Martin Lenz Auf dem Weg zur sozialen Stadt
SOZIALWISSENSCHAFT
Martin Lenz
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Martin Lenz Auf dem Weg zur sozialen Stadt
SOZIALWISSENSCHAFT
Martin Lenz
Auf dem Weg zur sozialen Stadt Abbau benachteiligender Wohnbedingungen als Instrument der Armutsbekämpfung
Deutscher Universitäts-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Karlsruhe, 2007
1. Auflage Juni 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frauke Schindler / Ingrid Walther Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-6072-2
Meiner Familie
Danksagung Um die nachfolgende Arbeit vorlegen zu können, bedurfte es verschiedenster Unterstützungsformen: Mein Dank gilt zuvorderst Herrn Prof. Dr. Bernhard Schäfers, Leiter des Instituts für Soziologie der Universität Karlsruhe (TH), der mir die Möglichkeit eröffnete, diese Arbeit schreiben zu können. Mein Dank gilt zudem Frau PD Dr. Yvonne Bernart, der Zweitkorrektorin meiner Dissertation, die mir wichtige Impulse gab. Herrn Dr. Andreas Ramin und Frau Dr. Bianca Lehmann danke ich ebenfalls für hilfreiche Unterstützung. Neben der wissenschaftlichen Unterstützung bedurfte es der privaten, denn es galt, Familie, Dissertation und Beruf zu vereinbaren. Mein Dank gilt hier meiner Frau Bettina und meinen Kindern Lena und Benjamin, die auch im Urlaub zeitweise auf mich verzichten mussten. Für eine Atmosphäre, in der es sich sehr effizient und angenehm arbeiten ließ, bedanke ich mich bei Familie Mainberger, unserer Urlaubsherberge in Kressbronn/Poppis am Bodensee. Die Vereinbarkeit mit meinem Beruf gewährleistete Herr Stadtdirektor Josef Seekircher, dem ich dafür ebenfalls herzlich danken möchte, wie auch einigen ungenannten „Wegbegleitern und -begleiterinnen“, die mir wertvolle Hinweise gaben. Martin Lenz
VII
Inhaltsverzeichnis
I
Einleitung
1
II
Grundzüge des theoretischen Bezugsrahmens
7
1
Theoretische Perspektiven zur Analyse benachteiligender Wohnbedingungen Grundlagen und Ansätze von Segregationstheorien . . . . . . . . Die Tradition der Chicagoer School . . . . . . . . . . . . . . . . Sozialökologischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Polit-ökonomischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feministischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herausforderungen für die Stadtsoziologie . . . . . . . . . . . . . Segregation und soziale Ungleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . Segregationsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gentrification und Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Segregation in kommunaler Perspektive . . . . . . . . . . . . . . Das Konzept der „Sozialen Durchmischung“ . . . . . . . . . . . . Zur Funktion soziologischer Stadtforschung in der kommunalen Planungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sozialplanung: Das Konzept des Wohnquartiers . . . . . . . . . . Sozialraumanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sozialberichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.4
Sozialer Wohnungsbau, kommunale Wohnungspolitik und der Wandel von Wohnbedingungen 2.1 Exkurs: Die Filtering-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Kommunale Wohnungspolitik und Stadtentwicklung (Mesoebene) 2.2.1 Der Markt der Sozialwohnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Die Bedeutung der Stadtanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Rahmenbedingungen im Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . .
9 12 12 14 17 19 21 22 24 30 34 36 38 39 40 43 44
2
47 47 52 52 55 56 IX
2.2.4 Soziale Segregation als Aufgabenfeld der kommunalen Wohnungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Gesetze und Konzepte zur Frage von Obdachlosigkeit (Makroebene) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Obdachlosenwohnungen und Reduzierung des sozialen Wohnungsbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Sanierung und Aufwertungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Sozialplan und erhaltende Stadterneuerung . . . . . . . . . . . 2.4 Von benachteiligten zu benachteiligenden Wohnbedingungen (Mikroebene) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Einfluss räumlicher Faktoren auf soziales Verhalten . . . . . . 2.4.2 Milieu als Ressource der Lebensbewältigung . . . . . . . . . . 2.4.3 Die Bedeutung des Raumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Sozialräumliche Deprivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.5 Wohngebiete mit Entwicklungsbedarf und Städtebauförderung 3
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.4 3.4.1 X
. 59 . 63 . 64 . 65 . 66 . . . . . .
71 71 73 75 77 80
Kommunaler Umgang mit benachteiligten Wohngebieten in Deutschland nach 1945 am Beispiel der Stadt Karlsruhe 85 Die Phase 1945-1970: Baracken und Obdachlosensiedlungen . . . 85 Die Zerstörung von Wohnraum als Folgen des Krieges . . . . . . 85 Die Situation in Karlsruhe seit 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Die Entwicklung der Karlsruher Bevölkerung und des Wohnungsbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Die Thematik „Wohnen“ im Karlsruher Gemeinderat und die Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Die Phase 1970-1990: „Soziale Brennpunkte“ . . . . . . . . . . . 99 Rehabilitationsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Das Obdachlosenprogramm in Karlsruhe . . . . . . . . . . . . . 101 Maßnahmenkatalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Der Begriff „Sozialer Brennpunkt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Die 1990er Jahre: „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Kommunale Programme für die „soziale Stadt“ . . . . . . . . . . 108 „Überforderte Nachbarschaften“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Soziale Stadtteilentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Integrative Handlungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Umsetzung auf Länderebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Die Entwicklung der „sozialen Stadt“ Karlsruhe in den 1990er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Gesamtkonzept „Wohnungslosenhilfe ‘97“ . . . . . . . . . . . . . 120
3.4.2 Sachstandsberichte und Befragungen . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3.4.3 Zugrunde liegende und zu überprüfende Annahmen . . . . . . . 126
III Empirische Untersuchung: Wohngebiete mit Entwicklungsbedarf aus Sicht ihrer Bewohner/innen 129 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9
Methodische Vorgehensweise Methoden der empirischen Sozialforschung . . . . . . . . . . . Zum Unterschied von quantitativen und qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Tradition der Gemeindestudien der Chicagoer Schule . . . Theoriebildung und Hypothesengenerierung . . . . . . . . . . . Die Möglichkeiten der Triangulation . . . . . . . . . . . . . . . Die Methode der Befragung und der Fragebogen als Erhebungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansatz des Monitoring: Sozialprofile Bewohnerinnen/Bewohner und Wohnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131 . 131 . . . .
131 133 134 135
. 137 . 139
Geschichte und Sozialstruktur der untersuchten Wohngebiete 143 Gewann Lachäcker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Gewann Kleinseeäcker, Karl-Flößer-Straße . . . . . . . . . . . . 146 Bernsteinstraße, Edelbergstraße, Nußbaumweg . . . . . . . . . . 148 Elsternweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Wohngebiete mit Entwicklungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . 151 Demographische Merkmale und Sozialprofil der Befragten („raumwirksame Sozialstruktur“): 1994-2000 155 Geschlechterverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Altersverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Haushaltsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Familienphasen der Haushalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Einkommenssituation der Haushalte . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Geburtsort und Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Bildungsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Berufsausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Sozialprofil I der Bewohner insgesamt (im Durchschnitt): 19942000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 XI
4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6
Wohnen („sozialwirksame Raumstruktur“): 1994-2003 Wohndauer im Wohngebiet sowie in Karlsruhe . . . . . . . . . Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auszugswunsch/Wohnpräferenzen („sozialwirksame Raumstruktur“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beurteilung der Wohngebiete aus Sicht der Bewohner/innen . Soziale Beziehungen/Nachbarschaftsentwicklung . . . . . . . . Sozialprofil II: „Wohnen“ insgesamt (Durchschnitt) . . . . . . .
175 . 175 . 176 . . . .
177 179 180 183
5
Sozialräumliches Monitoring in benachteiligenden Wohngebieten als sozialplanerischer Beitrag zur sozialen Stadt(teil)entwicklung: Drei ausgewählte Wohngebiete (1994-2003) 187 5.1 Die Ausgangslage des sozialräumlichen Monitoring (Änderungswünsche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 5.2 Entwicklung der Geschlechter- und Altersverteilung . . . . . . . 191 5.3 Entwicklung der Haushaltsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 5.4 Haupteinkommen der Haushalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 5.5 Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 5.6 Bildungsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 5.7 Berufsausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 5.8 Wohndauer im Wohngebiet sowie in Karlsruhe . . . . . . . . . . 201 5.9 Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 5.10 Auszugswunsch/Wohnpräferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 5.11 Beurteilung der Wohngebiete aus Sicht der Bewohner/innen . . 205 6
Sozialprofil III: Monitoring der drei Wohngebiete (19942003) 209
7
Allgemeine Tendenzen der Entwicklung der Sozialprofile 215
IV Sanierungsbezogene Sozialplanung als Chance zur Partizipation und Überwindung sozialer Benachteiligung: Prozessmodell der nachhaltigen Stadt(teil)entwicklung 217 1 1.1 XII
Sozialplanung in der Stadtplanung 219 Sozialplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
1.2 1.3 1.4 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6
Entwicklung des Konzeptes der Sozialplanung innerhalb der Stadtsoziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Zu Problematik und Chancen des Sozialplans . . . . . . . . . . . 222 Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . 223 Die Konzeption der „sozialen Stadt“ Konzeptionalisierung des Sozialen in der „sozialen Stadt“ . . . Sozialplanung in der „sozialen Stadt“ . . . . . . . . . . . . . . Sozial-integrative Wohnungspolitik in der „sozialen Stadt“ . . . Wohnraumakquise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ganzheitliche Sichtweise auf Integration . . . . . . . . . . . . . Wohnraumkonzepte als Grundlage der kommunalen Wohnungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
227 227 229 232 234 235
. 237
3 3.1 3.2 3.3 3.4
Sozialplanung im kommunalen Kontext Gesetzliche Grundlagen für die Sozialplanung Träger der kommunalen Sozialplanung . . . . Der Beitrag der Sozialwissenschaften . . . . . Controlling und Evaluation . . . . . . . . . .
4
Diskussion der empirischen Ergebnisse und das Prozessmodell der nachhaltigen Stadt(teil)entwicklung 247 Die historische Fragestellung: Die Erklärung der gegenwärtigen Situation im Bereich der benachteiligenden Wohnbedingungen . 247 Gegenwartsbezogene Fragestellung: Die angemessene Analyse benachteiligender Wohnbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Zukunftsweisende Fragestellung: Interdisziplinäres Modell für die kommunale Planungs- und Handlungsspraxis sozialer Stadt(teil)entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
4.1 4.2 4.3
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
239 239 240 241 244
Literatur
257
Abkürzungen
275
XIII
Abbildungsverzeichnis 1 Mikro-Makro-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2 Analyse-Modell „Benachteiligende Wohnbedingungen in Karlsruhe“ 45 3 Darstellung der Annahmen der Filtering-Theorie bei konstanter Einkommensverteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 4 Sozialmietwohnungen in Karlsruhe 1989-1999 . . . . . . . . . . . . 53 5 6 7 8 9 10
Wohnwürdige bewohnte Wohnungen in Karlsruhe 1950 . Haushalte ohne eigene wohnwürdige Wohnung 1945 . . Entwicklung der Karlsruher Bevölkerung 1945-1948 . . . Verzahnung unterschiedlicher Politikfelder . . . . . . . . Maßnahmenbereiche der Fördermittel „Soziale Stadt“ . . Mehrperspektivische Sozialraumanalyse und Aktivierung
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
87 88 92 116 117 127
11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
Geschlechterverteilung der Wohngebiete . . . . . . . . . . . . . Altersgruppen der Wohngebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haushaltsstrukturen Wohngebiete (Entwicklung) . . . . . . . . Familienphasen einzelner Wohngebiete (2000/01) . . . . . . . . Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schulabschluss der Bewohner/innen . . . . . . . . . . . . . . . Altersverteilung in den Wohngebieten insgesamt (Durchschnitt) Haushaltsgrößen insgesamt (Durchschnitt) . . . . . . . . . . . . Familienphasen insgesamt (Durchschnitt) . . . . . . . . . . . . Einkommen der Haushalte insgesamt (Durchschnitt) . . . . . . Haushaltsstrukturen (Durchschnitt) . . . . . . . . . . . . . . . Geburtsort insgesamt (Durchschnitt) . . . . . . . . . . . . . . . Geburtsort und Staatsangehörigkeit insgesamt (Durchschnitt) . Schulbildung insgesamt (Durchschnitt) . . . . . . . . . . . . . . Berufsausbildung insgesamt (Durchschnitt) . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .
156 158 160 162 166 168 169 170 170 171 171 172 173 173 173
26 27 28 29
Wohndauer im Wohngebiet/in Karlsruhe (Entwicklung) . Auszugswunsch (Entwicklung) . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung des Nachbarschaftsklimas 1995-2000 . . . . . Bevorzugte Stadtteile auszugswilliger Haushalte 1987-1997
. . . .
. . . .
176 178 181 182
. . . .
. . . . . .
. . . .
. . . .
XV
30 31 32 33
Herkunft insgesamt (Durchschnitt) Auszugswunsch (Durchschnitt) . . Wunsch-Wohnort (Durchschnitt) . Beurteilung von Wohnbedingungen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Durchschnitt)
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
183 184 184 185
Änderungswünsche Nußbaumweg/Kleinseeäcker (1996) . . . . . . Altersverteilung Kleinseeäcker (Entwicklung 1996-2003) . . . . . Altersverteilung Nußbaumweg (Entwicklung 1996-2003) . . . . . Altersverteilung Lachäcker (Entwicklung 1994-1999) . . . . . . . Haushaltsgrößen Kleinseeäcker (Entwicklung 1996-2003) . . . . . Haushaltsgrößen Nußbaumweg (Entwicklung 1996-2003) . . . . . Haushaltsgrößen Lachäcker (Entwicklung 1994-1999) . . . . . . . Haushaltsstrukturen Wohngebiete (Entwicklung) . . . . . . . . . Einkommen der Haushalte (Entwicklung) . . . . . . . . . . . . . Staatsangehörigkeit der Wohngebiete (Entwicklung) . . . . . . . Schulbildung Wohngebiete (Entwicklung) . . . . . . . . . . . . . Berufsausbildung der Wohngebiete (Entwicklung) . . . . . . . . . Auszugswunsch (Entwicklung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bevorzugter Stadtteil bei Umzug Kleinseeäcker (Entwicklung) . . Bevorzugter Stadtteil bei Umzug Nußbaumweg/Lachäcker . . . . Änderungswünsche sozial-/baulich-räumlicher Art Kleinseeäcker (Entwicklung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Änderungswünsche sozial-/baulich-räumlicher Art Nußbaumweg (Entwicklung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Änderungswünsche sozial-/baulich-räumlicher Art Lachäcker (Entwicklung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .
190 192 192 193 194 195 195 195 197 198 200 201 204 205 205
52 53 54 55 56 57 58 59 60 61
. . . . . . . . . .
34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49
Staatsangehörigkeit Monitoring (insgesamt) . Altersverteilung Monitoring (insgesamt) . . . Bildungsniveau Monitoring (insgesamt) . . . Berufsausbildung Monitoring (insgesamt) . . Haushaltsformen Monitoring (insgesamt) . . . Haushaltsgrößen Monitoring (insgesamt) . . . Einkommen Monitoring (insgesamt) . . . . . Auszugswunsch Monitoring (insgesamt) . . . Bevorzugter Stadtteil Monitoring (insgesamt) Änderungswünsche Monitoring (insgesamt) .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
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. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. 206 . 207 . 207 209 210 211 211 211 212 213 213 214 214
62 Soziale Durchmischung im Sinne von Aufwertung von Wohngebieten253 63 Prozessmodell der nachhaltigen Stadt(teil)entwicklung . . . . . . . 254
XVI
Tabellenverzeichnis 1
Sozialmietwohnungen 1989-1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
2 Entwicklung der Karlsruher Bevölkerung 1945-1948 . . . . . . . . 3 Ausgewählte Tagesordnungspunkte Gemeinderat Stadt Karlsruhe 4 Unterkünfte sozialer Randgruppen 1973 . . . . . . . . . . . . . . 5 Sonderschulquote in Obdachlosensiedlungen 1973. . . . . . . . . . 6 Bevölkerungsentwicklung Obdachlosensiedlungen 1973-1980 . . .
. . . . .
92 96 102 103 105
7 Gesamtübersicht über alle Befragungen (1994-2003) . . . . . . . . 142 8 9 10 11 12 13 14 15
Alle Befragten in Lachäcker (1994-1999) . . . . . . . . . Alle Befragten in Kleinseeäcker (1996-2003) . . . . . . . Alle Befragten in der Karl-Flößer-Straße (1999) . . . . . Alle Befragten im Nußbaumweg (1996-2003) . . . . . . . Alle Befragten in der Bernsteinstraße (1996) . . . . . . . Alle Befragten in der Edelbergstraße (2000) . . . . . . . Alle Befragten im Elsterweg (2000) . . . . . . . . . . . . Gebietstypen der Wohngebiete mit Entwicklungsbedarf
. . . . . . . .
. . . . . . . .
146 147 147 149 149 149 150 152
16 17 18 19 20 21
Geschlechterverteilung Wohngebiete (n=833) . . . . . . . . . . . Altersverteilung Wohngebiete (n=823) . . . . . . . . . . . . . . . Altersgruppen Wohngebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haushaltsgrößen (n=300) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haushaltsstrukturen Wohngebiete (n=307) . . . . . . . . . . . . Familienphasen Edelbergstraße, Elsternweg, Kleinseeäcker, Nußbaumweg (n=171) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einkommen der Haushalte (n=376) . . . . . . . . . . . . . . . . . Geburtsort (n=802) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsangehörigkeit (n=818) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schulbildung (n=479) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berufsausbildung (n=451) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
155 157 157 159 159
. . . . . .
162 164 165 165 167 168
22 23 24 25 26
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
27 Wohndauer in Jahren Wohngebiet/Karlsruhe (n=814) . . . . . . . 175 28 Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 29 Auszugswunsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 XVII
30 31 32 33
Wunsch Wohnort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Änderungswünsche sozial-räumlicher/baulich-räumlicher Natur „Mir gefällt am besten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bevorzugte Stadtteile auszugswilliger Haushalte 1987/1997 . .
. . . .
34 Änderungswünsche Nußbaumweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Änderungswünsche Kleinseeäcker . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Entwicklung der Geschlechterverteilung Wohngebiete (Entwicklung) (n=1387) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Altersverteilung Wohngebiete (Entwicklung)(n=1364) . . . . . . 38 Haushaltsgrößen (n=521) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Haushaltsstrukturen Wohngebiete (Entwicklung)(n=527) . . . . 40 Einkommen der Haushalte (Entwicklung)(n=525) . . . . . . . . . 41 Staatsangehörigkeit (Entwicklung)(n=1351) . . . . . . . . . . . . 42 Schulbildung (Entwicklung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Schulbildung (Berufsausbildung (Entwicklung)(n=741) . . . . . . 44 Wohndauer in Jahren Wohngebiet/Karlsruhe (Entwicklung) . . . 45 Herkunft (Entwicklung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Auszugswunsch (Entwicklung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Bevorzugter Stadtteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Änderungswünsche sozial-räumlicher/baulich-räumlicher Natur .
XVIII
. . . .
179 180 180 182
. 189 . 190 . . . . . . . . . . . . .
191 191 193 196 197 198 199 201 202 202 203 204 206
Teil I Einleitung
Die stadtsoziologische Forschungsliteratur widmet sich hauptsächlich Großstädten. Problemkreise wie Segregation, soziale Ungleichheit („Armut“) und soziale Stadtentwicklung scheinen mit zunehmender Stadtgröße an Bedeutung zu gewinnen. Mittlere Großstädte oder gar Kleinstädte finden in diesem Kontext kaum soziologisches Interesse. Mit der hier vorgelegten Arbeit soll am Beispiel der mittleren Großstadt Karlsruhe ein Beitrag geleistet werden, diese Forschungslücke im Hinblick auf den Umgang mit benachteiligenden Wohnbedingungen zu schließen. Das vorrangige sozialwissenschaftliche Forschungsinteresse für größere Städte lässt sich verstehen: Städte wie „Megapolis“ Berlin, „Boomtown“ Hamburg oder „Bankenstadt“ Frankfurt/M. erregten bei der Entwicklung sozialer Problemlagen Aufmerksamkeit. Dies gilt nicht nur allgemein für die Herausbildung urbaner Armutsformen, sondern besonders in Bezug auf die Entwicklung von Kriminalitätsraten und Drogenkonsum. In Deutschland sind Großstädte wie Berlin, Hamburg und Frankfurt/M. solitäre urbane Gebilde, die für andere Kommunen kaum repräsentativen Charakter genießen. Städte in Größenordnungen wie Karlsruhe jedoch sind häufig(er) anzutreffen und dienen daher besser zum interkommunalen Vergleich. Die sozialwissenschaftlich intensivere Beschäftigung kann damit eine - ökonomisch betrachtet - größere Wirkung erzielen. Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse können so einen breiteren Grad der Anwendung finden. Das in dieser Arbeit entwickelte „Prozessmodell der nachhaltigen Stadt(teil)entwicklung“ zeigt einen Weg bezüglich der theoretischen und praktischen Anwendung soziologischen Wissens auf kommunaler Ebene auf. Mit dem vorgestellten Modell stehen die lokalpolitisch Verantwortlichen vor der Aufgabe, zwischen der Stadtsoziologie auf der einen Seite und der kommunalen Handlungspraxis auf der anderen Seite die Balance zu halten. Am Beispiel der Stadt Karlsruhe soll überprüft werden, inwieweit soziologische Theorien über soziale Ungleichheit und Segregation für die kommunale Praxis mittlerer Großstädte Bedeutung haben. Dies soll speziell für Segregationstheorien untersucht werden. Damit einher geht die Frage nach der Anwendung von Methoden der empirischen Sozialforschung in der kommunalen Praxis. Dies ergibt sich auch aus der Tatsache, dass in Städten wie Karlsruhe kleinräumiger gearbeitet werden muss, als dies in größeren Städten der Fall ist. In Großstädten wie Berlin kann auf Daten der Stadtteilund Stadtviertelebene zurückgegriffen werden, da sich in diesen Größenordnungen einheitlich soziale Lagen der Bewohner/innen abbilden. In kleineren Städten muss ein feinerer Maßstab gewählt werden, der in der Regel in amtlichen Statistiken nicht abgebildet wird. Die Stadtviertel- oder gar Stadtteilebene sind hier ein zu grober Maßstab, so dass die jeweiligen Kommunen 3
eigene maßgerechte Erhebungen auf der Ebene der jeweiligen städtischen Teilräume (Wohngebiete) durchführen müssen. Die vorgelegte Arbeit befasst sich mit einer Fragestellung bzw. Thematik, die seit Beginn der Industrialisierung und Verstädterung immer aktuell war. Diese Feststellung lässt sich auf die Sozialwissenschaften genauso wie auf die verschiedenen politischen Ebenen im föderalistischen System Deutschlands und auch auf die kommunale praxisbezogene Sozialplanung beziehen. Im Jahr 1998 gewann das Thema durch die Koalitionsvereinbarung der zum damaligen Zeitpunkt „neuen“ Bundesregierung an Aktualität. Ein Städtebauförderungsprogramm wurde darin unter einer Überschrift ins Auge gefasst, die das Soziale - im wahrsten Sinne des Wortes - voranstellte, nämlich „soziale Stadt“ (vgl. Stadtbauwelt 10/2003, 11ff). Die mit diesem Begriff - vollständig lautet das Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt“ - ins Leben gerufene Bezeichnung lenkt den Blick auf die sozialen Strukturen, die in baulichen Gegebenheiten vorhanden sind (sozialwirksame Raumstruktur und raumwirksame Sozialstruktur). Das Jahr 1998 stellt den Endpunkt und gleichzeitig Neustart einer Entwicklung dar, die hier einer Untersuchung unterzogen wird. Die Wurzeln dieser Entwicklung neuerer Städtebauförderung reichen in die 1970er Jahre zurück, als der Sozialplan in der Städtebauförderung eine gesetzliche Regelung fand. Die vorgelegte Untersuchung geschieht aus dem Blickwinkel kommunaler Praxis und Umsetzung. Karlsruhe, eine mittelgroße Großstadt mit ca. 280.000 Einwohnern und Einwohnerinnen, soll ein Beispiel dafür sein, wie Paradigmen(wechsel) in stadtsoziologischer Hinsicht ihren praktischen Einfluss in sozialräumlicher Perspektive vor Ort gefunden haben. Es wird der Versuch unternommen, einen Überblick über ein halbes Jahrhundert „Benachteiligende Wohnbedingungen in Karlsruhe“ zu geben. Es soll aber nicht nur beim Rückblick bleiben. Damit sind die folgenden Seiten auch eine Ausgangslage in evaluatorischem Sinne für eine bessere Wohnraumversorgung benachteiligter Gruppen am Wohnungsmarkt, als dies in der Zeit nach dem II. Weltkrieg bis heute der Fall war. Die zu untersuchenden Fragestellungen sind auf drei Ebenen angesiedelt. Zum einen auf der Makrobene als diejenige, die räumlich wie zeitlich den Rahmen für die beiden weiteren bildet, die Meso- (Stadtteil-, Stadtviertelbzw. Wohngebietsebene) und Mikroebene, die Individuen und deren Handlungen und Handlungsoptionen in Augenschein nimmt. Die Bedeutung und das Zusammenspiel der unterschiedlichen Ebenen (Makro-, Meso- und Mi4
kroebene) herauszustellen, ist deshalb ein weiteres Anliegen der hier vorgestellten Arbeit. Die untersuchten Fragestellungen beinhalten drei Zeitachsen: 1. Die historische Fragestellung: Wie erklärt sich aus der Geschichte Karlsruhes die gegenwärtig anzutreffende Situation im Bereich der benachteiligenden Wohnbedingungen? Die Geschichte Karlsruhes im Umgang mit benachteiligten Wohnbedingungen nach dem 2. Weltkrieg soll im nationalen Vergleich aufgezeigt werden. 2. Die gegenwartsbezogene Fragestellung: Wie können benachteiligende Wohnbedingungen angemessen analysiert werden? Eine Gegenwartsanalyse im Umgang mit benachteiligenden Wohnbedingungen aus soziologischer Perspektive soll helfen, darauf aufbauen zu können. 3. Die zukunftsweisende Fragestellung: Kann es ein theoretisches Modell geben, das in der Lage ist, kommunale Planungs- und Umsetzungspraxis sozialer Stadtentwicklung mit stadtsoziologisch gewonnenen theoretischen Erkenntnissen zu verbinden, um zukünftig Stadtpolitik in Fragen benachteiligender Wohnbedingungen beratend unterstützen zu können? Mit Hilfe eines zu erarbeitenden theoretischen Modells, das Hilfestellung bei der Übertragung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse auf die kommunale Planungsebene leisten soll, sollen künftige Entwicklungen besser vorhersagbar zw. handhabbar werden. Letztgenannte Fragestellung wird in Kapitel IV mit dem „Prozessmodell der nachhaltigen „Stadt(teil)entwicklung“ beantwortet. Die methodische und theoretische Vorgehensweise dieser Arbeit orientiert sich an dem von Dangschat formulierten Ziel, gesellschaftliche Phänomene ausreichend differenziert zu beschreiben, die Ursache analysieren, Folgen abzuschätzen und zukünftige Entwicklungen vorherzusagen.1 Hierzu ist es notwendig, 1. die historische Entwicklung in Karlsruhe seit 1945 deskriptiv zu erfassen, 1 „Ziel
sozialwissenschaftlicher Bemühungen sollte es sein, ein gesellschaftliches Phänomen in ausreichender Differenzierung beschreiben, sein Zustandekommen begründen, seine Folgen abschätzen und künftige Entwicklungen vorhersagen zu können“; Dangschat 1997c, 620.
5
2. sozialwissenschaftliche Begriffe zu klären, die den Stand der deutschen Segregationsforschung2 betreffen, 3. den aktuellen Sachstand empirisch zu untersuchen und zu analysieren, um sodann 4. ein zukunftsfähiges Modell sozialer Stadt(teil)entwicklung für Karlsruhe erarbeiten zu können. Entsprechend ist der Aufbau dieser Arbeit: Auf hier wesentliche theoretische Einsichten wird einführend hingewiesen, entsprechende Vertiefungen erfolgen in den einzelnen Kapiteln. Dargelegt wird zunächst ein Abriss zum Stand der Segregationsforschung, die nach Dangschat mit dem politökonomischen, sozialökologischen sowie feministischen Ansatz drei Ansätze hervorgebracht hat, die für diese Arbeit bedeutsam sind. Dieser Arbeit dienen als Quellen neben der soziologischen Literatur: 1. Historische Abhandlungen zur Stadtgeschichte Karlsruhes, 2. Vorlagen der Stadtverwaltung für Gemeinderat bzw. gemeinderätliche Ausschüsse der Stadt Karlsruhe, 3. Protokolle, insbesondere Wortprotokolle aus Gemeinderat und gemeinderätlichen Ausschüssen, 4. Publikationen der mit Stadt(teil)entwicklung, Wohnungswesen und Sozialplanung befassten Ämter der Stadt Karlsruhe, 5. Ergebnisse empirischer Befragungen von Bewohnerinnen und Bewohnern benachteiligter und benachteiligender Wohnbedingungen. Was die empirischen Befragungsergebnisse anbelangt, sei an dieser Stelle folgender Hinweis gestattet: Der Verfasser dieser Arbeit hat in regelmäßigen Abständen in Karlsruher Wohngebieten Befragungen von Bewohnern und Bewohnerinnen mittels Fragebogen durchgeführt. Wesentliche Ergebnisse finden sich im empirischen Teil dieser Arbeit. Diese Quelle (5.) dient zur Beantwortung der oben genannten gegenwartsbezogenen Fragestellung, während sich die Quellen 1. - 4. hauptsächlich auf die Beantwortung der historischen Fragestellung beziehen.
2 „...der
6
sich nicht wesentlich vom internationalen Standard unterscheidet“; a.a.O.
Teil II Grundzüge des theoretischen Bezugsrahmens
1 Theoretische Perspektiven zur Analyse benachteiligender Wohnbedingungen „Ja, mach nur einen Plan Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan Geh’ n tun sie beide nicht.“ Dieses Zitat aus Bertold Brechts Dreigroschenoper sei zu Beginn der Vorstellung der theoretischen Perspektiven dieser Arbeit vorangestellt. Gleichwohl erfordert die Komplexität der Thematik ein planvolles Vorgehen. Planungsüberlegungen waren zu Beginn anzustellen, als die erste Befragung eines Wohngebietes mit benachteiligenden Effekten für seine Bewohner/innen erarbeitet wurde. Die Aufwertung und damit Umwertung der ins Auge gefassten Wohngebiete war das grundsätzliche Ziel der sozialplanerischen Intervention. Zielfindung ist in einem idealtypischen Prozess von Sozialplanung das Planungselement, dem Bestandsaufnahme, Bedarfsermittlung, Maßnahmenprogramm, Umsetzung sowie Fortschreibung und Folgenkontrolle folgen (sollten). Umso wichtiger erschien es von Beginn an, für eine intersubjektiv überprüfbare, objektive Bestimmung der Ausgangslage Sorge zu tragen. Dies war ein wesentlicher Anspruch an die ursprünglichen Befragungen der Bewohner/innen. Um die Wohngebiete vergleichen zu können, war die Datenerhebung mittels Fragebogen notwendig. So konnte eine verlässliche Basis geschaffen werden, die Wohngebiete angemessen zu charakterisieren. Dies dient auch der Vermeidung von Fehleinschätzungen und Verfestigung von falschen Annahmen und Vorurteilen etwa auf planerischer oder politischer Ebene. Mithilfe der Befragungen sollte zudem einer angemessenen Bürgerbeteiligung Rechnung getragen werden. Für dieses längerfristig angelegte Unternehmen zu beteiligen bzw. zur aktiven Mitarbeit zu gewinnen, waren aber auch die Sozialpolitik, die Sozialverwaltung und die Sozialarbeit. Empirische Ergebnisse stellen bei der Implementierung der Thematik „Aufwertung benachteiligender Wohnbedingungen“ eine gute Hilfestellung dar. Mit quantitativen Daten - in Zeitreihen erhoben - können Entwicklungen abgebildet 9
werden. Jede Vorstellung der Daten bietet für die Akteure von Sozialpolitik, -verwaltung und -arbeit Gelegenheit zur Intervention - zumindest, was die Interpretation der vorgestellten Ergebnisse anbelangt. Darüber hinaus stellen in dieser Form erhobene empirische Ergebnisse den Ausgangspunkt eines „Agenda-Setting-Prozesses“ (vgl. Nissen 2002) dar, der die nachhaltige Verankerung der Thematik „Benachteiligende Wohnbedingungen“ auf kommunalpolitischer Ebene verfolgt. Im Karlsruher Beispiel werden damit zu Dialogpartner und „Agenda-Setter“ für die Bewohner/innen neben ihrem Vermieter Volkswohnung GmbH (= städtische Wohnungsbaugesellschaft): • die Sozialpolitik in Form von Parteien bzw. deren Fraktionen im Karlsruher Gemeinderat, • die Wohlfahrtsverbände Diakonisches Werk und Arbeiterwohlfahrt sowie • unter Federführung der Sozial- und Jugendbehörde verschiedene Ämter der Stadt Karlsruhe. Amtliche Statistiken in Bezug auf soziale Indikatoren, wie z.B. die Sozialhilfequote, reichen über die Stadtteilebene bis auf Stadtviertelebene. Dies ist für die in dieser Arbeit untersuchten Wohngebiete nicht kleinräumig genug, weshalb eine speziell auf die Wohngebiete zugeschnittene kontinuierliche Datenerhebung notwendig ist. Da auch Ergebnisse von Bürgerumfragen nicht auf die Bewohner/innen kleinerer Wohngebiete angewendet werden können, sind Befragungen notwendig, um subjektive Einschätzungen der Menschen vor Ort erhalten zu können, geht es doch darum, der sozialräumlichen Lebenswelt der Bewohner/innen in der kommunalen „Planungswelt“ von Stadtpolitik Bedeutung zu verleihen. Der Begriff der Lebenswelt führt zum Ausgangspunkt der theoretischen Überlegungen für diese Arbeit: Das 19. Jahrhundert war am naturwissenschaftlichen Paradigma orientiert, die so genannte „Entdeckung der Lebenswelt“ blieb dem 20. Jahrhundert, dem interpretativen Paradigma vorbehalten (vgl. Albersmeyer-Bingen 1986). Der Begriff des Paradigmas wurde von Kuhn definiert als „allgemein anerkannte wissenschaftliche Leistungen, die für eine gewisse Zeit einer Gemeinschaft von Fachleuten maßgebende Probleme und Lösungen liefern“ (1976, 10). Die westliche Soziologie mit ihrer paradigmatischen Struktur ist gekennzeichnet durch verschiedene Sichtweisen und Perspektiven (vgl. Bernart 2003), so auch in der Stadtsoziologie mit quantitativen und qualitativen Studien. 10
Das normative Paradigma hat erfahrungswissenschaftliche Wurzeln und analysiert die Gesellschaft und die darin handelnden Individuen unter einer makrosoziologischen Perspektive. Das interpretative/handlungstheoretische Paradigma setzt eher an der mikrosoziologischen Ebene, beim einzelnen Individuum und seinem sozialen Handeln an. Beide Paradigmen werden als Forschungsprogramme im Sinne von Weiss verstanden, die die Theorien des normativen Paradigmas eher dem Positivismus zuordnet und dabei einen nicht durch den Werturteilsstreit vorbelasteten, erfahrungswissenschaftlichen Positivismusbegriff verwendet: „Einer positivistischen Orientierung verhaftet sind jene Theorien, die ‚Strukturen‘ also Beziehungsmuster und Regelmäßigkeiten des Verhaltens - ohne die ein koordiniertes Zusammenleben von Menschen nicht möglich wäre - thematisieren und deren Zustandekommen analysieren. Sie postulieren die vorrangige Bedeutung der strukturierten gesellschaftlichen Umwelt für das Handeln des einzelnen Individuums. Vertreter dieser Richtung war z.B. Durkheim“ (1993, 2). Darunter fiel auch der Strukturfunktionalismus Parsons. Der anderen Richtung gehören eher interpretativ vorgehende Soziologen an wie Mead, Blumer (vgl. Blumer 1980) und Goffman, die wie die Sozialpsychologie das Individuum als erste Einheit, für das das Self eine Rolle ist, ein Bündel aufeinander bezogener Bedeutungen und Werte, die das Verhalten eines Einzelnen in gegebenen sozialen Rahmen bestimmen (vgl. Rose 1973). Zentral ist die soziale Interaktion (vgl. Goffman 1973) und der soziale Rollenbegriff im Zusammenspiel von individuellem Verhalten und sozialem Kontext (vgl. Mead 1973). Gesellschaft ist so „ein Netzwerk von miteinander in Interaktion stehenden Individuen - und ihrer Kultur - d.h. die aufeinander bezogenen Bedeutungen und Werte, mittels derer Einzelne miteinander in Interaktion treten - bestehen vor jedem einzelnen Menschen“ (Rose 1973, 227). Beide Paradigmen ergänzen sich in der soziologischen Analyse. Die Stadt als urbanes Sozialgebilde von Vergemeinschafts- und Vergesellschaftungsprozessen benötigt in der Untersuchung beide Paradigmen, wie das Zitat von Park et al. belegt: „The city, from the point of view of this paper, is something more than a congeries of individual men and of social conveniences - streets, buildings, electric lights, tramways, and telephones etc.; something more, also, than a mere constellation of institutions, and administrative devices - courts, hospitals, schools, police, and civil functionaries of various sorts. The city is, rather, a state of mind, a body of customs and traditions, and of the organized attitudes and sentiments that inhere in these customs and are transmitted with this tradition. The city is not, in other words, merely a physical mechanism and an artificial con11
struction. It is involved in the vital processes of the people who compose it; it is a product of nature and particularly of human nature“ (Park et al. 1968, 1). In der Stadtsoziologie - wenn Stadt als Abbild der Gesellschaft und von sozialer Ungleichheit begriffen wird - ist die Segregationsforschung ein wichtiges Feld. Hier verschränken sich auf der Mesoebene die mikro- und die makrosoziologische Perspektive.
1.1 Grundlagen und Ansätze von Segregationstheorien Dangschat zufolge beinhaltet eine Segregationstheorie dreierlei: • eine Theorie zur sozialen Ungleichheit3 , • eine Theorie zur räumlichen Ungleichheit4 , • eine Theorie zu den Zuweisungsprozessen sozialer Gruppen in spezifische Räume.5 Grundlage hierfür ist das von Robert E. Park Mitte der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts entwickelte Konzept der residentiellen Segregation, von dem Dangschat sagt: „Es soll nicht mehr und nicht weniger leisten, als (städtische) soziale Ungleichheit durch ihr Abbild im (städtischen) Raum [zu] analysieren“ (a.a.O., 621). 1.1.1 Die Tradition der Chicagoer School In den U.S.A. (vgl. Hinkle/Hinkle 1960) war der Einfluss von Comtes erfahrungswissenschaftlichem Positivismus und H. Spencers Sozialdarwinismus dominierend. Es kam bereits vor 1900 zu einer Rezeption auch europäischer Denker wie Weber, Simmel, Durkheim und Comte durch später führende amerikanische Soziologen wie Ward (vgl. 1895) und Small (vgl. 1908), die sich aufgrund von ausgedehnten Studien in Deutschland aufgehalten hatten. Die amerikanische Soziologie war empirisch orientiert und betonte früh die Gruppenhaftigkeit des sozialen Handelns (Mesoebene), wie Small in einem Rückblick auf die Soziologie in den Vereinigten Staaten ausführte: „These relationships are then, in general, persons wanting satisfactions and 3 An
dieser Stelle verweist Dangschat auf Hradil 1987. 1982, Läpple 1991 sowie Dangschat 1994, 1996d werden von Dangschat als Grundlagen aufgeführt; zum grundsätzlichen Überblick „Soziale Ungleichheit als stadtsoziologisches Thema“ vgl. Harth et al. 2000b. 5 Dangschat bezieht sich hier u.a. auf Krätke 1995; vgl. 1997c, 621ff. 4 Hamm
12
trying to get satisfactions in unavoidable contact with other persons trying to get similar or dissimilar satisfactions. In a word, human experience is an affair of human groupings, with the one pausible clue to the phenomena of these groupings is, the wants impelling the units“ (1916, 843). Vom Selbstverständnis her war die Kenntnis der europäischen Sozialphilosophen des 18. und 19. Jahrhunderts wichtig, jedoch entwickelten beispielsweise Park/Burgess auf dieser Basis einen eigenen Soziologieansatz, der auf Comte und Spencer basierte: „Among the schools which, since Comte and Spencer, have divided sociological thinking between them the realists have, on the whole, maintained the tradition of Comte; the nominalists, on the other hand, have preserved the style and manner, if not the substance of Spencer’s thought. [. . . ] This marks the transformation of sociology from a philosophy of history of the science to a science of society. [. . . ] The period of investigation and research, the period into which sociology is now entering“ (1921, 43 f.). Der Sozialdarwinismus kam den amerikanischen Lebensverhältnissen und -erfahrungen entgegen, nicht nur in Bezug auf den Konsensusgedanken und den Fortschrittsbegriff, sondern auch auf den Fortschrittsglauben. Innerhalb der Sozialökologie, der Stadtsoziologie von Park und Burgess (vgl. 1921, 1925) und Wirth (vgl. 1964) gab es sowohl qualitative als auch quantitative Elemente, die sich aus dem empirischen Bezug der Studien ergaben. Die qualitativen Studien der Chicagoer Schule hatten auch eine positiverfahrungswissenschaftliche Ausrichtung durch die empirischen Methoden. Die von Small begründete Chicagoer Schule mit ihrem anfänglich von Jonas (1969) so bezeichneten Programm eines „theoretischen Positivismus“ entwickelte neben der Sozialökologie u.a. Gemeindestudien (z.B. „Middletown“ von Lynd/Lynd) und Untersuchungen über deviante Jugendgangs (Thrasher, Whyte). Auch leistete sie einen Beitrag zur Entwicklung der Gruppensoziologie, in dem sie die alltägliche Lebenswelt sozialer Gruppen aufsuchte, um mit ethnographischen Methoden Entstehung und Wandlung sozialer Milieus zu erheben (vgl. Neckel 1997). Das quantitative Element kam zum qualitativen Moment der Chicago School u.a. mit Morenos soziometrischen Untersuchungen hinzu (vgl. 1954, 1ff). Der Ansatz der „Human Ecology“ (vgl. Park 1936) war die ökologische Betrachtungsweise menschlicher Gesellschaften. Hier zeigte sich der Einfluss des Evolutionsgedankens des Sozialdarwinismus auch in der Terminologie recht stark (wie bei den zentralen Begriffen „Invasion“, „Sukzession“, „Anpassung“). Sie analysierte die zwischenmenschlichen Beziehungen unter Anwendung der Analogie von Beziehungen zwischen Pflanzen und Tieren. Gesellschaft bestehe aus der Interaktion von vier Faktoren (Bevölkerung, Ar13
tefakte, Bräuche/Sitten und natürliche Ressourcen), die das soziale Gleichgewicht bestimmen: „Human ecology is, fundamentally, an attempt to investigate the processes by which the biotic balance and the social equilibrium are maintained once they are achieved and the processes by which, when the biotic balance and the social equilibrium are disturbed the transition is made from one relatively stable order to another“ (Park a.a.O., 15). Dabei zeigt sich bei der Vielzahl der empirischen Untersuchungen die Fruchtbarkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit auch mit Sozialpsychologen. Um 1930 nannten die Mitglieder der American Sociological Society (vgl. Lundberg 1932, 459f) als ihre soziologischen Hauptforschungsinteressen: 1. Sozialpsychologie, 2. die Familie, 3. Social Research und 4. Sociology and Social Work. Hier zeigte sich die wichtige Analyseebene, die der Familie und der Gruppe, und der Praxisbezug, die Anwendbarkeit der amerikanischen Soziologie, wie es auch im Programm der Gemeindestudien angelegt war: „The social survey of a community is the scientific study of it’s conditions and needs for the purpose of presenting a constructive program for social advance“ (Burgess 1915, 492f).
1.1.2 Sozialökologischer Ansatz Jürgen Friedrichs, Bernd Hamm und Ulfert Herlyn übernahmen in Deutschland die Erkenntnisse der amerikanischen Segregationsforschung der 20er bis 60er Jahre des 20. Jahrhunderts6 . Die deutsche Sozialökologie spiegelt sich in zwei Veröffentlichungen von Friedrichs und Hamm wider7 . Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die amerikanische Segregationsforschung auf die Entwicklung von Segregationsindizes konzentriert - auch um über die Entdeckung empirischer Regelmäßigkeiten der ungleichen Verteilung sozialer Gruppen in einer Stadt zur Theoriebildung zu gelangen. Eine Theorie, die in diesem Zusammenhang Bedeutsamkeit erlangt hat, ist die Sozialraumanalyse, wie von Shevky/Bell8 in dem Sinne vertreten, dass sie eine Theorie des Sozialen Wandels ist, sich dieser in Städten sozialräumlich niederschlägt und Stadtentwicklung nur zu verstehen ist, wenn sie als Teil des sozialen Wandels gesehen wird. Nach Hoyt, Burgess oder Harris 6 Vgl.
vor allem Atteslander/Hamm (Hrsg.) 1974, Herlyn (Hrsg.) 1974a als Grundlage der Übernahme amerikanischer Literatur. 7 1977 gaben Friedrichs und Hamm jeweils beinahe zeitgleich ihre Arbeiten heraus. 8 Vgl. 1974; in: Atteslander/Hamm (Hrsg.) 1974, 125ff.
14
führen die drei von Shevky/Bell konstatierten Faktoren zur sozialräumlichen Differenzierung in Städten (soziale Position, Verstädterung und Segregation), zu Verteilungsmustern, wie z.B. die Stadtentwicklung in Form des Modells von konzentrischen Kreisen nach Burgess. Im Anschluss an Arbeiten wie „Stadtanalyse“ von Friedrichs (1977) entstanden zwar zahlreiche empirische Beschreibungen von Stadt-Räumen, die allerdings keine theoretischen Erklärungen der Phänomene erbrachten. Die Ursachen von Segregation werden dabei auf demographische Daten reduziert und Zuweisungsprozesse nicht thematisiert. Gentrification, als besondere Segregationsform, hatte demgegenüber sehr wohl den „lokalen Staat“ und damit Regulationsprozesse auf kommunaler Ebene im Blick (vgl. etwa Dangschat 1988, 1996c, 1997b, Blasius/Dangschat (Hrsg.) 1990). Drei Defizite sieht Dangschat im sozialökologischen Ansatz von Friedrichs: Dem Raum kommt keine explizite Bedeutung zu, soziale Ungleichheit wird nur vom Merkmal „Einkommen“ abgeleitet und die Merkmale auf der Makroebene, die zur Erklärung verwendet werden, sind unzureichend, sie erklären beispielsweise nicht das Entstehen sozialer Ungleichheit oder räumlicher Hierarchisierungen. Herlyn deutet zur Erklärung residentieller Segregation unter Heranziehung von Faktoren der wirtschaftlichen und sozialen Struktur einen Ansatz als ein „Syndrom aus verschiedenen Faktoren“ an: „Knappheit des Bodens im Zusammenhang mit individualistischem Bodenrecht und Bodenspekulation, sich dabei ergebende Verdrängungskonkurrenz, standardisierte Bauprogramme, Kriegsfolgen, das in technischen Kategorien verhaftete Denken der Planer, die klassen- bzw. schichtspezifische Statussuche bei Tendenzen zur sozialen Mobilität und der zirkuläre Prozeß von Diskriminierung und Stigmatisierung.“ 9 Siedlungssoziologie erklärt Vergesellschaftung im Raum durch eine Theorie der sozialen und räumlichen Organisation. Sie ist umfassender als die Gemeindesoziologie10 und Sozialökologie. Das Konzept von Atteslander/Hamm eines „Systems der Mensch-Umwelt-Beziehungen“, bestehend aus den physisch-räumlichen, psychisch-physischen, technologischen sowie sozio-kulturellen Subsystemen, findet sich in der Einleitung ihrer „Materialien zur Siedlungssoziologie“ (vgl. 1974) wieder. Das in diesem Kontext maßgebliche Subsystem ist das letztgenannte, welches sich wiederum in ein morphologisches („natural areas“ im Sinne Parks), institutionelles (alle raumdeterminierten und -determinierenden Handlungsweisen und Verhal9 Herlyn
10 Vgl.
1974b, 95; zit. nach Dangschat, 1997c, 628. etwa Hahn et al. 1979.
15
tensformen auf Mikro-, Meso- und Makroebene) sowie semiotisches Subsystem (sozialpsychologische Perzeptions- und Kognitionsprozesse) differenzieren lässt. Raum wird, im Gegensatz zu Friedrichs, thematisiert. Hamm distanziert sich in seiner „Siedlungssoziologie“ (1982) vom in Segregationstheorien vorzufindenden „naiven“ Raumverständnis eines Behälterraumes: „Wenn nun Raum nichts anderes wäre als ein bloßes Gefäß (Herv. Hamm, M.L.), in dem soziale Beziehungen ablaufen, die von ihm gänzlich unabhängig sind, dann ist Raum allenfalls auf einer deskriptiven Ebene interessant, aber völlig unfruchtbar für die Erkenntnis dessen, worauf es einer solchen Soziologie ankäme: von sozialer Organisation nämlich. [. . . ] So kann man sagen, dass es keinen Raum gibt, der nicht erst durch Wahrnehmung soziale Bedeutung erlangte. Eben darin liegt die soziologische Bedeutung des Raumes begründet, dass er nicht existiert außer in unserer Wahrnehmung immer und unausweichlich durch soziale Bezüge vorgeformt und vermittelt stattfindet. Damit wird Raum zu einer soziologischen (Herv. Hamm, M.L.) Kategorie.“ 11 Die Folgen von Segregation werden in der Sozialökologie überwiegend negativ gesehen. Gans (1974) sieht zwar die räumliche Konzentration von Migranten als vorübergehend sinnvoll an. Dennoch überwiegt die negative Einschätzung, dass Segregation die Integration von Minderheiten in die Mehrheitsgesellschaft erschwere. Dangschat zieht zum sozialökologischen Ansatz folgendes Fazit: „Eine Stadtsoziologie, die auf diese Weise vom gesellschaftlichen und historischen Kontext abstrahiert, wird immer eine auf die Stadt als empirisch bestimmbaren Ort der intensivsten Moderne angewandte allgemeine Soziologie bleiben, ohne selbst in der Lage zu sein, die Spezifik des empirischen Ortes und des theoretischen Konstruktes Raum zu erfassen“ (1997c, 631). Gleichwohl hat der sozialökologische Ansatz auch aktuell seine Bedeutung, wie die weiteren Ausführungen zur sozialräumlichen Differenzierung der Stadt Karlsruhe zeigen. Auf der Makroebene ist etwa die sozialräumliche Kartierung der Stadtviertel ein Beispiel für die „Lebendigkeit“ des Gedankenguts der Sozialraumanalyse. Auf der Mikroebene sind empirische Forschungsmethoden, wie z.B. Befragungen mittels Fragebogen, unverzichtbare Instrumentarien zur Gewährleistung einer mehrperspektivischen Sozialraumanalyse. Gefolgt werden kann der Einschätzung in der Sozialökologie, dass Segregation grundsätzlich eher negativ als positiv zu bewerten ist. 11 Hamm
16
1982, 24; zit. nach Dangschat, 1997c, 633.
1.1.3 Polit-ökonomischer Ansatz Im polit-ökonomischen Ansatz sieht Dangschat das zuletzt Kritisierte umgesetzt. Gleichwohl bleibt aufgrund der makrotheoretischen Sichtweise die Beschreibung von Segregation eher schwach. Dangschat bezeichnet den vereinfachenden Ansatz sozialer Ungleichheit als „veraltet“. Danach existieren drei Klassen, die sich in Städten, in denen das kapitalistische Verwertungsinteresse hoch ist, deutlich verräumlichen (Bildung einer „dreigeteilten Stadt“, wie Häußermann/Siebel 1991 formulierten). Betrachtet werden nahezu ausschließlich die Wohnstandorte sozial Benachteiligter. Damit geht es weniger um Segregation als um Konzentration in benachteiligenden Wohnund Wohnumfeldbedingungen. Die Ausdifferenzierung der städtischen Gesellschaft ist danach auf drei Dimensionen bzw. Prozesse zurückzuführen: Spaltung zwischen Einheimischen und Zugewanderten, Spaltung zwischen Arbeitslosen und Erwerbstätigen sowie kulturelle Ausdifferenzierungen (Lebensstile, Haushalts- und Wohnformen). Häußermann/Siebel benennen die drei Spaltungslinien wie folgt: „Die ökonomische Spaltung nach Eigentum, Einkommen und Position auf dem Arbeitsmarkt; die soziale Spaltung nach Bildung, sozialer Integration und Position auf dem Wohnungsmarkt; die kulturelle Spaltung nach ethnischer Zugehörigkeit, Religion und normativen Orientierungen“ (Herv. Häußermann/Siebel, M.L.).12 Demgegenüber hat Läpple in seinem Konzept des „gesellschaftlichen Raumes“ Produktions- und Reproduktionsbedingungen des sozialen Konstrukts „Raum“ erörtert. Für sozialwissenschaftliche Zwecke kommt Läpple zu Elementen eines Raumverständnisses in Form eines materiellphysischen Substrats (gesellschaftlich produzierter Raum), von gesellschaftlichen Interaktions- und Handlungsstrukturen bzw. die gesellschaftliche Praxis der mit der Produktion, Nutzung und Aneignung des Raumsubstrats befassten Menschen, eines institutionalisierten und normativen Regulationssystems (Vermittlungsglied zwischen dem materiellen Substrat und der gesellschaftlichen Praxis seiner Produktion, Aneignung und Nutzung) sowie einem mit dem materiellen Substrat verbundenen räumlichen Zeichen-, Symbol- und Repräsentationssystem.13 Insgesamt werden die Ursachen von Segregation im polit-ökonomischen Ansatz in der Wettbewerbsorientierung der lokalen Politik als Reaktion auf Globalisierung gesehen. „Inseln der Gentrifizierung“ und „Soziale Brenn12 Häußermann/Siebel
1991, 28; zit. nach Dangschat, a.a.O. Läpple 1991; eine Zusammenfassung zu „Raum als wiederentdeckte Kategorie in der Soziologie“ gibt Friedrich; vgl. 1999, 266ff.
13 Vgl.
17
punkte“ sieht Dangschat als Ausprägungen einer Deregulierung lokaler Politik und als Polarisierung von Arbeitsmärkten. Folgen von Segregation werden in der Bewertung Häußermann/Siebels in Anlehnung an Gans formuliert, der negative und positive Aspekte herausarbeitete. Häußermann/Siebel führen aus, dass der „Abbau erzwungener und das Zulassen freiwilliger Segregation auf den Ebenen von Hausgemeinschaften, selbstgewählten Nachbarschaften und Wohnquartieren“ 14 eine letztendlich positive Bewertung von Segregation nach sich ziehe. Alisch/Dangschat (1993) kommen ebenfalls zu einer positiven Einschätzung von Segregation unter der Bedingung, dass spezifische städtebaulich-funktionale Qualitäten und eine weitgehend ausschließliche Einkommensarmut vorliegen. Mit Hilfe partizipativer Verfahren sollen (wie z.B. in lokalen Armutsbekämpfungsoder sozialen Städtebauförderungsprogrammen) die segregierten Bevölkerungskreise unterstützt werden. Dangschats Fazit zum polit-ökonomischen Ansatz lautet: „Auch wenn der polit-ökonomische Ansatz im positivistischen Sinne nicht wertfrei ist und (unfreiwillige) Segregation abgelehnt wird, sind Hinweise in dieser Literatur selten, wie die Segregation zu verringern sei. Die oft strukturalistischen Ansätze beziehen sich demgegenüber auf die Makro-Ebene der Ursachen für eine soziale und/oder räumliche Ungleichheit. [. . . ] Die Kritik richtet sich gegen eine lokale Politik, die offener als je zuvor [. . . ] die Welt der unternehmensbezogenen Dienstleister durch die Aufwertung der Innenstädte und ihrer angrenzenden attraktiven Wohngebiete fördert, hingegen Gebiete der 50er Jahre, weite Teile der weniger attraktiven innenstadtnahen Standorte und insbesondere Großsiedlungen durch die Verweigerung von Reinvestitionen oder eine einseitige Belegungspolitik rasch herunterfiltern“ (Dangschat 1997c, 637). Die Perspektive, die der polit-ökonomische Ansatz leistet, ist für die folgenden Ausführungen unter dem Blickwinkel von „urban governance“ unverzichtbar. Segregation ist kein Naturgesetz. Sie findet ihre Ursächlichkeit vor allem in der lokalen (Wohnungs-)Politiksteuerung. Der ursprüngliche Ansatz einer „dreigeteilten Stadt“ ist zwar ein stark vereinfachendes, dafür aber eindrückliches Denkmodell, das zur Reflexion kommunaler Handlungspraxis dienlich ist. Für eine differenziertere Untersuchung liegen Modelle wie etwa „the quartered city“ nach Marcuse (vgl. Keller 1999, 31ff) vor. 14 Häußermann/Siebel
18
1991, 33; zit. nach Dangschat, 1997c, 636.
Segregation wird im polit-ökonomischen Ansatz dialektisch aufgefasst („sowohl als auch“). Sie wird zwar grundsätzlich negativ bewertet, aber in begründeten Fällen („freiwillige Segregation“) zugelassen. Für diesen Fall werden allerdings empirische Nachweise gefordert sowie die Erarbeitung von Perspektiven zur Integration der betroffenen Bewohner/innen. Ansonsten kann es mit einseitiger Belegungspolitik zu desintegrierenden Folgen für die Bewohner/innen und damit zum von Dangschat angesprochenen „Herunterfiltern“ von Wohngebieten kommen. Der polit-ökonomische Ansatz findet damit seinen Stellenwert in kommunalen Konzepten zur integrierenden Stadt(teil)entwicklung.
1.1.4 Feministischer Ansatz Feministische Ansätze innerhalb der Stadt- und Regionalsoziologie richten sich bei der Beschreibung sozialer Ungleichheit auf die eingeschränkten Aneignungsmöglichkeiten von Raum für Frauen. Als Segregationsaspekt wird vor allem die benachteiligte Rolle der Hausfrauen, der TeilzeitErwerbstätigen und der Alleinerziehenden in peripheren Wohnlagen mit eher schlechter Infrastruktur betrachtet. „Gender segregation“ betont als zweiten Aspekt die Ausdifferenzierung der Lebensverhältnisse von Frauen, die von sich ausweitenden Disparitäten zwischen den Frauen geprägt ist. Ursache von Segregation ist in diesen Ansätzen die strukturelle Benachteiligung der Frauen an sich sowie die sich differenzierenden Lebenslagen zwischen den Frauen. Die Bewertung von Segregation fällt negativ aus, weil sie eine zusätzliche Benachteiligung darstellt. In diesem Kontext wirft Dorhöfer kritisch die Frage auf: „Wie weit beachten die ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen Architektur und Städtebau, Stadt- und Raumplanung, die der Umwelt ihre Gestalt verleihen, sozialwissenschaftliche Ergebnisse, gar die Frauenforschung?“ (1990, 11). In Bezug auf die Stadtsoziologie vertritt Kerstin Dorhöfer einen feministischen theoretischen Ansatz, der die durch geschlechtsspezifische Arbeit vermittelte Raumnutzung und Raumaneignung in den Mittelpunkt stellt. Bei diesem Unterfangen wirft Dorhöfer Friedrichs bei dessen Beschreibung der sozialökologischen Position in der Stadtforschung das Versäumnis vor, Arbeitsteilung in Erwerbs- und Hauswirtschaft und die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern zu vernachlässigen: „Ignoriert werden also zwei gesellschaftsstrukturierende Elemente: das der Arbeitsteilung in Erwerbs- und Hauswirtschaft und das der Arbeitsteilung zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht. [. . . ] Die deutschsprachige sozialökologische Forschung, 19
repräsentiert vor allem durch Friedrichs, verzichtet weitgehend auf theoretische Überlegungen und konzentriert sich auf empirische und statistische Verfahren zur Datenerhebung. [. . . ] Der Indikator ‚Geschlecht‘, in statistischen Zusammenstellungen ein übliches Datum zur Bevölkerung, ist bei Friedrichs nicht zu finden“ (a.a.O., 34ff). Bezüglich des empirischen Vorgehens in der soziologischen Stadtforschung bei Untersuchungen zu Nachbarschaft und Wohnen macht Terlinden darauf aufmerksam, dass es eher zufällig sei, ob Frauen oder Männer befragt wurden, obwohl ausdrücklich die Bedeutung des Wohnviertels, seine Funktionen und geselligen Beziehungen analysiert wurden. Da diese einer „stark differierenden geschlechtsspezifischen Nutzung und Beurteilung“ unterliegen, muss zur Vermeidung von Ergebnisverzerrungen dies methodisch berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist die Forschung, „die sich mit dem innerhäuslichen Wohnen beschäftigt, kärglich.“ Terlinden vertritt als Anliegen, die Wirksamkeit derjenigen Arbeit, die nicht über den Markt geht, für die Siedlungsentwicklung und den Hausbau zu untersuchen (vgl. 1990, 50ff). Innerhalb der feministischen Stadtforschung werden auch Stadtgestaltung und -kultur als „kritikwürdig“ angesehen, denn: „Wenn Stadtgestaltung in der Praxis bedeutet, dass (nur) die innerstädtischen öffentlichen Räume aufgewertet werden, dann geht mit einer solchen punktuellen Ästhetisierung gleichzeitig eine Vernachlässigung anderer Räume einher. [. . . ] Frauen sind mehr als Männer in ihrem Aktionsradius (unabhängig von ihrer Berufstätigkeit) auf das engere Wohnumfeld festgelegt. Je peripherer dieses Wohnumfeld liegt, um so weniger sind Frauen von der [. . . ]‚ Stadtkultur als Ästhetisierung des öffentlichen Raums‘ tangiert“ (Köhler 1990, 76). Maria Spitthöver richtet ihre feministische Kritik an der Nutzung des öffentlichen Raums in erster Linie auf dessen ungleiche Verfügbarkeit für Mann und Frau. Neben dem Straßenraum dient Spitthöver als Beleg für ihre These der empirische Nachweis der (reduzierten) Verfügungsgewalt von Frauen über öffentliche Sportfreiflächen (vgl. 1990, 83 ff). Marianne Rodenstein formuliert die grundsätzliche Kritik feministischer Stadt- und Regionalforschung an „herkömmlicher Stadtsoziologie“, wenn sie sagt: „Denn weder werden in dem für die Stadtsoziologie fruchtbaren gesellschaftstheoretischen Ansatz die patriarchalen Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft mitreflektiert, so dass von daher auch keine theoretische Reflexion der Interessen von Frauen im städtischen Raum zu erwarten ist, noch sind die neuen Untersuchungsthemen der Stadtsoziologie in einer Weise aufbereitet, dass man 20
darin überhaupt relevante, das Leben von Frauen betreffende Themen entdecken könnte“ (1990, 201). Dangschat sieht die Einbeziehung von Frauen und ihrer Bedürfnisse als relevant für die Stadtforschung an: „Über eine stärkere Beteiligung von Frauen an der Architektur, der Modernisierung von Wohnraum und Stadtteilen sowie der Stadtplanung soll ein Freiraum geschaffen werden, um Bedürfnisse von Frauen an das Wohnen und das Wohnumfeld mit (anderen) Frauen zu diskutieren, zu formulieren und umzusetzen“ (1997c, 642). Die feministische Literatur hat nicht nur die Beteiligung von Frauen bei der Stadtplanung angemahnt. Sie weist darüber hinaus auf die Notwendigkeit empirischer Grundlagen (dabei insbesondere die Berücksichtigung des Indikators „Geschlecht“) hin. Wie zu zeigen sein wird, hat der vom feministischen Ansatz betonte Segregationsaspekt „Hausfrau, TeilzeitErwerbstätigkeit sowie Alleinerziehen“ sein besonders Gewicht in benachteiligenden Wohngebieten. Gleichwohl ist jedoch eine genderreflexive Umsetzung in Handlungsprogrammen sozialer Integration auf Wohngebietsebene nicht nur auf das weibliche Geschlecht zu beschränken. 1.1.5 Herausforderungen für die Stadtsoziologie Die Darstellung der verschiedenen Ansätze zur Erklärung von Segregation hat gezeigt, dass jeden spezifische Stärken auszeichnen. Eine Schwäche, die sämtlichen dargestellten Ansätzen anhaftet, sieht Dangschat im Fehlen einer überzeugenden Darstellung der drei Elemente einer Segregationstheorie und fordert: „Segregationsanalysen gleich welcher Herkunft sollten jedoch nicht nur das Ausmaß und die Art der Segregation sowie deren räumliche Ausprägungsmuster beschreiben und die Arbeits- und Wohnungs‘markt’entwicklung sowie deren politische Regulation kritisieren, sondern auch den Umgang (Herv. M.L.) mit sozialräumlichen Konzentrationen sozialer Gruppen analysieren“ (a.a.O., 644). Der von Dangschat angesprochene (kommunale) Umgang mit sozialräumlichen Konzentrationen sozialer Gruppen ist ein zentraler Schwerpunkt dieser Arbeit. Die Konkretisierung desselben erfolgt nicht nur in einer Beschreibung der Vergangenheit und Ist-Analyse der Gegenwart, sondern ist auch auf Zukunft ausgerichtet, wobei dem prozessorientierten Moment Rechnung getragen wird. Die Aktualität der teilweise seit Jahrzehnten vorliegenden Segregationstheorien für die kommunale Praxis wird insbesondere im empirischen Teil die21
ser Arbeit aufgezeigt werden. Dabei wird deutlich, dass die Hilfestellungen, die Segregationstheorien der kommunalen Ebene bieten können, nicht nur deskriptiver Natur sind. Der polit-ökonomische Ansatz ist hierfür ein Beispiel.
1.2 Segregation und soziale Ungleichheit Die intensive Beschäftigung mit der Begrifflichkeit „Segregation“ ist für den in dieser Arbeit behandelten Themenkomplex unabdingbar, denn dies zeigten die Ausführungen dieses Kapitels zur sozialen und räumlichen Differenzierung von Stadt -: „Ein Schlüsselbegriff dieser sozial-räumlichen Gliederung der Stadt ist Segregation“ (Schäfers 2000, 64; Herv. Schäfers, M.L.).15 Segregation ist in enger Verbindung mit sozialer Ungleichheit16 im Allgemeinen und Sozialstrukturanalyse im Besonderen zu sehen. In Hradils „Sozialstrukturanalyse in einer modernen Gesellschaft - von Klassen und Schichten zu Lagen und Milieus“ sind die diesbezüglich wesentlichen Grundbegriffe bereits im Titel seiner Arbeit benannt. Klasse, Stand und Schicht sind Termini der klassischen Sozialstrukturanalyse. In der Klassengesellschaft entscheiden Besitz und Verfügung über gesellschaftlich relevantes Produktionseigentum über die Position eines Individuums in der Sozialstruktur. Klassenanalysen unterscheiden sich von Schichtanalysen durch eine stärker ökonomische, aber auch Macht-Orientierung (vgl. Schäfers 1998b, 171ff). Gesellschaftliche Großgruppen bilden eine soziale Schicht. Aufgrund gemeinsamer sozialer Merkmale (Bildung, Beruf, Einkommen etc.) findet z.B. in einer dreigeteilten Schichtungspyramide (Ober-, Mittel-, Unterschicht) eine Positionierung des jeweiligen Gesellschaftsmitglieds statt. Führungseliten an der Pyramidenspitze, soziale Randgruppen quasi als „Unter-Unterschicht“ komplementieren dieses Modell einer Sozialstrukturanalyse (vgl. auch Schäfers, a.a.O., Schelsky 1965). 15 Mit
Blick auf „Probleme gegenwärtiger Stadtentwicklung“ heißt es bei Schäfers: „Der Begriff Segregation stammt aus der sozialökologischen Schule der amerikanischen Stadtforschung und meint die räumlich gegebene Trennung der Bevölkerung nach bestimmten Merkmalen wie Klassen- und Schichtzugehörigkeit (damit meist verbunden Einkommen und Vermögen), Ethnie oder Religion, Alter und Zugehörigkeit zu bestimmten Haushalts- und Familienformen (Phasen im Lebens- und Familienzyklus)“ (1998a, 283). 16 Es sei an dieser Stelle auf die Forderung Dangschats hingewiesen, dass Segregationstheorie sich u.a. mit der Theorie sozialer Ungleichheit auseinander zu setzen habe; siehe A. 4.
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Aus der Kritik an Schichtkonzepten entwickelt Hradil ein Konzept der sozialen Lage und der sozialen Milieus (s.u.). Hradil definiert in diesem Zusammenhang soziale Ungleichheit als „gesellschaftlich hervorgebrachte und relativ dauerhafte Handlungsbedingungen [. . . ], die bestimmten Gesellschaftsmitgliedern die Befriedigung allgemein akzeptierter Lebensziele besser als anderen erlauben“ (1987, 144). Die Vorzüge eines Lagenkonzepts sind nach Hradil, dass alle Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit einbezogen seien: „alle Dimensionen, alle Verteilungsmodi, alle wesentlichen Ursachenfelder“ (a.a.O., 157). Lagenmodelle seien zudem imstande, „recht grobe, aber auch sehr differenzierte Formen sozialer Ungleichheit abzubilden“ (a.a.O.). Die „objektive“ Seite sozialer Ungleichheit geht bei Hradil im Konzept „Soziale Lagen“ auf, die „subjektive“ Seite dagegen im Milieukonzept: Unter Milieu will Hradil eine Gruppe von Menschen verstanden wissen, „die solche äußeren Lebensbedingungen und/oder inneren Haltungen aufweisen, aus denen sich gemeinsame Lebensstile herausbilden“ (a.a.O., 165). Hradil verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass sein Milieubegriff auf dem gleichen Fundament einer erweiterten Handlungstheorie beruht, wie der oben entwickelte Lagenbegriff. Beide Konzepte beruhen auf dem Gedanken, dass die soziale Welt am besten dadurch erschließbar ist, dass dem subjektiv als sinnvoll erachteten Handeln der Menschen nachgegangen wird, einschließlich der Voraussetzungen, Verläufe, Verkettungen und Konsequenzen dieser Handlungen.17 Schäfers unterscheidet drei Modelle sozialer Ungleichheit: • Soziale Ungleichheit wird als naturgegeben (wie z.B. bei Aristoteles, aber auch bei den Sozialdarwinisten) oder als gottgewollt angesehen; • soziale Ungleichheit wird als Form der sozialen Differenzierung erkannt und allgemein akzeptiert, solange sie nicht personell, ständisch oder klassenspezifisch ‚festgeschrieben‘ ist und bestimmte gesellschaftsspezifische Toleranzgrenzen überschreitet. Sie wird z.B. durch Chancengleichheit, soziale Mobilität und die Wirkungen des Sozialstaats ‚aufgebrochen‘ und kompensiert; Es ist offenkundig, dass die Bundesrepublik dem zweiten ‚Modell‘ zuzurechnen ist“ (1998a, 230ff).18 Segregation ist ein Merkmal sozialer Ungleichheit. • soziale Ungleichheit wird als ein inakzeptabler gesellschaftlicher Zustand (z.B. der Ausbeutung und Unterdrückung) angesehen und kann 17 „Soziale
Ungleichheit bezeichnet jenen Zustand der sozialen Differenzierung, in dem die ungleiche Verteilung von Ressourcen, Positionen und Rängen ein Problem ist“ (Schäfers 1989, 83f). 18 Vgl. auch Schäfers 1990a.
