NORBERT FISCHER (HG.)
Augustinus Spuren und Spiegelungen seines Denkens Band 1
Meiner
I Von den Anfängen bis zur Refo...
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NORBERT FISCHER (HG.)
Augustinus Spuren und Spiegelungen seines Denkens Band 1
Meiner
I Von den Anfängen bis zur Reformation
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Bibliothek
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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichn et diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibli ographische Daten sind im Internet über lhttp://dnb.d -nb.dc) abrufbar. ISBN 978 -3-7873 - 1922-0 (Band I) ISBN 978 -3-7873- 1923-7 (Band 2) ISBN 978 -3-7873 -1929-9 (Bände I u. 2)
CD Felix Meiner Verlag Hamburg 2009. Alle Rechte vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfaltigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfah-
ren wie Speicherung und ü bertragung auf Papier. Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien. soweit es nicht §§ S3 und S4 URG ausdrücklich gestat ten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Hubert&Co., Göttingen. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI -Norm resp. DIN-ISO 9706 , hergestellt aus 100% ch lorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.
Inhalt
Vorwort z um ersten Ba nd . . .. .. .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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NO RB ERT F ISC H ER DIVERSI DIV E RSA PATRES SED Hl e OMNIA DIXIT
Ei nleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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RA I N ER WA RLA N D
Das älteste Bildnis des hl. Augustinus?
Zum Wandmalereifragment eines spätan tiken Autors im Lateran
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KARLA P OL LM ANN
Von der Aporie zum Code
Aspekte der Rezeption von .De Genesi ad LitteramjnteJl ectu s fideicredere< (42) 1 2.2 Systematische Hinweise (43) 13. Ausgewählte Motive des Verhältnisses von Vernunft und Glau be bei Ansolm und Augustinus (48) 13.1 Zum Vernunft· und Glaubensbegriff (48) 13.2 Zur Begrenztheit der menschlichen Vernunft (53) 13.3 Zur )metaphysischen Naturanlage< des Menschen (55) I 3.4 Vom Verstehen des Glaubens zum Ein*Sehen seines Gegen* standes (58) I 4. Zur Möglichkeit eines Gottesbeweises aus der Reflexion über >fides( und >ratioalles< gesagt. wie der Text meint. Daß er im Vollzug und im Bedenken seines Lebens um Grundfragen gerungen und viel zu ihnen gesagt hat. war ihm selbst gut bekannt. sonst hätte er mit den Retractationes, in denen er seine Werke einer Selbstrezension unterzog, nicht diese singuläre Literaturgattung eröffnet. Und so spricht das Distichon nicht gerade zaghaft von der Bedeutung des abgebildeten Autors. Augustinus hat viel und viel Beachtetes gesagt. das über viele Jahrhunderte bis auf den heutigen Tag gelesen und aufgenommen wird. Um zur Deutlichkeit dieser unbestrittenen Tatsache beizutragen. sind hier Beträge gesammelt und herausgegeben. deren größten Teil die Autoren zunächst im Rahmen eines Symposions in der Akademie des Bistums Mainz vorgetragen haben (vom 18. - 20. Januar 2008). Zur Abrundung der Thematik sind nachträglich einige zusätzliche Beiträge erbeten worden. Angesichts der immensen Wirkungsgeschichte Augustins enthalten die beiden Bände. die aus dem Symposion erwuchsen. nur Ausschnitte eines Spektrums. auch wenn es das Ziel des Herausgebers war. Darstellungen wesentlicher Spuren der Augustinus-Rezeption bei Autoren zu erbitten. die ihrerseits wirksam waren und weiter beachtenswert sind. Der vorliegende erste Band bietet Beiträge zur Wirksamkeit Augustins von deren Beginn bis zur Reformation. ein zweiter Band behandelt sie vom Beginn der Neuzeit bis in die Gegenwart. Das Werk Augustins hat bis auf den heutigen Tag zunehmend sein Potential erwiesen. originäres Denken zu initiieren und zu befruchten. Verfehlt sind die Versuche. diesem Autor entweder das Verdienst für die unterschiedlichen (förderlichen) Ergebnisse dieser Anverwandlungen zuzusprechen oder ihn für die (schädlichen) Wirkungen als Schuldigen haftbar zu machen. Rezipienten sind mitverantwortlich für das. was sie rezipieren. Zwar mag das Corpus Augustinianum für das Mittelalter zunächst als Bildungsgut gewirkt haben. Ein Lehrer des Abendlandes wurde Augustinus aber vermutlich erst durch die Echtheit und die Ruhelosigkeit seiner Suche. die auch seine Leser zu originärem Denken antrieb. das diese jedoch selbst zu vertreten haben.
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VORWORT
Das seit 1989 unter der Herausgeberschaft und Leitung von Cornelius Mayer erscheinende Augustinus-Lexikon blendet die Wirkungsgeschichte Augustins aus, bietet aber fortschreitend ein Fundament, von dem aus auch die Wirkungsgeschichte gründlicher untersucht werden kann. Diese Wirkungsgeschichte möglichst breit zu dokumentieren und zu erfassen, ist die Aufgabe eines internationalen Projekts, das Karla Pollmann unter dem Titel The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine (430 -2000) leitet und betreibt. In diesem Kontext mögen die vorgelegten Beiträge förderliche Hinweise, aber auch zu diskutierende Auslegungen enthalten. Herzlich danke ich allen Mitarbeitern, die Beiträge zur vorliegenden Publikation geliefert haben, in der die riesige Wirkungsgeschichte Augustins wenigstens facettenhaft präsentiert werden soll. Neben der Darstellung bekannter Stationen der Augustinus-Rezeption gibt es Bezugnahmen, die auch ausgewiesenen Kennern kaum bekannt sind. Die Begegnung mit Spuren und Spiegelungen von Augustins Denken mögen heute von besonderem Interesse für das geistige Leben des Abendlandes sein, das sich erneut in einer kritischen Phase befindet, so wie es in seiner Geschichte schon oft schweren Bedrohungen ausgesetzt war. In dieser Situation stellt sich die Aufgabe der besonnenen Wiederaneignung einer Grundquelle der abendländischen Tradition, die derzeit wieder in der Gefahr steht, zu versiegen oder durch gewollten Traditionsbruch verschüttet zu werden. Karl Rahner hat einmal notiert (unveröffentlichter Text im Karl-Rahner-Archiv, München, Signatur: KRA IV A 102 (1926): Psychologisches beim Hf. Augustin): »Es gab wohl noch nie einen größeren Abschnitt in der Geistesgeschichte des Abendlandes seit den Tagen Augustinus, in der dieser große Denker unmodern gewesen wäre und nicht unmittelbar oder mittelbar in Philosophie und Theologie irgendwie das Denken befruchtete.« Die vorgelegten Beispiele aus der überreichen Wirkungsgeschichte Augustins sind im Blick auf ihren Gehalt, ihre Methode und ihre leitenden Intentionen unterschiedlich. Der Herausgeber hatte nicht die Absicht, diese Unterschiede gleichzuschalten und einen Monismus der Methoden (und noch weniger der Intentionen) zu befördern, zumal die Unterschiedlichkeit der Perspektiven die Vielfalt zu beachtender Züge im Werk Augustins vergegenwärtigt, die über die jahrhunderte hin durch die unterschiedlichen Zugangsweisen sehr unterschiedlicher Leser Augustins (und Rezipienten Augustinischen Gedankenguts) entfaltet wurden und hervorgetreten sind. Dazu paßt Augustins These, die er im Blick auf die Schriftinterpretation vorgetragen hat und die schon für die Heiligen Schriften eine Fülle höchst wahrer Auslegungsmöglichkeiten behauptet (conf 12,35: »tanta copia verissimarum sententiarum. quae de illis verbis erui possunt«).
Mein herzlicher Dank gilt den Mitarbeitern am Lehrstuhl für Philosophische Grundfragen der Theologie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, meinem Assistenten Dr. Jakub Sirovatka und meiner Sekretärin Anita Wittmann, für
p VORWORT
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die Hilfe bei der Planung und Durchführung des Projekts und danach bei der Druckvorbereitung. der Diplom-Tbeologin Tberesia Maier rur die sorgfaltige Durchsicht des Textes und für die Endfassung des Anhangs. den wissenschaftlichen Hilfskräften. die an den Korrekturen und der Erstellung des Literaturverzeichnisses beteiligt waren. zunächst cand. phi!. Oliver Motz. sodann cand. theo!. Sarah Hairbucher und cand. theo!. Stefanie Teich. Oliver Motz hat zudem das vom Herausgeber in Rom digital fotografierte Fresko für die Drucklegung bearbeitet. Für die Erlaubnis. dieses Fresko zu fotografieren und zu publizieren. sei dem Rektor der Pontificia Universitas Lateranense. dem Hochwürdigsten Herrn Erzbischof Rino Fisichella. herzlich gedankt. Im vorliegenden ersten Band wird das Fresko in einer von Oliver Motz (in Absprache mit Rainer Warland) behutsam digital restaurierten Form präsentiert (S. XII). um einen möglichst treffenden Eindruck des Zustandes zu vermitteln. den es um das Jahr 600 hatte. Den Mitarbeitern des Würzburger Zentrums für Augustinus-Forschung. seinem Leiter. Professor Dr. Cornelius Mayer OSA. PD Dr. Christof Müller. Dr. Andreas E. Grote und besonders dem Diplom-Tbeologen Guntram Förster danke ich für manche bereitwillig gegebene Hilfe. Das von Cornelius Mayer herausgegebene Corpus Augustinianum Gissense erwies sich in seiner zweiten Auflage wiederum als unverzichtbare Grundlage der Arbeiten. Texte Augustins und deren Siglen sind diesem Werk entnommen. Meinem Assistenten Dr. phi!. Jakub Sirovatka danke ich für zahlreiche Gespräche und rur einige wichtige Hinweise zur Sache. Für die oft erprobte Zusammenarbeit bei der Ausrichtung des Symposions gilt der Dank des Herausgebers dem Direktor der Akademie des Bistums Mainz. Professor Dr. Peter Reifenberg. Zu danken ist auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Unterstützung dieses Symposions. Schließlich sei dem Meiner Verlag rur die inzwischen bewährte Zusammenarbeit herzlich gedankt. Eichstätt I Wiesbaden. im Januar 2009
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Norbert Fischer
Wandmalerei unterhalb der Kapelle Sancta Sanctorum beim Lateran (Foto von Norber! Fischer. digitale Restaurierung von Oliver Motz)
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DIVERSI DIVERSA PATRES SED HIC OMNIA DIXIT Einleitung des Herausgebers
»[ ... ] de divinis scribentem legentes proficiunt. sed ego arbitror plus ex eo proficere potuisse. qui eum et loquentem in ecclesia praesentem audire et videre potuerunt« (Possidius: Vita Augustini 31,9: )Gewinn hat, wer liest, was er zum Göttlichen schreibt. Mehr Gewinn aber hatte. wer ihn, wenn er in der Gemeinde sprach.
unmittelbar hören und sehen konntec).
Augustins literarisches Werk wurde seit seiner Entstehung in der Kultur des Abendlandes - von Anfang an und über die vielen Jahrhunderte bis in die Gegenwart - wie wenige andere beachtet. Augustinus hat unterschiedlichste Leser zu eigenem Denken, zur Reflexion des Lebens und zur Ausarbeitung eigener Werke angeregt, vor allem auf den Gebieten der Philosophie und der Theologie, die in den vorgelegten Bänden zu seiner Wirkungsgeschichte exemplarisch zur Sprache kommen, aber auch auf den Gebieten der schönen Künste, die hier unbeachtet bleiben.' Ihn als ,divus Augustinus< gleichsam zu vergöttlichen, der Kritik zu entheben und die Signatur seiner Werke mit Weihrauch zu vernebeln, besteht - wie bei Menschen überhaupt - kein Anlaß. Blinde Verehrung, zu der Menschen neigen, um ihrer eigenen Existenz samt deren Problemen zu entrinnen, faJ.It mit Recht dem Vergessen anheim und hat besonnenen Lesern nichts zu sagen. Ebenso ephemer - und in ihrer naseweisen Angestrengtheit lächerlich - sind Versuche, einen Autor wie Augustinus zu diskreditieren und Leser vor ihm zu warnen, obwohl er bis zu seinem Ende um die zu bedenkende Sache gerungen und seinen Lesern Stoff zum Denken gegeben hat. Die vorgelegten Beiträge sollen hingegen zeigen, wie sich Leser, die an menschlichen Grundfragen orientiert waren, auf Texte Augustins einließen und ihnen Beachtung schenkten. Beispiele für falsche Verehrung oder irreführende Angriffe sind in den beiden Bänden, die Augustinus als richtungsweisenden Lehrer des Abendlandes vorstellen, nur beiläufig erwähnt. Ein anderer Lehrer des Abendlandes, den schon Augustinus als maßgebend anerkannt hat, war Platon, der Interpreten schriftlicher Texte aufgeI
Hier sei - unter Nichtbeachtung anderer Arbeiten - nur auf zwei Texte verwiesen; zuerst
auf Johannes Schaber OSS: Spuren des Kirchenvaters Augustinus in der Musik des 20. /ahrhun· derts (zwei Teile). Knappe ausgewählte Hinweise zu den Erwähnungen der Confessiones in der deutschsprachigen schöngeistigen Literatur sind angeführt und kurz kommentiert von Norbert Fischer: Einleitung (TusculwnJ, 787-794. Vgl. dort auch die einleitenden hermeneutischen überlegungen, bes. 781-787.
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NORBERT FISCHER
fordert hat, sie soUten aus >eigener Ken ntnis der Wahrhei t< imstande sein, >das
Geschriebene als minderwertig zu erweisen< (Phaidros 278c: a&bc; ii tO UA.'1SeS [... ] wahren Leben< gelangt zu sein. den er zuvor auf seinen Irrwegen mit eigener Kraft ges ucht hatte;' doch beharrt er bei seiner Absicht. auch verstehen zu wollen. was er gehört und gläubig angenommen hat. Sein Leitspruch lautet folglich (conf 1l.3): »audiam et intelligarn«. Zudem betont er. daß ihm der Glaube nicht ohne kritische Vorüberlegungen zugeflogen war. Seinen Weg. den er in den Confessiones beschreibt. konnte er nämlich nur gehen. nachdem ihn das Beispiel Christi als eines sterblichen. aber heiligen Menschen überze ugt hatte. Gottes Wort (die Weisung der Gerechtigkeit und Liebe) hatte er zwar gehört. es habe ihn aber wenig beeindruckt. solange er es nicht als gelebte Botschaft glauben konnte (conf 10.6): »et hoc mihi verbum tuum parum erat si loquendo praeeiperet. nisi et faciendo praeire!.« Die Botschaft der reinen Liebe konnte ihn erst im Vertrauen darauf überzeugen. daß sie zu leben und kein Wortgeklingel war. 1 An sich mag es kein Fehler sein, Thesen gelegentlich hartnäckig zu verteidigen; Augustins WiI1e zum Sieg (z. B. vera rel. 85: ,.i nvicti esse volumus el recte.c ) zeichnet sich aber auch durch sehr befremdliche Seilen aus (z. B. in den Auseinandersetzung mit Julian). Zum Siegeswillen Augustins vg!. Norbert Fischer: Einleitung (SwL). XV. • Bloß hypothetische Imperative wie die Goldene Regel (vgl. lib. arb. 1,6) weist er als unzulänglich zurück und sucht wei ler nach einem unbedingt gebietenden Imperativ (vgl. lib. arb, J,15): ,.ut omnia sint ordinatissima.« S Vgl. die Skizzierung seines Wegs der Suche im zehnten Buch der Confessiones, der ihn auf den Weg nach innen fUhrte, dann aber zu einer >Inversion der Aktivität Con· !ess;ones( 1-6 .
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Daß Augustinus später von manchen Lesern nur noch als >Lehrer der Gnade. betrachtet wurde, ist als eine schädliche Verengung des Blicks aufTeile seines späten Werkes zurückzuweisen.' Obwohl die großen mittelalterlichen Denker, wie auch der vorliegende Band zeigt, nicht dazu neigten, den Kirchenvater explizit der Kritik auszusetzen, entsprachen sie, indem sie sich nicht auf Pfade fuhren ließen, die sie für verfehlt hielten, auf höhere Weise seinen Intentionen. Der erste Band zur Wirkungsgeschichte Augustins enthält Untersuchungen ab deren Beginn und reicht bis zum Übergang zur Neuzeit (nämlich den AugustinusDeutungen, wie Martin Luther und Cornelius Jansen sie entfaltet haben) und endet mit deren Nachklang auf katholischer Seite. Im ersten Abschnitt der Wirkungsgeschichte fungierte das Corpus Augustinianum auch als ein bedeutsames Vehikel eines Grundbestands antik-christlicher Bildung, besonders vermittelst der von Augustinischem Gedankengut geprägten Sentenzen des Petrus Lombardus (10951 1100 -1160) , die den Eindruck erwecken konnten, Augustinus >habe alles gesagt., und deren Kommentierung bis zum Ende des Mittelalters zum Standard theologischer Universitäts-Laufbahnen gehörte (als eine Art Habilitationsschrift) und schon dadurch das geistige Milieu stark einfarbte.' Ablehnende Bemerkungen zu Augustinus, der im Bereich der westlichen Kirche als überragende Autorität und als Garant für ein einvernehmliches Verhältnis zur Philosophie galt, waren in einer Zeit, in der die arabische Aristoteles-Kornmentierung eine für die Kirche äußerst schwierige Situation he raufbeschworen hatte, wenigstens nicht opportun' Gleichwohl folgten die Leser Augustins nicht blind den Vorgaben, sondern gingen - besonders deutlich sichtbar z. B. bei Petrus Abaelardus
Zur Integration der späten Exzesse in ein Gesamtbild vgl. Norbert Fischer: Augustins Philosophie der Endlichkeit. Zur systematischen Entfaltung seines Denkens aus der Geschichte der Chorismos-Problematik, bes. 268-295: Der praktische Weg zum höchsten Gut und die Dialektik von Freiheit und Gnade; weiterhin: Freiheit und Grwde. Augusti'IS Weg zur Annahme der Freiheit des Willens als Vorspiel und bleibende Voraussetzung seiner Gnadenlehre; und: Zur Gnadenlehre in Augustins Confessiones. Philosophische überlegungen zu ihrer Problematik. 1 Vgl. Se"tentiae in IV Ubris distinctae; dieses Werk ist in zwei Redaktionen von 1150 bis 1158 entstanden; vgl. dazu Otto BaItzer: Die Sentenzen des Petrus Lombardus. Ihre Quellen und ihre dogmengeschichtliche Bedeutung; Friedricb Stegmüller: Repertorium commentarionlm in Sententias Petri Lombardi (2 Bände); außerdem Marcia CoHsh: Peter Lombard (2 Bände). Zur Bedeutung Augustins im späteren Mittelalter vgl. auch Meredith J. Gill: Augustine in Ille Italian Renaissance. Art and Philosophy from Petrarch 10 Michelangelo. 8 Papst Gregor LX. beklagte im Brief vom 19.3.1227 an die Pariser Theologen das Eindringen des Aristoteli smus; er fUrchtete. daß dessen Verfechter die von den Vätern gesetzten Grenzsteine (ltpositos a Patribus termi nos«) mißachteten und zur >philosophischen Lehre von den natürli chen Dingen( übergingen (_ad doctrinam philosophicam naturalium «; er meint die Philosophie des Aristoteles. deren Auslegung in der Art der arabischen Aristoteles-lnterpreten der kirchlichen Theologie gefahrlich zu werden drohte). die er nicht nur fUr >leichtfertig. sondern für gottlosehielt (der Brieffindet sich in DH 824); vgl. dazu Narbert Fischer: Einleitung des Heraus6
EINLEITUNG
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und Thomas von Aquin - mit eigenem. zum Teil mit ausgesprochen selbständigem Urteil an die überlieferten Thesen Augustins heran. allerdings ohne den Versuch zu machen. die Spannungen und Widersprüche im Werk Augustins zu thematisieren oder gar Lösungsmodelle für sie zu entwickeln. In voller Schärfe traten die Probleme zutage. nachdem zu Beginn der Neuzeit - auch unter Berufung auf Augustinus eine Gnadenlehre entfaltet worden war. die für die Freiheit der Willensentscheidung keinen Platz mehr ließ und so in einen klaren Widerspruch zu der im Werk Augustins (äußerlich betrachtet) unklaren Thesenlage trat.' Die Darstellungen zur Augustinus-Rezeption in den über tausend Jahren nach seinem Tod enden mit einem Beitrag. in dem sich die katholische Seite wieder an diesen Autor herantastete. Karla Pollmann nennt .eruditio< als Maßgabe. unter der Augustinus zunächst rezipiert wurde. Eine Grundlage der frühen Augustinus-Rezeption war - neben den Retractationes - die Biographie des Possidius (t nach 437). der fast vierzig Jahre mit Augustinus zusammengelebt hatte. Der Beitrag verfolgt Stationen der frühen Augustinus-Rezeption exemplarisch an De Genesi ad litterom. Erwähnt werden Salvian von Marseille (etwa 400 bis 480) und die Rezeption von De Genesi in Dichtungen (Claudius Marius Victorius. Dracontius. Avit). Ausführlicher wird EUgippius (t nach 530) dargestellt. der in Augustins Werken die orthodoxen Positionen des christlichen Glaubens sehe. Obwohl für Cassiodor (etwa 485 - 580) die erstmals bei ihm greifbare Apostrophierung Augustins als >paten signifikant sei. gebrauche er De Genesi ad litteram als >Steinbruchpri -
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gebers; in ders. (Hg): Karlt und der Katholizismus. StatiOtlen einer wechselhaften Geschichte,
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Mit der Tradition der Vater ist die überragende Bedeutung Augustins geme int, wie sie in den Sentenzen des Petrus Lombardus hervortritt. 9 Luther war ja kein Augustinus-Forscher und schrieb De servo arbitrio, ohne Augustins De libero arbitria zu nennen (wohl auf Grund seiner Fixierung auf das gleichnamige Werk des Erasmus von Rotterdam); Luther den kt wohl im Rahmen der Polemik, in der Augustinus JuHan von Aeclanum zu diskreditieren trachtet, indem er diesem die These des )servum arbitrium( unterstellt, weil wah re Freiheit nur durch Gnade möglich sei (c. lul. 2,23): »hjc enim vultis hominem perfid, atque utinam dei dono, et non libero, vel potius servo propriae voluntati s arbitrio«. 10 Wilhelm Geerlings (Hg.): Possidius. Vita Augustini, '4.
