargau) gefordert hatte. Diese Beschwerde hatte allerdings keinerlei aufschiebende Wirkung auf die bereits erteilte Konzession {Deutsche Verkehrs-Zeitung 2001b). - Eine Analyse der gegen die Rahmenkonzession fiir die 5. Bauetappe des Flughafens Ziirich gerichteten Beschwerden bietet die Neue ZUrcher Zeitung (1997). ^^^ Auch dies wurde im Zusammenhang mit der 5. Ausbauetappe des Flughafens ZiirichKloten versucht; in diesem Falle hat das Bundesgericht eine aufschiebende Wirkung der gegen den Ausbau gerichteten Beschwerden vemeint und den sofortigen Baubeginn zugelassen (mit Ausnahme eines geplanten neuen Parkhauses). Das Gericht wies gleichzeitig darauf hin, dass noch in einem gesonderten Verfahren gepriift werde, ob sich die beabsichtigte Erhohung der Flugbewegungen mit Bundesrecht vereinbaren lasse und dass „dem Flughafenhalter ... vor diesem Entscheid kein Anspruch erwachsen (konne), die entstehende Mehrkapazitat in jedem Fall auch voll auszunutzen" und der Kanton Ziirich „den Ausbau auf eigenes Risiko untemehme" (Justine News 2000). ^^"^ Der letztinstanzliche Entscheid des Bundesgerichts bestatigte zwar den positiven Genehmigungsentscheid an sich, fuhrte aber zur Uberarbeitung des von der Rughafengesellschaft anzufertigenden Umweltvertraglichkeitsberichts, zu Auflagen bei der Erteilung der Konzessionen und zu strengeren Larmgrenzwerten (A^ZZ Online 2004a).
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Kapitel 3
Planungs-und Durchsetzungsprozesse
Ubersicht 6: Der Planungs- und Genehmigungsprozess fiir die 5. Ausbauetappe des Flughafens Ziirich-Kloten 1992: 1993: 09/1993: 01/1994: 06/1994: 07/1994: 02/1995: 05/1995: 06/1995: 05/1997: 02/2000: 12/2000: 09/2003: 09/2004:
Masterplan zur Entwicklung der Betriebsanlagen bis 2010. Initiative fiir Begrenzung des Flugverkehrs und gegen Ausbauprojekte. Ablehnung der Initiative in der Volksabstimmung. Pressemitteilung: Grobfassung des Projekts 5. Ausbauetappe, Kostenvoranschlag (2 Mrd. CHF). Regierungsrat verabschiedet Kreditvorlage fUr kantonalen Investitionsanteil (875 Mill. CHF). Pressekonferenz: Vorlage fur 5. Ausbauetappe („Airport 2000") vorgestellt. Kantonsrat stimmt Kredit zur Finanzierung des Projekts zu. Komitee „Nein zum Milliardenausbau" gegriindet. Kantonaler Kredit zur Finanzierung der 5. Ausbauetappe in Volksabstimmung gebilligt. Beschwerde gegen Rahmenkonzession fiir 5. Ausbauetappe nach Zuriickweisung in der Vorinstanz beim Bundesgericht eingereicht. Baubeginn Dock Midfield (je nach FlugzeuggroBe 19-27 Standplatze). Bundesgericht lehnt Beschwerde gegen 5. Bauetappe ab. Bestatigt werden nur bekannte Auflagen. Provisorische Inbetriebnahme Dock Midfield und Skymetro-Station. Inbetriebnahme des „Airside Center" und damit Abschluss der 5. Bauetappe.
Quelle: Zusammengestellt nach Roth (1998) und Angaben der Unique (Flughafen Zurich AG) (www.uniqueairport.com, www.unique.ch). rung des Flughafens Bern-Belp wurde der im Jahr 2001 ergangene positive Plangenehmigungsentscheid der UVEK rechtlich angefochten. AUein die Klarung der Frage, ob der Rechtsklage aufschiebende Wirkung zukomme, dauerte 16 Monate (UVEK 2003). Gerichtliche Einspruchsmoglichkeiten sind gerade bei Flughafenprojekten auch dann von Bedeutung, wenn Betroffene nicht im Kanton des Flughafens, sondern in einem Nachbarkanton wohnen: Obwohl insbesondere vom Fluglarm erhebliche externe Effekte auch auf die Bewohner benachbarter Kantone ausgehen, steht diesen auBer der Einsprache im Plangenehmigungsverfahren nur der Klageweg offen, auch wenn den Biirgern im Flughafenkanton selbst eine direkte Einflussnahme uber ein Referendum moglich ist.^^^
^^^ Im Verfahren um die 5. Ausbauetappe des Flughafens ZUrich wurde beispielsweise von Beschwerdefuhrem aus dem Kanton Aargau darauf hingewiesen, „dass die Einwohner und Burger des Kantons Aargau nie iiber die Belange des Flughafens abstim-
3.2 Flughafeninfrastrukturprojekte 127 Dass die Zentralisierung der Planungs- und Genehmigungskompetenzen auf Bundesebene kaum geeignet ist, Planungs- und Durchsetzungsprobleme zu entscharfen, zeigte sich auch im Rahmen der bereits erwahnten Neukonzessionierung des Flughafens Zurich, die aufgrund eines deutsch-schweizerischen Staatsvertrags iiber die Anflugmoglichkeiten uber siiddeutschem Gebiet auch ein neues Betriebsreglement mit neuen Anflugkorridoren erforderlich machte. Gegen die zunachst provisorische Anderung des bis dahin geltenden Betriebsreglements erhoben zahlreiche Private, Organisationen und Gemeinden Beschwerde (Bundesgericht 2003). Daraufhin beteiligte das UVEK vierzehn Kantone, fiinf Bundesstellen sowie die Untemehmen Flughafen Zurich AG, Skyguide, Swiss, Empa und Euroairport Basel im Rahmen eines Mediationsprozesses an der Erarbeitung des neuen Betriebsreglements (UVEK 2003). Die Mediation ist jedoch letztendlich gescheitert (A^ZZ Online 2004a).l96 Die Erfahrungen mit den direkt-demokratischen Mitbestimmungsrechten in Form der Referenden und Volksinitiativen weisen darauf hin, dass die politische Durchsetzbarkeit von FlughafenausbaumaBnahmen durch eine dezentrale Willensbildung auf kantonaler Ebene nicht per se verhindert wird. So hat sich im Zuge der bisherigen Ausbaustufen des Zuricher Flughafens immer wieder gezeigt, dass die Kantonsbevolkerung prinzipiell die Bedeutung des Flughafens fur die Schweiz als nationale Drehscheibe des Luftverkehrs erkennt und bereit ist, entsprechende AusbaumaBnahmen zu unterstutzen (Ubersicht 7). AUerdings sind die Vorbereitung und die Durchfiihrung von Referenden und Volksabstimmungen zeitaufwendig. So kam Jakubowski (1999: 31), der den allgemeinen Zeitbedarf fur vorwiegend umweltbezogene abstimmungspflichtige Gesetzgebungsvorhaben (darunter auch Verfassungsanderungsvorschlage, die auf eine Ablehnung von Infrastrukturprojekten hinausliefen) untersuchte, zu dem Ergebnis, dass je nach Abstimmungsvorlage von der Vorbereitung bis zum Abschluss in Form eines wie auch immer aussehenden Beschlusses zwischen 7 und 108 Monate vergingen. Im Durchschnitt der insgesamt 46 umweltrelevanten Umengange dauerte es vom Sammelbeginn bzw. der Botschaft des Bundesrates bis zur tatsachlichen Abstimmung 45 Monate. Wie die Erfahrung auBerdem zeigt, wird der einem Finanzreferendum vorausgehende Abstimmungskampf von den Projektgegnem regelmaBig dazu benutzt, das zur Debatte stehende Projekt auch Uber das eigentlich begrenzte Problem der
men konnten, keinerlei verbindliche Antrage oder Vorstosse an den Ziircher Regierungsrat als Aufsichtsbehorde des Flughafens stellen konnen, den Ziircher Regierungsrat nicht wahlen oder abwahlen konnen, aus dem Verkauf des Flughafens keinen Nutzen fiir die Staatskasse ziehen konnen (...)" (Schuhmacher 2000). ^^^ Die endgultige Entscheidung zum neuen Betriebsreglement stand zum Zeitpunkt der Fertigstellung der vorliegenden Arbeit noch aus.
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Kapitel 3
Planungs-und Durchsetzungsprozesse
Ubersicht 7: Die Volksabstimmungen zum Ausbau des Flughafens Zurich 14. September 1930:
5. Mai 1946: 7. Mai 1950: 23. Juni 1957: 6. Juli 1958: 27. September 1970: 28. September 1980: 6. September 1987: 26. September 1993:
25.Juni1995:
Ablehnung des Kredits in Hohe von 3,6 Mill. Fr. fur den Ausbau des Flughafens Diibendorf als kiinftigen ZUricher Flughafen: 36 % ja / 64 % nein. BewiUigung des Kredits in Hohe von 36,8 Mill. Fr. fur die 1. Ausbauetappe: 73 % ja / 27 % nein. BewiUigung des Nachtragskredits in Hohe von 19,3 Mill. Fr. fUr die 1. Ausbauetappe: 55 % ja / 45 % nein. Ablehnung des Kredits in Hohe von 75,4 Mill. Fr. fUr die 2. Ausbauetappe: 46 % ja / 54 % nein. BewiUigung des Kredits in Hohe von 48 Mill. Fr. fur die (reduzierte) 2. Ausbauetappe: 63 % ja / 37 % nein. BewiUigung des Kredits in Hohe von 172 Mill. Fr. flir die 3. Ausbauetappe: 62 % ja / 38 % nein. BewiUigung des Kredits in Hohe von 48 Mill. Fr. fUr die 4. Ausbauetappe: 5 8 % j a / 4 2 % nein. Ablehnung des Kredits in Hohe von 57 Mill. Fr. fiir die Erweiterung der Frachtanlagen: 4 8 % j a / 5 2 % nein. Ablehnung der Volksinitiative „fur maBvollen Flugverkehr", die eine Begrenzung des Flugverkehrs und Verzicht auf einen weiteren Ausbau verlangt: 32 % ja / 68 % nein. BewiUigung des Kredits in Hohe von 873 Mill. Fr. fiir die 5. Ausbauetappe: 68 % ja / 32 % nein.
Quelle: NZZ Online (2003). Aufnahme eines offentlichen Kredits hinaus in Frage zu stellen. So w^urde etwa anlasslich einer geplanten Kreditaufnahme beider Easier Kantone fUr den Ausbau des Flughafens Basel-Miilhausen auch der Ausbau an sich von seinen Gtgnem mit den bekannten Argumenten wie Larm- und Luftbelastung durch Flugverkehr und Zubringerverkehr auf der StraBe bekampft und die wirtschaftsfordernde Wirkung eines Flughafenausbaus angezweifelt (SSF 1998). Im Hinblick auf diskutierte Begrenzungen des Projektumfangs wurde auch die Glaubwurdigkeit von Politik und Verwaltung problematisiert, da deren Vorgehen in mehreren Fallen „von einem geringen Demokratieverstandnis" und einem „starken behordlichen Willen" zeuge, FlughafeninfrastrukturmaBnahmen sogar am Volkswillen vorbei mit offentlichen Geldern zu unterstutzen (Vereinigung gegen Fluglarm 2004). 197 ^^' Bin zeitlich parallel zur Baseler Kreditdebatte in Planung befindlicher GrundstUckskauf sollte im Hinblick auf den Bau einer weiteren Startbahn getatigt werden, was von dem zustandigen Regierungsrat zunachst verschwiegen worden war, aber in einem Podiumsgesprach dann doch zugegeben werden musste (SSF 1998). Im Kan-
3.3 Schlussfolgerungen 129
3.3
Schlussfolgerungen
GroBe Infrastrukturausbauprojekte stoBen in alien drei untersuchten Landern ungeachtet ihrer moglichen volkswirtschaftlichen Rentabilitat auf erhebliche Widerstande von Teilen der Bevolkerung. Dies erschwert Planung und Durchsetzung solcher Vorhaben und gefahrdet eine rationale Infrastrukturentwicklung. Den Planungs- und Genehmigungssystemen Deutschlands, Englands und der Schweiz ist gemein, dass Ausbauvorhaben einer Genehmigungspflicht durch politische oder politiknahe Behorden unterliegen. Eine zentrale Aufgabe des Verfahrens besteht darin, einen Interessenausgleich zwischen den verschiedenen von den Planungen Betroffenen herzustellen. AUerdings besteht in keinem der Lander eine Pflicht zur vollstandigen Kompensation der von Infrastrukturausbauvorhaben negativ Betroffenen fiir die von ihnen zu tragenden Lasten. Dies schafft insbesondere fur die kiinftigen Anlieger der geplanten Anlagen Anreize, der Realisierung auch volkswirtschaftlich vorteilhafter Ausbauplanungen in der eigenen Nachbarschaft Widerstand entgegenzusetzen, um diese dadurch entweder zu verhindem (bzw. zumindest zu verzogern) oder aber hohere Kompensationsleistungen durchzusetzen. Neben diesen gemeinsamen Merkmalen bestehen zwischen den verschiedenen Planungs- und Genehmigungssystemen auch Unterschiede, die sich allerdings nicht entscheidend auf die Akzeptanz von groBen InfrastrukturausbaumaBnahmen auswirken. In Deutschland sind die staatlichen Planungs- und Genehmigungskompetenzen den Landern zugewiesen. Grundsatzlich sieht das deutsche Planungsrecht eine institutionelle Trennung zwischen den Aufgaben der Entscheidungsvorbereitung (Raumordnungsverfahren, Anhorung im Planfeststellungsverfahren) und der Entscheidungsfindung (eigentliche Planfeststellung) vor. Zumindest die Planfeststellung erfolgt dabei in aller Regel durch politische Behorden (Landesministerien). Damit ergeben sich fur die von Ausbauplanungen Betroffenen Moglichkeiten und Anreize, den Entscheidungsprozess zu politisieren und die politischen Kosten nicht gewunschter Entscheidungen in die Hohe zu treiben. Ausbaugegner versuchen in weiten Bevolkerungskreisen Zweifel an der Objektivitat des staatlichen Entscheidungsfindungsprozesses hervorzurufen und so die Basis des Widerstands Uber den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinaus zu erweitern. Erleichtert werden solche Versuche durch die relativ spate Einbeziehung ton Bern erhoben mehrere Private und politische Parteien im Jahr 2002 Stimmrechtbeschwerde gegen die Bewilligung zweier kantonaler Kredite zum Bau einer Terminalzufahrt des Flughafens Bem-Belp. Die Beschwerde wurde vom Bundesgericht im Juni 2003 gutgeheiBen. Somit war die Kreditgewahrung rechtswidrig der Volksabstimmung entzogen worden. Weil das Bundesgericht der Beschwerde jedoch zu Beginn des Verfahrens die aufschiebende Wirkung entzogen hatte, lieB der Kanton die Terminalzufahrt noch wahrend des laufenden Verfahrens bauen (Vereinigung gegen Fluglarm 2004).
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Kapitel 3 Planungs- und Durchsetzungsprozesse
der von geplanten FlughafenausbaumaBnahmen unmittelbar betroffenen Flughafenanlieger in den staatlichen Entscheidungsprozess, die tiblicherweise erst dann erfolgt, wenn bereits wesentliche Vorentscheidungen iiber das Projekt gefallen sind. Hinzu kommt die Erfahrung, dass die Regierungen Zusagen zur Begrenzung von Belastungen und zum Verzicht auf weitere AusbaumaBnahmen in der Vergangenheit immer wieder gebrochen haben. Die staatlichen Entscheidungstrager werden regelmaBig nicht als unabhangige Schiedsrichter, sondern als „Quasipartei" angesehen, deren Aufgabe weniger die Suche nach einem angemessenen Interessenausgleich als vielmehr die Durchsetzung bereits politisch gefallter Entscheidungen ist. Dieser Eindruck wird dadurch verstarkt, dass sich die Flughafen in Deutschland bisher ausnahmslos in offentlichem (Mit-)Eigentum befinden. Im Unterschied zu StraBen- und Schienenausbauvorhaben existieren im Bereich der Flughafeninfrastruktur keine gesetzlich festgelegten Grenzwerte fur Umweltbelastungen, deren Uberschreiten automatisch einen Anspruch der davon betroffenen Anlieger auf Kompensationsleistungen begriinden wiirde. Ob und in welchem Umfang Kompensationsanspriiche bestehen, muss deshalb oftmals erst gerichtlich geklart werden. Schon aus diesem Grund werden die Genehmigungsentscheidungen der Planfeststellungsbehorden regelmaBig vor Verwaltungsgerichten angefochten. FUr Ausbaugegner ist das Anrufen von Gerichten dariiber hinaus aber oft selbst dann lukrativ, wenn sie nicht erwarten konnen, auf diese Weise das InKraft-Treten unliebsamer Ausbaugenehmigungen zu verhindern oder hohere Kompensationsforderungen gerichtlich durchzusetzen. Denn das Einschlagen des Rechtswegs erlaubt es, das Ausbauvorhaben zu verzogem und damit zumindest Zeit zu gewinnen. Weil die Verzogerung fur den Vorhabentrager zudem Kosten verursacht, konnen die Klager darauf hoffen, dass dieser seine Kompensationsangebote erhoht. Insgesamt fuhrt dies dazu, dass Gerichte eine wichtige Rolle im Genehmigungsprozess spielen und faktisch als zusatzliche Genehmigungsinstanz neben den Planfeststellungsbehorden fungieren. Im Vergleich zu den Behorden sind die Entscheidungsfreiraume der Gerichte allerdings stark eingeschrankt, da sie Anfechtungsklagen entweder nur ablehnen oder stattgeben und dann an die Behorden zurlickverweisen konnen. Sie selbst haben nur sehr begrenzte Moglichkeiten, mit ihren Entscheidungen einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen, miteinander konkurrierenden Interessen herbeizufuhren. Aufgrund der groBen Bedeutung, die den Gerichten (trotz dieser Einschrankung) zukommt, haben die Betroffenen einen Anreiz, ihr Verhalten im Anhorungsverfahren eher auf den Erfolg ihrer spateren Klage vor Gericht auszurichten als auf eine volkswirtschaftlich effiziente und individuell akzeptable Entscheidung im Planfeststellungsverfahren. Um den Anreiz zu gerichtlichen Klagen zu verringern, wurden in j lingerer Zeit Mediationsverfahren durchgefiihrt, die eine frlihzeitige Einbezie-
3.3 Schlussfolgerungen 131 hung aller Betroffenen erlauben. Vor allem wegen der fehlenden Verbindlichkeit der Mediationsergebnisse fur das formale Entscheidungsverfahren wurde das angestrebte Ziel jedoch kaum erreicht. Auch in England sieht das Planungs- und Genehmigungssystem eine institutionelle Trennung zwischen den Aufgaben der Entscheidungsvorbereitung und der Entscheidungsfindung vor. Erstere Aufgabe ist einer politisch weitgehend unabhangigen Behorde ubertragen, letztere wird - obwohl dies rechtlich nicht zwingend vorgeschrieben ist - faktisch von der Zentralregierung wahrgenommen. Im Unterschied zu Deutschland werden alle von Flughafenausbauplanungen Betroffenen relativ friihzeitig und umfassend in den Planungsprozess eingebunden. Das Verfahren ist als gerichtsahnlicher Prozess ausgestaltet, in dem die Vertreter unterschiedlicher Interessen nicht nur ihre eigenen Standpunkte vortragen, sondem auch unmittelbar auf die Argumente der jeweiligen Gegenseite eingehen konnen. Die Planungsbehorde hat die Aufgabe, eine Entscheidungsempfehlung und auch eine Empfehlung zur Gestaltung des anzustrebenden Interessenausgleichs abzugeben und mit detaillierter Begnindung zu veroffentlichen. Die Empfehlung ist fiir die Regierung allerdings nicht verbindlich; oftmals weicht diese in ihren Entscheidungen davon ab. Dem gerichtlichen Klageweg als Mittel der Auseinandersetzung widerstreitender Interessen kommt in England eine vergleichsweise geringe Bedeutung zu. Entsprechend haben die Betroffenen einen verhaltnismaBig starken Anreiz, ihr Anliegen im eigentlichen Planungsverfahren vorzubringen. Das institutionelle Arrangement fuhrt damit im Vergleich zu Deutschland tendenziell zu hoheren Kosten in der Phase der Entscheidungsfindung, denen allerdings geringere Kosten der Durchsetzung staatlicher Genehmigungsentscheidungen und eine tendenziell bessere Entscheidungsbasis fiir die Regierung als Genehmigungsinstanz gegeniiberstehen. Allerdings ist auch in England zu beobachten, dass versucht wird, die staatlichen Entscheidungsprozesse zu politisieren. Auch hier wird dies durch die Erfahrung erleichtert, dass die Regierung Zusagen zur Begrenzung der Belastungen und zum Verzicht auf weitere AusbaumaBnahmen immer wieder gebrochen hat, so dass solche Ankiindigungen wenig glaubwiirdig sind. In der Schweiz hat sich die Zustandigkeit fiir die Genehmigung von Flughafenausbauvorhaben in den letzten Jahren von den Kantonen auf den Bund verlagert, ohne dass sich dies jedoch entscheidend auf die Durchsetzbarkeit von Flughafeninfrastrukturausbauplanungen ausgewirkt hat. Eine Besonderheit des institutionellen Rahmens, innerhalb dessen in der Schweiz iiber Flughafenausbauplanungen entschieden wird, besteht darin, dass das behordliche Planungsund Genehmigungsverfahren durch (begrenzte) direkt-demokratische Mitbestimmungsmoglichkeiten der Bevolkerung auf kantonaler Ebene erganzt wird. In der Vergangenheit wurde von Ausbaugegnem regelmaBig versucht, diese Rechte zu nutzen, um Ausbauvorhaben zu verhindem, was jedoch in aller Regel nicht ge-
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Kapitel 3 Planungs-und Durchsetzungsprozesse
lang. Soweit es uberhaupt zu einer Volksabstimmung kam, hat sich die Kantonsbevolkerung zumeist mehrheitlich fur die Unterstutzung des Projekts ausgesprochen. Allerdings fiihrt auch eine entsprechende Zustimmung nicht zu einer wesentlichen Beschleunigung der Projektdurchsetzung, da die von den Genehmigungsentscheidungen (potentiell) negativ Betroffenen auch in der Schweiz die Moglichkeit haben, ihre Rechte durch Klagen vor Gerichten zu wahren. Entsprechende Klagen haben zumindest im Fall des Flughafens Zurich-Kloten Ausbauvorhaben nicht nur um Jahre verzogert, sondern auch iiber den ursprtinglichen staatlichen Genehmigungsbeschluss hinausgehende Planungs- und Betriebsauflagen erzwungen. Die Erfahrungen in den drei betrachteten Landern legen nahe, dass (i) die fehlende Gewahrleistung ausreichender Kompensationsanspriiche der von Ausbauvorhaben negativ Betroffenen, (ii) die Zuweisung von Genehmigungskompetenzen an politische bzw. politiknahe Behorden und (iii) die mangelnde Glaubwiirdigkeit von offiziellen Zusagen hinsichtlich einer Beschrankung kiinftiger Belastungen der Flughafenanlieger maBgeblich zu den Problemen beitragen, mit denen der Ausbau der Fughafeninfrastruktur in diesen Landern verbunden ist. Zwischen den verschiedenen nationalen Planungs- und Genehmigungssystemen durchaus vorhandene Unterschiede hinsichtlich (iv) des Zeitpunkts und des Umfangs der Beteiligung der verschiedenen Betroffenengruppen (insbesondere der Flughafenanlieger) in den Planungs- und Genehmigungsprozess sowie (v) der vertikalen (foderalen) Zuordnung der politisch-administrativen Entscheidungskompetenzen haben vor diesem Hintergrund einen allenfalls geringen Einfluss auf den Umfang dieser Probleme. Eine wesentliche Verringerung der in alien betrachteten Landern bestehenden grundlegenden Probleme bei Planung und Durchsetzung von Flughafenausbauprojekten erfordert deshalb eine koharente Reform des institutionellen Rahmens der Flughafeninfrastrukturpolitik in alien diesen (fUnf) Dimensionen.
Leitlinien einer Reform
In Kapitel 2 dieser Studie ist dargelegt worden, dass bei Flughafeninfrastrukturausbauvorhaben auf hoheitliche Verfahren zur Entscheidungsfindung und -durchsetzung nicht verzichtet werden kann. Biirokratische Verfahren werden hier auch in Zukunft eine wichtige RoUe spielen miissen. Die Diskussion der realen Planungs-, Genehmigungs- und Durchsetzungsverfahren und ihrer Probleme in Kapitel 3 hat jedoch gezeigt, dass - nicht nur in Deutschland - eine weit verbreitete Unzufriedenheit mit den jeweiHgen Planungs- und Entscheidungsverfahren besteht. Die Erfahrungen mit den realen verwaltungsrechtlichen Verfahren im Flughafensektor Deutschlands, aber auch in anderen Landem und Sektoren machen verschiedene Probleme deutlich, die zwar teilweise auf den technischen Besonderheiten der betrachteten Wirtschaftsbereiche beruhen, aber nicht zuletzt auch auf unzweckmaBige institutionelle Arrangements zuruckgefiihrt werden konnen. Die bislang in der vorliegenden Studie gewonnenen Erkenntnisse sprechen daher fur Reformen der bisherigen verwaltungsrechtlichen Verfahren. Im folgenden Teil der Untersuchung werden Vorschlage fiir eine Reform der Planungs-, Genehmigungs- und Durchsetzungsverfahren fiir Rughafenanlagen in Deutschland entwickelt. Basierend auf den theoretischen Uberlegungen in Kapitel 2 und den in Kapitel 3 skizzierten praktischen Erfahrungen mit den existierenden Verfahren werden fiinf Leitlinien fiir eine solche Reform prasentiert und begriindet. Aufgabe des nachsten Abschnitts (4.1) ist es, einen Oberblick tiber die fiinf Reformleitlinien, ihre generelle Zielsetzung und ihr Verhaltnis zueinander zu geben. In den folgenden Abschnitten A.2-A.6 werden die einzelnen Leitlinien detaillierter erlautert und begriindet, und es werden mogliche Implikationen und spezifische Reformelemente bzw. Regelungen fiir deren Umsetzung vorgestellt und diskutiert.
4.1
Die Leitlinien im Uberblick
Unsere Reformvorschlage setzen (direkt) an unterschiedlichen Punkten bzw. Phasen des in Abschnitt 3.1 beschriebenen, gegenwartig iiblichen und teilweise auch gesetzlich vorgeschriebenen Planungs-, Genehmigungs-, Durchsetzungsprozesses an. Schwerpunkte sind dabei das eigentliche formelle (hoheitliche)
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Kapitel 4
Leitlinien einer Reform
Verwaltungsverfahren zur Genehmigung und Planfeststellung von Flughafenanlagen^^^ sowie die anschlieBenden Durchsetzungs-, Auslegungs- und Anpassungsprozesse (Ex-post-Prozesse). Die Reformvorschlage beziehen sich dabei ganz uberwiegend auf grundlegende - den einzelnen Verfahren fiir konkrete Flughafeninfrastrukturvorhaben vorgelagerte - rechtliche und organisatorische Regelungen. Ihre Umsetzung erfordert gesetzliche Anderungen der Aufgaben und Kompetenzen verschiedener staatlicher Akteure sowie der prozeduralen und inhaltlichen (materiellen) Rechte der Verfahrensbeteiligten. Diese soUten unabhangig von und zeitlich vor einem moglichen konkreten Verfahren bzw. Ausbauvorhaben vorgenommen werden.^^^ Kurze Darstellung der Leitlinien Die Essenz unseres Reformvorschlags lasst sich in fiinf interdependenten (weitgehend komplementaren) LeitUnien zusammenfassen. Jede der fiinf Leitlinien zielt sowohl auf eine gesteigerte Effizienz als auch auf eine hohere Akzeptanz des Entscheidungsverfahrens und der Entscheidungen selbst.^^^ Beide Effekte - die erhohte Effizienz als auch die erhohte Akzeptanz - wurden im Ergebnis die Transaktionskosten der Planungs-, Entscheidungs- und Durchsetzungsprozesse senken. Die ersten beiden Leitlinien beziehen sich auf eine Reform der horizontalen und foderalen (vertikalen) Aufgaben- bzw. Kompetenzzuordnung. Sie zielen vor allem darauf, Zustandigkeiten zu klaren und Verantwortlichkeit zu fordern, das PFV von „sachfremden" Aufgaben und „dysfunktionalen" Konflikten zu entlasten und die Potentiale flir einen funktionsfahigen foderalen (interregionalen bzw. institutionellen) Wettbewerb zu starken. • Leitlinie 1: Reform der horizontalen Aufgaben- und Kompetenzzuordnung und Privatisierung der Flughafen zur Fokussierung und Klarung der Aufgaben
^^^ Der sprachlichen Einfachheit halber werden wir im Folgenden nur vom Planfeststellungsverfahren (oder kurz PFV) sprechen. ^^^ Entsprechendes gilt auch fiir die im Folgenden vorgeschlagene Privatisierung der Flughafen. 200 Neben dem direkten positiven Effekt, den jede der Leitlinien auf Akzeptanz und Effizienz der Entscheidungsverfahren hat, sind dabei auch mogliche indirekte Effekte zu beachten, die daraus entstehen, dass sich Akzeptanz und Effizienz gegenseitig befordem. Eine groBere Akzeptanz des Verfahrens kann liber eine konstruktivere Mitarbeit aller Beteihgten im Verfahren zu einer hoheren Effizienz (Qualitat) der Entscheidungen fiihren; und die Erwartung effizienter Ergebnisse tragt ihrerseits dazu bei, die Akzeptanz der Entscheidungsverfahren (und der Entscheidungen selbst) zu erhohen. In diesem Sinne sind Akzeptanz und Effizienz zumindest innerhalb gewisser Grenzen komplementar.
4.1 Die Leitlinien im Uberblick
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des Planfeststellungsverfahrens und starkeren stmkturellen Trennung von politischen, administrativen und unternehmerischen Funktionen bei der Ausgestaltung und Durchfiihrung des Verfahrens. • Leitlinie 2: Reform der foderalen Kompetenzzuordnung zur Starkung der Potentiale fiir einen funktionsfahigen interregionalen bzw. institutionellen Wettbewerb insbesondere durch erweiterte Kompetenzen der Bundeslander bei Gestaltung und Durchfiihrung der Planfeststellungsverfahren. Die drei weiteren Leitlinien beziehen sich auf die Reform des eigentlichen Planfeststellungsverfahrens, speziell der Regeln zur Herbeifuhrung, zum Inhalt und zur Administration (Ex-post-Governance) einer Genehmigungsentscheidung und der damit gegebenenfalls verbundenen Auflagen und Kompensationsregeln. Sie zielen darauf, die Moglichkeiten und die Anreize aller von den raumlich konzentrierten negativen Extemalitaten eines Flughafenausbaus und -betriebs Betroffenen zur konstruktiven Mitarbeit im Planfeststellungsverfahren zu starken und das Auffinden und verbindliche Vereinbaren eines angemessenen Ausgleichs der Interessen von Anwohnem bzw. Immobilieneigentumem und Flughafengesellschaft und -nutzem zu erleichtern. • Leitlinie 3: Umgestaltung des behordlichen Planfeststellungsverfahrens zu einem offenen, transparenten und vornehmlich prozedural regelgebundenen Verfahren mit umfassenden Partizipationsrechten und mit groBerer Verbindlichkeit der Ergebnisse. • Leitlinie 4: Erweiterung des Rechts auf individuelle Kompensation besonders intensiver Belastungen und der Optionen zur glaubwiirdigen Festlegung von Auflagen und Nutzungsbeschrankungen im Planfeststellungsverfahren. • Leitlinie 5: Schaffung eines Verfahrens zur „Administration", d.h. zur KontroUe, Auslegung, Anpassung und Fortschreibung der im verwaltungsrechtlichen Verfahren getroffenen Kompensationsregelungen und Auflagen (Expost-Governance-Struktur). Leitlinie 1 zielt darauf ab, das (eigentliche) Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren durch eine Reform der horizontalen Aufgaben- und Kompetenzzuordnung zu „entpolitisieren" und von „sachfremden" Aufgaben und dysfunktionalen Konflikten zu entlasten. Wesentliche Reformelemente sind dabei die Fokussierung der Aufgaben des PFV, die Starkung der politischen Unabhangigkeit der Planfeststellungsbehorde (im Folgenden auch kurz PF-Behorde) und die vollstandige materielle Privatisierung der Flughafen. Die Aufgabe des PFV soUte im Wesentlichen darauf beschrankt werden, im Umfeld des Flughafens raumlich konzentrierte negative Extemalitaten des Ausbaus bzw. der Nutzung eines Flughafens - wie etwa erhebliche Larmbelastungen - durch Abgaben und/oder Auf-
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Kapitel4
Leitlinien einer Reform
lagen zu intemalisieren und einen angemessenen Ausgleich der Interessen der von diesen Externalitaten negativ Betroffenen einerseits und der Flughafengesellschaft andererseits herbeizufuhren. Diese Aufgabe sollte von anderen Aufgaben im Bereich Flughafeninfrastrukturbau und -nutzung sowie von rein unternehmerischen Aufgaben klar abgegrenzt und institutionell getrennt werden. Die Privatisierung der Flughafen und die Einsetzung politisch unabhangiger Planfeststellungsbehorden sind wesentliche Elemente einer starkeren strukturellen Trennung von politischen, administrativen und unternehmerischen Funktionen bei der Ausgestaltung und Durchfiihrung der PFV. Durch sie werden die Moglichkeiten zur Politisierung der Entscheidungsprozesse erheblich reduziert. Die Gefahr, dass die Genehmigungsbehorde von den negativ Betroffenen als „Quasipartei" wahrgenommen wird, deren eigentliche Aufgabe die Durchsetzung im Vorhinein feststehender Entscheidungen sei, wird reduziert. Dies tragt dazu bei, dass das PFV von den Beteiligten als angemessener „Ort" zur Geltendmachung ihrer Interessen akzeptiert wird und seine Kemaufgabe effektiv erfiillen kann. Leitlinie 2 zielt auf einen funktionsfahigen foderalen (interregionalen bzw. institutionellen) Wettbewerb. Hierzu sollten die Bundeslander erweiterte Kompetenzen bei der Ausgestaltung und Durchfiihrung der PFV erhalten. Die Lander hatten dann die Moglichkeit und auch die Anreize, nach effizienten und zugleich die Akzeptanz des Verfahrens und seiner Ergebnisse erhohenden Verbesserungen der institutionellen Ausgestaltung der Planungs- und Entscheidungsverfahren zu suchen und diese selbstandig und in eigener Verantwortung zu implementieren. Um die Gefahren zu reduzieren, die mit einer Kompetenzdezentralisierung verbunden sein konnen, sollte auf bundesgesetzliche Rahmenregeln allerdings nicht vollig verzichtet werden. Diese sollten insbesondere Mindeststandards flir Partizipations- und Kompensationsrechte aller Betroffenen festschreiben - vor allem auch fUr jene Betroffenen, die nicht in dem Bundesland wohnen bzw. angesiedelt sind, in dem das Verfahren durchgefiihrt wird. Leitlinie 3 zielt darauf, die Moglichkeiten und Anreize zur konstruktiven Mitarbeit aller Betroffenen zu verbessern und so die Effizienz und die Akzeptanz der PFV und ihrer Ergebnisse zu erhohen. Es ist sicherzustellen, dass alle entscheidungsrelevanten Informationen und sachbezogenen Anliegen bzw. Interessen im PFV vorgebracht werden (konnen) und adaquat gewtirdigt werden. Hierzu ist das PFV zu einem offenen, transparenten und vomehmlich prozedural regelgebundenen Verfahren umzugestalten, dessen Durchfiihrung in der Verantwortung einer politisch unabhangigen Behorde liegt. Innerhalb des vom Gesetzgeber eng definierten Aufgabenbereichs sollten der PF-Behorde weite diskretionare Freiraume hinsichdich der Genehmigungsentscheidung und der damit verbundenen Auflagen (Kompensationspflichten, Nutzungsbeschrankungen etc.) eingeraumt werden. Nur so ware diese in der Lage,
4.1 Die Leitlinien im Uberblick
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im Verfahren von den Beteiligten eingebrachte Informationen, Positionen oder Problemlosungsvorschlage angemessen zu beriicksichtigen. Die weiten inhaltlichen Entscheidungsspielraume der Behorde erfordem komplementar prozedurale Restriktionen in der Form geeigneter Verfahrensregeln und Transparenzvorschriften. Die Beteiligungsrechte aller sachlich Interessierten im PFV soUten - relativ zum Status quo - erweitert und die Transparenz der Entscheidungsfmdung sollte erhoht werden. Die RoUe der Behorde sollte starker auf die eines neutralen Schiedsrichters mit Entscheidungsbefugnis zugeschnitten werden. Die Anreize zur konstruktiven Mitarbeit der Betroffenen im PFV sollten gestarkt werden, indem die Verbindlichkeit des behordlichen PF-Beschlusses erhoht wird. Zu diesem Zweck sollten die Moglichkeiten zur gerichtlichen Uberpriifung des Verwaltungshandelns weitgehend auf Verfahrensfragen beschrankt und insgesamt gestrafft werden. In Verbindung mit der Beschrankung der Moglichkeiten politischer Einflussnahme auf die konkrete Verwaltungsentscheidung (Leitlinie 1) fiihrt dies dazu, dass die Bedeutung des eigentlichen Verwaltungsverfahrens aus Sicht der Betroffenen zunimmt; eine konstruktive Beteiligung am verwaltungsrechtlichen Planungsverfahren selbst wird dadurch lohnender. Durch die fruhzeitige und umfassende Einbeziehung und konstruktive Beteiligung der Betroffenen werden zusatzliche Informationen iiber die tatsachlichen individuellen und gesamtwirtschaftlichen Nutzen und Kosten gewonnen und in den Entscheidungsprozess eingebracht. Dies erleichtert es, im Verfahren Nutzen und Kosten gegeneinander abzuwagen und damit eine Basis fur den (effizienten) Ausgleich divergierender Interessen herzustellen. Die in Leitlinie 4 geforderten Kompensationspflichten und die verstarkte Verwendung von Auflagen und Nutzungsbeschrankungen sind geeignet, dem Flughafenbetreiber, aber auch den Entscheidungsbehorden die gesellschaftlichen Kosten neuer Flughafenkapazitat zu signalisieren und diese entscheidungsrelevant werden zu lassen. Vor allem Kompensationszahlungen, aber auch Auflagen und Nutzungsbeschrankungen machen die identifizierten Opportunitatskosten (auch) auf Seiten des Flughafenunternehmens entscheidungsrelevant und verbessem dadurch die Qualitat der Entscheidung: Sie tragen dazu bei, dass sinnvolle Rughafenprojekte identifiziert werden und dass auch die Bedingungen fur eine Beriicksichtigung von Alternativstandorten verbessert werden. Sie tragen zudem dazu bei, eine „faire" Verteilung der Lasten und damit einen „akzeptablen" Interessenausgleich herbeizufiihren; sie besitzen somit das Potential, die Akzeptanz einer (Ausbau-)Entscheidung zu erhohen. Voraussetzung dafiir, dass die positiven Effizienz- und Akzeptanzwirkungen von Kompensationsregeln, Auflagen und Nutzungsbeschrankungen (voll) zum Tragen kommen, ist freilich, dass derartige Verpflichtungen tatsachlich glaubwiirdig ausgestaltet werden. Hierauf zielt Leitlinie 5 zur Schaffung eines adaquaten Verfahrens zur Administration der im PFV getroffenen Kompensationsrege-
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Kapitel4 Leitlinien einer Reform
lungen und Auflagen. Diese soil die Glaubwurdigkeit von Betriebsauflagen und/oder Kompensationsregeln erhohen und zugleich die effiziente Anpassung an veranderte okonomische, technische oder rechtliche Umstande erleichtern, ohne dass dies mit einer „Aufkundigung des Gesamtvertrages" einhergeht oder dass die - angesichts umfangreicher spezifischer und langlebiger Investitionen notwendige - Bindungswirkung der Genehmigung zu stark eingeschrankt wird. Grundsatzlich sollte der PF-Beschluss daher nicht allein inhaltliche Regeln, sondern auch institutionelle Vorkehrungen beinhalten, die eine KontroUe, Auslegung, Anpassung und Fortschreibung der Vereinbarung - so weit als moglich im Geiste der urspriinglichen Vereinbarung - sicherstellen. Die Schaffung eines exjpliziten Verfahrens zur Ex-post-Governance von Kompensationsregelungen und Auflagen des PF-Beschlusses kann sowohl zu einer Verbesserung der Qualitat der urspriinglichen Entscheidungen (u.a. durch eine groBere Anpassungsfahigkeit gegeniiber nicht antizipierten kiinftigen Entwicklungen) als auch maBgeblich zu einer Erhohung ihrer Akzeptanz beitragen. Anders als es derzeit der Fall ist, geht es zum Zeitpunkt der Planfeststellung dann nicht mehr um ein „Jetzt-oder-Nie" bzw. um ein „Alles-oder-Nichts", weil nach der Planfeststellung nicht mehr nahezu nur noch (zudem weitgehend aussichtslose) Klagen vor Gerichten und gesetzwidriger Widerstand als Moglichkeiten des „Einflusses" und der „Stellungnahme" verbleiben. Heutiger Widerstand wird reduziert, indem zukiinftige Einflussmoglichkeiten geschaffen werden. Ein konstruktives Zusammenarbeiten im eigentlichen PFV und im anschlieBenden Governance-Prozess konnte sich nunmehr fur einen groBen Teil des „NIMBYLagers" lohnen. Komplementaritdt der Leitlinien Die fUnf Leitlinien sind - wie bereits betont wurde und in den folgenden Abschnitten welter erlautert wird - in hohem MaBe komplementar. Die Umsetzung jeder einzelnen Leitlinie hat durchaus einen eigenstandigen positiven Effekt auf Effizienz und Akzeptanz der Entscheidung(sverfahr)en; zugleich verstarkt sie den positiven Effekt der Umsetzung aller anderen Leitlinien. Der positive Effekt der vorgeschlagenen Reformen ist also dann am groBten, wenn die ftinf Leitlinien gemeinsam umgesetzt werden.^^^ 201
Hieraus folgt beispielsweise, dass die von uns vorgeschlagene Reform zwar grundsatzhch auch ohne eine Anderung der bestehenden Eigentumsverhaltnisse im Flughafensektor durchgefuhrt werden kann. AUerdings erachten wir eine vollstandige Privatisierung der Flughafen als ein zentrales Element der ordnungspolitischen Gesamtstrategie. Ohne eine Privatisierung der Flughafen waren die von den Ubrigen Reformen zu erwartenden positiven Effizienz- und Akzeptanzeffekte (u.U. erheblich) kleiner. Entsprechendes gilt mutatis mutandis auch fUr einzelne andere Reformelemente.