23
nach Auffassung von bestimmten Personen oder Gruppen nur durch eine revolutionäre Veränderung der gesellschaftlichen Basisstrukturen aufgehoben werden. 1.2.1 Segregationsforschung Die Segregationsforschung widmet sich der Frage nach den räumlichen Folgen sozialer Ungleichheit in einer Gesellschaft. Diese Folgen zeigen sich vor allem in Städten, was Friedrichs in seiner Einleitung der „Stadtanalyse“ betont: „Der Anteil der Weltbevölkerung, der in Städten lebt, steigt ständig; er hat in den hochindustrialisierten Ländern längst 70 % überschritten. Soziale Probleme sind fast immer städtische Probleme, betreffen eine städtische Bevölkerung und werden politökonomisch entschieden. Analysen der Stadt lassen sich zunehmend weniger von Analysen der Gesellschaft trennen. Je stärker sich die Bevölkerung eines Landes in den metropolitanen Gebieten konzentriert und sich die Verhaltensmuster der metropolitanen Bevölkerung ausbreiten, um so schwieriger wird es, ‚(Groß-)Stadt‘ und ‚Gesellschaft‘ als spezifische Untersuchungsobjekte zu konstituieren. Stadtanalysen sind Gesellschaftsanalysen. Gesellschaftsanalysen sind Stadtanalysen“ (1981, 14). Nach den Ursachen der Segregation auf der einen, nach den Folgen der Segregation auf der anderen Seite wird in diesem Zusammenhang gefragt und Friedrichs weist darauf hin, dass das Ausmaß der Segregation im ersten Fall eine abhängige, im zweiten Fall dagegen eine unabhängige Variable ist (vgl. a.a.O., 216). Mit Blick auf die von Segregation betroffenen Menschen erklärt Friedrichs, dass der Frage nach den Folgen die Annahme zugrunde liegt, „das Ausmaß ungleicher räumlicher Verteilung von Bevölkerungsgruppen oder die räumliche Konzentration einer Gruppe habe Effekte auf das Verhalten der Gruppenmitglieder“ (a.a.O.). Einflüssen von Segregation als Folge von Stadtentwicklung sind Stadtbewohner/innen nicht erst in der Neuzeit ausgesetzt, wie etwa Max Weber am Beispiel der mittelalterlichen Stadt dargestellt hat (vgl. 1964). In Bezug auf Stadtentwicklung lassen sich nach Friedrichs in der einschlägigen Literatur unter der Bezeichnung „Stadtmodelle“ drei Modelle unterscheiden, die Stadtstruktur als Resultat eines Stadtentwicklungsprozesses betrachten: 1. das Modell der konzentrischen Zonen nach Burgess, 2. das Sektorenmodell nach Hoyt sowie 24
3. das Mehrkernmodell nach Harris & Ullman.19 Eine Gemeinsamkeit der drei Theorien ist in ihren nicht explizierten Annahmen zu sehen; sie lassen sich als Randbedingungen interpretieren. Am Beispiel von Burgess hat bereits Quinn (1940) folgende Annahmen herausgearbeitet: Unterstellt werden eine hohe Zuwanderung, ein starkes Wachstum, die Dominanz der City und ein kapitalistischer Grundstücks- und Bodenmarkt. Hieran und an den von Friedrichs in seiner „Stadtanalyse“ oben zitierten Gedanken der Benachteiligung Armer am Wohnungsmarkt knüpft Hamm an: „In kapitalistischen Wirtschaftssystemen wird nun die Konkurrenz auch um Standortvorteile der Wohnungen über den Preis ausgetragen. An den vorteilhaftesten Standorten setzt sich durch, wer dafür am meisten bezahlen kann, den Armen bleiben nur die schlechtesten Standorte, umgeben von Industriebetrieben, von stark befahrenen Ausfallstraßen oder unter stark belastenden Flugschneisen übrig“ (1982, 73). Ohne es explizit zu nennen, beschreibt Hamm die Lage von (ehemaligen) so genannten „Obdachlosensiedlungen“ in Deutschland. Friedrichs definiert Segregation (1995) als „disproportionale Verteilung von Bevölkerungsgruppen über die Teilräume einer Stadt“ und stellt fest: „Segregation ist das Ergebnis sozialer Ungleichheit, d.h. ungleicher Chancen und Präferenzen einzelner Bevölkerungsgruppen. Je nachdem, welche Gruppe in welchem Ausmaß - benachteiligt ist, verändern sich auch deren Chancen, auf dem Wohnungsmarkt eine ihren Präferenzen entsprechende Wohnung zu finden“ (a.a.O., 79). Friedrichs „zerlegt“ den theoretischen Begriff „Segregation“ in die drei Begriffe „Segregation“, „Konzentration“ und „Räumliche Distanz“ (vgl. 1981, 19 Burgess
formulierte sein Modell der konzentrischen Kreise aus Beobachtungen der Stadtentwicklung Chicagos, das ein hohes Bevölkerungswachstum bei einem hohen Anteil ethnischer Gruppen und große soziale Konflikte aufwies. 1920 lagen Zensusdaten für 70 Teilgebiete vor, die einen idealen „Nährboden“ für theoretische Arbeiten wie beispielsweise von Park/Burgess/McKenzie (1925) bildeten. Hoyt entwickelte sein Sektorenmodell mit Hilfe von Untersuchungen zu Veränderungen in der Lage von Wohngebieten der oberen Mittelschicht und Oberschicht in 30 nordamerikanischen Städten. Eine zentrale Hypothese ist: Wenn Wohngebiete hoher Miete von ihren Bewohnern verlassen werden, dringen Bevölkerungsgruppen des nächstniedrigen Status in die leerstehenden Gebäude ein („filtering“). Das Mehrkernmodell von Harris & Ullman unterscheidet drei Typen von Städten: Stadt als zentraler Ort mit einer Vielzahl von Dienstleistungen, Transportstadt bzw. Stadt des Güterumschlages, spezialisierte Stadt wie z.B. Bergbau-, Produktions- oder Erholungsstadt. Zentrale Hypothese des Mehrkernmodells ist: Der ursprüngliche Kern einer Stadt wird durch jene Nutzungen gebildet, die dem Typ der Stadt entsprechen: Einzelhandel in zentralen Städten, Hafen in Transportstädten, Fabriken in spezialisierten Städten.
25
217f): Während ersterer für das Ausmaß der ungleichen Verteilung von Elementen über städtische Teilgebiete eines Gebiets die Ebene „Gebiet“ darstellt, steht der zweite für den Anteil der Bevölkerung in einem Teilgebiet an der Gesamtbevölkerung des Gebiets (Ebene „Teilgebiet“). Der letztgenannte Begriff bildet die räumlichen Abstände zwischen Personen in einem Teilgebiet ab (Ebene „Individuum“). Diese Unterscheidung ist nicht nur unter handlungsorientierten theoretischen Gesichtspunkten bedeutsam, sondern auch - wenn auch nicht explizit mit makro-, meso- und mikrosoziologischen Begrifflichkeiten so von Friedrichs formuliert - mit Blick auf das MakroMeso-Mikro-Modell, das der hier vorgelegten Arbeit zugrunde liegt. Friedrichs weist zudem auf den Akteur vor Ort „Lokaler Staat Kommune“ hin, der mit Segregation praktisch konfrontiert ist: „Der Ausgleich sozialräumlicher Disparitäten wird damit zunehmend nicht nur Aufgabe des Staates, sondern auch der Kommunen. Deren finanzieller Spielraum, selbst bei sozialpolitischen Entscheidungen, engt sich jedoch zunehmend durch relativ sinkende Einnahmen bei relativ steigender Festgelegtheit der Haushaltsposten ein“ (a.a.O., 99). Was die Folgen von Segregation anbelangt, stellt Friedrichs anhand seiner vorgeschlagenen Differenzierung fest: „Städtische Teilgebiete, die einmal überwiegend von einer Statusgruppe bewohnt werden, ziehen daher mit hoher Wahrscheinlichkeit Personen der gleichen Gruppe oder des gleichen Status an. Entsprechend verändert sich die soziale Bewertung städtischer Teilgebiete nur langsam, wenn man unterstellt, dass die Bewertung eines Teilgebiets auch auf Grund des Status seiner Bewohner vorgenommen wird“ (a.a.O., 257ff). Weiter erklärt Friedrichs für die Ebene „Stadt“, dass geklärt werden muss, inwieweit Bewohner/innen mit einem niedrigeren Sozialstatus aufgrund ihres Wohngebiets gegenüber statushöheren Bevölkerungsgruppen benachteiligt sind. In Bezug auf städtische Teilgebiete greift Friedrichs die Diskussion um Mischung auf. In der Mischungsdiskussion handele es sich nicht um Effekte von Disparitäten, sondern um sozialpsychologische Annahmen über räumliche Nähe, Kontakte und das Lernen von Verhaltensmustern. Friedrichs zitiert Gans mit seinen Thesen „pro Heterogenität von Wohngebieten“, die seine Ansicht untermauern. Gans formuliert z.B., dass Vielfalt in der Gegend das Leben der Bewohner/innen bereichert, Heterogenität Toleranz fördert und für Kinder aufklärerisch wirkt, während Homogenität dagegen Kontaktbereitschaft verringert und Isolation fördert (vgl. a.a.O., 257ff). Zum Abschluss sei auf die Verringerung bzw. Beseitigung von Segregation, 26
die Desegregation (in Bezug auf Ethnisierung vgl. etwa Anhut/Heitmeyer 2000b), noch eingegangen. Friedrichs definiert Desegregation als Verringerung der überproportionalen Konzentration oder ungleichen Verteilung von Elementarten über Teileinheiten. Unter Elementarten versteht Friedrichs Bevölkerungsgruppen, unter Teileinheiten Teilgebiete einer Stadt. Als Maßnahmen nennt Friedrichs die Auflösung von Obdachlosenlagern, die Errichtung ethnisch gemischter Siedlungen oder die Umsiedlung von Gastarbeitern aus Sanierungsgebieten in andere städtische Teilgebiete (vgl. a.a.O., 282). In diesem Zusammenhang zitiert Friedrichs Vaskovics.20 Wichtig für den Fortgang der Argumentation ist die Auseinandersetzung von Friedrichs mit „Makro- und mikrosoziologischen Theorien der Segregation“: • „Die Segregations-Forschung ist ein Beispiel sowohl für die Verwendung von additiven Theorien als auch für statische - bestenfalls komparativ-statische • Analysen. Es fehlt an dynamischen Modellen und entsprechenden empirischen Untersuchungen. • Die Makro- und die Mikroebene (Stadt-Individuum) sind unzureichend verbunden, obgleich in zahlreichen Studien mikrosoziologische Annahmen verwendet werden, um die makrosoziologischen Hypothesen zu begründen oder Ergebnisse zu interpretieren. [. . . ] • Um Segregation auf der Mikroebene, d.h. durch Hypothesen über das Verhalten der Individuen und dem Ergebnis dieser Handlungen auf der Makroebene, zu erklären, bedarf es einer individualistischen Theorie. Diese kann allgemeiner als eine Theorie der Wohnstandort-Wahl formuliert werden“ (1988b, 56). Zur makrosoziologischen Erklärung von Segregation nennt Friedrichs u.a. Marshall und Jiobu (1975) sowie Roof, Van Valey und Spain (1976), die als Hypothesen formulierten, dass das Ausmaß der räumlichen Segregation zweier sozialer Gruppen in einer Stadt umso größer ist, je größer die Einkommensungleichheit ist, je höher die Ungleichheit der Schulabschlüsse ist, je höher der Anteil der Minorität an der Gesamtbevölkerung ist und je größer die Gesamtbevölkerung (Einwohnerzahl) ist“. Zur mikrosoziologischen Theorie der Segregation zieht Friedrichs zunächst die Wert-Erwartungs-Theorie (WET) heran. Diese geht davon aus, dass ein 20 Wie
Herlyn in Bezug auf geschlossene Siedlungen unterprivilegierter Minoritäten bemerkt, „dass bei Angabe der ‚Adressegrq in der Öffentlichkeit nicht nur die abfällige Einstellung zur Siedlung als Stereotyp auf das Individuum übertragen wird“ (1974b, 29), so untersucht Vaskovics Möglichkeiten der Entstigmatisierung; vgl. etwa 1976.
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Akteur in einer Situation mindestens zwei Handlungsalternativen hat. Diese wägt er unter den Gesichtspunkten Nutzen, Kosten, Auftrittswahrscheinlichkeit und Konsequenzen ab. Handlungsalternativen wie unterschiedliche Wohnstandorte unterscheiden sich z.B. nach Auftrittswahrscheinlichkeiten der einzelnen Konsequenzen. Die Anwendung der WET beruht auf zwei Annahmen: Segregation ist das Ergebnis eines Prozesses, dieser Prozess ist die Wohnstandort-Wahl. Die Wohnstandortwahl selbst ist ebenfalls ein Prozess, der von den Akteuren, die umziehen wollen, ein hohes Maß an Überlegungen erfordert. Die monetären Gesichtspunkte spielen eine bedeutsame Rolle. Niedrigeinkommen-Haushalte haben weniger Alternativen als Haushalte mit höheren Einkommen. Was die Konsequenzen bei der Entscheidung anbelangt, erfolgt die Wohnstandort-Wahl anhand von Merkmalen, die die Wohnung betreffen. Das Wohnumfeld spielt bei der Umzugsentscheidung eine untergeordnete Rolle. Kenntnisse über Stadtviertel bzw. Stadtteile liegen in der Regel nur in pauschalen Beurteilungen vor. Friedrichs stellt fest, dass die Nutzenschätzungen bei der Wohnstandortwahl von subjektiven Präferenzen, dem Einkommen, der Kinderzahl, also Merkmalen, die in den Makrotheorien Verwendung finden, abhängen (vgl. a.a.O., 61ff). Unter der Überschrift „Makro- und Mikrotheorie“ stellt Friedrichs zunächst im Schaubild das „Mikro-Makro-Problem“ dar: Abbildung 1: Mikro-Makro-Problem
Quelle: Friedrichs 1988b, 65
Das Schaubild veranschaulicht das Problem, die makro- und mikrosoziologischen Segregationstheorien zu verbinden. „Um Mj, die Zielvariable, zu erklären, werden Merkmale der sozialen Struktur, Mi, verwendet. Auf der Mikroebene ist es ein Merkmal des Individuums Ii, das sein Verhalten Ij erklären soll“ (a.a.O., 65). Somit wird deutlich, dass sich die Hypothesen der Mikro- und Makroebene nicht vergleichen lassen, da die abhängigen Variablen jeweils unterschiedlich sind. Auf der Makroebene dienen Merkmale des 28
Aggregats (z.B. Häufigkeiten) dazu, die Zielvariable Mj zu erklären. Auf der Mikroebene soll das Verhalten des Individuums Ij mit Merkmalen Ii (z.B. Handlungskonsequenzen) erklärt werden. Nach Friedrichs werden in Erklärungen für Segregation auf Aggregatsebene (Stadt, Stadtviertel) oft aggregierte Individualmerkmale mit aggregierten Merkmalen der Wohnungen korreliert, indem z.B. durchschnittliche Einkommen als Indikator für Mietzahlungsfähigkeit, die Schulbildung als Indikator des Lebensstils oder der Anteil der unter Sechsjährigen als Indikator für den Familienzyklus verwendet werden. Demgegenüber sind der Anteil der Eigentumswohnungen, die durchschnittliche Wohnungsgröße oder der Anteil der Wohnungen mit oder ohne Zentralheizung/Bad aggregierte Merkmale der Wohngelegenheiten. Das sozial-räumliche Merkmal „Segregation“ kann auf der Makroebene nur durch soziale und räumliche Merkmale erklärt werden. Es genügt nicht, die Hypothese zu formulieren, dass die Segregation umso größer sei, je größer die Einkommensungleichheit in einer Stadt ist. Die Ungleichheit der Wohnungen sowie deren ungleiche Verteilung muss nach Friedrichs hinzugenommen werden: „Je größer die Ungleichheit der Wohnungen und deren ungleiche Verteilung über die Stadtfläche und (Herv. Friedrichs, M.L.) je größer die Einkommensungleichheit, desto höher ist der Grad der Segregation. [. . . ] Die Mikro-Hypothese lautet: Je größer die individuellen Wahlmöglichkeiten unter den vorhandenen Wohnungen/Häusern sind, desto eher kann der Haushalt entsprechend seinen Präferenzen einen Wohnstandort wählen“ (a.a.O., 66). Zum Kontexteffekt (= Verbindung zwischen Mi und Ii) im oben angeführten Schaubild führt Friedrichs an, dass dieser die Rahmenbedingungen für das Handeln eines Individuums setzt. Aggregate, wie z.B. soziales Netzwerk, Wohnviertel oder eine Stadt, können Kontext sein (vgl. a.a.O., 66ff). Was Friedrichs als Kontexteffekt bezeichnet, ist auf der Mesoebene21 anzusiedeln. Der angesprochene Individualeffekt (= Verbindung zwischen dem Verhalten des Individuums Ij und der Makroebene Mj) ist nach Friedrichs schwieriger als der Kontexteffekt zu bestimmen. Generell sieht Friedrichs allen Individualeffekten eine Handlungsregel zugrunde liegen. Als „das bislang beste Beispiel“ für Individualeffekte sieht er die Segregationsmodelle von Schelling an (vgl. 1971). Friedrichs führt anschließend drei Bedingungen beispielhaft an, um das Modell mehr der Realität des Wohnungsmarkts anzupassen und um die Effekte solcher Bedingungen im Mikro-Makro-Modell zu erklären: 21 . . . auch
wenn Friedrichs diesen Begriff nicht verwendet.
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1. Aufgrund ungleich hoher Mieten der Wohnungen, ungleich hoher Einkommen der Mieter wird die Möglichkeit umzuziehen eingeschränkt und die Segregation erhöht sich weiter. 2. Ein Teil der öffentlich geförderten Wohnungen unterliegt einer Belegungsbindung, sind räumlich konzentriert und durch eine selektive Zuweisung der Wohnungen an Wohnungssuchende wird die Segregation noch weiter erhöht, insbesondere dann, wenn gleichzeitig Personen mit gestiegenem Einkommen aus der Nachbarschaft ausziehen. 3. Die Zahl der Felder (Wohnungen) wird um ein Vielfaches erhöht, wodurch die Möglichkeiten der Akteure, ihren Präferenzen entsprechend zu wohnen, steigen, was wiederum zu einem höheren Ausmaß der Segregation führen wird. In allen drei Beispielen ändert sich nicht das Verhalten der Individuen. Allein durch die Stärke des Kontexteffektes Mi → Ii entsteht ein höheres Ausmaß der Segregation (vgl. a.a.O., 72f). 1.2.2 Gentrification und Netzwerke Neben dem Segregationsbeispiel geht Friedrichs in Bezug auf den Individualeffekt auf Gentrification ein. Als Gentrification wird das Eindringen einer Bevölkerungsgruppe in ein Wohngebiet, das bislang überwiegend von einer anderen Bevölkerungsgruppe bewohnt wurde, verstanden. Dabei werden zwei Formen unterschieden: Das Eindringen einer statusniedrigen ethnischen Minorität in ein Wohnviertel statushöherer Majorität sowie das Eindringen einer statushohen Gruppe in ein Viertel, das bislang von einer dem gegenüber statusniedrigeren Gruppe bewohnt wurde. Gentrification tritt nicht in beliebigen Wohnvierteln auf, sondern in jenen mit einer citynahen Lage und einer gegenwärtig statusniedrigen Wohnbevölkerung. Die zunächst einziehende Gruppe wird als „Pioniere“ bezeichnet, die nachfolgenden sozialen Gruppen sind die „Gentrifier“, die einen höheren Status als die Pioniere aufzuweisen haben und ihr Vermögen nicht gefährden wollen, weshalb sie erst zuziehen, wenn sie sich in ihrem Nutzen sicher sind (vgl. etwa Blasius 1993 sowie zur Differenzierung „exogener“ und „endogener“ Gentrification Dangschat 1992). Verteilungen von Personen und Haushalten im Raum sind das Ergebnis individueller Entscheidungsprozesse und der räumlichen Verteilung von (Wohn-) Gelegenheiten. Individuen handeln nicht raumbezogen, aber die Ergebnisse ihres Handelns haben räumliche Folgen. Nach Friedrichs richtet sich demnach die mikrosoziologische Stadtforschung auf die Analyse der räumlichen 30
Opportunitäten und Beschränkungen für individuelles Handeln sowie der räumlichen Folgen individueller Entscheidungen. 1988 stellt Friedrichs unter der Überschrift „Stadtsoziologie - wohin?“ (vgl. 1988a, 1988c) fest, dass es trotz der gelungenen Etablierung der Stadtsoziologie zum damaligen Zeitpunkt Anzeichen einer Krise22 gibt. Ein Grund sieht er in der Fehleinschätzung nationaler Regierungen, dass die großen sozialen Probleme in den städtischen Teilgebieten weniger drängend als noch in den 60er und 70er Jahren seien, was sich tatsächlich als Irrtum erweisen wird. Zudem weist Friedrichs darauf hin, dass sich die Gesellschaft nicht nur differenziert hat, sondern auch eine Polarisierung zu beobachten ist. Dieses macht Friedrichs an steigenden Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängerzahlen fest. Soziale Ungleichheit sei in der Bundesrepublik Deutschland so deutlich wie in den USA festzustellen. Friedrichs sagte zum damaligen Zeitpunkt eine ähnliche Entwicklung wie in den USA für die kommenden fünf Jahre für Deutschland voraus. Die Frage danach, was zu tun sei, beantwortete Friedrichs wie folgt: „Die generelle Antwort, falls es eine (Herv. Friedrichs, M.L.) gibt, lautet meines Erachtens, bessere Theorien anzuwenden oder zu entwickeln. Wir müssen neue Wege gehen, um die sozialwissenschaftliche Stadtforschung aus ihrer Stagnation herauszuführen. [. . . ] Wenn es um Verteilung im Raum (Herv. Friedrichs, M.L.) geht, wäre es eine sinnvollere Strategie, die Verteilungen als Ergebnisse von Prozessen zu betrachten, also Prozesse (Herv. Friedrichs, M.L.) zu untersuchen“ (a.a.O., 11ff). Zentral für die hier vorgelegte Arbeit ist die Aussage von Friedrichs, dass Verteilung im Raum als Ergebnis von sozialen Prozessen zu betrachten sei. Friedrichs wünscht auch eine verstärkte Erarbeitung dynamischer Modelle im Gegensatz zu Querschnittsanalysen. In diesem Zusammenhang weist er auf eine der Stärken der Stadtforschung hin, nämlich die Fähigkeit zur Vorhersage der Entwicklung von Städten und Stadtvierteln in Bezug auf Prozesse wie z.B. Migration, Suburbanisierung oder Filtering. Friedrichs sieht die Beziehungen zwischen Individual- und Aggregatebene als unzureichend erforscht an. Er hält hierbei Kontextanalysen für notwendig. Dies 22 Herlyn
hat zur These von Friedrichs die Gegenthese aufgestellt und begründet: „Die Interpretation eines angeblichen Theoriedefizits und eines angenommenen Bedeutungsschwundes der Stadtsoziologie als Krise ist falsch (bzw. zumindest weit übertrieben), weil es einmal immer Anknüpfungen an allgemeine soziologische Theorien gegeben hat und zum anderen es sich nicht um einen Bedeutungsverlust handelt, sondern um eine Art Gesundschrumpfung nach einer allzu hektischen Entwicklungsetappe der Soziologie im allgemeinen wie auch und gerade im besonderen Feld der Stadtsoziologie“; 1990, 545, vgl. auch 1989, 186ff.
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betrifft, wie angemerkt, die Mesoebene.23 Netzwerkanalysen können helfen, solche Einflüsse zu untersuchen. Gleichwohl ist es Friedrichs selbst, der später gemeinsam mit Blasius „Leben in benachteiligten Wohngebieten“ (2000) - die wesentlichen Ergebnisse sind unter dem Titel „Der Geschmack der Notwendigkeit - Lebensstile in benachteiligten Wohngebieten“ in Aufsatzform (vgl. Blasius/Friedrichs 2001) zusammengefasst - den Einfluss von Wohngebieten auf ihre Bewohner/innen untersucht. Bei diesem Unterfangen stellen Friedrichs/Blasius grundsätzlich bei der Überprüfung ihrer so genannten „Wilson-Hypothese“ fest: „Das Wohngebiet, d.h. die Ausstattung und Bewohnerstruktur, hat einen Effekt auf die Bewohner dergestalt, dass sie zusätzlich benachteiligt werden. Wir nennen dies vereinfacht die WilsonHypothese. [. . . ] Zusätzlich zu den Individualeffekten können wir auch deutliche Gebietseffekte nachweisen. Damit bewährt sich die Wilson-Hypothese“ (a.a.O., 193ff). Was die angedeuteten intermediären Ebenen, z.B. in Form von Stadtteilakteuren anbelangt, sei an dieser Stelle auf die von Schneider vertretene Methode der „Qualitativen Segregationsanalyse“ verwiesen. Diese „zielt im engeren Sinne auf die Ergänzung von quantitativen Analysen. [. . . ] Qualitative Segregationsanalyse heißt zunächst, dass sich jede Analyse dieser Art, auch die nur quantitativen, einer qualitativen Problematik verdankt. [. . . ] Eine noch so filigrane und kleinräumige quantitative Analyse kann kaum diese Qualität erfassen. Gedacht ist natürlich an die Angehörigen der sozialen Berufe selbst, dann aber vor allem an Lehrer, Polizeibeamte, Ärzte, Pfarrer, Vereinsfunktionäre oder Einzelhändler. (. . . ) Diese ‚Experten‘ haben Nähe und Distanz, sie verhalten sich in und zum Stadtteil“ (1999, 37ff). In dem von Schneider vertretenen Sinne kann den Stadtteilexpertinnen und -experten eine „Scharnierfunktion“ zwischen Mikro- sowie Mesobene, „ihrem“ jeweiligen Sozialraum (i.d.R. Stadtteil) und seinen Bewohnerinnen und Bewohnern sowie der Makroebene, vertreten i.d.R. durch Stadtverwaltung/-politik, zukommen. Dies hängt von den Bedingungen ab, inwieweit Stadteilexpertinnen und -experten in Prozesse der Stadt(teil)entwicklung eingebunden werden. Und die Bewohner/innen? In 23 „In
vielen Studien wird ein Effekt der Nachbarschaft oder des durch seine administrativen Grenzen definierten städtischen Teilgebiets auf das Verhalten von Individuen und Gruppen unterstellt. Wie dieser zustande kommt, ist bislang unklar. Es ist nicht einmal gesichert, dass die Bewohner einer räumlichen Einheit wie dem Wohngebiet überhaupt den oft unterstellten Einfluß auf das Verhalten haben - und nicht ihre wichtigen Interaktionspartner z.B. in der Arbeitsstätte oder im Sportverein haben“ (a.a.O., 12ff).
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mikrosoziologischer Hinsicht „geraten“ sie spätestens dann bei differenzierten Betrachtungen von Segregation ins Blickfeld, wenn es um die Bewertung von Segregation geht. Auf Gans und seine diesbezüglich 1961 getätigten Überlegungen zur „richtigen“ sozialen Mischung in Wohngebieten wurde bereits eingegangen. Häußermann/Siebel greifen aktuell einen von ihnen bereits 1991 vorgetragenen Aspekt von Segregation, der auf die Bewohner/innen abzielt, in seiner Konsequenz für „Stadt- und Wohnungspolitik“ auf, nämlich den der Freiwilligkeit: „Politik muss zugleich Segregation abbauen und zulassen. Sie muss freiwillige, ethnisch-kulturell bedingte Segregation ermöglichen, erzwungene, durch Diskriminierung und fehlende Optionen auf dem Wohnungsmarkt bedingte dagegen verhindern. [. . . ] Segregation zulassen und verhindern, Einwanderungsquartiere als Dauereinrichtung der Stadt und als Durchgangsstation für Individuen akzeptieren, Mechanismen informeller Konfliktmoderation installieren, sensible Frühwarnsysteme entwickeln, die Kontrolldichte lockern und öffentliche Räume sichern - Einwanderung verlangt von der Politik diesen außerordentlich schwierigen Balanceakt“ (2001, 77ff). Was Häußermann/Siebel mit Blick auf Migrationsfragen in Bezug auf Einwanderung und den politischen Umgang mit ihr feststellen, sollte auf raumbezogene soziale Integration grundsätzlich bezogen werden. Häußermann/Siebel unterscheiden ja auch zwischen sozio-ökonomisch bedingter und ethnisch-kulturell bedingter Segregation. Diese Differenzierung muss auf politisch-pragmatischer Ebene mitbedacht werden, da Segregation ohne „ethnische Komponente“ räumlich als „der städtische Raum als Spiegel der Gesellschaft“ (vgl. Alisch/Dangschat 1998, 87ff) unter der Überschrift „Sozialpolitischer Umgang mit Sozialer Ungleichheit“ bearbeitet werden muss. Wie solch ein Umgang vonstatten gehen kann, deutet sich bereits in einer Kapitel-Überschrift der Publikation „Stadt und soziale Ungleichheit“ an, die da lautet: „Soziale Ungleichheit als Herausforderung für kleinräumliche Milieus und für planerisches Handeln“ (Harth et al. (Hrsg.) 2000a). Kleinräumlich gilt es, auch über differenzierte Variablen zu erfassen, hin zu einem Milieubegriff zu kommen, wie ihn Herlyn et al. (1991) in die stadtsoziologische Diskussion (wieder) eingeführt haben. Nach Schacht spricht für eine milieutheoretische Betrachtung von Stadtteilen, Stadtvierteln und Wohngebieten die Möglichkeit des Aufzeigens alltagsweltlicher Zusammenhänge, denn: „Dies ermöglicht der Fragestellung nachzugehen, wie von Armut betroffene Menschen Armutssituationen erfahren und verarbeiten“ und zudem „wird die Umwelt ausdrücklich einbezogen. Soziale Milieus haben also einen Ortsbezug“ (1999, 290). Da nach Hradil soziale Milieus die vermittelnde Ebene zwischen „‘objektiven‘, äußeren Lebens33
bedingungen (Struktur) und ‚subjektiven‘, inneren Einstellungen und Verhaltensweisen der Individuen (Praxis)“ (1987, 168) darstellen, kommt über diesen Weg in angemessener Form die Individualebene der Bewohner/innen ins Blickfeld. Dies soll aber nicht in der von Keim/Neff unter der Überschrift „Ausgrenzung und Milieu: Über die Lebensbewältigung von Bewohnerinnen und Bewohnern städtischer Problemgebiete“ (Keim/Neff 2000b) zurecht kritisierten Form geschehen: „Marginalisierte wurden nur selten als handelnde Subjekte, sondern als Träger von Defiziten überwiegend der Arbeitsmarktanforderungen oder von Diskriminierungsmerkmalen (Herkunft, Geschlecht, Alter) gesehen“ (a.a.O., 252). Vielmehr geht es darum, Beteiligung und Partizipation so zu gestalten, dass die von Selle beklagte „Soziale Selektivität planungsbezogener Kommunikation“ (vgl. Selle 1996, 2000) abgebaut und nicht „nur Angehörige aus der Mittelschicht und einige Jungakademiker mitwirken“ (2000, 293). Von der kleinräumigen Betrachtungsweise zurück zur Makrobene: Den kommunalen Handlungsspielraum sieht Hamm eingeschränkt, da „viele Faktoren auf die Stadtentwicklung einwirken, die von der regionalen, der gesamtgesellschaftlichen oder gar der internationalen Ebene her kommen und die auf der lokalen Ebene gar nicht beeinflußbar sind“ (1982, 82). 1.2.3 Segregation in kommunaler Perspektive In der Untersuchung von Hamm/Neumann (1996, 194) über die Ursachen von Segregation werden folgende Ergebnisse hervorgehoben: • Die Reste der Altbaubestände werden gentrifiziert, d.h. (luxus-) saniert, häufig in Eigentum umgewandelt und von meist wohlhabenden Kleinhaushalten belegt, • die Armen aus den transitorischen Zonen werden mit fortschreitender Sanierung verdrängt - abseits des Besucherverkehrs, abseits der alltäglichen Wahrnehmung und damit aus dem drängenden Handlungsbedarf hinausdefiniert, • dabei sorgt die regional zunehmend disparitäre Entwicklung dafür, dass die Städte dem Wettrennen um die Ansiedlung von gewerblichen Unternehmen nicht ausweichen können, • die Stadtregionen werden mit neuen Verwaltungsorganisationsmodellen auf eine Rolle als Unternehmer eingeschworen, deren wichtigste Aufgabe darin besteht, der eigenen Stadt Vorteile vor anderen zu ergattern. 34
Hinsichtlich des „Unternehmertums“ von Kommunen kritisiert Dangschat, dass (Stadt-)Verwaltung und (Stadt-)Politik „ihre“ Stadt kaum noch als ein Gemeinwesen, sondern zunehmend vor allem als Wirtschaftsstandort“ (1996c, 143) definieren: „Dieses neue Selbstverständnis führt überwiegend zu traditionellen Strategien und Logiken der Modernisierung, d.h. Anstreben des Wirtschaftswachstums durch Technikentwicklung, welche jedoch auch die hergebrachten Formen der Orientierung am Gemeinwesen in Frage stellt. An deren Stelle tritt eine betriebswirtschaftliche Optimierung städtischer Politik und Verwaltung, was zur Folge hat, dass für eine Standortpolitik andere Politikfelder (Stadtentwicklungsplanung, Wohnungsbau und Stadterneuerung, Kultur- und Bildungspolitik, neuerdings Sozialpolitik) instrumentalisiert werden“ (a.a.O., 144). Schäfers/Wewer bemerken zu diesem Beitrag Dangschats: „Die soziale ‚Spaltung der Stadt‘ sei, so seine (Dangschat, M.L.) These, ein gebilligter Effekt einseitiger Stadtpolitik, die nicht soziale Integration anstrebe, sondern die gesamte Stadt der globalen Konkurrenz ausliefere. Es habe sogar den Anschein, als seien die nach ökonomischen Kriterien erfolgreichsten Stadtregionen zugleich auch diejenigen, die den höchsten Zuwachs an sozialer Ungleichheit produzierten“ (1996, 10). Die Belege zeigen, wie untrennbar Segregation und soziale Ungleichheit miteinander verknüpft sind. Ein Beispiel, wie ärmere Bevölkerungsschichten aus Wohngebieten verdrängt werden können, stellt die Sanierung des Karlsruher „Dörfle“, der Altstadt Karlsruhes, dar (s.u.). Dass Burgess‘ und Hoyt‘s Theorien bei der hier angestellten Betrachtungsweise zum Phänomen der Segregation auch heute noch relevant sind, zeigt Hamm: „Die Segregation nach sozialer Schicht wird nur in Ausnahmefällen ein konzentrisches, viel häufiger aber ein sektorales Verteilungsmuster zeigen, wenngleich auch die Nähe zum Zentrum als Kriterium der Standortwahl eine Rolle spielt. In diesem Modell wird ein Phänomen erklärbar, das seit etwa zehn Jahren in einigen Städten beobachtet wird: die Rückwanderung wohlhabender Haushalte und Bevölkerungsgruppen in die Innenstädte.
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Wenn durch Entkernung, Modernisierung und Verkehrsberuhigung die Wohnstandortqualitäten von innerstädtischen Gebieten entscheidend verbessert werden, dann setzt der Prozeß der ‚gentrification‘ ein, und es können selbst in der transitorischen Zone Nobel-Wohnungen entstehen (ein gutes Beispiel ist Hamburg-Pöseldorf)“ (1982, 74).
1.2.4 Das Konzept der „Sozialen Durchmischung“ In Bezug auf die Bewertung von sozialer Segregation sind Hamm/Neumann der Auffassung, dass Segregation als räumlicher Ausdruck sozialer Ungleichheit umso mehr zu einem Problem wird, je mehr Ungleichheit auch Ungleichwertigkeit bedeutet (1996, 213). Sind Zugänge zu Arbeit, Einkommen und Wohnung aufgrund von Herkunft, Religion oder Hautfarbe nicht erschwert bzw. versperrt, „dann wird Segregation eher als Bereicherung denn als Bedrohung erfahren“, so Hamm/Neumann, die zudem darauf hinweisen: „Wer soziale Segregation ablehnt oder verhindern will, muss bereit sein, an den Verhältnissen sozialer Ungleichheit etwas zu ändern“ (a.a.O., 214). Bahrdt betonte, wie wichtig gleichmäßige Anteile aller Altersklassen seien: • Eine untypische Altersstruktur („Disproportionalität“) führe beispielsweise zu einem organisatorisch schwer zu bewältigenden Wechsel im Bedarf an Schulen, • gleichmäßige Anteile aller Altersklassen nach Lebensphasen garantieren eine gewisse Stabilität der Bevölkerung und tragen auch zu der erwünschten Lebendigkeit eines Stadtviertels bei, • Straßen, Plätze und Grünanlagen werden auf vielfältige Art und zu verschiedenen Tageszeiten genutzt“ (vgl. 1974, 174ff). Ebenso sollte nach Bahrdt das Wohnungsgemenge eines Quartiers eine Vielfalt an Wohnungstypen aufweisen. Bahrdt weist aber auf die Notwendigkeit von Bedarfsberechnungen „von Fall zu Fall“ hin.24 Die Problematik der Mischung ethnischer Gruppen wollte Bahrdt „pragmatisch und unideologisch“ behandelt wissen. Die Gefahr, die Bahrdt sieht, ist, „dass Minderheitenund Segregationsprobleme immer da entstehen, wo ethnische und soziale 24 „Es
wäre freilich nicht sinnvoll, an dieser Stelle feste Richtzahlen mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu geben. Sie müssen vielmehr von Fall zu Fall errechnet werden, je nach Struktur der Stadt und der zu erwartenden Bevölkerung“, a.a.O., 173.
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Differenzierung zusammentreffen und sich gegenseitig aufschaukeln, wo eine Klassendifferenzierung durch ethnische Differenzierung sich steigert und verhärtet“ (a.a.O., 177). Zur Mischung bzw. sozialen Segregation unter sozialen Schichten des „gleichen Volkes“ äußerte Bahrdt die Ansicht, sie werde „durch das gemeinsame Sprachmilieu stark gemildert und ist für die einzelnen Familien im allgemeinen auch nicht so folgenschwer: Die Diskriminierung, die von der Tatsache ausgeht, dass man in einem ‚schlechten Viertel‘ wohnt, ist schwächer, und sie verschwindet sofort, wenn es gelingt, im Zuge des ökonomischen und sozialen Aufstiegs in ein besseres Viertel umzuziehen“ (a.a.O.). Bahrdt sah die Mischung als Chance für benachteiligte Quartiere, sich aus eigener Kraft zu regenerieren. Eine einseitige Sozialstruktur erschwere auf lange Sicht diesen Prozess: „Soziale Mischung um jeden Preis ist aber kein Wert, den es in jedem Fall und um jeden Preis anzustreben gilt. Sie ist in einer freien Gesellschaft auch nicht zu erzwingen. Nur ausgesprochene Ghettobildung, vor allem ethnisch bedingte, muss schon in ihren Anfängen auf jeden Fall verhindert werden. Im übrigen sind partielle Segregationen, vor allem im Nahbereich durchaus erträglich, z.T. sogar sinnvoll. [. . . ] Es gibt, gerade im Nahbereich, Fälle, in denen ein pragmatisches Verhalten der Planer und Wohnungsvergeber am Platze ist. Ein Wohnquartier ist kein Utopia, in dem die klassenlose Gesellschaft ausgebrütet wird. Es reicht aus, wenn es in seiner Struktur und Gestaltung die bestehenden Klassendifferenzen nicht allzu provozierend demonstriert und verhärtet“ (a.a.O., 185). Das angeführte Zitat macht deutlich, weshalb das entsprechende Kapitel in Bahrdts Abhandlung mit dem Satz „Zulässigkeit eines begrenzten Pragmatismus“ überschrieben ist. Die Arbeitsgruppe „Nutzungsmischung“ der TH Darmstadt konstatiert in der von ihr herausgegebenen Dokumentation einer Fachtagung „Nutzungsmischung“, dass Wiederaufbau, Suburbanisierung und Stadtumbau die Stadt- und Raumstrukturen in den letzten Jahrzehnten stark verändert haben. Die Funktionen Wohnen, Arbeiten, Erholen trennten sich räumlich stark auf, so dass heute monofunktionale Gebilde das Bild unserer Städte und Regionen prägen. Die Entmischung hatte neben den gewünschten positiven Effekten in zunehmendem Maße Einfluss auf eine Intensivierung negativer Erscheinungen in sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Hinsicht, wie z.B. monotone Stadtlandschaften, sinkende Lebensqualität in den Städten, soziale Segregation und Verdrängung der sozial Schwächeren in stark belastete Stadtquartiere, hoher Flächenverbrauch und starke Verkehrsströme (vgl. 1992, 7f). 37
Mischung ist also nicht nur isoliert auf Segregation anzuwenden. Vielmehr ist es notwendig, den Gesamtkontext von Stadtplanung zu berücksichtigen, wie es bei der Arbeitsgruppe „Nutzungsmischung“ auch zum Ausdruck kommt. Ein Stadtteil verliert an Werthaltigkeit für seine Bewohner/innen, wenn er Entmischungsprozessen ausgesetzt ist. Wenn beispielsweise Arbeitsplätze verloren gehen, geht auch die Chance zur Existenzsicherung vor Ort für die Stadtteilbewohner/innen verloren. Herlyn et. al. bezeichnen den Stadtteil auch als „Chance der Existenzsicherung“ (1991, 29).
1.3 Zur Funktion soziologischer Stadtforschung in der kommunalen Planungspraxis Schäfers hat auf die „Soziologie als missdeutete Stadtplanungswissenschaft“ 25 aufmerksam gemacht. Auch wenn seiner Aussage „Planung ist die Praxis der Wissenschaft“ 26 im Sinne einer Prämisse für die folgenden Betrachtungen zuzustimmen ist, müssen seine Hinweise auf den Umgang mit soziologischen Erkenntnissen Berücksichtigung finden. In Zeiten, in denen (Stadt-)Soziologie der Planungspraxis sehr nahe ist27 , gilt es, das TheoriePraxis-Verhältnis zu klären. Hier soll Schäfers gefolgt werden, da dieser speziell mit Blick auf den Städtebau diese Thematik bearbeitet hat. Schäfers bezeichnet es als Missverständnis, wenn Planungspraxis davon ausgeht, dass soziologische Analysen Gewissheit stiften könnten und stellt fest: „Der Beitrag der Soziologie zu Fragen der Stadt- und Raumplanung ist daher nicht unmittelbar kooperativ; er erleichtert dem Städtebauer die Aufgabe nur insofern, als die soziale Reichweite seiner Planung ins Blickfeld gerückt wird“ (1970, 247). In diesem Sinne ist die (Stadt-)Soziologie „Beratende Wissenschaft“ (vgl. Dewe 1991), was Schäfers so beschreibt: „Architekten und Städtebauer wie alle übrigen Praktiker, die mit ihren Entwürfen und Planungen auch Sozialplanung (Herv. M.L.) betreiben - bekommen von der Soziologie keine Normen und Wertmaßstäbe mitgeliefert, die an Evidenz und Verbindlichkeit denen aus dem Bereich der technischen Planung vergleichbar wären“ (a.a.O., 25 So
der Titel eines Aufsatzes von Schäfers; vgl. 1970. 1973b, 5. 27 Vgl. zahlreiche Publikationen zum Bund-Länder-Städtebauförderungsprogramm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt“ unter www.sozialestadt.de sowie den grundsätzlichen Überblick in: Stadtbauwelt 10/2003 und Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) 2002 und insbesondere zum Programmstart Becker 2000, Kopetzki 2000, Walther 2000 sowie zur Programmerhebung Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) 2003. 26 Schäfers
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248).28 Dies liegt in der Tradition von Max Webers Ansatz der Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft. 1.3.1 Sozialplanung: Das Konzept des Wohnquartiers Mit dem Hinweis auf Sozialplanung steht die nächste grundsätzlich zu klärende Frage an, nämlich die nach der - wie Lang es formuliert - „Konzeptionalisierung des Sozialen“ (2000, 14). An dieser Stelle geht es um die Klärung der von Lang aufgeworfenen Frage „Was macht eine Stadt sozial?“ (a.a.O., 13). Lang stellt fest, dass sich in der aktuellen Forschung drei Perspektiven in Bezug auf die Konzeptionalisierung des Sozialen unterschieden lassen: „Zum einen der Versuch, mittels sozialstatistischer Indikatoren Kriterien für soziale Lebensbedingungen zu definieren, die dann sozialpolitisch möglichst flächendeckend garantiert werden sollen. Zum anderen all jene Ansätze, die als zentrales Kriterium der sozialen Stadt ihre Kommunikations-, Kooperations- und Beteiligungsstrukturen ins analytische Blickfeld nehmen. Und schließlich der dritte Forschungsstrang, der bei der Bewältigung von Problemlagen das räumliche Umfeld bzw. das ‚Quartier‘ und seine sozial-räumliche Beschaffenheit als wichtigste Ressource konzeptionalisiert“ (a.a.O., 14). Mit Blick auf die Handlungsorientierung ist der letztgenannte Ansatz für die hier vorgestellte Untersuchung von großer Relevanz. Da die Handlungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene die Basis für die Ausführungen bilden, versteht sich dieses fast von selbst. Lang definiert „Quartier“ in Anschluss an Herlyn et al. (1991) nicht nur als „Wohnquartier“, sondern als „wesentliche Ressource zur Lebensbewältigung“ (a.a.O., 234). Darüber hinaus verweist Lang zurecht darauf, dass Handlungsleitfäden, wie z.B. das Hamburger Armutsbekämpfungsprogramm oder die Maßnahmen für Stadtteile mit Erneuerungsbedarf der nordrhein-westfälischen Landesregierung, das Quartier als entscheidende Instanz zur Integration und Stabilisierung sozial Benachteiligter betrachten. Methodisch ist der oben an zweiter Stelle 28 Dewe
hat den Umgang mit Wissen („Wissensverwendung“) in wissenssoziologischer Hinsicht unterschieden in „Begründungsverwendung“ und „Strategische Verwendung wissenschaftlichen Wissens im Sinne einer Entscheidungsverwendung“, dieses auf der Basis der Diltheyschen Gegenüberstellung von Natur- und Geisteswissenschaft: „Während naturwissenschaftliches Wissen sich hinsichtlich seiner Verwendung in messbaren Veränderungen des praktischen Umgangs mit der Naturwelt manifestiert, kann ein solches Ursache-Wirkungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Lebenspraxis für sozialwissenschaftliches Wissen bei einer ausschließlichen Betrachtung der praktischen Verwendungsseite nicht unterschieden werden"(Dewe 1987, 1); vgl. dazu auch Lenz, 1990, 7ff.
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genannte Ansatz der Kooperation und Beteiligung nicht zu vernachlässigen. Geht es hierbei doch aus kommunaler Sicht vor allem darum, vor Ort Foren zu schaffen, in denen Aushandlungsprozesse und Artikulierungsmöglichkeiten für Bewohner/innen organisiert werden. Partizipation spielt als zentraler Begriff in diesem Kontext eine tragende Rolle. Der erste Ansatz beschäftigt sich nach Lang „mit der Bestimmung und Messung von sozialen Mindeststandards: Einkommen, Bildung, Ausländerquote, eventuell auch Nähe zum öffentlichen Personen-Nahverkehr, Grünflächen im Stadtteil und ähnliches werden als Indikatoren für (un)soziale Lebensverhältnisse gedeutet. [. . . ] Das Ziel bzw. die Utopie einer sozialen Stadt wäre dann erreicht, wenn es keine statistischen Auffälligkeiten und Ungleichgewichte mehr gäbe und wenn jeder Eingriff in die Stadt, der dieses Zahlengleichgewicht stören würde, sozial unverträglich wäre“ (a.a.O., 14). 1.3.2 Sozialraumanalyse Mit dem Ansatz zur Konzeptionalisierung schließt sich der Kreis: Sozialraumanalyse wurde zu Beginn dieses Kapitels als Theoriestrang des sozialökologischen Ansatzes vorgestellt. Im Kontext der „sozialen Stadt“ erscheint Sozialraumanalyse als methodischer Ansatz zur Messung sozialer Ungleichheiten innerhalb einer Stadt. In evaluatorischem Sinne erlangen die Indikatoren den Rang von Kennzahlen, die Aussagen zu (sozialplanungs-)praktischen Interventionen und deren (Nicht-)Bewährung zu tätigen in der Lage sind. „An indicator is an empirical interpretation of reality and not reality itself“, formulierte Mertens (Amsterdam) bei der Fachtagung „Monitoring und Controlling in Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf“ des Institutes für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes NordrheinWestfalen im September 2001 in Hamm bei ihrem Vortrag zu sozialen Stadtentwicklungsprojekten in den Niederlanden (2001, 65). Mit diesem Zitat kommt u.a. zum Ausdruck, dass Indikatoren für das Ausmaß sozialer Desintegration, wie sie in so genannten „Sozialräumlichen Beobachtungssystemen“ Anwendung finden, zwar dokumentieren, welche Quoten der Sozialhilfebedürftigkeit oder Arbeitslosigkeit in welchem Stadtviertel statistisch anzutreffen sind, aber nur eingeschränkt Handlungs- und Individualperspektiven zum Ausdruck bringen. Alisch/Dangschats „Suche nach den ‚richtigen‘ Indikatoren“ zur Messung des Ausmaßes an sozialer Desintegration mündet in eine Unterscheidung sinnvoller, bedingt empfehlenswerter und nicht empfehlenswerter Indikatoren. Lediglich sinnvoll erscheinen 40
Alisch/Dangschat z.B. das gewichtete Netto-Pro-Kopf-Einkommen, Mietbelastung, Anteil an Wohnungen ohne WC sowie Überbelegung der Wohnung. Ein Standardindikator wie Sozialhilfe- oder Arbeitslosengeldbezug fehlt hier, um nur ein Beispiel zu nennen. Hier gehen Alisch/Dangschat trotz aller dargelegten Begründungszusammenhänge in ihrer Kritik zu weit (vgl. 1998, 43ff). Wie oben dargelegt, sind Indikatoren auf der Makroebene erste Hinweise, die einer entsprechenden Vertiefung bedürfen. Die individuelle Sichtweise von Bewohnern und Bewohnerinnen sowie Akteuren und Akteurinnen im jeweiligen Stadtviertel bleibt ausgeblendet. Gleichwohl können Indikatoren anzeigen, in welchen Wohngebieten bzw. Stadtvierteln in Karlsruhe ein sozialräumlicher bzw. städtebaulicher Handlungsbedarf in welchem Ausmaß besteht. Aus sozialer Sicht ist es darüber hinaus unerlässlich, dass ein entsprechendes Stadtteil- bzw. Quartiersmanagement grundsätzlich an die in der Bewohnerschaft vorhandenen Potenziale, Fähigkeiten, Aktivitäten anknüpft und sich dabei bewusst ist, dass es keine normative Vorstellung eines „Idealstadtteils“ gibt. Ein Prozess der Bewohneraktivierung dient hier nicht nur der Klärung sozialer Bedarfslagen, sondern letztendlich der Bildung von Strukturen der Selbstorganisation im jeweiligen Stadtteil oder Wohngebiet. In ihrer Sozialraumanalyse beziehen Shevky/Bell soziale Position, Verstädterung und Segregation als die drei grundlegenden Faktoren sozialer Differenzierung ein.29 Das Fachlexikon der Sozialen Arbeit definiert Sozialraumanalyse als „ein Verfahren, um den Stand und die Entwicklung der sozialstrukturellen Verhältnisse eines (Stadt-)Gebietes unter besonderer Berücksichtigung benachteiligter und damit problemanfälliger Lebenslagen kleinräumig differenziert zu erfassen“ (1997, 895). Im Sinne einer Mehrebenenanalyse sieht Schwarzer als Erfolgsfaktoren, die eine qualifizierte Sozialraumanalyse als „Instrument Sozialer Arbeit“ ausmachen, an: Quantitative und qualitative Daten, genügend Zeit zur Erhebung derselben, Beteiligung örtlicher Experten, Betroffenenbeteiligung und Berücksichtigung der Netzwerke vor Ort (vgl.1997, 244 ff). Schumann hat sich mit Sozialraumanalyse in der Jugendarbeit insgesamt auseinandergesetzt und zählt als Dimensionen von Sozialraum30 auf: 29 „Aus
unserer Analyse der sozialen Trends ergeben sich drei Faktoren - soziale Position, Verstädterung und Segregation -, die unserer Meinung nach grundlegend für die städtische Differenzierung sind“; 1974, 130. 30 „Im Sozialraum fallen ‚sichtbare‘ Verhältnisse (Wohnen, Infrastruktur) mit zunächst eher ‚unsichtbaren‘ Faktoren des ‚sozialen Klimas‘ und der dort vorfindbaren Interessens-, Einfluss- bzw. Machtstrukturen zusammen (Pleiner 2002, 6). Zur Definition von Sozialraum vgl. auch Institut für soziale Arbeit (Hrsg.) 2001b, 2001c
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• Sozialraum als Reservoir von Ressourcen, • Sozialraum als Netzwerk, • Sozialraum als Macht- und Entscheidungsraum, • Sozialraum als Ensemble von Kompetenzen, • Sozialraum als Kommunikationsraum und als Prozess sozialer Integration bzw. Segregation. Gerade die letztgenannte Dimension ist in der hier vorgelegten Arbeit von besonderem Interesse. Schumann spricht einem Beispiel, nämlich der „Kleinräumlichen Jugendarbeit“ das Wort, wie sie z.B. von Krafeld et al. vertreten wird: „Kleinräumliche Angebote sollen in erster Linie Jugendliche darin unterstützen, sich in ihren Lebenswelten besser zurechtfinden und einbringen zu können und dazu im selbstgeschaffenen sozialen Kontext mit anderen Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln und auszuprobieren“ (1995, 385). In benachteiligenden Wohngebieten ist die Bedeutung von Jugendarbeit und Jugendsport hoch. Von Reischach sieht den Jugendsport als „Teil eines lebensweltorientierten Konzepts von Jugendhilfe“ (2001, 53) und misst damit dem Sport eine Bedeutung in der Jugendhilfe-Struktur bei.31 Dass der Sport jedoch in der „professionell-akademischen Sozialberichterstattung kaum berücksichtigt wird, trifft auch auf Karlsruhe zu. Gleichwohl ist für Karlsruhe festzustellen, dass von Seiten des Sports nicht nur soziale, sondern auch sozialraumbezogene Themen aufgegriffen und mit den „eigenen“ sportbezogenen Arbeitsfeldern verknüpft werden (vgl. Badische Sportjugend Kreis Karlsruhe (Hrsg.) 1998, 2001). So wird der Sozialraumbezug etwa in einem Projekt der Sportjugend Karlsruhe namens „Kinder in Bewegung“ konsequent verfolgt. Die Ausführungen zur sozialräumlichen Jugendarbeit sollen die Vielschichtigkeit der hier behandelten Gesamtthematik andeuten. sowie Stiftung SPI (Hrsg.) 2002b. der professionell-akademischen Sozialberichterstattung über die Lebenssituation der nachwachsenden Generation und ihre Freizeitnutzung spielt die Bewegungswelt, insbesondere der Jugendsport im Verein, so gut wie keine Rolle“, bemerken Brettschneider/Kleine in ihrer Studie „Jugendarbeit in Sportvereinen“ (2001, 23) und führen als Belegbeispiel hierfür den 10. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung an, in welchem vom Sport, dem Jugendliche nach eigenem Bekunden ein beträchtliches Maß an Energie, Zeit und Engagement widmen, nur am Rande zu lesen sei (vgl. a.a.O., 22f).
31 „In
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1.3.3 Sozialberichterstattung Sozialräumliches Monitoring versteht sich innerhalb der Sozialberichterstattung als Controlling. Die Anwendung von Indikatoren ist wesentliches Merkmal von Sozialberichterstattung. Daten sollen anzeigen, welcher Handlungsbedarf besteht. Hier ist die Nähe von Theorie und Praxis angesprochen. Daten, die unmittelbar auf mikrosoziologischer Ebene erhoben werden, sind der Praxis näher als diejenigen auf makrosoziologischer Ebene. Bürger/innen-Befragungen bieten gegenüber Erhebungen von Amtsstatistik (z.B. Sozialindikatoren wie Sozialhilfebezug oder Arbeitslosigkeit) die Möglichkeit, subjektive Einschätzungen und Meinungen zu eruieren. Das Zusammenspiel dieser beiden empirischen Ebenen benötigt die Ergänzung der mesosoziologischen Ebene, z.B. durch Befragungen von Stadtteilexpertinnen und -experten. Dies entspricht auf der empirischen Ebene der Praxis dem theoretischen Makro-Meso-Mikro-Modell von Dangschat (vgl. 1998b, 2000).32 Shevky/Bell vertreten aus makrosoziologischer Perspektive die Auffassung, dass Großstadt ein Produkt der komplexen modernen Gesellschaft sei: „Folglich können die sozialen Formen des städtischen Lebens nur im Zusammenhang mit dem sich wandelnden Charakter der größeren, umfassenden Gesellschaft verstanden werden“ (1974, 126). Schmid-Urban et al. definieren Sozialberichterstattung folgendermaßen: „Sozialberichterstattung ist eine systematische, kontinuierlich fortzuschreibende Erfassung eines Sets sozialer Strukturen und Problemindikatoren sowohl global als auch teilräumlich differenziert, bezogen auf eine Gebietskörperschaft. Das zu erfassende Set von sozialen Strukturen und Problemindikatoren ist auf der Basis von wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnissen über die Entstehung von Problemlagen unter Berücksichtigung der prinzipiell verfügbaren einschlägigen Daten zu entwickeln“ (1992, 14). Das Barackenräumungsprogramm der Stadt Karlsruhe von 1964 hat einen Ansatz von Sozialberichterstattung aufzuweisen, wie unten zu sehen sein wird. Im Sinne der angeführten Definition erfüllt aber erst das Obdachlosenprogramm von 1974 die Kriterien einer qualifizierten Sozialberichterstattung in Karlsruhe. Es werden im weiteren Verlauf alle wesentlichen Schriften der Stadtverwaltung Karlsruhe von 1964 - 2003 zur in dieser Arbeit behandelten Thematik aufgelistet. Diese Zusammenschau belegt die kontinuierliche Sozialberichterstattung im Bereich benachteiligender Wohnbedingungen. 32 Siehe
auch Esser (1988), der ebenfalls ein Mehrebenenmodell vorgeschlagen hat; vgl. 1988, 35ff.
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1.4 Schlussfolgerungen Mit dem Dargelegten sind diejenigen theoretischen Perspektiven, mit deren Hilfe „benachteiligende Wohnbedingungen“ näher beleuchtet werden sollen, bereitgestellt: • Segregationstheorien, • wissenssoziologischer Zugang bezüglich des Umgangs mit soziologischen Erkenntnissen in der Sozialplanungspraxis (Praxis-TheorieBezug), • Konzeptionalisierung des Sozialen in der Stadt (Sozialindikatoren, Partizipation, Quartier als Ressource zur Lebensbewältigung). Das Analyse-Modell für diese Arbeit umfasst also die folgenden Ebenen und Untersuchungsfelder: • Auf der Makroebene werden Einflüsse von Stadt und auf Stadt beschrieben - auch historisch vergleichend - mit Hilfe von stadt- und siedlungssoziologischen Erkenntnissen bzw. Beschreibungen. • Die Mesoebene wird Ergebnisse zur Konzeptionalisierung von Sozialraum als „gesellschaftlichem Raum“ beinhalten. • Die Mikroebene wird unter theoretischer Perspektive vor allem der Verstehenden Soziologie und der Theorie des Symbolischen Interaktionismus individuelle Sichtweisen im Umgang mit (freiwilliger und unfreiwilliger) Segregation dargestellt. Quantitative und qualitative Elemente müssen sich in der stadtsoziologischen Forschung ergänzen. Für die nachfolgenden Untersuchungen sind die bereits erläuterten Ansätze wichtig: Sozialökologischer, polit-ökonomischer und feministischer Ansatz. Letztgenannter macht insbesondere auf Defizite der beiden anderen Ansätze in Bezug auf die geschlechtsdifferenzierte Betrachtungsweise von Stadtforschung bzw. Segregation aufmerksam. Den sozialökologischen Ansatz zeichnet eine ablehnende Haltung gegenüber Segregation aus, während der polit-ökonomische Ansatz Segregation unter bestimmten Bedingungen („Freiwillige Segregation“) zuzulassen bereit ist. Die Ausführungen zu „Segregation und soziale Ungleichheit“ bildeten den Schwerpunkt des ersten Kapitels. Am Ende erfolgte hieraus ein theoretisches Analysemodell, das nicht nur für die Einordnung der empirischen Ergebnisse, sondern für die zu untersuchende historische, gegenwarts- und 44
zukunftsbezogene Fragestellung der gesamten Arbeit die Grundlage darstellt. Abbildung 2: Analyse-Modell „Benachteiligende Wohnbedingungen in Karlsruhe“
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2 Sozialer Wohnungsbau, kommunale Wohnungspolitik und der Wandel von Wohnbedingungen Zur Wohnungspolitik nach Kriegsende 1945, deren Zusammenhang mit der Entwicklung gesetzlicher Grundlagen im vorigen Kapitel angedeutet wurde und die eng mit der Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus verbunden ist, sollen nachstehende Ausführungen Erklärungen für den kommunalen Umgang mit sozialem Wohnungsbau geben. Nach Häußermann/Siebel (1996, 146)33 spiegelt das erste Wohnungsbaugesetz von 1950 in seinen Formulierungen die Leitlinie der damaligen bundesrepublikanischen Wohnungspolitik wider: a) die Fortsetzung des ‚sozialen Wohnungsbaus‘, b) die Förderung der individuellen Eigentumsbildung sowie c) die finanzielle Unterstützung von Marktteilnehmern ‚mit Problemen‘ durch das Wohngeld. Dies sind die ‚drei Pfeiler der Wohnungspolitik‘.
2.1 Exkurs: Die Filtering-Theorie Die Förderung der individuellen Eigentumsbildung erhielt in den 1970er Jahren mit Hilfe der Filtering-Theorie einen „sozialen Anstrich“, der es auch der SPD in Zeiten der sozial-liberalen Koalition erleichterte, entsprechende Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen. Diese besagt, dass die Wohnungsversorgung der einkommensschwachen Haushalte dadurch gebessert wird, „dass man die Eigentumsbildung der einkommensstarken Haushalte fördert.“ Diese ziehen dann aus Mietwohnungen in ihr neues Eigentum 33 Zuvor
hatten sie die Zeit nach 1945 wie folgt charakterisiert: „In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg waren antikapitalistische Stimmungen in der Bundesrepublik weit verbreitet. Eine rein privatwirtschaftliche Wohnungsversorgung war für die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung und der Politiker undenkbar. Die Wohnung sollte nicht (wieder) zur ‚Ware‘ werden. Das soziale Elend und die schreiende Ungerechtigkeit unter dem marktwirtschaftlichen System des Kaiserreichs waren noch in Erinnerung“; 1996, 146.
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um und setzen dadurch Umzugsketten in Gang, in deren Verlauf die freigewordenen und besseren Wohnungen für die nächst niedrigere Einkommensgruppe verfügbar werden, weil ihr Marktwert durch die Ausweitung des Angebotes an teuren Wohnungen gesunken ist. Die mittleren und unteren Einkommensklassen passen sich über die Zeit an die höchsten Qualitätsund Größen-Standards der früheren Jahre an, die für die Reichsten gebauten Wohnungen ‚sickern‘ allmählich zu den unteren Einkommensgruppen durch. Nach dieser Theorie ist eine direkte Förderung von Neubauten für die unteren Einkommensklassen nicht sinnvoll, denn dadurch würde der FilteringProzess behindert und die Neigung zu Investitionen in Wohnungen für die höheren Einkommensgruppen behindert - von unten müssen sozusagen permanent „hungrige“ Nachfrager aufsteigen. Sozialpolitisch genoss dennoch die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus Priorität. Diesbezüglich befinden Häußermann/Siebel: „Die empirische Wirksamkeit der Sickereffekte ist äußerst fragwürdig, zumindest in ihrer Wirkung auf Haushalte, die die größten Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt haben [. . . ]. Durch den Bezug von geförderten Neubauwohnungen werden in der Tat Mietwohnungen frei, die dann von anderen Haushalten bezogen werden können, aber ob dies einkommensschwächere Haushalte sind, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Einmal von der Situation auf dem Wohnungsmarkt, zum anderen von den Strategien des Wohnungsmanagements. Ist der Wohnungsmarkt stark angespannt, die Konkurrenz der Wohnungssuchenden um freie Wohnungen also groß, so setzen sich die einkommensstärkeren Haushalte durch. [. . . ] Verfolgen die Altbaueigentümer eine Strategie der Desinvestition, unterlassen sie also nach Auszug der Mieter Schönheits- und Instandhaltungsreparaturen, so können zwar Haushalte mit niedrigerem Einkommen nachziehen, nur sinkt der Wohnwert allmählich, ohne dass sich bei Wohnungsknappheit ihr Preis entsprechend verringerte. Andererseits, wenn der Wohnungseigentümer eine Aufwertungsstrategie verfolgt und seinen Wohnbestand systematisch modernisiert, verringert sich dadurch sogar das Angebot an billigen Altbauten, denn kleinere Wohnungen werden zu größeren zusammengelegt, die Mietpreise steigen im Zuge der Modernisierung, oder die modernisierte Wohnung wird gleich zum Kauf angeboten. Hier kommt also sogar ein Sickerprozeß nach oben zustande, der das den einkommensschwächeren Haushalten zugängliche Marktsegment verengt, von der Möglichkeit, in eine bessere Wohnung zu einem vergleichbaren Preis umzuziehen, ganz zu schweigen“ (a.a.O., 149ff). DIE ZEIT hatte 1993, dem Jahr des Höchststandes an Unterbringungen in der Karlsruher Wohnungslosenhilfe34 , einen Artikel veröffentlicht, in wel34 Hierauf
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wird im Verlaufe dieser Arbeit noch näher eingegangen.
chem sich ebenfalls kritisch mit dem Sickereffekt auseinandergesetzt wird. Überschrieben war der Beitrag wie folgt: „Der Staat füttert Bauherren mit Milliarden - Wer gut verdient, kassiert am meisten. Den Armen bleibt die Straße“ (10/1993, 15). Darin wird die Bauförderung kritisiert, die die Kluft zwischen Arm und Reich verbreitere.35 Bei Friedrichs liest sich die kritische Betrachtung der Filtering-Theorie wie folgt; zunächst formuliert Friedrichs die Annahmen (1995, 72): a) Das Wohnungsangebot übersteigt die Nachfrage. b) Konstante Zahl der Haushalte. c) Abriss der Wohnungen niedriger Qualität. d) Mobilität der Haushalte. e) Qualitätsverschlechterung der Wohnungen korreliert mit sinkenden Mieten. f) Im obersten Bereich (Marktsegment) wird ebensoviel gebaut, wie im untersten nachgefragt wird.
35 „Das
Milliardenspiel Bauförderung ist außer Kontrolle geraten. Jahr für Jahr pumpt der Staat gut fünfzig Milliarden Mark in den Wohnungssektor, es könnten auch, niemand weiß das so genau, sechzig Milliarden sein. Zugleich leben fast eine Million Menschen in Blechcontainern, Billighotels, Turnhallen - oder auf der Straße. [...] Neben der unvorhersehbaren Zuwanderung [...], hat das Elend vor allem eine Ursache - unseren Wohlstand. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist im vergangenen Jahrzehnt größer geworden, und wer Geld besaß, hat sich ausgebreitet“ (a.a.O.).
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Einen graphischen Überblick36 zu den Annahmen der Filtering-Theorie bei konstanter Einkommensverteilung gibt Westphal: Abbildung 3: Darstellung der Annahmen der Filtering-Theorie bei konstanter Einkommensverteilung.
Quelle: Westphal 1978, 540
Mit Friedrichs lassen sich für Deutschland nach 1945 Erkenntnisse über die Bedeutung der Filtering-Theorie aufzählen: 1. Nur von 1982-1986 gab es eine Entspannung am Wohnungsmarkt. Das Wohnungsangebot übersteigt in der Regel nicht die Nachfrage. 2. Die Anzahl der Haushalte bleibt nicht einmal dann konstant, wenn die Anzahl der Einwohner/innen unverändert bleibt, da beispielsweise Migranten und Migrantinnen hinzuziehen. 3. Die Wohnungen niedriger Qualität werden nicht konsequent abgerissen. Sie dienen vielmehr oftmals Zuwanderern oder einkommensschwa36 Westphal
kommentiert sein Schaubild mit den Worten: „In der Abb. 1 befinden sich Angebot und Nachfrage zum Zeitpunkt t1 im Gleichgewicht. Auf der höchsten Qualitätsstufe wird je Periode kontinuierlich mit neuen technischen Standards und größeren Räumen gebaut. Zum Zeitpunkt t2 wird das Angebot um die Menge A2 vergrößert. Die zahlungskräftigste Bevölkerungsschicht X1 ist bereit, dieses Angebot nachzufragen und ihre alten Wohnungen zu verlassen. Durch diesen Wohnungswechsel und die darauf folgenden Umzüge der Bevölkerungsklassen X2 und X3 wird es für diese möglich, in die Wohnungen der Qualität A1 und B1 einzuziehen. Die Wohnungen der Qualität C1 sinken unter den Standard ab, sie werden bei konstanter Nachfrage abgerissen. Zum Zeitpunkt t4 ist der Anfangsbestand von Wohnungen abgerissen und die Bevölkerungsklassen X1, X2 und X3 befinden sich den Wohnungen der Qualität A4, A3 und A2“ ; 1978, 541.
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chen einheimischen Bevölkerungsgruppen als Unterkunft. 4. Die Mobilität der Haushalte ist auch aufgrund hoher Umzugskosten eingeschränkt. 5. Die Qualitätsverschlechterung der Wohnungen korreliert nicht mit sinkenden Mieten. 6. Im obersten Marktsegment wird nicht so viel gebaut, wie im untersten nachgefragt wird. 7. Es trifft zu, dass durch Wohnungsneubau deutliche Verbesserungen in der Wohnqualität entstehen. Allerdings erhöhen sich die Mieten in den verlassenen Wohnungen (vgl. a.a.O., 76). Ipsen, Glasauer und Lasch haben die „Verteilungswirkungen wohnungspolitischer Subventionen im städtischen Raum“ untersucht. Hierzu verfolgten sie Umzugsketten, die sich durch den Bau neuer Sozialwohnungen bildeten. Von der Untersuchung ausgeschlossen waren Haushalte, die beim Umzug keine Wohnung frei gemacht hatten (z.B. Spätaussiedler, Haushaltsneugründer/innen aufgrund Auszug aus dem Elternhaus). Die Befragungen, die in Mannheim in Bezug auf die Neckar-UferNordbebauung (NUB) stattfanden, ergaben, dass von 278 untersuchten Umzugketten 48 % auf dem Mannheimer Wohnungsmarkt ein „natürliches“ Ende fanden, weil entweder keine Wohnung mehr frei gemacht wurde oder die Wohnung nicht mehr existierte. Ein Kettenende aufgrund haushaltsspezifischer Bedingungen lag bei 34,5 % aller Umzugsbewegungen vor. Insgesamt 13,7 % aller Ketten wurden beendet, weil die freigewordene Wohnung umgenutzt, mit einer anderen zusammengelegt oder gar nicht mehr vermietet wurde, das Wohngebäude völlig saniert/modernisiert wurde oder zwischenzeitlich abgerissen war. Die durchschnittliche Gesamtlänge der realisierten Ketten beträgt 2,45 Haushalte (Median: 2,25 Haushalte), d.h., jedem Haushalt, der in die Neubaumaßnahme NUB einzog, folgten in den Ketten durchschnittlich 1,5 weitere Haushalte nach (vgl. 1986). Wie oben bereits angesprochen ist der Wohnungsmarkt kein einheitlicher Markt. Unterscheiden lassen sich die Teilmärkte a) Sozialwohnungen, b) preiswerte, freifinanzierte Wohnungen, c) Eigentumswohnungen und Eigenheime. Diese drei Wohnungsmärkte, die Ipsen als „relativ geschlossene Angebotsund Nachfragestrukturen“ (1983, 61) bezeichnet hat, sind nach Friedrichs 51
seit den 1960er Jahren von zwei Entwicklungen betroffen: „Es sind sowohl die Grundstückspreise als auch die Baukosten enorm gestiegen; beide Steigerungen liegen ganz erheblich über der Steigerung der Realeinkommen. [. . . ] Entsprechend sind die Erstellungskosten von Wohnungen enorm gestiegen. [. . . ] Ebenso sind die Mieten in den beiden Mietwohnungsmärkten gestiegen“ (a.a.O., 60).
2.2 Kommunale Wohnungspolitik und Stadtentwicklung (Mesoebene) 2.2.1 Der Markt der Sozialwohnungen Für die hier vorgelegte Arbeit spielt der Markt der Sozialwohnungen die bedeutendste Rolle, weil von diesem vor allem Haushalte mit niedrigem Einkommen profitieren (sollten). Hier ist festzuhalten , dass sich der Bestand von Sozialwohnungen in Deutschland in zunehmendem Maße verringert (vgl. etwa Brühl/Echtner (Hrsg.) 1998, GdW (Hrsg.) 1998a). Dieses „Abschmelzen“ des Sozialwohnungsbestandes wurde und wird durch zwei Faktoren beschleunigt: Zum einen durch die Abschaffung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes 1987 und zum anderen, weil ein Teil der Wohnungseigentümer das Baudarlehen vorzeitig zurückbezahlt, was bedeutet, dass die Sozialwohnungen auf den freien „ungebundenen“ Wohnungsmarkt gelangen. Die Daten zur Entwicklung des Bestandes an Sozialwohnungen in Karlsruhe seit 1989 bestätigen das Gesagte: Gab es 1989 noch 13.562 Sozialwohnungen, so sind es zehn Jahre später 23,5 % weniger, nämlich 10.371. Bis 1989 gab es zwei Förderungswege: Den ersten Förderungsweg, bei welchem die Förderung in der Regel durch Kapitalsubventionen erfolgt sowie den zweiten Förderungsweg, bei dem die Förderung durch Ertragssubventionen geleistet wird, wobei die staatliche Subvention für die Wohnung schrittweise verringert wird, die so genannte degressive Förderung.37 Der 2. Förderungsweg wurde 1966 eingeführt. Der erste Förderungsweg wurde dann auch deshalb weniger in Anspruch genommen, „weil der finanzielle Aufwand der Kommune zu hoch und die Kapitalzinsen zu niedrig waren“ (a.a.O.). 37 „Die
degressive Förderung beim 2. Förderungsweg bedeutet, dass die staatlichen und kommunalen Subventionen für eine Wohnung in regelmäßigen Abstanden zurückgenommen werden und die Mieten entsprechend steigen“ (Friedrichs 1995, 62).
