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Teil 1
Paul A. Samuelson und William D. Nordhaus
Volkswirtschaftslehre Das internationale Standardwerk der Makro- u...
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Teil 1
Paul A. Samuelson und William D. Nordhaus
Volkswirtschaftslehre Das internationale Standardwerk der Makro- und Mikroökonomie Übersetzung aus dem Amerikanischen von Regina Berger, Annemarie Pumpernig und Brigitte Hilgner
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Teil 1
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-636-03112-9 (Studienausgabe) ISBN 978-3-636-03113-6 (Premiumausgabe)
3., aktualisierte Auflage 2007
© 2005 by mi-Fachverlag, Redline GmbH, Landsberg am Lech. Ein Unternehmen von Süddeutscher Verlag | Mediengruppe.
© der Originalausgabe 2005 by McGraw-Hill/Irwin, New York Die englische Originalausgabe erschien 2005 bei McGraw-Hill unter dem Titel Economics.
Übersetzung: Regina Berger, Annemarie Pumpernig und Brigitte Hilgner, Wien Redaktion: Jan W. Haas, Berlin Lektorat: Michael Schickerling, Landsberg am Lech Umschlaggestaltung: Jarzina Kommunikations-Design, Köln Satz: Jürgen Echter, Landsberg am Lech Druck: Verlagsdruckerei Kessler, Bobingen Printed in Germany
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Für den Studenten: Volkswirtschaftslehre und Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 1
Die Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Kapitel 1 Anhang 1 Kapitel 2 Kapitel 3
Die Grundlagen der Volkswirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagramme richtig lesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markt und Staat in der modernen Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gundelemente von Angebot und Nachfrage. . . . . . . . . . . . . . . .
19 39 49 79
Teil 2
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte . . . .
101
Kapitel 4
Kapitel 8 Kapitel 9 Kapitel 10 Kapitel 11
Anwendungsmöglichkeiten der Angebotsund Nachfrageanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachfrage und Konsumverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geometrische Analyse des Konsumentengleichgewichts . . . . . . . . . Produktion und ihre Organisation im Unternehmen . . . . . . . . . . . . Kostenanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Produktion, Kostentheorie und Entscheidungsprozesse in Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse des Marktes bei vollkommenen Wettbewerbs . . . . . . . . . . . Unvollständiger Wettbewerb und Monopol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oligopol und monopolistischer Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unsicherheit und Spieltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
209 217 245 269 297
Teil 3
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
325
Kapitel 12 Kapitel 13 Kapitel 14 Anhang 14
Wie Märkte die Einkommen bestimmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Arbeitsmarkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Boden und Kapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Märkte und volkswirtschaftliche Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
327 351 381 406
Kapitel 5 Anhang 5 Kapitel 6 Kapitel 7 Anhang 7
103 129 209 161 185
4 Teil 4 Kapitel 15 Kapitel 16 Kapitel 17 Kapitel 18 Kapitel 19
Teil 5 Kapitel 20 Anhang 20 Kapitel 21 Kapitel 22 Kapitel 23
Inhaltsverzeichnis
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . .
417
Komparativer Vorteil und Protektionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuern und Staatsausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie werden Märkte effizienter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit: Der große Zwiespalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
419 455 487 517 547
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen . . . . . . . . . . . . . . .
575
Kapitel 24 Kapitel 25 Kapitel 26
Makroökonomie im Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesamtwirtschaftliche Daten für die USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Messen wirtschaftlicher Aktivität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konsum und Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konjunkturzyklen und die Theorie der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Multiplikatormodell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Finanzmärkte und der Sonderfall Geld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zentralbank und Geldpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
577 601 603 633 659 679 707 745
Teil 6
Wachstum, Entwicklung und die Weltwirtschaft . . . . . . . . . . . .
775
Kapitel 27 Kapitel 28 Kapitel 29 Kapitel 30
Der Prozess des Wirtschaftswachstums. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaftliche Entwicklung als Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . Wechselkurse und das internationale Währungssystem . . . . . . . . . . Offene Volkswirtschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
777 807 837 865
Teil 7
Arbeitslosigkeit, Inflation und Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . . . .
897
Kapitel 31 Kapitel 32 Kapitel 33 Kapitel 34
Arbeitslosigkeit und die Grundlagen des Gesamtangebots . . . . . . . Die Sicherung der Preisstabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die unterschiedlichen Lehrmeinungen in der Makroökonomie . . . . . Wachstums- und Stabilitätspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
899 929 961 989
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1021 Wörterbuch englisch – deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1067 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1093 Autoreninformation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1103
Vorwort
Das 20. Jahrhundert war in vielen Teilen der Welt durch einen rasanten Anstieg des Lebensstandards gekennzeichnet, von dem insbesondere die reichen Länder Nordamerikas, Westeuropas und Ostasiens profitierten. Und nun beschäftigt uns die Frage: Bringt das 21. Jahrhundert eine Neuauflage der Erfolge des vergangenen Jahrhunderts? Wird der Wohlstand der Privilegierten sich auf die breite Masse in den armen Entwicklungsländern übertragen? Oder werden die apokalyptischen Reiter – Hunger, Krieg und Seuchen – Afrika weiter fest im Griff halten und vielleicht zu weiteren verheerenden Angriffen ansetzen? Die Antworten auf diese Fragen hängen weitgehend vom wirtschaftlichen Erfolg der Staaten ab, von dem, was sie im Hinblick auf Bildung, Investitionen und Außenhandel sowie im Gesundheitswesen zuwege bringen.
Die wachsende Bedeutung der Märkte In den letzten 25 Jahren hat sich die Einstellung der Menschen ebenso drastisch geändert wie das Szenario der wirtschaftlichen Institutionen. Dutzende Staaten verabschiedeten sich von ihren sozialistischen und kollektivistischen Systemen und setzten stattdessen auf die Marktwirtschaft. So unterschiedliche Länder wie Irland, Botswana und die Philippinen erzielten ein starkes Wirtschaftswachstum. Zu keiner Zeit in der Geschichte konnten so viele Menschen eine so
nachhaltige Periode wirtschaftlicher Prosperität genießen wie in den letzten 50 Jahren. Man könnte vermuten, dass mit zunehmendem wirtschaftlichem Erfolg das Interesse an ökonomischen Fragen abebben würde, doch paradoxerweise ist heute das Verständnis der dauerhaften Wahrheiten, welche die Ökonomie bereithält, für das Leben des Einzelnen und ganzer Nationen wichtiger denn je. In den Vereinigten Staaten kam der Lebensstandard zuletzt zwar nicht so recht vom Fleck, doch das Produktivitätswachstum konnte in den vergangenen zehn Jahren wieder enorm aufholen, sodass in den USA heute eine Kombination aus rapidem Produktionswachstum und rückläufigen Erwerbstätigenzahlen herrscht. Betrachtet man das größere Bild, so ist die Welt enger zusammengerückt, gekittet durch Computer und Kommunikationssysteme, die einen immer stärker ausgeprägten globalen Wettbewerbsmarkt mit sich bringen. Schwellenländer wie China, Indien und Russland – drei Giganten, die bis vor kurzem bewusst auf zentrale Planung setzten – benötigen heute eine profunde Kenntnis der Institutionen einer Marktwirtschaft, wollen sie zum Lebensstandard der Reichen aufschließen. Zugleich wächst die Sorge um den Zustand unserer Umwelt weltweit, und die Notwendigkeit, Abkommen zum Schutz und zur Bewahrung unseres kostbaren natürlichen Erbes zu treffen, wird zunehmend erkannt. Alle diese faszinierenden Entwicklungen fließen in das moderne Drama, das wir Ökonomie nennen, ein.
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Die Wiedergeburt der Volkswirtschaftslehre Seit über einem halben Jahrhundert dient dieses Buch nun schon als Standardlehrbuch, das Studenten in den Vereinigten Staaten und überall auf der Welt in die Volkswirtschaftslehre einführt. Jede neue Auflage filtert erneut das Beste aus den Konzepten der großen Ökonomen heraus, die sich Gedanken über die Funktionsweise der Märkte und gesellschaftliche Einflussmöglichkeiten auf den Lebensstandard der Menschen machen. Die Volkswirtschaftslehre hat sich seit der ersten Ausgabe im Jahr 1948 grundlegend verändert. Und gerade weil die Wirtschaftswissenschaft vor allem ein lebendiger und in Entwicklung begriffener Organismus ist, entsteht Volkswirtschaftslehre mit jeder neuen Auflage neu, wobei den Autoren die anspruchsvolle Aufgabe zukommt, die jüngsten Ideen der modernen Ökonomen vorzustellen und zu zeigen, wie dieser Lehrgegenstand zur weltweiten Wohlstandsmehrung beitragen kann. Wir stehen dabei vor folgender Frage: Wie können wir Ihnen eine möglichst klare, präzise und zugleich interessante Einführung in die Grundsätze der modernen Volkswirtschaftslehre und in die Institutionen des amerikanischen und weltweiten Wirtschaftsgefüges bieten? Unser vorrangiges Ziel ist es, die volkswirtschaftlichen Entwicklungen zu verfolgen und auf die den jeweiligen Tendenzen zugrunde liegenden Prinzipien hinzuweisen, die weit über die Schlagzeilen des Tages hinaus Bestand haben.
Die 18. Auflage Volkswirtschaft ist eine dynamische Wissenschaft – in ihrem Wandel spiegeln sich die wechselnden Trends der Wirtschaftspolitik, Umwelt, Weltwirtschaft und der Gesamtgesellschaft. Ebenso wie die Wirtschaft und unsere Umwelt entwickelt sich auch dieses Buch, dessen neueste Auflage durch folgende sieben Merkmale gekennzeichnet ist:
Vorwort
1. Die Kernthesen der Volkswirtschaftslehre. Häufig erscheint uns die Ökonomie als eine endlose Abfolge immer neuer Rätsel, Probleme und Dilemmata. Doch es gibt, wie erfahrene Dozenten mittlerweile wissen, einige wenige Konzepte, die jedem wirtschaftlichen Geschehen zugrunde liegen. Kennt man diese Grundkonzepte, scheint man plötzlich schneller zu lernen, und das mit bedeutend mehr Spaß. Wir haben daher beschlossen, uns auf die Kernthesen der Volkswirtschaftslehre zu konzentrieren – auf jene dauerhaften Wahrheiten, die im neuen Jahrhundert dieselbe Bedeutung haben werden wie im alten. Mikroökonomische Konzepte wie Knappheit, Effizienz, der Nutzen der Spezialisierung und das Prinzip des komparativen Vorteils werden Bestand haben, solange die Knappheit von Gütern selbst bestehen bleibt. Darüber hinaus benötigen Studenten der Makroökonomie eine solide Wissensgrundlage in den Fragen des gesamtwirtschaftlichen Angebots und der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, und sie müssen die Rolle der nationalen und internationalen Währungen verstehen. Die Leser dieses Buches werden die weithin anerkannten Theorien des Wirtschaftswachstums kennen lernen, sollten aber auch Einblick in die widerstreitenden Konjunkturtheorien erhalten. 2. Innovation in der Volkswirtschaftslehre. Die Wirtschaftswissenschaften haben in ihrem Verständnis der Rolle der Innovationen große Fortschritte erzielt. Wir sind bereits an die schwindelerregenden Veränderungen auf dem Computersektor gewöhnt, wo Monat für Monat neue Produkte und Programme auf den Markt kommen. Das Internet hat unsere Kommunikation revolutioniert und spielt eine immer größere Rolle in der Produktwerbung. Wir möchten aber auch auf die Bedeutung der Innovation in der Volkswirtschaftslehre selbst hinweisen. Ökonomen sind auf ihre Weise ebenfalls Tüftler, Neuerer und Erfinder. Die Geschichte zeigt, dass volkswirtschaftliche Ideen, sobald man sie auf reale Probleme anwendet, enorme Umwälzungen
Vorwort
auslösen können. Zu den bedeutendsten Innovationen, die wir auf diesem Gebiet beobachten, gehört die Anwendung der Ökonomie auf umweltpolitische Probleme mit dem so genannten „Emissionshandel“. Andere wichtige ökonomische Neuerungen, die in diesem Buch besprochen werden, sind verbesserte regulatorische Mechanismen und der radikale neue Schritt der Schaffung einer gemeinsamen europäischen Währung. Eine der einflussreichsten wirtschaftlichen Innovationen der letzten Jahre ist die Messung der Verbraucherpreise. Wir erklären, welche Auswirkungen die Verhaltensökonomie auf die Konsumtheorie hat. Erläutert wird auch die Netzwerkökonomie, und wir beschreiben, welchen Einfluss sie auf die wirtschaftliche Effizienz und Marktmacht sowie auf die Debatte darüber hat, wie man etwa dem monopolistischen Verhalten von Microsoft begegnen sollte. Eine der für unsere gemeinsame Zukunft wichtigsten Innovationen ist der Umgang mit globalen öffentlichen Gütern, etwa im Zusammenhang mit dem Klimawandel, und wir analysieren neue Ansätze zur Bekämpfung internationaler Umweltprobleme, darunter das Kyoto-Protokoll. 3. Small is Beautiful. Die Themen der Ökonomie haben sich in den letzten 50 Jahren deutlich erweitert. Immer noch weht die Fahne der Volkswirtschaftslehre über ihrem traditionellen Reich, dem Markt, aber sie deckt mittlerweile auch die Bereiche Umwelt, Rechtswissenschaften, statistische und historische Methoden, Kunst, geschlechtsspezifische und Rassendiskriminierung, ja sogar die Familie ab. In ihrem Kern jedoch bleibt Ökonomie die Wissenschaft von der Entscheidungsfreiheit, und das bedeutet für uns, die Autoren, dass wir für dieses Buch die wichtigsten und beständigsten Themen auswählen mussten. Mit einem Überblick über die volkswirtschaftlichen Strömungen ist es wie mit einer Mahlzeit: Small is beautiful – kleine Portionen verdaut man einfach besser. Die Auswahl der Themen für dieses Buch hat uns vor viele schwierige Entscheidungen
7 gestellt. Um besser beurteilen zu können, welche Fragen für den informierten Bürger und die neue Ökonomengeneration von Bedeutung sind, befragen wir laufend Lehrkräfte und führende Wissenschaftler. Wir haben sogar eine Liste der wichtigsten Konzepte erstellt und uns von altem Material verabschiedet, wenn es uns als nicht mehr so wichtig oder überholt erschien. In jeder Phase mussten wir uns die Frage stellen, ob das Textmaterial nach unserem besten Wissen und Gewissen unverzichtbar für das Verständnis der Ökonomie des 21. Jahrhunderts ist. Erst wenn wir diese Frage bejahen konnten, fanden Lehrinhalte Eingang in diese Auflage. Das Ergebnis unseres Auswahlprozesses liegt nun in Form dieses Buches vor, das in den letzten beiden Ausgaben mehr als ein Viertel seines Gewichts abgespeckt hat. Landwirtschaft, Gewerkschaften, marxistische Ökonomie, der Trugschluss des fixen Arbeitsangebots (Lump-of-Labor-Fallacy) und Gesundheitsökonomie wurden weggelassen, um Raum für Umweltökonomie, Netzwerkökonomie, die Behandlung des Konjunkturzyklus und Finanzökonomie zu schaffen. 4. Politische Themen im neuen Jahrhundert. Für viele Studenten besteht der Glanz der Ökonomie in ihrer Relevanz für die staatliche Politik. Diese 18. Auflage betont die Rolle des Staates in Mikro- und Makroökonomie. Wenn Gesellschaften wachsen, beginnen sie die Umwelt und die Ökosysteme ihrer natürlichen Umwelt zu überrollen. Die in Kapitel 18 präsentierte Umweltökonomie hilft den Studenten, die Externalitäten wirtschaftlicher Tätigkeiten zu erkennen, während im Anschluss unterschiedliche Ansätze analysiert werden, wie man die von Menschen erschaffenen Wirtschaftssysteme mit den natürlichen Systemen in Einklang bringen könnte. Neue Beispiele – etwa Reformen in der steuerlichen Behandlung von Dividenden, Mindestlöhne, das internationale Outsourcing wirtschaftlicher Tätigkeiten, der Wert von Marken sowie Probleme des Bi-
8 lanzbetrugs – erfüllen die graue volkswirtschaftliche Theorie mit Leben. Ein zweiter Bereich von zentraler Bedeutung ist die Finanz- und Geldwirtschaft. Wir haben uns dem Thema Geldwirtschaft ganz neu gestellt und ein eigenes Kapitel „Finanzmärkte und der Sonderfall Geld“ verfasst. Darin wird die Geldwirtschaft in den größeren Kontext der Finanzwirtschaft gestellt, und das Kapitel befasst sich ebenso wie jenes über die Tätigkeit der Zentralbanken mit der entscheidenden Rolle, die Geld im Konjunkturzyklus spielt. Durch Rückgriffe auf die Geschichte, wirtschaftliche Chroniken und auf die Erfahrung der Autoren können wir auch in der 18. Auflage wieder Fallstudien und empirische Belege zur Illustration volkswirtschaftlicher Theorien anbieten. Das Dilemma der Armutsbekämpfung zeigt sich anhand der Wohlfahrtsreformen des Jahres 1996. Die Notwendigkeit, einen wirtschaftlichen Ansatz in der Umweltpolitik zu finden, wird am Beispiel der globalen Erwärmung illustriert, und unser Verständnis makroökonomischer Analysen verbessert sich zusehends, wenn wir erkennen, wie staatliche Defizite die nationalen Sparguthaben auffressen. 5. Globalisierungsdebatten. Das letzte Jahrzehnt war durch hartnäckige Kämpfe um die Rolle des internationalen Handels in unseren Volkswirtschaften gekennzeichnet. Bisweilen hört man die Behauptung, der Rückgang der Arbeitsplätze in der verarbeitenden Industrie der USA sei auf den Export dieser Arbeitsplätze nach Mexiko oder China zurückzuführen, wenngleich eine sorgfältige Analyse der Arbeitsmarkttrends eine solche Behauptung in Frage stellt. Wo auch immer die Gründe dafür liegen mögen, in den USA zeichnet sich seit der Jahrtausendwende ganz eindeutig ein rasches Produktionswachstum ab, das aber mit einem Beschäftigungsrückgang einhergeht. Eine der wichtigsten Debatten der letzten Jahre betraf die „Globalisierung“ rund um die zunehmende wirtschaftliche Integration
Vorwort
verschiedener Länder. Die US-Amerikaner mussten feststellen, dass heute kein Land mehr eine wirtschaftliche Insel ist. Einwanderung und internationaler Handel haben tiefgreifende Auswirkungen auf die angebotenen Güter, auf die Preise, die wir bezahlen, und die Löhne, die wir verdienen. In den USA können terroristische Angriffe der Wirtschaft enormen Schaden zufügen, während in Afrika Kriege zu Hungersnöten führen und auf den Lebensstandard drücken. Niemand kann die Auswirkungen der stetig wachsenden Handels- und Kapitalflüsse verstehen, ohne die Theorie des komparativen Vorteils studiert zu haben. Die 18. Auflage von Volkswirtschaftslehre enthält daher mehr Material über die internationale Wirtschaft und die Wechselwirkungen zwischen internationalem Handel und den binnenwirtschaftlichen Entwicklungen. 6. Die konkurrierenden Schulen der Makroökonomie. Eine der Hauptschwierigkeiten im Verständnis unserer modernen Volkswirtschaften besteht in den unterschiedlichen Ansätzen konkurrierender makroökonomischer Schulen. Häufig müssen sich Dozenten fragen, wie ihre Studenten einen Gegenstand verstehen sollen, dessen Exponenten untereinander so uneinig sind. Doch so abfällig manche Äußerungen über die Zersplitterung der modernen Makroökonomie auch sein mögen – wir halten die herrschende Vielfalt für ein Zeichen von Gesundheit und bevorzugen die lebendige Debatte gegenüber einem selbstzufriedenen, alles überdeckenden Konsens. Die 18. Auflage von Volkswirtschaftslehre analysiert die wichtigsten Schulen der modernen Makroökonomie im Rahmen der Organisationsstruktur von gesamtwirtschaftlicher Nachfrage und gesamtwirtschaftlichem Angebot. Wir zeigen, wie die Makroökonomie der keynesianischen, der klassischen und neoklassischen sowie der realen Konjunkturtheorie und die verschiedenen monetaristischen Schulen zu verstehen sind, nämlich als Strömungen, die einfach unterschiedliche Aspekte der Erwartungen auf dem Markt, der
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Vorwort
Markträumung und der Gesamtnachfrage auf dem Markt betonen. Jede dieser Schulen wird kurz und prägnant präsentiert und – ohne zu polemisieren – mit der Konkurrenz verglichen. Für jede Theorie werden empirische Belege angeführt und evaluiert. Die wichtigsten Schulen sind in Kapitel 33, „Die unterschiedlichen Lehrmeinungen in der Makroökonomie“, dargestellt. Außerdem verweisen wir auf wichtige politische Implikationen der verschiedenen Ansätze. Ökonomen gehen heute vermehrt dazu über, die bestimmenden Faktoren für ein langfristiges Wirtschaftswachstum, die jüngsten Zuwächse im Produktivitätswachstum und die Entwicklung von Innovationen und neuem technologischem Know-how zu untersuchen. Hierbei gilt es, das Wirtschaftswachstum an die Spitze und ins Zentrum unserer Überlegungen zu stellen, um unseren Studenten die moderne Debatte über die Rolle von Staatsverschuldung und Defiziten verständlich zu machen. Die 18. Auflage von Volkswirtschaftslehre stellt sich dieser Aufgabe, indem sie Wachstumstheorien und Daten im zentralen Abschnitt über die Makroökonomie zusammenfasst. 7. Klarheit und Transparenz. Obwohl die vorliegende Auflage von Volkswirtschaftslehre viel Neues enthält, war unser Hauptziel auf dieser Reise durch die Gefilde der Volkswirtschaft eine möglichst klare und transparente Darstellung. Studenten der Wirtschaftswissenschaften unterscheiden sich in ihrem familiären und Bildungshintergrund, und sie kommen mit einer Menge Vorwissen und bestimmten Vorstellungen darüber, wie die Welt funktioniert, in die Hörsäle. Unsere Aufgabe ist es nicht, die Wertvorstellungen der Studenten zu ändern. Wir bemühen uns, interessierten Studenten ein Verständnis der dauerhaften volkswirtschaftlichen Grundsätze zu vermitteln, die sie so besser anwenden können, um die Welt zu verändern: zu ihrem eigenen Nutzen sowie zu demjenigen ihrer Familien und ihres Umfeldes. Nichts fördert das Verständnis wirtschaftlicher Zusammen-
hänge mehr als eine klare, einfache Darlegung. Wir haben jede einzelne Seite in diesem Buch unter diesem Gesichtspunkt überarbeitet und dazu Tausende von Meinungen und Vorschlägen zahlreicher Lehrkräfte und Studenten eingeholt, die wir nach Möglichkeit berücksichtigt und in diese 18. Auflage haben einfließen lassen.
Freiwillige vor VWL-Kurse können ebenso in Form einer Kurzeinführung von der Dauer eines Trimesters wie in jahrelangen Intensivlehrgängen abgehalten werden. Dieses Buch wurde sehr sorgfältig zusammengestellt, sodass es sich in den unterschiedlichsten Situationen anwenden lässt. Spezifisches Material für Fortgeschrittene wurde in eigene Abschnitte und Kapitel sortiert. Diese sollen neugierige Studenten und die Teilnehmer fortgeschrittener Kurse ansprechen, in denen die gesamte Disziplin gründlich gelehrt wird. Wir haben in den Übungen zu den Kapiteln auch einige schwierigere Fragen angeführt, um besonders Interessierten ein paar harte Nüsse zum Knacken zu geben. Wenn in Ihrem Kurs rasch vorgegangen wird, werden Sie die ausgeklügelte Strukturierung des schwierigeren Materials zu schätzen wissen. In Crashkursen können die Abschnitte für Fortgeschrittene und Interessierte problemlos übersprungen werden, während man sich ganz auf die Kerngebiete der volkswirtschaftlichen Analyse konzentriert, ohne den Faden der ökonomischen Theorien aus den Augen zu verlieren. Dieses Buch stellt selbst für fortgeschrittene junge Wirtschaftswissenschaftler noch so manche Herausforderung dar. Uns liegen Schreiben führender moderner Ökonomen vor, in denen sie uns erklären, auf ihrem gesamten Weg zum Dr. rer.oec. hätten sie sich stets auf Volkswirtschaftslehre verlassen können.
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Das Format In der vorliegenden 18. Auflage wurden wichtige Themen nach Möglichkeit näher illustriert. Unsere Leser stoßen dabei immer wieder auf Warnhinweise für Einsteiger, praktische volkswirtschaftliche Anwendungsbeispiele und biografisches Material über große Ökonomen der Vergangenheit und Gegenwart an. Diese zentralen Themen werden übrigens nicht zusammenhanglos präsentiert, sondern sind in die betreffenden Kapitel integriert, sodass der Leser, wenn er sich mit ihnen beschäftigt, seinen Gedankenfluss nicht unterbrechen muss. Zu den Neuerungen der vorliegenden Auflage gehören einige Übungsfragen am Ende der einzelnen Kapitel mit spezieller Betonung kurzer Problemstellungen, die zur Festigung der wichtigsten im jeweiligen Kapitel behandelten Konzepte beitragen. Ist ein Begriff im Text fett gedruckt, so bedeutet dies, dass er an der betreffenden Stelle zum ersten Mal auftritt und als wichtiger volkswirtschaftlicher Terminus definiert wird. Trotz der zahlreichen Änderungen hat sich der seit der ersten Auflage vorherrschende Stil von Volkswirtschaftslehre in keiner Weise verändert: Wir bleiben bei unserem Konzept der einfachen Sätze, verständlichen Erklärungen und kurzen, prägnanten Tabellen und Grafiken.
Wer mit der Makroökonomie beginnen möchte… Zwar wurde diese Auflage wie die früheren so konzipiert, dass zunächst der gesamte Themenkreis der Mikroökonomie behandelt wird, doch einige Dozenten bevorzugen den Einstieg über die Makroökonomie. Viele Fachleute sind davon überzeugt, dass Anfänger leichter Zugang zu makroökonomischen Themen finden und daher rascher ein Interesse an der Ökonomie entwickeln, wenn sie zunächst mit makroökonomischen Problemstellungen konfrontiert werden. Wir haben
Vorwort
nach beiden Reihenfolgen unterrichtet und festgestellt, dass beide Ansätze durchaus brauchbar sind. Dieses Buch wurde daher so konzipiert, dass Sie damit unabhängig von Ihrer Herangehensweise arbeiten können. Lehrkräfte, die zunächst die Mikroökonomie durchnehmen möchten, können die Kapitel der Reihe nach vortragen. Wer hingegen Makroökonomie für den besseren Einstieg hält, sollte von Teil I direkt auf Teil V springen und darf sich dabei darauf verlassen, dass Darstellung und Querverweise eigens mit Rücksicht auf seine Bedürfnisse gewählt wurden.
Zusätzliche Lehr- und Lernhilfen Die in dieser Auflage enthaltenen Grafiken und Abbildungen können elektronisch als Powerpoint-Folien angesehen werden (in englischer Sprache). Sie finden die Folien auf unserer Website (www.mhhe.com/samuelson18). Hier können auch Kapitelzusammenfassungen, praktische Tests zur Selbstbenotung, WebFragen und Links zu den Websites abgerufen werden, die zur weiteren Recherche am Ende eines jeden Kapitels vorgeschlagen werden.
Volkswirtschaftslehre im Computerzeitalter Das elektronische Zeitalter hat die Art, wie Lehrkräfte und Studenten Zugang zu Informationen erhalten, von Grund auf verändert. In der Ökonomie eröffnet uns die Informationsrevolution einen hervorragenden Zugang zu volkswirtschaftlichen Statistiken und Forschungsarbeiten. Ein wesentliches Merkmal der vorliegenden 18. Auflage ist der Abschnitt „Volkswirtschaftslehre und Internet“, der unmittelbar im Anschluss an dieses Vorwort eingefügt wurde. Dieser kleine Abschnitt bietet einen Überblick über die Situation der Volkswirtschaftslehre auf der Datenautobahn. Darüber hinaus enthält jedes Kapitel am Ende einen aktualisierten Abschnitt mit Vorschlägen für weiterführenden Lesestoff sowie
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Vorwort
Adressen von Websites, die sich für vertiefende Studien eignen oder zusätzliche Daten und Fallstudien anbieten.
Dank Dieses Buch hat nur zwei Autoren, aber eine Vielzahl wertvoller Mitarbeiter. Wir sind unseren Kollegen, Lektoren, Studenten und dem Personal von McGraw-Hill für ihre Beiträge zur termingerechten Fertigstellung der 18. Auflage von Volkswirtschaftslehre zu großem Dank verpflichtet. Unter den Kollegen am MIT, in Yale und anderswo, die uns großzügigerweise mit Hinweisen und Vorschlägen unterstützt haben, möchten wir William C. Brainard, E. Cary Brown, John Geanakoplos, Robert J. Gordon, Lyle Gramely, Paul Joskow, Alfred Kahn, Richard Levin, Robert Litan, Barry Nalebuff, Merton J. Peck, Gustav Ranis, Herbert Scarf, Robert M. Solow, James Tobin, Janet Yellen und Gary Yohe besonders hervorheben. Profitiert haben wir aber auch vom unermüdlichen Engagement vieler Lehrkräfte, deren wertvolle Unterrichtserfahrung in diese Auflage eingeflossen ist. Unser besonderer Dank gilt außerdem den Lektoren dieser 18. Auflage. Es sind dies: Mohammad Akacem, University of Colorado, Denver Mohua Das, Centre College George Euskirchen, Thomas More College Adam Forest, Seattle University Satyajit Ghosh, University of Scranton Aroop Mahanty, University of Maryland Donald Milley, Youngstown State University Ibrahim Oweiss, Georgetown University Dennis Petruska, Youngstown State University Edward Scahill, University of Scranton Die Studenten am MIT, in Yale, aber auch an anderen Colleges und Universitäten haben uns bei der Abfassung dieses Buches als „virtuelles College“ gedient. Von ihnen werden wir laufend getestet; sie fordern uns heraus und haben uns so hoffentlich gehol-
fen, in dieser Auflage weniger Fehler zu machen als in der vorigen. Obwohl wir sie natürlich nicht alle nennen können, ist ihr wertvoller Einfluss in jedem einzelnen Kapitel spürbar. Nancy King in New Haven möchten wir wegen ihrer großen logistischen Hilfe besonders erwähnen. Dieses Projekt wäre außerdem ohne das hervorragende Team von McGraw-Hill, das dieses Buch in jedem Stadium wie ein Kind gehegt und gepflegt hat, nie zustande gekommen. Wir danken – in chronologischer Reihenfolge ihres Auftretens – vor allem folgenden Personen: Cheflektorin Lucille Sutton, Lektorin Karen Minnich, Lektoratsassistentin Becca Hicks, Projektmanagerin Susanne Riedell, Herstellungsleiterin Becky Szura und Marketingleiter Marty Quinn. Dieser Gruppe von Spitzenkräften ihres Fachs gelang es schließlich, einen Stoß Disketten und einen Berg Papier in ein fein abgestimmtes Kunstwerk zu verwandeln.
Ein Wort an den selbstständigen Studenten Sie haben in Ihren Geschichtslehrbüchern über Revolutionen gelesen, die Zivilisationen bis in ihre Grundfesten erschütterten – religiöse Konflikte, Kriege um politische Befreiung, Kämpfe gegen Kolonialismus und Imperialismus. Noch vor einem Jahrzehnt schienen wirtschaftliche Revolutionen in Osteuropa, in der früheren Sowjetunion, in China und anderswo die Gesellschaften dieser Länder zu spalten. Junge Menschen rissen Mauern nieder, hoben etablierte Mächte aus dem Sattel und gingen für Demokratie und Marktwirtschaft auf die Straßen, weil sie mit ihren zentralistisch geführten sozialistischen Regierungen unzufrieden waren. Studenten wie Sie selbst agitieren, demonstrieren und gehen in vielen Ländern sogar ins Gefängnis, um radikale Ideen studieren und aus westlichen Lehrbüchern wie diesem lernen zu dürfen, in der Hoffnung, irgendwann
12 die Freiheit und den wirtschaftlichen Wohlstand demokratischer Marktwirtschaften zu genießen.
Der Markt der volkswirtschaftlichen Theorien Für welchen Markt agitieren eigentlich die Studenten unterdrückter Gesellschaften? Auf den folgenden Seiten werden Sie über Märkte für Aktien und Anleihen, mexikanische Pesos und europäische Euros, Hilfsarbeiter und hoch spezialisierte Neurochirurgen lesen. Wahrscheinlich haben Sie in der Zeitung schon über das Bruttoinlandsprodukt, den Verbraucherpreisindex, den Aktienmarkt und die Arbeitslosenquote gelesen. Nach einem gründlichen Studium dieses Buches werden Sie genau wissen, was diese Begriffe bedeuten. Wichtiger noch, Sie werden die bedeutenden volkswirtschaftlichen Kräfte verstehen, die hinter diesen Begriffen stehen. Es gibt aber auch einen Markt der Ideen, auf dem konkurrierende volkswirtschaftliche Schulen ihre Theorien feilbieten und versuchen, die Gemeinde ihrer wissenschaftlichen Kollegen zu überzeugen. Wir möchten Ihnen
Vorwort
in den folgenden Kapiteln einen fairen und unparteiischen Überblick über die Denkweisen der intellektuellen Giganten unseres Berufsstandes bieten – von den frühen Ökonomen wie Adam Smith, David Ricardo und Karl Marx bis hin zu den Titanen unserer Tage wie John Maynard Keynes, Milton Friedman und James Tobin.
Also dann – Gute Reise! Wundern Sie sich nicht, wenn Sie vor Ihrer Reise ins Land der Märkte von unbestimmten Ängsten geplagt werden – das ist durchaus normal. Doch fassen Sie sich ein Herz. Sie müssen nämlich wissen: Wir, die Autoren, beneiden Sie, den Anfänger, um die bevorstehende aufregende Erkundungsfahrt in die Welt der Ökonomie! Das ist eine Erfahrung, die man so packend leider nur ein einziges Mal im Leben machen kann. Also lassen Sie sich von uns noch einmal zurufen: Gute Reise! Paul A. Samuelson William D. Nordhaus
Für den Studenten: Volkswirtschaftslehre und Internet
Das Informationszeitalter hat unser aller Leben grundlegend umgewälzt. Sein Einfluss auf Wissenschaftler und Studenten ist so groß, weil es jedermann kostengünstig und schnell Zugang zu enormen Informationsmengen eröffnet. Das Internet, ein riesiges und stetig wachsendes öffentliches Netz untereinander verbundener Rechner und Informationen, verändert für jeden von uns Studium, Einkaufsgewohnheiten, Kulturaustausch und Kommunikation mit Freunden und Angehörigen. Als Volkswirtschaftler erhalten wir über das Internet raschen Zugang zu Statistiken und Forschungsdaten. Auf einen einfachen Mausklick finden wir die neueste Arbeitslosenquote, erhalten Informationen zu den Themen Armut und Einkommensverteilung oder können die Verflechtungen unseres Bankensystems ergründen. Noch vor wenigen Jahren hätte es vielleicht Wochen gedauert, die Daten zur Analyse eines wirtschaftlichen Problems zu beschaffen. Heute, mit einem Computer und ein wenig Übung, ist diese Aufgabe in wenigen Minuten erledigt. Dieses Buch ist kein Handbuch für das erfolgreiche Surfen auf der Datenautobahn. Diese Fertigkeit lässt sich problemlos in einschlägigen Kursen oder auch im Selbststudium erlernen. Nein, wir möchten Ihnen verraten, wo sich die wichtigsten Quellen für volkswirtschaftliche Daten und Forschungsinformationen befinden. Mit diesem „Plan“ und einigen rudimentären Navigationskenntnissen können Sie die verschiedenen Websites erkunden und werden dort eine reiche Fülle an Daten, Informationen, Studien und
Chatrooms finden. Außerdem haben wir an das Ende jedes Kapitels eine Liste mit den nützlichsten Websites gestellt, die Sie verwenden können, um die Hauptthemen der einzelnen Kapitel weiter zu verfolgen. Bitte beachten Sie, dass einige dieser Websites gratis benutzt werden können, während bei anderen eine Registrierung erforderlich oder der Zugang nur über ein College oder eine Universität möglich ist; wiederum andere sind gebührenpflichtig. Die Gepflogenheiten ändern sich außerdem rasch, und obwohl wir bemüht waren, überwiegend kostenlos zugängliche Sites anzuführen, wollten wir doch qualitativ hochwertige Internetseiten nicht nur deshalb weglassen, weil sie gebührenpflichtig sind.
Daten und Institutionen Das Internet ist heute eine unverzichtbare Quelle nützlicher Daten und Informationen. Da die meisten volkswirtschaftlichen Daten von staatlichen Stellen bereitgestellt werden, sollte man sich zunächst auf den Webpages staatlicher Behörden und internationaler Organisationen auf die Suche begeben. Ein Ausgangspunkt für staatliche Statistiken aus den USA wäre etwa die Site www.fedstats. gov, die Bundesstatistiken aus einer Hand sowie Links zu über 70 staatlichen statistischen Institutionen bietet. Die Quellen sind nach Themenbereichen oder Behörden geordnet und verfügen über eine durchgehende Suchfunktion. Eine weitere gute Einfüh-
14 rungsseite in das amerikanische Statistiksystem auf Bundesebene ist der Economic Statistics Briefing Room unter www.whitehouse. gov/fsbr/esbr.html. Zusätzlich betreibt das US-Handelsministerium eine sehr große Datenbank unter www.stat-usa.gov, doch die Verwendung eines Teils dieser Datenbank erfordert ein Abonnement (das Sie möglicherweise über Ihre Universität bekommen). Die beste eigenständige statistische Quelle für Daten über die Vereinigten Staaten ist der so genannte Statistical Abstract of the United States, der einmal jährlich herausgegeben wird. Er steht unter der Adresse www.census. gov/compendia/statab online zur Verfügung. Einen Überblick über die US-Wirtschaft bietet der Economic Report of the President unter www.gpoaccess.gov/eop/index.html. Ein Großteil der wichtigsten Wirtschaftsdaten wird von speziellen Behörden veröffentlicht. So findet man etwa allgemeine Daten über das US-Handelsministerium (Department of Commerce), zu dem auch das Bureau of Economic Analysis (BEA, www.bea.gov) und das Census Bureau (www.census.gov) gehören. Die BEA-Website beinhaltet alle Daten und Artikel, die im Survey of Current Business veröffentlicht werden, darunter auch Daten über das Bruttoinlandsprodukt sowie Handels-, Kapitalund Leistungsbilanzen, internationale Handels- und Investitionsflüsse, Daten zu Industrieproduktion, Wirtschaftswachstum und Haushaltseinkommen sowie Arbeits- und Regionaldaten. Die Website des Census Bureau bietet weit mehr als nur reine Volkszählungsergebnisse. Hier findet man Wirtschaftsumfragen ebenso wie Informationen über Wohnungsbau, Einkommensstatistiken und Armut, die staatlichen Finanzen, Landwirtschaft, Außenhandel, Bauwesen, Produktion, Transport sowie über den Groß- und Einzelhandel. Zusätzlich zum Angebot dieser Publikationen durch das Census Bureau können Nutzer über die Website maßgeschneiderte Auszüge aus bekannten
Vorwort
Mikrozensus-Ergebnissen erhalten, darunter Survey of Income und Program Participation, Consumer Expenditure Survey, Current Population Survey, American Housing Survey und natürlich die jüngste Volkszählung. Das Bureau of Labor Statistics (unter www.bls.gov) bietet einfachen Zugang zu häufig nachgefragten Arbeitsdaten, einschließlich der jeweiligen Beschäftigungsund Arbeitslosenzahlen, Preise und Lebensbedingungen, Löhne, sowie zu Produktivität und Technologie. Ebenso verfügbar sind Arbeitsmarktdaten aus jüngsten Volkszählungen und Lohnstatistiken aus dem jeweiligen Employment Statistics Survey. Eine nützliche Quelle für Finanzdaten ist die Website des Federal Reserve Board (der USZentralbank) unter www.federalreserve.gov. Diese Seite bietet historische Wirtschafts- und Finanzdaten der USA, darunter die täglichen Zinssätze, Geld- und Wirtschaftsindikatoren, Wechselkurse, Zahlungsbilanzdaten sowie Preisindizes. Zusätzlich stellt das Office of Management and Budget unter www.gpoaccess.gov/usbudget/index.html das Bundesbudget und zugehörige Dokumente zur Verfügung. Internationale Statistiken sind häufig schwerer zu finden. Die Weltbank informiert unter www.worldbank.org über ihre Programme und Publikationen, der Internationale Währungsfonds oder IMF (International Monetary Fund) unter www.imf.org. Die UNO-Website (www.unsystem.org) ist ein wenig langsam und verwirrend, bietet jedoch Links zu den meisten internationalen Institutionen und deren Datenbanken. Eine gute Informationsquelle über die Industriestaaten ist die OECD, die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, unter www.oecd.org/home. Die OECDWebsite enthält zahlreiche Informationen über Wirtschaft, Bildung, Gesundheit, Wissenschaft und Technologie, Landwirtschaft, Energie, öffentliche Verwaltung und andere Themen.
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Vorwort
Wirtschaftsforschung und Journalismus Das Internet wird derzeit in Windeseile zur Bibliothek der ganzen Welt. Zeitungen, Magazine und wissenschaftliche Publikationen erscheinen immer häufiger in elektronischer Form. Die meisten von ihnen präsentieren einfach nur das, was bereits auf Papier gedruckt wurde. Einige interessante Quellen finden sich beim Economist unter www.economist.com und bei der Financial Times (www.ft.com). Das Wall Street Journal unter http://online.wsi.com/public/us ist derzeit teuer und als Informationsquelle vom Kosten-Nutzen-Verhältnis her unbefriedigend. Laufende politische Themen werden unter www.policy.com diskutiert. Das Online-Magazin Slate unter www.slate.com enthält gelegentlich ausgezeichnete volkswirtschaftliche Artikel. Was wissenschaftliche Publikationen angeht, stellen viele Journale ihre Texte online zur Verfügung. WebEc bietet unter www. helsinki.fi/WebEc/ eine Liste der Websites vieler verschiedener Wirtschaftszeitschriften. Die Archive zahlreicher Journale stehen außerdem unter www.jstor.org zur Verfügung. Es gibt mittlerweile einige Websites, die unterschiedlichste Ressourcen bündeln und zusammenfassen. Ein Ausgangspunkt wäre etwa Resources for Economists on the Internet, finanziert von der American Economic Association und herausgegeben von Bill Goffe, unter www.rfe.org. Neueste wissenschaftliche Forschungsergebnisse in Form von Arbeitspapieren bietet die Website des National Bureau of Economic Research (NBER) unter www.nber.org. Die NBERSeite enthält auch allgemeine Ressourcen, darunter Links zu Datenquellen und offiziellen US-Konjunkturdaten. Eine hervorragende Seite, die als Archiv und Ablage von Arbeitspapieren dient, befindet sich unter econwpa.wustl.edu/wpawelcome.html. Diese Seite eignet sich besonders für die Suche nach Hintergrundmaterial für Seminar- und Diplomarbeiten.
Haben Sie eigentlich schon gehört, dass man die Volkswirtschaftslehre auch als die trostlose Wissenschaft bezeichnet? Unter netec.mcc.ac.uk/JokEc.html können Sie über Ökonomenwitze, die meist auf Kosten der Ökonomen selbst gehen, herzlich lachen.
Ein Wort zur Warnung Denken Sie daran, dass angesichts des rapiden technologischen Wandels unsere Liste schon bald nicht mehr aktuell sein wird. Täglich erscheinen neue Sites mit wertvollen Informationen und Daten, andere verschwinden fast ebenso rasch. Bevor Sie sich nun auf die Reise in die wunderbare Welt des Internets begeben, möchten wir Ihnen noch ein klein wenig Expertenweisheit mit auf den Weg geben. Denken Sie einfach an das alte Sprichwort: Sorgfalt zahlt sich aus. Im Fall des Internets bedeutet dies, dass man sich unbedingt vergewissern sollte, ob Quellen und Daten verlässlich sind. Das Netz lässt sich wie andere elektronische Medien auch einfach gebrauchen und genauso einfach missbrauchen. In der Volkswirtschaftslehre ist das WWW das, was einem Gratisessen am nächsten kommt. Doch Sie sollten sich Ihr Gericht vorher sorgfältig zusammenstellen, damit es mundet und gut verdaulich ist.
Deutschsprachige Websites Es gibt praktisch zu allen in diesem Buch behandelten Themen und Konzepten zahlreiche deutschsprachige Websites. Sie werden vielfach von einzelnen Universitätsinstituten ins Netz gestellt und unterscheiden sich erheblich im Hinblick auf Inhalt und Umfang sowie in Bezug auf ihre Kurz- oder Langlebigkeit. Einige Professoren bieten Übersichten oder Inhaltsangaben ihrer Vorlesungen
16 im aktuellen Semester – wer nicht an der betreffenden Universität studiert, wird daraus wenig Nutzen ziehen. Mitunter sind diese Übersichten um Literaturverzeichnisse ergänzt – das ist hilfreicher, aber vermutlich werden Sie dort, wo Sie selbst studieren, entsprechende Literaturlisten bekommen. Wer sich ausführlich mit einzelnen Aspekten befassen will, wird ohnehin bibliografieren müssen. Manche Lehrstühle bieten auch Hintergrundwissen und/oder Übungsaufgaben zu einzelnen Themen – Letztere nicht immer mit Lösung, was darauf hindeutet, dass sie für die Studenten am betreffenden Institut gedacht sind und in eigenen Übungsveranstaltungen besprochen werden. Es wird in diesem Buch generell auf Empfehlungen derartiger oder ähnlicher Websites verzichtet, weil sie sich häufig von Semester zu Semester ändern und ein Zusatznutzen für den Leser dieses Buches nicht immer gegeben ist. Aufgelistet werden, außer Angaben zur gängigen Fachliteratur, nur solche Websites, bei denen man annehmen kann, dass sie bis zur nächsten Auflage dieses Buches Bestand haben werden und einen Nutzen bieten können. Im Bereich Mikroökonomie handelt es sich dabei vielfach um Websites, die Begriffsdefinitionen (mit oder ohne Beispiele) aufführen; in der Makroökonomie werden überwiegend Hinweise auf Quellen aktueller Wirtschaftsdaten beziehungsweise Untersuchungen der tatsächlichen Wirtschaftsentwicklung gegeben. Die umfassendste Sammlung aktueller und historischer Wirtschaftsdaten bietet das Statistische Bundesamt unter www.destatis.de. Eine gute Hilfe bei der Beschaffung wissenschaftlicher Literatur ist Gallileus (www.lalisio.com). Die Website ermöglicht die bequeme Suche innerhalb eines umfassenden Pools an Büchern sowie Zeitschriften- und Zeitungsartikeln. Die gewünschte Literatur kann bestellt und zur elektronischen Weiterverarbeitung heruntergeladen werden.
Vorwort
Teil 1
Die Grundlagen
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A. Einleitung
KAPITEL 1 Die Grundlagen der Volkswirtschaft
Das Zeitalter des Rittertums ist dahin; das der Sophisten, Krämer und Pfennigfuchser hat obsiegt. Edmund Burke
Zu Beginn Ihrer Studien stellen Sie sich vielleicht die Frage nach dem Warum – warum sollten Sie sich mit Volkswirtschaft beschäftigten? Nun, viele Leute tun das, und aus einer ganzen Reihe von Gründen. Manche hoffen sicher auf das schnelle Geld. Andere würden sich wie Analphabeten fühlen, verstünden sie nichts von den Gesetzen des Angebots und der Nachfrage. Wieder andere wollen wissen, wie das Computer- und Informationszeitalter unsere Gesellschaft prägt oder warum in den letzten Jahren die Einkommensungleichheit in den USA so drastisch zugenommen hat.
Wem die Stunde schlägt Alle genannten Gründe, sich für das Studium der Volkswirtschaft zu entscheiden, und noch viele andere mehr, sind nachvollziehbar und sinnvoll. Und doch gibt es nach unserer Erkenntnis einen Hauptgrund, die Grundlagen der Ökonomie kennen zu lernen: Unser ganzes Leben lang – sozusagen von der Wiege bis zur Bahre – haben wir mit den brutalen Wahrheiten der Ökonomie zu kämpfen. Als Wähler müssen wir Entscheidungen treffen, deren Inhalt wir gar nicht verstehen können, ohne die Grundlagen der Volkswirtschaftslehre zu kennen. Ohne die Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Fragen sind wir nicht umfassend über den internationalen Handel, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Internet oder die Wechselbeziehung zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit informiert. Die Berufswahl ist die wichtigste wirtschaftliche Entscheidung unseres Lebens. Unsere Zukunft hängt aber nicht nur von unseren Fähigkeiten ab, sondern auch von den ökonomischen Kräften, die, ohne dass wir darauf Einfluss nehmen können, etwa unser Gehalt bestimmen. Etwas ökonomisches Verständnis kann beispielsweise sehr
20 hilfreich sein, wenn wir die Ersparnisse, die von unserem Einkommen übrig bleiben, anlegen. Natürlich macht uns das Studium der Volkswirtschaft nicht gleich zum Genie. Fehlt uns aber jedes wirtschaftliche Verständnis, sind wir jedenfalls im Nachteil. Diese Frage sollte damit also beantwortet sein. Wir, die Autoren, hoffen jedoch darüber hinaus, dass Sie das Studium der Volkswirtschaft nicht nur als nützlich, sondern auch persönlich als faszinierend empfinden werden. Ganze Generationen von Studenten haben, häufig sehr zu ihrer Überraschung, festgestellt, wie stimulierend die Erforschung wirtschaftlicher Zusammenhänge sein kann.
Knappheit und Effizienz: Ein Zwilling kommt selten allein Was bedeutet eigentlich der Begriff Ökonomie oder Volkswirtschaft? Nun – das, was diese Vokabel beschreibt, ist in den letzten 50 Jahren enorm angewachsen und umfasst heute eine ganze Reihe von Themenstellungen. Doch wie definieren wir diese rasch expandierenden Fächer und Themen?1 Hier die wichtigsten Aufgaben der Ökonomik: • Die Volkswirtschaftslehre befasst sich mit dem Verhalten der Finanzmärkte, etwa mit Zinssätzen und Aktienkursen. • Sie untersucht die Gründe, warum manche Menschen und Länder hohe Einkommen erzielen, andere aber arm sind. Gleichzeitig zeigt sie Möglichkeiten auf, den Lebensstandard der Armen zu heben, ohne der Wirtschaft Schaden zuzufügen.
1 Diese Liste enthält mehrere volkswirtschaftliche Fachausdrücke. Zum Verständnis der Volkswirtschaftslehre gehört unbedingt auch das Beherrschen ihrer Terminologie. Wenn Sie einen bestimmten Begriff oder einen Satz nicht verstehen, schlagen Sie bitte im Glossar hinten in diesem Buch nach. Darin sind die meisten der in diesem Buch verwendeten Fachausdrücke erklärt. Alle fett gedruckten Begriffe werden im Glossar erläutert.
Die Grundlagen
Teil 1
• Sie verfolgt das Auf und Ab der Konjunkturzyklen, der Arbeitslosigkeit sowie der Inflation und erkundet Maßnahmen zu deren Dämpfung. • Sie erforscht Handel und Finanzwesen auf internationaler Ebene und fragt nach den Auswirkungen der Globalisierung. • Sie verfolgt das Wachstum in den Entwicklungs- und Schwellenländern und erarbeitet Vorschläge für einen effizienten Ressourceneinsatz. • Sie fragt, wie staatliche Politik erfolgreich für wichtige Ziele, etwa für ein rasches Wirtschaftswachstum, einen effizienten Einsatz der Mittel, für Vollbeschäftigung, Preisstabilität und eine gerechte Einkommensverteilung, eingesetzt werden kann. Doch so aussagekräftig diese Auflistung auch ist, man könnte sie jederzeit um ein Vielfaches erweitern. Und wenn wir nach der Quintessenz all dieser Definitionen suchen, erkennen wir ein gemeinsames Thema: Die Volkswirtschaftslehre oder Ökonomie ist die Wissenschaft vom Einsatz knapper Ressourcen zur Produktion wertvoller Wirtschaftsgüter durch die Gesellschaft und von der Verteilung dieser Güter in der Gesellschaft. Hinter dieser Definition stecken zwei wesentliche, immer wiederkehrende ökonomische Grundsätze: Güter sind knapp, und die Gesellschaft muss ihre Ressourcen effizient einsetzen. Die Volkswirtschaftslehre bezieht ihre Bedeutung gerade aus der Knappheit der Güter und aus dem Wunsch nach ihrem effizienten Einsatz. Versuchen Sie einmal, sich eine Welt ganz ohne Knappheit vorzustellen. Welche Folgen hätte es, könnte man unbegrenzte Mengen aller Güter herstellen oder die Bedürfnisse der Menschheit vollständig befriedigen? Die Leute müssten mit ihren beschränkten Einkommen nicht mehr haushalten, denn sie bekämen ohnehin alles, was sie wollen; die Unterneh-
Kapitel 1
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Die Grundlagen der Volkswirtschaft
men bräuchten sich wegen der Arbeitskosten und Sozialleistungen für ihre Mitarbeiter keine grauen Haare wachsen zu lassen; Regierungen würden sich nicht mit Steuern, Ausgaben oder Umweltverschmutzung herumschlagen, denn all das wäre völlig uninteressant. Mehr noch: Weil wir alles Gewünschte haben könnten, würde sich kein Mensch mehr Gedanken über die Einkommensverteilung zwischen Individuen oder Gruppen machen. In einem solchen Paradies wären alle Güter genauso frei wie der Sand in der Wüste oder das Wasser im Meer. Die Preise wären alle Null, Märkte überflüssig. Und die gesamte Volkswirtschaftslehre? Vollkommen uninteressant und unnötig. Offenbar hat aber bisher keine einzige Gesellschaft dieses Utopia der unbegrenzten Möglichkeiten erreicht. Unsere Welt ist nach wie vor von Knappheit geprägt, und sie ist voll von Wirtschaftsgütern. Knappheit bedeutet, dass weniger Güter vorhanden sind, als eigentlich erwünscht wären. Ein objektiver Beobachter müsste uns wohl zustimmen, dass selbst nach zwei Jahrhunderten starken Wirtschaftswachstums der Produktionsoutput der USA nicht ausreicht, um alle Wünsche zu befriedigen. Betrachtet man die Summe aller Wünsche und Bedürfnisse, stellt man sehr schnell fest, dass es einfach nicht genügend Güter und Dienstleistungen gibt, um auch nur einen Bruchteil der vorhandenen Konsumbedürfnisse zu befriedigen. Unsere nationale Produktionsleistung müsste um ein Vielfaches größer sein, wollten alle Amerikaner den durchschnittlichen Lebensstandard eines Arztes oder Baseballstars erreichen. Und außerhalb der USA, vor allem in Afrika, leiden Hunderte Millionen von Menschen bis heute unter akutem Hunger und großer Armut. Angesichts der grenzenlosen Bedürfnisse kommt es also darauf an, wie eine Wirtschaft aus ihren knappen Ressourcen das Optimum herausholen kann. Damit kommen wir zum entscheidenden Begriff der Effizienz. Effizienz bezeichnet den möglichst effektiven Einsatz der Ressourcen einer Gesellschaft zur Befriedigung der Wünsche und Bedürfnisse
ihrer Menschen. Stellen Sie sich im Gegensatz dazu eine Wirtschaft mit unkontrollierten Monopolen oder gesundheitsschädlicher Umweltverschmutzung oder einer korrupten Regierung vor. Sie würde weniger produzieren, als auf Grund ihrer Ressourcen möglich wäre, oder ihren Konsumenten eine verzerrte Kombination aus Gütern anbieten – beides eine ineffiziente Allokation der verfügbaren Produktionsfaktoren. Volkswirtschaftlich betrachtet sprechen wir von Effizienz, wenn eine Wirtschaft niemanden besser stellen kann, ohne zugleich einen anderen schlechter zu stellen. Das Wesen des Wirtschaftens besteht in der Anerkennung der Knappheit als Realität und in einer gesellschaftlichen Organisation, die einen möglichst effizienten Ressourceneinsatz zulässt. Dazu kann die Volkswirtschaftslehre einen entscheidenden Beitrag leisten.
Mikroökonomie und Makroökonomie Zumeist wird Adam Smith als Begründer der Mikroökonomie bezeichnet, jenes Zweiges der Volkswirtschaft, der sich heute mit dem Verhalten einzelner Wirtschaftseinheiten wie der Märkte, der Unternehmen und der Haushalte beschäftigt. In seinem Schlüsselwerk, The Wealth of Nations (Der Reichtum der Nationen, erschienen 1776), legte Smith dar, wie sich einzelne Preise bilden; er studierte die Entstehung der Preise für Grund und Boden, Arbeit sowie Kapital und untersuchte die Stärken und Schwächen des Marktmechanismus. Vor allem aber erkannte er die bemerkenswerte Effizienz der Märkte und sah, dass aus dem Eigennutz des Einzelnen volkswirtschaftlicher Nutzen erwächst. Diese Themen sind bis heute von Bedeutung, und obwohl die Mikroökonomie seit den Tagen des Adam Smith enorme Fortschritte gemacht hat, wird er von Politikern und Ökonomen gleichermaßen bis heute zitiert.
22 Der andere große Zweig der Volkswirtschaftslehre ist die Makroökonomie, die sich mit der wirtschaftlichen Gesamtleistung befasst. Die Makroökonomie in ihrer modernen Form entstand erst im Jahr 1936, als John Maynard Keynes sein revolutionäres Werk General Theory of Employment, Interest and Money (Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes) veröffentlichte. England und die Vereinigten Staaten steckten damals noch in der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre, und ein Viertel der arbeitsfähigen Bevölkerung war ohne Erwerbseinkommen. Aus seiner ganz neuen Perspektive analysierte Keynes die Auslöser der Konjunkturzyklen, bei denen es abwechselnd zu Perioden hoher Arbeitslosigkeit und hoher Inflation kommt. Heute beschäftigt sich die Makroökonomie mit einer breiten Palette an Themen, etwa mit den Faktoren, die die Investitionen und den Konsum einer Gesellschaft bestimmen, oder mit der Frage, welche Kontrolle die Zentralbanken über Geldmenge und Zinssätze ausüben, was zu internationalen Finanzkrisen führt und warum einige Staaten kräftig wachsen, andere aber stagnieren. Doch wie sehr sich die Makroökonomie seit der keynesianischen Revolution auch entwickelt hat, Keynes’ Themenstellungen definieren bis heute diesen Wissenschaftszweig. Es sind diese beiden Zweige – Mikroökonomie und Makroökonomie –, die zusammen die moderne Volkswirtschaftslehre ausmachen.
Die Logik der Volkswirtschaft Die Wirtschaft ist ein enorm komplexes Gebilde verschiedenster menschlicher Aktivitäten wie Kaufen, Verkaufen, Handeln, Investieren und Überzeugen. Somit besteht der eigentliche Zweck der Volkswirtschaftslehre wie auch dieses Buches darin, dieses komplexen Gebilde zu verstehen. Wie gehen Ökonomen an ihre Aufgabe heran?
Die Grundlagen
Teil 1
Ökonomen bedienen sich eines wissenschaftlichen Ansatzes, um die Wirtschaft zu verstehen. Dazu gehören die Beobachtung wirtschaftlicher Aktivitäten sowie die Erstellung statistischer Daten und historischer Aufzeichnungen. Zu komplexen Fragen wie etwa hinsichtlich der Auswirkungen staatlicher Defizite oder der Ursachen von Inflation haben historische Recherchen eine Fülle von Erkenntnissen geliefert. In vielen Fällen greift die Volkswirtschaftslehre auf Analysen und Theorien zurück. Theoretische Ansätze erlauben den Ökonomen Verallgemeinerungen, wenn sie etwa über die Vorteile des internationalen Handels und der Spezialisierung oder über die Nachteile von Zöllen und Quoten sprechen. Darüber hinaus haben Ökonomen eine spezielle Technik, die Ökonometrie, entwickelt, die statistische Methoden auf wirtschaftliche Problemstellungen anwendet. Mithilfe der Ökonometrie können die Wissenschaftler aus riesigen Datenbergen einfache Beziehungen ableiten. Und doch sollte sich der aufstrebende Jungökonom vor verbreiteten wirtschaftlichen Irrtümern hüten. Da wirtschaftliche Zusammenhänge häufig sehr komplex sind und zahlreiche Variablen beinhalten, verschwimmt oft der konkrete Grund hinter einem Ereignis oder der wahre Einfluss politischer Maßnahmen auf die Wirtschaft. Daher hier einige verbreitete volkswirtschaftliche Irrtümer: • Der „Post-hoc-Irrtum“. Hier wird zu Unrecht eine Kausalität angenommen, wo keine besteht. Dieser Irrtum tritt auf, wenn wir aufgrund der zeitlichen Aufeinanderfolge zweier Ereignisse annehmen, das zweite sei durch das erste verursacht worden.2 Als Beispiel mag hier die Interpretation der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den USA dienen. Einige aufmerksame 2 x„Post hoc“ ist eine Abkürzung für das Lateinische „post hoc, ergo propter hoc“. Übersetzt bedeutet es „danach und daher notwendigerweise infolgedessen“.
Kapitel 1
Die Grundlagen der Volkswirtschaft
Beobachter hatten festgestellt, dass die Preise vor oder im Zuge von Wachstumsperioden steigen. Daraus schlossen sie, die Anhebung von Löhnen und Preisen müsse die adäquate Reaktion auf eine wirtschaftliche Depression sein. Es folgte eine ganze Reihe neuer Gesetze und Vorschriften zur – übrigens sehr ineffizienten – Erhöhung von Löhnen und Preisen. Doch führten diese Maßnahmen zum erwünschten Wirtschaftsaufschwung? Nun, das kann praktisch ausgeschlossen werden. Tatsächlich bremsten diese Maßnahmen sogar den Aufschwung, der erst eintrat, als die gesamtwirtschaftlichen Ausgaben aufgrund der militärischen Anstrengungen in Vorbereitung auf den Eintritt in den Zweiten Weltkrieg zu steigen begannen. • Der Irrtum, nicht „alles andere konstant“ zu belassen. Ein weiterer verbreiteter Irrtum ist es, bei der Betrachtung eines Faktors nicht alle anderen Faktoren unverändert zu lassen. So könnten wir uns beispielsweise fragen, ob eine Erhöhung der Steuern die staatlichen Einnahmen letztlich erhöht oder senkt. Dazu haben einige die sehr verlockende These angeführt, wir könnten gleichzeitig niedrigere Steuern sowie höhere Staatseinnahmen haben. Sie erklärten, die Senkung der Steuersätze werde zugleich die staatlichen Einnahmen erhöhen und das Budgetdefizit senken. Dabei verwiesen sie auf die Steuerkürzungen der Administration Kennedy-Johnson im Jahr 1964, die die Steuersätze deutlich senkte, worauf im Jahr 1965 die staatlichen Einnahmen stiegen. Niedrigere Steuersätze hätten folglich zu höheren Einnahmen geführt. Doch was stimmt nicht an dieser Schlussfolgerung? Die Argumentation übersieht die Tatsache, dass die Wirtschaft im Zeitraum von 1964 bis 1965 kräftig wuchs. Da die Einkommen der Menschen stiegen, erhöhten sich auch die staatlichen Einnahmen, und zwar trotz niedrigerer Steuersätze. Gründliche Studien haben ergeben, dass der Staat bei weitem mehr eingenom-
23 men hätte, wären die Steuern nicht gesenkt worden. Man hatte also vergessen, die anderen, nicht untersuchten Faktoren (in diesem Fall die volkswirtschaftlichen Gesamteinkommen) unverändert zu belassen. Denken Sie daran: Bei der Analyse der Auswirkungen einer Variable auf das gesamte Wirtschaftssystem gilt es, unbedingt alle anderen Variablen konstant zu belassen. • Der Trugschluss der Verallgemeinerung. Manchmal schließen wir von einem Teil voreilig auf das Ganze. Ökonomisch betrachtet unterscheidet sich das Ganze jedoch häufig von der Summe seiner Teile. Wenn Sie also stillschweigend annehmen, dass für das Ganze gelten muss, was für einen Teil zutrifft, verfallen Sie in den Trugschluss der Verallgemeinerung. Deshalb hier einige wahre Aussagen, die Sie möglicherweise überraschen, falls auch Sie zur Verallgemeinerung neigen: (1) Wenn ein Landwirt eine Riesenernte einfährt, steigt sein Einkommen. Fällt jedoch die Ernte in einem Jahr insgesamt sehr gut aus, sinken die landwirtschaftlichen Einkommen. (2) Wenn ein Mensch viel Geld bekommt, steigt sein Lebensstandard. Erhält jeder mehr Geld, wirkt sich das auf den Wohlstand der Gesellschaft nachteilig aus. (3) Wird auf ein Produkt einer bestimmten Sparte ein hoher Zoll verhängt, profitieren die Hersteller voraussichtlich davon; werden allgemein hohe Zölle verhängt, so wirkt sich das auf den Großteil der Produzenten und Konsumenten negativ aus. Dabei beinhalten diese Beispiele keinerlei Tricks. Sie sind nur das Ergebnis eines Systems interagierender Individuen. Häufig verhält sich die Gesellschaft ganz anders als einzelne Personen. Wir sprechen diese verbreiteten Irrtümer hier nur kurz an. Später, wenn wir die Werkzeuge der Ökonomik vorstellen, werden wir einige Beispiele anführen, wie die Missachtung der ökonomischen Logik zu falschen, ja bisweilen auch recht kostspieligen Irrtümern
24 führen kann. Wenn Sie sich durch das ganze Buch hindurchgearbeitet haben, können Sie aber gern noch einmal zurückblättern und überlegen, warum jede der obigen Aussagen tatsächlich richtig ist.
Kühler Kopf im Dienste des sozialen Gewissens Die Ökonomik ist im letzten Jahrhundert bildlich gesprochen von einem kleinen Samenkorn zu einem großen Baum herangewachsen. Unter seinen ausladenden Ästen finden wir Erklärungen für die Vorteile des internationalen Handels, Hinweise, wie sich Arbeitslosigkeit und Inflation bekämpfen lassen, Formeln zur Prüfung Ihres persönlichen Pensionsfonds und sogar Vorschläge für den Verkauf von Emissionsrechten. Überall auf der Welt arbeiten Ökonomen an der Sammlung von Daten und an der Verbesserung unseres Verständnisses wirtschaftlicher Trends. Sie könnten sich nun fragen, was diese Armee von Wirtschaftswissenschaftlern, die da ständig misst, analysiert und rechnet, eigentlich bezweckt. Oberstes Ziel der Wirtschaftswissenschaften ist es, die Lebensbedingungen der Menschen in ihrem täglichen Umfeld zu verbessern. Bei der Steigerung des Bruttoinlandsprodukts geht es nicht um ein abgehobenes Zahlenspiel. Höhere Einkommen bedeuten gute Ernährung, gesunde Wohnungen und heißes Wasser. Sie bedeuten sicheres Trinkwasser und Schutz gegen die immer wiederkehrenden Plagen der Menschheit. Höhere Einkommen bedeuten aber noch mehr als Nahrung und Wohnungen. Länder mit hohen Einkommen verfügen über genügend Ressourcen, um Schulen zu bauen, damit die Jugend lesen lernt und moderne Maschinen und Computer bedienen kann. Mit weiter steigenden Einkommen kann sich dieses Land sogar wissenschaftliche Forschung und die Erarbeitung maßgeschneiderter landwirtschaftlicher Techniken leisten, und es kann Impfstoffe gegen verbreitete Krankheiten entwickeln. Mit den durch das Wirt-
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schaftswachstum freigesetzten Ressourcen haben die Menschen genügend Zeit, um künstlerischen Ambitionen wie Literatur und Musik nachzugehen, und die Bevölkerung genießt ihre Freizeit, um zu lesen, Kultur zu konsumieren oder selbst zu produzieren. Auch wenn ein einheitliches Muster wirtschaftlicher Entwicklungen fehlt, und obwohl sich die Kulturen weltweit voneinander unterscheiden, ist die Bekämpfung von Hunger, Krankheit und Naturkatastrophen ein universelles humanitäres Ziel. Doch Jahrhunderte menschlicher Geschichte zeigen auch, dass ein soziales Gewissen allein die Hungrigen nicht satt und die Kranken nicht gesund macht. Ein freier und effizienter Markt produziert nicht unbedingt eine sozial verträgliche Einkommensverteilung. Um den optimalen Weg zu wirtschaftlichem Fortschritt oder zu einer gerechten Verteilung der Produktionsleistung einer Gesellschaft zu finden, ist ein kühler Kopf erforderlich, einer, der Kosten und Nutzen der verschiedenen Ansätze objektiv abwägt und nach Kräften bemüht ist, in seiner Analyse nicht den Wunsch zum Vater des Gedankens werden zu lassen. Bisweilen erfordert der wirtschaftliche Fortschritt die Schließung einer altmodischen Fabrik. Manchmal, wie bei der Einführung der Marktwirtschaft in den ehemals kommunistischen Ländern, muss alles zunächst schlechter werden, bevor es besser werden kann. Besonders schwierig ist der richtige Weg etwa im Gesundheitswesen zu finden, wo begrenzte Ressourcen buchstäblich über Leben und Tod entscheiden. Sie kennen vielleicht das Prinzip, wonach jeder seinen Möglichkeiten entsprechend geben und seinen Bedürfnissen entsprechend bekommen sollte. Die Regierungen mussten feststellen, dass keine Gesellschaft lange Zeit hindurch ausschließlich nach diesem utopischen Postulat funktionieren kann. Um eine Wirtschaft gesund zu erhalten, muss die Regierung der Bevölkerung Anreize bieten, damit diese arbeitet und spart. Die Gesellschaft kann ihre Arbeitslosen eine gewisse Zeit hindurch erhalten, doch wenn die Arbeitslo-
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Die Grundlagen der Volkswirtschaft
senversicherung zu lange zu viel auszahlt, werden die Betroffenen zu sehr vom Staat abhängig und hören auf, nach Arbeit zu suchen. Wenn sie glauben, der Staat müsse sie erhalten, kann diese Einstellung der Wirtschaft Schaden zufügen. Dass staatliche Programme hehre Ziele verfolgen, bedeutet nicht, dass sie sorglos und ineffizient betrieben werden sollten. Die Gesellschaft muss das richtige Gleichgewicht zwischen marktwirtschaftlicher Disziplin und staatlichen Sozialprogrammen finden. Indem uns ein kühler Kopf jene Informationen beschafft, die unser soziales Gewissen benötigt, leistet die Wirtschaftswissenschaft einen wichtigen Beitrag zur Sicherung einer prosperierenden und gerechten Gesellschaft.
B. Die drei Grundfragen der Wirtschaft Jede menschliche Gesellschaft – ob fortschrittlicher Industriestaat, planwirtschaftlich geführtes Land oder isolierte Stammesgesellschaft – muss sich den drei Grundfragen der Wirtschaft stellen und diese lösen. Jede Gesellschaft muss einen geeigneten Weg suchen zu bestimmen, was produziert wird, wie es produziert wird und für wen es produziert wird. Und diese drei grundlegenden Fragen wirtschaftlicher Organisation – was, wie und für wen – sind heute noch genauso relevant wie in den ersten Tagen menschlicher Zivilisation. Betrachten wir diese drei Fragen ein wenig näher: • Was wird produziert und in welchen Mengen? Eine Gesellschaft muss entscheiden, wie viel von den zahlreichen möglichen Gütern und Dienstleistungen sie produzieren will und wann diese produziert werden sollen. Wollen wir heute Tiefkühlpizzas oder Hemden herstellen? Wenige, dafür aber
qualitativ hochwertige Hemden oder viele billige? Werden wir die knappen Ressourcen zur Produktion möglichst vieler Konsumgüter benutzen (Pizza)? Oder entscheiden wir uns für weniger Konsumgüter, dafür aber für mehr Investitionsgüter (beispielsweise für die Maschinen, mit denen man Tiefkühlpizzas herstellt), die in Zukunft Produktion und Konsum steigern sollen? • Wie wird produziert? Eine Gesellschaft muss festlegen, wer die Produktion mit welchen Ressourcen und welchen Produktionstechniken übernehmen soll. Wer betreibt die Landwirtschaft und wer unterrichtet? Wird Strom aus Erdöl, Kohle oder Sonnenlicht erzeugt? Werden die Fabriken von Menschen oder Robotern betrieben? Für wen wird produziert? Wer kommt in den Genuss der Produkte wirtschaftlicher Aktivität? Ist die Einkommens- und Wohlstandsverteilung fair und gerecht? Wie verteilt sich das Inlandsprodukt auf die einzelnen Haushalte? Sind viele Leute arm und einige wenige reich? Erzielen Lehrer, Sportler, Mechaniker oder Spekulanten die höchsten Einkommen? Gesteht die Gesellschaft den Armen ein Mindestmaß an Konsum zu oder gilt, dass wer nicht arbeitet, auch nicht essen soll? Positive oder normative Ökonomik Bei der Behandlung ökonomischer Fragen müssen wir unbedingt zwischen Fakten und Wertvorstellungen unterscheiden. Die positive Ökonomik beschreibt die Fakten einer Wirtschaft, während sich die normative Ökonomik mit Werturteilen befasst. In der positiven Ökonomik geht es um Fragen wie die folgenden: Warum verdienen Ärzte mehr als Türsteher? Führt der Freihandel für den Großteil der Amerikaner zu höheren oder niedrigeren Einkommen? Welche Auswirkungen haben Computer auf die Produktivität? So schwierig diese Fragen zu beantworten sind, durch gründliche Analyse und mithilfe empirischer Daten lassen sie sich lösen. Deshalb gehören sie zur positiven Ökonomik.
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In der normativen Ökonomik geht es um ethisches Verhalten und Normen der Fairness. Sollten Bedürftige vom Staat, der sie unterstützt, zum Arbeiten angehalten werden? Ist ein Anstieg der Arbeitslosigkeit wünschenswert, um einer rasanten Teuerung entgegenzuwirken? Sollte die US-Regierung Microsoft zerschlagen, weil das Unternehmen das Kartellrecht verletzt hat? Es gibt auf diese Fragen keine richtige und keine falsche Antwort, weil es hierbei um Moral und Werturteile, nicht um Fakten geht. Eine Lösung bedarf hier politischer Debatten und Entscheidungen, die volkswirtschaftliche Analyse allein genügt nicht.
Marktwirtschaft, Planwirtschaft und Mischsysteme Auf welche unterschiedliche Weisen kann eine Gesellschaft die Fragen des Was, Wie und Für Wen beantworten? Verschiedene Gesellschaften verfügen über alternative Wirtschaftssysteme, und die Volkswirtschaftslehre beschäftigt sich mit den diversen Mechanismen, die einer Gesellschaft zur Lösung der Frage, wie sie ihre knappen Ressourcen einsetzt, zur Verfügung stehen. Wir unterscheiden im Allgemeinen zwischen zwei grundlegend verschiedenen Wirtschaftsformen. Auf der einen Seite trifft der Staat den Großteil der wirtschaftlichen Entscheidungen, wobei einige an der Spitze der Hierarchie stehen und den anderen weiter unten auf der Leiter ihre Anweisungen geben. Auf der anderen Seite des Spektrums fallen die Entscheidungen auf Märkten, wo sich Einzelpersonen (Haushalte) oder Unternehmen freiwillig über den Austausch von Gütern und Dienstleistungen einigen, in der Regel durch das Bezahlen von Geld. Untersuchen wir einmal kurz jede dieser beiden Wirtschaftsformen. In den Vereinigten Staaten und zunehmend auch in den meisten anderen Ländern werden wirtschaftliche Fragen überwiegend
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durch den Markt gelöst. Deshalb heißen diese Wirtschaftssysteme Marktwirtschaften. Eine Marktwirtschaft ist eine Wirtschaftsform, in der Haushalte und private Unternehmen die wichtigsten Entscheidungen über Produktion und Konsum treffen. Ein System aus Preisen, Märkten, Gewinnen und Verlusten, Anreizen und Belohnungen bestimmt das Was, Wie und Für wen. Unternehmen produzieren die Güter, von denen sie sich den höchsten Gewinn versprechen (was), mit den kostengünstigsten Produktionsmethoden (wie). Der Konsum wird durch die Entscheidung der Haushalte darüber bestimmt, wie sie ihr Einkommen aus Arbeit und Vermögen ausgeben wollen (für wen). Der Extremfall einer Marktwirtschaft, in der der Staat praktisch keine wirtschaftlichen Entscheidungen trifft, wird als Laissezfaire-System bezeichnet. Im Gegensatz dazu ist eine Planwirtschaft oder Zentralverwaltungswirtschaft ein System, in dem der Staat alle wichtigen Entscheidungen über Produktion und Verteilung trifft. In einer Planwirtschaft, wie sie in der Sowjetunion beinahe während des ganzen 20. Jahrhunderts bestand, besitzt der Staat den Großteil der Produktionsmittel (Grund und Boden sowie Kapital); ihm gehören außerdem in den meisten Wirtschaftsbereichen die Unternehmen und er leitet ihren Betrieb; er selbst ist der größte Arbeitgeber und sagt den Arbeitnehmern, wie sie ihre Arbeit zu verrichten haben; und der Staat entscheidet in einer Planwirtschaft auch darüber, wie die Produktion auf die verschiedenen Güter und Dienstleistungen verteilt werden soll. Kurz zusammengefasst bedeutet Planwirtschaft, dass der Staat selbst aufgrund des Eigentums an Ressourcen und seiner Macht, Entscheidungen durchzusetzen, die drei Hauptfragen des Wirtschaftens beantwortet. Keine Gesellschaft unserer Zeit lässt sich vollständig der einen oder der anderen dieser beiden diametral entgegengesetzten Kategorien zuordnen. Alle Gesellschaften verfügen eigentlich über ein Mischsystem mit Elementen aus Markt- und Planwirtschaft. Eine absolute Marktwirtschaft hat es noch nie gege-
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Die Grundlagen der Volkswirtschaft
ben (wobei das England des 19. Jahrhunderts diesem Ideal schon sehr nahe kam). In den USA werden heute die meisten Entscheidungen durch den Markt gefällt. Trotzdem spielt der Staat eine gewichtige Rolle, indem er die Funktionen des Marktes überwacht; er erlässt Gesetze zur Ordnung des Wirtschaftslebens, er produziert beispielsweise Bildungs- und Polizeidienstleistungen und sorgt für den Schutz der Umwelt. Moderne Gesellschaften weisen zumeist ein wirtschaftliches Mischsystem auf.
C. Die Technologischen Möglichkeiten einer Gesellschaft Jedes Gewehr, jedes neue Kriegsschiff und jede abgefeuerte Rakete bedeutet in letzter Konsequenz einen Diebstahl von den Hungernden, die nicht gespeist werden können. Präsident Dwight D. Eisenhower
Die Ressourcen – Arbeit, technologisches Wissen, Fabriken und Maschinen, Grund und Boden sowie Energie – sind in jeder Wirtschaft begrenzt. Mit der Entscheidung, was auf welche Weise produziert werden soll, befindet die Wirtschaft in Wahrheit darüber, wie ihre Ressourcen angesichts einer Unzahl völlig unterschiedlicher Möglichkeiten zur Herstellung von Gütern und Dienstleistungen eingesetzt werden sollen. Wie viel Fläche wird für den Getreideanbau bereitgestellt? Wie viel für den Wohnungsbau? Wie viele Fabriken sollen Computer erzeugen? Wie viele Pizzas? Wie viele Kinder werden zu Berufssportlern und wie viele zu professionellen Ökonomen, oder wie viele sollen Computer programmieren?
Angesichts der nicht zu übersehenden Tatsache, dass die Güter im Gegensatz zu den Bedürfnissen knapp sind, muss eine Wirtschaft über den Einsatz ihrer beschränkten Ressourcen entscheiden. Sie muss unter verschiedenen Kombinationen von Wirtschaftsgütern (was) wählen, sich für eine Produktionstechnik entscheiden (wie) und darüber befinden, wer die Güter konsumieren soll (für wen).
Input und Output Um diese drei Grundfragen der Wirtschaft zu beantworten, hat jede Gesellschaft Entscheidungen hinsichtlich der Inputs und Outputs ihrer Wirtschaft zu treffen. Inputs sind Waren oder Dienstleistungen, die ihrerseits der Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen dienen. Eine Wirtschaft setzt die ihr zur Verfügung stehenden Technologien ein, um mit Hilfe der Inputs Outputs zu erzeugen. Outputs sind die verschiedenen nützlichen Güter und Dienstleistungen, die aus der Produktion hervorgehen und die entweder konsumiert oder im weiteren Produktionsprozess eingesetzt werden. Sehen wir uns die „Produktion“ einer Pizza näher an: Wir könnten Eier, Mehl, Hitze, Pizzaofen und den Arbeitseinsatz des Kochs als die Inputs bezeichnen. Die knusprige Pizza ist der Output. An einer Universität zählen der Zeitaufwand in der Fakultät, die Labors und Hörsäle, die Skripten und dergleichen zum Input, während der Output in informierten, produktiven und gut bezahlten Bürgern besteht. Ein anderer Begriff für Input ist Produktionsfaktor. Die Produktionsfaktoren lassen sich in drei Hauptkategorien unterteilen: Grund und Boden, Arbeit und Kapital. • Grund und Boden – oder ganz allgemein natürliche Ressourcen – sind ein Geschenk der Natur an unsere Produktionsprozesse. Zum Produktionsfaktor Boden gehören die Felder, auf denen wir unsere Landwirtschaft betreiben, oder die Grundstücke für
28 unsere Häuser, Fabriken und Straßen; in diese Kategorie fallen aber auch Energieressourcen für unsere Autos, Heizungen oder Haushalte sowie Bodenschätze wie Kupfer, Erz oder Sand. In einer immer dichter besiedelten Welt müssen wir die Palette natürlicher Ressourcen um Umweltressourcen wie saubere Luft und Trinkwasser erweitern. • Arbeit als Produktionsfaktor bedeutet die Zeit, die Menschen für die Produktion aufwenden – wenn sie in Automobilfabriken, in der Landwirtschaft, als Lehrer in den Schulen oder als Pizzaköche arbeiten. Tausende von Berufen und Aufgaben mit verschiedensten Anforderungsprofilen werden von arbeitenden Menschen verrichtet. Arbeit ist zugleich der vertrauteste und auch wichtigste Produktionsfaktor einer fortgeschrittenen Industriegesellschaft. • Kapital beinhaltet jene dauerhaften Güter einer Wirtschaft, die produziert werden, damit andere Güter erzeugt werden können. Zu den Kapital- oder Investitionsgütern gehören Maschinen, Straßen, Computer, Hämmer, LKWs, Stahlwerke, Autos, Waschmaschinen und Gebäude. Wie wir später noch sehen werden, ist es für die wirtschaftliche Entwicklung unabdingbar, einen Grundstock an spezialisierten Investitionsgütern anzusammeln. Bezüglich der drei Grundfragen des Wirtschaftens muss eine Gesellschaft entscheiden, (1) was oder welche Outputs sie produzieren soll und in welcher Menge; (2) wie sie sie produzieren soll – welche Technologien also dazu herangezogen werden sollen, mit den Inputs die gewünschten Outputs zu produzieren –; und (3) für wen die Outputs produziert und wie sie verteilt werden sollen.
Die Grundlagen
Teil 1
Die Transformations- oder Produktionsmöglichkeitenkurve Länder können nicht über eine unbegrenzte Menge aller Güter verfügen. Durch das Angebot an Produktionsfaktoren und Technologien sind ihnen Grenzen gesetzt. Dramatisch sichtbar wird die Notwendigkeit, sich zwischen beschränkten Möglichkeiten zu entscheiden, in Kriegszeiten. In der Debatte über einen möglichen Irakkrieg der USA wollten die Menschen wissen, wie viel dieser Krieg kosten würde. Müsste man US-$ 50 Milliarden oder US-$ 100 Milliarden oder vielleicht sogar noch mehr aus der zivilen Wirtschaft abziehen, um den Irak besetzen und ihn anschließend wieder aufbauen zu können? Und als die Ausgabenprognosen in immer schwindelerregendere Höhen stiegen, fragten die Leute natürlich: Warum investieren wir in die Politik in Bagdad und nicht in die von New York, oder warum sanieren wir die Stromversorgung im Nahen Osten statt jene im Mittleren Westen der USA? Wie uns das Zitat von US-Präsident Eisenhower (ober der Kapitelüberschrift) lehrt, steht umso weniger Produktionsleistung für den zivilen Konsum und für neue Investitionen zur Verfügung, je mehr davon in militärische Aufgaben fließt. Treiben wir nun diese Entscheidungsnotwendigkeit auf die Spitze und stellen wir uns eine Gesellschaft vor, die nur zwei Wirtschaftsgüter hervorbringt, nämlich Kanonen und Butter. Kanonen stehen hier für die Militärausgaben, Butter für zivile Ausgaben. Nehmen wir einmal an, unsere Wirtschaft beschließt, ihre gesamte Energie für die Produktion ziviler Güter einzusetzen, in unserem Fall Butter. Jährlich kann davon eine maximale Menge produziert werden. Diese Höchstmenge hängt von der Quantität und Qualität der Ressourcen der betreffenden Wirtschaft sowie von der Produktivität ab, mit der sie eingesetzt werden. Wir unterstellen hier einmal, dass unsere Wirtschaft mit der vorhandenen Technologie und den ihr zur Verfügung
Kapitel 1
29
Die Grundlagen der Volkswirtschaft
stehenden Ressourcen maximal 5 Millionen Pfund Butter jährlich erzeugen kann. Stellen Sie sich nun im Gegensatz dazu vor, dass alle Ressourcen in die Produktion von Alternative Produktionsmöglichkeiten Möglichkeiten
Butter (Millionen Pfund)
Kanonen (in Tausend)
A
0
15
B
1
14
C
2
12
D
3
9
E
4
5
F
5
0
Kanonen gehen. Auch in diesem Fall kann die Wirtschaft wegen der erwähnten Beschränkungen nur eine bestimmte Menge produzieren. Nehmen wir an, dass 15.000 Kanonen eines gewissen Modells produziert werden können, wenn keine Butter erzeugt wird. Das sind die beiden Extreme. Dazwischen liegt ein breites Feld potenzieller Kombinationen. Wenn wir auf ein wenig Butter verzichten, können wir zumindest ein paar Kanonen erzeugen. Wenn wir mit noch weniger Butter auskommen, werden es eben mehr Kanonen sein. Punkt F in Tabelle 1-1 zeigt das eine Extrem, bei dem nur Butter, jedoch keine Kanonen produziert werden, während A für das gegenteilige Extrem steht, bei dem sämtliche Ressourcen in die Kanonenproduktion flie-
Tabelle 1-1: Die Knappheit der Ressourcen erfordert eine mengenmäßigen Entscheidung zwischen Kanonen und Butter
15
A
B
Kanonen (in Tausend)
12
15
G A
C
D
9
E 3
C
9
F
D
E 3
F 2 3 4 Butter (Millionen Pfund)
1
2 3 4 Butter (in Millionen Pfund)
5
B
Abbildung 1-2: Eine fortlaufende Kurve verbindet die eingezeichneten Punkte der numerischen Produktionsmöglichkeiten
6
1
I
U
6
0
0
B
12 Kanonen (in Tausend)
Die Knappheit der Produktionsfaktoren und Technologie schränkt die Möglichkeiten der Produktion von Kanonen und Butter ein. Auf unserem Weg von Position A zu B ... bis schließlich zu F verschieben wir die Produktionsfaktoren Arbeit, Maschinen und Boden von der Kanonenindustrie in die Butterproduktion, die wir damit steigern können.
Die Produktionsmöglichkeitskurve
5
Abbildung 1-1: Die Produktionsmöglichkeiten im Diagramm Diese Abbildung zeigt uns die alternativen ProduktionsKombinationspaare aus Tabelle 1-1.
Diese Kurve zeigt die Funktion, nach der die Gesellschaft Kanonen durch Butter ersetzen kann. Es wird ein bestimmter Stand der Technologie und eine fixe Inputmenge angenommen. Punkte, die außerhalb der Kurve liegen (wie Punkt I), sind nicht erreichbar. Jeder Punkt innerhalb der Kurve, etwa U, zeigt an, dass Ressourcen nicht oder nicht bestmöglich genutzt werden, wie beispielsweise in Zeiten der Rezession, wenn die Arbeitslosenrate hoch ist.
30 ßen. Dazwischen – also in den Punkten E, D, C und B – wird zugunsten der Kanonen auf immer mehr Butter verzichtet. Wie, werden Sie nun fragen, kann eine Nation aus Butter Kanonen machen? Butter wird natürlich nicht physisch, sondern durch einen alchemistischen Prozess, in dem wirtschaftliche Ressourcen von einem Zweck in einen anderen umgeleitet werden, in Kanonen verwandelt. Wir können die Produktionsmöglichkeiten unserer Wirtschaft in dem Diagramm in Abbildung 1-1 anschaulicher darstellen. In diesem Diagramm tragen wir Butter auf der waagrechten Achse und Kanonen auf der senkrechten Achse auf. (Sollten Sie mit den verschiedenen Diagrammen nicht zurechtkommen oder nicht wissen, wie man eine Tabelle in ein Diagramm umwandelt, sehen Sie bitte im Anhang zu diesem Kapitel nach.) Wir ermitteln Punkt F in Abbildung 1-1 aus den Daten in Tabelle 1-1, indem wir auf der waagrechten Achse fünf Buttereinheiten nach rechts und auf der senkrechten Kanonenachse 0 Einheiten nach oben rücken; E erhalten wir, indem wir 4 Buttereinheiten nach rechts und 5 Kanoneneinheiten nach oben gehen; A wird schließlich ermittelt, indem wir Butter auf 0 setzen und bei den Kanonen 15 Einheiten nach oben gehen. Wenn wir alle dazwischenliegenden Positionen im Diagramm einzeichnen, die die möglichen Kombinationen von Kanonen und Butter darstellen, erhalten wir eine kontinuierliche Kurve, die in Abbildung 1-2 als Transformations- oder Produktionsmöglichkeitenkurve (PMK) vorliegt. Die Transformations- oder Produktionsmöglichkeitenkurve (PMK) zeigt die maximalen Produktionsmengen, die eine Wirtschaft angesichts ihres technologischen Know-hows und der verfügbaren Menge an Produktionsfaktoren erzielen kann. Die PMK stellt die Gesamtheit der Güter und Dienstleistungen dar, die eine Gesellschaft produzieren kann.
Die Grundlagen
Teil 1
Die PMK in der Praxis Die Produktionsmöglichkeitenkurve in Abbildung 1-2 bezieht sich konkret auf Kanonen und Butter, doch die gleiche Analyse ist auch für jede sonstige Kombination zulässig. Je mehr Ressourcen der Staat einsetzt, um öffentliche Güter wie Autobahnen zu errichten, desto weniger wird für die Produktion privater Güter wie Wohnungen übrig bleiben; je mehr wir uns für unsere Ernährung auszugeben entschließen, desto weniger bleibt uns für Bekleidung; je mehr eine Gesellschaft sofort konsumiert, desto weniger Kapitalgüter zur künftigen Erzeugung weiterer Konsumgüter kann sie produzieren. Die Diagramme in den Abbildungen 1-3 bis 1-5 stellen einige wichtige praktische Anwendungen der PMK dar. Abbildung 1-3 zeigt die Auswirkungen des Wirtschaftswachstums auf die Produktionsmöglichkeiten eines Landes. Ein Mehr an Inputs oder eine verbesserte Technologie ermöglicht einem Land die Produktion einer größeren Gesamtmenge von Gütern und Dienstleistungen und verschiebt somit die PMK nach außen. Die Abbildung zeigt auch, dass arme Länder den Großteil ihrer Ressourcen für die Produktion von Nahrungsmitteln aufwenden müssen, während sich reiche Länder mit wachsendem Produktionspotenzial mehr Luxus erlauben können. Abbildung 1-4 zeigt, dass die Wahl auch zwischen privaten Gütern (die zu einem bestimmten Preis gekauft werden) und öffentlichen Gütern (die durch Steuern bezahlt werden) getroffen werden muss. Arme Länder können sich nur wenige öffentliche Güter wie ein staatliches Gesundheitswesen und ein höheres Bildungswesen leisten. Mit steigendem Wirtschaftswachstum nimmt jedoch der Anteil der öffentlichen Güter am Output ebenso wie die Bedeutung der Umweltqualität zu. Abbildung 1-5 stellt eine Wirtschaft dar, die zwischen (a) gegenwärtigen Konsumgütern und (b) Investitions- oder Kapitalgütern (Maschinen, Fabriken etc.) entscheiden muss. Indem sie am sofortigen Konsum spart und
Kapitel 1
31
Die Grundlagen der Volkswirtschaft
(a) Armes Land
(b) Reiches Land L
Luxusgüter (Autos, Stereoanlagen, …)
Luxusgüter (Autos, Stereoanlagen, …)
L
A
B
A
N
N lebensnotwendige Güter (Nahrung, …)
lebensnotwendige Güter (Nahrung, …)
Abbildung 1-3: Auswärtsverschiebung der PMK infolge des Wirtschaftswachstums (a) Vor Beginn seiner Entwicklung ist das Land arm. Es muss alle seine Ressourcen für die Ernährung einsetzen und kann sich keinen Luxus leisten. (b) Die Zunahme der Produktionsfaktoren und der technische Wandel verschieben die PMK nach außen. Mit einsetzendem Wirtschaftswachstum bewegt sich ein Land von A nach B und steigert so seinen Nahrungskonsum im Vergleich zum erhöhten Konsum an Luxusgütern nur wenig. Es kann je nach Wunsch aber auch beide Güter vermehrt konsumieren.
(a) Gesellschaft an der Grenze zum Wirtschaftswachstum
(b) Urbane Gesellschaft Pu Öffentliche Güter (Autobahnen, …)
Öffentliche Güter (Autobahnen, …)
Pu
A
B
A Pr
Pr Private Güter (Nahrung, …)
Private Güter (Nahrung, …)
Abbildung 1-4: Eine Wirtschaft muss zwischen öffentlichen und privaten Gütern wählen (a) Ein armes Land lebt von der Hand in den Mund, und für Luxus wie Autos oder öffentliche Güter wie Autobahnen oder ein staatliches Gesundheitswesen bleibt nur wenig übrig. (b) Ein moderner Industriestaat ist reicher und kann sich dafür entscheiden, einen größeren Einkommensanteil für öffentliche Güter und staatliche Dienstleistungen (Straßen, Umweltschutz und Bildungswesen) auszugeben.
32
Die Grundlagen
(a) Heutige Entscheidung
Teil 1
(b) Künftige Folgen
Kapitalinvestition
I
Kapitalinvestition
I
La
nd
3
La
nd
2
B3
La
nd
1
A3
B2 A2 A1
0
B1
C
Gegenwärtiger Konsum
0
C
Gegenwärtiger Konsum
Abbildung 1-5: Investitionen zugunsten eines künftigen Konsums erfordern Opfer beim gegenwärtigen Konsum Ein Land kann entweder Güter zum sofortigen Konsum (Pizzas und Konzerte) oder Investitionsgüter (Pizzaöfen und Konzertsäle) produzieren. (a) Drei Länder nehmen die gleiche Ausgangsposition ein. Sie haben dieselbe PMK, wie Sie der linken Abbildung entnehmen können, aber ihre Investitionsraten sind unterschiedlich. Land 1 investiert nicht in seine Zukunft und bleibt in A1 (nur Maschinen werden ersetzt). Land 2 verzichtet auf einen Teil seines Konsums und investiert in A2. Land 3 opfert einen großen Teil seines gegenwärtigen Konsums zugunsten umfassender Investitionen. (b) In den folgenden Jahren haben Länder, die investiert haben, die Nase vorn. Das sparsame Land 3 konnte daher seine PMK weit nach außen verschieben, während Land 1 seine PMK gar nicht verändert hat. Investitionsstarke Länder dürfen sich künftig über höhere Investitionen und einen höheren Konsum freuen.
mehr Investitionsgüter herstellt, kann eine Wirtschaft schneller wachsen und so eventuell künftig mehr von beiden Gütern (Konsum- und Investitionsgütern) erzeugen. Tauschware Zeit Die Transformationskurve kann austauschbare Güter auch abseits des Marktes, direkt aus dem täglichen Leben, darstellen. Eine der wichtigsten Entscheidungen, die Menschen treffen müssen, betrifft den Einsatz ihrer Zeit. Für sämtliche Aktivitäten, denen Leute nachgehen, steht ihnen immer nur ein beschränktes Angebot an Zeit zur Verfügung. Als Student bleiben Ihnen vielleicht zehn Stunden Studium bis zu den bevorstehenden Prüfungen in Wirtschaft und Geschichte. Wenn Sie nur Geschichte lernen, bekommen Sie wahrscheinlich in diesem Fach eine gute Note, schneiden aber in Wirtschaft entsprechend schlecht ab. Dasselbe gilt umgekehrt. Wenn Sie die Noten
auf diese beiden Prüfungen als den „Output“ Ihrer Studien betrachten, können Sie eine PMK anhand Ihrer beschränkten zeitlichen Möglichkeiten aufzeichnen. Interessant wäre auch eine PMK von Studium und Freizeit. Wo würden Sie sich selbst auf dieser PMK sehen? Wo Ihre lebenslustigen, aber faulen Freunde?
Opportunitätskosten Das Leben ist voll von Wahlmöglichkeiten. Da Ressourcen knapp sind, müssen wir überlegen, wofür wir unser Einkommen oder unsere Zeit aufwenden wollen. Bei Entscheidungen wie der, ob Sie ein Wirtschaftsstudium beginnen, ein Auto kaufen oder das College besuchen möchten, müssen Sie stets die Kosten Ihrer Entscheidung in Form verlorener Möglichkeiten in Erwägung ziehen. Die Kosten einer nicht gewählten Alternative werden als die Opportunitätskosten der Entscheidung bezeichnet.
Kapitel 1
33
Die Grundlagen der Volkswirtschaft
Das Konzept dieser Opportunitätskosten lässt sich anhand der PMK darstellen. Betrachten Sie die Kurve in Abbildung 1-2, die den möglichen Entscheidungen zwischen Kanonen und Butter entspricht. Nehmen wir an, das Land beschließt, die Kanonenproduktion von 9.000 Stück in D auf 12.000 Stück in C zu erhöhen. Worin bestehen die Opportunitätskosten dieser Entscheidung? Sie könnten diese Kosten in Dollar berechnen. Doch in der Ökonomie müssen wir immer erst den „Schleier des Geldes lüften“, um die tatsächlichen Auswirkungen alternativer Entscheidungen zu erfahren. Auf der untersten Ebene bestehen die Opportunitätskosten für die Bewegung von D zu C in der Butter, auf die wir für die Produktion der zusätzlichen Kanonen verzichten müssen. In unserem Beispiel belaufen sich die Opportunitätskosten von 3.000 zusätzlichen Kanonen auf 1 Million Pfund an nicht erzeugter Butter. Oder gehen wir das ganz reale Beispiel der Eröffnung einer Goldmine in der Nähe des Yellowstone-Nationalparks durch. Die Bergbaugesellschaft argumentiert, die Mine verursache nur geringe Kosten, weil die Einnahmen des Nationalparks dadurch kaum beeinträchtigt würden. Ein Ökonom würde jedoch einwenden, dass die Dollareinnahmen keinen geeigneten Maßstab für die entstehenden Kosten darstellen. Wir sollten uns fragen, ob die einzigartigen und kostbaren Qualitäten des Yellowstone-Nationalparks durch den Betrieb einer Goldmine beeinträchtigt würden, verursacht dieser doch Lärm, eine nicht unerhebliche Verschmutzung von Wasser und Luft und einige Nachteile für die Besucher. So gering die Dollarkosten auch sein mögen, die Opportunitätskosten in Form eines verdorbenen Naturparadieses könnten dagegen massiv zu Buche schlagen. In einer Welt der Knappheit bedeutet die Wahl einer Möglichkeit immer den Verzicht auf eine andere. Die Opportunitätskosten einer Entscheidung entsprechen dem Wert des nicht gewählten Gutes oder der nicht gewählten Dienstleistung.
Effizienz Bei all den vorangegangenen Erläuterungen sind wir implizit von der Annahme einer effizient funktionierenden Wirtschaft ausgegangen – einer Wirtschaft, die sich auf, nicht aber innerhalb ihrer PMK befindet. Denken Sie daran, dass Effizienz bedeutet, die Ressourcen einer Wirtschaft möglichst effektiv einzusetzen, um die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen bestmöglich zu befriedigen. Ein wichtiger Aspekt der allgemeinen wirtschaftlichen Effizienz ist die Produktionseffizienz. Wir sprechen von Produktionseffizienz, wenn eine Wirtschaft nicht mehr von einem Gut erzeugen kann, ohne zugleich bei einem anderen Abstriche machen zu müssen, wenn sie sich also auf Ihrer PMK befindet. Doch überlegen wir einmal, warum Produktionseffizienz nur auf der PMK stattfindet. Beginnen wir bei der Situation, die durch Punkt D in Abbildung 1-2 dargestellt wird. Nehmen wir an, der Markt verlangt die Produktion einer weiteren Million Pfund Butter. Würden wir die durch die PMK auferlegte Beschränkung einfach ignorieren, hielten wir vielleicht eine Produktionssteigerung bei Butter ohne Einschränkung der Kanonenproduktion für möglich, etwa indem wir uns zu Punkt I rechts von Punkt D bewegen. Doch Punkt I befindet sich außerhalb der Kurve im „unzugänglichen“ Bereich. Ausgehend von D können wir keinesfalls mehr Butter produzieren, ohne zugleich auf einige Kanonen zu verzichten. Daher ist Punkt D effizient, Punkt I aber nicht erreichbar. Ein weiterer Aspekt der Produktionseffizienz lässt sich anhand der PMK illustrieren: Auf der PMK zu stehen bedeutet, dass die vermehrte Produktion eines Gutes unweigerlich zum Verzicht auf andere Güter führt. Wenn wir also mehr Kanonen herstellen, ersetzen oder substituieren wir Butter durch Kanonen. Die Substitution ist eines der unabänderlichen Gesetze einer Volkswirtschaft mit Vollbeschäftigung, und die PMK zeigt die
34 gesamte Palette der Wahlmöglichkeiten einer Gesellschaft. Ungenutzte Ressourcen und Ineffizienz. Selbst flüchtigen Beobachtern des modernen Lebens dürfte es nicht entgangen sein, dass eine Gesellschaft auch über ungenutzte Ressourcen wie unbeschäftigte Arbeitskräfte, stillstehende Fabrikanlagen und brachliegendes Land verfügt. Wenn Ressourcen nicht genutzt werden, befindet sich die Wirtschaft nicht auf ihrer PMK, sondern irgendwo innerhalb der Kurve. In Abbildung 1-2 stellt Punkt U einen Punkt innerhalb der PMK dar. In U produziert die Gesellschaft nur 2 Einheiten Butter und 6 Einheiten Kanonen. Ein Teil der Ressourcen wird nicht genutzt, und indem wir auch diese ungenutzten Ressourcen einsetzen, können wir unseren Output sämtlicher erzeugter Güter steigern; die Wirtschaft bewegt sich so von Punkt U zu Punkt D und produziert daher zugleich mehr Butter und mehr Kanonen: Sie verbessert ihre Effizienz. Wir können unsere Kanonen bekommen und trotzdem mehr Butter essen. Eine bedeutende Quelle der Ineffizienz sind die Konjunkturzyklen. Zwischen 1929 und 1933, während der Weltwirtschaftskrise, sank die Produktionsleistung der amerikanischen Wirtschaft um beinahe ein Viertel. Dies war nicht auf eine Verschiebung der PMK, sondern auf verschiedene Schocks zurückzuführen, die die Ausgaben drosselten und die Wirtschaft in den Bereich innerhalb ihrer PMK zurückkatapultierten. Dann erhöhte die Aufrüstung für den Zweiten Weltkrieg die Nachfrage, und die Produktionsleistung wuchs wieder kräftig, während die Wirtschaft auf ihre PMK zurückkehrte. Ähnliches ereignet sich in Zeiten der Rezession. Als die Produktionsleistung der US-Wirtschaft in den Jahren 1982 oder 1991 zurückging oder als die japanische Wirtschaft in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts stagnierte, geschah dies nicht wegen eines plötzlichen Rückgangs der Produktivität dieser Länder. Vielmehr hatten Reibungsverluste und rückläufige Ausgaben die betroffenen Staaten hinter ihre PMK zurückgedrängt.
Die Grundlagen
Teil 1
Doch ein konjunktureller Abschwung ist keineswegs der einzige Grund für das Zurückfallen einer Wirtschaft hinter ihre PMK. Ein besonders dramatischer Produktionsrückgang ereignete sich Anfang der neunziger Jahre, als einige Länder ihre kommunistischen planwirtschaftlichen Systeme abgeschafft und sich dem freien Markt zugewandt hatten. Aufgrund der Unterbrechung der bisherigen organisatorischen Abläufe und Produktionsmuster sank der Output, und die Arbeitslosigkeit stieg, als sich die Unternehmen auf die geänderten Marktbedingungen und die neuen Regeln des Kapitalismus einstellten. Niemals sonst kam es in Friedenszeiten zu einem so nachhaltigen Einbruch der Produktionsleistung wie in den „realen Konjunkturzyklen“ der postkommunistischen Wirtschaften. So schmerzhaft dieser Übergang in die Marktwirtschaft auch war, für die postkommunistischen Länder erwies sich der anfängliche Konjunktureinbruch nur als vorübergehendes Handicap. Jene Länder, die ihre Reformen frühzeitig eingeleitet und auch besonders gründlich durchgeführt hatten, wie Polen und Slowenien, schafften als erste die Wende und konnten ihr Outputniveau aus kommunistischen Zeiten bereits wieder überschreiten. Ihre PMK verschiebt sich von neuem nach außen. Länder, die ihre Reformen hinauszögern, wie die Ukraine, oder vom Krieg gezeichnete Staaten wie Serbien müssen laufend Einbußen in ihrem realen Output wie auch im Lebensstandard hinnehmen. Lassen Sie uns nun am Ende dieses einleitenden Kapitels kurz auf unser Eröffnungsthema zurückkommen: Warum gerade Volkswirtschaft studieren? Die beste Antwort auf diese Frage liefert uns wahrscheinlich Keynes in den abschließenden Zeilen seines berühmten Werks The General Theory of Employment, Interest and Money: Die Ideen der Ökonomen und politischen Philosophen haben, ob sie nun richtig oder falsch sind, mehr Einfluss, als gemeinhin angenommen wird. Eigentlich wird die Welt kaum von
Kapitel 1
35
Die Grundlagen der Volkswirtschaft
etwas anderem bestimmt. Jene Pragmatiker, die meinen, sie seien völlig frei von allen intellektuellen Einflüssen, sind tatsächlich zumeist Sklaven irgendeines längst verstorbenen Ökonomen. Verrückte Machtträger, die Stimmen hören, holen sich ihre Wahnsinnsideen in Wahrheit von irgendeinem akademischen Schreiberling der letzten Jahre. Ich bin ganz sicher, dass die Macht der Eigeninteressen im Vergleich zum stetigen Vordringen der Ideen bei weitem überschätzt wird. Das alles passiert nicht von heute auf morgen, sondern braucht seine Zeit. In der Ökonomie und in der politischen Philosophie gibt es nicht viele, die sich noch im Alter von 25 oder 30 Jahren von neuen
Theorien beeinflussen lassen, sodass jene Ideen, die Beamte und Politiker, ja sogar politische Agitatoren, zu den laufenden Ereignissen äußern, ziemlich wahrscheinlich nicht neuesten Datums sind. Früher oder später sind es aber immer Ideen und nicht Eigeninteressen, die über die gefährliche Frage von Gut oder Böse entscheiden.
Um zu verstehen, wie sich mächtige volkswirtschaftliche Ideen auf die zentralen Fragen der Menschheit auswirken – das ist letztlich der Grund, warum wir uns mit dem Thema Ökonomie auseinandersetzen.
Zusammenfassung A. Einleitung 1.
2.
3.
Was ist die Volkswirtschaftslehre oder Ökonomik? Die Volkswirtschaftslehre ist die Lehre von den Entscheidungen der Gesellschaften über den Einsatz knapper Produktionsressourcen, die alternative Einsatzmöglichkeiten zulassen, um verschiedene Güter zu produzieren und diese unter verschiedenen Gruppen aufzuteilen. Wir studieren Wirtschaft, um nicht nur die Welt, in der wir leben, sondern auch die vielen anderen, potenziellen Welten verstehen zu können, von denen uns die Reformer laufend überzeugen wollen. Güter sind deshalb knapp, weil Menschen immer viel mehr haben möchten, als die Wirtschaft erzeugen kann. Wirtschaftsgüter sind knapp, sie sind nicht frei, und die Gesellschaft muss Entscheidungen zwischen beschränkt verfügbaren Gütern treffen, die sie mit den vorhandenen Ressourcen produzieren kann. Die Mikroökonomie befasst sich mit dem Verhalten der einzelnen Wirtschaftseinheiten, also der Märkte, Unternehmen und Haushalte. Die Makroökonomie steht hingegen für eine weiter gefasste, gesamtwirtschaftliche Perspektive. Hüten Sie sich in der Volkswirtschaftslehre stets vor dem Trugschluss der Verallgemeinerung und vor dem Post-hoc-Irrtum, und vergessen Sie nie, alle gerade nicht relevanten Faktoren konstant zu belassen.
B. Die drei Grundfragen der Wirtschaft 4.
5.
Jede Gesellschaft muss für sich drei wesentliche Fragen beantworten: Was, wie und für wen? Was und in welchen Mengen wird aus der breiten Palette aller möglichen Güter und Dienstleistungen produziert? Wie werden Ressourcen zur Produktion der gewählten Güter eingesetzt? Für wen werden die Güter produziert (das heißt, wie werden Einkommen und Konsum zwischen den verschiedenen Einzelpersonen und Klassen verteilt)? Die Gesellschaften beantworten diese Fragen auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Die heute bedeutendsten Wirtschaftsformen sind die Plan- und die Marktwirtschaft. Die Plan- oder Zentralverwaltungswirtschaft unterliegt einer zentralistischen staatlichen Kontrolle; im Gegensatz dazu wird die Marktwirtschaft durch ein informelles System von Preisen und Gewinnen bestimmt, in dem die meisten Entscheidungen von Privatpersonen und Unternehmen getroffen werden. Alle Gesellschaften verfügen über eine ganz spezifische Kombination aus Planund Marktwirtschaft; alle weisen ein wirtschaftliches Mischsystem auf.
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Die Grundlagen
C Die technologischen Möglichkeiten einer Gesellschaft 6.
7.
Angesichts vorgegebener Ressourcen und Technologien lässt sich die Produktionsentscheidung zwischen zwei Gütern, wie etwa Butter und Kanonen, in einer Produktionsmöglichkeiten- oder Transformationskurve (PMK) zusammenfassend darstellen. Die PMK zeigt uns, wie die Produktion eines Gutes (beispielsweise Kanonen) gegen die Produktion eines anderen Gutes (etwa Butter) getauscht wird. In einer Welt der Knappheit führt die Wahl einer Option zum Verzicht auf eine andere. Der Wert jener Güter oder Dienstleistungen, auf die verzichtet wurde, wird als deren Opportunitätskosten bezeichnet. Produktionseffizienz ist gegeben, wenn die Herstellung eines Gutes nicht ohne Zurücknahme der Produktion eines anderen Gutes gesteigert werden kann. Dieser Umstand wird durch die PMK illustriert. Befindet sich eine Wirt-
8.
9.
Teil 1
schaft auf ihrer PMK, kann sie von einem Wirtschaftsgut nicht mehr erzeugen, ohne von einem anderen weniger erzeugen zu müssen. Produktionsmöglichkeiten- oder Transformationskurven veranschaulichen eine Vielzahl grundlegender ökonomischer Prozesse: wie das Wirtschaftswachstum die PMK nach außen verschiebt, wie ein Staat im Zuge seiner Entwicklung vergleichsweise immer weniger Nahrungsmittel und andere lebensnotwendige Güter erzeugt, wie ein Land zwischen privaten und öffentlichen Gütern zu wählen hat und wie sich Gesellschaften zwischen Konsumgütern und Kapitalgütern, die den künftigen Konsum erhöhen, entscheiden müssen. Gesellschaften befinden sich bisweilen innerhalb ihrer PMK. Bei hoher Arbeitslosigkeit oder wenn Unruhen oder ineffiziente staatliche Maßnahmen die Wirtschaftsaktivitäten hemmen, wird die Wirtschaft ineffizient und fällt daher hinter ihre PMK zurück.
Begriffe zur Wiederholung Grundlegende Konzepte Knappheit und Effizienz Freie Güter im Vergleich zu Wirtschaftsgütern Mikroökonomie und Makroökonomie Normative im Vergleich zu beschreibender Ökonomie Trugschluss der Verallgemeinerung, Post-hoc-Irrtum „Alles andere konstant halten“ Kühler Kopf im Dienste des sozialen Gewissens
Die drei Grundfragen der Wirtschaft
Wahl zwischen Produktionsmöglichkeiten
Was, wie und für wen Die verschiedenen Wirtschaftssysteme: Planwirtschaft und Marktwirtschaft Laissez-faire Wirtschaftliches Mischsystem
Input und Output Transformations- oder Produktionsmöglichkeitenkurve (PMK) Produktionseffizienz und Ineffizienz Opportunitätskosten
Kapitel 1
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Die Grundlagen der Volkswirtschaft
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Robert Heilbroner, The Worldly Philosophers, 7. Aufl. (Touchstone Books, 1999). Das Buch enthält eine interessante Biografie der großen Ökonomen und beschreibt deren Ideen und Einfluss. Das bedeutendste Werk zur Geschichte der Wirtschaftsanalyse stammt von Joseph Schumpeter: History of Economic Analysis, (McGraw-Hill, New York, 1954). Deutschsprachige Literatur: Eine Fülle von Artikeln zu volkswirtschaftlichen Themen bietet das 25.000 Stichwörter umfassende, mehrbändige Gabler Volkswirtschaftslexikon, 4. Aufl. (Gabler, Wiesbaden, 1997). Etwas knapper, aber ebenfalls nützlich ist Artur Wolls Wirtschaftslexikon, 9. Aufl. (Oldenbourg, München, 2000).
Websites Eines der hervorragendsten volkswirtschaftlichen Bücher aller Zeiten ist Adam Smiths The Wealth of Nations (Der Reichtum der Nationen; oft und in vielen Verlagen erschienen, Ersterscheinungsdatum 1776). The Wealth of Nations finden Sie unter: www.bibliomania.com/NonFiction/Smith/Wealth/index.html. Besuchen Sie eine der VWL-Referenzseiten wie Resources for Economists on the Internet (www.rfe.org.) Browsen Sie durch einige Abschnitte, um sich mit der Website vertraut zu machen. Vielleicht möchten Sie konkret nach Ihrer Universität suchen, sich aktuelle Zeitungsartikel ansehen oder einige Wirtschaftsdaten nachschlagen. Zwei Seiten, die ausgezeichnete Analysen wirtschaftspolitischer Themen bieten, sind jene der Brookings Institution (www.brook.edu) und jene des American Enterprise Institute (www.aei.org). Jedes dieser Institute publiziert Bücher und informiert über die eigene Tätigkeit online. Ein nützliches Wirtschaftslexikon mit Kurzdefinitionen von Fachbegriffen findet man unter www.suchmaschine-webkatalog.de/vwl-lexikon/. Gut verständliche Erläuterungen von Begriffen aus dem Bereich Arbeit, Wirtschaft und Sozialpolitik bietet: www.igmetall.de/direkt/lexikon. Wer über die Theorie hinausgehen und sich mit realen, aktuellen Wirtschaftsfragen beschäftigen möchte, findet ein großes Literaturangebot vor. Die Stiftung Marktwirtschaft beispielsweise gibt regelmäßig Studien zu aktuellen wirtschaftspolitischen Fragen heraus; Informationen hierzu sind unter www.stiftungmarktwirtschaft.de zu finden. Veröffentlichungen zur Wirtschaft und wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland bietet auch die Bundeszentrale für politische Bildung: www.bpb.de/themen.
Übungen 1.
Der große britische Ökonom Alfred Marshall (1842–1924) erfand viele der in der modernen Wirtschaftstheorie gängigen Werkzeuge, interessierte sich jedoch vor allem für die praktische Anwendung dieser Werkzeuge zur Lösung gesellschaftlicher Probleme. Marshall erklärte in seiner Einführungsvorlesung: „Es wird mein dringendstes Bemühen sein, die Zahl jener zu erhöhen, die die Universität Cambridge mit kühlem Kopf und warmem Herzen in die Welt entsendet; Leute, die bereit sind, ihr Bestes zu geben, um die sozialen
Leiden ihrer Umwelt zu lindern; entschlossen, sich erst zufrieden zu geben, wenn sie allen die wichtigsten Voraussetzungen für ein gebildetes und kultiviertes Leben eröffnet haben.“ [Memorials of Alfred Marshall, A.C. Pigou, Hrsg. (MacMillan and Co., London, 1925), S. 174, mit geringfügigen Anpassungen] Erklären Sie, wie ein kühler Kopf erst jene entscheidende positive Wirtschaftsanalyse ermöglicht, mit der sich die normativen Werturteile eines warmen Herzens oder sozialen Gewissens umsetzen lassen. Können Sie sich mit
38
2.
3.
4.
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6.
Die Grundlagen
der Sichtweise Marshalls identifizieren, was die Funktion des Lehrers betrifft? Akzeptieren Sie seine Intentionen? Der bereits verstorbene George Stigler, ein bedeutender konservativer Ökonom der Chicagoer Schule, schrieb: „Keine grundlegend egalitäre Gesellschaft war je in der Lage, ein effizientes und progressives Wirtschaftssystem aufzubauen oder zu erhalten. Es entspricht der allgemeinen Erfahrung, dass irgendeine Art differenzierender Belohnung erforderlich ist, um Arbeitskräfte zu motivieren.“ [The Theory of Price, 3. Ausg. (Macmillan, New York, 1966), S. 19.] Handelt es sich bei diesen Aussagen um positivistische oder normative Ökonomie? Erörtern Sie Stiglers Ansicht im Lichte des Zitats von Alfred Marshall in Frage 1. Sehen Sie einen Widerspruch zwischen beiden? Definieren Sie jeden der folgenden Begriffe genau und führen Sie Beispiele an: PMK, Knappheit, Produktionseffizienz, Input, Output. Mit zunehmendem Reichtum wird Zeit die wichtigste knappe Ressource des Menschen. Nehmen wir an, Sie wären sehr reich, hätten aber nur wenige Stunden Freizeit pro Woche. Nennen Sie einige Beispiele, wie Sie Ihre Zeit noch ökonomischer einteilen könnten. Vergleichen Sie, wozu reiche und wozu arme Menschen ihre Zeit verwenden. Nehmen Sie an, das Land Ökonomien produziert Haarschnitte und Hemden mit einem gewissen Input an Arbeit. Ökonomien stehen dazu 1.000 Arbeitsstunden zur Verfügung. Ein Haarschnitt erfordert etwa eine halbe Arbeitsstunde, während für ein Hemd fünf Arbeitsstunden aufgewendet werden müssen. Erstellen Sie eine Transformationskurve für Ökonomien. Nehmen Sie an, die wissenschaftlichen Erfindungen hätten die Produktivität der gesellschaftlichen Ressourcen zur Erzeugung von Butter verdoppelt, während die Produktivität in
7.
8.
Teil 1
der Kanonenerzeugung gleich geblieben ist. Zeichnen Sie die Transformationskurve in Abbildung 1-2 noch einmal unter Berücksichtigung dieser Annahme. Einige Wissenschaftler sind der Ansicht, wir würden unsere natürlichen Ressourcen zusehends plündern. Nehmen Sie an, dass zur Produktion zweier Güter (Konzerte und Benzin) nur zwei Inputs (Arbeit und natürliche Ressourcen) nötig sind und dass sich die Technologie dieser fiktiven Gesellschaft im Zeitverlauf nicht verbessert. Zeigen Sie, welchen Verlauf die PMK nehmen müsste, wären die natürlichen Ressourcen bereits erschöpft. Was würde sich im Falle neuer Erfindungen und technologischen Fortschritts an Ihrer Antwort ändern? Erklären Sie ausgehend von diesem Beispiel, warum immer wieder behauptet wird, Wirtschaftswachstum sei ein „Wettrennen zwischen Ausbeutung und Erfindung“. Nehmen Sie an, Herr Fleißig hätte 10 Stunden Zeit für sein Studium der Fächer Volkswirtschaft und Geschichte. Zeichnen Sie eine PMK der Noten, die Herr Fleißig angesichts seiner begrenzten zeitlichen Ressourcen bekommen kann. Sollte Fleißig ineffizient studieren, indem er beispielsweise laute Musik hört und immer wieder mit seinen Freunden in die Kneipe geht, wie sähe es dann mit seinem Output bezogen auf seine PMK aus? Wie würde sich dagegen die Noten-PMK von Herrn Fleißig verändern, könnte er seinen Studieninput von 10 auf 15 Stunden erhöhen?
ANHANG 1 Diagramme richtig lesen Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Chinesisches Sprichwort
Um sich in der Volkswirtschaft zurechtzufinden, benötigt man erst eine gewisse Grundkenntnis von Diagrammen und Kurven. Diese sind als Werkzeuge für den Ökonomen ebenso wichtig wie Hammer und Säge für den Zimmermann. Sollten Sie also bisher noch nie mit Diagrammen zu tun gehabt haben, nehmen Sie sich doch gleich zu Beginn ein wenig Zeit dafür – Sie werden sehen, eine sinnvolle Investition! Was ist überhaupt ein Diagramm? Ein Diagramm zeigt uns, in welcher Beziehung zwei oder mehrere Datenreihen oder Variablen zueinander stehen. In derVolkswirtschaft sind Diagramme deshalb so wichtig, weil sie Alternative Produktionsmöglichkeiten Möglichkeiten
Nahrung
Maschinen
A
0
150
B
10
140
C
20
120
D
30
90
E
40
50
F
50
0
Tabelle 1A-1: Nahrung und Maschinen: die möglichen Produktionskombinationen Die Tabelle zeigt sechs potenzielle Produktionskombinationen, die mit den gegebenen Ressourcen eines Landes produziert werden können. Das Land kann zwischen den sechs möglichen Kombinationen wählen.
es uns unter anderem ermöglichen, ökonomische Konzepte zu analysieren und historische Trends zu untersuchen. Sie werden in diesem Buch eine ganze Reihe verschiedener Diagramme finden. Einige zeigen, wie sich gewisse Variable im Laufe der Zeit verändern, aus anderen wird die Beziehung zwischen verschiedenen Variablen untereinander ersichtlich (ein solches Beispiel werden Sie gleich kennen lernen). Jedes Diagramm in diesem Buch soll Ihnen das Verständnis für ein bedeutendes ökonomisches Gesetz oder einen wichtigen Trend erleichtern.
Die Transformations- oder Produktionsmöglichkeitenkurve Das erste Diagramm, dem Sie in diesem Buch begegnet sind, war die Transformations- oder Produktionsmöglichkeitenkurve PMK. Wie wir bereits erörtert haben, stellt die PMK die maximale Menge zweier Güter oder Dienstleistungen dar, die angesichts der in einer Wirtschaft vorhandenen beschränkten Ressourcen, sofern diese zur Gänze ausgelastet werden, zugleich produziert werden können. Betrachten wir eine wichtige Anwendung dieses Beispiels, nämlich die Entscheidung zwischen der Produktion von Nahrungsmitteln und Maschinen. Die für unsere PMK nötigen Daten sind Tabelle 1A-1 zu entnehmen, die dem Beispiel in Tabelle 1-1 weitge-
40
Diagramm der vorhandenen Produktionsmöglichkeiten Die in Tabelle 1A-1 enthaltenen Daten lassen sich auch in Diagrammform darstellen. Im Diagramm stellen wir jedes der Datenpaare aus der Tabelle als einen Punkt oder als zweidimensionale Ebene dar. Abbildung 1A-1 zeigt die Beziehung zwischen der Nahrungsmittel- und Maschinenproduktion aus Tabelle 1A-1 als Diagramm. Jedes Zahlenpaar wird durch einen Punkt in diesem Diagramm eingetragen. Die in Tabelle 1A-1 mit A bezeichnete Reihe wird in Abbildung 1A-1 als Punkt A dargestellt; ebenso wird mit den Reihen B, C etc. verfahren. In Abbildung 1A-1 entsprechen die vertikale Linie links und die horizontale Linie unten den beiden Variablen: Nahrungsmitteln und Maschinen. Eine Variable ist ein Untersuchungsgegenstand, der sich definieren und messen lässt und zu verschiedenen Zeiten oder an verschiedenen Orten unterschiedliche Werte annimmt. Wichtige, in der Volkswirtschaft untersuchte Variablen sind beispielsweise Preise, Mengen, Arbeitsstunden, Bodenflächen, Einkommen in Dollar etc. Die horizontale Linie auf dem Diagramm wird als die waagrechte oder X-Achse bezeichnet. In Abbildung 1A-1 wird der Nahrungsmitteloutput auf der schwarzen waagrechten Achse gemessen. Die senkrechte Linie trägt die Bezeichnung senkrechte oder Y-Achse. In Abbil-
150
A
Teil 1
B
120
Maschinen
hend gleicht. Erinnern Sie sich? Die verschiedenen angegebenen Möglichkeiten entsprechen einer bestimmten Produktionsmenge an Nahrungsmitteln und einem bestimmten Ausstoß an Maschinen. Bei steigender Nahrungsmittelmenge sinkt die Maschinenproduktion. Würde also die Wirtschaft in unserem Beispiel 10 Nahrungsmitteleinheiten produzieren, könnte sie maximal 140 Maschinen herstellen, während bei einem Nahrungsmitteloutput von 20 Einheiten nur 120 Maschinen vom Band laufen würden.
Die Grundlagen
C
90
D
60
E 30
F 0
10
20 30 Nahrung
40
50
Abbbildung 1A-1: Sechs mögliche Produktionskombinationen Nahrung/Maschinen In dieser Abbildung sehen Sie die Daten aus Tabelle 1A-1 grafisch aufbereitet. Es handelt sich um exakt dieselben Daten, die jedoch deutlicher werden, wenn man sie grafisch darstellt.
dung 1A-1 misst sie die Zahl der produzierten Maschinen. Punkt A auf der senkrechten Achse steht für 150 Maschinen. Die Ecke links unten, in der die beiden Achsen einander schneiden, wird als Ursprung oder Nullpunkt bezeichnet. In Abbildung 1 A-1 steht er für 0 Einheiten Nahrungsmittel und 0 Einheiten Maschinen.
Die durchgezogene Kurve In den meisten ökonomischen Beziehungen können sich die Variablen nur geringfügig oder auch in so großen Schritten wie in Abbildung 1A-1 ändern. Wir zeichnen daher im allgemeinen ökonomische Beziehungen als kontinuierliche Kurven. Abbildung 1A-2 zeigt die PMK als durchgezogene Kurve, mit der die Punkte von A bis F verbunden wurden. Durch den Vergleich von Tabelle 1A-1 und Abbildung 1A-2 können wir erkennen, warum in der Wirtschaftswissenschaft Diagramme so häufig verwendet werden. Die kontinuierlich verlaufende PMK spiegelt die Wahlmöglichkeiten der Wirtschaft in der
Anhang 1
41
Diagramme richtig lesen
Produktion wider. Sie illustriert anschaulich, welche Arten von Gütern jeweils in welcher Menge vorhanden sind. Wir können aus ihr auf einen Blick das Verhältnis zwischen Maschinen- und Nahrungsmittelproduktion erkennen.
hung zwischen der Veränderung von Y und der Veränderung von X. Wir können Abbildung 1A-3 benutzen, um zu zeigen, wie wir die Steigung einer Geraden, etwa der Geraden BD, messen. Stellen wir uns die Bewegung von B nach D Die Produktionsmöglichkeitskurve (PMK) oder Transformationskurve
Steigung und Kurven
(a): Inverse Beziehung
Y
150
A B C
120
Maschinen
Abbildung 1A-2 zeigt das Verhältnis zwischen der maximalen Nahrungsmittel- und Maschinenproduktion. Eine ganz wichtige Methode, um das Verhältnis zwischen zwei Variablen zu beschreiben, bietet uns die Steigung der Kurve. Der Anstieg oder die Steigung einer Kurve gibt die Veränderung einer Variablen infolge der Veränderung einer anderen Variablen wieder. Genauer gesagt handelt es sich um die Veränderung der Variablen Y auf der senkrechten Achse pro Einheit Veränderung der Variablen X auf der waagrechten Achse. Nehmen wir an, in Abbildung 1A-2 sei die Nahrungsmittelproduktion von 25 auf 26 Einheiten gestiegen. Die Steigung der Kurve in Abbildung 1A-2 zeigt uns die präzise Veränderung der Maschinenproduktion, die infolgedessen stattfinden würde. Die Steigung ist ein exaktes numerisches Maß der Bezie-
D
90
60 E 30
0
10
20 30 Nahrung
F 50
40
Abbildung 1A-2: Die Produktionsmöglichkeitenkurve (PMK) oder Transformationskurve Eine durchgezogene Kurve, die Transformations- oder Produktionsmöglichkeitenkurve, verbindet die eingetragenen Produktionskombinationen. (b): Direkte Beziehung
Y
E A D 1
C s
B
B
s
1
C
D A E
X
X
Abbildung 1A-3: Berechnung der Steigung von Geraden (gerade verlaufenden Kurven) Die Steigung einer Gerade ist sehr leicht als „Δy dividiert durch Δx“ zu berechnen. So entspricht sowohl bei (a) als auch bei (b) der numerische Wert der Steigung Δy/Δx = CD/BC = s/l = s. Bitte beachten Sie, dass CD in (a) negativ ist, was eine negative Steigung oder ein inverses Verhältnis zwischen X und Y anzeigt.
42
Die Grundlagen
in zwei Schritten vor. Als Erstes erfolgt eine horizontale Bewegung von B nach C, die einen Anstieg des X-Wertes um eine Einheit (ohne Veränderung von Y) zeigt. Daran schließt sich eine kompensierende vertikale Bewegung nach oben oder unten an, die in Abbildung 1A-3 als s bezeichnet ist. (Die erste, horizontale Verschiebung um eine Einheit dient nur der Bequemlichkeit. Die Formel gilt aber für Bewegungen jeder Größenordnung.) Diese zweistufige Bewegung bringt uns von einem Punkt auf der Geraden zu einem anderen. Da die Bewegung BC eine Steigung von X um eine Einheit bedeutet, zeigt die Länge von CD (in Abbildung 1A-3 als s bezeichnet) die Veränderung von Y pro zusätzlicher Einheit von X an. In einem Diagramm heißt diese Veränderung die Steigung der Linie ABDE. Anstieg oder Steigung lässt sich auch als „AY durch AX“ definieren. AY ist der vertikale Abstand, in Abbildung 1A-3 beispielsweise der Abstand von C nach D. Dx ist der horizontale Abstand, in Abbildung 1A-3 also BC. „AY durch AX“ wäre in diesem Fall CD durch BC. Die Steigung von BD ist daher CD/BC. (Für jene unter Ihnen, die sich mit Differenzial- und Integralrechnungen auskennen, verweist Frage 7 am Ende dieses
Anhangs auf die Beziehung zwischen Steigungen und Ableitungen.) Um den Begriff Steigung zu verstehen, sollte man folgende Punkte berücksichtigen: 1. Eine Steigung kann als Zahl ausgedrückt werden. Sie misst die Veränderung von Y pro zusätzlicher Einheit X oder „AY durch AX“. 2. Bei einer Geraden ist die Steigung überall konstant. 3. Die Steigung einer Kurve zeigt an, ob die Beziehung zwischen X und Y direkt oder invers ist. Direkte Beziehungen bedeuten, dass sich die Variablen in dieselbe Richtung bewegen (sie steigen oder fallen also gemeinsam), während man von inversen Beziehungen spricht, wenn sich die Variablen in entgegengesetzter Richtung entwickeln (wenn eine steigt, während die andere fällt). Somit zeigt eine negative Steigung eine inverse Beziehung zwischen X und Y wie in Abbildung 1A-3(a) an. Warum? Weil eine Steigerung von X eine Zurücknahme von Y erfordert. Bisweilen wird die Steigung mit der Steilheit der Kurve verwechselt. Diese Schlussfol-
(a)
(b)
Y
Y
2
2
1
1
0
Teil 1
1 2 3 4
X
0
1
2
3
4
X
Abbildung 1A-4: Steilheit ist nicht dasselbe wie Steigung Bitte beachten Sie, dass obwohl (a) steiler aussieht als (b), beide Kurven genau dasselbe Verhältnis darstellen. Die Steigung beträgt in beiden Fällen 1/2, aber die X-Achse wurde in (b) gestreckt.
Anhang 1
43
Diagramme richtig lesen
gerung kann, muss aber nicht richtig sein. Die Steilheit der Kurve hängt nämlich von dem im Diagramm verwendeten Maßstab ab. Die Bilder (a) und (b) in Abbildung 1A-4 zeigen exakt dasselbe Größenverhältnis. Bei (b) ist jedoch der horizontale Maßstab im Vergleich zu (a) gestreckt. Wenn Sie genau rechnen, werden Sie entdecken, dass die Steigung in beiden Fällen identisch (nämlich 1/2) ist.
Steigung einer gekrümmten Kurve Eine gekrümmte oder nichtlineare Kurve ist eine Linie, deren Steigung sich verändert. Manchmal wollen wir die Steigung in einem bestimmten Punkt ermitteln, etwa in Punkt B der Abbildung 1A-5. Wir erkennen zwar, dass die Steigung in Punkt B positiv ist, sehen aber nicht, wie wir sie berechnen können. Um die Steigung einer verlaufenden, gekrümmten Kurve in einem bestimmten Punkt festzustellen, müssen wir die Steigung jener Geraden errechnen, die die Kurve im frag-
lichen Punkt berührt, jedoch nicht schneidet. Eine solche Gerade wird als Tangente der gekrümmten Kurve bezeichnet. Anders betrachtet ist die Steigung einer gekrümmten Kurve im gegebenen Punkt gleich der Steigung der an diesen Punkt angelegten Tangente. Wenn wir die Tangente zeichnen, können wir die Steigung der Tangente mit der üblichen, bereits erörterten Messmethode (rechter Winkel) ermitteln. Um die Steigung in Punkt B in Abbildung 1A-5 zu ermitteln, konstruieren wir einfach die Strecke FBJ als Tangente, die wir in Punkt B an die Kurve anlegen. Anschließend berechnen wir die Steigung der Tangente als NJ/ MN. Ebenso ergibt die Tangente GH die Steigung der gekrümmten Kurve in Punkt D. Ein weiteres Beispiel für die Steigung einer nichtlinear verlaufenden Kurve sehen Sie in Abbildung 1A-6. Diese zeigt einen für die Mikroökonomie typischen Fall: Es handelt sich um eine glockenförmige Kurve mit eiY
Y
Nullsteigung
J
C
G
ng
ive Po
gu
sit
D
tei
B
eS
E D
tiv
Ste
H
ga
N
igu
ng
Ne
M
B A
E X
F A
X
Abbildung 1A-5: Tangente als Steigung einer gekrümmten Kurve Durch Anlegen einer Tangente lässt sich die Steigung einer gekrümmten Kurve in einem gegebenen Punkt berechnen. So bildet die Linie FBMJ die Tangente zur gerade verlaufenden ABDE-Kurve in Punkt B. Die Steigung in B wird als Steigung der Tangente berechnet, also als NJ/MN.
Abbildung 1A-6: nichtlinearer Kurven
Unterschiedliche
Steigungen
In der Volkswirtschaftslehre stoßen wir immer wieder auf Kurven, die erst ansteigen, irgendwo einen Höhepunkt erreichen und dann wieder abfallen. Im ansteigenden Bereich von A nach C ist die Steigung positiv (siehe Punkt B). Im abfallenden Bereich von C nach E ist die Steigung negativ (siehe Punkt D). Am höchsten Punkt der Kurve, in C, beträgt die Steigung Null. (Wie verhält sich eine U-förmige Kurve? Wo weist sie die geringste Steigung auf?)
44
Verschiebung von, und Bewegung entlang von Kurven Eine in der Volkswirtschaftslehre wichtige Unterscheidung betrifft die Verschiebung von Kurven und die Bewegung entlang von Kurven. Wir können diesen Unterschied in Abbildung 1A-7 erkennen. Die innere Transformationskurve gibt die PMK in Abbildung 1A-2 wieder. In Punkt D entscheidet sich die Gesellschaft für die Produktion von 30 Einheiten Nahrung und 90 Einheiten Maschinen. Sollte die Gesellschaft jedoch plötzlich beschließen, bei gegebener PMK mehr Nahrung zu erzeugen, dann könnte sie sich entlang der PMK bis zu Punkt E bewegen. Diese Bewegung entlang der Kurve drückt die Entscheidung für mehr Nahrung und weniger Maschinen aus. Nehmen Sie nun an, die innere PMK würde die Produktionsmöglichkeiten der Gesellschaft für das Jahr 1990 darstellen. Be-
Teil 1
trachten wir dasselbe Land im Jahr 2000, so erkennen wir, dass sich seine PMK von der inneren Kurve des Jahres 1990 zur äußeren Kurve des Jahres 2000 verschoben hat. (Diese Verschiebung ist auf technologischen Wandel oder zusätzliche Kapazitäten der Faktoren Arbeit oder Kapital zurückzuführen.) Im Jahr 2000 entscheidet sich diese Gesellschaft vielleicht für Punkt G, was bedeutet, dass sie mehr Nahrung und Maschinen erzeugt, als dies sowohl in D als auch in E der Fall war. Das Entscheidende an diesem Beispiel ist die Unterscheidung zwischen einer Bewegung entlang der Kurve wie im ersten Fall (von D zu E) und einer Verschiebung der Kurve wie im zweiten Fall (von D zu G).
Spezielle Diagramme Die PMK ist eines der wichtigsten Diagramme der Wirtschaftswissenschaften, weil sie das Verhältnis zwischen zwei volkswirtschaftlichen Variablen (Nahrung und Maschinen 210 180 150 Maschinen
nem Maximum im Punkt C. Wir können unsere Methode der Ermittlung des Anstiegs als Steigung der Tangente verwenden und sehen, dass die Steigung der Kurve im ansteigenden Bereich der Kurve immer positiv ist, ebenso wie sie im abfallenden Bereich immer negativ ist. An der Spitze oder im höchsten Punkt der Kurve ist die Steigung immer exakt Null. Eine Steigung von Null bedeutet, dass eine winzige Bewegung der Variablen X um die Spitze auf den Wert der Y-Variablen keinen Einfluss hat.3
Die Grundlagen
120 G D
90 60
E
30 3 Alle jene, die sich für Algebra interessieren, merken sich die Steigung einer Linie am besten wie folgt: Eine gerade Linie (oder eine lineare Beziehung) wird mit der Formel Y = a+bX angegeben. Für diese Linie ist die Steigung der Kurve b, und sie misst die Veränderung von Y bei Änderung von X um eine Einheit. Eine gekrümmte Kurve oder ein nichtlineares Verhältnis beinhaltet neben Konstanten und dem X-Term weitere Terme. Ein Beispiel für ein nichtlineares Verhältnis ist die quadratische Gleichung Y = (X– 2)2. Sie können leicht erkennen, dass die Steigung dieser Gleichung negativ ist, wenn X < 2, und dass sie positiv ist, wenn X > 2. Welche Steigung ergibt sich für X = 2? Für die Freunde der Differential- und Integralrechnung: Eine Steigung von Null liegt vor, wenn die Ableitung einer gleichmäßigen Kurve gleich Null ist. Sie können mit dieser Rechenmethode den Nullsteigungspunkt einer Kurve, die durch die Funktion Y = (X–2)2 definiert ist, finden und darstellen.
2000 1990
0
10
20
30 40 Nahrung
50
60
70
Abbildung 1A-7: Verschiebung von Kurven oder Bewegung entlang von Kurven Bei der Verwendung von Diagrammen ist unbedingt darauf zu achten, dass zwischen einer Bewegung entlang der Kurve (wie vom investitionsintensiven Punkt D zum investitionsschwachen Punkt E) und einer Verschiebung der Kurve (wie von D in einem früheren Jahr zu G in einem späteren Jahr) unterschieden wird.
45
Diagramme richtig lesen
oder Kanonen und Butter) darstellt. Sie werden jedoch auf den folgenden Seiten auch noch mit zahlreichen anderen Diagrammen Bekanntschaft machen. Zeitreihen. Einige Diagramme zeigen, wie sich eine bestimmte Variable im Zeitablauf verhält. Bei Zeitreihendiagrammen wird die Zeit auf der waagrechte Achse aufgetragen, während die untersuchten Variablen (in diesem Fall das Schulden-BIP-Verhältnis) auf der senkrechten Achse stehen. Diagramm, welches das Verhältnis des amerikanischen Haushaltsdefizits zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) darstellt, würde zeigen dass der Verschuldungsgrad während jedes größeren Krieges einen dramatischen Anstieg verzeichnete. Streudiagramme. Manchmal werden einzelne Punkte dargestellt, zu sehen etwa in Abbildung 1A-1. Sehr häufig begegnen uns allerdings auch Variablen-Kombinationen für verschiedene Jahre. Ein wichtiges makroökonomisches Beispiel für ein Streudiagramm ist die Konsumfunktion, die in Abbildung 1A-8 dargestellt ist. Dieses Streudiagramm zeigt das gesamte verfügbare Volkseinkommen auf der waagrechten und den gesamten Konsum (die Ausgaben der Haushalte für Güter wie Lebensmittel, Kleidung und Haushalt) auf der senkrechten Achse. Beachten Sie, dass der Konsum sehr eng mit dem Einkommen zusammenhängt, was für das Verständnis der Veränderungen in den Bereichen Volkseinkommen und Produktion ganz wesentlich ist. Diagramme mit mehr als einer Kurve. Häufig erweist es sich als sinnvoll, zwei Kurven im selben Diagramm einzuzeichnen, wodurch ein sogenanntes „Multikurvendiagramm“ entsteht. Diese Diagramme können zwei verschiedene Beziehungen gleichzeitig
darstellen, etwa die Reaktion der Kaufbereitschaft der Konsumenten auf den Preis (Nachfrage) und die Reaktion der Produktion auf den Preis (Angebot). Durch die Darstellung beider Relationen in einem Diagramm können wir ermitteln, wie sich Preis und Produktionsmenge auf einem bestimmten Markt einstellen werden. Und damit ist unser kurzer Exkurs über Diagramme auch schon abgeschlossen. Sie werden sehen, sobald Sie mit den hier erklärten, grundlegenden Prinzipien zurechtkommen, werden Sie die Diagramme in diesem Buch und anderswo als unterhaltsam und informativ erleben. Konsumausgaben (Mrd. US-$, Preise von 2000)
Anhang 1
9.000
c
8.000
2003 2000
7.000 6.000 1995
5.000
1990
4.000 1980
3.000
1970
2.000 1.000
c
1960
0 0
2.000
4.000
6.000
8.000 10.000
Verfügbares Einkommen (Mrd. US-$, Preise 2000)
Abbildung 1 A-8: Das Streudiagramm der Konsumfunktion zeigt ein wichtiges Gesetz der Makroökonomie Die beobachteten Ausgabenhöhen für den Konsum fallen in die Nähe der CC-Linie, die das Durchschnittsverhalten im Zeitablauf darstellt. So liegt etwa der rote Punkt für das Jahr 2003 so nahe an der CC-Linie, dass er sich aus dem Linienverlauf ohne weiteres hätte vorhersagen lassen, noch bevor das Jahr zu Ende war. Streudiagramme zeigen uns, wie eng die Beziehung zwischen zwei Variablen ist.
46
Die Grundlagen
Teil 1
Zusammenfassung des Anhangs 1.
2.
3.
Diagramme sind ein wichtiges Hilfsmittel der modernen Volkswirtschaft. Sie sorgen für die praktische und übersichtliche Darstellung von Daten oder Beziehungen zwischen Variablen. Folgendes müssen Sie wissen, um Diagramme zu verstehen: Was wird auf den beiden Achsen (der waagrechten und der senkrechten Achse) aufgetragen? In welchen Einheiten wird auf jeder Achse gemessen? Welches Verhältnis wird mit der Kurve oder den Kurven des jeweiligen Diagramms dargestellt? Die Beziehung zwischen den beiden Variablen einer Kurve ergibt sich durch ihren Anstieg oder ihre Steigung. Die Steigung wird als „AY
4.
durch AX“ oder als Zunahme von Y pro zusätzlicher Einheit von X definiert. Bei einer positiven Steigung besteht eine direkte Beziehung zwischen den beiden Variablen; sie bewegen sich zugleich nach oben oder unten. Bei einer negativen Steigung besteht eine inverse Beziehung zwischen den beiden Variablen. Außerdem begegnen uns bisweilen spezielle Diagramme: Zeitreihen, die zeigen, wie sich eine bestimmte Variable im Zeitablauf verhält; Streudiagramme, die uns Beobachtungen über ein Variablenpaar ermöglichen, und Mehrkurvendiagramme, die zwei oder mehr Beziehungen in einem einzigen Diagramm verbinden.
Begriffe zur Wiederholung Was macht ein Diagramm aus?
Diagrammbeispiele
Die waagrechte oder X- Achse Die senkrechte oder Y -Achse Die Steigung als „AY durch AX“ Die Steigung (negativ, positiv, Null) Die Tangente als Steigung einer gekrümmten Kurve
Zeitreihen Streudiagramme Multikurvendiagramme
Übungen 1.
2.
3.
Erörtern Sie folgende Problemstellung: Nach einem achtstündigen Schlaf bleiben Ihnen insgesamt 16 Stunden für Freizeit und Studium. Sagen wir, die Freizeit sei die Variable X, während die Studienzeit als Y-Variable angenommen wird. Zeichnen Sie in Ihrem Diagramm eine lineare Beziehung zwischen allen Kombinationen von X und Y ein. Achten Sie auf die richtige Beschriftung von Achsen und Ursprung. Wie sieht in Frage 1 die Steigung der Linie aus, die die Beziehung zwischen Studien- und Freizeit darstellt? Handelt es sich um eine Gerade? Nehmen wir einmal an, Sie benötigen genau 6 Stunden Freizeit täglich, nicht mehr und nicht weniger. Markieren Sie im Diagramm den Punkt, der den 6 Stunden Freizeit entspricht. Achten Sie nun auf die Bewegung entlang der Kurve: Suchen Sie den nächsten Punkt unter der Annahme, dass Ihnen auch 4 Stunden Freizeit genügen. Markieren Sie diesen Punkt.
4.
5.
6.
Führen Sie nun eine Verschiebung der Kurve durch: Sie stellen fest, dass auch weniger Schlaf ausreichend sein müsste, sodass Sie nun 18 Stunden täglich für Freizeit und Studium zur Verfügung haben. Zeichnen Sie die neue (verschobene) Kurve. Führen Sie eine Woche lang Aufzeichnungen über Ihre eigenen Freizeit- und Studiengewohnheiten. Zeichnen Sie daraus ein Zeitreihendiagramm der täglichen Freizeit- und Studienstunden. Zeichnen Sie als nächstes ein Streudiagramm der Freizeit- und Studienstunden. Erkennen Sie eine Beziehung zwischen den beiden Variablen? Loggen Sie sich auf der Website des Bureau of Economic Analysis unter www.bea.gov ein. Klicken Sie nun auf „Gross Domestic Product“. Klicken Sie auf der nächsten Seite „Interactive NIPA data“ an. Klicken Sie nun auf „Frequently Requested NIPA Tables“. Gehen Sie zu „Table 1.2 (Real Gross Domestic Product)“, das Ihnen den gesamtwirtschaftlichen Output anzeigt.
Kapitel 1
47
Die Grundlagen der Volkswirtschaft
Dabei erfahren Sie voraussichtlich die aktuellen Quartalsdaten. a. Zeichnen Sie ein Diagramm, das die Zeitreihe für das reale BIP der letzten sechs Quartale darstellt. Zeigt der allgemeine Trend aufwärts oder abwärts? (Wir werden im makroökonomischen Abschnitt weiter hinten in diesem Buch erfahren, dass eine abwärts gerichtete Kurve als Rezession bezeichnet wird.) b. Zeichnen Sie ein Streudiagramm der „Importe“ auf der vertikalen Achse und des „Bruttoinlandsprodukts“ auf der horizontalen Achse. Beschreiben Sie die Beziehung zwischen den aufgetragenen Zahlen. (Aus makroökonomischer Perspektive handelt es sich hierbei um die Grenzneigung zum Import.)
7.
Für die Rechenkünstler unter Ihnen: Die Steigung einer kontinuierlichen Kurve ist deren Ableitung. Sie finden nachstehend die Gleichungen für zwei inverse Nachfragekurven (wobei der Preis eine Funktion des Output ist). Nehmen Sie für jede Kurve an, dass die Funktion nur dann gilt, wenn P ≥ 0 und X ≥ 0. a. P = 100 – 5X b. P = 100 – 20X + 1X2 Bestimmen Sie die Steigung jeder Nachfragekurve, wenn X = 0 und wenn X = 1. Wie lautet die Bedingung, unter der das Gesetz der abwärts verlaufenden Nachfragekurve für lineare Nachfragekurven wie a gilt? Ist Kurve b konkav (glockenförmig) oder konvex (tassenförmig)?
49 Das wirtschaftliche Mischsystem
KAPITEL 2 Markt und Staat in der modernen Wirtschaft
Jeder Mensch ist bemüht, sein Kapital so einzusetzen, dass er daraus den größtmöglichen Wert bezieht. Er möchte damit im Allgemeinen nicht dem öffentlichen Interesse dienen und weiß auch nicht, wie sehr er diesem dient. Er hat ausschließlich seine eigene Sicherheit, seinen eigenen Nutzen im Sinn. Und er wird dabei von einer unsichtbaren Hand geleitet, letztlich doch ein Ziel zu verfolgen, das nicht in seiner Absicht lag. Indem der Mensch seinen eigenen Nutzen anstrebt, fördert er häufig den Nutzen der Gesellschaft wirksamer, als hätte er dies beabsichtigt. Adam Smith The Wealth of Nations – Der Reichtum der Nationen (1776)
Im vorliegenden Lehrbuch befassen wir uns primär mit der Marktwirtschaft der modernen Industriestaaten. Vor deren Entstehung, im Mittelalter, bestimmten überwiegend Aristokratie und bedeutende Handelsstädte die wirtschaftlichen Aktivitäten Europas und Asiens. Doch vor etwa 200 Jahren ließen die Herrschenden in ihrem Bemühen, die Preise und Produktionsmethoden zu kontrollieren, allmählich nach. Der Feudalismus machte nach und nach dem Markt oder dem, was wir als „Marktmechanismus“ oder „Konkurrenzkapitalismus“ bezeichnen, Platz. Im Großteil Europas und Nordamerikas entwickelte sich das 19. Jahrhundert zum Zeitalter des Laissez-faire („einfach gewähren lassen“). Diese Wirtschaftsdoktrin lehrt, der Staat solle sich so wenig wie möglich in wirtschaftliche Angelegenheiten einmischen und diese von privaten Käufern und Verkäufern entscheiden lassen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts setzten viele Staaten auf diese Wirtschaftsphilosophie. Doch vor etwa 100 Jahren begannen sich die meisten Länder angesichts ihrer Erfahrungen mit zahlreichen Auswüchsen des Kapitalismus – wie Korruption, gesundheitsgefährdenden Produkten und Armut – von ihrer ungebremsten Laissez-faire-Politik wieder abzuwenden. Die Rolle des Staates wurde immer wichtiger, weil dieser nun die Monopole regelte, Einkommensteuern erhob und begann, ein Netz der sozialen Sicherheit für Alte, Arbeitslose und Arme zu knüpfen. Dieses neue System, wir sprechen vom Wohlfahrtsstaat, ist so organisiert, dass der Markt die Aktivitäten des täglichen wirtschaftlichen Lebens bestimmt, während der Staat über die soziale Situation wacht und Pensionen, ein Gesundheitswesen und andere Erfordernisse für bedürftige Familien bereitstellt. Im ausgehenden 20. Jahrhundert verlagerte sich der Trend wieder, als konservative Regierungen in vielen Ländern Steuersenkungen einleiteten und die staatliche Kont-
50 rolle der Wirtschaft lockerten. Zahlreiche zuvor staatliche Unternehmen wurden „privatisiert“, Einkommensteuern gesenkt und die ehemals großzügigen Wohlfahrtsprogramme gekürzt, um dem rapiden Anstieg der Staatsausgaben entgegenzuwirken. Besonders drastisch fiel die Wende zum Markt in Russland und in den zuvor kommunistischen Ländern Osteuropas aus. Nachdem sie Jahrzehnte hindurch die Vorteile einer staatlich betriebenen Planwirtschaft gelobt hatten, verwarfen diese Länder ab etwa 1990 ihre bisherigen Konzepte und wagten den schwierigen Übergang hin zu einer dezentralen, vom Markt bestimmten Wirtschaft. China wird zwar nach wie vor von der diktatorischen kommunistischen Partei regiert, erlebt aber seit etwa 30 Jahren einen echten Boom, nachdem im Land der Mitte private und ausländische Unternehmen zugelassen worden waren. Auch andere, zuvor eher arme Regionen wie Taiwan, Hongkong und Chile erfreuen sich eines raschen Einkommenszuwachses, seit sie sich dem Kapitalismus zugewandt und die Rolle des Staates in der Wirtschaft zurückgenommen haben. Diese historische Episode der Verschiebung der Grenzen zwischen Staat und Markt wirft viele Fragen auf. Was genau ist eigentlich eine Marktwirtschaft und warum erweist sie sich als ein so starker Wachstumsmotor? Wofür steht der Begriff „Kapital“ in „Kapitalismus“? Welche staatlichen Kontrollen sind erforderlich, damit Märkte effektiv funktionieren können? Wir sollten uns nun mit den Grundsätzen befassen, auf denen die Marktwirtschaft beruht, und überlegen, welche Rolle der Staat im Wirtschaftsleben zu spielen hat.
A. Was ist ein Markt? In einem Land wie den USA werden die meisten wirtschaftlichen Entscheidungen durch den Markt getroffen, also beginnen wir unsere systematische Recherche hier.
Die Grundlagen
Teil 1
Wer löst die drei Grundfragen wirtschaftlicher Organisation, nämlich was, wie und für wen in einer Marktwirtschaft produziert wird? Vielleicht überrascht es Sie, dass in einer Marktwirtschaft kein einzelner Mensch, auch keine Organisation oder Regierung für die Lösung wirtschaftlicher Probleme zuständig ist. Stattdessen betreiben Millionen von Unternehmen und Konsumenten völlig freiwillig Handel, weil sie ihre jeweilige wirtschaftliche Situation verbessern wollen, und sie werden in ihren Aktivitäten unmerklich durch ein System von Preisen und Märkten koordiniert. Um sich vor Augen zu führen, wie erstaunlich dieser Umstand ist, denken Sie doch einmal an die Stadt New York. Ohne einen konstanten Fluss von Wirtschaftsgütern in die Stadt hinein und wieder aus ihr heraus wären die New Yorker praktisch innerhalb einer Woche verhungert. Damit New York funktioniert, müssen also zahlreiche Güter angeliefert werden. Aus den umliegenden Bezirken, aus 50 Bundesstaaten und aus den entlegensten Ecken der Welt werden Güter tage- und wochenlang in Richtung New York transportiert. Doch wie können 10 Millionen Menschen nachts ruhig schlafen, ohne sich panisch vor einem Zusammenbruch dieses überaus komplexen wirtschaftlichen Vorgangs, von dem ihr Leben abhängt, zu fürchten? Die überraschende Antwort lautet, dass dieses Wirtschaftssystem ohne Zwang oder zentrale Lenkung allein durch den Markt koordiniert wird. Jeder Bürger der USA sieht, was der Staat alles tut, um das wirtschaftliche Leben zu kontrollieren: Er erhebt Mautgebühren auf Brücken, platziert Polizisten auf den Straßen, reguliert den Handel mit Medikamenten, erhebt Steuern, sendet seine Armee in weit entfernte Länder etc. Doch wir denken nur selten darüber nach, wie gut unser wirtschaftliches System ohne staatliche Eingriffe funktioniert. Millionen Menschen produzieren täglich Tausende Güter, freiwillig, ohne Be-
Kapitel 2
Markt und Staat in der modernen Wirtschaft
fehl einer zentralen Verwaltung, ohne großen, umfassenden Plan.
Wirtschaftsordnung, nicht Chaos Der Markt erscheint als ein enormes Durcheinander von Verkäufern und Käufern. Ist es da nicht ein echtes Wunder, dass Nahrung in ausreichender Menge produziert, an den richtigen Ort transportiert wird und schließlich in genießbarer Form auf unserem Teller landet? Doch ein genauerer Blick auf New York oder einen anderen Wirtschaftsraum zeigt uns deutlich, dass einem Marktsystem nichts Chaotisches oder Wunderbares anhaftet. Es handelt sich einfach um ein System mit einer inneren Logik. Und das funktioniert. Eine Marktwirtschaft ist ein überaus komplexer Mechanismus zur Koordinierung von Menschen, Handlungen und Geschäftsbeziehungen durch ein System von Preisen und Märkten. Zugleich stellt der Marktmechanismus ein Kommunikationsmedium für das Wissen und die Aktivitäten von Milliarden unterschiedlicher Akteure dar. Ohne jede zentrale „Intelligenz“ und ohne Vorausberechnung löst er die Probleme der Produktion und Verteilung mit ihren Milliarden unbekannter Variabler und Beziehungen, Probleme, die jeden der schnellsten Supercomputer unserer Tage bei weitem überfordern würden. Niemand hat den Markt geplant, und doch funktioniert er bemerkenswert gut. In einer Marktwirtschaft ist kein einzelner Mensch und auch keine einzelne Organisation für Produktion, Konsum, Verteilung und Preisgestaltung verantwortlich. Doch wie bestimmen die Märkte Preise, Löhne und Produktion? Ursprünglich war ein Markt einfach ein Ort, an dem Käufer und Verkäufer einander physisch, von Angesicht zu Angesicht, gegenübertraten. Der Marktplatz – man stelle sich ruhig Butterberge, Käsepyramiden, Frischfisch und Kisten voller Gemüse vor – war in vielen Dörfern und Städten ein gewohnter Anblick, ein Ort, an dem die Landwirte ihre Waren zum Verkauf anboten. In den USA gibt es auch heute
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noch bedeutende Märkte, auf denen sich zahlreiche Händler einfinden, um ihre Geschäfte abzuwickeln. So werden etwa Weizen und Mais am Board of Trade in Chicago, Öl und Platin hingegen an der New Yorker Warenbörse gehandelt, während Edelsteine im Diamantenbezirk von New York City ihren Eigentümer wechseln. Allgemein definiert sind Märkte Orte, an denen Käufer und Verkäufer miteinander in Beziehung treten, Güter und Dienstleistungen austauschen und Preise festlegen. Es gibt Märkte für fast alles. Sie können Werke alter Meister in einem Auktionshaus in New York, Emissionszertifikate am Chicago Board of Trade, aber in vielen großen Städten auch illegale Drogen von speziellen Zustelldiensten kaufen. Ein Markt kann, wie der Aktienmarkt, an einem zentralen Ort stattfinden. Er kann aber auch, wie der Arbeitsmarkt, dezentral organisiert sein. Möglicherweise existiert er auch, wie zunehmend der „E-Commerce“ im Internet, nur elektronisch. Ein Markt ist ein Mechanismus, mit dessen Hilfe Käufer und Verkäufer miteinander in Beziehung treten, um Preis und Menge einer Ware oder Dienstleistung zu ermitteln. In einem Marktsystem hat alles einen Preis, nämlich den Wert der Ware, ausgedrückt in Geld (die Rolle des Geldes wird in Abschnitt B dieses Kapitels behandelt). Die Preise stellen dabei jene Bedingungen dar, zu welchen die Haushalte und Unternehmen bereit sind, bestimmte Güter auszutauschen. Wenn ich einwillige, vom Händler einen gebrauchten Ford für US-$ 8.050 zu kaufen, bedeutet das, dass der Ford für mich mehr als US-$ 8.050 wert ist, während dem Händler US-$ 8.050 mehr wert sind als der von mir gekaufte Ford. Der Gebrauchtwagenmarkt hat den Preis für diesen Wagen festgesetzt und ihn auf dem Weg des freiwilligen Handels jener Person zugesprochen, für die er den höchsten Wert darstellt. Zusätzlich haben Preise für Produzenten wie auch für Konsumenten Signalwirkung. Sobald die Konsumenten mehr von einem
52 Wirtschaftsgut nachfragen, steigt dessen Preis, wodurch ein Signal an die Produzenten gesandt wird, mehr von diesem Gut anzubieten. Wird aufgrund einer fürchterlichen Seuche weniger Rindfleisch produziert, sinkt das Rindfleischangebot und steigen die Hamburgerpreise. Der höhere Preis motiviert die Landwirte, ihre Rinderproduktion zu erhöhen, und er motiviert die Konsumenten, anstelle von Hamburgern und Rindersteak andere Produkte zu wählen. Was für die Verbrauchsgütermärkte gilt, lässt sich ebenso auf Faktormärkte anwenden, beispielsweise auf Grund und Boden oder Arbeit. Werden für die neuen DotcomUnternehmen mehr Programmierer benötigt, steigt tendenziell auch der Preis der Programmierer (das heißt, ihr Stundenlohn). Die Verschiebung im Preisgefüge führt zu einem Abfluss von Arbeitskräften in Richtung des wachsenden Berufszweigs. Preise koordinieren die Entscheidungen von Produzenten und Konsumenten auf einem Markt. Höhere Preise dämpfen zumeist die Nachfrage bei den Konsumenten und kurbeln gleichzeitig die Produktion an. Geringere Preise hingegen fördern die Kauflust der Leute und wirken sich hemmend auf die Produktion aus. Preise sind also das ausgleichende Element im Marktmechanismus. Marktgleichgewicht. Zu jedem Zeitpunkt kaufen gewisse Leute, während andere verkaufen; erfinden Unternehmen neue Produkte, während zugleich die Staaten Gesetze zur Regelung dieser Produkte erlassen; eröffnen ausländische Unternehmen Betriebe in den USA, während amerikanische Unternehmen ihre Produkte im Ausland absetzen. Und dabei, mitten in all diesem Trubel, lösen die Märkte selbsttätig die Probleme des Was, Wie und Für wen. Weil sie einen Ausgleich zwischen allen in der Wirtschaft wirkenden Kräften herstellen, bewirken die Märkte ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Das Marktgleichgewicht stellt den Ausgleich zwischen all den verschiedenen Käu-
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fern und Verkäufern her. Alle Haushalte und Unternehmen wollen – je nach herrschendem Preis – bestimmte Gütermengen kaufen oder verkaufen. Der Markt ermittelt den Gleichgewichtspreis, der sowohl die Wünsche der Käufer als auch jene der Verkäufer berücksichtigt. Ein überhöhter Preis würde zu einer Übersättigung mit Gütern und damit zu einem überhöhten Produktionsvolumen führen; ein zu geringer Preis hingegen hätte lange Schlangen in den Geschäften und einen Mangel an Gütern zur Folge. Preise, bei denen die Käufer genau jene Menge zu kaufen wünschen, die die Verkäufer verkaufen wollen, implizieren ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage.
