NOAM CHOMSKY
WAS ONKEL SAM WIRKLICH WILL
PENDO
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NOAM CHOMSKY
WAS ONKEL SAM WIRKLICH WILL
PENDO
Das Material für dieses Buch wurde aus den folgenden Vorträgen, Gesprächen, Interviews und Artikeln zusammengestellt. Dr. Chomsky hat den Entwurf ergänzt, gekürzt und verändert. Ein Interview mit David Barsamian im MIT, Cambridge, Massachusetts, am 21. Januar 1993. Ein Radiovortrag auf WBAI in New York City am 13.Januar 1991. Ein über Radio gesendetes Telephon-Interview am KPFA, Berkeley, Kalifornien, 12. Dezember 1990. Ein Vortrag über «Der soziopolitische Hintergrund der Ermordung von Ignacio Martin-Barö» an der Jahresversammlung der Amerikanischen Psychologischen Gesellschaft in Boston am 13. August 1990. Ein Artikel über «Die USA noch immer im Krieg gegen die Welt», erschienen im ResistMitteilungsblatt vom Mai 1990. Interviews mit David Barsamian in Cambridge, Massachusetts, am 1. und 2. Februar 1990. Ein Vortrag über «Die Wurzeln der US-Intervention», gehalten am Lewis & Clark College in Portland, Oregon, mit anschliessender Diskussion, am 24. Januar 1989. Ein Vortrag über «Die internationale Sicherheits-Politik der USA, der ‹Right Turn› historisch betrachtet», gehalten an der Universität von Colorado, mit anschliessender Diskussion, am 22. Oktober 1986. Für Quellenangaben zu den in diesem Buch erwähnten Tatsachen siehe die Originalausgabe SS. 103105.
Aus dem Amerikanischen von Alfred Kuoni Typografie: Bernhard Moosbrugger Satz: Fosaco AG, CH-8363 Bichelsee Druck und Einband: Clausen & Bosse, Leck Scan, OCR und digitale Nachbearbeitung: Cats&Paws Productions © copyright für die deutsche Ausgabe: pendo-verlag, Zürich 1993 ISBN 3 85842 245 2 Titel der Originalausgabe: What Uncle Sam really wants © Copyright by Noam Chomsky Erstdruck August 1992 Original-Material: David Barsamian Auswahl: Arthur Naiman Edition: Arthur Naiman, Sandy Niemann Verlag Odonian Press
Inhalt
Vorwort der Herausgeber ........................................................... 6 Die Hauptziele der US-Aussenpolitik Revierschutz ......................................................................................... 7 Das liberale Extrem .............................................................................. 8 Der «Grossraum» .................................................................................. 9 Wiederherstellung der herkömmlichen Ordnung ................................. 10 Unsere Verpflichtung auf Demokratie ................................................. 12 Die Gefahr des guten Beispiels ........................................................... 13 Die dreiteilige Welt ............................................................................. 14
Verheerende Wirkungen im Ausland Unsere Politik «guter Nachbarschaft» ................................................. Die Kreuzigung El Salvadors .............................................................. Nicaragua mores lehren ...................................................................... Guatemala wird zum Schlachtfeld ....................................................... Der Einmarsch in Panama ................................................................... Südostasien impfen ............................................................................. Der Golfkrieg ...................................................................................... Die Iran/Contra-Vertuschung .............................................................. Die Aussichten für Osteuropa ............................................................. Der Berufskiller der Welt ....................................................................
17 19 22 24 26 28 30 33 34 35
Gehirnwäsche zu Hause Wie der Kalte Krieg funktionierte ....................................................... Der Krieg gegen (gewisse) Drogen ..................................................... Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei Nichtwissen ist Macht. ........... Echter und falscher Sozialismus .......................................................... Die Medien .........................................................................................
38 40 41 43 44
Die Zukunft Die Dinge haben sich geändert ............................................................ 46 Was du tun kannst ............................................................................... 47 Der Kampf geht weiter ........................................................................ 48
Ergänzungen Das Dilemma des Gefangenen ............................................................ Die internationale Wirtschaft .............................................................. Jobs, jobs, jobs! .................................................................................. Haben wir ein Zwei-Parteien-System? ................................................
49 50 51 51
Vorwort der Herausgeber
Noam Chomsky ist eine hervorragende Gestalt in der Linguistik des 20. Jahrhunderts. 1928 in Philadelphia geboren, lehrt er seit 1955 am Massachusetts Institute of Technology, wo er im Alter von 32 Jahren ordentlicher Professor wurde. Zusätzlich zu seinem Werk als Linguist hat Chomsky viele Bücher zu Problemen unserer Zeit geschrieben. Seine politischen Ansprachen werden im ganzen Land, ja auf der ganzen Erde gehört, in meist überfüllten Hörsälen. In einer geistig gesünderen Welt hätte ihm sein unermüdlicher Einsatz für die Förderung der Gerechtigkeit längst den Friedens-Nobelpreis eingetragen, aber das Komitee verleiht ihn unentwegt Leuten wie Henry Kissinger. Wer gewohnt ist, in den Vereinigten Staaten die Verteidigerin der Demokratie auf der ganzen Welt zu sehen, wird vieles, was er in diesem Buch zu lesen bekommt, unglaublich finden. Aber Chomsky ist Wissenschaftler; die in diesem Buch genannten Tatsachen sind Tatsachen, und jede Schlussfolgerung wird mit erdrückendem Beweismaterial untermauert. (Siehe SS. 103 - 105 der amerikanischen Originalausgabe.) Es war sehr schwierig, die enorme Weite von Chomskys gesellschaftlichem Denken in ein so knappes Buch zu zwängen. Auflistungen seiner politischen Bücher findet der Leser problemlos im Internet. Hunderte von Tonbändern, Um- und Nachschriften von Chomskys Reden und Gesprächen sind erhältlich bei David Barsamian, 2129 Mapleton, Boulder CO 80304, 303/444-8788. (Katalog auf Verlangen gratis) Arthur Naiman, Sandy Niemann
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Die Hauptziele der amerikanischen Aussenpolitik
Revierschutz Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und andern Ländern reichen selbstverständlich bis in die Anfänge amerikanischer Geschichte zurück, aber der Zweite Weltkrieg bildet einen echten Einschnitt. Beginnen wir also dort. Während die meisten unserer industriellen Rivalen vom Krieg entweder ernsthaft geschwächt oder total zerstört wurden, zogen die Vereinigten Staaten aus ihm enormen Nutzen. Unser nationales Territorium wurde niemals angegriffen und die amerikanische Produktion mehr als verdreifacht. Schon vor dem Krieg waren die USA die bei weitem führende Industrienation der Welt - und zwar schon seit der Jahrhundertwende. Jetzt aber besassen wir buchstäblich die Hälfte der Güter dieser Erde und beherrschten beide Seiten beider Ozeane. Noch nie hatte es in der Geschichte eine Zeit gegeben, wo eine einzige Macht die Welt so überwältigend beherrschte oder so überwältigende Sicherheit genoss. Die Männer, die die amerikanische Politik bestimmten, wussten sehr wohl, dass die USA aus dem Zweiten Weltkrieg als die erste globale Macht der Geschichte hervorgehen würden, und während des Kriegs und danach planten sie sorgfältig, wie wir die Nachkriegswelt gestalten wollten. Da wir in einer tatsächlich offenen Gesellschaft leben, können wir ihre Pläne nachlesen, die sehr freimütig und klar dargelegt werden. Vom Aussenministerium bis zur Beratenden Kammer für Auswärtige Angelegenheiten (einem der Hauptkanäle, durch die führende Geschäftsleute die Aussenpolitik beeinflussen) waren sich die amerikanischen Planstellen einig: die Oberherrschaft der Vereinigten Staaten müsse erhalten bleiben. Wie das zu geschehen habe - darüber freilich gab es ein ganzes Spektrum von Meinungen. Für äusserste Härte stehen Dokumente wie das Memorandum 68 des Rats für Nationale Sicherheit aus dem Jahre 1950. Dieses legt die Vorstellungen des Aussenministers Dean Acheson dar und ist geschrieben von Paul Nitze, den es noch immer gibt: er war einer von Reagans Unterhändlern in den Abrüstungsgesprächen. Es fordert eine Eindämmungsstrategie, welche «innerhalb des Sowjetsystems die Saat der Zerstörung hegen» werde, so dass wir dann eine Vereinbarung zu unsern Bedingungen aushandeln könnten - «mit der Sowjetunion (oder einem oder mehreren Nachfolgerstaat(en))». - Das von diesem NSC 68 empfohlene Vorgehen werde in den Vereinigten Staaten «Opfer und Disziplin» fordern - mit andern Worten gewaltige Militärausgaben und Beschneidung der Sozialleistungen. Auch wäre es nötig, das «Übermass an Toleranz» zu überwinden, das allzu grosse Meinungsabweichungen gestatte.
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Dieses Vorgehen war tatsächlich bereits in die Wege geleitet. 1949 wurde die US-Spionage in Osteuropa einem Netzwerk übergeben, das Reinhard Gehlen leitete, der Chef des militärischen Nachrichtenwesens der Nazis an der Ostfront. Dieses Netz bildete einen Teil der US-Nazi-Allianz, die bald viele der ärgsten Verbrecher in sich aufnahm und ihre Tätigkeit auf Lateinamerika und anderswohin ausdehnte. Zu dieser Tätigkeit gehörte auch eine «Geheimarmee» unter US-Nazi-Aufsicht, die Agenten und militärischen Nachschub an Armeen zu liefern bestrebt war, die in den frühen 50er Jahren in der Sowjetunion und in Osteuropa noch stets operierten. (In den USA ist das bekannt, wird aber für belanglos gehalten - obwohl es ein gewisses Aufsehen erregen könnte, wenn das Spiel gedreht würde und wir eines Tages entdeckten, dass - nehmen wir einmal an - die Sowjetunion Agenten und Nachschub für Armeen abwürfe, die Hitler ins Leben gerufen hätte und die in den Rocky Mountains operierten.)
Das liberale Extrem National Security Council 68 steht für äusserste Härte, und denken Sie daran: seine Pläne blieben nicht reine Theorie - viele wurden tatsächlich in die Wege geleitet. Wenden wir uns nun dem andern Extrem zu - den Tauben. Die führende Taube war zweifellos George Kennan, der bis 1950 der Planungsabteilung des Aussenamtes vorstand, bis ihn Nitze ablöste. Nebenbei bemerkt: Kennans Abteilung war verantwortlich für das Gehlen-Netz. Kennan war einer der gescheitesten und klarsten US-Planer und massgeblich für die Gestaltung der Nachkriegswelt. Seine Schriften sind ein äusserst interessantes Beispiel für die Einstellung der ‹Tauben›. Wer die USA verstehen will, sollte sich die Verfahrens-Planungsstudie 23 ansehen, die Kennan 1948 für die Planungsabteilung des Aussenamtes geschrieben hat. Hier ein paar Proben daraus: «Wir haben etwa 50% der Reichtümer der Welt, aber nur 6,3% ihrer Bevölkerung... Bei diesem Sachverhalt müssen wir der Gegenstand von Neid und Scheelsucht sein. In der nächsten Zeit besteht unsere eigentliche Aufgabe darin, ein Beziehungsmuster zu entwerfen, das es uns erlaubt, diese Ungleichheit aufrechtzuerhalten... Dazu müssen wir alle Sentimentalität und Tagträumerei von uns abtun, und unsere Aufmerksamkeit muss überall auf unsere nächstliegenden nationalen Ziele konzentriert bleiben... Wir sollten aufhören, über so vage und ... unwirkliche Ziele wie Menschenrechte, die Hebung des Lebensstandards und Demokratisierung zu reden. Der Tag ist nicht fern, an dem wir nach unverhohlenen Machtkonzepten werden handeln müssen. Je weniger uns dann idealistische Schlagworte hemmen, um so besser.» PPS 23 war selbstverständlich ein streng geheimes Dokument. Um die Öffentlichkeit zu beschwichtigen, war es nötig, die «idealistischen Schlagworte» auszuposaunen (wie es ständig weiterhin geschieht), aber hier reden Planer unter sich. Im gleichen Sinn bemerkt Kennan in einer Instruktion an Gesandte der USA in lateinamerikanischen Ländern, dass eine Hauptsorge der US-Aussenpolitik «der Schutz unserer (d. h. lateinamerikanischer) Rohstoffe» sein müsse. Wir müssten daher eine gefährliche Häresie bekämpfen, die sich - wie der USNachrichtendienst melde - über ganz Lateinamerika ausbreite: «die Vorstellung, dass die Regierung für die Wohlfahrt des Volkes direkt verantwortlich sei». US-Planer nennen diese Vorstellung «Kommunismus», was auch immer die tatsächlichen politischen Ansichten der Leute, die sie vertreten, sein mögen. Sie mögen kirchliche Selbsthilfegruppen oder was auch immer sein: wenn sie dieser Häresie anhangen, sind sie Kommunisten. Dieser Punkt erscheint auch in veröffentlichten Protokollen. Zum Beispiel hat eine hochrangige Studiengruppe 1955 festgehalten, dass die wesentliche Bedrohung durch die kommunistischen Mächte (die eigentliche Bedeutung des Begriffs (Kommunismus) in die Praxis umgesetzt) in deren Weigerung bestehe, ihre dienende Rolle zu übernehmen - nämlich «die Industriewirtschaft des Westens zu ergänzen». Kennan fährt mit der Erklärung fort, welche Mittel wir gegen unsere Feinde, die dieser Häresie zum Opfer fallen, einsetzen können: «Die letzte Antwort könnte unangenehm sein, aber .. . wir sollten vor Polizeieinsatz durch die Lokalregierungen nicht zurückschrecken. Das ist keine
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Schande, da die Kommunisten ja im wesentlichen Verräter sind... Es ist besser ein starkes Regime an der Macht zu haben als eine liberale Regierung, wenn diese nachgiebig und weichlich und von Kommunisten durchsetzt ist.» Dergleichen Verfahren begannen nicht erst mit Nachkriegsliberalen wie Kennan. Wie Woo-drow Wilsons Aussenminister schon dreissig Jahre früher hervorgehoben hatte, ist der praktische Sinn der Monroe-Doktrin der, dass «die Vereinigten Staaten auf ihre eigenen Interessen bedacht sind. Die Integrität anderer amerikanischer Nationen ist eine Dreingabe, nicht ein Zweck.» Wilson, der grosse Apostel der Selbstbestimmung, räumte ein, dass dem Argument «nicht widersprochen» werden könne, wenn seine Veröffentlichung auch «undiplomatisch» wäre. Wilson handelte diesem Denken entsprechend, indem er, unter anderem, in Haiti und in die Dominikanische Republik einfiel, wo seine Krieger mordeten und zerstörten, das politische System stürzten, die US-Gesellschaften fest im Sattel Hessen und die Bühne freimachten für brutale und korrupte Diktaturen.
Der «Grossraum» Während des Zweiten Weltkriegs entwickelten Studiengruppen des Amtes für Auswärtiges und des Rates für Beziehungen zum Ausland Pläne für die Nachkriegswelt, die sie unter den Begriff «Grand Area» fassten; dieser «Grossraum» sollte den Bedürfnissen der amerikanischen Wirtschaft untergeordnet werden. Dieser Grossraum sollte die westliche Halbkugel, Westeuropa, den Fernen Osten, das ehemalige Britische Weltreich (das eben demontiert wurde), die unvergleichlichen Energiequellen des Mittleren Ostens (die dann in amerikanische Hände fielen, indem wir unsere Rivalen Frankreich und England hinausdrängten), den Rest der Dritten Welt und womöglich den ganzen Globus umfassen. Diese Pläne wurden ausgeführt im Masse, wie sich Gelegenheiten dazu boten. Jedem Teil der neu geordneten Welt wurde seine besondere Rolle zugewiesen. Die Industrieländer sollten angeführt werden von den «grossen Werkstätten» Deutschland und Japan, die ihre Tüchtigkeit im Krieg bewiesen hatten (und nun unter der Oberaufsicht der USA arbeiten würden). Die Dritte Welt werde «ihre Hauptaufgabe als Quelle von Rohstoffen und als Markt» für die kapitalistischen Industriegesellschaften «erfüllen», wie es 1949 ein Memo des Auswärtigen Amtes formulierte. Sie werde für den Wiederaufbau Europas und Japans (in Kennans Worten) «ausgebeutet» werden. (Gemeint sind Südostasien und Afrika, aber die Aussage gilt allgemein.) Kennan vermutete sogar, dass Europa aus dem Projekt der «Ausbeutung» Afrikas einen psychologischen Auftrieb erfahren könnte. Natürlich kam niemand auf die Idee, Afrika könnte Europa zum eigenen Aufbau ausbeuten und damit vielleicht auch seinen Geisteszustand verbessern. Diese aus der Geheimhaltung freigegebenen Dokumente werden nur von Gelehrten gelesen, die an all dem offenbar nichts Seltsames oder Stossendes finden. Der Vietnamkrieg entstand aus dem Bedürfnis, diese Dienstleistungsrolle abzusichern. Vietnamesische Nationalisten wollten sie nicht übernehmen - also mussten sie zerschlagen werden. Nicht, dass sie gedroht hätten, irgendwen zu erobern, aber sie hätten ein gefährliches Beispiel nationaler Unabhängigkeit geben können, das andere Nationen der Region vielleicht inspiriert hätte. Die Regierung der USA hatte vor allem zwei Rollen zu spielen. Erstens hatte sie die weit verstreuten Gebiete dieses Grossraums zu sichern. Das verlangte eine sehr starke, einschüchternde Stellung, um zu garantieren, dass sich kein anderer in diese Aufgabe einmischte - und das ist einer der Gründe dafür, dass die Kernwaffenherstellung so vorangetrieben wurde. Die zweite Rolle der Regierung bestand darin, eine öffentliche Unterstützung der hochtechnologischen Industrie zu organisieren. Aus verschiedenen Gründen wurde das weitgehend auf dem Weg von Militärausgaben bewerkstelligt.
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Freihandel ist eine schöne Sache für Wirtschaftsdepartemente und Zeitungsleitartikel, aber niemand in der Welt der Unternehmungen oder der Regierung nimmt die Lehre ernst. Die Teile der USAWirtschaft, die fähig sind, international zu konkurrieren, sind in erster Linie die vom Staat unterstützten: kapitalintensive Landwirtschaft (agribusiness, wie sie genannt wird), high-techlndustrie, Pharmazeutik, Biotechnologie usw. Das gleiche gilt von andern Industriegesellschaften. Die US-Regierung lässt die Öffentlichkeit für Forschung und Entwicklung zahlen und garantiert - weitgehend durch das Militär - einen staatlichen Markt für Abfall-Produktion. Wenn etwas marktgängig ist, übernimmt es der private Sektor. Dieses System öffentlicher Subsidien und privaten Profits nennt man «freies Unternehmertum».
Wiederherstellung der herkömmlichen Ordnung Planern der Nachkriegszeit wie Kennan war von Anfang an klar, es sei für die Gesundheit der Unternehmen in den USA lebenswichtig, dass sich die andern westlichen Industriegesellschaften von den Kriegsschäden erholten, damit sie Waren amerikanischer Herkunft importieren könnten und Gelegenheiten für Investitionen anzubieten hätten. (Ich zähle Japan hier zum Westen, womit ich der südafrikanischen Gepflogenheit folge, Japaner als «Ehren-Weisse» zu behandeln.) Aber es war entscheidend, dass sich diese Gesellschaften auf eine ganz bestimmte Weise erholten. Die traditionelle Ordnung des rechten Flügels musste wiederhergestellt werden: die Wirtschaft musste herrschen, die Arbeitswelt gespalten und geschwächt werden und die Last des Wiederaufbaus unverhohlen auf die Schultern der Arbeiterklasse und der Armen gewälzt werden. Was dem vor allem im Wege stand, war der antifaschistische Widerstand; daher haben wir diesen auf der ganzen Welt unterdrückt und oftmals Faschisten und Nazi-Kollaborateure an seine Stelle gesetzt. Manchmal verlangte das die Anwendung äusserster Gewalt; in andern Fällen genügten mildere Massnahmen, wie das Umstossen von Wahlergebnissen und die Verweigerung dringend nötiger Nahrungslieferungen. (In jeder ehrlichen Darstellung der Nachkriegszeit sollte dies das Erste Kapitel bilden, aber in Wirklichkeit wird es kaum je auch nur diskutiert.) Das beispielgebende Muster dafür lieferte 1942 Roosevelt, als er den französischen Admiral Francois Darlan zum Generalgouverneur über ganz Französisch-Nordafrika ernannte. Darlan war ein führender Kollaborateur der Nazis und der Verfasser der antisemitischen Gesetze der Vichy-Regierung, des Nazi-Marionetten-Regimes in Frankreich. Aber weit wichtiger war das erste befreite Gebiet Europas: Süd-Italien, wo die USA, einem Rate Churchills folgend, eine Rechtsdiktatur einsetzten mit dem faschistischen Kriegshelden Feldmarschall Badoglio und dem König Viktor Emanuel III., auch einem faschistischen Kollaborateur, an der Spitze. Die US-amerikanischen Planer erkannten, dass die «Bedrohung» Europas nicht von sowjetischer Angriffslust herrührte (die ernst zu nehmende Analytiker wie Dwight Eisenhower nicht fürchteten), sondern vielmehr vom antifaschistischen Widerstand der Arbeiter und Bauern mit seinen radikaldemokratischen Idealen und von der politischen Macht und Anziehungskraft der lokalen kommunistischen Parteien. Um einem wirtschaftlichen Zusammenbruch zuvorzukommen, der deren Einfluss gestärkt hätte, und um Westeuropas staatskapitalistische Nationalwirtschaften wieder aufzubauen, führten die USA den Marshall-Plan ein (unter welchem Europa zwischen 1948 und 1951 mit Anleihen und Darlehen von über 12 Milliarden Dollar versehen wurde - Geldmitteln, die im Spitzenjahr 1949 dazu verwendet wurden, um ein Drittel der US-Exporte nach Europa zu kaufen). In Italien hatte während des Kriegs eine Bewegung aus Arbeitern und Bauern, angeführt von der kommunistischen Partei, sechs deutsche Divisionen in Schach gehalten und Norditalien befreit. Als die US-Streitkräfte durch Italien vorrückten, vertrieben sie diesen antifaschistischen Widerstand und stellten die Grundstruktur des faschistischen Regimes der Vorkriegszeit wieder her.
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Italien war schon immer eines der Hauptgebiete umstürzlerischer Tätigkeit des CIA seit dessen Gründung gewesen. Der CIA ersorgte, dass in den entscheidenden italienischen Wahlen des Jahres 1948 die Kommunisten auf legale Weise an die Macht kommen könnten. Um das zu hintertreiben, wurden viele verschiedene Techniken angewandt, wie etwa die Wiedereinführung der faschistischen Polizei, die Spaltung der Gewerkschaften und die Verweigerung von Nahrungsmitteln. Doch blieb es unklar, ob es gelingen werde, die kommunistische Partei zu schlagen. Das allererste Memorandum des Rates für Nationale Sicherheit, NSC 1 (1948), nannte eine Anzahl von Massnahmen, die die USA ergreifen würden, falls die Kommunisten diese Wahlen gewönnen. Eine der geplanten Reaktionen war bewaffnete Intervention in der Form militärischer Unterstützung von Untergrundoperationen in Italien. Manche, besonders George Kennan, traten für ein militärisches Eingreifen vor den Wahlen ein - er wollte nichts riskieren. Aber andere überzeugten ihn davon, dass wir es auch durch Unterminierung hinkriegen würden - was sich als richtig erwies. In Griechenland drangen nach dem Rückzug der Nazis britische Truppen ein. Das von den Briten eingesetzte korrupte Regime rief erneut Widerstand hervor; Grossbritannien war nach dem Krieg im Niedergang begriffen und ausserstande, die Kontrolle zu bewahren. 1947 rückten die Vereinigten Staaten ein und unterstützten einen mörderischen Krieg, der zu etwa 160 000 Toten führte. Es war ein kompletter Krieg mit Folterungen, politischem Exil für Zehntausende von Griechen, mit von uns so genannten «Umerziehungslagern» für weitere Zehntausende, der Zerschlagung von Gewerkschaften und aller Möglichkeiten einer unabhängigen Politik. Griechenland geriet damit fest in die Hände der US-Investoren und lokalen Geschäftsleute, während ein grosser Teil der Bevölkerung auswandern musste, um überleben zu können. Zu den Nutzniessern gehörten Nazi-Kollaborateure, während Opfer in erster Linie die Arbeiter und die Bauern des kommunistisch geführten Widerstandes gegen die Nazis wurden. Unsere erfolgreiche Verteidigung Griechenlands gegen dessen eigene Bevölkerung war das Modell für den Vietnam-Krieg, wie Adlai Stevenson 1964 den Vereinigten Nationen erklärte. Genau das gleiche Modell verwendeten die Berater Reagans, wenn sie über Mittelamerika sprachen, und dieses Muster ist noch manchenorts befolgt worden. In Japan legte Washington 1947 den/sogenannten «Rückwärtsgang» ein, der frühen Schritten in der Richtung auf Demokratisierung ein Ende setzte, die General MacArthurs Militärverwaltung eingeleitet hatte. Dieser Rückwärtsgang unterdrückte die Gewerkschaften und andere demokratische Kräfte und brachte das Land in den festen Griff von Unternehmern, die den japanischen Faschismus unterstützt hatten - ein System staatlicher und privater Macht, das bis heute bestanden hat. Als 1945 US-Streitkräfte in Korea eindrangen, vertrieben sie die heimische Volksregierung, die in erster Linie aus Antifaschisten bestand, die den Japanern Widerstand geleistet hatten, und begannen eine brutale Unterdrückung, wozu sie japanische faschistische Polizei und Koreaner einsetzten, die während der japanischen Besatzung mit dieser kollaboriert hatten. Etwa 100 000 Personen wurden in Südkorea noch vor den Ereignissen, die wir den Korea-Krieg nennen, ermordet; dazu gehören 30 - 40 000, die während der Niederschlagung eines Bauernaufstands in einer einzigen kleinen Gegend, der Insel Tschedschu, getötet wurden. Ein faschistischer Handstreich in Kolumbien, inspiriert vom Spanien Francos, rief bei der USRegierung wenig Protest hervor; ebensowenig ein Militärcoup in Venezuela oder die Wiedereinsetzung eines Bewunderers des Faschismus in Panama. Doch die erste demokratische Regierung in der Geschichte Guatemalas, welche sich Roosevelts New Deal zum Vorbild nahm, löste in den USA bittere Gegnerschaft aus. 1954 schmiedete der CIA einen Umsturz, der Guatemala zu einer Hölle auf Erden machte. Und dabei ist es bisher geblieben, mit regelmässiger Einmischung und Unterstützung durch die USA, besonders unter Kennedy und Johnson.