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1990 wurde vom Gesetzgeber in § 88 d II. Wohnbaugesetz (WoBauG) sowie in § 88 e II. WoBauG ein 3. und 4. Förderungsweg ins Leben gerufen. Ein wesentlicher Unterschied zum 1. Förderungsweg besteht in der bedeutend kürzeren Dauer der Sozialbindung. Beträgt diese beim 1. Förderungsweg 25 Jahre, sind es hier lediglich 10 - 15 Jahre. Tabelle 1 zeigt die Entwicklung öffentlich geförderter Sozialmietwohnungen im 1. bzw. 3. sowie 4. Förderweg auf. Tabelle 1: Sozialmietwohnungen 1989-1999 Jahr
1. Förderweg
3./4. Förderweg
Sozialwohnungen
1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999
13562 12689 11587 9021 8607 8287 8059 7943 7609 7558 7385
452 670 1085 1391 1767 2279 2706 3033 3167
13562 12689 12039 9691 9692 9678 9826 10222 10315 10591 10552
Quelle: Stadt Karlsruhe 1999 (eigene Darstellung)
Dabei fällt auf, dass die Entwicklung erst rückgängig war und seit 1992 wieder langsam am Steigen ist. Abbildung 4: Sozialmietwohnungen in Karlsruhe 1989-1999
Quelle: Stadt Karlsruhe 1999 (eigene Darstellung)
Die Autoren des 5. Sachstandsberichts des Wohnungsberichts 1999 an den 53
Gemeinderat folgern mit Blick auf die Daten in der Tabelle: „Da durch starke Kürzungen der Bundes- und Landesfördermittel sich der rückläufige Trend bei der Erstellung neuer Sozialmietwohnungen auch in den kommenden Jahren voraussichtlich fortsetzen wird und auch die Wohnungen des ersten Förderweges vermehrt aus der Bindung herausfallen, ist davon auszugehen, dass künftig immer weniger Wohnraum für am Wohnungsmarkt benachteiligte Personengruppen zur Verfügung stehen wird“ (Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1999, 16). Diese „Prognose“ wird umso wahrscheinlicher, wenn man sich zusätzlich vor Augen hält, was aktuell in Bezug auf die Wohnungsbaustatistik 2001 der Stadt Karlsruhe ausgesagt wird. So stellte die Stadt Karlsruhe der Öffentlichkeit im Rahmen einer Pressekonferenz die aktuellen Wohnungsbaudaten (Stichtag 31.12. 2001) mit der einleitenden Bemerkung vor: „Im Stadtgebiet wird immer weniger gebaut. Der Wohnungsmarkt in der Fächerstadt wird enger. [. . . ] Nach dem Einbruch der Baukonjunktur im Jahr 1999 und dem schlechten Ergebnis im Jahr 2000 zeichnete sich auch für das zurückliegende Jahr 2001 keine Trendwende in der Wohnungsbauentwicklung der Fächerstadt ab. Lediglich 526 Wohnungen wurden im vergangenen Jahr neu erstellt, das bedeutet gegenüber dem schwachen Ergebnis des Jahres 2000 einen Rückgang um nochmals 45,4 %. Damit hat die Zahl der Fertigstellungen ein neues Rekordtief erreicht und ist auf den niedrigsten Stand seit Kriegsende gesunken!“ (Stadt Karlsruhe 2002e (Hrsg.), 1). Der hier beschriebene allgemeine Trend des drastisch zurückgehenden Wohnungsbaus („Rekordtief seit Kriegsende“!) schließt selbstverständlich den Sozialwohnungsbau mit ein. Wendet man den Blick von der Förderpolitik des sozialen Wohnungsbaus (Makroebene) und deren Auswirkung auf die kommunale Ebene Karlsruhes mit seinen Stadtteilen (Mesoebene) und auf die individuelle Ebene (Mikrobene), so ist die Frage zu stellen, ob das Phänomen, auf das u.a. der Gesamtverband Deutscher Wohnungsunternehmen (GdW) mit seiner Studie „Überforderte Nachbarschaften“ (1998a) hingewiesen hat, nämlich das Auszugsverhalten besser gestellter Haushalte in den Beständen des sozialen Wohnungsbaus, auch für Karlsruhe belegt werden kann. Diese Haushalte verlassen zunehmend Wohngebiete, zu deren Stabilität im Sinne einer sozialen Durchmischung sie beitragen, wobei es notwendig wäre, dass sie wohnen blieben, denn in der Regel ziehen Haushalte schwächerer sozialer Schichten nach. Auf individueller Ebene das Wohnverhalten zu beeinflussen, kann auf der Ebene vor Ort erfolgen, wie zu einem späteren Zeitpunkt noch gezeigt wird.38 Mit solchen und ähnlichen Fragestellungen 38 Dies
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ist kein einfaches Unterfangen. Statistiken zu Wanderungsbewegungen liegen auf
von Wohnpräferenzen und ihren Zusammenhang zum Kontext „Segregation“ wird sich zukünftig auf der kommunalen Steuerungsebene intensiver zu befassen sein.39 2.2.2 Die Bedeutung der Stadtanalyse Mit dem Gesagten ist die Entwicklung der baulichen Rahmenbedingungen nach dem II. Weltkrieg für Bewohner/innen in benachteiligten Wohngebieten umrissen worden. Neben dem räumlichen kommt dem sozialen Aspekt eine in diesem Zusammenhang große Bedeutung zu, welcher in den Segregationstheorien (vgl. etwa Schäfers 1998a, 260ff) Berücksichtigung findet: Wird hier doch der Zusammenhang zwischen räumlichen und sozialen Strukturen einer Stadt untersucht.40 „Stadtanalyse“ ist für Friedrichs „der Versuch, soziologische Hypothesen zu systematisieren und hieraus Vorschläge für die soziologische Stadtforschung zu formulieren“ (a.a.O., 12). Die Segregationsforschung ist für Friedrichs „der zentrale Bereich der Stadtanalyse“ (a.a.O., 216). Friedrichs definiert Segregation grundsätzlich als „disproportionale Verteilung von Bevölkerungsgruppen über die Teilräume einer Stadt“ (vgl. 1995). Bedeutsam für die hier vorgelegte Arbeit sind auch Friedrichs Ausführungen zur Segregationstheorie (s. Kapitel 1); denn einmal bildet sich die Sozialstruktur in der Raumstruktur ab, und zum anderen wirkt die räumliche Verteilung sozialer Gruppen auf die örtliche Sozialstruktur zurück, indem z.B. die Quartiere ihren Bewohnerinnen und Bewohnern unterschiedliche Chancen zur Bewältigung ihres alltäglichen Lebens bieten. Diesen Gedanken formulieren Herlyn et. al. in ihrer Studie „Armut und Milieu - Benachteiligte Bewohner in großstädtischen Quartieren“. In BeStadtteil- und Stadtviertelebene zwar vor, auf Wegzugsmotive kann allenfalls geschlossen werden. Diesen kann allerdings höchstens „Mutmaßungscharakter“ zugestanden werden. Notwendig wären Befragungen weggezogener Haushalte, um die Gründe, die zum Auszug aus einem Stadtviertel geführt haben, zu erfahren. 39 Steuerungsrelevante Daten in qualitativem Sinne gezielt zu erheben, wird eine Notwendigkeit sein, die es in diesem Kontext zu erfüllen gilt. 40 „Nach Jahren der Kritik von Soziologen an der Stadtplanung, dem Nachweis sozialer Probleme und Konflikte vor allem in den großen Städten, werden zunehmend häufiger Soziologen zu stadtplanerischen Aufgaben herangezogen. Doch nun, da die Chance zur Mitarbeit zumindest formell erreicht wurde, zeigt sich ein altes Problem neu: der Mangel an Theorie, an bewährten Hypothesen. In Beschreibung und Methode dem Wirtschafts- und Sozialgeographen unterlegen, ist der Soziologe nur zu oft ohne präzise Erkenntnisse. Die Reaktion ist, nach weiteren Studien (gemeinhin Befragungen) zu rufen oder als Sozialplaner eine Mischung aus Politiker und Sozialarbeiter zu werden“ (Friedrichs 1981, 11).
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zug auf Stadtteile sehen sie jeweils vier Teilressourcen: Der Stadtteil als • Chance der Existenzsicherung, • des Wohnens, • des sozialen Austausches und • der Teilhabe an gesellschaftlichen Einrichtungen (vgl. 1991, 29). Der Stadtteil ist bei Herlyn et al. sozialräumliches Mesomilieu der Armut, sie beziehen bei ihrer Armutsuntersuchung den Wohnquartierkontext ein. Zur Analyse der individuellen Armutssituation verweisen sie auf den Lebenslagenansatz und den Milieuansatz von Hradil (1987). An diesem Punkt kann Harth et. al. zugestimmt werden, wenn sie sagen: „Die Untersuchung von Segregation leistet einen Beitrag zur Diskussion der Entwicklung sozialer Ungleichheit und besitzt deswegen einen so hohen Stellenwert, da die sozialräumliche Entmischung erhebliche Konsequenzen sowohl für die Quartiere als auch die verschiedenen sozialen Gruppen haben kann“ (1998,11). Hamm/Neumann widmen der Kommunalpolitik im Gegensatz zur Bundesoder Landespolitik in ihren Ausführungen zur „Siedlungs-, Umwelt- und Planungssoziologie“ (1996) ein eigenes Kapitel. Dies kann Ausdruck dafür sein, dass Menschen auf kommunaler Ebene am unmittelbarsten die Wirkung politischer Prozesse erfahren, was insbesondere für die Stadtentwicklungspolitik im Allgemeinen und die Wohnungspolitik im Besonderen gilt. Hamm/Neumann gehen zunächst der Frage nach, welche Spielräume kommunales Handeln bei der Beeinflussung von Nutzungen, Ressourcenströmungen, Infrastrukturen und Bevölkerung bei der Stadtentwicklung hat.
2.2.3 Rahmenbedingungen im Föderalismus 1808 wurde im Rahmen der Stein‘schen Reformen in Preußen die kommunale Selbstverwaltung begründet. Unterbrochen von der nationalsozialistischen Gemeindeordnung von 1935 wurde sie erst im Grundgesetz von 1949 in der Bundesrepublik Deutschland wieder eingeführt: In Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG wird den Gemeinden das Recht gewährleistet, „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“. Hamm/Neumann weisen auf den Zielkonflikt „Selbstverwaltung 56
versus staatliche Steuerung“ hin (a.a.O., 274). Schließlich sind die Möglichkeiten eigenständigen kommunalen Handelns eingeschränkt. Dies kommt beispielsweise in der Aufteilung kommunaler Aufgabenfelder in gesetzliche Pflichtaufgaben und freiwillige Aufgaben zum Ausdruck. So ist die Gewährung von Sozialhilfe eine gesetzliche „Muss-Aufgabe“, während etwa die Unterhaltung eines Zoos eine freiwillige Leistung darstellt. Kommunen sind als unterste Verwaltungsinstanz Bestandteile der Länder, deren Gemeindeordnungen sie unterliegen. Landes- wie auch Bundesgesetze werden zum überwiegenden Teil auf kommunaler Ebene vollzogen. Das föderalistische Modell in Deutschland sieht eine politische Verflechtung von Bund, Ländern und Gemeinden vor. Die Kommunen fühlen sich nicht selten als schwächstes Glied in dieser Kette. Anders als die Länder sind die Kommunen auf zentraler (Bundes-)Ebene „nur“ durch ihre Spitzenverbände, wie z.B. den Deutschen Städtetag, vertreten, die in Gesetzgebungsverfahren gehört werden, aber nicht mitentscheiden können. Ausgabenwirksame Gesetzesvorhaben finden so auf kommunaler Ebene ihren praktischen Niederschlag. Bekannte Beispiele sind zum einen die Sozialhilfegesetzgebung und zum anderen die Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz, der vom Bund beschlossen wurde, vom Land zwar bezuschusst, auf kommunaler Ebene letztendlich aber umgesetzt werden musste. Einschneidend für die kommunalen Haushalte war Anfang der 1990er Jahre die zu erbringende Umlage für den Fonds Deutsche Einheit. Viele Gemeinden sahen sich gerade zum damaligen Zeitpunkt zu deutlichen Einsparungen in ihren Haushalten gezwungen (Personalabbau, Kürzung von Zuschüssen z.B. für Jugend- und Kultureinrichtungen etc.). Hamm/Neumann verwenden in diesem Zusammenhang den Begriff der „unentrinnbaren Aufgaben“ (a.a.O., 279), die die kommunalen Handlungsspielräume einschränken. Sonderprogramme zur Städtebauförderung sind nicht zuletzt aufgrund der eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten von Kommunen ein bedeutsames Instrument zur Stadtentwicklung. Für den gesamten Kontext der hier vorgelegten Arbeit ist die in diesem Zusammenhang der Städtebauförderung getroffene Feststellung von Hamm/Neumann wesentlich: „Je mehr solcher Programme auf Landes- und Bundesebene entwickelt und durchgeführt werden, desto mehr wird die kommunale Verwaltung in gesamtstaatliches Handeln einbezogen. (. . . ) Eben dies ist auch beabsichtigt. Auf diese Weise beeinflusst der Bund nicht nur den Zeitpunkt, sondern auch die Art kommunaler Investitionen bis ins Detail“ (a. a. O., 279). Da entsprechende Programme oft kurzfristig aufgelegt werden, ist die Gemeinde, wenn sie davon profitieren will, 57
• auf möglichst rasche und zuverlässige Informationen, d.h. auf guten Kontakt zu den Bundes- und Landesbehörden angewiesen, der vor allem vom Oberbürgermeister wahrgenommen wird; • darauf angewiesen, Pläne in der Schublade zu halten, die kurzfristig realisiert werden können; • sie muss also (durch die Verwaltung) auf Vorrat produzieren, ohne auf Vorrat (durch den Rat) beraten und beschließen lassen zu können; sowie • auf eine Einteilung eigener Mittel angewiesen, die es ihr erlaubt, den Gemeindeanteil, der von Bund und Land zur Bedingung für Zuweisungen gemacht wird, rasch aufzubringen. Alle drei Bedingungen schränken die lokale Autonomie (Herv. Hamm/ Neumann, M.L.) ein: Ob ein Klärwerk saniert oder eine Straße gebaut werden soll, das hängt eben wesentlich davon ab, wofür gerade Zuschüsse vorhanden sind. Die Gemeinde wird damit an die „goldene Kette zentralstaatlicher Politik gelegt“ (a.a.O., 279ff). Planungen auf kommunaler Ebene sind selbstverständlich nicht nur vom Vorhandensein „goldener Ketten zentralstaatlicher Politik“ abhängig. Im Grunde werden kommunale Planungen durch dreierlei Anlässe auf den Weg gebracht: a) Anstöße, Anforderungen von außen, also der Öffentlichkeit, und/oder b) Aufträge durch den Rat, also der Politik, und/oder c) Anstöße von innen, also der Verwaltung. Wesentlich in heutiger Zeit ist die Frage nach der Beteiligung der Bürger/innen in Planungsprozessen, ganz gleich auf welche Art und Weise sie „angestoßen“ wurden. Was die Stadtentwicklung anbelangt, hat erstmals das Städtebauförderungsgesetz von 1971 die Mitwirkung der Betroffenen bei der Sanierung und mit der Novellierung des Bundesbaugesetzes von 1976 auch bei der Bauleitplanung vorgesehen (s.o.). Die konkrete Ausgestaltung bleibt den Kommunen überlassen.41 41 Hamm/Neumann
ziehen diesbezüglich allerdings eine ernüchternde Bilanz, wenn sie sagen: „Was anfangs von vielen Planern und Bürgerinitiativen euphorisch als neuer Aufbruch begrüßt wurde und zu engagiertem Experimentieren anregte, entwickelte sich nach und nach zur ungeliebten aufs gesetzlich vorgeschriebene Mindestmaß reduzierten Routine (a.a.O., 310).
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2.2.4 Soziale Segregation als Aufgabenfeld der kommunalen Wohnungspolitik Nach dieser Skizzierung des gesetzlichen Hintergrundes kommunaler Wohnungspolitik und Stadtentwicklung42 soll nunmehr der sozialen Segregation als kommunales wohnungspolitisches Aufgabenfeld das Augenmerk gelten. Schließlich kann (trotz „makrostruktureller Rahmenbedingungen“) auf kommunaler Ebene einer Spaltung des Wohnungsmarktes in „Villenglück und Wohnungsnot“ (Stimpel 1990) entgegengetreten werden. Mit Blick auf die oben dargestellten „Makro- und mikrosoziologische Theorien der Segregation“ stellt Rudolph-Cleff eine Verbindung zur Praxis vor Ort her und weist darauf hin, dass das theoretische Modell von Friedrichs zur Segregation Ansatzpunkte zur Erklärung liefert, inwieweit die Wohnungspolitik Segregationsprozesse beeinflusst: „Auf der Makroebene hat die Konzentration finanzieller Mittel im Wohnungsbau dazu beigetragen, den städtischen Raum zu strukturieren. Wohnungspolitik verursacht Raumentwicklung, und diese bedingt als sozialer Verteilungsprozeß Vor- und Nachteile für bestimmte Bevölkerungsgruppen“ (1996, 212). Für die Mikroebene (= Individualebene) steht für Rudolph-Cleff offen, ob Wohnungspolitik hier Effekte zuzuschreiben sind. Großsiedlungen beispielsweise erfahren auf dieser Ebene durch die dort anzutreffenden Haushalte wegen städtebaulicher Mängel nicht selten Ablehnung. Aufgrund des konzentrierten Einsatzes öffentlicher bzw. privater Mittel entstanden hier oftmals homogene Wohngebiete, in denen aufgrund ihrer Förderstruktur Haushalte mit der gleichen Einkommensstruktur leben. Rudolph-Cleff zitiert in diesem Zusammenhang Ipsen et al.: „Staatliche Förderungen haben in der Regel eine Verteilungswirksamkeit, sie fördern die einen mehr, die anderen weniger und verändern so durch Verschiebungen der Einkommensverteilung oder Verteilung qualitativer Lebenschancen die reale Ausprägung der Schicht- und Klassenformation der Gesellschaft“ (1986, 8) und bemerkt, dass es verwunderlich ist, dass bestehende theoretische Modelle zur Segregation den Einfluss der Wohnungspolitik in den Hintergrund stellen, obwohl die Rückwirkung wohnungspolitischer Maßnahmen auf den Segregationsprozess unbestritten ist. Sie führt weiter aus, dass Deutschland als einziges westliches Industrieland die Entstehung von Elendsviertel Dank der sozialen Wohnungspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg vermeiden konnte; dennoch gebe es wachsende Disparitäten in der Wohnversorgung: 42 Vaskovics/Weins
sprechen in diesem Zusammenhang - was sich in die Argumentationslinie dieser Arbeit einfügen lässt - von „makrostrukturellen Rahmenbedingungen“; 1979, 17.
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die unteren Einkommenschichten werden durch die mittleren und oberen Schichten verdrängt.43 In ihrer Analyse, weshalb in Deutschland keine Elendsviertel anzutreffen sind (was allerdings noch zu überprüfen wäre), greift Rudolph-Cleff zu kurz. Ursächlich für dieses Phänomen ist auch die Tatsache, dass Städte in Deutschland eine Größenordnung aufweisen, die größtenteils (noch) überschaubar ist. Gleichwohl haben Städte in der Größenordnung Karlsruhes beispielsweise durchaus ihre „Elendsviertel“ aufzuweisen gehabt. Die ehemaligen Barackensiedlungen und anschließend Obdachlosensiedlungen waren keine Stadtviertel, aber zumindest Wohngebiete, die das Etikett „Elendsviertel“ in kleinräumigem Sinne oftmals verdient hatten. Nach Häußermann/Siebel - die differenzierter vorgehen - ist die Definition „Relative Wohnungsnot“ Ausdruck dafür, „dass es einem Teil der Bevölkerung relativ zum Durchschnitt der Bevölkerung schlechter geht und einem anderen Teil besser. [. . . ] Demgegenüber spricht man von absoluter Wohnungsnot, wenn man Wohnungsversorgung an einem festen, als Mindestniveau definierten Maßstab misst“ (1996, 287). Das „Neue“ an der „neuen“ Wohnungsnot Anfang der 1980er und Anfang der 1990er Jahre in Deutschland erklären Häußermann/Siebel so: „Die ‚neue Wohnungsnot‘ ist zunächst einmal die alte. Die Grundproblematik ist immer noch dieselbe, dass nämlich der Wohnungsmarkt eine gute Wohnungsversorgung nur zu Preisen bereitstellt, die die Zahlungsfähigkeit eines großen Teils der Haushalte übersteigt. Neu ist allenfalls, dass die staatliche Wohnungspolitik, statt die Versorgung breiter Schichten des Volkes zu sichern, mehr und mehr zu den Verursachern der Misere gerechnet wird“ (a.a.O., 288). Für Letztgenanntes machen Häußermann/Siebel zwei Ursachen verantwortlich: 1. Zum einen führten die Möglichkeit, vorzeitig die Sozialbindung zu lösen, das reguläre Auslaufen der Sozialbindungen bei Sozialwohnungen älteren Jahrgangs sowie die Aufhebung der Gemeinnützigkeit der Wohnungsbaugesellschaften zu Mietpreissteigerungen, was zur absoluten und relativen Verschlechterung sozial gebundener Bestände führte. 43 „In
der Bundesrepublik wird Segregation nicht als (wohnungspolitisches) Problem erachtet. Im internationalen Vergleich fällt zwar auf, dass die BRD als einziges großes westliches Industrieland bisher die Entstehung von Elendsvierteln vermeiden konnte, was mit Sicherheit der sozialen Wohnungspolitik in den 50er und 60er Jahren zu verdanken ist - dies sollte aber nicht zum Anlaß genommen werden, wachsende Disparitäten in der Wohnversorgung der Bevölkerung in ihrem Ausmaß und ihren sozialen Folgen zu unterschätzen. Die Tatsache, dass es z.B. für den angelsächsischen Begriff der Gentrification im deutschen Sprachgebrauch kein Pendant gibt, zeugt wohl von der Ignoranz gegenüber der Verdrängung unterer Einkommensschichten durch mittlere und obere soziale Schichten“ ; a.a.O., 215.
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2. Zum anderen wurden preisgünstige Altbauwohnungen aufgrund der Modernisierungs- und Sanierungspolitik verteuert. Innerstädtische Altbaubestände wurden dadurch aufgewertet, dass Häuser abgerissen, kleine Wohnungen zu größeren zusammengelegt, aber auch Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt wurden. Neu an der Wohnungsnot in den 1990er Jahren waren nicht nur die von staatlicher Seite hervorgerufenen Ursachen, sondern auch das Phänomen des drastischen Anstiegs an Wohnungsnotfällen, „obwohl es noch nie eine vergleichbar gute Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum gegeben hat“ (a.a.O.). Als von Wohnungsnot Betroffene gelten einkommensschwache Haushalte, aber auch die kinderreichen, jungen Haushalte, unvollständige Familien und Deprivierte im weitesten Sinne. Eine analoge Argumentationsweise findet sich bei Ulbrich, der „unzulängliche Wohnverhältnisse“ für „Einpersonenhaushalte, einerseits junge und andererseits alte Haushalte, Ausländer drei bis viermal so häufig wie deutsche Haushalte“ konstatiert (1993, 25). Ulbrich weist zudem auf die „krasseste Form der Unterversorgung mit Wohnraum“ hin, nämlich auf die Obdachlosigkeit. Mit Blick auf die von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe diesbezüglich geschätzten Daten resümiert Ulbrich, dass spätestens seit 1987 in der Bundesrepublik Deutschland auch von einem global ausgeglichenen Wohnungsmarkt nicht die Rede sein kann. Holtmann/Killisch machen auf die Dialektik aufmerksam, die gerade kommunale Wohnungspolitik auszeichnet: „Einmal gehört die Möglichkeit, angemessenen wohnen zu können, zu den elementaren Voraussetzungen eines freien und menschenwürdigen Daseins. Diesem Erfordernis tragen verfassungsrechtliche Normen Rechnung, die die Unverletzlichkeit der Wohnung garantieren (Artikel 13 Grundgesetz) [. . . ]. Zum anderen ist unter marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Ware Wohnung ein geldwertes Tausch- und Anlageobjekt, das zumal bei gegebener Wohnungsknappheit, am Markt zu vergleichsweise hohen Preisen gehandelt wird“ (1993, 3). Das Versagen des Wohnungsmarktes Anfang der 1990er Jahre sehen Holtmann/Killisch auch als ein Versagen der Wohnungspolitik an. Sie zitieren die Bundesregierung, die zum damaligen Zeitpunkt feststellt, dass für Alleinerziehende mit mehreren Kindern, kinderreiche Familien und Ausländer die Wohnungssuche ein schwieriges Unterfangen darstellt (vgl. BundestagsDrucksache 1992, 3ff), und sehen als eine Ursache die Einstellung der Subventionen des Bundes 1986 für den sozialen Wohnungsbau an; die Länder 61
hätten ihre Förderung auf eigentumbildende Bauvorhaben konzentriert.44 Die Kommunen seien die besonders von Wohnungsnot Betroffenen, die lokal („vor Ort“) für das Politikfeld „Wohnen“ zuständig sind. Als anwendbare Instrumente, insbesondere zum Erhalt preisgünstigen Wohnraums, sehen Holltmann/Killisch • die Anwendung gesetzlicher Vorkaufsrechte (§§ 24ff BauGB), • die Erhaltungssatzung (§ 172 BbauG), • das Zweckentfremdungsverbot, • Maßnahmen lokaler Liegenschaftspolitik (Bodenbevorratung, Abschöpfen von Bodenwertsteigerungen durch Anwendung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme nach § 165 BbauG), • Belegungskontrolle, Mietpreisüberwachung, • Verbesserung der Bestandsnutzung, kommunale Sozialwohnungsvermittlung. Eine „erstrangige Funktion“ bei der Wohnraumversorgung der Bevölkerung auf kommunaler Ebene schreiben sie den Wohnungsunternehmen zu.45 Stadträumlich sei die neue Wohnungsnot zudem für die Kommunen „fühlbar“. Im Gefolge der sozial-räumlichen Marginalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen entstünden „neue Armutsinseln, wo sich das Betroffensein durch Arbeitslosigkeit oder niedriges Einkommen, durch fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten (bei Alleinerziehenden) und Wohnungsnot gleichsam kumuliert“ (a.a.O.).46 Holltmann/Killisch sehen darüber hinaus die Gefahr der Entstehung von Wahlpräferenzen für rechtsextreme Parteien bei Bewohnern in UnterschichtSozialwohnungsquartieren, die von sozialer Entmischung betroffen sind. Dabei handelt es sich um ein Phänomen, das sich in entsprechenden Karlsruher Stadtteilen ebenfalls beobachten lässt.47 44 „Dies
hatte zur Folge, dass auch die Länder ihre Komplementärförderung vermehrt auf eigentumsbildende Bauvorhaben ausrichteten. Die Haushaltspläne des Bundes enthielten für die Jahre 1985 bis 1988 die Maßgabe, die Finanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau für Eigentumsmaßnahmen (Familienheime, selbstgenutzte Eigentumswohnungen) einzusetzen“;a.a.O., 5. 45 „Weil diese Bauträger einen großen Bestand an Sozialwohnungen vorhalten, bilden sie [...] gegenüber anderen Anbietergruppen ein auch sozialpolitisch wichtiges Korrektiv“; a.a.O., 8. 46 Vgl. auch Dangschat 1997a. 47 Vgl. Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1994a, 51ff .
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Phänomene sozialer Polarisierung, wie sie etwa in der Literatur zur Armut konstatiert wird, schlagen sich räumlich nieder, sind deshalb auch bedeutsam für eine kommunale Wohnungspolitik. Segregation ist eine Tatsache, der sich Kommunen widmen müssen, sofern sie das Ziel verfolgen, entsprechenden Prozessen entgegenzuwirken. Hierzu bedarf es nicht nur einer Politik von Wohnungsbau, sondern von Stadt(teil)entwicklung, die den Stadtteil als sozialräumliches Mesomilieu versteht. Unterstützung finden Gemeinden bei dieser Form von Politiken sozialer Stadt(teil)entwicklung in Sonderprogrammen zur Städtebauförderung des Bundes, einem wesentlichen bundespolitischen Instrument aufgrund der finanziell eingeschränkten Möglichkeiten der Kommunen. Demgegenüber sind auf lokaler Ebene die Wohnungsunternehmen Partner für Kommunen zur Bewältigung der Wohnraumversorgung, auf deren Belange hin auch das neue WoFG ausgerichtet wurde. Das WoFG muss auch deshalb nunmehr von den Kommunen endlich lokal umgesetzt werden.
2.3 Gesetze und Konzepte zur Frage von Obdachlosigkeit (Makroebene) Das 1. Wohnungsbaugesetz (1950) verstanden seine Verfasser/innen als Impuls zur Linderung der Wohnungsnot im Nachkriegsdeutschland.48 Unmittelbar nach Kriegsende wurde mit der eingeführten öffentlichen Wohnraumbewirtschaftung den Wohnungsämtern die Möglichkeit gegeben, wohnungslose Personen auch gegen den Willen des jeweiligen Eigentümers in eine Wohnung einzuweisen. Diese kommunale Handlungsmöglichkeit, Wohnungslosen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, schränkte das Wohnraumbewirtschaftungsgesetz von 1953 ein. Damit fiel es Wohnungsämtern in Städten und Gemeinden zusehends schwerer, beispielsweise Bewohner/innen aus Notunterkünften in neu gebaute Wohnungen zu vermitteln (dieses Problem 48 Nach
Kriegsende waren in Deutschland 22 % der etwa 10,5 Millionen Wohnungen zerstört oder stark beschädigt. Man ging von einem Fehlbestand in Höhe von ungefähr fünf bis sechs Millionen Wohnungen aus. Ausgebombte, heimkehrende Soldaten und Flüchtlinge fanden auch in Bunkern, Schulen und Turnhallen Obdach. Nicht wenige Menschen wurden in von den jeweiligen Kommunen bereitgestellte Notunterkünfte, z.B. in Form von Wellblechbaracken, eingewiesen. Wurden in den Jahren 1949 bis 1952 jährlich im Durchschnitt 360.000 Wohnungen gebaut, so waren es von 1953 bis 1959 deutlich mehr, nämlich 550.000 Wohnungen durchschnittlich pro Jahr. Das 2. Wohnungsbaugesetz (1956) hatte nicht nur die Reduzierung, sondern die totale Aufgabe des sozialen Wohnungsbaus bis zum Jahre 1967 zum Ziel. In den Jahren von 1949 bis 1959 betrug der Anteil von Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus 58 %. 1960 fiel dieser Wert bereits unter die 50 %-Marke.
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besteht im Grunde noch heute; deutlich zeigte sich dieses Phänomen Anfang der 1990er Jahre, als im kommunalen Übergangswohnraum bundesweit die Anzahl der untergebrachten Menschen stark anstieg, weil auf dem „freien“ Wohnungsmarkt nicht genügend Wohnungen zur Verfügung standen). Viele Kommunen begegneten der Problematik mit dem Bau so genannter „Obdachlosensiedlungen“, meist in Stadtrandlage. Die Folge dieses Handelns war die Segregation am Wohnungsmarkt benachteiligter Personenkreise.
2.3.1 Obdachlosenwohnungen und Reduzierung des sozialen Wohnungsbaus Das „Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und ein soziales Miet- und Wohnrecht“ (1960), der nach dem damaligen Wohnungsbauminister benannte so genannte „Lücke-Plan“, hob u.a. die Mietpreisbindung auf, begünstigte steuerlich den Bau von familiengerechten Eigenheimen und sah weiterhin den Abbau des sozialen Wohnungsbaus vor. Von 1960 bis 1970 wurden zwar 6,7 Millionen Wohnungen gebaut, der Anteil von Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus sank aber auf lediglich 37 %. 1968 lebten in ca. 800.000 Haushalten etwa 2,5 Millionen Menschen in Baracken und ähnlichen Substandard-Wohnungen oder zur Untermiete. Von 1963 bis 1965 bauten in Zusammenhang mit dem „Lücke-Plan“ und der damit verbundenen Aufhebung von die Mieter/innen beschützenden Bestimmungen zahlreiche Gemeinden neue Obdachlosenunterkünfte im Schlichtwohnungsbau; dieses auch deshalb, weil 20 Jahre nach Kriegsende viele Notunterkünfte verrottet waren. Das so genannte „Drei-Stufen-Konzept“ wurde entwickelt und bis in die 1970er Jahre hinein angewendet. Nach diesem „Konzept“ sollte durch eine unterschiedlich schlechte Unterbringung (Baracke, Übergangswohnraum, Wohnung des sozialen Wohnungsbaus) bei den betroffenen Wohnungslosen die Motivation geweckt werden, eine Wohnung im sozialen Wohnungsbau anzustreben. Von 1971 bis 1975 sank der Anteil der im sozialen Wohnungsbau fertiggestellten Wohnungen auf 25 %. 1973 ergab sich trotz eines in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nicht verzeichneten Zuwachses von neu gebauten Wohnungen (714.000) ein Leerstand von 200.000 bis 300.000 Wohnungen, während einige hunderttausend Menschen in primitivsten Unterkünften leben mussten. Hieran zeigt sich eine Erscheinung, die Deutschland auch heute „auszeichnet“: das Verteilungsproblem, das unter 64
der Überschrift „Arm im reichen Land“ im Zuge der wiederum aufgekommenen Armutsdiskussion Anfang der 1990er Jahre im wissenschaftlichen und öffentlichen Interesse stand.49 In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wurde vielen Kommunen bewusst, dass sich aus einem Nachkriegsphänomen zunächst ein ordnungspolitisches und nunmehr ein dauerhaftes sozialpolitisches Handlungsfeld ergeben hatte. Diese Erkenntnis fand ihren gesetzlichen Niederschlag: Mit § 15a des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) wurde den Gemeinden ein Instrument in die Hand gegeben, das es erlaubte über die seitherigen gesetzlichen Bestimmungen der Sozialhilfegewährung hinauszugehen, um die Wohnung der jeweils Betroffenen zu sichern und beispielsweise durch die Übernahme von Mietrückständen eine Einweisung in eine Obdachlosenunterkunft zu vermeiden (vgl. Bura 1979). 2.3.2 Sanierung und Aufwertungskonzepte In den 1970er Jahren galt in vielen Städten ein sozial- und wohnungspolitisches Hauptaugenmerk der Auflockerung der Belegungsdichte sowie der Sanierung und Aufwertung ihrer Obdachlosensiedlungen. Der vom Deutschen Städtetag 1979 eingeführte Begriff des „Sozialen Brennpunktes“ löste alte Bezeichnungen wie „Obdachlosensiedlung“ oder „Soziale Randsiedlung“ ab. Das Neue am Be-griff „Sozialer Brennpunkt“ bestand vor allem auch darin, dass er darauf aufmerksam machte, dass neben die Wohnungslosigkeit eine andere soziale Randständigkeit getreten war, die die betroffenen Menschen sozial benachteiligt. Ein „neuer Typ des Sozialen Brennpunktes“ sei entstanden durch die Verlagerung der Probleme der kommunalen Notunterkünfte in Neubaugebiete.50 Mit dem bislang Ausgeführten wurde deutlich, dass zwischen kleinräumigen Wohngebieten, oftmals ehemalige so genannte „Obdachlosensiedlun49 Vgl.
etwa Breckner et al. (Hrsg.) 1989, Döring et al. (Hrsg.) 1990 Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1993, Alisch/Dangschat 1993, 1998, Hanesch et al.. 1994, 2000, Hock/Holz 1998, Klocke/Hurrelmann (Hrsg.) 1998, Mansel/Brinkhoff 1998, Zimmermann 1998, Hock et al. 1999, 2000a, 2000b, AWO Bundesverband (Hrsg.) 2000, Hauser 2001, BMFSFJ (Hrsg.) 2001a, 2001b, Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 2001e. 50 Definiert wurde „Sozialer Brennpunkt“ vom Deutschen Städtetag folgendermaßen: „Soziale Brennpunkte sind Wohngebiete, in denen Faktoren, die die Lebensbedingungen ihrer Bewohner und insbesondere die Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen negativ bestimmen, gehäuft auftreten“ (1979,12). Diese Definition lenkt den Blick nicht nur weg vom betroffenen Individuum hin zu den benachteiligenden Wohnbedingungen, sie charakterisiert darüber hinaus Lebensbedingungen, die gerade auch in (Groß-)Siedlungen des Sozialwohnungsbaus der 1960er Jahre vorzufinden sind.
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gen“, und großräumigeren Wohngebieten (Stadtviertel, Stadtteile) zwingend unterschieden werden muss. Maßnahmen der Stadterneuerung im Sinne der auch näher beleuchteten Städtebauförderungsgesetzgebung zielten in erster Linie nicht auf die ehemaligen randständigen Wohngebiete der „Obdachlosensiedlungen“, sondern auf wesentlich größere Wohngebiete, in der Regel in innerstädtischer Lage.51 Herlyn/Hunger (1994) erläutern im Rahmen der sanierungsbezogenen Sozialplanung, dass nach dem Wiederaufbau und der Beseitigung der Kriegsschäden in der Phase der wirtschaftlichen Prosperität Ende der 1950er Jahre in Deutschland die Stadtstrukturen in einem wachsenden Konflikt zu den neuen Ansprüchen der ökonomischen Entwicklungen, wie z.B. Ausdehnung der Cityfunktionen, standen. Obwohl die Wohnungsnot in Städten noch nicht beseitigt war, traten zum damaligen Zeitpunkt ökonomische Probleme in der Bauwirtschaft auf. Der Ersatz überalterter Wohnverhältnisse erhielt zunehmend mehr Interesse. Die Stadtentwicklungskonzepte setzten dabei auf den Abriss von Altbauquartieren.52 2.3.3 Sozialplan und erhaltende Stadterneuerung Nach den negativen Erfahrungen mit den Stadternerungsmaßnahmen nach dem Bundesbaugesetz von 1960 wurde mit dem Städtebauförderungsgesetz (StBauFG) 1971 der Sozialplan ins Leben gerufen. Mit ihm fanden unter sozialplanerischen Gesichtspunkten in den Gesetzestext Eingang: • Vorbereitende Untersuchungen und Grundsätze für den Sozialplan, • Beteiligung der von Sanierungen Betroffenen sowie • Hilfen in Härtefällen (siehe heute BauGB §§ 137, 141, 180, 181). 51 Alisch/Dangschat
zeigen die Aktualität der Thematik auf: „Es ist vielmehr Ziel, Quartiere, in denen Menschen leben, die sozial und ökonomisch benachteiligt sind, und die in Wohnbedingungen leben, die sie zusätzlich benachteiligen, auf der Basis ihrer eigenen Potentiale und Geschwindigkeiten nachhaltig zu entwickeln. [...] Die zukünftige Aufgabe der Stadterneuerung besteht also darin, Rahmenbedingungen in benachteiligenden Quartieren zu schaffen, um Prozesse und Projekte anzustiften und zu organisieren, die eine nachhaltige (soziale, ökologische und ökonomische) Entwicklung einleiten“ (1998, 229ff). 52 Herlyn/Hunger sprechen in diesem Zusammenhang von „Kahlschlagsanierungen“, denn: „Die Bewohnerinteressen wurden in keiner Weise berücksichtigt, da eine ‚sozialstrukturelle Aufwertung‘ innenstadtnaher Wohngebiete ein offen ausgesprochenes Ziel war. [...] Sozialplanung im Rahmen dieser radikalen Stadtsanierung war ein Fremdwort, das keiner kannte und das auch das ungehemmte Wirtschaftswachstum blockiert hätte“ ; a.a.O., 304.
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In den 1970er Jahren erfolgte die Umgestaltung von Stadtteilen hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt ihrer Lage und Funktion innerhalb der Gesamtstadt („Funktionsschwäche-Sanierung“). Aufgrund der zunehmend angespannteren finanziellen Lage der öffentlichen Haushalte, „aber auch um die ausgesprochen langen Vorbereitungs- und Durchführungszeiten zu verkürzen und die Flexibilität der Erneuerungsinstrumente zu erhöhen, wurde 1979 das StBauFG geändert. Mit dieser so genannten ‚Beschleunigungsnovelle‘ (Gesetz zur Beschleunigung von Verfahren und zur Erleichterung von Investitionsvorhaben im Städtebaurecht) wurden gleichzeitig die sozialplanerischen Bestimmungen reduziert“ (a.a.O., 306). Als Folge des Wohnungsmodernisierungsgesetzes sehen Herlyn/Hunger oftmals eine Verdrängung ökonomisch schwächerer Schichten in vielen Gebieten. Hiernach erfolgte die Phase der „Erhaltenden Stadterneuerung“, in der eine Wohnungsbestandspolitik betrieben wurde. Nach Herlyn/Hunger waren die Effekte dieser „sanften“ Modernisierung vielfach dieselben wie bei der Flächensanierung: die ursprünglichen Bewohner/innen konnten sich ihren Wohnstandort finanziell nicht mehr leisten. Das StBauFG von 1971 war so angelegt, dass es umfangreiche Ressourcen auf nur wenige Standorte konzentrierte. Um die leeren öffentlichen Kassen zu entlasten, wollte man nunmehr privates Kapital mobilisieren. Des Weiteren galt es, die „Stadtflucht“ zu bekämpfen. Hierzu sollte auch die Erneuerung der Innenstädte auf breiter Basis dienen.53 Herlyn/Hunger fassen die sozialplanerischen Beiträge zur Stadterneuerung nach dem StBauFG in Anlehnung an Keim (1985) kritisch zusammen: Die Voruntersuchungen sollten zu einer Demokratisierung der Planung, zu einer verbesserten Berücksichtigung sozialer Auswirkungen von Planungseingriffen und zu einer Verwissenschaftlichung der Planung beitragen. Diese Erwartungen sind nur zu einem geringen Teil erfüllt worden. Die Grundsätze für den Sozialplan, die in der Regel aus den mangelhaften Voruntersuchungen abgeleitet wurden, waren häufig nicht ausreichend auf die konkrete Lebenslage der Betroffenen bezogen. Den sozialplanerischen Maßnahmen kam nur untergeordnete Bedeutung zu im Gegensatz zu vorrangigen Sanierungszielen wie z.B. der Verbesserung der Bausubstanz. Die Bürgerbeteiligung fand häufig zu spät und nicht ausreichend intensiv statt. Die so genannten Ord53 „Deshalb
wurden die gesetzlichen Grundlagen novelliert und durch verschiedene Länderprogramme, zum Teil auch Kommunalprogramme, ergänzt. Diese so genannte ‚Einfache Stadterneuerung‘ ist schwerpunktmäßig auf Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung ausgerichtet (Verkehrsberuhigung, Freiflächen etc.), die sich nicht nur auf die innenstadtnahen Altbauquartiere beziehen, sondern auf verschiedene Stadtteiltypen“; a.a.O., 307.
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nungsmaßnahmen, die das Gebiet vor der eigentlichen Sanierung vorbereiten sollen, haben sich zum Teil als sozialplanerisch höchst problematisch erwiesen: das frühzeitige Leerstehenlassen von Wohnungen sowie die Räumung und Umsetzung der Bewohner/innen haben sehr häufig zu verstärkter sozialer Segregation und Auflösung der Quartiersidentität geführt. Der Abbau des Quartierslebens, anfangs als Verunsicherung, später als Verlust erlebt, wirkt offenbar für viele Bewohner/innen belastend. Die Belastungen sind ungleich verteilt; sie betreffen gerade jene Betroffenen besonders, die weder am Wohnungsmarkt erfolgreich auftreten noch sich bei der Sanierungsdurchführung mit Forderungen behaupten können (vgl. 1994, 309ff). Gleichwohl resümieren Herlyn/Hunger: „Das Thema der sozialen Stadterneuerung hat einen festen Platz in kommunalpolitischen und fachwissenschaftlichen Auseinandersetzungen“ (a.a.O., 310). Darauf wurde bereits oben hingewiesen. Diese „Nähe“ von kommunaler Politik und Soziologie sollte bei der Armutsberichterstattung in den 1990er Jahren auch auf dem Gebiet der sozialen Ungleichheit eine weitere Episode erfahren. Die aktuelle Gesetzesänderung, vom Bundestag am 22.6.2001 verabschiedet und vom Bundesrat am 13.7.2001 gebilligt, trägt derartigen Perspektiven sozialer Stadtentwicklung Rechnung: Löst doch das „neue“ Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) das aus der Nachkriegszeit stammende II. Wohnungsbaugesetz ab, das den traditionellen sozialen Wohnungsbau verkörpert (Wohnungsversorgung für die „breiten Schichten des Volkes“), der nunmehr - so der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Hilsberg - „zu einer sozialen Wohnraumförderung weiterentwickelt wird. Ein wesentliches Element der Neuausrichtung ist die stärkere Einbeziehung des vorhandenen Wohnungsbestandes, mit der zugleich ein Beitrag zur Stabilisierung benachteiligter Quartiere geleistet wird“ (www.bmvbw.de, Nr. 176/2001). Diese Aussage lässt sich mit den vier zentralen Elementen, die das WoFG auszeichnen, verstehen: 1. Zielgruppenorientierung (kinderreiche Familien, Alleinerziehende), 2. stärkere Berücksichtigung des Wohnungsbestands, was insbesondere Haushalten, die sich finanziell nur günstigen Wohnraum leisten können, zugute kommt, 3. verstärkte Förderung von Wohneigentum, 4. Sozialraumorientierung („schwierige Stadtquartiere stabilisieren“). In der Stellungnahme des Bundesverbands deutscher Wohnungsunternehmen GdW e.V. zum „Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des 68
Wohnungsbaurechts vom 25.01.2001“ (2001c) findet sich nicht nur Kritik, sondern auch die Bestätigung, dass der Referentenentwurf „Ziele, Grundsätze und Regelungen, die ein erster Schritt in die richtige Richtung sind“(3), enthält, so u.a.: • der Fördergrundsatz der Bewahrung und Wiederherstellung ausgewogener Bewohnerstrukturen, • Stärkung der Bestandsförderung, • größere Flexibilität und Teilmarktorientierung sowie • die Aufhebung der Kostenmiete im Neubau. Der Hauptkritikpunkt betrifft die zuletzt genannte Kostenmiete, die der GdW auch im Bestandswohnungsbau aufgehoben sehen wollte. Des Weiteren hätte es der GdW als sinnvoll empfunden, „auch so genannte nichtinvestive Maßnahmen in stärkerem Maße in den Förderkatalog aufzunehmen“ (5). Hierbei wird an die Förderung von Quartiersmanagement gedacht, denn: „Der Ertrag einer Fassadenerneuerung muss keine andere Qualität als der Ertrag einer Maßnahme des sozialen Quartiersmanagements haben“ (a.a.O.). Des Weiteren verlangte der GdW die komplette Abschaffung der Fehlbelegungsabgabe, „da sie an vielen Orten wie eine Vertreibungsabgabe wirkt und eine Konzentration von Problemfällen befördert“ (6). Zentral im neuen WoFG - und vom GdW begrüßt - ist § 30 „Freistellung von Belegungsbindungen“ und § 31 „Übertragung von Belegungs- und Mietbindungen“: „Wir verkennen nicht, dass das Gesetz in den §§ 30 und 31, also im Rahmen der Freistellung von Belegungsbindungen bzw. der Übertragung von Belegungs- und Mietbindungen sowie durch Einsatz der Fördermittel ‚soziale Stadt‘ den Wohnungsunternehmen helfen will. Diese Regelungen sind jedoch jeweils immer nur als besondere Ausnahmefälle vorgesehen und sind im Übrigen von einem so hohen ‚Regelungsgehalt‘, dass sie nur in wenigen Einzelfällen eine Hilfe und Unterstützung darstellen können“ (12). Später wird die Zustimmung zu den beiden Paragraphen deutlicher: „Auch diese Regelung (§ 30, Anm. M.L.) gehört in den Katalog von Bestimmungen des neuen Gesetzes, die zu einer Liberalisierung des sozialen Wohnungsbaus führen können und deshalb vom GdW ausdrücklich begrüßt werden“ (18). Und zu § 31: „Auch diese Regelung ist lange in der Wohnungswirtschaft diskutiert und wird ausdrücklich begrüßt“ (19). 69
Nunmehr soll das WoFG im Original-Wortlaut zitiert werden - kommt hier doch der aktuelle „Zeitgeist der Sozialraumorientierung“ zu Wort: In Abschnitt 2 „Grundsätze, Voraussetzungen und Förderzusage“ in § 6 „Allgemeine Fördergrundsätze“ ist formuliert: „Die soziale Wohnraumförderung ist der Nachhaltigkeit einer Wohnraumversorgung verpflichtet, die die wirtschaftlichen und sozialen Erfordernisse mit der Erhaltung der Umwelt in Einklang bringt. Bei der Förderung sind zu berücksichtigen: • die örtlichen und regionalen wohnungswirtschaftlichen Verhältnisse und Zielsetzungen, die erkennbaren unterschiedlichen Investitionsbedingungen des Bauherrn sowie die besonderen Anforderungen des zu versorgenden Personenkreises; • der Beitrag des genossenschaftlichen Wohnens zur Erreichung der Ziele und Zwecke der sozialen Wohnraumförderung; • die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen; • die Schaffung und Erhaltung ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse, die funktional sinnvolle Zuordnung der Wohnbereiche zu den Arbeitsplätzen und der Infrastruktur (Nutzungsmischung) sowie die ausreichende Anbindung des zu fördernden Wohnraums an den öffentlichen Personennahverkehr;“.54 Der Armutsberichterstattung der 1990er Jahre kommt vor allem das Verdienst zu, ein Bewusstsein dafür geweckt zu haben, dass Armut in Deutschland ein städtisches Phänomen ist. Damit wurde auf die Verräumlichung von Armut hingewiesen. „Gebietstypen“ und „Sozialbericht ´93“ (vgl. Stadt Karlsruhe 1994e bzw. 1993c) hätten in einer Zusammenführung der Beginn eines sozial-räumlichen Monitorings sein können. Die Bereitstellung von Indikatoren auf Bundes-, Landes-, Stadt-, Stadtteil-, Stadtviertel- und Wohngebietsebene würde bei diesem Unterfangen eine Mehrebenen-Analyse darstellen, die Stadtpolitik differenzierte Grundlagen in makro-, meso- und mikrostruktureller Hinsicht bietet. Ein Monitoring würde den statischen Blick zu Gunsten eines prozessorientierten überwinden. Wie von Friedrichs angemahnt (s.o.), käme damit die ungleiche Verteilung von Bevölkerungsgruppen im städtischen Raum als „Ergebnis von Prozessen“ in den Blick. Der für diese Arbeit bedeutsame Aspekt des Umgangs mit benachteiligenden Wohnbedingungen und damit sozialräumlichen Konzentrationen sozialer Gruppen bedarf ebenfalls der Prozessorientierung. 54 Siehe
auch „Debatte über Wohnungsbaurecht und sozialen Wohnungsbau“ im Bundestag; vgl. Das Parlament 13-14/2001.
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2.4 Von benachteiligten zu benachteiligenden Wohnbedingungen (Mikroebene) 2.4.1 Einfluss räumlicher Faktoren auf soziales Verhalten Wie baulich-räumliche Veränderungen auf den sozialen Raum bzw. die sozialen Beziehungen der Menschen positiv wirken können, wird etwa am Beispiel der Entwicklung von Nachbarschaftsklimas in den Wohngebieten Kleinseeäcker und Nußbaumweg mittels Befragungsdaten auf mikrosoziologischer Ebene im nächsten Kapitel zu sehen sein. Zuvor soll der Stand der Forschung skizziert werden. Gukenbiehls Beitrag „Materiell-räumliche Faktoren in der ökologischen Sozialisationsforschung - Plädoyer für eine mehrperspektivische Analyse“ (1990) sieht, dass „die Fragen nach der Relevanz und nach der Vermittlung von Umweltgegebenheiten nicht losgelöst von den Menschen gesehen werden dürfen, für die solche Gegebenheiten relevant sind (a.a.O., 131). So gelangt er zu seiner zentralen These, dass eine Beantwortung dieser Fragen nur möglich ist, wenn in die Analyse von Umwelt auch die Perspektiven mit einbezogen werden, unter denen diese Umwelt den darin lebenden Menschen erscheint. Was Gukenbiehl speziell für die Sozialisationsforschung als notwendig erachtet, nämlich die Unterscheidung von mindestens drei Arten von Perspektiven, ist auch für das Feld der benachteiligenden Wohnbedingungen bedeutsam: wissenschaftliche Perspektive, Alltagsperspektive, Perspektive des Kindes. Letztgenannte Perspektive ist bei „Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf“ nicht nur auf die Lebensphase Kind zu beschränken. Was Gukenbiehl in Bezug auf die beiden erstgenannten Persspektiven ausführt, lässt sich im Maßstab 1:1 zu übertragen, denn in der wissenschaftlichen Perspektive greift er auf die Konzeptionen der Sozialraumanalyse (Soziotopen-Ansatz nach Bargel et al. 1981, Kontext-Ansatz nach Schneewind et al. 1983 sowie Quartiers- und Ressourcen-Ansatz nach Kaufmann et al. 1980 sowie Strohmeier 1983) zurück. Die beiden anderen Perspektiven werden in der Tradition des Symbolischen Interaktionismus von Gukenbiehl begründet: „Dinge und Räume sind für sie (die Menschen, M.L.) in aller Regel nicht einfach nur physikalische Größen, sondern Objekte, die für sie eine Bedeutung haben“ (1990, 136). Dem „Zusammenhang von gebauter Umwelt und sozialem Verhalten im Wohn- und Wohnumweltbereich“ widmet sich eine Veröffentlichung des BMRBS unter gleichnamigem Titel. In Bezug auf alte Wohngebiete stellt 71
Mühlich-Klinger darin folgende Hypothesen auf: Die Ergebnisse der Entwicklungspsychologie lassen den Prozess zwischen Umwelt und Bewohnern als einen Akt der aktiven Auseinandersetzung und nicht nur als eine reaktive Anpassung an äußere Gegebenheiten erscheinen. Die aktive Auseinandersetzung besteht auch darin, dass um unter den Bedingungen der Armut zu leben, Möglichkeiten genutzt werden, sich ökonomisch zu verbessern. Hier sind billige Mieten, Möglichkeiten zu Gelegenheitsarbeiten, günstige Einkaufsmöglichkeiten zu nennen. Chancen sozialer Natur sind: Eingebundenheit in ein verwandtschaftliches Netz und soziale Kontakte, gegenseitige Hilfe. Chancen räumlicher Natur sind Kleintierhaltung oder die Nutzung von Freiflächen für Gemüse- und Obstanbau. Eine Balance zwischen Integration und Abgrenzung zu halten, ist im Allgemeinen in alten Wohngebieten nicht einfach. Der Einzelne ist nicht selten aufgrund der baulichen Voraussetzungen, die oftmals eine große räumliche Enge bzw. Wohndichte implizieren, der Gefahr der Überkollektivierung ausgesetzt. Diese Form von sozialer Kontrolle wird durch den hohen gegenseitigen Bekanntheitsgrad und das Angewiesensein auf das Wohngebiet verstärkt. „Symbolische Bedeutung“ erhält gebaute Umwelt über ihre physische Beschaffenheit hinaus in fünferlei Hinsicht: • Die gebaute Umwelt drückt deutlich wahrnehmbar das Maß der Benachteiligung der Bewohner/innen aus; die räumlichen Grenzen der Wohngebiete sind zugleich Kommunikations- und Aufstiegsbarrieren. • Im Innenverhältnis sind unterprivilegierte Wohngebiete für ihre Bewohner/innen Symbol für die Gleichheit ihrer Lebenslage. • Das soziale Leben, ein Netz enger sozialer Beziehungen, das sich unter restriktiven äußeren Bedingungen entfaltet, verknüpft sich mit der gebauten Umwelt. • Die mit Bedeutung belegte bauliche Umwelt erleichtert die Aufnahme interpersonaler Beziehungen, die gebaute Umwelt wirkt integrierend, weil sie die Gleichheit der benachteiligten Lebensbedingungen der Bewohner/innen deutlich macht, und die Selbstdarstellung durch gebaute Umwelt gelingt noch besser in alten Wohngebieten mit Kleinhausbesitz. • Schließlich kann davon ausgegangen werden, dass sich gebaute Umwelt auch kognitiv bei den Bewohnern strukturiert (vgl. 1978, 118ff). Die Entstehung sozialer Beziehungen wird von drei Faktoren bestimmt, nämlich 72
• der Dauer der Ansässigkeit, • der räumlichen Nähe zahlreicher Verwandter sowie • dem sozioökonomischen Status der Bewohner/innen. Oftmals wurden nicht nur die Bewohner/innen im Wohngebiet geboren, sondern lebten schon deren Eltern und Großeltern dort. Das subkulturelle Milieu ist gekennzeichnet von statusniedrigen Bewohnergruppen, die eine geringe berufliche Qualifikation, kaum Aufstiegsmöglichkeiten, ein niedriges Einkommen aufweisen, weshalb sie auf günstige Mieten in benachteiligten Quartieren angewiesen sind. Unter allen Beziehungsnetzen kommt dem verwandtschaftlichen die größte Bedeutung zu. Daneben sind die Bewohner/innen nach den Merkmalen Stellung im Lebenszyklus, Geschlecht und Alter Mitglied in peer groups. Die Art der Sozialbeziehungen in städtischen Altbauquartieren erinnert an dörfliches Leben - Mühlich-Klinger nennt als Beispiel Gans: Gans gab seiner Untersuchung des Bostoner Westends auch bezeichnender Weise den Titel „The Urban Villager“ (1962). Was die Bindung ans Wohngebiet anbelangt, führt Mühlich-Klinger Zapf an. Mit Zapf lassen sich vier Typen von Bewohner-Einstellungen unterscheiden: • enge Bindungen (33 %, gern im Gebiet, keine Umzugsabsichten), • gelockerte Bindungen (13 %, gern im Gebiet, Umzugsabsichten), • lockere Bindungen (18 %, ungern im Gebiet; keine Umzugsabsichten), • keine Bindungen (36 %, ungern im Gebiet; Umzugsabsichten). Nach dieser Einteilung von Typen gibt es in den untersuchten Wohngebieten zwei extreme Gruppen, nämlich auf der einen Seite diejenigen, die gerne im Wohngebiet wohnen und keine Umzugsabsichten hegen und auf der anderen Seite jene, die nicht gerne dort wohnen und umziehen wollen. Diese beiden Gruppen machen nach Zapf über zwei Drittel der Bewohnerschaft aus. 2.4.2 Milieu als Ressource der Lebensbewältigung Den Begriff des „Milieus“ aufgegriffen und mit sozialer Ungleichheit („Armut“) verknüpft haben Herlyn et al. 1991 mit einer Untersuchung von vier Wohngebieten in Hannover. Der Untertitel ihrer Veröffentlichung nennt die Zielgruppe ihrer Arbeit: „Benachteiligte Bewohner in großstädtischen Quartieren“. Führt man sich die bundesdeutsche Armutsforschung vor Augen, 73
fällt auf, dass Herlyn et al. den Wohnquartierskontext in ihre Armutsuntersuchung einbeziehen. Das Nichteinbeziehen der Bedeutung sozialräumlicher Strukturen für Armut in der bundesdeutschen Armutsforschung kritisiert grundsätzlich Dangschat (vgl. etwa 1995). Herlyn et al. beschreiben das Aufgabenspektrum ihrer Untersuchung mit einem Zitat von Glatzer/Hübinger in der Form, „die inferioren Lebenslagen und ihren Abstand vom Wohlstand der übrigen Bevölkerung aufzuzeigen, ihre Entwicklung zu beobachten sowie Öffentlichkeit und Politik darüber aufzuklären. Die arme Bevölkerung hat weder eine hohe Organisations- noch eine hohe Konfliktfähigkeit; sie kann ihre Anliegen kaum ohne die Unterstützung von Wissenschaft und Öffentlichkeit zur Geltung bringen“ (1990, 50). Herlyn et al. stellen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit „die in der gegenwärtigen Armutsberichterstattung häufig ungenügend bearbeitete Frage, wie die arme Bevölkerung selbst ihre Lebenslage beurteilt. In der Lebenswirklichkeit der Städte und Gemeinden lebt der einzelne Arme - was häufig unterstellt wird - nur selten allein, sondern meist mit anderen Benachteiligten in räumlicher Nähe zusammen. Um dieses Zusammenleben in seiner Konsequenz für die Lebenslage des Einzelnen zu erfassen, wurden soziale Milieus in verschiedenen Stadtteilen daraufhin untersucht, ob Prozesse der Marginalisierung verstärkt oder abgeschwächt werden“ (a.a.O., 11). Das Milieu wird dabei als Ressource der Lebensbewältigung definiert, auf das Hradil-Konzept sozialer Ungleichheit, das drei Ebenen (strukturelle Lebensbedingungen, milieuspezifische Lebenswelten sowie individuelle Lebenslagen) differenziert, zurückgegriffen. Das Stadtviertel-Milieu ist nach Staufenbiehl (1989), an den sich Herlyn et al. ebenfalls anlehnen, „am besten durch die Milieueigenschaften • Quartiersgeschichte, • die Nutzungsstrukturen und • die sozialen Beziehungen zu erfassen“ (a.a.O., 28). Wie oben genannt, betrachten Herlyn et al. den Stadtteil („Wohnmilieu“) als Ressource der Lebensbewältigung. Die Analyse soll auch Aufschluss „über die ökonomischen, sozialen und baulich-räumlichen Bedingungen, die benachteiligte Gruppen in den verschiedenen Wohnquartierstypen vorfinden“ (a.a.O., 31), bringen. Die Relevanz „sozialräumlich strukturierter Nahumwelt“ (a.a.O.) für die mit ihr konfrontierten Menschen rückt damit in den Fokus der Betrachtung. Die verschiedenen Ressourcen, die ein Stadtteil vor Ort bietet, stellen eine Chance lokaler (kommunaler) Bemühungen von Ar74
mutsbekämpfung dar. Dafür werden in der Untersuchung unter den Bedingungen integrierten Wohnens Hinweise gegeben.55 Auf ein Ergebnis zum Zusammenhang von quartierlichem Milieu sowie Art und Umfang von Arbeit und Beschäftigung sei nun eingegangen. Herlyn et al. stellen in diesem Kontext fest, dass einige Bevölkerungsgruppen „in besonderem Maße auf wohnungsnahe Arbeitsplätze angewiesen“ sind wie Mütter mit kleineren Kindern, die auch einer Teilzeitarbeit nachgehen.56 Betrachtet man die Sozialhilfe-Daten der Stadt Karlsruhe in ihrer Entwicklung von 1997-2001 erscheint die getroffene Aussage mehr als plausibel (vgl. Statistisches Jahrbuch Stadt Karlsruhe (Hrsg.) div. J.). Schacht, die kritisiert, dass sozialräumliche Strukturen „in der bundesdeutschen Armutsforschung insgesamt weder in theoretischen Überlegungen noch in empirischen Untersuchungen ausreichend einbezogen“ werden, kommt bei der Darlegung ihrer Kritik zu einer für diese Arbeit bedeutsamen Feststellung: „In der Konzeption sozialer Milieus wird die Umwelt ausdrücklich einbezogen. Soziale Milieus haben einen Ortsbezug. Da sich an Orten die verschiedenen Raumstrukturen (der Mikro-, Meso- und Makro-Ebene) überlagern, können sozialräumliche Aspekte in die Betrachtung von sozialen Milieus der Armut integriert werden. Benachteiligende Wohnquartiere können deshalb als Orte der Vergemeinschaftung in sozialräumlichen Wohnmilieus der Armut verstanden werden (welche an die Mesomilieuebene und die Meso-Raum-Ebene gebunden sind)“ (1999, 290). Das eingangs in dieser Arbeit Formulierte findet sich bei Schacht wieder, wenn sie weiter ausführt: „Mit der Konzeption sozialräumlicher Milieus lassen sich daher drei theoretische Auseinandersetzungen miteinander verbinden: die Armutsdiskussion, die Diskussion sozialer Ungleichheit und die Diskussion des ‚Raums‘ in der Stadt- und Regionalsoziologie“ (a.a.O., 291). 2.4.3 Die Bedeutung des Raumes Die angesprochene Diskussion zur Dimension des Raums spiegelt sich auch in folgender Aussage wider: „Wir müssen erkennen: Nicht die Jugendlichen 55 „Im
Stadtteil bietet sich die Möglichkeit dazu, durch Milieuarbeit Lebensbedingungen herzustellen, durch die zumindest keine weiteren Ausgrenzungen bzw. Unterprivilegierungen gefördert werden, sondern im Gegenteil durch eine Abstimmung von Angebot und Bedürfnis neue Lebenschancen vermittelt werden“; a.a.O., 36. 56 „Dies gilt z.B. für Mütter kleinerer Kinder, die nicht längere Zeit von zuhause abwesend sein können oder für Frauen, die nur stundenweise einer Tätigkeit nachgehen. Oftmals würden sich diese geringfügigen Beschäftigungen auch gar nicht rentieren, wenn längere Wegezeiten und Fahrtkosten dafür aufgewendet werden müssten“; a.a.O., 185.
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sind das Problem, sondern die Verhältnisse, in denen sie leben“ (Bergmann 2000, 4). Die Verhältnisse, von denen Bergmann spricht, sind unter sozialen und räumlichen Gesichtspunkten zu betrachten. Den sozialen Aspekt betont Nikles, wenn er sagt: „Wir schauen auf diese Räume mit einem doppelten Blick: einmal mit einem Blick auf die einzelnen Menschen und sozialen Gruppen, das wäre die sozialpädagogische Perspektive, aber zum zweiten schauen wir auch ganz gezielt auf die Strukturbedingungen und Mechanismen in diesen Räumen und nehmen damit eine sozialpolitische oder sozialstrukturelle Blickrichtung auf“ (2000, 7). Demgegenüber richtet Baum den Blick auf den physischen Raum, der die darin aufwachsenden Kinder und Jugendlichen umgibt.57 Den Stadtteil als sozialen Raum sieht Baum nicht nur als „Planungs- und Steuerungsgröße“. Soziale Räume sind nach Baum „sozialstrukturelle Einflussgrößen“. Kinder und Jugendliche entwickeln auch in segregierter Wohnsituation „Domizilbindung“. Je weniger in anderen Handlungsfeldern, wie z.B. in Schule oder Beruf, es ihnen gelingt, ihre Identität zu sichern und ihre Bedürfnisse zu befriedigen, umso bedeutsamer wird diesbezüglich „ihr Gebiet“, nämlich ihre Wohnbedingungen. Eine in ihrem Wohngebiet akzeptierte Identität sind die Jugendlichen in der Lage zu entwickeln. Diese ermöglicht dort angemessenes Handeln. Den Jugendlichen fehlen die Dispositionen und Kompetenzen, den gesamten Kontext „Stadt“ zu erfahren. Die Ausprägung sozialer Kontrolle und sozialer Bindungen, wie sie in deprivierten und benachteiligenden Wohngebieten anzutreffen ist, gibt es in einer Stadt weniger, eher in einem traditionellen Dorf. Zudem ist die Jugendphase in sozialräumlich benachteiligten Wohngebieten im Vergleich zu nicht deprivierten Stadtteilen einer Stadt relativ kurz. Sie beginnt in der Altersphase von 12 bis 13 Jahren und endet zwischen 16 und 18 Jahren. Die soziokulturelle Einbindung in traditionelle Rollen kommt vor allem bei Mädchen deutlich zum Vorschein. Die Mutterrolle wird den Mädchen z.B. bei der Betreuung jüngerer Geschwister übertragen. In nicht deprivierten Stadtteilen ist es für Jugendliche viel einfacher, einen jugendlichen Lebensstil zu pflegen, der weit ins Erwachsenenalter hineinreicht. „Jugend ist ja nicht Jugend in der Stadt - sie ist vielmehr Jugend durch die Stadt“ (vgl. a.a.O., 41 sowie Baum 1998). Die von Baum beschriebene „Domizilbindung“ belegt eine Untersuchung von Kraheck, die auf der empirischen Basis der von ihr durchgeführten Interviews diesbezüglich feststellt: „Die Aussagen 57 „Ihre
Wohnsituation und ihr Wohnumfeld prägt ihr Raumverständnis, ihr Kommunikationsverständnis, ihr Verhältnis zur sozialen Öffentlichkeit, das sie im Laufe ihrer Sozialisation entwickeln. Hier wird auch das Verhältnis von räumlicher Ausgrenzung und sozialer Segregation relevant“; 2000, 36.
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der jungen Frauen und Männer machen deutlich, dass ihr Freundeskreis für sie eine große Bedeutung hat. Häufig wird er mit dem Stadtteil identifiziert. [. . . ] Dem entsprechen auch die Aussagen der Jugendlichen, dass sie ihren Stadtteil nicht verlassen, da sie ihre Freunde - ihr soziales Netzwerk - nicht verlieren möchten“ (2004, 147). Vermittelt wird Jugendlichen aus diskreditierenden Wohnbedingungen die Benachteiligung an Schule, Arbeitsplatz und in der Freizeit. Diese Jugendlichen nehmen wahr, dass sie eigentlich keine Chance haben, an den in ihrer Stadt vorherrschenden Prozessen teilzuhaben. An dieser Stelle sei der Hinweis auf Dangschat gestattet, der einen Aufsatz zu dieser Thematik unter dem Titel „Du hast keine Chance, also nutze sie! Arme Kinder und Jugendliche in benachteiligten Stadtteilen“ (vgl. 1996a) publiziert hat. Ohne dies näher ausführen zu wollen, sei zudem in Bezug auf die oben angesprochene Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen in ihrer Freizeit auf die neuere Forschung der „Benachteiligung von armen Kindern in Sport und Bewegung“ (Dallmann 2000) hingewiesen (vgl. etwa MSKS (Hrsg.) 1996, Brinkhoff 1998, Brinkhoff/Mansel 1998, Badische Sportjugend Kreis Karlsruhe (Hrsg.) 2001, MSWKS (Hrsg.) 2001,).
2.4.4 Sozialräumliche Deprivation Die räumliche Distanz verschärft Segregation. Um an der Urbanität von Stadt teilhaben zu können, geht es für Jugendliche und ihre Familien um die „Überwindung sozialökologischer Distanzen, also solcher Distanzen, die weder alleine aus dem Sozialisationsmilieu und den dort prägenden Beziehungsmustern noch alleine aus der räumlichen und sachlichen Gliederung und Struktur des bebauten Umfelds begründbar sind, sondern nur aus der Dialektik von sozialen Beziehungen und deren sozialräumlichen Kontexten, in denen sie verankert sind“ (a.a.O., 43). Es ist nicht das Wohngebiet selbst, sondern seine Bewertung durch andere, die zu sozialer Ausgrenzung seiner Bewohner/innen führt. Aus der Bewertung im gesamtstädtischen Vergleich erwächst die relative Deprivation, die die Identifikation und damit die Integration gerade auch für die dort aufwachsenden Jugendlichen erschwert. Mit der „übrigen“ Stadtbevölkerung gibt es für Bewohner/innen benachteiligender Wohngebiete in der Regel keinen unkomplizierten Austausch. Wer in das deprivierte Gebiet kommt, kommt zielgerichtet, kaum ein Stadtbewohner kommt auf die Idee, dort einfach einmal z.B. spazieren zu gehen. Die Stadt mit ihren sozialräumlichen Differenzierungsprozessen produziert 77
sozialräumliche Privilegierungen und Deprivationen in Bezug auf die Rahmenbedingungen des Lebens, Arbeitens und der Sozialisation von Kindern und Jugendlichen. Die Stadt formt Lebensstile (vgl. auch Dangschat/Blasius (Hrsg.) 1994). Das Problem bei subjektiver Benachteiligung ist der städtische Kontext, der diese als relative Deprivation erfahrbar werden lässt. Wohngebiete wirken vor allem dann benachteiligend für die Jugendlichen, wenn sie die Entfaltung einer urbanen Lebensweise aufgrund mangelnder sozialer und räumlicher Infrastruktur behindern. Damit schaffen benachteiligende Wohnbedingungen Rahmenbedingungen des Handelns und Scheiterns gleichzeitig. Aus dem Gesagten wird deutlich, weshalb Baum als eine Schlussfolgerung für den praktischen Umgang mit benachteiligten und benachteiligenden Wohngebieten formuliert, dass „der sozialökologische Raum des Wohngebiets und seine Struktur in das Blickfeld der Analyse und der Veränderung“ rücken muss (vgl. a.a.O., 30ff). Springer bezeichnet den sozialen Raum als „topographische Mitte“ sowie „gesellschaftlichen Mikrokosmos“. Dort werde die Lebensmitte der Menschen definiert: „Der Alltag, die alltäglichen Begegnungen zu Hause, in der Nachbarschaft, beim Einkauf, im Kindergarten, in der Schule, am Ausbildungsplatz, an der Haltestelle usw. [. . . ] ist durchzogen von verbalen und nonverbalen Gesten, subtilen Prozessen von Anerkennung oder Diskriminierung, Beachtung oder Rücksichtslosigkeit, von autoritärem Verhalten oder Mitgestaltungsmöglichkeiten von abstoßenden oder einladenden Räumen. [. . . ] Der soziale Raum mit seinen kommunikativen wie materiellen Gelegenheitsstrukturen ermöglicht also konkret Entwicklungen und Erfahrungen oder verhindert sie, je nach Qualität seiner Ausstattung und seiner Struktur im Hinblick auf die Bedürfnisse und Interessen der Kinder und Jugendlichen“ (a.a.O., 58ff). Folgt man der Ansicht Ipsens, „dass die Funktionsweise des Wohnungsmarktes sozial bestimmt ist“ (1990, 147), stellt sich die Frage nach den Mechanismen, die sozial wirksam werden.58 Segregation wurde bereits eingehend behandelt. Hierbei kam Friedrichs ausführlich zu Wort; hingewiesen wurde auf das Folgende von Friedrichs/Blasius zu Referierende: „Die zentrale Frage“, so Friedrichs/Blasius, lautet: „Gibt es in solchen Wohngebieten eine doppelte Benachteiligung: eine aufgrund der ökonomischen Situation der Bewohner und zusätzlich eine durch die Bedingungen des Wohngebietes?“ Friedrichs/Blasius stellen fest, 58 „Man
muss also nach einem sozialen Phänomen suchen, welches die Abschließung einzelner Stadträume erklären kann. Die Stadtforschung beschäftigt sich schon lange mit derartigen Phänomenen und nennt diese Segregation“; a.a.O., 149.
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dass aufgrund verschiedener Ursachen, von denen sie drei benennen, benachteiligte Wohngebiete nicht zufällig entstehen: „Zum ersten ist es die noch immer anhaltende Deindustrialisierung, der Verlust von Arbeitsplätzen im produzierenden Gewerbe. Eine Folge ist zweitens eine steigende Arbeitslosigkeit (und Langzeitarbeitslosigkeit), die einerseits zu sinkenden Steuereinnahmen der Stadt führt, andererseits zu einer räumlichen Konzentration von Arbeitslosen, meist in Wohngebieten, die an den Produktionsstandort angrenzen. Durch die sinkenden Steuereinnahmen verringert sich drittens auch der Investitionsspielraum der Stadt, was zu sinkenden Anreizen und geringeren Vorleistungen für die Ansiedlung neuer Betriebe führt“ (2000, 7). Friedrichs/Blasius kennzeichnen die „städtische Armut“ mit zwei Entwicklungen: „zum einen die sinkenden Steuereinnahmen, zum anderen eine zunehmende Zahl von Wohngebieten mit einem hohen Anteil armer, d.h. auf Sozialhilfe angewiesener Bewohner“ (a.a.O., 9). Weiter stellen sie für den Zeitraum der „neuen Neuen Armut“ 59 , also die 1990er Jahre, die These auf: „Kein Stadtteil, der 1995 einen überdurchschnittlichen Anteil Armer aufwies, hat 1999 einen niedrigeren Anteil. Die Gebiete haben sich demnach nicht aus der Armut befreien können. Diese Entwicklung (als Aggregatmerkmal) kann auf drei unterschiedliche Prozesse zurückgehen: • eine zunehmende Verarmung der Bewohner, • selektive Fortzüge aus den Gebieten, • selektive Zuzüge in die Gebiete. [. . . ]. Der Boom der Stadt Ende der 80er Jahre ist offenkundig an der ärmeren Bevölkerung vorbei gegangen. [. . . ] Steigende Mieten und eine sinkende Zahl preiswerter Mietwohnungen führen trotz Ausweitung der Einkommensgrenzen für das Wohngeld zu einem erhöhten Armutsrisiko“ (a.a.O., 15ff). Letztgenanntes belegen Friedrichs/Blasius mit Verweisen auf Alisch/Dangschat (1998) sowie Keller (1999), die in dieser Arbeit ebenfalls Berücksichtigung finden. So kommen Friedrichs/Blasius zu ihrer Grundsatzfrage: Machen arme Wohnviertel ihre Bewohner ärmer?60 59 Vgl.
zu „Alte Armut - Neue Armut“ auch Altmeyer-Baumann 1987. arme Wohnviertel ihre Bewohner ärmer? Damit wird behauptet, neben den individuellen Effekten armer Personen hat auch die Struktur des Wohnviertels einen zusätzlichen Effekt auf deren Einstellungen und Verhalten“; a.a.O., 19.