4.1 Die Leitlinien im Uberblick
139
Vielfaltige Komplementaritaten bestehen insbesondere zwischen den verschiedenen Elementen von Leitlinie 1 und den anderen Leitlinien: • Die Fokussierung des PFV auf die Intemalisierung regional konzentrierter Extemalitaten (Leitlinie 1) und die Erweiterung der Kompetenzen der Bundeslander bei der Gestaltung und Durchfuhrung des PFV (Leitlinie 2) bedingen sich gegenseitig. • Die enge Beschrankung der Aufgaben des PFV (Leitlinie 1) ist Voraussetzung fur die weiten diskretionaren Freiraume der PF-Behorde und die erweiterten Beteiligungsrechte aller sachlich Interessierten (Leitlinie 3), da diese ansonsten mit zu groBen Opportunismusgefahren verbunden waren. • Die Unabhangigkeit der PF-Behorde (Leitlinie 1) und die angemessene, insbesondere transparente Ausgestaltung der Entscheidungsverfahren (Leitlinie 3) wirken komplementar zusammen, indem sie gemeinsam dazu beitragen, die (asymmetrischen) Einflussmoglichkeiten spezifischer Interessengruppen zu reduzieren oder den relativen Einfluss unterschiedlicher Interessen ausgewogener zu gestalten, als dies vor allem bei kurzfristigen politischen Entscheidungen in der Regel der Fall ist. • Die Entpolitisierung des PFV, die insbesondere durch die Delegation der Verfahrensdurchfiihrung an eine politisch unabhangige PF-Behorde und die vollstandige Privatisierung der Flughafen (Leitlinie 1) erreicht wird, und die Begrenzung der Moglichkeiten zur inhaltlichen LFberpriifung des PFV durch die Gerichte (Leitlinie 3) erganzen sich hinsichtlich der Erhohung der Verbindlichkeit des PFV. • Eine Privatisierung der Flughafen (Leitlinie 1) gewahrleistet, dass sich die Flughafengesellschaften bei ihren Entscheidungen am Gewinnziel orientieren, und verstarkt die Wirkung einer Anlastung der sozialen Kosten von Investitions- und Betriebsentscheidungen (Leitlinie 4) auf das Verhalten der Flughafenuntemehmen. Auch zwischen der dritten und der vierten Leitlinie bestehen weitreichende Komplementaritaten. So ermoglichen erst die erweiterten Beteiligungsrechte aller sachlich Interessierten (Leitlinie 3) der Behorde, die fiir eine effiziente Festlegung von Kompensationen und Auflagen bzw. Nutzungsbeschrankungen (Leitlinie 4) notwendigen Informationen zu gewinnen. Zugleich erhohen die erweiterten Moglichkeiten der Behorde zur Festlegung von Kompensationen und Nutzungsbeschrankungen (und deren Beeinflussung durch die Betroffenen) die Anreize zur konstruktiven Nutzung der erweiterten Beteiligungsmoglichkeiten. Eine verstarkte Nutzung von Auflagen und Nutzungsbeschrankungen (Leitlinie 4) wird nur dann die erwiinschten positiven Effizienz- und Akzeptanzwirkungen entfalten konnen, wenn diese Beschrankungen glaubwiirdig, aber zugleich auch
140
Kapitel4 Leitlinien einer Reform
hinreichend flexibel sind. Der Sicherung eines angemessenen Verhaltnisses von Anpassungsfahigkeit und Glaubwurdigkeit dient die Schaffung eines geeigneten Verfahrens zur Administration der Vereinbarungen (Leitlinie 5). Die Moglichkeiten und Anreize, eine Reform des PFV entlang den Leitlinien 3 bis 5 effektiv umzusetzen, werden durch einen funktionsfahigen foderalen Wettbewerb (Leitlinie 2) erhoht. Da es nicht moglich ist, allein auf der Grundlage theoretischer tJberlegungen und existierender empirischer Erfahrungen „optimale" Regeln fur die konkrete Ausgestaltung der PFV zweifelsfrei zu bestimmen, ist es wichtig, dass ein verstarktes Konkurrieren der Lander um die beste Losung und ein Lemen voneinander helfen, neue Erkenntnisse hinsichtlich der optimalen Gestaltung der Verfahren zu gewinnen. Die Starkung der Kompetenzen der Lander erhoht deren Moglichkeiten und Anreize, nach besonders effizienten Formen der institutionellen Ausgestaltung der (PF)Verfahren zu suchen und diese selbstandig und in eigener Verantwortung zu implementieren. Gleichzeitig verringern die Unabhangigkeit der PF-Behorde (Leitlinie 1), die Erweiterung der Partizipationsrechte aller Betroffenen im PFV (Leitlinie 3) sowie gesetzlich garantierte individuell einklagbare Kompensationsanspriiche besonders stark Betroffener (Leitlinie 4) die mit einer Kompetenzdezentralisierung theoretisch verbundene Gefahr einer moglichen Diskriminierung negativ Betroffener aus anderen Bundeslandern. Transaktionskosten und Dauer der Planung, Genehmigung und Durchsetzung von Flughafeninfrastrukturprojekten Wir erwarten, dass die Transaktionskosten der Planung, Genehmigung und Durchsetzung von Rughafeninfrastrukturprojekten durch die gemeinsame Umsetzung der fiinf Leitlinien deutlich sinken werden. Die betriebs- und volkswirtschafthche Effizienz der untemehmensintemen Entscheidungen wiirde erhoht; die Bedeutung, Effizienz und Akzeptanz von PFV und PF-Beschlussen wiirden gestarkt. Dies bedeutet jedoch nicht notwendigerweise - darauf sei hier explizit hingewiesen -, dass das eigentliche verwaltungsrechtliche PFV beschleunigt wiirde. Eher im Gegenteil: Zwar wiirde das PFV insbesondere durch die strikte Aufgabenfokussierung und die Entpolitisierung, aber auch durch die Etablierung einer geeigneten Ex-post-Govemance-Struktur tendenziell entlastet. Dennoch ist wohl davon auszugehen, dass die Erweiterung der Beteiligungsrechte aller sachlich Interessierten (Leitlinie 3) dazu fiihren wird, dass das eigentliche Verwaltungsverfahren, speziell das Anhorungs- und Erorterungsverfahren, nach Umsetzung der Reformen in der Regel eher mehr Zeit in Anspruch nehmen wiirde als bisher. Die Verlangerung des eigentlichen PFV impliziert jedoch nicht, dass auch das gesamte Verfahren der Planung, Entscheidung und Realisierung von Flughafeninfrastrukturprojekten insgesamt mehr Zeit in Anspruch nimmt. Das formelle Verwaltungsverfahren zur Genehmigung und Planfeststellung von Flughafen-
4.1 Die Leitlinien im Uberhlick
141
anlagen ist ja nur ein Teil des gesamten Planungs-, Genehmigungs- und Durchsetzungsprozesses (Abschnitt 3.1): Am Anfang des Planungsprozesses steht typischerweise eine untemehmensinterne Diskussion und Grundsatzentscheidung iiber einen Neubau oder eine Erweiterung eines Flughafens. In einer sich anschlieBenden Vorverhandlungsphase finden Vorgesprache zwischen dem Flughafenuntemehmen und der Politik und/oder der Verwaltung statt. Daneben kommt es haufig auch zu (multilateralen) Verhandlungen zwischen dem Flughafenuntemehmen und betroffenen Anwohnern und/oder zu einem Mediationsverfahren. Erst danach beginnt das eigentliche formelle Verwaltungsverfahren zur Genehmigung und Planfeststellung von Rughafenanlagen. Im Anschluss an das verwaltungsrechtliche Verfahren und damit im Anschluss an die Entscheidungsprozesse im engeren Sinne steht den rechtlich als betroffen geltenden Akteuren der Verwaltungsrechtsweg offQn, und es kommt in der Regel zu langwierigen gerichtlichen Verfahren, die Baubeginn und -fertigstellung jedenfalls teilweise weiter verzogem (Abschnitt 3.1).^^^ Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass die Umsetzung der Leitlinien zu einer Verkiirzung der dem Verwaltungsverfahren vor- und nachgelagerten Verfahren fiihren wird: • Eine Privatisierung der Flughafenuntemehmen diirfte zu einer Beschleunigung unternehmensintemer Planungs-, Diskussions- und Entscheidungsprozesse fiihren. • Indem Funktionen, die bisher in der Vorverhandlungsphase wahrgenommen werden, zu einem integralen Bestandteil des hoheitlichen Verfahrens gemacht werden (Leitlinie 3), nimmt die Bedeutung und die Dauer der Vorverhandlungsphase ab. Dieser Effekt wird durch die Privatisierung des Flughafens und die Entpolitisierung des Verfahrens noch weiter verstarkt. • Auch die Zahl und die Dauer der sich an das Verwaltungsverfahren anschlieBenden verwaltungsgerichtlichen Auseinandersetzungen kann durch die Reform des hoheitlichen Verwaltungsverfahrens (direkt und indirekt) reduziert werden (Abschnitt 4.4.3).
^^^ Nach der Entscheidung und nach erfolgten Flughafeninvestitionen konnen weitere Durchsetzungs-, Auslegungs- und Anpassungsprozesse notwendig werden (Ex-postProzesse), etwa wenn nach Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses nicht vorhersehbare nachteiUge Wirkungen des Vorhabens (beispielsweise unerwartet hohe Larmbelastungen) auftreten. Die Umsetzung von Leithnie 5 wurde dazu fiihren, dass diese Ex-post-Prozesse bereits im urspriingHchen Genehmigungsverfahren starker institutionalisiert werden. Hierauf wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen (vgl. aber Abschnitt 4.6), da nicht zu erwarten ist, dass von dieser MaBnahme wesentliche direkte Effekte auf die Dauer des Zeitraums vom Beginn der untemehmensintemen Diskussion bis Baubeginn bzw. -fertigstellung ausgehen.
142
Kapitel4 Leitlinien einer Reform
Die mogliche Beschleunigung der untemehmensintemen Entscheidung, die Verkiirzung der Vorverhandlungsphase sowie der Phase der gerichtlichen Auseinandersetzungen wirken einer moglichen langeren Dauer des eigentlichen PFV entgegen und konnen diese sogar mehr als kompensieren, so dass es durch die Umsetzung der Reformleitlinien zu einer Verkiirzung des gesamten Zeitraums vom Beginn der untemehmensintemen Diskussion bis zum Baubeginn bzw. bis zu dessen Fertigstellung kommen kann. Bei der Formuliemng der Leitlinien, aber auch bei der anschlieBenden Konkretisierung dieser Leitlinien und der Diskussion von Fragen ihrer Umsetzung beschranken wir uns auf grundlegende strukturelle Probleme bzw. Problemlosungsmoglichkeiten. Fine Vielzahl „kleinerer" oder auch „relativ oberflachlicher" („Management"-)Probleme bzw. Verbessemngsmoglichkeiten wird dabei vollstandig ausgeblendet oder allenfalls beilaufig erwahnt.^^^ Zudem sind unsere Empfehlungen eben nur Leitlinien und deshalb in vielen Punkten bewusst nicht allzu detailliert formuliert. An zahlreichen Stellen werden „unscharfe" Unterscheidungen bzw. Formulierungen oder unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet, die vom (Landes-)Gesetzgeber erst noch prazisiert werden miissen. Wegen der Bedeutung, die wir einem institutionellen Wettbewerb beimessen (Leitlinie 2), - und auch aufgrund fachlicher Restriktionen - ist es nicht unsere Absicht, die von uns vorgeschlagenen Leitlinien durch die Ausformulierung konkreter gesetzlicher Formulierungen („Gesetzestexte") auszufullen.^^"* Hier ist gegebenenfalls der Landesgesetzgeber aufgerufen, hinreichend prazise, justiziable gesetzliche Regelungen zu formulieren.-^^^
^^^ So sollte beispielsweise, auch ohne dass wir darauf explizit eingehen werden, klar sein, dass Behorden und Gerichte finanziell und personell (Zahl und Kompetenz der Mitarbeiter) so ausgestattet sein sollten und der „Verfahrensablauf' (inklusive Fristen) so gestaltet sein sollte, dass es nicht notgedrungen zu „uberma6ig" langsamen und/oder aber „ubereilten" und damit sehr wahrscheinlich (verfahrens)fehlerbehafteten Entscheidungen kommen muss. ^^^ Zudem wlirde nach unserer Ansicht in vielen Fallen jeder Versuch, die Begriffe abstrakt trennscharf zu defmieren, ausufem, ohne die Substanz der Vorschlage greifbarer zu machen. Wir denken jedoch, dass die von uns im Folgenden gewahlten Formulierungen die dahinter stehende Idee im Allgemeinen hinreichend deutlich machen. ^- An mehreren Stellen weisen wir im Folgenden explizit darauf hin, dass dort nach unserer Ansicht prazise gesetzliche Vorgaben sinnvoll waren. Dies gilt beispielsweise fur die Regeln, auf deren Grundlage die Behorde den Kreis der von Extemalitaten besonders stark Betroffenen bestimmt und die Hohe der an diese zu leistenden Kompensationen festlegt (Leitlinie 4).
4.2 Leitlinie 1
4.2
Leitlinie 1: Klare horizontale Aufgaben- und Kompetenzzuordnung, Privatisierung
4.2.1
Uberblick
143
Vom Bau und Betrieb eines Flughafens gehen eine Vielzahl privater und sozialer Nutzen und Kosten aus. Durch eine adaquate Gestaltung der institutionellen Rahmenbedingungen sollte sichergestellt werden, dass moglichst alle volkswirtschaftlichen Nutzen und Kosten eines Flughafenprojekts in die Entscheidungen iiber Infrastrukturbau und -nutzung eingehen. Nur dann sind gesamtwirtschaftlich weitgehend effiziente Infrastruktur(aus)bau- und -nutzungsentscheidungen zu erwarten.^^^ Hierzu ist es jedoch nicht notwendig und auch gar nicht sinnvoU, alle Nutzen- und Kostenkomponenten auf koUektiver Ebene zu aggregieren (Kosten-Nutzen-Analyse) und alle Entscheidungen bzw. Entscheidungsverfahren in ein einziges (zentralisiertes) politisches oder administratives Verfahren (das PFV) zu „integrieren". Verschiedene Arten von Nutzen und Kosten sollten vielmehr „dezentrar', iiber unterschiedliche Kanale bzw. Verfahren und durch Jewells moglichst kompetente und verantwortliche (rechenschaftspflichtige) Entscheidungsbeteiligte in die Gesamtentscheidung eingebracht werden. Leitlinie 1 spricht sich deshalb fur eine Reform der horizontalen Aufgabenund Kompetenzzuordnung beim Flughafenausbau aus. Dies gilt sowohl (1) fur die Abgrenzung der Aufgaben des eigentlichen PFV von denen anderer politisch-administrativer Verfahren als auch (2) fur die Abgrenzung von politischen, administrativen und untemehmerischen Funktionen bei Ausgestaltung und Durchfiihrung des PFV selbst. Im Rahmen beider Elemente dieser Leitlinie wird eine voUstandige materielle Privatisierung der Flughafen als ein wichtiges Reformelement erachtet. Wesentliche Elemente einer sachgerechten Aufgaben- und Kompetenzzuordnung sind dariiber hinaus die Fokussierung der Aufgaben des PFV und die Starkung der politischen Unabhangigkeit der PF-Behorde.
^^" Eine poHtische Intervention, die eine IntemaHsierung ansonsten extemer sozialer Nutzen und Kosten im Kalkiil der privaten Entscheidungstrager sicherstellen soil, ist allerdings nur dann zweckmaBig, wenn die dadurch erzielten Effizienzgewinne nicht durch die Kosten der InterventionsmaBnahmen uberkompensiert werden. Die Interventionskosten umfassen sowohl die direkten Kosten des wirtschaftspolitischen Eingriffs als auch die indirekten Kosten, die durch unbeabsichtigte und unvorhergesehene Nebenwirkungen hervorgerufen werden. Zu den direkten Kosten zahlen die mit dem wirtschaftspolitischen Eingriff verbundenen Mess-, Implementierungs- und Administrationskosten. Indirekte Kosten sind raumliche, zeitliche oder quantitative Zielverfehlungen, Mitnahmeeffekte, Fehlanreize, induzierte Rent-Seeking-Aktivitaten sowie Korrektur- und Folgekosten (Tegner 1996: 18f).
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Kapitel4 Leitlinien einer Reform
Die Aufgaben des Planfeststellungsverfahrens soUten klarer als bisher fokussiert und deutlicher von anderen politisch-administrativen Aufgaben bzw. Verfahren im Bereich Flughafeninfrastrukturbau und -nutzung sowie von rein unternehmerischen Aufgaben abgegrenzt und institutionell getrennt werden. Die Kemaufgabe des PFV sollte darin bestehen, im Umfeld des Flughafens raumlich konzentrierte negative Externalitaten eines Flughafenausbaus bzw. dessen Nutzung etwa in Form erheblicher Larmbelastungen durch Kompensationszahlungen, Abgaben und/oder Auflagen zu internalisieren und einen angemessenen Ausgleich der Interessen der von diesen Externalitaten negativ Betroffenen einerseits und der Flughafengesellschaft andererseits herbeizufiihren (Abschnitt 4.2.2). Das PFV sollte von alien diesem Zweck nicht dienlichen, „sachfremden" Aufgaben und damit auch von den mit diesen verbundenen Konflikten entlastet werden. Zugleich sollten jedoch die institutionellen Voraussetzungen dafiir geschaffen werden, dass auch fUr entsprechende „PFV-fremde" Aufgaben bzw. Probleme im Bereich der Flughafeninfrastruktur moglichst effiziente und weithin akzeptierte Losungen gefunden werden konnen. Neben der klaren Definition geeigneter politischer und administrativer Verantwortlichkeiten und Verfahren kommt hierbei vor allem auch der Privatisierung der Flughafen eine wichtige Rolle zu. Damit das PFV seine Kernaufgabe effektiv erfullen kann und von den Beteiligten als angemessener „Ort" zur Geltendmachung ihrer Interessen akzeptiert wird, ist es wichtig, dariiber hinaus auch in Bezug auf Ausgestaltung und Durchfuhrung des PFV eine klare und angemessene Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen Politik, Verwaltung und privaten Akteuren (speziell der Unternehmensleitung) sicherzustellen. Insbesondere sind politische bzw. legislative (Regelsetzung), administrative (Regelanwendung) und unternehmerische Funktionen deutlicher zu trennen als im Status quo (Abschnitt 4.2.3). Die Einflusspotentiale der politischen Akteure auf konkrete Einzelfallentscheidungen und damit zugleich die Moglichkeiten einzelner Betroffener, Uber die politischen Akteure Einfluss zu nehmen, sollten durch eine Starkung der politischen Unabhangigkeit der Planfeststellungsbehorde sowie eine vollstandige Privatisierung der Flughafenunternehmen verringert werden.
4.2.2
Fokussierung der Aufgaben des Planfeststellungsverfahrens (PFV)
Kernaufgabe des PFV Bei den externen Effekten, die vom Bau und Betrieb eines Flughafens ausgehen, handelt es sich teils um technische (direkte) Externalitaten und teils um pekuni-
4.2 Leitliniel
145
are (indirekte) Extemalitaten.^^^ Einige sind positiv, andere negativ, einige sind in ihrer Wirkung „raumlich eng begrenzt", andere wirken iiberregional oder gar global. Fiir einige Formen von Extemalitaten ist der Flughafen bzw. ist dessen Nutzung die regional dominante Quelle, fiir andere ist er auch regional nur eine von vielen Quellen. Diese Unterscheidungen sind wichtig, da die „Art" einer Extemalitat sowie die Identitat der involvierten Akteure die zu ihrer Internalisierung am besten geeigneten Instrumente (Leitlinie 4) sowie die fiir deren Wahl und Implementierung sinnvollerweise zustandigen Akteure und Verfahren beeinflussen. Fiir die Abgrenzung der im PFV sinnvollerweise zu behandelnden und der dort nicht (explizit) zu behandelnden Extemalitaten sind vor allem zwei Kriterien von Bedeutung. Dies sind zum einen die geografische Reichweite der Extemalitaten und zum anderen die Unterscheidung der von einem Flughafen (bzw. dem Flugbetrieb) ausgehenden Extemalitaten in solche, bei denen der Flughafen die absolut dominante Quelle ist - wie dies insbesondere fiir die Larmbelastung im (naheren) Umfeld des Flughafens zutrifft -, und solche, bei denen er „nur" eine von vielen tatsachhchen oder moglichen Quellen ist - wie dies insbesondere fiir die mit der Emission von klimarelevanten Gasen verbundenen Effekte sowie (in geringerem Umfang) fiir mogliche positive Beschaftigungs- und Wachstumseffekte des Flughafens zutrifft. Da Planfeststellungsverfahren fiir einen Flughafen(aus)bau auf der Ebene der Bundeslander durchgefiihrt werden und auch werden sollten (vgl. Leitlinie 2), sollte sich das PFV ausschlieBlich auf die Intemalisiemng raumlich begrenzter Extemalitaten konzentrieren, bei denen der Flughafen zudem die dominante Quelle ist. Letztere Unterscheidung ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil sich der Planfeststellungsbeschluss primar an das Flughafenunternehmen richtet; dieses ist (Haupt-)Adressat der im PF-Beschluss erteilten Genehmigung (oder des Verbots) sowie damit mogHcherweise verbundener Auflagen, Kompensationspflichten etc.^^^ Die zentrale Aufgabe des PFV sollte demnach darin bestehen, diejenigen - (iiberwiegend) negativen - Extemalitaten des Flughafenausbaus bzw. seiner Nutzung zu intemalisieren, deren Reichweite raumlich (im Flughafenumfeld)
^^^ Pekuniare Extemalitaten sind eine Folge von marktlichen Beziehungen und wirken indirekt iiber den Preismechanismus. Im wohlfahrtstheoretischen Konkurrenzgleichgewicht sind sie irrelevant bzw. nicht existent (Tegner 1996: 4). Anders im Falle unvollstandiger Konkurrenz. Bei unvollstandiger Konkurrenz sind pekuniare Extemalitaten jedenfalls dann wohlfahrtstheoretisch relevant, wenn die Nicht-Intemalisierbarkeit selbstvemrsachter Preiseffekte Private daran hindert, Marktversagenstatbestande und Marktunvollkommenheiten aus eigener Kraft zu beseitigen (Tegner 1996: 16). ^^^ Siehe aber die Ausfiihmngen zur Moglichkeit, im PF-Beschluss Siedlungsbeschrankungen im Flughafenumfeld festzulegen, in Abschnitt 4.5.3, Leitlinie 4.
146
Kapitel4
Leitlinien einer Reform
konzentriert ist und bei denen der Flughafen die regional dominante Quelle darstellt. Hierbei ist ein angemessener Ausgleich der Interessen der von diesen Extemalitaten negativ Betroffenen einerseits und der Interessen der Flughafengesellschaft (und -nutzer) andererseits sicherzustellen. Zu den im PFV zu beriicksichtigenden Effekten bzw. den zu internalisierenden Extemalitaten gehoren damit zunachst einmal die Belastungen bzw. Schadigungen, die sich aus direkten Nutzungsrivalitaten beziiglich derjenigen Grundstiicke ergeben, die infolge des Flughafenbaus oder -ausbaus zur ausschlieBlichen Nutzung durch den Flughafen beansprucht werden. Sie schlieBen eine weitere Nutzung durch den bisherigen Eigentiimer aus und machen eine Eigentumsubertragung - evtl. auch durch Enteignung - der Immobilien erforderlich. Zu den im PFV zu intemalisierenden Extemalitaten zahlen dariiber hinaus insbesondere Larmbelastungen durch Starts und Landungen, aber auch im Umfeld des Flughafens regional konzentrierte und mit dem Flughafenbetrieb verbundene besondere Schadstoff- und Risikobelastungen. Dies gilt fiir durch entsprechende Externalitaten ausgeloste erhebliche Belastungen einzelner Anlieger, die im Einzelfall durchaus „enteignungsgleiche" Eingriffe darstellen konnen. Zu beriicksichtigen sind gmndsatzlich aber auch entsprechende Extemalitaten, die iiber die Zone der intensivsten Belastungen in den unmittelbaren Anliegergebieten hinausreichen, jedoch noch direkt dem Start- und Landeverkehr auf dem Flughafen zuzurechnen sind. Hierzu zahlen etwa der generell erhohte Larmpegel und die lokal erhohten Schadstoffemissionen in denjenigen Gemeinden oder Gemeindeteilen, die im erweiterten Flughafenumfeld liegen. Selbst wenn diese Belastungen ftir den einzelnen Betroffenen eher gering sind, konnen sie in der Summe iiber eine groBe Zahl von Betroffenen doch „erhebliche" Schaden darstellen (Leitlinie 4). Gegenstand des PFV sollte schlieBlich auch eine mit Bau und/oder Betrieb eines Flughafens u.U. verbundene Zerstomng oder Funktionsbeeintrachtigung von Naherholungsgebieten, seltenen Biotopen etc. sein. Wenn im Vorstehenden vom Flughafen als der dominanten Quelle bestimmter Extemalitaten die Rede war, so bedarf dies noch einer Erlautemng: Die unmittelbaren Emittenten der mit Starts und Landungen verbundenen Larm- und Schadstoffemissionen sind namlich nicht die Flughafenunternehmen, sondem die Luftverkehrsunternehmen. Es scheint daher auf den ersten Blick angebracht, die Luftverkehrsunternehmen selbst zum Adressaten der Internalisierungsbemlihungen zu machen. Allerdings sprechen wichtige Argumente dafur, bei der Internalisiemng derjenigen Extemalitaten, die im naheren Flughafenumfeld durch Starts und Landungen entstehen, jedenfalls im PFV ausschliefilich an den Flughafenge-
4.2 Leitliniel
147
sellschaften anzusetzen.^^^ Betrachtet man namlich den Flughafen als Quelle der in seinem naheren Umfeld raumlich konzentriert auftretenden negativen Externalitaten in Form von Larm, regionalen Schadstoffbelastungen und Gefahren, und macht man das Flughafenunternehmen zum alleinigen Adressaten ordnungsrechtlicher oder okonomischer Instrumente zur Internalisierung dieser Externalitaten, so senkt dies die Transaktionskosten der Internalisierung und reduziert mogliche Effizienz- bzw. Implementierungsprobleme insbesondere der ordnungsrechtlichen Instrumente (Leitlinie 4; Abschnitt 4.5.2). Die Umsetzung der an das Rughafenuntemehmen adressierten Instrumente in Beschrankungen bzw. Anreize fur die Luftverkehrsunternehmen kann den Vereinbarungen zwischen Flughafenbetreiber und -nutzem iiberlassen bleiben. Dies entlastet das Genehmigungsverfahren und senkt die direkten Transaktionskosten der Implementierung. Ein solches Vorgehen erleichtert es zudem, die teilweise bestehenden Substitutionspotentiale zwischen umweltentlastenden MaBnahmen des Flughafenbetreibers und solchen der Luftverkehrsunternehmen als eigentlicher Verursacher der Emissionen zu realisieren.-^^^ Damit das PFV seine oben beschriebene Kemaufgabe moglichst effektiv erfullen kann, sollte es von alien diesem Zweck nicht dienlichen, „sachfremden" Aufgaben und damit verbundenen Konflikten entlastet werden. Dies bedeutet insbesondere, dass die Internalisierung bzw. Begrenzung uberregional oder gar global wirkender Umwelteffekte (z.B. emissionsbedingter Klimaeffekte), die uberregionale Netzplanung bzw. die Internalisierung iiberregionaler Netzexternalitaten sowie die wettbewerbsrechtliche KontroUe bzw. die okonomische Regulierung des Angebotsverhaltens marktmachtiger Flughafen nicht expliziter Gegenstand des PFV sein soUten.^^^ Vielmehr soUten sie von diesem institutionell
^^^ Die folgende Argumentation gilt wohlgemerkt nicht fur weit streuende bzw. nicht in Flughafennahe erzeugte Extemalitaten wie z.B. die Emission klimawirksamer Abgase wahrend des Plugs zwischen zwei Flughafen. ^^^ Zieht man den Flughafen als Adressat von Auflagen und/oder Abgaben heran, so ist aus wettbewerbspolitischer Sicht sicherzustellen, dass die „Weitergabe" an die Fluggesellschaften „diskriminierungsfrei" erfolgt. Dies sollte jedoch nicht Aufgabe des PFV, sondem die einer von dieser organisatorisch zu trennenden Wettbewerbsaufsicht sein (siehe Ausfuhrungen unter „Netzwerkeffekte und Regulierung"). ^^^ Dass die entsprechenden Effekte bzw. Aufgaben nicht expliziter Gegenstand des PFV sind, bedeutet nicht, dass sie keinen Einfluss auf die im PFV getroffenen Entscheidungen haben (konnen). Werden beispielsweise - wie unten empfohlen - uberregionale Umwelteffekte auBerhalb des PFV durch geeignete Institutionen und Instrumente intemalisiert, so wird dies Auswirkungen auf die Nachfrage der Luftverkehrsunternehmen nach Flughafenleistungen haben. Das Flughafenunternehmen wird seine Erwartungen iiber diese Auswirkungen in seinen untemehmensintemen Planungen hinsichtlich einer moghchen Flughafenerweiterung beriicksichtigen. Damit werden die entsprechenden Effekte gegebenenfalls (indirekt) iiber das Flughafenunternehmen in das PFV eingebracht. Im Falle geeigneter institutioneller Regelungen
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Kapitel4 Leitlinien einer Reform
strikt getrennt werden. Auch iiber die Notwendigkeit und die Instrumente einer Intemalisierung moglicher positiver Beschaftigungs- und Wachstumseffekte des Flughafenausbaus sollte unabhangig von der iiberwiegend regionalen Reichweite dieser Effekte nicht im PFV entschieden werden. Zwar konnen diese positiven Effekte - auch wenn es sich bei ihnen um solche pekuniarer Art handelt - wohlfahrtsrelevant sein und u.U. eine Intemalisierung mittels Subventions- bzw. Kompensationszahlungen rechtfertigen. Ob und in welchem Umfang entsprechende Zahlungen zu leisten sind, sollte jedoch auBerhalb des eigentlichen PFVerfahrens entschieden werden (siehe Ausfuhrungen unter „Positive Standorteffekte und Subventionen"). Durch die Aufgabenfokussierung wird das PFV in erheblichem Umfang von Aufgaben und Anspriichen entlastet, die mit seiner Kernaufgabe konfligieren bzw. im Rahmen des PFV letztlich ohnehin nicht erfiillbar sind. Im Hinblick auf die Erfiillung dieser Kernaufgabe funktionslose Konflikte werden damit aus dem Verfahren herausgehalten. Die offentliche Akzeptanz des PFV und seiner Ergebnisse werden dadurch erhoht. Das PFV kann seine Kernaufgabe effektiver erfullen, und die Planungs-, Genehmigungs- und Durchsetzungskosten von Flughafeninfrastrukturprojekten sinken. Diese Vorteile werden sich jedoch nur dann realisieren las sen, wenn auch im Hinblick auf die anderen, „PFV-fremden" Aufgaben die institutionellen Voraussetzungen flir weitgehend effiziente und moglichst weithin akzeptierte Losungen gefunden werden (konnen). Ohne eine befriedigende Losung dieser Probleme ware die Gefahr erheblich groBer, dass entsprechende („sachfremde") Probleme und Konflikte immer wieder in das PFV hineingetragen werden. Und ohne sie waren gesamtwirtschaftlich weitgehend effiziente Infrastrukturausbau- und -nutzungsentscheidungen selbst dann nicht zu erwarten, wenn das PFV seine Kernaufgabe effektiv erfullt. Bei der Schaffung dieser Voraussetzungen kommt sowohl der Privatisierung der Flughafen als auch der klaren Definition geeigneter politischer (und administrativer) Verantwortlichkeiten und Verfahren eine wichtige Rolle zu. Die vorgeschlagene Aufgabentrennung und Fokussierung der Aufgaben des PFV bietet den weiteren wichtigen Vorteil, dass fur die verschiedenen Aufgaben unabhangig voneinander die fur deren Erfiillung jeweils am besten geeignete Kompetenzzuordnung gewahlt werden kann. Dies gilt sowohl fiir die foderale Kompetenzzuordnung (Leitlinie 2) als auch fiir die relative Bedeutung von Politik und Biirokratie.-^^^ Im Hinblick auf letztere ist zudem zu beachten, dass es werden die entsprechenden Effekte also implizit in die im PFV getroffenen Entscheidungen eingehen (konnen), auch wenn sie nicht expliziter Gegenstand des PFV sind. ^^^ So sollten beispielsweise die Kompetenz zur Intemalisierung regional begrenzter Umwelteffekte einerseits und die zur Intemalisierung iiberregional (global) wirkender Umwelteffekte andererseits auf unterschiedlichen foderalen Ebenen angesie-
4.2 Leitliniel
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eine eng definierte Aufgabenstellung bzw. Zielsetzung erleichtert, die Unabhangigkeit der PF-Behorde von politischer Einflussnahme zu sichern und opportunistisches Verhalten der Behorde (gerichtlich) zu kontrollieren.^^^ Privatisierung der Flughdfen Neben der Aufgabenfokussierung kommt vor allem auch der vollstandigen Privatisierung der Flughafengesellschaften eine wichtige Rolle bei der Entlastung der PFY zu. Durch ihre Privatisierung und ihre Beteiligung am PFV wird sichergestellt, dass private Nutzen und Kosten der Flughafenbetreiber in die Ausbauund Nutzungsentscheidungen einflieBen. Damit kann darauf verzichtet werden, im PFV iiber die betriebswirtschaftliche Vorteilhaftigkeit des Projekts fur den Flughafenbetreiber zu diskutieren oder gar zu entscheiden, so dass das PFV auch von dieser Seite her von sachfremden Aufgaben entlastet wird. Die Entscheidung iiber die betriebswirtschaftliche Vorteilhaftigkeit eines Ausbauprojekts ist Aufgabe des Managements eines privatisierten Flughafenunternehmens, das letztlich ja auch fur die Richtigkeit dieser Einschatzungen geradezustehen hat. Im Prinzip stellt die Privatisierung auch sicher, dass Nutzen und Kosten der Flughafennutzer als „Kunden" der Flughafen iiber die Erlosseite der Flughafen in deren Kalkulation und Entscheidungen eingehen. Soweit ein Flughafen iiber erhebliche Monopol- bzw. Marktmacht verfiigt, ist die angemessene Beriicksichtigung der Nutzerinteressen mit einer zur Privatisierung komplementaren okonomischen Regulierung des Flughafens durch eine geeignete Regulierungsinstanz sicherzustellen. Diese Regulierung sollte freilich nicht Teil des PFV, die Regulierungsinstanz nicht mit der PF-Behorde identisch sein (siehe Ausfiihrungen unter „Netzwerkeffekte und Regulierung"). Uber die eigentlichen Nutzer des Flughafens hinausgehende positive und negative exteme Effekte von Flughafenbau und -nutzung konnen und soUten durch geeignete okonomische Instrumente (Abgaben, Kompensationspflichten, Subventionen) oder ordnungsrechtliche Instrumente (Verbote, Auflagen) in den Entscheidungsprozess bzw. das Entscheidungskalkiil des Flughafenunternehmens eingebracht (internalisiert) werden (vgl. Leitlinie 4). Auch hierbei bietet eine Privatisierung der Flughafengesellschaft grundsatzHche Vorteile.^^"^ Eine vollstandelt werden (vgl. die Ausfiihrungen zu Leitlinie 2). Die Aufgaben- bzw. Kompetenzteilung zwischen Politik und Biirokratie bei der DurchfUhrung des PFV sollte sich beispielsweise von der bei der Entscheidung iiber eine mogliche Subventionierung von Flughafenuntemehmen unterscheiden (siehe die folgende Diskussion unter „Positive Standorteffekte und Subventionen"). ^^^ Fiir eine weitergehende Diskussion und Begriindung siehe Abschnitt 4.2.3 und Leitlinie 3. ^^^ Dies gilt unabhangig davon, ob diese Instrumentenwahl bzw. Intemalisiening - entsprechend der oben vorgeschlagenen Aufgabentrennung - im eigentlichen PFV oder im Rahmen anderer politisch-administrativer Verfahren erfolgt.
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Kapitel 4 Leitlinien einer Reform
dige Privatisierung erhoht die Wirksamkeit sowohl okonomischer als auch ordnungsrechtlicher Instrumente zur Internalisierung externer Kosten und Nutzen, da das Ziel der Gewinnmaximiemng fiir rein private Flughafen eine hohere Bedeutung hat als fur Unternehmen in offentlichem Eigentum. Wahrend private Eigner vor allem an der mit ihrem Engagement erzielten Rendite interessiert sind, werden offentliche Unternehmen von ihren staatHchen (Mit-)EigentUmern oftmals fiir die Verfolgung weiterer, politischer Ziele instrumentaHsiert.-^l^ Entsprechend groBer ist der Anreiz privater Flughafenunternehmen, die ihnen durch Kompensationsverpflichtungen, Abgaben und/oder Auflagen angelasteten sozialen Kosten von Ausbau- und Nutzungsentscheidungen bei ihren Planungen adaquat zu beriicksichtigen. Sind die mit einer bestimmten Ausbaualtemative fiir den Flughafen verbundenen Kosten etwa aufgrund hoherer Kompensationszahlungen und/oder scharferer Auflagen hoher als bei einer anderen Alternative und spiegeln diese Kompensationen und Auflagen die externen Kosten des jeweiligen Vorhabens angemessen wider, so wird ein privatisierter Flughafen die volkswirtschaftlichen Kosten der Alternativen schon aufgrund seines Gewinninteresses bei der Altemativenwahl angemessen beriicksichtigen. Entsprechendes gilt fiir die volkswirtschaftlichen Nutzen der Alternativen. Im Fall offentlicher Flughafen besteht hingegen die Gefahr, dass die Wahl zwischen den Alternativen von opportunistischen politischen Zielen iiberlagert wird.^^^ yyPFV-fremde^^ Politikaufgahen im Bereich der Flughafeninfrastruktur Vom Bau und Betrieb eines Flughafens gehen auBer regional begrenzten Umwelteffekten eine Reihe weiterer regional oder iiberregional wirkender Effekte bzw. Extemalitaten aus, die politischen Handlungsbedarf begriinden konnen. Hierzu zahlen insbesondere (regionale) Standorteffekte, Netzwerkeffekte und iiberregional wirkende Umwelteffekte. Da die angemessene Beriicksichtigung dieser Effekte eine notwendige Voraussetzung fiir die angestrebte Entlastung des PFV und fiir die Realisierung gesamtwirtschaftlich weitgehend effizienter Infrastrukturausbau- und -nutzungsentscheidungen ist, soil im Folgenden kurz auf diese Effekte eingegangen werden, obwohl sie nicht Gegenstand des PFV sein sollten.
215 Vgl. detailliert Wolf (2003: 154 ff). 21" Einschrankend ist an dieser Stelle allerdings deutlich darauf hinzuweisen, dass eine vollstandige Privatisierung der Flughafen (auch bei geeigneter Anlastung der genannten externen Nutzen und Kosten) allein nicht geniigt, um volkswirtschaftlich effiziente Ausbauentscheidungen zu gewahrleisten, wenn Flughafen iiber erhebliche Marktmacht verfiigen und/oder einer ungeeigneten Regulierung unterliegen (wie es derzeit der Fall ist). Vgl. diesbezUglich ausfuhrlich Wolf (2003).
4.2 Leitlinie 1
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Positive Standortejfekte und Subventionen Zu den Effekten, die im PFV nicht thematisiert werden soUten, gehoren trotz ihrer regional begrenzten Reichweite auch positive Standorteffekte eines Flughafenausbaus. Eine bessere Erreichbarkeit der betreffenden Region sowie Beschaftigungs- und Einkommenseffekte eines Flughafenbaus oder -ausbaus konnen sich positiv auf die Region als Standort fiir Bewohner und Untemehmen auswirken, ohne dass diese Effekte von der Flughafengesellschaft voUstandig internalisiert werden, so dass deren Investitionsbereitschaft aus volkswirtschaftlicher Sicht unter Umstanden zu gering ware. Entsprechende positive regionale Standorteffekte eines Flughafenausbaus konnten ggf. Zahlungen der offentlichen Hand an den Flughafen begriinden; durch offentliche Subventionen oder Zahlungen fur gemeinwirtschaftliche Leistungen des Flughafens (bzw. der Fluggesellschaften) konnten positive Standorteffekte in das Entscheidungskalkiil des Flughafenunternehmens eingebracht und auf diese Weise internalisiert werden.^^^ Entscheidungen uber eine mogliche finanzielle Untersttitzung des Flughafenbaus Oder -betriebs durch die offentliche Hand soUten allerdings nicht Gegenstand des PFV sein. Auch haben mogliche Subventionsabsichten der offentlichen Hand - wie immer sie begriindet sein mogen - keine unmittelbaren Folgen fiir die Zielsetzung oder die angemessene Ausgestaltung der inhaltlichen und prozeduralen Regeln des PFV. Wenn offentliche Subventionen - als eine Art „umgekehrte" Kompensation - fiir positive (pekuniare) Extemalitaten geleistet werden, so flieBen diese in die Rentabilitatsrechnung und damit in die unternehmensintemen Entscheidungen der Flughafengesellschaften ein. Eine dariiber hinausgehende explizite Beriicksichtigung positiver Standorteffekte im PFV wird damit iiberfliissig. Der mogliche politische Wunsch nach einer Unterstiitzung des Flughafenunternehmens andert auch nichts daran, dass im PFV eine Begrenzung bzw. Intemalisierung der Belastungen der Anwohner durch individuelle Kompensationen, Abgaben und/oder Auflagen angestrebt werden sollte (Leitlinie 4). Insbesondere ist es weder im Hinblick auf das Effizienzziel noch gar im Hinblick auf das Akzeptanzziel sinnvoll, Subventionen fiir mogliche positive Standorteffekte gegen individuelle Kompensationszahlungen fiir besonders belastete Anwohner ^^^ Tatsachlich werden regionale Standorteffekte eines Flughafenbaus bzw. einer Flughafenerweiterung von der Politik oft zum Anlass (oder zumindest zur Begriindung) fiir eine Subventionierung von Flughafenuntemehmen genommen. Zumindest kleinere Verkehrsflughafen sind oftmals defizitar; der Umstand, dass sie sich (teilweise) im offentlichen Eigentum befinden und daher Subventionen oft nicht transparent abgewickeh werden, sollte nicht dariiber hinwegtauschen, dass derzeit durchaus Subventionen von den Steuerzahlem an diese Flughafenuntemehmen fliefien. Dariiber hinaus kann auch die bislang oftmals kompensationslose zusatzliche Larm- und Schadstoffbelastung der Anlieger als eine Art Subvention (als „Subventionstatbestand") - wenn auch nicht via offentliche Haushalte - interpretiert werden.
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Kapitel4 Leitlinien einer Reform
aufzurechnen - die Subventionen also quasi in Form reduzierter Kompensationsverpflichtungen zu leisten. Ebenso wenig ware es sinnvoll, den Flughafen ganz aus den relevanten Zahlungsstromen herauszuhalten und Kompensationen von Anwohnem direkt durch die offentliche Hand leisten zu lassen. Der Flughafen hatte dann kaum einen Anreiz, die entsprechenden negativen Externalitaten zu reduzieren, so dass aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sowohl die tatsachlich entstehenden negativen Externalitaten als auch - in unmittelbarer Folge - die zu zahlenden Kompensationen „zu hoch" waren. Es sei explizit betont, dass wir uns mit den obigen Ausfuhrungen zu den Effekten moglicher Subventionen nicht prinzipiell fiir eine solche Subventionierung der Flughafen - als Kompensation fiir mogliche positive Standorteffekte aussprechen. Wofur wir uns allerdings aussprechen, ist, dass Entscheidungen iiber eine Subventionierung des Flughafens etwa durch die Kommunen oder die Lander auf jeden Fall strikt vom PFV zu separieren sind. Um Interessenkonflikte seitens der PF-Behorde auszuschlieBen und die Neutralitat bzw. Unabhangigkeit (Abschnitt 4.2.3) der Behorde zu sichern, sollte namlich nicht derjenige iiber die Planfeststellung - und in diesem Zusammenhang iiber mogliche Auflagen oder Kompensationen - entscheiden, der fiir die Entscheidung iiber eine mogliche Subventionierung bzw. die Definition und Entlohnung gemeinwirtschaftlicher Leistungen zustandig ist. Allzu groB ware sonst beispielsweise der Anreiz, den Flughafen eben doch in Form reduzierter Auflagen und Kompensationsverpflichtungen zu subventionieren, um die Subventionen intransparent und fiir die offentliche Hand haushaltsneutral zu gestalten und die Kosten auf die durch die negativen Externalitaten besonders Belasteten abzuwalzen (siehe hierzu auch Leitlinien 3 und 4). Eine Subventionierung sollte in jedem Fall strengen Transparenzanforderungen geniigen. Und sie sollte einer strikten parlamentarischen Kontrolle unterliegen. Bei der politischen Entscheidung iiber eine mogliche Subventionierung eines Flughafens sollten dabei - angesichts der Knappheit offentlicher Mittel auch mogliche alternative Verwendungen der notigen finanziellen Mittel inklusive einer moglichen Steuersenkung und der durch diese jeweils zu erwartenden Beschaftigungs- und Wachstumseffekte beriicksichtigt und gegen die moglichen Vorteile einer Rughafensubventionierung abgewogen werden. Eine solche Abwagung ist im Rahmen des PFV fiir ein einzelnes Flughafenprojekt nicht sinnvoll moglich. Dariiber hinaus steht die Forderung nach einer strikten parlamentarischen Kontrolle von Subventionszahlungen im Gegensatz zu der geforderten Entpolitisierung der PFV (Abschnitt 4.2.3). Auch deshalb sind Entscheidungen iiber entsprechende Zahlungen vom PFV selbst strikt zu trennen.