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Ein Aspekt der Unterdrückung antifaschistischer Résistance war die Rekrutierung von Kriegsverbrechern wie Klaus Barbie, einem SS-Offizier, der in Frankreich Gestapo-Chef von Lyon gewesen war. Dort hatte er sich den Übernamen «Schlächter von Lyon» verdient. Obwohl er für viele abscheuliche Verbrechen verantwortlich war, gab ihm die US-Armee den Auftrag, die Franzosen auszuspionieren. Als Barbie schliesslich 1982 nach Frankreich zurückgebracht und als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt wurde, erklärte Oberst a. D. Eugene Kolb vom Gegenspionage-Corps der US-Armee dessen Einsatz als Agent folgendermassen: «Barbies Fähigkeiten wurden dringend gebraucht... Seine Wirksamkeit war gegen die kommunistische Partei im französischen Untergrund und gegen die Resistance gerichtet gewesen», und diese waren nun die Zielscheibe der Unterdrückung durch die amerikanischen Befreier. Da die Vereinigten Staaten dort weitermachten, wo die Nazis aufgehört hatten, war es durchaus sinnvoll, Spezialisten in Antirésistance-Aktivitäten zu engagieren. Später, als es schwierig oder gar unmöglich wurde, diese nützlichen Leute in Europa zu schützen, liess man viele von ihnen (darunter auch Barbie) nach den Vereinigten Staaten oder Lateinamerika verschwinden, oftmals mit der Hilfe des Vatikans und faschistischer Priester. Dort wurden sie Militärberater für Polizeistaaten, die sich, oft ganz offen, das Dritte Reich zum Vorbild nahmen und von den USA unterstützt wurden. Auch wurden sie Drogen- oder Waffenhändler, Terroristen und Ausbilder, die lateinamerikanischen Bauern Foltermethoden beibrachten, die die Gestapo erfunden hatte. Einige der Nazi-Zöglinge landeten in Mittelamerika und stellten somit einen direkten Zusammenhang her zwischen den Todes-Lagern und den Todes-Schwadronen - alles dank dem Nachkriegs-Bündnis zwischen den USA und der SS.
Unsere Verpflichtung auf Demokratie In Akten aus hochrangigen Regierungskreisen halten US-Planer immer wieder ihre Ansicht fest, dass die neue, von den USA angeführte Weltordnung in erster Linie von Nationalismus in der Dritten Welt bedroht werde - manchmal als «Ultranationalismus» bezeichnet: von «nationalistischen Regimen», die bereit sind, auf «Forderungen der Bevölkerung nach unmittelbarer Verbesserung des niederen Lebensstandards der Massen» und auf Produktion für heimische Bedürfnisse einzugehen. Das grundlegende, ständig wiederholte Ziel der Planer war, zu verhindern, dass solche «ultranationalistischen» Regime jemals die Macht ergriffen - oder wenn es ihnen durch irgendeinen Glücksfall doch gelingen sollte, sie zu beseitigen und Regierungen einzusetzen, die private Investitionen in- und ausländischen Kapitals begünstigten, Produktion für den Export förderten und das Recht, Profite ausser Landes zu schaffen, garantierten. (Diese Ziele werden in den Geheimdokumenten nie in Frage gestellt. Für einen Planer der US-Politik sind sie sozusagen die Luft, in der er atmet.) Widerstand gegen Demokratie und Gesellschaftsreform kann in den betroffenen Ländern nie populär sein. Nur wenige Leute, die dort leben, lassen sich dafür begeistern, ausgenommen eine kleine Gruppe mit Beziehungen zur US-Geschäftswelt, die davon zu profitieren gedenkt. Die Vereinigten Staaten sind gefasst, auf Macht angewiesen zu sein, und verbünden sich mit dem Militär - «der am wenigsten antiamerikanischen politischen Gruppe in Lateinamerika», wie sich die Kennedy-Planer ausdrückten -; auf dieses ist Verlass, wenn es gilt, irgendeine einheimische Volksgruppe, die aus dem Ruder zu laufen droht, zu unterdrücken. Die USA sind auch schon bereit gewesen, Sozialreformen zu tolerieren - wie zum Beispiel in Costa Rica -, aber nur wenn die Rechte der Arbeiter geschmälert und das Klima für ausländische Investoren gewahrt bleibt. Weil die Regierung von Costa Rica diese beiden entscheidenden Imperative immer respektiert hat, hat sie an ihren Reformen weiterbasteln dürfen.
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Ein anderes Problem, worauf in diesen Geheimdokumenten immer wieder hingewiesen wird, ist übertriebene Liberalismus der Länder der Dritten Welt. (Vor allem in Lateinamerika war das Problem, wo sich die Regierungen nicht genügend um die Überwachung der Gedanken und Reisebeschränkungen kümmerten und wo das Rechtswesen so mangelhaft war, dass für Verfolgung von Verbrechen Beweise verlangt wurden.)
der ein um die
Die Kennedy-Liberalen beharrten unerschütterlich auf der Notwendigkeit, demokratische Exzesse, die «Unbotmässigkeit» gestatteten, zu bekämpfen - womit sie natürlich Leute mit den falschen Ideen anzielten. Es hat den Vereinigten Staaten jedoch nicht an Mitleid mit den Armen gefehlt. Zum Beispiel empfahl unser Gesandter in Costa Rica in der Mitte der 1950er Jahre, die United Fruit Company, die Costa Rica praktisch beherrschte, möge doch «ein paar relativ einfache und oberflächliche humanitäre Schnörkel für die Arbeiter» einführen, «was starke psychologische Wirkung haben könnte». Aussenminister John Foster Dulles stimmte dem zu und sagte Präsident Eisenhower, um die Lateinamerikaner bei der Stange zu halten, «müsse man ihnen ein bisschen auf die Schulter klopfen und sie glauben machen, man möge sie». Nach all dem ist das Vorgehen der USA in der Dritten Welt leicht zu verstehen. Wir waren konsequent gegen Demokratie, wo ihre Folgen nicht kontrollierbar waren. Echte Demokratien bieten das Problem, dass sie leicht ein Opfer der Häresie werden, wonach sich Regierungen um die Bedürfnisse ihrer eigenen Bevölkerungen kümmern sollen statt um jene der US-Investoren. Eine Studie des inter-amerikanischen Systems, veröffentlicht vom Royal Institute for International Affairs in London, kam zum Schluss, dass die USA zwar ein Lippenbekenntnis zur Demokratie leisten, dass sie aber in Wirklichkeit dem «privaten, kapitalistischen Unternehmertum» verpflichtet sind. Wo die Rechte von Investoren in Gefahr geraten, hat die Demokratie zu gehen; wo diese Rechte garantiert sind, genügen auch Killer und Folterer. Parlamentarische Regierungen sind mit Unterstützung und manchmal direkter Einwirkung der USA in folgenden Ländern und Fällen verhindert oder gestürzt worden: in Iran 1953, in Guatemala 1954 (und 1963, als Kennedy einen Militärcoup unterstützte, um die Gefahr einer Rückkehr zur Demokratie abzuwenden), in der Dominikanischen Republik 1963 und 1965, in Brasilien 1964, in Chile 1973 und noch oft anderswo. Sehr ähnlich war unser Vorgehen in El Salvador und an vielen andern Orten rund um den Globus. Die Methoden sind nicht sehr appetitlich. Was die von den USA gesteuerten Kontras in Nicaragua getan haben oder was die uns vertretenden Terroristen an unserer Stelle in El Salvador oder Guatemala tun, ist kein bloss gewöhnliches Töten. Zum grossen Teil ist es brutale, sadistische Folter Kleinkinder gegen Steine schmettern; Frauen an den Füssen aufhängen, mit abgeschnittenen Brüsten und zurückgeschlagener Gesichtshaut, so dass sie zu Tode ausbluten; Köpfe abhacken und auf Stangen stecken. Der Zweck ist, unabhängigen Nationalismus und Volkskräfte zu brechen, die eine sinnvolle Demokratie zuwegebringen könnten.
Die Gefahr des guten Beispiels Kein Land ist vor dieser Behandlung sicher, so unwichtig es auch sein mag. Ja gerade die schwächsten, ärmsten Länder wecken oft die grösste Hysterie. Nehmen wir Laos in den 1960er Jahren: wahrscheinlich das ärmste Land der Welt. Die meisten Menschen, die dort lebten, wussten nicht einmal, dass es so etwas wie Laos gab; alles was sie wussten, war, dass es ihr Dörfchen gab und dass es in der Nähe noch ein Dörfchen gab. Aber sobald sich dort an der untersten Basis eine soziale Revolution zu entwickeln begann, unterwarf Washington das Land einem mörderischen «Geheimbombardement», das weite besiedelte Gebiete praktisch ausradierte - in Operationen, die zugegebenermassen mit dem Krieg, den die USA in Südvietnam führten, nichts zu tun hatten.
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Grenada zählt 100 000 Einwohner, die ein bisschen Muskat produzieren, und auf einer Landkarte findet man es kaum. Doch als Grenada dem Anfang einer milden sozialen Revolution unterzogen wurde, setzte sich Washington rasch in Bewegung, um die Gefahr zu beseitigen. Von der bolschewistischen Revolution von 1917 an bis zum Zusammenbruch der kommunistischen Regierungen Osteuropas in den späten 1980er Jahren war es möglich, jeden US-Angriff als Verteidigungsmassnahme gegen die sowjetische Bedrohung zu rechtfertigen. Als daher die Vereinigten Staaten 1983 in Grenada einfielen, erklärte der Vorsitzende der Generalstabschefs, dass im Falle eines sowjetischen Angriffs auf Westeuropa ein feindliches Grenada die Öllieferungen aus der Karibik nach Westeuropa sperren könnte und wir ausser-stande wären, unsere belagerten Verbündeten zu verteidigen. Das tönt jetzt komisch, aber dergleichen Geschichten helfen, öffentliche Unterstützung für Aggressionen, Terror und Umsturz zu mobilisieren. Der Angriff auf Nicaragua wurde mit der Behauptung gerechtfertigt, wenn wir «sie» dort nicht zum Stehen brächten, würden sie bei Harlingen die Grenze nach Texas überfluten - ganze zwei Tagesfahrten entfernt. (Für Gebildete gab es etwas raffiniertere, etwa ebenso glaubhafte Varianten.) Was die amerikanische Wirtschaft angeht, könnte Nicaragua von der Bildfläche verschwinden - und niemand würde etwas merken. Das gleiche gilt für El Salvador. Beide sind aber durch die USA mörderischen Überfällen ausgesetzt worden, zum Preis von Hunderttausenden von Leben und vielen Milliarden Dollar. Das hat seinen Grund. Je schwächer und ärmer ein Land ist, um so gefährlicher ist es als Beispiel. Wenn es einem winzigen, armen Land wie Grenada gelingt, seiner Bevölkerung das Leben zu verbessern, dann mag ein anderes, mit grösseren Möglichkeiten fragen: «Warum nicht bei uns?» Das traf sogar auf Indochina zu, ein recht grosses Land mit bedeutenden Möglichkeiten. Wenn Eisenhower und seine Ratgeber auch viel Lärm um Reis und Zinn und Gummi machten, so befürchteten sie doch eigentlich etwas anderes: falls nämlich die Menschen in Indochina Unabhängigkeit und Gerechtigkeit erlangten, würden ihnen die Menschen in Thailand nacheifern, und wenn es diesen gelänge, würden sie es in Malaysia versuchen, und recht bald würde Indonesien einen unabhängigen Weg verfolgen, und dann wäre ein bedeutender Teil des «Grossraums» verloren. Wer ein globales System will, das den Bedürfnissen der US-Investoren unterworfen ist, der kann nicht zulassen, dass Teile davon abwandern. Es fällt auf, wie klar das in den archivierten Dokumenten festgehalten ist - zu Zeiten sogar in den veröffentlichten. Nehmen wir Chile unter Allende. Chile ist ein recht grosses Land mit vielen natürlichen Rohstoffen, aber wiederum: die Vereinigten Staaten brächen nicht zusammen, wenn Chile unabhängig würde. Warum haben wir uns so darum gesorgt? Laut Kissinger war Chile ein «Virus», das die ganze Region «anstecken» werde - mit Auswirkungen bis hinüber nach Italien. Trotz vierzig Jahren Wühlarbeit des CIA hat Italien noch immer eine Arbeiterbewegung. Wenn in Chile eine sozialdemokratische Regierung Erfolg hätte, könnte das die italienischen Wähler auf falsche Gedanken bringen. Man stelle sich vor, sie kämen auf abwegige Ideen, versuchten ihr eigenes Land selbst zu regieren und die Arbeiterbewegungen neu zu beleben, die der CIA in den 1940er Jahren untergraben hat! Von Aussenminister Dean Acheson in den späten 1940er Jahren bis zur Gegenwart haben US-Planer gewarnt, dass «ein einziger fauler Apfel das ganze Fass verderben kann». Es besteht die Gefahr, dass sich die «Fäulnis» - soziale und wirtschaftliche Entwicklung - ausbreitet. Diese «Apfelfäule-Theorie» heisst für den öffentlichen Gebrauch «Domino-Theorie». Die Version, die der Allgemeinheit Angst machen soll, will, dass Ho Chi Minh ein Kanu besteigt und in Kalifornien landet - oder so ähnlich. Vielleicht gibt es US-Führer, die diesen Unsinn glauben - ausgeschlossen ist es nicht -, aber bestimmt kein vernünftiger Planer. Der weiss, dass die echte Gefahr im «guten Beispiel» liegt. Manchmal wird das Argument mit grosser Klarheit dargelegt. Als die USA 1954 planten, die guatemaltekische Demokratie zu stürzen, wies ein Vertreter des Aussenamtes darauf hin, dass
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«Guatemala mehr und mehr zu einer Gefahr für die Stabilität in Honduras und El Salvador geworden ist. Seine Agrarreform ist eine wirksame Propagandawaffe; sein weitreichendes Sozialprogramm, das den Arbeitern und Bauern bei ihrem siegreichen Kampf gegen die Oberschicht und grosse ausländische Unternehmen hilft, übt eine starke Anziehungskraft auf die Bevölkerungen der mittelamerikanischen Nachbarn aus, wo ähnliche Verhältnisse herrschen.» Mit andern Worten: was die USA wollen, ist «Stabilität», d. h. Sicherheit für die «Oberschicht und grosse ausländische Unternehmen». Wo sich das mit formal-demokratischen Mitteln erreichen lässt: o.k. Wo nicht, muss die «Bedrohung der Stabilität durch ein gutes Beispiel» aus der Welt geschafft werden, noch ehe das Virus andere ansteckt. Daher stellt auch der kleinste Makel eine solche Gefahr dar und muss gegebenenfalls vernichtet werden.
Die dreiteilige Welt Seit den frühen 1970er Jahren treibt die Welt einem sogenannten Tripolarismus oder Trilateralismus entgegen: Drei grosse Wirtschaftsblöcke konkurrieren miteinander. Der erste ist ein auf dem Yen basierender Block mit Japan in der Mitte und den ehemaligen japanischen Kolonien an der Peripherie. Vormals, in den dreissiger und vierziger Jahren, nannte Japan das die grossasiatische «Sphäre gemeinsamen Prosperierens». Der Konflikt mit den USA entstand, weil Japan versuchte, dort die gleiche Art von Kontrolle auszuüben wie die westlichen Mächte in ihren eigenen Sphären. Aber nach dem Krieg nahmen wir ihnen die Konstruktion der Region ab. Wir sahen kein Problem darin, dass Japan sie ausbeutete - es hatte einfach unter unserer alles überschattenden Macht zu geschehen. Eine Menge Unsinn ist darüber geschrieben worden, dass die Konkurrenz Japans beweise, wie ehrenhaft wir seien und wie wir unsere Feinde aufbauten. Die Wahlmöglichkeiten für unser Vorgehen waren beschränkt. Die eine war, Japans Reich wiederherzustellen, jetzt aber ganz unter unserer Oberaufsicht (dies war das Vorgehen, das wir befolgten). Die andere Möglichkeit war, die Region auszuklammern und Japan sowie dem übrigen Asien freizustellen, ihre eigenen Wege unabhängig zu verfolgen, ausserhalb der US-Grossraum-Herrschaft. Das war undenkbar. Ohnehin sah man nach dem Zweiten Weltkrieg in Japan keinen möglichen Konkurrenten, auch nicht in ferner Zukunft. Man nahm an, Japan werde irgendwann einmal dahingelangen, Schnickschnack herstellen zu können, aber nicht mehr. (Darin steckte ein gerütteltes Mass Rassismus.) Japan erholte sich grossenteils dank den Kriegen in Korea und in Vietnam, welche die japanische Produktion anstachelten und Japan riesige Gewinne einbrachten. Einige Planer in der frühen Nachkriegszeit blickten weiter. Unter ihnen George Kennan. Er schlug vor, die USA sollten Japan zur Industrialisierung ermutigen, aber mit einem Vorbehalt: Die USA müssten die japanische Öleinfuhr kontrollieren. Kennan sagte, das werde uns eine «Veto-Macht» über Japan einräumen für den Fall, dass es jemals nicht mehr spuren sollte. Diesen Rat befolgten die USA und behielten sich die Kontrolle über Japans Ölvorräte und -raffinerien vor. Noch in den frühen 1970er Jahren kontrollierte Japan erst etwa 10% seiner eigenen Öl-Vorräte. Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass die USA am Öl des Mittleren Ostens so interessiert sind. Für uns selbst brauchten wir das Öl nicht: bis 1968 war Nordamerika in der Weltproduktion von Öl führend. Aber wir wollen dringend diesen Hebel der Macht über die Welt in unsern Händen halten und sicher sein, dass die Gewinne in erster Linie in die USA und nach Großbritannien fliessen. Das ist auch ein Grund dafür, dass wir Militärbasen auf den Philippinen beibehalten. Sie gehörten zu einem Interventionssystem, das auf den Mittleren Osten abzielt, um sicherzustellen, dass dort einheimische Kräfte nicht etwa einem «Ultranationalismus» erliegen.
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Der zweite wichtige konkurrierende Block hat seine Basis in Europa und wird von Deutschland dominiert. Mit der Konsolidierung des Europäischen Gemeinsamen Marktes tut er einen grossen Schritt nach vorn. Europa hat eine grössere Wirtschaft als die USA, eine zahlreichere Bevölkerung und eine besser geschulte. Falls es je seine Nummer zusammenkriegt und eine integrierte Macht wird, könnten die USA auf den zweiten Platz verwiesen werden. Das ist um so wahrscheinlicher, als ein Europa mit Deutschland an der Spitze die Führung übernimmt bei der Einweisung Osteuropas in seine herkömmliche Rolle einer Wirtschaftskolonie, im Grunde eines Teils der Dritten Welt. Der dritte Block ist der von den USA dominierte und auf dem Dollar basierende. Erst kürzlich ist er durch den Einschluss Kanadas, unseres wichtigsten Handelspartners, erweitert worden und wird bald auch Mexiko und andere Teile der Halbkugel umfassen, dank «Freihandelsabkommen», die in erster Linie den Interessen der US-Investoren und ihren Assoziierten dienen. Wir haben immer angenommen, Lateinamerika gehöre uns zu Recht. Wie es Henry Stimson (Kriegsminister unter FDR und Taft, Aussenminister unter Hoover) einmal formuliert hat: es sei «unser Stückchen Land hier drüben, das nie jemanden gekümmert hat». Die Absicherung des DollarBlocks bedeutet, dass der Antrieb, unabhängige Entwicklungen in Mittelamerika und der Karibik zu hintertreiben, weiterbesteht. Wer das Ringen gegen unsere Industrierivalen und die Dritte Welt nicht versteht, dem muss die USAussenpolitik als eine Reihe zufälliger Irrtümer, Inkonsequenzen und Verwirrungen erscheinen. Tatsächlich sind unsere Führer in den ihnen zugewiesenen Hausaufgaben recht erfolgreich gewesen im Rahmen des Machbaren.
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Verheerende Wirkungen im Ausland
Unsere Politik «guter Nachbarschaft» Wie genau haben wir George Kennans Anweisungen befolgt? Wie gründlich haben wir alle Rücksichten auf so «vage und wirklichkeitsferne Ziele wie Menschenrechte, die Hebung des Lebensstandards und Demokratisierung» beiseitegeschoben? Unseren «Einsatz für die Demokratie» habe ich bereits erörtert; aber wie steht es um die beiden andern Anliegen? Konzentrieren wir uns auf Lateinamerika, und betrachten wir zuerst die Menschenrechte. Eine Studie von Lars Schoultz, dem führenden akademischen Spezialisten zum Stand der Menschenrechte in jenem Weltteil, zeigt, dass «die Hilfe der USA dazu neigt, lateinamerikanische Regierungen, die ihre Bürger foltern, unverhältnismässig zu bevorzugen». Es kommt nicht darauf an, wie sehr ein Land der Hilfe bedarf, sondern darauf, ob es bereit ist, den Interessen der Reichen und Privilegierten zu dienen. Umfassendere Studien des Wirtschaftswissenschaftlers Edward Herman zeigen eine enge Verbindung zwischen Folter und US-Hilfe weltweit - und liefern auch die Erklärung dafür: beide treffen sich unabhängig voneinander in der Verbesserung des Klimas für Geschäfte. Angesichts dieses beherrschenden moralischen Prinzips verblassen Dinge wie Folter und Gemetzel zur Bedeutungslosigkeit. Und was lässt sich über die Hebung des Lebensstandards sagen? Darum ging es angeblich Präsident Kennedys Allianz für den Fortschritt, aber die Art der auferlegten Entwicklung richtete sich vor allem nach den Bedürfnissen der US-Investoren. Sie verfestigte und erweiterte das bestehende System, unter welchem Lateinamerikaner veranlasst werden, für den Export zu produzieren und Ernten von Mais und Bohnen, die dem Lebensunterhalt dienen und für den heimischen Verzehr bestimmt sind, zurückzustutzen. Unter den Allianz-Programmen nahm, zum Beispiel, die Fleischproduktion zu, während der Fleisch-Konsum zurückging. Dieses Entwicklungsmodell, das auf der Ausfuhr von Agrarprodukten basiert, bringt in der Regel ein «Wirtschaftswunder» zuwege, wobei das Bruttosozialprodukt steigt, während ein grosser Teil der Bevölkerung hungert. Wo eine solche Politik verfolgt wird, entwickelt sich unweigerlich ein Widerstand in der Bevölkerung, welcher dann mit Terror und Folter unterdrückt wird. (Die Anwendung von Terror ist unserem Charakter tief eingegraben. Schon 1818 pries John Quincy Adams die «heilsame Wirkung» des Terrors, wenn man es mit «gemischten Horden aus gesetzlosen Indianern und Negern» zu tun habe. Er schrieb das, um Andrew Jacksons Wüten in Florida zu rechtfertigen, das die einheimische Bevölkerung praktisch vernichtete und die spanische Provinz unter die Kontrolle der USA brachte - eine Weisheit, mit der er Thomas Jefferson und andere tief beeindruckte.) Der erste Schritt ist der Einsatz der Polizei. Diese ist wachsam - sie kann Unzufriedenheit schon früh entdecken und ausschalten, noch bevor ein «tieferer Eingriff» (wie die Planungsdokumente das nennen) nötig wird. Falls ein «tieferes Eingreifen» dennoch nötig wird, verlassen wir uns auf die Armee. Wenn wir die Armee eines lateinamerikanischen Landes nicht mehr kontrollieren können, wird es Zeit, die Regierung zu stürzen.