Wie lösen Märkte die drei Grundfragen der Volkswirtschaft? Wir haben gesehen, wie Preise auf einem bestimmten Markt ein Gleichgewicht zwischen Konsum und Produktion (man könnte auch sagen: zwischen Nachfrage und Angebot) herbeiführen. Doch wie verhält es sich, wenn wir verschiedene Märkte – Benzin, Autos, Grund und Boden, Arbeit, Kapital und was es sonst noch gibt – gemeinsam betrachten? Alle diese Märkte wirken zusammen und führen zu einem umfassenden Gleichgewicht zwischen Preisen und Produktion. Indem der Ausgleich zwischen Verkäufern und Käufern (Angebot und Nachfrage) hergestellt wird, löst eine Marktwirtschaft gleichzeitig die drei Probleme des Was, Wie und Für wen. Hier eine grobe Definition des Marktgleichgewichts: 1. Was produziert wird (also welche Güter und Dienstleistungen), entscheiden letztlich die Konsumenten, deren Geldausgaben als eine Art „Stimmzettel“ fungieren – natürlich nicht nur alle zwei oder vier Jahre anlässlich von Wahlen, sondern in den täglichen Kaufentscheidungen. Das Geld, das die Konsumenten in die Kassen
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Markt und Staat in der modernen Wirtschaft
der Unternehmen fließen lassen, sorgt für Gehälter, Mieten und Dividenden, die die Konsumenten als Arbeitnehmer, die sie ja ebenfalls sind, in Form ihres Einkommens erhalten. Unternehmen, die ihre Gewinne maximieren möchten, versuchen, ihre Produktionskosten für ein bestimmtes Produktionsvolumen so gering wie möglich zu halten. Gewinne sind der Nettoertrag oder die Differenz zwischen der Summe aller Verkäufe und der Summe aller Kosten. Unternehmen geben Bereiche auf, in denen sie Geld verlieren; zugleich aber werden sie von den hohen Gewinnen angezogen, die ihnen durch die Produktion stark nachgefragter Güter winken. Zu den rentabelsten Tätigkeiten gehören heute die Produktion und der Verkauf medizinischer Wirkstoffe – ob diese Hilfe gegen Depressionen, Ängste, Impotenz oder sonstige menschliche Gebrechen versprechen. Angelockt durch die hier zu erzielenden hohen Gewinne investieren Unternehmen Milliarden Dollar in die Erforschung neuer und immer besserer Medikamente. 2. Wie produziert wird, entscheidet sich durch den Wettbewerb zwischen verschiedenen Produzenten. Die beste Möglichkeit für die Produzenten, die Preiskonkurrenz zu bestehen und die eigenen Gewinne zu maximieren, besteht in einer Minimierung ihrer Kosten durch den Einsatz möglichst effizienter Produktionsmethoden. Manchmal bedeuten Veränderungen einfach eine Verbesserung, also vielleicht nur eine minimale Nachjustierung der Produktionsanlagen oder eine neue Zusammenstellung der Produktionsfaktoren, umso einen geringfügigen Kostenvorteil herauszuschlagen, der auf einem wettbewerbsorientierten Markt oft entscheidend sein kann. Daneben kam und kommt es jedoch immer wieder auch zu entscheidenden technologischen Fortschritten, etwa als die Dampfmaschine das Pferd ablöste, weil Dampf pro Arbeitseinheit einfach billiger war, oder als man anstatt mit der Bahn auch mit dem Flugzeug
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reisen konnte, was sich als effizienteste Fortbewegungsmöglichkeit auf Langstrecken erweisen sollte. Gegenwärtig scheinen wir übrigens wieder einen sehr dramatischen Wandel zu erleben: Vor unseren Augen vollzieht sich der Übergang zur radikal neuen Technologie der Computer, die viele Tätigkeiten von der Supermarktkasse bis zum Hörsaal revolutionieren. 3. Für wen produziert wird – also wer konsumiert und wie viel –, hängt weitgehend von Angebot und Nachfrage auf den Faktormärkten ab. Faktormärkte (die Märkte für Produktionsfaktoren) bestimmen die Höhe der Löhne und Pachten, Zinssätze und Gewinne. Die zugehörigen Preise heißen daher Faktorpreise. Derselbe Mensch kann ein Gehalt aus seiner Arbeit, Dividenden aus seinen Aktien, Zinsen aus einem Sparguthaben und zusätzlich noch Pacht oder Miete von einem Grundstück oder einer Eigentumswohnung beziehen. Aus allen diesen Erträgen von Produktionsfaktoren können wir die Markteinkommen der Wirtschaftssubjekte, der Menschen, ermitteln. Die Verteilung der Einkommen in der Bevölkerung ergibt sich daher durch die Faktormengen (Arbeitsstunden, Hektar Land etc.) und durch die Faktorpreise (Stundenlohn, Pachthöhe etc.). Denken Sie jedoch daran, dass Einkommen mehr umfasst als nur den Lohn für schweißtreibende Arbeit oder den Genuss einer Rente. Hohe Einkommen können auch ererbt, durch Glück erworben oder durch Fähigkeiten, die auf dem Markt besonders geschätzt werden, erzielt werden. Häufig werden Leute mit niedrigen Einkommen als faul dargestellt, doch in Wahrheit verdienen sie wenig, weil sie schlecht ausgebildet und diskriminiert sind oder in einer Region mit wenigen Jobs und niedrigen Löhnen wohnen. Wenn wir jemanden in der Schlange vor dem Arbeitsamt stehen sehen, sollten wir dem Gesetz von Angebot und Nachfrage danken, dass es uns selbst besser ergeht.
54 Wer regiert den Markt? Ja, tatsächlich: Wer regiert den Markt? Geben Großkonzerne wie Microsoft und General Motors den Ton an? Oder sollte man eher auf den Kongress und den amerikanischen Präsidenten tippen? Denkbar wären doch auch die Werbemogule von Madison Avenue? So einflussreich all diese Persönlichkeiten und Unternehmen sind – die Antwort lautet nein. Im Grunde wird die Wirtschaft von den Kräften des Geschmacks und der Technologie beherrscht. Ein bestimmender Faktor sind die Präferenzen, man könnte auch sagen, der Geschmack der Bevölkerung. Die Konsumenten entscheiden nämlich anhand ihrer angeborenen und erworbenen Präferenzen, wobei sie ihre Wahl durch den Einsatz ihrer Kaufkraft zum Ausdruck bringen, über die definitive Verwendung der Ressourcen einer Wirtschaft. Sie bestimmen den jeweiligen Punkt auf der Transformationskurve (PMK). Der zweite bedeutende Faktor sind die in einer Gesellschaft verfügbaren Produktionsfaktoren und Technologien. Die Wirtschaft kann nicht einfach aus ihrer PMK heraustreten. Wir können zwar nach Hongkong fliegen, doch es gibt leider noch keinen Flug zum Mars. Die Ressourcen einer Wirtschaft setzen also den Wahlmöglichkeiten der Konsumenten Grenzen. Die Konsumnachfrage muss genau mit dem Güter- und Dienstleistungsangebot der Unternehmen übereinstimmen und bestimmt so, was produziert wird. Wenn Sie sich fragen, warum manche Technologien auf dem Markt versagen, sollten Sie vielleicht an die „Doppelherrschaft“ von Geschmack und Technologie denken. Vom Stanley Steamer (einem dampfbetriebenen Auto) bis zur rauchfreien Premiere-Zigarette, die leider nicht nur rauch-, sondern auch geschmacklos war, berichtet die Wirtschaftsgeschichte immer wieder von Produkten, die nie einen Markt fanden. Wie werden nutzlose Produkte vom Markt verdrängt? Proklamiert eine staatliche Behörde den Wert neuer Produkte? Nein, das ist gar nicht nötig. Unbrauch-
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Teil 1
bare Produkte verschwinden von selbst vom Markt, weil die Verbraucher sie zum gängigen Marktpreis nicht nachfragen. Sie verursachen Verluste statt Gewinnen. Das erinnert uns daran, dass Gewinne die Belohnung oder Bestrafung der Unternehmen darstellen und den Marktmechanismus steuern. Wie ein Bauer, der seinen Esel mit Stock und Karotte antreibt, generiert das Marktsystem Gewinne und Verluste und veranlasst auf diese Weise die Unternehmen, ihre Güter effizient zu produzieren.
Preise und Märkte bildlich betrachtet Wir können das Wirtschaftsleben als Kreislauf darstellen, wie Sie ihn in Abbildung 2-1 vor sich sehen. Auf diese Weise erhalten wir eine übersichtliche Darstellung davon, wie Konsumenten und Produzenten interagieren, wenn es darum geht, jeweils die Preise und Produktionsmengen auf der Input- und Outputseite zu bestimmen. Beachten Sie die zwei Arten von Märkten im Wirtschaftskreislauf. Oben in der Abbildung finden Sie die Gütermärkte oder den Produktionsoutput, sagen wir Pizza oder Schuhe; unten sehen Sie die Input- oder Faktormärkte wie Boden und Arbeit. Weiterhin können Sie erkennen, wie bestimmte Entscheidungen durch die zwei Hauptakteure getroffen werden, nämlich durch Haushalte und Unternehmen. Die Haushalte kaufen Güter und verkaufen Produktionsfaktoren; die Unternehmen verkaufen Güter und kaufen Produktionsfaktoren. Haushalte verwenden ihr Einkommen aus dem Verkauf ihrer Arbeitskraft und anderer Inputs zum Kauf von Gütern, die von den Unternehmen hergestellt werden; die Unternehmen bestimmen die Preise ihrer Güter anhand der Kosten für Arbeit und Produktionsanlagen. Die Preise auf den Gütermärkten werden festgesetzt, indem die Nachfrage der Konsumenten mit dem Angebot der Unternehmen in ein Gleichgewicht gebracht wird.
Kapitel 2
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Markt und Staat in der modernen Wirtschaft
Produktmärkte Nachfrage
Angebot
Schuhe Schuhe
Schuhe
Wohnungen Wohnungen
Preise auf den Gütermärkten
Pizza Pizza
Wohnungen Pizza
Kaufkraft der Konsumenten
Was
Produktionskosten (in Geldeinheiten)
Konsumenten
Wie
Unternehmen
Eigentum an Produktionsfaktoren
Für wen
Produktivität der Inputfaktoren
Arbeit Boden Kapitalgüter
Arbeit Preise auf den Faktormärkten (Löhne, Renten, Zins)
Boden Kapitalgüter Nachfrage
Angebot Faktormärkte
Abbildung 2-1: Der Markt verlässt sich darauf, dass Angebot und Nachfrage die drei Wirtschaftsprobleme lösen. Wir sehen hier den Kreislauf einer Marktwirtschaft. Die Kaufentscheidungen der Konsumenten (also von Haushalten, öffentlicher Hand und Ausländern) treten in eine Wechselwirkung zum Angebot auf den Gütermärkten (oben) und bestimmen dadurch mit, was produziert wird. Die Unternehmensnachfrage nach Produktionsfaktoren oder Inputs trifft auf den Faktormärkten (unten) auf das Arbeitsangebot und sonstige Inputs, wodurch Löhne, Renten und Zinsen bestimmt werden; auf diese Weise beeinflussen die Einkommen, für wen produziert wird. Der Wettbewerb zwischen den Unternehmen in Bezug auf den möglichst billigen Kauf von Faktorinputs und Verkauf von Gütern entscheidet darüber, wie Güter produziert werden.
All das klingt sehr kompliziert. Aber es vermittelt uns ein Gesamtbild des eng verwobenen Netzes voneinander abhängiger Angebote und Nachfragen, die durch den Marktmechanismus so verbunden sind, dass die volkswirtschaftlichen Grundfragen des Was, Wie und Für wen gelöst werden können. Studieren Sie Abbildung 2-1 sorgfältig. Schon nach einigen Minuten werden Sie die Funktionsweise der Marktwirtschaft besser verstehen.
Die unsichtbare Hand Der erste, der die Ordnung hinter dem Marktsystem erkannte, war Adam Smith. In einer der berühmtesten Textpassagen der gesamten Volkswirtschaftslehre, die zu Beginn des Kapitels aus seinem Werk Der Reichtum der Nationen zitiert ist, erkannte Smith die Harmonie zwischen privaten und öffentlichen Interessen: Er argumentierte, dass jedes Individuum trotz egoistischer Verfolgung
56 seines eigenen, persönlichen Vorteils „von einer unsichtbaren Hand geleitet wird, letztlich doch ein Ziel zu verfolgen, das es ursprünglich nicht beabsichtigt hatte. Indem der Mensch seinen eigenen Nutzen anstrebt, fördert er häufig den Nutzen der Gesellschaft wirksamer, als hätte er dies beabsichtigt.“ Legen Sie an dieser Stelle eine Pause ein und lassen Sie sich dieses Paradoxon, das im Jahr 1776 formuliert wurde, einmal durch den Kopf gehen. 1776 wurde übrigens auch die amerikanische Unabhängigkeitserklärung veröffentlicht. Es ist wohl kein Zufall, dass diese beiden Ideen zur selben Zeit entstanden. Während die Amerikaner ihre Freiheit von der Tyrannei proklamierten, predigte Adam Smith eine revolutionäre Doktrin, die Handel und Industrie den Fängen einer feudalen Aristokratie entriss. Smith vertrat die Auffassung, dass in der besten aller möglichen Welten ein Eingreifen des Staates in den Wettbewerb am Markt fast immer schädlich ist. Smiths Erkenntnis vom Funktionieren des Marktmechanismus inspiriert die moderne Volkswirtschaft immer wieder von neuem – und zwar sowohl die Bewunderer als auch die Kritiker des Kapitalismus. Wirtschaftstheoretiker haben bewiesen, dass die Wirtschaft, allerdings unter dem Vorbehalt des vollständigen Wettbewerbs, effizient funktioniert. (Denken Sie daran: Eine Wirtschaft produziert effizient, wenn sie niemandes Wohlstand vermehren kann, ohne zugleich einen anderen schlechter zu stellen.) Nach zwei Jahrhunderten, in denen wir Erfahrungen sammeln und Theorien entwickeln konnten, entdecken wir aber auch den eingeschränkten Anwendungsbereich dieser wichtigen Doktrin. Wir wissen heute, dass es „Marktversagen“ gibt und dass Märkte nicht immer zum effizientesten Ergebnis führen. Ein besonders wichtiger Bereich, in dem der Markt versagt, sind Monopole und andere Formen des unvollständigen Wettbewerbs. Ein zweites Versagen der unsichtbaren Hand zeigt sich, wenn es zu Spillovers oder externen Effekten (Externalitäten) außerhalb des Marktes kommt. Positive Externalitäten, etwa wissen-
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schaftliche Entdeckungen, sind hier ebenso zu nennen wie negative Externalitäten, beispielsweise die Umweltverschmutzung. Ein letzter Vorbehalt bezieht sich schließlich auf die Einkommensverteilung, die aus politischen oder ethischen Gründen häufig alles andere als wünschenswert erscheint. Sollte auch nur irgendeines dieser Elemente auftreten, bricht Adam Smiths Doktrin der unsichtbaren Hand zusammen, und der Staat muss eingreifen, um die beschädigte unsichtbare Hand zu reparieren. Zusammenfassend: Adam Smith hat eine ganz bemerkenswerte Eigenschaft der wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft entdeckt. Unter den Bedingungen des vollständigen Wettbewerbs, und sofern es zu keinem Marktversagen kommt, gelingt es den Märkten, das Maximum an nützlichen Gütern und Dienstleistungen aus den vorhandenen Ressourcen herauszuholen. Wo jedoch Monopole, Umweltverschmutzung oder ähnliche Formen von Marktversagen auftreten, kann dies die bemerkenswerte Effizienz der unsichtbaren Hand untergraben. Adam Smith: Der Begründer der Ökonomik „Denn welcher Absicht gilt all die Mühseligkeit und all die lärmende Geschäftigkeit dieser Welt? Was ist der Endzweck von Habsucht und Ehrgeiz und der Jagd nach Reichtum, Macht und Vorrang?“ Das schrieb der Schotte Adam Smith (1723 bis 1790), der für die soziale Welt der Ökonomie entdeckte, was Isaac Newton für den physischen Himmel fand. Smith beantwortete diese Fragen in seinem Werk The Wealth of Nations (1776; deutsch: Der Reichtum der Nationen), in dem er die selbstregulierende, natürliche Ordnung beschrieb, in der das „Öl“ des Eigennutzes das wirtschaftliche Getriebe auf beinahe wundersame Art und Weise „schmiert“. Smith glaubte, „Mühseligkeit und lärmende Geschäftigkeit“ führten zur Verbesse-
Kapitel 2
Markt und Staat in der modernen Wirtschaft
rung des Loses des einfachen Bürgers. „Konsum ist der einzige Endzweck jeder Produktion.“ Smith war der erste Apostel des Wirtschaftswachstums. Zu Beginn der Industriellen Revolution wies er bereits auf die enormen Produktivitätszuwächse durch Spezialisierung und Arbeitsteilung hin. In einem berühmten Beispiel beschrieb er die spezialisierte Produktion einer Nadelfabrik, in der „der eine Arbeiter den Draht zieht, der andere ihn streckt, ein Dritter ihn schneidet, … und so weiter. So waren 10 Arbeiter imstande, täglich etwa 48.000 Nadeln herzustellen, jeder also ungefähr 4.800 Stück. Hätten sie indes alle einzeln und unabhängig voneinander gearbeitet, so hätte der Einzelne gewiss nicht einmal 20, vielleicht sogar keine einzige Nadel am Tag zustande gebracht.“ Smith sah als das Ergebnis der Arbeitsteilung einen allgemeinen Wohlstand, der sich bis in die niedrigsten Schichten erstreckt. Überlegen Sie, was er sich denken würde, sähe er heute, was zwei Jahrhunderte Wirtschaftswachstum hervorgebracht haben! Smith schrieb auf Hunderten von Seiten gegen unzählige Fälle staatlicher Dummheit und Einmischung an. Da ist etwa ein Weber. Er lebt im 17. Jahrhundert, ist Mitglied einer Gilde und möchte seine Webtechnik verbessern. Die Stadtgilde kommt daraufhin zu folgender Entscheidung: „Wenn ein Weber ein Tuch nach seiner eigenen Erfindung herstellen möchte, muss er eine Genehmigung von den Stadtrichtern einholen, um die von ihm gewünschte Zahl und Länge der Fäden verwenden zu dürfen, nachdem die Frage zuvor von vier der ältesten Kaufleute und vier der ältesten Weber der Gilde erörtert wurde.“ Smith wandte ein, dass solche Einschränkungen – ob sie vom Staat oder von einem Monopol verfügt werden, ob in Produktion oder Außenhandel – die Funktionsweise des Marktsystems beeinträchtigen und letztlich Arbeitern und Konsumenten schaden. Doch sollte man daraus nicht schließen, dass Smith ein Befürworter des Establishments war. Er misstraute jeder gefestigten Macht, jedem privaten Monopol und ebenso allen öffentlichen Monarchien. Er trat
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stets für das einfache Volk ein. Aber wie viele große Ökonomen wusste er aus seiner Forschungsarbeit, dass der Weg zur Hölle der Verschwendung mit guten Vorsätzen gepflastert ist. Vor allem anderen belegt Adam Smiths visionäre Darstellung der „unsichtbaren Hand“ seinen nachhaltigen Einfluss auf die moderne Ökonomik.
B. Handel, Geld und Kapital Seit den Tagen Adam Smiths hat sich die Marktwirtschaft ganz enorm entwickelt. Reife, entwickelte kapitalistische Volkswirtschaften wie jene der USA, Westeuropas und Japans zeichnen sich durch drei wesentliche Merkmale aus: Handel und Spezialisierung, Geld und Sachkapital. • Eine entwickelte Volkswirtschaft verfügt über ein komplexes Handelsnetz zwischen den agierenden Personen und Ländern, das erst mit massiver Spezialisierung und ausgeklügelter Arbeitsteilung möglich wird. • Die heutigen, modernen Volkswirtschaften arbeiten in hohem Maße mit Geld oder anderen Zahlungsmitteln. Der Geldfluss ist sozusagen der Blutkreislauf unseres Systems. Geld liefert die Messlatte für den wirtschaftlichen Wert von Dingen und sorgt für die Finanzierung des Handels. • Die Technologien unserer modernen Industrie beruhen auf dem Einsatz riesiger Mengen an Sachkapital: Präzisionsmaschinen, Großraumfabriken, Lagerbestände. Kapitalgüter machen die menschliche Arbeitskraft zu einem weitaus effizienteren Produktionsfaktor und ermöglichen eine gegenüber früheren Zeiten um ein Vielfaches höhere Produktivität.
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Handel, Spezialisierung und Arbeitsteilung Im Gegensatz zum 18. Jahrhundert hängen unsere heutigen Volkswirtschaften massiv von der Spezialisierung der Haushalte und Unternehmen ab, die durch ein weitläufiges Handelsnetz miteinander verbunden sind. Die westlichen Länder kamen deshalb in den Genuss eines kräftigen Wirtschaftswachstums, weil die einzelnen Arbeitskräfte in ihren jeweiligen Jobs dank Spezialisierung enorm produktiv wurden und ihre Produktionsleistung gegen die von ihnen benötigten Güter eintauschen konnten. Spezialisierung tritt ein, wenn Menschen ihre Bemühungen auf ganz bestimmte Aufgaben konzentrieren. Sie erlaubt es jedem Einzelnen und jedem Land, die eigenen, spezifischen Fähigkeiten und Ressourcen möglichst vorteilhaft einzusetzen. Eine der Grunderkenntnisse des Wirtschaftslebens besagt, dass möglichst nicht jeder alles – und mit mittelmäßigem Erfolg – erledigen sollte, sondern dass eine Arbeitsteilung anzustreben ist, wobei der Produktionsprozess in eine Reihe kleiner, hoch spezifischer Schritte oder Aufgaben zerlegt wird. Die Arbeitsteilung erlaubt es hoch gewachsenen Menschen, Basketball zu spielen, belesenen oder zahlenkundigen Menschen zu unterrichten und eloquenten Menschen, Autos zu verkaufen. Bisweilen dauert es viele Jahre, um die Ausbildung für einen bestimmten Beruf abzuschließen. Ein Neurochirurg muss beispielsweise in den USA bis zur Berufszulassung nach dem Studium noch eine rund 14-jährige Ausbildung durchlaufen. Zugleich sind auch Kapitalgüter sowie Grund und Boden hoch spezialisiert. So stellt etwa der Sandstreifen zwischen einer großen Stadt und dem warmen Meer eine kostbare Immobilie dar; anderswo, etwa in Frankreich oder Kalifornien, findet man hervorragende Weingebiete; wieder andere Grundstücke grenzen an Hochseehäfen und dienen als internationale Handelszentren.
Die Grundlagen
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Aber auch Kapital ist hoch spezialisiert. Die Entwicklung des Computerprogramms, mit dem wir dieses Buch schreiben und gestalten konnten, nahm über ein Jahrzehnt in Anspruch, und trotzdem eignet es sich überhaupt nicht, um etwa eine Erdölraffinerie zu managen oder schwierige Zahlenprobleme zu lösen. Eines der eindrucksvollsten Spezialisierungsbeispiele sind jene hoch spezialisierten Computerchips, die heute das Motormanagement unserer Autos übernehmen, dessen Effizienz erhöhen und sogar als „Black Box“ zur Aufzeichnung von Unfalldaten dienen können. Erst die unglaubliche Effizienz der Spezialisierung hat das komplexe Handelsnetz zwischen den Menschen und Staaten ermöglicht, das wir heute alle kennen. Kaum jemand produziert noch etwas vollständig allein. Stattdessen zerlegen wir alles in winzige Einzelschritte. So unterrichten wir vielleicht einen sehr kleinen Bruchteil des gesamten Lehrplans an einem College, entleeren Parkuhren oder analysieren die DNA der Fruchtfliege. Im Gegenzug bekommen wir für unsere spezialisierte Arbeit ein Einkommen, mit dem wir Produkte aus allen Lebensbereichen und Teilen der Welt einkaufen können. Die Idee der Vorteilhaftigkeit von Handelsbeziehungen stellt eine der zentralen Erkenntnisse der Volkswirtschaft dar. Bestimmte Menschen oder Länder spezialisieren sich auf bestimmte Produkte und treten in einen freiwilligen Austausch, um ihre Produkte zu verkaufen und einzukaufen, was sie selbst benötigen. Japan ist durch die Spezialisierung in der Herstellung von Gütern wie Autos und Unterhaltungselektronik enorm produktiv geworden. Das Land exportiert einen Großteil seiner Waren und bezahlt damit den Import von Rohstoffen. Dagegen mussten Länder, die Autarkie anstrebten und versuchten, ihren Bedarf überwiegend selbst herzustellen, entdecken, dass dieser Weg direkt in die Stagnation führt. Der Handel bereichert alle Länder und erhöht den Lebensstandard aller.
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Markt und Staat in der modernen Wirtschaft
Zusammenfassend: Entwickelte Volkswirtschaften bemühen sich um Spezialisierung und Arbeitsteilung, wodurch sie die Produktivität ihrer Ressourcen erhöhen. Einzelpersonen und Länder tauschen freiwillig jene Produkte, auf deren Herstellung sie sich spezialisiert haben, gegen die Produkte anderer und vergrößern auf diese Weise sowohl die Bandbreite als auch die Menge der konsumierten Güter enorm, wodurch in der Folge der Lebensstandard aller steigt. Globalisierung Man kann heute praktisch keine Zeitung aufschlagen, ohne sofort auf die neuesten Trends der „Globalisierung“ zu stoßen. Was genau ist mit diesem Begriff gemeint? Was kann die Volkswirtschaftslehre zum Verständnis der mit der Globalisierung einhergehenden Fragen beitragen? Globalisierung ist ein gebräuchlicher Begriff für zunehmende wirtschaftliche Integration zwischen den Staaten. Die wachsende Integration sehen wir heute im dramatischen Anstieg der Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalflüsse über alle nationalen Grenzen hinweg. Ein wesentliches Merkmal der Globalisierung ist die spektakuläre Steigerung des Anteils von Importen und Exporten am nationalen Output. Angesichts immer niedrigerer Transport- und Kommunikationskosten, aber auch des raschen Abbaus von Zöllen und sonstigen Handelsbarrieren, hat sich in den letzten 50 Jahren der Anteil des Handels am nationalen Output der USA mehr als verdoppelt. Heute stehen heimische und ausländische Produzenten aus allen Teilen der Welt im Wettbewerb um ihre Preise und Entwürfe. Das steigende Handelsaufkommen wird von einer zunehmenden Spezialisierung im Produktionsprozess selbst begleitet, bei der verschiedene Produktionsphasen in andere Länder „outgesourct“ werden. Ein typisches Beispiel dafür ist die Barbie-Puppe:
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Plastik und Haar kommen aus Taiwan und Japan. Früher wurden hier auch die Teile zusammengesetzt, doch diese Tätigkeiten wurden mittlerweile in noch kostengünstigere Länder, nämlich Indonesien, Malaysia und China, ausgelagert. Die Gussformen kommen aus den USA, die Farben ebenso. China steuert Arbeit und Baumwolle für die Barbie-Bekleidung bei. Die Puppen werden für US-$ 10 je Stück verkauft, wovon 35 Cent auf die chinesische Arbeit, 65 Cent auf ausländisches Material, US-$ 1 auf Gewinn und Transport in Hongkong und der ganze Rest auf den Gewinn von Mattel sowie deren Marketingund Transportkosten in den USA entfallen. Es gibt viele Belege, wonach dieser Prozess der Aufteilung des Produktionsprozesses für die Produktionstätigkeit in den USA und anderen einkommensstarken Ländern typisch ist. Ein zweites Merkmal der Globalisierung ist die zunehmende Integration der Finanzmärkte. Diese äußert sich in rasch zunehmenden grenzüberschreitenden Darlehenstransaktionen, aber auch in der Konvergenz des Zinsniveaus verschiedener Länder. Hauptgründe für die Integration der Finanzmärkte sind der Abbau von Beschränkungen im Kapitalfluss zwischen den Staaten, geringere Kosten und Innovationen auf den Finanzmärkten, insbesondere die Anwendung neuartiger Finanzinstrumente. Zweifellos hat die Zusammenführung der Finanzmärkte Handelsgewinne erbracht, weil Länder mit hohem Kapitalbedarf für ihre Produktion Darlehen bei anderen Ländern mit hohen Spareinlagen aufnehmen können. In den letzten zwanzig Jahren hat sich Japan als wichtigster Kreditgeber der Welt erwiesen. Da überrascht es, dass die USA zum weltgrößten Kreditnehmer geworden sind – teils wegen der geringen nationalen Sparrate, teils aber auch wegen der technologischen Dynamik ihrer Computer- und Biotechnologieindustrie. Die Integration der Güter- und Finanzmärkte hat beeindruckende Gewinne in Form niedrigerer Preise, vermehrter Innovation und eines schnelleren Wirtschaftswachstums mit sich gebracht. Allerdings
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sind diese Gewinne mit einigen sehr schmerzlichen Nebenwirkungen verbunden. Eine Konsequenz der wirtschaftlichen Integration sind die hohe Arbeitslosigkeit und die entgangenen Gewinne, die auftreten, wenn ausländische Billigproduzenten unsere heimischen Betriebe ablösen. Die arbeitslose Textilarbeiterin und der bankrotte Sojabauer werden sich kaum mit der Tatsache trösten, dass die Konsumenten heute für Bekleidung und Nahrungsmittel weniger ausgeben. Die Verlierer des verstärkten internationalen Handels treten denn auch als unermüdliche Apologeten eines „Protektionismus“ in Form von Zöllen und Importquoten auf. Eine zweite unangenehme Nebenwirkung sehen wir in den internationalen Finanzkrisen, die durch die zunehmende Integration der Finanzmärkte ausgelöst werden. Im letzten Jahrzehnt haben wirtschaftliche Probleme in Russland, Brasilien und Argentinien einen deutlichen Spillover-Effekt auf die Aktien- und Anleihenmärkte überall auf der Welt gezeitigt. Die ansteckende Wirkung kleiner Störungen ist ein direktes Resultat eng verbundener Märkte. Amerikanische Investoren legten ihr Geld auf der Suche nach höheren Erträgen in Thailand an. Aber diese Investoren werden es auch sofort wieder abziehen, sobald sie Ärger riechen, und das kann eine Finanzkrise auslösen, sollten einzelne Länder versuchen, die Wechselkurse oder Finanzinstitute angesichts einer massiven Attacke von Spekulanten zu stützen. Die Globalisierung wirft für die Politik zahlreiche neue Fragen auf: Sind die Handelsgewinne die Kosten wert, die im Inland in Form sozialer Probleme und Entfremdung auftreten? Sollten die Staaten Investoren daran hindern, Gelder so rasch zu bewegen, dass sie damit die heimischen Finanzmärkte gefährden? Führt die Integration letztlich zu mehr Ungleichheit? Sollten internationale Organisationen als Kreditgeber letzter Instanz für Länder mit finanziellen Schwierigkeiten auftreten? Diese Fragen gehen Politikern überall auf der Welt durch den Kopf, wenn sie überlegen, wie sie auf die Globalisierung reagieren sollten.
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Geld: Das Schmiermittel im Gütertausch Während sich Menschen durch Spezialisierung auf bestimmte Aufgaben konzentrieren können, lassen sich mit Hilfe des Geldes unsere spezialisierten Leistungen und Produkte gegen eine breite Palette an Gütern und Dienstleistungen eintauschen, die von anderen produziert werden. Geld in Form von Papier-, Hartgeld oder Schecks ist ein Zahlungsmittel und wird zum Kauf von Gütern eingesetzt. Geld ist eine Art Schmiermittel, das den Waren- und Dienstleistungsaustausch erleichtert. Wird Geld als vertrauenswürdiges Zahlungsmittel für Waren und zur Tilgung von Schulden von allen akzeptiert, erleichtert dies den Handel. Stellen Sie sich doch vor, wie kompliziert das Wirtschaftsleben wäre, müssten wir ständig Ware gegen Ware tauschen, sobald wir nur eine Pizza essen oder in ein Konzert gehen möchten. Welche Güter oder Dienstleistungen könnten Sie der Pizzeria Santa Lucia denn überhaupt anbieten? Welche Gegenleistung würde Ihr College für Ihre Ausbildung akzeptieren? Geld fungiert als allgegenwärtiger Vermittler zwischen Käufern und Verkäufern, der mühelos und Milliarden Mal jeden Tag kleine Verbindungen herstellt und damit dem Eigeninteresse der Betroffenen dient. Die im Umlauf befindliche Geldmenge wird von den Staaten über die Zentralbanken reguliert. Doch was für Schmiermittel typisch ist, passiert bisweilen leider auch mit Geld: es überhitzt sich. Geld kann außer Kontrolle geraten und eine Hyperinflation, das heißt, eine rasante Teuerung auslösen. Wenn das geschieht, wollen die Leute ihr Geld lieber möglichst rasch ausgeben, bevor es wertlos wird, und vermeiden es daher, Geld in Zukunftsprojekte zu investieren. Genau so ereignete es sich während der achtziger Jahre in einigen lateinamerikanischen Staaten, deren Inflationsraten auf über 1.000 Prozent, ja sogar bis auf 10.000 Prozent jährlich kletterten. Stellen Sie sich einmal vor, Sie bekommen Ihr Gehalt und
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Markt und Staat in der modernen Wirtschaft
schon am nächsten Wochenende hat es 20 Prozent seines Wertes verloren! Geld ist ein Tauschmittel. Der richtige Umgang mit der Geldmenge gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Wirtschaftspolitik aller Staaten.
Kapital Ein entwickelter Industriestaat wie die USA benötigt eine enorme Palette an Gebäuden, Maschinen, Computern, Software und vielen anderen Dingen. Diese sind die Produktionsfaktoren, auch Kapital genannt. Es handelt sich dabei um für die Produktion erforderliche Faktoren, die ihrerseits auch produziert wurden, man könnte auch sagen, um einen dauerhaften Input der Wirtschaft, der zugleich ihr Output ist. Die meisten von uns haben keine Vorstellung davon, wie sehr unser tägliches Leben direkt oder indirekt von Kapital abhängt, gehören doch die Autobahnen, auf denen wir fahren, ebenso wie die Kabel, über die wir Strom und Kabelfernsehen beziehen, ja sogar die Häuser, in denen wir wohnen, in diese Kategorie. Der gesamte Nettokapitalstock der US-Wirtschaft beläuft sich auf über US-$ 30 Billionen und schließt das Kapital der öffentlichen Hand, der Unternehmen und Haushalte mit ein. Auf die Bewohner umgelegt, entspricht dies einem Kapital von über US-$ 110.000 pro Person. Wie wir bereits gesehen haben, ist Kapital einer der drei Hauptproduktionsfaktoren. Die anderen beiden, Boden und Arbeit, werden häufig als primäre Produktionsfaktoren bezeichnet. Damit soll ausgedrückt werden, dass das Angebot an diesen Produktionsfaktoren zumeist von nichtwirtschaftlichen Faktoren abhängt, etwa von der Fruchtbarkeit und der Geografie eines Landes. Kapital hingegen muss, bevor man es nutzen kann, erst erzeugt werden. So bauen einige Unternehmen Textilmaschinen, die anschließend eingesetzt werden, um Hemden zu produzieren. Andere konstruieren und erzeugen Trakto-
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ren, die benötigt werden, um Mais anzubauen. Der Einsatz von Kapital erfordert zeitaufwändige, umfassende Produktionsmethoden. Tatsächlich hat man schon vor langer Zeit die Erfahrung gemacht, dass indirekte und über Umwege führende Produktionstechniken häufig effizienter sind als direkte Methoden. So wäre die direkteste Fischfangmethode die, bis zu den Knien in einen Fluss zu waten und dort die Forellen eigenhändig herauszufischen. Doch damit würde man sich wohl mehr Frust als Fische einhandeln. Mithilfe einer Angel (die uns als Kapitalausstattung dient) nutzen wir die Zeit, die wir mit dem Fischen verbringen, viel produktiver, weil wir damit nämlich viel mehr Fische fangen. Entschließen wir uns dazu, noch mehr Kapital einzusetzen und uns Netze und ein Fischerboot zuzulegen, wird die Fischerei plötzlich so produktiv, dass wir damit viele Leute ernähren und jenen, die unsere Spezialnetze und die gesamte Ausrüstung bedienen, ein gutes Leben ermöglichen können. Wachstum durch Verzicht auf sofortigen Konsum. Wenn die Leute zu sparen bereit sind, also auf den sofortigen zugunsten eines zukünftigen Konsums verzichten, kann die Gesellschaft ihre Ressourcen in neue Kapitalgüter investieren. Ein größerer Kapitalbestand hilft einer Wirtschaft rascher zu wachsen, weil er die PMK nach außen verschiebt. Blättern Sie noch einmal zurück zu Abbildung 1-5. Hier sehen Sie, wie der Verzicht auf sofortigen Konsum zugunsten von Investitionen die künftigen Produktionsmöglichkeiten verbessert. Hohe Spar- und Investitionsraten erklären unter anderem, wie Japan, Korea und andere asiatische Länder so rasch wachsen konnten. Dagegen sparen und investieren arme Länder meist nur wenig – sie starten bereits mit Verzögerung und fallen immer weiter zurück, weil sie nicht genügend produktives Kapital akkumulieren können. Zusammenfassend: In der Wirtschaft geht es unter anderem darum, auf sofortigen Konsum zu verzichten
62 und stattdessen das vorhandene Kapital zu vermehren. Jedes Mal, wenn wir etwas investieren – eine neue Fabrik oder Straße bauen, die Ausbildung verlängern oder qualitativ verbessern oder unsere Bestände an nutzbarer Technologie und Know-how erhöhen –, fördern wir die künftige Produktivität unserer Wirtschaft und damit auch den künftigen Konsum.
Die Grundlagen
Teil 1
Interessanterweise lässt sich unsere wertvollste wirtschaftliche Ressource, die Arbeit, nicht in eine Ware umwandeln, die man als Privateigentum kaufen und verkaufen kann. Seit der Abschaffung der Sklaverei verstößt es gegen das Gesetz, die menschliche Erwerbskraft wie alle anderen Kapitalgüter zu behandeln. Niemand darf sich selbst verkaufen; man kann lediglich seine Arbeitskraft gegen Entlohnung zur Verfügung stellen.
Kapital und Privateigentum In einer Marktwirtschaft befindet sich Kapital zumeist in Privateigentum, und der Einzelne bezieht ein Einkommen aus seinem Kapital. Für jeden Flecken Land gibt es eine Übertragungsurkunde oder einen Eigentumstitel; beinahe jede Maschine und jedes Gebäude gehört einem einzelnen Menschen oder einem Unternehmen. Eigentumsrechte verleihen den Eigentümern die Möglichkeit, ihre Kapitalgüter nach ihrem Ermessen zu verwenden, auszutauschen, anzustreichen, auszugraben, anzubohren oder auszubeuten. Diese Kapitalgüter haben auch einen Marktwert, und man kann sie zu jedem beliebigen erzielbaren Preis auf dem Markt kaufen und verkaufen. Diese Möglichkeit des Einzelnen, Kapital zu besitzen und daraus Nutzen zu ziehen, gibt dem Kapitalismus seinen Namen. Doch obwohl unsere Gesellschaft auf Privateigentum aufgebaut ist, unterliegen die Eigentumsrechte Beschränkungen. Die Gesellschaft bestimmt, wie viel von „Ihrem“ Eigentum Sie Ihren Erben überlassen dürfen und welcher Teil davon in Form von Erbschafts- und Vermögenssteuer dem Staat zufließen soll. Die Gesellschaft legt fest, wie sehr Ihre Fabrik die Umwelt verschmutzen darf und wo Sie Ihr Auto parken dürfen und wo nicht. Auch Ihr Heim ist nur scheinbar Ihre Burg. Sie müssen sich an die Bauordnung halten und möglicherweise sogar etwas von Ihrem eigenen Grund und Boden abtreten, damit dort eine Straße gebaut werden kann.
Eigentumsrechte an Kapital und Umweltverschmutzung Eigentumsrechte definieren die Möglichkeiten, die eine Person oder ein Unternehmen hat, Kapitalgüter und anderes Eigentum in einer Marktwirtschaft zu besitzen, zu kaufen, zu verkaufen und einzusetzen. Diese Rechte können aufgrund der Gesetze eingeklagt werden, die den rechtlichen Rahmen einer Volkswirtschaft vorgeben. Ein effizienter und akzeptabler rechtlicher Rahmen für eine Marktwirtschaft beinhaltet die Definition von Eigentumsrechten, ein Vertragsrecht und ein System zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten. Wie die ehemals kommunistischen Staaten heute feststellen, ist es sehr schwierig, eine Marktwirtschaft zu betreiben, in der es keine Gesetze zur Durchsetzung von Verträgen oder zur Gewährleistung des Rechts von Unternehmen gibt, ihre Gewinne auch zu behalten. Wenn der rechtliche Rahmen zusammenbricht, wie etwa im früheren Jugoslawien oder in einem von Drogen beherrschten Staat wie Kolumbien, bekommen die Bewohner Angst um ihr Leben und haben weder Zeit noch Lust, langfristige Investitionen in die Zukunft zu tätigen. Die Produktion geht zurück, die Lebensqualität sinkt. Tatsächlich wurden viele der schlimmsten Hungersnöte Afrikas durch Bürgerkriege und den Zusammenbruch der Rechtsordnung, nicht durch ungünstige Wetterbedingungen ausgelöst. Ein weiteres Beispiel für die Schädigung der Wirtschaft durch mangelhafte Eigentumsrechte ist die Umwelt. Wasser und
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Markt und Staat in der modernen Wirtschaft
Luft sind im Allgemeinen frei zugängliche Ressourcen; das heißt, sie gehören niemandem und werden von niemandem kontrolliert. Es gilt das Motto: Was alle angeht, kümmert keinen. Das heißt, die Leute bedenken bei diesen Gütern häufig nicht, welche Kosten ihre Handlungen nach sich ziehen. Wenn jemand ein Gewässer verschmutzt oder Abgase in die Luft bläst, müssen die Kosten, die in Form schmutzigen Wassers und giftiger Luft anfallen, von anderen getragen werden. Im Gegensatz dazu werfen die Leute in der Regel keinen Müll auf ihren eigenen Rasen oder verbrennen Kohle in ihrem Wohnzimmer, weil sie in diesem Fall die Kasten selbst tragen müssten. Deshalb haben manche Ökonomen in den letzten Jahren vorgeschlagen, Eigentumsrechte auch auf ökologische Güter auszudehnen, indem Verschmutzungszertifikate verkauft oder versteigert werden, die man auf eigenen Märkten handeln kann. Und es gibt auch schon erste Belege dafür, dass diese Erweiterung der Eigentumsrechte einen sehr wirksamen Anreiz zur effizienten Verringerung von Umweltverschmutzung darstellt.
Eine moderne Volkswirtschaft muss ganz spezielle Eigenschaften aufweisen, um möglichst produktiv zu sein. Arbeitsteilung und hoch spezialisiertes Kapital erlauben es dem Einzelnen, sich selbst auf einem bestimmten Gebiet zu spezialisieren. Doch all die spezialisierten Individuen, Unternehmen und Länder können nur überleben, weil der mit Geld geschmierte Handel es verschiedenen Personen und Ländern erlaubt, ihre Produkte problemlos zu verkaufen und ebenso problemlos das Nötige einzukaufen. Die Spezialisierung hat eine enorme Effizienz zur Folge; die gesteigerte Produktion ermöglicht den Handel; das Geld macht diesen Handel schnell und effizient; und ein ausgeklügeltes Finanzsystem dient dazu, die Ersparnisse einiger in das Kapital anderer zu verwandeln.
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C. Die Rolle des Staates in der Wirtschaft Auf einem idealen Markt werden alle Güter und Dienstleistungen freiwillig zu Marktpreisen gegen Geld ausgetauscht. Mit einem solchen System lässt sich ohne Eingreifen des Staates der größtmögliche Nutzen aus den Ressourcen einer Gesellschaft ziehen. In der realen Welt entspricht jedoch keine Wirtschaft vollständig diesem idealisierten Szenario einer problemlos funktionierenden unsichtbaren Hand. Stattdessen hat jeder Markt unter Unzulänglichkeiten zu leiden, die Missstände wie Umweltverschmutzung, Arbeitslosigkeit und extremen Reichtum oder extreme Armut hervorrufen. Deshalb hält sich kein einziger Staat an keinem Ort der Welt, so konservativ er auch regiert sein mag, ganz aus der Wirtschaft heraus. In modernen Gesellschaften übernimmt der Staat in Reaktion auf die Mängel des Marktmechanismus zahlreiche Aufgaben. Militär, Polizei, nationale Wetterdienste und Autobahnbau sind heute typische Bereiche staatlicher Aktivität. Gesellschaftlich wünschenswerte Aufgaben wie die Erkundung des Weltraums und die wissenschaftliche Forschung profitieren von staatlicher Subventionierung. Der Staat reguliert einzelne Bereiche (wie etwa das Bankenwesen und medizinische Wirkstoffe) und finanziert andere (wie das Bildungs- und Gesundheitswesen). Außerdem erhebt der Staat von seinen Bürgern Steuern und gibt einen Teil des so eingenommenen Geldes an die Alten und Bedürftigen weiter. Wie aber erfüllt der Staat seine Funktion? Er veranlasst seine Bürger, Steuern zu zahlen, Vorschriften einzuhalten und bestimmte kollektive Güter und Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Aufgrund seines Machtmonopols kann der Staat Funktionen erfüllen, die bei freiwilligem Austausch nicht möglich wären. Staatliche Vorschriften meh-
64 ren Freiheit und Konsum jener, die davon profitieren, verringern aber zugleich Einkommen und Chancen jener, die besteuert werden oder staatlichen Kontrollen unterliegen. Staaten haben in einer Marktwirtschaft drei wesentliche wirtschaftliche Funktionen: die Erhöhung der Effizienz, die Förderung der sozialen Gerechtigkeit und die Sicherung von volkswirtschaftlicher Stabilität und Wachstum. 1. Staaten erhöhen die Effizienz, indem sie den Wettbewerb fördern, Externalitäten wie Umweltverschmutzung eindämmen und öffentliche Güter zur Verfügung stellen. 2. Staaten fördern die soziale Gerechtigkeit, indem sie Steuern und Ausgabenprogramme zur Umverteilung in Richtung bestimmter Gruppen einsetzen. 3. Staaten sichern volkswirtschaftliche Stabilität und Wachstum, indem sie Arbeitslosigkeit und Inflation bekämpfen und zugleich das Wachstum fördern, und sie tun das mittels ihrer Haushalts- und Geldpolitik. Jede dieser Funktionen wollen wir uns nun ein wenig näher ansehen.
Die Grundlagen
Teil 1
durch den vollständigen Wettbewerb einem Ausgleich unterworfen sind. Unter diesen Umständen führt der Markt zu einer effizienten Ressourcenallokation, sodass sich die Wirtschaft auf ihrer Produktionsmöglichkeitskurve befindet. Wenn alle Wirtschaftszweige den Prüfungs- und Ausgleichsmechanismen des vollständigen Wettbewerbs unterworfen sind, produzieren die Märkte, wie wir später in diesem Buch noch sehen werden, das effizienteste Bündel an Outputs mit den effizientesten zur Verfügung stehenden Techniken und unter Einsatz der geringsten möglichen Inputmengen. Aber leider können sich die Märkte in vielerlei Hinsicht vom vollständigen Wettbewerb entfernen. Zu den drei Hauptgründen zählen unvollständige Wettbewerbsbedingungen, etwa Monopole, externe Effekte (auch Externalitäten oder Spillover-Effekte genannt) wie die Umweltverschmutzung und schließlich öffentliche Güter wie die Verteidigung oder das Autobahnnetz eines Landes. In jedem dieser Fälle führt das Marktversagen zu Ineffizienzen in Produktion oder Konsum, und der Staat kann bei der Korrektur dieser Missstände wertvolle Dienste leisten.
Unvollständiger Wettbewerb
Effizenz Adam Smith erkannte, dass die Vorteile des Marktmechanismus nur bei vollständigem Wettbewerb richtig zur Geltung kommen können. Was aber versteht man unter vollständigem Wettbewerb? Der Begriff bezieht sich auf einen Markt, auf dem kein Unternehmen oder Konsument mächtig genug ist, um den Marktpreis zu beeinflussen. So gilt beispielsweise der Weizenmarkt als vollständiger Markt oder Wettbewerbsmarkt, weil auch die größte Weizenfarm nur einen winzigen Bruchteil des gesamten auf der Welt produzierten Weizens erzeugen und daher keinen spürbaren Einfluss auf den Weizenpreis nehmen kann. Die Doktrin von der unsichtbaren Hand gilt für jede Wirtschaft, in der alle Märkte
Eine schwerwiegende Abweichung vom effizienten Markt stellt der unvollständige Wettbewerb oder das Monopol dar. Während im vollständigen Wettbewerb weder einzelne Unternehmen noch einzelne Konsumenten Einfluss auf die Preisbildung nehmen können, sprechen wir von unvollständigem Wettbewerb, wenn ein einzelner Käufer oder Verkäufer in der Lage ist, Einfluss auf den Preis einer Ware oder Dienstleistung zu nehmen. Nehmen wir an, die lokale Telefongesellschaft oder eine Gewerkschaft hätten genügend Einfluss, um die Telefongebühren oder den Stundenlohn zu beeinflussen – schon entsteht ein gewisses Maß an unvollständigem Wettbewerb. Und sobald diese Situation eintritt, bewegt sich die Gesellschaft hinter ihre PMK zurück. Das ist beispielsweise der
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Markt und Staat in der modernen Wirtschaft
Fall, wenn ein einzelner Verkäufer (ein Monopolist) die Preise erhöht, um höhere Gewinne zu erzielen. Der Output des von ihm angebotenen Wirtschaftsgutes würde dadurch unter das Effizienzniveau gedrückt, die Volkswirtschaft erlitte einen Schaden. In einer solchen Situation ist das Marktmerkmal der unsichtbaren Hand beeinträchtigt. Doch welche Auswirkungen hat der unvollständige Wettbewerb? Er führt zu Preisen, die über den Gestehungskosten liegen, während die Einkäufe durch die Konsumenten unter das Effizienzniveau sinken. Das Muster überhöhter Preise und eines zu geringen Outputs ist sozusagen das Markenzeichen der mit dem unvollständigen Wettbewerb verbundenen Ineffizienzen. In der Praxis treffen wir in beinahe allen Wirtschaftszweigen ein gewisses Maß an unvollständigem Wettbewerb an. So gibt es auf manchen Flugrouten keinerlei Konkurrenz für die dort fliegenden Gesellschaften, während auf anderen Strecken ein besonders harter Konkurrenz- und Preisdruck herrscht. Das Extrembeispiel eines unvollständigen Wettbewerbs stellt der Monopolist dar – ein einziger Anbieter, der allein den Preis für ein bestimmtes Wirtschaftsgut oder eine Dienstleistung bestimmt. Microsoft etwa ist mit der Produktion des Betriebssystems Windows als Monopolist aufgetreten. Im 20. Jahrhundert ergriffen die meisten Staaten gezielte Maßnahmen gegen extreme Auswüchse des unvollständigen Wettbewerbs. Bisweilen regulieren sie Preise und Gewinne von Monopolbetrieben wie den lokalen Wasser-, Telefon- und Stromgesellschaften. Zusätzlich verhindern meist kartellrechtliche Bestimmungen des Staates (Antitrustgesetze) Maßnahmen wie Preisdiktate oder Absprachen über die Aufteilung von Märkten. Der wichtigste Schritt zur Bekämpfung des unvollständigen Wettbewerbs ist jedoch die Öffnung des Marktes für Konkurrenten aus dem Inund Ausland. Nur wenige Monopole widerstehen einem solchen Konkurrenzangriff, sofern der Staat sie nicht durch Zölle oder Regulierungsbestimmungen schützt.
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Externe Effekte (Externalitäten) Eine zweite mögliche Ineffizienz ergibt sich durch so genannte externe Effekte, auch Spillover-Effekte oder Externalitäten genannt, die zur unerwünschten Verlagerung von Kosten oder Nutzen führen. Markttransaktionen bedeuten freiwilligen Tausch, wobei Menschen Güter oder Dienstleistungen gegen Geld tauschen. Kauft etwa ein Unternehmen ein Hähnchen, um daraus ein Fertiggericht herzustellen, so bezieht es das Hähnchen von seinem Eigentümer auf dem Hähnchenmarkt, und der Verkäufer erhält mit dem Kaufpreis den vollen Wert des Hähnchens erstattet. Wenn man sich die Haare schneiden lässt, bezahlt man dafür dem Friseur den vollen Wert für seinen Zeitaufwand, seine beruflichen Fähigkeiten und die Lokalmiete. Allerdings finden zahlreiche Interaktionen abseits der Märkte statt. Obwohl etwa Flughäfen eine ganze Menge Lärm produzieren, bezahlen sie in der Regel die Anwohner nicht für die Nutzung des Luftraums über ihren Häusern. Andererseits geben manche Unternehmen Unsummen für Forschung und Entwicklung aus, die in Form positiver externer Effekte der gesamten restlichen Gesellschaft zugute kommen. Die Forschungsabteilung von AT&T hat beispielsweise den Transistor erfunden und die elektronische Revolution eingeleitet, doch die Gewinne von AT&T sind dadurch, gemessen am sozialen Gesamtnutzen, nur geringfügig gestiegen. Sobald es zu Externalitäten kommt, nützt oder schadet eine wirtschaftliche Aktivität Akteuren, die außerhalb des jeweiligen Marktes stehen. Dies bedeutet, dass es offensichtlich auch wirtschaftliche Transaktionen ohne entsprechende wirtschaftliche Abgeltung in Form einer Bezahlung geben muss. Externe Effekte (oder Spillover-Effekte) treten auf, wenn die wirtschaftliche Aktivität von Unternehmen oder Individuen bei marktfernen Akteuren zu Kosten oder einem Nutzen führt.
66 Die Staaten haben heute zumeist mehr mit negativen als mit positiven externen Effekten zu kämpfen. Je höher die Bevölkerungsdichte und je größer das Produktionsvolumen an Energie, Chemikalien und anderen Materialien, desto eher entwickeln sich negative Externalitäten oder Spillover-Effekte in der ganzen Bandbreite von der geringfügigen Belästigung bis hin zur ernsthaften Bedrohung. Und genau da tritt der Staat auf den Plan. Staatliche Regulierung soll externe Effekte wie Luft- und Wasserverschmutzung, Schäden durch rücksichtslosen Bergbau, Sondermüll, gesundheitsgefährdende Substanzen und Nahrungsmittel oder radioaktives Material eindämmen. Staaten agieren in vielerlei Hinsicht wie Eltern, die immer nur „nein“ sagen: Du darfst deine Arbeiter keinen gefährlichen Situationen aussetzen. Du darfst keine gefährlichen Rauchgase durch deinen Schornstein jagen. Du darfst keine bewusstseinsverändernden Drogen verkaufen. Du darfst nicht Auto fahren, ohne den Sicherheitsgurt anzulegen. Und so weiter. Die richtige Balance zwischen freiem Markt und staatlicher Regulierung zu finden, ist eine schwierige Aufgabe, die einer gründlichen Analyse der Kosten und des Nutzens jedes möglichen Ansatzes bedarf. Trotzdem spricht sich heute kaum noch jemand für die Rückkehr in einen Wildwuchs der Wirtschaft aus, in dem die Unternehmen Gefahrstoffe wie etwa Plutonium hinkippen können, wo sie wollen.
Öffentliche Güter Obwohl negative externe Effekte wie die Umweltverschmutzung oder der Treibhauseffekt immer wieder für Schlagzeilen sorgen, fallen positive externe Effekte wirtschaftlich oft stärker ins Gewicht. Wichtige Beispiele für positive Externalitäten sind etwa die
Die Grundlagen
Teil 1
Errichtung des Straßennetzes, ein nationaler Wetterdienst, staatliche Subventionierung der Grundlagenforschung oder Maßnahmen zur Förderung der öffentlichen Gesundheit. Alle diese Güter kann man nicht auf Märkten kaufen und verkaufen. Im privaten Sektor würde es gar nie zur Produktion dieser öffentlichen Güter kommen, weil der Nutzen in der Bevölkerung so breit gestreut ist, dass ein einzelnes Unternehmen oder ein einzelner Konsument keinen wirtschaftlichen Anreiz darin sähe, die Dienstleistung zu erbringen und eine Gegenleistung dafür einzutreiben. Das Extrembeispiel für einen positiven externen Effekt ist das öffentliche Gut. Öffentliche Güter sind Leistungen, die jeder genießen und von denen niemand ausgeschlossen werden kann. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Armee eines Landes. Wenn ein Land in den Krieg zieht – um Terroristen zu bekämpfen, Massenvernichtungswaffen zu suchen, um Land oder Öl zu stehlen oder patriotische Gefühle in der Bevölkerung zu schüren –, müssen alle die Zeche zahlen, ob sie wollen oder nicht. Da die Bereitstellung öffentlicher Güter durch private Anbieter in der Regel unzureichend ist, muss der Staat einspringen und die Produktion dieser öffentlichen Güter fördern. Indem er öffentliche Güter wie Landesverteidigung oder Leuchttürme kauft, verhält er sich genau wie jeder andere, der große Ausgaben tätigt. Durch den Einsatz von genügend Kaufkraft auf bestimmten Gebieten bewirkt er den Zufluss von Ressourcen in diese Richtung. Sobald der Staat seine Entscheidung durch den Einsatz von Mitteln zum Ausdruck gebracht hat, übernimmt der Marktmechanismus das Ruder und kanalisiert die Ressourcen hin zu den Unternehmen, die dann die benötigten Leuchttürme oder Panzer produzieren.
Kapitel 2
Markt und Staat in der modernen Wirtschaft
Sind Leuchttürme öffentliche Güter? Leuchttürme dienten lange Zeit hindurch als Paradebeispiel für ein öffentliches Gut. Sie retten Leben und Ladung auf Schiffen. Doch die Leuchtturmwärter können schließlich von den Schiffen keine Gebühr erheben; und selbst wenn sie es könnten, hätte es keinen effizienten sozialen Zweck für sie, Geldstrafen über Schiffe zu verhängen, die ihre Dienste in Anspruch nehmen. Am effizientesten wird das Licht eines Leuchtturms kostenlos zur Verfügung gestellt, denn es kostet schließlich nicht mehr, 100 Schiffe vor den gefährlichen Felsklippen zu warnen als ein einziges. Doch diese Ansicht geriet ins Wanken, als der Nobelpreisträger und Ökonom Ronald Coase die Geschichte der Leuchttürme in England und Wales untersuchte und erfuhr, dass diese privat betrieben wurden. Coase stellte fest, dass die in Lizenz von der Krone vergebenen englischen Leuchttürme rentabel betrieben und durch staatlich genehmigte, so genannte „Leuchtgebühren“ finanziert wurden, die man von den Schiffen in nahe gelegenen Häfen erhob. Daraus zog Coase folgende Schlussfolgerung: „Im Gegensatz zur Ansicht vieler Ökonomen können die Dienste eines Leuchtturms von einem privaten Unternehmen erbracht werden.” Bisweilen schloss man daraus sogar, dass Leuchttürme gar keine öffentlichen Güter darstellen. Doch man sollte ein wenig genauer hinsehen. Die beiden Hauptmerkmale öffentlicher Güter sind Kosten von Null für die Erbringung der jeweiligen Dienstleistung an eine weitere Person („nonrivalry“, keine rivalisierenden Güter) und die Unmöglichkeit, Einzelne von deren Inanspruchnahme auszuschließen („nonexcludability“, Nichtausschlussprinzip). Beide Merkmale gelten aber für Leuchttürme. Doch ein „öffentliches Gut“ ist nicht notwendiger Weise ein „durch die öffentliche Hand bereitgestelltes Gut“. Häufig wird es von niemandem bereitgestellt. Wird es hingegen von Privaten bereitgestellt, impliziert dies nicht, dass es auch effizient bereitgestellt wird oder dass ein Marktmecha-
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nismus seine Finanzierung bewirken kann. Das Beispiel aus England zeigt den interessanten Fall, in dem, falls die Bereitstellung des öffentlichen Gutes mit einem anderen Gut oder einer anderen Dienstleistung verknüpft werden kann (in diesem Fall mit der Tonnage der Schiffe) und falls der Staat privaten Personen das Recht gibt, Gebühren, die eigentlich Steuern sind, zu erheben, ein alternativer Mechanismus zur Finanzierung des öffentlichen Gutes gefunden werden kann. Ein solcher Ansatz wäre aber kaum denkbar, ließen sich die Gebühren nicht einfach mit der Tonnage der Schiffe verbinden (wie in internationalen Gewässern). Und er wäre undenkbar, würde sich der Staat weigern, das Recht zur Eintreibung von Gebühren bei den Schiffseignern zu privatisieren. Die amerikanische Erfahrung sieht ganz anders aus. In den Vereinigten Staaten herrschte von Anfang an die Meinung vor, der Staat solle der Schifffahrt die nötige Unterstützung anbieten. So sah eine der ersten Handlungen des ersten Kongresses und das erste amerikanische Gesetz über Aufgaben der öffentlichen Hand vor, dass „die erforderliche Unterstützung, Wartung und Reparatur aller Leuchttürme, Leuchtbalken [und] Bojen ... aus dem Staatsschatz der Vereinigten Staaten bestritten werden soll.“ Doch wie viele öffentliche Güter wurden auch die Leuchttürme unzureichend finanziert, und es ist interessant festzustellen, was geschah, wenn in der Folge die nötigen Navigationshilfen fehlten. Ein faszinierender Fall wird von der Ostküste Floridas berichtet, einer tückischen Wasserstraße mit einem 300 Kilometer langen Riff, das auf einer der gefährlichsten HurricaneStrecken nur wenige Fuß unter der Wasserfläche liegt. Diese stark befahrene Wasserstraße war durch heftige Stürme, häufige Schiffbrüche und Piraterie gekennzeichnet. Es gab in Florida bis 1825 keine Leuchttürme, und auch der private Sektor sorgte hier nicht für Sicherheit. Doch der Markt reagierte heftig auf die gefährliche Situation. Der private Sektor brachte eine blühende „Wrackindustrie“ hervor. Da gab es die so genannten Wreckers, Kutter, die in der Nähe
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des tückischen Riffs warteten, bis ein unglückliches Schiff auf Grund lief. Dann erschien umgehend der Wrecker, bot seine Hilfe an, rettete Leben und Ladung und schleppte das Schiff in den nächsten Hafen, nicht ohne einen beträchtlichen Teil des Betrages zu fordern, den die Schiffsfracht ausmachte. Mitte des 19. Jahrhunderts war Wrecking der bedeutendste Wirtschaftszweig Südfloridas, und er machte Key West zur reichsten Stadt im damaligen Amerika. Die Wrecker erzielten wahrscheinlich eine gute Wertschöpfung, aber wiesen keines der Merkmale des öffentlichen Gutes auf, das ein Leuchtturm nun einmal ist. Außerdem bedeutete die Schifffahrt unter diesen Bedingungen ein erhebliches Risiko, war die Fracht doch zumeist nicht versichert. Oder Wrecker und Schiffskapitäne bereicherten sich durch Absprachen auf Kosten der Eigentümer und Versicherungsgesellschaften. Erst als der staatlich finanzierte U.S. Lighthouse Service überall im Kanal von Florida Leuchttürme zu bauen begann, sank die Zahl der Schiffswracks – und die Wrecker waren aus dem Geschäft. Heute sind Leuchttürme kein zentrales Anliegen staatlicher Politik mehr, sondern interessieren vor allem die Touristen. Sie wurden mittlerweile weitgehend durch satellitengestützte GPS-Systeme ersetzt, ebenfalls ein öffentliches Gut, das der Staat kostenlos zur Verfügung stellt. Doch die Geschichte der Leuchttürme erinnert uns an die Probleme, die auftreten können, wenn öffentliche Güter nicht effizient angeboten werden.
Steuern. Der Staat muss die Einnahmen, mit denen er die öffentlichen Güter und Umverteilungsprogramme bezahlen kann, natürlich irgendwoher beziehen. Er bekommt sie aus den Steuern, die auf Einkommen und Unternehmenserträge, auf Gehälter, auf den Verkauf von Verbrauchsgütern und aus anderen Quellen erhoben werden. Der Staat erhebt auf all seinen Ebenen – Gemeinden, Länder, Bund – Steuern, um seine Ausgaben tätigen zu können.
Die Grundlagen
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Der Begriff Steuern klingt wie eine andere Art von „Preis“ – in diesem Fall handelt es sich um den Preis, den wir für öffentliche Güter zu bezahlen haben. Aber Steuern unterscheiden sich auch in einem ganz wesentlichen Aspekt von Preisen. Man bezahlt sie nicht freiwillig. Jeder unterliegt den Steuergesetzen, und wir alle sind verpflichtet, einen Teil der Kosten für die öffentlichen Güter zu tragen. Natürlich entscheiden wir durch unsere demokratischen Prozesse als Bürger über die öffentlichen Güter ebenso wie über die Steuern, mit denen sie bezahlt werden. Aber es fehlt einfach die enge Verbindung zwischen Ausgabe und Konsum, die wir von den privaten Gütern her kennen. Ich zahle schließlich nur dann für einen Hamburger, wenn ich ihn auch essen möchte, aber meine Steuern zur Finanzierung der Verteidigungsausgaben und des öffentlichen Schulwesens muss ich selbst dann leisten, wenn mir diese Dienstleistungen überhaupt kein Anliegen sind.
Soziale Gerechtigkeit Unsere Erörterung des Marktversagens etwa infolge von Monopolen oder externen Effekten hat sich bisher auf Mängel in der Allokationsfunktion der Märkte konzentriert – Mängel, die sich durch staatliche Eingriffe korrigieren lassen. Doch nehmen wir einmal absolut effizientes Funktionieren der Wirtschaft an – immer auf ihrer PMK, niemals dahinter, mit konstanter Ausgewogenheit zwischen öffentlichen und privaten Gütern etc. Selbst bei perfektem Funktionieren des Marktsystems kann das Ergebnis Mängel aufweisen. Die Märkte produzieren nicht notwendigerweise eine sozial gerechte Einkommensverteilung. Eine Marktwirtschaft kann sogar völlig inakzeptable Ungleichheiten bei Einkommen und Konsum hervorbringen. Doch warum löst der Marktmechanismus das Problem des Für wen häufig nur völlig unzureichend? Der Grund liegt darin, dass die Einkommen von multiplen Faktoren wie von
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Markt und Staat in der modernen Wirtschaft
den Bemühungen des Einzelnen, von seiner Ausbildung, ererbtem Vermögen, Faktorpreisen und wohl auch von einer gewissen Portion Glück abhängen, die man hat oder eben nicht. Die sich daraus ergebende Einkommensverteilung mutet im Endeffekt nicht immer gerecht an. Vor allem aber, und Sie erinnern sich bestimmt noch: Die Güterproduktion richtet sich nach der Kaufkraft, nicht nach den dringlichsten Bedürfnissen der Menschen. So kann es dazu kommen, dass die Katze der Reichen genau jene Milch trinkt, die für die Gesundheit der Kinder der Armen so dringend nötig wäre. Aber geschieht dies deshalb, weil der Markt versagt? Keineswegs. Der Marktmechanismus tut schon das Seine – er verschafft den Leuten mit der entsprechenden Kaufkraft die gewünschten Güter. So kann sogar das effizienteste Marktsystem zu himmelschreiender Ungerechtigkeit führen. Häufig ist die Einkommensverteilung in einem Marktsystem bereits bei der Geburt vorgezeichnet. Alljährlich listet das Forbes Magazine die 400 reichsten Amerikaner auf, und es ist schon beeindruckend zu sehen, wie viele von ihnen ihren Reichtum ererbt oder aus dem geerbten Vermögen erwirtschaftet haben, weil sie dieses als Sprungbrett zu noch größerem Reichtum nutzen konnten. Würde irgendjemand diesen Umstand als gerecht oder gar ideal bezeichnen? Sollte es einem Menschen gestattet sein, Milliardär zu werden, nur weil er 5.000 Quadratmeilen Farmland oder den gesamten Familienbestand an Ölquellen erbt? Und genau daran krankt es unter dem Laissez-faire-Kapitalismus. In der amerikanischen Geschichte wirkte das Wirtschaftswachstum zumeist wie die Flut, die alle Boote hebt, also die Einkommen der Armen ebenso wie jene der Reichen steigen lässt. Doch in den letzten beiden Jahrzehnten haben Veränderungen in der Familienstruktur und sinkende Löhne, nicht oder schlecht ausgebildeter Arbeitskräfte, diesen Trend umgekehrt. Mit der Rückbesinnung auf den Markt stieg die Zahl der Obdachlosen und boomte die Kinderarmut
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ebenso wie die Verelendung der Innenstädte der USA. Einkommensungleichheiten können politisch oder moralisch unerwünscht sein. Ein Land braucht das Ergebnis der Wettbewerbsmärkte nicht einfach als vorherbestimmt und unabänderlich hinzunehmen. Die Leute können sich über die Einkommensverteilung Gedanken machen und sie schließlich für unfair befinden. Wenn eine demokratische Gesellschaft mit der Verteilung der Kaufkraft unter einem Laissez-faire-Marktsystem unzufrieden ist, kann sie Maßnahmen ergreifen, um die bestehende Einkommensverteilung zu verändern. Nehmen wir an, die Wähler beschließen, die Einkommensunterschiede zu verringern. Welche Werkzeuge stehen dazu dem Staat zur Verfügung? Zunächst kann er eine progressive Besteuerung einführen und hohe Einkommen stärker als niedrige besteuern. Er könnte hohe Vermögens- oder Erbschaftssteuern verfügen, um die Privilegienkette zu unterbrechen. Staatliche Einkommens- und Erbschaftssteuern sind übrigens Beispiele einer progressiven Besteuerung mit Umverteilungswirkung. Da jedoch niedrige Steuersätze jenen, die über gar kein Einkommen verfügen, herzlich wenig nützen, kann der Staat zusätzlich Transferleistungen vorsehen und den Bürgern Gelder direkt auszahlen. Zu den genannten Transferleistungen gehören heute beispielsweise Unterstützungen für Alte, Blinde, Behinderte und Familien mit Kindern ebenso wie Arbeitslosenunterstützung für Leute ohne Job. Dieses System von Transferzahlungen sorgt für ein „soziales Sicherheitsnetz“, das die weniger vom Glück Begünstigten vor der Verelendung bewahren soll. Und schließlich gewährt der Staat den niedrigen Einkommensgruppen bisweilen Unterstützungen in Form von Lebensmittelbons, subventionierten Gesundheitsdiensten und Mietzuschüssen – obwohl sich etwa in den Vereinigten Staaten die Ausgaben für diese Dienste im Rahmen der staatlichen Gesamtausgaben vergleichsweise bescheiden ausnehmen.
70 Und diese Sozialprogramme sind in den letzten zwanzig Jahren zunehmend unpopulärer geworden. Da die Reallöhne der Mittelklasse stagnieren, fragen sich die Leute natürlich, warum sie eigentlich Obdachlose oder Behinderte, die nicht arbeiten, unterstützen sollen. Was kann nun die Volkswirtschaftslehre zur Debatte über soziale Gerechtigkeit beitragen? Die Wirtschaftswissenschaft kann normative Fragen, also etwa, wie viel von unserem Markteinkommen, falls überhaupt, in Form von Transferleistungen armen Familien zugute kommen soll, gar nicht beantworten. Es handelt sich hierbei um eine politische Frage, die nur auf dem Umweg über die Wahlurnen zu beantworten ist. Sehr wohl kann die Wirtschaftswissenschaft jedoch Kosten und Nutzen verschiedener Umverteilungssysteme analysieren. Ökonomen haben eine Menge Zeit auf die Frage verwendet, ob und inwieweit die verschiedenen Instrumentarien zur Umverteilung der Einkommen (wie Steuern und Lebensmittelbons) zu Verschwendung führen (also dazu, dass die Begünstigten weniger arbeiten oder sich eher Drogen als Lebensmittel kaufen). Sie haben auch darüber nachgedacht, ob man armen Leuten lieber Geld als Sachleistungen zukommen lassen sollte und ob sich dadurch die Armut effizienter bekämpfen lässt. Die Wirtschaftswissenschaft kann die Frage, wie viel Armut erträglich und gerechtfertigt ist, nicht beantworten. Sie kann aber bei der Entwicklung wirksamer Programme zur Armutsbekämpfung helfen.
Wirtschaftswachstum und Stabilität Schon seit seinen Anfängen wird der Kapitalismus von zeitweiligen Inflationsschüben (steigenden Preisen) und Rezessionen (hoher Arbeitslosigkeit) erschüttert. Allein seit dem Zweiten Weltkrieg waren beispielsweise in den Vereinigten Staaten zehn Rezessionen zu verzeichnen, die bisweilen Millionen von
Die Grundlagen
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Amerikanern arbeitslos machten. Diese Fluktuationen werden als Konjunkturzyklen bezeichnet. Dank der wissenschaftlichen Beiträge von John Maynard Keynes und seinen Schülern wissen wir heute, wie sich die schlimmsten Auswüchse des Wirtschaftskreislaufs vermeiden lassen. Durch den umsichtigen Einsatz fiskal- und geldpolitischer Maßnahmen können die Staaten Produktivität, Beschäftigung und Inflation wirksam beeinflussen. Unter der Fiskalpolitik eines Staates versteht man dessen Möglichkeit, Steuern zu erheben und Ausgaben zu tätigen. Als Geldpolitik bezeichnet man hingegen die Festlegung der Geldmenge und der Zinssätze. Diese Instrumentarien wirken sich auf Investitionen in Kapitalgüter und andere zinssensible Ausgaben aus. Durch den Einsatz dieser beiden für die Makroökonomie grundlegenden Werkzeuge können die Staaten Einfluss auf das Gesamtausgabenniveau, die Wachstumsrate und die Produktionsmenge ebenso wie auf den Beschäftigungsstand und die Arbeitslosigkeit, aber auch auf das Preisniveau und die Inflationsrate einer Wirtschaft nehmen. Die Regierungen verschiedener moderner, industrialisierter Länder konnten in den vergangenen fünfzig Jahren die Erkenntnisse der Keynesianischen Revolution teilweise sehr erfolgreich anwenden. Angetrieben durch eine aktive Geld- und Fiskalpolitik, erlebten die Marktwirtschaften nach dem Zweiten Weltkrieg eine Periode bisher unbekannten Wachstums. In den 1980er Jahren waren die Staaten zunehmend darauf bedacht, makroökonomische Strategien zu entwerfen, mit denen sich langfristige Ziele, etwa im Zusammenhang mit Wirtschaftswachstum und Produktivität, verfolgen lassen. (Der Begriff Wirtschaftswachstum bezeichnet das Wachstum der gesamten Outputleistung eines Landes, während sich Produktivität auf den Output pro Inputeinheit oder die Effizienz bezieht, mit der die Produktionsmittel eingesetzt werden.) So wurden in den meisten Industriestaaten die Steuersätze gesenkt, um die Spar-
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Markt und Staat in der modernen Wirtschaft
neigung zu erhöhen und Produktionsanreize zu schaffen. Viele Ökonomen verweisen auf die Bedeutung des öffentlichen Sparens durch geringere Budgetdefizite als eine Möglichkeit, Ersparnisse und Investitionen eines Landes anzuheben. Makroökonomische Strategien zur Stabilisierung und Förderung des WirtschaftsVersagen der Marktwirtschaft
wachstums beinhalten fiskal- oder haushaltspolitische Maßnahmen (Steuereinnahmen und Staatsausgaben) ebenso wie geldpolitische Maßnahmen (Einflussnahme auf Zinssätze und Kreditkonditionen). Seit der Entwicklung der Makroökonomie in den 1930er Jahren konnten Staaten immer wieder erfolgreich die schlimmsten Exzesse von Inflation und Arbeitslosigkeit eindämmen.
Staatliches Eingreifen
Jüngste wirtschaftspolitische Beispiele
Ineffizienz: Monopole
Förderung des Wettbewerbs
Kartellrechtliche Bestimmungen, Deregulierung
Externe Effekte (Externalitäten oder Spillover-Effekte)
Intervention auf Märkten
Umweltschutzgesetze, Rauchverbote
Öffentliche Güter
Förderung nützlicher Aktivitäten
Aufbau von Leitsystemen, öffentliches Bildungswesen
Einkommensumverteilung
Progressive Besteuerung von Einkommen und Vermögen
Ungleichheit: Inakzeptable Einkommens- und Vermögensungleichheit
Einkommenszuschüsse oder Transferleistungen (z.B. Lebensmittelmarken) Makroökonomische Probleme: Konjunkturzyklen (hohe Inflation und Arbeitslosigkeit)
Wirtschaftspolitische Stabilisierung
Geldpolitik (z.B. Änderung der Geldmenge und der Zinssätze) Fiskalpolitik (z.B. Steuern und Ausgabenprogramme)
Geringes Wirtschaftswachstum
Wachstumsförderung
Hebung der Steuereffizienz Anhebung der nationalen Sparrate durch Verringerung des Budgetdefizits oder Erhöhung des Budgetüberschusses
Tabelle 2-1: Der Staat kann Marktmängel beheben
In Tabelle 2-1 ist die wirtschaftliche Rolle des modernen Staates zusammengefasst. Sie verweist auf die wichtigen Funktionen des Staates bei der Effizienzförderung, einer gerechteren Einkommensverteilung und bei der Verfolgung der makroökonomischen Ziele Wachstum und Stabilität. In allen entwickel-
ten Industriestaaten besteht heute ein wirtschaftliches Mischsystem, in dem der Markt Produktionsoutput und Preise in den meisten Einzelsektoren bestimmt, während der Staat mit Steuerprogrammen, staatlichen Ausgaben und Geldmarktregulierungen die Gesamtwirtschaft lenkt.
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Götterdämmerung im Wohlfahrtstaat? Im Jahr 1942 erklärte der große, aus Österreich stammende Harvard-Ökonom Joseph Schumpeter, die USA seien ein „kapitalistischer Staat im Sauerstoffzelt“, der sich auf dem Weg in den Sozialismus befinde. Die Erfolge des Kapitalismus würden Entfremdung und Selbstzweifel nähren und so Effizienz und Innovation unterlaufen. Doch er sollte sich irren. In den folgenden fünfzig Jahren engagierte sich der Staat sowohl in Nordamerika als auch in Westeuropa vermehrt in der Wirtschaft, und es kam zur eindrucksvollsten wirtschaftlichen Entwicklung aller Zeiten. Das kräftige Wirtschaftswachstum war von einer wachsenden Skepsis bezüglich der Rolle des Staates begleitet. Kritiker des Staates nannten ihn aufdringlich und behaupteten, Staaten würden Monopole schaffen, staatliches Versagen sei ebenso verbreitet wie Marktversagen, hohe Steuern verzerrten die Ressourcenallokation, die Sozialversicherung würde die Arbeiter in den kommenden Jahrzehnten über Gebühr belasten, Umweltschutzvorschriften schadeten dem Unternehmertum und staatliche Versuche zur Stabilisierung der Wirtschaft müssten im besten Fall fehlschlagen, während sie im schlechtesten Fall die Inflation anheizten. Kurz gesagt, für manche stellte der Staat das Problem und nicht die Lösung dar. Wächter der freien Wirtschaft: Friedrich Hayek und Milton Friedman Ökonomen sind auch nur Menschen, und so gehen ihre Meinungen und Ideologien oft beträchtlich auseinander. Nachdem staatliche Politik bei der Mobilisierung der Kriegswirtschaft in den USA und in Großbritannien so erfolgreich den Sieg über Deutschland und Japan im Zweiten Weltkrieg herbeigeführt hatte, und da die aktive makroökonomische Politik selbst die Weltwirtschaftskrise besiegt zu haben schien,
Die Grundlagen
Teil 1
wurde die Ideologie des Laissez faire unter den Wirtschaftswissenschaftlern der freien Welt bald zu einem Minderheitenprogramm. Doch zwei bedeutende Ökonomen legten ihre Skepsis bezüglich der Vorteile massiver staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft niemals ab: Friedrich Hayek (1899–1992), geboren in Wien und in London und Chicago tätig, sowie Milton Friedman (1912–2006), Lehrer an der University of Chicago und in Stanford, die für ihre wissenschaftlichen Innovationen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Ihre Arbeiten werden von konservativen und „liberalen“ Wirtschaftstheoretikern bis heute sehr geschätzt. Hayeks einflussreichstes Werk befasste sich mit der Effizienz verschiedener Formen wirtschaftlicher Organisation. In den 1920er und 1930er Jahren tobte eine intensive Debatte darüber, ob Ressourcen im Sozialismus überhaupt effizient eingesetzt werden können. Oskar Lange und Abba Lerner meinten, ein sozialistisches Unternehmen könnte seine Preise nach Art der Kapitalisten gestalten und so eine Marktwirtschaft ohne die monopolistischen Tendenzen des Kapitalismus nachbilden. Hayek brachte dagegen gewichtige Einwände vor. Er wies darauf hin, dass man ja Kosten und Produktionsmöglichkeiten nicht kenne. Nur mit den Anreizen eines privaten Systems mit freiem Unternehmertum ließen sich die unter den Millionen von Akteuren verstreuten Informationen effektiv mobilisieren und nutzen. Kein System könne Innovationen hervorbringen, ohne durch das Zuckerbrot der Gewinne und die Peitsche des Konkurses dazu angeregt zu werden. Die moderne Ökonomie mit ihrer Betonung der verstreuten und asymmetrischen Information schuldet den brillanten Erkenntnissen Hayeks viel. Hayeks Bestseller und sein in der Öffentlichkeit am meisten beachtetes Werk war The Road to Serfdom (Der Weg zur Knechtschaft). Darin warnte er, der Weg zur Hölle der totalitaristischen Tyrannei und ökonomischen Ineffizienz sei mit den guten Vorsätzen bescheidener Eingriffe in freie Märkte und private Untenehmen gepflastert.
Kapitel 2
Markt und Staat in der modernen Wirtschaft
Friedmans statistische und analytische Forschung umfasste eine enorme Bandbreite. Er dokumentierte, wie gering die Unterschiede zwischen der Sparrate der Reichen und jener der Armen langfristig ausfällt, wenn man sie nur um die vorübergehenden Ausschläge der Einkommen nach oben und unten bereinigt. Diese Arbeit mündete in die Konsumtheorie des permanenten Einkommens (die in den Makroökonomiekapiteln dieses Buches behandelt wird). Zusammen mit Anna Schwartz verfasste Friedman Monetary History of the United States, 1876–1960 (1963), eine geldpolitische Geschichte der USA. Das Buch leitete die monetaristische Revolution ein und führte zu Erkenntnissen der Makroökonomen darüber, wie die Geldmenge sich auf die gesamtwirtschaftlichen Ausgaben, Preise und Produktionsmengen auswirkt. Friedman trug zur Überzeugung der Wirtschaftswissenschaftler bei, dass die staatliche Geldpolitik tatsächlich einen Einfluss auf die gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten ausübt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fand in den USA, in Westeuropa und Asien, aber auch in den früheren Sowjetstaaten und China eine spürbare Wende in Richtung Markt und Wettbewerb und weg von der zentralistischen Kommandowirtschaft statt. Kein anderer Vertreter der Ökonomengilde erlangte sowohl als Architekt als auch als Exponent dieser Entwicklung eine solche Bedeutung wie Milton Friedman. Sein Klassiker, Capitalism and Freedom (1962, deutsch: Kapitalismus und Freiheit) legt dar, warum ein rationaler Denker bei gleichzeitiger Befürwortung des freien internationalen Handels und weitestgehender Deregulierung gegen Mindestlohn, die staatliche Zulassung von Chirurgen und das Verbot von Drogen wie Heroin und Kokain auftreten kann. Alle ernsthaften Ökonomen sollten seine Argumente sorgfältig studieren.
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Das moderne wirtschaftliche Mischsystem In der Gewichtung der Verdienste von Staat und Markt vereinfacht die öffentliche Debatte die komplexen Entscheidungen, die die Gesellschaften zu treffen haben, auf unzulässige Weise. Die Märkte haben in einigen Ländern Wunder gewirkt. Aber ohne die geeigneten rechtlichen und politischen Strukturen und ohne das übergelagerte gesellschaftliche Kapital, das Handel und private Investitionen fördert, führte der Markt auch zu einem korrupten Kapitalismus mit massiven Ungleichheiten, zu verbreiteter Armut und einem sinkenden Lebensstandard. In der Wirtschaft hat der Erfolg viele Väter, während das Versagen oft als Waise dasteht. Der Erfolg der Marktwirtschaften lässt viele Beobachter die zahlreichen Erfolge eines kollektiven Vorgehens übersehen, durch die das vergangene Jahrhundert gekennzeichnet war. Staatliche Programme haben erfolgreich mit Armut und Hunger aufgeräumt, und sie haben die Geißel schrecklicher Krankheiten wie Tuberkulose und Pocken von uns genommen. Staatliche Gelder haben die Leute lesen gelehrt und ihre Lebenserwartung erhöht. Militärische und diplomatische Aktionen konnten viele gefährliche Despoten stürzen. Makroökonomische Erfolge haben Inflation und Arbeitslosigkeit etwas von ihrem Schrecken genommen. Staatlich subventionierte Wissenschaft ist in die Atomstrukturen eingedrungen, hat das DNA-Molekül entdeckt und den Weltraum erkundet. Natürlich gehören diese Erfolge nicht dem Staat allein. Staaten nutzen menschliche Genialität mittels des Marktmechanismus und helfen so, diese sozialen Ziele zu erreichen. Und in manchen Fällen verhielten sich Staaten wie Prediger, die einfach nicht wussten, wann es genug war. Die Debatte über Erfolge und Versagen des Staates zeigt neuerlich, dass die Grenzziehung zwischen Markt und Staat ein anhaltendes Problem darstellt. Die Werkzeuge der
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Die Grundlagen
Ökonomie sind jedenfalls unbedingt erforderlich, damit Gesellschaften den goldenen Mittelweg zwischen Laissez-faire-Marktwirtschaft und demokratischem Regelwerk finden können. Ein gutes wirtschaftliches Mischsystem unterliegt zwangsweise einigen Beschränkungen. Jene, die den Staat auf einen Polizisten und einige Leuchttürme redu-
Teil 1
zieren möchten, leben jedenfalls im Land der Träume. Eine effiziente und humane Gesellschaft erfordert beide Hälften des Mischsystems – Markt und Staat. Wollte eine moderne Volkswirtschaft ohne sie auskommen, gliche das dem Versuch, mit einer Hand zu klatschen.
Zusammenfassung A. Was ist ein Markt? 1.
2.
3.
In einer Wirtschaft wie jener der USA werden die meisten Entscheidungen auf Märkten getroffen. Der Marktmechanismus bringt Käufer und Verkäufer zusammen, sodass sie Handel treiben und Preise und Produktionsmengen bestimmen können. Adam Smith stellte die Behauptung auf, die unsichtbare Hand der Märkte sorge für das optimale wirtschaftliche Ergebnis, und zwar einfach, indem der Einzelne seine eigenen Interessen verfolgt. Und obwohl die Märkte alles andere als vollkommen sind, haben sie sich doch als bemerkenswert effektiv erwiesen, wenn es darum ging, die drei Grundfragen der Wirtschaft, nämlich das Was, Wie und Für wen, zu lösen. Der Marktmechanismus zur Beantwortung der Fragen des Was und des Wie funktioniert wie folgt: Die durch den Einsatz ihrer Geldmittel zum Ausdruck gebrachten Präferenzen der Leute wirken sich auf die Warenpreise aus; diese Preise dienen als Richtlinie für die Mengen der zu produzierenden Güter. Wenn die Leute größere Mengen eines Gutes nachfragen, können die Unternehmen davon profitieren, indem sie die Produktion des betreffenden Gutes erhöhen. Unter vollständigen Wettbewerbsbedingungen ist ein Unternehmen gezwungen, die kostengünstigste Produktionsmethode zu wählen, indem es Arbeit, Grund und Boden sowie andere Faktoren möglichst effizient einsetzt. Andernfalls erleidet es Verluste und verschwindet vom Markt. Zugleich mit den Problemen des Was und Wie wird auch die Frage des Für wen über den Preismechanismus gelöst. Die Einkommensverteilung wird durch das Eigentum an Produktionsfaktoren (Grund und Boden, Arbeit und Kapital) und durch die Faktorpreise bestimmt. Leute, die fruchtbares Land besitzen oder be-
sonders viele Fußballtore schießen, erwerben sich damit eine hohe Kaufkraft, mit der sie Verbrauchsgüter kaufen können. Dagegen erzielen Leute ohne Besitz oder mit Fähigkeiten, einer Hautfarbe oder einem Geschlecht, die der Markt nicht schätzt, nur geringe Einkommen.
B. Handel, Geld und Kapital 4.
5.
Im Laufe ihrer Entwicklung spezialisieren sich die Volkswirtschaften zunehmend. Erst die Arbeitsteilung ermöglicht die Zerlegung einer Aufgabe in eine ganze Reihe kleinerer Schritte, die dann jeweils von einer bestimmten Arbeitskraft rascher erledigt werden können. Die Spezialisierung ergibt sich aus der steigenden Tendenz, den Produktionsprozess in Einzelschritte zu zergliedern, die viele spezialisierte Fähigkeiten und Kenntnisse erfordern. Mit zunehmender Spezialisierung von Arbeitskräften und Staaten konzentrieren sich diese vornehmlich auf bestimmte Waren und tauschen ihren Produktionsüberschuss gegen Güter, die von anderen produziert werden. Freiwilliger Handel auf der Grundlage der Spezialisierung nützt allen. Der Handel mit spezialisierten Gütern und Dienstleistungen basiert heute auf Geld als Zahlungs- und Schmiermittel für die vielen Rädchen im Getriebe des Handels. Geld ist das universell akzeptierte Tauschmittel – Bargeld ebenso wie Schecks. Es wird zur Bezahlung aller möglichen Dinge, vom Apfelkuchen bis zum Zebrafell, verwendet. Indem sie Geld einnehmen, können sich Einzelpersonen wie auch Staaten auf die Produktion weniger Güter spezialisieren, die sie dann gegen andere tauschen; ohne Geld würden wir viel Zeit mit der ständigen Suche nach Tauschobjekten vergeuden.
Kapitel 2
6.
Markt und Staat in der modernen Wirtschaft
Kapitalgüter – das sind produzierte Produktionsmittel wie Maschinen, Bauten und Lagerbestände an Halbfertigwaren – ermöglichen zergliederte Produktionsmethoden, die viel zum Output eines Landes beitragen. Diese Methoden benötigen Zeit und Ressourcen, um in Gang zu kommen, und sie erfordern daher einen zeitweiligen Verzicht auf sofortigen Konsum zugunsten eines größeren zukünftigen Konsums. Die Eigentumsordnung einer Wirtschaft ergibt sich aus den Regeln, die festlegen, wie Kapital und andere Vermögenswerte gekauft, verkauft und verwendet werden können. Ein Wirtschaftssystem, in dem die Eigentumsrechte völlig unbeschränkt sind, gibt es nirgendwo.
C. Die Rolle des Staates in der Wirtschaft 7.
8.
Obwohl der Marktmechanismus eine bewundernswerte Methode zur Produktion und Allokation von Gütern darstellt, führt Marktversagen bisweilen zur Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Ergebnisses. Hier kann der Staat einspringen und dieses Versagen korrigieren. Die Rolle des Staates in einer modernen Volkswirtschaft besteht darin, die Effizienz sicherzustellen, eine ungerechte Einkommensverteilung zu kompensieren und Wirtschaftswachstum und Stabilität zu fördern. Es gelingt den Märkten nicht, eine effiziente Ressourcenallokation zu erreichen, wenn unvollständiger Wettbewerb herrscht oder wenn externe Effekte auftreten. Der unvollständige Wettbewerb, etwa in Form von Monopolen, führt zu erhöhten Preisen und geringerem Output. Um dagegen anzukämpfen, regelt der
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Staat die einzelnen Wirtschaftsbereiche oder erlegt ihnen kartellrechtliche Beschränkungen auf. Externe Effekte treten auf, wenn Aktivitäten Kosten oder einen Nutzen für andere, marktferne Personen oder Gruppen verursachen. Der Staat kann sich dafür entscheiden, einzuschreiten und diese Spillover-Effekte zu regeln (wie im Fall der Luftverschmutzung) oder für die Bereitstellung öffentlicher Güter zu sorgen (wie im Fall der Landesverteidigung). 9. Märkte führen nicht notwendigerweise zu einer gerechten Einkommensverteilung; sie schaffen bisweilen sogar eine unannehmbare Ungleichheit in Bezug auf Einkommensverteilung und Konsummöglichkeiten. Als Reaktion darauf können die Staaten die Einkommensstrukturen (das Für wen), die sich durch die Gehälter, Mieten, Zinsen und Dividenden am Markt ergeben, verändern. Moderne Staaten setzen Steuersysteme ein, um die Erträge für Transferoder Sozialprogramme zu erwirtschaften und um ein finanzielles Sicherheitsnetz unter den Bedürftigen zu spannen. 10. Seit der Entwicklung der Makroökonomie in den 1930er Jahren übernimmt der Staat auch noch eine dritte Rolle: Mit Hilfe seiner Fiskal(Erhebung von Steuern und Staatsausgaben) und Geldpolitik (Einflussnahme auf Kredite und Zinssätze) wirkt er im Sinne einer Förderung des langfristigen Wirtschaftswachstums und der Produktivität und trägt zur Eindämmung der Auswüchse des Wirtschaftskreislaufs, also der Inflation und Arbeitslosigkeit, bei. Seit 1980 gerät das wirtschaftliche Mischsystem, das wir als Wohlfahrtsstaat bezeichnen, im anhaltenden Kampf über die Grenzziehung zwischen Staat und Markt zunehmend in die Defensive.
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Die Grundlagen
Teil 1
Begriffe zur Wiederholung Der Marktmechanismus Markt, Marktmechanismus Gütermärkte und Märkte für Produktionsfaktoren (Faktormärkte) Preise als Signale Marktgleichgewicht Vollkommener und unvollkommener Wettbewerb Adam Smiths Doktrin von der unsichtbaren Hand
Kennzeichen einer modernen Ökonomie Spezialisierung und Arbeitsteilung Geld Produktionsfaktoren (Grund und Boden, Arbeit, Kapital) Kapital, Privateigentum und Eigentumsrechte
Die wirtschaftliche Rolle des Staates Effizienz, soziale Gerechtigkeit, Stabilität Ineffizienzen: Monopole und Externalitäten (auch externe Effekte oder Spillover-Effekte) Einkommensungleichheiten in der Marktwirtschaft Makroökonomische Politik, Fiskal- und Geldpolitik, Stabilisierung und Wachstum
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Eine interessante Erörterung der Globalisierung findet sich in: „Symposium on Globalization in Perspective“, Journal of Economic Perspectives, Herbst 1998. Beispiele für die Schriften liberaler Ökonomen: Milton Friedman, Capitalism and Freedom (University of Chicago Press, 1963; deutsch: Kapitalismus und Freiheit, Piper 2004) und Friedrich Hayek, The Road to Serfdom (University of Chicago Press, 1994; deutsch: Der Weg zur Knechtschaft, Olzog 2003). Ein starkes Plädoyer für staatliche Interventionen findet sich in einer Geschichte der 1990er Jahre, verfasst vom Nobelpreisträger und Berater Präsident Clintons, Joseph E. Stiglitz, The Roaring Nineties: A New History of the World’s Most Prosperous Decade (Norton, New York, 2003; deutsch: Die Roaring Nineties. Der entzauberte Boom, Siedler 2004). Paul Krugmans Kolumnen in der New York Times sind ein praktischer Leitfaden durch die modernen wirtschaftlichen Themen aus der Sicht eines der renommiertesten amerikanischen Ökonomen. Sein jüngstes Buch, The Great Unraveling: Losing Our Way in the New Century (Norton, New York, 2003; deutsch: Der große Ausverkauf. Wie die Bush-Regierung Amerika ruiniert, Campus 2004), bietet eine Zusammenstellung seiner Kolumnen seit Anfang 2000. Ein faszinierendes Beispiel dafür, wie eine kleine Wirtschaft ohne Geld organisiert ist, findet sich in R.A. Radford, „The Economic Organization of a P.O.W. Camp”, Economica, Bd. 12, November 1945, S. 189–201. Deutschsprachige Literatur: Werner Güth, Markt- und Preistheorie (Springer, Berlin, Heidelberg, 1994); Thomas von Lingen, Marktgleichgewicht oder Marktprozess. Perspektiven der Mikroökonomie (Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden, 1993).
Kapitel 2
Markt und Staat in der modernen Wirtschaft
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Websites Wirtschaftsanalysen aus der letzten Zeit und eine Erörterung der wichtigsten wirtschaftspolitischen Themen finden Sie im Economic Report of the President unter www.gpoaccess.gov/eop/. Informationen über das Bundesbudget der USA sind unter www.whitehouse.gov erhältlich; diese Site dient auch als Einstieg in den sehr nützlichen Economic Statistics Briefing Room. Wichtige Themen aus konservativer und wirtschaftsliberaler Sicht finden Sie auf der Website des Cato Institutes unter www.cato.org.
Übungen 1.
2.
3.
Was bestimmt die Zusammensetzung der Produktion eines Landes? In manchen Fällen sprechen wir von der „Souveränität der Konsumenten“ und meinen damit, dass die Konsumenten entscheiden, wofür sie, je nach ihrer Präferenz und den herrschenden Marktpreisen, ihre Einkommen ausgeben möchten. In anderen Fällen werden Entscheidungen auf politischer Ebene getroffen. Überdenken Sie folgende Beispiele: Transport, Bildungswesen, Polizei, Energieeffizienz technischer Geräte, Kostenübernahme medizinischer Leistungen, Fernsehwerbung. Erläutern Sie für all diese Gebiete, ob die Allokation von souveränen Konsumenten oder durch politische Entscheidung vorgenommen wird. Würden Sie persönlich die Allokationsmethode bei einer dieser Leistungen ändern wollen? Wenn nur begrenzte Mengen eines Gutes verfügbar sind, muss eine Methode gefunden werden, um dieses knappe Gut entsprechend zu verteilen. Mögliche Verteilungsmethoden wären etwa Auktionen, Rationierungsbons oder ein Vorgehen nach dem Grundsatz „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. Welche Stärken und Schwächen hat jedes dieser Systeme? Erklären Sie genau, in welchem Sinn ein Marktmechanismus knappe Güter und Dienstleistungen „rationiert“. In diesem Kapitel werden zahlreiche „Mängel“ oder Fehler des Marktes erörtert, Gebiete, auf denen die unsichtbare Hand ein schlechter Motor der Wirtschaft ist, und auch die Rolle des Staates wird besprochen. Aber könnte der Staat nicht auch Fehler begehen, wenn er versucht, ein Marktversagen zu kompensieren, und könnten diese Fehler nicht möglicherweise sogar schlimmer sein als das ursprüngliche Marktversagen? Überlegen Sie sich einige Beispiele für ein „Versagen des Staates“. Können Sie sich einen Fall vorstel-
4.
5.
6.
7.
8.
9.
len, in dem der Staat so schwerwiegende Fehler begeht, dass es besser wäre, die Mängel des Marktes einfach hinzunehmen, als daran herumzubasteln? Erwägen Sie folgende Fälle eines staatlichen Eingreifens: Vorschriften zur Eindämmung der Luftverschmutzung, Einkommenszuschüsse für die Armen und Preisregulierung eines Telefonmonopols. (a) Erklären Sie bitte für jeden dieser Fälle das Marktversagen, (b) beschreiben Sie eine staatliche Maßnahme zur Lösung des Problems und (c) erklären Sie, wie sich aus dieser Maßnahme (siehe die Definition in Frage 3) ein „Staatsversagen“ ergeben könnte. Dem Kreislauf der Güter und Produktionsfaktoren, wie er in Abbildung 2-1 dargestellt ist, entspricht auch ein Einkommens- und Ausgabenfluss. Zeichnen Sie ein Kreisdiagramm des Geldflusses in dieser fiktiven Wirtschaft und stellen Sie dabei einen Vergleich mit dem Güter- und Faktorkreislauf her. Welche Rolle spielt das Geld im Geldkreislauf? Führen Sie drei Ihnen bekannte Beispiele für Spezialisierung und Arbeitsteilung an. Auf welchen Gebieten spezialisieren Sie und Ihre Freunde sich? Was haben Sie vor? Welche Gefahren birgt die „Überspezialisierung“? „Lincoln befreite die Sklaven. Und mit einem einzigen Federstrich vernichtete er so einen Großteil des im Süden über viele Jahre hindurch akkumulierten Kapitals.“ Kommentieren Sie diese Aussage. Die nachstehende Tabelle zeigt einige der größten Ausgabenpositionen der amerikanischen Bundesregierung. Erklären Sie, wie sich jede dieser Positionen zur wirtschaftlichen Rolle des Staates verhält. Warum gilt der Ausspruch „Keine Steuer ohne Wahlrecht“ zwar für öffentliche, nicht aber für private Güter? Erklären Sie, wie der Einzelne (a) gegen Steuern für militärische Ausgaben,
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Die Grundlagen
die ihm überhöht erscheinen, (b) gegen die hohe Straßenmaut auf einer Brücke und (c)
gegen die zu hohen Ticketpreise für einen Flug von New York nach Miami „protestieren“ kann.
Wichtige Ausgabenpositionen der US-Bundesregierung Budgetposition
Teil 1
Bundesausgaben 2005 (in Mrd. US-$)
Soziale Sicherheit
515
Gesundheitswesen und Medicare-Programm
547
Nationale Verteidigung
451
Einkommenssicherung
348
Zinsendienst auf Staatsverschuldung
178
Natürliche Ressourcen und Umwelt
31
Internationale Angelegenheiten
38
Quelle: Office of Management and Budget, Budget of the United States Government, Haushaltsjahr 2005
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KAPITEL 3 Die Grundelemente von Angebot und Nachfrage
Was ist ein Zyniker? Ein Mensch, der nur den Preis, nicht aber den Wert der Dinge des Lebens kennt Oscar Wilde
Märkte sind dynamisch wie das Wetter: Auch sie sind einem ständigen Wechsel von stürmischen und ruhigen Zeiten unterworfen. Und ähnlich der Klimaforschung zeigt ein sorgfältiges Studium der Märkte, dass ihren scheinbar zufälligen Bewegungen bestimmte Kräfte zugrunde liegen. Um Preise und Outputs einzelner Märkte prognostizieren zu können, müssen wir uns zuerst mit der Analyse von Angebot und Nachfrage befassen. Nehmen wir etwa die Benzinpreise, die in Abbildung 3-1 dargestellt sind. (Dieses Diagramm zeigt den „realen Benzinpreis“, d. h. den inflationsbereinigten Preis.) Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Menschen von Autos besessen waren und in die Vorstädte zogen, stieg die Nachfrage nach Benzin und anderen Erdölprodukten stark an. Dann, in den siebziger Jahren, drosselten Lieferengpässe, Kriege zwischen den Förderländern und politische Revolutionen die Produktion. Die Folge waren Preisspitzen im Gefolge der Jahre 1973 und 1979. In den darauf folgenden Jahren ließ eine Kombination aus Energiesparmaßnahmen, kleineren Autos, der Entstehung der Informationsgesellschaft und Produktionssteigerungen überall auf der Welt die Ölpreise sinken. Der Irakkrieg des Jahres 2003 stieß die Ölmärkte neuerlich in Turbulenzen. Wie Abbildung 3-1 zeigt, sank der reale Benzinpreis (in Preisen des Jahres 2003) von etwa US-$ 2,80 pro Gallone im Jahre 1980 auf rund US-$ 1,60 zu Beginn des Jahres 2004. Die Volatilität der Ölpreise ist zu einem großen Teil auf die Lieferengpässe durch Kriege oder Revolutionen zurückzuführen. Wo liegen die Ursachen dieser dramatischen Veränderungen? Die Wirtschaftswissenschaft verfügt über ein ausgezeichnetes Instrumentarium zur Erklärung dieser und zahlreicher anderer Veränderungen in unserer Wirtschaftswelt. Es handelt sich hierbei um die Theorie von Angebot und Nachfrage. Diese Theorie zeigt uns, dass die Präferenzen der Konsumenten für die Güternachfrage verantwortlich sind, während die Produktionskosten der Unternehmen das Warenangebot bestimmen. Benzinpreiserhöhungen sind entweder
80
Die Grundlagen
Teil 1
2,0
Irakkrieg
Zweiter Ölschock
2,4
1,6
1,2
0,8 1965
Erster Golfkrieg
2,8
Erster Ölschock
Benzinpreis (US-$/Gallone, Preise von 2003)
3,2
1970
1975
1980
1985 Jahr
1990
1995
2000
2005
Abbildung 3-1: Der Benzinpreis bewegt sich mit der Veränderung von Angebot und Nachfrage Der Benzinpreis war im Lauf der letzten vier Jahrzehnte starken Schwankungen unterworfen. Angebotsrückgänge in den 1970er Jahren führten zu zwei dramatischen „Ölschocks“, die soziale Unruhen auslösten und Rufe nach einer stärkeren Regulierung laut werden ließen. Der durch neue Energiespartechniken bedingte Nachfragerückgang führte nach 1980 zu einem langjährigen Nachgeben der Preise. Die Werkzeuge von Angebot und Nachfrage sind für das Verständnis dieser Trends von entscheidender Bedeutung. Quelle: US-Energieministerium und US-Arbeitsministerium. Der Benzinpreis wurde anhand des Verbraucherpreisindex in das Preisniveau des Jahres 2003 umgerechnet.
auf eine gestiegene Benzinnachfrage oder auf ein rückläufiges Ölangebot zurückzuführen. Dasselbe gilt für jeden Markt von InternetAktien über Diamanten bis hin zu Grundstücken: Veränderungen in Angebot und Nachfrage führen zu Veränderungen der Produktionsmengen und der Preise. Wenn man versteht, wie Angebot und Nachfrage funktionieren, weiß man schon eine ganze Menge über unsere Marktwirtschaft. In diesem Kapitel wollen wir die Theorie von Angebot und Nachfrage erörtern und zeigen, wie sie sich auf Wettbewerbsmärkten auf einzelne Waren auswirkt. Wir beginnen mit den Nachfragekurven und diskutieren dann die Angebotskurven. Nachdem wir uns diese grundlegenden Instrumente erarbeitet haben, können wir untersuchen, wie sich der Marktpreis im Schnittpunkt der beiden Kurven bildet: genau an jenem Punkt, an dem sich die Kräfte von Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht befinden. Es ist die Veränderung der
Preise, der so genannte Preismechanismus, der zum Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage führt. Das Kapitel schließt dann mit einigen praktischen Beispielen angewandter Angebots- und Nachfrageanalysen.
A. Die Nachfragefunktion Gesunder Menschenverstand wie auch gewissenhafte wissenschaftliche Beobachtungen sagen uns, dass die Menge eines Gutes, das die Leute kaufen, von seinem Preis abhängt. Je höher der Preis eines Artikels unter sonst konstanten Bedingungen1 ist, desto we1 Später in diesem Kapitel erörtern wir die anderen Faktoren, die die Nachfrage beeinflussen, darunter Einkommen und Präferenzen der Konsumenten. Der Begriff „wenn alles andere konstant bleibt“ oder „ceteris paribus“ bedeutet einfach, dass wir den Preis ändern, aber alle anderen Nachfragefaktoren unverändert belassen werden.
niger sind die Konsumenten von diesem Artikel zu kaufen gewillt. Dagegen gilt: Je niedriger der Marktpreis, desto mehr wird gekauft. Es gibt also eine genau definierte Beziehung zwischen dem Marktpreis einer Ware und der von dieser Ware nachgefragten Menge, sofern alle anderen Faktoren unverändert bleiben. Die Beziehung zwischen Preis und gekaufter Menge wird als Nachfragefunktion oder Nachfragekurve bezeichnet. Betrachten wir ein ganz einfaches Beispiel. In Tabelle 3-1 sehen Sie eine hypothetische Nachfragefunktion für Cornflakes. Bei jedem Preis können wir feststellen, welche Menge Cornflakes die Konsumenten kaufen. Bei einem angenommenen Preis von US-$ 5 pro Packung kaufen die Konsumenten 9 Millionen Packungen pro Jahr. Bei einem niedrigeren Preis werden plötzlich mehr Cornflakes gekauft. Wie Sie sehen, führt der Preis von US-$ 4 pro Packung zum Verkauf von 10 Millionen Packungen. Wird der Preis noch einmal gesenkt (P), nämlich auf US-$ 3, steigt die nachgefragte Menge (Q) wiederum an, und zwar auf 12 Millionen Packungen. Und so weiter. Wir können die
A B C D E
81
Die Grundelemente von Angebot und Nachfrage
Nachfragefunktion für Cornflakes (1) (2) Preis Nachgefragte (US-$ pro Menge (Millionen Packung) Packungen pro Jahr) P Q 5 9 4 10 3 12 2 15 1 20
Tabelle 3-1: Die Nachfragefunktion setzt die nachgefragte Menge in Relation zum Preis Die Konsumenten wollen bei jedem Marktpreis eine bestimmte Menge Cornflakes kaufen. Wenn der Preis von Cornflakes fällt, steigt die Nachfrage nach diesem Produkt.
nachgefragte Menge für jeden in Tabelle 3-1 angegebenen Preis bestimmen.
Die Nachfragekurve Die grafische Darstellung der Nachfragefunktion ist die Nachfragekurve. Wir zeigen diese Nachfragekurve in Abbildung 3-2, einem Diagramm, bei dem die nachgefragte Cornflakes-Menge auf der waagrechten und der Cornflakes-Preis auf der senkrechten Achse aufgetragen sind. Beachten Sie bitte, dass Menge und Preis in einem inversen Verhältnis zueinander stehen, wobei Q ansteigt, wenn P fällt. Die Steigung der Kurve ist negativ, sie verläuft sozusagen von Nordwesten nach Südosten. Diese wichtige EigenP 5
Cornflakes (US-$ pro Packung)
Kapitel 3
4
3
2
1
D A
B
C
D
E D
0
5 10 15 20 Cornflakes-Menge (Millionen Packungen pro Jahr)
Q
Abbildung 3-2: Eine abwärts geneigte Nachfragekurve setzt die nachgefragte Menge in Relation zum Preis In der Nachfragekurve für Cornflakes wird der Preis (P) auf der senkrechten Achse eingetragen, während die nachgefragte Menge (Q) auf der waagrechten Achse gemessen wird. Jedes Zahlenpaar (P/Q) aus Tabelle 3-1 wird als Punkt dargestellt, wobei durch alle diese Punkte eine Kurve, die Nachfragekurve DD, gezogen wurde. Die negative Steigung der Nachfragekurve illustriert das Gesetz des negativen Nachfrageverlaufs.
82 schaft wird als das Gesetz des negativen (fallenden) Nachfrageverlaufs bezeichnet. Dieses Gesetz basiert ebenso auf dem gesunden Menschenverstand wie auf wirtschaftstheoretischen Überlegungen, und es wurde an praktisch allen Gütern empirisch getestet und verifiziert, ob es sich nun um Cornflakes, Benzin, Autos oder illegale Drogen handelt. Das Gesetz des negativen Nachfrageverlaufs: Wenn der Preis für eine Ware angehoben wird (und alle anderen Faktoren gleich bleiben), neigen die Käufer dazu, weniger von dieser Ware zu kaufen. Ebenso erhöht sich, wenn der Preis gesenkt wird und alle anderen Einflussfaktoren unverändert bleiben, die nachgefragte Menge. Die nachgefragte Menge sinkt tendenziell, wenn die Preise steigen. Das ist auf zwei Gründe zurückzuführen: Der erste ist der Substitutionseffekt. Sobald der Preis einer Ware steigt, werde ich versuchen, diese Ware durch eine andere zu ersetzen (bei überhöhten Rindfleischpreisen steige ich eben auf Hähnchen um). Ein zweiter Grund, warum ein höherer Preis die nachgefragte Menge reduziert, ist der Einkommenseffekt. Dieser Effekt kommt ins Spiel, weil mich ein erhöhter Preis etwas ärmer macht, als ich war. Durch einen, sagen wir, verdoppelten Benzinpreis sinkt mein Realeinkommen, und ich werde daher natürlich versuchen, weniger Benzin und auch weniger andere Güter zu verbrauchen.
Marktnachfrage Unsere bisherige Diskussion bezieht sich einfach auf „die“ Nachfragekurve. Aber um wessen Nachfrage handelt es sich hier eigentlich? Meine? Ihre? Die aller Leute? Der bestimmende Faktor für die Nachfrage sind die Präferenzen des Einzelnen. Trotzdem beziehen wir uns in diesem Kapitel immer auf die Marktnachfrage, die die Summe aller individuellen Nachfragefunktionen darstellt. Die Marktnachfrage ist das, was wir in der realen Welt beobachten können.
Die Grundlagen
Teil 1
Die Marktnachfragekurve lässt sich durch Addition der von allen Konsumenten zu jedem Preis nachgefragten Mengen ermitteln. Gehorcht nun die Marktnachfragekurve ebenso dem Gesetz des negativen Nachfrageverlaufs? Ja, absolut. Wenn die Preise zum Beispiel sinken, ziehen die niedrigeren Preise durch den Substitutionseffekt neue Kunden an. Außerdem führt ein Preisrückgang aufgrund des Einkommens- und des Substitutionseffekts zu zusätzlichen Warenkäufen bestehender Kunden. Im Gegensatz dazu wird ein Preisanstieg einer Ware einige von uns veranlassen, weniger von dieser Ware zu kaufen. Die explosive Entwicklung der Computernachfrage Wir können das Gesetz des negativen Nachfrageverlaufs anhand der Entwicklung des Computermarktes veranschaulichen. Die ersten PCs waren sehr teuer, ihre Rechenleistung dagegen eher bescheiden. Man fand sie in einigen wenigen Unternehmen und noch weniger Haushalten. Kaum zu glauben, dass Studenten noch vor 20 Jahren die meisten ihrer Arbeiten ganz einfach mit der Hand schrieben. Der Preis, den wir für Rechenleistung zu bezahlen haben, ist im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte jedoch drastisch gesunken. Dieser Umstand veranlasste zahlreiche neue Käufer, sich ihren ersten Computer zuzulegen. PCs fanden in Arbeit, Schule und Unterhaltung immer weitere Verbreitung. Kurz nach der Jahrtausendwende, als Computer mit der Entwicklung des Internet neuerlich an Wert gewannen, sprangen noch mehr Menschen auf den fahrenden Computerzug auf. Schließlich wurden im Jahr 2002 weltweit PCs im Wert von rund US-$ 100 Millionen verkauft. Abbildung 3-3 zeigt die Preis- und Mengenentwicklung von Computern und Peripheriegeräten in den USA anhand der statistischen Berechnungen des USHandelsministeriums. Die Preise spiegeln die Anschaffungskosten von Computern in konstanter Qualität wider – das heißt, die
Kapitel 3
Die Grundelemente von Angebot und Nachfrage
rasanten qualitativen Fortschritte beim durchschnittlichen PC sind berücksichtigt. Sie sehen, dass die sinkenden Preise in Kombination mit verbesserter Software, weiteren nützlichen Anwendungen von Internet bis E-Mail und anderen Faktoren, ein explosives Wachstum des ComputerOutputs zur Folge hatten.
Die Kräfte hinter der Nachfragekurve Was bestimmt nun die Marktnachfragekurve von Cornflakes, Benzin oder Computern? Welche Menge einer Ware bei einem gegebenen Preis nachgefragt wird, hängt von einer ganzen Reihe von Gründen ab: dem durchschnittlichen Einkommensniveau, der Bevölkerungszahl, den Preisen und der Verfügbarkeit ähnlicher Produkte, dem Geschmack des Einzelnen und der Allgemeinheit und anderen speziellen Einflussfaktoren. • Das Durchschnittseinkommen der Konsumenten ist ein wesentlicher Faktor für die Nachfrage. Bei steigenden Einkommen neigt der Einzelne dazu, mehr von beinahe allen Gütern zu kaufen, auch wenn die Preise gleich bleiben. So verzeichnen Autokäufe bei steigenden Einkommen einen drastischen Anstieg. • Die Marktgröße, etwa gemessen anhand der Bevölkerungszahl, wirkt sich ebenfalls deutlich auf die Marktnachfragekurve aus. Die 35 Millionen Kalifornier beispielsweise kaufen normalerweise 30 Mal so viele Äpfel und Autos wie die 1 Million Bewohner von Rhode Island. • Auch Preise und Verfügbarkeit von untereinander in Beziehung stehenden Gütern beeinflussen die Nachfrage. Eine besonders wichtige Beziehung besteht zwischen Substitutionsgütern, die mehr oder weniger dieselbe Funktion haben, etwa Cornflakes und Haferflocken, Kugelschreibern und Bleistiften, kleinen und großen Autos oder Erdöl und Erdgas. Die Nachfrage nach Gut A ist zumeist niedrig, wenn der
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Preis für das Substitutionsgut B niedrig ist. (Was meinen Sie? Wird die Nachfrage nach Schreibmaschinen Ihrer Meinung nach eher steigen oder eher sinken, wenn der Erdgaspreis steigt?) • Zusätzlich zu diesen objektiven Elementen müssen wir eine ganze Reihe subjektiver Elemente berücksichtigen, die wir als Geschmäcker und Präferenzen bezeichnen. Dabei handelt es sich um eine Vielzahl kultureller und historischer Einflüsse. Sie können echte psychologische oder physiologische Bedürfnisse widerspiegeln (nach Flüssigkeit, Liebe, Nervenkitzel), aber auch mit künstlich erzeugten Bedürfnisse (nach Zigaretten, Drogen oder Modesportarten) zusammenhängen. Oft enthalten sie ein gewichtiges Traditions- oder religiöses Element (der Verzehr von Rindfleisch ist in den USA sehr beliebt, in Indien aber verpönt; auch nehmen wir beispielsweise staunend zur Kenntnis, dass Quallencurry in Japan eine Delikatesse ist). • Schließlich wird die Nachfrage nach bestimmten Waren auch von speziellen Einflussfaktoren bestimmt. So ist zum Beispiel die Nachfrage nach Regenschirmen im regnerischen Seattle hoch, im sonnigen Phoenix hingegen gering; die Nachfrage nach Klimaanlagen steigt bei heißem Wetter, und die Nachfrage nach Autos ist in New York, wo das öffentliche Verkehrsnetz gut ausgebaut ist und die Suche nach einem Parkplatz zum Alptraum werden kann, gering. Dazu kommen noch die Erwartungen bezüglich zukünftiger wirtschaftlicher Entwicklungen, insbesondere was die Preise betrifft, die einen gewichtigen Einfluss auf die Nachfrage haben können. Die für die Nachfrage bestimmenden Faktoren sind in Tabelle 3-2 zusammengefasst; als Beispiel werden Autos verwendet.
84
Die Grundlagen
100.000
Teil 1
1963
Computerpreise (2000 5 100)
10.000 1980
1.000
100 2003
10 0,001
0,01 0,1 1 10 100 Computerproduktion (Milliarden Stück, Preise von 2000)
1.000
Abbildung 3-3: Sinkende Computerpreise bewirken enorme Steigerung von Leistung pro Dollar Die Preise von Computern samt Zubehör wie etwa Druckern werden danach bemessen, wie viel die Konsumenten für den Kauf einer bestimmten Kombination aus Leistungsmerkmalen (etwa Speicher oder Prozessorgeschwindigkeit) ausgeben. Seit 1963 sind die Preise für Computerleistung auf weniger als ein Tausendstel geschrumpft. Dieser Preisrückgang in Kombination mit Einkommenssteigerungen und der zunehmenden Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten waren ausschlaggebend dafür, dass der Produktionsoutput um das 150.000-fache gesteigert werden konnte. Quelle: US-Handelsministerium; Schätzungen des realen Outputs und der Preise. Bitte beachten Sie den Maßstab in der Darstellung.
Nachfrageverschiebungen Mit der Entwicklung des Wirtschaftslebens verändert sich auch die Nachfrage ununterbrochen. Nachfragekurven sind nur in Lehrbüchern starr. Warum verschiebt sich die Nachfragekurve? Weil sich noch andere Einflussfaktoren als der Preis der Ware verändern. Sehen wir uns in einem Beispiel an, wie sich die Nachfragekurve durch eine Veränderung einer anderen Variablen als dem Preis verschiebt. Wir wissen, dass das Durchschnittseinkommen der Amerikaner während des lang anhaltenden wirtschaftlichen Booms der neunziger
Jahre deutlich angestiegen ist. Da ein solcher Anstieg einen kräftigen Einkommenseffekt auf die Nachfrage nach Autos bewirkt, ist zu erwarten, dass die Menge der nachgefragten Autos in jeder Preisklasse steigen wird. Wenn die Durchschnittseinkommen zum Beispiel um 10 Prozent steigen, könnte zum Beispiel die zu einem Preis von US-$ 10.000 nachgefragte Autozahl von 10 auf 12 Millionen Einheiten ansteigen. Das würde eine Verschiebung der Nachfragekurve bedeuten, weil der Anstieg der nachgefragten Menge andere Faktoren widerspiegelt als nur den Preis des Gutes.
85
Die Grundelemente von Angebot und Nachfrage
Faktoren mit Einfluss auf die Nachfragekurve 1. Durchschnittseinkommen
Mit steigenden Einkommen kaufen die Leute mehr Autos.
2. Bevölkerungszahl
Eine Zunahme der Bevölkerung treibt die Autoverkaufszahlen nach oben.
3. Preise verwandter Güter
P
Beispiel Auto
Niedrigere Benzinpreise erhöhen die Nachfrage nach Autos.
4. Präferenzen
Ein neues Auto zu haben wird zum Statussymbol.
5. Spezielle Einflüsse
Unter speziellen Einflüssen versteht man etwa das Angebot an alternativen Transportmitteln, die Sicherheit der Fahrzeuge, erwartete künftige Preissteigerungen usw.
Tabelle 3-2: Die Nachfragekurve hängt von zahlreichen Faktoren ab
Den Nettoeffekt, den all die genannten Veränderungen der zugrunde liegenden Einflussfaktoren letztlich bewirken, bezeichnen wir als Nachfrageanstieg. Ein Anstieg der Autonachfrage ist in Abbildung 3-4 als Verschiebung der Nachfragekurve nach rechts dargestellt. Bitte beachten Sie: Diese Verschiebung bedeutet, dass unabhängig vom Preis mehr Autos gekauft werden. Testen Sie sich doch bitte selbst, indem Sie folgende Fragen beantworten: Wird ein warmer Winter die Nachfragekurve für Heizöl nach links oder nach rechts verschieben? Weshalb geschieht das? Wie stünde es um die Nachfrage nach Baseball-Tickets, sollten auf
Automobilpreise (in Tausend Dollar pro Stück)
Kapitel 3
D′
14
D
12 10 8 6 4 D′
2 D 0
4 8 12 16 20 Anzahl der nachgefragten Autos (Millionen pro Jahr)
24
Q
Abbildung 3-4: Nachfragesteigerung bei Autos Verändern sich die für die Nachfrage ausschlaggebenden Faktoren, verändert sich auch die Nachfrage nach Autos. Hier sehen wir die Auswirkungen steigender Durchschnittseinkommen, einer steigenden Bevölkerungszahl und niedrigerer Benzinpreise auf die Autonachfrage. Wir bezeichnen das als Verschiebung der Nachfragekurve oder Erhöhung der Nachfrage.
einmal alle jungen Amerikaner das Interesse an dieser Sportart verlieren und sich stattdessen für Basketball begeistern? Wie würde sich ein neuerlicher drastischer Preissturz bei Computern auf die Nachfrage nach Schreibmaschinen auswirken? Welche Auswirkungen sind auf die Nachfrage nach einer College-Ausbildung zu erwarten, wenn die Löhne der Arbeiter sinken, während Investmentbanker und Computerwissenschaftler immer mehr verdienen? Wenn sich andere Einflussfaktoren auf das Kaufvolumen als der Preis einer Ware ändern, sprechen wir von einer Nachfrageverschiebung. Die Nachfrage steigt (oder sinkt), wenn die zu jedem Preis nachgefragte Menge steigt (oder sinkt).
86
Bewegung entlang einer Kurve oder Verschiebung der Kurve selbst? Verwechseln Sie bitte nie Bewegungen entlang von Kurven mit Kurvenverschiebungen. Unterscheiden Sie unbedingt zwischen einer Veränderung der Nachfrage (und somit einer Verschiebung der Nachfragekurve) und einer Veränderung der nachgefragten Menge (also der Bewegung hin zu einem anderen Punkt auf derselben Nachfragekurve infolge einer Preisänderung). Eine Änderung der Nachfrage ergibt sich, sobald sich einer der Faktoren, die der Nachfragekurve zugrunde liegen, verändert. Nehmen wir das Beispiel Pizza: Bei steigendem Einkommen werden die Konsumenten mehr Pizzas kaufen, auch wenn sich der Pizzapreis nicht verändert. Mit anderen Worten, höhere Einkommen erhöhen die Nachfrage und verschieben die Nachfragekurve für Pizzas nach rechts. Es handelt sich also um eine Verschiebung der Pizzanachfrage. Davon zu unterscheiden ist eine Veränderung der nachgefragten Menge, die eintritt, weil die Kunden bei sinkenden Pizzapreisen dazu tendieren, mehr Pizzas zu kaufen, vorausgesetzt, dass alle anderen Faktoren konstant bleiben. Hier ergeben sich die höheren Verkaufszahlen nicht aus einem Nachfrageanstieg, sondern aus dem Preisverfall. Diese Veränderung bedeutet eine Verschiebung entlang der Nachfragekurve, keine Kurvenverschiebung. Eine Bewegung entlang der Nachfragekurve sagt aus, dass alle anderen Faktoren konstant geblieben sind, während sich der Preis verändert hat.
B. Die Angebotsfunktion Wenden wir uns nun von der Nachfrage ab und dem Angebot zu. Zur Angebotsseite eines Marktes gehören typischerweise jene Bedingungen, zu denen die Unternehmen ihre Produkte produzieren und verkaufen. Das Angebot an Tomaten sagt uns etwas über die Tomatenmenge, die zu jedem Tomaten-
Die Grundlagen
Teil 1
preis verkauft wird. Genauer ausgedrückt, setzt die Angebotsfunktion die von einem Gut angebotene Menge in Beziehung zu seinem Marktpreis, wenn alle anderen Faktoren konstant bleiben. Zu den konstant bleibenden Faktoren zählen in diesem Fall die Preise, die Preise ähnlicher Güter und die staatliche Politik. Die Angebotsfunktion (oder die Angebotskurve) eines Gutes stellt die Beziehung zwischen seinem Marktpreis und jener Menge dieses Gutes dar, die die Produzenten zu produzieren und zu verkaufen gewillt sind, wenn alle anderen Faktoren konstant bleiben.
Die Angebotskurve Tabelle 3-3 zeigt eine hypothetische Angebotsfunktion für Cornflakes, und in Abbildung 3-5 sind die Daten aus der Tabelle in eine Angebotskurve übertragen. Diese Daten zeigen, dass bei einem Cornflakes-Preis von einem Dollar pro Packung überhaupt keine Cornflakes produziert werden. Bei einem Angebotsfunktion für Cornflakes (1)
(2)
Preis (US-$ pro Packung)
Nachgefragte Menge (Millionen Packungen pro Jahr)
P
Q
A
5
18
B
4
16
C
3
12
D
2
7
E
1
0
Tabelle 3-3: Die Angebotsfunktion setzt die angebotene Menge in Beziehung zum Preis Die Tabelle zeigt für jeden Preis die CornflakesMenge, die die Produzenten herstellen und verkaufen möchten. Beachten Sie die positive Relation zwischen Preis und angebotener Menge.
Kapitel 3
Die Grundelemente von Angebot und Nachfrage
A
5 Cornflakes-Preis (US-$ pro Packung)
Gesetz anhand von Wein. Wenn die Gesellschaft mehr Wein will, muss in die beschränkten Gebiete, die sich für die Produktion von Weintrauben eignen, zusätzliche Arbeit investiert werden. Jeder neue Beschäftigte bringt eine jeweils geringere Produktionssteigerung mit sich. Der Preis für die zusätzliche Weinproduktion muss daher steigen. Durch die Erhöhung des Weinpreises „überzeugt“ die Gesellschaft nun die Weinproduzenten, mehr Wein zu produzieren und zu verkaufen. Die Angebotskurve für Wein weist somit eine positive Steigung auf. Dieselben Überlegungen gelten auch für viele andere Güter.
S
P
B
4
C
3
D
2
E 1
87
S
Die Kräfte hinter der Angebotskurve 0
5 10 15 20 Cornflakes-Menge (Millionen Packungen pro Jahr)
Q
Abbildung 3-5: Die Angebotskurve setzt die angebotene Menge in Relation zum Preis Die Angebotskurve stellt die Preis-Mengen-Kombinationen aus Tabelle 3-3 grafisch dar. Eine fortlaufende Kurve wird durch die aufgetragenen Punkte gelegt, und wir erhalten die steigende Angebotskurve SS.
derart niedrigen Preis setzen die Lebensmittelhersteller ihre Fabriken und Anlagen nach Möglichkeit für die Produktion anderer Getreideprodukte (etwa Haferflocken) ein, die gewinnträchtiger erscheinen als Cornflakes. Mit steigendem Cornflakes-Preis werden jedoch laufend größere Mengen dieses Gutes produziert. Je höher die Cornflakes-Preise klettern, desto lohnender finden es die Nahrungsmittelproduzenten, mehr Arbeitskräfte und Maschinen für die Cornflakes-Erzeugung einzusetzen, und desto mehr Cornflakes-Produktionsstätten werden errichtet. All das führt zu einem zunehmenden Output an Cornflakes bei diesem höheren Marktpreis. Abbildung 3-5 zeigt den typischen Fall einer aufsteigenden Angebotskurve einzelner Waren. Ein wichtiger Grund dafür ist das „Gesetz der abnehmenden Grenzerträge“ – ein Konzept, über das wir später noch mehr erfahren werden. Veranschaulichen wir dieses wichtige
Wenn wir die Kräfte untersuchen, die den Verlauf der Angebotskurve bestimmen, so ist der entscheidende Punkt, dass die Produzenten Güter wegen der Gewinne und nicht zum Spaß oder zu wohltätigen Zwecken produzieren. Ein der Angebotskurve zugrunde liegender gewichtiger Faktor sind die Produktionskosten. Wenn die Produktionskosten eines Gutes im Verhältnis zum Marktpreis niedrig sind, ist es für die Produzenten gewinnträchtig, große Mengen davon auf den Markt zu bringen. Bei Produktionskosten, die gemessen am Marktpreis eines Gutes hoch sind, produzieren die Unternehmen wenig, stellen auf andere Produkte um oder verschwinden vielleicht einfach vom Markt. Die Produktionskosten werden vor allem durch die Faktorpreise und durch den technologischen Fortschritt bestimmt. Die Faktorpreise, etwa für Arbeit, Energie und Maschinen, wirken sich aus nahe liegenden Gründen stark auf die Produktionskosten aus. Als beispielsweise in den siebziger Jahren der Ölpreis kräftig anzog, stiegen in der Folge auch die Energiepreise für die Produzenten, was ihre Produktionskosten in die Höhe trieb und die Angebotsmengen drückte. Als im Gegensatz dazu in den letzten drei Jahrzehnten die Computerpreise zurückgingen, ersetzten die Unternehmen andere Inputs zunehmend durch computerisierte Prozesse, wie zum Beispiel in
88 der Lohnverrechnung oder in der Buchhaltung. Dadurch erhöhte sich das Angebot. Ein für die Produktionskosten ebenso wichtiger Faktor ist der technologische Fortschritt, den man mit jenen Veränderungen umschreiben kann, die bei gegebenem Output den dafür benötigten Input verringern. Dieser Fortschritt umfasst alles von Aufsehen erregenden wissenschaftlichen Neuerungen über verbesserte Anwendungsmöglichkeiten bestehender Technologien bis hin zu einer Umgestaltung der Arbeitsprozesse. So war etwa während des letzten Jahrzehnts ein rapider Anstieg der Produktivität der Unternehmen zu beobachten. Heute sind für die Herstellung eines Autos sehr viel weniger Arbeitsstunden nötig als noch vor zehn Jahren. Es ist dem Fortschritt zu verdanken, dass die Autohersteller zum selben Preis mehr Autos produzieren können. Ein weiteres Beispiel: Wenn die Käufer dank Internethandel bessere Möglichkeiten haben, die Preise der Produktionsverfahren für die von ihnen hergestellten Güter zu vergleichen, sinken die Produktionskosten. Aber die Produktionskosten sind keineswegs der einzige für die Angebotskurve bestimmende Faktor. Das Angebot wird auch von den Preisen verwandter Güter beeinflusst, vor allem von solchen, die alternative Outputs des Produktionsprozesses sind. Sobald der Preis für ein Substitutionsgut steigt, wird weniger von einem anderen Substitutionsgut angeboten. Autohersteller bauen zumeist mehrere verschiedene Modelle im selben Werk. Steigt die Nachfrage nach einem Modell und damit auch sein Preis, wird einfach ein größerer Teil der Fertigungsstraßen auf das verstärkt nachgefragte Produkt umgestellt, und zugleich geht das Angebot an den anderen Modellen zurück. Oder ein ganzes Autowerk kann bei erhöhter Nachfrage und höheren Preisen auf Lkw-Produktion umgestellt werden, was natürlich einen geringeren Pkw-Ausstoß zur Folge hat. Staatliche Politik übt ebenfalls einen großen Einfluss auf die Angebotskurve aus. Schließlich entscheiden ökologische und gesundheitspolitische Überlegungen staatlicher
Die Grundlagen
Teil 1
Stellen darüber, welche Technologien eingesetzt werden dürfen, während zugleich die Steuergesetzgebung und Bestimmungen über Mindestlöhne die Produktionskosten drastisch in die Höhe treiben. Auf dem lokalen Strommarkt beeinflusst die staatliche Politik sowohl die Zahl der Marktteilnehmer als auch die Preise, die sie verlangen. Die Handelspolitik der Regierung übt einen starken Einfluss auf das Angebot aus. Wenn zum Beispiel ein Freihandelsvertrag den USMarkt für mexikanische Schuhe öffnet, erhöht sich das gesamte Schuhangebot in den Vereinigten Staaten. Faktoren, die die Angebotskurve beeinflussen
Beispiel Auto
1 . Technologie
CAD und CAM senken die Produktionskosten und erhöhen das Angebot.
2. Faktorpreise
Niedrigere Löhne der Arbeiter in der Autoindustrie senken die Produktionskosten und erhöhen das Angebot.
3. Preise verwandter Güter
Bei sinkenden LKW-Preisen steigt das LKW-Angebot.
4. Wirtschaftspolitische Maßnahmen
Die Beseitigung von Importquoten und Zöllen auf importierte Autos erhöht das Autoangebot.
5. Spezielle Einflüsse Einkäufe und Auktionen im Internet ermöglichen den Konsumenten einen einfachen Preisvergleich zwischen den Anbietern und vertreiben teure Anbieter vom Markt. Tabelle 3-4: Das Angebot wird von den Produktionskosten und anderen Faktoren bestimmt
Kapitel 3
Die Grundelemente von Angebot und Nachfrage
Und auch spezielle Einflussfaktoren haben Auswirkungen auf die Angebotskurve. Das Wetter spielt eine wichtige Rolle für die Landwirtschaft und die Skiindustrie. Die Computerindustrie zeichnet sich durch einen starken Innovationsgeist aus, der zu einem stetigen Strom neuer Produkte führt. Auch die Marktstruktur wirkt sich auf die Angebotssituation aus, und Erwartungen bezüglich zukünftiger Preisentwicklungen finden ebenfalls ihren Niederschlag in den Angebotsentscheidungen der Wirtschaft. Tabelle 3-4 fasst die für die Angebotskurve bestimmenden Faktoren anhand des Beispiels Automobil zusammen.
Angebotsverschiebungen Unternehmen wechseln bekanntlich laufend die Zusammensetzung ihrer Produkte und Dienstleistungen. Doch was steckt hinter den unaufhörlichen Veränderungen des Angebotsverhaltens? Wenn die Angebotsmenge von anderen Faktoren als dem Preis einer Ware beeinflusst wird, sprechen wir von einer Angebotsverschiebung. Das Angebot steigt (oder sinkt), wenn die zu jedem Marktpreis angebotene Menge steigt (oder sinkt). Sobald sich die Autopreise verändern, ändern die Produzenten ihre Produktion und die angebotenen Mengen, doch das Angebot und die Angebotskurve verschieben sich dadurch nicht. Wenn sich jedoch andere Einflussfaktoren verändern, ändert sich auch das Angebot, und die Angebotskurve verschiebt sich. Betrachten wir einmal eine Verschiebung des Angebots auf dem Automobilmarkt. Das Angebot würde steigen, wenn die Einführung eines Kosten sparenden CAD-Systems und automatisierter Herstellungsmethoden die Arbeitskosten für die Herstellung von Autos senken könnte; derselbe Effekt träte ein, wenn sich die Arbeiter mit Lohnkürzungen einverstanden erklärten, die Produktionskosten in Japan niedriger wären oder wenn die Regierung die Umweltschutzvorschriften für
89
die betreffende Branche lockerte. Jedes dieser Elemente würde das Autoangebot in den USA zu jedem beliebigen Marktpreis erhöhen. Beachten Sie dazu Abbildung 3-6 mit einem Anstieg des Autoangebots. Wenn Sie nun testen wollen, ob Sie die Verschiebung der Angebotskurve bereits verstanden haben, durchdenken Sie einmal folgende Beispiele: Wie würde sich die weltweite Angebotskurve für Erdöl verhalten, sollte eine Revolution in Saudi-Arabien die Ölproduktion drosseln? Was geschähe mit der Angebotskurve für Kleidung, käme es zu drastischen Erhöhungen der Zölle auf chinesische Importe in die USA? Wie sähe es mit der Angebotskurve von Computern aus, brächte Intel einen neuen Computerchip auf den Markt, der die Rechengeschwindigkeit dramatisch erhöht? Bisher haben wir Angebot und Nachfrage unabhängig voneinander betrachtet. Wir kennen die Mengen, die zum jeweiligen Preis freiwillig gekauft beziehungsweise verkauft werden. Wir haben festgestellt, dass die Konsumenten verschiedene Mengen an Cornflakes, Autos und Computern nachfragen, die von den Preisen dieser Güter abhängen, und dass die Hersteller bereitwillig verschiedene Mengen dieser oder jener Güter produzieren, ebenfalls abhängig vom Preis. Doch wie können wir beide Seiten des Marktes zusammenbringen? Die Antwort lautet: Angebot und Nachfrage produzieren gemeinsam ein Preis- und Mengengleichgewicht bzw. ein Marktgleichgewicht. Das Marktgleichgewicht stellt sich bei jenem Preis und jener Menge ein, bei denen die Kräfte von Angebot und Nachfrage ebenfalls im Gleichgewicht sind. Im Gleichgewichtspreis entspricht jene Menge, die die Käufer kaufen wollen, genau der Menge, die die Verkäufer verkaufen wollen. Wir bezeichnen diesen Zustand deshalb als Gleichgewicht, weil bei ausgeglichenen Angebots- und Nachfragekräften keinerlei Grund für ein Steigen oder Sinken der Preise besteht, solange alle anderen Einflussfaktoren unverändert bleiben.
90
Die Grundlagen
P
Zur Erinnerung: Kurvenverschiebungen und Bewegung entlang von Kurven
Autopreis (1 Einheit = US-$ 1.000)
S S′
14 12 10 8 6 4 S 2 0
Teil 1
S′ 4
8 12 16 20 Angebotene Automenge (Millionen pro Jahr)
24
Q
Abbildung 3-6: Erhöhtes Autoangebot Mit sinkenden Produktionskosten steigt das Autoangebot. Die Produzenten liefern zu jedem Preis mehr Autos, sodass sich die Angebotskurve nach rechts verschiebt. (Welche Folgen hätte eine staatliche Einschränkung der Autoimporte für die Angebotskurve?)
Gehen wir doch das Cornflakes-Beispiel in Tabelle 3-5 durch, um zu verstehen, wie Angebot und Nachfrage ein Marktgleichgewicht herstellen; die Zahlen in dieser Tabelle sind den Tabellen 3-1 und 3-3 entnommen. Um den Marktpreis und die Marktmenge zu ermitteln, stellen wir jenen Preis fest, an dem die nachgefragte und die verkaufte Menge übereinstimmen. Versuchen wir es einmal mit einem Preis von US-$ 5 pro Packung. Kann das lange gut gehen? Wohl eher nicht. Wie Reihe A in Tabelle 3-5 zeigt, wollten die Produzenten bei einem Preis von US-$ 5 zwar 18 Millionen Packungen pro Jahr verkaufen, die Käufer aber nur 9 Millionen kaufen. Die zu einem Preis von US-$ 5 angebotene Menge übersteigt die Nachfrage, und die CornflakesRegale in den Supermärkten würden wohl überquellen. Stehen aber zu wenige Kunden vor zu hohen Cornflakes-Bergen, muss der Cornflakes-Preis sinken, wie in Spalte (5) unserer Tabelle 3-5 deutlich zu sehen ist.
Bitte beachten Sie bei der Beantwortung der im vorigen Absatz gestellten Fragen, dass ein Unterschied zwischen einer Bewegung entlang der Kurve und einer Verschiebung der Kurve selbst besteht. Nehmen wir zum Beispiel die Benzinpreise, die in Abbildung 3-1 dargestellt sind. Als der Ölpreis in den 1970er Jahren stieg und wegen der politischen Unruhen dieser Zeit weniger Öl gefördert wurde, verschob sich die Angebotskurve zurück nach links. Als jedoch die Benzinumsätze in Reaktion auf den höheren Preis zurückgingen, war das eine Bewegung entlang der Nachfragekurve. Wirkt die Geschichte der Computerpreise und -mengen in Abbildung 3-3 auf Sie eher wie eine Verschiebung des Angebots oder wie eine Verschiebung der Nachfrage? (Frage 8 am Ende dieses Kapitels geht näher auf dieses Thema ein.) Wie würden Sie eine Erhöhung der Hähnchenproduktion beschreiben, die durch steigende Hähnchenpreise ausgelöst wurde? Wie einen Anstieg der Hähnchenproduktion aufgrund eines Rückgangs des Futterpreises?
Nun, dann probieren wir es noch einmal mit US-$ 2. Räumt dieser Preis den Markt? Ein schneller Blick in Zeile D zeigt uns, dass bei einem Preis von US-$ 2 die Nachfrage das Angebot übersteigt. Bei diesem Preis beginnen sich die Cornflakes-Regale in den Läden zu leeren. Auf der verzweifelten Suche nach seinen Cornflakes gibt der Käufer schließlich klein bei und bietet ein wenig mehr für sein Lieblingsfrühstück, wie Spalte (5), Tabelle 3-5, zeigt. Wir könnten noch diverse andere Preise durchgehen, aber es ist deutlich erkennbar, dass der Gleichgewichtspreis bei US-$ 3 liegt, wie aus Zeile C in Tabelle 3-5 ersichtlich. Bei einem Preis von US-$ 3 entspricht die Nachfrage der Konsumenten genau jener Menge, die die Produzenten zu erzeugen gewillt sind, also jeweils 12 Einheiten. Nur bei einem Preis von US-$ 3 können Konsumenten und Anbieter übereinstimmende Entscheidungen treffen.
Kapitel 3
91
Die Grundelemente von Angebot und Nachfrage
(1)
Möglicher Preis (US-$ pro Packung) A
Kombination von Angebot und Nachfrage bei Cornflakes (2) (3) (4) Nachgefragte Angebotene Menge Menge (Millionen (Millionen Zustand des Packungen Packungen Marktes pro Jahr) pro Jahr) 9 18 Überschuss
(5)
Druck auf die Preise sinkend sinkend
B
10
16
Überschuss
C
12
12
Gleichgewicht
D
15
7
Mangel
steigend
E
20
0
Mangel
steigend
neutral
Tabelle 3-5: Der Gleichgewichtspreis stellt sich auf dem Niveau ein, auf dem die nachgefragte der angebotenen Menge entspricht Die Tabelle zeigt die zu verschiedenen Preisen angebotenen und nachgefragten Mengen. Nur bei einem Gleichgewichtspreis von US-$ 3 pro Packung stimmen angebotene und nachgefragte Menge überein. Ist der Preis zu niedrig, tritt eine Knappheit ein, und der Preis wird voraussichtlich steigen. Ein zu hoher Preis führt zu einem Überschuss, der den Preis drückt.
Ein Marktgleichgewicht stellt sich bei dem Preis ein, bei dem die nachgefragte Menge der angebotenen Menge entspricht. Bei diesem Gleichgewicht gibt es keine Preistendenzen nach oben oder unten. Der Gleichgewichtspreis wird auch Markträumungspreis genannt. Damit soll ausgedrückt werden, dass bei diesem Preis alle Angebots- und Nachfragevorstellungen befriedigt werden, dass die Auftragsbestände in den Büchern ausgeglichen sind und dass Konsumenten wie auch Produzenten rundum zufrieden sind.
C. Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage Sehr gut lässt sich das Marktgleichgewicht mit Hilfe des Angebots- und Nachfragediagramms in Abbildung 3-7 erklären. In dieser Abbildung wird die Angebotskurve aus Abbildung 3-5 mit der Nachfragekurve aus Abbildung 3-2 kombiniert. Voraussetzung dafür
ist natürlich, dass beide Kurven im selben Maßstab gezeichnet sind. Das Marktgleichgewicht können wir ermitteln, indem wir nach dem Preis suchen, bei dem die nachgefragte Menge genau der angebotenen Menge entspricht. Der Gleichgewichtspreis ergibt sich aus der Schnittstelle zwischen Angebots- und Nachfragekurve in Punkt C. Woher wissen wir, dass das Marktgleichgewicht im Schnittpunkt zwischen Angebotsund Nachfragekurve liegt? Nun, wiederholen wir unser früheres Experiment. Beginnen wir mit dem überhöhten Preis von US-$ 5 pro Packung, oben auf der Preisachse in Abbildung 3-7. An diesem Punkt wollen die Produzenten mehr verkaufen, als die Konsumenten zu kaufen gewillt sind. Das Ergebnis ist ein Angebotsüberhang, d.h. eine größere nachgefragte als angebotene Menge, in der Abbildung durch den schwarzen Strich mit der Aufschrift „Überhang“ gekennzeichnet. Die Pfeile entlang der Kurven zeigen die Richtung, in die der Preis tendiert, wenn ein Überhang vorliegt. Beim niedrigen Preis von US-$ 2 pro Packung entsteht auf dem Markt eine Fehlmen-
92
Die Grundlagen
P 5
D
Teil 1
In Punkt C, und nur dort, befinden sich die Kräfte von Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht, und der Preis hat sich auf einem dauerhaften Niveau eingependelt.
S Überhang
Preis (US-$ pro Packung)
4
C
3
Gleichgewichts-Punkt
2 Fehlmenge
1 S
Gleichgewichtspreis und Gleichgewichtsmenge stellen sich dort ein, wo die freiwillig angebotene der freiwillig nachgefragten Menge entspricht. Auf einem vollkommenen Markt tritt dieses Gleichgewicht im Punkt der Überschneidung von Angebots- und Nachfragekurve ein. Zum Gleichgewichtspreis gibt es weder einen Überhang noch eine Fehlmenge.
D
0
10 15 20 5 Menge (Millionen Packungen pro Jahr)
Q
Abbildung 3-7: Das Marktgleichgewicht stellt sich im Schnittpunkt von Angebots- und Nachfragekurve ein Marktgleichgewichtspreis und Gleichgewichtsmenge stellen sich im Schnittpunkt von Angebots- und Nachfragekurve ein. Bei einem Preis von US-$ 3 in Punkt C bieten die Unternehmen freiwillig genau so viel an, wie die Konsumenten nachfragen. Ist der Preis zu niedrig (beträgt er beispielsweise US-$ 2), so übersteigt die nachgefragte die angebotene Menge; es kommt zu einer Knappheit, und die Preise ziehen an, bis sie den Gleichgewichtspreis erreichen. Womit hätten wir bei einem Preis von US-$ 4 zu rechnen?
ge, also ein Überhang der Nachfrage gegenüber dem Angebot, hier gekennzeichnet durch die schwarze Linie mit der Aufschrift „Fehlmenge“. Bei einer Knappheit führt der Wettbewerb um die knappen Güter zwischen den Konsumenten zu einem Preisanstieg, wie in der Abbildung durch die nach oben gerichteten Pfeile erkennbar ist. Wir sehen nun deutlich, dass sich das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage genau in Punkt C einstellt, jenem Punkt, an dem sich die Angebots- und die Nachfragekurve kreuzen. In Punkt C, wo der Preis US-$ 3 pro Packung beträgt und die Menge bei 12 Einheiten liegt, sind die nachgefragte und die angebotene Menge gleich: Hier gibt es keine Fehlmengen oder Überschüsse und keine Tendenzen steigender oder fallender Preise.
Auswirkungen einer Verschiebung von Angebot oder Nachfrage Eine Analyse des Angebots- und Nachfragemechanismus verschafft uns viel weiter reichende Erkenntnisse als nur eine Bestimmung des Preis- und Mengengleichgewichts. Sie kann uns auch helfen vorherzusagen, welche Auswirkungen Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf Preise und Mengen haben werden. Wechseln wir zu einem anderen Beispiel, unserem Grundnahrungsmittel Brot. Nehmen wir an, eine permanente Schlechtwetterfront treibt den Preis von Weizen, einer wichtigen Zutat von Brot, in die Höhe. Damit wird die Angebotskurve für Brot nach links verschoben. Wir erkennen dies in Diagramm 3-8(a), wo sich die Angebotskurve für Brot drastisch von SS zu S'S' verschiebt. Im Gegensatz dazu hat sich die Nachfragekurve nicht verschoben, da die Nachfrage der Leute nach Sandwichs vom Wetter im Anbaugebiet kaum beeinflusst wird. Was geschieht auf dem Brotmarkt? Die schlechte Ernte veranlasst die Bäcker, weniger Brot zum alten Preis zu produzieren, was dazu führt, dass die nachgefragte Menge die angebotene bald übersteigt. Dadurch aber steigt der Brotpreis, ein Anreiz, mehr Brot zu produzieren. Das erhöht die Angebotsmenge, während gleichzeitig weniger Anreiz zum Konsum besteht, sodass die Nachfragemenge sinkt. Der Preis steigt genau so lange, bis Angebots- und
Kapitel 3
(a) Verschiebung des Angebots D
P
93
Die Grundelemente von Angebot und Nachfrage
S′
(b) Verschiebung der Nachfrage
S
P
D′
D
S
E′
Preis
Preis
E″
E
E
S′
D′ S
S D
D Q
Q Menge
Menge
Abbildung 3-8: Verschiebungen von Angebot oder Nachfrage führen zu einer Änderung des Gleichgewichtspreises und der Gleichgewichtsmenge (a) Verschiebt sich das Angebot nach links, kommt es beim ursprünglichen Preis zu einer Knappheit. Der Preis steigt, bis die freiwillig nachgefragte mit der freiwillig angebotenen Menge im neuen Gleichgewichtspunkt E' wieder übereinstimmt. (b) Eine Verschiebung der Nachfragekurve führt zu einem Nachfrageüberhang. Der Preis steigt, und Gleichgewichtspreis wie auch Gleichgewichtsmenge verschieben sich nach oben, nach E''.
Nachfragemenge einander im neuen Gleichgewichtspreis wieder entsprechen. Wie Abbildung 3-8(a) zeigt, stellt sich das neue Gleichgewicht in E' im Schnittpunkt der neuen Angebotskurve S'S' und der ursprünglichen Nachfragekurve ein. Das bedeutet, dass eine schlechte Ernte (oder eine Verschiebung der Angebotskurve nach links) die Preise erhöht und entsprechend dem Gesetz des negativen Nachfrageverlaufs im Gegenzug die Nachfrage drosselt. Nehmen wir an, eine neue Backtechnologie senkt die Kosten und erhöht dadurch die angebotene Menge. Die Angebotskurve verschiebt sich nach unten und nach rechts. Zeichnen Sie eine neue S'' S''-Kurve und einen neuen Gleichgewichtspunkt E'''„ ein. Warum ist der Gleichgewichtspreis niedriger? Warum ist die Gleichgewichtsmenge größer? Wir können die Angebots- und Nachfragefunktion auch für die Überlegung nutzen, wie
sich Veränderungen der Nachfrage auf das Marktgleichgewicht auswirken. Wenn wir von einem drastischen Anstieg der Haushaltseinkommen ausgehen, ergibt sich daraus, dass alle mehr Brot essen wollen. Sie ersehen das aus Abbildung 3-8(b) als „Nachfrageverschiebung“, bei der die Konsumenten zu jedem Preis eine größere Menge Brot nachfragen. Die Angebotskurve verschiebt sich daher von DD nach rechts zu D'D'. Die Nachfragekurve führt beim alten Preis zu einer Brotknappheit. Jetzt balgen sich die Konsumenten um das Brot, und in den Bäckereien bilden sich lange Warteschlangen. Damit treiben sie die Preise in die Höhe, bis Angebot und Nachfrage bei einem höheren Preis wieder im Gleichgewicht sind. In Abbildung 3-8(b) hat die erhöhte Nachfrage zu einer „Verschiebung des Marktgleichgewichts von E nach E'' geführt.
94
Die Grundlagen
Verschiebungen von Nachfrage und Angebot Wenn die Nachfrage steigt, ... verschiebt sich die Nachfragekurve nach rechts und Wenn die Nachfrage zurückgeht, ... verschiebt sich die Nachfragekurve nach links und Wenn das Angebot steigt, ... verschiebt sich die Angebotskurve nach rechts und Wenn das Angebot zurückgeht, ... verschiebt sich die Angebotskurve nach links und
Teil 1
Auswirkungen auf Preis und Menge Preis Menge Preis Menge Preis Menge Preis Menge
Tabelle 3-6: Die Auswirkungen verschiedener Nachfrage- und Angebotsverschiebungen auf Preis und Menge
In beiden Beispielen von Verschiebungen – einer Verschiebung des Angebots und einer Verschiebung der Nachfrage – hat sich eine der Angebots- oder Nachfragekurve zugrunde liegende Variable verändert. Bei der Angebotsverschiebung könnte eine Veränderung der Technologie oder der Faktorpreise eingetreten sein. Bei der Nachfragekurve hat einer der für die Konsumentennachfrage ausschlaggebenden Faktoren – Einkommen, Bevölkerungszahl, Preise von miteinander in Beziehung stehenden Gütern, persönlicher Geschmack – zu einer Veränderung der Nachfragefunktion geführt, er hat sie verschoben (siehe Tabelle 3-6). Sobald sich die Faktoren, die der Nachfrage oder dem Angebot zugrunde liegen, verändern, führt dies zu einer Verschiebung der Nachfrage oder des Angebots und zu Veränderungen im Marktgleichgewicht von Preisen und Mengen.
Die Interpretation von Preis- und Mengenschwankungen Bemühen wir noch einmal unser Brot-Beispiel. Nehmen wir an, Sie lenken Ihre Schritte zur Bäckerei und müssen erkennen, dass sich der Brotpreis über Nacht verdoppelt hat. Können Sie nun daraus schließen, dass offensichtlich die Nachfrage nach Brot erstaunlich gestiegen ist, oder sollten Sie eher auf höhere Produktionskosten tippen? Die Antwort lautet, dass sich dies ohne weitere Informationen nicht herausfinden lässt. Jeder der beiden
Faktoren könnte Schuld tragen, vielleicht ist auch eine Kombination beider Faktoren im Spiel. Betrachten wir ein anderes Beispiel. Ist ein Rückgang im Verkauf von Flugtickets auf die gestiegenen Preise oder auf eine geringere Nachfrage nach Flugreisen insgesamt zurückzuführen? Fluglinien sind an einer Beantwortung dieser Frage höchst interessiert. Ökonomen haben eigentlich ständig mit derartigen Fragen zu tun. Welche Schlüsse sollen sie ziehen, wenn sich die Preis- oder Mengenverhältnisse auf einem Markt ändern? Liegt die Veränderung im Bereich des Angebots oder der Nachfrage? In seltenen und nur in ganz einfachen Fällen gibt die gleichzeitige Betrachtung von Preis und Menge Aufschluss darüber, ob sich nun die Angebots- oder die Nachfragekurve verschoben hat. So lässt zum Beispiel ein Anstieg des Brotpreises, der mit einem Rückgang der Menge Hand in Hand geht, auf eine Verschiebung der Angebotskurve nach links (einen Angebotsrückgang) schließen. Ein Anstieg des Preises, der von einer Erhöhung der Menge begleitet wird, deutet hingegen darauf hin, dass sich die Nachfragekurve für Brot nach rechts verschoben haben könnte (eine Erhöhung der Nachfrage). Dieser Punkt wird in Abbildung 3-9 illustriert. Die Menge nimmt sowohl in Bild (a) als auch in Bild (b) zu. Aber in (a) steigt der Preis, während er in (b) fällt. Abbildung 3-9(a) zeigt eine erhöhte Nachfrage oder eine Verschiebung der Nachfragekurve. Infolge dieser Verschiebung erhöht sich die nachgefragte Gleichgewichtsmenge von 10 auf 15 Einhei-
Kapitel 3
Die Grundelemente von Angebot und Nachfrage
ten. Dagegen wird in Abbildung 3-9(b) der Fall einer Bewegung entlang der Nachfragekurve dargestellt. In diesem Fall lässt eine Verschiebung des Angebots das Marktgleichgewicht von Punkt E zu Punkt E''„ wandern. Die Folge ist, dass sich die nachgefragte Menge von 10 auf 15 Einheiten ändert. Aber die Nachfrage verändert sich in diesem Fall nicht; stattdessen erhöht sich die nachgefragte Menge, weil sich die Konsumenten als Reaktion auf eine Preisänderung entlang ihrer Nachfragekurve von E hin zu E''„ bewegen. Der schwer fassbare Begriff „Gleichgewicht“ Der Begriff „Gleichgewicht“ ist einer der am schwierigsten zu definierenden Begriffe der Volkswirtschaftslehre. Wir kennen das Gleichgewicht aus unserem täglichen Leben, wenn wir zum Beispiel beobachten, wie eine Orange auf dem Boden einer Schüssel liegt oder wenn wir ein ruhendes Pendel betrachten. In der Ökonomie bedeutet Gleichgewicht, dass sich die verschiedenen auf einem Markt wirksamen Kräfte in Balance befinden, sodass die resultierenden Preise und Mengen die Wünsche von Käufern und Anbietern in Einklang bringen. Ein zu niedriger Preis führt zu einem Ungleichgewicht: Die die Nachfrage steigernden Kräfte sind stärker als die das Angebot fördernden Kräfte. Dadurch kommt es zu einer überhöhten Nachfrage oder zu einer Knappheit. Wir wissen auch, dass ein vollkommener Markt ein Mechanismus zur Herstellung eines Gleichgewichts ist. Bei zu niedrigen Preisen heben die nachfragenden Konsumenten diese wieder auf Gleichgewichtsniveau. Wie aus der folgenden Äußerung eines führenden Ökonomen zu entnehmen, ist der Begriff „Gleichgewicht“ jedoch mit Vorsicht zu genießen: „Halten Sie mir bloß keine Vorträge über das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage. Das Ölangebot entspricht immer der Nachfrage. Der Unterschied ist einfach nicht feststellbar.“ Als Buchhalter hätte der Mann Recht. Natürlich muss der von den Ölproduzenten verzeichnete Umsatz den von den Ölkonsumenten
95
verzeichneten Ölkäufen genau entsprechen. Doch diese Rechenkunststücke können das Gesetz von Angebot und Nachfrage nicht aufheben. Wichtiger ist: Wenn wir das Wesen des wirtschaftlichen Gleichgewichts nicht verstehen, können wir auch nicht erkennen, welchen Einfluss die verschiedenen Kräfte auf den Markt ausüben. Als Wirtschaftswissenschaftler sind wir daran interessiert, jene Verkaufsmenge zu ermitteln, die den Markt räumt, und das bedeutet die Gleichgewichtsmenge. Wir wollen auch wissen, zu welchem Preis die Konsumenten bereitwillig kaufen, was die Hersteller bereitwillig produzieren. Nur zu diesem Preis werden sowohl die Käufer als auch die Verkäufer mit ihren Entscheidungen zufrieden sein. Nur zu diesem Preis und zu dieser Menge gibt es keine Veränderungstendenzen bei Preis und Menge. Allein durch die Betrachtung des Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage dürfen wir hoffen, paradoxe Phänomene wie die Tatsache zu verstehen, dass die Löhne und Gehälter in Städten trotz starker Zuwanderung nicht sinken, dass die Grundsteuer die Mieten nicht nach oben treibt und dass schlechte Ernten die Einkommen der Landwirte erhöhen (ja, Sie haben richtig gelesen!).
Angebot, Nachfrage und Einwanderung Ein überaus komplexes, aber faszinierendes und wichtiges Beispiel von Angebot und Nachfrage ist die Rolle, die die Einwanderung bei der Bestimmung von Löhnen und Gehältern spielt. Fragt man die Menschen, werden sie einem wahrscheinlich sagen, dass die Einwanderung nach Kalifornien oder Florida die Gehälter der Menschen in diesen Regionen nach unten drückt. Alles nur eine Frage von Angebot und Nachfrage. Sie könnten auf Abbildung 3-10(a) verweisen, die eine Angebots- und Nachfrageanalyse der Immigration zeigt. Laut dieser Analyse verschiebt die Einwanderung in eine Region die Angebotskurve für Arbeit nach rechts und drückt damit die Löhne und Gehälter.
96
Die Grundlagen
(a) Verschiebung der Nachfrage
Teil 1
(b) Bewegung entlang der Nachfragekurve
P
P D∞ D
D
S
S
Preis
Preis
E′
S′
E
E
S
S D′
E″
D
S′ D Q
10
Q
15
10
Menge
15 Menge
Abbildung 3-9: Verschiebung und Bewegung entlang von Kurven Beginnen wir mit einem ursprünglichen Gleichgewicht in E und einer Menge von 10 Einheiten. In (a) produziert eine Nachfragesteigerung (also eine Verschiebung der Nachfragekurve) ein neues Gleichgewicht von 15 Einheiten in E'. In (b) führt eine Angebotsverschiebung zu einer Bewegung entlang der Nachfragekurve von E' nach E''.
Sorgfältige ökonomische Studien ziehen jedoch diese einfache Argumentation in Zweifel. Eine aktuelle Studie kommt zu folgendem Schluss: [Die] Auswirkungen der Immigration auf den Arbeitsmarkt ortsansässiger Personen sind gering. Es gibt keine Hinweise auf wirtschaftlich signifikante Rückgänge bei der Beschäftigung Einheimischer. Die meisten empirischen Analysen … kommen zu der Erkenntnis, dass ein zehnprozentiger Anstieg des Einwandereranteils an der Bevölkerung die Löhne und Gehälter der ansässigen Bevölkerung um höchstens 1 Prozent nach unten drückt.2
Wie können wir eine so geringe Auswirkung der Einwanderer auf Löhne und Gehälter erklären? Arbeitsökonomen betonen die hohe geografische Mobilität der amerikanischen Bevölkerung. Das bedeutet, dass sich Einwanderer rasch über das gesamte Bundesgebiet ausbreiten. Nach ihrer Ankunft 2 Rachel M. Friedberg und Jennifer Hunt, „The Impact of Immigrants on Host Country Wages, Employment, and Growth“, Journal of Economic Perspectives, Spring 1995, pp. 23–44.
ziehen sie in Städte, wo sie Jobs bekommen – Arbeiter ziehen meistens in jene Städte, in denen die Nachfrage nach Arbeitskräften bedingt durch eine starke lokale Wirtschaft bereits im Steigen begriffen ist. Dieser Punkt wird in Abbildung 3-10(b) illustriert, wo eine Verschiebung des Arbeitskräfteangebots nach S' mit einer stärkeren Nachfragekurve, D', verbunden ist. Der neue Gleichgewichtslohn in E'' ist derselbe wie der ursprüngliche Lohn in E. Ebenso zu berücksichtigen ist, dass gebürtige Amerikaner oft ausziehen, sobald Einwanderer zuziehen, sodass das gesamte Angebot an Arbeitskräften unverändert bleibt. Das ließe die Angebotskurve für Arbeit ebenso wie die Löhne unverändert. Das Thema Immigration eignet sich gut, um die Aussagekraft einfacher Werkzeuge von Angebot und Nachfrage zu demonstrieren.