60 „Machen
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In ihrer Zusammenfassung61 kommen Friedrichs/Blasius zu folgenden Schlussfolgerungen: 1. Bewohner armer Viertel üben überdurchschnittlich viele Aktivitäten im Wohngebiet aus; wenn ein Haushalt Transferleistungen erhält, ist der Anteil der Aktivitäten im Wohngebiet höher, deshalb: „Je größer die Benachteiligung eines Bewohners, desto stärker beschränken sich dessen Aktivitäten auf das eigene Wohngebiet“. 2. Je stärker das Wohngebiet benachteiligt ist, desto kleiner sind die Netzwerke der Bewohner; dies ist jedoch kein reiner Gebietseffekt, sondern hier besteht ein Individualeffekt dahingehend, dass ein Zusammenhang mit Alter und Schulbildung besteht. 3. Zwischen Einstellungen zu abweichenden Verhaltensweisen und dem Wohngebiet besteht ein Zusammenhang: „Je stärker das Gebiet benachteiligt ist, desto größer ist die Billigung abweichender Verhaltensweisen, insbesondere solcher, die eine Aggression gegen Personen aufweisen“. 4. Je stärker ein Haushalt benachteiligt ist, desto häufiger wurde die Wohnung von den Interviewern als „schmutzig“, „beschädigt“ und „ärmlich“ etikettiert. Da Friedrichs/Blasius zugleich einen Zusammenhang zwischen dem Zustand der Wohnung und der Anzahl privater Kontakte unterstellen („je schlechter der Zustand ist, desto seltener lädt man Gäste ein und desto seltener geht man zu Besuch“), folgern sie, „dass mit zunehmender finanzieller und räumlicher Benachteiligung auch die soziale Benachteiligung, mithin die soziale Isolation, zunimmt“ (vgl. a.a.O., 194ff). 2.4.5 Wohngebiete mit Entwicklungsbedarf und Städtebauförderung Zapf hat Ende der 1960er Jahre „rückständige Viertel“ untersucht62 : städtebauliche Probleme sind auch immer gesellschaftliche bzw. gesellschaftspolitische Probleme. Mit diesen Worten leitet Zapf ihre Arbeit „Rückständige 61 Der
standardisierte Fragebogen der Untersuchung umfasste vier Bereiche, nämlich Fragen zu 1. Fertigkeiten, Lebensstilen und Konsumgewohnheiten (darüber hinaus einen Beobachtungsbogen zur Wohnungseinrichtung), 2. Aktionsräumen und Netzwerken, 3. Wohndauer/-zufriedenheit, 4. der Standarddemographie der zu befragenden Person. 62 „Die Erneuerung rückständiger Viertel ist kein rein städtebauliches, sie ist ebenso ein gesellschaftspolitisches Problem. Darum wird hier der Versuch unternommen, eine städtebauliche Aufgabe mit soziologischen Methoden, Kategorien und Kriterien zu analysieren“; 1969, 9.
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Viertel - eine soziologische Analyse der städtebaulichen Sanierung in der Bundesrepublik“ ein. Ihre Untersuchungen von Wohngebieten stellen ihrer Meinung nach „gängige Klischees infrage - den Einheitstyp Sanierungsgebiet; die armen, alten Leute dort; die engen, schonungsbedürftigen Nachbarschaftsbeziehungen und andere“ (a.a.O.). Im Schlusskapitel resümiert Zapf et al.: „Gemeinsam ist den Gebieten die Rückständigkeit und die soziale Lage ihrer Bewohner: Im wesentlichen handelt es sich um Wohnviertel der Unterschicht. [. . . ] Sanierungsgebiete konfrontieren Behörden und Verbände gleich mit zwei sozialen Fragen, die eng verknüpft sind: mit der Rückständigkeit und mit der Unterschicht. [. . . ] Auch in der Bundesrepublik erfüllen die erneuerungsbedürftigen Gebiete wichtige Funktionen: Sie bieten billigen Wohnraum für die wenig qualifizierte Arbeiterschaft [. . . ]; sie nehmen stark fluktuierende Gruppen auf [. . . ]; sie konstituieren für die Unterschicht das vertraute Milieu ihrer Existenz [. . . ]; sie binden eine stabile, altansässige Bevölkerung [. . . ]. Diese besonderen Funktionen variieren von Ort zu Ort. Sie sind für jedes Gebiet im einzelnen zu bestimmen; ein Sanierungsprogramm muss auch ihnen Rechnung tragen“ (a.a.O., 243ff). Im Vorwort zu „Stadt am Stadtrand“ (vgl. et al. 1969) stellt der damalige Oberbürgermeister von München Hans Jochen Vogel fest, dass neue Stadtteile im Gegensatz zu früher nicht als Ergebnis eines Wachstumsprozesses entstehen. Aufgrund der Notwendigkeit des raschen Baus von Wohnungen werden vielmehr in kurzer Zeit ganze Stadtteile geplant und erstellt (vgl. a.a.O., 7f).63 Das „Modellvorhaben Karlsruhe-Dörfle“ (vgl. BMRBS 1980a) ist ein Beispiel, wie ein „rückständiges Viertel“ modernisiert und gleichzeitig ein „Stadtteil am Stadtrand“ neu gebaut wurde, um dorthin Bewohner/innen aus der Karlsruher Altstadt („Dörfle“) umzusiedeln. Die historische Entwicklung des „Dörfle“ stellt sich wie folgt dar: Im 18. Jahrhundert war das „Dörfle“ ein Siedlungsplatz, der Handwerkern und Bauleuten, die für den Bau der 1715 von Markgraf Karl-Wilhelm von Baden-Durlach gegründeten Stadt geworben wurden, zugewiesen wurde. Mit ihren bescheidenen Mitteln errichteten die Bewohner/innen ziemlich regellos Gebäude minderer Qualität. Durch die enormen Standesunterschiede war eine soziale und bauliche Integration des „Dörfle“ auch im 19. Jahrhundert nicht zu erreichen: „Dieser Stadtteil blieb weiterhin in Wirklichkeit eine Vorstadt mitten in der 63 Schäfers
konstatiert diesbezüglich: „In der Bundesrepublik wurden seit Mitte der 50er Jahre bis etwa Mitte der 70er Jahre neue Wohnquartiere am Stadtrand gebaut. In der Sprache der Planer und Städtebauer heißen sie Wohnquartiere, Trabantensiedlungen, Satellitenstädte, Entlastungsstädte, Parkwohnanlagen, Großsiedlungen oder Großwohnanlagen“; 1996, 27.
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Innenstadt“ (a.a.O., 19). Im 20. Jahrhundert setzte nach dem I. Weltkrieg aufgrund einer starken Überbelegung, der die sanitäre Ausstattung der einfachen Häuser nicht gewachsen war, eine Tendenz zur Verslumung des „Dörfles“ ein. Der II. Weltkrieg hinterließ baulich kaum Spuren, die Verslumung setzte sich fort. Dazu kam, dass in den 1960er Jahren Prostituierte, wie auch schon in den 1930er Jahren, im „Dörfle“ angesiedelt wurden. Die Ursachen für die Sanierungsbedürftigkeit und den Sanierungsanlass lesen sich so: • „Verlust an wirtschaftlicher Attraktivität, Verbleiben von Kümmerbetrieben, • kleinteilige Grundstücksstruktur mit hohem Überbauungsgrad, schlechter Bausubstanz und mangelhafter sanitärer Ausstattung, • unausgeglichene Bevölkerungsstruktur, Zurückbleiben sozial schwacher Bevölkerung, Überalterung der Bewohner, • Prostitution und störende Folgebetriebe, • mäßige Verkehrserschließung für den ruhenden Verkehr“ (a.a.O.). Nach der ersten Maßnahmenphase dieses Modellvorhabens deutscher Stadtentwicklung wurde auch in Karlsruhe die Kritik an der damals geübten Praxis von Flächensanierung laut. Kritisiert wurde • „Verlust an städtebaulicher Identität, • Zerstörung sozialer Beziehungen, • mangelnde Öffentlichkeit, • nicht betroffenen-orientierte Planung“ (a.a.O., 47). Die im Kontext dieses Kapitels bedeutsame soziale Komponente kommt vor allem in einem Ersatzwohnungsbauprogramm zur Sprache. Dieses Programm wurde 1961 aufgelegt. Ziel war es, etwa 3500 Bewohnern und Bewohnerinnen der Karlsruher Altstadt Ersatzwohnraum in Stadtrandbezirken zur Verfügung zu stellen. Bis 1972 entstanden so rund 1000 Wohneinheiten des sozialen Wohnungsbaus. Aufgrund des besseren Ausstattungsstandards wurden die Umzugsangebote angenommen. Erst später wurden den betroffenen Menschen die Nachteile, wie z.B. die größere Entfernung zur Stadt oder der Verlust sozialer Beziehungen bewusst. Aufgrund der Umzüge hatte sich die Anzahl der Haushalte im Sanierungsgebiet von ca. 2700 auf etwa 1900 verringert. Rund 4250 Personen waren abgewandert, 900 Personen, vor allem Ausländer/innen und Studierende, 82
zugezogen. Damit stieg der relative Ausländeranteil von 4 % auf 21 % und der Studierendenanteil von 5 % auf 13 % an. Insgesamt war ein Rückgang der Bevölkerung um beinahe 50 % zu verzeichnen. Im Hinblick auf eine „ausgeglichene Bevölkerungsstruktur“ als formuliertes Sanierungsziel konnte festgestellt werden, dass dieses Ziel verfehlt wurde. Nach Inkrafttreten des StBauFG wurde entsprechend der gesetzlichen Vorgaben ein Sozialplan erstellt. Die diesbezügliche Untersuchung zur Sozialstruktur ergab 1974 • einen hohen Anteil von Einpersonenhaushalten mit geringem Einkommen und hoher Verbundenheit zum Wohngebiet, • einen hohen Anteil ausländischer Haushalte mit unterdurchschnittlichem Einkommen, • einen großen Anteil ungelernter und angelernter Arbeiter, • ein starkes soziales Beziehungsgeflecht der Bewohner untereinander. Damit zeigen sich auch hier Effekte, wie sie von Zapf und Mühlich-Klinger beschrieben wurden (s.o.). Was im Rahmen eines Prozesses der Städtebauförderung festgestellt wurde, gilt auch für die Arbeit der Aufwertung von Wohngebieten kleinräumigeren Zuschnitts, die häufig jenseits der „großen“ Stadtplanung vonstatten ging und (immer noch) geht. Obdachlosensiedlungen waren, wie bereits gezeigt wurde, in der Karlsruher Stadtverwaltung in Federführung des Sozialdezernats und nicht des Baudezernats bei ihren Sanierungsmaßnahmen bearbeitet worden. Um diese kleinräumigeren Wohngebiete auch an „großen“ Programmen wie dem Bund-LänderProgramm „Soziale Stadt“ partizipieren lassen zu können, ist es zwingend notwendig, die entsprechenden Verbindungen zum ganzen Stadtteil, in dem das jeweilige Wohngebiet beheimatet ist, herzustellen. Dies ist eine Aufgabe, die Sozialplanung bewältigen kann, was im Folgenden dargelegt wird.
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3 Kommunaler Umgang mit benachteiligten Wohngebieten in Deutschland nach 1945 am Beispiel der Stadt Karlsruhe 3.1 Die Phase 1945-1970: Baracken und Obdachlosensiedlungen 3.1.1 Die Zerstörung von Wohnraum als Folgen des Krieges Nach Kriegsende waren etwa 22 % der Wohnungen in Deutschland zerstört oder stark beschädigt. Der Zerstörungsgrad war regional sehr unterschiedlich. Bevor auf die damalige Situation in Karlsruhe und Baden eingegangen wird, soll mit Friedrich (2003) die „Leideform“ vor den „Chroniken mit Zahlen und Zeugnissen“ zu Wort kommen. Friedrich beschreibt die Folgen des Krieges in Form eines mehrjährigen Bombardements deutscher Städte der Briten und Amerikaner, die die Perfektionierung der Bombenwaffe vorantrieben64 und konstatiert: „Nie zuvor kannte die Kriegsgeschichte eine ganz und gar von Wissenschaftlern gelenkte Waffe wie den Brandangriff. [...] Unter ihren achtzig Millionen Exemplaren wurden die deutschen Städte zu Brandruinen, nie hat eine einzelne Waffe so weitflächig vernichtet“ (Friedrich 2003, 25 ff.). Die Strategie sah vor, dass der Angriff auf Zivilquartiere helfen sollte, den Krieg schneller zu beenden.65 So fielen im Bombenkrieg im Jahr 1944 täglich 127 Menschen den Bomben zum Opfer, 1945 bis zur Kapitulation so64 „Mit
dreitausend Tonnen Sprengstoff, wie eine Bomberflotte sie lädt, ist die Stadt nicht zu ruinieren. Brandmunition jedoch stiftet einen Schaden, der sich selbst vermehrt. Dazu sind zwei Wissenschaften vonnöten, Brandstiftung und Funknavigation. Feuerwehringenieure und Elektrophysiker entwickeln in drei Jahren die Systeme, entzündliche Siedlungsstrukturen zu orten, mit Farblicht zu umranden und in Flammen zu setzen“; Friedrich 2003, 11. 65 „Im Oktober 1940, umgeben von den Feuerbrünsten Londons, hatten Churchill und Portal die Möglichkeit durchdacht, durch ‚maximum use of fire‘ Bevölkerungszentren zu zerstören“ (a.a.O., 85). „Churchills wissenschaftlicher Berater, Professor Cherwell, hatte nämlich ausgerechnet, dass man mit 10 000 Bombern 22 Millionen Deutsche obdachlos machen könne. Das heißt, jeder Dritte säße auf der Straße. Dann gäbe es auch keinen Widerstandswillen mehr“; Friedrich 2003, 90.
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gar 1023 Personen. „Die Luftflotten der Allierten werfen 370 000 Tonnen Munition ab, Bomber Command schickt seine Maschinen zu 72 880 Feindflügen“ (Friedrich 2003, 168). In Bezug auf Karlsruhe schildert Friedrich die Situation folgendermaßen: „Das großherzogliche Residenzschloß wurde in dem britischen Feuerangriff vom 27. September 1944 zerstört. Der Brand währte zwei Tage lang und ließ allein die Umfassungsmauern übrig. Zur Feuerbekämpfung hatten die rationalen Schloßarchitekten den Schloßgartenteich vorgesehen. Für das stumpfe Unglück reichte das hin, nicht aber für die wohlkalkulierte Brandtechnik der Feuerwerker der Royal Air Force. [...] Karlsruhe hat siebenundfünfzig Luftangriffe erfahren, der schwerste am 4. Dezember 1944 wühlte einen siebzehn Kilometer langen, 3,3 Kilometer breiten Ost-West-Streifen auf, eine Wüstengerade der Geometrie, welche die Stadt zusammenhielt. [...] Von der Vernunftsstadt blieben 2,6 Millionen Kubikmeter Schutt übrig. Sie verlor 1754 Bürger“ (Friedrich 2003, 282ff). Der umfangsreichste Schaden betrifft die Wohnungen. In Baden und Württemberg (dem späteren Bundesland Baden-Württemberg) fielen die meisten Bomben auf Mannheim (31,3 % der Gesamtbombenlast), Stuttgart (31,2 %), Karlsruhe (14,5 %), Ulm (6,3 %), Freiburg (3,0 %) und Pforzheim (2,9 %) (Badura 1975, 7).
3.1.2 Die Situation in Karlsruhe seit 1945 Welche wohnungswirtschaftlichen Herausforderungen aufgrund der Kriegszerstörungen in Baden und Württemberg in der Nachkriegszeit zu bewältigen waren, belegt auch ein Blick in die „Wohnungszählung vom 29. Oktober 1946 in Württemberg-Baden - amtliche Zählungsergebnisse für das Land, die Landesbezirke, Kreise und Gemeinden“ (Württembergisches Statistisches Landesamt in Stuttgart/Badisches Statistisches Landesamt in Karlsruhe (Hrsg.) 1950): „Gezählt wurden alle selbständigen Wohnungen, ihre Räume und ihre Bewohner. [...] In Anstalten, Heimen, Hotels, Gasthäusern usw. wurden die darin untergebrachten Wohnungen der Leiter, Verwalter, Besitzer, Wirte usw. gezählt. Als selbständige Wohnung galten alle Räume, für die ein Mietvertrag mit dem Hausbesitzer besteht, ferner Dienst-, Werk- und andere mietfreie Wohnungen und Eigentümerwohnungen. Auch Baracken, Behelfswohnheime, Wohnwagen, Wohnschiffe, bewohnte Lauben und sonstige Behelfsunterkünfte (Kellerräume in zerstörten Häusern, Bunker u.a.m.) wurden als selbständige Wohnungen gezählt. Die von den Hauptmietern untervermieteten Räume und Wohnungsteile galten nicht als selbständige Wohnungen (a. a. O, II). Als ‚wohnwürdig‚ galten alle Wohnungen in Wohngebäuden, öffentlichen oder gewerblichen Gebäuden, Wirtschafts86
gebäuden, Baracken, Behelfsheimen und Wochenendhäusern, ferner auch Wohnungen, die in normalen Gebäuden aus Not zu behelfsmäßigen Wohnungen hergerichtet waren, soweit sie Räume mit über 6 qm Bodenfläche besaßen“. Auf dieser Grundlage ergab sich für Karlsruhe, dass insgesamt 44.226 wohnwürdige bewohnte Wohnungen gezählt wurden, davon waren • 42.926 in Wohngebäuden, • 799 in gewerblichen und öffentlichen Gebäuden, • 222 in Baracken sowie • 279 in Behelfsheimen und Wochenendhäusern. Abbildung 5: Wohnwürdige bewohnte Wohnungen in Karlsruhe 1950
Quelle: Württembergisches Statistisches Landesamt in Stuttgart/Badisches Statistisches Landesamt in Karlsruhe (Hrsg.) 1950
Demgegenüber wurden 368 wohnunwürdige bewohnte Wohnungen ermittelt, davon waren • 22 in Wohnlauben, • 184 in zerstörten Gebäuden, • 43 in sonstigen Notunterkünften sowie • 119 in normalen Gebäuden. 57,5% der 44.226 wohnwürdigen Wohnungen waren mit nur einem Haushalt belegt. Im Vergleich zu Mannheim (55,1%), Heidelberg (55,1%), Pforzheim (42,4%), Stuttgart (54,3%) und Ulm (51,1%) hatte Karlsruhe den 87
vergleichsweise günstigsten Wert diesbezüglich aufzuweisen. Von den badischen und württembergischen Stadtkreisen war lediglich Heilbronn mit 58,0% geringfügig günstiger ausgewiesen. Bei der Quote der Haushalte ohne eigene wohnwürdige Ganz- oder Teilwohnung hatte Karlsruhe im Vergleich den günstigsten Wert: Karlsruhe 14,1%, Heidelberg 18,8%, Heilbronn 20,2%, Mannheim 20,5%, Stuttgart 22,9%, Pforzheim 29,2% sowie Ulm 32,4%. Abbildung 6: Haushalte ohne eigene wohnwürdige Wohnung 1945
Quelle: Württembergisches Statistisches Landesamt in Stuttgart/Badisches Statistisches Landesamt in Karlsruhe (Hrsg.) 1950
Die Ermittlung der Wohndichte in „vorübergehenden Notunterkünften (Flüchtlingslagern usw.)“ ergab für Baden und Württemberg eine Wohndichte von 1,7 % der Wohnbevölkerung. In Karlsruhe betrug diese Quote 1,2 % - 2123 Menschen lebten zum damaligen Zeitpunkt in dieser Form benachteiligender Wohnbedingungen. Dem Fazit der Autoren der Wohnungszählung von 1946 ist vor dem Hintergrund dieser wenigen zitierten eindrücklichen Daten nichts hinzuzufügen: Es ergab ein sehr ungünstiges Bild der Wohnverhältnisse.66 Das wohnungspolitische Leitbild, dem sich die Wohnungsunternehmen und die Bauwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg un66 „In
normalen Zeiten war es die Regel, dass eine Wohnung von einer Familie bewohnt wurde; zum Teil hatte die Familie auch Untermieter. Hier haben Krieg und Zusammenbruch gründlich Wandel geschaffen [...] Im ganzen ergab die Wohnungszählung vom 29. Oktober 1946 ein höchst unerfreuliches Bild der Wohnverhältnisse im Land Württemberg-Baden. In den Stadtkreisen führten das Ruhen der Bautätigkeit während der Kriegsjahre und die Kriegsschäden zu einer empfindlichen Wohnungsnot; für weite Kreise der Bevölkerung entstanden Wohnverhältnisse, die aus sozialen, gesundheitlichen und sittlichen Gründen auf die Dauer unhaltbar sind. [...] Diese Ausführungen kennzeichnen die Lage“; a. a. O. VIIIff.
88
terordneten, um das Wohnungsdefizit von ca. fünf Millionen Wohneinheiten zu beseitigen, sieht Hafner im ersten Wohnungsbaugesetz von 1950, in welchem in §1 der soziale Wohnungsbau, der so genannte „öffentlich geförderte Wohnungsbau“, als der „Bau von Wohnungen“, die „nach Größe, Ausstattung und Miete oder Belastung für breite Schichten des Volkes bestimmt und geeignet sind“, bezeichnet wird. Das Ergebnis hieraus war die höchste Produktionsquote an Wohnungen in der Geschichte Deutschlands. Hafner stellt diesem unbestritten quantitativen Erfolg gegenüber, dass in qualitativer Hinsicht Kritik angebracht erscheint: „Im Zusammenhang mit der Fünfziger-Jahre-Architektur werden vor allem Attribute wie Schlichtwohnungsbau und Kleinwohnungen benutzt. Das Ergebnis des Wohnungsbaus der sechziger Jahre manifestierte sich in so abschreckenden Beispielen wie dem Märkischen Viertel oder der Gropiusstadt. Oberflächlich betrachtet und im Vergleich mit den reformatorischen Großsiedlungen der Zwischenkriegszeit aus Berlin und Frankfurt, drängt sich das Vorurteil auf, der deutsche Nachkriegswohnungsbau sei von minder architektonischer Qualität gewesen“ (Hafner 1994, 11). Hafner ist in dem hier interessierenden Zusammenhang der Ansicht, dass dort, wo der Schlichtwohnungsbau entstand, es das Ergebnis einer Reihe von Sachzwängen gewesen sei. Der Nachkriegswohnungsbau kann in drei Entwicklungsphasen eingeteilt werden: 1. In eine Übergangsphase (1945-1949), die gekennzeichnet war durch die Verwaltung des Wohnungsmangels und der Trümmerbeseitigung; 2. in eine Phase der hohen Produktion von Sozialwohnungen (19491957), in der die Rate von Sozialwohnungsbau sehr hoch war, 3. in eine Phase der qualitativen Bedarfsdeckung (1957/1958-1970er Jahre), in der nach Verabschiedung des zweiten Wohnungsbaugesetzes die öffentliche Förderung von Wohnungen zugunsten einer verstärkten Förderung des Eigentums aufgegeben wurde. In dieser dritten Phase wich die quantitative zugunsten einer qualitativen Bedarfsdeckung. Dies bedeutete in der Wohnbaupraxis, dass größere, besser ausgestattete und solider gebaute Wohnungen produziert wurden. Hafners Arbeit bezieht sich auf den badischen und württembergischen Nachkriegswohnungsbau, so dass auch Karlsruher Wohngebiete wie die DammerstockSiedlung („vorzeigbare Architektur“) oder Kleinseeäcker („Einfachstwohnungen“) Erwähnung finden. In dem Kapitel „Von der Nissenhütte zum Montagehaus 1945 - 1948“ verdeutlicht Hafner den „Mentalitätswechsel“ bezüglich der Bedeutung von vor89
übergehenden Notunterkünften zu Dauereinrichtungen: Neuer Wohnraum wurde durch Umnutzung von Räumen, die bisher keinen Wohnzweck hatten (wie Dachgeschosse) geschaffen, der Bau von Baracken war sehr umstritten, da sie nur als Übergangslösung dienen sollten. Dennoch wurden die Barackensiedlungen, nach 1949 wertfreier „Einfachstbauten“ genannt, zur Dauereinrichtung für soziale Randgruppen.67 Die „Montagehausbewegung“ bezeichnet Hafner als „ein Kind der Not“. Montagehäuser waren eine „Erscheinung“ der Jahre 1946-1950. Diese Form einer unerprobten, kurzlebigen Bauform konnte sich in Karlsruhe wie in Deutschland insgesamt nicht durchsetzen. Mit der Stabilisierung der deutschen Wirtschaft 1949/1950, die u.a. eine ausreichende Versorgung der Bauwirtschaft mit allen Baustoffen gewährleistete, stand der Massivbauweise nichts mehr im Wege. Hafner greift zudem Mitscherlichs Kritik „Die Unwirtlichkeit der Städte“ auf und kommt zu dem Fazit: „Die ursprüngliche Idee des sozialen Wohnungsbaus, welche die breiten Schichten des Volkes aus ihren düsteren Mietskasernen herausholen und ihnen zu einer qualitätsvollen, menschlichen Wohnung verhelfen wollte, wird somit spätestens Mitte der sechziger Jahre zu Grabe getragen. Die gigantischen Wohnlandschaften des Märkischen Viertels haben mit diesen Ideen nichts mehr zu tun, sie sind nichts anderes als Massenmietshäuser des 20. Jahrhunderts. [...] Bedarfsdeckung allein schafft noch keine humane Wohnarchitektur“ (a.a.O., 417). In diesem Zusammenhang, nämlich hinsichtlich der von ihm als „Zweite Phase des Nachkriegswohnungsbaus“ etikettierten Zeitspanne von 1957 bis 1970, stellt Hafner fest, dass durch die deutsche Bauwirtschaft bis 1973 über 700.000 Neubauwohnungen geschaffen worden waren und das Vorkriegsniveau damit erreicht worden war.68 In diese Phase des Wohnungsbaus fielen auch 67 „Neuer
Wohnraum wurde primär durch die Umnutzung von Räumen geschaffen, die bisher keinem Wohnzweck gedient hatten. Hierzu gehörte der Ausbau von Dachgeschossen, Souterrains, Gartenhäusern, Laubenkolonien, Bunkern oder Baracken. Der Bau von Baracken war wie der Bunkerumbau und das Aufstellen von Nissenhütten sehr umstritten. Die meisten Städte und Gemeinden waren sich einig, dass diese Formen von Unterkünften nur eine Übergangslösung sein konnten. [...] In den ersten Nachkriegsjahren dienten die Baracken der Unterbringung von Obdachlosen aller sozialen Schichten, nach 1949 nannte man die Notunterkünfte wertneutraler ‚Einfachstbauten‘ und brachte in ihnen vorwiegend Mieter unter, gegen die seit längerer Zeit Räumungsurteile vorliegen, die aber nicht vollstreckt werden konnten, da kein Wohnraum nachweisbar war. Die Barackensiedlung wurde langfristig zur Dauerunterkunft für soziale Randgruppen“; Hafner 1994, 90ff. 68 „Ein eindeutiges Ende dieser zweiten Phase des deutschen Nachkriegswohnungsbaus gibt es nicht. Betrachtet man die Wohnbautätigkeit, so wird ein Bruch erst Mitte der siebziger Jahre sichtbar. 1973 hatte die deutsche Bauwirtschaft mit über 700.000 Neubauwohnungen einen absoluten Rekord aufgestellt. In der Folgezeit begann die
90
„utopische Konzepte“, wie z.B. der Entwurf einer Karlsruher „Rheinstadt“, die analog der Karlsruher „Waldstadt“ eine hochgeschossige, maximal verdichtete Bebauung mit 20.000 - 30.000 Bewohnerinnen und Bewohnern vorsah. In den achtziger Jahren beschäftigte man sich mit den Wohnproblemen der in den fünfziger und sechziger Jahren gebauten Siedlungen intensiver. Das Mühlburger Feld in Karlsruhe sei hierfür ein Beispiel. Hafner verweist auf Richrath, der in seiner Publikation „Das Mühlburger Feld in Karlsruhe - Beiträge zur Diskussion über die Siedlungen der fünfziger Jahre“ einen „Mängelbericht“ anführt: „Besiedlungsdauer und Altersaufbau, Wohnungsgröße und Sozialstruktur überlagern sich in ihren Auswirkungen auf Bevölkerungsstruktur und Siedlungsdichte. Sie verstärken in diesem Quartier die allgemein beobachteten Veränderungen: abnehmende Einwohnerzahlen, Haushaltsgrößen und Siedlungsdichten, zunehmender Anteil alter Jahrgänge und Ausländer“ (Richrath 1986, 15). Mit diesem Zitat wird deutlich, wie Bauliches und Soziales eine Einheit bilden. Interessant ist an diesem Punkt, wie aus wohnungswirtschaftlicher Sichtweise soziale Mängellagen thematisiert werden, folgt doch auf diese Phase sozialen Wohnungsbaus ein „kleinräumigerer Reflex“, der mit dem Begriff „Sozialer Brennpunkt“ bis heute ein Etikett für ein Kapitel sozialer Bemühungen bei der Erneuerung von Stadtvierteln, Quartieren und Wohngebieten geschaffen hat.
3.1.3 Die Entwicklung der Karlsruher Bevölkerung und des Wohnungsbaus Für Karlsruhe stellte sich die Nachkriegszeit wie folgt dar: Neben der unzureichenden Ernährung war in der Zeit unmittelbar nach dem II. Weltkrieg auch in Karlsruhe der Mangel an Wohnraum die größte Not. In den nach Kriegsende bewohnbaren 22.000 und den 5.000 teilweise bewohnbaren Wohnungen fanden etwa 60.000 Menschen Unterkunft. Von einst ca. 57.000 Wohnungen wurden durch die Kriegshandlungen 12.000 total zerstört, 18.300 schwer bzw. mittelschwer, 14.800 leicht beschädigt und 12.000 blieben unbeschädigt. Aufgrund der Rückkehr evakuierter Karlsruher Einwohner/innen, Kriegsheimkehrer und vertriebener Deutscher kam es zu eiProduktion zu sinken und erreichte Ende der siebziger Jahre wieder unmittelbares Nachkriegsniveau. Sozialer Wohnungsbau fand zu diesem Zeitpunkt kaum mehr statt, die Wohnbedarfsdeckung für breite Schichten war offiziell abgeschlossen“; a.a.O., 352.
91
nem drastisch ansteigenden Wachstum der Karlsruher Bevölkerung in den Jahren von 1945 bis 1948, siehe Tabelle 2. Tabelle 2: Entwicklung der Karlsruher Bevölkerung 1945-1948 Jahr
Zeitpunkt
Einwohner/innen
1945 1945 1945 1945 1945 1945 1946 1946 1946 1947 1948
April 15. Juni 30. Juli 24. August 16. Oktober 15. Dezember 5. April 26. Juli 9. Dezember 17. Dezember 31. Dezember
60.000 84.800 110.374 123.056 134.321 143.345 153.876 163.490 173.537 184.832 198.102
Quelle: Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1998c, 543
Die aufgeführten Daten zeigen, dass sich in Karlsruhe die Bevölkerung innerhalb von drei Jahren mehr als verdreifachte. Abbildung 7: Entwicklung der Karlsruher Bevölkerung 1945-1948
Quelle: Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1998c, 543
Dieses außergewöhnliche Bevölkerungswachstum führte bei der Wohnraumbelegung zu schwierigen Verhältnissen, wie ein Sachstandsbericht der Stadt Karlsruhe belegt: „Ein Dach über dem Kopf zu haben, was damals so viel hieß wie in einer ‚wohnwürdigen‚ Wohnung mit Familie zu leben, wurde zu einem elementaren Bedürfnis. Als ‚wohnwürdig‚ galten allerdings auch Wohnungen in Wirtschaftsgebäuden, Bunkern, Baracken, Behelfsheimen, 92
Wochenendhäusern und notdürftig hergerichtete Wohnungen mit mehr als sechs Quadratmetern Grundfläche. Viele lebten noch schlechter, d.h. wohnunwürdig in Ruinen oder Massenquartieren. Die Statistik erfasste allerdings nicht, dass viele Menschen durch die Überbelegung der Wohnungen dennoch wohnunwürdig untergebracht waren. In etwa 45% der Wohnungen mussten sich zwei und mehr Parteien eine Küche, ein Bad und ein WC teilen. Die Einquartierungen mussten häufig durch behördlichen oder gar polizeilichen Druck erzwungen werden. Das enge Zusammenleben von fremden Personen und Familien in einer Wohnung ohne individuellen Rückzugsbereich war zum wesentlichen Merkmal der Nachkriegswohnverhältnisse geworden. Erschwerend kam hinzu, dass es nur unzureichende Zuteilungen von Heizmaterial gab. Der harte Winter 1946/47 sorgte mit zugefrorenen Flüssen für Probleme beim Kohletransport. Strom- und Gassperrstunden waren die Folge“ (Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1998c, 543); (ähnlich Hafner 1994).69 Die Frage, was wohnwürdig ist, beinhaltet auch die soziale Kompenente (wie hier im Sachstandsbericht bezüglich der Privatsphäre ausgeführt). Reschl (1987) zählt als Ursachen der „neuen Wohnungsnot“ nach der soeben dargestellten „historischen Wohnungsnot“ in der Nachkriegszeit Anfang der 1980er Jahre auf: • die Neubautätigkeit im Wohnungsbau geht zurück, • es ist eine Verschiebung zu Lasten des Geschoßwohnungsbaus zu verzeichnen, • der Wohnungsbau verlagert sich aus den Städten in die weiteren Einzugsbereiche, • das staatliche Fördervolumen kommt zunehmend dem Eigenheimbau, nicht dem Mietwohnungsbau, zugute, • der Bestand an Altbaumietwohnungen wird zunehmend durch Umwandlung in Eigentumswohnungen oder Abriss reduziert, • mehr und mehr Mietwohnungen aus dem Sozialwohnungsbestand werden verkauft, • bebaubare Grundstücke werden spekulativ zurückgehalten. 69 Hafner
beschreibt die Ausgangslage für Karlsruhe im Jahre 1950 wie folgt: „Die Stadt hatte 1950 ca. 199.000 Einwohner. Mit einem Zerstörungsgrad von 25,8 % des Gebäudebestands war sie von den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs weit weniger stark in Mitleidenschaft gezogen worden, als die meisten anderen Städte vergleichbarer Größe. Allerdings fielen in Karlsruhe den Bombenangriffen überdurchschnittlich viele Wohnungen zum Opfer: 61,7 % aller Wohngebäude waren unbewohnbar geworden. Dies entsprach 35,0 % des Gesamtwohnungsbestands“; 1994, 266.
93
Mit Blick70 auf seinen anhand von vier Städten (Freiburg, Pforzheim, Reutlingen und Tübingen) untersuchten Zeitraum von 1945 bis 1982 beantwortet Reschl die Frage nach dem wohnungspolitischen Handlungsspielraum einer Kommune am Schluss seiner Ausführungen: „Es gibt tatsächlich einen kommunalen Handlungsspielraum, der die Gemeinde als selbstständigen Politikproduzenten ausweist. Und: Dieser Handlungsspielraum wird tatsächlich unterschiedlichen Zielvorstellungen entsprechend genutzt. Grauhans‚ Grundfrage aus dem Jahre 1972 ‚Ist Kommunalpolitik Kommunalpolitik?‚ kann also, was dieses Untersuchungsgebiet anbetrifft, bejaht werden“ (a.a.O., 248 ff.). Betont wird als zukünftige Aufgabe der Kommunen eine vielgestaltigere Stadtentwicklung; darin kann die Chance einer kommunal orientierten Politikwissenschaft gesehen werden, die im Sinne einer anwendungsorientierten Forschung die Entwicklung der Wohnungspolitik mit vergleichenden kommunalwissenschaftlichen Analysen begleitet. 3.1.4 Die Thematik „Wohnen“ im Karlsruher Gemeinderat und die Folgen Neben der Literatur, die die Nachkriegszeit in Karlsruhe behandelt, war es notwendig, die Wortprotokolle zu Sitzungen des Karlsruher Gemeinderates, bei denen die Thematik „Wohnen“ auf der Tagesordnung stand, zu sichten71 , besonders das „Verzeichnis derjenigen Anträge des Bürgermeisteramtes, über die in einer Stadtratsitzung entschieden werden muss und von denen im Hinblick auf ihre besondere Wichtigkeit Vervielfältigungen für die Stadtratsmitglieder gefertigt werden sollen“.72 Im Stadtarchiv der Stadt Karlsruhe existieren für die Zeit bis einschließlich 1970 handgeschriebene Verzeichnisse, die unter der soeben zitierten Über70 In
seiner Untersuchung stellt Reschl zunächst fest, dass das politikwissenschaftliche Interesse an der Wohnungspolitik gering sei. Eine Ursache hierfür sieht er u.a. „in dem wenig spektakulären Gegenstand, der zudem, in den Schnittpunkten von Politik, Verwaltung, Recht, Wirtschaft und Sozialpolitik liegend, sich nur spröde erschließt“; a.a.O., 8. 71 „Dokumentenanalysen empfehlen sich immer dann, wenn ein direkter Zugang durch Beobachten, Befragen oder Messen nicht möglich ist, trotzdem aber Material vorliegt. Dokumentenanalysen können aber vorteilhaft in jeden Forschungsplan eingebaut werden, sobald sich Quellen dazu anbieten“; Mayring 1993, 33. Mayring unterscheidet in Bezug auf den Erkenntniswert von Dokumenten die sechs Kriterien Art, äußere und innere Merkmale, Intendiertheit, Herkunft sowie Nähe zum Gegenstand; vgl. a.a.O., 32f. 72 So die Formulierung, die im Stadtarchiv der Stadt Karlsruhe verwendet wird.
94
schrift stehen. Bei Durchsicht dieser Quellen ergaben sich in diesem Zusammenhang interessierende 52 Tagesordnungspunkte, die die gesamtgesellschaftlichen (historischen) Rahmenbedingungen auf der kommunalen Ebene Karlsruhes widerspiegeln. Die Wohnraumversorgung war ein Schwerpunktthema, mit welchem sich der Karlsruher Gemeinderat in den NachkriegsJahrzehnten in seinen Sitzungen befasste, wie die Übersicht ausgewählter Tagesordnungspunkte in Tabelle 3 zeigt. In den Jahrzehnten nach 1970 sind es punktuelle Diskussionen zur Wohnraumversorgung, wie im Folgenden aufgezeigt wird. Zunächst soll nun aber auf das erste im Kontext dieser Arbeit besonders interessierende Programm eingegangen werden, das so genannte „Barackenräumungsprogramm“. Im Jahr 1964 sind zwei Tagesordnungspunkte in den Gemeinderatsprotokollen der Stadt Karlsruhe bezüglich benachteiligender Wohnbedingungen zu finden: „Wohnungsbauprogramm“ (9.4.1964) und „Bau von Einfachwohnungen; Barackenräumungsprogramm“ (15.7.1964). Eine Konzeption im Stile des „Obdachlosenprogramms"von 1974 oder des „Gesamtkonzepts Wohnungslosenhilfe ´97“ wurde nicht entwickelt. Zum so genannten „Barackenräumungsprogramm“ wurde keine Vorlage für den Gemeinderat erarbeitet, die neben den finanziellen Mitteln, die für die Umsetzung notwendig waren, weitere (z.B. sozialstrukturelle) Themenkreise behandelte. Deshalb ist es wichtig, das Wortprotokoll, das bei Sitzungen des Gemeinderates der Stadt Karlsruhe geführt wird, heranzuziehen. Aus diesem Wortprotokoll, das die Diskussion nachzeichnet, lassen sich Inhalte, die über die pekunären Aspekte hinausgehen, ableiten: Der damalige Oberbürgermeister Günter Klotz führte mit folgenden Worten in den Tagesordnungspunkt ein: „Meine Damen und Herren! Sie erinnern sich vielleicht noch, dass sie am 09. April 1964 bei der Verteilung der öffentlichen Mittel für den Wohnungsbau eine Grundsatzentscheidung dahingehend getroffen haben, dass die Stadt noch ein Wohnungsbauprogramm für Barackenräumung und schwer unterzubringende Mieter im Jahr 1964/65 durchführen soll. Wir hatten die üblichen Schwierigkeiten in der Beschaffung von Grundstücken - das ist zwischenzeitlich überwunden -, und nun sollen in diesem und im folgenden Jahr 285 solcher Wohnungen bebaut werden, und zwar nach einem einheitlichen Grundriss in einer Art; wie sie in anderen Städten schon gebaut wurden und sich dort nach unseren Erkundigungen bewährt haben.“ Nach diesen einleitenden Worten fasste Oberbürgermeister Klotz die finanziellen Notwendigkeiten für den Bau der genannten Wohnungen in der Karl-Flößer-Straße, am Zanderweg, in der Valentinstraße, an der 95
Tabelle 3: Ausgewählte Tagesordnungspunkte Gemeinderat Stadt Karlsruhe Beraten in der Stadtratssitzung am
Kurze Inhaltsangabe
Vorlagennummer
11.03.1952
Erstellung von 96 Einfachwohnungen in Massivbauweise und in Holzbauweise an der Durmersheimer Straße und im Gewann „Bunkeläcker“
35
10.03.1953
Bau von Einfachstwohnungen
31
23.06.1953
Maßnahmen zur Unterbringung von Obdachlosen
79
22.09.1953
Wohnungsbauprogramm 1953 der Volkswohnung, Mühlburger Feld
121
22.09.1953
Förderung des privaten Wohnungsbaus bzw. Wiederaufbau durch die Stadt
122
02.02.1954
Haushaltsplanung 1953; Bewilligung einer außerplanmäßigen Ausgabe in Höhe von 19.500 DM bei Konto 121-962-6 für Verbesserungen am Landfahrerplatz
36
09.03.1954
Wohnungsbauprogramm 1954 der Volkswohnung
76
28.09.1954
Stadteigener Wohnungsbau; hier Errichtung von 108 Wohnungen für wirtschaftlich Schwache, kinderreiche Familien, Familien an der Sudetenstraße
157
01.02.1955
Vergebung der Erd-, Beton-, Stahlbeton- und Maurerarbeiten für den städtischen Wohnungsbau (Wohnungen für Kinderreiche) im Rintheimer Feld und an der Durmersheimer Straße
222
31.10.1955
Stadteigener Wohnungsbau; hier Erstellung von weiteren Einfachwohnungen
327
25.09.1963
Schaffung eines Wohnwagenabstellplatzes für Schausteller und Landfahrer
64
09.04.1964
Wohnungsbauprogramm 1964
125
15.07.1964
Bau von Einfachwohnungen; Barackenräumungsprogramm
159
27.04.1965
Wohnungsbauprogramm 1965
243
06.07.1965
Einrichtung eines Wohnwagenabstellplatzes für die Schausteller und Landfahrer
267
12.07.1966
Wohnungsbauprogramm 1966
85
02.05.1967
Bau von 37 Einfachwohnungen im Gewann Kleinseeäcker; hier Bereitstellung der Mittel
135
19.09.1967
Erlass einer Satzung über die Einrichtung und Benutzung des Wohnwagenabstellplatzes der Stadt Karlsruhe in KarlsruheHagsfeld
188
16.01.1968
Bildung eines Wohnungsfürsorgeausschusses
241
01.07.1969
Bericht über die Situation auf dem Gebiet des Wohnungswesens im Stadtkreis Karlsruhe
124
15.09.1970
Neubauten der Bellenäckersiedlung
266
Quelle: Stadt Karlsruhe/Stadtarchiv (eigene Bearbeitung)
96
Kirschstraße und an der Blumentorstraße zusammen. Auf die Einlassung des Herrn Oberbürgermeisters Klotz meldeten sich zunächst die Stadträtinnen Menzinger und Landgraf, die beide im Namen ihrer Fraktionen bemängelten, dass „Brause- und Badeanlagen“ erst zu einem späteren Zeitpunkt eingebaut werden sollen, worauf Oberbürgermeister Klotz antwortete: „Diejenigen, die mit einem gewissen Kreis zur Bevölkerung, der teilweise dahinkommt, zu tun haben, raten eben ab, diese Brause gleich einzubauen. Sie könnte nämlich eine Woche später schon ausgebaut und verkauft sein, um es deutlich zu sagen. Aber ich meine, wir geben dem Hochbauamt und der Volkswohnung den Auftrag, das in jenen Fällen individuell zu handhaben, wo man sieht, man kann es wagen“. Hier lässt sich aufzeigen, dass negativ gemachte Erfahrungen oder die Annahme über negatives Verhalten der Mieter die Wohnungs(bau)politik beeinflusst haben. Für die hier vorgelegte Arbeit von großem Interesse ist die Frage nach sozialstrukturellen Gegebenheiten zu den damals existierenden Baracken. Der Stadtrat Schwarz stellte die Frage, welche der Baracken wegfallen könnten.73 Das Anliegen beantwortete Oberbürgermeister Klotz wie folgt: „Wir haben also Baracken am Dohlenweg mit 170 Familien und 850 Personen, in Kleinoberfeld mit 65 Familien und 300 Personen, an der Grötzinger Straße mit 6 Familien und 28 Personen, an der Jägerhausstraße mit 6 Familien und 28 Personen, an der Unterwiesenstraße mit 2 Familien und 9 Personen, zusammen also rd. 1200 Personen, die noch in Baracken wohnen“. Aus diesem dokumentierten Dialog können Kenntnisse zumindest über Orte und Anzahl der dort wohnenden Familien, die in Karlsruhe Baracken beherbergten, gewonnen werden. Auch die Frage von Durchmischung bzw. Konzentration wurde in dieser Gemeinderatssitzung angesprochen: „Bei dieser begrüßenswerten Vorlage - begrüßenswert deshalb, weil Baracken verschwinden sollen - muss man noch beachten, was m. E. bedenklich ist: Ich sehe hier den einen Punkt „Oberreut“; in diesem Wohngebiet sollen 128 Einheiten dieser Art untergebracht werden; ich glaube - da gibt es auch gewisse Erfahrungen aus anderen Städten -, es ist besser, wenn wir in diesen Fällen nicht zu stark konzentrieren, sondern mischen“, formulierte Stadtrat Laule und appellierte an die Solidargemeinschaft „Stadt“, wenn er damals sagte: „Vor 73 „Herr
Oberbürgermeister, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte in der Ältestenratssitzung die Frage gestellt, welche Baracken nun künftig wegfallen könnten. Es wurde uns in Aussicht gestellt, dass uns heute Herr Direktor Kühn eine Aufstellung geben wird. Ich wäre dankbar, wenn uns diese zu Teil werden könnte. Aus ihr müsste zu ersehen sein, in welchem Ausmaß sich die Baracken durch diese Maßnahmen verringern.“
97
allem möchte ich davor warnen, - und wir werden uns nachher gerade bei den Kinderspielplätzen, wo es darauf ankommt, wieder darüber unterhalten müssen -, dass wir davon ausgehen, es seien andere Menschen als wir und wir hätten sie nicht gerne in unserer Nähe. Es ist immer wieder so, dass wir mit diesen Leuten zusammenleben müssen und sie trotz alle dem zu uns gehören. Ich würde also vor jedem Versuch warnen, sie abzuschieben.“ Es ging also auch um die Gefahr der „Ghettoisierung“, einen Aspekt der Segregation. Der Gemeinderat nahm die Vorlage einstimmig an. Bei Durchsicht der Tagesordnungen des Gemeinderats der Stadt Karlsruhe nach 1945 stellte sich heraus, dass am 2.5.1967 in einer Sitzung sich unter dem Punkt 1 der Tagesordnung „Bau von 37 Einfachwohnungen im Gewann Kleinseeäcker; hier Bereitstellung der Mittel“ nochmals ausführlicher auf das Barackenräumungsprogramm vom 15.7.1964 bezogen wurde.74 Bemerkenswert war der sich nach diesen einführenden Worten anschließende Diskussionsbeitrag des späteren Sozialbürgermeisters Karlsruhes und damaligen Stadtrats Vöhringer, der zudem ein Fünf-Punkte-Programm vorschlug: „Fest steht, dass diese Einfachwohnungen dringend erforderlich sind, dass die Barackenunterkünfte endlich einmal ganz verschwinden sollten. [...] Logischerweise ist das allerdings nur eine Folgerung aus dem Beschluss des Gemeinderates vom 15.07.1964, denn dort haben wir uns bereits festgelegt, Einfachst- und so genannte Übergangswohnungen zu bauen. 1. „Eine Massierung von Obdachlosenwohnungen ist für eine Resozialisierung erschwerend. Wir bitten deshalb die Stadtverwaltung, bei Planungen keine zu großen Blocks in einem Siedlungsgebiet zusammenzufassen. 2. Wir bitten zu prüfen, ob nicht bereits bei den zum Bau vorgesehenen 37 Einfachwohnungen eine andere als die so genannte H-Bau-Form mit Laubengängen möglich ist. 3. Die Stadtverwaltung soll prüfen, inwieweit der Althausbesitz der Stadt, der in ganz Karlsruhe verteilt ist, stärker für die soziale Wohnungsfürsorge genutzt werden kann. 74 Gemäß
dem Wortprotokoll der damaligen Sitzung führte Baudirektor Stephan zur Einführung in den Tagesordnungspunkt aus: „Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren! 1964 standen in Karlsruhe ca. 400 städtische Wohnungen in Baracken zur Verfügung. Baulich waren sie in außerordentlich schlechtem Zustand. Darüber hinaus gab es auch noch Wohnungen in massiven Gebäuden, die aber abgebrochen werden mussten. Das war ein Grund für den Gemeinderat am 15.07.1964 zu beschließen, man möge doch 285 Einfachwohnungen bauen.“
98
4. Soziale und gesundheitsfürsorgerische Gesichtspunkte sollen den Vorrang vor wohnungspolitischen Erwägungen haben. 5. Ein Wohnungsfürsorgeausschuss sollte gebildet werden, der die zur Verfügung stehenden Einfachst- und Übergangswohnungen nach sozialen gesundheitsfürsorgerischen Gesichtpunkten vergibt.“ Die Bildung eines Wohnungsfürsorgeausschusses sollte am 20.6.1967 als fünfter Tagsordnungspunkt der 30. Sitzung des Gemeinderates der Stadt Karlsruhe erfolgen. Seinerzeit konnte wegen der Zusammensetzung dieses Ausschusses keine Einigkeit erzielt werden, weil von Stadträtin Menzinger angeregt worden war, dass Vertreter der karitativen Organisation zu der Beratung dieses Ausschusses zugezogen werden sollten. In seiner Sitzung am 16.1.1968 unter Tagesordnungspunkt 9 erfolgte dann die Bildung eines Wohnungsfürsorgeausschusses. Dieser „soll also das tun, was seinerzeit hier vorgetragen worden ist, nämlich bei der Belegung von Einfach- und Übergangswohnungen mitwirken und Grundsätze für die Wohnungspolitik erarbeiten, wobei es selbstverständlich ist, dass dringende Einzelfälle jederzeit durch die Verwaltung erledigt werden können. Die Fürsorger und Fürsorgerinnen werden zu den Beratungen ohne Stimmrecht hinzugezogen“, so in oben genannten Wortprotokoll nachzulesen. Der Ausschuss bestand aus vier ordentlichen Mitgliedern und Stellvertretern sowie dem Direktor des Amtes für Wohnungswesen, dem Direktor des Sozialamtes. Als ständige Berater ohne Stimmrecht wurden Vertreter/innen des Caritasverbandes, des Evangelischen Gemeindedienstes und der Arbeiterwohlfahrt mit Sitz ausgestattet. Den Vorsitz hatte der Baubürgermeister. Die Gemeinderatswortprotokolle belegen, dass sich in den 1960er Jahren in Karlsruhe auf politischer Ebene kontinuierlich der in dieser Arbeit behandelten Thematik gewidmet wurde. Dies sollte in den folgenden Jahrzehnten seine Fortsetzung finden.
3.2 Die Phase 1970-1990: „Soziale Brennpunkte“ In Bezug auf den in diesem Kapitel betrachteten Zeitraum stellen Keim/Neff für das Jahr 2000 unter der Überschrift „Die Rückkehr städtischer Armutsquartiere“ fest: „Ein Vierteljahrhundert liegt es zurück, dass die großstädtischen Programme zur Beseitigung von Baracken- und Obdachlosensiedlungen als erfolgreich beendet angesehen wurden und ihre Bewohnerinnen und Bewohner zumeist in Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus ‚umgesetzt‚ waren. Armut galt zu dieser Zeit als individuelles Handicap, das räumlich 99
nicht sichtbar und letztlich durch sozialstaatliche Versorgung und sozialarbeiterische Betreuung in den Griff zu bekommen sei. Damit schien die Phase, in der die [...] ‚schlechten Viertel‚ zu jeder Großstadt gehörten, weitgehend überwunden zu sein. Doch spätestens seit Ende der 80er Jahre wissen wir aus kommunalen Armutsberichten von den wachsenden materiellen Notlagen und der verschärften sozial-räumlichen Segregation in großen Städten“ (Keim/Neff 2000b, 249). 3.2.1 Rehabilitationsprogramme Was Keim/Neff als „erfolgreich beendet“ bezeichnen, bezieht sich auf den damaligen kommunalen Umgang mit Baracken- und Obdachlosensiedlungen dergestalt, dass mit Hilfe von Umsetzungsmaßnahmen „Problemfamilien“ dezentral mit Wohnraum versorgt wurden. In vielen Fällen konnte die „Problemhaftigkeit“ allein durch diese Form sozialer (Re-)Integration behoben werden. „Praxisbegleitende Effektivitätsforschung“ (Vaskovics/Weins 1979, 114) als sinnvoll erachtender, entsprechende kommunale Bemühungen überprüfender, aber auch als „Rehabilitationsprogramme“ fordernder Wissenschaftler trat in diesen Jahren Vaskovics in Erscheinung. Vaskovics arbeitete in den 1970er Jahren praxisbezogen an der Thematik „Soziale Eingliederung von Randgruppen durch Wohnungsmaßnahmen dargestellt am Beispiel der Umsetzung von Obdachlosen"(vgl. BMRBS (Hrsg.) 1980b). Unter „Wohnungsmaßnahmen“ wurde im damaligen Zusammenhang die räumliche Streuung von „Problemfamilien“ im Sinne von „Desegregation“ verstanden.75 Den Erfolg solcher Arbeit belegt folgendes Zitat: „Nach Auskunft der Wohnungsbehörden kommt es selten vor, dass in Normalwohnungen umgesetzte Familien wiederum in einer Obdachlosensiedlung landen (die befragten Mitarbeiter schätzen diesen Anteil ‚Rückkehrer‚ auf ca. 5 %). [...] Aufgrund der Ergebnisse dieser Studie („Soziale Eingliederung von Randgruppen durch Wohnungsmaßnahmen dargestellt am Beispiel der Umsetzung von Obdachlosen“, M.L.) kann die Wirkung von Umsetzungsmaßnahmen - soweit diese eine räumliche Streuung (Desegregation) und eine Verbesserung der Wohnverhältnisse für Obdachlose mit sich bringt - sehr positiv beurteilt werden. Infolge dieser Erfahrungen empfehlen wir die Unterstützung und verstärkte Vorantreibung dieser Maßnahme im Interesse der sozialen Wiedereingliederung von Obdachlosen“ (a.a.O., 13ff). Die Arbeit von Vaskovics findet auch im Karlsruher „Rahmenprogramm zur Rehabilitation 75 An
dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Aufwertung von Wohngebieten auch Abriss derselben bedeuten kann; vgl. etwa DIE ZEIT 16/1999 („Wo die Armut abgerissen wird“).
100
sozialer Randgruppen in Karlsruhe - Obdachlosenprogramm“ Erwähnung (vgl. Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1974, 1980). Vaskovics/Weins haben ihrerseits das Karlsruher Programm in „Stand der Forschung und Hilfen für Obdachlose“ berücksichtigt.76 Damit wird deutlich, dass Karlsruhe mit seinem vor 30 Jahren aufgelegten „Obdachlosenprogramm“ auch überregional Beachtung gefunden hat.
3.2.2 Das Obdachlosenprogramm in Karlsruhe Das „Obdachlosenprogramm“ wurde am 16.01.1973 vom Gemeinderat mit folgender Beschlussformel ins Leben gerufen: „Das Bürgermeisteramt wird mit der Bildung eines ressortübergreifenden Fachausschusses zur Erarbeitung eines Rehabilitationsprogramms für soziale Randgruppen beauftragt. Die Federführung liegt in den Händen der Sozial- und Jugendbehörde. Bis zur Vorlage des Programms werden keine Übergangs- und Einfachstwohnungen mehr gebaut“ (1973, 4). Der Fachausschuss bestand aus Ämtern der Stadt Karlsruhe, Vertreterinnen und Vertretern von Wohlfahrtsverbänden sowie des Arbeitskreises „Soziale Randgruppen“ der Jungsozialisten, Vertreter/innen der Volkswohnung Karlsruhe GmbH sowie Bürgerinitiativen, die sich mit der Obdachlosenhilfe zum damaligen Zeitpunkt intensiv beschäftigten. Zwei Ziele gab sich der Fachausschuss: a) Obdachlosigkeit zu verhindern und b) Obdachlosigkeit zu beseitigen. In evaluatorischem Sinne beschloss der Fachausschuss zu prüfen, „welche Punkte des Rahmenprogramms verwirklicht werden konnten, aus welchen Gründen eine Verwirklichung nicht möglich war und welche Erfahrungen gewonnen wurden“ (a.a.O.). Das Programm definierte als „obdachlose“ Personen, „die mit dem Verlust ihrer Wohnung oder Unterkunft bedroht sind, ohne in der Lage zu sein, aus eigener Kraft diese Bedrohung abzuwenden“ sowie „alle Bewohner von Einfachstunterkünften und Übergangswohnungen“ (a.a.O., 5). Nach dieser Definition wurden „Unterkünfte sozialer Randgruppen in Karlsruhe“ identifiziert und in das Obdachlosenprogramm aufgenommen. In einer allgemeinen Übersicht stellten sich zum damaligen Zeitpunkt diese Unterkünfte (N=639) wie in Tabelle 4 gezeigt dar. 76 „In
einigen Städten wurden die Einzelinitiativen im Bereich der Obdachlosenhilfe zu einem Obdachlosenprogramm bzw. -plan zusammengefaßt. Solche Programme sind aus 10 Städten bekannt geworden: Berlin, Bonn, Frankfurt, Karlsruhe, Köln, Leverkusen, München, Osnabrück, Trier und Wolfsburg“; Vaskovics 1979, 252.
101
Tabelle 4: Unterkünfte sozialer Randgruppen 1973 Zweckgebundene, frei finanzierte Wohnungen einfacher Ausstattung für schwer unterzubringende Familien (Volkswohnung GmbH Karlsruhe) Bernsteinstr. 5/7 48 Wohnungen Eugen-Geck-Str. 3a/3b 100 Wohnungen Gesamt n=148 Wohnungen Einfachwohnungen Lindenallee Gewann Bellenäcker Gewann Kleinseeäcker Durmersheimer Str. 52-62 Zeppelinstr. 52-54b Wachhausstr. 14-14d Gewann Elfmorgenbruch 20-23 Gesamt Obdachlosenheime Adlerstr. 33 Scheffelstr. 37 Gesamt
120 142 73 46 20 28 28 n=457
Wohnungen Wohnungen Wohnungen Wohnungen Wohnungen Wohnungen Wohnungen Wohnungen
13 21 n=34
Räume Räume Räume
Quelle: Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1973, 6
Zu den Obdachlosenheimen und Wohnungen der Volkswohnung GmbH Karlsruhe gibt das Obdachlosenprogramm keine Auskunft, was die Bevölkerungs- bzw. Sozialstruktur der Wohngebiete anbelangt. Dasselbe gilt für die stadteigenen Einfachwohnungen der Durmersheimer Straße und Zeppelinstraße. 1973 lebten im Gewann Bellenäcker 584 Bewohner/innen (47 % der schulpflichtigen unter den 355 Kindern und Jugendlichen besuchten eine Sonderschule). Im Gewann Kleinseeäcker lebten 334 Personen (66 % der schulpflichtigen unter den 180 Kindern und Jugendlichen besuchten eine Sonderschule). In der Wachhausstraße 14-14d wohnten 96 Personen. Die Anzahl der Kinder und Jugendlichen betrug 34, wovon 60 % im schulpflichtigen Alter eine Sonderschule besuchten. Im Gewann Elfmorgenbruch, der letzten Barackensiedlung, lebten 85 Personen, davon 37 Kinder und Jugendliche. 59 % der Kinder und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter besuchten eine Sonderschule.77 Die Empfehlungen des gebildeten Fachausschusses sahen prinzipiell organisatorische Maßnahmen, vorbeugende Maßnahmen sowie Hilfemaßnahmen in den Siedlungen vor. 77 Diese
Werte entsprechen auch den in anderen Städten festgestellten; vgl. etwa Klein 1973.
102
Tabelle 5: Sonderschulquote in Obdachlosensiedlungen 1973. 1973 Bellenäcker Kleinseeäcker Wachhausstr. Elfmorgenbruch Durchschnitt
Personen gesamt
ins-
Kinder und Jugendliche
584 334 96 85 276
Sonderschulbesuch
355 180 34 37 151,5
47 66 60 59 58
% % % % %
Quelle: Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1973, 7ff
3.2.3 Maßnahmenkatalog Unter organisatorischen Maßnahmen finden sich Punkte wie: • Verstärkte Koordinierung der Dienststellen der Stadt Karlsruhe sowie der freien Verbände, Bürgerinitiativen, • Bildung einer Arbeitsgemeinschaft „Obdachlosenhilfe“, • ressortübergreifendes Arbeitsteam, • Bildung einer Obdachlosenkoordinatorenstelle Karlsruhe/Sozial- und Jugendbehörde.
bei
der
Stadt
Unter vorbeugenden Maßnahmen finden sich, • Maßnahmen der präventiven Wohnungslosenhilfe, mit dem Ziel der frühzeitigen Verhinderung von Obdachlosigkeit, • die Beseitigung von Baracken und Einfachstunterkünften, • Bereitstellung von Sozialwohnungen („kein Neubau von Obdachlosensiedlungen“), • Einweisungsstopp in Obdachlosensiedlungen, • Hilfemaßnahmen in den Siedlungen, • Auflockerung der Siedlungen, • Stärkung der Gemeinwesenarbeit, • Förderung der vorschulischen Einrichtungen, • schulische und berufliche Hilfen, • Angebote im Freizeitbereich, • Hilfen im sozialpädagogischen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Bereich, 103
• Selbstverwaltung in den Siedlungen sowie • Maßnahmen der Wiedereingliederung von Obdachlosen. In diesem Bereich findet sich auch die besondere Rücksichtnahme auf Minoritäten: „Den besonderen Lebensgewohnheiten von Minoritäten (Zigeuner, Landfahrer) ist in Wohnbereichen der sozialpädagogischen Betreuung Rechnung zu tragen“(a.a.O., 18). In der „abschließenden Bemerkung zum Rahmenprgramm“ findet sich eine Kritik an der Landesregierung, die wie bereits zu sehen war, auch aktuell beim Städtebauförderungsprogramm „Soziale Stadt“ zu Tage tritt.78 1980 wurden mit der Schrift „Sechs Jahre Rahmenprogramm zur Rehabilitation sozialer Randgruppen in Karlsruhe - Obdachlosenprogramm“ im Sinne einer formativen Evaluation die genannten Ziele geprüft (vgl. Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1980): „Gegenüber dem Ausgangsjahr 1973 ist die Zahl der in den Randsiedlungen lebenden Bewohner bis 31.12.1980 um annähernd 640 Personen = 43 % geschrumpft. Dass sich innerhalb eines solchen relativ kurzen Zeitraums eine derart erfreuliche Entwicklung ergab, ist einerseits dem generellen Einweisungsstopp nach Ziffer 4.2.4 des Rahmenprogramms, andererseits aber den anhaltenden Bemühungen aller beteiligten Ämter und Behörden an der Verwirklichung der Ziele des Obdachlosenprogramms zu verdanken. Erfreulich ist auch die Tatsache, dass viele Bewohner der Siedlungen in Folge des in den letzten Jahren etwas entspannteren Wohnungsmarktes den Mut und die Bereitschaft gefunden und die Möglichkeiten genutzt haben, selbst dem Milieu der Obdachlosensiedlung zu entkommen“ (Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1980, 5 ff). Aufgeführt wird in dem Evaluationsbericht die statistische Entwicklung der Obdachlosensiedlungen: Wie für das Jahr 1974 fehlen auch hier detaillierte Angaben zu den Wohngebieten Eugen-Geck-Straße 3a/b sowie Bersteinstraße 5/7, die im Eigentum der Volkswohnung GmbH waren. Es findet sich lediglich der Hinweis, dass zum 01.04.1975 470 Personen in den Gebieten lebten. Interessant ist die getroffene Feststellung: „Zwar wurde gelegentlich eine Überführung dieser Häuser in städtisches Eigentum in Erwägung gezogen; die Häuser befinden 78 „Zur
Erfüllung der sozialen Verpflichtungen gegenüber den gesellschaftlich benachteiligten Gruppen sind die Kommunen auch auf Mithilfe der Länder angewiesen. Der Fachausschuss bittet daher die Stadtverwaltung, ihren Einfluss bei der Landesregierung verstärkt zur Geltung zu bringen, um auch in Baden-Württemberg - wie dies in anderen Ländern bereits geschehen - die Erstellung von Richtlinien für die Obdachlosenhilfe und die Intensivierung der Hilfemaßnahmen auf Landesebene zu erreichen“; a. a. O., 19.
104
Tabelle 6: Bevölkerungsentwicklung Obdachlosensiedlungen 1973-1980
Quelle: Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1980, 5
sich aber heute nach wie vor noch im Eigentum der Volkswohnung gGmbH und können somit nicht unmittelbar in die für die Durchführung des Obdachlosenprogramms jeweils beschlossenen Maßnahmen der Stadt Karlsruhe einbezogen werden“ (a. a. O., 4). Die gegenteilige Entwicklung sollte zu einem späteren Zeitpunkt eintreten: Nicht die Stadt Karlsruhe übernahm die beiden Wohngebiete, sondern die Volkswohnungs-GmbH übernahm alle Wohngebiete, die als „Obdachlosensiedlungen“ galten. Das Wohngebiet Elfmorgenbruch, das Barackenunterkünfte für die Bewohner/innen als Wohnung bereitstellte, wurde abgebrochen, in das Programm dafür die „Alte Karlsruher Straße“ aufgenommen (siehe auch Tab. 6). Die Bilanz der Sozial- und Jugendbehörde tätigt auch Aussagen zu weitergehenden Punkten. So wird festgestellt, dass sich die Einrichtung eines Obdachlosenkoordinators bewährt habe, das ressortübergreifende Arbeitsteam allerdings nicht in der Lage war, „die ihm zugedachten Aufgaben wirkungsvoll und zeitnah zu erfüllen“ (a. a. O., 23). Als Grund hierfür wird die Größe des Teams, das bei der einzelfallbezogenen Aufgabe und der Dringlichkeitsbedürftigkeit der Entscheidungen nicht flexibel genug war, genannt. Auch wurde die Arbeitsgemeinschaft „Obdachlosenhilfe“ 1978 aufgelöst. Dafür wurde 1980 ein Fachausschuss „Obdachlosenhilfe“ auf Initiative der Liga der Freien Wohlfahrtspflege gegründet, der insbesondere eine stärkerer Bürgerbeteiligung in den sozialen Randsiedlungen anstrebte. Als sehr erfolgreich erwies sich das Instrument des Einweisungsstopps, wie bereits zu lesen war. 105
Ebenfalls als positiv listet der Bericht die Tatsache auf, dass allen Bewohnerinnen und Bewohnern zwischenzeitlich zum damaligen Zeitpunkt reguläre Mietverhältnisse mit Mietverträgen zugegangen waren. In seiner Zusammenfassung sieht der Bericht die Notwendigkeit, „die sozialpädagogische Arbeit „in verstärktem Maße weiterzuentwickeln, nachdem nunmehr die wohnungsmäßigen Voraussetzungen erfüllt sind“ (a.a.O., 27). Wozu die sozialpädagogische Profession u.a. benötigt wurde, stellten Vaskovics/Weins so dar: "Nach unserer Untersuchung kann bis zu einer Obdachlosenquote von 0,2 % die Obdachlosigkeit durch Umsetzungsmaßnahmen ohne sozialpädagogisch begleitende Maßnahmen reduziert werden. [...] Bei einer Obdachlosenquote von unter 0,2 % sind sozialpädagogische und sozialtherapeutische sowie medizinische Maßnahmen notwendig"(a.a.O., 232). In einer Fußnote ergänzen die Autoren, die in der Beschreibung des Karlsruher Programms besonders die Prävention, Wiedereingliederung, Auflockerung der Siedlungen, Verbesserung der Infrastruktur und Gewährung nachgehender Hilfen (vgl. 1979, 252 ff) hervorheben, dass die wissenschaftlichen Aussagen durch Erfahrungen mehrerer Städte unterstützt wird.79 Mit Blick auf das Gesagte ist für Karlsruhe festzustellen, dass die Obdachlosenquote, bezieht man die ehemalige Obdachlosensiedlung ein, zum 31.12. 2002 bei 0,2% liegt. Die Berechnung der Karlsruher Obdachlosenquote im Sinne Vaskovics stellt sich wie folgt dar: Personen Ehemalige Obdachlosensiedlung mit sozialpädagogischer Betreuung Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe Gesamt
200 310 510
Festgestellt werden kann80 : Der Prozentsatz entspricht ohne die ehemalige Obdachlosensiedlung, die noch sozialpädagogisch vor Ort begleitet wird, ca. 0,1% der Gesamtbevölkerung Karlsruhes.81 Dies liegt unter dem Wert, den Vaskovics als Grenzwert beziffert hat. 79 "Die
Aussagen der sozialwissenschaftlichen Literatur werden durch die Erfahrungen mehrerer Städte gestützt (z.B. in Karlsruhe, Mönchengladbach, Nürnberg, Trier)"; a.a.O., 239. 80 Um die Anzahl derjenigen, die im Sinne Vaskovics nur mit Hilfe sozialarbeiterischer Mittel in „normalen“ Wohnungsbestand integrierbar sind, quantifizieren zu können, wäre eine eigene Untersuchung notwendig. 81 Laut Statistisches Jahrbuch der Stadt Karlsruhe: 292.688 wohnberechtigte Personen; Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 2003, 46.
106
3.2.4 Der Begriff „Sozialer Brennpunkt“ Ende der 1970er Jahre wurde der Begriff „Sozialer Brennpunkt“ in die Diskussion eingeführt. Am häufigsten wird hierzu der Deutsche Städtetag mit seinem Beitrag „Hinweise zur Arbeit in Sozialen Brennpunkten“ (1979) zitiert. Darin steht zu lesen, dass sich soziale Benachteiligungen auch auf andere Gruppen der Wohnbevölkerung ausdehnen: „Die Entwicklung in vielen Städten, insbesondere seit Mitte der 60er Jahre, zeigt, dass die typischen sozialen Benachteiligungen von Bewohnern klassischer Obdachlosensiedlungen nicht auf diese Bevölkerungsgruppen beschränkt sind. [...] Neben die bisherige Obdachlosigkeit ist eine andere soziale Randständigkeit getreten, die nach dem Zurückdrängen des Wohnraumdefizits aufgrund anderer neuer Faktoren Familien, die bisher nicht zum Kreis der Obdachlosen zählen, in erheblichem Ausmaß sozial benachteiligt. [...] Das Zusammentreffen von baulichen Ausstattungsmängeln in bestimmten Stadtvierteln mit vorhandenen sozialen Benachteiligungen bestimmter Bevölkerungsgruppen führt zu einem Gesamtprozess sozio-ökologischer Randständigkeit [...]. Nach bisheriger Erfahrung erscheint der Begriff „Sozialer Brennpunkt“ am ehesten geeignet, die angesprochene Problematik zu erfassen: Soziale Brennpunkte sind Wohngebiete, in denen Faktoren, die die Lebensbedingungen ihrer Bewohner/innen und insbesondere die Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen negativ bestimmen, gehäuft auftreten. Der Begriff „Sozialer Brennpunkt“ ist jedoch vor allem aus psychologischen Gründen in der öffentlichen Diskussion mit Vorsicht zu benutzen. Er darf insbesondere nicht als offizielle Bezeichnung ganzen Stadtvierteln übergestülpt werden; das würde zu einer Stigmatisierung dieser Wohngebiete führen, so genannte Normalfamilien würden dadurch veranlasst, dieses Viertel zu verlassen bzw. sich dort nicht anzusiedeln. „Sozialer Brennpunkt“ ist lediglich eine Kurzformel, eine Fachdefinition als Arbeitshilfe für die mit der Problematik befassten Institutionen“ (a.a.O., 9 ff). Damit warnte der Deutsche Städtetag 1979 (vergeblich) davor, ohne hierbei besondere Vorsicht walten zu lassen, in der öffentlichen Diskussion den Begriff „Sozialer Brennpunkt“ 82 zu benutzen. Im Kontext der sozialen Stadtteilentwicklung des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ wird in der Regel von „Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf“, „Stadtteilen mit Entwicklungspriorität“ oder „Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf“ gesprochen. Diese Bezeichnungen sollen einer weiteren Stigmatisierung der betroffenen Stadtteile entgegenwirken. Kritisiert werden muss in 82 Vgl.
auch die Erläuterungen zur Begrifflichkeit „Sozialer Brennpunkt“ im Kontext der Sozialgeschichte Deutschlands von Schäfers 1990b.
107
diesem Zusammenhang die Tatsache, dass das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend eine Programmplattform „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten“ (E&C) überschrieben hat (vgl. BMFSFJ 1999). Die Regiestelle von „E&C“ wurde an die Stiftung SPI (Berlin), die den Terminus „Soziale Brennpunkte“ in ihren zahlreichen Veröffentlichungen - in der Regel Dokumentationen von Fachtagungen oder Expertisen (vgl. etwa Stiftung SPI (Hrsg.) 2002a, 2002b, 2003) - verwendet, delegiert.
