NORBERT FISCHER (HG.)
Augustinus Spuren und Spiegelungen seines Denkens Band 2
Meiner
I Von Descartes bis in die Geg...
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NORBERT FISCHER (HG.)
Augustinus Spuren und Spiegelungen seines Denkens Band 2
Meiner
I Von Descartes bis in die Gegenwart
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über s öuvm:inspector cordis< zu denken; vgl. den hier vorliegenden Beitrag Norbert Fischer (89 -no).
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Selbstsein der Geschöpfe vernichtenden Prädestinationstheorie aber auf eine Bahn, die in der neuzeitlichen Philosophie keinen guten Nachklang haben konnteY Descartes hat sich nicht dagegen gewehrt, daß sein Ansatz mit dem Augustins in Verbindung gebracht wurde, bestritt aber dessen Einfluß auf seinen Denkweg und das Urteil der Vernunft. 14 Die neuzeitliche Philosophie beginnt mit dem Willen, die Quellen der Wahrheit in der Vernunft selbst aufzusuchen, die Vernunft als Richter (>iudex ratioJahrhundert Augustins< lebte und schrieb. 16 Er weist auf wenig bekannte Beziehungen hin (z. B. zu Kant und Schopenhauer) und stellt sie zur Diskussion. In der Neuzeit wurden - im Unterschied zu der gemäßigten und impliziten Kritik, die es schon im Mittelalter gab - auch Interpretationen und Deutungen Augustins vorgetragen, die explizit und teilweise sogar schroff (wenngleich aus sehr unterschiedlichen, manchmal bunt schillernden Motiven) Problematisches und Vorgestriges am Werk und an der Wirkung Augustins betonen. Exemplarisch sollen Friedrich Nietzsche, Hans Blumenberg und Kurt Flasch zu Wort kommen. Solche >Spuren und Spiegelungen< von Augustins Werk, die in der Neuzeit - wie die vorgelegten Beiträge zeigen - zwar nicht vorherrschen, aber doch auch nicht untypisch sind, seien hier wenigstens beiläufig skizziert, obwohl sie nicht immer viel zu Augustinus sagenY Nach Friedrich Nietzsehe (1844 -1900) ist »der schlimmste, langwierigste und gefährlichste aller Irrthümer bisher ein Dogmatiker-Irrthum gewesen [ ... ], nämlich Plato's Erfindung vom reinen Geiste und Guten an sich«; den Kampf gegen
13 Kant, der jede Werkgerechtigkeit als haltlos ablehnte (z. B. KrV B 579 Fn), nannte die Prädestinationslehre den »salto mortale der menschlichen Vernunft« (RGV B 178 = AA 6,121); offenbare Schwächen dieser Lehre stellt auch Friedrich Nietzsche mit ätzender Schärfe an den Pranger; vgl. Der Wanderer und sein Schatten (1880; KSA 2,591). 14 Vgl. die Hinweise am Beginn des Beitrags von Rainer Schäfer (bes. 27f.). 15 con! 10,10 (»iudex ratio«) weist zurück auf Aristoteles (De anima 429a19 f.) und voraus auf Kant (KrV B XIII). 16 V gl. die abweichenden Urteile in den Beiträgen von Rainer Schäfer und Hartrnut Rudolph; zum ,Jahrhundert Augustins< vgl. Laurence Devillairs: Augustin au XVII' siecZe. Mit drei Abteilungen: Les textes, la langue et l'histoire (z. B. zu Port-Royal); Philosophie et spiritualite (z. B. zu Descartes, Pascal, Fenelon, zur Theorie des Lichtes); Memoire, poesie, priere. 17 Die folgenden Ausführungen stützen sich weitgehend auf Norbert Fischer: Einleitung (Tusculum), bes. 795 - 802. Vgl. dort auch den Abschnitt: Neue Ansätze zu denkerischen Gesprächen mit Augustinus; a. a. 0., 803 - 808.
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Plato sieht Nietzsehe aber zugleich »als Kampf gegen den christlich-kirchlichen Druck von Jahrtausenden - denn Christenthum ist Platonismus für's Volk«.18 Seine Platonismus-Kritik richtet sich zumeist gegen neuzeitliche Platonismen, die »das metaphysische Denken nicht in seinem vollen Umfang und vor allem nicht in seinem letzten Grund« erfassen. 19 Dennoch hat Nietzsehe sich recht oft polemisch zu Augustinus geäußert, wobei er verschiedenartige Register zieht. Eine Erwähnung findet sich in der Fröhlichen Wissenschaft unter dem Titel: »Die Rache am Geist und andere Hintergründe der Moral. «20 Nach der Frage, wo die Moral »ihre geHihrlichsten und tückischsten Anwälte« habe, spricht er vom mißratenen Menschen, »der nicht genug Geist besitzt, um sich dessen freuen zu können, und gerade Bildung genug, um das zu wissen« und so »schließlich in einen habituellen Zustand der Rache, des Willens zur Rache« gerät. Die Passage, die auch gegen Augustinus zielt, lautet: »Immer die Moralität, darauf darf man wetten, immer die grossen Moral-Worte, immer das Bumbum von Gerechtigkeit, Weisheit, Heiligkeit, Tugend, immer den Stoicismus der Gebärde (- wie gut versteckt der Stoicismus was Einer nicht hat! ... ), immer den Mantel des klugen Schweigens, der Leutseligkeit, der Milde, und wie alle die Idealisten-Mäntel heissen, unter denen die unheilbaren Selbstverächter, auch die unheilbar Eiteln, herum gehn. Man verstehe mich nicht falsch: aus solchen geborenen Feinden des Geistes entsteht mitunter jenes seltene Stück Menschthum, das vom Volke unter dem Namen des Heiligen, des Weisen verehrt wird; aus solchen Menschen kommen jene Unthiere der Moral her, welche Lärm machen, Geschichte machen, - der heilige Augustin gehört zu ihnen. Die Furcht vor dem Geist, die Rache am Geist - oh wie oft wurden diese triebkräftigen Laster schon zur Wurzel von Tugenden!« Der Vorwurf, nicht genug Geist besessen zu haben, fehlt in der folgenden Attacke, in der Nietzsche Augustinus - im Gegensatz zur >bäurischen, treuherzigen und zudringlichen Artsüdliche delicatezza< zuspricht. Er sagt: »Es giebt ein orientalisches Aussersichsein darin, wie bei einem unverdient begnadeten oder erhobenen Sklaven, zum Beispiel bei Augustin, der auf eine beleidigende Weise aller Vornehmheit der Gebärden und Begierden ermangelt. Es giebt frauenhafte Zärtlichkeit und Begehrlichkeit darin, welche schamhaft und unwissend nach einer unio mystica et physica drängt: wie bei Madame de Guyon. In vielen Fällen erscheint sie wunderlich genug als Verkleidung der Pubertät eines Mädchens oder Jünglings; hier und da selbst als Hysterie einer alten Jungfer, auch als deren letzter Ehrgeiz: - die Kirche hat das Weib schon mehrfach in einem solchen Falle heilig gesprochen.«21 Nietzsehe scheint Augustinus hier eine V gl. Jenseits von Gut und Böse, Vorrede (KSA 5,12). So Tilman Borsehe: Was etwas ist. Fragen nach der Wahrheit der Bedeutung bei Platon, Augustin, Nikolaus von Kues und Nietzsche, 252. 20 Alle zitierten Stellen aus Die fröhliche Wissenschaft, Nr. 359 (KSA 3,605 - 607). 21 Vgl. Jenseits von Gut und Böse. Nr. 50 (KSA 5,70 f.). \8 \9
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Raffiniertheit zuzubilligen, die er allerdings für unreif hält, da sie von ihren eigenen wirklichen Zielen noch nichts wisse. Mangelnder Sinn für die Unruhe, von der Augustinus sich auf Gott hin getrieben sieht, spricht aus einer Stelle, deren Ausgangspunkt der Mensch »der späten Culturen und der gebrochenen Lichter« ist. Von ihm mutmaßt Nietzsehe, er sei »durchschnittlich ein schwächerer Mensch«, da sein Verlangen sei, »dass der Krieg, der er ist, einmal ein Ende habe«. In dieser Hinsicht werden epikureische und christliche Denkweise über einen Kamm geschoren, sofern sie beide Beruhigung suchten: »das Glück des Ausruhens, der Ungestörtheit, der Sattheit, der endlichen Einheit, als Sabbat der Sabbate, um mit dem heiligen Rhetor Augustin zu reden, der selbst ein solcher Mensch war.« Entzückt nennt Nietzsehe »die eigentliche Meisterschaft und Feinheit im Kriegführen mit sich, also Selbst-Beherrschung, Selbst-Überlistung«, durch die »jene zauberhaften Unfassbaren und Unausdenklichen,« entstehen, »jene zum Siege und zur Verführung vorherbestimmten Räthselmenschen, deren schönster Ausdruck Alcibiades und Caesar« seien. Nietzsehe schließt: ))Sie erscheinen genau in den selben Zeiten, wo jener schwächere Typus, mit seinem Verlangen nach Ruhe, in den Vordergrund tritt: beide Typen gehören zu einander und entspringen den gleichen Ursachen.«22 In diesem Text tritt eine grobe, polemische Sichtweise Augustins hervor. Die von Nietzsehe gepriesenen Prädikate könnten eher Augustinus als Cäsar zugesprochen werden, allerdings ohne äußere List und Grausamkeit (die ja kein )Kriegführen mit sich< bedeuten). Augustinus ist inneren Kämpfen nicht ausgewichen, hat keine vorschnellen Lösungen gesucht, sondern sich - solange die Weltzeit währt - als ruheloses Herz gewußt. Noch schärfer spricht Nietzsehe im Antichrist, in dessen Invektiven er wieder an einen in der Fröhlichen Wissenschaft erhobenen Vorwurf anknüpft: ))Die versteckte Rachsucht, der kleine Neid Herr geworden! Alles Erbärmliche, An-sich-Leidende, Von-schlechten-Gefühlen-Heimgesuchte, die ganze Ghetto-Welt der Seele mit Einem Male obenaufl - - Man lese nur irgend einen christlichen Agitator, den heiligen Augustin zum Beispiel, um zu begreifen, um zu riechen, was für unsaubere Gesellen damit obenauf gekommen sind. Man würde sich ganz und gar betrügen, wenn man irgend welchen Mangel an Verstand bei den Führern der christlichen Bewegung voraussetzte: - oh sie sind klug, klug bis zur Heiligkeit, diese Herrn Kirchenväter! Was ihnen abgeht, ist etwas ganz Anderes. Die Natur hat sie vernachlässigt, - sie vergass, ihnen eine bescheidene Mitgift von achtbaren, von anständigen, von reinlichen Instinkten mitzugeben ... Unter uns, es sind nicht einmal Männer ... Wenn der Islam das Christenthum verachtet, so hat er tausend Mal Recht dazu: der Islam hat Männer zur Voraussetzung ... «.23 Alle Zitate aus Jenseits von Gut und Böse. Nr. 200 (KSA 5,120 f.). Der Antichrist. Nr. 59 (KSA 6,248 f.). Solches Männertum war schon immer ein guter Grund für Gänsehaut. 22 23
EINLEITUNG
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In einem Fragment predigt Nietzsche ungewohnt Demut und nennt die christliche Demut angesichts Gottes unbescheiden. Er notiert: »- wie unbescheiden nimmt sich der Mensch mit seinen Religionen aus, auch wenn er sich noch vor Gott wälzt, gleich dem heiligen Augustin! Welche Zudringlichkeit! Dieses väterliche oder großväterliche Princip im Hintergrunde! «24 Seine Äußerungen sind kein klarer Ausweis für eine gute Kenntnis des Textes der Confessiones. Diese Einschätzung bestätigt sich schließlich in einem Brief an Franz Overbeck vom 31. März 1885, in dem er so plump psychologisiert, daß kundige Leser wohl nur lachend sein Gelächter ertragen und nur spöttisch ihm etwas zu entgegnen geneigt sein mögen. Nietzsche diskreditiert seine eigene Urteilsfähigkeit, indem er sagt: »Ich las jetzt, zur Erholung, die Confessionen des h(eiligen) Augustin, mit großem Bedauern, daß Du nicht bei mir warst. Oh dieser alte Rhetor! Wie falsch und augenverdreherisch! Wie habe ich gelacht! (zb. über den >Diebstahl< seiner Jugend, im Grunde eine Studenten-Geschichte.) Welche psychologische Falschheit! (zb. als er vom Tode seines besten Freundes redet, mit dem er Eine Seele gewesen sei, >er habe sich entschlossen, weiter zu leben, damit auf diese Weise sein Freund nicht ganz sterbeLegitimität der Neuzeit< gefochten und sich kritisch mit Texten Augustins auseinandergesetzt, teilweise jedoch auf Grund zweifelhafter Auslegungen. Zwei Hauptpunkte sind die Grundlage seiner Kritik. Als ersten nennt er Augustins Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Übels in der Welt (LN 145): »Mit einer ebenso rührenden wie verhängnisvollen Geste übernahm er für den Menschen und auf den Menschen die Verantwortung für das, was an der Welt drückende Last war.« Zweitens sieht er in Augustinus die geschichtliche Ursache der endgültigen Aufnahme der theoretischen Neugierde in den Lasterkatalog (LN 376). Beide Punkte hängen mit der These zusammen, Mensch und Gott Das Fragment stammt aus der Zeit vom Herbst 1885 - Frühjahr 1886; vgl. KSA 12,28 (NF 1 [70]). 25 Er nimmt Augustins Selbstkritik nicht zur Kenntnis; vgl. retr. 2,6,2: »in quarto libro, cum de amici morte animi mei miseriam confiterer, dicens quod anima nostra una quodammodo facta fuerat ex duabus, jet ideoAugustinismusAugustinisches< Denken finde sich auch in anderen Schriften Pascals, so im Bekehrungsschema, das in der Schrift Ober die Bekehrung des Sünders vorliegt. Schließlich seien die Pensees, die ebenfalls auf die Bekehrung ausgerichtet sind, vor Augustinischem Hintergrund erarbeitet. Das sei zwar für die anthropologische Analyse - auch wenn sie vielfach durch Montaigne fermentiert und eigenständig ausgearbeitet ist - schon öfter herausgestellt worden. Darüber hinaus enthalte der aufgezeigte Bekehrungsweg in den Fragmenten aber auch klare Parallelen zu den Confessiones, so daß diesen geradezu Modellcharakter für den apologetischen Denkweg Pascals zukomme. Nach Hartrnut Rudolph zeugt der thematisch vielfältige und breit gestreute Rekurs auf Augustinus in Leibniz' Werk und Korrespondenz von einer bis in die Kindheit zurückreichenden Lektüre der Schriften des Kirchenlehrers und intensiven Auseinandersetzung mit dessen Lehren. Das Entstehen der Maurinerausgabe in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts hatte Leibniz mit großem Interesse verfolgt und einmal sogar mit eigenen Hinweisen begleitet. Er habe dem Nordafrikaner einen herausragenden Platz unter den christlichen Schriftstellern der Antike eingeräumt. Wesentliche Teile seiner Philosophie formuliere der christliche Metaphysiker, einer der größten Geister der europäischen Frühaufklärung, in unmittelbarer Auseinandersetzung mit der Lehre des Kirchenvaters, von dessen Schriften er den Confessiones und De civitate dei eine besondere Wertschätzung habe zuteil werden lassen. Seine Definition der Liebe, bzw. der Gerechtigkeit als der Liebe des Weisen (>justitia est caritas sapientisrationales Symbol< versteht), der Phänomenologie des Gedächtnisses und schließlich das Phänomen des Erzählens. Im zweiten Schritt zeigt der Verfasser die Ähnlichkeit von Ricceurs und Augustins Sicht auf den Menschen. Beide charakterisierten das menschliche Subjekt vor allem in seiner Gefährdung, in seiner Endlichkeit und in seiner Fehlbarkeit. Die Themen des menschlichen >WillensBösen< und der >Sünde< kommen dabei in Ricceurs origineller Auslegung zur Sprache. Florian Bruckmann beginnt mit der Ausarbeitung zweier unterschiedlicher Rezeptionsbegriffe. In einer ersten Art der Rezeption beschreibt er, wie Jacques Derrida sich in seinem Text Circonfession ausdrücklich auf die Confessiones des hl. Augustinus bezieht. Dazu untersucht er die Motive >Unruhe< und >Bekenntniscaritas< in der Ekklesiologie des Kirchenvaters aus der Sicht Ratzingers dar, erörtert das Verhältnis der Kirche zum Staat und zeigt die Breite der schriftstellerischen Aktivitäten des ehemaligen Professors für Fundamentaltheologie und Dogmatik auf. Im zweiten Teil beleuchtet er des Kardinals Urteil über die Theologie vor und nach dem II. Vatikanischen Konzil, ferner dessen auf das Konservative, auf das Bewahren des Glaubens bedachte Geisteshaltung, sowie die Kritik an der politischen Theologie unter Berufung auf Augustins Lehre von der Civitas dei. Nach Ratzinger unterscheidet sich Augustins Zeit nicht völlig von der unseren: Jener habe auf Fragen und Probleme geantwortet, die auch unsere sind. Diese Antworten sind die Lehre der Kirche vom Glauben, von der Hoffnung und von der Liebe.
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Mit dem Blick Joseph Ratzingers, des jetzigen Papstes Benedikt XVI., auf Werk und Bedeutung Augustins enden die Untersuchungen der ausgewählten Spuren und der Spiegelungen von Augustins Denken, die ihn als einen Lehrer des Abendlandes erweisen, der in unterschiedlichen, teils umkämpften Renaissancen wirksam geblieben ist. Viele andere Leser Augustins aus der neueren und der älteren Zeit hätten erwähnt werden können. 36 Zudem liegen auch schon Werke vor, die teilweise ähnliche Absichten und vergleichbare Ansätze verfolgenY Werke, die nichts sagen oder nur auf Irrwege führen, versinken in die Bedeutungslosigkeit. Augustins Hauptwerke aber locken und faszinieren bis heute ein beachtliches Publikum. Die von einigen Zeitgenossen mit großem Nachdruck bestrittene Nähe Augustins zur denkerischen Situation der Gegenwart wird schon durch die Bezugnahmen der nicht unbedeutenden Leser und Rezipienten Augustins ad absurdum geführt. Nicht anders als es die mittelalterlichen Rezipienten taten, haben sie eine selektive, implizit auch kritische Lektüre Augustins betrieben. Und sie taten das im Sinne Augustins, der sich keineswegs fremden Urteilen unterwerfen wollte, sondern mit Nachdruck sein eigenes Urteil, mit höchst gesteigertem Wahrheitswillen suchte. Wer ir36
V gl. den von Karla Pollmann initiierten und geleiteten Oxford Guide to the Historical
Reception of Augustine. Zum Beispiel Costantino Esposito; Pasquale Porro (Hgg.): Agostino e la tradizione agostiniana (mit wichtigen Beiträgen). Zu beachten sind ebenso die vier von Luigi Alid, Remo Piccolomini und Antonio Pieretti herausgegebenen Bände, die mit der Konzentration auf das 20. Jahrhundert große Themen von Augustins Denken bei zahlreichen Autoren zur Sprache bringen, auch bei manchen, die im vorliegenden Band ebenfalls dargestellt sind oder auch in ihn hätten aufgenommen werden können; vgl. Esistenza e libertii. Agostino nella Filosofia del Novecento/I. Der erste Band mit Beiträgen zu Edmund Husserl (von Pierre Chapelle de la Pachevie), Max Scheler (von Giovanni Ferretti), Edith Stein (von Angela Ales Bello), Martin Heidegger (von Costantino Esposito), Hannah Arendt (von Laura Boella), Hans Jonas (von Enrico Peroli), Romano Guardini (von Massimo Borghesi), Erich Przywara (von Maria Teresa Tosetto), Albert Camus (von Antonio Pieretti) und Karl Jaspers (von Italo Sduto); Interioritii e persona. Agostino nella Filosofia dei Novecentol2; der zweite Band mit Beiträgen zu Henri Bergson (Silvia Ferretti); Luden Laberthonniere (von Giacomo Losito); Maurice Blondel (von Jean Leclercq); zur Philosophie de I'Esprit (von Stephane Robilliard), zu den personalismi contemporanei (Armando Rigobello) und einigen weiteren Rezipienten wie Miguel de Unamuno und Jose Ortega y Gasset; Veritii e linguaggio. Agostino nella Filosofia dei Novecento/3; der dritte Band enthält Untersuchungen Ludwig Wittgenstein (von Luigi Perissinotto), zu le teorie dei segno (von Antonio Pieretti), Michel Polany (von Carlo Vinti), zu 11 sentieri dell'ermeneutica, bes. zu HansGeorg Gadamer (von Graziano Ripanti), Paul Ricoeur (von Isabelle Bochet) und Carl Gustav Jung (von Giuseppe Galli), zu Lacan, Derrida und Lyotard (von Silvano Petrosino); Storia e politica. Agostino nella Filosofia del Novecento/4; mit Untersuchungen zu Ernst Troeltsch (von Francesco Miano), Carl Schmitt und Eric Voegelin (von MicheIe Nicoletti), Kar! Löwith (von Roberto Gatti), Franz Rosenzweig (Francesco Maria Ciglia), Ernst Bloch und Jürgen Moltmann (Gerardo Cunico), zu Marrou, Balthasar und Guitton (Marie-Anne Vanier), Reinhold Niebuhr (von Giovanni Dessi), Char!es Taylor (von Nevio Genghini), und zu Giuseppe Capograssi (von Paolo Miccoli). 37
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gend sich auf Augustinus als Lehrer berufen will, muß sich auf sein >audiam et intelligam< einlassen, das seine Maxime war und deshalb auch die Maxime seiner Leser sein sollte. Wenn Augustinus ein Lehrer des Abendlandes war und bis heute bleiben konnte, dann auch aus dem Grunde, daß er Thesen zwar mit größter Energie ausgearbeitet hat, daß ihm die Aufgaben des Denkens aber wichtiger blieben als seine Thesen, die er zu ihrer Lösung vorgetragen hatte. Sein Denken war in seinem Ursprung und seinen faktischen Anfängen undogmatisch - und mußte bis zum Ende undogmatisch bleiben, sofern er sich als >cor inquietum< erfahrt, das Ruhe nur in Gott finden kann. Der dogmatischen Gefahr mag er in seinen späteren Jahren zuweilen erlegen sein. Seine Größe als Lehrer, der zum Denken anregt, liegt aber darin, daß er Suchender war, daß er >discipulus veritatis< geblieben ist und seine Leser auf den Weg des Suchens führt,38 Wie immer man Augustinus, diesen spätantiken Gottsucher, der zum Christen und schließlich zum Kirchenvater wurde, auch liest und ihm begegnet: die >gelehrten< Versuche, die Fremdheit seines Denkens und die Distanz zu ihm zu belegen, sind zwar nach mehr als 1600 Jahren seit seinem Tod mühelos zu bewerkstelligen, bleiben aber unnütz und unfruchtbar. Warnungen vor wirklich vorgestrigen Werken sind überdies ganz unnötig, da keiner solche Werke lesen will. Hilfreicher wäre es, Anknüpfungspunkte zu finden, in denen Augustinus sich sachlich gesehen mit Problemen auseinandersetzt, die auch den Leser selbst bewegen, so daß er mit Augustinus in ein lebendiges Gespräch einzutreten vermag (wobei er dem nur noch in Texten präsenten Autor mit Achtung und dem Willen entgegentreten sollte, seine echten Intentionen zu erfassen). Solche Gespräche könnten auf vielen Gebieten geführt werden, zum Beispiel auch anhand der Fragen, die im 20. Jahrhundert unter dem Titel des> postulatorischen Atheismus< oder eines> Theismus um des Menschen willen< diskutiert wurden und die wirkungsmächtige Impulse zu der immer weitere Kreise erfassenden Diskreditierung des Gottesglaubens geliefert haben. 39
38 Scharf hat sich John Burnaby gegen Verhärtungen beim alternden Augustinus ausgesprochen; vgl. Amor Dei, 231: »But nearly all that Augustine wrote after his seventieth year is the work of a man whose energy has burnt itself out, whose love has grown cold. The system which gene rally goes by the name of Augustinianism is in great part a cruel travesty of Augustine's deepest and most vital thought.« Gegen die jansenistische These der ,gratia irresistibilis< vgl. Burnaby, 230 f.: »Even when he says that no human will can resist the will of God, he is thinking not of an ,irresistible gracenur< eine autoritative Stützung seiner Argumente; er sagt allerdings nichts darüber, ob ihn diese spezifische Argumentation von Augustinus bei der Abfassung des Discours oder der Meditationes auch inspirierend bestimmt hat. Daran wird deutlich, daß Descartes offensichtlich die Argumentation von Augustinus bei der Abfassung des Discours - der, wie Descartes es selbst bezeugt, im 4. Teil genau dasselbe lehrt wie die Meditationes, nur in gekürzter Form - noch nicht gekannt hat. Dadurch ist eine direkte und unmittelbare Beeinflußung Descartes' in der Aufstellung seiner antiskeptischen cogito-Argumentation durch Augustinus wohl nicht eindeutig beweisbar. Doch die Ähnlichkeiten zwischen beiden sind offensichtlich; so ist Descartes' schroffe Abwehr von Ähnlichkeiten wohl dem Willen zu einer nicht traditionsbedingten Neubegründung der Philosophie geschuldet. Descartes weist in dem Brief an Arnauld allerdings auch auf sachliche Unterschiede zwischen der Argumentation von Augustinus in De civitate Dei und seinem eigenen Gedankengang hin. 4 der Hinweisgeber für Descartes war; hier wird auch das Datum genauer mit dem 14. November 1640 angegeben. Es ist allerdings schwierig zu eruieren, auf welches Werk von Augustinus Colvius Descartes eigentlich hingewiesen hat, da Descartes in dem Brief vom November 1640 keine genaue Stellenangabe macht und der Brief von Colvius nicht erhalten ist. Es kommen Augustinus' Werke De civitate Dei und De trinitate in Frage. Aufgrund des Trinitätskontextes, den Descartes in seinem Antwortbrief schildert, scheint sich zunächst De trinitate nahe zu legen; aus dem in zeitlicher Nähe geschriebenen Brief an Mersenne vom Dezember 1640; AT III, 261/ 220 f. geht allerdings hervor, daß Descartes De civitate Dei rezipiert hat: Mersenne hatte Descartes nach der Stelle bei Augustinus gefragt, die Ähnlichkeit mit dem» Ich denke, also bin ich « hat, und Descartes verweist ihn dann auf civ. 11,26 hin. Übrigens hatte - wie gesehen - Mersenne selbst 3 Jahre zuvor Descartes auf diese Stelle aus Augustinus' De civitate Dei hingewiesen und sie dann offensichtlich wieder vergessen; vgl. Brief an Mersenne vom 25. Mai 1637; AT 1,376. Da Descartes auch sonst in seinen Schriften und Briefen De trinitate nicht erwähnt, ist wohl eher davon auszugehen, daß sich Descartes auf De civitate Dei bezieht. 3 Vgl. Med., 4. Objectiones von Arnauld; AT VII,1971178. • Auf das Verhältnis von Descartes zu Augustinus gehen die Descartes- und die AugustinusForschung seit langem und kontrovers ein; vgL z. B.: Leon Blanchet: Les antecedents historiques du >Je pense, donc je suisich ich< nach Anscombe lediglich eine >grammatikalische IllusionPerson< gesehen wird. Nur der menschliche Körper als Person läßt sich hinsichtlich seiner Ich-Gedanken, Zustände, Handlungen und Bewegungen aus der objektiven Perspektive der dritten Person analysieren. Augustinus und Descartes würden hierauf wohl entgegnen, daß Anscombe den Zweifel nicht radikal genug vollzogen hat und auf der Ebene der empirischen Wirklichkeit stehen geblieben ist, denn menschlich-körperliche Zustände lassen sich bezweifeln; nicht aber deren Bewußtheit. Man kann auch daran zweifeln, ob ein spezifischer Inhalt des Bewußtseins eine korrekte Repräsentation ist, aber nicht an dessen Bewußtheit überhaupt.
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dann Leiter der Neuen Akademie und hat als ein besonders radikaler Vertreter einer dialektischen Skepsis zu gelten. 5 Von dieser Skepsistradition hat Augustinus durch Ciceros Schriften Kenntnis, und er identifiziert teilweise die Referate der Akademischen Position durch Cicero mit dessen eigenen Ansichten. Von einer ebenfalls besonders radikalen Form der Skepsis, dem Pyrrhonismus, hatte Augustinus keine Kenntnis; wahrscheinlich aus zwei Gründen: 1., weil diese Richtung nur auf Griechisch tradiert war, das der Kirchenvater nur spärlich beherrschte, und 2., weil die Akademische Skepsis und Cicero, auf die sich Augustinus hauptsächlich bezieht, diese Richtung der Pyrrhonischen Skepsis als Konkurrenten sahen und sie insbesondere durch Nichterwähnung bekämpften. Der späte Augustinus entwickelt aber im Ausgang von seinem si fallor, sum< durchaus eine generellere antiskeptische Strategie; die sich nicht mehr nur gegen eingegrenzte Skepsisformen wendet. Bei Descartes findet sich bekanntlich die zu >si fallor, sum< von Augustinus analoge Formulierung des >cogito, ergo sumverisimileergoergo< bei Descartes nur für Verwirrung gesorgt habe und man es besser ganz weglassen sollte. 19 Gareth B. Matthews (7hought's Ego in Augustine and Descartes, 15) betont - wie auch Christoph Horn (Welche Bedeutung hat das Augustinische Cogito?, 1J3) -, daß das Sein des Geistes nach der Konzeption von Augustinus gerade nicht körperlich, sondern rein intellektuell ist. Diese Deutung rein intellektueller und unkärperlicher Seins- und Lebensgewißheit bei Augustinus ist in Teilen Forschung umstritten, da Augustinus manchmal Gedanken formuliert, die die Körperlichkeit von der Gewißheit nicht ausschließen, sondern ausdrücklich einbeziehen; dies betont Kurt Flasch (Augustinus. Einführung in sein Denken, 61 f.); an anderer Stelle seiner Ausführungen sieht dies auch Gareth Matthews (a.a. 0.,51), dort betont er, daß Selbstbewußtsein bei Augustinus immer auch körperliche Aspekte habe. Vgl. auch Gareth B. Matthews: Augustine and Descartes on Minds and Bodies. 17 Auf diese Parallele zwischen Augustinus und Descartes macht bereits aufmerksam Heinrich Scholz: Ober das ,cogito, ergo sum" bes. 138. Scholz hebt hervor, daß Augustinus bezüglich der Betonung der wenn-so-Relation konsequenter war als Descartes. Er untersucht primär, ob das >cogito, ergo sum, ein Satz oder ein Schluß ist. 18 Dieses unmittelbare Wissen bezeichnet Augustinus in De trinitate als ein ,se nosse< im Unterschied zu dem >se cogitareAugustinischen< im 17. Jahrhundert ausmacht, der Gnadenlehre, ausgehen und sich auf Pascals Bcrits sur la grace konzentrieren, die wiewohl unvollendet doch einen der umfangreichsten Texte Pascals darstellen. Ihre grundlegende Analyse und Edition Datierungen sind bei Pascal in manchem problematisch. Vgl. Philippe SeiHer: Pascal et Saint Augustin. 13 Vgl. auch unter diesem Titel das Themenheft der Zeitschrift XVII' siede 34, Nr. 135 (1982). Sehr instruktiv ist Gerard Ferreyrolles: L'augustinisme dans La vie intellectuelle franrraise au XVII' 11
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siede.