Zuteilung über den Preis Machen wir einmal eine Bestandsaufnahme dessen, was der Marktmechanismus zu leisten imstande ist. Indem er den Gleichge-
Kapitel 3
97
Die Grundelemente von Angebot und Nachfrage
(b) Immigration in wachsenden Städten
(a) Nur Immigration
D
D
E
S′
S
S′
Lohnhöhe
Lohnhöhe
S
D′
E″
E
E′
S
S
S′
S′ D
D
D′
Arbeitsmenge
Arbeitsmenge
Abbildung 3-10: Auswirkung der Einwanderung auf die Gehälter In (a) verursachen Neuzuwanderer eine Verschiebung der Angebotskurve von SS nach S'S' und drücken damit die Gleichgewichtslöhne. Häufiger aber kommt es zu einer Zuwanderung in Städte mit expandierendem Arbeitsmarkt. In diesen Fällen, sie sind in (b) illustriert, fallen die Änderungen im Lohnniveau unbedeutend aus, weil das höhere Angebot an Arbeitskräften auf einen Arbeitsmarkt mit steigender Nachfrage trifft.
wichtspreis und die Gleichgewichtsmenge regelt, kommt es zu einer Allokation oder Verteilung der knappen Güter einer Gesellschaft auf alle möglichen Verwendungszwecke. Doch wer übernimmt die Zuteilung? Ein Planungsausschuss? Der Kongress? Der Präsident? Nein. Es ist der Markt, der durch die Wechselwirkung von Angebot und Nachfrage auch die Zuteilung regelt. Eine Zuteilung über die Brieftasche sozusagen. Welche Güter, was, wird produziert? Diese Frage wird durch die Signale der Marktpreise beantwortet. Hohe Ölpreise regen die Ölproduktion an, während niedrige Lebensmittelpreise die produktiven Ressourcen aus der Landwirtschaft abziehen. Die Leute mit der höchsten Kaufkraft üben den größten Einfluss auf die Entscheidung darüber aus, welche Güter produziert werden sollen. Für wen wird produziert? Die Dicke der Brieftasche diktiert die Verteilung von Einkommen und Konsum. Leute mit höheren Einkommen haben die größeren Häuser, mehr Kleidung und längere Urlaube. Mit der Unterstützung durch ausreichende Barmittel lassen
sich die dringendsten Bedürfnisse durch die Nachfragekurve problemlos befriedigen. Und sogar die Frage des Wie wird von Angebot und Nachfrage entschieden. Wenn der Maispreis im Keller ist, zahlt es sich für die Landwirte nicht aus, ihre teuren Traktoren und Bewässerungssysteme dafür einzusetzen. Sobald die Ölpreise steigen, bohren die Ölgesellschaften eben auch in schwierigen Offshore-Lagen und leisten sich bei ihrer Suche nach neuen Lagerstätten kostspielige seismische Geräte und Techniken. Durch diese Einführung in die Kräfte von Angebot und Nachfrage erhalten wir einen ersten Überblick darüber, welche Wechselwirkung zwischen unserem Bedürfnis nach Gütern, ausgedrückt durch die Nachfrage, und den Kosten der Güter, ausgedrückt durch das Angebot, besteht. Wir werden in der Folge noch Gelegenheit haben, unser Verständnis dieser Mechanismen zu vertiefen und einige praktische Anwendungen näher zu betrachten. Aber schon dieser erste Einblick liefert uns ein sehr wertvolles Werkzeug für die Interpretation der Wirtschaft, in der wir leben.
98
Die Grundlagen
Teil 1
Zusammenfassung 1.
Eine Analyse von Angebot und Nachfrage zeigt uns, wie der Marktmechanismus die drei Probleme des Was, Wie und Für wen in den Griff bekommt. Ein Markt führt Nachfrage und Angebot zusammen. Die Nachfrage stammt von Konsumenten, die mit ihrem Geld über verfügbare Güter und Dienstleistungen abstimmen, während die Unternehmen bei der Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen die Maximierung ihrer Gewinne im Auge haben.
gen. Weitere Elemente, die sich auf das Angebot auswirken, umfassen die Preise miteinander in Beziehung stehender Güter, staatliche Eingriffe und spezifische Einflussfaktoren.
C. Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage 6.
A. Die Nachfragefunktion 2.
3.
Die Nachfragefunktion stellt das Verhältnis zwischen der nachgefragten Menge und dem Preis eines Wirtschaftsgutes dar, wenn alle anderen Einflussfaktoren gleich bleiben (ceteris paribus). Eine solche Nachfragefunktion, grafisch dargestellt durch die Nachfragekurve, belässt die anderen Faktoren wie Haushaltseinkommen, den persönlichen Geschmack und die Preise der anderen Güter unverändert. Beinahe alle Güter gehorchen dem Gesetz des negativen Nachfrageverlaufs, das besagt, dass die nachgefragte Menge bei steigenden Preisen abnimmt. Dieses Gesetz wird durch die negative Steigung der Nachfragekurve dargestellt. Zahlreiche Einflüsse liegen der Nachfragefunktion für den Markt als Ganzes zugrunde: die durchschnittlichen Haushaltseinkommen, die Bevölkerungszahl, die Preise zueinander in Beziehung stehender Güter, persönliche Vorlieben und spezifische Einflussfaktoren. Bei einer Änderung dieser Einflussfaktoren verschiebt sich die Nachfragekurve.
7.
8.
B. Die Angebotsfunktion 4.
5.
Die Angebotsfunktion (oder Angebotskurve) weist das Verhältnis zwischen der Menge eines Wirtschaftsgutes, das die Produzenten verkaufen wollen, und dem Preis dieses Gutes unter „ceteris paribus“-Bedingungen aus, also unter der Bedingung, dass alle anderen Faktoren konstant bleiben. Die angebotene Menge reagiert normalerweise positiv auf den Preis, sodass die Angebotskurve ansteigt. Das Angebot wird jedoch auch durch andere Faktoren als den Preis des Gutes beeinflusst. Den wichtigsten Einflussfaktor bilden die Produktionskosten, die ihrerseits vom Stand der Technologie und von den Faktorpreisen abhän-
9.
Das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage auf einem vollkommenen Markt tritt bei jenem Preis ein, bei dem sich die Kräfte von Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht befinden. Der Gleichgewichtspreis ist der Preis, bei dem sich die nachgefragte Menge mit der angebotenen Menge trifft. Grafisch können wir das Gleichgewicht im Schnittpunkt der Angebots- und der Nachfragekurve darstellen. Bei einem Preis über dem Gleichgewicht wollen die Produzenten mehr erzeugen, als die Konsumenten zu kaufen gewillt sind, was zu einem Güterüberhang führt und einen Druck auf die Preise auslöst. Ein zu niedriger Preis führt zu einer Fehlmenge, und die Konsumenten treiben den Preis ihrerseits in die Höhe, bis das Gleichgewicht wieder hergestellt ist. Verschiebungen der Angebots- und der Nachfragekurve verändern das Preis- und Mengengleichgewicht. Eine Steigerung der Nachfrage, die die Nachfragekurve nach rechts verschiebt, erhöht sowohl den Gleichgewichtspreis als auch die Gleichgewichtsmenge. Ein höheres Angebot, das die Angebotskurve nach rechts verschiebt, bedeutet eine Senkung der Preise und eine Steigerung der nachgefragten Menge. In einer korrekt durchgeführten Angebots- und Nachfrageanalyse ist (a) eine Änderung der Nachfrage oder des Angebots (die zu einer Verschiebung der Kurve führt) von einer Veränderung der nachgefragten oder angebotenen Menge (die einer Bewegung entlang der Kurve entspricht) zu unterscheiden; (b) ist darauf zu achten, dass alle anderen Einflussfaktoren konstant bleiben, was eine Unterscheidung zwischen den Auswirkungen einer Preisänderung und den Auswirkungen einer Veränderung anderer Faktoren erfordert; und (c) ist stets auf das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zu achten, das an dem Punkt eintritt, an dem sich Preis und Menge in Balance befinden. Die auf dem Markt gebildeten Preise sorgen auch für die Verteilung des knappen Angebots an Gütern unter den Nachfragern.
Kapitel 3
Die Grundelemente von Angebot und Nachfrage
99
Begriffe zur Wiederholung Angebots- und Nachfrageanalyse Nachfragefunktion oder -kurve, DD Das Gesetz des negativen Nachfrageverlaufs Einflussfaktoren auf die Nachfragekurve Angebotsfunktion oder -kurve, SS
Einflussfaktoren auf die Angebotskurve Gleichgewichtspreis und -menge Verschiebungen der Angebots- und Nachfragekurven ceteris paribus Zuteilung über den Preis
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Angebots- und Nachfrageanalysen sind das wichtigste und nützlichste Werkzeug der Mikroökonomie. Sie wurden von dem großen britischen Ökonomen Alfred Marshall in seinem Buch The Principles of Economics, 9. Aufl., entwickelt (New York, Macmillan, [1890] 1961). Zur Vertiefung Ihres Verständnisses können Ihnen Lehrbücher über Grundzüge der Mikroökonomie dienen. Zwei empfehlenswerte Werke sind: Hal R. Varian, Intermediate Microeconomics: A Modern Approach, 6. Aufl. (Norton, New York, 2002), sowie Edwin Mansfield und Gary Yohe, Microeconomics: Theory and Applications, 10. Aufl. (Norton, New York, 2000). Eine aktuelle Studie der wirtschaftlichen Fragen der Immigration findet sich in George Borjas, Heaven’s Door: Immigration Policy and the American Economy (Princeton University Press, Princeton, N.J., 1999). Deutschsprachige Literatur: Alfred E. Ott, Grundzüge der Preistheorie, 3. Aufl. (Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 1989); Susanne Wied-Nebbeling, Preistheorie und Industrieökonomik, 4. Aufl. (Springer, Berlin Heidelberg, 2004)
Websites Die Zahl der Websites zum Thema Ökonomie steigt sprunghaft an, und es ist schwierig, einen Überblick über die nützlichen unter ihnen zu behalten. Ein guter Ausgangspunkt ist immer www.rfe.org/. Die Suchmaschine Google bietet unter http://directory.google.com/Top/Science/Social_Sciences/ _Economics/ eine eigene volkswirtschaftliche Website. Deutschsprachige Erläuterungen zum Aufbau der Angebots- und Nachfragefunktion bietet die Website www.mikrooekonomie.de/ef/ma/efmadi.htm. Eine von der National Academy of Sciences durchgeführte aktuelle Studie der Auswirkungen der Immigration auf die amerikanische Gesellschaft mit dem Titel The New Americans (1997) findet sich unter www.nap.edu. Diese Site bietet freien Zugang zu über 1000 Studien der Bereiche Ökonomie und anderer Sozial- und Naturwissenschaften.
Übungen 1.
a.
b.
Definieren Sie genau, was man unter einer Nachfragefunktion oder -kurve versteht. Erklären Sie das Gesetz des abnehmenden Nachfrageverlaufs. Zeigen Sie das Gesetz des abnehmenden Nachfrageverlaufs anhand von zwei Fällen, die Sie aus eigener Erfahrung kennen. Definieren Sie den Begriff der Angebotsfunktion bzw. -kurve. Weisen Sie nach, dass ein Angebotszuwachs eine Verschiebung der Angebotskurve nach rechts und nach unten bedeutet. Stellen Sie dem eine Ver-
2.
3.
schiebung der Nachfragekurve nach rechts und nach oben gegenüber, die durch eine gesteigerte Nachfrage ausgelöst wird. Was könnte die Nachfrage nach Hamburgern erhöhen? Was könnte das Angebot erhöhen? Welche Auswirkungen hätten Tiefkühl-Billigpizzas (a) auf das Marktgleichgewicht bei Hamburgern, (b) auf die Entlohnung der Teenager, die bei McDonalds arbeiten? Erklären Sie, warum sich der Preis auf vollkommenen Märkten beim Gleichgewichtsschnittpunkt von Angebot und Nachfrage einpendelt.
100
4.
5.
6.
Die Grundlagen
Erklären Sie, was passiert, wenn sich der Marktpreis als zu hoch oder zu niedrig erweist. Erklären Sie, warum jede der folgenden Aussagen falsch ist: a. Frost in den Kaffeeplantagen Brasiliens senkt den Kaffeepreis. b. Der „Schutz“ der amerikanischen Textilproduzenten vor chinesischen Importen senkt die Preise für Bekleidung in den Vereinigten Staaten. c. Der rasante Anstieg der Studiengebühren senkt die Nachfrage nach einem Collegestudium. d. Der Kampf gegen die Drogenmafia, der es ermöglicht, immer mehr importiertes Kokain abzufangen, senkt den Preis für einheimisches Marihuana. Die vier Gesetze von Angebot und Nachfrage lauten wie folgt: Setzen Sie die richtigen Wörter ein. Veranschaulichen Sie jedes Gesetz mit einem Angebots- und Nachfragediagramm. a. Eine Steigerung der Nachfrage führt im Allgemeinen zu einer Erhöhung der Preise und der nachgefragten Menge. b. Ein Rückgang der Nachfrage führt im Allgemeinen zu einer ________________ der Preise und einer _____________ der nachgefragten Menge. c. Eine Steigerung des Angebots führt im Allgemeinen zu einer Senkung der Preise und einer Erhöhung der nachgefragten Menge. d. Ein Rückgang des Angebots führt im Allgemeinen zu einer ________________ der Preise und einer _____________ der nachgefragten Menge. Erklären Sie für jede der folgenden Aussagen, ob sich die nachgefragte Menge wegen einer Verschiebung der Nachfrage oder einer Preisänderung verändert, und zeichnen Sie ein Diagramm, um Ihre Antwort zu veranschaulichen: a. Infolge der Kürzungen der Militärausgaben sinken die Preise für Armeestiefel.
Preis (US-$/Pizza) 10 8 6 4 2 0
b.
7.
8.
9.
Teil 1
Die Fischpreise fallen, seit der Papst es seinen Katholiken gestattet, auch am Freitag Fleisch zu essen. c. Höhere Erdölsteuern dämpfen den Benzinverbrauch. d. Der Schwarze Tod im Europa des 14. Jahrhunderts verteuerte die Arbeitskraft. Sehen Sie sich das Benzinpreisdiagramm in Abbildung 3-1 auf S. n an. Zeigen Sie dann anhand eines Angebots- und Nachfragediagramms die Auswirkungen jedes der folgenden Faktoren auf Preis und nachgefragte Menge: a. Verbesserungen der Transportmöglichkeiten senken in den 1960er Jahren die Importkosten für Erdöl in die Vereinigten Staaten. b. Nach dem Krieg des Jahres 1973 drosseln die Ölproduzenten ihre Produktion stark. c. Nach 1980 erhöht sich die Kilometerleistung der Autos pro Liter Benzin. d. Ein Kälterekordwinter in den Jahren 1995 bis 1996 führt zu einem unerwarteten Anstieg der Nachfrage nach Heizöl. e. Ein weltweiter wirtschaftlicher Aufschwung in den Jahren 1999–2000 führt zu einem scharfen Anstieg der Ölpreise. Sehen Sie sich Abbildung 3-3 an. Gleicht das Preis-Mengen-Verhältnis eher einer Angebotskurve oder einer Nachfragekurve? Nehmen wir an, dass die Nachfragekurve in diesem Zeitraum unverändert blieb. Zeichnen Sie die Angebotskurven für die Jahre 1972 und 2000, die die (P, Q)-Paare für diese Jahre ergeben hätten. Erklären Sie, welche Kräfte zu der Verschiebung der Angebotskurve geführt haben könnten. Zeichnen Sie anhand der folgenden Daten die Angebots- und Nachfragekurve und ermitteln Sie Gleichgewichtspreis und -menge. Was geschähe, würde sich die Nachfrage nach Pizzen bei jedem Preis verdreifachen? Was, wenn der ursprüngliche Pizzapreis mit US-$ 4 pro Pizza festgelegt würde?
Angebot und Nachfrage für Pizzas Nachgefragte Menge (Pizzen pro Semester) 0 10 20 30 40 125
Angebotene Menge (Pizzen pro Semester) 40 30 20 10 0 0
Teil 2
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
103
KAPITEL 4 Anwendungsmöglichkeiten der Angebotsund Nachfrageanalyse
Man kann einen Papagei nicht einfach zum Ökonomen machen, indem man ihm die Wörter „Angebot“ und „Nachfrage“ beibringt. Anonym
Nachdem wir uns zur Einleitung einen groben Überblick über die Volkswirtschaft verschafft haben, wollen wir uns nun dem Verhalten einzelner Unternehmen, Konsumenten und Märkte zuwenden. Die individuellen Märkte spiegeln einen guten Teil der großen Ereignisse und der Dramatik der Wirtschaftsgeschichte wider, aber auch die Kontroversen der Wirtschaftspolitik. Wir werden uns im Rahmen der Mikroökonomie mit den Gründen für die enormen Einkommensunterschiede auseinander setzen, wie sie zum Beispiel zwischen einem Neurochirurgen und einem Textilarbeiter zu beobachten sind. Die Mikroökonomie ist entscheidend, will man verstehen, warum die Computerpreise so rasant gefallen sind und warum die Nutzung von Computern exponentiell zugenommen hat. Wir können nicht hoffen, den erbitterten Diskussionen über das Gesundheitswesen oder über den Mindestlohn folgen zu können, ohne die Werkzeuge von Angebot und Nachfrage auf diese Sektoren anzuwenden. Selbst Themen wie illegale Drogen oder Kriminalität und Bestrafung rücken in ein neues Licht, wenn man überlegt, wodurch sich die Nachfrage nach Suchtmitteln von der nach anderen Gütern unterscheidet. Aber das Verständnis von Angebot und Nachfrage verlangt mehr, als nur Worte nachzuplappern. Die mikroökonomische Analyse wirklich zu beherrschen bedeutet die Ableitung von Angebots- und Nachfragekurven zu verstehen, verschiedene Kostenkonzepte kennen zu lernen und zu erkennen, wodurch sich der vollständige Wettbewerb vom Monopol unterscheidet. Auf unserer Reise durch die faszinierende Welt der Mikroökonomie werden wir uns mit diesen und anderen wichtigen Themen befassen. Unser Studium der Mikroökonomie beginnt mit einer Analyse der Produktmärkte – der Märkte für Güter und Dienstleistungen. Wir werden untersuchen, woher die Nachfrage der Konsumenten kommt, wie Unternehmen Entscheidungen treffen und wie Preise und Gewinne die Zuteilung der Ressourcen auf einem vollkommenen Markt koordinie-
104
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
ren. Außerdem werden wir im zweiten Teil jene Formen des Marktversagens behandeln, die entstehen, wenn die Wirtschaft durch Monopole oder andere Ausprägungen unvollständigen Wettbewerbs beeinflusst wird. In den darauf folgenden Abschnitten werden wir die Faktormärkte und die Rolle des Staates in einem modernen gemischten Wirtschaftssystem beleuchten.
A. Preiselastizität von Nachfrage und Angebot Mithilfe der Theorie von Angebot und Nachfrage lassen sich eine ganze Reihe praktischer Fragen beantworten. Wenn im Mittleren Osten ein Krieg oder eine Revolution ausbricht und der Rohölpreis steigt, welcher Teil der Preiserhöhung wird dann auf den Benzinpreis übergewälzt? Nützt oder schadet eine Anhebung des Mindestlohnes Arbeitern, die ein niedriges Einkommen beziehen? Wenn eine Fluglinie, die in finanziellen Turbulenzen steckt, ihre Ticketpreise senkt, kann sie dann so viel mehr Tickets absetzen, dass ihr Gesamtumsatz tatsächlich steigt? Damit aus der Theorie von Angebot und Nachfrage ein wirklich brauchbares Werkzeug entsteht, müssen wir wissen, wie stark Angebot und Nachfrage auf Preisänderungen reagieren. Bestimmte Kaufentscheidungen, wie zum Beispiel Urlaubsreisen, sind von Preisänderungen sehr leicht beeinflussbar. Andere Güter, wie Lebensmittel oder elektrischer Strom, sind Notwendigkeiten des täglichen Lebens, was bedeutet, dass die Kaufbereitschaft der Konsumenten in diesem Sektor kaum auf Preisänderungen reagiert. Die quantitative Beziehung zwischen dem Preis und der gekauften Menge wird mithilfe des entscheidenden Konzepts der Elastizität ermittelt. Wie wertvoll dieses neue Konzept
Teil 2
ist, werden wir in der zweiten Hälfte dieses Kapitels erkennen, wo wir die mikroökonomischen Auswirkungen von Steuern und anderen Arten von staatlichen Eingriffen untersuchen.
Preiselastizität der Nachfrage Betrachten wir als Erstes die Reaktion der Konsumentennachfrage auf Preisänderungen: Die Preiselastizität der Nachfrage (manchmal einfach als „Preiselastizität“ bezeichnet) misst, inwieweit sich die nachgefragte Menge eines Gutes infolge von Preisänderungen verändert. Die genaue Definition der Preiselastizität lautet: prozentuale Änderung der nachgefragten Menge dividiert durch prozentuale Änderung des Preises. Die Güter variieren in ihrer Preiselastizität oder Empfindlichkeit auf Preisänderungen enorm. Bei hoher Preiselastizität eines Gutes sprechen wir von einer „elastischen“ Nachfrage, was bedeutet, dass die nachgefragte Menge auf Preisänderungen stark reagiert. Wenn die Preiselastizität eines Gutes gering ist, bezeichnen wir die Nachfrage als „unelastisch“, was bedeutet, dass die nachgefragte Menge nur schwach auf Preisänderungen reagiert. Bei lebensnotwendigen Gütern wie Nahrungsmitteln, Schuhen, Treibstoffen und verschreibungspflichtigen Medikamenten ist die Nachfrage zumeist unelastisch. Solche Güter braucht man unbedingt zum Leben; man kann auf sie nicht verzichten, nur weil ihr Preis steigt. Im Gegensatz dazu lassen sich Luxusgüter, wie etwa ein Skiurlaub in Europa, ein 17 Jahre alter Scotch Whisky oder italienische Designeranzüge mühelos ersetzen, sollte ihr Preis steigen. Güter, die man problemlos substituieren kann, weisen meist eine elastischere Nachfrage auf als jene, für die es keinerlei Ersatz gibt. Würden alle Nahrungsmittel oder Schuhpreise morgen um 20 Prozent steigen, käme trotz-
Kapitel 4
Anwendungsmöglichkeiten der Angebots- und Nachfrageanalyse
dem niemand auf die Idee, dass die Menschen nun nicht mehr essen oder barfuß umher laufen würden. Deshalb bezeichnet man die Nachfrage nach Lebensmitteln und Schuhen als preisunelastisch. Wenn auf der anderen Seite der Rinderwahnsinn den Preis für britisches Rindfleisch nach oben treibt, können die Fleischesser auf Rindfleisch aus anderen Ländern oder auf Lamm- oder Hühnerfleisch umsteigen. Deshalb zeichnet sich britisches Rindfleisch durch eine hohe Preiselastizität aus. Ein weiterer wichtiger Faktor für die Preiselastizität eines Gutes ist die Zeit, die den Leuten bleibt, um auf Preisänderungen zu reagieren. Ein gutes Beispiel dafür ist Benzin. Stellen Sie sich vor, Sie machen gerade eine Reise quer durch die USA und plötzlich steigt der Benzinpreis. Glauben Sie, dass Sie Ihr Auto in diesem Fall sofort verkaufen und Ihren Urlaub abbrechen werden? Wahrscheinlich nicht. Kurzfristig gesehen würde man die Nachfrage nach Benzin als sehr unelastisch einstufen. Auf längere Sicht werden Sie aber wahrscheinlich Ihr Verhalten an die gestiegenen Benzinpreise anpassen. Sie könnten sich ein kleineres, sparsameres Auto kaufen, mit dem Fahrrad fahren, die Bahn nehmen, sich näher an Ihrem Arbeitsplatz niederlassen oder einer Fahrgemeinschaft beitreten. Die Möglichkeit, die Konsummuster anzupassen, führt dazu, dass die Nachfrageelastizität auf lange Sicht gesehen höher ist als kurzfristig. Die Preiselastizität einzelner Güter wird von wirtschaftlichen Faktoren bestimmt: Die Elastizität ist tendenziell höher, wenn es sich um Luxusgüter handelt, wenn Ersatzgüter verfügbar sind und wenn die Konsumenten länger Zeit haben, um ihr Verhalten anzupassen.
Berechnung der Elastizität Wenn es uns gelingt zu beobachten, wie sehr sich die nachgefragte Menge angesichts einer Preisänderung verändert, können wir die Elastizität berechnen. Die genaue Definition der Preiselastizität, ED, ist die prozentuale
105
Änderung der nachgefragten Menge dividiert durch die prozentuale Änderung des Preises. Der Einfachheit zuliebe lassen wir die Minuszeichen weg, sodass die Elastizitäten alle positiv sind. Numerisch lässt sich der Koeffizient der Preiselastizität nach folgender Formel berechnen: Preiselastizität der Nachfrage = ED prozentuale Änderung der nachgefragten Menge =
prozentuale Preisänderung
Wenden wir uns nun den verschiedenen Kategorien der Preiselastizität im Detail zu: • Wenn eine einprozentige Preisänderung eine mehr als einprozentige Änderung der nachgefragten Menge nach sich zieht, spricht man von einer preiselastischen Nachfrage. Wenn zum Beispiel eine einprozentige Preissteigerung eines Gutes einen fünfprozentigen Nachfragerückgang nach sich zieht, ist die Preiselastizität der Nachfrage dieses Gutes sehr hoch. • Wenn eine einprozentige Preisänderung eine weniger als einprozentige Änderung der nachgefragten Menge nach sich zieht, spricht man von einer preisunelastischen Nachfrage. Dieser Fall ist beispielsweise dann gegeben, wenn ein einprozentiger Preisanstieg die Nachfrage um nur 0,2 Prozent senkt. • Ein wichtiger Sonderfall liegt vor, wenn die Elastizität der Nachfrage den Wert 1 annimmt, wenn also die prozentuale Mengenänderung genau so groß ist wie die prozentuale Preisänderung. In diesem Fall führt ein einprozentiger Preisanstieg zu einem ebenfalls einprozentigen Nachfragerückgang. Wie wir später noch sehen werden, impliziert dies, dass die Gesamtausgaben für das betreffende Wirtschaftsgut (P Q) trotz Preisänderung gleich bleiben.
106
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Fall A: Preis =
P 200
90 und Menge = 240
Fall B: Preis = 110 und Menge = 160
180
prozentuelle Preisänderung:
160 140 P2
120 Preis
Teil 2
D
prozentuelle Mengenänderung:
B A
100 P1
80
D
ΔP/P = 20/100 = 20 % ΔQ/Q = –80/200 = –40 %
Preiselastizität = ED = 40/20 = 2
60
Tabelle 4-1: Beispiel eines Gutes mit elastischer Nachfrage
40 20
Q2 0
40
Q1
80 120 160 200 240 280 320 360 Menge
Q
Abbildung 4-1: Eine elastische Nachfrage reagiert auf Preiserhöhungen mit einem Rückgang der nachgefragten Menge Ursprünglich liegt das Marktgleichgewicht in Punkt A. Als Reaktion auf eine zwanzigprozentige Preissteigerung geht die nachgefragte Menge um 40 Prozent auf Punkt B zurück. Die Preiselastizität beträgt ED = 40/20 = 2. Die Nachfrage ist daher im Bereich von A bis B elastisch.
Um die Elastizitätsberechnung zu veranschaulichen, betrachten wir den einfachen Fall einer Reaktion auf eine Preiserhöhung, wie er in Abbildung 4-1 dargestellt wird. In der ursprünglichen Situation betrug der Preis 90 und die nachgefragte Menge 240 Einheiten. Eine Preiserhöhung auf 110 führte dazu, dass die Konsumenten ihre Käufe auf 160 Einheiten senkten. In Abbildung 4-1 befanden sich die Konsumenten anfänglich bei Punkt A, bewegten sich dann aber entlang ihrer Nachfragefunktion zu Punkt B, als der Preis stieg. Tabelle 4-1 zeigt, wie wir die Preiselastizität berechnen. Die Preissteigerung beträgt 20 Prozent, der daraus resultierende Nachfragerückgang 40 Prozent. Die Preiselastizität der Nachfrage beträgt damit offensichtlich ED = 40/20 = 2. Die Preiselastizität ist größer als 1, daher weist dieses Gut im Bereich von A nach B eine preiselastische Nachfrage auf. In der Praxis ist die Berechnung der Elastizität ein wenig kniffelig. Sie beinhaltet drei wichtige Schritte, die mit großer Sorgfalt angewendet werden müssen.
Stellen wir uns eine Situation vor, in der der Preis eines Gutes von 90 auf 100 angehoben wird. Die Preiselastizität ist das Prozentverhältnis der Mengenänderung dividiert durch das Prozentverhältnis der Preisänderung. Die Minuszeichen vor den Zahlen werden weggelassen, denn Elastizitäten sind immer positiv.
1. Denken Sie daran, dass wir immer das Minuszeichen weglassen und dadurch alle prozentualen Änderungen als positive Zahlen behandeln. Deshalb muss die Elastizität immer positiv ausgedrückt werden, auch wenn sich Preise und Nachfragemengen aufgrund der negativen Nachfrageverlaufskurven in entgegengesetzte Richtungen bewegen. 2. Beachten Sie bitte, dass sich die Elastizitätsdefinition auf prozentuale, also relative Änderungen von Preis und Nachfrage stützt, nicht auf die absoluten Änderungen. Das hat den interessanten Effekt, dass eine Änderung der Maßeinheiten ohne Auswirkung auf die Elastizität bleibt. Ob wir den Preis in Cent oder in Dollar messen, ist für die Preiselastizität also gleichgültig. 3. Beachten Sie, dass zur Ermittlung der prozentualen Änderungen von Preis und Menge die Durchschnittsberechnung herangezogen wird. Die Formel für eine prozentuale Änderung lautet DP/P. Der Wert von DP in Tabelle 4-1 beträgt eindeutig 20 = 110 – 90. Nicht so offensichtlich ist hingegen, welchen Wert wir für P im Nenner einsetzen sollen. Ist es der ursprüngliche Wert 90, der Endwert 110 oder irgendein Wert dazwischen?
Kapitel 4
Bei sehr geringen prozentualen Änderungen, etwa von 100 auf 99, ist es ziemlich egal, ob wir 99 oder 100 als Nenner einsetzen. Bei einer größeren Differenz hingegen ergibt sich hier ein signifikanter Unterschied. Um Unklarheiten möglichst zu vermeiden, verwenden wir daher den Durchschnittspreis als Basispreis für die Berechnung der Preisänderung. In Tabelle 4-1 verwenden wir den Durchschnittswert der beiden Preise [P = (90 + 110)/2 = 100] als Basis oder Nenner für die Elastizitätsformel. Und entsprechend verwenden wir die Durchschnittsmenge [Q = (160 + 240)/2 = 200] als Grundlage für die Messung der prozentualen Mengenänderung. Die exakte Formel zur Berechnung der Elastizität lautet daher:
Q P ----------------------------------E D -----------------------------------( Q1 Q2 ) 2 ( P 1 P 2 )/2 wobei P1 und Q1 den ursprünglichen Preis und die ursprüngliche Menge und P2 und Q2 den neuen Preis und die neue Menge bezeichnen.
Preiselastizität in Diagrammen Die Preiselastizität lässt sich auch in Diagrammen darstellen. Abbildung 4-2 zeigt die drei möglichen Varianten von Elastizitäten. In jedem der angegebenen Fälle halbiert sich (a) elastische Nachfrage P 1.000
107
Anwendungsmöglichkeiten der Angebots- und Nachfrageanalyse
der Preis, und die Konsumenten ändern in der Folge die nachgefragte Menge von A nach B. In Abbildung 4-2(a) führt die Halbierung des Preises zu einer Verdreifachung der nachgefragten Menge. Wie in Abbildung 4-1 zeigt dieser Fall eine preiselastische Nachfrage. In Abbildung 4-2(c) hat die Halbierung des Preises einen nur fünfzigprozentigen Anstieg der nachgefragten Menge zur Folge; es handelt sich daher um eine preisunelastische Nachfrage. Der Grenzfall mit einer Nachfrageelastizität von 1 wird in Abbildung 4-2(b) aufgezeigt: In diesem Beispiel entspricht die Verdoppelung der nachgefragten Menge genau der Halbierung des Preises. Abbildung 4-3 zeigt die wichtigen Extremfälle, bei denen die Preiselastizitäten unendlich und null sind oder, mit anderen Worten, die Nachfrage vollkommen elastisch und vollkommen unelastisch ist. Eine vollkommen unelastische Nachfrage oder eine Nachfrage mit einer Elastizität von null bedeutet, dass die nachgefragte Menge auf die Preisänderung überhaupt nicht reagiert. Diese Form der Nachfrage entspricht einer senkrechten Nachfragekurve. Im Gegensatz dazu führt bei einer vollkommen elastischen Nachfrage eine geringfügige Preisänderung bereits zu einer unendlich großen Änderung der nachgefragten Menge, wie in der waagrechten Nachfragekurve in Abbildung 4-3 dargestellt.
(b) Nachfrageelastizität von 1 P
D A
1,00
(c) unelastische Nachfrage P
D A
4
D A
D
B
0,50
D
Preis (US-$)
B
500
Preis (US-$)
Preis (US-$)
3 2
B
1 D
0
1 2 Menge (Millionen)
3
Q
1.000 2.000 Menge (Millionen)
Abbildung 4-2: Die Preiselastizität der Nachfrage zerfällt in drei Kategorien
Q
0
5 10 15 20 Menge (Millionen)
Q
108
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
P 200
D
Preis
150
100
50
0
vollkommen unelastische Nachfrage
D′
D′ vollkommen elastische Nachfrage
D 200
100
300
Q
Menge
Abbildung 4-3: Die vollkommen elastische und die vollkommen unelastische Nachfrage Die beiden Extreme der Nachfrageelastizität sind einerseits senkrechte Nachfragekurven, die eine vollkommen unelastische Nachfrage (ED = 0) darstellen, und andererseits waagrechte Nachfragekurven, die eine vollkommen elastische Nachfrage abbilden (ED = ).
Elastizität und Steigung dürfen nicht verwechselt werden Wir sollten die Elastizität einer Kurve nie mit ihrer Steigung verwechseln. Diese Unterscheidung fällt uns leicht, wenn wir die linearen Nachfragekurven untersuchen, die wir häufig in illustrierenden Beispielen finden. Wir stellen die Nachfrage oft als gerade oder lineare Linien dar – denn diese sind am einfachsten zu zeichnen. Daraus ergibt sich die logische Frage: Wie sieht eigentlich die Preiselastizität einer geraden Nachfragekurve aus? Die Antwort auf diese Frage ist überraschend: Entlang einer linearen Nachfragekurve variiert die Preiselastizität von null bis unendlich! Tabelle 4-2 enthält eine detaillierte Reihe von Elastizitätsberechnungen, wobei dieselbe Technik wie in Tabelle 4-1 angewandt wurde. Diese Tabelle zeigt, dass lineare Nachfragekurven mit einer hohen Preiselastizität beginnen, wobei der Preis hoch und die Nachfragemenge gering ist, und mit einer geringen Elastizität enden, wobei der Preis niedrig und die Nachfragemenge groß ist. Damit wird ein wichtiger Punkt angesprochen. Wenn Sie eine Nachfragekurve in
Teil 2
einem Diagramm sehen, dürfen Sie im Allgemeinen nicht davon ausgehen, dass eine steile Steigung der Nachfragekurve eine unelastische Nachfrage, eine flache Steigung jedoch eine elastische Nachfrage bedeutet. Die Steigung ist nicht identisch mit der Elastizität, denn die Steigung der Nachfragekurve hängt von den Veränderungen von P und Q ab, während die Elastizität von den prozentualen Veränderungen von P und Q abhängig ist. Die einzigen Ausnahmen sind die Extremfälle einer vollständigen Elastizität und einer unelastischen Nachfrage. Zur Erläuterung sehen Sie sich doch bitte Abbildung 4-2(b) näher an. Diese Nachfragekurve ist ganz offensichtlich keine gerade Linie mit konstanter Steigung. Trotzdem weist sie eine konstante Nachfrageelastizität von ED = 1 auf, weil die prozentuale Preisänderung überall genau der prozentualen Mengenänderung entspricht. Denken Sie also immer daran: Elastizität ist etwas ganz anderes als Steigung.
Abbildung 4-4 zeigt die Falle, in die wir tappen können, wenn wir Steigung und Elastizität verwechseln. Sie sehen hier eine lineare oder gerade Nachfragekurve. Weil sie linear ist, ist ihre Steigung an jeder Stelle identisch. Aber der obere Teil der Linie weist in der Nähe von A eine sehr geringe prozentuale Preisänderung bei äußerst großer prozentualer Mengenänderung auf, und die Elastizität ist daher extrem hoch. Die Preiselastizität ist also hoch, wenn wir uns ganz oben auf der linearen DD-Kurve befinden. Wenn wir uns im Gegensatz dazu im unteren Teil der linearen Nachfragekurve befinden, ist die Preiselastizität kleiner als eins. In der Nähe der horizontalen Achse liegt sie nahe bei null. Allgemeiner ausgedrückt: Die Nachfrage ist oberhalb des Mittelpunktes M jeder geraden Linie elastisch, wobei ED > 1. Im Mittelpunkt entspricht die Nachfrageelastizität dem Grenzfall, wobei ED = 1. Unterhalb des Mittelpunkts ist sie hingegen unelastisch, wobei ED < 1. Während also die Extremfälle der vollkommen elastischen und der vollkommen unelas-
Kapitel 4
109
Anwendungsmöglichkeiten der Angebots- und Nachfrageanalyse
Numerische Berechnung des Elastizitätskoeffizienten ΔQ
Q
ΔP
P
0
P Q1 Q2 P 1 P 2E Q ------------------------------ --------------------------------------------------- ---------------------- D Q Q /2 P P 2 /2 2 2 1 2 1
6 10
10
2
5
5
2 10 ------ ---- 1
(elastisch)
2
15
3
10 2 ------ --- 1 15 3
(Elastizität von 1)
2
25
1
2 10 ------- ---- 0,2
(unelastisch)
5
5
4 10
20
2 10
30
25
1
0
Tabelle 4-2: Berechnung der Preiselastizität entlang einer linearen Nachfragekurve ΔP bezeichnet die Preisänderung, d.h., ΔP = P2 – P1, während die Mengenänderung ΔQ = Q2 – Q1. Die Elastizität wird als numerischer Wert berechnet, indem die prozentuale Preisänderung als ΔP dividiert durch den Durchschnittspreis errechnet wird [(P2 + P1)/2]. Danach wird die prozentuale Mengenänderung als ΔQ/Q berechnet, wobei Q die Durchschnittsmenge darstellt [(Q2 + Q1)/2]. Das daraus resultierende Verhältnis gibt als Ergebnis die numerische Preiselastizität der Nachfrage, ED, an, wobei negative Vorzeichen wegzulassen sind. Bitte beachten Sie, dass auf der Geraden die Elastizität im oberen Bereich hoch, unten gering und in der Mitte 1 ist.
tischen Nachfrage aus der Steigung der Nachfragekurve allein ermittelt werden können, können die Elastizitäten für alle anderen, dazwischen liegenden Fälle – und dies trifft auf beinahe alle Güter zu – nicht durch die Steigung allein ermittelt werden. (In Abbildung 4-5 finden Sie eine Möglichkeit zur Berechnung der Elastizität aus einem Diagramm.)
Die Elastizität auf der Gerade P 4
D A ED > 1
3 B ED = 1 2 M ED < 1 1
R
Z 0
1
2
3
D 4
Q
Abbildung 4-4: Steigung und Elastizität sind nicht dasselbe Alle Punkte auf der gerade verlaufenden Nachfragekurve haben dieselbe Steigung. Hingegen ist die Nachfrage oberhalb von Punkt M elastisch, darunter jedoch unelastisch. Im Mittelpunkt beträgt die Nachfrageelastizität 1. Nur im Falle vertikal oder horizontal verlaufender Geraden wie in Abbildung 4-3 lässt sich die Preiselastizität allein aus der Steigung ableiten.
Eine verkürzte Methode zur Berechnung der Elastizität. Die Preiselastizität einer Nachfragekurve kann anhand einer ganz einfachen Regel berechnet werden: Die Elastizität einer Geraden an einem Punkt ergibt sich durch das Verhältnis der Länge des Abschnitts unterhalb des Punktes zur Länge des Abschnitts oberhalb des Punktes. Sehen Sie sich zu diesem Zweck zunächst Abbildung 4-4 an. Beachten Sie, dass beim Mittelpunkt M die Länge des oberen Abschnitts (AM) und die des unteren (MZ) genau gleich sind; deshalb beträgt die Elastizität MZ/AM = 1. Bei Punkt B ergibt diese Formel ED = BZ/AB = 3/1 = 3; bei R ED = 1/3.
110
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Abbildung 4-5 P 4
sen Sie jetzt auch, wie sich der Gesamtertrag nach einer Preisänderung entwickeln wird:
A D
1. Bei preisunelastischer Nachfrage verringert eine Preissenkung den Gesamtertrag.
B
3 2
2. Bei preiselastischer Nachfrage erhöht eine Preissenkung den Gesamtertrag.
D
1 Z 0
Teil 2
1
2
3
Q
4
Abbildung 4-5: Eine einfache Regel zur Berechnung der Nachfrageelastizität Die Nachfrageelastizität ergibt sich durch das Verhältnis der Länge des geraden Linienabschnitts unterhalb des Punktes zur Länge des Linienabschnitts oberhalb des Punktes. Das bedeutet, dass die Elastizität bei Punkt B mit 3 berechnet werden kann. Für nicht lineare Nachfragekurven zeichnen Sie einfach die Tangente und berechnen Sie ihre Elastizität.
Da Sie nun wissen, wie man ED für eine Gerade berechnet, können Sie diesen Wert für jeden Punkt einer gekrümmten Nachfragekurve ermitteln, wie in Abbildung 4-5 gezeigt. (1) Ziehen Sie die Geradentangente an Ihren Punkt der Kurve (z.B. an Punkt B in Abbildung 4-5), und berechnen Sie dann (2) ED für die Gerade an diesem Punkt (z.B. ED bei B = 3). Das Ergebnis ist die korrekte Elastizität der Kurve in Punkt B.
Elastizität und Ertrag Viele Unternehmen wollen wissen, ob steigende Preise die Erträge heben oder senken. Diese Frage hat für Unternehmen wie Fluglinien, Baseball-Teams und Magazine natürlich große Bedeutung, denn sie müssen darüber entscheiden, ob es sich lohnen könnte, die Preise anzuheben, und ob die höheren Preise die geringere Nachfrage ausgleichen würden. Betrachten wir zunächst die Beziehung zwischen Preiselastizität und Gesamtertrag. Der Gesamtertrag ist definiert als Preis mal Menge (oder P Q). Kaufen die Konsumenten 5 Einheiten eines Gutes zu je US-$ 3, beträgt der Gesamtertrag US-$ 15. Wenn Sie die Preiselastizität der Nachfrage kennen, wis-
3. Im Grenzfall der Nachfrageelastizität von 1 bewirkt eine Preissenkung keinerlei Veränderung des Gesamtertrages. Der Begriff der Preiselastizität wird heute im Zuge des Bestrebens der Unternehmen, die Kunden in Gruppen unterschiedlicher Elastizität zu unterteilen, weithin verwendet. Pioniere in der Anwendung dieser Technik waren die Fluglinien (siehe den folgenden Kasten). Ein weiteres Beispiel sind Softwareunternehmen, die für ihre Produkte eine breite Palette verschiedener Preise verwenden, um die verschiedenen Elastizitäten zu nutzen. Wenn Sie zum Beispiel hier und heute ein neues Betriebssystem kaufen wollen, ist Ihre Elastizität gering. Davon wird der Anbieter profitieren, indem er Ihnen einen relativ hohen Preis berechnet. Wenn Sie es andererseits mit dem Upgrade nicht so eilig haben, können Sie in Ruhe nach dem besten Preis Ausschau halten, sodass Ihre Elastizität hoch ist. In diesem Fall wird der Verkäufer versuchen, das Geschäft zu machen, indem er einen relativ niedrigen Preis berechnet. Fliegen Sie am Finanzhimmel der „Air Elastizität“ Die Kenntnis der Nachfrageelastizität ist den amerikanischen Fluglinien alljährlich Milliarden von Dollar wert. Im Idealfall würden die Fluglinien Geschäftsreisenden natürlich gern einen relativ hohen Preis verrechnen, während sie den Preis für Urlauber und Freizeitreisende niedrig genug halten würden, um
Kapitel 4
Anwendungsmöglichkeiten der Angebots- und Nachfrageanalyse
eine maximale Auslastung zu garantieren. Auf diese Weise könnten die Erträge gesteigert und die Profite maximiert werden. Mit ihrer Absicht, von den unelastisch reagierenden Geschäftsreisenden einen hohen Preis und von den überaus elastisch reagierenden Freizeitreisenden einen geringeren Preis zu verlangen, stehen die Fluglinien vor einem schwierigen Problem: Sie müssen die beiden Klassen von Passagieren getrennt halten. Wie können sie die Geschäftsreisenden davon abhalten, die billigen Touristentickets zu kaufen, und es zugleich den Urlaubsreisenden verwehren, einfach jene Sitze zu besetzen, die die Geschäftsreisenden für teures Geld bereitwillig gekauft hätten? Die Fluglinien lösen dieses Problem, indem sie auf ihre verschiedenen Kunden jene Art von „Preisdiskriminierung“ anwenden, die die verschiedenen Preiselastizitäten nutzt. Preisdiskriminierung bedeutet, von verschiedenen Kunden für dieselbe Dienstleistung verschiedene Preise zu verlangen. Viele Fluglinien bieten Reisenden, die im Voraus planen und deren Aufenthalt länger ist, vergünstigte Tarife an. Eine Möglichkeit zur Trennung der beiden Gruppen besteht darin, Personen, die über ein Wochenende (Samstagnacht) bleiben, einen preiswerten Tarif anzubieten. Diese Regel soll Geschäftsreisende fern halten, die am Wochenende zuhause sein wollen. Außerdem werden auch bei Buchungen in letzter Minute oft keine Nachlässe gewährt. Der Grund liegt darin, dass viele Geschäftsreisen bei unvorhergesehenen Krisen in letzter Minute geplant werden – ein weiterer Fall von preisunelastischer Nachfrage. Die Fluglinien haben ungeheuer ausgefeilte Computerprogramme entwickelt, die ihnen bei der Vergabe der freien Sitze helfen, um sicherzustellen, dass Passagiere mit niedriger Elastizität nicht von Billigtarifen profitieren können.
111
Das Paradoxon der Superernte Wir können die Elastizität zur Illustration eines Paradoxons verwenden, das zu den berühmtesten der Volkswirtschaftslehre zählt: des Paradoxons der Superernte. Stellen Sie sich vor, dass die Natur den Landwirten in einem bestimmten Jahr eine besonders reiche Ernte beschert. Ein kalter Winter macht den Schädlingen den Garaus; der Frühling setzt früh ein, sodass die Aussaat bald beginnen kann, Tod bringende Fröste bleiben den Landwirten erspart, die Natur nährt die hoffnungsvollen Keimlinge mit warmem Regen, und ein sonniger Oktober besiegelt die Rekordernte vollends. Zu Jahresende setzt sich Familie Jones vergnügt an den Schreibtisch, um ihr Jahreseinkommen zu berechnen. Sie sollte sich auf eine ziemliche Überraschung gefasst machen: Das gute Wetter und die Superernte haben sich auf ihr Einkommen und auf das der anderen Landwirte negativ ausgewirkt. Wie das? Die Antwort liegt in der Elastizität der Nachfrage nach Lebensmitteln. Die wichtigen Nahrungsmittelmärkte, etwa für Weizen und Mais, sind in der Regel unelastisch; bei diesen lebensnotwendigen Gütern hängt der Verbrauch kaum vom Preis ab. Das bedeutet jedoch auch, dass die Farmer bei einer guten Ernte insgesamt einen schlechteren Gesamtertrag erzielen als bei einer Missernte. Das zusätzliche Angebot durch eine üppige Ernte drückt den Preis, doch der niedrigere Preis bewirkt zumeist keinen Anstieg der Nachfrage. Eine geringe Preiselastizität bei Nahrungsmitteln bedeutet daher, dass gute Ernten (hoher Wert Q) einen geringen Ertrag (geringer Wert P Q) zur Folge haben. Um uns diesen Zusammenhang zu verdeutlichen, gehen wir zu Abbildung 4-2 zurück. Wir zeigten eingangs, wie der Ertrag im Diagramm selbst zu messen ist. Der Gesamtertrag ist das Produkt von Preis mal Menge, P Q. Weiterhin gilt, dass die Fläche eines Rechtecks immer das Produkt aus Länge mal Breite ist. Deshalb lässt sich der Gesamtertrag für jeden Punkt einer Nachfragekurve durch die Berechnung der Fläche des Recht-
112
Wert der Nachfrageelastizität
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Beschreibung
Definition
Teil 2
Auswirkung auf die Erträge
Größer als 1 (ED > 1)
Elastische Nachfrage
Prozentuale Änderung der nachgefragten Menge ist größer als die prozentuelle Preisänderung
Gleich 1 (ED = 1)
(Nachfrageelastizität von 1)
Prozentuale Änderung der nachgeUnveränderte fragten Menge entspricht der prozen- Erträge tualen Preisänderung bei sinkendem Preis
Kleiner als 1 (ED < 1)
Unelastische Nach- Prozentuale Änderung der nachgefrage fragten Menge ist kleiner als die prozentuale Preisänderung
ecks ermitteln, das durch die Werte von P und Q für diesen Punkt gebildet wird. Als Nächstes sehen wir uns die Beziehung zwischen Elastizität und Ertrag für den Fall in Abbildung 4-2(b) an, bei dem die Elastizität genau 1 beträgt. Beachten Sie bitte, dass der schattierte Ertragsbereich (P Q) für beide Punkte A und B US-$ 1.000 Millionen beträgt. Die schattierten Flächen, die den Gesamtertrag darstellen, sind wegen der einander ausgleichenden Veränderungen der Basis Q und der Höhe P gleich groß. Und genau das ist es, was wir für den Grenzfall einer Nachfrage mit der Elastizität von 1 erwartet haben. Überdies ist ersichtlich, dass sich Abbildung 4-2(a) auf eine elastische Nachfrage bezieht. In dieser Abbildung erweitert sich das Ertragsrechteck von US-$ 1.000 Millionen auf US-$ 1.500 Millionen, sobald sich der Preis halbiert. Da der Gesamtertrag steigt, sobald der Preis sinkt, kann die Nachfrage als elastisch bezeichnet werden. In Abbildung 4-2(c) schrumpft das Ertragsrechteck von US-$ 40 Millionen auf US$ 30 Millionen, wenn sich der Preis halbiert; die Nachfrage ist also unelastisch. Welches Diagramm zeigt nun den Fall der Landwirtschaft, in der eine Superernte geringere Gesamterträge für die Farmer bedeutet? Nun, es handelt sich offensichtlich um Abbildung 4-2(c). Welches Diagramm stellt den Fall der Urlaubsreisen dar, bei denen ein
Die Erträge steigen bei sinkendem Preis
Sinkende Erträge bei sinkendem Preis
geringerer Preis höhere Erträge gewährleisten würde? Richtig, Abbildung 4-2(a). In Tabelle 4-3 finden Sie die wichtigsten Punkte, die Sie sich im Zusammenhang mit der Preiselastizität merken sollten. Tabaksteuern und Rauchen Welche Auswirkungen haben Tabaksteuern auf das Rauchen? Manche Leute meinen, Rauchen sei eine solche Sucht, dass Raucher für ihre täglichen Glimmstängel jeden Preis bezahlen würden. Ökonomen erschließt sich die Antwort auf diese Frage aus der Preiselastizität. In New Jersey fand ein interessantes Experiment statt, denn der US-Bundesstaat verdoppelte 1998 die Tabaksteuer von 40 Cent auf 80 Cent pro Packung. Diese Steuererhöhung trieb den Durchschnittspreis für Zigaretten von US-$ 2,40 auf US-$ 2,80 pro Packung nach oben. Laut einer Schätzung von Ökonomen nahm der Zigarettenkonsum nach Bereinigung um den in den Nachbarstaaten getätigten Konsum und dortige Verkäufe von 52 Millionen auf 47,5 Millionen Packungen ab. Anhand der Elastizitätsformel können Sie selbst die kurzfristige Elastizität mit 0,59 errechnen. (Vergewissern Sie sich bitte, ob Sie dieselbe Zahl erhalten.) Detailliertere statistische Studien ergeben ähnliche Schätzungen. Es zeigte sich daher in diesem Fall empirisch, dass die Zigarettennachfrage auf kurze Sicht unelastisch ist, aber klar auf die Zigarettenpreise reagiert.
Kapitel 4
Anwendungsmöglichkeiten der Angebots- und Nachfrageanalyse
Preiselastizität des Angebots Natürlich verändert sich bei steigenden oder fallenden Preisen nicht nur die Nachfrage, also der Konsum. Die Unternehmen machen ihre Entscheidung über die Produktionsmenge ebenfalls vom Preis abhängig. Wirtschaftswissenschaftler definieren die Preiselastizität des Angebots als das Ausmaß der Veränderung der angebotenen Menge eines Gutes in Abhängigkeit von seinem Marktpreis.
113
Sie sehen also deutlich, dass die Preiselastizität des Angebots genauso definiert wird wie die Preiselastizität der Nachfrage. Der einzige Unterschied besteht darin, dass beim Angebot die Reaktion der Menge auf den Preis positiv ist, während sie bei der Nachfrage negativ ausfällt. Die exakte Definition der Preiselastizität des Angebots, ES, lautet wie folgt: prozentuale Änderung der angebotenen Menge
Die Preiselastizität des Angebots ist daher die prozentuale oder relative Änderung der angebotenen Menge dividiert durch die prozentuale oder relative Änderung des Preises. Wie bei der Nachfrageelastizität gibt es polare Extreme einer hohen und niedrigen Angebotselastizität. Nehmen wir einmal an, die angebotene Menge ist vollkommen fix, wie zum Beispiel bei verderblichem Fisch, der zu jedem erzielbaren Preis verkauft werden muss. Damit haben wir den Extremfall eines vollkommen unelastischen (starren) Angebots oder einer senkrechten Angebotskurve. Am anderen Ende des Spektrums führt eine minimale Preissenkung zu einem Rückgang der angebotenen Menge auf null, während die geringste Preissteigerung ein unendlich großes Angebot nach sich zieht. Hier ist das Verhältnis zwischen der prozentualen Änderung der angebotenen Menge und der prozentualen Preisänderung extrem groß und führt zu einer waagrechten Angebotskurve. Es handelt sich daher um den entgegengesetzten Extremfall eines vollkommen oder unendlich elastischen Angebots. Zwischen diesen beiden Extremen ist das Angebot mehr oder weniger elastisch bzw. unelastisch, je nachdem, ob die prozentuale Mengenänderung größer oder kleiner ist als die prozentuale Preisänderung. In dem Grenzfall, in dem die Preiselastizität des Angebots den Wert 1 annimmt, entspricht der prozentuale Anstieg der angebotenen Menge genau dem prozentualen Preisanstieg.
ES =
prozentuale Preisänderung
In Abbildung 4-6 sehen Sie drei besondere Fälle von Angebotselastizität: (a) Die senkrechte Angebotskurve zeigt ein vollkommen unelastisches Angebot; (c) die waagrechte Angebotskurve spiegelt ein vollkommen elastisches Angebot wider; (b) der dazwischen liegende Fall einer durch den Ursprung verlaufenden geraden Linie zeigt den Grenzfall der Elastizität von eins.1 Welche Faktoren wirken sich auf die Angebotselastizität aus? Der wichtigste Faktor ist die Leichtigkeit, mit der sich die Produktion steigern lässt. Wenn alle Produktionsfaktoren problemlos zu den gängigen Marktpreisen aufgetrieben werden können, wie dies etwa in der Textilindustrie der Fall ist, lässt sich die Produktion schon bei einer geringen Preissteigerung kräftig erhöhen. Dies bedeutet, dass hier die Preiselastizität relativ groß ist. Wenn jedoch andererseits die Produktionskapazität stark eingeschränkt ist, was beispielsweise bei den südafrikanischen Goldminen der Fall ist, löst auch eine starke Erhöhung des Goldpreises nur eine minimale Reaktion auf die Fördermengen aus – ein anschauliches Beispiel für ein unelastisches Angebot. Ein weiterer wichtiger Faktor im Zusammenhang mit der Angebotselastizität ist die Zeit. Bei einer gegebenen Preisänderung 1 Die Elastizität einer Angebotskurve, die keine gerade Linie ist, lässt sich wie folgt ermitteln: (a) Ziehen Sie die gerade Linie, die die Kurve an einem Punkt als Tangente berührt, und (b) messen Sie dann die Elastizität dieser Tangente.
114
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
die Branche in diesem Zeitraum keine neuen Arbeitskräfte anzieht. Auf lange Sicht jedoch, wenn neue Fischerboote gebaut, neue Arbeitskräfte angelockt und neue Fischfarmen errichtet werden, könnte sich das Fischangebot als überaus preiselastisch erweisen, wie in Fall (c) in Abbildung 4-6 zu sehen ist.
Angebotselastizitäten P (a) ES = 0 (b) E′S = 1,0
Preis
Teil 2
(c) E″S = ∞
Q
– Q
B. Anwendungen auf wichtige ökonomische Fragen
Menge
Abbildung 4-6: Die Angebotselastizität hängt von der Reaktion der Produzenten auf den Preis ab Bei fixem Angebot beträgt die Angebotselastizität 0, wie in Kurve (a) gezeigt. Kurve (c) zeigt eine unendlich große Mengenreaktion auf Preisänderungen. Der dazwischen liegende Fall (b) tritt ein, wenn Mengen und Preisänderung prozentual gleich stark ausfallen.
scheint die Wirkung auf die angebotenen Mengen umso stärker auszufallen, je länger die Anbieter Zeit haben zu reagieren. Unmittelbar nach einem Preisanstieg sind die Unternehmen häufig nicht in der Lage, ihren Produktionsinput, also Arbeit, Materialien und Kapital, zu vermehren, sodass das Angebot sehr unelastisch auf den Preis reagiert. Im Lauf der Zeit werden die Unternehmen aber neue Mitarbeiter aufnehmen, neue Fabriken bauen und ihre Kapazitäten ausbauen, sprich, die Angebotselastizität steigt. Wir können anhand von Abbildung 4-6 zeigen, wie sich das Angebot im Beispiel der Fische mit der Zeit ändert. Die Angebotskurve (a) könnte für den Fisch an dem Tag gelten, an dem er zu Markte getragen wird, wo er einfach abgestoßen wird, unabhängig davon, was er einbringt. Kurve (b) könnte für einen mittleren Zeitraum von etwa einem Jahr gelten, wenn man davon ausgeht, dass die Zahl der Fischerboote gleich bleibt und
Nachdem wir mit unserer Studie der Elastizität nun das Fundament gelegt haben, wollen wir zeigen, wie dieses Werkzeug unser Verständnis vieler grundlegender wirtschaftlicher Trends und vieler politischer Fragen verbessern kann. Wir beginnen mit einer der größten Veränderungen seit der Industriellen Revolution: dem Wandel der Landwirtschaft. Als Nächstes untersuchen wir anhand der Benzinsteuer die Auswirkungen von Steuern auf eine Industrie. Dann analysieren wir die Folgen verschiedener staatlicher Eingriffe in die Märkte.
Die Ökonomie der Landwirtschaft Unser erstes Anwendungsbeispiel für die Angebots- und Nachfrageanalyse wollen wir der Landwirtschaft entnehmen. Im ersten Teil dieses Abschnitts betrachten wir einige wirtschaftliche Grundbegriffe aus dem Bereich der Landwirtschaft. Anschließend wollen wir die Theorie von Angebot und Nachfrage dazu verwenden, um die Auswirkungen staatlicher Eingriffe auf die Märkte für landwirtschaftliche Produkte zu untersuchen.
115
Anwendungsmöglichkeiten der Angebots- und Nachfrageanalyse
Reale landwirtschaftliche Preise (1982 = 1, Verhältnismaßstab)
Kapitel 4
2,4 Landwirtschaftliche Preise dividiert durch VPI
2,0
1,6
1,2
Rückläufiger Trend von 2 % jährlich 0,8
0,4
1950
1960
1970
1980
1990
2000
Abbildung 4-7: Die Preise der wichtigsten landwirtschaftlichen Produkte sind stark gesunken Einer der wichtigen wirtschaftlichen Faktoren in den USA ist der stetige Rückgang der Preise grundlegender landwirtschaftlicher Produkte wie jener von Weizen, Mais, Sojabohnen und dergleichen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verzeichneten die Preise landwirtschaftlicher Produkte gegenüber dem allgemeinen Preisniveau einen Rückgang von 2 Prozent. Beachten Sie die vorübergehende Umkehrung dieser Entwicklung in den 1970er Jahren, als Rohstoffe knapp waren. (Quelle: US-Bureau of Labor Statistics.)
Der langsame und stetige Rückgang der Landwirtschaft Die Landwirtschaft war einmal der wichtigste Wirtschaftszweig der heutigen Industrieländer. Noch vor 100 Jahren lebte die halbe amerikanische Bevölkerung von der Landwirtschaft und arbeitete auf Farmen, aber diese Zahl hat sich bis zum heutigen Tag auf weniger als 3 Prozent verringert. Zugleich sind die Preise für landwirtschaftliche Produkte im Vergleich zu den Einkommen und zu anderen Preisen drastisch gesunken. Abbildung 4-7 zeigt den stetigen Rückgang der Preise landwirtschaftlicher Produkte in den letzten 50 Jahren. Während sich das mittlere Familieneinkommen mehr als verdoppelt hat, stagnieren die landwirtschaftlichen Einkommen. Die Landwirtschaftspolitiker jam-
mern über den Niedergang der bäuerlichen Familienbetriebe. Ein einziges Diagramm kann die Ursache für die rückläufige Tendenz der Preise für landwirtschaftliche Produkte besser erklären als eine ganze Bibliothek von Büchern und Leitartikeln. Abbildung 4-8 zeigt ein ursprüngliches Gleichgewicht bei hohen Preisen in Punkt E. Bitte beachten Sie, was mit der Landwirtschaft im Laufe der Jahre geschieht. Da die meisten Nahrungsmittel lebensnotwendige Güter sind, steigt die Nachfrage nach ihnen langsam; die Nachfrageverschiebung fällt jedoch im Vergleich zu den wachsenden Durchschnittseinkommen bescheiden aus. Und wie steht es mit dem Angebot? Obwohl fälschlicherweise immer wieder behauptet wird, die Landwirtschaft sei konser-
116
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Angebotszuwächse übersteigen deutlich die bescheidenen Nachfragezuwächse und führen zu einem Abwärtstrend der Preise für landwirtschaftliche Produkte im Vergleich zu den Preisen anderer wirtschaftlicher Güter. Und genau das trat in den vergangenen Jahrzehnten ein, wie aus Abbildung 4-7 ersichtlich ist.
P D
D′ S S′
Preis
E
S
E′ S′
0
D Menge
Teil 2
D′ Q
Abbildung 4-8: Die Probleme der Landwirtschaft haben ihre Ursache im zunehmenden Angebot und der preisunelastischen Nachfrage Das Gleichgewicht in Punkt E stellt die Bedingungen des Landwirtschaftssektors vor einigen Jahrzehnten dar. Die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten steigt langsamer als die durch den technologischen Fortschritt ermöglichte enorme Angebotszunahme. Aus diesem Grund sinken die Wettbewerbspreise in der Landwirtschaft. Wegen der preisunelastischen Nachfrage sinken außerdem bei steigendem Angebot die Einkommen der Landwirte.
vativ und technisch zurückgeblieben, zeigen statistische Studien ganz deutlich, dass die Produktivität (Output pro Einheit Input) im Landwirtschaftssektor rascher angestiegen ist als in beinahe allen anderen Sparten. Im Zuge der Mechanisierung wurden durch den Einsatz von Traktoren, Bearbeitungs- und Erntemaschinen bedeutende Fortschritte erzielt. Dasselbe galt für Düngung und Bewässerung, aber auch für spezielle Züchtungen und die Entwicklung genetisch veränderter Pflanzen. Durch all diese Innovationen konnte die Produktivität in der Landwirtschaft enorm erhöht werden. Der rasche Anstieg der Produktivität sorgte seinerseits für ein immer größeres Angebot, wie der Verschiebung der Angebotskurve von SS nach S'S' in Abbildung 4-8 zu entnehmen ist. Was muss daher beim neuen Wettbewerbsgleichgewicht geschehen? Bedeutende
Erntebeschränkungen. In Reaktion auf die sinkenden Einkommen intervenierten die Landwirte oft bei der Regierung und drängten auf wirtschaftliche Unterstützung. Im Lauf der Jahre unternahmen die Regierungen im In- und Ausland viel, um den Landwirten unter die Arme zu greifen. Sie hoben die Preise durch Maßnahmen zur Preisstützung, sie drosselten Importe durch Zölle und Quoten, und manchmal schickten sie den Landwirten, die sich verpflichteten, ihren Böden brachliegen zu lassen, einfach Schecks. Das Paradoxon der Superernte findet hier eine interessante Anwendung. Viele Regierungen versuchen den Landwirten zu helfen, indem sie ihre Produktion drosseln. Wie kann eine solche Vorgehensweise im Interesse der Landwirte liegen? Abbildung 4-9 zeigt die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser politischen Maßnahme. Wenn das Landwirtschaftsministerium von jedem Landwirt verlangt, weniger zu produzieren, bedeutet das eine Verschiebung der Angebotskurve nach oben und nach links. Da aber die Nahrungsmittelnachfrage unelastisch ist, erhöhen die Erntebeschränkungen nicht nur den Preis der produzierten Güter, sondern sie erhöhen tendenziell auch die Gesamterträge und -einnahmen der Farmer. Während Superernten den Landwirten schaden, erhöhen Erntebeschränkungen ihr Einkommen. Dies trifft natürlich die Konsumenten, die durch Erntebeschränkungen und höhere Preise „bestraft“ werden – Zustände, als hätte eine Naturkatastrophe zu einer Lebensmittelknappheit geführt. Produktionsbeschränkungen sind typische Markteingriffe von Regierungen, die die Einkommen einer Gruppe auf Kosten einer an-
Kapitel 4
deren erhöhen. In späteren Kapiteln werden wir sehen, dass eine solche Politik ineffizient ist: Der Vorteil für die Landwirte ist geringer als der Schaden für die Konsumenten.
Die Auswirkungen von Steuern auf Preis und Menge Staaten belegen bekanntlich eine ganze Reihe von Gütern mit Steuern – Zigaretten und Alkohol, Löhne und Gewinne. Mit Hilfe der Angebots- und Nachfrageanalyse können wir voraussagen, wer letztlich die Lasten einer Steuer trägt und wie sich die Steuer auf die Produktionsleistung auswirkt.
len aufzeigen, wie sie Produktion und Marktpreise beeinflusst. Obwohl amerikanische Politiker von Zeit zu Zeit über die Höhe der Benzinsteuer lamentieren, ist sie in den Vereinigten Staaten weit niedriger als in den meisten europäischen Ländern. Viele Ökonomen und Umweltschützer treten auch in den Vereinigten Staaten für viel höhere Benzinsteuern ein. Sie weisen darauf hin, dass eine höhere Steuer eine dämpfende Wirkung auf den Verbrauch hätte, was sich sowohl positiv auf die Umweltqualität auswirken wie auch unsere Abhängigkeit von unverlässlichen ausländischen Ölquellen reduzieren würde. Ein konkretes Beispiel: Nehmen wir an, dass die US-Regierung beschließt, den Ölverbrauch zu drosseln, indem sie eine Ben-
P
P S′
S
E′
Preis
Beschränkungen nach der Ernte
Einzelhandelspreis (US-$/Gallone)
D
B
E
A
Beschränkungen vor der Ernte
D
1,5
S′
S
D X
Q
Menge
Abbildung 4-9: Programme zur Erntebeschränkung erhöhen Preise und landwirtschaftliche Einkommen Vor der Anbaubeschränkung befindet sich der vollkommene Markt in einem Produktionsgleichgewicht in Punkt E. Wenn die Regierung die Produktion einschränkt, wird die Angebotskurve nach links zu S'S' verschoben, sodass sich das Gleichgewicht zu E' verlagert und der Preis auf B steigt. Beachten Sie, dass das neue Ertragsrechteck 0BE'S' größer ist als das ursprüngliche Ertragsrechteck 0AEX – die unelastische Nachfrage führt zu einem höheren Ertrag.
Wir wollen dazu beispielsweise den Fall einer Benzinsteuer betrachten, und wir wol-
1,00
S′ 0,90
S E
1,0 0,5
S′ E′
2,0
0,10 S D
0
0
117
Anwendungsmöglichkeiten der Angebots- und Nachfrageanalyse
50 100 Menge (Milliarden Gallonen)
150
Q
Abbildung 4-10: Die Benzinsteuer trifft Konsumenten und Produzenten Was versteht man unter der Inzidenz einer Steuer? Eine Steuer von US-$ 1 auf Benzin verschiebt die Angebotskurve überall um US-$ 1 nach oben, wodurch sich eine neue Angebotskurve S'S' ergibt, die parallel zur ursprünglichen Angebotskurve SS verläuft. Die neue Angebotskurve schneidet DD im neuen Gleichgewicht E', wo der Preis für die Konsumenten auf 90 Cent gestiegen und der Preis für die Produzenten um 10 Cent gesunken ist. Die roten Pfeile zeigen Veränderungen von P und Q an. Beachten Sie, dass die Konsumenten die Hauptlast der Steuer tragen.
zinsteuer von US-$ 1 pro Gallone einführt. Natürlich würde jeder umsichtige Gesetzge-
118
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
ber zögern, die Benzinsteuer drastisch anzuheben, ohne zuvor die möglichen Folgen eines solchen Schritts sicher beurteilen zu können. Er würde Klarheit über die Inzidenz der Steuer haben wollen. Mit Inzidenz meinen wir die letztendliche Auswirkung einer Steuer auf die Realeinkommen der Produzenten oder Konsumenten. Die Tatsache, dass die Unternehmen die Steuern überweisen, bedeutet nicht, dass diese ihre Gewinne reduzieren. Mithilfe des Modells von Angebot und Nachfrage können wir analysieren, wer die Last tatsächlich trägt, mit anderen Worten, welche Inzidenz die Steuer hat. Es könnte durchaus sein, dass die Steuerbelastung auf den Konsumenten überwälzt wird und der Verbraucherpreis für Benzin tatsächlich um einen ganzen Dollar in die Höhe schnellt. Vielleicht aber reduzieren die Konsumenten ihren Benzinverbrauch so stark, dass die Steuerlast zur Gänze bei den Ölgesellschaften verbleibt. Wie sich bei einem Ergebnis irgendwo zwischen den angesprochenen Extremsituationen die Steuerlast wirklich verteilt, lässt sich nur mit Hilfe der Angebots- und Nachfrageanalyse feststellen. Abbildung 4-10 liefert die Antwort. Sie zeigt das ursprüngliche Gleichgewicht vor Einführung der Steuer bei E, im Schnittpunkt der Kurven SS und DD, bei einem Benzinpreis von einem Dollar pro Gallone und einem Gesamtverbrauch von 100 Milliarden Gallonen jährlich. Wir stellen die Einführung der Steuer von einem Dollar pro Gallone auf dem Benzinmarkt als Verschiebung der Angebotskurve nach oben dar, wobei die Nachfragekurve unverändert bleibt. Die Nachfragekurve verschiebt sich nicht, weil die nachgefragte Menge für jeden Einzelhandelspreis nach der Steuererhöhung unverändert bleibt. Bitte beachten Sie, dass die Nachfragekurve für Benzin relativ unelastisch ist. Im Gegensatz dazu verschiebt sich die Angebotskurve ganz deutlich um einen Dollar nach oben. Dies deshalb, weil die Produzenten eine gegebene Menge (sagen wir 100 Milliarden Gallonen) nur dann zu verkaufen
Teil 2
gewillt sind, wenn sie denselben Nettopreis dafür erhalten wie zuvor. Das bedeutet, dass bei jeder angebotenen Menge der Marktpreis genau in Höhe der neuen Steuer angehoben werden muss. Waren die Produzenten ursprünglich bereit, 80 Milliarden Gallonen zu US-$ 0,90 je Gallone zu verkaufen, so sind sie künftig bereit, dieselbe Menge zu einem Einzelhandelspreis von US-$ 1,90 zu verkaufen (wobei ihnen nach Abzug der Steuer wie zuvor US-$ 0,90 je Gallone verbleiben). Wo wird der neue Gleichgewichtspreis liegen? Die Antwort finden wir im Schnittpunkt der neuen Angebots- mit der neuen Nachfragekurve, also in E', dort, wo S'S' und DD aufeinander treffen. Wegen der Verschiebung der Angebotskurve ist der Preis höher. Die angebotene und nachgefragte Menge ist zurückgegangen. Wenn wir das Diagramm genau studieren, stellen wir fest, dass der neue Gleichgewichtspreis von US-$ 1 auf etwa US$ 1,90 gestiegen ist. Die neue Produktionsmenge, bei der sich Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht befinden, ist von 100 Milliarden auf etwa 80 Milliarden Gallonen gefallen. Wer bezahlt letzten Endes die Steuer? Wie steht es um die Inzidenz? Offensichtlich entfällt ein kleiner Teil auf die Ölindustrie, weil sie nur noch 90 Cent (US-$ 1,90 abzüglich US-$ 1 Steuer) anstatt des früheren Dollars erhält. Aber den Großteil der Belastung hat der Konsument zu tragen, weil der Einzelhandelspreis um 25 Cent anzieht, was auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass das Angebot zwar einigermaßen preiselastisch, die Nachfrage jedoch relativ preisunelastisch ist. Subventionen. Während Steuern verwendet werden, um den Konsum einer Ware zu drosseln, werden Subventionen eingesetzt, um die Produktion zu fördern. Ein allgemein bekanntes Beispiel für eine subventionierte Produktion ist die Landwirtschaft. Wir können die Auswirkungen von Subventionen auf einen Markt studieren, indem wir die Angebotskurve nach unten verschieben. Die allge-
Kapitel 4
Anwendungsmöglichkeiten der Angebots- und Nachfrageanalyse
meinen Regeln für Subventionen verhalten sich zu denen für Steuern genau parallel.
119
Höchst- oder Mindestgrenzen für Preise
schen Zeiten beschränken die Regierungen die Zinssätze, die Kreditgeber verlangen dürfen. In Kriegszeiten verfügen Regierungen oft Lohn- und Preiskontrollen, um eine Inflationsspirale zu verhindern. Während der Energiekrise der 1970er Jahre wurden die Benzinpreise kontrolliert. Heute gibt es zunehmend strenge Beschränkungen der Preise, die Ärzte oder Krankenhäuser in den USA verrechnen dürfen, und einige große Städte, darunter New York, haben Mietpreiskontrollen für Wohnungen eingeführt.2 Vorschläge zur Erhöhung der Mindestlöhne zählen zu den umstrittensten Fragen der Wirtschaftspolitik. Diese Eingriffe in die Gesetze von Angebot und Nachfrage unterscheiden sich ganz wesentlich von den staatlich auferlegten Steuern, auf die der Markt über Angebot und Nachfrage ja reagieren kann. Obwohl immer ein politischer Druck besteht, die Preise möglichst niedrig und die Löhne und Gehälter möglichst hoch zu halten, lehrt die Erfahrung, dass sektorspezifische Preis- und Lohnkontrollen zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Verzerrungen führen. Wie schon Adam Smith wusste, als er gegen den Merkantilismus seiner Zeit ankämpfte, leiden die meisten Wirtschaftssysteme unter Ineffizienzen, ausgelöst durch wohlgemeinte, aber nicht hinreichend durchdachte Eingriffe in die Mechanismen von Angebot und Nachfrage. Die Festlegung von Preisober- oder -untergrenzen auf einem Markt führt immer wieder zu überraschenden, oft auch zu pervertierten wirtschaftlichen Effekten. Wollen Sie wissen, warum? Zwei wichtige Beispiele staatlicher Eingriffe sind der Mindestlohn und die Preiskontrollen bei Benzin. Diese Beispiele veranschaulichen die überraschenden Nebenwirkungen, die entstehen können, wenn eine Regierung in die Festlegung von Preis und Menge durch den Markt eingreift.
In manchen Fällen verfügt der Staat, anstatt ein Wirtschaftsgut zu besteuern oder zu subventionieren, Preisober- und -untergrenzen. Die Geschichte ist voller Beispiele. Seit bibli-
2 Mietpreiskontrollen werden in Frage 9 am Ende dieses Kapitels behandelt.
Allgemeine Regeln für Steuerüberwälzung. Benzin ist nur ein Beispiel dafür, wie Inzidenzen analysiert werden können. Mit diesem neuen Hilfsmittel können wir verstehen, wie sich Tabaksteuern sowohl auf die Preise als auch auf den Verbrauch an Zigaretten auswirken; welchen Einfluss Importsteuern oder Zölle auf den Außenhandel ausüben und wie Grundsteuern, Sozialversicherungsabgaben und Körperschaftssteuern Grundstückspreise, Löhne und Zinsniveau beeinflussen. Die Kernfrage für die Feststellung der Inzidenz einer Steuer sind die relativen Elastizitäten von Angebot und Nachfrage. Wenn sich die Nachfrage im Verhältnis zum Angebot unelastisch verhält, wie es beim Benzin der Fall ist, wird der Großteil der Kosten auf die Konsumenten übergewälzt. Wenn das Angebot im Gegensatz dazu im Verhältnis zur Nachfrage unelastisch ist, wie es zum Beispiel bei Grundstücken der Fall ist, müssen die Anbieter den Großteil der Steuer tragen. Hier eine allgemeine Regel zur Ermittlung der Steuerinzidenz: Die Inzidenz einer Steuer ist ein Ausdruck der Wirkung, die die Steuer auf die Einkommen von Produzenten und Konsumenten hat. Allgemein gilt, dass die Inzidenz von den relativen Elastizitäten von Angebot und Nachfrage abhängt. Eine Steuer wird nach vorne auf die Konsumenten überwälzt, wenn die Nachfrage im Verhältnis zum Angebot unelastisch ist, und sie wird nach hinten auf die Produzenten zurückgewälzt, wenn das Angebot weniger elastisch ist als die Nachfrage.
120
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Der Streit um den Mindestlohn Der Mindestlohn legt einen Mindeststundentarif fest, den die Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern zu zahlen verpflichtet sind. In den Vereinigten Staaten wurde der staatlich festgelegte Mindestlohn im Jahre 1938 eingeführt; die Regierung verlangte seinerzeit, dass alle von dem Gesetz betroffenen Arbeiter mindestens 25 Cent pro Stunde erhielten. 1947 betrug der Mindestlohn ganze 65 Prozent des Lohns, der Produktionsarbeitern durchschnittlich bezahlt wurde (siehe Abbildung 4-11). Obwohl er von Zeit zu Zeit erhöht wurde, bröckelte der Mindestlohn im Vergleich zu den durchschnittlichen Löhnen
ab und belief sich Ende 2003 mit US-$ 5,15 pro Stunde auf nur 34 Prozent des in der Produktion durchschnittlich bezahlten Lohns. Das ist eine Frage, an der sich die Geister der bekanntesten Ökonomen scheiden. So erklärte der Nobelpreisträger Gary Becker trocken: „Hebt man den Mindestlohn an, verlieren die Leute ihre Arbeit.“ Eine andere Fraktion von Nobelpreisgewinnern konterte: „Wir sind der Meinung, dass der staatliche Mindestlohn moderat erhöht werden kann, ohne die Beschäftigungschancen signifikant zu gefährden.“ Ein weiterer Ökonom, Alan Blinder aus Princeton, einer der Wirtschaftsberater Präsident Clintons, schrieb Folgendes:
Mindestlohn/ Fertigungslohn
4,0
Relative teenage
Relative unemployment Jugendarbeitslosigkeit (right scale)
Mindestlohn/Fertigungslohn
0,55
3,6
0,50
3,2
0,45
2,8
0,40
2,4
0,35
2,0
0,30
1950
1960
1970
1980
1990
2000
Verhältnis Jugendarbeitslosigkeit zur Gesamtarbeitslosigkeit
4,4
0,65
0,60
Teil 2
1,6
Abbildung 4-11: Mindestlohn und Jugendarbeitslosigkeit, 1947–2002 Die durchgängige Linie zeigt die Höhe der Mindestlöhne im Vergleich zu einem durchschnittlichen Stundenlohn in der Produktion. Beachten Sie den allmählichen Rückgang des Mindestlohns gegenüber den anderen Löhnen im Lauf der letzten 50 Jahre. Darüber hinaus zeigt die durchbrochene schwarze Linie das Verhältnis der Jugendarbeitslosigkeit zur allgemeinen Arbeitslosigkeit. Erkennen Sie eine Beziehung zwischen den beiden Linien? Was verrät uns diese Beziehung über das Streitthema Mindestlohn? Quelle: Die Daten stammen vom US-Arbeitsministerium. Hintergrundinformationen über den Mindestlohn finden Sie auf der Website des US-Arbeitsministeriums unter www.dol.gov/esa/minwage/q-a.htm.
Kapitel 4
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Anwendungsmöglichkeiten der Angebots- und Nachfrageanalyse
Die Menschen, die am wenigsten verdienen, leiden seit Jahren. Sie brauchen jede Hilfe, die sie bekommen können, und sie brauchen sie schnell. Ca. 40 Prozent aller Mindestlohnempfänger sind Alleinverdiener in ihren Haushalten, und ca. zwei Drittel der Teenager, die sich mit dem Mindestlohn zufrieden geben müssen, leben in Haushalten mit unterdurchschnittlichen Einkommen. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob eine moderate Anhebung des Mindestlohns die Beschäftigungschancen beeinträchtigen würde oder nicht. Wenn ja, wäre eine solche Wirkung sehr gering. (New York Times, 23. Mai 1996)
Wie sollen sich Laien ein Urteil über eine Frage bilden, in der die Experten so geteilter Meinung sind? Wie können wir diese offensichtlich widersprüchlichen Aussagen einordnen? Zunächst sollten wir uns klar machen, dass Aussagen darüber, ob eine Anhebung des Mindestlohns wünschenswert wäre, persönliche Werturteile beinhalten. Solche Experten könnten von der besten positiven Ökonomie beeinflusst sein und trotzdem unterschiedliche Empfehlungen über wichtige politische Fragen abgeben. Eine kühle Analyse würde ergeben, dass die Diskussion um die Mindestlöhne in erster Linie um Interpretationsfragen kreist und dass ihr keine grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten über empirische Erkenntnisse zugrunde liegen. Sehen wir uns einmal Abbildung 4-12 an, die den Markt für Hilfsarbeiter darstellt. Die Abbildung zeigt, dass ein Mindestlohn für die meisten Jobs eine Lohnuntergrenze festlegt. Während der Mindestlohn über den Gleichgewichtspreis bei M steigt, bei dem der Markt geräumt wird, bewegt sich die Gesamtzahl der Jobs die Nachfragekurve entlang nach oben zu E, was bedeutet, dass die Beschäftigung zurückgeht. Die Lücke zwischen der angebotenen und der nachgefragten Zahl an Arbeitskräften wird als U dargestellt, die Höhe der Arbeitslosigkeit. Mithilfe der Angebots- und Nachfrageanalyse erkennen wir, dass es wahrscheinlich einen Rückgang der Beschäftigung bei Hilfs-
D
E
Wmin
S
U LF
WMarkt
M S D Ungelernte Hilfskräfte
Abbildung 4-12: Auswirkungen des Mindestlohns Wenn wir den Mindestlohn hoch über dem Gleichgewichtspunkt des freien Marktes bei WMarkt mit Wmin festlegen, ergibt dies das Beschäftigungsniveau bei E. Wie die Pfeile zeigen, geht die Beschäftigung von M auf E zurück. Darüber hinaus beträgt die Arbeitslosigkeit, also die Differenz zwischen den bei LF angebotenen Arbeitskräften und der Beschäftigung bei E, U. Bei einer unelastischen Nachfragekurve wird das Einkommen der Niedriglohnarbeiter durch eine Anhebung des Mindestlohns erhöht. Um das zu illustrieren, schraffieren Sie das Rechteck der gesamten Löhne vor und nach der Erhöhung des Mindestlohns.
arbeitern geben wird. Aber um welche Größenordnungen wird es sich dabei handeln? Und wie werden die Auswirkungen auf das Lohneinkommen der Arbeiter mit niedrigem Einkommen sein? Diese Fragen können wir anhand von empirischen Daten betrachten. Den meisten Studien zufolge würde eine 10-prozentige Erhöhung des Mindestlohns die Beschäftigung von Teenagern zwischen 1 und 3 Prozent senken. Die Auswirkungen auf die Beschäftigung Erwachsener sind noch geringer. Einige aktuelle Studien siedeln die Auswirkungen auf die Beschäftigung nahe bei null an, während eine Studiengruppe zu der Auffassung gelangt, dass die Beschäftigung sogar steigen könnte. Liest man daher die Zitate der bekannten Ökonomen aufmerksam, erkennt man, dass manche von ihnen gering mit „insignifikant“ gleichsetzen, während andere betonen, dass zumindest einige Jobs verloren gehen könnten. Unser Beispiel in Abbildung 4-12 zeigt einen Fall,
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
wo der Rückgang der Beschäftigung (abgebildet als Differenz zwischen M und E) sehr gering ist, während die von dem Mindestlohn verursachte Arbeitslosigkeit (dargestellt durch die U-Linie) relativ hoch ist. Abbildung 4-11 zeigt die Entwicklung des Mindestlohns und der Arbeitslosigkeit von Jugendlichen über die letzten 50 Jahre. Mit der schwächer werdenden Arbeiterbewegung ging das Verhältnis zwischen Mindestlohn und Fertigungslohn von 65 Prozent 1947 im Jahre 2003 auf nur etwa ein Drittel zurück. Die Beschäftigungsrate von Jugendlichen verzeichnete in diesem Zeitraum einen leichten Aufwärtstrend. Es lohnt sich, die Muster der Veränderungen daraufhin zu untersuchen, ob sie Auswirkungen des Mindestlohns auf die Jugendarbeitslosigkeit erkennen lassen. Ein weiterer Diskussionspunkt bezieht sich auf die Auswirkungen des Mindestlohns auf die Einkommen. Praktisch jede Studie kommt zu dem Schluss, dass die Nachfrage nach Niedriglohnarbeitern preisunelastisch ist. Den soeben zitierten Ergebnissen zufolge liegt die Preiselastizität zwischen 0,1 und 0,3. Das führt uns zu der überraschenden Schlussfolgerung, dass eine Anhebung des Mindestlohns die Einkommen der Niedriglohnarbeiter insgesamt erhöht. Angesichts der soeben angeführten Elastizitäten erhöht eine 10-prozentige Erhöhung des Mindestlohns die Einkommen der betroffenen Gruppen um 7 bis 9 Prozent. Abbildung 4-12 zeigt, dass die Einkommen der Niedriglohnarbeiter trotz des Rückgangs ihrer gesamten Beschäftigung steigen. Man erkennt dies durch einen Vergleich der Einkommensrechtecke unter den Gleichgewichtspunkten E und M (siehe Frage 8e am Ende dieses Kapitels). Die Auswirkungen auf die Einkommen sind ein weiterer Grund, warum Uneinigkeit über den Mindestlohn besteht. Jene, die sich nur um das Wohlergehen der Niedrigeinkommensgruppen sorgen, könnten der Meinung sein, dass moderate Ineffizienzen ein kleiner Preis für höhere Einkommen sind. Andere, die sich den Kopf eher über die kumulativen
Teil 2
Kosten von Markteingriffen oder über die Auswirkungen höherer Kosten auf Preise, Gewinne und internationale Wettbewerbsfähigkeit zerbrechen, könnten argumentieren, dass solche Ineffizienzen ein zu hoher Preis sind. Wieder andere könnten der Meinung sein, dass ein Mindestlohn ein ineffizientes Mittel ist, Gruppen mit niedrigen Einkommen Kaufkraft zu verleihen. Ihnen sind direkte Einkommenstransfers oder staatliche Lohnsubventionen lieber, als Sand in das Getriebe des Lohnsystems zu streuen. Wie wichtig sind Ihnen diese drei Anliegen jeweils? Je nach Ihren Prioritäten könnten Sie bezüglich der Zweckmäßigkeit einer Erhöhung des Mindestlohns zu ganz unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen.
Energiepreiskontrollen Ein weiteres Beispiel für staatliche Eingriffe ist die Verordnung einer Preisobergrenze durch den Staat. Eine solche Preisobergrenze wurde in den Vereinigten Staaten in den siebziger Jahren eingeführt. Die Ergebnisse waren ernüchternd. Wir kehren zu unserer Analyse des Benzinmarktes zurück, um zu erfahren, wie Preisobergrenzen funktionieren. Hier die angenommenen Fakten: Die Ölpreise steigen plötzlich stark an. Die Gründe dafür liegen darin, dass das Ölkartell das Angebot reduziert hat und die Nachfrage stark ist, aber sie könnten auch in politischen Unruhen im Mittleren Osten aufgrund eines Krieges oder einer Revolution liegen. Abbildung 3-1 (S. 80) zeigt die Ergebnisse der Interaktion von Angebot und Nachfrage auf den Ölmärkten, wobei Kriege und Revolutionen in den Jahren 1973, 1979, 1990 und 2003 zu Preissteigerungen führten. Die Politiker, die diesen drastischen Preisanstieg natürlich mit Argusaugen beobachten, greifen korrigierend ein. Sie behaupten, die Konsumenten würden durch die Profitgier der Ölgesellschaften „übervorteilt“, und sind besorgt, die steigenden Preise könnten eine Inflationsspirale bei den Lebenshaltungskosten in Gang setzen. Sie beklagen die
Kapitel 4
Anwendungsmöglichkeiten der Angebots- und Nachfrageanalyse
dramatischen Auswirkungen der steigenden Preise auf arme und alte Mitbürger. Schließlich rufen sie die Regierung auf, „doch etwas zu unternehmen“. Angesichts steigender Preise könnte die US-Regierung geneigt sein, diesen Argumenten zu folgen und eine Preisobergrenze für Öl einzuführen, wie es in den Jahren 1973 bis 1981 tatsächlich geschah. Aber wie wirkt sich eine solche Preisobergrenze aus? Nehmen wir an, der Benzinpreis liege ursprünglich bei einem Dollar pro Gallone. Dann, aufgrund eines drastischen Rückgangs des Ölangebots, steigt der Benzinpreis auf zwei Dollar pro Gallone. Werfen wir nun einen Blick auf den Benzinmarkt nach dem Angebotsschock. In Abbildung 4-13 liegt das Gleichgewicht nach dem Schock bei Punkt E. Nun tritt die Regierung auf den Plan und verabschiedet ein Gesetz, das den Höchstpreis für Benzin beim alten Stand von einem Dollar pro Gallone festlegt. Wir können uns diesen gesetzlichen Höchstpreis als die Höchstpreislinie CJK in Abbildung 4-13 vorstellen. P
Preis (US-$/Gallone)
3
D′
S
E
2
1
D
J
C
S
Gleichgewichtsniveau ohne Preisobergrenze K
D′
D
vorgeschriebener Höchstpreis Fehlmenge bei Einziehung einer Preisobergrenze
Q
Menge (Milliarden Gallonen)
Abbildung 4-13: Preiskontrollen führen zu Engpässen Ohne gesetzliche Preisdeckelung würde der Preis auf E steigen. Beim vorgeschriebenen Höchstpreis von US-$ 1 halten sich Angebot und Nachfrage nicht die Waage, und es entstehen Engpässe. Es ist also eine formelle oder informelle Rationierungsmethode erforderlich, um die knappen Güter aufzuteilen und die tatsächliche Nachfrage auf D'D' zu senken.
123
Bei der gesetzlichen Preisobergrenze stimmen die angebotenen und die nachgefragten Mengen nicht überein. Die Konsumenten fragen viel mehr Benzin nach, als die Produzenten zum kontrollierten Preis anzubieten bereit sind. Dies zeigt sich durch die Kluft zwischen J und K. Diese Kluft ist so groß, dass die Förderanlagen schon bald stillstehen werden. Irgendjemand bekommt dann eben kein Benzin mehr. Könnte hier der freie Markt sein Werk tun, würde der Markt bei einem Preis von 2 Dollar oder darüber zum Ausgleich kommen und geräumt werden. Die Konsumenten würden zwar schimpfen, aber dennoch zähneknirschend den höheren Preis entrichten. Jedenfalls dann, wenn die einzige Alternative lauten würde, auf Benzin zu verzichten. Der Markt kann jedoch nicht geräumt werden, weil die Produzenten mit einem höheren Preis gegen die Gesetze verstoßen würden. Was folgt, ist daher eine Phase enttäuschter Konsumentenhoffnungen und Warenknappheit – ein Spiel wie die Reise nach Jerusalem, bei dem schließlich irgendjemand ohne Benzin ausscheidet, weil die Förderanlagen stillstehen. Das unzureichende Benzinangebot muss nun irgendwie rationiert werden. Zu Beginn lässt sich die Rationierung vielleicht nach dem Grundsatz „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ regeln, wobei allenfalls auch beim einzelnen Käufer die Menge rationiert werden kann. Aber es bilden sich Schlangen, und der Zeitaufwand für die Beschaffung des gewünschten Treibstoffs steigt. Schließlich entwickelt sich eine Form von Rationierungsmechanismus abseits des Preises. Bei Benzin und anderen lagerfähigen Gütern lässt sich die Knappheit beispielsweise verwalten, indem man die Leute sich anstellen lässt – eine Rationierung über die Warteschlange. Manchmal gehen jene, die Zugang zu dem Gut haben, zu Schwarzmarktpraktiken über, entscheiden sich also für gesetzwidrige Verkäufe über dem vorgeschriebenen Preis. Es herrscht ein hohes Maß an Verschwendung, weil die Leute ihre kostbare Zeit damit verbringen müssen, ihre Be-
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
dürfnisse zumindest notdürftig zu befriedigen. Manchmal entwickelt der Staat eine effizientere Methode der nicht preisbestimmten Rationierung, indem er offiziell bestimmte Benzinmengen oder Gutscheine zuteilt. Bei einer Gutscheinrationierung oder -bewirtschaftung muss jeder Käufer sowohl über einen Gutschein als auch über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügen, um die Güter kaufen zu können – in Wirklichkeit existieren hier also zwei Zahlungsmittel. Mit der Einführung der Rationierung und Vergabe der Gutscheine je nach „Bedarf“ wird die Warenfehlmenge zum Verschwinden gebracht, weil die Nachfrage durch die Gutscheine beschränkt wird. Aber wie verändern Rationierungsgutscheine eigentlich das Bild von Angebot und Nachfrage? Natürlich muss der Staat genau so viele Gutscheine ausgeben, dass die Nachfragekurve auf D'D' in Abbildung 4-13 gesenkt wird, wo Angebot und neue Nachfrage beim vorgeschriebenen Höchstpreis ausgeglichen sind. Preiskontrollen für Güter wie Energie sind in den meisten Marktwirtschaften mit oder ohne offizielle Rationierung aus der Mode gekommen. Die Geschichte hat gezeigt, dass die legale und illegale Umgehung von Preiskontrollen mit der Zeit zugenom-
Teil 2
men hat und dass jedwede günstige Auswirkungen, die die Kontrollen auf die Konsumenten haben mögen, schließlich durch Ineffizienzen außer Kraft gesetzt werden. Inbesondere wenn eine Substitution problemlos möglich ist (d.h., wenn die Elastizitäten von Angebot oder Nachfrage hoch sind), sind Preiskontrollen kostspielig, schwer zu verwalten und ineffektiv. Während Preiskontrollen in den meisten Branchen kaum vorkommen, verbreiten sie sich heute im Gesundheitswesen. In Teil 4 werden wir sehen, dass Preiskontrollen in der Medizin zu denselben Ineffizienzen führen wie jene, die wir vor einigen Jahrzehnten auf dem Benzinmarkt beobachten konnten. Hier müssen wir eine wichtige, grundlegende Lektion lernen: Güter sind immer knapp. Die Gesellschaft kann niemals die Wünsche aller ihrer Mitglieder erfüllen. Zu normalen Zeiten rationiert der Preis das knappe Angebot. Sobald der Staat auf den Plan tritt und sich in Angebot und Nachfrage einmischt, können die Preise ihre Rolle als Rationierungsinstrument nicht mehr erfüllen. Verschwendung, Ineffizienz und Verschärfung bestehender Krisen sind daher im Gefolge derartiger staatlicher Eingriffe immer anzutreffen.
Zusammenfassung A. Elastizität von Nachfrage und Angebot 1.
Die Preiselastizität der Nachfrage misst die quantitative Reaktion der Nachfrage auf eine Preisänderung. Die Preiselastizität der Nachfrage (ED) wird als prozentuale Änderung der nachgefragten Menge dividiert durch die prozentuale Änderung des Preises definiert. Das heißt: Preiselastizität der Nachfrage = ED prozentuale Änderung der nachgefragten Menge =
prozentuale Preisänderung
2.
In dieser Rechnung wird das Vorzeichen stets positiv gesetzt, und für P und Q werden die Durchschnittswerte aus dem alten und dem neuen Wert herangezogen. Wir unterscheiden bei der Preiselastizität drei Kategorien: (a) Die Nachfrage ist elastisch, wenn die prozentuale Änderung der nachgefragten Menge größer ist als die prozentuale Preisänderung; das heißt ED > 1. (b) Die Nachfrage ist unelastisch, wenn die prozentuale Änderung der nachgefragten Menge geringer ist als die prozentuale Preisänderung; hier ist also ED < 1. (c) Wenn die prozentuale Änderung der nachgefragten Menge genau der prozentualen Preisänderung entspricht, haben wir es
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3.
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Anwendungsmöglichkeiten der Angebots- und Nachfrageanalyse
mit jenem Grenzfall der Nachfrageelastizität zu tun, für den gilt: ED = 1. Die Preiselastizität ist eine aus Prozentsätzen ermittelte Zahl, die keinesfalls mit der Steigung verwechselt werden darf. Die Nachfrageelastizität trifft eine Aussage über die Auswirkungen einer Preisänderung auf den Gesamtertrag. Eine Preissenkung erhöht den Gesamtertrag, wenn die Nachfrage elastisch ist; eine Preissenkung mindert den Gesamtertrag, wenn die Nachfrage unelastisch ist; im Grenzfall einer Nachfrageelastizität von 1 hat die Preisänderung keinerlei Auswirkungen auf den Gesamtertrag. Die Preiselastizität der Nachfrage ist bei lebensnotwendigen Gütern wie Nahrungsmitteln und Wohnungen gering, während sie bei Luxusgütern wie Schneemobilen und Flugreisen hoch ist. Die Preiselastizität wird auch dadurch beeinflusst, inwieweit Substitutionsgüter für das betreffende Gut vorhanden sind und wie viel Zeit die Konsumenten haben, sich auf die Preisänderungen einzustellen. Die Preiselastizität des Angebots misst die prozentuale Änderung des von den Produzenten gelieferten Outputs, wenn sich der Marktpreis um einen bestimmten Prozentsatz ändert.
125
B. Anwendungen auf wichtige ökonomische Fragen 7.
8.
9.
Ein besonders anschauliches Gebiet zum Studium der Wirkungsweise von Angebot und Nachfrage ist die Landwirtschaft. Verbesserungen in der Agrartechnologie bedeuten, dass das Angebot stark steigt, während die Nachfrage nach Lebensmitteln weniger zunimmt, als den Einkommenssteigerungen der Konsumenten entsprechen würde. Daher fallen die Preise für Nahrungsmittel auf dem freien Markt tendenziell. Kein Wunder also, dass viele Staaten eine ganze Reihe von Programmen eingeführt haben, etwa Flächenstilllegungen, um die Einkommen ihrer Landwirte anzuheben. Eine Produktsteuer (Verbrauchssteuer auf ein Wirtschaftsgut) verschiebt das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage. Die Steuerlast (oder die Wirkung auf die Einkommen) trifft die Konsumenten in dem Ausmaß stärker als die Produzenten, in dem die Nachfrage im Vergleich zum Angebot unelastisch ist. Staaten greifen von Zeit zu Zeit in die Mechanismen der Wettbewerbsmärkte ein, indem sie Höchst- oder Mindestgrenzen für Preise festsetzen. In einer solchen Situation muss die angebotene Menge nicht mehr der nachgefragten Menge entsprechen; Preisobergrenzen führen zu einem Nachfrageüberschuss, während Preisuntergrenzen einen Angebotsüberschuss zur Folge haben. Manchmal kann der Eingriff die Einkommen einer bestimmten Gruppe erhöhen, wie es bei Landwirten oder bei Arbeitskräften in Niedriglohnbranchen der Fall ist. Verzerrungen und Ineffizienz sind oft die Folge.
Begriffe zur Wiederholung Elastizitätskonzepte Preiselastizität von Nachfrage und Angebot elastische und unelastische Nachfrage, Nachfrageelastizität von 1 ED = prozentuale Änderung von Q / prozentuale Änderung von P Determinanten der Elastizität Gesamtertrag = P Q Beziehung zwischen Elastizität und Ertragsänderung
Anwendungsmöglichkeiten der Angebots- und Nachfrageanalyse Inzidenz einer Steuer Verzerrungen durch Preiskontrollen Rationierung über den Preis im Vergleich zur Rationierung über die Warteschlange
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Teil 2
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Wenn Sie über ein bestimmtes Konzept, wie zum Beispiel die Elastizität, mehr erfahren wollen, werden Sie oft in einer Wirtschaftsenzyklopädie wie John Black, Oxford Dictionary of Economics, 2. Aufl. (Oxford, New York, 2002), oder David W. Pearce (Hrsg.), The MIT Dictionary of Modern Economics (MIT Press, Cambridge, Mass., 1992), fündig. Die umfassendste Enzyklopädie, die in vier Bänden viele komplexe Themen behandelt, ist The New Palgrave: A Dictionary of Economics von John Eatwell, Murray Milgate, and Peter Newman (Macmillan, London, 1987). Der Mindestlohn hat eine erbitterte Diskussion unter den Ökonomen entfacht. Ein aktuelles Buch zweier Arbeitsökonomen weist nach, dass der Mindestlohn nur geringe Auswirkungen auf die Beschäftigung hat: David Card und Alan Krueger, Myth and Measurement: The New Economics of the Minimum Wage (Princeton University Press, Princeton, N.J., 1997). Deutschsprachige Literatur: Peter Engelhard und Heiko Geue, Angewandte Mikroökonomik. Fallstudien und Lösungen (Vahlen, München, 1998).
Websites Derzeit gibt es keine verlässlichen Online-Wörterbücher für volkswirtschaftliche Begriffe. Allerdings werden einige nützliche Websites angeboten, die das Verständnis grundlegender wirtschaftlicher Begriffe wie Angebot und Nachfrage oder Elastizität fördern. Eine übersichtliche Online-Enzyklopädie der Volkswirtschaft findet sich unter der Internetadresse www.econlib.org/library/CEE.html. Dieses Nachschlagewerk ist zwar weitgehend verlässlich, deckt aber nur wenige Themen ab. Bisweilen bietet die kostenlose Site der Encyclopedia Britannica unter www.britannica.com Hintergrundinformationen oder historisches Material. Wenn Sie nirgendwo fündig werden, könnte die allgemeine volkswirtschaftliche Website der Helsinki School of Economics, www.hse.fi/EN/frontpage, die rasant wächst und OnlineMaterialien aus vielen Gebieten enthält, eine Hilfe sein. Detaillierte Informationen zum Themenbereich „Mikroökonomie“ einschließlich kommentierter Literaturhinweise bietet Prof. Dr. Wilhelm Lorenz unter www.mikroo.de/moframe.htm. Aktuelle Fragen wie Mindestlöhne werden oft in Strategiepapieren auf der Website des Economic Policy Institute diskutiert, eines Think Tank, der sich hauptsächlich mit wirtschaftlichen Arbeitnehmerfragen befasst: www.epinet.org.
Übungen 1.
2.
3.
„Eine gute Ernte senkt in den meisten Fällen die Einkommen der Farmer.“ Illustrieren Sie diese Behauptung mit Hilfe eines Angebotsund Nachfragediagramms. Geben Sie für jedes der nachfolgenden Güterpaare an, welches Gut Ihrer Meinung nach preiselastischer ist, und begründen Sie Ihre Meinung: Parfüm und Salz; Penicillin und Eiscreme; Autos und Autoreifen; Eiscreme und Schoko-Eiscreme. „Der Preis fällt um 1 Prozent, was die nachgefragte Menge um 2 Prozent in die Höhe treibt. Die Nachfrage ist daher elastisch (ED > 1).“ Wenn Sie nun im obigen Satz 2 Prozent auf 0,5 Prozent ändern, welche beiden anderen Änderungen müssen in dem Zitat vorgenommen werden?
4.
Betrachten Sie einen vollkommenen Markt für Wohnungen. Welche Auswirkungen auf das Gleichgewicht zwischen Menge und Preis wären nach den folgenden Änderungen (ceteris paribus) zu erwarten? Erklären Sie Ihre Antwort in jedem einzelnen Fall mit Hilfe von Angebot und Nachfrage. a. Einkommenssteigerungen bei den Konsumenten. b. Eine Steuer auf Wohnungsmieten von US$ 10 monatlich. c. Eine staatliche Verordnung, die eine Preisobergrenze für Wohnungsmieten bei 200 Dollar monatlich festlegt.
Kapitel 4
Anwendungsmöglichkeiten der Angebots- und Nachfrageanalyse
d.
5.
6.
7.
8.
Eine neue Bautechnik, die es ermöglicht, Wohnungen zu den halben Kosten zu errichten. e. Eine zwanzigprozentige Steigerung der Löhne der Bauarbeiter. Jemand schlägt die Anhebung des Mindestlohns um 10 Prozent vor. Schätzen Sie die Auswirkung einer solchen Anhebung auf die Beschäftigung und die Einkommen der betroffenen Arbeiter unter Berücksichtigung der in diesem Kapitel angeführten Argumente. Schreiben Sie unter Verwendung der von Ihnen abgeleiteten Zahlen einen kurzen Aufsatz, in dem Sie erklären, wie Sie entscheiden würden, wenn Sie eine Empfehlung über den Mindestlohn abgeben müssten. Ein konservativer Kritiker staatlicher Wirtschaftsprogramme hat folgenden Satz geschrieben: „Der Staat kann vor allem eines gut: Warenengpässe und Überschüsse produzieren.“ Erklären Sie, was er damit meint, und verwenden Sie dazu Beispiele wie Mindestlöhne oder Zinsobergrenzen. Zeigen Sie grafisch, dass die Wirkung von Mindestlöhnen darin besteht, dass die Gesamteinnahmen (Löhne mal nachgefragter Arbeitskraft) der ungelernten Arbeiter sinken, wenn die Nachfrage nach diesen ungelernten Arbeitskräften preiselastisch ist. Überlegen Sie sich, was geschähe, wenn eine Abgabe von US-$ 2.000 auf importierte Autos erhoben würde. Zeigen Sie die Auswirkungen dieses Importzolls auf Angebot und Nachfrage sowie auf Gleichgewichtspreis und -menge bei amerikanischen Autos. Erklären Sie, warum sich die amerikanischen Autohersteller und Arbeiternehmer in der Automobilbranche für Importbeschränkungen stark machen. Elastizitätsprobleme: a. Man schätzt, dass die internationale Nachfrage nach Rohöl eine kurzfristige Preiselastizität von 0,05 aufweist. Welche Auswirkungen hätte ein Embargo, das das weltweite Ölangebot um 5 Prozent drosselte, bei einem ursprünglichen Ölpreis von US-$ 30 pro Fass auf den Ölpreis und die Ölmenge? (Nehmen wir bei diesem Problem an, dass die Ölangebotskurve vollkommen unelastisch ist.) b. Um zu zeigen, dass die Elastizitäten unabhängig von den verwendeten Maßeinheiten sind, blättern Sie bitte zu Tabelle 3-1 zurück. Berechnen Sie die Elastizitäten zwischen jedem der angegebenen Nachfragepaare. Ändern Sie die Preiseinheit von Dollar auf Cents; ändern Sie die Mengenangaben von Millionen Schachteln auf Tonnen,
9.
127
und als Umrechnungsmaßstab verwenden Sie 10.000 Packungen = 1 Tonne. Berechnen Sie nun die Elastizitäten in den ersten beiden Reihen neu. Erklären Sie, warum Sie zum selben Ergebnis gelangen. c. Nachfragestudien kommen zu dem Schluss, dass die Preiselastizität der Nachfrage nach der Droge Kokain 0,5 ist. Nehmen Sie an, dass die Hälfte der Abhängigen in New York City Einbrüche und Überfälle begehen, um ihre Sucht befriedigen zu können. Zeigen Sie anhand der Angebotsund Nachfrageanalyse, welche Auswirkung auf die Kriminalität in NewYork City ein Drogenverbotsprogramm hätte, in dessen Folge es gelingt, das Kokainangebot auf dem Markt New York um 50 Prozent zu senken. (Nehmen wir für diese Übung an, dass das Angebot vollkommen unelastisch ist.) Welche Auswirkungen hätte eine Lockerung der Angebotsbeschränkungen auf die kriminellen Aktivitäten und auf den Drogenkonsum, wenn die Regierung ihr Verbot lockerte und den Kokainpreis um 50 Prozent senkte? Diskutieren Sie die Auswirkungen auf Preis und Drogenabhängigkeit, wenn durch ein gezieltes Programm die Hälfte der Kokainabhängigen geheilt werden könnte. d. Können Sie erklären, warum die Landwirte in einer Depression einem Regierungsprogramm zustimmen könnten, das verlangt, Schweine zu töten und in der Erde zu verscharren? e. Sehen Sie sich die in Abbildung 4-12 gezeigten Auswirkungen des Mindestlohns an. Zeichnen Sie die Rechtecke des Gesamteinkommens mit und ohne Mindestlohn ein. Welches Rechteck ist größer? Setzen Sie die Auswirkungen des Mindestlohns in Beziehung zur Preiselastizität der Nachfrage nach Hilfsarbeitern. Niemand bezahlt gern Miete. Und doch treiben die Grundstücksknappheit und der städtische Wohnbau die Mieten in den Städten oft sprunghaft in die Höhe. In Reaktion auf steigende Mieten und den daraus folgenden Unmut gegenüber den Vermietern führen Regierungen manchmal Mietpreiskontrollen ein. Diese beschränken die jährlichen Mieterhöhungen auf einen geringen Prozentsatz, sodass die kontrollierten Mietpreise oft weit unterhalb der freien Marktpreise bleiben. a. Zeichnen Sie Abbildung 4-13 neu, um die Auswirkungen von Mietpreiskontrollen für Wohnungen zu zeigen.
128 b.
c.
d.
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Welche Auswirkungen können Mietpreiskontrollen auf die Zahl der leerstehenden Wohnungen haben? Welche Optionen, die nicht mit Mietzahlungen einhergehen, könnten sich als Substitut für höhere Mieten anbieten? Erklären Sie die Worte eines europäischen Kritikers von Mietpreiskontrollen: „Außer Bomben kann nichts eine Stadt so wirkungsvoll zerstören wie Mietpreiskontrollen.“ (Ein kleiner Hinweis: Welche Auswirkungen haben Mietpreiskontrollen auf die Erhaltung von Wohnungen und Häusern?)
Teil 2
10. Gehen Sie das Beispiel der Tabaksteuer in New Jersey (S. ¢) noch einmal durch. Zeichnen Sie auf Millimeterpapier oder auf dem Computer Angebots- und Nachfragekurven, die die Preise und Mengen vor und nach Einführung der Steuer widerspiegeln. (Abbildung 4-10 zeigt das Beispiel für eine Benzinsteuer.) Nehmen wir für dieses Beispiel an, dass die Angebotskurve vollkommen elastisch ist. [Zusatzaufgabe: Eine Nachfragekurve mit konstanter Preiselastizität nimmt die Form Y = AP2 an, wobei Y die nachgefragte Menge, P der Preis, A die Skalenkonstante und e der (absolute) Wert der Preiselastizität ist. Ermitteln Sie die Werte von A und e, die die korrekte Nachfragekurve für die Preise und Mengen im New-Jersey-Beispiel ergeben.]
129
KAPITEL 5 Nachfrage und Konsumverhalten
O streite nicht was nötig sei! Der schlechtste Bettler hat bei der größten Not noch Überfluss. König Lear
Tagtäglich treffen wir unzählige Entscheidungen darüber, wofür wir unser knappes Geld und unsere knappe Zeit verwenden wollen. Sollen wir frühstücken oder lieber ein wenig länger schlafen? Sollen wir am Abend lesen oder uns mit Freunden treffen? Ein neues Auto kaufen oder das alte reparieren lassen? Unser Geld gleich ausgeben oder etwas für die Zukunft zurücklegen? Indem wir zwischen den konkurrierenden Bedürfnissen und Wünschen abwägen, treffen wir jene Entscheidungen, die unser tägliches Leben ausmachen. Das Ergebnis all unserer Einzelentscheidungen ist das, was den Nachfragekurven und Preiselastizitäten, von denen wir in den vorigen Kapiteln gesprochen haben, zugrunde liegt. In diesem Kapitel wollen wir uns mit den Grundlagen der Entscheidungen und des Verhaltens der Konsumenten befassen. Wir werden erkennen, dass wir die beobachteten Muster der Marktnachfrage durch die Tatsache erklären können, dass sich der Einzelne für jenen Warenkorb entscheidet, den er gegenüber allen anderen Konsumgüterkombinationen bevorzugt. Außerdem werden wir lernen, den Nutzen zu messen, den jeder von uns aus seiner Teilnahme an einer Marktwirtschaft bezieht.
Auswahlverhalten und Nutzenthorie Bei der Erklärung des Konsumverhaltens stützt sich die Volkswirtschaft auf die fundamentale Prämisse, dass der Einzelne jene Güter und Dienstleistungen auswählt, die ihm am wertvollsten erscheinen. Um zu beschreiben, wie die Konsumenten zwischen den verschiedenen Konsummöglichkeiten wählen, haben die Ökonomen vor hundert Jahren den Begriff des Nutzens eingeführt. Mithilfe dieses Begriffs konnten sie die Nachfragekurve ableiten und ihre Merkmale erklären. Was meinen wir mit dem Begriff Nutzen? Mit einem Wort: Nutzen bedeutet Bedürfnis-
130
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
befriedigung. Genauer gesagt, beschreibt der Begriff, wie die Konsumenten verschiedene Güter und Dienstleistungen bewerten. Wenn Warenkorb A für Herrn Müller einen höheren Nutzen hat als Warenkorb B, so zeigt das an, dass Herr Müller A gegenüber B bevorzugt. Nutzen wird oft am subjektiven Vergnügen oder an der subjektiven Nützlichkeit gemessen, die ein Mensch durch den Konsum eines Gutes oder einer Dienstleistung erfährt. Doch hüten Sie sich vor der Vorstellung, Nutzen sei ein psychologischer Begriff oder ein Gefühl, das sich beobachten und messen ließe. Der Begriff des Nutzens ist stattdessen ein wissenschaftliches Konstrukt, das es den Ökonomen ermöglicht zu verstehen, wie die Konsumenten ihre beschränkten Ressourcen auf die Waren verteilen, die ihre Bedürfnisse befriedigen. Im Sinne der Nachfragetheorie sagen wir, dass die Menschen danach trachten, ihren Nutzen zu maximieren, was bedeutet, dass sie jenes Bündel an Konsumgütern wählen, das sie unter allen Möglichkeiten bevorzugen.
Grenznutzen und das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens Wie lässt sich der Begriff des Nutzens auf die Nachfragetheorie anwenden? Angenommen, durch den Konsum der ersten Einheit eines Gutes wie Eiscreme erreichen Sie ein bestimmtes Maß an Zufriedenheit oder Nutzen. Nun stellen Sie sich vor, Sie konsumierten eine zweite Einheit. Ihr Gesamtnutzen steigt, weil Ihnen die zweite Einheit des Gutes zusätzlichen Nutzen verschafft. Was aber passiert, wenn Sie sich danach noch für eine dritte oder vierte Einheit desselben Gutes entscheiden? Irgendwann erhöhen Sie ihren Nutzen damit nicht mehr, sondern es wird Ihnen übel! Das bringt uns zu dem in der Volkswirtschaftslehre äußerst wichtigen Konzept des Grenznutzens. Durch eine zusätzliche Portion Eiscreme erhalten Sie einen bestimmten zusätzlichen Nutzen. Dieser zusätzliche Nutzen wird als Grenznutzen bezeichnet.
Teil 2
Der Begriff „Grenz-“ ist in der „Volkswirtschaftslehre von größter Bedeutung, und er wird immer im Sinne von „zusätzlich“ verwendet. Der Grenznutzen beschreibt den zusätzlichen Nutzen, den Ihnen der Konsum einer zusätzlichen Einheit eines Gutes verschafft. Ökonomen, die vor hundert Jahren über den Nutzen nachzudenken begannen, formulierten das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens. Diesem Gesetz zufolge nimmt der Zusatz- oder Grenznutzen ab, je mehr von einem Gut konsumiert wird. Warum? Der Nutzen steigt doch, wenn wir mehr von einem Gut konsumieren! Doch nach dem Gesetz des abnehmenden Grenznutzens steigt der Nutzen in immer geringerem Ausmaß, wenn wir mehr von einem Gut konsumieren. Der Anstieg des Gesamtnutzens verlangsamt sich, weil der Grenznutzen (der zusätzliche Nutzen durch die letzte von einem Gut konsumierte Einheit) geringer wird, wenn wir mehr von diesem Gut konsumieren. Der abnehmende Grenznutzen ergibt sich aus der Tatsache, dass Ihre durch das betreffende Gut verursachte Freude und Befriedigung nachlassen, wenn Sie mehr und mehr davon konsumieren. Das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens besagt, dass der Grenznutzen mit zunehmender Menge eines konsumierten Gutes in aller Regel abnimmt.
Ein Zahlenbeispiel Wir können den Nutzen in Tabelle 5-1 numerisch darstellen. Die Tabelle zeigt in Spalte (2), dass der Gesamtnutzen (U) wächst, wenn der Konsum (Q) steigt, dass aber sein Wachstum geringer wird. Spalte (3) misst den Grenznutzen als zusätzlich gewonnenen Nutzen, wenn eine zusätzliche Einheit des Gutes konsumiert wird. Wenn jemand also 2 Einheiten konsumiert, beträgt der Grenznutzen 7 – 4 = 3 Einheiten dieses Gutes (wir nennen diese Einheiten „Nutzeneinheiten“).
Kapitel 5
Nachfrage und Konsumverhalten
(1) (2) Menge eines Gesamtnutzen konsumierten Gutes Q U 0
0
1
4
2
7
3
9
4
10
5
10
(3) Grenznutzen
MU 4 3 2 1 0
Tabelle 5-1: Der Nutzen steigt mit dem Konsum Wenn wir größere Mengen eines Gutes oder einer Dienstleistung wie Pizza oder Konzerte konsumieren, steigt der Gesamtnutzen. Die Nutzensteigerung von einer Einheit zur nächsten wird als „Grenznutzen“ bezeichnet – als jener zusätzliche Nutzen, der durch die letzte zusätzliche Einheit des jeweiligen Gutes erzielt wird. Aufgrund des Gesetzes des abnehmenden Grenznutzens sinkt der Grenznutzen mit steigendem Konsumniveau.
Betrachten Sie als Nächstes Spalte (3). Die Tatsache, dass der Grenznutzen mit einem höheren Konsum zurückgeht, veranschaulicht das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens. Abbildung 5-1 stellt die Daten aus Tabelle 5-1 in einer Grafik dar. In Teil (a) addieren sich die grauen Blöcke auf jeder Konsumstufe zum Gesamtnutzen. Zusätzlich zeigt die geglättete graue Kurve den geglätteten Nutzenverlauf für die jeweiligen Konsumeinheiten. Sie zeigt einen immer langsamer wachsenden Nutzen. Abbildung 5-1(b) stellt die unterschiedlichen Grenznutzen dar. Jeder der grau unterlegten Blöcke des Grenznutzens ist ebenso groß wie der entsprechende Block des Gesamtnutzens in (a). Die gerade schwarze Linie in (b) ist die geglättete Kurve des Grenznutzens. Das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens impliziert, dass die Grenznutzenkurve (MU) in Abbildung 5-1(b) nach unten verlaufen muss. Das entspricht genau der Aussage, wonach die Gesamtnutzenkurve in Abbildung 5-1(a) konkav, glockenförmig aussehen muss.
131 Verhältnis zwischen Gesamt- und Grenznutzen. Anhand von Abbildung 5-1 können wir leicht feststellen, dass der mit dem Konsum einer bestimmten Menge verbundene Gesamtnutzen der Summe der Grenznutzen bis zu diesem Punkt entspricht. Nehmen wir zum Beispiel an, dass 3 Einheiten konsumiert werden. Spalte (2) in Tabelle 5-1 zeigt, dass der Gesamtnutzen 9 Einheiten beträgt. In Spalte (3) erkennen wir, dass die Summe der Grenznutzen der ersten 3 Einheiten ebenfalls 4 + 3 + 2 = 9 Einheiten beträgt. Abbildung 5-1(b) zeigt uns, dass der gesamte Bereich unter der Grenznutzenkurve bei einer konkreten konsumierten Menge – gemessen entweder durch die Blöcke oder durch den Bereich unter der geglätteten Grenznutzenkurve MU – ebenso hoch sein muss wie die Höhe der Gesamtnutzenkurve für dieselbe Anzahl von Einheiten in Abbildung 5-1(a). 1 Ob wir nun Tabellen oder Diagramme benutzen, um diese Beziehung zu untersuchen, wir erkennen in jedem Fall, dass der Gesamtnutzen der Summe aller addierten Grenznutzen entspricht. Die Geschichte der Theorie vom Nutzen Die moderne Nutzentheorie stammt aus dem Utilitarismus, einer der Hauptströmungen westlicher Philosophie in den letzten beiden Jahrhunderten. Der Begriff des Nutzens entstand bald nach 1700, als die Grundprinzipien der mathematischen Wahrscheinlichkeitsrechnung entwickelt wurden. So beobachtete Daniel Bernoulli, Mitglied einer brillanten Schweizer Mathematikerfamilie, im Jahre 1738, dass sich der Einzelne so verhält, als wäre ihm das Geld, das er in einer fairen Wette gewinnen könnte, weniger wert als das Geld, das er verliert. Das bedeutet, dass der Mensch eine Aversion gegen jedes Risiko hat und dass jeder zusätzliche Dollar an Reichtum ihm immer weniger zusätzlichen Nutzen beschert.1
1 Die wirtschaftliche Risiko-, Unsicherheits- und Spieltheorie wird in Kapitel 11 behandelt.
132
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
(a) Gesamtnutzen
Teil 2
(b) Grenznutzen
U
MU 5
5 Grenznutzen
Gesamtnutzen
10
0
1
2
3
4
5
Q
0
Menge
1
2 3 Menge
4
5
Q
Abbildung 5A-1: Das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens Der Gesamtnutzen in (a) steigt mit dem Konsum, aber er steigt nicht genauso stark wie der Konsum, was den abnehmenden Grenznutzen signalisiert. Diese Beobachtung hat die Ökonomen früherer Zeiten dazu bewogen, das Gesetz des negativen Nachfrageverlaufs zu formulieren. Die grauen Blöcke zeigen den durch jede neu hinzukommende Einheit bewirkten Zusatznutzen. Die Tatsache, dass der Gesamtnutzen in immer geringerem Maß steigt, wird in (b) durch die abwärts verlaufenden Stufen des Grenznutzens dargestellt. Wenn wir unsere Einheiten immer kleiner machen, werden die Stufen letztlich geglättet, sodass der Gesamtnutzen zu der durchgehenden schwarzen Kurve in (a) wird. Außerdem lässt sich der durchgehende Grenznutzen, der in (b) durch die schwarze abfallende Kurve dargestellt wird, von der Steigung der durchgehenden Kurve in (a) nicht unterscheiden. Eine frühe Einführung des Begriffs „Nutzen“ in der Sozialwissenschaft ist dem englischen Philosophen Jeremy Bentham (1748–1831) zuzuschreiben. Nach seinen Studien der Rechtstheorie und unter dem Einfluss der Lehren von Adam Smith wandte sich Bentham dem Studium jener Prinzipien zu, die für die Entstehung einer sozialen Gesetzgebung maßgebend sind. Er schlug vor, die Gesellschaft nach dem „Prinzip des Nutzens“ zu organisieren, den er als „Besitz eines Objektes ... zur Erzeugung von Freude, Vorteil oder Glück oder zur Vermeidung ... von Schmerzen, Nachteilen oder Unglück“ definierte.2 Nach Meinung von Bentham sollten alle Gesetze nach utilitaristischen Prinzipien gestaltet werden, um „das größte Glück für die größtmögliche Anzahl [von Menschen]“ zu fördern. Zu seinen weiteren gesetzgeberi-
schen Vorschlägen zählten einige modern anmutende Ideen über Verbrechen und Bestrafung; so meinte er beispielsweise, eine Zufügung von „Schmerzen“ durch strenge Bestrafung könnte auf Kriminelle abschreckend wirken. Benthams Ansichten über den Nutzen erscheinen heute vielen Leuten übermäßig vereinfacht. Vor 200 Jahren aber waren sie revolutionär, weil sie betonten, dass sozialund wirtschaftspolitische Maßnahmen im Hinblick auf bestimmte Ziele getroffen werden sollten, während frühere Rechtfertigungen sich zumeist auf die Tradition, den Willen des Königs oder religiöse Lehrmeinungen beriefen. Heute begründen zahlreiche politische Denker Gesetzesvorschläge mit utilitaristischen Erklärungen dessen, was zum bestmöglichen Ergebnis für die größtmögliche Anzahl von Personen führt.
Kapitel 5
Nachfrage und Konsumverhalten
Der nächste Schritt in der Entwicklung der Nutzentheorie erfolgte, als die neoklassischen Ökonomen wie beispielsweise William Stanley Jevons (1835–1882) das Nutzenkonzept Benthams erweiterten und damit auch das Konsumverhalten erklärten. Nach Ansicht Jevons ist Wirtschaftstheorie die „Berechnung von Freude und Schmerz“ und zeigt, wie rational handelnde Menschen ihre Konsumentscheidungen aufgrund des zusätzlichen Nutzens oder Grenznutzens eines jeden Gutes treffen. Viele Utilitaristen des 19. Jahrhunderts glaubten, der Nutzen stelle eine seelische Realität dar – direkt und in Kardinalzahlen messbar, nicht anders als Länge oder Temperatur. Zur Bestätigung des Gesetzes des abnehmenden Grenznutzens beobachteten sie ihre eigenen Gefühle.
Ordinaler Nutzen. Die heutigen Ökonomen weisen im Allgemeinen den Begriff eines Kardinal- (oder in Kardinalzahlen messbaren) Nutzens zurück, den die Konsumenten beim Konsum von Gütern und Dienstleistungen verspüren oder erfahren. Der Nutzen erscheint nicht auf einem Display wie die getankte Benzinmenge auf einer Zapfsäule. Für die moderne Nachfragetheorie zählt stattdessen das Prinzip des in Ordinalzahlen messbaren Nutzens. Nach diesem Ansatz müssen die Konsumenten nur bestimmen, wie sie die Nutzen verschiedener Warenbündel für sich bewerten. Die Frage lautet hier also: „Wird Güterbündel A Güterbündel B vorgezogen?“ Oder: „Möchte ich lieber ein Salamisandwich oder einen SchokoladenMilchshake?“ Nicht mehr als dieser „in Ordinalzahlen messbare Nutzen“ ist erforderlich, um die allgemeinen Eigenschaften der Nachfragekurven für Wirtschaftsgüter zu ermitteln, die wir in diesem Kapitel und im zugehörigen Anhang beschreiben wollen.32
2 Siehe Bentham im Abschnitt „Weiterführende Literatur“ am Ende dieses Kapitels. Beachten Sie, dass der Begriff „Nutzen“ von Bentham ganz anders verwendet wurde als heute, wo er zumeist etwas Nützliches bezeichnet.
133
Prinzip des gleichen Grenznutzens: Gleicher Grenznutzen pro Geldeinheit für sämtliche Güter Wir wollen nun die Nutzentheorie dazu verwenden, die Konsumnachfrage zu erklären und die Eigenschaften von Nachfragekurven zu beschreiben. Wir nehmen an, dass ein Konsument versucht, seinen Nutzen zu maximieren, was bedeutet, dass er jenen Warenkorb wählt, den er allen anderen verfügbaren Möglichkeiten vorzieht.3 Worin bestehen die Auswirkungen der Nutzenmaximierung? Nun, ich würde nicht erwarten, dass mir das letzte Ei, das ich kaufe, genau denselben Grenznutzen verschafft wie das letzte Paar Schuhe, das ich kaufe, weil Schuhe pro Einheit ja viel mehr kosten als Eier. Eine vernünftigere Regel wäre: Wenn Gut A doppelt so viel kostet wie Gut B, sollten wir Gut A nur kaufen, wenn sein Grenznutzen mindestens doppelt so hoch ist wie der Grenznutzen von Gut B. Diese Regel führt uns zum Prinzip des gleichen Grenznutzens, dem zufolge ich meinen Konsum nach Möglichkeit so gestalten sollte, dass mir die letzte für jedes Gut ausgegebene Geldeinheit denselben Grenznutzen bringt. In einer solchen Situation erziele ich aus meinen Käufen ein Höchstmaß an Befriedigung oder Nutzen.
3 Eine Aussage wie „Situation A wird Situation B vorgezogen“ – für die wir gar nicht zu wissen brauchen, wie sehr A gegenüber B vorgezogen wird – wird als dimensionslose oder „ordinale“ Aussage bezeichnet. Wir sprechen von einem ordinalen Nutzen. Ordnungszahlen geben eine gewisse Reihenfolge an – erstens, zweitens, drittens –, für die jedoch kein quantitatives Maß existiert, das den Abstand zwischen den einzelnen Schritten angibt. Wir könnten die Bilder in einer Galerie nach der Reihenfolge ihrer Schönheit ordnen, ohne ein quantitatives Maß für Schönheit zur Verfügung zu haben. In bestimmten, ganz speziellen Situationen ist allerdings auch das Konzept des kardinalen oder dimensionalen Nutzens von Vorteil. Ein Beispiel für eine Messung in Kardinalzahlen ist etwa dann gegeben, wenn wir sagen, dass eine Substanz bei 100 K (Kelvin) zweimal so heiß ist wie bei 50 K. Das Verhalten von Menschen unter unsicheren Bedingungen wird heute häufig unter Heranziehung des kardinalen Nutzenkonzeptes analysiert. Mit diesem Thema werden wir uns in Kapitel 11 näher auseinandersetzen.
134
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Prinzip des gleichen Grenznutzens: Die grundlegende Bedingung für die größtmögliche Bedürfnisbefriedigung oder den größtmöglichen Nutzen ist das Prinzip des gleichen Grenznutzens. Laut diesem Prinzip erzielt ein Konsument mit einem gegebenen Einkommen, der mit gegebenen Marktpreisen konfrontiert ist, die maximale Bedürfnisbefriedigung oder den maximalen Nutzen, wenn der Grenznutzen der letzten für jedes Gut ausgegebenen Geldeinheit genau derselbe ist wie der Grenznutzen der letzten für ein anderes Gut ausgegebenen Geldeinheit. Warum muss diese Bedingung erfüllt sein? Erbrächte irgendein Gut einen größeren Grenznutzen pro Geldeinheit, würde ich meinen Nutzen erhöhen, indem ich Geld von anderen Gütern abziehe und mehr für dieses Gut ausgebe – bis der Grenznutzen pro Geldeinheit bedingt durch das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens so weit sinkt, dass ein Gleichgewicht gegenüber dem Grenznutzen anderer Güter hergestellt ist. Wäre bei irgendeinem Gut der Grenznutzen pro Geldeinheit geringer, als durchschnittlich zu erzielen ist, würde ich einfach weniger davon kaufen, bis der Grenznutzen der letzten dafür ausgegebenen Geldeinheit wieder auf das Durchschnittsniveau angestiegen ist.4 Der durchschnittliche Grenznutzen pro Geldeinheit aller Güter im Konsumgleichgewicht wird als Einkommens-Grenznutzen bezeichnet. Er misst den zusätzlichen Nutzen, der erreicht würde, könnte der Konsument den Gegenwert einer zusätzlichen Geldeinheit konsumieren. Diese grundlegende Bedingung des Konsumgleichgewichts lässt sich mithilfe von 4 In einigen Bereichen der Volkswirtschaft ist die Unteilbarkeit von Einheiten wichtig und kann nicht einfach übergangen werden. So lassen sich Hondas anders als beispielsweise Apfelsaft nicht in willkürlich kleine Teile zerteilen. Nehmen wir an, ich kaufe einen, bestimmt jedoch nicht zwei Hondas. Dann ist der Grenznutzen des ersten Autos umso vieles größer als der Grenznutzen derselben Anzahl von Dollars, die ich anderswo ausgeben könnte, dass ich dadurch zum Kauf dieser ersten Einheit angeregt werde. Der Grenznutzen, den der zweite Honda erbringen würde, ist jedoch umso vieles geringer, dass ich ihn auf keinen Fall kaufen werde. Wenn bei einem Gut Unteilbarkeit eine Rolle spielt, kann unsere Gleichgewichtsbedingung als Ungleichgewichtsbedingung neu formuliert werden.
Teil 2
Grenznutzen (MUs) und Preisen (Ps) der verschiedenen Güter folgendermaßen knapp darstellen:5
MUGut 1 MUGut 2 --------------------- = ---------------------P1 P2 MUGut 3 = ---------------------=… P3 = MU pro Geldeinheit Einkommen
Warum fallen Nachfragekurven? Wenn wir die genannte Grundregel auf das Konsumentenverhalten anwenden, sehen wir umgehend, warum Nachfragenkurven fallen. Aus Gründen der Einfachheit halten wir den durchschnittlichen Grenznutzen pro Geldeinheit Einkommen konstant. Dann erhöhen wir den Preis von Gut 1. Ohne Veränderung der konsumierten Menge liegt das erste Verhältnis (d.h. MUGut 1/P1) unter dem MU pro Geldeinheit aller anderen Güter. Der Konsument muss daher den Konsum von Gut 1 anpassen. Er tut dies aller Wahrscheinlichkeit nach, indem er (a) seinen Konsum von Gut 1 senkt, wodurch (b) der MU von Gut 1 steigt, bis (c) beim neuen, geringeren Konsumniveau von Gut 1 der neue Grenznutzen pro Geldeinheit, die für Gut 1 ausgegeben wird, wieder dem MU pro Geldeinheit, die für andere Güter ausgegeben wird, entspricht. Ein höherer Preis für ein Gut reduziert den vom Konsumenten gewünschten Konsum dieses Gutes; dies zeigt, warum die Nachfragekurve negativ verläuft und daher fällt.
5 Der kritische Leser fragt sich nun sicher, ob die folgende mathematische Gleichung einen kardinalen Nutzen impliziert (siehe Fußnote 3). Die Antwort lautet nein. Ein Ordnungsmaß für den Nutzen lässt sich dehnen, während wir zugleich immer dieselbe Beziehung des „größer als“ oder „kleiner als“ beibehalten (als würden wir mit einem Gummiband messen). Wenn die Nutzenskala gestreckt wird (etwa durch Verdoppelung oder Multiplikation mit 3,14159), können Sie erkennen, dass sich alle Zähler in der Gleichung um denselben Betrag verändern, sodass die Konsum-Gleichgewichtsbedingung nach wie vor erfüllt ist. Dies wird im Anhang näher ausgeführt, wenn wir uns der Indifferenzkurve bedienen.
Kapitel 5
135
Nachfrage und Konsumverhalten
Freizeit und optimale Zeitverteilung Ein spanischer Trinkspruch wünscht dem Freund: „Gesundheit, Reichtum und die Zeit, beides zu genießen“. Diese Sentenz besagt, dass wir unser Zeitbudget ebenso verwalten müssen wie unser Geldbudget. Die Zeit ist der große Gleichmacher – haben doch auch die Reichsten nur 24 Stunden pro Tag zum „Ausgeben“. Sehen wir einmal, inwieweit sich die bereits durchgeführte Allokationsanalyse knapper Geldmittel auch auf unser Zeitbudget anwenden lässt. Betrachten wir dazu die Freizeit, eine Zeit, die häufig als „Zeit, in der wir tun können, was wir wollen“ bezeichnet wird. In der Freizeit kommen unsere persönlichen Spleens zum Vorschein. Francis Bacon, Philosoph des 17. Jahrhunderts, war überzeugt davon, dass das höchste menschliche Plaisir die Gartenarbeit sei. Der Staatsmann Winston Churchill, ein Mann unseres Jahrhunderts, schrieb über seinen Urlaub: „Ich verbrachte einen herrlichen Monat mit dem Bau einer Hütte und dem Diktieren eines Buches: 200 Ziegel und 2.000 Wörter täglich.“ Aber ganz egal, welche Vorlieben Sie haben, das Prinzip der Nutzentheorie lässt sich in jedem Fall darauf anwenden. Nehmen wir an, dass Ihnen nach allen Verpflichtungen täglich drei Stunden Zeit bleiben, die Sie mit Gärtnern, Mauern oder dem Schreiben eines Geschichtsbuches verbringen können. Wie teilen Sie Ihre Zeit am besten ein? Lassen wir dabei die Möglichkeit außer Acht, dass Sie mit einer der genannten Tätigkeiten eventuell auch Ihr zukünftiges Einkommen aufbessern könnten. Nehmen wir stattdessen an, dass Sie damit ausschließlich Konsum und sonstige Zwecke verfolgen, die Ihnen einen Nutzen einbringen. Die Prinzipien des Konsumentenverhaltens bei Auswahlentscheidungen legen den Schluss nahe, dass Sie den besten Gebrauch von Ihrer Zeit machen,
indem Sie die Grenznutzen der jeweils letzten Minute, die Sie für jede der genannten Aktivitäten aufwenden, ausgleichen. Um ein weiteres Beispiel anzuführen, nehmen wir an, Sie wollten Ihr Wissen in Ihren Universitätskursen maximieren, haben jedoch nur ein begrenztes Maß an Zeit dafür zur Verfügung. Sollten Sie alle Fächer genau gleich lang studieren? Wohl eher nicht. Sie werden feststellen, dass dieselbe Studienzeit für Volkswirtschaft, Geschichte und Chemie in der letzten Minute nicht denselben Wissenszuwachs ergibt. Wenn die letzte Minute in Chemie ein größeres Grenzwissen bewirkt als in Geschichte, werden Sie Ihr Gesamtwissen dadurch vermehren, dass Sie zusätzliche Minuten von Geschichte abziehen und für Chemie verwenden, und so weiter, bis die letzte Minute in jedem Fach auch dasselbe zusätzliche Wissen erbringt. Dieselbe Regel des maximalen Nutzens pro Zeiteinheit lässt sich auf viele verschiedene Lebensbereiche anwenden, einschließlich sozialer Hilfsdienste, Umweltschutzmaßnahmen oder Diäten. Es handelt sich dabei nicht nur um ein ökonomisches Gesetz. Dies ist ein Gesetz der rationalen Entscheidung. Sind Konsumenten Zauberer? Diese gesamte Diskussion klingt, als ob Konsumenten mathematische Zauberer wären, die den Grenznutzen routinemäßig auf die zehnte Dezimalstelle genau berechnen und in ihrem Alltag komplizierte Gleichungssysteme lösen. Eine solche unrealistische Sichtweise machen wir uns in der Volkswirtschaftsicher nicht zu Eigen. Wir wissen, dass die meisten Entscheidungen Routineentscheidungen sind und dass die Menschen manchmal nutzloses Zeug kaufen oder sich von skrupelloser Werbung übertölpeln lassen. Was hingegen wohl angenommen
136
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
werden darf, ist die weitgehende Beständigkeit des Konsumenten in seinen Vorlieben und Handlungsweisen – dass er also nicht wie wild um sich schlägt und sich nicht selbst unglücklich machen will, indem er laufend falsch urteilt oder rechnet. Wenn eine ausreichend große Anzahl von Menschen die meiste Zeit folgerichtig und vorhersehbar handelt, wenn sie Fehlgriffe in ihrem Kaufverhalten vermeidet und im Allgemeinen das jeweils bevorzugte Güterbündel wählt, führt unsere wissenschaftliche Theorie zu einer durchaus passablen Annäherung an die Fakten. Aber wie immer müssen wir auf Situationen achten, in denen irrationale oder inkonsistente Verhaltensweisen auftreten. Ein neuer Forschungsbereich ist die verhaltensorientierte oder behavioristische Ökonomik, die anerkennt, dass Zeit und Gedächtnis der Menschen beschränkt sind und dass überall Muster irrational erscheinender Verhaltensweisen zu beobachten sind. Dieser Ansatz versucht zu erklären, warum Haushalte zu wenig für die Pension sparen, warum sich auf Aktienmärkten Spekulationsblasen bilden oder wie sich Gebrauchtwagenmärkte verhalten, wenn die Menschen nur über eingeschränkte Informationen verfügen. Die Nobelpreise der Jahre 2001 und 2002 gingen an George Akerlof von der University of California in Berkeley für die Entwicklung eines besseren Verständnisses der Rolle asymmetrischer Informationen und einiger „wohlbekannter, aber scheinbar wesensfremder Phänomene“ des Marktes, sowie an Daniel Kahneman von der Universität Princeton und Vernon L. Smith von der George Mason University für deren „Analyse des Urteilsvermögens und der Entscheidungsfindung des Menschen ... und für empirische Tests der Vorhersagen der Wirtschaftstheorie durch Experimentalökonomen.“
Teil 2
Ein alternativer Ansatz: Substitutionsund Einkommenseffekt Das Konzept des Grenznutzens hat sich bei der Erklärung des wichtigen Gesetzes des negativen Nachfrageverlaufs als sehr nützlich erwiesen. Aber im Laufe der letzten Jahrzehnte haben Ökonomen einen alternativen Ansatz in der Nachfrageanalyse entwickelt – einen Ansatz, in dem der Grenznutzen nicht mehr gebraucht wird. Dieser Alternativansatz verwendet „Indifferenzkurven“, die im Anhang zu diesem Kapitel erläutert werden, um die wichtigsten Annahmen im Zusammenhang mit dem Konsumentenverhalten klar und widerspruchsfrei herauszuarbeiten. Der neue Ansatz hat sich auch bei der Erklärung jener Faktoren bewährt, die das Ausmaß der Veränderung der nachgefragten Menge in Abhängigkeit vom Preis – die Preiselastizität der Nachfrage – bestimmen. Die Indifferenzanalyse fragt nach dem Substitutionseffekt und dem Einkommenseffekt einer Preisänderung. Durch Betrachtung dieser Faktoren können wir erkennen, warum die nachgefragte Menge eines Gutes abnimmt, wenn sein Preis steigt.
Substitutionseffekt Mit dem Substitutionseffekt lässt sich die Abwärtsneigung der Nachfragekurven am logischsten erklären. Wenn der Kaffeepreis steigt, während die anderen Preise gleich bleiben, ist Kaffee relativ teurer geworden. Wenn Kaffee relativ teurer geworden ist, wird weniger Kaffee, dafür aber mehr Tee oder Cola gekauft. Ähnlich ist es mit E-Mails: Da diese Art der Kommunikation billiger und schneller ist als das Versenden von normalen Briefen, wickeln immer mehr Menschen ihre Korrespondenz auf elektronischem Weg ab. Allgemeiner ausgedrückt: Der Substitutionseffekt besagt, dass der Konsument bei steigendem Preis eines Gutes dazu tendiert, dieses teurere Gut durch ande-
Kapitel 5
Nachfrage und Konsumverhalten
re Güter zu ersetzen, um seine Bedürfnisse auf billigere Weise zu befriedigen. Konsumenten verhalten sich hier wie Unternehmen, wenn sie durch Preiserhöhungen bei einem Produktionsmittel dazu veranlasst werden, anstelle der verteuerten Produktionsmittel billigere einzusetzen. Durch diesen Substitutionsprozess können die Unternehmen einen gegebenen Output bei den geringstmöglichen Gesamtkosten produzieren. Und auch die Konsumenten können dieselbe Zufriedenheit zu geringeren Kosten erwerben, indem sie teurere durch billigere Güter ersetzen.
Einkommenseffekt Wenn Ihr Einkommen fix ist, wirkt eine Preiserhöhung darüber hinaus wie eine Senkung Ihres „realen Einkommens“. (Reales Einkommen bedeutet die tatsächliche Menge an Gütern und Dienstleistungen, die Sie mit Ihrem Einkommen kaufen können.) Wenn ein Preis steigt und die Einkommen gleich bleiben, sinken die Realeinkommen der Konsumenten, weil sie es sich nicht leisten können, dieselbe Menge an Gütern zu kaufen wie davor. Das führt zum so genannten Einkommenseffekt, der die Auswirkung einer Preisänderung auf die nachgefragte Menge eines Gutes bezeichnet, die infolge der Veränderung der realen Einkommen der Konsumenten eintritt. Da ein geringeres Realeinkommen im Allgemeinen mit einem Konsumrückgang einhergeht, verstärkt der Einkommenseffekt normalerweise den Substitutionseffekt, indem er eine Abwärtsneigung der Nachfragekurve bewirkt. Um ein quantitatives Maß für den Einkommenseffekt zu erhalten, untersuchen wir die Einkommenselastizität eines Gutes. Einkommenselastizität bedeutet die relative, also prozentuale Änderung der nachgefragten Menge dividiert durch die prozentuale Änderung des Einkommens, wobei alle anderen Faktoren, beispielsweise die Preise, konstant bleiben. Hohe Einkommenselastizitäten, wie zum Beispiel für Flugreisen oder Yachten, weisen da-
137 rauf hin, dass die Nachfrage nach diesen Gütern mit steigenden Einkommen rasant wächst. Niedrige Einkommenselastizitäten, wie zum Beispiel bei Lebensmitteln oder Zigaretten, sind ein Hinweis auf eine schwache Reaktion der Nachfrage bei steigenden Einkommen. Einkommens- und Substitutionseffekt bestimmen über die wichtigsten Merkmale der Nachfragekurven verschiedener Güter. Unter bestimmten Umständen ist die sich ergebende Nachfragekurve stark preiselastisch, etwa in Bereichen, in denen der Konsument viel für ein bestimmtes Gut ausgibt, dieses jedoch problemlos substituiert werden kann. In diesem Fall ist sowohl der Einkommensals auch der Substitutionseffekt stark ausgeprägt, und die nachgefragte Menge reagiert auf Preiserhöhungen sehr empfindlich. Aber stellen Sie sich eine Ware wie Salz vor, die nur einen sehr geringen Teil des Budgets der Konsumenten in Anspruch nimmt. Salz lässt sich nicht so einfach durch andere Güter ersetzen und wird in kleinen Mengen als Ergänzung wichtigerer Güter gebraucht. Bei Salz sind sowohl die Einkommens- als auch die Substitutionseffekte gering, und die Nachfrage ist eher preisunelastisch. Berechnung der Einkommenselastizität Nehmen wir an, Sie wären ein Stadtplaner in Santa Fe, New Mexico, und die zunehmende Nachfrage nach Wasser der Haushalte in dieser trockenen Region würde Ihnen Kopfzerbrechen bereiten. Sie lassen daher Umfragen durchführen und erhalten für das Jahr 2000 folgende Daten: Die Einwohnerzahl beträgt 62.000 Personen; das prognostizierte Bevölkerungswachstum beträgt 20 Prozent alle zehn Jahre; der jährliche Wasserverbrauch pro Kopf betrug im Jahr 2000 1.000 Gallonen; die Pro-KopfEinkommen sollen Prognosen zufolge im nächsten Jahrzehnt um 25 Prozent steigen, und die Einkommenselastizität des ProKopf-Verbrauchs an Wasser beträgt 0,50. Sie schätzen daher den Wasserbedarf für 2010 (bei unveränderten Preisen) wie folgt ein:
138
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
$ 10
Teil 2
(a) Smiths Nachfrage
(b) Browns Nachfrage
(c) Ihre kombinierte Nachfrage
P
P
P
d1
$ 10
$ 10
D
d2
a1
1
$5
2
Preis
$5
Preis
Preis
Marktnachfragekurve a2
$5
1
2
A = a1+ a2
D
d2 d1 0
1
2 3 Menge1
q1
0
1
2 3 Menge2
4
q2
0
1
2 3 4 5 Gesamtmenge
6
Q = q1+q2
Abbildung 5-2: Ableitung der Marktnachfrage von der Einzelnachfrage Wir addieren nun die Nachfragekurven aller Einzelkonsumenten und erhalten so die Marktnachfragekurve. Bei jedem Preis, wie etwa bei US-$ 5, addieren wir die von jeder Person nachgefragten Mengen, um die nachgefragte Marktmenge zu erhalten. Die Abbildung zeigt, wie wir bei einem Preis von US-$ 5 Smiths nachgefragte 1 Einheit und Browns 2 Einheiten addieren, um die Marktnachfrage von 3 Einheiten zu erhalten. Wasserverbrauch 2010 = Einwohnerzahl im Jahr 2000 x Bevölkerungswachstumsfaktor x Wasserverbrauch pro Kopf x [1 + (Einkommenszwachs Einkommenselastizität)] = 62.000 x 1,2 1.000 x (1 + 0,25 x 0,50) = 83.700.000 Anhand dieser Daten prognostizieren Sie zwischen 2000 und 2010 eine Zunahme des gesamten Wasserverbrauchs der Haushalte um 35 Prozent.
Von der individuellen Nachfrage zur Marktnachfrage Nachdem wir die Prinzipien analysiert haben, die der Nachfrage des Einzelnen nach Kaffee oder E-Mail zugrunde liegen, wollen wir als Nächstes untersuchen, wie sich die Gesamtnachfrage eines Marktes aus der Nachfrage der einzelnen Konsumenten ableitet. Die
Nachfragekurve eines Gutes für den gesamten Markt ergibt sich durch Summierung der einzelnen von allen Konsumenten nachgefragten Mengen. Jedem Konsumenten lässt sich eine Nachfragekurve zuordnen, entlang derer die zum jeweiligen Preis nachgefragte Menge eingetragen werden kann. Im Allgemeinen ist diese Kurve abwärts und nach rechts geneigt. Wäre die Nachfrage aller Konsumenten absolut gleich und gäbe es eine Million Konsumenten, müssten wir uns die Marktnachfragekurve als millionenfache Vergrößerung der Nachfragekurve jedes einzelnen Konsumenten vorstellen. Aber die Menschen sind nicht alle ganz gleich. Manche haben ein hohes Einkommen, andere verdienen nur wenig. Manche sind ganz verrückt nach Kaffee, während andere doch lieber zu Cola greifen. Um die Kurve für den gesamten Markt ermitteln zu können, brauchen wir nur die Gesamtsumme dessen zu berechnen, was all die einzelnen Konsumenten zu einem gegebenen Preis
139
Nachfrage und Konsumverhalten
nachfragen werden. Wir tragen anschließend diese Gesamtsumme als einen Punkt auf der Marktnachfragekurve ein. Wenn wir wollen, können wir auch eine numerische Nachfragetabelle anfertigen, indem wir die von allen Einzelpersonen zu jedem gegebenen Marktpreis nachgefragten Mengen summieren.6 Die Marktnachfragekurve ist die Summe der Einzelnachfragen zu jedem Preis. Abbildung 5-2 zeigt, wie die einzelnen Nachfragekurven dd horizontal zu addieren sind, um die Marktnachfragekurve DD zu erhalten.
Nachfrageverschiebungen Wir wissen, dass Preisänderungen bei Kaffee Auswirkungen auf die nachgefragte Kaffeemenge haben. Wir können dies aus Budgetstudien, aus unserer Erfahrung und aus der Beobachtung unseres eigenen Verhaltens ableiten. In Kapitel 3 haben wir einige der wichtigen nicht preisbestimmten Einflussfaktoren auf die Nachfrage kurz besprochen. Nun wollen wir diese frühere Diskussion im Lichte unserer Analyse des Konsumentenverhaltens neu aufnehmen. Eine Einkommenssteigerung erhöht im Allgemeinen die Menge, die wir von den meisten Gütern zu kaufen gewillt sind. Lebensnotwendige Güter sind davon allerdings weniger betroffen als die meisten anderen Güter; die Nachfrage nach Luxusgütern steigt hingegen überdurchschnittlich. Zusätzlich gibt es einige Güter, die ein anormales Verhalten zeigen. Sie werden als inferiore Güter bezeichnet, deren Kaufmenge bei steigenden Einkommen sinken kann, weil die Leute es sich nun leisten können, sie durch andere, als besser empfundene Güter zu ersetzen. Suppenknochen, Busreisen zwischen Städten und Schwarzweiß-Fernsehgeräte sind für viele Amerikaner von heute Beispiele inferiorer Güter. 6 Hier und in anderen Kapiteln verwenden wir für die individuellen Nachfrage- und Angebotskurven Kleinbuchstaben (dd und ss) und für die Marktnachfrage- und -angebotskurven Großbuchstaben (DD und SS).
P D″ D
Preis
Kapitel 5
D′
A
A′
A″
D″ 0
D Menge
D′ Q
Abbildung 5-3: Die Nachfragekurve verschiebt sich bei Änderungen des Einkommens oder der Preise anderer Güter Wenn die Einkommen steigen, wollen die Konsumenten normalerweise mehr von einem Gut kaufen und erhöhen dadurch die Nachfrage oder verschieben sie nach außen. (Erklären Sie, warum höhere Einkommen DD nach D'D' verschieben). In ähnlicher Weise erhöht oder verschiebt ein Anstieg des Preises eines Substitutionsgutes die Nachfragekurve (z.B. von DD nach D'D'). Erklären Sie, warum ein verringertes Einkommen die Nachfrage im Allgemeinen nach D“D“ verschiebt! Warum würde ein Sinken der Hähnchenpreise die Hamburgernachfrage nach D'D' verschieben?
Was bedeutet das in Bezug auf die Nachfragekurve? Die Nachfragekurve erklärt ja, wie die nachgefragte Menge eines Gutes auf eine Preisänderung reagiert. Zusätzlich wirken sich auf die Nachfrage auch noch die Preise anderer Güter, die Einkommen der Konsumenten und spezifische Einflussfaktoren aus. Die Nachfragekurve wurde unter der Annahme erstellt, dass alle diese anderen Faktoren konstant bleiben (ceteris paribus). Was aber, wenn sich diese anderen Einflussfaktoren ebenfalls ändern? Dann verschiebt sich die gesamte Nachfragekurve nach rechts oder nach links. Abbildung 5-3 zeigt Veränderungen jener Faktoren, die sich auf die Nachfrage auswirken. Bei gegebenen Einkommen und Preisen für andere Güter können wir die Nachfragekurve für Kaffee als DD einzeichnen. Nehmen wir an, Preis und Menge befinden sich in
140
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Punkt A. Angenommen, die Einkommen steigen, während die Preise für Kaffee und andere Güter unverändert bleiben. Da Kaffee ein normales Gut mit einer positiven Einkommenselastizität ist, werden die Leute mehr Kaffee kaufen. Die Nachfragekurve für Kaffee wird sich daher nach rechts verschieben, sagen wir nach D'D', wobei A' die nun nachgefragte Kaffeemenge darstellt. Sollten die Einkommen sinken, müssten wir mit einem Rückgang der Nachfrage und der gekauften Menge rechnen. Diese Abwärtsbewegung illustrieren wir durch D''D'' und A''.
Substitutionsund Komplementärgüter Jedermann weiß, dass eine Preiserhöhung bei Rindfleisch die Nachfrage nach dieser Fleischart dämpft. Wir haben aber gesehen, dass sich ein Preisanstieg auch auf die Nachfrage nach anderen Gütern auswirkt. So erhöht beispielsweise ein höherer Rindfleischpreis die Nachfrage nach Substitutionsgütern wie Hähnchen. Ein höherer Rindfleischpreis kann die Nachfrage nach Gütern wie Hamburgerbrötchen und Ketchup verringern, die häufig zusammen mit Hamburgern – für die Rindfleisch verwendet wird – verzehrt werden. Aller Voraussicht nach wird er aber kaum Auswirkungen auf die Nachfrage nach Lehrbüchern der Volkswirtschaft haben. Wir sagen daher, dass Rindfleisch und Hähnchen Substitutionsgüter sind. Die Güter A und B sind Substitutionsgüter, wenn eine Preiserhöhung bei Gut A die Nachfrage nach dem Substitutionsgut B erhöht. Hamburger und Hamburgerbrötchen oder Autos und Benzin sind jedoch Komplementärgüter. Sie werden deshalb als komplementär bezeichnet, weil eine Preiserhöhung bei A zu einem Nachfragerückgang bei B führt. Dazwischen liegen die unabhängigen Güter, etwa Rindfleisch und Lehrbücher, wo eine Preisänderung bei A keinerlei Auswirkungen auf B hat. Versuchen Sie nun, die Güterpaare Rehbraten und Preiselbeeren, Heizöl und Kohle, College und
Teil 2
Lehrbücher, Schuhe und Schuhbänder, Salz und Schuhbänder einzuordnen. Nehmen wir einmal an, Abbildung 5-3 beziehe sich auf die Nachfrage nach Rindfleisch. Ein Preissturz bei Hähnchen kann sich durchaus so auswirken, dass die Konsumenten weniger Rindfleisch kaufen. Die Rindfleisch-Nachfragekurve würde sich damit nach links, sagen wir nach D''D'' verschieben. Aber was, wenn der Preis von Hamburgerbrötchen sinkt? Die daraus resultierende Veränderung von DD, sofern eine solche eintreten sollte, läge in Richtung zunehmender Rindfleischkäufe, das heißt, einer Rechtsverschiebung der Nachfragekurve. Warum diese völlig unterschiedliche Reaktion? Weil Hähnchen ein Konkurrenz- oder Substitutprodukt für Rindfleisch ist, während Hamburgerbrötchen Ergänzungs- oder Komplementärprodukte von Rindfleisch sind. Zusammenfassung der Schlüsselbegriffe: • Der Substitutionseffekt tritt ein, wenn ein höherer Preis zur Substitution der Güter, deren Preis gestiegen ist, durch andere Güter führt. • Der Einkommenseffekt ist die Veränderung der von einem Gut nachgefragten Menge, weil die Änderung des Preises dieses Guts eine Veränderung des Realeinkommens eines Konsumenten bewirkt. • Die Einkommenselastizität ist die prozentuale Änderung der nachgefragten Menge eines Gutes dividiert durch die prozentuale Änderung des Einkommens. • Güter sind Substitute, wenn eine Preiserhöhung bei einem Gut die Nachfrage nach dem anderen verstärkt. • Güter sind Ergänzungsprodukte, wenn eine Preiserhöhung bei einem Gut die Nachfrage nach dem anderen senkt. • Güter sind unabhängig, wenn eine Preisänderung bei einem Gut keine Auswirkungen auf die Nachfrage nach dem anderen Gut hat.
Kapitel 5
141
Nachfrage und Konsumverhalten
Empirische Schätzungen von Preis- und Einkommenselastizität In zahlreichen Anwendungsbeispielen der Volkswirtschaftslehre kommt es darauf an, eine numerische Schätzung der Preiselastizität vorzunehmen. So möchte beispielsweise ein Autohersteller beurteilen können, welche Auswirkungen höhere Neuwagenpreise durch den Einbau kostspieliger Abgaskontrollanlagen auf die Nachfrage haben. Ein College muss einfach wissen, wie sich höhere Studiengebühren auf die Zahl der Studienanfänger auswirken werden. Und ein Herausgeber muss die Folgen von Preiserhöhungen bei Lehrbüchern für seine Verkaufszahlen errechnen. Alle diese Anwendungen erfordern eine numerische Schätzung der Preiselastizität. Ähnliche Entscheidungen hängen auch von der Einkommenselastizität ab. Ein Staat, der sein Straßen- oder Eisenbahnnetz plant, muss die Auswirkungen steigender Einkommen auf den Autoverkehr abschätzen; er muss berücksichtigen, wie sich höhere Einkommen auf den Energieverbrauch auswirken, wenn er Maßnahmen gegen Luftverschmutzung oder gegen den Treibhauseffekt plant; oder wenn ermittelt wird, welche Investitionen in Stromnetz und Energieversorgung zu tätigen sind, müssen zuvor die Einkommenselastizitäten zur Schätzung des Stromverbrauchs bekannt sein. Ökonomen haben sehr nützliche statistische Techniken entwickelt, um Preis- und Einkommenselastizitäten zu ermitteln. Die quantitativen Schätzungen leiten sich von Marktdaten über nachgefragte Mengen, Preise, Einkommen und andere Variablen ab. Die Tabellen 5-2 und 5-3 zeigen einige ausgewählte Schätzungen von Elastizitäten.