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Länder, die versucht haben, sich diesem Vorgehensmuster zu widersetzen, wie Guatemala unter den demokratisch-kapitalistischen Regierungen von Arevalo und Arbenz oder die Dominikanische Republik unter dem demokratisch-kapitalistischen Regime von Bosch, sind das Ziel von Feindseligkeiten und Gewalt seitens der USA geworden. Der zweite Schritt ist der Einsatz des Militärs. Die USA haben immer versucht, zum Militär ausländischer Staaten in Beziehung zu treten, denn es kann dienlich werden, wenn es gilt, eine Regierung zu stürzen, die aus dem Ruder gelaufen ist. So wurden die Grundlagen geschaffen für die Militärputsche in Chile in 1973 und in Indonesien von 1965. Bereits vor den Putschen waren wir den chilenischen und indonesischen Regierungen sehr feindlich gesinnt, lieferten ihnen aber weiterhin Waffen. Pfleg gute Beziehungen zu den richtigen Offizieren, und sie übernehmen den Sturz der Regierung für dich. Die gleichen Überlegungen motivierten den Fluss von US-Waffen via Israel nach Iran schon seit den frühen 1980er Jahren, nach dem Zeugnis der beteiligten hohen israelischen Beamten - Tatsachen, die schon 1982 wohl bekannt waren, lange bevor es Geiseln gab. Während der Kennedy-Administration wurde die Aufgabe der von den USA beherrschten lateinamerikanischen Streitkräfte geändert: von der «Verteidigung der westlichen Halbkugel» zur «Gewährleistung der inneren Sicherheit» (was im Grunde Krieg gegen die eigene Bevölkerung bedeutet). Diese schicksalsträchtige Entscheidung führte zu «direkter Komplizenschaft (der USA)» mit den Methoden von Heinrich Himmlers «Vernichtungs-Schwadronen» - so im Rückblick nach dem Urteil Charles Maechlings, der von 1961-66 mit der Planung der Aufstandsbekämpfung beauftragt war. Die Kennedy-Administration bereitete dem Militärputsch von 1964 in Brasilien den Weg und half, die brasilianische Demokratie zu zerstören, die allzu unabhängig geworden war. Die USA unterstützten den Putsch begeistert, während dessen militärische Führer einen Staat nationaler Sicherheit im NeoNazi-Stil samt Folter, Unterdrückung usw. errichteten. Das löste von den mittleren sechziger bis in die achtziger Jahre ähnliche, ekzemartig sich verbreitende Entwicklungen in Argentinien, Chile und der ganzen übrigen Hemisphäre aus - eine äusserst blutige Periode. (Ich glaube, nach dem Gesetz Hesse sich mit sehr gutem Recht jeder amerikanische Präsident seit dem Zweiten Weltkrieg öffentlich anklagen. Alle waren sie entweder ausgesprochene Kriegsverbrecher oder in ernsthafte Kriegsverbrechen verwickelt.) Typischerweise schafft das Militär zunächst eine Wirtschaftskatastrophe, indem es oft die Anweisungen der US-Ratgeber befolgt, und beschliesst dann, das Problem Zivilpersonen zur Verwaltung zu übergeben. Offene militärische Kontrolle ist nicht mehr nötig, da nun neue Massnahmen zur Verfügung stehen - zum Beispiel Kontrolle durch den Internationalen Währungsfonds (welcher, wie die Weltbank, den Nationen der Dritten Welt Mittel leiht, die grossenteils von den Industriemächten zur Verfügung gestellt werden). Als Entgelt für seine Darlehen schreibt der IWF «Liberalisierung» vor: eine Wirtschaftsform, die fremder Einmischung und Kontrolle offensteht, die Dienstleistungen an die Bevölkerung im allgemeinen stark beschneidet usw. Diese Massnahmen legen die Macht noch fester in die Hände der Wohlhabenden und der ausländischen Investoren («Stabilität») und verstärken die klassische Zweistöckigkeit der Gesellschaften in der Dritten Welt - Superreiche (samt einer verhältnismässig wohlhabenden Klasse von Fachleuten, die ihnen dient) und eine unübersehbare Masse verarmter, leidender Menschen. Die Verschuldung und das wirtschaftliche Chaos, die das Militär zurücklässt, stellen sicher, dass die IWF-Regeln befolgt werden - es sei denn, dass volksnahe Kräfte versuchen, in die politische Arena einzudringen, in welchem Falle das Militär die «Stabilität» wiederherstellen muss. Brasilien ist ein aufschlussreicher Fall. Es ist so reich an natürlichen Rohstoffen, dass es eigentlich eines der wohlhabendsten Länder der Erde sein sollte, und auch industriell ist es hoch entwickelt. Aber nicht zuletzt dank dem Staatsstreich von 1964 und dem hochgepriesenen «Wirtschaftswunder», das ihm folgte (nicht zu reden von Folter, Mord und anderen Hilfsmitteln der «Bevölkerungskontrolle»),
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befinden sich viele Brasilianer jetzt wahrscheinlich auf gleicher Stufe mit Äthiopien - auf einer weitaus niedrigeren als, zum Beispiel, Osteuropa. Das Erziehungsministerium meldet, dass über ein Drittel seines Budgets vom Mahlzeitendienst verschlungen wird, weil die meisten Schüler in der Schule essen oder überhaupt nicht. Nach der Zeitschrift South (einem Wirtschaftsmagazin, das über die Dritte Welt berichtet) ist die Kindersterblichkeit in Brasilien höher als in Sri Lanka. Ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, und «sieben Millionen verwahrloster Strassenkinder betteln, stehlen und schnüffeln Leim. Für zwanzig Millionen und mehr bedeutet ‹zu Hause› einen Verschlag in einem Elendsviertel ... oder zunehmend einen Fleck Erde unter einer Brücke.» Das ist Brasilien - eines der von Natur aus reichsten Länder der Erde. In ganz Lateinamerika ist die Situation ähnlich. In Mittelamerika allein beträgt die Zahl der von den durch die USA unterstützten Streitkräften seit den späten 70er Jahren Ermordeten an die 200 000; Volksbewegungen, die nach Demokratie und sozialen Reformen verlangten, sollten dezimiert werden. Solche Leistungen qualifizieren die USA, nach den bewundernden Worten des liberalen New Republic, zu einer «Inspiration für den Triumph der Demokratie in unserer Zeit». Tom Wolfe erzählt uns, die 1980er Jahre seien «einer jener grossen goldenen Augenblicke» gewesen, «die die Menschheit je erlebt hat». Wie Stalin zu sagen pflegte: «Es schwindelt uns vor Erfolg.»
Die Kreuzigung El Salvadors Während vieler Jahre wurden in El Salvador Unterdrückung, Folter und Mord von Diktatoren besorgt, die unsere Regierung eingesetzt und unterstützt hatte - eine Sache, die hierzulande kein Interesse findet: Diese Geschichte ist so gut wie ungeschrieben. In den späten 1970er Jahren aber fing die Regierung der USA an, sich über das eine oder andere Gedanken zu machen. Das eine war, dass Somoza, dem Diktator von Nicaragua, das Heft aus den Händen glitt. Damit verloren die USA einen wichtigen Stützpunkt für die Ausübung von Macht in der Region. Eine zweite Gefahr war noch bedrohlicher: Im El Salvador der 70er Jahre wuchsen sogenannte «Volksorganisationen» heran - Bauernverbände, Kooperativen, Gewerkschaften, Bibel-Studiengruppen auf kirchlicher Grundlage, die sich zu Selbsthilfegruppen entwickelten usw. Da erhob Demokratie ihr Haupt! Februar 1980 schrieb der Erzbischof von El Salvador, Oscar Romero, Präsident Carter einen Brief, worin er ihn bat, der Junta, die das Land beherrschte, keine Militärhilfe mehr zu schicken. Er sagte, solche Hilfe werde dazu verwendet, «Ungerechtigkeit und Unterdrückung gegenüber den Volksorganisationen» zu verschärfen, die «um Achtung für ihre primitivsten Menschenrechte» kämpften (für Washington schwerlich eine Überraschung - das braucht nicht eigens gesagt zu werden). Einige Wochen später wurde Erzbischof Romero während einer Messfeier ermordet. Es wird allgemein angenommen, der Neo-Nazi Roberto d'Aubuisson sei (unter anderen Greueltaten) für diesen Meuchelmord verantwortlich. D'Aubuisson war «Führer auf Lebenszeit» der ARENA-Partei, die jetzt El Salvador regiert; Parteimitglieder wie der derzeitige salvadorianische Präsident Alfredo Cristiani hatten ihm einen mit Blut besiegelten Treueid zu schwören. Zehn Jahre darauf nahmen Tausende von Bauern und Armen aus der Stadt an einer Gedächtnismesse teil, zusammen mit vielen Bischöfen aus dem Ausland, aber die USA fielen durch Abwesenheit auf. Die salvadorianische Kirche schlug Romero formell zur Heiligsprechung vor. In dem Land, das Romeros Meuchelmörder finanzierte und ausbildete, fand all das kaum eine Erwähnung. Die New York Times, «die Zeitung, die dokumentiert», veröffentlichte keinen Leitartikel über den Mord, weder als er geschah, noch in den folgenden Jahren, und keinen redaktionellen Artikel oder eine Nachricht über die Gedächtnisfeier.
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Am 7. März 1980, zwei Wochen vor dem Mordanschlag, war in El Salvador der Belagerungszustand verhängt worden, und der Krieg gegen die Bevölkerung wurde gewaltsam (immer mit der Unterstützung und Beteiligung der USA). Der erste grössere Angriff war ein Massaker am Rio Sumpul, eine koordinierte Militäroperation honduranischer und salvadorianischer Armeeeinheiten, wobei mindestens 600 Menschen hingemetzelt wurden. Kleinkinder wurden mit Buschmessern zerstückelt und Frauen gefoltert und ertränkt. Noch tagelang fand man im Fluss Teile von Leichen. Es gab kirchliche Beobachter; also drangen Meldungen darüber sofort nach aussen, aber der Hauptstrom der US-Medien hielt sie nicht für der Verbreitung wert. Opfer dieses Krieges waren vor allem Bauern, zusammen mit Organisatoren der Arbeiterschaft, Studenten, Priestern oder jedem, der im Verdacht stand, für die Interessen des Volkes zu arbeiten. In Carters letztem Amtsjahr, 1980, erreichte die Zahl der Toten die Höhe von etwa 10 000; sie stieg mit der Machtübernahme der Reaganmannschaft, 1981, auf etwa 13 000. Im Oktober 1980 verurteilte der neue Erzbischof den «Vernichtungskrieg und Völkermord an einer wehrlosen Zivilbevölkerung» durch die Sicherheitskräfte. Zwei Monate später wurden diese selben gepriesen für ihren «tapferen Dienst gegen Unbotmässigkeit an der Seite des Volkes», und zwar von Jose Napoleön Duarte, dem von den USA begünstigten «Gemässigten», anlässlich seiner Ernennung zum zivilen Präsidenten der Junta. Die Rolle des «gemässigten» Duarte bestand darin, den militärischen Befehlshabern als Feigenblatt zu dienen und ihnen einen stetigen Fluss von US-Geldern zu garantieren, auch dann noch, als die Streitkräfte vier Klerikerinnen aus den USA vergewaltigt und ermordet hatten. Das hatte hierzulande einen gewissen Protest ausgelöst; Salvadorianer zu metzeln ist ein Ding, aber amerikanische Nonnen zu vergewaltigen und zu töten ist entschieden ein Verstoss gegen PR. Die Medien vertuschten die Geschichte und spielten sie hinunter, womit sie nur der Carter-Administration und ihrer Untersuchungskommission folgten. Die frisch antretende Reagan-Mannschaft ging viel weiter: sie suchte die Untaten zu rechtfertigen, besonders Aussenminister Alexander Haig und die Gesandte bei der UNO, Jeane Kirkpatrick. Immerhin schien es der Mühe wert, ein paar Jahre später einen Schauprozess zu inszenieren, wobei die mörderische Junta - und selbstverständlich der Zahlmeister - entlastet wurden. Die unabhängigen Zeitungen in El Salvador, die von diesen Greueln hätten berichten können, waren zerstört. Obwohl sie konventionell und wirtschaftsfreundlich gewesen waren, fanden die Militärs sie noch immer zu undiszipliniert. Das Problem wurde 1980/81 erledigt, als der Herausgeber der einen von den Sicherheitskräften ermordet wurde; der andere floh ins Exil. Wie gewohnt, galten diese Ereignisse als zu unbedeutend, um in US-Zeitungen mehr als ein paar Worte zu verdienen. Im November 1980 ermordete die Armee sechs Jesuiten-Priester, deren Köchin und deren Tochter. Noch in derselben Woche wurden mindestens 28 weitere salvadorianische Zivilisten ermordet, darunter der Leiter einer grösseren Gewerkschaft, die Leiterin der Akademikerinnen-Organisation, neun Mitglieder einer indianischen Bauernkooperative und zehn Universitätsstudenten. Die Nachrichtenübermittler brachten eine Geschichte des AP-Korrespondenten Douglas Grant Mine, der erzählte, wie Soldaten in ein Arbeiterviertel der Hauptstadt San Salvador eindrangen, sechs Männer aufgriffen, einen 14jährigen Jungen um der schönen Zahl willen hinzufügten, alle gegen eine Mauer stellten und erschossen. Sie «waren weder Priester noch Menschenrechtskämpfer», schreibt Mine, «daher ist ihr Tod weitgehend unbeachtet geblieben» - wie auch seine Geschichte. Die Jesuiten sind vom Atlacatl-Bataillon ermordet worden, einer von den Vereinigten Staaten geschaffenen, ausgebildeten und ausgerüsteten Elite-Einheit. Sie entstand im März 1981, als fünfzehn Anti-Aufstand-Spezialisten aus der US-Armeeschule für Spezialtruppen nach El Salvador geschickt wurden. Von Anfang an wurde daß Bataillon für Massenmorde eingesetzt. Ein US-Ausbilder beschreibt seine Soldaten als «ganz besonders ungestüm... Wir hatten immer unsere liebe Mühe, sie zu bewegen, Gefangene statt Ohren heimzubringen.»
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Im Dezember 1981 nahm das Bataillon an einer Operation teil, in der über tausend Zivilpersonen in einer Orgie von Mord, Vergewaltigung und Feuersbrünsten umgebracht wurden. Später war es beteiligt an der Bombardierung von Dörfern und der Ermordung von Hunderten von Zivilisten durch Erschiessen, Ertränken und andere Methoden. Unter den Opfern waren Frauen, Kinder und Alte bei weitem in der Mehrzahl. Kurz bevor das Atlacatl-Bataillon die Jesuiten ermordete, war es von US-Spezialtruppen trainiert worden. Dieses Muster zieht sich durch die ganze Existenz des Bataillons - einige seiner schlimmsten Massaker ereigneten sich immer dann, wenn es frisch aus der US-Ausbildung kam. In der «flügge werdenden Demokratie» El Salvador wurden Jugendliche von 13 Jahren an bei Razzien in Elendsvierteln und Flüchtlingslagern eingesammelt und zum Militärdienst gezwungen. Man indoktrinierte sie mit Ritualen, die von der Nazi-SS übernommen waren, darunter Brutalisierung und Vergewaltigung, um sie für ein Töten mit sexuellen und satanischen Obertönen zu schulen. Die Natur der salvadorianischen Armeeausbildung ist von einem Deserteur beschrieben worden, dem 1990 in Texas politisches Asyl gewährt wurde - trotz der Forderung des Staatsdepartements, ihn nach El Salvador zurückzuschicken. (Der Gerichtshof hielt seinen Namen geheim, um den Mann vor salvadorianischen Todesschwadronen zu bewahren.) Diesem Deserteur zufolge zwang man Rekruten, Hunden und Geiern übungshalber die Kehle durchzubeissen und den Kopf umzudrehen, sowie zuzuschauen, wie Soldaten vermutlich Andersdenkende folterten und töteten, indem sie ihnen die Fingernägel ausrissen, die Köpfe abschlugen, die Leiber in Stücke hackten und die Arme als Spielzeug benutzten. In einem andern Fall gab ein - wie er selber gestand - Angehöriger einer salvadorianischen Todesschwadron, die mit dem Atlacatl-Bataillon in Beziehung stand, Cesar Vielman Joya Martinez, Einzelheiten bekannt über die Verwicklung von US-Beratern und der salvadorianischen Regierung in Aktivitäten von Todesschwadronen. Die Bush-Administration hat sich alle erdenkliche Mühe gegeben, ihn zum Schweigen zu bringen und ihn nach El Salvador zurückzutransportieren - seinem wahrscheinlichen Tod entgegen -, trotz Gesuchen von Menschenrechtsorganisationen und Forderungen des Kongresses, dass sein Zeugnis anzuhören sei. (Ähnlich wurde der wichtigste Zeuge bei der Ermordung der Jesuiten behandelt.) Die Resultate soldatischer Ausbildung im salvadorianischen Stil werden anschaulich beschrieben in der von Jesuiten herausgegebenen Zeitschrift America von Daniel Santiago, einem katholischen Priester, der in El Salvador arbeitet. Er erzählt von einer Bauersfrau, die eines Tages bei der Heimkehr ihre drei Kinder, ihre Mutter und ihre Schwester enthauptet um einen Tisch sitzend vorfindet; jede Leiche hat ihren Kopf ordentlich vor sich auf dem Tisch liegen; die Hände sind so angebracht, «als streichle jede Tote ihren eigenen Kopf». Die Mörder - sie gehörten zur salvadorianischen Nationalgarde - hatten Mühe gehabt, den Kopf eines 18 Monate alten Kindes am Wegrollen zu hindern; also nagelten sie die Händchen daran fest. Eine grosse Plastikschale gefüllt mit Blut nahm dekorativ die Mitte des Tisches ein. Nach Rev. Santiago sind dergleichen makabre Szenen nicht ungewöhnlich. «In El Salvador werden Leute von den Todesschwadronen nicht einfach getötet - man enthauptet sie und steckt ihre Köpfe auf Spiesse, um damit die Landschaft zu bereichern. Die Polizei des Salvadorianischen Schatzamts weidet Männer nicht einfach aus; deren abgeschnittene Genitalien werden ihnen in den Mund gestopft. Die Nationalgarde vergewaltigt salvadoriani-sche Frauen nicht einfach; deren Gebärmütter werden herausgeschnitten, um damit die Gesichter zu bedecken. Es genügt nicht, Kinder einfach umzubringen; sie werden über Stacheldraht geschleift, bis das Fleisch von den Knochen fällt, während die Eltern zuschauen müssen.» Rev. Santiago hebt im weiteren hervor, dass Gewalt dieser Art stark zugenommen habe, als die Kirche beim Versuch, die Armen zu organisieren, anfing, Bauernverbände und Selbsthilfegruppen zu bilden. Im grossen und ganzen ist unser Vorgehen in El Salvador erfolgreich gewesen. Die Volksorganisationen sind dezimiert, genau wie Erzbischof Romero es vorausgesagt hat. Zehntausende sind
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hingemetzelt und über eine Million sind Flüchtlinge geworden. Das ist eine der schmutzigsten Episoden in der Geschichte der USA - und dabei hat sie eine Menge Konkurrenz.
Nicaragua mores lehren Nicht nur El Salvador ist in den 1970er Jahren von den grossen Medien der USA missachtet worden. In den zehn Jahren vor dem Sturz des nicaraguanischen Diktators Anastasio So-moza, 1979, hat das US-amerikanische Fernsehen - alle Gesellschaften zusammengerechnet - genau eine Stunde Nicaragua gewidmet - und zwar ausschliesslich dem Erdbeben von Managua im Jahre 1972. Nicaragua war ohne alles Interesse, solange Somozas tyrannische Herrschaft unangefochten blieb. Als seine Herrschaft in den späten 70er Jahren von Sandinisten in Frage gestellt wurde, versuchten die USA zunächst, einen «Somo-zaismus ohne Somoza», wie man es nannte, einzurichten - das heisst, das ganze korrupte System unverändert zu lassen, aber mit einem anderen an der Spitze. Das klappte nicht, und so versuchte Präsident Carter, Somozas Nationalgarde als Basis für den US-Einfluss beizubehalten. Die Nationalgarde war schon immer auffallend brutal und sadistisch vorgegangen. Im Juni 1979 führte sie im Krieg gegen die Sandinisten massive Greuel durch, bombardierte Wohnviertel in der Umgebung Managuas und tötete Zehntausende. Zu diesem Zeitpunkt telegraphierte der US-Gesandte ins Weiße Haus, es wäre «unklug», der Garde eine Einstellung der Bombardierungen zu befehlen, denn das könnte die Politik stören, die vorsah, sie an der Macht zu belassen. Unser Gesandter bei der Organisation Amerikanischer Staaten sprach sich ebenfalls für einen ‹Somozismo ohne Somoza› aus, aber die OAS verwarf den Vorschlag rundweg. Einige Tage später flog Somoza nach Miami davon und nahm den Rest des nicaraguanischen Staatsschatzes mit. Die Garde brach zusammen. Die Carter-Administration flog Garde-Kommandanten in Flugzeugen mit Rot-Kreuz-Markierungen (ein Kriegsverbrechen) ausser Landes und begann, die Garde an Nicaraguas Grenzen neu zu konstituieren. Sie liess sich dabei auch von Argentinien vertreten. (Zu jener Zeit wurde Argentinien von Neo-Nazistischen Generälen beherrscht, aber diese nahmen sich ein bisschen Zeit, um - statt ihre eigene Bevölkerung zu foltern und umzubringen - bei der Wiederherstellung der Garde zu helfen, die bald den Namen Contras oder «Freiheitskämpfer» erhalten sollte.) Reagan verwendete sie, um einen Terrorkrieg grossen Stils gegen Nicaragua zu entfesseln, kombiniert mit einer Wirtschaftskriegführung, die noch tödlicher wirkte. Auch andere Länder schüchterten wir ein, damit von ihnen keine Hilfe käme. Und doch, trotz ins Astronomische reichender Militärhilfe, gelang es den Vereinigten Staaten nicht, in Nicaragua eine entwicklungsfähige Militärmacht zu schaffen. Das ist eigentlich bemerkenswert, wenn man es sich recht überlegt. Keine echten Guerillakämpfer irgendwo auf der Welt haben je auch nur annähernd über Mittel verfügt wie denen, die die Vereinigten Staaten den Contras zukommen Hessen. Mit vergleichbarer Unterstützung könnte man wahrscheinlich einen Guerilla-Aufstand in Gebirgsgegenden der USA riskieren. Warum sind die USA in Nicaragua so weit gegangen? Die internationale Entwicklungsorganisation Oxfam hat die wirklichen Gründe dargelegt, wenn sie feststellt, dass nach ihrer Erfahrung mit Arbeiten in 76 Entwicklungsländern «Nicaragua eine Ausnahme war dank der Stärke des Einsatzes dieser Regierung ... für die Verbesserung der Lebensbedingungen des Volkes und für dessen Ermunterung zu aktiver Teilnahme am Entwicklungsprozess.» Von den vier mittelamerikanischen Ländern, wo Oxfam wirksam präsent war (El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua) zeigte nur Nicaragua echte Anstrengungen, Ungerechtigkeiten im Bodenbesitz anzugehen und Gesundheits-, Erziehungs- und Landwirtschaftshilfen auf arme Bauernfamilien auszudehnen.