3.3 Die 1990er Jahre: „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt“ 3.3.1 Kommunale Programme für die „soziale Stadt“ Aus Nordrhein-Westfalen kam zu Beginn der 1990er Jahre der Impuls, den die jeweiligen Wohngebiete stigmatisierenden Begriff „Soziale Brennpunkte“ durch die neue Bezeichnung „Wohngebiete mit Erneuerungsbedarf“ zu ersetzen (vgl. MASSKS (Hrsg.) 1998). Das Programm „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ wurde 1993 als interministerielles Handlungsprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen ins Leben gerufen, weshalb der Untertitel in der aktuellen Publikation „Ressortübergreifendes Handlungsprogramm der Landesregierung Nordrhein-Westfalen“ (1998) lautet. Diese ressortübergreifende Vorgehensweise, die bei der Aufwertung insgesamt zunächst 26, später 28, in das Programm aufgenommener benachteiligter Stadtteile umfasste, hatte als integrierter Politikansatz viel Beachtung gefunden. Dies drückt sich auch in der Programmbeschreibung „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt“ der Bundesregierung aus, in welcher nicht nur dieser Aspekt, sondern ein zweiter, was das NRWProgramm von 1993 auszeichnet, Berücksichtigung gefunden hat: die Beteiligung der Bürger/innen in den jeweiligen Stadtteilen. Durch die Unterhaltung eines „Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen“ ermöglicht die Landesregierung NRW eine Forschungs- und Begleitforschungsarbeit, die in Deutschland ihresgleichen sucht. Dies drückt sich u.a. in einer großen Anzahl von Publikationen aus. Grundlegende Veröffentlichungen stellen die Arbeiten zu den Programmgrundlagen (vgl. 1998a) sowie die Evaluation des Handlungsprogramms „Analyse der Umsetzung des integrierten Handlungsprogramms für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ (vgl. 2000) dar. Einzelne Dokumentationen stellen die einzelnen Stadtteile vor (vgl. 108
etwa 1998a, 1998b). Andere Bände stellen methodische Ansätze in den Mittelpunkt der Betrachtungen (vgl. etwa 1997, 1999, 2001a, 2001c); dieses auch in Kooperation mit Trägern der freien Jugendhilfe, wie das Beispiel „Bewegung, Spiel und Sport mit Mädchen und Jungen in Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf“, das gemeinsam mit der Sportjugend NRW erarbeitet wurde, belegt (vgl. 2001d sowie Sportjugend NRW (Hrsg.) 1999). Eine große Rolle spielen innerhalb des Landesprogramms Fortbildungsveranstaltungen, die vor allem dem interkommunalen Austausch dienen. Diese werden dokumentiert, wie z.B. die Workshops „Monitoring und Controlling in Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf“ (vgl. 2001b) und „Ziele und Indikatoren in der integrierten Stadtteilerneuerung“ (vgl. 2003) zeigen. 3.3.2 „Überforderte Nachbarschaften“ Ein zweiter bedeutsamer Impuls in den 1990er Jahren für das BundLänder-Programm „Soziale Stadt“ kommt aus der Wohnungswirtschaft. Der GdW Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen e.V. veröffentlichte zwei Jahre vor der Starterkonferenz „Soziale Stadt“ (vgl. Difu (Hrsg.) 1999a) eine von ihm in Auftrag gegebene Publikation „Überforderte Nachbarschaften - zwei sozialwissenschaftliche Studien über Wohnquartiere in den alten und neuen Bundesländern“. „Überforderte Nachbarschaften“ (vgl. 1998a) richtet den Blick „neu“ von der Beseitigung städtebaulicher Missstände auf die Bewohner/innen und die Gemeinwesen, die sie bilden. Der GdW Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen e.V. zeigte sich dabei auch in der Vergangenheit der sozialen Perspektive aufgeschlossen, wie seine Beiträge belegen (vgl. etwa 1998a, 1998b, 1999a, 2000, 2001a, 2001b). Jürgen Steinert, 1997 Präsident des GdW, stellt im Vorwort von „Überforderte Nachbarschaften“ fest, dass das Hauptproblem in den untersuchten Siedlungen in den alten Bundesländern wohl die zurückgehende Anzahl von Belegungsbindungen im sozialen Wohnungsbau und die daraus resultierende zunehmende Konzentration von schwach oder gar nicht mehr in den Arbeitsmarkt integrierten Haushalten, die vielfach noch durch eine verfehlte Belegungspolitik der Kommunen verstärkt wird, ist. Nach Einschätzung Steinerts bzw. der Verfasser der Studie wird sich der Sozialwohnungsbestand im Vergleich zu den im Jahre 1980 existierenden vier Millionen Sozialwohnungen im Jahr 2000 auf zwei Millionen Wohnungen halbiert haben und fünf 109
Jahre später wird es in der alten Bundesrepublik wahrscheinlich nur noch eine Million Sozialwohnungen geben. Gleichzeitig wachse aber der Bedarf an Sozialwohnungen aus vielen Gründen. Sind aktuell im Jahresdurchschnitt 4,5 Millionen Arbeitslose zu verzeichnen, waren es Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre lediglich eine Million Arbeitslose. Vor diesem Hintergrund kommt Steinert zu dem Schluss: „Bei einem weiteren Auslaufen der Bindungen ohne vergleichbaren Neubau wird sich das Verhältnis von Arbeitslosen zu Sozialwohnungen weiter dramatisch verschlechtern“. Steinert vertritt die Auffassung, dass die schlechte wirtschaftliche Situation der einzelnen Haushalte, die in Großsiedlungen mit Sozialwohnungen anzutreffen sind, dort insgesamt zu einem „Milieu der Ärmlichkeit“ führen wird. Nach Steinert sind nicht nur alle Beteiligten (Mieter, Wohnungsunternehmer, Kommunen, Wohlfahrtsverbände) im Hinblick auf die Konflikte zwischen den Bewohnern trotz erheblicher Anstrengungen überfordert, sondern auch • viele einheimische Bewohner, denen im Zusammenleben mit Ausländern und Aussiedlern ein hohes Maß an Integrationsleistung und Konfliktbewältigung abverlangt wird, • jugendliche Aussiedler und Ausländer, die in eine ihnen unbekannte großstädtische Umgebung kommen, • aber auch die Kommunen, das Sozialstaatssystem, welches neue, nachhaltig wirksame Ungleichheiten hervorbringt, das aus dem Jahre 1956 stammende Wohnungsbaurecht und damit der Sozialwohnungsbau herkömmlicher Prägung und die Wohnungsunternehmen, weil sie als Verwalter der ungelösten Sozialstaatsprobleme die Ursachen nicht bekämpfen können (vgl. 1998a, 4f). Steinert weist darauf hin, dass die Wohnungsunternehmen die Hauptursachen der in den Wohnquartieren der alten Länder zu beobachtenden Erosionstendenzen, die seiner Meinung nach gesamtgesellschaftlicher und gesamtwirtschaftlicher Natur sind, nicht allein angemessen bearbeiten können. Um den sozialen Frieden in den Siedlungen erhalten zu können, seien innovative Lösungen vor Ort gefragt. Die dafür notwenigen Mittel seien aber aus Mieterträgen nicht zu erwirtschaften. Die Autoren der Studie sind der Ansicht, dass die Schaffung von Arbeit in den ostdeutschen Großsiedlungen wie in den alten Bundesländern als zentrales gesellschaftspolitisches und volkswirtschaftliches Thema der Zukunft immense Bedeutung für den perspektivischen Strukturwandel der 110
Wohnungswirtschaft vom Dienstleister zum nachhaltigen Gestalter und Bewirtschafter komplexer Lebensumwelten erlangen wird. Steinert knüpft an diese Aussage sein Fazit an: Aufgabe der Politik muss es sein, funktionierende Nachbarschaften zu sichern und zu erhalten, da dies für die Zukunft nachhaltige positive Folgen hat, die sich nicht in finanziellen Größen abbilden lässt.83 Die untersuchten Großsiedlungen seien aber keineswegs mit dem Etikett „Problemgebiete“ zu versehen, denn: • es gibt nur wenige Bewohner, die anderen durch bewusst störende oder gar strafwürdige Verhaltensweise Lasten aufbürden, • die meisten auftretenden Belastungen sind Folgen der Belegung durch eine zu heterogene Bewohnerschaft sowie der zu großen Bandbreite unterschiedlicher Lebensstile unter städtebaulich oft widrigen Bedingungen. Deshalb wählten die Autoren für die gesamte Studie die Überschrift „Überforderte Nachbarschaften“. Die traditionelle Ungleichheitsanalyse der Wohnungspolitik geht von einfachen quantitativen Versorgungsmaßstäben (Wohnflächenunterschiede je Person) und den Ausstattungsmerkmalen (Bad, Zentralheizung etc.) aus. Die Autoren stellen dagegen fest: „Die Untersuchung der überforderten Nachbarschaften verdeutlicht, dass sich die wirklichen Benachteiligungen mit diesen einfachen Indikatoren nicht mehr beschreiben lassen: Heute ergeben sich Benachteiligungen auch aus den Lebensbeziehungen im Alltag, aus der Form des Zusammenlebens. Wer sich als einheimischer Deutscher plötzlich in einem Haus wiederfindet, in dem 2/3 der Bewohner nicht richtig deutsch sprechen, der fühlt sich verlassen, ausgebeutet und benachteiligt“ (a.a.O., 31). Mit Blick auf Segregation wird deutlich, dass der Sozialwohnungsbestand in vielen Städten zu Segregation führt: „Zu den Grundlagen der 83 „Die
Politik muss sich in der neuen Legislaturperiode verstärkt den wohnungs- und gesellschaftspolitischen Aufgaben der Zukunft, also der Bestandserhaltung und der Sicherung funktionierender Nachbarschaften, stellen und zur Bewahrung des sozialen Friedens in unseren Wohnquartieren ihren Beitrag leisten. [...] Bevor man sich also an die politische Umsetzung macht, sollte zuerst die Erkenntnis ins öffentliche Bewusstsein dringen, dass hier mit Hilfe vergleichsweise geringer Beträge Investitionen in die Zukunft getätigt werden können, deren Einzelerträge sich zwar nicht in Heller und Pfennig ausdrücken lassen, die aber insgesamt gesehen eine hohe gesellschaftliche Rendite in Form stabiler Wohnverhältnisse abwerfen werden. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern häufig allein um den koordinierten Einsatz heute bereits vorhandener Mittel“; a.a.O., 5ff.
111
Untersuchungser-gebnisse gehört die Erkenntnis, dass der Sozialwohnungsbestand vieler Städte zum segregierten Bestand verkümmert. Am freien Wohnungsmarkt werden die genannten Mietergruppen vor allem in Phasen hoher Knappheit entweder auf sehr ungünstige Lagen abgedrängt oder sie zahlen, weil nur so Vorbehalte überwunden werden können, deutlich überhöhte Mieten. [...] Die Funktionsweise der Wohnungsmärkte führt dazu, dass in schlechten Wohngebieten Haushalte mit geringer Durchsetzungskraft und geringem Einkommen in hoher Konzentration zusammenleben“ (a.a.O.). Mit dem Gesagten wird verständlich, warum die Autoren in diesem Zusammenhang auch von „verschärfter Segregation“ sprechen. Als besonders problematisch sehen die Autoren die Quote der Langzeitarbeitslosen an. Sie sind der Ansicht, dass im Ergebnis ihre Bindungen an die gesellschaftlichen Werte abnehmen, Aggressivität, Drogensucht und Kriminalität durch Arbeitslosigkeit begünstigt werden. Die Langzeitarbeitslosigkeit wirke in den untersuchten Sozialwohnungsbeständen als Problemverstärker. Zum Thema Einwanderung stellen die Autoren fest, dass die einheimischen Bewohner zu Fremden im eigenen Land werden, durch eine einseitige Belegungspolitik der Kommunen.84 Zu diesem Schluss kommen die Autoren nicht zuletzt, weil ihre untersuchten Gebiete fast alle durch eine hohe Konzentration von Aussiedlern, Ausländern, Arbeitslosen und auch allein erziehenden Frauen gekennzeichnet sind. Gleichwohl stellen sie fest, dass es nicht nur Unzufriedenheit in den Wohnsiedlungen gibt. Es gibt viele zufriedene Bewohner, die im öffentlichen Auftreten allerdings keine Rolle spielen. In stabilen Häusern sind die Bewohner meistens älter, zufrieden sind auch viele junge Mütter. Die besonders Unzufriedenen findet man unter den Altbewohnern, deren unmittelbare Lebenswelt sich radikal verändert. Im Folgenden benennen die Autoren die wichtigen Bewohnergruppen: die Rentner, deutsche Familien aus traditionellen Arbeitermilieus (stabile Alteinwohner), ausländische Dauerbewohner als starke ökonomische Gruppe mit Anpassungssorgen, neu zugezogene Familien, darunter Aussiedler, arbeitslose Männer, aggressive Jugendliche, orientierungslose Jugendliche, Sozialhilfeempfänger, Alleinerziehende (vgl. a.a.O., 107ff). Die Autoren sind der Meinung, dass die staatlich verordnete Segregation zu Ergebnissen führt, die schlimmer sind als die auf völlig freien Märkten. Es besteht ein wachsendes Dilemma, ohne dass eine Lösung in Sicht ist. Das 84 „Die
dominante Architektur- und Städtebaukritik der 70er Jahre hat sich verlaufen. Inzwischen steht die Kritik an der Zusammensetzung der Bewohner als Folge einer einseitigen Belegungspolitik der Kommunen im Vordergrund“; a.a.O., 105.
112
zentrale Problem der Belegung besteht in einem Zielkonflikt zwischen dem Interesse des einzelnen Bewohners an einer Sozialwohnung und dem Interesse an einer Nachbarschaft mit hoher Lebensqualität. Die Studie „Überforderte Nachbarschaften“ ist im Grunde ein Problemaufriss, der als Impuls für die politische Makroebene ebenso zu verstehen ist wie als Impuls für Kommunen zur Überprüfung des eigenen Standpunktes. 3.3.3 Soziale Stadtteilentwicklung Bevor der bedeutsamste Impuls der 1990er Jahre für soziale Stadtteilentwicklung dargestellt wird, soll auf ein Armutsbekämpfungsprogramm „Soziale Stadtteilentwicklung“, dem ein „Gutachten zur Planung einer Stadtentwicklung für einen sozialen Ausgleich“ (Dangschat et al. 1993) der Stadtentwicklungsbehörde („STEB“) der Freien und Hansestadt Hamburg 1999 zugrunde lag, hingewiesen werden. „Mit diesem Programm sollen alle Kräfte gebündelt werden, um die Bürgerinnen und Bürger in benachteiligten Quartieren in die Lage zu versetzen, ihr direktes Wohnumfeld stärker selbst zu gestalten. Der Prozeß der aktiven Beteiligung am Stadtteilleben soll durch so genannte „Quartiersmanager“ in Bewegung gesetzt werden, die die Bewohnerinnen und Bewohner bei der Artikulation ihrer Interessen unterstützen. Und dadurch dass die Verwaltung ihr Engagement abgestimmt auf ausgewählte Quartiere richtet, können trotz knapper öffentlicher Kassen Spielräume geschaffen werden“ (a.a.O., 3). Wie das Beispiel Hamburg zeigt, gingen Impulse der 1990er Jahre für die soziale Stadtteilentwicklung auch von einzelnen Großstädten85 aus, was auch dadurch dokumentiert ist, dass bei Kongressen „best-practicePräsentationen“ von Städten wie z.B. Hamburg auf den Programmen standen. Eine Tagung, die große Beachtung in der Fachöffentlichkeit gefunden hat, datiert vom 6.5.1999. Veranstaltet vom GdW Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen e.V. stellten nach den Eröffnungsreden (GdWPräsident Steiner, Bundespräsident Herzog) Hamburg und Berlin ihre Maßnahmen sozialer Stadtteilentwicklung dar. Den über 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmern - vorwiegend aus der Wohnungswirtschaft - wurde darüber hinaus im Beitrag von Präsident Steiner unter dem Stichwort „Soziales Management“ neben Rostock Karlsruhe als Beispiel gelungener Vernetzung der Arbeitsfelder „Wohnen“ und „Soziales“ genannt.86 85 Siehe
„Rettet unsere Städte jetzt! Das Manifest der Oberbürgermeister“; Kronawitter (Hrsg.) 1994. 86 „Es gibt auch bei uns durchaus schon Ansätze, zum Beispiel in den Städten Karlsruhe und Rostock, wo bereits Koordinierungsmodelle entwickelt worden sind. Das ist gut
113
Nach diesem Kongress war es dann so weit. Der Regierungswechsel brachte eine Koalitionsvereinbarung87 hervor, die die Absicht der Bundesregierung dokumentierte, in der Städtebauförderung einen nachhaltigen sozialen Impuls zu implementieren. Selbstverständnis, Argumentation und wesentliche Inhalte des neuen Ansatzes in der deutschen Städtebauförderungsprogrammatik „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt“ stellen sich wie folgt dar (vgl. auch Difu (Hrsg.) 1999a, 1999b, 2000a, 2000b, 2003, Becker/Löhr 2000, Becker 2001, StadtBauwelt 12/2003): Mit dem Start des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ hat die Politik auf den gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel in Europa reagiert. Die Veränderung der sozialen und räumlichen Strukturen in den Städten stellt Stadterneuerung und Stadtentwicklung vor eine große Herausforderung. Bund und Länder haben auf die Notwendigkeit, die Programmatik und die Verfahren der Städtebauförderung gegenüber den komplexer gewordenen Problemlagen in vielen Stadtteilen reagiert. Hohe Arbeitslosigkeit (insbesondere Langzeitarbeitslose), die Zunahme einkommensschwacher Haushalte und die zunehmende Perspektivlosigkeit unter Jugendlichen, die vielerorts einhergeht mit wachsender Jugendarbeitslosigkeit, fehlender beruflicher Chancen und steigender Kriminalität junger Menschen, verändern die Rahmenbedingungen88 der Städte gravierend. Diese Entwicklung führt zu sozialen Problemlagen, die nicht gleichmäßig über das Stadtgebiet verteilt sind. Vielmehr entstehen sozial benachteiligte Stadtteile, in denen massiert „sozial problematisch“ zu apostrophierende Bewohnerstrukturen vorzufinden sind. Oftmals sind diese Wohngebiete mit einem sie kennzeichnenden Stigma bzw. Etikett versehen.
und zur Nachahmung empfohlen“; 1999b, 22. steht unter Punkt 8 zu lesen: „Wir wollen mehr bezahlbare Wohnungen und mehr Lebensqualität in unseren Städten und Gemeinden. Die neue Bundesregierung wird den Wohnungs- und Städtebau besser verzahnen, die nachhaltige Siedlungsentwicklung stärken, der Bauwirtschaft Beschäftigungsimpulse geben und neue Schwerpunkte setzen: Die Städtebauförderung wird verstärkt. Sie verknüpft verschiedene Politikfelder mit einem neuen integrativen Ansatz. Sie wird ergänzt durch ein Programm ‚Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt‘ für Innenstädte, Großsiedlungen und Stadtteilzentren.“ 88 Zur vergleichenden Beschreibung von Rahmenbedingungen verschiedener Großstädte vgl. etwa Alisch 1994, Breckner/Heinelt 1998, Zimmermann 1996. 87 Darin
114
3.3.4 Integrative Handlungsansätze Um die komplizierten Problemlagen in benachteiligten Wohngebieten lösen zu können, sind integrative Handlungsansätze notwendig.89 Die Förderung rein baulicher Maßnahmen reicht nicht mehr aus. Die staatlichen Finanzhilfen, die jeweils für sich auf bauliche, wirtschaftliche oder soziale Verbesserungen in städtebaulichen Problemlagen abzielen, müssen deshalb auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene ressortübergreifend koordiniert und in ihrem Einsatz aufeinander abgestimmt werden. Bund, Länder und Gemeinden müssen gemeinsam als vordringliche Aufgabe die wachsenden sozialen Problemlagen in den Städten als nachhaltige Stadtentwicklungspolitik verstehen und Lösungsstrategien entwickeln. Künftig wird es darauf ankommen, investive und nicht investive Maßnahmen mit dem Schwerpunkt der städtebaulichen Erneuerung „aus einer Hand“ zu kombinieren und zu integrieren. Dazu zählen folgende Politikfelder: Wohnungswesen und Wohnbauförderung, Verkehr, Arbeits- und Ausbildungsförderung, Sicherheit, Frauen, Familien- und Jugendhilfe, Wirtschaft, Umwelt sowie Kultur, Sport und Freizeit. Die Bündelung öffentlicher, aber auch privater Ressourcen, in sozial belasteten Wohngebieten folgt dem Gebot, die immer knapper werdenden Mittel öffentlicher Haushalte effizient einzusetzen. Ziel des neuen Programmansatzes ist es, die Lebenssituation der betroffenen Menschen in Stadtteilen mit Entwicklungsbedarf durch eine aktive und integrativ wirkende Stadtentwicklungspolitik nachhaltig zu verbessern. Mittelund langfristig soll das Programm nachhaltig bewirken: • Beschäftigungsimpulse durch Stärkung der lokalen Wirtschaft, Schaffung und Sicherung örtlicher Arbeitsplätze sowie Qualifizierung von Arbeitssuchenden, • soziale Impulse durch Verbesserung der Wohnverhältnisse, vor allem im Wohnungsbestand; Unterstützung des sozialen Miteinanders, Wiederherstellung von gemischten Bewohnerstrukturen durch Verbesserung der Attraktivität für Zuziehende, Schaffung von mehr Sicherheit im öffentlichen Raum, Verbesserung des Infrastrukturangebotes, • ökologische Impulse durch ökologisches Planen, Bauen und Wohnen im Bestand, 89 Integrierte
Handlungskonzepte wurden auch unter der Perspektive „Dezentrale Förderpolitik“ bereits lange schon gefordert; vgl. etwa Froessler 1994, 8ff, Echter/Hintzsche (Hrsg.) 2000, 7ff.
115
• politische Impulse durch den integrativen Einsatz verschiedener Politikfelder. Abbildung 8: Verzahnung unterschiedlicher Politikfelder
Quelle: Döhne/Walter 1999, 26 (eigene Darstellung)
Der neue stadtentwicklungspolitische Ansatz konzentriert sich auf die Problemgebiete in innerstädtischen oder innenstadtnahen Quartieren in benachteiligten Regionen mit nicht modernisierter Bausubstanz und deutlich unterdurchschnittlicher Umweltqualität, großen Wohnsiedlungen aus der Nachkriegszeit, einschließlich so genannter „Plattensiedlungen“ in den neuen Bundesländern, Gebieten, die z.B. aufgrund ihrer peripheren Lage und zum Teil als Folge dieser Lage durch ihre Einwohnerstruktur vergleichbare Defizite aufweisen. Der Bund stellte zum ersten Mal für das Jahr 1999 100 Mio. DM bereit. Zusammen mit den Komplementärmitteln der Länder und Gemeinden umfasste das Programm ein öffentliches Finanzvolumen von 300 Mio. DM. Im Jahr 2000 wurde das Programm in etwa gleicher Höhe fortgesetzt, ab 2002 erhöhte der Bund seinen Anteil um 50 % auf 150 Mio. DM. Im Rahmen der Begleitung des Programms „Die soziale Stadt“ hat das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) ein bundesweites Netzwerk, das dem Informationsaustausch und der Kommunikation zwischen allen im Rahmen des Programms aktiven Personen, Initiativen und Institutionen dienen soll, aufgebaut. Zentrale, bundesweite Veranstaltungen, wie z.B. die Auftaktveranstaltung am 5. Juli 1999 in Berlin (vgl. Difu (Hrsg.) 1999a) und die so genannte „Starterkonferenz“ am 1./2. März 2000 in Berlin (vgl. Difu (Hrsg.) 2000b), vervollständigen die Palette der Aktivitäten innerhalb des bundesweiten Netzwerks. Für das Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die so116
ziale Stadt“ investierte das BMVBW in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Bau („ARGEBAU“) rund zwei Jahre Vorarbeit, um einen Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative „Soziale Stadt“ zu entwerfen (vgl. 2000). Abbildung 9: Maßnahmenbereiche der Fördermittel „Soziale Stadt“
Quelle: Döhne/Walter 1999, 26 (eigene Darstellung)
3.3.5 Umsetzung auf Länderebene Wie schwer man sich mit innovativen Programmen tun kann, dokumentiert das Verhalten der baden-württembergischen Landesregierung, die sich zunächst nicht beteiligen wollte, was u.a. dazu führte, dass die entsprechende Bund-Länder-Verwaltungsvereinbarung zuletzt von Baden-Württemberg unterschrieben wurde (die Baden-Württembergische Landesregierung war ursprünglich der Meinung, dass es in Baden-Württemberg für ein Programm „Soziale Stadt“ keinen Bedarf gibt). Als Kernpunkte dieser Vereinbarung gelten: 117
• Die bisherige Städtebauförderung wird durch das Programm „Soziale Stadt“ ergänzt, mit anderen stadtentwicklungspolitisch relevanten Politikfeldern verbunden und daraus ein neuer integrierter Ansatz entwickelt. • Ziel dieses umfassenden Programmansatzes ist es, investive und nicht investive Maßnahmen aus verschiedenen Programmen der EU, des Bundes und der Länder mit dem Schwerpunkt der städtebaulichen Erneuerung zu kombinieren und zu integrieren, um über ein Programm „aus einer Hand“ zu verfügen. • Als Grundlage für die Programmumsetzung „Soziale Stadt“ ist von den teilnehmenden Kommunen ein auf Fortschreibung angelegtes, gebietsbezogenes integriertes Handlungskonzept aufzustellen (vgl. Difu (Hrsg.) 2002a, 18f). In einigen Bundesländern wurden interministerielle Arbeitsgruppen zur Förderung der ressortübergreifenden Arbeit eingesetzt, die BadenWürttembergische Landesregierung begnügte sich mit einem Kabinettsbeschluss, „der die Ressorts dazu auffordert, ihre Programme bevorzugt in Gebieten der Sozialen Stadt einzusetzen“ (a.a.O., 25). Böhm-Ott bilanziert für die bisherige Umsetzung von „Sozialer Stadt“ in Baden-Württemberg: „Die Programme ‚Soziale Stadt‚ und ‚E&C‚ sind in Baden-Württemberg nur an wenigen Standorten entwickelt und auch landesseitig nur wenig unterstützt und koordiniert. Dies führt zu einer erheblichen Konzentration der Mittel an diesen Standorten und stark entwickelten Projekten (Mannheim, Stuttgart und Singen). Kennzeichnend ist, dass es sich bei diesen Standorten immer auch um besonders aktive Standorte vorgängiger Landesprogramme handelt. Insofern lässt sich festhalten, dass die Tradition der Landesförderung den Prozess der ‚Sozialen Stadt‚ und der ‚E&C‘ Netzwerke stützt, wo sie denn existieren“ (2002, 15). Die Übersicht der bundesweit in das Programm aufgenommenen Gebiete deutet die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Handhabung in den einzelnen Bundesländern an.90 1999 wurden 161 Stadtteile in 124 Städten und Gemeinden ins Programm aufgenommen, 2001 sind es 249 Stadtteile in 184 Städten und Gemeinden. In den Programmgebieten leben etwa 1,8 Mio. Einwohner/innen. Die neuen Bundesländer sind mit einem Fünftel der Gebiete beteiligt. Die durchschnittliche Einwohnerzahl der Gebiete beträgt 9.200. Das einwohnerschwächste Gebiet SchwabachSchwalbenweg hat nur 60 und das einwohnerstärkste Dortmund/nördliche Innenstadt rund 54.000 Einwohner (vgl. a.a.O., 19ff). 90 Vgl.
118
www.sozialestadt.de.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend setzt mit seinem Programm „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten (E&C)“ einen neuen Schwerpunkt, um jungen Menschen aus Stadtteilen mit Entwicklungsbedarf bessere Voraussetzungen für ihre Zukunft zu eröffnen. Die Probleme, die sich den Kindern und Jugendlichen in schwierigen städtischen Lebensräumen stellen, machen deutlich, warum derartige Stadtteile als „soziale Brennpunkte“ verstanden werden. Hier finden sich gehäuft Familien mit multiplen Problemlagen, Hauptschulen, an denen Unterricht kaum mehr oder nur unter erschwerten Bedingungen stattfindet, Schulverweigerung, Jugendliche, die sich im zweiten Ausbildungs- und Arbeitsmarkt wiederfinden, Kinder und Jugendliche, die „Straßenkarrieren“ beginnen, steigende Jugendkriminalität und in einigen regionalen Räumen eine sich ausbreitende rechtsextremistische Szene. Durch die Vernetzung und Bündelung unterschiedlicher Ressourcen soll ein Beitrag zur weiteren Entwicklung dieser Sozialräume geleistet werden. Das Programm E&C fügt sich in den städtischen Sozialräumen in das Städtebauförderungsprogramm „Die soziale Stadt“ ein.91
Folgende Themenschwerpunkte werden durch das Programm E&C, das auch im elften Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (vgl. BMFSFJ 2002) Berücksichtigung findet, u.a. in Angriff genommen: Prävention gegen Sucht und Drogen, Prävention gegen Kriminalität, Extremismus und Gewalt, Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern sowie Integration von Migrantenjugendlichen. Auch im Bereich Sport, um ein Beispiel herauszugreifen, setzt das Programm „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten“ eine starke Förderung im Bereich Jugendsozialarbeit in den Mittelpunkt.92
91 E&C
beschreibt Ausgangslagen für Handlungsoptionen von Jugendhilfe, wie sie z.B. Dangschat vorgelegt hat; vgl. etwa 1998a. 92 Sport ist ein Medium, zu dem Kinder und Jugendliche leicht Zugang finden und in dem nicht nur sportliche, sondern auch soziale Ziele gesetzt und erreicht werden können. Ausgewählte Projekte mit Modellcharakter wurden im Rahmen eines Fachforums der Deutschen Sportjugend und des Bundesjugendministeriums 1999 in Berlin vorgestellt. Dabei war auch die Sportjugend Karlsruhe vertreten (vgl. Deutsche Sportjugend (Hrsg.) 2000a, 2000b). Wie am Beispiel des Sports ersichtlich wurde, ist Sinn und Zweck des Programms „E&C“ zunächst, aus den bestehenden Maßnahmen und Möglichkeiten diejenigen zu identifizieren, die für Entwicklung und Chancen junger Menschen in diesen Sozialräumen besonders geeignet sind.
119
3.4 Die Entwicklung der „sozialen Stadt“ Karlsruhe in den 1990er Jahren Drei Jahre vor Implementierung von „Sozialer Stadt“ auf Bundesebene wurde in der Sitzung am 05. Juni 1996 im Sozialausschuss des Karlsruher Gemeinderats ein Diskussionspapier mit dem Titel „Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe - Wohnraumversorgung besonderer Zielgruppen“ (Stadt Karlsruhe 1996b) vorgestellt. Darin war in Form einer Fortschreibung der Konzepte zur Wohnraumversorgung eine Zusammenfassung aller Maßnahmen der Wohnungslosenhilfe enthalten. In konzeptioneller Hinsicht knüpfte das Diskussionspapier an das Obdachlosenprogramm der 1970er Jahre an, weil es die institutionelle Wohnungslosenhilfe der Sozial- und Jugendbehörde mit der sozial-räumlichen Thematik „Wohngebiete mit besonderem Erneuerungsbedarf“ verband. Da die Ausschussvorlage auch Zielperspektiven darlegte, war vom Sozialausschuss ein Votum notwendig, ob die Sozial- und Jugendbehörde ein „Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe“ entwickeln sollte. Dies befürworteten die Mitglieder des Sozialausschusses und gaben der Sozialverwaltung für die Konzepterarbeitung ein Jahr Zeit.
3.4.1 Gesamtkonzept „Wohnungslosenhilfe ‘97“ Daraufhin richtete die Sozial- und Jugendbehörde eine Planungsgruppe „Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe“ ein. Diese Planungsgruppe bestand im Fortgang der Konzeptentwicklung aus unterschiedlichen Personen. Prinzipiell waren alle Träger, die sich in Karlsruhe in der Wohnungslosenhilfe engagieren, beteiligt. Für den gesonderten Auftrag der kleinräumigen Beschreibung ausgewählter Wohngebiete hatte die Planungsgruppe zudem Vertreter/innen der jeweiligen Bezirksgruppe des Sozialen Dienstes der Stadt Karlsruhe in die Arbeit einbezogen. Zu Beginn der Erstellung des Gesamtkonzepts teilte sich die Planungsgruppe in zwei Untergruppen „Wohngebiete“ und „Wohnungslosenhilfe“. Während die letztgenannte Arbeitsgemeinschaft sich der Thematik „Reorganisation der Abteilung Wohnungssicherung des Sozialamtes“ widmete, nahm die erstgenannte die Beschreibung und Untersuchung der betreffenden Wohngebiete in Angriff. Ein wesentlicher Unterschied zur Arbeit in den 1970er Jahren bestand in den 1990er Jahren darin, dass die Häuser der betreffenden Wohngebiete inzwischen in Eigentum der Volkswohnung GmbH Karlsruhe übergegangen waren. So ergab sich für die Sozial- und Jugendbehörde die Notwendigkeit, in 120
engster Abstimmung mit der Volkswohnung GmbH Karlsruhe das Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe zu erarbeiten. Nach eingehenden Diskussionen, deren Ergebnisse in einem verwaltungsinternen Papier der Planungsgruppe „Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe ‘97“ (Stadt Karlsruhe 1997e) dargelegt sind, wurden in Abstimmung mit der Volkswohnung GmbH Karlsruhe Wohngebiete identifiziert, deren soziale und bauliche Aufwertung nunmehr in Angriff genommen werden sollte: • Nußbaumweg (Gewann Bellenäcker), • Gewann Kleinseeäcker, • Bernsteinstraße 5/7, • Durmersheimer Straße/Zeppelinstraße, • Wachhausstraße, • Elsternweg. Im Nußbaumweg, im Gewann Kleinseeäcker sowie in der Bernsteinstraße bildeten Befragungen von Bewohnerinnen und Bewohnern die Grundlage für die Einschätzungen aus sozialer und baulicher Sicht sowie für die daraus resultierenden notwendigen Erneuerungsmaßnahmen93 . Diese bildeten drei Anlagen zum „Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe ´97“, das dem Gemeinderat in seiner Sitzung am 13.05.1997 nach Vorberatung im Sozialausschuss vorgelegt wurde. In der Gemeinderatsvorlage wurden zu jedem Wohngebiet • Kerndaten, • ausgewählte Ergebnisse der Bewohner/innen-Befragungen, • die Einschätzung der Volkswohnung GmbH sowie • ein Fazit mit Empfehlungen aus baulicher und sozialer Perspektive beigefügt. Neu am „Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe ´97“ im Unterschied zum „Obdachlosenprogramm“ von 1974 war die Tatsache, dass der Gemeinderat eine Sachstandsberichterstattung im Zweijahresrhythmus beschloss, sodass bis heute drei Sachstandsberichte vorliegen. Im ersten Sachstandsbericht 93 Die
Stadt Karlsruhe hat die Ergebnisse dieser Befragungen unter dem Titel „Empirische Momentaufnahme: Kleinräumige Betrachtung des Wohngebiets Nußbaumweg bzw. Kleinseeäcker bzw. Bersteinstraße“ veröffentlicht; vgl. Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1997b, c, d.
121
(vgl. Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1999) können bereits erste Maßnahmen abgelesen werden. An dieser Stelle sei die Vorbemerkung der damaligen Gemeinderatsvorlage zitiert: „Der Sozialausschuss hat den vorliegenden ersten Sachstandsbericht des Gesamtkonzepts Wohnungslosenhilfe ´97 in seiner Sitzung am 14.04.1999 diskutiert und zustimmend zur Kenntnis genommen. Mit dem „Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe ´97“ verabschiedete der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 13.05.1997 eine Arbeit, die in sozialer und baulicher Hinsicht in Bezug auf die darin untersuchten Wohngebiete mit Erneuerungsbedarf auf 5 bis 10 Jahre angelegt ist. Der erste Sachstandsbericht zeigt, dass die ersten beiden Jahre der Umsetzung den Schwerpunkten Sanierung bzw. Abrissen in den betreffenden Wohngebieten Nußbaumweg, Kleinseeäcker sowie Bernsteinstraße gewidmet waren. In sozialer Hinsicht fanden unter Einbeziehung und Beteiligung der jeweiligen Bewohner/innen, anlog der Vorgehensweise 1996 zur Vorbereitung des „Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe ´97“, begleitend Umfragen in verschiedenen Wohngebieten mit Erneuerungsbedarf statt. Die Bilanz des ersten Sachstandsberichts enthält folgende Schwerpunkte: • Abriss Bernsteinstraße 5/7 und Nußbaumweg 1/2, • Einrichtung von Sanierungsbeiräten in den Wohngebieten Kleinseeäcker und Nußbaumweg, • Beteiligung der Bewohner/-innen zur Erstellung der Modernisierungspläne, • Befriedung Wohnwagenabstellplatz, • Rückgang der Anzahl der Unterbringung im gesamten Bereich der Wohnungslosenhilfe. Dem Gemeinderat wurde zugesagt, im Zweijahresrhythmus einen Sachstandsbericht vorzulegen. Diesem Anliegen wird nunmehr zum ersten Mal Rechnung getragen“ (a.a.O.). Im Sinne eines Monitorings finden sich zum zweiten Male die Ergebnisse von Bewohner/innen-Befragungen in diesem ersten Sachstandsbericht, der den Wohnwagenabstellplatz unter der Überschrift „Gewann Lachäcker“ als Wohngebiet mit Entwicklungsbedarf neu aufnimmt.94 94 Der
Sachstandsbericht enthält nicht mehr das Wohngebiet Wachhausstraße, da hier kein Erneuerungsbedarf mehr gesehen wird. Dasselbe gilt für die Alte Karlsruher Straße, die sich im Obdachlosenprogramm von 1974 noch fand.
122
3.4.2 Sachstandsberichte und Befragungen Die Themenschwerpunkte, die den zweiten Sachstandsbericht auszeichnen, lassen sich wie folgt skizzieren: • Beschreibung der Entwicklung der baulichen Situation in den Wohngebieten Nußbaumweg und Kleinseeäcker, • Auflistung der wesentlichen Ergebnisse von Evaluation und Monitoring in verschiedenen Wohngebieten, • Beschreibung des Städtebauförderungsprogramms „Stadtteil mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt“, • aktuelle Entwicklung der Karlsruher Wohnungslosenhilfe in empirischer und konzeptioneller Hinsicht, • Fachtagung „Arme Kinder und Jugendliche in sozial benachteiligten Wohngebieten“. Wie sich an den Themenschwerpunkten ablesen lässt, fand eine kontinuierliche Fortentwicklung in weitergehender Hinsicht statt. Was die Wohngebiete anbelangt, wurden zwei weitere, nämlich die Edelbergstraße und die Karl-Flößer-Straße, hinzugenommen. Der Hinweis auf das Städtebauförderungsprogramm „Soziale Stadt“ zeigt, dass die seit Jahrzehnten verfolgte Kleinräumigkeit nicht aufgegeben, sondern um den Fokus „Stadtteil“ erweitert wurde. Dies deutet sich auch an der Veranstaltung der Fachtagung „Arme Kinder und Jugendliche in sozial benachteiligten Wohngebieten“ an.95 Im „Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe ´97 - Zweiter Sachstandsbericht 2001“ finden sich nunmehr insgesamt zwölf Befragungen von sieben Wohngebieten, zwei davon bereits in der dritten Befragungswelle. Der dritte Sachstandsbericht widmet sich den Themenschwerpunkten • Wohnungssicherung, • Methodische Orientierung: Von der Kleinräumigkeit hin zur Stadtteilebene, • Soziale Durchmischung, 95 Bei
dieser hielt nicht nur Gerda Holz vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik/Frankfurt a. M. (ISS) den Hauptvortrag zur Armut bei Kindern und Jugendlichen, sondern als Referent war auch Christian Lieberknecht vom GdW Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen vorgesehen.
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• Förderprogramme, insbesondere mit der Zielrichtung „Abbau von Bildungsbenachteiligung“, • Fachtagung vom 15.11. 2003 „Entwicklung - Chancen - Prävention: Kooperative Jugendhilfe in Sozialen Brennpunkten zur Verhinderung von Kriminalität und Gewalt“ (vgl. auch Stiftung SPI (Hrsg.) 2003). Vierzehn Befragungen von insgesamt sieben Wohngebieten, davon zwei in der vierten Befragungswelle, vervollständigen die inhaltlichen Aussagen des Berichts in empirischer Sicht. An dieser Stelle sei angemerkt, dass in der Zeit zwischen 1980 und 1996 zwei herausragende Entwicklungen bzw. Ereignisse zu verzeichnen sind, die allerdings keine Nachhaltigkeit in der Form wie die dargestellten Konzepte und ihre Sachstandsberichte aufweisen können: Dies ist zum einen die ausführliche Diskussion um einen möglichen Abriss des Gewanns Kleinseeäcker im Jahr 1988, welcher letztendlich vom Gemeinderat nicht beschlossen wurde und zum anderen die Diskussion um den Wohnwagenabstellplatz („Landfahrerplatz“), dem 1993 bis 1995 von Seiten der Sozial- und Jugendbehörde eine besondere Aufmerksamkeit zukam. Ursache hierfür waren Konflikte unter verschiedenen Personenkreise, die dort wohn(t)en. Nachfolgender Überblick von Vorlagen und Berichten im Sinne von Sozialberichterstattung im Bereich benachteiligender Wohnbedingungen zeigt, wie sich die zunehmend angespannte Situation am Wohnungsmarkt Anfang der 1990er Jahre im sozial- und wohnungspolitischen Umgang der Stadtverwaltung Karlsruhe widerspiegelt: • Barackenräumungsprogramm (1964), • Rahmenprogramm zur Rehabilitation sozialer Randgruppen in Karlsruhe - Obdachlosenprogramm - (1974), • Sechs Jahre Rahmenprogramm zur Rehabilitation sozialer Randgruppen in Karlsruhe - Obdachlosenprogramm (1980), • Nichtsesshaftenkonzeption (1986), • Fragebogenaktion der Stadt Karlsruhe im Gewann Kleinseeäcker (1987), • Untersuchung zum Bedarf an sozialer Betreuung in sozialen Randsiedlungen (1993a), • Betrieb Wohnwagenabstellplatz (1993b), • Sozialbericht ´93 124
• Materiell und sozial benachteiligte Gruppen in Karlsruhe: Daten und Fakten zur Armut in Karlsruhe sowie Strategien ihrer Bekämpfung (1993c), • Informationen zum Thema Wagenburgen (1994b), • Die Sozialstruktur auf dem Wohnwagenabstellplatz - Ergebnisse einer Umfrage im März 1994 (1994c), • Diskussions- und Arbeitspapier zur zukünftigen Versorgung wohnungsloser Personen in Karlsruhe (1994d), • Wohnwagenabstellplatz (1996a), • Diskussionspapier: Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe und Wohnraumversorgung besonderer Zielgruppen (1996b), • Untersuchung: Zur Lebenslage alleinstehender („Nichtsesshafte“) in Karlsruhe (1996c),
Wohnungsloser
• Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe Teil I: Reorganisation der Abteilung Wohnungssicherung/SJB (1996d), • Untersuchung: Empirische Momentaufnahme: Kleinräumige Betrachtung ausgewählter Wohngebiete in Karlsruhe (1997e), • Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe ‘97 (1997a), • Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe ´97, Anlage 1: Untersuchung: Empirische Momentaufnahme: Kleinräumige Betrachtung des Wohngebiets Nußbaumweg (1997b), • Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe ´97, Anlage 2: Untersuchung: Empirische Momentaufnahme: Kleinräumige Betrachtung des Wohngebiets Kleinseeäcker (1997c), • Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe ´97, Anlage 3: Untersuchung: Empirische Momentaufnahme: Kleinräumige Betrachtung des Wohngebiets Bernsteinstraße (1997d), • Sozialpädagogische Anlaufstelle städtischer Wohnwagenabstellplatz Erhebungsbericht vom 01.07.97-01.08.98 (1998a), • Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe ´97 - Erster Sachstandsbericht (1999), • Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe ´97 - Zweiter Sachstandsbericht (2001c), • Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe ´97 - Dritter Sachstandsbericht (2003c). 125
3.4.3 Zugrunde liegende und zu überprüfende Annahmen Bezüglich des Phänomens von Segregation sollen folgende Annahmen zugrunde gelegt und überprüft werden: • Bewertung von Segregation: Der Raum erlangt durch Wahrnehmung seine soziale Bedeutung. Deshalb muss Segregation nicht negativ sein, auch wenn sie meistens als negativ verstanden wird. • Einfluss der politischen Steuerung auf Makro- und Mesoebene: Segregation findet ihre Ursache in der lokalen (Wohnungs-)Politiksteuerung. Belegungs- bindung von Wohnungen fördert Segregation. • Mikrosoziologische Einflüsse: Es existiert freiwillige Segregation, je mehr die Bewohner/innen mit den räumlichen Bedingungen zufrieden sind. • Prozesscharakter: Die Bewertung eines Teilgebietes wird aufgrund des Status seiner Bewohner vorgenommen und verändert sich nur langsam. Hier zeigt sich der Prozesscharakter von Segregation. • Bedeutung des sozial-kleinräumlichen Aspektes: Soziale Durchmischung kann nicht erzwungen werden; partielle Segregation im Nahbereich kann so gar sinnvoll sein. Das Quartierskonzept sieht die sozial-räumliche Beschaffenheit eines Stadtteils als wichtigste Ressource an. Befragungen der Bewohner/innen bedeuten die Gewährleistung einer mehrperspektivischen Sozialraumanalyse und erarbeiten die Perspektive der Betroffenen. Sozialraum wird so zum Kommunikationsraum und Prozess sozialer Integration.
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Abbildung 10: Mehrperspektivische Sozialraumanalyse und Aktivierung
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Teil III Empirische Untersuchung: Wohngebiete mit Entwicklungsbedarf aus Sicht ihrer Bewohner/innen
1 Methodische Vorgehensweise 1.1 Methoden der empirischen Sozialforschung Methoden der empirischen Sozialforschung sind ein Filter zwischen Untersuchungsobjekt sowie Forscher/in und spiegeln objektive Eigenschaften des Forschungsgegenstandes wider. Sie sind ein spezielles System von Regeln, das die Tätigkeit bei der Erlangung neuer Erkenntnisse und der praktischen Umgestaltung der Wirklichkeit organisiert; sie sind ein systematisches, geregeltes und planvolles Vorgehen, um ein angestrebtes Ziel zu erreichen. Friedrichs nennt zwei Charakteristika von Methoden: „Sie sind erstens Mittel, um Realität zu erfassen - und damit auch zu schaffen -, geleitet von Theorien, seien sie nun explizit, bekannt oder nur ‚background ignorance‘. Zweitens, alle Methoden führen zu Aussagen, die auf bestimmten Stichproben von Objekten, von Räumen und von Zeiten beruhen. Immer wird die Wahrnehmung codiert, d.h. Erscheinungen werden Merkmale und ihre Ausprägungen zugeordnet“ (1985, 189). Benninghaus zählt drei wichtige Tätigkeiten des empirischen Sozialforschers auf: 1. die Beschreibung von Untersuchungseinheiten im Hinblick auf einzelne Variablen, 2. die Beschreibung der Beziehung zwischen Variablen und 3. die Generalisierung von Beobachtungsresultaten (vgl. 1989, 11f).
1.2 Zum Unterschied von quantitativen und qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung In der empirischen Sozialforschung wird zwischen qualitativen (z.B. das offene Interview) und quantitativen Methoden (z.B. der Fragebogen) der Datenerhebung und -interpretation unterschieden (vgl. Kleining 1982, zur Entwicklung Garz/Kraimer 1991, Witzel 1982). Zusammengefasst können die Unterschiede mit Hoffmeyer-Zlotnik dargestellt werden: „Die Wahl quantitativer oder qualitativer Verfahren der Datenerhebung ist nicht alternativ möglich, da die Methodenwahl immer vov Forschungsziel und Forschungsfrage abhängig ist. Eine die Genauigkeit von Wirkungszusammenhängen, 131
hypothesengeleitet, überprüfende Forschung setzt ein quantitatives Verfahren voraus; sollen aber begründete Vermutungen über Regelhaftigkeiten in den einzelnen Bereichen oder Feldern der sozialen Wirklichkeit gewonnen werden, so setzt dieses ein qualitatives Verfahren (in der Regel verbunden mit der Gewinnung verbaler Daten) voraus“ (1992, 1). Bude (1988) unterscheidet standardisierte und interpretative Verfahren; Bohnsack differenziert zwischen hypothesengeleiteten und rekonstruktiven Verfahrensweisen (vgl. 1991). Beide Methodenansätze und die damit verbundenen Standpunkte stellen jedoch keine unvereinbaren Gegensätze dar; neuere Methodenentwicklungen ermöglichen eine immer stärker werdende Konvergenz. Auch Esser zieht in seinen Darlegungen zum Verhältnis von quantitativen und qualitativen Methoden das Fazit, dass die „Ergänzung“ beider Methoden mehr als eine Floskel ist (vgl. 1987, 99). Eine Verbindung beider Verfahren bietet sich in doppelter Hinsicht an: Einmal durch den Einsatz von Computern bei der Datenanalyse (so Huber 1992) und bei der Falsifikation und Unterstützung der qualitativ erhobenen Datenanalyse (vgl. Matthes 1988, Westle 1990). Die Untersuchung von benachteiligenden Wohnbedingungen aus der Sicht der Bewohnerinnen und Bewohner kann sowohl quantitativ mit einem standardisierten Fragebogen zur Erfassung der statistischen Ausmaße in Querund Längsschnittstudien (numerische Daten, statistisch repräsentativ) als auch qualitativ (mit offenen Interviews) zur Erkundung der subjektiven Innensicht, der Lebenswelt (verbale Daten, theoretisch repräsentativ) untersucht werden (zum Überblick vgl. Müller/Schmid 2003). Zusammenfassend wird im folgenden Kleining zitiert, der den Versuch machte, eine Methodologie der qualitativen Sozialforschung zu begründen: „Qualitative Forschung ist demnach in der Forschungspraxis auch ‚früher‘ als quantitative anzusetzen. Sie muß in jedem Fall der quantitativen Forschung vorausgehen, braucht aber nicht von ihr gefolgt zu werden. Wenn sie einen Gegenstand erklärt, so hilft eine Quantifizierung nicht; erklärt sie ihn nicht, so kann quantitative Forschung den Fehler aber nicht ausgleichen. Qualitative Analysen können also ohne Quantifizierung auskommen. Das Umgekehrte ist nicht der Fall. Die quantitative Forschung braucht die Vorstufe der qualitativen, ohne die sie Gefahr läuft, Sinnlosigkeiten zu produzieren, deren Vermeidung ja gerade die Aufgabe der qualitativen Forschung ist“ (1982, 226). Die Umfrage wurde hauptsächlich mit standardisierten Fragebögen gemacht in der Tradition der Gemeindestudien in der nordamerikanischen Soziologie. Es geht zwar auch um die Lebenswelt der Betroffenen, dennoch handelt es sich nicht um eine klassische Biographieforschung (vgl. Behnken/Schulze (Hrsg.) 1997). In aktuellen Ansätzen wird deshalb auch nicht mehr von qualitativen und 132
quantitativen Methoden gesprochen, sondern es werden Forschungsdesigns bevorzugt, die einen „Methodenmix“ enthalten (vgl. Pt. 1.5). Ein Vorreiter der Kombination der beiden Verfahren war die Chicagoer Schule.
1.3 Die Tradition der Gemeindestudien der Chicagoer Schule Die Biographieforschung (Kohli 1981, Kraul/Marotzki 2002) knüpfte an die Entwicklung der Chicagoer Schule an, die durch Beobachtungen und Befragungen der so genannten „human documents“ Erfahrungen über den Alltag von Menschen sammelten (zum Überblick vgl. Hinkle/Hinkle 1960), u. a. in Gemeindestudien, stadtsoziologischen und jugendsoziologischen Untersuchungen und Subkulturen. Geprägt waren sie durch die sozialökologische Schule (vgl. Park 1936, Burgess 1915, Small 1916).96 Die Sozialökologie betrachtet das Leben menschlicher Gesellschaften aus der Sicht der wesentlichen Umweltbedingungen. Eine Gemeinde ist eine mehr oder weniger abgrenzbare Einheit auf lokaler Basis (Lokalgruppe), in der die Menschen zusammenwirken, um ihr wirtschaftliches, soziales und kulturelles Leben zu fristen (vgl. König 1958). Die Gesellschaft entsteht aus Gemeinschaft, die territorital und funktional bestimmt ist und auf Kommunikation, Konsens und Brauch beruht. Soziale Probleme sind durch Verstehen, Annahme und Übernahme der neuen Ordnung in die Gewohnheiten, Traditionen und Sitten der Gemeinschaft zu lösen, nicht durch die Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen als solche. Eine berühmte Pionierstudie war die zusammen mit F. Znaniecki durchgeführte Studie „The Polish Peasant in Europe and America“, die in fünf Bänden zwischen 1918 und 1921 erschien. Die Middletownstudien von Lynd/Lynd (ab 1924) sind sehr berühmte Gemeindestudien, gefolgt von der „Yankee City“-Serie. In Österreich ist die Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ von Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel (1931/32 durchgeführt) ein berühmtes Beispiel für einen Methodenmix: „Die Synthese der objektiven und subjektiven Daten und die mit großer Empathie geleisteten Interpretationen ermöglichten es, die Grundzüge einer Theorie der Arbeitslosigkeit zu entwickeln und diese 96 Vgl.
die Bewertung von Mikl-Horke: „Als besonders fruchtbar stellten sich die Gemeindestudien heraus, die Park in Chicago förderte. Aufgrund seines Interesses aus seiner Studienzeit an Geographie, das ihm klargemacht hatte, daß Kultur ein geographisches Phänomen ist, ging Park davon aus, daß man das städtische Leben mit denselben Methoden wie sie die Anthropologie Boas und Lowie für das Studium primitiver Gemeinschaften verwendeten, untersuchen könnte“; 1989, 184.
133
auf weniger als 100 Seiten und ohne komplexe Statistiken zu präsentieren“ (Müller/Schmid 2003, 139). Mikl-Horke verweist auf den Praxisbezug der Gemeindestudien: „Neben einer ganzen Reihe von Untersuchungen, die sich mit menschlichen Gemeinschaften im ländlichen oder städtischen Raum beschäftigten und die in Europa eine gewisse Entsprechung in den soziographischen Studien fanden, gab es insbesondere ein starkes Interesse an Subkulturen, ein Begriff, der seinen Ursprung auch in den Gemeindestudien mit ihrer kulturanthropologischen Schlagseite hatte. [...] Für die Chicago-Soziologie und darüber hinaus einen breiten Kreis von Soziologen überwog jedoch das praktische Interesse an Problemlösungen, es bestand wenig Anspruch in Bezug auf Theoriebildung. Die resultierenden Publikationen waren gut lesbar und fanden ein breites Publikum“ (1989, 185 f). Dieser Praxisbezug spiegelt sich wider in dem Verständnis der Sozialwissenschaft als angewandte Soziologie. Die Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden geschah damals noch nicht geplant, sondern in einem Nebeneinander.
1.4 Theoriebildung und Hypothesengenerierung Lazarsfeld führte in Amerika einen neuen Stil der Forschung ein, der durch die Kombination von quantitativen Methoden mit „introspektiven“ Vorgehen charakterisiert war. Anfang der 1930er Jahre formulierte er dazu einige Richtlinien: 1. Zu jeder Erscheinung sollten objektive Beobachtungen und introspektive Berichte vorliegen. 2. Statistisches Material und Fallstudien sollen in angenehmer Weise verbunden werden. 3. Durchschnittsinformationen sollen durch entwicklungsgeschichtliche Informationen ergänzt werden. 4. „Natürliche“ Daten sollen mit experimentellen Daten kombiniert werden. Natürliche Daten liegen schon vor ohne Intervention der Forschenden; experimentelle Daten sind aus Befragungen erhobene Daten (Lazarsfeld 1975, 147 ff). Dabei zeigen sich zwei Tendenzen: das Wechselspiel zwischen empirisch begründeter Theoriegenese und theorieabhängiger Methodenentwicklung in unterschiedlicher Gewichtung. Gerhardt (1985) nennt dabei das Konzept 134
der „Grounded Theory“ (Glaser/Strauss 1979, Strauss 1991), das Theoriebildung und Hypothesengenerierung durch empirische Befunde entwickelt. Glaser/Strauss gehen auf das alltägliche Verhalten in der Lebenswelt ein. Der Forscher setzt das ganz normale Handeln einer über die Dinge nachdenkenden Person in eine erfolgreiche Forschungsstrategie um. Die erforschte soziale Welt muss so lebensnah wie möglich aus der Perspektive des theoretischen Bezugsrahmens heraus beschrieben werden. Es ist nicht nötig, dass der Forscher zuvor schon eine fertige Hypothese hat: „When hypothezing begins, the researcher, even if so disposed, can no longer remain the passive receiver of impressions, but is naturally drawn into actively finding data pertinent to developing and veryfying his hypotheses. He looks for that data. He places himself in spaces where his data can be seen ‚live‘. He participates in events so that things will pass before his eyes, and so that things will happen to himself which will precipiate further hypothesizing. He may even manipulate events to see what will happen. Although he could manage all these investigor activities without hypotheses, the hypotheses inevitably arise to guide him“ (Glaser/Strauss 1965, 5f). Die Hypothesengenerierung und Theoriebildung steht folglich als Produkt am Ende der Forschungsstrategie, ausgehend von empirischen Untersuchungen. Dies ist der umgekehrte Weg des klassischen Forschungsdesigns, das aus der Theorie zu überprüfende Hypothesen in der Empirie falsifiziert (vgl. Atteslander 1984). Diese zwei Möglichkeiten der Korrelation zwischen Empirie und Theorie tangiert auch die Thematik der Triangulation.
1.5 Die Möglichkeiten der Triangulation Die Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden wird in der Literatur mit dem Begriff der „Triangulation“ bezeichnet (vgl. Flick 2001, 2004), als ein Weg zu erweiterten Erkenntnismöglichkeiten. Dies beinhaltet die Einnahme verschiedener Perspektiven auf einen untersuchten Gegenstand, sowohl in den Methoden, in unterschiedlichen Zugängen und in der Kombination verschiedener Datensorten. „Dieser Begriff bezeichnet in der Sozialforschung die Betrachtung eines Forschungsgegenstandes von (mindestens) zwei Punkten aus. Dabei wird dies durch verschiedene methodische Zugänge realisiert“ (Bohnsack et al. 2003, 161). Die Shellstudie 2002 ist ein bekanntes Beispiel dafür. Es gibt neben der Methodenkombination auch Theorietriangulation und Perspektiventriangulation. Flick weist zurecht darauf hin, dass die Triangulation methodisch noch kaum begrün135
det ist und es noch einer konkreten Untermauerung bedarf (vgl. 2004, 74 ff). Auch bezüglich der Erhebungsverfahren und der Auswertung bzw. Interpretation ist eine Triangulation möglich. Es gibt nur ein paar Ansätze, die qualitative Daten quantitativ auswerten (Matthes 1988, Westle 1990) und noch weniger Forscher/innen, die quantitative Daten qualitativ auswerten. Eine Ausnahme bildet die so genannte „explorative Datenanalyse“ von Jambu (1992) und Krotz (1990). Dennoch wird die Triangulation zunehmend als wichtige Möglichkeit in der empirischen Sozialforschung wahrgenommen. Hammersley kennt drei Formen der Verknüpfung qualitativer und quantitativer Forschung: 1. Triangulation beider Ansätze (wechselseitige Überprüfung der Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Verfahren), 2. Facilitation (unterstützende Funktion des jeweils anderen Ansatzes), 3. komplementäre Forschungsstrategien (vgl. 1996, 68). Basisdesigns für die Verbindung qualitativer und quantitativer Forschung finden sich bei Miles/Huberman: • die kontinuierliche, gleichzeitige und „gleichberechtigte“ Sammlung beider Datensorten, • die kontinuierliche Feldforschung im Wechsel qualitativer und quantitativer Datensorten mit gleicher Gewichtung (z.B. Exploration, Umfrage, offene Interviews zur Vertiefung), • der Schwerpunkt liegt auf der qualitativen Erhebung (Feldstudie), quantitative Datensorten wie eine Umfrage dienen der Exploration, als Ausgangsbasis und später der Überprüfung bzw. Umsetzung z.B. in einem Experiment (vgl. 1994, 41f).97 Bei der hier vorgelegten Untersuchung handelt es sich um eine Mischform in mehrfacher Hinsicht. Es handelt sich bei der Untersuchung der benachteiligenden Wohnbedingungen um Wohnquartiere in Stadtvierteln mit besonderem Entwicklungsbedarf; dabei handelt es sich jedoch um keine klassische Gemeindeuntersuchung. Es geht bei der Erhebung und Analyse der raumwirksamen Sozialstruktur (Sozialprofil der Bewohner/innen) und der sozialwirksamen Raumstruktur (Sozialprofil Wohnen) auch um die „Lebenswelt“ der Befragten; dennoch fokussiert die Studie mit ihrer Ausrichtung 97 Andere
136
Design finden sich bei Denzin (1978).
zwischen Makro- und Mesoebene auch auf eine höhere Ebene. Die Entscheidung für einen größtenteils quantitativ angelegten Fragebogen wurde wegen der Vergleichbarkeit getroffen. Die Befragungen (vgl. Pt. 1.7) wurden in den jeweiligen Wohngebieten98 regelmäßig wiederholt, d.h. es handelt sich um einerseits um Querschnittstudien, andererseits auch um eine Längsschnittuntersuchung. Allerdings ist es keine Panel-Erhebung in „Reinkultur“, da es bei den Wohnungen eine recht hohe Fluktuation gibt. Die Auswertung erfolgte einerseits statistisch (SPSS), andererseits wurde bei der Erstellung der Sozialprofile auch qualitativ vorgegangen.
1.6 Die Methode der Befragung und der Fragebogen als Erhebungsinstrument Die Befragung ist die am häufigsten verwendete Methode in der empirischen Sozialforschung. Sie ist ein reaktives Verfahren, da sie durch einen ausgesendeten Stimulus (Frage) eine Reaktion (Antwort) erhält (vgl. Porst 1985). Die Befragung hat verschiedene Standardisierungsgrade: Man unterscheidet voll-, teil- und nichtstandardisiertes Interview. Sie kann schriftlich oder mündlich erfolgen und benützt als Erhebungsinstrument einen Fragebogen. Für die mündliche Befragung spricht nach Zimmermann: „Der Vorteil der mündlichen Befragung besteht in einer hochgradigen Kontrollierbarkeit des Erhebungsprozesses mit der Möglichkeit, auch komplexere Sachverhalte abzufragen. [...] Die mündliche Befragung stellt einen kommunikativen Prozess besonderer Art in einer besonderen Situation dar: Interviewer und Auskunftsperson sind sich in der Regel fremd, und der Kommunikationsprozess ist u. a. durch eine Rollentrennung von Fragendem und Antwortendem gekennzeichnet. Diese Besonderheiten sind beim Einsatz dieser Methode zu berücksichtigen, weil sie je nach Gegenstand der Befragung Einfluss auf das Antwortverhalten der Auskunftspersonen haben können (Antwortverzerrungen etc.)“ (2000, 218f). Die Antworten dienen als Daten zur Überprüfung von zugrunde liegenden Hypothesen (vgl. Kromrey 1998). Da eine empirische Untersuchung mit der Qualität des Fragebogens als Erhebungsinstrument steht oder fällt, muss auf die Formulierung der Fragen ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Im wesentlichen richtet sich die „Lehre von der Frage“ auf drei einzelne Probleme: 1. Wie ist die Frage 98 In
diesem Sinne handelt es sich um eine Vollerhebung.
137
zu formulieren? 2. Welche Art von Frage (und Antwortvorgabe) ist angemessen? 3. Warum wird die Frage gestellt? Die Fragen sollen so einfach wie möglich formuliert werden, sie müssen eindeutig formuliert sein (und beruhen auf unterschiedlichen Messniveaus99 ) und neutral gestellt werden (nicht suggestiv). Es gibt als Hauptunterscheidungsmerkmal offene und geschlossene Fragen. Fragen mit Antwort-Alternativen, bei den die Antwortkategorien festgelegt werden, sollen die Objektivität bei der Durchführung sichern (Kromrey 1998, 364). Weitere Fragearten sind direkte und indirekte Fragen, Eigenschaftsfragen, Verhaltensfragen, Überzeugungsfragen, Einstellungs-/Meinungsfragen, Kontrollfragen und Filterfragen. Beim Erstellen des Fragebogens sind die Hinweise von Friedrichs von Relevanz: • Bei der Frageformulierung wird leichte Verständlichkeit und Klarheit verlangt, da der Befragte den Bogen ohne zusätzliche Erläuterungen verstehen muss. Man spricht hier von einer Mittelschichtorientierung bei der Sprache. • Die meisten Fragen sollten geschlossen sein, offene Fragen haben einen doppelten Stellenwert: sie ermöglichen dem Befragten ausführlichere Aussagen, können aber auch zu Überforderung und Ermüdung führen. • Beim Fragebogenaufbau muss beachtet werden, dass er thematisch gegliedert, eng auf das Gesamtthema der Studie bezogen sein und einen Wechsel der zahlreichen geschlossenen und der wenigen offenen Fragen enthält. • Der Fragebogen darf nicht zu lang und nicht zu kurz sein, um weder Überstrapazierung der Befragten noch verschenkte Informationsmöglichkeiten zu vermeiden. • Grobaufbau (Anordnung der Themenkomplexe) und Feinaufbau (Platzierung der einzelnen Fragen in einem Themenkomplex) müssen aufeinander abgestimmt werden. • Der Fragebogen sollte mit einer so genannten „Eisbrecher-Frage“ beginnen und die komplexeren Fragen in der Mitte abhandeln. Demographische Merkmale des Befragten werden häufig am Ende abgefragt. • Ein Pretest des Fragebogens ist unerlässlich (vgl. 1985, 237ff). 99 Dies
138
sind die Nominal-, Ordinal-, Intervall- und Ratioskala.
Fragen und Fragebögen müssen den Kriterien der empirischen Sozialforschung entsprechen (Objektivität, Validität und Reliabilität).100 Der zugrunde liegende Fragebogen befindet sich im Anhang.
1.7 Ansatz des Monitoring: Sozialprofile Bewohnerinnen/Bewohner und Wohnen Um das Monitoring erarbeiten zu können, werden Sozialprofile auf zwei Ebenen erstellt, nämlich zuerst für alle befragten Wohngebiete, und schließlich für drei bewusst ausgewählte Wohngebiete. Dabei wird die Entwicklung dargestellt und zudem ein statistisches Durchschnittssozialprofil erarbeitet. Die raumwirksame Sozialstruktur wird in zwei Sozialprofilen für alle befragten Wohngebiete abgebildet: Einmal im Querschnitt zu Beginn der Erhebungen und einmal im statistischen Durchschnitt aller Erhebungen. Die sozialwirksame Raumstruktur wird ebenfalls in zwei Sozialprofilen „Wohnen“ für alle Wohngebiete dargestellt, wiederum im Querschnitt der Erstbefragungen und darauf im statistischen Durchschnitt. So ist die Möglichkeit gegeben, mögliche Änderungen vom Beginn der Erhebungen zu den Durchschnittstendenzen zu erkennen. Das demographische Sozialprofil der Befragten („raumwirksame Sozialstruktur“) in Kap. 3 ist die vergleichende Darstellung des Sozialprofils aus den Ergebnissen der Erstbefragungen zur Beschreibung der Bewohnerinnen und Bewohner nach den Variablen Geschlecht, Alter, Haushaltsstruktur, Familienphase, Einkommen, Geburtsort und Staatsangehörigkeit, Bildung und Berufsausbildung. In Kap. 3.9 wird dann das Sozialprofil I der Bewohner/innen aus dem Durchschnitt aller Daten von 1994-2000 gebildet . Das Sozialprofil „Wohnen“ („sozialwirksame Raumstruktur“) wird in Kap. 4 zunächst durch die Daten der Erstbefragung beschrieben und dann in der 100 „Objektiv
nennt man ein Verfahren, mit dem das zu ermittelnde Merkmal eindeutig festgestellt wird, bei dem also die Ergebnisse von der Person des Auswerters unabhängig sind. [...] Reliabilität (Zuverlässigkeit) ist ein diagnostisches Verfahren, wenn es das zu ermittelnde Persönlichkeitsmerkmal exakt erfaßt, also bei wiederholter Anwendung in geringem zeitlichem Abstand zum identischen Resultat führt. [...] Validität (Gültigkeit) gibt an, in welchem Grade ein Verfahren wirklich das misst, was es messen soll. Sie ist demnach für praktische Fragestellungen sehr bedeutsam“; Clauß/Ebner 1989, 34 ff.
139
Entwicklung von 1994-2003 anhand der Variablen Wohndauer im Wohngebiet und in Karlsruhe, Herkunft, Auszugswunsch/Wohnpräferenzen, Beurteilung der Wohngebiete aus Sicht der Bewohner/innen, soziale Beziehungen und Nachbarschaftsentwicklung. In Kap. 4. 6 wird das Sozialprofil II „Wohnen“ im statistischen Durchschnitt dargestellt, basierend auf allen erhobenen Daten. Im 5. Kapitel wurden drei ausgewählte Wohngebiete für das sozialräumliche Monitoring in benachteiligenden Wohngebieten als sozialplanerischer Beitrag zur sozialen Stadtteilentwicklung von 1994 bis 2003 ausgewählt . In diesem Kapitel soll die Entwicklung aufgezeigt werden. Ausgangslage sind die Änderungswünsche in Kleinseeäcker, Nußbaumweg und Lachäcker. Dann wird die Entwicklung der Geschlechterverteilung, Altersverteilung, der Haushaltsgrößen, der Einkommenssituation, der Staatsangehörigkeit, des Bildungsniveaus, der Berufsausbildung, der Wohndauer und Auszugspräferenzen dargestellt und auf die Änderungswünsche sozial-räumlicher und baulich-räumlicher Art eingegangen. In Kap. 6 wird dann das Sozialprofil III „Monitoring“ der drei Wohngebiete im statistischen Durchschnitt dargestellt, um nicht nur eine Entwicklung wie in Kap. 5 zu skizzieren, sondern auch verallgemeinernde Aussagen zu ermöglichen. In Kap. 7 werden allgemeine Tendenzen aus den drei erstellten Sozialprofilen herausgearbeitet, die als Ansatzpunkt/Basis für das zu entwickelnde Modell dienen. Die statistische Auswertung der Durchschnittswerte lehnt sich an die quantitative Auswertung an, die Erstellung der Sozialprofile und die Herausarbeitung der allgemeinen Tendenzen lehnen sich an Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse an (Merten 1983, Merten/Ruhrmann 1982). Der Verfasser hat von 1994 - 2003 Fragebogenergebnisse generiert, die nun in methodischer Anlehnung an Herlyn/Hunger (1994) vergleichend dargestellt werden. Den Impuls für die erste Fragebogen-Erhebung gab 1994 die damalige Situation auf dem so genannten „Wohnwagenabstellplatz“. Diese war gekennzeichnet von Konflikten, sowohl innerhalb der Bewohnerschaft des Platzes, als auch außerhalb mit Anwohnern, Polizei und der Sozial- und Jugendbehörde, der den Platz verwaltenden Behörde. Die Untersuchung verfolgte die Absicht „in der laufenden Diskussion zur Zukunft des Wohnwagenabstellplatzes Entscheidungshilfe für die späteren Beschlüsse von Sozialpolitik und -verwaltung zu sein“ (Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1994a, 3). Nach zwei Jahren, in denen verschiedene Maßnahmen ergriffen wurden, stellte der Ergebnisbericht „Wohnwagenabstellplatz - 2. Zwischenbericht - Bestandsaufnahme und Perspektiven“ auf der Basis einer Nachbefragung zusam140
menfassend fest, „dass insgesamt eine Beruhigung der Situation auf dem Wohnwagenabstellplatz eingetreten ist“ (Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1996a, 1). Im Anschluss an diese Befragungen der Bewohner/innen zu deren Lebenslage und Sozialstruktur, die in Form von Bewohnerversammlungen in partizipatorischem Sinne auch Bürgerbeteiligung beinhalteten, kam es 1996 zur Initiierung der Erarbeitung des Gesamtkonzeptes Wohnungslosenhilfe ´97. Auch dort sollten Bewohnerbefragungen eine verlässliche Ausgangslage darstellen, um adäquate Maßnahmen zur Verbesserung der Wohn- und Lebensbedingungen der Bewohner/innen ergreifen zu können. Es wurde das Prinzip des „Pilotprojekts“ Wohnwagenabstellplatz „Befragung und Nachbefragung“ übernommen. Was im Kleinräumigen erfolgreich durchgeführt wurde, wurde nunmehr auch in großräumigeren Wohngebieten in Angriff genommen. Dabei fand ein Fragebogen Verwendung, der als Leitfaden für ein strukturiertes Interview mit den Bewohnerinnen und Bewohnern diente. Ziel war es, jeden Haushalt persönlich aufzusuchen und gemeinsam mit den jeweiligen Haushaltsmitgliedern den Fragebogen auszufüllen. Damit wurde ein Mix zwischen mündlicher und schriftlicher Befragung angewendet. So konnte eine durchschnittliche Fragebogen-Rücklaufquote von über 90% erreicht werden. Auf diese Weise wurden 14 Befragungen mit insgesamt N=1795 Befragten in den Wohngebieten zu verschiedenen Zeitpunkten (siehe Klammer) durchgeführt: • Gewann Lachäcker (1994, 1995), • Bernsteinstraße (1996), • Gewann Kleinseeäcker (1996, 1999, 2001, 2003), • Nußbaumweg (1996, 1998, 2001, 2003), • Karl-Flößer-Straße (1998), • Elsternweg (2000), • Edelbergstraße (2000). Grundsätzlich wurde zwischen einem Fragebogen für Erwachsene („ElternFragebogen“) und Fragebogen für die Kinder unterschieden. Die Fragebogen wurden im Laufe der Jahre fortentwickelt. In der Anlage dieser Arbeit ist die Entwicklung der Gestaltung der Fragebogen abzulesen. Hauptsächlich wurden geschlossene Fragen mit Antwortvorgaben gestellt. Wenige Fragen waren offen gestaltet. Im Laufe der Jahre hat der Verfasser zunehmend 141
Items in den jeweiligen Fragebogen aufgenommen, um zuletzt eine Reduzierung auf wesentliche Schlüsselfragestellungen vornehmen zu können. Der Umfang der letzten Fassung des Fragebogens ist so, dass der zeitliche Rahmen zur Durchführung einer Befragung von einer Sozialverwaltung in der Größenordnung Karlsruhes gewährleistet werden kann. Tabelle 7: Gesamtübersicht über alle Befragungen (1994-2003) Ort Nussbaumweg Kleinseeäcker Bernsteinstraße Lachäcker Elsterweg Edelbergstraße Karl-Flößer-Straße Gesamt
1994
1996
1999
2000
2001
2003
gesamt
n=103 n=103
n=217 n=105 n=75 n=397
n=198 n=99 n=84 n=160 n=541
n=90 n=24 n=149 n=263
n=178 n=178
n=185 n=128 n=313
N=778 N=422 n=75 N=187 n=24 N=149 N=160 N=1795
Der Befragung „Edelbergstraße“ kommt ein besonderer Status zu. Wurde hier doch bei der Konstruktion des Fragebogens der Rat Bernd Hungers eingeholt, an dessen Untersuchung „Ostdeutsche Wohnmilieus im Wandel eine Untersuchung ausgewählter Stadtgebiete als sozialplanerischer Beitrag zur Stadterneuerung“, die er gemeinsam mit Ulfert Herlyn 1994 herausgegeben hatte, sich in methodischer Hinsicht angelehnt wurde. Der Fragebogen „Edelbergstraße“ ist der umfassendste (siehe Anlage). Bevor die Befragungsergebnisse vorgestellt werden, erfolgt nun eine Kurzbeschreibung der Wohngebiete in ihrer spezifischen Lage im jeweiligen Stadtteil.