Die Ökonomie der Suchtmittel In einer freien Marktwirtschaft überlässt die Regierung den Bürgern die Entscheidung darüber, was sie mit ihrem Geld kaufen wollen. Wenn einige teure Autos kaufen wollen,
Gut Tomaten Grüne Erbsen Staatliches Glücksspiel Taxifahrten Möbel Kinofilme Schuhe Rechtsanwaltsdienste Krankenversicherung Busfahrten Haushaltsstrom
Preiselastizität 4,60 2,80 1,90 1,24 1,00 0,87 0,70 0,61 0,31 0,20 0,13
Tabelle 5-2: Ausgewählte Schätzungen der Preiselastizität der Nachfrage Schätzungen der Preiselastizität der Nachfrage variieren stark. Die Elastizität ist normalerweise bei Gütern, für die es jederzeit problemlos Ersatz, also Substitutionsgüter gibt, hoch, wie zum Beispiel bei Tomaten oder Erbsen. Eine geringe Preiselastizität zeichnet hingegen Güter wie elektrischen Strom aus, die wir im täglichen Leben brauchen und für die es keinen einfachen Ersatz gibt. Quelle: Heinz Kohler, Microeconomics: Theory and Applications (Heath, Lexington, Mass., 1992).
während andere Wert auf luxuriöse Häuser legen, unterstellen wir, dass sie selbst wissen, was am besten für sie ist, und dass die Regierung ihre Präferenzen im Interesse der persönlichen Freiheit respektieren sollte. In einigen Fällen, wenn auch selten und mit großer Zurückhaltung, besteht die Regierung darauf, Erwachsene in ihrer Entscheidungsfreiheit einzuschränken. Dabei handelt es sich um Fälle von meritorischen Gütern, deren Konsum an sich für wünschenswert erachtet wird, und um das Gegenteil, demeritorische Güter, deren Konsum als schädlich gilt. Bei diesen Gütern schreiben wir bestimmten Konsumaktivitäten so schwerwiegende Auswirkungen zu, dass es wünschenswert erscheint, die privaten Entscheidungen des Einzelnen außer Kraft zu setzen. Heute bieten die meisten Gesellschaften ihren Bürgern kostenlose Bildung und medizinische Notfallbetreuung an; andererseits bestraft
142
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Gut
Einkommenselastizität
Autos
2,46
Wohneigentum
1,49
Möbel
1,48
Bücher
1,44
Mahlzeiten im Restaurant
1,40
Kleidung
1,02
Ärztliche Dienstleistungen
0,75
Tabak
0,64
Eier
0,37
Margarine
–0,20
Schweinefleischprodukte
–0,20
Mehl
–0,36
Tabelle 5-3: Einkommenselastizitäten ausgewählter Produkte Luxusgüter, deren Verbrauch mit zunehmendem Einkommen rasant ansteigt, weisen eine hohe Einkommenselastizität auf. Eine negative Einkommenselastizität kennzeichnet im Gegensatz dazu „inferiore Güter“, bei denen die Nachfrage mit steigendem Einkommen sinkt. Die Nachfrage nach vielen Gütern des alltäglichen Bedarfs wie Kleidung steigt proportional mit dem Einkommen. Quelle: Heinz Kohler, Microeconomics: Theory and Applications (Heath, Lexington, Mass., 1992).
oder verbietet die Gesellschaft auch den Konsum schädlicher Substanzen, wie sie in Zigaretten, Alkohol und Rauschmitteln wie Heroin enthalten sind. Einer der umstrittensten Fälle demeritorischer Güter betrifft Suchtmittel. Ein Suchtmittel ist eine Substanz, bei der der Konsum den Wunsch nach weiterem Konsum erzeugt. Starke Raucher und Heroinsüchtige mögen den Erwerb ihrer Gewohnheit bitter bereuen. Aber eine Sucht macht es dem Betroffenen ihrer Natur nach schwer, die einmal erworbene Gewohnheit abzulegen. Bei Personen, die regelmäßig Zigaretten rauchen oder Heroin konsumieren, ist es viel wahrscheinlicher als bei anderen Personen, dass sie nach diesen Substanzen verlangen. Die Nachfrage ist bei
Teil 2
starken Suchtmitteln sehr preisunelastisch. Im Vergleich dazu hängt die heutige Nachfrage nach konventionellen Gütern weniger stark von gestrigen Konsummustern ab. Auf den Suchtmittelmärkten werden beträchtliche Umsätze erzielt. Die Konsumentenausgaben für Tabakprodukte beliefen sich 2002 in den Vereinigten Staaten auf US-$ 76 Milliarden, während die Gesamtausgaben für Alkoholika US-$ 126 Milliarden betrugen. Die entsprechenden Zahlen für illegale Drogen sind weniger gesichert, doch belaufen sich die Ausgaben für diese Substanzen aktuellen Schätzungen zufolge in den USA auf rund US-$ 65 Milliarden jährlich. Der Konsum dieser Substanzen wirft schwerwiegende politische Probleme auf, denn wie allgemein bekannt ist, können Suchtmittel die Gesundheit ihrer Konsumenten beeinträchtigen und Kosten und Schäden für die Gesellschaft verursachen. So fordern Suchtmittel jährlich ca. 450.000 vorzeitige Todesfälle – abgesehen von den vielfältigen gesundheitlichen Problemen, die dem Rauchen zuzuschreiben sind. Zehntausend tödliche Autounfälle jährlich sind auf den Einfluss von Alkohol zurückzuführen, nicht zu reden von Versagen in Schule, Arbeit und Familie oder den hohen HIV-Infektionsraten durch intravenöse Heroinverabreichung. Zu den Schäden für die Gesellschaft gehören Eigentumsdelikte, die die Benutzer stark süchtig machender, teurer Drogen begehen; die medizinischen Versorgungskosten von Konsumenten von Drogen, Zigaretten oder Tabak; die rasante Verbreitung ansteckender Krankheiten, vor allem von AIDS und Lungenentzündung, und die Tendenz Süchtiger, neue Benutzer mit ihrem Laster anzustecken. Ein politischer Ansatz, der in den Vereinigten Staaten oft verfolgt wird, besteht darin, Verkauf und Verwendung von Suchtmitteln zu verbieten und das Verbot mit strafrechtlichen Maßnahmen zu verstärken. Aus wirtschaftlicher Sicht kann das Verbot als scharfer Anstieg der Angebotskurve interpretiert werden. Nach der Verschiebung der Angebotskurve nach oben ist der Preis des Suchtmittels viel höher. Während der Prohibition (1920–1933)
Kapitel 5
Nachfrage und Konsumverhalten
waren die Alkoholpreise ca. drei Mal so hoch wie zuvor. Schätzungen zufolge wird Kokain heute für mindestens das Zwanzigfache seines freien Marktpreises verkauft. Welche Auswirkungen haben Angebotsbeschränkungen auf den Konsum von Suchtmitteln? Und welchen Einfluss hat das Verbot auf die Verletzungen, die die Süchtigen sich selbst und der Gesellschaft zufügen? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir uns mit der Natur der Nachfrage nach Suchtmitteln befassen. Allem Anschein nach stehen Gelegenheitskonsumenten illegaler Drogen billige Substitute wie Alkohol und Tabak zur Verfügung, sodass bei ihnen die Preiselastizität der Nachfrage relativ hoch ist. Im Gegensatz dazu sind hart gesottene Benutzer oft nach bestimmten Substanzen süchtig, sodass ihre Nachfrage preisunelastisch ist. D
Drogenpreis
Pillegal
B S′ (illegale Drogen)
A S′
Plegal
S (legale Drogen)
H
C S
0
F
G
D
Drogenmenge
Abbildung 5-4: Suchtmittelnachfrage stark süchtiger Konsumenten Die Suchtmittelnachfrage stark abhängiger Konsumenten von Drogen wie Heroin ist preisunelastisch. Wenn ein Verbot das Angebot daher von SS nach S'S' verschiebt, werden die Gesamtausgaben für Drogen von 0HCG auf 0ABF steigen. Bei stark preisunelastischen Drogen bedeutet das, dass die Ausgaben für Drogen bei eingeschränktem Angebot steigen. Wie sieht es nach einem Verbot mit den kriminellen Aktivitäten aus, wenn die Süchtigen einen erheblichen Anteil ihres Einkommens durch Diebstahl erzielen? Können Sie erkennen, warum manche Menschen milderen Drogengesetzen oder in diesem Fall sogar einer Legalisierung das Wort reden?
143 Ein mögliches Ergebnis wird in Abbildung 5-4 gezeigt. Hier sehen Sie die Auswirkungen der Abkehr von der Drogenlegalisierung oder -entkriminalisierung und des Übergangs zum Drogenverbot, die das Angebot für eingefleischte Konsumenten eines stark süchtig machenden Rauschgifts wie Heroin von SS auf S'S' verknappen. In diesem Fall ist die Nachfrage hochgradig preisunelastisch. Infolge der Verschiebung des Angebots und der Preiserhöhung steigen die Gesamtausgaben für Drogen stark an. Die Ausgaben für solche Drogen können so hoch sein, dass die Konsumenten in die Beschaffungskriminalität abdriften. Das Ergebnis ist nach Meinung zweier Ökonomen, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben, dass „der Markt für illegale Drogen die Kriminalität fördert, die Stadtzentren zerstört, für die Verbreitung von AIDS sorgt, Exekutivorgane und Politiker korrumpiert, Armut erzeugt und verschlimmert und den moralischen Zusammenhalt der Gesellschaft unterminiert.“7 Andere argumentieren, dass der Drogengebrauch hochgradig preissensibel ist, vor allem bei Gelegenheitskonsumenten, wie in Abbildung 5-5 gezeigt. So könnte ein Teenager mit einem Suchtmittel experimentieren, wenn er es sich leisten kann, während ein hoher Preis (in Verbindung mit Knappheit) ihn kaum in Richtung Sucht dirigieren würde. In diesem Fall sind Angebotsbeschränkungen geeignet, den Konsum, aber auch die Ausgaben für Suchtmittel stark zu reduzieren. Eines der größten Probleme bei der Regulierung des Suchtmittelkonsums entsteht durch die Substitutionsmuster dieser Produkte. Viele Drogen sind eher enge Substitute, als dass sie einander ergänzen. Folglich, so warnen Experten, könnte der Preisanstieg einer Substanz Konsumenten dazu bewegen, auf andere schädliche Substanzen umzusteigen. So konsumieren Jugendliche in Staaten, in denen der Konsum von Marihuana strafrechtlich geahndet wird, mehr Alkohol und Tabak. 7 Siehe Miron und Zwiebel im Abschnitt „Weiterführende Literatur“ am Ende dieses Kapitels.
144
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Teil 2
Das Wertparadoxon
S′ (illegale Drogen) D
Drogenpreis
Pillegal
A
S′
B
S (legale Drogen) Plegal
C
H S
0
Vor mehr als zwei Jahrhunderten beschrieb Adam Smith in seinem Buch Der Reichtum der Nationen das Wertparadoxon:
F
G
D
Suchtmittelmenge
Abbildung 5-5: Suchtmittelnachfrage stark abhängiger Konsumenten Im Fall von Gelegenheitskonsumenten (Personen, die nicht süchtig sind oder die problemlosen Zugang zu Substitutionsprodukten haben) kann die Nachfrage ziemlich elastisch sein. In diesem Fall haben Beschränkungen oder Preissteigerungen erhebliche Auswirkungen auf den Verbrauch. Da die Nachfrage darüber hinaus preiselastisch ist, gehen die Gesamtausgaben für Drogen von 0HCG auf 0ABF zurück. Das unterstreicht die Argumentation jener, die für eine starke Beschränkung der Verfügbarkeit von Suchtmitteln eintreten.
Es liegt also auf der Hand, dass die Suchtmittelpolitik extrem komplexe Fragen aufwirft. Doch liefert die Wirtschaftstheorie der Nachfrage einige wichtige Erkenntnisse, was die Auswirkungen alternativer Ansätze anbelangt. Erstens argumentiert sie, dass das Anheben der Preise von Suchtmitteln die Zahl der Gelegenheitskonsumenten reduzieren kann, die vom Markt angelockt werden. Zweitens weist sie uns darauf hin, dass viele der negativen Folgen illegaler Drogen vom Verbot von Suchtmitteln und nicht von ihrem Konsum an sich herrühren. Viele aufmerksame Beobachter kommen zu dem paradoxen Schluss, dass die allgemeinen Kosten von Suchtmitteln – für die Konsumenten, für andere Personen und für die verwüsteten Stadtzentren, in denen der Drogenhandel floriert – niedriger wären, wenn die staatlichen Verbote gelockert und die finanziellen Mittel, die derzeit in Angebotsbeschränkungen fließen, statt dessen in Behandlung und Beratung investiert würden.
Nichts ist nützlicher als Wasser; aber man kann damit kaum etwas kaufen. Ein Diamant hingegen hat kaum einen Gebrauchswert; doch wird er bereitwillig gegen eine Vielzahl anderer Güter eingetauscht.
Anders ausgedrückt: Wie kommt es, dass Wasser, das lebenswichtige Elixier, so wenig Wert hat, während für Diamanten, die normalerweise nur zum Vorzeigen verwendet werden, ein Vermögen bezahlt wird? Während Adam Smith dieses Paradoxon vor 200 Jahren beschäftigte, können wir uns einen Dialog zwischen einem wissbegierigen Studenten und einem Adam Smith unserer Tage wie folgt vorstellen: Student: Wie können wir das Wertparadoxon lösen? Der moderne Smith: Die einfachste Antwort ist, dass sich die Angebots- und Nachfragekurven für Wasser bei einem sehr niedrigen Preis schneiden, während Angebot und Nachfrage bei Diamanten einen sehr hohen Gleichgewichtspreis ergeben. Student: Aber Sie haben immer gelehrt, mehr in Erwägung zu ziehen als nur die Kurven. Warum schneiden einander Angebot und Nachfrage bei Wasser bei einem so niedrigen und bei Diamanten bei einem so hohen Preis? Der moderne Smith: Die Antwort lautet, dass Diamanten sehr selten sind und dass die Kosten für den Gewinn neuer Steine außerordentlich hoch sind, während Wasser relativ häufig vorkommt und in vielen Gegenden dieser Erde nur wenig kostet. Student: Aber wo bleibt in diesem Bild der Nutzen?
Kapitel 5
Nachfrage und Konsumverhalten
Der moderne Smith: Sie haben Recht, dass diese Antwort das Kostenargument noch immer nicht mit der ebenso gültigen Tatsache in Einklang bringt, dass die weltweiten Wasserressourcen um ein Vielfaches wichtiger sind als die weltweiten Diamantenvorkommen. Deshalb müssen wir Ausschau nach einer zweiten Wahrheit halten: Der Gesamtnutzen des Wassers bestimmt nicht seinen Preis oder seine Nachfrage. Der Wasserpreis wird vielmehr durch seinen Grenznutzen bestimmt; durch die Nützlichkeit des letzten Glases Wasser. Da es so viel Wasser gibt, ist dieses letzte Glas schon sehr günstig zu haben. Obwohl die ersten Tropfen so unendlich viel wert sind wie das Leben selbst, werden die letzten Tropfen nur dazu benötigt, um den Rasen zu sprengen oder das Auto zu waschen. Student: Jetzt habe ich verstanden. Das volkswirtschaftliche Wertkonzept ist ganz leicht zu begreifen, wenn man sich vorstellt, dass in der Volkswirtschaft der Schwanz mit dem Hund wedelt. Der Schwanz des Grenznutzens wedelt mit dem Hund der Preise und Mengen. Der moderne Smith: Genau! Wir stellen also fest, dass ein immens wertvolles Gut wie Wasser für einen Pappenstiel verkauft wird, weil der letzte Wassertropfen auch nur einen Pappenstiel wert ist. Wir können diesen Dialog wie folgt wiedergeben: Je mehr es von einem Gut gibt, desto geringer wird die letzte Einheit dieses Gutes geschätzt. Es ist daher offensichtlich, warum Wasser einen geringen Preis erzielt und warum etwas absolut Lebensnotwendiges wie Luft überhaupt ein freies Gut sein kann. In beiden Fällen sind es die großen vorhandenen Mengen, die den Grenznutzen derart nach unten drücken und so den Preis dieser lebenswichtigen Güter niedrig halten.
Konsumentenrente Das oben ausgeführte Wertparadoxon unterstreicht, dass der ausgewiesene Geldwert ei-
145 nes Gutes (gemessen als Preis Menge) als Indikator für den wirtschaftlichen Gesamtwert dieses Gutes äußerst irreführend sein kann. Der gemessene wirtschaftliche Wert der Luft, die wir einatmen, ist null, und doch ist der Beitrag, den die Luft zu unserem Wohlbefinden leistet, unschätzbar groß. Die Kluft zwischen dem Gesamtnutzen eines Gutes und seinem gesamten Marktwert wird als Konsumentenrente bezeichnet. Dieser „Gewinn“ entsteht, weil wir infolge des Gesetzes des abnehmenden Grenznutzens „mehr bekommen, als wir bezahlen“. Die Konsumentenrente existiert vor allem deshalb, weil wir für jede Einheit eines Gutes, das wir kaufen, denselben Betrag bezahlen, von der ersten bis zur letzten Einheit. Wir bezahlen für jedes Ei oder jedes Glas Wasser denselben Preis. Deshalb kostet uns jede Einheit eigentlich genau so viel, wie die letzte Einheit wert ist. Aber wegen des fundamentalen Gesetzes des abnehmenden Grenznutzens sind die ersten Einheiten für uns mehr wert als die letzten. Wir genießen daher bei jeder dieser früheren Einheiten einen Gewinn. Abbildung 5-6 veranschaulicht das Konzept der Konsumentenrente in dem Fall, dass der Nutzen in Geldeinheiten gemessen werden kann. Hier konsumiert jemand Wasser, das pro Gallone US-$ 1 kostet. Gezeigt wird das durch die horizontale rostfarbene Linie bei US-$ 1. Der Konsument überlegt, wie viele Gallonen er zu diesem Preis kaufen soll. Die erste Gallone ist sehr viel wert, da sie seinen extremen Durst stillt, und der Konsument wäre sogar bereit, US-$ 9 für sie zu bezahlen. Doch diese erste Gallone kostet nur den Marktpreis von US-$ 1, also hat der Konsument einen Gewinn von US-$ 8 erzielt. Betrachten wir die Sache anhand der zweiten Gallone. Sie wäre dem Konsumenten US$ 8 wert, aber auch sie kostet nur US-$ 1, der Gewinn beträgt US-$ 7. Und so fort bis zur neunten Gallone, die dem Konsumenten nur noch 50 Cent wert ist und die er daher nicht kauft. Das Konsumgleichgewicht stellt sich bei Punkt E ein, jenem Punkt, an dem
146
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
bildung 5-7 ist die horizontale Summierung der einzelnen Nachfragekurven. Die Logik der einzelnen Konsumentenrenten überträgt sich auf den Markt als Ganzes. Der Bereich der Marktnachfragekurve über der Preislinie, in Abbildung 5-7 NER, stellt den gesamten Zusatznutzen für den Konsumenten dar.
Konsumentenrente für einen einzelnen P
9 8 Nachfragekurve des Konsumenten nach Wasser
6 5 4 3
Wasserpreis
2 E
0
1
2
3 4 5 6 Wassermenge
7
8
9
Da die Konsumenten für alle konsumierten Einheiten nur den Preis der letzten Einheit bezahlen, erzielen sie einen Nutzengewinn gegenüber den Kosten. Die Konsumentenrente entspricht dem zusätzlichen Wert, den die Konsumenten gegenüber dem Preis erzielen, den sie für ein Wirtschaftsgut bezahlt haben.
q
Abbildung 5-6: Aufgrund des abnehmenden Grenznutzens ist die Kundenzufriedenheit größer, als dem bezahlten Betrag entsprechen würde Die sinkende Nachfrage nach Wasser spiegelt den abnehmenden Grenznutzen von Wasser wider. Bitte beachten Sie, wie viel zusätzliche Zufriedenheit oder Konsumentenrente sich aus den früheren Einheiten ergibt. Addiert man sämtliche grauen Konsumentenrenten (US-$ 8 für Einheit 1 + US-$ 7 für Einheit 2 + … + US-$ 1 für Einheit 8), so erhält man die gesamte Konsumentenrente von US-$ 36 für Wasserkäufe. Im dargestellten vereinfachten Fall stellt der Bereich zwischen der Nachfragekurve und der Preiskurve die gesamte Konsumentenrente dar.
8 Gallonen Wasser zum Preis von jeweils US$ l gekauft werden. An dieser Stelle machen wir jedoch eine wichtige Entdeckung: Obwohl der Konsument insgesamt nur US-$ 8 bezahlt hat, beträgt der Gesamtwert des Wassers US-$ 44. Dieser Wert ergibt sich durch Addition der Grenznutzen (= $ 9 + $ 8 ... + $ 2). Der Konsument kann sich daher über einen Gewinn von US-$ 36 gegenüber dem bezahlten Betrag freuen. Abbildung 5-6 untersucht den Fall eines einzelnen Konsumenten, der Wasser kauft. Wir können das Konzept der Konsumentenrente aber auch auf den Markt als Ganzes anwenden. Die Marktnachfragekurve in Ab-
Konsumentenrente für einen Markt P Preis und Grenznutzen von Wasser (gemessen in Dollar)
Preis und Grenznutzen von Wasser (gemessen in Dollar)
10
7
Teil 2
$9
R D
8 7 6 5 4
Konsumentenrente
3 2
P= $ 1 0
Wasserpreis
N
E Gesamte Einkäufe
M
D Q
Wassermenge
Abbildung 5-7: Die gesamte Konsumentenrente ist der Bereich unter der Nachfragekurve und über der Preislinie Die Nachfragekurve misst, wie viel die Konsumenten freiwillig für jede konsumierte Einheit bezahlen würden. Daher zeigt der gesamte Bereich unter der Nachfragekurve (0REM) den Gesamtnutzen aus dem Konsum von Wasser. Indem man die Marktkosten des Wassers für die Konsumenten (entsprechend 0NEM) subtrahiert, erhält man die Konsumentenrente aus dem Wasserkonsum in Form des grauen Dreiecks NER. Diese Methode ist für die Messung des Nutzens öffentlicher Güter und der Verluste aus Monopolen und Importzöllen überaus nützlich.
Kapitel 5
Nachfrage und Konsumverhalten
Anwendungsmöglichkeiten der Konsumentenrente Das Konzept der Konsumentenrente kann uns helfen, zahlreiche staatliche Entscheidungen zu bewerten. Wie kann der Staat beispielsweise zu einer Entscheidung über den Wert einer neuen Autobahn oder der Bewahrung eines Erholungsortes gelangen? Nehmen wir an, der Bau einer neuen Autobahn wird vorgeschlagen. Da jeder sie gebührenfrei benützen kann, wird sie keine Einnahmen erbringen. Der Wert für die Nutzer ergibt sich durch die Zeitersparnis oder durch vermehrte Sicherheit und lässt sich als Zusatznutzen (Konsumentenrente) des einzelnen Konsumenten messen. Um schwierigeren Problemen des Nutzenvergleichs zwischen verschiedenen Personen aus dem Weg zu gehen, begnügen wir uns mit der Annahme, es gäbe 10.000 Nutzer, die in jeder Hinsicht absolut identisch sind. Nehmen wir an, dass die individuelle Konsumentenrente für die Autobahn US-$ 350 beträgt. Die Autobahn hebt den wirtschaftlichen Wohlstand der Konsumenten, wenn ihre Gesamtkosten unter US-$ 3,5 Millionen liegen (10.000 $ 350). Ökonomen verwenden die Konsumentenrente, wenn sie eine Kosten-Nutzen-Analyse durchführen, bei der versucht wird, die Kosten und Nutzen eines Regierungsprogramms zu ermitteln. Üblicherweise empfehlen Ökonomen, eine gebührenfrei benutzbare Straße zu bauen, sofern ihre gesamte Konsumentenrente die Kosten übersteigt. Ähnliche Analysen und Berechnungen werden in der Umweltpolitik angewendet, beispielsweise zur Beurteilung der Frage, ob man Naturschutzgebiete zur Erholung erhalten oder neue Umweltauflagen vorschreiben soll.
147 Das Konzept der Konsumentenrente weist uns auch auf das enorme Privileg hin, das wir als Bürger moderner Gesellschaften genießen. Jeder von uns kann eine große Menge äußerst wertvoller Güter nutzen, die er zu günstigen Preisen kaufen kann. Diese Erkenntnis macht sehr bescheiden. Wenn Sie jemanden kennen, der mit seiner wirtschaftlichen Produktivität prahlt oder mit seinem Realeinkommen auftrumpft, sollten Sie ihm einen Augenblick des Innehaltens ans Herz legen. Was könnte er mit seinem Gehalt kaufen, wenn man ihn mit seinen spezialisierten Fähigkeiten auf einer unbewohnten Wüsteninsel aussetzte? Noch genauer gefragt: Was könnte irgendjemand von uns kaufen, gäbe es die Ausrüstungsgüter, die Zusammenarbeit mit anderen und das technische Wissen nicht, das jede Generation von den früheren Generationen erbt? Wenn wir über diese Frage nachdenken, wird nur allzu deutlich, dass wir von einer ökonomischen Welt profitieren, die wir nicht geschaffen haben. Wie es der große britische Soziologe L.T. Hobhouse einmal ausgedrückt hat: Der Industriekapitän, der meint, er habe seine Karriere und sein Unternehmen selbst „aufgebaut“, findet in Wahrheit ein fertiges Sozialsystem in Form von ausgebildeten Arbeitern, Maschinen, einem Markt, Frieden und Ordnung vor, einen riesigen Apparat und eine allgegenwärtige Atmosphäre, das gemeinsame Werk von Millionen von Menschen und vielen, vielen Generationen. Lässt man den ganzen Sozialfaktor außer Acht, [sind] wir nichts als ... Wilde, die sich von Wurzeln, Beeren und Gewürm ernähren.
Da wir uns nun mit den wesentlichen Grundlagen der Nachfrage vertraut gemacht haben, wollen wir einen Blick auf Kosten und Angebot werfen.
148
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Teil 2
Zusammenfassung 1.
2.
3.
4.
5.
Die Marktnachfrage oder Nachfragekurven sind ein Mechanismus, der sich aus dem Auswahlprozess der Einzelpersonen ergibt, die sich für jenes Bündel an Gütern und Dienstleistungen entscheiden, dem sie persönlich den Vorzug geben. Ökonomen erklären die Konsumentennachfrage anhand des Nutzenkonzepts. Der Begriff des Nutzens bezeichnet die relative Zufriedenheit, die ein Konsument durch die Verwendung der verschiedenen Güter erfährt. Das zusätzliche Maß an Zufriedenheit, die er aus dem Konsum einer zusätzlichen Einheit eines Gutes bezieht, wird als Grenznutzen bezeichnet, wobei „Grenz“ in diesem Zusammenhang den zusätzlichen oder vermehrten Nutzen bedeutet. Das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens besagt, dass der durch die jeweils letzte konsumierte Einheit eines Gutes erzielte Grenznutzen bei zunehmender Konsummenge dieses Gutes abnimmt. Ökonomen unterstellen, dass die Konsumenten ihre knappen Einkommen so verwenden, dass sie daraus die größtmögliche Zufriedenheit oder den größtmöglichen Nutzen schöpfen. Um seinen Nutzen zu maximieren, muss ein Konsument das Prinzip des gleichen Grenznutzens erfüllen, dem zufolge die Grenznutzen der letzten Geldeinheit, die er für jedes einzelne Gut bezahlt, gleich sein müssen. Erst wenn der Grenznutzen pro eingesetzter Geldeinheit für Äpfel, Schinken, Kaffee und alles andere gleich ist, erzielt der Konsument die größte Bedürfnisbefriedigung aus seinem begrenzten Geldeinkommen. Aber beachten Sie, dass der Grenznutzen eines kleinen Flakons Parfüm zu US-$ 50 nicht dem Grenznutzen eines Glases Cola für 50 Cents entspricht. Nein, ihr jeweiliger Grenznutzen dividiert durch ihren Einheitspreis ist bei optimalem Mitteleinsatz des Konsumenten gleich. Das bedeutet, dass der Grenznutzen pro jeweils eingesetzter letzter Geldeinheit, MU/P, gleich sein muss. Der gleiche Grenznutzen oder Nutzen pro Ressourceneinheit ist eine grundlegende Wahlregel. Nehmen wir irgendeine knappe Ressource, wie zum Beispiel die Zeit. Wenn Sie den Wert oder den Nutzen dieser Ressource maximieren wollen, so sorgen Sie dafür, dass der Grenznutzen pro Einheit dieser Ressource für alle Verwendungszwecke ausgeglichen ist. Die Marktnachfragekurve für alle Konsumenten wird abgeleitet, indem die individuellen Nachfragekurven jedes einzelnen Konsumenten horizontal addiert werden. Eine Nachfragekurve
6.
7.
kann sich aus vielerlei Gründen verschieben. So bewirkt beispielsweise eine Erhöhung des Einkommens eine Verschiebung der DD-Kurve nach rechts und erhöht so die Nachfrage; eine Preiserhöhung bei einem Substitutionsgut (z.B. Hähnchen anstelle von Rindfleisch) führt ebenso zu einer Rechtsverschiebung der Nachfragekurve. Eine Preissteigerung bei einem Komplementärgut (z.B. Hamburgerbrötchen bei Rindfleisch) verursacht jedoch eine Verschiebung der DD-Kurve abwärts und nach links. Aber auch andere Faktoren wie der sich wandelnde Geschmack der Leute, die Bevölkerungszahl oder die Erwartungen der Menschen können sich auf die Nachfrage auswirken. Wir können uns zusätzlichen Einblick in die Faktoren verschaffen, die zu einer abwärtsgerichten Neigung der Nachfragekurve führen, indem wir die Auswirkungen einer Preissteigerung in Substitutions- und Einkommenseffekte unterteilen. (a) Der Substitutionseffekt tritt auf, wenn ein höherer Preis dazu führt, dass für das teurer gewordene Gut andere Güter substituiert werden, um Bedürfnisse zu befriedigen; (b) der Einkommenseffekt bedeutet, dass ein Preisanstieg das reale Einkommen verringert und dadurch auch den gewünschten Konsum der meisten Güter drosselt. Bei der Mehrzahl der Güter verstärken Substitutions- und Einkommenseffekte einer Preiserhöhung einander und führen zum Gesetz des negativen Nachfrageverlaufs. Wir messen die quantitative Reaktion der Nachfrage auf das Einkommen mithilfe der Einkommenselastizität, also der prozentualen Änderung der nachgefragten Menge dividiert durch die prozentuale Einkommensänderung. Merken Sie sich die Grundregel, dass es der Schwanz in Form des Grenznutzens ist, der mit dem Markthund der Preise und Mengen wedelt. Diese Tatsache wird durch das Konzept der Konsumentenrente unterstrichen. Wir bezahlen für die letzte Packung Milch denselben Preis wie für die erste. Doch aufgrund des Gesetzes des abnehmenden Grenznutzens ist der Grenznutzen der ersten gekauften Packungen größer als der Grenznutzen der letzten Packung. Das bedeutet, dass wir bereit gewesen wären, für jede der ersten Packungen einen höheren Preis zu bezahlen als den Marktpreis. Der gesamte zusätzliche Wert gegenüber dem Marktwert wird als Konsumentenrente bezeichnet. Diese Konsumentenrente ist das Maß für den Vorteil, den wir daraus gewinnen,
Kapitel 5
149
Nachfrage und Konsumverhalten
dass wir alle Einheiten zum selben niedrigen Preis erwerben können. Bei grober Vereinfachung können wir die Konsumentenrente als den Bereich zwischen der Nachfragekurve und der Preislinie messen. Dieses Konzept gilt für
zahlreiche politische Entscheidungen – etwa ob eine Gemeinde die hohen Kosten für eine Straße oder Brücke auf sich nehmen oder ob sie ein Gebiet zu einer Naturschutzzone umwidmen sollte.
Begriffe zur Wiederholung Nutzen, Grenznutzen Utilitarismus Gesetz des abnehmenden Grenznutzens Verschiebungen der Nachfrage durch Einkommen und andere Faktoren Ordinaler Nutzen Prinzip des gleichen Grenznutzens – gleicher MU der zuletzt ausgegebenen Geldeinheit für jedes Gut: MU1/P1 = MU2/P2 = MU pro Geldeinheit Einkommen
Marktnachfrage im Vergleich zur individuellen Nachfrage Einkommenselastizität Substitute, Komplimentärgüter, unabhängige Güter Substitutions- und Einkommenseffekt Meritorische Güter, demeritorische Güter Wertparadoxon Konsumentenrente
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Eine vertiefende Behandlung der Konsumtheorie findet sich in einschlägigen Lehrbüchern; einige gute Quellen sind auch im Abschnitt „Leseempfehlungen“ von Kapitel 3 angegeben. Die Konsumenten sind zur Beurteilung des Nutzens verschiedener Produkte oft auf Hilfe angewiesen. In Verbraucherberichten finden Sie Artikel, die versuchen, Produkte zu bewerten. Manchmal werden „Kaufempfehlungen“ für Produkte abgegeben, wenn Nachforschungen ergeben haben, dass das betreffende Produkt den höchsten Nutzen pro ausgegebener Geldeinheit erbringt. Jeffrey A. Miron und Jeffrey Zwiebel, „The Economic Case against Drug Prohibition“, Journal of Economic Perspectives, Herbst 1995, S. 175–192, ist eine hervorragende nichtmathematische Studie der wirtschaftlichen Auswirkungen des Drogenverbots. Der Utilitarismus wurde in Jeremy Bentham, An Introduction to the Principles of Morals (1789), eingeführt.
Websites Statistische Daten über die Ausgaben für den privaten Konsum (Vereinigte Staaten) finden sich auf der Website des Bureau of Economic Analysis, www.bea.gov. Daten über Haushaltsbudgets veröffentlicht das Bureau of Labor Statistics, Consumer Expenditures, unter www.bls.gov. Praktische Richtlinien für Konsumenten bietet eine Regierungssite, www.consumer.gov. Die Organisation Public Citizen wirbt in Washington für „sicherere Medikamente und medizinische Geräte, sauberere und sicherere Energiequellen, eine sauberere Umwelt, fairen Handel und eine offenere und demokratischere Regierung“. Die Website dieser Organisation, www.citizen.org, enthält Artikel zu vielen Fragen aus den Themenbereichen Konsum, Arbeit und Umwelt.
150
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Teil 2
Es gibt auch eine Reihe neuer Sites, die sich mit verhaltensorientierter Ökonomie auseinandersetzen, zum Beispiel www.business2.com/webguide/_0,1660,65005,00.html. Unter http://nobelprize.org/ nobel_prizes/economics finden sich zahlreiche Artikel über sowie Video-Interviews mit Nobelpreisträgern. Eine nützliche deutschsprachige Websites zum Grenznutzen ist beispielsweise: www.mikrooekonomie.de/ hh/g2/hhg2gg.htm (zur Einkommenselastizität), www.mikrooekonomie.de/hh/g2/hhg2gg.htm (zum Grenznutzen) sowie www.finanz-xl.de/lexikon/Nutzen.html (zum Wertparadoxon).
Übungen 1.
2.
3.
4.
5.
6.
Erläutern Sie die Bedeutung des Begriffs „Nutzen“. Worin besteht der Unterschied zwischen dem Gesamtnutzen und dem Grenznutzen? Erklären Sie das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens und führen Sie ein numerisches Beispiel an. Tom Wu kauft allwöchentlich zwei Hamburger zu jeweils US-$ 2, acht Coladosen zu je 50 Cents und acht Pizzaschnitten zu je US-$ 1, aber er kauft keine Hotdogs zu je US-$ 1,50. Was können Sie daraus bezüglich Toms Grenznutzen bei jedem der vier Güter ableiten? Bilden Sie Güterpaare aus den im Folgenden aufgezählten Gütern, die Sie als Komplementär-, Substitutions- oder als voneinander unabhängige Güter einstufen können: Rindfleisch, Ketchup, Lammfleisch, Zigaretten, Kaugummi, Schweinefleisch, Radio, Fernsehen, Flugreisen, Busreisen, Taxis und Taschenbücher. Zeigen Sie die sich ergebende Verschiebung der Nachfragekurve für ein Gut, wenn der Preis eines anderen Gutes steigt. Wie würde sich eine Einkommensänderung auf die Nachfragekurve für Flugreisen auswirken? Auf die Nachfragekurve für Busreisen? Warum ist es falsch zu sagen: „Der Nutzen wird maximiert, wenn der Grenznutzen aller Güter genau derselbe ist?“ Korrigieren Sie diese Aussage und begründen Sie die Änderung, die Sie vornehmen. Hier ein Vorschlag, die Konsumentenrente in Bezug auf Kinobesuche zu erkennen: a. Wie viele Filme haben Sie im vergangenen Jahr gesehen? b. Wie viel haben Sie im letzten Jahr insgesamt für Filmbesuche bezahlt? c. Wie viel würden Sie höchstens bezahlen, um die Filme zu sehen, die Sie im letzten Jahr gesehen haben? d. Ziehen Sie b von c ab. Das ist Ihre Konsumentenrente bei Filmen. Betrachten Sie folgende Tabelle, die den Nutzen verschieden langer Skiurlaube ausweist:
7.
8.
9.
Auf Skiern verbrachte Tage
Gesamtnutzen (US-$)
0
0
1
70
2
110
3
146
4
176
5
196
6
196
Erstellen Sie eine Tabelle, die den Grenznutzen für jeden einzelnen Skitag ausweist. Nehmen Sie an, dass es eine Million Leute mit exakt denselben Präferenzen wie jenen in der Tabelle gibt – wie würde die Marktnachfrage nach Skiurlauben aussehen? Wie hoch wären Gleichgewichtspreis und Gleichgewichtsmenge der Skiurlaubstage bei einem Liftkartenpreis von US-$ 40 pro Tag ? Berechnen Sie für jedes der in Tabelle 5-2 angeführten Güter die Auswirkungen einer Preisverdoppelung auf die nachgefragte Menge. Ebenso für die Güter in Tabelle 5-3: Welche Auswirkungen hätte eine 50-prozentige Erhöhung der Konsumenteneinkommen? Wenn Sie die identischen Nachfragekurven von immer mehr Leuten addieren (ähnlich wie in dem Verfahren in Abbildung 5-2), wird die Marktnachfragekurve bei gleichem Maßstab immer flacher. Zeigt diese Tatsache an, dass die Nachfrageelastizität immer größer wird? Begründen Sie Ihre Antwort genau. Eine interessante Anwendung von Angebot und Nachfrage auf Suchtmittel vergleicht alternative Techniken der Angebotsbeschränkung. Nehmen wir bei diesem Problem an, dass die Nachfrage nach Suchtmitteln vollkommen unelastisch ist.
Kapitel 5
a.
Nachfrage und Konsumverhalten
Ein Ansatz (der heute für Heroin und Kokain verwendet wird und während der Prohibition für Alkohol zur Anwendung kam) besteht darin, das Angebot an den Staatsgrenzen einzudämmen. Zeigen Sie, wie diese Vorgehensweise den Preis erhöht und das Gesamteinkommen der Drogenanbieter hebt. b. Ein alternativer Ansatz (der heute bei Tabak und Alkohol angewendet wird) besteht darin, die betreffenden Güter kräftig zu besteuern. Zeigen Sie mithilfe des in Kapitel 4 entwickelten Steuermechanismus, wie dieser Ansatz das Gesamteinkommen der Drogenanbieter verringert. c. Kommentieren Sie den Unterschied zwischen den beiden Ansätzen. 10. Nehmen wir an, Sie sind sehr reich und sehr dick. Ihr Arzt hat Ihnen empfohlen, Ihre Energiezufuhr auf täglich 2.000 Kalorien zu beschränken. Wie sieht Ihr Konsumgleichgewicht für Lebensmittel aus? 11. Numerische Aufgabe zur Konsumentenrente: Nehmen wir an, dass die Nachfrage nach Fahrten über eine Brücke die Form Y = 1.000.000 – 50.000.000 P annimmt, wobei Y die Zahl der Fahrten über die Brücke und P die Maut für die Brückennutzung ist. a. Berechnen Sie die Konsumentenrente bei einer Brückenmaut von US-$ 0,1 und 20. b. Nehmen wir an, dass die Brücke US-$ 1.800.000 kostet. Berechnen Sie die Mauthöhe, bei der der Brückeneigentümer die Gewinnschwelle erreicht, bei dem sich Kosten und Einnahmen genau ausgleichen. Wie hoch ist die Konsumentenrente bei dieser Maut? c. Nehmen wir an, dass die Brücke US-$ 8 Millionen kostet. Erklären Sie, warum die Brücke gebaut werden sollte, obwohl keine Maut zur Deckung der Kosten erhoben wird.
151
ANHANG 5 Geometrische Analyse des Konsumentengleichgewichts
Vor einem Jahrhundert entdeckte der Ökonom Vilfredo Pareto (1848–1923), dass alle wichtigen Elemente der Nachfragetheorie auch ohne das Nutzenkonzept analysiert werden können. Pareto entwickelte das, was wir heute als Indifferenzkurve bezeichnen. Dieser Anhang erklärt die moderne Indifferenzanalyse und leitet dann mithilfe dieses neuen Werkzeugs die wichtigsten Schlussfolgerungen für das Konsumverhalten ab.
Die Indifferenzkurve Beginnen Sie mit der Annahme, Sie seien ein Konsument, der verschiedene Kombinationen zweier Güter, sagen wir, von Nahrungsmitteln und Kleidung, zu gegebenen Preisen kauft. Nehmen Sie nun für jede Kombination dieser beiden Güter an, dass Sie entweder eine der anderen vorziehen oder aber den beiden Güterpaaren indifferent gegenüberstehen. Werden Sie etwa gebeten, zwischen Kombination A mit 1 Einheit Nahrungsmitteln und 6 Einheiten Kleidung und Kombination B mit 2 Einheiten Nahrungsmitteln und 3 Einheiten Kleidung zu wählen, könnten Sie (1) A gegenüber B vorziehen, (2) B gegenüber A vorziehen oder (3) A und B als gleichwertig empfinden. Nehmen wir an, dass A und B für Sie völlig gleichwertig sind – dass es Ihnen also gleichgültig ist, welche von beiden Kombinationen Sie erhalten. Betrachten wir nun einige wei-
tere Güterkombinationen, denen Sie ebenso indifferent gegenüberstehen, wie in der Tabelle zu Abbildung 5A-1 angegeben. Abbildung 5A-1 zeigt diese Kombinationen in einem Diagramm. Wir tragen Kleidungseinheiten auf einer Achse und Nahrungseinheiten auf der anderen auf. Jede unserer vier Güterkombinationen wird von ihrem Punkt A, B, C, D dargestellt. Aber diese vier Kombinationen sind keinesfalls die einzigen, denen Sie gleichgültig gegenüberstehen. Eine weitere Gruppe, wie zum Beispiel 11/2 Einheiten Nahrungsmittel und 4 Einheiten Kleidung, könnte ebenso wie viele andere nicht gezeigte Kombinationen als mit A, B, C oder D gleichwertig angesehen werden. Die Kurve in Abbildung 5A-1, die die vier Punkte verbindet, ist eine Indifferenzkurve. Die Punkte auf der Kurve stellen jeweils Güterkombinationen dar, denen der Konsument indifferent gegenübersteht, die für ihn also gleichwertig sind; sie alle erscheinen ihm im selben Maß wünschenswert.
Substitutionsgesetz Die Indifferenzkurven erscheinen als schüsselförmige oder zum Ursprung hin konvexe Kurven. Wenn Sie sich daher entlang der Kurve nach rechts unten bewegen – eine Bewegung, die zunehmende Mengen an Nahrung und geringere Mengen an Kleidung bedeutet –, wird die Kurve flacher. Die Kurve wird so gezeichnet, um eine Eigenschaft aufzuzeigen,
Anhang 5
Eine Konsumenten-Indifferenzkurve
Gleichwertige Kombinationen Nahrung
C A B C D
A
6 5 Bekleidung
153
Geometrische Analyse des Konsumentengleichgewichts
1 2 3 4
Bekleidung 6 3 2 11/2
4 B
3
C
2
D 1
0
1
2
3 4 Nahrung
5
6
F
Abbildung 5A-1: Indifferenzkurve für ein Güterpaar Als Kompensation für die Aufgabe eines Gutes erhält man mehr von einem anderen. Für den Konsumenten ist Situation A ebenso wünschenswert wie B, C oder D. Die Kombinationen von Nahrung und Kleidung, die dieselbe Zufriedenheit ergeben, werden als durchgängige Indifferenzkurve gezeichnet. Diese ist konvex, entsprechend dem Substitutionsgesetz, das besagt, dass das Substitutionsverhältnis oder die Steigung der Indifferenzkurve umso geringer ausfällt, je mehr man von einem Gut erhält.
die in der Realität zumeist auftritt und die als Substitutionsgesetz bezeichnet wird: Je knapper ein Gut ist, desto größer ist sein relativer Substitutionswert; sein Grenznutzen steigt im Verhältnis zum Grenznutzen jenes Gutes, das in großen Mengen vorhanden ist. Wenn Sie daher in Abbildung 5A-1 von A nach B gehen, tauschen Sie drei der sechs Kleidungseinheiten für eine zusätzliche Lebensmitteleinheit ein. Doch beim Schritt von B nach C opfern Sie nur noch eine Einheit ihres verbleibenden Bekleidungsangebotes, um eine dritte Lebensmitteleinheit zu bekommen – also ein Tausch eins zu eins. Für eine vierte Lebensmitteleinheit würden Sie schließlich nur noch eine halbe Einheit von Ihrem schwindenden Bekleidungsvorrat hergeben. Wenn wir die Punkte A und B in Abbildung 5A-1 verbinden, stellen wir fest, dass die Steigung der sich daraus ergebenden Linie (unter Vernachlässigung des negativen
Vorzeichens) einen Wert von 3 hat. Verbinden wir B und C, erhalten wir eine Steigung von 1; verbinden wir C und D, so beträgt der Anstieg 1/2. Diese Zahlen – 3, l, 1/2 – sind die Substitutionsraten (manchmal auch als Grenzraten der Substitution bezeichnet) zwischen den beiden Gütern. Je kleiner die einzelnen Schritte entlang der Kurve werden, desto stärker nähert sich die Substitutionsrate der tatsächlichen Steigung der Indifferenzkurve an. Die Steigung der Indifferenzkurve ist das Maß für den relativen Grenznutzen der Güter oder für die Substitutionsbedingungen, zu denen der Konsument – bei sehr kleinen Veränderungen – bereit wäre, ein bisschen weniger von einem Gut für ein bisschen mehr von einem anderen Gut zu tauschen. Eine konvexe Indifferenzkurve wie in Abbildung 5A-1 entspricht dem Gesetz der Substitution. In dem Maß, in dem die Menge an Nahrungsmitteln, die Sie konsumieren, steigt – und immer weniger Bekleidung zur
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Verfügung steht –, müssen Nahrungsmittel relativ billiger werden, um Sie gewissermaßen dazu zu überreden, noch ein wenig mehr Nahrung unter Verzicht auf ein wenig Kleidung zu akzeptieren. Der genaue Verlauf und die Steigung einer Indifferenzkurve variieren natürlich von Verbraucher zu Verbraucher, aber typischerweise nimmt die Indifferenzkurve eine Form an, wie sie in Abbildung 5A-1 und 5A-2 dargestellt ist.
Teil 2
C 6
A
5
Bekleidung
154
4 3
B C
2
U4
D
U3 U2 U1
Die Indifferenzenkarte Die Tabelle in Abbildung 5A-1 stellt nur eine Möglichkeit unter unendlich vielen möglichen Tabellen dar. Wir könnten mit einer stärker präferierten Verbrauchssituation beginnen und einige der verschiedenen Kombinationen auflisten, die dem Verbraucher dieses hohe Befriedigungsniveau erbringen. Eine solche Tabelle könnte mit 2 Einheiten Nahrung und 7 Einheiten Bekleidung begonnen haben; eine andere mit 3 Einheiten Nahrung und 8 Einheiten Bekleidung. Jede dieser Tabellen lässt sich grafisch darstellen, und jede hat eine entsprechende Indifferenzkurve. Abbildung 5A-2 zeigt vier solcher Kurven. Die Kurve aus Abbildung 5A-1 wird als U3 bezeichnet. Dieses Diagramm gleicht einer geografischen Landkarte mit Höhenlinien. Eine Person, die sich auf einer solchen Karte entlang des durch eine bestimmte Höhenlinie angegebenen Pfades bewegt, klettert dabei weder in die Höhe noch steigt sie ab. Ebenso wird das Befriedigungsniveau des Verbrauchers, der sich entlang einer einzigen Indifferenzkurve von einer Position zu einer anderen bewegt, durch das anders zusammengesetzte Konsumpaket weder steigen noch sinken. In Abbildung 5A-2 sind nur einige wenige der möglichen Indifferenzkurven eingezeichnet. Beachten Sie bitte, dass wir, wenn wir die Menge beider Güter erhöhen und uns auf unserer Höhenkarte daher immer weiter nach Nordosten bewegen, damit aufeinander folgende Indifferenzkurven queren. Wir erreichen so ein immer größeres Maß an Be-
0
1
2
3 4 Nahrung
5
6
F
Abbildung 5A-2: Ein Bündel von Indifferenzkurven Die als U1, U2, U3 und U4 bezeichneten Kurven stellen Indifferenzkurven dar. Welche Indifferenzkurve ist die für den Konsumenten günstigste?
dürfnisbefriedigung (unter der Annahme, dass der Konsument durch zunehmende Mengen beider Güter eine größere Befriedigung erzielt). Daher steht die Kurve U3 für ein höheres Maß an Befriedigung als U2; U4 gewährleistet ein höheres Befriedigungsniveau als U3 usw.
Budgetgerade oder Budgetbeschränkung Legen wir nun für einen Augenblick die Höhenkarte mit den speziellen VerbraucherIndifferenzkurven beiseite und weisen wir unserem Verbraucher ein fixes Einkommen zu. Nehmen wir an, er kann täglich US-$ 6 ausgeben und ist mit fixen Preisen für jede einzelne Lebensmittel- und Bekleidungseinheit konfrontiert – US-$ 1,50 für Nahrung, US-$ 1 für Kleidung. Es versteht sich, dass er sein Geld für jede mögliche Kombination von Nahrung und Kleidung ausgeben könnte. In einem Extremfall könnte er 4 Einheiten Nahrung und überhaupt keine Kleidung kaufen; im anderen könnte er sich für 6 Einheiten Kleidung entscheiden und auf Nahrung ver-
Anhang 5
155
Geometrische Analyse des Konsumentengleichgewichts
Die Budgetgerade eines Konsumenten
Alternative Konsummöglichkeiten Nahrung
C 6 N
M
5 N
4 3 2 1 0
Bekleidung 0 11/2 3 4 1/2 6
Bekleidung
4 3 Budgetgerade des Konsumenten
2
M 0
1
2
3 4 Nahrung
5
6
F
Abbildung 5A-3: Das Einkommen setzt den Ausgaben des Konsumenten Grenzen Die Grenzen des Ausgabenbudgets lassen sich einer numerischen Tabelle entnehmen. Das Gesamtbudget (zusammengesetzt aus $ 1,50F + $ 1C), ergibt immer exakt US-$ 6 an Einkommen. Wir können die Budgetgrenze als Gerade zeichnen, deren absolute Steigung dem Verhältnis PF/PC entspricht. NM ist die Budgetgerade des Konsumenten. Bei einem Einkommen von US-$ 6 und Nahrungs- und Bekleidungspreisen von US-$ 1,50 und US$ 1 kann sich der Konsument für jeden beliebigen Punkt auf dieser Budgetgerade entscheiden. (Warum beträgt die Steigung $ 1,50 / $ 1 = 3/2?)
zichten. Die Tabelle zu Abbildung 5A-3 zeigt einige der Möglichkeiten, wie unser Verbraucher seine US-$ 6 anlegen könnte. Abbildung 5A-3 stellt diese fünf Möglichkeiten dar. Beachten Sie, dass alle Punkte auf einer Geraden liegen, die als NM bezeichnet wird. Darüber hinaus liegt jeder andere erreichbare Punkt, wie 3 1/3 Nahrungseinheiten und 1 Kleidungseinheit, auf NM. Die Budgetgerade NM summiert alle möglichen Kombinationen der beiden Güter, die das Einkommen des Konsumenten verschlingen würden.8 Der Anstieg von NM (unter Vernachlässigung des Vorzeichens) beträgt 3/2 8 Dies deshalb, weil in dem Fall, dass wir die Mengen an gekaufter Nahrung und Bekleidung als F und C bezeichnen, sich die Gesamtausgaben für Nahrung auf US-$ 1,50 F und die Gesamtausgaben für Kleidung auf US-$ 1C belaufen müssen. Wenn das tägliche Einkommen und die täglichen Ausgaben US-$ 6 betragen, gilt folgende Gleichung: $ 6 = $ 1,50F + $ 1C. Dabei handelt es sich um eine lineare Gleichung, die Gleichung der Budgetgeraden NM. Bitte beachten Sie: Arithmetischer Anstieg von NM = $ 1,50 : $ 1 = Nahrungspreis : Kleidungspreis
und kennzeichnet das Verhältnis des Nahrungspreises zum Kleidungspreis. Dieser Anstieg bedeutet, dass der Verbraucher angesichts der gegebenen Preise jedes Mal, wenn er auf 3 Kleidungseinheiten verzichtet (wodurch er im Diagramm 3 vertikale Einheiten nach unten wandert), 2 Nahrungseinheiten dazugewinnt (d.h. 2 horizontale Einheiten nach rechts gehen kann). Wir bezeichnen die Gerade NM als Budgetgerade oder Budgetbeschränkung des Verbrauchers.
Die Gleichgewichtsposition im Tangentialpunkt Nun können wir unsere beiden Puzzleteile zusammensetzen. Die Achsen in Abbildung 5A-3 entsprechen jenen der Abbildungen 5A-1 und 5A-2. Wir können die schwarze
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Budgetgerade NM über diese rostfarbene Verbraucher-Indifferenzkurvenkarte legen, wie in Abbildung 5A-4 gezeigt wird. Dem Verbraucher steht es frei, sich irgendwo entlang der NM zu bewegen. Positionen rechts und über NM sind nicht möglich, weil sie ein Einkommen von mehr als US-$ 6 erfordern würden; Positionen links und unter NM sind hingegen irrelevant, weil wir davon ausgehen, dass der Verbraucher seine gesamten US-$ 6 ausgibt. Wohin wird sich der Verbraucher bewegen? Natürlich zu dem Punkt, an dem er die größte Befriedigung erzielt – also zur höchstmöglichen Indifferenzkurve –, in diesem Fall der rostfarbene Punkt B. Bei B berührt die Budgetgerade die Indifferenzkurve U3 gerade, quert sie aber nicht. An diesem Tangentialpunkt, an dem die Budgetgerade eine Indifferenz-Höhenlinie gerade mal berührt, sie aber nicht quert, liegt die höchste NutzenHöhenlinie, die der Konsument erreichen kann. Geometrisch betrachtet befindet sich der Konsument dort im Gleichgewicht, wo der Anstieg der Budgetgeraden (der dem Verhältnis von Nahrungs- zu Kleidungspreisen entspricht) genau dem Anstieg der Indifferenzkurve entspricht (die ihrerseits dem Verhältnis des Grenznutzens der beiden Güter entspricht). Das Konsumentengleichgewicht wird an dem Punkt erreicht, an dem die Budgetlinie die höchste Indifferenzkurve als Tangente berührt. An diesem Punkt entspricht die Substitutionsrate des Konsumenten gerade dem Anstieg der Budgetgeraden. Anders ausgedrückt entspricht die Substitutionsrate oder die Steigung der Indifferenzkurve dem Verhältnis des Nahrungs-Grenznutzens zum Kleidungs-Grenznutzen. Deshalb ist unsere Tangentialbedingung nur ein anderer Ausdruck dafür, dass das Preisverhältnis dem Grenznutzenverhältnis entsprechen muss; im Gleichgewicht erzielt der Verbraucher denselben Grenznutzen aus der letzten
Teil 2
Konsumentengleichgewicht C 6 N 5 4 Bekleidung
156
3
B
2
U4
1
U3 U2 U1
0
1
2
3
4
M
5
6
F
Nahrung
Abbildung 5A-4: Die vom Konsumenten am stärksten präferierte und erreichbare Güterkombination wird in B erreicht. Wir können nun die Budgetgerade und die Indifferenzkurve in einem Diagramm verbinden. Die für einen Konsumenten mit fixem Einkommen erreichbare höchste Indifferenzkurve ergibt sich aus Punkt B, dem Tangentialpunkt zwischen Budgetgerade und höchstgelegener Indifferenzkurve. Im Tangentialpunkt B entspricht das Substitutionsverhältnis dem Preisverhältnis PF /PC. Das bedeutet, dass der Grenznutzen aller Güter deren Preis entspricht, wobei der Grenznutzen des letzten für jedes Gut ausgegebenen Dollars jeweils gleich hoch ist.
für Nahrung ausgegebenen Geldeinheit wie aus der letzten für Kleidung ausgegebenen Geldeinheit. Wir können daher folgende Gleichgewichtsbedingung ableiten:
PF MUF ------- = Substitutionsrate = -----------PC MUC Dieselbe Bedingung haben wir auch im Hauptteil des Kapitels für die Nutzentheorie abgeleitet.
Anhang 5
Geometrische Analyse des Konsumentengleichgewichts
Einkommens- und Preisänderungen Zwei bedeutende Anwendungsmöglichkeiten von Indifferenzkurven werden häufig dazu herangezogen, um die Auswirkungen (a) einer Änderung des Geldeinkommens und (b) einer Preisänderung bei einem der beiden Güter zu beurteilen.
Einkommensänderung Nehmen wir zunächst an, das tägliche Einkommen unseres Verbrauchers würde auf die Hälfte schrumpfen, während die beiden Preise unverändert blieben. Wir könnten eine neue Tabelle erstellen, ähnlich jener für Abbildung 5A-3, die die neuen Konsummöglichkeiten angibt. Übertragen wir diese Punkte in ein Diagramm wie in Abbildung 5A-5, werden wir feststellen, dass die neue Budgetgerade die Position N'M' in Abbildung 5A-5 einnimmt. Die Gerade hat sich parallel nach innen verschoben.9 Der Konsument kann C 6
N
Bekleidung
5 4 3
I N′
B
2
U4 B′
1
U3 U2 U1
I M
M′ 0
1
2
3
4
5
6
F
Nahrung
Abbildung 5A-5: Die Auswirkung von Einkommensänderungen auf das Gleichgewicht Eine Einkommensänderung verschiebt die Budgetgerade parallel. So verschiebt eine Halbierung des Einkommens auf US-$ 3 die Gerade NM zu N'M' und damit das Gleichgewicht zu Punkt B'. (Zeigen Sie, wo der neue Tangentialpunkt liegen müsste.) 9 Die Bedingung für die neue Budgetgerade N'M' lautet nun: $ 3 = $ 1,50F + $ 1C.
157
sich nun frei entlang dieser neuen (und niedrigeren) Budgetgeraden bewegen. Um seine Befriedigung zu maximieren, wird er sich zu der höchsten erreichbaren Indifferenzkurve oder zu Punkt B' bewegen. Hier gilt wie oben eine Tangentialbedingung für das Konsumentengleichgewicht.
Einzelne Preisänderung Lassen wir unseren Konsumenten nun wieder zu seinem bisherigen Tageseinkommen von US-$ 6 zurückkehren, aber nehmen wir an, dass der Nahrungsmittelpreis von US$ 1,50 auf US-$ 3 steigt, während der Kleidungspreis unverändert bleibt. Wieder müssen wir die Änderung der Budgetgeraden untersuchen. Diesmal stellen wir fest, dass sie sich an Punkt N gedreht hat und nun NM'' ist, wie in Abbildung 5A-6 gezeigt.10 Die praktische Bedeutung einer solchen Verschiebung liegt auf der Hand. Da der Kleidungspreis unverändert bleibt, kann Punkt N nach wie vor erreicht werden. Aber da der Lebensmittelpreis gestiegen ist, ist Punkt M (er stellt 4 Lebensmitteleinheiten dar) nun außer Reichweite. Bei Lebensmittelkosten von US-$ 3 pro Einheit können maximal 2 Einheiten täglich gekauft werden, wenn das Tageseinkommen US-$ 6 beträgt. Die neue Budgetgerade verläuft also nach wie vor durch N, muss jedoch in N gedreht werden und durch M'' verlaufen, einem Punkt, der links von M liegt. Das Gleichgewicht liegt nun in B'', und wir stehen vor einer neuen Tangentialsituation. Der höhere Nahrungsmittelpreis hat ganz offensichtlich den Nahrungskonsum verringert, während der Kleidungsverbrauch sowohl steigen als auch sinken kann. Wenn Sie diese Mechanismen besser verstehen wollen, arbeiten Sie doch die Fälle einer Einkommenserhöhung und eines Preisverfalls bei Kleidung oder Nahrung an einem Beispiel heraus!
10 Die Budgetgleichung für NM'' lautet nun: $ 6 = $ 3F + $ 1C.
158
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
C 6
N
Bekleidung
5 PF
4 B″ 3
B
B′′′ U4
2
U3 1 M″ 0
1
2
U2 U1
M 3
4
5
6
F
Nahrung
Abbildung 5A-6: Die Auswirkungen von Preisänderungen auf das Gleichgewicht Eine Preissteigerung bei Nahrungsmitteln lässt die Budgetgerade bei einer Rotation um N von NM zu NM'' wandern. Das neue Tangentialgleichgewicht stellt sich in B'' bei weniger Nahrung und entweder mehr oder weniger Bekleidung ein.
Ableitung der Nachfragekurve Wir können nun bereits die Nachfragekurve ableiten. Sehen Sie sich Abbildung 5A-6 sehr genau an. Beachten Sie, dass wir gemäß der Ceteris-paribus-Regel vorgegangen sind, als
Teil 2
wir den Nahrungsmittelpreis von US-$ 1,50 pro Einheit auf US-$ 3 pro Einheit angehoben haben. Die durch die Indifferenzkurven dargestellten Präferenzen wurden nicht verändert, und auch das Einkommen und die Bekleidungspreise wurden unverändert belassen. Wir befinden uns daher in der idealen Situation, um die Nachfragekurve für Nahrung zu verfolgen. Bei einem Preis von US$ 1,50 kauft der Verbraucher 2 Einheiten Nahrung, was als Gleichgewichtspunkt B dargestellt wird. Wenn der Preis auf US-$ 3 pro Einheit steigt, wird eine Einheit Nahrung gekauft, und der Gleichgewichtspunkt liegt in B''. Wenn Sie die Budgetgerade entsprechend einem Nahrungsmittelpreis von US$ 6 pro Einheit zeichnen, liegt das Gleichgewicht in B''', und der Nahrungskauf sinkt auf 0,45 Einheiten. Zeichnen Sie nun den Nahrungsmittelpreis im Verhältnis zu den Nahrungskäufen ein und belassen Sie weiterhin alles andere konstant. Sie haben damit eine eindeutige, abwärts gerichtete Nachfragekurve aus den Indifferenzkurven abgeleitet. Beachten Sie, dass dies möglich war, ohne den Begriff „Nutzen“ auch nur einmal zu gebrauchen – wir haben unsere Ableitung ausschließlich auf die messbaren Indifferenzkurven gestützt.
Zusammenfassung des Anhangs 1.
2.
Eine Indifferenzkurve stellt die Punkte gleichermaßen wünschenswerter Güterkombinationen dar. Die Indifferenz-Höhenlinien werden üblicherweise konvex gezeichnet (in Form einer Schüssel), was dem Gesetz vom abnehmenden relativen Grenznutzen entspricht. Wenn ein Konsument über ein fixes Einkommen verfügt, das er vollständig ausgibt, und wenn er mit den Marktpreisen zweier Güter konfrontiert ist, zwingt ihn das, sich entlang einer Geraden zu bewegen, die als Budgetgerade oder Budgetbeschränkung (auch Budgetrestriktion) bezeichnet wird. Der Anstieg dieser Geraden hängt vom Verhältnis der beiden Marktpreise ab; ihre Position hängt von der Höhe des Einkommens des Konsumenten ab.
3.
4.
Der Verbraucher bewegt sich entlang seiner Budgetgeraden, bis er die höchste für ihn erreichbare Indifferenzkurve erreicht. An diesem Punkt berührt die Budgetgerade eine Indifferenzkurve, schneidet diese jedoch nicht. Das Gleichgewicht ist daher im Berührungspunkt erreicht, dort, wo der Anstieg der Budgetgeraden (Verhältnis der Preise) genau dem Anstieg der Indifferenzkurve (Substitutionsrate oder Verhältnis der Grenznutzen zweier Güter) entspricht. Damit erhalten wir einen zusätzlichen Beweis dafür, dass im Gleichgewicht die jeweiligen Grenznutzen proportional zu den Preisen sind. Ein Einkommensrückgang verschiebt die Budgetgerade parallel nach innen, was zumeist
Anhang 5
Geometrische Analyse des Konsumentengleichgewichts
dazu führt, dass von beiden Gütern weniger gekauft wird. Eine Preisänderung bei einem Gut allein wird, ceteris paribus, dazu führen, dass sich die Budgetgerade dreht und ihre Steigung ändert. Nach einer Preis- oder Einkommensänderung wird der Verbraucher neuerlich einen Tangentialpunkt der höchsten Be-
159
friedigung erreichen. An jedem einzelnen Tangentialpunkt ist der Grenznutzen pro Geldeinheit für jedes Gut gleich. Indem wir den alten und den neuen Gleichgewichtspunkt vergleichen, können wir die üblicherweise abwärts gerichtete Nachfragekurve zeichnen.
Begriffe zur Wiederholung Indifferenzkurven Steigung oder Substitutionsrate Budgetgerade oder Budgetbeschränkung Konvexer Verlauf von Indifferenzkurven und Gesetz des abnehmenden relativen Grenznutzens Optimale Tangentialbedingung: PF/PC = Substitutionrate = MUF/MUC
Übungen 1.
2.
Zeichnen Sie die Indifferenzkurven (a) zwischen Komplementärgütern wie linken und rechten Schuhen und (b) zwischen perfekten Substituten wie zwei Flaschen Cola, die in einem Geschäft nebeneinander stehen. Betrachten wir beispielhaft Schweinefleischprodukte und Yachten. Zeichnen Sie eine Gruppe von Indifferenzkurven und Budgetgeraden wie die von Abbildung 5A-5, die Schweinefleischprodukte als inferiore Güter und Yachten als „Luxusgüter“ mit einer Einkommenselastizität ausweisen, die höher ist als 1.
161
KAPITEL 6 Produktion und ihre Organisation im Unternehmen
The business of America is business. Calvin Coolidge
Bevor wir unser tägliches Brot essen können, muss irgendjemand es backen. Genauso hängen die Möglichkeiten einer Wirtschaft, Autos zu bauen, Strom zu erzeugen, Computerprogramme zu schreiben und jene Masse an Gütern und Dienstleistungen anzubieten, die das Bruttoinlandsprodukt ausmachen, von ihrer Produktionskapazität ab. Die Produktionskapazität eines Landes wird durch Umfang und Qualität des Arbeitsangebots, durch Quantität und Qualität des Kapitalbestandes, durch das technische Know-how sowie durch die Fähigkeit, dieses Know-how einzusetzen, und durch die Beschaffenheit seiner öffentlichen und privaten Institutionen bestimmt. Warum ist der Lebensstandard in Nordamerika hoch? Warum ist er im tropischen Afrika gering? Um diese Fragen zu beantworten, sollten wir einen Blick auf die Produktionsmaschinerie werfen und feststellen, wie gut sie läuft. Wir wollen untersuchen, wie die Marktkräfte das Güter- und Dienstleistungsangebot bestimmen. In den folgenden drei Kapiteln werden wir die drei wichtigen Themen Produktion, Kosten und Angebot behandeln und zeigen, wie sie untereinander verbunden sind. Zunächst wenden wir uns den Grundlagen der Produktionstheorie zu und betrachten, wie Unternehmen aus Produktionsfaktoren erstrebenswerte Güter erzeugen. Die Produktionstheorie lässt uns auch verstehen, warum Produktivität und Lebensstandard im Laufe der Zeit gestiegen sind und wie Unternehmen ihre internen Abläufe gestalten. Mithilfe unseres Wissens über die Produktion werden wir in Kapitel 7 die wichtigen Konzepte der Unternehmenskosten entwickeln. Unternehmen entscheiden auf der Grundlage der Kosten und Produktivität der einzelnen Inputs darüber, welche Produktionsfaktoren sie im Produktionsprozess verwenden wollen. Und schließlich wollen wir anhand der Produktions- und Kostentheorie aufzeigen, wie Unternehmen über ihre Produktionsmengen entscheiden. Damit erarbeiten wir uns die Grundlage für die Angebotskurve, die wir ja schon zuvor in unserer
162
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Grobanalyse von Angebot und Nachfrage behandelt haben.
A. Produktionstheorie und Grenzprodukte Die Grundlagen Eine moderne Volkswirtschaft zeichnet sich durch eine enorme Vielfalt von Produktionstätigkeiten aus. In der Landwirtschaft werden mit Hilfe von Dünger, Saatgut, Boden und Arbeitseinsatz beispielsweise Weizen oder Mais erzeugt. Eine moderne Fabrik setzt Produktionsfaktoren wie Energie, Rohmaterialien, komplizierte computergesteuerte Maschinen und Arbeitskräfte ein, um Traktoren, Fernsehgeräte oder Zahnpastatuben herzustellen. Fluggesellschaften bieten ihren Passagieren mit Hilfe von Flugzeugen, Treibstoff, Arbeit und computergestützten Reservierungssystemen die Möglichkeit, rasch ein ganzes Netz von Routen zu befliegen. Eine Wirtschaftsprüfungskanzlei setzt Kugelschreiber, Computer, Papier, Bürofläche und Arbeit ein und macht daraus Bilanzprüfungen oder Steuererklärungen für ihre Kunden. Wir unterstellen nun, dass sie alle, Landwirtschaft, Fabrik, Fluglinie oder Wirtschaftsprüfungskanzlei, immer danach trachten, möglichst effizient oder zu niedrigsten Kosten zu produzieren. Mit anderen Worten: Alle diese Unternehmen versuchen, zu jeder Zeit den größtmöglichen Output aus den gegebenen Inputs herauszuholen und jede Verschwendung tunlichst zu vermeiden. Später, wenn es um die Entscheidung geht, welche Güter oder Dienstleistungen produziert und verkauft werden sollen, müssen wir zusätzlich unterstellen, dass Unternehmen ihre Gewinne maximieren wollen.
Teil 2
Die Produktionsfunktion Wir haben über Inputs wie Boden und Arbeit und über Outputs wie Weizen und Zahnpasta gesprochen. Doch wie viel Output erhält man aus einer fixen Kombination von Inputs? In der Praxis hängt die Antwort auf diese Frage vom Stand der Technologie und des technischen Know-hows ab. Zu jeder Zeit kann angesichts bestimmter Vorgaben an technischem Know-how, Boden, Maschinenbeständen usw. nur eine bestimmte Menge an Traktoren oder Zahnpasta durch eine gegebene Menge an Arbeitskraft produziert werden. Die Beziehung zwischen dem erforderlichen Maß an Input und dem zu erreichenden Output wird als Produktionsfunktion bezeichnet. Die Produktionsfunktion sagt aus, welche maximale Produktionsmenge bei gegebenem Faktoreinsatz erzeugt werden kann. Sie gilt jeweils für einen bestimmten Stand der Technik und des technologischen Know-hows. Stellen wir uns doch ein Handbuch mit technischen Spezifikationen vor, das die Produktionsfunktion für die Erzeugung von Elektrizität angibt. Auf der einen Seite sehen wir die Spezifikationen verschieden dimensionierter Gasturbinen mit ihren Inputs (Investitionskosten, Treibstoffverbrauch, erforderliche Arbeitskräfte zum Betrieb der Turbine) und ihren Outputs (erzeugte Elektrizitätsmenge). Auf der nächsten Seite finden wir Beschreibungen verschieden großer kohlebefeuerter Heizkraftwerke mit ihren Inputs und Outputs, und auf einer weiteren Seite sind Kernkraftwerke, Solaranlagen usw. beschrieben. Gemeinsam stellen sie die Produktionsfunktion für die Stromerzeugung dar. Oder denken Sie an eine schlichte Tätigkeit wie das Ausheben eines Grabens. Vor unserem Fenster würden wir hier in Amerika einen großen und sicherlich sehr teuren Schaufelbagger sehen, bedient von einer Person, die ihrerseits von einer anderen Person beaufsichtigt wird. Dieses Team kann in zwei
Kapitel 6
Produktion und ihre Organisation im Unternehmen
Stunden problemlos einen 1,5 Meter tiefen und 15 Meter langen Graben ausheben. Zu Besuch in Vietnam bekämen wir dagegen 50 Arbeiter zu Gesicht, die jeweils nur mit einer Schaufel bewaffnet wären. Wahrscheinlich wäre derselbe Graben erst nach einem Tag harter Arbeit fertig. Die beiden Techniken – eine kapitalintensiv, die andere arbeitsintensiv – gehören zur Produktionsfunktion des Grabenaushebens. Es gibt also viele Millionen verschiedener Produktionsfunktionen: Jedes Produkt und jede Dienstleistung hat eine eigene. Die meisten sind nirgendwo außer in der Vorstellung der Menschen festgehalten. In Bereichen, in denen sich die Technologie rasch verändert, etwa in der Telekommunikation und in der Biotechnologie, sind Produktionsfunktionen schon bald nach ihrer Erstellung veraltet. Einige – als Beispiel seien hier die Entwürfe für ein medizinisches Labor oder für ein Haus in den Klippen genannt – werden eigens für einen bestimmten Standort und Zweck erstellt und wären anderswo völlig unbrauchbar. Dennoch sind Produktionsfunktionen eine nützliche Methode, um die Produktionsmöglichkeiten eines Unternehmens darzustellen.
Gesamt-, Durchschnitts- und Grenzprodukt Die Produktionsfunktion eines Unternehmens ermöglicht es uns, drei bedeutende Produktionskonzepte zu berechnen: das Gesamt-, das Durchschnitts- und das Grenzprodukt. Wir beginnen mit der Berechnung der gesamten physischen Produktionsmenge oder des Gesamtprodukts, das die Gesamtanzahl der produzierten Outputs in physischen Einheiten wie Bushels (bei Weizen) oder Tuben (bei Zahnpasta) ausweist. Abbildung 6-1(a) und Spalte (2) von Tabelle 6-1 zeigen das Konzept des Gesamtprodukts. In diesem Beispiel sehen wir, wie sich das Gesamtprodukt verändert, wenn die Zahl der Arbeitskräfte erhöht wird. Das Gesamtprodukt beginnt bei Null, wenn keine einzige
163
Arbeitskraft eingesetzt wird, und es erhöht sich mit zunehmendem Arbeitseinsatz bis auf maximal 3.900 erzeugte Einheiten, wenn 5 Arbeitseinheiten beschäftigt werden.1 Sobald wir das Gesamtprodukt kennen, lässt sich mühelos ein ebenso wichtiges Konzept daraus ableiten: das des Grenzprodukts. Denken Sie daran, dass die Vorsilbe „Grenz-“ für unsere Zwecke immer „zusätzlich“ bedeutet. Das Grenzprodukt oder die Grenzproduktivität eines Inputs oder Produktionsfaktors entspricht der zusätzlichen Menge oder dem zusätzlichen Output, die bzw. der durch eine zusätzliche Einheit erzeugt werden kann, während alle anderen Faktoren konstant bleiben. Nehmen wir an, Boden, Maschinen und alle anderen Inputs würden konstant gehalten. In diesem Fall ist das Grenzprodukt der Arbeit der durch eine zusätzliche Arbeitseinheit zu erreichende zusätzliche Output. In der dritten Spalte von Tabelle 6-1 wird das Grenzprodukt berechnet. Das Grenzprodukt der Arbeit beginnt bei 2.000 für die erste Arbeitseinheit und fällt dann auf nur noch 100 Einheiten für die fünfte Arbeitseinheit. Berechnungen der Grenzproduktivität wie diese tragen entscheidend zum Verständnis der Bildung von Löhnen und anderen Faktorpreisen bei. Das letzte Konzept, das wir in diesem Zusammenhang besprechen möchten, ist das des Durchschnittsprodukts, das den Gesamtoutput, dividiert durch die gesamten Inputeinheiten, darstellt. Spalte (4) in Tabelle 6-1 weist das durchschnittliche Arbeitsprodukt mit 2.000 Einheiten pro Arbeiter bei einem Arbeiter, 1.500 Einheiten pro Arbeiter bei zwei Arbeitern usw. aus. In diesem Beispiel geht das Durchschnittsprodukt im Verlauf der gesamten Bandbreite zusätzlicher Arbeitsinputs immer weiter zurück. 1 In diesem Kapitel sprechen wir von „Arbeitseinheiten“ als Input im Produktionsprozess. Es ist üblich, Arbeit in Form von Arbeitsstunden (Personenstunden) zu messen, um die Tatsache zu berücksichtigen, dass nicht alle Menschen die gleiche Wochenarbeitszeit haben. Der Einfachheit halber verwenden wir hier jedoch nur die Zahl der Arbeiter und nehmen an, sie alle hätten dieselben Arbeitszeiten.
164
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
(a) Gesamtprodukt
Teil 2
(b) Grenzprodukt
TP 4.000
Grenzprodukt (pro Arbeitseinheit)
MP
Gesamtprodukt
3.000
2.000
1.000
0
1
2
3
4
5
3.000
2.000
1.000
0
1
2
3
4
5
Arbeit
Arbeit
Abbildung 6-1: Das Grenzprodukt als Ableitung vom Gesamtprodukt Diagramm (a) zeigt die Gesamtproduktkurve, die ansteigt, wenn zusätzliche Arbeitsinputs hinzukommen, während alles andere konstant bleibt. Dennoch steigt das Gesamtprodukt mit jeder zusätzlichen Arbeitseinheit um einen immer kleineren Wert. (Vergleichen Sie die Zunahme durch den ersten und den fünften Arbeiter.) Durch Verbindung der Punkte erhalten wir die rote Gesamtproduktkurve. Diagramm (b) zeigt die kleiner werdenden Stufen des Grenzprodukts. Überzeugen Sie sich, ob Sie verstanden haben, warum jedes dunkle Rechteck in (b) seinem Gegenstück in (a) entspricht. Der Bereich in (b) unter der roten Grenzproduktkurve (oder die Summe der dunklen Rechtecke) summiert sich zum Gesamtprodukt in (a).
Abbildung 6-1 zeigt die Gesamt- und Grenzprodukte aus Tabelle 6-1. Studieren Sie diese Abbildung sorgfältig, um die Beziehung zwischen den Grenzproduktblöcken in (b) und den Änderungen der Gesamtproduktkurve in (a) zu verstehen.
Das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge (Ertragsgesetz) Mithilfe der Produktionsfunktionen können wir nun eines der bekanntesten Gesetze der gesamten Volkswirtschaft, das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge, kurz Ertragsgesetz genannt, verstehen: Das Ertragsgesetz besagt, dass wir laufend geringere zusätzliche Erträge erhalten, wenn wir einen Input bei unveränderten sonstigen Faktoren immer weiter erhöhen. Mit anderen Worten, das Grenzprodukt jeder Inputeinheit sinkt, wenn sich die Menge dieses Inputs erhöht, während alle anderen Faktor konstant bleiben.
Das Ertragsgesetz drückt eine sehr grundlegende Beziehung aus: Wenn von einem Input wie Arbeit bei gleich bleibender Menge der anderen Produktionsfaktoren wie Land, Maschinen usw. mehr eingesetzt wird, steht dieser vermehrten Arbeitskraft eine immer geringere Menge der anderen Faktoren zur Bearbeitung zur Verfügung. Auf dem Boden wird es immer enger, die Maschinen sind überlastet, und die Grenzproduktivität des Faktors Arbeit nimmt ab. Das Ertragsgesetz lässt sich griffiger fassen, wenn wir uns vorstellen, wir müssten als Landwirte das in Tabelle 6-1 dargestellte Experiment durchführen. Bei einer bestimmten Größe der landwirtschaftlichen Fläche und gleicher Menge der anderen Inputs nehmen wir zunächst einmal an, es würde überhaupt keine Arbeit eingesetzt. Ohne Arbeitsinput auch kein Maisoutput. Dementsprechend weist Tabelle 6-1 das Produkt bei einem Arbeitseinsatz von null mit null aus.
Kapitel 6
(1) Arbeitseinheiten 0
Produktion und ihre Organisation im Unternehmen
(2) Gesamtprodukt
(3) Grenzprodukt
(4) Durchschnittsprodukt
0 2.000
1
2.000
2.000 1.000
2
3.000
1.500 500
3
3.500
1.167 300
4
3.800
950 100
5
3.900
780
Tabelle 6-1: Gesamt-, Grenz- und Durchschnittsprodukt Die Tabelle zeigt das Gesamtprodukt, das sich für verschiedene Arbeitsinputs ergibt, wenn die anderen Inputs (Kapital, Boden usw.) und der Stand des technischen Know-hows unverändert bleiben. Aus dem Gesamtprodukt können wir die wichtigen Prinzipien des Grenz- und Durchschnittsprodukts ableiten.
Wir setzen nun bei derselben Größe landwirtschaftlicher Nutzfläche eine erste Arbeitseinheit ein. Dabei stellen wir fest, dass wir 2.000 Scheffel Mais produzieren können. In einem nächsten Schritt steigern wir den Input von einer auf zwei Arbeitseinheiten, während wir alle anderen Faktoreinsätze gleich belassen. Die zweite Arbeitseinheit kann nur noch 1.000 Scheffel Mais zusätzlich produzieren, also weniger, als die erste Arbeitseinheit gebracht hat. Bei der dritten Arbeitseinheit ist das Grenzprodukt noch niedriger als bei der zweiten, und die vierte Arbeitseinheit erbringt wieder ein bisschen weniger. Das in Tabelle 6-1 dargestellte hypothetische Beispiel illustriert also das Ertragsgesetz. Außerdem zeigt uns Abbildung 6-1 auch das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge für den Produktionsfaktor Arbeit, wenn Boden
165
und die anderen Faktoren konstant bleiben. Wir erkennen, dass die Grenzproduktkurve bei steigendem Arbeitseinsatz fällt, und nichts anderes besagt das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge. In Abbildung 6-1(a) ergeben die abnehmenden Grenzerträge eine konkave oder kuppelförmige Gesamtproduktkurve. Was für die Arbeit gilt, trifft ebenso auf Boden und die anderen Produktionsfaktoren zu. Wir können Boden und Arbeit vertauschen, also die eingesetzte Arbeitskraft konstant belassen, während wir die bearbeitete Fläche variieren. Die Grenzproduktivität des Bodens entspricht der Änderung der Gesamtproduktionsmenge, die sich aus einer zusätzlichen Bodeneinheit ergibt, wenn alle anderen Faktoreinsätze unverändert bleiben. Das Grenzprodukt jedes Inputs (Arbeit, Boden, Maschinen, Wasser, Dünger usw.) lässt sich berechnen, und dieses Grenzprodukt kann auf jeden Output (Weizen, Mais, Stahl, Sojabohnen usw.) angewendet werden. Bei genauerem Hinsehen würden wir feststellen, dass auch alle anderen Inputs dem Gesetz der abnehmenden Grenzerträge folgen. Abnehmende Erträge in landwirtschaftlichen Experimenten Besonders anschaulich ist das Ertragsgesetz in der Landwirtschaft zu beobachten. Farmer Tilly setzt immer mehr Arbeitszeit ein, auf seinen Feldern wird gründlicher gesät und gejätet, die Bewässerungsgräben werden immer präziser und die Vogelscheuchen besser geölt. Irgendwann jedoch erweist sich der zunehmende Arbeitseinsatz als immer unproduktiver. Das dritte Umgraben des Feldes oder das vierte Ölen der Geräte erhöht den Ertrag kaum noch. Schließlich wird der zusätzlich erwirtschaftete Output sehr, sehr gering und immer mehr Leute drängen sich auf der Farm. Dabei zeigt sich: Zu viele Landarbeiter verderben die Ernte. Wirtschaftswissenschaftler führen häufig Experimente durch, um die Auswirkungen unterschiedlicher Inputkombinationen auf den Output zu ermitteln. Abbildung 6-2 zeigt die Er-
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
gebnisse eines Experiments, in dem verschiedene Phosphordosierungen (P2O5) auf zwei verschiedene Felder aufgebracht wurden, wobei Fläche, Stickstoffdüngung, Arbeit und alle sonstigen Inputs konstant gehalten wurden. Im wirklichen Leben werden Experimente durch „Zufallsfehler“ erschwert – in diesem Fall primär durch die unterschiedliche Bodenqualität. Sie sehen, dass das Ertragsgesetz schon bald, nach etwa 100 Pfund Phosphor je Morgen, zuschlägt. Über einem Niveau von 300 Pfund je Morgen rutscht das Grenzprodukt des zusätzlichen Phosphordüngers sogar in den negativen Bereich.
Abnehmende Erträge sind ein wesentlicher Faktor, will man erklären, warum etwa viele Länder Asiens so arm sind. Der Lebensstandard im übervölkerten Indien oder in Bangladesh ist deshalb so gering, weil hier so viele Landwirte auf so wenig Land tätig sind, nicht weil die Leute dort unfähig sind oder auf wirtschaftliche Anreize nicht reagieren. Wir können zur Illustration des Ertragsgesetzes auch ein Studium heranziehen. Sie haben vielleicht festgestellt, dass die erste Stunde Ihres Volkswirtschaftsstudiums an einem bestimmten Tag sehr produktiv war. Sie haben neue wirtschaftliche Gesetze und Fakten kennen gelernt, Einsichten gewonnen und sich über die geschichtliche Entwicklung informiert. In der zweiten Stunde hat ihre Aufmerksamkeit noch ausgereicht, um ein wenig im Buch zu blättern, allerdings haben Sie nicht mehr allzu viel aufgenommen. Aber spätestens in der dritten Lernstunde bricht das Ertragsgesetz mit voller Wucht durch, und am nächsten Tag können Sie sich an absolut nichts mehr von dem, was Sie in dieser dritten Stunde gelernt haben, erinnern. Sagt das Ertragsgesetz eigentlich etwas darüber aus, warum man besser langsam und stetig mitlernen und nicht versuchen sollte, sich noch möglichst am Tag vor der Prüfung alles einzutrichtern? Das Ertragsgesetz ist eher eine weithin beobachtete empirische Gesetzmäßigkeit als
Teil 2
150
Maisertag (Scheffel/Morgen)
166
100
50
0
0
100 200 300 Phosphordüngung (Pfund/Morgen)
400
Abbildung 6-2: Rückläufige Erträge in der Maisproduktion Agrarfachleute haben auf zwei Feldern Experimente mit unterschiedlicher Phosphordosierung durchgeführt, um die Produktionsfunktion für Mais im westlichen Iowa zu ermitteln. Bei der Durchführung des Experiments achtete man besonders darauf, alle sonstigen Faktoren, etwa Stickstoffdüngung, Wasser und Arbeitsaufwand, unverändert zu belassen. Aufgrund der Unterschiede bei Boden und Mikroklima können nicht einmal penibelste Forscher geringfügige Abweichungen vermeiden, woraus sich der gezackte Verlauf der Kurven erklärt. Wenn Sie die Einzeldaten zu einer Kurve verbinden, erkennen Sie, dass jede zusätzliche Dosis rückläufige Erträge zur Folge hat und dass das Grenzprodukt bei einer Phosphordüngung von rund 300 negativ wird. Quelle: Earl O. Heady, John T. Pesek und William C. Brown, Crop Response Surfaces and Economic Optima in Fertilizer Use (Agricultural Experiment Station, Iowa State College, Ames, Iowa, 1955) Tafel A-15.
eine universelle Wahrheit, wie wir sie etwa dem Gesetz der Schwerkraft zubilligen. Man findet es in zahlreichen empirischen Studien wieder, aber es wurden auch durchaus schon jene Ausnahmen gefunden, die die Regel bestätigen. Außerdem gelten die abnehmenden Grenzerträge nicht für jedes Produktionsniveau. Die ersten Arbeitsinputs könnten in Wirklichkeit sehr wohl das Grenzprodukt erhöhen, weil ein Mindestmaß an Arbeitsinput notwendig sein kann, um über-
Kapitel 6
Produktion und ihre Organisation im Unternehmen
haupt zum Feld zu gelangen und dort eine Schaufel in die Hand zu nehmen. Trotz dieser Einschränkungen gilt das Ertragsgesetz jedoch in den allermeisten Situationen.
Skalenerträge Abnehmende Erträge und Grenzprodukte beschreiben die Veränderung des Produktionsergebnisses bei Erhöhung eines einzelnen Inputs, wenn alle anderen Inputs konstant bleiben. Wir haben gesehen, dass zunehmender Arbeitseinsatz bei einer gegebenen Fläche verfügbaren Ackerlandes den Lebensmitteloutput immer weniger steigert. Doch manchmal interessieren uns die Auswirkungen aller zusätzlich eingesetzten Inputs. Wie beispielsweise würde sich die Weizenproduktion entwickeln, könnte man Boden, Arbeit, Wasser und andere Inputs im selben Ausmaß steigern? Oder wie stünde es um die Produktion von Traktoren, würden die jeweiligen Mengen an Arbeit, Computern, Robotern, Stahl und Produktionsfläche verdoppelt? Diese Fragen beziehen sich auf die so genannten Skalenerträge (auch Niveauerträge genannt), mit anderen Worten, auf die Auswirkungen einer Vervielfachung der Inputs auf die produzierte Menge. Dabei lassen sich drei wichtige Fälle unterscheiden: • Konstante Skalenerträge liegen vor, wenn eine Änderung aller Inputs zu einer Veränderung des Outputs im selben Verhältnis führt. Werden beispielsweise Boden, Kapital und die anderen Faktoreinsätze verdoppelt, so verdoppelt sich bei konstanten Skalenerträgen auch die Produktionsmenge. Zahlreiche Gewerbebetriebe (beispielsweise Friseure in den USA oder Handwebstühle in einem Entwicklungsland) weisen konstante Erträge auf. • Zunehmende Skalenerträge treten ein, wenn eine Erhöhung aller Inputs zu einem überproportionalen Anstieg des Outputs
167
führt. So könnte beispielsweise ein Ingenieur, der die Pläne für einen kleinen chemischen Betrieb entwirft, zu der allgemeinen Erkenntnis gelangen, dass eine Vermehrung des Einsatzes von Arbeit, Kapital und Material um 10 Prozent das Produktionsergebnis um mehr als 10 Prozent steigert. Technische Studien haben ergeben, dass bei zahlreichen industriellen Produktionsprozessen bis zu den größten heute üblichen Anlagen leicht steigende Skalenerträge eintreten. • Abnehmende Skalenerträge treten auf, wenn eine gleichmäßige Erhöhung aller Inputs zu einer unterproportionalen Erhöhung des Gesamtoutputs führt. In vielen Prozessen kann eine Erhöhung der Inputs letztlich an einen Punkt führen, ab dem es zu Ineffizienzen kommt. Diese könnten auf einen exzessiven Management- oder Kontrollaufwand zurückzuführen sein. In der Stromerzeugung mussten etwa die Unternehmen feststellen, dass allzu große Kraftwerke ein zu hohes Ausfallrisiko bedeuten. Viele Produktionstätigkeiten, in denen natürliche Ressourcen eine Rolle spielen, etwa die Bearbeitung eines Weinberges oder die Versorgung einer Stadt mit sauberem Trinkwasser, weisen abnehmende Skalenerträge auf. Die Produktion zeigt konstante, abnehmende oder zunehmende Skalenerträge, je nachdem ob eine gleichmäßige Erhöhung aller Faktoren zu einem überproportionalen, unterproportionalen oder proportionalen Anstieg der Produktionsmenge führt. Techniker stellen sehr häufig fest, dass moderne Massenproduktionsmethoden eine gewisse Mindestgröße der Fabriken voraussetzen. In Kapitel 2 haben wir darauf hingewiesen, dass Unternehmen bei steigender Produktionsleistung den Produktionsprozess häufig in getrennte Arbeitsschritte unterteilen und sich so Spezialisierung und Arbeitsteilung zunutze machen. Außerdem ermög-
168
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
licht die Produktion im größeren Maßstab eine intensivere Nutzung spezialisierter Kapitalausstattung und Automation sowie die Anwendung von CAD/CAM-Methoden, um einfache und Routinearbeiten rasch erledigen zu können. Die Informationstechnologie zeichnet sich oft durch hohe Skalenerträge aus. Dies zeigt recht anschaulich etwa Microsoft Windows 98. Die Entwicklung dieses Programms kostete über US-$ 1 Milliarde für Forschung, Entwicklung, Beta-Tests und Werbung. Trotzdem verursacht es fast keine Kosten, Windows 98 auf einem neuen Computer zu speichern, weil dazu nur einige Sekunden Computerzeit erforderlich sind. Wir werden noch sehen, dass ausgeprägte Skaleneffekte häufig Unternehmen mit erheblicher Marktmacht hervorbringen und daher für die staatliche Wirtschaftspolitik ein ernsthaftes Problem darstellen.
Kurz- und langfristige Betrachtungsweise Produktion erfordert nicht nur Arbeit und Boden, sondern auch Zeit. Riesige Pipelinesysteme werden nicht über Nacht errichtet, doch wenn sie einmal in Betrieb sind, halten sie jahrzehntelang. Landwirte können nicht mitten in der Saison ihren Anbauplan ändern. An großen Elektrizitätswerken wird vielleicht ein Jahrzehnt lang geplant, gebaut, getestet und kommissioniert. Sobald aber die Kapitalausstattung in die konkrete Form eines riesigen Autowerks gebracht wurde, kann dieses Kapital wirtschaftlich nicht mehr herausgelöst und an einen anderen Standort verschoben oder einer anderen Verwendung zugeführt werden. Um auch die Rolle der Zeit bei Produktion und Kosten zu berücksichtigen, unterscheiden wir daher eine kurz- und eine langfristige Betrachtungsweise. Als kurzfristig wird eine Zeitdauer beschrieben, in der die Unternehmen ihre Produktion durch eine Änderung variabler Faktoren wie diverser Rohmaterialien oder der eingesetzten Ar-
Teil 2
beitskräfte anpassen können, während sich fixe Faktoren wie Kapital nicht so schnell verändern lassen. Als langfristig wird jener Zeitraum beschrieben, der ausreicht, um alle Faktoren einschließlich des Kapitals anpassen zu können. Zum besseren Verständnis dieser beiden Konzepte wollen wir einmal überlegen, wie die Stahlproduktion auf Änderungen der Nachfrage reagieren könnte. Nehmen wir etwa an, Nippon Steel fährt seine Hochöfen mit 70-prozentiger Auslastung, und plötzlich steigt völlig unerwartet die Nachfrage nach Stahl, weil etwa das Werk eines Konkurrenten stillgelegt werden musste. Um sich der höheren Stahlnachfrage anzupassen, kann das Unternehmen seine Produktion steigern, indem es die Arbeiter Überstunden machen lässt und seine Anlagen und Maschinen intensiver nutzt. Faktoren, die kurzfristig vermehrt eingesetzt werden können, bezeichnen wir als variable Faktoren. Es könnte aber auch sein, dass die höhere Stahlnachfrage mehrere Jahre lang anhält. Nippon Steel würde in diesem Fall seinen Kapitalbedarf analysieren und eine Erhöhung der hauseigenen Produktionskapazitäten beschließen. Allgemeiner ausgedrückt, würde ein Unternehmen in einer solchen Situation wohl auch alle seine fixen Faktoren überprüfen – Faktoren, die sich aus physikalischen oder rechtlichen Gründen kurzfristig nicht ändern lassen. Der Zeitraum, der erforderlich ist, um alle Faktoreinsätze, fixe wie variable, ändern zu können, wird als langfristig bezeichnet. Langfristig könnte Nippon neue und effizientere Produktionsverfahren einführen, eine Bahnanbindung anstreben oder auch ein neues computergestütztes Kontrollsystem einführen; ebenso könnte das Unternehmen möglicherweise ein neues Werk in Mexiko eröffnen. Lassen sich alle Faktoren anpassen, steigt die Stahl-Gesamtproduktionsmenge, und auch die Effizienz kann erhöht werden. Für eine effiziente Produktion sind sowohl Zeit als auch konventionelle Produktionsfak-
Kapitel 6
Produktion und ihre Organisation im Unternehmen
toren wie Arbeit erforderlich. Wir unterscheiden daher in Produktion und Kostenanalyse zwischen zwei unterschiedlich langen Zeitperioden. Als kurzfristig wird dabei ein Zeitraum betrachtet, innerhalb dessen nur einige, nämlich die variablen Faktoreinsätze angepasst werden können. Fixe Faktoren wie Anlagen und Ausstattung lassen sich dagegen kurzfristig nicht vollständig ändern oder anpassen. Als langfristig wird ein Zeitraum bezeichnet, in dem alle fixen und variablen Faktoren, derer sich das Unternehmen bedient, einschließlich Kapital, verändert werden können. 2 Das duftet ja köstlich! Die Produktionsprozesse in einer modernen Marktwirtschaft sind überaus komplex. Wir können diesen Umstand anhand eines schlichten Hamburgers veranschaulichen. Je länger sich die Amerikaner an ihrem Arbeitsplatz aufhalten und je weniger Zeit sie in ihren Küchen verbringen, desto stärker steigt die Nachfrage nach Fertignahrung. So genannte TV-Dinners haben den Einkauf von Karotten und Erbsen im Laden ersetzt, während die Zahl der Hamburger, die bei McDonald's über den Ladentisch wandern, bereits in die Milliarden geht. Der Wechsel hin zu industriell verarbeiteter Nahrung hat allerdings den Nachteil, dass das Essen, nachdem es gewaschen, sortiert, geschnitten, blanchiert, eingefroren, aufgetaut und neuerlich erhitzt wurde, häufig seinen Geschmack eingebüßt hat. Als Konsument wünscht man sich jedoch, dass ein Hamburger riecht und schmeckt wie ein Hamburger und nicht wie gekochte Pappe. An diesem Punkt setzt die „Produktion von Aromen und Gerüchen“ ein. Unternehmen wie International Flavors and Fragrances (IFF) stellen den Geschmack von Potato Chips, Frühstücksflocken, Eiscreme, Keksen und allen sonstigen Arten industriell produzierter Nahrung her, sie erzeugen aber auch die Düfte vieler exquisiter Parfums, Seifen und Shampoos. Wenn Sie sich die Etiketten der Produkte, die Sie im Lebensmittelhandel einkaufen, einmal durchlesen, werden Sie häufig Hinweise auf „natürliche Inhalts-
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stoffe“ oder „künstliche Inhaltsstoffe“ finden; dabei handelt es sich um Verbindungen wie Amylazetat (Bananengeschmack) oder Benzaldehyd (Mandelgeschmack). Doch diese uns meist unbekannten Chemikalien bewerkstelligen Unglaubliches. Ein Nahrungsforscher berichtet uns über seine Erfahrungen in den Labors von IFF: [Nachdem wir einen Duftteststreifen aus Papier in jedes der Fläschchen im Labor getaucht hatten,] schloss ich die Augen. Anschließend atmete ich tief ein und konnte vor meinem inneren Auge aus den Glasflaschen ein Nahrungsmittel nach dem anderen auftauchen lassen. Ich roch frische Kirschen, schwarze Oliven, Röstzwiebeln und Shrimps. [Die] erstaunlichste Kreation verblüffte mich jedoch sehr. Mit geschlossenen Augen roch ich plötzlich einen gut gegrillten Hamburger. Das Aroma war geradezu unheimlich echt. Es roch, als würde jemand im selben Raum Frikadellen auf einem heißen Grill wenden. Als ich meine Augen wieder öffnete, lag da jedoch nur ein schmaler weißer Streifen aus Papier.2
Diese Geschichte erinnert uns daran, dass „Produktion“ in einer modernen Wirtschaft viel mehr ist als nur der Anbau von Kartoffeln oder das Gießen von Stahl. Bisweilen müssen Dinge wie ein Hühnchen und Kartoffeln in winzige Bestandteile zerlegt und dann mit neuen, irgendwo auf der Welt künstlich hergestellten Komponenten wieder zusammengesetzt werden. Diese komplexen Produktionsprozesse finden wir in jedem Sektor, von Medikamenten, die unseren Gemütszustand ändern oder unser Blut verdünnen können, bis hin zu Finanzinstrumenten, die die mit einem Darlehen verbundenen Zahlungsströme auseinandernehmen, neu zusammenstellen und so verkaufen. Und meistens sind wir völlig ahnungslos, welche exotischen Substanzen sich in der einfachen Schachtel aus Recyclingpapier, in die unser 2-Dollar-Hamburger gelegt wurde, tatsächlich befinden.
2 Eric Schlosser, Fast Food Nation (Perennial Press, New York, 2002), S. 129.
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Technologischer Wandel Die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass die Gesamtproduktion der USA im letzten Jahrhundert um mehr als das Zehnfache angestiegen ist. Ein Teil dieses Zuwachses ist den vermehrten Inputs, beispielsweise Arbeit und Maschinen, zuzuschreiben. Aber einen großen Teil des Outputzuwachses verdanken wir dem technologischen Fortschritt, der zu Verbesserungen in Produktion und Lebensstandard geführt hat. In mancherlei Hinsicht hat der technologische Fortschritt zu wirklich dramatischen Umwälzungen geführt: Großraumjets haben die Anzahl der Passagiermeilen pro Inputeinheit um beinahe 50 Prozent erhöht. Die Glasfasertechnologie konnte im Bereich der Telekommunikation die Kosten senken und gleichzeitig die Verlässlichkeit erhöhen. Und Verbesserungen in der Computertechnologie haben die Rechnergeschwindigkeit in drei Jahrzehnten auf mehr als das Tausendfache gesteigert. In anderen Bereichen tritt der technologische Wandel subtiler zutage, beispielsweise wenn die Unternehmen ihre Produktionsmethoden ändern, um eine Vergeudung von Ressourcen zu vermeiden und den Output zu erhöhen. Wir unterscheiden zwischen Prozessinnovation, die dann gegeben ist, wenn neues technisches Know-how die Produktionstechnik für bestehende Produkte verbessert, und Produktinnovation, wenn neue oder verbesserte Produkte auf den Markt gebracht werden. Eine Prozessinnovation ermöglicht es beispielsweise den Unternehmen, bei gleich bleibendem Faktoreinsatz mehr zu produzieren oder aber sich mit derselben Produktionsmenge zu begnügen, dafür aber weniger an Input aufwenden zu müssen. Mit anderen Worten, Prozessinnovationen entsprechen einer Verschiebung der Produktionsfunktion. In Abbildung 6-3 ist zu sehen, wie technologischer Fortschritt in Form einer Prozessinnovation die Gesamtproduktionskurve ver-
Teil 2
schiebt. Die untere Linie stellt den möglichen Output oder die Produktionsfunktion eines bestimmten Sektors im Jahr 1995 dar. Nehmen wir an, die Produktivität oder der Output je Inputeinheit würden in diesem Sektor jährlich um 4 Prozent steigen. Würden wir uns den Sektor zehn Jahre später wieder ansehen, könnten wir wahrscheinlich feststellen, dass die Veränderungen im technischen und praktischen Know-how zu einer Erhöhung der Produktionsmenge pro Inputeinheit um 48 Prozent geführt haben [(1 + 0,04)10 = 1,48]. Als Nächstes wenden wir uns Produktinnovationen zu, bei denen es um neue oder verbesserte Produkte geht. Es ist viel schwieriger, die Bedeutung von Produktinnovationen zu quantifizieren, aber zur Hebung des Lebensstandards tragen sie unter Umständen noch mehr bei als Prozessinnovationen. Die heute verfügbaren Güter und Dienstleistun8.000 Technologie 2005
7.000 6.000 Gesamtprodukt
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5.000
Technologie 1995
4.000 3.000 2.000 1.000 0
1
2
3
4
5
Input
Abbildung 6-3: Der technologische Wandel verschiebt die Produktionsfunktion nach oben Die durchgängige Linie stellt die maximal erreichbare Produktionsleistung für jedes Inputniveau bei gegebenem Stand der Technik für das Jahr 1995 dar. Als Ergebnis technologischer und organisatorischer Verbesserungen verschiebt der technologische Wandel die Produktionsfunktion nach oben und ermöglicht in diesem Fall für das Jahr 2005 bei jedem Inputniveau einen um 50 Prozent höheren Output.
Kapitel 6
Produktion und ihre Organisation im Unternehmen
gen unterscheiden sich ganz erheblich von dem, was vor 50 Jahren angeboten wurde. Um dieses Lehrbuch herzustellen, haben die Autoren auf Computersoftware, Mikroprozessoren, Internetseiten und Datenbanken zurückgreifen können, die zur Abfassung früherer Ausgaben nicht zur Verfügung standen. Medizin, Kommunikation und Unterhaltungsindustrie sind weitere Gebiete, auf denen enorme Produktinnovationen erzielt wurden. Ja, alles was mit dem Internet zu tun hat, vom ECommerce bis zur E-Mail, fand man vor 20 Jahren noch nicht einmal in der ScienceFiction-Literatur. Nur so zum Spaß und um diese Entwicklung besser zu begreifen, sollten Sie einmal versuchen, Produkte oder Produktionsprozesse aufzuspüren, die sich nicht verändert haben, seit Ihre Großeltern die Schulbank gedrückt haben! Abbildung 6-3 zeigt den glücklichen Fall eines technologischen Fortschritts. Ist auch der gegenteilige Fall – ein technologischer Rückschritt – denkbar? In einer gut funktionierenden Marktwirtschaft lautet die Antwort auf diese Frage schlicht nein. Und das ist tatsächlich einer der größten Vorteile der Marktwirtschaft gegenüber einer durch staatliches Diktat gelenkten Wirtschaft. In einer Marktwirtschaft erledigen sich minderwertige Technologien sozusagen von selbst, während andere, die als brauchbar und vorteilhaft erkannt werden und die Produktivität steigern, freudig begrüßt werden, weil sie die Gewinne der Unternehmen, der Träger der Innovation, erhöhen. Würde ein Erfinder eine teure neue Mausefalle auf den Markt bringen, mit der noch niemals eine Maus gefangen wurde, fände sich kein gewinnorientiertes Unternehmen bereit, diese zu produzieren; sollte sich irgendein schlecht geführtes Unternehmen aber doch auf ein solches Unterfangen einlassen, müsste es wohl vergeblich auf Kunden unter den von einer Mäuseplage heimgesuchten Hausbesitzern warten. Gut funktionierende Märkte produzieren Innovationen mit besseren Mausefallen und anderen einwandfrei funktionierenden Gütern und Dienstleistungen.
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Abnorme Sonderfälle können jedoch zu einem technologischen Rückschritt führen, und das selbst in einer Marktwirtschaft. Ein Unternehmen, dessen Produktion keinen ausreichenden staatlichen Regelungen unterworfen ist, könnte beispielsweise ein sozial schädliches Verfahren einführen – es könnte beispielsweise toxische Abwässer in einen Fluss einleiten, einfach weil dieses Verfahren billiger wäre. Hier stellt sich der wirtschaftliche Vorteil nur ein, weil die sozialen Kosten der Umweltverschmutzung nicht in die Kalkulation der Produktionskosten dieses Unternehmens eingehen. Könnte man die Kosten, die die Vergiftung des Flusses verursacht, in die Unternehmensrechnung einbringen, entweder durch strenge Beachtung des Verursacherprinzips oder durch drastische steuerliche Maßnahmen, wäre ein solcher technologischer Rückschritt hingegen nicht gewinnträchtig. Auf Wettbewerbsmärkten ergeht es schlechten Produkten wie einst den Dinosauriern: Sie sterben aus. Netzwerke Viele Produkte sind für sich allein genommen ziemlich nutzlos, gewinnen aber an Wert, wenn sie in Verbindung mit anderen eingesetzt werden. Sie ergänzen einander sehr stark. Ein wichtiges Beispiel für diese spezielle Konstellation sind Netzwerke, die Verbindung mehrerer Menschen oder Elemente durch ein bestimmtes Medium. Da gibt es Netzwerke, die sich über physische Verbindungen definieren, wie Telekommunikationssysteme, Stromübertragungsnetze, Computer-Cluster, Pipelines und Straßen, aber auch indirekte Netze, die entstehen, wenn Menschen untereinander kompatible Systeme (wie das Betriebssystem Windows) verwenden oder dieselbe Sprache (etwa Englisch) sprechen. Um zu verstehen, was ein Netzwerk ist, überlegen Sie sich einmal, wie weit Sie mit Ihrem Auto kämen, gäbe es nicht ein ausgedehntes Netz von Tankstellen, oder welchen Nutzen Ihr Telefon oder E-Mail für Sie hätte, wären Sie die einzige Person mit einem
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Telefon oder Computer. Kredit- und sonstige Geldkarten schätzen wir nur deshalb, weil sie an vielen Orten akzeptiert werden. Netzwerkmärkte sind etwas ganz Spezielles, weil ihre Konsumenten einen Nutzen nicht nur aus der Verwendung eines Gutes, sondern auch aus der Zahl der anderen Teilnehmer, die das gleiche Gut verwenden, ziehen. Man spricht in diesem Fall von Netzwerkexternalitäten durch Adoption. Wenn ich ein Telefon anschaffe, kann jeder, der ebenfalls ein Telefon hat, mit mir kommunizieren. Dass ich diesem Netzwerk beitrete, bewirkt somit positive Externalitäten für andere. Die Netzwerkexternalität ist der Grund dafür, warum viele Kollegen allen ihren Studenten und der Fakultät einen universellen E-Mail-Zugang verschaffen – der Wert der E-Mail-Funktion ist einfach viel höher, wenn sich alle daran beteiligen. Abbildung 6-4 zeigt, wie nützlich sich der Beitritt eines Einzelnen zu einem Netzwerk für die anderen Teilnehmer erweist. Ökonomen haben zahlreiche wichtige Eigenschaften entdeckt, die Netzwerkmärkte auszeichnen. Zunächst werden Netzwerkmärkte als „wackelig“ bezeichnet, das heißt, ihr Gleichgewicht ruht nur auf einem oder wenigen Produkten. Da es die Konsumenten ablehnen, Produkte zu kaufen, die sich dann möglicherweise mit der vorherrschenden Technologie als inkompatibel erweisen, entsteht eine starke Tendenz in Richtung eines einzelnen Produkts, das sich gegenüber allen Konkurrenzprodukten durchsetzt. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür sind Computer-Betriebssysteme: Microsoft Windows ist teilweise auch deshalb zum alles beherrschenden System geworden, weil die Konsumenten sichergehen wollten, dass ihre Computer die gesamte verfügbare Software unterstützen würden. (Übrigens finden Sie eine Erörterung des sehr spannenden kartellrechtlichen Verfahrens gegen Microsoft in Kapitel 17.) Ein zweites interessantes Merkmal ist der Umstand, dass auf Netzwerkmärkten „die Vergangenheit zählt“. Berühmtheit hat hier die Tastatur mit ihrer Buchstabenfolge QWERTZ erlangt, die Sie etwa beim Schreiben auf Ihrem Computer benutzen. Vielleicht
Teil 2
möchten Sie wissen, wie diese ganz bestimmte und völlig willkürlich scheinende Anordnung zustande gekommen ist. Das Design der QWERTZ-Tastatur gründete im 19. Jahrhundert auf der leidvollen Erfahrung, dass häufig benutzte Buchstaben wie „e“ und „o“ möglichst weit auseinander gehalten werden mussten, wenn sich die Mechanik der damaligen Schreibmaschinen mit ihren Typen nicht verheddern sollte. Als schließlich elektronische Schreibmaschinen auf den Markt kamen, hatten bereits viele Millionen Menschen das Tippen auf diesen alten mechanischen Geräten erlernt. Man hätte nun die QWERTZ-Tastatur durch eine andere, effizientere ersetzen können, doch das wäre einerseits teuer und andererseits schwer zu koordinieren gewesen. Deshalb wurde die Anordnung der Buchstaben bis zum heutigen Tage beibehalten. Dieses Beispiel zeigt, wie unglaublich stabil eine eingebettete Netzwerktechnologie sein kann. Ein ähnlicher Fall, der vielen Umweltschützern schlaflose Nächte bereitet, ist die „verschwenderische“ amerikanische Kultur im Umgang mit dem Auto: Es wird schwierig werden, das bestehende Netzwerk aus Autos, Straßen, Tankstellen und Wohnorten zugunsten umweltfreundlicherer Alternativen wie besserer Massenverkehrsmittel aufzugeben. Drittens: Weil Netzwerke ein kompliziertes Wechselspiel von Skaleneffekten, Erwartungen, Dynamik und instabilen Gleichgewichten beinhalten, führen sie zu wirklich faszinierenden Geschäftsstrategien. Das Merkmal des in die eine oder andere Richtung neigenden Gleichgewichts führt tendenziell zu Märkten, die vom Prinzip des Alles oder Nichts gekennzeichnet sind („The winner takes – it all“), mit intensiver Rivalität in den Frühphasen, aber nur noch wenigen Marktteilnehmern, sobald sich die siegreiche Technologie durchgesetzt hat. Außerdem sind Netzwerkmärkte häufig träge, das heißt, sobald ein Produkt einen deutlichen Vorsprung erzielt hat, kann es für die anderen sehr schwierig werden, diesen wieder aufzuholen. Diese Merkmale führen dazu, dass die Unternehmen häufig danach trachten, von Anfang an die Nase vorne zu haben.
Kapitel 6
Produktion und ihre Organisation im Unternehmen
Nehmen wir an, Sie würden ein Netzwerkprodukt erzeugen. Um von ihrer frühen Führung zu profitieren, möchten Sie die Nutzer vielleicht davon überzeugen, dass Sie die Nummer Eins sind, weshalb Sie Ihre Umsätze möglichst aufbauschen. Vielleicht ordnen Sie auch Ihre Preisgestaltung der Marktdurchdringung unter und bieten frühen Nutzern Ihre Dienste sehr billig an. Sie könnten Ihr Produkt aber auch mit einem anderen, beliebten Produkt in Verbindung bringen. Oder Sie äußern öffentlichkeitswirksam Zweifel an der Qualität oder Zukunft Ihrer Konkurrenz. Vor allem aber würden Sie bestimmt massiv in Werbemaßnahmen investieren, um die Nachfragekurve für Ihr Produkt nach außen zu verschieben. Gehen Sie aus diesem Wettbewerb schließlich als glücklicher Sieger hervor, können Sie mit Ihrem Netzwerk von den Skaleneffekten profitieren und Ihre Monopolgewinne genießen. Trotzdem sollten Sie sich Ihrer dominanten Position keineswegs zu sicher sein. Sobald Zweifel an Ihrer Führungsposition entstehen, kann leicht eine teuflische Abwärtsspirale entstehen. Netzwerke werfen schwerwiegende Fragen im Zusammenhang mit politischen Interventionen auf. Soll eine Regierung Standards vorgeben, um den Wettbewerb unter allen Umständen zu gewährleisten? Sollte der Staat Netzwerkbranchen regulieren? Wie sollten Monopolisten – Beispiel Microsoft – kartellrechtlich behandelt werden, wenn sie nach einem harten Konkurrenzkampf nun als Gewinner dastehen, sich aber wettbewerbsschädlicher Taktiken bedienen? Diese Fragen gehen heute vielen Politikern durch den Kopf.3
Produktivität und aggregierte Produktionsfunktion Produktivität Eine der bedeutendsten Kennzahlen volkswirtschaftlicher Leistung ist die Produktivität. Produktivität ist ein Konzept zur Messung des Verhältnisses zwischen dem Ge-
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samtoutput und einem gewichteten Inputdurchschnitt. Zwei bedeutende Varianten der Produktivität sind die Arbeitsproduktivität, die den Output je Arbeitseinheit errechnet, und die Gesamtfaktorproduktivität, die den Output je Einheit der Gesamtinputs misst (typischerweise bestehend aus Kapital und Arbeit). 3 Während der Wachstumsphase der ausklingenden 1990er Jahre konnte die US-Wirtschaft sowohl ihren Gesamtoutput als auch ihre Produktivität kräftig steigern. Von 1995 bis 2000 wuchs der US-Unternehmenssektor im Durchschnitt um 4,7 Prozent jährlich. In dieser Zeit stiegen die Arbeitsstunden um 2,0 Prozent pro Jahr. Die Differenz entsprach der Steigerung der Arbeitsproduktivität, die in dieser Zeit durchschnittlich 2,7 Prozent betrug.
Produktivitätswachstum durch Skaleneffekte Die Produktivität wächst aufgrund von Skaleneffekten und technologischem Fortschritt. Skaleneffekte und Massenproduktion waren im vergangenen Jahrhundert bedeutende Produktivitätsfaktoren. Die meisten Produktionsprozesse sind heute sehr viel umfangreicher als im 19. Jahrhundert. Ein großes Schiff konnte um die Mitte des 19. Jahrhunderts 2.000 Tonnen Güter befördern, während die heutigen Supertanker mehr als 1 Million Tonnen Öl laden und befördern. Welche Auswirkungen hätte wohl ein allgemeiner Übergang zu größeren Einheiten in der Wirtschaft? Bei überwiegend steigenden Erträgen würden größere Input- und Produktionseinheiten die Produktivität steigern. Unter der Annahme, dass sich die Inputs eines typischen Unternehmens ohne Veränderung der Technologie um 10 Prozent erhöhten, könnte der Output aufgrund der Skaleneffekte beispielsweise um 11 Prozent steigen. Skaleneffekte hätten in diesem Fall eine Steigerung der 3 Am Ende des Kapitels finden Sie einige Literaturempfehlungen zu diesem Thema.
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Teil 2
Adam
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Beth
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NetzwerkDrehscheibe
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Carlos
Dorothy
7
6
Ed
Abbildung 6-4: Die Vorteile der Vernetzung steigen mit der Zahl der Teilnehmer Nehmen wir an, jede Person erzielte aufgrund jeder zusätzlichen Person, die an ein Telefon- oder E-Mail-Netz angeschlossen ist, einen Nutzen von US-$ 1. Entschließt sich Ed zur Teilnahme, erzielt er einen Nutzen von US-$ 4 durch seine Verbindung mit Adam, Beth, Carlos und Dorothy. Doch zugleich tritt auch ein „externer Einstiegseffekt“ ein, weil jede der vier bereits vernetzten Personen durch Eds Beitritt einen Zusatznutzen von US-$ 1 erzielt, insgesamt also US-$ 4 an externem Zusatznutzen. Aufgrund dieser Wirkung von Netzwerken gilt: Aller Anfang ist schwer. (Dies ergibt sich deutlich aus dem geringen Beitrittsnutzen für die erste und zweite Person.) Doch das Gleichgewicht „weist“ in Richtung vollständiger Einstieg, wenn möglichst viele Personen im Netzwerk verbunden sind. (Wie hoch ist übrigens der Nutzen für die zehnte Person, die dem Netzwerk beitritt?)
Gesamtfaktorproduktivität um 1 Prozent zur Folge. Obwohl in vielen Bereichen das Potenzial für steigende Skalenerträge groß ist, können sich die Skalenerträge ab einem gewissen Punkt wieder rückläufig entwickeln. Wenn die Unternehmen immer größer und größer werden, entstehen zugleich immer komplexere Probleme in Management und Koordination. Im rück-
sichtslosen Streben nach immer höheren Profiten kann ein Unternehmen auf immer neue geografische Märkte und in neue Produktnischen vorstoßen und sich schließlich mehr aufbürden, als es zu bewältigen in der Lage ist. Ein Unternehmen kann nur einen Geschäftsführer haben, ebenso nur einen Finanzchef und einen Vorstand. Da nun weniger Zeit für Marktsondierung und Entscheidungsfindung zur Verfü-
Kapitel 6
Produktion und ihre Organisation im Unternehmen
gung steht, stellen die Topmanager dieses Großunternehmens möglicherweise eines Tages fest, dass sie sich bereits allzu weit von den Tagesentscheidungen entfernt haben, weshalb sich nach und nach Fehler einschleichen. Wie große Imperien, die im Zuge ihrer Ausdehnung gewissermaßen nirgends mehr wirklich präsent sind, stellen solche Kolosse unter den Unternehmen irgendwann fest, dass ihnen kleinere und flexiblere Konkurrenten stark zusetzen. Managementtheoretiker berichten, der weltweit größte Autohersteller, General Motors, sei von der Außenwelt wie auch vom Konkurrenzdruck zunehmend isoliert worden. Er habe daher nur noch langsam auf Veränderungen auf dem Automarkt im Gefolge des Ölpreisschocks der 1970er Jahre reagiert und schließlich bedeutende Marktanteile an kleinere, flinkere Mitbewerber verloren. Während also die Technologie konstante oder zunehmende Skalenertrage im Idealfall durchaus zulassen würde, können Management und Kontrollerfordernisse gerade in Riesenunternehmen schließlich zu einer rückläufigen Ertragsentwicklung führen.
Empirische Schätzungen der aggregierten Produktionsfunktion Da wir nun die Prinzipien der Produktionstheorie kennen gelernt haben, können wir sie praktisch anwenden und die Wirtschaftsleistung der US-Wirtschaft untersuchen. Dazu müssen wir die Gesamtproduktion, die Menge an eingesetzten Produktionsfaktoren (wie Arbeit, Kapital und Boden) und die Gesamtproduktivität betrachten. Hier einige wichtige Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften: • Im 20. Jahrhundert ist die Gesamtproduktivität infolge technologischen Fortschritts und einer besseren Ausbildung der Arbeitskräfte gestiegen. Die durchschnittliche Steigerung der Gesamtproduktivität lag im 20. Jahrhundert knapp unter 1,5 Prozent jährlich.
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• Der Kapitalbestand ist stärker gestiegen als die Anzahl der Arbeitsstunden. Den Arbeitskräften stehen somit mehr Kapitalgüter zur Verfügung. In der Folge legten Arbeitsproduktivität und Löhne jährlich um mehr als das genannte Produktivitätswachstum von 1,5 Prozent zu. • Die Kapitalrendite (die Profitrate) hätte eigentlich sinken müssen, weil jeder einzelnen Kapitaleinheit nun weniger Arbeitsleistung gegenübersteht. Tatsächlich aber blieb die Kapitalrendite konstant. • Im 20. Jahrhundert wuchs die Arbeitsproduktivität durchschnittlich um etwas über 2 Prozent jährlich. Vom Beginn der 1970er bis zur Mitte der 1990er Jahre weisen alle Produktivitätsmessungen eine deutliche Verlangsamung des Wachstums aus, und in der Folge stagnierten Reallöhne wie Lebensstandard in dieser Periode. Seit Mitte der 1990er Jahre ist es, weitgehend bedingt durch die Computerrevolution, zu einem drastischen Aufschwung des Produktivitätswachstums gekommen, das heute Werte knapp unterhalb der historischen Norm aufweist. Wir möchten diesen Abschnitt mit einem abschließenden Wort über die Schwierigkeiten einer präzisen Messung des Produktivitätswachstums beenden. Jüngste empirische Studien lassen den Schluss zu, dass wir das Produktivitätswachstum offensichtlich stark unterschätzt haben. Untersuchungen über medizinische Versorgung, Kapitalgüter, Unterhaltungselektronik, Computer, Software und Beleuchtung legen den Schluss nahe, dass unsere Messlatte der Produktivität grobe Mängel aufweist. Ein besonderes Problem ergibt sich dadurch, dass der wirtschaftliche Wert neuer und verbesserter Produkte nicht berücksichtigt wird. Als etwa CDs die früheren Langspielplatten ersetzten, ignorierte unsere Messung der Produktivität die erhöhte Haltbarkeit und bessere Tonqualität der neuen Speichermedien. Eine Studie ergab eine jährlich um 5 Prozent höhere Produktivität
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
bei der Behandlung von Herzinfarkten, als konventionelle Messungen auswiesen. Manche Experten glauben, die tatsächlichen Produktivitätssteigerungen könnten doppelt so hoch sein, wie offizielle Schätzungen angeben.
B. Unternehmensarten Das Wesen des Unternehmens Bisher haben wir über Produktionsfunktionen gesprochen, als handele es sich um Maschinen, die völlig selbstständig und ohne Zutun von außen funktionierten: Man nehme ein Schwein und erhalte eine Wurst. Tatsächlich aber liegt der Großteil der gesamten Produktion in den Händen spezialisierter Unternehmen – nämlich all jener Klein-, Mittel- und Großbetriebe, die eine moderne Wirtschaft ausmachen. Warum aber findet eigentlich Produktion im Allgemeinen eher in Unternehmen als in unserem privaten Keller statt? Firmen oder Unternehmen gibt es aus vielerlei Gründen, doch der wichtigste Grund lautet: Unternehmen sind spezialisierte Organisationen, die sich mit dem Management des Produktionsprozesses befassen. Zu ihren wichtigen Funktionen gehören die Nutzung der Vorteile einer Massenproduktion, dieBeschaffung von Finanzmitteln und die Organisation der Produktionsfaktoren. Der einleuchtendste Grund, der die Organisation der Produktion in Unternehmen als vernünftig erscheinen lässt, liegt in der Wirtschaftlichkeit der Massenproduktion. Effiziente Produktionsmethoden erfordern hoch spezialisierte Maschinen und Betriebe, Fertigungsstraßen und Arbeitsteilung in zahlreichen kleinen Arbeitsschritten. Studien belegen, dass etwa die effiziente Produktion von Autos Produktionsraten von zumindest 300.000 Einheiten jährlich erfordert.
Teil 2
Wir dürfen wohl kaum damit rechnen, dass sich Arbeiter spontan zusammentun, um jeden Arbeitsschritt korrekt und in der richtigen Reihenfolge zu erledigen. Oder wie wahrscheinlich ist es schon, dass 25 Leute sich zu einer Baseball-Mannschaft mit Werfern, Fängern und Schlägern zusammenfinden, die alle in der richtigen Reihenfolge und mit der bestmöglichen Strategie agieren? Wir brauchen daher die Unternehmen, damit sie den Produktionsprozess koordinieren, Grund und Boden kaufen oder pachten und für Kapital, Arbeit und Rohstoffe sorgen. Bestünde keine Notwendigkeit für Spezialisierung und Arbeitsteilung, könnte jeder von uns seinen eigenen elektrischen Strom, seine eigene Digitaluhr und Musik-CD in der hauseigenen Werkstatt herstellen. Die Tatsache, dass wir das nicht können, überrascht wohl niemanden. Effizienz erfordert einfach die Produktion im großen Maßstab, organisiert in Unternehmen. Als zweite Funktion übernehmen Unternehmen die Beschaffung von Ressourcen für die Massenproduktion. Die Entwicklung eines neuen Passagierflugzeugs kostet deutlich mehr als 1 Milliarde Dollar; die Kosten für Forschung und Entwicklung eines neuen PCProzessors, beispielsweise eines Pentium von Intel, liegen ebenso hoch. Woher sollen diese immensen Geldmittel kommen? Im 19. Jahrhundert war es noch häufig möglich, reiche und risikofreudige Einzelpersonen für die Finanzierung von Unternehmen zu gewinnen. Aber die Tage der sagenumwobenen Industriemagnaten sind einfach vorbei. Die heutige Wirtschaft mit ihren Privatunternehmen muss die Mittel für die Produktion aus den Unternehmensgewinnen oder aus Darlehen, die auf den Finanzmärkten aufgenommen werden, beziehen. Eine privat finanzierte Produktion wäre praktisch unmöglich, könnten die Unternehmen nicht alljährlich Milliardensummen für ihre neuen Projekte auftreiben. Ein dritter Grund für die Existenz von Unternehmen besteht im Management des Produktionsprozesses. Der Manager ist jene
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Produktion und ihre Organisation im Unternehmen
Person, die die Produktion organisiert, die neue Ideen, Produkte oder Prozesse einführt, die Geschäftsentscheidungen trifft und auch für Erfolg oder Misserfolg verantwortlich zeichnet. Schließlich wäre es zu viel verlangt, müsste sich die Produktion selbst organisieren. Irgendjemand muss den Bau einer neuen Fabrik überwachen, mit den Gewerkschaften verhandeln und den Einkauf des benötigten Materials übernehmen. Wollten Sie sich als Präsident eines erstklassigen Fußballteams versuchen, müssten Sie die Verhandlungen um ein geeignetes Stadion führen, neue Spieler einkaufen, sich um Sponsoren kümmern, Spieltermine organisieren und Tickets verkaufen. Sobald alle diese Produktionsfaktoren vorhanden sind, muss noch irgendjemand die täglichen Aktivitäten überwachen, damit auch die effektive und ehrliche Durchführung der Arbeiten gewährleistet ist. Unternehmen sind spezialisierte Gebilde, die sich mit dem Management des Produktionsprozesses befassen. Die Produktion wird deshalb in Unternehmen organisiert, weil Effizienz im Regelfall Produktion im großen Maßstab, die Beschaffung erheblicher finanzieller Mittel und die Überwachung des laufenden Betriebs erfordert.
Große, kleine und winzige Unternehmen Marktwirtschaftliche Produktion findet in einer Unzahl unterschiedlich organisierter Unternehmen stat: von der winzigen Einzelfirma bis hin zu den Industriegiganten, die das Wirtschaftleben in einer kapitalistischen Wirtschaft dominieren. Gegenwärtig gibt es in den USA mehr als 18 Millionen verschiedene Unternehmen. Die Mehrzahl von ihnen sind Kleinstbetriebe, die einer einzigen Person gehören – so genannte Einzelfirmen. Andere sind Personengesellschaften, die sich im Eigentum von zwei oder vielleicht auch
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200 Partnern befinden. Die größten Unternehmen sind zumeist Kapitalgesellschaften. Der Zahl nach überwiegen die kleinsten Einheiten. Was jedoch Umsatz und Kapital der Unternehmen, ihre politische und wirtschaftliche Macht, Beschäftigtenstand und Lohnzahlungen betrifft, beherrschen einige hundert wirklich große Kapitalgesellschaften unsere Wirtschaft.
Die Einzelfirma Am unteren Ende des Spektrums befindet sich die Einzelfirma, der klassische Kleinbetrieb, den wir alle kennen. In einem kleinen Laden werden vielleicht ein paar hundert Dollar täglich umgesetzt, und er ernährt seinen Besitzer nur mit Mühe. Von diesen Unternehmen gibt es eine Unzahl, aber ihr Gesamtumsatz fällt kaum ins Gewicht. Die meisten Kleinbetriebe erfordern jedoch ein Übermaß an persönlichem Engagement und Einsatz. Und obwohl ein Selbstständiger nicht selten 50 oder 60 Stunden wöchentlich arbeitet und auf jeden Urlaub verzichtet, beträgt die durchschnittliche Lebensdauer seines Betriebes gerade einmal ein Jahr. Trotzdem finden sich immer wieder Leute, die es auf eigene Faust versuchen wollen. Vielleicht gehen sie irgendwann als Gründer einer wirklich erfolgreichen Firma in die Geschichte ein, die für einen Millionenbetrag aufgekauft wird.
Die Personengesellschaft Ein Unternehmen verlangt häufig nach einer entsprechenden Kombination von Fähigkeiten – etwa nach Rechtsanwälten oder Ärzten, die sich auf unterschiedlichen Gebieten spezialisiert haben. Tun sich zwei oder mehr Personen zusammen, können sie eine Personengesellschaft gründen. Jeder von ihnen erklärt sich bereit, einen bestimmten Teil der Arbeit und des Kapitals einzubringen, einen gewissen Prozentsatz des Gewinns für sich zu beanspruchen und natürlich Verluste oder
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Schulden gemeinsam mit seinen Partnern zu tragen. Heute bestreiten Personengesellschaften nur noch einen kleinen Teil der gesamten wirtschaftlichen Aktivität. Der Grund liegt darin, dass diese Unternehmensform bestimmte Nachteile mit sich bringt, die sie für Großbetriebe ungeeignet macht. Ihr Hauptnachteil ist die unbeschränkte Haftung. Die Gesellschafter haften ohne jede Einschränkung für alle Schulden, die die Personengesellschaft eingeht. Wenn Ihnen 1 Prozent der Personengesellschaft gehört und Ihr Geschäft ein Flop wird, wird man Sie auffordern, 1 Prozent aller Rechnungen zu begleichen, während die anderen Partner die restlichen 99 Prozent einzubringen haben. Sind Ihre Partner zahlungsunfähig, müssen Sie hingegen die gesamten Schulden begleichen, auch wenn Sie dazu ihren Privatbesitz verkaufen müssen. Die Gefahr der unbeschränkten Haftung und die Schwierigkeiten der Kapitalbeschaffung erklären, warum Personengesellschaften praktisch immer klein sind, kleine Privatbetriebe wie Landwirtschaften oder Kleinhandelsbetriebe. Für die meisten anderen Geschäftsfelder sind Personengesellschaften einfach zu riskant.
Die Kapitalgesellschaft Der Großteil aller wirtschaftlichen Aktivitäten findet auf entwickelten Märkten in privaten Kapitalgesellschaften statt. In früheren Jahrhunderten wurden Unternehmenssatzungen durch besondere Akte des Monarchen oder des Gesetzgebers verliehen. Die britische East India Company war eine mit besonderen Privilegien ausgestattete Kapitalgesellschaft und beherrschte als solche über ein Jahrhundert lang Indien. Im 19. Jahrhundert mussten Eisenbahngesellschaften häufig ebenso viel Geld aufwenden, um ihre Gründungsurkunde vom Gesetzgeber absegnen zu lassen, wie es kostete, die Gleisanlagen zu errichten. Im letzten Jahrhundert wurden allerdings nach und nach Gesetze
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erlassen, die beinahe jedermann das Privileg zugestanden, eine Kapitalgesellschaft für nahezu jeden Unternehmenszweck zu gründen. Heute ist die amerikanische Kapitalgesellschaft eine Unternehmensform mit eigener Satzung und eigenem Sitz in einem der 50 Bundesstaaten oder im Ausland, und sie gehört einer gewissen Zahl von Aktionären. Die Kapitalgesellschaft hat eine eigene Rechtspersönlichkeit und kann als solche im eigenen Namen ein- und verkaufen, Darlehen aufnehmen, Güter und Dienstleistungen produzieren und Verträge abschließen. Außerdem bietet die Kapitalgesellschaft den Vorteil der beschränkten Haftung, sodass das Investment der Eigentümer in die Gesellschaft strikt auf einen bestimmten Betrag beschränkt bleibt. Die moderne Kapitalgesellschaft zeichnet sich durch folgende wichtige Eigenschaften aus: • Das Eigentum an der Kapitalgesellschaft ergibt sich aus dem Eigentum an den Stammaktien der Gesellschaft. Gehören Ihnen 10 Prozent der Anteile an einer Gesellschaft, sind Sie ihr zehnprozentiger Eigentümer. Publikumsgesellschaften werden an Börsen wie etwa der New Yorker Börse bewertet. Und auf diesen Aktienbörsen werden die Titel der größten Kapitalgesellschaften gehandelt und daher große Teile des nationalen Risikokapitals investiert. • Im Prinzip kontrollieren die Aktionäre die Kapitalgesellschaften, die sich in ihrem Eigentum befinden. Sie erhalten Dividenden entsprechend den Gesellschaftsanteilen, die sie besitzen, sie ernennen die Direktoren und stimmen über wichtige Fragen ab. Aber verfallen Sie nicht dem Irrtum, Aktionäre hätten eine wichtige Rolle in der Führung von Riesenkonzernen zu spielen. In der Praxis üben die Aktionäre von Großunternehmen praktisch gar keine Kontrolle aus, weil die Streuung zu groß ist, um die Geschäftsleitung zu überstimmen.
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Produktion und ihre Organisation im Unternehmen
• Die Vorstände und Aufsichtsräte der Kapitalgesellschaften sind rechtlich befugt, Entscheidungen für die Gesellschaft zu treffen. Sie beschließen, was auf welche Weise produziert wird. Sie verhandeln mit den Gewerkschaften und entscheiden, ob sie das Unternehmen verkaufen sollten, wenn sich ein Käufer dafür interessiert. Wenn die Zeitungen melden, irgendeine Kapitalgesellschaft habe wieder einmal 20.000 Arbeitnehmer auf die Straße gesetzt, dann wurde diese Entscheidung von den Managern getroffen. Kapitalgesellschaften gehören den Aktionären, werden jedoch von Managern geleitet und betrieben. Vor- und Nachteile von Kapitalgesellschaften. Warum beherrschen Kapitalgesellschaften die Marktwirtschaft so sehr? Nun, einfach weil es sich bei dieser Unternehmensform um eine besonders effiziente Methode zum Betrieb eines Unternehmens handelt. Eine Kapitalgesellschaft ist eine Rechtspersönlichkeit, die Geschäfte abschließen kann. Außerdem gewährleistet eine Kapitalgesellschaft eine durchgängige Nachfolge in der Geschäftsführung und ein kontinuierliches Bestehen unabhängig davon, wie oft die Eigentümer, die Aktionäre, wechseln. Kapitalgesellschaften sind alles andere als MiniDemokratien, und deshalb können ihre Manager Entscheidungen rasch und häufig auch rücksichtslos treffen – ein deutlicher Gegensatz zu den staatlichen Entscheidungsprozessen in wirtschaftlichen Fragen. Darüber hinaus dürfen sich die Aktionäre der Kapitalgesellschaften über eine beschränkte Haftung freuen, die sie vor der Übernahme von Schulden oder Verlusten der Gesellschaft über ihren Kapitalbeitrag hinaus schützt. Wenn wir Aktien für US-$ 1.000 kaufen, können wir damit nicht mehr als unsere ursprüngliche Investition verlieren. Kapitalgesellschaften haben aber auch einen bedeutenden Nachteil: Ihre Gewinne werden zusätzlich besteuert. Bei anderen, nicht in dieser Rechtsform geführten Unternehmen gilt jedes Einkommen nach Abzug
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der Aufwendungen als persönliches Einkommen und wird dementsprechend besteuert. Kapitalgesellschaften aber werden in dieser Beziehung anders behandelt: Der Staat fordert zuerst seinen Anteil an den Unternehmensgewinnen und danach an den Dividendeneinkommen der Aktionäre. Die Bush-Regierung schlug 2003 vor, Dividenden von der Individualbesteuerung zu entbinden, um diese doppelte Belastung abzuschaffen. Der Kongress diskutierte über diesen Vorschlag, und heraus kam ein Kompromiss ... der nur wenige Jahre hielt. Die Höchstgrenze der Individualsteuer auf Dividenden wurde auf 15 Prozent gesenkt, für ein Jahr (2008) wurde sie sogar vollständig abgeschafft, um allerdings für 2009 wieder eingeführt zu werden. (Dieses bizarre Ergebnis hängt mit den Beschränkungen zusammen, denen die Einnahmenverluste aus der Steuersenkung 2003 unterliegen.) Manchmal ergreifen Kapitalgesellschaften Schritte, die die Öffentlichkeit gegen sie aufbringen und den Staat zum Handeln zwingen. Im ausgehenden 19. Jahrhundert waren Kapitalgesellschaften in Betrugsaffären, Preisabsprachen und Bestechungsskandale verwickelt, die zur Verabschiedung von Gesetzen im Bereich des Kartellrechts (Antitrust-Gesetze) und des Wertpapierrechts führten. Aber auch in den letzten Jahren kam es rund um Kapitalgesellschaften zu verschiedenen Skandalen, als man feststellte, dass einige von ihnen gravierende Bilanzfälschungen begangen und viele Manager sich selbst enorme Bonuszahlungen und Aktienbezugsrechte gesichert hatten. Macht korrumpiert bekanntlich bisweilen, ob im privaten oder im öffentlichen Leben. Eine effiziente Produktion erfordert häufig große Unternehmenseinheiten, die Kapitalinvestitionen in Milliardenhöhe benötigen. Kapitalgesellschaften mit ihrer beschränkten Haftung und praktischen Managementstruktur können sehr viel privates Kapital anziehen, eine ganze Palette verwandter Güter produzieren und auch das Anlegerrisiko auf viele Schultern verteilen.
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Produktion im Unternehmen oder am Markt? Wenn es stimmt, dass Märkte so unglaublich effizient funktionieren, stellt sich unmittelbar die Frage, warum dann die Produktion weitgehend in großen Organisationen, sprich in Unternehmen, stattfindet. Eine verwandte Frage lautet: Warum entscheiden sich manche Unternehmen für eine integrierte Produktionsstruktur, während andere große Teile ihrer Umsätze auslagern? AT&T war beispielsweise vor 1982 ein sowohl vertikal wie auch horizontal integrierter Konzern, der eine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung betrieb, Telefone installierte und vermietete und außerdem noch selbst die zugehörigen Telefondienste anbot. Dagegen werden die meisten PCs von AssemblingBetrieben „produziert“, die Festplatten, Schaltkreise, Monitore und Tastaturen von externen Anbietern kaufen, um sie anschließend zusammengebaut anzubieten. Diese zentralen Fragen der industriellen Organisation wurden erstmals von Ronald Coase in einer bahnbrechenden Studie gestellt, für die er 1991 den Nobelpreis erhielt. Die interessante Arbeit analysiert die Wettbewerbsvorteile, die die Organisation der Produktion im Rahmen der hierarchischen Kontrolle von Unternehmen gegenüber den Einzelverträgen des Marktes bietet. Wie kann die Produktion in großen Organisationen effizient sein? Der Hauptgrund dafür liegt wahrscheinlich in der Schwierigkeit, wirklich „umfassende“ Verträge zu konzipieren, die alle Eventualitäten berücksichtigen. Nehmen wir beispielsweise an, die Firma Snoozer Inc. wäre der Meinung, einen brandheißen neuen Wirkstoff entdeckt zu haben, mit dem sich krankhafte Faulheit kurieren lässt. Soll Snoozer in eigenen Labors daran forschen oder den Auftrag an die WilyLabs, Inc. vergeben? Das Problem mit Auslagerungen besteht in den zahlreichen Unwägbarkeiten, die Einfluss auf die Rentabilität des Wirkstoffs haben könnten. Was, wenn sich herausstellte, dass der Wirkstoff auch gegen andere Beschwerden hilft? Was geschähe im Fall einer unvorhergesehenen Ände-
Teil 2
rung der rechtlichen Situation in Bezug auf Patente, Steuern oder den internationalen Handel oder bei einer Klage wegen der Verletzung von Patenten? Infolge dieser trotz aller vertraglicher Vereinbarungen nicht auszuschließenden Eventualitäten geht das Unternehmen das Risiko des so genannten Holdup-Problems ein. Nehmen wir an, WilyLabs hätte entdeckt, dass die Anti-Faulheitspille nur in Kombination mit einem anderen Medikament von WilyLabs funktioniert. WilyLabs geht also zu Snoozer und sagt: „Tut mir Leid, Kollegen, aber wenn ihr beide Wirkstoffe haben wollt, kostet euch das weitere US-$ 100 Millionen.“ Ein echter Holdup, ein Fall von Wegelagerei. Die Angst, in Situationen erpresst zu werden, die beziehungsspezifische Investitionen und die Vollständigkeit der vertraglichen Vereinbarungen erfordern würden, veranlasst Snoozer dazu, die Forschung am neuen Wirkstoff doch lieber intern zu betreiben, um die Kontrolle über das Forschungsergebnis zu behalten. Der jüngste Trend in vielen Branchen ist eine Bewegung weg von hoch integrierten Unternehmensformen hin zum „Outsourcing“, der Auslagerung der Produktion. Ganz massiv macht sich dieser Trend in der Computerbranche bemerkbar, etwa anhand von „Big Blue“ IBM, einem Unternehmen, das einmal fast ebenso stark integriert war wie AT&T. Auslagerungen können in Situationen, in denen wie in der PCBranche die Komponenten zu Massenware geworden und standardisiert sind, sinnvoll sein. Ein weiteres Beispiel ist der Sportartikelhersteller Nike, der einen Großteil seiner Produktion auslagert, weil die einschlägigen Verfahren standardisiert sind, während der eigentliche Wert von Nike in Designs und Warenzeichen liegt. Außerdem gibt es heute neue Vertragsformen, die das „Holdup-Problem“ minimieren, etwa langfristige Lieferverträge, bei deren Vergabe der gute Ruf der Beteiligten eine wichtige Rolle spielt. Wer sich mit Organisationen beschäftigt, weiß um die Bedeutung großer Unternehmen für den Innovations- und Produktivitätsfortschritt. Im 19. Jahrhundert transpor-
Kapitel 6
Produktion und ihre Organisation im Unternehmen
tierten Eisenbahnen nicht nur Weizen von den Farmen auf den Markt, sondern führten auch die Zeitzonen ein. Ein pünktlicher Verkehr nach Fahrplan wurde für sie erstmals zum entscheidenden Kriterium, weil die Nichteinhaltung der Fahrpläne zu Unfällen und der Zerstörung von Zügen führte.
181
Wie die tragische Geschichte der zentralen Planwirtschaften so drastisch vor Augen führt, können wir ohne die organisatorischen Fähigkeiten der modernen, privatwirtschaftlich geführten Unternehmen weder Grund und Boden noch Arbeit oder Kapital richtig nutzen.
Zusammenfassung A. Produktionstheorie und Grenzproduktivität 1.
2.
3.
4.
Die Beziehung zwischen Produktionsmenge (wie Weizen, Stahl oder Autos) und Quantität der eingesetzten Produktionsfaktoren (Arbeit, Boden und Kapital) wird als Produktionsfunktion bezeichnet. Das Gesamtprodukt entspricht der gesamten Produktionsleistung. Das Durchschnittsprodukt lässt sich durch Division des Gesamtoutputs durch die gesamte Inputmenge ermitteln. Wir können das Grenzprodukt oder die Grenzproduktivität eines Faktors als den zusätzlichen Output berechnen, der durch jede zusätzlich eingesetzte Inputeinheit erzeugt wird, wenn alle anderen Inputs konstant belassen werden. Entsprechend dem Gesetz der abnehmenden Grenzerträge nimmt die Grenzproduktivität jedes Inputs im Allgemeinen ab, wenn sich ceteris paribus die Menge dieses Inputs erhöht. Skalenerträge spiegeln die Auswirkungen einer gleichmäßigen Anhebung aller Inputs auf den Output wider. Eine Technologie, bei der eine Verdoppelung aller Faktoreinsätze exakt zu einer Verdoppelung der Produktionsmenge führt, weist konstante Skalenerträge auf. Sollte die Verdoppelung der Inputs zu weniger als einer Verdoppelung (mehr als einer Verdoppelung) der Outputmenge führen, spricht man von abnehmenden (zunehmenden) Skalenerträgen. Da die Umsetzung von Entscheidungen Zeit beansprucht und da Kapital und andere Faktoren häufig recht langlebig sind, kann sich die Anpassung der Produktion im Zeitablauf unterschiedlich gestalten. Als kurzfristig wird dabei ein Zeitraum bezeichnet, in dem die variablen Faktoren, beispielsweise Arbeit oder Materialinputs, problemlos verändert werden können. Langfristig kann auch der Kapitalbestand (die Maschinen und Anlagen eines Unternehmens)
5.
6.
abgeschrieben und ersetzt werden. Langfristig lassen sich daher alle Inputs, fixe ebenso wie variable, anpassen. Technologischer Fortschritt bedingt eine Veränderung jener Techniken, die der Produktion zugrunde liegen, wenn also beispielsweise ein neues Produkt oder ein neues Produktionsverfahren erfunden oder ein altes Produkt oder ein altes Verfahren verbessert wird. In solchen Situationen wird dieselbe Produktionsmenge mit geringeren Faktoreinsatzmengen produziert, oder aber es lässt sich mit denselben Faktoreinsatzmengen die Produktionsmenge erhöhen. Technologischer Fortschritt verschiebt die Produktionsfunktion nach oben. Versuche zur Messung einer aggregierten Produktionsfunktion am Beispiel der amerikanischen Wirtschaft bestätigen zumeist die Theorien der Produktion und der Grenzproduktivität. Im 20. Jahrhundert hat der technische Fortschritt zu einer Produktivitätssteigerung sowohl der Arbeit als auch des Kapitals geführt. Die Gesamtfaktorproduktivität (gemessen als Verhältnis zwischen Gesamtoutput und Gesamtinput) konnte in den letzten 100 Jahren alljährlich um etwa 1,5 Prozent gesteigert werden, wobei allerdings seit 1970 die Produktivitätssteigerungen merklich langsamer verlaufen und die Reallöhne stagnieren. Wenn wir jedoch die Bedeutung neuer und verbesserter Produkte zu gering bewerten, ergibt sich daraus eine zu niedrige Schätzung des Produktivitätswachstums.
B. Die rechtliche Organisation von Unternehmen 7.
8.
Unternehmen sind spezialisierte Gebilde, die sich mit dem Management des Produktionsprozesses befassen. Unternehmen gibt es in vielerlei Formen und Größen – manchmal als winzige Einzelfirmen, manchmal als Personengesellschaften, zumeist
182
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
jedoch als Kapitalgesellschaften. Jede Rechtsform hat ihre Vor- und Nachteile. Kleinunternehmen sind flexibel, können neue Produkte vermarkten und verschwinden möglicherweise auch wieder rasch. Sie leiden allerdings unter dem grundlegenden Nachteil, keine großen Kapitalbeträge von verschiedenen Investoren anhäufen zu können. Die heutigen Großunternehmen, die Kapitalgesellschaften, deren Eigentümern der Staat eine beschränkte Haftung zubilligt, können hingegen Milliardenbeträge an Kapital durch Darlehensaufnahmen bei Ban-
9.
Teil 2
ken, aber auch durch die Emission von Anleihen oder Aktien auftreiben. In einer modernen Wirtschaft produzieren Unternehmen deshalb die meisten Güter und Dienstleistungen, weil die wirtschaftlichen Vorteile der Massenproduktion es erforderlich machen, dass der Output in großen Mengen produziert wird, weil die Produktionstechnologie weitaus mehr Kapital verlangt, als ein Einzelner freiwillig riskieren würde, und weil eine effiziente Produktion ein umsichtiges Management und die Koordination von Aufgaben durch eine zentrale Einheit erfordert.
Begriffe zur Wiederholung Inputs, Outputs, Produktionsfunktion Gesamt-, Durchschnitts- und Grenzprodukt Abnehmendes Grenzprodukt und Ertragsgesetz Konstante, zunehmende und abnehmende Skalenerträge Kurzfristig im Vergleich zu langfristig Technologischer Fortschritt: Prozess- und Produktinnovation Produktivität Netzwerkökonomie: Netzwerkexternalitäten (Adoption), instabile Gleichgewichte, die Vergangenheit zählt, „Alles-oder-nichts“-Märkte Aggregierte Produktionsfunktion Gründe für das Entstehen von Unternehmen: Skaleneffekte, Finanzierungsbedarf, Führungsstrukturen Die wichtigsten Unternehmensformen: Einzelgesellschaft, Personengesellschaft, Kapitalgesellschaft Unbeschränkte im Vergleich zu beschränkter Haftung Unternehmen im Vergleich zum Markt und das Holdup-Problem
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Ronald Coases Klassiker trägt den Titel „The Nature of the Firm“, Economica, November 1937. Besonders für Studenten eignet sich ein neuerer, keineswegs technischer Überblick über das Thema aus dem Symposion „The Firm and Its Boundaries“, Journal of Economic Perspectives, Herbst 1998. Eine gut durchdachte Analyse der Netzwerkeffekte findet sich im Symposion des Journal of Economic Perspectives, Frühling 1994. Faszinierend ist außerdem die Studie über Netzwerke und New Economy in Kapitel 7 des Werks von Carl Shapiro und Hal R. Varian, Information Rules: A Strategic Guide to the Network Economy (Harvard Business School Press, Cambridge, Mass., 1997). Die Geschichte über die falsche Interpretation der Energierevolution der 1970er Jahre durch General Motors erzählt Daniel Yergin in: The Epic Quest for Oil, Money, and Power (Simon and Schuster, New York, 1992). Wer sich für die komische Seite der GM-Geschichte interessiert, findet diese in dem MichaelMoore-Film Roger and Me locker aufbereitet. Deutschsprachige Literatur: Christian-Uwe Behrens und Franz W. Peren, Grundzüge der gesamtwirtschaftlichen Produktionstheorie (Vahlen, München, 1998).
Kapitel 6
Produktion und ihre Organisation im Unternehmen
183
Websites Eine der interessantesten Websites über Netzwerke stammt von Hal R. Varian, dem Dekan der School of Information Management and Systems an der University of California in Berkeley. Diese Seite mit dem Namen „The Economics of the Internet, Information Goods, Intellectual Property and Related Issues“ finden Sie unter www.sims.berkeley.edu/resources/infoecon.
Übungen 1.
2.
3.
Erklären Sie das Konzept der Produktionsfunktion. Beschreiben Sie die Produktionsfunktion für Hamburger, Konzerte, Haarschnitte und eine Universitätsausbildung. Eine Produktionsfunktion hat die Form X = L1/2, wobei X = Output und L = Input an Arbeitskraft (ceteris paribus). a. Konstruieren Sie eine Zeichnung wie jene in Abbildung 6-1 und eine Tabelle wie Tabelle 6-1 für folgende Inputs: L = 0, 1, 2, 3 und 4. b. Erläutern Sie, ob diese Produktionsfunktion abnehmende Arbeitserträge aufweist. Welche Werte müsste der Exponent in dieser Produktionsfunktion annehmen, damit die Arbeitserträge steigen? Die folgende Tabelle beschreibt die tatsächliche Produktionsfunktion für Ölpipelines. Setzen Sie die fehlenden Werte für die Grenz- und Durchschnittsprodukte ein:
5.
6.
7. (1)
(2)
Pumpleistung PS
Gesamtprodukt (Barrels pro Tag)
10.000
86.000
(3) (4) 18-Zoll-Rohr Grenzprodukt Durchschnitts(Barrels produkt pro Tag (Barrels und PS) pro Tag und PS) ––––– –––––
20.000
114.000
30.000
134.000
––––– ––––– ––––– –––––
40.000
150.000
50.000
164.000
––––– –––––
4.
–––––
Zeichnen Sie anhand der Daten aus Frage 3 die Produktionsfunktion der Förderungsmenge im Verhältnis zur Leistung in PS. Zeichnen Sie im selben Diagramm die Kurven für das Durchschnitts- und das Grenzprodukt ein.
Angenommen, Sie erhalten die Catering-Konzession für die Sportveranstaltungen an Ihrer Universität. Sie verkaufen Würstchen, Getränke und Kartoffelchips. Welche Inputs an Kapital, Arbeit und Materialien müssen Sie einbringen? Welche Schritte würden Sie unternehmen, sollte die Nachfrage nach Würstchen zurückgehen, um den Output kurzfristig zu senken? Was könnten Sie sich langfristig überlegen? Eine in der Volkswirtschaft wichtige Unterscheidung betrifft Verschiebungen der Produktionsfunktion und Bewegungen entlang der Produktionsfunktion. Nennen Sie anhand der Catering-Konzession aus Frage 5 Beispiele für die Verschiebung und für die Bewegung entlang der Produktionsfunktion. Illustrieren Sie die Beispiele in einem Diagramm, das das Verhältnis zwischen Würstchenproduktion und dazu eingesetzter Arbeit illustriert. Von Substitution spricht man, wenn Unternehmen einen Input durch einen anderen ersetzen, beispielsweise wenn ein Farmer bei steigenden Löhnen Traktoren anstelle von Arbeitskräften einsetzt. Überlegen Sie sich die folgenden Änderungen im Verhalten eines Unternehmens. Welche Veränderungen sind dabei auf eine Substitution eines Faktors durch einen anderen bei unverändertem Stand der Technik und welche auf einen technologischen Fortschritt zurückzuführen? Illustrieren Sie die Fälle jeweils grafisch durch eine Produktionsfunktion. a. Bei steigendem Ölpreis ersetzt ein Unternehmen die Ölfeuerung in seinen Anlagen durch eine Gasfeuerung. b. Ein Buchladen verringert seinen Personalstand nach der Eröffnung einer InternetVerkaufswebsite um 60 Prozent. c. Im Zeitraum zwischen 1970 und 2000 baut eine Druckerei 200 Druckereiarbeiter ab, stellt jedoch zugleich 100 Leute ein, die die neuen Computer bedienen. d. Nach einer erfolgreichen Gewerkschaftskampagne zugunsten einer gewerkschaft-
184
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
lichen Organisation der Büroarbeitskräfte kauft ein College neue Computer für die Fakultät und baut Sekretärinnen ab. 8. Stellen Sie sich ein Unternehmen vor, das unter Einsatz von Boden und Arbeit Weizen produziert. Definieren und vergleichen Sie die abnehmenden Grenzerträge und die sinkenden Skalenerträge. Erklären Sie, wie es möglich sein kann, dass sinkende Grenzerträge bei einem Input und konstante Skalenerträge bei beiden Inputs auftreten. 9. Zeigen Sie, dass das Durchschnittsprodukt bei stetig abnehmendem Grenzprodukt immer über dem Grenzprodukt liegt. 10. Denken Sie das Beispiel eines Netzwerkes in Abbildung 6-4 noch einmal durch. Nehmen Sie an, dass in jedem Monat nur ein neuer Teilnehmer hinzukommen kann, und gehen Sie dazu die Teilnehmer, beginnend bei Adam, im Uhrzeigersinn durch. a. Erstellen Sie eine Tabelle, in der Sie die Werte für die neu Beitretenden sowie den externen Wert für die anderen (d.h. den Wert für alle anderen im Netzwerk) eintragen, sobald eine weitere Person hinzukommt. (Ein kleiner Hinweis: Die Einträge für Ed lauten auf jeweils US-$ 4.) Berechnen Sie anschließend den gesamten sozialen Nutzen für jede Mitgliederzahl. Stellen Sie die Beziehung zwischen der Größe des Netzwerkes und dem gesamten gesellschaftlichen Nutzen grafisch dar. Erklären Sie, warum hier der Nutzen immer weiter steigt, anstatt abzunehmen. b. Nehmen wir die Beitrittskosten mit US-$ 4,50 an. Zeichnen Sie ein Diagramm, in dem Sie darstellen, wie sich die Mitgliedschaften im Laufe der Zeit verändern, wenn das Netzwerk von Anfang an aus sechs Leuten besteht. Zeichnen Sie ein weiteres Diagramm unter der Annahme von drei Gründungsmitgliedern. An welchem Punkt weist das Gleichgewicht in Richtung universelle Mitgliedschaft? c. Nehmen wir an, Sie sind der Sponsor des in Abbildung 6-4 dargestellten Netzwerkes. Wie hoch sollten Sie den Preis für die Inbetriebnahme des Netzwerkes ansetzen, wenn es erst ein oder zwei Mitglieder umfasst?
Teil 2
185
KAPITEL 7 Kostenanalyse
Kosten spiegeln lediglich konkurrierende Anreize wider. Frank Knight, Risk, Uncertainty, and Profit (1921)
Wohin auch immer die Produktion sich bewegt, die Kosten folgen ihr wie ein Schatten. Unternehmen müssen für ihre Inputs bezahlen: Schrauben, Lösungsmittel, Software, Schwämme, Sekretärinnen und Statistiker. In gewinnorientierten Unternehmen ist man sich bei der Planung von Produktions- und Verkaufszielen stets der Tatsache bewusst, dass jeder Dollar an unnötigen Kosten die Gewinne des Unternehmens um eben diesen Betrag schmälert. Doch der Einfluss der Kosten reicht weiter als nur bis zur Entscheidung über Produktion und Gewinne. Kosten bestimmen die Wahl der Inputs, wirken sich auf die Anlagestrategien aus und entscheiden sogar über die Frage, ob ein Betrieb eingestellt werden sollte oder nicht. Ist es kostengünstiger, weitere Arbeitskräfte einzustellen oder Überstunden zu bezahlen? Eine neue Fabrik zu eröffnen oder eine alte auszubauen? Zu Hause in neue Maschinen zu investieren oder doch lieber die Produktion ins Ausland zu verlagern? Unternehmen sind bestrebt, die für sie effizienteste Produktionsmethode zu wählen, mit der sie möglichst viel zu möglichst geringen Kosten produzieren können. In diesem Kapitel wollen wir eine gründliche Kostenanalyse vornehmen. Zu Beginn befassen wir uns dabei mit der ganzen Bandbreite volkswirtschaftlicher Kosten, darunter auch mit dem wichtigen Begriff der Grenzkosten. Danach wollen wir untersuchen, wie die Buchhalter eines Unternehmens in der Praxis ihre Kosten erfassen. Und schließlich werden wir uns noch dem Begriff der Opportunitäts- oder Alternativkosten widmen, einem sehr weit gefassten Konzept, das sich auf eine Vielzahl von Entscheidungen anwenden lässt. Diese ausgiebige Erörterung des Themas Kosten soll schließlich unsere Grundlage zum Verständnis der Angebotsentscheidungen von Unternehmen bilden.
186
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
A. Die volkswirtschaftliche Kostenanalyse Gesamtkosten: Fixkosten und variable Kosten Stellen Sie sich ein Unternehmen vor, das eine Produktionsleistung q erbringt, wozu es die Produktionsfaktoren Kapital, Arbeit und Material einsetzt. Das Unternehmen kauft seine Produktionsfaktoren auf den Faktormärkten. Den Kostenrechnern des Unternehmens kommt dabei die Aufgabe zu, die bei jeder möglichen Produktionsmenge q entstehenden Kosten zu errechnen. Tabelle 7-1 zeigt die Gesamtkosten (TC) für alle Produktionsmengen q. Bei Betrachtung der Spalten (1) und (4) sehen wir, dass TC steigt, sobald q steigt. (1)
(2)
(3)
(4)
Fixkosten
Gesamtkosten TC
Menge
FC
Variable Kosten VC
q
(US-$)
(US-$)
(US-$)
0 1 2 3 4 5 6
55 55 55 55 55 55 55
0 30 55 75 105 155 225
55 85 110 130 160 210 280
Tabelle 7-1: Fixe, variable und Gesamtkosten Die Kosten eines Unternehmens setzen sich im Wesentlichen aus den Fixkosten (die auf eine Änderung der Produktionsmenge nicht reagieren) und den variablen Kosten (die sich mit Steigerung der Produktionsmenge erhöhen) zusammen. Die Gesamtkosten entsprechen demnach der Summe aus fixen und variablen Kosten: TC = FC + VC.
Teil 2
Nun, das ist auch kein Wunder, denn schließlich ist ein Mehr an Arbeit und anderen Inputs erforderlich, um größere Mengen zu produzieren; und zusätzliche Produktionsfaktoren bedeuten auch zusätzliche Kosten. Zwei Einheiten zu produzieren kostet insgesamt US-$ 110, drei Einheiten kosten US-$ 130 usw. Wir setzen in unserer Erörterung des Themas voraus, dass das Unternehmen immer zu den geringstmöglichen Kosten produziert.
Fixkosten In den Spalten (2) und (3) von Tabelle 7-1 sind die Gesamtkosten in zwei Komponenten aufgegliedert: in die gesamten Fixkosten (FC) und in die gesamten variablen Kosten (VC). Was aber sind die Fixkosten eines Unternehmens? Diese bisweilen auch als „Overhead“ oder als „Betriebskosten“ bezeichnete Position beinhaltet etwa die Pacht für das Fabrikgelände oder die Büromiete, Leasingzahlungen für die Betriebsausstattung, den Zinsendienst für bestehende Darlehen oder die Gehälter der unbefristet Beschäftigten. Diese Kosten fallen auch dann an, wenn das Unternehmen keinerlei Produktion erzielt, und sie ändern sich nicht mit der Produktionshöhe. Eine Anwaltskanzlei hat beispielsweise einen Büromietvertrag über zehn Jahre, aus dem ihr selbst dann die vereinbarten Verpflichtungen erwachsen, wenn die Kanzlei plötzlich aus irgendeinem Grund nur noch halb so viel Umsatz machen sollte wie bisher. Da die Fixkosten FC in jedem Fall und unabhängig von der Produktionsmenge bezahlt werden müssen, bleiben sie mit US-$ 55 in Spalte (2) konstant.
Variable Kosten Spalte (3) in Tabelle 7-1 zeigt die variablen Kosten (VC). Als variable Kosten werden jene Kosten bezeichnet, die sich mit der Produktionsmenge verändern. Beispiele für variable Kosten sind etwa die für die Produktion benötigten Rohstoffe (z.B. Stahl in der Autoindustrie), die Löhne der Fließbandarbeiter oder der Strom für die Maschinen. In einem Supermarkt
Kapitel 7
187
Kostenanalyse
fallen unter anderem die Löhne der Kassiererinnen unter die variablen Kosten, weil der Filialleiter ihre Arbeitszeit je nach dem zu erwartenden Kundenandrang anordnen kann. Per definitionem beginnen VC bei null, wenn q ebenfalls null ist. VC ist jener Teil der TC, der mit dem Output steigt; der Anstieg der TC zwischen zwei beliebigen Outputs entspricht übrigens genau dem Anstieg der VC. Warum? Nun, die FC bleiben mit US-$ 55 bei allen Produktionsmengen konstant und können beim Kostenvergleich zwischen verschiedenen Produktionsmengen daher weggelassen werden. Fassen wir die besprochenen Kostenkonzepte zusammen: Gesamtkosten stellen die in Geld ausgedrückten Mindestgesamtausgaben dar, die benötigt werden, um eine bestimmte Produktionsmenge q zu erzielen. Die Gesamtkosten TC steigen, sobald q steigt. Fixkosten stellen den gesamten, in Geld ausgedrückten Ausgabenbetrag dar, der selbst dann aufgewendet werden muss, wenn keine Produktionsleistung erzielt wird. Fixkosten bleiben durch Änderungen der Produktionsmenge unbeeinflusst. Variable Kosten sind Ausgaben, die mit der Produktionsmenge variieren. Dazu gehören Rohmaterialien, Löhne und Treibstoffe, eben alle Kosten, die keine Fixkosten sind. Per definitionem gilt daher immer: TC = FC + VC
Erzielbare Mindestkosten Jeder, der jemals ein Unternehmen geleitet hat, weiß, dass ein Kostenplan wie in Tabelle 7-1 nur eine grobe Vereinfachung darstellt. Warum ist das so? Nun, um das niedrigste mögliche Kostenniveau zu errechnen, müssen Unternehmensleiter dafür sorgen, dass sie jeweils möglichst wenig für die erforderlichen Inputs wie Energie bezahlen. Sie müssen darauf achten, dass die kostengünstigsten Fabrikationstechniken schon in der Betriebsplanung berücksichtigt
wurden und dass nur ehrliche, aufrichtige Mitarbeiter eingestellt werden; darüber hinaus haben sie in diesem Zusammenhang noch unzählige weitere Entscheidungen zu treffen. Nehmen wir an, Sie wären Eigentümer eines Baseball-Teams. Sie müssen die Spielergehälter vereinbaren, Manager auswählen, mit den Verkäufern verhandeln, müssen sich um Stromrechnungen und andere Kosten kümmern und überlegen, welche Versicherungen und in welcher Höhe Sie benötigen, und Sie müssen sich mit den 1.001 sonstigen Fragen herumschlagen, die der möglichst kostengünstige Betrieb eines Baseball-Teams mit sich bringt. Die in Tabelle 7-1 angegebenen fixen und variablen Kosten sind als Mindestkosten das Ergebnis genau dieser tage- und nächtelangen Arbeit eines Teammanagers.