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hat Jean Mesnard vorgenommen (OC.M 487-799). Die Bcrits verstehen sich als eine Darstellung der Hauptpunkte der Gnadenlehre Augustins (und seiner )Schüler< - Thomas und das Trienter Konzil fallen unter diese Kategorie und werden von Pascal herangezogen und interpretiert). Leszek Kolakowki,14 Gaetano Lettieri 15 und Herve Pasqua l6 haben ausführliche Interpretationen zu diesem Werk vorgelegt. Die Tendenz ist nicht einheitlich, was sich etwa daran zeigt, daß Kolakowki den Abschnitt Pascals traurige Religion überschreibt, während das Leitwort der Deutung der Gnadenlehre Pascals bei Pas qua die Freude ist. 17 Theologiegeschichtlich stellt sich die Frage, wieweit Pascal )thomistisch< gelesen werden kann l8 oder ob er in schlichter Identität mit Jansenius zu sehen ist. Unbestreitbar ist aber, daß er mit großer Dokumentation eine korrekte Auslegung Augustins bieten wollte. 19 Dazu hat Mesnard seine Originalität gegenüber dem )jansenistischen< Umfeld insofern herausgearbeitet - immerhin sagt Pascal trotz aller Nähe »je ne suis point de PortRoyal«20 -, als die spirituelle und mystische Komponente des Gnadengeschehens bei ihm eine stärkere Rolle spielt als in den Traktaten seines Umfelds, und die rationale Argumentationstruktur unter Verwendung der Prinzipien seiner Schrift über den geometrischen Geist seine Texte strukturiert. Eine dritte Möglichkeit wäre es, zentrale Begriffe - etwa den des Herzens - zu interpretieren und Abhängigkeiten wie selbständige Akzentuierungen herauszuarbeiten 21 oder das gleiche anhand theologischer Konzepte (etwa des Deus absconditus) durchzuführen. Hier soll dagegen von einer kleinen Schrift Pascals ausgegangen werden, um an einzelnen Beispielen deutlich zu machen, wie intensiv die Verbindung Pascal-AuLeszek Kolakowki: Gott schuldet uns nichts: Eine Anmerkung zur Religion Pascals und zum Geist des Jansenismus. Kolakowki zieht eine Gleichung zwischen augustinischer Gnadenlehre und Jansenismus und ordnet die differenzierteren Positionen mindestens dem Semipelagianismus zu, wobei anderseits die >Modernisierung< der Gnadenlehre durch die Jesuiten als notwendig erachtet wird. Die eigentlich theologische Sachfrage nach der Identität zwischen Augustinus I Jansenius erfordert allerdings subtilere hermeneutische Überlegungen, vgl. schon Karl Rahner: 14
Augustin und der Semipelagianismus. 15 Gaetano Lettieri: 11 metodo della grazia: Pascal e l'ermeneutica giansenista di Agostino. Vgl. auch Gaetano Lettieri: Der katholische Augustinismus von Baius bis Jansenius. 16 Herve Pasqua: Blaise Pascal, penseur de la grace. 17 Vgl. a. a. 0., 21: »La cle de la pensee et de la vie de Pascal, en effet, est la grace [ ... ). La manifestation la plus sensible en a ete la simplicite pleine de joie qu'il ne perdit jamais.« 18 Mit Pasqua, a. a. 0., 162. 19 Nicht der Augustinus sondern vor allem die Trias von Jean Sinn ich (1648, digital Conclusion< betitelten Schlußkapitel das Thema der Konversion hat. 26 Es handelt sich also um das zentrale Thema des Pascalschen Denkens in seinen letzten Jahren. Der Zweck der kleinen und wie fast immer bei Pascal nicht fertigredigierten, wenn auch im fertiggestellten Teil nicht eigentlich fragmentarischen Schrift ist die Bibliographische Angaben PKS LXI - LXIV. 23 Als Ausgaben vgL Oc.L, 290 f.; OC.M 4, 40 - 44; PKS 331- 336. Wegen der Kürze der Schrift sind die Zitate nicht einzeln belegt. - Die Bestreitung der Zuschreibung an Blaise Pascal ist laut Jean Mesnard (OC.M 4,35) ,totalement injustific< (vgL dort 35 - 39 die philologischen Daten, auf die wir hier nicht eingehen). 24 Nach ]ean Mesnard; Michel Le Guern datiert auf 1655. OC.LG 2, 1166 f.; Philippe Sellier schreibt »sans doute du printemps 1658« in seinem Aufsatz: Des Confessions aux Pensees, hier 198. Der Aufsatz ist gegenüber der älteren Literatur erheblich weiterführend durch Heranziehung der noch zu nennenden Confessiones-Übersetzung von Robert Arnauld d'Andilly, jetzt zugänglich als: Saint Augustin: Confessions. 25 Vgl. ebd.: »encore que le complement ,du pecheur< soit peut-etre de trop, et suggere une restrietion qui n'est pas dans l'esprit d'auteur.« 26 vgl. Laf. 377: »Qu'il y a loin de la connaissance de Dieu al'aimer.«; Laf. 378: »Sij'avais vu un miracle, disent-i1s, je me convertirais.«. Zu diesem Thema vgl. Henri Gouhier: Blaise Pascal: conversion et apolog/Wque. 22
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geistliche Führung von Menschen, die sich auf dem Wege der Intensivierung ihres religiösen Lebens befinden. Andere Dokumente dieser Art bei Pascal sind etwa die Briefe an Charlotte de Roannez.27 Mit dieser Bestimmung ist die Schrift nicht weit von der Funktion der Confessiones Augustins entfernt, die ja »deum laudant iustum et bonum, atque in eum excitant humanum intellectum et affectum«, also Geist und Sinn auf Gott hin treiben, wie die Retractationes schreiben (2,1). Allerdings ist der Kontext ein ganz anderer. So sehr die Schrift von dem Erlebnis, das gewöhnlich als >zweite Bekehrung( Pascals bezeichnet wird, geprägt ist, so wenig ist sie persönlich gehalten. Die Schrift nennt als das Erste, was Gott der Seele, die er rühren will, eingibt, ein ganz ungewöhnliches Wissen und eine ganz ungewöhnliche neue Sicht (»une connaissance et une vue tout extraordinaire«), die auch gleich als >neues Licht< bezeichnet wird. 28 Die Metaphorik ist auch bei Augustins Bekehrungserlebnis gegeben, wo »quasi luce securitatis infusa corde meo« die Zweifel verschwinden (con! 8,29).29 Die Lichtmetapher ist aber so verbreitet, daß hier nicht Augustins Darstellung seines Bekehrungserlebnisses herangezogen werden soll, so sehr das im Umkreis PortRoyals naheliegt. 30 Viel näher steht der kleinen Schrift m. E. das zehnte Buch der Confessiones, auch insofern, als hier Augustinus nach der sogenannten Bekehrung schreibt, wie er jetzt ist, ebenso wie Pascal in der kleinen Schrift von seinem jetzigen Stand ausgeht. Und so ist auch in den Confessiones die Lichtmetapher verwendet, die auf den Redenden selbst zielt und ihn über sich selbst erleuchtet. 3l So ist es auch bei Pascal; auch hier wird die Finsternis des Menschen hell durch dieses neue Licht. Die Helligkeit setzt gleichzeitig in Unruhe. So auch in den Confessiones - wieder mit der Lichtmetapher (10,2): >tu refulges [... ].( Eine >vue interieure(32 läßt ihn keine Ruhe mehr bei den äußeren Dingen finden. 27 Eine alternative Deutung sieht diese Schrift als kleines geistliches Zirkular in Kreisen Port -Royals. 2. Daß die Confessiones-Übersetzung Arnauld d'Andillys zu con! 1: »Da mihi, domine, seire et intelligere [ ... ]« übersetzt wird mit: »Donnez-moi, s'il vous plait, Seigneur, la lumiere (!] qui m'est necessaire pour discerner (... J«, ist für die sprachlichen Assoziationen bezeichnend. 29 Herangezogen ist die Ausgabe Aurelius Augustinus: Confessiones I Bekenntnisse. übers. von Wilhelm Thimme; Einf. von Norbert Fischer; für das zehnte Buch Aurelius Augustinus: Suche nach dem wahren Leben (Confessiones X I Bekenntnisse 10) IEingel. u. übers. von Norbert Fischer. • . 30 Dazu David Wetsel: Augustine's Confessions: A Problematic model for Pascal's conversion Itlnerary in the >Penseesaugustinischer< Literatur der Zeit. Der Text ist unabgeschlossen. Am Schluß stehen Überlegungen zum Weg, zu den von Gott selbst kommenden Mitteln. Hier wäre zum einen der Ansatz für eine christologische Vermittlung. Assoziiert wird via/veritas, der Weg, die Wahrheit und das Leben aus dem Johannes-Evangelium (14,6) wie auch in den Pensees (Laf. 140); der Absatz bleibt aber Fragment. Im nächsten Absatz geht es um die ekklesiologische Seite, darum, den Weg bei denen suchen, die ihn schon gehen. Hierfür verweist Sellier'° auf Confessiones 7,26: »ceux qui connaissent le chemin de notre bienheureuse patrie«41 (nach Arnauld), wobei das lateinische Original aber hier den> Weg(, d. h. Christus selbst anspricht, was die Assoziation natürlich trotzdem denkbar macht. Die Sachparallele zu den entsprechenden Stelle des Wett-Fragments scheint mir aber noch näher zu liegen. 42 Natürlich ließe sich zu dieser Schrift auch die Gegenrechnung aufmachen: Was ist nicht augustinisch? Die Betonung des aneantissement - der völligen Vernichtung der Kreatur - hat einen anderen Charakter als Augustins »aliqua portio creaturae«, die damit verbundene Interpretation der Unendlichkeit Gottes steht sicher im Rahmen von Pascals Überlegungen zu den Ordnungen und dem Unendlichen; die Reflexionen der Wette sind zeitlich nicht allzu entfernt usw. Das ist hier nicht das Thema, aber es ist wenigstens darauf hinzuweisen, daß Pascal kein Übersetzer Augustins sondern ein eigenständiger Denker ist.
4. Die )Pensees
hypotexte le plus actif(44 (bzw. die Confessiones) angesehen werden kann. 39 40
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Sie erschien 1649.
Des Confessions aux Pensees, 198. A. a. 0.,252, conj 7,26 (20).
Laf. 418: »gens qui savent ce chemin«. Vgl. Albert Raffelt: Heidegger und Pascal - eine verwischte Spur, bes. 197 - 199.
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Schon Courcelle hat auf den Widerhall des fecisti nos im Fragment 300 hingewiesen: »Wenn der Mensch nicht für Gott geschaffen ist, warum ist er dann nur in Gott glücklich? «45 Die Analyse des Elends des Menschen ohne Gott bei Pascal ist aber in vielen Einzelheiten Augustinisch. Die schon hier angesprochene Glückssuche ist das Strebemoment in der Entwicklung des Pensees und mit weiteren augustinischen Parallelen in Details belegbar, etwa mit den zwei Menschen, die in den Krieg ziehen oder dies nicht wollen, die aber beide glücklich werden wollen: »Alle Menschen suchen nach dem Glück. Das gilt ohne Ausnahme, wie unterschiedlich auch die Mittel sein mögen, die sie dafür benutzen. Sie streben alle diesem Ziel zu. Was bewirkt, daß die einen in den Krieg ziehen und die anderen nicht, ist dieses gleiche Verlangen, das bei allen beiden mit unterschiedlichen Auffassungen verbunden ist.«46 Es sollen hier nicht die einzelnen Parallelen wiederholt werden, die von Courcelle und besonders SelHer genannt worden sind. Das Thema der Unruhe und Ruhe, der Leere und der Langeweile, der Zerstreuung, der Gewohnheit haben ihre Augustinischen Wurzeln. Das Thema der Konkupiszenz in Augustinischer Sicht steht hinter vielem, dem Pascal schon früh ausführlich bei Jansenius begegnete, vor allem schon früh in dessen Discours de la reformation de l'homme interieur, auch hier wohl in der Übersetzung Robert Arnauld d'AndillysY Schon in dem Gespräch mit Herrn de Sacy wird auf die Funktion dieser negativen Anthropologie hingewiesen, die wie ein fein dosiertes Gift als Arznei wirkt - ein Gedanke, den de Sacy nur mit großen Bedenken äußert (PKS 144). Immerhin sieht er aber, daß Augustinus selbst den Weg vom Manichäismus über die Skepsis gegangen ist (PKS 135), und Pascal nutzt die skeptischen Argumente für eben denselben Zweck. Er geht den Weg Augustins sogar noch weiter mit. Für Augustinus sind in den Confessiones die Platoniker entscheidend. In ihren Büchern fand er den Anfang des Johannes-Prologs (conf 7,13) und die Erkenntnis Gottes als geistig, unendlich, unwandelbar etc. - wenn auch nur allzu schwach zum wahren >Genuß< Gottes (con! 7,26). Und Simplician gratuliert ihm, daß er gerade diese Philosophen gelesen habe
(con! 8,3). Die besondere Stellung der Platoniker gilt auch für den Weg derjenigen, die Pascal führen will (Laf. 612): »Platon, um auf das Christentum vorzubereiten.« Daß AuguDes Confessions aux Pensees, 208 Anm. 18 . ..s »Si l'homme n'est fait pour Dieu pourquoi n'est-i1 heureux qu'en Dieu.« Vgl. Pierre Courcelle: Les confessions de Saint Augustin dans la tradition litteraire : antecedents et posterite. 46 Vgl. con! 10,31 und Laf. 148: »Tous les hommes recherchent d'etre heureux. Cela est sans exception, quelques differents moyens qu'ils y emploient. Ils tendent tous ace but. Ce qui fait que les uns vont öl la guerre et que les autres n'y vont pas est ce meme desir qui est dans tous les deux accompagne de differentes vues.« 47 Vgl. Cornelius Jansenius: Discours de la reformation de /'homme interieur. - Diese Übersetzung erschien 1642. 44
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stinus hier im Hintergrund steht, zeigt auch die Anspielung auf De vera religione 5 (Laf. 338): »Die jungen Mädchen weihen Gott ihre Jungfräulichkeit und ihr Leben, die Männer verzichten auf alle Freuden. Wovon Platon einige wenige auserwählte und hochgebildete Menschen nicht überzeugen konnte, davon werden Hunderttausende von Unwissenden durch eine geheime Kraft, durch die Wirkung weniger Worte überzeugt«, womit ein weiterer augustinischer Gedanke eingebracht ist. Wir sind trotz Heideggers Warnung wieder auf einem biographischen Abweg gelandet, wenn wir den konkreten Weg der Bekehrung Augustins in den Pensees gespiegelt sehen. Aber wieder ist es ein sachlich bedeutsamer. Wenn man den Blick eng auf Pascals Bekehrung und deren Darstellung bzw. die Zeugnisse darüber richtet, kann man zum Ergebnis kommen, daß er dem Augustinus der Confessiones wenig schuldet,48 sieht man aber unabhängig davon die Pensees als die Vorzeichnung eines Weges zur Bekehrung an, so ist der Weg Augustins in ihnen auf verschiedene Weise präsent. Philippe Sellier ist noch einen Schritt weiter gegangen. Er interpretiert das Fragment, das unter dem Stichwort )Ordnung( steht (Laf. 298) und beginnt: »Gegen den Einwand, die Heilige Schrift habe keine Ordnung«. Der Text lautet: »Das Herz hat seine Ordnung, der Geist hat die seine, die aus Grundsätzen und Beweisen besteht. Das Herz hat eine andere. Man beweist nicht, daß man geliebt werden muß, indem man die Ursachen der Liebe geordnet darlegt; das wäre lächerlich. Jesus Christus und Paulus haben die Liebe als ihre Ordnung, nicht den Geist, denn sie wollten demütigen, nicht belehren. Ebenso der heilige Augustinus. Diese Ordnung beruht hauptsächlich auf der ausführlichen Erörterung jeden Punktes, der sich auf den Endzweck bezieht, um ihn stets klar zu zeigen.«(49 SeIHer fragt sich, auf welche Texte Augustins dieses zutreffe. Es sind nicht die )Traktate(, obwohl diese gerade im Umkreis Port -Royals als das eigentliche Arsenal im Gnadenstreit hochgeschätzt waren. SeHier schließt auch die Predigten Augustins aus (vielleicht nicht ganz so überzeugend) und folgert, das große Werk, das das Pascalsehe Projekt ankündige, sei kein anderes als eben die Confessiones. 5o Und etwas später: »Les traites instruisent, Montaigne divertit, les Confessions convertissent. Elles touchent le creur, l' ebranlent.«51 Daß manche Pascalsehe Gedanken aus seinem Umfeld aufgegriffen und anverwandelt sind, ist Voraussetzung des Vorangehenden. Daß es auch hier eine Parallele So Wetsel, a. a. 0., allerdings ohne Berücksichtigung der Arnauld-Übersetzung. 49 Vgl. den Hinweis in Albert Raffelt: Confessiones 5: ,Pie quaerere< : Augustins Weg der Wahrheitssuche, hier 200 und die weiteren Hinweis auf Pascal dort; dort nur aus dem Blick des 5· Buches der Confessiones. 50 Philippe SeiHer: Des Confessions aux Pensees, 212: »Le grand ouvrage qui annoce le projet pascalien n'est autre que les Confessions.« SI A. a. O. 213; ebd. zitiert. 48
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bei Arnauld d'Andilly gibt, verblüfft trotzdem. Dieser hatte in einer Edition von Werken Saint-eyrans 1645 geschrieben, daß dieser in Nachahmung des heiligen Paulus und des heiligen Augustinus eher der Ordnung des Herzens (!) gefolgt sei, die diejenige der Liebe ist, nicht der Ordnung des Geistes, weil seine Absicht nicht darin bestand, zu unterweisen, sondern das Herz zu erwärmen: »A !'imitation de saint Paul et de saint Augustin, il a beaucoup plus suivi l'ordre du creur, qui est celui de la charite, que non pas l'ordre de I'esprit, parce que son dessein n'a pas ete tant d'instruire que d'echauffer I'eime.«. Im Vorwort zu seiner Confessiones-Übersetzung schreibt Arnauld d'Andilly, daß keines der Bücher Augustins »une reverance plus particuliere« ausgelöst habe, und etwas später: » [ ... ] parIant seulement aux hommes dans ses autres Livres, il a ete obligee de s'accomoder aux hommes & de se rabaisser dans des pensees plus ordinaires & dans un langage plus humain; au lieu que dans celui-ci, ne parlant qu' aDieu, il a parle d'une maniere toute divine [... ] que cet ouvrage n'est qu'un ouvrage d'amour.«52 Diese Sätze - auch hier ist Paulus im Zusammenhang nochmals genannt - zeigen wie Pascals Fragment, in dem die Bibel, Paulus und Augustinus zusammen erwähnt sind (Laf. 28), was der Hintergrund dieser Kombination ist. Nochmals mit einem Zitat, das Sellier nennt (Laf. 303): »Dieu pade bien de Dieu«. Die These Selliers von dem Modellcharakter der Confessiones für die Pensees ist aber m .E. nicht nur eine philologische Spezialität. Sie ist auch theologisch von großem Interesse. Die bei den Werke haben auf unterschiedliche Weise das Ziel erreicht, das Augustinus so formulierte: »Deum laudant iustum et bonum, atque in eum excitant humanum intellecturn et affectum.« Beide sind kein )bloß theoretischen< Werke, sondern haben realiter auch Konversionen ausgelöst. Es ist auffallig, daß man das von verschiedenen Büchern der Augustinischen Tradition sagen kann, z. B. dem Werk Newmans und Blondels Action. Die Bezüge zu den Confessiones sind in allen Fällen verschieden, aber sie sind vorhanden und strukturbildend. Für ein Nachdenken über das Phänomen der Bekehrung - und natürlich für diese selbst ist der >ordre du creur< entscheidend. In ihm ist Pascal Schüler Augustins.
5. Nachbemerkung Die kurzen Ausführungen haben nur eine Skizze von Pascals Augustinus-Rezeption bieten können. Sie sollte zeigen, daß Blaise Pascals intellektuelle Biographie von der Begegnung mit dem zeitgenössischen Augustinismus geprägt ist. Augustinus als 52 Zitiert nach der Ausgabe Bruxelles: par la Compagnie, 1773, 4. Das Vorwort fehlt in der Taschenbuchausgabe. Diese enthält dafür eine sehr substantielle Einführung von Philippe Sellier.
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Quelle ist ihm über dritte - Jansenius, Montaigrie u. a. - zugänglich gewesen, aber auch in wesentlich stärkerem Maße als vor den Untersuchungen SeHiers bekannt war, durch direkte Lektüre sei es der Werke Augustins in der Originalsprache, sei es - was vor den jüngeren Arbeiten Selliers nicht beachtet wurde - durch die prägenden Übersetzungen, die im Umkreis Port-Royals entstanden sind. Dazu kommen Hilfsmittel wie die >Triasbibliographie rationneeälteren< Autoren, die zur >CosmographiaStrategie< verstehen. 36 Die unterschiedlichsten Bereiche seiner wissenschaftlichen und politischen Aktivitäten werden untereinander verknüpft und unter ein Ziel gestellt, seien es die Arbeiten zur scientia generalis, zur Jurisprudenz, zur Mathematik und Logik, zu Naturwissenschaft und Technik, seien es die vielen theologischen Studien und Aufzeichnungen, die von ihm als natürliche Theologie verstandene Metaphysik oder unmittelbar politische Bemühungen, vor allem um die Einheit der getrennten christlichen Kirchen und eine Organisation des Wissens (etwa in Sozietäten oder Akademien) als Grundlage politischen Handelns zum Nutzen der ganzen Menschheit. Darin sah er die wesentliche Voraussetzung für die Vervollkommnung, bescheidener würden wir heute vielleicht sagen, für ein Fortschreiten der von ihm global gedachten, d. h. auch die nicht -christlichen Völker und Kulturen einschließenden Monarchie Gottes über die vollkommenste Republik der Geister, deren Einwohner das größtmögliche Glück der civitas dei ausstrahlen, »qui est la plus noble part de l'univers«.37 Wenn im folgenden einzelne Themen herausgeVgl. Leibniz am 1. Oktober 1697 an Andreas MorelI; A I, 14,548 f. - Grundlegend in diesem Zusammenhang ist bereits Jean Baruzi: Leibniz et /'organisation religieuse de La terre d'apres des 35
documents inedits. 36 Vgl. hierzu die grundlegenden Bemerkungen Heinrich Schepers; A VI, 41\, XLVmf. Die Leibnizsche ,Strategie, schloß auch einen "Zwang zur Geheimhaltung seines großen Vorhabens« ein, der die relativ geringe Zahl an Veröffentlichungen intra vitam mit erklären kann. Leibniz scheint befürchtet zu haben, die Gelehrtenwelt werde sein Vorhaben ablehnen, solange ihm die Klärung und überzeugende Ausformulierung der wesentlichen Gesichtspunkte noch nicht gelungen sei. 37 Discours de metaphysique XXXVI; A VI, 4B, 1587.
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stellt werden sollen, bei denen Leibniz auf Augustinus zurückgreift, so gilt es, jenen gemeinsamen inneren Bezug mitzudenken, auch wenn es nicht gelingen mag, ihm bei der Interpretation immer die erforderliche Geltung zu verschaffen.
2.
Civitas dei und Gottes universale Monarchie
Leibniz zählt zu den großen Ökumenikern seines Zeitalters. Geprägt von der Irenik eines Georg Calixt bekennt er sich in früher Zeit noch zum >Synkretismusdelectio< am Glück des anderen, schließlich an der Vollkommenheit Gottes. 45 Frühe Überlegungen zum Begriff des Rechts und der Gerechtigkeit enthält die oben 46 bereits erwähnte Nova methodus discendae docendaeque jurisprudentiae (1667). Die darin enthaltene Auslegung des bekannten Satzes aus den Digesten des Corpus juris civilis (» Juris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere«47) bindet die Gerechtigkeit nicht in formaler Weise an ein positives Recht, gesetzt etwa vom absoluten Willen eines Herrschers und dessen Eigenwohl oder in einem freien Willensschluß Gottes, sondern verankert Recht und Gerechtigkeit im Naturrecht. Letzteres besitzt für Leibniz den entscheidenden Vorteil, nicht von historischer Kontingenz, etwa von den Launen eines Gesetzgebers, abzuhängen, sondern einzig in der Vernunft zu gründen und dadurch zu allen Zeiten und in allen Bereichen des, wie wir heute sagen würden, gesellschaftlichen Lebens abrufbar zu sein. Nach einer Reihe von Entwürfen und Aufzeichnungen 48 glaubte Leibniz, mit seiner Definition der Gerechtigkeit in der Praefatio zum Codex juris gentium diplomaticus (1693)49 die Klarheit gewonnen zu haben, an der es trotz der Fülle von Äußerungen illustrer Autoren noch immer mangele. Die für ihn im Begriff der Gerechtigkeit enthaltene >Liebe< (caritas) definiert Leibniz später als >universelles Wohlwollen< (benevolentia universalis).50 1706 gegenüber Pierre eoste, dem Übersetzer der Werke Lockes, benennt er Augustinus als denjenigen, der ein Gut, das um seiner selbst willen gut ist, von einer Sache unterscheide, die sich lediglich wegen eines von dieser erzeugten Effekts als vorteilhaft erweist, und bezieht sich vor allem auf De civitate dei (11,25): »[ ... ] comme l'Amour pur est fonde sur la felicite de Dieu ou sur le plaisir qu'il y a a d'avoir en veue les perfections divines [... ], il est appele un Amour de Bienveuillance [ ... ] mais l'amour fonde dans l'esperance de V gl. etwa /ib. arb. 2,19 f.; doetr. ehr. 1,20 - 23; vg!. hierzu bes. Patrick Riley, der jener Definition der Gerechtigkeit als zentraler Aussage der Leibnizschen Ethik eine ganze Reihe von Arbeiten gewidmet hat, z. B.: l,eibniz' Universallurisprudence. Justice as the Charity of the Wise, bes. 162 -164 u. ö.; Riley sieht Leibniz als ,Augustinianer'(162), sofern er die ,erleuchtete, (doetr. ehr. 1,20 - 23) als die wahre Liebe ansieht, wogegen Kants Augustinismus »gives primacy to ,good willrekompensiertAnrufung< des Kirchenvaters, nachdem Leibniz am Beispiel des Verräters Judas die vermeintlichen Widersprüche um das >linde maluman sich wirksam< und sie werde, so ergänzt Leibniz Augustinus korrigierend, ja gerade gespendet, um die verhärteten Herzen zu öffnen. lI2 Besonders schließt Leibniz die Heiden 113 in solche Erwägungen ein, indem er der Depravation ihres Ethos (die Tugenden der Heiden seien nur >glänzende Lasterfrüher nicht bekannten Systems< 120 zusammenführen zu können. 121 Aus einem Brief an den in Hildesheim lehrenden Jesuiten Bartholomäus des Bosses 1707, zu einer Zeit besonderer Verfolgung der Jansenisten, in welcher etwa der des Jansenismus angeklagte Benediktiner Gabriel Gerberon in Kerkerhaft lag, klingt Enttäuschung an: »Wenn es mir vergönnt gewesen wäre sie zu überzeugen, könnten Gerberon und ähnlich Denkende sich uneingeschränkter Freiheit erfreuen« [... ) usw. 122 Die >Augustinusschülerdunkel< zu reden schien oder er Widersprüche zu erkennen meinte, ihn korrigieren zu müssen, ihn zumindest einer größeren Klarheit und metaphysischen Stringenz zugeführt zu haben.
5. Individuelle Substanz und Selbsterkenntnis Zeigte sich im Blick auf die Theodizee, daß eine Hauptsäule des Leibnizschen Gebäudes der Metaphysik Augustins Beantwortung des >unde malum< bildet, so greift der christliche Metaphysiker der Frühaufklärung auch dort, wo es ihm um die Voraussetzungen des Erkennens und Handeins geht, auf Augustinus zurück. »Über die Natur der Seele, das Gedächtnis [memorial, über die Zeit, über die nicht körperlichen und andere metaphysische Dinge finden sich in den Confessiones, besonders in Buch 10 und 11, ganz hervorragende Überlegungen«124, notiert Leibniz vielleicht schon 1677 in einer von mehreren Aufzeichnungen, die ein intensives Studium dieser Augustinusschrift erkennen lassen. l25 Um 1689 wendet er sich den Aussagen über die Schöpfung sowohl im 12. wie im 13. Buch der Confessiones zu, dabei auf >einige Ansichten< stoßend, die ihm als vom Kirchenvater etwas zu unverständlich (>Obscuriusculevorausliegende . Antwort, die Fragen leitet, denen das erkennende Subjekt nachgeht. 128 Demgegen- . über folgt die Metaphysik des Rationalisten Leibniz der Geometrie strenger Logik, ohne jedoch darauf zu verzichten, ebenfalls die Vollkommenheit und Schönheit des . göttlichen Werkes zu preisen; deshalb legte ersterer seine metaphysischen Erwägun- . gen in Bekenntnissen, letzterer dagegen in einem Discours oder in Essays nieder. Es sind jedoch nicht nur solche allgemeinen Beobachtungen, die den unverkennbar kritischen Unterton in manchen Augustinus-Referenzen bei Leibniz begründen . könnten. Vielmehr sind es von Leibniz bewußt als eine Weiterentwicklung der Metaphysik als natürlicher Theologie verstandene Elemente seines Systems, von dem '. er am Ende eines längeren aus dem >Labyrinth, der Widersprüche von Freiheit und .• Notwendigkeit herausführenden Beweisgangs selbst sagt, es sei früher nicht bekannt gewesen. 129 Neben den im vorigen Abschnitt bereits genannten Vorstellungen ist es ' die seit Descartes neu bewegte Frage nach der Identität des >Ich" die zu einem grundlegenden, von den Zeitgenossen noch kaum begriffenen Element der Leibnizsehen Metaphysik führt, dessen Bausteine ebenfalls nicht ohne Rückgriff auf Augu- .. stinus entstanden sind. Daß Augustins Begründung der Selbsterkenntnis und das Cartesische Cogito nur '. äußerlich einander nahestehen, der Sache nach das eine mit dem anderen jedoch' >wenig zu schaffen,\3O habe, ist wohl kaum zu bestreiten. Um so interessanter dürfte die Frage sein, ob das >Cogito leibnizien,l31 eine größere Nähe zur Augustinischen . Zuordnung von Selbst, Welt und Gott, bzw. von Seele und Körper aufweist. Im IY., .'. das >Erkennen, beschreibenden Buch der Nouveaux Essais (1704) nahm Leibniz bei bei den seinen Ausgangspunkt, die, wie er sagt, »erste Wahrheit der Cartesianer und des Hl. Augustinus«: Je pense donc je suis. Das heiße, »ich bin eine Sache, die denkt. [ ... ] Aber mir ist nicht nur unmittelbar einleuchtend, daß ich denke, sondern mir . ist ebenso völlig klar, daß ich unterschiedliche Gedanken habe, daß ich, sofern ich ' A denke, B denke usw.«132 Das Leibnizsche Cogito impliziert nicht bloß die aus der Tatsache unmittelbarer Perzeptionen in mir entstehende Gewißheit, daß ich bin, sondern will auch beweisen, daß es außerhalb des Ego eine Realität gibt. Es kommt Vgl. hierzu etwa Norbert Fischer: Unsicherheit und Zweideutigkeit der Selbsterkenntnis. . Augustins Antwort auf die Frage ,quid ipse intus sim, im Zehnten Buch der ,ConfessionesLabyrinth< vgl. die Vorrede, GP VI, 29. 130 Norbert Fischer: Unsicherheit und Zweideutigkeit der Selbsterkenntnis, 353. 131 Michel Fichant: G. W. Leibniz, 474, Anm. 15. 132 Nouveaux Essais IV, 2, § 2; A VI, 6, S. 367. 128
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dabei auf den Übergang von den Gedanken zu den Objekten an. »Um beurteilen zu können, ob unseren inneren Erscheinungen eine Realität in den Dingen zukommt, und um Gedanken auf die Objekte zu richten, muß man meiner Meinung nach darauf sehen, ob unsere Perzeptionen untereinander und mit anderen, früheren, gut verknüpft sind, und zwar in der Weise, daß die mathematischen Regeln und andere Vernunftwahrheiten darauf Anwendung finden: In diesem Fall muß man sie für reell halten, und dies ist, wie ich glaube, das einzige Mittel, sie von Imaginationen, Träumen und Visionen zu unterscheiden.«l33 Als Leibniz dies im Anhang zu den Essais de theodicee schrieb, war eine über zwei Jahrzehnte währende Arbeit an seiner >neuen Entdeckung< zum größeren Teil abgeschlossen worden,l34 die zumindest im Äußeren gelegentliche Bezüge zu Augustinus aufweist. Den Ausgangspunkt der Kritik an Descartes (und an diesem Punkt vermeintlich auch an Augustinus) bildet - zumindest in den 1680er Jahren - Leibniz' >ureigenster Begriffabsolutist view of time< Augustins Zeitverständnis von • Confessiones 11, wenn er sage (107), »that the conception of time which goes on indepently of . whether anything else exists makes God create without sufficient reason at a certain moment. .. Leibniz's view was that the existence of time requires that of change.« 141 V gI. hierzu Norbert Fischer: Confessiones 11: >Distentio animi" bes. 517 - 525. 142 Als im Blick auf den unterschiedlichen »Ort der Frage nach dem Sein der Zeit« (Norbert . Fischer: Confessiones 11: >Distentio animiactions internes< (Monadologie § 17) der eben beschriebenen in völliger Selbständigkeit und Independenz handelnden Substanzen gleichzusetzen, und unbestreitbar ist die augustinische memoria »der Name für die Selbst-Gegenwärtigkeit, aus der sich Identität ergibt«.150 Solche Parallelen sind möglicherweise jedoch eher dem Augustinus und Leibniz gemeinsamen 1..
Vg!. etwa Leibniz am 8. Dezember 1686 an Antoine Amauld; GP H, 73 -78, hier 74 und
Essais de theodicee, pet:!. § 55 (dort die Analogie zur Inkarnation) und 3. Teil, § 291. 145 VgL civ. 14,15; 21,3 - vg!. hierzu auch Leibniz' Notiz zu Malebranche, De La recherche de la verite; A VI, 4B, 1931. 146 Arnauld am 28. September 1686 an Leibniz; GP 11, 63 - 68 und Leibniz' Antwort (wie Anm. 146).
147 » [ ••• ] je consens [ ... ] qu'on appelle Ames seulement celles [substances] dont la perception est plus distincte et accompagllE:e de memoire«. h 148 Ohne eine direkte Abhängigkeit Leibniz' von Augustinus zu behaupten, beschreibt Joann Kreuzer (,Petites perceptionsReich der Zwecke< (115 -127). Sodann vg!. Patrick Riley: Leibniz' Universal Jurisprudence. Justice ~ the Charity of the Wise; Riley sieht Leibniz als >Augustinianer< (162), sofern er die >erleuchtete< I~be (doetr. ehr. 1,20 - 23) als die wahre Liebe ansieht, wogegen Kants Augustinismus »gives pr~macy to >good will< as the only >unqualified< good«. Ob Kants und Leibniz' Thesen mit einer MInderung der Bedeutung der Gnade als zentraler Heilsursache einhergeht, wie sie diese bei Augustinus hat, ist eine Frage, die nicht vorschnell für entschieden angesehen werden sollte und noch zu erwägen sein wird. 1
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Denn Kant selbst rechnete sich, wie er sagt, zu den Denkern, »die aus den Quellen der Vernunft selbst zu schöpfen bemüht sind«, nicht zu den Gelehrten, »denen die Geschichte der Philosophie (der alten, sowohl als neuen) selbst ihre Philosophie ist«; ein wenig maliziös hat er zu solchen Vergleichen die Vermutung angefügt, daß, »da der menschliche Verstand über unzählige Gegenstände viele Jahrhunderte hindurch auf mancherley Weise geschwärmt hat, [... ] es nicht leicht fehlen« kann, »daß nicht zu jedem Neuen etwas Altes gefunden werden sollte, was damit einige Ähnlichkeit hätte« (Prol A 3 = AA 4,255). Bemerkenswerte Ähnlichkeiten im Leben und in der Art der Werke der zu betrachtenden Autoren gibt es nicht. 4 Wer einen Blick auf die großen Umbrüche im Leben beider wirft, kann bei Augustinus sehen, daß er bei seiner Suche nach religiöser Heimat zunächst den Spuren der Manichäer gefolgt ist, dann Orientierung . in Anregungen aus der Philosophie und später im biblischen Glauben fand, dem er . aber - wie es seinem ursprünglichen Ansatz entspricht - nicht nur auf Grund äußerer Autorität zustimmte, sondern weil er annahm, sich diesen Glauben auch denkerisch aneignen zu können. Als Maxime für Augustins spätere Wahrheitssuche kann gelten (con! 11,5): »audiam et intelligam«. Kant hingegen ist bei der Ausarbeitung seiner ersten Werke von religiösen und philosophischen Überzeugungen ausgegangen, die ihn zunächst einmal so sicher trugen, daß er den Nutzen »metaphysischer . Untersuchungen(, als er sich mit ihnen zu befassen begann, eher abschätzig beurteilte (zum Dasein Gottes vgl. z. B. BDG A 3 = AA 2,65). Unbefragte Gewißheiten schienen ihm vor seiner kritischen Wende die nötige Ruhe des Herzens verschafft zu haben, so daß er seinen Weg zunächst in aufklärerischem Fortschrittsoptimismus vor allem mit naturwissenschaftlichen Fragestellungen zu beginnen vermochte. Zum christlichen Glauben, der für Kant der selbstverständliche Ausgangspunkt . war, ist Augustinus erst nach langen Irrwegen seines Lebens und Denkens gelangt, . die er besonders in den Confessiones zum Thema macht. 5 Im Unterschied zu ihm . • Vgl. aber Otfried Höffe: Immanuel Kant, 19: »Kant war ungewöhnlich zurückhaltend. . Obwohl das kritische Werk vielleicht ähnlich wie Augustinus', Descartes' oder Pascals Philosophie einer plötzlichen Erleuchtung zu verdanken ist (vgl. Rejl. 5037), spricht Kant doch nirgendwo in seinen Schriften von einem philosophischen Erlebnis, das sein bisheriges Denken · blitzartig verändern sollte. So finden wir nichts, was der Vorstellung eines Genies entspricht.« . 5 Vgl. dazu Norbert Fischer; Dieter Hattrup (Hg.): Irrwege des Lebens. Augustinus: ,Confessiones, 1- 6. Weiterhin: Aurelius Augustinus: Suche nach dem wahren Leben. Confessiones X I ' Bekenntnisse 10; vgl. dort die Kompositionsstruktur des zehnten Buchs der Confessiones als , Schema für Augustins Weg des Lebens und Denkens (bes. XIX-XXX) . Auch nachdem Augu- . stinus zum christlichen Glauben gefunden hatte, war er noch nicht am Ziel seines Weges, sondern versuchte, sich den tieferen Gehalt des biblischen Glaubens anzueignen (in zunehmender Ablösung vom Plotinsehen Neuplatonismus, aber in bleibender innerer Nähe zu Platon); vgl. Endre von Ivanka: Plato christianus. Übernahme und Umgestaltung des Platonismus durch die Väter; Norbert Fischer: Augustins Philosophie der Endlichkeit. Zur systematischen Entfaltung seines Denkens aus der Geschichte der Chorismos-Problematik.
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mußte Kant aus dem )dogmatischen Schlummer< geweckt werden, um die Unruhe der philosophischen Suche zu verspüren und von den Fragen nach Gott und der Seele angetrieben zu werden. die Augustinus, sobald er selbst zu fragen begonnen hatte. sofort als die alles umfassende Doppelaufgabe der Philosophie verstand. 6 Die kritische Wende hat Kant allererst in eine förderliche Beziehung zu den Alten gebracht, auch wenn er das selbst nicht bemerkt hat und es ihm keine Aufgabe der Selbst reflexion war ,7 Trotz der Gegenläufigkeit ihrer Wege treten im theoretischen. im praktischen und im religionsphilösophischen Denken der beiden Autoren gemeinsame Motive hervor. die ihre Nähe belegen. Aber auch die äußerlich faßbaren Bezugnahmen sollen. obwohl sie auf den ersten Blick marginal zu sein scheinen (was bei dem )Selbstdenker< nicht verwundert). nicht unerwähnt bleiben. weil sie der behaupteten inneren Nähe auch eine zusätzliche Stütze bieten können. 8 Eine erste Anknüpfung Kants an Augustinus findet sich in der vorkritischen Un-
tersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral aus dem Jahr 1764. Die dort zitierte Augustinus-Stelle betrifft die Frage nach der Zeit, die für Kant später Bedeutung gewonnen hat. Nachdem Kant die These verteidigt hat. Mathematik erreiche ihre Definitionen )synthetischanimal rationale mortaleex anima et corporenoli foras ire ... < (vera rel. 72) läßt Augustinus in das oft nichtbeachtete munden: »et si tuam naturam mutabilem inveneris, transcende et te ipsum«. Der Weg von außen ~ach innen kommt bei Augustinus erst in Gott als dem transzendent und different bleibenden nnersten Zum Ziel; dazu vgl. Norbert Fischer: foris-intus. ta ~ ~rV B 833; Logik A 25 = AA 9:~5; dazu Martin Heid~gger: Kant und das Problem der Med P ysrk, 20 5 - 218. Kant bedenkt phanomenologisch fundiert und transzendentalphilosophisch urchgeführt die Aufgaben der traditioneJlen Metaphysik.