142
2 Geschichte und Sozialstruktur der untersuchten Wohngebiete 2.1 Gewann Lachäcker Der Wohnwagenabstellplatz trägt umgangssprachlich den Namen „Landfahrerplatz“, weil am 1.8.1952 nach einem Gemeinderatsbeschluss im Gewann Lachäcker ein Platz für so genannte „Landfahrer“ (zur gesetzlichen Definition s.u.) eingerichtet wurde. Der Platz wurde damals mit einem Pumpbrunnen ausgestattet und mit einem Zaun abgegrenzt. 1954 wurden Toiletten und Strom installiert. 1967 erließ die Stadt Karlsruhe erstmals eine Satzung für den „Wohnwagenabstellplatz“. Es bildete sich ein Kreis von Personen, die den Platz dauerhaft in Anspruch nahmen. Bemühungen der Sozial- und Jugendbehörde, diese Dauerbewohner/innen mit festem Wohnraum zu versorgen, scheiterten immer wieder. Im Zeitraum von 1985 bis 1995 verdoppelte sich die Anzahl der Bewohner/innen. Damit einher ging die Entwicklung von Nachbarschaftskonflikten unter den verschiedenen Nutzergruppen des Platzes. Neben die Landfahrer, die in der Regel mit Schaustellerei ihren Lebensunterhalt verdienten, trat als weitere Gruppe die der Sinti und Roma hinzu. Die dritte Gruppe, die aufgrund der Wohnungsnot auf den Platz drängte, war die der alleinstehenden Wohnungslosen. Als alleinstehende Wohnungslose werden Personen bezeichnet, die keine oder keine ausreichende Unterkunft haben (vgl. Specht 1985, 15f). Nach dieser Definition würden sich alle Personengruppen, die nach der ehemaligen VO zu § 72 BSHG in besonderen sozialen Schwierigkeiten sind, unter dem Begriff der alleinstehenden Wohnungslosen wiederfinden. Mit diesem Begriff wird nämlich die gemeinsame Dimension der Lebensverhältnisse, die von Wohnungslosigkeit gekennzeichnet ist, problemlagenorientiert und nicht an rechtlichen oder sachlichen Zuständigkeiten ausgerichtet gesehen.101 Sys101 Knäpple
et al. wie folgt: „Die Bezeichnung ‚Alleinstehende Wohnungslose‘ löst die problematische und fachlich kritisch beurteilte Unterscheidung zwischen ‚Nichtsesshaften‘ und ‚obdachlosen‘ Personen auf. Neben der beiden Personengruppen gemeinsamen durch die Wohnungslosigkeit geprägten Lebenssituation, spricht für die Aufgabe einer solchen begrifflichen und rechtlichen Differenzierung auch, dass die mit dem Begriff ‚nichtsesshaft‘ implizierte oder zumindest suggerierte Vorstellung einer aus eigenem
143
tematisch betrachtet kommen als nächste Stufe die so genannten „Obdachlosenunterkünfte“, deren Anzahl stets an den Bedarf geknüpft wird. Zur Hochphase an behördlich mit Übergangswohn-raum versorgten Wohnungslosen gab es 1993 in Karlsruhe zum Jahresende 613 Personen, die auf diese sozialhilferechtliche Unterstützung angewiesen waren. Zum 31.12.2002 waren es 311 Menschen, die in fünf Einrichtungen mit 210 Plätzen sowie Pensionen wohnten (vgl. Stadt Karlsruhe 2003c). Nichtsesshafte werden heute unter die Bezeichnung „alleinstehende Wohnungslose“ subsumiert - „Durchwanderer“, „Berber“, „Land-/Stadtstreicher“ oder „Sandler“ (im Wie-nerischen) sind weitere daneben existierende Begriffe. Eine vom Verfasser durchgeführte empirische Untersuchung der Sozial- und Jugendbehörde der Stadt Karlsruhe aus dem Jahre 1996 bezog sich auf “Nichtsesshafte“ im definitorischen Sinne der Sozialhilferichtlinien Baden-Württembergs. Allerdings wird aus den soeben dargelegten Gründen nunmehr der Begriff der alleinstehenden Wohnungslosen verwandt. Die bislang unveröffentlichte Untersuchung mit Befragungsergebnissen zur Lebenslage alleinstehender Wohnungsloser („Nicht-sesshafter“) in Karlsruhe enthält auch einen Überblick zur sozialhilferechtlichen Definition der beiden Personenkreise (vgl. Stadt Karlsruhe 1996c). Der Gesetzgeber definierte „Landfahrer“ als „Personen, die im Sippen- oder Familienverband oder in sonstigen Gruppen nach besonderen, vor allem ethnisch bedingten, gemeinsamen Wertvorstellungen leben und mit einer beweglichen Unterkunft zumindest zeitweise umherziehen. [...] Den Landfahrern stehen Personen gleich, die als frühere Landfahrer oder als deren Angehörige auf Wohnplätzen oder in für sie bestimmten Siedlungen wohnen“ (VO § 3 zu 72 BSHG v. 9.6. 1976). Nach dieser Definition wäre ein Großteil der Bewohner/innen des Wohnwagenabstellplatzes - vor allem diejenigen Familien, deren Lebensunterhalt mit Hilfe der Schaustellerei bestritten wird - als „Landfahrer“ zu bezeichnen, obwohl sie kaum mehr mobil sind. Auf dem „Landfahrerplatz“ Karlsruhes leben 84 Menschen in 30 Haushalten. Der Anteil an Kindern und Jugendlichen beträgt 29%. Die Sonderschulquote ist mit 56% außerordentlich hoch, ebenso wie die Sozialhilfequote von 50% (vgl. Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1994c, 1996a, 2001c, 2003c). Dass es sich hierbei ebenfalls um benachteiligende Wohnbedingungen handelt, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Die Literatur in diesem Feld ist zwar spärlich, aber vorhanden: So wird, um an die soeben zitierte gesetzliche Definition anzuknüpfen, mit Freese/Murko/Wurzbacher (vgl. BMJFG (Hrsg.) 1980) eine weitere Differenzierung notwendig, da „Zigeuner“ vom Gesetzgeber unEntschluss umherziehenden Person ohne soziale Bindung durch eine Reihe neuerer Studien widerlegt wurde“; 1991, 75.
144
ter die Gruppe der „Landfahrer mit ethnischen Besonderheiten“ subsumiert werden (vgl. Bundesrat (Hrsg.) 1976, 12).102 Die angesprochene Literatur beinhaltet in ihren Überschriften die dargelegte Definitionsproblematik, wie folgende Beispiele zeigen: • „Vaganten, Komödianten, Fieranten und Briganten - Untersuchungen zum Vagantenproblem an vagierenden Bevölkerungsgruppen vorwiegend der Pfalz“ (Arnold 1958), • „Fahrendes Volk - Randgruppen des Zigeunervolkes“ (Arnold 1980), • „Schausteller - volkskundliche Untersuchung einer reisenden Berufsgruppe im Köln-Bonner Raum“ (Faber 1981), • „Eintritt frei, Kinder die Hälfte - Kulturgeschichtliches vom Jahrmarkt“ (Geese 1981), • „Bremer Schausteller 1945-1985 - zum Wandel von Arbeit und Leben“ (Abel 1988), • „Unterhaltung und Image - artistische Unterhaltungskunst in sozialwissenschaftlicher Perspektive“ (Michel-Andino 1993).103 Prinzipiell findet der Begriff „Obdachlosigkeit“ auch im Rahmen der Darlegungen zur Stadtteilentwicklung Verwendung. Wohngebiete, wie die in diesem Kapitel beschriebenen, die Menschen Wohnungen zur Verfügung stellten, die sich nicht aus eigener Kraft mit Wohnraum versorgen konnten, wurden u.a. als „Obdachlosensiedlungen“ etikettiert. „Obdachlosigkeit“ ist in Deutschland ein vorwiegend rechtlich zu definierender Terminus. In etymologischer Sichtweise hätte der Begriff keine Berechtigung, da als „Obdachlose“ bezeichnete Menschen in der Regel ein Obdach vorweisen können. Im „Fachlexikon der sozialen Arbeit“ wird als obdach- bzw. wohnungslos definiert, „wer nicht über mietvertraglich abgesicherten Wohnraum verfügt“ (1997, 102 „Auch
in der Literatur werden ‚Zigeuner‘ und ‚Landfahrer‘ häufig als gleichbedeutende Begriffe gebraucht und die Literaturstudie von Hundsalz zum ‚Stand der Forschung über Zigeuner und Landfahrer‘ (BMJFG (Hrsg.) 1978, Anm. M.L.) benutzt den beide Gruppen übergreifenden Ausdruck ‚Fahrende‘. [...] Mit der fahrenden Lebensweise verbinden sich Schwierigkeiten kontinuierlicher Teilnahme an Kindergärten, Schulen, an betrieblicher Lehre oder an regelmäßiger Berufstätigkeit. Damit hängen wiederum geringere Chancen eines zuverlässigen Einkommens zusammen, so dass sich eine häufigere Inanspruchnahme von Sozialhilfe ergibt“; BMJFG (Hrsg.) 1980, 7ff. 103 Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, hier im Einzelnen auf die genannten Arbeiten einzugehen. Gleichwohl ist es wichtig zu erkennen, welche Facetten bei der Betrachtung benachteiligender Wohnbedingungen vorzufinden sind. Der Karlsruher „Landfahrerplatz“ vereint in seinen Bewohnerinnen und Bewohnern Lebensstile und Biographien, deren Untersuchung sich lohnen würde.
145
676). Zimmermann verweist im „Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands“ (1998, 37ff) unter der Überschrift „Sichtbare Armut: Wohnungsund Obdachlosigkeit“ u.a. auf die Definition der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. Mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe lässt sich als wohnungslos definieren, „wer nicht über einen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum verfügt.104 Folgende Tabelle gibt eine grundsätzliche Übersicht zu den Ergebnissen der beiden Befragungen, die im Gewann Lachäcker durchgeführt wurden: Tabelle 8: Alle Befragten in Lachäcker (1994-1999) Ort
Lachäcker 1994 Lachäcker 1999 Durchschnitt
Bewohner
Befragte
N=114 n=84 n=99
n=103 n=84 n=93,5
Belegte Wohnungen
n=40 n=36 n=38
Durchschnittliche Wohndauer
25 Jahre 18 Jahre 21,5 Jahre
HH mit Berufsverdienst 48,2% 46,7% 47,4%
HH mit Sozialhilfebezug 41,1% 50,0% 45,5%
Die Rücklaufquote betrug 95,1%. In Lachäcker leben im Durchschnitt 99 Personen, in 38 Wohnungen. Die Wohndauer betrug 21,5 Jahre. Die Hälfte der Haushalte verfügt über einen Berufsverdienst, die andere Hälfte lebte größtenteils von dem Bezug von Sozialhilfe.
2.2 Gewann Kleinseeäcker, Karl-Flößer-Straße Der Stadtteil Oberreut ist eine Mitte der 1960er Jahre „aus dem Boden gestampfte“ Stadtrandsiedlung zwischen den Stadtteilen Beiertheim-Bulach und Grünwinkel, die Kleinseeäcker und die Karl-Flößer-Straße beheimatet. „Sozialer Brennpunkt“ war 1967 schon der „H-Block“ der Karl-FlößerStraße, in welchem ca. 100 Familien lebten, die aufgrund des Barackenräu104 „Aktuell
von Wohnungslosigkeit betroffen sind danach Personen, im ordnungsrechtlichen Sektor, die aufgrund ordnungsrechtlicher Maßnahmen ohne Mietvertrag untergebracht sind, d.h. lediglich mit Nutzungsverträgen in Wohnraum eingewiesen oder in Notunterkünften untergebracht werden; im sozialhilferechtlichen Sektor, die ohne Mietvertrag untergebracht sind, wobei die Kosten durch den Sozialhilfeträger nach §§ 11, 12 oder 72 BSHG übernommen werden; die sich in Heimen, Anstalten, Notübernachtungen, Asylen, Frauenhäusern aufhalten, weil keine Wohnung zur Verfügung steht; die als Selbstzahler in Billigpensionen leben, die bei Verwandten, Freunden und Bekannten vorübergehend unterkommen, die ohne jegliche Unterkunft sind, ‚Platte machen‘, Aussiedler, die noch keinen Mietwohnraum finden können und in Aussiedlerunterkünften untergebracht sind“; BAG (Hrsg.) 1998, 1.
146
mungsprogramms aus ihren alten Unterkünften ausziehen mussten. Zum gleichen Zeitpunkt entstand am Rande Oberreuts, an der Gemarkung zu Bulach, das Wohngebiet Kleinseeäcker, das als Schlichtwohnungsbau galt und ca. 60 Familien Obdach bot. Die von Hamm getroffene Feststellung (s.o.), „den Armen bleiben nur die schlechtesten Standorte, umgeben von Industriebetrieben, von stark befahrenen Ausfallstraßen“ (1982, 73), findet in Kleinseeäcker ein entsprechendes Anschauungsbeispiel. Kleinseeäcker und Karl-Flößer-Straße sind Wohngebiete, die im Stadtteil Oberreut eine typische Form der Stadtentwicklung der 1970er Jahre widerspiegeln. Sie boten Menschen den Ersatzwohnraum, der für sie aufgrund von Gentrifizierung in Innenstadtgebieten benötigt wurden. Auch die Nachkriegsgeschichte des Wohnungsbaus wird in diesen beiden Wohngebieten - wie auch den im Folgenden beschriebenen - sichtbar, da sie darüber hinaus Ersatzwohnraum für ehemalige Bewohner/innen von Nachkriegs-Baracken boten. Tabelle 9: Alle Befragten in Kleinseeäcker (1996-2003) Ort
KSÄ 1996 KSÄ 1999 KSÄ 2000 KSÄ 2003 Durchschnitt
Bewohner
Befragte
n=119 n=124 n=103 n=132 n=119
n=105 n=99 n=90 n=128 n=422
Belegte Wohnungen
n=50 n=54 n=43 n=60 n=51
Durchschnittliche Wohndauer
19 17 15 13 16
HH mit Berufsverdienst
Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre
44,2% 41,9% 36,1% 48,4% 42,6%
HH mit Sozialhilfebezug 25,6% 30,2% 36,1% 17,7% 27,5%
Die Rücklaufquote betrug 88,1%. In Kleinseeäcker wurden insgesamt n=422 Personen befragt. Im Durchschnitt finden sich dort 119 Bewohner, in 51 belegten Wohnungen, die dort durchschnittlich 16 Jahre wohnten. Etwas über 40 Prozent der Haushalte haben einen Berufsverdienst, 27,5% beziehen Sozialhilfe. Tabelle 10: Alle Befragten in der Karl-Flößer-Straße (1999) Ort
Karl-FlößerStraße 1999
Bewohner
Befragte
n=182
n=160
Belegte Wohnungen
n=58
Durchschnittliche Wohndauer
8 Jahre
HH mit Berufsverdienst 40,6%
HH mit Sozialhilfebezug 35,6%
147
Die Rücklaufquote betrug 87,9%. In der Karl-Flößer-Straße wohnen 182 Personen, befragt wurden n=160. Es gab 58 belegte Wohnungen, in denen die Befragten im Durchschnitt 8 Jahre wohnten. 40,6% der Haushalte lebten von einem Berufsverdienst, 35,6% bezogen Sozialhilfe.
2.3 Bernsteinstraße, Edelbergstraße, Nußbaumweg Bernsteinstraße, Edelbergstraße: 1583 war Grünwinkel, in dessen Stadtviertel „Neue Heidenstückersiedlung“ sich die Bernstein- und Edelbergstraße befinden, ein Gutshof mit dem Namen „Kreenwinkel“ (Krähenwinkel). Die Eingemeindung nach Karlsruhe erfolgte 1909. Grünwinkel, wie auch nachfolgend Daxlanden, zeichnet eines aus: die Entwicklung vom Dorf zu einem Stadtteil, dem in den 1960er Jahren jeweils Stadtviertel des sozialen Wohnungsbaus „angehängt“ wurde. Nußbaumweg: Der Stadtteil Daxlanden, der mit dem Stadtviertel „Rheinstrandsiedlung“ ein Quartier mit hohem Anteil an sozialem Wohnungsbau beherbergt, gehört im Karlsruher Raum zum ältesten Siedlungsbestand. Die Entstehung des Dorfes wird um 790 nach Christus datiert. Mit der Eröffnung des Rheinhafens 1901 war ein Wandel in der Erwerbsstruktur des Ortes verknüpft. Daxlanden entwickelte sich von einer Bauerngemeinde zum Industriearbeiterdorf. 1910 erfolgte die Eingemeindung nach Karlsruhe. Von 1951 datiert die Entstehung der Bellenäckersiedlung für Familien und Obdachlose - der heutige Nußbaumweg. Bellenäcker wurde 1970 um die Hälfte erweitert und nahm Familien aus der aufgelösten Siedlung Kleinoberfeld auf. In die Siedlung „eingewiesen“ wurden außerdem Obdachlose (häufig in Folge der Altstadtsanierung), Menschen mit Migrationshintergrund, Sinti sowie Roma („Zigeuner“) und Verhaltensauffällige (z.B. durch kriminelle Handlungen). Der bauliche und sanitäre Zustand der Bellenäckersiedlung wird in einem Zeitungsbericht aus dieser Zeit als mangelhaft beschrieben: „Was falsch zu machen war, wurde falsch gemacht“. Sanierungsbedarf und besondere Bedarfe an sozialer Hilfe bestanden seit Entstehung der Siedlung.
148
Tabelle 11: Alle Befragten im Nußbaumweg (1996-2003) Ort
NBW 1996 NBW 1999 NBW 2001 NBW 2003 Durchschnitt
Bewohner
Befragte
n=231 n=203 n=214 n=191 n=209
n=217 n=198 n=178 n=185 n=778
Belegte Wohnungen
n=86 n=72 n=73 n=70 n=72
Durchschnittliche Wohndauer
20 17 19 16 18
Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre
HH mit Berufsverdienst 27,6% 33,3% 36,8% 27,0% 31,17%
HH mit Sozialhilfebezug 42,1% 29,2% 28,1% 23,8% 30,8%
Die Rücklaufquote betrug 92,3%. Insgesamt wurden n=778 Personen im Nußbaumweg befragt. Es gibt dort im Durchschnitt 209 Bewohner/innen in 72 belegten Wohnungen, die durchschnittlich seit 18 Jahren dort leben. 31,17% der Haushalte haben ein Einkommen durch einen Beruf, 30,8% beziehen Sozialhilfe. Tabelle 12: Alle Befragten in der Bernsteinstraße (1996) Ort
Bernsteinstraße 1996
Bewohner
Befragte
n=82
n=75
Belegte Wohnungen
n=40
Durchschnittliche Wohndauer
20 Jahre
HH mit Berufsverdienst 22,2%
HH mit Sozialhilfebezug 44,0%
Die Rücklaufquote betrug 91,4%. In der Bernsteinstraße wohnten 82 Personen, von denen n=75 befragt wurden. Es gab 40 belegte Wohnungen, in denen die Einwohner durchschnittlich 20 Jahre wohnten. 22,2% der Haushalte lebten vom Berufsverdienst, 44,0% bezogen Sozialhilfe. Tabelle 13: Alle Befragten in der Edelbergstraße (2000) Ort
Edelbergstraße 2000
Bewohner
Befragte
n=189
n=149
Belegte Wohnungen
n=89
Durchschnittliche Wohndauer
15 Jahre
HH mit Berufsverdienst 31,5%
HH mit Sozialhilfebezug 25,9%
Die Rücklaufquote betrug 78,8%. In der Edelbergstraße wohnten 189 Personen, von denen 149 befragt wurden. Die Befragten lebten in 89 belegten 149
Wohnungen, durchschnittlich seit 15 Jahren. 31, 5% der Haushalte lebten von einem Berufsverdienst, 25,9% bezogen Sozialhilfe.
2.4 Elsternweg In Knielingen liegt der Elsternweg, das kleinste Wohngebiet innerhalb des Gesamtkonzeptes Wohnungslosenhilfe ´97, dessen Häuser 1950 in einfachster Bauweise entstanden und aktuell als nicht mehr sanierungsfähig angesehen werden. Knielingen fand im Jahre 776 zum ersten Mal Erwähnung. Der Elsternweg wurde 1937 erbaut und ist Ausdruck einer soliden Wohnungspolitik, die Karlsruhe nach dem I. Weltkrieg in der Weimarer Republik auszeichnete: „Mangel herrschte nur noch bei den Klein- und Kleinstwohnungen mit Mieten zwischen 40 und 70 Mark im Monat. Die starke Nachfrage wurde trotz einiger Großprojekte im Bereich des Siedlungsbaus in der Heidenstückersiedlung, der Gartenstadt Kirchenpfad nördlich von Rintheim und der Rheinstrandsiedlung nicht endgültig gelöst“ (Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1998c, 474). In diesem hier beschriebenen Zusammenhang findet der Elsternweg Erwähnung, ohne explizit genannt zu werden, wenn gesagt wird: „Außerdem wurden in Knielingen in sechs zweistöckigen Häusern insgesamt 24 Volkswohnungen gebaut. [...] Die kriegsvorbereitenden Maßnahmen verhinderten aber die kontinuierliche Wohnungsbeschaffung. [...] Bei Kriegsausbruch fehlten immer noch rund 1.000 Kleinwohnungen“ (a.a.O., 474). 1965 machte Knielingen mit dem nicht realisierten Entwurf einer Trabantensiedlung, dem „Rheinstadt-Projekt“, das „Wohnen am Wasser mit hohem Freizeit- und Erholungswert“ versprach, von sich reden. Tabelle 14: Alle Befragten im Elsterweg (2000) Ort
Elsterweg 2000
Bewohner
Befragte
n=24
n=24
Belegte Wohnungen
n=17
Durchschnittliche Wohndauer
40 Jahre
HH mit Berufsverdienst 23,5%
HH mit Sozialhilfebezug 17,6%
Die Rücklaufsquote betrug 100%. Im Elsterweg wohnten im Jahr 2000 24 Personen, von denen alle befragt wurden. In den 17 belegten Wohnungen betrug die durchschnittliche Wohndauer 40 Jahre. 23,5% der Haushalte lebte von einem Berufsverdienst, 17,6% von Sozialhilfe. 150
2.5 Wohngebiete mit Entwicklungsbedarf Trotz aller Bemühungen bei der Wohnraumversorgung sozial und materiell benachteiligter Personenkreise war in Karlsruhe nicht zu verhindern, dass es an bestimmten Orten zu einer Massierung von Problemfamilien gekommen ist. „Das Ausmaß der ungleichen Verteilung von Bevölkerungsgruppen über die Teilgebiete einer Stadt bezeichnet man als soziale Segregation“ (Hamm/Neumann 1996, 188). Diese aktuell auffälligen Orte werden unten näher untersucht. Es ist interessant zu sehen, in welcher Art von Stadtvierteln diese Orte mit Entwicklungsbedarf liegen. Die Stadt Karlsruhe hat 1994 einen Beitrag mit dem Titel „Gebietstypen“ herausgegeben. Danach werden in Karlsruhe sieben Gebietstypen unterschieden, denen die Stadtteile und -viertel zugeordnet werden können: Typ 1: Besser gestellte ältere Familien in überwiegend älteren, großzügig dimensionierten Eigenheimen Typ 2: Junge Familien der Mittelschicht in neueren Eigenheimen Typ 3: Ältere Familien der Mittelschicht vorwiegend in Mietwohnungen von Baugenossenschaften Typ 4: Mittelständische Bevölkerung vorwiegend in Ein-Familien-Häusern mit durchschnittlicher Wohnraumversorgung und Ausstattung Typ 5: Sozial schwächere deutsche Familien in neu gebauten Sozialwohnungen Typ 6: Sozial schwächere deutsche Familien in älteren Sozialwohnungen Typ 7: Kleinhaushalte mit hohen Ausländeranteilen und zum Teil sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen in zentral gelegenen Altbaumietwohnungen. Die in dieser Arbeit genannten Wohngebiete mit Entwicklungsbedarf liegen in Stadtvierteln mit den in Tabelle 15 gezeigten Typisierungen. Die Tabelle zeigt, dass Wohngebiete mit Entwicklungsbedarf nicht zwangsläufig in Stadtvierteln liegen müssen, in denen vor allem sozial und materiell Benachteiligte beheimatet sind. Dies gilt immerhin für vier der hier betrachteten Wohngebiete, die in Stadtvierteln des Typs 4 (mittelständische Bevölkerung vorwiegend in Ein-Familien-Häusern mit durchschnittlicher Wohnraumversorgung und Ausstattung) liegen. Insofern findet der 151
Tabelle 15: Gebietstypen der Wohngebiete mit Entwicklungsbedarf Gebiet Kleinseeäcker (neugebaute Sozialwohnungen) Nußbaumweg (ältere Sozialwohnungen) Bernsteinstraße (durchschnittlich) Lachäcker (durchschnittlich) Elsternweg (durchschnittlich) Edelbergstraße (durchschnittlich) Karl-Flößer-Straße (ältere Sozialwohnung)
Typ 5 6 4 4 4 4 6
Quelle: Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1994e (eigene Bearbeitung)
Ansatz sozialer Durchmischung Anwendung, zumindest was die Stadtviertelebene anbelangt. Die Mikroebene - beispielsweise in Bezug auf die persönlichen Kontakte der Bewohner/innen über Kindergarten oder Schule bleibt bei dieser Betrachtungsweise ausgeblendet. Gleichwohl war der Beitrag „Gebietstypen“ eine Chance der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit der Sichtbarmachung von Armut, da diese sich auch in Karlsruhe in Stadtvierteln konzentriert zeigt. Eine sozialwissenschaftliche Betrachtungsweise - wie im theoretischen Teil dieser Arbeit dargelegt z.B. mit Hilfe des Modells einer „dreigeteilten Stadt“ (vgl. Häußermann/Siebel 1991), die nicht nur Indikatoren konstatiert - hätte die zum damaligen Zeitpunkt gleichzeitig geleistete Armutsberichterstattung in räumlichem Sinne ergänzen können. Für Stadtpolitik bestünde dabei die Gelegenheit, den sozialen Wandel, der in diesen benachteiligenden Wohnbedingungen sozialräumlich seinen Niederschlag findet, in ihren makrostrukturellen Überlegungen zur Stadtentwicklung zu berücksichtigen. Ein aktueller raumplanerischer Ansatz, sich mit Gebietstypen auseinander zu setzen, besteht in dem von der Karlsruher Sozial- und Jugendbehörde unter Regionalisierungsaspekten verfolgten Konzept, Karlsruhe in Sozialregionen zu unterteilen. Eine erste Sozialregion wurde auf der Basis der Gesamtthematik, die diese Arbeit umfasst, gebildet, nämlich die Sozialregion Südwest. Diese umfasst die drei benachbarten Stadtteile Oberreut, Grünwinkel und Daxlanden, die eine gemeinsame Geschichte verbindet: Die Stadt Karlsruhe hat dort nach dem Zweiten Weltkrieg Barackensiedlungen, Schlichtwohnungsbau, so genannte „Obdachlosensiedlungen“ und sozialen Wohnungsbau konzentriert gebaut. Daxlanden besteht aus vier, Grünwinkel aus fünf und Oberreut aus zwei Stadtvierteln. Es fällt auf, dass mit der Rheinstrandsiedlung in Daxlanden, der Neuen Heidenstückersiedlung in Grünwinkel sowie dem Stadtviertel Waldlage in 152
Oberreut in jedem der drei Stadtteile ein Stadtviertel mit hohem Sozialwohnungsanteil, wie oben bereits dargelegt wurde, vorzufinden ist. Ein zweiter Zusammenhang besteht in sozial bedenklichen Sozialindikatoren auf Stadtviertel-, aber auch Stadtteilebene. Vogler stellt in diesem Zusammenhang fest: „Zahlreiche Schriften der Sozial- und Jugendbehörde verdeutlichen den dringenden Handlungsbedarf in der Sozialregion Südwest. Auch das Teilprojekt 3 des Verbundprojektes ‚Stadtregion Karlsruhe 2030‘ setzt sich derzeit intensiv mit dem Thema Segregationstendenzen und der sozialen Durchmischung des Wohnens v. a. am Beispiel der Sozialregion Südwest auseinander“ (2002, 86). Nach über 30 Jahren der Bemühungen um soziale und bauliche Aufwertung zeigen sich in Karlsruhe im Sinne von Häußermann/Siebel „ökonomische, soziale und kulturelle Spaltungslinien“ zur Mehrheitsgesellschaft Karlsruhes, wie das empirische Material im weiteren Verlauf dieser Arbeit belegen wird. Wie vielschichtig sich das Feld der benachteiligenden Wohnbedingungen darstellt, hat dieses Kapitel gezeigt. Es hat aber auch dargelegt, dass derjenige, der als „obdachlos“ im Bereich der (kommunalen) Sozialpolitik und Sozialarbeit gilt, durchaus in der Regel ein Dach über dem Kopf hat. Insofern sind die Begriffsbestimmungen - auf der individuellen (Mikro-)Ebene angesiedelt - auch bedeutsam für die weiteren Ausführungen.
153
3 Demographische Merkmale und Sozialprofil der Befragten („raumwirksame Sozialstruktur“): 1994-2000 Die vergleichende Darstellung des Sozialprofils aufgrund der Ergebnisse der Erstbefragungen von 1994 (Lachäcker), 1996 (in den anderen Wohngebieten) und 1999 (Karl-Flößer-Str.) ist der erste Schritt, um die diesbezügliche Ausgangslage empirisch zu beschreiben.
3.1 Geschlechterverteilung Die Verteilung der Geschlechter ergibt tendenziell ein einheitliches Bild: Bis auf eine Ausnahme war jede Geschlechterverteilung in den untersuchten Wohngebieten näher an einer 50:50-Verteilung als an einem 1/3:2/3Verhältnis. Lediglich in der Karl-Flößer-Straße gibt es deutlich mehr weibliche Personen als männliche. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass dort vergleichsweise überproportional viele allein erziehende Frauen leben.
Karl-Flößer-Str.
Kleinseeäcker1
Nußbaumweg1
Bernsteinstraße
Lachäcker1
Weiblich Männlich Anzahl
Elsternweg
Geschlecht
Edelbergstraße
Tabelle 16: Geschlechterverteilung Wohngebiete (n=833)
50,7 49,3 149
54,2 45,8 24
57,5 42,5 160
43,8 56,2 105
51,2 48,8 217
44,0 56,0 75
49,0 51,0 103
Angaben in %
Der feministische Ansatz in der Segregationsforschung mit seinen oben dargestellten Erkenntnissen eignet sich hier in besonderem Maße zur praktischen Anwendung. Gleichwohl ist ein genderreflexives Verfahren, das beide Geschlechter berücksichtigt, angezeigt. 155
Abbildung 11: Geschlechterverteilung der Wohngebiete
3.2 Altersverteilung Bei näherer Betrachtung der Altersverteilungen in den Wohngebieten fällt auf, dass wie vor 30 Jahren ein Merkmal benachteiligender Wohnbedingungen der überdurchschnittlich hohe Anteil von Kindern und Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung ist. Somit findet die vom Deutschen Städtetag geleistete Definition zu „Sozialen Brennpunkten“ von 1979, die den erhöhten Anteil an Kindern und Jugendlichen hervorhebt (s.o.), auch heute ihre Bestätigung. Diese Tatsache trifft lediglich auf die Wohngebiete Bernsteinstraße (hoher Anteil an alleinstehenden Haushalten) sowie Elsternweg (hoher Anteil von Haushalten mit Bezieherinnen und Beziehern von Renteneinkommen) nicht zu. In außerordentlichem Maße kennzeichnet das Merkmal „Juvenalisierung“ das Wohngebiet Karl-Flößer-Straße mit einem prozentualen Anteil von 47,5% unter 18-jähriger Bevölkerung. Im Elsternweg ist das genaue Gegenteil festzustellen: 45% der Wohnbevölkerung sind der Gruppe der Seniorinnen und Senioren zuzurechnen.105 So einheitlich die Geschlechterverteilung sich in den verschiedenen Befragungen darstellt, so heterogen ist das Erscheinungsbild bei der Altersverteilung. Nachfolgende Tabellen ermöglichen die Identifizierung „jüngerer“ und „älterer“ Wohngebiete.
105 Ergänzend
ist ein Vergleich der Altersverteilungen aller untersuchten Wohngebiete mit der Altersstruktur der Bezieher/innen von Sozialhilfe in Karlsruhe interessant: Dabei zeigt sich, dass ein signifikanter Unterschied, was den Altersaufbau von Menschen anbelangt, die in benachteiligenden Wohngebieten leben, zu der Gruppe der Sozialhilfebezieher/innen nicht besteht.
156
Karl-Flößer-Str.
Kleinseeäcker1
Nußbaumweg1
Bernsteinstraße
Lachäcker1
0-5 6-14 15-17 18-29 30-39 40-49 50-59 60... Anzahl
Elsternweg
Alter/Jahre
Edelbergstraße
Tabelle 17: Altersverteilung Wohngebiete (n=823)
11,5 14,2 6,7 14,2 13,5 11,5 14,9 13,5 148
0,0 10,0 0,0 10,0 10,0 10,0 25,0 45,0 20
14,1 23,1 10,3 16,7 14,1 14,1 3,8 3,8 156
9,5 8,6 4,8 14,3 20,0 16,2 11,4 15,2 105
10,2 18,1 4,6 19,9 11,6 13,4 9,7 12,5 216
6,6 12,0 6,6 14,7 14,7 16,0 18,7 10,7 75
7,8 27,2 1,0 13,6 18,4 19,4 6,8 5,8 103
Angaben in %
Karl-Flößer-Str.
Kleinseeäcker1
Nußbaumweg1
Bernsteinstraße
Lachäcker1
Kinder/Jugendliche Senioren
Elsternweg
Altersgruppe
Edelbergstraße
Tabelle 18: Altersgruppen Wohngebiete
32,4 13,5
8,3 54,2
48,8 3,7
22,9 15,2
32,8 12,5
25,2 10,7
35,9 5,8
Angaben in %
Bei der Aufschlüsselung in Kinder/Jugendliche und Senioren wird das soziale Alter der Wohnorte noch deutlicher. Die Edelbergstraße, die Karl-Flößer-Straße, Lachenäcker, der Nußbaumweg und die Bernsteinstraße sind junge Wohnorte, der Elsternweg ist ein eher „älterer“ Wohnort. Der hohe Anteil von Kindern und Jugendlichen verweist auf die Wichtigkeit des Begriffs Sozialisation. „Felder der Sozialisation“ 106 lassen sich in primäre und sekundäre unterscheiden. Primärer Sozialisationsraum ist die Familie. Die Familie ist in der Regel der erste Ort, in dem ein Kind lernt, soziale Beziehungen zu entwickeln. Gukenbiehl vertritt die Konzeption „Sozialisation als einen aktuell sich vollziehenden lebenslangen Vorgang zu sehen. Mit dieser Aussage kommen die Umweltbedingungen in den Mittelpunkt der 106 Vgl.
Gukenbiehl (Hrsg.) 1979a.
157
Abbildung 12: Altersgruppen der Wohngebiete
Betrachtung.107 Dabei muss berücksichtigt werden: „Die Betonung einer Abhängigkeit familialer Sozialisationsprozesse von regionalen (Sozialökologie), aber auch von gesamtgesellschaftlichen und subkulturellen Bedingungen der sozialen Lage hat zur Einbeziehung von Konzepten und Ergebnissen aus der Erforschung sozialer Ungleichheit in die familiensoziologische Analyse der Sozialisationsbedingungen geführt“ (a.a.O.). Damit wird auch die Brücke zu den im Vorangegangenen dargelegten Ausführungen zu sozialer Ungleichheit und sozialer Lage geschlagen.
3.3 Haushaltsstrukturen Die durchschnittliche Haushaltsgröße in den Wohngebieten beträgt zwischen 1,4 und 3,6 Personen je Haushalt, wie Tabelle 19, die auch die Verteilung der verschiedenen Haushaltsgrößen auflistet, zeigt. Es versteht sich beinahe von selbst, dass Wohngebiete mit hohem Kinderanteil eine durchschnittlich höhere Anzahl an Mitgliedern je Haushalt aufzuweisen haben als Wohngebiete mit niedrigerem Kinderanteil. Beleg für diese Feststellung sind die Wohngebiete Karl-Flößer-Straße und Elsternweg, die 107 „Wird
Sozialisation als lebenslanger Prozeß gesehen, dann muss die Soziologie seinen Verlauf und seine Ergebnisse wesentlich aus den strukturellen und situativen Bedingungen jener Handlungsfelder rekonstruieren, in denen ein Mensch im Laufe seiner Sozialisationsgeschichte (Biographie) denkend und handelnd gelebt hat. Für eine solche Rekonstruktion sind Forschungsergebnisse aus den Teildisziplinen aufzunehmen, die die jeweiligen Lebens-, Handlungs- und Sozialisationsbedingungen untersuchen“; Gukenbiehl 1979a, 9.
158
Karl-Flößer-Str.
Kleinseeäcker1
Nußbaumweg1
Bernsteinstraße
Lachäcker1
1 2 3 4 5 u. mehr Durchschnitt Anzahl
Elsternweg
Personen
Edelbergstraße
Tabelle 19: Haushaltsgrößen (n=300)
33,3 31,5 16,7 3,7 14,8 2,5 54
64,7 29,4 5,9 0,0 0,0 1,4 17
9,0 27,3 20,5 15,9 27,3 3,6 44
20,4 50,0 9,1 13,6 6,9 2,4 43
21,0 30,3 17,1 15,8 13,2 2,9 75
23,3 49,9 6,7 6,7 13,4 2,5 30
43,2 16,2 8,1 5,4 27,1 2,8 37
Angaben in %
mit 3,6 bzw. 1,4 Personen durchschnittlicher Haushaltsgröße die „Extrempole“ darstellen. Nunmehr sollen die verschiedenen Haushaltsformen in ihrer quantitativen Erscheinungsform in den verschiedenen Wohngebieten aufgeführt werden. Mit diesem Datenmaterial können Handlungsprogramme wie z.B. spezielle Qualifizierungsmaßnahmen für Alleinerziehende, zielgenauer umgesetzt werden. Darüber hinaus lassen sich aber auch Bedarfe an sozialraumorientierter Kinderbetreuung ablesen:
Karl-Flößer-Str.
Kleinseeäcker1
Nußbaumweg1
Bernsteinstraße
Lachäcker1
Einpersonen-HH Mehrpersonen-HH Paare ohne Kinder Paare mit Kindern Alleinerziehende Wohngemeinschaft Anzahl
Elsternweg
Haushalt
Edelbergstraße
Tabelle 20: Haushaltsstrukturen Wohngebiete (n=307)
32,8 67,2 20,7 24,1 19,0 3,4 58
64,6 35,4 17,7 0,05 17,7 0,0 17
9,1 90,9 11,4 0,03 38,6 0,0 44
23,4 76,6 34,9 0,22 4,6 7,0 43
21,3 78,7 20,0 6,72 28,0 4,0 75
23,4 76,6 36,7 3,33 6,6 10,0 30
40,0 60,0 10,0 6,6 6,7 6,7 40
Angaben in %
In der Entwicklung kann man sehen, dass in Kleinseeäcker die Gruppe der Alleinerziehenden zunimmt, während die Anzahl von Paaren ohne Kinder abnimmt. 159
Abbildung 13: Haushaltsstrukturen Wohngebiete (Entwicklung)
Im Nußbaumweg nahmen Paare ohne Kinder erst ab und dann wieder leicht zu, während die Zahlen der Alleinerziehenden erst zunahm und dann leicht zurückging. Im Gebiet Lachäcker ist die Anzahl der Paare mit Kindern am Sinken, die Gruppe „Paare ohne Kinder“ stieg an. Die überdurchschnittlich hohen Prozentwerte bei den allein erziehenden Haushalten in der Karl-Flößer-Str. und im Nußbaumweg betreffen in der Regel Frauen. Hier zeigt sich, wie auch bei vollständigen Familien, besonders die u.a. von Dorhöfer benannte Tatsache der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in Erwerbs- und Hausarbeit. Diese Frauen sind durch ihre Familien- bzw. Erziehungsarbeit in ihrer benachteiligten Rolle als Hausfrau besonders an die benachteiligenden Wohngebiete gebunden, was in der feministischen Stadtsoziologie als ein Segregationsaspekt angesehen wird (s.o.). Aus dem Blickwinkel „Haushaltsstruktur“ hat die Familie im Kontext sozial benachteiligender Wohnbedingungen schon immer ein besonderes Augenmerk in der theoretischen und in der Auseinandersetzung mit Praxisbezug erfahren. Deshalb soll mit dem folgenden Abschnitt eine Vertiefung der Thematik erfolgen.
3.4 Familienphasen der Haushalte In seinem Beitrag „Materiell-räumliche Faktoren in der ökologischen Sozialisationsforschung“ betrachtet Gukenbiehl (1990) die physischen Umweltgegebenheiten in Bezug auf Sozialisation. Darauf wurde schon eingegangen. Lebens- und Familienphasen hat Herlyn untersucht (1990). Nach Herlyn lassen sich die Phasen des Familienzyklusses folgendermaßen differenzieren: 160
• Gründungsphase (Eheschließung), • Expansionsphase (endet, wenn alle Kinder geboren sind), • Konsolidierungsphase (reicht von der Geburt des letzten Kindes bis zu dem Zeitpunkt, an dem das erste Kind das Elternhaus verlässt), • Stagnationsphase (reicht von dem Zeitpunkt, an dem das erste Kind das Elternhaus verlässt, bis das letzte Kind ausgezogen ist), • Altersphase („Nachelternphase“/„empty-nest-Phase“). Es kann an dieser Stelle keine Erörterung in Bezug auf das Wohnen und Wohnumfeldverhalten von Familien geleistet werden. Ein kritischer Hinweis sei an dieser Stelle dennoch gestattet: Das Sozialministerium BadenWürttemberg hat im Jahr 1998 einen von der Familienwissenschaftlichen Forschungsstelle im Statistischen Landesamt Baden-Württemberg erarbeiteten Familienbericht herausgegeben, in welchem auch die „Bedeutung von Wohnsituation und Wohnumwelt für Familien“ in einem Kapitel Inhalt ist. Keinen Widerspruch findet die dort getätigte Aussage: „Neben der Wohnung selbst beeinflusst auch das Wohnumfeld die Lebensbedingungen von Familien nachhaltig. So ist die Qualität der physischen Umwelt (Verdichtungsgrad der Bauformen, Grad der Luftverunreinigung und der Lärmbeeinträchtigung) ein wesentlicher Faktor für die Wohn- und Lebensbedingungen insbesondere von Kindern und Jugendlichen. Daneben spielt aber auch die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur (Verkehrsanbindung, Verfügbarkeit von Kindergarten und Schule, Freizeiteinrichtungen, ärztliche Versorgung und Einkaufsmöglichkeiten im Nahbereich der Wohnung) eine wichtige Rolle für die Qualität des Wohnumfeldes“ (1998, 620). Die soziale Dimension der Wohnbedingungen von Kindern und Jugendlichen bleibt im Familienbericht unberücksichtigt. Selbst unter der Überschrift „Bekämpfung von Obdachlosigkeit“ - hier wird lediglich auf die behördliche Unterbringung von z.B. durch Räumungsklagen wohnungslos gewordenen Familien kurz eingegangen - sucht man vergeblich nach Inhalten, die auf „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf“ zumindest verweisen. Dabei stellen solche Berichte Chancen dar, um fachlich fundierte „Planung als Praxis der Wissenschaft“ (vgl. Schäfers 1973a) zu initiieren und umzusetzen. Die oben dargestellten Familienphasen dienen als Möglichkeit bei der empirischen Analyse, Haushaltsformen in den verschiedenen in Karlsruhe untersuchten Wohngebieten differenziert unterscheiden und vergleichen zu können. Erst in den Befragungen ab dem Jahr 2000 wurde die Familienphase als Item aufgenommen. Anwendung fand diese Fragestellung bislang in vier Wohn161
gebieten, die sich sowohl sozialstrukturell als auch, was die Familienphasen anbelangt, voneinander unterscheiden. Keine Zuordnung zu Familienphasen ist bei der Hälfte der Haushalte im Elsternweg möglich. Der entsprechende Prozentsatz ist in der Edelbergstraße (22,4%), in Kleinseeäcker (10,5%) sowie im Nußbaumweg (15,5%) bei weitem geringer. Dies korreliert mit den Daten zu den Haushaltsformen in den Wohngebieten: Hat doch der Elsternweg die höchste Quote an Ein-Personenhaushalten aufzuweisen, die keine Familiengründung in ihrer Biographie haben. Abbildung 14: Familienphasen einzelner Wohngebiete (2000/01)
Tabelle 21: Familienphasen Edelbergstraße, Elsternweg, Kleinseeäcker, Nußbaumweg (n=171) Familienphase Gründungsphase Expansionsphase Konsolidierungsphase Stagnationsphase Altersphase Sonstige Haushalte Anzahl Haushalte
Edelbergstr. (2000)
Elsternweg (2000)
Kleinseeäcker (2001)
Nußbaumweg (2001)
5,2 8,6 22,4 19,0 22,4 22,4 58
0,0 0,0 5,9 11,8 29,4 52,9 17
2,6 15,8 29,0 15,8 26,3 10,5 38
0,0 10,3 22,4 19,0 32,8 15,5 58 Angaben in %
Die Aktualität von Analysen aus den 1970er Jahren und später, die auf die benachteiligenden Effekte von Wohnbedingungen insbesondere auf Kinder, Jugendliche sowie deren Familien aufmerksam gemacht haben (s.o.), belegen die soeben angeführten Daten. Benachteiligende Wohngebiete stellen überwiegend Familien Wohnraum zur Verfügung. Mit dem polit-ökonomischen Ansatz lässt sich dieses segregationstheoretisch auch begründen: Die zunehmende Verknappung preiswerten Wohnraums auf Stadtebene gibt umzugs162
willigen Familien kaum Chancen zur Realisierung eines Auszugs. Damit spiegelt sich im Mikromilieu eines Wohngebiets die makrostrukturelle Feststellung der Armutsforschung, die eine „Infantilisierung/Juvenalisierung“ und „Familiarisierung“ der Armutsentwicklung in den 1990er Jahren konstatiert, wider (vgl. etwa den Sammelband von Leibfried/Voges (Hrsg.) 1992, der allerdings bis auf den Beitrag von Schäfers (vgl. a.a.O., 115f.) den Raumbezug von Armut weitgehend unberücksichtigt lässt). Gleichwohl kann nicht nur von „erzwungener“ Segregation bei den befragten Familien ausgegangen werden. Wie unten noch zu sehen sein wird, bieten die räumliche Lagen der Karlsruher Randsiedlungen gerade für Familien große Vorteile, die einen Teil der Familien die sozialen Nachteile in Kauf nehmen lassen, so dass mit Häußermann/Siebel hier von „freiwilliger Segregation“ gesprochenen werden kann.
3.5 Einkommenssituation der Haushalte Die sozioökonomische Lage der Bewohner/innen prägt nicht nur die Lebenslage der jeweiligen Haushaltsmitglieder, sondern das gesamte Wohnmilieu. In Wohngebieten, in denen berufstätige Eltern wohnen, erleben Kinder eine andere Tagesstrukturierung und Organisationsleistung von Erwachsenen als an Orten, an denen Erwachsene auf Transfereinkommen angewiesen sind. Daten zur Einkommenssituation ergeben auch Hinweise darauf, in welchen Wohngebieten Handlungsprogramme zur Verringerung der Abhängigkeit von Transfereinkommen besonders dringlich sind. Somit bilden die folgenden Daten auch Ausgangslagen ab. Dies zeigt sich besonders in denjenigen Wohngebieten, in denen bereits mehrere Befragungen stattgefunden haben.108 In allen Ansätzen von Segregationstheorien stellt das Einkommen eine Schlüsselvariable dar. Soziale Benachteiligung tritt hier als „sozioökonomisch bedingte Segregation“ (Häußermann/Siebel) zu Tage. Der hohe Anteil an Familien, der eine überproportional hohe Abhängigkeit von Sozialhilfe impliziert - 50% der Familien in der Karlsruher Sozialhilfe sind zudem allein erziehende Haushalte - ist die Ursache für hohe Sozialhilfe-Anteile in Wohngebieten wie Karl-Flößer-Str., Edelbergstraße oder Nußbaumweg. Bilden sich doch auch hier makrostrukturelle Fakten im sozialräumlichen 108 Diese
Zeitreihen ermöglichen ein Monitoring zur Entwicklung von Daten wie etwa den Sozialhilfequoten.
163
Karl-Flößer-Str.
Kleinseeäcker1
Nußbaumweg1
Bernsteinstraße
Lachäcker1
Erwerb/Beruf Sozialhilfe Rente Sonstiges Anzahl
Elsternweg
Haupteinkommen
Edelbergstraße
Tabelle 22: Einkommen der Haushalte (n=376)
31,5 25,9 22,2 20,4 58
23,5 17,6 35,3 20,6 17
40,6 35,6 15,6 8,2 44
44,2 25,6 23,3 6,9 43
27,6 42,1 28,0 2,3 75
22,2 40,0 15,6 21,2 72
48,2 41,1 0,0 10,7 37
Angaben in %
Mikromilieu von Wohngebieten ab. Der nicht geringe Anteil von Haushalten, die ohne Transfereinkommen ihren Lebensunterhalt bestreiten, kann die Basis dafür sein, Programme zu initiieren, die die Selbsthilfekräfte vor Ort weiter fördern. Leider kann wegen fehlender Datenlage kein Vergleich zu den 1970er Jahren angestellt werden.
3.6 Geburtsort und Staatsangehörigkeit Bewohner/innen nach ihrem Geburtsort zu befragen kann bei der Erhebung der gegebenen Antworten Hinweise auf die Belegungssteuerung durch die Wohnungsbaugesellschaft Volkswohnung GmbH geben. Dies wird auch an nachfolgender Tabelle deutlich, die ohne weitere Erkenntnisse für sich alleine nicht aussagekräftig ist. Im Gewann Lachäcker („Landfahrerplatz“), in der Bernsteinstraße und der Edelbergstraße sind die geringsten Quoten an Menschen, die in Karlsruhe geboren wurden, festzustellen. Während beim „Landfahrerplatz“ dies leicht verständlich ist, da Zugereiste in den seltensten Fällen ursprünglich aus Karlsruhe kommen, bedarf es bei der Bernsteinstraße und der Edelbergstraße einer weiteren Erläuterung: Bei beiden handelte es sich um Wohnobjekte, die mittelfristig entmietet werden sollten. Relativ vielen nach Karlsruhe zuziehenden Haushalten (oftmals alleinstehende Männer) wurden diese beiden Wohnadressen als erste Unterkunft angeboten. In zur Entmietung anstehenden Wohngebieten spielt die ansonsten verfolgte Belegungspraxis im Sinne einer sozialen Durchmischung eine untergeordnete Rolle, was sich mit Hilfe der vorliegenden Befragungsdaten nachweisen lässt. Der hohe Anteil an Menschen aus Osteuropa in der Edelbergstraße ist ein Beispiel dafür. 164
Karl-Flößer-Str.
Kleinseeäcker1
Nußbaumweg1
Bernsteinstraße
Lachäcker2*
Karlsruhe Baden-Württemberg Deutschland Übrige EU Osteuropa Sonstige Anzahl
Elsternweg
Geburtsort
Edelbergstraße
Tabelle 23: Geburtsort (n=802)
53,5 6,9 6,9 8,3 21,5 2,1 144
68,2 0,0 22,7 0,0 9,1 0,0 22
75,0 2,5 5,6 9,4 6,3 1,3 160
78,0 6,7 6,7 4,8 3,8 0,0 105
67,8 10,6 13,6 4,7 2,8 0,5 214
54,1 18,8 16,2 0,0 9,5 1,4 74
56,6 26,5 15,7 1,2 0,0 0,0 83
*Daten in Erstbefragung nicht erhoben
Angaben in %
Die Frage nach dem Geburtsort ist auch deshalb von Bedeutung, weil mit ihr etwaige Migrationshintergründe der Bewohner/innen eruiert werden können. Dies ist mit der Frage nach der Staatsangehörigkeit nur eingeschränkt möglich. Sinti, Roma und Aussiedler/innen geben in der Regel eine deutsche Staatsangehörigkeit an. Prinzipiell gilt für die in dieser Arbeit behandelten Karlsruher Wohngebiete, dass der Indikator „Ausländeranteil“ eine untergeordnete Rolle spielt. Lediglich das Wohngebiet Edelbergstraße fällt aus oben genannten Gründen auf.
Karl-Flößer-Str.
Kleinseeäcker1
Nußbaumweg1
Bernsteinstraße
Lachäcker1
Deutsch Übrige EU Osteuropa Sonstige Anzahl
Elsternweg
Staatsangehörigkeit
Edelbergstraße
Tabelle 24: Staatsangehörigkeit (n=818)
68,6 12,1 14,3 5,0 140
100,0 0,0 0,0 0,0 24
85,0 10,0 0,6 4,4 160
96,2 3,8 0,0 0,0 105
92,0 7,1 0,1 0,9 211
89,3 0,0 0,0 10,7 75
94,0 2,0 11,6 0,0 103
Angaben in %
Damit zeigt sich, dass in Karlsruhe keine Belegungssteuerung dahingehend stattgefunden hat, ausländische Familien in Obdachlosensiedlungen unterzubringen. Insofern finden Segregationstheorien, die Migration als Schlüsselvariable verwenden wie etwa in sozialökologischen Ansätzen keine Verwert165
barkeit auf dieser Ebene der Stadt Karlsruhe. Diese „Ausländerfrage“ bzw. Migra-tionsfrage wäre separat zu untersuchen. Auch der polit-ökomische Ansatz von Häußermann/Siebel betont die Frage der ethnischen Zugehörigkeit, die wie oben angedeutet „nur“ für Sinti und Roma anzuwenden wäre, die in höherem Maße als in „normalen“ Wohngebieten anzutreffen sind. In der Edelbergstraße und der Bernsteinstraße ist ein „erhöhter“ Anteil an Bewohnern aus Osteuropa erkennbar. Abbildung 15: Staatsangehörigkeit
3.7 Bildungsniveau Die Qualifikationsstruktur in den untersuchten Wohngebieten weist ein besonderes Maß an sozialer Benachteiligung aus. Maßnahmen zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt werden die Tatsache berücksichtigen müssen, dass nur geringe schulisch erworbene Qualifikationen bei den Bewohnerinnen und Bewohnern vorhanden sind. Am extremsten ist dies in Lachäcker der Fall, wie nachfolgende Tabelle ausweist. Die Verschlechterung des Prozentsatzes in der Rubrik „Ohne Schulabschluss“ resultiert aus dem Umstand, dass in Lachäcker die Anfang der 1990er Jahre zugezogenen Wohnungslosen wieder weggezogen sind. Bei diesem Personenkreis handelte es sich zum Teil auch um jüngere Personen, die einen Schulabschluss aufzuweisen hatten. Ein Merkmal benachteiligender Wohnbedingungen ist auch heute noch die Sonderschulquote. Diese beschreibt den prozentualen Anteil der Schü166
ler/innen, die keine Regelschule besuchen. Hier besteht ein breites Betätigungsfeld, sofern man die Reduzierung dieser in manchen Wohngebieten als „bedenklich hoch“ zu bezeichnenden Prozentwerte anstrebt. Gleichwohl ist über eine längere Zeitspanne hinweg eine positive Entwicklung festzustellen: Der in Karlsruhe Anfang der 1970er Jahre konstatierte Wert lag durchschnittlich bei 58% (vgl. König 1976, 58f.). Welche Zeitkorridore ins Auge gefasst werden müssen, wenn z.B. sozialpädagogische Maßnahmen vor Ort nachhaltig wirken sollen, ist daran zu ermessen (bei entsprechender Intensität der Verfolgung des Ziels Abbau von Bildungsbenachteiligung bedarf es allerdings nicht dreier Jahrzehnte). Der polit-ökonomische Ansatz der „dreigeteilten Stadt“ (Häußermann/Siebel) nennt explizit Bildung als Merkmal sozialer Exklusion. Dem politischen Postulat nach Chancengleichheit der 1970er Jahre wäre in diesen Wohngebieten zudem Rechnung zu tragen. Die durchschnittliche Sonderschulquote insgesamt betrug 28,2%.
Karl-Flößer-Str.
Kleinseeäcker1
Nußbaumweg1
Bernsteinstraße
Lachäcker1
Ohne Hauptschule Realschule Abitur/Fachhochschulreife Anzahl Sonderschulquote
Elsternweg
Schulabschluss
Edelbergstraße
Tabelle 25: Schulbildung (n=479)
62,6 6,6 30,8 0,0 91 38,9
31,8 68,2 0,0 0,0 20 0,0
43,5 47,8 8,7 0,0 69 23,9
26,8 68,7 3,0 1,5 67 30,8
41,5 54,2 0,9 3,4 118 36,1
40,4 57,5 2,1 0,0 47 7,7
61,3 27,4 9,7 1,6 62 60,0
Angaben in %
In der Edelbergstraße finden sich die meisten Bewohner/innen ohne Schulabschluss, aber auch mit den meisten Realschulabschlüssen. Im Elsterweg haben mehr Bewohner einen Hauptschulabschluss als keinen. Kleinseeäcker, Nußbaumweg und Bernsteinstraße ähneln sich in der Bildungsstruktur.
167
Abbildung 16: Schulabschluss der Bewohner/innen
3.8 Berufsausbildung Die Ergebnisse zur Berufsausbildung stellen sich tabellarisch wie folgt dar:
Karl-Flößer-Str.
Kleinseeäcker1
Nußbaumweg1
Bernsteinstraße
Lachäcker1
Ohne Berufsabschluss Abgebrochene Ausbildung Berufsabschluss In Ausbildung Anzahl
Elsternweg
Berufsabschluss
Edelbergstraße
Tabelle 26: Berufsausbildung (n=451)
50,6 3,8 34,2 11,4 79
42,1 0,0 57,2 0,0 19
55,5 9,9 30,9 3,7 81
64,9 4,1 27,0 4,0 74
61,8 3,4 34,8 0,0 89
52,0 2,0 42,0 4,0 50
84,8 0,0 15,2 0,0 59
Angaben in %
Was die Berufsqualifikationen anbelangt, lassen sich die unter dem Punkt 3.7 getätigten Aussagen zur Schulbildung übertragen. Hier eröffnet sich in den untersuchten Wohngebieten ein breites Feld an Möglichkeiten von Qualifizierungsmaßnahmen, falls im jeweiligen Einzelfall nicht eine berufliche Tätigkeit vermittelt werden kann, die auf das Vorhandensein von Qualifizierung verzichtet. Auch bei der Berufsbildung zeigt sich, dass benachteiligende Wohnbedingungen eine Entsprechung auf individueller Ebene dahingehend finden, dass eine Bildungsbenachteilung offenkundig ist. Da soziale Integration in Deutschland eng verknüpft ist mit der Stellung am Arbeitsmarkt, ist die berufliche Qualifizierung ein unabdingbar notwendiges Arbeitsfeld 168
sozialer Stadtteilentwicklung.
3.9 Sozialprofil I der Bewohner insgesamt (im Durchschnitt): 1994-2000 An dieser Stelle soll ein Sozialprofil aus den Angaben aller Befragten, wie unter Pt. 3.1-3.8 dargestellt, erarbeitet werden, um ein von den einzelnen Wohngebieten etwas abstrahierendes Bild mit allgemeineren Tendenzen zeigen zu können. Dazu wurden die Daten der Befragten insgesamt im statistischen Durchschnitt errechnet. Darauf wird im letzten Kapitel noch weiter einzugehen sein. Nimmt man den statistischen Durchschnitt aller Befragten, ergibt sich folgendes Bild der Altersverteilung: Ein Drittel ist der Gruppe der Kinder und Jugendlichen zuzurechnen, ein Drittel den jungen und jüngeren Erwachsenen unter 40 Jahren, 26,9% sind in der „Mittelalter“-Altersgruppe und 15,0% sind Senioren. Abbildung 17: Altersverteilung in den Wohngebieten insgesamt (Durchschnitt)
Die Haushaltsgrößen im statistischen Durchschnitt ergeben das in Abbildung 18 gezeigte Bild. 169
Abbildung 18: Haushaltsgrößen insgesamt (Durchschnitt)
Die Hälfte der Haushalte besteht aus einer Person, etwa ein Drittel aus zwei Haushalten, gefolgt von der Gruppe der Haushalte mit 5 Personen und mehr. Der im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt hohe Anteil von Haushalten mit 5 Personen und mehr erscheint charakteristisch für diese Wohngebiete. Die Familienphasen der Befragten zeigt folgende Aufteilung: Im statistischen Durchschnitt befinden sich die Befragten zu fast einem Drittel (27,4%) in der Altersphase, zu knapp 20% in der Konsolidierungsphase und zu etwa 16% in der Stagnationsphase. Wenige Familien befinden sich in der Gründungsphase bzw. der Expansionsphase. Abbildung 19: Familienphasen insgesamt (Durchschnitt)
Die Haushalte der Befragten insgesamt haben unterschiedliche Einkommensquellen. Nimmt man den statistischen Durchschnitt aller befragten 170
Haushalte, zeigt sich, dass etwa ein Drittel Sozialhilfe bezieht, ein Drittel einem Beruf nachgeht bzw. ein Einkommen hat, 20% beziehen Rente, 12% haben andere Einkommen. Abbildung 20: Einkommen der Haushalte insgesamt (Durchschnitt)
Die Haushaltsstrukturen verweisen bei den Befragten insgesamt auf einen hohen Anteil von Ein-Personen-Haushalten, gefolgt an zweiter Stelle von Paaren mit Kindern und an dritter Stelle Paare ohne Kinder. Abbildung 21: Haushaltsstrukturen (Durchschnitt)
Alleinerziehende stellen mit fast 20% die viertgrößte Gruppe dar. 171
Der Anteil der Bewohner/innen, die im Ausland geboren wurden, ist sehr gering. Über die Hälfte der Befragten wurde in Karlsruhe geboren, etwa 10% in Baden-Württemberg und 12,5% in Deutschland. Etwa 12% sind nicht in Deutschland geboren. Abbildung 22: Geburtsort insgesamt (Durchschnitt)
Auch der hohe Anteil der Karlsruher, d.h. die regionale Prägung der Wohngebiete, fällt auf. Betrachtet man, wie in Abb. 23 gezeigt Geburtsorte und Nationalität zusammen, zeigt sich das Phänomen des Aussiedlertums: der Geburtsort in Osteuropa ist nur bei der Hälfte der relativ kleinen Gruppe auch die der osteuropäischen Nationalität(en).109 Im statistischen Durchschnitt aller Befragten zeigen sich folgende Tendenzen bezüglich des Bildungsniveaus: die Sonderschulquote beträgt etwa ein Drittel. Fast die Hälfte der Befragten hat einen Hauptschulabschluss, etwa 40 Prozent ist ohne Abschluss von der Schule abgegangen. Knapp zehn Prozent besitzen einen Realschulabschluss. Fachhochschulreife und Abitur sind sehr selten. Eine ähnliche Polarisierung wie beim Bildungsniveau zeigt sich bei der Berufsausbildung. Im statistischen Durchschnitt sieht man, dass über die Hälfte der Befragten insgesamt keinen Berufsabschluss hat, aber auch fast 40% eine Berufsausbildung abgeschlossen hat. Ein geringer Anteil befindet sich in Ausbildung bzw. hat eine Ausbildung abgebrochen. 109 Hierbei
zeigt sich auch die Schwierigkeit, anhand der so genannten „Paßkategorie“ eine Einteilung in Einheimische und Migranten zu versuchen.
172
Abbildung 23: Geburtsort und Staatsangehörigkeit insgesamt (Durchschnitt)
Abbildung 24: Schulbildung insgesamt (Durchschnitt)
Abbildung 25: Berufsausbildung insgesamt (Durchschnitt)
173
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Bewohner/innen relativ jung sind: 58,1% sind unter 40 Jahre alt. Der Anteil der Senioren ab 60 Jahre ist mit 15% recht gering im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in Deutschland. Die Hälfte der Bewohner/innen lebt alleine, aber die Haushalte mit 4 und mehr Personen sind höher als im bundesweiten Durchschnitt. Die hohe Zahl der Ein-Personen-Haushalte spiegelt sich in den Familienphasen wider: „sonstige“ (also alleine lebend) steht an zweiter Stelle, an erster Stelle die Altersphase, an dritter Stelle die Konsolidierungsphase. Ein Drittel der Bewohner/innen ist unter 18 Jahre alt, d.h. kinderreiche Familien leben in den großen Haushalten. Den Familien steht die große Gruppe der Alleinlebenden gegenüber. Ebenso fällt der große Anteil der Alleinerziehenden mit fast 20% auf. Die Gruppe der Bewohner, die Sozialhilfe beziehen (32,5%) stehen der Gruppe der Erwerbstätigen (33,9%) „gleichberechtigt“ gegenüber. Das Bildungsniveau mit dem hohen Anteil an Bewohnern ohne Schulabschluss ist recht niedrig, die Sonderschulquote ist relativ hoch. Fortgesetzt wird dies bei der großen Anzahl der Bewohner, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Der Ausländeranteil ist gering, es fällt die starke regionale Prägung der Wohngebiete auf.
174
4 Wohnen („sozialwirksame Raumstruktur“): 1994-2003 4.1 Wohndauer im Wohngebiet sowie in Karlsruhe Die durchschnittliche Wohndauer der Menschen in den untersuchten Wohngebieten liegt zwischen acht (Karl-Flößer-Straße) und 35 Jahren (Elsternweg). Hierbei kommt indirekt die Wohnzufriedenheit der Bewohner/innen zum Ausdruck, weil in der Regel von der Annahme ausgegangen werden kann, dass lange Wohndauer mit Wohnzufriedenheit in Beziehung zu setzen ist. Den umgekehrten Fall belegen die Befragungsergebnisse zu Edelbergstraße und Karl-Flößer-Straße. Da die Befragten auch gebeten wurden anzugeben, seit welchem Zeitpunkt sie denn in Karlsruhe leben, sollen diese Daten an dieser Stelle herangezogen werden. Tabelle 27: Wohndauer in Jahren Wohngebiet/Karlsruhe (n=814) Wohngebiet
Wohndauer in Jahren: Wohngebiet
Wohndauer in Jahren: Karlsruhe
10 35 8 17 16 21 18 18
21 48 20 31 25 23 26 28
Edelbergstraße Elsternweg Karl-Flößer-Str. Kleinseeäcker1 Nußbaumweg1 Bernsteinstraße Lachäcker2* Durchschnitt *Daten in Erstbefragung nicht erhoben
Dabei fällt auf, dass die meisten Befragten wesentlich länger, teilweise doppelt so lange in Karlsruhe leben, wie sie in den Gebieten wohnen. Die gesamte Entwicklung zeigt das in Abbildung 26 dargestellte Bild. Bei der Edelbergstraße ist zu beachten, dass diese sich bereits im Prozess der Entmietung befand und keine Belegungssteuerung mehr stattgefunden hat, die Kriterien einer akzeptablen sozialen Durchmischung standgehalten 175
Abbildung 26: Wohndauer im Wohngebiet/in Karlsruhe (Entwicklung)
hätte. Einige Bewohner/innen waren dort nur übergangsweise untergekommen. Deshalb klafft der Wert zwischen Wohndauer Karlsruhe und Wohngebiet überproportional weit auseinander. In der Karl-Flößer-Straße sorgt die „Juvenalisierung“ der Sozialstruktur für die vergleichsweise geringe durchschnittliche Wohndauer. Die Daten sind bis auf die beiden Ausnahmen Beleg dafür, dass noch viele Bewohner/innen aus der Gründungszeit der jeweiligen Wohngebiete dort leben. Die Biographie, die häufiger anzutreffen ist, ist diejenige, dass ehemalige Barackenbewohner/innen die Obdachlosensiedlung als feste Bleibe angeboten bekommen hatten. Wäre diese Form der Belegungssteuerung vor Jahrzehnten nicht gewesen, wäre es schwierig, ehemalige Bewohner/innen von Baracken heute noch ausfindig zu machen. Dies zeigt sich am Erfolg der dezentralen Versorgung bei der Auflösung von Obdachlosensiedlungen in den 1970er Jahren. Diese Maßnahmen von Desegregation haben in der Regel zu einem „Verschwinden“ der Bewohner/innen geführt.
4.2 Herkunft Die Mehrheit wohnte vor ihrem Zuzug in die Wohngebiete in Karlsruhe, lediglich 7,2% der Befragten kamen von außerhalb. Dieses Ergebnis würde etwas anders ausfallen, wenn vom Wohngebiet Lachäcker Daten vorliegen würden, da anzunehmen ist, dass die dort angesiedelten „LandfahrerFamilien“ nicht aus Karlsruhe stammen. Die demgegenüber nicht mit so genannten „fliegenden Bauten“, sondern Gebäuden versehenen Wohngebiete kennzeichnet, dass etwa die Hälfte ihrer Bevölkerung aus Karlsruhe, je176
weils ein Fünftel aus einem benachbarten oder aus dem jeweiligen Stadtteil selbst stammt. Hier spiegelt sich das soeben Dargelegte wider: Viele Bewohner/innen zogen aus einer Barackensiedlung („Dohlenweg“), die im benachbarten Stadtteil Grünwinkel beheimatet war, in den Nußbaumweg um. Deshalb ist der Prozentwert hier am höchsten. In Kleinseeäcker ist dagegen der Prozentwert bei „Stadtteil“ am höchsten, weil die Barackensiedlung „Kleinoberfeld“ im Stadtteil war. So fand für die Betroffenen über Jahrzehnte zwar eine Aufwertung ihrer Wohnbedingungen statt, allerdings blieben sie - milieutheoretisch gesehen - im gleichen sozialen Netzwerk. Baracken, Schlichtwohnungsbau und aufgrund der baulichen Maßnahmen in Folge des „Gesamtkonzepts Wohnungslosenhilfe ‘97“ ein annehmbarer baulicher Standard haben diese Bewohner/innen als Wohnverhältnisse erlebt. Die Ergebnisse der Wohngebiete variieren erheblich: Tabelle 28: Herkunft Wohngebiet
Stadtteil
Benachbarter Stadtteil
Karlsruhe
Außerhalb Karlsruhe
22,9 15,9 26,7 28,9 5,8 20,1
10,0 27,0 13,3 25,7 31,9 21,6
60,0 44,4 53,3 40,9 56,4 51,0
7,1 12,7 6,7 4,5 4,9 7,2
Karl-Flößer-Str.* Bernsteinstr. Edelbergstraße Elsternweg Kleinseeäcker1 Nußbaumweg1 Lachäcker1* Durchschnitt *Daten nicht erhoben
Angaben in %
4.3 Auszugswunsch/Wohnpräferenzen („sozialwirksame Raumstruktur“) Mit Blick auf die Frage, ob Segregation erwünscht ist, also die Bewohner/innen, „freiwillig“ in Stadtteilen mit benachteiligenden Bedingungen leben wollen, ist ein differenzierterer Blick auf die Befragungsergebnisse erhellend. Den höchsten Wert an Auszugswilligen hat die Edelbergstraße vorzuweisen (die Gründe wurden bereits dargelegt), den geringsten der Elsternweg, was auf die bereits beschriebene Altersstruktur der dort Wohnenden zurückzuführen ist. Die „klassischen“ ehemaligen Obdachlosensiedlungen Kleinseeäcker und Nußbaumweg unterscheiden sich diesbezüglich nicht signifikant. Einen mittleren Rang belegt der Wohnwagenabstellplatz, dessen 177
ursprüngliche Bewohner/innen in der Regel nicht ausziehen wollen - im Gegensatz zu den Anfang der 1990er Jahre neu hinzugezogenen Wohnungslosen, die vom Landfahrermilieu nicht akzeptiert wurden.
Karl-Flößer-Str.
Kleinseeäcker1
Nußbaumweg1
Bernsteinstraße
Lachäcker1
Eher ja Eher nein
Elsternweg
Auszugswunsch
Edelbergstraße
Tabelle 29: Auszugswunsch
61,9 38,1
5,0 95,0
62,8 33,2
55,8 44,2
51,6 48,4
52,0 48,0
37,9 62,1
Angaben in %
Betrachtet man die Entwicklung des Auszugswunsches im Längsschnitt, lassen sich folgende Tendenzen erkennen: Abbildung 27: Auszugswunsch (Entwicklung)
Der Auszugswunsch sank in Kleinseeäcker stark ab und erhöhte sich nur geringfügig, ebenso im Nußbaumweg. In Lachseeäcker ist der Wunsch nach einem Auszug am Steigen. In den Bewohner/innen-Befragungen wurde nicht nur nach dem Auszugswunsch gefragt, sondern auch nach dem „Wunschort“, wohin die Auszugswilligen umziehen würden, wenn sie frei wählen könnten. Auffällig an den Befragungsergebnissen ist, dass keine der befragten Personen Karlsruhe verlassen möchte. Des Weiteren möchte ca. ein Drittel 178
Tabelle 30: Wunsch Wohnort Wohngebiet Karl-Flößer-Str. Bernsteinstr. Edelbergstraße Elsternweg Kleinseeäcker1 Nußbaumweg1 Lachäcker2* Durchschnitt%
Stadtteil
Benachbarter Stadtteil
Karlsruhe
59,1 0,0 12,5 0,0 25,0 25,7 61,5 40,6
13,6 50,0 25,0 0,0 50,0 14,3 15,4 24,0
27,3 50,0 62,5 0,0 25,0 60,0 23,1 35,4
*Daten in Erstbefragung nicht erhoben
Angaben in %
der Befragten nicht im Stadtteil oder in einem benachbarten Stadtteil verbleiben, aber in Karlsruhe wohnen. Im Stadtteil wohnen bleiben, wollen durchschnittlich 40,6%, während in einen Nachbarstadtteil umziehen etwa ein Viertel (24,0%) der Befragten gerne möchte. Die Bewohner/innen der Bernsteinstraße fallen dabei etwas aus dem Rahmen, da der Stadtteil von keinem Befragten als gewünschter Wohnort genannt wird. Am beliebtesten ist der Stadtteil bei Lachäcker und Karl-Flößer-Straße.
4.4 Beurteilung der Wohngebiete aus Sicht der Bewohner/innen Die Bewohner/innen wurden nach ihren Änderungswünschen befragt. Diese lassen sich den Kategorien Soziales und Bauliches zuordnen. Als „sozialräumlich“ wurden Äußerungen wie „Lärm“, „Sauberkeit“ oder „nachbarschaftliches Miteinander“ bewertet, „baulich-räumlich“ demgegenüber Nennungen wie „Renovierung Hausfassade“, „Schimmel“ und „Außenanlagen“. Der Überblick in Tabelle 31 weist die Anzahl der jeweiligen unterschiedlichen Nennungen in den beiden Kategorien aus. Sanierungs- und Modernisierungswünsche (z.B. Heizung, Fassaden, Grünanlagen, Müllplatz) wurden doppelt so oft geäußert wie die Beanstandung sozialer Sachverhalte (Lärm, Wohngebiets-Image, Nachbarschaftskonflikte etc.), die den Bewohnerinnen und Bewohnern als verbesserungswürdig erschienen. Bei Kleinseeäcker und Nußbaumweg standen die baulichräumlichen Änderungswünsche sogar viermal häufiger im Vordergrund als sozial-räumliche. Eine Fragestellung fand nach einer Anregung110 ab 2000 Eingang in die 110 An
dieser Stelle sei Herrn Bernd Hunger dafür gedankt.