Definition der Grenzkosten Die Grenzkosten sind eines der zentralen volkswirtschaftlichen Konzepte. Mit diesem Begriff, Grenzkosten (MC), werden alle zusätzlichen Kosten bezeichnet, die bei der Erzeugung jeweils einer zusätzlichen Produktionseinheit anfallen. Produziert ein Unternehmen beispielsweise 1.000 CDs zu Gesamtkosten von US-$ 10.000 und kostet es US-$ 10.006, eine mehr, nämlich 1.001 CDs herzustellen, so liegen die Grenzkosten für die Produktion der 1.001. CD bei US-$ 6. Manchmal sind die Grenzkosten für die Herstellung einer zusätzlichen Produktionseinheit minimal. Für eine Fluglinie, die mit leeren Maschinen unterwegs ist, beschränken sich die Kosten für den Transport eines zusätzlichen Passagiers allenfalls auf das, was Verpflegung und ein Freigetränk ausmachen; es ist weder zusätzliches Kapital (Flugzeuge) noch zusätzliche Arbeit (Piloten und Stewardessen) erforderlich. In anderen Fällen hingegen sind die Grenzkosten für eine zusätzliche Produktionseinheit hoch. Denken Sie an ein Stromversorgungsunternehmen. Unter normalen Umständen kann es genügend Strom produzieren, indem es seine kostengünstigsten und effizien-
188
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
testen Anlagen nützt. Aber an einem heißen Sommertag, wenn jedermann seine Klimaanlage eingeschaltet hat und der Stromverbrauch in die Höhe schnellt, müssen selbst die teuren und ineffizienten Generatoren angeworfen werden. Diese zusätzliche Stromleistung verursacht daher hohe Grenzkosten für das Versorgungsunternehmen. In Tabelle 7-2 sind die Daten aus Tabelle 7-1 aufbereitet, um zu zeigen, wie wir die Grenzkosten errechnen. Die rostfarbenen MC-Daten in Spalte (3) von Tabelle 7-2 ergeben sich aus der Subtraktion der TC in Spalte (2) von den TC der jeweils nächsthöheren Produktionsmenge. Deshalb betragen die MC der ersten Einheit US-$ 30 (US-$ 85 – US-$ 55). Die Grenzkosten der zweiten Einheit liegen bei US-$ 25 (US-$ 110 – US-$ 85). Und so weiter. Anstatt die Grenzkosten der TC-Spalte zu entnehmen, könnten wir sie auch durch Subtraktion der einzelnen VC in Spalte (3) der Tabelle 7-1 von den VC in der darunter liegenden Zeile ermitteln. Warum? Nun, die variablen Kosten steigen immer im Gleichklang mit den Gesamtkosten, mit dem einzigen Unterschied, dass VC (per definitionem)
Teil 2
bei 0 und nicht beim konstanten FC-Niveau beginnen. (Überprüfen Sie, dass 30 – 0 = 85 – 55 und 55 – 30 = 110 – 85 und so weiter.) Die Produktionsgrenzkosten entsprechen den Zusatzkosten, die durch die Produktion einer zusätzlichen Einheit des jeweiligen Outputs entstehen. Grenzkosten im Diagramm. Abbildung 7-1 enthält eine Darstellung der Gesamt- und Grenzkosten. Sie zeigt, dass TC in einem bestimmten Verhältnis zu MC steht, ebenso wie das Gesamtprodukt zum Grenzprodukt oder der Gesamtnutzen zum Grenznutzen in einer ganz bestimmten Beziehung steht. Welche Form nehmen wohl MC-Kurven an? Empirische Studien haben ergeben, dass die Grenzkostenkurven für die meisten Produktionstätigkeiten kurzfristig (d.h., solange der Kapitalbestand unverändert bleibt) U-förmig sind, wie das Beispiel in Abbildung 7-1(b) zeigt. Diese U-förmige Kurve fällt in der Anfangsphase ab, erreicht schließlich ihr Minimum und beginnt wieder zu steigen. Die Grenzkosten des Softwarevertriebs
(1)
(2)
(3)
Menge
Gesamtkosten TC
Grenzkosten MC
q
(US-$)
(US-$)
0
55
1
85
2
110
3
130
4
160
5
210
30 25 30 –– 50
Tabelle 7-2: Berechnung der Grenzkosten Kennen wir erst einmal die Gesamtkosten, ist die Berechnung der Grenzkosten einfach. Um die MC für die fünfte Einheit zu berechnen, subtrahieren wir die Gesamtkosten für vier Einheiten von den Gesamtkosten für fünf Einheiten, d.h. MC = US-$ 210 – US-$ 160 = US-$ 50. Setzen Sie nun bitte selbst die Grenzkosten für die vierte Einheit ein.
Als der Software-Gigant Microsoft den Markt für Internet-Browser erobern wollte, verschenkte er ganz einfach den firmeneigenen Browser, Internet Explorer (IE), und zwar entweder als Einzelprodukt oder im Paket mit dem Betriebssystem Windows. Die Konkurrenz beklagte sich über das rücksichtslose Verhalten von Microsoft. Doch sollte man sich nicht zunächst fragen, wie MS den Browser einfach verschenken konnte, ohne eine ganze Menge Geld zu verlieren? Die Antwort liegt in den Grenzkosten: Zwar brachte die Entwicklung des Internet Explorer für Microsoft ganz enorme Kosten mit sich, doch die Grenzkosten für den Vertrieb jeweils einer zusätzlichen Produkteinheit waren praktisch null. Mit anderen Worten, Microsoft kostete die Abgabe von einer Million plus einem IE nicht mehr als die von einer Million IE. Solange die Grenzkosten des IE null betrugen, entstand durch das Verschenken des Produkts für Microsoft keinerlei finanzieller Verlust.
Kapitel 7
189
Kostenanalyse
(a) Gesamtkosten
(b) Grenzkosten MC
TC
80 TC
Grenzkosten (US-$)
Gesamtkosten (US-$)
200
100
MC 60
40
20
0
1
2
3
4
5
q
0
Produktionsmenge
1
2
3
4
5
q
Produktionsmenge
Abbildung 7-1: Die Beziehung zwischen Gesamtkosten und Grenzkosten In der vorliegenden Abbildung sind die Daten aus Tabelle 7-2 im Diagramm dargestellt. Die Grenzkosten in (b) werden berechnet, indem man die Zusatzkosten, die laut (a) für jede zusätzliche Produktionseinheit anfallen, feststellt. Um daher die Produktions-MC für die fünfte Einheit ermitteln zu können, subtrahieren wir US-$ 160 von US-$ 210 und erhalten MC = US-$ 50. Eine durchgängige schwarze Kurve wurde in (a) durch die einzelnen TC-Punkte gezogen, und eine durchgängige schwarze Kurve verbindet auch in (b) die unterschiedlichen MC-Stufen.
Durchschnittskosten Wir beenden unsere Auflistung der Kostenkonzepte mit einer Erörterung der verschiedenen Arten von Durchschnitts- oder Stückkosten. Tabelle 7-3 erweitert die Daten aus den Tabellen 7-1 und 7-2 um drei neue Messgrößen: Durchschnittskosten, durchschnittliche Fixkosten und durchschnittliche variable Kosten.
Durchschnitts- oder Stückkosten Wie die Grenzkosten sind auch die Durchschnittskosten (AC) ein Konzept, das im Geschäftsleben laufend praktisch angewendet wird. Durch den Vergleich zwischen Durchschnittskosten und Preis oder Durchschnittsertrag können die Unternehmen feststellen, ob sie Gewinne erzielen oder nicht. Durchschnittskosten sind die Gesamtkosten, dividiert durch die Gesamtanzahl der produzier-
ten Einheiten, wie in Spalte (6) der Tabelle 7-3 ausgewiesen. Daher gilt: Durchnittskosten =
Gesamtkosten Produktionsmenge
=
TC q
= AC
In Spalte (6) müssen, wenn nur 1 Einheit produziert wird, die Durchschnittskosten den Gesamtkosten entsprechen: US-$ 85/1 = US-$ 85. Doch für q = 2 gilt AC = TC/2 = US-$ 110/2 = US-$ 55, wie hier ersichtlich. Beachten Sie bitte, dass die Durchschnittskosten zunächst immer weiter sinken. (Warum dies so ist, werden wir in Kürze erklären.) AC erreicht den niedrigsten Wert von US-$ 40 bei q = 4 und steigt dann langsam wieder an. Abbildung 7-2 bildet die Kostendaten aus Tabelle 7-3 ab. Abbildung 7-2(a) stellt die Gesamt-, Fix- und variablen Kosten bei unterschiedlichen Produktionsmengen dar. Abbildung 7-2(b) zeigt die verschiedenen Durchschnittskostenkonzepte in Verbindung mit einer
190
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
(1)
(2 Fixkosten
(3) Variable Kosten
(4) Gesamtkosten
(5) Grenzkosten pro Einheit
Menge q 0
FC (US-$) 55
VC (US-$) 0
TC = FC + VC (US-$) 55
MC (US-$)
1
55
30
85
Teil 2
(6) (7) DurchDurchschnitts- schn. Fixkosten kosten pro Einheit pro Einheit AC = TC/q (US-$) unendlich
(8) Durchschn. variable Kosten pro Einheit AFC = FC/q AVC = VC/q (US-$) (US-$) unendlich nicht definiert
30 85
55
30
55
27 1/2
27 1/2
43 1/3
18 1/3
25
40*
13 3/4
26 1/4
42
11
–
46 2/3
9 1/6
37 1/2
52 6/7
7 6/7
45
60
6 7/8
53 1/8
25 2
55
55
110
3
55
75
130
20
4*
55
105
160
5
55
155
210
30 40* 50 –
6
55
225
280
7
55
–
370
90 110 8
55
–
480
* Niedrigster Wert der Durchschnittskosten
Tabelle 7-3: Alle Kostenkonzepte sind von der Gesamtkostenfunktion abgeleitet Wir können alle Kostenkonzepte von den TC in Spalte (4) ableiten. Die Spalten (5) und (6) sind diejenigen, auf die wir uns konzentrieren müssen: Die Grenzkosten werden durch Subtraktion der angrenzenden TC-Zeilen errechnet und sind rot eingezeichnet. Die mit einem Asterisk versehenen MC von 40 bei einem Output von 4 sind die geglätteten MC aus Abbildung 7-2(b). Beachten Sie in Spalte (6) den Mindestkostenpunkt von US-$ 40 auf der U-förmigen AC-Kurve in Abbildung 7-2(b). (Erkennen Sie, warum die mit einem Asterisk versehenen MC den ebenfalls mit einem Asterisk versehen AC im Minimum entsprechen? Berechnen Sie außerdem die fehlenden Zahlen und setzen Sie diese ein.)
geglätteten Grenzkostenkurve. Diagramm (a) veranschaulicht, wie sich die Gesamtkosten mit den variablen Kosten verändern, während die Fixkosten unverändert bleiben. Nun wenden Sie sich bitte Diagramm (b) zu. Es stellt die U-förmig gekrümmte AC-Kurve dar, die aus der TC-Kurve abgeleitet wird. Abbildung 7-3 zeigt schließlich, in welcher Beziehung die Grenzkosten zum Anstieg der Gesamtkostenkurve stehen.
Durchschnittliche fixe und variable Kosten In der gleichen Weise, wie wir die Gesamtkosten in fixe und variable Kosten eingeteilt haben, können wir auch die Durchschnittskosten in ihre fixen und variablen Komponenten zerlegen. Die Durchschnittsfixkosten (AFC) sind definiert als FC/q. Da die gesamten Fixkosten eine Konstante sind, ergibt sich durch Division derselben durch einen stei-
Kapitel 7
191
Kostenanalyse
(b) Durchschnittskosten, Grenzkosten
800
80
TC
700 Kosten (US-$)
600 500 400
Gesamtkosten TC
300 200
Variable Kosten
100 0
Fixkosten 1
2
3
4
5 6 Menge
7
8
9
10
q
Durchschnitts- u. Grenzkosten (US-$)
(a) Gesamtkosten, fixe und variable Kosten
MC
AC
70 AVC
60 50 M
40 30
M′
20 10 0
1
2
3
4
5 6 Menge
7
8
9
AFC q 10
Abbildung 7-2: Alle Kostenkurven lassen sich aus der Gesamtkostenkurve ableiten (a) Die Gesamtkosten setzen sich aus fixen und variablen Kosten zusammen. (b) Die rote Grenzkostenkurve fällt erst ab und steigt dann wieder an, wie durch die MC-Daten in Spalte (5) von Tabelle 7-3 angegeben. Bitte beachten Sie, dass MC die AC-Kurve in ihrem Minimum schneidet.
genden Output eine stetig fallende Durchschnittsfixkostenkurve [siehe Spalte (7) in Tabelle 7-3]. Mit anderen Worten, wenn ein Unternehmen größere Produktionsmengen verkauft, kann es seine Overheadkosten auf eine größere Zahl produzierter Einheiten aufteilen. Eine Softwarefirma könnte beispielsweise einen großen Stab von Programmierern einstellen, damit diese ein neues Grafikprogramm entwickeln. Die Zahl der verkauften Kopien wirkt sich nicht direkt auf die Zahl der erforderlichen Programmierer aus, daher gelten diese als Fixkosten. Wenn das Programm ein Verkaufserfolg wird, sind die AFC für die Programmierer gering. Erweist sich das Programm als Fehlschlag, liegen die AFC dagegen hoch. Die gestrichelte graue AFC-Kurve in Abbildung 7-2(b) sieht wie eine Hyperbel aus, und sie nähert sich beiden Achsen: Sie fällt, wenn sich die konstanten FC auf immer mehr Einheiten verteilen, immer weiter ab – bis knapp vor die Horizontalachse. Wenn wir für q Bruchzahlen zulassen, beginnen die AFC unendlich hoch, indem begrenzte FC auf einen immer geringeren Wert von q verteilt werden. Die durchschnittlichen variablen Kosten (AVC) entsprechen den variablen Kosten, dividiert durch
die Produktionsmenge: AVC = VC/q. Wie Sie Tabelle 7-3 ebenso wie Abbildung 7-2(b) entnehmen können, fallen in diesem Beispiel die AVC zuerst ab und steigen dann wieder an.
Mindestdurchschnittskosten Verwechseln Sie bitte keinesfalls Durchschnittskosten mit Grenzkosten – ein Fehler, den man nur allzu leicht begeht. Die Durchschnittskosten können sehr viel höher oder niedriger als die Grenzkosten liegen, wie Abbildung 7-2(b) zeigt. Doch Abbildung 7-2(b) veranschaulicht auch, dass eine wichtige Beziehung zwischen MC und AC besteht: Wenn die MC einer zusätzlichen Outputeinheit unter ihren AC liegen, sinken die AC. Und wenn die MC über den AC liegen, steigen die AC. An dem Punkt, an dem gilt, dass MC = AC, verläuft die AC-Kurve flach. In der typischen U-förmigen AC-Kurve entspricht dieser Punkt zugleich jenem Punkt, an dem die AC den Mindeststand erreichen. Überprüfen Sie das bitte selbst im Diagramm. Merken Sie sich außerdem die folgenden wichtigen Regeln:
192
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Beziehung zwischen Steigung und Grenzkosten
Gesamtkosten
Gesamtkostenkurve
d′ c
a b Tangente
Menge
Abbildung 7-3: Die Beziehung zwischen Steigung und Grenzkosten Betrachten Sie die Gesamtkostenkurve unter dem Mikroskop und untersuchen Sie den Kostensprung von q = 3.999 zu q = 4.000. Die Abbildung zeigt den Unterschied zwischen (1) MC als Kostensteigerung, die ein endlicher Schritt zwischen zwei Punkten von q auslöst, und (2) MC als Kosten einer winzigen Mengenveränderung, die durch die Tangentialsteigung in einem gegebenen q-Punkt gemessen wird. Der Abstand von a nach b stellt 1 zusätzliche Outputeinheit dar, der Abstand von b nach d die damit einhergehende Steigerung der Gesamtkosten. Es gilt daher: MC = (d – b) / (b – a), die erste und einfachste Definition der Grenzkosten. Die zweite Definition der Grenzkosten ist jene, die sie als Steigung der Gesamtkostenkurve beschreibt. Die Steigung der Kurve in Punkt a ist durch die Tangentialsteigung in Punkt a gegeben, die ihrerseits durch die Entfernung von b zu c, dividiert durch die Einheitsdistanz a zu b gegeben ist. Im Grenzbereich, wo die Zusatzeinheiten immer kleiner werden und wir die Verhältnisse im neuen, kleineren Dreieck neu berechnen müssen, wird die Diskrepanz zwischen den beiden Definitionen vernachlässigbar gering. Das bedeutet, bd/ bc nähert sich 1, wenn sich b an a annähert.
• Wenn die Grenzkosten unter den Durchschnittskosten liegen, senken Sie die Durchschnittskosten. • Wenn die MC über den AC liegen, erhöhen Sie die AC. • Wenn die MC genau den AC entsprechen, fallen oder steigen die AC in diesem Punkt nicht und befinden sich auf ihrem Mindestniveau. Daher gilt am tiefsten Wert einer U-förmigen AC-Kurve: MC = AC = geringstmögliche AC.
Teil 2
Diese Beziehung ist äußerst wichtig. Sie bedeutet nichts anderes, als dass ein Unternehmen, das sich um möglichst niedrige Durchschnitts-Produktionskosten bemüht, jene Produktionsmenge wählen muss, bei der die Grenzkosten den Durchschnittskosten entsprechen. Warum ist das so? Wenn die MC-Kurve unterhalb der AC-Kurve liegt, kostet die letzte produzierte Einheit weniger als die Durchschnittskosten aller zuvor produzierten Einheiten. Kostet die letzte Einheit weniger als die vorherigen, müssen die neuen AC (d.h. die AC einschließlich der letzten Einheit) geringer sein als die alten AC, weshalb die ACKurve fallend ist. Befindet sich die MC-Kurve hingegen oberhalb der AC-Kurve, so liegen die Kosten für die letzte Einheit über den Durchschnittskosten der früheren Einheiten. Daher müssen die neuen Durchschnittskosten (die AC einschließlich der letzten Einheit) höher als die alten AC sein. Wenn schließlich die MC genau den AC entsprechen, liegen die Kosten für die letzte Einheit genau in derselben Höhe wie die Durchschnittskosten für alle vorherigen Einheiten. Daher sind die neuen AC, die bereits die letzte Einheit umfassen, und die alten AC gleich hoch; die AC-Kurve hat eine Steigung von null, wenn gilt: AC = MC. Um die Beziehung zwischen Grenz- und Durchschnittskosten besser verstehen zu können, betrachten Sie bitte die Kurven in Abbildung 7-2(b) und die Zahlen in Tabelle 7-3. Beachten Sie, dass die MC bei den ersten drei Einheiten unter den AC liegen und dass die AC daher fallen. Exakt bei vier Einheiten sind AC und MC gleich hoch. Ab der fünften Einheit überschreiten die MC die AC und ziehen diese stetig nach oben. Grafisch bedeutet dies, dass die ansteigende MC-Kurve die AC-Kurve genau in jenem Punkt schneidet, in dem sie sich nach oben wendet: Die AC-Kurve wird von der ansteigenden MC-Kurve immer in ihrem Minimum geschnitten. Was nun unsere Kostenkurven betrifft, so muss die AC-Kurve abfallen, wenn die MC-Kurve unter der AC-Kurve liegt.
Kapitel 7
193
Kostenanalyse
Die Beziehung zwischen Produktion und Kosten Was bestimmt eigentlich den Verlauf der Kostenkurve eines Unternehmens? Offensichtlich sind die Inputpreise für Arbeit und Boden wichtige Faktoren, die sich auf die Kosten auswirken. Höhere Mieten und Löhne bedeuten auch höhere Kosten, was Ihnen sicherlich jeder Unternehmer bestätigen wird. Doch die Kostenkurve eines Unternehmens hängt auch ganz wesentlich von seiner Produktionsfunktion ab. Um diesen Zusammenhang zu verstehen, denken Sie bitte daran, dass die Kosten des Unternehmens sinken, wenn durch technologische Fortschritte derselbe Output mit geringerem Input erzeugt werden kann und sich die Kostenkurve daher nach unten verschiebt. Sobald Sie die Faktorpreise und die Produktionsfunktion kennen, können Sie die Kostenkurve berechnen. Nehmen wir an, ein Unternehmen möchte eine bestimmte Produktionsmenge erzeugen. Die Produktionsfunktion (unter Berücksichtigung der Faktorpreise) sagt uns, welche Inputkombination für die gewünschte Produktionsleistung dieses Unternehmens die geringsten Kosten verursacht. Wenn wir die Gesamtkosten der kostengünstigsten Inputkombination für jede mögliche Produktionsmenge berechnen, erhalten wir die in den Tabellen 7-1 bis 7-3 dargestellten Gesamtkosten. Mithilfe der Produktionsdaten und Faktorkosten berechnen wir für jede Produktionsmenge die Gesamtproduktionskosten, die in Spalte (6) der Tabelle 7-4 eingetragen sind. Wir können die Ableitung der Kosten aus den Produktionsdaten anhand eines einfachen numerischen Beispiels veranschaulichen, wie in Tabelle 7-4 dargestellt. Nehmen wir an, Bauer Smith hätte 10 Morgen Land gepachtet und die erforderlichen Arbeitskräfte eingestellt, um Weizen anzubauen. Die Jahrespacht beläuft sich auf US-$ 5,5 je Morgen, die Arbeitskraft kostet US-$ 5 pro Arbeiter. Wenn er moderne land-
wirtschaftliche Methoden einsetzen kann, wird Bauer Smith entsprechend der in den ersten drei Spalten der Tabelle 7-4 dargestellten Produktionsfunktion produzieren. In diesem Beispiel stellen die Ausgaben für den Boden Fixkosten dar (weil Bauer Smith seinen Pachtvertrag auf zehn Jahre abgeschlossen hat), während Arbeit zu den variablen Kosten zählt (weil Landarbeiter, anders als Universitätsprofessoren, in den USA jederzeit eingestellt und wieder entlassen werden können). Nehmen wir als Beispiel die Gesamtproduktionskosten für 3 Tonnen Weizen. Entsprechend der gegebenen Produktionsfunktion kann Bauer Smith diese Menge Weizen mit 10 Morgen Land und 15 Arbeitseinheiten produzieren. Die Gesamtkosten für die Produktion von 3 Tonnen Weizen betragen (10 Morgen US-$ 5,80 je Morgen) + (15 Arbeiter US-$ 5 pro Arbeiter) = US-$ 130. Mit derselben Berechnungsmethode erhalten wir alle anderen Gesamtkostenzahlen in Spalte (6) von Tabelle 7-4. Beachten Sie bitte, dass die so ermittelten Gesamtkosten identisch mit jenen in den Tabellen 7-1 bis 7-3 sind, sodass die anderen Kostenberechnungen in den Tabellen (z.B. MC, FC, VC, AC, AFC und AVQ) ebenfalls auf das Beispiel der Produktionskosten von Bauer Smith angewandt werden können.
Abnehmende Erträge und U-förmige Kostenkurven Die Beziehung zwischen Kosten und Produktion erklärt, warum Kostenkurven zumeist Uförmig verlaufen. Wie Sie sich wahrscheinlich noch erinnern, haben wir in der Produktionsanalyse in Kapitel 6 zwischen Kurz- und Langfristigkeit unterschieden. Diese Unterscheidung gilt auch für die Kosten: • Kurzfristig bedeutet einen Zeitraum, der lang genug ist, um die variablen Produktionsfaktoren wie Material und Arbeit anzupassen, jedoch zu kurz, um alle Produktionsfaktoren variieren zu können. Kurzfristig können fixe oder Overhead-Faktoren wie Anlagen und Be-
194
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Teil 2
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
Produktion
Faktorinput Boden
Faktorinput Arbeit
Bodenpacht
Arbeitslohn
Gesamtkosten
(Tonnen Weizen)
(Morgen)
(Arbeiter)
(US-$ pro Morgen)
(US-$ pro Arbeiter)
(US-$)
0
10
0
5,5
5
55
1
10
6
5,5
5
85
2
10
11
5,5
5
110
3
10
15
5,5
5
130
4
10
21
5,5
5
160
5
10
31
5,5
5
210
6
10
45
5,5
5
280
7
10
63
5,5
5
370
8
10
85
5,5
5
480
Tabelle 7-4: Die Kosten lassen sich aus Produktionsdaten und Faktorkosten ableiten Bauer Smith pachtet 10 Morgen Weizen-Anbaufläche und stellt zur Bearbeitung Landarbeiter (variable Kosten) ein. Nach der landwirtschaftlichen Produktionsfunktion ermöglicht der umsichtige Einsatz von Arbeit und Boden Inputs und Erträge, wie in den Spalten (1) bis (3) der Tabelle ausgewiesen. Unter der Annahme von Faktorpreisen in Höhe von US-$ 5,50 je Morgen Boden und US-$ 5 je Arbeiter erhalten wir die Produktionskosten Smiths in Spalte (6). Alle anderen Kostenkonzepte (wie auch jene aus Tabelle 7-3) lassen sich aus den Gesamtkostendaten errechnen.
triebsausstattung nicht vollständig verändert oder angepasst werden. Deshalb sind die Arbeits- und Materialkosten im Normalfall variable Kosten, während die Kapitalkosten zu den Fixkosten gehören. • Langfristig lassen sich alle Inputs anpassen – Arbeit ebenso wie Rohstoffe und Kapital. Langfristig sind daher alle Kosten vari1 abel und nicht fix. Bitte beachten Sie Folgendes: Ob man von fixen oder variablen Kosten spricht, hängt von der betrachteten Zeitdauer ab. Kurzfristig gelten beispielsweise die Flugzeuge, die eine Fluglinie besitzt, als Fixkosten. Langfristig hingegen kann eine Gesellschaft die Größe ihrer Flotte beeinflussen, indem sie Flugzeuge abstößt oder kauft. Es gibt einen regen Markt für gebrauchte Flugzeuge, und es stellt für Fluglinien kein Problem dar, uner1 Eine umfassende Erörterung des Konzepts der Lang- und Kurzfristigkeit finden Sie in Kapitel 6.
wünschte Maschinen zu verkaufen. Normalerweise zählt das Produktionskapital kurzfristig zu den Fixkosten, Arbeit jedoch zu den variablen Kosten. Diese Regel trifft zwar nicht immer zu (denken Sie an das Beispiel mit den Computerprogrammierern oder an eine Anstellung als Universitätsprofessor), aber im Allgemeinen lassen sich Arbeitsinputs leichter anpassen als Kapital. Warum aber ist die Kostenkurve U-fömig? Betrachten wir einmal einen kurzfristigen Zeitraum, in dem Kapital zu den Fixkosten, Arbeit hingegen zu den variablen Kosten zu zählen ist. Eine solche Situation ist durch abnehmende Erträge des variablen Faktors, der Arbeit, gekennzeichnet, weil jeder zusätzlichen Arbeitseinheit weniger Kapital gegenübersteht. In der Folge steigen die Grenzkosten der Produktion, weil die von jeder zusätzlichen Arbeitseinheit erbrachte Leistung immer geringer wird. Mit anderen Worten, die abnehmenden Grenzerträge beim variablen Faktor implizieren steigende kurz-
Kapitel 7
195
Kostenanalyse
(b) führen zu MC mit positiver Steigung
(a) Abnehmende Erträge… 100
B
Grenzkosten (US-$ pro Tonne Weizen)
Grenzprodukt der Arbeit (zusätzliche Tonnen Weizen pro zusätzlicher Arbeitskraft)
0,3
0,2
A 0,1
0
D
L 0
20
40 Arbeit
60
80
AC 60 40 20 0
80
MC D
A B Q 0
20
40 60 Produktionsmenge
80
100
Abbildung 7-4: Abnehmende Erträge und U-förmige Kostenkurven Die U-förmige Grenzkostenkurve in (b) ergibt sich aus dem Verlauf der Grenzproduktkurve in (a). Wenn der Boden fix, die Arbeit jedoch variabel ist, steigt das Grenzprodukt in (a) zunächst links von B an, findet seinen Höhepunkt in B und fällt dann wieder bei D ab, wenn die abnehmenden Erträge durch den Faktor Arbeit einsetzen. Die Grenzkostenkurve leitet sich aus den Produktionsdaten ab. Im Bereich links von B in Abbildung (b) – beispielsweise in Punkt A – bedeutet ein steigendes Grenzprodukt, dass die Grenzkosten sinken; in B erreicht das Grenzprodukt seinen Höhepunkt bei minimalen Grenzkosten; im Bereich rechts von B (z.B. in D) erhöhen sich die Grenzkosten der Produktion bei sinkendem Grenzprodukt der Arbeit. Insgesamt führt das zunächst steigende und dann wieder sinkende Grenzprodukt der variablen Faktoren zu einer U-förmigen Grenzkostenkurve.
fristige Grenzkosten. Das zeigt auch, warum abnehmende Erträge irgendwann zu steigenden Grenzkosten führen. Abbildung 7-4, die exakt dieselben Daten wie Tabelle 7-4 enthält, illustriert diese Tatsache. Hier sehen wir, dass der Bereich des zunehmenden Grenzprodukts den sinkenden Grenzkosten entspricht, während der Bereich der abnehmenden Grenzerträge steigende Grenzkosten impliziert. Wir können die Beziehung zwischen den Gesetzen der Produktivität und den Kostenkurven wie folgt zusammenfassen: Kurzfristig, wenn bestimmte Faktoren wie das Kapital fix sind, weisen die variablen Faktoren eine erste Phase steigender Grenzerträge auf, worauf eine Phase abnehmender Erträge folgt. Die entsprechenden Kostenkurven zeigen eine erste Phase abnehmender Grenzkosten, worauf eine Phase steigender Grenzkosten folgt, sobald die Grenzerträge sinken.
Wie Unternehmen ihre Produktionsfaktoren auswählen Grenzproduktivität und die Kostenoptimierungsregel (Least-cost-Regel) Jedes Unternehmen muss entscheiden, wie es seine Produktion gestalten will. Soll Strom mit Öl oder Kohle erzeugt werden? Sollen Autos in den USA oder in Mexiko gefertigt werden? Sollen Schüler von Studenten oder von fertig ausgebildeten Akademikern unterrichtet werden? Mit diesem Abschnitt schließen wir die Lücke zwischen Produktion und Kosten, indem wir mithilfe des Grenzkostenkonzepts darstellen, wie Unternehmen bei gegebenen Faktorpreisen die kostengünstigsten Kombinationen an Produktionsfaktoren auswählen. Wir werden in unserer Analyse von der entscheidenden Annahme ausgehen, dass Unternehmen bestrebt sind, ihre Produktionskosten zu minimieren. Diese Annahme der Kostenminimierung erscheint übrigens
196
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
nicht nur für im Wettbewerb stehende Unternehmen sinnvoll, sondern ebenso für Monopolisten und sogar für gemeinnützige Organisationen wie Universitäten oder Spitäler. Sie besagt nur, dass das Unternehmen danach trachten sollte, seine Produktion möglichst kostengünstig zu gestalten, damit ein möglichst hoher Anteil des Ertrages für Gewinne oder andere Ziele erhalten bleibt. Ein einfaches Beispiel zeigt, wie ein Unternehmen zwischen verschiedenen Kombinationen von Produktionsfaktoren wählen könnte. Nehmen wir an, die Techniker des Unternehmens hätten errechnet, dass das angestrebte Produktionsvolumen von 9 Einheiten auf zwei mögliche Arten erreicht werden kann. In beiden Fällen kostet die Energie (E) US-$ 2 je Einheit, während die Arbeitskosten (L) mit US-$ 5 pro Stunde zu veranschlagen sind. Mit Option 1 ergibt sich eine Input-Zusammensetzung von E = 10 und L = 2. Option 2 zeigt E = 4 und L = 5. Welcher der beiden Möglichkeiten ist der Vorzug zu geben? Zu den gängigen Marktpreisen für die Inputs betragen die Gesamtproduktionskosten für Option 1 ($ 2 10) + ($ 5 2) = $ 30, während die Gesamtkosten für Option 2 ($ 2 4) + ($ 5 5) = $ 33 betragen. Also wäre Option 1 die bevorzugte, weil kostengünstigste Inputkombination. In der Praxis gibt es zumeist mehrere und nicht nur zwei mögliche Inputkombinationen. Wir brauchen jedoch nicht erst die Kosten jeder einzelnen Kombination zu errechnen, um festzustellen, wie wir am kostengünstigsten produzieren. Eine einfache Methode zur Ermittlung der kostengünstigsten Inputkombination lautet wie folgt: Beginnen Sie, indem Sie das Grenzprodukt jedes Inputs berechnen, wie wir das in Kapitel 6 getan haben. Dividieren Sie anschließend das Grenzprodukt jedes Inputs durch seinen Faktorpreis. Sie kennen nun das Grenzprodukt je Dollar Input. Die kostenoptimale Kombination von Produktionsmitteln ist gefunden, wenn die Grenzproduktivität für alle Inputs gleich ist. Dies bedeutet, dass der zusätzliche Beitrag zur Produktionsleistung jedes einzel-
Teil 2
nen Dollars in Form von Boden, Erdöl usw. genau gleich hoch sein muss. Führt man diesen Gedankengang fort, so kann ein Unternehmen seine Gesamtproduktionskosten minimieren, wenn das Grenzprodukt pro Dollar Input für jeden Produktionsfaktor ausgeglichen werden kann. Diesen Umstand bezeichnen wir als Least-Cost- oder Kostenoptimierungsregel. Least-Cost-Regel: Um eine bestimmte Produktionsleistung mit den geringstmöglichen Kosten erzielen zu können, muss ein Unternehmen bei der Beschaffung der Produktionsfaktoren darauf achten, dass das Grenzprodukt pro Geldeinheit, die für jeden einzelnen Produktionsfaktor ausgegeben wird, gleich hoch ist. Das heißt: Grenzpunkt von L Preis von L Grenzpunkt von A =
Preis von A
=…
Diese Regel für Unternehmen entspricht haargenau dem, was auch die Konsumenten tun, wenn sie ihren Nutzen maximieren, wie wir in Kapitel 5 gesehen haben. Bei der Analyse der Auswahlentscheidungen der Konsumenten haben wir gesehen, dass diese ihre Kaufentscheidungen im Sinne der Nutzenoptimierung so treffen sollten, dass der Grenznutzen pro ausgegebenem Dollar für jedes Gut gleich hoch ist. Aber die Least-Cost-Regel lässt sich auch folgendermaßen verstehen: Unterteilen Sie jeden Faktor in kleine Pakete zu je US-$ 1. (In unserem obigen Beispiel mit Energie und Arbeit entspricht US-$ 1 an Arbeitskosten etwa einem Fünftel einer Arbeitsstunde, während US-$ 1 für Energie eine halbe Energieeinheit darstellt). Die Least-Cost-Regel besagt nun, dass das Grenzprodukt jeder Dollareinheit für die Produktionsfaktoren gleich sein muss. Wären die Grenzprodukte je US-$ 1 Input nicht gleich, könnten Sie den Input mit der niedrigeren Grenzproduktivität je Dollar reduzie-
Kapitel 7
197
Kostenanalyse
ren und dafür mehr von jenen Inputs verwenden, die eine hohe Grenzproduktivität erzielen, um denselben Output zu geringeren Kosten herzustellen. Als logische Folge der Least-Cost-Regel ergibt sich somit die Substitutionsregel. Substitutionsregel: Wenn der Preis für einen Produktionsfaktor sinkt, während alle anderen Faktorpreise gleich bleiben, profitiert ein Unternehmen davon, den verbilligten Faktor anstelle der sonstigen Optionen einzusetzen. Ziehen wir als Beispiel die Arbeit (L) heran. Sinkende Arbeitskosten führen zu einer Erhöhung des Verhältnisses MPL/PL gegenüber MP/P der anderen Produktionsfaktoren. Ein vermehrter Einsatz von Arbeit verringert nach dem Gesetz der abnehmenden Grenzerträge MPL und senkt daher MPL/PL. Ein niedrigerer Preis und ein niedrigeres MP der Arbeit bewirken hingegen einen Ausgleich zwischen dem Grenzprodukt je Dollar für den Faktor Arbeit und diesem Verhältnis für die anderen Produktionsfaktoren.
B. Volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Kostenrechnung Von General Motors bis hin zum kleinen Laden um die Ecke verwenden die Unternehmen mehr oder weniger komplexe Systeme zur Kostenkontrolle. Viele Kostenkategorien im betrieblichen Rechnungswesen gleichen weitgehend den volkswirtschaftlichen Kostenkonzepten, die wir zuvor dargelegt haben. Trotzdem gibt es einige wesentliche Unterschiede zwischen der Art und Weise, wie Unternehmen die Kosten bestimmen und wie Volkswirte an dieselbe Aufgabe herangehen. In diesem Abschnitt werden wir die Grundlagen des betrieblichen Rech-
nungswesens vorstellen und auf die Unterschiede und Ähnlichkeiten zur volkswirtschaftlichen Kostenberechnung hinweisen.
Die Gewinn- und Verlustrechnung Beginnen wir mit einem kleinen Unternehmen; nennen wir es Hot Dog Ventures, Inc. Wie der Name schon sagt, verkauft dieser Betrieb köstliche Würstchen in einem kleinen Laden, und zwar vor allem an Studenten. Die Geschäftstätigkeit umfasst den Ankauf von Rohstoffen (Würstchen, Semmeln und Brot, teurem Senf und Kaffee für die Espressomaschine) sowie die Anstellung von Mitarbeitern, die die Snacks herstellen und verkaufen. Außerdem musste das Unternehmen einen Kredit in Höhe von US-$ 100.000 für Küchengeräte und andere Einrichtungen des kleinen Restaurants aufnehmen, und es bezahlt für das Geschäftslokal Miete. Die Gründer der Hot Dog Ventures haben hochfliegende Pläne, also haben sie das Unternehmen als Kapitalgesellschaft eintragen lassen und Stammaktien ausgegeben (siehe Kapitel 6 über die verschiedenen Rechtsformen der Unternehmen). Um festzustellen, ob Hot Dog Ventures einen Gewinn erwirtschaftet, müssen wir die Gewinn- und Verlustrechnung des Unternehmens zu Rate ziehen, die Tabelle 7-5 zu entnehmen ist. Dort finden wir folgende Angaben: (1) die Verkaufserlöse der Hot Dog Ventures für 2004, (2) die Aufwändungen, die diesen Erlösen gegenüberstehen, und (3) den Nettoertrag oder die Gewinne, die nach Abzug der Aufwändungen verbleiben – womit schon klipp und klar ausgedrückt ist, was die Gewinn- und Verlustrechnung eigentlich aussagt. Nettoertrag (Gewinn) = Gesamterlös – Gesamtaufwand Diese Definition ergibt die berühmte „Bottom Line“, das Endergebnis an Gewinnen, das Unternehmen maximieren wollen. Diese
198
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Teil 2
Gewinn- und Verlustrechnung der Hot Dog Ventures, Inc. (1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2004) (1)
Nettoerlöse (nach Abzug aller Preisnachlässe und Rabatte)
$ 250.000
abzüglich Aufwendungen: (2)
Material
(3)
Löhne
90.000
(4)
Sonstige Betriebsaufwendungen (Strom, Gas, Wasser etc.)
10.000
(5)
$ 50.000
Entspricht: Umsatzaufwendungen
(6)
Verkaufs- und Verwaltungsaufwand
15.000
(7)
Miete für Geschäftsräumlichkeiten
5.000
(8)
Abschreibung
(9) (10)
15.000
Betriebsaufwendungen
$ 185.000
Nettoerlöse
185.000 $ 65.000
Abzüglich: (11)
Zinsaufwendungen für Geschäftsausstattungsdarlehen
6.000
(12)
Bundes- und Gemeindesteuern
4.000
(13)
Nettoerträge (oder Gewinne) vor Einkommensteuer
(14)
Abzüglich: Körperschaftssteuer
(15)
Nettoerträge (oder Gewinne nach Steuern
(16)
Abzüglich: Ausbezahlte Dividenden (für Stammaktien)
(17)
Zuführung zu einbehaltenen Gewinnen
$ 55.000 18.000 $ 37.000 15.000 $ 22.000
Tabelle 7-5: Die Gewinn- und Verlustrechnung weist die Gesamtumsätze und Aufwendungen für die Berichtsperiode aus
Unternehmensgewinne sind in vielerlei Hinsicht der volkswirtschaftlichen Definition von Gewinnen sehr ähnlich. Sehen wir uns nun die Gewinn- und Verlustrechnung ein wenig genauer an, wobei wir oben beginnen wollen. In der ersten Zeile sind die Umsatzerlöse mit US-$ 250.000 ausgewiesen. Die Zeilen 2 bis 9 geben die Aufwändungen für verschiedene Produktionsfaktoren an, die im Produktionsprozess eingesetzt werden. So stellen beispielsweise die Löhne die jährlichen Kosten für die Beschäftigten dar, während die Mietaufwändungen den Jahreskosten für die Gebäudenutzung entsprechen. Die Position Verkaufs- und Verwaltungsaufwand umfasst die Aufwändungen für Werbung und Büro, während „sonstige Betriebsaufwendungen“ unter anderem die Stromkosten beinhalten.
Die ersten drei Aufwandskategorien, Material, Löhne und sonstige Betriebsaufwendungen, entsprechen im Wesentlichen den variablen Kosten des Unternehmens oder seinen Umsatzaufwendungen. Die nächsten drei Positionen, die den Zeilen 6 bis 8 zu entnehmen sind, entsprechen den Fixkosten von Hot Dog Ventures, da sie kurzfristig nicht verändert werden können. Zeile 8 führt einen Begriff auf, den wir bisher noch nicht besprochen haben, nämlich die Abschreibung. Er bezieht sich auf den Kapitalaufwand. Unternehmen können Kapital entweder mieten oder ihre Kapitalgüter selbst besitzen. Im Fall der von der Hot Dog Ventures gemieteten Räumlichkeiten haben wir die Miete in Position (7) der Gewinn- und Verlustrechnung abgezogen.
Kapitel 7
199
Kostenanalyse
Komplizierter wird die Sache, wenn das Unternehmen seine Kapitalgüter selbst besitzt. Nehmen wir an, die Küchenausstattung habe eine geschätzte Lebensdauer von zehn Jahren und sei danach nutz- und wertlos. Tatsächlich wird ja alljährlich im Zuge des Produktionsprozesses ein Teil der Küchenausstattung „verbraucht“. Wir nennen diese verbrauchte Menge „Abschreibung“ und berechnen damit die Aufwendungen für den Kapital-Input in diesem Jahr. Abschreibung ist ein Maß für die jährlichen Kosten eines Kapital-Inputs, den ein Unternehmen selbst besitzt. Dieselbe Überlegung gilt für sämtliche Kapitalgüter eines Unternehmens. Lastwagen gehen kaputt, Computer veralten und sogar Gebäude fallen irgendwann einmal in sich zusammen. Für all das berechnet das Unternehmen eine Wertminderung. Es gibt zahlreiche Formeln zur Berechnung der jährlichen Abschreibung, aber sie alle folgen zwei wichtigen Prinzipien: (a) Die Abschreibung des betreffenden Wertes muss den historischen Kosten oder dem Anschaffungspreis entsprechen; und (b) die Abschreibung wird während der buchhalterischen Nutzungsdauer, die sich an der tatsächlichen Nutzungsdauer orientiert, in Form jährlicher Aufwendungen verbucht. Wir wissen damit auch schon, wie die Abschreibung für die Hot Dog Ventures zu berechnen wäre. Die Geschäftsausstattung wird über eine Nutzungsdauer von zehn Jahren abgeschrieben, sodass der Wert von US-$ 150.000 für die Geschäftsausstattung unter Zugrundelegung der einfachsten Abschreibungsmethode eine jährliche Abschreibung von US-$ 15.000 bedingt. Besäße die Hot Dog Ventures ihr Geschäftsgebäude selbst, so müsste sie auch dieses abschreiben. Die Addition aller bisherigen Kosten ergibt die Betriebsaufwendungen (Zeile 9). Das Netto-Betriebsergebnis stellt die Nettoerlöse abzüglich der Betriebsaufwendungen dar (Zeile 1 abzüglich Zeile 9). Aber haben wir damit schon alle Produktionsaufwendungen berücksichtigt? Nicht ganz. Zeile 11 weist die jährlichen Zinsaufwendungen für den
Kredit von US-$ 100.000 aus. Diese sind als die Kosten für die Aufnahme von Kapital zur Unternehmensfinanzierung anzusehen. Obwohl es sich dabei um Fixkosten handelt, wird diese Position zumeist getrennt von den anderen Fixkostenpositionen ausgewiesen. Bundes- und Gemeindesteuern, beispielsweise Vermögenssteuer, stellen weitere Aufwendungen dar. Zieht man die Zeilen 11 und 12 ab, erhält man einen Gesamtbetrag von US-$ 55.000 an Gewinnen vor Einkommensteuern. Wie teilen sich diese Gewinne auf? Etwa US$ 18.000 gehen in Form der Körperschaftssteuer an den Staat. Danach verbleibt ein Gewinn von US-$ 37.000 nach Steuern. Die Dividenden in Höhe von US-$ 15.000 wurden ausbezahlt, sodass ein Betrag von US-$ 22.000 verbleibt, der als einbehaltener Gewinn in das Unternehmen rückgeführt wird. Beachten Sie bitte auch hier wieder, dass sich der Gewinn als Restbetrag aus den Umsatzerlösen abzüglich der Aufwendungen ergibt.
Die Bilanz Im betrieblichen Rechnungswesen geht es jedoch um mehr als nur um Gewinne und Verluste, die Antriebskräfte der Wirtschaft. So gehört zum betrieblichen Rechnungswesen auch die Bilanz, die ein Bild von der jeweiligen finanziellen Situation eines Unternehmens zu einem bestimmten Zeitpunkt zeichnet. In der Bilanz wird der Wert eines Unternehmens, einer Person oder eines Staates zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgewiesen. Auf der einen Seite der Bilanz stehen die Aktiva (Vermögenswerte und Rechte des Unternehmens). Auf der anderen, der Passivseite, finden sich zwei Positionen, nämlich die Verbindlichkeiten (Schulden und sonstige Verpflichtungen des Unternehmens) und das Eigenkapital (der Nettowert, der den Gesamtvermögenswerten abzüglich der gesamten Verbindlichkeiten entspricht). Eine wichtige Unterscheidung zwischen der Gewinn- und Verlustrechnung und der
200
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Bilanz ist jene zwischen fixen Beständen und dynamischen Strömen. Eine Bestandsgröße stellt ein bestimmtes Niveau einer Variablen dar, etwa die Wassermenge in einem See oder in unserem Fall den Geldwert eines Unternehmens. Eine Flussgröße bezieht sich hingegen auf die Veränderung je Zeiteinheit, vergleichbar dem aus einem See in einen Fluss abströmenden Wasser oder dem Strom der Erträge und Aufwendungen in und aus einem Unternehmen. Die Gewinn- und Verlustrechnung misst die Ströme in ein Unternehmen hinein und aus ihm heraus, während die Bilanz den Bestand an Aktiva und Passiva zum Ende eines Geschäftsjahres darstellt. Die fundamentale Gleichung oder ausgleichende Beziehung der Bilanz besteht darin, dass die gesamten Vermögenswerte eines Unternehmens den gesamten Verbindlichkeiten zuzüglich des Eigenkapitals entsprechen. Gesamtvermögenswerte (Aktiva) = Gesamtverbindlichkeiten + Eigenkapital Wir können diese Gleichung auch umstellen und erhalten: Eigenkapital = Vermögen (Aktiva) – Verbindlichkeiten Sehen wir uns dazu Tabelle 7-6 mit der einfachen Bilanz der Hot Dog Ventures, Inc. an. Links stehen die Aktiva, rechts die Passiva – Verbindlichkeiten und Eigenkapital. Neben dem Eintrag für das Eigenkapital wurde bewusst etwas Platz freigelassen, weil hier gemäß unserer fundamentalen Bilanzgleichung nur eine einzige Zahl eingetragen werden kann, nämlich US-$ 200.000. Unter der Annahme, dass sich eine Position der Bilanz verändert (etwa durch einen Vermögenszugang), muss sich eine entsprechende Änderung auch auf der anderen Seite vollziehen, damit die Gleichung wieder stimmt (in diesem Fall könnte es sich um eine Vermögensminderung, höhere Verbindlichkeiten oder eine Erhöhung des Eigenkapitals handeln).
Teil 2
Um zu illustrieren, dass das Eigenkapital immer einen Ausgleich zwischen den beiden Seiten der Bilanz herstellt, nehmen wir einmal an, unserem Unternehmen wären Hotdogs im Wert von US-$ 40.000 verdorben. Der Buchhalter berichtet das folgendermaßen: „Die Unternehmensaktiva haben sich um US-$ 40.000 verringert; die Verbindlichkeiten bleiben unverändert. Das bedeutet einen Rückgang des Eigenkapitals um US-$ 40.000, und ich muss daher die Position Eigenkapital von zuvor US-$ 200.000 auf US-$ 160.000 berichtigen.“ So sehen die Aufzeichnungen von Buchhaltern aus. Wir fassen unsere Analyse der Bilanzierungsgrundsätze wie folgt zusammen: 1. Die Gewinn- und Verlustrechnung zeigt den Strom der Umsätze, Aufwendungen und Erträge während des Jahres oder der Buchhaltungsperiode. Sie misst den Geldfluss in das und aus dem Unternehmen, also den Fortschritt, den das Unternehmens während des Jahres erzielt hat. 2. Die Bilanz zeigt eine Momentaufnahme der Finanzsituation des Unternehmens. Sie gleicht einem Wasserstandsmesser in einem See. Ihre wichtigsten Bestandteile sind die Vermögenswerte (Aktiva), die Verbindlichkeiten und das Eigenkapital.
Bilanzierungsgrundsätze Beim Studium der Bilanz in Tabelle 7-6 könnten Sie sich folgende Frage stellen: „Wie wird denn der Wert der verschiedenen Positionen bestimmt? Wie weiß ein Buchhalter, dass die Ausstattung eines Unternehmens einen Wert von US-$ 150.000 darstellt?“ Die Antwort lautet, dass sich Buchhalter einer Reihe allgemein anerkannter Regeln oder Bilanzierungsgrundsätze bedienen, um die meisten dieser Fragen zu lösen. Die wichtigste Annahme, die jeder Bilanz zugrunde gelegt wird, lautet, dass der Wert beinahe jeder Position deren Anschaffungskosten (historischen Kosten) entspricht. Dieser Grundsatz
Kapitel 7
201
Kostenanalyse
Bilanz der Hot Dog Ventures, Inc. (31. Dezember 2004) Aktiva
Passiva Verbindlichkeiten
Umlaufvermögen:
Kurzfristige Verbindlichkeiten:
Barbestände
20.000
Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen
20.000
Lagerbestand
80.000
Wechselverbindlichkeiten
30.000
Anlagevermögen: Maschinen
Langfristige Verbindlichkeiten: 150.000
Anleiheverbindlichkeiten
100.000
Eigenkapital Aktienkapital: Stammaktien Gesamt
350.000
Gesamt
350.000
Tabelle 7-6: Die Bilanz weist Aktiva und Passiva sowie das Eigenkapital eines Unternehmens zu einem Stichtag aus
unterscheidet sich vom volkswirtschaftlichen „Wert“-Prinzip, das wir im nächsten Abschnitt behandeln werden. Die Lagerbestände an Hotdog-Brötchen werden beispielsweise zum Anschaffungspreis ausgewiesen. Ein gerade erst gekauftes Anlagegut – irgendein Teil der Geschäftsausstattung oder ein Gebäude – wird zum Kaufpreis bewertet (entsprechend dem Bilanzierungsgrundsatz, wonach die Anschaffungskosten maßgeblich sind). Ältere Kapitalgüter werden zum Kaufpreis abzüglich der Abschreibungen bis zum jeweiligen Zeitpunkt bewertet, was der abnehmenden Nutzbarkeit dieser Güter Rechnung trägt. Buchhalter bedienen sich der Anschaffungskosten als Bewertungsmaßstab, weil sie damit zu einer objektiven Evaluierung gelangen, die sich zudem jederzeit überprüfen lässt. In Tabelle 7-6 ist das Umlaufvermögen jenes Vermögen, das innerhalb eines Jahres umgesetzt wird, während das Anlagevermögen die
Kapitalgüter sowie Grund und Boden darstellt. Die einzelnen Positionen brauchen kaum näher erläutert zu werden. Barbestände bezeichnen die vorhandenen Münzen, Papiergeld und Bankeinlagen. Barbestände sind die einzige Aktivposition, deren Wert exakt ermittelt wird und keinen Schätzwert darstellt. Auf der Seite der Passiva stellen die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen sowie die Wechselverbindlichkeiten jene Beträge dar, die anderen für gekaufte Güter oder Gelddarlehen geschuldet werden. Anleiheverbindlichkeiten bezeichnen langfristige Darlehen, die auf dem Markt gehandelt werden. Die letzte Bilanzposition ist das Eigenkapital oder Aktienkapital des Unternehmens. Es handelt sich hierbei um den Nettowert der Aktiva abzüglich der Passiva des Unternehmens, bewertet zu historischen Kosten. Das Eigenkapital muss in unserem Fall US-$ 200.000 betragen.
202
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Finanzbetrug Bei der Beschäftigung mit den Grundsätzen der Rechnungslegung fällt auf, dass für die exakte Bewertung der einzelnen Positionen ein gutes Urteilsvermögen erforderlich ist. Ende der 1990er Jahre haben viele Unternehmen, die unter einem enormen Druck standen, in möglichst kurzer Zeit hohe Gewinne zu erzielen, ihre Bilanzen manipuliert, um entweder ausgezeichnete Ergebnisse vorzutäuschen oder Verluste zu vertuschen. Unter den bemerkenswerten Beispielen dieser Praxis sind etwa jene zu finden, die ihr verkauftes Vermögen als Umsatzerlöse auswiesen (Enron, Global Crossing); manche aktivierten den Mittelabfluss, erfassten aber zugleich Zuflüsse als kurzfristige Erlöse (Enron, Qwest); andere gaben den Schrottwert ihrer LKW im Laufe der Zeit immer höher an (Abfallmanagement), aber auch die höhere Bewertung ungenutzter Deponieflächen kam vor, obwohl diese nach und nach aufgefüllt wurden (Abfallwirtschaft), und einige Unternehmen meldeten einfach positive Proforma-Daten, wenngleich die Wirklichkeit nicht so rosig aussah (Amazon.com, Yahoo und Qualcomm, um nur einige aus einer ganzen Reihe von Dotcom-Firmen zu nennen, die diese Praxis nur teilweise überlebt haben). Als der Betrug schließlich ruchbar wurde, schlitterten WorldCom und Enron in den Konkurs. Der Aufstieg und Fall von Enron Wenn Sie wissen möchten, wie Bilanzbetrug funktioniert, sollten Sie das Beispiel Enron studieren. Der Energieversorger Enron begann als (tatsächlich) rentables Unternehmen, dem das größte überregionale Erdgasleitungsnetz der USA gehörte. Um sein rasches Wachstum erhalten zu können, nahm der Konzern den Handel von Erdgas-Terminkontrakten auf und übertrug dann sein „Geschäftsmodell“ auf andere Märkte. Nach und nach begannen die Gewinne jedoch abzubröckeln, und Enron verbarg diesen Umstand vor den Investoren. Nun fragen Sie sich vielleicht, wie es einem so großen, an der Börse notierten Konzern gelingen kann,
Teil 2
praktisch sämtliche Beteiligten über so lange Zeit, nämlich bis 2001, zu täuschen? Erstens waren einige der Geschäftszweige von Enron tatsächlich neu, sodass die Investoren möglicherweise durchaus begründet eine Zeitlang glaubten, diese wären auch solide. Warum es das Unternehmen aber schaffte, sein Versagen vor jedermann zu verbergen, hat vier Gründe, die nur in ihrer Gesamtheit verständlich werden. Erstens begann Enron, als es in Schwierigkeiten geriet, sich einige unscharfe Bestimmungen in der Bilanzgesetzgebung zunutze zu machen – etwa jene, die wir weiter oben beschrieben haben. Ein Beispiel dafür war der Deal, der unter der Bezeichnung „Project Braveheart“ lief und mit Blockbuster Video zu tun hatte. Bei dieser Transaktion wurden Erträge, die für die nächsten 20 Jahre – eine reine Prognose – mit einem Zeitwert von US-$ 111 Millionen angesetzt worden waren, von Enron als laufende Erträge verbucht, obwohl schon die Prognose auf höchst dubiosen Annahmen beruhte. Zweitens beschloss das Unternehmen, die Detaildaten vieler Finanztransaktionen gar nicht erst auszuweisen, und verheimlichte seinen Aktionären beispielsweise Hunderte von Partnerschaften. Drittens verhielten sich die Aufsichtsräte und externen Wirtschaftsprüfer passiv und zweifelten die Bilanzen von Enron nie an, ja, sie fragten in einigen Fällen nicht einmal genauer nach. Und schließlich, viertens, verzichtete die Anlegergemeinde, also etwa die großen Investmentfonds, weitgehend auf eigenständige Analysen der von Enron vorgelegten Zahlen, obwohl das Unternehmen in Spitzenzeiten US-$ 70 Milliarden an Investorengeldern anzog.2 Der Fall Enron erinnert uns schmerzlich daran, dass die Finanzmärkte und selbst die größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Investmentmanager betrogen und zur Veranlagung von Milliarden und Abermilliarden Dollar verleitet werden können, wenn ein Unternehmen eine derart aggressive und betrügerische Bilanzierungspraxis an den Tag legt. Die Geschichte einer kriminellen Bilanzfälschung dieses Ausmaßes führt uns aber auch drastisch die Bedeutung eines vernünftigen Rechnungswesens und die Notwendigkeit der Kontrolle durch den Staat und nichtstaatliche Organisationen vor Augen.
Kapitel 7
Kostenanalyse
C. Opportunitätskosten In diesem Abschnitt wollen wir uns dem Thema Kosten aus einem weiteren Blickwinkel heraus nähern. Denken Sie daran, dass einer der Kardinalsätze der Volkswirtschaft lautet: Ressourcen sind knapp. Das bedeutet, dass wir uns jedes Mal, wenn wir uns dazu entscheiden, eine Ressource in einer bestimmten Weise einzusetzen, der Möglichkeit berauben, dieselbe Ressource auf eine andere Weise zu nutzen. Wir können das in unserem Leben immer wieder beobachten, wenn wir darüber entscheiden müssen, was wir mit unserer beschränkten Zeit und unserem beschränkten Einkommen anfangen wollen. Gehen wir ins Kino oder lernen wir für den Test in der kommenden Woche? Wollen wir lieber eine Reise nach Mexiko unternehmen oder ein neues Auto kaufen? Möchten wir nach dem Universitätsabschluss noch ein postgraduales Studium absolvieren oder gleich zu arbeiten beginnen?2 In jedem dieser Fälle kostet uns die getroffene Entscheidung etwas, nämlich die Möglichkeit, stattdessen etwas anderes zu tun. Die beste verpasste Alternative wird als Opportunitätskosten der Entscheidung bezeichnet, ein Konzept, das uns ganz kurz schon in Kapitel 1 begegnet ist und das wir hier noch etwas gründlicher erarbeiten möchten. Die direkten monetären Kosten, wenn wir ins Kino gehen, anstatt zu lernen, bestehen in dem Preis, den wir für die Kinokarte ausgeben, während die Opportunitätskosten zusätzlich auch noch die Möglichkeit berücksichtigen, dass wir bei unserem Test nächste Woche schlechter abschneiden könnten. Zu den Opportunitätskosten einer Entscheidung gehören sämtliche Konsequenzen dieser Entscheidung, ob sie nun Geldtransaktionen betreffen oder nicht.
2 In den Leseempfehlungen dieses Kapitels finden sich Hinweise auf weitere Analysen zum Thema.
203 Beim Treffen von Entscheidungen fallen Opportunitätskosten an, weil die Auswahl einer Möglichkeit in einer Welt der Knappheit bedeutet, dass wir auf andere Möglichkeiten verzichten müssen. Opportunitätskosten bezeichnen den Wert des wertvollsten entgangenen Gutes oder der entgangenen Dienstleistung. Ein wichtiges Beispiel für Opportunitätskosten sind die Kosten einer universitären Ausbildung. Haben Sie im Jahr 2003 eine amerikanische öffentliche Universität besucht, so betrugen die Gesamtkosten für Unterricht, Bücher und Fahrtkosten vielleicht US-$ 6.000. Entspricht das Opportunitätskosten von US-$ 6.000 für Ihre Ausbildung? Ganz und gar nicht! Sie müssen zusätzlich die Opportunitätskosten für die Zeit mit einrechnen, die Sie mit Ihrem Studium und dem Besuch der Vorlesungen verbracht haben. Ein Ganztagsjob für einen neunzehnjährigen Schulabgänger mit Highschool-Abschluss hätte Ihnen im Jahr 2003 ein Jahresgehalt von durchschnittlich US-$ 22.000 eingebracht. Addieren wir nun die eigentlichen Geldausgaben und das entgangene Einkommen, so stellen wir fest, dass die Opportunitätskosten für den Collegebesuch US-$ 28.000 (entsprechend US-$ 6.000 + US-$ 22.000) und nicht nur US-$ 6.000 betragen. Auch die Entscheidungen von Unternehmen verursachen Opportunitätskosten. Lassen sich diese in jedem Fall aus der Gewinnund Verlustrechnung herauslesen? Nicht unbedingt. Im Allgemeinen enthalten die Bücher der Unternehmen nur jene Transaktionen, bei denen tatsächlich Geldbewegungen stattfinden. Im Gegensatz dazu bemühen sich Volkswirte stets darum, den „Schleier des Geldes zu lüften“, um die eigentlichen Folgen der Geldflüsse offen zu legen und den echten Ressourcenverbrauch einer Aktivität zu messen. Aus diesem Grund berücksichtigen Volkswirte in ihren Überlegungen sämtliche Kosten, ob sie monetäre Transaktionen betreffen oder nicht. Es gibt mehrere wichtige Opportunitätskosten, die einer Gewinn- und Verlustrechnung nicht zu entnehmen sind. So kann beispielsweise in einem Kleinbetrieb die Familie
204
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
zahlreiche unbezahlte Arbeitsstunden einbringen, ohne dass diese irgendwo als Kosten erscheinen. Auch der Kapitalaufwand für die finanziellen Beiträge des Eigentümers zu seinem Unternehmen bleibt unberücksichtigt. Ebenso fehlen die Kosten, die die Umweltverschmutzung durch das Unternehmen verursacht, wenn es giftige Abfälle in einen Fluss einleitet. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind jedoch alle diese Positionen echte Kosten, die der Wirtschaft entstehen. Illustrieren wir das Konzept der Opportunitätskosten anhand des Eigentümers der Hot Dog Ventures. Dieser Eigentümer bringt allwöchentlich 60 Arbeitsstunden in sein Unternehmen ein, erhält aber kein „Gehalt“. Zum Jahresende haben die Hot Dog Ventures, wie aus Tabelle 7-5 ersichtlich, einen Gewinn von US-$ 37.000 erwirtschaftet – gar nicht schlecht für ein so junges Unternehmen. Oder vielleicht doch nicht so gut? Ein Volkswirt würde darauf verweisen, dass der Wert eines Produktionsfaktors zu berücksichtigen ist, gleichgültig, wem er nun gehört. Wir müssten somit auch die Eigenleistung des Eigentümers als Kosten bewerten, und zwar selbst dann, wenn der Eigentümer nicht direkt bezahlt, sondern in Form von Gewinnen entlohnt wird. Da dem Eigentümer ja auch andere Arbeitsmöglichkeiten offen stünden, müssen wir seine Arbeitsleistung im Sinne entgangener Gelegenheiten bewerten. Eine sorgfältige Untersuchung könnte dabei ergeben, dass der Eigentümer von Hot Dog Ventures einen ähnlichen und ebenso interessanten Job finden könnte, in dem er für jemand anderen arbeiten und dabei US-$ 60.000 verdienen würde. Diese US-$ 60.000 stellen die Opportunitätskosten dar, oder anders ausgedrückt: die deshalb nicht erzielten Einkünfte, weil der Eigentümer beschlossen hat, unbezahlter Eigentümer eines kleinen Unternehmens zu werden und auf eine Arbeit als bezahlter Mitarbeiter eines anderen Unternehmens zu verzichten. Aus diesem Grund, würde der Volkswirt fortfahren, müssen wir die tatsächlichen Gewinne der Hot Dog Ventures erst noch berechnen.
Teil 2
Wir ziehen dazu von den ermittelten Gewinnen von US-$ 37.000 die Opportunitätskosten in Höhe von US-$ 60.000 für die Arbeit des Eigentümers ab, wodurch sich ein Nettoverlust von US-$ 23.000 ergibt. Das heißt, obwohl ein Betriebswirt zu der Ansicht gelangen kann, die Hot Dog Ventures seien wirtschaftlich zu führen, erscheint dasselbe Unternehmen dem Volkswirt als unrentabler Verlustbetrieb.
Opportunitätskosten und Märkte Ich kann mir vorstellen, dass Sie nun vielleicht seufzen und stöhnen: „Da kennt man sich doch überhaupt nicht mehr aus! Zuerst heißt es, der Preis sei ein gutes Maß für die wahren volkswirtschaftlichen Kosten auf dem Markt. Dann wird einem weisgemacht, die Opportunitätskosten seien das eigentlich richtige Konzept. Können sich Volkswirte eigentlich nie zu einer klaren Aussage durchringen?“ Nun, darf ich Ihnen eine schlichte Erklärung für dieses Dilemma anbieten? Auf gut funktionierenden Märkten entsprechen die Preise den Opportunitätskosten. Nehmen wir an, ein Gut wie Weizen wird auf einem vollkommenen, dem Wettbewerb ausgesetzten Markt gekauft und verkauft. Wenn ich meinen Weizen auf den Markt bringe, erhalte ich eine Reihe von Angeboten möglicher Käufer: US-$ 2.502, US-$ 2.498 und US-$ 2.501 je Scheffel. Diese Preise stellen den Wert meines Weizens dar, den beispielsweise drei Mühlen zu bezahlen bereit sind. Ich entscheide mich für den höchsten gebotenen Preis: US-$ 2.502. Die Opportunitätskosten dieses Verkaufs entsprechen dem Wert der besten vorhandenen Alternative. Das wäre in diesem Fall das zweithöchste Angebot von US-$ 2.501, das beinahe gleich hoch wie der Preis ist, den ich schließlich akzeptiert habe. Je stärker sich der Markt an den vollständigen Wettbewerb annähert, desto näher beieinander liegen auch die Angebote, bis schließlich das zweithöchste Angebot (das unserer Definition nach den Opportunitätskosten entspricht), genau dem Höchstgebot (dem Preis) entspricht. Auf
Kapitel 7
Kostenanalyse
Wettbewerbsmärkten konkurrieren zahlreiche Käufer um die Ressourcen, bis jener Preis geboten wird, der der bestmöglichen Alternative und daher auch den Opportunitätskosten entspricht. Opportunitätskosten außerhalb der Märkte. Das Konzept der Opportunitätskosten spielt vor allem bei der Analyse jener Transaktionen eine entscheidende Rolle, die abseits der Märkte stattfinden. Wie misst man den Wert einer Straße oder eines Parks? Einer Gesundheits- oder Sicherheitsvorschrift? Sogar die Art und Weise, wie Studenten ihre Zeit einteilen, kann mit Hilfe der Opportunitätskosten erklärt werden. • Der Begriff der Opportunitätskosten erklärt, warum Studenten in der Wochen nach den Prüfungen zumeist länger vor dem Fernsehapparat sitzen als in der Woche vor den Prüfungen. Für das Fernsehen vor der Prüfung sind die Opportunitätskosten hoch, weil die alternative Nutzung der Zeit (das Studieren) wegen des besseren Studienerfolges einen hohen Wert darstellt. Nach den Prüfungen hat Zeit geringere Opportunitätskosten. • Nehmen wir an, der amerikanische Staat möchte vor der kalifornischen Küste nach Öl bohren. Sofort erhebt sich ein Proteststurm. Ein Verfechter der Bohrungen sagt: „Warum diese Aufregung? Dort draußen gibt es wertvolles Öl, und Meerwasser bleibt ja immer noch genug übrig. Dieses Öl ist sehr billig für unser Land.“ Und doch könnten die Opportunitätskosten ziemlich
205 hoch ausfallen. Wenn durch die Bohrungen Öl austritt und die Strände verunreinigt würden, könnte dies den Erholungswert der Region beeinträchtigen. Auch wenn sich Opportunitätskosten nicht immer problemlos messen lassen, sind sie trotzdem genauso real wie der Wert des Öls unter dem Wasser. Der nicht beschrittene Weg. Opportunitätskosten sind daher ein Maß für das, was aufgegeben wird, wenn wir eine Entscheidung treffen. Was dachte sich wohl der bedeutende amerikanische Dichter Robert Frost dabei, als er schrieb: Zwei Wege trennten sich im Wald und ich – Wählte den weniger begangnen. Ein Unterschied wie Tag und Nacht.
An welchen anderen, nicht beschrittenen Weg hatte Frost wohl gedacht? An ein städtisches Leben? Einen Beruf, in dem es ihm nicht möglich gewesen wäre, von Wegen und Mauern und Birken zu schreiben? Stellen Sie sich die unermesslichen Opportunitätskosten für uns alle vor, hätte sich Robert Frost für den häufiger begangenen Weg entschieden! Aber kehren wir doch von der Poesie wieder zum praktischen Kostenkonzept zurück. Entscheidend ist folgender Punkt: Die volkswirtschaftlichen Kosten berücksichtigen zusätzlich zu den tatsächlichen Geldausgaben alle Opportunitätskosten, die entstehen, weil Ressourcen auch anderweitig eingesetzt werden könnten.
206
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Teil 2
Zusammenfassung A. Kostenanalyse 1.
2.
3. 4. 5. 6.
7.
Die Gesamtkosten (TC) lassen sich in Fixkosten (FC) und variable Kosten (VC) unterteilen. Fixkosten werden durch Produktionsentscheidungen nicht verändert, während variable Kosten für Positionen wie Arbeit oder Material anfallen, die mit dem Produktionsvolumen steigen. Grenzkosten (MC) sind jene zusätzlichen Gesamtkosten, die durch eine zusätzliche Produktionseinheit entstehen. Die durchschnittlichen Gesamtkosten (AC) sind die Summe aus stetig abnehmenden durchschnittlichen Fixkosten (AFC) und durchschnittlichen variablen Kosten (AVC). Die kurzfristigen Durchschnittskosten ergeben im Allgemeinen eine U-förmige Kurve, die in ihrem Minimum immer von der ansteigenden MC-Kurve geschnitten wird. Einige nützliche Formeln, die Sie sich merken sollten: TC = FC + VC AC = TC/q AC = AFC + AVC Im Minimum der U-förmigen AC-Kurve gilt: MC = AC = AC-Minimum. Kosten und Produktivität sind wie Spiegelbilder. Gilt das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge, sinkt die Grenzproduktivität, und die MC-Kurve steigt. In einer ersten Phase steigender Erträge fällt die MC-Kurve zu Beginn ab. Wir können Kosten- und Produktionskonzepte anwenden, wenn wir verstehen wollen, wie ein Unternehmen die jeweils bestmögliche Kombination an Produktionsfaktoren auswählt. Unternehmen, die ihre Gewinne maximieren möchten, versuchen, ihre Produktionskosten für ein bestimmtes Produktionsvolumen so gering wie möglich zu halten. Das Unternehmen folgt in diesem Fall der LeastCost-Regel: Die verschiedenen Produktionsfaktoren werden so ausgewählt, dass das Grenzprodukt pro Dollar Input für alle Inputs gleich hoch ist. Das heißt: MPL/PL = MPA/PA = …
B. Volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Kostenrechnung 8.
Um die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung verstehen zu können, muss man folgende wichtige Grundsätze kennen: a. Das Wesen der Gewinn- und Verlustrechnung (Erfolgsrechnung); die Ermittlung des Gewinns als Restwert; die Abschreibung des Anlagevermögens. b. Die entscheidende Beziehung zwischen Vermögen (Aktiva), Verbindlichkeiten und Eigenkapital in einer Bilanz; die weitere Unterteilung in Finanz- und Sachanlagevermögen bzw. kurz- und langfristige Positionen; Eigenkapital als Restwert.
C. Opportunitätskosten 9.
Die volkswirtschaftliche Definition der Kosten ist breiter gefasst als die buchhalterische, betriebswirtschaftliche Definition. Volkswirtschaftlich erfasste Kosten enthalten nicht nur die tatsächlichen Ausgaben, sondern auch die subtileren Opportunitätskosten, wie beispielsweise den möglichen Ertrag aus der Arbeitskraft des Eigentümers. Diese Opportunitätskosten sind sehr eng an das Angebot und die Nachfrage auf Märkten, die dem Wettbewerb ausgesetzt sind, geknüpft, sodass der Preis im Allgemeinen nahe an den Opportunitätskosten für marktgängige Güter und Dienstleistungen liegt. 10. Die wichtigste Anwendung der Opportunitätskosten ergibt sich bei nicht auf Märkten gehandelten Gütern wie etwa reiner Luft oder Gesundheit oder einem bestimmten Erholungswert, häufig sehr wertvollen Gütern also, die allerdings nicht auf dem Markt gekauft oder verkauft werden können.
Kapitel 7
Kostenanalyse
207
Begriffe zur Wiederholung Gesamtkosten: Fixkosten und variable Kosten Grenzkosten Kostenoptimierungsregel: MP L MP A MP jeder Faktor ------------- = -------------- = ------------------------------------------PL PA P jeder Faktor TC = FC + VC AC = TC/q = AFC + AVC
Konzepte des betrieblichen Rechnungswesens Gewinn- und Verlustrechnung (Erfolgsrechnung): Umsätze, Aufwendungen und Erlöse Abschreibung Fundamentale Bilanzgleichung Aktiva, Passiva und Eigenkapital Bestands- und Flussgrößen Opportunitätskosten Kostenkonzepte in der Volks- und in der Betriebswirtschaft
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Eine gründlichere Erörterung der Kostenanalyse und Produktionstheorie finden Sie in den einschlägigen Lehrbüchern für fortgeschrittene Studienkurse. Siehe dazu die Liste in Kapitel 3. Zu den Themen betriebliche Kosten, Produktion und Entscheidungsprobleme erscheinen in Business Week, Fortune, Forbes und The Economist immer wieder interessante Artikel. Eine hervorragende und nicht allzu technische Analyse des Betrugsfalls Enron ist dem Artikel von Paul M. Healy und Krishna G. Palepu, „The Fall of Enron” Journal of Economic Perspectives, Spring 2003, pp. 3–26, zu entnehmen.
Websites In Wirtschaftsmagazinen findet man häufig ausgezeichnete Studien zu den Themen Kosten und Produktion. Gehen Sie dazu auf die Websites der oben genannten Wirtschaftsblätter, www.businessweek.com, www.fortune.com, www.forbes.com, und www.economist.com. Einige dieser Seiten sind gebührenpflichtig oder erfordern zumindest eine Anmeldung. Daten zu einzelnen Unternehmen veröffentlicht die amerikanische Securities and Exchange Commission unter www.sec.gov/edgarhp.htm. Es gibt zahllose Gruppen, Organisationen und Unternehmen, die gute und nützliche Glossare ins Internet stellen. Ein Blick auf die folgenden Begriffsammlungen ist durchaus lohnend: www.finanzenlexikon.de/lexikon/, konzipiert für den Praktiker aus den Bereichen Rechnungswesen, Controlling, Buchhaltung, aber auch für Studenten interessant; www.papierkram.net/steuerlexikon, das rund 1.500 Begriffe mit vielen praxisbezogenen Kommentaren und vergleichsweise detaillierten Angaben enthält.
208
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Teil 2
Übungen 1.
2. 3.
4.
Addieren Sie zu den US-$ 55 an Fixkosten aus Tabelle 7-3 zusätzlich US-$ 90 an FC. Berechnen Sie nun die gesamte Tabelle neu, wobei die VC gleich bleiben, die FC aber einen neuen Wert, nämlich US-$ 145, annehmen. Wie entwickeln sich MC und AVC? Wie TC, AC, AFC? Überprüfen Sie, dass die Mindest-AC nun q* = 5 betragen, wobei gilt: AC = $ 60 = MC Erklären Sie, warum MC die AC und AVC im Minimum Ihrer U-Form schneidet. „Die allgemeine Wehrpflicht ermöglicht es dem Staat, sich selbst und das Volk über die tatsächlichen Kosten einer großen Armee hinwegzutäuschen.“ Vergleichen Sie die Budgetkosten und Opportunitätskosten eines Berufsheeres (mit guter Entlohnung) mit jenen eines Heeres mit allgemeiner Wehrpflicht (und schlechter Entlohnung der Soldaten). Wie wirkt sich das Konzept der Opportunitätskosten auf die Kostenanalyse aus? Betrachten Sie die Daten in Tabelle 7-7, die eine ähnliche Situation wie in Tabelle 7-4 beschreibt. a. Berechnen Sie TC, VC, PC, AC, AVC und MC. Zeichnen Sie die AC- und MC-Kurve auf Millimeterpapier. b. Nehmen Sie eine Verdoppelung der Arbeitskosten an. Berechnen Sie nun die neuen AC
(1) Produktionsmenge
(2)
(3)
Bodeninput Arbeitsinput
5.
und MC. Zeichnen Sie die neuen Kurven und vergleichen Sie sie mit jenen aus Teilaufgabe a. c. Nehmen Sie nun an, die gesamte Faktorproduktivität würde sich verdoppeln (d.h. doppelte Produktionsleistung für jede Kombination von Produktionsfaktoren). Wiederholen Sie die Übung unter Teilaufgabe b. Können Sie zwei wesentliche Faktoren erkennen, die den Verlauf der Kostenkurven von Unternehmen beeinflussen? Erläutern Sie die Fehler in den folgenden Aussagen: a. Die Durchschnittskosten nehmen beim tiefsten Stand der Grenzkosten ihr Minimum an. b. Da sich Fixkosten nie ändern, sind die durchschnittlichen Fixkosten bei jeder Produktionsmenge konstant. c. Die Durchschnittskosten steigen immer, wenn die Grenzkosten steigen. d. Die Opportunitätskosten einer Ölförderung im Yosemite Park sind null, weil kein Unternehmen dort irgendetwas produziert. e. Ein Unternehmen minimiert seine Kosten, wenn es für jeden Produktionsfaktor denselben Betrag aufwendet.
(4)
(5)
Pacht
Arbeitslohn
(Tonnen Weizen)
(Morgen)
(Arbeiter)
(US-$ je Morgen)
(US-$ je Morgen)
0
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0
12
5
1
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6
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3
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15
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5
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5
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12
5
6
15
45
12
5
7
15
63
12
5
Tabelle 7-7.
ANHANG 7 Produktion, Kostentheorie und Entscheidungsprozesse in Unternehmen
Eine numerische Produktionsfunktion Produktion und Kostenanalyse haben ihre Wurzeln im Konzept der Produktionsfunktion, mit der die maximale, durch verschiedene Faktorkombinationen erzielbare Produktionsmenge ermittelt werden kann. Tabelle 7A-1 beginnt mit dem Zahlenbeispiel einer konstanten Skalenertrags-Produktionsfunktion, in der die Inputmengen entlang der Achsen und die Produktionsmengen in den Gitterpunkten der Tabelle eingetragen sind. Auf der Y-Achse wurden die diversen Faktormengen an Boden in Einheiten von 1 bis 6 eingezeichnet, während entlang der X-Achse die Mengeneinheiten des Faktors Arbeit ebenfalls von 1 bis 6 aufgetragen sind. Die Produk-
tionsmengen, die den eingesetzten Bodenund Arbeitsmengen entsprechen, können den Angaben in der Tabelle entnommen werden. Sind wir an der exakten Produktionsmenge interessiert, die erzeugt werden kann, wenn 3
Boden (A)
Die in Kapitel 6 beschriebene Produktionstheorie und die Kostenanalyse des vorliegenden Kapitels gehören zu den fundamentalen Bausteinen der Mikroökonomie. Ein gründliches Verständnis von Produktions- und Kostentheorie ist unbedingt nötig, um zu erkennen, wie die volkswirtschaftliche Knappheit schließlich zur Preisbildung auf dem Markt führt. Dieser Anhang soll die genannten Konzepte noch ein wenig weiter entwickeln und führt als neuen Begriff die „Kurve gleicher Produktionsmengen“ oder Isoquante ein.
6
346
490
600
692
775
846
5
316
448
548
632
705
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4
282
400
490
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3
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423
490
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600
2
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282
346
400
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490
1
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200
245
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346
0
1
2
4
5
6
3 Arbeit (L)
Tabelle 7A-1: Tabellarische Darstellung einer Produktionsfunktion, die eine bestimmte Produktionsmenge mit den zu ihrer Erzeugung benötigten verschiedenen Faktorkombinationen (Boden und Arbeit) in Beziehung setzt Sind 3 Einheiten Boden und 2 Einheiten Arbeit verfügbar, so lassen sich damit nach Aussage des Produktionstechnikers maximal 346 Einheiten erzeugen. Bitte beachten Sie, mit welchen sonstigen Faktorkombinationen sich die 346 Einheiten erzeugen lassen. Überlegen Sie sich die möglichen Faktorkombinationen für eine Produktion von 490 Einheiten. (Die in der vorliegenden Tabelle dargestellte Produktionsfunktion ist der Spezialfall einer Cobb-Douglas-Produktionsfunktion, die durch die FormelQ = 100 2LAdefiniert ist.
210
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Einheiten Boden und 2 Einheiten Arbeit zur Verfügung stehen, zählen wir 3 Bodeneinheiten hinauf und gehen dann 2 Arbeitseinheiten nach rechts. Wie wir sehen, lautet die Lösung 346. Ebenso sehen wir, dass 3 Bodeneinheiten und 6 Arbeitseinheiten eine Produktionsmenge von q = 600 ergeben. Denken Sie bitte daran, dass die Produktionsfunktion die maximale Produktionsmenge bei einem gegebenen Stand von Technologie und technischem Wissen zu einer bestimmten Zeit darstellt.
Das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge (Ertragsgesetz) Tabelle 7A-1 führt uns das Gesetz des abnehmenden Grenzertrags anschaulich vor Augen. Erinnern Sie sich, dass das Grenzprodukt der Arbeit jene zusätzliche Produktionsmenge darstellt, die sich durch den Einsatz einer zusätzlichen Arbeitseinheit ergibt, wenn Grund und Boden sowie die anderen Produktionsfaktoren konstant bleiben. In jedem Punkt von Tabelle 7A-1 können wir das Grenzprodukt der Arbeit ermitteln, indem wir das Produktionsergebnis von jener Zahl subtrahieren, die in derselben Reihe eine Position weiter rechts steht. Daher beträgt das Grenzprodukt eines zusätzlichen Arbeiters bei 2 Einheiten Boden und 4 Einheiten Arbeit 48, berechnet als 448 minus 400. Unter dem „Grenzprodukt“ oder der „Grenzproduktivität des Bodens“ verstehen wir jene zusätzliche Produktionsmenge, die aus einer zusätzlichen Bodeneinheit entsteht, wenn der Arbeitsinput konstant bleibt. Sie wird durch den Vergleich mit der darüberliegenden Position in der jeweiligen Spalte ermittelt. Wenn wir daher 2 Einheiten Boden und 4 Einheiten Arbeit haben, wird das Grenzprodukt des Bodens aus Spalte vier als 490 – 400 oder 90 ermittelt. Wir können das Grenzprodukt jedes unserer beiden Produktionsfaktoren problemlos ermitteln, indem wir jeweils übereinander liegende Einträge in vertikalen Spalten oder nebeneinander liegende Werte in horizontalen
Teil 2
Reihen der Tabelle 7A-1 miteinander vergleichen. Nachdem wir uns die Definition des Grenzproduktes eines Produktionsfaktors erarbeitet haben, können wir nun ganz einfach das Gesetz des abnehmenden Grenzertrags ableiten: Das Gesetz des abnehmenden Grenzertrags besagt, dass bei steigendem Input eines Produktionsfaktors, wenn die anderen Faktoren konstant bleiben, das Grenzprodukt des vermehrten Inputs zumindest irgendwann abnehmen wird. Um dies zu illustrieren, halten wir den Faktor Boden in Tabelle 7A-1 konstant, indem wir einfach in einer bestimmten Reihe bleiben, beispielsweise bei 2 Einheiten Boden. Nun erhöhen wir den Input an Arbeit von 1 auf 2 Einheiten, von 2 auf 3 Einheiten und so weiter. Wir wirkt sich das jeweils auf die Produktionsmenge q aus? Bei Erhöhung von 1 auf 2 Einheiten Arbeit steigt die Produktionsmenge von 200 auf 282, also um 82 Einheiten. Mit der nächsten zusätzlichen Arbeitseinheit erhalten wir nur noch 64 zusätzliche Produktionseinheiten, berechnet als 346 – 282. Die Grenzerträge sinken. Kommt eine weitere Arbeitseinheit hinzu, können noch 54 zusätzliche Produktionseinheiten erzielt werden, dann 48 Einheiten und schließlich nur noch 42 Einheiten. Sie werden sicherlich feststellen, dass dieses Gesetz auch in den anderen Reihen seine Gültigkeit behält und dass es ebenso bei variierender Bodenmenge gilt, wenn die Arbeitseinheiten konstant gehalten werden. Wir können anhand dieses Beispiels überprüfen, ob unsere intuitive Erklärung für das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge, nämlich die Annahme, dass das Gesetz deshalb gilt, weil der fixe Faktor im Vergleich zum variablen abnimmt, auch gerechtfertigt ist. Danach stehen jeder zusätzlichen Einheit des variablen Faktors immer geringere Mengen des fixen Faktors zur Verfügung. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass der Grenzertrag zurückgeht. Wenn diese Erklärung nun tatsächlich stets zutrifft, müsste eigentlich die Produktionsmenge proportional ansteigen, wenn beide Fakto-
Anhang 7
211
Produktion, Kostentheorie und Entscheidungsprozesse in Unternehmen
ren zugleich erhöht werden. Wird der Arbeitsinput von 1 auf 2 Einheiten und der Bodeninput zugleich von 1 auf 2 Einheiten erhöht, sollten wir dieselbe Steigerung der Produktionsmenge wie bei einer Erhöhung von 2 auf 3 Einheiten verzeichnen. Dies lässt sich anhand unserer Tabelle 7A-1 bestätigen. Im ersten Schritt vollzieht sich eine Steigerung der Produktionsmenge von 141 auf 282 Einheiten, im zweiten Schritt von 282 auf 423, also jeweils ein Anstieg um 141 Einheiten.
Kostenoptimale Kombination von Produktionsfaktoren bei gegebener Produktionsmenge Die numerische Produktionsfunktion gibt die verschiedenen Möglichkeiten an, wie sich eine bestimmte Produktionsmenge erzielen lässt. Aber auf welche der zahlreichen Möglichkeiten sollte die Wahl des Unternehmens fallen? Wenn die erwünschte Produktionsmenge q = 346 ist, stehen nicht weniger als vier verschiedene Kombinationen von Boden- und Arbeitsinputs, ausgewiesen als A, B, C und D in Tabelle 7A-2, zur Verfügung. Was nun die Beurteilung dieser verschiedenen Möglichkeiten durch den Techniker betrifft, der eine Produktionsmenge von 346 Einheiten erzeugen möchte, so sind alle möglichen Kombinationen gleichwertig. Aber der Betriebswirt, der ja nach Kostenoptimierung strebt, sucht die kostengünstigste Kombination. Nehmen wir an, der Preis für Arbeit beträgt US-$ 2, während Boden US-$ 3 pro Einheit kostet. Die Gesamtkosten sind bei diesen gegebenen Inputpreisen der dritten Spalte von Tabelle 7A-2 zu entnehmen. Im Fall der Kombination A betragen die Gesamtkosten für Arbeit und Boden US-$ 20, entsprechend (1 US-$ 2) + (6 US-$ 3). Verändert sich einer der beiden Inputpreise, so verändert sich auch die Gewichtung der Inputs, sodass weniger von dem Input verwendet wird, dessen Preis gestiegen ist. (Sie müssen sich das wie beim Substitutionseffekt in Kapitel
(1)
(2)
Faktorkombinationen
(3)
(4)
Gesamtkosten,
Gesamtkosten, wenn gilt PL = $ 2 PA = $ 1 (US-$)
Arbeit L
Boden A
wenn gilt PL = $ 2 PA = $ 3 (US-$)
A
1
6
20
–
B
2
3
13
7
C
3
2
12
–
D
6
1
15
–
Tabelle 7A-2: Faktoreinsatz und Produktionskosten bei gegebener Produktionsmenge Nehmen Sie an, ein Unternehmen hätte sich für die Erzeugung von 346 Produktionseinheiten entschieden. Damit kann es jede der vier möglichen Inputkombinationen wählen, die als A, B, C und D ausgewiesen sind. Weiter unten in der Auflistung wird die Produktion immer arbeitsintensiver und weniger bodenintensiv. Bitte setzen Sie selbst die fehlenden Zahlen ein. Die Entscheidung des Unternehmens zwischen den verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten hängt von den Faktorpreisen ab. Überprüfen Sie, dass die kostenminimale Lösung C lauten muss, wenn PL = US-$ 2 und PA = US-$ 3. Weisen Sie nach, dass eine Preissenkung bei Boden von US-$ 3 auf US-$ 1 das Unternehmen zur Wahl der bodenintensiveren Kombination B veranlassen müsste.
5 vorstellen, als es um die Konsumnachfrage ging.) Sind die Faktorpreise bekannt, lässt sich die kostengünstigste Produktionsmethode durch Berechnung der Kosten verschiedener Inputkombinationen errechnen.
Kurven gleicher Produktionsmenge oder Isoquanten Die einfache numerische Analyse dessen, wie ein Unternehmen seine Produktionsfaktoren kombinieren kann, um seine Kosten zu minimieren, wird im Diagramm noch anschaulicher. Wir verwenden daher den DiagrammAnsatz und zeichnen zwei neue Kurven: die Kurve gleicher Produktionsmenge oder Isoquante und die Isokostenlinie.
212
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
A 6
A 6 A
5 Boden
Boden
5 4 B
3
C
TC
3
1
q = 346
TC TC
4
2
2
TC TC TC
=
D 1 0
Teil 2
q 1
2
3
4
5 Arbeit
6
7
8
9
0 L
Abbildung 7A-1: Isoquanten Die Punkte auf der Isoquante stellen die verschiedenen möglichen Faktorkombinationen aus Boden und Arbeit dar, die zur Produktion von 346 Einheiten benötigt werden.
Wandeln wir Tabelle 7A-1 in eine kontinuierliche Kurve um, indem wir eine geglättete Kurve durch alle Punkte ziehen, für die gilt: q = 346. Diese Kurve, die in Abbildung 7A-1 zu sehen ist, gibt alle möglichen Kombinationen von Arbeit und Boden an, die zu einer Produktionsmenge von 346 führen. Wir bezeichnen sie als Kurve gleicher Produktionsmenge oder Isoquante, und sie verhält sich analog der Konsumenten-Indifferenzkurve, die wir im Anhang zu Kapitel 5 erörtert haben. Sie sollten nun in der Lage sein, die entsprechende Isoquante für eine Produktionsmenge von 490 Einheiten in Abbildung 7A-1 einzuzeichnen, indem Sie die Daten aus Tabelle 7A-1 zugrunde legen. Eigentlich könnte man sogar eine unbegrenzte Anzahl dieser Isoquanten einzeichnen.
Isokostenlinien Bei vorgegebenen Arbeits- und Bodenpreisen kann das Unternehmen die Gesamtkosten für die Punkte A, B, C und D oder für jeden anderen Punkt auf der Isoquante ermitteln. Das Unternehmen minimiert seine Kosten, wenn es jenen Punkt auf seiner Iso-
1
=
=
=
=
=
$1
$9
$1
$1
8
5
2
$6
$3 2
3
4 5 Arbeit
6
7
8
9
L
Abbildung 7A-2: Isokostenkurven Jeder Punkt auf einer gegebenen Isokostenlinie steht für Gesamtkosten in gleicher Höhe. Die Linien verlaufen deshalb als Geraden, weil die Faktorpreise konstant sind; sie weisen jeweils eine negative Steigung auf, die dem Verhältnis von Arbeitspreis zu Bodenpreis, US-$ 2 / US-$ 3, entspricht, und verlaufen daher auch parallel.
quante auswählt, bei dem die niedrigsten Gesamtkosten entstehen. Eine einfache Methode, um die kostenoptimale Produktions-Inputkombination zu erkennen, besteht in der Konstruktion von Isokostenlinien. Wir sehen sie in Abbildung 7A-2, in der die Gruppe paralleler Geraden eine Reihe von Isokostenlinien bei einem Arbeitspreis von US-$ 2 und einem Bodenpreis von US-$ 3 darstellt. Um die Gesamtkosten für jeden Punkt zu ermitteln, lesen wir einfach die Zahl über jener Isokostenlinie ab, die durch den betreffenden Punkt verläuft. Die Linien sind alle gerade und parallel, weil wir unterstellen, dass das Unternehmen von jedem Input bei konstanten Preisen kaufen kann, soviel es will. Die Linien sind etwas flacher als 45º, weil der Preis für Arbeit PL etwas geringer ist als der Preis für Boden PA. Wir können daher sagen, dass der arithmetische Wert der Steigung einer jeden Isokostenlinie dem Verhältnis des Arbeitspreises zum Bodenpreis entsprechen muss – in diesem Fall P/P = 2/3.
Anhang 7
Produktion, Kostentheorie und Entscheidungsprozesse in Unternehmen
Isokostenlinie als Tangente der Isoquante: Ermittlung des Least-cost-Punktes (Minimalkostenkombination) Durch die Verbindung von Isoquanten und Isokostenlinien können wir die optimale, also die kostenminimierende Position des Unternehmens ermitteln. Beachten Sie, dass die optimale Faktorkombination bei jenem Punkt gegeben ist, an dem der gegebene Output von q = 346 zu den geringsten Kosten produziert werden kann. Um einen solchen Punkt zu finden, legen Sie einfach die einfache rostfarbene Isoquante über die Gruppe grauer Isokostenlinien, wie in Abbildung 7A-3 gezeigt. Das Unternehmen bewegt sich, solange es in der Lage ist, auf niedrigere Kostenlinien umzusteigen, stets entlang der roten konvexen Faktorsubstitution zur Kostenminimierung in der Produktion A
q A
6
$1
Boden
5 4
$1
3
$9
2
$6
1
$3
0
2
1
$1
8
213
Kurve in Abbildung 7A-3. Das kostenoptimale oder Least-cost-Gleichgewicht stellt sich ein, wo eine Isoquante die niedrigste Isokostenlinie berührt, aber nicht schneidet. Das ist der Tangentialpunkt, in dem der Anstieg der Isoquante genau dem Anstieg einer Isokostenlinie entspricht und wo die beiden Kurven einander nur berühren. Wir wissen bereits, dass der Anstieg der Isokostenkurven PL/PA beträgt. Aber welchen Wert hat die Steigung der Isoquante? Erinnern Sie sich bitte an den Anhang zu Kapitel 1, wo wir ausgeführt haben, dass die Steigung an einem Punkt einer gekrümmten Linie der Tangente dieser Kurve am fraglichen Punkt entspricht. Was die Isoquante betrifft, so stellt diese Steigung die „Substitutionsrate“ (oder Grenzrate der Substitution) zwischen den beiden Faktoren dar. Sie hängt von den jeweiligen Grenzprodukten der beiden Produktionsfaktoren, nämlich MPL/MPA, ab, genau wie beim Substitutionsverhältnis zweier Güter entlang einer Konsumenten-Indifferenzkurve, das dem Verhältnis der Grenznutzen der beiden Güter entspricht, wie wir zuvor bereits gesehen haben (siehe Anhang zu Kapitel 5).
5
B q = 346
C D
2
3
4 5 Arbeit
6
q 7
8
9
L
Abbildung 7A-3: Die kostengünstigste Faktorkombination ergibt sich in C Die Faktorkombination mit den geringsten Kosten ergibt sich in C. Das Unternehmen möchte seine Produktionskosten bei einer gegebenen Produktionsmenge von 346 Einheiten minimieren. Es ist deshalb bestrebt, entlang der rostfarbenen Isoquante die kostengünstigste Inputkombination zu wählen. An dem Punkt, an dem die Isoquante die tiefste Isokostenkurve berührt, ohne sie zu schneiden, befindet sich die kostenminimale Position. In diesem Tangentialpunkt entsprechen Faktorpreise und Grenzprodukte einander, wobei die Grenzprodukte pro Dollar gleich hoch sind.
Least-cost- oder Minimalkostenbedingungen Mit Hilfe des Diagramms haben wir damit die Bedingungen abgeleitet, unter denen ein Unternehmen seine Produktionskosten minimiert: 1. Das Verhältnis der Grenzprodukte zweier beliebiger Produktionsfaktoren muss dem Verhältnis ihrer Faktorpreise entsprechen. Grenzprodukt der Arbeit =
Grenzprodukt des Bodens Preis der Arbeit
= Steigung der Isoquante =
Preis des Bodens
214
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
2. Wir können Bedingung 1 aber auch anders und verständlicher formulieren. Aus der letzten Gleichung ergibt sich, dass das Grenzprodukt pro Geldeinheit, das aus der letzten für jeden Produktionsfaktor ausgegebenen Geldeinheit erwirtschaftet wurde, gleich sein muss.
Teil 2
Aber geben Sie sich nicht mit abstrakten Erklärungen zufrieden. Behalten Sie stets die allgemein verständliche volkswirtschaftliche Erklärung im Kopf, die uns zeigt, wie ein Unternehmen seine Ausgaben auf die diversen Produktionsfaktoren so aufteilt, dass das Grenzprodukt pro ausgegebener Geldeinheit ausgeglichen wird.
Grenzproddukt von L Preis von L
Grenzprodukt von A =
Preis von A
=…
Zusammenfassung des Anhangs 1.
2.
Eine Produktionsfunktions-Tabelle zeigt uns die möglichen Produktionsmengen, die bei jeder Spalte (Arbeit) in Verbindung mit jeder Zeile (Boden) erzielt werden können. Wenn man alle anderen Faktoren konstant hält, lassen sich für jeden variablen Faktor abnehmende Grenzerträge nachweisen, , indem man die Abnahme des Grenzprodukts in jeder beliebigen Zeile oder Spalte ausrechnet. Eine Kurve gleicher Produktionsmengen oder Isoquante stellt die alternativen Inputkombinationen dar, mit denen jeweils dieselbe Produktionsmenge erzeugt werden kann. Die Steigung oder die Substitutionsrate entlang
einer solchen Isoquante entspricht den relativen Grenzprodukten (z.B. MPL/MPA). Kurven gleicher Gesamtkosten sind parallele Linien mit einer Steigung, die dem Verhältnis der Faktorpreise entspricht (PL/PA). Das kostenoptimale Gleichgewicht stellt sich im Tangentialpunkt ein, wo eine Isoquante die niedrigste TCKurve berührt, aber nicht schneidet. Im kostenoptimalen Gleichgewicht sind die Grenzprodukte proportional zu den Faktorpreisen, wobei die Grenzprodukte pro Dollar, der für jeden einzelnen Produktionsfaktor ausgegeben wird, gleich sind (d.h. gleiche MPi/Pi).
Begriffe zur Wiederholung Kurven gleicher Produktionsmenge oder Isoquanten Parallele Linien gleicher Gesamtkosten Substitutionsrate = MPL/MPA PL/PA als Steigung paralleler Isokostenlinien Kostenoptimaler Tangentialpunkt: MPL/MPA = PL/PA oder MPL/PL = MPA /PA
Anhang 7
Produktion, Kostentheorie und Entscheidungsprozesse in Unternehmen
215
Übungen 6.
Weisen Sie nach, dass durch eine Erhöhung der Löhne bei konstanten Bodenrenten die schwarzen Isokostenlinien steiler werden und der Tangentialpunkt C in Abbildung 7A-3 nach Nordwesten (also nach links oben) in Richtung B verschoben wird, wobei der billiger gewordene Produktionsfaktor den anderen, teureren Faktor substituiert. Erklären Sie das Ergebnis, wenn wir Kapital durch Arbeit substituieren. Wie werden wohl Gewerkschaftsführer dazu stehen?
7.
Wie sieht die kostenoptimale Faktorkombination aus, wenn die Produktionsfunktion durch Tabelle 7A-1 gegeben und die Preise in Abbildung 7A-3 dargestellt sind, wobei q = 346? Wie müsste das kostenoptimale Ergebnis für dieselben Faktorpreise lauten, würde sich der Output auf q = 692 verdoppeln? Wie hat sich die „Faktorintensität“ oder das Verhältnis Boden-Arbeit verändert? Können Sie erkennen, warum dieses Ergebnis bei konstanten Skalenerträgen für jede Änderung der Produktionsmenge gelten muss?
217
KAPITEL 8 Analyse des Marktes bei vollkommenem Wettbewerb
Die Produktionskosten hätten keinen Einfluss auf den Marktpreis, würden sie sich nicht auf das Angebot auswirken.
Jeder Markt hat zwei Seiten: Angebot und Nachfrage. Nachdem wir uns eingehend mit diesen beiden Komponenten auseinandergesetzt haben, wollen wir untersuchen, wie sich der Markt als Ganzes verhält. Dieses erste Kapitel über Unternehmensseite analysiert das Verhalten vollkommener Märkte; es handelt sich dabei um idealisierte Wettbewerbsmärkte, in denen alle Unternehmen und Konsumenten zu klein und zu schwach sind, um den Preis zu beeinflussen. Wir beginnen mit einer Untersuchung der Angebotsentscheidungen verschiedener Marktteilnehmer. Danach analysieren wir einige spezielle Fälle von Wettbewerbsmärkten. Das Kapitel endet mit dem Nachweis, dass Wirtschaftszweige mit vollständigem Wettbewerb effizient sind. Nachdem wir den wichtigsten Fall des vollkommenen Wettbewerbs gemeistert haben, wollen wir uns in den folgenden Kapiteln mit dem Monopol und anderen Formen des unvollständigen Wettbewerbs befassen.
A. Das Angebotsverhalten von Unternehmen im vollständigen Wettbewerb
John Stuart Mill
Das Verhalten eines Unternehmens im vollständigen Wettbewerb Beginnen wir mit einer Analyse von Unternehmen, die im vollständigen Wettbewerb stehen. Als Eigentümerin oder Eigentümer eines solchen Unternehmens müssen Sie natürlich über die Produktionsmenge entscheiden. Wie viel Weizen sollte Bauer Smith produzieren, wenn der Scheffel Weizen einen Preis von US-$ 3 erzielt?
218
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Wenn wir das Angebotsverhalten von Unternehmen im vollständigen Wettbewerb analysieren, stellen wir zwei Dinge fest: Erstens gehen wir davon aus, dass unser im Wettbewerb stehendes Unternehmen die Gewinne maximiert. Zweitens beobachten wir, dass der perfekte Wettbewerb eine Welt atomistischer Firmen ist, die Preisnehmer sind.
Gewinnmaximierung Warum möchte ein Unternehmen seine Gewinne maximieren? Wie Sie sich sicher erinnern, besteht der Gewinn im Gesamtertrag abzüglich der Gesamtkosten. Gewinne haben dieselbe Funktion wie das Nettoeinkommen eines Beschäftigten, eben nur für Unternehmen. Sie stellen jenen Geldbetrag dar, den ein Unternehmen in Form von Dividenden an seine Eigentümer ausbezahlt, den es in neue Anlagen und maschinelle Ausstattung reinvestieren oder mit dem es selbst Finanzinvestitionen tätigen kann. Alle diese Aktivitäten erhöhen den Wert des Unternehmens für seine Eigentümer. Die Gewinnmaximierung erfordert ein effizientes Management der internen Abläufe in einem Unternehmen (Verschwendung vermeiden, Arbeitsmoral heben, effiziente Produktionsprozesse wählen etc.) und kluge Marktentscheidungen (Ankauf der richtigen Menge an Produktionsfaktoren zu geringstmöglichen Kosten und Auswahl der optimalen Produktionsmenge). Da für die Höhe der Gewinne sowohl die Kosten als auch die Erlöse eine Rolle spielen, muss das Unternehmen seine Kostenstruktur gut im Griff haben, um Gewinne erzielen zu können. Blättern Sie noch einmal zu Tabelle 7-3 im vorigen Kapitel, um sicherzugehen, dass Ihnen die wichtigen Begriffe der Gesamtkosten, Durchschnittskosten und Grenzkosten vertraut sind.
Teil 2
Vollständiger Wettbewerb Der vollständige Wettbewerb ist eine Welt der Preisnehmer. Ein im vollständigen Wettbewerb stehendes Unternehmen verkauft ein homogenes Produkt (eines, das mit dem von anderen Branchenteilnehmern verkauften Produkt identisch ist). Das Unternehmen ist im Vergleich zu seinem Markt so klein, dass es keinen Einfluss auf den Marktpreis nehmen kann; es betrachtet den Preis daher als eine gegebene Größe. Wenn eine Landwirtin ein homogenes Produkt wie Weizen verkauft, kann sie mit zahlreichen potenziellen Käufern rechnen, die gewillt sind, den Marktpreis von US-$ 3 pro Scheffel zu bezahlen. Wie auch die Konsumenten die Preise, die von Internet-Zugangsprovidern oder Kinos verlangt werden, im Allgemeinen akzeptieren müssen, akzeptieren Unternehmen zwangsläufig die Marktpreise für Weizen oder Öl, die sie produzieren. Wir können uns einen Mengenanpasser (Preisnehmer) im vollständigen Wettbewerb (a) Branche
(b) Unternehmen
P D
S
P
d
d
A S
D Q
Branchenproduktion
q Unternehmenproduktion
Abbildung 8-1: Die Nachfragekurve ist für ein Unternehmen im vollständigen Wettbewerb vollkommen elastisch Die Branchennachfragekurve links zeigt die unelastische Nachfrage beim Marktgleichgewicht in Punkt A. Die Nachfragekurve für das im vollständigen Wettbewerb stehende Unternehmen auf der rechten Seite verläuft jedoch waagrecht (d.h., sie ist absolut elastisch). Die Nachfragekurve rechts verläuft waagrecht, weil ein Unternehmen im vollständigen Wettbewerb einen so kleinen Prozentsatz des Marktes innehat, dass es zum Marktpreis jede gewünschte Menge verkaufen kann.
Kapitel 8
Analyse des Marktes bei vollkommenem Wettbewerb
besser vorstellen, wenn wir untersuchen, wie die Nachfrage für ein im vollständigen Wettbewerb stehendes Unternehmen aussieht. Abbildung 8-1 zeigt die Nachfragekurve für die Gesamtbranche (die DD-Kurve) und stellt sie der Nachfragekurve, mit der es ein einzelnes, im Wettbewerb stehendes Unternehmen zu tun hat (die dd-Kurve), gegenüber. Da ein Wirtschaftszweig unter Wettbewerbsbedingungen von Unternehmen bevölkert wird, die gemessen am Gesamtmarkt klein sind, entspricht die Nachfragekurve dieses Unternehmens nur einem winzigen Segment der Nachfragekurve der Gesamtbranche. Grafisch dargestellt ist der Anteil des einzelnen Unternehmens an der Nachfragekurve so gering, dass aus der Froschperspektive des Marktteilnehmers im vollständigen Wettbewerb die Nachfragekurve dd absolut horizontal und unbegrenzt elastisch erscheint. Abbildung 8-1 zeigt, dass die Elastizität der Nachfrage für einen einzelnen Mitbewerber viel größer erscheint als für den Gesamtmarkt. Da im Wettbewerb stehende Unternehmen keinen Einfluss auf die Preisbildung nehmen können, ist der Preis jeder verkauften Einheit einfach der zusätzliche Erlös, den das Unternehmen damit einnimmt. Bei einem Marktpreis von US-$ 40 pro Einheit kann das im Wettbewerb stehende Unternehmen jede gewünschte Menge zu US-$ 40 verkaufen. Wenn es daher beschließt, anstelle von 100 Einheiten 101 Einheiten zu verkaufen, erhöht sich sein Ertrag um genau US-$ 40. Prägen Sie sich die folgenden wichtigen Erkenntnisse genau ein: 1. Unter den Bedingungen des vollständigen Wettbewerbs gibt es zahlreiche kleine Unternehmen, die ein identisches Produkt erzeugen und jeweils zu klein sind, um auf den Marktpreis Einfluss zu nehmen. 2. Für das Unternehmen im vollständigen Wettbewerb gilt eine völlig waagrechte Nachfragekurve (dd-Kurve).
219
3. Der zusätzliche Erlös aus jeder zusätzlich verkauften Einheit entspricht daher dem Marktpreis.
Angebot unter Wettbewerbsbedingungen: Grenzkosten entsprechen dem Preis Wenn nun Kosten und Nachfrage fix sind und die Unternehmen Gewinne erzielen möchten – wie kann ein Unternehmen im Wettbewerb zu einer Entscheidung über die anzubietende Menge gelangen? Nehmen wir an, Sie leiteten Billy Bob Tuckers Schuhfirma und müssten entscheiden, bei welcher Produktionsmenge Ihr Gewinn maximiert wird. Tabelle 8-1 enthält dieselben Kostendaten mal Tausend, die bereits in Tabelle 7-3 im vorhergehenden Kapitel enthalten waren. Bei diesem Beispiel nehmen wir an, dass der Marktpreis für Schuhe bei US-$ 40 pro Paar liegt. Angenommen, Billy Bob verkauft zu Beginn 3.000 Paar. Das bringt ihm einen Gesamterlös von US-$ 40 3.000 = US-$ 120.000 mit Gesamtkosten von US-$ 130.000, sodass dem Unternehmen ein Verlust von US-$ 10.000 entsteht. Sie nehmen nun Ihren Betrieb unter die Lupe und erkennen, dass der Erlös aus dem Verkauf jeder Einheit US-$ 40 beträgt, während die Grenzkosten nur US-$ 21 betragen. Das bedeutet, dass Ihnen der Verkauf weiterer Einheiten mehr einbringt, als er kostet. Deshalb erhöhen Sie Ihre Produktion auf 4.000 Einheiten. Bei dieser Produktionsmenge erzielt das Unternehmen einen Ertrag von US-$ 40 4.000 = US-$ 160.000 bei Kosten von US-$ 160.000, sodass kein Gewinn erzielt wird. Voller Stolz auf Ihren Erfolg beschließen Sie nun, noch ein wenig mehr zu erzeugen, sagen wir 5.000 Einheiten. Bei dieser Produktionsmenge erwirtschaftet das Unternehmen einen Ertrag von US-$ 40 5.000 = US-$ 200.000 bei Kosten von US-$ 210.000. Sie verzeichnen also schon wieder einen Verlust von US-$ 10.000. Was ist da schief gelaufen?
220
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Teil 2
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
Menge
Gesamtkosten
Grenzkosten pro Einheit
Durchschnittskosten
Preis
Gesamterlös
Gewinn
q
TC
MC
AC
P
TR
π
(US-$)
(US-$)
(US-$)
(US-$)
(US-$)
(US-$)
0
55.000
1.000
85.000
27
85
40
40.000
–45.000
2.000
110.000
22
55
40
80.000
–30.000
3.000
130.000
21
43,33
40
120.000
–10.000
3.999
159.960,01
38,98
40,000 +
40
159.960
40
40
160.000
–0,01
39,99 4.000
160.000
40
0
40,01 4.001
160.040,01
40,02
40,000 +
40
160.040
5.000
210.000
60
42
40
200.000
–0,01 –10.000
Tabelle 8-1: Die gewinnmaximale Produktionsmenge ergibt sich dort, wo gilt: Grenzkosten = Preis. Diese Tabelle bedient sich der Kostendaten aus dem vorigen Kapitel (siehe Tabelle 7-3). Die rostfarbenen Grenzkostenzahlen in Spalte (3) werden anhand geringfügiger Mengenanpassungen rund um jede Produktionsmenge berechnet. Wie Sie sehen, bewegen sich die tatsächlichen MC von 3.999 auf 4.000 Einheiten und von 4.000 auf 4.001 Einheiten. Bildet man den Durchschnitt dieser Werte, ergeben sich am Punkt der minimalen Durchschnittskosten MC von 40. Die dunklen MC-Zahlen können aber auch von der durchgehenden MC-Kurve abgelesen werden. Als nächstes sehen wir uns den mit jeder Produktionsmenge einhergehenden Gewinn in Spalte (7) an. Bitte beachten Sie, dass sich der maximale Gewinn bei der Produktionsmenge einstellt, bei welcher der Preis den MC entspricht. Wenn die Produktionsmenge über diesen Wert hinaus ausgedehnt wird, liegt der zusätzliche Ertrag von US-$ 40 pro Einheit unter den zusätzlichen Kosten, sodass der Gewinn sinkt. Was geschieht, wenn die Produktion unterhalb einer Menge q von 4.000 festgelegt wird?
Bei Überprüfung Ihrer Bücher stellen Sie fest, dass die Grenzkosten bei einer Produktionsmenge von 5.000 Einheiten US-$ 60 betragen, also höher sind als der Marktpreis von US-$ 40, und dass Sie daher mit der letzten produzierten Einheit US-$ 20 (entspricht dem Preis abzüglich MC) verlieren. Jetzt geht Ihnen ein Licht auf: Der maximale Gewinn ergibt sich bei jener Produktionsmenge, bei der die Grenzkosten dem Preis entsprechen. Der dieser Aussage zugrunde liegende Gedanke lautet, dass das im Wettbewerb stehende Unternehmen so lange zusätzliche Gewinne erzielen kann, wie der Preis über den
Grenzkosten der letzten Einheit liegt. Der Gesamtgewinn erreicht seinen höchsten Wert – wird also maximiert –, sobald durch den Verkauf zusätzlicher Mengen kein zusätzlicher Gewinn mehr erzielt werden kann. Am Punkt des höchsten Gewinns erbringt die letzte produzierte Einheit einen Erlös, der genau den Kosten dieser Einheit entspricht. Wie hoch ist nun dieser zusätzliche Erlös? Er entspricht dem Preis pro Einheit. Und was sind die zusätzlichen Kosten? Es sind die Grenzkosten. Überprüfen wir diese Regel, indem wir uns Tabelle 8-1 näher ansehen. Beginnen wir mit der gewinnträchtigsten Produktionsmen-
221
Analyse des Marktes bei vollkommenem Wettbewerb
ge von 4.000 Paar Einheiten. Verkauft Billy Bob eine einzige Einheit mehr, erhält sie dafür einen Preis von US-$ 40, während die Grenzkosten dieser Einheit US-$ 40,01 betragen. Das Unternehmen verliert also bei der 4.001. Einheit Geld. Ebenso käme es für das Unternehmen zu einem Verlust von US-$ 0,01, würde es eine Einheit weniger produzieren. Das beweist, dass die gewinnträchtigste Produktionsmenge für das Unternehmen genau bei q = 4.000 liegt, an jenem Punkt also, an dem der Preis den Grenzkosten entspricht. Regel für die Angebotsmenge eines Unternehmens unter den Bedingungen vollständigen Wettbewerbs: Ein Unternehmen, das nach Gewinnmaximierung strebt, wählt eine Produktionsmenge, bei der die Grenzkosten dem Preis entsprechen: Grenzkosten = Preis oder MC = P Abbildung 8-2 illustriert die Angebotsentscheidung eines Unternehmens. Wenn der Marktpreis US-$ 40 beträgt, überprüft das Unternehmen seine Kostendaten in Tabelle 8-1 und stellt fest, dass die Produktionsmenge, die den Grenzkosten von US-$ 40 entspricht, bei 4.000 Einheiten liegt. Das bedeutet, dass das Unternehmen bei einem Marktpreis von US-$ 40 bestrebt sein wird, 4.000 Einheiten zu produzieren und zu verkaufen. Wir finden diese gewinnmaximierende Menge in Abbildung 8-2 am Schnittpunkt der Preislinie bei US-$ 40 und der MC-Kurve in Punkt B. Im Allgemeinen kann ein Unternehmen mithilfe seiner Grenzkostenkurve seine optimale Produktionsmenge ermitteln: Die Gewinnmaximierung wird bei jener Produktionsmenge erreicht, bei der Preis- und Grenzkostenkurve einander schneiden. Wir haben dieses Beispiel so gestaltet, dass das Unternehmen bei der gewinnmaximierenden Produktionsmenge keinen Gewinn erzielt, wobei die Gesamterlöse den Gesamtkosten entsprechen. (Beachten Sie, dass alle
Angebote und Grenzkosten eines Unternehmens P AC
80 MC 60
Preis, AC,MC (US-$)
Kapitel 8
A
d′ 40
d′
B
d d′′
d d′′
C
20
0
1
2
3 4 5 Menge (in Tausend)
6
7
q
Abbildung 8-2: Die Angebotskurve des Unternehmens entspricht seiner steigenden Grenzkostenkurve Für ein gewinnmaximierendes Unternehmen im vollständigen Wettbewerb entspricht die ansteigende Grenzkostenkurve (MC) der Angebotskurve. Bei einem Marktpreis auf d'd' bietet das Unternehmen eine Produktionsmenge an, die im Schnittpunkt A liegt. Erklären Sie, warum die Schnittpunkte B und C das Gleichgewicht für d bzw. d'' darstellen. Der grau schattierte Bereich stellt den Verlust bei einer Produktion auf dem Niveau A zu einem Preis von US-$ 40 dar.
Opportunitätskosten einschließlich der Arbeitskraft des Eigentümers und der Kapitalkosten berücksichtigt werden.) Punkt B ist der Break-even-Punkt (die Gewinnschwelle), jene Produktionsmenge, bei der das Unternehmen einen Gewinn von Null erzielt. Im Break-even-Punkt entspricht der Preis den Durchschnittskosten, daher decken die Erlöse gerade die Kosten ab. Was aber, wenn ein Unternehmen eine falsche Entscheidung über seine Produktionsmenge trifft? Nehmen wir an, das Unternehmen würde in Abbildung 8-2 bei einem Marktpreis von US-$ 40 Produktionsmenge A wählen. Es würde Geld verlieren, weil die Grenzkosten der letzten Einheiten über dem Preis liegen. Wir können mithilfe des grau unterlegten Dreiecks in Abbildung 8-2 den Gewinnausfall berechnen, sollte das Unternehmen seine Produktionsmenge fälschlicherweise bei Punkt A wählen. Das Dreieck zeigt an, um wie viel die Grenzkosten MC bei
222
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
einer Produktionsmenge zwischen B und A den Preis übersteigen. Die allgemeine Regel lautet daher: Ein Unternehmen, das auf Gewinnmaximierung bedacht ist, entscheidet sich für jene Produktionsmenge, bei der die Grenzkosten dem Preis entsprechen. Im Diagramm bedeutet das, dass die Grenzkostenkurve eines Unternehmens seiner Angebotskurve entspricht.
Gesamtkosten und die Betriebseinstellungsbedingung Unsere allgemeine Regel für die Angebotsmenge eines Unternehmens lässt eine Möglichkeit offen – dass nämlich der Preis so niedrig ist, dass das Unternehmen es vorzieht, den Betrieb einzustellen. Wäre es nicht möglich, dass Billy Bob beim Gleichgewicht von P = MC eine ganze Stange Geld verliert und es daher vorzieht, dicht zu machen? Im Allgemeinen wird ein Unternehmen den Betrieb dann schließen, wenn kurzfristig die variablen Kosten nicht mehr gedeckt werden können. Nehmen wir beispielsweise an, das Unternehmen sieht sich mit einem Marktpreis von US-$ 35 konfrontiert, dargestellt durch die horizontale Linie d''d'' in Abbildung 8-2. Bei diesem Preis entsprechen die MC dem Preis in Punkt C, einem Punkt, an dem der Preis unter den durchschnittlichen Produktionskosten liegt. Wird das Unternehmen den Entschluss fassen, weiter zu produzieren, auch wenn es sich damit einen Verlust einhandelt? Überraschenderweise lautet die richtige Antwort: ja. Das Unternehmen muss danach trachten, seine Verluste zu minimieren, was einer Maximierung der Gewinne gleichkommt. Die Produktion bei Punkt C würde zu einem Verlust von nur US-$ 20.000 führen, während eine Schließung einen Verlust von US-$ 55.000 mit sich brächte (die Fixkosten). Das Unternehmen wäre daher gut beraten, mit der Produktion fortzufahren.
Teil 2
Um diesen Gedankengang zu verstehen, denken Sie bitte daran, dass ein Unternehmen, selbst wenn es gar nichts produziert, nach wie vor seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommen muss. Kurzfristig bleibt dem Unternehmen nichts anderes übrig, als seine Fixkosten wie etwa Kreditzinsen an die Bank, Mieten für die Geschäftsräume und die Gehälter der Geschäftsführer weiterhin zu bezahlen. Die restlichen Kosten des Unternehmens bestehen aus den variablen Kosten wie zum Beispiel denjenigen für Material, Arbeitskräfte und Treibstoff. Es wäre von Vorteil, die Produktion mit mindestens P = MC aufrecht zu erhalten, solange die Erlöse die variablen Kosten abdecken. Die kritische Marktpreisuntergrenze, bei der die Erlöse genau den variablen Kosten entsprechen (oder bei der die Verluste genau den Fixkosten entsprechen), wird als Betriebsminimum bezeichnet. Bei Preisen über dem Betriebsminimum produziert das Unternehmen entlang seiner Grenzkostenkurve, weil das Unternehmen dadurch zwar Geld verlieren könnte, durch die Schließung jedoch noch größere Verluste in Kauf nehmen müsste. Bei Preisen, die unter dem Betriebsminimum liegen, produziert das Unternehmen überhaupt nichts mehr, weil es den Verlust durch eine Schließung auf die Fixkosten begrenzt. Und so gelangen wir zu der Betriebseinstellungsregel: Betriebseinstellungsregel: Das Betriebsminimum ist der Punkt, an dem die Erlöse die variablen Kosten gerade abdecken oder an dem die Verluste den Fixkosten entsprechen. Wenn der Preis so weit fällt, dass der Preis geringer ist als die durchschnittlichen variablen Kosten, kann das Unternehmen durch Betriebseinstellung seine Gewinne maximieren (seine Verluste minimieren). Abbildung 8-3 zeigt das Betriebsminimum und die Gewinnschwelle (den Break-evenPunkt) eines Unternehmens. Der Breakeven-Punkt liegt dort, wo der Preis den AC entspricht, während das Betriebsminimum dann erreicht wird, wenn der Preis den AVC
Kapitel 8
Analyse des Marktes bei vollkommenem Wettbewerb
Verluste, indem sie die Fixkosten bezahlen und den Betrieb weiter führen, solange die Verluste niedriger sind als die Fixkosten.
Gewinnschwelle und Betriebsminimum: P
MC AC
Beispiel: Schließung von Bohrstätten
Preis, AC, MC
AVC M d
Gewinnschwelle
d
M′ PS Betriebsminimum
q
0
223
Menge
Abbildung 8-3: Die Angebotskurve des Unternehmens bewegt sich die MC-Kurve entlang nach unten zum Betriebsminimum Die Angebotskurve des Unternehmens entspricht seiner MC-Kurve, solange der Erlös höher ist als die variablen Kosten. Sobald der Preis unter das Betriebsminimum PS fällt, übersteigen die Verluste die Fixkosten, und das Unternehmen stellt die Produktion ein. Daher stellt die durchgängige rostfarbene Kurve die Angebotskurve des Unternehmens dar.
entspricht. Deshalb entspricht die Angebotskurve des Unternehmens der durchgehenden rostfarbenen Linie in Abbildung 8-3. Sie verläuft entlang der vertikalen Achse bis zu dem Preis, der dem Betriebsminimum entspricht, springt zum Betriebsminimum in M', wo P dem Niveau der AVC entspricht, und verläuft dann weiter die MC-Kurve hinauf, wenn die Preise über dem Betriebsminimum liegen. Die Analyse der Betriebseinstellungsbedingungen führt zu dem überraschenden Schluss, dass Unternehmen, die nach Gewinnmaximierung trachten, ihren Betrieb vielleicht auch dann weiter führen, wenn sie Verluste schreiben. Diese Bedingung gilt insbesondere für Unternehmen mit hohen Schulden, die daher hohe Fixkosten haben (Fluglinien sind ein gutes Beispiel). Diese Unternehmen erzielen eine Maximierung ihrer Gewinne und eine Minimierung ihrer
Ein anschauliches Beispiel für die praktische Bedeutung der Betriebseinstellungsregel kommt aus der Ölindustrie. Im Jahr 1985, als der Preis für Rohöl US-$ 27 pro Barrel betrug, gab es in den USA etwa 35.000 Bohrstätten. Schon im nächsten Jahr allerdings fiel ihre Zahl auf unter 19.000, also um beinahe die Hälfte. Waren plötzlich die Vorkommen ausgebeutet? Wohl kaum. Was tatsächlich geschah: Der Durchschnittspreis für Rohöl fiel dramatisch bis auf US-$ 14 pro Barrel. Die Gewinne, nicht die Ölquellen, waren versiegt. In der Folge legten die Ölgesellschaften einfach ihre Bohrungen still. Dasselbe funktioniert natürlich genauso in der umgekehrten Richtung. Während des Golfkriegs in den neunziger Jahren stieg der Ölpreis, und die Bohrungen wurden forciert, weil die Ölgesellschaften durch die höheren Gewinnerwartungen entsprechend motiviert waren.
B. Das Angebotsverhalten ganzer Wirtschaftszweige bei vollständigem Wettbewerb Bislang haben wir uns in unserer Erörterung des Themas auf Einzelunternehmen beschränkt. Doch ein vollkommener Wettbewerbsmarkt besteht aus vielen Unternehmen, und wir interessieren uns für das Verhalten dieser Unternehmen als Gruppe, nicht nur für dasjenige eines Einzelbetriebs. Wie gelangen wir aber vom Einzelfall zur Gesamtheit? Von Billy Bobs Betrieb zur gesamten Schuhindustrie?
224
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Teil 2
Ermittlung des Marktangebotes durch Addition der Angebotskurven aller Unternehmen
benen Preis addieren. Die horizontale Addition der Produktionsmengen beim jeweiligen Preis ergibt die Branchen-Angebotskurve.
Nehmen wir an, wir hätten es mit einem vollkommenen Wettbewerbsmarkt für Schuhe zu tun. Unternehmen A bringt zu einem gegebenen Preis eine bestimmte Menge an Schuhen auf den Markt, Unternehmen B eine andere Menge, und dasselbe tun die Firmen C, D und so weiter. In jedem Einzelfall wird die angebotene Menge durch die Grenzkosten des Unternehmens bestimmt. Die gesamte, zu einem bestimmten Preis auf den Markt gebrachte Angebotsmenge entspricht daher der Summe der einzelnen Mengen, die alle Unternehmen zu diesem Preis anbieten.1 Diese Überlegung führt uns zu folgender Beziehung zwischen individuellem und Marktangebot:
Kurz- und langfristiges Gleichgewicht
Um die Marktangebotskurve für ein Gut zu ermitteln, müssen wir die Angebotskurven aller einzelnen Produzenten dieses Gutes horizontal addieren. Abbildung 8-4 zeigt das anhand zweier Unternehmen. Um zur Branchen-Angebotskurve SS zu gelangen, müssen wir beim selben Preis die Angebotskurven der einzelnen Firmen ss horizontal addieren. Bei einem Preis von US-$ 40 bietet Unternehmen A 4.000 Einheiten an, während Unternehmen B mit 11.000 Einheiten auf den Markt drängt. Deshalb addiert man zur Berechnung der Branchen-Angebotskurve (Abbildung 8-4(c)) die beiden Angebote und erhält die Angebotsmenge für die Gesamtbranche bei einem Preis von US-$ 40 mit 15.000 Einheiten. Umfasst eine Branche 2 Millionen anstatt nur zwei Unternehmen, lässt sich der Output der gesamten Branche ebenso bestimmen, indem wir alle 2 Millionen Einzelmengen zum gege1 Wie Sie sich erinnern, wird die Marktnachfragekurve DD ähnlich ermittelt, indem die einzelnen dd-Nachfragekurven horizontal summiert werden.
Alfred Marshall, ein großer Ökonom, der um die vorletzte Jahrhundertwende in Cambridge lehrte, trug zur Entwicklung der Instrumentarien bei, mit denen wir uns heute den Themenbereichen von Angebot und Nachfrage nähern. Er stellte fest, dass Nachfrageverschiebungen kurzfristig größere Preisanpassungen und geringere Mengenanpassungen verursachen als langfristig. Wir können diese Beobachtung besser verstehen, wenn wir bei der Betrachtung des Marktgleichgewichtes zwei Zeiträume unterscheiden, die den verschiedenen Kostenkategorien entsprechen: (1) ein kurzfristiges Gleichgewicht, wenn jeder Veränderung der Produktionsmenge immer dasselbe fixe Kapitalvolumen gegenüber steht, und (2) ein langfristiges Gleichgewicht, wenn Kapital und alle anderen Faktoren variabel sind, sodass die Unternehmen frei in den Wirtschaftszweig eintreten oder ihn verlassen können. Markteintritt und Ausscheiden von Unternehmen Auf lange Sicht gilt der „freie Markteintritt und -austritt von Unternehmen“. Die Entstehung (der Eintritt) und das Verschwinden (Ausscheiden) von Unternehmen sind wichtige Faktoren, die die Entwicklung einer Marktwirtschaft beeinflussen können. Unternehmen treten in eine Branche ein, wenn sie gegründet werden oder wenn sich ein bestehendes Unternehmen entschließt, in einen neuen Sektor vorzustoßen. Unternehmen scheiden aus dem Markt aus, wenn sie die Produktion einstellen. Sie können sich freiwillig zurückziehen, weil ein Produktionszweig unprofitabel geworden ist, oder sie können in
Kapitel 8
(a) Angebot von Unternehmen A
P
(c) Marktangebot P
s
80
80
60
60
60
40 4 20
s
40
Preis (US-$)
80
Preis (US-$)
Preis (US-$)
(b) Angebot von Unternehmen B
s
P
11
20
40
5 10 15 Menge A (in Tausend)
qA
0
S
4
11
Marktangebotskurve
20 s
0
225
Analyse des Marktes bei vollkommenem Wettbewerb
5 10 15 Menge B (in Tausend)
S qB
0
5 10 15 20 25 Gesamtmenge (in Tausend)
Q = qA + qB
Abbildung 8-4: Durch Addition aller Angebotskurven der Unternehmen können wir das Marktangebot ableiten Die Diagramme zeigen, dass sich die Marktangebotskurve (SS) aus zwei Einzelangebotskurven (ss) zusammensetzt. Wir addieren die von jedem Unternehmen bei einem Preis von US-$ 40 angebotenen Mengen horizontal und erhalten das Marktangebot bei einem Preis von US-$ 40. Dasselbe gilt für jeden Preis und jede beliebige Anzahl von Unternehmen. Gäbe es 1.000 Unternehmen, die mit A identisch sind, würde die Marktangebotskurve aussehen wie die Angebotskurve von Unternehmen A bei einer tausendfachen Vergrößerung des Maßstabs auf der X-Achse. Konkurs gehen, wenn sie nicht mehr imstande sind, ihre Rechnungen zu bezahlen. Wir sprechen von freiem Markteintritt und -austritt, wenn keine Eintritts- oder Austrittsbarrieren wie staatliche Bestimmungen oder geistige Eigentumsrechte (wie z.B. Patente oder Software) bestehen. Die Zahl der Geburten und Todesfälle von Unternehmen in einer dynamischen Wirtschaft wie jener der USA ist überraschend hoch. Anfang 1996 gab es in den USA 5,5 Millionen Unternehmen. In diesem Jahr schieden 512.000 Firmen aus, während 598.000 gegründet wurden. Die meisten Unternehmen ziehen sich still zurück, aber manche legen auch einen geräuschvollen Abgang hin, wie es zum Beispiel beim Telekommunikationsriesen WorldCom der Fall war, der nach einem gigantischen Buchhaltungsbetrug mit Aktiva von 104 Millionen US-$ Schiffbruch erlitt. In den Jahren 2001–2003 sah sich die Luftfahrtbranche gezwungen, Kosten zu senken und angesichts zunehmender terroristischer Bedrohungen Kapazitäten abzubauen. Im Zuge dieser Entwicklung mussten mehrere Fluglinien das Handtuch werfen. Obwohl kontinuierlich verlaufende Kostenkurven
die Dramatik von Ein- und Austritten nicht immer perfekt widerspiegeln, ist die zugrunde liegende Logik von P, MC und AC doch eine starke Triebfeder für Wachstum und Niedergang großer Wirtschaftszweige.
Illustrieren wir diesen Unterschied zwischen dem kurz- und langfristigen Gleichgewicht einmal anhand eines Beispiels. Betrachten wir dazu den Markt für Frischfisch, dessen Angebot aus einer lokalen Fischereiflotte stammt. Nehmen wir an, die Nachfrage nach Fisch steigt; dieser Fall ist in Abbildung 8-5(a) als Verschiebung von DD nach D'D' dargestellt. Wenn die Preise steigen, bemühen sich die Kapitäne der Fangflotte natürlich, ihren Fang zu erhöhen. Kurzfristig können sie zwar keine neuen Boote auftreiben, aber sie können mehr Leute einstellen und länger arbeiten. Ein höherer Input variabler Faktoren führt zu einer größeren Menge Fisch entlang der kurzfristigen Angebotskurve SSSS, die wir in Abbildung 8-5(a) sehen. Die kurzfristige Angebotskurve schneidet die neue Nachfragekurve in Punkt E', dem Punkt des kurzfristigen Gleichgewichts.
226
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
(a) kurzfristiges Gleichgewicht P
(a) langfristiges Gleichgewicht SS
D′
D′
P
D
D
SL E″
E′ Preis
Preis
E D′ SS
SL
E D′ D
D
Q
0
Teil 2
Menge
Q
0 Menge
Abbildung 8-5: Die Auswirkungen einer Nachfragesteigerung auf den Preis fallen je nach Zeitdauer unterschiedlich aus Wir unterscheiden zwischen (a) Perioden, in denen die Unternehmen nur für Anpassungen beim Einsatz des Faktors Arbeit und der anderen variablen Faktoren genügend Zeit haben (kurzfristiges Gleichgewicht) und (b) Perioden, in denen die vollständige Anpassung des Einsatzes der Faktoren – und zwar der fixen wie der variablen – möglich ist (langfristiges Gleichgewicht). Je mehr Zeit für Anpassungen zur Verfügung steht, desto größer fällt die Elastizität der Angebotsreaktion und desto geringer die Preissteigerung aus.
Die hohen Preise führen zu hohen Gewinnen, die auf lange Sicht bewirken, dass mehr Schiffe gebaut und mehr Seeleute in die Branche gelockt werden. Außerdem können neue Unternehmen gegründet werden oder in den Markt eintreten. Damit erhalten wir die langfristige Angebotskurve SLSL in Abbildung 8-5(b) und das langfristige Gleichgewicht im Punkt E''. Der Schnittpunkt der langfristigen Angebotskurve mit der neuen Nachfragekurve führt zu dem langfristigen Gleichgewicht, das wir erhalten, wenn sich alle wirtschaftlichen Bedingungen (einschließlich der Anzahl der Boote, der Werften und Unternehmen) an das neue Nachfrageniveau angepasst haben. Langfristiges Branchenangebot. Welche Form hat die langfristige Angebotskurve für eine bestimmte Branche? Nehmen wir an, es bestünde freier Marktzugang für gleiche Unternehmen. Wenn diese gleichen Unternehmen sich allgemein verfügbarer Inputs wie unge-
lernter Arbeitskräfte bedienen, die sie aus den zahlreichen anderen Einsatzmöglichkeiten abwerben können, ohne damit die Preise dieser Inputs zu verändern, erhalten wir den Fall der konstanten Kosten, der durch die horizontale Angebotskurve SLSL in Abbildung 8-6 dargestellt ist. Im Gegensatz dazu können wir aber auch annehmen, dass manche der in der Branche eingesetzten Inputs relativ knapp sind – z.B. fruchtbare Weingärten in der Weinbranche oder knappe Strände für die Sommerurlaube. Deshalb weist die Angebotskurve für Wein oder Tourismus einen positiven Anstieg auf, wie durch SLSL' in Abbildung 8-6 gezeigt wird. Warum muss die langfristige Angebotskurve in Branchen, die knappe Produktionsfaktoren einsetzen, eigentlich ansteigen? Denken wir an das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge. Im Fall des knappen Gutes Weingärten verwenden die Unternehmen einen Input-Mix mit mehr Arbeit und weniger
Kapitel 8
Analyse des Marktes bei vollkommenem Wettbewerb
P 60 S L′
50
Preis
40
SL
SL
30 20 10 Q = Σq
0 Branchenmenge
Abbildung 8-6: Das langfristige Branchenangebot hängt von den Kostenbedingungen ab Bei freiem Marktzutritt und -austritt und in einer Situation, in der jede beliebige Zahl von Unternehmen nach identischen, unveränderten Kostenkurven produzieren kann, fällt die langfristige SLSLKurve bei den Mindestdurchschnittskosten jedes Unternehmens oder beim Break-even-Preis horizontal aus. Wird in einer Branche ein spezieller Faktor eingesetzt, beispielsweise knappe Immobilien in Strandlage, muss die langfristige Angebotskurve eine positive Steigung wie SLSL’ aufweisen, weil größere Produktionsmengen mit weniger geeigneten Produktionsfaktoren hergestellt werden müssen.
vom knappen Boden, und sie erzielen damit immer geringere Grenzerträge. Trotzdem sind alle Arbeitseinheiten gleich teuer, und deshalb steigen die MC für Wein. Diese langfristig steigende MC-Kurve bedeutet, dass auch die langfristige Angebotskurve ansteigen muss.
Die langfristige Sicht für einen im Wettbewerb stehenden Wirtschaftszweig Unsere Analyse der Break-even-Bedingungen hat uns gezeigt, dass auch unprofitable Unternehmen eine Zeitlang im Geschäft bleiben können. Das kann speziell bei Unternehmen mit hohen fixen Kapitalkosten der Fall sein. Dank dieser Analyse können wir verstehen, warum viele der größten amerika-
227
nischen Unternehmen wie zum Beispiel General Motors in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs im Geschäft blieben, obwohl sie Milliardenbeträge verloren. Solche Verluste werfen eine beunruhigende Frage auf: Ist es möglich, dass sich der Kapitalismus in Richtung einer „Euthanasie der Kapitalisten“ bewegt, einer Situation, in der der verstärkte Wettbewerb zu chronischen Verlusten führt? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir die langfristigen Betriebseinstellungsbedingungen analysieren. Wir haben gezeigt, dass Unternehmen schließen, wenn sie ihre variablen Kosten nicht mehr abdecken können. Doch auf lange Sicht sind alle Kosten variabel. Ein Unternehmen, das Verluste schreibt, kann seine Darlehen zurückzahlen, seine Manager entlassen und seine Mietverträge auslaufen lassen. Langfristig werden alle Verpflichtungen wieder zu Optionen. Unternehmen bleiben daher auf lange Sicht nur dann auf dem Markt, wenn der Preis auf dem Break-evenNiveau oder darüber liegt, wenn er also den durchschnittlichen Kosten entspricht. Es gibt daher einen kritischen Breakeven-Punkt, unter dem der Preis auf Dauer nicht zu liegen kommen darf, will ein Unternehmen auf dem Markt bleiben. Das bedeutet, dass der langfristige Preis die variablen Kosten wie Arbeit, Material, Ausstattung, Steuern und andere Ausgaben, aber auch die Opportunitätskosten wie eine marktgängige Rendite für das vom Eigentümer investierte Kapital, abdecken muss. Deshalb muss der Preis langfristig auf dem Niveau der langfristigen durchschnittlichen Gesamtkosten oder darüber liegen. Was geschieht nun, wenn der Preis langfristig unter dieses kritische Break-even-Niveau fällt? Unternehmen, die keinen Gewinn erzielen, werden die Branche nach und nach wieder verlassen. Da weniger Unternehmen produzieren, verschiebt sich die kurzfristige Marktangebotskurve nach links und der Preis steigt (zeichnen Sie das Diagramm bitte selbst). Irgendwann zieht der Preis schließ-
228
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
lich wieder so stark an, dass der Geschäftszweig nicht mehr unprofitabel ist. Doch derselbe Vorgang funktioniert auch in die entgegengesetzte Richtung. Nehmen wir an, der langfristige Preis liegt über den langfristigen durchschnittlichen Gesamtkosten, was dazu führt, dass die Unternehmen Gewinne schreiben. Nun können wir davon ausgehen, dass der Zugang zur Branche langfristig absolut frei ist, sodass jede beliebige Anzahl gleicher Unternehmen sich zu der gewinnträchtigen Branche gesellen und zu denselben Kosten wie die bereits in der Branche tätigen Unternehmen produzieren kann. In dieser Situation werden neue Unternehmen von der Aussicht auf Gewinne angezogen, und die Angebotskurve verschiebt sich nach rechts, während der Preis fällt. Schließlich sinkt der Preis so weit, dass es für keinen weiteren Mitbewerber mehr gewinnträchtig wäre, in die Branche zu drängen. Wir können daraus den Schluss ziehen, dass sich der Preis in einem Wirtschaftszweig langfristig auf jenen kritischen Punkt zu bewegt, an dem identische Unternehmen ihre gesamten Kosten im Wettbewerb gerade abdecken können. Unter diesem kritischen langfristigen Preis würden Unternehmen die Branche verlassen, bis der Preis wieder auf das Niveau der langfristigen Durchschnittskosten steigt. Über diesem langfristigen Preis würden neue Mitbewerber auf den Markt drängen und so eine Senkung des Marktpreises auf den langfristigen Gleichgewichtspreis erzwingen, bei dem unter Wettbewerbsbedingungen eine Kostendeckung gerade noch erreicht werden kann. Langfristiges Break-even-Gleichgewicht: Bei einer im Wettbewerb stehenden Branche mit identischen, frei in den Markt ein- und austretenden Unternehmen lautet die langfristige Gleichgewichtsbedingung wie folgt: Für jedes identische Unternehmen entspricht der Preis den Grenzkosten sowie den langfristigen Mindest-Durchschnittskosten: P = MC = minimale langfristige AC = Breakeven-Preis
Teil 2
Dies ist die Bedingung, unter der der Gewinn langfristig gegen null tendiert („zero-economic-profit“). Was die langfristige Rentabilität des wettbewerbsorientierten Kapitalismus anbelangt, kommen wir zu einem überraschenden Schluss. Wir stellen fest, dass die Wettbewerbskräfte die Unternehmen langfristig in Richtung Gewinnschwelle treiben. Auf lange Sicht erzielen im Wettbewerb stehende Unternehmen eine normale Rendite auf ihre Investitionen, aber nicht mehr. Gewinnträchtige Wirtschaftszweige ziehen neue Unternehmen an, was zu Preissenkungen und niedrigeren Gewinnen führt, bis sich die Gewinne gegen null bewegen. Im Gegensatz dazu streben Unternehmen in nicht gewinnträchtigen Branchen nach besseren Renditechancen in anderen Wirtschaftszweigen; Preise und Gewinne tendieren daraufhin nach oben. Im langfristigen Gleichgewicht einer im Wettbewerb stehenden Branche wird daher kein Gewinn erzielt.
C. Sonderfälle von Wettbewerbsmärkten Wir haben nun den grundlegenden Mechanismus von Angebot und Nachfrage entwickelt. In diesem Abschnitt wollen wir unser Studium von Angebot und Nachfrage ein wenig vertiefen. Zunächst werden wir einige allgemeine Aussagen über Wettbewerbsmärkte betrachten, um uns schließlich einigen Sonderfällen zuzuwenden.
Allgemeine Regeln Wir haben die Auswirkungen von Angebotsund Nachfrageverschiebungen auf Wettbewerbsmärkten bereits analysiert. Diese Erkenntnisse gelten für praktisch jeden vollkom-
229
Analyse des Marktes bei vollkommenem Wettbewerb
menen Wettbewerbsmarkt, gleich ob für Kabeljau, Braunkohle, Kiefernholz, japanische Yen, IBM-Aktien oder Erdöl. Gibt es einige allgemeingültige Regeln? Die folgenden Aussagen beziehen sich auf die Auswirkungen von Angebots- und Nachfrageverschiebungen auf den Preis und auf die gekaufte und verkaufte Menge. Denken Sie bitte immer daran, dass wir unter einer Angebots- oder Nachfrageverschiebung eine Verschiebung der Angebotsoder Nachfragekurve verstehen, nicht aber eine Verschiebung entlang der Kurve.
P
D′ D
Angebot bei konstanten Kosten
Preis
Kapitel 8
N
S
E
E′
S
D′
Nachfrageregel: (a) In aller Regel treibt eine Erhöhung der Nachfrage nach einem Gut bei unveränderter Angebotskurve den Preis dieses Gutes in die Höhe. (b) Bei den meisten Gütern bewirkt eine erhöhte Nachfrage auch eine Erhöhung der nachgefragten Menge. Ein Rückgang der Nachfrage hat die gegenteilige Wirkung. Angebotsregel: (b) Ein vermehrtes Angebot eines Gutes (bei konstanter Nachfragekurve) führt im Allgemeinen zu einer Preissenkung und einer Erhöhung der Kauf- und Verkaufsmenge. Ein Angebotsrückgang hat den gegenteiligen Effekt. Diese beiden Angebots- und Nachfrageregeln stellen eine Zusammenfassung der qualitativen Auswirkungen einer Verschiebung von Angebot und Nachfrage dar. Doch die quantitativen Auswirkungen auf Preis und Menge hängen vom genauen Verlauf der Angebots- und Nachfragekurven ab. In den nun folgenden Fällen werden wir die Reaktionen in einigen wichtigen Kosten- und Angebotssituationen untersuchen.
Konstante Kosten Die Produktion vieler Güter wie zum Beispiel Textilien kann ausgedehnt werden, indem einfach ein Vielfaches an Fabriken, Maschinen und Arbeitskräften eingesetzt wird. Die Herstellung von 200.000 Hemden täglich verlangt nichts anderes als die Herstellung von 100.000 Hemden täglich, nur im doppel-
D 0
M
M′
Q
Menge
Abbildung 8-7: Der Fall konstanter Kosten
ten Maßstab. Nehmen wir darüber hinaus an, dass die Textilindustrie Boden, Arbeitskräfte und andere Inputs im selben Verhältnis verwendet wie die restliche Wirtschaft. In diesem Fall verläuft die langfristige Angebotskurve SS in Abbildung 8-7 bei konstanten Kosten pro Einheit horizontal. Ein Nachfragezuwachs von DD auf D'D' verschiebt den Schnittpunkt auf E', wobei Q steigt, P jedoch gleich bleibt.
Steigende Kosten und abnehmende Erträge Im letzten Abschnitt ging es um Güter wie Wein oder Strandgrundstücke, wo die Produkte bestimmte knappe Inputs erfordern. Im Fall des Weinbaus sind gute Lagen rar. Die jährliche Weinproduktion kann in einem gewissen Maß erhöht werden, indem mehr Arbeitskräfte und Düngemittel pro Hektar eingesetzt werden. Doch wenn zu den fixen Kosten eines Faktors wie Grund und Boden variable Produktionsfaktoren wie zum Beispiel Arbeitskräfte hinzukommen, kommt das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge zum Tragen. Deshalb steigen auch die Grenzkosten für die Produktion von Wein bei zunehmender Menge. Abbildung 8-8 zeigt die ansteigende
230
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Teil 2
P
P
S D′
S
fixes Angebot D
D′ D
E′
E′ N′
Preis
Preis
N′
Angebot bei steigenden Kosten
E N
E N
D′
D 0
D
D′
S M
M′ Menge
S 0
Q
Abbildung 8-8: Der Fall steigender Kosten
Angebotskurve SS. Wie wird der Preis durch die zunehmende Nachfrage beeinflusst? Die Abbildung zeigt, dass eine höhere Nachfrage den Preis dieses Gutes bei identischen Unternehmen sowie freiem Marktzutritt und -austritt auch langfristig erhöht.
Vollkommen unelastisches (fixes) Angebot und volkswirtschaftliche Rente Manche Güter oder Produktionsfaktoren sind hinsichtlich ihrer Mengen absolut fix, und zwar unabhängig vom Preis. Es gibt eben nur eine Mona Lisa von Leonardo da Vinci. Auch die ursprüngliche Ausstattung mit Grund und Boden durch die Natur kann als fixe Größe betrachtet werden. Und sogar eine weitere Anhebung des Grundstückspreises kann das Viertel um die Kreuzung zwischen der 57. Straße und der Fifth Avenue in New York nicht vergrößern. Bessere Bezahlung würde Spitzensportler sicher nicht dazu motivieren, noch mehr zu trainieren. Da die angebotene Menge unabhängig vom Preis konstant ist, wird der Preis für einen derartigen Produktionsfaktor als Rente oder reine volkswirtschaftliche Rente bezeichnet.
Q
M Menge
Abbildung 8-9: Faktoren mit fixem Angebot erzielen eine Rente
Wenn das Angebot vom Preis unabhängig ist, verläuft die Angebotskurve im relevanten Bereich senkrecht. Ganz unabhängig von den Grundstückspreisen werden Grundstücke weiterhin ihren Beitrag zur Produktion leisten. Abbildung 8-9 zeigt den Fall von Grund und Boden, bei dem ein höherer Preis keinerlei Produktionssteigerung bewirken kann. Eine steigende Nachfrage nach einem fixen Produktionsfaktor wirkt sich nur auf dessen Preis aus. Die angebotene Menge bleibt unverändert. Und die Preissteigerung entspricht exakt der Aufwärtsbewegung der Nachfrage. Wenn auf ein mengenunelastisches Gut eine Steuer erhoben wird, wird die Steuer in ihrer vollen Höhe vom Anbieter (beispielsweise vom Grundbesitzer) bezahlt (oder auf ihn überwälzt). Der Anbieter hat also die gesamte Steuer aus der volkswirtschaftlichen Rente zu tragen. Der Konsument kauft exakt dieselbe Menge des Gutes oder der Dienstleistung wie zuvor, und zu keinem höheren Preis.
Kapitel 8
Analyse des Marktes bei vollkommenem Wettbewerb
Rückwärts gekrümmte Angebotskurve Unternehmen in armen Ländern müssen häufig die Erfahrung machen, dass ihre Arbeiter nach Lohnerhöhungen nur noch kürzere Zeit arbeiten. Wenn der Lohn verdoppelt wird, kommt es vor, dass die Arbeiter, anstelle weiterhin sechs Tage pro Woche zu arbeiten, nun nur noch drei Tage arbeiten und die restlichen drei Tage fischen gehen. Denselben Effekt kann man bisweilen auch in Hochlohnländern feststellen. Wenn die Reallöhne durch den Einsatz verbesserter Technologien steigen, entsteht bei den Arbeitnehmern das Bedürfnis, einen Teil ihrer Einkommenssteigerung in Form längerer Freizeit und früheren Pensionsgenusses zu konsumieren. In Kapitel 5 wurden Einkommens- und Substitutionseffekte beschrieben, die erklären, warum die Angebotskurve für Arbeit rückwärts gekrümmt sein kann. Abbildung 8-10 zeigt, wie eine Angebotskurve für Arbeit möglicherweise aussieht. Zu Beginn steigt das Arbeitsangebot, wobei höhere Löhne zu größerem Arbeitseinsatz führen. Aber nach dem Wendepunkt T führen P S Arbeitsangebot E′
Preis (US-$)
N′
T
S 0
M′
M Menge
die höheren Löhne dazu, dass die Arbeitnehmer weniger arbeiten, dafür aber mehr Freizeitstunden in Anspruch nehmen. Eine gestiegene Nachfrage erhöht die Arbeitspreise, wie wir in der Nachfrageregel zu Beginn dieses Abschnitts festgehalten haben. Doch bitte beachten Sie, dass wir zur Nachfrageregel (b) den Zusatz „für die meisten Güter“ hinzugefügt haben, denn nun verringert die erhöhte Nachfrage die Menge der angebotenen Arbeit. Die rückwärts gekrümmte Angebotskurve kann auf vielen Gebieten nachgewiesen werden. Eines der interessantesten Beispiele trat ein, als die ölreichen Länder ihre Ölproduktion drosselten, nachdem sich der Ölpreis Anfang der siebziger Jahre vervierfacht hatte.
Angebotsverschiebungen Alle obigen Diskussionen bezogen sich auf eine Verschiebung der Nachfrage, nicht jedoch des Angebotes. Um die Angebotsregel zu analysieren, müssen wir nun eine Angebotsverschiebung bei konstanter Nachfrage betrachten. Wenn das Gesetz des negativen Nachfrageverlaufs gilt, muss ein erhöhtes Angebot zu sinkenden Preisen und größeren nachgefragten Gütermengen führen. Zeichnen Sie doch Ihre eigene Angebots- und Nachfragekurve und verifizieren Sie die folgenden quantitativen Folgerungen aus der Angebotsregel: (c) Ein vermehrtes Angebot senkt P dann am stärksten, wenn die Nachfrage unelastisch ist. (d) Ein vermehrtes Angebot erhöht Q dann am wenigsten, wenn die Nachfrage unelastisch ist.
E
N
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Q
Abbildung 8-10: Die rückwärts gekrümmte Angebotskurve
Welche nahe liegenden Gründe können wir für diese Regeln anführen? Wählen Sie als Beispiel einer elastischen Nachfrage das Auto und als Beispiel einer unelastischen Nachfrage die Stromversorgung.
232
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
D. Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit auf Wettbewerbsmärkten Evaluierung des Marktmechanismus Eine der bemerkenswerten Erscheinungen des letzten Jahrzehnts war die „Wiederentdeckung des Marktes“. In zahlreichen Ländern überall auf der Welt gab man die massiven Interventionen der „ZentralverwaltungsWirtschaft“ und staatliche Reglementierung auf, um Raum für die subtilere Koordination durch die unsichtbare Hand zu schaffen. Nachdem wir die grundlegende Funktionsweise vollkommener Märkte erörtert haben, ist die Frage sicher berechtigt, wie gut sie in der Praxis funktionieren. Welche Noten können wir ihnen für die Befriedigung der wirtschaftlichen Bedürfnisse der Menschen geben? Bekommt die Gesellschaft bei gegebenen Inputs viele Kanonen und eine große Menge Butter? Oder schmilzt die Butter schon auf dem Weg zum Laden, während die Kanonenrohre durchhängen? In diesem Kapitel geben wir einen Überblick über die Effizienz vollkommener Wettbewerbsmärkte. Nachdem wir die Faktormärkte und die Rolle des Staates analysiert haben, folgen in späteren Kapiteln weitere Analysen.
Das Effizienzkonzept Wenn wir eine Volkswirtschaft analysieren, interessieren wir uns in erster Linie für das Konzept der Allokationseffizienz oder Effizienz (manchmal auch Pareto-Effizienz oder Pareto-Optimalität genannt). Eine Wirtschaft ist effizient, wenn sie so organisiert ist, dass sie
Teil 2
ihren Konsumenten bei gegebenen Ressourcen und gegebener Technologie der Volkswirtschaft die von ihnen am meisten gewünschten Güter und Dienstleistungen bietet. Von Allokationseffizienz (oder Effizienz) kann man sprechen, wenn niemand durch eine andere Organisation der Produktion besser gestellt werden kann, ohne dass dadurch zugleich jemand anderer schlechter gestellt wird. Unter den Bedingungen allokativer Effizienz lässt sich eine Steigerung der Bedürfnisbefriedigung oder des Nutzens für eine Person nur durch Schmälerung des Nutzens für eine andere Person erreichen. Wir können uns das Effizienzkonzept ganz ähnlich wie die Produktionsmöglichkeitenkurve vorstellen. Eine Volkswirtschaft, die sich innerhalb der PMK bewegt, ist eindeutig ineffizient. Wenn wir uns hin zur PMK bewegen, bedeutet dies, dass niemand eine Beeinträchtigung seines Nutzens hinzunehmen braucht. Eine effiziente Wirtschaft befindet sich daher zumindest auf ihrer PMK. Aber das Effizienzkonzept geht noch darüber hinaus und verlangt nicht nur die richtige Zusammensetzung der zu produzierenden Güter, sondern auch die entsprechende Allokation unter den Konsumenten, so dass deren Bedürfnisbefriedigung maximiert wird.
Effizienz des Wettbewerbsgleichgewichts Eine der wichtigsten Aussagen der gesamten Volkswirtschaftslehre lautet, dass die Ressourcenallokation über die Wettbewerbsmärkte effizient ist. Diese wichtige Erkenntnis setzt voraus, dass alle Märkte vollkommene Märkte sind und dass keine äußeren Einflüsse wie Umweltverschmutzung oder unvollständige Informationen auf sie einwirken. Aber auch wenn die Volkswirtschaft effizient ist, sagt dies nichts über die Gerechtigkeit der Einkommensverteilung in vollkommenen Märkten aus. In diesem Ab-
Kapitel 8
233
Analyse des Marktes bei vollkommenem Wettbewerb
schnitt wollen wir ein vereinfachtes Beispiel dazu verwenden, das allgemeine Prinzip zu beleuchten, das der Effizienz vollkommener Märkte zugrunde liegt. Stellen Sie sich die abstrakte Situation vor, dass alle Menschen gleich sind. Nehmen Sie weiter an: (a) Alle Menschen arbeiten in der Nahrungsmittelproduktion. Je mehr sie arbeiten und je weniger Freizeit ihnen daher bleibt, desto mühsamer wird jede zusätzliche schweißtreibende Arbeitsstunde. (b) Jede zusätzliche konsumierte Lebensmitteleinheit erbringt einen geringeren Grenznutzen (MU).2 (c) Da die Nahrungsmittelproduktion auf vorgegebenen Flächen erfolgt, ergibt jede Arbeitsminute nach dem Gesetz der abnehmenden Grenzerträge immer weniger an zusätzlicher Nahrung. Abbildung 8-11 zeigt Angebot und Nachfrage für unsere vereinfachte Wettbewerbswirtschaft. Wenn wir die identischen Angebotskurven unserer identischen Bauern horizontal addieren, erhalten wir die nach oben hin ansteigende MC-Kurve. Wie wir bereits früher in diesem Kapitel gesehen haben, ist die MC-Kurve zugleich auch die Angebotskurve dieser Branche, was in der Abbildung durch MC = SS zum Ausdruck gebracht wird. Außerdem ist die Nachfragekurve einfach die horizontale Addition gleicher Grenznutzen der einzelnen Grenznutzen- (oder Nahrungsmittelnachfrage-)Kurven. Sie wird durch die Kurve MU = DD für Nahrungsmittel dargestellt, die eine negative Steigung aufweist. Der Schnittpunkt der Kurven SS und DD ergibt das Wettbewerbsgleichgewicht für Nahrung. Im Punkt E bieten die Bauern genau das an, was die Konsumenten zum Marktgleichgewichtspreis zu kaufen wünschen. Jeder Bauer arbeitet bis zu dem kritischen Punkt, an dem sich die absteigende NahrungsmittelkonsumGrenzkostenkurve mit der ansteigenden Nah-
Viele identische Bauern-Konsumenten bringen ihre Nahrungsmittel auf den Markt. Die in Stufen aufwärts verlaufende Kurve MC = DD addiert die Grenzkostenkurven, während die stufenweise abwärts verlaufende Kurve MU = DD die horizontale Addition der Bewertung der Nahrungsmittel durch die Konsumenten darstellt. Im Wettbewerbs-Marktgleichgewicht E entspricht der Grenzgewinn aus der letzten Nahrungsmitteleinheit den bei der Produktion der letzten Nahrungsmitteleinheit in E aufgewendeten Grenzkosten (ausgedrückt in Freizeitverzicht). Die Kosten der Nahrungsmittelproduktion sind durch die dunkelgrauen Bereiche dargestellt. Die hellen rostfarbenen Bereiche oberhalb der SS-Kurve und unterhalb der Preislinie addieren sich zur „Produzentenrente“. Die Summe von Konsumentenund Produzentenrente ist die „volkswirtschaftliche Rente“ oder der Gesamtgewinn aus der Produktion in diesem Wirtschaftszweig. Wirtschaftliche Effizienz bedeutet, dass die volkswirtschaftliche Rente (der gesamte rostfarbene Bereich) maximiert wird. Jede andere Produktionsmenge würde die volkswirtschaftliche Rente verringern. So zeigt zum Beispiel der hellgraue Bereich rechts von E den wirtschaftlichen Verlust durch die Produktion von zu großen Mengen an Nahrungsmitteln in FF.