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Andere Organisationen berichteten Ähnliches. In den frühen 80er Jahren nannte die Weltbank ihre Projekte «in Nicaragua auf einigen Gebieten ausserordentlich erfolgreich, mehr als sonstwo auf der Welt». 1983 fasste die Inter-Amerikanische Entwicklungsbank zusammen, dass «Nicaragua auf dem sozialen Gebiet bemerkenswerte Fortschritte gemacht hat, womit die Grundlage geschaffen ist für eine langfristige sozio-ökonomische Entwicklung». Der Erfolg der sandinistischen Reformen erschreckte die Planer in den USA. Sie wurden gewahr, dass - mit den Worten von Jose Figueres, dem Vater der Demokratie in Costa Rica - «Nicaragua zum ersten Mal eine Regierung hat, die sich um ihr Volk kümmert». (Obwohl Figueres vierzig Jahre der führende Demokrat in Mittelamerika war, wurden seine unannehmbaren Einsichten in die Wirklichkeit aus den US-Medien vollständig wegzensuriert.) Der Hass, den die Sandinisten damit auslösten, dass sie versuchten (und sogar mit Erfolg), die Wirtschaftsgüter den Armen zukommen zu lassen, war wirklich zum Staunen. Fast alle Politiker in den USA teilten ihn, und er wuchs praktisch zur Raserei. 1981 hatte sich ein Angehöriger des Aussenministeriums gebrüstet, wir würden «Nicaragua zum Albanien Mittelamerikas machen» - d. h. arm, isoliert und politisch radikal -, womit der sandinistische Traum, ein neues, beispielhaftes politisches Modell für Lateinamerika abzugeben, zu Schanden geworden wäre. George Shultz nannte die Sandinisten ein «Krebsgeschwür hier auf unserer Landmasse», das zerstört werden müsse. Am andern Ende des politischen Spektrums sagte der führende Liberale im Senat, Alan Cranston, falls es sich als unmöglich erweisen sollte, die Sandinisten auszutilgen, müssten wir sie halt «im eigenen Fett schmoren lassen». Also entfesselten die USA einen dreifachen Angriff gegen Nicaragua. Erstens übten wir äussersten Druck auf die Weltbank und die Bank für Inter-Amerikanische Entwicklung aus, um sie zu zwingen, alle Projekte und Beihilfen abzubrechen. Zweitens starteten wir den Contra-Krieg, kombiniert mit einem illegalen Wirtschaftskrieg, um dem ein Ende zu machen, was Oxfam zurecht «die Gefahr des guten Beispiels» nannte. Die tückischen TerrorAngriffe der Contras auf «weiche Ziele» nach US-Befehlen trugen zusammen mit dem Boykott dazu bei, jeder Hoffnung auf wirtschaftliche Entwicklung und soziale Reformen ein Ende zu machen. Der US-Terror sorgte dafür, dass Nicaragua seine Armee nicht demobilisieren und seine kläglich armseligen und beschränkten Mittel nicht für den Wiederaufbau der Ruinen einsetzen konnte, die USunterstützte Diktatoren und Verbrechen der Reaganmannschaft hinterlassen hatten. Eine der geachtetsten mittelamerikanischen Korrespondentinnen, Julia Preston (die damals für den Boston Globe schrieb) berichtete, dass «Verwaltungsbeamte ihre Zufriedenheit darüber äusserten, dass die Contras die Sandinisten schwächten, indem sie diese zwängen, ihre spärlichen Mittel für den Krieg einzusetzen statt für ihre Sozialprogramme». Darauf kam es an, denn diese Sozialprogramme bildeten das Herzstück des guten Beispiels, das andere Länder der Region hätte anstecken und das amerikanische System von Ausbeutung und Raub hätte aushöhlen können. Wir weigerten uns sogar, Katastrophenhilfe zu leisten. Nach dem Erdbeben von 1972 hatten die USA enorme Mengen von Hilfe nach Nicaragua geschickt; das meiste davon hat unser Bruderherz Somoza gestohlen. Oktober 1988 traf Nicaragua eine sogar noch schlimmere Naturkatastrophe - der Wirbelsturm Joan. Dafür schickten wir keinen Penny; denn hätten wir es getan, wäre die Hilfe vermutlich zum Volk gelangt und nicht einfach in die Tasche eines reichen Halsabschneiders. Auch drängten wir unsere Verbündeten, ihrerseits mit Hilfe zu knausern. Dieser verheerende Orkan eröffnete willkommene Aussichten auf Massen-Hungersnöte und ökologische Langzeitschäden und verstärkte damit den Effekt unserer Anstrengungen. Wir wollten, dass Nicaragua hungere, um die Sandinisten der Misswirtschaft zeihen zu können. Weil sie sich unserer Kontrolle entzogen, mussten die Nicaraguaner leiden und sterben. Drittens trieben wir diplomatische Falschmünzerei, um Nicaragua zu vernichten. Wie Tony Avirgan in der costaricanischen Zeitschrift Mesoamerica schrieb: «Die Sandinisten fielen auf einen Dreh hinein, den der costarica-nische Präsident Oscar Arias und die andern mittelamerikanischen Präsidenten inszenierten, was sie die Wahlen vom Februar 1990 kostete.»
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Für Nicaragua sei der Friedensplan vom August 1987 ein gutes Abkommen gewesen, schrieb Avirgan: es würde die vorgesehenen allgemeinen Wahlen um ein paar Monate verschieben und internationale Beobachter zulassen, wie schon 1984, «im Austausch gegen eine Demobilmachung der Contras und der Beendigung des Krieges ...» Die nicaraguanische Regierung tat, was von ihr nach dem Friedensplan erwartet wurde, aber kein anderer schenkte ihm die mindeste Beachtung. Arias, das Weisse Haus und der Kongress hatten nie die mindeste Absicht, irgendeinen Teil des Plans zu erfüllen. Die USA verdreifachten praktisch die CIA-Nachschubflüge für die Contras. Nach zwei Monaten war der Friedensplan mausetot. Als der Wahlfeldzug begann, machten die USA klar, dass das Embargo und der Contra-Terror, die das Land würgten, weitergehen würden, falls die Sandinisten die Wahl gewännen. Man muss schon eine Art von Nazi sein oder ein verstockter Stalinist, um eine Wahl, die unter solchen Bedingungen stattfindet, für frei und gerecht zu halten - und südlich unserer Grenze erlagen dieser Illusion auch nur wenige. Wenn jemals unsere Feinde so etwas tun sollten ... ich überlasse es Ihrer Phantasie, sich die Reaktion unserer Medien auszumalen. Das Erstaunliche war, dass die Sandinisten immerhin 40% der Stimmen für sich gewannen, während die Schlagzeilen der New York Times verkündeten, die Amerikaner seien «In Freude vereint» über diesen «Sieg für US Fair Play». Was die USA während der letzten fünfzehn Jahre in Mittelamerika erreicht haben, ist eine echte Tragödie - nicht nur wegen der erschreckenden Kosten an Menschenleben, sondern weil es vor zehn Jahren Aussichten auf echten Fortschritt in der Richtung auf Demokratie und die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse gab, mit frühen Erfolgen in El Salvador, Guatemala und Nicaragua. Diese Anstrengungen hätten Frucht tragen und andern Ländern, die von ähnlichen Problemen heimgesucht werden, nützliche Lehren weitergeben können - was selbstverständlich genau das war, was die Planer der US-Politik fürchteten. Die Gefahr ist erfolgreich abgewendet worden - vielleicht für immer.
Guatemala wird zum Schlachtfeld Eine Gegend in Mittelamerika gab es, die schon vor der sandinistischen Revolution in einigen USMedien Beachtung fand - das war Guatemala. 1944 stürzte dort eine Revolution einen bösen Tyrannen und führte zur Einsetzung einer demokratischen Regierung, die sich im grossen und ganzen nach Roosevelts New Deal ausrichtete. In dem folgenden, zehn Jahre währenden demokratischen Zwischenspiel gab es Ansätze zu einer erfolgreichen unabhängigen Wirtschaftsentwicklung. Das verursachte in Washington praktisch eine Hysterie. Eisenhower und Dulles warnten, dass die «Selbstverteidigung und Selbsterhaltung» der Vereinigten Staaten auf dem Spiele stehe, wenn das Virus nicht ausgerottet werde. Der US-Nachrichtendienst meldete sehr offen die Gefahren, die von der kapitalistischen Demokratie in Guatemala drohe. Ein Memorandum des CIA von 1952 bezeichnete die Lage in Guatemala als «den Interessen der USA zuwiderlaufend» wegen des «kommunistischen Einflusses ... der sich auf eine kämpferische Befürwortung sozialer Reformen und nationalistischer Politik stützt». Das Memo warnte, Guatemala «hat in letzter Zeit seine Unterstützung kommunistischer und antiamerikanischer Umtriebe in andern mittelamerikanischen Ländern erheblich gesteigert». Als hervorstechendes Beispiel zitiert es ein angebliches Geschenk von $ 300 000 für Jose Figueres. Wie oben erwähnt, war Jose Figueres der Gründer der Demokratie in Costa Rica und ein führender Demokrat in Mittelamerika. Obwohl er begeistert mit dem CIA zusammenarbeitete, die Vereinigten Staaten «die Standartenträgerin unserer Sache» nannte und vom US-Gesandten in Costa Rica für «die beste Werbeagentur» gehalten wurde, «die die United Fruit Company in Lateinamerika finden könnte», hatte Figueres einen Zug zur Unabhängigkeit und galt daher als nicht so verlässlich wie Somoza oder andere Gangster.
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Nach der politischen Sprachregelung der Vereinigten Staaten machte ihn das vielleicht zum «Kommunisten». Wenn ihm also Guatemala Geld gab, damit er eine Wahl gewinnen könne, dann war der Beweis erbracht, dass Guatemala Kommunisten unterstütze. Schlimmer noch - fährt dasselbe CIA-Memorandum fort -: die «radikale und nationalistische Politik» der demokratisch-kapitalistischen Regierung, einschliesslich die «Bekämpfung ausländischer Wirtschaftsinteressen, besonders der United Fruit Company», hatte «die Unterstützung oder Duldung fast aller Guatemalteken» gewonnen. Die Regierung schicke sich an, «die bisher politisch träge Bauernsame zu mobilisieren» und zugleich die Macht der Grossgrundbesitzer zu unterminieren. Überdies hatte die Revolution von 1944 «eine starke nationale Bewegung geweckt, die Guatemala von der Militärdiktatur, der sozialen Rückständigkeit und dem (Wirtschaftskolonialismus), welche das Bild der Vergangenheit bestimmt hatten, befreien wollte» und «die meisten politisch bewussten Guatemalteken mit einem Gefühl für Loyalität und das eigene Interesse begeistert». Nachdem eine erfolgreiche Landreform die «Stabilität» in Nachbarländern bedrohte, wo leidende Völker aufzumerken begannen, wurde es noch schlimmer. Kurz, die Lage war ziemlich übel. Also führte der CIA erfolgreich einen Putsch durch. Guatemala wurde in das Schlachtfeld verwandelt, das es bis heute geblieben ist, mit regelmässigen Interventionen der USA, sooft die Dinge aus dem Ruder zu laufen drohen. In den späten 1970er Jahren hatten die Greuel die schreckliche Norm überschritten und lösten verbale Proteste aus. Und doch ging die Militärhilfe an Guatemala - entgegen der Annahme vieler - unter der Carterschen «Menschenrechts-Administration» praktisch unvermindert weiter. Unsere Verbündeten sind ebenfalls für die Sache eingespannt worden - besonders Israel, mit dem als «strategischem Aktivposten» gerechnet wird, zum Teil dank seinem Erfolg in der Führung von Staatsterrorismus. Unter Reagan wurde die Unterstützung für so etwas wie Völkermord in Guatemala geradezu ekstatisch. Der extremste der guatemaltekischen Hitler, denen wir dort den Rücken stärkten, Rios Montt, wurde von Reagan als ein Mann gefeiert, der ganz für die Demokratie lebe. In den frühen 80er Jahren metzelten die Freunde Washingtons Zehntausende von Guatemalteken nieder, meist Hochlandindianer; ungezählt bleiben die Gefolterten und Vergewaltigten. Weite Gebiete wurden dezimiert. 1988 wurde eine erst seit kurzem erscheinende guatemaltekische Zeitung, La Epoca, von Regierungsterroristen in die Luft gesprengt. Zu der Zeit regten sich die Medien hier sehr darüber auf, dass die von den USA finanzierte Zeitung in Nicaragua, La Prensa, welche offen nach dem Sturz der Regierung rief und die von den USA gelenkte Terroristenarmee unterstützte, gezwungen worden war, wegen einer Knappheit an Zeitungspapier zwei Ausgaben ausfallen zu lassen. Das führte zu einem Sturm von Empörung und Schmähungen über sandinistischen Totalitarismus, in der Washington Post und anderswo. Anderseits weckte die Zerstörung von La Epoca nicht das mindeste Interesse und wurde hierzulande obwohl US-Journalisten wohlbekannt - gar nicht gemeldet. Natürlich konnte man von den Medien in den USA nicht erwarten, dass sie eine Notiz darüber bringen, wie von den USA finanzierte Sicherheitskräfte die einzige, winzige unabhängige Stimme, die einige Wochen davor versucht habe, sich in Guatemala zu melden, zum Schweigen gebracht hatten. Ein Jahr danach kehrte ein Journalist der La Epoca, der nach der Bombardierung geflohen war, Julio Godoy, zu einem kurzen Besuch nach Guatemala zurück. Als er wieder in den USA weilte, stellte er die Lage in Mittelamerika derjenigen in Osteuropa gegenüber. Osteuropäer hätten «mehr Glück als Mittelamerikaner», meinte Godoy, denn «während die von Moskau aufgezwungene Regierung in Prag Reformer entwürdigte und demütigte, pflegte die Regierung von Washingtons Gnaden in Guatemala sie zu töten. Sie tut das noch immer, treibt praktisch einen Völkermord mit über 150 000 Opfern, gemäss ‹einem Regierungsprogramm politischen Mordes) (so Amnesty International).» Die Presse duckt sich, oder - wie im Falle von La Epoca - sie verschwindet. «Man ist zu glauben versucht», fährt Godoy fort, «dass manche Leute im Weissen Haus die Götter der Azteken verehren - mit Opfern mittelamerikanischen Blutes.» Und er zitiert einen westeuropäischen
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Diplomaten, der gesagt habe: «Solange die Amerikaner ihre Einstellung gegenüber der Region nicht ändern, gibt es hier keinen Raum für Wahrheit oder Hoffnung.»
Der Einmarsch in Panama Panama wurde herkömmlicherweise von einer winzigen europäischen Oberschicht beherrscht, die weniger als 10% der Bevölkerung ausmacht: Das änderte sich 1968, als Omar Torrijos, ein populistischer General, einen Putsch anführte, der es den schwarzen und gemischtrassigen Armen erlaubte, unter seiner Militärdiktatur wenigstens einen Anteil an der Macht zu erlangen. 1981 kam Torrijos in einem Flugzeugabsturz ums Leben. 1983 war es soweit, dass der eigentliche Herrscher Manuel Noriega hiess, ein Verbrecher aus dem Gefolge Torrijos' und des USNachrichtendienstes. Die Regierung der USA wusste, dass Noriega in den Drogenhandel verwickelt war - und zwar mindestens seit 1972, als die Nixon-Administration erwog, ihn umzubringen. Aber er blieb auf der Liste der Lohnempfänger des CIA. 1983 kam eine Senatskommission der USA zum Schluss, Panama sei eine wichtige Zentrale der Drogengeldwäscherei und des Drogenhandels. Die Regierung der USA schätzte Noriegas Dienste auch weiterhin. Im Mai 1986 lobte der Leiter der Massnahmen zum Drogengesetz Noriegas «entschiedenes Vorgehen gegen den Drogenhandel». Ein Jahr darauf hiess dieser Leiter «unsere enge Verbindung» mit Noriega willkommen, während der Generalstaatsanwalt Edwin Meese einer Untersuchung der kriminellen Aktivitäten Noriegas durch das Justizdepartement Einhalt gebot. Im August 1987 verurteilte ein Senatsbeschluss Noriega, stiess aber auf den Widerstand Elliott Abrams', des Beauftragten im Aussenamt für Angelegenheiten der USPolitik in Mittelamerika und Panama. Doch als endlich 1988 in Miami gegen Noriega Anklage erhoben wurde, bezogen sich alle Punkte ausser einem auf Aktivitäten vor 1984 - auf eine Zeit also, wo er unser Mann gewesen war, der uns beim Krieg gegen Nicaragua half, mit US-Zustimmung Wahlen stahl und ganz allgemein den Interessen der USA zufriedenstellend diente. Es war keine Rede davon, dass man plötzlich entdeckt hätte, er sei ein Gangster und Drogenhändler - das hatte man schon immer gewusst. Eine Studie nach der andern beweist: es ist alles klar voraussagbar. Ein brutaler Tyrann überschreitet die Linie zwischen «bewundernswertem Freund» und «Schurke und Abschaum» im Augenblick, wo er das Verbrechen der Unabhängigkeit begeht. Ein verbreiteter Fehler ist der, über die Ausplünderung der Armen - die ist vollkommen in Ordnung - hinauszugehen und die Privilegierten anzutasten, den Widerstand der Wirtschaftsführer zu reizen. Mitte der 1980er Jahre machte sich Noriega dieser Verbrechen schuldig. Unter anderem schien er sich Zeit zu lassen mit seiner Unterstützung der USA im Contra-Krieg. Auch bedrohte seine Unabhängigkeit unsere Interessen am Panama-Kanal. Am 1. Januar 1990 sollte die Kanalverwaltung zum grössten Teil - im Jahr 2000 vollständig - an Panama übergehen. Wir mussten sicherstellen, dass Panama vor diesem Datum, in den Händen von Leuten war, die wir lenken konnten. Da kein Verlass mehr war, dass Noriega unsere Anweisungen befolgen werde, mußte er gehen. Washington verhängte zerstörerische Wirtschaftssanktionen, die vor allem auf der armen nichtweissen Mehrheit lasteten. Auch diese begannen, Noriega zu hassen, nicht zuletzt weil er den Wirtschaftskrieg verschuldete (der übrigens illegal war - falls das jemanden interessieren sollte) und so ihre Kinder hungern Hess. Als nächstes wurde ein Militärputsch versucht, welcher aber fehlschlug. Dann feierten die USA im Dezember 1989 den Fall der Berliner Mauer und das Ende des Kalten Krieges mit dem offenen Einmarsch in Panama, wobei Hunderte oder vielleicht Tausende von Zivilisten getötet wurden (keiner kennt die Zahl, und nördlich des Rio Grande gibt es nur wenige, die sie genauer kennen möchten). Das stellte die Macht der reichen weissen Oberschicht wieder her, die der Torrijos-Putsch bei-
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seitegeschoben hatte - gerade rechtzeitig, um für den administrativen Wechsel am Kanal vom 1. Januar 1990 eine gefügige Regierung sicherzustellen (wie die europäische Presse des rechten Flügels bemerkte). Die amerikanische Presse folgte während all dieser Vorgänge der Führung Washingtons und wählte je nach Bedarf Schurken aus. Aktionen, die wir vormals mit Nachsicht behandelt hatten, wurden zu Verbrechen. So hatte, zum Beispiel, 1984 Arnulfo Arias die panamaischen Präsidentschaftswahlen gewonnen. Noriega stahl ihm die Wahl mit einem beträchtlichen Aufwand an Gewalt und Fälschungen. Aber damals war Noriega noch nicht ungehorsam. Er war unser Mann in Panama, und von der AriasPartei hiess es, zu ihr gehörten gefährliche Elemente von «Ultranationalisten». Die ReaganAdministration spendete daher der Gewalt und den Fälschungen Beifall und schickte Aussenminister George Shultz hin, um die gestohlene Wahl zu legitimieren und Noriegas Demokratieverständnis den irregeführten Sandinisten als Vorbild anzupreisen. Das Bündnis der Washingtoner Medien und die grossen Zeitungen enthielten sich einer Kritik der gefälschten Wahlen, taten aber die viel freieren und offeneren sandinistischen Wahlen desselben Jahres als völlig wertlos ab - weil sie sich nicht lenken Hessen. Im Mai 1989 stahl Noriega wieder eine Wahl, diesmal einem Vertreter der Wirtschafts-Opposition, Guillermo Endara. Noriega setzte weniger Gewalt ein als 1984. Aber die Reagan-Administration hatte zu verstehen gegeben, dass sie sich von Noriega abgewandt habe. Die Presse folgte dem voraussagbaren Drehbuch und drückte Empörung aus ob solchen Versagens vor unsern strengen demokratischen Massstäben. Die Presse fing auch an, Menschenrechtsverletzungen, die bisher die Schwelle ihrer Aufmerksamkeit nicht erreicht hatten, leidenschaftlich anzuprangern. Als wir im Dezember 1989 in Panama einmarschierten, hatte die Presse Noriega bereits dämonisiert und ihn zum ärgsten Monster seit dem Hunnenkönig Attila gemacht. (Es war im Grunde eine Neuauflage der Dämonisierung Kadhafis von Libyen.) Ted Koppel schwadronierte davon, dass «Noriega zu jener besonderen Bruderschaft internationaler Schurken gehört, zu Männern wie Kadhafi, Idi Amin und dem Aja-tollah Chomeini, die Amerikaner so von Herzen hassen». Dan Rather setzte ihn «an die Spitze der Liste der Drogendiebe und des Abschaums der Welt». Tatsächlich blieb Noriega ein sehr unbedeutender Killer - genau das, was er war, als ihn der CIA auf seiner Lohnliste führte. 1988, zum Beispiel, veröffentlichte American Watch einen Bericht über Menschenrechte in Panama, ein unerfreuliches Bild. Doch diese und andere Untersuchungen machen auch klar, dass Noriegas Menschenrechtszeugnis nicht entfernt an jenes anderer Klienten der USA in der Region heranreichte und nicht schlechter war als in jenen Tagen, wo Noriega noch als Günstling Befehlen gehorchte. Nehmen wir zum Beispiel Honduras. Zwar ist es kein mörderischer Terroristenstaat wie El Salvador oder Guatemala, aber Verstösse gegen Menschenrechte waren dort wahrscheinlich ärger als in Panama: Ein einziges vom CIA geschultes Bataillon in Honduras hat ganz allein mehr Greuel verübt als Noriega. Oder denken wir an Diktatoren wie Trujillo in der Dominikanischen Republik, Somoza in Nicaragua, Marcos auf den Philippinen, Du-valier in Haiti und ein ganzes Heer von mittelamerikanischen Gangstern der 1980er Jahre. Sie waren alle viel brutaler als Noriega, aber die Vereinigten Staaten unterstützten sie begeistert während Jahrzehnten voll grauenvollster Greuel - solange die Profite aus ihren Ländern in die USA flössen. Die Administration George Bushs setzte Zahlungen an Mobutu, Ceausescu, Saddam Hussein und andere fort - alle weit schlimmere Verbrecher als Noriega. Suharto von Indonesien, vielleicht der ärgste Killer von allen, bleibt für die Washingtoner Medien ein «Gemässigter». Ja, in eben dem Augenblick, wo sie in Panama einmarschierte, weil sie sich so sehr über Noriegas Verletzung von Menschenrechten entrüsten musste, gab die Bush-Administration bekannt, sie habe China Spitzentechnologie verkauft - mit der Bemerkung, dass für US-Firmen Geschäfte von 300 Millionen Dollar auf dem Spiele stünden und dass die Kontakte einige Wochen nach dem Massaker auf dem Tienan-men-Platz insgeheim seien aufgenommen worden.
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Am selben Tag - dem Tag des Einmarschs in Panama - gab das Weisse Haus außerdem Pläne bekannt (und führte sie kurz danach aus), ein Verbot von Darlehen an Irak zu streichen. Das Aussenamt erklärte, ohne mit der Wimper zu zucken, das geschehe, um «US-Exporte zu fördern und uns in eine bessere Ausgangslage zu bringen für die Verhandlungen mit Irak über dessen Menschenrechtsverhältnisse...» Das Aussenamt bewahrte auch dann Haltung, als Bush die demokratische Opposition Iraks (Bankiers, Angehörige der freien Berufe usw.) vor den Kopf stiess und Anstrengungen im Kongress abblockte, die verbrecherischen Greueltaten seines alten Freundes Saddam Hussein zu verurteilen. Beim Vergleich mit Bushs Kumpeln in Bagdad und Beijing nimmt sich Noriega wie Mutter Teresa aus. Nach dem Einmarsch kündigte Bush eine Milliarden-Dollar-Hilfe für Panama an. 400 Millionen davon bestanden aus Prämien an US-Firmen für Exporte nach Panama, 150 Millionen dienten der Rückzahlung von Bankdarlehen und 65 Millionen gingen an Darlehen im privaten Sektor und an Garantien für US-Investoren. Mit andern Worten: etwa die Hälfte der Hilfe war ein Geschenk des amerikanischen Steuerzahlers an das amerikanische Geschäftsleben. Die USA brachten nach dem Einmarsch die Bankiers wieder an die Macht. Noriegas Verwicklung in den Drogenhandel war, verglichen mit der ihren, geringfügig. Der Drogenhandel war dort schon immer in erster Linie eine Sache der Banken - das Bankensystem ist praktisch ungeregelt und damit ein natürlicher Ablauf für kriminelles Geld. Das war schon immer die Grundlage für Panamas höchst künstliche Wirtschaft und ist es - vielleicht auf höherem Niveau - auch nach dem Einmarsch geblieben. Auch die panamaischen Verteidigungskräfte sind mit praktisch denselben Offizieren wiederhergestellt. Ganz allgemein ist alles so ziemlich, wie es war, bloss sind die Stellen mit zuverlässigeren Dienern besetzt. (Das gleiche gilt von Grenada, das seit der Invasion der USA zu einem wichtigen Ort der Drogengeldwäscherei geworden ist. Auch Nicaragua ist seit dem Sieg Washingtons in den Wahlen von 1990 zu einem bedeutenden Kanal für Drogen zum US-Markt geworden. Das Muster bleibt unverändert - ebenso die Blindheit ihm gegenüber.