179
Tabelle 31: Änderungswünsche sozial-räumlicher/baulich-räumlicher Natur Wohngebiet Karl-Flößer-Str. Bernsteinstr. Edelbergstraße Elsternweg Kleinseeäcker1 Nußbaumweg1 Lachäcker1 Durchschnitt
Sozial-räumliche Änderungswünsche
Baulich-räumliche Änderungswünsche
4 2 7 4 2 3 2 3
10 5 10 2 9 11 5 7
Befragungen, nämlich die Frage danach, was denn am besten im jeweiligen Wohngebiet gefällt. Die Erhebung nach den beiden Kategorien „SozialRäumliches“ und „Baulich-Räumliches“, ergab ein Übergewicht an baulichräumlichen Nennungen: Tabelle 32: „Mir gefällt am besten“ Wohngebiet Edelbergstraße Elsterweg Kleinseeäcker3 Nußbaumweg3 Durchschnitt
Sozial-räumliche Nennungen
Baulich-räumliche Nennungen
4 0 3 6 3
7 3 5 9 6
Als Nennungen wurden u.a. aufgeführt: Zusammenhalt der Nachbarn, Nachbarschaft, Umgebung kindgerecht, soziales Umfeld, Lage, Grünanlagen sowie Sanierung. Die Zufriedenheit mit den baulich-räumlichen Gegebenheiten findet ihre Ursache vor allem in den zum damaligen Zeitpunkt der Befragung gerade abgeschlossenen Modernisierungsmaßnahmen wie im Elsterweg.
4.5 Soziale Beziehungen/Nachbarschaftsentwicklung Einen empirischen Beleg dafür, dass betroffene Bürger/innen beteiligende Planungsprozesse baulicher Natur auch auf die soziale Atmosphäre eines Wohngebiets ihren Niederschlag finden, weist zum ersten Mal der zweite Sachstandsbericht des „Gesamtkonzepts Wohnungslosenhilfe ´97“ im Jahre 2001 aus: Den Bewohnerinnen und Bewohnern wurde in diesem Zusammenhang die Frage gestellt: „Wie hat sich das Nachbarschaftsklima in den vergangen fünf Jahren entwickelt?“ 180
Diese Frage konnte mit „eher positiv“ oder „eher negativ“ beantwortet werden. In diesem Kontext besteht die Möglichkeit, „freiwillige Segregation auf den Ebenen von Hausgemeinschaften, selbstgewählten Nachbarschaften und Wohnquartieren“ im Sinne von Häußermann/Siebel (s.o.) aufgrund positiver Bewertungen des Nachbarschaftsklimas zuzulassen. Nachfolgende Abbildung zeigt, dass die positive Einschätzung bei den beiden Wohngebieten, in denen saniert wurde, wesentlich höher ausfällt als in denjenigen, in denen bislang kein Sanierungsprozess stattgefunden hat. Der sehr niedrige Wert von nur 20% in der Edelbergstraße spiegelt die Nachbarschaftsverhältnisse wider. Der Wert von 68,4% im Elsternweg korreliert mit den weiteren dort erzielten Befragungsergebnissen, die eine hohe Wohnzufriedenheit anzeigen, was in der Edelbergstraße nicht der Fall ist. Abbildung 28: Entwicklung des Nachbarschaftsklimas 1995-2000
Es sind aber nicht nur baulich-räumliche Prozesse innerhalb eines Wohngebiets, die das soziale Verhalten der Bevölkerung beeinflussen. Auch städtebauliche Prozesse haben ihre Wirkung, wie folgendes Beispiel zeigt: 1987 wurde in Kleinseeäcker eine Befragung durchgeführt, die die Erhebung sozialstruktureller Fakten ebenso wie Wünsche und Anliegen der Bewohner/innen zum Ziel hatte111 . Anlass war ein ins Auge gefasster Abriss von Kleinseeäcker. Zum damaligen Zeitpunkt war Kleinseeäcker baulich nicht mit Oberreut verbunden; ca. 500 Meter Luftlinie trennten die ersten Häuser Oberreuts von der Siedlung mit randständigem Status. Der Stadtteil Beiertheim-Bulach war damals der Nachbarstadtteil. Die Bewohner/innen orientierten sich nach Beiertheim-Bulach, was zehn Jahre später durch das Zusammenwachsen von Kleinseeäcker und Oberreut nicht mehr 111 Vgl.
Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1987.
181
der Fall sein sollte. Diese Feststellung lässt sich mit den Ergebnissen der Frage nach dem Wunschstadtteil bei den auszugswilligen Haushalten belegen: Tabelle 33: Bevorzugte Stadtteile auszugswilliger Haushalte 1987/1997 Jahr/Stadtteil Beiertheim-Bulach Oberreut Daxlanden Grünwinkel
1987
1997
73,1% 15,4% 7,7% 3,9%
7,7% 38,4% 7,7% 0,0%
Quelle: Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1987, 26/1997c, 51 (eigene Darstellung)
An der Darstellung fällt auf, dass in den zehn Jahren die Attraktivität von Beiertheim-Bulach stark gesunken ist von 73,1% auf 7,7%. Die Attraktivität von Oberreut hingegen ist gestiegen von 15,4% im Jahr 1987 auf 38,4% 1997. Bei Daxlanden ist es gleich geblieben, während das ohnehin anscheinend nicht sehr attraktive Grünwinkel auf 0% gesunken ist. Abbildung 29: Bevorzugte Stadtteile auszugswilliger Haushalte 1987-1997
An dieser Stelle sei an Bronfenbrenners Definitionen zur Ökologie der menschlichen Entwicklung erinnert; diese machen bewusst, dass es sinnvoll ist, die Ebenen der möglichen (städte-)baulichen Einflussmöglichleiten auf menschliches Verhalten differenzierter zu betrachten. Nur die Modernisierung bzw. bauliche Aufwertung des direkten Wohnumfeldes im Auge zu haben, greift zu kurz. Befindet man sich dabei - nach Definition von Bronfenbrenner112 - doch lediglich auf der Meso- oder nur Mikroebene sozialökologisch betrachtet. 112 Die
182
grundlegende „Definition I“ bei Bronfenbrenner lautet: „Die Ökologie der menschli-
4.6 Sozialprofil II: „Wohnen“ insgesamt (Durchschnitt) Betrachtet man die Befragten insgesamt, im statistischen Durchschnitt ergibt sich folgendes Bild: Die Hälfte zogen aus Karlsruhe in ihr Quartier, 21,6% aus einem benachbarten Stadtteil und 20,1% aus dem Stadtteil selbst. Abbildung 30: Herkunft insgesamt (Durchschnitt)
Die durchschnittliche Wohndauer im Wohngebiet betrug 18 Jahre, in Karlsruhe 28 Jahre. Über die Hälfte der Befragten insgesamt möchte eher nicht ausziehen, etwa 46,7% würde dies tun. Betrachtet man den Wunschwohnort, steht an erster Stelle der eigene Stadtteil, dann kommt das Stadtgebiet Karlsruhe insgesamt. Erst an dritte Stelle steht ein benachbarter Stadtteil. Außerhalb Karlsruhes möchte keiner der Bewohner/innen und wohnen bzw. hinziehen.
chen Entwicklung befasst sich mit der fortschreitenden gegenseitigen Anpassung zwischen dem aktiven, sich entwickelnden Menschen und den wechselnden Eigenschaften seiner unmittelbaren Lebensbereiche. Dieser Prozess wird fortlaufend von den Beziehungen dieser Lebensbereiche untereinander und von den größeren Kontexten beeinflusst, in die sie eingebettet sind“; vgl. 1981, 37ff.
183
Abbildung 31: Auszugswunsch (Durchschnitt)
Abbildung 32: Wunsch-Wohnort (Durchschnitt)
Bei der Beurteilung der Wohnbedingungen fällt auf, dass die baulichräumlichen Bedingungen gefallen, aber auch die meisten Änderungswünsche betreffen. Dies verweist auf eine gewisse Polarisierung in der Wahrnehmung durch die Bewohner. Die sozial-räumlichen Bedingungen der Wohngebiete gefallen weniger häufig, es werden hier aber auch weniger Änderungswünsche genannt. Beides hängt in unterschiedlicher Intensität voneinander ab; baulichräumliche Bedingungen werden jedoch klarer wahrgenommen und ändern sich nicht langsam, wie dies bei sozial-räumlichen Bedingungen möglich ist. 184
Abbildung 33: Beurteilung von Wohnbedingungen (Durchschnitt)
185
5 Sozialräumliches Monitoring in benachteiligenden Wohngebieten als sozialplanerischer Beitrag zur sozialen Stadt(teil)entwicklung: drei ausgewählte Wohngebiete (1994-2003)113 In der Edelbergstraße wurde im Frühsommer 2000 eine umfassendere Befragung durchgeführt. Umfassender in dem Sinne, dass hier ein differenzierter Fragebogen Anwendung fand114 , der in Anlehnung an Herlyn/Hunger (1994) die Kategorien Sozialprofil der Befragten, Wohnbedingungen, Lebensalltag, soziale Beziehungen, Engagement und Partizipation beleuchtete. An dieser Stelle ist ein inhaltlicher Exkurs in die Arbeit von Herlyn/Hunger, an der sich hier in empirischer Hinsicht orientiert wurde, notwendig: Herlyn/Hunger weisen unter der Überschrift „Engagement und Partizipation“ darauf hin, dass • Maßnahmen der Stadterneuerung tief in die Lebenswelten der in den Quartieren lebenden und arbeitenden Menschen eingreifen, • ein wichtiges Element eines umfassenden Konzeptes von Sozialplanung bei Prozessen des Stadtumbaus eine Orientierung an den vitalen Interessen der Bewohner/innen sei, • sich die sozialräumlichen Bedingungen unterschiedlicher Wohnmilieus auf der einen Seite und das Potenzial für die Beteiligung der Bürger/innen auf der anderen Seite wechselseitig bedingen, 113 Wie
in den Tabellen 7-14 aufgeführt, gelten folgende Darstellungen für die Wohngebiete Kleinseeäcker (1996-2003), Nußbaumweg (1996-2003) und Lachäcker (19941999). Die Erhebungen im letztgenannten Wohngebiet fallen zwar auf einen etwas früheren Zeitraum; da es hier jedoch um Entwicklungstendenzen geht, wurde Gewann Lachäcker in das Monitoring einbezogen. 114 Die synoptischen Darstellungen im Vorangegangenen beinhalteten bereits die grundsätzlichen Angaben in Bezug auf die Geschlechterverteilung, die Altersverteilung, die Haushaltsstruktur, das Haupteinkommen, den Geburtsort, die Staatsangehörigkeit, die Schulbildung sowie die Berufsbildung.
187
• Partizipation die Milieuqualität durch die gemeinsame Arbeit am Erneuerungsprozess zu erhöhen im Stande ist: „Die Bedeutung der Partizipation geht also über den konkreten Planungsfall hinaus, indem demokratische Verhaltensweisen eingeübt und die soziale Integration verbessert werden kann (vgl. 1994, 171). Herlyn/Hunger befragten im Kontext „Partizipation und Engagement“ die Bewohner/innen hinsichtlich deren Aktivitäten für ihr Wohngebiet (z.B. Mithilfe beim Achten auf Sauberkeit oder bei der Organisation von Freizeitaktivitäten). Danach wurde in der Karlsruher Edelbergstraße nicht gefragt, denn dies kann nur erörtert werden anhand von Wohngebieten, in denen Sanierungsprozesse eingeleitet sind. Dieses ist der Fall bei den Wohngebieten Nußbaumweg und Kleinseeäcker. Bei diesen besteht der sozialplanerische Beitrag darin, dass im Zwei-Jahres-Rhythmus Befragungen im Sinne eines Monitorings stattfinden. Die Zeitreihen der Ergebnisse zeigen die Entwicklungen in den verschiedenen Bereichen auf (s.u.).
5.1 Die Ausgangslage des sozialräumlichen Monitoring (Änderungswünsche) In den beiden Wohngebieten Nußbaumweg und Kleinseeäcker wurden unter Beteiligung der Bewohner/innen bauliche Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen durchgeführt. Ein Sanierungsbeirat wurde gegründet, die Bewohner/innen in Planung und Umsetzung beteiligt. Der Rückgang des Auszugswunsches ist ein Beleg für den Erfolg dieser Vorgehensweise. Voraussetzung für die Messung dieses Ergebnisses war allerdings die Erhebung der Ausgangslage: 1996 wurde nicht nur nach dem Auszugswunsch gefragt, sondern auch nach notwendigen Veränderungen, die den Auszugswunsch relativieren bzw. obsolet machen könnten. Diejenigen Befragten, die einen Auszugswunsch äußerten, wurden gebeten, das Item „Ich bleibe, wenn ...“ in einer offenen Frage zu beantworten. Darüber hinaus wurden alle Befragten gebeten, ihre Änderungswünsche zu formulieren. Die Ergebnisse spiegeln die Notwendigkeit baulicher Erneuerungsmaßnahmen wider (Einbau Zentralheizung, Renovierung Hausfassade etc.). Kinder und Jugendliche wünschen sich am ehesten einen Spiel- bzw. Sportplatz und ein eigenes Zimmer. Die jüngeren Erwachsenen legen mehr Wert auf die Renovierung der Hausfassade, den Einbau einer Heizung und Reparaturen in der Wohnung, während bei den Senioren noch eine besondere Präferenz für soziales Verhalten hinzukommt wie sozialeres Verhalten der 188
Tabelle 34: Änderungswünsche Nußbaumweg Änderungswünsche
Gesamt
N = 173 Spielplatz Sportplatz Renovierung Hausfassade Einbau Heizung Sozialeres Verhalten der Bewohner/innen Mehr Sauberkeit Reparaturen in Wohnung Eigenes Zimmer Abriß Block I Gärten in der Siedlung Müllproblem Spielstraße Verbesserung Außenanlage Tierhaltung einschränken Bessere Wohnung
Alter in Jahren 6-13
14-17
18-29
30-39
40-59
60...
17,4 17,4 18,0 12,2
46,9 34,4 3,1 0,0
0,0 66,6 16,7 0,0
10,3 17,2 24,2 13,8
22,2 3,7 29,7 18,5
9,1 9,1 13,6 20,4
4,2 4,2 29,0 16,7
5,8 8,2 11,1 2,3 0,6 1,2 1,2 1,2 1,2 1,2 1,2
3,1 3,1 0,0 9,4 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0
0,0 0,0 0,0 0,0 16,7 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0
6,9 10,3 13,8 0,0 0,0 0,0 0,0 3,5 0,0 0,0 0,0
0,0 0,0 18,5 0,0 0,0 0,0 3,7 3,7 0,0 0,0 0,0
4,6 13,6 15,9 0,0 0,0 0,0 2,3 6,8 2,3 2,3 0,0
16,7 16,7 8,3 0,0 0,0 0,0 0,0 4,2 0,0 0,0 0,0
Angaben in %
Quelle: Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1997b, 55
Bewohner/innen und Sauberkeit. Die entsprechende Tabelle zum Wohngebiet Kleinseeäcker stellt sich wie folgt dar: Die Kinder und Jugendlichen sind die einzigen, die sich einen Sportplatz wünschen. Den Einbau einer Heizung fordern hauptsächlich die jüngeren Erwachsenen und die Senioren. Jugendliche und Erwachsene im mittleren Altern präferieren Änderungen an den Außenanlagen. Erstaunlicherweise sind hier 50% der 18-29-jährigen der Meinung, es müsste mehr auf Sauberkeit geachtet werden. Die Generation der potentiellen Eltern (im Alter zwischen 30 und 39 Jahren) legt Wert auf äußere Wohnbedingungen wie Außenanlage, Hauseingang, Gärten in den Siedlungen und Parkplätze. Den Darstellungen der Befragungsergebnisse der Erstbefragungen folgt nun die der Folgebefragungen, wie sie in drei der sieben Wohngebiete stattgefunden haben. Damit steht ein Beispiel für die Umsetzung und Machbarkeit eines kleinräumigen sozialräumlichen Monitorings zur Verfügung. Dabei finden die wesentlichen Indikatoren der oben beschriebenen Sozialraumanalyse Verwendung. Im Nußbaumweg sind die drei wichtigsten Änderungswünsche: ein Sportplatz, die Renovierung der Hausfassade und der Einbau einer Heizung. In Kleinseeäcker sind die dringendsten Wünsche der Einbau einer Heizung, mehr Sauberkeit und Wohnungsreparaturen. 189
Tabelle 35: Änderungswünsche Kleinseeäcker Änderungswünsche
Gesamt
N = 104 Sportplatz Renovierung Hausfassade Einbau Heizung Außenanlagen Mehr Sauberkeit Reparaturen in Wohnung Gärten in der Siedlung Lärm Parkplätze Hauseingang Keller
5,5 2,8 27,8 13,9 13,9 8,3 2,8 2,8 2,8 8,3 11,1
Alter in Jahren 6-13
14-17
18-29
30-39
40-59
60...
100,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0
50,0 0,0 0,0 50,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0
0,0 0,0 50,0 0,0 50,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0
0,0 7,7 15,4 30,7 15,4 0,0 7,7 3,7 7,7 15,4 0,0
0,0 0,0 57,1 0,0 14,3 28,6 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0
0,0 0,0 50,0 0,0 10,0 10,0 0,0 10,0 0,0 0,0 20,0
Angaben in %
Quelle: Stadt Karlsruhe (Hrsg.) 1997c, 54
Abbildung 34: Änderungswünsche Nußbaumweg/Kleinseeäcker (1996)
190
5.2 Entwicklung der Geschlechter- und Altersverteilung Die verschiedenen Ergebnisse belegen die Konstanz bei der Geschlechterverteilung sowie die Unterschiedlichkeit bei der Alterstruktur der Bewohner/innen in den Wohngebieten:
Kleinseeäcker3
Kleinseeäcker4
Nußbaumweg1
Nußbaumweg2
Nußbaumweg3
Nußbaumweg4
Lachäcker1
Lachäcker2
Weiblich Männlich Anzahl
Kleinseeäcker2
Geschlecht
Kleinseeäcker1
Tabelle 36: Entwicklung der Geschlechterverteilung Wohngebiete (Entwicklung) (n=1387)
43,8 56,2 105
52,5 47,5 99
48,3 51,7 90
51,6 48,4 128
51,2 48,8 217
52,3 47,7 198
51,7 48,3 178
51,7 48,3 185
49,0 51,0 103
48,0 52,0 84
In den verschiedenen Altersklassen gab es folgende Entwicklungen:
Kleinseeäcker3
Kleinseeäcker4
Nußbaumweg1
Nußbaumweg2
Nußbaumweg3
Nußbaumweg4
Lachäcker1
Lachäcker2
0-5 6-14 15-17 18-29 30-39 40-49 50-59 60... Anzahl
Kleinseeäcker2
Alter/Jahre
Kleinseeäcker1
Tabelle 37: Altersverteilung Wohngebiete (Entwicklung)(n=1364)
9,5 8,6 4,8 14,3 20,0 6,2 11,4 15,2 105
7,1 14,3 4,1 14,3 20,4 20,4 7,1 12,3 98
4,7 17,7 7,1 10,6 18,8 14,1 11,7 15,3 85
10,9 10,9 6,3 20,3 14,0 13,3 11,8 12,5 128
10,2 18,1 4,6 19,9 11,6 13,4 9,7 12,5 216
9,1 17,7 8,6 19,2 11,6 14,7 7,0 12,1 198
8,0 21,3 6,9 12,6 15,5 16,7 7,5 11,5 174
10,9 20,1 6,9 13,2 17,8 11,5 4,7 14,9 174
7,8 27,2 1,0 13,6 18,4 19,4 6,8 5,8 103
3,6 22,9 3,6 24,1 12,1 26,5 4,8 2,4 83
Die Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen ist in allen drei Wohngebieten dynamisch, während das Zusammenfassen von Altersklassen (z.B. Unter18-Jährige bzw. Seniorinnen und Senioren) eine relative Konstanz in den Altersverteilungen aufzeigt. Besieht man sich nun die Entwicklung der Altersverteilung in den einzelnen Wohngebieten, zeigt sich folgende Tendenz: Die Anzahl der Kinder und 191
Jugendlichen ist gestiegen, ebenso die der Altersgruppe der jungen Erwachsenen. Die Altergruppe zwischen 30 und 59 ist tendentiell leicht gesunken, während die Gruppe der Senioren sich etwa auf gleichem Niveau befindet. Abbildung 35: Altersverteilung Kleinseeäcker (Entwicklung 1996-2003)
Im Nußbaumweg stieg die Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen leicht an, ebenso wie die Gruppe der Senioren. Die Anzahl der jungen Erwachsenen unter 30 Jahren ist am Sinken, während die Altersgruppe zwischen 30 und 59 Jahre nur geringfügigen Schwankungen unterworfen ist. Abbildung 36: Altersverteilung Nußbaumweg (Entwicklung 1996-2003)
In Lachäcker sind die Altersgruppen der Kinder und Jugendlichen und die der Senioren ist im Sinken, während die Gruppe der jungen Erwachsenen angestiegen ist, die Gruppe zwischen 30 bis 59 Jahren ist fast gleich geblieben. 192
Abbildung 37: Altersverteilung Lachäcker (Entwicklung 1994-1999)
5.3 Entwicklung der Haushaltsgrößen Bei den Haushaltsgrößen zeigt sich über den untersuchten Zeitraum in Kleinseeäcker eine Veränderung. Hier ist eine Verringerung der Personenzahl je Haushalt festzustellen, während die beiden anderen Wohngebiete keine Entwicklung aufzuweisen haben. Ursache hierfür ist die Belegungssteuerung: Es wurden weniger Familien als vielmehr alleinstehenden Menschen die Wohnungen angeboten.
Kleinseeäcker3
Kleinseeäcker4
Nußbaumweg1
Nußbaumweg2
Nußbaumweg3
Nußbaumweg4
Lachäcker1
Lachäcker2
1 2 3 4 5 u. mehr Durchschnitt Anzahl
Kleinseeäcker2
Personen
Kleinseeäcker1
Tabelle 38: Haushaltsgrößen (n=521)
20,4 50,0 9,1 13,6 6,9 2,4 43
43,5 26,1 15,2 8,7 6,5 2,2 46
39,5 26,3 10,5 13,2 10,5 2,3 38
50,0 16,7 18,3 6,7 8,3 2,1 60
21,0 30,3 17,1 15,8 13,2 2,9 75
25,7 18,6 25,7 18,6 11,4 2,8 70
24,1 19,0 22,4 17,2 17,2 3,0 58
21,5 26,2 23,1 15,4 13,8 2,9 65
43,2 16,2 8,1 5,4 27,1 2,8 37
41,5 17,2 20,7 10,3 10,3 2,9 29
Angaben in %
Die angeführte Ursache für die Veränderung in der durchschnittlichen Personenzahl pro Haushalt in Kleinseeäcker macht Tabelle 28 deutlich: Die Zunahme von Einpersonen-Haushalten führt zur Verringerung des prozentualen Anteils an Mehrpersonen-Haushalten. In Lachäcker ist der Wegzug 193
der alleinstehenden Wohnungslosen, die übergangsweise zu den Familien auf dem „Landfahrerplatz“ gestoßen waren, Ursache für den Rückgang an Einpersonen-Haushalten. In Kleinseeäcker sind folgende Tendenzen festzustellen: die Ein-PersonenHaushalte sind am Zunehmen, während die Haushalte mit zwei Personen abnehmen. Die Haushaltsgrößen mit drei Personen sind leicht am Steigen, während Wohnungen mit vier und fünf bzw. mehr Personen eher dynamische Tendenzen aufweisen. Abbildung 38: Haushaltsgrößen Kleinseeäcker (Entwicklung 1996-2003)
Im Nußbaumweg fällt auf, dass die Haushalte mit zwei Personen erst zurückgingen und dann wieder auf ähnliches Niveau wie zur ersten Befragungswelle anstiegen. Die Anzahl der Ein-Personen-Haushalte stieg erst an und sank dann wieder ab. Bei Haushaltsgrößen mit fünf und mehr Personen fällt ein starker Anstieg zum Zeitpunkt der Befragungswelle 3 auf. In Lachäcker blieben die Zahlen der Haushalte mit einer und zwei Personen etwa gleich, während die Haushalte mit drei Personen und mit vier Personen anstiegen und die mit fünf bzw. mehr Personen sanken. Die Haushaltsstrukturen bzw. die Familienstrukturen in der Entwicklung lassen sich im Einzelnen aufschlüsseln in Ein-Personen-Haushalte, MehrPersonen-Haushalte, Paare ohne Kinder, Paare mit Kindern, Alleinerziehende und Wohngemeinschaften. In Kleinseeäcker hat die Anzahl der Alleinerziehenden zugenommen, ebenso die der Paare mit Kindern. Paare ohne Kinder sind weniger geworden. Im Nußbaumweg hingegen sank die Zahl der Alleinerziehenden etwas, die 194
Abbildung 39: Haushaltsgrößen Nußbaumweg (Entwicklung 1996-2003)
Abbildung 40: Haushaltsgrößen Lachäcker (Entwicklung 1994-1999)
Abbildung 41: Haushaltsstrukturen Wohngebiete (Entwicklung)
195
Kleinseeäcker3
Kleinseeäcker4
Nußbaumweg1
Nußbaumweg2
Nußbaumweg3
Nußbaumweg4
Lachäcker1
Lachäcker2
EinpersonMehrpersonenPaare ohne Kinder Paare mit Kindern Alleinerzieh. WG Anzahl
Kleinseeäcker2
Haushalt
Kleinseeäcker1
Tabelle 39: Haushaltsstrukturen Wohngebiete (Entwicklung)(n=527)
23,4 76,6
42,6 57,4
42,1 57,9
54,1 45,9
21,3 78,7
25,7 74,3
20,7 79,3
26,2 73,8
40,0 60.0
23,3 76,7
34,9
21,3
13,2
8,2
20,0
8,6
10,3
16,9
10,0
36,7
30,2
25,4
26,3
24,6
26,7
31,4
34,5
29,2
36,6
23,3
4,6 7,0 43
6,4 4,3 47
15,8 2,6 38
9,8 3,3 61
28,0 4,0 75
34,3 0,0 70
22,4 12,1 58
23,1 4,6 65
6,7 6,7 40
6,7 10,0 30
Angaben in %
Anzahl der Paare mit Kindern ist gestiegen. Paare mit Kindern sind als Familienform etwa gleich geblieben. In Lachäcker stieg die Anzahl der Paare ohne Kinder, während die Gruppen der Alleinerziehenden und die der Paare mit Kindern gesunken ist.
5.4 Haupteinkommen der Haushalte Die Tabelle zeigt, dass im Wohngebiet Kleinseeäcker der prozentuale Anteil an Haushalten, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, im Sinken - nach einem vorübergehenden Anstieg -, der Anteil an Haushalten, die ein eigenes Erwerbseinkommen vorzuweisen haben, demgegenüber im Steigen begriffen ist, ebenfalls nach einem vorübergehenden Absinken. Eine entgegen gesetzte Entwicklung lässt sich im Wohngebiet Nußbaumweg verzeichnen. Solche Aussagen werden bei den übrigen Wohngebieten erst möglich sein, wenn weitere Befragungen zu Zeitreihen in der Datenlage geführt haben. Im Einzelnen zeigen sich in Kleinseeäcker folgende Tendenzen: Die Anzahl der Erwerbstätigen ist am Steigen, die der Sozialhilfebezieher ist am Sinken. Die Gruppe der Rentnerinnen und Rentner stieg an, die Gruppe der „sonstigen“ Einkommen ist eher dynamisch.
196
Kleinseeäcker3
Kleinseeäcker4
Nußbaumweg1
Nußbaumweg2
Nußbaumweg3
Nußbaumweg4
Lachäcker1
Lachäcker2
Erwerb/Beruf Sozialhilfe Rente Sonstiges Anzahl
Kleinseeäcker2
Haupteinkommen
Kleinseeäcker1
Tabelle 40: Einkommen der Haushalte (Entwicklung)(n=525)
44,2 25,6 23,3 6,9 43
41,9 30,2 16,3 11,6 47
36,1 36,1 19,4 8,4 38
48,4 17,7 22,6 11,3 62
27,6 42,1 28,0 2,3 75
33,3 29,2 25,0 12,5 70
36,8 28,1 28,1 7,0 58
27,0 39,7 23,8 9,5 65
48,2 41,1 0,0 10,7 37
46,7 50,0 0,0 3,3 30
Angaben in %
Abbildung 42: Einkommen der Haushalte (Entwicklung)
Im Nußbaumweg stieg die Anzahl der Erwerbstätigen erst an, um dann wieder auf den Stand der Erhebungswelle 1 zurückzufallen, ebenso bei den Beziehern von Sozialhilfe. Die Anzahl der Rentenbezieherinnen und Rentnerbezieher ist in etwa gleich geblieben. In Lachäcker blieb die Anzahl der Erwerbstätigen in etwa gleich, die der Sozialhilfeempfänger ist etwas gestiegen.
5.5 Staatsangehörigkeit Lediglich eine geringe Zunahme an Bewohnerinnen und Bewohnern aus Osteuropa kennzeichnet die Entwicklung von 1996-2003 in den Wohngebieten Kleinseeäcker und Nußbaumweg. In Kleinseeäcker sank die Zahl 197
der Deutschen um etwa 6%, im Nußbaumweg stieg sie nur geringfügig an. Tabelle 41: Staatsangehörigkeit (Entwicklung)(n=1351)
gehörigkeit
Kleinseeäcker1
Kleinseeäcker2
Kleinseeäcker3
Kleinseeäcker4
Nußbaumweg1
Nußbaumweg2
Nußbaumweg3
Nußbaumweg4
Lachäcker1
Lachäcker2
Staatsan-
Deutsch Übrige EU Osteuropa Sonstige Anzahl
96,2 3,8 0,0 0,0 105
91,6 5,3 2,1 1,1 95
94,0 1,2 4,8 0,0 84
90,2 5,7 4,1 0,0 123
92,0 7,1 0,1 0,9 211
92,8 5,2 1,0 1,0 194
97,0 2,7 0,6 0,0 169
93,4 3,8 1,6 1,1 183
94,0 2,0 11,6 0,0 103
100,0 0,0 0,0 0,0 84
Angaben in %
Interessant ist die Entwicklung in Lachäcker. Dort führte der Wegzug der Wohnungslosen, die Anfang der 1990er hinzu stießen und unter denen sich auch Aussiedler/innen befanden, zu einer homogen Bevölkerungsgruppe. Abbildung 43: Staatsangehörigkeit der Wohngebiete (Entwicklung)
5.6 Bildungsniveau Die von Befragung zu Befragung sehr stark differierenden Werte im Bereich „Ohne Schulabschluss“ bedürfen einer näheren Untersuchung. In Lachäcker 198
ist dieser Umstand im Wegzug der Wohnungslosen begründet. Für Kleinseeäcker und Nußbaumweg liegt ein konstantes Ergebnis vor: Die Zahl derjenigen Bewohner/innen, die keinen Schulabschluss vorweisen können, ist in der Tendenz im Steigen, die mit Hauptschulabschluss ist im Sinken begriffen.
Kleinseeäcker3
Kleinseeäcker4
Nußbaumweg1
Nußbaumweg2
Nußbaumweg3
Nußbaumweg4
Lachäcker1
Lachäcker2
Ohne Schulabschluss Hauptschule Realschule Abitur, Fachhochschulreife Anzahl Sonderschulquote
Kleinseeäcker2
Schulabschluss
Kleinseeäcker1
Tabelle 42: Schulbildung (Entwicklung)
26,8 68,7 3,0
45,5 52,7 1,8
52,8 47,2 0,0
38,3 57,3 4,4
41,5 54,2 0,9
40,2 57,0 2,8
42,6 53,2 4,3
51,2 48,8 0,0
61,3 27,4 9,7
94,9 5,1 0,0
1,5 67
0,0 55
0,0 53
0,0 82
3,4 118
0,0 107
0,0 94
0,0 84
1,6 62
0,0 59
30,8
17,7
33,3
33,3
36,1
24,1
27,5
10,8
60,0
56,3
Angaben in %
Im Nußbaumweg stieg die Zahl der Bewohner/innen ohne Schulabschluss an, während die Sonderschulquote jedoch etwas abnahm. In Kleinseeäcker stieg die Anzahl der Personen ohne Schulabschluss an und sank zum Zeitpunkt der vierten Befragungswelle wieder ab. Gleichzeitig nahm die Anzahl der Bewohner/innen mit Hauptschulabschluss ab und stieg dann wieder. Die Tendenz der Sonderschulquote blieb etwa gleich. In Lachäcker sank die Zahl der Personen mit Hauptschulabschluss stark, die der Bewohner/innen ohne Abschluss stieg. In Bezug auf die Sonderschulquote ist im Nußbaumweg ein kontinuierlicher Rückgang an Schülerinnen und Schülern, die nicht in der Regelschule unterrichtet werden, zu verzeichnen. Hier scheinen sich Jugendhilfe-Einrichtungen wie die „Schülerhilfe“, ein Nachmittagsangebot zur Hausaufgabenbetreuung sowie die Schulsozialarbeit zu bewähren. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass die verstärkte Aufmerksamkeit für das Wohngebiet (z.B. durch die Sanierungsmaßnahmen) auch bei den Lehrerinnen und Lehrern eine „Aufmerksamkeit“ in Form von Sensibilisierung für eigene Voreingenommenheiten, was die Herkunftsadresse der jeweiligen Schüler/innen anbelangt, aus199
Abbildung 44: Schulbildung Wohngebiete (Entwicklung)
löste. Dieser u.a. von Vaskovics untersuchte Stigmatisierungseffekt kann hier nur als Hypothese formuliert werden.
5.7 Berufsausbildung Was die Berufsqualifikationen anbelangt, ist ein breites Feld an Möglichkeiten von Qualifizierungsmaßnahmen möglich. Die Quoten zu „Ohne Berufsabschluss“ sind beständig hoch. Wie bei der Schulbildung zeigt sich auch bei der Berufsbildung, dass benachteiligende Wohnbedingungen eine Entsprechung auf individueller Ebene dahingehend finden, so dass eine Bildungsbenachteiligung offenkundig ist. In Kleinseeäcker stieg die Zahl der Bewohner/innen ohne Berufsausbildung an, um dann wieder auf dem Niveau der ersten Befragungswelle stehen zu bleiben. Die Anzahl der Bewohner, die eine Ausbildung abgebrochen hat, ist angestiegen, ebenso die der Bewohner, die sich in Ausbildung befinden. Im Nußbaumweg sank die Anzahl der Bewohner/innen ohne Ausbildungsabschluss nur geringfügig, während sich die Zahl derer, die sich in Ausbildung befanden, auf ein höheres Niveau einpendelte und die der Abbrecher verringerte. In Lachäcker lässt sich eine Verschlechterung feststellen: Die Anzahl der Bewohner/innen ohne Abschluss stieg stark, es kamen Ausbildungsabbrecher hinzu und die Bewohner mit Abschluss verringerte sich stark.
200
Kleinseeäcker3
Kleinseeäcker4
Nußbaumweg1
Nußbaumweg2
Nußbaumweg3
Nußbaumweg4
Lachäcker1
Lachäcker2
Ohne Berufsabschluss Abgebrochene Ausbildung BerufsAbschluss In Ausbildung Anzahl
Kleinseeäcker2
Berufsabschluss
Kleinseeäcker1
Tabelle 43: Schulbildung (Berufsausbildung (Entwicklung)(n=741)
64,9
83,6
76,0
68,4
61,8
57,3
58,7
63,2
84,8
94,7
4,1
0,9
2,0
10,1
3,4
3,6
3,3
0,0
0,0
1,8
27,0 4,0 74
5,5 0,0 55
18,0 4,0 50
16,5 5,1 79
34,8 0,0 89
29,1 10,0 110
31,5 6,5 92
27,6 9,2 76
15,2 0,0 59
3,5 0,0 57
Angaben in %
Abbildung 45: Berufsausbildung der Wohngebiete (Entwicklung)
5.8 Wohndauer im Wohngebiet sowie in Karlsruhe Die durchschnittliche Wohndauer der Menschen in den untersuchten Wohngebieten liegt zwischen acht Jahren (Karl-Flößer-Straße) und 35 Jahren (Elsternweg). Bei den drei Wohngebieten mit Nachbefragungen liegt die durchschnittliche Wohndauer bei 16 Jahren. In Kleinseeäcker hat der Zuzug 201
Tabelle 44: Wohndauer in Jahren Wohngebiet/Karlsruhe (Entwicklung) Wohngebiet
Wohndauer in Jahren: Wohngebiet
Wohndauer in Jahren: Karlsruhe
17 17 16 13 16 16 18 16 18
1 27 28 28 25 25 26 24 26
Kleinseeäcker1 Kleinseeäcker2 Kleinseeäcker3 Kleinseeäcker4 Nußbaumweg1 Nußbaumweg2 Nußbaumweg3 Nußbaumweg4 Lachäcker1* Lachäcker2 *Daten wurden nicht erhoben
von Bewohnerinnen und Bewohnern seit 2001 für ein Absinken der durchschnittlichen Wohndauer gesorgt.
5.9 Herkunft Die Mehrheit der Befragten wohnten vor ihrem Zuzug in die Wohngebiete in Karlsruhe, lediglich 8,7% kamen von außerhalb. Dieses Ergebnis würde etwas anders ausfallen (wie bereits oben festgestellt), wenn vom Wohngebiet Lachäcker Daten vorliegen würden, da anzunehmen ist, dass die dort angesiedelten „Landfahrer-Familien“ nicht aus Karlsruhe stammen. Tabelle 45: Herkunft (Entwicklung) Wohngebiet Kleinseeäcker1 Kleinseeäcker2* Kleinseeäcker3 Kleinseeäcker4 Nußbaumweg1 Nußbaumweg2* Nußbaumweg3 Nußbaumweg4 Lachäcker1* Lachäcker2*
Stadtteil
Benachbarter Stadtteil
Karlsruhe Karlsruhe
Außerhalb Karlsruhe Außerhalb Karlsruhe
28,9 15,4 49,2 5,8 7,4 23,7 -
25,7 18,0 24,6 31,9 46,3 28,9 -
40,9 56,4 23,1 56,4 31,5 34,2 -
4,5 10,3 3,1 4,9 14,8 13,2 -
*Daten wurden nicht erhoben
Angaben in %
Aufschlussreich sind Daten aus diesem Sektor, wenn ein starker Zuzug zu verzeichnen ist, da sie erkennen lassen, woher die Menschen kommen. Im Falle des Wohngebiets Kleinseeäcker ist interessant, dass Neubewohner/innen 202
zur Hälfte aus dem Stadtteil und zu einem Viertel aus einem benachbarten Stadtteil stammen. Die oben getätigten Aussagen zur „freiwilligen Segregation“ finden hier wiederum Bestätigung. Eine Zunahme derjenigen, die aus dem Stadtteil zuziehen, ist für den gleichen Untersuchungszeitraum auch im Nußbaumweg festzustellen.
5.10 Auszugswunsch/Wohnpräferenzen Mit Blick auf die oben behandelte „Freiwillige Segregation“, die die Frage untersucht, ob die Bewohner/innen, „freiwillig“ in Stadtteilen mit benachteiligenden Bedingungen leben wollen, ist die Frage nach den Wohnpräferenzen aufschlussreich, die im Kontext der Frage nach dem Auszugwunsch gestellt wurde. Der Forderung von Häußermann/Siebel, dass Politik zugleich Segregation abbauen und zulassen muss (vgl. 2001, 77ff.), kann hier auf einer verlässlichen Datenbasis auf Mikroebene entsprochen werden. Der Auszugswunsch ist der Indikator, der die Wohnzufriedenheit abbildet. Sowohl in Kleinseeäcker als auch im Nußbaumweg sinkt der prozentuale Anteil derjenigen, die ausziehen möchten mit Beginn der Sanierungsmaßnahmen. Allerdings ist seit Abschluss der Arbeiten ein Anstieg dieser Werte zu verzeichnen.
Kleinseeäcker3
Kleinseeäcker4
Nußbaumweg1
Nußbaumweg2
Nußbaumweg3
Nußbaumweg4
Lachäcker1
Lachäcker2
Eher ja Eher nein
Kleinseeäcker2
Auszugswunsch
Kleinseeäcker1
Tabelle 46: Auszugswunsch (Entwicklung)
55,8 44,2
12,0 88,0
19,5 80,5
18,8 81,2
51,6 48,4
11,7 88,3
20,4 79,6
27,6 82,4
37,9 62,1
42,9 57,1
Angaben in %
Eine Interpretation der sehr stark differierenden Ergebnisse zu den Wohnpräferenzen sowohl unter den Wohngebieten als auch zwischen den Befragungsergebnissen der einzelnen Wohngebiete, ist nicht zu leisten. Hier scheinen die subjektiven Einstellungen derjenigen, die ausziehen möchten, jeweils stark zu variieren. Insgesamt ist der Auszugswunsch in Kleinseeäcker gesunken, ebenso im Nußbaumweg, wenn auch dort mit wieder leicht ansteigender Tendenz. In Lachäcker ist er am Steigen. 203
Abbildung 46: Auszugswunsch (Entwicklung)
Karlsruhe als bevorzugter Stadtteil bei einem Umzug nimmt bei den Bewohnerinnen und Bewohnern in Kleinseeäcker zu, die Bereitschaft, in der Nachbarschaft umzuziehen, nimmt ab. Tabelle 47: Bevorzugter Stadtteil Wohngebiet Kleinseeäcker1 Kleinseeäcker2 Kleinseeäcker3 Kleinseeäcker4 Nußbaumweg1 Nußbaumweg2* Nußbaumweg3 Nußbaumweg4 Lachäcker1* Lachäcker2
Stadtteil
Benachbarter Stadtteil
Karlsruhe Karlsruhe
25,0 57,1 37,2 10,0 25,7 50,0 61,5 61,5
50,0 14,3 4,7 15,0 14,3 50,0 15,4 15,4
25,0 28,6 58,1 75,0 60,0 0,0 23,1 23,1
*Daten wurden nicht erhoben
Angaben in %
Die Bereitschaft, nur innerhalb des Stadtteils umzuziehen, stieg erst an und nahm dann wieder stark ab. Im Nußbaumweg ist die Beliebtheit des Stadtteils als bevorzugter Wohnort beim Umzug stark gestiegen. Zum Zeitpunkt der dritten Befragungswelle war die Nachbarschaft am beliebtesten. Die Ergebnisse der vierten Befragungswelle Nußbaumweg ähneln denen der zweiten Befragung in Lachäcker: Etwa 60% der Befragten bevorzugen den eigenen Stadtteil, etwa 15% die Nachbarschaft und der Rest Karlsruhe. 204
Abbildung 47: Bevorzugter Stadtteil bei Umzug Kleinseeäcker (Entwicklung)
Abbildung 48: Bevorzugter Stadtteil bei Umzug Nußbaumweg/Lachäcker
5.11 Beurteilung der Wohngebiete aus Sicht der Bewohner/innen Die Bewohner/innen wurden bis auf eine Ausnahme nach ihren Änderungswünschen befragt. Die geäußerten Änderungswünsche lassen sich den Kategorien Soziales und Bauliches zuordnen. Im Wohngebiet Kleinseeäcker belegt die Datenreihe den Erfolg der Sanierungsmaßnahmen, da nach Abschluss der Arbeiten die Änderungswünsche im Sektor „Baulich-räumlich“ stark gesunken sind. Tendenziell lässt sich dies ebenfalls für den Nußbaumweg feststellen, auch wenn hier ein wesentlicher Befragungszeitpunkt fehlt. Die aktuell hohe Anzahl der baulich-räumlichen Änderungswünsche findet 205
ihren Grund in Wünschen zur Nachbesserung der Modernisierungsmaßnahmen. Tabelle 48: Änderungswünsche sozial-räumlicher/baulich-räumlicher Natur Wohngebiet
Sozial-räumliche Änderungswünsche*
Baulich-räumliche Änderungswünsche*
2 0 3 4 3 5 8 2 2
9 3 2 4 11 7 11 5 6
Kleinseeäcker1 Kleinseeäcker2 Kleinseeäcker3 Kleinseeäcker4 Nußbaumweg1 Nußbaumweg2** Nußbaumweg3 Nußbaumweg4 Lachäcker1 Lachäcker2 **Daten nicht erhoben
*Anzahl der Nennungen
In Kleinseeäcker stiegen tendenziell die sozial-räumlichen Änderungswünsche an, während die baulich-räumlichen erst stark sanken, um dann zum Zeitpunkt der vierten Befragungswelle wieder etwas anzusteigen. Abbildung 49: Änderungswünsche sozial-/baulich-räumlicher Art Kleinseeäcker (Entwicklung)
Im Nußbaumweg steigen die sozial-räumlichen Änderungswünsche ebenfalls kontinuierlich an, während Wünsche nach baulich-räumlicher Art erst absanken, um dann wieder auf dem gleichen Niveau wie zu Beginn der Befragungen zu stehen. In Lachäcker steigen die baulich-räumlichen Änderungswünsche, während 206
die sozial-räumlichen auf gleichem Niveau stehen bleiben. Abbildung 50: Änderungswünsche sozial-/baulich-räumlicher Art Nußbaumweg (Entwicklung)
Abbildung 51: Änderungswünsche sozial-/baulich-räumlicher Art Lachäcker (Entwicklung)
207
6 Sozialprofil III: Monitoring der drei Wohngebiete (1994-2003) Zur Erstellung des Sozialprofils des Monitorings wurden die Daten der Wohngebiete Kleinseeäcker, Nußbaumweg und Lachäcker jeweils durchschnittlich errechnet und dann Durchschnittswerte insgesamt gebildet, auf denen die folgenden Abbildung basieren, um nicht nur eine Entwicklung zu skizzieren wie in Kap. 5, sondern zudem allgemeinere Aussagen zu ermöglichen. Dieses Vorgehen erlaubt auch einen Vergleich mit den Daten des Sozialprofils I und II, das zeitlich etwas früher zu verorten ist (19942000). Die Geschlechterverteilung ist mit 49,7% weiblicher und 50,2% männlicher befragter Bewohner/innen ausgewogen. Fast 95% der Befragten sind deutsche Staatsbürger, nur 5,84% haben eine andere Staatsangehörigkeit, 2,3% davon kommen aus Osteuropa. Hier hat keine Veränderung stattgefunden. Abbildung 52: Staatsangehörigkeit Monitoring (insgesamt)
Im Vergleich zu Sozialprofil I und II zeigt sich, dass der Anteil der Rentner niedriger geworden ist, die Zahl der Kinder und Jugendlichen sich erhöht hat. Die Tendenz zur „Juvenalisierung“ der Wohnorte hat sich also verstärkt. Das Bildungsniveau ist relativ niedrig. Über die Hälfte (54,2%) gaben an, keinen Schulabschluss gemacht zu haben, 41,9% haben die Hauptschule und 209
3,0 die Realschule abgeschlossen. Fachhochschulreife und Abitur haben nur 0,6%. Die Sonderschulquote ist mit 37,1% recht hoch. Bei der Altersverteilung fällt die „Juvenalisierung“ auf: Fast zwei Drittel, 62,4% sind unter 40 Jahre alt, die Gruppe der Senioren ab 60 Jahren ist relativ gering mit 11,4%. Abbildung 53: Altersverteilung Monitoring (insgesamt)
Im Vergleich zu Sozialprofil I und II zeigt sich, dass die Zahl der Bewohner/innen ohne Schulabschluss gestiegen ist, die derjenigen mit Hauptschulabschluss ist weniger geworden; die Sonderschulquote ist angestiegen. Insgesamt lässt sich also eine Verschlechterung des Bildungsniveaus feststellen. Diese Tendenz beim niedrigen (schulischen) Bildungsniveau setzt sich bei der Berufsausbildung fort. 74,3% haben keinen Beruf erlernt, nur 18,9% besitzen einen Abschluß. Die Zahl der Ausbildungsabbrecher ist mit 2,5% relativ gering. 3,2% der Befragten befinden sich noch in Ausbildung. Im Vergleich mit den Sozialprofilen I und II kann konstatiert werden, dass die Anzahl der Bewohner/innen ohne Berufsausbildungsabschluss gestiegen und auch die derjenigen mit einer abgeschlossenen Ausbildung angestiegen ist. Gut ein Drittel, nämlich 34,3% der Befragten, leben alleine in einem Haushalt. Dem gegenüber steht die relativ hohe Zahl der Paare mit Kindern (28,9%) und der Alleinerziehenden (14,2%). D.h. in 43,1% der Haushalte leben Kinder und Jugendliche. Paare ohne Kinder machen 18,8% der Befragten aus. 210
Abbildung 54: Bildungsniveau Monitoring (insgesamt)
Abbildung 55: Berufsausbildung Monitoring (insgesamt)
Abbildung 56: Haushaltsformen Monitoring (insgesamt)
211
Im Vergleich der Sozialprofile zeigt sich, dass die Ein-Personen-Haushalte mehr geworden sind, die Zahl der Alleinerziehenden ist dagegen gesunken. Es gibt mehr Paare mit Kindern und weniger Paare ohne Kinder. Die Mehrheit der Haushalte besteht aus Ein- (34,5%) und Zwei-PersonenHaushalten (23,3%). Es gibt jedoch auch 13,5% Haushalte mit fünf und mehr Personen. Abbildung 57: Haushaltsgrößen Monitoring (insgesamt)
Bei den Haushaltsgrößen zeigt sich im Vergleich der Sozialprofile, dass die Haushalte mit nur einer Person weniger werden, ebenso wie die mit zwei Personen. Gestiegen sind die Haushalte mit drei Personen, also Familien bzw. Paare mit Kindern. Die Rate der Haushalte, in denen fünf und mehr Personen leben, ist konstant geblieben. Über die Hälfte der Haushalte, 55,8% lebt von eigenem Verdienst (40,3%) oder von Rente (15,5%). Ein Drittel (35,8%) bezieht Sozialhilfe. Im Vergleich mit den Sozialprofilen I und II fällt auf, dass die Zahl der Erwerbstätigen gestiegen ist, die Anzahl der Rentnerinnen und Rentner ist gesunken, ebenso wie die Gruppe derjenigen, die „sonstige Einkommen“ haben. Fast drei Viertel der Befragten ist mit der Wohnsituation zufrieden: 71,1% würden „eher nicht“ ausziehen, 29,8% „eher ja“. Der Auszugswunsch im Vergleich zu den ersten beiden Sozialprofilen ist gesunken. Dies kann als eine erhöhte Zufriedenheit mit dem Wohngebiet gewertet werden. 212
Abbildung 58: Einkommen Monitoring (insgesamt)
Abbildung 59: Auszugswunsch Monitoring (insgesamt)
Für fast die Hälfte der Befragten (46,5%) ist der Stadtteil, in dem sie leben, das bevorzugte Wohngebiet. Ein Drittel (33,2%) sieht das ganze Stadtgebiet Karlsruhe als bevorzugten Wohnort an, 18,2% einen benachbarten Stadtteil. Im Vergleich mit Sozialprofil I und II zeigt sich, dass die Beliebtheit des eigenen Stadtteils gestiegen, die der benachbarten Stadtteile gesunken ist. Die Präferenzen für das Stadtgebiet Karlsruhe insgesamt sind gleich geblieben. Nach den Änderungswünschen befragt, zeigt sich eine allgemeine Tendenz, die sich auch in den Wohngebieten widerspiegelt. Die Bewohner/innen ha213
Abbildung 60: Bevorzugter Stadtteil Monitoring (insgesamt)
ben doppelt so viele Änderungswünsche, die die baulich-räumlichen Bedingungen betreffen als die sozial-räumlichen. Abbildung 61: Änderungswünsche Monitoring (insgesamt)
Im Durchschnitt insgesamt wurden n=3,1 sozialräumliche Änderungswünsche genannt und n=6,5 Änderungswünsche, die die baulich-räumlichen Bedingungen betreffen. Die Änderungswünsche sind gleich geblieben im Vergleich mit dem Sozialprofil I und II.
214
7 Allgemeine Tendenzen der Entwicklung der Sozialprofile Will man allgemeine Entwicklungstendenzen aus dem Vergleich der Sozialprofile ableiten, lässt sich zusammenfassend feststellen: 1. Wohnen in Gebieten mit benachteiligten Bedingungen betrifft die deutsche Bevölkerung, es gibt einen konstanten geringen Ausländeranteil. 2. Es existiert ein Trend zur „Juvenalisierung“: die Anzahl derBewohner/innen unter 40 Jahre ist am Steigen, der Anteil der Rentner sinkt. 3. Das Bildungsniveau insgesamt hat sich verschlechtert, die Anzahl der Be- wohner/innen ohne Schulabschluss ist gestiegen, ebenso die Sonderschulquote. 4. Das Niveau der Berufsqualifikation zeigt ein polarisiertes Bild: sowohl die Anzahl der Bewohner/innen ohne erlernten Beruf ist gestiegen, aber auch die Anzahl derjenigen, die einen Berufsabschluss haben. 5. Es gibt mehr Familien (Paare mit Kindern): die Zahl der Alleinerziehenden hat abgenommen ebenso die Anzahl der Alleinlebenden. 6. Der Trend geht zu größeren Haushaltsstrukturen: die Anzahl der Haushalte mit drei Personen ist gestiegen, die der Single-Haushalte ist gesunken. Die Zahl der sehr großen Haushalte (fünf und mehr Personen) ist konstant geblieben. 7. Die Erwerbstätigkeitsquote steigt: es gibt weniger Rentner, mehr Erwerbstätige, die Anzahl der Sozialhilfeempfänger ist konstant geblieben. 8. Die Zufriedenheit mit dem Wohngebiet ist gestiegen, der Auszugswunsch ist gesunken. Ebenso ist die Beliebtheit des eigenen Stadtteils gestiegen, die der benachbarten Stadtteile gesunken. Die Präferenz für Karlsruhe als Wohngebiet ist konstant geblieben. 9. Die Änderungswünsche betreffen hauptsächlich die baulich-räumlichen Bedingungen, weniger die sozial-räumlichen. 215
Das vorangegangene empirische Kapitel hat eine Zusammenführung des vorliegenden, auf der Basis von Befragungen mittels Fragebögen generierten Materials zu benachteiligenden Wohnbedingungen ausgewählter Karlsruher Wohngebiete geleistet, die in der Vergangenheit als Barackenlager und/oder Obdachlosensiedlungen dienten. Zunächst wurden die Erstbefragungen der Wohngebiete verglichen, darauf ein Zeitreihenvergleich bei den Wohngebieten, die Nachbefragungen aufzuweisen hatten, angestellt. Letzteres wurde auch mit Blick auf das in Kapitel I behandelte „Soziaräumliche Monitoring“ betrachtet. Hierbei zeigte sich sehr deutlich, dass sich Befragungsergebnisse im sozialräumlichen Kontext mit Hilfe eines Zeitreihenvergleichs besser einordnen lassen als punktuell in einer einmaligen Aktion gewonnene Resultate. Findet eine derartige Methode Anwendung, sind größere Zeiträume einzuplanen. Die Basis hierfür ist in Karlsruhe geschaffen. Allerdings wird die Ausweitung auf mehr Wohngebiete als bislang - auch im Sinne der Weiterentwicklung von Bürger/innenBeteiligung - notwendig sein, denn: Mit Befragungsergebnissen wird ein Handlungsbedarf erzeugt. Wenn Stiefel mit Blick auf Armutsbekämpfung feststellt „Wer Armut konstatiert, erzeugt auch einen Handlungsbedarf“ (1986, 251), kann hierzu im Kontext benachteiligender Wohnbedingungen analog Rosow zitiert werden: „Heruntergekommene Wohngebiete stellen soziale und finanzielle Verpflichtungen dar, die durch Sanierung und Umsiedlung wesentlich gemildert werden (1974, 184). Es wurde deutlich, dass es richtig ist, kleinräumige Sozialmilieus als Herausforderung planerischen Handelns zu sehen, wenn soziale Ungleichheiten abgebaut werden sollen. Der oben angesprochene Handlungsbedarf muss im Dialog mit den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern - auch Kindern und Jugendlichen - identifiziert und definiert werden. Mit Hilfe eines Controllings, wie die Karlsruher Ansätze des sozialräumlichen Monitoringverfahrens veranschaulichten, können Erfolg und Misserfolg eingeleiteter Maßnahmen dann evaluiert werden. Allerdings ist es notwendig, soziale Maßnahmen zu beschließen, überprüfbare Ziele zu formulieren und entsprechend zu agieren. Das bauliche Fundament als Voraussetzung eines Erfolg versprechenden sozialräumlichen Ansatzes ist mit den Modernisierungsmaßnahmen in den beiden Wohngebieten Kleinseeäcker und Nußbaumweg gelegt.
216
Teil IV Sanierungsbezogene Sozialplanung als Chance zur Partizipation und Überwindung sozialer Benachteiligung: Prozessmodell der nachhaltigen Stadt(teil)entwicklung
1 Sozialplanung in der Stadtplanung 1.1 Sozialplanung Wesentliche Grundgedanken zur Sozialplanung im städtebaulichen Kontext wurden vor über 30 Jahren formuliert. Da diese an Aktualität nichts eingebüßt haben, wird auf sie in diesem Kapitel zurückgegriffen. Wendt stellte zum Terminus „Sozialplanung“ folgendes fest: „Dieser Begriff war von Anfang an vieldeutig. [...] bei Anwendung im Horizont von Milieuarbeit sind zwei Bedeutungen wichtig: Sozialplanung 1. als Teil der Stadtentwicklungsplanung und 2. im Sinne einer Planung für benachteiligte Bevölkerungsgruppen und der Koordination dessen, was für sie getan werden soll“ (1989, 16). Beide Aspekte sind nicht nur für die Milieuarbeit wichtig. Die Frage, was Sozialplanung ist, hat der „Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge“ mit folgender Definition beantwortet: „Sozialplanung ist ein Planungs- und Handlungsprozess, der allgemein ausgedrückt in vier Bereichen, die sich zum Teil überlappen, stattfindet, nämlich als: • soziale Infrastrukturplanung, • kommunale Sozialpolitik, • soziale Kommunalpolitik, • aktive Gesellschaftspolitik. Die Aufgabe der Sozialplanung ist es, • den Lebensraum und die Lebensverhältnisse von Einzelnen und Gruppen systematisch zu analysieren; • (potentielle) Mängellagen aufzuzeigen [. . . ], • Planungsentscheidungen in ihrer Umsetzung zu organisieren und schließlich • die beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen der Planung zu beobachten und bei der weiteren Arbeit zu berücksichtigen. 219
Damit ist Sozialplanung ein Instrument zur Lösung sozialpolitischer Probleme und zur Umsetzung sozialpolitischer Entscheidungen"(1980, 19ff).115
1.2 Entwicklung des Konzeptes der Sozialplanung innerhalb der Stadtsoziologie Unter der Überschrift „Städtebau in Westdeutschland“ in seiner Veröffentlichung „Sozialstruktur und sozialer Wandel in Deutschland“ weist Schäfers darauf hin, dass das 1971 verabschiedete Städtebauförderungsgesetz deshalb besondere Aufmerksamkeit erregte, „weil in ihm zwei Punkte der städtebaulichen und gesellschaftspolitischen Diskussion ‚institutionalisiert‘ wurden: die ‚Partizipation der Betroffenen‘, ihre Mitwirkung bei der Planung und Verwirklichung der Bauaufgaben; und die mit der Partizipation verknüpfte ‚Sozialplanung‘, die eine ‚soziale Stadtplanung‘ (Korte 1986) ermöglichen soll“ (1998a, 279). Korte hatte sich in seiner „Stadtsoziologie“ (1986) eingehend mit dem Gesetzgebungsverfahren zum Städtebauförderungsgesetz (StBauFG) und dessen Vorgeschichte auseinandergesetzt. Die Entwicklungslinien der deutschen Stadtsoziologie in den 1970er Jahren sind nach Korte: • Zunahme des empirischen Wissens über Vorgänge der Stadtentwicklung und deren Planung, • Professionalisierung der an vielen Universitäten ausgebildeten Stadtsoziologen, • Vertiefung und Ausweitung der theoretischen Fundierung. Im dritten Kapitel „Das soziologische Plädoyer im Gesetzgebungsverfahren zum Städtebauförderungsgesetz“ beschreibt Korte den Einfluss, den Soziologen wie Bahrdt auf die Bundespolitik bei den verschiedenen Anhörungen gewinnen konnten.116 Diederich hatte in der damaligen Diskussion 115 Soweit
der Deutsche Verein - selbstverständlich existieren in der Literatur noch zahlreiche weitere Definitionsversuche, gleichwohl, um mit Diederich zu sprechen, bleibt festzuhalten: „Sozialplanung ist ein weitgespannter und schillernder Begriff“; 1985, 11. 116 „Nach einer Anhörung im zuständigen Bundestagsausschuß am 16.4. 1970 änderte der Gesetzgeber in letzter Minute den Entwurf zum Städtebauförderungsgesetz dahingehend, dass eine größere Berücksichtigung sozialer Gegebenheiten und eine stärkere Beteiligung nicht nur der Eigentümer, sondern aller Bewohner des Sanierungsgebiets vorgesehen wurde. Vorbereitende Untersuchungen und Sozialplan waren die Stichworte für eine intensive und kontroverse stadtsoziologische Diskussion. [...] Wesentlich
220
analog zu Bahrdt zur Institutionalisierung der Beteiligung der Betroffenen einen Sanierungsausschuss gefordert. Um zu genauen Kenntnissen der sozioökonomischen, ökologischen und sozialpsychologischen Fakten zu gelangen, müsse in den vorbereitenden Untersuchungen dreierlei bewerkstelligt werden: 1. Erklärung der Sanierungsbedürftigkeit, nicht nur der baulichen, sondern auch der „sozialen Sanierungsbedürftigkeit“; 2. Aussagen zur Sanierungswilligkeit der Grundeigentümer, Betriebe und Bewohner „aller Schichten“; 3. Analysen, um Prognosen für Wohnungsbedarf, Infrastruktureinrichtungen etc. entwickeln zu können (vgl. a.a.O., 22f). Für die Stadtsoziologie sah Korte die Chance, in ein „angemessenes Verhältnis von Gesellschaftsanalyse und Detailuntersuchung“ zurückzufinden. Der Begriff der Partizipation spielte hierbei eine besondere Rolle. Korte zitiert diesbezüglich die Feststellung von Schäfers, dass sich „der Sozialplan zum entscheidenden Angelpunkt der Partizipation im StBauFG“ (a.a.O., 24) entwickelt hat. Den damaligen gesellschaftspolitischen Zeitgeist spiegelt ein Beitrag von Herlyn wider: 1975 stellt Herlyn in einem Aufsatz mit dem Titel „Sanierungsbezogene Sozialplanung als Chance zur Partizipation“ fest, dass das 1971 in Kraft getretene Städtebauförderungsgesetz (StBauFG) die beiden wichtigen Aufgabenbereiche städtischer Planung, die Stadterweiterung wie die Stadterneuerung gesetzlich regelt. Zum ersten Mal wird 1971 mit dem StBauFG ein Sozialplan, in dem die Belange der von Planungsmaßnahmen Betroffenen berücksichtigt werden sollen, gefordert. Herlyn geht in seinem Beitrag der Frage nach, welche Funktionen die sanierungsbezogene Sozialplanung für die Betroffenen haben kann. Herlyn sieht, „dass mit der Sanierung in der Regel ein Konflikt zwischen der planenden Verwaltung als hoch arbeitsteilig organisierter Entscheidungsagentur und den Betroffenen als nichtorganisierter Öffentlichkeit entsteht“ (a.a.O., 213). Des Weiteren problematisiert Herlyn die Tatsache, dass die Bevölkerung in einem als potentielles Sanierungsgebiet bestimmten Altbauquartier in zweifacher Hinsicht unterprivilegiert sei: „Einmal besitzt sie im Vergleich zu anderen Bevölkerungsteilen in der Regel nicht die ökonomischen Voraussetzungen, um sich im Verteilungskampf durchzusetzen und sozial zu entfalten, stärkere Wirkung auf die Inhalte und Handhabung kommunaler Planungspraxis hatte der von Bahrdt in der erwähnten Anhörung vorgeschlagene Sozialplan (Herv. Korte, M.L.)“; a.a.O., 16ff.
221
und zum anderen ist sie strukturell der die Sanierung betreibenden kommunalen Verwaltung als geschlossener Konfliktpartei unterlegen“ (a.a.O., 217f).
1.3 Zu Problematik und Chancen des Sozialplans Herlyn ist mit Blick auf die den Sozialplan betreffenden §§ 4, 8 und 9 im StBauFG der Meinung, „dass im Gesetz die Vermeidung nachteiliger Auswirkungen für die von Sanierungsmaßnahmen unmittelbar Betroffenen im Vordergrund steht und der Sozialplan selbst lediglich zu einer ‚Sammlung von Besprechungsergebnissen‘ ohne Rechtsverbindlichkeit degeneriert ist“ (a.a.O., 219). Drei Auslegungsrichtungen lässt der Sozialplan nach Herlyn zu, nämlich ein technologisches, ein kompensatorisch-instrumentelles und ein konfliktorientiert-partizipatorisches Konzept. Die technizistische Auslegung orientiert sich eng am Gesetzestext, die Schutzfunktion des Gesetzes für die Betroffenen wird hervorgehoben, indem karitative Maßnahmen einen breiten Raum einnehmen. Demgegenüber sieht die kompensatorisch-instrumentelle Position die Besitzstandswahrung der Betroffenen im Vordergrund. Herlyn nennt Hübner und Siebel als Vertreter dieser Position, die die „Sicherung der Betroffenen gegen eine Verschlechterung ihrer Lebenssituation“ (a.a.O., 220) verfolgt. Die Nähe zum technologischen Konzept, obwohl von einem gesellschaftskritischen Ansatz her argumentierend, resultiert nach Herlyn „aus Enttäuschung oder Resignation über die bisherigen, in der Tat entmutigenden Anwendungen“ (a.a.O.) des StBauFG. Eine zahlenmäßige Überlegenheit konstatiert Herlyn zum damaligen Zeitpunkt für „Interpretationen, die auch im Gesetz (z.B. im §1,4 des StBauFG) verankerte Mitwirkung der Betroffenen in der Sozialplanung einbeziehen wollen“ (a.a.O., 221f). Herlyn selbst schließt sich einer emanzipatorisch, konfliktorientierten Konzeption an (vgl. a.a.O., 223ff). Er erkennt die Schwierigkeit, eine Solidarisierung der von Sanierungsmaßnahmen Betroffenen angesichts deren oftmals heterogenen sozialen Zusammensetzung zu erreichen. Herlyn sieht aber als den sozialplanerischen Beitrag die Schaffung von Voraussetzungen für ein Lernen im und am Konflikt an, was sich an einer besonderen Regelung der Grundsätze zum Sozialplan zeigt. Im Rahmen der „Vorbereitenden Untersuchungen“ ist vorrangige Aufgabe sozialplanerischer Aktivitäten die Organisierung der Betroffenen. Ein Weg ist die Installierung von Bürgervertretungen. Dies kann z.B. in Form von 222
„Beiräten der Betroffenen“ geschehen. Herlyn ist sich der Tatsache bewusst, dass die in ökonomischer und sozialer Hinsicht Schwächsten des Gebiets kaum zur Mitarbeit in solchen Gremien zu gewinnen sind. Der zweite Weg, den nach Herlyn Sozialplanung beschreiten sollte, ist die Anwendung des Instruments der Gruppendiskussion im Zuge der Erörterungen bei den vorbereitenden Untersuchungen: „Der sozialplanerische Beitrag in dieser Phase liegt sowohl in dem Bewusstwerden der Sanierungsprobleme für die Betroffenen, in dem Versuch eines Abbaus von Defiziten an Artikulations- und Durchsetzungsfähigkeit der größtenteils unterprivilegierten Betroffenen und auch in der Möglichkeit, von solchen Diskussionsgruppen her die Delegierten in institutionalisierten ‚Betroffenengremien‘ zu kontrollieren“ (a.a.O., 230). Herlyn schreibt Sozialplanung eine Vermittlungsrolle zu, wenn er betont, dass das Ziel einer Sozialplanung sein muss, sich weder in den Dienst von Kapitalverwertungsinteressen zu stellen, noch den Illusionen derjenigen zu erliegen, die „das Instrument der Sozialplanung zum Hebel grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen hochstilisieren wollen“ (a.a.O., 232).
1.4 Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung Schäfers sieht in sechs Kriterien die Notwendigkeit einer stärkeren Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern bei städtebaulichen Planungsprozessen begründet: 1. alle Aspekte des „humanen urbanen Wohnens“ werden nachhaltig berührt, 2. jede städtebauliche Planung setzt die Kenntnis der Bedürfnisse der Betroffenen voraus, 3. jede städtebauliche Planung bedarf der Regelung in Bezug auf Herbeiführung eines Konsens bzw. der Konfliktbearbeitung, 4. in jedem städtebaulichen Planungsprozess werden „private, kapitalistisch orientierte Interessen“ geweckt, über deren negative Einflüsse weitgehend Einigkeit besteht und die nur durch Verbesserung der demokratischen Kontrollmöglichkeiten zu einer ausschließlich sachlichen Aufgabenwahrnehmung angehalten werden können, 5. jede städtebauliche Planung ist zugleich eine umfassende Sozialplanung, 223
6. städtebauliche Planungen berühren Bürgerinteressen unmittelbar: hier wird das Bemühen um das öffentliche Wohl und das Demokratieverständnis von Politik und Verwaltung erfahrbar (vgl. 1971, 201f). Fahrenholtz weist in Bezug auf die Sozialplanung darauf hin, dass diese „in einem prinzipiellen Gegensatz“ zur Bebauungsplanung stehe: „der Bebauungsplan ist - zwangsläufig - starr, statisch, schwer fortschreibbar und änderbar; Sozialplanungen müssen hingegen extrem beweglich, elastisch, anpaßbar sein, müssen ständig fortgeschrieben, müssen womöglich weitgehend individualisiert werden“ (1971, 191). Fahrenholz stellt Sozialplanung in den oben angeführten Kontext der Partizipation, wenn er schreibt: „Sozialplanungen - besonders bei Sanierungsmaßnahmen - beschäftigen sich mit zwei großen Bereichen der praktischen Sozialarbeit: dem der Information zur Partizipation und dem der Betreuung, des Rates und der konkreten Hilfe“ (Herv. Fahrenholtz, M.L., a.a.O.). Für Hübner war mit der Verabschiedung des StBauFG die Frage aufgeworfen, „welche Aufgabe der Staat in einer nach privatkapitalistischen Grundsätzen strukturierten Gesellschaft wahrnimmt“ (1971, 193). Auf den (Sozial)Staat bezogen sieht Hübner mit dem Städtebauförderungsgesetz die Chance, auf kommunaler Ebene Beispiele für Bürgerbeteiligung zu versuchen. Hinsichtlich der wissenschaftlichen Ebene zitiert Korte Schäfers dahingehend, dass 1971 der erste Versuch unternommen wurde, innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) eine Sektion Stadt- und Regionalsoziologie zu gründen. Auf dem Kasseler Soziologentag 1974 wurde das Thema „Sozialplanung in der Stadtplanung“ behandelt. Das Feld der Sozialplanung hatte sich über die Diskus-sion zum StBauFG fortentwickelt, wie Korte auch feststellt.117 Schäfers merkt an, dass viele der Meinung waren, dass das StBauFG 1971 zu spät kam, „weil die intensivste Neu- und Erweiterungsphase der Stadtentwicklung und die größten innerstädtischen Sanierungsvorhaben bereits abgeschlossen oder nach altem Recht begonnen waren“ (a.a.O., 279). Gleichwohl sieht Schäfers Möglichkeiten sozialplanerischer Aktivitäten nach dem StBauFG (s.o.). An dieser Stelle sei der Hinweis gestattet, dass seit 1986 das StBauFG wie auch das Bundesbaugesetz in das Baugesetzbuch (BauGB) 117 „Inzwischen
ist Sozialplanung an vielen Universitäten im Rahmen soziologischer bzw. sozialwissenschaftlicher Ausbildungs- und Studiengänge Lehr- und Prüfungsgegenstand. Über den engeren Bereich der Stadtplanung hinaus ist Sozialplanung in vielen Sektoren gesellschaftlicher Planung und Hilfe ein Instrument zur Bedürfnisorientierung geworden und Anlaß tiefgreifender Veränderungen innerhalb der sozialen Berufsfelder gewesen“; a.a.O., 35.
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aufgegangen sind. Hier findet sich das StBauFG im zweiten Kapitel unter der Überschrift „Besonderes Städtebaurecht“ wieder.