4.2 Leitlinie 1
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Netzwerkejfekte und Regulierung Unbestritten ist, dass Bau und Betrieb eines Flughafens zu positiven, aber auch zu negativen Netzwerkeffekten bzw. Netzextemalitaten fuhren konnen. Tendenziell erhoht der Bau eines neuen Flughafens namlich den Nutzen, den Reisende aus dem Gebrauch des Transportsystems „Luftverkehr" Ziehen. Bessere Umsteigemoglichkeiten und bessere Erreichbarkeit von Teilraumen sind Beispiele fur derartige positive Effekte. Zugleich kann der Ausbau eines Flughafens Verkehrsverlagerungseffekte bewirken, die sich negativ auf die Anbindung anderer Regionen auswirken konnen und (zumindest theoretisch) sogar die soziale Wohlfahrt insgesamt senken konnen.^^^ Angesichts dieser Netzwerkeffekte sowie der Langlebigkeit der Flughafenanlagen und des Umfangs der erforderlichen Investitionen besteht ein erheblicher Koordinierungsbedarf zwischen den Planungen fur einzelne Flughafen. Ob der Markt die entsprechenden Koordinierungsaufgaben ohne staatliche Steuerung befriedigend erfullen kann, hangt eng mit der Frage nach den Marktmachtpotentialen im Flughafensektor zusammen. Ahnlich der Situation in anderen traditionellen Netzwerkindustrien (andere Transportsektoren, leitungsgebundene Energien, Telekommunikation) geht es wesentlich um die Frage, inwieweit der Wettbewerb zwischen verschiedenen Anbietem moderiert werden muss und inwieweit hierfiir gegebenenfalls das allgemeine Wettbewerbsrecht oder aber sektorspezifische Regeln und Verfahren angewendet werden soUten. Netzwerkeffekte konnen Marktmachtprobleme verstarken oder gar begriinden. Entsprechende Marktmachtprobleme konnen unter Umstanden eine iiber die allgemeine Wettbewerbsaufsicht hinausgehende Ex-ante-Regulierung des Angebotsverhaltens der Flughafengesellschaften erforderlich machen (vgl. ausfuhrlich Wolf 2003). Allerdings ist das Genehmigungs- oder Planfeststellungsrecht nicht das adaquate Instrument und das PFV nicht der richtige Ort zur Verfolgung wettbewerbspolitischer Ziele. Vielmehr sind die Wettbewerbsaufsicht und - gegebenenfalls - die okonomische Regulierung des Flughafenbetriebs von den Planungs- und Genehmigungsverfahren fiir Flughafenanlagen institutionell zu trennen. Aus der moglicherweise notwendigen Regulierung und ihrer institutionellen Ausgestaltung ergeben sich dabei keine unmittelbaren Folgen fur die angemessene inhaltliche und prozedurale Ausgestaltung der PFV.-^^^ ^^^ Vgl. in diesem Zusammenhang Gillen et al. (2001), die moghche Netzwerkeffekte im Flughafensystem als Folge der Liberahsierung intemationaler Luftverkehrsabkommen und damit des neugeschaffenen Zugangs einzelner Flughafen zu interkontinentalen Luftverkehrsstromen analysieren. ^^^ Falls und soweit es im Einzelfall tatsachlich signifikante uberregionale Netzwerkeffekte (positive Netzextemalitaten) eines Flughafenbaus gibt, konnten auch diese unter Umstanden eine offentliche Subventionierung des Baus und/oder des Betriebs dieses Flughafens (durch den Bund oder die EU) rechtfertigen. Die obigen Ausfuhrun-
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Kapitel4 Leitlinien einer Reform
Uberregionale Umwelteffekte Neben regional, auf das nahere oder weitere Umfeld der Flughafen begrenzten Umwelteffekten gehen vom Flugverkehr auch iiberregional, teilweise sogar global wirkende negative Umwelteffekte aus. Sie resultieren vor allem aus den gasformigen Emissionen („Klimagase") der Flugzeuge. Auch solche Uberregionalen negativen Externalitaten („Klimaeffekte") des Flugverkehrs konnen und soUten durch geeignete umweltpolitische MaBnahmen intemalisiert oder zumindest begrenzt werden. Dies sollte jedoch - entsprechend obiger Aufgabenabgrenzung nicht Gegenstand des PFV sein. Sowohl die uberregionale Reichweite der Externalitaten als auch die Tatsache, dass der Flugverkehr - und gar der Start-/Landebetrieb eines einzelnen Flughafens - nur eine von vielen bedeutenden Quellen entsprechender Emissionen bzw. Klimaeffekte ist, macht den Planfeststellungsbeschluss, der sich ja primar an einen einzelnen Flughafen richtet, zu einem ungeeigneten Instrument zur Intemalisierung entsprechender Externalitaten. Fiir einen einzelnen Flughafen geltende Regelungen hatten einen vergleichsweise geringen Einfluss auf die Menge der gesamten luftverkehrlich induzierten oder gar der gesamten Emissionen klimarelevanter Gase, waren also wenig effektiv hinsichtlich der umweltpolitischen Zielsetzung. Sie wiirden im Wesentlichen die Nutzung des betreffenden Flughafens verteuern und potentiell erhebliche Verkehrsverlagerungseffekte mit sich bringen. Ohnehin spricht wenig dafiir, bei der Intemalisierung der uberregionalen Umwelteffekte an der Nutzung des Flughafens anzusetzen. Vieles spricht hingegen dafiir, an einer GroBe anzusetzen, die starker mit den tatsachlichen Emissionen korreliert ist. Die institutionelle Separierung dieser Aufgabe vom PFV ermoglicht es, die volkswirtschaftUchen Kosten der ReaHsierung eines angestrebten Emissionsziels durch eine geeignete Wahl umweltpolitischer Instrumente und die - angesichts der Vielzahl der Emittenten gebotene - Erweiterung des Adressatenkreises dieser Instrumente auf moglichst alle relevanten Emittenten(gruppen) zu minimieren (Leitlinien 2 und 4). Auch und gerade im Fall der Begrenzung uberregionaler Umwelteffekte kann zudem davon ausgegangen werden, dass eine klare institutionelle Trennung dieser Aufgabe vom PFV zu einer Entlastung des PFV fiihrt. Die uberregionalen Effekte der relevanten Emissionen miissen dann in dem konkreten Verfahren fUr einen bestimmten Flughafen iiberhaupt nicht thematisiert werden. Unsicherheiten und Konflikte, die mit ihrer Bewertung verbunden sind, konnten aus dem
gen gelten sinngemaB auch fiir so begriindete Subventionszahlungen. Insbesondere leiten sich auch aus ihnen keine unmittelbaren Folgen fiir die Zielsetzung oder die inhaltlichen und prozeduralen Regeln des PFV ab.
4.2 Leitlinie 1
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PFV herausgehalten werden.^^^ Darauf abzielende Einwendungen von Flughafengegnern konnen an die zustandigen Institutionen verwiesen werden. 1st von vornherein klar, dass Einwande gegen eine mogliche Flughafenerweiterung, soweit sie sich auf iiberregionale (globale) negative Extemalitaten - oder auch auf eine allgemeine Technikfeindlichkeit - beziehen, nicht Gegenstand des PFV und dort auch nicht direkt entscheidungsrelevant sind, so wird die Position sog. „BANANA-Opponenten" (Kapitel 2), die im PFV oft eine uberwiegend destruktive Rolle spielen, da ihre an „ubergeordneten" gesellschafthchen „Metawerten" orientierte Kritik einer strikt projektbezogenen Losung etwa mittels Auflagen oder Kompensationszahlungen kaum zugangUch ist, geschwacht. Dies gilt zumal dann, wenn die Erweiterung der Rechte der von lokalen negativen Externalitaten besonders Betroffenen (s. insbesondere Leitlinien 3 und 4) zugleich die Gefahr vermindert, dass sich BANANA-Opponenten erfolgreich als Wahrer der Interessen dieser Betroffenen darstellen konnen. Es sei hier noch einmal explizit betont, dass es auch und gerade bei einer strukturellen Trennung der Intemalisierung iiberregionaler Umwelteffekte vom PFV sowohl fiir die Effizienz als auch fiir die Akzeptanz des PFV und der dort getroffenen Entscheidungen von Bedeutung ist, dass eindeutige Verantwortlichkeiten fiir eine solche Intemalisierung geschaffen werden (und diese auch tatsachUch stattfindet). Nur dann kann es gelingen, die Fundamentalopposition (BANANA-Opposition) gegen jedweden Flughafenbau in die hierfiir angemessenen - pohtischen - Verfahren zu lenken. Und nur dann wird das Flughafenuntemehmen diese Effekte bei seinen Ausbauentscheidungen bzw. -vorhaben auch tatsachlich beriicksichtigen.
4.2.3
Entpolitisierung des PFV
Die Erfahrungen, die mit den bisherigen Infrastrukturplanungs- und Genehmigungsprozessen im Flughafensektor gemacht wurden (Kapitel 3), zeigen, dass die Durchsetzung groBer Hughafenprojekte auch deshalb so schwierig ist, weil die Genehmigungsbehorde von den negativ Betroffenen regelmaBig als „Quasipartei" wahrgenommen wird, deren eigentliche Aufgabe es sei, im Vorhinein feststehende Entscheidungen durchzusetzen, und deren „Kunst" im Prozess der Abwagung konkurrierender Interessen darin bestehe, die Zuriickweisung von Widerspriichen der Flughafenanwohner zu begrunden. Diese von vielen so empfundene „Parteilich^^^ Naturhch muss der Flughafen bei seiner untemehmensintemen Entscheidung iiber einen moglichen Infrastrukturausbau beriicksichtigen, welche Wirkungen eine auBerhalb des PFV mogHcherweise vorgenommene IntemaHsierung dieser Effekte (z.B. durch eine Kerosinbesteuerung) auf die Nachfrage nach Infrastrukturleistungen gegebenenfalls hatte.
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Kapitel4 Leitlinien einer Reform
keit" ist prinzipiell geeignet, auch iiber den Kreis der unmittelbar von einem Flughafenausbau negativ Betroffenen hinaus zusatzlichen Widerstand gegen Flughafenprojekte hervorzurufen und so die Realisierung auch volkswirtschaftlich vorteilhafter Infrastrukturplanungen zusatzlich zu erschweren oder gar ganz zu verhindem."^^^ Zum Eindruck der Voreingenommenheit und Parteilichkeit tragt zum einen eine mangelnde Trennung von Politik und Verwaltung und zum anderen die Doppelrolle der Landesregierungen als (mittelbare) Genehmigungsinstanz und zugleich (Mit-)Eigentumer der Flughafen bei. Gleichzeitig fiihren beide Umstande dazu, dass es fiir die Gegner von InfrastrukturausbaumaBnahmen - seien sie nun unmittelbar selbst von den Planungen negativ betroffen oder nicht - lohnend erscheint, die politischen Kosten der Genehmigung und Durchsetzung solcher MaBnahmen zu erhohen, um auf diese Weise Einfluss auf die Genehmigungsentscheidung zu nehmen. Um dies zu verhindem und das PFV zu entpolitisieren und auch dadurch zu entlasten, ist es wichtig, Aufgaben und Kompetenzen in Bezug auf Ausgestaltung und Durchfuhrung des PFV klar und angemessen zwischen Politik, Verwaltung und privaten Akteuren zu verteilen. Politisch-legislative (Regelsetzung), administrative (Regelanwendung) und unternehmerische Funktionen sind deutlicher zu trennen als im Status quo. Die Einflusspotentiale der politischen Akteure auf konkrete Einzelfallentscheidungen und damit zugleich die Moglichkeiten einzelner Betroffener, Uber die politischen Akteure Einfluss zu nehmen, soUten deshalb durch eine Starkung der politischen Unabhangigkeit der Planfeststellungsbehorde verringert werden. Eine vollstandige Privatisierung der Flughafen tragt zu einer weiteren Entpolitisierung staatlicher Infrastrukturentscheidungen und damit zu einer Erhohung der Akzeptanz staatlicher Planungs- und Genehmigungsentscheidungen bei. Unabhangigkeit der PF-Behorde Die Einsichten der politischen Okonomie lassen vermuten, dass Politiker wie BUrokraten bei der Durchfuhrung des Planfeststellungsverfahrens Anreizen un^^^ So ist regelmaBig zu beobachten, dass Ausbaugegner versuchen, die „Redlichkeit" politischen Handelns in Frage zu stellen, indem sie behaupten, die verantwortlichen PoUtiker wiirden „berechtigte BUrgerinteressen" auf dem „Altar der Industrieinteressen" opfem und die von den Projektgegnem nicht gewunschten Entscheidungen seien allein eine Folge von „Demokratiedefiziten" oder gar „Korruption". Auf diese Weise wird versucht, die eigentliche Problemlage von der unmittelbaren Bindung an die in Rede stehende Ausbaugenehmigung zu losen und auf ein allgemeineres Fundament zu stellen, mit dem sich breite Bevolkerungsgruppen identifizieren konnen, die zwar nicht direkt von mogUchen Ausbauentscheidungen betroffen sind, aber ein politisch bedeutsames Wahlerpotential darstellen. Dadurch konnen sich die politischen Durchsetzungskosten von InfrastrukturmaBnahmen erheblich erhohen (Abschnitt 3.1.1).
4.2 Leitlinie 1
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terliegen, sich opportunistisch zu verhalten (Kapitel 2.3). Daher besteht die Gefahr, dass Ermessens- und Entscheidungsspielraume nicht nach einheitlichen effizienzorientierten Kriterien ausgefullt werden, sondern entsprechend der Jewells eigenen Interessenlage der Verantwortlichen. Gesetzliche Vorgaben fur Genehmigungs- bzw. Planfeststellungsverfahren enthalten notwendig eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe und eroffnen damit erhebliche diskretionare Entscheidungsspielraume bei ihrer Auslegung bzw. Anwendung. Dies eroffnet grundsatzlich die Moglichkeit, im Planfeststellungsverfahren neben rein effizienzorientierten Entscheidungskriterien auch andere - die langfristige Effizienz und Akzeptanz gefahrdende - (tagespolitische) Ziele und spezifische Interessen zu beriicksichtigen. Zum einen besteht nicht zuletzt aufgrund der NIMBY-Problematik und der hohen politischen Sensibilitat der Planfeststellungsverfahren die Gefahr, dass die Genehmigungsinstanz aufgrund eigenniitziger oder populistischer Ziele volkswirtschaftlich sinnvolle Flughafeninfrastrukturinvestitionen untersagt. Kurzfristig kann sie sich dadurch moglicherweise die Unterstiitzung der Politik oder der Offentlichkeit sichern. Grundsatzlich besteht umgekehrt aber auch die gegenlaufige Gefahr, dass sich die Genehmigungsinstanz etwa aufgrund standiger, enger Kontakte mit dem Flughafenuntemehmen bzw. mit dessen Interessen identifiziert oder sich von diesen vereinnahmen lasst. Bei ihren Entscheidungen konnte sie dann einseitig dessen Interessen verfolgen, selbst wenn diese gegen die Interessen der Biirger gerichtet sind und den gesetzlichen Zielen des Planfeststellungsverfahrens widersprechen. Dies gilt umso mehr, wenn die Flughafenuntemehmen - wie es derzeit in Deutschland noch der Fall ist - ganz oder uberwiegend in offentlichem Eigentum stehen. Eine veranderte institutionelle Ausgestaltung des PFV kann helfen, diese Probleme abzumildem bzw. zu begrenzen. Dabei kommt der „politischen Unabhangigkeit" der mit der Durchfiihrung des Planfeststellungsverfahrens betrauten Behorden eine besondere Bedeutung zu:^^^ • Die Einsetzung einer politisch unabhangigen Behorde mit expliziten diskretionaren VoUmachten und spezifischen Zielen und Informationen ermoglicht
^^^ Entsprechend der Ausflihrungen in Abschnitt 2.3 ist eine Behorde „politisch unabhangig", wenn die poUtischen Akteure (Regierung oder Parlament) keinen Einfluss auf die Entscheidung der Behorde nehmen oder diese gar an sich ziehen und selbst treffen konnen. Ein weiteres Merkmal politischer Unabhangigkeit ist, dass der Behorde haufig ein spezifisches Ziel vorgegeben wird, das sich in aller Regel als Teilziel des allgemeinen politischen Ziels der Maximierung des Gemeinwohls auffassen lasst. Im hier diskutierten Fall einer politisch unabhangigen Planfeststellungsbehorde besteht dieses Ziel in der Intemalisierung der mit dem Bauvorhaben verbundenen, raumlich begrenzten negativen Extemalitaten und die Sicherstellung eines angemessenen Interessenausgleichs zwischen Antragsteller und Betroffenen (Abschnitt 4.2.2).
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Kapitel4
Leitlinien einer Reform
es der Politik, sich glaubwurdig zu verpflichten, nicht willkiirlich in den laufenden Genehmigungsprozess einzugreifen. Sie tragt dazu bei, dass die bei der Anwendung des Rechts gegebenen Ermessensspielraume nicht gemaB kurzfristiger politischer Erwagungen, sondem diskriminierungsfrei entsprechend den gesetzlichen Vorgaben und langfristigen Effizienziiberlegungen ausgefiillt werden. • Die politische Unabhangigkeit hilft, die Unabhangigkeit der Entscheidungen von spezifischen Interessengruppen zu sichern. In Verbindung mit einer angemessenen, insbesondere transparenten Ausgestaltung der Entscheidungsverfahren (Leidinie 3) tragt die Unabhangigkeit der Behorde dazu bei, asymmetrische EinflussmogUchkeiten spezifischer Interessengruppen zu reduzieren Oder den relativen Einfluss unterschiedhcher Interessen ausgewogener zu gestalten, als dies vor allem bei kurzfristigen poHtischen Entscheidungen in der Kegel der Fall ist.223 Vor diesem Hintergrund ist die Starkung der Unabhangigkeit der PF-Behorde von der Politik ein wichtiges Element zur Steigerung der Akzeptanz und der Effizienz der PFV. Sie hilft, die Unvoreingenommenheit der PF-Behorde zu sichern und opportunistische Verhaltensweisen der Behorde zu begrenzen. Die Einflusspotentiale der politischen Akteure auf konkrete Einzelfallentscheidungen und damit zugleich die Moglichkeiten einzelner Betroffener, liber die politischen Akteure Einfluss zu nehmen, werden verringert. Ist der Antragsteller, so wie es bei den deutschen Verkehrsflughafen derzeit noch der Fall ist, im offentlichen Eigentum, so dient die politische Unabhangigkeit der Behorde zusatzlich dazu, Interessenkonflikte zwischen dem Staat als Eigentumer und dem Staat als Genehmigungsbehorde zu vermeiden.^^"* Im Hinblick auf die Starkung und die Sicherung der Unabhangigkeit einer Behorde ist eine Vielzahl von Faktoren von Bedeutung. Die Frage der organisatorischen Unabhangigkeit, ob die Behorde also einem Ministerium als Abteilung angegliedert ist oder nicht, und die d^r forme lien Unabhangigkeit, ob Politiker ^^^ Eine Delegation der VerfahrensdurchfUhrung an eine poHtisch unabhangige Behorde ist naturUch nur dann geeignet, die Gefahr der Vereinnahmung des PFV durch das Flughafenuntemehmen (als Antragsteller) zu mindem, wenn die Behorde auch vom Flughafenuntemehmen „unabhangig" ist. Eine einseitig kooperative Beziehung zwischen PF-Behorde und Antragsteller (Flughafenbetreiber) ware nicht vorteilhaft. Erwiinscht ist vielmehr eine Kooperation der Behorde mit alien Betroffenen (Flughafenbetreiber, -nutzem, -anwohnem u.a.m.) und die Forderung der Kooperation aller Betroffenen durch die Behorde. Dies gilt auch und gerade unter dem Aspekt der Sicherung der Akzeptanz des PFV (Leitlinie 3). ^^"^ Eine Separation der Eigentumerfunktion von der - Neutralitat voraussetzenden Aufgabe, einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Flughafenuntemehmen und Anwohnem sicherzustellen, scheint in diesem Fall aus Effizienzsicht (wie aus Akzeptanzgrlinden) umso dringlicher.
4.2 Leitlinie 1
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der Behorde grundsatzlich direkte Weisungen im Einzelfall geben diirfen oder nicht, sind fur die tatsachliche Unabhangigkeit, mit der die Behorde agieren kann, von zentraler Bedeutung. Um die Gefahren einseitiger kurzfristiger politischer Einflussnahme zu begrenzen, sollte die Formulierung inhaltlicher und prozeduraler Regeln der Entscheidungsfindung von der Anwendung dieser Regeln im konkreten Einzelfall institutionell strikt getrennt werden. Die Formulierung allgemeiner gesetzlicher Vorgaben bzgl. begrenzter inhaltlicher und umfassender prozeduraler Regeln obliegt der Politik (Legislative). Die Aufgabe der Regelanwendung (im konkreten Einzelfall) sollte hingegen an eine von der Tagespolitik sowie von den Verfahrensbeteiligten unabhangige Behorde delegiert werden. Zur Sicherung der formellen Unabhangigkeit der Behorde von der Politik soUten hohe institutionelle Hurden - z.B. das Erfordemis einer (qualifizierten) Parlamentsmehrheit - fur eine politische Modifikation von Entscheidungen der Behorde aufgestellt werd e n - soweit diese nicht sogar ganz ausgeschlossen oder zumindest vom Vorliegen ganz spezieller Voraussetzungen abhangig gemacht wird. Die organisatorische Unabhangigkeit und die formelle Unabhangigkeit sind jedoch nicht allein ausschlaggebend. Von Bedeutung fiir die faktische Unabhangigkeit sind insbesondere auch die fmanzielle und personelle Ausstattung der Behorde sowie die Abgrenzung ihrer Zustandigkeit und Kompetenzen. In einem parlamentarisch-demokratischen System liegt die gesetzgeberische Gewalt bei gewahlten Politikem, speziell beim Parlament. Dies bedeutet naturlich, dass auch die Entscheidungen „politisch unabhangiger Behorden" einer gewissen politischen Kontrolle und Beeinflussung unterliegen. Politisch unerwUnschte Entscheidungen konnen die Politiker im Extremfall dazu veranlassen, die gesetzlichen Grundlagen der Genehmigungsverfahren zu verandern. Schon die Drohung mit entsprechenden MaBnahmen kann der Politik einen unter Umstanden erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen der „unabhangigen" Behorde sichem. Zudem kann die Politik auch liber die Besetzung der Ftihrungsspitze der Behorde indirekt Einfluss auf deren Politik nehmen. Dieser Einfluss kann und sollte zwar durch geeignete Vorkehrungen^^^ begrenzt werden, lasst sich aber sicherlich niemals ganz ausschalten. Entsprechendes gilt fiir die Regeln zur Festlegung der (fmanziellen) Ressourcen der Behorde. Auch die vorgeschlagene Fokussierung und klare Abgrenzung der Aufgaben des PFV erleichtert es, die Unabhangigkeit der Genehmigungsbehorde zu sichem, indem sie diese von konfligierenden Aufgaben bzw. Anspriichen entlastet. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese anderen Aufgaben notwendig stark poli^^^ Mogliche Vorkehrungen umfassen die Vorgabe professioneller Kriterien fiir Emennungen, die Einbindung verschiedener politischer Organe (Exekutive und Legislative) in den Besetzungsprozess, die Emennung der Fiihrung fiir fest vorgegebene Amtszeiten sowie der Schutz vor willkurlicher Absetzung.
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tisiert sind bzw. die Politik hier notwendig eine wichtige Rolle spielt, wie dies etwa bei der Entscheidung iiber Subventionen der Fall ist. In dieser Hinsicht weniger problematisch und grundsatzlich durchaus zweckmaBig erscheint es uns hingegen, die Aufgaben der Behorde Uber den Bereich des Flughafensektors auch auf andere Verkehrsinfrastrukturbereiche sowie dariiber hinaus u.U. auch auf andere GroBanlagen auszudehnen. Die Griindung und der „Betrieb" einer speziellen Behorde sowie die Ex-ante-Gestaltung der ihr Verhalten steuernden Regeln sind mit erheblichen (Fix-)Kosten verbunden. Zugleich liegen - wie in Abschnitt 3.1.2 deutlich wurde - auch in anderen Sektoren in mancherlei Hinsicht ahnliche Genehmigungsproblematiken vor. Bei der Etablierung der zustandigen (unabhangigen) Behorde und einer Neugestaltung der Verfahrensregeln (Leitlinie 3) sind also GroBenvorteile realisierbar, wenn diese nicht allein fiir den Flughafensektor Zustandigkeit erhalt bzw. Anwendung findet und die Ex-anteKosten so auf mehr Verfahren bzw. Sektoren verteilt werden konnen.^^^ Auch wenn die Starkung der politischen Unabhangigkeit der Behorde grundsatzlich zu einer Entpolitisierung ihrer Entscheidungen beitragt und damit Konfliktpotentiale reduziert, kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine unabhangige Behorde von sich aus immer im Interesse der ihr vom Gesetzgeber vorgegebenen Ziele handelt. Insbesondere wenn die Beschaftigten der unabhangigen Behorde iiber weite diskretionare Entscheidungsfreiraume verfugen, ist es wichtig, ihre Anreize zu opportunistischem Verhalten durch die Einrichtung geeigneter KontroUverfahren und Disziplinierungsinstrumente zu begrenzen. Auch weitgehend unabhangige Behorden soUten in bestimmten vorhersehbaren Abstanden der Offentlichkeit bzw. deren gewahlten Reprasentanten gegeniiber Rechenschaft ablegen miissen und gegebenenfalls auch sanktioniert werden. Um mit der Forderung nach politischer Unabhangigkeit vereinbar zu sein, soUten KontroUen durch die Politik jedoch nur in groBeren, vorab festgelegten Abstanden und auf der Basis vorab moglichst eindeutig festgelegter Kriterien erfolgen.^^^ Die Be^^^ Grundsatzlich sollten die Regelungen des PFV nicht sektorspezifisch nur im Flughafenbereich reformiert werden. Vielmehr sollte versucht werden, fur verschiedene Sektoren gemeinsam nutzbare Rahmenregeln zu definieren. Diese Rahmenregeln waren dann gegebenenfalls um sektorspezifische Detailregeln zu erganzen. Dies bedeutet nun freilich nicht, dass die von uns vorgeschlagenen Reformen aus „Wettbewerbsgriinden" von der gleichzeitigen Umsetzung entsprechender Anderungen in anderen Sektoren oder speziell bei der mit dem Flugverkehr teilweise konkurrierenden Bahn abhangig gemacht werden sollten. Denn es gilt im Blick zu behalten, dass (1) angesichts der Vielzahl unterschiedlicher staatlicher Eingriffe in die beiden Sektoren keineswegs offensichtlich ist, zu wessen Gunsten der intermodale Wettbewerb derzeit verzerrt ist; dass (2) der vollige Abbau der Verzerrungen des intermodalen Wettbewerbs utopisch ist und Verbesserungen der institutionellen Rahmenregeln in den beiden Sektoren nicht durch ein entsprechendes Junktim verhindert werden sollten. Da die Moglichkeiten zur taglichen Einflussnahme im AUgemeinen viel ungleichmaBiger auf die einzelnen Interessengruppen verteilt sind als die Fahigkeit zur Beein-
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grenzung der Gefahr opportunistischer Behordenentscheidungen durch die Politik sollte primar jedoch iiber die Vorab-Formulierung grundsatzlich einzelfallunabhangiger, substantieller Restriktionen an die Entscheidungsfmdung der unabhangigen Behorde und die gerichtliche LFberprtifung der Einhaltung dieser Regeln erfolgen. Bei diesen Restriktionen kann es sich zum einen um spezifische inhaltliche Beschrankungen und zum anderen um prozedurale Beschrankungen handeln (Leitlinie 3).^^^ Entpolitisierung und Privatisierung Auch wenn die Kompetenz zur Durchfiihrung der PFV fur konkrete Flughafenprojekte einer unabhangigen Behorde ubertragen wird, konnen Entscheidungen iiber konkrete Flughafenprojekte weiterhin politisiert werden, solange die Flughafen nicht voUstandig privatisiert sind. Kommunen und/oder Lander sind dann namlich immer noch in der Lage, ihre Eigentumsrechte an den Flughafen zu instrumentalisieren, um unternehmensinterne Ausbauentscheidungen zu beeinflussen. Damit konnen Projektgegner weiterhin darauf hoffen, Ausbauvorhaben durch politischen Druck zu verhindem. Der politische Einfluss kommt dann in der dem PFV vorausgehenden unternehmensinternen Planungsphase zur Geltung. Unter Umstanden werden dann volkswirtschaftlich sinnvoUe Infrastrukturvorhaben gar nicht erst bei der Planfeststellungsbehorde beantragt. Letztendlich wird dadurch die Bedeutung der Unabhangigkeit der Behorde als Mittel zur Entpolitisierung der Entscheidungsprozesse verringert und somit auch die Rationalitat von Infrastrukturentscheidungen in Frage gestellt. Vor diesem Hintergrund kann eine vollstandige Privatisierung dazu beitragen, Glaubwtirdigkeitsprobleme staatlichen Handelns zu beseitigen und auf diese Weise Kapazitatsentscheidungen im Flughafensektor zu entpolitisieren und entsprechende Konfliktpotentiale reduzieren. Eine vollstandige Privatisierung der Flughafen ist also auch aus diesem Grund angezeigt.
flussung in groBeren, im Voraus festgelegten Abstanden, kann auch eine Beschrankung der EinflussmogHchkeiten auf entsprechende Zeitpunkte dabei helfen, die Gefahr einer Vereinnahmung durch spezifische Interessen zu verringem (Neven et al. 1993: 173). ^^° Komplementar dazu muss die Verdnderung der inhaltlichen oder prozeduralen Restriktionen selbst formellen oder informellen Restriktionen unterliegen. Und es miissen Institutionen - insbesondere eine unabhangige und starke Rechtsprechung existieren, die die substantiellen Restriktionen des Genehmigungssystems hinsichthch des diskretionaren Verhahens der Behorde und die Restriktionen hinsichthch der Veranderung des Systems gegebenenfalls auch gegen die Regierung durchsetzen. (Fiir eine theoretische und empirische Untermauerung der Bedeutung entsprechender Uberlegungen im Bereich der Reguliemng der Netzwerkindustrien, speziell der Telekommunikation, vgl. Levy und Spiller 1996.)
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Kapitel 4 Leitlinien einer Reform Zusammenfassung
Die Aufgaben des Planfeststellungsverfahrens soUten klarer als bisher fokussiert und deutlicher von anderen politisch-administrativen Aufgaben im Bereich Flughafeninfrastrukturbau und -nutzung sowie von rein unternehmerischen Aufgaben abgegrenzt und institutionell getrennt werden. Die Aufgabe des PFV soUte darin bestehen, in ihrer Reichweite raumlich konzentrierte negative Externalitaten eines Flughafenausbaus bzw. von dessen Nutzung zu intemalisieren und einen angemessenen Ausgleich der Interessen der von diesen Externalitaten negativ Betroffenen einerseits und der Flughafengesellschaft andererseits herbeizufuhren. Die Intemalisierung bzw. Begrenzung liberregional wirkender Umwelteffekte, die iiberregionale Netzplanung bzw. die Intemalisierung Uberregionaler Netzextemalitaten sowie die wettbewerbsrechtliche KontroUe und gegebenenfalls die okonomische Regulierung marktmachtiger Flughafen sollten nicht expliziter Gegenstand des PFV sein, sondem von diesem institutionell strikt getrennt werden. Auch iiber die Notwendigkeit und die Instrumente einer Intemalisierung moglicher positiver Externalitaten - wie z.B. mogliche positive Beschaftigungsund Wachstumseffekte des Flughafenausbaus - soUte unabhangig von der regionalen Reichweite dieser Effekte nicht im PFV entschieden werden. Insgesamt ist durch eine adaquate Gestaltung der institutionellen Rahmenbedingungen jedoch sicherzustellen, dass moglichst alle volkswirtschaftlichen Nutzen und Kosten eines Flughafenprojekts in die Entscheidungen iiber Infrastmkturbau und -nutzung eingehen. Neben der klaren Definition geeigneter politischerund administrativer Verantwortlichkeiten und Verfahren kommt hierbei vor allem auch der Privatisiemng der Flughafen eine wichtige RoUe zu. Soweit ein Flughafen iiber erhebliche Monopol- bzw. Marktmacht verfiigt, ist die angemessene Berucksichtigung der Nutzerinteressen mit einer zur Privatisiemng komplementaren okonomischen Regulierung des Flughafens durch eine geeignete Reguliemngsinstanz sicherzustellen. Uber die eigentlichen Nutzer des Flughafens hinausgehende externe Effekte konnen und sollten gegebenenfalls durch geeignete okonomische oder ordnungsrechtliche Instrumente in den Entscheidungsprozess bzw. das Entscheidungskalkiil des Flughafenunternehmens eingebracht und auf diese Weise intemalisiert werden. Auch in Bezug auf Ausgestaltung und Durchfiihmng des PFV ist eine klare und angemessene Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen Politik, Verwaltung und privaten Akteuren sicherzustellen. Regelsetzung, Regelanwendung und unternehmerische Funktionen sind deutlicher zu trennen, als dies bisher der Fall ist. Wahrend die Formuliemng allgemeiner gesetzlicher Vorgaben beziiglich inhaltlicher und prozeduraler Regeln Aufgabe der Politik sein soUte, soUte die Regelanwendung an eine politisch unabhangige Behorde delegiert werden. Zur
4.3 Leitlinie 2
163
Sicherung der Unabhangigkeit der Behorde soUten hohe institutionelle Hiirden fur eine politische Modifikation der Verwaltungsentscheidung der unabhangigen Behorde aufgestellt werden. Zudem sollte die Unabhangigkeit der Behorde durch geeignete Regeln zur Ernennung (bzw. Abbemfung) der Behordenleitung und zur Festlegung der ihr zur AufgabenerfuUung zugewiesenen Ressourcen gestutzt werden. Die EinflussmogUchkeiten der politischen Akteure auf konkrete Einzelfallentscheidungen und damit zugleich die MogHchkeiten einzelner Betroffener, iiber die poHtischen Akteure Einfluss zu nehmen, soUten zudem durch eine vollstandige materielle Privatisierung der Flughafen verringert werden.
4.3
Leitlinie 2: Funktionsfahiger institutioneller Wettbewerb
4.3.1
Uberblick
Leitlinie 2 spricht sich dafur aus, die Kompetenz zur Ausgestaltung und zur Durchfiihrung der PFV den Bundeslandern zuzuweisen und die Potentiale fur einen funktionsfahigen institutionellen Wettbewerb zwischen den Bundeslandern (und zwischen den Flughafen selbst) zu starken. In einem solchen Wettbewerb hatten die Bundeslander die Moglichkeit und die Anreize, nach effizienten und zugleich die Akzeptanz des Verfahrens und seiner Ergebnisse erhohenden Verbesserungen der institutionellen Ausgestaltung der Planungs- und Entscheidungsverfahren zu suchen und diese selbstandig und in eigener Verantwortung zu implementieren. Zugleich wurde der Wettbewerb zwischen den Flughafen selbst gestarkt. Zweifellos gibt es durchaus emst zu nehmende Argumente, die fur eine zumindest partielle Zentralisierung der Verantwortung fUr Ausgestaltung und Durchfiihrung der PFV fiir Flughafeninfrastrukturvorhaben sprechen; die vorgeschlagene Dezentralisierung der relevanten Kompetenzen auf Landerebene hat nicht nur Vor-, sondem auch Nachteile. Letztere ergeben sich aus moglichen GroBen- und Verbundvorteilen sowie aus der Existenz landerubergreifender Extemalitaten (Abschnitt 2.4). Unseres Erachtens wiegen die Argumente, die fiir eine Dezentralisierung sprechen, jedoch insgesamt schwerer als die Argumente fiir eine Zentralisierung. Dies gilt insbesondere fiir die moglichen Vorteile, die ein Wettbewerb zwischen den Landern als Verfahren zur Entdeckung iiberlegener institutioneller Arrangements und zur Kontrolle staatlicher Akteure verspricht.^^^ Zudem verfiigen staatliche Akteure auf einer unteren foderalen Ebene ^^^ Eine Entscheidung fiir eine Dezentralisierung der Kompetenzen zur Ausgestaltung und Durchfiihrung der P I ^ auf Landerebene entspricht somit dem Subsidiaritdts-
164
Kapitel4 Leitlinien einer Reform
in der Regel iiber bessere Informationen hinsichtlich der jeweiligen lokalen Bedingungen, oder sie haben bessere Moglichkeiten und starkere Anreize, sich diese Informationen zu besorgen, die flir ein erfolgreiches PFV von zentraler Bedeutung sind (Abschnitt 4.3.2). Dies bedeutet jedoch nicht, dass man auf Elemente einer Politikzentralisierung voUstandig verzichten miisste oder soUte. Eine eng begrenzte Rahmengesetzgebung durch den Bund und/oder die EU und eine partielle Kooperation zwischen den Bundeslandem konnen helfen, die mit einer Kompetenzdezentralisierung einhergehenden Probleme zu entscharfen. Zudem erlaubt es die von uns vorgeschlagene enge Begrenzung der Aufgaben des PFV (Leitlinie 1), die Verantwortung fur andere mit Bau und Betrieb von Flughafen zusammenhangende, aber vom eigentlichen PFV organisatorisch zu trennende politische Aufgaben unabhangig von der Dezentralisierung der PFV jeweils auf derjenigen foderalen Ebene anzusiedeln, die fiir die Erfullung dieser speziellen Aufgaben am besten geeignet ist (Abschnitt 4.3.3).
4.3.2
Foderale Kompetenzzuordnung fiir Ausgestaltung und Durchfuhrung der PFV
Die zentrale Aufgabe des PFV ist es, die Internalisiemng der sozialen Kosten der mit dem Flughafenbetrieb verbundenen regionalen Umweltbelastungen zu gewahrleisten und einen angemessenen Interessenausgleich zwischen den Beteiligten herzustellen (Leitlinie 1). Die Erfullung dieser Aufgabe setzt umfassende und detaillierte Kenntnisse Uber die lokalen oder regionalen Bedingungen und die Interessen und Praferenzen der beteiligten Akteure voraus. Sowohl die regional begrenzte Reichweite der relevanten Externalitaten als auch die Relevanz lokal verfiigbarer Informationen sprechen dafUr, die Kompetenz zur Durehfiihrung des PFV auf der Ebene der Bundeslander anzusiedeln.^^^ Gleiches gilt im Prinzip auch fiir die Kompetenz zur Ausgestaltung der gesetzlichen Grundlagen des PFV. Fiir eine dezentrale Zuordnung der Kompetenz zur Ausgestaltung und prinzip, nach dem die Verantwortung fiir eine Aufgabe und die flir ihre Erfullung erforderlichen Kompetenzen der jeweils kleinsten bzw. untersten dafur grundsatzlich geeigneten foderalen Einheit iibertragen werden sollten (Abschnitt 2.4). ^^^ Eine weitere DezentraUsierung auf die Ebene der Kommunen kommt u.E. nicht in Frage, da (i) zumindest im Fall groBerer Verkehrsflughafen selbst die am starksten betroffenen Anwohner des Flughafens bereits in mehreren Gemeinden wohnen, (ii) die Kommunen beispielsweise als Immobilienbesitzer selbst in erheblichem Umfang „Betroffene" sind und (iii) die meisten Gemeinden mit der Aufgabe auch finanziell und organisatorisch uberfordert sein diirften. Die Rolle der Gemeinden im PFV besteht demnach vor allem darin, ihre eigenen Interessen und als {ein moglicher) „Advokat" die Interessen ihrer Burger zu vertreten (Leitlinie 3, Abschnitt 4.4.2).
4.3 Leitliniel
165
Durchfiihrung der PFV sprechen angesichts des Fehlens gesicherter Erkenntnisse iiber Details der Ausgestaltung des „optimalen Verfahrens" vor allem aber auch die damit verbundenen Vorteile eines institutionellen Wettbewerbs zwischen den Bundeslandem. Diese Vorteile ergeben sich vor allem aus moglichen Politikdifferenzierungen der Lander sowie allgemeiner aus besseren Experimentier-, Lemund KontroUmoglichkeiten in dezentralen Systemen. Die problemnahe Aufgabenwahmehmung fiihrt zu einer besseren Beriicksichtigung regionaler bzw. lokaler Besonderheiten und Biirgerinteressen. Staatliche Akteure auf einer unteren foderalen Ebene verfugen tendenziell iiber bessere Informationen hinsichtlich der jeweiligen Bedingungen „vor Ort". Sie haben i.d.R. bessere Moglichkeiten und starkere Anreize, entsprechende Informationen zu erwerben und vorhandene Informationen iiber lokale Gegebenheiten zu einer angemessenen Differenzierung und Ausrichtung der Politik an den lokalen Bedingungen und Interessen zu nutzen (Abschnitt 2.4). Die Diskussion der angemessenen Instrumentenwahl zur Intemalisierung lokaler Umwelteffekte (Abschnitt 4.5) - insbesondere ihre dort betonte Abhangigkeit von den speziellen Bedingungen vor Ort und den Interessen der iiberwiegend regionalen Akteure wird die Bedeutung entsprechender Informations vorteile deutlich machen. Zu den Vorteilen einer dezentralen Kompetenzverteilung gehort auch, dass sie eine bessere Kontrolle staatlicher Organe durch die Biirger ermoglicht und so deren Verantwortlichkeit erhoht: Eine Dezentralisierung erhoht i.d.R. die Moglichkeiten der Biirger zur Kontrolle der Politiker, weil die Einflussmoglichkeiten der Biirger auf die politischen Entscheidungen auf regionaler Ebene sowohl hinsichtlich des Einsatzes ihrer (Wahler)Stimme (voice) als auch hinsichtlich ihrer Ausweich- Oder Abwanderungsmoglichkeiten (exit) groBer sind als auf Bundesebene (Abschnitt 2.4). Weil sich mit einer Dezentralisierung zugleich die Abwanderungsmoglichkeiten der Politikadressaten - und insbesondere der Flughafenuntemehmen und -nutzer - verbessern, kann im AUgemeinen davon ausgegangen werden, dass auch deren Interessen von den staatlichen Akteuren starker beriicksichtigt werden. Eine Kompetenzdezentralisierung und die damit verbundene Verscharfung des Wettbewerbs zwischen Landem als Flughafenstandorten wiirde - trotz aller Relativierungen, die sich hier aufgrund des erheblichen Umfangs spezifischer Investitionen und Pfadabhangigkeiten ergeben - die Kosten einer „flughafen- bzw. flugverkehrsfeindlichen" Politik an einem gegebenen Flughafenstandort fiir eben diesen Standort erhohen und so einen zusatzlichen Schutz vor einer opportunistischen Politik darstellen. Gegen eine Zustandigkeit der Lander mag man einwenden, dass die Entscheidung damit (tendenziell) dorthin verlagert wiirde, wo der Widerstand gegen einen Flughafenbau am groBten ist. Dass der Widerstand dort am groBten ist, spiegelt eben die Tatsache wider, dass dort auch der groBte Teil der extemen Kosten (wie ubrigens auch der extemen Nutzen (Wachstums- und Beschafti-
166
Kapitel4 Leitlinien einer Reform
gungseffekte)) anfallt. Dies spricht aus okonomischer Sicht aber gerade fiir eine entsprechende, dezentrale Kompetenzzuordnung: Die moglichst weitgehende raumliche Kongruenz von Betroffenen und Entscheidern erhoht die Wahrscheinlichkeit effizienter Entscheidungen (Abschnitt 2.4). Da eben nicht nur ein groBer Teil der extemen Kosten, sondern auch der externen Nutzen bzw. der Arbeitsplatz- und Einkommenseffekte raumlich begrenzt bzw. konzentriert anfallt, diirften sich die Landerregierungen gerade im Falle eines zunehmenden Standortwettbewerbs tendenziell als Befurworter gesamtwirtschaftlich sinnvoller Flughafenprojekte erweisen.^^^ All dies schlieBt freilich nicht aus, dass Landesregierungen im Wahlkampf geneigt sein konnten, ihre Position gegenliber entsprechenden Projekten weniger an langfristigen Vor- und Nachteilen als vielmehr an kurzfristigen, wahltaktischen Uberlegungen auszurichten. Selbst wenn eine Mehrheit der Wahler im Bundesland fUr einen Flughafenausbau ware, konnte dies leicht dazu fiihren, dass sich die Regierung im Wahlkampf fiir eine Verzogerung oder „nochmalige Uberpriifung" des Projekts aussprechen wiirde. (Grundsatzlich gilt dies allerdings auch fiir Politiker bzw. Wahlen auf Bundesebene.) Wir schlagen - nicht zuletzt auch deshalb - in Leitlinie 1 vor, den Genehmigungsprozess zu entpolitisieren und die Einzelfallentscheidung an eine politisch „unabhangige" Behorde zu delegieren und die Flughafengesellschaft zu privatisieren. Dies bietet einen besseren Schutz vor populistischen, kurzsichtigen Entscheidungen in der Politik - und bietet den Politikem einen besseren „Siindenbock" fiir unpopulare Entscheidungen - als eine weitergehende Zentralisierung oder beispielsweise eine (hypothetische) Aufnahme einzelner Flughafenprojekte in die Bundesverkehrswegeplanung. Eine (solche) zentrale Planung birgt zudem die Gefahr, dass sich die Politik implizit oder explizit auf einen Flughafen als nationale Drehscheibe oder gar auf eine Hierarchic der nationalen Flughafen festlegt und Ausbauvorhaben einzelner Flughafen, die diesem Konzept nicht entsprechen, ablehnen oder behindern. Eine Kompetenzdezentralisierung diirfte (auch) deshalb den Wettbewerb zwischen den Flughafen selbst eher starken. Fiir eine Dezentralisierung spricht aber vor allem auch, dass sie zu einem verstarkten Konkurrieren der Lander um die beste Losung, zu einem Ausprobieren unterschiedlicher Regelungen und damit auch zu einem verstarktem Lernen iiber die angemessene Politiklosung fiihrt. Der Wettbewerb zwischen verschiedenen (regionalen) institutionellen Arrangements kann ein „effizientes Ent231
Es ist ja auch schon bisher keineswegs so, dass sich die Lander bzw. Landerregierungen in der Vergangenheit primar als „Verhinderer" von Flughafenausbauvorhaben profiliert hatten. Ohne naher darauf einzugehen, konnte hier die These aufgestellt werden, dass beispielsweise der Bau des Miinchner Flughafens Uber die Jahrzehnte durch die schon im jetzigen System gegebenen Kompetenzen der Lander (hier Bayems) eher befordert worden sein diirfte.