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mordiales causae< von Augustinus übernommen, gehe aber über Augustinus hinaus. Den Schluß bildet Remigius von Auxerre (t 908), der häufig aus De Genesi ad lit-
teram zitiert habe. Kada Pollmann belegt die bald hervortretende Autorität Augustins, die aber nicht zu sklavischer Gefolgschaft geführt habe. Christian Göbel untersucht in seinem Beitrag zur Augustinus-Rezeption des Anselm von Canterbury das Verhältnis von Glaube und Vernunft, von Theologie und Philosophie. Dieses Verhältnis wird nicht auf einer formalen Meta-Ebene oder in propädeutisch-vorthematischen Voraussetzungen diskutiert, sondern als das theologisch-philosophische Denken selbst charakterisiert. Der Beitrag durch mißt das vielschichtige Beziehungsfeld von Glaube und Vernunft mit Bezug auf zwei seiner bedeutendsten Anreger, auf Augusti nus und seine Wirkung auf seinen großen >Schüler< in der Scholastik, Anselm von Canterbury. Im Ausgang von Augustinischen und Anselmischen Motiven der Enzyklika Fides et Ratio von Papst Johannes Paul II. (1998) wi rd das Verhältnis von Glaube und Vernunft bei Anselm mit Blick auf die Hauptwerke Monologion, Proslogion und Cur Deus Homo beleuchtet. Im letzten Kapitel fragt der Autor, wie die zentralen Überlegungen zur Rolle der Vernunft in Glaubensfragen zu einem eigenen Entwurf im Kernbereich der philosophischen Gotteslehre führen, nämlich als Ve rnunftweg zu Gott oder >Gottesbeweiskosmologischen< Rekonstruktio n vorgetragen wird, da auch das »aIethologische Argument« prinzipiell auf dem kosmologischen Grundgedanken gründe. Lenka Karfikova versteh t Abaelard als originalen und kühnen Autor, der zwar nicht alle Lösungen, aber doch die Fragen Augustins akzeptiert habe, auf die Abaelard eigene Antworten sucht. Konkret geht es um die trinitarische Theologie, die Soteriologie, die Gnadenlehre und die Ethik. Die christliche Existe nz wird im Sinne Augustins als Freiheit ausgelegt, in der Gebote nicht aus Furcht, sondern aus Liebe erfüllt werden. Letztlich werde sie aber nicht als sittliche Möglichkeit des Menschen verstanden, sondern als Gnade Gottes, der allein dem Menschen Gefallen am sittlich Richtigen schenken könne. So komme es in der späten Gnadenlehre Augustins zu einer (höchst problematischen) Relativierung jeder menschlichen Moral überhaupt. Ohne Hilfe der göttlichen Gnade sei eine gute Tat nach dem späten Augustinus in Gottes Augen wertlos, sofern sie eben nicht durch die Liebe motiviert ist, die nur Gott selbst schenken könne. Wo Augustinus eine solche extreme Gnadentheologie ausführe, beschränke sich Abaelard auf ihre rein ethische Anwendung, in der die Gnadenlehre als der ursprüngliche Kontext beiseite gelassen wird. Andreas E.J. Grote beginnt mit der Geschichte der Exegese zur Arche Noah, stellt Augustins Exegese in diesen Kontext und betrachtet dazu die mittelalterliche Rezeption dieser Exegese im Spannungsfeld von literalern und allegorischem Schriftsinn. Damit werden sowohl wesentliche Züge der Schriftdeutung Augustins faßbar als auch die Art von deren Aufnahme im Mittelalter. Die Untersuchung der Rezeption von Augustins Deutung der Arche-Noah-Episode beginnt bei Hugo von St. Viktor,
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den schon Zeitgenossen als )alter AugustinusBekehrungl wollte er seine Leser zum Mitgehen auf dem von ihm gefundenen Weg der Wahrheit antreiben, der ihn selbst zum Lob Gottes geführt hatte,l' Eine wichtige Frucht des Antriebs, Gott zu loben, den er selbst von Gott empfangen zu haben glaubte (conf 1,1: »tu excitas, ut laudare te delectet«), sind die Confessiones, die Augustinus in den RelTactationes besonders hervorgehoben und ausdrücklich als >excitalionesl verstanden hat. Dort sagt er, daß die dreizehn Bücher seiner Bekenntnisse zunächst den Blick auf das Schlechte und auf das Gute an ihm richten und dabei Gott als gerecht und gut loben, sodann Geist und Sinn des Menschen auf Gott hin antreiben - was sie bei ihm schon bewirkt hätten, als er diese Bücher schrieb und es jetzt noch täten, wenn er sie wieder liest. 16 Es mag sein, daß Augustins eigener Denkweg, sofern er von den Fragen nach Gott und der Seele beslimmt war, in den Confessiones seinen gültigen Ausdruck gefunden hat, der in den späteren Werken keine wirkliche Wandlung, sondern nur noch seine Ausgestaltung hinsichtlich neuer Kontexte erfahren hat. Insbesondere durch das Amt des Bischofs sah Augustinus sich gedrängt, sich anderen Aufgaben zu widmen, nämlich der Auslegung der Heiligen Schriften I' und ganz fühlbar. Aber ich denke es, um durch dies Geheimn is selbst mich des Sinns der Ewigkeit, Gottes Ewigkeit und der eigenen, in der die Zeit getilgt ist, zu vergewissern.« Er trägt eine antithetische Charakterisierung Augustins vor (387): »Er ist ein chaotischer Mensch, darum begehrt er die absolute Autorität, - er neigt zum N ih ilismus, darum bedarf er absoluter Garantie, - er bleibt in der Welt ohne wirkl iche Bindung, weder an ein e Frau, noch an Freunde, darum sucht er Gott ohne Welt.« Andererseits sagt er (ebd.): »Solche Gegensatzpsychologie ist v iel· leicht auf eine r Ebene klärend, aber auf ihr wird der Ernst Augustinischen Denkens nicht e rreicht.« 14 Hinweise zu Augustins Wirkung in der Neuzeit gibt Band 11 (vgl. dort auch die Einleitung
des Herausgebers) . IS Vgl. z. B. con!
1,1; 10,4;
dazu Norbert Fische r: Einleitung (SwL), XXXI - XXXIII; XXXV;
xxxvn;xcl. Vgl. retr. 2,6,1: »confessionum mearum libri tredecim et de malis et de bonis meis dewn laudant iustum et bon um, atque in eurn excitant humanum intellectum et affectum interim quod ad me attinet, hoc in me egerunt cum scriberentur et agunt cum leguntur. « Bemerkenswert ist, daß die Confessiones im systematisch orientierten Denken des Hochmittelalters im Hintergrund blieben, daß sie mit dem Aufkommen der spirituell ausgerichteten >devotio modernal in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit traten und in de r neuere n Ph ilosoph ie, besonders seit dem Beginn ihrer phänomenologischen Ausrichtung, auch denkerisch als zentraler Text beachtet wurden. 17 Diese Auslegung war - im Gegensatz zur heute vorherrschenden Exegese - stark von philosoph ischen und spirituellen Motiven und einer allegorischen Methode bestimmt. A ls Beispiel, daß diese Exegese auch heute noch positive Resonanz findet, vgl. Ludger Schwienhorst16
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der systematischen Reflexion der Inhalte der Glaubensbotschaft (z. B. De trinitate)." Dabei begab er sich in zuweilen unerbittliche Debatten mit abweichenden Lehren (z.B. Contra Iulianum)l' oder betrieb als beredter Advokat die Abwehr feindlicher Angriffe gegen die christliche Kirche (z. B. De civitate dei).20 Die Unterschiedlichkeit der Gesichtspunkte, die Augustinus zum Denken, Lehren und Schreiben bewegt haben, spiegelt sich in einer facettenreichen, teils auch widersprüchlich scheinenden Wirkungsgeschichte, deren Untersuchung nicht nur historischen Interessen dient, sondern auch Anregungen zur sachgemäß reflektierten Lektüre seiner Werke gibt, sofern sie von Blickverengungen zu befreien vermag, die endlichen geschichtlichen Situationen immer anhaften.
Schönberger: Augustins Auslegung von Genesis 1 in Confessiones 11 - 13 und die moderne Bibelwissenschaft· 18 Vgl. dazu z.B. Johannes Brachtendorf: Gott und sein Bild. Augustins De Trinitate im Spiegel gegenwärtiger Forschung. Basil Studer: Augustinus. De Trinitate. Eine Einführung. 19 vgl. Mathjis Lamberigts: Julian von Aeclanum und seine Sicht der Gnade: Eine Altemative? (mit weiteren Literaturangaben). 10 Vgl. z. B. Christoph Horn: Augustinus. De civitate dei; zur Bedeutung der ihn prägenden Last des Bischofamtes vgl. Gerhard May: Augustin als Prediger, Seelsorger und Bischof
Das älteste Bildnis des hl. Augustinus? Zum Wandmalerei fragment eines spätantiken Autors im Lateran
von Rainer War/and
In den verwinkelten Substruktionen der Kapelle San eta Sanctorum beim Lateran stieß Philippe Lauer bei Ausgrabungen des Jahres 1900 auf das Wandmalereifragment eines spätantiken Autorenbildes (Abb. reV Die zwischenzeitlich restaurierte und neu fixierte Malerei befindet sich an schwer zugänglichem Ort, in einem niedrigen Querstollen, und es ist höchst zweifelhaft, ob sich der originale Bauzusammenhang noch klären lassen wird (Gesamthöhe der Malerei ca. 260 cm, Maße des Figurenfeldes 140 x 120 cm). Vermutlich handelt es sich um Räume des päpstlichen Archivs beim Lateran. Von Papst Zacharias (741-752) wird berichtet, daß dieser bei seinen umfangreichen Restaurierungsmaßnahmen des päpstlichen Palastes beim Lateran auch Baumaßnahmen >ante scrinium sanctuffi< durchfüh· ren ließ.2
Weitere Wandmalereifragmente, die im Kontext des Autorenbildes angetroffen wurden, zeigen einen zweizeiligen lateinischen Titulus, ferner einen Tondo mit Inschrift sowie den Dekor einer Nische mit einem radschlagenden Pfau.' Alle Fragmente wurden von Wilpert in seinem kapitalen Werk zu den Mosaiken und Malereien der Spätantike bekannt gemacht. Giovanni Tabanelli, der Mitarbeiter Wilperts, fertigte eine zeichnerische Kombination der Malereifragmente an und ordnete sie in einen mehrzonigen, ho1 Grundlegend sind folgende Veröffentlichu ngen: }oseph Wilpert: Die römischen Mosaiken und Malereien der kirchlichen Bauten vom IV. bis XIII. Jahrhundert. Fig. 37. IV Taf. 140 - 141; Fabrizio Bisconti: L'Affresco det S. Agostino; Mafia Andaloro: La Fittura Medievale aRoma 312 -1431; PhiJ ippe Lauer: Les fauilles du Saneta Sanctorum. 1 Vgl. Liber Pontificalis 1,432; dazu zuletzt Bisconti: L'Affresco dei S. Agostino, 62; ferner Manfred Luchterhandt: Päpstlicher Palastbau und höfisches Ze remoniell unter Leo 111. 3 Zum Typus der Nische. dekoriert mit ei nem radschlagenden Pfau, vgl. Jean-Pie rre Sodini:
Les paons de saint-Polyeucte cl leurs mode/es.
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hen Wandaufbau ein (Abb. Li.).' In der Gesamtwirkung und der spezifischen Typologie dieser Schmuckfelder muß es sich um einen spätantiken Bibliotheksraum gehandelt haben. der höchsten Repräsentationsbedürfnissen gerecht wurde. War Lauer noch zurückhaltend bei der Zuschreibung des Autorenbildes. so trat Joseph Wilpert in einem Aufsatz von 1931 nachdrücklich für die Identifizierung als Augustinus ein. Er sah den überragenden Autor der spätantik-Iateinischen Literatur hier im römischen Archiv erstmals mit veristischen Bildnismerkmalen wiedergegeben.' Augustinus von Hippo (354 - 430) hatte damit die individuelle Physiognomie eines Mannes in fortgeschrittenem Alter erhalten. mit markanter ho her Stirnglatze. das gerundete Gesichtsfeld gerahmt von einem Bart. Und dennoch. die ebenso gelehrte wie suggestive Beweisführung von ~'\..~"'.\:~\.~\.V:l:b:r/1:7/. Wilpert muß vor der heutigen Denkmälerdiskussion relativiert werden. Das Autorenbild behält seinen bildgeschichtlichen Wert. doch die Authentizität des lebensnahen Porträts kann nicht aufrechterhalten werden. Wilpert verwies auf Siegelbilder und Bildnistafeln. deren Gebrauch im Schriftverkehr spätantiker Autoren literarisch bezeugt ist. Augustinus selbst erwähnt in einem Brief ein solches beglaubigendes Ringbild (ep. 59.2: »hanc epistulam signatarn misi anulo, qui exprimit fadem hominis adtendentis in latus«). Erhalten ist davon freilich nichts und das Kleinformat läßt spezifische Porträtmerkmale nicht zu. Stattdessen sind es andere Bildn isgattungen. in denen verläßliche Porträts spätantiker Zeitgenossen zu erwarten wären . Dies sind hochrechteckige Bildnistafeln (>tabulae imaginisin diptychis über den Lebenden dagegen drei Brustbilder von lateinischen Bischöfen als Autoritäten und Vorbilder im kirchlichen Amt. Diese sind in Beischriften als Hieronymus, Augustinus und Gregor benannt. Augustinus ist hier also nicht als spätantiker Autor, sondern als Bischof mit Casel und liturgischem Codex charakterisiert. Tatsächlich kehren in seinem Bild typologische Merkmale der Lateranmalerei wieder: die gerundete Kopfform mit der markanten hohen Stirn> in der noch ein letztes Haarbüschel auszumachen ist. Es fehlt der Bart des römischen Wandbildes. Die Malerei des Diptychons ist nach 604, dem Tod Gregors des Großen, ins 7. oder 8. jh. anzusetzen. Neu in die Diskussion kann an dieser Stelle das Augustinusbild des Egino-Codex (BerIin, Staatsbibliothek Ms. Phillips 1676) eingeführt werden. 1I Der Codex, der vor 799 im Auftrag des Bischofs Egino von Verona angefertigt wurde, enthält eine Predigtsammlung unterschiedlicher Autoren für kirchliche Festtage (.Sermones legendi in festivitatibus ecclesia.. ). Das herkömmliche Bildproömium der vier Evangelistenbilder wird dabei neuartig umgeformt und mit vie r bischöflichen Autoritäten besetzt. Von spätantiken Vo rbildern geprägt thronen diese, von Klerikern umringt, unter Arkaden, die mit Muschelkalotten gefüllt sind. Augustinus (Abb. re.) macht - bemerkenswerter Weise - den Anfang (fol. 18 v). Er diktiert einem Kleriker den Text ins Buch, mit dem auch die erste Predigt des Codex beginnt, die als Predigt des Augustinus identifiziert wurde (»AUDISTIS FF KM « = Audistis fratres quemadmodum beatus evangelista hodie generationis Christi retulit sacramentum, PL 39, 1997 -1999)." Ihm gegenüber ist auf de r geöffneten Doppelseite Leo der Große zu sehen (fol. 19 r). Später folgen als Einzelbilder Ambrosius (fol. 24 r) und Gregor (fol. 25 v). Die beiden römischen Bischöfe thronen in hieratischer Frontalität mit dem Pallium als »römischer« Insignie, die Bischöfe von Hippo und Mailand sind dagegen ins Dreiviertelprofil gewendet. Wiederum wird Augustinus, wie im Wandbild des Lateran und auf dem Diptychon in Breseia, mit hoher, freier Stirn im Typus des Philosophen gezeigt. Er ist erneut bartlos. Im Kontext der vier Kirchenväter vertritt er einen spezifischen Alterstypus des Literaten und Philosophen, des Denkers allgemein, so wie Leo der Große in seiner Frisur dem spätantik-römischen Typus des Petrus mit charakteristischer Stirntolle angeglichen wird. Fazit: woraufWilpert gestoßen war, begründet kein veristisches Bildnis, sondern einen Eigentypus, einen geläufigen altersspezifischen Philosophentypus, der nun auf Augustinus übertragen wurde und für ihn dann offensichtlich reserviert blieb. Erst durch diese Festschreibung der Bildtradition wurde Augustinus wiedererkennbar ]oachim Kirchner: Beschreibendes Verzeichnis der Miniaturen und des Initialscllmuckes itl den Plljlippshandschriften. 6 - 9; Karl der Große. Werk und Wirkung. N r. 459. 11
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Christiane Mattke: Memoire et devoirs d 'un eveque.
216.
DAS ÄLTESTE BILDNIS DES HL. AUGUSTINUS?
17
und aus dem Typus generierte sich im Laufe der Bildgeschichte Individualität. Das Wandmalereifragment des Lateran wird insgesamt durch Konventionen und Requisiten spätantiker Bibliotheksausstattungen geprägt. Das Autorenbild bezieht seine Aura von einem bildmächtigen Klappstuhl, der den Sitzenden raumhaltig umfangt, dabei aber in unterschiedliche Ansichtsseiten auseinanderfillt. Details des Stuhles, wie die gebogenen Beine des scherenartigen Klappmechanismus, die weich einschwingenden Armlehnen, die andernorts mit kopfstehenden Delphinen dekoriert sein können, und die schirmartige, geschwungene Lehne greifen erneut Requisiten des Philosophenbildes auf. Als Beispiele kann das Carrand-Diptychon im Bargello in Florenz aus dem 5. jh. mit einem lehrenden Paulus genannt werden." Im Wandbild des Lateran wendet sich der Autor im Redegestus mit vorgestreckter Rechter und einem Rotulus in der geschlossenen Linken an den Betrachter. Wegen des Wechsels vom Rotulus zum Codex, der sich in der Spätantike vollzieht, ist nun dem Autor zusätzlich ein Pult mit einem geöffneten Codex beigesteIlt. Der für den Betrachter einsehbare Schriftspiegel, mit breiten Binnenrahmen, läßt die Herkunft des spätantiken Buches von den Diptychen mit eingefügten Blättern erkennen. Noch ein anderes Nebenmotiv spricht die Aufmerksamkeit des Betrachters an : eine voluminöse Gewandbahn des Palliums stülpt sich an ihrem Ende zu einem großfOrmigen Trichter auf und öffnet der Figur eine Zugangsseite, die mit der Schulteraehse und der Neigung des Kopfes zum Betrachter hin korrespondiert. Auch die Disproportion der weit vortretenden Stuhlbeine folgt derselben Absicht. Die effektheischende Inszenierung, die die gesamte Komposition in eine aufsteigende Diagonale einspannt, spricht für eine bewußte Berechnung der Figur auf die Unteransicht. Der prominente Autor war, wie schon die Rekonstruktion von Tabanelli zu Recht vermutete, der höchste Teil einer raumhohen Wanddekoration. 13 Kathleen J. Shelton: Roman Aristocrats. Christian Commissions: The Carrand Diptych, 166 -180 Taf. 28. Es ließe sich für die Stuhl formen auch auf Autorenhilder des Wiener Dioskurides und des Rabbula-Codex in Florenz verweise n, heide 6. Jh.
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Eine derartige Figur muß als Bestandteil eines ausgeklügelten Raumkonzeptes verstanden werden. Die Figur, die zu ihrer rechten Seite von einer Wandkante begrenzt wurde, eröffnete eine Raumflucht zu ihrer Linken, in die sie mit ihrer Sitzhaltung hinführte. Die Figur diente demnach als Blickfang für den Eintretenden und zugleich als Wegweisung und Orientierung zu m Auffinden der Literatur. Bibliotheksbestände unterlagen in der Antike einer sorgfaltig durchdachten Aufstellung. Selbst in der Privatbibliothek einer spätantiken Landvilla, von der Apollinaris Sidonius berichtet (Epistula H, 9 an Donidius), waren die Bücher der spätantiken Autoren nach literarischen Gattungen geordnet, und nicht etwa nach Kriterien wie »heidnisch« oder »christlich«. Die Schriften des Augustinus standen in dieser spätantiken Villa neben denen des Varro und die des Prudentius bei denen des Horaz." Im Bibliothekssaal des Lateran verwies das Bild des Augustinus auf die lateinischen Autoren. Die Lesung und Interpretation der Inschrift unter der Autorenfigur ist nach Wilpert wie folgt: DlVERSI DIVERSA PATRE S sed hic OMNIA DlXIT ROMANO ELOQVio MYSTICA SSENS A TO NANS Verschiedenes haben die Vater geschrieben; doch dieser hier hat in lateinischer Sprache alles behandelt, mystische Sentenzen mi t Donnerstimme verkündend." Ob es weitere Figuren gab und wer diese waren, kann dagege n nicht mehr entschieden werden. Aus der Bibliothek des Papstes Agapet (535 - 536) beim Clivus Scauri am Hang des Caelius ist eine Inschrift überliefert, die eine Reihung von derartigen Autorenbildern vermuten läßt (ebd.): »Die ehrwürdige Schar der Heiligen sitzt hier in langer Reihe und lehrt die geheimnisvollen Aussprüche des göttlichen Gesetzes«. Daß aber gerade Augustinus an hervorgehobener Stelle den Anfang einer derartigen Autorenreihe machen konnte, stützt nachdrückl ich das Beispiel des Egino-Codex. Mit dem Wandmalereifragment in den Gewölben der Kapelle San eta Sanctorum beim Lateran ist somit die letzte Spur eines bedeutenden spätantiken Bibliothekssaales aus dem spätantiken Rom überkommen. Stilistisch und ikonographisch weist die Malerei in das 6. Th.
Gaius SoHius ApoHinaris Sidonius: Poems and letters: in two volumes. 1,453 - 455: »Die Bücher waren so angeordnet, daß sich die religiöse Erbauungsliteratur in der Nähe der Damenstühle befand, während sich um die Sitze für die Herren Hauptwerke der lateinischen Literatur befanden. Unte r letzteren befanden sich bestimmte Werke einzelner Autoren, deren Stil Ähnlichkeiten aufweist, obwohl sie unterschiedlichen Glaubens sind; denn es war üblich, Autoren ähnlicher Kunstfertigkeit zu lesen: hier Augustinus, dort Varro, hier Horaz, dort Prudentiusto! (Übersetzung A.L. de la Iglesia, Freihurg). 15 Joseph Wilpert: Die römischen Mosaiken und Malereien I, 150. 14
Von der Aporie zum Code' Aspekte der Rezeption von Augustins >De Genesi ad Litteram< bis auf Remigius von Auxerre (t 908)
von Karla Pollmann
1.
Einführung
Augustins umfangreicher >Wörtlicher Kommentar zur Genesis< (De Genesi ad Litteram). der etwa in den Jahren von 404 bis 414 entstand. ist wohl eines seiner am wenigsten erforschten Hauptwerke.' Dies ist nicht nur an sich gesehen auffallend, sondern steht auch in eklatantem Gegensatz zu der signifikanten Rezeption, derer sich dieses Werk von Anfang an und bis in die jüngere Gegenwart erfreut. Diese Rezeptionsgeschichte soll im folgenden von ihren Anfangen bis in die Karolingerzeit hinein skizziert werden. ein Zeitraum. dem für die Augustinus-Rezeption bisher nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet wird.' Dabei soll im Mittelpunkt die Frage stehen. welche Funktionen dieses Werk für eine Reihe seiner Rezipienten bis zur Karolingerzeit haben kann und was dies für deren Einstellung zu tradierten Texten allgemein. zu religiösen nichtbiblischen Autoritäten im besonderen sowie zu ihrer eigenen Position in der Geschichte der Weitergabe. der Erklärung oder der Generierung von Wissen bedeutet. Es soll dabei nicht um den >materialen0. Aspekte der Wirkun gsges,hichte~) nach dem Jahr 529 gänzlich. 4 Fü r einen knappen, hilfreichen Überblick hierzu vgl. Roland J. Teske: Genesi ad litteram (De-). 124 f. 5 Vgl. Karla Poil mann; David Lambert: After Augustine. A Survey 0/ His Reception from 430 to 2000, und www.st-and.ac.ukJelassics/after-augustine für weitere Details. Das Projekt wird vom britischen Leverhulme Trust großzügig unterstützt. 6 Peter Lebrecht Schm idt: Rezeptionsgeschichte und Oberlieferungsgeschichte der klassischen lateirlischen Literatur. 1
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KAR L A POLLMANN
sen Augustins zu dessen Lebzeiten auf dieses Werk noch der Sonderfall der Selbstrezeption Augustins in seinen Retractationes am Ende seines Lebens berücksichtigt, wo er betont, daß in De Genesi ad litterarn mehr Fragen gestellt als Antworten ge-
geben werden' 2.
Chronologische Analyse im Oberblick
Possidius (t nach 437), der fast vierzig Jahre als Schüler und Freund mit Augustinus zusammenlebte, verfaßte kurz nach Augustins Tod, zwischen 431 und 437,' eine Biographie über Augustins Leben, der auch ein Indiculum mit einer (nicht vollständigen) Liste der von Augustinus verfaßten Werke angefügt ist. Dieses historisch wichtige Verzeichnis hat Possidius in zehn Abteilungen gegliedert. De Genesi ad litterarn libri duodecirn figuriert unter dem Abschnitt X.: •• !tem diversi libri et tractatus vel epistulae ad utilitatem studiosorum omnium conscriptae« (.Ferner verschiedene zusammengestellte Bücher und Abhandlungen oder Briefe zum Nutzen aller StudierwilligenAlium sub meo nomineArbeit< für den siebten, anstatt für den sechsten Tag betont. Victorius behält die Kontrolle über seine intellektuellen Quellen, und besonders die Freiheit, Augustinus zu gebrauchen, aber ihm nicht notwendigerweise zu folgen." Auch das anonyme Metrum in Genesin zeichnet sich durch einen selbstbewußten Umgang mit Augustinus aus, indem es z. T. exegetischen Traditionen folgt, die Augustinus explizit ablehnte (z. B. die Auffassung, daß die Doppelun g der Erschaffung des Menschen in Genesis 2 lediglich eine genauere Darstellung als Genesis 1 darstelle; so Metrum 111 - 124, gegen Gn. litt. 6,1,1- 6,11), oder P roblematisches einfach wegläßt (z. B. streicht es die Tageszählung). Dagegen folgt das Metrum Augustinus aber in seiner Erklärung der Erschaffung der Frau aus der Rippe des Man nes als Zeichen dafür, daß sie seine Gef,hrtin sei (Metrum 124; Gn. litt. 9,13,23), J6 sowie in der Betonung der schrittweisen Verschlechterung der Menschheit nach dem Sündenfall (Metrum 170 - 184; Gn. litt. 11,35>48).17 Dagegen ist die im Metrum vertretene Auffassung von Gottes schaffender Tätigkeit als Simultanschöpfung nicht nur bei Augustinus zu finden." Auch das karolingische Lehrgedicht De creatione mundi des Wandalbert von Prüm (um 850) enthält sowohl Elemente. die mit Augustinus übereinstimmen, als auch solche, die ihm widersprechen. Direkte Abhängigkeit von Gn. litt. ist nicht eindeutig zu erkennen. 14 Bonifatius Fischer (Hg.): Genesis. Vetus Latina, 34 f.; an anderen Stellen redet Augustinus I)
aber durchaus vom siebten Tag. IS Daniel D. Nodes: 7he Sevetlth Day of Creation in »Alethia« 01 Claudius Marius Victor. 64- 67. 69. damit Pieter Frans Hovingh modifizierend (Claudius Marius Victor;us. Alethia. 1,188). der eine stärkere auch inhaltliche Abhängigkeit des Victorius von Augustinus postulierte. Nodes betont (70), daß eine weitere wichtige Konzeption Augustins. näm lich die notwend ige aktive Rolle von Gottes Gnade fü r die Erneuerung des Menschen, bei Victorius aufgenommen wird. 16 Ähnlich betont Avit (spir. 1,183 f.) die mit der Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes verbundene gegenseitige Treue, geht aber in 1,184 f. mit der Erwähnung, daß de r Mann daflir seine Eltern verlasse (nach Gen 2,24), über Augustinus hinaus, der in Gn. adv. Man. 2,13, 19 beken nt, mit diesem Vers außer im prophetischen Sinn nichts anfangen zu können. 11 Vg!. für all dies ausfüh rlicher Gottfried Eugen Kreuz (Hg.): Pseudo-Hilarius, Metrum in Genesin. Camlen de Evatlgelio, 102 -122. Ja Vg!. Johannes Zah lten: Creatio Mundi. Darstellungen der sechs Schöpjullgslage und naturwissetlSchaftliches Weltbild im Mittelalter, 92, was zu ungenau ist; vgJ. Metrum 9: .exorta repentc(; Ambrosius: Hex. 1,3,8f.; Augustinus: Gn.litt. 4.33(·; Marius Victo rius: Alet". Prec. uf.