225
2 Die Konzeption der „sozialen Stadt“ 2.1 Konzeptionalisierung des Sozialen in der „sozialen Stadt“ Die in diesem Kontext zu stellende grundsätzliche Frage lautet mit Lang „Was macht eine Stadt sozial?“. Lang stellt fest, dass sich in der aktuellen Forschung drei Perspektiven in Bezug auf die Konzeptionalisierung des Sozialen unterscheiden lassen: „Zum einen der Versuch, mittels sozialstatistischer Indikatoren Kriterien für soziale Lebensbedingungen zu definieren, die dann sozialpolitisch möglichst flächendeckend garantiert werden sollen. Zum anderen all jene Ansätze, die als zentrales Kriterium der sozialen Stadt ihre Kommunikations-, Kooperations- und Beteiligungsstrukturen ins analytische Blickfeld nehmen. Und schließlich der dritte Forschungsstrang, der bei der Bewältigung von Problemlagen das räumliche Umfeld bzw. das „Quartier“ und seine sozial-räumliche Beschaffenheit als wichtigste Ressource konzeptionalisiert“ (2000, 14). Mit Blick auf die Handlungsorientierung ist der letztgenannte Ansatz für die hier vorgestellte Untersuchung von größter Relevanz. Da die Handlungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene die Basis für die Ausführungen bilden, versteht sich dieses fast von selbst. Lang definiert „Quartier“ in Anschluss an Herlyn et al. (1991) nicht nur als „Wohnquartier“, sondern als „wesentliche Ressource zur Lebensbewältigung“ (a.a.O., 234). Darüber hinaus verweist Lang zurecht darauf, dass Handlungsleitfäden, wie z.B. das Hamburger Armutsbekämpfungsprogramm oder die Maßnahmen für Stadtteile mit Erneuerungsbedarf der nordrhein-westfälischen Landesregierung, das Quartier als entscheidende Instanz zur Integration und Stabilisierung sozial Benachteiligter betrachten. Methodisch ist der oben an zweiter Stelle genannte Ansatz der Kooperation und Beteiligung bedeutsam. Geht es hierbei aus kommunaler Sicht vor allem darum, vor Ort Foren zu schaffen, in denen Aushandlungsprozesse und Artikulierungsmöglichkeiten für Bewohner/innen organisiert werden. Lang selbst konstatiert, dass der Ansatz „Sozialstatistische Standards“ der 227
Komplexität des Sozialen nicht gerecht wird: „In einer Zeit, da aktuelle Gesellschaftsanalysen immer häufiger die Auflösung traditioneller Standards in Bezug auf die Familie, den Arbeitsmarkt oder die Geschlechterrollen und damit ‚Normalisierung von Abweichungen‘ verkünden, lassen sich soziale Lebensverhältnisse nicht mehr mit statistischen Durchschnittswerten bestimmen“ (a.a.O., 15). Während der zweite Ansatz „die soziale Stadt in Abhängigkeit von ihrer Fähigkeit, Konflikte und Meinungsverschiedenheiten in der pluralen Stadtgesellschaft zivil auszutragen“ definiert, thematisiert der dritte „die Bedeutung des Raumes bzw. des Quartiers als Bindeglied“ angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Desintegration. Lang fasst zusammen: „Die beiden zuletzt genannten Konzeptionalisierungen des Sozialen - ‚Kooperation‘ bzw. ‚Raum als Ressource‘ - kommen dem Verständnis der sozialen Stadt bereits recht nahe [...]. Die Untersuchung räumlicher Strukturen einerseits und deren Wechselwirkung mit dem sozialen Kapital im Raum andererseits erfordert ein komplexes wissenschaftliches Verstehen. Anders formuliert: Die Analyse des Zusammenhangs zwischen dem Sozialraum und den sozialen Praktiken im Raum ist ein Akt verstehender Deutung. Dies bedeutet einen Perspektivenwechsel, bedeutet, sich in die Lage der Erforschten zu versetzen und sich auf die Sicht der Dinge einzulassen und bedeutet ferner, einen Blick auf die historische Bedingtheit sozialer Tatsachen zu werfen“ (a.a.O., 16ff). Auf die Notwendigkeit der historischen Analyse als eine methodologische Implikation, wie sie nun auch Lang formuliert, wurde mit der Beantwortung der historischen Fragestellung (s.o.) hingewiesen. Um die von Lang vorgeschlagenen Konzeptionalisierungen des Sozialen bewerkstelligen zu können, ist auf kommunaler Ebene, um mit Bahrdt zu sprechen, ein „institutioneller Rahmen der Stadtplanungspolitik“ Vorraussetzung, der die „Kooperation von Planern und Soziologen“ praktisch im Verwaltungsalltag fördert. Damit würden Möglichkeiten eröffnet, der Komplexität der Thematik gerecht werden zu können, da damit multimethodische Vorgehensweisen leichter umgesetzt werden können. Bahrdt stellte schon vor über 35 Jahren fest: „Der Etablierung interdisziplinärer Planungsteams stehen aber auch institutionelle Hemmnisse entgegen. Es wäre schon viel erreicht, wenn die Planungsämter größerer Kommunen Planstellen für Soziologen einrichteten“ (1968, 209). Interdisziplinarität ist diesbezüglich ein Schlüsselbegriff.118 Ressortübergrei118 Angele
hat mit „Obdachlosigkeit - Herausforderungen an Pädagogik, Soziologie und Politik“ auch auf Interdisziplinarität im Bereich des kommunalen Umgangs mit woh-
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fendes Arbeiten findet, wie dargestellt, auf verschiedenen Ebenen in den Kommunen (auch in Karlsruhe) statt. Stadtsoziologische, theoretische Fundierungen sind in Verwaltungssteuerungsprozessen und Verwaltungshandeln eher vernachlässigt. Gleichwohl, wie diese Arbeit zeigt, ist dies eigentlich eine Voraussetzung für die praktische Arbeit. Dies setzt voraus, dass in Kommunalverwaltungen umgedacht wird in dem Sinne, dass der Umgang mit benachteiligenden Wohngebieten nach einem theoretisch fundierten Modell vonstatten gehen sollte. Dieses deshalb, weil eine multidimensionale Problemstellung nicht eindimensional gelöst werden kann. Darauf hatte schon der Hinweis auf das „Makro-Meso-Mikro-Modell“ von Dangschat aufmerksam gemacht. So verstanden ist die Thematik „Umgang mit benachteiligenden Wohngebieten“ auch ein Beitrag zur Verwaltungsmodernisierung. Dies darf aber nicht nur auf die Ebene der integrierten Handlungskonzepte beschränkt sein, die in der Regel auf Daten basieren, die - um mit Esser zu sprechen - „auf der Ebene räumlicher Einheiten aggregierter Daten“ (1988, 41) gewonnen werden; zudem: „Empirische Sozialforschung erhebt und analysiert meist Daten, die bei - statistisch unabhängig gezogenen - Individuen gewonnen werden. Aggregatdaten werden gelegentlich als eigenständige Zusammenhänge interpretiert, ohne weiteren Bezug zu weiteren Ebenen, oft aber - implizit - als ‚Ersatz‘ für Daten auf der Individualebene verwendet und gedeutet“ (a.a.O., 41).119
2.2 Sozialplanung in der „sozialen Stadt“ Deshalb besteht auch die Notwendigkeit, sich dem „Mikro-Makro-Problem“ 120 zuzuwenden, um auf der praktischen Umsetzungsebene „ökologische Fehlschlüsse“ zu vermeiden. Die „Qualitative Segregationsanalyse“ von Schneider ist eine Methode, den Kontext (=Mesoebene) „zwischen“ Mikro- und Makroebene nicht nur zu erfassen, sondern die beiden Ebenen verbinden zu helfen. Am Beispiel der sozialen Durchmischung im Sinne der Aufwertung von Wohngebieten wurde das Gesagte im vorhergehenden Abschnitt veranschaunungslosen Menschen aufmerksam gemacht; vgl. 1989. warnt in diesem Zusammenhang vor einem „ökologischen Fehlschluss“ (unter diesem versteht Esser den Fehlschluss, von Aggregatdaten auf individuelle Zusammenhänge zu schließen); vgl. a.a.O.. 120 Esser spricht auf der theoretischen Ebene vom „ungelösten Mikro-Makro-Problem als theoretischem Defizit der sozialökologischen Stadtforschung“ (vgl. a.a.O., 35ff), was analog auf die praktische Ebene der sozialräumlichen Arbeit der Kommunen übertragen werden kann. 119 Esser
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licht. An dieser Stelle sei mit Blick auf die Frage „Aus den Großsiedlungen lernen?“ 121 folgender Hinweis gestattet: Jessen beantwortet die Frage damit, dass er feststellt, dass das Scheitern der Großsiedlungen die Notwendigkeit eines Bewertungsmaßstabes für die räumliche Planung erfordert (vgl. 1998, 581f). Ein solcher Maßstab könnte ein zu erarbeitendes „Leitbild soziale Mischung“ (vgl. Harlander 2000) sein. Ein solches kommunales Leitbild muss der Mehrdimensionalität, für die in diesem Kapitel plädiert wird, Rechnung tragen. Auch dies zeigte sich in der genannten Abbildung 10 (s.o.). Evaluierung und Controlling dieser Prozesse im sozialplanerischen Sinne darauf wurde in dieser Arbeit eingegangen - wird zukünftig eine größere Bedeutung zukommen müssen, sollen die ergriffenen Maßnahmen nachhaltig erfolgreich sein. Insofern müssen etwa unter der Überschrift „Lebensräume gestalten als neue Strategie kommunaler Sozialpolitik“ 122 prozessorientiert Erkenntnisse, wie sie im Vorangegangenen in Bezug auf Sozialplanung aufgearbeitet wurden, nunmehr mit der sozialen Stadtteilentwicklung intensiv verknüpft werden. Die vorhandenen sozialplanerischen Ansätze (vgl. Jordan/Schone 1992, Karsten 1994, Tippelt 1994, Rhode 1997, Stadt Pforzheim (Hrsg.) 2000, Schrapper 2001b, Spiegel 2002a) gilt es, fokussiert in die Praxis der Stadtverwaltungen, -planungen und -politiken einzubringen. Nur durch strukturelle Einbindungen ist diesbezüglich die Nachhaltigkeit zu erreichen. So muss es selbstverständlich werden, dass integrierte Handlungsprogramme in sozialer Perspektive bereits frühstmöglich im Bereich der städtebaulichen Voruntersuchungen, die in der Regel von Stadtplanungsämtern bzw. der für Stadtsanierung zuständigen Stellen federführend bearbeitet werden, ihren Ausgangspunkt finden. Dies bedeutet für das Arbeitsfeld des Sozialen, dass partizipative Ansätze angewandt werden müssen, wie sie Hinte pointiert123 vertritt: „Über die klassischen Formen der kommunaler Beteiligungspraxis werden genau diejenigen Bevölkerungsgruppen bevorzugt, die ohnehin auf der Sonnenseite dieser Gesellschaft stehen. Denn derlei Verfahren, selbst wenn sie methodisch sauber durchgeführt werden, orientieren sich fast immer an klassischen bürgerlichen Mittelschichtstandards. [...] So degeneriert 121 Vgl.
Jessen 1998. Überschrift könnte mit Schmid-Urban aber auch lauten: „Sozialraum Stadt - Perspektivenwechsel in der Stadtentwicklungs- und Sozialpolitik - von einer kommunalen Sozialpolitik zu einer sozialen Kommunalpolitik“; 1997, 233. 123 Hinte argumentiert zynisch bzw. polemisch: „Die gestylten PartiziapationstechnologInnen von heute agieren mit Moderationskoffer und geordneter Sitzungsleitung - in den 70er Jahren (Nostalgie hat manchmal auch was Gutes!) war es wichtig, eine laute Stimme, ein Herz für die Leute, eine gehörige Portion Frechheit und einen klaren Kopf zu besitzen“; a.a.O., 154. 122 Die
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Bürgerbeteiligung vielerorts zu einer neuen Form, das Bildungsbürgertum artgerecht bei Laune zu halten und ohnehin benachteiligte Bevölkerungsgruppen auf Distanz zu halten“ (1998, 154ff). Prinzipiell sind die Herausforderungen für die Karlsruher Kommunalpolitik im Feld der benachteiligenden Wohnbedingungen selbstverständlich auch anderswo in Deutschland vorzufinden, wie sich mit Selle belegen lässt: „Während in den 60er und frühen 70er Jahren die innenstadtnahen Wohngebiete ‚flächensaniert‘ wurden, entstanden am Stadtrand neue Wohnsiedlungen mit öffentlicher Unterstützung (im Rahmen des so genannten sozialen Wohnungsbaus und/oder als Entwicklungsmaßnahme nach dem StBauFG). Kaum zwanzig Jahre später gibt es Probleme - die vielgeschossigen Gebäude in den Neubausiedlungen weisen erheblichen Instandsetzungsbedarf auf: es zeigt sich, dass die bei der Errichtung verwendeten Bautechnologien (Großtafelbauweise, weitgehende Vorfertigung der Bauteile) nicht ausgereift waren. Zahlreiche, gravierende Bauschäden müssen behoben werden ...“ (1988, 21). Die Rolle, die der kommunalen Sozialplanung („Zaubermittel oder zahnloser Tiger?“)124 somit zukommt, ist eine Führungsrolle, was zu akzeptieren, wie der beschriebene Umgang mit dem Städtebauförderungsprogramm „Soziale (!) Stadt“ auf kommunaler Ebene zeigt, den jeweils „Regierenden“ sichtlich schwer fällt. Die Dominanz der Baudezernate gegenüber den Sozialdezernaten, auch auf Länderebene, ist nach wie vor vorhanden; dieses, obwohl es allen Beteiligten um die Förderung bzw. Entwicklung eines „Sozialen Stadtklimas“ (vgl. Abraham/Wolff 2002) geht. Selle sieht insgesamt sechs Merkmale, die die Stadterneuerung seit den 1970er Jahren kennzeichnen und die Bedeutung des Sozialen in diesen Prozessen betonen: 1. Stadterneuerung ist eine Daueraufgabe und keine einmalige, punktuelle Aufgabe. 2. An die Stelle von Zerstörung und Neu-Bau trat die Bestandsverbesserung. 124 Vgl.
Koller-Tejeiro (1998), die über die Rolle von Sozialplanung sagt: „Während sie bis Anfang der 90er Jahre entsprechend dem ‚additiven Ressourcenmanagement‘ (Homann 1996: 5) vorwiegend quantitativ ausgerichtet war (mehr Dienste und Leistungen zur Behebung von Defiziten), geht es jetzt vor allem um eine umfassende Bewährung als Steuerungsinstrument sozialer Kommunalpolitik im „Sozialraum Stadt“ (SchmidUrban 1997). Sozialplanung ist gefragt bei der Gestaltung der neuen kommunalen Aufgaben: der Einführung der neuen Steuerungsmodelle in der öffentlichen Verwaltung, bei der Regionalisierung sozialer Dienste und der Vernetzung von Ressourcen im Stadtteil“; a.a.O., 56.
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3. Vorhandene Qualitäten sollen gesichert und behutsam in kleinen Schritten und mit einfachen Mitteln verbessert werden. 4. Die Sozialorientierung bringt die Ausrichtung der Erneuerungsmaßnahmen an Interessen und finanzieller Leistungsfähigkeit der Bewohner. 5. In den 1980er Jahren ist eine Betonung der nicht-baulichen Aufgaben in der Stadterneuerung zu verzeichnen. Stadterneuerung wird so zu einer Erneuerung des jeweiligen Gemeinwesens. 6. Die ökologische Orientierung führt dazu, dass die Verbesserung der Um- weltbedingungen ausdrückliches Ziel wird. 7. Das Verhältnis zum Bürger wechselt von der Konfrontation zur Kooperation (vgl. 1991, 14ff). Mit Blick auf Langs „Konzeptionalisierungen des Sozialen“ wird die Aktualität des Gesagten für einen Zeitraum, der über 30 Jahre umspannt, augenscheinlich.
2.3 Sozial-integrative Wohnungspolitik in der „sozialen Stadt“ Wenn Brühl/Echter in ihrer Einleitung zu dem von ihnen herausgegebenen Band „Entmischung im Bestand an Sozialwohnungen“ äußern, dass aktuell die Wohnungspolitik zu den „weniger problembehafteten kommunalen Politikfeldern“ zählt, so trifft das nicht auf alle Segmente der Wohnungspolitik zu. Von Wohnungsnot könne keine Rede mehr sein, im Gegenteil: „Gehörte das Thema ‚Wohnungswesen‘ über Jahre hinweg zu den die Kommunen bedrängendsten Problemfeldern, so ist die Problemkurve ‚Wohnungswesen‘ seit 1992, als der Wohnungsbereich noch den 1. Platz in der kommunalen Problemrangfolge einnahm, kontinuierlich abgefallen. 1997 ist das Thema auf den 13. Platz gesunken“ (1998, 7). Brühl/Echter weisen aber auch darauf hin, dass die Entspannungstendenzen für das obere und mittlere Marktsegment zutreffen, nicht aber für das untere: „Die Wohnungsversorgung von besonderen Bedarfsgruppen mit preiswertem Wohnraum ist unverändert kritisch“ (a.a.O., 8). Zu den Ursachen zum damaligen Zeitpunkt führen Brühl/Echter aus: „Aus wohnungs- und stadtentwicklungspolitischer Perspektive gewinnen dabei vor allem die Probleme der Arbeitslosigkeit und relativen Armutsentwicklung zunehmend an 232
Bedeutung. Sie führen zu einer wachsenden sozialen Polarisierung der Bevölkerung, die natürlich nicht gleichmäßig in der ganzen Stadt in den Wohnquartieren feststellbar ist, sondern sich in einzelnen Stadtteilen besonders bemerkbar macht“ (a.a.O., 8ff). Aus heutiger Sicht kann der Aussage zugestimmt werden. Auf den Zusammenhang zwischen Wohnsituation und Arbeitslosigkeit hatte auch der Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen (GdW) mit seiner Schrift „Bündnis für Wohnen, Arbeit und sozialen Frieden“ aufmerksam gemacht (vgl. 1996). Veränderungen auf der Makroebene (Sozialer Wandel) wie der Wegfall einfacher Arbeitsplätze, zurückgehender sozialer Wohnungsbau und die Finanznot der öffentlichen Hand beschleunigen Ausgrenzungsprozesse, die sich auf Meso- (Stadtteil) und Mikroebene (Haushalte) der Städte niederschlagen. Die aktuelle Diskussion um die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe („Hartz IV“) macht den Zusammenhang von Arbeit, Wohnen und öffentlichen Finanzen wiederum deutlich, denn die provisorische Unterbringung von Wohnungslosen ist die kostenintensivste „Lösung“ bei Wohnungsnotfällen. Wie schwer es manchen kommunal Verantwortlichen fällt, aus der Geschichte der Baracken und Obdachlosensiedlungen zu lernen, zeigt sich derzeit am Beispiel der Diskussion um die „Angemessenheit“ von Wohnraum nach der neuen Sozialgesetzgebung ab dem 1. 1. 2005. Danach wird von den Kommunen, die für die Wohnkosten aufkommen müssen, nur die Miete für Empfänger/innen des neuen Arbeitslosengeld II, welches aus der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe resultiert, übernommen, wenn deren Wohnraum „angemessen“ ist. In diesem Kontext wurden Vermutungen geäußert, dass vielen Arbeitslosengeldbezieherinnen und -beziehern „angemessener“ Wohnraum zur Verfügung gestellt werden müsste, weil sie in „unangemessenen“ Wohnverhältnissen lebten. Schnell war die Idee geboren, den Schlichtwohnungsbau vergangener Zeiten wieder einzuführen. Die Absurdität dieser „konzeptionellen“ Denkweise ist in Zeiten von „Sozialer Stadt“ auch durch die Ausführungen dieser Arbeit belegt. Sollte es wirklich so weit kommen, dass Menschen in „angemesseneren“ Wohnraum umziehen müssen (was innerhalb der „alten“ Sozialhilfegesetzgebung auch bewerkstelligt wurde), ist die beste Lösung eine direkte Vermittlung der Betroffenen in eine dezentrale Wohnung, die den weiteren sozialen Abstieg der jeweils Betroffenen vermeiden helfen kann, denn: „Ohne Wohnung keine Arbeit - ohne Arbeit keine Wohnung“. Aufgrund der stigmatisierenden Adresse hat ein in einer Obdachlosenunterkunft/-siedlung lebender Mensch sowohl am Arbeits- wie auch Wohnungsmarkt kaum Chan233
cen von Arbeitgebern eingestellt zu werden bzw. von Wohnungsgebern einen Mietvertrag zu erhalten. Ein Mittel hierfür ist die Methode der Wohnungsakquise.
2.4 Wohnraumakquise Die Akquise von dezentralen (nicht konzentrierten) preiswerten Wohnungen zur Anmietung fällt Kommunen bei einem sich seit 1995 ständig verengenden Wohnungsmarkt zunehmend schwerer. Baden-Württemberg hat den geringsten Leerstand an Wohnungen in Deutschland (vgl. GdW/Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen (Hrsg.) 2003). Karlsruhe ist eine wachsende Stadt mit Bevölkerungszunahme. Wohnungsbau findet, wie zu sehen war, seit 1995 praktisch nicht mehr statt. Die derzeitige Misere besteht weiter mindestens bis 2010, wie der aktuelle Wohnungsbericht der Stadt Karlsruhe belegt (vgl. 2004). Deshalb müssen neue Wege gegangen werden, um den Leerstand an Wohnungen zu aktivieren. Dies gebietet auch die angespannte Haushaltslage der Stadt Karlsruhe. Ein kommunales Wohnungsbauprogramm erscheint gegenwärtig genauso wenig finanzierbar wie der Erwerb von Wohnungen für Wohnungslose. Vor diesem Hintergrund bedarf es somit der Umsetzung innovativer Konzepte nach dem WoFG, wie z.B. dem hier vorgeschlagenen: Die gewählte Beispielrechnung geht davon aus, dass ein Wohnungseigentümer sich bereit erklärt, für zwei Vierzimmer-Wohnungen ein 10jähriges Belegungsrecht der Stadt Karlsruhe einzuräumen. Belegt wird die Wohnung mit sechs Wohnungslosen. Der Mietzins ist im Rahmen der bestehenden Sozialhilferichtlinien für Karlsruhe angesiedelt. Sechs Personen kosten bei einem einjährigen Aufenthalt in städtischen Obdachlosenunterkünften 25.000 - 80.000 Euro je nach Unterkunfts- bzw. Einrichtungsart. Ein Bau- und Renovierungstrupp hat sich spätestens nach einem Jahr amortisiert, sollte er nicht mehr als 80.000 Euro kosten. Das 2004 realisierte Pilotprojekt kommt mit ca. 25.000 Euro aus. Der Eigentümer investiert selbst ca. 150.000 Euro. Der Bau- und Renovierungstrupp übernimmt einfache, aber kostenintensive Arbeiten, deren Anteil sich dann a) im Belegungsrecht und b) im Mietzins auf Sozialhilfeniveau niederschlägt. Folgt man der Argumentationslogik im Bausektor wie - vom badenwürttem-bergischen Wirtschaftsministerium kann - die Zur-VerfügungStellung eines Bautrupps Investitionen mit Zielrechtung Instandsetzung leer stehender Wohnungen auslösen. Das Wirtschaftsministerium schrieb im 234
Kontext Städtebauförderung in einer Pressemitteilung vom 11. April 2003: "Jeder Förder-Euro in der Stadterneuerung mobilisiert nach mehreren Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sowie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) bis zu 8 Euro an privaten und öffentlichen Folgeinvestitionen. Die Städtebauförderung ist mit ihrer Bündelungswirkung das mit Abstand wirksamste und beschäftigungsintensivste Konjunkturprogramm. Es gibt keinen zweiten Investitionsbereich, bei dem durch den Einsatz staatlicher Mittel eine so hohe Anstoßwirkung für das örtliche und regionale Bau- und Ausbaugewerbe erzielt werden kann. Die Städtebauförderung ist der Motor für die Baukonjunktur." Diese Tatsache trifft auch auf das hier vorgeschlagene Modell zu. Neben der Kostenreduzierung bei den städtischen Unterkunftskosten ist der im Zitat beschriebene Effekt wirtschaftlich ein positiver. Die soziale Sicht stellt sich ebenfalls sehr positiv dar, weil Menschen am Rande unserer Gesellschaft nicht nur sinnvolle Beschäftigung, sondern auch ein eigenes Zuhause ermöglicht wird. Der oben angestellte Kostenvergleich zeigt, dass die vorgeschlagene Maßnahme volks-, betriebs- und sozialwirtschaftlich sinnvoll ist. Damit würde weiterhin eine Prophylaxe in Bezug auf Segregation geleistet.
2.5 Ganzheitliche Sichtweise auf Integration Drei Dimensionen von Integration benennen Anhut/Heitmeyer: • individuell-funktionale Systemintegration (Zugang Arbeit, Wohnen, Bildung), • kommunikativ-interaktive Sozialintegration (gesellschaftliche Teilhabe), • expressiv-kulturelle Sozialintegration (Binnenintegration, Integration innerhalb der Gesellschaft) (vgl. 2000b, 48ff). Dimensionen der Integration lassen sich auch nach dem Mehrebenen-Modell differenzieren. Auf der Mikroebene spielt der Begriff der „Lebenswelt“ eine wichtige Rolle, denn: Der Begriff „Lebenswelt“ ist gegenüber dem Begriff „Sozialraum“ sehr stark subjektbezogen. „Die Frage nach der Lebenswelt zielt auf Deutungs- und Handlungsmuster, in denen Menschen sich vorfinden und in denen sie agieren; sie zielt demnach auf Subjektivität, wie 235
Thiersch formuliert (1998, 84). Die von Thiersch angesprochene „Subjektivität“ angemessen in Stadtteilentwicklungsprozessen zu berücksichtigen, ist ein Unterfangen, das mit Hilfe partizipatorischer Ansätze gelingen kann. Sie muss nicht nur schichtübergreifend, sondern auch generationenübergreifend erfolgen. Die Ausführungen zur „sozialen Selektivität planungsbezogener Kommunikation“ (s.o.) haben darauf aufmerksam gemacht, wie schwierig die Umsetzung eines solchen Ziels auf der praktischen Ebene vor Ort ist. Insofern ist es notwendig, bereits in Voruntersuchungen zu Stadtteilsanierungen partizipatorische Ansätze, wie sie seit den 1970er Jahren vertreten werden, auch tatsächlich einzubinden. Bürgerumfragen sind hierbei ein wichtiges Instrument, sofern sie alle gesellschaftlichen Schichten auch erreichen. Allerdings können sie die direkte „planungsbezogene Kommunikation“ nicht ersetzen. Dies gilt vor allem bei der Beteiligung von Kindern, da hier die fragebogengestützten Befragungsmethoden, wie sie bei Bürgerumfragen verwendet werden, nicht geeignet sind. Hier sind kindgerechte, spielerische Methoden adäquat, wie sie etwa von Brunsemann et al. (1997) beschrieben werden. Um die Zielgruppe der Kinder, aber auch Jugendlichen zu erreichen, sind Institutionen auf der Mesoebene die geeigneten Partner, insbesondere die Schulen, die für Beteiligungsverfahren z.B. Räume (Aula, Sporthalle, Schulhof etc.) zur Verfügung stellen können. Notwendigerweise ist eine ganzheitliche Sichtweise aus sozialer und baulicher Perspektive zu entwickeln und dieses nicht nur auf das jeweilige Wohngebiet beschränkt, sondern im ganzheitlichen Kontext des jeweiligen Stadtteils und darüber hinaus des gesamten Stadtgebiets. Unter Stadtteil soll nicht nur eingeschränkt die statistisch determinierte Sichtweise durch - wie auch immer festgelegte - Stadtteilgrenzen verstanden werden, sondern der Lebensraum, wie er sich für die Bewohner/innen darstellt. Denn Wohnungspolitik hat es mit einer grundsätzlichen Problematik zu tun, wie Riege zurecht bemerkt: „Soziale Wohnungspolitik in einer Marktwirtschaft bewegt sich zwischen zwei im Grundsatz widersprüchlichen Orientierungen: Wohnung als Ware und Wohnung als soziales Gut. [...] Dieses grundsätzliche Problem stellt sich auch für perspektivische Überlegungen: Wie kann Wohnungspolitik als Sozialpolitik, d.h. in ihren öffentlichen kontrollierten Gestaltungs- und Schutzfunktionen, wirksam werden, wenn zugleich die Grundsätze marktorientierten Investitionsverhaltens gelten sollen, Wohnungsbau also Wirtschafts- und Anlagebereich mit marktüblichen Gewinnspannen sein soll? Formulierungen wie ‚Wohnungspolitik als Wirtschaftsund Sozialpolitik‘, ‚Sozialer Wohnungsbau in einer sozialen Marktwirtschaft‘ klingen auf den ersten Blick überzeugend, verdecken aber dieses widersprüchliche Verhältnis“ (a.a.O., 41ff). 236
2.6 Wohnraumkonzepte als Grundlage der kommunalen Wohnungspolitik Oben wurde dargestellt, dass seit dem Jahr 2002 die gesetzliche Grundlage, auf der das soeben Zitierte fußt, verändert bzw. erneuert wurde: Mit dem Gesetz zur Reform des Wohnungsbaurechts soll den veränderten Rahmenbedingungen gesellschaftlicher, sozial- und wohnungspolitischer Natur Rechnung getragen werden. „Dabei zielt die Neuausrichtung der wohnungspolitischen Instrumente wesentlich auf die Erhaltung und Schaffung sozial stabiler Bewohnerstrukturen, die durch demografische Entwicklungen sowie soziale und räumliche Segregationserscheinungen oftmals gefährdet sind“ (Brühl 2003, 1). Von den angesprochenen Instrumenten sind vor allem • die Erstellung von Wohnraumkonzepten sowie • die Kooperationsverträge zwischen Kommunen und Wohnungsgebern im Kontext der hier vorgelegten Arbeit bedeutsam. Wohnraumkonzepte können die konzeptionelle Grundlage kommunaler Wohnungspolitik formulieren. Grundsätzliches Ziel sollte dabei die Lösung räumlicher und sozialer Probleme sein. Analog den so genannten „Integrierten Handlungskonzepten“ in der Stadtteilentwicklung nach dem Vorbild von „Sozialer Stadt“ (s.o.) können hier „Integrierte Stadtentwicklungskonzepte“ erarbeitet werden, die mehr aufweisen als „die Darstellung von Bestandsdaten“ (a.a.O.). Da Stadtteilentwicklungskonzepte Stadtentwicklungskonzepten nachgeordnet sind, sind letztgenannte auf der Makroebene, zuerst genannte auf der Mesoebene anzusiedeln. Konzepte wie oben die beispielhaft aufgeführten „Innovativen sozialen Maßnahmen“ sind demgegenüber auf der Mikroebene zu verorten, auch wenn hier der Zusammenhang mit der Mesoebene „Stadtteil“ evident ist. Die auf der Makroebene zu schließenden Kooperationsverträge zwischen Gemeinden und Wohnungsunternehmen wirken über die Meso- auf die Mikroebene ein. „Angesichts sozialräumlicher Segregationserscheinungen und der Gefährdung bislang sozial stabiler Bewohnerstrukturen in den Wohnquartieren nimmt die Bedeutung einer kooperativen Zusammenarbeit aller wohnungspolitischen Akteure und damit die Bedeutung von Kooperationsverträgen zweifellos zu“ (a.a.O., 3). Häußermann/Siebel stellen fest, dass der Boom der Stadtsoziologie seit den 1960er Jahren nicht von einem gesellschaftstheoretischen Interesse getragen wird, sondern vom Bezug auf 237
aktuelle Probleme der Stadtplanung, weshalb Schäfers auch von „Stadtplanungssoziologie“ (1970) spricht. Hierbei orientiert sich die Beschäftigung mit Stadt daran, „in und von der planenden Verwaltung anwendbare Ergebnisse zu produzieren“ (Häußermann/Siebel 1978, 484). Dies ist auch heute noch aktuell und in oben genanntem Sinne zu berücksichtigen. Darüber hinaus gilt es für einen weiteren Aspekt, der nur als Impuls abschließend an dieser Stelle angeführt werden kann: Pfeiffer wies früh darauf hin, dass bei der Anwendung des Städtebauförderungsgesetzes das Risiko besteht, „dass ein großer Teil der öffentlichen Finanzierungsmittel und Verwaltungskapazitäten zugunsten von Sanierungsprojekten und der dort lebenden Bewohner gebunden wird“ (1971, 219). Dabei sei es bei steigendem Wohnungsbedarf zusätzlich notwendig, Verbilligungen für Ersatzwohnungen aufzubringen. Auch dies ist eine Feststellung, die eine Diskussion über „Kommunale Wohnungsbauprogramme“ anstoßen könnte. Diese Programme müssten allerdings neue Wege „bottom up“ eröffnen, um leerstehenden Wohnraum, wie oben dargestellt, aktivieren zu können. Hier gilt es, öffentliches Kapital (Sozialbehörden), privates Kapital (Wohnungseigentümer) und soziales Kapital („Renovierungs- und Sanierungstrupp“ des II. Arbeitsmarkts) für die Gemeinschaftsaufgabe „Erhalt bzw. Schaffung preiswerten Wohnraums“ zu akquirieren und zu bündeln.
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3 Sozialplanung im kommunalen Kontext Sozialplanung umspannt weitere Felder als die Städtebauförderung. Vaskovics stellt darüber hinaus fest: „Sozialplanung stellt in der Bundesrepublik Deutschland wohl das einzige Betätigungsfeld dar, in dem Sozialwissenschaftler unter Berufung auf gesetzliche Grundlagen, ja auf einen gesetzlichen Auftrag eine professionelle Mitwirkung für sich beanspruchen können“ (1985, 115).
3.1 Gesetzliche Grundlagen für die Sozialplanung Dieser Aussage kann zugestimmt werden, wenn man sich Gesetze vor Augen hält, auf die das Gesagte u.a. zutrifft: Grundgesetz , Betriebsverfassungsgesetz, Bundesraumordnungsgesetz, Gemeindeverfassungsgesetz, Baugesetzbuch. Im sozialen Sektor findet die kommunale Sozialplanung ihre gesetzlichen Grundlagen im Sozialgesetzbuch - insbesondere 1. Buch: Allgemeiner Teil und Bundessozialhilfegesetz, 8. Buch: Kinder- und Jugendhilfegesetz. Die für die Sozialplanung bedeutsamen Paragraphen des Sozialgesetzbuchs sind: • Sozialgesetzbuch I: § 1 Aufgaben des Sozialgesetzbuchs, • Bundessozialhilfegesetz: § 1 Inhalt und Aufgabe der Sozialhilfe, § 10 Verhältnis zur freien Wohlfahrtspflege, § 95 Arbeitsgemeinschaften • Sozialgesetzbuch VIII/Kinder- und Jugendhilfegesetz: § 1 Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe, § 79 Gesamtverantwortung, Grundausstattung, § 80 Jugendhilfeplanung Mit Blick auf die zitierten Gesetze ist festzustellen: „Mit dem im vorangegangenen Gesagten sollte nur der ‚Beweis‘ geführt werden, wie sich im sozialplanerischen Bereich die gesetzlichen Grundlagen darstellen. Selbstverständlich finden sich auch in anderen Rechtsvorschriften, wie z.B. dem Bundesbaugesetz, Mög-lichkeiten der Beteiligung von kommunaler Sozialplanung“ (Lenz 1994, 68). Die freie Wohlfahrtspflege hat in den genannten Gesetzestexten Berücksichtigung gefunden. Stellt man die Frage, welche Rolle den freien Trägern im Rahmen der kommunalen Sozialplanung zukommt bzw. welche 239
Anforderungen sie an den öffentlichen Träger im sozialplanerischen Kontext formulieren sollten, lässt sich mit Böhringer fordern, dass die freie Wohlfahrtspflege als Planungsträger, als ëigenes Planungssubjektünd nicht nur als Adressat des Planungshandelns in der kommunalen Sozialplanung wahrgenommen werden muss.
3.2 Träger der kommunalen Sozialplanung Insofern kann Böhringer gefolgt werden: „Die freie Wohlfahrtspflege muss also in verschiedener Funktion an der kommunalen Sozialplanung beteiligt werden: die freien Träger von Diensten und Einrichtungen: • als Planungsbetroffene, • als Planende, • die Verbände der freien Wohlfahrtspflege: Interessenvertreter Planungsbetroffener, Berater und Koordinatoren von Einzelplanungen sowie Planungsträger, die ein stückweit Gesamtverantwortung für die Entwicklung des sozialen Bereichs wahrnehmen"(1994, 44). Schließlich können von Seiten der freien Träger Wissen und Erkenntnisse in den Planungsprozess eingebracht werden, die der öffentlichen Seite sonst nicht zur Verfügung stehen würden. Als weitere Vorteile der Planungsbeteiligung der freien Wohlfahrtspflege zählt Böhringer auf: • Erleichterung von Umsetzungen von Planungen, • Erleichterung von Planungen, • Erleichterung der Evaluation der Planungen, da die Daten der jeweiligen Träger bzw. Verbände unerlässlich für valide EffizienzÜberprüfungen sind, • eine Stärkung der Position des Sozialbereichs in der politischen Auseinandersetzung und damit auch der kommunalen Sozialplanung. Als Aufgabe des jeweiligen Sozialplaners bzw. der jeweiligen Sozialplanerin sieht Böhringer den Prozess der Aushandlung, den Dialog mit den Beteiligten zu organisieren, an. Hohe Anforderungen, die es zu erfüllen gelte, sieht er in diesem Zusammenhang an die persönlichen Eigenschaften der jeweiligen Planerin bzw. des jeweiligen Planers gestellt, der „im Spannungsfeldßwischen freien Trägern, Sozialverwaltung, Verwaltungsspitze und 240
kommunalen Entscheidungsträgern einiges auszuhalten habe (vgl. a.a.O., 44ff). Führt man sich die Ablauforganisation im Rahmen einer Fachsozialplanung vor Augen, lassen sich mit Feldmann folgende Planungselemente innerhalb eines Planungsprozesses unterscheiden: 1. Vorbereitung und Organisation, 2. Zielfindung, 3. Bestandsaufnahme, 4. Bedarfsermittlung, 5. Maßnahmenprogramm, 6. Umsetzung sowie 7. Fortschreibung und Folgenkontrolle. Feldmann führt weiter aus, dass bei den genannten Planungselementen als Themenkomplexe jeweils mit zu bedenken sind: Entscheidungsprozesse, Standorte und Flächen sowie Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten (vgl. 1994, 89ff). Auf das wesentliche Teilelement von Sozialplanung, die kommunale Sozialberichterstattung, wurde bereits eingegangen. Sie stellt auf der einen Seite eine wichtige Grundlage für die zielgruppen-/ oder raumbezogene Sozialplanung dar und ist auf der anderen Seite ein eigenständiges Aufgabenfeld von örtlicher Sozialplanung, weil sie „gewissermaßen eine Weiterentwicklung der bisher verwendeten Statistik- und Dokumentationssysteme darstellt"(Schmid-Urban et al. 1992, 14).
3.3 Der Beitrag der Sozialwissenschaften Vaskovics stellt in diesem Zusammenhang zu seiner Verwunderung fest, dass die Beteiligung der empirischen Sozialforschung seitens der Sozialwissenschaftler kaum thematisiert wurde, „obwohl die Notwendigkeit des Einsatzes der Sozialforschung auch in diesem Zusammenhang hätte begründet oder zumindest aufgezeigt werden können“ (1985, 119). Diese Überlegung kann sich auch auf Schäfers stützen, der zu einem früheren Zeitpunkt zum Sozialplan im Sinne des StBauFG geäußert hat: 1. Stadtplanung bedeutet nach dem StBauFG immer zugleich Sozialplanung. Sozialplanung ist damit ein integraler Bestandteil der Stadtplanung, zumal bei Sanierungen. 2. Der Sozialplan hat die im Hinblick auf den einzelnen Planungsbetroffenen erforderlichen Maßnahmen zu erarbeiten und durchzusetzen. Insofern ist er inhaltlich Sozialarbeit im Rahmen städtebaulicher Planungen. 3. Der Sozialplan ist ein Instrument der Beteiligung der Bürger an städtebaulichen Planungsprozessen. Er ist so anzulegen, dass er rechtzeitig 241
und umfassend über die Wünsche und Anregungen der Betroffenen Auskunft gibt. Die Gemeinde hat hierbei initiativ zu werden. 4. Der Sozialplan fällt in die Zuständigkeit der Gemeinde und bedeutet gleichzeitig Erweiterung und Verengung des Handlungspielraums der planenden Verwaltung (vgl. 1972, 312). Vaskovics selbst zitiert auch Schäfers: „Auch B. Schäfers hat die Möglichkeiten der Sozialplanung nach dem StBauFG aufgezeigt und die Soziologen darauf aufmerksam gemacht, dass ‚hier Konkretisierungschancen ihres so häufig unverbindlich und nur reflexiv bleibenden Wissens‘ (1972: 326) entstehen“ (1985, 117). An dieser Stelle sei die Grundsatzaussage von Schäfers zum Sozialplan nach § 8, Abs. 2 StBauFG angeführt: „Die Aufstellung des Sozialplans ist nach § 8 Abs. 2 eine Aufgabe der Gemeinde. Der Sozialplan muss während des ganzen Sanierungsvorganges laufend fortgeschrieben werden. Er wird in den meisten Fällen aus den vorbereitenden Untersuchungen hervorgehen, die vor der förmlichen Festlegung des Sanierungsgebietes anzustellen sind. Daraus folgt, dass sich der Sozialplan zumindest aus folgenden Teilen zusammensetzen wird: 1. Aufstellung der Daten über die soziale Situation der Bewohner, einschließlich ihrer örtlichen Bedingungen, ihrer Einstellung zur Sanierung und ihrer Mitwirkungsbereitschaft, 2. Angabe der Maßnahmen, die im Einzelfall zur Abwendung von negativen Auswirkungen bei Sanierungsmaßnahmen entstehen, 3. Situationsbericht über die sozialen Auswirkungen der Sanierung im Zeitablauf. Dieser Minimalkatalog zur Konkretisierung des Sozialplans zeigt bereits eindringlich, dass er bei der personellen und finanziellen Ausstattung des Sanierungsprojektes von vornherein zu berücksichtigen ist. Für die Sozialwissenschaftler, zumal Soziologen, entstehen hier Konkretisierungschancen ihres so häufig unverbindlich oder nur reflexiv bleibenden Wissens. Zu wünschen bleibt, dass diese Chancen ergriffen werden und solide Arbeit geleistet wird, wenngleich hier Gefahren bestehen“ (1972, 326). Die von Schäfers angesprochenen Gefahren interpretiert Vaskovics dahingehend, „dass allzu hohe Erwartungen der Soziologie und Sozialforschung enttäuscht werden können, auch nicht eingetreten, weil diese Erwartungen was die Beteiligung der Sozialwissenschaftler an der Sozialplanung betrifft seitens der Träger der Sozialplanung sehr bescheiden geblieben sind“. Vaskovics sieht eher die Gefahr, „dass die Soziologie eine hoffnungsvolle Möglichkeit der Beteiligung an gesellschaftlichen Planungsprozessen und damit 242
an gesellschaftlicher Mitgestaltung nicht wahrnimmt bzw. sogar verliert“ (1985, 135). Die Soziologie kann dabei jedoch nicht nur Methoden der empirischen Sozialforschung beisteuern, sondern auch externes Expertenwissen. Schon in den Anfangszeiten der Sozialberichterstattung wies Zapf (Zapf 1976, 1977) auf die Ziele und Verfahrensmodelle dieses steuerungspolitischen Instruments hin: Die Sozialberichterstattung analysiert auf der Basis gesamtgesellschaftlicher, regionaler und kommunaler Grundinformationen über den sozialen Wandel die Ergebnisse und Erträge steuerungspolitischer Maßnahmen. Es zielt auf Bewertungen der Struktur und Performanz wichtiger Lebensbereiche und nimmt prognostische Dateninterpretationen und Planungsaufgaben und die Entwürfe von Handlungsalternativen vor (Zapf 1977, 222). Die Interpretation von sozialstatistischen aggregierten objektiven und subjektiven Daten sind nicht immer einfach; besonders bei einer „Vorschau im Sinne linearer Trendaussagen“. In Zeiten einer immer weiter auseinander klaffenden Entwicklung von Ausgaben und Einnahmen auf kommunaler Ebene - so Meuser/Nagel (2002, 257f) ist zudem keine große Offenheit für weiträumige Interpretationen harter Daten zu erwarten, sondern eher der Rückgriff auf eingespielte bürokratisch-institutionelle Routinen und Machbarkeits-/Bedarfserwägungen. Hier empfiehlt sich der Einsatz bzw. das Hinzuziehen von externen Experten auf der Wissensebene im Zwischenbereich von Sozialstatistik und linearem Trendbericht mit Diagnosen und Prognosen125 , nicht nur bei Experteninterviews, wie von Meuser und Nagel vorgeschlagen. Bei einer Diagnose geht es um die Ermittlung von Ist-Zuständen, bei der Prognose werden die aus der aktiven Partizipation resultierenden spezifischen Wissensbestände und Kompetenzen genutzt. Aussagen über künftige Entwicklungen eines Problemfeldes (z.B. in Form von zu entwickelnden Szenarien) lassen sich unter den Bedingungen forcierten sozialen Wandels und reflexiver Modernisierung nicht mehr auf der Basis einer linearen Extrapolation von Daten treffen (vgl. Meuser/Nagel 2002, 267ff). 125 „Eine
weitere Dimension betrifft die zeitliche Erstreckung des ExpertInnenwissens und lässt sich mit den Begriffen Diagnose und Prognose fassen. In der Diagnose wird, auf der Basis einer technisch-instrumentellen Bestandsaufnahme (statistische Angaben zum Wohnungsbestand und -bedarf) und im Bezugsrahmen des fachspezifischen höhersymbolischen Sinnhorizonts, eine Problemstrukturierung vorgenommen (z.B. die Unterscheidung von offener und verdeckter Wohnungslosigkeit). Eine Prognose extrapoliert beobachtete Entwicklungen in die Zukunft und liefert Anhaltspunkte für die Revision von steuerungspolitischen Entscheidungen bzw. für die Konstruktion alternativer Maßnahmenmodelle, mit denen eingefahrene Bahnen der Problem(miss)bewältigung verlassen werden. Die Prognose stellt insofern Orientierungswissen in einem doppelten Sinne bereit“; Meuser/Nagel 2002, 265.
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3.4 Controlling und Evaluation Wie oben zu sehen war, muss sich Sozialplanung im Allgemeinen auch mit Controlling bzw. Evaluation beschäftigen. 1978 wurde in Bezug auf städtebauliche und stadtstrukturelle Wirkungen von Sanierungsmaßnahmen vom Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau für die Bundesrepublik Deutschland festgestellt, dass die methodologische und methodische Diskussion über die ‚Evaluationsforschung‘ hierzulande noch immer in den Anfängen steckt“ (7). Die USA werden als Vorbild angeführt. Während dort bereits 1949 beispielsweise ein Sanierungsprogramm der USBundesregierung auf seine Wirkungen hin begleitet und untersucht wurde, sind die ersten Ansätze von Programmevaluationen in Deutschland Ende der 1960er Jahre zu verzeichnen. „Evaluieren heißt ganz allgemein auswerten, bewerten und damit zugleich auch empfehlen, beraten und bei der Entscheidungsfindung unterstützen", so Heiner (1996, 20). Nach Heiner lassen sich Evaluationsansätze dahingehend unterscheiden, dass sie entweder gutachterlich-bilanzierend oder qualifizierend-begleitend ausgerichtet sind. Unterschieden wird darüber hinaus bei Evaluationen, ob es sich um summative oder formative handelt: „Bei der summativen Evaluation will man Endergebnisse festhalten und diese Ergebnisse mit den Zielen des Programms abgleichen. [...] Bei der formativen Evaluation will man nicht nur feststellen, wie erfolgreich oder erfolglos ein Dienstleistungsangebot war. Die Evaluation soll außerdem durch Prozessbegleitung dazu beitragen, dass sich eine Organisation oder ein Team mit Hilfe der Information und Rückmeldungen der Evaluatorinnen kontinuierlich korrigieren und sein Angebot verbessern kann. Entsprechend verschränken sich hier Forschung, Praxisberatung und Organisationsentwicklung“ (Heiner a.a.O, 33). Zur formativen Vorgehensweise ergänzt Müller: „Die formative Evaluationsforschung ist ein Forschungstypus, der noch während der Entwicklung eines sozialpädagogischen Programms eingesetzt wird, um durch frühzeitiges Feedback schon während des Programmverlaufs Veränderungen vorzunehmen: darum formativ, weil die Forschung noch an der Formung des Programms beteiligt ist“ (1998, 160). Sind die Evaluatoren innerhalb der zu evaluierenden Organisation wie z.B. der Stadt Karlsruhe beschäftigt, handelt es sich um eine interne Evaluation (bei einer externen Evaluation begutachten Fachleute, die selbst nicht zu der untersuchten Organisation gehören, die Arbeit dieser Institution). Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die Literatur zur Evaluation ausführlicher darzustellen (vgl. etwa Bortz/Döring 1995, Heiner 1996, 1998, Müller 1998, Rauschenbach/Thole (Hrsg.) 1998, Wottawa/Thierau 1998). 244
Wie die Auseinandersetzung mit dem Terminus „Sozialplanung“ zeigte, bietet der Gesetzgeber in Deutschland ein Fundament, auf das sich die Praxis in den jeweiligen Kommunen nicht nur stützen, sondern auch in dem Sinne berufen kann, dass in diesem Feld einem gesetzlichen Auftrag Rechnung getragen wird. Sozialplanung ist ohne Wissenschaft nicht zu bewerkstelligen. „Planung ist die Praxis der Wissenschaft“ konstatiert Schäfers (1973b, 5). Schäfers sieht Planung in einer „Zwischenstellung“, denn: „die wissenschaftlich angeleitete, auf die Gestaltung zukünftiger Handlungssysteme und Handlungsbedingungen (z.B. Ausbildungsmöglichkeiten, Raumordnung, Verkehrswesen) gerichtete Praxis ist durch Planung vermittelt“ (a.a.O.). Im Rahmen von Städtebauförderung und Stadt(teil)entwicklung hat Sozialplanung auf folgendes hinzuweisen: „Raumplanung ist ein sozialer Prozeß“ (Atteslander 1976,10). Sozialplanung kommt auch deshalb innerhalb der jeweiligen Kommunalverwaltung eine Schlüsselrolle zu, weil sie verwaltungsintern die Überwindung der Grenzen von Wohnungs- und Sozialverwaltung gewährleisten kann. Die Ressortierungen in Kommunalverwaltungen sind eine Ursache für die Schwierigkeit, „Raumplanung als sozialen Prozeß“ in die Kommunalpolitik zu implementieren.
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4 Diskussion der empirischen Ergebnisse und das Prozessmodell der nachhaltigen Stadt(teil)entwicklung Die vorangegangenen Seiten haben mit der Beschreibung der historischen Entwicklung, der notwendigen Klärung stadtsoziologischer Grundlagen, der Darlegung empirischer Ergebnisse und der Erarbeitung eines theoretischen Handlungsmodells für die kommunale Praxis die Komplexität und Multiperspektivität der Thematik „Benachteiligende Wohnbedingungen“ aufgezeigt. Mit Hilfe des in dieser Arbeit dargelegten Theoriemodells sollen nunmehr für den zukünftigen Umgang mit benachteiligenden Wohnbedingungen am Beispiel der Stadt Karlsruhe Antworten auf die eingangs gestellten Fragen gegeben werden, die sowohl den theoretischen Ansprüchen als auch praktischen Erfordernissen, wie sie in dieser Arbeit aufgearbeitet wurden, gerecht werden.
4.1 Die historische Fragestellung: Die Erklärung der gegenwärtigen Situation im Bereich der benachteiligenden Wohnbedingungen Die historische Perspektive hat gezeigt, dass die Karlsruher Geschichte im Umgang mit benachteiligenden Wohnbedingungen nach 1945 zunächst maßgeblich von den Auswirkungen des II. Weltkriegs beeinflusst war. Wie zu sehen ist, sind diese Auswirkungen bis heute wirksam, was deutlich macht, in welchen Zeiträumen in Wohnungs- und Städtebau gedacht werden muss. Die in Deutschland als historische Wohnungsnot bezeichnete Situation am Wohnungsmarkt im Jahre 1945 war auch im Nachkriegs-Karlsruhe anzutreffen. So stand wie in anderen deutschen Städten die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum in quantitativer Hinsicht im Vordergrund. Qualitative Aspekte konnten nicht berücksichtigt werden. Galt es doch, den Menschen schnellstmöglich „ein Dach über dem Kopf“ bereitzustellen, was angesichts des hohen Zerstörungsgrads an Wohnraum und die durch Kriegsheimkehrer stark ansteigenden Bevölkerungszahlen eine große Herausforderung darstellte. 247
Der daraus resultierende Versorgungsdruck war ursächlich für die Bereitschaft der kommunal- bzw. wohnungspolitisch Verantwortlichen, mit schnellen Lösungen rasch die Bevölkerung mit Wohnraum zu versorgen. Zurecht duldete diese Problematik keinen Aufschub in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Insofern ist nicht nur zu erklären, sondern gleichzeitig auch zu verstehen, wie reguläre Wohnverhältnisse auch in Form von Baracken beund gegründet wurden. Die aus heutiger Sicht unerwünschte Nachhaltigkeit bis in die 1970er Jahre gilt es allerdings zu hinterfragen. Wie zu sehen war, hatte es bis 1964 gedauert, als die Stadt Karlsruhe ein Barackenräumungsprogramm ins Leben rief. Dies hätte früher erfolgen können. Wie sich aus heutiger Perspektive zeigt, wurden mit den Baracken Grundsteine einer Wohnraumversorgung benachteiligter Personenkreise gelegt, deren benachteiligenden Wirkungen auf die betroffenen Menschen bis heute nachweisbar sind. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass in Zeiträumen von mindestens 50 Jahren bei wohnungspolitischen Maßnahmen gedacht werden muss. In der historischen Perspektive führt diese Aussage zu der Schlussfolgerung, dass aus der Karlsruher Geschichte im Umgang mit benachteiligenden Wohnbedingungen zu lernen ist, welch starker Grad an Nachhaltigkeit im Sektor „Wohnen“ - erwünscht oder unerwünscht bzw. zufällig oder beabsichtigt möglich ist. Kritik setzt in der historischen Betrachtung spätestens zu dem Zeitpunkt ein, als es nicht gelang, die Wohnraumversorgung „für breite Schichten des Volkes“ aufgrund von „Wirtschaftswunder“ und in dem hier betreffenden Kontext speziell interessierenden Erfolg der Maßnahmen im sozialen Wohnungsbau auch für die „untersten Schichten“ nutzbar zu machen. Die großen Erfolge mit Programmen des sozialen Wohnungsbaus können in der hier vorgelegten Arbeit nicht über die (kleinräumigen) „Schattenseiten“ hinweg täuschen: Vielmehr ist an diesem Beispiel wiederum festzustellen, wie schwer sich in Deutschland mit dem Thema „Verteilungsgerechtigkeit“ getan wird. Es ist nur schwer nachvollziehbar, weshalb eine Wohnungspolitik „von unten“ nicht realisierbar sein soll in einem Land, in dem mit einer Wohnraumversorgung „breiter Schichten des Volkes“ andere Größenordnungen an Herausforderungen bewältigt wurden. Als besonders aufschlussreich erscheinen die Zeiten, in denen die „Reparaturversuche“ sozial- und wohnungspolitisch problematischer „Lösungen“ von Wohnraumversorgung vergangener Jahrzehnte Erfolge zeitigten: Nicht nur in Karlsruhe stehen vor allem die 1970er Jahre für eine erfolgreiche Umsteuerung in der Wohnungspolitik „von unten“. Die Perspektive der kommunal Verantwortlichen auf Verwaltungs- und politischer Ebene war zum damaligen Zeitpunkt geprägt von dezentralem und (noch) kleinräumigerem Denken 248
als dies bei den Obdachlosensiedlungen bereits der Fall war. Die damals so genannten „Umsetzungsmaßnahmen“ von Familien in Obdachlosensiedlungen dezentral in unterschiedliche Stadtteilen Karlsruhes führten dazu, dass von den meisten der Haushalte aus Perspektive der Sozialverwaltung nie wieder etwas gehört wurde. Dieser Weg wurde sehr weit gegangen, aber nicht zu Ende. Etwa die Hälfte der Bewohner/innen von Obdachlosensiedlungen fanden so eine Wohnung ohne stigmatisierende Adresse. Der letzte Schritt, den der Auflösung der Obdachlosensiedlungen, wurde nicht vollzogen. Stattdessen wurde (erst) in den 1990er eine bewohner/innen-orientierte Aufwertung der Wohngebiete in Angriff genommen. Weshalb den Karlsruher Verantwortlichen der Mut zur letzten Konsequenz fehlte, liegt auf der Hand: Die in den Obdachlosensiedlungen zurückgebliebenen Familien als nicht integrierbar in den „normalen“ Wohnungsbestand von Karlsruhe angesehen. Ob diese Einschätzung zutreffend war, darf mit Recht bezweifelt werden. Einen Vorteil hatte diese Vorgehensweise zu Beginn der 1990er Jahre, als ein weiteres Mal in Deutschland eine Verknappung an (preisgünstigem) Wohnraum zu Tage trat: Der Erhalt äußerst preiswerten Wohnraums war damit in einem kleinen Segment des „unteren Sozialen Wohnungsbaus“ gesichert. Keine zehn Jahre später sollte eine analog verlaufende negative Entwicklung am Karlsruher Wohnungsmarkt für dieselbe Argumentation sorgen. Eine Diskussion, ob angesichts der historischen Wohnungsnot nach 1945 in diesen Zeiten überhaupt von (relativer) Wohnungsnot gesprochen werden sollte, muss an dieser Stelle unterbleiben. Tatsache ist, wie in dieser Arbeit dargelegt wurde, dass Engpässe am Wohnungsmarkt in der Regel eher die ärmeren Bevölkerungsgruppen treffen als die wohlhabenderen. Zudem erschwert eine angespannte Lage am Wohnungsmarkt eine dezentrale Versorgung von sozial benachteiligten Menschen, die aufgrund verschiedenster Ursachen auf die Unterstützung von kommunalen Wohnungsunternehmen und Sozialbehörden angewiesen sind. Eine dezentrale Wohnraumversorgung setzt das Vorhandensein preiswerten Wohnraums in verschiedenen Stadtteilen einer Stadt voraus. Diese Wohnungen sollten im Idealfall in den „normalen“ Wohnungsbestand eingestreut sein. Eine Konzentration in Wohnblocks gilt es zu vermeiden, was nicht einfach zu realisieren ist. Eine kleinräumige Konzentration in Wohngebäuden ist im Sinne von sozialer Durchmischung oftmals kein Problem, so lange die entsprechenden Gebäude sich nicht in exponierter, leicht identifizierbarer Lage befinden, wie beispielsweise in früheren Zeiten am Stadtrand,. Dafür gibt es in Karlsruhe viele gelungene Beispiele. Mit den Befragungen „Edelbergstraße“ und „Elsternweg“ wurden in dieser Arbeit dafür empirische 249
Belege geliefert. Mit dem Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe ´97 und seinen im Zweijahresrhythmus erfolgenden Fortschreibungen hat die Stadt Karlsruhe ein Instrument entwickelt, das inhaltlich einen weiten Bogen spannt: Der auf der Straße lebende Wohnungslose markiert das untere, Bewohner/innen des unteren Segments sozialen Wohnungsbaus das obere Ende der Skala. Hierbei steht das gesamte System der Wohnungslosenhilfe im Mittelpunkt, wobei ausgewählte Wohngebiete, wie diese Arbeit zeigte, eingeschlossen sind. Im Sinne einer „sozialen Stadt“, wie es die Programmphilosphie des gleichnamigen Städtebauförderungsprogramm vorsieht, ist mit dem Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe ´97 auf der Basis der Vorläufer Barackenräumungsprogramm (1964) und Obdachlosenprogramm (1974) in Karlsruhe ein konzeptioneller Grundstein kleinräumiger sozialer Stadt(teil)entwicklung nachhaltig gelegt. Damit ist eine Garantie gegeben, dass die benachteiligenden Wohnbedingungen nicht aus dem Blickfeld der kommunal Verantwortlichen geraten.
4.2 Gegenwartsbezogene Fragestellung: Die angemessene Analyse benachteiligender Wohnbedingungen Benachteiligende Wohnbedingungen angemessen darzustellen, ist eine notwen-dige Voraussetzung der Bedarfserhebung und -analyse für eine Verständigung über Wohngebiete und die Umsetzung sozialräumlicher Maßnahmen zu deren baulicher und sozialer Aufwertung. Die diesbezüglichen Ausführungen hatten gezeigt, dass es grundsätzlich gilt, die jeweilige sozialräumliche Ausgangslage möglichst umfassend zu beschreiben. Eine mittels Indikatoren zu ermittelnde Ausgangslage ist zwingend Voraussetzung für Maßnahmen von Evaluation. Auf Evaluation kann nicht verzichtet werden, weil der Nachweis des Erfolgs oder Misserfolgs von Interventionen in Sozialräume Fragen von ökonomischem Handeln berührt. Die Erhebung von Effizienz und Wirksamkeit sind gerade im Bereich der sozialen Stadt(teil)entwicklung sehr bedeutsam, weil damit auch die Motivation der von sozialräumlichen Interventionen „betroffenen“ Bewohnerinnen und Bewohnern gestärkt oder geschwächt werden kann. Die Messung von Effizienz sozialer Maßnahmen setzt adäquate Erhebungsinstrumente der empirischen Sozialforschung voraus. Im Mittelpunkt dieser Arbeit stand als Erhebungsinstrument der Fragebogen, mit dessen Hilfe die Lebenslage der jeweiligen erwachsenen Bewoh250
ner/innen, Jugendlichen und Kindern ausgewählter Wohngebiete eruiert wurde. Als unerlässlich hat sich erwiesen, die Fragebogen-Erhebungen in regelmäßigen Abständen durchzuführen. Die aus dieser Vorgehensweise resultierenden Ergebnisse generieren Zeitreihen, die eine Grundlage für das sozialräumliche Monitoring bilden. Das sozialräumliche Monitoring muss die individuelle Sichtweise beinhalten. Indikatoren der amtlichen Statistiken blenden nicht nur diese, sondern auch die Sichtweise der Akteure auf Wohngebietsebene aus. Der direkte Kontakt mit den Menschen vor Ort ist nicht zu ersetzen. Die schwierige - weil aufwendige - Herausforderung der Erhebung von Meinungen und subjektiven Einschätzungen muss ebenfalls nachhaltig bewerkstelligt werden. Gleichwohl haben objektive Daten wie Sozialhilfe- oder Arbeitslosenquote ihren Platz in Beobachtungssystemen für Sozialräume. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Reichweite amtlicher Statistiken ihre Grenzen hat. Je kleinräumiger gearbeitet wird - etwa jenseits von Stadtteil- und Stadtviertelebene -, desto bedeutsamer werden Instrumente der empirischen Sozialforschung wie der Fragebogen als Hilfsmittel für strukturierte Befragungen. Dies hatten die oben getätigten Aussagen zur Sozialraumanalyse innerhalb der Sozialberichterstattung der Stadt Karlsruhe gezeigt. Favorisiert werden bei jeglicher Größe von Stadträumen, die eine sozialräumliche Entwicklungsmaßnahme erfahren sollen, die Methode einer Mehrebenenanalyse, die
• mittels Methoden empirischer Sozialforschung generierte Daten, • amtliche Daten der laufenden Statistik, • Partizipation der jeweiligen Bewohner/innen, • Beteiligung der Stadtteilexpertinnen und -experten, • soziale Netzwerke sowie • externe Expertinnen und Experten aus der Sozialwissenschaft
einbezieht, um benachteiligende Wohnbedingungen angemessen abbilden zu können. Die Rolle der externen Experten beinhaltet nicht nur die Durchführung von Untersuchungen mittels verschiedener Methoden der empirischen Sozialforschung (Umfragen, Beobachtungen, Netzwerkanalysen etc.), sondern auch Evaluationsverfahren, wissenschaftliche Begleitungen, Diagnosenund Prognosenerstellungen. 251
4.3 Zukunftsweisende Fragestellung: Interdisziplinäres Modell für die kommunale Planungs- und Handlungsspraxis sozialer Stadt(teil)entwicklung Kann es ein theoretisches Modell geben, das in der Lage ist, kommunale Planungs- und Handlungsspraxis sozialer Stadt(teil)entwicklung mit stadtsoziologisch gewonnenen theoretischen Erkenntnissen zu verbinden, um zukünftig Stadtpolitik in Fragen benachteiligender Wohnbedingungen beratend unterstützen zu können? Die Beantwortung der zukunftsorientierten Fragestellung gliedert sich in den Komplex, der die Fragen nach dem Theorie-Praxis-Bezug stadtsoziologischen Wissens und praktischer Umsetzung in ausgewählten Teilräumen einer Stadt beantwortet. Der zweite Komplex widmet sich der Beratungsfunktion von Stadtsoziologie in Bezug auf Stadtpolitik. Ein theoretisches Modell muss der oben angeführten Multiperspektivität und Komplexität der Thematik „Benachteiligende Wohnbedingungen“ gerecht werden können. Es muss die verschiedenen Reflexionsebenen (Perspektiven) von Wohnbedingungen (Wohngebiet, Stadtviertel, Stadtteil) beinhalten. Die theoretischen Grundlagen in Form der Ansätze von Segregationstheorien wurden im Verlauf dieser Arbeit auf ihre Bedeutsamkeit für die hier angestellte Untersuchung überprüft. Dabei hatte sich gezeigt, dass jeder Ansatz spezifische Leistungen der theoretischen Reflexion zu erbringen in der Lage ist. Damit wurde belegt, dass auch ältere Ansätze von Segregationstheorien aktuell anwendbar sind. Die notwendige Verbindung dieser Theorien zur Praxis zeigte sich insbesondere im empirischen Teil dieser Arbeit. In Fragen sozialer Durchmischung von Wohngebieten bewährten sich in dieser Arbeit ebenfalls Überlegungen von Segregationstheoretikern wie Gans, Bahrdt, Friedrichs, Hamm, Neumann, Dangschat und Blasius, um einige herausragende Namen aus der soziologischen Stadtforschung zu nennen. Gerade Friedrichs markiert mit dem von ihm aufgeworfenen Mikro-MakroProblem einen wichtigen Meilenstein auf die in dieser Arbeit vorgestellte Lösung für den theoretischen Umgang mit benachteiligenden Wohnbedingungen. Das theoretische Analyse-Modell gliedert sich in drei Perspektiven, nämlich die a) makrosoziologische, b) mesosoziologische und c) mikrosoziologische. 252
Die Verbindung von Theorie und kommunaler Planungspraxis ist realisierbar, wie nicht nur die vorangegangenen Ausführungen belegen, sondern auch das folgende Schaubild: Abbildung 62: Soziale Durchmischung im Sinne von Aufwertung von Wohngebieten
Mit dieser Abbildung soll die Bedeutung eines mehrperspektivischen Denkens unterstrichen werden. Bei der Darstellung geht es nicht darum, die praktischen Möglichkeiten, welche Maßnahmen im einzelnen ergriffen werden können, um Ziele von sozialer Stadt(teil)entwicklung zu erreichen, aufzulisten (die angeführten Konkretisierungen auf der Handlungsebene sind exemplarisch zu verstehen). Dies ist in Folge des 1999 ins Leben gerufenen Städtebauförderungsprogramms „Soziale Stadt“ für die verschiedenen Handlungsfelder nicht nur als Beschreibung von Herausforderungen und Problemaufrissen (vgl. etwa, Dangschat 1999, Häußermann 2000, Hanesch 2001, Keim 2001a, Keim/Neff 2000a) hinlänglich geschehen (vgl. etwa empirica/Stadtbüro Hunger (Hrsg.) 1999, Thies 1999, Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg (Hrsg.) 2000, Goltz 2001, Fachhochschule Hildesheim (Hrsg.) 2001, Bruns/Mack (Hrsg.) 2001, Körber et al. 2001, Lang et al. 2001, Mühlich 2001, Zimmer-Hegmann 2001, Brocke 2002, Difu (Hrsg.) 2002b, 2002c, Spiegel 2002b, Abraham/Wolf 2002, Lenz/Stieglbauer 2002a, 2002b, Lenz 2004). Die Frage nach der Beratungsfunktion von Stadtsoziologie für Stadtpolitik ist oben bereits angeschnitten worden. Wird kommunale Planung tatsäch253
lich Praxis von Wissenschaft, wie in Anlehnung an Schäfers (vgl. 1973b, 5f) formuliert werden kann, so ist die Beratungsfunktion erfüllt. Für den Kontext dieser Arbeit spielt die „Konzeptionalisierung des Sozialen“ (vgl. Lang 2000) an dieser Stelle eine grundlegende Rolle. Eine solche Vorgehensweise ist ohne Einbezug von Sozialwissenschaft schwer vorstellbar. Hier müssen Wissen und Erkenntnis konzeptionell nicht nur zur Anwendung gebracht werden, sondern auch von Kommunen wissenschaftlich methodisch exakt generiert werden. Dies zeigt z.B. das empirische Kapitel dieser Arbeit mit den Abschnitten, in denen mit Methoden empirischer Sozialforschung gearbeitet wurde. Nachfolgende Abbildung veranschaulicht das Gesagte: Aus der Deskription erfolgt mithilfe verschiedener Quellen die Analyse der Gegenwart auf der Basis von empirischen Materialien, um sodann Szenarien126 für die zukünftige Handlungsweise der jeweiligen Stadtregierung entwickeln zu können. Abbildung 63: Prozessmodell der nachhaltigen Stadt(teil)entwicklung
Dieses Modell fußt auf drei Säulen und hat drei Ebenen: die Geschichte, die Gegenwart und die Zukunft. Die Stadtregierung ist das Organ der „Ausführung“. Daten der Sozialstatistik werden erhoben und sind häufig Grundlage 126 Zum
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Begriff des Szenarios vgl. etwa Bernd 1998.
von politischen Entscheidungen. Hinzu kommt die Säule der kommunalen Ämter bzw. Akteure, die unmittelbar in ihrer alltäglichen Praxis diese Politik umsetzen helfen. Hier gibt es Dokumente und Netzwerke, die auch der Analyse dienen. Die schon lange geforderte Partizipation der Betroffenen (in benachteiligenden Wohnquartieren) wird hier ebenfalls realisiert. Kommt als dritte Säule die Stadtsoziologie hinzu, wird das Modell durch die Theorie und Deskription der Rahmenbedingungen komplettiert. Stadtsoziologische Forschung in Kombination mit der Praxis im Rahmen der Sozialpolitik einer Stadtregierung ergibt ein Modell, das auf einer Balance beruht, hauptsächlich zwischen Theorie und Praxis, die in interdependenter Kooperation nachhaltige Stadt(teil)entwicklung ermöglicht. Die Balance kann je nach der Art des zugrunde liegenden Analyse„objekts“ mehr auf der Seite der Theorie oder mehr auf der Seite der Praxis liegen. Dieses Prozessmodell ist flexibel genug, um auf unterschiedliche Ausprägungen und Anforderungen reagieren zu können. Aufgrund der Kooperation von Stadtsoziologie (Theorie) und kommunaler Sozialpolitik (Praxis) lassen sich Szenarien für die Zukunft entwickeln, die wiederum Grundlage für Entscheidungen der Stadtregierung und Sozialpolitik bilden. Schäfers hatte sich bereits früher mit dem Verhältnis von Theorie („Soziologie“) und kommunaler Praxis („Stadtplanung“) auseinandergesetzt (vgl. etwa Schäfers 1970, wieder veröffentlicht in: ders. 2006, 1ff). Die aktuell in einem Sammelband „Stadtentwicklung im Spiegel der Stadtsoziologie“ veröffentlichten Aufsätze von stadtsoziologischen Beiträgen von Schäfers seit 1970 unterstützen die in dieser Arbeit grundsätzlich vertretene Ansicht, dass an die Stadtsoziologie der 1970er Jahre heute angeknüpft werden kann (vgl. a.a.O.). Im Vorangegangenen wurde dargelegt, dass der Umgang mit benachteiligenden Wohnbedingungen auf kommunaler Ebene auf ein breites Fundament historischen Wissens (z.B. Stadtsoziologie) sowie Erfahrungen (z.B. Sozialarbeit) zurückgreifen kann. Die Bedeutung unterschiedlicher Ebenen (Makro-, Meso- und Mikroebene) herauszustellen, war ein grundsätzliches Anliegen der hier vorgestellten Arbeit. Dieses Unterfangen wurde am Beispiel Karlsruhes geleistet. Was für im deutschen Vergleich kleinere Großstädte wie Karlsruhe zutrifft, gilt auch für Kleinstädte. Deshalb kann an dieser Stelle Hagen Recht gegeben werden, wenn er sagt: „Im Vergleich zu Welt- und Großstädten gilt in Entwicklungsprozessen in Klein- und Mittelstädten ein wesentlich geringeres wissenschaftliches Interesse. Dennoch lassen sich manche Phänomene in Kleinstädten mit größerer Genauigkeit und damit auch Treffsicherheit untersuchen und erklären als in Großstädten“ (2003, 15). 255
Um die angesprochene „Treffsicherheit“ zu erreichen, wurde in dieser Arbeit das Prinzip der Kleinräumigkeit bevorzugt. Insofern schließt sich mit diesem Zitat gewissermaßen der Kreis. Die von Hagen kritisch beleuchtete großstädtische Ebene lässt sich allerdings auf kleinräumigere Ebenen „herunterbrechen“. Nur so wird sich ein nachhaltiger Erfolg mit dem Städtebauförderungsprogramm „Soziale Stadt“ erzielen lassen. Die gesamtstädtische Ebene war eine Perspektive, die im Vorangegangenen beleuchtet wurde. Sie spielt eine wesentliche Rolle als Steuerungsebene: „Die gesamtstädtische Ebene kommt zurzeit vor allem in wohnungspolitischen Bereichen ins Blickfeld. [. . . ] Diese Maßnahmen sind jedoch selten in eine gesamtstädtische Perspektive integriert. Ähnliches gilt für die sozialpolitischen Ziele [. . . ] “(Spiegel 2002a, 33). Was Spiegel formuliert, ist eine Herausforderung, „Soziale Stadt“ auch über die Stadtteilebene hinaus zu realisieren. Herlyn et al. formulieren zu Recht: Im Grunde „ist das Milieu selbst der Klient, das heißt es sollen die lokalen Rahmenbedingungen verändert werden, um die Lebensbedingung im Bezirk zu verbessern“ (1991, 233). Diese Feststellungen treffen Herlyn et al. mit Blick auf Friese, der die Annahme formuliert, dass „die Veränderungen im lokalen Milieu die Veränderung von Individuen mit sich bringen“ (1989,42). Gleichwohl gilt es zu beachten, „kein Stadtteil ist heute aus sich heraus lebensfähig“ (Spiegel 2002a, 33). Mit diesen wenigen Bemerkungen zum Schluss sollte noch einmal die Notwendigkeit verdeutlicht werden, Makro-, Meso- und Mikroebene in kommunaler Planung und Praxis vernetzt zu berücksichtigen - auch beim Diskurs um zukünftige „Leitbilder der Stadtentwicklung“.127
127 Vgl.
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Schäfers/Köhler 1989.
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Abkürzungsverzeichnis ARGEBAU
Arbeitsgemeinschaft Bau (Ausschuss für Bauwesen und Städtebau und Ausschuss für Wohnungswesen)
AWO
Arbeiterwohlfahrt
BAG
Bundesarbeitsgemeinschaft
BauBG
Baugesetzbuch
BbauG
Bundesbaugesetz
BMFSFJ
Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend
BMJFG
Bundesministerium für Jugend, Frauen und Gesundheit
BMRBS
Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
BMVBW
Bundesministerium für Verkehr, Bauwesen und Wohnen
BSHG
Bundessozialhilfegesetz
E&C
Programmplattform des BMFSFJ: Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten
Difu GdW
Deutsches Institut für Urbanistik Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen
GG
Grundgesetz
ISA
Institut für soziale Arbeit
ISS KJHG
Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Kinder- und Jugendhilfegesetz
MASSKS
Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen
MSKS
Ministerium für Soziales, Stadtentwicklung und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen
MSWKS
Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen
NUB
Neckar-Ufer-Nordbebauung
SHR
Sozialhilferichtlinien
StBauFG VO WoBauG WoFG
Städtebauförderungsgesetz Verordnung zur Durchführung Wohnungsbaugesetz Wohnraumförderungsgesetz
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