4.3 Leitlinie2
167
deckungsverfahren" (Hayek 1968) fur angemessene Politiklosungen darstellen (Abschnitt 2.4). Wie bei der Diskussion der Leitlinien 3-5 (Abschnitte 4.4-4.6) noch deutlich werden wird, ist es nicht moglich, allein auf der Grundlage theoretischer tJberlegungen und existierender empirischer Erfahrungen „optimale" Regeln fiir PFV zweifelsfrei zu bestimmen. Ein verstarktes Konkurrieren der Lander um die beste Losung und ein Lernen voneinander konnen helfen, neue Erkenntnisse hinsichtlich der optimalen Gestaltung der PFV zu gewinnen.^^^ Diesen Vorteilen der Dezentralisierung stehen allerdings auch potentielle Nachteile gegeniiber. Vor allem drei Griinde konnten dabei gegen eine voUstandige Dezentralisierung der Kompetenzen fur das PFV auf Landerebene sprechen: Erstens ist die raumliche Ausdehnung der relevanten extemen Effekte zwar raumlich eng begrenzt, aber nicht unbedingt deckungsgleich mit der raumlichen Ausdehnung eines Bundeslandes. Damit kann sich je nach Lage des Flughafens und der GroBe der Bundeslander das Problem landeriibergreifender interjurisdiktionaler Extemalitaten ergeben.^^^ Da eine (gleichgewichtige) Beriicksichtigung von Effekten, die auBerhalb der jeweils verantwortlichen Gebietskorperschaft auftreten, aufgrund fehlender Information und/oder fehlender Anreize nicht ohne weiteres zu erwarten ist, sprechen bedeutende grenziiberschreitende Effekte einer Politik tendenziell fur eine starkere Zentralisierung entsprechender Entscheidungskompetenzen. Zweitens kann die Gefahr eines zumindest in einzelnen Dimensionen ineffizienten bzw. dysfunktionalen Wettbewerbs der Bundeslander (Stichworte: ,4'ace to the bottom", Subventionswettlauf) a priori nicht voUstandig ausge-
^^^ Durch den zweifellos vorhandenen intemationalen Standortwettbewerb werden mogliche Vorteile eines solchen Wettbewerbs nach unserer Meinung keineswegs ausgeschopft. Einiges spricht dafiir, dass der zunehmende intemationale Wettbewerb die (nationalen) Vorteile eines „innerdeutschen" (interregionalen) Wettbewerbs sogar noch erhoht. Ein Wettbewerb um die beste Losung zur Konkretisierung des gemeinsamen deutschen Ordnungsrahmens und eine Differenzierung bzw. Erhohung der Vielfalt der institutionellen Regelungen, d.h. des „Angebots" (potentieller) deutscher Flughafenstandorte, diirfte die AttraOktivitat und die Konkurrenzfahigkeit des Standorts Deutschland im intemationalen Wettbewerb insgesamt eher erhohen. ^^^ So wohnen beispielsweise zahlreiche der von Bau und Betrieb eines moglichen neuen „Hauptstadtflughafens" Berlin-Schonefeld direkt negativ Betroffenen in einem anderem Bundesland als demjenigen, das primar uber die Genehmigung entscheidet. Wenn nun aber ein Brandenburger Minister oder eine brandenburgische Behorde iiber Einwande von Berliner Burgem entscheidet, dann stellt sich die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass brandenburgische Landesbehorden auch diesen gegenuber „verantwortlich" sind. Zur potentiellen Bedeutung entsprechender Probleme vgl. auch die oben zitierte Beschwerde des Kantons Aargau gegen die 5. Ausbauetappe des Flughafens Zurich (Abschnitt 3.2.2).
168
Kapitel 4 Leitlinien einer Reform
schlossen werden. Zumindest theoretisch ist es denkbar, dass einzelne Bundeslander in ihrem Bemiihen, ihre Attraktivitat als Flughafenstandort zu erhohen, auf eine Kompensation selbst stark betroffener Anwohner oder sogar ganz generell auf eine Intemalisierung negativer extemer Effekte des Flughafenbetriebs verzichten. Drittens fiihrt die Kompetenzdezentralisierung dazu, dass mogliche Grofienvorteile hinsichtlich der Ausgestaltung der gesetzlichen Grundlagen und der Durchfuhrung der PFV sowie hinsichtlich des Erwerbs und der „Bereitstellung" von Fachkompetenz und Reputation von Behorden und Verfahren ungenutzt bleiben.^^"^ Entsprechende Kostennachteile einer dezentralen Kompetenzzuteilung scheinen insbesondere angesichts der von uns empfohlenen Einrichtung einer unabhangigen Behorde (Abschnitt 4.2, Leitlinie 1) von Bedeutung. AUerdings ist zu beachten, dass dieses Argument erhebUch an Bedeutung verUeren wiirde, wenn die Behorde, wie in Abschnitt 4.2 empfohlen, nicht nur fur PFV von Flughafeninfrastrukturvorhaben, sondern sektoriibergreifend auch fUr Verfahren bezugUch anderer groBerer Infrastrukturprojekte zustandig ware.-^-^^'^^^ Angesichts der oben diskutierten erhebhchen Vorteile einer DezentraUsierung konnen diese Probleme u.E. eine vollstandige (oder auch nur Uberwiegende) KompetenzzentraHsierung nicht rechtfertigen. SinnvoU scheint jedoch eine freiwilUge partielle Kooperation vor allem kleinerer Lander oder auch eine generelle Zusammenarbeit von Landern im Falle grenznaher Flughafenprojekte mit umfangreichen grenzuberschreitenden ExternaHtaten. Sie konnte helfen, GroBenvorteile und damit Kostensenkungspotentiale zu reahsieren^^^ und bundeslanderubergreifende ExternaHtaten zu internaUsieren. Zumindest theoretisch UeBe sich
^^^ Sowohl fur die offentlichen als auch fiir die privaten Akteure konnen beim Entwurf und bei der Durchsetzung von Planungs- und Genehmigungsverfahren GroBenvorteile in Form von Transaktionskostenerspamissen bestehen, die sich im Falle einer Zentralisierung besser ausschopfen lassen. 235 In Abschnitt 3.1.2 wurde argumentiert, dass in anderen Sektoren - vor allem im Schienenverkehr - in mancherlei Hinsicht ahnliche Probleme bestehen wie im Bereich der Flughafeninfrastruktur. Dies spricht dafiir, dass die in diesem Kapitel (Kapitel 4) diskutierte Reform der PFV nicht nur im Flughafenbereich, sondern mutatis mutandis auch in diesen anderen Sektoren umgesetzt werden sollte. Eine Formulierung gemeinsamer sektoriibergreifender Rahmenregelungen und die Einsetzung einer sektoriibergreifend zustandigen Behorde wurde die Realisierung von GroBenvorteilen erlauben. ^^^ Zudem kann davon ausgegangen werden, dass die Behorde wohl nur liber einen relativ kleinen permanenten Stab (u.a. zur Governance vorhergehender PF-Beschliisse) verfUgen musste. Im Fall besonders aufwendiger PFV konnte dieser durch eine „Delegation" von Mitarbeitem aus anderen Landesbehorden (oder auch den Behorden anderer Bundeslander) aufgefUllt werden. ^^' Siehe vorige FuBnote.
43 Leitlinie2
169
auch das Problem moglicher ineffizienter Wettbewerbsstrategien C^-ace to the bottom") durch kooperative Abkommen („Staatsvertrage") zwischen den Bundeslandem zumindest abmildem. Die Erfolgsaussichten einer solchen Losung diirften in der Praxis jedoch eng begrenzt sein. Ohnehin darf man sich nicht daruber hinwegtauschen, dass die Implementierung einer erfolgreichen Kooperation der Bundeslander in diesem Bereich wohl mit erheblichen Problemen verbunden sein wird.^^^ Daruber hinaus sprechen die oben diskutierten Probleme auch dafiir, auf bundesgesetzliche (oder europarechtliche) Rahmenrcgeln nicht ganz zu verzichten. Diese Rahmenregeln soUten jedoch nur Mm^^^fstandards fur individuelle Partizipations- und Kompensationsrechte aller von den relevanten Extemalitaten Betroffenen festschreiben (vgl. die Leitlinien 3 und 4) - vor allem auch fiir jene betroffenen Personen und Untemehmen, die nicht in dem Bundesland wohnen bzw. angesiedelt sind, in dem das Verfahren durchgefiihrt wird. Hierdurch konnten sowohl potentielle Probleme eines ,^ace to the bottom" oder eines Subventions wettlaufs^^^ als auch das Problem einer moglichen Nicht-Berlicksichtigung (oder geringeren Gewichtung) der Effekte auf Biirger anderer Bundeslander (oder dort ansassige Unternehmen) zumindest entscharft werden. Die vorgeschlagene Delegation der Durchfuhrung konkreter PFV an eine unabhangige Behorde erleichtert es, eine gleichgewichtige Berucksichtigung der Extemalitaten auf Burger oder Unternehmen anderer (benachbarter) Bundeslander sicherzustellen. Die Abschirmung der Behorde gegen politischen Druck reduziert tendenziell die Anreize der Behorde, zwischen „Inlandern" und „Auslandem" zu diskriminieren.^^^ Neben wohnsitzunabhangigen Mindeststandards fiir individuelle Partizipationsrechte und Kompensationsanspriiche negativ Betroffener konnten somit vor allem bundesgesetzliche Mmt/^^mnforderungen an ^^^ Theoretisch interessant, aber zumindest in Reinform wohl noch schwerer zu reaUsieren als eine partielle Kooperation zwischen Bundeslandem bzw. Landerbehorden ware die Etabherung einer speziellen funktionalen Gehietskorperschaft fiir jeden (Gro6-)Flughafen, die allein fiir die Genehmigung bzw. Planfeststellung eines Flughafens und/oder die Administration des PF-Beschlusses zustandig ware. In der Realitat nicht uniibliche Zweckverbande - Beispiele sind Abwasserzweckverbande und Verkehrsverbiinde - konnen als ein erster Schritt in Richtung einer solchen funktionalen Gehietskorperschaft aufgefasst werden. Fiir eine Diskussion der Idee funktionaler Gebietskorperschaften vgl. die Diskussion von „Single-function-govemments" in Olson (1969) bzw. von „Functional Overlapping Competing Jurisdictions" („FOCJ") in Frey (1997b) und Frey und Eichenberger (1999). Eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Konzepten findet sich u.a. in Vanberg (2000). ^^^ Siehe hierzu auch oben Abschnitt 4.2.2. ^^^ Dies wird unterstiitzt durch die ebenfalls empfohlene Erweiterung der Partizipationsrechte aller Betroffenen im PFV (Leitlinie 3). Gesetzlich garantierte, individuell einklagbare Kompensationsanspriiche (Leitlinie 4) verringem die Gefahr einer moglichen Diskriminierung noch weiter.
170
Kapitel4 Leitlinien einer Reform
die Unabhangigkeit der Behorde dazu beitragen, das Problem einer moglichen Nicht-Berucksichtigung grenzuberschreitender Externalitaten zu reduzieren.^"^^ Wichtig ist jedoch, dass es sich bei den bundesgesetzlichen oder europaischen Vorgaben in diesen Bereichen wirklich nur um Mindeststandards handelt, die Platz fUr einen institutionellen Wettbewerb zwischen den Landem lassen und es diesen erlauben, nach den (fiir sie) am besten geeigneten Regelungen zu suchen. Eine Ubertragung der Kompetenz zur Verabschiedung von Rahmenregeln an den Bund oder die EU bedeutet nicht, dass der Bund oder gar die EU das Recht batten, in konkrete PFV einzugreifen. Ein in jedem Fall eng zu begrenzendes Recht zum Eingriff in das Verfahren bzw. zur LFberpriifung oder partiellen Revision der Entscheidungen der Planfeststellungsbehorde soUte dem Bund allenfalls eingeraumt werden, falls und soweit substantielle (z.B. sicherheitspolitische) Bundesinteressen beriihrt sind oder sehr umfangreiche landeriibergreifende oder aufgrund der Grenznahe eines Flughafens sogar Internationale Externalitaten vorliegen.
4.3.3
Foderale Kompetenzzuordnung fiir PFV-fremde Politikaufgaben im Bereich der Flughafeninfrastruktur
Die in Leitlinie 1 vorgeschlagene enge Begrenzung der Aufgaben des PFV erlaubt es, die Verantwortung fiir andere mit Bau und Betrieb von Flughafen zusammenhangende, aber vom eigentlichen PFV organisatorisch zu trennende politische Aufgaben - unabhangig von der Dezentralisierung der PFV - auf der foderalen Ebene anzusiedeln, die fiir die Erfiillung dieser speziellen Aufgaben am besten geeignet ist. Dies gilt insbesondere fiir die Aufgaben, die sich im Zusammenhang mit (i) iiberregional wirkenden Umwelteffekten, (ii) Netzwerkeffekten und dadurch moglicherweise bedingten bzw. verscharften Marktmachtproblemen sowie (iii) positiven (regionalen) Standorteffekten ergeben. Uberregionale Umwelteffekte Die Intemalisierung bzw. Begrenzung iiberregional wirkender negativer Umweltexternalitaten des Flugverkehrs, welche vor allem aus den gasformigen Emissionen („Klimagase") der Flugzeuge resultieren, ist eine wichtige politische Aufgabe. Sie soUte jedoch - wie schon in Leitlinie 1 betont - nicht Gegenstand des PFV sein. Die institutionelle Separierung dieser Aufgabe vom PFV ermoglicht die aufgrund der iiberregionalen, teilweise sogar globalen Reichweite der ^'^^ Entsprechende Standards konnten sich beispielsweise an den Regelungen orientieren, die das EU-Recht fiir die Unabhangigkeit der Telekommunikations-Regulierungsbehorden ihrer Mitgliedstaaten aufgestellt hat (Bickenbach 1998).
4.3 Leitliniel
171
entsprechenden Externalitaten sinnvolle Zentralisierung der Kompetenzen zur Wahmehmung dieser Aufgabe. MaBnahmen zur Begrenzung global wirksamer Umwelteffekte des Flugverkehrs (z.B. moglieher Klimaeffekte) soUten aufgrund der erheblichen raumlichen Reichweite der Externalitaten sowie aufgrund der im Falle (differenzierter) dezentraler MaBnahmen zu erwartenden Verkehrsverlagerungseffekte nicht in den Aufgabenbereich der Lander fallen. Die Kompetenz zur Entscheidung iiber die angemessene Wahl und Ausgestaltung von okonomischen Instrumenten (z.B. einer Steuer auf Flugbenzin) und/oder ordnungsrechtlichen Instrumenten (z.B. Auflagen bezuglich des eingesetzten Fluggerats) zur Intemalisierung dieser Externalitaten ist zumindest auf Bundesebene - teilweise u.U. sogar auf der Ebene der Europaischen Union oder bei intemationalen Organisationen - zu zentralisieren. Netzwerkejfekte und Marktmachtprohleme In Abschnitt 4.2 wurde bereits dargelegt, dass vom Bau und Betrieb eines Flughafens positive und negative iiberregionale Netzwerkeffekte bzw. -externalitaten ausgehen konnen, die die Grundlage fiir eine Reihe komplexer Industrie- und wettbewerbspolitischer Probleme bilden. Es wurde dort (aber) auch bereits dargelegt, dass das Genehmigungs- oder Planfeststellungsrecht nicht das adaquate Instrument und das PFV nicht der richtige Ort zur Losung entsprechender Probleme ist. Auch die wettbewerbsrechtliche Kontrolle und ggf. die okonomische Regulierung marktmachtiger Flughafen konnen somit - unabhangig von der Dezentralisierung der PFV - so weit zentralisiert werden, wie dies erforderlich bzw. sinnvoU erscheint. Entsprechend der foderalen AUokation der allgemeinen Wettbewerbsaufsicht in anderen Sektoren sollte die wettbewerbsrechtliche Kontrolle der (marktmachtigen) Flughafen je nach Reichweite der Wirkungen moglieher WettbewerbsverstoBe auf verschiedene foderale Ebenen (EU, Bund, Lander) bzw. Wettbewerbsbehorden (EU-Kommission, Bundeskartellamt, Landeskartellbehorden) aufgeteilt werden. Wettbewerbsbeschrankungen, die geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeintrachtigen, und UntemehmenszusammenschlUsse von Flughafenuntemehmen mit gemeinschaftsweiter Bedeutung wiirden unter die Regeln des Europaischen Wettbewerbsrechts und in den Kompetenzbereich der Europaischen Kommission fallen.^'^^ Soweit sich ein wettbewerbswidriges Verhalten einer Flughafengesellschaft im konkreten Einzelfall nur in einem einzigen Bundesland auswirkt, ware nach deutschem Wettbewerbsrecht
^^^ Dies diirfte im Fall der Fusion groBer europaischer Flughafengesellschaften regelmaBig der Fall sein. Allgemeiner diirfte dies jedenfalls dann der Fall sein, wenn im konkreten Fall intemationale Netzwerkeffekte von Bedeutung sind.
172
Kapitel4 Leitlinien einer Reform
die jeweilige Landeskartellbehorde zustandig.^^^ In alien anderen Fallen ware das Bundeskartellamt zustandig. Soweit fiir einzelne marktmachtige Flughafen - iiber die allgemeine Wettbewerbsaufsicht hinaus - eine Ex-ante-Regulierung des Angebotsverhaltens fiir erforderlich gehalten wird, sollte die entsprechende Regulierungskompetenz ebenfalls (zumindest teilweise) auf Bundesebene angesiedelt werden (Wolf 2003). Hierfiir spricht insbesondere die Tatsache, dass in der Kegel ein GroBteil der negativen Wirkungen des wettbewerbswidrigen Verhaltens in anderen Bundeslandem als dem, in dem der Flughafen liegt, anfallen wird. Dies kann aufgrund uberregionaler (Netzwerk-)Effekte der Fall sein oder auch einfach nur deshalb, well in erheblichem Umfang Reisende aus bzw. Fliige zwischen mehreren Bundeslandern betroffen sind.^'*^ Positive Standortejfekte Zu den Effekten, die u.E. im PFV nicht thematisiert werden soUten, gehoren auch positive Standorteffekte eines Flughafenausbaus, die jedenfalls zum Teil als pekuniare Extemalitaten des Flughafens betrachtet werden konnen (Leitlinie 1). Entsprechende Effekte konnten von der (regionalen) Politik zum Anlass fiir finanzielle Zuwendungen an den Flughafen genommen werden. Entsprechende Zahlungen konnten u.U. gerechtfertigt sein, wenn sie als angemessene Gegenleistung fiir klar definierte, vom Flughafen bzw. von den Fluggesellschaften erbrachte „gemeinwirtschaftliche Leistungen" betrachtet werden konnen. Problematisch erscheinen hingegen Subventionszahlungen an Flughafen, mit deren Hilfe Kommunen oder Lander den Wettbewerb zwischen Flughafen zu verzerren suchen. Entsprechende Gefahren konnen eine „Regulierung" der Zahlungen der Gebietskorperschaften durch den Bund oder die EU rechtfertigen. Der Wettbewerb der Regionen um Flughafenstandorte konnte insofern also von der zentralen Vorgabe von „Wettbewerbsregeln bzw. -rahmenbedingungen" etwa in Form von Nicht-Diskriminierungsregeln und einer Beihilfenaufsicht durch den Bund oder die EU profitieren. Hierdurch konnten gesamtwirtschaftlich besonders ineffiziente Wettbewerbsstrategien („Subventionswettlaufe") begrenzt werden; und auch die Gefahr einer Vereinnahmung regionaler politischer Akteure durch die
^^^ Bei groBeren Flughafen konnte ein solcher Fall u.U. im Bereich nicht direkt luftverkehrsbezogener Dienstleistungen (z.B. beim Angebot von Geschaftsflachen fiir Einzelhandel, Gastronomie oder Unterhaltungseinrichtungen) auftreten. Die Effekte wettbewerbswidrigen Verhaltens groBerer Flughafen im Bereich direkt luftverkehrsbezogener Dienstleistungen (z.B. diskriminierende Start-/Landeentgelte) diirften gegebenenfalls hingegen iiber den Bereich eines Bundeslandes hinausgehen. ^^^ Zur vertikalen Allokation von Regulierungskompetenzen in Netzinfrastrukturindustrien vgl. Bickenbach (2000) sowie Bickenbach et al. (2002).
4.3 Leitlinie 2
173
Interessen der Flughafengesellschaft wurde gemindert.^'^^'^'^^ Wann immer also ein Subventionswettlauf droht oder die Unabhangigkeit der dezentralen Genehmigungsinstanzen gefahrdet scheint, konnte eine diesbeziigliche Rahmensetzung dutch den Bund oder die EU potentiell Vorteile versprechen.
4.3.4
Zusammenfassung
Die Kompetenz zur Ausgestaltung und zur Durchfiihrung des PFV soUte auf Landerebene angesiedelt werden. Um mogliche Vorteile eines funktionsfahigen institutionellen Wettbewerbs zwischen den Landern sowie eines Wettbewerbs zwischen den Flughafen besser realisieren zu konnen, sollten die Lander einen weiten Freiraum bei der Verfahrensausgestaltung eingeraumt bekommen. Sie haben dann Moglichkeiten und Anreize, nach besonders effizienten Formen der institutionellen Ausgestaltung der Planungs- und Entscheidungsverfahren zu suchen. Eine Zusammenarbeit kleinerer Lander oder auch eine generelle Zusammenarbeit von Landern im Falle grenznaher Rughafenprojekte mit umfangreichen grenziiberschreitenden Externalitaten konnte vorteilhaft sein, auch wenn ihre Implementierung mit erheblichen Problemen verbunden sein diirfte. Zudem sollte auf bundesgesetzliche Rahmenregeln nicht ganzlich verzichtet werden. So sollten Mindeststandsirds fiir Partizipations- und Kompensationsrechte festgeschrieben werden - vor allem auch fiir jene Betroffenen, die nicht in dem Bundesland wohnen bzw. angesiedelt sind, in dem das Verfahren durchgefuhrt wird. Erganzt werden sollte diese foderale Aufgabenteilung durch Kompetenzen des Bundes und teilweise auch der EU zur Intemalisierung iiberregionaler Umwelteffekte und zur wettbewerbsrechtlichen Kontrolle (und gegebenenfalls zur okonomischen Ex-ante-Regulierung des Angebotsverhaltens) marktmachtiger Flughafen. Auch im Hinblick auf eine mogliche Subventionierung der Flughafenunternehmen durch die (regionale) Politik sollten der Bund oder die EU Rahmenregeln etwa in Form von Nicht-Diskriminierungsregeln und einer Beihilfenaufsicht zentral vorgeben. Wir haben in diesem Abschnitt betont - und dies wird im Folgenden noch deutlicher werden -, dass es ist nicht moglich ist, allein auf der Grundlage theoretischer Uberlegungen und existierender empirischer Erfahrungen „opti^^^ Die Gefahr der Vereinnahmung der Kommunal- oder Landespolitik(er) durch die Interessen des regionalen Flughafens oder auch einer ortsansassigen Fluggesellschaft konnte besonders gro6 sein, wenn diese in einem scharfen Wettbewerb mit anderen Flughafen bzw. Fluggesellschaften stehen. ^^" Dies gilt verstarkt, solange sich die Flughafen noch (teilweise) in offenthchem Eigentum befinden.
174
Kapitel4 Leitlinien einer Reform
male" Regeln fiir die konkrete Ausgestaltung bzw. Reform der PFV zweifelsfrei zu bestimmen. Nicht zuletzt deshalb kommt einem verstarkten Konkurrieren der Lander um die beste Losung und ein Lemen voneinander eine solch wichtige Rolle bei der Gestaltung der PFV zu. Auch wenn sich die Details der Reform des PFV somit in einem institutionellen Wettbewerb ergeben sollten, scheint es uns doch moglich, drei Leitlinien fiir eine Reform der PFV zu formulieren, die den Landern eine allgemeine Orientierung fur eine solche Reform geben. Diese Leitlinien 3-5 werden im Folgenden eingehender dargestellt.
4.4
Leitlinie 3: Offenheit, Transparenz und Verbindlichkeit des behordlichen Verfahrens
4.4.1
Uberblick
Die gegenwartige Ausgestaltung der Planungs-, Entscheidungs- und Durchsetzungsprozesse im Bereich des Flughafenneu- und -ausbaus ist vielfaltiger Kritik ausgesetzt (vgl. Kapitel 3 sowie Abschnitt 4.2). Zu spate und unzureichende oder - je nach Standpunkt - auch zu weit gefasste Beteiligungsrechte Betroffener, die (angebliche) Voreingenommenheit der Behorde und eine mangelnde Transparenz und Verbindlichkeit der Behordenentscheidungen sind nur einige der in der Offentlichkeit geauBerten Kritikpunkte. Um dieser Kritik zu begegnen und die Effizienz und Akzeptanz der Verfahren und ihrer Ergebnisse zu erhohen, ist das bisherige Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren umfassend zu reformieren. Wichtig ist es dabei vor allem, die Moglichkeiten und Anreize zur konstruktiven Mitarbeit aller durch regional begrenzte negative Externalitaten Betroffenen zu verbessern. Dies kann dadurch erreicht werden, dass alle direkt Betroffenen und dariiber hinaus alle sachlich Interessierten ihre Anliegen zu Gehor bringen konnen, dass diese im Verfahren adaquat gewurdigt werden und dass alle entscheidungsrelevanten Informationen friihzeitig in das Verfahren eingebracht werden konnen (und miissen). Hierzu ist das PFV zu einem offenen, transparenten und vornehmlich prozedural regelgebundenen Verfahren umzugestalten. Allen sachlich Interessierten sind frtihzeitige und umfassende Partizipationsrechte einzuraumen, und die Verbindlichkeit des PF-Beschlusses soUte durch eine weitgehende Begrenzung der Moglichkeiten zur gerichtlichen Uberpriifung der Planungsergebnisse - sowie der Moglichkeiten politischer Einflussnahme im Einzelfall (Leitlinie 1) - verbessert werden. Bereits in Leitlinie 1 wurde vorgeschlagen, die Aufgabe der Politik im Hinblick auf das PFV darauf zu beschranken, allgemeine gesetzliche Vorgaben bezuglich inhaltlicher und prozeduraler Regeln der Entscheidungsfmdung zu for-
4.4 Leitlinie 3
175
mulieren. Die Anwendung dieser Regeln im konkreten Einzelfall sollte hingegen Aufgabe einer politisch unabhangigen Behorde sein. Der Behorde sollten vom Gesetzgeber eine klar definierte spezifische Zielsetzung und ein klar abgegrenzter, eng definierter Aufgabenbereich vorgegeben werden. Innerhalb dieses Rahmens sollten der Behorde jedoch weite diskretionare Entscheidungsspielraume hinsichtlich der Entscheidung iiber die Erteilung (oder Versagung) einer Genehmigung und der damit verbundenen Auflagen wie Kompensationspflichten und Nutzungsbeschrankungen eingeraumt werden. Nur so ist sie in der Lage, die von den Beteiligten im Verfahren eingebrachten Informationen, Positionen oder „Problemlosungsvorschlage" angemessen zu beriicksichtigen. Angesichts der weiten inhaltlichen Entscheidungsspielraume der Behorde sind effektive prozedurale Restriktionen in Form von Verfahrensregeln und Transparenzvorschriften allerdings umso wichtiger (Abschnitt 4.4.2). Durch sie ist sicherzustellen, dass die Interessen sowohl des Flughafens und seiner Nutzer als auch aller durch entsprechende Externalitaten Betroffenen vorgebracht werden konnen und bei der Entscheidungsfindung angemessen berticksichtigt werden. Die generelle StoBrichtung der Reform der prozeduralen Regeln sollte auf eine - relativ zum Status quo - erweiterte Beteiligung aller sachlich Interessierten im PFV so wie auf eine erhohte Transparenz der Entscheidungsfindung zielen. Dabei sollte die Rolle der Behorde auf die eines neutralen Schiedsrichters mit Entscheidungsbefugnis zugeschnitten werden. Dies erlaubt es, Elemente alternativer Konfliktregelungsverfahren (Mediationsverfahren) in das Verwaltungsverfahren selbst zu integrieren. Die prozeduralen Restriktionen soUen sicherstellen, dass die Rechte aller Beteiligten geschiitzt werden und den BeteiHgten ein angemessener und ausgewogener Einfluss auf die - inhaltlich wenig vorbestimmte - Behordenentscheidung gesichert wird. Zugleich sollen sie die Gefahr opportunistischen und insbesondere parteiischen Verhaltens der PF-Behorde beschranken. Gleiches gilt grundsatzlich auch fiir die Moglichkeiten der gerichtlichen (Jberpriifung des Verwaltungshandelns. Diese sollten jedoch - angesichts der weitreichenden diskretionaren Entscheidungsspielraume, die in unserem Vorschlag der Behorde im Hinblick auf den Inhalt ihrer Entscheidung eingeraumt werden weitgehend auf Verfahrensfragen beschrankt und insgesamt gestrafft werden (Abschnitt 4.4.3).
4.4.2
Prozedurale Restriktionen
Bei der Ausgestaltung der Regeln des PFV sollte nicht davon ausgegangen werden, dass unabhangige Behorden (bzw. deren Mitarbeiter) von sich aus immer im Interesse der ihnen vorgegebenen Ziele handeln. Insbesondere wenn unabhan-
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Kapitel4 Leitlinien einer Reform
gige Behorden iiber weite diskretionare Entscheidungsfreiraume verfiigen, ist es wichtig, ihre Anreize zu opportunistischem Verhalten zu begrenzen. Die Begrenzung der Gefahr opportunistischer Entscheidungen der unabhangigen PF-Behorde sollte primar durch die gesetzliche Vorab-Formulierung grundsatzlich einzelfallunabhangiger, substantieller Restriktionen an die Entscheidungsfindung der Behorde und durch die gerichtliche Uberpriifung der Einhaltung dieser Regeln erfolgen. Bei diesen Restriktionen kann es sich um spezifische inhaltliche Beschrankungen und/oder um prozedurale Beschrankungen handeln. Wahrend die Aufgabe der Verfahrensdurchfuhrung - wie oben begriindet - an eine von der Politik so wie von den Verfahrensbeteiligten unabhangige Behorde delegiert werden sollte, obliegt die Formulierung allgemeiner gesetzlicher Vorgaben beziiglich der inhaltlichen und prozeduralen Regeln der Entscheidungsfindung der Politik (LeitUnie 1). Der Gesetzgeber sollte der Behorde per Gesetz eine klar definierte spezifische Zielsetzung und einen klar abgegrenzten, eng definierten Aufgabenbereich zuweisen. Der Aufgabenbereich der Planfeststellungsbehorde sollte - wie bereits in Abschnitt 4.2 (Leitlinie 1) ausgefuhrt wurde - im Wesentlichen auf die Internalisierung der mit dem Investitionsprojekt verbundenen raumlich begrenzten negativen Extemalitaten und die Sicherstellung eines angemessenen Interessenausgleichs zwischen Antragsteller und von Extemalitaten Betroffenen beschrankt werden.^^^ Innerhalb dieses engen Rahmens soUten der Behorde vom Gesetzgeber jedoch weite diskretionare Entscheidungsspielraume hinsichtlich der Erteilung (oder Versagung) einer Genehmigung und der mit dieser verbundenen Kompensationspflichten und Betriebsauflagen eingeraumt werden. Die Behorde sollte das Recht haben, auf der Basis der im PFV eingebrachten Informationen, Interessen und Vorschlage weitgehend diskretionar auf eine breite Palette von okonomischen und ordnungsrechtlichen Instrumenten (Abschnitt 4.5, Leitlinie 4) zuriickzugreifen, um effiziente Investitionsentscheidungen zu befordern und einen Interessenausgleich zwischen den Parteien zu ermoglichen.^^^ Nur wenn die Behorde Uber entsprechend weite Entscheidungsfreiraume verfugt, ist sie in der Lage, im Verfahren von den Beteiligten eingebrachte Informationen, Positionen oder „Probleml6sungsvorschlage" angemessen zu berUcksichtigen und einen angemessenen Interessenausgleich zwischen dem Antragsteller und alien anderen Betroffenen herzustellen.
^^' Zudem hat die Behorde darauf zu achten, dass relevante gesetzliche Vorgaben (z.B. des Baurechts) eingehalten werden. ^^° Eine Ausnahme gilt hier lediglich fiir die individuelle Kompensation besonders stark negativ Betroffener, die gesetzlich vorgeschrieben werden sollte (siehe auch hierzu die Ausfuhrungen zu Leitlinie 4).
4.4 Leitlinie 3
177
Je weniger das inhaltliche Ergebnis des Verfahrens gesetzlich oder politisch vorprogrammiert ist, desto groBer sind die Anfordemngen an gesetzliche Verfahrensvorgaben.^"^^ Fur die Kontrolle der Gefahr opportunistischen Verhaltens der PF-Behorde und allgemeiner ftir die Effizienz ihrer Entscheidung kommt es dann entscheidend auf die Verfahrensvorschriften an, die Art und den Umfang der Beriicksichtigung der gewonnenen Informationen und Standpunkte bestimmen. Dabei ist insbesondere der Gefahr einer einseitigen, ubermaBig starken Beriicksichtigung spezifischer Interessen (z.B. des Flughafenbetreibers) vorzubeugen. Durch geeignete Verfahrensvorschriften ist sicherzustellen, dass alle sachdienlichen Informationen und die (sachbezogenen) Interessen aller Betroffenen vorgebracht werden konnen und bei der Entscheidungsfindung angemessene Beriicksichtigung fmden (oder wenigstens finden konnen). Fiir das Planfeststellungsverfahren sollten somit vergleichsweise strikte - im Grundsatz einzelfallunabhangige - prozedurale Vorgaben gelten. Soweit entsprechende prozedurale Vorgaben dem deutschen Verwaltungsrecht derzeit noch eher fremd sind,^^^ ist eine entsprechende Reform der Verfahrensvorschriften angezeigt. Sowohl Effizienz- als auch Akzeptanzgrlinde verbieten es unserer Ansicht nach, gesetzHche inhaltliche Vorgaben abzuschwachen und diese materiellen Liicken dann durch unstrukturierte informelle Verhandlungen zwischen Behorde und Antragsteller aufzufiillen. Eine starkere Kooperation zwischen Flughafenunternehmen und Behorden, die nicht zugleich mit einer wirksamen Starkung der individuellen Rechte der Anlieger einhergeht, birgt grundsatzlich die Gefahr, dass die Interessen der Anlieger im Endergebnis unzureichend beriicksichtigt werden. Ist die gleichmaBige Reprasentanz der Interessen aller Betroffenen nicht gewahrleistet, so schwacht dies die Behorde, die dann von den Betroffenen nicht mehr als Instanz des Interessenausgleichs akzeptiert wird. Dies hat zur Folge, dass „die Zahl der Gerichtsentscheidungen steigen wird; da jeder Beeintrachtigungen eigener oder offentlicher Interessen einwenden kann und da klageberechtigt derjenige ist, der eine Verletzung eigener Rechte (wie Gesundheit und Eigentum) gel tend machen kann, gibt es genug Moglichkeiten, den Mangel an Interes249 Ygj jiiej-zu aus juristischer Sicht Kunig (1990: 58). AhnHch argumentieren auch FUhr und Lewin (2001). ^^^ „Gesetzesbindung ist [in Deutschland] nur im Einzelfall auch Formenbindung" (Kunig 1990: 52). Vgl. auch Hoffmann-Riem (1990: 14-15), der allerdings darauf hinweist, dass im deutschen Verwaltungsrecht die steuemde Kraft des Verfahrens zunehmend beriicksichtigt wird und auch die gerichthche Verfahrenskontrolle an Bedeutung gewinnt. Insofem wUrden die Unterschiede etwa zum amerikanischen Verwaltungsrechtssystem („... dem das amerikanische Verwaltungsrecht beherrschenden Gedanken des Verfahrens und der Verfahrensrichtigkeit", Steinberg 1990: 303) tendenziell abnehmen. Vgl. zu einer kritischen Beurteilung des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts und einem Vergleich mit dem amerikanischen Gegenstiick auch Rose-Ackerman (1994) und ausfuhrlicher Rose-Ackerman (1995).
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Kapitel4
Leitlinien einer Reform
senausgleich seitens der Behorde durch obstruktive Einwendungen und Klagen zu substituieren - und damit letzten Endes auch Projekte zu verhindern, die an und fur sich genehmigungsfahig waren" (Weise 1999: 57f.). Entsprechend soUte die generelle StoBrichtung der Reform der prozeduralen Regeln auf eine - relativ zum Status quo - erweiterte Beteiligung aller sachlich Interessierten im Planfeststellungsverfahren sowie auf eine Erhohung der Transparenz der Entscheidungsfindung zielen. Dabei soUte die Rolle der Behorde auf die eines neutralen Schiedsrichters mit Entscheidungsbefugnis zugeschnitten werden.^^^ Die Behorde soUte als neutrale Instanz eine Abwagung der vorgebrachten Informationen und berechtigten Interessen vornehmen und (als eine Art Mediator mit Entscheidungskompetenz) einen - unter Einhaltung der relevanten gesetzlichen Vorgaben - bestmoglichen Interessenausgleich zwischen den Betroffenen 251 In der Literatur wurde auch vorgeschlagen, den umgekehrten Weg zu gehen und private Beteiligungs- und Einspruchsmoglichkeiten bei Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren mit dem Ziel der schnelleren und/oder wirksameren Uberwindung von Blockademoglichkeiten betroffener Grundstiickseigentumer oder anderer Opponenten des jeweiligen Projekts zu beschranken. Grundsatzliche Vorschlage in dieser Richtung finden sich etwa bei Ronellenfitsch (1990). Demgegeniiber wamte etwa der Umweltrat, es sei „zu befiirchten, dass eine besonders ,straffe' Durchfuhrung der Verfahren, bei denen wesentliche Gegenargumente ubergangen werden oder vom zeitlichen Ablauf her nicht mehr sorgfaltig erwogen werden konnen, zu einer erheblichen Polarisierung fUhren wird" (SRU 1990: 105). In die gleiche Richtung zielt auch der Hinweis von Werbeck (1993a: 224), dass bei einer derartigen Vorgehensweise, „den Betroffenen vor Ort zwar die Entscheidungsmacht, nicht jedoch die politische Macht genommen werden kann, solche Anlagen zu verhindern oder zumindest zu verzogem". Die gelegentlich geauBerte Befurchtung bzw. Kritik, dass eine breite offentliche Diskussion weniger aufklarerisch und akzeptanzsteigemd als vielmehr polarisierend und akzeptanzmindemd wirken konnte, ist unserer Meinung nach nicht berechtigt. Eine umfassende Beteiligung der Betroffenen tragt u.E. (jedenfalls in Verbindung mit MaBnahmen zur Intemalisiemng negativer Extemalitaten (Leitlinie 4)) ceteris paribus zum Abbau von Widerstand und zu einer Erhohung der Akzeptanz bei (vgl. Frey und Schaltegger (2000) und die dort angegebene Literatur). Prey und Schaltegger (s. insbes. S. 88f) argumentieren - unter Verweis auf konkrete Erfahrungen mit Infrastrukturprojekten (vorwiegend in der Schweiz) -, dass Beteiligung am und Kommunikation im Entscheidungsprozess dazu beitragen konnen, Vertrauen zu schaffen und Konflikte beizulegen bzw. zu reduzieren. Fiir eine umfassende und friihzeitige Information und Beteiligung spricht zudem, dass eine Strategic, die darauf ausgerichtet ist, „keine schlafenden Hunde zu wecken", angesichts langer Planungs- und Realisierungszeitraume, einer groBen Zahl Beteiligter (inklusive der Politik) und der hohen Aufmerksamkeit, die jeder Flughafen(aus)bau in Presse und Offentlichkeit finden wird, ohnehin nicht erfolgreich sein kann. Eine „Geheimhaltung" ist weder sinnvoll noch iiberhaupt moglich; und Widerstand wird kaum geringer dadurch, dass ein Projekt erst von der Presse „aufgedeckt" wird; vielmehr ist es sinnvoll, dass Flughafen (und Behorden) durch friihzeitige, glaubwUrdige und umfassende Information Vertrauen aufbauen (Frey und Schaltegger 2000).
4.4 LeitlinieS
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herbeifiihren. Ihre Aufgabe soUte dabei nicht darin bestehen, spezifische Interessen zu vertreten bzw. ins Verfahren einzubringen. Die RoUe des „Advokaten" spezifischer Interessen ist vielmehr von der des Schiedsrichters zu trennen. Die Vertretung der unterschiedlichen Interessen soUte allein den individuellen und kollektiven, privaten oder auch staatlichen Verfahrensbeteiligten (Prozessparteien) obliegen.^^^ Erweiterte Beteiligungsrechte Eine Begrenzung der RoUe der Behorde auf die eines neutralen Schiedsrichters wird nur dann zu einer Erhohung der Akzeptanz und der Effizienz des Verfahrens fiihren, wenn alien, die in irgendeiner Weise von der Entscheidung betroffen bzw. an dieser sachlich interessiert sind, per Gesetz umfangreiche Beteiligungsrechte eingeraumt werden. Durch die friihzeitige und umfassende Einbeziehung und konstruktive Beteiligung aller Betroffenen (und dariiber hinaus aller Akteure, die uber sachdienliche Informationen verfiigen) werden zusatzliche Informationen liber die tatsachlichen individuellen und gesamtwirtschaftlichen Nutzen und Kosten gewonnen und in den Entscheidungsprozess eingebracht. Dies erleichtert es, im Verfahren Nutzen und Kosten gegeneinander abzuwagen und damit eine Basis fiir den Ausgleich divergierender Interessen und damit zugleich fiir eine groBere Qualitat und Akzeptanz der Entscheidungen herzustellen. Trotz Anhorungs- und Erorterungsverfahren ist die Beteiligung aller Betroffenen bzw. Interessierten im Status quo nicht hinreichend gewahrleistet (Kapitel 3). Zum einen ist der Anhorungstermin derzeit oftmals zu kurz, um neue Informationen tatsachlich ermitteln und verarbeiten zu konnen. Zum anderen erfolgt die Anhorung derzeit in der Regel zu spat, da die inhaltliche Entscheidung zu diesem Zeitpunkt oft im Wesentlichen bereits getroffen ist. Entsprechend sollte das derzeitige Verfahren sowohl hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem die breite Offentlichkeit in das Verfahren involviert ist, als auch hinsichtlich des Umfangs der Verfahrensbeteiligung modifiziert werden.
^^^ Wiirde die PF-Behorde demgegeniiber damit beauftragt, sowohl als neutrale Instanz eine Abwagung der betroffenen Anliegen vorzunehmen und einen Interessenausgleich zwischen den Betroffenen herbeizufiihren als auch als „Advokat" die Interessen der nicht direkt Beteiligten zu vertreten, so wiirde diese Doppelrolle innerhalb der Behorde zu Interessenkollisionen fiihren, und die Gefahr opportunistischen Verhaltens der Behorde wiirde erhoht. Die Anreize der Behorde (in ihrer Rolle als Interessenvertretung), Kosten aufzuwenden, um nach Argumenten gegen das Projekt zu suchen, sind i.d.R. (zu) gering, wenn sie (als „neutrale Instanz") bereits davon ausgeht, dass das Projekt insgesamt vorteilhaft ist. Generell ist es schwierig, einem Agenten gleichzeitig Anreize sowohl zur Suche nach Argumenten fiir als auch nach Argumenten gegen ein bestimmtes Projekt zu geben (Dewatripont und Tirole 1999).
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Kapitel 4
Leitlinien einer Reform
Im Rahmen des Verfahrens soUten grundsatzlich alle sachlich interessierten Parteien Stellung nehmen, Sachverstandige aufbieten, Altemativen vorschlagen und auf weitere aus ihrer Sicht offene Fragen hinweisen konnen. Auch Interessengruppen ist dabei das explizite Recht der Teilnahme am hoheitlichen Genehmigungsverfahren einzuraumen; neben den betroffenen Individuen und Unternehmen selbst soUten also u.a. auch Gemeindevertreter, Umweltverbande, Eigentumerverbande und sonstige Gruppen das Recht haben, Informationen und Interessen in das Entscheidungsverfahren einzubringen.^^^ Steht alien Parteien das Recht offen, Sachverstandige zu laden bzw. deren Stellungnahmen in das Verfahren einzubringen, so konnten sich Sachverstandige starker direkt in den Entscheidungsprozess einbringen, und zwar nicht nur als (scheinbar) neutrale Experten, sondem auch als Advokaten spezifischer Interessen oder Interessengruppen.254 Auch wenn das PFV insbesondere durch die strikte Aufgabenfokussierung und die Entpolitisierung des Verfahrens (Leitlinie 1) tendenziell entlastet wird, ist davon auszugehen, dass die Erweiterung der Beteiligungsrechte aller sachlich Interessieren dazu fiihrt, dass das behordliche PFV, speziell das Anhorungs- und Erorterungsverfahren, in der Regel mehr Zeit in Anspruch nehmen wird als bisher (Abschnitt 4.1). Dies ist angesichts der Vorteile entsprechender Regelun^^^ Dabei ist zu beriicksichtigen, dass inhaltlich offene Verfahren durchaus die Gefahr einer Verstarkung bestehender Machtasymmetrien in sich bergen konnen. Diese konnen ihre Ursache beispielsweise in Trittbrettfahrerproblemen oder schlicht in begrenzten Mitteln einzelner Betroffener haben, etwa wenn es um die Finanzierung eines wissenschaftlichen Gutachtens zu okologischen Folgewirkungen eines Investitionsvorhabens geht. Zu erwagen ist daher, ob der hier verfolgte Ansatz einer Erweiterung der Beteiligungsrechte aller sachlich Interessierten mit einer exphziten Unterstiitzung bestimmter organisationsschwacher Betoffener verbunden werden sollte. Vgl. zu dieser Problematik auch Kunig (1990: 60): „Je mehr die Wahmehmung grundrechtlich geschiitzter Interessen dem Verfahren Uberantwortet ist, desto mehr muss der Staat die Voraussetzungen schaffen, dass dies effektvoll moglich ist. Das konnte so weit gehen, dass der Staat in die Verpflichtung gerat, gleiche Verhandlungschancen erst zu schaffen, Tauschmacht als Voraussetzung des Gelingens von Verhandlungen, aber auch Informationsgleichheit herzustellen." ^^^ Dies entscharft zumindest tendenziell das Problem, dass z.B. einzelnen Stellungnahmen oder Gutachten mangelnde Objektivitat und aufgrund dessen dem gesamtem Verfahren „mangelnde Objektivitat" vorgeworfen wird. Ein derartiges Verfahren erhebt gar nicht den Anspruch, nur „objektive" Gutachten zuzulassen, sondem beriicksichtigt explizit den Umstand, dass auch einzelne Gutachter durchaus ihre eigenen Interessen oder die ihrer Auftraggeber verfolgen. Sicherlich ist es wenig sinnvoll anzunehmen, ausgerechnet Sachverstandige seien immer uneigenniitzig; doch die Offenheit und Transparenz des Verfahrens in Verbindung mit dem Wettbewerb zwischen Sachverstandigen in und auBerhalb des konkreten Verfahrens sowie die Komplementaritat von (auch akademischer) Reputation und Qualitat sachverstandiger Stellungnahmen tragen in diesen Verfahren zu einem qualitativ hohen Niveau der Beratung bei, das dann tatsachlich die Entscheidungsgrundlagen verbessert (Bickenbach et al. 2002: 169).