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Vernunft« (KrV A VII). Da die unabweislichen, nicht beantwortbaren Fragen, der menschlichen Vernunft durch ihre eigene Natur aufgegeben sind, auf Gott ein künftiges Leben zielen, bringen sie den Fragenden in einen Zustand, der, da keine Befriedigung ermöglicht (vgl. Kr V B 786 -797), die Ruhelosigkeit der hervorruft. Kant führt die Unruhe zwar nicht unmittelbar auf Gott zurück, aber zur These, daß für die Metaphysik »noch kein sicherer Weg der hat gefunden werden können«, die nachbohrende Frage, woher »denn die Na'tu" unsere Vernunft mit der rastlosen Bestrebung heimgesucht « hat, diesem Weg einer ihrer wichtigsten Angelegenheiten nachzuspüren?« L8 Die Frage nach dem Ursprung dieser rastlosen Bestrebung als Folge einer suchung der menschlichen Vernunft kann in mehreren Auslegungsstufen werden. Kant sieht den .eigentümlichen Grundsatz< unserer Vernunft in der gabe, »ZU dem bedingten Erkenntnisse des Verstandes das Unbedingte zu uu........,•• ' womit dessen Einheit vollendet wird« (KrV B 364). Daß die Vernunft das ges:uclhte, Unbedingte nicht aus eigner Kraft finden (nicht gleichsam durch trial and errar findencor inqlui(~. ! turn< nichts weiß, gegen Kant ins Feld (z. B. 32, 43, 112, 118, 120, 126, 129, 130, 133, 134. 170. ohne sich auf die antiskeptischen Intentionen Kants einzulassen. 20 KrV B XXX. Friedrich Delekat: Immanue/ Kant, 343; der erste Grund für die AO.IaSliWllll von RGV, sei »ein wissenschaftlicher, wenn man will, seelsorglicher Dienst an den liel)Jld,eten«'" Zurn geteilten protestantischem Echo vgL das außerordentlich polemische Schreiben des testanten Dr. S. Collenbusch, das er am 2. Weihnachtstag 1794 an Kant geschickt hat (AA u,~;,v,. Dagegen steht die positive Aufnahme durch den Protestanten C. A. Wilmans, die Kant in aufgenommen hat (A 115 -127 = AA 7,69 -75). Seltsam sind die Wandlungen der katholischen ' Antworten auf Kant. die bis zur Indizierung der Critica della regione pum (1827) meist zustimmend waren. Vgl. dazu Norbert Fischer (Hg.): Kant und der Katholizismus. Stationen einer
wechselhaften Geschichte.
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AUGUSTINISCHE MOTIVE IN DER PHILOSOPHIE KANTS
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der von der Unbegreiflichkeit Gottes überzeugt ist, könnte also gut mit Augustinus sagen (s. 117,5): »de deo loquimur, quid mirum si non comprehendis? si enim comrehendis, non est deus.« P Die Anregung, Unbedingtes zu suchen, kann (wie beide sehen) nur von Unbedingtem ausgehen. Sofern Kant sie vom Bewußtsein des moralischen Gesetzes ausgehen sieht, das uns die praktische Freiheit offenbart und den Weg zu den Ideen von Gott und Unsterblichkeit bahnt (Kp V A 40, spricht auch er sein: »tu excitas, ut laudare te delectet« (canf 1,1). Die rastlose Bestrebung unserer Vernunft wird so das Werk der unerforschlichen Weisheit, die »nicht minder verehrungswürdig« sei »in dem, was sie uns versagte, als in dem, was sie uns zuteil werden ließ.«21
2.
Zu Kants frage nach Sein und Sinn der Zelt vor dem Hintergrund der Augustlnischen Zeitbetrachtung im elften Buch der >Confessiones
bloß I\lit seinem empirischen Gebrauche beschäftigten Verstand(, »der über die Quellen seiner eigenen Erkenntniß nicht nachsinnt« (KrVB 297). In diesen Kontext gehört der Satz (KrV B XXX); -Ich mU ßte das Wissen . aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen(konzentrischen Kreise< an Augustinus gedacht haben; vgl. auch die Hinweise von Aloysius ' Winter: Kann man Kants Philosophie >christlichan sich wirksam< und sie werde, so ergänzt Leibniz Augustinus korrigierend, ja gerade gespendet, um die verhärteten Herzen zu öffnen. lI2 Besonders schließt Leibniz die Heiden 113 in solche Erwägungen ein, indem er der Depravation ihres Ethos (die Tugenden der Heiden seien nur >glänzende Lasterganz eigentlichen Christlichen Dogmen< versteht, zum anderen mit seiner Einschätzung des Verhältnisses im allgemeinen von Philosophie zur Religion, die von ihm als »Volksmetaphysik« angesehen wird (WH, 181), und insbesondere des Verhältnisses seiner eigenen Philosophie zur christlichen Religion. Diese Fragen können hier nicht in der notwendigen Ausführlichkeit behandelt werden. 4 Aber insofern sie auch für die Gesammelte Briefe, 466 (Nr. 480). Schopenhauer wird gemäß dem Siglenverzeichnis des Schopenhauer-Jahrbuchs zitiert: die Werke nach der Ausgabe: Arthur Schopenhauer: Sämtliche Werke (hg. von Arthur Hübscher); die nachgelassenen Schriften nach der Ausgabe: Arthur Schopenhauer: Der Handschriftliche Nachlaß (hg. von Arthur Hübscher = HN I - V); die Briefe nach der Ausgabe Arthur Schopenhauer: Gesammelte Briefe (hg. von Arthur Hübscher = GBr.). 2 Vg1. Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Faksimiledruck der ersten Auflage, 584. 3 Fritz Mauthner: Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande Bd. 4, 176. 4 Aus der reichhaltigen Literatur zu dem Thema seien genannt Max Horkheimer: Bemerkungen zu Schopenhauers Denken im Verhältnis zu Wissenschaft und Religion; Eugen Hildebrand: I
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MATTHJAS KOSSLER
Augustinus- Rezeption bedeutsam sind, ist es doch angebracht, in aller Kürze auf sie einzugehen. Den »Kern des Christenthums« bildet für Schopenhauer die Lehre von der Erbsünde und von der Erlösung, während »das Uebrige meistens nur Einkleidung und Hülle, oder Beiwerk ist« (W I, 480). Damit wird die christliche Religion radikal auf seine eigene Philosophie hin gedeutet, namentlich auf die Lehre von der Bejahung des Willens zum Leben, die er mit der Erbsünde gleichsetzt, und die Erlösung durch die Verneinung des Willens zum Leben. 5 Zur bloßen »Einkleidung« dieser »großen Wahrheit« des Christentums gehören auch die Menschwerdung Gottes in Jesus . Christus, die nur symbolisch, aber nicht als mythisch oder historisch wahr aufgefaßt werden soll, und der Begriff Gottes überhaupt als einer handelnden Person, sei es als Weltschöpfer6 oder als Heilbringer. Wenn nun für den Inhalt der christlichen Religion der genannte ,Kern< steht, so ist die ,Schale< und Einkleidung das Charakteristische der Religion als solcher im Unterschied zur Philosophie, indem sie nämlich das, was in Schopenhauers Philosophie »rationell und im Zusammenhange der Dinge begründet« sich findet, »durch bloße Fabeln« an das gemeine Volk vermittelt (P I, 141). Damit ist Schopenhauer nicht weit von seinem Lieblingsfeind Hegel entfernt, der die Aufgabe der Philosophie im Begreifen des nur auf die Weise der Vorstellung gegebenen Inhalts der Religion und in der Aufhebung derselben in das absolute Wissen sah. Anders als bei Hegel ist es aber für Schopenhauer fraglich, ob und inwieweit die Philosophie in der Lage ist, diese Aufgabe zu erfüllen und den Kern ohne Schale - oder, wie er in dem bekannten Dialog Ueber die Religion formuliert - das Wasser ohne Gefäß zu fassen (P II, 353).7 Dieses Verhältnis von Philosophie Schopenhauer und das Christentum; Alfred Schmidt: Die Wahrheit im Gewande der Lüge; Kar! Werner Wilhe1m: Zwischen Allwissenheitslehre und Verzweiflung; Gerard Mannion: Schopenhauer, Religion and Morality; Matthias Koßler: Schopenhauers Ethik zwischen Christentum und Empirie. 5 Um diese Gleichsetzung nachvollziehen zu können, ist daran zu erinnern, daß Schopenhauers Willenslehre mit einer erheblichen "Erweiterung des Begriffs« vom Willen verbunden ist (W 1,132), der alle unbewußten Strebungen, die Affektionen und Begierden, schließlich sogar . alle Antriebe in der Natur umfaßt; an sich betrachtet ist daher der Wille "nur ein blinder, unaufhaltsamer Drang« (W I, 323), der sich bei Mensch und Tier vor allem in der Selbsterhaltung und Fortpflanzung als Wille zum Leben kund tut. Zur ausführlichen Auseinandersetzung mit der Problematik der Gleichsetzung vgl. Anm. 43. 6 Zumindest als Weltschöpfer wird der Gottesbegriff nicht einmal als eine sinnvolle Verbildlichung angesehen, denn, wie noch zu sehen sein wird, steht dieses »Jüdische Grunddogma« der Wahrheit vielmehr entgegen. Vgl. a. die handschriftliche Aufzeichnung in HN IIl, 343, in der Schopenhauer die Möglichkeit der Verwendung des Gottesbegriffs für seine Erlösungslehre erwägt, dann aber feststellt: »)Gott, wäre hier, was die Welt nicht will, während im Begriff ,Gott. liegt, daß er das Seyn will.« 7 Schopenhauer läßt in dem Dialog seine überlegungen zur Religion in den Personen Demopheles (der Freund des Volkes, also Verteidiger der Religion) und Philalethes (Freund der
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und Religion, nach dem das dogmatische Christentum durch die Aufklärung überwunden ist, andererseits aber auch die Vernunft selbst als vom Willen abhängige und damit zu einem absoluten Wissen unHihige entlarvt wird, macht die >moderne< Seite Schopenhauers aus und erklärt seine zwiespältige Stellung zur Religion. Zu dieser Modernität gehört auch, daß das Christentum nicht als die einzige oder höchste Form der Religion in Betracht kommt; Hinduismus und Buddhismus stellen für Schopenhauer mythische Einkleidungen oder Gefäße dar, die dieselbe >große Wahrheit< noch unverhüllter und besser vermitteln. So steht er nicht an, zu behaupten, daß Buddha und Meister Eckhart »das Selbe Lehren« (WH, 705), und auch über Augustinus schreibt er: »Im tiefsten Grunde und abgesehn von beiderseitigen Mythologien, ist Buddha's Sansara und Nirwana identisch mit des Augustinus beiden civitates, in welche die Welt zerfällt, der civitas terrena und coelestis, wie er sie darstellt in den Büchern de civitate Dei [... ]«.8
2.
Die Bedeutung der Problematik von Gnade und freiem Willen
Für die Augustinus-Rezeption bei Schopenhauer ist die Gnadenlehre von besonderer Bedeutung. Die Erlösung durch Gnade ist zum einen reiner Ausdruck des von Schopenhauer herausgestellten >Kerns< des Christentums, indem sie mit dem Erlösungsgedanken die aus der Erbsünde stammende Unfähigkeit zur Befreiung aus eigener Kraft verbindet. Der Gedanke, daß Gerechtigkeit und Erlösung und auch der Glaube selbst, der dazu führt, »durch Gnadenwirkung, ohne unser Zuthun, wie von außen auf uns kommt«, wird als »ächt evangelisches Dogma« bezeichnet, und hierfür wird Augustinus als Zeuge gerufen: »Es ist ferner eine ursprüngliche und evangelische Lehre des Christenthums, welche Augustinus, mit Zustimmung der Häupter der Kirche, gegen die Plattheiten der Pelagianer vertheidigte, und welche Wahrheit) gegeneinander auftrete~, ohne daß der Dialog in eine eindeutige Entscheidung für den einen oder anderen mündet. An der betreffenden Stelle zieht Schopenhauer-Demopheles in Erwägung, »daß die reine abstrakte, von allem Mythischen freie Wahrheit, uns Allen, auch den Philosophen, auf immer unerreichbar bleiben sollte; dann wäre sie dem Fluor zu vergleichen, welches für sich allein gar nicht ein Mal darstellbar ist, sondern nur an andere Stoffe gebunden auftreten kann. Oder, - weniger gelehrt: die überhaupt nicht anders, als mythisch und allegorisch aussprechbare Wahrheit gliche dem Wasser, welches ohne Gefliß nicht transportabel ist; die Philosophen aber, welche darauf bestehn, sie unversetzt zu besitzen, glichen Dem, der das GeHiß zerschlüge, um das Wasser für sich allein zu haben. Vielleicht verhält es sich wirklich so.« Vgl. a. W 11 723). Zur Diskussion dieser Stelle, bei der die Person des Dialogpartners und die unmittelbar folgende Widerrede von Schopenhauer-Philalethes zu berücksichtigen sind, vgl. Alfred Schmidt: Die Wahrheit im Gewande der Lüge, 51, 173 f.; Kar! Werner Wilhelm: Zwischen Allwissenheitslehre und Verzweiflung, 19. 8 Pli, 391 f.; vgl. Anm. 37.
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MATTHIAS KOSSLER
von Irrthümern zu reinigen und wieder hervorzuheben Luther zum Hauptziel seines Strebens machte [... ] - die Lehre nämlich, daß der Wille nicht frei ist, sondern dem Hange zum Bösen wesentlich unterthan; [ ... ]« (W I, 480). Hier wird deutlich, daß die Augustinus-Rezeption auch im Zusammenhang mit Schopenhauers Auffassung von Luther zu sehen ist, der des öfteren in vergleichender Absicht zusammen mit Augustinus erwähnt wird. Beide sind ihm Gewährsleute gegen die »platte Ansicht« der aufgeklärten Religion im Rationalismus seiner Zeit, der kurzweg mit dem »Pelagianischen Hausmannsverstande« (ebd.) gleichgesetzt wird. Zum anderen ist die Gnadenlehre deswegen von besonderer Bedeutung, weil Schopenhauer mit der Übernahme des Begriffs der >Gnadenwirkung< zur Erläuterung der Verneinung des Willens zum Leben die Grenze des philosophisch Sagbaren markiert. Auf der Grundlage seiner Metaphysik des Willens ist die Verneinung desselben rational nicht zu erklären; es bleibt nichts, als die Unbegreiflichkeit des Vorgangs dadurch auszudrücken, daß er »plötzlich und wie von außen angeflogen« sich ereignet. In diesem Zusammenhang greift Schopenhauer auf die christlichen Lehren von Gnadenwirkung und Wiedergeburt zurück und zitiert in der Welt als Wille und Vorstellung (§ 70) Luther und (ab der zweiten Auflage) mehrfach Augustinus. Ob er dies tatsächlich, wie er schreibt, nur tut, um zu zeigen, daß seine Ethik dem Wesen nach nichts völlig Neues ist, sondern im Christentum schon - wenn auch unvollkommen und bildlich - vorhanden war; oder ob damit deutlich wird, daß die philosophische Wahrheit einer bildlichen Einkleidung, eines >Gefäßes< bedarf, und daher die Religion unverzichtbar bleibt, ist eine Frage, die in der Forschung umstritten isU Die Problematik von Gnade und freiem Willen, die Augustinus zeitlebens beschäftigt hatte, ist also für Schopenhauers Rezeption des Kirchenvaters von zentraler Bedeutung. Denn wie Schopenhauer vor allem in der Schrift Ueber die Freiheit des Willens dargelegt hat, ist das Handeln des Menschen durch seinen angeborenen und unveränderlichen Charakter im Verein mit der nötigenden Wirkung der Motive bestimmt und Freiheit, zumindest auf der Ebene der Erscheinung, ausgeschlossen (E, 26 - 62). Aus diesem Umstand erklärt sich die Entwicklung in der Stellung, die er gegenüber Augustinus einnimmt. Es läßt sich nämlich ein kontinuierlicher Wandel von einer anfänglich eher ablehnenden Haltung hin zu einer recht hohen Schätzung feststellen, der mit der zunehmenden Entdeckung von vermeintlich oder tatsächlich übereinstimmenden Gedanken einhergeht. Dieser Wandel verläuft parallel mit der Zunahme der Kenntnis von Quellen.
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V gI. dazu auch Rudolf Malter: Willensverneinung und Glaube.
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3. Schopenhauers Augustinus-Rezeptlon im Lauf ihrer Entwicklung
Die frühesten Zeugnisse einer Beschäftigung mit Augustinus lassen sich für 1816 nachweisen, zu einer Zeit, in der Schopenhauer mitten in den Arbeiten zum Hauptwerk steckte. Er lieh sich damals von der öffentlichen Bibliothek Teile einer Werkausgabe für einen Monat aus. lO Zur gleichen Zeit tauchen in den Manuskripten Zitate auS De libero arbitria aufll und ein Zitat aus De diversis quaestionibus LXXXIII, das er offenbar nicht Augustinus selbst, sondern einer Chrestomathia Patristica Graeca et Latina entnommen hatte. Das letztgenannte ist auch als einziges Augustinuszitat in die erste Auflage (1819) der Welt als Wille und Vorstellung (W I, 479) und in die Vorlesungsmanuskripte über die Metaphysik der Sitten von 1820 (Vor/. IV, 263 f.) eingegangen. l2 Allem Anschein nach hat Schopenhauer damals nur die Augustinische Lehre von der Freiheit des Willens, wie sie in der antimanichäischen Frühschrift De libero arbitrio vorgetragen worden war, zur Kenntnis genommen, aber noch nicht deren Kehrseite, die Prädestinations- und Gnadenlehre. 13 Dafür spricht einerseits, daß die erwähnten Originalzitate in den Manuskripten ausschließlich aus dem Buch über den freien Willen stammen, andererseits der Umstand, daß Schopenhauer bei seiner Ablehnung des freien Willens von Augustinus damals im Unterschied zu später keine hohe Meinung hatte. l4 Diese Einseitigkeit der frühen Augustinus-Rezeption tritt auch noch in der 1838 eingereichten und 1840 veröffentlichten Preisschrift Ueber die Freiheit des Willens zutage, in der Schopenhauer etwas ausführlicher zu De libero arbitria Stellung nimmt (E, 66 - 68, 7If.). Band 6 und 7 der opera lieh er am 10. Juni aus, Band 1 und 2 am 15. Juni, alle Bände gab er am 16. Juli zurück. Um welche Ausgabe es sich handelt, läßt sich nicht mehr feststellen. Die Angabe des Rückgabedatums verdanke ich dem ehemaligen Leiter des Schopenhauer-Archivs, Herrn Jochen Stollberg, der in Dresden recherchiert hat; die Angaben in D XVI, 123 und HN V, 199 sind falsch bzw. unvollständig. 11 HN I, 368 und 228, Anmerkung (nach Hübscher, HN V, 199, wohl von 1816). Im Hinblick auf die weitere Entwicklung in Schopenhauers Augustinus-Rezeption ist ein Vergleich aufschlußreich zwischen dieser frühen Anmerkung, in der Augustinus als Vertreter einer eudämonistischen Tugendlehre dargestellt wird und W II, 166, wo er im Gegenteil für die Kritik an diesen antiken Ethikkonzeptionen herangezogen wird. 12 HN I, 103, Anm.; vgl. HN V, 199; Carl Gebhardt: Schopenhauer gegen Augustinus, 309. Vgl. Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Faksimiledruck der ersten Aujlage von 1819 {1818], 581. Es handelt sich um eine Stelle aus div. qu. 66,6, in der die Jungfräulichkeit der Geburt Christi behauptet wird, die für Schopenhauer eine Symbolisierung der Verneinung des Willens zum Leben darstellt. Das >Dilemma des heiligen Augustinappetitus< und >amorreine Zeit des Glaubens< in der Urkirche, die bis zu Kaiser Konstantin dem Großen reicht (jormatio) , die Zeit der philosophischen Verfremdung, Verformung und Verfälschung (>PlatonisierungUnschuld, Lauterkeit und Einfaltgroßen Lehrer< (ChM 11, 17), auch wenn er behauptet, Augustinus sei der erste lateinische Scholastiker und Vater der Scholastik gewesen (ChM I, 64). Hirscher geht davon aus, daß der ethische Geist des Christentums durch die Geschichte hindurch ewig derselbe sei, daß er jedoch durch den Charakter und die Bedürfnisse der Zeiten modifiziert und durch die Subjektivität des Geistes dessen, der sich seinem Studium zuwendet, beeinflußt werde (ebd., 63). Die Subjektivität untergliedert Hirscher nach den menschlichen Hauptkräften in drei Klassen: Intelligenz, Gemüt oder praktische Kraft. Entsprechend der drei Hauptkräfte gestaltet sich auch die Darstellung der christlichen Moral. Die christliche Moral ist demnach vorherrschend eine intelligente (vernünftige), eine gemütliche oder eine praktische (ebd.): »Man nennt in der Schulsprache die erste Auffassungs- und Darstellungsweise die scholastische, die zweite die mystische, die dritte die casuistische. Alle drei Weisen kommen (wie begreiflich) in allen Jahrhunderten, rein oder mehr und weniger gemischt, neben einander vor; am schärfsten ausgeprägt erscheinen sie im Mittelalter.« Nun folgt die Definition der Scholastik (ebd., 63 f.): »Die Scholastik strebt das, was von der Offenbarung Gottes gegeben und vom Glauben der Gläubigen kindlich hingenommen ist, zum Wissen zu erheben, sonach daßelbe in seiner Nothwendigkeit zu begreifen, und zu einer klaren, bestimmten, zusammenhängenden und erschöpfenden Erkenntniß zu erheben. Die Scholastik (scholastische Behandlung) kann mithin nur da vorkommen, wo der Geist bereits zum philosophischen Denken erwacht ist.« Hirscher geht alle Jahrhunderte durch, sucht danach, zu welcher Zeit in der Kirchengeschichte der scholastische Geist besonders ausgeprägt war und kommt zu dem Ergebnis (ebd., Wir zitieren nach der vierten, verbesserten und mehrfach umgearbeiteten Auflage: Tübingen - Wien - Prag 1845. 47 Vgl. Johann B. Hirscher: Ueber die Pflicht des Seelsorgers, Glauben zu predigen, 195 f. 48 ChM I (1- 442): 38, 40, 49, 160, 170, 424. - ChM II (1- 557): 16 f., 115,310, 321, 380, 477- ChM IIr (1-728): 41, 107, 124, 226, 263, 269 f., 273, 276, 282 - 284, 311, 313 f., 425, 487, 501 f., 511, 46
513, 516, 536, 599, 686 - 688, 716.
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JOHANNES SCHABER OSB
64): »Die ersten Scholastiker auf dem Gebiete der christlichen Moral sind, wie schon angedeutet worden, die alexandrinischen Väter, vorzugsweise Origines.« Die griechischen Kirchenväter haben nämlich bei heidnischen Philosophen gelernt, zur Durchdringung ethischer Probleme philosophisch zu denken (ebd.): ))Unter den Lateinern steht in Absicht auf wissenschaftliche Behandlung der christlichen Moral Augustinus oben an. Derselbst hat sie nicht nur auf einen höchsten Grundsatz zurückgeführt, sondern (wenn auch gleich nicht an einem Ort) nach allen Beziehungen entwickelt, ihre Grundsätze scharf bestimmt und auf das Leben angewendet. Welchen Einfluß Plato auf ihn geübt, ist besonders in seinem Buch de civ. Dei sichtbar.« Obwohl Augustinus nach Hirschers Bestimmung der Scholastik der Vater der (lateinischen) Scholastik ist, bringt er ihm dennoch eine hohe Wertschätzung entgegen, was sich darin zeigt, daß er, obwohl er ausdrücklich die Heilige Schrift als alleinige Autorität und einzige theologische Erkenntnisquelle gelten lässt, ihn zusammen mit weiteren Kirchenvätern der drei ersten Jahrhunderte immer wieder in seinen Schriften zitiert. Johann Adam Mähler unternahm zur Vorbereitung seiner akademischen Lehrtätigkeit in Tübingen eine )literärische Studienreiseökumenischer< Hoffnungen und Erwartungen abgekühlt ist und damit auch die in jener Atmosphäre entstandenen Wahrnehmungsschranken und Denkverbote alsbald hinfallig werden dürften, steht allerdings zu hoffen, daß nun bald die Zeit des >Kulturkampfes< nicht mehr in falscher Scham beschwiegen oder mit sentimental bedauernden Worten zugedeckt, sondern mit theologischem Engagement unbefangen erforscht wird. Und wenn das geschieht, wird meine Studie zumindest in dieser Hinsicht überholt sein.
1.
Albrecht Ritschl, Ferdinand Kattenbusch
A) Am Anfang der klassisch-historistischen Periode der deutschen protestantischen Dogmengeschichtsschreibung steht eine aus den Fugen geratene Rezension: 18 71 erschien in den Jahrbüchern für Deutsche Theologie Albrecht Ritschls '4 Besprechung des ersten (und einzigen) Bandes von Friedrich Nitzschs (1832-1898)15 dogmengeschichtlichem Lehrbuch unter dem Titel Ueber die Methode der älteren
Vgl. Ernst Troeltsch: Die kulturgeschichtliche Methode in der Dogmengeschichte. Ders.: Augustin, die christliche Antike und das Mittelalter. Zu Troeltschs wichtigsten Gewährsleuten zählt hier Hermann Reuter. .. Vgl. Otto rutsch!: Albrecht Ritschls Leben. Rolf Schäfer: Ritschl, Albrecht / Ritschlsche Schule. 13
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Dogmengeschichte. Albrecht Ritschp6 formulierte die Aufgabe der Disziplin in Erkenntnisrichtungen: Einmal müsse sie die »Verständigung über den Gang Christenthums in der Form der Vorstellung, des Begriffs und der Gesammtanschau:, ung« befOrdern und sodann auf dieser Basis »nicht nur die Lücken zeigen, welche', ausgefüllt werden sollen, sondern zugleich eine Menge von Ueberlieferungen solche beurtheilen, welche nicht mehr oder nicht direct maaßgebend für die tOf~O;. retische Theologie sind«.J7 Als strikt historischer Disziplin obliegt der Dogmenge:" schichtsschreibung also eine eminent wichtige systematisch-theologische Aufgabe: Sie ordnet methodisch reflektiert die historisch gewachsenen Elemente tht~olcJgisctler ' Lehre in ihre Entstehungszusammenhänge ein und gewinnt daraus einsichtige lYlalU- \ stäbe für das Urteil darüber, ob bestimmte herkömmliche Lehrstücke und Lehrfor- ,' men in der Gegenwart bei der Ausprägung einer authentischen Gesamtrechenschaft vom christlichen Glauben dienlich sein können. Ritschl selbst hat seinen systematisch-theologischen Neubau mit einer 1Ahnherr[n] der Reformation< stilisiere und bezeichnet ihn im Gegenzug als Nater des römischen Katholicismus< (190)- Dieser lebe hauptsächlich von »religiöse[n] Motive[n], welche von Augustin herstammen« (191). Die Lehre von der Heilsnotwendigkeit der sichtbaren, bischöflich verfaßten Kirche bilde den »Mittelpunkt seiner [Augustins] ganzen Theologie« (192). Die Kirche erfaßt er, anders als im orientalischen Christentum, als energische, vorwärtstreibende Erziehungsmacht und zugleich als weltbeherrschende Theokratie. Der innere Grund für diesen eminent hohen Anspruch liegt in »dem berauschenden Gedanken, das Reich Gottes schon selbst zu sein« (202), den Augustinus in Umprägung des herkömmlichen Chiliasmus in De civitate dei XX, 6 ff. entwickelt habe (201). Ganz konsequent sei es, daß Augustinus die Kirche als >eine Art Staat< verstehe (210), der zum weltlichen Staat nur ein positives Verhältnis haben könne, sofern dieser sich als >ihr Trabant< verstehe und verhalte (203). Auch bei Kattenbusch fehlt nicht der aktuelle Seitenblick (201): »Wir haben in jenem Gedanken Augustins den eigentlichen Rechtstitel und das leitende Motiv für die Politik, welche die Päpste bis auf die Gegenwart festhalten.« Das Augustinus-Bild, das hier entsteht, ist scharf profiliert: Augustinus hat eine Gesamtdeutung des Christentums vorgelegt, in der die Gnaden- und Erwählungslehre dem Einzelnen die Heilsfrage mit größtmöglicher Schärfe einbrennen - sie bleibt mit einer in der Basis des Systems selbst verankerten Notwendigkeit ohne feste, verläßliche Antwort. Es ist diese strukturell bedingte letzte Ungewißheit, welche den Einzelnen der durch und durch autoritär verfaßten Kirche mit ihren Hilfsund Trostmitteln in die Arme treibt. Die religiösen Ängste und Nöte der Menschen, welche durch die Sorge nach dem Heil umgetrieben werden, bilden also das Fundament, auf welchem die Bischofs- und Papstkirche seit der Spätantike das Gebäude ihrer Herrschaft über die Seelen und über die Welt aufgerichtet hat - bis die Reformation es zerbrach, wo sie zur Wirkung gelangen konnte. Es ist deutlich: Ritschl und Kattenbusch geben Augustinus als Bezugspunkt und Gewährsmann evangelisch-theologischer Lehrbildung den Abschied und schieben ihn in dieser Funktion dem Römischen Katholizismus zu.
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Widerspruch gegen dieses Verfahren kam von Hermann Reuter. 23 Sein Göttinger Kollege Ritschl schätzte ihn sehr und gab der Erwartung Ausdruck, er werde von diesem Kollegen, den er für »den Renommierteste[n) in der Kirchengeschichte«14 ' hielt, lernen können, Die Gelegenheit dazu eröffnete sich ihm spätestens, als Reuter . seit 1880 in der Zeitschrift für Kirchengeschichte seines Schülers Theodor Brieger eine Reihe von fünf Augustinische[ n) Studien publizierte, die, jeweils ergänzt und um . zwei weitere vermehrt, 1887 auch als stattliche Monographie erschienen. 25 Ritschls und Kattenbuschs Thesen sind in Reuters Studien allgegenwärtig. Aber was er in . seinen Untersuchungen vorgelegt hat, ist weit mehr als bloß ein ephemerer Debattenbeitrag. Vielmehr sind die Studien bis heute nicht nur höchst lehrreich, sondern zugleich mustergültig in der Berücksichtigung des Materials und in ihrer streng durchretlektierten Methodik. Reuters Kenntnis der Werke Augustins bis in letzte Verästelungen hinein ist stupend. Und Reuter achtet bei der Interpretation der Quellen immerfort penibel auf die werkbiographischen Zusammenhänge. Er nimmt Augustins Denken als lebendigen, unabgeschlossenen Prozeß wahr, in welchem fort und fort neue Motive auftauchen, ältere in den Hintergrund treten und in dem sich, hervorgerufen durch innere wie äußere Impulse, Wendungen ereignen, die jeden Versuch der tlächigen Systematisierung zum Scheitern verurteilen. Damit nicht genug: Daß Augustins theologische Gedankenwelt nicht aus einem Guß ist, hat noch einen weiteren Grund, den Reuter durchgängig berücksichtigt. Der Theologe Augustinus hat ja nicht von Grund auf neu gebaut, sondern er hat eine geprägte Gestalt katholisch -kirchlichen Lebens und Denkens vorgefunden und seine eigenen Gedanken in diese Vorgaben hineingeschmiegt. Die eigentlich originellen n Vgl. Th. Kolde: ReuteT, Hermann; vgl. auch Ekkehard Mühlenberg: Göttinger Kirchenhistoriker im 19. Jahrhundert, bes. 251- 255. Reuter hatte sich als Verfasser eines dreibändigen Werks über Papst Alexander III. einen bedeutenden Namen in der Zunft evangelischer Kirchenhistoriker gemacht; eine zweibändige Studie über Die religiöse Aufklärung im Mittelalter war im Erscheinen begriffen, als er 1876 nach Göttingen berufen und dadurch Ritschls Fakultätskollege wurde. 24 V gI. den Brief Ritschls an Ludwig Diestel vom 12. Ir. 1876 in: OUo Ritschl: Albrecht Ritschls
Leben, 284. Hermann Reuter: Augustinische Studien. - Interessant ist die Widmung des Bandes, denn sie zeigt Reuters große Wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung: Sie gilt seinen drei Schülern Theodor Brieger, Theodor Kolde und Paul Tschackert. Brieger (vgL Karl-Heinz zur Mühlen: Brieger, Theodor) lehrte Kirchengeschichte als Ordinarius in Leipzig, Kolde [vgL Karlmann Beyschlag: Die Erlanger Theologie, 136 - 140 sowie Hanns-Christof Brennecke: Zwischen Luthertum und Nationalismus. Kirchengeschichte in Erlangen, 246 - 252] wirkte in der gleichen Stellung in Erlangen. Tschackert lehrte in Königsberg und wurde 1890 in Göttingen Reuters Nachfolger. Er starb 1911, und seine Nachfolge trat mit Carl Mirbt ein weiterer Schüler Reuters an (vgl. Johannes Meyer: Geschichte der Göttinger theologischen Fakultät, 7 -107, bes. 81). 25
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Gedanken Augustins sind also immer nur so zu ermitteln, daß sie sorgsam von ihrer >vulgär-katholischenwestliches< kirchliches Selbstbewußtsein, vielmehr war seine Kenntnis der griechischen Sprache und Theologie erheblich besser entwickelt, als man gemeinhin annimmt. Aber er hat, ohne daß er es wußte oder gar wollte, dem Westen kirchlich und theologisch in erheblichem Maße seinen Sonderweg gewiesen. Die fünfte Studie zeigt, daß Augustins ursprüngliches Bild der Kirche nicht von spezifisch hierarchischen Interessen bestimmt war; erst die konkreten antidonatistischen Kämpfe haben ihn in diese Richtung gedrängt und ihm Folgerungen abgenötigt, die in das Gesamtgefüge seines Denkens nicht wirklich hineinpassen. Augustins Bild des christlichen Lebens bringt die sechste Studie zur Sprache, nach der auch hier heterogene Motive einander kreuzen: Einerseits kann er das irdische Leben als Ort würdigen, an dem ein Vorgeschmack ewiger Seligkeit möglich ist und der sich deshalb dem Christen positiv als Stätte ethischer Gestaltung darbietet, anderseits kann er das irdische Leben als unwirtlichen, feindlichen Ort abwerten, an dem sich allein in asketischer Distanz überdauern läßt. Die abschließende Studie mit dem Titel Zur Würdigung der Stellung Augustin's in der Geschichte der Kirche faßt noch einmal Reuters Einwände gegen Ritschls Großkonstruktion zusammen und setzt ihr ein Deutungsmuster entgegen, das sich sehr viel enger am geschichtlichen Individuum >Augustinus< und den konkreten Bedingungen seines Lebens und Wirkens orientiert. Zunächst lehnt es Reuter ab, mit Augustinus eine neue Periode der Kirchengeschichte beginnen zu lassen, denn er hat durch sein Wirken weder das Leben noch die Verfassung/Sozialgestalt und die Weltstellung der Kirche seiner Zeit durchgrei-
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fend modifiziert. 26 In der Dogmengeschichte, deren Bereich Reuter stillschweigend auf die Geschichte der normativ-gesetzlich verfestigten Lehren von der Dreieinigkeit und Menschwerdung restringiert, markiert er keine epochale Zäsur (482 - 485). Und mit ihm beginnt, so führt Reuter gegen Ritschl aus, keine dogmengeschichtliche Periode, die an der Kirche ihren Zentralgegenstand gehabt hätte. Gerade in seiner unmittelbaren Wirkungsgeschichte läßt sich diese These nicht verifizieren, und damit fallt die schöne Parallel-Konstruktion Ritschls mit Augustinus und Pseudo-Dionysius weg: Augustinus fand noch keine spezifisch vom Osten unterschiedene westliche Kirche vor, sondern diese entstand erst in der Folge seines Wirkens (485 - 488). An dieser Stelle schlägt Reuters Argumentation um: obwohl er mit Augustinus weder eine kirchen- noch eine dogmengeschichtliche Periode beginnen lassen möchte, will er dessen Rang und Bedeutung nicht mindern, sondern vielmehr seine unvergleichliche Eigenart, die unermeßliche Weite und Wucht seiner Wirkung überhaupt erst sichtbar machen. Allerdings: diese Wirkung beschränkte sich auf den Westen; Möglich war sie, weil ihr in der Frömmigkeit und Theologie der westlichen Kirche schon der Boden bereitet war (484 f.): »Nun glaube ich allerdings, daß man in dem Occidente vor Augustin Stimmungen und Richtungen auszumitteln imstande sei, welche in ihm den sie selbst erst deutenden Herold gefunden haben.« Wie war das möglich? Der Verweis auf Augustins >geniale KraftVoraussetzungBedingung<seiner Wirksamkeit. Die Aufgabe, diese zu bestimmen, löst Reuter in einer genialen Skizze. Er setzt ein mit einem Vergleich mit Origenes. Zu dessen Lebenszeiten war die Situation der katholischen Kirche nach langer scheinbarer Rechtssicherheit unversehens tödlich gefährdet. Aber gerade durch ihre Haltung in dieser Gefahr nötigte sie auch ihren schärfsten Gegnern, den >Fanatiker[nJ der Kulturidee< (489), ein Minimum an moralischem Respekt ab. Das hatte sich zu Augustins Lebzeiten in der werdenden Reichskirche umgekehrt: Die Ecclesia Catholica, von den Kaisern begünstigt, hatte einen rapiden Verfall ihres moralischen Kredits hinnehmen müssen. Ihr eigener Katholizitätsanspruch war durch Schismata und Häresien dem Widerspruch der Tatsachen preisgegeben. Der >Irrationalität des katholischen Dogmas< (490) hielt der kirchliche Autoritätsanspruch notdürftig die Waage. Gerade die Vertreter des Rechts der >freien religiösen Überzeugung< mußten sich zwangsläufig als Gegner des staatlich privilegierten Zwangskirchenturns verstehen und positionieren. Der in katholischem Milieu aufgewachsene Augustinus nun hat genau diese religiösen (Manichäismus) und philosophischen (Skepsis) antikatholischen Tenden zen in seinen Werdejahren realisiert und intellektuell wie existentiell angeeignet. Trotz alledem blieben ihm unaustilgliche Reste seines katholischen KindheitsglauJ
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v gl. Reuter: Augustinische Studien, 481.