Südost-Asien impfen Die Kriege der USA in Indochina folgen demselben allgemeinen Muster. Schon 1948 hatte das Aussenministerium klar erkannt, dass der Viet Minh, die von Ho Chi Minh geführte Widerstandsbewegung gegen Frankreich, die Nationalbewegung. Vietnams sei. Aber dieser Viet Minh trat die Führung nicht an die ortsansässige Oligarchie ab. Er begünstigte eine unabhängige Entwicklung und überging die Interessen ausländischer Investoren. Man befürchtete, der Viet Minh könnte Erfolg haben, und dann werde sich «die Fäulnis ausbreiten» und das «Virus» werde die ganze Region «infizieren», um die Sprache der Planer zu übernehmen, die sie jahrein jahraus verwendeten. (Ausser ein paar Verrückten und Ahnungslosen fürchtete niemand eine Eroberung - man fürchtete das gute Beispiel erfolgreicher Entwicklung.) Was tut man gegen ein Virus? Zuerst vertilgt man es, dann impft man mögliche Empfänger, damit sich die Krankheit nicht ausbreitet. Das ist im Grunde die Strategie der USA in der Dritten Welt. Wenn möglich, ist es ratsam, die Austilgung des Virus der örtlichen Armee zu überlassen. Falls sie es nicht schafft, muss man die eigenen Streitkräfte in Bewegung setzen. Das ist kostspieliger, und es macht sich nicht gut, aber manchmal muss es sein. Vietnam war einer jener Orte, wo es sein musste. Bis in die späten 1960er Jahre blockierten die USA alle Versuche zu einer politischen Beilegung des Konflikts, selbst wenn sie von den Saigoner Generälen ausgingen. Bei einer politischen Regelung könnte es ja einen Fortschritt zu erfolgreicher Entwicklung ohne unseren Einfluss geben - eine unannehmbare Aussicht.
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Statt dessen richteten wir in Süd-Vietnam einen typischen Terrorstaat im lateinamerikanischen Stil ein, verkehrten die einzigen freien Wahlen in der Geschichte von Laos in ihr Gegenteil, weil die falsche Seite gewann, und blockierten Wahlen in Vietnam, weil es offensichtlich war, dass auch dort die falsche Seite gewinnen würde. Die Kennedy-Administration steigerte den Angriff auf Süd-Vietnam von massivem Staatsterror zu ausgesprochener Aggression. Johnson sandte ein riesiges Expeditionsheer und dehnte den Krieg auf ganz Indochina aus. Das vernichtete das Virus in der Tat - Indochina wird Glück gehabt haben, wenn es sich im Verlauf von hundert Jahren erholt. Während die Vereinigten Staaten in Vietnam die Seuche unabhängiger Entwicklung an der Quelle ausrotteten, verhinderten sie auch deren Ausbreitung, indem sie 1965 Suhartos Machtübernahme in Indonesien unterstützten, 1972 den Sturz der Demokratie auf den Philippinen durch Ferdinand Marcos schützten, das Kriegsrecht in Süd-Korea und in Thailand förderten und so fort. Suhartos Staatsstreich von 1965 in Indonesien war dem Westen besonders willkommen, denn er zerstörte dort die einzige politische Partei, die eine Masse hinter sich hatte. Er brachte ein Niedermetzeln von 700 000 Menschen in wenigen Monaten, meist landlosen Bauern - «ein Lichtschimmer aus Asien», wie der führende Denker der New York Times, James Reston, jubelte, wobei er seinen Lesern versicherte;, die USA hätten Anteil an diesem Triumph. Der Westen war sehr erfreut, mit Indonesiens neuem Führer, General Suharto, ins Geschäft zu kommen, den der Christian Science Monitor als «gemässigt» charakterisierte, nachdem sich der General einen Teil des Blutes von den Händen gewischt hatte - inzwischen hat er freilich Hunderttausende von Leichen in Ost-Timor und anderswo seiner Rechnung hinzugefügt. Dieser spektakuläre Massenmörder sei «von Herzen gutmütig», versichert uns der angesehene Londoner Economist - womit er zweifellos dessen Haltung gegenüber westlichen Gesellschaften beschreibt. Seit dem Ende des Vietnamkrieges 1975 ist es das Hauptziel der US-Politik, Unterdrückung und Leiden der durch unsere Gewalt verwüsteten Länder zu vermehren. Das Mass der Grausamkeit ist ganz erstaunlich. Als die Mennoniten Bleistifte nach Kambodscha senden wollten, versuchte das Aussenministerium, es zu verhindern. Als Oxfam zehn Solarpumpen liefern wollte, erfolgte dieselbe Reaktion. Das gleiche geschah, als religiöse Gruppen nach Laos Schaufeln schicken wollten, um einige der Blindgänger auszugraben, die von der amerikanischen Bombardierung zurückgeblieben waren. Als Indien hundert Wasserbüffel nach Vietnam exportieren wollte, um die riesigen Herden zu ersetzen, die in den amerikanischen Angriffen zerstört worden waren - und man bedenke, in diesem primitiven Land bedeutet der Wasserbüffel Dünger, Traktor, Überleben -, da drohten die Vereinigten Staaten, die «Brot für Frieden»-Hilfe zu streichen. (Orwell würde diesen Zug geschätzt haben.) Für Washingtoner Sadisten ist kein Mass an Grausamkeit zu gross. Die gebildeten Schichten wissen genug und schauen weg. Um Vietnam auszubluten, haben wir indirekt, durch unsere Verbündeten China und Thailand, die Roten Khmer unterstützt. Die Kambodschaner müssen mit ihrem Blut dafür bezahlen, dass wir eine Erholung Vietnams zuverlässig verhindern können. Die Vietnamesen müssen für ihren Widerstand gegen US-Gewalt bestraft werden. Entgegen allem, was praktisch jeder - links oder rechts - behauptet, haben die Vereinigten Staaten ihr Hauptziel in Indochina erreicht: Vietnam ist zerstört. Es besteht keine Gefahr, dass dort eine erfolgreiche Entwicklung für andere Nationen der Region ein Modell abgeben wird. Selbstverständlich war es kein totaler Sieg für die USA. Unser Fernziel war die Einverleibung von Indochina in das globale, von den USA beherrschte) System. Das ist noch nicht erreicht. Aber unser erstes Ziel - das entscheidende, worauf es wirklich ankam - war, das Virus zu zerstören und das ist uns gelungen. Vietnam ist ein Arm-und-Beinamputierter, und die USA tun, was sie können, damit es dabei bleibt. Im Oktober 1991 haben die USA wieder einmal die strengen Einsprachen ihrer Verbündeten in Europa und Japan missachtet und das Embargo und die Sanktionen
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gegen Vietnam erneuert. Die Dritte Welt muss endlich lernen, dass keiner aufmucken darf. Unnachgiebig wird der globale Zwingherr den verfolgen, der dieses unsägliche Verbrechen begeht.
Der Golfkrieg Der Golfkrieg illustriert dieselben Leitsätze, wie wir klar erkennen, wenn wir den Schleier der Propaganda lüften. Als Irak im August 1990 in Kuwait einfiel, verurteilte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Irak sofort und auferlegte ihm strenge Sanktionen. Warum kam die Antwort der UNO so rasch und so bestimmt wie nie zuvor? Die vereinten Regierungsmedien der USA hatten die übliche Antwort bereit. Erstens, so sagte man uns, sei Iraks Aggression ein einzigartiges Verbrechen und verdiene daher eine einzigartig scharfe Antwort. «Amerika steht dort, wo es immer gestanden hat - gegen Aggression, gegen jene, die Gewalt an die Stelle von Recht setzen möchten» - so belehrte uns Präsident Bush, der in Panama einmarschiert und das einzige Staatsoberhaupt ist, das der Weltgerichtshof wegen «ungesetzlichen Einsatzes von Streitkräften» verurteilt hat (anlässlich des Angriffs der USA auf Nicaragua). Die Medien und die Gebildeten wiederholten pflichtschuldig die Zeilen, die ihnen der Führer vorbuchstabierte, und erstarrten in Ehrfurcht vor der Grossartigkeit seiner hehren Grundsätze. Zweitens beteten uns dieselben Autoritäten vor, dass die UNO nun eben endlich so funktioniere, wie es geplant gewesen sei. Sie behaupteten, das sei vor dem Ende des Kalten Krieges nicht möglich gewesen, als sowjetische Spaltung und schrille anti-westliche Rhetorik der Dritten Welt die UNO gelähmt hätten. Keine dieser Behauptungen kann auch nur einem Augenblick des Überlegens standhalten. Weder die USA noch irgendein anderer Staat vertraten am Golf irgendwelche hehren Grundsätze. Der Grund für die beispiellose Antwort an Saddam Hussein war nicht seine brutale Aggression - vielmehr war er den Falschen auf die Zehen getreten. Saddam Hussein ist ein Mörder und Gangster - genau wie vor dem Golfkrieg, als er noch unser Freund und begünstigter Handelspartner war. Bestimmt war sein Einmarsch in Kuwait eine Greueltat, aber durchaus im Rahmen vieler ähnlicher Verbrechen unter der Führung der USA und ihrer Verbündeten und nicht annähernd so schrecklich wie einige darunter. Zum Beispiel erreichte die Invasion und der Anschluss Ost-Timors durch Indonesien fast Völkermord-Dimensionen, dank der entscheidenden Unterstützung durch die USA und ihre Verbündeten. Vielleicht ein Viertel der Bevölkerung von 700 000 wurde getötet, ein Gemetzel, das - gemessen an der Bevölkerungszahl - jenes des Pol Pot im selben Jahr überstieg. Unser damaliger Gesandter bei der UNO (jetzt Senator für New York), Daniel Moynihan, hat seine Leistung bei der UNO betreffend Ost-Timor folgendermassen dargelegt: «Die Vereinigten Staaten wünschten sich, die Dinge möchten so herauskommen, wie sie es getan haben, und wirkten daraufhin. Das Aussenministerium wünschte, dass sich die UNO in allen Massnahmen, die sie ergriff, als völlig untauglich erweise. Diese Aufgabe wurde mir übertragen, und ich habe sie mit nicht unbeträchtlichem Erfolg vorangetrieben.» Der australische Aussenminister rechtfertigte das Stillhalten seines Landes gegenüber der Invasion und Annexion Ost-Timors (und Australiens Teilnahme an der Seite Indonesiens beim Raubzug auf Timors reiche Ölreser-ven), indem er schlicht feststellte: «Die Welt ist eine ziemlich ungerechte Gegend, übersät mit Beispielen gewalttätiger Aneignungen.» Als dagegen Irak in Kuwait einfiel, erliess seine Regierung eine weithinhallende Erklärung: «Grosse Länder können nicht kleine Nachbarn überfallen und ungestraft davonkommen.» Kein Gipfel von Zynismus vermag den Gleichmut westlicher Moralisten zu trüben.
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Was das prompte und planmässige Funktionieren der UNO betrifft, so sind die Tatsachen klar - aber vollständig verdeckt durch die Hüter politischer Korrektheit, die mit eiserner Hand die Ausdrucksmittel regeln. Jahrelang wurde die UNO von den Grossmächten blockiert, in erster Linie von den Vereinigten Staaten - nicht der Sowjetunion oder der Dritten Welt. Seit 1970 haben die Vereinigten Staaten weit mehr Vetos gegen Resolutionen des Sicherheitsrates eingelegt als irgendein anderes Land (Grossbritannien folgt an zweiter Stelle, Frankreich mit Abstand an dritter und die Sowjetunion an vierter). In der Hauptversammlung halten wir einen ähnlichen Rekord. Und die «schrille anti-westliche Rhetorik» der Dritten Welt erweist sich meist als ein Aufruf, sich ans internationale Recht zu halten, eine erbärmlich schwache Schranke gegen die Raubzüge der Mächtigen. Die UNO war in der Lage, auf Iraks Aggression zu reagieren, weil es - für einmal - die Vereinigten Staaten zuliessen. Die beispiellose Strenge der UNO-Sanktionen war das Ergebnis von intensivem Druck und Drohungen der USA. Die Sanktionen hatten ungewöhnlich gute Aussichten, etwas zu bewirken, sowohl wegen ihrer Strenge, als auch darum, weil die üblichen Sanktionenbrecher - die Vereinigten Staaten, Grossbritannien und Frankreich - sie zur Abwechslung einmal eingehalten hätten. Doch sogar nachdem sie Sanktionen stattgegeben hatten, gingen die USA sofort weiter und hintertrieben die diplomatischen Möglichkeiten, indem sie ein riesiges militärisches Aufgebot an den Golf schickten; die Briten schlossen sich an; die Familiendiktaturen, welche die Ölstaaten am Golf regieren, gaben Rückendeckung; andere beteiligten sich nur nominell. Eine kleinere Truppe zur Abschreckung hätte lange genug an Ort bleiben können, bis die Sanktionen eine spürbare Wirkung gezeitigt hätten; eine Armee von einer halben Million konnte das nicht. Der rasche militärische Aufbau sollte die Gefahr abwenden, dass Irak hätte mit friedlichen Mitteln aus Kuwait vertrieben werden können. Warum war eine diplomatische Lösung so wenig anziehend? Innerhalb weniger Wochen nach der Invasion Kuwaits am 2. August wurden die groben Umrisse einer möglichen politischen Beilegung klar. Die Resolution 660 des Sicherheitsrates, die Iraks Rückzug aus Kuwait forderte, verlangte auch gleichzeitige Verhandlungen über Grenzprobleme. Mitte August erwog der Nationale Sicherheitsrat einen Vorschlag Iraks, sich aus Kuwait zurückzuziehen in diesem Zusammenhang. Es scheint um zwei Dinge gegangen zu sein: erstens um einen Zugang Iraks zum Golf, was eine Pacht oder eine andere Verfügungsgewalt über zwei unbewohnte Schlammebenen bedeutet hätte, die Grossbritannien bei seiner imperialen Regelung Kuwait zugeschrieben hatte (womit Irak praktisch vom Meer abgeschnitten wurde); zweitens um die Schlichtung eines Streits über ein Ölfeld, das sich über eine ungewisse Grenze zwei Meilen nach Kuwait hinein erstreckte. Die USA verwarfen den Vorschlag oder irgendwelche Verhandlungen glatt. Am 22. August berichteten die New York Times, ohne die Tatsachen über die Initiative Iraks zu enthüllen (die sie anscheinend kannten), dass die Bush-Administration entschlossen sei, den «diplomatischen Weg» zu blockieren, aus Furcht, er könnte auf eben diese Weise «die Krise entschärfen». (Die Tatsachen veröffentlichte eine Woche später die Tageszeitung von Long Island, Newsday, aber die Medien schwiegen sich weitgehend darüber aus.) Das letzte bekannte offizielle Angebot vor der Bombardierung, datiert vom 2. Januar 1991, forderte den totalen Rückzug Iraks aus Kuwait. Es enthielt keinerlei Aussagen über Grenzen, stand aber im Zusammenhang mit ungenannten Abmachungen über andere, «verwandte» Probleme: Massenvernichtungswaffen in der Region und den israelisch-arabischen Konflikt. Zu diesen Problemen gehört Israels rechtswidrige Besetzung des Südlibanons, in Verletzung der Resolution 425 des Sicherheitsrates vom März 1978, die den sofortigen und bedingungslosen Rückzug aus dem besetzten Gebiet forderte. Die USA antworteten, dass es darüber keine diplomatischen Verhandlungen geben werde. Die Medien verschwiegen die Fakten, abgesehen von Newsday, während sie Bushs hehre Grundsätze priesen. Die USA weigerten sich, die «verwandten» Probleme in Erwägung zu ziehen, denn sie waren gegen jede Diplomatie in all den «verwandten» Problemen. Das war klargemacht worden schon Monate,
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bevor Irak in Kuwait einfiel, als nämlich die USA ein irakisches Verhandlungsangebot über Massenzerstörungswaffen ablehnten. In diesem Angebot schlug Irak vor, alle chemischen und biologischen Waffen zu vernichten, falls andere Länder der Region ihre Massenzerstörungswaffen ebenfalls vernichteten. Damals war Saddam Hussein Bushs Freund und Verbündeter, weswegen er eine Antwort erhielt, und die war aufschlussreich. Washington sagte, es begrüsse Iraks Vorschlag, seine eigenen Waffen zu zerstören, wünsche das aber nicht mit «andern Problemen oder Waffensystemen» zu verknüpfen. Von «andern Waffensystemen» war gar nicht die Rede gewesen, und das mit gutem Grund. Nicht nur darf Israel chemische und biologische Waffen besitzen - es ist auch das einzige Land im Mittleren Osten mit Kernwaffen (wahrscheinlich etwa 200). Aber «israelische Kernwaffen» ist ein Wort, das von keiner offiziellen US-Regierungsstelle geschrieben oder geäussert werden kann. Das Wort würde sofort die Frage aufwerfen, warum alle Hilfe an Israel nicht ungesetzlich sei, wo doch das Gesetz über Auslandhilfe von 1977 Zuwendungen an jedes Land verbietet, das insgeheim Kernwaffen entwickelt. Ganz unabhängig von der irakischen Invasion hatten die USA schon immer jeden «Friedensprozess» im Mittleren Osten blockiert, der eine internationale Konferenz und die Anerkennung eines Rechts der Palästinenser auf Selbstbestimmung einschloss. Mit dieser Haltung befinden sich die USA schon seit zwanzig Jahren praktisch allein. UNO-Abstimmungen spiegeln jährlich das übliche Muster: so auch wieder im Dezember 1990, mitten in der Golf-Krise, als der Ruf nach einer internationalen Konferenz 144 Stimmen gegen 2 (USA und Israel) gewann. Das hatte mit Irak und Kuwait nichts zu tun. Ebenso lehnten es die USA eisern ab, eine Korrektur der irakischen Aggression mit den friedlichen Mitteln zuzulassen, die das internationale Recht vorschreibt. Statt dessen zogen sie es vor, Diplomatie zu vermeiden und den Konflikt auf die Arena der Gewalt zu beschränken, wo eine Supermacht, der keine Abschreckungswaffen gegenüberstehen, einem Gegner aus der Dritten Welt überlegen sein muss. Wie bereits erörtert, führen die USA regelmässig Aggressionen durch oder unterstützen sie, selbst in weit verbrecherischeren Fällen als Iraks Invasion von Kuwait. Nur der ergebenste Kommissar kann solche Tatsachen verkennen oder auch die Tatsache, dass die USA zu «Verknüpfungen» sehr gern bereit sind, wo der seltene Fall eintritt, dass die USA einmal der illegalen Handlung eines Klienten oder Verbündeten entgegentreten. Nehmen wir die Besetzung Namibias durch Südafrika, die der Weltrat und die UNO in den 1960er Jahren für illegal erklärten. Die USA verfolgten jahrelang «Diplomatie im stillen» und «einen konstruktiven Einsatz», indem sie eine Regelung aushandelten, die Südafrika für seine Aggression und seine Greueltaten reich belohnte (u. a. mit Namibias grossem Hafen), samt «Verknüpfungen» bis in die Karibik und willkommenen Vorteilen für internationale Geschäftsinteressen. Die kubanischen Streitkräfte, die Namibias Nachbarn Angola gegen südafrikanische Angriffe verteidigt hatten, wurden zurückgezogen. So ziemlich gleich wie in Nicaragua nach dem «Friedensübereinkommen» von 1987, fuhren die USA fort, die von den USA und ihren Verbündeten (Südafrika und Zaire) unterstützte Terroristenarmee zu beliefern, und sie bereiteten den Boden vor für eine «demokratische Wahl» im Stile von Nicaragua 1992, wo die Leute, für den Fall, dass sie falsch wählen, unter der Androhung wirtschaftlicher Strangulation und terroristischer Angriffe zur Urne gehen. Unterdessen plünderte und zerstörte Südafrika Namibia und benützte es als Stützpunkt für Gewaltaktionen gegen dessen Nachbarn. Allein in den Reagan-Bush-Jahren (1980 - 1988) führte südafrikanische Gewalt zu Schäden in der Höhe von etwa 60 Milliarden Dollar und zu über anderthalb Millionen Tote in den Nachbarländern (ohne Namibia und Südafrika). Aber die Klasse der Kommissare war ausserstande, diese Tatsachen zu sehen, und pries George Bushs erstaunliche Prinzipientreue, wenn er alle «Verknüpfungen» ablehnte - wenn jemand uns auf die Zehen tritt. Allgemeiner gesprochen, bedeutet die Ablehnung von «Verknüpfungen» soviel wie den Verzicht auf Diplomatie, welche stets weitere Probleme einbezieht. Im Falle Kuwaits war die Position der USA besonders fadenscheinig. Nachdem Saddam Hussein ausser Rand und Band geraten war, bestand die
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Bush-Administration darauf, dass Iraks Aggressionspotential ausgeschaltet werde (eine richtige Stellungnahme, im Gegensatz zur früheren Unterstützung von Saddams Aggression und Greueltaten), und rief nach einer regionalen Regelung, die Sicherheit gewährleisten würde. Nun, eben das heisst, Probleme «verknüpfen». Es ist eine schlichte Tatsache, dass die USA befürchteten, Diplomatie könne «die Krise entschärfen», und daher blockierten sie diplomatische «Verknüpfungen» an jeder Wegwende während der Kriegsvorbereitungen. Indem sie Diplomatie ablehnten, erreichten die USA ihre Hauptziele am Golf. Wir waren dafür besorgt, dass die unvergleichlichen Energievorräte des Mittleren Ostens von uns kontrolliert blieben und dass die riesigen Profite, die sie bringen, die Volkswirtschaften der USA und ihres britischen Klienten stützen. Auch verstärkten die USA ihre beherrschende Stellung und lehrten die Welt, sie werde von Macht regiert. Als diese Ziele erreicht waren, gingen sie daran, «Stabilität» herzustellen, indem sie jeder Gefahr einer demokratischen Änderung in den Tyranneien am Golf den Riegel stiessen und Saddam Hussein stillschweigend Unterstützung liehen, als er die Volksaufstände der Schiiten im Süden unterdrückte - nur wenige Meilen von den US-Stellungen entfernt - und dann die Kurden im Norden. Aber noch hatte die Bush-Administration nicht erreicht, was ihr Sprecher in der New York Times, der Chefkorrespondent für Diplomatie, Thomas Friedman, «die beste aller Welten» nennt: «eine irakische Junta ohne Saddam Hussein, aber mit eiserner Faust». Damit würden, so schreibt Friedman, jene glücklichen Tage zurückkehren, als «Saddams eiserne Faust den Irak zusammenhielt, zur vollen Zufriedenheit der amerikanischen Bündnispartner Türkei und Saudi-Arabien», nicht zu reden vom Herrn und Meister in Washington. Die derzeitige Lage am Golf spiegelt die Prioritäten der Supermacht, die alle Karten in der Hand hält - eine andere Binsenwahrheit, die allen Glaubenshütern verborgen bleiben muss.
Die Iran/Contra-Vertuschung Die wichtigen Elemente der Iran/Contra-Affäre waren lange vor den Enthüllungen von 1986 wohlbekannt - ausgenommen ein einziger Umstand: dass der Waffenverkauf an Iran über Israel und der illegale Contra-Krieg, der aus dem Büro Ollie Norths im Weissen Haus gesteuert wurde, zusammenhingen. Die Verschiffung von Waffen durch Israel nach Iran begann nicht erst 1985, wo die Untersuchung durch den Kongress und den speziellen Staatsanwalt die Geschichte aufnahm. Sie begann fast unmittelbar nach dem Sturz des Schahs, 1979. 1982 war schon allgemein bekannt, dass einen grossen Teil der Waffen für Iran Israel lieferte - es stand auf der Titelseite der New York Times zu lesen. Im Februar 1982 erschienen die wichtigsten Israeli-Persönlichkeiten, deren Namen auch später wieder in den Iran/Contra-Verhören vorkamen, im BBC-Fernsehen und beschrieben, wie sie einen Lufttransport von Waffen an das Chomeini-Regime hatten organisieren helfen. Im Oktober 1982 stellte der Gesandte Israels an die USA öffentlich fest, dass Israel Waffen an das Chomeini-Regime schicke, «unter Mitwirkung der Vereinigten Staaten ... auf beinahe höchster Ebene». Die beteiligten hohen israelischen Beamten nannten auch die Gründe: um Beziehungen herzustellen zu Militärkreisen in Iran, die das Regime vielleicht stürzen und die Übereinkommen wiederherstellen könnten, die unter dem Schah bestanden hatten - das übliche operative Vorgehen. Was den Contra-Krieg betrifft, so waren die grundlegenden Tatsachen der illegalen North-CIAOperationen schon 1985 bekannt (über ein Jahr bevor die Geschichte aufgedeckt wurde, als ein USFrachtflugzeug abgeschossen und ein US-Agent, Eugene Hasenfus, gefangengenommen wurde). Die Medien zogen es einfach vor, nicht hinzusehen. Was also erzeugte dann schliesslich den Iran/Contra-Skandal? Der Augenblick kam, wo es einfach nicht mehr möglich war, ihn noch länger zu verbergen. Als Hasenfus in Nicaragua abgeschossen
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wurde, während er im Auftrag des CIA die Contras mit Waffen belieferte, und als die libanesische Presse berichtete, dass der US-Berater für Nationale Sicherheit in Teheran Bibeln und Schokoladebiskuits verteile, liess sich die Geschichte einfach nicht mehr unter der Decke halten. Danach trat der Zusammenhang zwischen den zwei wohlbekannten Geschichten zutage. Wir kommen dann zur nächsten Phase: Schadenbegrenzung. Davon handelte die Fortsetzung.