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KARLA POLLMANN
Einige Handschriften nennen bezeichnenderweise Augustinus als den Verfasser der De laudibus dei des Dracontius." Wenngleich es wenig hilfreich und zu allgemein ist, den Ton dieses Gedichts als >Augustinischcallidiormein Wort/Gottes WortErkennen< als natürliche Theologie voraus (z. B. aus der Schönheit und Zweckgerichtetheit de r Welt)," das erst aus der Glau· bensperspektive möglich ist. 2 . Auch als Glaubender bewahrt sich Augustinus den philosophischen Geist, ein fundamentales Zutrauen zur Kraft der menschlichen Vernunft, die sogar imstande ist, tiefere Glaubenswahrheiten wie die Trinität einzusehen. Schließlich war er selbst
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div. qu. 35,2. Danach kan n man zur Wahrheit gelangen, indem man sein Leben Gott weiht,
oder au f dem ~phi1osoph i schen( Weg, die ~Zejchen( in der Welt interpretierend, also durch Aktivität der Vernunft, die aber nicht dem Glauben äußerlich, sondern innerlich ist. - Zu den verschiedenen Gegenständen des ~Glaubens( (im religiösen und nicht-religiösen Sinn) vgl. div. qU.4 8.
Das Motiv (Bonaventura) hat Etienn e Gilson: Introduction a f'etude de Saint Augustin, 12 tf. auf Augustinus angewandt. Ladislaus Boros bietet eine Textauswahl dazu (vgl. Aurelius Augustinus, bes. 132 ff.). 20 Also aus den> Werken(; s. z. B. ep.12o,12; en. Ps. U8,27,1; conf 10,57; vera ref. 52.75 f.; fib. arb. 2.43; trin. '3.24 u. a. So deutet FR das intellego ut credam in Kap. 3. Natürliche Theologie kann >natürlicher Glaube( sein, im Sin n von Franciscus Salesius Schmitt: Einführung (M), 17 (zur Rationalität AnseJms, abgegrenzt von übernatürlichem Glauben und mystischer Erleuchtung oder bloßer Annahme der Schrift): ein Glaube an Gott aus Vernunftgründen. l'
FIDES UND RATIO BEI ANSELM UND AUQUST I NUS
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erst vom Christentum überzeugt, dessen Lehren zunächst denkerisch .unglaubwürdig<scheinen mußten, als er seine Kompatibilität mit der Philosophie erkannte." Die .wahre Philosophie, ist die .wahre Religionverflechtung von Autorität und Glauben< gekennzeichnet." Philosophie und bloße Vernunft stehen nie über der Autorität des Glaubens. Im Zweifel hat diese das letzte Wort. Im Rückblick bereut Augustinus, früher die freien Künste und die heidnische Philosophie zu stark gewichtet zu haben (retr. 1,3,2). Bei >Widersprüchen< kommt letzte Wahrheit immer der >Heiligen Schrift< zu (ep. 143,7). Und die Autoritäten des Glaubens sind nicht nur die Apostel und Verfasser der Heiligen Schrift, die »nicht geirrt haben können« (ep. 82,24), oder Christus selbst, in dem sich Gott offenbart (>bezeugt Weg zum Heilträgerem Geisteszustandwahren Vernunftvo rtreffliche AutoritätFÜfwahrhalten auf Gru nd von Au torität< beginnt," von dem aus Schüler dialektisch-dialogisch zu eigenem Verstehen geführt werden." Er ist Methode der Wahrheitssuche. Freilich handelt es sich beim Ausgangsglauben um eine untergeordnete Form des Wissens, ohne eigene Einsicht." Zunächs t leitet die >Autorität zum Glauben Autorität<des Glaubens selbst, die in Gott gründet. Hier vermittelt das >klarste ZeugniS der göttlichen Schriften< >sicherste Erkenntnis< (c. ep. Pel. 1,38).
4) +I
Zur )Notwendigkei t ~ beider vgl. ord. :1,:19. Max Seckler: Credo ut intelligam, 1344. Vgl. Basil Studer: Die Kirche als Schule des Herrn
bei Augustinus von Hippo . 4S Vgl. ord. 2,:16; Acad. 3,43; mor. 1,3. Genauer besteht erst Wahrheit; dann wird sie vom Lehrenden vermittelt, worauf der Schüler sie als wahr an nimmt, um s ie dann selbst einzusehen (vgl. spir. et litt. 54). 46 Vgl. Ragnar Holte: Beatitude et Sagesse, 325.
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C HRI STIAN GÖ8EL
3. Ausgewählte Motive des Verhältnisses von Vernunft und Glaube bei Anselm und Augustinus
3.1 Zum Vernunft- und Glaubensbegriff
In Cur deus homo wird die Vernunft als neutrale Richterin ausdrücklich durch einen .ökumenischen, Kontext bemüht: Das Christentum wird in seiner Vernünftigkeit durch andere Religionen auf die Probe gestellt (.infidelesc: CDH Praefatio, I I)." »AnseIm ist seinem Wesen nach Apologet"," .Juden, und .Heiden, seine Adressaten (CDH II 22). Gegen den Einwand der Unvernunft des christlichen Glaubens (CDH Praefalio) muß Anse1m seine .Logik' darstellen. Doch die vernunftgemäße, philosophische »Rechenschaft über die Hoffnung, die in uns ist", ist auch (und vor allem)" aus einem Bedürfnis der Gläubigen erforderlich (CDH lImit Bezug auf 1 PetT 3,15). So »fragen jene deshalb nach Gründen, weil sie nicht glauben, wir dagegen, weil wir glauben«; »es ist aber ein und dasselbe, wonach wir forschen« (CDH 13)50 Ganz ähnlich argumentiert auch Augustinus (ebenso mit Bezug auf 1 PetT 3,15, z. B. in ep. 12004). Die von den .infideles, als Urteilsmaßstab bemühte Vernunft ist keine säkulare Vernunft im modernen Sinn, die dem Glauben prinzipiell entgegenstünde, sondern grundsätzlich theistisch. Die .Ungläubigen, sind keine überhaupt-Nicht-Gläubigen, sondern Andersgläubige (der .insipiens, in P hingegen ist Atheist - aber auch unvernünftig).5\ Ihre Einwände ergeben sich aus Erwägungen über vernünftig-angemessenes Reden von Gott. Diesen Maßstab akzeptiert Anselm ausdrücklich und macht ihn zum ke rygmatischen Prinzip. Darin geht nun Einsicht dem Glauben voraus; die Glaubensfrage wird auf rationaJe Gründe zurückgeführt (CDH 110, I 3). Demnach müßte jeder die vernünftigste Religion annehmen. Tatsächlich ist Anselm nicht nur überzeugt, daß die Glaubensinhalte gedacht, sondern daß sie streng logisch und gar nicht anders gedacht werden können (ep. incarn. 6). Gott steht für 1.
47 48
Dazu Roberto Nardin: Il Cur deus homo dj Anselmo di Aosta, 85 -107. Francisc us Salesius Schm itt : Einführung. In: Anselm von Can terbury: Cur deus homo,
VIII.
Franciscus Salesius Schmitt: Einführung. In: Anselm von Canterbury: Cur deus homo, X weist darauf hin, daß CDH zuerst für »d ie mönchische Umgebung Anse1ms und überhaup t fü r Christen verfaßt ist«. Mitbrüder haben um die Schrift gebeten (CDH Prolog, I 1). Dennoch ist Anselms Vernunftbemühen auch deswegen beispielhaft, weil seine geistige Situation durchaus dem Dialog de r Religionen ähnelt, der heute zentrale Aufgabe ist; vgl. Gerhard Gäde: Anse1ms 49
Denkregel der Unüberbietbarkeit und die pluralistische Religionstheorie. so Vgl. CDH I 25: »Nicht dazu bin ich gekommen, daß Du mir einen Glaubenszweifel nimmst, sondern daß Du mir den Grund meiner Gewißheit aufzeigst«. SI Er kann gegen alles rationale Verstehen (intelligere) nur sagen (dicere), d. h. behaupten, daß Gott nicht sei (P 4).
FIDES UND RATIO BEI ANSELM UND AUGUSTINUS
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Anse1m höchstens methodisch in Frage. Die Vernunft ist sogar vorzügliches Werkzeug der >höchstmäglichen' Gotteserkenntnis (M 66. s. u.). Cur deus homo (I 10; vgl. I 8. II 10) bringt die alte Überzeugung zum Ausdruck. daß Gott selbst vernünftig ist. Damit ergibt sich das Zentralprinzip. so zu argumentieren. daß »von uns keine noch so geringfügige Unziemlichkeit in Gott angenommen werde«. Die theologische Angemessenheit oder >Ziemlichkeit, (convenientia) wird methodisches Leitmotiv der logisch-rationalen Erklärung der christlichen Lehre. Vernunftgründe werden in sich als >zwingend, und >notwendig, auch von den Gegnern akzeptiert. weil die Vernünftigkeit Gottes nicht in Frage gestellt wird. Sie ist vielmehr> Vereinbarung, zum methodischen Rahmen der Untersuchung (ebd.): »Denn wie in Gott einer noch so kleinen Unziemlichkeit die Unmöglichkeit folgt. so begleitet einen noch so geringen Vernunftgrund die Notwendigkeit«. So erklärt sich die Identifikation von Vernunftgründen mit Notwendigkeit nicht nur formal (als Denk-Notwendigkeit). sondern auch inhaltlich (theo-Iogisch. als metaphysischer Realismus). Das >ratione vel necessitate, in Cur deus homo (I 1) besagt vor allem. daß. wer einen Grund nennen kann. eine Vernunft-Notwendigkeit erkannt hat. die im Sein gründet. das Wesen der Welt. Gott und sein Verhältnis zur Welt erfaßt hat und deswegen aus Vernunft mit Notwendigkeit reden kann. Anse1m ist von einem Zutrauen in die menschliche Vernunft getragen. dem die neuzeitliche Aufspaltung in Gewißheit und Wahrheit noch kein grundsätzliches Problem geworden ist. Die Erkennbarkeit von Wahrheit. Welt und Gott ist ihm fraglos gegeben. Demnach ist nicht nur. was subjektiv als vernünftig erkannt ist. unwandelbar (insofern Wahrheit) und als solches denk-notwendig. sondern. was vernünftig (als vernünftig erkannt) ist. ist auch (objektiv real). Anse1ms ratio bezeichnet zugleich die Vernunftfahigkeit des Menschen wie die Vernünftigkeit der Welt- und Heilsordnung; beide sind aufeinander zugeordnet. weil Gott vernünftig ist (vgl. CDH II 15). Damit dies nicht bloß als dogmatische Festlegung erscheint. müssen Gottes Gründe zumindest im Ansatz erkennbar sein (ebd.). 2. Auch Augustins Harmonie zwischen fides und ratio gründet darin. daß beide weder in ihrem Gegenstand noch in ihrem Grund getrennt sind: Beide richten sich auf die Wahrheit (die 1. existiert. 2 . erkennbar ist. 3. Gott ist52); beide sind menschliche Aktivitäten/Mittel. denen aber eine göttliche Gnadengabe vorausgeht. 53 Das S2 Denn beide s ind unveränderlich
(lib.arb.
2,11 tf.; M 15 ff.); allerdings ist Anse1m z. B. von
der Denknotwendigkeit seines Unvergänglichkeitsbeweises in M 18 überzeugt, womit er über Augustinus hinausgeht (vgl. Markus Enders: Wahrheit und Notwendigkeit, 34 - 51). Die Identität von Gott und Wahrheit teilt das Christentum mit der platonischen Philosophie (vgl. Friedrich Nietzsehe: Fröhliche Wissenschaft 344). Der metaphysische Realismus hat einen theologischen Grund; Gott garantiert nicht nur die Möglichkeit der Gottes- Erkenntnis. sondern die Erkennbarkeit jeder Wahrheit, da er die Welt vernünftig und geordnet einrichtet. Der Schöpfungsgedanke ist bei Augustinus wie Anselm zentral (s,u.). 53 Vgl. praed. sanct. 3ff.; Simpl. 1,2; spir. el litt. 52ff.; Jo. elf. Ir. 26,3-4; vgl. FR 7, 13.
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CHRTSTIAN GÖBEL
>Wissen nach dem Glauben, übersteigt diesen nicht aus der Erkenntnisautonomie des Menschen als >restloses Begreifen der Glaubensgeheimnisse" sondern bleibt ao eine )übernatürliche Gnadenwirkung< verwiesen. durch die es zu einer »unserem
irdischen Zustand entsprechenden Inhaltseinsicht in die christliche Wahrheit" kommt." Es hat sapientialen Charakter," hebt den Glauben nicht auf, sondern führt ihn »zur wahren Glückseligkeit, stärkt, nährt, verteidigt und befestigt ihn" (Irin . 14.3). Das sei im folgenden präzisiert. Es besteht kein Gegensatz zwischen Wissen und Glauben; unterschieden werden höchstens (philosophische) Vernunft und Schriftglaube; beides aber sind Wege zum Wissen (Einsicht). Wissen ist ein Inhaltswissen, das sich nicht auf die natürliche Ordnung beschränkt. Zunächst zeichnet sich gerade das gnadenhafte GlaubensWissen durch Irrtumsfreiheit aus, als dem Grundkriterium jedes Wissens. Augustinus ist aber nicht allein empirische Evidenz Kriterium der Irrtumsfreiheit. Die Philosophie ist zwar »der Hafen, von dem aus man zu dem Gebiet und Boden des seligen Lebens vordringt", sie schließt aber »die Irrfahrt nicht ganz aus" (beata v. 1.5). Hier wird der religiöse Glaube zur Erkenntnisfakultät: Im intel/ectus fide i istfidei nicht nur genitivus obiectivus, sondern auch subieclivus. Dem Glauben ist nachzudenken. er schafft aber auch Wissen: »Wenn Du nicht einsehen kannst, so glaube, damit du einsiehst" (lib. arb. 2,6; s. n8,1). Sein Nutzen liegt geradezu in der Einsicht (ep. 120,8).56 Wissen schafft der Glaube in mehrfacher, konvergierender Hinsicht:
besondere Bereiche des Seins, die anders nicht zugänglich sind (transzendente Realität Gottes, Schicksal de r Seele, Wissen der Glaubensdinge selbst}," lassen zugleich die Wahrheit des Seins aufleuchten und geben Antwort auf die Frage nach seinem Sinn. Die Irrtumsfreiheit dieses Glaubenswissens gründet in Gott; sonst bestünde nur eine subjektive Sicherheit, die auch dem nichtreligiösen Glauben als Sichanvertra uen und Fürwahrhalten eigen ist. Die Auffassung Augustins vom Verhältnis zwischen fides und ralio klärt sich aus der epistemologischen Aufwertung des Glaubensbegrilfs sowie aus der Besonderheit des Wissensbegrilfs." Es bedarf keines Ausgleichs, weil ihre Harmonie nicht St
Martin Grabmann: Augustins Lehre von Glauben und Wissen und ihr Einf1!lß mif das mit-
telalterliche Denken. 40. ~ Vgl. z. B. trin. 14,2;
15.51; conf 11,6. Freilich hat Gott auch (wahre) )scientia< (ebd.). Zu Unterschied und Ähnlichkeit zwischen der mit göttlichen (und existentiellen) (Heils)Dingen befaßten sapientia und scientia vgl. c. Jul. 4,72; trin. 12,22.25; 13,24 (s. KoI2,1- 3) u. a. 56 Der wwerstandene Glaube ist der )falschen VernunfttörichtPhilosophieAutonomie< der Philosophie zeigt sich weniger in der programmatischen Suche nach Vernunftgründen für Glaubenssätze als in der Verwendung von Logik, Grammatik, Dialektik, in Begriffsuntersuchungen und Definitionen." Doch auch dabei geht es um Theo-Iogie. In Cur deus homo kommt es darauf an, >Analogien< und >Bilder< des Glaubens in die allgemein verständliche Sprache der Vernunft zu übersetzen (I 4, II 8) und »die göttlichen Aussprüche auszulegen« (I 18). Es ist originäre Aufgabe der Theologie, klar darzulegen, was »die göttliche Autori tät nicht offen ausspricht« (CDH II 16) . Auch der Glaubende hat sich der intellektuellen Gewissensprüfung AnseIms zu stellen, die er in die Frage faß t (CDH II 10): »Verstehst Du, was Du sagst? «. Der Unterschied zu Augustinus ist nicht so groß, wie gelegentlich behauptet, da auch Anse1m philosophische Denkformen auf klar vorgegebene theologische Iuhalte anwendet, um darin zur Synthese von Glauben und philosophischem Wissen zu kommen: zur Theologie als Glaubenswissenschaft, d. h. Vernunftwissenschaft vom Glauben." Anselm vertritt eine Einheit der Vernunft von zugleich theologischer wie Daß besti mmte Dreiheiten von Seelenvermögen betrachtet werden (rnemoria-intellectllsvo/urltas), erscheint willkü rl ich und nur dadurch begründet, daß es Augustinus aufgegeben ist, 61
Dreiheiten zu finden. 62 In CDH z. B.n 5, 1I 16; das aristotelische Nichtwiderspruchsprinzip benutzt Anselm dazu. theologische Gegenentwürfe auszuschließen und auf die Richtigkeit des eigenen Ansatzes zu schließen. - Anse1m Stolz: Anse/rn von Canterbury, 323 ff. weist daraufhin, daß man im Bewußtsein Anselms kaum von einem Verständnis der Ph ilosophie als autonome D isziplin sprechen könne. Allerd ings gibt es doch eine >historische Licht des Glau· bens< gebraucht, das das Dunkel der Sünde und des Nichtglaubens erhellt, d.i. ,Christusgeringen Geistern< Einsicht möglich - und auch hier geht es darum, das »einzusehen, was man glaubt«, die Heilsdinge (ebd. 3 mit Bezug auf fes 7.9); insofern .führt die Autorität( des Glaubens auch zum .Licht der Wahrheit< (mor. 1.3). Vg!. weiter Kap. 3.4. 71
FlDES UND RATIO BEI ANSELM UND AUGUSTINUS
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meßlich, ist er nie vollends zu finden; dennoch bleibt die Suche weitere Aufgabe im unablässigen Streben nach Gott: ein» Verstehen, um zu suchen« (trin. 15,2 nach Ps 14,2). Bereits das Suchen ist ein Finden, sofern sich der Mensch darin selbst findet: Er verwirklicht sein natürliches Streben nach Gott. Die letzte Erfüllung der GottesSchau kann aber auch im rellektierten Glauben als >Finden< nur Hoffnung bleiben (ebd.) . Das verdeutlicht Augustinus so (Jo. ev. tr. 63,1): »Ihn wollen wir suchen, bis wir ihn finden; und wenn wir ihn gefunden haben, wollen wir ihn weiter suchen! Weil er verborgen ist, wollen wir ihn suchen; weil er unermeßlich ist, wollen wir ihn nach dem Finden weiter suchen.« Da alle menschlichen Aktivitäten endliche Vermögen sind, Vernunft wie Glauben, endet >auf Erden< das Suchen nie: Die letzte Erfüllung in Gott bleibt >hier unten< aus (ebd.); es ist unabschließbar (trin. 9,1), wird aber »dort erfüllt, wo die Vollendung nicht weiter vervollkommnet werden muß«; so »eilen wir suchend und gelangen findend zu etwas; und suchend un d findend gehen wir weiter hinauf zu dem, was uns noch fehlt, und erreichen einst das Ende unseres Suchens« (Jo. ev. tr. 63,1) ." Die Augustinische Inspiration Anselms ist offensichtlich. So gibt es in der Theologie auch eine >Ziemlichkeit< des Menschen: Es ist seinem Wesen angemessener, den Glauben zu rellektieren, als nur zu glauben. Zugleich verheißt der Glaube aber, daß diese Suche nicht nur im Negativen endet. Anselm verwendet den Begriff des anima I rationale in einem doppelt theologischen Ralunen. Schon die Gebetsbitte eingangs der Kernargumentation von Proslogion 2 stellt die dem Menschen wesentliche Einsichtssuche in den für die christliche Anthropologie typischen Bezug zu Gott: »Herr, der Du dem Glauben die Einsicht verleihst, verleih mir, daß ich einsehe, daß Du bist, wie wir glauben, und das bist, was wir glauben.« Gott ist Grund (und Endpunkt) nicht nur der Erkenntnis, sondern auch der Erkenntnissuche;" in ihm erfüllt sich die menschliche Suche nach Erkenntnis, und er ist als Grund aller Schöpfung auch Grund dafür, daß der Mensch überhaupt nach Erkenntnis sucht, da er ihm Geist gegeben hat und Erkenntnis gewährt. Der Mensch ist Vernunftwesen (anders wäre Anse1ms Methode sola ratione nicht möglich), weil er von Gott so geschaffen wurde (CDH II 1.4). Deshalb ist die >mens rationalis< höchster Erkenntnisweg zu Gott und >Spiegel des höchsten Wesens< (M 66 - 67); die >creatura rationalis< ist dazu >geschaffenzu lieben< (M 68). Die Vernunftbegabung ist reale Möglichkeitsbedingung der Gotteserkenntnis, diese Aufgabe des Menschen. Anselm verknüpft die Bestimmung, >selig zu werdenunglücklich< (P 1). In Proslogion 1 (vgl. FR 42) wird das zu einem per81
Zur Augustinischen Suche vgl. Norbert Fischer: Zu Ursprung und Sinn merlschfichen Fra-
gens und Suchens. 82
244f.
Auch bei Anselm sind Suchen und Finden Zentralwärter. dazu Italo Sciuto: Anselmo.