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bens erhalten, und in der Person des Ambrosius strahlte dieser ihm, platonisch und paulinisch durchgeistigt, neu und so überzeugend auf, »daß er die katholische Taufe begehrte« (491) - Er beugte sich genau der >AuktoritätRecht der Kritik< zuvor eifersüchtig vorbehalten hatte (490)- Diese Beugung vollzog er mit Wissen und Willen, aber er blieb doch in ihr und trotz ihrer derselbe, zu dem ihn seine Lebensgeschichte geformt hatte (491): »Die Stimmungen des suchenden Philosophen, die des häretischen Oppositionsmannes, die selbstgemachten Erfahrungen von dem Leben in dem Kreise der Sekte, von dem Leben in den Kreisen der gebildeten Heiden, die Kunde von den Kritiken, welche man hier über die Kirche faIlte, waren von ihm nicht vergessen, als er von der Hand des Ambrosius das Sakrament empfing_« Dieses lebensgeschichtliche Erbe, das er bei seiner Rückkehr in die Ecclesia Catholica mitbrachte, motivierte und befähigte ihn, die >FeindeStoffvulgärkatholischen< Gestalt gewann, weil und sofern sich an und aus ihr eine neue Stufe christlichen Denkens gebildet hatte. All das zeigt sich natürlich, so Reuter, erst dem rückschauenden Betrachter. Augustinus selbst wollte nichts sein als eben wissentlich und willentlich Katholik; sein eigenes Denken identifizierte er schlichtweg als >katholisches3
Aufknapp 200 Seiten; zuerst erschienen 1890, zit. wird im folgenden die 4. Auf!. (Tübingen
1910) nach dem Nachdruck Darmstadt 1983. 34
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Zit. im folgenden nach der Ausgabe von Claus-Dieter Osthövener. Adolf Harnack: Augustins Konfessionen (1887). Adolf von Harnack: Die Höhepunkte in
Augustins Konfessionen. Ich nenne zwei besonders prägnante Studien aus ganz unterschiedlichen Perioden von Harnacks Lebens- und Werkgeschichte. Adolf Harnack: Die Bedeutung der Reformation innerhalb der allgemeinen Religionsgeschichte. Adolf von Harnack: Die Reformation und ihre Voraus36
setzung (1917). 37
Adolf von Harnack: Augustin - Reflexionen und Maximen.
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Aus diesem Grund lenkt Harnack als Kirchenhistoriker sein Augenmerk mit Vorzug auf überindividuell und dauerhaft prägende Institutionen und arbeitet auf gesamthafte Darstellungen großer, umfassender Phänomenbestände hin - als beispielhaft dafür können die fünf Kapitel gelten, die den zweiten Hauptteil der Wesensschrift bilden und das Apostolische Zeitalter, die Bildung der Katholischen Kirche, die Ostkirche, den Römischen Katholizismus und den Protestantismus in trennscharfer Unterscheidung voneinander zur Darstellung bringen. Die charakteristischen Züge dieser konfessionskundlich orientierten Arbeitsweise weist auch das Lehrbuch der Dogmengeschichte auf, in dem er wichtige Einsichten und Leitintentionen Albrecht Ritschls aufnimmt und weiterführt. 38 Für Harnacks Christentumsauffassung und damit für die besondere Gestalt seines kirchengeschichtlichen Forschens und Fragens ist aber auch eine spezifische Differenz zu Ritschl charakteristisch. Für Ritschl ist nicht primär das Individuum, sondern die Gemeinde Gegenstand und Ziel von Gottes Heilshandeln; sie hat Gott im Berufswerk Jesu gegründet, um mittels ihrer sein Reich heraufzuführen. Der Einzelne empfängt das göttliche Rechtfertigungsurteil und die Versöhnung mit Gott, weil und sofern er sich als Glied der Gemeinde deutet, vollzieht und betätigt. Jede Form der apart-subjektivistischen Gottes- oder Heilandsliebe stand für Ritschl dem Pietismus und seinen mittelalterlich-mystischen, zutiefst katholischen Wurzeln zumindest nahe. Auf diesem Weg ist ihm Harnack nie gefolgt. Für ihn war stets das Individuum das primäre, unhintergehbare Subjekt aller religiösen Deutungen und Vollzüge. 39 Darum ist er auch in seiner historiographischen Arbeit trotz aller Orientierung an Institutionen und geschichtlichen Großformationen immer wieder zu bestimmten Personen zurückgekehrt: zu Origenes, zu Luther und am häufigsten und intensivsten zu Augustinus. Hierin zeigt sich eine deutliche Affinität zu Hermann Reuters Art der Kirchengeschichtsschreibung. Und gerade für die Augustinus-Deutung hat Harnack von Reuter viel gelernt: die Augustinischen Studien hat er eingehend und anerkennend rezensiert. 40 In der Erstauflage des dritten Bandes seines Lehrbuch[sl der Dogmengeschichte hat Harnack Reuters Studien als >die beste neuere Arbeit< hervorgehoben (44). In der letzten Auflage heißt es zwar nur noch >die lehrreichste neuere Arbeit< (60 Anm.), aber dennoch: Reuters Studien dürften in Harnacks Augustinus-Darstellung zu den allerwichtigsten Referenztexten aus der Sekundärliteratur gehören.
Dessen Aufsatz über die Methode der älteren Dogmengeschichte war für die Konzeption Harnacks von hervorragender Bedeutung. Vgl. Nottmeier: Adolf von Harnack und die deutsche Politik 1890 -1930, 92 f. 39 V gI. hierzu Nottmeier: Adolf von Harnack und die deutsche Politik 1890 -1930, 70 - 72. 40 VgI. Theologische Literaturzeitung 1211887, 350 - 355. 38
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B) Zwischen Harnacks historischer Orientierung an schöpferischen Individuen und seiner konstanten Vorliebe für Augustinus besteht ein innerer systematischer Sachzusammenhang: Harnack sah Augustins unübertreffliche universalgeschichtliche Bedeutung darin, daß er diesen Gegenstandsbereich der Erkenntnis eröffnet hat, indem er als erster Mensch überhaupt sich selbst als individuelles Subjekt zum Gegenstand literarisch-künstlerischer Deutung und Darstellung gemacht hat: ),Kein Dichter, kein Philosoph hat vor ihm das unternommen, was er hier geleistet hat, und, darf ich gleich hinzufügen, fast ein Jahrtausend mußte vergehen, bis wieder ähnliches geleistet worden ist. Erst die Poeten der Renaissance, die sich an ihm gebildet, haben an ihm den Mut gewonnen, s~ch selbst zu schildern und ihr Ich der Welt zu bieten. Denn was enthalten die Konfessionen Augustins? ein Seelengemälde, nicht psychologische Abhandlungen über Verstand, Wille und Gefühl im Menschen, nicht abstrakte Untersuchungen über die Seele, nicht oberflächliches Räsonnement und moralisierende Selbstbespiegelung wie die Tagebuchblätter Mare Aurels, sondern die genaueste Schilderung eines bestimmten Menschen, eines Individuums in seiner Entwickelung von der Kindheit bis zum Mannesalter in allen seinen Trieben, Gefühlen, Zielen und Irrungen, ein Seelengemälde, mit einer ausbündigen Kunst der Beobachtung gezeichnet, welche die gewöhnlichen Hülsen und Schablonen der Psychologie beiseite läßt und der Methode des Physiologen und Arztes folgt.«4l So sind die Bekenntnisse Augustins eine »literarische [ ... ] Tat, die nicht ihresgleichen hat« (57): »Erst er hat aus der lateinischen Sprache ein seelisches Instrument gemacht und ihr und deren Töchtersprachen, ja auch den germanischen, die christliche Seele und die Rede des Herzens gegeben« (Reflexionen und Maximen, Vorwort, unpaginiert). Die eigentliche Großtat war Augustins literarische Selbsterschließung; mit ihr hat er menschheitsgeschichtlich neue Wahrnehmungs- und Erkenntniswelten erschlossen und sich selbst zugleich unsterblich gemacht: »Soviel Kunst er auch aufgewendet hat - er hat die Einheitlichkeit seiner Sprache nicht zerstört; sie ist doch aus einem Guß, weil beherrscht von einer geschlossenen Persönlichkeit. Eine Person tritt uns in ihr entgegen, und wir fühlen, daß diese Person überall viel reicher ist als ihr Wort. Das ist der Schlüssel zum Verständnis der fortdauernden Wirksamkeit Augustins.«42
Augustins Konfessionen, 55 f. - Harnack übersieht nicht, daß das Werk durch und durch rhetorisch stilisiert ist; er räumt ein, daß Augustinus »in manchen Ausführungen uns überspannt und ungesund, sogar unwahrhaft erscheint; allein bedenkt man, daß er im Zeitalter eines tiefgesunkenen Geschmacks und einer verlogenen Rhetorik geschrieben hat, so darf man sich billig darüber wundern, daß er sich so mächtig über die Unsitten der Zeit erhoben hat« (ebd. 41
58). 42
Augustins Konfessionen, 60.
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Dieses letzte Zitat bietet zugleich den Schlüssel für Harnacks Deutung Augustins. Diese soll im folgenden in zwei Arbeitsgängen näher ins Auge gefaßt werden. Zunächst wird, gestützt auf die Wesensschrift, der Standort aufgezeigt, den Harnack Augustinus in seinem Gesamtbild der Kirchengeschichte anweist. Sodann werden vor diesem Hintergrund einige wichtige Züge von Harnacks ausgeführter Augustinus-Deutung im Lehrbuch der Dogmengeschichte vorgeführt. C) Besonders in der Wesensschrift wird der überragende Stellenwert deutlich, den Harnack Augustin in der Werdegeschichte des religiösen Personalismus zuschreibt. Dessen Begründer war er freilich nicht. Diese Stellung kommt vielmehr Jesus von Nazareth zu, der eben deshalb als die in der Überlieferung von ihrem Weg, Werk und Wort zugleich offenbare und verborgene Person in ausschließlich-einzigartiger Weise mit dem >Evangelium< bzw. dem >Wesen des Christentumscomplexio oppositorum< im abendländischen Katholizismus« (147). Der innere Widerspruch, den er der westlichen Kirche eingestiftet hat, durchzog auch Augustinus selbst, »der auch ein entschlossener Kirchenmann gewesen ist, ja das Ansehen und die Macht der äußeren Kirche samt ihrer ganzen Ausstattung aufs kräftigste gefOrdert hat« (ebd.). Aber nicht nur die systemstabilisierenden Tendenzen in der Geschichte der katholischen Kirche des Abendlandes haben von ihm Impulse empfangen (ebd.): »Die lange Kette katholischer Reformer von Agobard und Claudius von Turin im 9. Jahrhundert bis zu den Jansenisten des 17. und 18. Jahrhunderts und über sie hinaus ist augustinisch.«
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46 41
Die christliche Religion in ihrer Entwicklung zum Katholizismus, Die christliche Religion im griechischen Katholizismus, 124 -138. Die christliche Religion im römischen Katholizismus, 139 -150.
110 -124.
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Seine religiösen und theologischen Wirkungen wurzeln in den Tiefen seiner Persönlichkeit (146): »Wenn Sie seine Konfessionen lesen, so werden Sie trotz aller Rhetorik, die nicht fehlt, erkennen, daß hier ein Genius spricht, der Gott, den geistigen Gott, empfunden hat als den Fels und als das Ziel seines Lebens, der nach ihm dürstet und außer ihm nichts begehrt«. Er hat Religion als individuelles Gotterleben und Gotterleiden in den Gegensätzen seiner Lebensgeschichte erfahren, und er hat die inneren Bewegungen seiner religiösen Subjektivität unvergleichlich intensiv und authentisch in Worte zu fassen vermocht (ebd.): »Aber die Empfindung des getrösteten Sündenelends hat er mit solcher Kräftigkeit des Gefühls und in so hinreißenden Worten ausdrücken können wie keiner vor ihm; noch mehr - er hat mit dieser Aussage die Seelen von Millionen so sicher zu treffen, ihre innere Verfassung so genau zu beschreiben und den Trost so eindrucksvoll, ja überwältigend vorzustellen vermocht, daß seit nun 1500 Jahren das immer wieder erlebt wird, was er erlebt hat. « Es ist deutlich: Als religiöses Leben freisetzende religiöse Persönlichkeit mit unermeßlicher Breiten- und Tiefenwirkung reicht Augustinus in die Nähe Jesu und Pauli hinein. Aber das gilt nur formal, denn inhaltlich zeigt sich, daß seine Originalität sehr begrenzt war (145):
»Augustin's Frömmigkeit und Theologie bedeuteten eine eigentümliche Wiedererwekkung der paulinischen Erfahrung und Lehre von Sünde und Gnade, von Schuld und Rechtfertigung, von göttlicher Prädestination und menschlicher Unfreiheit. Wahrend diese Erfahrung und Lehre in den vergangenen Jahrhunderten verloren gegangen waren, erlebte Augustin in seinem Inneren die Erlebnisse des Apostels Paulus, brachte sie auf ähnliche Weise wie dieser zur Aussprache und faßte sie in bestimmte Begriffe. « Weil Augustinus persönlich-authentisch Grundmotive paulinischer Religion eigenständig erlebt hat, weist die Lehrform, die er auf dieser Grundlage ausgearbeitet hat, bedeutende Unterschiede zu Paulus auf. Anders als der Apostel faßt er die Rechtfertigung effektiv, als Prozeß der allmählichen Gerechtmachung des Sünders durch Gott, auf. Im Zusammenhang hiermit stehen zwei weitere Eigentümlichkeiten (146): »Viel unfreier und skrupulöser jedoch als der große Apostel achtet er auf die Sünde«, und »[z]um Gefühl der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes hat er sich nur selten aufzuschwingen vermocht, und wo er es vermochte, von ihr nicht so zeugen können wie Paulus«. So verweist Augustinus letztlich sowohl positiv vorbereitend als auch durch die Schranken seines Denkens auf die Reformation voraus, wobei sehr genau auf die feine Dialektik in Harnacks Bestimmungen zu achten ist: »die Größe Luthers besteht nicht nur darin, daß er kräftiger und reiner als irgendein Abendländer vor ihm den Augustinismus wieder in Geltung setzte, sondern daß er
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ihn auch selber reinigte, zum Abschluß brachte und ihm dadurch erst die Kraft verlieh, die ihm noch gefehlt hatte, alles Fremde wirklich abzustoßen«.48 Luther hat, so Harnack, den von Augustinus abgesteckten Horizont material und formal gesprengt: Material hat er das Problem der Heilsgewißheit auf eine Weise gelöst, die jenseits alles dessen lag, was Augustinus auch nur ahnen konnte: »Jenes ,Wort< [das Wort Gottes, M.O.] war ihm nicht die Kirchenlehre, auch nicht die Bibel, sondern die Verkündigung von der freien Gnade Gottes in Christus, die den schuldigen und verzweifelnden Menschen fröhlich und selig macht, und das >Erlebnis< war eben die Gewißheit dieser Gnade. [... ] Damit [ ... ] ist der innere Zwiespalt im Menschen gehoben, der Druck jeglichen Übels überwunden, das Schuldgefühl ausgetilgt und trotz der Unvollkommenheit der eigenen Leistungen die Gewißheit, mit dem heiligen Gott untrennbar verbunden zu sein, gewonnen.«49 Es ist deutlich, daß hierin die bislang engste Annäherung an den in Jesus gelebten Normbegriff der Religion erreicht ist. Und in Luther gestaltete sich diese Neueinkehr in das Wesen der Religion als )ReformationDogmenentwick\ung< oder >Dogmenhermeneutik< betrachtet. 51 Emanuel Hirsch (1888 -1972), selbst Schüler und kritischer Bewunderer Harnacks, der jedoch Karl Holl, seinen eigentlichen Lehrer, noch einmal höher stellte, hat sie folgendermaßen auf den Begriff gebracht: »In ihr hat sich peinliche philologische und historische Akribie, die nichts Zufälliges kennt und vor nichts als Urkundlichem Halt macht, verbunden mit der Aufmerksamkeit auf die letzten großen Fragen der ethisch-religiös verstandnen Wahrheit. In ihr hat sich verbunden die scharfe Beobachtung der Begriffsgestalt mit der Hinwendung auf den letzten Zusammenhang des Sinns. In ihr haben sich verbunden die scharfe Bewußtheit um die Art alles Geschichtlichen, selbst wenn es Antwort eines Denkens auf eine letzte Frage ist, von einem Werdezusammenhange bedingt zu sein, und zugleich, paradox genug, die nicht minder scharfe Bewußtheit um die Entscheidungshaftigkeit alles Geschichtlichen.«52 Harnacks ausgeführte Augustinus-Darstellung ist darin Reuters Studien eng verwandt, daß sie, einen wichtigen Aspekt von Hirschs eben angeführter Darstellung der Methodik geradezu exemplarisch realisierend, Augustins schöpferische Impulse einerseits akribisch ihren geschichtlichen Voraussetzungen zuordnet, sie anderseits deutlich von ihnen unterscheidet. Augustins theologisches Denken ist durch und durch bestimmt durch die Vorgaben spezifisch westlicher Theologie und Kirchlichkeit. Deren Grundschicht ist eine schon in den frühesten literarischen Dokumenten (1. Clern) greifbare, bei Tertullian voll ausgebildete, insbesondere durch den Märty5\ 52
Vgl. in Kürze Gerhard May: Dogmengeschichte/ Dogmengeschichtsschreibung, 915 - 920. Emanuel Hirsch: Kierkegaard-Studien, 958.
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rer- Bischof Cyprian geradezu kanonisierte straff ethisch zentrierte Grundauffassung des Christentums als >lexsatisfactiomeritumAugustinus< verbindet, keineswegs einfachhin als seine Schöpfungen anzusprechen sind, sondern ihm schon als Resultate der bisherigen Geschichte des westlichen Katholizismus vorgegeben waren (62): »Wenn man [... ) die verschiedenen Linien verfolgt und convergiren lässt, auf denen sich das abendländische Christenthum im 4. und 5- Jahrhundert entwickelt hat, so kann man ein Gebilde construiren, welches dem >Augustinismus< nahe kommt; ja man kann ihn auch als ein Product der Noth ableiten aus den inneren und äusseren Zuständen, in denen sich die Kirche und die Theologie damals befanden.« E) Aber das ist noch längst nicht die eigentliche Pointe. Die liegt vielmehr darin, daß das Entscheidende auf diese Weise dennoch zwangsläufig verfehlt würde, weil »man [ ... ] nimmermehr den Mann zu erreichen [vermag), der hinter diesem Ge-
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bilde steht und ihm Kraft und Leben verliehen hat« (ebd.). - Die eigentliche Bedeutung Augustins für die Dogmengeschichte loziert Harnack also in Augustins religiöser Subjektivität, die in seinen theologischen Theoriebildungen nur verborgen, gleichsam im Modus der indirekten Mitteilung wirksam ist. Und darum läßt er Augustinus zu Beginn seiner Darstellung einleitend mit einem langen Briefzitat zu Wort kommen, in welchem die Fachterminologie, die man mit )Augustinismus< zu assoziieren pflegt, nicht vorkommt. Harnack zitiert lateinisch, und da mir keine gedruckte deutsche Übersetzung des Texts bekannt ist, wird es vielleicht nicht überflüssig sein, wenn ich meine eigene hierher setze (ep 155,12): ))Die Tugenden werden so zu ihrer Vollendung heranwachsen, daß sie Dich zweifelsohne zum wahrhaft seligen Leben, welches nur ewig sein kann, führen. Dort wird man nicht mehr klug (prudenter) das Gute vom Schlechten unterscheiden, weil es kein Schlechtes mehr geben wird. Dort wird man nicht mehr tapfer (fortiter) den Übeln widerstehen, weil es nur noch das geben wird, was wir lieben und nichts, was wir zu ertragen hätten. Dort wird nicht maßvoll (temperanter) die Gier gezügelt, weil wir von ihr nicht mehr angetrieben werden. Dort kommt man nicht mehr gerecht (iuste) demjenigen zur Hilfe, der Mangel leidet, weil es keinen Mangel und keine Unwürdigen mehr geben wird. Dort wird eine einzige Tugend sein, und sie wird zugleich der Lohn der Tugend sein, wie es in den Heiligen Schriften der Mensch sagt, der das liebt: )Mein Gut ist es, Gott anzuhangen< [Ps 72,28 vg). Darin wird dort die volle und ewige Weisheit bestehen und in eins damit das wahrhaft Selige Leben. Das ist die Einkehr in das Ewige und Höchste Gut, welchem in Ewigkeit anzuhängen das Ziel unseres Gutes ist. Diese [höchste Tugend, die mit ihrem eigenen Lohn identisch ist, M.O.) kann man auch Klugheit nennen, weil sie mit äußerster Umsicht dem Einen, unverlierbaren Gut anhängt - und Tapferkeit, weil sie mit äußerster Festigkeit jenem Gut anhängt, von dem sie sich nicht trennen läßt - und Mäßigkeit, weil sie auf vollendet keusche Weise einem Gut anhängt, von welchem ihr kein Verderben droht und Gerechtigkeit, weil sie unwandelbar dem Gut anhängen wird, dem sie sich mit Recht unterwirft. Indessen besteht auch in diesem Leben die Tugend allein darin, das Liebenswerte zu lieben. [... ) Was aber erwählen wir zum Gegenstand unserer Liebe außer demjenigen, über welches hinaus wir nichts Besseres finden? Das ist Gott, und wenn wir liebend ihm etwas vorziehen oder gleichstellen, dann können wir auch uns selbst nicht lieben. Um uns steht es nämlich desto besser, je mehr wir demjenigen zustreben, über dem es nichts Besseres gibt. Wir streben ihm aber nicht zu, indem wir ihm nachlaufen, sondern indem wir es lieben. [... ] Zu ihm [masc., Gott, M.O.] gelangt man ja nicht auf den leiblichen Füßen, sondern auf den Schwingen der Sittlichkeit. Unsere Sittlichkeit aber pflegt man nicht nach dem Maß unseres Wissens zu beurteilen, sondern nach dem Gegenstand unserer Liebe: Es ist allein unser Lieben, das unsere Sittlichkeit
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formt! [wörtlich: Allein die guten und schlechten (Vor)-Lieben formen unsere guten und schlechten Sitten). Durch unsere Verkehrtheit haben wir uns von Gottes Wahrhaftigkeit [rectitudo} entfernt. Daher werden wir durch die Liebe zum Wahrhaftigen zurechtgebracht, damit wir als Wahrhaftige dem Wahrhaftigen anhängen können [näher läge die Übersetzung der Derivate von rectus mit >gerecht< etc., aber das würde mit Augustins Verwendung des Wortfeldes für die klassische Tugend der iustitia weiter oben kollidieren}.«s4 »In diesen Worten offenbart sich die Seele Augustin's; sie bezeichnen desshalb auch seine dogmengeschichtliche Größe«,55 fährt Harnack im Anschluß an dieses Zitat fort. Man wird diese etwas pathetische Bemerkung cum grano salis verstehen müssen: Die >Seele< Augustins teilt sich hier, wenn man Harnacks eigene Einsichten hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen der Selbstmitteilung von Religion berücksichtigt, natürlich nur indirekt mit, eben unter Aufnahme eines bestimmten sprachlichen Bezugssystems, hier des stoisch-ethischen. Sodann: Faßt man den 155. Brief Augustins, dem das Zitat entnommen ist, insgesamt ins Auge, dann drängt sich die Frage auf, ob Harnack nicht vielleicht in sein Augustinus-Bild von Anfang an eine subtil ironische Brechung einbaut. Der ganze Brief mit seiner scheinbar mühelos in funkelnder Rhetorik entfalteten kleinen Religionsphilosophie und Ethik verfolgt letztlich den Zweck, den Adressaten Macedonius, einen hohen staatlichen Funktionsträger, zum verschärften polizeilich-militärischen Einschreiten gegen die Donatisten zu veranlassen. 56 Augustinus agiert hier also als machtpolitisch höchst versierter Kirchenmann, und zwar in höchst fragwürdiger, pfäffischer Weise. Aber vielleicht ist Harnack hier ja auch nur einer Schwäche erlegen, die er brieflich einmal folgendermaßen charakterisiert hat: »Es mag in meiner Natur liegen, Menschen, die mir eine tiefe Verehrung abgewonnen haben, nur als Lichtgestalten zu sehen. So geht es mir mit Goethe, so mit Augustin!«57 So reizvoll diese Frage ist - beantworten läßt sie sich wohl nicht. Fest steht: Harnacks Betonung der Subjektivität Augustins bestimmt durchgreifend sein Bild von ihm und seiner Bedeutung für die Dogmengeschichte. Geschichtliche Bedeutung kommt der einmalig-individuellen Subjektivität Augustins zu, sofern er mittels ihrer die überragende kategoriale Bedeutung der religiösen Subjektivität aufs neue erschlossen und erstmals die sprachlichen Mittel zum Umgang mit ihr ausgearbeitet Vgl. Lehrbuch der Dogmengeschichte HI, 59 - 62. Die in meiner Übersetzung kenntlich gemachten Auslassungen hat Harnack stillschweigend vorgenommen; sie reduzieren lediglich rhetorische Schnörkel, ohne daß der Sinngehalt der Passage modifiziert würde. 54
ss Lehrbuch der Dogmengeschichte III, 62. 56 Ep. 155,17; PL 33,673; vgl. zum Zusammenhang Frits van der Meer: Augustinus der Seelsorger, 269. 57 Das Wesen des Christentums, 242.
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hat: »Seine Größe als Mann der theologischen Wissenschaft liegt wesentlich in dem psychologischen Element«58 - mit diesen lapidaren Worten sind auf formaler Ebene ' die Voraussetzungen für Augustins Wirkung in der spezifisch westlichen Christentumsgeschichte und seine Wirkung selbst exakt angegeben. Entfaltet wird das hier formal Skizzierte, wie Harnacks Gliederung nahelegt, in zwei konzentrischen Krei- . sen: einmal wird Die weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Reformator der christlichen Frömmigkeit nachgezeichnet, es folgt Die weltgeschichtliche Stellung Augustiri's ; als Lehrer der Kirche; in drei Kreisen werden Augustins Lehre von den ersten und : letzten Dingen (Gotteslehre, Christologie, Anthropologie, Eschatologie), die Lehre . von der Kirche (Antidonatistische Schriften, De civitate dei) und seine Gnadenlehre . (pelagianischer/semipelagianischer Streit) entfaltet. Den Abschluß bildet dann ein . Gang durch das Enchiridion ad Laurentium unter dem Titel Die neue Religionslehre• . Prima vista ist die in diesem Aufriß sich abzeichnende Vorgehensweise völlig und einsichtig: zunächst wird Augustins Frömmigkeit beschrieben, darauf folgen • die unterschiedlichen Facetten von deren Durchformung zur Theologie und endlich . die Ausprägung beider zu kirchlich-praktisch brauchbarer und durchsetzungsfähiger Lehre. F) Es ist jedoch bezeichnend für den Historiker Harnack, daß er auch die subjektiv-individuelle Frömmigkeit Augustins nicht anders denn im Bezug auf ihren vorgegebenen geschichtlichen Kontext erörtern und profilieren kann. Die sprachlich-begrifflichen Medien, in denen sich Frömmigkeit notwendig artikulieren ' muß, sind von dieser Frömmigkeit selbst kategorial unterschieden, teilen diese . nur gebrochen und indirekt mit. Und dennoch müssen sie in ihrem geschichtli- . ehen Zusammenhang verstanden sein, damit die in ihnen sich indirekt mitteilende Frömmigkeit wenigstens in Umrissen faßbar wird. Den Kontext, innerhalb dessen .' Augustinus seine Frömmigkeit artikuliert hat und damit zum Reformator der Frömmigkeit wurde, sieht Harnack durch eine fast schon tragische Ambivalenz bestimmt: Die voraugustinische Kirche wußte in hohen Tönen von der Gnade Gottes und von der Sündenvergebung um Jesu Christi willen zu sprechen. Aber sie konzentrierte das alles auf den Schritt in den Glauben und in die Kirche hinein, auf die Bekehrung und auf die Taufe. Die entscheidende Lebenswende kam zu stehen als gleichsam mathematischer Punkt, der zwei Zeitstrecken zugleich voneinander trennte und miteinander verband, auf welchen zuerst die falsche, dann die richtige Betätigung des religiös-sittlichen Freiheitsvermögens im Zentrum stand. Die >Gnade< stand am Beginn der zweiten Zeitstrecke, diese selbst war jedoch vom frei sich bestimmenden Subjekt eben durch ein >richtigesumgestimmt< hat. Augustinus hat die Reflexion über die Religion zwar von allen äußerlichen; magisch-ritualistischen und mythologischen Vorstellungskreisen abgelöst und die Aufmerksamkeit auf das Subjekt und sein Gottesverhältnis gelenkt. Aber er " hat dieses Neuverständnis nicht wirklich kritisch gegen die ihm überkommenen •. Vorstellungs- und Denkgewohnheiten in Stellung zu bringen vermocht. In diesen Vorstellungs- und Denkgewohnheiten war die Religion mit der Moral verknüpft. Der Schwebezustand, in welchem der Mensch sich zugleich als Sünder weiß und : doch sein Begnadet- und Angenommensein durch Gott erfährt, war unter diesen' hergebrachten Denkvoraussetzungen als lediglich unvollkommenes Durchgangs- . stadium notfalls akzeptabel. Augustinus hat dem Rechnung getragen, indern er »in die herkömmliche moralistische Betrachtung« (88) einlenkte. Er konstruiert »einen . stufenweise fortschreitenden Heiligungsprocess«, in welchem Gott dem Menschen die . Liebe einflößt >wie eine Medicin< (ebd.). Die religiöse Bedeutung des Glaubens, die er anderwärts erheblich höher hervorzuheben wußte,63 hat er in folgenreicher Weise so wieder derart herabgestimmt, daß er wieder zu einem bloßen >Act der Initiation< ' . herabsank (87). Letztlich konnte es nicht allein der Glaube sein, der den Menschen so macht, wie Gott ihn haben will, sondern das >habituelle Gutseinfür Euch gegeben< und >vergossen zur Vergebung der SundenLuther-Renaissance< gehörte nach dem I. Weltkrieg prominent hinein in . die Reihe der Versuche, dem evangelischen Christentum nach der politischen und moralischen Katastrophe Deutschlands neue Wege und Aufgaben zu weisen,?7 Holls Verhältnis zu seinem Förderer und älteren Kollegen Harnack war immer prekär. Die Spannungen wurden auf Halls Seite manifest, als Harnack von Beginn an die neue republikanische Ordnung aus pragmatischen Motiven und aus Überzeugung unterstützte. Der entschiedene Nationalkonservative Holl sah darin die wetterwendische Treulosigkeit eines Mannes, der vom monarchischen Staat, aber auch vom Monarchen selbst in exzellenter Weise gefördert worden war. All das schwingt untergründig mit in der Abhandlung Augustins innere Entwicklung, die Holl am Objective, von Aussen in ihm Gewirkte. Das ist vielleicht Luther's höchste Bedeutung innerhalb der Theologie, und darum ist seine Schrift de servo arbitrio in einer Hinsicht seine grösste Schrift« (ebd. 840). Das hindert Harnack keinesfalls daran, Luthers ausgeführte Lehraussagen in dieser Schrift heftig zu kritisieren, und zwar als »ein Zeugniss dafür, daß er die Unart des Schulverstandes, theologische Erkenntnisse wie philosophische Lehren zu behandeln, die man unter beliebige Obersätze setzen und in beliebige Combinationen bringen kann, noch nicht abgestreift hat« (ebd. 841). Interessant ist hieran theologiegeschichtlich, wie Harnack sich deutlich von der Luther-Deutung Ritschls distanziert. Aber auch systematisch vermögen Harnaclcs Differenzierungen weitere Denkbemühungen zu provozieren. Vielleicht wäre es reizvoll, statt der hier von ilim bemühten doch wohl etwas zu grobkörnig geratenen Unterscheidung von Philosophie und Theologie Emanuel Hirschs Unterscheidung von Sach-, Sinn- und Gewissenswahrheit (vgl. Ders.: Leitfaden zur christlichen Lehre, 70 -78) zum Zuge zu bringen: Der Fehler der zur Erklärungstheorie mit Universalanspruch aufgeblähten Prädestinationslehre läge dann darin, daß im Bereiche der Gewissenswahrheit verwurzelte Sätze illegitim in die beiden anderen Bereiche übertragen worden wären. 75 V gl. Johannes Wallmann: Karl Holl und seine Schule sowie das Porträt von Dietrich Korsch: Lutherisch-nationale Gewissensreligion: Karl Holl. 76 Karl Holl: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte. In der 1923 erschienenen Zweitauflage hat Holl die Texte z. T. stark überarbeitet und auch weitere Arbeiten aufgenommen; sie ist immer wieder unverändert nachgedruckt worden und hat die Wirkungsgeschichte bestimmt. n Vgl. dazu die außerordentlich materialreiche Monographie von Heinrich Assel: Der andere Aufbruch.