Die Aussichten für Osteuropa An den Ereignissen in Osteuropa während der 1980er Jahre war so bemerkenswert, dass sich die imperiale Macht einfach zurückzog. Die UdSSR Hess Volksbewegungen nicht nur gewähren, sie ermutigte sie geradezu. Es gibt dafür wenige historische Präzedenzfälle. Das geschah nicht, weil die Sowjets so nette Leute sind, - sie wurden von inneren Nöten getrieben. Aber es ist geschehen, und infolgedessen bekamen die Volksbewegungen Osteuropas nicht entfernt mit Dingen zu tun, die ihnen in unserem Einflussbereich geblüht hätten. Das Tagebuch der salvadorianischen Jesuiten weist ganz richtig daraufhin, dass in ihrem Land ein Vaclav Havel (der politische Gefangene, der Präsident der Tschechoslowakei wurde) nicht wäre eingekerkert worden - es hätte sehr wohl sein können, dass er in Stücke gehackt und irgendwo am Strassenrand wäre liegengelassen worden. Die UdSSR entschuldigten sich sogar für ihren Einsatz von Gewalt in der Vergangenheit - und auch das war ohne Beispiel. Daraus dass Russen zugeben, die Invasion Afghanistans sei ein Verbrechen gegen das internationale Recht gewesen, folgerten Zeitungen in den USA, dass sich jene endlich der zivilisierten Welt anschlössen. Diese Reaktion ist interessant. Man stelle sich vor, jemand schlage in den US-Medien vor, die Vereinigten Staaten sollten versuchen, sich auf die moralische Höhe des Kremls hinaufzuschwingen, und einräumen, dass die Angriffe gegen Vietnam, Laos und Kambodscha internationales Recht verletzt hätten. Das einzige Land in Osteuropa, wo Gewalt auf breiter Front ausbrach, als die Tyranneien zusammenbrachen, war ausgerechnet jenes, wo die Sowjets am wenigsten Einfluss hatten und wir am meisten: Rumänien. Nicolai Ceau-sescu, der rumänische Diktator, hatte England besucht und war mit königlichen Ehren empfangen worden. Die Vereinigten Staaten behandelten ihn als Vertreter einer befreundeten Nation mit Handelsvergünstigungen und dergleichen. Damals war Ceausescu genauso brutal und verrückt wie später, aber weil er sich weitgehend aus dem Warschauer Pakt zurückgezogen hatte und einem etwas unabhängigen Kurs folgte, fanden wir, er befinde sich im internationalen Ringen teilweise auf unserer Seite. (Wir sind für Unabhängigkeit, solange sie sich in den Herrschaftsbereichen anderer Leute meldet und nicht in unserem eigenen.) Anderswo in Osteuropa verliefen die Aufstände bemerkenswert friedlich. Unterdrückung kam vor, aber historisch gesehen, war 1989 einzigartig. Mir fällt kein zweiter Fall ein, der vergleichbar wäre. Ich glaube, die Aussichten für Osteuropa sind recht trüb. Der Westen hat einen Plan - er will grosse Teile davon zu einem neuen, leicht auszubeutenden Teil der Dritten Welt machen. Zwischen West- und Osteuropa hat einmal eine Art von kolonialem Verhältnis bestanden; dass die Russen dieses Verhältnis blockierten, war ja doch einer der Gründe für den Kalten Krieg. Jetzt wird es wiederhergestellt, und es gibt einen ernsthaften Konflikt darum, wer das Wettrennen um Räuberei und Ausbeutung gewinnt. Wird es das von Deutschland angeführte Westeuropa sein (gegenwärtig in Führung) oder Japan (das in den Kulissen abwartet, um zu sehen, wie sehr es sich lohnt) oder die Vereinigten Staaten (die versuchen, sich zu beteiligen)? Es gibt da viele Rohstoffe einzuheimsen und eine Menge billige Arbeitskräfte für Montagewerke. Aber zunächst müssen wir ihnen das kapitalistische Modell auferlegen. Für uns selbst akzeptieren wir es freilich nicht - aber in der Dritten Welt bestehen wir darauf. Es ist das System des IWF. Wenn es
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uns gelingt, sie zu dessen Annahme zu bewegen, werden sie sehr leicht ausbeutbar und bewegen sich ihrer neuen Rolle entgegen, als eine Art Brasilien oder Mexiko. Osteuropa ist in vielerlei Hinsicht für Investoren attraktiver als Lateinamerika. Einer der Gründe ist der, dass die Bevölkerung weiss und blauäugig ist und daher für Investoren, die aus zutiefst rassistischen Gesellschaften wie denen Westeuropas und der Vereinigten Staaten stammen, leichter zu behandeln. Wichtiger ist, dass Osteuropa einen viel höheren Standard der Volksgesundheit und der Schulung geniesst als Lateinamerika - das, abgesehen von Inseln privilegierten Wohlstands, ein katastrophaler Weltteil ist. Eine der wenigen Ausnahmen ist in dieser Hinsicht Kuba, das im Gesundheits- und Schulwesen westliche Massstäbe erreicht - aber seine Aussichten sind sehr düster. Einer der Gründe für diese Ungleichheit zwischen Osteuropa und Lateinamerika ist das weit höhere Mass an Staatsterror hier, nachdem die Stalin-Jahre vorüber sind. Ein zweiter Grund ist die Wirtschaftspolitik. Dem US-Nachrichtendienst zufolge hat die Sowjetunion in den 1970er Jahren etwa 80 Milliarden Dollar nach Osteuropa fliessen lassen. Ganz anders war die Situation in Lateinamerika. Zwischen 1982 und 1987 wurden etwa 150 Milliarden Dollar aus Lateinamerika in den Westen verschoben. Die New York Times zitierten Schätzungen, wonach «versteckte Transaktionen» (darunter Drogengelder, illegale Profite usw.) im 700-Milliarden-Bereich liegen könnten. In Mittelamerika sind die Auswirkungen besonders schrecklich, aber gleiches gilt für ganz Lateinamerika - es herrschen galoppierende Armut, Unterernährung, Kindersterblichkeit, Umweltzerstörung, Staatsterror und ein Zurückfallen des Lebensstandards um Jahrzehnte. In Afrika ist die Lage noch ärger. Besonders ernst war die Katastrophe des Kapitalismus in den 1980er Jahren: ein «unablässiger Alpdruck» in den Domänen der Westmächte, nach den zutreffenden Worten des Haupts der Organisation für Afrikanische Einheit. Die Weltgesundheits-Organisation schätzt, dass jährlich elf Millionen Kinder in der «Entwicklungswelt» sterben, ein «verschwiegener Genozid», der rasch ein Ende fände, wenn die vorhandenen Mittel den Bedürfnissen der Menschen zugeführt würden statt der Bereicherung einiger weniger. In einer weltweiten Wirtschaft, die im Interesse und für die Bedürfnisse internationaler Gesellschaften und Finanzen sowie der ihnen zudienenden Sektoren geplant wird, werden die meisten Angehörigen der Spezies überflüssig. Sie werden einfach beiseitegeschoben, wenn die Institutionen und Strukturen der Macht und der Bevorrechteten ohne Kampfansage oder Kontrolle durch das Volk funktionieren.
Der Berufskiller der Welt Während des grössten Teils dieses Jahrhunderts waren die Vereinigten Staaten die weitaus überlegene Wirtschaftsmacht der Welt, und das machte den Wirtschaftskrieg zu einer reizvollen Waffe, einschliesslich Massnahmen, die vom illegalen Embargo bis zur erzwungenen Durchsetzung von IWFRegeln (für die Schwachen) reichten. Aber in den letzten ungefähr zwanzig Jahren sinkt der Stern der USA im Vergleich zu Japan und zu dem von Deutschland angeführten Europa (teilweise dank der Misswirtschaft der Reagan-Administration, welche den Reichen ein Fest bereitete - auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung und künftiger Generationen). Doch gleichzeitig gewann die militärische Macht der USA die absolute Vorherrschaft. Solange die Sowjetunion mitspielte, war dem Einsatz von Machtmitteln durch die USA eine Grenze gesetzt, besonders in fernen Gegenden, wo unsere konventionellen Streitkräfte nicht stark überlegen waren. Weil die UdSSR Regierungen und politische Bewegungen zu unterstützen pflegten, die von den USA mit Zerstörung bedroht wurden, bestand die Gefahr, dass eine Intervention der USA in der Dritten Welt in einen Krieg mit Kernwaffen explodieren werde. Nachdem die sowjetische Abschreckung nicht mehr besteht, sind die USA im Einsatz von Gewalt rund um die Welt viel freier, eine Tatsache, die seit einigen Jahren von politischen Beobachtern in den USA mit grosser Genugtuung zur Kenntnis genommen wird.
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In einer Konfrontation versucht jeder Teilnehmer den Kampf auf ein Gebiet zu verlegen, wo er die besten Gewinnchancen hat. Jeder will mit seiner Stärke führen, will seine Trumpfkarte ausspielen. Die Trumpfkarte der Vereinigten Staaten ist Macht - wenn wir also den Grundsatz «Macht regiert die Welt» durchsetzen können, bedeutet das für uns Sieg. Wenn anderseits ein Konflikt mit friedlichen Mitteln beigelegt wird, hilft uns das weniger, weil unsere Rivalen auf diesem Gebiet ebenso gut oder besser sind. Diplomatie ist eine besonders unwillkommene Möglichkeit - es sei denn unter einem Schirm von Waffen. Die USA finden sehr wenig Unterstützung für ihre Ziele in der Dritten Welt. Das überrascht nicht, da sie ja versuchen, Herrschafts- und Ausbeutungs-Strukturen aufzuerlegen. Eine diplomatische Regelung wird, mindestens bis zu einem gewissen Grad, auf die Interessen der andern Verhandlungsteilnehmer eingehen, und das wird zum Problem, wenn deine Einstellung nicht sehr beliebt ist. Infolgedessen versuchen die USA gewöhnlich, Verhandlungen zu vermeiden. Entgegen einer Menge Propaganda gilt das seit vielen Jahren in Südostasien, dem Mittleren Osten und Mittelamerika. Vor diesem Hintergrund ist es nur natürlich, dass die Bush-Administration Streitkräfte für ein wichtiges Werkzeug der Politik hält und sie Sanktionen und Diplomatie vorzieht (wie etwa in der Golfkrise). Da den USA jetzt aber die wirtschaftliche Grundlage fehlt, um in der Dritten Welt «Ordnung und Stabilität» herzustellen, müssen sie sich für die Bezahlung der Übung auf andere verlassen - einer notwendigen Übung, so wird weithin angenommen, da jemand für den gehörigen Respekt vor den Herren und Meistern zu sorgen habe. Die Gewinne, die aus der Ölproduktion am Golf strömen, helfen, aber Japan und das von Deutschland angeführte Europa haben auch ihr Teil beizusteuern, während die USA die «Söldnerrolle» übernehmen, wobei sie dem Rat der internationalen Presse der Geschäftswelt folgen. Der Finanz-Redakteur der konservativen Chicago Tribune äussert sich über diese Themen besonders klar. Wir müssen «willige Söldner» sein, die sich von ihren Rivalen für ihre zuvorkommenden Dienstleistungen bezahlen lassen, die ihr «Monopol» auf dem «Sicherheitsmarkt» dazu benützen, «unsere beherrschende Rolle im Weltwirtschaftssystem» aufrechtzuerhalten. «Wir sollten einen weltweiten Schutzmarkt aufziehen», rät er uns, und «Schutz» an andere, wohlhabende Mächte verkaufen, die uns dafür eine «Kriegsprämie» zahlen. Das ist Chicago, wie es leibt und lebt. Dort versteht man solche Worte: Ärgert dich jemand, ruft man der Mafia, die ihm die Knochen bricht. Und wenn deine Prämie überfällig wird, kann das deiner Gesundheit schaden. Gewiss, der Einsatz von Streitkräften zur Kontrolle der Dritten Welt ist nur ein allerletztes Mittel. Der IWF ist ein Werkzeug mit einem besseren Kosten-Nutzen-Verhältnis als die Marines und der CIA, falls er den Zweck erfüllt. Aber die «eiserne Faust» muss im Hintergrund in Stellung gehen und im Notfall zuschlagen können. Auch bei uns zu Hause verursacht diese Berufskiller-Rolle Leiden. Alle erfolgreichen Industriemächte verlassen sich auf den Staat, der sie schützt und heimische Wirtschaftsinteressen fördert, öffentliche Mittel den Bedürfnissen der Investoren zuführt und so weiter - einer der Gründe, warum sie erfolgreich sind. Seit 1950 verfolgen die USA diese Ziele weitgehend mit dem Pentagon-System (einschliesslich der NASA und dem Energie-Departement, welches Kernwaffen produziert). Wir sind jetzt nachgerade an diese Mittel gefesselt, um die Elektronik, das Computerwesen und High-TechIndustrien im allgemeinen in Gang zu halten. Reagansche militärisch-keynesianische_Exzesse brachten weitere Probleme. Die Übertragung von Ressourcen an reiche Minderheiten und andere Massnahmen der Regierung führten zu einer gewaltigen Woge finanzieller Manipulationen und zu einem Konsumrausch. Doch an produktiven Investitionen geschah wenig, und dem Land wurde ein Berg von Schulden aufgebürdet: Regierungs-, Unternehmens-, Haushaltsschulden, dazu die unberechenbare Last vernachlässigter sozialer Not, während die Gesellschaft dem Zustand eines Dritt-Welt-Landes entgegentreibt: Inseln grosser Reichtümer und Vorrechte in einem Meer von Elend und Leiden.
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Wenn sich ein Staat solcher Politik verschrieben hat, muss er einen Weg finden, die Bevölkerung abzulenken, sie daran zu hindern, dass sie sieht, was um sie herum vorgeht. Viele Wege, die dahin führen, gibt es nicht. Die gebräuchlichsten sind, Angst vor schrecklichen Feinden einzujagen, die drauf und dran sind, uns zu überwältigen, und Ehrfurcht vor unsern grossen Führern zu wecken, die uns fünf vor zwölf vor der Katastrophe retten. Diesem Muster folgte man in den 1980er Jahren, was nicht wenig Einfallsreichtum erforderte, da es immer schwieriger wurde, das Standard-Schreckgespenst, die sowjetische Gefahr, ernst zu nehmen. Also mussten als Bedrohungen unserer Existenz Kadhafi und seine Horden internationaler Terroristen herhalten, Grenada und sein unheilschwangerer Luftstützpunkt, Sandinisten, die in Texas einmarschierten, hispanische Drogenhändler, angeführt von dem erztobsüchtigen Noriega, und verrückt gewordene Araber im allgemeinen. Neuerdings war es Saddam Hussein, nachdem er im August 1990 sein einziges Verbrechen - das Verbrechen des Ungehorsams - begangen hatte. Es ist notwendiger denn je, zu erkennen, was schon immer gegolten hat: der erste Feind ist die Dritte Welt, wo sie aus dem Ruder zu laufen droht. Das sind keine Naturgesetze. Die Vorgänge und die Institutionen, von denen sie erzeugt werden, Hessen sich ändern. Doch das erforderte kulturelle, soziale und institutionelle Änderungen von nicht geringem Gewicht, einschliesslich demokratische Strukturen, die weit hinausgehen über das periodische Wählen von Vertretern der Geschäftswelt zur Regelung heimischer und internationaler Angelegenheiten.
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Gehirnwäsche zu Hause
Wie der Kalte Krieg funktionierte Allem So-Tun-Als-Ob zum Trotz ist nationale Sicherheit nicht die Hauptsorge der Planer und der gewählten Funktionäre der USA. Die historischen Dokumente beweisen das klar. Wenige ernsthafte Analytiker haben George Kennans Einstellung bestritten, dass «nicht die russische Militärmacht uns bedroht, sondern Russlands politische Macht» (Oktober 1947); oder Präsident Eisenhowers feststehende Ansicht, die Russen beabsichtigten keine militärische Eroberung Westeuropas und die Hauptaufgabe der NATO sei es, «den exponierten Bevölkerungen ein Gefühl der Zuversicht zu schenken, eine Zuversicht, die sie politisch, in ihrem Widerstand gegen kommunistische Übergriffe, kräftigen soll». Ähnlich verwarfen die USA Möglichkeiten zu einer friedlichen Beilegung des Kalten Krieges, die «die politische Gefahr» unverändert gelassen hätten. In seiner Geschichte der Kernwaffen schreibt McGeorge Bundy, er «kenne derzeit keinen ernsthaften Vorschlag ... , ballistische Missile irgendwie vertraglich zu untersagen, noch ehe sie in Stellung gebracht seien», obwohl diese doch die einzige mögliche militärische Gefahr für die USA waren. Immer war die «politische» Bedrohung durch den sogenannten «Kommunismus» die erste Sorge. (Man erinnere sich, dass «Kommunismus» ein weit gefasster Begriff ist, der alle einschliesst, die «imstande sind, Massenbewegungen zu steuern ... etwas, wofür uns jede Fähigkeit, es ihnen gleichzutun, abgeht», wie sich Aussenminister John Foster Dulles privat seinem Bruder Allen, dem CIA-Direktor gegenüber, beklagte. «Sie sprechen die Armen an», setzte er hinzu, «und die haben schon immer die Reichen ausplündern wollen.» Daher muss man ihnen den Stärkeren zeigen, um unsere Doktrin zu schützen, wonach umgekehrt die Reichen die Armen ausplündern sollen.) Selbstverständlich hätten es sowohl die USA wie die UdSSR vorgezogen, wenn der andere einfach verschwunden wäre. Da dies aber offensichtlich gegenseitige Vernichtung bedeutet hätte, wurde ein System globaler Verwaltung eingerichtet, bekannt unter dem Namen «Kalter Krieg». Nach der konventionellen Ansicht war der Kalte Krieg der Konflikt zweier Supermächte, verursacht durch sowjetische Aggressivität, worin wir versuchten, die Sowjetunion in Schranken zu halten und die Welt vor ihr zu schützen. Wenn diese Ansicht ein theologischer Lehrsatz ist, brauchen wir ihn nicht zu erörtern. Soll sie aber die Geschichte erhellen, können wir sie leicht überprüfen, indem wir uns an eine sehr einfache Regel halten: Wer den Kalten Krieg verstehen will, sollte die Ereignisse des Kalten Krieges ins Auge fassen. Dem, der das tut, zeigt sich ein ganz anderes Bild. Sowjetischerseits waren die Ereignisse des Kalten Krieges wiederholte Interventionen in Osteuropa: Panzer in Ost-Berlin, Budapest und Prag. Diese Interventionen fanden entlang der Route statt, die verwendet wurde, um allein in unserem Jahrhundert Russland dreimal anzugreifen und praktisch zu zerstören. Das einzige Beispiel einer Intervention abseits dieser Route war der Einmarsch in Afghanistan - immerhin in ein angrenzendes Land.
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Von Seiten der USA geschahen die Interventionen weltweit und spiegelten damit den Status, den die USA als erste wahrhaft globale Macht der Weltgeschichte erreicht hatten. An der Heimatfront verhalf der Kalte Krieg der Sowjetunion dazu, ihre militärisch-bürokratisch herrschende Klasse in deren Machtposition fest zu verankern, und er schenkte der USA einen Weg, ihre Bevölkerung zur Finanzierung von High-Tech-Industrien zu zwingen. Es ist nicht leicht, der eigenen Bevölkerung all das zu verkaufen. Der eingeschlagene Weg war der alte Dreh - Angst vor einem grossen Feind. Der Kalte Krieg lieferte auch diesen. Mag die Vorstellung, die Sowjetunion mit ihren «Fangarmen» ersticke den Westen, auch noch so weit hergeholt sein, das «Reich des Bösen» war tatsächlich böse, war ein Reich und war brutal. Jede der Supermächte beherrschte ihren ersten Feind - die eigene Bevölkerung -, indem sie ihn mit den (durchaus realen) Verbrechen der andern terrorisierte. In entscheidender Hinsicht war der Kalte Krieg also eine Art von stillschweigendem Übereinkommen zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten, unter welchem die USA ihre Kriege gegen die Dritte Welt führten und ihre Verbündeten in Europa lenkten, während die sowjetischen Herrscher ihr eigenes inneres Imperium und ihre Satelliten in Osteuropa mit eisernem Griff zusammenhielten indem jede Seite die andere benützte, um Unterdrückung und Gewalt im eigenen Bereich zu rechtfertigen. Warum also ging der Kalte Krieg zu Ende, und wie beeinflusste sein Ende den Lauf der Dinge? Bei wirtschaftlicher Stagnation und wachsendem Druck gegen die tyrannische Herrschaft sanken in den 1970er Jahren die sowjetischen Militärausgaben, und die inneren Probleme stiegen an. International nahm die sowjetische Macht eigentlich schon seit dreissig Jahren ab, wie eine Studie des Zentrums für Verteidigungs-Information 1980 zeigte. Einige Jahre später war das sowjetische System zusammengebrochen. Der Kalte Krieg endete mit dem Sieg des Gegners, der schon immer der bei weitem reichere und mächtigere gewesen war. Der sowjetische Zusammenbruch war nur ein Teil der allgemeinen Wirtschaftskatastrophe der 80er Jahre, die in den meisten Dritt-Welt-Gebieten des Westens einschneidender war als im sowjetischen Imperium. Wie wir gesehen haben, zeigte der Kalte Krieg kennzeichnende Züge des Nord-Süd-Konflikts (um den derzeit gebräuchlichen Euphemismus für die europäische Eroberung der Welt zu verwenden). Grosse Teile des Sowjetimperiums hatten zuvor in halb-kolonialer Abhängigkeit vom Westen existiert. Die Sowjetunion steuerte einen unabhängigen Kurs, stand den Zielen westlicher Angriffe bei und schreckte die schlimmste westliche Gewalt ab. Mit dem Zusammenbruch der sowjetischen Tyrannis ist zu erwarten, dass weite Gebiete in ihren herkömmlichen Zustand zurückkehren, wobei die ehemaligen höheren Stufen der Bürokratie die Rolle der Dritt-Welt-Eliten spielen, die sich bereichern, indem sie den Interessen fremder Investoren zudienen. Diese besondere Phase ist zwar vorüber, aber der Nord-Süd-Konflikt geht weiter. Die eine Seite mag nicht mehr mitspielen, aber die USA fährt fort wie zuvor - ja ungehinderter, da die sowjetische Abschreckung der Vergangenheit angehört. Niemand hätte überrascht sein sollen, als George Bush das symbolische Ende des Kalten Krieges, den Fall der Berliner Mauer, damit feierte, dass er sofort in Panama einmarschierte sowie laut und deutlich verkündete, die USA würden, falls «unsere Seite» nicht gewänne, die Wahlen in Nicaragua umstürzen durch Beibehaltung des wirtschaftlichen Würgegriffs und militärischer Angriffe. Auch bedurfte es keines besonders tiefen Einblicks, damit Elliott Abrams bemerken konnte, die USInvasion Panamas sei ungewöhnlich, weil sie sich ohne Furcht vor einer sowjetischen Vergeltung habe durchführen lassen, oder damit zahlreiche Kommentatoren während der Golfkrise beifügen konnten, die USA und Grossbritannien seien jetzt frei, gegen ihren Feind aus der Dritten Welt unbeschränkt Gewalt einzusetzen, da sie keine sowjetische Abschreckung mehr hindere. Selbstverständlich bringt das Ende des Kalten Krieges auch seine Probleme. Namentlich muss zur Lenkung der heimischen Bevölkerung eine neue Technik gefunden werden - ein Problem, das - wie wir sahen - schon in den 1980er Jahren erkannt wurde. Es müssen neue Feinde erfunden werden. Es wird schwieriger, die Tatsache zu verschleiern, dass der eigentliche Feind schon immer «die Armen»
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gewesen sind, «die trachten, die Reichen auszuplündern» - besonders Irrgläubige der Dritten Welt, die aus ihrer Dienstrolle auszubrechen versuchen.