2 Um die Analyse zu vereinfachen, messen wir das Wohlergehen in fixen Freizeitnutzeneinheiten („utils“) [oder Freizeitausfall durch schweißtreibende Arbeit („disutils“)]. Nun gehen wir weiter davon aus, dass jede verlorene Freizeitstunde einen konstanten Grenznutzen aufweist, sodass in diesen Freizeit-Arbeits-Einheiten alle Nutzen und Kosten berücksichtigt sind.
rungsmittelanbau-Grenznutzenkurve schneidet. Abbildung 8-11 zeigt ein neues Konzept, die wirtschaftliche Rente, die als rostfarbener Bereich zwischen den Angebots- und Nachfragekurven im Gleichgewicht dargestellt ist. Die
P
B
MU = DD
MU, MC, P
F
MC = SS
E P*
A F Q Q* Menge
Abbildung 8-11: Im Wettbewerbsgleichgewicht E sind Grenzkosten und Nutzen von Nahrungsmitteln exakt ausgeglichen
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
wirtschaftliche Rente ist die Summe der im 5. Kapitel beschriebenen Konsumentenrente – des Bereichs zwischen der Nachfragekurve und der Preislinie – und der Produzentenrente – des Bereichs zwischen der Preislinie und der SS-Kurve. Die Produzentenrente beinhaltet die Renten und Gewinne von Firmen und Eigentümern spezialisierter, in der Branche eingesetzter Inputs und gibt den Überschluss der Erträge gegenüber den Produktionskosten an. Die volkswirtschaftliche Rente drückt den aus Produktion und Konsum eines Gutes zusätzlich gewonnenen Nettonutzen oder Wohlstand aus. Sie entspricht der Konsumentenrente plus der Produzentenrente. Eine gründliche Analyse des Wettbewerbsgleichgewichts zeigt, dass es die in dieser Branche verfügbare volkswirtschaftliche Rente maximiert. Aus diesem Grund ist es wirtschaftlich effizient. Im Wettbewerbsgleichgewicht E in Abbildung 8-11 hat der repräsentative Konsument einen größeren Nutzen, d.h. eine höhere volkswirtschaftliche Rente als bei jeder anderen möglichen Ressourcenallokation. Eine weitere Möglichkeit, die Effizienz des Wettbewerbsgleichgewichts zu betrachten, ist der Vergleich der wirtschaftlichen Auswirkungen einer kleinen Änderung des Gleichgewichts bei E. Wie der folgende Dreistufenprozess zeigt, ist die Allokation effizient, wenn MU = P = MC. 1. P = MU. Die Konsumenten entscheiden sich für den Kauf von Nahrungsmitteln bis zu jenem Betrag, bei dem gilt: P = MU. Folglich gewinnt jede Person aus der letzten konsumierten Nahrungsmitteleinheit P Nutzeneinheiten oder Utils. (Zufriedenheits-Utils werden in Form des konstanten Grenznutzens von Freizeit gemessen, wie in Fußnote 2 erläutert.) 2. P = MC. Als Produzent bietet jede der Personen aus unserem Beispiel Nahrungsmittel bis zu dem Punkt an, an dem der Nahrungsmittelpreis genau den MC der letzten angebotenen Nahrungsmittelein-
Teil 2
heit entspricht (wobei hier die MC die Kosten des Freizeitverzichts sind, der zur Produktion der letzten Nahrungsmitteleinheit erforderlich ist). Der Preis entspricht daher den Freizeit-Utils, auf die für die Produktion dieser letzten Nahrungsmitteleinheit verzichtet werden muss. 3. Wenn wir diese beiden Gleichungen zusammenfügen, erkennen wir, dass MU = MC. Das bedeutet, dass die durch die letzte konsumierte Nahrungsmitteleinheit gewonnenen Nutzeneinheiten exakt den durch den Zeitaufwand für die Produktion dieser letzten produzierten Nahrungsmitteleinheit verlorenen Freizeit-Utils entsprechen. Und genau diese Bedingung, wonach der Grenzgewinn aus der letzten konsumierten Einheit genau den Grenzkosten der Gesellschaft für die letzte produzierte Einheit entspricht, ist es, die uns garantiert, dass ein Wettbewerbsgleichgewicht effizient ist.
Gleichgewicht bei einer Vielzahl von Konsumenten und Märkten Wenden wir uns nun nach unserer stark vereinfachten Darstellung mit identischen Bauern und Konsumenten einer Wirtschaft zu, in der es Millionen unterschiedlicher Unternehmen, Hunderte Millionen von Menschen und unzählige Güter gibt. Kann auch in dieser komplexen Welt eine Wirtschaft unter den Bedingungen vollständigen Wettbewerbs effizient sein? Die Antwort lautet „ja“, oder besser gesagt, „ja, wenn …“. Effizienz besteht nur, sofern einige strenge Voraussetzungen erfüllt sind, auf die wir in späteren Kapiteln zu sprechen kommen werden. Zu diesen Voraussetzungen gehören einigermaßen gut informierte Konsumenten, konkurrierende Produzenten und das Fehlen äußerer Einflussfaktoren wie Umweltverschmutzung oder unzulängliches Wissen. Solche Volkswirtschaften mit einem System vollkommener Wettbewerbsmärkte verdienen den ersten Preis in Sachen Allokationseffizienz.
Kapitel 8
Abbildung 8-12 zeigt, wie ein Wettbewerbssystem ein Gleichgewicht zwischen Nutzen und Kosten für ein einzelnes Wirtschaftsgut bei nicht identischen Unternehmen und Konsumenten hervorbringt. Links addieren wir die Nachfragekurven aller Konsumenten horizontal und erhalten so die Marktnachfragekurve DD in der Mitte. Rechts addieren wir alle MC-Kurven der einzelnen Unternehmen und erhalten ebenso in der Mitte die Branchenangebotskurve SS. Im Wettbewerbsgleichgewicht in Punkt E erhalten die Konsumenten links die Menge, die sie von dem Gut genau zu dem Preis kaufen wollen, der die effizienten sozialen MC repräsentiert. Rechts sorgt der Gleichgewichtsmarktpreis auch für eine effiziente Produktionsallokation unter den Unternehmen. Der graue Bereich unterhalb der SSKurve in der Mitte stellt die minimierte Summe der grauen Kostenbereiche rechts dar. Jedes Unternehmen richtet seine Produktionsmenge so ein, dass MC = P. Die Produktionseffizienz kann deshalb erreicht werden, (a) Konsumentennachfrage P
weil keine andere Organisation der Produktion möglich ist, bei der dieselbe Produktionsmenge von der Branche zu geringeren Kosten hergestellt werden könnte. Gütervielzahl. Unsere Wirtschaft produziert nicht nur Nahrungsmittel, sondern natürlich auch Kleidung, Filme, Urlaube und viele, viele andere Güter. Wie lässt sich unsere Analyse anwenden, wenn die Konsumenten zwischen einer Vielzahl von Produkten auswählen können? Auch hier gelten exakt die gleichen Prinzipien, aber es tritt eine weitere Bedingung hinzu: Konsumenten, die ihren Nutzen optimieren wollen, verteilen ihre Geldausgaben so auf verschiedene Güter, dass der Grenznutzen der letzten Geldeinheit für jedes konsumierte Gut gleich hoch ist. Unter diesen Idealbedingungen ist eine Wettbewerbswirtschaft mit einer Vielzahl von Gütern und Produktionsfaktoren effizient. Mit anderen Worten: Eine Wirtschaft mit vollständigem Wettbewerb ist dann effizient,
(b) Branchenoutput
P
(c) Angebote der Unternehmen
P D
d2 Lebensmittelpreis
235
Analyse des Marktes bei vollkommenem Wettbewerb
P
P
P
d1 sC
S P*
E1
sA
E
E2
sB
EA
EB EC
S d1 q1 Person 1
Person 2
sA
D
d2 q2
Q Markt
sB
sC
qA qB qC Unternehmen A Unternehmen B Unternehmen C
Abbildung 8-12: Unter den Bedingungen vollständigen Wettbewerbs kommt es zu einer Zusammenführung von Konsumentennachfrage und Produzentenkosten (a) Die Einzelnachfragen sind links dargestellt. Wir addieren die dd-Kurve der Konsumenten horizontal und erhalten so die Marktnachfragekurve DD in der Mitte. (b) Der Markt bringt alle Konsumentennachfragen und Unternehmensangebote zusammen und führt so zu dem Marktgleichgewicht in E. Die horizontale Nahrungsmittelpreislinie zeigt, wo jeder Konsument links und jeder Produzent rechts das Gleichgewicht erreicht. In P* lässt sich feststellen, wie der MU aller Konsumenten mit dem MC jedes Unternehmens gleichgesetzt wird, was Allokationseffizienz zur Folge hat. (c) Für jedes im Wettbewerb stehende Unternehmen kommt es zu einer Gewinnmaximierung, wenn die Angebotskurve durch die ansteigende MC-Kurve gegeben ist. Der graue Bereich stellt die Produktionskosten jedes Unternehmens für die Herstellung der Menge in E dar. Bei Preisen, die den Grenzkosten entsprechen, erzeugt die Branche zu niedrigstmöglichen Gesamtkosten.
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
wenn die privaten Grenzkosten den sozialen Grenzkosten entsprechen und wenn beide dem Grenznutzen entsprechen. Jede Branche muss einen Ausgleich zwischen MC und MU finden. Wenn beispielsweise Filme doppelt so hohe MC wie Hamburger aufweisen, müssen auch P und MU von Filmen doppelt so hoch sein wie jene von Hamburgern. Erst dann werden die MU, die den P entsprechen, dasselbe Niveau wie die MC aufweisen. Durch den Ausgleich von Preis und Grenzkosten sorgt der Wettbewerb dafür, dass eine Wirtschaft Allokationseffizienz erreichen kann. Der vollkommene Markt ist ein Instrument zur Verbindung (a) der Bereitschaft der Konsumenten mit entsprechender Kaufkraft, für Güter zu bezahlen, mit (b) den Grenzkosten dieser Güter, die durch das Angebot der Unternehmen repräsentiert werden. Unter bestimmten Bedingungen garantiert der Wettbewerb Effizienz, was bedeutet, dass kein zusätzlicher Nutzen eines Konsumenten erzielbar ist, ohne zugleich den Nutzen eines anderen Konsumenten zu schmälern. Das trifft auch in einer Welt mit unzähligen Produktionsfaktoren und Produkten zu.
Die zentrale Rolle der Identität von Preis und Grenzkosten In diesem Kapitel wird besonders auf die zentrale Rolle des Wettbewerbs und der Grenzkosten für eine effiziente Ressourcenallokation hingewiesen. Doch die Bedeutung der Grenzkosten reicht weit über den vollständigen Wettbewerb hinaus. Jede Gesellschaft oder Organisation, die danach strebt, ihre Ressourcen möglichst effektiv einzusetzen, orientiert sich an den Grenzkosten, um ihre Produktionseffizienz zu steigern, gleichgültig, ob es sich dabei um eine kapitalistische oder kommunistische Wirtschaft, eine gewinnorientierte oder gemeinnützige Organisation, eine Universität oder eine Kirchengemeinschaft, ja sogar eine Familie handelt.
Teil 2
Die tragende Rolle der Grenzkosten in einer Marktwirtschaft erklärt sich wie folgt: Nur wenn die Preise den Grenzkosten entsprechen, holt diese Wirtschaft den maximalen Output und die größtmögliche Bedürfnisbefriedigung aus ihren knappen Ressourcen an Grund und Boden, Arbeit und Kapital heraus. Erst wenn jedes Unternehmen seine Grenzkosten an die Grenzkosten jedes anderen Unternehmens angleicht, was der Fall ist, wenn alle MC dem marktüblichen Preis entsprechen, erzeugt der gesamte Wirtschaftszweig seinen Gesamtoutput zu geringstmöglichen Gesamtkosten. Und erst wenn der Preis den Grenzkosten aller Unternehmen entspricht, schöpft die Gesellschaft ihr Produktionspotential optimal aus und befindet sich auf ihrer Produktionsmöglichkeitenkurve. Die Grenzkosten als Messlatte für eine effiziente Ressourcenallokation Die Verwendung der Grenzkosten als Messlatte für eine effiziente Ressourcenallokation ist nicht auf gewinnmaximierende Unternehmen beschränkt, sondern lässt sich auf alle wirtschaftlichen Problemstellungen anwenden – ja sogar auf sämtliche Problemstellungen, bei denen Knappheit im Spiel ist. Nehmen wir an, Sie sind davon überzeugt, dass die chinesische Planwirtschaft durch eine Form des Sozialismus mit marktwirtschaftlicher Komponente ersetzt werden sollte. Sie bestehen darauf, dass die sozialistischen Firmen Weizen effizient produzieren müssen. Effizienz setzt voraus, dass die Grenzkosten für Weizen und alle anderen Güter festgelegt werden, bei denen ein – wie auch immer gearteter – Preis den Produktions-Grenzkosten aller landwirtschaftlichen Produktionseinheiten und Unternehmen entspricht. Oder nehmen wir an, Sie werden mit der Lösung eines kritischen Umweltproblems wie der globalen Erwärmung oder des sauren Regens beauftragt. Bald werden Sie feststellen, dass die Grenzkosten einen entscheidenden Einfluss darauf haben, dass Sie Ihre Umweltziele auf eine möglichst effiziente Weise erreichen. Indem
Kapitel 8
Analyse des Marktes bei vollkommenem Wettbewerb
Sie sicherstellen,dass die Grenzkosten für die Verringerung der Emissionen oder die Reinigung der Umwelt in allen Sektoren identisch sind, können Sie garantieren, dass Sie Ihre Umweltziele zu den niedrigstmöglichen Kosten erreichen. Wir lernen schnell, dass in einer Welt der Knappheit selbst für hehre Ziele der effizienteste Weg beschritten werden sollte.
Einschränkungen Wir haben nun die Wirkung der unsichtbaren Hand – die beachtlichen Effizienzvorteile von Wettbewerbsmärkten – kennen gelernt. Doch nun müssen wir diese Erkenntnisse einschränken, indem wir auf Mängel des Marktes hinweisen. Es gibt zwei wichtige Bereiche, in denen es Märkten nicht gelingt, ein gesellschaftliches Optimum zu erreichen. Erstens können Märkte in Situationen ineffizient sein, in denen Umweltverschmutzung und andere äußere Faktoren eine Rolle spielen oder in denen Wettbewerb oder Information unvollkommen sind. Zweitens führt die Einkommensverteilung auf Wettbewerbsmärkten bisweilen trotz ihrer Effizienz zu Zuständen, die als sozial nicht wünschenswert oder akzeptabel betrachtet werden müssen. Wir werden diese beiden Punkte in späteren Kapiteln ausführlich besprechen, wollen sie an dieser Stelle aber doch in knapper Form skizzieren.
Marktversagen Worin bestehen die Formen von Marktversagen, die das idyllische Bild, das wir in unserer Diskussion effizienter Märkte gezeichnet haben, trüben? Die wichtigsten sind unvollkommener Wettbewerb, äußere Faktoren und unzulängliche Informationen. Unvollkommener Wettbewerb. Wenn ein Unternehmen in einem bestimmten Markt über eine bestimmte Marktmacht verfügt (sagen wir, es handelt sich um ein Monopol durch
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ein patentiertes Arzneimittel oder ein lokales Elektrizitätsmonopol), kann dieses Unternehmen den Preis seines Produkts über seine Grenzkosten hinaus anheben. Die Konsumenten kaufen von solchen Gütern weniger, als sie es unter Wettbewerbsbedingungen tun würden, und ihre Zufriedenheit sinkt. Dieser Rückgang der Konsumentenzufriedenheit ist für die von einem unvollkommenen Wettbewerb geschaffenen Ineffizienzen typisch. Externalitäten. Auch Externalitäten können wichtige Gründe für Marktversagen sein. Erinnern Sie sich, dass Externalitäten dann ins Spiel kommen, wenn bestimmte Nebeneffekte von Produktion oder Konsum nicht in den Marktpreisen enthalten sind. So kann eine Energiegesellschaft zum Beispiel Schwefeldämpfe in die Atmosphäre blasen, die die benachbarten Häuser und die Gesundheit der Menschen schädigen. Wenn das Unternehmen die Schäden nicht bezahlt, erreicht die Umweltverschmutzung ineffizient hohe Werte, und das Wohlergehen der Konsumenten leidet. Aber nicht alle Externalitäten sind schädlich. Einige sind sogar nützlich, wie zum Beispiel solche, die auf Wissen erzeugenden Aktivitäten beruhen. Als Chester Carlson zum Beispiel das Kopierverfahren erfand, wurde er zum Millionär; aber trotzdem konnte er nur einen winzigen Bruchteil des Nutzens für sich verbuchen, der Millionen von Sekretärinnen, Schülern und Studentinnen zugute kam, denen Milliarden Stunden mühevoller Plackerei erspart blieben. Weitere positive externe Effekte entstehen durch öffentliche Gesundheitsprogramme wie zum Beispiel Impfungen gegen Pocken, Cholera oder Typhus – zumal Impfungen nicht nur die geimpfte Person schützen, sondern auch andere Menschen, die diese Personen andernfalls angesteckt hätte. Unzulängliche Informationen. Eine dritte wichtige Form von Marktversagen ergibt sich aus unzulänglichen Informationen. Die Theorie der unsichtbaren Hand geht davon aus, dass Käufer und Verkäufer über vollständige Informationen hinsichtlich der Güter und
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Dienstleistungen verfügen, die sie kaufen und verkaufen. Es wird angenommen, dass Unternehmen alles über die Produktionsfunktionen wissen, die für den Betrieb in ihrer Branche relevant sind. Man nimmt an, dass die Konsumenten jedes Detail bezüglich der Qualität und der Preise von Gütern kennen – wie zum Beispiel, welche Autos pannenanfällig oder wie sicher und wirksam bestimmte Medikamente oder Angioplastik sind. Es liegt auf der Hand, dass die Realität wenig mit dieser idealisierten Welt gemein hat. Die entscheidende Frage lautet: Welchen Schaden richten Informationen an, die weniger als vollkommen sind? In einigen Fällen fällt der Effizienzverlust nur gering aus. Mir werden kaum große Nachteile entstehen, wenn ich mir ein Schokoladeneis kaufe, das etwas zu süß ist, oder wenn ich die genaue Temperatur des Biers, das aus dem Zapfhahn kommt, nicht kenne. In anderen Fällen ist der Schaden schon größer. Nehmen wir den Fall des Stahlmoguls Eben Byers, der vor hundert Jahren versuchte, seine körperlichen Beschwerden mit Radithor zu kurieren, einem Mittel, das als Aphrodisiakum und Allheilmittel angepriesen wurde. Spätere Analysen ergaben, dass Radithor nichts anderes war als destilliertes Wasser, das mit Radium versetzt war. Byers, dessen Kiefer und andere Knochen sich zersetzten, starb einen jämmerlichen Tod. Auf diese Art unsichtbarer Hand können wir gern verzichten.
Teil 2
Eine der wichtigen staatlichen Aufgaben besteht darin, jene Bereiche zu identifizieren, in denen Informationsdefizite wirtschaftlich signifikant sind – Drogen sind ein Beispiel –, um anschließend entsprechende Abhilfemaßnahmen zu ergreifen.
Die Rolle staatlicher Eingriffe Sollten Regierungen angesichts der möglichen Ineffizienzen und Ungleichheiten des Marktkapitalismus durch Regulierung, korrigierende Besteuerung und Transferzahlungen für die Armen eingreifen? Ist eine Gesellschaft schon dann zufrieden, wenn nur die größtmögliche Menge Brot produziert wird? Oder muss eine moderne Demokratie den Reichen einige Brotwecken wegnehmen und sie an die Armen verteilen? Auf diese Fragen kann es keine „richtigen“ Antworten geben. Es handelt sich um normative Fragen, die am besten auf dem Stimmzettel beantwortet werden. Die positive Ökonomik kann keine Aussage darüber treffen, welche Maßnahmen eine Regierung ergreifen sollte, um die Ungleichheiten und Unzulänglichkeiten des Marktes zu korrigieren. Aber sie kann wertvolle Erkenntnisse über die potenziellen Ineffizienzen und negativen Nebenwirkungen verschiedener Eingriffe und Maßnahmen liefern, sodass es gelingt, die Ziele einer modernen Gesellschaft möglichst effektiv zu erreichen.
Zusammenfassung A. Das Angebotsverhalten von Unternehmen bei vollständigem Wettbewerb 1.
Ein im vollkommenen Wettbewerb stehendes Unternehmen verkauft ein homogenes Produkt und ist zu klein, um den Marktpreis zu beeinflussen. Ein solches Unternehmen ist bestrebt, seinen Gewinn zu maximieren. Zu diesem Zweck wird es jene Produktionsmenge wählen, bei der der Preis den Produktions-Grenzkosten
2.
entspricht, d.h. P = MC. Im Diagramm ergibt sich das Gleichgewicht eines im vollständigen Wettbewerb stehenden Unternehmens dort, wo die aufsteigende MC-Angebotskurve die horizontale Nachfragekurve schneidet. Die variablen Kosten dienen als Grundlage für die Ermittlung des kurzfristigen Betriebsminimums eines Unternehmens. Unterhalb dieses Minimums übersteigen die Verluste des Unternehmens seine Fixkosten. Es wird daher die Produktion einstellen, sobald der Preis unter den Betriebseinstellungspreis fällt.
Kapitel 8
3.
Analyse des Marktes bei vollkommenem Wettbewerb
Bei der langfristigen Angebotskurve SLSL eines im vollständigen Wettbewerb stehenden Wirtschaftszweiges müssen der Marktzutritt neuer und das Ausscheiden alter Unternehmen mit berücksichtigt werden. Langfristig laufen alle Geschäftsbeziehungen eines Unternehmens aus. Es bleibt nur dann im Rennen, wenn die Preise zumindest ebenso hoch sind wie die langfristigen Durchschnittskosten. Zu diesen Kosten gehören die Ausgaben für Arbeitskräfte, Kredite, Lieferanten oder Mieten, aber auch die Opportunitätskosten wie mögliche Renditen aus den Vermögenswerten des Unternehmens.
B. Das Angebotsverhalten ganzer Wirtschaftszweige bei vollständigem Wettbewerb 4.
5.
6.
7.
Die ansteigende MC-Kurve jedes Unternehmens entspricht seiner Angebotskurve. Will man die Angebotskurve einer ganzen Gruppe von Unternehmen am Markt ermitteln, müssen ihre jeweiligen Angebotskurven horizontal addiert werden. Die Angebotskurve des Wirtschaftszweiges ist daher zugleich die Grenzkostenkurve für den im vollständigen Wettbewerb stehenden Wirtschaftszweig. Da die Unternehmen ihre Produktionsmenge im Laufe der Zeit anpassen können, unterscheiden wir zwei verschiedene periodenbezogene Betrachtungsweisen: (a) ein kurzfristiges Gleichgewicht, bei dem variable Faktoren wie Arbeit veränderlich sind, fixe Faktoren wie Kapital und die Zahl der Unternehmen hingegen nicht, und (b) ein langfristiges Gleichgewicht, bei dem sich die Anzahl der Unternehmen und Produktionsanlagen sowie alle anderen Bedingungen vollständig an die jeweils neuen Nachfragebedingungen anpassen. Wenn die Unternehmen freien Zutritt zum Markt haben und ebenso frei wieder aus dem Markt ausscheiden können und wenn kein Unternehmen einen spezifischen Vorteil in Bezug auf Know-how oder Standort hat, so sorgt langfristig der Wettbewerb dafür, dass die Unternehmen in der Branche keine überhöhten Gewinne erzielen können. Deshalb impliziert einerseits freies Ausscheiden, dass der Preis nicht unter den Break-even-Punkt fallen kann, und andererseits freier Marktzutritt, dass der Preis im langfristigen Gleichgewicht die langfristigen Durchschnittskosten nicht überschreiten kann. Wenn ein Wirtschaftszweig einfach durch Vervielfachung seiner Produktion expandieren
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kann, ohne die Preise seiner Produktionsfaktoren in die Höhe zu treiben, verläuft die daraus resultierende Angebotskurve horizontal. Wenn ein Wirtschaftszweig branchenspezifische Produktionsfaktoren wie knappe Strandgrundstücke einsetzt, weist seine Angebotskurve langfristig einen positiven Anstieg auf.
C. Sonderfälle von Wettbewerbsmärkten 8. Erinnern Sie sich an die allgemeinen Regeln, die für Angebot und Nachfrage unter den Bedingungen vollständigen Wettbewerbs gelten: Nach der Nachfrageregel führt ein Anstieg der Nachfrage nach einem Gut (bei unveränderter Angebotskurve) normalerweise dazu, dass der Preis des Gutes ebenso steigt wie die nachgefragte Menge. Ein Rückgang der Nachfrage hat die gegenteilige Wirkung. Nach der Angebotsregel führt ein Anstieg des Angebots eines Gutes (bei unveränderter Nachfragekurve) normalerweise dazu, dass der Preis des Gutes ebenso sinkt wie die verkaufte Menge. Ein Angebotsrückgang hat den gegenteiligen Effekt. 9. Wichtige Sonderfälle sind konstante und steigende Kosten, ein vollkommen unelastisches Angebot (das zu einer volkswirtschaftlichen Rente führt) und eine rückwärts gekrümmte Angebotskurve. Diese Sonderfälle erklären viele wichtige Marktphänomene.
D. Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit auf Wettbewerbsmärkte 10. Die Analyse vollkommener Märkte zeigt die Regeln der effizienten Organisation einer Gesellschaft auf. Allokationseffizienz ist gegeben, wenn keine Möglichkeit besteht, Produktion und Verteilung so umzugestalten, dass dadurch das Befriedigungsniveau aller steigen würde. Anders ausgedrückt: Allokationseffizienz besteht, wenn es keinem Einzelnen besser gehen kann, ohne dass dadurch zugleich ein anderer schlechter gestellt wird. 11. Unter idealen Bedingungen erreicht eine Wettbewerbswirtschaft Allokationseffizienz. Effizienz setzt voraus, dass alle Unternehmen im vollkommenen Wettbewerb stehen und dass keine externen Effekte wie Umweltverschmutzung oder bessere Informationen vorhanden sind. Effizienz bedeutet, dass die volkswirtschaftliche Rente maximiert wird, wobei die
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
volkswirtschaftliche Rente der Konsumentenrente plus der Produzentenrente entspricht. 12. Effizienz ist gegeben, weil (a) der Grenznutzen (in Freizeit ausgedrückt) jeweils dem Preis entspricht, wenn die Konsumenten ihre Bedürfnisbefriedigung maximieren; (b) konkurrierende Produzenten Güter anbieten und dabei die Produktionsmenge so wählen, dass die Grenzkosten genau dem Preis entsprechen; (c) MU = P und MC = P gilt und daraus folgt, dass MU = MC. So entsprechen die sozialen Grenzkosten für die Produktion eines Gutes unter den Bedingungen vollständigen Wettbewerbs genau der Bewertung ihres Grenznutzens in Form von Gütern oder Freizeit, auf die verzichtet wird. Und genau diese Bedingung, wonach der Grenzgewinn für die Gesellschaft aus der letzten konsumierten Einheit den Grenzkosten der Gesellschaft für diese letzte produzierte Einheit entspricht, ist es, die uns garantiert, dass ein Wettbewerbsgleichgewicht effizient ist. 13. Die Bedingungen, unter denen ein effizientes Wettbewerbsgleichgewicht erreicht werden
kann, sind stark eingeschränkt: Es darf keine externen Effekte und keinen unvollkommenen Wettbewerb geben, und Konsumenten und Produzenten müssen über vollständige Informationen verfügen. Die Existenz von Unvollkommenheiten führt zu einem Zusammenbruch der Bedingung Preisverhältnis = Grenzkostenverhältnis = Grenznutzenverhältnis und damit zu Ineffizienz. 14. Die Auswirkungen vollkommener Märkte können auch bei größter Effizienz bisweilen sozial unerwünscht sein. Wettbewerbsmärkte sorgen nicht unbedingt für eine Situation, in der die Ideale einer Gesellschaft hinsichtlich gerechter Einkommensverteilung und Konsummöglichkeiten verwirklicht sind. Gesellschaften können das Laissez-faire-Gleichgewicht so modifizieren, dass auf die Einkommensverteilung Einfluss genommen wird, um auf diese Weise eine wahrgenommene Ungerechtigkeit der Kaufkraft auszugleichen.
Begriffe zur Wiederholung Angebot unter Bedingungen vollständigen Wettbewerbs P = MC als Bedingung für Gewinnmaximum ss-Angebots- und MC-Kurve eines Unternehmens Break-even-Bedingung, wobei P = MC = AC Betriebsminimum, wobei P = MC = AVC Summierung der individuellen ss-Kurven, um die Branchen-SS-Kurve zu erhalten Kurz- und langfristiges Gleichgewicht Bedingung, unter der der Gewinn langfristig gegen null tendiert Produzentenrente + Konsumentenrente = volkswirtschaftliche Rente Effizienz = Maximierung der volkswirtschaftlichen Rente
Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit Allokationseffizienz, Pareto-Effizienz Bedingung für Allokationseffizienz: MU = P = MC Effizienz vollkommener Märkte Effizienz versus Verteilungsgerechtigkeit
Teil 2
Kapitel 8
Analyse des Marktes bei vollkommenem Wettbewerb
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Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Die Effizienz des vollkommenen Wettbewerbs ist eine der wichtigsten Erkenntnisse der Mikroökonomie. Werke zur Mikroökonomie für fortgeschrittene Leser wie die in Kapitel 4 aufgelisteten Titel erläutern die grundlegenden Erkenntnisse. Kenneth Arrow, John Hicks und Gerard Debreu erhielten den Wirtschaftsnobelpreis für ihre Beiträge zur Entwicklung der Theorie des vollkommenen Wettbewerbs und seiner Beziehung zur wirtschaftlichen Effizienz. Ihre Arbeiten zu diesem Thema, enthalten in Assar Lindbeck, Nobel Lectures in Economics (University of Stockholm, 1992), sind überaus nützlich. Zitate dieser Ökonomen finden sich auch auf der unten aufgelisteten Website der Nobelpreisträger. Deutschsprachige Fachliteratur: Gerd Aberle: Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, 2. überarb. Aufl. (Kohlhammer, Stuttgart, 1992); Peter Oberender (Hrsg.), Effizienz und Wettbewerb (Duncker & Humblot, Berlin, 2005).
Übungen 1.
2.
Erklären Sie, warum jede der folgenden Aussagen über Unternehmen, die ihren Gewinn maximieren wollen und im Wettbewerb stehen, falsch ist. Formulieren Sie jede Aussage neu, indem Sie sie korrigieren: a. Ein Unternehmen strebt bei vollständigem Wettbewerb nach einer Produktionsmenge, bei der der Preis den durchschnittlichen variablen Kosten entspricht. b. Das Betriebsminimum eines Unternehmens liegt dort, wo der Preis unter das Durchschnittskostenminimum absinkt. c. Die Angebotskurve eines Unternehmens hängt nur von seinen Grenzkosten ab. Jedes andere Kostenkonzept ist für die Angebotsentscheidung irrelevant. d. Die Regel P = MC für Wirtschaftszweige im vollständigen Wettbewerb gilt für MC-Kurven mit positiver, horizontaler und negativer Steigung. e. Das Unternehmen setzt bei vollständigem Wettbewerb seinen Preis auf Höhe seiner Grenzkosten fest. Nehmen wir an, Sie sind ein Unternehmen im vollständigen Wettbewerb, das Computerchips produziert. Ihre Produktionskapazität beträgt 1.000 Einheiten pro Jahr. Ihre Grenzkosten belaufen sich auf US-$ 10 pro Chip bis zur Kapazitätsauslastung. Ihre Fixkosten betragen US-$ 10.000, wenn die Produktion positiv ist, und US-$ 0, wenn Sie Ihr Werk schließen. Wie hoch sind Ihre gewinnmaximierenden Produktionsmengen und der Gewinn bei einem Marktpreis von (a) US-$ 5 pro Chip, (b) US-$ 15
3.
4.
pro Chip und (c) US-$ 25 pro Chip? Erklären Sie für Fall (b), warum die Produktion positiv ist, obgleich Sie einen negativen Gewinn verzeichnen. Eine der wichtigsten Regeln der Volkswirtschaft, aber auch der Wirtschaft und des Lebens überhaupt, ist das Prinzip der versunkenen Kosten, etwa nach dem Motto: „Was vorbei ist, ist vorbei.“ Diese Maxime soll besagen, dass versunkene Kosten (versunken in dem Sinn, dass sie unwiederbringlich verloren sind) im Zuge neuer Entscheidungen zu ignorieren sind. Will man rationale Entscheidungen treffen, sollten nur zukünftige Kosten, und zwar unter Einbeziehung der Grenz- und variablen Kosten, Berücksichtigung finden. Um das zu verstehen, überlegen Sie Folgendes: Wir können die Fixkosten in Tabelle 8-1 als Kostenniveau bei einer Produktionsmenge von null berechnen. Wie hoch sind die Fixkosten? Bei welcher Produktionsmenge für das Unternehmen in Tabelle 8-1 können wir von Gewinnmaximierung sprechen, wenn der Preis US-$ 40 beträgt und die Fixkosten bei US-$ 0 liegen? US$ 55.000? US-$ 100.000? US-$ 1.000.000.000? Minus US $ 30.000? Erklären Sie die Implikationen, die sich ergeben, wenn ein Unternehmen darüber zu entscheiden hat, ob es schließen sollte. Untersuchen Sie die Kostendaten in Tabelle 8-1. Berechnen Sie die Angebotsentscheidung eines gewinnmaximierenden Unternehmens unter den Bedingungen vollständigen Wettbewerbs, wenn der Preis US-$ 21, US-$ 40 und
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6.
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
US-$ 60 beträgt. Wie hoch wäre für jeden der drei Preise der Gesamtgewinn? Was würde sich langfristig bei jedem der drei genannten Preisniveaus in Bezug auf den Neueintritt oder das Ausscheiden von identischen Unternehmen ergeben? Berechnen Sie bitte anhand der Kostendaten aus Tabelle 8-1 die Preiselastizität des Angebots zwischen P = 40 und P = 40,02 für das einzelne Unternehmen. Legen Sie dabei die Annahme zugrunde, dass es 2.000 identische Unternehmen gibt, und erstellen Sie eine Tabelle, die das Angebot des Wirtschaftszweiges angibt. Wie ist die Preiselastizität des Angebots für den gesamten Wirtschaftszweig bei P = 40 und P = 40,02? Studieren Sie Abbildung 8-12, und Sie werden erkennen, dass der Mitbewerber C überhaupt nichts produziert. Erklären Sie, warum die Produktionsmenge, bei der Unternehmen C seinen Gewinn maximiert, bei qc = 0 liegt. Wie würden sich die Produktionskosten für den gesamten Wirtschaftszweig entwickeln, würde Unternehmen C 1 Einheit produzieren, Unternehmen B jedoch 1 Einheit weniger als die Produktionsmenge unter den Bedingungen vollständigen Wettbewerbs? Nehmen wir an, Unternehmen C sei ein kleiner Tante-Emma-Laden. Warum wird C von den Supermärkten A und B vom Markt verdrängt? Wie stehen Sie zu der Frage, ob Unternehmen C auf dem Markt bleiben soll? Welche volkswirtschaftlichen Folgen hätte es, würde der Staat über gesetzliche Bestimmungen den Markt zu gleichen Teilen auf den Tante-EmmaLaden und die Supermärkte A und B aufteilen? Häufig hängt die Nachfrage der Konsumenten nach einem Gut von der Nutzung dauerhafter Güter ab, beispielsweise in den Bereichen Wohnen oder Transport. Dann zeigt die Nachfrage ein mit dem Zeitablauf unterschiedliches Reaktionsmuster, ähnlich dem Angebotsmuster. Ein gutes Beispiel dafür ist Benzin. Kurzfristig ist der Automobilbestand fix, während die Konsumenten langfristig auch neue Autos oder Fahrräder kaufen können. Welche Beziehung besteht zwischen Kurz- oder Langfristigkeit und der Preiselastizität der Nachfrage für Benzin? Skizzieren Sie die kurzund langfristigen Nachfragekurven für Benzin. Zeigen Sie die Auswirkung eines Rückgangs des Benzinangebots in beiden Perioden. Beschreiben Sie die Auswirkung einer Ölknappheit auf den Benzinpreis und die nachgefragte Menge sowohl auf kurze als auch auf lange Sicht. Beschreiben Sie zwei neue Nachfrageregeln (c) und (d) parallel zu den im allgemeinen
Teil 2
Abschnitt von Punkt C oben diskutierten Angebotsregeln, die die lang- und kurzfristigen Auswirkungen einer Angebotsverschiebung auf Preis und Menge in Beziehung setzen. 8. Interpretieren Sie folgenden Dialog: A: „Wie ist es möglich, dass der Gewinn unter Wettbewerbsbedingungen langfristig bei null liegt? Wer, um alles in der Welt, arbeitet umsonst?“ B: „Durch den Wettbewerb werden nur übermäßige Gewinne verhindert. Bei einem Gleichgewicht und unter den Bedingungen vollständigen Wettbewerbs wird das Management für seine Arbeit bezahlt, und auch die Eigentümer erhalten ihre normale Kapitalrendite – nicht mehr und nicht weniger.“ 9. Stellen Sie sich drei Unternehmen vor, die Schwefel in den kalifornischen Himmel blasen. Wir bezeichnen die Umweltschutz- oder Schadstoffverringerungseinheiten als Angebot. Jedes Unternehmen verfügt über einen Kostensenkungsplan, und wir sagen, dass diese Pläne durch die MC-Kurven der Unternehmen A, B und C in Abbildung 8-12 dargestellt werden. a. Interpretieren Sie das „Markt“-Angebot (den in der Mitte von Abbildung 8-12 dargestellten MC-Plan) zur Senkung der Schwefelemissionen. b. Unterstellen Sie, die Umweltschutzbehörde würde beschließen, dass eine Schadstoffreduktion um 10 Einheiten anzustreben ist. Wie sieht die effiziente Allokation von Umweltschutzmaßnahmen zwischen den drei Unternehmen aus? c. Nehmen wir an, die Umweltschutzbehörde würde beschließen, dass die ersten beiden Unternehmen jeweils eine Schadstoffsenkung von 5 Einheiten vorzunehmen haben. Wie hoch sind die dadurch entstehenden Zusatzkosten? d. Nehmen wir an, dass die Umweltschutzbehörde eine „Umweltschutzgebühr“ festlegt, um den Schadstoffausstoß auf 10 Einheiten zu reduzieren. Können Sie anhand von Abbildung 8-12 bestimmen, wie hoch diese Gebühr sein müsste? Können Sie sagen, wie jedes Unternehmen darauf reagieren würde? Wären die daraus abzuleitenden Umweltschutzmaßnahmen effizient? e. Erklären Sie die Bedeutung der Grenzkosten für die effiziente Eindämmung der Umweltverschmutzung anhand dieses Falles. 10. In jedem Wettbewerbsmarkt, wie ihn Abbildung 8-11 darstellt, bildet der Bereich oberhalb der Marktpreislinie und unterhalb der DD-Kur-
Kapitel 8
Analyse des Marktes bei vollkommenem Wettbewerb
ve die Konsumentenrente (siehe Diskussion in Kapitel 5). Der Bereich oberhalb der SS-Kurve und unterhalb der Preislinie ist die Produzentenrente und entspricht für die Unternehmen der Branche oder die Eigentümer spezieller Inputs in die Branche den Gewinnen plus Rente. Die Summe der Produzenten- und Konsumentenrente ist die volkswirtschaftliche Rente, die den Nettobeitrag des betreffenden Gutes zum Nutzen über die Produktionskosten hinaus misst. Können Sie eine Produktionsumstrukturierung beschreiben, die die volkswirtschaftliche Rente von Abbildung 8-11 im Vergleich zum Wettbewerbsgleichgewicht in Punkt E erhöhen würde? Wenn Ihnen das nicht gelingt, ist das Gleichgewicht allokationseffizient (oder Pareto-effizient). Definieren Sie den Begriff „Allokationseffizienz“, beantworten Sie dann die Frage und erklären Sie Ihre Antwort.
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KAPITEL 9 Unvollständiger Wettbewerb und Monopol
Das Beste an Monopolgewinnen ist ein ruhiges Leben. J. R. Hicks
Der vollständige Wettbewerb ist ein idealisierter Markt, bestehend aus atomistischen Firmen, die Preisnehmer sind. Solche Firmen sind zwar leicht zu analysieren, aber schwer zu finden. Wenn Sie sich einen Ford oder einen Toyota kaufen, wenn Sie Ihre Hamburger von McDonald's oder Wendy's oder Ihren Computer von Dell oder Apple beziehen, haben Sie es in jedem Fall mit Unternehmen zu tun, die groß genug sind, um Einfluss auf den Marktpreis zu nehmen. Die meisten Märkte in unserer Wirtschaft werden von einer Handvoll großer Unternehmen, häufig sogar von nur zwei oder drei Unternehmen, dominiert. Willkommen also in der Welt, in der wir leben, der Welt des unvollständigen Wettbewerbs.
A. Die Formen des unvollständigen Wettbewerbs Die wichtigsten Formen des unvollständigen Wettbewerbs sind Monopol, Oligopol und monopolistischer Wettbewerb. Wir werden sehen, dass unter den Bedingungen unvollständigen Wettbewerbs bei gegebener Technologie die Preise höher und die Produktionsmengen geringer ausfallen als im vollständigen Wettbewerb. Aber Unternehmen im unvollständigen Wettbewerb haben neben diesen Lastern auch Tugenden. Große Unternehmen nutzen in ihrer Produktion Skaleneffekte und können sich einen Großteil jener Innovationen zugute halten, die das langfristige Wirtschaftswachstum ankurbeln. Wenn Sie die Funktionsweise von Märkten mit unvollständigem Wettbewerb begreifen, verstehen Sie schon eine Menge von der modernen industriellen Wirtschaft. Was genau meinen wir mit vollständigem Wettbewerb? Sie haben bereits erfahren, dass ein vollkommener Wettbewerbsmarkt
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
ein Markt ist, auf dem jedes einzelne Unternehmen zu klein ist, um Einfluss auf den Marktpreis nehmen zu können. Nach dieser doch eher strengen Definition sind nur wenige Märkte der amerikanischen Wirtschaft vollkommene Wettbewerbsmärkte. Denken Sie nur an Flugzeuge, Aluminium, Autos, Computersoftware, Frühstücksflocken, Kaugummi, Zigaretten, Stromversorgung, Kühlschränke oder Weizen. Wie viele der genannten Güter werden auf vollkommenen Märkten angeboten? Flugzeuge, Aluminium oder Autos ganz sicherlich nicht. Bis zum Zweiten Weltkrieg gab es überhaupt nur einen einzigen Aluminiumproduzenten in den USA – nämlich Alcoa. Aber auch heute produzieren die vier größten US-Produzenten drei Viertel des gesamten in den USA erzeugten Aluminiums. Der internationale Markt für Flugzeuge in der Zivilluftfahrt wird von nur zwei Unternehmen, nämlich Boeing und Airbus, kontrolliert. Auch in der Automobilindustrie geben die Großen Fünf (darunter Toyota und Honda) mit beinahe 80 Prozent der amerikanischen Produktion im Bereich PKW und Klein-LKW den Ton an. In der Softwareindustrie vollziehen sich gigantische Innovationen, und doch stammen die meisten Softwareanwendungen von der Steuerbuchhaltung bis zur Textverarbeitung von einigen wenigen dominierenden Marktteilnehmern. Wie steht es aber um die Wirtschaftsgüter Frühstücksflocken, Kaugummi, Zigaretten und Kühlschränke? Diese Märkte werden von relativ wenigen Unternehmen sogar noch stärker dominiert. Aber auch der Strommarkt entspricht keinesfalls der Definition des vollständigen Wettbewerbs. An den meisten Orten verkauft ein einziger Versorgungsbetrieb den gesamten Strom für die ansässige Bevölkerung. Den wenigsten von uns wird es wirtschaftlich sinnvoll erscheinen, eine Windmühle zu bauen, um selbst Strom zu erzeugen! Bei Betrachtung unserer Güterliste stellen wir fest, dass nur Weizen der strengen Definition des vollständigen Wettbewerbs entspricht. Alle anderen Güter, von Autos bis hin zu Zigaretten, bestehen den Wettbe-
Teil 2
werbstest nicht, und zwar aus einem einfachen Grund: Einige wenige Unternehmen der Branche können den Marktpreis durch Steuerung der Verkaufsmengen beeinflussen. Um es anders auszudrücken: Sie kontrollieren in einem gewissen Ausmaß den Preis der von ihnen erzeugten Güter.
Definition des unvollständigen Wettbewerbs Ein Unternehmen, das den Marktpreis für seine Produktion spürbar beeinflussen kann, wird als „Marktteilnehmer im unvollständigen Wettbewerb“ bezeichnet. Unvollständiger Wettbewerb herrscht in einem Wirtschaftszweig immer dann, wenn einzelne Anbieter ein gewisses Maß an Kontrolle über den Preis ihrer Produkte ausüben. Unvollständiger Wettbewerb bedeutet nicht, dass ein Unternehmen die absolute Kontrolle über den Preis seines Produkts hat. Nehmen wir etwa den Markt für Erfrischungsgetränke, auf dem Coca-Cola und Pepsi zusammen den größten Marktanteil besitzen und auf dem ganz offensichtlich ein unvollständiger Wettbewerb herrscht. Wenn der gängige Preis der Erfrischungsgetränke anderer Produzenten 75 Cents beträgt, kann Pepsi den Dosenpreis problemlos mit 70 oder 80 Cents festsetzen, ohne dass dies das Unternehmen gefährdet. Ein Preis von US-$ 40 oder 5 Cents pro Dose wäre natürlich nicht möglich, da sich das Unternehmen damit die wirtschaftliche Grundlage entziehen würde. Das führt uns zu dem Schluss, dass ein Unternehmen bei unvollständigem Wettbewerb einen gewissen Einfluss auf die Preise seiner Produkte hat, nicht aber die vollständige Kontrolle über sie. Zusätzlich hängt das Ausmaß der Preiskontrolle vom jeweiligen Wirtschaftszweig ab. In manchen Branchen mit unvollständigem Wettbewerb erscheint die Macht der Monopole sehr gering. Im Computer-Einzelhandel beispielsweise entscheiden oft schon einige
Kapitel 9
247
Unvollständiger Wettbewerb und Monopol
wenige Prozentpunkte Preisunterschied über den Verkaufserfolg eines Unternehmens. Auf dem Markt für Betriebssysteme verfügt Microsoft hingegen über ein faktisches Monopol und kann dadurch starken Einfluss auf den Preis für seine Windows-Software nehmen. Grafische Darstellung. In Abbildung 9-1 sind die unterschiedlichen Nachfragekurven von im vollständigen und im unvollständigen Wettbewerb stehenden Unternehmen grafisch dargestellt. Abbildung 9-1(a) erinnert uns daran, dass sich ein Unternehmen im vollständigen Wettbewerb einer horizontalen Nachfragekurve gegenüber sieht, was bedeutet, dass es jede gewünschte Menge zum gängigen Marktpreis verkaufen kann. Ein Unternehmen im unvollständigen Wettbewerb hat es hingegen mit einer abwärts geneigten Nachfragekurve zu tun. Wie wir in Abbildung 9-1(b) sehen, drückt ein Unternehmen im unvollständigen Wettbewerb den Marktpreis für sein Produkt, wenn es seinen Umsatz
ausweitet, weil es zu einer Abwärtsbewegung auf seiner Nachfragekurve dd kommt. Wir können den Unterschied zwischen vollständigem und unvollständigem Wettbewerb auch anhand der Preiselastizität feststellen. Die Nachfrage bei einem Unternehmen im vollständigen Wettbewerb ist vollkommen elastisch. Bei einem Unternehmen im unvollständigen Wettbewerb ist die Elastizität begrenzt. Misst man genau nach, so zeigt sich, dass die Preiselastizität in Punkt B von Abbildung 9-1(b) bei etwa 2 liegt.
Formen unvollständigen Wettbewerbs Eine reife industrielle Wirtschaft wie jene in den Vereinigten Staaten muss man sich wie einen Dschungel voller unterschiedlicher Formen der Spezies unvollständiger Wettbewerbsteilnehmer vorstellen. Die Dynamik der PC-Branche, hervorgerufen durch rapide (b) Nachfragekurve eines Unternehmens im unvollständigen Wettbewerb
(a) Nachfragekurve eines Unternehmens unter Bedingungen des vollständigen Wettbewerbs
P
d
0
Preis (US-$ pro Einheit)
Preis (US-$ pro Einheit)
P
d
q Produktionsmenge des Unternehmens
d′
d
B
d d′ 0
q
Produktionsmenge des Unternehmens
Abbildung 9-1: Der Lackmustest für unvollständige Wettbewerbsbedingungen ist die abwärts geneigte Nachfragekurve des Unternehmens (a) Das Unternehmen im vollständigen Wettbewerb kann entlang seiner horizontalen dd-Kurve jede beliebige Menge verkaufen, ohne den Marktpreis zu drücken. (b) Das Unternehmen im unvollständigen Wettbewerb muss hingegen feststellen, dass seine Nachfragekurve abwärts gerichtet ist, wenn höhere Preise den Umsatz senken. Und sofern es sich bei einem solchen Unternehmen nicht um einen geschützten Monopolisten handelt, wird eine Preissenkung bei der Konkurrenz die eigene Nachfragekurve merklich nach links (nach d'd') verschieben.
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
technologische Fortschritte bei Computern, unterscheidet sich deutlich von den Wettbewerbsmustern der weniger lebendigen Bestattungsbranche. Trotzdem kann man einiges über einen Wirtschaftszweig erfahren, indem man genau auf die Marktstruktur achtet, insbesondere auf Anzahl und Größe der Anbieter und darauf, welchen Prozentsatz dieses Marktes der größte Anbieter kontrolliert. Ökonomen teilen unvollständige Wettbewerbsmärkte nach der jeweiligen Marktstruktur in drei unterschiedliche Kategorien ein.
Teil 2
Aber selbst Monopolisten müssen sich dann und wann dem Wettbewerb stellen. Manch ein Pharmaunternehmen stellt fest, dass ein Konkurrent ein ganz ähnliches Medikament auf den Markt gebracht hat; Handys machen dem traditionellen Telefon Konkurrenz, und Bill Gates muss stündlich damit rechnen, dass hinter dem nächsten Busch eine kleine Firma hervorspringt, die nur darauf wartet, Microsoft aus dem bequemen Monopolsattel zu werfen. Langfristig ist kein Monopol vor den Angriffen von Mitbewerbern gefeit.
Monopol Wie unvollständig kann der unvollständige Wettbewerb eigentlich werden? Den Extremfall stellt das Monopol dar: ein einzelner Anbieter, der die uneingeschränkte Kontrolle über eine Branche innehat. (Er wird „Monopolist“ genannt, ein Wort, das sich vom griechischen mono „eins“ und polist „Verkäufer“ ableitet.) Er ist der einzige Produzent in seiner Branche, und es gibt keinen verwandten Wirtschaftszweig, der ein vergleichbares Substitutionsgut erzeugen würde. Echte Monopolisten sind heute kaum mehr zu finden. Im typischen Fall verdanken sie ihre Existenz dem Schutz des Staates. So erhält beispielsweise ein Pharmaunternehmen, das ein neues Wundermedikament entdeckt, ein Patent, das es für einige Jahre zum alleinigen Anbieter dieses Medikaments macht. Ein weiteres wichtiges Beispiel für Monopole sind lokale Versorgungsbetriebe, wie zum Beispiel das Unternehmen, das Ihren Haushalt mit Wasser versorgt. Hier haben wir es tatsächlich mit einem einzigen Anbieter einer Dienstleistung zu tun, für die keine entsprechenden Substitutionsleistungen zur Verfügung stehen. Eines der wenigen Beispiele eines Monopols ohne staatlichen Schutz ist Microsoft Windows, dem es gelungen ist, seine Monopolstellung durch den Aufbau von Netzwerken sowie durch raue (und bisweilen illegale) Taktiken gegen seine Konkurrenten zu behaupten.
Oligopol Der Terminus Oligopol bedeutet „wenige Anbieter“. In diesem Zusammenhang kann „wenige“ eine Zahl zwischen zwei und etwa zehn bis 15 Unternehmen bedeuten. Ein Oligopol ist dadurch gekennzeichnet, dass jedes einzelne Unternehmen Einfluss auf den Marktpreis nehmen kann. In der Luftfahrt kann die Entscheidung einer einzigen Fluglinie, ihre Ticketpreise zu senken, einen Preiskrieg auslösen, der auch zu einer Senkung der Flugpreise aller Konkurrenten führt. Oligopolistische Wirtschaftszweige sind in der amerikanischen Wirtschaft häufig anzutreffen, vor allem in den Bereichen Produktion, Transport und Kommunikation. So gibt es beispielsweise nur einige wenige Autohersteller, obwohl diese zahlreiche verschiedene Modelle verkaufen. Dasselbe gilt für den Haushaltsgerätemarkt: Die Läden sind voll von zahlreichen verschiedenen Kühlschrankund Geschirrspülermodellen, die jedoch von einigen wenigen Herstellern produziert werden. Es mag Sie überraschen zu hören, dass auch die Branche der Frühstücksflocken-Produzenten ein Oligopol darstellt, obwohl man doch meinen könnte, dass eine Unzahl verschiedener Frühstücksflocken auf dem Markt angeboten wird.
Kapitel 9
Unvollständiger Wettbewerb und Monopol
Monopolistischer Wettbewerb Im Fall dieser letzten Kategorie unvollständigen Wettbewerbs, zumeist als monopolistischer Wettbewerb bezeichnet, produziert eine Vielzahl an Herstellern eine große Zahl an differenzierten Produkten. Diese Marktstruktur hat viele Züge des vollständigen Wettbewerbs, weil zahlreiche Anbieter auftreten, von denen keiner einen größeren Marktanteil besitzt. Sie unterscheidet sich allerdings auch vom vollständigen Wettbewerb, weil die von den verschiedenen Unternehmen angebotenen Produkte nicht identisch sind. Differenzierte Produkte sind solche, deren Hauptmerkmale variieren. PCs unterscheiden sich zum Beispiel in Bezug auf Geschwindigkeit, Speicher, Festplatte, Modem, Größe oder Gewicht. Da Computer differenziert sind, können sie zu leicht unterschiedlichen Preisen verkauft werden. Der klassische Fall eines monopolistischen Wettbewerbs ist das Tankstellen-Vertriebssystem. Vielleicht fahren Sie ja immer wieder zu Ihrer lokalen Shell-Tankstelle, obwohl diese ein wenig teurer ist, einfach weil sie auf Ihrem Weg zur Arbeit liegt. Sollte jedoch der Preis bei Shell so anziehen, dass er um mehr als ein paar Cent über dem des Konkurrenten Merit liegt, werden Sie schließlich doch zu Merit wechseln, auch wenn das einen kleinen Umweg bedeutet. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig der Standort bei der Produktdifferenzierung ist. Es dauert seine Zeit, zur Bank oder in den Supermarkt zu gehen, und der Zeitaufwand für die Erreichung der einzelnen Geschäfte beeinflusst unsere Kaufentscheidungen. Der Gesamtpreis eines Gutes beinhaltet nicht nur seinen Geldpreis, sondern auch die Opportunitätskosten von Suche, Fahrtzeit und anderen nicht in Geldeinheiten ausdrückbaren Kosten. Da die Gesamtpreise lokaler Güter niedriger sind als die Preise von Gütern entlegener Orte, kaufen die Leute normalerweise in der Nähe ihres Wohn- oder Arbeitsortes. Diese Überlegung erklärt auch, warum große Einkaufszentren so beliebt sind: Hier finden die Konsumenten eine breite Palette von
249
Gütern und sparen gleichzeitig Einkaufszeit. Einkaufen im Internet erfreut sich zunehmender Beliebtheit, denn der Zeitaufwand für den Online-Kauf kann selbst unter Berücksichtigung der Versandkosten sehr niedrig sein, vergleicht man ihn mit dem Zeitaufwand dafür, sich ins Auto zu setzen oder zu Fuß zum nächsten Laden zu gehen. Die Produktqualität ist heute ein zunehmend wichtiger Bestandteil der Produktdifferenzierung. Die Güter unterscheiden sich in ihren Merkmalen und in ihren Preisen. Heute läuft auf den meisten PCs dieselbe Software, und auf dem Markt gibt es zahlreiche Anbieter. Trotzdem herrscht in der PCBranche ein monopolistischer Wettbewerb, weil sich die Computer bezüglich Rechengeschwindigkeit, Größe, Speicher, Reparaturservice und Ergänzungen wie CDs, DVDs, Internetverbindungen und Soundsystemen unterscheiden. Es gibt eine ganze Menge im monopolistischen Wettbewerb stehende Computermagazine, die ihre Aufgabe darin sehen, die Unterschiede zwischen den Computern herauszuarbeiten, die von im monopolistischen Wettbewerb stehenden Herstellern produziert werden! Wettbewerb und Konkurrenz Beim Studium von Oligopolen ist es wichtig zu erkennen, dass ein unvollständiger Wettbewerb nicht dasselbe ist wie die Abwesenheit von Wettbewerb. Wirklich harte Konkurrenz findet man gerade auf Märkten, auf denen es nur wenige konkurrierende Unternehmen gibt. Betrachten Sie doch etwa den mörderischen Konkurrenzkampf zwischen den Fluglinien, wo häufig nur zwei oder drei Linien eine bestimmte Destination anfliegen, die sich aber trotzdem in regelmäßigen Abständen einen erbitterten Preiskrieg liefern. Wie können wir die Rivalität von Oligopolisten vom vollständigen Wettbewerb unterscheiden? Konkurrenz umfasst ein breites Spektrum an Verhaltensweisen zur Erhöhung von Gewinnen und Marktanteilen. Sie umfasst Werbung, um die Nachfrage-
250
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
kurve nach außen zu verschieben, Preissenkungen, um das Geschäft anzukurbeln, und Studien zur Verbesserung der Produktqualität oder zur Entwicklung neuer Produkte. Der vollkommene Wettbewerb sagt nichts über Konkurrenz aus, sondern bedeutet nur, dass kein einzelnes Unternehmen der Branche den Marktpreis beeinflussen kann. Tabelle 9-1 zeichnet ein Bild der verschiedenen möglichen Kategorien unvollständigen und vollständigen Wettbewerbs. Sie stellt eine wichtige Zusammenfassung der unterschiedlichen Marktstrukturen dar, und es empfiehlt sich, sie gründlich zu studieren.
Teil 2
Ursachen für die Unvollkommenheiten des Marktes Warum stellen wir in bestimmten Wirtschaftszweigen einen nahezu vollständigen Wettbewerb fest, während andere Branchen von einer Handvoll Unternehmen kontrolliert werden? Die meisten Fälle unvollständigen Wettbewerbs lassen sich auf zwei wesentliche Gründe zurückführen. Erstens gibt es in einem Wirtschaftszweig tendenziell weniger Anbieter, wenn Skaleneffekte und eine damit einhergehende Kostensenkung in der
Verschiedenartige Marktstrukturen Struktur Anzahl der Produ- Teil der WirtAusmaß der zenten und Ausschaft, in dem Preiskontrolle maß der Produkt- die entsprechende durch das differenzierung Struktur Unternehmen vorherrscht Vollständiger Viele Produzenten, Finanzmärkte und Nicht gegeben Wettbewerb identische landwirtschaftProdukte liche Produkte Unvollständiger Wettbewerb MonopolisViele Produzenten; Einzelhandel tischer viele echte oder (Pizza, Bier, …), Wettbewerb empfundene Un- PCs terschiede zwischen Produkten Oligopol Wenige Produzen- Stahl, Chemikalien Gering ten, geringer oder kein Unterschied zwischen Produkten Wenige Produzen- Autos, Textverten, eine gewisse arbeitungsProduktdifferensoftware zierung Monopol Ein einziger Produ- Lizenzmonopole Beträchtlich zent; Produkt (Strom, Wasser); ohne nahe Substi- Microsoft Wintutionsgüter dows; patentierte Arzneimittel
Vermarktungsstrategien
Marktaustausch oder Auktion
Werbung und Wettbewerb über die Qualität; Preisfestsetzung
Werbung
Tabelle 9-1: Verschiedenartige Marktstrukturen In den meisten Branchen herrscht unvollkommener Wettbewerb. Hier finden Sie die wichtigsten Kennzeichen der verschiedenen Marktstrukturen.
Kapitel 9
Produktion eine besondere Bedeutung haben. Unter diesen Bedingungen können große Unternehmen einfach billiger produzieren und damit die Kleinen unterbieten, die das häufig nicht überleben. Zweitens tendieren Märkte zum unvollständigen Wettbewerb, wenn neue Mitbewerber „Zutrittsbarrieren“ überwinden müssen. Eine so genannte „Marktzutrittsbarriere“ kann durch gesetzliche Vorschriften oder durch Reglementierung geschaffen werden, wodurch die Zahl der Bewerber begrenzt wird. In anderen Fällen mag es wirtschaftliche Faktoren geben, die es für neue Mitbewerber teuer machen, auf einem Markt
Branche Bierbrauereien
Zigaretten Glasflaschen
Zement Kühlschränke Erdöl
251
Unvollständiger Wettbewerb und Monopol
Fuß zu fassen. Wir werden beide Ursachen des unvollständigen Wettbewerbs aber noch näher untersuchen.
Kosten und Marktunvollkommenheit Technologie und Kostenstruktur eines Wirtschaftszweiges können die Feststellung erleichtern, wie viele Unternehmen in dieser Branche ein Auskommen finden und wie groß sie sein werden. Die entscheidende Frage lautet, welche Bedeutung Skaleneffekte in einem bestimmten Wirtschaftszweig haben. Kommen Skaleneffekte zum Tragen, kann ein Unternehmen seine Durchschnittskosten
(1)
(2)
(3)
Anteil an der Gesamtproduktion (USA), den ein Unternehmen braucht, um von Skalenerträgen profitieren zu können (%) 10–14
Tatsächlicher DurchschnittsMarktanteil der größten drei Unternehmen der Branche (%)
Hauptgründe für Großbetriebe
13
6–12
23
4–6
22
2
7
14–20
21
4–6
8
Notwendigkeit, ein nationales Markenimage aufzubauen und die Investitionen zu koordinieren Werbung und Imagedifferenzierung Notwendigkeit zentral organisierter Planungs- und Produktionsstrukturen Notwendigkeit der Risikostreuung und Kapitalaufbringung Markterfordernisse und Länge der Produktionsdurchgänge Risikostreuung bei Rohölgeschäften und Koordinierung von Investitionen
Tabelle 9-2: Der Branchenwettbewerb hängt von den Kostenstrukturen ab In dieser Studie wurden die Auswirkungen der Kostenstrukturen auf die Konzentrationsmuster untersucht. Spalte (1) zeigt den geschätzten Punkt, an dem die Kurve der langfristigen Durchschnittskosten anzusteigen beginnt, und zwar als Anteil am gesamten Branchenoutput. Vergleichen Sie diesen Wert mit dem durchschnittlichen Marktanteil jeder der drei größten Firmen in Spalte (2). Quelle: F. M. Scherer und David Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 3. Aufl. (Houghton Mifflin, Boston, 1990).
252
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
durch Anheben der Produktionsmenge zumindest in einem gewissen Ausmaß senken. Das bedeutet, dass größere Unternehmen gegenüber kleinen Mitkonkurrenten einen Kostenvorteil haben. Wenn Skaleneffekte eine wichtige Rolle spielen, werden ein oder mehrere Unternehmen ihre Produktion bis auf ein Niveau erhöhen, bei dem sie schließlich den Großteil der Gesamtproduktionsmenge herstellen. Vielleicht dominiert dann ein einziger Anbieter die gesamte Branche. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass wenige große Anbieter den Hauptteil des Outputs kontrollieren oder dass viele Unternehmen mit jeweils geringfügig verschiedenen Produkten den Ton angeben. Doch unabhängig davon, wie sich die Branchenstruktur auf Grund von Skaleneffekten darstellt, werden wir in jedem Fall eine Art des unvollständigen Wettbewerbs anstelle einer atomistischen Konkurrenz im vollständigen Wettbewerb der Preisnehmer und Mengenanpasser vorfinden.
Teil 2
Viele Branchen verzeichnen zunehmende Skaleneffekte. Zahlreiche, durchaus gründliche ökonometrische und technische Studien bestätigen die Annahme, dass viele Wirtschaftszweige mit Ausnahme der Landwirtschaft langfristig sinkende Durchschnittskosten aufweisen. So zeigt beispielsweise Tabelle 9-2 die Ergebnisse einer Studie über sechs amerikanische Wirtschaftszweige. Diese lässt den Schluss zu, dass in vielen Wirtschaftszweigen jener Punkt, an dem die geringsten Durchschnittskosten erzielt werden können, bei einem beträchtlichen Anteil an der Produktionsleistung des gesamten Wirtschaftszweiges – bei 10, 20 oder sogar 50 Prozent – liegt. Diese Wirtschaftszweige sind zumeist oligopolistisch organisiert, das heißt, dass in ihnen nur wenige große Produzenten agieren. Um genauer zu verstehen, welchen Einfluss die Produktionskosten auf die Marktstruktur haben können, betrachten wir einen Fall, der sich positiv auf den vollständigen
(c) Vollständiger Wettbewerb
(b) Oligopol
P
P
(a) Natürliches Monopol P
D
D
D MC
AC AC, MC, P
AC, MC, P
AC, MC, P
AC
MC
D
AC MC D
D
0
2 1
3
4
10.000
Q 12.000
0
200 100
300
Q
0
100
200
300
Q
Abbildung 9-2: Die Marktstruktur hängt von den jeweiligen Kosten- und Nachfragefaktoren ab Kosten- und Nachfrageverhältnisse wirken sich auf die Marktstrukturen aus. Unter vollständigen Wettbewerbsbedingungen (a) ist die Branchen-Gesamtnachfrage DD im Vergleich zur effizienten Größe eines einzelnen Anbieters so groß, dass der Markt die Koexistenz zahlreicher Unternehmen unter vollständigen Wettbewerbsbedingungen zulässt. In (b) steigen die Kosten bei einer im Verhältnis zur Branchen-Gesamtnachfrage DD höheren Produktionsmenge an. Die Koexistenz zahlreicher Wettbewerber ist hier unmöglich, und es wird sich ein Oligopol bilden. Wenn die Kosten schnell und unbeschränkt fallen, wie im Fall des natürlichen Monopols von (c), kann ein Unternehmen expandieren und ein Branchenmonopol erlangen.
Kapitel 9
Unvollständiger Wettbewerb und Monopol
Wettbewerb auswirkt. Abbildung 9-2(a) zeigt einen Wirtschaftszweig, bei dem das Durchschnittskostenminimum schon bei einer relativ geringen Produktionsmenge erreicht wird. Jedes Unternehmen, das seine Produktionsmenge darüber hinaus erhöhen möchte, sieht sich mit rapide steigenden Produktionskosten konfrontiert. Deshalb verträgt dieser Wirtschaftszweig eine große Zahl an effizient operierenden Unternehmen, was ja eine Voraussetzung für den vollständigen Wettbewerb darstellt. Abbildung 9-2(a) zeigt die Kostenkurven in der im vollkommenen Wettbewerb stehenden Landwirtschaftsbranche. Studieren wir nun Abbildung 9-2(b), die einen Wirtschaftszweig zeigt, in dem die Unternehmen bis zu einem gewissen Punkt von den Skaleneffekten profitieren, oberhalb dessen allerdings durch Steigerung der Produktionsmenge keine Vorteile mehr erzielt werden können, weil ab diesem Punkt die Durchschnittskosten zu steigen beginnen. Trotzdem verläuft die AC-Kurve relativ flach und steigt nicht schnell genug an, um einen Zusammenbruch des vollständigen Wettbewerbs zu verhindern; das bedeutet, dass die beschränkte Nachfragekurve der Branche nur einer relativ geringen Zahl von Unternehmen eine gemeinsame Existenzgrundlage am Punkt der Mindestdurchschnittskosten ermöglicht. Eine solche Kostenstruktur führt zu einem Oligopol. Zahlreiche Wirtschaftszweige in den USA – darunter Stahl, Autos, Zement und Öl – weisen eine Nachfrage- und Kostenstruktur auf, die jener in Abbildung 9-2(b) weitgehend gleicht. Ein letzter wichtiger Fall ist das natürliche Monopol. Ein natürliches Monopol ist ein Markt, in dem der Branchenoutput nur von einem einzigen Unternehmen auf effiziente Weise produziert werden kann. Dieser Fall tritt ein, wenn die Technologie über eine breite Produktionspalette hinweg, die so groß ist wie die gesamte Nachfrage, Skalenvorteile bietet. Abbildung 9-2(c) zeigt die Kostenkurven eines natürlichen Monopolisten. Die Technologie zeichnet sich durch ständig zunehmende Skaleneffekte aus, wes-
253
halb die Durchschnitts- und Grenzkosten laufend sinken. Bei steigender Produktionsmenge kann das Unternehmen seine Preise immer weiter senken und trotzdem Gewinne verzeichnen, weil die durchschnittlichen Produktionskosten immer weiter fallen. Die friedliche Koexistenz Tausender Mitbewerber auf einem vollkommenen Markt ist deshalb unmöglich, weil ein großes Unternehmen deutlich effizienter wirtschaftet als kleine Unternehmen. Einige wichtige Beispiele natürlicher Monopole sind die lokalen Telefon-, Strom-, Gasund Wasserversorger sowie Anbieter von Langstreckenverbindungen wie Eisenbahnen, Straßen und Stromübertragung. Viele der wichtigsten natürlichen Monopole sind „Netzwerkbranchen“ (siehe Kapitel 6). Technische Fortschritte können die natürlichen Monopole jedoch unterminieren. Der Großteil der US-Bevölkerung wird heute von zwei Mobiltelefonnetzen versorgt, die anstelle von Kabeln Funkwellen verwenden und die Nachfrage nach terrestrischen Telefondiensten abbröckeln lassen. Ähnliche Trends sind auf anderen Märkten wie Kabelfernsehen zu beobachten, da diese natürlichen Monopole von Konkurrenten unterwandert werden, die sie in heiß umkämpfte Oligopole verwandeln.
Marktzutrittsbarrieren Obwohl unterschiedliche Produktionskosten der wichtigste Bestimmungsfaktor von Marktstrukturen sind, verhindern auch Marktzutrittsbarrieren den effektiven Wettbewerb. Marktzutrittsbarrieren sind Faktoren, die es neuen Unternehmen schwer machen, in einem Wirtschaftszweig Fuß zu fassen. Ist die Schwelle hoch, gibt es wahrscheinlich nur einige wenige Unternehmen und einen beschränkten Konkurrenzdruck. Skaleneffekte sind häufige Marktzutrittsbarrieren, aber es gibt auch noch weitere Faktoren wie beispielsweise gesetzliche Beschränkungen, hohe Zutrittskosten, Werbung und Produktdifferenzierung.
254
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Gesetzliche Beschränkungen. Bisweilen schränkt der Staat den Wettbewerb in bestimmten Wirtschaftszweigen ein. Zu den wichtigen gesetzlichen Beschränkungen gehören Patente, beschränkte Zulassung sowie Außenhandelszölle und Mengenbeschränkungen. Ein Patent wird einem Erfinder gewährt, um eine zeitlich begrenzte exklusive Nutzung (oder ein Monopol) des patentierten Produktes oder Verfahrens zu gestatten. So erhalten Pharmaunternehmen oft wertvolle Patente für neue Arzneimittel, in die sie Hunderte von Millionen US-Dollar an Forschungs- und Entwicklungsgeldern investiert haben. Patente sind eine der wenigen Formen staatlich anerkannter Monopole, die von Ökonomen normalerweise befürwortet werden. Die Staaten gewähren Patentmonopole, um Forschung und Entwicklung zu fördern. Ohne die Aussicht auf einen Monopolpatentschutz würden sich Unternehmen oder Erfinder kaum bereit finden, Zeit und Ressourcen in Neuentwicklungen zu investieren. Der vorübergehend hohe Monopolpreis und die daraus resultierende Ineffizienz ist der Preis, den die Gesellschaft für die Erfindung bezahlt. Die Staaten verhängen auch Marktzutrittsbeschränkungen in vielen Wirtschaftszweigen. Im typischen Fall wird bestimmten Versorgungsbetrieben wie Telefon-, Strom- und Wassergesellschaften ein Lizenz-Monopol für ein bestimmtes Gebiet gewährt. Damit erhält das Unternehmen das Exklusivrecht, eine bestimmte Dienstleistung zu erbringen, und willigt im Gegenzug ein, seine Gewinne zu beschränken und allen Kunden in der Region seine Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, auch wenn einige Kunden unprofitabel sein sollten. Historiker, die sich mit Zöllen beschäftigen, haben den Ausspruch geprägt: „Der Zoll ist die Mutter des Kartells.“ (Zur Analyse dieses Themas siehe Frage 10 am Ende dieses Kapitels.) Schließlich kann der Staat auch Importbeschränkungen verhängen, mit der Wirkung, dass ausländische Mitbewerber vom Markt ferngehalten werden. Es ist durchaus möglich, dass der Markt eines einzi-
Teil 2
gen Landes für ein Produkt so klein ist, dass er nur zwei oder drei Unternehmen einer bestimmten Branche verträgt, während der Weltmarkt groß genug ist, um eine sehr große Anzahl von Unternehmen aufnehmen zu können. Schließlich könnte eine protektionistische Politik die Branchenstruktur aus Abbildung 9-2(a) hin zu (b) oder sogar (c) verändern. Wenn die Märkte durch die Abschaffung von Zöllen in einer großen Freihandelszone ausgeweitet werden, wird ein lebendiger und effektiver Wettbewerb gefördert, und die Monopole verlieren so ihre Macht. Eines der eindrucksvollsten Beispiele eines verstärkten Wettbewerbs lässt sich derzeit anhand der Europäischen Union studieren, die während der letzten drei Jahrzehnte konsequent die Zölle zwischen den Mitgliedsstaaten abgebaut und so von den größeren Märkten für die Unternehmen ebenso wie von einer geringeren Branchenkonzentration profitiert hat. Hohe Zutrittskosten. Zusätzlich zu den gesetzlich auferlegten Marktzutrittsbarrieren gibt es auch ökonomische Barrieren. In einigen Wirtschaftszweigen kann einfach der Eintrittspreis sehr hoch sein. Nehmen wir die Flugzeugindustrie als Beispiel. Die hohen Kosten für Planung, Entwicklung und Tests neuer Flugzeuge wirkt auf potenzielle Neulinge abschreckend. Es ist abzusehen, dass nur zwei Unternehmen – Boeing und Airbus – in der Lage sein werden, die US-$ 10–15 Milliarden zu investieren, die zur Entwicklung der nächsten Flugzeuggeneration erforderlich sind. Zusätzlich profitieren die arrivierten Unternehmen von immateriellen Investitionen, und gerade diese können für potenzielle Neulinge in der Branche sehr teuer werden. Denken Sie an die Software-Industrie. Sobald ein Spreadsheetprogramm (wie Excel) oder ein Textverarbeitungsprogramm (wie Microsoft Word) auf breite Akzeptanz gestoßen ist, wird es für potenzielle Neueinsteiger schwierig, auf diesem Markt Fuß zu fassen. Benutzer, die den Umgang mit einem Pro-
Kapitel 9
255
Unvollständiger Wettbewerb und Monopol
gramm erlernt haben, zögern zumeist, auf ein anderes umzusteigen. Um daher die Computerbenutzer dazu zu bringen, ein neues Programm auszuprobieren, muss jedes neue Unternehmen auf diesem Markt eine enorm aufwändige Werbekampagne starten, die teuer ist und deren Ziel, nämlich zu einer Rentabilität des beworbenen Produktes beizutragen, nicht notwendigerweise erreicht wird. (Erinnern Sie sich an unsere Diskussion über Netzwerkeffekte in Kapitel 6.) Werbung und Produktdifferenzierung. Manchmal gelingt es einzelnen Unternehmen, mit Hilfe von Werbung und Produktdifferenzierung Marktzutrittsbarrieren gegen potenzielle Konkurrenten zu errichten. Werbung kann die Bekanntheit eines Produktes sehr fördern und stärkt die Loyalität zu bekannten Marken. So geben beispielsweise Coca-Cola und Pepsi zusammen Hunderte von Millionen US-Dollar jährlich für die Bewerbung der jeweiligen Marke aus, was den Marktzutritt für mögliche Rivalen auf dem Cola-Getränkemarkt außerordentlich teuer macht. Zusätzlich kann auch die Produktdifferenzierung eine Marktzutrittsbarriere errichten und die Macht der Produzenten auf ihrem Markt stärken. In vielen Branchen, wie bei Frühstücksflocken, Autos, Haushaltsgeräten und Zigaretten, ist es üblich, dass eine geringe Anzahl von Herstellern eine riesige Palette an verschiedenen Marken, Modellen und Produkten auf den Markt bringt. Teilweise soll die Verschiedenartigkeit der Produkte eine möglichst breite Kundenschicht ansprechen. Doch die enorme Anzahl differenzierter Produkte dient auch dazu, potenzielle Mitbewerber abzuhalten. Die Nachfrage nach jedem der individuell differenzierten Produkte ist so gering, dass es dadurch nur wenigen Unternehmen möglich ist, am tiefsten Punkt ihrer U-förmigen Kostenkurve zu operieren. In der Folge verschiebt sich die DD-Kurve des vollständigen Wettbewerbs in Abbildung 9-2(a) so weit nach links, dass sie schließlich genauso aussieht wie die Nachfragekurven des Monopols und des Oligopols,
die in Abbildung 9-2(b) und (c) dargestellt sind. So führt also die Differenzierung ebenso wie die Zölle zu einer vermehrten Konzentration und einem zunehmend unvollständigen Wettbewerb. Was ist der Wert einer Marke? In einer Welt der differenzierten Produkte verdienen manche Unternehmen aufgrund des Werts ihrer Marken viel Geld. Von Markenwert spricht man, wenn ein Unternehmen ein Produkt besitzt, das als besser, zuverlässiger oder geschmackvoller gilt als andere Marken- oder Nichtmarkenprodukte. Laut Schätzungen des Magazins Business Week waren 2003 folgende Marken am wertvollsten:1 Rang
Marke
Markenwert 2003 (Mrd. US-$)
1
Coca-Cola
70,5
2
Microsoft
65,2
3
IBM
51,8
4
GE
42,3
5
Intel
31,1
6
Nokia
29,4
7
Disney
28,0
8
McDonald’s
24,7
9
Marlboro
22,2
10
Mercedes
21,4
Das bedeutet im Fall von Coca-Cola, dass der Marktwert des Unternehmens um US-$ 70 Milliarden höher lag, als dies durch seine Anlagen, seine Ausrüstung und andere Vermögensgegenstände gerechtfertigt erscheint. Wie stellen Unternehmen den Markenwert fest, und wie wird er aufrecht erhalten? Erstens verfügen sie meistens über ein innovatives Produkt, wie zum Beispiel einen neuen Drink oder ein Betriebssystem, eine nette Cartoon-Figur oder ein hochwertiges Auto. Zweitens erhalten sie ihren Markenwert durch inten-
1 Business Week, 4. August 2003, im Internet verfügbar unter bwnt.businessweek.com/brand/2003/index.asp
256
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
sive Werbung, wobei ein Produkt wie Marlboro-Zigaretten oft mit einem gut aussehenden Darsteller in einer romantischen Umgebung in Verbindung gebracht wird. Drittens schützen sie ihre Marken mithilfe von geistigen Eigentumsrechten wie Patenten und Urheberrechten. In gewissem Sinn ist der Markenwert das, was von früheren Innovationen übrig bleibt.
Gesamt- und Grenzerlös (1)
0
(3)
200
(4) Grenzerlös MR (US-$)
0 + 180
180
180 + 140
2
160
320 + 100
3 In diesem Abschnitt werden wir die extremste Form des unvollständigen Wettbewerbs untersuchen, nämlich das Monopol. Unsere Analyse wird die wichtigsten Nachteile des unvollständigen Wettbewerbs beleuchten, die darin bestehen, dass es zu einer Mengeneinschränkung und zu einer Anhebung der Preise kommt. Als einen wesentlichen Teil dieser Analyse wollen wir ein neues Konzept, nämlich den Grenzerlös, einführen, der für Oligopolisten ebenso wie für Unternehmen im vollständigen Wettbewerb von großer Bedeutung ist.
(2)
Menge Preis Gesamtq P = AR = TR/q erlös (US-$) TR = P x q (US-$)
1
B. Grenzerlös und Monopol
Teil 2
140
420 + 60
4
120
480
+ 40 + 20
5
100
500 ––
6
80
480 -60
7
60
–– -100
8
40
320 -140
Das Konzept des Grenzerlöses Preis, Menge und Gesamterlös Nehmen wir an, ein Unternehmen hätte das alleinige Monopol für seinen Wirtschaftszweig. Bei diesem Unternehmen könnte es sich um den glücklichen Eigentümer eines Patentes für ein neues Medikament gegen Krebs handeln oder vielleicht um den Eigentümer des Betriebscodes für ein wertvolles Computerprogramm. Welchen Preis sollte der Monopolist, der seine Gewinne maximieren möchte, für seine Produkte oder Dienstleistungen verlangen, und für welche Produktionsmenge sollte er sich entscheiden?
9
––
180 -180
10
0
0
Tabelle 9-3: Der Grenzerlös leitet sich von der Nachfragefunktion ab Der Gesamterlös (TR) in Spalte (3) ergibt sich durch Multiplikation von P mit q. Um den Grenzerlös (MR) zu ermitteln, erhöhen wir q um eine Einheit und berechnen die Änderung des Gesamterlöses. MR ist niedriger als P, was auf den entgangenen Erlös infolge der Tatsache zurückzuführen ist, dass der Preis für die vorherigen Einheiten gesenkt wurde, um eine weitere Produktionseinheit q verkaufen zu können. Bitte beachten Sie, dass MR positiv ist, solange die Nachfrage elastisch ist. Wenn die Nachfrage aber unelastisch wird, wird MR negativ, obwohl der Preis nach wie vor positiv ist.
Kapitel 9
257
Unvollständiger Wettbewerb und Monopol
Um diese Fragen beantworten zu können, benötigen wir ein neues Konzept – das des Grenzerlöses (MR). Aus der Nachfragekurve eines Unternehmens erkennen wir das Verhältnis zwischen Preis (P) und verkaufter Menge (q). Diese Werte sind in Spalte (1) und (2) von Tabelle 9-3 und als schwarze Nachfragekurve (dd) für den Monopolisten in Abbildung 9-3(a) angegeben.
Nun kalkulieren wir den Gesamterlös bei jeder Produktionsmenge durch Multiplikation von Preis und Menge. Spalte (3) in Tabelle 9-3 zeigt, wie der Gesamterlös (TR) zu berechnen ist, nämlich einfach als P q. Demnach erbringen 0 Einheiten einen TR von 0; 1 Einheit ergibt TR = US-$ 180 1 = US-$ 180; 2 Einheiten ergeben US-$ 160 2 = US-$ 320; und so weiter.
(a) Grenzerlös $/q 200
d AR
(b) Gesamterlös
A
$
100
Ed = 1 b
Grenzerlös
Gesamterlös
500
d AR q 10
B 0
5 Produktion
Ed > 1 a
Ed < 1 c
TR q 0
5 Produktion des Unternehmens
10
des Unternehmens
–100 C MR
Abbildung 9-3: Die Grenzerlöskurve ergibt sich aus der Nachfragekurve (a) Die rostfarbenen Stufen zeigen die Anstiege des Gesamterlöses aus jeder zusätzlichen Produktionseinheit. MR fällt von Anfang an unter P. MR wird mit unelastischer dd negativ. Eine Glättung der ansteigenden MRStufen ergibt die durchgängige, dünne rostfarbene MR-Kurve, die im Falle der geradlinigen dd immer eine doppelt so hohe Steigung wie dd haben wird. (b) Der Gesamterlös weist eine glockenförmige Kurve auf – Anstieg von null, wobei q = 0, bis zu einem Maximum (wo dd eine Elastizität von 1 aufweist), danach neuerlicher Abfall auf null, wobei P = 0. Die Steigung von TR ergibt die geglätteten MR, ebenso wie der in Sprüngen anwachsende TR die ansteigenden MR-Stufen widerspiegelt. Quelle: Tabelle 9-3
258
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
In diesem Beispiel einer geradlinigen oder linearen Nachfragekurve steigt der Gesamterlös zunächst mit der Produktionsmenge, weil die Senkung von P, die notwendig ist, um zusätzliche Mengen q verkaufen zu können, in diesem oberen, elastischen Bereich der Nachfragekurve gering ausfällt. Doch am Mittelpunkt der geradlinigen Nachfragekurveerreicht der TR seinen Höchstwert. Dies tritt bei q = 5, P = 100 ein, wobei TR = US-$ 500. Eine weitere Erhöhung von q über diesen Punkt hinaus führt dazu, dass das Unternehmen den unelastischen Nachfragebereich erreicht. Bei unelastischer Nachfrage führt eine Preissenkung nicht mehr zu einer proportionalen Umsatzsteigerung, sodass der Gesamterlös sinkt. Abbildung 9-3(b) zeigt, dass der TR eine glockenförmige Kurve bildet, die von null bei einem sehr hohen Preis bis zu einem Maximum von US-$ 500 ansteigt und dann wieder auf null abfällt, wenn sich der Preis dem Nullpunkt nähert. Wie findet man den Preis, bei dem die Erlöse ein Maximum erreichen? In Tabelle 9-3 sehen Sie, dass TR maximiert wird, wenn q = 5 und P = 100. Dies ist jener Punkt, bei dem die Nachfrageelastizität genau 1 beträgt. Beachten Sie bitte, dass der Preis pro Einheit als Durchschnittserlös (AR) bezeichnet werden kann, um ihn vom Gesamterlös zu unterscheiden. Wir erhalten daher P = AR, indem wir TR durch q dividieren (genau so, wie wir zuvor AC durch Division von TC durch q erhalten haben). Überzeugen Sie sich, dass wir, wäre Spalte (3) vor Spalte (2) geschrieben worden, Spalte (2) durch Division hätten errechnen können.
Grenzerlös und Preis Das letzte neue Konzept ist der Grenzerlös. Der Grenzerlös (MR) ist die Erhöhung des Erlöses, die durch eine zusätzlich verkaufte Einheit entsteht. Der MR kann dabei positiv oder negativ sein.
Teil 2
Tabelle 9-3 zeigt den Grenzerlös in Spalte (4). Der MR wird durch Subtraktion des Gesamterlöses aus den angrenzenden Produktionsmengen errechnet. Subtrahieren wir den TR, den wir durch den Verkauf von q Einheiten erhalten, vom TR, den wir durch den Verkauf von q + 1 Einheiten erhalten, so ist die Differenz der Zusatzerlös oder MR. Bei einer Bewegung von q = 0 zu q = 1 erhalten wir somit MR = US-$ 180 – US-$ 0. Der Schritt von q = 1 zu q = 2 führt zu MR = US-$ 320 – US-$ 180 = US-$ 140. MR ist positiv, bis wir q = 5 erreichen. Ab hier wird er negativ. Was bedeutet eigentlich dieser seltsame Begriff des negativen Grenzerlöses? Besagt er vielleicht, dass das Unternehmen die Konsumenten dafür bezahlt, dass sie die Güter überhaupt abnehmen? Nein, keineswegs. Der negative Grenzerlös MR bedeutet, dass das Unternehmen, um weitere Einheiten verkaufen zu können, den Preis für frühere Einheiten so weit senken muss, dass der Gesamterlös abnimmt. Wenn beispielsweise das Unternehmen 5 Einheiten verkauft, erhält es: TR (5 Einheiten) = 5 US-$ 100 = US-$ 500 Nehmen wir nun an, dass das Unternehmen eine weitere Produktionseinheit verkaufen möchte. Da es sich um ein im unvollständigen Wettbewerb stehendes Unternehmen handelt, kann es seinen Umsatz nur erhöhen, indem es den Preis senkt. Um daher 6 Einheiten zu verkaufen, senkt es den Preis von US-$ 100 auf US-$ 80. Es erzielt durch die sechste verkaufte Einheit einen Erlös von US-$ 80, erhält aber nur 5 US-$ 80 für die ersten 5 Einheiten, woraus sich folgende Rechnung ergibt: TR (6 Einheiten) = 5 US-$ 80 + (1 US-$ 80) = US-$ 400 + US-$ 80 = US-$ 480 Der Grenzerlös zwischen 5 und 6 Einheiten beträgt US-$ 480 – US-$ 500 = US-$ –20. Die für die ersten fünf Einheiten erforderliche Preissenkung war so groß, dass sogar nach dem Verkauf einer weiteren, sechsten Ein-
Kapitel 9
259
Unvollständiger Wettbewerb und Monopol
heit der Gesamterlös fallen musste. Und genau das geschieht, wenn der MR negativ ist. Um Ihre Kenntnisse zu testen, füllen Sie bitte die frei gelassenen Stellen in Spalte (2) bis (4) von Tabelle 9-3 aus. Beachten Sie bitte, dass trotz des negativen MR der AR oder Preis nach wie vor positiv ist. Verwechseln Sie den Grenzerlös nicht mit dem Durchschnittserlös oder Preis. Tabelle 9-3 zeigt Ihnen, dass hier ein Unterschied besteht. Außerdem sind in Abbildung 9-3(a) die Nachfragekurve (AR) und die Grenzerlöskurve (MR) eingezeichnet. Wenn Sie Abbildung 9-3(a) genau untersuchen, werden Sie feststellen, dass die dargestellten rostfarbenen Stufen der MR eindeutig unter der schwarzen dd-Kurve des AR liegen. Tatsächlich wird MR negativ, sobald AR den halben Weg bis zum Nullpunkt zurückgelegt hat. Zusammenfassend: Bei abwärtsgerichteter Nachfragekurve gilt: P > MR (= P – geringerer Erlös für alle vorherigen q)
Elastizität und Grenzerlös Welche Beziehung besteht zwischen der Preiselastizität der Nachfrage und dem Grenzerlös? Der Grenzerlös ist positiv, wenn die Nachfrage elastisch ist, null, wenn die Nachfrageelastizität den Wert 1 hat, und negativ, wenn die Nachfrage unelastisch ist. Dieses Ergebnis stellt eigentlich nur eine Variante der Elastizitätsdefinition dar, die wir in Kapitel 4 besprochen haben. Erinnern Sie sich: Die Nachfrage ist elastisch, wenn eine
Preissenkung zu einer Erlössteigerung führt. In einer solchen Situation steigert eine Preissenkung die Nachfrage so sehr, dass der Erlös steigt und der Grenzerlös positiv ist. In Tabelle 9-3 steigt beispielsweise, wenn der Preis im elastischen Bereich von P = US-$ 180 auf P = US-$ 160 fällt, die nachgefragte Menge immerhin so stark, dass sich der Gesamterlös erhöht und der Grenzerlös positiv ausfällt. Was geschieht, wenn die Nachfrageelastizität den Wert 1 annimmt? Eine Preissenkung entspricht dann prozentual genau der damit einhergehenden Outputsteigerung, und der Grenzerlös ist daher null. Können Sie erkennen, warum der Grenzerlös im unelastischen Bereich immer negativ ist? Warum ist der Grenzerlös im Falle der unendlich elastischen Nachfragekurve des Unternehmens im vollständigen Wettbewerb immer positiv? Tabelle 9-4 stellt die wichtigen Elastizitätsverhältnisse dar. Achten Sie darauf, dass Sie sie verstehen und sie anwenden können.
Gewinnmaximierende Bedingungen Wir können nun jenes Gleichgewicht ermitteln, das für den Monopolisten zum Gewinnmaximum führt. Was muss ein Monopolist angesichts einer gegebenen Nachfragekurve tun, um seinen Gesamtgewinn (TP) zu maximieren? Definitionsgemäß entspricht der Gesamtgewinn dem Gesamtertrag abzüglich der gesamten Kosten; in Symbolen: TP = TR – TC = (P q) – TC. Um seinen Gewinn zu maximieren, muss das Unternehmen jenen Gleichgewichtspreis und jene Menge finden, die den größten Gewinn oder die größte Differenz zwischen TR
Wenn Nachfrage: Beziehung zwischen Q und P Wirkung von Q auf TR Elastisch (ED > 1) % Änderung Q > % Änderung P Höhere Q erhöht TR Elastizität von 1 (ED = 1) % Änderung Q = % Änderung P Höhere Q lässt TR unverändert Unelastisch (ED < 1) % Änderung Q < % Änderung P Höhere Q senkt TR
Grenzerlös MR > 0 MR = 0 MR < 0
Tabelle 9-4: Beziehungen zwischen Nachfrageelastizität, Output, Preis, Gesamterlös und Grenzerlös
260
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
und TC ergeben. Daraus leitet sich die wichtige Erkenntnis ab, dass das Gewinnmaximum dann erreicht wird, wenn die Produktionsmenge so groß ist, dass der Grenzerlös des Unternehmens seinen Grenzkosten entspricht. Eine Möglichkeit, die Erfüllung dieser Bedingung für ein Gewinnmaximum festzustellen, besteht darin, eine Kosten- und Erlöstabelle wie Tabelle 9-5 heranzuziehen. Um jene Menge und jenen Preis zu finden, bei denen sich ein maximaler Gewinn erzielen lässt,
Teil 2
muss der Gesamtgewinn in Spalte (5) berechnet werden. Diese Spalte sagt nun aus, dass die optimale Menge, die bei 4 Einheiten liegt, einen Preis von US-$ 120 pro Einheit erfordert. Damit wird ein Gesamterlös von US-$ 480 erzielt, und nach Abzug der Gesamtkosten von US-$ 250 errechnet sich ein Gesamtgewinn von US-$ 230. Ein kurzer Blick genügt, um festzustellen, dass keine andere Preis-Mengen-Kombination zu einem so hohen Gesamtgewinn führt.
Übersicht über die gewinnmaximale Situation eines Unternehmens (1) Menge
(2) Preis
q
P (US-$)
0
200
1 2 3 4* 5 6 7 8
180 160 140 120 100 80 60 40
(3) Gesamterlös TR (US-$) 0 180 320 420 480 500 480 420 320
(4) Gesamtkosten TC (US-$)
(5) Gesamtgewinn TP (US-$)
145
– 145
175 200 220 250 300 370 460 570
(6) Grenzerlös MR (US-$)
(7) Grenzkosten MC (US-$) MR > MC
+180
30
+140
25
+100
20
+60
30
+40
40
+20
50
–20
70
–60
90
–100
110
+5 + 120 + 200 + 230
MR = MC
+ 200 + 110 – 40 MR < MC
– 250
* gewinnmaximales Gleichgewicht
Tabelle 9-5: Die gewinnmaximalen q und P eines Unternehmens liegen dort, wo die Grenzkosten dem Grenzerlös entsprechen Die Gesamt- und die Grenzkosten der Produktion werden nun mit dem Gesamt- und dem Grenzerlös kombiniert. Die Bedingung für das Gewinnmaximum ist erfüllt, wo MR = MC, wobei q* = 4, P* = US-$ 120 und TP-Maximum = US-$ 230 = (US-$ 120 4) – US-$ 250.
Kapitel 9
Unvollständiger Wettbewerb und Monopol
Eine zweite und gleichwertige Möglichkeit, zur selben Lösung zu gelangen, besteht im Vergleich des Grenzerlöses in Spalte (6) mit den Grenzkosten in Spalte (7). Solange jede zusätzliche Outputeinheit mehr Erlös einbringt, als sie kostet – das heißt, solange MR größer ist als MC –, erhöht sich der Gewinn des Unternehmens. Das Unternehmen sollte also die Produktionsmenge so lange steigern, als MR größer ist als MC. Nehmen Sie nun im Gegensatz dazu an, dass bei einer bestimmten Outputmenge MR niedriger ist als MC. Das bedeutet, dass eine Erhöhung des Outputs zu einem geringeren Gewinn führen würde, sodass das gewinnmaximierende Unternehmen gut daran täte, die Produktionsmenge zu drosseln. Der Punkt der höchsten Gewinne liegt natürlich dort, wo der Grenzerlös genau den Grenzkosten entspricht, wie von den Daten in Tabelle 9-5 gezeigt. Die Regel zur Ermittlung des Maximalgewinns lautet daher: Das Gewinnmaximum eines Monopolisten wird bei jenem Preis (P*) und jener Menge (q*) erreicht, bei denen der Grenzerlös genau den Grenzkosten entspricht: MR = MC, bei P* und q* mit dem größtmöglichen Gewinn Die angeführten Beispiele zeigen die Logik hinter der Regel MC = MR zur Gewinnmaximierung auf, aber wie lässt sie sich rein intuitiv ableiten? Werfen wir einen kurzen Blick auf Tabelle 9-5 und nehmen wir an, dass Monopolist q = 2 produziert. An diesem Punkt beträgt sein MR aus der Produktion einer zusätzlichen Einheit US-$ 100, während seine MC US-$ 20 ausmachen. Wenn er daher eine zusätzliche Einheit produziert, erzielt das Unternehmen damit zusätzliche Gewinne von MR – MC = US-$ 100 – US-$ 20 = US-$ 80. Und tatsächlich zeigt uns Spalte (5) in Tabelle 9-5, dass der zusätzliche Gewinn durch die Erhöhung von 2 auf 3 Einheiten genau US-$ 80 beträgt. Wenn daher MR höher als MC liegt, lassen sich durch eine Anhebung der Produktions-
261
menge zusätzliche Gewinne erzielen; wenn dagegen MC größer ist als MR, sind höhere Gewinne nur zu erreichen, indem q gedrosselt wird. Nur bei MR = MC kann das Unternehmen den Gewinn maximieren, da sich an diesem Punkt durch eine Änderung der Produktionsmenge die Gewinne nicht mehr erhöhen lassen.
Das Monopolgleichgewicht im Diagramm Abbildung 9-4 zeigt das Monopolgleichgewicht. Teil (a) kombiniert die Kosten- und Erlöskurve des Unternehmens. Der Punkt des maximalen Gewinns ist bei einer Produktionsmenge erreicht, bei der MC genau MR entspricht; das ist in ihrem Schnittpunkt bei E der Fall. Das Monopolgleichgewicht oder der Punkt des maximalen Gewinns wird bei einer Produktionsmenge von q* = 4 erreicht. Um den gewinnmaximierenden Preis zu ermitteln, gehen wir von E vertikal nach oben zur ddKurve, die wir an Punkt G erreichen, wo P = US-$ 120. Die Tatsache, dass der Durchschnittserlös in G über den Durchschnittskosten in Punkt F liegt, garantiert einen positiven Gewinn. Die tatsächliche Gewinnhöhe ergibt sich durch die rostfarbig schattierte Fläche in Abbildung 9-4(a). Dieselbe Geschichte erzählt uns auch Teil (b) mit Gesamterlös-, Gesamtkosten- und Gesamtgewinnkurve. Die Gesamterlöskurve verläuft glockenförmig; die Gesamtkosten steigen an. Die vertikale Differenz zwischen beiden entspricht dem Gesamtgewinn, der im negativen Bereich beginnt und auch dort endet. Dazwischen ist TP positiv und erreicht seinen Maximalwert bei US-$ 230, wenn q* = 4. Bei der gewinnmaximalen Produktionsmenge verlaufen die schwarzen TR- und TC-Kurven (die in den betreffenden Punkten MR und MC entsprechen) parallel und daher gleich. Würden die jeweiligen Kurven nicht parallel zueinander stehen, sondern auseinander verlaufen (wie bei q = 2), so könnte das Unternehmen zusätzliche Gewinne erwirtschaften, indem es
262
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
(a) Gewinnmaximierung $/q 200
d MC
G 100
AC F E d q
0
2
4
6
8
10
–150 MR
(b) Gesamtkosten, -erlös und -gewinn $ 600
Im Maximalgewinnpunkt verlaufen die Steigungen von TC und TR parallel
TC
Gesamtkosten
400
Gesamterlös $ 230 Im Maximalgewinnpunkt ist die Steigung null und verläuft waagrecht
200
$ 230
0
TR 2
4
6
8
q
10 Gesamtgewinn
– 200 TP
Abbildung 9-4: Das gewinnmaximale Gleichgewicht lässt sich entweder anhand der Gesamt- oder anhand der Grenzkurven zeigen
Teil 2
(a) In E, wo die MC- die MR-Kurve schneidet, liegt die Gleichgewichtsposition des Maximalgewinns. Jede Bewegung weg von E geht mit einem Gewinnrückgang einher. Der Preis liegt auf der Nachfragekurve in Punkt G über E; und da P über AC liegt, ist der Maximalgewinn positiv. (Können Sie erklären, warum das rostfarbig unterlegte Rechteck den Gesamtgewinn misst? Und warum die grau unterlegten Dreiecke beiderseits von E den Rückgang des Gesamtgewinns ausweisen, der sich aus einer Abweichung von MR = MC ergäbe?) (b) Dieses Bild enthält die gleiche Aussage bezüglich der Gewinnmaximierung wie (a), verwendet aber die Gesamtkonzepte anstelle der Grenzkonzepte. Die TR-Kurve zeigt den Gesamterlös, während die TC-Kurve die Gesamtkosten darstellt. (Warum nimmt TR bei q = 0 und bei q = 10 den Wert 0 an?) Der Gesamtgewinn (TP) entspricht TR – TC oder geometrisch betrachtet der vertikalen Distanz von TC nach TR. Am Punkt des maximalen Gewinns ist die Differenz zwischen der Gesamterlös- und der Gesamtkostenkurve am größten. Die Steigung jeder Kurve entspricht ihrem Grenzwert (beispielsweise entspricht die Steigung von TR dem MR). Am Gewinnmaximum verlaufen TR und TC parallel und weisen daher eine identische Steigung MR = MC auf.
q erhöht. Bei q* = 4 sind Grenzkosten und Grenzerlös ausgeglichen. An diesem Punkt erreicht der Gesamtgewinn (TP) seinen Maximalwert, weil eine zusätzliche Kosteneinheit genau einer zusätzlichen Erlöseinheit entspricht. Ein Monopolist maximiert seine Gewinne, indem er die Produktionsmenge in einer Höhe festlegt, bei der MC = MR. Da der Monopolist eine abwärts gerichtete Nachfragekurve hat, bedeutet das, dass P > MR. Da der Preis für den gewinnmaximierenden Monopolisten über den Grenzkosten liegt, drosselt der Monopolist die Produktion unter jenes Niveau, das bei vollständigem Wettbewerb zu erwarten wäre.
Kapitel 9
Unvollständiger Wettbewerb und Monopol
263
Vollständiger Wettbewerb als Grenzfall des unvollständigen Wettbewerbs
Sonderfall P = MC, die wir im letzten Kapitel für ein im vollständigen Wettbewerb stehendes Unternehmen abgeleitet haben.
Obwohl wir die MR- und MC-Regel nur auf Monopolisten angewendet haben, die ihre Gewinne maximieren möchten, lässt sich diese Regel weit über die vorliegende Analyse hinaus anwenden. Wenn wir ein wenig nachdenken, erkennen wir leicht, dass die Regel MC = MR ebenso für ein gewinnmaximierendes Unternehmen im vollständigen Wettbewerb gilt. Wir gehen dazu in zwei Schritten vor:
Da ein Unternehmen im vollständigen Wettbewerb jede beliebige Menge zum Marktpreis verkaufen kann, gilt am Punkt des maximalen Gewinns: MR = P = MC.
1. MR für ein Unternehmen im vollständigen Wettbewerb. Die erste Frage lautet: Wie sieht der MR für ein Unternehmen im vollständigen Wettbewerb aus? Im vollständigen Wettbewerb drückt der Verkauf zusätzlicher Einheiten niemals den Preis, und der „entgangene Erlös für alle vorherigen q“ ist daher null. Preis und Grenzerlös sind für Unternehmen im vollständigen Wettbewerb identisch. Unter Bedingungen des vollständigen Wettbewerbs entspricht der Preis dem Durchschnittserlös, der seinerseits dem Grenzerlös entspricht (P = MR = AR). Die dd-Kurve und die MR-Kurve eines Unternehmens im vollständigen Wettbewerb fallen als horizontale Linien zusammen. 2. MR = P = MC für ein Unternehmen im vollständigen Wettbewerb. Außerdem können wir erkennen, dass die Logik, die beim Monopolisten zur Gewinnmaximierung führt, ebenso für Unternehmen im vollständigen Wettbewerb gilt, wobei jedoch das Ergebnis ein wenig abweicht. Die wirtschaftliche Logik zeigt, dass die Gewinne bei einem Produktionsniveau maximiert werden, bei dem MC exakt MR entspricht. Doch laut Schritt 1 oben entspricht MR für ein im vollständigen Wettbewerb stehendes Unternehmen P. Deshalb wird die Gewinnmaximierungsbedingung MR = MC zum
Sie können dieses Resultat auch veranschaulichen, wenn Sie Abbildung 9-4(a) nachzeichnen. Gilt das Diagramm für ein Unternehmen im vollständigen Wettbewerb, so verläuft die dd-Kurve horizontal zum Marktpreis und fällt mit der MR-Kurve zusammen. Der Schnittpunkt und der Punkt der Gewinnmaximierung MR = MC ergibt sich daher auch bei P = MC. Wir erkennen daraus, dass die allgemeine Regel zur Gewinnmaximierung für den vollständigen Wettbewerb ebenso gilt wie für den unvollständigen Wettbewerb.
Das Marginalprinzip (Grenzbetrachtung): Was vorbei ist, ist vorbei Wir beschließen dieses Kapitel mit einer allgemeinen Aussage über den Nutzen der Marginal- oder Grenzanalyse in der Volkswirtschaftslehre. Zwar sollten Sie sich lieber nicht darauf verlassen, mit Hilfe der volkswirtschaftlichen Theorien große Reichtümer erwerben zu können, aber Sie können immerhin darauf bauen, dass Sie einige neue Erkenntnisse über Kosten und Nutzen gewinnen werden. Eine der wichtigsten Lehren der Volkswirtschaft besagt, dass man immer die Grenzkosten und den Grenznutzen aller Entscheidungen betrachten und frühere oder versunkene Kosten einfach ignorieren sollte. Wir könnten es auch so formulieren: Was vorbei ist, ist nun einmal vorbei. Blicken Sie nie zurück. Es ist sinnlos, Vergangenem eine Träne nachzuweinen oder dem gestrigen Verlust nachzutrauern. Stellen Sie lieber kühle Berechnungen über die Zusatzkosten an, die
264
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Ihnen durch jede Entscheidung entstehen, und wägen Sie diese gegen zusätzliche Vorteile ab. Treffen Sie Ihre Entscheidungen aufgrund von Grenzkosten und Grenznutzen.
Dies ist das Marginalprinzip, das besagt, dass jedermann seine Gewinne oder seine Bedürfnisbefriedigung maximiert, indem er nur Grenzkosten und Grenznutzen einer Entscheidung berücksichtigt. Es gibt unzählige Situationen, in denen sich dieses Marginalprinzip anwenden lässt. Wir haben soeben gesehen, dass das Marginalprinzip des Ausgleichs von Grenzkosten und Grenzerlös die Regel für die Gewinnmaximierung von Unternehmen ist. Ein weiteres Anwendungsbeispiel sind kluge Investitionsentscheidungen. Wenn eine Entscheidung getroffen werden muss, beispielsweise ob man in ein Unternehmen investieren oder ein Haus verkaufen sollte, lohnt es sich immer, frühere Gewinne oder Verluste außer Acht zu lassen und nur aufgrund der Grenzerträge und -kosten zu entscheiden. Das Marginalprinzip ist eine der wichtigsten Lektionen der Volkswirtschaft. Monopolisten der amerikanischen Gründerzeit Da wirtschaftliche Abstraktionen das menschliche Drama des Monopols leicht verbergen, schließen wir dieses Kapitel mit einem Bericht über eine der farbigsten Perioden US-amerikanischer Wirtschaftsgeschichte. Da sich die Gesetze und Sitten unserer Zeit ständig ändern, haben die Monopolisten des heutigen Amerika nur wenig mit den brillanten, skrupellosen und oft unehrlichen Räuberbaronen der amerikanischen Gründerzeit (1870–1914) gemein. Legendäre Figuren wie Rockefeller, Gould, Vanderbilt, Frick, Carnegie, Rothschild und Morgan fühlten sich berufen, ganze Wirtschaftszweige wie Eisenbahnbau oder Ölgewinnung zu begründen und zu finanzieren, die westliche Grenze voranzutreiben, ihre Konkurrenten zu vernichten und ihren Erben unermessliche Vermögen zu hinterlassen.
Teil 2
Die letzten drei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts brachten Amerika ein robustes Wirtschaftswachstum, das von einem unglaublichen Maß an Bestechung und Korruption geschmiert wurde. Daniel Drew, ein Viehdieb, Pferdehändler und Eisenbahner, erfand den Trick des „Rinderwässerns“. Dabei ließ er die Rinder längere Zeit dursten, bis sie im Schlachthaus ankamen. Dann ließ er ihnen große Mengen Salz verabreichen, bis er ihnen schließlich – kurz vor dem Abwiegen – eine wahre Wasserorgie ermöglichte. Später pflegten Tycoons ihre „Rinder zu wässern“, indem sie den Wert ihrer Wertpapiere künstlich aufblähten. Die Eisenbahnunternehmer, die zur amerikanischen Westküste vorstießen, zählten zu den skrupellosesten Unternehmern aller Zeiten. Der Bau der transkontinentalen Eisenbahnlinien wurde durch enorme staatliche Landzuteilungen ermöglicht, und Bestechungsgelder sowie Aktiengeschenke an zahlreiche Mitglieder des Kongresses und der Regierung taten das ihre, um die Projekte voranzutreiben. Kurz nach dem Bürgerkrieg versuchte der gerissene Eisenbahnunternehmer Jay Gould, den gesamten Goldvorrat der Vereinigten Staaten aufzukaufen, und mit ihm auch das Geldangebot des Landes. Gould warb später für seine Eisenbahn, indem er die Route seiner nördlichen Linie – die während eines Großteils des Jahres verschneit war – als tropisches Paradies voller Orangenhaine, Bananenplantagen und Affen anpries. Am Ende des Jahrhunderts war mithilfe all der Bestechungen, Landzuteilungen, gewässerten Rinder und fantastischen Versprechen das großartigste Eisenbahnsystem der Welt entstanden. Die Geschichte von John D. Rockefeller ist ein Sinnbild der Monopolwirtschaft des 19. Jahrhunderts. Rockefeller hatte die Vision, dass die in den Kinderschuhen steckende Ölindustrie enorme Reichtümer in sich barg, und begann Ölraffinerien zu errichten. Er war ein pedantischer Manager und daher bestrebt, „Ordnung“ in die Reihen der streitsüchtigen Spekulanten zu bringen. So kaufte er Konkurrenten auf und konsolidierte seine Kontrolle über die
Kapitel 9
Unvollständiger Wettbewerb und Monopol
Branche, indem er die Eisenbahngesellschaften dazu brachte, ihm hohe geheime Rabatte einzuräumen und ihm Informationen über seine Konkurrenten zu liefern. Als sie ihm die Stirn zu bieten versuchten, weigerten sich Rockefellers Eisenbahnen, ihr Öl zu transportieren und kippten es sogar auf den Boden. Im Jahr 1878 kontrollierte John D. bereits 95 Prozent aller Pipelines und Ölraffinerien der Vereinigten Staaten. Die Preise wurden angehoben und stabilisiert, der ruinöse Wettbewerb fand ein Ende, und das Monopol war erreicht. Rockefeller entwickelte eine geniale neue Methode, um die Kontrolle über seine Allianz aufrechtzuerhalten: Er gründete einen „Trust“, dessen Aktionäre ihre Aktien „Treuhändern“ überantworteten, die das Geschäft im Sinne der Gewinnmaximierung führten. Andere Branchen imitierten den Standard Oil Trust, und schon bald gab es Kerosin-, Zucker-, Whisky-, Blei-, Salz- und Stahl-Trusts. Diese Praktiken brachten Agrarier und Populisten so auf, dass die Regierung bald Antitrust-Gesetze verabschiedete (siehe Kapitel 17). Im Jahre 1910 wurde die Standard Oil Corporation nach dem ersten großen Sieg der Progressiven gegen das „Big Business“ aufgelöst. Ironischerweise profitierte Rockefeller von dieser Aufspaltung sogar, da der Kurs der Standard-Oil-Aktien in die Höhe schoss, als sie öffentlich angeboten wurden.
265
Große Monopole produzierten großen Reichtum. Während es in den USA 1861 drei Millionäre gab, war ihre Zahl im Jahr 1900 bereits auf 4.000 angewachsen (US-$ 1 Million zur Jahrhundertwende entsprechen ca. US-$ 100 Millionen unserer Zeit). Dieser große Reichtum kurbelte seinerseits den Konsum an (ein Begriff, der von Thorstein Veblen in seinem 1899 erschienenen Werk The Theory of the Leisure Class in die Volkswirtschaftslehre eingeführt wurde). Wie europäische Päpste und Aristokraten früherer Zeiten waren nun auch die amerikanischen Tycoons bestrebt, ihre Reichtümer in bleibenden Monumenten zu manifestieren. Das Geld wurde für luxuriöse Paläste wie das „Marble House“ ausgegeben, das heute noch in Newport, Rhode Island, zu sehen ist, für den Kauf riesiger Kunstsammlungen, die heute das Herzstück großer amerikanischer Museen wie des New York Metropolitan Museum of Art bilden, und für die Gründung von Stiftungen und Universitäten wie jener, die nach Stanford, Carnegie, Mellon und Rockefeller benannt sind. Lange nachdem ihre privaten Monopole von der Regierung aufgebrochen oder von Konkurrenten aufgekauft wurden, und lange nachdem ihr Reichtum von ihren Erben verprasst und von späteren Unternehmergenerationen übernommen wurde, beeinflusst das philanthropische Vermächtnis der amerikanischen Räuberbarone noch immer Kunst, Wissenschaft und Bildung in den USA.2
2 Siehe die Hinweise unter „Weiterführende Literatur“ zu diesem Kapitel.
266
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Teil 2
Zusammenfassung A. Die Formen des unvollständigen Wettbewerbs
B. Grenzerlös und Monopol 5.
1.
2.
3.
4.
Der Großteil aller heute anzutreffenden Marktstrukturen ist irgendwo im Spektrum zwischen vollständigem Wettbewerb und reinem Monopol angesiedelt. Unter den Bedingungen unvollständigen Wettbewerbs hat ein Unternehmen einen gewissen Einfluss auf die Preisbildung, was sich in der abwärts gerichteten Nachfragekurve nach den Produkten dieses Unternehmens widerspiegelt. Wichtige Marktformen sind (a) das Monopol, bei dem ein einziges Unternehmen den gesamten Output eines Wirtschaftszweiges erzeugt; (b) das Oligopol, bei dem einige wenige Anbieter ähnlicher oder differenzierter Produkte die Produktion in einem bestimmten Wirtschaftszweig dominieren; (c) der monopolistische Wettbewerb, bei dem eine große Anzahl kleiner Unternehmen verwandte, aber geringfügig differenzierte Produkte erzeugt; und (d) der vollständige Wettbewerb, in dem eine große Anzahl kleiner Unternehmen das gleiche Produkt herstellt. In den ersten drei Fällen haben es die jeweiligen Unternehmen mit abwärts gerichteten Nachfragekurven zu tun. Skaleneffekte oder mit zunehmender Größe sinkende Durchschnittskosten sind eine wichtige Ursache unvollständigen Wettbewerbs. Wenn die Unternehmen durch Erhöhung der Produktionsmengen ihre Kosten senken können, verhindert dies den vollständigen Wettbewerb deshalb, weil nur wenige Unternehmen in der Lage sind, im jeweiligen Wirtschaftszweig besonders effizient zu produzieren. Wenn die für größtmögliche Effizienz notwendige Mindestgröße eines Unternehmens bezogen auf den nationalen oder regionalen Markt bedeutend ist, führt diese Kostenstruktur zu einem unvollständigen Wettbewerb. Zusätzlich zu sinkenden Kosten führen auch Marktzutrittsbarrieren zu einem unvollständigen Wettbewerb, wobei diese die Form von gesetzlichen Beschränkungen (Patente oder staatliche Reglementierung), hohen Marktzutrittskosten, Werbung und Produktdifferenzierung annehmen können.
Wir können die Gesamterlöskurve eines Unternehmens problemlos von seiner Nachfragekurve ableiten. Aus der Gesamterlösfunktion oder -kurve lässt sich der Grenzerlös ableiten, also der zusätzliche Erlös durch den Verkauf einer zusätzlichen Einheit. Für das Unternehmen im unvollständigen Wettbewerb liegt der Grenzerlös unter dem Preis, weil dabei der entgangene Erlös für alle vorherigen Outputeinheiten zu berücksichtigen ist, der sich ergibt, wenn das Unternehmen gezwungen ist, seinen Preis zu senken, um eine zusätzliche Outputeinheit verkaufen zu können. Bei abwärts gerichteter Nachfragekurve gilt: P = AR > MR = P – entgangener Erlös für alle vorhergehenden q.
6.
7.
8.
9.
Erinnern Sie sich an die Regeln von Tabelle 9-4 in Bezug auf Nachfrageelastizität, Preis und Menge, Gesamterlös und Grenzerlös. Ein Monopolist ermittelt den Punkt seiner Gewinnmaximierung bei MR = MC, das heißt, wenn die letzte verkaufte Einheit einen Zusatzerlös in derselben Höhe wie die entstandenen Zusatzkosten erbringt. Dasselbe Ergebnis, MR = MC, lässt sich auch grafisch aus dem Schnittpunkt der MR- und der MC-Kurve oder aus der identischen Steigung der Gesamterlösund der Gesamtkostenkurve ableiten. In jedem Fall muss in der Gleichgewichtsposition des Gewinnmaximums gelten, dass Grenzerlös = Grenzkosten. Für Unternehmen im vollständigen Wettbewerb entspricht der Grenzerlös dem Preis. Deshalb ergibt sich die gewinnmaximale Produktionsmenge bei MC = P. Volkswirtschaftliche Überlegungen führen uns zum äußerst wichtigen Marginalprinzip. Wenn Sie Entscheidungen zu treffen haben, berücksichtigen Sie den zukünftigen Grenznutzen und die Grenzkosten, und lassen Sie versunkene Kosten, die bereits bezahlt sind, außer Acht.
Kapitel 9
Unvollständiger Wettbewerb und Monopol
267
Begriffe zur Wiederholung Die Formen des unvollständigen Wettbewerbs Vollständiger und unvollständiger Wettbewerb Monopol, Oligopol, monopolistischer Wettbewerb Produktdifferenzierung (staatlich und wirtschaftlich bedingte) Marktzutrittsbarrieren
Grenzerlös und Monopol Grenz- (oder Zusatz-)Erlös, MR MR = MC als Bedingung für die Gewinnmaximierung MR = P, P = MC für im vollständigen Wettbewerb stehende Unternehmen Natürliches Monopol Marginalprinzip
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Die Monopoltheorie wurde von Alfred Marshall um 1890 entwickelt; siehe sein Werk Principles of Economics, 9. Aufl. (Macmillan, New York, 1961). Einen hervorragenden Überblick über Monopol und Industrieökonomik bietet F. M. Scherer und David Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 3. Aufl. (Houghton Mifflin, Boston, 1990). Die amerikanische Gründerzeit ließ in den USA den „Boulevardjournalismus“ entstehen, der viele Sensationsgeschichten hervorbrachte, wie Matthew Josephson, The Robber Barons (New York, Harcourt Brace, 1934). Ein ausgewogenerer Bericht findet sich in Ron Chernow, Titan: The Life of John D. Rockefeller, Sr. (Random House, New York, 1998). Deutschsprachige Literatur: Hans-Heinrich Barnikel (Hrsg.): Wettbewerb und Monopol (Wissenschaftliche Buchgemeinschaft, Darmstadt, 1968); Wilhelm M. Breuer: Zur politischen Ökonomie des Monopols: Einführung in die Probleme der Monopoltheorie (Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1975).
Websites Eine der wichtigsten Rechtskontroversen entspann sich im letzten Jahrzehnt über die Frage, ob Microsoft über ein Monopol bei PC-Betriebssystemen verfüge. Diese Frage wird in den „Findings of Fact“ des Microsoft-Antitrust-Verfahrens von Richter Thomas Penfield Jackson (5. November 1999) eingehend diskutiert. Seine Meinung und weitere Entwicklungen sind unter www.microsoft.com/ presspass/legalnews.asp nachzulesen.
Übungen 1.
Nennen Sie die Unterschiede zwischen vollständigem und unvollständigem Wettbewerb. Welche Hauptformen unvollständigen Wettbewerbs gibt es? In welche Kategorie würden Sie Gene-
2.
ral Motors einordnen? Ihre lokale Pizzeria? Microsoft? Ihre Universität? Erklären Sie, warum jede der folgenden Aussagen falsch ist: Geben Sie jeweils die richtige Antwort an.
268 a.
3.
4.
5.
6.
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Ein Monopolist maximiert den Gewinn, wenn MC = P. b. Je größer die Preiselastizität, desto deutlicher liegt der Preis eines Monopolisten über seinen MC. c. Monopolisten ignorieren das Marginalprinzip. d. Monopolisten maximieren den Umsatz. Sie produzieren daher mehr als Unternehmen im vollständigen Wettbewerb, und ihre Preise sind niedriger. Wie lautet der numerische Wert des MR, wenn die dd eine Elastizität von 1 aufweist? Erklären Sie Ihre Antwort. In seinem Gutachten zum Microsoft-AntitrustVerfahren schrieb Richter Jackson: „[D]rei wichtige Fakten weisen darauf hin, dass Microsoft eine Monopolstellung hat. Erstens ist der Marktanteil von Microsoft für Intel-kompatible PC-Betriebssysteme extrem groß und stabil. Zweitens wird der dominante Marktanteil von Microsoft durch eine hohe Marktzutrittsbarriere geschützt. Und drittens – und weitgehend infolge dieser Zutrittsbarriere – haben die Microsoft-Kunden keine wirtschaftliche Alternative zu Windows.“ (Siehe Website-Hinweis in den Leseempfehlungen zu diesem Kapitel.) Warum weisen diese Elemente auf ein Monopol hin? Müssen alle drei gegeben sein? Wenn nicht, welche sind entscheidend? Erläutern Sie Ihre Argumentation. Abbildung 9-4 zeigt die Position des gewinnmaximalen Gleichgewichts. Erklären Sie detailliert, warum sie ein und dieselbe Tatsache auf zwei verschiedene Weisen beschreibt: nämlich, dass ein Unternehmen seine Produktionsmenge ab dem Punkt nicht weiter erhöht, an dem die Zusatzkosten für eine erhöhte Produktionsmenge genau seinem Zusatzerlös entsprechen. Zeichnen Sie Abbildung 9-4(a) noch einmal für ein Unternehmen im vollständigen Wettbewerb. Warum verläuft dd horizontal? Erklären Sie, warum die horizontale dd-Kurve mit MR zusammenfällt. Stellen Sie anschließend den Schnittpunkt von MR und MC fest, an dem das Gewinnmaximum erreicht wird. Warum ergibt dies die Wettbewerbsbedingung MC = P? Zeichnen Sie nun Abbildung 9-4(a) noch einmal für ein Unternehmen im vollständigen Wettbewerb. Zeigen Sie, dass die Steigungen
Teil 2
von TR und TC auch für ein Unternehmen im vollständigen Wettbewerb im Gleichgewichtspunkt des Gewinnmaximums identisch sind. 7. Das Computerunternehmen Banana hat Produktionsfixkosten von US-$ 100.000, wobei jede Arbeitseinheit US-$ 600 und jede Materialsowie Treibstoffeinheit US-$ 400 kostet. Die Konsumenten würden bei einem Preis von US$ 3.000 keine Banana-Computer kaufen, aber pro Preissenkung um US-$ 10 erhöht sich der Umsatz an Banana-Computern um 1.000 Einheiten. Berechnen Sie die Grenzkosten und den Grenzerlös für das Unternehmen Banana Computer und bestimmen Sie den Monopolpreis und die Monopolmenge für dieses Unternehmen. 8. Weisen Sie nach, dass ein nach Gewinnmaximierung strebender Monopolist niemals im preisunelastischen Bereich seiner Nachfragekurve operiert. 9. Erklären Sie den Fehler in folgender Aussage: „Ein Unternehmen, das sich um Gewinnmaximierung bemüht, verlangt immer den höchsten Preis, den der Markt trägt.“ Formulieren Sie die Aussage richtig und verwenden Sie das Konzept des Grenzerlöses, um den Unterschied zwischen richtiger und falscher Aussage zu erklären. 10. Überlegen Sie anhand der entsprechenden Beschreibung in diesem Kapitel, wie Trusts organisiert wurden, um Branchen wie Öl und Stahl zu monopolisieren. Erklären Sie das Sprichwort: „Der Zoll ist die Mutter des Kartells.“ Illustrieren Sie Ihre Analyse anhand von Abbildung 9-2. Erklären Sie anhand des Diagramms, warum die Senkung der Zölle und der Abbau anderer Handelsbarrieren die Macht der Monopole schmälert. 11. Für die Rechenkünstler unter Ihnen: Sie können die Gewinnmaximierungsbedingung rechnerisch leicht ermitteln. Definieren Sie TP (q) = Gesamtgewinn, TC (q) = Gesamtkosten und TR (q) = Gesamterlös. Der Grenz-Sowieso ist die Ableitung des Mengen-Sowieso, sodass gilt: dTR/dq = TR' (q) = Grenzerlös MR. a. Erklären Sie, warum TP = TR – TC. b. Zeigen Sie, dass sich die maximale Gewinnfunktion dort einstellt, wo TC (q) = TR (q). Interpretieren Sie diese Erkenntnis.
269
KAPITEL 10 Oligopol und monopolistischer Wettbewerb
Putnam (Braniff Airlines): Wollen Sie mir etwas vorschlagen? Crandall (American Airlines): Ja. Ich hätte da schon einen Vorschlag: Sie erhöhen Ihre ... Ticketpreise um 20 Prozent, und ich ziehe gleich am nächsten Morgen nach. ... Da haben Sie was davon und ich auch. Putnam: Wir können doch hier nicht über unsere Preisgestaltung reden. Crandall: Oh ..., Howard. Wir können über jedes ... Thema reden, über das wir reden wollen. Ein zwischen Howard Putnam, dem früheren CEO von Braniff Airlines, und Robert Crandall, dem ehemaligen Chef von American Airlines, aufgenommenes Gespräch (die Punkte markieren jeweils Kraftausdrücke, die hier nicht wiedergegeben sind)
In den früheren Kapiteln haben wir uns mit den Marktstrukturen im vollständigen Wettbewerb und mit dem vollständigen Monopol befasst. Doch wenn Sie die US-amerikanische Wirtschaft analysieren, werden Sie feststellen, dass diese Extremfälle selten auftreten. Viel häufiger begegnet uns ein Mittelding, eine von zahlreichen Formen des unvollständigen Wettbewerbs. In den meisten Wirtschaftszweigen steht heute eine kleine Anzahl von Unternehmen im Wettbewerb miteinander. Welche Merkmale zeichnen nun diese Zwischenformen des unvollständigen Wettbewerbs aus? Wie setzen ihre Vertreter die Preise fest? Um diese Fragen beantworten zu können, sehen wir uns erst einmal genauer an, was im Oligopol und bei monopolistischem Wettbewerb geschieht, wobei wir besonders darauf achten wollen, welche Rolle Konzentrationen und strategische Interaktionen in diesem Zusammenhang spielen. Im nächsten Abschnitt geht es dann um große Kapitalgesellschaften, die vorherrschende Form wirtschaftlicher Organisation im modernen Kapitalismus. Wir beschließen das Kapitel mit einem Vergleich zwischen volkswirtschaftlichen Kosten und volkswirtschaftlichem Nutzen des unvollständigen Wettbewerbs.
A. Das Verhalten von Unternehmen im unvollständigen Wettbewerb Blättern Sie bitte zu Tabelle 9-1 (S. 250) zurück, die folgende Hauptformen des Marktes aufzählt: (1) den vollständigen Wettbewerb, in dem eine große Anzahl von Unternehmen ein identisches Produkt erzeugt; (2) den monopolistischen Wettbewerb, der dann auftritt, wenn eine große Anzahl von Unternehmen geringfügig differenzierte Produkte
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
erzeugt, während es sich (3) beim Oligopol um eine Zwischenstufe des unvollständigem Wettbewerbs handelt, bei der ein Wirtschaftszweig von einigen wenigen Unternehmen dominiert wird. Die am stärksten konzentrierte Marktstruktur ist (4) das Monopol, wobei ein einziges Unternehmen die gesamte Produktionsleistung einer Branche erbringt. Ökonomen benötigen häufig, vor allem jedoch zur Beantwortung der Frage, ob der Staat auf einem Markt eingreifen sollte oder nicht, einen quantitativen Maßstab zur Messung der Marktmacht. Marktmacht ist das Ausmaß der Kontrolle, die ein einzelnes Unternehmen oder eine kleine Anzahl von Unternehmen auf die Preis- und Produktionsentscheidungen eines Wirtschaftszweiges ausüben kann.
Teil 2
Marktmacht kann man messen Das häufigste Maß für die Marktmacht ist die Konzentrationsrate in einem Wirtschaftszweig, wie in Abbildung 10-1 dargestellt. Die VierUnternehmens-Konzentrationsrate etwa wird als jener Anteil der gesamten Produktionsmenge (oder Leistungen) eines Wirtschaftszweiges definiert, der auf die vier größten Unternehmen entfällt. Dementsprechend bezieht sich die Acht-Unternehmens-Konzentrationsrate auf den Prozentsatz des von den acht größten Unternehmen erzeugten Outputs. In einem reinen Monopol müsste die Vierwie auch die Acht-Unternehmens-Konzentrationsrate 100 Prozent betragen, im vollständigen Wettbewerb hingegen wäre sie knapp über null, weil hier ja selbst die größten Anbieter nur einen winzigen Bruchteil des gesamten Branchenoutputs erzeugen.
Konzentration der im produzierenden Gewerbe der USA, gemessen am Wert des jeweiligen Liefervolumens, 1997 Die vier größten Unternehmen
Die vier nächstgrößten Unternehmen
Zigaretten
1%
99 %
Autos
10 %
88 %
Haushaltsgeräte
83 %
15 %
Frühstücksflocken
83 %
11 %
Computer Eisen und Stahl Damenbekleidung
23 %
45 %
20 %
33 % 6%
4%
2% Maschinenbau 0
1% 20 40 60 80 Prozentsatz des Gesamtvolumens
100
Abbildung 10-1: Konzentrationsraten sind ein quantitatives Maß der Marktmacht Im Fall von Kühlschränken, Autos und in vielen anderen Sektoren sorgen einige wenige Unternehmen für den Großteil der US-Produktion. Vergleichen Sie diese Situation mit dem Ideal des vollständigen Wettbewerbs, wo die einzelnen Unternehmen zu klein sind, um Einfluss auf den Marktpreis zu nehmen. Quelle: Bureau of the Census, Daten aus 1997.
Kapitel 10 Oligopol und monopolistischer Wettbewerb
Viele Ökonomen halten die traditionellen Konzentrationsraten für einen weitgehend unzureichenden Maßstab der Marktmacht. Als Alternative, die der bedeutenden Rolle der dominanten Unternehmen eher gerecht wird, bietet sich der Herfindahl-HirschmanIndex (HHI) an. Dieser wird durch Addition der Quadrate der prozentualen Marktanteile aller Marktteilnehmer errechnet. Im vollständigen Wettbewerb läge der HHI nahe null, während ein vollständiges Monopol einen HHI von 10.000 aufwiese. (Die genaue Formel und ein Beispiel dazu finden Sie in Frage 2 am Ende dieses Kapitels.) Der Unterschied zwischen diesen beiden Maßstäben zeigt sich, wenn man bedenkt, dass die Vier-Unternehmens-Konzentrationsrate der Bierindustrie und der Airlines mit 85 und 71 Prozent recht ähnlich ausfällt. Tatsächlich aber wird die US-Bierindustrie ganz eindeutig von Anheuser-Busch dominiert, während der Marktanteil der führenden Airline sehr viel geringer ist. Wenn wir den alternativen Index berechnen, so beträgt der HHI der Bierindustrie 2.757, jener der Airline-Branche aber nur 1.434. Eine Warnung zum Thema Konzentrationsmessungen Obwohl Konzentrationsmessungen in der Volkswirtschaftslehre ebenso wie im Zuge rechtlicher Erhebungen häufig durchgeführt werden, sind sie aufgrund des internationalen Wettbewerbs und struktureller Veränderungen oft irreführend. Die konventionellen Messmethoden berücksichtigen nur die Inlandsproduktion, während sie Importe vernachlässigen. Aufgrund der massiven Zunahme ausländischer Konkurrenz in den letzten 30 Jahren ist die tatsächliche Marktmacht der Unternehmen eines Landes viel geringer, als uns die konventionellen Messungen glauben machen. Das führt dazu, dass die Konzentrationsdaten in Branchen, die dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind, die Marktmacht übertrieben darstellen. So gibt das konventionelle Konzentrationsmaß in
271
Abbildung 10-1 an, die vier größten Autohersteller würden gemeinsam 88 Prozent des US-Marktes beherrschen. Nach Einbeziehung der Importe sinkt jedoch die Konzentrationsrate der vier Konzerne auf nur noch 60 Prozent des Gesamtmarktes. Außerdem vernachlässigen Konzentrationsmessungen die Auswirkungen des Wettbewerbs aus anderen Sektoren. Konzentrationsraten wurden zumeist jeweils für einen eng gefassten Wirtschaftszweig wie beispielsweise für die lokalen Telefongesellschaften ermittelt. In Wirklichkeit weht der raue Wind des Wettbewerbs aber manchmal aus einer ganz anderen Richtung. Mobiltelefone stellen eine ernstzunehmende Bedrohung für das konventionelle Festnetztelefon dar, obwohl es sich hierbei um eine andere Branche handelt. Um der aktuellen technologischen Konvergenz Rechnung zu tragen, beurteilt die USamerikanische Regulierungsbehörde für Telekommunikation, die Federal Communications Commission, Telekomgesellschaften heute anhand ihrer Marktanteile in verschiedenen Segmenten wie Kabel-TV, Mobil- und Festnetztelefonie. Letztlich benötigen wir aber in zahlreichen juristischen Belangen einen Maßstab für die Marktkonzentration, etwa für das in Kapitel 17 behandelte Kartellrecht. Eine Abgrenzung des Marktes samt allen darin auftretender Bewerber kann nützlich sein, um festzustellen, ob monopolistischer Missbrauch tatsächlich eine Gefahr darstellt oder nicht.
Das Wesen des unvollständigen Wettbewerbs Anhand der Analyse der für die Konzentration einer Branche entscheidenden Elemente sind Ökonomen zu dem Schluss gelangt, dass das Ausmaß der Konzentration von drei wichtigen Faktoren abhängt. Es sind dies Skaleneffekte, Marktzutrittsbarrieren und strategische Interaktion (wobei die beiden ersten Faktoren im vorigen Kapitel analysiert wurden, während der dritte Gegenstand ei-
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
ner detaillierten Erörterung im nächsten Kapitel sein wird): • Kosten. Wenn die Mindesteffizienzgröße eines Unternehmens bereits einen erheblichen Anteil des gesamten Branchenoutputs ausmacht, können nur wenige Unternehmen mit Gewinn überleben, weshalb sich ein Oligopol bildet. • Wettbewerbsbarrieren. Bei ausgeprägten Skaleneffekten oder staatlichen Marktzutrittsbarrieren ist die Zahl der Anbieter in einem Sektor eingeschränkt. • Strategische Interaktion. Sind auf einem Markt nur wenige Unternehmen tätig, werden sie ihre wechselseitige Abhängigkeit voneinander bald feststellen. Strategische Interaktion, ein echtes neues Merkmal des Oligopols und Inspirationsquelle für die Spieltheorie, tritt dann auf, wenn das Geschäft jedes einzelnen Unternehmens vom Verhalten seiner Mitbewerber abhängt. Doch warum zeigen sich Ökonomen überhaupt besorgt über Wirtschaftszweige, in denen ein nur unvollständiger Wettbewerb herrscht? Nun, diese Wirtschaftszweige verstoßen in mehrfacher Hinsicht gegen das öffentliche Interesse. So führt ein unvollständiger Wettbewerb im Allgemeinen zu Preisen, die über den Grenzkosten liegen. Manchmal lässt ohne die Anreize des Wettbewerbs auch die Qualität der erbrachten Leistungen zu wünschen übrig. Doch sowohl hohe Preise als auch Qualitätsmängel sind alles andere als wünschenswert. Auf Grund ihrer überhöhten Preise erzielen oligopolistische Wirtschaftszweige häufig (nicht immer) abnorm hohe Gewinne. Die Gewinne der hoch konzentrierten Tabakund Pharmaindustrie waren etwa schon mehrmals Ziel heftiger politischer Attacken. Doch sorgfältige Studien zeigen, dass konzentrierte Wirtschaftszweige zumeist nur geringfügig höhere Gewinne erzielen als weniger konzentrierte Bereiche. Dies ist eine ver-
Teil 2
blüffende Feststellung, und sie hat insbesondere die Kritiker des Big Business überrascht, die eigentlich erwartet hätten, dass die größten Unternehmen auch die fettesten Gewinne verbuchen. Historisch gesehen war eines der Hauptargumente, die zur Verteidigung des unvollständigen Wettbewerbs vorgebracht wurden, die Verantwortung, die große Konzerne in der modernen Wirtschaft für Forschung und Entwicklung (F&E) und für Innovationen übernehmen. Dahinter steckt sicher mehr als ein Körnchen Wahrheit, denn häufig haben besonders hoch konzentrierte Branchen auch besonders hohe F&E-Ausgaben je Dollar Umsatz, weil sie bemüht sein müssen, einen technologischen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz herauszuarbeiten. Doch es ist ebenso richtig, dass Einzelpersonen und kleine Unternehmen viele der bedeutendsten technologischen Durchbrüche erzielt haben. Wir werden uns mit dieser wichtigen Frage weiter unten in diesem Kapitel näher befassen.
Theorien des unvollständigen Wettbewerbs So wichtig die Konzentration in einem Wirtschaftszweig sein mag, sagt sie doch nicht alles aus. Um das Verhalten der Unternehmen im unvollständigen Wettbewerb zu erklären, hat die Ökonomik daher ein eigenes Fachgebiet entwickelt, das als Industrieökonomik bezeichnet wird. Mit diesem sehr umfangreichen Fach können wir uns hier nicht befassen. Doch sehen wir uns drei der wichtigsten Fälle unvollständigen Wettbewerbs näher an: das Kollusionsoligopol, den monopolistischen Wettbewerb und das Oligopol mit wenigen Konkurrenten.
Kollusionsoligopol Das Ausmaß unvollständigen Wettbewerbs auf einem Markt hängt nicht nur von der Zahl und Größe der dort agierenden Unter-
Kapitel 10 Oligopol und monopolistischer Wettbewerb
nehmen, sondern auch von ihrem Verhalten ab. Wenn nur einige wenige Unternehmen auf einem Markt tätig sind, sehen sie genau, was die Konkurrenz tut, und sie können darauf reagieren. Wird eine bestimmte Strecke beispielsweise nur von zwei Fluglinien beflogen, und erhöht eine der beiden die Flugpreise, muss die andere entscheiden, ob sie nachziehen oder den niedrigeren Ticketpreis beibehalten möchte, um den Konkurrenten zu unterbieten. Mit dem Begriff strategische Interaktion wird die Abhängigkeit der Geschäftsstrategie eines Unternehmens vom Verhalten der Konkurrenz beschrieben. Auf einem Markt, auf dem nur wenige Unternehmen agieren, haben diese die Wahl zwischen kooperativem und unkooperativem Verhalten. Unternehmen agieren unkooperativ, wenn sie nur im eigenen Interesse handeln und weder ein ausdrückliches noch ein stillschweigendes Abkommen mit anderen Unternehmen besteht. Dieses Verhalten führt zum Entstehen von Preiskriegen. Unternehmen operieren hingegen kooperativ, wenn sie versuchen, den Wettbewerb untereinander auf ein Minimum zu beschränken. Arbeiten Unternehmen in einem Oligopol aktiv zusammen, betreiben sie die so genannte Kollusion. Dieser Begriff bezeichnet ein Verhalten, bei dem zwei oder mehrere Unternehmen ihre Preise oder Produktionsmengen gemeinsam festlegen, den Markt untereinander aufteilen oder Geschäftsentscheidungen miteinander abstimmen. In den Anfängen des amerikanischen Kapitalismus, noch bevor es wirksame Antitrust-Gesetze gab, sprachen sich die Oligopolisten sehr häufig untereinander ab und bildeten einen so genannten Trust oder ein Kartell. Ein Kartell ist ein Zusammenschluss unabhängiger Unternehmen, die ähnliche Produkte erzeugen und zusammenwirken, um die Preise hoch und die Produktionsmengen gering zu halten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist heute eine Kollusion von Unternehmen zur gemeinsamen Preisfestsetzung oder Aufteilung der Märkte in den Vereinigten Staaten ebenso wie in den meis-
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ten anderen Staaten streng verboten. (Die Antitrust- oder Kartellgesetze, die sich mit einem solchen Verhalten beschäftigen, sind in Kapitel 17 beschrieben.) Trotzdem fühlen sich Unternehmen häufig versucht, eine stillschweigende Kollusion einzugehen, indem sie ohne explizite Vereinbarungen auf einen allzu harten Wettbewerb verzichten. Wenn Unternehmen stillschweigend zusammenarbeiten, verlangen sie häufig dieselben (überhöhten) Preise, steigern so ihre Gewinne und vermindern das Geschäftsrisiko. Eine neuere Untersuchung hat ergeben, dass etwa 9 Prozent der großen Unternehmen – zugegebenermaßen oder nicht – untereinander illegale Preisabsprachen treffen oder dafür bereits verurteilt wurden. In den vergangenen Jahren wurden unter anderem gegen die Produzenten von Babynahrung, Scheuerlappen und koscheren Nahrungsmitteln für das jüdische Pessach-Fest Untersuchungen wegen möglicher Preisabsprachen eingeleitet, aber auch Privatuniversitäten, Kunsthändler, Fluglinien und die Telekommunikationsbranche stehen im Verdacht der Kollusion. Eine Kollusion, sollte sie gelingen, kann sich durchaus bezahlt machen. Stellen Sie sich einen Wirtschaftszweig mit vier Unternehmen vor – nennen wir sie die Unternehmen A B, C und D –, die den ruinösen Preiskrieg untereinander satt haben. Sie kommen stillschweigend überein, dieselben Preise zu verrechnen und einander nicht mehr zu unterbieten. Diese Unternehmen hoffen auf ein Kollusionsoligopol, in dem sie gemeinsam jenen Preis finden werden, der ihren gemeinsamen Gewinn maximiert. Abbildung 10-2 illustriert die Situation eines Oligopolisten. Die Nachfragekurve von A, wir nennen sie DADA, wird unter der Annahme gezogen, dass alle anderen Unternehmen der Preispolitik von A folgen und dieselben Preise verlangen werden. Die Nachfragekurve jedes einzelnen beteiligten Unternehmens weist dieselbe Elastizität auf wie die DDKurve der Branche. Auf Unternehmen A entfällt ein Viertel des gemeinsamen Mark-
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
tes, solange alle Unternehmen denselben Preis verlangen. Das gewinnmaximale Gleichgewicht für das Kollusionsoligopol liegt in Abbildung 10-2 im Punkt E, also im Schnittpunkt zwischen der MC- und der MR-Kurve des Unternehmens. Die entsprechende Nachfragekurve ist unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die anderen Unternehmen denselben Preis wie A verlangen, DADA. Der für das Kollusionsoligopol optimale Preis liegt in Punkt G auf DADA, also genau oberhalb von Punkt E. Dieser Preis ist identisch mit dem Monopolpreis: Er liegt deutlich über den Grenzkosten und beschert den Kollusionsoligopolisten einen hübschen Monopolgewinn. P DA MC
G Preis
AC
E
MR
DA Q
0 Menge
Abbildung 10-2: Kollusionsoligopole sind Monopolen sehr ähnlich Sofern sie Erfahrungen mit verheerenden Preiskriegen haben, werden Unternehmen sicherlich wissen, dass auf jede Preissenkung eine Preissenkung der Konkurrenz folgt. Deshalb kann Oligopolist A seine Nachfragekurve mit DADA veranschlagen, weil er davon ausgeht, dass die anderen ähnliche Preise berechnen werden. Wenn die Firmen Absprachen treffen, um gemeinsam einen gewinnmaximalen Preis festzulegen, so wird sich dieser Preis nur unwesentlich von dem Preis eines einzelnen Monopolisten unterscheiden. Können Sie erkennen, warum die Gewinne dem grau unterlegten Rechteck entsprechen?
Teil 2
Wenn es Oligopolisten gelingt, zur Maximierung ihrer Gewinne zusammenzuarbeiten, wobei auch die wechselseitige Abhängigkeit zu bedenken ist, erzielen sie damit den Preis, die Produktionsmenge und den Gewinn eines Monopolisten. So entzückt natürlich viele Oligopolisten über derart hohe Gewinne wären, bestehen in der Realität doch zahlreiche Hindernisse auf dem Weg zur Kollusion. Erstens sind Kollusionen verboten. Zweitens können einzelne der beteiligten Unternehmen aus der Vereinbarung ausscheren und ausgewählten Kunden günstigere Preise gewähren, was ihren Marktanteil vergrößert. Heimliche Preisnachlässe sind vor allem auf jenen Märkten wahrscheinlich, auf denen die Preise geheim gehalten werden, wo die Produktdifferenzierung groß ist und mehr als nur ein paar Unternehmen agieren oder auf denen sich ein rascher technologischer Wandel vollzieht. Drittens führt der zunehmende internationale Handel dazu, dass viele Unternehmen einem intensiven Wettbewerb durch ausländische ebenso wie durch inländische Unternehmen ausgesetzt sind. Die Erfahrung zeigt, wie schwierig es ist, ein erfolgreiches Kartell zu führen, und zwar gleichgültig, ob die Absprachen offen oder stillschweigend erfolgen. Ein Serien-Thriller auf diesem Gebiet ist die Geschichte des internationalen Ölkartells OPEC, der Organisation erdölexportierender Staaten. Die OPEC ist eine internationale Organisation, die für ihre Mitgliedstaaten – unter ihnen Saudi-Arabien, Iran und Algerien – Förderquoten festlegt. Proklamiertes Ziel des Kartells ist „die Sicherung fairer und stabiler Preise für die Rohölproduzenten, eines effizienten, wirtschaftlichen und gesicherten Rohölangebots für die Verbraucherstaaten und einer fairen Kapitalrendite für jene, die Investitionen in die Ölindustrie tätigen“: Kritiker meinen, es handle sich bei der OPEC in Wirklichkeit um ein Kollusionsmonopol, das versuche, die Gewinne der Förderländer zu maximieren.
Kapitel 10 Oligopol und monopolistischer Wettbewerb
Die OPEC wurde im Jahre 1973 schlagartig berühmt, als sie die Rohölförderung massiv drosselte und die Ölpreise daraufhin in ungeahnte Höhen stiegen. Doch damit ein Kartell erfolgreich sein kann, müssen seine Mitglieder niedrige Produktionsquoten festsetzen und diese dann auch diszipliniert einhalten. Nach einigen Jahren bricht jedoch jedes Mal ein Ölpreiskampf aus, weil einige OPECMitgliedsländer ihre Quoten nicht einhalten. Auf besonders spektakuläre Weise geschah dies 1986, als Saudi-Arabien die Ölpreise von US-$ 28 je Barrel auf unter US-$ 10 drückte. Es ist nämlich besonders schwierig, ein Kartell unter verfeindeten Teilnehmern durchzusetzen, die – wie Irak, Iran und Kuwait – nicht nur Preiskriege untereinander ausfechten. Ein weiteres Problem der OPEC liegt darin begründet, dass die Organisation zwar die Förderquoten, nicht aber die Preise aushandelt. Dies kann zu massiven Preisschwankungen führen, weil die Nachfrage unberechenbar und in hohem Maße preisunelastisch ist. Die Ölpreise schwanken immer dann besonders stark, wenn politische Ereignisse die Situation im Nahen und Mittleren Osten aufheizen – zuletzt anlässlich der Vorbereitungen zur Invasion im Irak, Anfang 2003. Die zivile Luftfahrt ist ein weiteres Beispiel für einen Markt mit immer wiederkehrenden – und gescheiterten – Kollusionsversuchen. Fluglinien wären eigentlich ideale Kandidaten für eine solche Zusammenarbeit. Schließlich gibt es nur einige wenige große Airlines, und viele Strecken werden nur von einer oder zwei Linien beflogen. Doch erinnern Sie sich noch an das Zitat am Anfang des Kapitels, in dem der Chef einer Airline einem anderen eine Preisabsprache anbot? Seit diesem Gespräch landete Braniff bereits zweimal vor dem Konkursrichter. Zwei große Airlines, United und US Airways, mussten im Gefolge der Terroranschläge vom 11. September 2001 Konkurs anmelden. Wir schließen daraus, dass selbst für den Fall einer effektiven Kollusion unter den Fluglinien diese der Branche zumindest keine Gewinne zu bescheren scheint. Die Erfahrung lehrt,
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dass eine Fluglinie eigentlich nur dann überhöhte Preise verlangen kann, wenn sie de facto ein Monopol auf alle Flüge zu einer bestimmten Destination hat.
Monopolistischer Wettbewerb Stehen am einen Ende des Spektrums die Kollusionsoligopole, so finden wir am anderen den monopolistischen Wettbewerb. Der monopolistische Wettbewerb gleicht dem vollständigen Wettbewerb in dreifacher Hinsicht: Es treten zahlreiche Käufer und Verkäufer auf, Marktzutritt und -austritt sind problemlos, und die Unternehmen nehmen die Preise ihrer Mitbewerber als gegeben an. Der Unterschied zum vollständigen Wettbewerb besteht jedoch darin, dass die Produkte unter Bedingungen des vollständigen Wettbewerbs gleich sind, während sich der monopolistische Wettbewerb durch Produktdifferenzierung auszeichnet. Monopolistischer Wettbewerb ist ein besonders weit verbreitetes Phänomen. Sehen Sie sich doch einmal die Regale in den Supermärkten an, und Sie werden eine überwältigende Anzahl unterschiedlicher Marken von Frühstücksflocken, Shampoos und Tiefkühlnahrung vorfinden. Innerhalb jeder Produktgruppe sind zwar die Produkte oder Dienstleistungen verschieden, aber doch ähnlich genug, um miteinander zu konkurrieren. Einige weitere Beispiele für den monopolistischen Wettbewerb: In einem Bezirk kann es mehrere Lebensmittelhändler geben, die die gleichen Produkte führen, allerdings an verschiedenen Standorten. Auch Tankstellen verkaufen das gleiche Produkt, aber sie konkurrieren über ihren Standort und den Markennamen. Die mehreren Hundert Magazine im Zeitschriftenregal sind genauso Akteure im monopolistischen Wettbewerb wie die etwa 50 miteinander konkurrierenden PCMarken. Die Liste ist unendlich lang. Für unsere Belange interessiert uns aber Folgendes: Die Produktdifferenzierung gibt jedem Anbieter einen gewissen Spielraum, seine Preise zu erhöhen oder zu senken, und
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
zwar einen größeren Spielraum als bei vollständigem Wettbewerb. Aufgrund der Produktdifferenzierung kommt es zu einer Abwärtsneigung der Nachfragekurve für jeden Verkäufer. Abbildung 10-3 könnte sich beispielsweise auf eine Fischerei-Fachzeitschrift im monopolistischen Wettbewerb beziehen, die sich in einem kurzfristigen Gleichgewicht in G befindet. Ihre Nachfragekurve dd zeigt das Verhältnis zwischen den verkauften Exemplaren und dem Preis an, wenn die Preise anderer Magazine unverändert bleiben. Die Nachfragekurve der Fischereizeitung ist abwärts geneigt, weil sie sich von den anderen ein wenig unterscheidet, wenn auch nur hinsichtlich ihres Spezialgebietes. Der gewinnmaximale Preis befindet sich an Punkt G. Da der Preis in G über den Durchschnittskosten liegt, erwirtschaftet das Magazin einen ansehnlichen Gewinn, der durch die Fläche ABGC dargestellt wird. Der monopolistische Wettbewerb vor dem Marktzutritt von Konkurrenten P
d MC G
Preis
C
AC B A E
d MR
Q
0 Menge
Abbildung 10-3: Unternehmen im monopolistischen Wettbewerb produzieren viele ähnliche Güter Im monopolistischen Wettbewerb verkaufen zahlreiche kleine Unternehmen differenzierte Produkte und sehen sich daher einer abwärts verlaufenden Nachfragekurve gegenüber. Jedes Unternehmen nimmt die Preise seiner Konkurrenten als gegeben an (Preisnehmer). Das Gleichgewicht liegt in MR = MC, also E, und der Preis in G. Da der Preis über AC liegt, erzielt das Unternehmen einen Gewinn in Höhe des Bereichs ABGC.
Teil 2
Doch unsere Fischereizeitung hat kein Monopol auf die Autoren oder Druckereien oder auch auf das Know-how in Sachen Fischfang. Neue Magazine können auf den Markt drängen, indem sie einen Fachredakteur einstellen, eine zündende neue Idee und ein Logo entwickeln, eine Druckerei finden und Mitarbeiter einstellen. Da Fischereimagazine Gewinne abwerfen, kommen Unternehmer mit neuen Produkten auf den Markt. Mit den neuen Mitbewerbern verschiebt sich die Nachfragekurve für die Produkte der bereits existierenden, im monopolistischen Wettbewerb stehenden Magazine nach links, denn auch die neuen Produkte naschen am gleichen Kuchen mit. Es entsteht letztlich eine Situation, in der immer weitere Fischereimagazine am Markt erscheinen, bis der gesamte Gewinn (einschließlich der entsprechenden Opportunitätskosten für Zeit, Können und Kapital der Eigentümer) gegen null gedrückt wird. Abbildung 10-4 zeigt das endgültige langfristige Gleichgewicht für den typischen Anbieter. Im Gleichgewicht verringert sich die Nachfrage bzw. wird nach links verschoben, bis die neue Nachfragekurve d'd' die AC-Kurve des Unternehmens berührt (aber niemals über diese hinausgeht). Punkt G' stellt ein langfristiges Gleichgewicht für den Wirtschaftszweig dar, weil die Gewinne auf null reduziert sind und niemand einen Anreiz hat, auf den Markt zu drängen, oder gezwungen wird, den Markt zu verlassen. Diese Analyse lässt sich am Beispiel der PC-Industrie gut darstellen. Ursprünglich erwirtschafteten Computerhersteller wie Apple oder Compaq große Gewinne. Doch ganz offensichtlich waren die Marktzutrittsbarrieren in der PC-Branche niedrig, und zahlreiche Unternehmen versuchten hier ihr Glück. Heute gibt es Dutzende PC-Hersteller, die jeweils nur einen kleinen Anteil am Computermarkt innehaben, als Ausgleich für ihre Mühe jedoch keine Gewinne erzielen. Das Modell des monopolistischen Wettbewerbs eröffnet eine wichtige Erkenntnis über den Kapitalismus: Die Rentabilität ist bei der
Kapitel 10 Oligopol und monopolistischer Wettbewerb
Der monopolistische Wettbewerb nach dem Marktzutritt von Konkurrenten P
Preis
MC d′
AC G′
E′
d′
Q
0 MR ′ Menge
Abbildung 10-4: Freier Marktzutritt für eine Vielzahl monopolistischer Wettbewerber verhindert Gewinne Die typische ursprüngliche, gewinnträchtige ddKurve in Abbildung 10-3 wird durch den Marktzutritt neuer Konkurrenten nach links unten zu d'd' verschoben. Der Marktzutritt neuer Mitbewerber kann erst gestoppt werden, wenn der Anbieter auf eine langfristige, nicht gewinnträchtige Tangente wie in G' gedrückt wird. Im langfristigen Gleichgewicht bleibt der Preis über MC, und jeder Produzent befindet sich auf dem linken, absteigenden Ast seiner langfristigen AC-Kurve.
angeführten Form des unvollständigen Wettbewerbs langfristig gleich null, weil immer neue Unternehmen mit differenzierten Produkten auf den Markt drängen. Im langfristigen Gleichgewicht unter den Bedingungen monopolistischen Wettbewerbs liegen die Preise über den Grenzkosten, während gleichzeitig der Gewinn auf null geschrumpft ist. Manche Kritiker meinen, der monopolistische Wettbewerb sei per se ineffizient, obwohl die Wertschöpfung, also die Gewinne unter Berücksichtigung aller Opportunitätskosten, bei null liegt. Sie argumentieren, er bringe ein Übermaß an neuen Produkten hervor, und der Verzicht auf überflüssige
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Produktdifferenzierungen könnte die Kosten wie auch die Preise senken. Um diese Überlegungen verstehen zu können, sehen Sie sich bitte noch einmal den langfristigen Gleichgewichtspreis in G' aus Abbildung 10-4 an. In diesem Punkt liegt der Preis über den Grenzkosten, und daher wird die Produktionsmenge unter das ideale Wettbewerbsniveau gedrückt. Diese volkswirtschaftliche Kritik des monopolistischen Wettbewerbs hat schon etwas Faszinierendes an sich. Man muss ziemlich gewieft sein, will man den Nutzen für die Menschheit beschreiben, der durch die Einführung von Apfel-Zimt-Cornflakes zusätzlich zu den bereits angebotenen Nuss-Honigund Vollkornprodukten entsteht . Manch einer hat auch Mühe, den Sinn hinter den zahlreichen Tankstellen zu erkennen, die häufig an allen vier Ecken einer Kreuzung postiert sind. Und doch steckt Logik hinter der großen Vielfalt an Waren und Dienstleistungen, die eine moderne Marktwirtschaft hervorbringt. Eine zu geringe Zahl monopolistischer Wettbewerber könnte bei gleichzeitigen Kostensenkungen durchaus zu einer Beeinträchtigung des Wohlergehens der Konsumenten führen, die auf die gewohnte Produktvielfalt verzichten müssten. Die sozialistische Planungswirtschaft hat versucht, die Produktion auf eine kleine Zahl von Gütern zu standardisieren – graue Hemden als Standarduniform, sozusagen –, doch die Konsumenten in diesen Ländern waren angesichts der bunten Vielfalt in den Marktwirtschaften rings um sie herum höchst unzufrieden. Menschen bezahlen für Wahlfreiheit oft gern ein wenig mehr.
Konkurrenz zwischen wenigen Mitbewerbern Für unser drittes Beispiel eines unvollständigen Wettbewerbs wenden wir uns wieder den Märkten zu, auf denen nur einige wenige Unternehmen miteinander konkurrieren. Diesmal konzentrieren wir uns jedoch nicht
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
auf mögliche Kollusionen, sondern wir betrachten den faszinierenden Fall der strategischen Interaktion. Strategische Interaktion ist auf zahlreichen Märkten festzustellen, auf denen es relativ wenige Anbieter gibt. Nicht anders als jeder Tennisspieler muss sich auch ein Unternehmen fragen, wie der „Gegner“ auf Veränderungen in wichtigen Geschäftsbelangen reagieren wird. Falls General Electric ein neues Kühlschrankmodell herausbringt, was wird Whirlpool als Hauptrivale auf dem US-amerikanischen Markt unternehmen? Wie agiert United Airlines, wenn American Airlines die Ticketpreise für Transkontinentalflüge senkt? Nehmen wir als Beispiel die Flugverbindung zwischen New York und Washington, die gegenwärtig Delta und US Airways anbieten. Dieser Markt wird als Duopol bezeichnet, weil er von zwei Unternehmen beherrscht wird. Angenommen, Delta dächte daran, seinen Ticketpreis um 10 Prozent zu senken. Es könnte mit einer Gewinnsteigerung rechnen, solange US Airways nicht reagiert, doch die Gewinne würden gleich wieder verpuffen, wenn US Airways nachzöge. Sofern keine Kollusion möglich ist, muss Delta daher gründlich überlegen, wie US Airways wohl auf die Preisentwicklung beim Konkurrenzunternehmen reagieren wird. Die beste Methode dazu wäre eine Schätzung, welche Maßnahmen US Airways auf welche Schritte des eigenen Unternehmens hin ergreift, umso die Gewinne mit der richtig erkannten strategischen Interaktion zu maximieren. Diese Analyse fällt in den Bereich der Spieltheorie, der wir uns schon bald zuwenden werden. Übrigens findet man ähnliche strategische Interaktionen in vielen großen Branchen: im Fernsehen, in der Automobilindustrie, ja sogar bei Lehrbüchern der Wirtschaftswissenschaften. Im Gegensatz zu den simplen Ansätzen des Monopols und des vollständigen Wettbewerbs stellt sich heraus, dass sich das Verhalten von Oligopolisten nicht so einfach erklären lässt. Unterschiedliche Kosten- und Nachfragestrukturen, verschiedene Wirt-
Teil 2
schaftszweige, sogar unterschiedliche Temperamente der Firmenchefs führen zu jeweils anderen strategischen Preisgestaltungsstrategien. Manchmal empfiehlt es sich in einem solchen Umfeld sogar, die eigenen Reaktionen mit einem Schuss Unwägbarkeit zu würzen, um die Opposition aus dem Gleichgewicht zu bringen. Durch den Wettbewerb zwischen einigen wenigen Unternehmen kommt ein völlig neues Element des Wirtschaftslebens ins Spiel: Dieser Wettbewerb zwingt die Unternehmen, die Reaktionen von Mitbewerbern auf Preisund Mengenänderungen zu berücksichtigen, und er bedingt strategische Überlegungen auf diesen Märkten.
Spieltheorie Zur gründlichen Analyse strategischer Interaktionen wenden Ökonomen eine faszinierende Wirtschaftstheorie an, die als Spieltheorie bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um die Auswertung von Situationen, in die zwei oder mehr Entscheidungsträger mit gegensätzlichen Zielen eingebunden sind. Betrachten Sie folgende Feststellungen aus der Spieltheorie zum Thema unvollständiger Wettbewerb: • Bei einer zunehmenden Zahl unkooperativer Oligopolisten nähern sich Preise und Mengen im jeweiligen Wirtschaftszweig einer Produktion unter vollständigen Wettbewerbsbedingungen an. • Entscheiden sich die Unternehmen eher für die Kollusion als für den Wettbewerb, entsprechen Marktpreise und Marktmengen weitgehend den im Monopol anzutreffenden Bedingungen. Experimente lassen jedoch darauf schließen, dass mit zunehmender Zahl der Unternehmen Kollusionsabsprachen schwieriger werden und dass die Wahrscheinlichkeit eines Ausscherens Einzelner und eines nicht kooperativen Verhaltens steigt.
Kapitel 10 Oligopol und monopolistischer Wettbewerb
• In vielen Situationen gibt es für ein Oligopol kein stabiles Gleichgewicht. Die strategische Interaktion kann zu instabilen Ergebnissen führen, wenn die Unternehmen einander drohen, bluffen, Preiskriege vom Zaun brechen, vor stärkeren Unternehmen kapitulieren, schwache Gegner sanktionieren, ihre Absichten signalisieren oder einfach vom Markt verschwinden. Im nächsten Kapitel wollen wir die Spieltheorie genauer beleuchten.
Preisdiskriminierung Unternehmen mit Marktmacht können ihre Gewinne bisweilen durch die so genannte Preisdiskriminierung steigern. Von Preisdiskriminierung spricht man, wenn dasselbe Produkt an verschiedene Kundengruppen zu verschiedenen Preisen verkauft wird. Bedenken Sie folgendes Beispiel: Sie sind Geschäftsführer eines Unternehmens, das ein erfolgreiches Finanzprogramm für private Anwender namens MyMoney verkauft. Ihr Marketingleiter sagt Ihnen Folgendes: Sehen Sie mal, Boss. Unseren Marktforschungsdaten zufolge lassen sich unsere Käufer in zwei unterschiedliche Kategorien einteilen: (1) die derzeitigen Kunden, die von MyMoney ohnehin nicht loskommen, weil sie bereits ihre gesamte Vermögensverwaltung mit unserem Programm betreiben, und (2) potenzielle Neukunden, die bisher mit anderen Programmen arbeiten. Was meinen Sie, sollten wir nicht unsere Preise anheben, Neukunden aber einen Rabatt gewähren, um ihre Bereitschaft zum Wechsel zu fördern? Ich habe mir die Zahlen angesehen. Wenn wir eine Preiserhöhung von US-$ 20 auf US-$ 30 vornehmen, aber all jenen, die bisher eine andere Software verwenden, einen Nachlass von US-$ 15 gewähren, so haben wir davon nur Vorteile.