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November 1922 in der Preußischen Akademie der Wissenschaften vortrug und die am 31. Januar 1923 im Druck erschien,78 Harnack hat Holl nach dessen Tode am 12. Juni 1926 die akademische Gedächtnisrede7 9 gehalten - ein anrührendes Dokument der Treue, die Harnack dem schwierigen Freund bewahrt hat. B) Der angedeutete biographisch-historische Kontext muß zwar bei der Interpretation berücksichtigt werden, aber der Hinweis auf ihn darf nicht dahingehend mißverstanden werden, als mindere er den wissenschaftlichen Rang von Holls Arbeit. Wie überall, so argumentiert Holl auch hier auf der Grundlage umfassender Quellenbeherrschung mit präzisen, hochreflektierten Leitfragen in kristallklarer Gedankenführung. Und die Augustinus-Skizze fügt sich auch nahtlos in die übergreifende historisch-systematische Konzeption seiner Arbeit: Sie kommt dann zu stehen als Rückergänzung zu Holls großem Luther-Aufsatz Der Neubau der Sittlichkeit.&! Hier gibt Hall einleitend eine brillante Analyse der scholastischen Ethik, die er scharf kritisiert, weil sie den Einzelnen in seinem Eudämonismus und seiner Egozentrik letztlich bestätige und bestärke. In alledem habe die scholastische Ethik auf den von Augustinus geschaffenen Fundamenten weiter gebaut, und so kann Holl ihn in diesem Zusammenhang als )Verderber der christlichen Sittlichkeit( bezeichnen. 81 Methodisch folgt Holl in seiner Augustinus-Studie, wie der Titel andeutet, auf eigenständige Weise den Spuren Reuters und Harnacks: Augustins persönliche und geistige Entwicklung und der Gehalt seines Denkens sind füreinander erkenntnisnotwendig. Allerdings greift Holl, Anregungen Harnacks folgend,82 rückwärts wie vorwärts weiter aus. Die Bekehrung deutet er nicht einfach als Bekehrung zum (katholischen) Christentum, sondern als eine von mehreren Zäsuren auf dem wendungsreichen Lebenswege eines Mannes, der sich vom Christenglauben nie wirklich abgewandt hat und an dessen religiös-geistigem Profil immer eine Mehrzahl intellektueller Faktoren (Stoa, Manichäismus, Skepsis, Platonismus) und lebenspraktischer Optionen (Beruf, Ehe, Reichtum, Askese) in verwickelten Konkurrenz- und Konvergenzverhältnissen mitgeformt haben. In der Auswertung der Quellen verfährt Holl kritischer als Harnack: Konsequenter stellt er die Confessiones hinter die 30'
Mir liegt vor die) Einzelausgabe< (Aus den Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften Jahrgang 1922. Phil.-Hist. Klasse. Nr. 4), 51 S. Zitiert wird der Text im folgenden nach dem unveränderten Abdruck in Karl Holl: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte Band III: Der Westen, 54-n6. 79 Adolf von Harnack: Aus der Werkstatt des Vollendeten, 275 - 288, zu Holls Augustin-Studie 78
279.
Der Text wurde zuerst 1919 publiziert; die wirkungsgeschichtlich maßgebliche Ausgabe letzter Hand steht in Gesammelte Aufsätze, Band 1, 155 - 287. 81 Ebd. 177- Zu Holls Gesamtverständnis der Kirchengeschichte, das diesem herben Urteil zugrunde liegt, vgl. Karl Holl: Urchristentum und Religionsgeschichte; sowie in Kürze ders.: Reformation und Urchristentum. 82 Vgl. Holl: Augustin, 61, vgl. Harnack: Lehrbuch der Dogmengeschichte 111, 63 mit Anm. 1. 80
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bald nach seiner >Bekehrung< verfaßten Schriften Augustins, und wo er sie benutzt, . wirft er immer die Frage nach dem Verhältnis von rhetorisch-literarisch stilisiertem Bericht und tatsächlichem Hergang auf. So entsteht ein Persönlichkeitsbild, das die genialen, fast überzeitlichen Züge gegenüber Harnacks Porträt sehr stark in die allgemeinmenschliche bzw. spätantike Sphäre herabstimmt. Augustinus, hochbegabt, von der Mutter katholisch erzogen und von beiden Eltern zum sozialen Aufstieg bestimmt, erhält durch Ciceros Hortensius den Anstoß zur intellektuellen Suchbewegung: »Cicero hat ihn hinausgehoben über das bloße Fachmenschturn. Vordem wollte er nur Rhetor werden; jetzt strebt er nach einer Weltanschauung, und zwar einer philosophisch begründeten Weltanschauung.«83 Seine intellektuellen Ansprüche wuchsen, und so hielt es ihn alsbald nicht mehr in der Katholischen Kirche, deren Lehren ihm wirr und inkonsistent erschienen. Aber nun trat ein weiterer dauerhafter Grundzug von Augustins Charakter zutage: Lebenslang war es ihm unmöglich, ohne eine ihn haltende, tragende und begrenzende Gemeinschaft zu existieren, und so geriet ihm die Distanzierung von der Katholischen Kirche zum Anschluß an die Sekte der Manichäer, in der Augustinus das bessere, reinere Christentum wirksam sah. Wenn ihm auch im Cicero-Erlebnis der Reichtum als Lebensziel schon verschwunden war, so blieb er doch bei den Manichäern auf der niederen Stufe des auditor, weil er als perfectus seine Karriere-Pläne nicht hätte realisieren können. Der Skepsis hat sich Augustinus, so Holl, nur unverbindlich-spielerisch genähert. Letztlich war sie ihm nur die Brücke zum Neuplatonismus. Hier eröffnete sich ihm der Weg zur mystisch-intuitiven Letzterkenntnis des Grundes von Welt und Existenz. Aber es waren nicht allein diese Möglichkeiten, die ihn hier festhielten, sondern es kam noch die durch Ambrosius personifizierte Synthese der spekulativen Philosophie mit dem katholischen Christentum hinzu; es zeigt sich also auch hier, daß Augustinus einer ihn tragenden geordneten Gemeinschaft bedurfte (60): »Nicht nur, daß Ambrosius ihm durch seine allegorische Auslegung die Anstöße behob, die er an den alttestamentlichen Erzählungen genommen hatte, er beeindruckte ihn zugleich als Vertreter einer großen, in ihrem Glauben einigen Gemeinschaft.« An ihm faßte Augustinus den Gedanken, daß Wahrheit, religiöse Wahrheit, ihrem Wesen nach der Autorität zu ihrer Plausibilisierung bedarf: Denken, Religion und Autoritätsglaube gehören wesensmäßig zusammen! So ist Augustinus nach der Bekehrung in erster Linie das, was er vorher war, ein nach Letztbegründungen suchender Denker. Aber er hat jetzt für seine Suche eben eine feste, autoritative Vorgabe gewonnen, nämlich die Katholische Kirche. Einmal spricht für deren Zuverlässigkeit ihre Quantität: Diese Kirche »besitzt, als die bis an die Enden der Welt verbreitete, die Masse, und es ist unter allen Umständen besser, mit der Masse zu gehen. Hat man B3
Holl: Augustin, 55.
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dann geirrt, so hat man - hier offenbart Augustin sein innerstes Herz - wenigstens mit der ganzen Menschheit geirrt«.84 Sodann sprechen die Wunder der Inkarnation und der Auferstehung für deren Wahrheitsanspruch. Der Philosoph Augustinus ist nun nicht gewillt, sich in dieser Haltung des Autoritätsgehorsams dauerhaft zu bornieren. Er muß also mit festem Willen den Versuch unternehmen, das zunächst nur auf Autorität hin Geglaubte in freie Einsicht zu überführen. Und genau das ist, so Holl, Augustins Arbeitsprogramm nach seiner >BekehrungBekehrungBekehrung< neu orientierte und organisierte, waren, dem berühmten Soliloquia-Zitat8S zufolge, Gott und die Seele. Hieran knüpft Holl den ersten großen Frontalangriff gegen Harnacks Augustinus-Bild. Die heiden Begriffe weisen, wie Augustinus sie gebraucht, mitnichten auf Verinnerlichung und Vergeistigung der Religion. Nein, Augustinus gehe es hier um Gegenstände metaphysischen Wissens. Dieses Wissen wiederum sei streng zweckorientiert, und der Zweck sei seine, Augustins Glückseligkeit: ,>Es ist das selige Leben, das Leben in einem unveränderlichen Glück. Aber solche Seligkeit ist nicht zu gewinnen, ohne daß man zuvor weiß, ob es überhaupt unveränderliche Dinge gibt und welcher Art sie sind.«86 Ebd. 63. Der Beleg, den Holl angibt (util. credo 7,15), ist, so zeigt sich bei näherem Hinsehen, eine propädeutische Erwägung. Daß Augustinus hier >sein innerstes Herz< offenbare, zeugt von äußerst waghalsigem psychologischem Spürgeist - oder ist eine schlichte übertreibung. Es liegt auf der Hand, daß Holl hier gezielt Harnack widerspricht. Diesem Widerspruch gegen Harnack verleiht Holl, nur dem Kenner erkennbar, auch auf noch subtilere Weise Ausdruck: Auch er zieht den 155. Brief Augustins des öfteren heran, allerdings immer, um auf die Grenzen, Schwächen und Fehler Augustins hinzuweisen (97, Anm. 1 und 2). An zwei weiteren Stellen hat sich schon in den ersten Druck ein Fehler eingeschlichen, der beim Neudruck nicht bemerkt und korrigiert worden ist: 97, Anm. 6 und 107, Anm. 3 zitiert Holl ebenfalls ep. 155, angegeben ist jedoch falschlich ep. 145. 85 sol. 1,7: »deum et animam seire cupio. - nihilne plus? - nihil omnino.« 86 Holl: Augustin, 7 0 . 84
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Diese beiden Zentralgegenstände seines Mühens indizierten also für Augustinus metaphysische, in der Anstrengung des reinen Denkens zu lösende Probleme, und in dieser Perspektive arbeitet Augustinus nach seiner Bekehrung an seiner Selbstvergewisserung hinsichtlich der Unsterblichkeit der Seele und der Existenz Gottes. Christus bildet den Schlußstein der Argumentation (74): »Er war ihm der Bürge dafür, daß die sapientia im höchsten Sinne nicht nur ein Wunschbild, sondern Wirklichkeit war.« Von hier aus hat sich Augustinus dann in der Auseinandersetzung mit den Manichäern dem Problem der göttlich verbürgten einheitlichen Weltordnung und des Grundes sowie des Ortes des Bösen innerhalb ihrer zugewandt. Der neuplatonische Gedanke der quantitativen Abstufung alles Seienden je nach seiner Entfernung vom Sein selbst ebnete ihm hier den Weg zur Anknüpfung an die einschlägigen erzählenden Texte der Bibel. D) Als Ertragssicherung seines bisher erreichten Augustinus-Verständnisses rekapituliert Holl sodann die Grundzüge von dessen Ethik. Diese nimmt ihren Standpunkt allein beim Einzelnen und dessen letztgültigem Lebensziel, nämlich der rein geistigen >Schau< Gottes. Der Weg hierzu sind die fides, die spes und die caritas, betätigt in der affektiven, voluntativen, seelischen und geistigen Bildung des nach Vollendung strebenden Subjekts (83): »Als den unumgänglichen Weg dazu betrachtet Augustin die Bekehrung, die Losreißung vom Sinnlichen und die Zuwendung zu Gott als dem wahren Gut. Augustin ist es gewesen, der dem Wort und dem Begriff . des canverti seine feste Stelle im abendländisch-christlichen Sprachgebrauch verschafft hat.« Und hier zeigt sich dann wieder derselbe Grundzug in Augustins Denken, der schon bei seiner eigenen Bekehrung so deutlich hervortrat (85): »In diesem Aufriß tritt vor allem der letzte Antrieb, auf dem bei Augustin die ganze Religion steht, mit unverhüllter Deutlichkeit hervor. Die Beschreibung der höchsten Stufe sagt es mit aller Offenheit, daß es das Glücksbegehren ist, das sich in der Religion auslebt. Das Ziel, nach dem Augustin strebt, ist ein nie sich erschöpfender Genuß. Demgemäß erscheint dann die Bekehrung im Grunde nur als ein Wechsel des Geschmacks: an Stelle der Lust am irdischen Gut tritt die süßere am himmlischen.« Das Verhältnis zum Mitmenschen ist dieser jenseitsorientierten Gottesbeziehung ein- und untergeordnet, wobei als Regulativ der Haltung zum Nächsten weniger die Beziehungen in den von der Pflicht vorgegebenen Lebenskreisen als die Wahlanziehung in der Freundschaft in den Vordergrund tritt. Hall hat soweit Augustins Denkweg bis zu seinem Eintritt in den Klerus verfolgt. Dieser stellte ihm zwei weitere, innerlich miteinander verknüpfte Aufgaben: Einmal den Kampf der Katholischen Kirche gegen den Donatismus, sodann generell die weitere Einarbeitung in den kirchlichen Lehr- und Überlieferungsstoff. Im Kampf gegen den Donatismus hat Augustinus die schon zuvor erarbeiteten katholischen Standpunkte sich offenbar ohne inneres Widerstreben zu eigen gemacht und sie
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ineins damit noch gründlicher durchdacht und schärfer zugespitzt: Er hat die Heilsnotwendigkeit der Kirche und der Sakramente mit besonderer Konsequenz behauptet und begründet, er hat das Recht der Gewaltanwendung gegen die Donatisten mit allem ihm zu Gebote stehenden rhetorischen Scharfsinn begründet, und er hat dem christlich verstandenen Staat die Aufgabe eingeschärft, der Kirche diesen Bütteldienst zu leisten. All das steht nur scheinbar im Widerspruch zum >christlichen Philosophen in Cassiciacum< (92), denn auch der haUe ja schon, seine eigene Bekehrungserfahrung reflektierend, erklärt, daß Autorität für die Religion unabdingbar sei, und diese Grundanschauung hat der antidonatistische Polemiker und Scharfmacher Augustinus, so Holl, lediglich schärfer ausgeprägt: Hatte er zunächst noch erklärt, das auf Autorität Übernommene müsse ganz in eigenständige Einsicht überführt werden, so war er hier immer zurückhaltender geworden und bei >teilsteilsIn-Ordnung-Bringung< des Menschen, die Herstellung des gebührenden Uebergewichts des Geistigen über das Sinnliche durch die Einhauchung der caritas« (95). Durch Aneignung des Gedankens der ewigen, freien Erwählung durch Gott gewann Augustins neuplatonisch bleibender Gottesbegriff an Profil und innerer Lebendigkeit, und sein Grundverständnis der Religion änderte sich so, daß >Gott und die Seele< nicht mehr bloß ein metaphysisches Problem indizierten, sondern zur Chiffre für Ebd. 92f. - Vgl. auch 58, Anm. 6: "In einer Kirche mußte Augustin immer sein, sei es so, sei es so; ein Philosophenverein hätte ihm nicht genügt.« 87
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eine höchst lebendige Bewegung wurden (96 f.): »Das selige Leben in Gott gilt nicht mehr nur als der verdiente Erfolg des eigenen hochgemuten Strebens, sondern es ist freie Gabe, von Gott geschenkt. Von ihm ist alles bewirkt, wodurch der Mensch allmählich empordringt.« Wie die Gnade allmählich vom Menschen Besitz ergreift, das hat Augustinus in seiner ausgeführten Rechtfertigungslehre dargestellt und dabei auch die Bedeutung des Gesetzes und der Furcht als notwendiger Durchgangsstadien schärfer bestimmt. In der Frage nach dem Grund der Erwählung zum Heil ist er letztlich bei der unergründlichen Willkür Gottes stehen geblieben; das Böse hat er vermittels pädagogischer und ästhetischer Erwägungen in Gottes Weltplan einzustellen gewußt. Übet Paulus hinausgehend hat er sodann die Erwählungslehre zur Basistheorie einer Geschichtsphilosophie gemacht: Civitas Dei und Civitas Terrena, Kirche und weltliches Reich führen auf Erden den Kampf zwischen den Erwählten und den Übergangenen. Gegen den Konsens der damaligen Augustinus-Forschung, ausdrücklich auch gegen Reuter (100 Anm.), behauptet Holl, Augustinus habe die Gleichsetzung. von Kirche und Reich Gottes von Anfang an und konsequent vollzogen. Hart daneben steht allerdings die Erwählungslehre, die es Augustinus nicht nur ermöglicht, mit der Existenz vieler Nicht-Erwählter in der irdischen Kirche zu rechnen, sondern die ihn darüber hinaus zu der Annahme nötigt, auch außerhalb von deren Grenzen gebe es Erwählte. Daraus erwachsen schwerwiegende Widersprüche. In seine Lehre von der Kirche hat Augustinus damit einen unheilbaren Riß hineingetragen, denn die wird, bei aller geschichtstheologischen Gewichtung, religiös letztlich bedeutungslos (102f.): »Sie soll als der Liebesgeist die von ihr Erfüllten in inneren Zusammenhang untereinander bringen, und Augustin betont dem Donatismus gegenüber diesen Gedanken sehr stark. Allein er vermag in keiner Weise anschaulich zu machen, inwiefern die geheimnisvoll von Gott Erwählten sich gegenseitig zu erkennen oder aufeinander zu wirken imstande sein sollten. Was er dem Donatismus gegenüber als Bewährung des Liebesgeistes rühmt, läuft nur auf die Pflicht hinaus, innerhalb der katholischen Kirche als der Mehrheits- und Massenkirche zu verbleiben oder zu ihr überzutreten. Ein dem Gedanken der geistlichen Kirche geradewegs entgegengesetzter Gesichtspunkt.« So zeigt sich hier besonders deutlich der Grundschaden der Ethik und der Religionsphilosophie Augustins, die den Einzelnen in seiner Verhaftung an sein selbstisches Glücksbegehren festhalten und ihn gerade nicht dazu befahigen, in der durch den Pflichtbegriff regulierten Hingabe an eine lebendige Gemeinschaft sich von diesen Erscheinungsformen der Sünde zu distanzieren. Eudämonismus und Egozentrismus können lediglich einen Kollektivismus hervorbringen, in dem sie ihre Befriedigung suchen, aber keine echte Gemeinschaft, in welcher sie überwun-
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den würden. Auch der Rekurs auf den Staat kann in Augustins Denken dieses Defizit nicht ausgleichen: Der ist ja erst recht ethisch minderwertig als die Sphäre, in der der Hochmut der Verworfenen waltet. Der gängigen katholischen Hochschätzung der Kirche als der heilsnotwendigen Sakraments- und Erziehungsanstalt ist damit ebenso wenig widersprochen wie der Schätzung zumindest desjenigen Staatswesens, welches der Kirche dienstbar ist. Im Kampf gegen den Donatismus hat Augustinus diese Gedanken breit und geschichtswirksam entfaltet. Und er hat aus seiner Erwählungslehre nie den Schluß gezogen, hier etwas zurücknehmen zu müssen. Vielmehr hat er eifrig auch solche volkskatholischen Frömmigkeitsformen wie den Mirakel- und Heiligenkult gefördert, die mit den letzten Spitzen seiner theologischen und religiösen Überzeugungen nicht in Einklang zu bringen waren. Den Schlüssel für dieses Rätsel findet Holl wiederum in dem tiefsten Motiv Augustins, in seinem Streben nach Glückseligkeit. Die Formel, Gott müsse um seiner selbst willen geliebt werden, bedeute bei Augustinus lediglich, daß die Gottesliebe nie einem heterogenen Zweck dienstbar gemacht werden darf. Daß gerade die recht verstandene Selbstliebe in der Gottesliebe zur Vollendung kommt, ist Augustinus dagegen unzweifelhaft gewiß. Das Gebot der Nächstenliebe wiederum trägt nicht nur die Gottesliebe, sondern, in diese eingeschlossen, auch die Selbstliebe in sich: Holl exemplifiziert das an Augustins Auslegung des VII. Gebotes: Die Lüge, welche den Kranken aus Schonung über den Ernst seiner Lage hinwegtäuscht, ist verboten, weil der Lügner sich durch den Bruch des Gebotes schädigt. Das Gebot der Feindesliebe schränkt Augustinus ebenfalls durch Ermäßigungen ein, und er kommt zu einer durch und durch negativen Bilanz (no): )}Daß die christliche Liebe gerade das Zusammengehörigkeitsgefühl, das Zusammenwirken meint, hat Augustin so wenig wie Tolstoi später begriffen.« Auch das Eintauchen in den Paulinismus hat, wie Holl feststellt, die durchgängige Selbstzentriertheit von Augustins Frömmigkeit und Ethos nicht überwunden. Und dasselbe gilt für die persönliche Gottesgewißheit seines Glaubens. Seine Lehre vom >donum perseverantiae< hat ihn daran gehindert, jemals seines eigenen Erwähltseins wirklich gewiß zu werden (112): )}Die Inbrunst der caritas ist bei ihm mehr Sehnsucht als Gewißheit«. So vollendet Holl sein Augustinus-Bild, indem er Augustinus in seiner Reifezeit als Denker darstellt, dem allenthalben der Mut zur Konsequenz fehlt: Seine Gnadenlehre stürzt ihn in Ungewißheit, und sein Ethos hält ihn in Vereinzelung fest. Weil es ihm jedoch in alledem an dem Mut gebricht, wahrhaft zum Einzelnen zu werden, flüchtet er sich in Kollektivismus und Autoritätsglauben. Um seiner eigenen Lebensgewißheit willen stellt er sich auf den Standpunkt der katholischen Kirche, reiht sich in sie ein und unterwirft sich ihrer Autorität. Echte innere Einheit seines Denkens gewährt ihm das aber nicht. Die gegebene katholische Kirche mit ihren Ordnungen, ihrer Verkündigung und ihren Sakramenten gilt ihm als die zuverlässige geschicht-
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liehe Erscheinungsform der Gnade. Weder opfert er einer konsequenten Fassung seiner Erwählungs- und Gnadenordnung sein Zutrauen zur Katholischen Kirche auf, noch wirft er um der Heilsmacht der Kirche willen seine aus und mit Paulus gewonnenen Einsichten fort. Augustinus hat die Spannung dieses Zwiespalts ausgehalten, und zwar vermutet Holl, daß er genau diesen Zwiespalt brauchte, um sowohl seine Sehnsucht nach Ruhe als auch sein Bedürfnis nach Unruhe befriedigen zu können. Er blieb bis zum Ende, was er von Anfang an war: Ein hochbegabter Intellektueller, dessen letzte, innerste Triebkraft ein in die Welt des Geistigen gewandtes Glückseligkeitsstreben war, und der weder durch das Erlebnis echter, verbindlicher Gemeinschaft noch durch eine ihn bedingungslos fordernde und beschenkende religiöse Gewißheit jemals aus dem Kreisen um sich selbst befreit wurde. G) »Gerade vermöge dieser Vielseitigkeit ist er der große Anreger für seine Kirche geworden. Er hat die Philosophie, die Dogmatik, die Ethik des Mittelalters ebenso tiefbeeinflußt wie die Kirchenpolitik und das Staatsrecht. Auch die Stürmer haben aus ihm Waffen geholt. Aber wenn man auf die tiefsten Antriebe sieht, so hat die katholische Kirche ihn immer richtiger verstanden als ihre Gegner« (116). Der zuletzt zitierte Satz zeigt, daß Holl in gewisser Weise zu den Grundlinien des Augustinus-Verständnisses zurückgekehrt ist, wie sie bei Ritschl und Kattenbusch vorgezeichnet sind. Die methodischen Verfeinerungen der Augustinus-Forschung, die Hermann Reuter eingeführt hat und die es Adolf von Harnack ermöglichten, ein unvergleichlich weit ausgreifendes und tiefenscharfes Gesamtbild zu zeichnen, hat Holl jedoch keinesfalls vernachlässigt. Vielleicht weist sein Deutungsansatz gegenüber Harnack sogar noch einmal einen höheren Grad an Aufmerksamkeit für die vielschichtige, in sich widersprüchliche Persönlichkeit Augustins auf - von einer Liebe, die ihn hier hätte blind machen können, war Holl ja völlig frei. Daß Holl in seinem Augustinus- Porträt Luther nirgends namentlich erwähnt, ist ein Befund, den man nicht überbewerten darf. In den Kriterien, die er anlegt, ist sein normativ aufgeladenes Bild Luthers und der Reformation allenthalben präsent. Luther ist ja für Holl derjenige Christ, der in einer schöpferischen Neubegegnung mit Paulus den Egozentrismus und Eudämonismus des mittelalterlichen Christentums überwunden hat. Die unerbittliche Forderung Gottes, die ihn unabweislich ins Gewissen trifft, führt dem Menschen vor Augen, daß er Sünder ist und vor Gott keinerlei Rechte und Ansprüche geltend machen kann. Allein das Ja, das Gott in Jesus Christus dennoch zu ihm spricht, indem er ihm die Sünde vergibt, schenkt ihm trotz seines bleibenden Sündenbewußtseins Lebenszuversicht und befreit ihn zu einem selbstlosen, an den Bedürfnissen des Nächsten und der Gemeinschaft orientierten Ethos. Der Augustinus Holls ist in erster Linie als Negativfolie für dieses Verständnis Luthers und der Reformation konzipiert. Auch für Holl fällt Luthers Einsicht nicht vom Himmel. Luther ist Pauliner, und sein besonderes Paulusverständnis ruht auf einer Vorgeschichte:
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»Höchstens kann man feststellen, daß Luther im Vergleich mit Paulus diese Spannung [seil. zwischen Gottes unerbittlicher Forderung und seiner rückhaltlosen Vergebung; M.a.] persönlicher, lebendiger und deshalb zugleich mehr als dauernde empfindet. Denn zwischen Paulus und Luther steht das Mönchtum, steht Augustin, steht die Beichtübung und die Mystik. Diese Mächte haben die Verfeinerung des Persönlichkeitsgefühls bewirkt, die Luther von Paulus unterscheidet und die reichere Ausgestaltung seiner Rechtfertigungslehre veranlaßt.«88 Aber es ist deutlich: Die positive Bedeutung Augustins für die Entstehung des reformatorischen Christentumsverständnisses ist doch bei Holl sehr gering veranschlagt.
5. Bilanz Die hier betrachteten Autoren haben ihre Arbeit als Historiker verstanden als Dienst an der Emporbildung des evangelischen Christentums zu seinem eigenen Wesen hin als Religion der Authentizität und Autonomie im Kampf gegen jede Art von religiöser Gesetzlichkeit und ethischer Heteronomie. Dieses Zielbild sahen sie gegründet und vorgegeben in Jesu Verkündigung und Geschick, im Paulinischen Evangelium und in der Reformation. Zu diesen drei Leitinstanzen konnte es jedoch für sie immer nur ein vermitteltes, der historischen Analyse und systematischen Reflexion bedürftiges Verhältnis geben. Weil sich das so verhielt, mußten sie sich mit Augustinus als dem Theologen beschäftigen, durch dessen Neuaneignung des Paulinischen Evangeliums an der Grenzscheide von der Spätantike zum Mittelalter Frömmigkeit, Kirche und Theologie des Westens maßgeblich bestimmt worden waren - bis hin zur Reformation, in der eine schöpferische Neuaneignung des Paulinismus begann. welche einerseits durch Augustinus ermöglicht war, anderseits jedoch auch sein eigenes Paulus-Verständnis und damit eine tragende Grundlage seines Christentums überwand. Zwischen den Autoren, die ich vorgestellt habe, walteten viele und bedeutsame Differenzen. Aber in einem waren sie sich doch einig: Auch und gerade ein bewußt neuzeitlicher Protestantismus gehört in den Geschichtszusammenhang des gesamten westlichen Christentums hinein. und deshalb muß er sein Verhältnis zu dessen größtem Denker und Gestalter in befriedigender Weise klären - keinesfalls im Sinne der Rückversicherung an einer formalen Autorität, sondern um der Wahrhaftigkeit seiner Selbstdeutung und seines Verhältnisses zu anderen Konfessionen und Konfessionsfamilien willen. Und daran dürfte sich der Sache nach bisher nichts geändert haben. 88
Kar! Holl: Die Rechtfertigungslehre im Lichte der Geschichte des Protestantismus, 534.
Dimensionen der Zeitlichkeit bei Augustinus und Henri Bergson (1859-1941) von Matthias VoJ/et
1.
Einleitung
In einem Band zu Spuren und Spiegelungen des Denkens Augustins erwartet man Beiträge zu seiner Wirkungsgeschichte; Beiträge also dazu, wie Augustinus gelesen wurde und wie diese Lektüre ein anderes Denken geprägt oder zumindest darin seine Spuren hinterlassen hat, sei es positiv oder negativ. Rezeptionsforschung kann verschiedene Ziele haben: sie kann den Ausgangspunkt betrachten mit der Absicht, die Wichtigkeit der Quelle in mancherlei Zeiten und zu vielerlei Themen zu erweisen und so retrospektiv auch neues Licht auf diese Quelle zu werfen; oder sie nimmt sich einen Zielpunkt vor, dessen vielfaltige Quellen oder Abstoßungspunkte sich zu einem historischen Relief bilden können; beide Weisen haben aber zur Grundlage, daß es eine feststellbare Rezeption, also Lektüre und deren Niederschlag in Gedanken, gibt. Dies ist aber bei Bergson in Bezug auf Augustinus nicht der Fall. Der Name Augustinus findet sich nur einmal in all seinen edierten Werken und Briefen: bei der Erwähnung des Philosophischen Testaments von Felix Ravaisson in dem 1904 verfaßten und 1934 in La pensee et le mouvant wieder publizierten Text La vie et I'reuvre de Ravaisson. 1 Wahrscheinlich durch Ravaisson angeregt findet sich der dort zitierte Satz »aimez, et faites ce que vous voudrez«, wenn auch in anderem Kontext und ohne Autorennennung, als »ama et fac quod vis« auch in Les deux sources de la morale et de la religion. 2 In den bislang veröffentlichten Vorlesungen erscheint Augustinus nur sehr vereinzelt und verstreut, nie wird er als Autor eigenständig behandelt. 3 Nach Henri Bergson: La vie et /'ceuvre de Ravaisson, in: ders.: La pensee et le mouvant (PM), 287 (= CEuvres 1478). Im Augustinischen Diktum »Aimez et faites ce que vous voudrez« habe Ravaisson die Kunst des Lebens zusammengefaßt: ,,11 insistait sur l'art qui est le plus eleve de tous, ['art meme de la vie, celui qui fa;;:onne l'äme. ille resumait dans le precepte de saint Augustin: >Ai mez, et faites ce que vous voudrezheranlesen< kann. Es wird sich auf der Grundlage mehrerer Vergleichspunkte er- ·. weisen, daß - von Bergson aus betrachtet - der Denkweg von Confessiones 11 in deutlicher (gar nicht sofort sichtbarer) Entfernung von Bergson beginnt, sich ihm .... dann bis zu einer ziemlichen Nähe annähert, um sich in der Schlußvolte wieder ganz von ihm zu entfernen: eine Bewegung, die in ihrem Ende prototypisch ist für die ' verpaßte Chance, die Bergson in der Wissenschaft und Philosophie der Moderne .' sieht - als an deren Ursprung stehend ihm Augustinus gilt.
2.
Grundzüge der ZeitphIlosophie Bergsons
Ausgangspunkt der Bergsonschen Philosophie der dun!e ist bekanntermaßen sein erstes Werk, das Essai sur les donnees immediates de la conscience von 1889, wo er . die duree des Bewußtseins behandelt. ll Wesentliche Punkte seiner Philosophie, die auch einen Strukturvergleich mit Augustinus betreffen, sind dort angelegt: die Methode der Introspektion; die Auffassung der Zeit als Substanz des Bewußtseins bzw. des Bewußtseins als ,Ort< der Zeit; die Auseinandersetzung mit der Alltagssprache, und in Zusammenhang damit das Phänomen (und Problem!) des Messens und der Verräumlichung der Zeit. Mit der Kritik an der Verfälschung der Zeit durch Sprache, Quantifizierung und Verräumlichung eröffnet Bergson das Vorwort seines ersten Werkes: »Wir drücken uns notwendig durch Worte aus, und wir denken fast immer räum-
lich. Mit anderen Worten, die Sprache zwingt uns, unter unsern Vorstellungen dieselben scharfen und gen auen Unterscheidungen, dieselbe Diskontinuität herzustellen wie zwischen den materiellen Gegenständen. Diese Assimilation ist im praktischen Leben von Nutzen und in der Mehrzahl der Wissenschaften notwendig. Es ließe sich jedoch die Frage aufwerfen, ob nicht die unübersteiglichen Schwierigkeiten, die gewisse philosophische Probleme bieten, daher kommen, derum der Bergsonsehen Auffassung an, für den ja Bewegung auch ein Urphänomen ist; jedoch schafft er eine Brücke zwischen den Formen von Bewegung, sein sekundärer Dualismus ist keine Zweiweltenlehre mit Erlösungsaxiologie. II Henri Bergson: Essai sur les donnties immediates de la conscience (Essai); dt: Zeit und Freiheit (ZF).
DIMENSIONEN DER ZEITLICHKEIT BEI AUGUSTINUS UND BERGSON
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daß man dabei beharrt, die Erscheinungen, die keinen Raum einnehmen, im Raume nebeneinander zu ordnen, und ob sich der Streit nicht oft dadurch beenden ließe, daß man von den allzu groben Bildern abstrahiert, um die er sich abspielt. Wenn eine unberechtigte Übersetzung des Unausgedehnten in Ausgedehntes, der Qualität in Quantität ins Innere der aufgeworfenen Frage selbst den Widerspruch hineinträgt, ist es dann zu verwundern, daß sich der Widerspruch in den Lösungen, die man ihr gibt, wiederfindet?«12 Bergson hatte, wie er 1934 in der Einleitung zu La pensee et le mouvantl3 sowie in dem dort abgedruckten Vortrag Le possible et le ree[I4 beschreibt, zunächst der Philosophie George Herbert Spencers angehangen, dann aber bei näherer Beschäftigung mit dessen Grundbegriffen festgestellt, daß die Zeit bei im zwar vorkommt, in ihrer Funktion bzw. ihrem Wesen aber völlig unbestimmt bleibt bzw. keine eigene hat. Wenn aber die Zeit zu etwas da sei, dann doch wohl, zu verhindern, daß alles auf einmal gegeben wäre. 15 Zeit ist für Bergson Bewegung, sie ist in ständigem Werden begriffen und ist das, was von allem bewirkt, daß es hervorgebracht wird. 16 Das hat für Bergson Folgen für die Meßbarkeit der Zeit; für das Messen müßten zwei Teile der Zeit vollständig zur Deckung zu bringen sein, was aber ausgeschlossen ist; ich komme darauf zurück. Bergson unterscheidet im Essai die Dauer (duree), die wirkliche Zeit, von dem Zeitbegritf, der entsteht, wenn man die Zeit als quantitativ statt qualitativ, als homogen statt heterogen, als diskontinuierliche Aneinanderreihung statt als gegenseitige Durchdringung begreift. Diese alltägliche Verräumlichung, Homogenisierung und Desintegration der Zeit ist der Sprache und dem Handlungszwang des Menschen geschuldet: beide bevorzugen unterteilbare, in sich stabile Elemente, die zählbar bzw. behandelbar sind. Die eigentliche Zeit, die wir in uns verspüren, wenn wir in einem besonderen Akt der Aufmerksamkeit auf den Verlauf unseres Bewußtseins 12 ZF 7; Essai VIII (CEuvres 3): »Nous nous exprimons necessairement par des mots, et nous pensons le plus souvent dans l'espace. En d'autres termes, le langage exige que nous etablissions entre nos idees les memes distinctions nettes et precises, la meme discontinuite qu'entre les objets materiels. Cette assimilation est utlle dans la vie pratique, et necessaire dans la plupart des sciences. Mais on pourrait se demander si les difficultes insurmontables que certains problemes philosophiques soulevent ne viendraient pas de ce qu'on s'obstine a juxtaposer dans l'espace les phenomenes qui n'occupent point d'espace, et si, en faisant abstraction des grossieres images autour desquelles le combat se livre, on n'y mettrait pas parfois un terme. Quand une traduction illegitime de l'inetendu en etendu, de la qualite en quantite, a installe la contradiction au coeur meme de la question posee, est-il etonnant que la contradiction se retrouve dans les solutions qu'on en donne?« 13 Henri Bergson: La Pensee et le mouvant. Essais et conferences (PM); dt: Denken und schöpferisches Werden. Aufsätze und Vorträge (DSW). " Henri Bergson: Le possible et le reel, in: PM 99 -116 (PR (PM)) ((Euvres 1331-1345); dt. Das Mögliche und das Wirkliche, in: DSW 110 -125.