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C HRI ST I AN GäBEL
sönlichen Bekenntnis: »Ich bin dazu geschaffen, Dich zu erkennen; aber noch habe ich nicht getan, wozu ich geschaffen bin. «" Weil Gott vernünftig und die Vernunft >göttlich< ist,84 kann Anselm das ganze Unterfangen der theologischen )Beweise( nicht »im Vertrauen auf mich, sondern auf Gott« leisten (CDH I 25). Gott aber hat dem Menschen nicht nur Vernunft gegeben. Wer sich auf den Erkenntnisweg des Glaubens macht, darf auf seine weitere Gnadenhilfe rechnen (ebd.). Anse1m dankt deshalb Gott für alle Einsicht (P 4, vgl. 1 und Prolog: das unum argurnenturn als Erleuchtung), »ohne den wir nichts vermögen« und der »uns führt, wo immer wir den Weg der Wahrheit einhalten« (CDH II 9). So ist die theologische Erkenntnissuche nicht nur ein faktisch-natürliches, sondern auch ein sinnvolles Unterfangen. Die menschliche Vernunft und die Vernünftigkeit des Welt- und Heilsgeschehens korrespondieren, weil Gott die Wah rheit ist, die sich in Glauben und Vernu nft mit Autorität darstellt: Die Koinzidenz von Glaubenszeugnis und Vernunfte rwägungen ist gegenseitige Bestätigung der in Cur deus homo entfalteten Gedanken (CDH II 22 nach Röm 1,25): »Wenn aber durch das Zeugnis der Wah rheit bekräftigt wird, was wir auf dem Vernunftweg gefunden zu haben glaube n, so müssen wir es Gott zuschreiben, der hochgelobt ist in Ewigkeit. Amen.«
3-4 Vom Verstehen des Glaubens zum Ein·Se hen seines Gegenstands
Daß ein moderner Wissensbegriff Augustinus und Anse1m nicht gerecht wird, erhellt auch aus ihrem >mystischen< Erkenntnisbegriff. Der menschliche Geist erlangt nich t nu r begrenztes Verständnis im Nach-Denken z.B. der Glaubensdaten; als höchster Seelenteil hat er das Vermögen der Begegnung mit dem Göttlichen. Das gilt zunächst für jede (di rekte) Erkenntnis von Wahrheit, die Augustinus, in Übereinstimmung mit der (neu)platonischen Philosophie, als erleuchtete Ein-Sicht, als >geistige Schau< des Ewigen versteht (trin. 1,17), doch wird es akzentuiert auf die ch ristliche GotDamit kan n auch Philosophie nicht antitheologisch sein (wie in den zeitgenössischen Auseinandersetzungen zwischen Lau franc und Berengar und später zwischen Bernhard und Abaelard vermutet; vgl. Roberto Nardin: Il Cur deus homo di AnseLmo di Aosta, 71-74). Die Bedenken ihr gegenüber (aber auch der negativen Theologie gegenüber dem Bemühen um positiv theologische Aussagen) übersehen auch, daß der Sinn des theologischen Reflexionswegs nicht bei Gott liegt, sondern beim Menschen. - Zur scholastischen Streitfrage um den minderen Heils· und Gnadenwert des Wissens gegenüber dem reinen Glauben und zur Revision der umfassenden ratio vgl. Donato ValentinilMax Seckler: Glauben und Wissen/Denken, 695 f. und Martin Grabmann: Augustins Lehre von Glauben und Wissen und ihr Einfluß auf das mittelalterliche Denken 57 ff. (zur Frage, ob etwas Gegenstand von Glaube und Wissen sein könne) . 64 Die Göttlichkeit des Intellekts, mit dem der Mensch am Göttlichen partizipiert (und daher auch dieses erkennen kann), ist altes Motiv der Philosophie, das im christlichen Mittelalter auch von den Mystikern aufgenommen wird (z. B. Meister Eckharts )scintillaPerfektionsweges, der in der visio Erfüllung findet.," weil er den Geist, der sich in der Welt verliert, anstatt Gott zu suchen, vom Irrtum befreit, das >Herzreinigt. (ep. 120,3)," SO >den festen Stand. gibt, aus dem Erkenntnis möglich ist (doet. ehr. 2,17)." Seine Funktion besteht im Exerzitium, damit (u t) der Mensch zu Erkenntnis komme, die er im Glauben allein noch nicht hat.'" Die letzte Erfüllung, die das Vernunfterkennen in die visio überführt und vom Glauben ausging, ist dessen >Frucht., >Lohn. und Verdienst (trin. 1,17; s. 140,1; 10. ev. tr. 22,2f.; 39,3; 1II,3): Hören-Glau ben-Purifikati on-Schau (en. Ps. 44,25)'1 Als Lebensform erhält der Glaube die Bedeutung des existentiellen Elements der antiken Philosophie;" der >Grund. solchen >Philoso-
as Zu trennen ist also zwischen Vermögenl Akt und ,O rgan(. Die Betonung der Gnade auch in der Erkenntnis richtet sich gegen Philosophen wie Häretiker (s.o.). Zu Augustins Erkenntnisbegriff, analog zum körperlichen Sehen und anth ropologisch verankert in der christian isierten antiken Seelenlehre, vgl. z. B. trin. 12,24; ep. 120,9f; dazu Matthews: Knowledge and IlLumination. Zum (Neu)Platonismus vgl. Bernard McGi nn: 'Vle Fou ndatio'ls 0/ Mysticism , 23 - 61. Die Unterteilung der Geistvermögen in diskursive Verstandes- und rezeptive Vernunfttätigkeit, die offenbarungsgleich Letzteinsicht über das Sein empfangt (z. 8., aber keineswegs eindeutig, in der lat. Unterscheidung von intellectus un d ratio) kehrt noch in FR wieder, s. Waldenfels, 29 tf. Zur Möglichkeit.jede Erke nntnis, insofern letztlich unerklärliche , Einsicht~ in ichtranszendente Seinszusammenhänge, als )Mys tik~ zu verstehen, vgl. Christ ian Göbel: Griechische Selbsterkenntnis, 92 ff. Zur Frage, ob Augustinus und Anselm Mystike r se ien, vgl. Dieter Hatlrup: Die Mysti k von Cassiciacum und Ostia, 414ff., Italo 5ciuto: Anse/mo , 248ff. 86 Die Befreiung vom Körperlichen (div. qu. 46,2) war schon (neu)platon ische Erkenntnisbedingung. vgl. Christian Göbel: Griechische Selbsterkenntnis, 52 tf. und 70 C. Für die irdische Kontemplation des Göttlichen ist nach Augustin us auch >Mußeinnere Ruhe( nötig (ve ra
,ei. 65). Nach Eugene TeSelle: Fides, 1335; vgl. z. B. erlch. 5; en. Ps. 123,2 nach 2 Kor 5,7. 88 Vgl.. nach Mt 5.8 und Apg 15,9. gr. el pecc. or. 2,29; Jo. ev. tr. 22.2 ff.; en. Ps. n8,18,3; util. credo 34; bapt. 4,29 zur )conversio cordisc U. a. 89 50 erkennt die Vernunft >Zeichenglückselig zu werden, (civ. 19,1,3). Doch als Denkund Lebensweise ist Glaube auch ethische Konsequenz der Gott suchenden Vernunft; der Glaubende muß seine Erkenntnis leben, Wahrheit zur Wahrhaftigkeit machen, dem Aufstieg zu Gott den Abstieg zur Welt folgen lassen." Die Gotteserkenntnis ist eine besondere Form des> Wissens nach dem Glauben" nicht bloß spekulative Erkenntnis, sondern angetrieben und erfüllt von einer personalen Liebe (div. qu. 35,2), die mehr ist als das Streben nach dem Erkenntnisobjekt. Nur mit Liebe kann man sich der Wahrheit nähern, die Gott ist (conf 2,1; 11,1; sol. 1,12.22 f.), in Glaube und Erkenntnissuche als Doppelantwort auf die erste Liebe Gottes (mor. 1,24). Einprägsam kennzeichnet Augustinus das Sein am Ziel, in dem wir werden schaueu, lieben und loben werden (vgl. s. 254,8). Hier erfüllt sich wahrhaft das audiam et intellegam, das zu Lebzeiten nur Programm des Suchenden sein kann. Gewisser Glaube ist der Beginn von Erkenntnis, aber gewisse Erkenntnis ist erst mach diesem Leben, vollendet, in der Schau >Antlitz zu Antlitz, (Irin. 9,1)." Dies intellegere ist >dearly eschatologieal,," nicht >profanes Wissen" sondern >Weisheit, als >unverhüllte Gottesschau< (Irin. 12,22) - das der Glaube als »temporary act which envisages the eternal«96 vor-wissen kann. Das >Mystische, gibt dem Menschen sicheres Wissen und unverlierbares Glück (conf 5,7)·" Alles andere ist dagegen nichtig; wer es hat, ist >unüberwindlich, (vera rel. 86). Christliche Gotteserkenntnis schafft Glückseligkeit, da Seligkeit nichts anderes ist, »als etwas Ewiges durch Erkenntnis haben« (div. qu. 35,2), mehr aber, da
entspricht dem epistemologischen Prinzip der Seinskorrespondenz zwischen Erkennendem und Erkanntem: Wer Gott erkennen will. muß rein sein - deswegen ist für August inus die Reinigungskraft des Glaubens selbst )Erfo rdernis der Vernunft( (en. Ps. 118,18.3). Zum Glauben
als Tugend und Lebensform vgl. Eugene TeSelle: Fide5, 1l)7 f. Hier erhält jede Gotteserkenntnis ihren praktischen Sinn; zu con! vgl. Norbert Fischer: Einleitung (SwL) , LXIV ff. Auch das Mystische impliziert ethisch-existent iell ein Leben aus Gott. 94 Vgl. en. Ps. 123,2; S. 362,29 u.a. nach J Kor 13, 12. 95 Eugene TeSelle: Credere. 117. 96 Eugene TeSeUe: Credere, 127 nach tTin. 14.3. Zwar ist aUe Erkenntnis )geistiger Dinge(, die »unsichtbar genannt werden. weil sie nicht mit Auge n zu sehen sind«. über-sinnliche Schau; letztlich ist aber Christus konkretes Objekt dieser )Schaul (ep. 120.9 f.). Doch ist Glaube noch indirekte Erkenntnis des Jetzt-Nicht-Gegenwärtigen und als christlicher Glaube Verheißung der Schau (er )schaut< Gott noch nicht. ist noch nicht da) sowie Zeugnis der histor ischen Gegenwart Christi auf Erden und erst als glaubendes Verstehen auch Erfahrung Gottes in der eigenen Innerlichkeit (s.u.). 'ff7 Gewißheit jenseits des ,Sin nessehensl bietet jede Wah rheitserkenntnis als Erkenntnis von ewig Gültigem (ep. 120,9); Gotteserkenntnis bietet auch existentielle Sicherheit. ln diesem Kontext erklärt Augustinus die unterschiedlichen Obersetzungen von Jes 7.9: Nur im Glauben kann man zur letzten Schau kommen (s. 51,6, insofern ist auch er ,Geistschausummum bon um, (2,36), für Augustinus letztlich Gott, wie es die Schrift bekennt. '14 Und es ist bestätigt, daß >einzig das Ewige sicher< ist (en. Ps. 8,6). Zumindest aber gilt im Rahmen der Voraussetzungen des Gesprächs (lib. arb. 2,39): »Du hast mir zugestanden, wenn ich zeigen würde, daß es etwas über unserem Verstand gibt, daß das Gott ist, sofern es nicht noch etwas Höheres gibt. Ich nahm dein Zugeständnis an und sagte, es genüge, dies zu beweisen. Denn wenn es etwas noch Erhabeneres gibt, so ist dies Gott, wenn aber nicht, so ist die Wahrheit selbst Gott« (vgl. conf 10,35). Der Gedanke begegnet auch in De vera religione. Dort steht die berühmte Mahnung: »Geh nicht nach außen; kehr zu Dir selbst zurück! lm inneren Menschen
So ist Glaube zwar Voraussetzung, aber nicht erste Gewißheit. - Der Gedanke wurde nach civ. 11,26, »si enirn faUor surn« (vgl. Acad. 3,23; trin. 10,10.13 f.; 15,21; vgl. Aristoteles: NE 1170a/b), und im cartesischen cogito ergo sum berühmt: Selbstbewußtheit belegt Existenz und dar in Gewißheit (Principia philosophiae I 7; Discours de la methode IV 3; im Grunde gilt diese Gewißheit nur für den Mome nt des Zweifelns selbst, deswege n die Fassung cogitans sum, vgl. Meditationes de prima philosophia II 6 u. a.; die Gewißheit ist nicht Schluß, sondern Intuition). 113 Vgl. con! 7,6; mor. 2,24; doctr. ehr. 1.7. Andere Vorbilder sind Boethiu s. Seneca. Cicero. Die Abhängigkeiten sind vielerorts dargestellt (z. B. Josef Schmidt: Philosophische 71leologie. 106 f.). Anselms Originalität wird meist in der Kraft gesehen, die er dem Begriff als Argument selbst zuschreibt. Eine nicht-ontologische Rekonstruktion kann sie mindern. allerdings jene Gültigkeit zurückgewinnen. die aposteriori-Wegen zu Gott zugeschrieben wird (dazu Adriano Alessio: Sui sentieri di Dia). Eine umfassende Darstel1ung von Boethius' Einfluß. neben Augustinus Anse1ms wichtigstes Vorbild auch für die Synthese von fides und ratio, erarbeitet z. Zt. E. C. Sweeney (Bosto n). 114 loh 14,6. Augustinus nennt hier loh 8,31 f. und betont den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit: Diese besteht positiv darin, sich der Wahrheit zu unterwerfen. Die Autorität der Wahrheit (und Gottes) ist gerade keine Einschränkung der menschlichen Autonomie. 112
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wohnt die Wahrheit« (72),11' die den theologischen Charakter der Augustinischen Philosophie bestätigt; denn die Selbsteinkehr fordert einen Überstieg des Selbst auf Gott hin, allerdings im Innem des Menschen. Das höchste Irdische ist die Vernunft, sie ist aber nicht Letztgrun d, sondern stammt von Gott, auf den sie hingeordnet ist. Sie hat also einen .internen und doch übergeordneten Maßstab< ihres SeinsY' Hier hat das Augustinische Wissen seinen .mystischen CharakterPeter<mit >Abaelard< sprechen läßt? Auch dieses Augustinisehe Genre verwendet Abaelard also anders als Augustinus selbst. der in seinen Soliloquia ein Gespräch mit der >Ratio< führt.
2.
Trinitätslehre
Das wichtigste theologische Interesse Abaelards galt der Trinitätslehre (die auch zu seiner doppelten Verurteilung führte. 1121 in Soissons und 1141 in Sens). d. h. einem Thema. dessen für die abendländische Theologie in ihrer ganzen Geschichte maßgebenden Grundzüge Augustinus in seiner Abhandlung De Trinita te entworfen hat.' In diesem Werk hinterließ Augustinus seinen Nachfolgern ein (mindestens) doppeltes Bild der Dreifaltigkeit: Neben der Gemeinschaft zweier Personen. die durch eine in die dritte Person hypostasierte Liebe verbunden werden (vgl. trin. 6.7; 15.27). ist es der Vergleich des innergöttlichen Lebens zum menschlichen Geist (mens ) mit seinen Bewegungen des Denkens - nach Augustinus einem Hervorrufen aus dem Gedächtnis - und des Wollens. das zu diesem Hervorrufen notwendig ist (vgl. trin. 15.40f.; 15.50). Ebenso wichtig erscheint auch seine Appropriationslehre. nach der die einzelnen Charakteristika der göttlichen Essenz den einzelnen Personen zu ei· gen gemacht werden. besonders die Weisheit dem Sohn und die Liebe dem Heiligen Geist (vgl. Irin. 15.29). Peter Abaelard knüpft mit der Hauptintention seiner Trinitätslehre (wie er sie in der ersten Version seiner >Theologie< darstellt. der Theologia ,Summ i boniSummi bonil, verurteilt 11 21 in Soissons; (11) 7heologia Christiana, verfaßt (in zwei Redaktionen) als Reaktion auf die Verurteilung, wahrscheinlich 1122-1126 bzw. 1133 - 1137; diese Version übernimmt neun Zehntel der verurteilten Schrift und erhöht zugleich seinen Umfang etwa ins Dreifache, vorwiegend durch Zugaben apologetischen Inhalts; (lU) 7heologia >Schola· riur1H, datiert 1133 - 1138 bzw. (in der zweiten, längeren Version) 1136 -1139 (diese zweite Fassung wurde bis zu Abaelards zweiter Verurteilung in Sens 1141 wahrschein lich noch zweimal überar· beitet). Zur inhaltlichen Entwicklung dieser Versionen vgl. Jean Jolivet: La theologie, 24 - 67; Eligius Ma riae Buytaert: Abelard's Trinitarian DociTitle; Constant J. Mews: 7he Developmetlt 0/ tile Theologia 0/ Peter Abelard. 3
ZUR REZEPTION AUGU S TI NS BEI ABAELARD
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direkt an; dennoch ist die Theologie Augustins eine Grundlage, ohne die seine Ausführungen nicht möglich wären. Die tradierte Trinitätslehre, die er interpretieren will, faßt Abaelard in ihrer abendländischen, von Augustinus abgeleiteten Version zusammen (theol. s.b. II,Z9-4Z) : Die drei einander gleichen göttlichen Personen zeichnen sich durch eine einzige Substanz aus; sie sind einander durch ihre Ursprungsrelationen verknüpft, die zugleich ihre reale Verschiedenheit begründen: Der Vater stammt nicht von einem Anderen, der Sohn hat seinen Ursprung im Vater, der Geist im Vater und Sohn, mit der Präzisierung, daß der Sohn vom Vater geboren wird (>gigni.), während der Geist von beiden hervorgeht (>procedere.). Abaelard erklärt, daß die Aussagen, die vom Vater bzw. vom Sohn bzw. vom Geist gemacht werden (z. B. der Vater stammt nicht von einem Anderen, gebärt ewiglich den Sohn usw.), ihre eigentümlichen Charakteristika (>propria.) betreffen, die für ihre Unterschiedlichkeit als Personen (>personaliten) verantwortlich sind. Dank dieser >propria. ist der Vater weder der Sohn noch der Geist (und umgekehrt), obwohl aUe dieselbe Substanz sind. Ähnlich charakterisiert das >proprium., z. B. die Fähigkeit zu lachen beim Menschen, in Abaelards logischen Ausführungen eine Art im Rahmen ihrer Gattung - jedoch mit dem Unterschied, daß es sich in der Trinitätslehre nicht um eine Art, sondern um eine Person handelt. Mit der einen Substanz meint Abaelard nicht nur die gleiche Natur, nämlich die göttliche, sondern die individuelle Substanz (>singularis substantia.): Alle drei Personen sind der eine Gott. Es handelt sich also nicht um eine Unterscheidung, durch die sich im Rahmen der gemeinsamen Art zwei me nschliche Personen unterscheiden, die beide je eine individuelle Substanz darstellen, obwohl auch diese Unterscheidung >personal. heißt. Die drei göttlichen Personen besitzen die gleiche Substanz oder Essenz (während die menschlichen Personen nach Abaelard drei Substanzen oder Essenzen sind); trotzdem unterscheiden sie sich durch die personale Differenz, die mit ihren >propria. gegeben ist. Drei Personen in der einen göttlichen Substanz sind jedoch nicht ihre Teile. Auch kann man das allen Personen Gemeinsame nicht für Eigenschaften halten, die der Substan z eine bestimmte Form gäben. Weil die göttliche Substanz nämlich einfach ist und jeder Form entbehrt (sie ist >informis.), ist alles, was von ihr ausgesagt wird (z. B. die Macht oder die Weisheit), sie selbst; es ist nicht eine Form, an der die Substanz partizipierte und durch die sie als Art bestimmt würde oder die ihre akzidentelle Eigenschaft wäre. Gegen diese Trinitätslehre können vom Gesichtspunkt der Dialektik aus wichtige Einwände erhoben werden, die Abaelard (in Anlehnung an seinen Lehrer Roscelin) in der Tat einführt.' Ihre gemeinsame Voraussetzung lautet, daß der Rede von drei S theot. s.b. 1I .44 - 63. Roscelin war höchstwahrschein lich geneigt, die drei Personen in Gott als )drei Dingeo riatun). vgl. c. lul. imp. 5.42.