Dieser Vorschlag fasziniert Sie. Ihre hauseigene Volkswirtin zeichnet die Nachfrage-
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kurve, die Sie in Abbildung 10-5 sehen. Sie stellt fest, dass Ihre bestehenden Kunden eine deutlich preisunelastischere Nachfrage aufweisen als potenzielle Neukunden, weil diese erhebliche Kosten für den Wechsel von einem anderen Programm zu tragen haben. Sollte Ihr Rabatt-Programm funktionieren und Sie den Markt erfolgreich in zwei Kategorien aufteilen können, so ergeben die nackten Zahlen, dass Ihr Gewinn von US-$ 1.200 auf US-$ 1.350 steigt. (Damit Sie diese Analyse auch ganz sicher verstehen, schätzen Sie doch bitte anhand der Zahlen in Abbildung 10-5, wie hoch der Monopolpreis und die Gewinne ausfallen, wenn Sie einen Einzelmonopolpreis festlegen und zwischen den beiden Märkten preisdiskriminierend vorgehen.) Preisdiskriminierung wird heute häufig angewandt, insbesondere bei Gütern, die sich nicht einfach vom Niedrig- zum Hochpreismarkt hin verschieben lassen. Hier einige Beispiele: • Dieselben Lehrbücher werden in Europa billiger verkauft als in den USA. Warum also kaufen nicht einfach die Großhändler eine große Menge in Europa und unterbieten den US-Markt? Nun, ein protektionistischer Importzoll weiß das zu verhindern. Sie als Einzelperson können Ihre Bücher aber sehr wohl billiger einkaufen, indem Sie sie online im Ausland erwerben. • Fluglinien sind wahre Meister der Preisdiskriminierung (siehe dazu unsere Erörterung der „Air Elastizität“ in Kapitel 4). Sie unterteilen den Markt, indem sie die Ticketpreise für Kunden, die zu Spitzenzeiten, und andere, die in flauen Zeiten reisen, für Geschäfts- und Freizeitkunden und für mehr oder weniger flexible Kunden splitten. So füllen sie ihre Maschinen, ohne allzu große Einbußen bei den Erträgen hinnehmen zu müssen. • Lokale Versorgungsunternehmen verwenden häufig „zweigeteilte“ Preise (auch als nichtlineare Preise bezeichnet), um einen
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
(a) Alte Kunden
Teil 2
(b) Neue Kunden
P
P
60
Po* 30
30
Do
Einheitspreis
20
Pn* 15 Dn 30
60
q
MRo
30
60
q
MRn
Abbildung 10-5: Unternehmen können durch Preisdiskriminierung ihre Gewinne steigern Sie sind ein monopolistischer Anbieter von Computersoftware mit Grenzkosten von null, der seinen Gewinn maximieren möchte. Ihr Markt umfasst alte Kunden in (a) und Neukunden in (b). Die bereits bestehenden, alten Kunden weisen eine unelastischere Nachfrage auf, weil sie der Wechsel zu anderen Programmen teuer zu stehen käme. Wenn Sie einen Einheitspreis festsetzen müssen, maximieren Sie Ihren Gewinn (es sind dies US-$ 1.200) bei einem Preis von US-$ 20. Doch nehmen wir einmal an, Sie könnten Ihren Markt zwischen gebundenen Altkunden und zögerlichen Neukunden segmentieren. Damit ließe sich Ihr Gewinn auf ($ 30 30) + ($ 15 30) = US-$ 1.350 steigern.
Teil ihrer Betriebskosten wieder hereinzuspielen. Sehen Sie sich einmal Ihre Telefon- oder Stromrechnung näher an: Meistens bezahlen Sie eine „Anschlussgebühr“ und einen „Einheitspreis“ für tatsächlich in Anspruch genommene Leistungen. Weil der Anschluss selbst sehr viel preisunelastischer ist als die verbrauchten Einheiten, ermöglicht eine solche Zweiteilung es dem Verkäufer, die Einheitspreise zu senken und den Gesamtumsatz zu steigern. • International tätige Unternehmen stellen oft fest, dass die ausländische Nachfrage elastischer ist als die inländische. Sie setzen den Preis im Ausland daher niedriger an als im Inland. Diese Praxis bezeichnet man als „Dumping“, und aufgrund internationaler Handelsvereinbarungen ist sie in vielen Fällen verboten. • Es kommt sogar vor, dass Unternehmen einzelne Funktionen ihrer Spitzenproduk-
te künstlich unterdrücken, damit das Produkt dann auf einem Niedrigpreismarkt billiger angeboten werden kann. IBM hat beispielsweise die Druckgeschwindigkeit eines Laserdruckers von 10 auf 5 Seiten pro Minute gesenkt, um das langsame Modell billiger verkaufen zu können, ohne dem eigenen Spitzenprodukt Konkurrenz zu machen. Wie wirkt sich Preisdiskriminierung eigentlich volkswirtschaftlich aus? Überraschenderweise führt sie häufig zu einem Zuwachs an Wohlfahrt. Um das zu verstehen, sollten Sie daran denken, dass Monopole ihre Preise erhöhen und die Umsätze senken, um höhere Gewinne zu erzielen. Auf diese Weise erreichen sie vielleicht den Markt der Kaufwilligen, verlieren jedoch den Markt all derer, die bei der Kaufentscheidung zögern. Durch gestaffelte Preise für Zahlungswillige (denen man hohe Preise zumuten kann) und Zahlungsunwillige (die vielleicht keinen Fenster-
Kapitel 10 Oligopol und monopolistischer Wettbewerb
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platz bekommen oder ein schlechteres, aber billigeres Produkt erhalten) kann der Monopolist einerseits seine Gewinne steigern, andererseits aber auch die Kundenzufriedenheit erhöhen.1
der werdende Problem der geistigen Eigentumsrechte.
B. Innovation und Information
Trennung von Eigentum und Unternehmensleitung
Die Welt des unvollständigen Wettbewerbs wird von vielen unterschiedlichen Spezies bevölkert, von riesigen Konzernen ebenso wie von winzigen E-Commerce-Anbietern im Internet. Ein Großteil der Produktionsleistung einer modernen Volkswirtschaft stammt aus Großkonzernen wie General Electric, General Motors und Wal-Mart. Knapp ein Drittel unserer Gesamtproduktion entfällt auf die größten 500 Unternehmen. Diese Organisationen unterscheiden sich qualitativ von anderen, im Wettbewerb stehenden Unternehmen. Sie besitzen enorme Ressourcen und operieren global und auf vielen Märkten gleichzeitig. Ihr Überleben hängt nicht nur von der Preisgestaltung, sondern auch von der Entwicklung neuer Produkte, neuer Technologien und neuer Märkte ab, mit denen sie ihr künftiges Geschäft bestreiten müssen. In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit dem Verhalten großer Unternehmen und den Fragen, die sich im Zusammenhang mit der zunehmenden Bedeutung der Information als Wirtschaftsgut ergeben. Wir beginnen mit der Untersuchung der Funktionen von Kontrolle und eingeschränkter Rationalität. Danach wenden wir uns der Bedeutung großer Unternehmen für die Entwicklung von Innovationen zu und erörtern die neuen Themen rund um das Internet und das drängen-
1 Als Beispiel für die Erhöhung der Effizienz durch eine perfekte Preisdiskriminierung lesen Sie bitte Frage 3 am Ende dieses Kapitels.
Das Verhalten großer Unternehmen
Der erste Schritt zum Verständnis des Verhaltens großer Unternehmen besteht in der Erkenntnis, dass es sich bei diesen zumeist um Publikumsgesellschaften handelt. Die Aktien dieser Gesellschaften können von jedermann gekauft werden und sind zumeist auf zahlreiche Investoren verteilt. Nehmen wir einen Konzern wie AT&T. Im Jahr 1999 zählte AT&T über 5 Millionen Aktionäre, die zusammen einen Wert von fast US-$ 147 Milliarden ihr Eigen nannten. Kein Einzelaktionär besaß auch nur 1 Prozent dieses Unternehmens. Und auch wenn einige große Software- und Internetgesellschaften hier eine Ausnahme bilden, ist ein solcher Streubesitz typisch für große börsennotierte Unternehmen. Da der Aktienbesitz an den großen Unternehmen so breit gestreut ist, sind in diesen Organisationen Eigentum und Geschäftsleitung zumeist getrennt. Einzelne Eigentümer können somit nicht direkt Einfluss auf die Geschäftstätigkeit großer Unternehmen ausüben. Und obwohl die Aktionäre den Vorstand oder Verwaltungsrat, der aus einer Gruppe von Leuten aus dem Unternehmen und qualifizierten Kandidaten von außerhalb besteht, wählen, ist es zumeist die bezahlte Geschäftsleitung, die die wichtigsten Entscheidungen bezüglich Unternehmensstrategie und Tagesgeschäft trifft. Die Geschäftsleitung verfügt über eine spezielle Ausbildung und die notwendigen Managementfähigkeiten, und sie ist mit allen internen Angelegenheiten und Details des Unternehmens am besten vertraut.
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
In den meisten Fällen kommt es zu keiner Zielkollision zwischen Geschäftsleitung und Aktionären. Höhere Gewinne nützen schließlich allen Seiten. Und doch gibt es drei wichtige potenzielle Interessenskonflikte zwischen Managern und Eigentümern. Erstens können sich die Manager selbst hohe Gehälter, Aktienbezugsrechte, Spesenkonten, Bonuszahlungen und großzügige Pensionsregelungen genehmigen, die auf Kosten der Aktionäre gehen. Niemand wird vom Geschäfts-führer eines großen Unternehmens verlangen, dass er sich für den Mindestlohn abplagt, doch in den letzten Jahren sind die Managergehälter in den USA drastisch gestiegen. Einige Führungskräfte notleidender Unternehmen – oder auch von Firmen wie WorldCom oder Enron, die vor dem Konkursrichter landeten – bezogen Gehälter und sonstige Leistungen von insgesamt US-$ 100 Millionen und mehr. Warum, so fragen Ökonomen, sind die Gehälter amerikanischer Manager oft zehn oder zwanzig Mal höher als jene ihrer Kollegen in anderen Ländern? Ein zweiter Interessenskonflikt ergibt sich im Zusammenhang mit der Einbehaltung der Gewinne. Das Management eines Unternehmens versucht aus verständlichen Gründen, Gewinne nach Möglichkeit einzubehalten und in die Expansion des Unternehmens zu investieren, anstatt sie in Form von Dividenden auszuschütten. Und doch gibt es Situationen, in denen Gewinne mit größerem Nutzen außerhalb des eigenen Unternehmens angelegt werden könnten. In manchen Fällen wäre es für die Aktionäre günstiger, ließe sich das Unternehmen bereitwillig von einem anderen Unternehmen aufkaufen oder würde es sich selbst liquidieren und den Erlös auszahlen. Dagegen sind nur wenige Beispiele von Geschäftsführern großer Unternehmen bekannt, die sich selbst arbeitslos machen und das Unternehmen schließen.
Teil 2
Rationalität und Faustregeln Ökonomen üben sich gern in der Formulierung von Theorien über das optimale Verhalten von Unternehmen, das zu einem maximalen Nutzen für die Konsumenten und zu höchsten Gewinnen für die Anbieter führt. Aber im wirklichen Leben stehen uns allen eben nur beschränkte Ressourcen und Informationen zur Verfügung, und unsere Entscheidungen können daher nur auf der Grundlage unzureichender Informationen oder Analysen getroffen werden. Das ständige Streben nach dem absolut höchsten Gewinn oder Nutzen würde einfach zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Konsumenten haben nicht den lieben langen Tag die Muße, nach dem allerbilligsten Salat zu suchen. Ein Konzern kann nicht viele Millionen Dollar für Ökonomen ausgeben, die die Preiselastizität jedes einzelnen seiner zahlreichen Produkte berechnen. Stattdessen haben wir es, wie Nobelpreisträger Herbert Simon betonte, mit Unternehmen oder Konsumenten zu tun, die mit eingeschränkter Rationalität vorgehen. Das heißt, sie versuchen einfach gute Entscheidungen zu treffen, anstatt ewig der allerbesten Entscheidung hinterherzujagen. In gewissen Situationen kann die Anwendung einer Faustregel oder einer anderen vereinfachten Vorgehensweise die wirtschaftlich sinnvollste Möglichkeit darstellen, Entscheidungen zu treffen. So ist es beispielsweise in Unternehmen und dabei vor allem in solchen, die auf Märkten mit unvollständigem Wettbewerb tätig sind, üblich, die Preise nach der Methode „Produktionskosten plus Gewinnaufschlag“ (Ermittlung des Verkaufspreises durch Aufschlag eines Gewinns auf die Selbstkosten) festzulegen. Und das funktioniert folgendermaßen: Anstatt die Preise durch einen Vergleich zwischen MR und MC zu ermitteln, schlagen die Unternehmen auf die errechneten Durchschnittskosten eines Produktes einen fixen Prozentsatz – sagen wir 20 Prozent der Durchschnittskosten – auf. Der so ermittelte Betrag ergibt den Verkaufspreis. Beachten Sie bitte, dass dieser Preis, sollte alles wie geplant ablaufen,
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alle direkten Kosten und Overheadkosten deckt und dem Unternehmen noch eine Gewinnspanne verschafft. Bedeutet diese Praxis, dass Unternehmen ihre Gewinne nicht maximieren? Teilweise ja. Eine bessere Erklärung wäre jedoch, dass Aufschläge auf die Durchschnittskosten eine recht nützliche Faustregel darstellen, um in einer Welt der eingeschränkten Rationalität mit knappen Ressourcen sparsam umzugehen. Manager haben mehr zu tun, als sich über die Höhe der Preise den Kopf zu zerbrechen. Einfache Preisaufschläge können zwar die Gewinne nicht bis auf die letzte Dezimalstelle maximieren, aber sie kommen diesem Ziel angesichts des knappen Zeitangebots von Managern doch recht nahe.
Information, Innovation und die Ökonomik Schumpeters Die Wirtschaftstheorie hat ein Faible für den vollständigen Wettbewerb, den sie als effizienteste Marktstruktur preist. Für sie setzen Unternehmen im unvollständigen Wettbewerb die Preise zu hoch an, erzielen überhöhte Gewinne und vernachlässigen die Produktqualität. Doch gerade diese Geringschätzung des Monopols wurde durch einen der bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, Joseph Schumpeter, infrage gestellt. Er argumentierte, die Triebfeder der wirtschaftlichen Entwicklung sei die Innovation, und Monopolisten seien im Kapitalismus die eigentlichen Quellen aller Neuerungen. Joseph Schumpeter: Der Ökonom als Romantiker Der im altösterreichischen Kaiserreich geborene Joseph Schumpeter (1883–1950), ein legendärer Gelehrter, der seine Forschungen quer durch das ganze Spektrum der Sozialwissenschaften betrieb, führte ein sehr buntes Privatleben.
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Er begann ein Studium der Rechtswissenschaften, Ökonomik und Politik an der Universität Wien – damals eines der internationalen Zentren der Wirtschaftswissenschaften und Heimat der „österreichischen Schule der Ökonomie“, die heute dem Laissez-faire-Kapitalismus zuneigt. Er wurde zum jüngsten Universitätsprofessor des Kaiserreiches ernannt und war sowohl der Schrecken als auch das Vorbild seiner Studenten. Sechs Monate nach Antritt seiner Lehrstelle an der Universität Czernowitz (im Osten des untergehenden Reiches, an der Grenze zu Russland gelegen), stürmte er in die Bibliothek und legte sich mit dem Bibliothekar an, weil dieser den Studenten die Bücher nicht kostenlos zur Verfügung stellen wollte. Nach einem deftigen Austausch von Beleidigungen forderte der Bibliothekar Schumpeter zum Duell, das dieser dank seiner aristokratischen Ausbildung gewann, indem er dem Bibliothekar einen Streifschuss an der Schulter zufügte. Nach diesem Vorfall hatten seine Studenten jedoch den gewünschten unbeschränkten Zugang zu den Büchern. Zwischen Duellen, der Brüskierung der schwerfälligen Fakultät, zu deren Sitzungen er in Reithosen erschien, und diversen Trinkgelagen widmete sich Schumpeter der Verbreitung der Wirtschaftstheorie auf dem europäischen Kontinent, begründete die Ökonometrie und reiste nach England und in die Vereinigten Staaten. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges absolvierte er eine verheerend kurze Karriere als österreichischer Staatssekretär für Finanzen. Später wechselte er nach Harvard, wo er sich zunehmend frustriert fühlte, weil die Theorien seines großen Rivalen, John Maynard Keynes, die gesamte Ökonomik beherrschten, während seine Heimat im Krieg versank. Schumpeters Schriften behandelten breite Gebiete der Ökonomie, Soziologie und Geschichte, doch die besondere Passion des Gelehrten galt der Wirtschaftstheorie. Sein meisterhaftes Werk Geschichte der ökonomischen Analyse (veröffentlicht posthum, 1954) bleibt als Überblick über die Entstehung der modernen Ökonomik
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
unübertroffen. Sein „populäres“ Werk, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942), führte die Schumpetersche Hypothese über die technologische Überlegenheit des Monopols aus und entwickelte die Theorie der Konkurrenzdemokratie, die später zur Public-Choice-Theorie weiterentwickelt wurde. Ahnungsvoll sagte er voraus, der Kapitalismus werde infolge der Verdrossenheit der Eliten untergehen. Wäre er heute am Leben, würde er möglicherweise in die Klage der Konservativen einstimmen, wonach der Wohlfahrtsstaat die Marktwirtschaft ihrer Vitalität beraubt.
Informationsökonomie Schumpeters Klassiker Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (1911) brach mit der traditionellen statischen Sichtweise seiner Zeit und betonte die Bedeutung des Unternehmers als Innovator oder als jene Person, die „neue Kombinationen“ in Form neuer Produkte oder Organisationsmethoden einführt. Innovationen ziehen zwar vorübergehend überhöhte Innovationsgewinne nach sich, doch diese verschwinden im Laufe der Zeit durch die Nachahmung anderer wieder. Als Romantiker sah Schumpeter den Unternehmer als Helden des Kapitalismus, einen Menschen mit „überlegenem Intellekt und Willen“, der seine Motivation aus Eroberungsdrang und Freude am Schaffen zieht. Die Sicht des Kapitalismus als dynamischer Prozess inspirierte eine neue Generation von Wachstumstheoretikern wie Paul Romer von der Stanford University, der eine an Schumpeter angelehnte Theorie der induzierten Innovation als Ergänzung zum traditionellen neoklassischen Wachstumsmodell entwickelte. In der modernen Interpretation der Visionen Schumpeters wird besonders auf das Spezialproblem im Zusammenhang mit der Informationsökonomie verwiesen. Information unterscheidet sich grundsätzlich von allen anderen Gütern. Da die Produktion von Informationen hohe Kosten verursacht, ihre Reproduktion aber billig ist, unterliegen Infor-
Teil 2
mationsmärkte schwerwiegenden Formen des Marktversagens. Denken Sie beispielsweise an die Produktion eines Computerprogramms wie Windows XP. Die Entwicklung nahm mehrere Jahre in Anspruch und kostete Microsoft über US-$ 1 Milliarde. Und doch können Sie eine Kopie des Programms legal für etwa US$ 199 erwerben oder vielleicht auch nur US-$ 5 für eine Raubkopie bezahlen. Dasselbe Phänomen tritt im Verlagswesen, in der Pharmaindustrie, der Unterhaltungsbranche und in anderen Bereichen auf, deren Güter sich durch einen hohen Informationsgehalt auszeichnen. In all diesen Bereichen können Forschung und Entwicklung an einem Produkt zu einem jahrelangen, mühsamen Prozess geraten. Doch sobald das Werk fertig auf Papier, im Computer oder auf CD vorliegt, kann es von anderen mehr oder weniger gratis reproduziert und verwendet werden. Die Unfähigkeit eines Unternehmens, den gesamten Geldwert seiner Produktentwicklungen abzuschöpfen, wird als Nicht-Internalisierbarkeit bezeichnet. Fallstudien kamen zu dem Ergebnis, dass die soziale Rentabilität einer Erfindung (also der Wert von Erfindungen für alle Konsumenten und Produzenten) um ein Vielfaches höher ist als der internalisierbare private Gewinn für den Erfinder (das heißt, der finanzielle Wert der Erfindung für den Erfinder). Information ist teuer in der Produktion, aber billig in der Reproduktion. Man müsste daher erwarten, dass private Forschung und Entwicklung in dem Ausmaß, in dem die Erträge aus Erfindungen nicht internalisierbar sind, finanziell unterdotiert sind, wobei sich ein Investitionsmangel vor allem in der Grundlagenforschung bemerkbar macht. Die Nicht-Internalisierbarkeit und hohe soziale Rentabilität der Forschung führen dazu, dass die meisten Länder Grundlagenforschung im Gesundheitswesen und in der Wissenschaft staatlich subventionieren.
Kapitel 10 Oligopol und monopolistischer Wettbewerb
Geistige Eigentumsrechte Die Staaten wissen seit langem, dass Kreativität besonderer Unterstützung bedarf, weil der Lohn für die Produktion wertvoller Informationen wie Erfindungen durch Nachahmung geschmälert wird. Die US-Verfassung ermächtigt daher den Kongress, „den Fortschritt der Wissenschaft und der angewandten Künste zu fördern, indem während einer begrenzten Zeit den Autoren und Erfindern das Exklusivrecht auf ihre Werke und Entdeckungen zuerkannt wird“. Auf diese Weise schaffen Sondergesetze über Patente, Copyrights sowie über Geschäftsgeheimnisse und elektronische Medien geistige Eigentumsrechte. Damit soll dem Eigentümer ein spezieller Schutz gegen die Reproduktion und Nutzung des Materials durch andere, die den Eigentümer oder Autor der Werke dafür nicht entlohnen, geboten werden. Das erste geistige Eigentumsrecht war das Patent, dem zufolge die US-Regierung auf begrenzte Zeit, derzeit sind es 20 Jahre, ein Monopol für eine „neuartige, nicht offensichtliche und nützliche“ Erfindung erteilt. Copyright-Gesetze bieten auch rechtlichen Schutz gegen die unbefugte Reproduktion von Originalwerken wie Texten, Musik, Videos, Software, Kunst und Informationsgütern auf verschiedenen Speichermedien. Warum aber sollten Staaten Monopole fördern? Patente und Copyrights errichten ihrer Wirkung nach Eigentumsrechte an Büchern, Musik und Ideen. Durch die Gewährung von Eigentumsrechten ermutigt der Staat Künstler und Erfinder, Zeit, Mühe und Geld in den kreativen Prozess zu investieren. Man könnte auch sagen, indem er den Erfindern ein Monopol über ihr geistiges Eigentum gibt, erhöht der Staat die Internalisierbarkeit und schafft so Anreize für die Erfindung nützlicher neuer Produkte, für das Schreiben von Büchern, Komponieren von Musikstücken und für das Programmieren von Computer-Software. Ein Patent bedingt außerdem die Bekanntgabe der technologischen Daten einer Erfindung, wodurch weite-
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re Erfindungen und Nachahmungen gefördert werden. Als Beispiele für erfolgreiche Patente können die Baumwoll-Engreniermaschine, das Telefon, der Xerox-Kopierer und viele pharmazeutische Wirkstoffe, die sich in der Folge als Bestseller erwiesen, angeführt werden.
Das Internet-Dilemma Erfindungen zur Verbesserung der Kommunikation gibt es nicht erst seit Beginn der Neuzeit. Die rasche Verbreitung elektronischer Speichermedien, aber auch der Zugang zu und die Übertragung von Informationen zeigen jedoch das Dilemma, vor das uns Anreize zur Schaffung von Information stellen. Zahlreiche neue Informationstechnologien verursachen enorme Anlauf- oder auch versunkene Kosten, aber praktisch keinerlei Grenzkosten. Angesichts der geringen Kosten elektronischer Informationssysteme wie des Internets ist es technologisch möglich, die meisten Informationen jedem überall und praktisch ohne Grenzkosten zur Verfügung zu stellen. Bitte beachten Sie, dass der vollständige Wettbewerb hier nichts taugt, weil ein Preis, der Grenzkosten von praktisch null entspricht, eben auch keinerlei Ertrag und somit auch keine überlebensfähigen Unternehmen bedeutet. Die Informationsökonomie verdeutlicht den Konflikt zwischen Effizienz und Anreizen. Einerseits könnten sämtliche Informationen gratis zur Verfügung gestellt werden – Datenbanken, Lehrbücher, Filme, Konzerte. Das Gratisangebot von Information erscheint ökonomisch effizient, weil der Preis den Grenzkosten entspricht, wobei diese bei null liegen. Doch das kostenlose Angebot von geistigem Eigentum würde den Gewinnanreiz, zum Angebot neuer Daten, Bücher und Konzerte verringern oder gar vernichten, weil Autoren und Künstler keinerlei Ertrag oder Gewinn aus ihrer kreativen Tätigkeit ziehen könnten. Die Gesellschaft hatte mit diesem Dilemma bereits in der Vergangenheit zu kämpfen. Da aber die Kosten der
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Reproduktion und Übertragung bei elektronischen Informationen so viel geringer sind als bei traditionellen Informationen, wird es immer schwieriger, zu einer vernünftigen Politik und zur Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte zu gelangen. Experten weisen darauf hin, wie schwierig Copyright-Gesetze häufig durchzusetzen sind, vor allem in der Anwendung über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Vor kurzem gerieten die USA in einen Handelsstreit mit China, weil China nichts gegen die illegale Reproduktion amerikanischer Filme, Musik und Software unternahm. Eine Film-DVD, für die man in den USA US-$ 25 bezahlt, erhält man in China für rund 50 Cent. Doch warum sollten Staaten gegen diese Art der Piraterie vorgehen? Die Internalisierbarkeit wird durch die Stärkung geistiger Eigentumsrechte erhöht. Sie wird aber auch erhöht, wenn das Unternehmen, das die Innovation hervorgebracht hat, einen großen Anteil am jeweiligen Markt hält. Wenn Microsoft 95 Prozent aller PC-Betriebssysteme verkauft, profitiert das Unternehmen natürlich massiv von Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet. Kleine Unternehmen haben hingegen weniger Möglichkeiten, den Wert ihrer Erfindungen zu internalisieren, insbesondere dort, wo die Copyright-Gesetze schwach ausgeprägt sind. Wenn ich ein neues Spiel erfinde und es nicht patentrechtlich oder anderweitig schützen kann, ist mein Anteil am gesamten Computermarkt so klein, dass ich praktisch keinerlei Nutzen davon habe.
Schumpeters Hypothese Dieses Dilemma ließ Joseph Schumpeter seine gewagte Hypothese zugunsten der Monopole formulieren: Der moderne Lebensstandard der Massen hat sich während der Periode des relativ unbehinderten „Big Business“ entwickelt. Wollten wir alle Güter aufzählen, die das Budget eines heutigen Arbeiters umfasst, und würden wir die Preisentwicklung der einzelnen Positionen
Teil 2
seit dem Jahr 1899 verfolgen, ... so wären wir wohl von dem enormen Fortschritt überwältigt, der angesichts der spektakulären Qualitätsverbesserungen nicht kleiner, sondern größer als jemals zuvor erscheint. ... Aber damit nicht genug. Wenn wir uns ... auf jene Gebiete konzentrieren, in denen der Fortschritt besonders augenfällig war, so führt uns die Spur nicht vor die Tore jener Unternehmen, die unter Bedingungen eines relativ freien Wettbewerbs tätig sind, sondern eben vor die Tore der großen Konzerne – die, wie im Falle der landwirtschaftlichen Mechanisierung, auch viel zum Fortschritt in dem Wettbewerb ausgesetzten Sektoren beigetragen haben –, und plötzlich taucht der schockierende Verdacht auf, das Big Business könnte womöglich mehr zur Schaffung unseres Lebensstandards als zu seiner Vereitelung beigetragen haben.2
Was ist eigentlich unter dem kritischen Blick der Wissenschaft aus dieser mutigen Hypothese Schumpeters geworden? Die Faktenlage ist viel komplexer, als die simple Annahme vermuten lassen würde. Erstens traf diese Ansicht möglicherweise vor 100 Jahren noch eher zu, als die großen Unternehmen gemessen am heutigen Standard eigentlich winzig waren und als die meisten von ihnen Mühe hatten, ausreichend Kapital zur Schaffung von Innovationen aufzutreiben. Es steht auch fest, dass der Tante-Emma-Laden um die Ecke kaum F&E betreibt. Gründliche Studien haben allerdings ergeben, dass Einzelpersonen und Kleinunternehmen eine zunehmend bedeutende Rolle für Innovationen und Erfindungen spielen. Tabelle 10-1 zeigt uns, wie viel F&E die verschiedenen Unternehmensgruppen betreiben und wie es um ihr jeweiliges Verhältnis zwischen F&E und Umsätzen bestellt ist. Tatsächlich waren Forschung und Entwicklung in der Vergangenheit die Domäne der Großen. Seit etwa zehn Jahren jedoch, insbesondere aber mit der steigenden Bedeutung von New Economy und Internetfirmen, wei2
J. A. Schumpeter, Capitalism, Socialism and Democracy (Harper, New York, 1942; deutsch: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, UTB 1993), S. 81.
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Kapitel 10 Oligopol und monopolistischer Wettbewerb
Unternehmensgröße (Mitarbeiterzahl)
F&E-Rate (in %)
Gesamte F&E der Unternehmen (in Mrd. US-$)
1983
1999
1999
Unter 500
2,2
8,9
31,3
500 bis 999
k. A.
4,0
6,4
1.000 bis 4.999
2,0
3,1
23,9
5.000 bis 9.999
1,3
2,2
14,2
10.000 bis 24.999
2,3
2,8
24,5
25.000 oder mehr
3,4
2,0
59,9
Tabelle 10-1: Forschung und Entwicklung nach Unternehmensgröße Noch vor 20 Jahren trugen Großkonzerne den überwiegenden Teil der Forschungs- und Entwicklungsarbeit (F&E). Doch vor etwa zehn Jahren und mit steigender Bedeutung des Internet und anderer Vertreter der New Economy übernahmen Kleinunternehmen die Führung im Erfindungs- und Innovationsgeschäft. Heute verfügen sie gemessen am Umsatz über eine höhere F&E-Rate als die meisten Industriegiganten. Quelle: National Science Foundation, Research and Development in Industry, 1999, erhältlich unter www.nsf.gov/sbe/srs/
tet sich die Forschung in kleinen Unternehmen rapide aus. Kleinbetriebe mit weniger als 500 Mitarbeitern tragen heute ein Fünftel der gesamten F&E-Aktivitäten, die größten der Großen nicht ganz zwei Fünftel. Die Studienergebnisse zeigen aber auch, dass Kleinunternehmen für einen überproportionalen Anteil an wichtigen Erfindungen und Innovationen verantwortlich zeichnen. Außerdem stellten John Jewkes und seine Kollegen, als sie die Geschichte der wichtigsten Erfindungen unseres Jahrhunderts aufzeichneten, fest, dass weniger als die Hälfte dieser Erfindungen aus den Labors der großen Unternehmen stammen. Die Bedeutung von Erfindungen aus Kleinbetrieben erwies sich in den letzten Jahren, als plötzlich wichtige neue Produkte wie aus dem Nichts aufzutauchen schienen. Es ist, als würden wir täglich Werbesendungen über irgendein neues Softwarepaket bekommen, das von einer völlig unbekannten Startup-Firma entwickelt
wurde. Ein Investor drückte sich sehr plakativ aus, als er sagte: „Auf der Suche nach wirklich tollen Ideen sehe ich mich in Firmen um, in denen sich drei Leute unter 25 in Sandalen tummeln.“ Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass zwischen Innovation und Marktmacht eine komplexe Beziehung besteht. Da große Unternehmen wesentliche Beiträge zu Forschung und Innovation geleistet haben, sollten wir mit Behauptungen vorsichtig sein, wonach Größe in jeder Beziehung von Übel ist. Zugleich gilt es aber auch anzuerkennen, dass Kleinunternehmen und selbst Einzelpersonen einige der revolutionärsten Durchbrüche erzielt haben und einen immer größeren Teil der von der Industrie finanzierten Forschungs- und Entwicklungsarbeit leisten. Will ein Staat rasche Innovationen, muss er für eine möglichst große Vielfalt der Ansätze und Trägerorganisationen sorgen.
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
C. Eine Bilanz des unvollständigen Wettbewerbs Politiker neigen dazu, „kleine und mittelständische Unternehmen“ und den „bäuerlichen Familienbetrieb“ in den Himmel zu loben, während das „Big Business“ mit seinen „obszönen Profiten“ verdammt wird. Doch rechtfertigt die volkswirtschaftliche Analyse dieses etwas romantische Bild? Im vorliegenden Abschnitt wollen wir die Auswirkungen des unvollständigen Wettbewerbs auf die heutige Wirtschaft behandeln. Wir beginnen mit einer Darstellung der Mechanismen, mit denen der unvollständige Wettbewerb die Ressourcenallokation verzerrt. Anschließend wollen wir eine quantitative Schätzung der durch unvollständigen Wettbewerb bedingten Ineffizienzen vornehmen. Wir schließen mit einer Analyse der politischen Maßnahmen, die der Staat treffen kann, um die Nachteile durch unvollständigen Wettbewerb zu begrenzen.
Volkswirtschaftliche Kosten des unvollständigen Wettbewerbs Die Kosten überhöhter Preise und unzureichender Produktionsmengen Unsere Analyse hat gezeigt, wie Unternehmen bei unvollständigem Wettbewerb die Produktionsmengen senken und die Preise erhöhen und somit weniger als unter vollkommenen Wettbewerbsbedingungen produzieren. Dies lässt sich am besten anhand der Monopole aufzeigen, der extremsten Form des unvollständigen Wettbewerbs. Um zu erkennen, wie und warum das Monopol die Produktionsmenge zu gering hält, stellen
Teil 2
Sie sich vor, die Kaufkraft wäre gleichmäßig verteilt und alle Wirtschaftszweige mit Ausnahme eines einzigen funktionierten nach den Bedingungen des vollständigen Wettbewerbs, sodass die Grenzkosten MC der Produktionsmenge P entsprechen und keine Externalitäten zur Wirkung kommen. In einer solchen Welt ist der Preis der korrekte wirtschaftliche Standard oder das richtige Maß der Knappheit: Der Preis misst sowohl den Grenznutzen des Konsums für die Haushalte als auch die Grenzkosten der Güterproduktion durch die Unternehmen. Nun tritt die Firma „Monopol“ auf den Plan. Ein Monopolist ist kein böses Unternehmen – es beraubt niemanden und zwingt auch die Konsumenten nicht, seine Produkte zu konsumieren. Nein, die „Monopol Inc.“ nutzt die Tatsache aus, dass sie einziger Anbieter eines Gutes oder einer Dienstleistung ist. Indem sie ihre Produktionsmenge ein wenig knapp hält, erhöht sie ihre Preise über die Grenzkosten hinaus. Da im Sinne der Effizienz die Gleichung P = MC gelten muss, liegt der Output des Monopolisten unter dem effizienten Output. Der Grenzwert des so angebotenen Gutes liegt daher für die Konsumenten über den Grenzkosten. Dasselbe gilt übrigens auch für Oligopole und monopolistischen Wettbewerb, wenn die Unternehmen die Preise über den Grenzkosten ansetzen. Das ruhige Leben des Monopolisten Der bedeutende britische Ökonom J. R. Hicks schrieb: „Der wertvollste aller Monopolgewinne ist ein ruhiges Leben.“ Damit meinte er, dass die Marktmacht es dem Management ermöglicht, alternative Ziele anzustreben, die nicht unbedingt der Gewinnmaximierung dienen. Bisweilen kann ein nicht gewinnmaximierendes Verhalten ebenso schädlich sein wie die Gewinnmaximierung. Wir haben einige dieser Trends – etwa die Vergabe wertvoller Aktienbezugsrechte – bereits weiter oben in diesem Kapitel behandelt.
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Kapitel 10 Oligopol und monopolistischer Wettbewerb
Messung der Ineffizienzen durch unvollständigen Wettbewerb Wir können die Effizienzverluste durch den unvollständigen Wettbewerb mit einer vereinfachten Version unseres Monopoldiagramms darstellen, wie sie in Abbildung 10-6 vorliegt. Bei vollständigem Wettbewerb würde das Gleichgewicht in jenem Punkt erreicht, in dem gilt: MC = P, also in Punkt E. Bei einem universellen und vollständigen Wettbewerb läge die Produktionsmenge in diesem Wirtschaftszweig bei 6, der Preis bei 100. Vielleicht sind die monopolistischen Bedingungen durch Verhängung eines Zolls, vielleicht durch Importbeschränkungen entstanden; vielleicht hat auch der Staat den Marktzutritt anderer Unternehmen durch Regulierung unterbunden oder es einer Gewerkschaft gestattet, die Arbeit in einem Sektor zu monopolisieren. Gleichgültig, warum das Monopol besteht, der Monopolist gleicht seine MC dem MR (nicht dem P der Branche) an, wodurch sich das Gleichgewicht in Abbildung 10-5 auf Q = 3 und P = 150 verlagert. Der rot unterlegte Bereich GBAF stellt den Gewinn des Monopolisten dar, der einem Gewinn von null im Wettbewerbsgleichgewicht gegenüberzustellen ist.
P 200
D
G
(P*)150
Preis, MC, AC
Aus der Geschichte sind uns zahlreiche Fälle bekannt, in denen Monopolisten schlechte Produkte oder Dienstleistungen anboten. Die Konsumenten beklagen sich häufig über einen trägen Monopolisten vor Ort, der nie neue Produkte herausbringt und Jahr für Jahr auf denselben alten Dienstleistungen besteht. Solange AT&T ein Monopol auf Telefone und Zubehör hatte, mussten sich die Kunden jahrelang mit den einfachen schwarzen Apparaten zufrieden geben. Als aber Konkurrenz auf dem Markt erschien, gab es auf einmal Telefone in allen Farben, Formen und mit jeder Menge Zubehör (etwa mit Anrufbeantwortern und Faxgeräten).
B
E 100
F
MC = AC
A
50
D MR
0
2
4 (Q*)
8
Q
6 Menge
Abbildung 10-6: Monopolisten bewirken durch Mengenbeschränkungen Effizienzverluste Monopolisten halten die Produktionsmenge knapp und treiben so Preise wie Gewinne in die Höhe. Würde im betreffenden Sektor vollständiger Wettbewerb herrschen, läge das Gleichgewicht in Punkt E, wo der volkswirtschaftliche Nutzen maximiert wird. Bei der monopolistischen Produktionsmenge in Punkt B (wo gilt: Q = 3 und p = 150), liegt der Preis über den MC, und die Konsumentenrente geht verloren. Durch Addition aller Verluste an Konsumentenrente zwischen Q = 3 und Q = 6 ergibt sich eine monopolbedingte Ineffizienz im Ausmaß des grau unterlegten Bereichs ABE. Zusätzlich erwirtschaftet der Monopolist Gewinne (die eigentlich Konsumentenrente hätten sein sollen), die durch den rot unterlegten Bereich GBAF dargestellt sind.
Effizienzverluste durch Monopole werden bisweilen als Nettowohlfahrtsverlust bezeichnet. Der Begriff bezieht sich auf den Verlust an Wohlstand, der durch Preis- und Mengenverzerrungen, etwa infolge von Monopolen, Steuern, Zöllen oder Quoten, entsteht. Die Konsumenten könnten eine hohe Konsumentenrente genießen, würde ein neues Schmerzmittel zu Grenzkosten verkauft. Sobald jedoch der Hersteller das Produkt monopolisiert, etwa mittels eines Patents, und die Preise auf Monopolniveau anhebt, verlieren die Konsumenten mehr, als der Monopolist gewinnt. Dieser unter dem Strich verbleibende Verlust an Wohlstand wird als Nettowohlfahrtsverlust bezeichnet.
290
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Wir können den Nettowohlfahrtsverlust durch Monopole bildlich wie in Abbildung 10-6 darstellen. Punkt E entspricht dem Effizienzniveau der Produktion, bei dem gilt: MC = P. Für jede Einheit, um die der Monopolist den Output unter E drückt, entspricht der Effizienzverlust dem Vertikalabstand zwischen der Nachfrage- und der Grenzkostenkurve. Der gesamte Nettowohlfahrtsverlust aus der Mengendrosselung eines Monopolisten ist die Summe all dieser Verluste; er wird durch das grau unterlegte Dreieck ABE dargestellt. Um dies zu verstehen, sollten wir uns daran erinnern, dass die DD-Kurve den Grenzwert des Gutes für den Konsumenten auf jedem Outputniveau entspricht, während die MC-Kurve die Opportunitätskosten des Einsatzes der Produktion für dieses anstatt für andere Güter darstellt. So stellt etwa bei Q = 3 der Vertikalabstand zwischen B und A die Differenz zwischen dem Wert und den Kosten einer geringfügigen Outputsteigerung von Q dar. Addiert man all diese Differenzen von Q = 3 bis Q = 6, so erhält man den schattierten Bereich ABE. Diese Technik, mit der sich die Kosten von Marktmängeln durch „kleine Dreiecke“ von Nettowohlfahrtsverlusten wie in Abbildung 10-6 messen lassen, ist auch auf andere Bereichen anwendbar. Bei Außenhandelszöllen und Importbeschränkungen, bei Steuern und Subventionen sowie bei Externalitäten kann man ganz ähnlich vorgehen.
Interventionsstrategien Als sich der große, marktorientierte Ökonom Milton Friedman mit dem Problem des unvollständigen Wettbewerbs auseinander setzte, schrieb er: „Hier besteht nur die Wahlmöglichkeit zwischen drei Übeln: dem privaten, unregulierten Monopol, dem privaten, vom Staat regulierten Monopol und dem staatlichen Unternehmen.“ Wir beschließen dieses Kapitel mit einer Untersuchung der wichtigsten politischen Strategien, welche die
Teil 2
öffentliche Hand verfolgt, um dem Missbrauch von Marktmacht zu begegnen. Die ersten drei politischen Maßnahmen bilden den Kern einer modernen staatlichen Wirtschaftspolitik gegenüber dem Big Business. 1. Die wichtigste Maßnahme zur Bekämpfung der Marktmacht ist die Antitrustpolitik, das Kartellrecht. Man versteht darunter gesetzliche Vorschriften, die eine bestimmte Art des Verhaltens (Preiskartelle etwa) verbieten oder bestimmte Marktstrukturen verhindern (beispielsweise reine Monopole und Oligopole mit hoher Marktkonzentration). Diesen wichtigen politischen Eingriff werden wir detailliert in Kapitel 17 besprechen. 2. Ganz allgemein lassen sich wettbewerbsvermeidende Missbräuche durch die gezielte Förderung des Wettbewerbs bekämpfen. Es gibt zahlreiche staatliche Maßnahmen, mit denen eine heftige Konkurrenz auch zwischen großen Unternehmen gefördert werden kann. Besondere Bedeutung hat hier der Beseitigung von Marktzutrittsbarrieren. Dazu gehört die Förderung und Ermutigung kleiner Unternehmen und die Unterbindung der Abschottung der heimischen Märkte gegenüber dem Wettbewerb aus dem Ausland. 3. Während der letzten 100 Jahre hat der USamerikanische Staat ein neues Instrumentarium zur staatlichen Lenkung der Wirtschaft entwickelt: die Regulierung. Die entsprechenden Regelungen bevollmächtigen spezielle Behörden, die Preise, Produktionsmengen sowie den Marktzutritt und -austritt von Unternehmen in regulierten Wirtschaftszweigen wie bei den öffentlichen Versorgungsbetrieben und öffentlichen Verkehrsmitteln zu kontrollieren. Anders als in der Antitrustpolitik, die den Unternehmen sagt, was sie nicht tun dürfen, wird den Unternehmen im Wege staatlicher Regulierung verordnet, was sie tun müssen und welche Preise sie für ihre Produkte verlangen dürfen. Es handelt
Kapitel 10 Oligopol und monopolistischer Wettbewerb
sich dabei letztlich um eine staatliche Kontrolle, ohne dass der Staat Eigentumsrechte an den kontrollierten Bereichen innehat. Dieser Ansatz wurde früher für Sektoren gewählt, die man als „natürliche Monopole“ ansah, wie etwa die Stromversorgung oder die Telekommunikation. Heute ist der wichtigste staatlich geregelte Bereich das Gesundheitswesen, wie wir in Teil Vier sehen werden. Die nächsten drei Strategien werden zwar hin und wieder versucht, kommen aber in modernen Marktwirtschaften wie den USA nur selten zur Anwendung: 4. Staatliches Eigentum an Monopolen ist ein Ansatz, der außerhalb der Vereinigten Staaten früher sehr häufig anzutreffen war. Bei einigen natürlichen Monopolen wie Wasser, Erdgas und Stromversorgung wird unterstellt, dass eine effiziente Produktion nur durch einen einzigen Anbieter zu gewährleisten ist. In diesen Fällen besteht das eigentliche Dilemma in der Entscheidung, ob der Staat die Unternehmen besitzen oder nur regulieren sollte. Die meisten Marktwirtschaften haben den Regulierungsweg beschritten, und seit einigen Jahren „privatisieren“ viele Staaten Industriezweige wie Telefongesellschaften, die früher staatlich betrieben wurden, verkaufen sie also an private Eigentümer. 5. Preiskontrollen für einen Großteil der Güter und Dienstleistungen stellen eine Methode dar, die besonders in Kriegszeiten zum Einsatz kam, einerseits als Möglichkeit zur Eindämmung der Inflation, andererseits aber auch, um die Preise in Wirtschaftszweigen mit starker Konzentration niedrig zu halten. Untersuchungen legen nahe, dass diese Methode eher plump ist: Sie führt zu zahlreichen Verzerrungen und Umgehungshandlungen, die die Effizienz einer Wirtschaft untergraben. Die letzte Erfahrung mit Preiskontrollen in den USA während der siebziger Jahre zeigt,
291
dass sich bei zu niedrigen Preisen lange Warteschlangen vor den Tankstellen bildeten, während andererseits bei Rindfleisch, Erdgas und sogar bei unverzichtbaren Gütern wie Toilettenpapier Engpässe auftraten. Wollte man die gesamte Wirtschaft einer Preiskontrolle unterwerfen, um gegen einige wenige Monopolisten vorzugehen, wäre dies so, als wollte man einen ganzen Garten vergiften, nur um ein paar kleine Käfer loszuwerden. Heute kommen Preiskontrollen außerhalb des Gesundheitssektors nur noch selten zum Einsatz. 6. Steuern dienen bisweilen dem Ziel, die Einkommensverteilung sozial verträglicher zu gestalten. Indem der Staat Monopolisten besteuert, kann er deren Monopolgewinne verringern, wodurch die sozial unerwünschten Auswirkungen des Monopols ein wenig gemildert werden. Doch selbst wenn Steuern einige Gerechtigkeitsprobleme lösen, so sind sie doch schlecht geeignet, Verzerrungen der Produktionsmengen zu verhindern. Eine Steuer, die keinen lenkenden Effekt hat, zieht zwar die Gewinne vom besteuerten Unternehmen ab, hat jedoch keinerlei Auswirkungen auf die Produktionsmenge. Führt die Steuer zu einer Erhöhung der Grenzkosten, entfernt sich dadurch der Monopolist aller Voraussicht nach nur noch weiter von der effizienten Produktionsmenge, weil er nämlich seine Preise anheben und die Produktionsmenge noch weiter drosseln wird. Die Bilanz des unvollständigen Wettbewerbs Wie sähe eigentlich eine Bilanz aus, die die Vorteile des unvollständigen Wettbewerbs dessen Nachteilen gegenüberstellt? Als erstes sei bemerkt, dass die Frage „Monopol oder Wettbewerb“ zu stark vereinfacht und daher nicht sinnvoll ist, vergleichbar etwa der Frage, ob große Tiere schöner und besser sind als kleine. Wie in unserem obigen Überblick dargelegt, gibt es eine
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
große Zahl unterschiedlicher Ausformungen des unvollständigen Wettbewerbs. Die meisten von ihnen haben sich in Reaktion auf besonders unangenehm empfundene Probleme der jeweiligen Märkte entwickelt. Automobilwerke sind große Publikumsgesellschaften, weil sie Kapital beschaffen müssen, um die Effizienzvorteile der Massenproduktion zu nutzen; Rechtsanwälte dagegen sind eher in Form von Gemeinschaftskanzleien organisiert, sodass sie ihre jeweiligen Fähigkeiten in einen Pool einbringen und ihren Klienten Vertrauenswürdigkeit vermitteln können; Universitäten sind gemeinnützige Organisationen, weil sich Gewinnstreben und Lehrtätigkeit nur schlecht vertragen; Bauernhöfe werden von Familien betrieben, weil hier eine ganze Palette verschiedener Fertigkeiten gefordert ist und sie sich zumeist in dünn besiedelten Gegenden befinden. In fast all diesen Fällen muss, wie Milton Friedman erklärt, der Staat zwischen mehreren Übeln wählen, um exzessive Marktmacht zu beschränken. Nach zwei Jahrhunderten mit ganz verschiedenen Marktstruk-
Teil 2
turen gelangten viele Ökonomen zu dem Schluss, dass die Förderung eines lebendigen Wettbewerbs zwischen nicht regulierten Unternehmen nach wie vor das geringste dieser Übel ist. Der Abbau von Marktzutritts- und -austrittsbarrieren sowie wirksame Kollusionsverbote sind die optimale Formel zur Vermeidung monopolistischer Preise und zur Ankurbelung rascher Innovationen. Die wesentlichen Punkte dieser Strategie könnte man zu folgenden Merksätzen zusammenfassen: • • • •
• •
Staatliche Wettbewerbsschranken sollten abgebaut werden. Achtung: „Der Zoll ist die Mutter des Monopols.“ Der lebendige Wettbewerb durch ausländische Konkurrenz ist zu fördern. Wo es möglich erscheint, sollten Versteigerungen und Ausschreibungsverfahren stattfinden. Künftige technologische Trends sind zu akzeptieren. Kleine Unternehmen müssen ermutigt werden, den Wettbewerb mit der Konkurrenz aufzunehmen.
Zusammenfassung A. Das Verhalten von Unternehmen bei unvollständigem Wettbewerb 1.
2.
Wiederholen wir noch einmal die vier wichtigsten Marktstrukturen: (a) Vollständiger Wettbewerb. Hierbei handelt es sich um einen Markt, auf dem kein Unternehmen groß genug ist, um Einfluss auf den Marktpreis ausüben zu können. (b) Monopolistischer Wettbewerb. Eine große Anzahl von Unternehmen erzeugt nur geringfügig unterschiedliche Produkte. (c) Oligopol. Bei dieser Zwischenform des unvollständigen Wettbewerbs wird ein Sektor von einigen wenigen Unternehmen beherrscht. (d) Monopol. Ein Unternehmen stellt das gesamte Produktionsvolumen eines Sektors her. Die Messung der Marktkonzentration hilft uns, das Ausmaß an Marktmacht in einem Wirtschaftszweig bei unvollständigem Wettbewerb
3.
4.
festzustellen. Wirtschaftszweige mit starker Konzentration zeichnen sich durch höhere F&E-Kosten, nicht aber durch überdurchschnittliche Erträge aus. Hohe Zutrittsbarrieren und vollständige Kollusion können zu einem Kollusionsoligopol führen. Bei einer derartigen Marktstruktur entsteht ein Preis-Mengen-Verhältnis ähnlich jenem in einem monopolistischen Wirtschaftszweig. Eine weitere verbreitete Struktur ist der monopolistische Wettbewerb, den wir in zahlreichen Einzelhandelssparten antreffen. Er ist durch eine Vielzahl kleiner Unternehmen mit geringen Unterschieden in der Produktqualität (beispielsweise verschiedenen Standorten der Tankstellen) gekennzeichnet. Diese Produktdifferenzierung bedeutet für jedes Unternehmen eine abwärts gerichtete Nachfragekurve dd. Langfristig frisst der freie Marktzugang die Gewinne auf, weil die betroffenen Sektoren ihr
Kapitel 10 Oligopol und monopolistischer Wettbewerb
5.
6.
Gleichgewicht dort erreichen, wo die AC-Kurven der Unternehmen eine Tangente zu ihren Nachfragekurven dd bilden. In diesem Tangentialgleichgewicht liegen die Preise über den Grenzkosten, aber der Sektor zeigt eine größere Qualitäts- und Leistungsvielfalt als unter Bedingungen des vollständigen Wettbewerbs. Als Letztes ist hier noch die strategische Interaktion zu nennen, bei der ein Wirtschaftszweig nur aus einer Handvoll Unternehmen besteht. Wenn eine kleine Anzahl von Unternehmen auf einem Markt zueinander in Konkurrenz tritt, muss jedes dieser Unternehmen auf strategische Interaktionen achten. Durch den Wettbewerb zwischen einigen wenigen Unternehmen kommt ein völlig neues Element des Wirtschaftslebens ins Spiel: Die Unternehmen sind gezwungen, die Reaktionen von Mitbewerbern auf Preis- und Mengenänderungen zu berücksichtigen und strategische Überlegungen anzustellen. Wir sprechen von Preisdiskriminierung, wenn dasselbe Produkt zu verschiedenen Preisen an verschiedene Kunden verkauft wird. Preisdiskriminierung tritt häufig auf, wo Anbieter ihren Markt in verschiedene Segmente teilen können.
B. Innovation und Information 7.
8.
Eine gründliche Studie des tatsächlichen Verhaltens von Oligopolisten enthüllt bestimmte Verhaltensweisen, die von den üblichen volkswirtschaftlichen Annahmen über Gewinnmaximierung abweichen. So stellt die eingeschränkte Rationalität eine Einschränkung der möglichen Gewinnmaximierung dar. Dieses Prinzip besagt, dass es Zeit und Geld kostet, Entscheidungen umfassend informiert zu treffen, weshalb sich Unternehmensleiter auch mit suboptimalen Entscheidungen zufrieden geben und häufig eine praktikable Faustregel anwenden, um möglichst wenig Zeit für Sondierung und Entscheidungsfindung aufwenden zu müssen. Ein verbreitetes Beispiel für dieses vereinfachte Verfahren ist die Preisfestsetzung durch Aufschlagen eines bestimmten Prozentsatzes auf die Produktionskosten. Denken Sie außerdem daran, dass Marktmacht den Unternehmen das Leben leicht macht. Schumpeter verwies auf die Bedeutung des „Innovators“, der „neue Kombinationen“ in Form neuer Produkte oder Organisationsmethoden einführt und dafür mit vorübergehen-
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den Unternehmensgewinnen belohnt wird. Schumpeters Hypothese besagt, dass die traditionelle Monopoltheorie die Dynamik des technologischen Wandels ignoriert. Dieser Ansicht zufolge sind Monopole und Oligopole die bedeutendste Quelle der Innovation und unseres steigenden Lebensstandards. Die Zerschlagung großer Unternehmen zugunsten des Wettbewerbs könnte zwar kurzfristig zu Preissenkungen führen, würde aber die Gefahr mit sich bringen, dass im Zuge der Fragmentierung auch der technologische Fortschritt gebremst wird. 9. Die heutige Informationsgesellschaft offenbart die Schwierigkeiten einer effizienten Produktion und Verteilung neuen und verbesserten Wissens. Information unterscheidet sich von herkömmlichen Wirtschaftsgütern, weil sie besonders teuer in der Herstellung und billig in der Reproduktion ist. Die Unfähigkeit eines Unternehmens, den gesamten Geldwert seiner Investitionen abzuschöpfen, wird als NichtInternalisierbarkeit bezeichnet. Zur Verbesserung der Internalisierbarkeit beschließt der Staat Sondergesetze zur Regelung von Patenten, Copyrights, Geschäftsgeheimnissen und elektronischen Medien. Die Verbreitung elektronischer Systeme wie des Internet zeigt auf drastische Weise das Dilemma einer effizienten Preisgestaltung für Informationsdienste auf.
C. Bilanz des unvollständigen Wettbewerbs 10. Die Macht der Monopole führt häufig zu ökonomischer Ineffizienz, wenn die Preise über die Grenzkosten hinaus oder einfach mangels Wettbewerbsdrucks ansteigen und wenn die Produktqualität zu wünschen übrig lässt. 11. Um den Missbrauch durch unvollständigen Wettbewerb abzustellen, haben Staaten in früheren Zeiten häufig auf Besteuerung, Preiskontrollen und Verstaatlichung zurückgegriffen. Heute kommen diese Methoden in entwickelten Marktwirtschaften kaum noch zur Anwendung. Die drei wichtigsten Instrumente der US-amerikanischen Wirtschaftspolitik sind heute Regulierung, Kartellrecht und Förderung des Wettbewerbs. Von diesen drei Möglichkeiten erscheint die Förderung des Wettbewerbs durch eine Senkung der Marktzutrittsbarrieren, wo immer dies möglich ist, am wichtigsten.
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Teil 2
Begriffe zur Wiederholung Modelle des unvollständigen Wettbewerbs Konzentration: Konzentrationsraten, HerfindahlHirschman-Index Marktmacht Strategische Interaktion. Stillschweigende und explizite Kollusion Unvollständiger Wettbewerb: Kollusionsoligopol Monopolistischer Wettbewerb Oligopol einiger weniger Unternehmen Gleichgewicht bei einem Gewinnniveau von null im monopolistischen Wettbewerb Ineffizienz von P > MC
Aspekte des unvollständigen Wettbewerbs Trennung von Eigentum und Geschäftsleitung Grenzen der Gewinnmaximierung: Eingeschränkte Rationalität Preisbildung durch Gewinnaufschlag Die Schumpetersche Hypothese Informationsökonomie: Nicht-Internalisierbarkeit Schutz geistiger Eigentumsrechte Dilemma der effizienten Produktion von Information bzw. Wissen Nettowohlfahrtsverlust Ältere Ansätze: Besteuerung Preiskontrolle Verstaatlichung Aktuelle Ansätze: Regulierung Kartellrecht Förderung des Wettbewerbs
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Einen hervorragenden theoretischen Überblick über das Thema Oligopol liefert das Buch von F. M. Scherer und David Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 3. Aufl. (Houghton Mifflin, Boston, 1990). Die Schumpetersche Hypothese wurde von Joseph Schumpeter in Capitalism, Socialism and Democracy, (Harper & Row, New York, 1942; deutsch: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, UTB, München 1993) entwickelt. Belege für diese Hypothese finden Sie auch im oben genannten Werk von Scherer und Ross. Viele der ökonomischen, betrieblichen und politischen Fragen im Zusammenhang mit der neuen Informationsökonomie werden in einem populärwissenschaftlichen Buch zweier bedeutender Wirtschaftswissenschaftler, Carl Shapiro und Hal R. Varian, erörtert: Information Rules (Harvard Business School Press, Cambridge, Mass., 1998). Die ökonomischen Aspekte des Internet werden in Jeffrey K. MacKie-Mason und Hal Varian, „Economic FAQs about the Internet”, Journal of Economic Perspectives, Sommer 1994, S. 92, behandelt. Deutschsprachige Literatur: Kurt Wilhelm Rothschild: „Preistheorie und Oligopol“, in: Alfred E. Ott (Hrsg.): Preistheorie (Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1965), S. 354–375; Paul M. Sweezy: „Die Nachfrage beim Oligopol“, ebenfalls in: Alfred E. Ott (Hrsg.): Preistheorie, S. 320.
Websites Eine der interessantesten Websites über das Internet und geistige Eigentumsrechte stammt von Hal R. Varian, dem Dekan der School of Information Management and Systems an der University of California in Berkeley. Diese Seite unter dem Titel „The Economics of the Internet, Information Goods, Intellectual Property and Related Issues“ finden Sie unter www.sims.berkeley.edu/resources/infoecon. Informieren Sie sich außerdem auf der Webpage des „Program for Research on the Information Economy“ unter der Leitung von Jeffrey MacKie-Mason von der Universität Michigan: www.si.umich.edu/~prie.
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Kapitel 10 Oligopol und monopolistischer Wettbewerb
Die OPEC ist im Internet unter www.opec.org vertreten. Hier finden Sie eine Menge interessanter Lektüre aus der Sicht der Ölproduzenten, bei denen es sich in vielen Fällen um arabische Länder handelt. Daten und Methoden im Zusammenhang mit Branchen-Konzentrationsmessungen sind einer Publikation des US-Statistikamtes, Bureau of the Census, zu entnehmen: www.census.gov/prod/ec97/m31s-cr.pdf.
Übungen 1.
Betrachten Sie noch einmal die Begriffe Kollusionsoligopol und monopolistischer Wettbewerb, zwei Theorien des unvollständigen Wettbewerbs, die in diesem Kapitel erörtert wurden. Erstellen Sie eine Tabelle, in der Sie den vollständigen Wettbewerb, das Monopol und die beiden Theorien hinsichtlich folgender Cha-
Unternehmen Apfel Computer
2.
Umsatz
rakteristika vergleichen: (a) Anzahl der Unternehmen; (b) Ausmaß der Kollusion; (c) Verhältnis zwischen Preis und Grenzkosten; (d) Verhältnis zwischen Preis und langfristigen Durchschnittskosten; (e) Effizienz. Betrachten Sie einen Wirtschaftszweig mit folgenden Umsätzen:
Unternehmen
Umsatz
1.000
Fettuccini Computer
200
Banane Computer
800
Grapefruit Computer
150
Kumquats Computer
600
Hamburger Computer
100
Delta Computer
400
Löskaffee Computer
Endivien Computer
300
Jasmin Computer
Der Herfindahl-Hirschman Index (HHI) wird definiert als: HHI = (Marktanteil von Unternehmen 1 in %)2 + (Marktanteil von Unternehmen 2 in %)2 + … + (Marktanteil des letzten Unternehmens in %)2 a. Berechnen Sie die Vier- und Acht-Unternehmens-Konzentrationsrate. b. Berechnen Sie den HHI für den Wirtschaftszweig. c. Nehmen Sie an, Apfel Computer und Banane Computer würden bei gleichbleibendem Umsatz ihrer Computer fusionieren. Berechnen Sie den neuen HHI. 3. Zu einer „vollständigen Preisdiskriminierung“ kommt es, wenn jedem Konsumenten für ein Produkt der jeweils höchste mögliche Preis in Rechnung gestellt wird. In diesem Fall kann der Monopolist die gesamte Konsumentenrente für sich verbuchen. Zeichnen Sie eine Nachfragekurve für jeden der sechs Konsumenten und vergleichen Sie (a) die Situation, in der alle Konsumenten denselben Preis bezahlen, mit (b) einem Markt unter den Bedingungen vollständiger Preisdiskriminierung. Erklären Sie das paradoxe Ergebnis, dass eine vollständige Preisdiskriminierung die Ineffizienz des Monopols beseitigt.
4.
5.
50 1
„Es ist doch naiv, Monopole zu mehreren konkurrierenden Einheiten zerschlagen zu wollen, selbst wenn es sich nur um eine Handvoll Unternehmen handelte, weil die Hauptursache für die Bildung von Monopolen in den durch Massenproduktion ermöglichten niedrigeren Produktionskosten liegt. Und auch wenn es plötzlich mehr Anbieter gibt, bewegt sich der Preis immer nahe an den Grenzkosten.“ Diskutieren Sie beide Teile dieser Aussage. Eine interessante, von zwei Ökonomen durchgeführte Studie über das Internet aus jüngerer Zeit ergibt Folgendes: Die traditionelle Preisgestaltung bewährt sich nicht [bei Informationsdiensten]. Wenn Sie einen Tisch gekauft haben, den wir auch gerne hätten, müssen wir uns im Normalfall an den Tischler oder das Möbelhaus wenden, um ebenfalls einen zu kaufen – wir können nicht einfach Ihren Tisch kopieren. Doch bei Informationsgütern taugen die gängigen Preisgestaltungsmodelle nicht. Sobald die versunkenen Kosten für die Entwicklung einer Software investiert sind, sinken die Reproduktionskosten auf fast null. Dies ist [bei elektronischen Informationen] ein viel gravierenderes Problem als jenes, dem Verlagshäuser mit dem unbefugten Kopieren von Büchern gegenüberstehen, weil im ersten
296
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
MC = P = MU aus Kapitel 8 für diese Analyse ganz wesentlich?
Fall die Reproduktionskosten quasi null betragen.3
6.
7.
8.
9.
3 Zusammengefasst aus MacKie-Mason und Varian, zitiert im Abschnitt Leseempfehlungen.
P
MC Price
Analysieren Sie dieses Zitat unter dem Gesichtspunkt der Informationsökonomie. Erklären Sie, warum die Internalisierbarkeit für ein Buch oder eine Website ein Problem darstellt, nicht aber für einen Stuhl oder einen Kanister Benzin. Inwiefern könnte die Verteuerung von Fotokopien oder des Zugangs zum Internet die Effizienz beeinträchtigen? Setzen Sie diese Frage in Beziehung zur Schumpeterschen Hypothese. Erklären Sie die folgenden Aussagen: a. Im Drogerieeinzelhandel hat jeder einzelne Laden zwar ein klein wenig Marktmacht, erzielt aber trotzdem keinen Gewinn. b. Nach der Theorie der eingeschränkten Rationalität bedeutet Effizienz für General Electric, den Preis für Kühlschränke nicht anzupassen, sodass immer und überall gilt: MC = MR. Der Staat beschließt, einen Monopolisten mit einem konstanten Steuersatz von US-$ x pro Einheit zu besteuern. Erläutern Sie die Auswirkungen auf Produktionsmenge und Preis. Befindet sich das Gleichgewicht nach Steuern näher am Idealgleichgewicht von P = MC, oder ist es weiter entfernt? Unternehmen betreiben häufig Lobbying für Zölle oder Einfuhrbeschränkungen, um sich vor dem Wettbewerb durch Importe zu schützen. a. Nehmen wir an, der Monopolist aus Abbildung 10-6 hätte einen ausländischen Mitbewerber, der seine Produktionsmenge vollkommen elastisch zu einem Preis anbieten kann, der geringfügig über den AC = MC des Monopolisten liegt. Zeigen Sie die Auswirkungen des Markteintritts des ausländischen Konkurrenten. b. Welche Auswirkungen auf Preis und Menge wären zu erwarten, würde ein prohibitiv hoher Zoll auf ein ausländisches Gut erhoben? (Prohibitiv ist ein Zoll dann, wenn er Importe de facto verhindert.) Welchen Einfluss hätte ein niedriger Zoll? Erklären Sie die folgende Aussage analytisch: „Der Zoll ist die Mutter des Kartells“. Erklären Sie mit Worten und mit Hilfe eines Diagramms, warum ein monopolistisches Gleichgewicht verglichen mit Unternehmen im vollständigen Wettbewerb zu volkswirtschaftlicher Ineffizienz führt. Warum ist die Bedingung
Teil 2
d
E
AC
d
q
0 Quantity
Abbildung 10-7: 10. Im langfristigen Gleichgewicht erreichen sowohl vollkommene als auch monopolistische Märkte eine Tangentialbeziehung zwischen der Nachfragekurve dd des Unternehmens und seiner Durchschnittskostenkurve AC. Abbildung 10-4 zeigt die Tangentialbeziehung eines Unternehmens bei monopolistischem Wettbewerb, Abbildung 10-7 jene eines Unternehmens bei vollständigem Wettbewerb. Erörtern Sie Ähnlichkeiten und Unterschiede der beiden Situationen im Hinblick auf: a. die Elastizität der Nachfragekurve nach dem Produkt des Unternehmens b. das Ausmaß der Divergenz zwischen Preis und Grenzkosten c. Gewinne d. volkswirtschaftliche Effizienz 11. Lesen Sie die Geschichte der OPEC noch einmal nach. Zeichnen Sie ein Modell von Angebots- und Nachfragekurven, bei denen das Angebot absolut preisunelastisch ist. Weisen Sie nach, dass ein Kartell, das ein quantitatives Ziel festsetzt (die unelastische Angebotskurve), bei preisunelastischer Nachfrage mit größeren Preisschwankungen als bei preiselastischer Nachfrage zu rechnen hat, wenn sich (a) die Nachfragekurve ein wenig (um einen Prognoseirrtum) horizontal verschiebt oder wenn (b) eine Verschiebung der Angebotskurve eintritt (etwa weil ein Kartellmitglied ausschert).
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KAPITEL 11 Unsicherheit und Spieltheorie
Strategisches Denken ist die Kunst, den Gegner auszustechen, wohl wissend, dass dieser dasselbe vorhat. Avinash Dixit und Barry Nalebuff, Thinking Strategically (1991)
Das Leben ist voller Unsicherheiten und strategischer Verhaltensweisen. Werfen wir nur einen kurzen Blick auf die Geschichte der Ölsuche in Russland. In der Phase des wirtschaftlichen Umbruchs der neunziger Jahre ging die russische Ölproduktion stark zurück, und Russland fiel von seiner Position als weltgrößter Ölproduzent auf Platz drei zurück. Westliche Ölgesellschaften wurden eingeladen, sich an Investitionen und Modernisierungsmaßnahmen auf den russischen Ölfeldern zu beteiligen. Stellen Sie sich vor, Sie wären mit dem Aufbau eines Jointventures von Texaco in Sibirien betraut. Mit welchen Hindernissen müssten Sie rechnen? Nun, natürlich birgt der Aufbau eines solchen Jointventures dieselben Risiken in sich, denen sich jeder Ölproduzent weltweit gegenüber sieht – ein Preissturz, ein Embargo oder ein Angriff auf einen Ihrer Tanker durch ein feindliches Regime sind jederzeit denkbar. Darüber hinaus aber beschäftigt Sie die Unsicherheit des Operierens in einem völlig neuen Gebiet. Sie und Ihre Mitarbeiter sind mit den geologischen Formationen, mit dem Gelände, durch das das Öl transportiert werden muss, mit den Erfolgsaussichten der Bohrungen sowie mit dem Ausbildungsstand der Arbeitskräfte nicht vertraut. Zusätzlich zu diesen Schwierigkeiten bedrückt Sie eine Reihe von politischen Risiken in der Zusammenarbeit mit einer gespaltenen Zentralregierung in Moskau, mit autonomen Regionen, lokalen Behörden und der berüchtigten russischen Mafia. Sie betätigen sich schließlich in einem Land, in dem Eigentumsrechte, die Notwendigkeit zu bestechen sowie die Höhe der steuerlichen Abgaben einerseits von Ihrer Fähigkeit zu schachern und andererseits von der Launenhaftigkeit der Bürokratie abhängen. Die Probleme, die ein solches TexacoUnternehmen hätte, verdeutlichen, dass wirtschaftliche Aktivitäten oft unter komplexen Bedingungen stattfinden, die in den grundlegenden volkswirtschaftlichen Theorien nicht berücksichtigt werden. Mit diesem Thema
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
befasst sich die ökonomische Theorie der Unsicherheit, die die Auswirkungen der vielen Unsicherheitsfaktoren analysiert, welche das Wirtschaftsleben mit sich bringt. Unsere Ölgesellschaft muss sich mit Unsicherheiten bezüglich der Bohrungen, der schwankenden Kosten und Preise und der sich verschiebenden Märkte auseinandersetzen. Auch Haushalte sind gezwungen, die Unsicherheit der zukünftigen Beschäftigungssituation, des zukünftigen Einkommens sowie der Erfolgsaussichten einer Investition in eine weitere Ausbildung oder in Vermögenswerte in ihrer Planung zu berücksichtigen. Gelegentlich werden die Menschen von Katastrophen wie verheerenden Wirbelstürmen, Erdbeben oder Krankheiten heimgesucht. Eine zweite Theorie, als Spieltheorie bekannt, analysiert Aspekte des Wirtschaftslebens wie Schachern und Feilschen und die Entwicklung von Strategien. Auf vollkommenen Märkten sind alle Akteure Preisnehmer, die in ihr Kalkül nicht mit einzubeziehen brauchen, wie die anderen Akteure auf ihr Vorgehen reagieren. Trotzdem sind strategische Entscheidungen in den meisten Fällen unverzichtbar. Unsere Ölgesellschaft muss unter Umständen damit rechnen, dass eine große Ölfundstelle einfach von der russischen Regierung enteignet wird. Ein oligopolistisches Unternehmen muss sich den Kopf darüber zerbrechen, wie andere Firmen auf seine Preis- oder Produktionsentscheidungen reagieren werden. Wird eine Preissenkung in einen Preiskrieg münden? Kann dieser Preiskrieg das Unternehmen in den Bankrott treiben? Die meisten großen Unternehmen führen Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften, um Löhne und Arbeitsbedingungen festzulegen. Könnte eine zu starre Haltung nicht auch lähmende Streiks zur Folge haben? Elemente des Verhandelns finden wir auch in der Wirtschaftspolitik. Den Entscheidungen eines Staates über Steuern und Ausgaben gehen oft schwierige Verhandlungen voraus: etwa zwischen politischen Parteien, dem Präsidenten und dem Kongress oder auch zwi-
Teil 2
schen den verschiedenen Interessensgruppen im Kongress. Ja, sogar innerhalb der Familien wird verhandelt und strategisch agiert, wenn es etwa darum geht, die Hausarbeit zu verteilen und das Familieneinkommen aufzuteilen. Zu einer umfassenden Untersuchung des realen Wirtschaftslebens gehört unbedingt auch eine eingehende Erforschung des faszinierenden Zusammenwirkens von Unsicherheit und Strategie.
A. Die ökonomische Theorie des Risikos und der Unsicherheit Unseren bisherigen Markttheorien haben wir immer die Annahme zugrunde gelegt, dass alle Informationen über Kosten und Nachfragemengen verfügbar sind und dass die Unternehmen das Verhalten anderer Unternehmen prognostizieren können. In der Realität aber herrschen Unsicherheit und Risiko vor. Sehen wir uns einmal an, wie sich das Bild verdüstert, wenn Sie im Ölgeschäft sind und sich entschließen, nach dem schwarzen Gold zu graben. Zu Beginn veranschlagen Sie die Kosten für die Errichtung eines Bohrlochs mit US-$ 100 Millionen. Hierbei handelt es sich jedoch nur um eine Schätzung, da Sie nicht wissen können, wie tief gebohrt werden muss, um auf Öl zu stoßen. Auch ist fraglich, ob die Ausrüstung hält oder nicht und wie viel Zeit die Mannschaft benötigt. Außerdem können aufgrund der Unsicherheit über Preise und Fördermengen keine Aussagen hinsichtlich der Rentabilität der Bohrung gemacht werden. Die Preisunsicherheit ist angesichts der stark schwankenden Ölpreise, die in den letzten 20 Jahren einmal bei US-$ 10 pro Barrel und dann wieder bei US-$ 38 lagen, verständlich. Die größere Sorge gilt jedoch zweifellos der Fördermenge, da diesbezüglich noch größere Unsicherheit
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Kapitel 11 Unsicherheit und Spieltheorie
herrscht. Es muss sich erst zeigen, ob das Bohrloch trocken ist, ob es zu unergiebig ist, um die Kosten zu decken, oder ob es sich als lukrative, sprudelnde Ölquelle entpuppt. Diese Probleme betreffen natürlich nicht nur die Ölbranche. Für praktisch alle Unternehmen ändern sich die Output-Preise monatlich: Die Faktorkosten unterliegen starken Schwankungen, und das Verhalten von Konkurrenten lässt sich nicht vorhersehen. Es liegt im Wesen des Geschäftslebens, heute zu investieren, um in Zukunft Gewinne zu erwirtschaften, man könnte auch sagen: Vermögen anzuhäufen, das dann gegen zukünftige Unsicherheiten als Sicherheit eingesetzt werden kann. Wirtschaft ist ein riskantes Geschäft. Die moderne Volkswirtschaftslehre hat nützliche Instrumente entwickelt, mit denen die Unsicherheit in die Analyse des Verhaltens von Unternehmen und Haushalten einbezogen werden kann. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich daher mit der Rolle des Marktes bei der zeitlichen und räumlichen Risikostreuung; er stellt eine Theorie des individuellen Verhaltens bei Unsicherheit vor und illustriert die wesentlichen Theorieelemente anhand des Versicherungsmarktes. Die folgenden Themen bieten einen kurzen Einblick in die faszinierende Welt von Risiko und Wirtschaftsleben.
Spekulation: Die Bewegung von Vermögenswerten oder Gütern durch Zeit und Raum Betrachten wir zunächst einmal die Rolle der Spekulationsmärkte. Spekulation bedeutet Kauf und Verkauf mit dem Ziel, aus den Preisschwankungen Profit zu schlagen. Ein Spekulant möchte billig kaufen und teuer verkaufen. Bei den Spekulationsobjekten kann es sich um Getreide, Öl, Eier, Aktien oder ausländische Währungen handeln. Spekulanten kaufen diese Güter nicht um ihrer selbst willen. Das letzte, wovon ein Spekulant
träumt, ist ein Eierlieferant, der mit der ganzen Fracht direkt vor seinem Haus vorfährt! Stattdessen versucht er von Preisänderungen zu profitieren. Viele halten Spekulation für eine etwas anrüchige Angelegenheit, vor allem wenn sie ihre Wurzeln in Buchhaltungsbetrug und Insiderinformationen hat. Doch Spekulation kann für die Gesellschaft auch durchaus nützlich sein. Die wirtschaftliche Funktion der Spekulanten besteht darin, Güter aus Zeiten des Überflusses in Zeiten der Knappheit zu „verschieben“. Und auch wenn Spekulanten niemals ein leibhaftiges Fass Öl oder eine Wagenladung Eier zu Gesicht bekommen, können sie dazu beitragen, die Preisdifferenzen dieser Waren zwischen verschiedenen Regionen und über die Zeit hinweg auszugleichen. Sie tun das, indem sie die Güter kaufen, wenn sie in großen Mengen verfügbar und günstig zu haben sind, und sie verkaufen, wenn sie knapp und teuer sind. Dieses Verhalten kann die Effizienz eines Marktes tatsächlich verbessern.
Arbitrage und ortsgebundene Preisstrukturen Die einfachste Situation ist diejenige, in der ein Spekulant durch seine Tätigkeit die regionalen Preisunterschiede reduziert oder eliminiert, indem er ein und dieselbe Ware kauft. Diese Aktivität nennt man Arbitrage – den Kauf von Gütern oder Vermögenswerten auf einem Markt mit dem Ziel, sie auf einem anderen Markt unmittelbar wieder zu verkaufen und aus dem Preisunterschied Gewinn zu schlagen. Nehmen wir an, der Preis für ein Scheffel Weizen liegt in Chicago um 50 Cent höher als in Kansas City. Nehmen wir weiter an, dass für Versicherung und Transport Kosten in Höhe von 10 Cent pro Scheffel anfallen. Das bedeutet, dass ein Arbitrageur (jemand, der Arbitrage-Geschäfte durchführt) pro Scheffel Weizen 40 Cent Gewinn erwirtschaften kann, indem er den Weizen in Kansas kauft,
300
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
nach Chicago bringt und dort wieder verkauft. In der Folge werden sich die Preise angleichen, und der Preisunterschied wird zu keinem Zeitpunkt mehr als 10 Cent pro Scheffel betragen. Allgemeiner ausgedrückt: Die Preisunterschiede zwischen Märkten sind bei Arbitrage im Allgemeinen geringer als die Kosten für die Bewegung der Güter von einem Markt zum anderen. Die Preise identischer Güter, die auf unterschiedlichen Märkten gehandelt werden, finden einen Ausgleich durch das bekannt hektische Agieren der Spekulanten: das gleichzeitige Sprechen an mehreren Telefonen mit verschiedenen Brokern, um Preisunterschiede zu erfahren und mit billigem Einkauf und teurem Verkauf entsprechende Gewinne zu erzielen. Auch hier können wir wieder die unsichtbare Hand bei ihrer Arbeit beobachten. Die Verlockung des Geldes schafft den Anreiz, Preisunterschiede über alle Märkte hinweg zu glätten und somit die Effizienz der Märkte zu steigern.
Spekulation und Preisverhalten im Zeitablauf Mithilfe des Drucks, den Spekulanten auf die Märkte ausüben, werden sowohl zeitlich als auch räumlich ganz spezielle Preisstrukturen geschaffen. Doch sind diese Strukturen aufgrund der Schwierigkeit, Prognosen für die Zukunft zu erstellen, nicht perfekt: Das Marktgleichgewicht wird laufend gestört, bildet sich jedoch auch immer wieder neu, vergleichbar etwa der Oberfläche eines Sees, auf die der Wind bläst. Betrachten wir ein landwirtschaftliches Produkt wie Weizen, der nur einmal pro Jahr geerntet wird und mehrere Jahre lang zur zukünftigen Verwendung gelagert werden kann. Um Knappheiten zu vermeiden, muss dafür gesorgt sein, dass der Weizen das ganze Jahr über ausreicht. Wie erreicht der Markt ohne staatliche Regulierung effiziente Preis-
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und Allokationsstrukturen? Nun, das Gleichgewicht wird durch die Aktivitäten der gewinnorientiert handelnden Spekulanten herbeigeführt. Ein gut informierter Weizenhändler weiß, dass der Weizen, sollte im Herbst die gesamte Menge auf einmal auf den Markt gebracht werden, wegen des Überangebotes nur einen sehr niedrigen Preis erzielen würde. Einige Monate später wäre der Weizen jedoch bereits knapp, und es könnten hervorragende Preise erzielt werden. Also kann ein Spekulant Gewinne erwirtschaften, indem er (1) im Herbst Weizen kauft, solange er billig ist, (2) diesen lagert und (3) ihn zu einem späteren Zeitpunkt, wenn der Preis gestiegen ist, verkauft. Als Ergebnis seiner Vorgehensweise steigen der Herbstpreis und das Angebot im Frühling, während der Frühlingspreis sinkt. Diese spekulativen Käufe und Verkäufe führen dazu, dass das Angebot und somit auch der Preis über das Jahr gleichmäßig verteilt werden. Herrscht starker Wettbewerb zwischen den Spekulanten, sind zudem keine übertriebenen Gewinne zu erzielen. Das Einkommen der Spekulanten setzt sich aus dem für das investierte Kapital gezahlten Zins, einem angemessenen Lohn für ihren Zeitaufwand und einer Risikoprämie je nach dem zu tragenden Risiko zusammen. Es gibt eine und nur eine monatliche Preisstruktur, die für konkurrierende Spekulanten zu einem Nullgewinn führt. Bei kurzem Nachdenken wird verständlich, dass es sich dabei nicht um konstante Preisstrukturen handeln kann. Vielmehr bewirkt eine unter Wettbewerbsbedingungen auf dem Spekulationsmarkt entstandene Preisstruktur tiefe Preise nach der Herbsternte mit anschließenden allmählichen Preissteigerungen, bis kurz vor der nächsten Ernte ein Spitzenwert erreicht wird. Die Lager- und Zinskosten durch die Weizenlagerung lassen den Preis in der Regel von Monat zu Monat in die Höhe klettern. Abbildung 11-1 zeigt, wie sich der
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Kapitel 11 Unsicherheit und Spieltheorie
Getreidepreis
P
Herbst Frühling Ernte
Herbst Ernte
Frühling
Herbst Ernte
Abbildung 11-1: Spekulanten bewirken, dass sich der Preis einer Ware im Zeitverlauf ausgleicht Bei Lagerung eines Gutes muss der erwartete Preisanstieg auch die Lagerkosten berücksichtigen. Im Gleichgewicht ist der Preis zur Erntezeit am niedrigsten, wonach er durch Lagerhaltung, Versicherungskosten und Zinszahlungen bis zur nächsten Ernte ansteigt. Dieses flexible Muster gleicht den Konsum übersaisonal aus. Anderenfalls hätte eine reichliche Ernte extrem niedrige Herbst- und enorm hohe Frühlingspreise zur Folge.
Preis über einen hypothetischen jährlichen Zyklus hinweg verhält. Die Spekulation lässt das Prinzip der unsichtbaren Hand zutage treten. Durch den Ausgleich von Angebot und Preisen erhöht die Spekulation die wirtschaftliche Effizienz. Die Güter werden von Perioden des Überschussangebots zu Perioden des Nachfrageüberhangs verteilt. So kauft der Spekulant zu einem Zeitpunkt, an dem Preis und Grenznutzen des Gutes niedrig sind, und verkauft zu einem Zeitpunkt, an dem Preis und Grenznutzen des Gutes hoch sind. Indem Spekulanten ihr Eigeninteresse verfolgen (Gewinne), dienen sie gleichzeitig dem öffentlichen Interesse (Gesamtnutzen).
Die Beseitigung von Risiken durch Kurssicherungsgeschäfte (Hedging) Eine wichtige Funktion von Spekulationsmärkten besteht darin, die Beseitigung von Risiken durch Kurssicherungsgeschäfte zu ermöglichen. Von Kurssicherung oder Hedging spricht man, wenn das mit dem
Besitz eines Vermögenswertes oder einer Ware verbundene Risiko durch gegenläufige Geschäfte verringert wird. Betrachten wir doch einmal, wie das funktioniert. Stellen Sie sich eine Inhaberin eines Getreidelagers vor. Sie kauft im Herbst 2 Millionen Scheffel Getreide aus Kansas, lagert es sechs Monate ein und verkauft es im Frühling für einen Gewinn von 10 Cent pro Scheffel. Damit sind gerade einmal ihre Kosten abgedeckt. Das Problem ist, dass Getreidepreise schwanken. Steigt der Getreidepreis, verbucht sie unerwartete Zusatzgewinne. Fällt der Preis jedoch stark, werden ihre Lagergewinne zur Gänze aufgefressen, und im schlimmsten Fall könnte sie sogar in den Bankrott getrieben werden. Die Eigentümerin des Warenlagers möchte ihr Geld aber mit der Einlagerung von Getreide und nicht mit Getreidepreisspekulationen verdienen. Wie wird ihr das gelingen? Sie kann das Preisrisiko umgehen, indem sie ihre Investitionen absichert. Die Eigentümerin führt eine solche Absicherung durch, indem sie das Getreide in dem Augenblick weiter verkauft, in dem sie es von den Landwirten erwirbt, anstatt abzuwarten, bis es sechs Monate später geliefert wird. Nachdem sie im September 2 Millionen Scheffel gekauft hat, verkauft sie das Getreide sofort zur zukünftigen Lieferung zu einem vereinbarten Preis, der nur die Lagerkosten von 10 Cent pro Scheffel abdeckt. Dadurch schützt sie sich gegen jegliche Getreidepreisrisiken. Durch Hedging können sich Unternehmen gegen das Risiko von Preisänderungen absichern.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Spekulation Doch wer kauft das Getreide, und wann? Hier greifen die Spekulanten und der spekulative Markt in das Geschehen ein. Der Spekulant erklärt sich damit einverstanden, den Weizen von der Eigentümerin des Lagers zu einem jetzt vereinbarten Preis zur späteren Auslieferung zu kaufen. Dadurch wird das
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Risiko vom ursprünglichen Eigentümer auf den Spekulanten übertragen. Sie werden sich nun fragen, warum eigentlich der Spekulant bereit ist, das Getreidepreisrisiko zu übernehmen. Nun, vielleicht ist er davon überzeugt, dass die Getreidepreise steigen und er somit eine überdurchschnittliche Rendite auf sein eingesetztes Kapital erzielen wird; vielleicht hat er einen „Futureskontrakt“ (bei dem die Lieferung zu einem zukünftigen Zeitpunkt versprochen wird) an Käufer veräußert, die den Getreidepreis vor dessen möglichem Anstieg fixieren wollten; vielleicht hat er an Investoren verkauft, die eine kleine Getreideposition in ihr Portfolio aufnehmen wollten. Der Punkt ist, dass irgendjemand zu irgendeinem Zeitpunkt aus wirtschaftlichen Gründen motiviert war, die Getreidepreisschwankungen ihres Risikos zu berauben. Spekulationsmärkte dienen sowohl der Verbesserung der Preis- und Allokationsstrukturen über Zeit und Raum hinweg als auch der Risikoübertragung. Diese Aufgaben werden von Spekulanten wahrgenommen, die in ihrem Bestreben, aus Preisänderungen Gewinn zu schlagen, die Wirkung der unsichtbaren Hand sichtbar machen. Wenn wir hinter den Schleier des Geldes blicken, sehen wir, dass die ideale Spekulation Güter von Zeiten des Überflusses (wenn die Preise niedrig sind) in Zeiten des Mangels (wenn die Preise hoch sind) umleitet. Unsere bisherige Diskussion deutet darauf hin, dass ideale Spekulationsmärkte die wirtschaftliche Effektivität steigern können. Sehen wir uns doch einmal an, wie das funktioniert. Wir unterstellen, dass identische Konsumenten identische Nutzenfunktionen aufweisen, wobei der Nutzen, der in einem Jahr erzielt werden kann, unabhängig von dem in allen anderen Jahren erzielbaren Nutzen ist. Nehmen wir nun an, dass im ersten von zwei Jahren eine gute Ernte erzielt wird, etwa drei Einheiten pro Person. Im zweiten Jahr führt eine schlechte Ernte dazu, dass auf jede Person nur eine Einheit entfällt. Wie sollte unter der Annahme, dass man diesen
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Ausfall exakt voraussehen könnte, der Konsum der insgesamt vier Einheiten auf die beiden Jahre verteilt werden? Wenn wir Lager-, Zins- und Versicherungskosten außer Acht lassen, so gilt: Der Gesamtnutzen und die wirtschaftliche Effizienz für beide Jahre können nur dann maximiert werden, wenn der Konsum in beiden Jahren gleich hoch ist. Warum hat ein gleichmäßiger Konsum Vorteile gegenüber anderen möglichen Verteilungen des zur Verfügung stehenden Ganzen? Nun, wegen des Gesetzes des abnehmenden Grenznutzens. So könnten wir argumentieren: „Nehmen Sie an, ich konsumiere im ersten Jahr mehr als im zweiten. Mein Grenznutzen (MU) ist im ersten Jahr niedrig und im zweiten hoch. Wenn ich nun einen Teil der Ernte des ersten Jahres in das zweite Jahr hinüberrette, verlagere ich Konsum aus Zeiten mit niedrigem Grenznutzen in Zeiten mit hohem Grenznutzen. Bei angeglichenem Konsumniveau sind die Grenznutzen gleich und ich maximiere meinen Gesamtnutzen.“ Eine Grafik veranschaulicht dieses Argument. Wenn Nutzen in Geldeinheiten gemessen werden kann und jede Geldeinheit denselben Grenznutzen hat, muss die Nachfragekurve für risikobehaftete Güter genauso aussehen wie die Grenznutzenfunktion in Abbildung 5-1 auf Seite 132. Die beiden Kurven von Abbildung 11-2(a) zeigen, was ohne Übertragung und bei ungleichem Konsum passieren würde. Die Preisbildung erfolgt zuerst in A1, im Schnittpunkt von S1S1 und DD, und dann in A2, wo das geringere Angebot S2S2 die DDKurve schneidet. Der Gesamtnutzen der grau schattierten Flächen würde sich nur zu (4 + 3 + 2) + 4 oder US-$ 13 addieren. Wird jedoch eine Einheit in das zweite Jahr übertragen, wie in Abbildung 11-2(b) dargestellt, werden die Preise und Mengen in El und E2 ausgeglichen, und der durch die grau schattierten Flächen dargestellte Gesamtnutzen addiert sich zu (4 + 3) + (4 + 3) oder US-$ 14 pro Kopf. Eine kurze Analyse zeigt, dass der Nutzenzuwachs von US-$ 1 durch den rostfarbenen Block in Abbildung 11-2(b) gemessen wird, der übrigens nichts
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Kapitel 11 Unsicherheit und Spieltheorie
(a) Ohne Übertrag P1 4
S1
(b) Mit Übertrag
P2 S2
D
4
D
P2
P1 4
A2
D
4 E1
3 2
A1
1
3
3
2
2
1 D
0 S1
Q1
E2
2 1
1 D
0
Q2
0
D
D
Q1
0
D
Q2
S2
Abbildung 11-2: Lagerung aus Spekulationsgründen kann die Effizienz steigern Die grau unterlegten Bereiche stellen den Gesamtnutzen dar, der jedes Jahr erzielt wird. Wird eine Einheit in ein zweites Jahr übertragen, gleicht dieses Q sowie P und MU aus und erhöht den Gesamtnutzen um den Bereich des rostfarbenen Blocks. Dieses Diagramm gilt gleichermaßen für eine ganze Reihe von Situationen. Es könnte mit den Überschriften „(a) Ohne Arbitrage quer über die Regionalmärkte“ und „(b) Mit Arbitrage quer über Märkte“ versehen werden. Wir können dieses Diagramm auch verwenden, um die Risikoaversion darzustellen, wenn wir es „(a) Mit riskantem Glücksspiel“ und „(b) Ohne riskantem Glücksspiel“ nennen. Die Versicherung dient dann dazu, die Leute von (a) nach (b) zu bringen, indem die Risiken auf viele unabhängige potenzielle Glücksspiele verteilt werden.
anderes darstellt als den zusätzlichen Grenznutzen der zweiten Einheit gegenüber der dritten. Das zeigt, warum die Gleichheit der Grenznutzen, die durch die Idealspekulation erreicht wird, optimal ist. Unsere Diskussion hat sich bisher auf eine einzige Art der Spekulation und der Arbitrage konzentriert – jene mit Waren. Noch wichtiger sind heute aber spekulative Aktivitäten mit Finanzwerten wie Aktien, Anleihen, Hypotheken und Devisen. Täglich wechseln Vermögenswerte im Wert von Billionen USDollar durch Spekulation, Hedging und Vermögensanlage die Hände. Die allgemeinen Prinzipien, die der Finanzspekulation zugrunde liegen, Hedging und Arbitrage, sind genau dieselben wie die oben beschriebenen, auch wenn noch mehr auf dem Spiel steht. Das ideale Spekulationsverhalten erfüllt die überaus wichtige Funktion, die Konsumschwankungen zu verringern und (in einer Welt, in der der Einzelne mit einem sinkenden Grenznutzen konfrontiert ist) den Gesamtnutzen zu mehren und die Allokationseffizienz zu verbessern.
Risiko und Unsicherheit Welche Einstellungen haben die Menschen zum Risiko? Warum versuchen sie, sich gegen große Risiken abzusichern? Welche Institutionen einer Marktwirtschaft helfen ihnen, große Risiken zu vermeiden? Warum versagen Märkte, wenn es darum geht, ganz bestimmte Situationen zu versichern? Diesen Fragen wollen wir uns nun zuwenden. Wenn wir Auto fahren, Hausbesitzer sind oder in den Aktienmarkt investieren, riskieren wir unser Leben, unsere Gesundheit oder unser Vermögen. Und wie verhalten sich Menschen angesichts von Risiken? Im Wesentlichen trachten sie danach, schwerwiegende Risiken für ihr Einkommen und ihren Konsum zu vermeiden. Man bezeichnet dies als „risikoaverses Verhalten“. Von Risikoaversion spricht man, wenn der Nutzenverlust, der dadurch entsteht, dass man eine gegebene Menge an Einkommen verliert, größer ist als der Nutzenzuwachs, der entsteht, wenn man dieselbe Menge an Einkommen hinzugewinnt.
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Nehmen wir als Beispiel eine Wette, bei der wir US-$ 1.000 gewinnen, wenn eine Münze auf Kopf fällt, und US-$ 1.000 verlieren, sollte sie auf Zahl fallen. Dieses Spiel hat einen Erwartungswert von null (entsprechend einer Wahrscheinlichkeit von 1/2 US-$ 1.000 plus einer Wahrscheinlichkeit von 1/2 –US-$ 1.000). Ein Spiel mit einem Erwartungswert von null wird als fair bezeichnet. Menschen, die alle fairen Spiele ablehnen, sind risikoavers. Im Sinne der Nutzendefinition aus Kapitel 5 ist Risikoaversion gleichbedeutend mit einem sinkenden Grenznutzen des Einkommens. Risikoavers zu sein bedeutet, dass der Nutzenzuwachs aus zusätzlichem Einkommen geringer bewertet wird als die Verringerung des Nutzens bei Verlust der gleichen Höhe an Einkommen. Bei einer fairen Wette (wie das Werfen einer Münze um US-$ 1.000) ist der erwartete Dollarwert null. Doch in der Nutzentheorie bedeutet dies, dass der erwartete Nutzwert negativ ist, weil der erzielbare Nutzen geringer ist als der mögliche Nutzenverlust. Mithilfe von Abbildung 11-2 können wir das Konzept der Risikoaversion näher erläutern. Angenommen, Situation (b) ist die Ausgangsposition. Sie haben dieselbe Menge an Konsum in Zustand 1 und 2, also jeweils zwei Einheiten. Eine „risikofreudige“ Person kommt nun zu Ihnen und sagt: „Lassen Sie uns um eine Einheit eine Münze werfen.“ Der Risikofreudige bietet Ihnen tatsächlich die Chance an, zu Situation (a) zu gelangen, wo Sie entweder drei Einheiten konsumieren können, sollte „Kopf“ erscheinen, oder aber nur noch eine Einheit, sollte die Münze auf „Zahl“ fallen. Wenn Sie sorgfältig kalkulieren, erkennen Sie, dass der Erwartungsnutzen – sollten Sie die Wette ablehnen und in Situation (b) bleiben – 7 Nutzeneinheiten beträgt (= 1/2 7 Einheiten + 1/2 7 Einheiten), gegenüber 6 1/2 Nutzeneinheiten (1/2 9 Einheiten + 4 Einheiten) für den Fall, dass Sie die Wette annehmen sollten. Dieses Beispiel zeigt, dass Sie als risikoaverses Individuum mit sinkendem Grenznutzen
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Handlungen vermeiden werden, die die Unsicherheit vergrößern, ohne einen entsprechenden Gewinn erwarten zu lassen. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Getreidebauer. Da Sie sich schon mit den natürlichen Gefahren der Landwirtschaft herumschlagen müssen, möchten Sie allen mit dem Getreidepreis verbundenen Risiken natürlich aus dem Weg gehen. Nehmen wir an, der erwartete Weizenpreis läge bei US-$ 4 pro Scheffel. Dieser Erwartungswert setzt sich aus zwei möglichen und jeweils gleich wahrscheinlichen Zuständen, also entweder einem Preis von US-$ 3 oder einem Preis von US-$ 5 pro Scheffel, zusammen. Wenn Sie das Preisrisiko nicht umgehen können, sind Sie dazu gezwungen, in einer Lotterie mitzuspielen, die es Ihnen ermöglicht, Ihre Ernte von 10.000 Scheffel entweder für US-$ 30.000 oder für US-$ 50.000 zu verkaufen, abhängig nur davon, auf welche Seite die Getreidepreismünze fällt. Aufgrund Ihrer Risikoaversion und Ihres sinkenden Grenznutzens wollen Sie lieber auf Nummer Sicher gehen. Das heißt, Sie gleichen das Risiko lieber aus, indem Sie Ihr Getreide zum erwarteten Preis von US-$ 4 verkaufen und somit US-$ 40.000 erwirtschaften. Warum? Weil Sie ein Verlust von US-$ 10.000 stärker schmerzt, als Ihnen ein Gewinn von US-$ 10.000 an zusätzlichem Nutzen beschert. Schrumpft Ihr Einkommen auf US-$ 30.000, sind Sie gezwungen, auf wichtige Ausgaben wie Unterrichtsstunden am College oder ein neues Dach zu verzichten. Andererseits fallen die zusätzlichen US-$ 10.000 weniger ins Gewicht, weil Sie sich dafür vielleicht luxuriöse Dinge wie einen tollen Winterurlaub oder einen neuen, 100 PS starken klimatisierten Rasenmäher leisten würden. Die Menschen sind im Allgemeinen risikoavers und ziehen die Sicherheit einem unsicheren Konsumniveau vor: Sie bevorzugen Ergebnisse mit einem geringeren Unsicherheitsfaktor und gleich bleibenden Durchschnittswerten. Deshalb führt eine Vorgehensweise, die geeignet ist, Unsicherheit oder
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Kapitel 11 Unsicherheit und Spieltheorie
Risiko in Bezug auf den Konsum von Wirtschaftssubjekten zu reduzieren, zu einem ökonomischem Wohlfahrtszuwachs. Der beunruhigende Anstieg des Glücksspiels Das Glücksspiel ist historisch gesehen ein „Laster“, das – gemeinsam mit illegalen Drogen, kommerziellem Sex, Alkohol und Tabak – vom Staat eingedämmt wird. Die Einstellung zu derartigen Aktivitäten ist starken Schwankungen unterworfen. Im Lauf der letzten zwei Jahrzehnte hat sich die öffentliche Haltung zum Glücksspiel ebenso gelockert, wie sich diejenige gegenüber harten Drogen und Tabak verschärft hat. 1978 war das Glücksspiel nur in einem einzigen US-Bundesstaat zugelassen. Ende der neunziger Jahre waren es schon 27 Staaten. Hand in Hand mit diesem Anstieg ging die rasante Zunahme der staatlichen Lotterien. Alles in allem war das Glücksspiel in den letzten 20 Jahren einer der am schnellsten wachsenden Sektoren der (legalen) Wirtschaft. Glücksspiel ist nicht identisch mit Spekulation. Während die ideale Spekulation die wirtschaftlichen Wohlfahrt mehrt, erwachsen aus dem Glücksspiel schwerwiegende wirtschaftliche Probleme. Erstens werden beim Glücksspiel abgesehen vom Freizeitwert keine Güter oder Dienstleistungen produziert. In der Sprache der Spieltheorie, die in der zweiten Hälfte dieses Kapitels beschrieben wird, ist das Glücksspiel für die Spieler ein „Negativsummenspiel“ – das heißt, dass die Spieler auf lange Sicht (fast) sicher verlieren, weil das Casino oder der Staat an allen Wetten mitverdient. Außerdem verstärkt das Glücksspiel durch seine ureigene Natur die Ungleichheit. Menschen, die sich mit demselben Geldbetrag an einem Glücksspieltisch niederlassen, verlassen ihn mit höchst unterschiedlichen Beträgen. Die Familie eines Spielers muss damit rechnen, in der einen Woche finanziell gesehen in den höchsten Sphären zu schweben, um gleich darauf wieder hart am Boden aufzuschlagen, wenn sich das Glück wendet.
Manche Beobachter meinen darüber hinaus, dass das Glücksspiel negative soziale Auswirkungen hat. Beispiele sind Spielsucht, Kriminalität, politische Korruption und Infiltration des Glücksspiels durch das organisierte Verbrechen. Wie dürfen wir angesichts der gewichtigen ökonomischen Argumente gegen das Glücksspiel den aktuellen Trend verstehen, das Glücksspiel zu legitimieren und staatliche Lotterien zu betreiben? Ein Grund liegt darin, dass Staaten, die nach Steuereinnahmen gieren, unter jedem Busch nach neuen Einnahmequellen suchen. Deshalb rationalisieren sie Lotterien und Casinos als Möglichkeit, private Laster zugunsten des öffentlichen Interesses zu kanalisieren, indem sie einen Teil der Gewinne abschöpfen und damit öffentliche Projekte finanzieren. Außerdem kann das legale Glücksspiel illegale Manipulatoren vertreiben und die Rentabilität des organisierten Verbrechens etwas verringern. Ungeachtet dieser Argumente stellen viele Beobachter Aktivitäten in Frage, bei denen der Staat durch die Förderung irrationaler Verhaltensweisen jener profitiert, die sich diese Verhaltensweisen am wenigsten leisten können.
Versicherung und Risikostreuung Risikoaverse Menschen sind bestrebt, Risiken zu vermeiden. Das ist jedoch gar nicht so einfach. Wenn ein Haus bis auf die Grundmauern abbrennt, wenn jemand bei einem Verkehrsunfall getötet wird oder wenn ein Hurrikan seine zerstörerische Spur durch Florida zieht, muss irgendjemand irgendwo die Kosten tragen. Märkte bewältigen Risiken mithilfe der Risikostreuung. Nach dieser Methode wird ein Risiko, das für den Einzelnen sehr hoch ist, so verteilt, dass es zu einem kleinen Risiko für eine große Anzahl von Menschen wird. Risikostreuung wird hauptsächlich mithilfe von Versicherungen betrieben, wodurch das Spiel sozusagen umgekehrt wird.
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So wetten Hausbesitzer, die eine Feuerversicherung abgeschlossen haben, auf gewisse Weise mit der Versicherungsgesellschaft, ob ihr Haus abbrennt oder nicht. Sollte es nicht abbrennen, büßt der Hausbesitzer nur eine geringe Versicherungsprämie ein. Brennt es jedoch tatsächlich ab, ist die Versicherungsgesellschaft verpflichtet, dem Hausbesitzer den Verlust bis zu einer vereinbarten Höhe zu ersetzen. Was für die Feuerversicherung gilt, gilt gleichermaßen für Lebens-, Unfall-, Kfz- und jede andere Art von Versicherung. Die Versicherungsgesellschaft streut ihrerseits das Risiko, indem sie viele verschiedene Risiken zusammenfasst: Sie kann Millionen von Häusern, Leben oder Autos versichern. Der Vorteil für die Versicherungsgesellschaft liegt darin, dass man für die gesamte Bevölkerung statistisch sehr genau vorhersagen kann, was für ein Individuum nicht vorhersagbar ist. Angenommen, die Inland Feuerversicherungsgesellschaft versichert 1 Million Häuser, die jeweils einen Wert von US-$ 100.000 repräsentieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Haus abbrennt, liegt bei 1:1.000 pro Jahr. Der erwartete Schaden für Inland beträgt somit 0,001 US-$ 100.000 = US-$ 100 je Haus. Die Versicherung berechnet daher jedem Hausbesitzer US-$ 100 für das Risiko und zusätzlich US-$ 100 für die Verwaltung und als Rücklage. Die Hauseigentümer haben die Wahl zwischen einem sicheren Verlust von US-$ 200 und dem mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:1.000 eintretenden verheerenden Verlust von US-$ 100.000. Aufgrund ihrer Risikoaversion entschließen sich die Hauseigentümer, um auch die geringe Wahrscheinlichkeit eines verheerenden Verlustes auszuschließen, dazu, eine Feuerversicherung abzuschließen, obwohl die Kosten dafür den zu erwartenden Verlust übersteigen. Versicherungsgesellschaften können ihre Prämien so festsetzen, dass sie einen Gewinn erwirtschaften. Zugleich aber erzielen auch die Versicherten einen Gewinn gegenüber dem
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Erwartungswert. Woher stammt dieser Gewinn? Er resultiert aus dem Gesetz des abnehmenden Grenznutzens. Die Versicherung überträgt die Risiken von risikoaversen Personen oder solchen, die überproportional hohen Risiken ausgesetzt sind, auf jene, die weniger risikoavers sind oder die Risiken leichter tragen können. Obwohl die Versicherung nur eine Art Glücksspiel zu sein scheint, erzielt sie genau den gegenteiligen Effekt. Die Natur teilt uns Risiken zu, und die Versicherung hilft uns die einzelnen Risiken zu reduzieren, indem sie sie verteilt.
Kapitalmärkte und Risikoverteilung Eine andere Form der Risikoverteilung finden wir auf dem Kapitalmarkt, wo das finanzielle Eigentum an physischem Kapital durch das gemeinschaftliche Eigentum an einem Unternehmen unter vielen Miteigentümern gestreut werden kann. Denken Sie etwa an eine Investition zur Entwicklung eines neuen Zivilflugzeugs. Hier ist für eine umfassende Neuplanung inklusive Forschung und Entwicklung mit US-$ 2 Milliarden an Investitionen innerhalb von zehn Jahren zu rechnen. Es kann jedoch keine Absatzgarantie für dieses neue Flugzeug geben; niemand weiß mit Sicherheit, ob sich die Investition tragen wird. Und so verwundert es nicht, dass nur wenige Menschen das Vermögen oder die Bereitschaft zu einem derart riskanten Wagnis aufbringen. In einer Marktwirtschaft lässt sich ein solches Ziel durch eine breite Streuung des Eigentums erreichen. Ein Unternehmen wie Boeing gehört zahlreichen Aktionären, die jeweils nur geringe Anteile am Gesamtunternehmen halten. Teilen Sie doch einmal rein hypothetisch den Besitz von Boeing gleichmäßig auf 10 Millionen Individuen auf. Bei einem Projektvolumen von US-$ 2 Milliarden ergibt sich eine Investition von US-$ 200 pro Person. Dieses geringe Risiko ist der Einzelne zu tragen bereit, wenn ihm die
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Dividende für Boeing-Aktien attraktiv erscheint. Eines der spannendsten und am schnellsten wachsenden volkswirtschaftlichen Forschungsgebiete ist die Finanzökonomik. Die Finanzökonomik untersucht, wie Investoren ihre Mittel so zuteilen können, dass der Ertrag bei einer gegebenen Risikostufe maximiert wird, und wie sich die Preise von Aktien und anderen Finanzwerten verhalten. Die Finanzmärkte haben die Ökonomie in die Haushalte und Universitäten gebracht, zu Millionen von Menschen, die online investieren, für eine Universitätsausbildung sparen oder ihre Pensionsfonds managen. Die Finanzökonomik wird in dem Kapitel über Makroökonomie eingehend behandelt. Durch die Aufteilung riskanter Anlagen auf mehrere Eigentümer können die Kapitalmärkte die Risiken verteilen und viel größere Investitionen und Risiken fördern, als sie für einzelne Eigentümer vertretbar wären.
Marktversagen aufgrund unvollkommener Information In unserer bisherigen Analyse haben wir angenommen, dass Investoren und Konsumenten über die Risiken, denen sie gegenüberstehen, bestens informiert sind und dass die Spekulations- und Versicherungsmärkte effektiv funktionieren. In Wirklichkeit werden Märkte, die Risiken und Unsicherheit unterliegen, von Marktversagen heimgesucht. Darunter sind vor allem das Risiko unehrlichen oder fahrlässigen Verhaltens (moral hazard) und das Ausscheiden der besseren Risiken (adverse selection) zu nennen. Im Falle eines solchen Marktversagens können die Märkte falsche Signale aussenden, wirtschaftliche Anreize werden verzerrt, oder der entsprechende Markt existiert de facto nicht. Aufgrund solcher Marktversagen kann der Staat beschließen zu intervenieren, indem er eine Sozialversicherung anbietet.
307 Das Risiko unehrlichen oder fahrlässigen Verhaltens und die Gefahr des Ausscheidens der besseren Risiken Obwohl Versicherungen zweifellos eine nützliche Einrichtung zur Risikostreuung sind, sind sie nicht immer verfügbar. Der Grund dafür liegt darin, dass effiziente Versicherungsmärkte nur unter beschränkten Bedingungen existieren können. Was sind die Voraussetzungen für effiziente Versicherungsmärkte? Erstens muss eine große Zahl versicherbarer Ereignisse vorhanden sein. Nur dann können die Unternehmen die Risiken so verteilen, dass sich Risiken, die für den Einzelnen groß sind, auf viele Menschen verteilen und dadurch klein werden. Ferner müssen diese Ereignisse voneinander statistisch unabhängig sein. Keine umsichtige Versicherungsgesellschaft wird alle ihre Feuerpolicen für ein und dasselbe Gebäude oder alle ihre Erdbebenpolicen nur in San Francisco anbieten. Versicherungsgesellschaften sind bestrebt, möglichst viele verschiedene, unabhängige Risiken zu versichern. Zusätzlich müssen genügend empirische Daten über diese Ereignisse zur Verfügung stehen, die es den Versicherungsgesellschaften ermöglichen, die zu erwartenden Verluste zuverlässig zu schätzen. So wurde nach den Terroranschlägen des 11. September die Privatversicherung gegen Terroranschläge abgeschafft, weil die Versicherungsgesellschaften die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Angriffe nicht verlässlich einschätzen können (siehe Frage 3 am Ende dieses Kapitels). Schließlich muss die Versicherung relativ frei sein von unehrlichem und fahrlässigem Verhalten (moral hazard). Moral hazard ist am Werk, wenn die Versicherung riskante Verhaltensweisen fördert und dadurch die Wahrscheinlichkeit von Verlusten erhöht. In vielen Fällen spielt die Gefahr unehrlichen oder fahrlässigen Verhaltens keine Rolle. Nur wenige Menschen werden den Tod riskieren, weil sie eine großzügige
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Lebensversicherung abgeschlossen haben. In manchen Bereichen wird jedoch die Gefahr des unehrlichen oder fahrlässigen Verhaltens zum Problem. Studien belegen, dass Krankenversicherungen die Zahl der durchgeführten kosmetischen Operationen und die Inanspruchnahme einer Dauerpflege, wie sie von Pflegeheimen angeboten wird, erhöhen. Die meisten Krankenversicherungspolicen schließen diese Leistungen daher aus. Erst wenn diese idealen Bedingungen erfüllt sind, also wenn es viele, voneinander relativ unabhängige Risiken gibt, deren Eintreffen sich genau abschätzen lässt und bei denen nicht die Gefahr eines Missbrauchs durch unehrliches oder fahrlässiges Verhalten besteht, werden die privaten Versicherungsmärkte gedeihen können. Ausscheiden der besseren Risiken. Manchmal werden aufgrund von negativer Auslese keine privaten Versicherungen angeboten. Dieses Problem stellt sich dann ein, wenn vor allem Personen, die einem hohen Risiko unterliegen, eine bestimmte Versicherung abschließen. Unterstellen wir zum Beispiel, dass es in der Gesellschaft gleich viele gesunde wie kranke Menschen gibt. Die gesunden Bürger erhalten jährlich medizinische Betreuung im Wert von ca. US-$ 2.000, während für die Kranken – von denen manche unter AIDS oder Krebs leiden – durchschnittliche Kosten von US-$ 8.000 anfallen. Wenn alle versichert wären, würden sich die durchschnittlichen Kosten auf US-$ 5.000 pro Jahr belaufen. Nehmen wir nun an, dass das Blaue Kreuz für alle einen einheitlichen Versicherungspreis festlegt. Das könnte der Fall sein, weil die Regierung die Nichtdiskriminierung der Versicherten vorschreibt. Oder der Grund könnte in asymmetrischer Information liegen, wobei die Versicherten zwar über ihren gesundheitlichen Status Bescheid wissen, nicht aber die Versicherungsgesellschaft. In jedem Fall würden sich die Kranken sehr gern beim Blauen Kreuz versichern, während es die
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Gesunden aufgrund der hohen Prämien vorziehen würden, auf eine Versicherung zu verzichten. Da die Gesunden nicht versichert sind, deckt die Versicherung nur die Risiken der kostenintensiven Kranken ab. Daher muss der Versicherungspreis auf US-$ 8.000 steigen, um kostendeckend zu sein. Wir erkennen, dass einheitliche Krankenversicherungspreise zum Ausscheiden der besseren Risiken führen. Dadurch steigen die Kosten, der Deckungsgrad sinkt, und es entsteht ein unvollkommener Markt. Ähnliche Marktversagen sind besonders wichtige Faktoren bei Invaliditätsversicherung und Pflegeversicherung.
Sozialversicherung Die Sozialversicherung ist eine vom Staat bereitgestellte Pflichtversicherung, die bei drastischem Marktversagen durchaus ihre BerechtiNotendurchschnittsversicherung? Betrachten Sie folgendes fantastisches Angebot: Sie surfen im Web und stoßen auf ein neues Unternehmen namens G-Insure.com, das eine „Notendurchschnittsversicherung“ für Studierende anbietet. Dieses Unternehmen verspricht, den Studierenden gegen eine moderate Prämie den Einkommensverlust zu ersetzen, den sie aufgrund von schlechten Noten zu gewärtigen haben. Das klingt gut, schließlich sind die Einkommensrisiken für die meisten Arbeitnehmer hoch. Können Sie bei genauerem Nachdenken erkennen, warum G-Insure.com mit fast hundertprozentiger Sicherheit betrügerisch agiert? Warum würden ehrliche Versicherungsunternehmen eine solche Versicherung niemals anbieten? Der Grund liegt darin, dass die Noten zu stark vom individuellen Einsatz abhängen und dass ein solcher Markt unter unehrlichen und fahrlässigen Verhaltensweisen und negativer Auslese zu leiden hätte. Diese Probleme führen zu einem „Marktversagen“ in dem Sinn, dass sich Angebot und Nachfrage an einem Versicherungsnullpunkt schneiden.
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gung hat, wenn private Anbieter nicht für ein entsprechendes Angebot sorgen. Unter diesen Umständen kann der Staat mit einer allgemeinen und weit gefassten Versicherung eingreifen. Die Steuer- und Regulierungsinstrumente des Staates sowie die Aussicht, durch eine umfassende Deckung die Gefahr des Ausscheidens der besseren Risiken abzuwenden, machen die staatliche Sozialversicherung zu einer sozialpolitisch durchaus sinnvollen Maßnahme. Ein wichtiges Sozialversicherungsbeispiel ist die Arbeitslosenversicherung. Dies ist ein Beispiel eines privaten Marktes, der nicht funktionieren kann, weil so viele Voraussetzungen für eine Privatversicherung verletzt werden. Die Versicherungsgesellschaften weigern sich wegen der großen Gefahr eines unehrlichen oder fahrlässigen Verhaltens (bei hohen Arbeitslosengeldern könnte sich manch einer freiwillig in die Arbeitslosigkeit begeben), eine Arbeitslosenversicherung anzubieten. Auch das ausgeprägte Ausscheiden der besseren Risiken (von Arbeitslosigkeit besonders häufig betroffene Gruppen würden das Angebot wohl verstärkt wahrnehmen) und das gehäufte Auftreten von Arbeitslosigkeit (die in Zeiten einer Rezession drastisch zunimmt) halten die auf dem Markt tätigen Versicherungsgesellschaften davon ab, eine Arbeitslosenversicherung anzubieten. In wohlhabenden Ländern herrscht jedoch heute die Überzeugung, dass die Menschen ein Netz sozialer Sicherheit benötigen, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Deshalb werden staatliche Arbeitslosigkeitsversicherungen angeboten. Der Staat kann das Problem unehrlichen oder fahrlässigen Verhaltens nicht beseitigen, aber durch die universelle Abdeckung aller abhängig Beschäftigten wird eine negative Auslese vermieden. Ein weiteres wichtiges Beispiel von Fällen, in denen der Staat einschreitet, ist die Krankenversicherung für Senioren. Wir haben auf die Probleme des Ausscheidens der besseren Risiken hingewiesen, die sich einstellen, wenn gesunde Menschen eine Versicherung ablehnen und diese sich auf Versicherungsnehmer beschränkt, deren Versicherungs-
schutz kostspielig ist. Die Negativauslese ist ein besonders schwerwiegendes Problem für ältere Bevölkerungsgruppen, weil fast 20 Prozent der gesamten, von einem Menschen verursachten medizinischen Kosten, auf das letzte Lebensjahr entfallen. Um eine negative Auswahl zu vermeiden, bietet die Regierung in den USA Medicare an, eine universelle Krankenversicherung für ältere Bürger, die mit Prämien sowie den Steuerbeiträgen der aktiven Arbeitnehmer finanziert wird.
B. Spieltheorie Das Wirtschaftsleben ist voller Situationen, in denen Menschen, Unternehmen oder Länder um eine Vormachtstellung kämpfen. So brechen in Oligopolen, die wir im vorhergehenden Kapitel behandelt haben, bisweilen richtiggehende Wirtschaftskriege aus. Ein solcher Konkurrenzkampf war beispielsweise im vorigen Jahrhundert zu beobachten, als Vanderbilt und Drew auf ihren jeweiligen Eisenbahnlinien die Frachtgebühren abwechselnd unterboten. In den letzten Jahren versuchte Southwest Airlines, Kunden durch Flugpreise weit unter dem marktüblichen Tarif von den größeren Konkurrenten abzuwerben. Bei ihrer Reaktion mussten die großen Fluglinien wie American oder United bedenken, wie Southwest wohl auf ihre Reaktion reagieren würde, und so weiter. Eine solche Situation ist typisch für jenen Bereich der Ökonomik, der als Spieltheorie bezeichnet wird. Die Spieltheorie beschäftigt sich mit der Art und Weise, wie zwei oder mehr Spieler oder Parteien ihre Strategien wählen, die sich auf alle Teilnehmer wechselseitig auswirken. Diese Theorie mag etwas befremdlich klingen, ist aber voller relevanter Anwendungsmöglichkeiten. Im Wesentlichen wurde sie von John von Neumann (1903–1957) entwickelt, einem aus Ungarn stammenden genialen Mathematiker. Ökonomen verwenden die Spieltheorie, um die Interaktionen von
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Oligopolisten, Konflikte zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, die Außenhandelspolitik von Staaten, internationale Umweltschutzabkommen, die Bedeutung des Firmenwertes und eine ganze Reihe anderer Situationen zu analysieren. Die Spieltheorie eröffnet neue Erkenntnisse in so völlig unterschiedlichen Bereichen wie Politik, Kriegsführung und Alltagsleben. Sie führt unter anderem zu dem Schluss, dass unter ganz bestimmten Umständen ein Verhaltensmuster nach einem sorgfältig überlegten Zufallsprinzip die beste Strategie sein kann. So sollte ein Wachdienst seine Runden nach dem Zufallsprinzip drehen, keinesfalls aber immer nach demselben Zeitplan. Und Sie sollten von Zeit zu Zeit beim Pokern bluffen, nicht nur, um bei einem schlechten Blatt ein Vermögen zu gewinnen, sondern auch, um sicherzustellen, dass die anderen Mitspieler nicht aussteigen, wenn Sie mit einem guten Blatt hoch pokern.
Über die Festlegung von Preisen Beginnen wir am besten mit der Dynamik von Preiswettkämpfen. Sie sind Chef eines etablierten Unternehmens, Amazing.com, dessen Motto „Wir lassen uns preislich nicht unterbieten“ lautet. Beim Öffnen Ihres Browsers entdecken Sie, dass nEwBooks, ein neu gegründeter Internet-Buchhändler, eine Annonce mit dem Wortlaut „Unsere Preise sind um 10 Prozent günstiger“ geschaltet hat. Abbildung 11-3 zeigt die Dynamik, die sich daraus entwickelt. Die senkrechten rostfarbenen Pfeile stellen die Preissenkungen bei nEwBooks dar, die waagrechten rostfarbenen Pfeile zeigen die strategische Reaktion von Amazing, nämlich jede Preiskürzung mitzumachen. Wenn wir die Struktur von Reaktion und Gegenreaktion nachzeichnen, erkennen wir, dass diese Form der Konkurrenz bei einem Preis von null im beiderseitigen Ruin endet. Warum? Weil der einzige Preis, der beiden Strategien gerecht wird, null ist: 90 Prozent von null sind immer noch null.
Teil 2
P1
Preisgestaltung bei nEwBooks
310
$20 Amazing zieht nach
$10
0
nEwBooks unterbietet
$10
$20
P2
Preisgestaltung bei Amazing
Abbildung 11-3: Was geschieht, wenn zwei Unternehmen einander unbedingt unterbieten wollen? Hier werden die einzelnen Schritte einer dynamischen Unterbietung nachvollzogen, im Zuge derer die Preise der Konkurrenten immer weiter sinken.
Schließlich beginnt es den beiden Firmen zu dämmern: Wenn eine von ihnen den Preis senkt, wird es ihr die andere nachtun. Nur wenn sie kurzsichtig sind, werden sie glauben, einander auf lange Sicht unterbieten zu können. Bald wird sich jede der beiden Firmen fragen: Was wird mein Konkurrent tun, wenn ich meinen Preis senke, wenn ich ihn anhebe oder wenn ich unverändert lasse? Sobald Sie sich darüber Gedanken machen, wie andere auf Ihre Vorgehensweise reagieren könnten, haben Sie auch schon das Reich der Spieltheorie betreten.
Die Grundlagen Wir werden die grundlegenden Konzepte der Spieltheorie untersuchen, indem wir uns ein duopolistisches Preisspiel ansehen. Ein Duopol ist ein Markt, auf dem nur zwei Unternehmen aktiv sind. Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass beide Unternehmen dieselbe Kosten- und Nachfragestruktur besitzen. Darüber hinaus können sich beide Unternehmen frei entscheiden, ob sie ihren bisherigen Preis beibehalten oder einen niedrigeren
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Kapitel 11 Unsicherheit und Spieltheorie
Preis, der unter ihren Grenzkosten liegt, wählen und so nach Möglichkeit den Konkurrenten aus dem Markt drängen sollten. Das Neue an diesem duopolistischen Spiel ist die Abhängigkeit der Unternehmensgewinne sowohl von der eigenen Strategie als auch von der Strategie des Konkurrenten. Ein nützliches Hilfsmittel zur Darstellung der Interaktion zwischen zwei Unternehmen oder Menschen ist eine zweiseitige so genannte Auszahlungsmatrix (payoff table). Diese stellt eine Möglichkeit dar, die Strategien und Ergebnisse eines Spiels zwischen zwei Spielern aufzuzeigen. Abbildung 11-4 zeigt die Auszahlungsmatrix im duopolistischen Preisspiel unserer beiden Unternehmen. Danach kann ein Unternehmen zwischen den in den Spalten bzw. Zeilen aufgelisteten Möglichkeiten wählen. So hat nEwBooks die Wahl zwischen seinen zwei Spalten und Amazing zwischen seinen zwei Zeilen. In unserem Beispiel muss sich jedes Unternehmen für die Beibehaltung des bisherigen Preises oder für den Beginn eines
Preiskrieges durch die Wahl eines niedrigeren Preises entscheiden. Die Kombination der beiden Entscheidungen jedes der beiden Duopolisten führt zu vier möglichen Ergebnissen, die in den vier Feldern der Matrix dargestellt sind. Feld A links oben zeigt das Ergebnis für den Fall, dass beide Unternehmen den bisherigen Preis beibehalten; in D ist das Resultat für den Fall des Preiskrieges dargestellt; B und C zeigen schließlich, was geschieht, wenn ein Konkurrent den bisherigen Preis und der andere den Preiskrieg wählt. Die Zahlen in den einzelnen Feldern zeigen die so genannten Auszahlungen oder Payoffs der beiden Unternehmen, also den Gewinn, den jeder von ihnen in jedem der vier möglichen Fälle erzielt. Die rostfarbenen Zahlen links unten zeigen die Auszahlungen an den Spieler links (Amazing); die schwarzen Einträge rechts oben stehen für die Auszahlungen an den Spieler oben (nEwBooks). Da es sich um identische Unternehmen handelt, sind die Resultate gespiegelt.
Preisgestaltung bei Amazing
Ein Preiskrieg Preisgestaltung bei nEwBooks Preiskrieg
Bisheriger Preis* A Bisheriger Preis*
†
$ 10 C
$ 10 B
$ –100
$ –10 $ –10 D
$ –50
Preiskrieg $ –100
$ –50
* Dominante Strategie Dominantes Gleichgewicht
†
Abbildung 11-4: Auszahlungsmatrix für einen Preiskrieg Die Auszahlungsmatrix zeigt die mit verschiedenen Strategien einhergehenden Auszahlungsfunktionen. Amazing.com hat die Wahl zwischen zwei Strategien, die als seine zwei Zeilen dargestellt sind; nEwBooks kann zwischen seinen beiden Strategien wählen, die in den beiden Spalten angegeben sind. Die Einträge in den jeweiligen Feldern zeigen die Gewinne für die beiden Mitspieler. So spielt Amazing zum Beispiel in Feld C „Preiskrieg“, während nEwBooks „bisheriger Preis“ spielt. Das Ergebnis ist, dass Amazing einen Gewinn von US-$–100 (rostfarben) erzielt, während nEwBooks einen Gewinn von US-$–10 verbucht. Denkt man die besten Strategien für jeden Spieler durch, so erhält man das Dominanzgleichgewicht in Feld A.
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Alternativstrategien Da wir nun die grundlegende Spielstruktur beschrieben haben, sehen wir uns als Nächstes das Verhalten der Spieler an. Das neue Element der Spieltheorie besteht darin, nicht nur die eigenen Handlungen zu analysieren, sondern auch die Interaktion zwischen den eigenen Zielen und Schachzügen und jenen des Gegners. Wer versucht, seinen Gegner zu überlisten, sollte jedoch immer daran denken, dass dieser dasselbe im Sinn hat. Der Spieltheorie liegt somit folgende Leitphilosophie zugrunde: Man wählt seine Strategie, indem man sich die Frage stellt, welches Verhalten unter der Annahme, dass der Gegner die eigene Strategie analysiert und das tut, was für ihn selbst am besten ist, am sinnvollsten ist. Und nun wenden wir diese Maxime auf unser duopolistisches Beispiel an. Zuerst sollten Sie beachten, dass unsere beiden Unternehmen den höchsten gemeinsamen Gewinn bei Ergebnis A erzielen. Beide verdienen US-$ 10, wenn sie die Preise unverändert belassen. Das andere Extrem wäre ein Preiskrieg, in dem beide die Preise senken und starke Verluste hinnehmen müssen. Dazwischen liegen zwei interessante Strategien, bei denen sich nur ein Unternehmen am Preiskrieg beteiligt. So verfolgt nEwBooks im Fall C eine konservative Preispolitik, während Amazing einen Preiskrieg anzettelt. Amazing erobert den größten Teil des Marktes, verliert aber viel Geld, weil es unter den Selbstkosten verkauft, während nEwBooks, das zu normalen Preisen verkauft, anstatt auf das Dumping einzusteigen, die bessere Wahl getroffen hat. Dominante Strategie. Von allen möglichen Strategien ist die so genannte dominante Strategie der einfachste Fall. Der Begriff bezeichnet eine Situation, in der einer der Spieler eine in jedem Fall beste Strategie besitzt, gleichgültig, wie sich der Konkurrent verhält.
Teil 2
Betrachten Sie doch einmal die Möglichkeiten von Amazing in unserem Rechenbeispiel. Sollte nEwBooks die alten Preise beibehalten, verbucht Amazon US-$ 10 Gewinn, wenn auch hier weiterhin die alten Preise gelten, und verliert US-$ 100, wenn das Unternehmen einen Preiskrieg beginnt. Andererseits verliert Amazing bei Beibehaltung der alten Preise US-$ 10, sollte nEwBooks einen Preiskrieg anzetteln, und US-$ 50, wenn sich das Unternehmen selbst auf den Preiskrieg einlässt. Sie sehen, dass dieselbe Argumentation auch auf nEwBooks anzuwenden ist. Ganz gleich, welche Strategie die andere Firma gewählt hat – die beste Strategie besteht für beide Unternehmen darin, normale Preise zu verlangen. Die Beibehaltung des bisherigen Preises ist für beide Unternehmen die dominante Strategie in unserem Preiskriegspiel. Wenden beide (oder alle) Spieler eine dominante Strategie an, so bezeichnen wir das Ergebnis als dominantes Gleichgewicht. Das Ergebnis in Abbildung 11-4 stellt ein dominantes Gleichgewicht dar, weil hier beide Unternehmen ihrer dominanten Strategie folgen. Nash-Gleichgewicht. In den meisten interessanten Situationen stellt sich jedoch kein dominantes Gleichgewicht ein, und wir müssen daher in unserer Überlegung fortfahren. Verwenden wir doch unser Duopolbeispiel, um einen solchen Fall zu illustrieren. In diesem Beispiel, das wir als Konkurrenzspiel bezeichnen, überlegt jedes Unternehmen, ob es den bisherigen Preis beibehalten oder den Preis auf ein monopolistisches Niveau anheben und Monopolgewinne anstreben sollte. Das Konkurrenzspiel ist in Abbildung 11-5 dargestellt. Die Unternehmen können bei ihrem bisherigen Preis im Gleichgewicht bleiben, das ja das Ergebnis des vorangegangenen Preiskriegspiels darstellt. Oder sie können ihre Preise anheben – in der Hoffnung auf Monopolgewinne. Unsere beiden Unternehmen haben in Feld A den höchsten gemeinsamen Profit erzielt. Hier erwirtschaften sie einen Gesamtgewinn von US-$ 300, indem sie beide der Hochpreisstrategie fol-
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Kapitel 11 Unsicherheit und Spieltheorie
Das Konkurrenzspiel Preisgestaltung bei nEwBooks Bisheriger Preis*
Preisgestaltung bei Amazing
Erhöhter Preis A Erhöhter Preis
$ 200 B
$ 100 C
$ 150
$ –20 $ –30 D*
$ 10
Bisheriger Preis* $ 150
$ 10
* Nash-Gleichgewicht
Abbildung 11-5: Sollte es ein Duopolist mit dem Monopolpreis versuchen? Im Konkurrenzspiel kann jedes Unternehmen US-$ 10 verdienen, indem es seinen normalen Preis beibehält. Heben beide die Preise auf Monopolniveau an, werden beider Gewinne maximiert. Die Versuchung für jedes Unternehmen, den anderen zu „betrügen“ und den eigenen Gewinn durch eine Preissenkung zu erhöhen, stellt sicher, dass das Nash-Gleichgewicht des bisherigen Preises aufrechterhalten wird, sofern keine Kollusion vorliegt.
gen. Situation A würde sicherlich eintreten, wenn sich die Firmen absprechen und einen Monopolpreis vereinbaren. Der andere Extremfall ist die Wettbewerbsstrategie des bisherigen Preises, mithilfe derer jedes Unternehmen US-$ 10 Gewinn erzielt. Dazwischen liegen zwei interessante mögliche Strategien, wenn ein Unternehmen weiterhin den bisherigen Preis und das andere einen hohen Preis wählt. So verfolgt etwa in Feld C nEwBooks eine Hochpreisstrategie, die jedoch von Amazing unterboten wird. Amazing übernimmt den größeren Marktanteil und erzielt höhere Gewinne als in jeder anderen Situation, während nEwBooks Geld verliert. In Feld B setzt Amazing auf hohe Preise, aber die weiterhin niedrigen Preise von nEwBooks machen diese Strategie für Amazing zu einem Verlustgeschäft. In diesem Beispiel des Konkurrenzspiels verfolgt Amazing eine dominante Strategie. Das Unternehmen profitiert durch die Entscheidung, auf jeden Fall das niedrige Preisniveau beizubehalten, gleichgültig, wie sich nEwBooks verhält. Andererseits verfügt nEwBooks jedoch über keine dominante Strategie, weil das Unternehmen auf die bisherigen Preise setzen sollte, wenn Amazon eben-
falls beim alten Preisniveau bleibt, und eine Hochpreispolitik betreiben sollte, wenn Amazon dies gleichfalls tut. Das stellt nEwBooks vor ein fürchterliches Dilemma. Soll das Unternehmen hoch pokern und hoffen, dass Amazing ihm folgt? Oder auf Nummer Sicher gehen und auf normale Preise setzen? Wenn nEwBooks die Vor- und Nachteile durchdenkt, wird es erkennen, dass es auf normale Preise setzen sollte. Der Grund ist ganz einfach – nEwBooks sollte zunächst versuchen, sich in Amazing hinein zu versetzen. Es wird dann unmittelbar erkennen, dass Amazing bei den alten Preisen bleiben muss, gleichgültig, was nEwBooks tut, weil das die dominante Strategie von Amazing ist. nEwBooks muss seine bestmögliche Strategie daher unter der Annahme finden, dass Amazing seine dominante Strategie wählt. Folgerichtig wird Amazing auf die konservative Preispolitik setzen. Das verdeutlicht die grundlegende Regel der Spieltheorie: Man gründe seine Strategien auf der Annahme, dass der Gegner in jedem Fall in seinem eigenen Interesse handeln wird. Dieses Phänomen nennen wir NashGleichgewicht, benannt nach dem Mathematiker John Nash, der für seine Entdeckung einen Nobelpreis erhielt. Als Nash-Gleichge-
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
wicht bezeichnet man einen Gleichgewichtszustand, in dem kein Spieler bei gegebener Strategie der anderen ein besseres Ergebnis erzielen kann. Mit anderen Worten: Die Strategie jedes Spielers ist eine bestmögliche Reaktion auf die Strategie des anderen Spielers.1 Das Nash-Gleichgewicht wird manchmal auch als nichtkooperatives Gleichgewicht bezeichnet, da jede Partei die Strategie wählt, die für sie selbst die beste ist – ohne Absprache oder Kooperation mit den anderen Spielern und ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl oder eine andere Partei. Wir können nachweisen, dass die mit Sternchen markierten Strategien in Abbildung 11-5 ein Nash-Gleichgewicht darstellen. Das bedeutet, dass weder nEwBooks noch Amazing ihre Gewinne gegenüber dem (normalen) Gleichgewicht verbessern können, solange die Konkurrenz nicht ihre Strategie ändert. Sobald Amazing zu seiner Hochpreisstrategie wechselt, sinken die Unternehmensgewinne von US-$ 10 auf US-$ –20. Hebt jedoch nEwBooks seinen Preis gegenüber dem normalen Nash-Gleichgewichtspreis an, sinken seine Gewinne von US-$ 10 auf US-$ –30. (Weisen Sie nach, dass das dominante Gleichgewicht in Abbildung 11-4 ebenfalls ein Nash-Gleichgewicht darstellt.)
Einige wichtige Beispiele der Spieltheorie Kollusion oder nicht – das ist die Frage Ist das nichtkooperative Nash-Gleichgewicht ein effizientes Gleichgewicht, das im besten 1 Genauer ausgedrückt: Nehmen wir an, Unternehmer A wählt Strategie SA, während Unternehmen B sich für Strategie SB entscheidet. Das Strategiepaar (SA*, SB*) stellt ein Nash-Gleichgewicht dar, sofern keiner der Spieler eine bessere Strategie findet und der andere Spieler bei seiner Strategie bleibt. Solange Spieler A also Strategie SA* verfolgt, kann B nichts Besseres tun, als an Strategie SB* festzuhalten. Dasselbe gilt auch umgekehrt. In dieser Diskussion geht es um Spiele mit zwei Teilnehmern, doch die Analyse (und insbesondere auch das wichtige Nash-Gleichgewicht) lässt sich auch auf Spiele mit vielen Teilnehmern („n–Personen-Spiele“) übertragen.
Teil 2
Interesse beider Beteiligter liegt? Eine der wichtigsten Lektionen der Spieltheorie lautet, dass das nichtkooperative Gleichgewicht für die Beteiligten auch ineffizient sein kann. Abbildung 11-5 unterstreicht diesen Punkt. Das Nash-Gleichgewicht in Feld D (Sternchen) beschert den Duopolisten insgesamt weniger Gewinn als jede der anderen Lösungen. Das beste gemeinsame Ergebnis wäre A, wo beide Duopolisten auf den hohen Preis setzen und einen Gesamtgewinn von US-$ 300 erzielen würden. Das schlechteste Ergebnis wäre das nichtkooperative Nash-Gleichgewicht mit einem Gesamtgewinn von US-$ 20. Wie kann das Nash-Gleichgewicht überleben, wenn beide Oligopolisten damit weniger verdienen als bei jedem anderen Ergebnis? Erinnern wir uns an Adam Smiths Maxime: „Vertreter desselben Gewerbes treffen einander selten ... doch das Gespräch endet ... in irgendwelchen Mauscheleien mit dem Ziel, die Preise zu erhöhen.“ Warum sprechen sich die Firmen nicht einfach ab und erhöhen die Preise auf Monopolniveau? Denken wir an das kooperative Gleichgewicht, das eintritt, wenn die Spieler im Gleichklang agieren und Strategien festlegen, die ihre gemeinsamen Vorteile maximieren. Sie können beschließen, ein Kartell zu bilden, einen überhöhten Preis festzusetzen und den Gewinn untereinander aufzuteilen. Selbstverständlich sind die Duopolisten somit auf Kosten der Konsumenten begünstigt. Aber es ist nicht immer so einfach, die Lösung des kooperativen Monopols zu erreichen und aufrechtzuerhalten. Zunächst sind Kartelle und Absprachen, die den Wettbewerb beschränken, in den meisten Marktwirtschaften illegal. Doch die größte Hürde ist das Eigeninteresse. Sagen wir, dass anhand einer Preisabsprache vereinbart wurde, den Preis mit (hoch, hoch) festzulegen (Feld A von Abbildung 11-5). Dann entschließt sich Amazing im Geheimen, einen Teil der Ware zu einem niedrigeren Preis zu verkaufen, sich also effektiv auf Feld C zu bewegen. Amazing könnte damit eine Zeitlang davon-
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Kapitel 11 Unsicherheit und Spieltheorie
kommen, ohne dass jemand etwas merkt. In dieser Zeit würde Amazing höhere Gewinne erzielen, nämlich US-$ 150 statt US-$ 100. Aber irgendwann würde nEwBooks bemerken, dass die Unternehmensgewinne schwinden. Das Unternehmen würde dann wohl seine Strategie überdenken, zu dem Schluss gelangen, dass der Zusammenhalt im Kartell nicht mehr besteht, und seine Preise wieder auf das alte Niveau senken. Ist das kooperative Gleichgewicht (hoch, hoch) nicht durchsetzbar, bewegen sich die Unternehmen rasch zum nichtkooperativen oder Nash-Gleichgewicht gemäß Resultat D (normal, normal). Wir können diese Überlegungen auch im Hinblick auf einen vollkommenen Markt anstellen. Ein vollkommenes Wettbewerbsgleichgewicht ist ein Nash- oder nichtkooperatives Gleichgewicht, was bedeutet, dass jedes Unternehmen und jeder Konsument bei seinen Entscheidungen die Preise aller anderen Mitspieler als gegeben annimmt. In diesem Gleichgewicht maximiert jedes Unternehmen seine Gewinne und jeder Konsument seinen Nutzen, was zu einem Nullgewinn führt, bei dem die Preise den Grenzkosten entsprechen. Erinnern wir uns an Adam Smiths Lehre von der unsichtbaren Hand: „Durch die Verfolgung seiner (individuellen) Eigeninteressen fördert der Mensch die Interessen der Gesellschaft oftmals besser, als hätte er dies beabsichtigt.“ Das Paradoxon der unsichtbaren Hand besteht gerade darin, dass das wirtschaftliche Ergebnis sozial effizient ist, obwohl sich der Einzelne nicht kooperativ verhält. Außerdem ist das Wettbewerbsgleichgewicht ein Nash-Gleichgewicht in dem Sinn, dass sich ein Einzelner durch Veränderung seiner Strategien niemals besser stellen kann, solange alle anderen an ihrer Strategie festhalten. In einer vollkommenen Wettbewerbswelt führt nichtkooperatives Verhalten zu einem sozial wünschenswerten Zustand wirtschaftlicher Effizienz. Dagegen wäre die wirtschaftliche Effizienz beeinträchtigt, sollten einige Parteien (wie
unsere zwei Duopolisten) kooperieren und eine Preiserhöhung auf Monopolniveau wie in Feld A beschließen. Das erklärt auch, warum Staaten kartellrechtliche Bestimmungen erlassen wollen, die harte Strafen für Preisabsprachen oder Marktaufteilungen vorsehen.
Das Gefangenendilemma In unserem Beispiel einer Preisunterbietung in Abbildung 11-5 haben wir gesehen, dass der Wettbewerb zwischen den Unternehmen zu einem Niedrigpreisergebnis führt. Darüber hinaus haben wir gesehen, wie eine wundervolle Fügung des Wirtschaftslebens, Adam Smiths unsichtbare Hand, unter vollkommenen Marktbedingungen eine effiziente Ressourcenallokation bewirkt. Doch die segensreiche Wirkung der unsichtbaren Hand ist nicht immer zu spüren. Das zeigt sich im Gefangenendilemma, einem der berühmtesten Spiele. Abbildung 11-6 stimmt mit Abbildung 11-5 überein; hier bezieht sie sich auf die Gefängnisinsassen Molly und Knuckles, ein Ganovenpärchen. Der Staatsanwalt verhört beide einzeln und teilt ihnen Folgendes mit: „Ich habe gegen beide von euch genug in der Hand, um euch für ein Jahr hinter Gittern verschwinden zu lassen. Aber ich biete euch ein Geschäft an: Wenn du allein gestehst, kommst du mit einem Strafmaß von 3 Monaten davon, während dein Partner 10 Jahre lang sitzen wird. Wenn ihr beide gesteht, bekommt ihr beide 5 Jahre.“ Was soll Molly tun? Soll sie gestehen und auf eine kurze Strafe hoffen? Drei Monate sind besser als das Jahr, das sie bekäme, würde sie weiter schweigen. Doch halt – es gibt noch einen besseren Grund, ein Geständnis abzulegen. Nehmen wir an, Molly legt kein Geständnis ab, während Knuckles genau dies ohne ihr Wissen tut. Dann bekommt Molly 10 Jahre! In dieser Situation ist es für Molly eindeutig besser zu gestehen und 5 Jahre statt 10 Jahre einzusitzen.
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Teil 2
Gefangenendilemma Molly Gestehen* Knuckles
A*
Nicht gestehen 5 Jahre B
10 Jahre
Gestehen* 5 Jahre C Nicht gestehen
3 Monate 3 Monate D
10 Jahre
1 Jahr
1 Jahr
*Nash Gleichgewicht
Abbildung 11-6: Gestehen oder nicht gestehen – das ist das Gefangenendilemma Gleichgültig, was der andere Gefangene tut: Unter diesen Umständen ist es für jeden einzelnen der beiden Gefangenen auf jeden Fall besser zu gestehen und sich unkooperativ (oder egoistisch) zu verhalten. Doch nur durch Kooperation oder Altruismus können beide gemeinsam auf Feld D gelangen und Langzeit-Gefängnisstrafen vermeiden.
Knuckles steckt im selben Dilemma: Wenn er nur wüsste, was Molly denkt, oder was Molly denkt, dass Knuckles denkt, dass Molly denkt, oder … Die entscheidende Einsicht lautet hier, dass beide Gefangenen, wenn sie durch Ablegen eines Geständnisses egoistisch handeln, lange Gefängnisstrafen bekommen. Nur wenn sie zusammenspielen oder altruistisch denken, kommen sie mit kurzen Strafen davon.
Das Umweltverschmutzungsspiel Ein weiteres wichtiges Beispiel, in seiner Struktur dem Gefangenendilemma ähnlich, ist das Umweltverschmutzungsspiel, das in Abbildung 11-7 dargestellt ist. Stellen Sie sich eine Wirtschaft mit externen Effekten wie zum Beispiel Umweltverschmutzung vor. In einer Welt der unregulierten Firmen würde es jedes gewinnmaximierende Unternehmen vorziehen, die Umwelt zu verpesten, anstatt teure Umweltschutzinvestitionen zu tätigen. Außerdem müssten Unternehmen, die in einer solchen Welt altruistisch agieren und ihren Abfall entsorgen, mit höheren Produktionskosten und daher auch mit höheren Preisen und in der Folge mit weniger Kunden
rechnen. Wären diese Kosten sehr hoch, würde ein solches Unternehmen sogar in Konkurs gehen. Der Druck des darwinistisch harten Wettbewerbs zwingt alle Unternehmen dazu, im Nash-Gleichgewicht von Feld D in Abbildung 11-7 zu verharren; hier kann kein Unternehmen seine Gewinne durch die Vermeidung von Umweltverschmutzung steigern. Das Umweltverschmutzungsspiel führt uns beispielhaft eine Situation vor Augen, in der der Mechanismus der unsichtbaren Hand zur Herstellung eines effizienten vollkommenen Wettbewerbes zusammenbricht. Wir haben es hier mit einer Situation zu tun, in der sich das Nash-Gleichgewicht als ineffizient erweist. Wenn das Nash-Gleichgewicht gefährlich ineffizient wird, kann der Staat eingreifen. Durch effiziente Regulierungen, Emissionsabgaben oder womöglich durch Einführung effizienter Eigentumsrechte kann er die Unternehmen dazu anhalten, zum Ergebnis A (also zum Zustand geringe Verschmutzung/geringe Verschmutzung) zu wechseln. In diesem Gleichgewicht erzielen die Unternehmer dieselben Gewinne wie in der Situation mit hoher Umweltverschmutzung, aber zugleich wird unsere Umwelt wieder ein Stück gesünder.
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Kapitel 11 Unsicherheit und Spieltheorie
Das Verschmutzungsspiel U.S. Steel Geringe Verschmutzung Starke Verschmutzung* Oxy Steel
A Geringe Verschmutzung
$ 100 C
Starke Verschmutzung*
$ 100 B
$ 120
$ –30 $ –30 D*
$ 120
$ 100
$ 100
* Nash-Gleichgewicht
Abbildung 11-7: Nichtkooperatives Verhalten führt zu mehr Umweltverschmutzung Im tödlichen Verschmutzungsspiel setzt jedes gewinnmaximierende Unternehmen Schadstoffe in Luft und Wasser frei. Führt ein einzelnes Unternehmen Umweltschutzmaßnahmen ein, erhöht es seine Preise, um die Kosten abzudecken. Dadurch verliert es Marktanteile und leidet unter rückläufigen Gewinnen. Das nichtkooperative Nash-Gleichgewicht in D führt zu der verschmutzungsintensiven Lösung rechts unten. Der Staat kann dieses Problem überwinden, indem er das kooperative Gleichgewicht in A erzwingt, wo die Gewinne beider Unternehmen gleich hoch sind und die Umweltverschmutzung eingedämmt wurde.
Tödliche Rüstungswettläufe Die Spieltheorie findet breite Anwendung in der Politikwissenschaft, in militärischen Strategien und in der Evolutionsbiologie. Ein besonders gefährliches Spiel mit einem ineffizienten, nichtkooperativen Gleichgewicht, das sich in der Geschichte der Menschheit oft wiederholt hat, ist das des Rüstungswettlaufs. Nehmen wir an, Sie sind Supermacht A, die der feindlichen Supermacht B gegenübersteht oder mit dem Aufstieg von Supermacht C rechnen muss. Sie möchten sichergehen, dass Sie über die nötigen Nuklearwaffen verfügen, um Aggressoren abzuschrecken. Da Sie sich bezüglich der Absichten Ihres Gegners nicht sicher sind, gehen Sie auf Nummer Sicher, indem Sie dafür sorgen, dass Ihr Waffenarsenal immer ein kleines bisschen größer ist als das ihres Gegners. Ihre Generäle sagen Ihnen, dass das nichts anderes ist als eine umsichtige Militärpolitik. Nun versetzen Sie sich in R hinein, der Sie argwöhnisch beim Aufbau Ihrer Militär-
macht beobachtet. R kennt Ihre Absichten nicht. Seine Generäle raten ihm ebenfalls zu einer vorausblickenden Überlegenheitsstrategie. Deshalb möchte A 10 Prozent mehr Bomben als R besitzen, und R möchte 10 Prozent mehr Bomben als A sein Eigen nennen. Das ist der Auslöser für einen gefährlichen Rüstungswettlauf. Nun glauben Sie nur nicht, dieses Beispiel sei aus der Luft gegriffen. Der nichtkooperative Rüstungswettlauf zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion im Zeitraum 1945–1991 führte zu massiven Militärausgaben und einem Arsenal von fast 100.000 nuklearen Sprengköpfen. Eine derartige Situation erfordert kooperative Lösungen, bei denen die Parteien gemeinsam versuchen, die Waffenlager abzubauen. Rüstungskontrollverträge verschieben das Ergebnis von einem ineffizienten, nichtkooperativen Gleichgewicht hin zu einem weniger ineffizienten kooperativen Ergebnis. Auf diese Weise lassen sich Sicherheit und Wohlergehen aller Beteiligten verbessern.
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Eine Gesellschaft des „Alles oder nichts?“ Ist es möglich, dass das Wirtschaftsleben zunehmend zu einem gigantischen Turnier verkommt – einer zivilen Form des Rüstungswettlaufs? Fragen Sie sich einmal, was folgende Dinge miteinander gemein haben: Bestseller, Patente, Gewinner olympischer Goldmedaillen, Supermodels, siegreiche Klagen, Nobelpreisgewinner und Präsidenten der Vereinigten Staaten. Sie sind alle Ergebnisse von Alles-oder-nichts-Spielen – Situationen, in denen die Gewinne in erster Linie von der relativen anstatt von der absoluten Leistung abhängen. Bei einem 400-MeterLauf gibt es nur einen Goldmedaillengewinner; nur eine Partei kann ein Gerichtsverfahren gewinnen; und nur ein Buch kann an erster Stelle einer Bestsellerliste stehen. Vergleichen Sie solche Situationen mit Fabrikarbeitern, deren Einkommen von einer absoluten Grenzproduktivität und nicht von einer relativen bestimmt wird. Ein gemeinsames Merkmal solcher Wettbewerbe besteht darin, dass die Belohnungen ganz oben stark konzentriert sind. Das Supermodel Claudia Schiffer verdiente 1998 angeblich US-$ 10,5 Millionen, während sich die meisten anderen Models mit sehr wenig oder mit gar nichts zufrieden geben müssen. Bestsellerautoren wie Stephen King oder Danielle Steel erhalten für die Rechte an ihren Büchern bis zu US-$ 60 Millionen, während der durchschnittliche Autor nicht viel mehr als den Mindestlohn verdient. Der Komiker Jerry Seinfeld verdiente 1998 angeblich US-$ 300 Millionen. Im Gegensatz dazu erhielten in einem der letzten Jahre nur ein Zehntel der Mitglieder der Schauspielergewerkschaft irgendein Honorar für ihren Auftritt in Filmen, während aufstrebende Stars das Loch in der Brieftasche mit Aktivitäten wie Taxi fahren und Kellnern zu stopfen versuchten. Abbildung 11-8 illustriert das Alles-odernichts-Spiel. Der glückliche oder talentierte Gewinner hat einen enormen Anreiz, sich an dem Alles-oder-nichts-Turnier zu beteili-
Teil 2
gen, denn im Siegesfall erhält er ein Einkommen von US-$ 300.000. Der Zweite steht vor der Wahl, in einer Branche wie der verarbeitenden Industrie zu arbeiten, in der die absolute Leistung zählt, oder sich an einem Turnier in den Bereichen Unterhaltung, Sport oder Recht zu beteiligen. Wenn der Zweite glaubt, eine faire Siegeschance zu haben, wird er an dem Rennen teilnehmen, weil er seine zu erwartenden Einkünfte in einer Alles-oder-nichts-Branche auf US-$ 100.000 und in konventionellen Berufen auf US-$ 50.000 schätzt. Das Ergebnis ist das „überbevölkerte“ Gleichgewicht unten rechts, wo beide an dem Turnier teilnehmen. Das Volkseinkommen ist hier höher als beim „langweiligen“ Gleichgewicht, wo es keine spannenden Wettbewerbe gibt, aber niedriger als beim effizienten Ergebnis, wo der Zweite nicht an dem Wettbewerb teilnimmt. Ein ineffizientes Alles-oder-nichts-Gleichgewicht erzeugt die größte Einkommensungleichheit aller Ergebnisse. Eine faszinierende Studie von Robert Frank und Philip Cook erforscht die Konsequenzen eines Phänomens, das sie die „Alles-oder-nichts-Gesellschaft“ nennen. Folgendes Zitat zeigt, wie die Spieltheorie diesen wichtigen Teil des Wirtschaftslebens erhellt: Während die Anhänger der freien Marktwirtschaft argumentieren, dass Marktanreize zu sozial effizienten Ergebnissen führen, behaupten wir, dass Alles-oder-nichtsMärkte zu viele Bewerber anziehen, was zu ineffizienten Verbrauchs- und Investitionsmustern und oft zu einer Herabwertung unserer Kultur führt. ... Die Explosion der Spitzengehälter rührt zu einem großen Teil von der wachsenden Bedeutung der „Alles-oder-nichts-Märkte“ her.2
Frank und Cook sprechen sich für die „Eindämmung des Wettrüstens“ (etwa durch eine Reform des Rechtssystems) und für progressive Verbrauchssteuern aus, um der Verschwendung durch einen übermäßigen Wettbewerb um hohe Preise in den Bereichen Unterhaltung, Sport und Wirtschaft Einhalt zu gebieten.
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Kapitel 11 Unsicherheit und Spieltheorie
Das Alles-oder-nichts-Spiel Gewinner
Zweitplatzierter
Tätigkeit in normaler Branche Tätigkeit in normaler Branche
A* $ 50 C
Tätigkeit in „Alles-odernichts„-Branche
$ 200
Tätigkeit in „Alles-oder-nichts“-Branche
$ 50 B
†
NI = $ 100 $ 50
$ 300
NI = $ 350
$ 50 D‡
$ 300
NI = $ 250 $ 0
NI = $ 300
Anmerkung: Verdienst inUS-$ 1.000 * Langweilig † Effizient ‡ Überfüllt
Abbildung 11-8: Wenn zu viele Menschen konkurrieren, kann das Volkseinkommen sinken Im Alles-oder-nichts-Spiel, etwa im Profisport oder bei Gerichtsprozessen mit hohem Streitwert, erhält der Gewinner hohe Auszahlungen. Der Zweitplatzierte wird durch die Möglichkeit eines hohen Gewinns in den Alles-oder-nichts-Markt gelockt. Wie in dem Fall, dass zu viele Fischerboote ein und demselben Fischschwarm hinterher jagen, führt das Getümmel auf Alles-oder-nichts-Märkten dazu, dass die Teilnehmer dort nur niedrige Einkünfte erzielen. Die Gesamteinkünfte würden steigen, wenn der Zweitplatzierte in einer normalen Branche bliebe, in der nach absoluter Leistung bezahlt wird.
Spiele, Spiele, wohin das Auge reicht … Die Erkenntnisse der Spieltheorie finden wir heute überall, quer durch die Wirtschaftswissenschaften, die Sozialwissenschaften, das Geschäftsleben und den Alltag. So kann beispielsweise in der Volkswirtschaftslehre die Spieltheorie Handelskriege ebenso gut erklären wie Preiskriege (einige erläuternde Beispiele finden Sie in der Rubrik „Übungen“ am Ende dieses Kapitels). 2 Die Spieltheorie bietet auch Erklärungen dafür, warum der Wettbewerb aus dem Ausland zu einem schärferen Preiskampf führt. Was geschieht denn eigentlich, wenn japanische Unternehmen auf einen US-Markt drängen, auf dem eine stillschweigende Absprache der Unternehmen über die Preisstrategie zu hohen oligopolistischen Preisen geführt hat? Nun, die ausländischen Unternehmen können sich einfach weigern mitzuspielen. Sie haben diese Spielregeln nicht 2 Siehe Frank und Cook (Näheres im Abschnitt „Leseempfehlungen“), S. 6 und 19.
mitgestaltet, also können sie die Preise nach Belieben senken und einen größeren Marktanteil erlangen. Die gesamte Kollusion bricht zusammen. Ein entscheidendes Merkmal vieler Spiele ist der Versuch der Spieler, Glaubwürdigkeit aufzubauen. Glaubwürdig ist man, wenn die anderen von einem erwarten, dass man seine Versprechen hält und seine Drohungen wahr macht. Doch Glaubwürdigkeit lässt sich nicht mit einfachen Versprechungen gewinnen. Sie muss im Einklang mit den Spielanreizen stehen. Wie verschafft man sich Glaubwürdigkeit? Hier einige Beispiele: Die Zentralbanken erwerben sich ihren Ruf, hart gegen die Inflation vorzugehen, indem sie politisch unpopuläre Entscheidungen treffen. Noch stärker steigt die Glaubwürdigkeit, wenn die Regeln der Zentralbank in ein Gesetz oder in eine Verfassung gegossen werden. Unternehmen geben glaubwürdige Versprechen ab, indem sie Verträge schließen, die Strafen vorsehen, falls sie ihre Versprechen nicht einlösen sollten. Eine gefährlichere Strategie ist es, wenn eine Armee alle Brücken hinter sich in die Luft
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Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
sprengt. Die Tatsache, dass sie sich nicht mehr zurückziehen kann, verleiht der Drohung, bis zum Tod zu kämpfen, Glaubwürdigkeit. Diese Beispiele vermitteln uns einen kleinen Eindruck von der enormen Fülle der Anwendungsmöglichkeiten der Spieltheorie, die in den letzten 50 Jahren zutage getreten
Teil 2
sind. Die Spieltheorie hat sich für Ökonomen und andere Sozialwissenschaftler als äußerst nützlich für die Analyse von Situationen erwiesen, in denen wenige gut informierter Mitspieler agieren, die sich wechselseitig auf Märkten, in der Politik oder in militärischer Strategie zu überlisten versuchen.
Zusammenfassung A. Die ökonomische Theorie des Risikos und der Unsicherheit 1.
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3.
4.
Das Wirtschaftsleben ist voller Unwägbarkeiten. Konsumenten sehen sich sowohl unsicheren Einkommens- und Beschäftigungsverhältnissen als auch der Gefahr katastrophaler Verluste gegenüber; Unternehmer müssen mit unsicheren Kosten und unsicheren Preis- und Produktionsentwicklungen leben, die zu Unsicherheit in Bezug auf ihre Erträge führen. Auf gut funktionierenden Märkten helfen die Mechanismen der Arbitrage, der Spekulation und des Versicherungswesens, unvermeidlichen Risiken zu begegnen. Spekulanten sind Menschen, die Waren kaufen und verkaufen, um durch die Ausnutzung der unterschiedlichen Preise auf verschiedenen Märkten Gewinne zu erzielen. Sie bewegen Güter räumlich von Niedrig- zu Hochpreismärkten sowie zeitlich von Perioden des Überschusses zu solchen des Mangels. Die gewinnorientierten Handlungen der Spekulanten und Arbitrageure schaffen über Raum und Zeit hinweg eine gewisse Gleichgewichtsstruktur der Preise. Diese Art des Marktgleichgewichtes ist durch einen Gewinn von null gekennzeichnet, weil die Grenzkosten dem Grenznutzen in den unterschiedlichen Regionen, Zeiten und unsicheren Umweltzuständen entsprechen. In dem Ausmaß, in dem Spekulanten Preis- und Konsumschwankungen ausgleichen, sind sie Bestandteil des Mechanismus der unsichtbaren Hand, der die sozial wünschenswerte Funktion einer Umverteilung von Gütern, weg von Zeiten des Überflusses (Niedrigpreisperioden) und hin zu Zeiten des Hungers (Hochpreisperioden), übernimmt. Spekulationsmärkte erlauben es dem Einzelnen, sich gegen unerwünschte Risiken abzusichern. Das ökonomische Prinzip der Risikoaversion, das sich aus dem sinkenden Grenznutzen ableiten lässt, impliziert, dass Individuen
5.
6.
keine riskanten Situationen mit einem Erwartungswert von null akzeptieren. Die Risikoaversion bewegt die Haushalte und Unternehmen zum Abschluss von Versicherungen, um verheerende Nutzeneinbußen durch Feuer, Tod oder andere Schadensfälle zu verringern. Versicherungen und Risikostreuungen stabilisieren die Konsummuster unter verschiedenen Umständen. Die Versicherungen übernehmen hohe individuelle Risiken und streuen diese so breit, dass sie für eine große Anzahl von Menschen akzeptabel werden. Versicherungen sind nützlich, weil sie in der Lage sind, das Konsumniveau über diverse unsichere natürliche Zustände hinweg auszugleichen, und so das erwartete Nutzenniveau erhöhen. Damit der Versicherungsmarkt optimal funktionieren kann, müssen ganz spezielle Bedingungen erfüllt sein: Es muss eine große Anzahl voneinander möglichst unabhängiger Risikoumstände vorliegen, wobei die Wahrscheinlichkeit eines unehrlichen oder fahrlässigen Verhaltens der Versicherten sowie auch die Gefahr des Ausscheidens der besseren Risiken möglichst gering sein müssen. Wenn es tatsächlich zu einem Marktversagen kommt, kann dies zu Preisverzerrungen oder zum Fehlen eines entsprechenden Marktes führen. Versagt der private Versicherungsmarkt, so sollte der Staat einspringen und beispielsweise eine Sozialversicherung anbieten. Heute treffen wir sogar in hoch entwickelten Marktwirtschaften mit starker Laissez-faire-Komponente staatliche Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit oder Gesundheitsrisiken im Alter an.