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achten, besteht in einem steten, nicht wiederholbaren oder reproduzierbaren qualitativen Wandel mit einer vollständigen Aufbewahrung der Vergangenheit,17 einer gegenseitigen Durchdringung der kaum so zu nennenden Bewusstseinszustände, deren Dauer ihre Substanz selbst ist. Ihre verräumlichende Darstellung hin zu einer homogenen Sukzession getrennter und miteinander vertauschbarer, also zählbarer und messbarer Teile verfälscht sie, weil so ihre Eigenart verlorengeht. 18 Eine Vermischung von Raum und Zeit führt in der Repräsentation intelligenter Wesen zu einer sauberen Trennung und Aufstellung geistiger Phänomene in einem homogenen raum-zeitlichen Milieu. Dadurch werden aber >vorher< und >nachher< gleichzeitig wahrgenommen,19 die Abfolge der Bewußtseinszustände (succession d'etats de con15
PR (PM) 102 (CEuvres 1333): »11 y a quelques cinquante ans, j'etais fort attache a la philo-
sophie de Spencer. Je m'aper~us, un beau jour, que le temps n'y servait arien, qu'i! ne faisait rien. Or ce qui fait rien n'est rien. Pourtant, me disais-je, le temps est quelque chose. Donc il agit. Que peut-il bien faire? Le simple bon sens repondait: le temps est ce qui empeche que tout soit donne d'un coup. n retarde, ou plutöt i! est retardement. n doit donc etre elaboration. Ne serait-i! pas alors vehicule de creation et de choix? L'existence du temps ne prouverait-elle pas qu'il y a de l'indetermination dans les choses? Le temps ne serait-i! pas cette indetermination meme?«; dt: MW (DSW) 112f. 16 Einleitung (DSW) 22 f., lntroduction (PM) 2f. (CEuvres 1254). 17 Henri, Bergson: Einführung in die Metaphysik, in: Denken und Schöpferisches Werden (EM (DSW)) 185f.: "Aber es ist ebenso auch ein beständiges Aufrollen wie beim Faden auf einem Knäuel, denn unsere Vergangenheit folgt uns, sie wächst unaufhörlich mit der Gegenwart, die sie unterwegs aufnimmt; und Bewußtsein bedeutet Gedächtnis [ ... ] I Nun, es gibt nicht zwei Augenblicke bei einem lebenden Wesen, die einander identisch wären. [ ... ] Das Bewußtsein [ ... ] kann nicht zwei aufeinander folgende Augenblicke hindurch mit sich selber identisch bleiben, da der folgende Augenblick immer gegenüber dem vorhergehenden noch die Erinnerung enthält, die jener zurückgelassen hat. Ein Bewußtsein, das zwei identische Momente besäße, wäre ein Bewusstsein ohne Gedächtnis.« Henri Bergson: Introduction ci la müaphysique, in: La pensee et le mouvant (IM (PM)) 183f. (CEuvres 1399): »Mais [seil. vivre, M.V.] c'est tout aussi bien un enroulement continuel, comme celui d'un fil sur une pelote, car notre passe nous suit, i! se grossit sans cesse du present qu'i! ramasse sur sa route; et conscience signifie memoire. [... ] Or, il n'y a pas deux moments identiques chez un etre conscient. [ ... ) La conscience [ ... ) ne pourra rester identique a elle-meme pendant deux moments consecutifs, puisque le moment suivant contient toujours, en sus du pnkedent, le souvenir/que celui-ci a laisse. Une conscience qui aurait deux moments identiques serait une conscience sans memoire.« 18 ZF 78: "Die Sukzession läßt sich also ohne die Wohlunterschiedenheit und wie eine gegenseitige Durchdringung, eine Solidarität, eine intime Organisation von Elementen begreifen, deren jedes das Ganze vertritt und von diesem nur durch ein abstraktionsfähiges Denken zu unterscheiden und zu isolieren ist. Eine solche Vorstellung von der Dauer würde sich ohne allen Zweifel ein Wesen machen, das zugleich identisch und veränderlich wäre und dem die Idee des Raumes gänzlich mangelte.« Essai 75 «Euvres 68): "On peut donc concevoir la succession sans la distinction, et comme une penetration mutuelle, une solidarite, une organisation intime d'elements, dont chacun, representatif du tout, ne s'en distingue et ne s'en isole que POUT une pensee capable d'abstraire. Teile est sans doute la representation que se ferait de la dun!e un etre illa fois identique et changeant, qui n'aurait aucune idee de l'espace.« 19 ZF 78 f., Essai 76 «Euvres 68).
DIMENSIONEN DER ZEITLICHKEIT BEI AUGUSTINUS UND BERGSON
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science) wird verräumlicht zu einer Aufzählung von Gleichartigem,20 ihre Ineinanderwirkung aus qualitativer Heterogenität2! wird zerlegt. In seinem zweiten Werk Matiere et memoire von 1896 22 behandelt Bergson die duree als Bewußtsein in einem Leib und also das Verhältnis von Leib und Seele; dort ist auch der Ort der Behandlung des Gedächtnisses, die hier nicht weiter verfolgt werden kann. Wichtig ist dieser Schritt, da er die Perspektive öffnet zur Materie, dadurch zur Außenwelt insgesamt und somit letztlich zur Metaphysik. In seiner Introduction a la metaphysique von 1903 stellt Bergson seine Metaphysik als eine >integrale Erfahrung< der Dauer23 vor; Aufgabe dieser Philosophie ist es, in die kreative Zeitlichkeit der Realität vorzudringen, mit ihr eins zu werden in der schöpferischen Bewegung. Diese zeitlich verfaßte Realität umfaßt in diesem reifen metaphysischen Stadium Bergsons die ganze Wirklichkeit: »Es gibt eine äußere Wirklichkeit, die dennoch unmittelbar unserem Geist gegeben ist. [ ... ] Diese Wirklichkeit ist reine Bewegung. Es existieren keine starren Dinge, sondern allein werdende Dinge, keine Zustände, die bleiben, sondern nur Zustände, die sich verändern. Die Ruhe ist nur scheinbar, oder vielmehr relativ. Das Bewußtsein, das wir von unserer eigenen Person haben, in seinem unaufhörlichen Fließen, führt uns in das Innere einer Wirklichkeit hinein, nach deren Muster wir uns alle andere Wirklichkeit vorstellen müssen. Jede Wirklichkeit ist also Tendenz, wenn man übereinkommt, unter Tendenz eine immer neu beginnende Richtungsänderung zu verstehen (Richtungsänderung in statu nascendi).«24
ZF 61f., Essai 58f. (CEuvres 54f.). ZF 77; Essai 77 (CEuvres 70): "Bref, la dun!e pure pourrait bien n' €!tre qu'une succession de changements qualitatifs qui se fondent, qui se penetrent, sans contours precis, sans aucune tendance a s'exterioriser les uns par rapport aux autres, sans aucune parente avec le nombre: ce serait l'heterogeneite pure.« Hier läßt sich auch das grundlegende Mißverständnis Heideggers aufklären, auf dessen Grundlage er in Sein und Zeit (432f.) die Zeitauffassung Bergsons zum aristotelischen Traditionsstrang zählt: der tiefgreifende Unterschied der qualitativen zur quantitativen Sukzession bleibt unterbelichtet; Heidegger entgeht, daß bei der qualitativen Sukzession das Ineinander Verschmelzen im Vordergrund steht. 22 Henri Bergson: Matiere et memoire. Essai sur la relation du corps al'esprit; dt: Materie und Gedächtnis. 23 EM (DSW) 225; IM (PM) 227 ((Euvres 1432): ,experience integraleCogito( Descartes' entspricht. Das »si enim fallor, sum« Augustins (civ. 12,27) entspringt dem gelebten Leben eines >realisme integrale( (vgl. D 168), »alle seine Gedanken haben eine tiefe Anbindung in einer erleuchteten Einheit«, wohingegen Descartes >Cogito( dieses intellektualistisch umkehrt und in einen Idealismus verkehrt, in dem er >ein Denken an sich< statuiert. 34 Descartes gibt dem >CogitoNoverim me( an: »Augustinus [... ] gestand, der Mensch müsse, um sich selbst zu erkennen und zu erreichen und so von sich aus zu sich selbst wieder zu gelangen, >über Gott gehensed ideo< von Blondel hinzugefügt). Denn er hatte tief empfunden, daß die gesamte Erfahrung, das gesamte Wissen über die äußere wie innere Welt uns nur zerstreuen und innerlich zu zerreißen vermag (»distentus in omnibus et in phantasmatibus meis dilaceror«),35 während wenn wir uns ad superiora erheben, wir die feste Einheit finden, die uns nicht nur in Besitz unseres Endzieles, sondern auch in die Lage versetzt, alles übrige zu fassen und zu beherrschen, »extentus per omnia, solidabor in Te, forma mea, Deus« (D 218). Ziel ist die Formwerdung aus dem Urbild: die Erkenntnis Gottes bedeutet zugleich Gestaltwerdung des Menschen, >solidif1.catio< (>soliditenormative< eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die einschlägigen Stellen aus der Trilogie sind deshalb parallel zu denen der Augustinus-Aufsätze zu lesen. 36 So ist etwa das gesamte dritte Kapitel von L'Etre et les Etres vom Gedanken 34
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D 165; vgl. A (37) 71/62. Zur Authentizität des Zitats vgl. Goulven Madec: Mauriee Blondel eitant saint Augustin,
114·
Vgl. hierzu die wertvollen Hinweise Goulven Madecs zum Spätwerk: Mauriee Blondel citant saint Augustin, 114." P I, 157.302 (vgl. Buch XI überhaupt); Pli, 280 (.se solidifier(). 294 .informe et solidifie(; L'~tre, 57 (.solidum quid [ ... ) solidificatio(); 100 (.distentus per omnia[ ... ](); 289 (mit Bezugnahme auf Buch XI). 290 (>solidite de Dieu, forme() ; 306 (>solidite ontologique de la creation [ ... ] solidabor in Te, forma mea, Deussolidification de nos etres() 496 (Interpretation von eonf XI, XXIX, 39 - XXX, 40). AI, 335 (»elre consistant et comme solidifie en lui et par lui: Tu forma mea, Deus«). La philosophie et /'esprit ehr/Wen I, 206: (»notre extension, loin de s' eparpiller [ ... ) tu forma mea, Deus«) La philosophie et /'esprit chrÜien 11, 58: 3.
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PI!TI!R RI!IFENBI!RG
der .solidification des etres< durchdrungen, wenn auch die Rede von 'CC)flS:lst,erutj des etres< und .consolidation des personnes< ist. 37 Die Anfrage an das Denken dels wäre dann, ob diese Schwerpunktsetzung Einfluß auf die Struktur, und Dynamik der action hat. Eine kleine Einschränkung bzw. einen Hinweis auf Richtung der .solidite< erfährt die kritische Nachfrage, wenn man etwa die Eintragung aus den Carnets intimes vom 21.10.1889 entgegenhält: .. Was sind Eine Tat der Liebe Gottes. Hätte er uns nicht ewig gekannt, gewollt, geliebt, so wir nicht. Unseren ganzen Bestand (.consistanceSt Augustin< genau gemeint war, die Bekenntnisse oder eine andere Schrift, und was Rilke zu dieser Lektüre gesagt hätte, wenn es noch zu einer Antwort gekommen wäre. Unabhängig davon, sieht man aber ein, daß der heilige Augustinus die Briefpartner verband, daß er ein Gesprächsstoff war zwischen ihnen, auf den man verweisen konnte wie auf Vertrautes. Man muß da einrechnen, daß die Confessiones aus der Bibliothek der Fürstin im Winter 1911/l2 zur Lektüre Rilkes aufSchloß Duino gehörten und daß Rilke der Fürstin gegenüber bedauert hatte, mit seiner Übersetzung nicht weiter gekommen zu sein. 28 Brief an Lili Schalk vom 14. Mai 1911, in: Rainer Maria Rilke - Briefe aus den Jahren 1907 - 1914, 126 -129, bes. 127 f.: »ich war also wirklich in Algier, in Tunis, schließlich in Ägypten, aber es wäre mir recht geschehen, hätte ich überall vor den größesten Außendingen den heiligen Augustinus an der Stelle aufgeschlagen, die Petrarca trifft, da er oben auf dem Mont Ventoux, neugierig das gewohnte kleine Buch öffnend, nichts als den Vorwurf findet, über Bergen, Meeren und Entfernungen von sich selber abzusehen. So sehr war diese Reise, in die ich mich mitnehmen ließ, eine Ausrede.« Ähnlich in seiner Meditation Über den jungen Dichter (SWVI, 1052). Zu Petrarcas Blick vom Mont Ventoux und seiner Augustinus-Lektüre vgl. auch Karine Winkelvoss: Rilke, la pensee des yeux, Paris 2004, 78 - 87. 2. An Nanny Wunderly-Volkart am 11. 3. 1921, in: Rainer Maria Rilke - Briefe an Nanny Wunderly- Volkart, 389 und Anm.: »Ihr sollt euch nicht nur nicht die Mäuler vollstopfen, sondern auch Gottes Wort in die Ohren nehmen.« 27 RaineT Maria Rilke - Marie von Thurn und Taxis, Briefwechsel, 884. Sicher handelt es sich bei dem ,St. Augustin< nicht um die von Ferreiro-Alemparte (Anm. 13) erwähnte Ausgabe der Bekenntnisse: Aurelius Augustinus. Bekenntnisse. Aus dem Lateinischen übersetzt von Adolf GrÖninger. Münster 1859, die offensichtlich schon länger zum Bestand der Duineser SchloßBibliothek gehörte. 28 Brief vom 13. August 1911, wie vorige Anm., 57: »Nicht einmal meine Lückenarbeit am heiligen Augustinus hab ich weitergebracht.« Es kann hier nur angedeutet werden, daß zu dieser Mythengemeinschaft noch ein gemeinsamer Bekannter gehörte: Rudolf Kassner. Sein 1911 im Insel Verlag erschienenes Buch Von den Elementen der menschlichen Größe stand unter dem Motto: "Dbi magnitudo, ibi veritas. Augustinus«. Das Buch spielt in der Korrespondenz zwischen Rilke und der Fürstin von Thurn und Taxis eine große Rolle (Briefe vom 31. Mai und 2. Juni 1911 (Briefwechsel, 41- 45). Schon in einem Brief an seinen Studienfreund Gottlieb Fritz hatte Kassner am 6.2.1898 über den heiligen Augustinus geschrieben: »Aber er ist doch die glorreichste Figur, die je eine Religion den ihren nennen konnte.« 25
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2.
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AUGUST STAHL
Rilkes Vorbehalte gegenüber dem Christentum und die bleibende Zuwendung zu Augustinus
Die Bedeutung des Heiligen Augustinus geriet nicht zufallig in den Aufmerksam. keitsschatten der Rilke- Leser und Rilke-Verehrer. Die Schriften Augustins standen und stehen, allen voran natürlich die Confessiones, für jeden Quellenforscher in Konkurrenz zur Bibel und zu anderen Zeugnissen der christlichen Tradition, Le. gendensammlungen, Dokumenten der bildenden Kunst. Es ist oft nicht zu entschei~ den, ob ein Psalmen-Zitat oder die Paraphrase einer Stelle aus den Evangelien uno mittelbar aus der Bibel stammt oder einen Umweg genommen hat u. a. über einen Augustinischen Text. Rilke war, wie man weiß, ein intensiver Leser der Heiligen Schrift. Und was für die Bibel gilt, gilt auch für die Legenden und Heiligenviten, die er oft nebeneinander las wie etwa die Flos Sanctorum des Spaniers Pedro de Ribadeneira,29 die er 1911 neben den Confessiones las aufSchloß Duino. 30 Rilkes Nähe zur christlichen Überlieferung wurde zudem verstellt durch seine (in der Nachfolge Schopenhauers und Nietzsches) erklärte Opposition gegen das christliche Weltbild. Diese Opposition war Teil seiner Auflehnung gegen die eigene Sozialisation, gegen gesellschaftliche Rituale, gegen die theatralische Frömmigkeit der Mutter. 31 Damit verbunden war sein Verdacht und der immer wiederholte Vorwurf, das Christentum habe das Diesseits an das Jenseits verraten. Die Belege dafür finden sich von den frühesten Produktionen an bis in die späte Zeit. Ich erwähne ein Gedicht wie
Flos Sanctorum (1599 - 1604) in der Übersetzung von Johannes Hornig: Leben aller Heiligen Gottes. 30 Brief an Manon zu Solms-Laubach vom 12. Januar 1912 aus Duino (Briefe 1907-1914,167): 29
»Wahrscheinlich
bleib ich noch eine Weile, ganz allein, es ist ein strenger Aufenthalt in riesigen Mauern zwischen Karst und Meer, als Lektüre den heiligen Augustinus und die schönen alten Heiligenlegenden des Spaniers Ribadaneira.« 31 Vgl. etwa das in diese Richtung weisende Gedicht von 17. November 1897: Arme Heilige aus Holz kam meine Mutter beschenken; und sie staunten stumm und stolz hinter den harten Bänken. Haben ihrem heißen Mühn sicher den Dank vergessen, kannten nur das Kerzenglühn ihrer kalten Messen. Aber meine Mutter kam ihnen Blumen geben. Meine Mutter die Blumen nahm alle aus meinem Leben. (SWIII,207)
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RILKE LIEST DIE , CONFESSIONES < DES HL. AUGUSTINUS
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Glaubensbekenntnis vom 2. April 1893 32 und den polemischen Brief des jungen Arbeiters vom Februar 192233 und ich zitiere aus dem >Neuen Gedicht< Der ÖlbaumGarten (Mail]uni 1906) die gegen die Bibel gerichtete Erklärung des Dichters für das Leid Jesu. Für Rilke bestand dieses Leid wesentlich in der im Opfer geleisteten Aufgabe des eigenen Selbst: »Die Nacht, die kam, war keine ungemeine; so gehen hunderte vorbei. [..................................................] Denn Engel kommen nicht zu solchen Betern, und Nächte werden nicht um solche groß. Die Sich-Verlierenden läßt alles los, und sie sind preisgegeben von den VChristusgroße Irdische< wahrgenommen, mißverstanden oder ob er ihm nur nicht gefolgt ist. Rilkes Verteidigung Gottes gegen jede Entwertung der Welt und des Lebens, »des uns hier Gewährten und Zugestandenen« ist nicht ohne weiteres die Verteidigung des augustinisch-christliehen Schöpfers. Die von führenden Augustinus-Forschern vertretene These von der >ontologischen Gutheit der Schöpfung< oder von der >guten Schöpfung< und dem heiligen Augustinus als einem >Fürsprecher des Lebensdas kleine Mädchen .• zwischen Frauen< aus aller Abhängigkeit zu befreien zu einem selbstbestimmten Handeln. »Sie aber kam und hob den Blick, um dieses alles anzuschauen. (Ein Kind, ein kleines Mädchen zwischen Frauen.) Dann stieg sie ruhig, voller Selbstvertrauen, dem Aufwand zu, der sich verwöhnt verschob: So sehr war alles, was die Menschen bauen, schon überwogen von dem Lob in ihrem Herzen. Von der Lust sich hinzugeben an die innern Zeichen: Die Eltern meinten, sie hinaufzureichen, der Drohende mit der Juwelenbrust empfing sie scheinbar: Doch sie ging durch alle, klein wie sie war, aus jeder Hand hinaus und in ihr Los, das, höher als die Halle, schon fertig war, und schwerer als das Haus.«" Der Einfluß der Eltern und die Macht der Tradition sind um der Unabhängigkeit .. des Kindes willen zum bloßen Schein entwertet. Die zukünftige Mutter Gottes handelt nicht (um Augustinus zu zitieren) >invita< und also handelt sie gut. Fast zehn Jahre nach diesem Gedicht schreibt Rilke auf Schloß Berg das sogenannte TestaS4
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12. Januar 1912 an Manon zu Solms-Laubach (Briefe 1907 -1914, 167). Das Marien-Leben (SW I, 667 - 681) entstand zwischen dem 15. und 23. Januar 1912.
RILKE LIEST DIE 'CONFESSIONES< DES HL. AUGUSTINUS
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ment. Der Kerngedanke ist die Bitte um den Erhalt der Freiheit des Einzelnen in der Liebe. Entsprechend hatte Rilke als Motto zwei Verse aus Jean Moreas' Stances gewählt: »Mais j'accuse surtout celui qui se comporte/contre sa volonte.«56 Man könnte unvorsichtig werden und der Versuchung nachgeben, im MarienLeben auch sonst den Spuren der Augustinus-Lektüre zu folgen. Im Brief an Manon zu Solms-Laubach aus Duino erwähnte er neben der Lektüre der Heiligenlegenden auch die des heiligen Augustinus: }) Wahrscheinlich bleibe ich noch eine Weile, ganz allein, es ist ein strenger Aufenthalt in riesigen Mauern zwischen Karst und Meer, als Lektüre den heiligen Augustinus und die schönen alten Heiligenlegenden des Spaniers Ribadaneira.« Dem Einfluß der Heiligenlegenden Ribadeneiras wurde in der Forschung intensiv nachgegangen, eine mögliche Wirkung der Confessiones wurde gar nicht Betracht gezogen. Dabei legte sich eine, vorsichtig gesagt, bestärkende Orientierung an Augustinus nahe, bedenkt man die Bedeutung, die im Marien-Leben (im Rilkeschen besonders) die Beziehung zwischen Mutter und Sohn hat. Man muß da nur an Gedichte denken wie Von der Hochzeit zu Kana oder Piet,t Es ist ganz ausgeschlossen, daß Rilke, der seiner Mutter eine Ausgabe der Confessiones gerade geschenkt hatte, der mit ihr über die Lektüre korrespondierte, daß er das Verhältnis Augustins zu seiner Mutter übersehen hätte. Die Szene am Fenster von Ostia wird ihm nicht entgangen sein, zählt sie doch zu den ganz berühmten des Buches. 57 In vielem erinnert die Begegnung Jesu mit seiner Mutter in Die Stillung Mariae mit dem Auferstandenen (»da er erleichtert zu ihr trat«) an die Szene zwischen Augustinus und seiner Mutter Monika am Fenster von Ostia (con! 9,23: »provenerat [ ... ] ut ego et ipsa soli staremus«). In die Begegnung Jesu mit Maria wird Rilke wie in das Gespräch zwischen Augustinus und seiner Mutter die Vision eines glücklichen Verhältnisses zwischen Mutter Sophie und Sohn Rene eingedacht haben. 58 Die Sehnsucht nach Freiheit und die Ausrichtung auf Unabhängigkeit von allem störenden und verfremdenden Zwang hat ein Korrelat in der Sehnsucht nach einem unabweisbaren Auftrag, nach Unterwerfung unter einen, wie es im Brief an Anton Kippenberg vom 9. Februar 1922 und nach Vollendung der Elegien heißt, unter einen S6 S7
Rainer Maria Rilke: Das Testament, 12 und 85. Verwiesen sei auf die Seiten 426 - 433 von Dieter Hattrups Artikel zu Confessiones 9: Die
Mystik von Cassiciacum und Ostia. Rilke über seine Mutter an Lou Andreas-Salome am 19. Februar 1912 (Briefwechsel, 263): »Wenn man einmal zu etwas Ruhe und Fassung käme, ließe sich sicher [ ... ) ihre ganze unaufgeklärte Erscheinung einsehen, beschreiben, möglicherweise bewundern.« Rilkes enge, wenn auch nicht kontliktfreie Beziehung belegen die gerade im Druck befindlichen um die tausend Briefe >Renes< an seine >Mamanzu nehmen und zu lesen'. Und er muß dann nur die Erste Elegie weiter lesen bis in die ersten Zeilen der dritten Strophe, um die in den Confessiones erbetene und vorformulierte Botschaft durchzuhören: »Stimmen, Stimmen. Höre, mein Herz, wie sonst nur Heilige hörten [... ]. « Wie eine ins Menschliche, ins zwischenmenschlich Erfahrbare eingebrachte Umsetzung des >Dic animae meaechristliche Philosophiechristliche PhilosophieHellenisierung des Christentums< bekannt ist. Was er philosophisch fordert, ist die >Enthellenisierung< durch eine dem Christentum genuine philosophische Durchdringung seiner Grundgehalte. Worin sieht nun Scheler das radikal Neue im christlichen Erlebnisgehalt? Hierauf antwortet er: Im »christlichen Erlebnis selbst [ist] eine radikale Umstellung von Liebe und Erkenntnis [ ... ] vollzogen« (ebd.), die Scheler in Das Ressentiment im Aufbau der Moralen als »die >Bewegungsumkehn der Liebe« gekennzeichnet hat (GW 3,72). Diese >Bewegungsumkehr der Liebe< besagt, daß »nun nicht mehr das griechische Axiom gilt, es sei Liebe eine Bewegung des Niedrigen zum Höheren [... ], des Menschen zum selbst nicht liebenden Gott«, sondern daß »die liebevolle Herablassung des Höheren zum Niederen, Gottes zum Menschen, des Heiligen zum Sünder [ ... ] selbst in das Wesen [... ] des >HöchstenLiebe«< be~ stimmt. Es ist der Primat der interessenehmenden Akte »vor den wahrnehmenden, . vorstellenden, erinnernden und Denkakten« (ebd.). »Liebe und Interessenehmen« sind Scheler zufolge für Augustinus »die elementarste Grundtendenz des menschlichen Geistes« (ebd.). In das Ganze dieses Grundgedankens von Augustin gehört, ',. »daß bei Augustin auch im Wesen der Gottheit die Liebe den letzten Wesenskern ausmacht« (GW 6,95). Und Scheler fährt fort: »So wird die Schöpfung >aus Liebe( [... ] der grundlegende Schöpfungsgedanke seiner Theologie« (ebd.). Das aber führt Scheler zu der Einsicht: »Zum erstenmal ist damit der Gedanke der schöpferischen Natur der Liebe rein [ ... ] verkündet« (ebd.). Scheler unterstreicht, daß »)Gott< im
BEGEGNUNGEN MIT AUGUSTINUS IN DER PHÄNOMENOLOGIE
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ursprünglich christlichen Sinne [ ... ] die Welt schon >aus Liebe< erschaffen« hat (GW 6,92). Die »schöpferische Kraft der Liebe« kann durch nichts anderes »so scharf hervorgehoben werden wie durch diese Lehre, daß auch der schöpferische Willensakt Gottes in einer vorhergehenden Liebe fundiert sei« (ebd.). Ein zweites Mal aber »erweist sich die Liebe Gottes tätig in der göttlichen Erlösungstat in Christo« (GW 6,95). Und schließlich ist auch »die Gnadenwahllehre Augustins [ ... ] nur eine der Folgen [Wesensfolgen] seiner Lehre vom Primat der Liebe vor aller rational abmessenden Gerechtigkeit« (ebd.). Noch wichtiger aber »als diese theologischen Folgen des augustinischen Satzes vom Primat der Liebe im Geiste« sind für Scheler »die Ansätze, in denen Augustin auch den Versuch macht, die ganze Psychologie und Erkenntnislehre von diesem Satze her neu aufzubauen« (ebd.). Diese Ansätze liegen z. B. im ganzen zehnten und elften Buch der Confessiones vor. Die stufenweise Selbstauslegung der Gott suchenden >anima( im zehnten Buch und die Analyse der Zeit und des zeitverstehenden Geistes des elften Buches sind getragen von der Gottesliebe des Fragenden als einer auf die Liebe Gottes antwortenden Liebe. Scheler räumt ein, daß die Ansätze Augustins für einen Umbau von Psychologie und Erkenntnislehre »nur wenige« sind (ebd.). Er fährt jedoch fort: »Aber schon, daß sie da sind, ist darum von großer Tragweite, da sie den ersten und einzigen Versuch darstellen, aus der neuen christlichen Erlebnisstruktur auch neue psychologische und metaphysische Einsichten zu gewinnen« (ebd.). Diesen für Scheler zentralen Gedanken Augustins führt er weiter aus: »Was nämlich Augustin [ ... ] behauptet, ist, daß der Ursprung aller intellektuellen Akte und der ihnen zugehörigen Bild- und Bedeutungsinhalte - anfangend von der einfachsten Sinneswahrnehmung bis zu den kompliziertesten Vorstellungsund Gedankengebilden - nicht nur an das Dasein äußerer Gegenstände und der von ihnen ausgehenden Sinnesreize (oder Reproduktionsreize, z. B. beim Erinnern), sondern außerdem an Akte des Interessenehmens und der durch diese Akte geleiteten Aufmerksamkeit, in allerletzter Linie aber an Akte der Liebe und des Hasses wesenhaft und notwendig geknüpft sei« (ebd.). Was dieses Geknüpftsein der intellektuellen Akte an die Akte des Interessenehmens und der Liebe des näheren besagt, führt Scheler wie folgt aus: »Nicht also kommen für Augustin diese Akte zu einem schon vorher dem Bewußtsein gegebenen Empfindungsgehalt, Wahrnehmungsgehalt usw. bloß hinzu, so daß diese Gegebenheiten einer intellektualen Tätigkeit verdankt würden, sondern das Interessenehmen >an etwas(, die Liebe >zu etwas< sind die primärsten und alle anderen Akte fundierenden Akte, in denen unser Geist überhaupt einen ,möglichen< Gegenstand erfaßt« (GW 6,95 f.). Die primärsten Akte des Interessenehmens und der Liebe »sind zugleich Grundlage für die sich auf denselben Gegenstand richtenden Urteile, Wahrnehmungen, Vorstellungen, Erinnerungen, Bedeutungsintentionen« (GW 6,96).
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FRIEDRICH-WILHELM VON HERRMANN
4. Augustinus und Heidegger
a) Selbstauslegung der Gott suchenden >anima< (,vitaanima< bzw. >vita< als des >faktischen Lebensanima< unausdrücklich in einem Verständnis dessen hält, was er als das faktische Leben oder Dasein in Ansatz und zur Auslegung bringt. In Abgrenzung gegen eine >objektgeschichtliche< Zugangsweise, in der das zeitlichgeschichtliche Leben als objektiver Vorgang angesetzt ist, interpretiert Heidegger Augustins bekennende Selbstauslegung der anima aus der >vollzugsgeschichtlichen< Zugangsweise zum eigensten Vollzugsgeschehen des faktischen Lebens. Das Vollzugsgeschehen des Lebens faßt er als >Bekümmerung< des Lebens um sein eigenes Sein, und diese >Bekümmerung< kennzeichnet er mit dem Augustinischen Terminus >cura< in der Bedeutung des Sorgetragens-für, für das eigene Sein. Dieses in der Weise der Bekümmerung sich vollziehende Leben ist wesenhaft Welt-bezogenes, Welt-verstehendes Leben, und die Welt ist die >Lebensweltanima< (>vitamemoriavita beata< in der Selbstbekümmerung des Lebens. In der Frage Augustins, wie ich das Selige Leben suche, sieht Heidegger die Frage nach den zwei unterschiedlichen Vollzugsweisen meines Lebens, in denen ich auf diese oder jene Weise Sorge trage für die Nähe oder Ferne meines Lebens zu dem Gesuchten. Für Heidegger versteht Augustinus sein Gottsuchen als ein Wie der Selbstbekümmerung des faktischen Lebens. Nicht alle Menschen streben die echte und wahre vita beata an, wenn sie das Selige Leben in einer anderen Richtung, die nicht die Nähe zu Gott ist, suchen. Es ist die Richtung des Abfallens (>caderetentatio< freigelegt werden als Versuchungen, die >vita beata< in der falschen Lebensrichtung zu suchen, dann leuchtet der sachliche Zusammenhang der dritten mit der zweiten analytischen Stufe auf. Die erste Haupt-
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FRIEDRICH-WILHELM VON HERRMANN
richtung der >tentatio< im selbstbekümmerten Leben ist die Versuchung, die in der >concupiscentia carnistentatio< ist die Versuchung der >concupiscentia oculorumcuriositasambitio saeculiDistentio animi< und ekstatische Zeitlichkeit: Nicht nur Husserl, sondern auch Heidegger konnte mit gutem Recht in der Art, wie Augustinus die Frage nach der Zeit ansetzt, entfaltet und beantwortet, eine Vorgestalt seines eigenen, auch von Husserl abweichenden Fragens nach der Zeit erblicken. Der phänomenologische Grundzug des Augustinischen Fragens, Suchens und Findens hat Heidegger wie Husserl in einem starken Maße angezogen. Am 26. Oktober 1930 hielt Heidegger im Kloster Beuron vor Mönchen, Klerikern und Novizen - als Dank für die wiederholte freundschaftliche Aufnahme im Kloster zur stillen Arbeit in äußerster Zurückgezogenheit - einen Vortrag unter dem Titel Des heiligen Augustinus Betrachtungen über die Zeit (Confessiones, Ziber XI).8 Dieser 8 Vorgetragen in Beuron, Erzabtei St. Martin, am 26. X. 1930. Zitiert nach der Kopie des Typoskripts (Eigentum der Bibliotheca Beuronensis). - Zu Heideggers Interpretationen von Confessiones liber XI: Norbert Fischer: Confessiones 11. ,Distentio animidistentio animi historisches Bewußtseingeschichtliche Bewußtsein< das Innewerden eines Selbst über seine eigene Geschichtlichkeit dar (EE 119): »In ihm bin ich mir meiner in der Kommunikation mit anderem geschichtlichen Selbstsein bewußt; ich bin als ich selbst in der Erscheinung zeitgebunden an ein Nacheinander in Einmaligkeiten meiner Situationen und Gegebenheiten.« Jaspers erklärt, daß in dieser Situation Sein und Wissen untrennbar seien. Ich erkenne mich als geschichtlich im Geschichtlichsein und kann diese Situation, im Gegensatz zu den historischen Objekten, nicht als Objekt erfassen. Deshalb hebt Jaspers die existenzielle Identität dieser beiden Momente hervor. Wie Yorck behauptet Jaspers, das historische Wissen sei nur ein äußerliches Bild, würde es nicht »angeeignet in einem geschichtsphilosophischen Bewußtsein zur Funktion ewiger Gegenwart des Existierens« (EE l20). Fragt man nach der Beziehung des geschichtlichen Bewußtseins zur Geschichte der Philosophie, scheint die Frage nach der Geschichtlichkeit des Lebens bei der Auslegung philosophischer Werke unentbehrlich. Philosophische Geschichte kann lediglich aus einer grundlegenden Erfassung der Geschichtlichkeit entstehen. Zu fragen ist also, wie sich diese Geschichtlichkeit näher bestimmen läßt. Zuerst drückt Geschichtlichkeit die Polarität des Lebens aus, in der ein Dasein in der Zeit als ein einziges und durch Andere nicht ersetzbares Dasein lebt. Zudem bin Ich beschränke mich bei dieser Analyse der Geschichtlichkeit aufKari Jaspers: Philosophie II. Existenzerhellung (=EE). Jaspers definiert das historische Bewußtsein dort so (n8): »Wir nennen historisches Bewußtsein das Wissen von der Geschichte. Aber nicht als dieses Wissen von etwas, das geschah, wie jederzeit überall irgendetwas geschieht, sondern dieses Wissen erst, sofern es das Geschehene erfaßt als die objektiven Voraussetzungen unseres gegenwärtigen Daseins, und zugleich als ein Anderes, das, indem es selbst gewesen, für sich einmalig und einzigartig war. Dieses historische Bewußtsein ist erfüllt in den Geschichtswissenschaften«. 6
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ich als Dasein fähig, zu denken und zu urteilen, das heißt: ein mögliches Wahres zu erstreben. So entsteht ein Gegensatz zwischen dem möglichen Wahren, das - wenigstens in einem engen Sinn - in seiner Objektivität nicht zeitbedingt ist, und der beschränkten Situation, aus der jedes Beurteilen entsteht. Die Spaltung meines Daseins ist der Punkt, in dem die Zeitlichkeit des Lebens und die Zeitlosigkeit des Objektiven zusammentreffen. So braucht die Existenz für Jaspers die Zeitlichkeit ebenso wie die Zeitlosigkeit, es ist »das eine im anderen, nicht das eine ohne das andere« (EE 126). Die angedeutete Beschränktheit meines Daseins kommt mir jedoch nur als Erscheinung vor. Indem ich existiere, erfahre ich meine Geschichtlichkeit. Das will meinen: ich bin das Moment, in dem ich mir im Selbstsein meiner Bedingtheit bewußt bin. Jaspers betont jedoch, diese Doppelheit sei nur ein Charakter des Denkens, da dieses Selbstbewußtsein keinen reflexiven Akt darstellt, in dem das Subjekt einem Objekt gegenüber stehe. Allerdings tritt für die Existenz jene Bedingtheit gerade als einzige Möglichkeit der Freiheit auf. Meiner zeitlichen Bedingtheit bewußt, bin ich mögliche Freiheit für das Handeln. Wenn man dagegen die Objektivität als bloß bedingt betrachtet, »so verlieren wir die Existenz, weil wir die Unbedingtheit und damit jeden Ursprung verlieren. Die Konzentration der Unbedingtheit auf die geschichtlich-konkrete Gegenwart läßt diese Unbedingtheit allein wahr bleiben« (EE 124). Beide Momente zugleich machen die Existenz aus und verwahren die Objektivität im zeitbedingten Selbstsein. 7 Bleibt diese Bestimmung der Geschichtlichkeit dennoch nicht rein formal? Kann diese Formalität überwunden werden? Man kann diese Fragen in zweifacher Weise ' beantworten: )NeinErfahrung der Seele< und >die Gegenwärtigkeit unseres Daseins< durchforscht UGP 326). An diesem Punkt kommen Augustins Philosophie und Jaspers Darstellung der Geschichtlichkeit überein, denn nur in der Selbst- . erfassung des eigenen Selbst wird die eigene Geschichtlichkeit als Grenze und Möglichkeit verstanden. Während Augustinus jedoch die Möglichkeit der Freiheit mit der Wahrheit Gottes identifiziert, bleibt bei Jaspers die Transzendenz nur als Negativität der Existenzerhellung. Wenn Augustinus den Weg zu Gott durch die Innerlichkeit der Seele zu finden sucht, denn findet er einen originellen Durchgang, welcher das Wissen und die Erfahrung in einem neuen Licht erscheinen läßt. Zu , Recht betont Jaspers in dieser Hinsicht, daß Augustinus keine >Metaphysik der Seele< erstrebt, wenn Metaphysik eine neue und unabhängige Thematisierung des Vorgehens der Seele bedeute. Seiner Ansicht nach ist Augustins Weg in das Innere des Menschen deshalb keine bloße Psychologie. Die Beschreibung des Vorgehens der Seele dient dazu, die Erfahrung selbst in ihrer Möglichkeit und in ihrer Beziehung zu Gott zu klären. In diesem Sinne zitiert Jaspers den bekannten Satz Augustins: »deum et animam scire cupio« quasi als Motto seiner gesamten Auslegung.2l Tiefer geht nun die Suche und das Fragen nach der Seele, in denen die Grenzen des Denkens und des Selbst getroffen werden. Jaspers deutet es am Beispiel der Selbstgewißheit an. Mit dem bekannten cogito-Argument führt Jaspers Augustins Analyse der Selbstserkenntnis ein. Augustinus zeigt in De civitate Dei, daß der Zweifel selbst eine Bestätigung des >ich bin< iSt. 24 Was Jaspers an dem bekannten Argument interessiert, Selbstdurchleuchtung mit dem Ziel der Erhellung des Glaubens. Plotin findet sich in der freien Verbindung von je einzelnen Philosophierenden, zerstreut in der Welt, Augustin in der Kirche als Autorität in der Gegenwart einer machtvoIIen Organisation.« 22 Ob die Philosophie bei Augustinus ancilla theologiae sei, diskutiere ich im nächsten Paragraphen. 2J sol. 1,7. In seinem Buch Sources OfThe SeifsteIlt CharIes Taylor fest, 132: »Augustine makes the Step to inwardness, as I said, because it is a step towards God.« Augustinus soll gerade deswegen mit einem Vertreter der modernen Philosophie nicht verwechselt werden. 2. civ. 11,26 »[ ... ) quid si faIIeris? si enim faIIor, sumo nam qui non est, utique nec faIIi potest; ac per hoc sum, si faIIor. quia ergo sum si faIIor, quo modo esse me fallor, quando certurn est me esse, si faHor? quia igitur essern qui faUerer, etiamsi faUerer, procul dubio in eo, quod me noui esse, non fallor.« Jaspers zitiert auch sol. 2,1.