4.4 Leitlinie 3
181
gen grundsatzlich hinzunehmen. Um ein Ausufern des zeitlichen und finanziellen Rahmens des Verfahrens (sowie der zu verarbeitenden Informationsflut) zu verhindem, ist die Behorde als Leiter des Verfahrens jedoch mit geeigneten Rechten und Ressourcen auszustatten. So sollte sie das Recht haben, das Verfahren inhaltlich nach Themenbereichen zu strukturieren, den einzelnen Beteiligten (inklusive der Gutachter) „angemessene" zeitliche Fristen zu setzen und sachfremde, auBerhalb des Aufgaben- oder Kompetenzbereichs der Behorde fallende Forderungen (Leithnie 1) oder „offensichtlich" irrelevante Darlegungen zu unterbinden. Zu beachten ist, dass eine mogliche Verlangerung des behordlichen PFV nicht notwendig zu einer Verlangerung des Gesamtverfahrens der Planung, Genehmigung und ReaHsierung von Flughafeninfrastrukturprojekten fUhrt, da die erweiterten BeteiHgungsrechte - zusammen mit den anderen Reformelementen - dazu beitragen konnen, die derzeit besonders zeitaufwendigen Gerichtsverfahren erheblich zu verkiirzen (s. unten Abschnitt 4.4.3) und lange „Vorverhandlungen" und separate Mediationsverfahren weitgehend uberflussig zu machen.^^^ Fungiert die Behorde als neutraler Schiedsrichter, so konnen Elemente alternativer Konfliktregelungsverfahren in das Verwaltungsverfahren selbst integriert werden. Zum eigentlichen Verwaltungsverfahren parallel laufende oder diesem vorgeschaltete gesetzlich vorgeschriebene oder behordlich initiierte Mediationsverfahren und zusatzliche staatliche oder staatlich ernannte Mittler werden dadurch Uberflussig. Dies schlieBt nicht aus, dass vom Antragsteller (Flughafen) und/oder von Betroffenengruppen (dezentral) organisierte Mediationsverfahren die hier vorgeschlagene zentrale Mittlerfunktion der Verwaltung sinnvoll erganzen konnen.^^^ Transparenz Umfassende Transparenzpflichten konnen wesentlich dazu beitragen, die Gefahr opportunistischen Verhaltens der Behorde zu begrenzen sowie einen angemes^^^ Zudem kann auch davon ausgegangen werden, dass die im Rahmen von Leitlinie 1 vorgeschlagene Privatisierung der Flughafen zu einer Beschleunigung der unternehmensintemen Entscheidungsablaufe fiihrt. Fur eine Zusammenfassung der zu erwartenden Effekte einer Umsetzung der Reformleitlinien auf die Gesamtdauer der Planung, Entscheidung und ReaHsierung von Flughafeninfrastrukturprojekten vgl. auch Abschnitt 4.1. 2^^ Dezentral („privat") organisierte „Mediationsforen" konnen gemeinsame Stellungnahmen erortem, defmieren und auf transparente Weise in das formelle Verfahren einbringen. Sie konnen so moglicherweise wichtige Hinweise auf gegenseitig vorteilhafte Problemlosungsmoglichkeiten, z.B. auf angemessene Kompensationsregelungen, lief em. A priori spricht wenig dagegen, dass auf diese Weise die moglichen positiven Eigenschaften derzeitiger Mediationsforen auch in die hier vorgeschlagenen, starker prozedural strukturierten PFV eingebracht werden.
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Kapitel 4 Leitlinien einer Reform
senen Einfluss aller Betroffenen sicherzustellen und so Effizienz und Akzeptanz der Entscheidungsverfahren zu erhohen. Sie dienen insbesondere dem Ziel einer Verringerung von Informationsasymmetrien und damit letztiich auch der Erhohung der Verantwortlichkeit der Behorde. Von Bedeutung sind dabei sowohl die Ex-post-Transparenz als auch die prozedurale Transparenz (Neven et al. 1993: 174 ff.). Ex-post-Transparenz - also die nachtragliche Offenlegung der Entscheidung und der Entscheidungsgrundlagen der Behorde - hilft, die Entscheidungen der Genehmigungsbehorde zu kontroUieren und sie erforderlichenfalls gerichtiieh auf Verfahrensfehler uberprufen zu lassen. Wahrend dies eher indirekt dazu beitragt, die Gefahr einer verdeckten einseitigen Einflussnahme zu verringern und eine angemessene Beriicksichtigung der Informationen, Einwande und Interessen aller Beteiligten sicherzustellen, zielt die Erhohung der prozeduralen Transparenz also die Offenlegung von Informationen bereits wahrend des Verfahrens - direkt auf einen Ausgleich asymmetrischer Einflussmoglichkeiten unterschiedlicher Interessengruppen bei der Entscheidungsfindung der Planfeststellungsbehorde. Zur Erhohung der Ex-post-Transparenz des Verfahrens soUte die Behorde verpflichtet werden, die Informationen und Argumentationslinien, die ihren Entscheidungen zugrunde liegen, moglichst vollstandig zu dokumentieren und zu veroffentlichen. In der Entscheidung der Behorde bzw. deren Begriindung sind die Einwande, Vorschlage und sonstigen im Verfahren offenbarten Informationen zu dokumentieren und argumentativ abzuwagen. Dies hilft, Informationsdefizite und -asymmetrien zwischen der Behorde und den Beteiligten sowie der Offentlichkeit zu reduzieren, und erhoht dadurch die Verantwortlichkeit der Behorde. So wird es fur die Beteiligten und die Offentlichkeit einfacher, die Entscheidungen der Behorde nachzuvollziehen und zu kontroUieren; zugleich wird die gerichtliche (Jberpriifung der Entscheidungen bzw. der Verfahrensablaufe erleichtert.2^'7 Um prozedurale Transparenz sicherzustellen, soUten die Stellungnahmen der verschiedenen Beteiligten grundsatzlich schon wahrend des laufenden Verfahrens der Offentlichkeit zuganglich gemacht werden. Gleiches gilt fUr Kommentare zu den jeweiligen Stellungnahmen der einzelnen Akteure, die (in der Regel) ebenfalls zu den Akten gegeben werden soUten, so dass auch sie bereits wahrend des laufenden Verfahrens alien Interessierten zur Verfugung stehen. Die Behorde sollte verpflichtet werden, ihre Entscheidung ausschliefilich auf solche Informationen, Argumente und Stellungnahmen zu griinden, die im Verfahren offengelegt wurden. Auch dies hilft, natiirliche Informationsvorteile einzelner Beteiligter (insbesondere der Flughafengesellschaft) zumindest partiell auszugleichen, in-
257 Ygj ^y^jj Kunig (1990:59). Eine hohe Ex-post-Transparenz hat zugleich Vorteile fiir eine spatere Administration der Entscheidungen (Leitlinie 5).
4.4 LeitlinieS
183
dem die Behorde es auch anderen Beteiligten erlaubt, im Verfahren von dieser Information Gebrauch zu machen und/oder diese zu hinterfragen bzw. zu widerlegen.^^^
4.4.3
Gerichtliche Uberpriifung
Inhaltliche und prozedurale gesetzliche Restriktionen des Verfahrens sind nur dann in der Lage, opportunistisches Verhalten der Genehmigungsbehorde effektiv zu beschranken, wenn die Restriktionen gegebenenfalls auch gegen die Interessen der Behorde und anderer staatlicher Stellen durchgesetzt werden. Hierfur ist eine unabhangige und starke Rechtsprechung erforderlich. Verfahrensbeteihgte, die sich durch die Behorde in ihren - durch die inhaltHchen und prozeduralen gesetzHchen Vorgaben definierten - Rechten verletzt fuhlen, miissen die MogUchkeit haben, ihr AnUegen durch die Verwaltungsgerichte iiberpriifen zu lassen. GrundsatzHch konnen jedoch Einspruchsrechte auf einer spateren Verfahrensstufe ohne rechtsstaatliche Bedenken tendenziell eher beschnitten werden, wenn die zugrunde Hegenden Anliegen bereits auf einer friiheren Stufe vorgebracht werden konnten und berucksichtigt wurden. Weit gefasste BeteiHgungsrechte aller sachhch Interessierten im Verwaltungsverfahren und umfassende Transparenzvorschriften erlauben es, die Bedeutung des anschheBenden Rechtsweges einzugrenzen; wenn bereits in das formelle Verwaltungsverfahren alle Informationen eingebracht werden konnten, die von den Betroffenen fur relevant gehalten werden, und diese ausfuhrlich dokumentiert sind, kann es auf dem Weg der gerichtlichen Oberpriifung weniger (Jberraschungen iiber neu vorgebrachte Informationen geben, und gleichzeitig kann das Recht, im Gerichtsverfahren zusatzliche Informationen einzubringen, beschnitten werden.^^^ ^^^ Uber die genannten Vorteile der Transparenz hinaus kann davon ausgegangen werden, dass oftmals bereits eine bessere und glaubwurdigere Information (beispielsweise der Anlieger) uber die zu erwartenden Auswirkungen einer Flughafenerweiterung durchaus dazu beitragen kann, die Akzeptanz der Verfahren und Ergebnisse zu erhohen. Wenn - wie oben vorgeschlagen - alle Beteiligten berechtigt sind, beispielsweise sachyerstandige Stellungnahmen frlihzeitig in das Verfahren einzubringen, und diese der Offentlichkeit zuganglich gemacht werden, wird moglicherweise bereits dieser Umstand und die dadurch verbesserte Informationslage Widerstande mildem. Erfahrungen mit verschiedenen Infrastrukturprojekten (Frey und Schaltegger 2000: 76f; Oberholzer-Gee et al. 1995) zeigen, dass eine glaubhafte, umfassende und kompetente Information im Fall von Risiken mit geringer Schadenswahrscheinlichkeit, aber groBer Schadenshohe in der Regel zur Reduktion der subjektiv wahrgenommenen Risiken (der Risikoeinschatzung) fiihrt. ^^^ Vgl. auch Kunig (1990: 59): „Mit dem Rechtsschutzanspruch Beteiligter ware es andererseits freilich vereinbar, Praklusionsregelungen zu schaffen, die an die Ver-
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Kapitel 4 Leitlinien einer Reform
Grundsatzlich gilt aber auch, dass ein an den inhaltlichen Ergebnissen orientierter Rechtsschutz umso weniger ausreichend ist, je weniger die Verwaltungsentscheidung determiniert ist (Kunig 1990: 59). Rechtsschutzvorgaben verlangen dann eine starker an den prozeduralen Gesichtspunkten einer Entscheidung orientierte gerichtliche Uberpriifung. Angesichts der weitreichenden diskretionaren Entscheidungsspielraume, die in unserem Vorschlag der Behorde im Hinblick auf den Inhalt ihrer Entscheidung eingeraumt werden, soUte sich die gerichtliche Uberpriifung des Verhaltens der Behorde ohnehin weitgehend auf Verfahrensfragen beschranken.^^^ Im Rahmen der gesetzlich definierten (weiten) inhaltlichen Ermessensspielraume kann es nicht sinnvoll sein, das Ermessen der Behorde durch das Ermessen der Gerichte zu ersetzen bzw. das Letztere dem Ersteren uberzuordnen. Allenfalls geht es darum, Ermessensmissbrauch und schwerwiegende Ermessensfehler zu verhindern. Eine vor allem auf die Wahrung der Verfahrensrechte der Beteiligten ausgerichtete gerichtliche Uberpriifung ist freilich nur dann sinnvoll und in angemessener Zeit durchfiihrbar, wenn der Gesetzgeber klare prozedurale Regeln definiert. Der hier gemachte Vorschlag einer starkeren gesetzlich geregelten prozeduralen Regelbindung und umfassender Transparenzvorschriften ist insofem auch eine mogliche Antwort auf die Frage, wie die gerichtliche (Jberpriifung des Verwaltungshandelns erleichtert bzw. beschleunigt werden kann. Auch aus diesem Grund muss die hier vorgeschlagene Erweiterung der Beteiligungsrechte aller sachlich Interessierten und die damit ceteris paribus verbundene Verlangerung des Anhorungsverfahrens nicht notwendig zu einer Verlangerung des Gesamtverfahrens fiihren; sie kann namlich dazu beitragen, den derzeit besonders zeitaufwendigen Verwaltungsrechtsweg zu verkiirzen bzw. die Gerichtsverfahren in Zahl, Umfang und Dauer zu begrenzen. Da die AnHegen aller Interessierten bereits im PFV vorgebracht werden konnen und von der PFhandlungsteilnahme [hier die Teilnahme am Verwaltungsverfahren] ankniipfen. Was dort vorgebracht werden konnte, muB nicht auch im gerichtlichen Verfahren vorgebracht werden konnen." ^"^ Dies gilt nicht fur die gerichtliche Uberpriifung der Festlegung des Umfangs und der Hohe der aufgrund gesetzlicher Anspriiche festgelegten individuellen Kompensationen besonders stark Betrojfener (Leitlinie 4), bei der die diskretionaren Entscheidungsfreiraume der Behorde deutlich enger begrenzt sein soUten. In Leitlinie 4 wird argumentiert, dass durch negative Externalitaten besonders stark Betroffene einen gesetzlich klar definierten und gerichtlich einklagbaren Anspruch auf individuelle Kompensation erhalten sollten. Fiir einen erweiterten inhaltlichen Rechtsschutz spricht hier - neben den klareren inhaltUchen Vorgaben - vor allem die Tatsache, dass kollektive Entscheidungen - selbst im Fall einer unabhangigen Behorde und weitreichender Beteiligungsrechte - angesichts der asymmetrischen Betroffenheit die Gefahr bergen, dass sich die Mehrheit der weniger stark Betroffenen und der Flughafengesellschaft auf Kosten der Minderheit der besonders stark Betroffenen auf eine fur sie giinstige Regelung einigen (Buchanan und Congleton 1998; siehe auch Abschnitt 2.3 sowie Leitlinie 4, insbesondere Abschnitt 4.5.3).
4A LeitlinieS
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Behorde berucksichtigt werden miissen, konnen Einspruchsrechte auf einer spateren Verfahrensstufe tendenziell reduziert werden. Zum anderen haben die Betroffenen per se geringere Anreize, gegen den PF-Beschluss zu klagen, wenn ihre Interessen bereits im eigentlichen Verfahren berucksichtigt wurden und dort weitgehend effiziente und akzeptable Entscheidungen getroffen wurden. Vor allem aber flihrt eine geringere Bedeutung der Gerichtsverfahren fiir die entgultige inhaltliche Entscheidung - in Verbindung mit der Beschrankung der Moglichkeiten einer politischen Einflussnahme auf die konkrete Verwaltungsentscheidung - dazu, dass Bedeutung und Verbindlichkeit des eigentlichen Verwaltungsverfahrens auch aus Sicht der Beteiligten zunehmen. Eine konstruktive Beteiligung am verwaltungsrechtlichen PFV selbst wird dadurch fur alle Beteiligten lohnender. Statt ihr Verhalten im Verfahren von vomherein auf das spatere verwaltungsrechtliche Klageverfahren und die Verbesserung der dortigen Erfolgsaussichten - oder auf die Starkung politischer Einflussmoglichkeiten - auszurichten, lohnt es nunmehr eher, konstruktiv dazu beizutragen, dass eine effiziente Entscheidung und ein angemessener Interessenausgleich bereits im behordlichen PFV angestrebt und erreicht werden.
4.4.4
Zusammenfassung
Das Planfeststellungsverfahren sollte zu einem offenen, transparenten und vornehmlich prozedural regelgebundenen Verfahren umgestaltet werden. Innerhalb des durch eine klare, enge Aufgabenabgrenzung und Zielsetzung (Leitlinie 1) definierten Rahmens soUten der unabhangigen PF-Behorde weite diskretionare Entscheidungsspielraume hinsichtlich der Erteilung (oder Versagung) einer Genehmigung und der mit dieser gegebenenfalls verbundenen Auflagen eingeraumt werden. Durch eine Reform der prozeduralen Restriktionen der Entscheidungsfindung ist sicherzustellen, dass die Interessen aller Betroffenen vorgebracht werden konnen und bei der Entscheidungsfindung angemessene Beriicksichtigung finden. Die Reform der prozeduralen Regeln sollte auf eine Erweiterung der Beteiligungsrechte und -moglichkeiten aller sachlich Interessierten im PFV und auf eine Erhohung der Transparenz der Entscheidungsfindung zielen. Die Rolle der Behorde sollte auf die eines neutralen Schiedsrichters mit Entscheidungsbefugnis zugeschnitten werden. Dies erlaubt es, Elemente alternativer Konfliktregelungsverfahren in das Verwaltungsverfahren selbst zu integrieren. Im Rahmen des Verfahrens sollten grundsatzlich alle sachlich interessierten Parteien Stellung nehmen, Sachverstandige aufbieten, Alternativen vorschlagen und auf offene Fragen hinweisen konnen. Um ein Ausufem des zeitlichen und finanziellen Rahmens des Verfahrens zu verhindem, ist die Behorde als Leiter
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Kapitel 4 Leitlinien einer Reform
des Verfahrens mit geeigneten Rechten und Ressourcen auszustatten. Die Stellungnahmen und Kommentare der verschiedenen Beteiligten sollten grundsatzlich schon wahrend des laufenden Verfahrens alien Interessierten zuganglich gemacht werden. Die Behorde sollte verpflichtet werden, ihre Entscheidung ausschlieBlich auf solche Informationen, Argumente und Stellungnahmen zu griinden, die im Verfahren offengelegt wurden. Sie sollte verpflichtet werden, die Informationen und Argumentationslinien, die ihren Entscheidungen zugrunde liegen, moglichst voUstandig zu dokumentieren und zu veroffentlichen. Die Verbindlichkeit des behordlichen PF-Beschlusses sollte erhoht werden, indem die Moglichkeiten zur gerichtlichen Uberpriifung des Verwaltungshandelns weitgehend auf Verfahrensfragen beschrankt und insgesamt gestrafft werden.
4.5
Leitlinie 4: Kompensationspflichten, Auflagen und Nutzungsbeschrankungen
4.5.1
Uberblick
Wahrend Leitlinie 3 auf die Erhohung der Effizienz und Akzeptanz der prozeduralen Regeln des Planfeststellungsverfahrens zielt, gilt dies fiir Leitlinie 4 hinsichtlich der inhaltlichen Regeln des Verfahrens. Sie fordert einen klar formulierten Rechtsanspruch auf individuelle Kompensation fur besonders intensive individuelle Belastungen sowie erweiterte Moglichkeiten zur glaubwiirdigen Festlegung von Betriebsauflagen und Nutzungsbeschrankungen. Kompensationen und Abgaben sowie Auflagen und Nutzungsbeschrankungen zielen darauf, dem Flughafenbetreiber, aber auch den Behorden die externen Kosten von Flughafenausbau und -betrieb zu signalisieren und diese entscheidungsrelevant werden zu lassen. Zudem erleichtern sie es, eine als „fair" empfundene Lastenverteilung und damit einen „akzeptablen" Interessenausgleich zwischen dem Betreiber, den Nutzem und den Anwohnern des Flughafens herbeizufiihren. Dabei setzen die erwarteten positiven Allokationseffekte einer Internalisierung der extemen Kosten des Flughafenbetriebs vomehmlich an den gewinnorientierten Entscheidungen des (potentiellen) Flughafenbetreibers an. Dort werden die internalisierten Kosten entscheidungsrelevant und fordem die Realisation volkswirtschaftlich effizienter Ausbau- und Betriebsentscheidungen.^^^ Dies gilt
^"^ Es sei noch einmal daran erinnert, dass dieser Effekt im Fall eines vollstandig privatisierten Flughafens in der Regel groBer sein wird als im Fall eines Flughafens, der sich mehrheitlich in Staatseigentum befmdet (Abschnitt 4.2).
4.5 Leitlinie4
187
im Prinzip sowohl fur die Betriebs- und Ausbauentscheidungen fiir einen bestehenden Rughafen als auch fur die Wahl zwischen alternativen Rughafenstandorten.2^2 Zugleich erhoht eine „faire" Lastenverteilung tendenziell die Akzeptanz der getroffenen Ausbauentscheidungen durch die davon Betroffenen. Grundsatzlich konnen Kompensationen bzw. Abgaben und/oder Auflagen somit dazu beitragen, die mit der Planung und Durchsetzung von Flughafeninfrastrukturinvestitionen verbundenen Transaktionskosten insgesamt zu senken, indem sie eine effiziente Entscheidungsfindung befordern und die Kosten der Durchsetzung senken. Kompensationen und Abgaben auf der einen Seite und Verbote und Auflagen auf der anderen Seite stellen dabei zumindest in gewissen Grenzen Substitute dar. Je mehr auf Kompensationen und Abgaben als Instrumente einer indirekten Verhaltenssteuerung mittels finanzieller Anreize gesetzt werden kann, desto weniger bedarf es einer direkten Verhaltenssteuerung mittels zentral auferlegter Verhaltensvorschriften. Im Folgenden werden zunachst die grundlegenden komparativen Vor- und Nachteile okonomischer und ordnungsrechtlicher Instrumente zur Internalisierung negativer Externalitaten skizziert (Abschnitt 4.5.2). Dabei kann auf die einschlagige umweltokonomische Literatur zuriickgegriffen werden. Vor diesem Hintergrund und unter Beriicksichtigung der Besonderheiten, die sich aus den speziellen Anforderungen eines PFV fiir Flughafeninfrastrukturinvestitionen ergeben, werden anschlieBend die Konsequenzen fiir die angemessene Instrumentenwahl im PFV diskutiert (Abschnitt 4.5.3).
4.5.2
Internalisierung externer Effekte - umweltokonomische Grundlagen
Umweltpolitische Instrumente Bin wirtschaftspolitischer Eingriff, der auf die Internalisierung sonst externer Umweltbelastungen abzielt, kann sich grundsatzlich auf ordnungsrechtliche MaBnahmen und/oder auf okonomische Instrumente stiitzen.
^^^ Nehmen wir zur Illustration an, es gelange, die extemen Effekte hinreichend genau zu quantifizieren und dem Flughafen durch eine entsprechend festgelegte Kompensationsverpflichtung anzulasten. Nehmen wir waiter an, das Projekt werde von einem gewinnorientierten Flughafenuntemehmen trotz der Auferlegung von Kompensationspflichten weiter verfolgt. Dann ist der Fortgang der Planung zumindest ein Indiz fiir die gesamtwirtschaftliche Vorteilhaftigkeit des Projekts. Umgekehrt konnte ein Abbruch der Planung ein Indiz dafiir sein, dass es sich um ein auch gesamtwirtschaftlich eher wenig sinnvolles Projekt handelt.
188
Kapitel4 Leitlinien einer Reform
Im Fall ordnungsrechtlicher MaBnahmen werden den Emittenten direkt umweltbezogene Verhaltensbeschrankungen auferlegt. Solche Restriktionen konnen sowohl die Form von Verboten annehmen, die z.B. die Unterlassung einer Emissionstatigkeit vorschreiben, als auch die Form von Geboten, mit denen die Emittenten auf bestimmte MaBnahmen verpflichtet werden. Bezuglich der instrumentellen Ansatzpunkte kann zwischen Produktauflagen, Technologieauflagen sowie Emissionsauflagen unterschieden werden (Wolf 2003: 303f.). Produktauflagen setzen am Angebot der umweltrelevanten Leistungen an. Im Flughafensektor und bezogen auf den Fluglarm sind sie in Form von Nachtflugbeschrankungen und Begrenzungen der auf einem Landeplatz hochstzulassigen Zahl von Flugbewegungen sowie Vorschriften iiber die von den Flugzeugen zu benutzenden An- und Abflugkorridore im Luftraum gebrauchlich. Bei Technologieauflagen nehmen die umweltpolitischen Entscheidungstrager Einfluss auf die von den Emittenten zu verwendende Produktionstechnologie. Hierunter fallen sowohl eine generelle oder auch tageszeitbezogene Verweigerung von Anfluggenehmigungen fiir besonders laute Flugzeugtypen^^^ als auch die Verpflichtung des Flughafenbetreibers zur Vomahme besonderer Schallschutzinvestitionen in ausgewiesenen Larmschutzzonen. Emissionsauflagen schlieBlich legen fest, welche Hochstmengen von Schadstoffen an einem Flughafen ausgestoBen werden diirfen. Hierzu zahlen insbesondere Fluglarmkontingente, mit denen die hochstzulassigen Spitzen- und Dauerschallbelastungen reguliert werden.^^"^ Im Gegensatz zu ordnungsrechtlichen MaBnahmen bzw. Instrumenten nutzen okonomische Instrumente der Umweltpolitik monetare Anreize zur Verhaltenssteuerung und zur Internalisierung der externen Umwelteffekte bzw. zur Umsetzung vorgegebener Umweltqualitatsziele. Zu diesem Zweck kann der Emittent verpflichtet werden, fiir den von ihm verursachten Schaden eine Kompensation zu leisten, oder die „Umweltnutzung" kann mit einer Abgabe oder Steuer belegt werden.^^^ Wahrend Kompensationen im Prinzip direkt an dem verursachten Schaden ansetzen, kann die Bemessungsgrundlage der Umweltabgaben bzw. -steuem wiederum produkt-, technologic- oder emissionsbezogen gestaltet wer263 EtY^a derjenigen Flugzeugtypen, die nach der ICAO-Larmschutzklassifikation den besonders lautstarken „Chapter I"- und „Chapter ir'-Larmschutzklassen zuzuordnen sind. ^^^ Die verschiedenen Auflagen setzen teilweise auf der Ebene der Luftverkehrsuntemehmen als den unmittelbaren Larmemittenten, teilweise aber auch auf der Ebene der Flughafengesellschaften als den mittelbar fiir die Umweltbelastungen VerantwortUchen an. ^"^ Altemativ konnen handelbare Umweltzertifikate geschaffen werden („Lizenzlosung"). Vgl. hierzu z.B. Heister und Michaelis (1991). Auf diese Alternative wird hier nicht naher eingegangen, da sie im PFV, in dem es ja um die Internalisierung von Extemalitaten geht, bei denen der Flughafen die einzige bzw. die absolut dominante Quelle ist, nicht sinnvoll einsetzbar ist (Abschnitte 4.2.2 und 4.5.3).
4.5 Leitlinie4
189
den. In jedem Fall konnen die Emittenten im Rahmen der ihnen durch die Haftungsregeln bzw. Abgaben vorgegebenen Anreize iiber ihre Anpassungsreaktionen frei entscheiden.-^^^ Okonomische Instrumente verteuem die sonst kostenlose Umweltnutzung, so dass sonst exteme Umweltkosten intemalisiert werden. Kriterien zur Bewertung umweltpolitischer Instrumente Die Frage des optimalen Instrumenteinsatzes wurde in der umweltokonomischen Literatur bereits umfassend diskutiert (z.B. Feess 1995, Michaelis 1996, Weimann 1995). Zur Beurteilung der verschiedenen Instrumente wird dabei eine Reihe unterschiedlicher Kriterien herangezogen. Die meisten dieser Kriterien lassen sich den Oberbegriffen okologische Ejfektivitdt und okonomische Ejfizienz zuordnen (Michaelis 1996, OECD 1994). Als ein weiteres Kriterium wird oftmals die politische und gesellschaftliche Durchsetzbarkeit bzw. die Akzeptanz der Instrumente zur Beurteilung herangezogen. Der Begriff der okologischen Ejfektivitdt bezieht sich dabei auf den Grad der okologischen Zielerreichung, den das jeweilige Instrument erlaubt. Hierzu zahlt insbesondere die okologische Trejfsicherheit, die angibt, wie genau sich ein angestrebtes Umweltziel sowohl unter statischen als auch unter sich wandelnden Rahmenbedingungen realisieren lasst. Der Begriff der okonomischen Ejfizienz bezieht sich dagegen auf die i.e.S. okonomischen Auswirkungen des Instrumenteneinsatzes. Hierzu zahlen (i) die Kosteneffizienz des Instruments^^^, (ii) die Innovationswirkungen, die von dem Instrumenteneinsatz ausgehen^^^, und (iii) die mit den verschiedenen Instrumenten jeweils verbundenen Wettbewerbs- und Strukturwirkungen. Grundsatzlich sind hierbei auch die mit der Implementierung der Instrumente verbundenen Informationsanforderungen und Transaktionskosten (i.e.S.) zu beriicksichtigen, die - obwohl oft vemachlassigt - von erheblicher Bedeutung sein konnen. Exkurs: Allgemeine Diskussion umweltokonomischer Instrumente Allgemein ist die umweltokonomische Instrumentendiskussion durch eine ausgepragte Skepsis gegeniiber ordnungsrechtlichen Instrumenten gepragt. Die um266 ^jg si^k die Reaktion auf geanderte monetare Anreize bzw. Preissignale ausfallt, bleibt also dem wirtschaftHchen Vorteilskalkiil des Einzelnen uberlassen (Heister 1997:66). ^^^ Ein umweltpoHtisches Instrument ist kosteneffizient, wenn das angestrebte umweltpohtische Ziel mit minimalen volkswirtschaftHchen Kosten erreicht wird. ^^^ Zu den Innovationswirkungen eines umweltpolitischen Instruments zahlen insbesondere die Auswirkungen seines Einsatzes auf den technischen Fortschritt.
190
Kapitel4 Leitlinien einer Reform
weltokonomische Kritik hat das Umweltordnungsrecht als i.d.R. okologisch effektiv, aber okonomisch ineffizient qualifiziert: Es sei zwar grundsatzlich geeignet, angestrebte Umweltschutzeffekte zu erreichen, produziere diese aber in aller Regel zu uberhohten Kosten. Auch wenn diese Kritik oft iiberzogen wirkt und auf stark vereinfachten Lehrbuchmodellen mit sehr speziellen Annahmen beruht - und in der Umweltokonomie zunehmend differenziertere Beurteilungen an Boden gewinnen -, so hat sie doch als „Tendenzaussage" eine gewisse Giiltigkeit.269 Okologische Treffsicherheit Die Implementierung des volkswirtschaftlich optimalen Niveaus der Umweltbelastungen erfordert eine monetare Bewertung der verursachten Umweltschaden. Dies ist in aller Regel mit groBen Schwierigkeiten verbunden, so dass in der Praxis regelmaBig mit politisch vorgegebenen Umweltstandards operiert werden muss, die durch den Einsatz der Umweltinstrumente erreicht werden soUen (Heister 1997: 67). Die Wahl der einzusetzenden umweltpolitischen Instrumente hat dann so zu erfolgen, dass die vorgegebenen Standards moglichst genau und moglichst kostengiinstig erreicht werden. Im AUgemeinen ist die okologische Treffsicherheit ordnungsrechtlicher Instrumente hoch. Ist das Umweltziel in Emissionseinheiten defmiert, so ist die direkte Beschrankung der Emissionen grundsatzlich das Instrument mit der hochsten okologischen Treffsicherheit.-^^^ Die okologische Treffsicherheit von Abgaben- und Kompensationslosungen ist im Vergleich dazu in der Regel eher gering. Da sich die Untemehmen am Ausgleich von Abgabe und Grenzvermeidungskosten orientieren, wird eine Fehleinschatzung der aggregierten Grenzkostenfunktion auch zu einer Abweichung der wirklichen von der erwarteten bzw. angestrebten Umweltqualitat fiihren. Dem politischen Planer ist der Umfang der Anpassungsreaktionen der Wirtschaftssubjekte im Vornhinein nicht bekannt. Auch eine nachtragliche Anpassung der Abgabenhohe lost das Problem allenfalls bedingt: sie fUhrt bei den Betroffenen zu Unsicherheit, Fehlinvestitionen und Verzogerungen, und sie muss scheitern, wenn sich die Rahmenbedin269 Vgl. zur Diskussion SRU (2002: 125, Tz. 190), 2^^ Allerdings ist auch hier die konkrete Ausgestaltung der Emissionsbegrenzung zu beachten (vgl. Weimann 1995: 260). Ist das Umweltziel beispielsweise in Gesamtlarmemissionseinheiten definiert, so ist die okologische Treffsicherheit einer direkten Beschrankung der Gesamtlarmemissionen des Flughafenbetriebs offensichtlieh hoher als die einer Beschrankung der Larmemissionen pro Flugbewegung. Allgemeiner gilt: Auflagen wirken zwar „direkt" auf die jeweils adressierte „Gr66e", aber nicht unbedingt direkt auf den Umfang der Emissionen (oder gar Immissionen). So fiihrt eine Auflage bezUglich der einzusetzenden Technik nur sehr indirekt auf die Emissionsmenge - allerdings immer noch direkter als an der eingesetzten Technik ankniipfende Abgaben bzw. Steuem.
4.5 Leitlinie4
191
gungen schneller andem, als der Abgabensatz angepasst werden kann. „Eine indirekte Steuerung der Umweltnutzung durch Abgaben oder Steuem ist deshalb vorwiegend nur dort einsetzbar, wo es auf die exakte Ansteuerung einer vorbestimmten Umweltqualitat (z.B. kritische Immissionsschwellen) nicht ankommt" (Heister 1997: 69). Damit ist sie zur Abwehr konkreter Gefahren fiir Leib und Leben in der Regel nicht geeignet. Einschrankend ist allerdings hervorzuheben, dass die hohere Treffsicherheit (bzw. der geringere Informationsbedarf) keineswegs bedeutet, dass die Auflagenlosung zwingend „naher am ,okologischen Optimum' liegt, denn dieses hangt ja gerade von den Vermeidungskosten ab, so daB die bei der Auflagenlosung treffsicher erreichte Umweltqualitat keineswegs die richtige sein mu6" (Feess 1995: 62).271,272 Kosteneffizienz Ein wesentlicher Kritikpunkt, der in der Literatur regelmaBig gegen den umweltpolitischen Einsatz ordnungsrechtlicher Instrumente - wie beispielsweise Emissionsbegrenzungen - vorgebracht wird, besteht darin, dass die vorgegebenen Umweltstandards i.d.R. nicht mit den geringstmoglichen Kosten erreicht werden.^^^ Anders bei okonomischen Instrumenten: Sie haben eine kostensensible Steuerungswirkung, da verschiedene Emittenten dezentrale Anpassungen ihrer Produktions- und Emissionsentscheidungen vornehmen. Wird von alien Emittenten pro Emissionseinheit eine gleich hohe (lineare) Emissionsabgabe erhoben, so fiihrt dies bei unterschiedlichen Vermeidungskosten zu differenzierten Anpassungsreaktionen der Emittenten. Untemehmen mit gunstigerer Vermeidungskostenstruktur werden ihre Emissionen starker vermindem als solche mit hoheren Vermeidungskosten.^^^ Dadurch wird der angestrebte Umweltqualitatsstandard insgesamt mit minimalen volkswirtschaftlichen Kosten erreicht.
^^^ Das okonomische Instrument handelbarer Umweltzertifikate weist im Gegensatz zu anderen okonomischen Instrumenten der Umweltpolitik eine hohe okologische Treffsicherheit auf (Heister und Michaelis 1991). ^'^ Anders als im Auflagenfall und anders als im Fall linearer Abgaben bzw. Steuem (z.B. Abgabe = Emissionsmenge x Abgabe pro Emissionseinheit), bei der die Implementierung der optimalen Emissionsmenge die Kenntnis der (Grenz-)Vermeidungskosten (im Optimum) erfordert, verlangt ein Kompensationsansatz zur Implementierung des optimalen Emissionsniveaus grundsatzlich keine Kenntnis der (Grenz-)Vermeidungskosten des bzw. der Untemehmen. ^^^ Dabei wird modellhaft unterstellt, dass mehrere relevante Emittenten existieren und ordnungsrechtliche Emissionsbegrenzungen jedem von ihnen gleiche Emissionsminderungspflichten auferlegen und damit unabhangig von den standort- und anlagenspezifischen Grenzkosten der Emissionsminderung eingreifen (SRU 2002: 125, Tz. 191). '^^^ Alle Emittenten vermindem ihre Emissionen gerade so weit, dass die Grenzvermeidungskosten dem konstanten Abgabensatz (Grenzabgaben) entsprechen.
192
Kapitel4 Leitlinien einer Reform
Der Sachverstandigenrat fur Umweltfragen (SRU 2002: 125f., Tz, 191) hebt allerdings hervor, dass diese Feststellungen zwar generell zutreffen, jedoch nicht zu der Feststellung berechtigen, dass okonomische Instrumente prinzipiell effizienter sind als ordnungsrechtliche. So sei das Ordnungsrecht in der Praxis oft viel differenzierter als unterstellt und oft sehr wohl kostensensibel.^^^ Zudem ist zu beachten, dass die Nachteile von ordnungsrechtlichen Instrumenten in Form hoherer Vermeidungskosten dann eine geringere RoUe spielen, wenn nur ein Emittent existiert oder Emissionsreduktionen verschiedener Emittenten aufgrund kleinraumiger Belastungsschwerpunkte („hot spots") nicht als Substitute angesehen werden konnen. Eine Auflagenpolitik ist insofern umso eher angebracht, je starker das Erfordemis nach anlagenspezifischen Regulierungen ist (Weimann 1995: 263).2'76 Die bisherige Argumentation ist in ihrer Aussagefahigkeit zudem dadurch beschrankt, dass sie sich nur auf die auf der Betreiberseite ausgelosten Investitionsund Betriebskosten fiir Schadstoffvermeidung bezieht, wahrend sie die mit der Implementierung der Instrumente verbundenen Transaktionskosten (i.e.S.) vernachlassigt. Okonomische Instrumente ebenso wie ordnungsrechtliche Instrumente miissen institutionalisiert und angewendet werden. Die damit verbundenen Transaktionskosten werden leicht unterschatzt, sind jedoch von immenser Bedeutung (so auch SRU 2002: 126, Tz. 194). Sowohl bei den Emittenten selbst als auch bei der iiberwachenden Behorde entstehen im Falle okonomischer Instrumente oftmals hohere Mess- und Uberwachungskosten als im Falle ordnungsrechtlicher Instrumente, deren Einhaltung oft durch einmalige oder stichprobenartige Uberprlifungen gewahrleistet werden kann (Michaelis 1996: 47; SRU 2002: 126, Tz. 194). Die oft postulierte Uberlegenheit okonomischer Instrumente, die aus deren vermuteter Kosteneffizienz abgeleitet wird, kann sich also in der Praxis nur dann einstellen, wenn die auf gesamtwirtschaftlicher Ebene eingesparten Vermeidungskosten hoher sind als die zusatzlich verursachten direkten Transaktionskosten (Michaelis 1996: 47).
^^^ Uberhohte Vermeidungskosten im Rahmen des Ordnungsrechts konnten theoretisch vermieden werden, wenn den einzelnen Emittenten individuelle, an ihren jeweihgen Kostenstrukturen orientierte Emissionsnormen auferlegt wUrden. Tatsachlich ist eine gewisse Differenzierung von Emissionsnormen (etwa nach Industrien oder Anlagenalter) in der Praxis zu beobachten. Allerdings sind einer Politik individuell-differenzierter Emissionsnormen angesichts der in der Praxis haufig anzutreffenden Vielzahl und Heterogenitat von Emissionsquellen und der damit verbundenen Informationsprobleme bezuglich der einzelwirtschaftlichen Vermeidungskosten faktisch meist recht enge Grenzen gesetzt (Michaelis 1996: 45). ^^^ Oder je geringer die Unterschiede in den Grenzkosten der Schadstoffvermeidung unterschiedlicher Emittenten sind.
4.5 Leitlinie4
193
Innovationsanreize Bei der Bewertung umweltokonomischer Instrumente kommt deren dynamischer Anreizwirkung - d.h. insbesondere den von ihnen ausgehenden Anreizen zur Entwicklung und Implementiemng technischer Innovationen - eine besondere Bedeutung zu. Der okonomisch effiziente Umweltzustand hangt von den (Grenz-) Vermeidungskosten und damit vom „Stand der Technik" ab. Da dieser letztlich daruber entscheidet, welehe Umweltqualitat sich eine Gesellschaft „leisten" kann, muss die Umweltpolitik vor allem darum bemiiht sein, Anreize fiir die Entwicklung neuer, besserer Umwelttechnologien zu schaffen (Weimann 1995: 237). Die umfassenderen Wirkungen auf den umwelttechnischen Fortschritt gehen im AUgemeinen von okonomischen Instrumenten aus, da die Kostenbelastung auf die verbleibenden Restemissionen einen permanenten Anreiz bietet, nach weitergehenden Moglichkeiten der Emissionsminderung zu suchen (Michaelis 1996: 48). Eine Senkung der Grenz vermeidungskosten durch den Einsatz verbesserter Technologien hat somit gleich in zweierlei Hinsicht kostensenkende Wirkung. Zum einen konnen die vor Einfuhrung der neuen Technologie realisierten Vermeidungsmengen nunmehr zu geringeren Gesamtkosten erreicht werden. Zum anderen kann durch Ausweitung der Emissionsvermeidung die auf emittierte Schadstoffe zu entrichtende Steuer gesenkt werden, so dass sich per saldo eine zusatzliche Kostenentlastung in Hohe der Differenz zwischen Grenzvermeidungskosten und Steuersatz ergibt (Weimann 1995: 238). Dagegen entstehen den Emittenten bei Anwendung von Emissionsauflagen keinerlei Kosten durch die verbleibenden (zulassigen) Restemissionen, so dass sich der Innovationsanreiz auf solche Verfahren beschrankt, die eine Erfullung der geforderten Norm zu geringeren Kosten ermoglichen. Investitionen in die Entwicklung von iiber die Norm hinausgehenden Vermeidungsverfahren sind insofem betriebswirtschaftlich unrentabel, da den Aufwendungen fiir das einzelne Unternehmen keine Kostenerspamisse oder Ertrage gegentiberstehen.^^^ Allerdings ist „die verbreitete Annahme, das Ordnungsrecht wirke innovationsfeindlich oder jedenfalls nicht innovationsfordernd ... in dieser AUgemeinheit nicht richtig" (SRU 2002: 126, Tz, 196). Auch wenn das Ordnungsrecht keinen eigenstandigen UbererfUllungsanreiz setzt, konnen ordnungsrechtliche Vorgaben technische Innovationen beispielsweise dadurch auslosen, dass sie fiir einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt Standards setzen, die iiber den gegenwartigen Stand der Technik hinausgehen.^^^ ^^^ Innovationsfordernd wirkt also hier nur das Interesse, die Kosten der Einhaltung ordnungsrechthcher Standards zu senken. Die Einfiihrung von Verfahren, die den technischen Fortschritt zur Senkung der Grenzvermeidungskosten nutzen, fuhrt unmittelbar zu einer Kostenentlastung, das vorgeschriebene Emissionsniveau kann zu geringeren Gesamtkosten realisiert werden (SRU 2002: 125, Tz, 191). ^^^ Zudem sind Innovationen bei Grenzwerten oft Voraussetzung fiir einen neuen Markteintritt oder fiir eine Angebotsausweitung etablierter Anbieter.