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Obwohl Abaelard seine Soteriologie also auf Grund der >gratis geschenkten Liebe, Augustins entwickelt, lehnt er doch zugleich Augustins Vorstellung der >uno verdienten Gnade, ab, die den WilJen motivieren müßte und die zu jeder positiven Entscheidung notwendig wäre. Abaelard, der zuweilen des Pelagianismus verdäch· tigt wurde." ist überzeugt, daß die Liebe in aUen ihren Auswirkungen nicht eine unverdiente Gottesgabe sei (wie Augustinus in seinen späten Jahren meinte)," son· dem wirklich eine Tat des Menschen, zu der aUen Menschen die gleiche Möglichkeit gegeben wird. 5. Die Ethik der Absicht
Eine unterschiedliche Einschätzung der menschlichen Freiheit und ihrer Chancen ist auch in der Ethik der beiden Autoren sichtbar. Wahrend Augustinus seit seiner Jugend eine theologisch orientierte Ethik entwickelt - zu einem wirklich guten Leben reicht nach seiner überzeugung nicht der gute Wille allein, vielmehr sei zu ihm eine durch den Geist Gottes geschenkte Liebe notwendig (mor. 1,13,22 - 23) -, entwirft Abaclard eine Art philosophischer Selbstüberprüfung des menschlichen Geistes, die sich in die Tradition der antiken Selbsterkenntnis eingliedert. Wir wer· den sehen, daß Abaelard trotz der großen Unterschiedlichkeit des Gesamtkonzepts auch in seiner Ethik vieles Augustillus verdankt. Mit seiner Ethik Scito te ipsum, die er also unter das delphische Motto des >Er· kenne dich selbst, steUt, knüpft AbaeJard nicht nur an den Sokratischen Zugang zu den Fragen der Ethik an, sondern auch an die Tradition der Augustinischen Inner· lichkeit, die Gotteserkenntnis auf dem Weg der Selbstreflexion sucht. Abaelard gibt jedoch, wie wir sehen werden, diesem Programm einen neuen, rein moralischen Sinn." Wegen der UnabgeschJossenheit seiner Ethik haben wir leider nur Abaelards Abhandlung über das Böse völlig zur Verfügung, nicht die über das Gute. Nach Abaelards Vorstellung neigen (>pronos faciunt,) die Laster (d. h. die einge· borenen oder gewonnenen Habitus) den Willen (>voluntas,) zu einer unangemes· senen Handlung (>actio mala,). Diesem Willen als der Aktualisierung der habitueI· Bernhard von Clairvaux: ep. 190 (Ledercq· Rochais VIII. 36.22 f.; 37,16 f.); ep. 330 (LedercqRochais VIII, 268,8f.); ep. 33' (Leclercq·Rochais VIII, 270,5); ep. 332 (Leclercq·Rochais VIII, 272,5); ep. 336 (Leclercq·Rochais VIII, 276,2 f.); ep. 338 (Leclercq·Rochais VlIl, 278,13 f.). Vgl. auch die Anklage Abaelards in Sens. Constant J. Mews: The Lists. 109, der Satz No 6; auf der Liste des Thomas von Morigny (CCM u. 476, der Satz No 6). Zu dieser Auswertung der Theologie Abaelards neigt auch z. B. Thomas Williams: Si", Grace, and Redemption, 260 und 276. Dagegen jedoch z. B. }effrey Garrett Sikes: Peter Abailard. 202 - 204; Richard E. Weingart: The Logic ofDivine Love, 202 f.; Ralf Peppermüller: Exegetische Traditionen. 1 ~ Zum Beispiel spir. et litt. 305; 19.32; 25,42; 29.51; gr. et pecc. or. 1,14· 15 Zu Abaelards Anwendung der delphischen Aufforderung vgl. Gerard Verbeke: Elhique et conna;ssatlce de soi mez Abelard. 23
ZUR REZEPTION AUGUST I NS BEI ABAELARD
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len Anlage kann. aber muß nicht zugestimmt werden. wobei erst diese Zustimmung (.consensusquod, (meist kombiniert mit einem parallelen, das >quod, aufgreifende >sicut,) , was deren rhetorische Wirkung noch verstärkt." Dabei deutet er viele einzelne Elemente der Arche-Episode, insbesondere Zahlenangaben, allegorisch." Diese Argumente seien in der Folge genannt:
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Vgl. das Corpus Auguslinianum Gissense (CAG) 2. Laut CAG 2 (Wortstatistik) fin det sich das Wort )arcac signifikant überproportional in
Contra Faustum, De cathecizandis rudibus. De baptismo. De civitate dei. Locutiones. Quaestiones, In Iohannis evangelium tractatus CXX1V und Sermones Da/beau. u Vgl. Fran~ois Oecret: Faustum Manicheum (Contra-). dort auch weitere Literatur. 14 Vgl. Cornelius Mayer: Figura(e). v.a. 6-8; siehe auch Oers.: Allegoria. 15 c. Faust. J2,8: Itom nia. quae illic intelleguntur, enuc1eate minutatimque tractanda Christum. et ecclesiam praeloquuntuI«. Vgi. z. B. Emilien Lamirande: Ecclesiaefigurae. 724f. 16 Zum Beispiel c. Faust. 12,15: »quod et m unda et inmunda ibi sunt animalia: sicut in ecdesiae sacrarnentis et boni et mali versantur.« 11 Zum Beispiel c. Faust. \2.16: Itquod inferiora arcae bicamerata et tricamerata construuntur: sicut ex omnibus gentibus vel bipertitam multitudinem congregat ecclesia propter circumcisionern et praeputium, vel tripertitam propter tres filios Noe. quorum progenie repletus est orbis.«
ZUR REZEPTION VON AUGUSTINS ARC H E·EXEGESE
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(1) Noah wurde mit seiner Familie durch das Wasser und das Holz gerettet, wie die Taufe und das Leiden Christi am Holz des Kreuzes die Familie Christi retteten; (2) die Arche wurde aus quadratischen Balken gezimmert, wie später die Kirche aus Heiligen, die stets zu jedem guten Werk bereit waren, errichtet wurde, denn der quadratische Querschnitt garantiert besondere Stabilität bzw. Standhaftigkeit; (J) da die Größenverhältnisse der Arche - 300 Ellen lang, 50 Ellen breit, 30 Ellen hoch, also sechsmallänger als breit und zehnmallänger als hoch - denen des menschlichen Körpers entsprechen, wird mit ihnen auf Christus in der Gestalt eines Menschen verwiesen; (4) die Breite von 50 Ellen symbolisiert die Aussendung des Heiligen Geistes am 50. Tag nach der Auferstehung Christi, wodurch die Herzen der Gläubigen geweitet wurden; (5) die Zahl 300 bei der Archelänge setzt sich aus sechsmaI 50 zusammen, was die sechs Weltzeitalter bedeutet, in deren ersten fünf die Propheten Christus ankündigten, der dann im sechsten durch das Evangelium verkündet wurde; (6) die Höhe von 30 Ellen bedeutet, daß Christus, unsere Höhe, im Alter von 30 Jahren das Evangelium verkündete, um das Gesetz zu erfüllen - das Herz des Gesetzes aber sind die zehn Gebote, weshalb die Länge der Arche zehn mal dreißig beträgt und Noah als der zehnte Urvater ab Abraham gezählt wird; (7) das Pech, das die Balken der Arche nach innen wie nach außen abdichtet und der stärkste Leim ist, bezeichnet die glühende Liebe, durch welche die Einheit der kirchlichen Gemeinschaft in brüderlicher Verbundenheit und das Band des Friedens weder von außen noch von innen gelöst werden; (8) daß auf der Arche alle Tiergattungen vertreten sind, symbolisiert die Gesamtheit der Völker, aus denen die Kirche besteht; (9) daß es sich dabei um reine wie auch unreine Tiere handelt, verweist darauf, daß gute wie schlechte Menschen an den Sakramenten der Kirche teilhaben; (10) daß nur jeweils zwei Tiere von unreiner Art mitfahren, ist nicht so zu verstehen, daß die schlechten Menschen in der Minderheit seien, sondern bezeichnet die Leichtigkeit von Schismen und Abspaltungen, während die jeweils sieben reinen Tiere als die sieben Werke des Heiligen Geistes zu verstehen sind (Weisheit, Einsicht, Rat, Tapferkeit, Wissen, Frömmigkeit, Gottesfurcht), zumal die Ankunft des Heiligen Geistes nach sieben mal sieben plus einem Tag geschah; (u) auf der Arche befanden sich acht Menschen (einschließlich Noah), und diese Zahl steht flir die Auferstehung Christi am Tag nach dem Sabbat, also dem 8. Tag; (12) vertikal laufen die Seitenwände der Arche bis auf eine Elle oben zusammen, was auf die Kirche verweist, deren Einheit im Körper Christi besteht; (13) der seitliche Zugang zur Arche bedeutet, daß keiner Zutritt zur Kirche erhält, ohne zuvor das Sakrament der Vergebung der Sünden empfangen zu haben, welches aus der geöffneten Seite Christi strömt; (14) die Gliederung der unteren Decks in zwei bzw. drei Teile ist als die Vielfalt der Völker zu verstehen, aus denen die Kirche besteht, d. h. aus Beschnittenen und Unbeschnittenen, bzw. als die Nachkommen der drei Söhne Noahs; (15) der Beginn der Flut am siebten Tag, nachdem Noah die Arche betreten hatte, ist ein
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Hinweis auf die zukünftige Ruhe des siebten Tages, auf die wir getauft sind; (16) das Wasser, das alles Fleisch auf der Erde außerhalb der Arche vernichtete, symbolisiert die durch das Wasser der Taufe gestiftete Gemeinschaft der Kirche, und es ist dasselbe Wasser, das nicht nur Verderben, sondern auch Heil bewirkt; (17) der 40 Tage und Nächte anhaltende Regen steht dafür, daß das Sakrament der Taufe die in allen vier Himmelsrichtungen bei Tag oder Nacht begangenen Ve rstöße gegen die Zehn Gebote abwäscht; (18) Noahs Alter von 600 Ja hren sowie die 100jährige Bauzeit der Arche bedeuten das jetzige 6. Zeitalter, in dem durch die Verkündigung des Evangeliums die Kirche errichtet wurde, und auch der zweite Monat im 600. Jahr, in dem Noah die Arche betrat, also nach insgesamt 600 Jahren und 60 Tagen, verweist - neben weiteren Vielfachen von sechs - auf das 6. Zeitalter; (19) der Hinweis auf den 27. Tag des Monats zeigt die Bedeutung nicht nur des Quadrats, sondern auch des Kubus, da sich 27 aus 3 x 3 x 3 zusammensetzt, was auf verschiedene Dreiheiten (Trinität!) im Zusammenhang mit Gott zu de uten ist; (20) der siebte Monat, in dem die Arche auf Grund lief, d. h. zur Ruhe kam, ist ein weiterer Hinweis auf die Ruhe des siebten Tages, aber auch auf die Ruh e am Ende der Zeiten, wofür ebenfalls die 15 Ellen, die die Arche über den höchsten überfluteten Gipfeln schwamm, stehen, nämlich als Summe von sieben und acht: Die letztere Zahl ist darüber hinaus ein Symbol der Auferstehung, so wie auch die Zahl '50, die als Summe von 70 und 80 die Zahl der Tage angibt, an denen die Flut stand, auf die Höhe der Taufe verweist, in welcher der neue Mensch zum Glauben an Ruhe und Auferstehung geführt wird; (21) der nach vierzig Tagen ausgesandte und nicht wieder zurückgekeh rte Rabe - sei es daß er ertrank oder von Kadavern angelockt wurde - bezeichnet Menschen, die - wegen der Unreinheit ihrer Begierde verabscheut oder zu sehr von äußeren Dingen dieser Welt verleitet - von solchen wiedergetauft oder verführt bzw. fehlgele itet wurden, die außerhalb der Arche, d. h. der Kirche, stehen und deren Taufe tötet; (22) die mangels eines Ruheplatzes zurückgekehrte Taube zeigt, daß du rch das Neue Testament den Heiligen in dieser Welt keine Ruhe versprochen wurde, und der fruchttragende, von ihr herbeigeschaffte Olivenzweig ist ein Zeichen dafür, daß manche, auch wenn sie außerhalb der Kirche getauft sind, unter der Voraussetzung, daß es ihnen nicht an Liebe fehlt, gleichsam noch am Abend in die Einheit der Gemeinschaft gelangen können; (23) daß schließlich die Taube nach wei teren sieben Tagen nicht erneut zurückkehrte, symbolisiert das Ende der Zeit, wenn für die Heiligen die ersehnte Ruhe eingekehrt sein wird. In Contra Faustum 12,21 beendet Augustinus seine Beweiskette, jedoch nicht ohne zu bemerken, daß es noch weitere Argumente gebe, die aber nicht im Rahmen einer kurzen, listenartigen Aufzählung vorgelegt werden könnten. Später, in Contra Faustum 12,39, kommt er nochmals auf die Notwendigkeit der allegorischen Deutung des Alten Testamentes zu sprechen. da sonst etliches albern und unanständig erscheine. Den Versuch, dieses Problem zu beheben, habe schon Philo unternom-
ZUR REZEPTION VON AUGUSTINS ARCHE~EX E OESE
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men, der jedoch trotz seiner Gelehrsamkeit letztlich gescheitert sei, weil er als Jude das Alte Testament nicht auf Christus hin gedeutet habe. Dies untermauert Augustinus zum einen damit, daß Philo zwar sehr treffend und detailliert auf die übereinstimmung der Maße der Arche mit den Proportionen des Menschen aufmerksam gemacht, jedoch niebt darauf hingewiesen habe, daß der Erlöser eben in einem menschlichen Körper erschienen sei. Zum anderen verweist Augustinus auf eine seiner Meinung nach völlig mißglückte Allegorese Philos für die seitliche Tur der Arche: Gemäß dessen Interpretation stehe diese Öffnung für die Ausscheidungsorgane des Menschen. Hätte Philo sich bei seinem Deutungsversuch an Christus orientiert, so wäre ihm klar geworden, daß es sich bei der Tür um ein Symbol für die offene Seite Christi handelt, aus dem die Sakramente der Kiche fließen. Da also die gesamte Arche für Christus steht, so faßt Augustinus schließlich zusammen, beziehen sich einige Elemente der Arebe-Episode auf Christus, andere auf die Kirche, denn beide gehören zusammen: .propterea et in arca quaedam ibi ad Christum, quaedam vero ad ecclesiam referuntur, quod totum Christus est« (e. Faust. 12,39). Hinsichtlich der Exegese der Arche auf die Kirebe hin formuliert er in einem seiner Traktate zum Johannes-Evange1ium: »arca figurabat ecclesiarn« (Io. ev. Ir. 6,2) bzw. »arca enim ecclesia est« (ebd. 6,19). Ganz allgemein gelte: Der Unterschied, ob die Deutungen sämtlicher >Figuren, in den Büchern der Heiligen Schrift zutreffen oder fehlgehen - Augustinus sagt sogar: »verdreht sind« (>detorquere,) - , liege genau in der vorgenommenen oder unterlassenen Interpretation auf Christus hin." Im 15. Buch von De civitate dei beschäftigt sich Augustinus im Rahmen der biblischen Geschichte mit der ersten >aetas, - der >infantia, der Menschheit (vgl. ebd. 16,43) -, d. h. der Zeit von der Ersebaffung der Welt bis zu Noah." Die letzten beiden Paragraphen (ebd. '5,26 f.) sind somit der Deutung der Arche-Episode gewidmet. Dabei macht er am Anfang des 27. Paragraphen deutlich, daß die in der Bibel berichteten Geschehnisse sowohl als historisch anzusehen sind, als auch in der Vorausdeutung auf die Kirche eine symbolische Bedeutung besitzen." Die methodische Voraussetzung und der Rahmen, in dem sich die Allegorese zu bewegen habe, sei jedoch die übereinstimmung mit dem katholischen Glauben. 'l U c. Faust. 12,39: »sie et in eeteris interpretationibus figurarum per universum textum divinae scripturae Iieet considerare et eonparare sensus eorum, qui Christum ibi intellegunt, et eorum, qui praeter Christum ad ali a quaelibet ea detorquere conantur. « " Vgl. Ger.cd}. P. O'D.ly: Civitate dei (De·), 991- 995. 10 civ. 15,27: "non tarnen qUisquam putare debet aut frustra haec esse eonscripta, aut ta ntummodo rerum gestarum veritatem si ne ullis allegoricis sign ifieation ibus hie esse quaerendam, aut e eontrario haec omnino gesta non esse, sed solas esse ve rborum figuras, aut quidqu id ilIud est nequaquarn ad prophetiam ecdesiae pertinere«. lL civ. 15,26: ,.hoc eHarn de ceteris, quae hic exponenda sun l, dixerim, quia. ets i non uno disseruntur modo, ad unarn tarnen catholicae fidei concordiarn revocanda sunt •.
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Gleich zu Beginn seiner Ausführungen stellt Augustinus fest, daß die Arche ein Symbol für die hier auf Erden pilgernde ,civitas deiaetatestierische Menschen~ (>bestiales hominesOe Scientia Christi< (1254)' »Bonaventura ist Augustinist und entschiedener Anti-Aristoteliker.« Mit diesem Paukenschlag betritt Etienne Gilson im Jahre 1924 die Bühne der Mittelalterforschung. Die hohe Scholastik habe nicht nur den Thomismus auf der Grundlage des Aristoteles erzeugt, sondern auch - auf der Grundlage des h1. Augustinus - den bisher gar nicht so genannten Bonaventurismus. Wie zwei Olivenbäume bringen sie Früchte, wie zwei Leuchter spenden sie Licht im Hause Gottes. So beschließt Gilson voll Emphase mit einem Doppelbild gleich zweier Päpste seine große Monographie. 'o Bonaventura entwickle nicht einen traditionellen, er schaffe vielmehr einen aus der Überwindung des Aristoteles neu geborenen Augustinus. Jetzt bekomme das Denken den Namen Weisheit, die Weisheit den Namen Frieden und der Friede den Namen Ekstase.'l Der franziskanische Lehrer kenne seit dem Beginn seiner akademischen Laufbahn die Schriften des Aristoteles genau, was er schon im Sentenzenkommentar bewiesen und in allen späteren Schriften bekräftigt habe. Doch beurteile er ihn anders als Thomas, obwohl beide ihn einfach wie üblich >den Philosophen< nennen. Nicht aus Mangel an Zeit oder gar aus Unkenntnis sei Bonaventura andere Wege gegangen, wie manche gemeint haben. Bis zum Ende seiner magistralen Zeit im Jahre 1257 lassen sich Hunderte von Stellen anführen, in denen Aristoteles freundlich behandelt wird, was schon oftmals beobachtet wurde: »Mir ist nicht aufgefallen, auch nur einer einzigen begegnet zu sein, von der man das Gegenteil behaupten könnte.«12 Von seinem Lehrer A1exander von HaIes, der ihm Anlaß war, bei den Franziskanern einzutreten, hatte Bonaventura schon frühzeitig den ganzen Aristoteles kennengelernt. Alexander war zum Wegbereiter des Philosophen geworden. Ja, Alexander scheint eine Schar von Schülern um sich versammelt zu haben, denen sein Hauptwerk Summa universae theologiae die letzte Gestalt verdankt. Diese Summa verwendet fast schon den ganzen Aristoteles, dessen Ansehen und Gültigkeit um 1240 schnell zu steigen begann. Das hindert diese Franziskaner »freilich nicht, Aristoteles zu kritisieren und in wichtigen Fragen von ihm abzuweiDer Text ist der Quaraeehi-Ausgabe entnommen: V, 3 -43. Vgl. Etienne Gilson: La Philosophie de Saint Bonaventure, 396: _Et e'est sans doute pourquoi des 1588 Sixte V proclamait, et en 1879 Leon XIII rappeJait, qu'ils furent deux a construire Ja synthese de la pensee seolastique au moyen äge et qu'aujourd'hui eneore ils reste nt dem: ala representer; deux nourritures et deux lurnieres: Duae olivae et duo candelabra in domo Dei lucentia.« !l Vgl ttienne Gilson: La Philosophie de Saint Bonaventure, 65: »C'est done bien la contemplation divine que saint Bonaventure met au centre rneme de I'ideal franeiscain, et par consequent la paix vers laquelle toute sa pensee va se diriger et nous conduire s'appellera, de son vrai nom,l'extase. « U Joseph Ratzinger: Die Geschichtstheologie des heiligen BOflaventura, 122 . 9
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A UG US TI NUS IM EKSTATIS C HE N DENKEN BONAVENTURA S
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ehen«." Eben das tut auch Bonaventura, der Schüler Alexanders, von Anfang an, zuerst in einem unpolemischen Ton, später dann ab 1267 aggressiv und kämpferisch, wobei wir den originalen vom averroistischen Aristoteles unterscheiden müssen. Bonaventura hat nach Gilson die Aristotelische Philosophie und die Wissenschaften bewußt nieht zur Grundlage seines Denkens gemacht, er hat Wissenschaft und Philosophie als untere Erscheinungsform des Geistes angesehen. Aristoteles ist nach ihm für die Einzelwissensehaften zuständig, den Gesamtrahmen des Denkens, die Metaphysik. kann man von ihm nicht übernehmen, da der Grundfehler des Stagiriten mit seiner Lehre von der ewigen Welt unausrottbar ist. Dadurch werde das Gegebensein der Dinge, der Quellgrund in Gott, unerkennbar. Die Lehre von der ewigen Welt müsse den Übergang des Lebens verkennen und so tun, als ob dieses in sich selber stünde. Entsprechend versuche der Philosoph, die Vernunft in sich selbst zu begründen. Aus dem einen und ersten Grundirrtum folgten alle weiteren Irrtümer. »Diesem Philosophen muß man somit einen dreifachen Irrtum zur Last legen: Verkennung des Exemplarismus, der Vorsehung Gottes und der Letzten Dinge."" Als später der Ton gegen Aristoteles schärfer wird, hält Bonaventura ilm noch immer für einen großen Wissenschaftler, doch für einen schlechten Philosophen, der die Philosophie des Unnützen ausarbeite. 15 Wie Aristoteles mit Hilfe von Augustinus umgedreht wird, läßt sich an den sieben Quaestiones De Scientia Christi gut erkennen . Das Thema ist völlig philosophisch gemeint, es geht um die Erkenntnisgewißheit. Weil die wichtigen Schritte in der Quaestio vier und in der letzten Quaestio sieben geschehen, darf man sich nicht allein auf die Nummer vier stützen. Diese Quaestio ist ein direkter Reflex auf die Illuminationslehre des hl. Augustinus, während die Nummer sieben den aristotelischen Begriffsmodus in den ekstatischen umdreht. Die Frage wird in der vierten Quaestio noch etwas ungewiß beantwortet: Jede Erkenntnis, wenn sie sicher sein soU, muß irgendwie den ewigen Urgrund berühren (SeChr 4; V, 22b): »Ad certitudinalem cognitionem intellectus etiam in viatore requiritur, ut aliquo modo attingatur ratio aeterna ut ratio regulans et motiva.( )Berühren( und 'irgendwie( sind nicht gerade Signalworte der Genauigkeit. Sie sind mehr eine neue Frage als eine Antwort auf die Frage. Das Berühren des Ewigen in jedem Erkenntnisakt, auch in der Zeit, ist ursprünglich Augustinisches Denken, auch wenn für Bonaventura zunächst nicht klar ist, was Augustinus mit ,Berühren. gemeint haben kann. Fernand Van Steenberghen: Die Philosophie im 13. Jahrhundert, 162 . I~ Btienne Gil son: La Philosophie de Saint Bonaventure. 85: "Voici do ne une tripie erreur a porter au co mpte de cette phiJosophe: ignoranee de exempl arisme, de la providenee divine et des fi ns du mo nde. 4I 13 Vgl. Btienne Gilson: La Philosophie de Sahlt Bonaventure, 89: .. C'est le cas d 'Aristote; grand sava nt, mais mauvais philosophe, il elabore en quelque sorte la philosophie de I'inutile, et sa philosophie existe bien apart , mais c'est justement pour cela qu'elle ne vaut rien. 4I Il
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DIETHR HATTRUP
Der junge Ratzinger hat vor einem halben Jahrhunde rt gemeint. die Wendung gegen Aristoteles entwickle sich nicht zwingend aus dem frühen Werk Bonaventuras. Zu dieser Meinung kann man angesich ts des rubigen Tones gelangen. den der seraphische Lehrer 1254 in De Scientia Christi anschlägt. »Der Antiaristotelismus Bonaventuras hebt an im Jahre 1267 mit den in der Fastenzeit dieses Jahres in Paris gehaltenen Collationes de deeem praeeeptis.«\6 Wie wir sehen werden. ist die Geschichtstheologie von 1267 bis 1273 zur Entscheidung für Augustinus gegen Aristoteles nicht unbedingt nötig. da diese schon früh feststeht. wenigstens ab 1254. Der Antiaristotelismus rührt einfach vom ekstatischen Denken. das von Augustinus kommt. Deshalb ist es unerlaubt. sich im Blick auf die Erkenntnisgewißheit auf die Nummer vier zu beschränken. Die Quaestio vier wird oft die Magna Charta des Exemplarismus genannt" und als klassischer Text der Illuminationslehre gepriesen." Das Lob kann den Gedanken verzerren. wenn man bei Quaestio vier stehenbleibt. was leider häufig geschieht." Dann sieht der Interpret zwar noch d ie drei Seinsweisen der Dinge. denn so legt sich Bonaventura die lIluminationslehre Augustins zurecht. also das Sein im Verstand. in der eigenen Gattung und in der ewigen Kun st (SeChr IV; V. 23a: »unde eum res habeant esse in mente et in proprio genere et in aeterna arte. [... ] «). doch die Umkehrung des begrifflichen Modus in den ekstatischen Modus sieht er nicht mehr. Der zentrale Begriff also in der vierten Quaestio ist das .tangere< oder .attingere< (SeChr IV; V. 23b): .Unsere Vernunft berührt. wenn sie sicher erkennt. auf gewisse Weise jene Regeln und unveränderlichen Ideen; das erfordert schon die Sicherheit der Erkenntnis und die Echtheit des Erkennenden« (» [ ... ] req uirit necessario nobilitas cognitionis et dignitas cognoscentis«). Das Stichwort stammt aus dem 14. Buch der Trinitätsschrift des hl. Augustinus. Bonaventura zitiert präzise: Es erinnert sich der sündige Mensch. wenn er zu Gott heimkehrt. gleichsam an das Licht. durch das er auch. als er von ihm abgewandt lebte. irgendwie berührt wurde (.quodam modo tangebatun). Von daher denken auch die sündigen Menschen an die Ewigkeit. und oftmals mit Recht tadeln oder loben sie das Handeln der Menschen (vgl. SeChr IV; V.23b).
Joseph Ratzinger: Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura, 136. Jacques Bougerol: Introduction cl I' etude de saint Bonaventure. 164: ,.[ ... ]depuis sa decou· verte.la q. 4 est la plus connue et la plus commentee parmi les sept questions De Seientia Chr;· sn.« 1I Pau! Vignau.x: Note sur [a considera tion de l'infini dans fes questions disputfes de Seientja Christi. In: S. Bonavetltura 1274-1974. Volumen 111, 107: »[ ... ] dans la Question IV de scientia 16
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Christi, texte devenue dassique [ ... ].« 19 Vgl. t tienne Gilson: La Certitude et les Raisons erernelles.ln: Ders.: La Philosophie de Sai,,! Bonaventure, 304 - 324; Alme Solignac: Corma;ssance Itumaine et relation aDieu selot, SaitJt Bonaventure (De Sc. Chr., Q. 4). In: S. Bonavetltura 1274 - 1974· Volumen 111,393 -405.