Der Krieg gegen (gewisse) Drogen Ein Ersatz für das schwindende «Reich des Bösen» sind die Drogenhändler aus Lateinamerika. Früh im September 1989 startete der Präsident einen grösseren Blitzkrieg in den Regierungsmedien. In jenem Moment brachten die AP-Telegramme mehr Drogengeschichten als Nachrichten über Lateinamerika, Asien, den Mittleren Osten und Afrika zusammen. Am Fernsehen enthielt jede Nachrichtensendung einen grossen Abschnitt darüber, wie Drogen unsere Gesellschaft zerstörten und die grösste Bedrohung unserer Existenz mit sich brächten usw. Die Wirkung auf die öffentliche Meinung Hess nicht auf sich warten. Als Bush die 1988er Wahlen gewann, sagten die Leute, das grösste Problem für das Land sei das Budget-Defizit. Nur 3% nannten die Drogen. Nach dem Medien-Blitz waren die Sorge über das Budget weit abgesackt und die Drogen auf etwa 40 bis 45% angestiegen, was höchst ungewöhnlich ist für eine offene Frage (wo keine klaren Antworten nahegelegt werden). Wenn sich jetzt ein Vasallenstaat beschwert, die US-Regierung schicke nicht genug Geld, lautet die Antwort nicht «wir brauchen es, um die Russen in Schach zu halten», sondern «wir brauchen es, um den Drogenhandel zu stoppen». Wie die sowjetische Gefahr, liefert auch dieser Feind eine gute Entschuldigung für militärischen Druck, wo es Aufstände oder Unruhen gibt. So liefert «der Krieg gegen Drogen» international einen Deckmantel für Einmischung. Zu Hause hat er wenig mit Drogen zu tun, aber eine Menge mit der Ablenkung der Bevölkerung, mit vermehrter Unterdrückung in den Stadtkernen und mit dem Aufbau von Unterstützung für den Angriff auf bürgerliche Freiheiten. Das soll nicht heissen, dass «Stoffmissbrauch» kein ernstes Problem sei. Zur Zeit, da der Drogenkrieg in Gang gesetzt wurde, schätzte man die Todesfälle wegen Tabakkonsums auf etwa 300 000 im Jahr, jene wegen Alkohols auf vielleicht 100 000. Aber das sind nicht die Drogen, worauf die BushRegierung abzielt. Sie ging gegen ungesetzliche Drogen vor, die - nach amtlichen Zahlen - viel weniger Todesfälle verursachten - über 3500 im Jahr. Ein Grund, diese Drogen zu verfolgen, war, dass deren Konsum seit Jahren abnahm, so dass die Bush-Administration mit Sicherheit voraussagen konnte, ihr Drogenfeldzug werde «erfolgreich» sein. Die Administration nahm sich auch Marijuana zum Ziel, das unter seinen etwa 60 Millionen Verbrauchern bisher - soweit bekannt - keine Todesfälle verursacht hat. Tatsächlich hat die Massregelung das Drogenproblem verschärft - viele Marijuana-Konsumenten haben sich von dieser verhältnismässig harmlosen Droge gefährlicheren, wie Kokain, zugewandt, die leichter zu verstecken sind. Gerade als der Drogenkrieg mit gewaltigen Fanfarenstössen im September 1989 von Stapel lief, hielt das Forum der USTR (der Handels- und Gewerbevertreter der Vereinigten Staaten) in Washington eine Sitzung ab, um ein Gesuch der Tabak-Industrie zu prüfen, dass die USA Thailand mit Sanktionen belegen möchten als Vergeltung für dessen Bemühungen, die Einfuhr von US-Tabak und die Werbung dafür einzuschränken. Ähnliche Regierungsaktionen der USA hatten dieses tödliche und süchtig machende Narkotikum bereits Konsumenten in Japan, Südkorea und Taiwan aufgezwungen - mit den oben erwähnten Kosten an Menschenleben. Der Bundes-Chefarzt der USA, Everett Koop, erklärte vor diesem USTR-Forum: «Wenn wir mit ausländischen Regierungen darüber verhandeln, sie möchten das Einströmen von Kokain in die Vereinigten Staaten unterbinden, ist es der Gipfel der Heuchelei, Tabak zu exportieren.» Und er setzte hinzu: «In künftigen Jahren wird unsere Nation diese Berufung auf Freihandelspolitik im Rückblick skandalös finden.»
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Auch Beisitzer aus Thailand protestierten und sagten voraus, die US-Sanktionen würden eine Abnahme des Rauchens rückgängig machen, die ein Regierungsfeldzug gegen den Tabakkonsum erreicht habe. Als eine US-Tabakgesellschaft beanspruchte, ihr Produkt sei das beste der Welt, erwiderte ein Thai-Beisitzer: «Bestimmt haben wir im Goldenen Dreieck einige der besten Produkte, aber wir berufen uns nie auf den Grundsatz des Freihandels, um sie zu verbreiten. Tatsächlich unterdrücken wir (sie).» Kritiker erinnerten an den Opiumkrieg vor 150 Jahren, als die Britische Regierung China zwang, seine Tore dem Opium aus Britisch Indien zu öffnen, indem sie sich scheinheilig auf die Tugenden des Freihandels berief, während sie China gewaltsam einer Drogensucht grossen Stils auslieferte. Hier liegt die deftigste Drogengeschichte unserer Tage bereit. Man stelle sich die fetten Schlagzeilen vor: «US-Regierung führende Drogenhändlerin der Welt». Die Zeitungen fänden reissenden Absatz. Aber die Geschichte blieb praktisch unvermerkt und eine Andeutung der naheliegenden Schlußfolgerungen unterblieb. Ein weiterer Aspekt des Drogenproblems, der ebenfalls wenig Beachtung fand, war die führende Rolle der US-Regierung bei der Stimulierung des Drogenhandels nach dem Zweiten Weltkrieg. Teilweise geschah es, als die USA ihre Nachkriegsaufgabe darin sahen, die antifaschistische Widerstandsbewegung zu unterminieren, und als die Arbeiterbewegung ein wichtiges Angriffsziel wurde. Die politische Macht und der Einfluss der Arbeiterbewegung in Frankreich wurde zunehmend als Gefahr empfunden, als diese Schritte unternahm, den Zustrom von Waffen an französische Streitkräfte zu hindern, die versuchten, mit US-Hilfe ihre frühere Kolonie Vietnam zurückzuerobern. Daher machte sich der CIA daran, die französische Arbeiterbewegung zu schwächen und zu spalten - mit der Hilfe von Spitzenmännern der amerikanischen Arbeiterführung, die auf ihre Rolle dabei recht stolz waren. Die Aufgabe verlangte Streikbrecher und Totschläger. Deren Lieferant lag auf der Hand: die Mafia. Natürlich übernahm sie diese Arbeit nicht zum blossen Vergnügen. Sie wollte für ihre Mühe ein Entgelt. Und das bekam sie: sie wurde ermächtigt, den Heroin-Markt wiederherzustellen, den die faschistischen Regierungen zerschlagen hatten, - die berühmte «French Connection», die den Drogenhandel bis in die 60er Jahre dominierte. Zu der Zeit hatte sich das Zentrum des Drogenhandels nach Indochina verschoben, besonders nach Laos und Thailand. Diese Verschiebung war wiederum das Nebenprodukt einer CIA-Operation - des «Geheimkriegs», den während des Vietnamkrieges eine CIA-Söldnerarmee in jenen Ländern führte. Auch sie wollte eine Entschädigung für ihren Beitrag. Als später der CIA seine Aktivitäten nach Pakistan und Afghanistan verlegte, blühte der Drogenmarkt dort. Auch der geheime Krieg gegen Nicaragua half den Drogenhändlern der Region, als nämlich illegale Waffen-Lufttransporte für die US-Söldnertruppen eine bequeme Möglichkeit boten, auf dem Rückweg Drogen in die USA mitzunehmen, manchmal über US-Luftwaffen-Stützpunkte, so berichten Händler. Der enge Zusammenhang zwischen Drogenmarkt und internationalem Terrorismus (manchmal als «Gegen-Aufstand», «Konflikt geringer Intensität» oder mit einem andern Euphemismus bezeichnet) überrascht nicht. Geheime Operationen brauchen eine Menge Geld, das nicht nachgewiesen werden kann. Und sie brauchen auch kriminelle Ausführende. Daraus ergibt sich das übrige.
Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Macht. In politischer Rede haben Worte typischerweise zwei Bedeutungen. Einmal die WörterbuchBedeutung, und zum andern eine Bedeutung, die der Macht dienlich ist - die doktrinäre. Nehmen wir das Wort Demokratie. Nach der landläufigen Bedeutung ist eine Gesellschaft in dem Masse demokratisch, in dem die Leute sich auf sinnvolle Weise an der Verwaltung ihrer Angelegenheiten selbst beteiligen können. Die doktrinäre Bedeutung ist aber eine andere: sie ist auf
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ein System bezogen, worin Entscheidungen von Teilen der Geschäftswelt und mit ihr verknüpften Eliten getroffen werden. Die Öffentlichkeit soll nur «Zuschauerin», nicht «Teilnehmerin» an der Handlung sein, wie führende Theoretiker der Demokratie (in diesem Falle Walter Lippmann) erklärt haben. Sie dürfen die Beschlüsse der Höhergestellten genehmigen und den einen oder andern unterstützen, sich aber nicht in Dinge wie die öffentliche Politik einmischen - die gehen sie nichts an. Wenn Teile der Öffentlichkeit ihre Gleichgültigkeit ablegen, sich zu organisieren beginnen und die öffentliche Arena betreten, dann ist das nicht Demokratie. Das ist vielmehr, nach dem technisch richtigen Sprachgebrauch, eine Krise der Demokratie, eine Bedrohung, die irgendwie überwunden werden muss: in El Salvador mit Todesschwadronen - bei uns zu Hause mit feineren und indirekteren Mitteln. Oder nehmen wir den Ausdruck Freies Unternehmertum: Praktisch bezieht er sich auf ein System öffentlicher Subventionen und privater Profite, wobei die Regierung massiv in die Wirtschaft eingreift, um einen Wohlfahrtsstaat für die Reichen aufrechtzuerhalten. Eigentlich bedeutet nach einem akzeptablen Sprachgebrauch fast jede Wendung, die das Wort «frei» enthält, wahrscheinlich etwa das Gegenteil ihres aktuellen, praktisch gebräuchlichen Sinns. Oder nehmen wir Verteidigung gegen einen Angriff, eine Wendung, die sich - so sollte man meinen auf einen Angriff bezieht. Als die USA in den frühen 1960er Jahren Südvietnam angriffen, erklärte der liberale Heros Ad-lai Stevenson (unter anderen), wir verteidigten Südvietnam gegen «innere Aggression» - d. h. die Aggression südvietnamesischer Bauern gegen die US-Luftwaffe und eine Armee im Solde der USA, die jene aus ihren Heimen und in Konzentrationslager trieben, wo sie vor den Guerillas des Südens «beschützt» werden konnten. Tatsächlich unterstützten die Bauern die Guerillas gern, während das Regime der US-Vasallen eine taube Nuss war, wie von allen Seiten zugegeben wurde. Das doktrinäre System hat seine Aufgabe so grossartig erfüllt, dass noch bis auf den heutigen Tag, dreissig Jahre danach, die Vorstellung, die USA hätten Südvietnam angegriffen, unaussprechlich, ja undenkbar ist - jedenfalls für das allgemeine Bewusstsein. Dementsprechend können die wesentlichen Punkte dieses Krieges noch jetzt nicht diskutiert werden. Die Hüter politischer Korrektheit können auf eine Leistung stolz sein, die selbst ein gut funktionierender totalitärer Staat uns nur schwer nachmachen könnte. Oder nehmen wir den Ausdruck Friedensprozess. Der Naive mag meinen, er beziehe sich auf Bemühungen um den Frieden. So verstanden, würden wir sagen, zum Friedensprozess im Mittleren Osten gehöre, zum Beispiel, des ägyptischen Präsidenten Sadat Offerte eines umfassenden Friedensvertrages an Israel von 1971, nach Richtlinien, die praktisch die ganze Welt, eingeschlossen die offizielle Politik der USA, befürwortete; die Resolution des Sicherheitsrates vom Januar 1976, vorgeschlagen von den grossen arabischen Staaten, unterstützt von der PLO, welche eine bilaterale Beilegung des arabisch-israelischen Konflikts unter Bedingungen forderte, denen international fast allgemein zugestimmt wurde; die Offerten der PLO in den 80er Jahren, mit Israel über gegenseitige Anerkennung zu verhandeln; und jährliche Abstimmungen in der UNO-Generalversammlung, die zuletzt im Dezember 1990 (144 gegen 2) - eine internationale Konferenz über das israelisch-arabische Problem verlangen, usw. Aber der Geschulte versteht, dass diese Bemühungen nicht zum Friedensprozess gehören. Der Grund ist der, dass sich im politisch korrekten Sprachgebrauch der Ausdruck «Friedensprozess» auf das bezieht, was die US-Regierung betreibt - in den erwähnten Fällen heisst das, die Blockade der internationalen Bemühungen um den Frieden. Die genannten Anstrengungen gehören nicht zum Friedensprozess, weil die USA Israels Ablehnung der Offerte Sadats unterstützten, gegen die Resolution des Sicherheitsrates ihr Veto einlegten, den Verhandlungen und der gegenseitigen Anerkennung von PLO und Israel Widerstand entgegensetzten und sich regelmässig - praktisch mit einem Veto - Israel anschlossen, sooft es um einen Versuch ging, in der UNO oder anderswo, sich einer friedlichen, diplomatischen Regelung zu nähern. Der Friedensprozess ist beschränkt auf Initiativen der USA, welche eine einseitige, US-bestimmte Regelung fordern, ohne Anerkennung palästinensischer nationaler Rechte. So funktioniert das! Wer diese Schliche nicht meistert, muss sich einen andern Beruf suchen.
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Es gibt noch viele Beispiele. Nehmen wir den Ausdruck Sonderinteressen. Das gut geölte PR-System der Republikaner in den 1980er Jahren warf den Demokraten regelmässig vor, sie seien die Partei der Sonderinteressen: der Frauen, der Arbeiter, der Alten, der Jungen, der Bauern - kurz, der Bevölkerung im allgemeinen. Es gab nur einen einzigen Ausschnitt der Bevölkerung, der nie in der Liste der Sonderinteressen erschien: die Grossunternehmen und die Geschäftswelt im allgemeinen. Das ist sinnvoll. Denn im politisch korrekten Sprachgebrauch sind deren (spezielle) Interessen das nationale Interesse, dem sich alle beugen müssen. Die Demokraten erwiderten weinerlich, sie seien nicht die Partei der Sonderinteressen: auch sie dienten dem nationalen Interesse. Das war richtig, aber ihr Problem war schon immer, dass ihnen das eingleisige Klassenbewusstsein ihrer republikanischen Gegner abgeht. Diese sind sich völlig im klaren über ihre Rolle als Vertreter der Eigentümer und Verwalter der Gesellschaft, die einen erbitterten Klassenkampf gegen die allgemeine Bevölkerung führen - wofür sie oft vulgärmarxistische Rhetorik und Begriffe einsetzen, sich nationalistischer Hysterie bedienen, Angst und Schrecken verbreiten, Ehrfurcht vor grossen Führern und die andern bewährten Mittel zur Beherrschung der Allgemeinheit verwenden. Die Demokraten machen ihre Treuebünde weniger klar und sind daher im Propagandakrieg weniger wirkungsvoll. Nehmen wir zum Schluss das Wort konservativ. Es bezeichnet heute die Verfechter eines starken Staates, der sich massiv in die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben einmischt. Diese befürworten gewaltige Staatsausgaben und einen Nachkriegsgipfel protektionistischer Massnahmen samt Absicherung des Marktrisikos; sie beschränken individuelle Freiheiten durch Gesetzgebung und Richterernennungen, sie bewahren den Heiligen Staat vor unbefugter Inspektion durch die belanglose Bürgerschaft - kurz, sie treten für alle Programme ein, die das genaue Gegenteil des traditionellen Konservatismus sind. Ihre Treue gilt «den Leuten, die das Land besitzen» und die es daher, nach den Worten des Gründervaters John Jay, auch «regieren sollten». Wenn man einmal die Regeln verstanden hat, ist es eigentlich gar nicht so schwierig. Um politischer Rede einen Sinn abzugewinnen, ist es nötig, sie laufend in die Muttersprache zu übersetzen, indem man das doublespeak, die Doppelzüngigkeit der Medien, der akademischen Sozialwissenschaftler und der weltlichen Priesterschaft im allgemeinen entschlüsselt. Ihre Funktion ist klar: Sie bewirkt, dass es unmöglich wird, Worte zu finden, mit denen man über menschlich bedeutsame Dinge verständlich reden kann. Dann können wir sicher sein, dass davon, wie unsere Gesellschaft funktioniert und was in der Welt vor sich geht, wenig verstanden wird - und das ist ein wichtiger Beitrag zur «Demokratie» im politisch korrekten Sinn dieses Wortes.
Echter und falscher Sozialismus Über die Bedeutung des Begriffs «Sozialismus» lässt sich streiten; doch wenn er überhaupt einen Sinn haben soll, dann meint er die Kontrolle der Produktion durch die Arbeiter selbst, statt durch Eigentümer oder Manager, die jene beherrschen und alle Entscheidungen treffen, geschehe das nun in kapitalistischen Unternehmungen oder in einem absolutistischen Staat. Die Sowjetunion «sozialistisch» zu nennen, ist ein interessanter Fall von doktrinärer Doppelzüngigkeit. Der bolschewistische Putsch vom Oktober 1917 legte die Staatsmacht in die Hände von Lenin und Trotzki, welche es eilig hatten, die Anfänge sozialistischer Einrichtungen, die während der Volksrevolution der vorangegangenen Monate herangewachsen waren, abzutakeln - die Fabrikräte, die Sowjets, eigentlich jedes Organ von Kontrolle durch das Volk - und die Belegschaften in eine «Arbeiterarmee» unter dem Kommando des Führers umzuschmieden. In jedem wahren Sinn des Begriffs «Sozialismus» haben die Bolschewiken dessen bestehende Bausteine sofort zu zerstören begonnen. Keine sozialistische Abweichung ist seither gestattet worden. Für führende marxistische Denker kamen diese Entwicklungen nicht überraschend; sie (und Trotzki) hatten seit Jahren die Lehren Lenins kritisiert, denn nach diesen sollte die ganze Autorität in den
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Händen der avantgardistischen Partei und ihrer Führer zentralisiert werden. Ja, schon Jahrzehnte früher hatte der anarchistische Denker Bakunin vorausgesagt, dass die entstehende Klasse der Intellektuellen einen von zwei Wegen einschlagen werde: Entweder werde sie versuchen, den Kampf des Volkes auszunützen, um die Staatsmacht an sich selbst zu reissen, und sich zu einer brutalen und unterdrückerischen roten Bürokratie entwickeln; oder sie werde - falls die Volksrevolution versage zu Managern und Ideologen der staatskapitalistischen Gesellschaften. In beiden Richtungen war das eine scharfsinnige Voraussicht. Die beiden grössten Propagandasysteme der Welt waren sich in wenigen Punkten einig; doch darin stimmten sie überein, dass sie das Wort «Sozialismus» verwendeten, um damit die sofortige Zerstörung jedes Ansatzes zu Sozialismus durch die Bolschewiki zu bezeichnen. Das überrascht nicht allzu sehr. Die Bolschewiki nannten ihr System «sozialistisch», um das moralische Ansehen des Sozialismus für sich auszuwerten. Der Westen übernahm denselben Wortgebrauch aus dem entgegengesetzten Grund: um nämlich die gefürchteten libertären Ideale zu defamieren, indem man sie mit dem bolschewikischen Kerker in Zusammenhang brachte; um den volkstümlichen Glauben zu unterhöhlen, es könne wirklich den Fortschritt auf eine gerechtere Gesellschaft hin geben, mit demokratischer Überwachung der grundlegenden Einrichtungen und Sorge um Bedürfnisse und Rechte der Menschen. Wenn Sozialismus die Tyrannei Lenins und Stalins ist, werden Leute bei Verstand sagen: Nein, danke! Und wenn das die einzige Alternative zum grossunternehmerischen Staatskapitalismus ist, werden sich viele dessen autoritären Strukturen als der einzig vernünftigen Wahlmöglichkeit unterziehen. Mit dem Zusammenbruch des Sowjetsystems besteht die Gelegenheit, den lebendigen und kraftvollen libertär-sozialistischen Gedanken zu erneuern, der nicht vermochte, den doktrinären und repressiven Angriffen der grossen Machtsysteme Widerstand zu leisten. Mindestens ist eine Strassensperre weggeräumt. In diesem Sinne ist das Verschwinden der Sowjetunion ein kleiner Sieg für den Sozialismus in etwa dem Masse, wie die Niederlage der faschistischen Mächte einer war.
Die Medien Ob sie nun «liberal» oder «konservativ» heissen, die wichtigen Medien sind grosse Unternehmen, die noch grösseren Konglomeraten gehören und mit ihnen verflochten sind. Wie andere Unternehmen verkaufen sie einem Markt ein Produkt. Der Markt sind Werbeunternehmen - d. h. andere Geschäftszweige. Das Produkt ist ein Publikum. Für Elite-Medien, die die Agenda, der sich andere anpassen, grundlegend bestimmen, ist das Produkt überdies ein verhältnismässig privilegiertes Publikum. Es handelt sich somit um grössere Unternehmen, die ein ziemlich wohlhabendes und privilegiertes Publikum andern Geschäftszweigen verkaufen. Da überrascht es nicht, dass das vorgeführte Bild der Welt die beschränkten und voreingenommenen Interessen und Werte der Verkäufer, der Käufer und des Produkts spiegelt. Andere Faktoren verstärken die Verzerrung im selben Sinn. Die Kulturmanager (Herausgeber, Redakteure, führende Kolumnisten usw.) teilen die Klasseninteressen und -Verbindungen mit den Managern des Staates und der Geschäftswelt und mit andern privilegierten Sektoren der Gesellschaft. Ja, es besteht unter Unternehmen, Regierung und Medien ein re-gelmässiger Fluss hochgestellter Persönlichkeiten. Ein Zugang zu staatlichen Stellen ist wichtig, will man konkurrenzfähig bleiben; «undichte Stellen», zum Beispiel, sind oft Machenschaften und Täuschungsmanöver, die von jenen Stellen mit der Hilfe angeblich ahnungsloser Medien geschaffen werden. Als Entgelt verlangen die staatlichen Stellen Mitarbeit und Unterwürfigkeit. Auch andere Machtzentren verfügen über Mittel, Abirrungen von der Orthodoxie zu bestrafen - Mittel, die von der Börse bis zu einem wirksamen Apparat der Verunglimpfung und Anschwärzung reichen.
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Das Ergebnis ist natürlich nicht völlig uniform. Um den Interessen der Mächtigen zu dienen, müssen die Medien ein immerhin einigermassen realistisches Bild der Welt zeigen. Und manchmal wird die übergeordnete Sendung gestört durch professionelle Integrität und Ehrlichkeit. Die besten Journalisten sind sich typischerweise der Faktoren durchaus bewusst, die das Produkt der Medien bestimmen, und suchen verfügbare Auswege zu nutzen. Daher kann man aus einer kritischen und skeptischen Lektüre dessen, was die Medien produzieren, eine Menge lernen. Die Medien bilden nur einen Teil eines grösseren doktrinären Systems; andere Teile sind meinungsbildende Zeitschriften, Schulen und Universitäten, akademische Gelehrtenrepubliken und so weiter. Die Medien nehmen wir bewusster wahr, besonders die Prestige-Medien, weil sie im Brennpunkt der Aufmerksamkeit jener stehen, die Ideologien kritisch analysieren. Das grössere System wird weniger untersucht, weil es sich schwerer systematisch erfassen lässt. Doch gibt es gute Gründe anzunehmen, es vertrete die gleichen Interessen wie die Medien, ganz wie zu erwarten ist. Das doktrinäre System produziert das, was wir «Propaganda» nennen, wenn wir von un-sern Feinden reden, und ist auf zwei verschiedene Ziele gerichtet. Das eine wird manchmal «die politische Klasse» genannt; das sind die etwa 20% der Bevölkerung, die verhältnismäs-sig gebildet sind, sich mehr oder weniger äus-sern können und bei der Beschlussfassung eine gewisse Rolle spielen. Dass sie die Doktrin anerkennen, ist entscheidend, denn sie sind in der Lage, Politik zu planen und durchzuführen. Dann sind da die übrigen etwa 80% der Bevölkerung. Sie sind Lippmanns «Zuschauer», die er als die «verwirrte Herde» bezeichnet. Sie sollen Befehle befolgen und den wichtigen Leuten nicht im Weg stehen. Sie sind das Zielpublikum der eigentlichen Massen-Medien: der Boulevardzeitungen, der Fernsehserien, der Fussball-Übertragungen usw. Diese Sektoren des doktrinären Systems dienen dazu, die ungewaschenen Massen abzulenken und die grundlegenden gesellschaftlichen Werte einzubleuen: Passivität, Autoritätsgläubigkeit, die alles überragende Tugend der Habsucht und des persönlichen Gewinnstrebens, Rücksichtslosigkeit gegenüber andem, Angst vor wirklichen oder eingebildeten Feinden usw. Das Ziel ist, der verwirrten Herde ihre Verwirrung zu erhalten. Die brauchen sich nicht darum zu kümmern, was in der Welt vorgeht. Ja, es ist unerwünscht - sähen sie zuviel von der Wirklichkeit, so könnten sie sich daranmachen, diese zu ändern. Das soll nicht heissen, dass die Allgemeinheit die Medien nicht beeinflussen kann. Die herrschenden Institutionen - ob politische, wirtschaftliche oder doktrinäre - sind nicht immun gegen öffentlichen Druck. Auch können unabhängige (alternative) Medien eine wichtige Rolle spielen. Obschon es ihnen fast definitionsgemäss an Mitteln fehlt, können sie auf ähnliche Weise Bedeutung gewinnen wie Bürgerorganisationen: indem sie Leute mit beschränkten Mitteln zusammenführen, die ihre Wirksamkeit - und ihr Verständnis - durch Austausch vervielfachen können - und das ist genau die von den herrschenden Eliten so gefürchtete Bedrohung durch Demokratie.