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ist aber nicht der logische Beweis der Existenz, sondern daß diese Selbstgewißheit mir etwas mehr zeigen kann, nämlich, >was< ich bin. Die Selbstgewißheit zeigt sich zuerst im Denken als die Möglichkeit des menschlichen Fragens. Ein anderes Wesen besitzt diese Fähigkeit nicht. 25 Außerdem kann die Selbstgewißheit erfahren, daß sie nicht nur Kunde über das Sinnliche geben kann, sondern auch über das Übersinnliche. Eine dritte Eigenschaft der Selbstgewißheit wäre die Liebe, vor allem die Liebe zum Leben und das Streben nach der Glückseligkeit (conj 10,30 ff.). Dennoch betont Jaspers, daß die Selbstgewißheit auch negativen Charakter aufweisen kann (JGP 330 ff.): »Die Augustinische Gewißheit aber - so denken wir - kann zusammensinken: zur Unbezweifelbarkeit einer bloßen gehaltlosen Seinsaussage, - zur Brutalität der Liebe zum Leben, welcher Art es auch sei, - zur Leerheit der Wahrheit als bloßer Richtigkeit.« Jaspers Argumentation besitzt ein gewisses Recht, indem Augustinus selbst, im zweiten Teil des elften Buches seiner Confessiones, das Leben als Versuchung beschreibt,26 In einer eher schematischen Skizze legt er dar, daß alle >Erfüllung< und >Ruhe< in Gott gefunden wird, während alle >Nichtigkeiten< Abkehr von Gott sei. 27 Zwar findet man bei Augustinus die Identität zwischen Wahrheit und Gott, aber die Beziehung des Menschen zur Wahrheit und zu Gott, die Augustinus gerade in den Confessiones thematisiert, wird nahezu ignoriert. Erstaunlicherweise urteilt Jaspers, daß Augustinus eine nicht philosophische Geborgenheit erreicht, die jene philosophische Intuition verblassen läßt (JGP 332): »In schroffen Nebeneinander also läßt Augustin stehen die Selbstgewißheit und die anderen Zeugen (die Autorität von Kirche und Offenbarung).« Jaspers meint, der autoritative Charakter der Kirche habe so viel Macht über Augustins Denken, daß er auch über seine wichtigsten Einsichten stand. Jaspers erweitert seine Interpretation von Augustins Entfaltung der Problematik der Selbstgewißheit in Zusammenhang mit der Freiheit. Mittels der Selbstreflexion Vgl. z. B. con! 10, 10: "homines autem possunt interrogare.« 26 con! 10, 39 ff. Martin Heidegger hat in seiner Vorlesung vom Sommer 1921 Augustinus und der Neuplatonismus aus der tentatio-Interpretation seinen Begriffvon ,Ruinanz< abgeleitet, einen Vorgänger der ,Uneigentlichkeit< im Hauptwerk Sein und Zeit. Heidegger betont, daß die Versuchungen eher einen existenziellen Zug nachweisen als einen deskriptiv-normativen Charakter. Vgl. Agustin Corti: Zeitproblematik, 182ff. Zu Heideggers Auffassung von Jaspers Methode vgl. Martin Heidegger: Anmerkung zu K. Jaspers ,Psychologie der Weltanschauungennegativen Theologie< bezeichnet, 201: »Die Hoffnungslosigkeit einer anschaulich erfüllten Übertragung unseres Denkens auf das Absolute oder Übersinnliche in Verbindung mit dem Drange, doch das Absolute zu wissen, und der Notwendigkeit, sonst jede denkende Intention auf das Absolute entbehren zu müssen, zeigt sich z. B. großartig in den bekannten Formulierung Augustinus: Intelligamus deum, si possumus, sine qualitate bonum, sine quantitate magnum, sinde indigentia creatorem, sine situ praesentem, sine habitu omnia continentem, sine 10co ubique totum, si ne tempore sempiternum. si ne ulla sui mutatione mutabilia facientem nihilque patientem.« 25
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findet Augustinus Versuchungen, die »seinem bewußt Gewollten widerstreiten« (jGP 354). Die Versuchungen zeigen aber auch in eine andere Richtung, weil sie vor allem darstellen, was den Versuchten von seinem eigenen Selbst entfernen kann. Solange man einer Versuchung unterworfen ist, lebt man nicht in der Gewißheit des eigenen endlichen Daseins, sondern sucht Stütze in etwas Anderem. In der Selbstgewißheit wird gerade erfahren, daß kein externer Halt die Verantwortung für das eigene Leben tragen kann. In diesem Sinne sind wir nackt vor der Wahrheit, die bei Augustinus mit Gott übereinstimmt. Die Versuchungen stellen dagegen eine Art Entfremdung dar. Die Selbsterkenntnis erfährt gewisse Grenzen, so daß die Denkkraft das eigene Selbst nicht ganz erfassen kann. Die Unmöglichkeit, sich ganz erfassen zu können, führt bei Augustinus zu einem Ruf zu Gott, der allwissend ist, von dem alles gekannt wird, was freilich keine Auflösung der eigenen Grenzen bedeutet. Deshalb hebt Jaspers hervor, daß Augustinus »zum erstenmal den Kampf des Willens mit sich selbst rückhaltlos gezeigt« (jGP 355) und zudem auf die Notwendigkeit des Willens, wollen zu müssen, hingewiesen hat. Damit zeige sich die >Schwäche< des Menschen und seine Entscheidungsnotwendigkeit. Die Endlichkeit des Menschen führt zu der Notwendigkeit, sich jederzeit entscheiden zu müssen (jGP 356): »In der Freiheit unseres Handelns ist die Grunderfahrung: Ich will, aber ich kann nicht mein Wollen wollen. Ich muß ursprünglich erfahren, woraus ich will, ich kann diesen Ursprung nicht hervorbringen, nicht das Michentschließenkönnen.« Obgleich Gott dem Menschen die Freiheit schenkt, kann sich der Mensch gegen Gott und gegen sich selbst entscheiden. Eine totale Sicherheit des guten Handelns kann es also nie geben. Jaspers betont mit Recht, daß alles, was der Mensch nach Augustinus tut, eine Antwort ist. Indem ich mich für etwas in einer begrenzten Situation entscheide, habe ich bereits auf etwas in einer oder anderer Weise reagiert. Eine solche Antwort ist in Augustins Auffassung immer eine Antwort auf die Wahrheit bzw. auf Gott. Deshalb findet man bei Augustinus - und Jaspers interpretiert ihn richtig so - keine dogmatischen Vorschriften für das Leben. Dagegen wird mittels psychologischer Einsichten und alltäglicher Darstellungen die Verfassung des Menschen in seinem intimen Bezug auf Gott erforscht. Diese Verfassung zeigt das Selbst in einem disparaten Zustand, der einerseits seine endliche und zeitliche Begrenztheit und andererseits die Transzendenz dieses Selbst zeigt. Solch eine Entwicklung hat Augustinus maßgeblich im zehnten Buch der Confessiones dargelegt, in dem das Moment der Freiheit hervorgehoben wird, das heißt, daß jeder seinen eigenen Entscheidungen unterworfen ist.
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3. Philosophie und Glaube: ein Problem der Methode? Obgleich die Selbsterfassung der menschlichen Existenz den zentralen Punkt Jaspers Interpretation Augustins ausmacht, behandelt Jaspers darüber hinaus andere wichtige Themen des Augustinischen Denkens wie die Zeitanalyse,28 die Bibelinterpretation, sowie die Lehre über die Dreieinigkeit. Zudem entwickelt Jaspers eine Charakterisierung der Biographie Augustins und bringt diese in Zusammenhang mit seiner Interpretation. Hier möchte ich zwei Aspekten nachgehen: der erwähnten Beziehung zwischen Philosophieren und kirchlichem Glauben und der von ]aspers entfalteten biographischen Auffassung Augustins. ]aspers behauptet lobend, daß Augustinus echte Einsichten gewinnt, solange er sich >im reinen Denken< bewegt (JGP 335): »Es gelingen ihm die tiefsinnigen Spekulationen in der konkreten Daseinserhellung.« Dennoch führe der Gottesbezug eine andere Färbung in das philosophische Denken ein, indem das Philosophieren »Erhellung der Existenz und Erdenken Gottes nicht aus der bloßen Selbstgewißheit sein [willl, sondern im Bewußtsein glaubender Interpretation der Bibel seine Wahrheit finden« (ebd.). Zu Recht betont Jaspers die Wichtigkeit der Bibelauslegung für das philosophische Denken Augustins und die Änderung, die das rein philosophische Denken bei diesem Vorgehen erfährt. Er interpretiert diese Bewegung jedoch einseitig. Jaspers denkt, daß das Zusammenspiel von Vernunft und biblischer Autorität in Augustins Werk aus einem freien Umgang mit den biblischen Inhalten entsteht (JGP 336): »Die unphilologischen und unhistorischen Interpretationsmethoden, die schon vor Augustin entwickelt waren, erlaubten es, fast jeden Glaubenssinn in Bibehexten wiederzufinden.« Einerseits übersieht Jaspers auf diese Weise, daß Augustinus die Grundlage der biblischen - und nicht nur biblischen - Hermeneutik in seiner Schrift De doctrina christiana vorgelegt hat - und er läßt das unbesprochen. 29 Außerdem meint er andererseits, daß dieses Vorgehen und der Offenbarungsglaube Augustins Denken nicht gänzlich beeinträchtigen, indem das Denken dem Raum der Vernunft angehöre. Freilich hatte Jaspers vorher hervorgehoben, bei Augustinus 28 JGP 332 ff. Leider sind Jaspers Anmerkungen zum elften Buch der Confessiones eher knapp und beschreibend als tiefergreifend. Er betont den Geheimnischarakter der Zeitanalyse, den Augustinus mit seinem fragenden Denken erreicht habe (» Die Zeit wird erst durch das fragende Erdenken, was sie sei, als Geheimnis ganz fühlbar«, 334). Auch wenn es bei der klassischen Zeitbetrachtung das Paradox der Zeit erforscht wird, leistet Augustinus viel mehr als nur den problematischen Charakter der Zeit anzuzeigen. Überraschend hat Jaspers hier die überwältigende Nähe zu seiner eigenen Philosophie außer Acht gelassen. Wenn Augustinus die Zeit in Verbindung mit dem Geist und den Geist in seiner Erfassbarkeit untersucht, dann legt er die Grundlage zu jeder späteren Philosophie, die das Selbst in seiner zeitlichen Verfassung untersucht. Vgl. zu diesem Thema Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Augustinus und die phänomenologische Frage nach der Zeit, Agustin Corti: Zeitproblematik. 29 Vgl. dazu Karla Pollmann: De doctrina christiana.
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finde man keine Unterwerfung der Vernunft unter den Glauben. Wie solche Urteile produktiv zu verstehen sind, bleibt rätselhaft. Wenn es um die Offenbarung geht, unterzieht Jaspers Augustins Vorgehen einer bitteren Kritik: »Es ist nicht die Grunderfahrung des Selbstseins als Sichgeschenktseins, sondern darüber hinaus noch einmal die Überwältigung dieses Selbstseins von außen, so daß es sich und dem, wodurch es sich geschenkt ist, nur dann vertraut, wenn die irdische Kirche die Bestätigung vollzieht.«30 Auch wenn im Werk Augustins Stellen gefunden werden können, die eine solche Interpretation stützen, vernachlässigt dabei Jaspers Augustins fortwährende Suche nach der Wahrheit. Eine solche Suche setzt den Glaube und seinen Bezug zur Kirche voraus, wird aber sehr . oft durch undogmatisches Hinterfragen untermauert. Man kann deshalb nicht die Autorität der Kirche als beherrschenden Grundzug Augustinischen Denkens geltend machen, ohne große Teile seines Werkes zu vernachlässigen. Man braucht hier nur die Confessiones als Beispiel zu nennen. In einer späteren Schrift von 1962, Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, wiederholt und vertieft Jaspers seine Meinung über den autoritativen ' Charakter der Kirche und nimmt er dort Augustinus als Paradebeispiel,31 Laut Jaspers begründet Augustinus die Autorität zunächst in der Unmöglichkeit einer Gewißheit über die Wahrheit. Dem Mensch gelinge es nicht, allein durch seine eigene Kraft die Wahrheit zu erreichen. Die Wahrheit sei ihm nur in Christus zugänglich. Christus kann aber nur im Glauben erreicht werden. In diesem Glauben werde erst die Autorität der Wahrheit offenbar. Da der Glaube aber von der Kirche verwaltet wird, werde Christus als absolute Wahrheit zu einer geschichtlich-bedingten Wahrheit herabgesetzt. 32 So wird Offenbarung »die durch die Kirche bestätigte Ereignisfolge der Handlungen Gottes in der Geschichte und der Verheißenen oder angedrohten Zukunft diesseits und jenseits«.33 Allein erleidet eine solche Annahme eine prinzipielle Folgewidrigkeit, indem sie eine allgemeingültige Erfahrung und Offenbarung vor einen in der Welt der Erscheinung eintretenden Gericht bringen
30
JGP 341. Jaspers fügt dort hinzu: »Die allgemein menschliche Grunderfahrung, bei wirk-
lichem Ernst des eigenen Tuns doch mich ergriffen zu wissen von dem, was nicht ich selber bin, daher mit meinem Tun im Dienste zu stehen, nimmt bei Augustin die bestimmte historische Gestalt des Dienstes in dieser Kirche an. « 31 Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, 77: »Augustinus hat den großartigen einfachen Satz geschrieben (Migne 8, 176): ego vero Evangelio non crederem, nisi me cathoticae Ecclesiae commoveret auctoritas. [ ... ) Das heißt: Das Christliche ist kirchlich. Was es vorkirch~ . lich und außerkirchlich ist, ist Deutung und Aneignung Einzelner unabhängig vom Anspruch . der allein wahren Auslegung durch die Kirche.« Das Zitat stammt aus c. ep. Man., 5. 32 Der philosophische Glaube, 76: »Die Autorität ist, so dürfen wir Augustin verstehen, durch Vernunft weder zu erreichen noch hervorzubringen, noch zu beurteilen. Sie ist eine einzige,· umgreifende.« VgI. dazu auch Leonard Ehrlich: Philosophy as Faith, 129 ff. 3J
Der philosophische Glaube, 79.
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will.J 4 Jaspers sieht in diesem Zug das Verlassen der ursprünglichen Geschichtlichkeit der Existenz zugunsten des Versuchs, eine allgemeingültige Lehre in der Welt der Erscheinung geltend zu machen, was allerdings prinzipiell unmöglich sei. Diese Erfassung des Glaubens trifft Augustins Bezug zum Philosophieren und ändert dieses Denken ursprünglich. 35 Diese Erklärung läßt aber unbesprochen, auf welche Weise Geschichtlichkeit positiv erhellt werden kann und vereinfacht offensichtlich Augustins Werk. Ein anderer wichtiger Punkt der Jasperssehen Interpretation besteht darin, daß er Augustinus zum Teil in seiner Persönlichkeit erfassen möchte. Jaspers hat dauernd Augustins Taten vor Augen und beurteilt sein Werk oftmals aus seiner Biographie. Dadurch bleiben jedoch beide Ebene unscharf getrennt. Einerseits gewinnt Jaspers das Bild von Augustins Persönlichkeit aus seinem Werk und andererseits beurteilt er dieses Werk aufgrund seiner Persönlichkeit. Wenn sich das Motiv, das Jaspers im Werk Augustins als solchem zu untermauern sucht, als Bekehrung zeigt, dann soll dieses Motiv aus dem Inhalt der überlieferten Werke verstanden werden. Daß die Bekehrung tatsächlich für eine Interpretation des Augustinus wichtig ist, kann nicht in anderen Quellen als in seinem Werk gefunden werden. Deshalb ist es nicht erlaubt, ein Bild Au~stins aus seinem Werk zu gewinnen, das später als Maß dieses Werkes dienen soll. Fraglich ist es also, ob Meinungen wie folgende einen Sinn machen (JGP 387): »Er ist ein chaotischer Mensch, darum begehrt er die absolute Autorität«; oder: »Ein Denken wie das Augustins ist nur nach diesem Jugendleben, nicht ohne ein solches, möglich und daher immer noch von diesem Leben als einem von ihm abgestoßenen bestimmt« (JGP 387). Das Jasperssehe AugustinusBild steht unter einer Wandlung, die es zeitbedingt in unterschiedlichen Gesichten erscheinen läßt. 36 Werden dennoch Augustins Kontraste und Widersprüche auf Epochen seines Lebens zurückgeführt, werden überhaupt keine Einsichten gewonnen. Denn das Werk soll als Grund des Lebens und das Leben zugleich als Grund des Werkes fungieren, was keinen produktiven Zirkel darstellt. 3? Die Bekehrung ist
34
JGP 396: »Durch die Größe seines Denkens haben wir in Augustin das eindrücklichste
Beispiel für diesen unumgänglichen Tatbestand: den ungeheuren Anspruch, daß der Mensch den Menschen über Gott belehren will, und daß er Zeugen der Offenbarung absolut setzt, die doch für menschliches Wissen ohne Ausnahme selber nur irrende Menschen waren.« 3S Ob Jaspers Darstellung von Augustins Denken in Bezug auf den Glaube zutreffend ist, kann hier nicht beurteilt werden. Man sollte jedoch unterschiedliche Epochen und Schriften des Augustinus philologisch trennen, damit erst ein philosophisch produktives Bild entstehen kann. Freilich hat Jaspers in seiner Kritik eine solche Aufgabe nicht unternommen. J6 JGP 374: »Die großen Sachlichen Fragen sind in ihrer Dialektik zugleich Momente seines persönlichen Lebens. Er scheint sich ins Äußerste zu wagen und ist doch fast gefahrlos gebunden in der nicht wankenden Grundgewissheit. Sein Denken bewegt sich in gewaltigen Widersprüchen.« 37 JGP 98: »Die Persönlichkeit ist im Werk, wenn das Werk Größe hat. «
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in dieser Weise zwar als zentrales Motiv Augustinischen Denkens erkannt worden, aber dank einer nicht scharf getrennten Durchführung zum Teil schematisch geblieben. Was Jaspers mit Augustins Interpretation zu erreichen versucht, gehört zum allgemeinen Ziel seines Werkes über die großen Gestalten der Philosophie, das heißt daß er »mit den Philosophen« philosophiert und daß er versucht, »die Gehalte und Wirklichkeiten den Leser philosophisch ansprechen und ihn erfahren zu lassen, was zu seinen Lebensnotwendigkeiten als denen eines vernünftigen Wesens gehört«.38 Das ist genau das, was Jaspers in seiner Analyse der Geschichtlichkeit in Zusammenhang zur Geschichtsphilosophie darstellte. Da seine theoretischen Vorgaben vielversprechend waren, enttäuscht die eher traditionelle Hermeneutik, der Jaspers das Augustinische Werk unterzieht. 39 Wenn ein Werk der Philosophiegeschichte, wie Jaspers in Philosophie methodisch zutreffend dargelegt hatte, zu uns sprechen soll, dann soll es Züge des Allgemeinen haben, die bedauerlicherweise selten in Jaspers Interpretation Augustins zu finden sind. Das Werk Augustins behält über jede einzelne Interpretation hinaus seine Bedeutung, was uns jedoch nicht daran hindert, von Jaspers etwas über das Werk Augustins lernen zu können. Daß dabei die ins Spiel gesetzte Beziehung zwischen Geschichtlichkeit und Geschichtsphilosophie produktiv an Augustins Werk gezeigt wurde, mag dennoch fraglich bleiben.
JGP 100 ff. Dazu fügt Jaspers hinzu, daß er mit dem Zitieren der Schriften frei vorgeht, weil »das Prüfen meiner Darstellung mehr als das Nachsehen von ein paar Stellen [erfordert), es erfordert die selbstständige Beschäftigung mit dem ganzen Werk eines Philosophen«. 39 In seiner Schrift Philosophische Autobiographie betont Jaspers wieder, den Sinn seiner Geschichte der Philosophie, 115: »Nicht Vollständigkeit des Materials, nicht Alleswissen, sondern die knappe Darstellung der Grundschemata der geschichtlichen Auffassung, ständig durch bedeutende Beispiele veranschaulicht; - den Sinn wecken für das geschichtliche Ganze, die Rangordnung und die Größe und für die wenigen einzig Großen; die Orientierung finden im Wesentlichen der Zeitalter, der Sachprobleme, der im Denken wirksamen Mächte.« 38
Die gefährdete Subjektivität Paul RicCEurs (1913-2005) Verhältnis zum Denken Augustins
von jakub Sirovatka »Man muß verstehen, um zu glauben, und man muß glauben, um zu verstehen.« Paul Ricreur: Symbolik des Bösen
Paul Ricreur hat stets strikt zwischen Philosophie und Theologie unterschieden, zwischen seinen philosophischen Schriften und seinen Schriften mit religiös-christlicher Thematik. Er wollte nicht als ein )christlicher Philosoph< verstanden werden, sondern als ein Philosoph, dem unter anderem auch der Glaube zu denken gibt.) Trotz dieser radikalen Trennung findet Ricreur einen Denker, den man sowohl als Theologen als auch als Philosophen lesen kann: den heiligen Augustinus, dem er unter den Vätern einen gewissen Vorrang einräumt. Ricreur selbst nimmt für sich in Anspruch, Augustinus von der Philosophie her zu lesen. 2 Der Einfluß des Augustinischen Denkens erstreckt sich auf das gesamte Werk von Ricreur, mal mehr mal weniger sichtbar und in unterschiedlicher Akzentuierung. Das Verhältnis Paul Ricreurs zum Denken Augustins soll aus einer Doppelperspektive beleuchtet und exemplarisch am Phänomen der Subjektivität gezeigt werden. Im ersten Teil meines Beitrags werden die expliziten Bezugnahmen Ricreurs auf das Werk Augustins vorgestellt, die sich verstreut in seinem gesamten CEuvre finden und verschiedene Themenfelder betreffen. Etwas näher wird auf die Problematik der )Erb-< bzw. )Ursünde< eingegangen. Der zweite Teil konzentriert sich auf die Sicht der Subjektivität. Es soll gezeigt werden, daß sowohl Ricreur als auch Augustinus implizit eine nicht unähnliche Charakteristik des Subjekts liefern, indem sie es vor allem in seiner Gefährdung vorstellen. Insbesondere die Problematik der Endlichkeit, des menschlichen Willens, des Bösen und der Sünde sollen zur Sprache kommen. Es sind vor allem die Confessiones, die sich für solch einen Vergleich eignen. Damit soll aber nicht behauptet werden, die beiden entwürfen eine identische Anthropologie. Allein die Tatsache, daß Ricreur methodisch (!) den Bezug zur Transzendenz aus Gründen der intellektuellen Redlichkeit von vorne herein in seiner 1 Eine ähnliche Position finden wir bei Emmanuel Levinas, der ebenfalls als ein Philosoph verstanden werden wollte, dem auch die Quellen des jüdischen Glaubens zu denken geben und nicht als ein jüdischer Philosoph. 1 Vgl. Paul Ricreur: La critique et La convietion. Entretiens avee Fran~ois Azouvi et Mare de Launay, 212: »Augustinus a toujours joui, a mes yeux, d'une sorte de preference. Cela n'exclut pas qu'il y a ait des echanges entre ces deux corpus de textes, au sens topologique meme, et qu'on puisse aussi bien mettre Augustin du cote philosophique [ .. . ].«
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Philosophie ausblendet (in seiner Intellektuellen Autobiographie spricht er über seine Philosophie als einer Philosophie >ohne ein AbsolutesBesinnungen auf das Wesen der Zeit< bezeichnet. 5 Paul Ricreur spricht wiederum von der >unbestrittenen Meisterschaft< Augustins im Zusammenhang mit der Zeitproblematik - und das trotz der zugestandenen >Genialität Husserls und Heideggerserzählten Zeit«>le temps racontedritte Zeit< verwendet Ricreur deshalb, weil sie eine Brücke darstellt, die den Abgrund zwi1.1
Eine intellektuelle Autobiographie, 78. Es bleibt zu betonen, daß der Ausschluß der Transzendenz aus methodischen Gründen geschieht. Praktisch war es jedoch für den gläubigen Protestanten Ricreur eine >schizophrene< Situation. • Viele Hinweise und Anregungen verdanke ich dem Buch von Isabelle Bochet: Augustin dans La pensee de PauL Ricreur. Es scheint bis heute die einzige Monographie zu sein, die sich explizit der Präsenz des augustinischen Denkens im Werk Paul Ricreurs widmet. Vgl. auch Isabelle Bochet: PauL Ricreur. Soggetto e negativita, 157 -185. S Vgl. Martin Heidegger: Des hl. Augustinus Betrachtung über die Zeit. Confessiones /ib. XL, 1. Eine Fotokopie des Vortrags, gehalten von Heidegger in Kloster Beuron am 26.10.193°. 6 Vgl. Paul Ricreur: Eine intellektuelle Autobiographie, 61. 1 Vgl. dazu Stefanie Haas: Aporetischer. als Augustinus zugeben würde: Paul Ricceurs Interpretation der Zeit-Abhandlung aus dem elften Buch der Confessiones, 43 - 58. • Vgl. Zeit und Erzählung 1,32. Durch die Tatsache, daß der Anlaß der Zeituntersuchung Augustins die Bestimmung der Beziehung zwischen der Zeit der Seele und der ewigen Gegenwart Gottes darstellt, läßt sich das XI. Buch nur gewaltsam von den letzten zwei Büchern der Confessiones abtrennen, die mit der Genesisauslegung beginnen. Vgl. dazu Paul Ricreur: Eine intellektuelle Autobiographie, 62. 3
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sehen der phänomenologischen und der kosmischen Zeit zu überbrücken im Stande ist. 9 Er ist überzeugt, daß die Zeit sich als eine menschliche Zeit nur in narrativer Art ereignet - und deshalb widmet er seine Untersuchung der Frage nach dem zeitlichen Charakter der menschlichen Erfahrung. lO Im Gang der Untersuchung durch mehrere historische Zeittheorien hindurch analysiert Ricreur neben der Theorie Augustins die von Aristoteles, Kant, Husserl und Heidegger. Augustinus wird - als eine inhaltliche Klammer, die die drei Bände des Werkes zusammenhält - zweimal mit Aristoteles konfrontiert: im ersten Kapitel des ersten Bandes L'intrigue et le recit historique (dt. Zeit und historische Erzählung) wird die Augustinische Zeitauffassung anhand des elften Buches der Confessiones vor allem unter dem Aspekt der Aporie der Zeiterfahrung untersucht. Im zweiten Kapitel wird dem die Poetik des Aristoteles gegenüber gestellt, in der Ricreur einen Gegenentwurf zu Augustinus zu finden glaubt: im dichterischen Akt wird der Triumph der >harmonischen Übereinstimmung< (concordance) über die >disharmonische Nichtübereinstimmung< (discordance) des Lebens mit sich selbst gefeiert. ll Augustinus stöhnt dagegen unter der existentiellen Last der distentio animi, aus der Erstreckung des Geistes wird eine Zerstreckung, 12 die den Geist zu zerreißen droht. In Augustins Zeituntersuchung unterstreicht Ricreur insbesondere die Aporien, in die hinein die Augustinischen Analysen geraten. Diese Aporien dürfen jedoch nicht negativ aufgefaßt werden, sie gelten vielmehr als Zeichen eines tiefen Nachdenkens, das neue Fragen aufwirft und so das Denken auf eine neue Spurensuche bringt. Auch wenn Ricreur sieht, daß die Zeituntersuchung Augustins in den großen Rahmen des Verhältnisses ZeitEwigkeit gesetzt ist, betrachtet er die Dialektik von intentio und distentio als den zentralen Kern der Analysen. Distentio, die auf der Passivität des Eindrucks in der Seele basiert, und intentio, in der sich die Aktivität des Geistes ausdrückt, weisen aufeinander hin und sind aufeinander angewiesen. In einer Parallele zum ersten Band gestaltet Ricreur im ersten Kapitel des dritten Bandes von Zeit und Erzählung die zweite Konfrontation zwischen Augustinus und Aristoteles direkter als eine Gegenüberstellung von zwei unterschiedlichen Zeittheorien: der psychologisch-phänomenologischen und der kosmischen, als einem >temps de l'ame< und >ternps du mondedie der Repräsentation des VergangenenTradition der Innerlichkeit< vorgestellt und zwar im Rahmen der Frage nach dem Gedächtnis-Subjekt, das heißt in der Frage, ob das Gedächtnis als individuell oder als kollektiv aufzufassen ist. Diese Traditionslinie des individuellen Gedächtnisses, das sich laut Ricreur insbesondere auf die Alltagserfahrung und Alltagssprache stützt, macht sich für den streng privaten Charakter des Gedächtnisses stark. Die größte Leistung Augustins ist nach Ricreur die Verbindung der Analyse des Gedächtnisses mit der der Zeit (in Confessiones 10 und 11).28 Augustinus habe »die Innerlichkeit auf der Grundlage der christlichen Bekehrungserfahrung erfunden«.29 Ricreur stellt die Augustinische Memoria-Analyse vor und stellt fest, daß es keine Phänomenologie des Gedächtnisses ohne die schmerzhafte Suche nach der Innerlichkeit geben könne. Neben der Problematik des Gedächtnisses ist das Phänomen des Erzählens nicht zu vergessen, das bei beiden Autoren virulent ist. Schließlich darf auch darauf hingewiesen werden, daß sich Ricreur sehr intensiv mit dem Bekennen (v. a. Symbolik des Bösen) auseinandergesetzt hat. Indem er beteuert, er versuche zu denken, was wir bekennen und verkünden,30 eignet er sich eine Augustinische Geisteshaltung an. Im Hinblick auf Augustinus beschäftigt sich Ricreur mit den Phänomenen des Bekennens allerdings rein analytisch-theoretisch. Im Gegensatz dazu konnte Augustinus die theoretische und die praktische Seite des Bekennens in ein großes literarisches Werk verschmelzen, indem er die Bekenntnisse seines Lebens als etwas niederschreibt, >was zu denken gibtdie Sünde als Selbstentfremdung< sei »eine erstaunliche, bestürzende, anstößige Erfahrung: sohin ist sie die reichste Quelle des fragenden Denkens«.31 Es erstaunt eigentlich, daß Riereur bei seinen allgemeinen Analysen zum Sünden bekenntnis nicht auf die Confessiones zurückgegriffen hat, obwohl es sich nahe legen würde. 32
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Pau} Ricceur: Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, 17.
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Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, 153. Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, 15 2 • Erbsünde, 143. Symbolik des Bösen, 14.
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Ricceur wußte von der Mehrdeutigkeit des Begriffs des Bekennens (confiteri) bei Augustinus, wie eine Stelle aus der Symbolik des Bösen, 354 belegt. 32
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Die gefährdete Subjektivität und die Fehlbarkeit
Auch wenn Ricceur seine Anthropologie nicht in direkter Beziehung zu Augustinus entwickelt, ist sie meiner Meinung nach von einigen Augustinischen Motiven durchzogen, die Ricceur allerdings oft umdeutet und selbstständig entwickelt. Es sind vor allem die Frage nach dem Bösen, die Problematik des freien Willens und die Thematik des unruhigen Herzens, des cor inquietum. Ricceur entwirft eine }Anthropologie der Disproportionthymospenser, agir, sentin 48 gefunden zu haben. Spekulativ ist das Problem des Bösen nicht zu lösen. Wir müssen laut Ricreur nicht so sehr nach einer Lösung suchen, sondern eine Antwort finden, wie wir mit dem brennenden Problem des Bösen umzugehen haben. Sich also fragen, was wir gegen das Böse tun können und wie wir emotional auch eine Situation aushalten könnten, in der sich angesichts des erfahrenen Bösen unsere Unwissenheit und Ohnmacht zeigt. Es ist letztlich die Frage nach einer Hoffnung >trotz allemselbstverschuldeten Sklaverei< befindet. Das Böse kann laut Ricreur nicht allein von der Freiheit her verstanden werden, sondern es müssen die vielen Einschränkungen berücksichtigt werden, denen die Freiheit unterliegt (Moment der Passivität in der Aktivität). Das Böse wird zwar von der menschlichen Freiheit gesetzt, findet sich aber bereits vom Bösen affiziert. Ricreur macht hier eine ursprüngliche Affektion durch das Böse innerhalb der Freiheit selber aus, und zwar in den Leidenschaften. Es ist Ehni zuzustimmen, wenn er schreibt, daß »der Wille, der sich seinen Leidenschaften oder seiner Leidenschaft unterworfen hat, nicht mehr Herr seiner selbst [ist] (und) [; er] hat sich sehenden Auges in die selbstverschuldete Sklaverei des Willens begeben. Hier findet man die grundlegende Paradoxie des Bösen nach Ricceur in einer ersten Form: die Freiheit bindet sich selbst an ein Nichts, der selbstverschuldete Verlust der Freiheit wird vollzogen. Darin besteht der Zustand des >servum arbitriumSymbol< im Sinne Ricceurs und
Martin Luther verfaßte bekannterweise die polemische Schrift De servo arbitrio. Obwohl Luther die Schrift Augustins De libero arbitrio wahrscheinlich nicht kannte (in der AugustinusAusgabe, die Luther verwandte, war De libero arbitrio nicht enthalten), wählt er für seine Schrift eine Augustinische Wendung aus Contra lulianum. Vgl. dazu Winfried Lesowsky: Einleitung, XVI. De servo arbitrio erschien im Zusammenhang des Streites zwischen Luther und Erasmus von Rotterdam und war eine Antwort auf das Buch von Erasmus De libero arbitrio 81aTp1ß~ sive col/atio, das sich gegen die Luthersche Auffassung über den freien Willen richtete. Zu diesem Streit vgl. Karl Zickendraht: Der Streit zwischen Erasmus und Luther über die Willensfreiheit. 52 Vgl. Hans-Jörg Ehni: Das moralisch Böse, 180. 51
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dem )Zeichen< (signum) im Sinne Augustins; die Charakterisierung der Leidenschaften im Projekt der Philosophie de la volonte und ihre Beziehung zu den drei Konkupiszenzen (Confessiones 10,41: »concupiscentia camis et concupiscentia oculorum et ambitione saeculi«) bei Augustinus;53 die Anwendung der Figur der )narrativen Identitätmade< as an event, then the truth must fall on me - not be produced by me, but fall on me, or visit me.« 35 Zirkumjession, 200; vgl. conf 5,17. 36 Tohn D. Caputo: Shedding tears beyond being, 97: »Where do his prayer arrive? Nusquam nisi ad te, he can say with Augustine, but with this difference, that Derrida does not know who this 'you< (te, toi) iso To or with God, whom he loves, he can also say with Augustine.« 37
Zirkumjession, 177 f.