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Kapitel4 Leitlinien einer Reform
Sofem der Gesetzgeber allerdings die Umweltstandards regelmaBig an den „Stand der Technik" anpasst und entsprechend Emissionsnormen dem technischen Fortschritt entsprechend verscharft, tritt ein innovationshemmender Faktor ein, der haufig mit der Metapher „Schweigekartell der Oberingenieure" (Bonus 1981) umschrieben wird: Anlagenbetreiber haben einen Anreiz, die wahren technischen Moglichkeiten der Emissionsvermeidung gegeniiber den staatlichen Instanzen zu verschleiern, um so zu verhindem, dass diese zum verbindlich anzuwendenden „Stand der Technik" erklart werden. Dariiber hinaus „birgt jede Entwicklung neuer Vermeidungstechnologien die Gefahr, dass der Gesetzgeber mit einer Verscharfung der Anforderungen nach dem „Stand der Technik" reagiert" (Michaelis 1996: 49). Dadurch wird der Anreiz zur Entwicklung und An wendung neuer Vermeidungstechniken gehemmt. Insgesamt zeigt sich, dass die Anpassung und Fortschreibung einmal erlassener Auflagen oft nur schwer so zu gestalten ist, dass wirkungsvolle Anreize zu umweltschonendem technischem Fortschritt bestehen. Aber auch Abgaben sind hinsichtlich der Anreize zu technischem Fortschritt und zu spezifischen Investitionen nicht frei von entsprechenden Problemen. Bei Umweltabgaben und -steuem besteht das Problem, dass die Unsicherheiten iiber die optimale Abgabenhohe oft nur in einem Trial-and-error-Prozess verringert werden konnen. Daraus resultieren Planungsunsicherheiten, die als Regulierungsrisiko auch auf die Innovations- und Investitionsbereitschaft der Unternehmen durchschlagen konnen. Akzeptanz Die betriebswirtschaftlichen Kosten okonomischer Instrumente (Steuern, Kompensationen) bestehen fUr das emittierende Unternehmen, anders als bei Umweltauflagen (z.B. Emissionsgrenzen), nicht nur aus den Vermeidungskosten, sondem zusatzlich aus der Abgabenlast auf nicht vermiedene Emissionen. Wahrend die genehmigten Emissionen im Auflagenfall kostenfrei sind, wird bei Steuer- oder Abgabenlosungen (und mit Einschrankungen auch bei Kompensationslosungen) flir jede emittierte Einheit (bzw. fur jede iiber einen bestimmten „Freibetrag" hinausgehende Einheit) eine Abgabe bzw. Steuer fallig. Dies kann dazu ftihren, dass den Unternehmen bei okonomischen Instrumenten (unter Beriicksichtigung der Zahlungen an die offentliche Hand oder die zu kompensierenden privaten Akteure) hohere Kosten entstehen als bei einer Auflagenlosung.^^^ Oftmals Ziehen die Unternehmen daher ordnungsrechtliche MaBnahmen den okonomischen Instrumenten der Umweltpolitik vor (Feess 1995: 61).^^^ ^^^ Dies muss nicht sein, falls beispielsweise im Fall mehrerer Emittenten der Effizienzgewinn durch den Ausgleich der Grenzkosten der verschiedenen Unternehmen schlieBlich auch dem Untemehmenssektor zugute kommt. ^^^ Dies gilt insbesondere dann, wenn Preislosungen nicht als Ersatz, sondem erganzend zu Auflagen verwendet werden oder in Bereichen eingefiihrt werden, in denen es (noch) gar keine ordnungsrechtlichen Regelungen gibt (Feess 1995: 64).
4.5 Leitlinie4
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Aber nicht nur Unternehmen und ihre Interessenverbande lehnen okonomische Instrumente oftmals ab und bevorzugen Auflagenlosungen. Trotz einer sich in den letzten Jahren tendenziell positiv entwickelnden Beurteilung von Abgaben und Steuem in der Fachoffentlichkeit erscheint weiten Teilen der Bevolkerung die Verscharfung von Standards und die immer neue Einflihrung von Ge- und Verboten als wirksamste Form der Umweltpolitik. Einem GroBteil der Wahler ist die Wirkungsweise okonomischer Instrumente nicht plausibel. Ihr Einsatz sieht sich dem Vorwurf eines Ausverkaufs der Umwelt ausgesetzt und wird schon deshalb als ungerecht eingeschatzt, weil rechtlich geduldete Umweltverschmutzungen von der Zahlungsfahigkeit der betroffenen Unternehmen oder Individuen abhangen (Feess 1995: 64, Heister 1997: 75).^^^ Entsprechend haben Ge- und Verbote aus Sicht des Umweltpolitikers oft eine starkere politische Symbolwirkung als marktwirtschaftliche Instrumente. Zwischenfazit Als Zwischenfazit ist festzuhalten, dass unterschiedliche okonomische und ordnungsrechtliche Instrumente der Umweltpolitik jeweils spezifische Vor- und Nachteile aufweisen. Eine pauschale Bevorzugung entweder ordnungsrechtlicher Oder okonomischer Instrumente ist unangemessen. Ob fur einen bestimmten Einsatzbereich ordnungsrechtliche oder okonomische Instrumente die groBeren Vorteile versprechen, „kann nur aufgrund einer genauen Analyse der jeweiligen Anreiz- und sonstigen Rahmenbedingungen einschlieBlich der Kontroll-, Durchsetzungs- und sonstigen Transaktionskosten, festgestellt werden. In vielen Fallen wird sich ein policy mix, der geschickt die Starken und Schwachen unterschiedlicher Instrumente kombiniert bzw. ausgleicht, als die giinstigste Option erweisen ..." (SRU 2002: 127, Tz. 197). Dabei sind okonomische Instrumente und ordnungsrechtliche Instrumente zumindest in bestimmten Bereichen und Grenzen substitutiv. Je besser die Anlastung von externen Kosten durch okonomische Instrumente wie Kompensations- und Abgabenpflichten gelingt und je mehr deshalb auf eine indirekte Verhaltenssteuerung iiber finanzielle Anreize gesetzt werden kann, umso geringer ist der Bedarf an einer direkten Verhaltenssteuerung durch ordnungsrechtliche Instrumente. Und umso eher kann dann auch im Bereich der Umweltregulierung auf zentral auferlegte Verhaltensvorschriften verzichtet und auf die dezentralen Produktions- und Investitionsentscheidungen der Wirtschaftssubjekte vertraut werden. Die Bestimmung des jeweils angemessenen Instrumentenmix erfordert allerdings eine genaue Analyse der konkreten
^^^ Selbst wenn diese Probleme moglicherweise „zwar in den Kopfen der Kritiker, aber nicht wirklich existieren", durfen sie hier dennoch nicht vemachlassigt werden, „weil eingebildete Probleme fur die politische Durchsetzbarkeit oft genauso wichtig sind wie echte Schwierigkeiten" (Feess 1995: 40).
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Kapitel4 Leitlinien einer Reform
Situation unter Beriicksichtigung von Informationsproblemen, Transaktionskosten und Akzeptanzproblemen.
4.5.3
Besonderheiten im Flughafenbereich und ihre Konsequenzen
Eine auf den „FlughafenfaU" bezogene voUstandige Diskussion und Bewertung der verschiedenen Instrumente anhand der unterschiedlichen Kriterien kann hier nicht geleistet werden. Die folgende Diskussion ist insofern notwendig selektiv. In ihr soil vor allem auf Besonderheiten gegenliber der allgemeinen umweltpolitischen Instrumentendiskussion eingegangen werden, die sich aus den besonderen Aufgaben des und Anforderungen an das Planfeststellungsverfahren fur Flughafenausbauvorhaben ergeben. Auf zwei relevante Besonderheiten wurde bereits im Rahmen der Diskussion von Leitlinie 1 (Abschnitt 4.2) eingegangen. Es handelt sich dabei (i) um das spezielle Verhaltnis von Luftverkehrsunternehmen als den unmittelbaren Larmund Schadstoffemittenten und den Flughafengesellschaften als den mittelbar fur die Umweltbelastungen Verantwortlichen. Und es handelt sich (ii) um die Tatsache, dass der Flughafen bzw. -betrieb fur einen Teil der von ihm ausgehenden Extemalitaten - insbesondere fiir die Larmbelastung im naheren Umfeld des Flughafens - die absolut dominante Quelle ist, wahrend er fiir andere Extemalitaten - insbesondere fur die mit der Emission von klimarelevanten Gasen verbundenen Effekte und (in geringeren Umfang) fiir mogliche Beschaftigungs- und Wachstumseffekte „nur" eine von vielen relevanten Quellen ist. Im Rahmen der Diskussion von Leitlinie 1 (Abschnitt 4.2) spielen diese Besonderheiten eine wichtige Rolle bei der Begriindung der dort geforderten engen Abgrenzung der Aufgaben der PFV. Es wurde dort gefolgert, dass es hinsichtlich der Intemalisierung extemer Effekte des Flughafenbaus bzw. -betriebs im PFV nur um die im naheren Umfeld des Flughafens raumlich konzentriert auftretenden negativen Extemalitaten, z.B. in Form von Umweltbelastungen und Sicherheitsgefahren, gehen sollte und dass der Flughafenbetreiber (und nicht die Flughafennutzer) der alleinige Adressat ordnungsrechtlicher oder okonomischer Instrumente zur Intemalisierung dieser Extemalitaten sein sollte. Die Umsetzung der an das Rughafenuntemehmen adressierten Instmmente in Beschrankungen bzw. Anreize fiir die Flughafennutzer kann Vereinbamngen zwischen Flughafenbetreiber und -nutzem uberlassen bleiben.^^^ Damit liegt quasi der umweltpoliti282
Zieht man den Flughafenbetreiber als Adressat von Auflagen und/oder Abgaben heran, so ist aus wettbewerbspoHtischer Sicht sicherzustellen, dass die „Weitergabe" an die Fluggesellschaften „diskriminierungsfrei" erfolgt. Dies sollte jedoch nicht Aufgabe des Planfeststellungsverfahrens sein, sondem einer von dieser organisatorisch zu trennenden Wettbewerbsaufsicht (Leitlinien 1 und 2).
4.5 Leitlinie4
197
sche Spezialfall eines einzigen dominanten Emittenten vor. Dies senkt die Transaktionskosten der Intemalisierung und reduziert mogliche Effizienz- bzw. Implementierungsprobleme, insbesondere auch diejenigen der ordnungsrechtlichen Instrumente. Die folgende Instrumentendiskussion beschrankt sich weitgehend auf diesen Fall.-^^^ Diskutiert werden zentrale Aspekte der Frage nach dem angemessenen Mix von Kompensationen, Abgaben bzw. Steuem und ordnungsrechtlichen Instrumenten.^^^ Eine weitere Besonderheit des hier betrachteten Falls gegeniiber der allgemeinen umweltokonomischen Instrumentendiskussion stellt (iii) die ausgesprochen groBe Bedeutung von Akzeptanzproblemen dar, die sich aus der NIMBYEigenschaft der Flughafen und den (auch) daraus resultierenden Problemen der gegenwartigen Genehmigungspraxis ergeben. Daneben ist schlieBlich noch (iv) die mit Hohe, Langlebigkeit und Spezifitat von Flughafeninvestitionen verbundene besondere Bedeutung von „Governance-Fragen" als Besonderheit zu beriicksichtigen. Entsprechend werden Fragen bzw. Problemen der Akzeptanz und der Governance unterschiedlicher umweltpolitischer Instrumente bei der folgenden Instrumentendiskussion besondere Bedeutung beigemessen. (Auf Fragen der Governance wird zudem im Rahmen von Leitlinie 5 noch einmal vertieft eingegangen.) Um Missverstandnissen vorzubeugen, seien der folgenden Instrumentendiskussion hier noch einige weitere Anmerkungen zu den Konsequenzen der NIMBYEigenschaft von Flughafeninfrastrukturanlagen fur die Funktion von Kompensationen, Abgaben und Auflagen vorangestellt: Die Charakterisierung von Flughafeninfrastrukturprojekten als NIMBY-Guter impliziert nicht, dass fiir ein bestimmtes Flughafenprojekt von vornherein bekannt ist, dass die Realisierung des Projekts fur die im weiteren Flughafenumfeld wohnende Bevolkerung insgesamt mit hoheren Kosten als Nutzen verbunden ist (oder umgekehrt). Tatsachlich soil die Umsetzung der Reformleitlinien dazu beitragen, in jedem Einzelfall die hierfur notwendige Information erst zu gewinnen (und entscheidungsrelevant werden zu lassen). Fur die folgende Argumentation ist auch nicht entscheidend, ob in einem noch engeren Umfeld des Flughafens jeder Anwohner einen negativen Nettonutzen ^^^ Die folgende Argumentation bezieht sich somit im Allgemeinen nicht auf weit streuende bzw. nicht in Flughafennahe konzentrierte Extemalitaten wie z.B. die Emission klimawirksamer Abgase wahrend des Plugs zwischen zwei Flughafen. ^^^ Bei Letzteren wird jedoch nicht systematisch auf die relativen Vorteile unterschiedUcher ordnungsrechtlicher Instrumente wie Auflagen zu Investitionen in aktive oder passive SchallschutzmaBnahmen, Emissionskontingente oder Beschrankungen bezUglich der Nutzung (z.B. beschranktes Nachtflugverbot oder die Festlegung einer maximalen Zahl der Rugbewegungen) oder eines zukunftigen weiteren Ausbaus des Flughafens eingegangen.
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Kapitel4 Leitlinien einer Reform
aus dem Projekt zieht. Entscheidend fiir die Argumentation ist allein die (wohl unbestrittene) Tatsache, dass externe Nutzen und Kosten, die durch ein Flughafenprojekt generiert werden, geografisch und vor allem auch interpersonell ungleich verteilt sind und dass speziell unter den unmittelbaren Anliegern des Flughafens einige individuelle Akteure sind, deren Nettonutzen selbst im Falle eines gesamtwirtschaftlich sinnvoUen Infrastrukturprojekts ohne Kompensation (deutlich) negativ ware.^^^ Fiir die Diskussion von Akzeptanz- und Anreizeffekten ist es unserer Meinung nach zwingend, individuelle Nutzen und Kosten zu betrachten.^^^ Anders als vielleicht im Fall der „BANANA-Gegner" werden sowohl die meisten Anwohner als auch eine privatisierte Flughafengesellschaft die Entscheidung iiber Befiirwortung oder Ablehnung eines Infrastrukturvorhabens primar vom erwarteten eigenen, individuellen Nettonutzen abhangig machen. Die tatsachliche - oder in einigen Fallen vielleicht auch nur subjektiv empfundene - Schlechterstellung einiger von negativen Externalitaten besonders Betroffener ist eine zentrale Quelle fiir den Wider stand gegen entsprechende Projekte und die damit verbundenen Verzogerungen. Aus dieser „individualistischen" Sichtweise folgt unmittelbar, dass es nicht sinnvoll ware, (1) eine moglicherweise sinnvolle finanzielle Forderung des Flughafens (Leitlinie 1) in Form reduzierter Kompensationsverpflichtungen vorzunehmen oder (2) den Rughafen aus den relevanten Zahlungsstromen herauszuhalten und Kompensationen von Anwohnern direkt von der offentlichen Hand leisten zu lassen. Es ist unmittelbar einsichtig, dass Ersteres kaum geeignet ware, die Akzeptanz des Projekts durch die dann nicht kompensierten Anwohner zu erhohen, und dass der Flughafen im zweiten Fall keine hinreichenden Anreize zur Reduktion der entsprechenden negativen Externalitaten hatte, so dass aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sowohl die tatsachlich entstehenden negativen Externalitaten als auch - in unmittelbarer Folge - die zu zahlenden Kompensationen „zu hoch" waren. Komparative Vor- und Nachteile individueller Kompensation Fiir die Anreize bzw. die Entscheidungen des Flughafenbetreibers spielt es grundsatzlich keine RoUe, ob dessen Zahlung bei gegebener Hohe als Kompensation direkt an die „geschadigten" Individuen oder in Form einer zweckgebundenen ^^^ Dies ist selbst bei groBziigiger Gewichtung der unsicheren Arbeitsplatz- und Einkommenseffekte eines solchen Projekts sicherlich der Fall. ^°" Es ist also nicht sinnvoll, die Bevolkerung als eine Einheit oder als homogene Gruppe zu betrachten; auch eine Einteilung in zwei Gruppen (Nettogewinner und Nettoverlierer) ist - trotz ihrer Bedeutung fiir die NIMBY-Charakterisierung - hier nicht ausreichend.
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Abgabe oder einer ungebundenen Steuer an die offentliche Hand flieBt. Anders ist dies natiirlich auf der Empfangerseite: Aus Sicht der Anwohner ist die Wahl zwischen individueller Kompensation oder Abgaben bzw. Steuem von zentralem Interesse; bei ihnen hat sie erhebliche Effizienz- und Akzeptanzfolgen. Obgleich wir oben die Flughafengesellschaft als alleinigen Adressaten zur Korrektur der Extemalitaten bezeichnet haben, sollte in diesem Zusammenhang die von Coase (1960) betonte bilaterale Natur der Extemalitat in Form der Nutzungsrivalitat von Anwohnern und Flughafen nicht vollig auBer Acht gelassen werden: Die Extemalitat beruht auf einer Nutzungskonkurrenz. Aus Riicksicht auf die Anwohner auferlegte Restriktionen hinsichtlich der Larmemissionen oder Kompensationspflichten stellen aus Sicht des Flughafenbetreibers und der Nutzer ebenso eine „Beeintrachtigung" dar, wie es die Larmemissionen des Flughafens aus Sicht der Anwohner tun. Ohne Anwohner, die Larm als storend empfinden, stellten die Larmemissionen des Flughafens kein Problem dar - es existierte gar keine Extemalitat. Zwar mag diese Sichtweise im Fall des Flughafens zunachst als weitgehend akademisch erscheinen. Sie wird aber gleichwohl relevant, wenn man beachtet, dass auch auf Seiten der Anwohner u.U. umfangreiche Investitionen getatigt werden konnen. Im AUgemeinen bedingen Extemalitaten aufgrund ihrer bilateralen Natur Gefahren fur die Effizienz der Investitions- und Produktionsentscheidungen auf beiden Seiten. Angewandt auf den Fall der Flughafenanlagen sind somit die Effekte auf die Anreize sowohl des Flughafenunternehmens (Ausbau, Larmschutz etc.) als auch auf die der aktuellen und potentiellen Anwohner zu beachten. Die Anreize der Anwohner, gesellschaftlich effizient zu handeln und ihrerseits Belastungen fiir den Flughafen (soweit gesamtwirtschaftlich sinnvoll) zu verringern, werden durch die Gewahmng von Kompensationen gemindert. Wenn das Flughafenunternehmen beispielsweise dazu verpflichtet wird, Hauser in der Flughafenumgebung mit Schallschutzfenstern nachzuriisten, senkt das zwar tendenziell die negativen Auswirkungen des Flughafenausbaus auf die Anwohner. Gleichzeitig dampft es die Anreize der Anwohner, in weniger larmbelastete Zonen zu Ziehen, selbst wenn dies volkswirtschaftlich mit insgesamt geringeren Kosten verbunden ware. Eine - unabhangig vom Verhalten des Geschadigten gewahrte - vollstandige individuelle Kompensation macht alle Anreize zur Schadensvermeidung bzw. -reduktion auf Seiten des Geschadigten zunichte. Statt Anreize zu setzen, dem Schaden in volkswirtschaftlich sinnvoller Art und Weise zumindest partiell auszuweichen, verringem Kompensationen derartige Ausweichreaktionen. Im Fall ubermaBig hoher Kompensationen konnte sogar der Fall eintreten, dass ein Zuzug in die belasteten Gebiete stattfmdet. Uberdies wiirden die Anlieger bei ihren Investitionsentscheidungen - volkswirtschaftlich betrachtet - zu wenig Riicksicht auf das „Risiko" weiterer Flughafenerweiterungen nehmen.
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Um erstbeste Anreize auf beiden Seiten sicherzustellen, miissten dem Flughafen Kosten entsprechend den extemen Effekten angelastet werden; die Anwohner dUrften jedoch keine entsprechende Zahlungen erhalten. Insoweit ware es besser, die Verursacher extemer Effekte mit Steuern zu belegen, die in den allgemeinen Staatshaushalt fliefien (Pigou-Steuem). Den Anwohnem miissten ihrerseits Kosten in Hohe der von ihnen auf den Rughafen ausgehenden „Externalitat" angelastet werden.^^^ Auch hier diirften die entsprechenden Zahlungen jedoch nicht an das Flughafenunternehmen geleistet werden. Generell gilt: Falls die Anwohner in ihren Investitionsentscheidungen „vor Ort" auf den Erhalt von Kompensationen eher elastisch reagieren, verstarkt dies tendenziell das Argument gegen Kompensationslosungen und fUr Abgaben und/oder Auflagen. AUerdings vemachlassigt eine derartige Argumentation Akzeptanz- und damit Durchsetzungsprobleme vollstandig. Die praktische Relevanz des hier diskutierten Einwandes gegen Kompensationsansatze soUte deshalb nicht iiberschatzt werden. Kompensationen haben eben nicht allein die Aufgabe, Anreize auf der „Verursacherseite" extemer Effekte zu korrigieren. Sie dienen vielmehr auch dazu, die Akzeptanz und hierauf basierend die Gesamteffizienz des Verfahrens zu verbessem. Reine Abgaben- oder Steuerlosungen stellen unter diesem Aspekt, jedenfalls im Fall erheblicher Beeintrachtigungen bzw. Schadigungen einzelner Personen, keine erfolgversprechende Alternative zu Kompensationen dar. Eine Moglichkeit, das Problem kontraproduktiver Anreize von Kompensationen auf Seiten jetziger oder potentieller kiinftiger Anwohner jedenfalls fur zukUnftige Kapazitatserweiterungs- oder -nutzungsentscheidungen zu entscharfen, besteht darin, zumindest im naheren Umfeld des (geplanten) Flughafens Siedlungsbeschrankungen und Beschrankungen wertsteigernder Investitionen an Immobilien zu erlassen und unzulassige Veranderungen von Kompensationspflichten auszunehmen.^^^ Individuell bemessene Kompensationen sind u.E. - trotz der mit ihnen u.U. verbundenen Anreizprobleme und noch zu diskutierender Messprobleme - in jenen Fallen zwingend angezeigt, in denen Personen oder Unternehmen im Umfeld des Flughafens besonders stark durch negative Externalitaten geschadigt bzw. beeintrachtigt werden und in denen zugleich wenigstens grobe Anhaltspunkte fur die Schadenshohe ermittelt werden konnen. Daher sollten individuelle Kompensationen beispielsweise bei notwendig werdenden Enteignungen von Immobilienbesitz zwingend vorgeschrieben sein - wie
^^^ Die von dem Flughafen zu tragenden „Extemalitatenkosten" entsprechen dem Gewinn des Flughafens ohne LarmschutzmaBnahmen minus dem Gewinn des Flughafens bei gesamtwirtschaftlich effizienten LarmschutzmaBnahmen. 288 Ygj jj^ diesem Zusammenhang die derzeitige Regelung des § 8a LuftVG („Veranderungssperre"). Siehe auch die Diskussion in SRU (2002: 278ff).
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dies ja auch heute schon der Fall ist. Marktpreise fiir vergleichbare Objekte liefern hier Anhaltspunkte fiir angemessene Kompensationen. Auch im Fall besonders starker Beeintrachtigungen bzw. Schadigungen einzelner Anwohner durch Larm, Abgase oder Risiken soUte auf eine individuelle Schadensermittlung und -kompensation nicht verzichtet werden. Auch hier spricht wie im Fall einer Enteignung einiges dafiir, besonders stark betroffenen Anwohnem einen gesetzlich Oder per einzelfallunabhangiger Rechtsverordnung definierten und gerichtlich einklagbaren individuellen Rechtsanspruch auf individuelle Kompensationen in „angemessener Hohe" einzuraumen: • Die besondere Belastung insbesondere der Anwohner im unmittelbaren Umfeld des Flughafens ist eine der wesentlichen Ursachen fiir den ausgepragten Widerstand gegen Flughafeninfrastrukturvorhaben. Eine individuelle Kompensation zumindest fiir besonders starke Beeintrachtigungen und Schadigungen diirfte dazu beitragen, diesen Widerstand zu reduzieren. Ein Rechtsanspruch auf entsprechende Kompensationen kann helfen, die empirisch in einigen Fallen zu beobachtenden Akzeptanzprobleme von Kompensationslosungen zu reduzieren.^^^
^^^ Einige empirische Indizien deuten darauf hin, dass Kompensationslosungen mit Akzeptanzproblemen einhergehen konnen, die iiber die normalerweise von Okonomen erwarteten Probleme strategischen Verhaltens (s.u.) hinausgehen. Prey et al. (1996) erklaren die empirisch beobachtbaren Akzeptanzprobleme von Kompensationsansatzen mit einem Bestechungseffekt („bribe"-Effekt) und einem Verdrangungseffekt („crowding out pubhc spirit"-Effekt). Der Bestechungseffekt beruht auf der Abneigung der in Frage kommenden Begiinstigten gegen den Vorwurf, bestochen worden zu sein und das „Gemeinwohr' oder auch „die Umwelt" zu verkaufen. Der psychologische Verdrangungseffekt beruht darauf, dass durch das Angebot von Geld fur die Zustimmung zu einem unerwiinschten Projekt die evtl. vorhandene, von Geld unabhangige so genannte intrinsische Motivation zu einem individuellen Opfer fiir die Gesellschaft zerstort wird (Frey 1997a: 7ff, 1997c). Diese Effekte konnen dazu fuhren, dass die Zustimmungsraten bei Einfiihrung einer individuellen monetaren Kompensation kurzfristig sogar sinken (vgl. auch Frey und Oberholzer-Gee 1997 sowie Kunreuther und Easterling 1990). Frey et al. (1996) weisen aber darauf hin, dass jedenfalls in der langen Frist ein entgegengesetzter Effekt eintreten kann, wenn die Kompensationsmechanismen adaquat ausgestaltet sind. Es kann grundsatzlich davon ausgegangen werden, dass Kompensationen eher akzeptiert werden, wenn sie als individuelle Leistungen ausgestaltet werden und nicht als kollektive Kompensationen bzw. Abgaben etwa an die betroffenen Gemeinden (Frey und Schaltegger 2000: 15). Kollektive Kompensationen sind aus Sicht der Betroffenen ein offentliches Gut, Moralische Argumente, dieses Angebot abzulehnen, sind einladend, da man hoffen kann, dass sich die anderen fiir die Annahme der Kompensation entscheiden, wahrend man selbst durch eine Ablehnung „moralisch sauber" dasteht. In diesem Fall wiirde man (als Teil des Kollektivs) von der Abgabe profitieren, zugleich jedoch nicht das „Image der Bestechlichkeit" tragen. Falls die Abgabenzahlung abgelehnt wiirde, triige das gesamte Kollektiv die Folge des entgangenen Gewinns. Wenn Kompensationszahlungen nicht als KoUektivgut der Gemeinde, sondem als privates Gut direkt den einzelnen Betroffenen angeboten werden, verandem sich die
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• Ein gesetzlich moglichst klar definierter Rechtsanspruch auf individuelle Kompensation kann dazu beitragen, die Genehmigungsverfahren zu entlasten, da er private Einigungen zwischen Flughafenbetreibem und Anwohnem erleichtert. Haben die Betroffenen einen klaren Rechtsanspruch, so erhoht dies die Chancen, dass sich Flughafenbetreiber und Betroffene freiwillig und dezentral auf beiderseits akzeptable Entschadigungszahlungen einigen. • Fiir einen gesetzlich definierten und gerichtUch einklagbaren Anspruch auf individuelle Kompensation der besonders stark Betroffenen spricht auch die Tatsache, dass kollektive Entscheidungen - selbst wenn sie von einer unabhangigen Behorde getroffen werden - angesichts der asymmetrischen Kostenverteilung die Gefahr bergen, dass sich die Mehrheit der weniger stark Betroffenen und der Flughafenbetreiber auf Kosten der Minderheit der stark Betroffenen auf eine fiir sie giinstige Regelung einigen (Buchanan und Congleton 1998). Grundsatzlich konnen die Diskussion und Entscheidung dariiber, wer zu den besonders stark Betroffenen zahlt, strategisches Verhalten und Konflikte verstarken Oder gar erst hervorrufen. Das Verwaltungsverfahren und die Gerichte wurden entlastet, wenn fur die Entscheidung, wer zu den besonders stark Betroffenen gehort und infolgedessen einen Anspruch auf individuelle Kompensation hat, eine moglichst klare gesetzliche Grundlage existierte. Eine entsprechende gesetzliche Grundlage oder eine darauf gegrtindete Verordnung soUte also nicht nur unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten - wie es im derzeitigen LuftVG der Fall ist, das sehr allgemein von „Gefahren und Nachteilen" spricht - , sondern
Anreize. Die Entscheidung iiber die Annahme der Kompensation wird zu einer Entscheidung, die fiir den Einzelnen mit hohen finanziellen Konsequenzen verbunden ist. „Moralisch" motivierte Entscheidungen haben nun eine direkte finanzielle Konsequenz fiir den Einzelnen. „Wegen der hohen Opportunitatskosten, die das moralische Verhalten den Betroffenen aufburdet, beginnen diese langfristig Argumente zu suchen, weshalb die Akzeptanz von Abgeltungen zu rechtfertigen ist" (Prey und Schaltegger 2000: 85). Grundsatzlich wird die Akzeptanz von Kompensationen auch hoher sein, wenn ein (individueller) Rechtsanspruch auf Kompensation besteht und Zahlungen nicht nur „freiwillig" geleistet werden. Der Vorwurf, sich kaufen zu lassen Oder das „Gemeinwohl zu verkaufen" (der Bestechungseffekt), wird durch einen klar definierten Rechtsanspruch auf Kompensation deutlich entscharft. Die „moralischen Kosten" konnen zudem durch eine Substitution monetarer Kompensation durch Sachleistungen begrenzt werden. Sachleistungen verursachen oft geringere moralische Kosten; dies ist vor allem dann der Fall, wenn sie als „Wiedergutmachung" fUr den verursachten Schaden bzw. als Reparaturleistung aufgefasst werden, d.h., wenn der Zusammenhang zwischen entstandenem Schaden und der Sachleistung offenkundig ist. Sachleistungen werden in der Okonomie im Prinzip als ineffizient betrachtet, da sie anders als monetare Abgeltungen beim Empfanger „Kosten des Umtauschs" verursachen. In der Infrastrukturpolitik sind mogliche moralische Kosten jedoch als zusatzlicher Kostenfaktor monetarer Abgeltungen zu beriicksichtigen (Prey und Schaltegger 2000: 84).
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moglichst konkrete Tatbestandsmerkmale, bei deren Vorliegen davon auszugehen ist, dass eine besonders starke Betroffenheit vorliegt. Hierbei ist insbesondere an „angemessene" Grenzwerte fiir Larmimmissionen zu denken.^^^ Konkrete gesetzliche Regelungen wiirden zu mehr Rechtsklarheit beziiglich der Rechte und Ansprliche der Betroffenen fiihren und die Zahl der gerichtlichen Auseinandersetzungen reduzieren (SRU 2002: 281, sowie Abschnitt 3.1). Eine individuelle Kompensation fur „erlittene" negative Externalitaten erscheint allerdings nicht in jedem Fall notwendig oder auch nur sinnvoll. Abgaben bzw. Steuem oder auch Auflagen scheinen in den Fallen iiberlegen, in denen sehr weit gestreute und erst in der Summe - nicht jedoch in Bezug auf einzelne Betroffene - „erhebliche" Schaden auftreten. Beispiele hierfiir sind (Umwelt-) Externalitaten, die iiber die Zone der intensivsten Belastungen in den Anliegergebieten hinausreichen. Dabei ist zum einen der Fall der noch regional eingrenzbaren Belastungen zu nennen, also etwa der generell erhohte Larmpegel und die lokal erhohten Schadstoffemissionen in denjenigen Gemeinden oder Gemeindeteilen, die im weiteren Flughafenumfeld liegen. Grundsatzlich gilt dies zum anderen auch fiir den Fall iiberregional wirksamer Belastungen, etwa fiir die globalen Auswirkungen der Schadstoffemissionen des Flugverkehrs, die allerdings ohnehin nicht Gegenstand des Genehmigungsverfahrens sein soUten (vgl. auch Leitlinie 1). Problematisch ware eine individuelle Kompensation vor allem aber auch dort, wo Personen allein in ihren „subjektiven Wertvorstellungen" betroffen sind, beispielsweise weil sie als Umweltschutzinteressierte entschiedene Luftverkehrsgegner sind und eine BANANA-Position einnehmen. In diesem Fall wiirde auch durch administrativ auferlegte Kompensationen kaum eine Chance auf eine erhohte Akzeptanz bestehen. Sofem die negativen Effekte zwar regional begrenzt sind, die Schaden jedoch nicht schon fiir den einzelnen Betroffenen, sondem erst in der Summe iiber eine groBe Zahl Betroffener „erheblich" sind, sprechen verschiedene Griinde fiir einen Verzicht auf individuelle Kompensation, nicht aber fiir einen generellen Verzicht auf eine Internalisierung der externen Kosten: • Angesichts der geringen individuellen Schadenshohen diirften Akzeptanzprobleme und Gerechtigkeitsiiberlegungen einem Verzicht auf individuelle Kompensationen nicht grundsatzlich entgegenstehen. • Die Transaktionskosten der Ermittlung und Abrechnung angemessener, individueller Kompensationen waren in diesem Fall auBerordentlich hoch.
290 Ygj i^j- einen entsprechenden Vorschlag und zu den ImpHkationen der Larmwirkungsforschung fiir die Frage nach den angemessenen (Larm-)Grenzwerten SRU (2002: TZ 609).
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• Die Vielzahl der in ahnlicher Weise Betroffenen erhoht tendenziell die Funktionalitat „kollektiver Entscheidungsprozesse" und mindert die Gefahr einer Ausbeutung der Minderheit durch die Mehrheit. Informations- bzw. Messprobleme Grundsatzlich stoBt jeder Versuch, die externen Kosten des Flughafenbetriebs zu intemalisieren, unabhangig von dem gewahlten Instrument auf das Problem der Schadensmessung.-^^^ Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich die Informationsanforderungen hinsichtlich der festzustellenden Schadenshohe fiir die verschiedenen Instrumente systematisch unterscheiden. Im Falle einer individuellen Kompensation der Geschadigten sind die Informations- und Messprobleme, die sich bei der Bestimmung der durch die negativen Externalitaten verursachten Schadenshohe ergeben, besonders hoch, da (i) die Anreize der Anwohner, den von ihnen jeweils individuell erlittenen Schaden aus strategischen Griinden zu ubertreiben, erheblich sind und (ii) im Fall individueller Kompensation nicht nur die Gesamtschadenshohe beziffert werden muss, sondem auch die individuellen Schadenshohen der einzelnen zu kompensierenden Akteure. (Ad i) Sofem die Anwohner und/oder die Flughafengesellschaft Einfluss auf die Festlegung der Kompensationshohe nehmen konnen, haben sie einen Anreiz, sich bei der Bereitstellung der notwendigen Information strategisch zu verhalten. Dies birgt - angesichts asymmetrischer Information - erhebliche Effizienzgefahren. Personen, die grundsatzlich bereit sind, einem Infrastrukturausbau zuzustimmen, soweit sie dadurch keinen personlichen Nachteil erleiden, werden durch eine strategische Ubertreibung ihrer Schaden versuchen, den groBtmoglichen Vorteil in Form groBtmoglicher Kompensationen zu erlangen. Dies gilt sowohl fiir tatsachlich Geschadigte als auch flir solche Akteure, die zwar gar nicht betroffen sind, denen es aber gelingt, eine Schadigung vorzutauschen. Ihr Handlungsspielraum wird dabei zwar dadurch begrenzt, dass der Vorhabentrager ab einer gewissen Hohe der insgesamt zu zahlenden Kompensationen auf sein Bauvorhaben verzichten wird und sie als Konsequenz gar keine Kompensationen erhalten. Aufgrund asymmetrischer Information iiber die maximale Zahlungsbereitschaft des Flughafenunternehmens und die Schadenshohen bzw. die Forderungen der anderen Betroffenen kann es in „privaten" Verhandlungen iiber die Hohe der Kompensationen allerdings leicht dazu kommen, dass die InfrastrukturmaBnahme nicht realisiert wird, obwohl sie volkswirtschaftlich sinnvoll
^^^ Im Regelfall diirften die Informationsanforderungen cincv perfekten Messung prohibitiv hoch sein. Allerdings sind die Kosten nicht isoliert vom Nutzen zu sehen. Oft kann bereits eine iiberschlagige Quantifizierung der aggregierten externen Wirkungen soviel „Intemalisierungsnutzen" versprechen, dass dies die Kosten der Intemalisierung (inklusive „moglicher Nebenwirkungen") ubersteigt (Tegner 1996: 19|
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ist. Diese Gefahr wird durch BANANA-Opponenten noch verstarkt: Die Moglichkeit, Konipensationen einzufordem, kann im Prinzip auch von den grundsatziichen Gegnem des Infrastrukturvorhabens strategisch genutzt werden. Sie konnen versuchen, die Kompensationszahlungen so hoch „zu schrauben", dass sich die Bereitstellung zusatzlicher Infrastrukturkapazitiit fiir den Flughafen gar nicht mehr lohnt (Werbeck 1993a). Entsprechende Informationsprobleme sind eine wesentliche Ursache dafUr, dass freiwillige Verhandlungen im Fall von Flughafenausbauentscheidungen zu extrem hohen, i.d.R, sogar prohibitiven Transaktionskosten fiihren wUrden (Abschnitt 2.2). Ein durch eine unabhangige Behorde durchgefuhrtes hoheitliches PFV ist geeignet, diese Kosten zu reduzieren, indem es zum Abbau von Information sasymmetri en beitragt und Grenzen fiir die zu leistenden Kompensationen festsetzt; voliig beseitigen kann es diese Kosten freilich nicht. Die Probleme und Kosten einer strategischen Ubertreibung der individuellen Schadigungen durch die Betroffenen lassen sich auch dadurch reduzieren, dass fiir nicht besonders stark Betroffene auf monetare Kompensationen verzichtet wird und zur Internalisierung der Extemalitalen stattdessen Nutzungsbeschrankungen oder physische Kompensationen - etwa in Form eines Einbaus von Schailschutzfenstern - verwendet werden. Da nicht negativ Betroffene von diesen MaBnahmen nicht oder zumindest nur in geringerem Umfang profitieren, haben sie in diesem Fall keinen bzw. einen verminderten Anreiz, Betroffenheit „vorzutauschen".^^^ {Ad ii) Auf der Seite der Anwohner konnen jedoch nicht nur in der Summe zu niedrig oder auch zu hoch bemessene Kompensationen zu Akzeptanzproblemen fiihren, sondem bereit.s eine Unterkompensation oder auch eine Uberkompensation einzelner Betroffener. Zwar mogen sich die unmittelbaren Empfanger Uber die Kompensationen freuen und ihre ansonsten bestehende Widerstandsposition im speziellen Fall raumen. Indem sie Neid{„me-too")-Effekte schiirt bzw. Gerechtigkeitsvorstellungen verletzt, kann aber eine Uber-/Unterkompen.sation Einzelner die Akzeptanz von Kompensationsansatzen generell verringem. Kompensationen fiir Larmemissionen werden in der Regel jedoch nicht voll auf die verursachten individuellen Schaden oder NutzeneinbuBen zu konditionieren sein. Vielmehr wird es sich bei diesen Entschadigungen regelmaBig nur uni „pauschalierte" Zahjungen handeln konnen, die eine Funktion der zu ertragenden ^^^ Dies ist bei individueller monetarer Kompensation ganz andcrs. Indem entsprechende Kompensationen den Anwohnem Anrcize setzen, ihre individuelle Betroffenheit zu „ubertreiben", belasten sie das PFV moglicherwcise erheblich. Allgenieiner gilt, dass diskrctionare Freiraume der Behorde bezuglich der Instrumcntenwahl (oder deren konkreter Ausgestaitung) zu einer Erhohung der Moglichkeiten und Anreize zu strategi.schem Verhalten im PFV fiihren. Zuglelch erweitem sie allerdings auch die Moglichkeiten der PFV, durch geeignete Instrumcntenwahl zur Konfliktibsung beizutragen.
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Larmimmission sind.^^^ Dies impliziert jedoch, dass die individuell erhaltenen Kompensationen die interpersonell unterschiedliche Betroffenheit nicht voll reflektieren. Die hieraus unvermeidlich resultierenden interpersonellen tJberund Unterkompensationen bergen, wie bereits angemerkt, die Gefahr einer Senkung der Akzeptanz von Genehmigungsentscheidungen. Die Ermittlung angemessener individueller Kompensationen durch die Verwaltung oder die Gerichte wird also in der Regel mit (sehr) hohen partiellen Transaktionskosten verbunden sein. Diese Kosten schlieBen die Verwendung des Instruments individueller Kompensationen freilich nicht per se aus. Auch hier soUten diese partiell hohen Transaktionskosten mit Blick auf den moglichen Effizienzgewinn insgesamt beurteilt werden. Dieser ist dann erheblich, wenn zu erwarten steht, dass individuelle Kompensationen die Akzeptanz der Entscheidungen des PFV bzw. des Verfahrens selbst wesentlich erhohen. Dies diirfte im Hinblick auf die Kompensation der besonders stark Betroffenen der Fall sein. Mogliche Vorteile von Auflagen Es wird in der Regel sinnvoll sein, bei der Intemalisierung der externen Effekte eines Flughafenausbaus und -betriebs und bei der Herstellung eines Interessenausgleichs zwischen dem Vorhabentrager und den Anwohnem sowie allgemein der Offentlichkeit nicht allein auf okonomische Instrumente wie individuelle Kompensationen und Abgaben zu setzen, sondern diese durch ordnungsrechtliche Instrumente, die direkt am Ziel einer technischen Schadensbegrenzung ansetzen, zu erganzen und partiell zu substituieren. Beispiele sind die Verkniipfung der Genehmigung einer Flughafenerweiterung mit Auflagen hinsichtlich Investitionen in aktive oder passive SchallschutzmaBnahmen, mit Emissionsobergrenzen oder mit Beschrankungen bezuglich der Nutzung (beschranktes Nachtflugverbot, Festlegung einer maximalen Zahl der Flugbewegungen) und/oder des zukiinftigen weiteren Ausbaus des Flughafens. Verschiedene Griinde konnen gerade im Rahmen der Genehmigungsverfahren bei Flughafeninfrastrukturvorhaben fiir eine Verwendung entsprechender ordnungsrechtlicher Instrumente sprechen:^^^ • Angesichts der mangelnden Akzeptanz, auf die eine ausschlieBliche Verwendung okonomischer Instrumente sowohl bei vielen Burgern („Ausverkauf der Umwelt") als auch moglicherweise beim Flughafenbetreiber („Kosten") im^^^ Wobei eine Vielzahl von Korrekturfaktoren (HaushaltsgroBe, GrundstiicksgroBe, Nutzung des Grundstiicks etc.) vorstellbar ist. ^^^ Zusatzlich zu den hier genannten Argumenten sei in diesem Zusammenhang noch einmal an obige Begriindung von Siedlungsbeschrankungen erinnert.
4.5 UitlinieA
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mer noch stoBt (Abschnitt 4.5.2), konnen Auflagen helfen, einen weithin akzeptierten Ausgleich zwischen den Interessen des Flughafenbetreibers und denen der Anwohner zu erreichen. Sie konnen ein fiir das Flughafenuntemehmen evtl. kostengiinstigerer und ein fiir alle Betroffenen subjektiv vorteilhafterer Weg zur Uberwindung von Widerstand sein als Abgaben. Dies gilt vor allem im Fall von Flughafenerweiterungen. Wahrend bei ausschlieBlicher Verwendung von Auflagen im Fall des Neubaus eines Flughafens in der Regel nicht verhindert warden kann, dass die meisten unmittelbaren Anwohner^^^ schlechter gestellt werden als ohne Neubau, ist dies beim Ausbau eines bestehenden Flughafens zumindest prinzipiell durchaus moglich, da bier die Moglichkeit besteht, im Zusammenhang mil der Erweiterung bestimmte Auflagen zu verscharfen („Ausbaii gegen Nachtflugverbot"). Im Fall eines Rughafenneubaus wird eine Losung der Akzeptanzproblematik durch eine isolierte Auflagenpolitik ohne Kompensationen kaum zu erreichen sein. Unabhangig etwa von der Frage, ob durch Genehmigungsauflagen weitgehende Nachtflugbeschrankungen etabliert werden, sind die unmittelbaren Anlieger vom Bau und Betrieb eines neuen Flughafens in der Regel iiberwiegend negativ betroffen. Entsprechend werden die potentiellen direkten Anlieger eines neuen Flughafens in der Regel jeder Neubauentscheidung erheblichen Widerstand entgegensetzen, solange sie keine Kompensationsleistungen erhalten. Im Fall von ErweiterungsmaBnahmen ist es hingegen durchaus denkbar, dass eine reine Auflagenlosung die Akzeptanzproblematik entscheidend entscharfen kann. Eine Entscheidungsverkniipfung der Art, dass die Erlaubnis einer Flughafenerweiterung mit zusatzlichen Betriebsbeschrankungen gekoppelt wird, konnte die Anlieger und auch den Flughafenbetreiber im Ergebnis besser stellen als im Status quo. Es kann daher im gegenseitigen Interesse liegen, Betriebsbeschrankungen bzw. -auflagen dafiir zu nutzen, eine weitgehend konsensuale Losung zu unterstiitzen, ohne da.s.s Kompensationen in Form von Geld oder Sachleistungen vereinbart werden miissen. Angesichts der im Allgemeinen hoheren okologischen Treffsicherheit von Auflagen ist es geboten, zumindest dort, wo es urn die Abwehr konkreter Gefahren fiir die Gesundheit oder das Leben von Personen geht, ordnungsrechtliche Instrumente zu verwenden. Das Ziel der Gefahrenabwehr kann insbesondere Sicherheitsstandards fur das einge.setzte Fluggerat und fiir den Betrieb des Flughafens begriinden. Zwar mag die Wahrscheinlichkeit etwa eines Flugzeugabsturzes im Umfeld des Flughafens eher gering sein und insofem der Erwartungswert von Schaden ebenfalls niedrig sein. Den von einem Absturz ^^^ Ausnahmen bilden allein diejenigen Anwohner, deren Beschaftigungs- und Einkommenssitualion sich etwa iiber eine Anstellung beim FJughafen deutlich verbessert. Und selbst diese werden dies aufgrund der Unsieherheii entsprechender Effekte ex ante in der Regel kaum realisieren.