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Die Zukunft
Die Dinge haben sich geändert Es ist wichtig zu sehen, wie sehr sich die Szene in den letzten dreissig Jahren verändert hat, und zwar dank den Volksbewegungen, die sich auf eine lockere und chaotische Weise um Anliegen wie Bürgerrechte, Friede, Feminismus, Umwelt und andere menschliche Angelegenheiten organisiert haben. Man vergleiche die Regierungszeiten Kennedys und Reagans, welche sich in den zugrundeliegenden politischen Triebfedern glichen. Als Kennedy nach dem Fehlschlagen seiner Invasion Kubas einen gewaltigen internationalen Terror-Feldzug gegen dieses Land auslöste und danach den mörderischen Staatsterror in Süd-Vietnam zu unverhohlener Aggression steigerte, da war kaum ein Protest auszumachen. Erst als Hunderttausende amerikanischer Soldaten stationiert wurden und ganz Indochina verheerenden Angriffen ausgesetzt war, wobei Hunderttausende umkamen, da wurde dieser Protest mehr als nur am Rande bemerkbar. Als dagegen die Reagan-Regierung andeutete, sie beabsichtige, in Mittelamerika direkt einzugreifen, brach spontaner Protest in einem Masse aus, dass die Staatsterroristen gezwungen wurden, andere Mittel einzusetzen. Führer mögen über das Ende des «Vietnam-Syndroms» frohlocken, doch wissen sie es besser. Ein Bulletin der Bush-Regierung über Nationale Sicherheitspolitik, das zum Zeitpunkt des Bodenangriffs am Persischen Golf zur Veröffentlichung freigegeben wurde, stellt fest, dass «in Fällen, wo es die US mit viel schwächeren Feinden zu tun haben» - den einzigen, die der wahre Staatsmann zu bekämpfen sich bereitfinden wird -, «muss es unser Ziel sein, sie nicht nur zu schlagen, sondern sie entscheidend und rasch zu schlagen». Jeder andere Verlauf wäre «peinlich» und könnte «politische Unterstützung kosten», die ohnehin als sehr schwach angenommen wird. Eine klassische Intervention wird nachgerade gar nicht mehr in Erwägung gezogen. Die Möglichkeiten sind eingeschränkt auf heimlichen Terror, der vor der eigenen Bevölkerung geheimgehalten wird, oder «entscheidende und rasche» Zerstörung der «viel schwächeren Feinde» - nachdem gewaltige Propaganda-Feldzüge sie als Monster von unbeschreiblicher Kraft geschildert haben. Ähnliches gilt ganz allgemein. Nehmen wir 1992. Wäre das Kolumbus-500-Jahr-Gedächt-nis auf 1962 gefallen, so hätte man die Befreiung des Kontinents gefeiert. 1992 geniesst dieser Gedanke nicht mehr alleiniges Recht - ein Umstand, der unter den Kultur-Managern, die eine nahezu totalitäre Herrscherrolle gewöhnt sind, grosse Hysterie ausgelöst hat. Jetzt reden sie geschwollen daher über die «faschistischen Exzesse» jener, die Achtung vor anderen Menschen und anderen Kulturen fordern. Auch auf andern Gebieten herrscht mehr Offenheit und Verständnis, mehr Skepsis und ein Infragestellen von Autoritäten. Selbstverständlich sind die zuletzt genannten Tendenzen zweischneidig.
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Sie können zu unabhängigem Denken führen, zur Organisation von Bevölkerungsgruppen, die auf nötige institutionelle Veränderungen drängen. Oder aber sie schaffen eine Masse verschreckter Leute, die nach neuen autoritären Führern rufen. Diese möglichen Folgen sind kein Stoff zum Spekulieren, sondern zum Handeln, wobei sehr viel auf dem Spiel steht.
Was du tun kannst In jedem Land gibt es irgend eine Gruppe, die die Macht hat. Wo die Macht in den Vereinigten Staaten liegt, ist kein grosses Geheimnis. Im Grunde liegt sie in den Händen jener Leute, die über Investitionen entscheiden - darüber, was produziert und was verteilt wird. Sie stellen die Regierung im grossen und ganzen -, sie wählen die Planer und bestimmen die allgemeine Doktrin. Unter anderem wünschen sie sich eine passive, ruhige Bevölkerung. Um ihnen also das Leben ungemütlich zu machen, brauchst du unter anderem nur, dich nicht passiv und ruhig zu verhalten. Es gibt eine Menge Wege, das zu tun. Schon allein Fragenstellen kann eine beträchtliche Wirkung haben. Demonstrieren, Briefe schreiben, Wählen - all das kann sinnvoll sein - je nach der Situation. Aber die Hauptsache ist: es muss anhaltend und organisiert geschehen. Wenn du einmal demonstrieren gehst und dann nach Hause, dann ist das schon etwas; aber damit können die Leute an der Macht leben. Womit sie nicht leben können, ist anhaltender Druck, der ständig zunimmt; sind Organisationen, die ständig etwas unternehmen, Leute, die ständig Lehren ziehen vom letzten Mal und es das nächste Mal besser machen. Jedes Machtsystem, sogar eine faschistische Diktatur, reagiert auf öffentliche Kritik. Das trifft bestimmt zu auf ein Land wie das unsere, wo der Staat - glücklicherweise - nicht sehr viel Gewalt hat, die Leute zu zwingen. Während des VietnamKriegs war direkter Widerstand gegen den Krieg ganz beträchtlich, und er war ein Preis, den die Regierung zu zahlen hatte. Wenn Wahlen bloss etwas sind, wo ein Teil der Bevölkerung ungefähr alle zwei Jahre hingeht und auf einen Knopf drückt, sind sie bedeutungslos. Wenn sich aber die Bürger organisieren, um eine Stellungnahme durchzudrücken und ihre Vertreter unter Druck zu setzen - dann machen Wahlen Sinn. Mitglieder des Repräsentantenhauses lassen sich viel leichter beeinflussen als Senatoren, und Senatoren ein bisschen leichter als der Präsident, welcher in der Regel immun ist. Auf diesem Niveau wird die Politik fast ausschliesslich von den begüterten und mächtigen Leuten beschlossen, die das Land besitzen und managen. Volksvertreter dagegen könnt ihr beeinflussen. Ihr könnt sie zu euch nach Hause einladen, um sie von einer Gruppe von Nachbarn anbrüllen zu lassen, oder ihr könnt ihre Büros besetzen - was immer unter den gegebenen Umständen taugt. Es kann eine Wirkung tun - oft eine bedeutende. Du kannst auch selber Forschung betreiben. Verlass dich nicht einfach auf die herkömmlichen Geschichtsdarstellungen und politwissenschaftlichen Schulbücher - greif zurück auf Monographien von Spezialisten und auf die originalen Quellen: Memoranden zur Nationalen Sicherheit und ähnliche Dokumente. Die meisten guten Bibliotheken haben Dokumentationsstellen, wo sie zu finden sind. Es braucht ein bisschen Mühe. Das meiste Material ist zum Wegwerfen, und man muss eine Tonne wertloses Zeug lesen, ehe man was Gutes findet. Es gibt Wegleitungen, die Hinweise darauf enthalten, wo man suchen muss, und manchmal stösst man in Sekundärquellen auf Angaben, die neugierig machen. Oft sind sie falsch verstanden, aber sie verraten, wo zu suchen ist. Daran ist nichts Geheimnisvolles, und intellektuell ist es nicht schwierig. Es bedeutet Arbeit, aber eine, die jeder als Freizeit-Beschäftigung leisten kann. Und die Ergebnisse dieses Forschens können die Gesinnung der Leute ändern. Echte Forschung ist immer Gemeinschaftsarbeit, und ihre Ergebnisse können viel dazu beitragen, das Bewusstsein zu verändern, die Einsicht und das Verständnis zu mehren, und zu konstruktivem Handeln führen.
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Der Kampf geht weiter Der Freiheitskampf ist nie zu Ende. Die Menschen der Dritten Welt brauchen unser mitfühlendes Verständnis und, noch viel mehr, unsere Hilfe. Wir können ihnen einen Freiraum zum Überleben verschaffen, indem wir die Vereinigten Staaten im Innern spalten. Ob sich jene gegen die Art von Brutalität, die wir ihnen auferlegen, erfolgreich wehren können, hängt grossenteils davon ab, was hier bei uns geschieht. Der Mut, den sie zeigen, ist ganz erstaunlich. Ich habe persönlich das Vorrecht genossen - und es ist ein Vorrecht -, aus erster Hand einen Eindruck von diesem Mut zu erhaschen: in Südostasien, in Mittelamerika und im besetzten Westjordanien. Es ist eine sehr anrührende und begeisternde Erfahrung, die mir unfehlbar ein paar verächtliche Bemerkungen Rousseaus ins Gedächtnis ruft über Europäer, die Freiheit und Gerechtigkeit zugunsten von Frieden und Ruhe, «die sie in ihren Ketten gemessen», preisgegeben haben. Er fährt fort: «Wenn ich Mengen völlig nackter Wilder sehe, welche europäische Wollust verachten und Hunger, Feuer, das Schwert und den Tod erdulden, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren, dann fühle ich, dass es Sklaven nicht ansteht, über Freiheit zu räsonnieren.» Leute, die meinen das seien blosse Worte, verstehen sehr wenig von der Welt. Und das ist nur ein Teil der Aufgabe, die vor uns liegt. Es gibt eine wachsende Dritte Welt bei uns zu Hause. Es gibt Systeme unrechtmäs-siger Autorität in jedem Winkel der sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Welten. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit stehen wir vor dem Problem, eine Umwelt schützen zu müssen, die ein anständiges Menschenleben erlaubt. Wir wissen nicht, ob ein aufrichtiger und hingebungsvoller Einsatz genügt, um unsere Probleme zu lösen oder wenigstens zu mildern. Wir können aber ganz sicher sein, dass ohne solchen Einsatz Unheil hereinbricht.
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Ergänzungen aus einem Interview mit David Barsamian im MIT, Cambridge, Massachusetts, den 21. Januar 1993
Das Dilemma des Gefangenen Die allgemeine Bevölkerung hält viele Trümpfe in der Hand. Darauf hat David Hume vor zweihundert Jahren hingewiesen als auf eine Art Paradox des Regierens. Er beschreibt es in seinem Werk über die Theorie der Politik: es sei paradox, dass sich in jeder Gesellschaft die Bevölkerung den Regierenden unterwerfe, wo doch die Macht in den Händen der Regierten liege. Daher könnten die Herrschenden nur regieren, wenn sie die öffentliche Meinung beherrschten. Er sagt, das gelte von den freisten Gesellschaften ebenso wie von den despotischsten. Wenn die allgemeine Bevölkerung die Regierung nicht akzeptiere, sei diese erledigt. Es woge ein ständiger Kampf zwischen denen, die sich weigern, sie zu akzeptieren, und denen, die sie erzwingen. Wie kann man aus dem System der Indoktrination und der Propaganda ausbrechen? Sie haben gesagt, es sei für einzelne nahezu unmöglich, irgend etwas auszurichten; dass es viel einfacher und besser sei, kollektiv vorzugehen. Was hindert die Leute daran, sich zusammenzutun? Es verlangt einen grossen Einsatz. Jeder lebt in einem kulturellen und gesellschaftlichen Rahmen, der gewisse Werte und Möglichkeiten bietet. Manche Verhaltensweisen kosten etwas, andere werden belohnt. Darin lebt man. So ist es nun einmal. Wir leben in einem Rahmen, der Bemühungen um individuellen Gewinn belohnt. Jeder oder jede einzelne kann sich zum Beispiel fragen: Ich bin der Vater oder die Mutter einer Familie; was fange ich mit meiner Zeit an? Ich habe täglich vierundzwanzig Stunden. Wenn ich mich um Kinder kümmern muss, mich um eine Zukunft sorgen - was mache ich? Eines wäre, dem Chef zu Gefallen zu sein, um vielleicht meinen Stundenlohn zu verbessern, oder vielleicht im Vorübergehen einem eins auszuwischen - nicht so direkt, aber indirekt mit den Mechanismen, die dir die kapitalistische Gesellschaft zur Verfügung stellt. Das wäre eine Möglichkeit. Eine andere wäre die, deine Abende damit zu verbringen, dass du herumläufst und versuchst, andere Leute zu organisieren, die dann ihre Abende in Versammlungen zubringen, Streikposten stehen, sich auf einen langen Kampf einlassen, in dessen Verlauf sie von der Polizei zusammengeschlagen werden und ihre Stellen verlieren. Vielleicht kriegen sie am Ende genug Leute zusammen, so dass sie letztlich einen Gewinn erzielen, der grösser sein mag - oder auch nicht - als der Gewinn, den du mit deinem individualistischen Kurs zu ergattern versuchtest. Vor solche Wahlen sind die Leute gestellt. Sie treffen sie im Rahmen bestehender Strukturen. Der Rahmen der bestehenden Strukturen mag zwar auf die Länge alle schädigen, aber das einzelne Individuum hat darin die Möglichkeit, seinen persönlichen Gewinn zu maximieren. In der Gewinntheorie nennt man das «das Dilemma des Gefangenen». In der formalen, mathematischen Spieltheorie ist es ein wohlbekanntes Phänomen. Es lassen sich sogenannte «Spiele» entwerfen, Interaktionen, in denen jeder einzelne Teilnehmer mehr gewinnt, wenn alle zusammenarbeiten, aber du gewinnst nur, wenn der andere mitmacht. Wenn der oder die andere versucht, den eigenen Gewinn zu maximieren, verlierst du.
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Nehmen wir ein einfaches Beispiel: die Fahrt zur Arbeit. Mit der U-Bahn brauche ich länger als mit dem Auto. Dabei wird es bleiben, solange auch alle andern mit dem Auto fahren. Nähmen wir alle die U-Bahn und steckten das Geld dahinein statt in Strassen, würden wir alle rascher mit der U-Bahn hinkommen. Aber alle müssten es tun. Wenn andere Leute autofahren und ich die U-Bahn nehme, wird die private Beförderung für die Leute, die daran teilnehmen, besser sein. Erst wenn wir alle etwas anders machen, werden alle viel mehr profitieren. Dich als einzelnen kann der Versuch, Möglichkeiten zu schaffen, um Dinge gemeinsam zu tun, teuer zu stehen kommen. Erst wenn eine Menge Leute anfangen mitzumachen, und zwar ernsthaft, erntest du echte Vorteile. Das hat von jeher für alle Volksbewegungen gegolten... . Die Gesellschaft ist sehr stark so strukturiert, dass sie dich der individualistischen Alternative entgegentreibt.
Die internationale Wirtschaft Die Internationalisierung der Wirtschaft zieht zwei wichtige Folgen nach sich. Die eine ist die, dass sie eine Internationalisierung auch des Modells der Dritten Welt bedeutet, nämlich von Gesellschaften, die aus zwei scharf unterschiedenen Stockwerken bestehen: aus Sektoren grossen Reichtums und wachsenden Sektoren des Elends und der Verzweiflung. Brasilien! Die Internationalisierung macht es möglich, die Produktion in Gebiete starker Repression zu verlegen. Wen kümmern die - wie sich die Finanzpresse ausdrückt - «verwöhnten Arbeiter des Westens»? Die lassen sich jetzt umgehen. Um die braucht man sich nicht zu sorgen. Dieses Modell breitet sich in den Industriegesellschaften offensichtlich aus, am deutlichsten in den Vereinigten Staaten, aber auch in Grossbritannien, Australien und auf dem Kontinent. Die zweite Folge, welche ebenfalls wichtig ist, hat mit den Regierungsstrukturen zu tun. In der ganzen Menschheitsgeschichte haben sie sich andern Machtkonzentrationen angelagert, in der modernen Zeit in erster Linie ökonomischen. Nationalstaaten entstehen dort, wo es nationale Wirtschaften gibt. Nun haben wir eben eine internationale Wirtschaft, und so bewegen wir uns einem internationalen Staat, nämlich einer internationalen Exekutive entgegen, und das heisst, um wieder die Wirtschaftspresse zu zitieren, «wir schaffen ein neues imperiales Zeitalter mit einer de facto Weltregierung» mit ihren eigenen Institutionen wie dem IWF, der Weltbank, dem GATT, den Handelsstrukturen, den ExekutivVersammlungen wie den G-7, der Europäischen Gemeinschaft, welche die Exekutive zur Entscheidungsebene machen und damit ein sogenanntes «Defizit an Demokratie» unter sich lassen, nämlich weniger Einflussmöglichkeiten für Parlamente und Bevölkerung..... Diese ganze Struktur der Beschlussfassung weist eine Anzahl einschneidender Züge auf. Einmal spiegelt sie, wie zu erwarten ist, die neuen Strukturen wirtschaftlicher Macht. Sie entspricht im Grunde den transnationalen Unternehmen, den internationalen Banken usw. Ihr anderer nützlicher Zug ist der, dass sie einen sehr wirksamen Schlag gegen die Demokratie führt. Die Leute haben keine Ahnung, was auf jener Ebene geschieht. Nicht nur sind die Entscheidungen dem Einfluss der Parlamente entzogen - die allgemeine Bevölkerung weiss nicht, was passiert, und weiss nicht einmal, dass sie es nicht weiss. Das ist ein echter Erfolg in der Langzeit-Aufgabe, den formal demokratischen Strukturen jeden Sinn zu rauben. Das kann man jetzt sehr deutlich erkennen. Eine der Folgen davon ist das Gefühl der sogenannten «Entfremdung», das die Leute haben: Für mich geschieht nichts. Allerdings! Du weisst nicht einmal, was geschieht. Du sollst es gar nicht wissen! ...
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Jobs, jobs, jobs! Es gibt ein Buch, Mandate for Change, «Der Auftrag, es anders zu machen», herausgegeben vom Institut für Fortschrittliche Politik, dem Denkkessel der Clinton-Mannschaft - eine Beschreibung des Clinton-Regierungsprogramms. Es gehörte zum Wahlfeldzug - ein Buch, das man am FlughafenKiosk kaufen kann. Ein Abschnitt darin behandelt «Unternehmungs-Wirtschaft»; mit ihr sollen die Fallgruben zur Linken und zur Rechten vermieden werden. Sie lässt all die altmodischen liberalen Ideen über «Rechte» fahren - etwa: Fürsorge-Mütter haben ein ‹Recht› darauf, ihre Kinder zu stillen dergleichen ist passe. Davon haben wir genug. Jetzt geht es um «unternehmerische Wirtschaft», womit wir Investitionen und Wachstum verbessern. Wir wollen einzig und allein Arbeitern helfen und den Firmen, in denen sie arbeiten. Da sind Arbeiter, da sind Unternehmen, in denen sie arbeiten, - an ihnen sind wir interessiert, wenn es ums Gutestun geht. Denen werden wir helfen. Einer fehlt in dieser Geschichte. Es gibt keinen Manager, keinen Chef, keinen Investor. Der existiert nicht. Nur Arbeiter und die Firmen, in denen sie arbeiten. Denen wollen wir helfen. Das Wort «Unternehmer» kommt ein einziges Mal vor. Unternehmer sind Leute, die den Arbeitern und den Firmen, in denen sie arbeiten, beistehen. Das Wort «Profit» erscheint ein einziges Mal. Ich weiss nicht, wie sich das hat einschleichen können - das ist auch so ein unanständiges Wort, wie «Klasse». Aber die Vorstellung ist die, dass wir alle Arbeiter sind. Und dann gibt es eben die Firmen, in denen wir arbeiten. Die Firmen, in denen wir arbeiten, möchten wir gern verbessern, so wie du deine Küche verbessern möchtest. Einen neuen Kühlschrank besorgen. Die Firma verbessern, in der wir arbeiten. Das ist alles, was sie interessiert - uns da draussen im Felde zu helfen. Ein anderer Mechanismus, um das gleiche Ergebnis zu erzielen, ist eine interessante sprachliche Neuerung der letzten zwei Jahre. Es handelt sich um das Wort jobs, «Stellen», «Arbeitsplätze». Man braucht das jetzt statt «Profit». Zum Beispiel: Als George Bush mit Lee Lacocca und allen übrigen Automobil-Sachwaltern nach Japan flog, da war - wie Sie sich erinnern - sein Kampfruf: jobs, jobs, jobs. Darum ging es ihm. Wir wissen alle, wieviel George Bush an Arbeitsplätzen gelegen ist. Man braucht nur darauf zu achten, was in seiner Amtszeit geschehen ist, wo die Zahl der Arbeitslosen und Unterbeschäftigten jetzt offiziell an die siebzehn Millionen beträgt. Die inoffizielle Zahl kenne ich nicht - etwa weitere acht Millionen, eine Million während seiner Amtszeit. Er versuchte, günstige Bedingungen zu schaffen für einen Export von Arbeitsplätzen nach Übersee. Er fuhr fort mit der Unterhöhlung der Gewerkschaften und mit der Senkung der Reallöhne. Was meint er also, wenn er sagt und es die Medien nachbrüllen: «Jobs, jobs, jobs»? Es ist klar: «Profit, Profit, Profit». Denkt euch was aus, den Profit zu erhöhen. Und so auf der ganzen Linie. Die Idee ist die, unter der Bevölkerung die Vorstellung einer einzigen, glücklichen Familie zu schaffen. Wir sind Amerika. Wir haben ein nationales Interesse. Wir arbeiten zusammen. Wir, die flotten Arbeiter, die Firmen, in denen wir arbeiten, die Regierung die für uns arbeitet. Wir wählen sie. Sie dient uns. So ist die Welt. Keine Konflikte, keine andern Sorten von Menschen, keine weiteren Strukturen im System. Ganz sicher keine Klassen. Ausser du gehörst zur herrschenden Klasse - dann freilich bist du dir dessen sehr wohl bewusst.
Haben wir ein Zwei-Parteien-System? Das ist eine Frage der Definition. Sicher haben wir zwei Organisationen, die Kandidaten produzieren. Wir haben nicht zwei Parteien, an denen die Leute beteiligt wären. Wir haben nicht zwei Parteien mit verschiedenen Interessen. Im Grunde spiegeln sie die eine oder die andere Gruppe jenes Teils der Gesellschaft, den man zufolge Mandate for Change nicht nennen darf, nämlich der Eigentümer und Investoren und Manager. Beide «Parteien» vertreten deren Interessen. Aber sie haben einen je anderen Zugriff. Und sie haben auch verschiedene Wählerschaften im Volk. Das wirkt sich tatsächlich aus. Den Wählerschaften im Volk müssen ein paar Brosamen geboten werden, soll das System bürokratischer und anderer Macht weiterfunktionieren. ... In den wichtigsten Strukturen der
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Beschlussfassung, die mit Profit, mit internationalen Angelegenheiten, mit strategischen Entscheidungen zu tun haben, wird den Wählern aus dem Volk keine Rolle zugestanden, gleich welche Partei im Amt ist. Aber man kann ihnen anderes gewähren. Zum Beispiel die Republikaner: Sie sind ein bisschen freimütiger die Partei der Geschäftswelt und der Reichen. Sie machen weniger ein Hehl daraus als die Demokraten. Darum ist für sie der Zugang zur Allgemeinheit etwas schwieriger. Recht häufig suchen sie ihn über Chauvinismus, Gewalt, religiösen Fundamentalismus und die sogenannten sozialen Anliegen. Ein paar Brosamen müssen sie ihrer Wählerschaft immerhin zugestehen, also geben sie ihr solche. Daher die Ernennungen in den Obersten Gerichtshof, wie wir sie in den vergangenen zehn Jahren hatten. Der grosse Angriff auf die Bürgerrechte, der Rassismus, die Angriffe auf Fürsorge-Mütter. Das sind Zugeständnisse an jenen Teil der Bevölkerung. Sie schmälern nicht den Profit. Sie schmälern nicht die Macht - also kann man sie ihnen machen. - Die Demokraten haben versucht, sich an eine andere Wählerschaft zu wenden. Sie tun, als ob sie die Partei des Volkes seien. Also müssen sie etwas für die Arbeiterschaft tun, für Frauen, für Minderheiten. Das heisst, dass die Brosamen, wie die Ernennungen in den Obersten Gerichtshof, jetzt wohl diesen gefallen werden. Und wenn ich «Brosamen» sage, will ich sie nicht geringschätzen. Es sind Dinge, die im Leben des einzelnen eine enorme Wirkung haben können. Bloss berühren sie nicht die Strukturen der politischen Ökonomie.
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