AUGUSTINUS IM EKSTAT ISCHEN DENKEN BONAVENTURAS
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Einen kleinen Unterschied gibt es. Augustinus sagt .tangerephilosophische Gotteslehre< genannten Teil, in dem es um die Einheit und die sogenannten >Attribute, Gottes geht, als auch den klassisch theologischen Teil, die Trinitätslehre. Das scheint nicht ganz überflüssig zu sein angesichts der Tatsache, daß man in der Literatur auch in jüngerer Zeit Abhandlungen zur philosophischen Gotteslehre des Thomas findet, elsi trinitas non daretur, aber eben auch ohne die Frage, ob man mit der Beschränkung der Perspektive die Gotteslehre des Aquinaten nicht ihrer Pointe beraubt.' Zweitens ist dieser rote Faden ein maßgeblich aus neu platonischen Maschen gewobener. Die jüngere Thomas-Forschung hat den Blick erneut auf die Einflüsse neuplatonischen Denkens (bes. Ps.-Dionysius) aufThomas gelenkt.' Die alte Opposition des Thomanischen Aristotelismus gegen einen Platonismus seiner Vorgänger ist in ihrer Ausschließlichkeit nicht aufrechtzuerhalten. Natürlich ist der neue Aristotelische Ansatz mehr als eine Akzentverschiebung, aber schon der Umstand, daß man in der Zeit des Thomas den Unterschied zwischen Platon und Aristoteles nicht in dem Maße zuspitzte, wie man das später tat,läßt erwarten, daß bei der Verarbeitung der Philosophie in der Thomanischen Theologie die Grenzen nicht so scharf gezogen werden. Und wenn Augustinus generell als Transporteur einer eher Platonischen Denkform angesehen wird, dann steht nicht zu erwarten, daß Thomas darin aus philosophischen Gründen unüberwindliche Schwierigkeiten sieht. Es spricht also viel dafür, daß Augustinus von Thomas zum Weben des neuplatonischen roten Fadens verstärkt herangezogen wird. Die Festigkeit des Fadens soll als Argument dienen, daß hier nicht etwa platonisierende Reste im Aristotelischen Konzept vergessen wurden, sondern daß Thomas sehr bewußt einen wichtigen Träger in sein System einzieht. Und drittens ist der vorliegende Versuch implizit auch eine Stellungnahme in einer innertheologischen Debatte. Es scheint in diesem Zusammenhang sehr sinnvoll, die trinitarische Gotteslehre Augustinisch-Thomanischer Provenienz angesichts mitunter überzogener Ansprüche der sogenannten >sozialen Trinitätslehresaera doctrina,
Bekanntlich organisiert Thomas Theologie als sacra dactrina im Rahmen eines wissenschafts theoretischen Subalternationsmodells nach Aristotelischem Vorbild. In diesem Rahmen kommen ihr weisheitliche und wissenschaftliche Momente zu. Für beides zieht Thomas Augustinus heran, der sich in De trinitate ausführlich mit der Unterscheidung von sapientia und scientia befaßt bat. Dementsprechend bestimmt Thomas den Wissenschaftscharakter der sacra dactrina mit einem AugustinuS' Wort, wonach in Abgrenzung von der Weisheit zur Wissenschaft, die sich nach Augustinus immer mit den zeitlichen Dingen beschäftigt, nicht dieses oder jenes Wissen, sondern nur jene Dinge gehören, die dem Glauben forderlich sind' Für den sapientialen Charakter der sacra dactrina bringt Thomas einen allgemeinen Hinweis auf De trinitate (12,14), wonach Weisheit die Betrachtung der ewigen Dinge, also der göttlichen Sphäre ist. Bei Thomas bekommt diese Bestimmung freilich einen präziseren Charakter, insofern Weisheit für ihn nach Aristoteles (Mp 1,2) das Vermögen der Prinzipien und Ursachen ist, in Thomanischer Diktion: »Sache des Weisen ist es, zu ordnen« (S.th. 1,1,6 obiectio 1). Um die höchste Ursache von allem, nämlich Gott, geht es aber in der mit Augustinus als Weisheit bestimmten sacra dactrina. Denn in der Thomanischen Unterscheidung der Aristotelischen Metaphysik von der sacra dactrina ist die Metaphysik gerade dadurch gekennzeichnet, daß in ihr Gott als Ursache ihres eigentlichen Objekts, des ens commune, gleichsam nur am Rande auftaucht, aber nicht dieses eigentliche Objekt ist' Die sacra dactrina dagegen hat als ihre eigentliche Aufgabe die Behandlung Gottes als der höchsten Ursache, und zwar nicht, insofern sie durch die Geschöpfe erkannt wird, sondern so, wie sie nur sich selbst bekannt ist und sich anderen durch Offenbarung mitteilt (S.th. 1,1,6). Freilich kann es zu einer Schau dieser Ursache bei Thomas nicht kommen. Somit positioniert Thomas hier mit Augustinischer Unterstützung die sacra doctrina in Bezug auf die Aristotelische Metaphysik. Umgekehrt verändern sich bei der Übersetzung der Augustinischen Unterscheidung von Weisheit und Wissenschaft in einen Aristotelischen Bezugsrahmen die Begriffe, ohne daß damit das Augustinische Anliegen aufgehoben wäre. Als subalternierte Wissenschaft, deren Prinzipien in der höheren scientia Dei et beatorum aufbewahrt, aber nicht durch Schau zugänglich sind, ist die sacra doctrina einerseits auf die Autorität der Schrift für die Offenbarung ihrer Prinzipien angewiesen. Da hier die göttliche Autorität selbst ins Spiel kommt, sind die Zeugnisse 6 Vgl. 5.th. I,I,2SC (das Zitat aus trin. 14.3): .Sed contra est quod Augustinus dicit, xiv de Trinitate: Huic scientiae attribuitur illud tantllmmodo quo fides sa iliberrim a gignitur, nutritur, defenditur. roboratur. Hoc autem ad nuHarn scientiam pertinet nisi ad sacram doctrinam. Ergo sacra doctrina est scientia.« 7 V gl. dazu Ludger Honnefelder: Der zweite Anfang der Metaphysik, 173 - 175.
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der Offenbarung unbezweifelbar. Am anderen Ende der Skala jener Momente, aus denen die sacra doctrina sich konstituiert, steht die menschliche Vernunft, die freilich den Glauben nicht beweisen kann, sondern höchstens Glaubenslehren •• näher erläutert« (manifestare). Für die Vernunft steht nun die Autorität der Philosophen ein, wo es diesen gelungen ist, die Wahrheit zu erkennen. Allerdings ist dies eine " fremde, äußerliche« Autorität, die es nicht weiter als bis zu Wahrscheinlichkeitsargumenten bringen kann. 8 Gleichsam dazwischen stehen die doctores ecclesiae, die Kirchenväter. Deren Lehren gehören zwar auch zum Eigenen der sacra doctrina, aber auch sie können höchstens zu Wahrscheinlichkeiten führen, sind also den kanonischen Schriften nach geordnet. Deren Vorrang sichert Thomas mit einem Zitat aus Augustins Brief an Hieronymus, den Übersetzer der Bibel, ab, wonach auch er, Augustinus, einzig die kanonischen Schriften für irrtumslos hält. "Die anderen Schriftsteller lese ich so, daß ich nicht ohne weiteres als wahr annehme, was sie geschrieben haben, sosehr sie sich auch durch Heiligkeit und Wissenschaft auszeichnen mögen.«' Sinnigerweise ist durch diese mit Augustinus belegte Relativierung der doctores ecclesiae auch die Verwendung der Augustinischen Autorität durch Thomas selbst betroffen. Allerdings zeigt sich in der Durchführung eine spezifische Unterscheidung zur Relativierung der Autorität der Philosophen. Offenkundig ist Aristoteles für Thomas der Philosoph, der besonders viel von der Wahrheit erkannt hat; er ist seine philosophische Hauptautorität. Nicht zuletzt steht er auch Pate für das Wissenschaftsmodell, innerhalb dessen seine Rolle gerade festgelegt wird. In seiner Kritik andere r Philosophen ist Thomas jedoch offen und explizit. Auch zur zeitgenössischen Diskussionslage nimmt er Stellung, wenn er immer wieder >quidam< aufs Korn nimmt. Das ist nicht verwunderlich, weil er sich hier auf dem Feld der natürlichen Vernunft bewegt, auf dem allein das bessere Argument zählt. Hier ist es möglich, entschieden Stellung zu beziehen. Anders scheint es bei den doctores ecclesiae zu sein. Zum einen fallt auf, daß auch Augustinus hier keine so exklusive Sonderstellung einnimmt wie Aristoteles; Thomas zitiert eine Fülle von Kirchenvätern, auch wenn Augustinus herausragt und von daher zurecht als eine Hauptautorität des Thomas bezeichnet werden kann." Jedoch
, Melchior Cano wird später in seinem System der loei theologiei diese Unterscheidung von eigenen und fremden loei übernehmen; vgl. dazu Peter Hünermann: Dogmatische Priflzipienlehre. 162 -166. 207 - 251. der seinerseits Cano aufnimmt und dessen Ansatz kreativ fortschreibt. 9 Vgl. 5.th. 1,1.8 ad2 (das Zitat aus ep. 82.3 ad Hieronymum): »Unde dicit Augustinus. in epistoJa ad Hieronymum: Solis eis Seripturarum Iibris qui canon ici appellantur, didici hune honorem deferre, ut nullum auctorem eorum in scribendo errasse aliquid firmissime credam. Alios autem ita lego, ut, quantalibet sanc titate doctrinaque praepolleant, non ideo verum putem. quod ipsi ita senserunt vel scripserunt. « 10 So Wilhelm Metz: Die Architektonik der Summa 'flJeologiae, 51.
AUGUSTINISCHE AKzeNTE IN DER GOTTESLEHRE DES THOMAS VON AQUIN
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ist die Kritik hier, wie bereits angedeutet, viel behutsamer. Da werden Korrekturen in der Lehre stillschweigend vorgenommen, da wird die Schuld an Irrtümern den Platonikern zugeschrieben, 11 die zu viel Einfluß auf Augustinus gehabt hätten, oder es werden Formulierungen mit Nachsicht und in einem weiten Sinne ausgelegt, um sie akzeptabel zu machen. 12 Es zeigt sich hier ein Unterschied, den Thomas offenbar deswegen macht, weil Augustinus als doctor ecclesiae eine der sacra doctrina eigene Autorität darstellt und nicht eine fremde, wie der Philosoph: In den Lehren der Kirchenväter liegt eine erste Auslegung der Offenbarung vor. Von daher kommt ihnen zwar nicht jene Irrtumslosigkeit der Offenbarungszeugnisse selbst zu, wohl aber eine besondere Dignität, die sie als von der Kirche akzeptierte Gestalt des Glaubensverständnisses (ratio fidei) haben. Sieht Thomas auch die Notwendigkeit, diese Form des Glaubensverständnisses zu seiner Zeit auf den gegenwärtigen Stand einer seientia subalternata nach Aristotelischem Vorbild zu bringen, so bieten die Väter doch eine Auslegung, die eine gewisse Normativität, wenn auch nicht Exklusivität, beanspruchen darf. In der ersten Quaestio seiner Summa Theologiae entwirft Thomas somit ein wissenschaftstheoretisches Gesarntkonzept, sichert es durch die vorgegebene Tradition ab und weist dieser Tradition zugleich ihren bestimmten Ort darin an,13
2.
Augustinus in der Gotteslehre der ,Summa Theologiae,
Nach dieser formalen Verortung der Augustinischen Autorität werden im folgenden anhand der Gotteslehre der Summa Theologiae einige materiale Aspekte der Augustinus-Rezeption bei Thomas angesprochen. Die Konzentration auf die Summa Theologiae als Spätwerk, das, soweit man sieht, ohne den Zwang äußerer Zwecke verfaßt wurde, verspricht am ehesten, Konstruktionsprinzipien von Theologie offenzulegen . Dazu ist es jedoch nötig, den Text eher flächig zu interpretieren. Prämisse der Interpretation ist, daß sich die Thomanische Gotteslehre der Summa Theologiae in drei Stufen entfaltet. Auf der ersten Stufe fragt Thomas danach, wie
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S.th.
r.n.s ad3: .In multis autem quae ad philosophiam pertinent. Augustinus utitur opi~
nionibus Platonis, non asserenda. sed recitando. «; ähnlich auch 5.th. 1,51,1 ad1; S.th. 1,84,5: »[ .. . ] et ideo Augustinus, qui doctrinis Platonicorum imbutus fuerat. si qua invenit fidei accom~ ~oda in eorum dictis, assumpsit; quae vero inve nit fidei nost rae adversa. in meHus commu ta~ VltlC; Zitate bei Ulrich Köpf: Augustin an den Universitäten des 13. Jahrhunderts. 598. 11 Vgl. S.th. (.39,5 obLI adl; hier geht es freilich um die schwierige Frage von Aussagen über das Verhältnis von göttlichem Wesen und den göttlichen Personen. d IJ Die weiteren Augustinus-Zitate der ersten Quaestio stehen alle im 10. Artikel, der sich mit ~n verschiedenen Schriftsinnen, also der Auslegung der Heiligen Schrift befaßt. Hier ist die t eologische Autorität gefragt.
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Gott ist bzw. wie er nicht ist. Diese Thematik hat man dann später klassisch die ,Attributenlehre< genannt ungeachtet der Tatsache, daß Gott als solcher keine Eigenschaften haben kann. Die zweite Stufe umfaßt die Tätigkeiten Gottes, die dritte die Trinitätslehre. Diese Stufung kann gelesen werden als Entwicklung einer zunehmenden inneren Komplexität, und noch die an die Trinitätslehre anschließende Schöpfungslehre, die nach Thomanischem Verständnis explizit mit zur Gotteslehre gehört und eigentlich als vierte Stufe bezeichnet werden müßte,!' behandelt in der Thomanischen Durchführung einen weiteren Grad der Entäußerung Gottes, insofern Gott das Andere seiner selbst frei setzt. Hier geht es jedoch um die ersten drei Stufen.
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Gott als Ursache des endlichen Guten
Gleich in der ersten Stufe der Gotteslehre ist Augustinus vielfach präsent, besonders jedoch in den Quaestionen 5 und 6, die sich mit der bonitas Dei befassen. Im Aufbau der ,Attributenlehre< kommt dem bonum eine besondere Bedeutung zu, insofern nach dem rein negativen Vorgehen vorher, das zum Begriff des esse ipsum subsistens geführt hat, mit dem bOrlum erstmals eine Hinwendung Gottes als Ursache zur Schöpfung auftaucht, die dann durch die jeweils komplementären Begriffspaare ,Unendlichkeit - Allgegenwart< und ,Unveränderlichkeit - Ewigkeit< abgegrenzt wird. Dieser Gedanke des bonum als Ursache enthält starke neuplatonische Einflüsse. Gleich zweimal rekurriert Thomas auf eine Stelle aus De doctrina christiana: »Weil er nämlich gut ist, sind wir; und in dem Maße, in welchem wir sind, sind wi r gut.«!' Das erste Mal wird der zweile Teil des Salzes gleich im erslen sed contra zitiert, wo es um die transzendentale Identität von bonum und esse geht. Thomas erklärt hier, daß zwar eine Identität besteht, daß aber bonum den Charakter des Erstrebenswerten eines jeden Seins aussagt, der ihm durch seine Vollkommenheit zukommt, die wiederum auf seinem in actu-Sein beruht. Im Rahmen dieser Quaestio entfaltet Thomas die innere Polarität eines jeden Seienden, das einerseits gut ist allein durch sein Sein, das andererseits aber auch erst gut wird, indem es seine spezifische Vollkommenheit erwirbt, die ihm von außen zukommt, womit eine Relationalität des Seienden untereinander aufgespannt ist. Durch das Augustinus-Zitat iSI nun freilich schon die Herkunft dieser Relalionalitäl angezeigt, da ja Gott als 14 5.th. 1,2,1 Prooemium: »Cons ideratio autem de Deo tripartita erit. Primo namque considerabimus ea quae ad essentiam divinam pertinent; secundo, ea quae pertinent ad distillctionem personarum; tertio. ea quae pertinent ad processum creaturarum ab ipso. \( In meiner Interpretation unterteile ich die Lehre vom Wesen Gottes nochmals in die >Attributenlehre( und in die Lehre von seinen Tätigkeiten. 15 vgl. doetr. ehr. 1.35: »Quia ellim bonum est, sumus, et in quantum sumus, boni sumus.«
AUG USTtNJ SC HE AKZENTE IN DER GOTTESLEHRE DES THOMAS VON AQUIN
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Ursache der bonitas des Seins genannt ist. Die Relationalität ist also nicht nur eine der Seienden untereinander, sondern eine des geschaffenen Seins auf Gott hin. Die Ursachebeziehung Gottes zum Menschen wird al1 der zweiten Stelle, an der unser Zitat vorkommt, explizit. Da geht es darum, den Charakter des bonum als causa jinalis auszuarbeiten. Das Zitat erscheint als Einwand, der rur das bonum als causa elfiäens zu sprechen scheint. Thomas weist in der Antwort auf den Einwand darauf hin, daß alle mit Willen begabten Wesen deshalb gut sind, weil sie einen guten Willen haben. Gegenstand des Willens aber ist das Ziel. Das heißt in diesem Zusammenhang: Gott schafft das Endliche, weil er es will; und das Geschaffene ist gut, weil er es will. " In derselben Quaestio war das Problem des richtigen Verständnisses des »bonum diffusivum sui« behandelt worden. Mit seiner Augustinus-Auslegung gibt Thomas also nicht nur eine Antwort auf die Frage danach, ob das Gute als Wirk- oder als Finalursache wirkt, sondern er klärt auch, daß im Falle Gottes die Finalursache willentlich wirkt, und geht damit einen Schritt weiter in die Richtung, Gott als Ursache im Sinne des christlichen Schöpfergottes zu denken . Dies kommt noch einmal zum Ausdruck, wenn Thomas am Ende dieser ersten Stufe der Gotteslehre über die Namen Gottes nachdenkt. Bei der Frage nämlich, ob es Namen gibt, die Gott substantialiter bezeichnen, wird das Attribut >gutweise<eingeführt, spielt in der Durchführung dann aber allein eine Rolle. Thomas weist Positionen zurück, nach denen die Namen Gottes lediglich negativ gemeint sind (»Gott ist nicht böse«) oder ausschließlich seine Ursächlichkeit meinen (»Gott ist die Ursache des Guten«). Beide Positionen können nämlich nicht die Bevorzugung einiger Namen vor anderen erklären (»Gott ist Körper« wird ja üblicherweise nicht gesagt). Der Ansatz bei der Ursächlichkeit würde das Attribut nur in übertragenem Sinne von Gott aussagen, wie ja auch die Medizin, Ursache der menschlichen Gesundheit, nur im übertragenen Sinne und wegen dieses Kausalverhältnisses >gesund< genannt werde. Und drittens bemerkt Thomas lapidar, aber mit Gefühl für den religiösen Sprachgebrauch, daß man doch etwas anderes meine, wenn man von Gott die Güte oder die Weisheit aussage. Zur Darlegung seiner eigenen Position rekurriert Thomas auf die Schöpfungsrelation, jetzt aber nicht als Kausalverhältnis interpretiert, sondern im Sinne einer UrbildAbbild-Relation, so daß im Urbild - Gott - die bonitas in vollkommenerer Weise als im Abbild, der Schöpfung, angesetzt wird, und genau das ist durch die göttlichen Namen intendiert. Dies setzt aber den entscheidenden Unterschied: »Es folgt daraus also nicht, daß es Gott zukommt, gut zu sein, insofern er die Güte verursacht; son L6 S.th. 1.5.4 ad3: . Quilibet habens voluntatem. dicitur bonus inquantum habet bonam voluntatem. quia per voluntatem utimur omnibus quae in nobis sunt. Unde non dicitur bonus homo. qui habel bon um inteJlectum . sed qui haber honam voluntatem. Voluntas autem respicil fi nem ut ohiectum proprium. et sie. quod dicitur, quia deus est bonus. sumus, refertur ad causam fi nalem.«
I"HILOSOPHISCHES SEMINAR DER UNIVERSITÄTTÜB:j~GEN
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THQMAS PLiETHMANN
dern eher umgekehrt, weil er gut ist, teilt er den Dingen die Güte mit, nach dem Wort des Augustinus [ ... ] >Insofern er gut ist, sind win«Y Wilhe1m Breuning hat daraufhingewiesen, daß hier die Semantik der Urbild-Abbild-Relation noch einmal überstiegen wird, insofern Thomas mit dem Rückgriff auf das Augustinische Wort ja nicht so sehr die geschöpfliche Güte als Abklatsch und schwache Nachbildung der göttlichen Güte charakterisieren will, sondern die je eigene und darin wirkliche Güte des geschaffenen Seins auf die Güte Gottes zurückführt. Zeigte sich in den Attributen Gottes die Güte gleichsam als Wendepunkt, als Punkt der Hinwendung des esse ipsum subsistens zum Anderen seiner selbst, so ist dieses Moment mit der Aussage von der substantialen Güte Gottes hier unterstrichen.
2.2
Gott verursacht das Gute durch seinen Willen
Mit dem überschritt zur zweiten Stufe der Gotteslehre trägt Thomas durch die beiden operationes Erkennen und Wollen eine erste innere Differenzierung in den Gottesbegriff ein. Bereits die Ausführungen zum göttlichen Erkennen und zur Wahrheit, thematisch geradezu unerschöpflich, enthalten zahlreiche Augustinusbelege. Den Anschluß an die Thematik des bonurn jedoch bieten die Quaestionen über das göttliche Wollen. Unter dem Titel des göttlichen Wollens nimmt Thomas eine nähere Bestimmung der Art und Weise vor, wie der gute Gott Ursache von allem ist. Gleich der zweite Artikel fragt demgemäß, ob Gott Außergöttliches will; und das sed contra spezifiziert, worum es dabei geht: »Das ist der Wille Gottes: eure Heiligung.«18 Im corpus dieses Artikels bezieht er die Tendenz des Guten, sich mitzuteilen, auf den Willen Gottes, dem diese Tendenz in umso größerem Maße zukommen müsse. Hier liegt der Schwerpunkt der Frage darauf, ob Gott anderes als sich selbst wollen kann. Erst der vierte Artikel fragt dann jedoch explizit, ob es denn der Wille Gottes ist, der die Dinge verursacht, oder nicht doch seine Natur oder sein Wesen. Und hier begegnet nun wieder die schon bekannte Stelle aus De doctrina christiana: Im dritten Einwand soll sie belegen, daß Gott kraft seiner Natur und nicht durch seinen Willen Ursache von anem ist, da seine Güte ja eines seiner Wesensmerkmale ist. Denn, so lautet der Vergleich, auch das Feuer ist Ursache des Erwärmens, weil es selber warm ist. In Thomas' Antwort auf die Frage, die natürlich zugunsten der willentlichen Ursächlichkeit VgL. S.th. 1,13,2: »Unde ex hoc non sequ.itur quod deo competat esse bonum inquan tum causat bonitatem: sed potius e converso, quia est bonus. bonitatem rebus diffundit, secundum iIlud Augustini, de Doct. Christ.: inquantum bonus est, sumus.« Vg!. zur Auslegung dieser SteHe im angegebenen Sinne Wilhelm Breuning: >l"sofer" Gott gut ist, sind wir Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 2)5. 141 - 143. 47 Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. I q. 4 n. 236. 143 . 48 Vgl. Aristo teles: Metaphysik rv c. 6 ( 1011a 3 - 13). 'W Vgl. lohannes Dun s Scotus: Ord. I d. ) p.l q. 4 n.238-239,144 - 146. '0 Vgl. Jo hannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 243, 147- 148. .4S
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HANNES MÖHLE
5. Erkenntnis ohne besondere Erleuchtung
Scotus verteidigt die natürliche Erkennbarkeit in den genannten drei Bereichen, offensichtlich unter dem Eindruck eines Aristotelischen Wissenschaftsverständnisses, das es nun seinerseits notwendig macht, den Augustinischen Ansatz anders zu interpretieren als Heinrich von Gent. Wenn es im strengen Sinne für den Menschen in statu isto möglich sein soll, Wissenschaft zu treiben - und das gilt auch für die Theologie als Wissenschaft -, dann muß die These Heinrichs, der Mensch bedürfe zur Erkenntnis der reinen Wahrheit einer besonderen Erleuchtung, korrigiert werden. Wie kann aber diese Korrektur mit der Augustinischen Lehre kompatibel sein? Die Scotische Antwort raßt die Vielzahl der im Laufe der Diskussion angeführten Augustinus-Zitate in einer an die Retraetationes angelehnten Formulierung zusam men, die sowohl die Intention Augustins widerspiegelt als auch seine eigene Zustimmung verdient. Demnach »sieht man die täuschungsresistenten Wahrheiten in den ewigen Regeln« (veritates infallibiles videntur in regulis aeternis)." Scotus diskutie rt verschiedene Möglichkeiten, was mit der Formulierung >in regulis aeternis( gemeint sein kann. Von Interesse ist es hierbei, wie Scotus die Anregungen der Augustinischen Quaestio de ideis fruchtbar macht." Auch wenn Scotus in diesem Kontext weder den zentralen Text Augustins ausdrücklich zitiert noch den für Augustinus einschlägigen Begriff der Idee direkt zum Thema macht," so dürften die Anklänge an die Lehre Augustins doch kaum zu übersehen sein. Scotus lehnt einerseits die Annah me von Ideen als dem göttlichen Erkennen ontologisch vorgeordnete Bezugsmomente mit einer Vermittlerfunktion zwischen dem washeitlichen Gehalt einer Sache und deren Erkenntnis durch Gott ab. Auf der anderen Seite führt er unter dem Stichwort SI Johannes Duns Scotus: Ord. I d.3 p.1 q.4 n. 261, 160: »Ad quaestionem igitUI dico quod propter verba Augustini oportet concedere quod veritates infallibiles videntur in regulis aeternis.« Diese von Scotus gewählte Formulierung der Augustin ischen Lehre entspricht am ehesten einem Wortlaut aus den Retractationes, wo Augustinus davon spricht, daß den Ungebildeten ein Licht der ewigen Vernunft innewohnt, wo sie das unwandelbar Wahre erblicken (retr. l,4,4): »praesens est eis, quantum id capere possunt, (wnen rationis aeternae, ubi haec immu tabiJia vera conspiciunt«. 51 Vgl. Augustinus: div. qu. 46. 53 Der zurückhaltende Umgang mit dem Begriff der Idee kommt etwa im Schlußgebet des Traktates De primo principio zum Ausdruck; vgl. Johannes Duns Scotus: De primo principio c. 4 p.10, 126: »De veritate tua et ideis in te non est opus amplius pertractare propter meum p ro ~ positum exsequendum. Multa de ideis dicuntur quibus numquam dictis, immo nec ideis nom inatis, non minus de tua perfecti one scietur. Hoc constat, quia tua essentia est perfecta ratio cognoscendi quodcurnque cognoscibile sub ratione quacumque cognoscibilis; appellet, qui vult: hic non intendo circa Graecum iltud et Platonicum vocabulum immorari.«. Zu Scotus' ideenkritischer Haltung vgl. Joachim Söder: Kontingenz und Wissen, 127 -138.