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potentiell betroffenen Anwohnem ware allerdings mit den vor dem Schadenseintritt gezahlten Kompensationen in Hohe der erwarteten Schaden wenig geholfen, da dieser deutlich unter dem Schadenswert im Fall eines Unfalls liegen wird.^^^ • Probleme der Erfassung und monetaren Bewertung der Schaden konnen einen „Standardansatz" rechtfertigen; dies gilt insbesondere bei der monetaren Bewertung der extemen Kosten, die bei den weniger stark Betroffenen anfallen. Im PFV wurde dann zunachst ein Umweltstandard - etwa ein bestimmter Emissionsgrenzwert - festgelegt, der dann durch eine geeignete Instrumentenwahl zu implementieren ist (Abschnitt 4.5.2).-^^^ Fur okonomische Instrumente zur Implementierung eines vorgegebenen Standards spricht im allgemeinen Fall die hohere okonomische Effizienz in Form statischer Kostenvorteile und dynamischer Innovationsanreize, die mit dem Einsatz dieser Instrumente verbunden sind. Zumindest das Argument groBerer Kosteneffizienz verliert aber im hier betrachteten Fall an Bedeutung, da im PFV allein der Flughafen Adressat von Auflagen oder Abgaben ist.^^^ Hieraus folgt - wie oben bereits ausgefuhrt -, dass Auflagen gegeniiber dem Flughafen eher eine sinnvolle Instrumentenwahl darstellen als in vielen anderen Umwelt- bzw. Extemalitatenproblemen. • Die Implementierung und Durchsetzung von Auflagen kann mit geringeren direkten Transaktionskosten insbesondere in Form geringerer Mess- und Durchsetzungskosten verbunden sein als die Verwendung von Abgaben und individuellen Kompensationen. Insbesondere weisen Auflagen den Vorteil auf, dass oft automatisch diejenigen am meisten profitieren, die ohne die Beschrankung am meisten unter negativen Externalitaten leiden wurden. Sie umgehen insoweit das Problem der Nicht-Messbarkeit individueller Schaden und Beeintrachtigungen und dienen zugleich einer Senkung interpersoneller Verteilungskonflikte und der daraus resultierenden Akzeptanzprobleme. ^^" Auch die oben mit der Begrenzung der Fehlanreize der (potentiellen) Anwohner begriindeten Siedlungsbeschrankungen konnen zusatzlich mit dem Ziel der Gefahrenabwehr begriindet werden. ^^^ Die Umwelteffekte, die vom (Aus)Bau eines Flughafens bzw. von dessen Nutzung ausgehen, konnen hinsichtlich der DurchfUhrbarkeit einer monetaren Bewertung Starke Unterschiede aufweisen. Dies bezieht sich sowohl (i) auf die Ermittlung etwa der tatsachlichen Schadstoffemissionen als auch (ii) auf die Schadenshohe, so denn ein Schaden eintritt, und schlieBlich (iii) auch auf die Wahrscheinlichkeit, dass der Schaden tatsachlich eintritt. ^^^ Es liegt also praktisch der Fall nur eines Emittenten vor. Das Problem der kostenminimalen Erhillung der Auflagen wird praktisch an den Flughafen delegiert. Ihm wird der vereinbarte Umweltstandard (etwa in Form eines maximalen Emissionsniveaus) vorgegeben, und es steht ihm frei, im Verhaltnis zu den Fluggesellschaften, soweit ihm dies sinnvoll erscheint, auch okonomische Instmmente (z.B. larm- bzw. emissionsabhangige Start- und Landegebiihren) einzusetzen.
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Insgesamt konnen die komparativen Vorteile entsprechender Auflagenlosungen somit im Wesentlichen auf die hoheren direkten Transaktionskosten von Kompensations- und Abgabenlosungen zuriickgefuhrt werden. Variable oderfixe Kompensationszahlungen undAbgaben Die Umweltbelastungen, die mit der Bereitstellung und dem Betrieb neuer Flughafeninfrastrukturkapazitat verbunden sind, werden sich in der Regel im Zeitverlauf verandem. Dies hat zumindest potentiell wichtige Implikationen sowohl fiir die Form als auch fiir die Hohe angemessener Kompensationen. Betrachtet man zunachst die unmittelbaren Effekte direkt auf dem Gelande der geplanten Flughafenanlagen, so ist die Sachlage hier relativ einfach. Es besteht absolute Nutzungskonkurrenz, der Bau setzt einen freiwilligen Eigentumsubertrag oder eine Enteignung voraus. Fine einmalige, vor Baubeginn festgelegte und gezahlte Kompensation wird in diesem Fall die angemessene Losung sein, wenn rein private Verhandlungen nicht zum Ziel fuhren. Anders verhalt sich die Situation allerdings im Hinblick auf die Belastungen der Anwohner im unmittelbaren Umfeld des Flughafens. Der Umfang ihrer Larm-, Schadstoff- und Risikobelastung schwankt maBgeblich in Abhangigkeit von den dem Investitionsprojekt nachfolgenden Nutzungsentscheidungen. Anzahl und Zeitpunkte der Starts und Landungen sowie technische Eigenschaften des eingesetzten Fluggerats sind hier wichtige Einflussfaktoren. Wiirde der Flughafen nur eine einmalige, nutzungs- bzw. emissionsunabhangige Kompensation und/oder Abgabe zahlen, so gingen von dieser keine Anreize zur effizienten Reduktion der Extemalitaten durch den Flughafen aus. Organisatorische oder technische Innovationen zur Verringerung der Belastung waren in diesem Fall kaum zu erwarten, jedenfalls nicht als Reaktion auf die eingesetzten okonomischen Instrumente. Eine einmalige, zum Zeitpunkt des Baus festgelegte und gezahlte Kompensation oder Abgabe ist insofern kaum okonomisch effizient. Sowohl der Flughafen als auch die Anwohner konnten sich durch die Verwendung variabler Zahlungen besser stellen: WUrde der Flughafen zum Zeitpunkt der Ausbauentscheidung statt variabler Zahlungen eine fixe Kompensationszahlung leisten, so miisste diese, um die Anwohner gleich gut zu stellen, hoher sein als der Erwartungswert der variablen Zahlungen, da der Flughafen im Fall fixer Kompensationszahlungen keine Anreize zu larm- bzw. schadstoffreduzierenden MaBnahmen beim Betrieb hat und somit hohere Belastungen verursacht. Wenn die Anwohner dies antizipieren, mlissten seine fixen Zahlungen hoher sein als der Erwartungswert von variablen Zahlungen. Variable Zahlungen sind insofern sinnvoU und fiir beide Seiten potentiell vorteilhaft.
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Dariiber hinaus sprechen einige weitere Griinde dafiir, Kompensationszahlungen und Abgaben in der Zeit variabel bzw. nutzungsabhangig (emissions- oder immissionsabhangig) auszugestalten: • Fixe Kompensationen fiihren dazu, dass das Nutzenniveau der Anwohner in Abhangigkeit von der tatsachlichen Larmbelastung erheblichen Schwankungen unterliegt. Dies diirfte angesichts der Unsicherheit zukiinftiger Belastungen, die bei den Anwohnem i.d.R. groBer sein diirfte als beim Flughafenbetreiber, eine ineffiziente Risikoallokation darstellen.^^^ Erscheint es hingegen fur einen Anwohner sinnvoU oder notwendig, zur Verminderung der von ihm erwarteten Larmbelastung Schallschutzfenster in sein Haus einbauen zu lassen, so spricht das Risikoallokationsargument entsprechend dafiir, dass der Flughafenbetreiber die Kosten fiir diese Investition iibemimmt und die variablen Kompensationszahlungen um einen entsprechenden Betrag reduziert werden. Der Anwohner hatte ansonsten das Risiko zu tragen, dass sich die Investition unter Umstanden nicht amortisieren konnte, wenn die Larmbelastung deutlich niedriger ausfallt als erwartet.^^^ • Wenn sich die Einschatzungen der Flughafengesellschaft und der Anwohner im Hinblick auf zukiinftige technische oder wirtschaftliche Entwicklungen - etwa bezuglich der Entwicklung larmreduzierender Techniken oder des zukiinftigen Verkehrsaufkommens - stark voneinander unterscheiden, und speziell wenn die Anwohner in ihrer Einschatzung zukiinftiger Belastungen pessimistischer sind als die Flughafengesellschaft, erleichtern es variable Kompensationszahlungen oder Abgaben, eine fiir beide Seiten akzeptable Losung zu fmden. Bei fixen Zahlungen wiirden die abweichenden Einschatzungen tendenziell zu hohen Differenzen hinsichtlich der fiir angemessen erachteten Hohe der Zahlungen fiihren. • Variable Kompensationen fiihren dazu, dass Verschiebungen der Belastungen auf andere Anwohnergruppen, wie sie etwa durch eine Verlegung der Anflugrouten entstehen konnen, fiir den Flughafen ,,tendenziell belastungsneutral" sind. Die nunmehr starker belasteten Anwohner wiirden eine hohere, die weniger belasteten eine niedrigere Kompensation erhalten. ^^^ Dies muss dann nicht gelten, wenn eine Seite deuthch bessere Informationen iiber zukiinftige Entwicklungen besitzt und aus diesem Grund das Risiko aus Effizienzsicht weitgehend allein tragen sollte. Dann ist mogUcherweise eine sehr weitreichende Absicherung der Gegenseite auch uber fixe Kompensationen und ggf Auflagen sinnvoll. Vgl. fiir das Beispiel einer Vereinbarung uber fixe Larmwerte fur eine Bahnstrecke die AusfUhrungen iiber „Schienen- und StraBenverkehrsinfrastruktur" in Abschnitt 3.1.2. ^^^ Selbstverstandlich kann die Entscheidung uber den Einbau eines Schallschutzfensters nicht mehr im (alleinigen) Ermessen des Anwohners Uegen, wenn der Flughafen die hierfur anfallenden Kosten zu tragen hat.
4.5 Leitlinie4
211
• Variable Kompensationszahlungen reduzieren die Ex-post-Interessengegensatze zwischen Rughafenbetreiber und Anwohnern und konnen dadurch Konflikte im Zusammenhang mit Anderungen der Zahl der Starts und Landungen reduzieren. • Im Grundsatz besteht ferner das Problem, dass einmalige fixe Kompensationen fiir dauerhafte Belastungen zwar zum Zeitpunkt des Flughafenausbaus u.U. auf breite Akzeptanz stoBen und geme angenommen werden, nachtraglich jedoch zunehmend in Frage gestellt werden (siehe unten Ausfuhrungen unter „Glaubwiirdigkeit"). Dies senkt die Glaubwurdigkeit von Vereinbarungen Uber eine einmalige Ex-ante-Zahlung und erhoht die entsprechenden Durchsetzungskosten. Auch variable Kompensationszahlungen und Auflagen sind jedoch mit spezifischen Mess- und Durchsetzungskosten verbunden, die je nach institutionellem (und technischem) Umfeld u.U. sogar noch hoher sein konnen als die einmaliger, fixer Kompensationen (Abschnitt 4.6). Da wesentliche Belastungen der Anwohner erst bei Aufnahme des Betriebs der neuen Anlagen entstehen, soUten die von der Flughafengesellschaft zu zahlenden Kompensationen bzw. Abgaben entsprechend niedriger ausfallen, wenn sich die Aufnahme des Betriebs etwa aufgrund von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Flughafengesellschaft und einzelnen Anwohnern verzogert. Variable (emissionsabhangige) Zahlungen fielen automatisch entsprechend niedriger aus; fixe Zahlungen soUten erst entsprechend spater erfolgen oder abdiskontiert werden. Insbesondere im Fall individueller Kompensationen wurden die Vorteile, die die Anwohner durch entsprechende Verzogerungen erlangen wurden, also entsprechend reduziert, wodurch sich ihr Anreiz zu verzogemdem Widerstand verringert.^^^ Glaubwurdigkeit Voraussetzung dafiir, dass die positiven Effizienz- und Akzeptanzwirkungen von Kompensationen oder von Auflagen effektiv zum Tragen kommen, ist die glaubwUrdige Ausgestaltung der Vereinbarung iiber deren Einsatz. Es darf sich bei ihnen insbesondere nicht nur um weitgehend unverbindliche Zusagen etwa der Flughafengesellschaft oder der Politik handeln, vielmehr muss es sich um grundsatzlich verbindliche - wenn auch im Rahmen geeigneter Verfahren modifizierbare bzw. „administrierbare" (Abschnitt 4.6, Leitlinie 5) - und im PF-Beschluss ^^^ Dariiber hinaus kann es sinnvoll sein, dass sich die Flughafengesellschaft, um Verzogerungstaktiken zu verhindem, freiwillig dazu verpflichtet, in Abhangigkeit von einem raschen Bau- oder Betriebsbeginn oder auch einem Verzicht auf Klagen zusatzliche Zahlungen zu leisten. Dies wurde die Kosten von Verzogerungstaktiken, die im derzeitigen System fast ausschlieBlich beim Flughafenbetreiber und den Flughafennutzem anfallen, zumindest teilweise auf die Anwohner verlagem.
212
Kapitel 4 Leitlinien einer Reform
festgeschriebene Regelungen handeln. Die bisherigen Erfahrungen in Deutschland, aber auch in England zeigen, dass Zusagen oft allzu leicht gebrochen bzw. ignoriert werden konnen.^^^ Von ihnen ging deshalb in der Vergangenheit nur eine geringe Bindungs- und damit auch nur eine geringe Anreizwirkung aus. Entsprechend sind solche Vereinbarungen - ohne institutionelle Vorkehrungen, die ihre Glaubwurdigkeit in Zukunft erhohen - auch kaum geeignet, die Akzeptanz zukunftiger AusbaumaBnahmen zu erhohen. Grundsatzlich ist die Implementierung der ordnungspolitischen und okonomischen Instrumente mit unterschiedlichen Glaubwurdigkeitsproblemen und unterschiedlich hohen Durchsetzungskosten verbunden. Dabei hangt die relative Glaubwurdigkeit bzw. hangen die komparativen Durchsetzungskosten der verschiedenen Instrumente wesentlich vom institutionellen Umfeld, aber auch von technischen und okonomischen Bedingungen ab. Dies gilt sowohl fur den Vergleich der Kategorien okonomische versus ordnungsrechtliche Instrumente als auch fiir den Vergleich von Instrumenten innerhalb derselben Kategorie. Nur wenige allgemeingUltige, robuste Aussagen scheinen moglich. Dies gilt insbesondere dann, wenn man beachtet, dass es angesichts der Unsicherheit iiber zukiinftige Entwicklungen tatsachlich weniger darum geht, die Glaubwurdigkeit einer Vereinbarung/Auflage per se zu maximieren, sondem darum, einen angemessenen Kompromiss zwischen Glaubwurdigkeit und Flexibilitat zu realisieren: (i) Glaubwiirdigkeitsprobleme haben ihren Ursprung darin, dass die Zusage einer Partei und die Erfiillung dieser Zusage zeitlich auseinanderfallen. Insofern ist es nahehegend, davon auszugehen, dass Zusagen, die unmittelbar voUstandig erfullt werden konnen und nur unter erheblichen Kosten riickgangig gemacht werden konnen, glaubwurdiger sind als Zusagen, deren Erfiillung erst im Zeitverlauf erfolgt. So konnen die Anwohner beispielsweise davon ausgehen, dass ihnen eine heute erhaltene monetare Zahlung kaum wieder genommen werden kann; auch eine einmal erbrachte Sachleistung in Form des Einbaus von Schallschutzfenstem diirfte den Anwohnern nicht wieder genommen werden; schlieBlich wird auch ein einmal erbauter Larmschutzwall zunachst einmal stehen und wiirde bei einem tatsachlichen Ruckbau erhebliche Kosten verursachen. Dies kann im Fall von Nachtflugbeschrankungen ganz anders sein. Ahnliches gilt fiir eine Obergrenze fiir die Zahl der Flugbewegungen oder einen Verzicht auf weitere AusbaumaBnahmen in der Zukunft. Oft sind derartige Auflagen bzw. Zusagen spater mehr oder weniger leicht revidierbar. Tatsachlich konnen derartige Zusagen bislang anscheinend ohne allzu hohe Kosten gebrochen werden. Sie weisen daher derzeit oftmals nur eine geringe Bindungswirkung bzw. Glaubwurdigkeit auf. ^^^ Dies gilt insbesondere fUr Zusagen bezUgUch der maximalen Zahl von Starts und Landungen sowie einen Verzicht auf weitere AusbaumaBnahmen.
4.5 Leitlinie4
213
Allerdings ist zu beachten, dass eine unmittelbare Erfiillung von Zusagen der Flughafengesellschaft zunachst nur eine Partei der Vereinbarung mehr oder weniger glaubwurdig bindet. Gerade die unmittelbare Erfiillung der Zusagen des Rughafenbetreibers kann jedoch dazu flihren, dass die betroffenen Anwohner im Zeitverlauf zusatzliche Kompensationsforderungen stellen. Angesichts der langfristigen „Beziehung" zwischen Flughafenbetreiber und Anwohnern ist eine vollstandige Abwicklung aller Rechte und Pflichten aus der Genehmigung zum Zeitpunkt der Vertragsvereinbarung praktisch unmoglich. (ii) Auf den ersten Blick scheinen unkonditionierte Zusagen („kein weiterer Ausbau") glaubwiirdiger bzw. leichter durchzusetzen zu sein als konditionierte (,Jcein weitere Ausbau, es sei denn ..."), da es bei letzteren im Allgemeinen zu erheblichen Auslegungsspielraumen bzw. -konflikten kommen kann. Allerdings ist zu beachten, dass weit in die Zukunft reichende unkonditionierte Zusagen oft schon deshalb „unglaubwurdig" sind, weil die Gefahr besteht, dass ihre Einhaltung unter bestimmten rechtlichen, technischen oder wirtschaftlichen Entwicklungen u.U. gar nicht moglich oder aber mit extrem hohen Kosten fiir eine oder gar beide Parteien verbunden ware. Anpassungen der ursprtinglichen Bedingungen konnen von auBen erzwungen werden und/oder im allseitigen Interesse liegen. So konnen beispielsweise bestimmte Elemente des PF-Beschlusses wie Betriebsauflagen aufgrund von Anderungen in Bundes- oder EU-Gesetzgebung rechtswidrig (oder auch kontraproduktiv) werden. Eine unkonditionierte Festschreibung bestimmter Kapazitatsobergrenzen oder ein unkonditioniertes Verbot eines spateren weiteren Ausbaus konnen unter sich andernden wirtschaftlichen oder technischen Bedingungen extrem teuer oder sogar aus Sicht (nahezu) aller Betroffenen ineffizient werden. Es ist deshalb auch im Sinne der Glaubwiirdigkeit der ursprtinglichen Vereinbarung sinnvoll, in der ursprtinglichen Vereinbarung bzw. im ursprtinglichen Planfeststellungsbeschluss geeignete Anpassungsklauseln oder -verfahren festzuschreiben. Die Argumentation zeigt, dass es letztlich nicht allein um die glaubwiirdige Durchsetzung einer einmal getroffenen Festlegung geht, sondem darum, einen angemessenen Kompromiss zwischen Glaubwiirdigkeit und Flexibilitat zu implementieren. Dies ist Gegenstand von Abschnitt 4.6 (Leitlinie 5).
4.5.4
Zusammenfassung
Zur Intemalisierung der mit Ausbau und Betrieb der Flughafeninfrastruktur verbundenen regional konzentrierten negativen Externalitaten und zur Herbeifiihrung eines akzeptablen Interessenausgleichs zwischen Flughafenuntemehmen und den von diesen Externalitaten Betroffenen soUten die Kompensationspflichten gegeniiber besonders stark negativ Betroffenen erweitert werden; zudem
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Kapitel4
Leitlinien einer Reform
sollten im PFV verstarkt Abgaben und glaubwurdige Auflagen bzw. Nutzungsbeschrankungen festgelegt werden. Direkter Adressat von Kompensationspflichten, Abgaben und Auflagen sollte dabei der Flughafenbetreiber sein - nicht die Flughafennutzer. Daneben wird es in der Regel sinnvoll sein, im unmittelbaren Umfeld des Flughafens Siedlungsbeschrankungen und Beschrankungen bezuglich wertsteigemder Veranderungen an Immobilien zu erlassen. Von Larm oder anderen Belastungen oder Gefahren besonders stark Betroffene sollten einen erweiterten gesetzlich garantierten Rechtsanspruch auf individuelle, materielle Kompensationen erhalten. Die Regeln, auf deren Grundlage die PF-Behorde den Kreis der Anspruchsberechtigten bestimmt und die Hohe der vom Projekttrager zu leistenden Kompensationen bemisst, sollten moglichst klar und eindeutig gesetzlich festgelegt werden. Entsprechende Entscheidungen der Behorde sollten auch inhaltlich vor Gericht angefochten werden konnen. Von entsprechenden Belastungen weniger stark Betroffene aus dem weiteren Umfeld des Flughafens sollten hingegen keinen gesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf individuelle Kompensation erhalten. Dennoch sollte die Planfeststellungsbehorde auch hier versuchen, einen angemessenen Interessenausgleich herzustellen und die sozialen Kosten, die entsprechende Belastungen darstellen, zu begrenzen bzw. entscheidungsrelevant werden zu lassen. Die Behorde sollte das Recht haben, hierzu - auf der Basis der im Planfeststellungsbeschluss eingebrachten Informationen, Interessen und Vorschlage - weitgehend diskretionar auf eine breite Palette von Instrumenten zuriickzugreifen. Hierzu zahlen neben u.U. pauschalierten fmanziellen Kompensationen an Individuen oder KoUektive (z.B. Gemeinden) auch die Verkniipfung der Genehmigung einer Flughafenerweiterung mit Auflagen hinsichtlich Investitionen in aktive oder passive SchallschutzmaBnahmen, Emissionsobergrenzen oder auch Nutzungsbeschrankungen (z.B. ein beschranktes Nachtflugverbot oder die Festlegung einer maximalen Zahl von Flugbewegungen) oder Beschrankungen des zukiinftigen weiteren Ausbaus des Flughafens. Sowohl Kompensationszahlungen fur Larm-, Schadstoff- und Risikobelastungen als auch entsprechende Abgaben sollten in der Regel in der Zeit variabel (insbesondere emissions- bzw. immissionsabhangig) ausgestaltet werden. Es kann zudem sinnvoll sein, die Hohe der Kompensationen auf den Zeitpunkt des Baubeginns oder der Aufnahme des Betriebs der neuen Flughafeninfrastmktur zu konditionieren. Bei den Auflagen und Nutzungsbeschrankungen sollte es sich nicht nur um unverbindliche Zusagen etwa der Flughafengesellschaft oder der Politik handeln, sondem um grundsatzlich verbindliche - wenn auch im Rahmen geeigneter Verfahren „administrierbare" (Leitlinie 5) -, im Planfeststellungsbeschluss festgeschriebene Bedingungen.
4.6 LeitlinieS
4.6
Leitlinie 5: Administration des Planfeststellungsbeschlusses (Ex-post-Governance)
4.6.1
Uberblick
215
Voraussetzung dafUr, dass die positiven Effizienz- und Akzeptanzwirkungen von Kompensationsregeln, Auflagen und Nutzungsbeschrankungen voll zum Tragen kommen, ist - wie bereits mehrfach betont -, dass derartige Regelungen hinreichend glaubwiirdig ausgestaltet werden. Dies impliziert auch, dass die Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses ein ausreichendes Ma6 an Anpassungsfahigkeit an zum Zeitpunkt der Genehmigung nicht antizipierte Veranderungen der okonomischen, technischen oder rechtlichen Umfeldbedingungen aufweisen. Ein Arrangement, das keinerlei Raum fur Anpassungen an nachhaltige und tiefgreifende Veranderungen lasst, ware wenig glaubwiirdig, da seine Durchsetzung u.U. unmoglich oder extrem ineffizient werden konnte. Unsere funfte Leitlinie empfiehlt daher die Schaffung eines adaquaten Verfahrens zur Administration, d.h. zur KontroUe, Auslegung, Anpassung und Fortschreibung von Planfeststellungsbeschlussen (Ex-post-Govemance). Sie zielt darauf ab, sowohl die Glaubwurdigkeit als auch die Fahigkeit zur effizienten Anpassung der Planfeststellungsbeschlusse zu erhohen, soweit dies moglich ist, und dort, wo dies nicht moglich ist, einen angemessenen Ausgleich zwischen beiden Zielen sicherzustellen. Grundsatzlich kann die Schaffung eines expliziten Verfahrens zur Ex-postGovemance von Kompensationsregelungen und Auflagen des Planfeststellungsbeschlusses sowohl zu einer Verbesserung der Qualitat der urspriinglichen Entscheidungen - u.a. durch eine groBere Anpassungsfahigkeit gegeniiber (nicht antizipierten) zukiinftigen Entwicklungen - als auch maBgeblich zu einer Erhohung ihrer Akzeptanz beitragen. Ein adaquat ausgestaltetes Verfahren erhoht die Akzeptanz dabei nicht nur aufgrund der verbesserten Qualitat der Entscheidungen, sondem vor allem dadurch, dass ein konstruktives Zusammenarbeiten im Expost-Governance-Prozess moglich wird: Anders als es im Status quo der Fall ist, geht es zum Zeitpunkt der Planfeststellung nicht mehr um ein Jetzt-oder-Nie bzw. um ein Alles-oder-Nichts, weil nach der Planfeststellung nicht mehr nahezu nur noch (zudem oft weitgehend aussichtslose) Klagen vor Gerichten und gesetzwidriger Widerstand als Moghchkeiten des „Einflusses" und der „Stellungnahme" verbleiben. Heutiger Widerstand wird reduziert, indem zuktinftige Einflussmoglichkeiten geschaffen werden. Ein konstruktives Zusammenarbeiten im ei-
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Kapitel 4 Leitlinien einer Reform
gentlichen PFV und im anschlieBenden Govemance-Prozess konnte sich nunmehr fur einen groBen Teil des „NIMBY-Lagers" lohnen.^^^ Es sei hier ausdrucklich darauf hingewiesen, dass die Forderung nach einem expliziten Verfahren zur Ex-post-Govemance von Kompensationsregelungen und Auflagen des Planfeststellungsbeschlusses keineswegs im Widerspruch zu der (in Leitlinie 3) geforderten groBeren Verbindlichkeit des behordlichen PFV steht. Dort ging es darum, die Rolle politischer und gerichtlicher Verfahren als konkurrierende Altemativen zum behordlichen PFV zu schwachen; diese Verfahren fordem oft ein destruktives Verhalten der Parteien im PFV, da ein solches Verhalten ihre Chancen im politischen Prozess und/oder vor Gericht tendenziell eher erhoht. Im Gegensatz dazu lasst sich ein geeignetes Verfahren zur Administration bzw. Ex-post-Govemance des PF-Beschlusses eher als Element bzw. Fortsetzung des eigentlichen PFV verstehen, das zudem die Anreize und Moglichkeiten fur ein konstruktives Verhalten der Parteien im PFV eher erhoht. Im Folgenden werden zunachst die grundlegende Struktur des GovernanceProblems und die Bedeutung einer Losung des Problems fur Effizienz und Akzeptanz des PFV erlautert (4.6.2). AnschlieBend werden einige tJberlegungen und Anregungen zur Organisation der Administration bzw. der Ex-post-Governance des PF-Beschlusses unterbreitet.
4.6.2
Zur Struktur des Governance-Problems
Nicht zuletzt wegen der langen Kapitalbindungsdauer ist die Genehmigung des Baus und Betriebs von Flughafenanlagen auf Dauer angelegt. Nicht nur die Investitionen in den Flughafen selber, auch Investitionen in Gebaude und Grundstucke in der Nahe von Flughafen weisen hohe Irreversibilitaten und Kapitalbindungsdauern auf. Durch die hohe Kapitalbindungsdauer besteht eine besondere Abhangigkeit der Rentabilitat der Investitionen von den im Planfeststellungsbeschluss getroffenen Regelungen. Im Zeitablauf wird sich jedoch regelmaBig nicht nur ein u.U. erheblicher Kontroll- und Auslegungsbedarf, sondern zumindest fiir einen Teil der Regelungen - etwa aufgrund geanderter technischer oder wirtschaftlicher Bedingungen, aber auch aufgrund von rechtlichen Entwicklungen im weiteren institutionellen Umfeld (z.B. auf der Ebene des Bundes oder der EU) - auch Anpassungs- und Fortschreibungsbedarf ergeben. Aufgrund der Langlebigkeit und des langen Amortisationszeitraums von Flughafeninvestitio^^^ Gelingt es, adaquate institutionelle Vorkehrungen fur die Zukunft zu definieren, wird sich Widerstand gegen das Projekt zumindest nicht darauf stutzen konnen, dass eventuell gegebene Zusagen Uber Betriebsauflagen einseitig gekiindigt werden oder dass zukiinftige Entwicklungen den Anwohnem unabsehbare Zusatzbelastungen aufbiirden konnten.
4.6 Leitlinie 5
217
nen und der auch dadurch bedingten groBen Unsicherheit iiber zukiinftige Entwicklungen ware es mit extrem hohen Kosten verbunden, wenn nicht gar vollig unmoglich, bereits vor Baubeginn hinreichend flexible bzw. differenzierte Kompensationsregeln und Auflagen verbindlich und glaubwurdig festzuschreiben. Es ist letztlich unmoglich und sollte deshalb gar nicht erst versucht werden, a priori fur alle moglichen oder zumindest alle heute uberhaupt antizipierbaren Zukunftskontingenzen im PF-Beschluss effiziente und akzeptable inhaltHche Regelungen zu treffen.^^^ Ein adaquates Verfahren zur Administration der Vereinbarungen muss daher zum Ziel haben, eine Anpassung beispielsweise von Betriebsauflagen oder Kompensationsregeln an veranderte Umstande zu ermoghchen, ohne dass dies mit einer „Aufkundigung des langfristig angelegten Gesamtvertrages" einhergeht. Grundsatzlich sollte der Planfeststellungsbeschluss daher nicht allein inhaltHche Regeln (Kompensationsregeln, Auflagen etc.) enthalten, sondem auch institutionelle Vorkehrungen vorsehen, die eine Interpretation, Anpassung und Fortschreibung der Vereinbarung so weit als moglich im Geiste der ursprtinglichen Vereinbarung sicherstellen. Im PFV sollte daher versucht werden, neben einem mehr oder weniger umfangreichen Geriist von inhaltlichen Regelungen zugleich ein Verfahren festzulegen, mit dem diese Regelungen gegebenenfalls konkretisiert oder auch angepasst und fortgeschrieben werden konnen. Wichtig ist dabei, dass ein Verfahren verbindlich vereinbart wird, bei dem die Beteiligten heute davon ausgehen konnen, dass es, wenn es in Zukunft zur Anwendung kommt, zu Ergebnissen fiihrt, die dann effizient und akzeptabel sind. Gelingt dies, so erhoht dies die Akzeptanz des PF-Beschlusses, ohne dass dessen Glaubwurdigkeit bzw. Verbindlichkeit mit allzu hoher Inflexibilitat und damit Ineffizienz in der Zukunft erkauft werden miisste. Die Vereinbarung und Implementierung eines entsprechenden Verfahrens diirfte dann im Interesse sowohl des Rughafens als auch der Anwohner liegen.^^^ ^^^ Der Planfeststellungsbeschluss kann als (impliziter) langfristiger „Vertrag" zwischen dem Flughafenbetreiber und dem von negativen Extemalitaten Betroffenen interpretiert werden. Angesichts der mit der Langfristigkeit des Vertrags einhergehenden Unsicherheit wird ein solcher Vertrag ein hohes MaB an Unvollstandigkeit aufweisen (Abschnitt 2.1). Langfristige Vertrage mussen jedoch aus Effizienzgriinden Riicksicht darauf nehmen, dass sich wahrend der Vertragslaufzeit die technischen und wirtschaftlichen und u.U. auch die rechtlichen Umfeldbedingungen andem konnen und werden. Also wird sich regelmaBig Auslegungs-, Anpassungs- und Fortschreibungsbedarf fiir den urspriinglich vereinbarten Vertragsinhalt ergeben. Daher ergibt sich in der Regel zumindest fiir Teile des Vertrags die Notwendigkeit der Schaffung eines adaquaten Verfahrens zur Administration der Vereinbarungen. Fiir eine Interpretation und Diskussion offentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Beziehungen als unvollstandige Vertrage vgl. Goldberg (1976), Williamson (1996) und Bickenbach et al. (2002). ^^^ Zur Diskussion der komparativen Durchsetzungs- und Anpassungsprobleme unterschiedlicher ordnungsrechtlicher und okonomischer Instrumente zur Intemalisierung extemer Kosten des Flughafenbetriebs vgl. Abschnitt 4.5.3.
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Kapitel 4 Leitlinien einer Reform
Probleme der adaquaten Ex-post-Govemance von Genehmigungs- bzw. Planfeststellungsbeschlussen fiir Flughafenanlagen finden derzeit weder in der Realitat noch in der Literatur die Beachtung, die ihnen gebiihrt.^^^ Hierin liegt u.E. ein wesentlicher Grund fUr die heutigen Probleme im Bereich der Beseitigung von Infrastrukturengpassen im Luftverkehr. Die Erfahrungen mit Genehmigungen fiir Flughafenerweiterungen in Deutschland, aber beispielsweise auch in England (Abschnitte 3.1.1 und 3.2.1) legen nahe, dass eine mangelnde Glaubwurdigkeit gegebener Zusagen oder gar fehlende Moglichkeiten zur verbindlichen Vereinbarung derartiger Zusagen wesentliche Hindernisse bei der Durchsetzung von Ausbauentscheidungen darstellen. So wird die mangelnde Glaubwurdigkeit von Zusagen bzw. „Vertragen" der Art „Ausbau gegen erweiterte Nachtflugbeschrankungen" oder „heutiger Ausbau gegen Zusage keiner weiteren zukUnftigen Ausbauantrage" von Ausbaugegnem als ein wichtiger Grund fur ihren Widerstand angefiihrt.-^^^ Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit derartigen Verpflichtungen (Abschnitt 3.1) sind deutliche Anderungen hinsichtlich der Durchsetzbarkeit und der Bindungswirkung derartiger Vereinbarungen angezeigt. Glaubwurdigkeit kann leicht verspielt werden, wenn in konkreten Entscheidungsfmdungsprozessen aus vordergrlindigen politischen Beschwichtigungsuberlegungen heraus eine Bindung vorgetauscht wird, wo auf lange Sicht gar keine beabsichtigt ist oder wo eine derartige Bindung uberhaupt nicht moglich ist. Es macht beispielsweise wenig Sinn, den Anwohnern zu signalisieren, die aktuelle Ausbaustufe ware „defmitiv" die letzte, und sie damit gleichsam zu Investitionen in Schallschutz oder anderweitig in den Wohnwert ihres Hauses zu ermuntem, um sie bald darauf mit der Planung fiir einen neuerlichen Ausbau zu konfrontieren. Allzu schnell ruiniert dies die etwa vorhandene Reputation der zustandigen Akteure ebenso wie die der gewahlten Verfahren. Chancen, die Akzeptanzprobleme zukiinftiger Entscheidungen zu senken und auch auf diese Weise deren Effizienz zu erhohen, werden dadurch leichtfertig verspielt. Weil jedoch kiinftiger Anderungsbedarf ex ante nicht vollig ausgeschlossen werden kann, ist freilich auch ein Arrangement, das keinen Raum fiir Anpassungen an nachhaltige und tiefgreifende Veranderungen lasst, wenig glaubwiirdig. Die Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses miissen deshalb zugleich wenigstens ein MindestmaB an Flexibilitat aufweisen. Jede Ex-post-GovernanceStruktur muss also einen angemessenen Kompromiss zwischen Glaubwiirdigkeit ^^" Das Beispiel des Frankfurter Dialogforums konnte ein Indiz dafiir sein, dass entsprechende Fragen doch zumindest angedacht werden, obwohl es hierbei allenfalls um die Ex-post-Govemance der Mediationsergebnisse und nicht um die des noch ausstehenden Planfeststellungsbeschlusses geht. Vgl. Abschnitt 3.1. 307 Ygj hierzu auch das Flugblatt des BUND Hessen (2001) „Zug um Zug - vom Dialog zum Geschwdtz'' (Hervorhebung im Original).
4.6 LeitlinieS
219
und dem Bedarf an Planungssicherheit und der Notwendigkeit eines Schutzes der Quasirenten aus den versunkenen Investitionen insbesondere des Flughafenuntemehmens auf der einen Seite und Flexibilitat bzw. Anpassungsfahigkeit auf der anderen Seite finden und sicherstellen. Zwar miissen Planfeststellungsbeschlusse - angesichts der Notwendigkeit eines Schutzes der Quasirenten - Bindungswirkungen fiir die Gegenseite, also die Anlieger, und fiir die PF-Behorde entfalten. Allerdings besteht Grund zu der Vermutung, dass die weitgehend einseitige Bindungswirkung und Starrheit von Planfeststellungsbeschlussen in der derzeitigen Praxis teilweise sogar zu weit geht, PF-Beschlusse bisher also ein zu geringes Ma6 an Flexibilitat aufweisen und „Verhandlungen" um einen Flughafenausbau insofem zu stark restringiert werden. Friihere Planfeststellungsbeschlusse weisen eine sehr starke Bindungswirkung auf, die nur schwer gelockert werden kann, selbst wenn dies sowohl im Interesse des Flughafenbetreibers als auch in dem der Anwohner lage. Die besondere Rolle, die im derzeitigen Erweiterungsverfahren um den Flughafen Frankfurt/Main der Planfeststellung von 1971 - und insbesondere der darin festgeschriebenen Erlaubnis von nachtlichen Starts und Landungen auf den bestehenden Landebahnen - zukommt, verdeutlicht dies exemplarisch (Abschnitt 3.1.1). Bezogen auf die derzeitige Situation am Flughafen Frankfurt scheint insofem tatsachlich ebenso sehr ein Mangel an Flexibilitat vorzuliegen wie ein Mangel an Bindungsmoglichkeiten, der eine Vereinbarung der Art „Ausbau gegen Nachtflugverbot" schwierig oder gar unmoglich macht. Es stellt sich somit die Frage, wie eine Ex-post-Govemance ausgestaltet werden kann, um einen angemessenen Ausgleich zwischen Flexibilitat und Glaubwurdigkeit der Bindung sicherzustellen.
4.6.3
Zur Organisation der Ex-post-Governance
Die Frage, wie das Verfahren der Ex-post-Governance eines PF-Beschlusses sinnvollerweise ausgestaltet werden soUte und welche Rechte die verschiedenen Beteiligten des eigentlichen PFV bei der Administration des Beschlusses haben sollten, ist angesichts der mangelnden Erfahrung mit solchen Verfahren zum gegenwartigen Zeitpunkt nicht leicht zu beantworten. Dies sollte wohl ohnehin zu weiten Teilen erst im jeweiligen PFV und unter Beriicksichtigung der dabei auftretenden Erkenntnisse und Notwendigkeiten festgelegt werden. Im Folgenden beschranken wir uns deshalb auf einige allgemeine tJberlegungen und Anregungen. Angesichts der zentralen Rolle, die die unabhangige Behorde (gemaB Leitlinie 3) als Vermittler und als Entscheidungsinstanz im eigentlichen PFV spielt bzw. spielen sollte - und insbesondere angesichts der Kenntnisse, die sie dort unter
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Kapitel 4
Leitlinien einer Reform
anderem auch iiber den „Geist" der urspriinglichen Regelungen gewinnt - , scheint es sinnvoll, der Behorde auch im Ex-post-Govemance-Prozess eine wichtige Rolle einzuraumen. Erganzend konnen aber auch Gerichte und private Organisationen eine wichtige Rolle spielen. Die Politik soUte unseres Erachtens jedoch angesichts der oben diskutierten Opportunismusprobleme auch im Expost-Prozess keine Uber ihre Funktion im eigentlichen PFV hinausgehende Rolle spielen (Abschnitt 4.2). Wenn im Rahmen von Leitlinie 1 argumentiert wurde, dass Akzeptanz- und Effizienzargumente gegen eine direkte Involvierung der Politik in konkrete Einzelfallentscheidungen sprechen, dann ist kaum davon auszugehen, dass eine solche Beteiligung der Politik bei der Administration dieser Entscheidungen erfolgversprechend ware.-^^^ Wenig iiberzeugend sind beispielsweise die Erfahrungen in England, wo Empfehlungen des Planning Inspector ebenso wie politische „Zusagen" - beispielsweise hinsichtlich zusatzlicher Landebahnen, Nachtflugverbot oder Anzahl von Starts und Landungen - regelmafiig ignoriert oder nach kurzer Zeit „vergessen" wurden.^^^ Diese Erfahrungen verstarken den Eindruck, dass die Politik weder als primare Entscheidungsinstanz noch fur die Administration der Ex-post-Governance eine sinnvoUe Losung darstellt.310 Die Gerichte erflillen in alien Genehmigungsverfahren eine wichtige Rolle. Zwar kann erhofft werden, dass ihre tatsachliche Involvierung gegeniiber dem Status quo in dem Ma6e abnimmt, in dem Genehmigungsverfahren und Genehmigungsinhalte - durch die Umsetzung der vorgeschlagenen Reformen - bei den Beteiligten auf mehr Akzeptanz stoBen. Allerdings werden Gerichte damit nicht iiberflUssig. Im Gegenteil werden sie auch zukiinftig wichtige KontroUfunktionen erfiillen. Letztlich werden auch zukiinftig die privaten Verhandlungen und
^^^ Unseres Erachtens nach kommt also nur eine Zuweisung der Funktion des „Administrators" an eine von der Tagespolitik und den Flughafenuntemehmen unabhangige Instanz in Frage. Somit scheiden auch weisungsgebundene und politisch abhangige Behorden als Administratoren aus. 309 Ygi Yj^^ Economist (2001a, 2002). „This record of broken promises makes for distrust" {The Economist 2002). ^^^ Grundsatzlich konnte auch offentliches Eigentum an dem jeweiligen Flughafen eine Moglichkeit sein, Zusagen des Flughafens gegeniiber der Offentlichkeit mehr Glaubwiirdigkeit zu verleihen und eine Anpassung der Regelungen des PFV an geanderte Umfeldbedingungen zu erleichtem. Grundsatzlich kann eine hierarchische Governance-Struktur - wie sie durch offentliches Eigentum geschaffen wiirde - durchaus geeignet sein, GlaubwUrdigkeitsprobleme wirksam anzugehen und gleichzeitig ein hohes MaB an Flexibilitat aufrechtzuerhalten (Williamson 1985, 1996). Allerdings sprechen die Anreiz- und Effizienzprobleme, die sich aus dem Interessenkonflikt zwischen Eigentiimer und „Administrator" des Planfeststellungsbeschlusses ergeben wiirden, gegen eine solche Losung. Ohnehin ware sie mit einer Privatisierung der Flughafen, wie wir sie empfehlen (Leitlinie 1), nicht vereinbar.