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jedes Mal zu empfangen weiß, du bist das Geschick meines Gebetes, du weißt alles vor mir, du bist der unbewußte Gott (meines Unbewußten), wir (ver)-fehlen einander gleichsam nie.«38 Auch wenn sich das Gebet an den unbekannten Gott richtet,39 macht die Richtung deutlich, daß das Gebet nicht als bloßer Laut verhallt, sondern von dem angenommen wird, an den es gerichtet ist, auch wenn von diesem Gott wenig mehr bekannt zu sein scheint, als daß er Gebete annimmt. 40 Diese Überlegungen zu dem Text Circonfession müssen genügen. In ihnen liegt - wie vorhin ausgeführt - der klassische Akt von Rezeption des einen Autors durch einen anderen vor und ich habe zu verdeutlichen versucht, in welcher Weise Derrida Augustinus aufnimmt, indem er ihn z. T. gegen den Strich liest, wodurch allerdings dieser manchmal leicht zu übersehende Strich wieder neu und etwas verschoben zutage tritt. Wie angedeutet will ich in einem weiteren Punkt die Rolle eines starken Rezipienten einnehmen und Werke aus der ersten Schaffensphase Derridas mit Texten von Augustinus vergleichen. Dabei ist es mir wichtig zu betonen, daß diese Herangehensweise nicht willkürlich ist, sondern sich durch die analogen Positionen von Derrida und Augustinus rechtfertigen läßt, weil beide in ihrer je eigenen Weise Wert auf die Möglichkeit der starken Rezipienten-Rolle legen. Das gilt es zu belegen.
3. Rezeption aus der Sicht des lesers - Parallellektüre Augustinus und Derrida scheinen sich an einem Punkt zu entsprechen, der nicht ganz leicht zu ermitteln, aber für den Interpretationsprozeß ungemein wichtig ist. Sowohl Augustinus als auch Derrida relativieren die Wichtigkeit der Rolle des Autors, um die Beziehung zwischen Text und Leser bzw. Text und Interpret zu verstärken. Und so lautet die zweite wichtige These dieses Aufsatzes: Augustinus und Derrida denken ein starkes Rezeptions-Subjekt, dem eine starke Bindung zwischen
Zirkumjession, 271 f. fohn D. Caputo: Shedding tears beyond being, verwahrt sich gegen eine IdentifiZierung des unbewußten mit dem unbekannten Gott (98 f.): »Being a Iittle lost, his >Circumfession< is Iike a posteard gone astray, beset by desinterrance, sent off only to arrive heaven knows where, addressed to the >seeretpresence< of an Absolute Referent - or addressor, address, and addressee. But this >presence< is affirmed only paradoxically, aporetically, in a virtually hypothetical and indeed confessional, circumfessional mode, whose specific temporal mode - but also experience, trial, experiment - should give us pause.« (71 f.) 38 39
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Text und Interpret entspricht, so daß die Rolle des Autors im Wahrheits- und Interpretationsprozeß unwichtig zu werden scheint. Für Augustinus will ich diese These mit ein paar Hinweisen auf De utilitate credendi, De doctrina christiana und die Confessiones belegen, für Derrida beziehe ich mich auf die Schriften aus dem Jahre 1967, also auf Die Stimme und das Phänomen, Grammatologie und Die Schrift und
die Differenz. 3-l Augustinus. Um die These zu erhärten, daß Augustinus die Bindung zwischen
Leser bzw. Interpret und Text erhöht und gleichzeitig die Autoren-Intention schwächt, will ich auf acht Punkte hinweisen. 1. Augustinus schreibt De doctrina christiana, um Auslegungsregeln für die Hl. Schrift denjenigen zu vermitteln, »die sich dem Bibelstudium widmen«.41 Bereits in diesem ersten Satz seiner Schrift über die christliche Bildung spricht sich der Kirchenvater somit für eine starke Rezipienten-Rolle aus: der Leser der Hl. Schrift soll mit Hilfe von Auslegungsregeln dazu in die Lage versetzt werden, selber die Hl. Schrift zu lesen und nicht nur durch die Lektüre anderer Autoren Erkenntnisfort schritte zu machen. Augustinus setzt auf das Erkenntnisvermögen des Einzelnen, nicht auf überkommenes Wissen. 2. Gleichzeitig macht Augustinus im Prolog darauf aufmerksam, daß Gott Menschen zwar inspiriert, niemandem aber unvermittelt von sich kund gibt, so daß auch der Inspirierte, wenn schon nicht auf Auslegungsregeln, so doch zumindest darauf angewiesen ist, daß ihm seine Muttersprache und das Lesen von anderen Menschen beigebracht wurde. Ohne Vermittlung und Lernprozeß kann sich niemand der Kunde Gottes nähern. Diese zwei Aspekte bilden im Prinzip den Kern der These, daß Augustinus von einem starken Rezipienten-Subjekt ausgeht: Er plädiert für die Eigen-Lektüre der Hl. Schrift, ohne daß sich jemand dazu versteigen sollte, etwas von Gott zu wissen, also für Augustinus: eine wahre Aussage machen zu können, die sich nicht auf Vermitteltes bezieht. Somit hat der Rezeptionsvorgang zwei Seiten: Es muß ein Subjekt geben, das etwas rezipiert, und das Subjekt muß sich beim Rezipieren klar machen, daß es nichts rezipieren könnte, wenn es nicht durch andere dazu in die Lage versetzte worden wäre. 3. Augustinus betont eindringlich, daß es dem Menschen nicht angemessen wäre, wenn Gott sein Wort jedem Menschen unvermittelt, d. h. ohne die Vermittlung durch andere Menschen zukommen ließe. 42 Gott könnte dies zwar, aber diese Art der Wahrheitserkenntnis wäre dem Menschen nicht angemessen. Hier findet sich eines der starken Argumente für die Notwendigkeit von Tradition und von Vermittlungsinstanzen. Denn Augustinus hält denjenigen, die sich rühmen, direkt von Gott inspiriert zu sein, vor, daß sie selber ihre Erkenntnisse weitergeben und ihre An4' 42
Augustinus: Die christliche Bildung, 7. Augustinus: Die christliche Bildung, 11.
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hen auf menschlicher Konvention. Dabei legt Derrida Wert darauf, daß aus der Nicht-Erkennbarkeit des Dinges an sich,55 der eigentlichen Wirklichkeit hinter der von uns wahrzunehmenden und wahrgenommenen Schein-Wirklichkeit, nicht auf Sinnlosigkeit geschlossen werden darf. S6 Zwar muß alles gedeutet werden, aber es kann auch alles gedeutet werden, wobei diese Deutung vom Subjekt verantwortet wird. Derrida insistiert gegenüber einer in seinen Augen überholten Substanzontologie alt-europäischer Metaphysiktradition darauf, daß der vom InterpretationsSubjekt hergestellte Sinn zusammenhang selber ein Zeichen ist und somit in der Diktion von Derrida Sinn immer nur zeichenhaft gedacht wirdY Trotz dieser >bloßen< Zeichenhaftigkeit des erschlossenen und konstruierten Sinnes denkt Derrida einen überzeichenhaften Sinn, der allerdings mit Hilfe der menschlichen Sprache nicht ausgedrückt werden kann, weil diese eben arbiträr ist. Dieser überzeichenhafte Sinn deutet sich für Derrida in einer Spur an, die im Vorgang des Sich-selbst-Verwischens in der Sprache einen Abdruck von sich hinterläßt. 2. Um Derridas Gedanken der Spur, bzw. der Bewegung der differance zu charakterisieren, ist es meiner Meinung nach am besten, auf seinen frühen Aufsatz Die Stimme und das Phänomen zu verweisen. Nach der dort vorgelegten Husserl-Analyse gibt es keinen idealen, überzeitlichen Sinn. 58 Sinn muß jeweils neu vom Subjekt hergestellt werden und wird nicht aus der Transzendenz zeitneutral abgerufen. Und weil das geschichtliche Subjekt den nur in der Zeit zu denkenden Sinn 59 jeweils neu herstellen muß - zu erinnern ist an Derridas Faszination für das Augustinische Herstellen der Wahrheit -, ist dieser Sinn gegenüber seinem ersten Auftauchen auch immer etwas verschoben und anders. Wer nun gewahr wird, daß er zum wiederholten Mal einen Gedankengang vollzogen hat, der weiß auch, daß er diesen Gedanken schon einmal hatte; und dieses Wissen um die Wiederholung bezeichnet unfehlbar die Verschiebung oder kleinstmögliche Andersartigkeit des Gedankens gegenüber bezeichnen nur elementare phonetische Signifikanten, die nur in einer in bestimmter Weise geregelten Zusammenfassung Sinn ergeben.« 55 Grammatologie, 86: »Das Ding selbst ist ein Zeichen.« Georg W. Bertram: Hermeneutik und Dekonstruktion, lOBf.: »Was Saussure als Signifikat bezeichnet und als eigenständige Größe gegenüber den Signifikanten profilieren will, funktioniert letztlich genauso wie ein Signifikant.« 56 Zum Vorwurf der Sinnlosigkeit: z. B. Bernhard Waiden fels: Phänomenologie in Frankreich, 543: »Mit dem Schwinden eines vorgeordneten >transzendentalen Signifikanten< bleibt nur ein Bedeutungsspiel ohne Zentrum, Ursprung und Ziel.« Vgl. Manfred Frank: Was ist Neostrukturalismus? (1983), 549 f. Vgl. ders.: Was ist Neostrukturalismus?, 370. 57 Grammatologie, 87: »Es gibt also nur Zeichen, wofern es Sinn gibt. We think only in signs. Das aber bedeutet, den Zeichnbegriff in dem Augenblick zugrunde zu richten, wo - wie bei Nietzsche - sein Absolutheitsanspruch anerkannt wird.« 58 Vgl. Grammatologie, 116. 59 Jacques Derrida: Die Stimme und das Phänomen, 112: »Der Sinn ist, schon bevor er ausgedrückt wird. durch und durch zeitlich.«
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dem ersten Mal. Somit denkt das Subjekt und erkennt, daß es denkt, und diese Erkenntnis des Denkens ist eine Unterbrechung des eigentlich Gedachten, so daß sich Sinn-Erkenntnis in der Unterbrechung einstellt. Für Derrida bedeutet diese Unterbrechung die Geburt des Subjekts. 60 Im Sinne Derridas müßte man wohl formulieren, daß das Subjekt vor seiner Sprache entspringt und nicht erst im Sprachakt bzw. im aktiven Erkennen, Deuten und Benennen der Welt zu sich selber kommt. Das Subjekt kommt von vor der Sprache her und spürt in der Sprache und im Deuten seinem eigenen Ursprung nach, ohne ihn sprachlich fassen zu können. 3. In letzter Konsequenz ergibt sich aus diesen zwei Aspekten der Gedanke, daß Sinn sich dem Subjekt nicht ergibt, wenn es gewaltsam auf die Wirklichkeit zugreift und diese in sein selbst-gemachtes Koordinaten- und Denksystem, in seine rein arbiträr gemachte Sprache zwingt. Sinn zeigt sich für Derrida nur im Entzug an, in der Unmöglichkeit, diesen Sinn zu greifen und zur Sprache zu bringen. 61 Von diesem Gedanken her erscheint es sehr geboten, den am Anfang eingeführten Begriff des starken Rezipienten, der sich im beliebigen Zugriff auf sei~e Bibliothek Sinn erschließt und Deutung von Wirklichkeit ermöglicht, noch einmal zu differenzieren: Sowohl Augustinus als auch Derrida denken das Rezeptions-Subjekt nicht willkürlich absolutistisch, sondern betonen, daß Sinn einerseits vom Subjekt im Rezeptionsvorgang in eigener Verantwortung gewonnen werden muß. Andererseits wissen beide nur zu gut, daß Sinn nicht einfach hergestellt wird, sondern sich geradezu gnadenhaft einstellt und eben nicht herbeigezwungen werden kann. 62 Eine Erkenntnis drängt sich auf, ohne daß sich das Subjekt ihrer entziehen könnte. Aber diese Erkenntnis steht dem Subjekt nicht zur Verfügung, sondern ist im gleichen Augenblick auch schon wieder entzogen. So wäre es wohl am angemessensten bei Derrida und bei Augustinus von einem stark-schwachen Rezeptions-Subjekt auszugehen.
60 Die Stimme und das Phänomen, 112: »Diese Bewegung der differance überfällt nicht unvermutet ein transzendentales Subjekt. Sie bringt es hervor.« Vgl. Manfred Frank: Was ist Neostrukturalismus? (1983), 330 f.; vgI. JoachimValentin: Atheismus in der Spur Gottes, 55-59. 6' Grammatologie, 114: »In Wirklichkeit ist die Spur der absolute Ursprung des Sinns im allgemeinen; was aber bedeutet, um es noch einmal zu betonen, daß es einen absoluten Ursprung des Sinns im allgemeinen nicht gibt. Die Spur ist die Differenz*, in welcher das Erscheinen und die Bedeutung ihren Anfang nehmen.« 62 Jacques Derrida: Composing ,CircumfessionPeritus Peritus< Ratzinger war nicht zuletzt dank seiner Promotionsarbeit aufs beste darauf vorbereitet. Auf sie müssen wir in gebotener Kürze eingehen.
2.
Augustins Lehre von der Kirche
»Es gehört schon einiger Mut dazu, ein in der Vergangenheit so viel erörtertes Thema, wie es der Kirchenbegriff des heiligen Augustinus nun einmal ist, erneut aufzugreifen und über bloße Wiederholungen hinaus neue Gesichtspunkte und Ergebnisse anzustreben. J. Ratzinger unternimmt das Wagnis, indem er vom Hausund Volk-Gottes-Begriff ausgeht und von hier in das Herz des augustinischen Kirchenverständnisses vorstößt«. Mit diesen Sätzen begann Fritz Hofmann, Verfasser der im Jahr 1933 von Karl Adam angeregten und in Tübingen zur Promotion vorgelegten Studie, Der Kirch en begriffdes heiligen Augustinus, der zugleich der Rang einer Habilitationsschrift zuerkannt wurde, seine Rezension. 2 Was Hofmann an Ratzinger rühmt, ist die Einbeziehung des durch die Priesterweihe und die Betrauung mit einem kirchlichen Amt um das Jahr 391 bedingten Paradigmenwechsels in der Ekklesiologie Augustins, in der nicht mehr die Hinführung des Menschen zu einer inneren Gottesverehrung, sondern die Hinwendung zu Gott mittels des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe deren konstitutive Ele2 Theologische Revue 54, 1958, 122 -125. An weiteren Rezensionen seien genannt: Münchener Theologische Zeitschrift 5, 1954, 220 f. (W E. Gößmann); Scholastik 30, 1955, 284 f. (Röttges); Irenikon 30, 1957, 115 f. (D. E. N.); Angelicum 32, 1957, 404 f.; Studium 51, 1955, 53 f. (M. Pellegrino).
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mente bilden. Nun zeigt Ratzinger zugleich, daß schon in der voraugustinisch-afrikanischen Theologie ekklesiologische Reflexionen einen breiten Raum einnahmen, etwa die kirchenbildende Bedeutung der Eucharistie bei Tertullian,3 die Benennung der Gemeinde als )Leib Christi< bei Cyprian (Volk und Haus, 87-102) und die Betonung der Einheit der mit Rom verbundenen Gesamtkirehe bei Optatus von Mileve (ebd. 102 - 123). Darauf habe Augustinus seine eigene Ekklesiologie aufbauen können. Er tat dies sozusagen in einer doppelten Frontstellung: in der Kontroverse mit den schismatischen Donatisten (ebd. 127 - 184) und in der Auseinandersetzung mit den das Christentum bekämpfenden Heiden (ebd. 185 - 322). Bei der Kontroverse mit den Donatisten ging es Augustinus um den Nachweis der von diesen bestrittenen Integrität der katholischen Kirche. Seine Kernthese lautete: Die wahre Kirche ist katholisch, weil sie die Kirche nicht nur der Bewohner Afrikas, sondern die Kirche aller Völker ist (ebd. 131). Im Anschluß an die Deutung des Abrahamsamens (Gal3.16), in dem die Völker auf Christus hin gesegnet werden sollten (laut Gen 22,18), erblickte Augustinus im verheißenen Abrahamvolk die Kirche als »das eine Volk aus Abrahams Samen« (ebd. 134). Hinzu kommt als weiterer wichtiger Aspekt der Ekklesiologie Augustins die Rolle und die Bedeutung der >CaritasChristi Leibcivitascivitas deiBürgerschaft Gotteswahre Opfer< im Anschluß an den Römerbrief (12,1) zugleich einen )vernünftigen Gottesdienstcivitas dei< kennzeichnet und zugleich auszeichnet, ist dieser ihr >vernünftiger GottesdienstLeib Christi< zusammen mit ihrem Haupt, dem >verherrlichten ChristusMittler zwischen Gott und den Menschen,s war er opfernder Priester und Opfer zugleich. »Das ist das Opfer der Christen«, resümiert Augustinus, »>die Vielen ein Der Kirchenbegriff des heiligen Augustinus, 505. Ein im Anschluß an 1 Tim 2,5 von Augustinus gern und häufig benützter christologischer Titel. 4
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Leib in ChristusAußerhalb der Kirche kein Heil< seiner Ansicht nach auch für das alttestamentliche Gottesvolk. Um diesen Satz auch biblisch zu legitimieren, griff der Bischof auf die in der Kirche bereits entwickelte Lehre von der Übereinstimmung beider Testamente, der >congruentia testamentorumcivitas terrenawahre OpferHaus Gottes< fest, theologisch belangvoll sei für Augustinus nicht der Raum, sondern »die im Raum versammelte Gemeinde«. Deshalb führe auch die Betrachtung des Gotteshauses »sofort zu einer Theologie des lebendigen Volkes Gottes, der ecclesia sive congregatio, die sich in diesem Haus andeutet« (Volk und Haus, 322). Der >VolkGottes-Gedankenkreis< ruhe »auf der vorchristlichen Wirklichkeit des alttestamentlichen Gottesvolkes und auf der außerchristlichen Wirklichkeit des heidnischen Götterstaates«. Demgegenüber ruhe der >corpus-Christi-Gedanke< »auf der christlichen Wirklichkeit der opfernden Kirche« (ebd. 325). Das eigentlich Heilschaffende an der Kirche sei die Caritas. Äußerlich stelle die Kirche sich im Sakrament des Herrenleibes dar, ihrer inneren Wirklichkeit nach aber bestehe sie in der Gemeinschaft des Christusgeistes. 8
Vgl. Cornelius Mayer: Congruentia testamentorum. civ. 17,16: »cuius civitatis impiae portio sunt et Israelitae«. 8 Ratzinger konnte die 1951 erschienene Studie von Wilhelm Kamlah Christentum und Geschichtlichkeit, die sich weithin ebenfalls mit Augustins De civitate dei beschäftigt, nicht mehr berücksichtigen. Er setzte sich damit auf dem Augustinus-Kongreß 1954 in Paris gründlich auseinander. Die ,civitas deimundus intellegibilis< genannten himmlischen Jerusalem an, sofern sie jedoch in ihrer Pilgerschaft noch auf dieses ihr Ziel hin unterwegs sind, befinden sie sich in der raum-zeitlichen Welt des >mundus sensibilisconfessio< (1957); Die
Kirche in der Frömmigkeit des heiligen Augustinus (1961); Der Weg der religiösen Erkenntnis nach dem heiligen Augustinus (1970); Augustins Auseinandersetzung mit der politischen Theologie Roms (1971);9 Der Heilige Geist als communio. Zum Verhältnis von Pneumatologie und Spiritualität bei Augustinus (1974); Popolo e casa di Dio in Sant'Agostino (1978). Drei weitere Arbeiten behandeln ebenfalls Kernthemen Augustinischen Denkens: Licht und Erleuchtung. Erwägungen zu Stellung und Entwicklung des Themas in der abendländischen Geistesgeschichte (1960); Menschheit und Staaten bau in der Sicht der frühen Kirche (1961); Die Bedeutung der Väter für die gegenwärtige Theologie (1968). Verweilen wir beim letzten Titel: Ratzinger wirft darin die Fragen auf: »Warum die Väter? Genügt nicht die Schrift?« Er beantwortet sie zunächst mit dem Hinweis .... auf ein falsch verstandenes >Aggiornamento< von Papst Johannes XXIII., die Kirche solle der Gegenwart mehr Rechnung tragen, und er illustriert diese seine Kritik an mehreren Strömungen der nachkonziliaren Theologie, allem voran an der Bibel" exegese. Während die Konzilien von Trient bis zum Vaticanum II in bezug auf da. Auslegen und Verstehen biblischer Texte an einem von den Vätern als normativ gehaltenen >sensus ecclesiaeSinn der KircheWort< und die Theologie der Väter mit deren >Antwort< auf dieses Wort (Die Bedeutung des Väter, 275): »Das Wort bleibt das Erste, die Antwort das Zweite«. Die Reihenfolge sei nicht umkehrbar, sie lasse aber auch keine Trennung zu. Ja dies sei überhaupt das entscheidende Verdienst der Vätertheologie, daß das >Wort< >Antwort< gefunden habe und zusammen mit der >Antwort< auf diese Weise Tradition geworden ist. Gewiß transzendiert das >Wort< der Schrift nach Ratzinger alle Antworten, aber die Antworten bezeugen das Wort. Ratzinger beruft sich erneut auf Augustinus, der bei seiner allegorischen Auslegung des Psalmverses 103,11: »Alle Tiere des Waldes trinken, die Wildesel stillen ihren Durst« das den Durst stillende Wasser mit der Hl. Schrift verglich, die im Bilde alle, Kleine und Große, Gelehrte und Ungelehrte, jeden nach seinem Durst tränkte. Ratzinger zieht daraus den Schluß: Das Wort dürfe in keinem Stadium seiner Geschichte mumifiziert werden. Aber zugleich gelte, »daß wir es nicht an jener Antwort vorbei lesen und hören dürfen, die es zuerst empfangen hat und die für sein Bestehen konstitutiv wurde« (ebd. 276). Die Bedeutung der Väter für die christliche Theologie aller Zeiten zeigt sich nach dem genannten Aufsatz an vier geschichtlichen Konkretisierungen, an denen Augustinus federführend mitwirkte. Er nennt als erstes die Kanonbildung. Was ist Hl. Schrift, und welche Schriften gehören dazu nicht? Die Konstituierung des Kanons und die Konstituierung der frühen Kirche waren ein und derselbe Prozeß, der »einen Vorgang geistiger Scheidung und Entscheidung« zur Voraussetzung gehabt hat (ebd. 277). Der Prozeß der Kanonbildung, dies bleibe nicht unerwähnt, wurde unter dem Einfluß Augustins auf dem afrikanischen Plenarkonzil zu Hippo (393) und dem Konzil von Karthago (419) definitiv zum Abschluß gebrachtY Um Unrichtigkeiten in der Schriftauslegung wirksam begegnen zu können, schufen die Väter eine Auslegungsnorm, die sie KUVroV tiiC; mO'ttxOc;, >regula fideiGlaubensregelLeib ChristiSeid, was ihr seht, und empfangt, was ihr seid!< Gibt es ekklesiologisch Tiefsinnigeres? Als vierte der den christlichen Glauben konkretisierenden Bedeutungen der Vätertheologie führt Ratzinger deren Sorge um die rationale Durchdringung der offenbarten Glaubenswahrheiten an. Die Kirchenväter waren insgesamt auch phi~ losophisch gebildete Persönlichkeiten - allen voran wieder Augustinus. Ihm lag nichts ferner als das vom Häretiker Tertullian formulierte Bekenntnis: >Credo quia absurdum< (>Ich glaube, weil es widersinnig istEcclesiaVersammlungcivitas< vom Evangelium her nicht zukommen. Ratzinger beschließt seine Kritik mit den bedenkenswerten Sätzen: »Liest man aber gründlich die Werke des Heiligen, dann leuchtet die Größe seiner Gestalt wieder neu auf. Und ich denke, daß eine politische Philosophie und eine wahre Ekklesiologie, ein Glaube an den einen Gott, der der Gott aller ist, die Suche nach einer wahren Universalität des Glaubens, der sich in allen Kulturen ausdrückt und sich nie mit einer einzigen von ihnen identifizieren darf, auch heute noch viel aus dem Dialog mit dem heiligen Augustinus lernen können.«21
V gl. Cornelius Mayer: Allegoria. 20 Aufschlußreich dazu Lorenzo Cappelletti; Maria Pia Comunale (Hgg.): Il potere e la grazia. Attualita di Sant'Agostino. Dazu 30Giorni neUa Chiesa e nel mondo - 30 Tage in Kirche und Welt 16, 1998, Nr. 10, dort der Bericht: Die Vorstellung des Buches von 30Tage über die Aktualität des heiligen Augustinus mit Kardinal Joseph Ratzinger, 26 - 38. 2\ Die Vorstellung des Buches von 30Tage, 31 . 19
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4. Augustinus als Lehr- und Lebensmeister Joseph Ratzinger hat sich Augustinus seit seiner Studienzeit nicht nur auf der Ebene der Theologie als Wissenschaft angenähert, in seiner Spiritualität ist er im Grunde genommen ebenfalls weithin dem Kirchenvater verpflichtet - er weiß dies: in seinen Memoiren bekannte er sich gleich mehrfach dazu. Für sein bischöfliches Wappen wählte er das Symbol einer Muschel unter anderem deshalb, weil sie ihn auch an eine Legende über Augustinus erinnerte. Diese erzählt, daß der über das Geheimnis der Trinität am Strande von Hippo meditierende Bischof ein Kind sah, das mit einer Muschel das Wasser des Meeres in eine kleine Grube schöpfte. Auf seine Erkundigung, was es denn da mache, erhielt er die Antwort: So wenig diese Grube die Wasser des Meeres fassen kann, so wenig vermag dein Verstand Gottes Wesen zu begreifen. Wörtlich heißt es dann (Aus meinem Leben. Erinnerungen, 179): »SO ist die Muschel Hinweis für mich auf meinen großen Meister Augustinus, Hinweis auf meine theologische Arbeit und Hinweis auf die Größe des Geheimnisses, das weiter reicht als all unsere Wissenschaft.« Das bischöfliche Wappen Ratzingers schmückt auch ein Bär. Es erinnere ihn, schreibt er in seinen Erinnerungen, an eine Meditation Augustins zum Vers 23 im Psalm 72 (73): »Wie ein Lasttier bin ich vor dir. Dennoch bin ich stets bei dir.« Der Kirchenvater erblickte darin ein Bild seiner selbst unter der Last seines bischöflichen Amtes. Dazu notierte der schon in der Glaubenskongregation in Rom seines Amtes waltende Kardinal (ebd. 180 f.): »Er (Augustinus) hatte das Leben eines Gelehrten gewählt und war von Gott zum Zugtier bestimmt worden - zum braven Ochsen, der den Karren Gottes in dieser Welt zieht. Wie oft hat er aufbegehrt gegen all den Kleinkram, der ihm auf diese Weise auferlegt war und ihn an der großen geistigen Arbeit hinderte, die er als seine tiefste Berufung wußte. Aber da hilft ihm der Psalm aus der Bitterkeit heraus: Ja, freilich, ein Zugtier bin ich geworden, ein Packesel, ein Ochs - aber gerade so bin ich bei dir, diene dir, hast du mich in der Hand. Wie eben das Zugtier dem Bauern am nächsten ist und ihm seine Arbeit tut, so ist er gerade in solchem demütigen Dienst ganz nahe bei Gott, ganz in seiner Hand, ganz Werkzeug - nicht näher könnte er bei seinem Herrn sein, nicht wichtiger für ihn. [ ... 1Inzwischen habe ich mein Gepäck nach Rom getragen und wandere seit langem damit in den Straßen der Ewigen Stadt. Wann ich entlassen werde, weiß ich nicht, aber ich weiß, daß auch mir gilt: Dein Packesel bin ich geworden, und so, gerade so bin ich bei dir.« Nicht weniger enthusiastisch äußerte sich Kardinal Ratzinger bei der Vorstellung eines 1998 in Rom erschienenen Sammelbandes, Die Macht und die Gnade. Die Aktualität des heiligen Augustinus, bei der von Giulio Andreotti herausgegebenen Zeitschrift 30 Tage in Kirche und Welt. 22 Andreotti begrüßte den Gast mit den Wor12
V gl. Die Die Vorstellung des Buches von 30Tage.
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CORNELIUS PETRUS MAYER OSA
ten: »Ich glaube jedenfalls, daß es uns allen gut tut, wenn wir uns eine Weile mit Augustinus befassen. Eminenz, ich spreche Ihnen noch einmal aus ganzem Herzen meinen Dank aus, daß Sie sich bereit erklärt haben, diese unsere Veröffentlichung vorzustellen «. Der Kardinal leitete seine glänzende Rede mit der Entschuldigung ein, er sei wegen seiner zahlreichen Verpflichtungen »für eine wirkliche Buchvorstellung nicht genügend vorbereitet«. Dann aber fuhr er begeistert und begeisternd fort: »Trotzdem wollte ich die Einladung annehmen, weil ich den heiligen Augustinus sehr verehre und bewundere. Zudem freue ich mich sehr, daß ein Nachrichtenmagazin wie 30 Tage einem großen Publikum diese Gestalt in einem Dialog mit unserer Zeit monatelang vorgestellt hat. Dieser Dialog macht die Tiefe und Aktualität seines Denkens deutlich, und die Tatsache, daß der heilige Augustinus in der heutigen Zeit unseren Fragen unterzogen wird, ist für mich ein Grund zur Freude. [ ... ] Als ich vor fünfzig Jahren begann, mich mit Augustinus zu befassen, erkannte ich ihn praktisch sofort als meinen Zeitgenossen, als eine Persönlichkeit, die nicht von einem Kontext sprach, der sich von dem unseren völlig unterscheidet, sondern, da sie in einem recht ähnlichen Kontext lebte, auf die Probleme, die auch unsere Probleme sind, wenn auch auf ihre Weise, eine Antwort gab«.23 Weil unsere Probleme, was unser Verhältnis zum Evangelium betrifft, immer auch noch dieselben sind, deshalb hört Joseph Ratzinger als Benedikt XVI. nicht auf, in seinem eigenen Denken uns das Denken Augustins zu empfehlen. In den schon erwähnten Retractationes berichtet der Kirchenvater, etwa um das Jahr 421 habe ein Laie Namens Laurentius ihn um ein Handbuch gebeten, in dem das Wesentliche der Gottesverehrung und der wahren Weisheit dargestellt sei. »Das Buch beginnt: >Mein lieber Sohn Laurentius! Ich kann nicht sagen, wie sehr ich mich über deine Gelehrsamkeit freue«< (retr. 2,63). Augustinus gab diesem Handbuch den Titel: De fide, spe et caritate - Glaube, Hoffnung und Liebe. Es dürfte ein pastorales Anliegen von augustinischem Rang sein, wenn Benedikt XVI. in seinen bisher erschienenen beiden Enzykliken uns das Wesen des Christentums über die Liebe und über die Hoffnung zu erschließen versucht. Insider vermuten, die nächste Enzyklika werde den Glauben zum Thema haben.
23
Die Vorstellung des Buches von 30Tage. 29.
Siglenverzeichnis
I
bearbeitet von Theresia Maier
1.
Siglen der Werke Augustins
Die Siglen der Werke Augustins folgen denjenigen des CAG (Corpus Augustinianum Gissense aC. Mayer editum (CD-ROM). Würzburg '2003). Aufgrund der besseren Lesbarkeit wurde ,u< in ,v( abgeändert. wo es dem deutschen 'v< entspricht.
Acad. beata v. c. ep. Man. civ.
eonf. div. qu. doctr. ehr. en. Ps. eneh. ep.
Gn. litt. Gn. adv. Man. gr. et /ib. arb. Ja. ev. tr. e. Jul. /ib. arb. mend. nato et gr. peee. mer. persev. praed. sanct. retr. s. Simpl. sol. spir. et litt. trin. vera rel. uti/. credo
De Academicis libri tres De beata vita liber unus Contra epistulam Manichaei quam vocant fundament i liber unus De civitate dei libri viginti duo Confessionum libri tredecim De diversis quaestionibus octoginta tribus liber unus De doctrina christiana libri quattuor Enarrationes in Psalmos De fide spe et caritate liber unus Epistulae De Genesi ad litteram libri duodecim De Genesi adversus Manicheos libri duo De gratia et libero arbitrio liber unus In Iohannis evangelium tractatus CXXIV Contra Iulianum libri sex De libero arbitrio libri tres De mendacio liber unus De natura et gratia liber unus De peccatorum meritis et remissione et de baptismo parvulorum ad Marcellinum libri tres De dono perseverantiae liber ad Prosperum et Hilarium secundus De praedestinatione sanctorum liber ad Prosperum et Hilarium primus Retractationum libri duo Sermones Ad Simplicianum libri duo Soliloquiorum libri duo De spiritu et littera ad Marcellinum liber unus De trinitate libri quindecim De vera religione liber unus De utilitate credendi liber unus
322 2.
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ANHANG
Weitere Siglen
a) Zeitschriften, Serien, Quellenwerke A
>Akademie-AusgabeErbsünde< - Eine Bedeutungsstudie. In: Hermeneutik und Psychoanalyse. Der Kontlikt der Interpretationen 11. München: KÖSe!1974, 140-161. - : Hermeneutik der Symbole und philosophische Reflexion (I). In: Hermeneutik und Psychoanalyse. Der Konflikt der Interpretationen II. München: Köse11974, 162-195. -: Temps et recit. I. :Lintrigue et le redt historique, II. La configuration dans le redt de fiction, III. Le temps raconte. Paris: Ed. du Seuil1983-1985 (Edition de poche). - : Zeit und Erzählung. I. Zeit und historische Erzählung, II. Zeit und literarische Erzählung. III. Die erzählte Zeit. München: Fink 1988-1991. - : Lectures II. La contree des philosophes. Paris: Seuil1992. -: La critique et la conviction. Entretiens avec Franyois Azouvi et Mare de Launay. Paris: Calmann-Levy 1995. - : L'attribuation de la memoire a soi-meme, aux proches et aux autres: un scheme pour la theologie philosophique? In: Archivio di filosofia 69, 2001, 21-29. -: Fehlbarkeit des Menschen. Phänomenologie der Schuld I. Freiburg u. a.: Kar! Alber '2002. - : Symbolik des Bösen 11. Phänomenologie der Schuld 11. Freiburg u. a.: Kar! Alber '2002. - : Le mal. Un defi a la philosophie et a la theologie. Geneve: Ed. Labor et fides '2004.
QUELLEN' UND LITERATURVERZEICHNIS
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