DER AUGUSTINISMUS DES
13.
JAHRHUNDERTS
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des esse intelligibile eine ontologische Instanz ein, die zwar dem göttlichen Intellekt entspringt und ihm in diesem Sinne nach geordnet ist, die aber auf der anderen Seite von jeglicher vorausgehenden Einflußnahme des göttlichen Willens unabhängig ist und auf diese Weise ein gewisses Motiv der ursprünglichen Ideenlehre beibehält. Im Ergebnis seiner Deutung in Ordinatio I d. 3 q. 4 stellt er fest, die ewigen Regeln oder das ewige Licht müssen im Sinne des esse intelligibile verstanden werden, das den möglichen Erkenntnisgegenständen des Menschen durch einen Akt des göttlichen Verstandes verliehen sei. Gott gibt den Gegenständen ihre besondere Beschaffenheit, wodurch sie dieses oder jenes Sein haben und in dessen Folge diese oder jene ratio obiecti, also diese je besondere Gegenständlichkeit. Damit werden sie erst als Erkennbares für den Menschen hervorgebracht, dem sie in diesem Sinne erst kraft des göttlichen Intellekts in ihrer Erkennbarkeit begegnen. 54 Als Akt des göttlichen Intellekts handelt es sich bei dieser Verursachung um einen natürlichen und keinen primär vom göttlichen Willen ausgehenden Vorgang, da der Wille als Bezugspunkt seines Handelns immer schon ein bestimmtes Objekt voraussetzt und damit nicht selbst Ursache des esse intelligibile sein kann. Der Verstand ist aus diesem Grund gegenüber dem Willen die vorausgehende Ursache. »Der göttliche Verstand, insofern er auf eine Weise früher ist als der Akt des göttlichen Willens, bringt diese Gegenstände [nämlich alles, was nicht selbst Gott ist) in ein Einsehbar-Sein hervor und so scheint er hinsichtlich dieser eine rein natürliche Ursache zu sein. Denn Gott ist nur eine freie Ursache hinsichtlich dessen, was vorgängig zu sich selbst auf eine Weise den Willen gemäß der Willenshandlung voraussetzt . ~ 5S
Hieraus ergibt sich des weiteren, daß der göttliche Verstand auch in dem Sinne eine vorausgehende Ursache ist in bezug auf die Zusammensetzung der einfachen Gehalte. Der Verstand bringt die einfachen Gehalte vorgängig zum Willen als mögliche Erkenntnisgegenstände, die den Status des esse intelligibile haben, hervor, bevor dann Verstand und Wille als kooperierende Ursachen die Zusammensetzung dieser einfachen Gehalte hervorbringen, wobei auch auf dieser Ebene der Verstand als >prior-causadieses< und >jenes<weg. und betrachte das Gute selbst. wenn du es vermagst. Dann wirst du Gott sehen .«' Nach Augustinus sind Gutheit und Wahrheit sogenannte transzendentale Bestimmungen des Seienden . ,edes Seiende. gleich welcher Art es ist. ist ein Wahres und Gutes. und zwar deshalb. weil es von Gott als der Wahrheit selbst. der Gutheit selbst. und dem Sein selbst abhängt. Die Gutheit. die jedes Seiende besitzt. stammt von Gott. dem Guten selbst. als der Quelle aller Gutheit. Augustinus fordert den Leser zu der Überlegung auf. daß dieses und jenes gute Ding seine Gutheit von etwas anderem her habe. nämlich vom Guten selbst. Dazu muß der Leser von den Besonderheiten der Dinge absehen (tolle hoc et illud). sie nur in ihrem Gutsein erfassen. und von dort aus gedanklich aufsteigen zur geistigen Schau der Ursache dieses Gutseins: vide ipsum bonum. Eckhart zitiert diese Passage häufig.' Ihm geht es dabei um die Unterscheidung des bonum hoc et illud und des bonum ipsum. die er ganz sachgemäß auf die anderen Transzendentalien erweitert. und dann etwa vom ens hoc et hoc (dieses oder jenes sein) spricht und vom Sein absolut. schlechthin und ohne weiteren Zusatz: esse absolute el simpliciter nullo addito. »Man muß anders urteilen über das Seiende (als solches) als über dieses und jenes Seiende. Desgleichen anders über das Sein an sich und schlechthin ohne nähere Bestimmung als über das Sein dieses oder jenes (Seienden).«10 ,edes geschaffene Seiende hat somit zwei Momente an sich. nämlich sein einfaches Sein. Gutsein etc. und sein dies-oder-jenes sein. also seine konkrete Be? 8
ProIogus generalis. LW I 164. Vgl. tri'l. 8.4 . ~ bonum hoc et bonum illud. tolle hoc et ilIud. et vide ipsum bonum si potes;
ita Deum videbis [ .. . 1.« 9 Zum Beispiel im Prologus generalis, LW I 167. Dort werden weitere Belegstellen in Eckharts
Werk angegeben. 10
Prologus in opus proposilionum, LW I 166. Diese Unterscheidung schlage sich auch gram ·
matisch nieder, denn wenn man das Sein schlechthin ausdrücken wol le, dann benutze man das Wort .ist( an zweiter Stelle des Satzes (secu ndum adiacens): lapis est; wenn man aber die Be· schaffen heit des Steins ausdrücken wolle, (also sein esse hoc et hoc) , benutze man das Wort .est( (im Lateinischen) an dritter Stelle des Satzes (tertium adiacens): z. B.lapis magnus est, oder: hoc lapis est. In moderner Terminologie würde man vom Gebrauch von .sein , als Kopula und als Existenzbehauptung sprechen .
MEISTER ECK H ART UND DIE NEUPLATONJSCHE TRANSFORMATION AUGUSTINS
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stimmtheit. Allein Gott besitzt kein esse hoc et hoc, sondern ist reines uneingeschränktes Sein. Alles Geschaffene ist von Gott auf zwei Weisen abhängig, eine direkte und eine indirekte. Das esse absolute jedes Dings ist auf direkte Weise von Gott gegeben; die Bestimmtheiten (hoc et hoc) hingegen resultieren aus den Formen, die aber ihrerseits von Gott geschaffen sind, so daß sich hier eine indirekte oder vermittelte Abhängigkeit ergibt. Bis hierher stimmt Eckhart im Grundsatz mit Augustinus überein. Doch mit der weiteren Deutung, die Eckhart dieser Theorie in anderen Werken gibt, etwa im Buch der göttlichen Tröstung, im Sermo XLIX und im Johannes-Kommentar, geht er über Augustinus hinaus. Er bemüht sich nun darum, das Verhältnis des bonum absolute, des verum absolute und des esse absolute zu Gott als der Gutheit, der Wahrheit und dem Sein schlechthin näher zu charakterisieren. Sein Ergebnis ist, aus Augustinischer Perspektive, überraschend. Es lautet: Der Gute, insoweit er gut ist (bonum absolute et simpliciter), ist geboren aus der Gutheit schlechthin und Sohn der Gutheit. Hingegen ist der Gute, insoweit er dieser oder jener ist (hoc et hoc), gemacht und geschaffen. Nach Eckhart gilt: »Die Gutheit ist weder geschaffen noch gemacht noch geboren; jedoch ist sie gebärend und gebiert den Guten, und der Gute, insoweit er gut ist, ist ungemacht und ungeschaffen und doch geborenes Kind und Sohn der Gutheit. Die Gutheit gebiert sich und aU es, was sie ist, in dem Guten. [ . .. ] Der Gute und die Gutheit sind nichts als eine Gutheit, völlig eins in allem, abgesehen vom Gebären und Geboren-Werden; indessen ist das Gebären der Gutheit und das Geboren-Werden in dem Guten völlig ein Sein, ein Leben. «" Nun ist gebären und geboren werden genau derjenige Unterschied, der zwischen Gott Vater und Gott Sohn innerhalb der göttlichen Trinität zu machen ist. Damit gehört der Gute, insoweit er gut ist, auf die göttliche Seite, denn er ist Sohn Gottes; nur insoweit er dieser oder jener ist, steht er auf der Seite des Geschaffenen. Einen solchen Schritt hat Augustinus nie getan. Denn auch wenn man vom hoc et iIIud absieht und allein das Gutsein eines Seienden ins Auge faßt, sieht man darin noch nicht unmittelbar etwas Göttliches, sondern immer noch ein Geschöpf. Gott kommt erst in den Blick, wenn in einer Aufstiegsbewegung die Ursache des Gutseins einer Sache gesucht und gefunden wird. " Nach Augustinus ist das Geschaffene SOzusagen durch und durch geschaffen. Eckhart hingegen benutzt zwar die Augustinische Unterscheidung von hoc et iIIud und absolute et simpliciter als Ausgangspunkt seiner Überlegungen, führt sie aber unaugustinisch fort, indem er erkärt, daß 11 12
Buch der göttlichen Tröstung, DW V 9. Augustinus sch reibt (mor. 2,6): ))[ ... ] aliud dicit Isc. catholica di sciplin a] bonum quod
s U.llllll e
ac per se bonum est, non participatione alicuius boni, sed propria natura et essentiaj a~lud quod participando bonum est et habende; habet autem de iIIo summo bono ut bonum sn.1( Von den Geschöpfe n heißt es (ebd.): lI non existendo bonum, sed bonum habendo dicitur bona l(. Demnach haben die Geschöpfe ihr Gu tsein von Gott als der Ursache all en Gutseins.
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jenes Moment des Seienden, das durch transzendentale Begriffe beschrieben wird, bereits göttlich ist. Augustins Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf wird bei Eckhart sozusagen neuplatonisch relativiert, insofern zumindest ein Aspekt, nämlich der Seinsaspekt des Seienden für göttlich erklärt wird. Eckhart verdeutlicht diese ontologischen Verhältnisse am Beispiel eines Bechers: »Ware der Mensch imstande und könnte er einen Becher vollkommen leer machen und leer halten von allem, was zu fUlien vermag, auch von Luft, der Becher würde zweifellos seine Natur verleugnen und vergessen, und die Leere trüge ihn hinauf bis zum HimmeL«" Die Leere ist hier nicht nur physisch als Abwesenheit eines materiellen Inhalts zu verstehen, sondern metaphysisch als das Fehlen von Bestimmungen, auch von Wesensbestimmungen. Ware der Becher in diesem Sinne leer, dann verlöre er sogar seine Natur als Becher. Doch damit wäre nicht das Sein des Bechers überhaupt aufgehoben, sondern nur das esse hoc et hoc wäre abgestreift. Es verbliebe das esse absolute et simpliciter, vermöge dessen der Becher zum Himmel hinaufsteigt, weil sein absolutes Sein der aus dem Vater geborene Gottessohn ist. Mit den konkreten Bestimmtheiten wird alles Geschaffene zurückgelassen, so daß das ungeschaffene Bild des Vaters hervortritt. Der Vorwurf des Pantheismus wird in der Eckhart-Literatur meist zurückgewiesen mit dem Hinweis, Eckhart führe gerade eine radikale Trennung ein, indem er das Geschaffene als Unterschiedenes, Gott hingegen als den Ununterschiedenen bestimme." Eckhart schreibt: indistinctum proprie deo campetit, distinctio vero creaturis 15 Die Unterschiedenheit der Geschöpfe gründe in ihrem esse hoc et hoc. In ihrem esse absolute hingegen sind demnach alle Geschöpfe gleich und ununterschieden. Weil Gott selbst das esse absolute ist, behauptet Eckhart, Gott in seiner Ununterschiedenhei! sei allem Geschaffenen gemeinsam. " Die These von der Ununterschiedenheit Gottes fUhrt damit aber nicht zu einer Trennung Gottes von den Geschöpfen, sondern zu einer Identifizierung Gottes mit dem esse absolute der Dinge. Eckhart argumentiert hier auf dem Hintergrund der Diskussionen des 13. Jahrhunderts und setzt sich in offenen Gegensatz zu Thomas von Aquin, für den Gott gerade nicht das allem Seienden gemeinsame esse commune war, sondern die Ursache dieses gemeinsamen Seins." Schöpfung bedeutet Thomas zu folge nicht, das esse hoc et
Buch der göttlichen Tröstung, DW V 30. 14 Vgl. Karl Albert: Meister Eckharts -nIese vom Sein , 149 f. ; sieh e auch Rein er Manstetten : Esseest Deus, 214 - 218 . 15 Expositio Uhri Exodi, LW Il106. 16 Sermo Vlt, LW IV 51: »Creatum omne, cum sit hoc aut hoc, distinctum quid, proprium 1J
est alicui generi, speciei vel singuJari . Deus autem non est quid distin ctum aut proprium alicui naturae, sed commune omnibu s (Expositio sa tteti evangelii secundum lohannem, LW III 88) . Deus cammun is est: am ne ens et amne omnium esse ipse est. \( 17 Vgl. Summa tlteo[ogiae (= S. th .) I q. 8. a. t; Summa contra gentiles I 26.
MEISTER EC KHART UN D DIE NEUPLATONI SC HE T RAN SFORMATION AUGUSTIN S
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hoc einer Sache zu machen, sondern deren esse absolute hervorzubringen. J8 Das esse absolute ist der proprius effectus des schaffenden Gottes. Augustinus arbeitet noch nicht mit diesen termini technici, kommt den gemeinten Unterscheidungen aber doch nahe, wenn er schreibt, daß >>nur der höchste Gott [... J alles ins Dasein ruft, was irgendwie ist, soweit es ist (esse in quantumcumque est). Denn täte er es nicht, würde es nicht nur nicht so oder so (tale vel tale) , sondern ganz und gar nicht sein können.«" Augustinus unterscheidet zwischen dem esse tale vel tale, das Eckharts esse hoc et hoc entspricht, und dem esse in quantumcumque esl in Entsprechung zu Eckharts und Thomas' esse absolute. Nach Augustinus wie nach Thomas ist beides von Gott geschaffen. Thomas, der die Verschiedenheit von Gott und Geschöpf betont, steht also den Überzeugungen Augustins hier näher als Eckhart. Man versteht jetzt, warum Eckhart besonders an den zitierten Stellen aus Augustins Confessiones interessiert ist, die das In-sein der Dinge in Gott ausdrücken. Augustins ex iIlo in iIlo deutet Eckhart nicht bloß so, daß die Dinge nicht nichts sind, sondern im Sinne der Geburt des Bildes aus dem Urbild. »Denn Gott hat die Dinge nicht geschaffen und ist dann weggegangen« - dies heißt für Eckhart, daß Gott in den Dingen ist, weil der Kern der Dinge, ihr esse absolute, göttlich ist. Dies ist aber nicht das Augustinische Verständnis, denn aufgrund seiner radikalen Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf gelten Augustinus die Dinge als in jeder Hinsicht geschaffen.
2.
Inhaerere Deo
Inhaerere Deo (Gott anhängen) ist die zentrale Idee der Ethik Augustins. Inhaerere Deo bedeutet, Gott mehr zu lieben als alles andere, genauer: Gott um seiner selbst willen zu lieben und alles andere um Gottes willen bzw. in Gott. Oder nochmals anders gesagt: Inhaerere Deo heißt: nur Gott genießen und alles andere gebrauchen wollen." Schon früh greift Eckhart diesen Grundbegriff Augustinischer Ethik auf, nämlich in seinen Reden der Unterweisung. Für Eckhart heißt inhaerere Deo, sich zu Gott erheben und fest mit ihm verbunden sein; sich nicht an die Dinge klammern; nicht von ihnen ihr Glück erwarten, sondern alle Dinge nur so haben, als ob sie uns geliehen wären. Der äußere Mensch mit seinem niederen Begehrungsvermögen muß dem inneren Menschen die Führung überlassen, der sich mit seinen Vermögen
L8 S.th. I q. 45, a.5: »Producere autem esse absolute, non inquantum est hoc vel tale, pertinet ad ratio nem creationis.« L9 civ. 12,26: »( . .. J summus Deus I.. .J facit esse quidquid aliquo modo est, in quantumcumque est; quia nisi faciente iIlo non tale vel tale esset, sed prorsus esse non posset. « 20 Vgl. daet. ehr. 1, 20 - 21.
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JQHAN NES BRA C HTE N DQRF
Vernunft und Wille auf Gott ausrichtet. Ein solcher Mensch begehrt keine vergänglichen Güter und erwartet von ihrem Besitz keine Glückseligkeit. Daher fillt er auch nicht ins Unglück. wenn er sie verliert. sondern bewahrt den inneren Frieden in Gott. Wer die Dinge durchbricht und seinen Gott ergreift. der hat Frieden. All dies ist natürlich reiner Augustinismus.
Doch schließlich geht Eckhart in seiner Deutung des inhaerere Deo einen wichtigen Schritt über Augustinus hinaus. Denn in letzter Konsequenz bedeutet inhaerere Deo für ihn die Vereinigung des Menschen mit Gott. Nicht nur sich im Denken und Wollen auf Gott richten. sondern mit der Form seines Gottes durchformt werden. ist nach Eckhart der volle Sinn des inhaerere Deo. Deshalb lautet der höchste Imperativ der Reden der Unterweisung: »Lass dich!«'! »Richte den Augenmerk auf dich. und wo du dich findest. da lass von dir ab.«" Gelassenheit ist nach Eckhart die Voraussetzung für die Einswerdung mit Gott. Er schreibt: »Darin. wo ich von meinem Ich lasse. da muß er für mich notwendig alles das wollen. was er für sich selbst will. nicht weniger noch mehr. und in derselben Weise. mit der er für sich will. Und täte Gott das nicht. - bei der Wahrheit. die Gott ist. so wäre Gott nicht gerecht. noch wäre er Gott. was (doch) sein natürliches Sein ist.«" Dies klingt erstaunlich. denn man fragt sich natürlich. warum Gott in den Menschen eintreten. ja sich mit ihm identifizieren muß. Eckhart spricht sogar davon. daß der Mensch Gott >zwingendein Deinseinsein Seinseininhaerere Deoein Geist sein<des Apostels aber gerade nicht als Einswerdung des Menschen mit Gott, sondern als Teilhabe des Menschen an der Natur, der Wahrheit und der Glückseligkeit Gottes, worin die Verschiedenheit des Teilhabenden und des Teilgebenden impliziert ist. Vom Menschen als integralem Moment der geistigen Natur Gottes spricht Augustinus nie. Im Sermo XLIX unterscheidet Eckhart drei Stufen des Hervorbringens zum Sein: erstens ein Hervorbringen von sich, aus sich und in sich selbst, eine bullitio bzw. emanatio; und zweitens ein Hervorbringen von sich, aber nicht aus sich, eine ebullilio. Letztere setzt entweder ein schon Bestehendes voraus, dann handelt eS sich um eine factio als zweite Stufe des Hervorbringens, oder sie setzt nichts voraus, dann liegt eine creatio als dritte Stufe vor. Bilder gehen Eckhart zufolge in der Weise der bullitio hervor; sie werden also weder gemacht noch geschaffen. Zudem sei die bullitio die Weise, auf die das Gute sich mitteilt." Vor dem Hintergrund der Transzendentalienlehre, also der Vertauschbarkeit von bonum und ens, darf man wohl ergänzen, daß sich auch das Sein so mitteilt, zumal Eckhart die bullitio, in der es nur die Bild-Ursache gibt, zur Sphäre des Metaphysikers erklärt, diefactiolcreatio hingegen zum Bereich des Naturphilosophen, weil dort Wirk- und Ziel ursachen eintreten. Daher legt sich auch von diesem Text her die Vorstellung nahe, daß nach Eckhart nur das esse hoc et hoc aller Dinge geschaffen ist, während das esse absolute ungeschaffen qua bullitio aus Gott emaniert. Wahrend Augustinus zufolge selbst der erneuerte und eschatologisch verwandelte Mensch über eine vollkommene Ähnlichkeit mit Gott nicht hinaus gelangt, wird nach Eckhart der nach dem Bild Gottes erneuerte Mensch zu Christus als dem Ebenbild Gottes. Doch die Christus-Werdung des Menschen ist nach Eckhart nicht nur ein ethisches Ideal, auf das der Mensch hinzuarbeiten hätte." Vielmehr gilt, daß Christus den Menschen nichts gebracht hat, was sie nicht ohnehin schon besaßen. Christus werde nur deshalb verehrt, weil er den Menschen gesagt habe, was immer schon ihr eigen war. »Die Seligkeit, die er uns zutrug, die war unser. Dort, wo der Vater im innersten Grunde seinen Sohn gebiert, da schwebt die (Menschen-) Natur mit ein . Diese Natur ist eines und ein faltig.«" Demnach soll der Mensch nicht erst von sich, aus sich, in sichGottheitIsidorspracheVita S. Gregoriit des Liudger von Münster. • Wolfgang Haubrichs: Die Anfänge, 46. 9 Grundlegend zum Wandel des Schulwesens im hohen und späten Mittelalter vgl. Johan nes Fried (Hg.): Sclw len und Studium im sozia len Wandel des hohen und späten Mittelalters. Kurz. aber in formativ Peter Classen: Die hohet! Schufen und die Gesellschaft im J2. Jahrhundert . Einen guten überblick zur Entwicklu ng der ü bersetzungstätigkeit in Deutsch land im Mittelalter bietet Joachim Heinzle (Hg.): Obersetzeu im Mittelalter. Zur Ennvicklung de r Schriftlichkeit und zum Anteil der einzeln en Textsorten vo m 11. bis zum 13. Jahrhundert vgl. Christa BertelsmeierKie rst: Aufbruch in die Schriftlichkeit. Zur volkssprachlichen Oberliefenmg im J2. Jahrhundert.
W I SSEN VON AUGUSTINUS DEUTSC H ?
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der Literatur. wie dem mittelhochdeutschen Lucidarius. findet Augustinus an einer einzigen Stelle Erwähnung." Bei den Erörterungen über die Geheimnisse der Heiligen Messe belehrt der Meister seinen Schüler: »Wen wenne wir ophiren zu der messen. so nach bilde wir sancte Marien magdalenen . die vnsern herren salbete. do er zu der martel gie. Augustin sprichet: .Swer nach bildet Mariam magdalenam mit dem opfer. der gewinnet ouch teil dez Iones mit ir. «,11 Zugrunde liegt eine Stelle in Augustins Kommentar zum Johannesevangelium (Jo. ev. tr. 50.12). Beachtlich ist. daß der anonyme Autor des Lucidarius mit den präsentierten Informationen sogar über seine Vorlage. das Elucidarium des Honorius Augustodunensis. hinausgehtl' Solch gründliche Beschäftigung bleibt jedoch vereinzelt. Denn wir können in allgemein didaktischer Dichtung eine Generation später. im Welschen Gast des geistlich gebildeten Thomasin von ZirkIrere. keine Augustinus-Nennung finden. obwohl dort andere IGrchenlehrer aufgeführt werden,!' aber eigentümlicherweise keine Autoritäten für die divinitas (V. 9737 ff.). Obwohl also im Rahmen der Übertragung oder Auswertung theologischer Fachliteratur in die deutsche Sprache Rückgriffe auf anerkannte Autoritäten durchaus zu beobachten sind. liefern sie noch keine eigenständige Augustinus- Übersetzung. Die übersetzerische Rezeption des Hochmittelalters ist vordringlich durch Bibeldichtung und Legendenübertragung gekennzeichnet. erst im beginnenden Spätmittelalter treten vermehrt Fachtexte aller Art. gerade auch theologischer Natur in den Blickpunkt."