4.6 Leitlinie 5
221
die staatlichen Genehmigungen im Schatten des Rechts stehen.^^^ Es ist allerdings hochst fraglich, ob die Gerichte als primar zustandige Instanz fur die Administration der Genehmigungen die geeignete Wahl waren. Ahnlich der Situation bei der ursprlinglichen Genehmigung bestiinde die Gefahr, dass die notwendig relativ starren Verfahrensvorschriften und die geringe Spezialisierung der Gerichte Entscheidungen in angemessener Zeit eher verhindem denn unterstiitzen. Insoweit ist davon auszugehen, dass die Administration der Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses eher in die Hande spezialisierter Behorden, speziell der Planfeststellungsbehorde, gelegt werden soUte.^^^ Es kann allerdings vermutet werden, dass die Durchsetzung der mit dem Planfeststellungsbeschluss verbundenen Auflagen und Kompensationspflichten keine laufende, intensive LFberwachung durch die PF-Behorde erfordert. Vielmehr kann wohl davon ausgegangen werden, dass die Kontrolle der Einhaltung vereinbarter und festgesetzter Auflagen und Kompensationspflichten zu weiten Teilen den unmittelbar Beteiligten, das heiBt dem Flughafenuntemehmen, den Anliegem und den sonstigen Betroffenen bzw. ihren Interessenverbanden, Uberlassen werden kann. Hier sollte im Interesse einer hierfUr hinreichenden Transparenz allenfalls an Publizitatspflichten - etwa von Larmmessdaten - insbesondere des Flughafenuntemehmens gedacht werden. Etwas anders verhalt es sich hinsichtlich eines moglichen Anderungs- oder Auslegungsbedarfs, sei er nun durch marktliche, technische oder rechtliche Entwicklungen bedingt. Diesbeziiglich spricht einiges dafiir, dass bereits ex ante, d.h. im eigentlichen Planfeststellungsbeschluss, ein Verfahren definiert wird, das sich jedenfalls in wesentlichen Teilen an dem von uns vorgeschlagenen modifizierten PFV (Leitlinie 3; Abschnitt 4.4) orientiert. Hinsichtlich der Frage, wann bzw. durch wen ein solches Anpassungs- oder Anderungsverfahren ausgelost werden sollte, kommen verschiedene sich grundsatzlich nicht ausschlieBende Moghchkeiten in Betracht: • Bereits im ursprlinglichen Planfeststellungsbeschluss konnten anhand objektiver Kriterien Bedingungen formuliert werden, bei deren Eintreten automatisch ein Anpassungs- oder Anderungsverfahren ausgelost wird. Beispielsweise konnte dies der Fall sein, wenn die Zahl der Starts und Landungen und/oder ^^^ Und insoweit es infolge der Reformen starker als bislang zu privaten Vereinbarungen iiber den freiwilligen Austausch von Verfugungsrechten kommt und das Privatrecht als Institution fur die mit einem Flughafen verbundenen Transaktionen somit an Bedeutung gewinnt, nimmt moglicherweise die Rolle der Gerichte als Durchsetzungsinstanz sogar noch zu. •^^^ Grundsatzlich konnten die Gerichte am ehesten (noch) dort die Rolle des „Administrators" ubemehmen, wo es um die Ex-post-Govemance der Regelungen zur Erfiillung der individuellen Kompensationsanspriiche besonders betroffener Anlieger geht (Abschnitt 4.5).
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Kapitel 4 Leitlinien einer Reform
der Emissionen auf dem betreffenden Flughafen die dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegenden Erwartungen um einen festgelegten Prozentsatz iibersteigt.^^^ • Das Verfahren konnte immer dann ausgelost werden, wenn ein wesentlicher Bestandteil des urspriinglichen Planfeststellungsbeschlusses durch eine Anderung gesetzlicher Regelungen, etwa bezUglich eines Bedienungszwangs, durch den Bund oder die EU unzulassig oder kontraproduktiv wird. • Der Behorde konnte das Recht eingeraumt werden, diskretionar uber die Eroffnung eines Verfahrens zu entscheiden. Gegen eine solche Regelung spricht jedoch, dass die Behorde zur Rechtfertigung ihrer Existenz oder zur Erhohung ihrer Ressourcenausstattung zu haufig Anderungsverfahren einleiten konnte. • SchlieBHch sollte das Verfahren grundsatzHch auch von denjenigen Betroffenen ausgelost werden konnen, die ein begriindetes Interesse an einer Anderung der Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses haben. Hierbei ist naturlich in erster Linie an die Flughafengesellschaft zu denken, aber auch an die Luftverkehrsuntemehmen sowie an die Anlieger und die sonstigen Betroffenen oder deren Interessenvertretungen. Grundsatzlich sollten derartige Initiativantrage auf dieselben Interessen gestutzt werden konnen, die in der urspriinglichen Genehmigung beriicksichtigt wurden. Allerdings miissten Argumente dafur beigebracht werden, dass etwa eine bestehende Erlaubnis oder Beschrankung von Nachtflugen in der gegenwartigen Form nicht mehr sachgerecht ware oder dass technische Entwicklungen eine Anpassung der Kompensationsregelungen nahe legten, da diese nicht mehr den urspriinglich mit ihnen verfolgten Absichten entsprachen. Im Unterschied zum Status quo, in dem von den Genannten allein das Flughafenunternehmen das Initiativrecht hat, sollte also auch Anliegern und sonstigen Interessierten grundsatzlich das Recht offen stehen, einmal beschlossene Regelungen iiberpriifen zu lassen. Dabei sind zweifellos geeignete Qualifizierungen fur die konkreten Initiativrechte vorzusehen, etwa eine Mindestzahl von Unterstiitzern im Fall eines Initiativantrags von Anliegern oder auch eine (weitgehend informelle) Vorprlifung durch die Behorde. Es ware naturlich nicht sinnvoll, wenn ein solches „Anderungsverfahren" selbst im Fall „kleinerer" Anderungen ahnlich zeitintensiv ware wie die heutigen Genehmigungs- bzw. Planfeststellungsverfahren. Auch nach Reformen im Sinne 313
Eine solche Regelung konnte sich beispielsweise an der Definition einer „wesentlichen" Anderung nach der 16. BImSchV orientieren: Danach ist eine Anderung dann wesentlich, wenn sie zu einer Erhohung der Zahl der Flugbewegungen um mehr als 25 Prozent oder zu einer Erhohung des aquivalenten Dauerschutzpegels an der Grenze der Schutzzone 2 oder der Nacht-Schutzzone um mindestens 3 dB(A) fiihrt (zitiert nach SRU 2002: Tz. 615).
4.6 Leitlinie 5
223
unserer Leitlinien werden die PFV einen durchaus beachtlichen Zeitaufwand erfordem. Notwendig scheint es daher, zwischen „kleineren" und „gro6eren" (bzw. von in der urspriinglichen Genehmigung antizipierten und nicht antizipierten) Anderungen zu unterscheiden. Fiir kleinere Anderungen miisste ein einfacheres Verwaltungsverfahren als fur groBere Anderungen verfiigbar sein, so dass sie deutlich einfacher und schneller durchzufiihren sind. Ermoglicht werden konnte dies durch die Ex-ante-Definition engerer Abwagungsrichtlinien: Wenn etwa eine Erhohung der erlaubten Zahl von Rugbewegungen das Ziel eines Initiativantrags ist, so konnte bereits in dem urspriinglichen Vertrag festgelegt worden sein, dass derartige Anpassungen nur bei einer weitgehend einvernehmlichen Erhohung der Kompensationszahlungen moglich sind. Alle Anderungswunsche, die iiber derartige, kleinere Anderungen hinausgehen, miissten dann den Weg liber ein normales, „gro6es" Planfeststellungsverfahren nehmen. Es sei an dieser Stelle noch einmal daran erinnert, dass die Moglichkeit zu Anpassungen des urspriinglichen Planfeststellungsbeschlusses grundsatzlich im Interesse aller Beteiligten liegen kann - auch in dem des Flughafenbetreibers und der Flughafennutzer. Dies gilt vor allem dann, wenn - wie in Abschnitt 4.5 jedenfalls als Option vorgeschlagen - in Zukunft im PFV verstarkt Auflagen bzw. Nutzungsbeschrankungen festgeschrieben werden. AUerdings kann nicht bestritten werden, dass die Moglichkeit der Ex-post-Anpassung des urspriinglichen Planfeststellungsbeschlusses fiir den Flughafen neben Chancen auch Risiken birgt.^^^ Diese Risiken sind durch geeignete Sicherungsvorkehrungen zu begrenzen. Neben prozeduralen Rechten sowie der KontroUfunktion der unabhangigen Behorde und der Gerichte, die ahnlich gestaltet werden sollten wie im eigentlichen PFV, ist hierbei auch an die Gewahrung spezieller, begrenzter Vetorechte zu denken. Im urspriinglichen Planfeststellungsbeschluss konnte festgeschrieben werden, dass bestimmte, essentielle Regelungen nur mit Einverstandnis der Flughafengesellschaft (bzw. der von einer Anderung dieser Regelungen besonders Betroffenen) geandert werden konnen. Zumindest fiir Telle des Genehmigungsinhalts konnte grundsatzlich auch eine Auslegung und Fortschreibung durch private oder spezielle offentlich-rechtliche Organisationen sinnvoU sein. Nehmen Auflagen des Planfeststellungsbeschlusses z.B. im Hinblick auf das eingesetzte Fluggerat oder die eingesetzten An/Abflugverfahren Bezug auf unbestimmte Begriffe wie den „Stand der Technik" oder die „gute fachliche Praxis", so kann die inhaltliche Ausfiillung und Fortschreibung dieser Begriffe sowie die KontroUe ihrer Umsetzung an eine hierfiir geeignete
^^^ Dies gilt grundsatzlich - wenn auch in moglicherweise sehr unterschiedlichem Umfang - auch fiir alle anderen Beteiligten. Die folgenden Ausfiihrungen gelten deshalb mutatis mutandis auch fiir sie.
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Kapitel 4 Leitlinien einer Reform
privatwirtschaftliche Organisation als „unabhangigen Administrator" delegiert werden.-^^^ Es ist alternativ oder erganzend auch denkbar, dass fur einen konkreten Flughafen eine spezielle Organisation fur die Administration bestimmter Teile des Planfeststellungsbeschlusses etabliert wird. Eine Instanz wie das „Regionale Dialogforum" des Frankfurter Flughafens konnte zu diesem Zweck in begrenztem Umfang mit tatsachlichen Entscheidungskompetenzen ausgestattet werden. In diesem Fall konnten die Kompetenzen der unabhangigen PF-Behorde enger gefasst werden oder im Extremfall sogar vollstandig entfallen. Die Kontrolle der von dem privaten Administrator getroffenen Entscheidungen wurde dann. den Gerichten uberantwortet.^^^ Es ist jedoch einschrankend zu vermerken, dass eine weitgehende Uberantwortung der Administration an eine spezielle private Organisation hohe Anforderungen an die institutionelle Ausgestaltung dieser Organisation bzw. ihrer Entscheidungsverfahren stellt. Es besteht inmier die Gefahr von Vereinbarungen und Anpassungen zu Lasten Dritter. Je komplexer die Materie, je schwieriger die Interessenkonflikte zu losen sind, desto mehr Argumente sprechen deshalb fiir die Zuweisung wesentlicher Administrationsaufgaben an die urspriingliche Planfeststellungsbehorde.
4.6.4
Zusammenfassung
Bereits bei der Formulierung der urspriinglichen Genehmigung bzw. Planfeststellung soUte beriicksichtigt werden, dass sich im Zeitablauf jedenfalls fiir einen Teil der in der Planfeststellung getroffenen inhaltlichen Regelungen ein KontroU- und Anpassungsbedarf ergeben wird. Mit der Planfeststellung sollte deshalb ein geeignetes Verfahren zur Administration, d.h. zur Kontrolle, Auslegung, Anpassung und Fortschreibung dieser Regelungen, festgelegt werden (Ex-postGo vemance-S truktur). Eine Anpassung der im Planfeststellungsbeschluss getroffenen inhaltlichen Entscheidungen - etwa iiber Betriebsauflagen oder Kompensationsregeln - an veranderte technische und wirtschaftliche Bedingungen oder rechtliche Entwicklungen im weiteren institutionellen Umfeld sollte erleichtert werden, ohne die - angesichts umfangreicher spezifischer und langlebiger Investitionen notwendige - Bindungswirkung der Genehmigung zu stark einzuschranken.
^^^ In Betracht kommen etwa das Deutsches Institut fiir Normung, der TUV und ahnliche Organisationen. ^^" Alternativ und evtl. weniger problematisch konnte einer privaten Organisation wie dem Regionalen Dialogforum eine Rolle bei der Einleitung eines Verfahrens vor der unabhangigen Behorde zugewiesen werden.
4.6 Leitlinie 5
225
Einiges spricht dafiir, die Administration der Beschlusse zu wesentlichen Teilen in die Hand der ursprunglichen Planfeststellungsbehorde zu legen. Dies gilt zwar nicht notwendig fiir die KontroUe der Einhaltung vereinbarter und festgesetzter Auflagen und Kompensationspflichten, wohl aber fur die Anpassung bzw. Fortschreibung der ursprunglichen Vereinbarungen. Fiir diese sollte bereits ex ante ein Verfahren definiert werden, das ahnlich dem modifizierten Planfeststellungsverfahren strukturiert ist. Dabei ist insbesondere zu klaren, wann bzw. durch wen ein solches Anpassungs- oder Anderungsverfahren ausgelost werden kann. Zudem scheint es sinnvoll, zwischen „kleineren" und „groBeren" Anderungen zu unterscheiden und sicherzustellen, dass kleinere Anderungen des ursprunglichen Planfeststellungsbeschlusses deutlich einfacher und schneller durchzufuhren sind als das eigentliche PFV. Hierfur angemessene Regelungen sollten im ursprunglichen PFV festgelegt werden.
Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
Angesichts des weiterhin dynamischen Wachstums des Luftverkehrs planen viele Flughafen einen Ausbau ihrer Infrastrukturkapazitaten. Solche Vorhaben treffen jedoch in den meisten Fallen auf erheblichen offentlichen Widerstand, der in aller Regel iiber den Kreis der von AusbaumaBnahmen unmittelbar negativ betroffenen Rughafenanlieger hinausreicht. Ein erheblicher Teil des Widerstands gegen die Bereitstellung neuer Flughafeninfrastrukturkapazitat ist auf eine ungleiche interpersonelle Verteilung der mit der geplanten InfrastrukturmaBnahme verbundenen Kosten und Nutzen zuriickzufiihren. Darliber hinaus sieht sich die Flughafeninfrastrukturpolitik oftmals auch mit Widerstanden konfrontiert, die sich auf gesellschaftliche Metawerte stiitzen und die auf eine generelle Ablehnung jedweder AusbaumaBnahmen hinauslaufen. Grundprobleme einer effizienzorientierten Infrastrukturentwicklung im Plughafensektor Der effiziente Ausbau der Flughafeninfrastruktur stellt ein ausgesprochen komplexes (multilaterales) Koordinationsproblem dar und ist als solches mit hohen Transaktionskosten und Opportunismusproblemen behaftet. Hierzu tragen insbesondere die Vielzahl der Betroffenen und die Heterogenitat ihrer Interessen, die Langlebigkeit und Spezifitat von Investitionen in Flughafenanlagen sowie vielfaltige InformationsunvoUkommenheiten vor allem beziiglich der indirekten Effekte eines Flughafenausbaus bei. Diese Probleme lassen sich durch geeignete institutionelle Regelungen zwar reduzieren, aber nicht vollig beseitigen. Allerdings sind bestimmte Arrangements mit geringeren Transaktionskosten verbunden als andere, so dass von der Wahl des konkreten institutionellen Arrangements Effizienzwirkungen ausgehen. Bei Flughafenausbauvorhaben kann auf hoheitliche Verfahren zur Entscheidungsfindung und -durchsetzung nicht verzichtet werden. Angesichts der groBen Zahl der durch exteme Effekte des Flughafenbetriebs Betroffenen und der durch die asymmetrische Verteilung dieser Effekte verursachten Interessenkonflikte fuhren die mit privaten Verhandlungen verbundenen Blockademoglichkeiten Einzelner in Verbindung mit einer Reihe problemspezifischer Transaktionsprobleme dazu, dass private Vereinbarungen zur Flughafeninfrastrukturentwicklung mit extrem hohen - in der Regel wohl prohibitiven - Transaktionskosten verbunden waren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch volkswirtschaftlich
Kapitel 5 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 227 eigentlich rentable Flughafeninfrastrukturprojekte scheitem lassen wiirden. Deshalb werden politische und/oder biirokratische Verfahren hier auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen miissen. Aber auch die Delegation von Entscheidungskompetenzen an gewahlte politische Vertreter oder an politisch unabhangige Burokraten ist mit spezifischen Problemen verbunden. Diese ergeben sich insbesondere aus den eingeschrankten Kontroll- und Sanktionsmoglichkeiten der Vertretenen gegeniiber ihren Reprasentanten. Ohne geeignete Anreize und Restriktionen besteht die Gefahr, dass die getroffenen Entscheidungen eher die Interessen der politischen oder biirokratischen Entscheidungstrager selbst als die der Burger widerspiegeln. Die Unterschiede in den Handlungsanreizen und -restriktionen von gewahlten Politikem und von BUrokraten unabhangiger Behorden lassen auf spezifische Vor- und Nachteile im Hinblick auf die Qualitat ihrer Entscheidungen schlieBen. Biirokratische Entscheidungen sind gegeniiber reprasentativ-demokratischen Entscheidungen dort tendenziell iiberlegen, wo gute Entscheidungen spezialisierte Fahigkeiten und umfangreiche Investitionen in spezifische Informationen erfordern (und auch die nachtragliche Leistungsbewertung technische Expertise verlangt), wo die den Praferenzen der Burger entsprechenden Ziele und Leistungskriterien fiir den Entscheidungstrager ex ante gut beschrieben werden konnen und iiber die Zeit relativ stabil sind und/oder wo die Vermeidung von zeitinkonsistenten oder kurzsichtigen Entscheidungen sowie der Schutz von Minderheiteninteressen eine besondere Bedeutung zukommt. Hinsichtlich der vertikalen Kompetenzverteilung zwischen verschiedenen foderalen Ebenen des Staates lasst sich a priori kein eindeutiges Urteil iiber die relative Vorteilhaftigkeit einer zentralen gegeniiber einer dezentralen Kompetenzallokation ableiten. Letztendlich hangt die angemessene foderale Kompetenzzuordnung von der Bedeutung der verschiedenen mit den alternativen Kompetenzzuordnungen jeweils verbundenen Vor- und Nachteile bei der Erfiillung konkreter hoheitlicher Aufgaben ab. Entsprechend dem Subsidiaritatsprinzip soUte dabei im Zweifelsfall jedoch einer Dezentralisierung von Kompetenzen der Vorzug vor einer Zentralisierung gegeben werden. PlanungS' und Durchsetzungsprozesse im intersektoralen und internationalen Vergleich Den PlanungS- und Genehmigungssystemen fiir groBe Infrastrukturausbauprojekte in Deutschland sowie in England und in der Schweiz ist gemein, dass Ausbauvorhaben einer Genehmigungspflicht durch politische oder politiknahe Behorden unterliegen. In alien drei Landern stoBen solche Vorhaben regelmaBig auf erhebliche Widerstande, nicht zuletzt deswegen, weil in keinem der Lander eine Pflicht zur vollstandigen Kompensation der von Infrastrukturausbauvorhaben
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Kapitel 5 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
negativ Betroffenen fiir die von ihnen zu tragenden Lasten besteht. Dies schafft insbesondere fiir die ktinftigen Anlieger der geplanten Anlagen Anreize, der Realisierung auch volkswirtschaftlich vorteilhafter Ausbauplanungen in der eigenen Nachbarschaft Widerstand entgegenzusetzen, um diese dadurch entweder zu verhindem (bzw. zumindest zu verzogern) oder aber hohere Kompensationsleistungen durchzusetzen. Neben diesen gemeinsamen Merkmalen bestehen zwischen den verschiedenen Planungs- und Genehmigungssystemen auch Unterschiede, die sich allerdings nicht entscheidend auf die Akzeptanz von groBen InfrastrukturausbaumaBnahmen auswirken. In Deutschland sind die staatlichen Planungs- und Genehmigungskompetenzen den Landem zugewiesen. Zumindest die eigentliche Planfeststellung erfolgt in aller Kegel durch politische Behorden (Landesministerien). Damit ergeben sich fiir die von Ausbauplanungen Betroffenen Moglichkeiten und Anreize, den Entscheidungsprozess zu politisieren und die politischen Kosten nicht gewunschter Entscheidungen in die Hohe zu treiben. Ausbaugegner versuchen in weiten Bevolkerungskreisen Zweifel an der Objektivitat des staatlichen Entscheidungsfindungsprozesses hervorzurufen und so die Basis des Widerstands iiber den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinaus zu erweitern. Erleichtert werden solche Versuche durch die relativ spate Einbeziehung der von geplanten FlughafenausbaumaBnahmen unmittelbar betroffenen Flughafenanlieger in den staatlichen Entscheidungsprozess, die ublicherweise erst dann erfolgt, wenn bereits wesentliche Vorentscheidungen iiber das Projekt gefallen sind. Hinzu kommt die Erfahrung, dass die Regierungen Zusagen zur Begrenzung von Belastungen und zum Verzicht auf weitere AusbaumaBnahmen in der Vergangenheit immer wieder gebrochen haben. Die staatlichen Entscheidungstrager werden regelmaBig nicht als unabhangige Schiedsrichter, sondem als „Quasipartei" angesehen, deren Aufgabe weniger die Suche nach einem angemessenen Interessenausgleich als vielmehr die Durchsetzung bereits politisch gefallter Entscheidungen ist. Dieser Eindruck wird dadurch verstarkt, dass sich die Flughafen in Deutschland bisher ausnahmslos in offentlichem (Mit-)Eigentum befmden. Im StraBen- und Schieneninfrastrukturbereich existieren gesetzlich festgelegte Grenzwerte fiir Umweltbelastungen, deren Uberschreiten automatisch einen Anspruch der davon betroffenen Anlieger auf Kompensationsleistungen begriindet. Dies ist im Bereich der Flughafeninfrastruktur nicht der Fall. Ob und in welchem Umfang Kompensationsanspriiche bestehen, muss dort deshalb oftmals erst gerichtlich geklart werden. Schon aus diesem Grund werden die Genehmigungsentscheidungen der Planfeststellungsbehorden regelmaBig vor Verwaltungsgerichten angefochten. Zudem erlaubt das Einschlagen des Rechtswegs, das Ausbauvorhaben zu verzogern und damit zumindest Zeit zu gewinnen. Insgesamt fiihrt dies dazu, dass Gerichte eine wichtige Rolle im Genehmigungsprozess spielen und faktisch als zusatzliche Genehmigungsinstanz neben
Kapitel 5 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 229 den Planfeststellungsbehorden fungieren. Aufgrund der groBen Bedeutung, die den Gerichten zukommt, haben die Betroffenen einen Anreiz, ihr Verhalten im Anhorungsverfahren eher auf den Erfolg ihrer spateren Klage vor Gericht auszurichten als auf eine volkswirtschaftlich effiziente und individuell akzeptable Entscheidung im Planfeststellungsverfahren (PFV). Um den Anreiz zu gerichtlichen Klagen zu verringern, wurden in j lingerer Zeit Mediationsverfahren durchgefiihrt, die eine fruhzeitige Einbeziehung aller Betroffenen erlauben. Vor allem wegen der fehlenden Verbindlichkeit der Mediationsergebnisse fiir das formale Entscheidungsverfahren wurde dieses Ziel jedoch kaum erreicht. Auch in England sieht das Planungs- und Genehmigungssystem eine institutionelle Trennung zwischen den Aufgaben der Entscheidungsvorbereitung und der Entscheidungsfindung vor. Die erste Aufgabe ist einer politisch weitgehend unabhangigen Behorde iibertragen, die zweite wird faktisch von der Zentralregierung wahrgenommen. Im Unterschied zu Deutschland werden alle von Flughafenausbauplanungen Betroffenen relativ friihzeitig und umfassend in den Planungsprozess eingebunden. Das Verfahren ist als gerichtsahnlicher Prozess ausgestaltet, in dem die Vertreter unterschiedlicher Interessen nicht nur ihre eigenen Standpunkte vortragen, sondem auch unmittelbar auf die Argumente der jeweiUgen Gegenseite eingehen konnen. Die Planungsbehorde hat die Aufgabe, eine Entscheidungsempfehlung und auch eine Empfehlung zur Gestaltung des anzustrebenden Interessenausgleichs abzugeben und mit detailHerter Begriindung zu veroffenthchen. Die Empfehlung ist fur die Regierung allerdings nicht verbindlich; oftmals weicht diese in ihren Entscheidungen davon ab. Dem gerichtlichen Klageweg als Mittel der Auseinandersetzung widerstreitender Interessen kommt in England eine vergleichsweise geringe Bedeutung zu. Entsprechend haben die Betroffenen einen verhaltnismaBig starken Anreiz, ihr Anliegen im eigentlichen Planungsverfahren vorzubringen. Das institutionelle Arrangement fiihrt im Vergleich zu Deutschland tendenziell zu hoheren Kosten in der Phase der Entscheidungsfindung, denen allerdings geringere Kosten der Durchsetzung staatlicher Genehmigungsentscheidungen und eine tendenziell bessere Entscheidungsbasis fur die Regierung als Genehmigungsinstanz gegeniiberstehen. Allerdings ist auch in England zu beobachten, dass versucht wird, die staatlichen Entscheidungsprozesse zu politisieren. Auch hier wird dies durch die Erfahrung erleichtert, dass die Regierung Zusagen zur Begrenzung der Belastungen und zum Verzicht auf weitere AusbaumaBnahmen immer wieder gebrochen hat, so dass solche Ankiindigungen wenig glaubwurdig sind. In der Schweiz hat sich die Zustandigkeit fiir die Genehmigung von Flughafenausbauvorhaben in den letzten Jahren von den Kantonen auf den Bund verlagert, ohne dass sich dies jedoch entscheidend auf die Durchsetzbarkeit von Flughafenausbauplanungen ausgewirkt hat. Eine Besonderheit des institutionellen Rahmens, innerhalb dessen in der Schweiz liber Flughafenausbauplanungen
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Kapitel 5
Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
entschieden wird, besteht darin, dass das behordliche Planungs- und Genehmigungsverfahren durch (begrenzte) direkt-demokratische Mitbestimmungsmoglichkeiten der Bevolkerung auf kantonaler Ebene erganzt wird. In der Vergangenheit wurde von Ausbaugegnern regelmaBig versucht, diese Rechte zu nutzen, um Ausbauvorhaben zu verhindem, was jedoch in aller Regel nicht gelang. Soweit es uberhaupt zu einer Volksabstimmung kam, hat sich die Kantonsbevolkerung zumeist mehrheitlich fur die Unterstutzung des Projekts ausgesprochen. Allerdings fuhrt auch eine entsprechende Zustimmung nicht zu einer wesentUchen Beschleunigung der Projektdurchsetzung, da die von den Genehmigungsentscheidungen (potentiell) negativ Betroffenen auch in der Schweiz die Moglichkeit haben, ihre Rechte durch Klagen vor Gerichten zu wahren. Die Erfahrungen in den drei betrachteten Landem legen nahe, dass (i) die fehlende Gewahrleistung ausreichender Kompensationsanspriiche der von Ausbauvorhaben negativ Betroffenen, (ii) die Zuweisung von Genehmigungskompetenzen an poHtische bzw. poUtiknahe Behorden und (iii) die mangelnde Glaubwlirdigkeit von Zusagen hinsichthch einer Beschrankung kunftiger Belastungen der Flughafenanlieger maBgebhch zu den Problemen beitragen, mit denen der Ausbau der Fughafeninfrastruktur in diesen Landem verbunden ist. Zwischen den verschiedenen nationalen Planungs- und Genehmigungssystemen durchaus vorhandene Unterschiede hinsichthch (iv) des Zeitpunkts und des Umfangs der Beteihgung der verschiedenen Betroffenengruppen (insbesondere der Flughafenanheger) in den Planungs- und Genehmigungsprozess sowie (v) der vertikalen (foderalen) Zuordnung der politisch-administrativen Entscheidungskompetenzen haben vor diesem Hintergrund einen allenfalls geringen Einfluss auf den Umfang dieser Probleme. Eine wesentliche Verringerung der in alien betrachteten Landem bestehenden, gmndlegenden Probleme bei Planung und Durchsetzung von Flughafenausbauprojekten erfordert deshalb eine koharente Reform des institutionellen Rahmens der Flughafeninfrastmkturpolitik in alien diesen (fiinf) Dimensionen. Leitlinien einer Reform Die Essenz unseres Reformvorschlags lasst sich dementsprechend in fiinf interdependenten Leitlinien zusammenfassen. Jede der fiinf Leitlinien zielt sowohl auf eine gesteigerte Effizienz als auch auf eine hohere Akzeptanz des Entscheidungsverfahrens und der Entscheidungen selbst. Beide Effekte - die erhohte Effizienz als auch die erhohte Akzeptanz - wiirden im Ergebnis die Transaktionskosten der Planungs-, Entscheidungs- und Durchsetzungsprozesse senken. Die ersten beiden Leitlinien beziehen sich auf eine Reform der horizontalen und foderalen (vertikalen) Aufgaben- bzw. Kompetenzzuordnung. Sie zielen vor
Kapitel 5 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 231 allem darauf, Zustandigkeiten zu klaren und Verantwortlichkeit zu fordem, das PFV von „sachfremden" Aufgaben und „dysfunktionalen" Konflikten zu entlasten und die Potentiale fiir einen funktionsfahigen foderalen (interregionalen bzw. institutionellen) Wettbewerb zu starken. Die drei weiteren Leitlinien beziehen sich auf die Reform des eigentlichen Planfeststellungsverfahrens, speziell der Regeln zur Herbeifuhrung, zum Inhalt und zur Administration (Ex-postGovemance) einer Genehmigungsentscheidung und der damit gegebenenfalls verbundenen Auflagen und Kompensationsregeln. Sie zielen darauf, die Moglichkeiten und die Anreize aller von den raumlich konzentrierten negativen Extemalitaten eines Flughafenausbaus und -betriebs Betroffenen zur konstruktiven Mitarbeit im Planfeststellungsverfahren zu starken und das Auffinden und verbindliche Vereinbaren eines angemessenen Ausgleichs der Interessen von Anwohnern bzw. Immobilieneigentiimern und Flughafengesellschaft und -nutzern zu erleichtern. Die fiinf Leitlinien sind in hohem MaBe komplementar. Die Umsetzung jeder einzelnen Leitlinie hat durchaus einen eigenstandigen positiven Effekt auf Effizienz und Akzeptanz der Verfahren und der Entscheidungen; zugleich verstarkt sie den positiven Effekt der Umsetzung aller anderen Leitlinien. Der positive Effekt der vorgeschlagenen Reform ist also dann am groBten, wenn die fiinf Leitlinien gemeinsam umgesetzt werden und so ein koharenter institutioneller Rahmen fUr die Flughafeninfrastrukturpolitik geschaffen wird. Leitlinie 1: Klare horizontale Aufgaben- und Kompetenzzuordnung, Privatisierung Leitlinie 1 spricht sich fiir eine Reform der horizontalen Aufgaben- und Kompetenzzuordnung beim Flughafenausbau aus. Dies gilt sowohl (1) fiir die Abgrenzung der Aufgaben des eigentlichen PFV von denen anderer politisch-administrativer Verfahren als auch (2) fiir die Abgrenzung von politischen, administrativen und unternehmerischen Funktionen bei Ausgestaltung und Durchfiihrung des PFV selbst. Im Rahmen beider Elemente dieser Leitlinie wird eine vollstandige materielle Privatisierung der Flughafen als ein wichtiges Reformelement erachtet. Die Aufgaben des Planfeststellungsverfahrens sollten klarer als bisher fokussiert und deutlicher von anderen politisch-administrativen Aufgaben im Bereich Flughafeninfrastrukturbau und -nutzung sowie von rein unternehmerischen Aufgaben abgegrenzt und institutionell getrennt werden. Die Aufgabe des PFV sollte darin bestehen, in ihrer Reichweite raumlich konzentrierte negative Externalitaten eines Flughafenausbaus und seiner anschlieBenden Nutzung zu intemalisieren und einen angemessenen Ausgleich der Interessen der von diesen Ex-
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Kapitel 5 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
temalitaten negativ Betroffenen einerseits und der Flughafengesellschaft andererseits herbeizufiihren. Die Intemalisierung bzw. Begrenzung iiberregional wirkender Umwelteffekte, die uberregionale Netzplanung bzw. die Intemalisierung uberregionaler Netzextemalitaten sowie die wettbewerbsrechtliche KontroUe und gegebenenfalls die okonomische Regulierung marktmachtiger Flughafen sollten nicht expliziter Gegenstand des PFV sein, sondem von diesem institutionell strikt getrennt werden. Auch iiber die Notwendigkeit und die Instrumente einer Intemalisierung moglicher positiver Externalitaten - wie z.B. mogliche positive Beschaftigungs- und Wachstumseffekte des Flughafenausbaus - soUte unabhangig von der regionalen Reichweite dieser Effekte aufierhalb des PFV entschieden werden. Auch in Bezug auf Ausgestaltung und Durchfuhmng des PFV ist eine klare und angemessene Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen Politik, Verwaltung und privaten Akteuren sicherzustellen. Regelsetzung, Regelanwendung und untemehmerische Funktionen sind deutlicher zu trennen, als dies bisher der Fall ist. Wahrend die Formuliemng allgemeiner gesetzlicher Vorgaben bezuglich inhaltlicher und prozeduraler Regeln Aufgabe der Politik sein sollte, soUte die Regelanwendung an eine politisch unabhangige Behorde delegiert werden. Zur Sicherung der Unabhangigkeit der Behorde sollten hohe institutionelle Hiirden fiir eine politische Modifikation der Verwaltungsentscheidung der unabhangigen Behorde aufgestellt werden. Zudem sollte die Unabhangigkeit der Behorde durch geeignete Regeln zur Emennung (bzw. Abberufung) der Behordenleitung und zur Festlegung der ihr zur Aufgabenerfullung zugewiesenen Ressourcen gestutzt werden. Die Einflussmoglichkeiten der politischen Akteure auf konkrete Einzelfallentscheidungen und damit zugleich die Moglichkeiten einzelner Betroffener, Uber die politischen Akteure Einfluss zu nehmen, sollten zudem durch eine vollstandige materielle Privatisiemng der Flughafen verringert werden. Leitlinie 2: Funktionsfdhiger institutioneller Wettbewerb Leitlinie 2 spricht sich dafiir aus, die Kompetenz zur Ausgestaltung und zur Durchfuhrung der PFV den Bundeslandem zuzuweisen und die Potentiale fur einen funktionsfahigen institutionellen Wettbewerb zwischen den Bundeslandem (und zwischen den Flughafen selbst) zu starken. In einem solchen Wettbewerb hatten die Bundeslander die Moglichkeit und die Anreize, nach effizienten und zugleich die Akzeptanz des Verfahrens und seiner Ergebnisse erhohenden Verbesserungen der institutionellen Ausgestaltung der Planungs- und Entscheidungsverfahren zu suchen und diese selbstandig und in eigener Verantwortung zu implementieren. Zugleich wUrde der Wettbewerb zwischen den Flughafen selbst gestarkt.
Kapitel 5 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 233 Eine Zusammenarbeit kleinerer Lander oder auch eine generelle Zusammenarbeit von Landem im Falle grenznaher Rughafenprojekte mit umfangreichen grenzuberschreitenden Externalitaten konnte vorteilhaft sein, auch wenn ihre Implementierung mit erheblichen Problemen verbunden sein dtirfte. Auch sollte auf bundesgesetzHche Rahmenregeln nicht ganzlich verzichtet werden. So sollten MmJ^^fstandards fiir Partizipations- und Kompensationsrechte festgeschrieben werden - vor allem auch fiir jene Betroffenen, die nicht in dem Bundesland wohnen bzw. angesiedelt sind, in dem das Verfahren durchgefuhrt wird. Erganzt werden sollte diese foderale Aufgabenteilung durch Kompetenzen des Bundes und teilweise auch der EU zur Intemalisierung iiberregionaler Umwelteffekte und zur wettbewerbsrechtlichen KontroUe (und gegebenenfalls zur okonomischen Ex-ante-Regulierung des Angebotsverhaltens) marktmachtiger Flughafen. Auch im Hinblick auf eine mogliche Subventionierung der Flughafenunternehmen durch die (regionale) Politik sollten der Bund oder die EU Rahmenregeln etwa in Form von Nicht-Diskriminierungsregeln und einer Beihilfenaufsicht zentral vorgeben. Leitlinie 3: Offenheit, Transparenz und Verbindlichkeit des behordlichen Verfahrens Leitlinie 3 spricht sich dafur aus, das bisherige Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren umfassend zu reformieren. Vor allem ist es dabei wichtig, die Moglichkeiten und Anreize zur konstruktiven Mitarbeit aller durch regional begrenzte negative Externalitaten Betroffenen zu verbessern. Dies kann dadurch erreicht werden, dass alle direkt Betroffenen und dariiber hinaus alle sachlich Interessierten ihre Anliegen im Verfahren vorbringen konnen und dass diese adaquat gewiirdigt werden. Hierzu ist das PFV zu einem offenen, transparenten und vomehmlich prozedural regelgebundenen Verfahren umzugestalten. Die Rolle der Behorde sollte auf die eines neutralen Schiedsrichters mit Entscheidungsbefugnis zugeschnitten werden. Dies erlaubt es, Elemente alternativer Konfliktregelungsverfahren in das Verwaltungsverfahren selbst zu integrieren. Im Rahmen des Verfahrens sollten grundsatzlich alle sachlich interessierten Parteien Stellung nehmen, Sachverstandige aufbieten, Alternativen vorschlagen und auf offene Fragen hinweisen konnen. Um ein Ausufem des zeitlichen und fmanziellen Rahmens des Verfahrens zu verhindem, ist die Behorde als Leiter des Verfahrens mit geeigneten Rechten und Ressourcen auszustatten. Die Stellungnahmen und Kommentare der verschiedenen Beteiligten sollten grundsatzlich schon wahrend des laufenden Verfahrens alien Interessierten zuganglich gemacht werden. Die Behorde sollte verpflichtet werden, ihre Entscheidung ausschlieBlich auf solche Informationen, Argumente und Stellungnahmen zu griinden, die im Verfahren offengelegt wurden. Sie sollte verpflichtet werden.
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Kapitel 5
Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
die Informationen und Argumentationslinien, die ihren Entscheidungen zugrunde liegen, moglichst vollstandig zu dokumentieren und zu veroffentlichen. Die Verbindlichkeit des behordlichen PF-Beschlusses sollte erhoht werden, indem die Moglichkeiten zur gerichtlichen Oberprufung des Verwaltungshandelns weitgehend auf Verfahrensfragen beschrankt und insgesamt gestrafft werden. Leitlinie 4: Kompensationspflichten, Auflagen und Nutzungsbeschrdnkungen Leitlinie 4 spricht sich fiir einen klar formulierten Rechtsanspruch auf individuelle Kompensation fiir besonders intensive individuelle Belastungen sowie erweiterte Moglichkeiten zur glaubwurdigen Festlegung von Betriebsauflagen und Nutzungsbeschrankungen aus. Kompensationen und Abgaben sowie Auflagen und Nutzungsbeschrankungen zielen darauf, die externen Kosten von Flughafenausbau und -betrieb entscheidungsrelevant werden zu lassen. Zudem erleichtem sie es, eine als „fair" empfundene Lastenverteilung und damit einen „akzeptablen" Interessenausgleich zwischen dem Betreiber, den Nutzem und den Anwohnern des Flughafens herbeizufUhren. Direkter Adressat von Kompensationspflichten, Abgaben und Auflagen sollte dabei der Flughafenbetreiber sein - nicht die Flughafennutzer. Von Larm oder anderen Belastungen oder Gefahren besonders stark Betroffene soUten einen erweiterten gesetzlich garantierten Rechtsanspruch auf individuelle, materielle Kompensationen erhalten. Die Regeln, auf deren Grundlage die PF-Behorde den Kreis der Anspruchsberechtigten bestimmt und die Hohe der vom Projekttrager zu leistenden Kompensationen bemisst, sollten moglichst klar und eindeutig gesetzlich festgelegt werden. Entsprechende Entscheidungen der Behorde sollten auch inhaltlich vor Gericht angefochten werden konnen. Von entsprechenden Belastungen weniger stark Betroffene aus dem weiteren Umfeld des Flughafens sollten hingegen keinen gesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf individuelle Kompensation erhalten, Dennoch sollte die Planfeststellungsbehorde auch hier versuchen, einen angemessenen Interessenausgleich herzustellen und die sozialen Kosten, die entsprechende Belastungen darstellen, zu begrenzen bzw. entscheidungsrelevant werden zu lassen. Die Behorde sollte das Recht haben, hierzu - auf der Basis der im Planfeststellungsbeschluss eingebrachten Informationen, Interessen und Vorschlage - weitgehend diskretionar auf eine breite Palette von Instrumenten zuriickzugreifen. Hierzu zahlen neben u.U. pauschalisierten finanziellen Kompensationen an Individuen oder Kollektive (z.B. Gemeinden) auch die Verkniipfung der Genehmigung einer Flughafenerweiterung mit Auflagen hinsichtlich Investitionen in aktive oder passive SchallschutzmaBnahmen, Emissionsobergrenzen oder auch Nutzungsbeschrankungen (z.B. ein beschranktes Nachtflugverbot oder die Festlegung einer maxi-
Kapitel 5 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 235 malen Zahl von Flugbewegungen) oder Beschrankungen des zukiinftigen weiteren Ausbaus des Flughafens. Leitlinie 5: Administration des Planfeststellungsbeschlusses (Ex-postGovernance) Leitlinie 5 spricht sich fiir die Schaffung eines adaquaten Verfahrens zur Administration, d.h. zur Kontrolle, Auslegung, Anpassung und Fortschreibung von Planfeststellungsbeschliissen (Ex-post-Govemance), aus. Sie zielt darauf ab, sowohl die Glaubwiirdigkeit als auch die Fahigkeit zur effizienten Anpassung der Planfeststellungsbeschlusse zu erhohen, soweit dies moglich ist, und dort, wo dies nicht moglich ist, einen angemessenen Ausgleich zwischen beiden Zielen sicherzustellen. Bereits bei der Formulierung der urspriinglichen Genehmigung bzw. Planfeststellung sollte beriicksichtigt werden, dass sich im Zeitablauf jedenfalls fiir einen Teil der in der Planfeststellung getroffenen inhaltlichen Regelungen ein KontroU- und Anpassungsbedarf ergeben wird. Mit der Planfeststellung sollte deshalb ein geeignetes Verfahren zur Administration dieser Regelungen festgelegt werden (Ex-post-Governance-Struktur). Eine Anpassung der im Planfeststellungsbeschluss getroffenen inhaltlichen Entscheidungen an veranderte technische und wirtschaftliche Bedingungen oder rechtliche Entwicklungen im weiteren institutionellen Umfeld sollte erleichtert werden, ohne die - angesichts umfangreicher spezifischer und langlebiger Investitionen notwendige - Bindungswirkung der Genehmigung zu stark einzuschranken. Einiges spricht dafiir, die Administration der Beschlusse zu wesentlichen Teilen in die Hand der urspriinglichen Planfeststellungsbehorde zu legen. Dies gilt zwar nicht notwendig fiir die Kontrolle der Einhaltung vereinbarter und festgesetzter Auflagen und Kompensationspflichten, wohl aber fiir die Anpassung bzw. Fortschreibung der urspriinglichen Vereinbarungen, fiir die bereits ex ante ein entsprechendes Verfahren definiert werden sollte. Transaktionskosten und Dauer der Planung, Genehmigung und Durchsetzung von Flughafeninfrastrukturprojekten Wir erwarten, dass die Transaktionskosten der Planung, Genehmigung und Durchsetzung von Flughafeninfrastrukturprojekten durch die gemeinsame Umsetzung der fiinf Leitlinien deutlich sinken werden. Die betriebs- und volkswirtschaftliche Effizienz der unternehmensintemen Entscheidungen wiirde erhoht; die Bedeutung, Effizienz und Akzeptanz von PFV und PF-Beschliissen wiirden gestarkt. Dies bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass das eigentliche verwaltungsrechtHche PFV beschleunigt wiirde. Es ist wohl davon auszugehen, dass
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Kapitel 5 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
die Erweiterung der Beteiligungsrechte aller sachlich Interessierten dazu fiihren wurde, dass speziell das Anhorungs- und Erorterungsverfahren nach Umsetzung der Reformen in der Regel eher mehr Zeit in Anspruch nehmen wird als bisher. Dies impliziert jedoch wiederum nicht, dass auch das gesamte Verfahren der Planung, Entscheidung und Realisierung von Flughafeninfrastrukturprojekten insgesamt mehr Zeit in Anspruch nehmen wiirde als bisher. Das PFV wiirde insbesondere durch die strikte Aufgabenfokussierung und Entpolitisierung, aber auch durch die EtabHerung einer geeigneten Ex-post-Govemance-Struktur tendenziell entlastet. Zudem ist zu erwarten, dass die Umsetzung der Leitlinien zu einer Verkiirzung vor- und nachgelagerter Verfahren fiihren wird: • Die Privatisierung der Flughafenuntemehmen diirfte zu einer Beschleunigung unternehmensinterner Planungs-, Diskussions- und Entscheidungsprozesse fiihren. • Indem Funktionen, die bisher in der Vorverhandlungsphase wahrgenommen werden, zu einem integralen Bestandteil des hoheitlichen Verfahrens gemacht werden, nimmt die Bedeutung und die Dauer der Vorverhandlungsphase ab. Dieser Effekt wird durch eine Privatisierung des Flughafens und die Entpolitisierung des Verfahrens noch weiter verstarkt. • Auch die Zahl und die Dauer der sich an das Verwaltungsverfahren anschlieBenden verwaltungsgerichtlichen Auseinandersetzungen kann durch die Reform des hoheitlichen Verwaltungsverfahrens (direkt und indirekt) reduziert werden. Insgesamt wirkt dies einer moglichen langeren Dauer des Anhorungs- und Erorterungsverfahrens entgegen und kann diese sogar mehr als kompensieren, so dass es durch die Umsetzung der Reformleitlinien zu einer Verkiirzung des gesamten Zeitraums vom Beginn der unternehmensinternen Diskussion bis zum Baubeginn bzw. bis zu dessen Fertigstellung kommen kann.
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