Deutlich häufiger. nämli ch an sieben Stellen, wird Gregorius erwähnt. vgl. Dagma r Gott schall; Georg Steer (Hg.): Der deutsche lLucidar;us< Band 1: Kritischer Text nach den Handschriften, hier (im Wörterbuch) 232. U Der deutsche ,Lucidarius< Band 1 (1994). hier 105,15 (Lib.lI ,64). II Im Kommentar zu Der deutsche ,Lucidarius< erklärt Marlies Hamm (Band 2.381); •• Das Augustinus-Z itat ist Zusatz im Lucidarius. Am Samstag vor dem Palmsonntag wurde den Armen ein Almose n ausgegeben . das die Liturgike r seit Augustinus in der Salbung Chri st.i in Bethanien durch Maria Magdalena präfiguriert sahen. ~ lJ Zum Beispiel Gregorius für Musik (Y. 9603). Thales für Mathematik (Y. 9605). Bezeich nenderweise beklagt Thomasin von Ze rcl are (Der Welsche Gast, 322) aber vielfach die mangel nde Geleh rsamkeit der Laien , etwa Y. 9833 - 9848. 14 Zur Entwicklung der deutschen übersetzungsliteratur beso nders im theologischen Bereich im Hoch- und Spätm ittelalter vg!. immer noch den umfassenden Überblick von Georg Steer: Germanistische Scholastikjorschung. 10
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2. Popularisierung im 13. und 14. Jahrhundert
Augustinus-Texten größeren Umfangs begegnen wir schließlich in Handschriften des 14. Jahrhunderts. Eigentümlicherweise gehen auch dann noch die Bemühungen nicht direkt auf Sammlungen originärer Sch riften Augustins zurück, die eigentlich zuhauf in den Bibliotheken zu finden waren. I' Stattdessen stützen sich Übersetzer auf ein, allerdings besonderes, Zeugnis lateinischer adaptierender Rezeption. In seinem Speculum hisloriale, dem chronologischen Teil seines umfassenden enzyklopädischen Projekts Speculum maius,1' hat Vi nzenz von Beauvais vielfaltige Auszüge der Schriften antiker und spätantiker Autoren als Zeugnisse der literarischen Produk· tion der jeweiligen Zeit eingebautY Ln dieser Art von Literaturgeschichtsanthologie ist seine chronikalisch geordnete Sammlung für das Mittelalter einmalig. Insgesamt 44 Kapitel wurden von Vinzenz in Buch XVIiI des Speculum historiale dem Werk Augustins gewidmet. l • Er eröffnet die Passage mit Kapitel 53 unter der Überschrift De libris Augustini; zunächst erhalten wir dort eine knappe Darstell ung zum Wirken des Bischofs von Hippo: »Arcadii et Honorii temporibus Augustinus in ecclesia philosophatus est, cuius librorum, tractatuum et epistolarum numerus plus qua m at mille triginta extenditur, multis numero non comprehensis.« Darauf folgen in ähn-
Die umfangreiche lateinische Überlieferung der Schriften August in s ist in ihrer Vielfalt bis heute nicht wirklich aufgearbeitet. Ein vorläufiger Überblick zu den Manuskriptzahlen bei Herbert Hunger (u.a.): Die Textüberlieferung der antike'l Literatur und der Bibel, zu Augustinus 418 - 4 20. In Hinblick auf die Confessiones sind demnach bis zum 12. Jahrhundert schon an die hundert Textzeugen der lateinischen Ve rsi on anzusetzen, ohne das enorme Anwachsen der Kodexproduktion im Zuge der Literaturexplosion des Spätmittelalters zu berücksichtigen. 16 Zu Vinzenz vgl. ausfUhrlieh Johan B. Voorbij: Hel >Speculum Historiale< vml V;'lcent van Beauvais. Een studie van zijn ontstaansgeschiedenis; Rudolf Weigand: Villze'lz von Beau vais. Sdlolastisdle U"iversaIchrollistik als Quelle volkssprachiger Gesdliclttsschreibung; zur Genese des Speculum maius auch Anna·Dorothee v. den Brincken: Geschichtsbetrachtung bei Vinzenz: von Beauvais. Die Apologia ACloris zum Speculum MahlS. 17 Diese Funktion des Speculum historiale als Sammelbecken von wörtlichen Auszügen zahl· loser Originalschriften ist bislang nicht umfassend untersucht. Es gibt Einzelstudi en zu klassi· sehen Autoren, etwa zu Aristoteles von Jaquel ine Hamesse: Le dossier Aristote dans lreuvre de Villcen t da Beau vais. Apropos de I'Ethique. Den Stellenwert etlicher Klassiker·Zitate im Specu· lum historiale analysiert auch Stefan Schul er: Excerptods morem gerere. Zur Kompilation lind Rezeption klassiscll-Ialei"ischer Dicltter im >Specullll1l hisloriale< des Vitlzenz VOll Beauvais. Das Specu lum historiale benutzt man am besten im Nachdruck der Akade mischen Druck· und Ver· lagsanstalt in Graz 1965: Vincentius Bellovacensis Specu lum Quadruplex sive Speculum maills (Naturale/ Doctrinale/ Morale/ Historiale), Douai 1624. In dieser Ausgabe zäh lt das Speculllm Histodale als vierter Band 31 Bücher, da das erste Buch mit der allge meinen Ein leitung und den Tabulae weggelassen ist; die Zitierung erfolgt nach Büchern (/ib. ) und Kapiteln (c.). 18 Zur Organisation und Zählung der Bücher im Speculllnl Jristoriale vgl. Rudolf Weigand: Vinzenz von Beauvais, 45 - 69; und Johan B. Voo rbij: Hel ,Speculum Hisloriafeq1an VirlCent van Beauvais. 109 - 129. 15
WISSEN VON AUGUSTINUS DEUTSCH?
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lichem Stil Bemerkungen verschiedener Historiographen zu Augustinus." In zwei weiteren Kapiteln zählt Vinzenz dann die ihm bekannte n Schriften Augustins auf, zunächst jene, welche er selbst eingesehen hat (cap. 54), immerhin eine Liste von 131 Titeln, dazu noch die summarisch benannten Sammlungen von '50 Epistolas parvas et diversos und 200 Sermones diversos. Die Zahl spiegelt die mittelalterliche Vorstellung vom Gewicht Augustins, denn er selbst führt in seinen Retractationes nur 94 eigene Werke an. In einem zweiten Teil folgen jedoch noch zusätzliche Schriften, von denen Vinzenz nur Titel nennen kann (cap. 55), weitere 21 namentliche Nummern, sowie der Verweis auf eine noch größere Zahl von Texten, deren Zuschreibung dem Chronisten jedoch zweifelhaft erscheint. Mit cap. 56 beginnen die wörtlichen Auszüge aus den Schriften Augustins. Angesichts des vorangestellten opulenten Katalogs erstaunt die hierbei von Vinzenz vorgenommene, sehr begrenzte Auswahl: Aus ganzen drei Werken liefert er Exzerpte, nämlich den Confessiones, dazu aus Oe doctrina christiana sowie aus Oe opere monachorum. Mit 34 Spalten (7 14a bis 729b) bei durchschnittlich 70 Druckzeilen erreichen die Auszüge nahezu 2400 Zeilen im Großfolioformat. Höchst unterschiedlich ist dabei die Menge des exzerpierten Materials verteilt. Die Partien aus den Co nfessiones umfassen volle 38 Kapitel (cap. 56 - 92), immerhin noch fünf (93 - 97) sind der Schrift Oe doctrina christiana vorbehalten, nur mehr zwei (98 und 99) berichten aus Oe opere monachorum. Unübersehbar ist damit der überragende Stellenwert, den Vinzenz den Confessiones in Augustins Gesamtwerk einräumt. Die Verteilung der Exzerpte über die Confessiones hinweg legt den Schwerpunkt deutlich auf Buch 10 (cap. 77 - 89), wohingegen Buch 5 und 6 (cap. 67 und 68) nur in straffer Kürzung benutzt wurden," aus den Büchern 12 und 13 hat Vinzenz überhaupt keine Passagen herangezogen. Damit zeigt er ein Verständnis Augustins, das doch deutlich von manch reduktive r Sicht im Mittelalter abweicht."
Zun ächst werden Ge nnadiu s, Hieronymus und Prosper genannt. Die letzte Passage in diesem Kapitel über Augustinus eröffnet Vinzenz mit der Notiz Author. Mit dieser Zuweisung kennzeichnet er zwar bisweilen auch seine eigenen Bemerkungen, meist handelt es sich aber Um Stellen, die er seine r Hauptquelle, der Chronik des Helinand von Froidemont entnommen hat. vgL RudolfWeigand: Vinzenz von Beauvais, 69 -76, bes. 72. Zu Augustinus bei Vinzenz vgl. auch Ludwig Lieser: Virlzenz von Beauvais als Kompilator und Philosoph, 26 - 31. 20 1m Nachd ruck der Ausgabe Douai 1624 ist mittels der beigefügten Marginalien lekht die Herkunft der Confessiones-Zitate zu verifizieren. Allerdings treten im mer wieder leichte Verschie bu,ngen auf, so sind Abschnitte aus cap. 6 des zweiten Buches schon dem cap. 7 zugewiesen. 21 Vgl. Norbert Fischer: Meister Eckhart und Augustins Confession es, 2; er weist daraufhin, da ß das vo n Vinzenz breit exzerpie rte 10. Buch häufig unter die gleiche Mißachtung fiel wie di e Bü cher 11 bis 13. 19
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2.1
RUDOl..F KI l..I AN WEIGAND
Verdeutschung des ,Specu/um historio/e(
Mittels eines Übe rsetzungsunternehmens des Speculum Historia/e in die deutsche Sprache. im ' 4. Jahrhundert wohl vom Deutschen Orden initiiert." konnten diese planmäßig exzerpierten Teile der Confessiones und damit erstmals ein umfangliches Werk Augustins von einem volkssprachigen Publikum im deutschen Sprachraum gelesen werden. Auch die Forschung verstand diese Exzerpte lange Zeit als Augustinus-Texte: Es dauerte Jahrzehnte. ehe Vinzenz als Mittlerquelle identifiziert werden konnte. 2J Wie verbreitet die Übersetzung des Specu/um historia/e und damit auch die der Confessiones· Auszüge war. vermögen wir heute nicht mehr sicher festzustellen. Immerhin kann man wohl von mindestens zwei in Fragmenten erhaltenen PergamentHandschriften ausgehen. Daraus lassen sich für den Einzelfall aber nur schwer quantitativ belastbare Folgerungen ableiten." Diese Speculum-historiale- Übersetzung war freilich nicht der einzige Weg. auf dem Vinzenz' Exzerptsammlung in den deutschen Sprachraum gelangte. Bekanntlich übertrug Jacob van Maerlant das Speculum historiale unter dem Titel Spiegel historiael ins Niederländische; Teile. die er selbst nicht mehr vollenden konnte. wurden durch Lodewijk van Velthem und Philip Utenbroeke ergänzt." Diese niederländische Version fand das Interesse oberdeutscher Bücherfreunde. zumindest der vierte Teil des Spiegel wurde wohl im Nürnberger Raum in den örtlichen Dialekt übertragen. Zwei umfangreiche. in Nürnberger Patrizierfamilien entstandene Handschriften sind heute noch erhalten. 26 Ob auf diesem Weg auch Augustinus-Teile mittransportiert wurden. muß offenbleiben. Augustinus-Kenntnis rur ein volkssprachiges Publikum im deutschen Sprachraum erschöpft sich im 14. Jahrhundert jedoch keineswegs in diesen umfangreichen Exzerpt-Übertragungen. Sie wird begleitet von einer breit gefacherten indirekten Rezeption. Denn in Predigt. Traktat und Erbauungsliteratur bis hin zur Dichtung wurde der angesehene Lehrer eifrig zitiert. in der Mehrzahl freilich mittels anonymer Aussagen. aber in gar nicht seltenen Fällen durchaus auch unter Nennung von Name und Werktitel." Vgl. RudolfWeigand: Vinzenz von Beauvais. 138-147. bes. 143. 2l Vgl. Paul Lehmann/Otto Glauning: Mittelalterliche Handschriftenbruchstücke der Universitätsbiblioth ek und des Georgianum zu München. 24 Vgl. Uwe Neddermeyer: Möglichkeiten und Grenzen einer quantitativen Bestimmung der Buchproduktion im späten Mittelalter. II Vgl. }acob va" Maer/ants Spiegel Itistoriael met de fragmenten der later toegevoegde gedeellen. 3 Bände. 26 Berlin, SBPK mgq 2018 (aus dem Besitz der Nürnberger Patrizierfamilie Schürstab) und 22
Wien, ÖNB. CPV 2902 (aus dem Besitz der Familie Volkamer/ Volkmayr). Zur deutschen ReSpiegel historiael vgl. Rudolf Weigand: Vinzenz von Beauvais, 186 - 204. 17 Vgl. Kurt Ruh: Augustinus. Heiliger und Kirchenvater, 541 - 543.
zeption des
WISSEN VON Al:GUST IN US DEUTSOl ?
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Daß in der Verifizierung solcher Bezüge zunächst der Nachweis von AugustinusZitaten im Rahmen der Erforschung der .deutschen Mystik, im Vordergrund steht. kann kaum verwundern. Gerade im Bereich dieses Schrifttums gelten Augustins Werke als eine •Fundgrube von Anregungen' hinsichtlich der mystischen Spekulation" Für Meister Eckhart ist ausführlich belegt. in welch vielfaltiger Weise er zu den eifrigen Nutzern von Augustins Schriften gehört." Doch auch in Werken. die in ihrer Intention nicht auf spirituell bestimmte Lebensführung. ja nicht einmal vordringlich auf ein geistliches Publikum zielen. lässt sich eine breite und ausgeprägte Augustinus-Rezeption und -Zitation nachweisen. Auf diese Weise wird der Name des Bischofs nun in weite deutschsprachige Kreise getragen. denen die lateinischen Texte des Lehrers nicht verständlich waren. Damit läuft der Vermittlungsweg ähnlich wie bei anderem ursprünglich lateinisch verbreitetem Gelehrtenschrifttum: Man bedient sich in Zitaten und Auszügen durchaus der Textinhalte zur Bekräftigung und Beglaubigung im Rahmen von Vermittlung und Argumentationsstrukturen. Nur selten aber streben die gelehrten Wissensvermittler ein vollständiges Angebot dieser Texte in der Volkssprache an. sie begnügen sich mit dem beglaubigenden Zitat."
2 .2
Verwertung im >Renner, des Hugo von Trimberg
Als besonders wirkungsmächtiges Beispiel einer Transferierung von gelehrten Wissenssplittern mittels der Insertion in volksspachliche Belehrungsdichtung kann man das gereimte didaktische Großwerk Renner des Hugo von Trimberg anführen. Er wirkte von ca. 1265 bis nach 1310 als Schulmeister am Bamberger Vorstadt-Stift St. Gangolf. Zeitlich nahezu parallel zum theologischen Schaffen Eckharts in der spekulativen Theorie von dessen Predigten. bringt Hugo auf ganz anderer Ebene die Texte und das Gedankengut Augustins einem deutschen Publikum nahe." Obwohl als reetar scolarum nur Laie. versteht auch Hugo sich als Prediger. aber in einer eingeschränkten Weise:
Z8 Via S törmer~Caysa:
Einführung in die mittelalterliche Mystik, hier 70 - 72, (Zitat) 70. Die Erfo rschung der Rezeption Augustins durch Eckhart hat derzeit Konjunktur. Vgl. zunächst Johannes Brachtendorf: Metaphysik und Mystik bei Augustinus und Meister Eckhart, hier in diese m Band. Demnächst auch Freimut Löser: Wann, wie oft und wie genau zitiert ei~ gen t/ich Meister Eckhart AI4gustimlS?; sowie Norbert Fischer: Meister Eckhart und die Co nfes~ siones Augustins. 30 Vgl. Rudolf Weigand: Vin zenz von Beauvais, 279 f. JI Vgl. Rudolf Kilian Weigand. Der ,Renner( des Hugo von Trimberg, zur Biographie 20 - 27. zum Werktitel215. Der Text wird im folgenden zitiert nach Gustav Ehrismann (Hg.): Der Renner 29
VO n
Hugo vo" Trimberg.
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RUDOLF KILIAN WEIGAND
Irdisch guor und irdisch ire
Wil der heiligen schrift /ere 56 gar vertiligell und vernihten, 5wie vii wir predigelI, schriben, tihten, Da z doch leider Clf erdeIl hiute Vii zwifeler ist ulld arger liute. (RenIler; V. 2005 - 10)"
Die drei Worte predigen, schriben, tihten kennzeichnen Hugos Verfahren, wobei er sein spezifisches Verständnis von predigell an anderer Stelle noch präzisiert:
Rehtiu bihte hdt sibenzehen stücke, 5wer diu ze rehte Clz legen wölte, Daz zimt pfaffen und münchen wal,
Diu ich durch kurzen under zücke: Wolman im des danken sälte: Ein leie niht tiefe predigen sol."
Mit diesem Verfahren einer >einfachen PredigtRenner< stellt Hugo es sogar als sein besonderes Verdienst heraus, daß er mit seiner Dichtung die Inhalte vieler We rke, die bisher in deutscher Sprache nicht zugänglich waren, nunmehr für sein Publikum verfügbar gemacht hat (v. a. V. 24543 - 55 1):"
Jl »Besitz und Ansehen in dieser Welt wird die Lehre der Heiligen Schrift so gänzlich vertilgen und vernichten. da kann ich predigen. schreiben. dichten was ich will; auf Erden gibt es fast nur Zwe ifler und böse Menschen . Rennerc des Hugo von Trimberg. 346 - 358; dort 365 - 374 auch Inhaltsangaben zu den Hauptabschnitten. Hugo faßt die siebe n Hauptsünden in nur sechs Abschnitten zusammen (V 269 - 18000). we il er die Sünden ira und it/vidia (zom und nil) zu einer ei nzigen Gruppe zu sammenstellt (V 13964 -15946). Aur den Sündenteil folgen ab Vers 18001 die Erwägungen über die rechte Lebensführung und die Mittel hierfür (Reueteil mit Heilslehre, bis V. 24283 ), V. 24484 - 246t1steht Hugos Epilog, .Mi Aur diese Stelle verweist am Rande schon Dietrich Schmidtke: Die künstlerisclle Selbstaujfa ssung Hllgos von Trimberg, hier 330.
WISSEN VON AUGUS TIN US DEUTS C H ?
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Was ich nicht in Gänze erläute rt habe, hat S1. Bernhard umfassend ausgefUhrt in seinen fUnf Büchern De consideratione. Dort kann der Alte und der Junge Der InUn wal versten kan, dem das Latein geläufig ist, herausfinden, Waz er tuon sol oder !än. was er tun oder lassen soll. Jeder, der Swer ganzer tugent lere wil suoehen eine umfassende Tugendlehre suchen will, Der frage nach sani Gregorien buochen, der frage nach den Hiob-Büchern, die Diu er geschriben haI uf Job: der Heilige Gregorius geschrieben hat. Dä \lindet er marliger luge,,' top. Dort findet er das Lob fUr viele Tugenden. Dise zwen und sa nt Ambrosius, Die genannten zwei und Sankt Ambrosius, Sa nt Augustin und /er6nimus Sankt Augustin und Hieronymus, und Und sani lohan der Gu/din Munt, der Heilige lohannes Chrysostomus, dessen Lehre auch weithin bekannt wurde, Des tere auch witen ist worden kun/, und viele andere der hohen Lehrer waren Und manige ander hOhe /erer Wären Kriechen, Walhen, Lamparter, Griechen, Romanen oder Lombarden, Den tiutschiu spräche was unbekant. denen die deutsche Sprache unbekannt war. Swa diz buoch \lert durch diu fant, Wo auch immer dies Buch durch die Lande reist, In Swaben, in Düringen, in Beiern, in Franken in Schwaben. Thüringen oder Franken, Da süln tiutsche /iut e danken da sollen die deutsch sprechenden Leute Miner sele mit irm gebete, mit ihrem Gebet meiner Seele danken, Mit afmuosen, mit anderre guotete, auch mit Almosen und anderen guten Werken, Daz ich vii fremder tere in han daß ich ihnen viel an fremder Lehre In tiutscher zWlgen kunl getdn, in deutscher Sprache bekannt gemacht habe, Die manie jar \lor und dennoch hiure die etliche Jahre zuvor in Deutsch rar war In tiutscher spräche ware'I Nure. und auch heute noch ist. (Renner; V. 24526 - 24551)
Swaz ich niht genzlich Irän geriiert, Daz hat sant Bemhart ga r \lolfüert All shlen fünf buocheu der Merkunge: Da merke der alte und auch der junge,
In seiner Zitierfreudigkeit, die mit der Aufzählung etlicher Quellen in diesem Schlußabschnitl noch einmal unterstrichen wird, unterscheidet sich Hugo wesentlich von früheren Autoren didaktischer Werke in deutscher Sprache wie Freidank oder Thomasin von Zerclaere." Doch er nennt nicht nur die Autoritäten und deren Werke und zitiert vereinzelt aus ihnen. Auch in Passagen, die von Hugo eigenständig gestaltet werden, greift er in Appellen immer wieder auf Gedankengut seiner Gewäh rsmänner zurück. Das gilt flir Augustinus in so hohem Maße, daß Rosenplenter den .AugustinismusGesta RomarlOrU!1I ! und das )Solseqlliwn l Hugas von Trimberg, hi er 176 f. 42 Der Zitatgeb rauch Hugos ist umfassend aufgearbeitet von Lut z Rose nplenter: Zitat und Autoritiitenberufung im Renner Hugos von Trimberg; zu den Zahlen für die einzeln en Autoren vgl. do rt 290 . AUerdin gs ist zu bedenke n, daß zu den aufgeführten namentli chen Nennungen noch ein e ganze Reihe anonyme Zitieru nge n von Augustinus-SteUen (u.nd ebenso anderen 39
WISSEN VON AUGUSTINUS DEUTSCH?
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Betrachtet man die Augustinus-Zitate bei Hugo näher, so lassen sie sich in verschiedene Typen unterteilen. Mehrfach treten reine Namensnennungen mehrerer Autoritäten auf: Ob sant Benedictus hat bewart Sin sele und sant Bernhart, Franciscus und sa'lt Augusttn, Waz hilfet daz die sele mln? (Renner; V. 3719 - 3722, ähnlich V. 9346). An anderen Stellen wird Augustinus als Autorität für die Auseinandersetzung mit dem Gedankengut jüdischer Gelehrter genannt: Swer aber mit filze nimet in Swaz geschriben hat sant Augustin Von dem geiste und von der schrift, Der Mt den juden irs valsches wift Und treit mit im frcelich hin heim Des rehfen gelouben honicseim. (Renner; V. 17315 - 320)
Kurze Zitate aus nicht genauer benannten Schriften bilden die nächste Gruppe: Diz schribel min herre sant Augusttn: »Got herre, Id dir geklaget sin, Daz wir diner worte s6 lützel ahten Und ander dinc vii mere betrahten, An den der ewigen selikeit Niht lit eines twerhen halmes breit!« (Renner; V. 16609 - 614)
Manche dieser knappen Passagen lassen sich in Augustins Werk konkret identifizieren, so die folgende Stelle, die den Confessiones entnommen ist:
Da von sprach sant Augustin Ein wort, bt dem gedenke ich sin: »Nieman wol betwwlgen luot, Aleine doch daz er tuot si guot.« (Renner; V. "541- 544)
Als Quelle kann man hierfür con! 1,12 nachweisen: nemo enim invitus bene faeit, etiamsi bonum esl quod faeil. Durch solche Vergleiche gelingt es ferner, auch anonymen Zitaten auf die Spur zu kommen, bei denen Hugo auf eine Quellenangabe Kirchenlehrern) kommen. Deren Aufarbeitung ist noch ni cht einmal ansatzweise in Angriff geno mmen.
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RUOOLf KILIAN WE I GANO
verzichtet, die aber eindeutig mit anderweitig markierten Zitaten übereinstimmen. Der eben genannte Confessiones-Rekurs von V. 11541 wird inhaltlich mindestens noch zwe imal in abgewandelter Form im tRe nnen verwertet:
Swelch dine lila" mit unwillen tuot, Daz wirt selten immer guot: (Renner; V. 1921/22, vgl. auch V. 18047 f.)
Durch solche Beobachtungen wird augenHillig, daß der Anteil der Augustinus- Verwertung weitaus größer sein muß, als sich das aus der Auflistung der benannten Zitate ablesen läßt. Durch Ergänzung der vorhandenen Listen um solche Stellen wird erst der eigentliche Einfluß von Augustinus aufHugo sichtbar. Er ist aber schon an Zitaten ablesbar, die längere Passagen aus Schriften Augustins bieten:
Daz wir der gelläden teilhaft sin, Dar zuo retet uns sant Augustin:
»Mensel,., du solt gedenk... reht War zuo und wie w,d wer dich mech te
Und war uz er dich habe gemacht! So du daz gar wol hast bedaht, 56 soltu denne merken eben,
0", wie vii guo tes du wöllest geben Ditl ougen, nasen, jüeze oder hant: S6 vindestu gar schier riche pfant All dir selben, der du selten
Gote dankest!. Wer kö"de vergelten Der sele kraft und wirdikeit, An die grdz wl/nder ist geleit, Swemle si von dem libe en trinnet Daz denne den menschen n;eman minnet? (Ren ner; V. 24363 - 378, ähnlich civ. 11 ,2 1)
Nicht immer läßt Hugo den Leser oder Hörer darüber im Unklaren, auf welches Werk Augustins er seine Aussagen stützt. Das zeigt der folgende summarische Verweis auf das ,Enchiridon