B. Spieltheorie 7.
Im Wirtschaftsleben treten immer wieder Situationen ein, in denen Unternehmen, Haushalte, Regierungen oder andere „Spieler“ strategisch interagieren. Die Spieltheorie analysiert die Art und Weise, in der zwei oder mehr
321
Kapitel 11 Unsicherheit und Spieltheorie
Parteien, die in einem gemeinsamen Bereich, etwa auf dem Markt, agieren, ihre Handlungen und Strategien wählen, die dann Auswirkungen auf alle Beteiligten haben. 8. Zur Grundstruktur eines Spieles gehören die Spieler, denen verschiedene Vorgehensweisen und Strategien offen stehen, und die so genannten Auszahlungsfunktionen, also die erzielbaren Gewinne oder andere Belohnungen, die die Spieler beim jeweiligen Spielausgang erhalten. Das neue Schlüsselkonzept ist die Auszahlungsmatrix eines Spiels, die die Strategien und die Gewinne oder Vorteile für die einzelnen Spieler darstellt. 9. Die Spieler haben bei der Wahl ihrer Strategie sowohl die eigenen Ziele als auch jene des Gegners zu berücksichtigen und dürfen nicht vergessen, dass die Gegner genauso handeln werden. Sollten Sie an einem wirtschaftlichen oder anderen Spiel teilnehmen, gehen Sie immer davon aus, dass ihr Konkurrent alle seine Möglichkeiten ausschöpfen wird. Wählen Sie Ihre Strategie so, dass Sie damit ihren eigenen Vorteil maximieren. Bedenken Sie jedoch, dass Ihr Gegner natürlich ebenso alle Ihre möglichen Spielzüge analysieren wird. 10. Bisweilen gibt es eine dominante Strategie, die unabhängig von den Handlungen der Mitspielerdie bestmögliche Option ist. Häufiger jedoch
treffen wir das Nash-Gleichgewicht (nichtkooperatives Gleichgewicht) an, ein äußerst nützliches Gleichgewichtskonzept. Ein Nash-Gleichgewicht bezeichnet einen Gleichgewichtszustand, in dem kein Spieler bei gegebener Strategie der Mitspieler ein besseres Ergebnis erzielen kann. Manchmal gelingt es den Parteien auch, sich abzusprechen oder zu kooperieren, was zu einem kooperativen Gleichgewicht führt. 11. Ein Nash-Gleichgewicht führt in Adam Smiths Spiel der unsichtbaren Hand zu einem effizienten Ergebnis. Hier produzieren Unternehmen ohne Kollusion zu Preisen, die den Grenzkosten entsprechen, und das nichtkooperative Gleichgewicht ist effizient. In solchen Situationen führt die Kooperation zu einer ineffizienten Produktion. 12. Nichtkooperatives Verhalten kann allerdings auch zu sozial unerwünschten Ergebnissen führen, etwa wenn Konkurrenten die Umwelt verschmutzen oder einen gefährlichen Rüstungswettlauf beginnen. Spiele, bei denen es um alles oder nichts geht, wie Gerichtsverfahren oder sportliche Wettbewerbe, können dazu führen, dass die Zahl der Teilnehmer zu stark ansteigt, wodurch sich das Ungleichgewicht von Ruhm und Ergebnissen verstärkt.
Begriffe zur Wiederholung Risiko und Unsicherheit
Spieltheorie
Arbitrage, die zu einer regionalen Preisangleichung führt Ideales saisonbedingtes Preismuster Spekulation, Arbitrage, Hedging Risikoaversion und abnehmender Grenznutzen Konsumstabilität versus -instabilität Versicherung und Risikostreuung Marktversagen aufgrund unvollkommener Information Unehrliches oder fahrlässiges Verhalten (moral hazard), Ausscheiden der besseren Risiken (adverse Selection) Sozialversicherung
Spieler, Strategen, Gewinne Auszahlungsmatrix Dominante Strategie und Gleichgewicht Nash- oder nichtkooperatives Gleichgewicht Kooperatives oder Kollusionsgleichgewicht Wichtige Spiele: Kollusion Gefangenendilemma Umweltverschmutzung Alles oder nichts Glaubwürdigkeit
322
Mikroökonomie: Angebot, Nachfrage und Produktmärkte
Teil 2
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Die Spieltheorie wurde 1944 von John von Neumann und Oscar Morgenstern entwickelt, und das Konzept wurde in Theory of Games and Economic Behavior (Princeton University Press, Princeton, N.J., 1980; deutsch: Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten, Physica, Heidelberg, 1984) veröffentlicht. Eine unterhaltsame Darstellung der Spieltheorie von zwei führenden Mikroökonomen ist: Avinash K. Dixit und Barry J. Nalebuff, Thinking Strategically: The Competitive Edge in Business, Politics, and Everyday (Norton, New York, 1993; deutsch: Spieltheorie für Einsteiger. Strategisches Know-how für Gewinner, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 1994). Eine nicht fachbezogene Biographie von John Nash aus der Feder der Journalistin Silvia Nasar, A Beautiful Mind: A Biography of John Forbes Nash Jr. (Touchstone Books, 1999; deutsch: Genie und Wahnsinn. Das Leben des genialen Mathematikers John Nash, Piper, München, 2002), ist eine lebhafte Schilderung der Geschichte der Spieltheorie und der Persönlichkeit eines ihrer brillantesten Theoretiker. Eine Analyse des Glücksspiels findet sich bei William R. Eadington, „The Economics of Casino Gambling“, Journal of Economic Perspectives, Sommer 1999. Eine interessante Analyse von „Alles-oder-nichts“-Spielen bieten Robert H. Frank und Philip J. Cook, The Winner-Take-All Society (Free Press, New York, 1995).
Websites Spieltheoretiker haben verschiedene Websites eingerichtet. Besonders interessant sind diejenigen von David Levine, UCLA, unter levine.sscnet.ucla.edu zu erreichen, sowie von Al Roth, Harvard, www.economics.harvard.edu/~aroth/alroth.html.
Übungen 1.
2.
Nehmen wir an, eine Freundin bietet Ihnen an, eine Münze zu werfen. Sie verpflichten sich, Ihrer Freundin US-$ 100 zu zahlen, wenn die Münze auf Kopf fällt, während Ihre Freundin 100 US-$ an Sie zahlen muss, wenn sie auf Zahl fällt. Erklären Sie, warum der zu erwartende Geldwert US-$ 0 beträgt. Erklären Sie weiter, warum der zu erwartende Nutzwert negativ ist, wenn Sie risikoavers sind. Betrachten wir das oben dargestellte Beispiel einer „Notendurchschnittsversicherung“. Nehmen wir an, dass Studierende, die eine solche Versicherung abgeschlossen haben, für jeden Punkt, um den ihr Notendurchschnitt hinter dem Bestwert zurückbleibt, US-$ 5.000 erhalten (dieser Betrag könnte eine Schätzung der Auswirkungen von Noten auf das zukünftige Einkommen darstellen). Erklären Sie, warum eine Notendurchschnittsversicherung unehrliche oder fahrlässige Verhaltensweisen und eine negative Auslese nach sich ziehen würde. Warum würden unehrliche oder fahrlässige Verhaltensweisen die Versicherungsgesellschaften davon abhalten, Notendurchschnittsversicherungen zu verkaufen? Überrascht es
3.
4.
Sie, dass Sie keine Notendurchschnittsversicherung abschließen können? Nach den Terroristenangriffen vom 11. September 2001 weigerten sich die meisten Versicherungsgesellschaften, Policen gegen Terroranschläge zu verkaufen. Präsident Bush bemerkte hierzu: „Immobilientransaktionen im Wert von über US-$ 15 Milliarden fielen ins Wasser oder wurden auf die lange Bank geschoben, weil Eigentümer und Investoren die vorgeschriebene Versicherungsdeckung nicht beibringen konnten.“ In der Folge schritt die US-Bundesregierung ein und übernahm Forderungen in einer Höhe von bis zu US-$ 90 Milliarden. Erklären Sie anhand des Versicherungsprinzips, warum Versicherungsgesellschaften die Versicherung von Vermögen gegen terroristische Angriffe ablehnen könnten. Erklären Sie, ob das staatliche Programm Ihrer Meinung nach eine geeignete Form der Sozialversicherung darstellt oder nicht. Im frühen 19. Jahrhundert wurde nur ein kleiner Teil der landwirtschaftlichen Produktion über Märkte verkauft. Zudem waren damals die Transportkosten sehr hoch. Welche Varia-
323
Kapitel 11 Unsicherheit und Spieltheorie
5.
6.
7.
des Freihandels ohne Zölle und Einfuhrquoten oder eine protektionistische Politik mit hohen Zöllen für importierte Güter und Dienstleistungen wählen. Die Auszahlungen entsprechen den Realeinnahmen jedes Landes. a. Listen Sie die vier Ergebnisse auf und berechnen Sie das Volkseinkommen jeder Region und das Welteinkommen. b. Zeigen Sie, dass das nichtkooperative Verhalten der Länder (ohne Absprachen und nur an den nationalen Eigeninteressen orientiert) beim Nash-Gleichgewicht in Feld D zu einem Handelskrieg führt. Welche Auswirkungen hat der Handelskrieg auf das Welteinkommen? c. Wie wirkt sich ein Handelsabkommen, das alle Handelshemmnisse beseitigt und den Freihandel garantiert, auf die Einkommen aus? d. Gibt es einen Anreiz für die einzelnen Länder, das Handelsabkommen zu umgehen? Was geschieht, wenn eine solche Umgehung Vergeltungsmaßnahmen provoziert und zu hohen Zöllen führt?
tionshöhe der Preise zwischen den Regionen würden Sie im Vergleich zu heute erwarten? Nehmen Sie an, ein Unternehmen tätigt eine riskante Investition (z.B. US-$ 2 Milliarden für die Entwicklung eines Konkurrenzsystems für Windows). Können Sie erklären, warum die breit gefächerte Eigentumsstruktur eines solchen Unternehmens eine nahezu perfekte Risikostreuung der Softwareinvestition ermöglicht? In den späten achtziger Jahren fügten so genannte „Arbs“ (Arbitrageure), die durch die illegale Nutzung von Insiderinformationen reich wurden, dem Ruf von Spekulation und Arbitrage großen Schaden zu. Stellen Sie sich vor, Spekulation und Arbitrage würden verboten (wie es bis vor kurzem in Russland der Fall war). Erklären Sie, welcher wirtschaftliche Schaden aus einer solchen Maßnahme entstehen könnte. Betrachten Sie das Dilemma der Aufrechterhaltung des Freihandels anhand der Auszahlungsmatrix in Abbildung 11-9, die das Volkseinkommen (in Milliarden US-Dollar) für zwei Staaten als eine Funktion der Außenhandelspolitik angibt. Jedes Land kann entweder eine Politik
Freihandel oder Protektionismus USA Freihandel†
Japan
A
†
Protektionismus*
$ 6.000 B
$ 6.100
Freihandel† $ 3.000 C
$ 1.900 $ 4.800 D*
$ 5.000
Protektionismus* $ 3.200
$ 2.000
* Nash-Gleichgewicht Kooperatives Gleichgewicht
†
Abbildung 11-9: Staaten gewinnen durch den Außenhandel und verlieren durch Handelskriege Japan und die USA können sich auf das kooperative Gleichgewicht in A einigen, wobei sie alle Zölle und Einfuhrquoten abbauen und die Vorteile des Freihandels genießen. Jedes der beiden Länder ist jedoch auch versucht zu „betrügen“, indem es Handelsrestriktionen auf Importe verhängt und dadurch die Einkommen im Inland erhöht sowie gleichzeitig das gesamte Welteinkommen mindert; dies entspricht einer Bewegung nach B oder C. Vergeltungsmaßnahmen würden zum schlechtesten aller möglichen Zustände, zu D, führen.
Teil 3
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
327
A. Einkommen und Vermögen
KAPITEL 12 Wie Märkte die Einkommen bestimmen
Wie du weißt, Ernest, sind die Reichen ganz anders als wir. F. Scott Fitzgerald
Ja, ich weiß. Sie haben mehr Geld. Ernest Hemingway
In den vorhergehenden Kapiteln haben wir Produktion und Preise der von winzigen Bauernhöfen und riesigen Konzernen produzierten Güter und Dienstleistungen untersucht. Doch die meisten Produkte, die wir verwenden, schießen nicht einfach aus dem Boden, sondern sie werden von Arbeitern produziert, die mit Maschinen ausgerüstet sind, die ihrerseits in Fabriken stehen, die auf Grund und Boden errichtet wurden. Diese Inputs in den Produktionsprozessen erwirtschaften Faktoreinkommen – Löhne und Gehälter, Gewinne, Zinsen und Renten. Nun ist es an der Zeit, das Zustandekommen der Faktorpreise sowie die Kräfte zu erforschen, die die Verteilung des Einkommens in der Bevölkerung beeinflussen. Die Vereinigten Staaten sind, was Einkommen und Reichtum betrifft, ein Land der Extreme. Wenn Sie zu den 400 reichsten Amerikanern gehören, sind Sie wahrscheinlich ein 60-jähriger weißer Mann, der ein Studium an einer Spitzenuniversität absolviert hat und über ein Reinvermögen von ca. US-$ 3 Milliarden verfügt. Dieses winzige Segment der amerikanischen Bevölkerung besitzt ca. 5 Prozent des gesamten Vermögens des Landes. Früher erwirtschaftete man sein Vermögen in der verarbeitenden Industrie oder im Immobiliengeschäft, aber die Milliardäre der jüngeren Vergangenheit wurden größtenteils in der Informationswirtschaft mit Software und Kommunikationsprodukten reich. Der Weg der Superreichen an die Spitze ist ebenso das Produkt ihrer Herkunft wie ihrer Intelligenz, denn ihre Familie gab ihnen wahrscheinlich eine ordentliche Beteiligung am Familienunternehmen mit auf den Weg – doch gibt es heute mehr Selfmade-Männer und -Frauen als noch vor zehn Jahren.
328
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Am anderen Extrem finden wir die Vergessenen, die es nie auf die Titelblätter von Forbes oder Newsweek schaffen. Da ist beispielsweise die Geschichte von Robert Clark, obdachlos und arbeitslos. Als Dachdecker und Vietnamveteran hatte ihn die Suche nach Arbeit von Detroit nach Miami verschlagen. Die Nächte verbrachte er auf einem Stück Pappe, bedeckt mit einem gestohlenen Laken. Jeden Morgen kroch er wie die anderen Obdachlosen aus dem städtischen Kanalsystem, um sich mit Zeitarbeit wenigstens ein paar Dollar zu verdienen. Die Firmen, die diese Arbeiten vergaben, verlangten von ihren Kunden US-$ 8–10 die Stunde, zahlten ihren Leuten aber nur den Mindestlohn von US-$ 4,25, wovon sie ihnen aber den Großteil für Transport und Werkzeug wieder abnahmen. Robert Clarks Lohnzettel wies Einkünfte von US-$ 31,28 für 31 Stunden Arbeit aus. Wie sollen wir derartige Diskrepanzen hinsichtlich Einkommen und Vermögen verstehen? Warum bekommen manche US-$ 10 Millionen jährlich, während andere mit US-$ 1 pro Stunde nach Hause gehen? Warum sind Immobilien in Tokio oder Manhattan mehrere Tausend US-Dollar pro Quadratmeter wert, während man Grund und Boden in der Wüste schon für wenige US-Dollar pro Hektar bekommt? Und woher stammen eigentlich die Gewinne in Milliardenhöhe, die die großen Konzerne wie Microsoft oder General Electric erwirtschaften? Die Frage nach der Einkommensverteilung gehört zu den kontroversesten Themen der gesamten Volkswirtschaftslehre. Manchmal wird argumentiert, hohe Einkommen seien das durch nichts zu rechtfertigende Ergebnis des Erbes der Vergangenheit und glücklicher Zufälle, während Armut durch Diskriminierung und mangelnde Chancen entstehe. Andere vertreten jedoch die Meinung, jeder bekomme eben das, was er verdiene, und Eingriffe in die Verteilungsmechanismen des Marktes würden nur die Effizienz untergraben und letztlich allen schaden. Die staatlichen Programme der heutigen USA
Teil 3
spiegeln einen wackeligen Konsens darüber wider, dass die Einkommen in erster Linie von den Markteinkünften bestimmt werden sollten, die Regierung jedoch eine Art soziales „Sicherheitsnetz“ spannen sollte, um die bedürftigen Armen aufzufangen, die den Mindestlebensstandard aus eigener Kraft nicht erreichen.
Einkommen Um die wirtschaftliche Lage einer Person oder den Zustand eines Staates zu messen und zu beschreiben, benutzt man als Maßstab im Allgemeinen das Einkommen und das Vermögen. Mit Einkommen sind die Ströme von Einkommen, Zinsen, Dividenden und anderen Werten gemeint, die während eines bestimmten Zeitraums (normalerweise während eines Jahres) auflaufen. Die aggregierten Einkommen in einem Land werden als Volkseinkommen bezeichnet, das sich aus den in Tabelle 12-1 angegebenen Positionen zusammensetzt. Der größte Teil des Volkseinkommens entfällt auf Arbeit, entweder in Form von Löhnen und Gehältern oder in Form von Sozialleistungen. Der Rest entfällt auf die verschiedenen Arten von Besitzeinkommen: Mieten, Nettozinsen, Unternehmensgewinne und Unternehmerlohn (Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit). Diese letzte Kategorie beinhaltet im Wesentlichen die Gewinne der Eigentümer von Kleinbetrieben.1 Die Erträge aus einer Marktwirtschaft werden an die Eigentümer der Produktionsfaktoren dieser Wirtschaft in Form von Gehältern, Gewinnen, Mieten und Zinsen verteilt.
1 Ökonomen und Buchhalter messen das „Einkommen“ oft auf verschiedene Weise. Wir haben die buchhalterischen Messeinheiten für Einkommen und Reichtum bereits im 7. Kapitel untersucht.
329
Kapitel 12 Wie Märkte die Einkommen bestimmen
Einkommensart
Betrag (Mrd. US-$)
Anteil am Volkseinkommen (%)
Beispiele
Erwerbseinkommen Löhne und Gehälter
5.003,7
59,9
Löhne der Arbeiter in der Automobilindustrie; Lehrergehälter
973,7
11,7
Arbeitgeberbeiträge zu den Pensionskassen
Einkünfte aus Beteiligungen
756,5
9,1
Friseureinkommen; Anteil des Rechtsanwalts am Nettoeinkommen der Partnerschaft
Mieteinkünfte
142,4
1,7
Wohnungsmiete nach Abzug von Kosten und Wertminderung
Unternehmensgewinne
787,4
9,4
Gewinn von Microsoft
Nettozinsen
684,2
8,2
Zinszahlungen auf Bankguthaben
8.347,9
100,0
Sozialleistungen und sonstige Arbeitseinkommen Besitzeinkommen
Gesamt
Tabelle 12-1: Die Aufteilung des Volkseinkommens in den USA, 2002 Zum Volkseinkommen zählen alle an Produktionsfaktoren bezahlten Einkommen. Fast zwei Drittel bestehen in Löhnen und anderen Arbeitsentgelten, während sich der Rest auf Mieten, Unternehmensgewinne und Einkünfte aus eigenen Unternehmen aufteilt. Quelle: U.S.-Handelsministerium, Bureau of Economic Analysis, www.bea.gov
Faktoreinkommen versus persönliche Einkommen Es ist wichtig, den Unterschied zwischen Faktoreinkommen und persönlichen Einkommen zu verstehen. Tabelle 12-1 stellt die Verteilung der Faktoreinkommen – die Verteilung zwischen Arbeits- und Vermögenseinkommen – dar. Doch ein und dieselbe Person kann verschiedene Produktionsfaktoren besitzen. So bezieht jemand vielleicht ein Gehalt, Zinsen aus seinen Sparguthaben, Dividenden aus einem Aktienfonds und Miete aus einer Immobilieninvestition. Aus volkswirtschaftlicher Sicht setzt sich das Markteinkommen eines Menschen aus der Gesamtheit der Produktionsfaktoren zusammen, die dieser Mensch verkauft, multipliziert mit dem Gehalt oder dem Preis jedes Faktors.
Alles in allem entfallen etwa drei Viertel des Volkseinkommens auf Arbeit, während sich der Rest auf Rückflüsse aus Kapitalbesitz verteilt. Das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts war turbulent. Wie haben sich Ölpreisschocks, Computerrevolution, Globalisierung, Verkleinerung von Unternehmen und der langanhaltende wirtschaftliche Aufschwung auf den Anteil der Arbeit am gesamten Einkommenskuchen ausgewirkt? Betrachtet man Abbildung 12-1, so erkennt man, dass sich der Anteil am Volkseinkommen, der auf Arbeit entfällt, seit 1970 überraschenderweise kaum verändert hat. Das ist eines der bemerkenswertesten Aspekte der Einkommensverteilung in den Vereinigten Staaten.
Anteil der Arbeit am Volkseinkommen (Prozent)
330
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
80
76
72
68
64
60
1950
1960
1970
1980
1990
2000
Jahr
Abbildung 12-1: Der Anteil der Arbeit am Volkseinkommen Der Anteil der Arbeit hat sich vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1970 schrittweise erhöht. Seitdem ist er bei ca. 72 Prozent des Volkseinkommens bemerkenswert konstant geblieben. Das restliche Einkommen verteilt sich auf Renten, Zinsen, Unternehmensgewinne und Einkünfte aus eigenen Unternehmen. Der Anteil des Besitzeinkommens beträgt 100 abzüglich der Arbeitseinkommen. Quelle: US-Handelsministerium
Die Rolle des Staates Wie passt nun der Staat in dieses Bild? Die öffentliche Hand auf allen Ebenen bildet die bedeutendste Quelle für Einkommen, Renten und Zinserträge. Die Auswirkungen staatlicher Ausgaben sind in den Aufwendungen für Produktionsfaktoren in Tabelle 12-1 enthalten. Doch der Staat spielt bei den Einkommen auch eine ganz unmittelbare Rolle, die sich aus Tabelle 12-1 nicht herauslesen lässt. So schöpfen Bund, Länder und Gemeinden einen sehr beachtlichen Teil des Volkseinkommens in Form von Steuern und Abgaben ab. Im Jahr 2003 betrug der Anteil des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts, der von den Behörden über Steuern und Abgaben wieder abkassiert wurde, rund 30 Prozent, wobei hier vor allem Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Sozialversicherungsbeiträge zu nennen sind.
Teil 3
Doch was die Regierungen durch Steuern einnehmen, geben sie auch wieder aus. Regierungen aller Ebenen stellen Einkommen in Form von Transferzahlungen zur Verfügung, worunter staatliche Zahlungen an Einzelpersonen zu verstehen sind, die nicht als Gegenleistung für die Lieferung von Gütern oder Dienstleistungen erfolgen. Die größte Einzelposition unter den Transferzahlungen sind die Sozialversicherungsleistungen für ältere US-Bürger, aber es fallen auch Arbeitslosengelder, Subventionen für die Landwirtschaft und Leistungen im Rahmen von Wohlfahrtsprogrammen darunter. Während die US-Amerikaner im Jahre 1929 noch nahezu keinerlei Einkommen aus staatlichen Quellen bezogen, lag der Anteil der Transferzahlungen an den gesamten persönlichen Einkommen im Jahr 2003 bei bemerkenswerten 13 Prozent. Das persönliche Einkommen besteht aus dem Markteinkommen plus Transferzahlungen. Die meisten Markteinkommen stammen von Löhnen und Gehältern; eine kleine, wohlhabende Minderheit bezieht ihr Markteinkommen aus ihrem Besitz. Die wichtigste Komponente staatlicher Transferleistungen sind Sozialversicherungsprogramme für Senioren.
Vermögen Wir stellen fest, dass manche Menschen Teile ihres Einkommens aus Zinsen oder Dividenden auf ihre Anleihen- oder Aktienbestände beziehen. Das führt uns zum zweiten wichtigen volkswirtschaftlichen Begriff, dem Vermögen. Mit Vermögen bezeichnen wir den Nettogeldwert der Vermögenswerte, die jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt besitzt. Beachten Sie, dass das Vermögen eine Bestandsgröße ist (wie etwa der Inhalt eines Sees), während das Einkommen eine Flussgröße (wie das Fließen eines Stromes) darstellt. Das Vermögen eines Haushalts beinhaltet Sachpositionen (Häuser, Autos und andere dauerhafte Verbrauchsgüter sowie
331
Kapitel 12 Wie Märkte die Einkommen bestimmen
Vermögenswerte der US-Haushalte als Prozentsatz des Gesamtvermögens, 1989–2001 Prozentsatz des Gesamtvermögens Art des Vermögens
1989
1992
1995
1998
2001
Bankeinlagen und Ähnliches
9,4
8,4
7,7
6,7
6,4
Anleihen
3,1
2,7
2,3
1,7
1,9
Aktien
6,2
7,6
10,4
14,3
14,2
Pensionskonten
6,6
8,1
10,3
11,2
11,9
Sonstige Finanzanlagen
5,3
4,8
6,0
6,8
7,5
Finanzanlagen:
Sachwerte und sonstiges Vermögen: Eigenheime
31,9
32,2
30,0
27,9
27,2
Sonstige Immobilien und Sachwerte
13,4
13,3
10,0
9,6
9,4
3,9
3,9
4,5
3,8
3,5
18,6
18,0
17,2
16,9
17,0
1,7
1,1
1,5
1,0
1,0
Fahrzeuge Unternehmensanteile Sonstiges
Familienreinvermögen (Tsd. US-$, Preise von 2001): Medianwert Durchschnittswert
64,6
61,3
66,4
78,0
86,1
255,4
230,5
244,8
307,4
395,5
Tabelle 12-2: Vermögenstrends amerikanischer Familien Haushalte besitzen Sachwerte (wie Häuser und Autos) sowie Finanzanlagen (wie Sparkonten und Aktien). Der Anteil des Finanzvermögen am Gesamtvermögen hat zugenommen, wobei der größte einzelne Vermögensposten der Amerikaner weiterhin die Eigenheime sind. Beachten Sie den starken Anstieg des Aktienanteils in den Portfolios. Beachten Sie auch, dass der Median der Vermögen viel geringer ist als das Durchschnittsvermögen, was die große Ungleichheit der Wohlstandsverteilung widerspiegelt. Quelle: Federal Reserve Board, Survey of Consumer Finances, einsehbar im Federal Reserve Bulletin oder unter www.federalreserve.gov/pubs/oss/oss2/2001/scf2001home.html
Grund und Boden) und Geldpositionen (wie Bargeld, Sparguthaben, Anleihen und Aktien). Alle diese Positionen gemeinsam werden als Vermögenswerte bezeichnet, während das, was anderen geschuldet wird, Verbindlichkeiten darstellt. Die Differenz zwischen Gesamtvermögenswerten und Gesamtverbindlichkeiten wird als Reinvermögen oder Eigenkapital bezeichnet.
Tabelle 12-2 stellt eine Aufgliederung der Vermögenswerte der US-Amerikaner in den Jahren 1989 – 2001 dar. Der wichtigste Vermögenswert der Mehrzahl aller amerikanischen Haushalte ist das Eigenheim: 68 Prozent aller Familien besitzen eigene Häuser; noch vor einer Generation waren es nur 55 Prozent. Die meisten Haushalte verfügen auch über ein bescheidenes Geldvermögen in Form von Sparguthaben, und etwa ein Fünf-
332
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
tel besitzt Unternehmensaktien. Allerdings befindet sich der Großteil des Geldvermögens in unserem Land in den Händen eines kleinen Teils der Gesamtbevölkerung. Rund ein Drittel aller Vermögen befindet sich im Besitz des reichsten 1 Prozent der amerikanischen Haushalte.
B. Grenzproduktivität und Faktorpreise Die Theorie der Einkommensverteilung (oder Verteilungstheorie) befasst sich mit der Frage, welche Faktoren die Einkommen in einer Marktwirtschaft bestimmen. Die Menschen sind oft erstaunt angesichts der enormen Einkommensunterschiede, die zwischen Familien herrschen. Liegt die Ursache in unterschiedlich ausgeprägten Talenten? In der Macht von Monopolen? In staatlichen Eingriffen? Warum besitzt Bill Gates ein Vermögen von US-$ 60 Milliarden, während die Hälfte der schwarzen Familien in den USA gar kein Vermögen besitzt oder sogar Schulden hat? Warum sind die Grundstückspreise in der Stadt umso viel höher als in der Wüste? Unsere erste Antwort auf diese Fragen lautet, dass die Verteilungstheorie ein Sonderfall der Preistheorie ist. Löhne und Gehälter sind der Preis der Arbeit; Pachtzahlungen sind der Preis für die Nutzung von Grundstücken; und so weiter. Dazu kommt, dass sich die Preisbildung bei den Produktionsfaktoren in erster Linie durch die Wechselwirkung von Angebot und Nachfrage der verschiedenen Produktionsfaktoren vollzieht, genauso wie auch die Güterpreise hauptsächlich durch Angebot und Nachfrage nach Gütern bestimmt werden. Doch der Hinweis auf Angebot und Nachfrage ist nur der erste Schritt auf dem Weg zum Verständnis der Einkommensverteilung in einer Marktwirtschaft mit vollständigem Wettbewerb. Wir werden sehen, dass der
Teil 3
Schlüssel zu den Einkommen in den Grenzprodukten einzelner Produktionsfaktoren liegt. In diesem Abschnitt erkennen wir, dass die Gehälter vom Wert des Grenzprodukts der Arbeit oder von dem, was als Wertgrenzprodukt der Arbeit bekannt ist, bestimmt werden. Dasselbe gilt auch für andere Produktionsfaktoren. Wir diskutieren zuerst dieses neue Konzept und zeigen dann, wie es das Rätsel der Einkommensfestlegung löst.
Das Wesen der Faktornachfrage Die Nachfrage nach Produktionsfaktoren unterscheidet sich von jener nach Verbrauchsgütern in zweierlei Hinsicht: (1) Faktornachfragen sind abgeleitete Nachfragen, und (2) Faktornachfragen zeichnen sich durch Interdependenz (wechselseitige Abhängigkeit) aus.
Die Faktornachfrage ist eine abgeleitete Nachfrage Sehen wir uns die Nachfrage nach Bürofläche einer Firma an, die Computersoftware herstellt. Ein Softwareunternehmen mietet Büros für seine Programmierer, Kundenservicevertreter und andere Mitarbeiter. In ähnlicher Weise benötigen Pizzerias oder Banken Räumlichkeiten für ihre Aktivitäten. In jeder Region gibt es eine abwärts geneigte Nachfragekurve nach Bürofläche, die sich aus dem Zusammenspiel der von den Eigentümern verlangten Mieten und der von den Unternehmen nachgefragten Bürofläche ergibt – je niedriger der Preis, desto mehr Fläche wollen die Unternehmen anmieten. Doch es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen der Nachfrage der Konsumenten nach Verbrauchsgütern und der Nachfrage der Unternehmen nach Produktionsfaktoren. Konsumenten fragen Endprodukte wie Computerspiele oder Pizzas wegen der direkten Bedürfnisbefriedigung oder des direkten Nutzens nach, den der Konsum die-
Kapitel 12 Wie Märkte die Einkommen bestimmen
ser Güter bietet. Im Gegensatz dazu bezahlt ein Unternehmen für Produktionsfaktoren wie Bürofläche jedoch nicht etwa deshalb, weil dadurch eine unmittelbare Bedürfnisbefriedigung zu erwarten wäre. Nein, es kauft Produktionsfaktoren wegen der Produktion und des Ertrags, die durch den Einsatz dieser Produktionsfaktoren ermöglicht werden. Bedürfnisbefriedigung spielt auch bei Produktionsfaktoren eine Rolle – allerdings auf einer anderen Ebene. Die Bedürfnisbefriedigung, die die Verbraucher durch ihre Computerspiele erreichen, bestimmt, wie viele derartige Spiele die Softwaregesellschaft verkaufen kann, wie viele Kundenbetreuer sie benötigt und wie viel Bürofläche sie mieten muss. Je erfolgreicher ihre Software, desto größer ihr Bedarf an Bürofläche. Eine genaue Analyse der Faktornachfrage muss daher berücksichtigen, dass letztendlich die Verbrauchernachfrage über die Unternehmensnachfrage nach Bürofläche entscheidet. Das gilt natürlich nicht nur für Bürofläche. Die Verbrauchernachfrage bestimmt die Nachfrage nach allen Produktionsfaktoren einschließlich landwirtschaftlich nutzbarer Böden, Erdöl und Pizzaöfen. Erkennen Sie, dass die Nachfrage nach Volkswirtschaftsprofessoren letzten Endes von der Nachfrage nach Wirtschaftskursen durch Studenten bestimmt wird? Die Faktornachfrage eines Unternehmens leitet sich indirekt aus der Verbrauchernachfrage nach den Endprodukten des Unternehmens ab. Ökonomen bezeichnen daher die Faktornachfrage als abgeleitete oder derivative Nachfrage. Damit soll ausgedrückt werden, dass ein Unternehmen einen Produktionsfaktor nachfragt, um später damit ein Gut zu produzieren, das die Verbraucher jetzt oder später nachfragen. Abbildung 12-2 zeigt, dass die Nachfrage nach einem bestimmten Produktionsfaktor, also etwa nach fruchtbarem Ackerland, von der Nachfragekurve der Verbraucher für – in diesem Fall – Mais abhängt. Ebenso leitet sich die Nachfrage nach Büro-
333
fläche von der Verbrauchernachfrage nach Software und allen anderen Produkten und Dienstleistungen ab, die Unternehmen, die Bürofläche mieten, anbieten.
Die Interdependenz (wechselseitige Abhängigkeit) von Faktornachfragen Produktion ist Teamsache. Eine Kettensäge allein ist nutzlos, wenn ein Baum gefällt werden soll. Ein Arbeiter ohne Werkzeug ist ebenso nutzlos. Aber Arbeiter und Säge zusammen können einen Baum problemlos zu Fall bringen. Mit anderen Worten, die Produktivität eines Faktors wie etwa der Arbeit hängt davon ab, welche anderen Faktoren uns in welcher Menge zur Verfügung stehen. Das bedeutet, dass es im Allgemeinen unmöglich ist zu bestimmen, welche Produktionsmenge durch einen einzelnen Produktionsfaktor geschaffen wurde. Zu fragen, welcher Faktor wichtiger ist, ist genau so, als würde man fragen, ob für die Zeugung eines Babys der Vater oder die Mutter wichtiger ist. Es ist die Interdependenz der Produktivität von Boden, Arbeit und Kapital, die die Einkommensverteilung so komplex macht. Nehmen wir an, wir müssten den gesamten Output eines Landes auf einmal verteilen. Hätte der Boden allein genommen diese Menge und die Arbeit jene Menge produziert, und wäre der Rest durch Maschinen produziert worden, gäbe es bei der Verteilung keine Probleme. Nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage müssten darüber hinaus jedem Faktor, wenn er selbstständig eine bestimmte Produktionsmenge erzielen könnte, die Früchte seiner eigenen Arbeit uneingeschränkt zugeschrieben werden. Aber lesen Sie doch den vorigen Absatz noch einmal und unterstreichen Sie Begriffe wie „allein“. Sie beschreiben eine Fantasiewelt voneinander unabhängiger Produktionsfaktoren, die nirgendwo anzutreffen ist. Wenn zur Herstellung eines Omeletts die Arbeit des Küchenchefs, Hühnereier, Kuh-
334
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
(a) Güternachfrage
Teil 3
(b) Abgeleitete Faktornachfrage
P
R D
Maispreis
Ackerboden-Pacht
D
D
D Q
0
A
0
Mais
Ackerboden-Pacht
Abbildung 12-2: Die Faktornachfrage leitet sich aus der Güternachfrage ab Die rostfarbene Kurve der abgeleiteten Ackerbodennachfrage ergibt sich aus der schwarzen Getreidenachfragekurve. Verschiebt man die schwarze Kurve nach außen, bewegt sich auch die rostfarbene Kurve nach außen. Wird die schwarze Güterkurve unelastischer, geschieht dasselbe mit der rostfarbenen Faktornachfragekurve.
milch und Erdgas benötigt werden, wie sollte man die Teigmasse so trennen, dass der Beitrag all dieser Produktionsfaktoren wieder einzeln zu erkennen ist? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, müssen wir uns die Wechselwirkung zwischen den Grenzproduktivitäten und den Faktorangeboten ansehen, die gemeinsam Wettbewerbspreis und -menge bestimmen. Zusammenfassung der Produktionstheorie Bevor wir die Beziehung zwischen Faktorpreisen und Grenzprodukten erläutern, wollen wir jedoch zunächst die Produktionstheorie aus Kapitel 6 in groben Zügen wiederholen und zusammenfassen. Zu Beginn der Produktionstheorie steht der Begriff der Produktionsfunktion. Die Produktionsfunktion gibt die maximale Produktionsmenge an, die bei einem bestimmten Stand technologischen Know-hows mit jeder Kombination von Produktionsfaktoren erzeugt werden kann. Das Konzept der Produktionsfunk-
tion führt zu einer strengen Definition des Grenzproduktes. Erinnern Sie sich: Das Grenzprodukt eines Produktionsfaktors ist die zusätzliche Menge oder der zusätzliche Output, der durch eine zusätzlich eingesetzte Einheit dieses Produktionsfaktors erzeugt werden kann, wenn alle anderen Produktionsfaktoren konstant bleiben.2 Die ersten drei Spalten in Tabelle 12-3 erläutern, wie das Grenzprodukt berechnet wird. Zum Schluss unserer Zusammenfassung wollen wir noch einmal auf das Gesetz des abnehmenden Grenzertrags (Ertragsgesetz) hinweisen. Spalte (3) in Tabelle 12-3 zeigt, dass auf jede zusätzliche Arbeitseinheit ein geringeres Grenzprodukt entfällt. „Abnehmendes Grenzprodukt“ ist nur ein anderer Ausdruck für abnehmenden Grenzertrag. Wir können in der Tabelle jederzeit Boden gegen Arbeit austauschen und die verfügbare Bodenmenge variieren, während Arbeit und die anderen Produktionsfaktoren konstant gehalten werden, und werden die Auswirkungen des Ertragsgesetzes beim Faktor Boden ebenso wie beim Faktor Arbeit beobachten.
335
Kapitel 12 Wie Märkte die Einkommen bestimmen
(1) Arbeitseinheit
(2) Gesamtprodukt (in Scheffel)
0 1 2 3 4 5
Wertgrenzprodukt (3) (4) Grenzprodukt Güterpreis der Arbeit (US-$ pro Scheffel) (Scheffel pro Arbeitskraft)
(5) Wertgrenzprodukt der Arbeit (US-$ pro Arbeitskraft)
0 20.000
3
60.000
10.000
3
30.000
5.000
3
15.000
3.000
3
9.000
1.000
3
3.000
20.000 30.000 35.000 38.000 39.000
Tabelle 12-3: Berechnung des Wertgrenzprodukts für ein Unternehmen im vollständigen Wettbewerb Das Grenzprodukt der Arbeit wird in Spalte (3) ausgewiesen. Das Wertgrenzprodukt der Arbeit zeigt, wie viel an zusätzlichem Ertrag mit einer zusätzlichen Arbeitseinheit erzielt wird. Es entspricht dem Grenzprodukt in Spalte (3), multipliziert mit dem Wettbewerbsgüterpreis in Spalte (4).
Verteilungstheorie und Wertgrenzprodukt Hier soll als wesentlicher Punkt der Verteilungstheorie dargelegt werden, dass sich die Nachfrage nach den diversen Produktionsfaktoren von den Erträgen aus dem Grenzprodukt jedes einzelnen Produktionsfaktors ableitet.
Wertgrenzprodukt Nehmen wir nun die Produktionstheorie zu Hilfe, um ein wichtiges Konzept zu behandeln, nämlich das des Wertgrenzprodukts (MRP). Nehmen wir an, Sie wären Geschäftsführer einer riesigen Hemdenfabrik. Wir wissen, wie viele Hemden jeder zusätzliche Arbeiter produziert. Doch das Unternehmen will die in Geldeinheiten gemessenen Gewinne maximieren, weil es seine Gehälter ja auch in Geld und nicht in Hemden auszahlt. Sie brauchen daher ein Konzept, mit dem
Sie die zusätzlichen Geldeinheiten messen können, die jede zusätzliche Faktoreinheit produziert. Ökonomen bezeichnen mit dem Begriff „Wertgrenzprodukt“ den Geldwert der zusätzlichen Produktionsmenge, die durch eine zusätzliche Faktoreinheit erzeugt wird. Das Wertgrenzprodukt des Produktionsfaktors A ist der zusätzliche Erlös, der durch eine zusätzliche Faktoreinheit A erzielt wird. Fall des vollständigen Wettbewerbs. Es ist sehr einfach, das Wertgrenzprodukt zu berechnen, wenn die Produkt- oder Gütermärkte dem vollständigen Wettbewerb unterliegen. In diesem Fall kann jede Grenzprodukteinheit eines Arbeiters (MPL) zum Wettbewerbspreis des entsprechenden Gutes (P) verkauft werden. Da wir es ja mit einem vollständigen Wettbewerb zu tun haben, wird der Güterpreis außerdem nicht von der Produktionsmenge des Unternehmens beein-
336
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
flusst, und er entspricht daher dem Grenzerlös (MR). Wenn wir ein MPL von 10.000 Scheffel Weizen und einen Preis sowie einen Grenzerlös MR von US-$ 3 zugrunde legen, entspricht der Geldwert der vom letzten Arbeiter produzierten Produktionsmenge – das Wertgrenzprodukt der Arbeit (MRPL) – US$ 30.000 (nämlich 10.000 US-$ 3). Wir sehen dies in Spalte (5) unserer Tabelle 12-3. Unter den Bedingungen vollständigen Wettbewerbs entspricht daher der Wert eines jeden Arbeiters für das Unternehmen dem Geldwert des Grenzproduktes seines letzten Arbeiters; der Wert jedes Hektars Boden ergibt sich aus dem Grenzprodukt des Bodens mal dem Preis des produzierten Wirtschaftsgutes; und dasselbe gilt für jeden einzelnen Produktionsfaktor. Tabelle 12-3 zeigt eine wichtige Verbindung zwischen der Produktionstheorie und der Theorie der Faktornachfrage; sie sollte daher sorgfältig studiert werden. In den ersten drei Spalten sind Inputs, Output und Grenzprodukt der Arbeit aufgelistet. Anhand des Grenzprodukts von Spalte (4) können wir das Wertgrenzprodukt der Arbeit (in Geldeinheiten pro Arbeiter) in Spalte (5) berechnen. Diese letzte Spalte ist für die Bestimmung der Nachfrage nach Arbeitskräften entscheidend, wie wir weiter hinten in diesem Kapitel sehen werden. Sobald wir das Lohnniveau kennen, können wir aus Spalte (5) die Nachfrage nach Arbeitskräften berechnen. Unvollständiger Wettbewerb. Wie aber sieht die Sache unter den Bedingungen unvollständigen Wettbewerbs mit einer abwärts gerichteten Nachfragekurve des einzelnen Unternehmens aus? Hier liegt der Grenzerlös für jede zusätzlich verkaufte Produktionseinheit unter dem Preis, weil das Unternehmen auch seinen Preis für die vorherigen Produktionseinheiten senken muss, um eine zusätzliche Produktionseinheit verkaufen zu können. Jede Einheit des Grenzproduktes hat daher für das Unternehmen einen Wert von MR < P. Um unser vorheriges Beispiel wieder aufzunehmen, legen wir MR mit US-$ 2 fest,
Teil 3
während der Preis US-$ 3 beträgt. Dann läge das MRP des zweiten Arbeiters in Tabelle 12-3 bei US-$ 20.000 (entsprechend dem MPL von 10.000 dem MR von US-$ 2), und nicht bei US-$ 30.000 wie unter den Bedingungen vollständigen Wettbewerbs. Zusammenfassend: Das Wertgrenzprodukt stellt den zusätzlichen Erlös dar, den ein Unternehmen durch den Einsatz einer zusätzlichen Faktoreinheit erzielt, wenn die anderen Produktionsfaktoren unverändert belassen werden. Es wird definiert als das Grenzprodukt des jeweiligen Faktors multipliziert mit dem Grenzerlös, der durch den Verkauf einer zusätzlichen Produktionseinheit erzielt wird. Dies gilt ebenso für die Arbeit (L) wie für den Boden (A) und alle anderen Produktionsfaktoren: In Symbolen: Wertgrenzprodukt der Arbeit (MRPL) = MR MPL Wertgrenzprodukt des Bodens (MRPA) = MR MPA und so weiter. Unter den Bedingungen vollständigen Wettbewerbs gilt, da P = MR: Wertgrenzprodukt (MRPi) = MR MPi für jeden Produktionsfaktor.
Die Nachfrage nach Produktionsfaktoren Nachdem wir die zugrunde liegenden Konzepte analysiert haben, wollen wir zeigen, wie Unternehmen mit dem Ziel der Gewinnmaximierung über die optimale Faktorkombination entscheiden, was uns ermöglichen wird, die Faktornachfrage abzuleiten.
337
Kapitel 12 Wie Märkte die Einkommen bestimmen
Die Faktornachfrage gewinnmaximierender Unternehmen Was bestimmt die Nachfrage nach einem Produktionsfaktor? Wir können diese Frage beantworten, indem wir analysieren, wie ein gewinnorientiertes Unternehmen seine optimale Faktorkombination auswählt. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Bauer, der seinen Gewinn maximieren möchte. In Ihrer Gegend können Sie jede Menge Landarbeiter für US-$ 20.000 pro Arbeiter einstellen. Ihr Buchhalter überreicht Ihnen eine Aufstellung mit den Daten aus Tabelle 12-3. Wie gehen Sie nun vor? Sie können natürlich verschiedene Möglichkeiten ausprobieren. Wenn Sie einen Arbeiter einstellen, beträgt der zusätzliche Erlös (das MRP) US-$ 60.000, während die Grenzkosten des Arbeiters US-$ 20.000 betragen Ihr Zusatzgewinn ist daher US-$ 40.000. Ein zweiter Arbeiter bringt Ihnen ein MRP von US-$ 30.000, also einen zusätzlichen Gewinn von US-$ 10.000. Der dritte Arbeiter produziert einen zusätzlichen Output, der einen Gewinn von nur US-$ 15.000 abwirft, aber Kosten von US-$ 20.000 verursacht; daher ist die Einstellung des dritten Arbeiters nicht profitabel. Tabelle 12-3 zeigt, dass Sie Ihr Gewinnmaximum durch den Einsatz von zwei Arbeitskräften erzielen. Durch diese Überlegung können wir die Regel zur Auswahl der optimalen Faktorkombination folgendermaßen ableiten: Um Gewinne zu maximieren, müssen Unternehmen solange zusätzliche Produktionsfaktoren einsetzen, bis das Wertgrenzprodukt des jeweiligen Faktors den Grenzkosten oder dem Preis dieses Faktors entspricht. Auf vollkommenen Faktormärkten ist diese Regel sogar noch einfacher. Bedenken Sie, dass unter Wettbewerbsbedingungen das Wertgrenzprodukt dem Preis mal dem Grenzprodukt entspricht (MRP = P MP).
Die gewinnmaximierende Faktorkombination ist für ein Unternehmen bei vollkommenem Wettbewerb dann erreicht, wenn das Grenzprodukt, multipliziert mit dem Produktpreis, dem Faktorpreis entspricht: Grenzprodukt der Arbeit Produktpreis = Arbeitspreis = Lohn Grenzprodukt des Bodens Produktpreis = Bodenpreis = Pacht und so weiter. Wir können diese Regel anhand folgender Überlegung verstehen: Nehmen wir an, dass alle Input-Arten in kleine Mengeneinheiten zu je US-$ 1 unterteilt sind – Arbeitseinheiten zu US-$ 1, Bodeneinheiten zu US-$ 1 und so weiter. Um seinen Gewinn zu maximieren, wird das Unternehmen genau bis zu dem Punkt zusätzliche Faktoren kaufen, an dem jedes kleine Paket von US-$-1-Paket Outputs mit einem Wert von exakt US-$ 1 produziert. Anders ausgedrückt: Jedes US-$-1-Faktorpaket produziert MP Einheiten Mais, sodass MP P genau einen Wert von US-$ 1 erreicht. Das MRP der US-$-1-Einheiten beträgt dann bei maximalem Gewinn genau US-$ 1. Minimalkostenregel (Least-cost-Regel). Wir können unsere Bedingung noch einmal und allgemeiner so formulieren, dass sie sowohl bei vollständigem als auch bei unvollständigem Wettbewerb auf Produktmärkten gilt (allerdings nur, wenn die Faktormärkte Wettbewerbsmärkte sind). Durch eine Umgruppierung der weiter oben angeführten Grundbedingungen impliziert die Gewinnmaximierung Folgendes:
Grenzprodukt Grenzprodukt der Arbeit des Bodens = =… Arbeitspreis Bodenpreis 1 = Grenzerlös
338
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Nehmen wir einmal an, Sie hätten ein KabelTV-Monopol für Denver. Wenn Sie Ihre Gewinne maximieren wollen, werden Sie versuchen, die optimale Faktorzusammenstellung aus Arbeitern, Bodennutzungsrechten für Ihre Kabel, LKWs und Testausrüstung zusammenzustellen, um Ihre Kosten zu minimieren. Wenn die Leasingraten für LKWs monatlich US-$ 8.000 betragen, während die Löhne pro Arbeiter mit US-$ 800 zu Buche schlagen, lassen sich die Kosten minimieren, wenn die jeweiligen Grenzprodukte pro Geldeinheit Input gleich sind. Da LKWs hier zehnmal so viel wie Arbeit kosten, muss auch das MP der LKWs zehnmal so hoch sein wie das MP der Arbeit. Die Minimalkostenregel besagt: Die Kosten werden minimiert, wenn das Grenzprodukt pro Geldeinheit Input für alle Produktionsfaktoren gleich hoch ist. Diese Regel gilt für Unternehmen auf Produkt- oder Gütermärkten mit vollständigem Wettbewerb ebenso wie auf Produktmärkten mit unvollständigem Wettbewerb.
einen Arbeiter entscheiden würde, bei Lohnkosten von US-$ 30.000 für zwei usw. Die MRP-Funktion für jeden Produktionsfaktor ergibt die Nachfragefunktion des Unternehmens für diesen Faktor. Wir haben dieses Ergebnis in Abbildung 12-3 dazu benutzt, eine Arbeitsnachfragekurve für unsere Maisfarm zu zeichnen, wobei wir die in Tabelle 12-3 angegebenen Daten zugrunde gelegt haben. Außerdem haben wir durch die einzelnen Punkte eine geglättete Kurve gezogen, um zu zeigen, wie die Nachfragekurve aussähe, könnte man die Arbeit sozusagen „stufenlos“ kaufen. Von der Unternehmens- zur Marktnachfrage. Wenn wir die Nachfrage nach Arbeitskräften und anderen Faktoren ermitteln wollen, besteht der letzte Schritt in der Addition der Nachfragekurven verschiedener Unternehmen. Wie bei allen Nachfragekurven erhält man die Nachfragekurve des vollkommenen Marktes durch horizontale Addition
Wertgrenzprodukt und Faktornachfrage
d 60
Wertgrenzprodukt der Arbeit (in US-$ 1.000 pro Arbeitskraft)
Nachdem wir nun das MRP für die diversen Faktoren abgeleitet haben, können wir die Faktornachfrage verstehen. Wir haben soeben gesehen, dass ein auf Gewinnmaximierung ausgerichtetes Unternehmen seine Faktormengen so wählt, dass der Preis jedes einzelnen Produktionsfaktors dem MRP dieses Faktors entspricht. Das bedeutet, dass wir von der MRP-Funktion eines Produktionsfaktors unmittelbar die Beziehung zwischen dem Faktorpreis und der nachgefragten Faktormenge ableiten können. Diese Beziehung bezeichnen wir als Nachfragekurve. Werfen Sie noch einen Blick auf Tabelle 12-3. Diese Tabelle zeigt uns in der letzten Spalte das MRP für Arbeit auf unserer Maisfarm. Aufgrund der Gewinnmaximierungsbedingung wissen wir, dass sich das Unternehmen bei Lohnkosten von US-$ 60.000 für
Teil 3
50
40
30
20
10
0
d 1 2 3 4 5 Arbeitseinsatz (Arbeitskräfte)
L
Abbildung 12-3: Die Faktornachfrage leitet sich aus den Wertgrenzprodukten ab Die Arbeitsnachfrage ergibt sich aus dem Wertgrenzprodukt der Arbeit. Der Abbildung wurden die in Tabelle 12-3 angegebenen Daten für ein Unternehmen im Wettbewerb zugrunde gelegt.
Kapitel 12 Wie Märkte die Einkommen bestimmen
der Nachfragekurven aller Unternehmen. Wenn es 1.000 identische Unternehmen gäbe, wäre die Marktnachfrage nach Arbeit genau mit der in Abbildung 12-3 angegebenen identisch, außer dass jeder Eintrag auf der horizontalen Achse mit 1.000 multipliziert würde. Wir sehen daher, dass die Faktornachfrage unter Wettbewerbsbedingungen durch die aggregierte Nachfrage aller Unternehmen bei jedem Wertgrenzprodukt bestimmt wird. Substitutionsregel. Eine logische Folge aus der Least-Cost-Regel bildet die Substitutionsregel. Wenn der Preis eines Produktionsfaktors steigt, während die anderen Faktorpreise konstant bleiben, entsteht dem Unternehmen ein Vorteil, wenn es den teureren Faktor durch eine größere Menge der anderen Faktoren substituiert. Ein Anstieg der Lohnkosten PL führt zu einer Reduktion von MPL/PL. Die Unternehmen reagieren durch eine Zurücknahme der Arbeit und zunehmenden Einsatz von Boden, bis die Gleichheit der Grenzprodukte pro aufgewendetem Boden für die Produktionsfaktoren wieder hergestellt ist; was bedeutet, dass weniger Arbeit L und mehr Boden A eingesetzt wird. Eine alleinige Erhöhung des Preises für Boden, PA, führt entsprechend dieser Logik zu einer Substitution des teuren Bodens durch mehr Arbeitskraft. Wie bei der Minimalkostenregel gelten die Substitutionsregel und die daraus abgeleitete Nachfrage nach Produktionsfaktoren sowohl bei vollständigem wie auch bei unvollständigem Wettbewerb auf den Produkt- oder Gütermärkten.
Angebot an Produktionsfaktoren Eine vollständige Analyse der Bestimmungsgrößen von Faktorpreisen und Einkommen umfasst nicht nur die soeben beschriebene Faktornachfrage, sondern auch das Angebot an den diversen Produktionsfaktoren. Die allgemeinen Angebotsprinzipien unterscheiden sich von Faktor zu Faktor, und wir werden uns diesem Thema in den folgenden zwei
339
Kapiteln noch näher widmen. Hier nur einige einleitende Bemerkungen. In einer Marktwirtschaft befindet sich der Großteil der Produktionsfaktoren in Privatbesitz. Der Einzelne „besitzt“ seine Arbeitskraft in dem Sinn, dass er über ihren Einsatz verfügen kann. Das heute so wesentliche „Humankapital“ kann man nur mieten, nicht aber kaufen. Kapital und Boden befinden sich im Allgemeinen im Privatbesitz von Haushalten und Unternehmen. Entscheidungen über das Arbeitsangebot hängen von wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Faktoren ab. Die für das Arbeitsangebot entscheidenden Faktoren sind der Arbeitspreis (also das Lohnniveau) und demografische Faktoren wie Alter, Geschlecht, Ausbildung und Familienstruktur. Die Menge an Boden und anderen natürlichen Ressourcen wird durch geologische Gegebenheiten bestimmt und lässt sich nicht wesentlich verändern, obwohl die Qualität des Bodens natürlich durch seine Bebauung, durch Siedlungsstrukturen und Bearbeitungsmöglichkeiten beeinflusst wird. Das Angebot an Kapital hängt von früheren Investitionen durch Unternehmen, Haushalte und Staaten ab. Kurzfristig ist der Kapitalbestand ebenso fix wie der Boden, aber langfristig reagiert das Angebot an Kapital auf wirtschaftliche Faktoren wie Risiken, Steuern und Rentabilität. Lässt sich irgendetwas über die Elastizität des Faktorangebotes aussagen? Tatsächlich kann die Angebotskurve einen positiven Anstieg aufweisen, sie kann vertikal verlaufen oder sogar eine negative Steigung haben. Bei den meisten Faktoren ist zu erwarten, dass das Angebot auf steigende Faktorpreise langfristig positiv reagiert. In diesem Fall wäre die Angebotskurve nach rechts oben gerichtet. Normalerweise ist weiterhin davon auszugehen, dass das gesamte Angebot an Grund und Boden vom Preis nicht beeinflusst wird; in diesem Fall ist das gesamte Bodenangebot demnach absolut unelastisch, was bedeutet, dass die Angebotskurve vertikal verläuft. In manchen Sonderfällen können die Eigentümer ihr Angebot an einem Faktor auch redu-
340
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
zieren, wenn die Einkünfte aus diesem Faktor steigen. Entsteht beispielsweise das Gefühl, man könne es sich leisten, bei steigenden Gehältern kürzer zu arbeiten, könnte die Angebotskurve für Arbeit bei hohen Lohnsätzen rückläufig werden, anstatt eine positive Steigung aufzuweisen. Die verschiedenen möglichen Elastizitäten für das Faktorangebot sind in der Angebotskurve SS in Abbildung 12-4 dargestellt.
Faktorpreisbildung durch Angebot und Nachfrage Eine umfassende Analyse der Einkommensverteilung muss das Angebot an und die Nachfrage nach Produktionsfaktoren in BePF
S
Faktorpreis
B
A
S
QF Faktormenge
Abbildung 12-4: Angebotskurve für Produktionsfaktoren Das Angebot an Produktionsfaktoren hängt von den besonderen Merkmalen dieser Produktionsfaktoren und von den Präferenzen ihrer Eigentümer ab. Im Allgemeinen reagiert das Angebot positiv auf den Preis, wie im Bereich unterhalb von A. Bei Produktionsfaktoren mit fixem Angebot wie Boden ist die Angebotskurve absolut unelastisch, wie von A nach B. In speziellen Fällen, in denen ein höherer Faktorpreis das Einkommen des Faktoreigentümers stark erhöht, beispielsweise im Fall von Arbeit oder Öl, kann die Angebotskurve rückwärts gekrümmt sein, wie im Bereich oberhalb von B.
Teil 3
ziehung setzen. Weiter oben in diesem Abschnitt haben wir Ihnen die Grundlagen der Nachfrageanalyse vorgestellt und noch eine kurze Analyse der Angebotsseite folgen lassen. Wir haben gezeigt, dass bei gegebenen Faktorpreisen Unternehmen, die nach Gewinnmaximierung streben, ihre Faktorkombinationen entsprechend den jeweiligen Wertgrenzprodukten wählen. Bei fallenden Preisen für Boden substituiert etwa jeder Bauer nach Möglichkeit andere Produktionsfaktoren wie Arbeit, Maschinen und Dünger durch Boden. Die Nachfragekurve aller Bauern nach Ackerland würde daher aussehen wie in Abbildung 12-2(b) gezeigt. Wie bestimmen wir nun die Marktnachfrage nach Produktionsfaktoren (gleichgültig, ob es sich um Ackerland, um ungelernte Arbeitskräfte oder um Computer handelt)? Nun, wir addieren die einzelnen nachgefragten Mengen aller Unternehmen. Somit addieren wir bei einem gegebenen Bodenpreis alle einzelnen Nachfragemengen nach Boden aller Unternehmen zu diesem Preis; und ebenso verfahren wir für jeden anderen Bodenpreis. Mit anderen Worten: Wir addieren alle Nachfragekurven der einzelnen Unternehmen horizontal, um die Marktnachfragekurve für Boden zu erhalten. Nach derselben Methode gehen wir bei allen Produktionsfaktoren vor und addieren alle abgeleiteten Nachfragemengen sämtlicher Branchen, um die Marktnachfrage nach jedem Produktionsfaktor zu ermitteln. Und in jedem Fall gründet die abgeleitete Nachfrage nach dem Produktionsfaktor auf dem Wertgrenzprodukt des betreffenden Faktors.2 Die DD-Kurve in Abbildung 12-5 stellt eine allgemeine Nachfragekurve für einen Produktionsfaktor dar. Wie finden wir das allgemeine Marktgleichgewicht? Der Gleichgewichtspreis eines Produktionsfaktors auf einem vollkommenen Markt stellt sich auf jenem Niveau ein, auf dem die angebotenen und die nachgefragten Mengen identisch sind. Das wird in Abbil2 Bitte beachten Sie, dass dieses Verfahren der horizontalen Addition der Nachfragekurven exakt dasselbe ist, das wir bereits zur Ermittlung der Marktnachfragekurven für Konsumenten in Kapitel 5 angewendet haben.
341
Kapitel 12 Wie Märkte die Einkommen bestimmen
PF D
Faktorpreis
S
E
D S QF Faktormenge
Abbildung 12-5: Faktorangebot und abgeleitete Nachfrage wirken bei der Bildung der Faktorpreise und der Einkommensverteilung zusammen Die Faktorpreise und -mengen werden durch die Wechselwirkung zwischen Faktorangebot und -nachfrage gebildet.
dung 12-5 illustriert, wo sich die abgeleitete Nachfragekurve eines Produktionsfaktors mit dessen Angebotskurve in Punkt E schneidet. Nur bei diesem Preis befindet sich die Menge, die die Eigentümer des Produktionsfaktors anzubieten gewillt sind, im Gleichgewicht mit der Menge, die die Käufer kaufen wollen. Skalpell und Fritteuse Wenden wir doch die bisher erörterten Konzepte auf zwei Faktormärkte an, um zu sehen, warum die Einkommensdisparitäten eigentlich so groß sind. Abbildung 12-6 zeigt die Marktsituation für zwei Arten von Arbeit – diejenige von Chirurgen und jene von Arbeitern in Fast-Food-Restaurants. Das Angebot an Chirurgen ist infolge der hohen Zutrittshürden für diesen Beruf, wie Praxiszulassung sowie Länge und Kosten des Studiums und der Ausbildung, sehr begrenzt. Aus diesem Grund gibt es im gesamten Staatsgebiet der USA nur etwa 50.000 praktizierende Chirurgen. Die Nachfrage nach chirurgischen
Eingriffen steigt ebenso wie jene nach anderen Gesundheitsdienstleistungen rapide an. Die Folge davon ist, dass Chirurgen ein durchschnittliches Jahreseinkommen von US-$ 240.000 beziehen. Und die weiter steigende Nachfrage wird das Einkommen von Chirurgen auch in Zukunft drastisch in die Höhe treiben, während beim Output nur wenig Zuwachs zu erwarten ist. Am anderen Ende der Einkommensskala stehen beispielsweise die Niedriglohnjobs in Fast-Food-Ketten. Diese Jobs erfordern keine besondere Fähigkeit oder Ausbildung und stehen praktisch jedermann offen. Das Angebot ist hoch elastisch, und die Beschäftigung nahm im Zeitraum von 1991 bis 2001 um fast 2 Millionen Arbeiter zu. Die Löhne liegen hier knapp über dem Mindestlohn, was auf den problemlosen Marktzutritt zurückzuführen ist, und der durchschnittliche Vollzeitbeschäftigte in einem Fast-Food-Restaurant verdient US-$ 9.500 jährlich. Was aber sind die Gründe für diese enorme Einkommensdifferenz zwischen Chirurgen und Hamburgerverkäufern? Hauptsächlich wohl die Qualität der Arbeit, nicht die Anzahl der Arbeitsstunden.
Die Reichen und die anderen Würden Sie zu den reichsten Amerikanern zählen, so verfügten Sie vielleicht über ein Einkommen von US-$ 50 Millionen aus Zinsen, Dividenden und anderen Besitzeinkünften, während der durchschnittliche amerikanische Haushalt aus seinem Geldvermögen weniger als US-$ 1.000 an jährlichen Einkünften erwirtschaftet. Abbildung 12-7 erklärt diesen Unterschied. Die Rendite von Aktien oder Anleihen ist für die Reichsten kaum höher als für die Mittelklasse. Doch die Reichen haben eine viel größere Vermögensbasis, die Gewinne abwirft. Die schattierten Rechtecke in Abbildung 12-7 zeigen die Kapitaleinkommen der beiden Gruppen. Machen Sie sich unbedingt bewusst, dass es die Höhe des Vermögens und nicht so sehr die Höhe der Rendite ist, die das Rechteck der Reichsten so groß macht.
342
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Diese beiden Beispiele zeigen, wie Faktorpreise und individuelle Einkommen von den zugrunde liegenden Marktkräften bestimmt werden. Angebot und Nachfrage wirken dahingehend, dass hohe Faktorrenditen dort zu erwarten sind, wo Produktionsfaktoren entweder beschränkt angeboten oder stark nachgefragt werden, was sich im hohen Wertgrenzprodukt widerspiegelt. Wenn ein Faktor wie Chirurgen knapper wird – vielleicht weil die Ausbildungsanforderungen verschärft werden –, steigt der Preis dieses Faktors, und die Chirurgen können sich über höhere Ein-
Teil 3
künfte freuen. Wenn jedoch die Nachfrage auf einem Gebiet wie etwa der Psychiatrie zurückgeht – vielleicht weil die Versicherungsgesellschaften beschließen, ab sofort nur noch einen geringeren Kostenanteil zu übernehmen, oder weil ein vergleichbares Substitutionsangebot durch Sozialarbeiter und Psychologen Patienten von ihnen weglockt, oder einfach, weil die Patienten verstärkt zu Medikamenten greifen, anstatt zum Psychiater zu gehen –, sinken die Einkommen der Psychiater. Der Wettbewerb gibt und der Wettbewerb nimmt.
(a) Arbeitsmarkt für Chirurgen
(b) Arbeitsmarkt für Arbeiter in Fast-Food-Restaurants
S W DS S
W
ES DF
Stundeneinkünfte
Stundeneinkünfte
WS*
DS
EF
WF*
DF L
L LS*
Arbeitsangebot
SF
Arbeitsangebot
LF*
Abbildung 12-6: Die Arbeitsmärkte für Chirurgen und Arbeiter in Fast-Food-Restaurants In (a) sehen wir die Auswirkungen eines begrenzten Angebots an Chirurgen: geringe Zahl und hohe Einkünfte der Chirurgen. Welche Auswirkungen auf die Gesamteinkünfte von Chirurgen und den Preis einer Operation hätte wohl eine alternde Bevölkerung, die eine erhöhte Nachfrage nach Chirurgen bewirkt? In (b) ermöglichen der offene Marktzutritt und die geringen Ausbildungserfordernisse ein besonders elastisches Angebot von Fast-Food-Arbeitern. Die Löhne werden gedrückt, und der Beschäftigungsstand ist hoch. Welche Auswirkungen auf Löhne und Beschäftigungsstand würden sich bei vermehrtem Zustrom von Teenagern in diese Jobs ergeben?
343
Kapitel 12 Wie Märkte die Einkommen bestimmen
(a) Forbes 400
(b) Mittelklasse SM
i*R
DR
Rendite
Rendite
SR
i*M DM
KR
0 Vermögen
K*R
KM
0 K*M
Vermögen
Abbildung 12-7: Unterschiede in den Vermögenseinkünften Diese Abbildung zeigt die Nachfrage- und Angebotsfunktion für das Vermögen der Superreichen und des Mittelstandes. Die horizontale Achse zeigt das Gesamtvermögen, während auf der vertikalen Achse die Vermögensrendite dargestellt ist. Der schattierte Bereich ist r W oder das gesamte Besitzeinkommen. Warum ist das schattierte Rechteck der Reichen um so viel größer als das der Mittelklasse? Der Grund liegt in erster Linie darin, dass das Vermögen der Reichen (KR) um ein Vielfaches größer ist als das der Mittelklasse.
Die Verteilung des Volkseinkommens Mit unserem neuen Verständnis der Grenzproduktivitätstheorie können wir uns nun erneut der Frage zuwenden, die wir zu Beginn dieses Kapitels gestellt haben. Wie sorgen die Märkte in einer Welt intensiven Wettbewerbs für die Aufteilung des Volkseinkommens auf die vielen Produktionsfaktoren? Eine vereinfachte Theorie der Faktoreinkommensverteilung wurde erstmals von dem bekannten Ökonomen John Bates Clark entwickelt, der um 1900 an der Columbia University lehrte. Sie lässt sich auf eine ganze Reihe von Wirtschaftsgütern und Produktionsfaktoren auf vollkommenen Märkten anwenden. Am besten ist sie jedoch zu verstehen, wenn wir uns eine vereinfachte Welt mit nur einem einzigen Produkt vorstellen, in der die Buchführung in Sachwerten erfolgt, das heißt anhand von Gütern. Bei diesen Gütern könnte es sich um Mais oder um
einen Korb verschiedener Güter und Dienstleistungen handeln. Wir nennen sie auf jeden Fall Q. Indem wir den Preis darüber hinaus mit 1 festsetzen, können wir die gesamte Darstellung in Sachwerten vornehmen, wobei der Produktionswert Q entspricht und die Löhne dem Sachlohn in Form von Gütern oder Q entsprechen. In dieser Situation zeigt uns eine Produktionsfunktion an, wie viel Q mit jeder Menge Arbeitsstunden L und wie viel mit jeder Flächenmenge homogenen Bodens A produziert wird. Da P = 1, gilt bei vollständigem Wettbewerb MRP = MP P = MP 1 = MP. Der Lohn ist daher MPL. Clark argumentiert folgendermaßen: Ein erster Arbeiter erwirtschaftet ein hohes Grenzprodukt, weil er eine sehr große Menge an Boden zu bearbeiten hat. Das Grenzprodukt von Arbeiter 2 ist bereits kleiner. Doch die beiden Arbeiter sind gleichwertig, sie müssen also denselben Lohn bekommen. Die Frage ist nur, welchen? Das MP von Arbeiter 1, das von Arbeiter 2 oder den Durchschnitt aus diesen beiden Werten?
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Unter den Bedingungen des vollständigen Wettbewerbs ist die Antwort eindeutig: Der Grundeigentümer wird keinen Arbeiter einstellen, wenn der Marktlohn, den er ihm zahlen müsste, über dem Grenzprodukt dieses Arbeiters liegt. So sorgt der Wettbewerb dafür, dass alle Arbeiter einen Lohn erhalten, der dem Grenzprodukt des letzten Arbeiters entspricht. Doch nun entsteht ein Überschuss des Gesamtproduktionsergebnisses gegenüber den Löhnen, weil die früheren Arbeiter höhere MPs hatten als der letzte Arbeiter. Was geschieht mit den höheren MPs, die von allen früheren Arbeitern erarbeitet werden? Dieser Überschuss verbleibt dem Grundeigentümer als Residualeinkommen, das wir später als Rente bezeichnen werden. Warum, so könnten Sie fragen, verdienen die Grundeigentümer, die irgendwo auf ihren Yachten Tausende von Meilen entfernt sitzen können, überhaupt etwas mit ihrem Boden? Die Antwort lautet, dass jeder Grundeigentümer ein Marktteilnehmer auf dem Wettbewerbsmarkt für Grund und Boden ist und dass er seinen Boden zum besten Preis verpachtet. So wie die Arbeiter untereinander um Jobs konkurrieren, konkurrieren die Grundeigentümer untereinander um die Arbeiter. Wir sehen, dass es in Clarks Wettbewerbswelt keine Gewerkschaften gibt, die über die Höhe der Löhne wachen, keine Absprachen zwischen Grundeigentümern zur Ausbeutung der Arbeiter und sicherlich keine besondere Fairness der Löhne und der Renten – hier wird einfach das Prinzip von Angebot und Nachfrage wirksam. Wir haben somit die gesamten an alle Arbeiter ausbezahlten Löhne ermittelt. Abbildung 12-8 zeigt, dass die Grenzproduktkurve der Arbeit die Nachfragekurve aller Arbeitgeber, ausgedrückt in Reallöhnen, ergibt. Das Angebot an Arbeit (dargestellt als SS) wird von den Faktoren des Arbeitsangebots bestimmt. Der Gleichgewichtslohn stellt sich bei E ein. Die gesamten an die Arbeiter ausbezahlten Löhne ergeben sich durch W L (wenn z.B. W = 5 und L = 1.000.000, betragen die Gesamtlöhne = 5.000.000); dies
Teil 3
wird durch den dunklen Bereich des Rechtecks, 0SEN, dargestellt. Das Überraschende daran ist, dass wir auch das Renteneinkommen aus dem Grundbesitz ermitteln können. Das hellrostfarbene Rentendreieck NDE in Abbildung 12-8 misst das gesamte zusätzliche Produktionsergebnis, das zwar produziert, aber nicht in Form von Löhnen ausbezahlt wurde. Die Größe des Rentendreiecks bestimmt sich danach, wie sehr das MP der Arbeit abnimmt, wenn zusätzliche Arbeitsleistung eingesetzt wird – das heißt durch das Ausmaß der abnehmenden Grenzerträge. Bei einigen wenigen qualitativ hochwertigen Flächeneinheiten weisen zusätzliche Arbeitseinheiten drastisch abnehmende Grenzerträge auf, und der Anteil der Grundeigentümerrente ist hoch. Wenn dagegen eine große Fläche homogenen WaldboW S D Grenzprodukt der Arbeit Grenzprodukt, Lohn
344
Bodenrente
E
N D Löhne
S 0
L
Arbeitsmenge
Abbildung 12-8: Die Grenzproduktkurve bestimmt die Einkommensverteilung auf die Produktionsfaktoren Jeder vertikale Streifen stellt das Grenzprodukt der jeweiligen Arbeitseinheit dar. Die gesamte nationale Produktionsleistung 0DES wird ermittelt, indem alle vertikalen Streifen von MP bis zum Arbeitsgesamtangebot in S addiert werden. Die Produktionsverteilung leitet sich aus der Grenzproduktkurve ab. Die Gesamtlöhne bilden das untere Rechteck (entsprechend Lohn 0N mal Arbeitsmenge 0S). Das verbleibende Dreieck NDE entspricht der Bodenrente.
345
Kapitel 12 Wie Märkte die Einkommen bestimmen
dens zur Verfügung steht, der erst gerodet werden muss, ist die Tendenz zur Abnahme der Grenzerträge gering, und das Rentendreieck für dieses noch ungerodete Land wird winzig klein sein. In Abbildung 12-8 haben wir die Lohnsumme etwa dreimal so hoch wie die Grundeigentümerrente eingezeichnet. Dieses 3:1-Verhältnis spiegelt die Tatsache wider, dass Arbeitseinkommen ca. drei Viertel des Volkseinkommens ausmachen.
Grenzproduktivitätstheorie bei einer Vielzahl von Produktionsfaktoren Die Grenzproduktivitätstheorie ist ein wichtiger Schritt zum Verständnis der Preisbildung bei den verschiedenen Produktionsfaktoren. Bitte beachten Sie außerdem, dass die Positionen Boden und Arbeit auch vertauscht werden können, sodass man zu einer umfassenden Verteilungstheorie gelangt. Um die Funktionen von Arbeit und Boden zu vertauschen, hält man die Arbeit konstant und fügt zusätzliche variable Einheiten an Boden zu einem fixen Arbeitseinsatz hinzu. Berechnen Sie die Grenzprodukte für jede zusätzliche Bodeneinheit. Zeichnen Sie nun eine Nachfragekurve, aus der ersichtlich wird, wie viele Flächeneinheiten Boden die Inhaber des Faktors Arbeit bei der jeweiligen Rentenhöhe nachfragen werden. Bestimmen Sie in der neuen Version der Abbildung 12-8, die Sie zeichnen, einen neuen Gleichgewichtspunkt E'. Ermitteln Sie das Rentenrechteck des Bodens, das durch Rente mal Bodenmenge bestimmt wird. Ermitteln Sie das Dreieck für die Residualeinkommen aus den Arbeitslöhnen. Und beachten Sie schließlich bitte auch die vollkommene Symmetrie der Faktoren. Dieses neue Diagramm zeigt uns, dass die Verteilungsanteile jedes einzelnen Produktionsfaktors von deren wechselseitig abhängigen Grenzprodukten bestimmt werden.
Doch damit nicht genug. Anstelle von Arbeit und Boden können wir auch annehmen, dass die einzigen beiden Faktoren Arbeit und einige flexible Kapitalgüter wären. Nehmen wir an, eine geglättete Produktionsfunktion setzt Q in eine Beziehung zu Arbeit und Kapital, die durch dieselben Grundeigenschaften bestimmt ist wie in Abbildung 12-8. In diesem Fall können Sie Abbildung 12-8 neu zeichnen, und Sie erhalten ein gleiches Bild für die Einkommensverteilung zwischen Arbeit und Kapital. Dieselbe Vorgangsweise können wir auch bei drei, vier und sogar jeder beliebigen Anzahl von Produktionsfaktoren anwenden. Auf vollkommenen Märkten wird die Inputnachfrage durch die Grenzprodukte der Produktionsfaktoren bestimmt. Im vereinfachten Fall, in dem die Faktoren in Form des einzigen Outputs bezahlt werden, erhalten wir folgende Gleichung: Lohn = Grenzprodukt der Arbeit Rente = Grenzprodukt des Bodens und so weiter für jeden Produktionsfaktor. Damit werden genau 100 Prozent des Produktionsergebnisses bzw. der produzierten Menge unter allen Produktionsfaktoren verteilt, nicht mehr und nicht weniger. Wir erkennen daher, dass die Theorie der gesamtwirtschaftlichen Einkommensverteilung mit der Preisbildung jeder beliebigen Anzahl von Gütern, die mit jeder beliebigen Anzahl von Produktionsfaktoren erzeugt werden, unter vollständigen Wettbewerbsbedingungen in Einklang steht. Diese so einfache, aber bedeutende Theorie zeigt uns, dass die Einkommensverteilung in einer vollkommenen Marktwirtschaft an die Produktivität gebunden ist. Da wir nun die allgemeinen Prinzipien verstehen, die der Preisbildung der Produktionsfaktoren und der Einkommensverteilung zugrunde liegen, können wir uns einer eingehenderen Diskussion der drei wichtigsten Faktormärkte Boden, Arbeit und Kapital zuwenden.
346
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Eine unsichtbare Hand für die Einkommen? Wir haben nun skizziert, wie eine vollkommene Wettbewerbswirtschaft das Sozialprodukt in einer vereinfachten Welt auf die verschiedenen Produktionsfaktoren aufteilt. Die Menschen fragen sich natürlich: Sind die Einkommen in einer Marktwirtschaft fair und gerecht? In gewissem Sinn ist das wie die Frage, ob die Tiere wohl ihren gerechten Anteil an dem im Dschungel verfügbaren Futter erhalten. Wie die Nahrungsmittel im Dschungel in Kämpfen verteilt werden, die keinen Bedacht auf richtig oder falsch nehmen, verteilt ein Wettbewerbsmarkt Löhne und Gewinne nach der Produktivität und nicht nach ethischen Gesichtspunkten. Waltet in dem Markt eine unsichtbare Hand, die dafür sorgt, dass die Verdientesten unter uns ihren gerechten Lohn erhalten? Oder dass jene, die endlose Überstunden und schlaflose Nächte oder ganze Wochenenden in mühselige oder gefährliche Tätigkeiten investieren, auf einen entsprechenden Lebensstandard zählen können? Oder dass jene, die ohne Ende in Entwicklungsländern schuften, mit einer entsprechenden Lebensqualität belohnt werden?
Teil 3
In der Realität bieten vollkommene Märkte keine Garantie dafür, dass Einkommen und Konsum den Bedürftigsten oder den Verdienstvollsten unter uns zufallen. Ein Laissez-faire-Wettbewerb kann zu großer Ungerechtigkeit führen, wie zum Beispiel zu mangelernährten Kindern, die als Erwachsene wiederum mangelernährte Kinder in die Welt setzen, und zu einer Verstetigung der Ungleichheit von Einkommen und Wohlstand auf Generationen hinaus. Es gibt kein volkswirtschaftliches Gesetz, dass dafür sorgt, dass die armen afrikanischen Länder mit den reichen Ländern Nordamerikas und Westeuropas gleichziehen. Die Reichen können noch gesünder und reicher werden, während die Armen noch stärker von Krankheit und Armut heimgesucht werden. In einer Marktwirtschaft spiegelt die Verteilung von Einkommen und Konsum nicht nur harte Arbeit, Einfallsreichtum und Klugheit wider, sondern auch Faktoren wie Rasse, Geschlecht, Standort, Gesundheit und Glück. Während der Markt Wunder wirken kann, indem er auf effiziente Weise eine wachsende Palette von Gütern und Dienstleistungen produziert, existiert keine unsichtbare Hand, die dafür sorgt, dass eine Laissez-faire-Wirtschaft Einkommen und Wohlstand gerecht verteilt.
Zusammenfassung A. Einkommen und Vermögen 1.
2.
Die Verteilungstheorie befasst sich mit der grundlegenden Frage, für wen die Wirtschaftsgüter erzeugt werden sollen. Bei der Untersuchung, wie sich die Preise der einzelnen Produktionsfaktoren – Boden, Arbeit und Kapital – auf dem Markt bilden, interessiert sich die Verteilungstheorie dafür, wie Faktorangebot und nachfrage miteinander verbunden sind und wie dadurch alle Arten von Löhnen, Renten, Zinssätzen und Gewinnen bestimmt werden. Der Begriff Einkommen bezeichnet die gesamten baren und unbaren Einkünfte einer Einzelperson oder eines Haushaltes während eines bestimmten Zeitraums (üblicherweise ein
3.
Jahr). Das Einkommen setzt sich aus Einkünften aus Arbeit, Besitz und staatlichen Transferzahlungen zusammen. Das Volkseinkommen besteht aus sämtlichen Einkünften aus Arbeit und Besitz, die durch die Wirtschaft in einem Jahr erwirtschaftet wurden. Der Staat schöpft einen gewissen Teil dieses Volkseinkommens in Form von Steuern ab und gibt diese Einnahmen teilweise in Form von Transferzahlungen an die Bürger zurück. Das persönliche Einkommen einer Einzelperson nach Steuern umfasst die Erträge aus allen Produktionsfaktoren – Arbeit und Besitz –, die dieser Person gehören, zuzüglich der vom Staat erhaltenen Transferzahlungen, abzüglich der geleisteten Steuern.
Kapitel 12 Wie Märkte die Einkommen bestimmen
4.
Mit Vermögen bezeichnen wir den Nettogeldwert der Vermögenswerte, die jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt besitzt. Vermögen ist eine Bestandsgröße, während das Einkommen eine Flussgröße darstellt. Zum Vermögen eines Haushalts zählen Sachpositionen wie Häuser und Geldpositionen wie Anleihen. Alle diese Positionen gemeinsam werden als Vermögenswerte bezeichnet, während all das, was anderen geschuldet wird, Verbindlichkeiten darstellt. Die Differenz zwischen Gesamtvermögen und Gesamtverbindlichkeiten wird als Reinvermögen oder Eigenkapital bezeichnet.
B. Grenzproduktivität und Faktorpreise 5.
6.
7.
Um die Preise verschiedener Produktionsfaktoren verstehen zu können, müssen wir die Produktionstheorie und die daraus abgeleitete Faktornachfrage analysieren. Die Nachfrage nach Inputs ist eine derivative oder abgeleitete Nachfrage: Wir fragen Pizzaöfen nicht um ihrer selbst willen nach, sondern wegen der Pizzas, die damit für die Konsumenten produziert werden können. Die Faktornachfragekurven werden aus den Nachfragekurven für Endprodukte abgeleitet. Eine Aufwärtsverschiebung der Nachfragekurve nach dem Endprodukt verursacht eine entsprechende Aufwärtsverschiebung der abgeleiteten Faktornachfragekurve; eine geringere Elastizität in der Güternachfrage führt zu einer geringeren Elastizität der derivativen Faktornachfrage. Wir haben uns bereits in früheren Kapiteln mit den Konzepten der Produktionsfunktion und der Grenzprodukte auseinander gesetzt. Die Nachfrage nach einem Faktor wird von seinem Wertgrenzprodukt (MRP) abgeleitet, das als jener zusätzliche Erlös definiert wird, der durch den Einsatz einer zusätzlichen Faktoreinheit erzielt wird. Auf jedem Markt entspricht das MRP eines Faktors dem Grenzerlös, der durch den Verkauf einer zusätzlichen Produkteinheit, multipliziert mit dem Grenzprodukt eines Produktionsfaktors, erzielt wird (MRP = MR MP). Für Unternehmen im vollständigen Wettbewerb kann diese Formel auf MRP = P MP vereinfacht werden, da der Preis dem Grenzerlös entspricht. Ein Unternehmen erzielt Gewinnmaximierung (und Kostenminimierung), wenn es das MRP jedes Produktionsfaktors mit den Faktorgrenzkosten, also dem Faktorpreis, gleichsetzt. Das-
347
selbe lässt sich auch als Bedingung formulieren, wobei das MRP pro Geldeinheit Input für jeden Produktionsfaktor gleichgesetzt wird. Diese Bedingung muss im Gleichgewicht gelten, weil ein Arbeitgeber, der sich um Gewinnmaximierung bemüht, jeden Produktionsfaktor bis zu jenem Ausmaß einsetzt, bei dem das Grenzprodukt des Produktionsfaktors so viel an wertmäßigem Grenzerlös einbringt, wie der Faktor kostet. 8. Um die Marktnachfragekurve für einen Faktor zu ermitteln, addieren wir die Nachfragekurven aller Unternehmen horizontal. Diese bestimmt zusammen mit der speziellen Angebotskurve des einzelnen Faktors das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage. Zum Marktpreis des Produktionsfaktors sind nachgefragte und angebotene Mengen absolut gleich – nur im Gleichgewicht ist der Faktorpreis stabil und tendiert zu keinerlei Veränderungen. 9. Die Grenzproduktivitätstheorie der Einkommensverteilung analysiert die Art und Weise, wie das gesamte Volkseinkommen auf die verschiedenen Produktionsfaktoren verteilt wird. Der Wettbewerb unter den zahlreichen Grundbesitzern und Arbeitern führt zu einer Faktorpreisentwicklung in Richtung ihrer jeweiligen Grenzprodukte. Dieser Prozess bewirkt die Verteilung der gesamten 100 Prozent des Produktionsergebnisses. Jeder Produktionsfaktor, nicht nur die Arbeit, kann ein variabler Faktor sein. Da jede Faktoreinheit nur in Höhe des MPs der letzten eingesetzten Einheit bezahlt wird, kommt es zu einem Residualüberschuss an Output, der von den MPs früherer Inputs übrig bleibt. Dieser Restwert entspricht bei einer Preisbildung nach der Grenzproduktivität genau den Einkommen der anderen Produktionsfaktoren. Daher ergibt die Grenzproduktivitätstheorie der Einkommensverteilung, auch wenn es sich um ein vereinfachtes Modell handelt, ein logisch vollständiges Bild der Verteilung des Volkseinkommens unter den Bedingungen vollständigen Wettbewerbs. 10. Auch wenn eine Wettbewerbswirtschaft die größtmögliche Menge Brot aus ihren Ressourcen quetschen kann, bleibt ein wesentlicher Vorbehalt gegen die Marktwirtschaft bestehen. Wir haben keine Veranlassung zu glauben, dass die Einkommen im Laissez-faire-Kapitalismus gerecht verteilt werden. Die Markteinkommen können akzeptable Differenzen oder enorme Ungerechtigkeiten in der Verteilung von Einkommen und Wohlstand produzieren, die auf Generationen hinaus anhalten können.
348
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Teil 3
Begriffe zur Wiederholung Einkommensverteilung Einkommen (Fluss), Wohlstand (Bestand) Volkseinkommen Transferzahlungen Persönliches Einkommen Grenzprodukt, Wertgrenzprodukt, abgeleitete Nachfrage Wertgrenzprodukt des Produktionsfaktors i = MRPi = MR x MPi = P x MP bei Unternehmen im vollständigen Wettbewerb Verteilungstheorie MP-Rechteck, Dreieck der Residualrente Faktornachfrage im Wettbewerb: MPi x P = Faktorpreis, woraus sich die Minimalkostenregel ableitet: MPL MPA = = … PL PA =
1 Grenzerlös
Gerechtigkeit der Markteinkommen
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Bradley R. Schiller, The Economics of Poverty and Discrimination (Prentice-Hall, New York, 1998) bietet einen umfassenden Einblick in Einkommensverteilung und die Entstehung von Armut.
Websites Informationen über die Einkommensverteilung werden vom Census Bureau erhoben und unter www. census.gov/hhes/www/income.html veröffentlicht. Die umfassendsten bevölkerungsstatistischen Daten werden im Rahmen der alle zehn Jahre durchgeführten Volkszählung erhoben, deren Ergebnisse unter www.census.gov einsehbar sind. Wenn Sie sich für Daten zum Thema Einkommensdynamik interessieren, ist die Website über die Panel Study on Income Dynamics unter www.isr.umich.edu/src/psid zu empfehlen.
Übungen 1.
2.
Benennen Sie für jeden der folgenden Produktionsfaktoren das Endprodukt, aus dem sich seine abgeleitete Nachfrage ergibt: Ackerland, Benzin, Friseur, Produktionswerkzeuge für Basketbälle, Weinpresse, Volkswirtschaftslehrbuch. Tabelle 12-4 enthält die grundlegenden Zahlen für die Pizzaproduktion unter der Annahme, dass alle anderen Faktoren konstant bleiben. a. Füllen Sie die leeren Zeilen in den Spalten (3) und (5) aus. b. Erstellen Sie ein Diagramm wie das von Abbildung 12-3, aus dem das Wertgrenz-
3.
produkt von Pizzabäckern und die Arbeitsinputs hervorgehen. c. Wenn der Lohn der Pizzabäcker US-$ 30 pro Bäcker beträgt, wie viele Bäcker werden dann eingestellt? d. Nehmen Sie an, dass sich der Pizzapreis verdoppelt. Zeichnen Sie die neue MRP-Kurve. Schätzen Sie die Auswirkungen auf die Beschäftigung von Pizzabäckern unter der Annahme, dass alles andere gleich bleibt. Im vergangenen Jahrhundert ging die Zahl der Arbeitsstunden, auf die Lebenszeit umgerech-
Kapitel 12 Wie Märkte die Einkommen bestimmen
4.
5.
6.
net, um ca. 50 Prozent zurück, während die Realeinkommen um das Achtfache stiegen. Zeichnen Sie für die Jahre 1900 und 2000 Arbeitsangebots- und Nachfragediagramme, die diese Tendenz darstellen, wobei Sie unterstellen, dass die wichtigste Änderung in einer Steigerung der Grenzproduktivität der Arbeit bestand. Zeichnen Sie in Ihren Diagrammen die Zahl der Arbeitsstunden (auf die Lebenszeit gerechnet) auf der horizontalen und die Reallohnrate auf der vertikalen Achse ein. Welchen Schlüsselfaktor des Arbeitsangebots müssen Sie heranziehen, um diesen historischen Trend zu erklären? Warum ist jede der folgenden Aussagen falsch? Stellen Sie sie richtig. a. Das Wertgrenzprodukt wird als der von jedem Arbeitnehmer verdiente Gesamtertrag berechnet. b. Die Verteilungstheorie ist einfach. Sie stellen einfach fest, wie viel jeder Faktor produziert, und ordnen dem Faktor dann seinen Output-Anteil zu. c. Unter Wettbewerbsbedingungen bestimmt sich der Lohn der Arbeitskräfte anhand der von ihnen erzeugten Produktionsmenge abzüglich der Kosten für die Rohmaterialien. Abbildung 12-1 zeigt, dass sich der Anteil der Arbeit am Volkseinkommen von 1948 bis 2003 nur wenig verändert hat, obwohl das BIP in diesem Zeitraum um 600 Prozent gestiegen ist. Zeichnen Sie zur Erklärung dieser beider Fakten Kurven wie jene von Abbildung 12-8 für die gesamte Volkswirtschaft. Arbeiterführer haben immer wieder verlangt: „Ohne Arbeit keine Produktion. Daher muss die gesamte Produktion den Arbeitern zugute kommen.“ Vertreter des Kapitals könnten einwenden: „Ohne Kapitalgüter brächte die vereinigte Arbeiterschaft überhaupt nichts zustande. Eigentlich gebührt dem Kapital die gesamte Produktion.“
7.
8.
9.
349 Analysieren Sie, was an den beiden Aussagen jeweils falsch ist. Weisen Sie nach, dass, wollten wir uns diesen Argumenten anschließen, 200 oder 300 Prozent der Produktion auf zwei oder drei Produktionsfaktoren entfallen müssten, obwohl es doch nur 100 Prozent zu verteilen gibt. Wie kann die Grenzproduktivitätstheorie von Clark diesen Streit schlichten? Zeichnen Sie die Angebots- und Nachfragekurven für den Ölmarkt. Nehmen wir nun an, ein neues Elektroauto würde die Nachfrage nach Rohöl verringern. Zeichnen Sie die neue Nachfragekurve und das neue Gleichgewicht ein. Beschreiben Sie das Ergebnis einer solchen Entwicklung anhand des Ölpreises, des Ölverbrauchs und des Gesamteinkommens der Ölproduzenten. Studieren Sie die Grenzproduktivitätstheorie der Einkommensverteilung, die in Abbildung 12-8 dargestellt ist. Steigt das Arbeitsangebot wegen einer starken Einwanderungsbewegung, wandert die Wirtschaft entlang der Arbeitsnachfragekurve nach unten. Sinken damit auch die Löhne? (Zeigen Sie, dass die Antwort ja lauten muss.) Steigen die Residualeinkommen aus Boden, Kapital und anderen Faktoren? (Zeigen Sie auch hier, dass die Antwort ja lauten muss.) Können Sie angeben, wie sich der absolute Gesamtwert des Arbeitsrechtecks sowie der Anteil der Arbeitseinkommen am Gesamteinkommen entwickeln? Setzen Sie in der Grenzproduktivitätstheorie in Abbildung 12-8 Boden anstelle von Arbeit als variablen Input ein. Zeichnen Sie die Abbildung neu und erklären Sie die Theorie mithilfe dieses neuen Diagramms. Was ist der Residualfaktor?
350
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Teil 3
Wertgrenzprodukt (1)
(2)
(3)
(4)
(5)
Arbeitseinheit
Gesamtprodukt (in Pizzas)
Grenzprodukt der Arbeit (Pizzas pro Arbeitskaft)
Güterpreis (US-$ pro Pizza)
Wertgrenzprodukt der Arbeit (US-$ pro Arbeitskraft)
0
0 —
5
—
—
5
—
—
5
—
—
5
—
—
5
—
—
5
—
1 2 3 4 5 6 Tabelle 12-4.
30 50 60 65 68 68
351
KAPITEL 13 Der Arbeitsmarkt
Arbeit ist der Fluch der trinkenden Klasse. Oscar Wilde
Arbeit ist mehr als ein abstrakter Produktionsfaktor. Arbeit wird von Menschen verrichtet, und diese wünschen sich gute Jobs und hohe Löhne, damit sie die Dinge, die sie benötigen und haben möchten, auch kaufen können. Sie müssen essen, aber sie sind auch gefühlsbegabte Wesen, also machen sie sich Sorgen sowohl über das Angebot an Arbeitsplätzen als auch über deren Qualität. In diesem Kapitel wollen wir untersuchen, wie sich in einer Marktwirtschaft die Löhne bilden. Der erste Abschnitt beschäftigt sich daher mit dem Arbeitsangebot und der Bildung der Löhne unter Wettbewerbsbedingungen. Im Anschluss erörtern wir einige nicht durch den Wettbewerb bestimmte Elemente des Arbeitsmarktes, darunter das Thema Gewerkschaften und das heikle Problem der Arbeitsmarktdiskriminierung.
A. Die Grundlagen der Lohnbildung Allgemeines Lohnniveau In der Lohnanalyse tendieren Ökonomen dazu, den durchschnittlichen Reallohn heranzuziehen, der die Kaufkraft eines Stundenlohns oder den Lohn, dividiert durch die Lebenshaltungskosten, darstellt.1 So betrachtet sind US-amerikanische Arbeitnehmer heute deutlich besser dran als vor 100 Jahren. Abbildung 13-1 zeigt die Entwicklung des realen (inflationsbereinigten) Durchschnittsstundenlohns in US-Dollar sowie der durchschnittlichen Arbeitszeit. Die Arbeiternehmer aller Industriestaaten konnten drastische Zugewinne verzeichnen. Überall in Westeuropa, Japan und in den sich rasch industrialisierenden Ländern des Fernen Ostens lässt sich eine kontinuierliche, 1 In diesem Kapitel verwenden wir den Begriff „Löhne“ meist zusammenfassend für Löhne, Gehälter und sonstige Entlohnungsformen.
352
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
1000 900 800 700 600 500
Teil 3
Stundenlöhne (US-$, konstant)
400
Prozentsatz 1890
300 200
100 90 80 70 60 Durchschnittliche Arbeitszeit
1890 1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 Jahr
Abbildung 13-1: Die Löhne sind bei sinkender Arbeitszeit gestiegen Angesichts der heute fortschrittlicheren Technologien und besserer Kapitalgüter genießen US-amerikanische Arbeitnehmer höhere Löhne, obwohl sie kürzer arbeiten. Die langsameren Produktivitätszuwächse der letzten beiden Jahrzehnte haben zu einer Eindämmung des Reallohnwachstums geführt.
langfristige Erhöhung der Kaufkraft der Arbeiternehmer feststellen, die sich heute mehr Nahrung, Kleidung und Wohnraum leisten, gesünder leben und sich über eine höhere Lebenserwartung freuen können als in der Vergangenheit. In Europa und den USA begann dieser Aufschwung Anfang des 19. Jahrhunderts mit den umfassenden technologischen und sozialen Veränderungen im Gefolge der Industriellen Revolution. Dagegen war die Reallohnentwicklung vor der Industrialisierung durch ein ständiges Auf und Ab ohne echte langfristige Zugewinne gekennzeichnet. Wir möchten hier keinesfalls behaupten, dass sich die Industrielle Revolution für die Arbeiter als reine Wohltat dargestellt hat, vor allem, wenn man die Laissez-faire-Periode im 19. Jahrhundert betrachtet. Nicht einmal die düsteren Romane von Charles Dickens
werden den entsetzlichen Bedingungen der Kinderarbeit, den Gefahren am Arbeitsplatz und den erbärmlichen sanitären Bedingungen gerecht, die in den Fabriken des 19. Jahrhunderts herrschten. Eine Arbeitswoche von 84 Stunden war die Regel, wobei Pausen nur für das Frühstück und gelegentlich für ein Mittagessen gewährt wurden. Ein großer Teil der benötigten Arbeit ließ sich schon aus Sechsjährigen herauspressen, und wenn eine Frau an einem Webstuhl zwei Finger verlor, blieben ihr immerhin noch acht. War es also ein Fehler, dass die Leute ihre landwirtschaftliche Tätigkeit aufgaben und in die Fabriken strömten? Wohl kaum. Historiker weisen darauf hin, dass sich der Lebensstandard selbst unter den schwierigen Bedingungen der beginnenden Industrialisierung gegenüber dem Agrarfeudalismus früherer Jahrhunderte deutlich verbesserte. Die In-
353
dustrielle Revolution war für die Arbeiterklasse ein Riesenschritt nach vorn, sicher kein Rückschritt. Das idyllische Bild des gesunden, fröhlichen Landlebens, bevölkert von kraftstrotzenden Freibauern und fröhlichem Gesinde, ist ein historischer Mythos, der praktisch für keine Region dieser Erde durch die statistischen Daten belegt wird.
Die Arbeitsnachfrage Unterschiede in der Grenzproduktivität Wir beginnen unsere Untersuchung des allgemeinen Lohnniveaus, indem wir die für die Arbeitsnachfrage bestimmenden Faktoren analysieren. Die Werkzeuge, die wir dazu benötigen, haben wir uns im letzten Kapitel erarbeitet, als wir feststellten, dass die Nachfrage nach einem Produktionsfaktor die Grenzproduktivität dieses Inputs widerspiegelt. Abbildung 13-2 illustriert die Grenzproduktivitätstheorie. Zu einer gegebenen Zeit und bei einem gegebenen Stand der Technologie besteht eine Beziehung zwischen der eingesetzten Arbeitsmenge und der Produktionsmenge. Aufgrund des Gesetzes der abnehmenden Grenzerträge wird durch jede zusätzlich eingesetzte Arbeitseinheit ein immer geringerer Anstieg der Produktionsmenge erzielt. In unserem Beispiel in Abbildung 13-2 liegt das unter Wettbewerbsbedingungen gebildete Lohnniveau bei einer Menge von 10 Arbeitseinheiten und US-$ 20 je Einheit. Doch wir sollten noch ein wenig tiefer in die Materie eindringen und uns fragen, was sich hinter dem Grenzprodukt verbirgt. So steigt erstens die Grenzproduktivität, wenn Arbeitnehmer über mehr oder bessere Kapitalgüter verfügen, mit denen sie arbeiten können. Man vergleiche dazu nur die Produktivität eines Deichgräbers, der einen Bulldozer verwendet, mit der Grableistung eines
Grenzprodukt, Reallohn (in US-$ pro Arbeitseinheit)
Kapitel 13 Der Arbeitsmarkt
D
20
D
L
0 10 Faktoreinsatz Arbeit
Abbildung 13-2: Die Arbeitsnachfrage spiegelt die Grenzproduktivität wider Die Arbeitsnachfrage wird von der Grenzproduktivität des Faktors Arbeit bei der Erbringung der nationalen Produktionsleistung bestimmt. Die hellgrauen, vertikal verlaufenden Streifen stellen die durch die erste, zweite, ... Arbeitseinheit erzielte zusätzliche Produktionsleistung dar. Das im Wettbewerb gebildete allgemeine Lohnniveau beträgt – entsprechend der Grenzproduktivität der zehnten Einheit – bei zehn Arbeitseinheiten US-$ 20 pro Einheit. Die Arbeitsnachfragekurve verschiebt sich im Zeitablauf mit zunehmender Kapitalakkumulation, technologischem Fortschritt und Verbesserungen der Arbeitsqualität nach rechts oben.
anderen, der mit dem Spaten ans Werk geht; der Vergleich zwischen der Kommunikationsleistung eines mittelalterlichen Herolds und der unserer heutigen E-Mail-Nachrichten bestätigt dieses Ergebnis. Und zweitens ist die Grenzproduktivität gut aus- und weitergebildeter Arbeitnehmer im Allgemeinen höher als jene von schlecht ausgebildetem „Humankapital“. Das erklärt auch, warum Löhne und Lebensstandard im 20. Jahrhundert so drastisch steigen konnten. Die Löhne sind in den USA und anderen Staaten mit gut entwickelter Wirtschaft heute deshalb so hoch, weil hier beträchtliche Kapitalbestände akkumuliert
354
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
wurden: Dichte Straßen-, Eisenbahn- und Telekommunikationsnetze, Produktionsanlagen, vielfältige maschinelle Ausstattung und entsprechende Ersatzteillager stehen den Arbeitnehmern zur Verfügung. Noch wichtiger sind die enormen technologischen Verbesserungen gegenüber früheren Zeiten. So haben Glühbirnen die Öllampe, Flugzeuge das Pferd, Kopiergeräte Tintenfass und Feder, haben Computer den Abakus und hat ECommerce traditionelle Handelsmethoden abgelöst. Überlegen Sie einmal, wie produktiv der durchschnittliche US-Amerikaner mit der Technologie des Jahres 1900 heute wäre. Die Qualität des Faktors Arbeit ist der zweite Faktor, der sich auf das allgemeine Lohnniveau auswirkt. Welchen Maßstab man auch immer heranzieht – Alphabetisierung, Schul- oder Berufsbildung –, die US-Arbeitskräfte des Jahres 2000 sind denen von 1900 haushoch überlegen. Jahrelange Schul- und Berufsausbildung ist erforderlich, um einen Ingenieur hervorzubringen, der imstande ist, komplizierte Präzisionswerkzeuge herzustellen. Ein volles Jahrzehnt ist nötig, bis ein Mensch in der Lage ist, erfolgreich eine Gehirnoperation durchzuführen. Der Anteil der erwachsenen US-Bürger, die eine CollegeAusbildung abgeschlossen haben, ist von 6 Prozent im Jahr 1950 auf 25 Prozent im Jahre 2002 gestiegen. Diese enorme Akkumulation von Humankapital bedeutet für die Arbeitsproduktivität einen großen Sprung nach vorn.
Internationaler Vergleich Anhand dieser Überlegungen lässt sich auch erklären, warum es weltweit derartige Unterschiede im Lohnniveau gibt. Betrachten wir Tabelle 13-1, in der für acht Staaten die Durchschnittslöhne samt Sozialleistungen in der industriellen Produktion ausgewiesen werden. Diese Löhne sind in den USA neunmal so hoch wie in Mexiko, in Japan 2,5-mal so hoch wie in Südkorea und in Deutschland 50-mal höher als in Sri Lanka.
Land
Teil 3
Löhne und Sozialleistungen in der verarbeitenden Industrie, 2001 (US-$ pro Stunde)
Deutschland
23,84
USA
20,32
Japan
19,59
Italien
13,76
Großbritannien
16,14
Südkorea
8,09
Mexiko
2,34
Sri Lanka
0,48
Tabelle 13-1: Das allgemeine Lohnniveau variiert von Land zu Land enorm Die westeuropäischen Länder, Japan und die Vereinigten Staaten sind Hochlohnländer, während der Stundenlohn in Sri Lanka nur einen winzigen Bruchteil des US-amerikanischen Niveaus erreicht. Das allgemeine Lohnniveau wird durch Angebot und Nachfrage gebildet, aber andere Faktoren wie Kapital, Ausbildungsstand, technologischer Fortschritt und gesellschaftliche Entwicklung wirken sich massiv auf die Angebots- und Nachfragekurve aus. Quelle: U.S. Bureau of Labor Statistics
Wie kommen derart gravierende Unterschiede zustande? Es sind nicht die Regierungen von Mexiko und Sri Lanka, die sich gegen Lohnerhöhungen sperren, obwohl die staatliche Politik schon einen gewissen Einfluss auf Mindestlöhne und andere Aspekte des Arbeitsmarktes hat. Nein, die Reallöhne variieren zwischen den verschiedenen Ländern vor allem deshalb, weil die Kräfte von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage ihre Wirkung entfalten. Betrachten wir etwa Abbildung 13-3. Nehmen wir an, Abbildung 13-3(a) bezieht sich auf die Situation in den USA, während Abbildung 13-3(b) die mexikanische Situation widerspiegelt. In Abbildung 13-3(a) wird das US-Arbeitsangebot durch die Angebotskurve SUSSUS dargestellt, während die Arbeitsnachfrage durch DUSDUS wiedergegeben ist. Der Gleichgewichtslohn stellt sich auf einem Niveau von EUS ein. Läge der Lohn unter EUS, käme es zu einer Knappheit an Arbeitskräf-
355
Kapitel 13 Der Arbeitsmarkt
ten, und die Arbeitgeber würden durch Anhebung der Löhne auf EUS das Gleichgewicht wiederherstellen. Ähnliche Kräfte bestimmen auch EM, das mexikanische Lohnniveau. Wir erkennen, dass das mexikanische Lohnniveau vor allem deshalb unter jenem der USA liegt, weil die mexikanische Nachfragekurve nach Arbeit aufgrund der geringen Grenzproduktivität in Mexiko weitaus tiefer liegt. Der wichtigste dafür ausschlaggebende Faktor ist die Qualität der Arbeitskräfte. Das durchschnittliche Ausbildungsniveau in Mexiko liegt weit unter jenem der USA, und ein gar nicht so kleiner Prozentsatz der Bevölkerung kann nach wie vor nicht lesen und schreiben. Verglichen mit den USA verfügt ein Land wie Mexiko über sehr viel weniger Kapital, mit dem sich arbeiten lässt. Viele der Straßen Mexikos sind staubige Pisten, es gibt nur wenige Computer und Faxge-
räte, und ein Großteil der maschinellen Ausstattung ist alt und befindet sich in einem schlechten Zustand. Alle diese Faktoren senken die Grenzproduktivität der Arbeit und drücken auf die Löhne. Diese Analyse kann auch eine Erklärung dafür liefern, warum die Löhne in einzelnen Regionen Ostasiens wie Hongkong, Südkorea und Taiwan so rapide gestiegen sind. Diese Länder stecken einen erklecklichen Teil ihrer Produktionsleistung in die Ausbildung der Bevölkerung, sie investieren in neue Kapitalgüter und importieren die neuesten und produktivsten Technologien. So konnten sich die Reallöhne in den letzten 20 Jahren in diesen Regionen Asiens verdoppeln, während die Löhne in relativ isolierten Staaten, die wenig in Bildung, Gesundheit und Anlagekapital investieren, weitgehend stagnieren. (b) Mexiko
(a) USA WUS
DUS SUS
WM
Reallöhne (US-$ pro Stunde)
Reallöhne (US-$ pro Stunde)
EUS
DUS
SUS
SM DM
EM Arbeitsmenge
LUS
DM
SM Arbeitsmenge
LM
Abbildung 13-3: Die hohen US-Löhne beruhen auf einer günstigen Ressourcensituation, hohem Ausbildungsstand der Arbeitskräfte, professionellem Management, Kapitalausstattung und technologischem Fortschritt Angebot und Nachfrage führen in den USA zu einem höheren Wettbewerbslohn als in Mexiko. Die für die hohen US-Löhne ausschlaggebenden Faktoren sind die besser ausgebildeten und produktiveren Arbeitskräfte, der höhere Kapitaleinsatz je Arbeitskraft sowie die modernen Technologien.
356
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Das Arbeitsangebot
W
S
Bestimmende Faktoren für das Arbeitsangebot
C Lohnhöhe
Bisher haben wir uns auf die Nachfrageseite des Arbeitsmarktes konzentriert. Nun wenden wir uns der Angebotsseite zu. Das Arbeitsangebot entspricht der Arbeitszeit, die die Bevölkerung mit verschiedenen Erwerbstätigkeiten zubringen möchte. Die drei wesentlichen Einflussfaktoren auf das Arbeitsangebot sind Arbeitszeit, Erwerbsquote und Zuwanderung.
S L
0
Arbeitszeiten. Obwohl in manchen Bereichen eine flexible Arbeitszeit möglich ist, arbeiten die meisten US-Amerikaner ohne großen Flexibilitätsspielraum zwischen 35 und 40 Stunden wöchentlich. Trotzdem können die meisten sehr wohl auf die Zahl ihrer Lebensarbeitsstunden Einfluss nehmen. So senkt etwa die Entscheidung, eine Universität zu besuchen, frühzeitig in Pension zu gehen oder eine Teilzeitarbeit anzunehmen zumeist die Lebensarbeitszeit der Betroffenen. Andererseits kann der Entschluss, Überstunden zu machen oder noch einen zweiten Job anzunehmen, die in Stunden ausgedrückte Lebensarbeitszeit deutlich erhöhen. Nehmen wir nun an, die Löhne steigen. Führt diese Entwicklung zu einer Erhöhung oder zu einem Rückgang der Lebensarbeitszeit? Zur Beantwortung dieser Frage betrachten wir die Arbeitsangebotskurve in Abbildung 13-4. Beachten Sie bitte, wie sie zuerst nach rechts oben ansteigt. Dann, am kritischen Punkt C, vollzieht sie eine Wende und neigt sich rückwärts. Wie lässt sich erklären, dass höhere Löhne das Arbeitsangebot erst in die Höhe schrauben und dann wieder senken? Versetzen Sie sich in die Lage eines Arbeiters, dem gerade ein höherer Stundenlohn angeboten wurde und der selbst entscheiden kann, wie lange er arbeiten möchte. In dieser Situation fühlt er sich hin- und hergerissen. Auf der einen Seite macht sich der Substitu-
Teil 3
Arbeitsmenge
Abbildung 13-4: Mit steigendem Lohn arbeiten manche Arbeitnehmer weniger Oberhalb des kritischen Punktes C verringern Lohnsteigerungen die angebotene Arbeitsmenge, weil der Einkommenseffekt gegenüber dem Substitutionseffekt überwiegt. Dies ist der Fall, da sich die Arbeitnehmer bei höheren Löhnen mehr Freizeit leisten können, obwohl jede zusätzliche Freizeitstunde immer mehr an Lohnverzicht kostet.
tionseffekt bemerkbar. (Die Wirkung des Substitutionseffekts haben wir bereits in Kapitel 5 erläutert: Die Konsumenten tendieren dazu, mehr von einem billigeren Ersatz- oder Substitutionsgut und weniger von einem anderen, verteuerten Gut zu kaufen.) Da nun jede Arbeitsstunde besser bezahlt wird, ist auch jede Stunde Freizeit teurer geworden. Es entsteht somit ein Anreiz, Freizeit durch zusätzliche Arbeit zu ersetzen. Dem Substitutionseffekt entgegen wirkt jedoch der Einkommenseffekt: Je höher der Stundenlohn, desto höher auch das Gesamteinkommen. Ein höheres Einkommen weckt den Wunsch, mehr Güter und Dienstleistungen zu kaufen, und löst ein Bedürfnis nach mehr Freizeit aus. Mit höheren Löhnen kann man länger Urlaub machen oder früher in Pension gehen, als das bei niedrigen Löhnen der Fall wäre. Doch welcher Effekt, der Substitutionsoder der Einkommenseffekt, behält schließ-
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Kapitel 13 Der Arbeitsmarkt
lich die Oberhand? Darauf gibt es keine eindeutige Antwort – jeder Mensch entscheidet hier anders. In unserem Fall aus Abbildung 13-4 erhöht ein Lohnanstieg das Arbeitsangebot bis zum Punkt C. Der Substitutionseffekt ist daher stärker als der Einkommenseffekt. Ab Punkt C überwiegt aber offensichtlich der Einkommenseffekt, und das Arbeitsangebot nimmt mit weiterhin steigenden Löhnen wieder ab. Erwerbsquote. Zu den besonders dramatischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte gehört die enorm gestiegene Erwerbstätigkeit von Frauen. Die Erwerbsquote der Frauen (also der Anteil der Frauen über 15 Jahren, die entweder arbeiten oder aktiv eine Arbeit suchen) ist von 34 im Jahre 1950 auf heute 60 Prozent angewachsen. Diese Entwicklung ist sicherlich teilweise auf die steigenden Reallöhne zurückzuführen, die eine Erwerbstätigkeit für Frauen attraktiver gemacht haben. Trotzdem lässt sich eine Veränderung dieser Größenordnung nicht allein durch volkswirtschaftliche Faktoren erklären. Um eine so tiefgreifende Verschiebung der Arbeitsmuster erklären zu können, muss man über die wirtschaftlichen Aspekte hinaus auch soziale Prozesse, die zu einer neuen Einstellung gegenüber der Rolle der Frauen als Mütter, Hausfrauen und Arbeitskräfte geführt haben, berücksichtigen. Zuwanderung. In den USA spielt die Immigration von Arbeitskräften seit jeher eine bedeutende Rolle. Während 1970 nur 5 Prozent der US-Bevölkerung im Ausland geboren waren, verdoppelte sich diese Zahl bis 2000 auf 10 Prozent. Der Einwandererzustrom wird durch ein kompliziertes Quotensystem geregelt, das gut ausgebildete Arbeitskräfte und ihre Familien, aber auch enge Verwandte amerikanischer Staatsbürger und Menschen mit einer permanenten Aufenthaltsgenehmigung bevorzugt. Zusätzlich gibt es spezielle Quoten für politische Flüchtlinge. In den letzten Jahren kamen die größten Gruppen legaler Ein-
wanderer aus Ländern wie Mexiko, China, der früheren Sowjetunion, Korea, den Philippinen, Vietnam und aus einigen der mittelamerikanischen und karibischen Länder. Der wichtigste Wandel der letzten Jahrzehnte hinsichtlich der Zuwanderung betrifft die Immigranten selbst. In den 1950er Jahren kamen die meisten neuen US-Bürger aus Deutschland und Kanada, die in den 1980er und 1990er Jahren von Mexiko und den Philippinen als wichtigste Herkunftsländer abgelöst wurden. Die zuletzt eingewanderten Gruppen sind daher schlechter ausgebildet als frühere Generationen. Aus der Perspektive des Arbeitsangebotes ist durch die jüngsten Immigrationswellen ein Überangebot ungeschulter gegenüber gut ausgebildeten Arbeitskräften in den USA entstanden. Studien zufolge hat diese angebotsseitige Veränderung zu einem Rückgang der Löhne schlecht ausgebildeter Arbeitskräfte gegenüber College-Absolventen geführt.
Empirische Feststellungen Aus der Theorie lässt sich nicht ableiten, ob das Arbeitsangebot einer bestimmten Gruppe auf Lohnänderungen positiv oder negativ reagieren wird. Bringt eine höhere Besteuerung der oberen Einkommensklassen, die sich als Senkung des Nettoeinkommens auswirkt, die Leute dazu, ein bisschen weniger zu arbeiten? Erhöht oder senkt die Subventionierung der Löhne ärmerer Bevölkerungsgruppen deren Angebot an Arbeitsstunden? Diesen wichtigen Fragen müssen sich Politiker und Gesetzgeber stellen, wenn sie sich Gedanken über Verteilungsgerechtigkeit und Effizienz machen. Allerdings ist es zu ihrer Beantwortung zumeist erforderlich, den genauen Verlauf, das heißt die Elastizität der Arbeitsangebotskurve zu kennen. Tabelle 13-2 fasst verschiedene Untersuchungen zu diesem Thema zusammen. Sie zeigt, dass die Kurve des Arbeitsangebotes männlicher Erwachsener ein wenig rückwärts geneigt ist, während die Reaktionen
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Teil 3
Muster des Arbeitsangebotes Erwerbsquote der US-Bevölkerung (in %) Gruppe
1960
2002
Reaktionen des Arbeitsangebotes auf Reallohnerhöhungen
Männliche Erwachsene
86
77
Die meisten Studien ergeben eine rückwärts geneigte Angebotskurve. Der Einkommenseffekt überwiegt also gegenüber dem Substitutionseffekt. Die Angebotselastizität ist relativ gering, etwa in der Größenordnung von –0,1 bis –0,2; das bedeutet, dass ein Reallohnanstieg zu einem Rückgang des Arbeitsangebotes um 1–2 Prozent führt.
Weibliche Erwachsene
36
60
Die meisten Studien zeigen eine positive Reaktion des Arbeitsangebotes auf höhere Reallöhne.
Jugendliche
48
48
Hier schwankt die Reaktion sehr stark.
Gesamtbevölkerung ab 16 Jahren
59
67
Die Elastizität des gesamten Arbeitsangebotes liegt nahe null, wobei der Einkommenseffekt den Substitutionseffekt gerade ausgleicht. Die geschätzte Angebotselastizität des Arbeitsangebots, bezogen auf die Gesamtbevölkerung, liegt zwischen 0 und 0,2.
Tabelle 13-2: Empirische Schätzungen zur Reaktion des Arbeitsangebotes auf die Reallöhne Ökonomen haben sich eingehend mit der Reaktion des Arbeitsangebotes auf die Reallöhne beschäftigt. Bei Männern erscheint die Angebotskurve deutlich rückwärts geneigt (d.h., die Elastizität ist negativ), während Teenager und erwachsene Frauen im Allgemeinen auf höhere Löhne positiv reagieren. Für die Gesamtwirtschaft verläuft die Arbeitsangebotskurve beinahe vollständig unelastisch oder vertikal. Datenquelle: US-Arbeitsministerium, Employment and Earnings, März 2003.
der anderen demografischen Gruppen eher einer konventionellen, aufwärts verlaufenden Angebotskurve entsprechen. Was die Gesamtbevölkerung betrifft, scheint das Arbeitsangebot nur sehr schwach auf Reallohnänderungen zu reagieren.
Lohnunterschiede So wichtig die Analyse des allgemeinen Lohnniveaus für den Vergleich verschiedener Länder und Perioden ist, interessieren wir uns doch auch für die vorhandenen Lohnunterschiede. In der Praxis differieren die Löhne enorm. Ein Durchschnittslohn lässt sich ebenso wenig ermitteln wie eine Durchschnittsperson. So kann ein Manager in der Autoindustrie US-$ 40 Millionen pro Jahr
verdienen, während zugleich ein Büroangestellter mit US-$ 15.000 und ein landwirtschaftlicher Arbeiter mit US-$ 12.000 nach Hause geht. Ein Arztgehalt macht bisweilen das 15- oder 20-fache eines Bademeisterlohns aus, obwohl doch beide Leben retten. In derselben Fabrik erhält ein Facharbeiter vielleicht US-$ 500 pro Woche, der Hilfsarbeiter oder Portier aber nur US-$ 200. Frauen erhalten einen Wochenlohn von US-$ 400, während ein gleich qualifizierter Mann in derselben Position US-$ 500 bekommt. Dazu kommen massive Lohnunterschiede zwischen den verschiedenen Branchen. Tabelle 13-3 zeigt die tendenziell niedrigeren Löhne in kleineren, gewerkschaftlich nicht organisierten Branchen wie Landwirtschaft, Einzelhandel oder privaten Haushalten, während größere Produktionsbetriebe das
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Kapitel 13 Der Arbeitsmarkt
Entlohnung nach Branchen Branche
Durchschnittslohn eines Vollzeitbeschäftigten, 2001* (in US-$/Jahr)
Alle
39.667
Landwirtschaft
24.657
Bergbau
60.871
Verarbeitende Industrie
45.580
Einzelhandel
23.009
Finanzen, Versicherungen und Immobilien
63.738
Börsenmakler an Aktien- und Rohstoffbörsen
161.879
Dienstleistungen
37.647
Private Haushalte
14.975
Öffentlicher Dienst
41.700
* Gesamtlohn je Vollzeitbeschäftigten-Äquivalent.
Tabelle 13-3: Die Einkommenshöhe ist branchenabhängig Die durchschnittlichen Jahreslöhne und Gehälter schwanken in den großen Wirtschaftssektoren zwischen maximal US-$ 60.871 im Bergbau und US-$ 24.657 im Niedriglohnbereich Landwirtschaft. In den kleineren Branchen sind enorme Unterschiede zwischen den Stundenlöhnen etwa von Wertpapieranalysten und Haushaltshilfen festzustellen. Quelle: U.S. Bureau of Economic Analysis, im Internet unter www.bea.gov; Tabelle 6.6C der vollständigen NIPA-Tabellen.
Doppelte bezahlen. Und auch innerhalb von Wirtschaftssektoren sind je nach Ausbildung der Arbeitskräfte und Marktbedingungen große Unterschiede zu beobachten – in einer Imbissbude verdient man deutlich weniger als in einer Arztpraxis, obwohl hier wie dort Dienstleistungen erbracht werden. Wie lassen sich diese großen Lohnunterschiede erklären? Betrachten wir zuerst einen vollkommenen Arbeitsmarkt mit einer großen Anzahl von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, von denen niemand die Macht hat, das
Lohnniveau spürbar zu beeinflussen2 Wenn auf einem vollkommenen Arbeitsmarkt alle Jobs und alle Mitspieler gleich sind, führt der Wettbewerb dazu, dass auch alle Stundenlöhne exakt gleich hoch sind. Kein Arbeitgeber würde einem Mitarbeiter mehr bezahlen als seinem gleichwertigen Kollegen oder einem anderen, der dieselben Fähigkeiten besitzt. Das bedeutet, dass wir zur Erklärung der enormen Lohndifferenzen quer durch die Wirtschaftszweige und von Person zu Person entweder auf Unterschiede zwischen den Jobs, auf Unterschiede zwischen den Arbeitnehmern oder auf Wettbewerbsmängel auf dem Arbeitsmarkt zu achten haben.
Unterschiede zwischen Jobs: Kompensatorische Lohnunterschiede Manche der enormen Lohnunterschiede, die wir im täglichen Leben beobachten, ergeben sich aus der unterschiedlich empfundenen Jobqualität. Jobs unterscheiden sich in ihrer Attraktivität, und so müssen die Löhne in manchen weniger attraktiven Bereichen eben angehoben werden, um Arbeitskräfte anzuziehen und zu halten. Unterschiede in der Entlohnung, die dazu dienen, die jeweilige Attraktivität oder nichtmonetäre Unterschiede zwischen verschiedenen Jobs auszugleichen, werden als kompensatorische Lohnunterschiede (oder kompensatorisches Lohndifferenzial) bezeichnet. Fensterwäscher müssen besser bezahlt werden als Portiere, weil das Klettern auf Wolkenkratzern ein Risiko in sich birgt. Häufig erhalten Arbeitnehmer für die Spätschicht von 16 Uhr bis 24 Uhr einen Aufschlag von 5 Prozent und für die Nachtschicht von 24 Uhr bis 8 Uhr sogar einen Aufschlag von 10 2 In der Realität weisen wenige Arbeitsmärkte vollständige Wettbewerbsbedingungen auf; einige (etwa der Markt für Hilfsarbeiter oder unausgebildete Bürokräfte) nähern sich dem Wettbewerbskonzept aber doch weitgehend an.
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Prozent. Für Überstunden über eine Arbeitszeit von 40 Stunden hinaus oder für Arbeit im Urlaub und am Wochenende wird zumeist das Eineinhalbfache oder Doppelte des Grundlohns bezahlt. Jobs, die harte körperliche Arbeit, Eintönigkeit, ein geringes gesellschaftliches Prestige, unregelmäßige Arbeitszeiten, saisonale Lücken oder Gesundheitsrisiken mit sich bringen, sind zumeist weniger attraktiv. Es sollte uns daher nicht verwunden, wenn ein Unternehmen einer Arbeitskraft jährlich US-$ 50.000 bis 80.000 bezahlen muss, um sie dazu zu bewegen, die gefährliche und einsame Arbeit auf den Ölplattformen im nördlichen Alaska auf sich zu nehmen. Dagegen sind die Löhne in Berufen, die als besonders angenehm oder seelisch befriedigend empfunden werden, wie etwa die Arbeit eines Parkwächters oder eines Badewärters, zumeist entsprechend bescheiden. Um zu testen, ob ein bestehender Lohnunterschied zwischen zwei Jobs einen kompensatorischen Lohnunterschied darstellt, fragen Sie
Teil 3
jemanden, der prinzipiell für beide Arbeiten geeignet wäre: „Würden Sie den besser bezahlten Job lieber als den schlechter bezahlten annehmen?“ Wenn dem oder der Betreffenden der besser bezahlte Job nicht sonderlich attraktiv erscheint, handelt es sich wahrscheinlich um einen kompensatorischen Lohnunterschied aufgrund nicht finanziell zu begründender Unterschiede zwischen den Jobs.
Unterschiede zwischen Menschen: Arbeitsqualität Wir haben bereits gesehen, dass manche Lohnunterschiede dazu dienen, die mangelnde Attraktivität bestimmter Arbeiten zu kompensieren. Doch sehen Sie sich einmal um: Müllmänner verdienen viel weniger als Rechtsanwälte; dabei hat die Juristerei doch sicherlich ein höheres Prestige, und auch die Arbeitsbedingungen erscheinen für den Anwalt angenehmer. Wir könnten unzählige
20 Durchchschnittlicher Stundenlohn von Männern, 1989 (in US-$)
College-Absolventen
College-Teilausbildung
15
High-School-Absolventen
High-School-Abbrecher 10
5
0
10
20 30 Berufserfahrung in Jahren
40
Abbildung 13-5: Einkommensvorsprung durch Ausbildung und Berufserfahrung Die Einkommensprofile männlicher Arbeitnehmer zeigen, dass deren Einkünfte sowohl mit besser Ausbildung als auch mit längerer Berufserfahrung steigen. Nach: Kevin M. Murphy und Finis Welch, „The Structure of Wages“, Quarterly Journal of Economics, Februar 1992
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Kapitel 13 Der Arbeitsmarkt
Lohnverhältnis Akademiker – High-School-Absolventen/-Abbrecher
3,0
Akademiker gegenüber High-School-Abbrecher
2,5
2,0
Akademiker gegenüber High-School-Absolventen 1,5
1,0
1979
1981
1983
1985
1987
1989 Jahr
1991
1993
1995
1997
1999
Abbildung 13-6: Die relativen Einkommensvorteile für College-Absolventen sind enorm In den letzten 20 Jahren haben sich die Einkommensprofile drastisch verändert. Mit steigenden Anforderungen weisen die Einkommen von College-Absolventen gegenüber jenen ihren Kollegen mit reiner High-School-Ausbildung, vor allem bei jugendlichen Arbeitnehmern, einen drastischen Vorsprung auf. Quelle: Economic Report of the President, 2000. Die Daten beziehen sich auf ganzjährig tätige männliche Vollzeitarbeitskräfte.
Beispiele dafür anführen, dass manche Jobs nicht nur besser bezahlt, sondern auch angenehmer sind als andere. Das bedeutet, dass wir zusätzlich zum kompensatorischen Lohndifferenzial noch weitere Faktoren heranziehen müssen, um die großen Lohnunterschiede zu verstehen. Ein Schlüssel zur Erklärung von Lohnunterschieden liegt in den enormen qualitativen Unterschieden zwischen den Arbeitskräften, die auf verschiedene angeborene geistige und körperliche Fähigkeiten, auf Erziehung, Schul- und Berufsausbildung sowie auf unterschiedliche Berufserfahrung zurückzuführen sind. Ein Biologe würde uns vielleicht alle unter die Spezies Homo sapiens einordnen, während ein Personalberater sicherlich darauf pochen würde, dass sich Menschen in ihrer Fähigkeit, zum Unternehmensergebnis beizutragen, enorm unterscheiden.
Zwar sind viele Unterschiede in der Arbeitsqualität nicht rein ökonomisch bedingt, aber die Entscheidung, Humankapital zu akkumulieren, lässt sich durchaus ökonomisch bewerten. Der Begriff „Humankapital“ bezieht sich auf den Bestand nützlicher und wertvoller Kenntnisse, die von Leuten während ihrer Schul- und Ausbildungszeit akkumuliert werden. Ärzte, Anwälte und Ingenieure investieren viele Jahre in ihre Ausbildung und berufliche Fortbildung. Sie wenden große Beträge für ihre Unterrichtsgebühren auf und nehmen einen Verdienstverzicht in Kauf, investieren US-$ 100.000–200.000 in ihre universitäre und nachuniversitäre Ausbildung und arbeiten häufig länger als acht Stunden täglich. Ein Teil der hohen Gehälter dieser ausgebildeten Fachkräfte ist als Rendite ihrer Humankapitalinvestition zu betrachten, eine Ausbildungsrendite, die hoch gebildeten Arbeitskräften eine Sonderstellung verschafft.
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Volkswirtschaftliche Studien über die Beziehung zwischen Einkommen und Ausbildung zeigen, dass Humankapital im Durchschnitt betrachtet eine gute Investitionsform darstellt. Abbildung 13-5 zeigt die Einkommensprofile verschiedener Gruppen als Funktion ihrer Ausbildung und Berufserfahrung. Gruppen mit besserer Ausbildung beginnen mit höheren Einkommen und dürfen auch rascher Einkommenssteigerungen erwarten als schlechter Ausgebildete. Abbildung 13-6 zeigt das Verhältnis zwischen den Stundenlöhnen von Akademikern und jenen von Abiturienten. In den 1980er Jahren stiegen mit dem „Preis für Fachkenntnisse“ die relativen Einkünfte der Akademiker stark an. Studien von Arbeitsökonomen haben gezeigt, dass Personen mit besserem Zahlenverständnis oder guten Computerkenntnissen auf dem heutigen Arbeitsmarkt einen Wettbewerbsvorteil genießen. Lohnen sich Investitionen in „Humankapital“? Manche Studenten werden sich vielleicht wundern zu hören, dass jeder am College zugebrachte Tag eine Humankapitalinvestition darstellt. Ein Hochschulstudent in den Vereinigten Staaten bezahlt für seine Ausbildung vielleicht US-$ 10.000 an jährlichen Studiengebühren und US-$ 15.000 an Opportunitätskosten wegen des entgangenen Verdienstes. Das entspricht, über vier Jahre gerechnet, einer Investition von immerhin US-$ 120.000, vergleichbar einem Kauf von Anleihen oder der Spekulation mit Internet-Aktien. Zahlt sich das College aber auch aus? Die Praxis beweist es: Ja, eine universitäre Ausbildung macht sich bezahlt. Im Jahr 1999 betrug der Durchschnittsjahreslohn eines dreißigjährigen männlichen HighSchool-Absolventen bei Vollzeitbeschäftigung US-$ 35.000. Eine vergleichbare Person mit einem einfachen College-Abschluss brachte es auf US-$ 68.000. Dazu kommt, dass die Gehaltsvorteile durch eine universitäre Ausbildung in den letzten
Teil 3
20 Jahren noch drastisch zugenommen haben. Während im Jahr 1979 ein CollegeAbgänger 25 Prozent mehr als ein HighSchool-Absolvent mit vergleichbarer sozialer Herkunft verdiente, hat sich dieser Vorsprung zwei Jahrzehnte später auf 55 Prozent ausgeweitet (siehe Abbildung 13-6). Immer öfter verarbeiten die Unternehmen der modernen Dienstleistungsgesellschaft Informationen statt Rohstoffe. In der Informationsgesellschaft stellen die an der Universität oder im College erworbenen Fähigkeiten eine Vorbedingung für einen gut bezahlten Job dar. Jugendliche, die schon die High-School-Ausbildung abgebrochen haben, müssen mit gravierenden Nachteilen im Berufsleben rechnen. Selbst wenn man für seine Ausbildung ein Darlehen aufnehmen, jahrelang auf eine einträgliche Berufstätigkeit verzichten, weit weg von zu Hause leben und für Verpflegung und Bücher selbst aufkommen muss, kann das Lebenseinkommen in einem Beruf, den nur ein Akademiker ausüben kann, wahrscheinlich all diese Nachteile aufwiegen. Neuere Daten belegen, dass ein männlicher Akademiker von seinem 18. bis zu seinem 65. Geburtstag im Durchschnitt ein Gesamteinkommen von US-$ 2,5 Millionen (auf dem Preis- und Einkommensniveau von 2003) erzielt, während es ein High-School-Absolvent in derselben Zeit auf nur rund US-$ 1,3 Millionen bringt. High-School-Abbrecher liegen mit US-$ 0,8 Millionen noch einmal weit darunter. Häufig wird auch auf die Rolle des Glücks als bestimmender Faktor für wirtschaftliche Lebensumstände hingewiesen. Aber wie schon Louis Pasteur sagte, „winkt das Glück dem Tüchtigen“. In einer Welt des raschen technologischen Wandels bereitet die Ausbildung Menschen darauf vor, sich auf neue Situationen einstellen und sie als Chance zu nutzen.
363
Kapitel 13 Der Arbeitsmarkt
Unterschiede zwischen Menschen: Der Lohn für einzigartige Begabungen Einige wenige Glückliche unter uns verdanken ihr astronomisch hohes Gehalt ihrer Berühmtheit. Software-Guru Bill Gates, Investment-Experte Warren Buffett, BasketballStar Shaquille O’Neal und sogar Ökonomen, die große Unternehmen beraten, erhalten für ihre Dienste eine außerordentlich hohe Bezahlung. Diese Menschen verfügen über eine spezielle Begabung, die im heutigen Wirtschaftsleben offensichtlich geschätzt wird. Außerhalb ihres Fachgebietes würden sie wahrscheinlich nur einen winzigen Bruchteil ihres Einkommens erzielen. Außerdem wird ihr Arbeitsangebot auf eine Lohnerhöhung oder Lohnsenkung von 20 oder sogar 50 Prozent kaum spürbar reagieren. Ökonomen bezeichnen jenen Teil des Lohnes, der über die beste Alternativbeschäftigung hinaus bezahlt wird, als reine volkswirtschaftliche Rente; diese zusätzlichen Einkünfte bilden das logische Äquivalent zu den aus Grund und Boden erzielten Renten. Manche Ökonomen meinen, der technologische Fortschritt würde es heute in vielen Berufszweigen einigen wenigen Topleuten einfacher machen, einem größeren Teil des Marktes ihre Dienste anzubieten (denken Sie an unsere Erörterung der „Alles-odernichts“-Märkte in Kapitel 11), und sie könnten so auch ein größeres Stück vom Kuchen ergattern. Spitzen-Entertainer oder Sportler erreichen dank Fernsehen und elektronischer Aufzeichnung mit ihren Leistungen heute ein Publikum von Milliarden Menschen – das war vor einigen Jahren noch völlig unmöglich. Sollte der Trend anhalten und die Arbeitsrenten weiter steigen, könnte die Einkommensschere zwischen Siegern und Zweitplatzierten in den kommenden Jahren noch weiter aufgehen.
Segmentierte Märkte und nicht konkurrierende Gruppen Sogar in einem vollkommenen Wettbewerb, in dem sich die Menschen frei von einem Beruf zum nächsten bewegen könnten, käme es zu substanziellen Lohnunterschieden. Diese wären notwendig, um den unterschiedlichen Kosten der Schul- und Ausbildung oder der mehr oder minder großen Attraktivität bestimmter Tätigkeiten gerecht zu werden oder um einzigartige Talente angemessen zu entlohnen. Selbst nach Berücksichtigung all dieser Gründe für eine unterschiedliche Entlohnung bleibt jedoch eine große Lohndisparität bestehen. Der Hauptgrund für diesen Unterschied liegt in der Tatsache, dass die Arbeitsmärkte in untereinander nicht konkurrierende Gruppen zerfallen. Denkt man nur einen Augenblick nach, wird deutlich, dass Arbeit kein homogener Produktionsfaktor ist, sondern eigentlich aus vielen verschiedenen, wenn auch eng verwandten Produktionsfaktoren besteht. Ärzte und Mathematiker beispielsweise sind nicht konkurrierende Gruppen, weil es für Mitglieder jedes dieser Berufsstände schwierig und teuer wäre, in die andere Branche zu wechseln. Und ebenso wie es viele verschiedene Arten von Häusern mit unterschiedlichen Preisen gibt, bestehen auch zahlreiche verschiedene Berufe und Fähigkeiten nebeneinander, die nur in einem sehr allgemeinen Sinn miteinander konkurrieren. Wenn wir die Existenz der zahlreichen Teilmärkte des Arbeitsmarktes anerkennen, wird verständlich, warum es zwischen den verschiedenen Gruppen derart drastische Einkommensunterschiede geben kann. Warum gliedert sich der Arbeitsmarkt in so viele untereinander nicht konkurrierende Gruppen? Der Hauptgrund liegt darin, dass für Berufe, die eine spezielle Ausbildung erfordern, große zeitliche und finanzielle Investitionen nötig sind. Wenn die Jobs im Kohlebergbau aufgrund ökologischer Bedenken abnehmen, werden die Kumpels kaum
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
über Nacht umsatteln und Umweltökonomik unterrichten können. Sobald sich ein Mensch auf ein Gebiet spezialisiert, wird er Teil eines bestimmten Teilarbeitsmarktes. Er unterliegt damit der Angebots- und Nachfragefunktion für diesen Beruf und stellt fest, dass sein eigener Lohn mit der Situation in seinem Beruf und in seinem Wirtschaftszweig steigt oder fällt. Durch diese Segmentierung kann es zu großen Lohndiskrepanzen zwischen verschiedenen Berufen kommen. Die Berufswahl von Neuzuwanderern ist ein klassisches Beispiel für nicht konkurrierende Gruppen. Anstatt sich auf dem offenen Arbeitsmarkt zu bewerben, neigen Immigranten aus bestimmten Ländern zumeist dazu, jeweils in ganz bestimmte Berufe zu drängen. So befindet sich beispielsweise in vielen Städten wie Los Angeles und New York eine große Anzahl von Lebensmittelläden in der Hand von Koreanern. Schließlich können sich Koreaner jederzeit Rat und Hilfe bei Freunden und Verwandten holen, die ebenfalls Lebensmittelläden betreiben. Sobald die Einwanderer jedoch mehr Erfahrung und eine zusätzliche Ausbildung erwerben und sobald sie fließend Englisch sprechen, verbessern sich auch ihre Berufschancen, und sie gliedern sich in das allgemeine Arbeitsangebot ein.
Unsere Theorie von den nicht konkurrierenden Gruppen hilft uns aber auch, die auf dem Arbeitsmarkt herrschende Diskriminierung zu verstehen. Wir werden im nächsten Abschnitt sehen, dass ein Großteil der beruflichen Diskriminierung deshalb entsteht, weil aufgrund von Gewohnheiten, gesetzlichen Bestimmungen oder Vorurteilen Arbeitskräfte nach ihrem Geschlecht, ihrer Hautfarbe oder nach ihrem ethnischen Hintergrund in untereinander nicht konkurrierende Gruppen zerfallen. Obwohl die Theorie der nicht konkurrierenden Gruppen einen wichtigen Aspekt der Arbeitsmärkte zu beleuchten vermag, müssen wir erkennen, dass langfristig Marktzutritt und Marktausscheiden diese Unterschiede wieder verringern werden. Es ist sicher richtig, dass Bergleute aus den Kupferminen kaum Computerprogrammierer werden, selbst wenn Computer und Glasfaserkabel Wählscheiben und Kupferdrähte verdrängen. Und aus diesem Grund entstehen ja auch die beobachteten Lohnunterschiede zwischen den beiden Berufsgruppen. Doch langfristig, wenn sich schließlich mehr junge Leute für die Informatik als für den Kupferabbau entscheiden, verwischen durch den Wettbewerb diese Unterschiede zwischen den nicht konkurrierenden Gruppen teilweise wieder.
Zusammenfassung: Lohnbildung im Wettbewerb Arbeitssituation
Teil 3
Lohnsituation
1. Alle Menschen sind gleich – alle Jobs sind gleich
Keine Lohnunterschiede
2. Alle Menschen sind gleich – die Jobs aber unterschiedlich attraktiv
Kompensatorisches Lohndifferenzial
3. Die Menschen sind verschieden, aber das Arbeitsangebot bleibt in jeder Sparte gleich (nicht konkurrierende Gruppen)
Die Lohnunterschiede spiegeln Angebot und Nachfrage segmentierter Märkte wider
4. Die Menschen sind verschieden, aber zwischen den Gruppen herrscht ein gewisses Maß an Mobilität (teilweise konkurrierende Gruppen)
Allgemeines Gleichgewichtsmuster der Lohnunterschiede, das durch Gesamtnachfrage und -angebot gebildet wird (beinhaltet die Punkte 1 bis 3 als Sonderfälle)
Tabelle 13-4: Die Lohnstruktur auf dem Markt zeigt unter Wettbewerbsbedingungen eine große Bandbreite
Kapitel 13 Der Arbeitsmarkt
Tabelle 13-4 fasst die unterschiedlichen Kräfte zusammen, die für die Bildung der Lohnniveaus unter Wettbewerbsbedingungen verantwortlich sind.
B. Arbeitsmarkt: Probleme und politische Maßnahmen Bisher haben wir uns mit dem Arbeitsmarkt unter Wettbewerbsbedingungen befasst. Tatsächlich aber verhindern Verzerrungen einen vollständigen Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt. Eine der Quellen des unvollständigen Wettbewerbs sind die Gewerkschaften. Sie repräsentieren einen erheblichen, wenn auch schrumpfenden Anteil der Arbeitnehmer. Eine zweite wichtige Facette des Arbeitsmarktes ist die Diskriminierung – ebenfalls weniger bedeutend als in früheren Jahrzehnten, aber immer noch ein Problem, das es zu bedenken gilt. Ein dritter Faktor mit Einfluss auf die Arbeitsmärkte sind staatliche Eingriffe. Durch die Festsetzung eines Mindestlohns (den wir in Kapitel 4 erörtert haben), durch die Förderung oder Behinderung von Gewerkschaften oder durch das Verbot jeder Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt kann der Staat sehr wirkungsvoll Einfluss auf den Arbeitsmarkt nehmen.
Geschichte und Praxis der Gewerkschaften Sechzehn Millionen US-Amerikaner oder 13 Prozent der Erwerbsbevölkerung waren im Jahr 2002 gewerkschaftlich organisiert. Ohne Zweifel verfügen Gewerkschaften über Marktmacht, und bisweilen fungieren sie auch als monopolistische Anbieter von Arbeit. Die Gewerkschaften verhandeln die Tarifverträge, in denen zumeist geregelt wird,
365 wer bestimmte Arbeiten übernehmen darf, wie diese zu entlohnen sind und welche Regeln jeweils dafür gelten. Außerdem sprechen die Gewerkschaften in ihren Kollektivvertragsverhandlungen Themen an, die für alle Arbeitnehmer von Bedeutung sind, darunter beispielsweise Pensionsregelungen, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Arbeitszeitregelungen. Gewerkschaften können zudem den Beschluss fassen, einen Streik auszurufen, also ihr Arbeitsangebot den Unternehmen vollständig zu entziehen, um ihren Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite Nachdruck zu verleihen. Eine gewisse Kenntnis der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften ist einfach unumgänglich, will man die Dynamik des US-amerikanischen Arbeitsmarktes verstehen. Wo liegt der Ursprung der amerikanischen Arbeiterbewegung? Im Jahre 1881 nahm die heutige Arbeitnehmerbewegung mit der Gründung der American Federation of Labor (AFL) erstmals Gestalt an. Beinahe ein halbes Jahrhundert lang, bis zu seinem Tod im Jahr 1924, beherrschte Samuel Gompers diese Organisation und verlieh der Bewegung ihre charakteristische Struktur. Gompers’ Strategie war einfach: Da er überzeugt war, dass keine dem Kapitalismus feindlich gesinnte Bewegung auf amerikanischem Boden Erfolg haben würde, bestand er auf dem so genannten Business- oder Bread and Butter-Unionism, einer rein ökonomisch orientierten Gewerkschaftsarbeit. Diese beschäftigte sich hauptsächlich damit, die wirtschaftliche Situation der US-Arbeitnehmer zu verbessern, indem sie um höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, längeren Urlaub, bessere Arbeitsbedingungen und verbesserte Sozialleistungen kämpfte. Die amerikanischen Gewerkschaften taten damit genau das Gegenteil dessen, was die Arbeiterbewegungen in vielen europäischen Ländern anstrebten, die bisweilen die großen politischen Parteien beherrschten und einen erbitterten Klassenkampf führten, um die Regierungsform ihres Landes zu ändern oder dem Sozialismus zum Durchbruch zu verhelfen.
366
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Zu Beginn gliederte sich die Arbeiterbewegung in Fachgewerkschaften, denen die Arbeiter nach ihren speziellen Fertigkeiten, beispielsweise Tischlerei oder Maurerarbeit, zugehörten. Durch diese Strategie wurde die Organisation riesiger Wirtschaftszweige mit Massenproduktion in einer einzigen Gewerkschaft verhindert. In den dreißiger Jahren begannen kluge Gewerkschaftsvertreter dann die Zeichen der Zeit zu erkennen: Industriegewerkschaften (in denen ein ganzer Wirtschaftszweig, etwa Stahl oder Kohle, zusammengefasst ist) schienen das gewerkschaftliche Zukunftsbild zu prägen. Die Industriegewerkschaften erschienen erstmals im Jahr 1935 mit der Gründung des Congress of Industrial Organizations (CIO) auf der Bildfläche. Heute sind die einzelnen amerikanischen Gewerkschaften in der AFL-CIO, der größten nationalen Arbeitnehmerorganisation der Vereinigten Staaten, organisiert. Löhne und Sozialleistungen gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer werden in Tarifverträgen festgelegt. Dabei handelt es sich um das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern zum Zweck der Vereinbarung beidseitig vorteilhafter Arbeitsbedingungen. Kernstück eines Kollektivvertrages ist das Tarifpaket. Es legt die Höhe des Basislohns für verschiedene Jobkategorien sowie Richtlinien für Urlaube und Arbeitspausen fest. Außerdem enthält der Vertrag Bestimmungen über Sozialleistungen wie Pensionspläne, Krankenversicherung und Ähnliches. Ein zweiter wichtiger und häufig auch umstrittener Teil des Kollektivvertrages betrifft die Regelung der Arbeitsbedingungen. Er bezieht sich auf Arbeitsanweisungen und die Zuteilung von Aufgabenbereichen, die Arbeitssicherheit und die zulässige Arbeitsbelastung. Vor allem in rückläufigen Branchen sind die Personalerfordernisse ein wesentliches Thema, weil die Arbeitsnachfrage zurückgeht. So kam es beispielsweise bei den Eisenbahnen zu jahrzehntelangen Streitigkeiten darüber, wie viele Eisenbahner auf einem Zug mitzufahren hätten.
Teil 3
Die Verhandlung der Kollektivverträge ist eine schwierige Aufgabe, bei der es um Geben und Nehmen geht. Es werden große Anstrengungen zur Vereinbarung der tariflichen Aspekte, das heißt zur Verteilung des Kuchens zwischen Löhnen und Gewinnen unternommen. Manchmal geraten die Verhandlungen im Streit um die Befugnisse des Managements ins Stocken, beispielsweise über die Frage, ob es zulässig ist, einen Arbeitnehmer zu versetzen oder die vereinbarten Arbeitsbedingungen zu verändern. Letztendlich haben aber sowohl die Vertreter der Arbeitnehmer als auch jene der Arbeitgeber ein starkes Interesse an zufriedenen und leistungsfähigen Mitarbeitern.
Staat und Tarifverträge Die Geschichte der Gewerkschaften ruft uns in Erinnerung, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Organisation einer Wirtschaft von großer Bedeutung sind. Vor 200 Jahren, als es in Europa und Amerika erste Versuche einer Organisation der Arbeitnehmer gab, wurden Doktrinen des Common Law gegen eine „Konspiration zur Beschränkung des Handels“ im Kampf gegen die Gewerkschaft eingesetzt. Gewerkschaften und ihre Mitglieder wurden sogar noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein von den Gerichten verfolgt, mit Geldstrafen belegt, inhaftiert und durch einstweilige Verfügungen behindert. Der Oberste Gerichtshof hob immer wieder Gesetze, die die Arbeitsbedingungen für Frauen und Kinder verbessern sollten, aber auch andere Gesetze zur Reform von Arbeitszeiten und Löhnen auf. Erst als das Pendel in Richtung einer breiten Akzeptanz und Unterstützung von Gewerkschaften und der von ihnen ausgehandelten Kollektivverträge ausschlug, kam es zur explosiven Verbreitung der Gewerkschaften. Ein wesentlicher Meilenstein war dabei der Clayton Act (1914), der als die „Magna Charta der Arbeitnehmer“ gefeiert wurde und die Gewerkschaften vor der Verfolgung nach den Antitrust-Bestimmungen
Kapitel 13 Der Arbeitsmarkt
bewahren sollte. Der Fair Standards Act (1938) brachte ein Verbot der Kinderarbeit, schrieb einen fünfzigprozentigen Lohnaufschlag für Arbeitszeiten über 40 Wochenstunden hinaus vor und legte einen bundesweiten Mindestlohn für die meisten Berufsgruppen mit Ausnahme der Landwirtschaft fest. Am interessantesten erscheint jedoch der Wagner Act oder National Labor Relations Act aus 1935, der unter anderem besagt: „Arbeitnehmer haben das Recht ... Arbeitnehmerorganisationen ... beizutreten, gemeinsam zu verhandeln ... und gemeinsame Maßnahmen zu ergreifen.“ Im Zuge dieser arbeitnehmerfreundlichen Gesetzgebung bekamen die Gewerkschaften regen Zulauf, und ihre Mitgliederzahl stieg von unter 10 Prozent in den zwanziger Jahren bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges auf ein Viertel aller Arbeitnehmer an. Der Niedergang der amerikanischen Gewerkschaften setzte Anfang der 1970er Jahre ein. Im Wesentlichen hat die monopolistische Macht der Arbeitnehmervertretungen durch die Deregulierung zahlreicher Sektoren, aber auch durch den härteren internationalen Wettbewerb und die zunehmend gewerkschaftsfeindliche Haltung der Regierung Schaden genommen.
Wie Gewerkschaften Lohnerhöhungen durchsetzen Wie kann es den Gewerkschaften gelingen, Löhne und Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer zu verbessern? Eine Gewerkschaft erwirbt Marktmacht, indem ihr ein legales Monopol für die Bereitstellung von Arbeitsleistungen an ein bestimmtes Unternehmen oder eine bestimmte Branche eingeräumt wird. Mithilfe dieses Monopols zwingt sie die Unternehmen, Löhne, Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen zu gewähren, die über jenen im vollständigen Wettbewerb liegen. Nehmen wir beispielsweise an, dass nicht gewerkschaftlich organisierte Gas-Wasser-Installateure in Alabama US-$ 20 pro Stunde verdienen, so könnte eine Gewerk-
367 schaft mit einem großen Bauunternehmen einen Stundenlohn von US-$ 30 für die Installateure dieser Firma aushandeln. Ein solcher Vertrag ist jedoch für die Gewerkschaft nur dann von Wert, wenn es ihr gelingt zu verhindern, dass das Unternehmen Zugriff auf ein alternatives Arbeitsangebot erhält. Daher stimmen in einem typischen Kollektivvertrag die Unternehmen zu, nur gewerkschaftlich organisierte Installateure einzustellen, keine Installationsarbeiten an Drittfirmen und keine Unteraufträge an gewerkschaftlich nicht organisierte Unternehmen zu vergeben. Mit jeder dieser Bestimmungen wird der Erosion des gewerkschaftlichen Monopols auf das Installateurangebot für das betreffende Unternehmen entgegengewirkt. In manchen Bereichen, etwa in der Stahl- und Automobilbranche, versuchen die Gewerkschaften sogar, den gesamten Wirtschaftszweig gewerkschaftlich zu binden, sodass die organisierten Arbeitnehmer in Unternehmen A nicht mit den nicht organisierten Arbeitnehmern des Unternehmens B in Wettbewerb treten müssen. All dies ist nötig, um die höheren, durch die Gewerkschaft verhandelten Löhne durchsetzen zu können. Abbildung 13-7 zeigt die Auswirkungen der hohen Kollektivvertragslöhne, wenn die Gewerkschaft die Unternehmen zwingt, Löhne in jener Standardhöhe auszuzahlen, die durch die horizontale Linie rr dargestellt ist. Das Gleichgewicht liegt in E', wo rr die Nachfragekurve der Arbeitgeber schneidet. Bitte beachten Sie, dass die Gewerkschaft das Arbeitsangebot nicht unmittelbar verringert, wenn sie die hohen Kollektivvertragslöhne festlegt. Wie reagiert der Markt, wenn die Löhne über dem Markträumungsniveau liegen? Angesichts hoher Kollektivvertragslöhne wird die Arbeitnehmerzahl durch die Nachfrage des Unternehmens nach Arbeit begrenzt. Die Zahl der arbeitsuchenden Personen ist um das Segment E'F höher als die Nachfrage. Diese überschüssigen Arbeitskräfte können nun arbeitslos bleiben und auf freie Stellen im gut bezahlten, gewerkschaftlich organisierten Sektor warten, oder sie
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Lohnniveau
W
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
nistische Gesetzgebung unterstützen, um ausländische Güter fernzuhalten, welche nicht von Mitgliedern amerikanischer Gewerkschaften hergestellt werden; warum Quasi-Gewerkschaften wie Ärztekammern darum kämpfen, die Zulassung anderer Gruppen zu den medizinischen Diensten zu verhindern; und warum die Gewerkschaften sich manchmal gegen eine Deregulierung verwenden, etwa in Branchen wie dem Transportgewerbe, im Kommunikationsbereich und bei den Fluglinien.
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Teil 3
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Theoretisch offener Ausgang von Kollektivvertragsverhandlungen D
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L Arbeitsmenge
Abbildung 13-7: Die Gewerkschaften handeln hohe Standardlöhne aus und verringern die Arbeitsnachfrage Die Anhebung der Standardlöhne auf rr erhöht die Löhne und verringert den Beschäftigungsstand auf dem gewerkschaftlich kontrollierten Arbeitsmarkt. Wegen des Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage können Arbeiter zwischen E' und F auf diesem Markt keine Beschäftigung finden. Wenn die Gewerkschaften die Reallöhne für die gesamte Wirtschaft zu sehr nach oben treiben, fragen die Unternehmen nur E' nach, während die Arbeitskräfte F anbieten. So stellt der schwarze Pfeil von E' nach F die Höhe der klassischen Arbeitslosigkeit dar. Diese Ursache der Arbeitslosigkeit ist vor allem dann bedeutsam, wenn ein Land sein Preisniveau oder den Wechselkurs seiner Währung nicht beeinflussen kann, und ist zu unterscheiden von einer Arbeitslosigkeit, die durch eine unzureichende Gesamtnachfrage bedingt ist.
lassen sich entmutigen und suchen nach Jobs in anderen Sektoren. Die Arbeiter zwischen E' und F werden ebenso von möglichen Jobs ferngehalten, als hätte die Gewerkschaft den Zugang direkt beschränkt. Die Notwendigkeit, jeden nicht gewerkschaftlich organisierten Wettbewerb zu verhindern, erklärt auch viele der politischen Ziele der nationalen Arbeiterbewegung. Sie erklärt, warum die Gewerkschaften die Einwanderung beschränken wollen, warum sie eine protektio-
Bei den meisten Kollektivvertragsverhandlungen drängen die Arbeitnehmer auf höhere Löhne, während die Arbeitgeber natürlich eine Senkung der Lohnkosten im Auge haben. Diese Situation ist unter dem Begriff bilaterales Monopol bekannt: Es gibt nur einen Käufer und einen Verkäufer. Das Ergebnis eines bilateralen Monopols lässt sich anhand der volkswirtschaftlichen Kostenund Nachfragekonzepte allein nicht prognostizieren; es hängt ebenso von psychologischen, politischen und zahlreichen anderen, nicht greifbaren Faktoren ab.3
Auswirkungen auf Löhne und Beschäftigung Verfechter der Gewerkschaften reklamieren es als ihren Erfolg, dass durch die gewerkschaftliche Tätigkeit Löhne und Sozialleistungen der Arbeitnehmer angehoben wurden. Kritiker wiederum behaupten, das Ergebnis der steigenden Löhne seien nur eine höhere Arbeitslosigkeit, Inflation sowie eine
3 Situationen wie Tarifverhandlungen sind Gegenstand der Spieltheorie, die in Kapitel 11 behandelt wird. Der theoretisch nicht vorhersehbare Ausgang von Kollektivverhandlungen ergibt sich aus folgender Erkenntnis der Spieltheorie: Ein nicht kooperatives Spiel zweier Personen muss nicht unbedingt auf eine bestimmte Weise ausgehen. Wie im Fall von Kriegen oder Streiks hängt das Ergebnis von vielen Faktoren wie Verhandlungsgeschick, Prestige, der Fähigkeit zu bluffen und sogar der vermuteten Stärke des Verhandlungspartners ab.
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Kapitel 13 Der Arbeitsmarkt
verzerrte Ressourcenallokation. Wie aber sehen die Fakten aus?
Konnten die Gewerkschaften das Lohnniveau heben? Beginnen wir mit einer Betrachtung der Auswirkungen gewerkschaftlicher Arbeit auf die Löhne. Bei Berücksichtigung aller in privaten Industriebetrieben tätigen Arbeitnehmer zeigt sich, dass der Lohn der gewerkschaftlich Organisierten unter ihnen im Jahr 1995 um 38 Prozent über jenem der anderen Beschäftigten lag. Diese schlichte Zahl berücksichtigt jedoch nicht die Tatsache, dass sich Ausbildungsstand, Schulbildung und auch Branchenzuordnung der gewerkschaftlich vertretenen Arbeitnehmer von jenen der anderen, nicht gewerkschaftlich organisierten unterscheiden. Infolge dieser Analyse kamen Ökonomen zu dem Schluss, dass organisierte Arbeitnehmer um durchschnittlich 10–15 Prozent mehr verdienen als ihre nicht organisierten Kollegen. Die Unterschiede bewegen sich in einem Rahmen von fast null bei Hotelangestellten und Friseuren bis hin zu 25–30 Prozent, die gewerkschaftlich organisierte Baufacharbeiter und Kumpel im Kohlebergbau mehr verdienen als ihre Kollegen. Die Analyseergebnisse lassen darauf schließen, dass Gewerkschaften in ihren Lohnverhandlungen dort am erfolgreichsten sind, wo sie (wie beispielsweise in der Autoindustrie) das Arbeitsangebot monopolisieren und den Zutritt zum Arbeitsmarkt effektiv kontrollieren können. Und es gibt einige Hinweise darauf, dass der Einfluss der Gewerkschaften seit einigen Jahren im Schwinden begriffen ist. Gesamtauswirkungen. Nun, da wir gesehen haben, dass die Gewerkschaften höhere Löhne für ihre Mitglieder herausholen, könnten wir fragen, ob es ihnen nicht auch gelingt, das Reallohnniveau der Gesamtwirtschaft anzuheben. Die Mehrzahl der Ökonomen ist heute der Ansicht, dass Gewerkschaften keine Umverteilung der Einkommen vom Kapital
zur Arbeit erreichen, sondern dass die eigentliche Umverteilung von den gewerkschaftlich nicht organisierten Arbeitnehmern zu Gewerkschaftsmitgliedern hin erfolgt. Mit anderen Worten, wenn es den Gewerkschaften gelingt, die jeweiligen Löhne über das Wettbewerbsniveau zu heben, gehen diese Gewinne zu Lasten der Löhne nicht gewerkschaftlich organisierter Kollegen. Diese Annahme wird auch durch empirische Feststellungen untermauert, wonach sich jener Anteil am Volkseinkommen, der in die Arbeit fließt, während der letzten sechs Jahrzehnte nur geringfügig verändert hat. Berücksichtigt man die konjunkturzyklischen Einflüsse auf den Anteil der Arbeitseinkommen, lässt sich in den USA kein merklicher Einfluss der gewerkschaftlichen Tätigkeit auf die allgemeine Höhe der Reallöhne feststellen. Erfahrungen im gewerkschaftlich stark organisierten Europa legen den Schluss nahe, dass Gewerkschaften, so es ihnen gelingt, das allgemeine Lohnniveau anzuheben, manchmal eine inflationstreibende Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen, sodass auch hier kaum bleibende Auswirkungen auf die Reallöhne festzustellen sind.
Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation Wenn nun die Gewerkschaften das allgemeine Reallohnniveau nicht nachhaltig beeinflussen können, so schließen wir daraus, dass sie vor allem auf die relativen Löhne einwirken können. Dies bedeutet, dass die Löhne in gewerkschaftlich organisierten Branchen im Verhältnis zu jenen in nicht organisierten Bereichen ansteigen. Außerdem kommt es zu einer geringeren Beschäftigung in den organisierten und zu höheren Beschäftigungszahlen in den nicht organisierten Branchen. Wenn mächtige Gewerkschaften die Reallöhne auf ein künstlich höheres Niveau anheben, kommt es in der Folge zu einem Überangebot an Arbeitskräften, das als klassische Arbeitslosigkeit bezeichnet wird. Diese Situa-
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
tion ist in Abbildung 13-7 dargestellt. Nehmen wir an, die Gewerkschaften könnten die Löhne über das Markträumungsniveau E hinaus auf den höheren Reallohn rr steigern. Dann stellt, wenn Arbeitsangebot und -nachfrage im Allgemeinen unverändert bleiben, der Pfeil zwischen E' und F die Anzahl jener Arbeiter dar, die zu einem Lohn r arbeiten wollen, jedoch keine Arbeit finden. Als klassische Arbeitslosigkeit wird diese Situation deshalb bezeichnet, weil sie aus Löhnen resultiert, die über das Wettbewerbsniveau angehoben wurden. Ökonomen stellen im Allgemeinen die klassische Arbeitslosigkeit der konjunkturell bedingten Arbeitslosigkeit gegenüber, die als Keynesianische Arbeitslosigkeit bezeichnet wird und sich aus einer unzureichenden Gesamtnachfrage ergibt. Die Auswirkungen überhöhter Reallöhne konnten wir nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1990 beobachten. Die wirtschaftliche Zusammenführung der beiden deutschen Staaten fixierte die ostdeutschen Löhne auf einem Niveau, das gegenüber dem Grenzertragsprodukt der Arbeit in diesem Landesteil um mindestens 100 Prozent überhöht war. Das Ergebnis war eine hohe Arbeitslosigkeit im wiedervereinigten Deutschland. Unsere Analyse führt uns zu dem Schluss, dass ein Land, in dem überhöhte Reallöhne bezahlt werden, mit einer höheren Arbeitslosigkeit zu rechnen hat. Diese Arbeitslosigkeit reagiert nicht auf die traditionellen makroökonomischen Maßnahmen, also auf eine Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Ausgaben, sondern erfordert konkrete Schritte zur Senkung der Reallöhne. Die schwindende Bedeutung der Gewerkschaften in den USA Einer der wichtigsten Trends auf den US-amerikanischen Arbeitsmärkten ist der zunehmende Machtverlust der Gewerkschaften seit dem Zweiten Weltkrieg. War im Jahr 1955 noch rund ein Viertel der
Teil 3
Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert, ist dieser Anteil seit 1980 deutlich zurückgegangen. Der Anteil der gewerkschaftlich organisierten Arbeitskräfte in der Produktion schrumpft seit zwei Jahrzehnten merklich. Nur im öffentlichen Sektor stellen die Gewerkschaften noch eine wichtige Kraft dar. Einer der Gründe für den Machtverlust der Gewerkschaften besteht in ihren immer geringeren Möglichkeiten zu streiken, wobei Streiks in Kollektivverhandlungen ja die wirksamste Drohung darstellen. In den 1970er Jahren setzten US-Gewerkschaften diese Waffe regelmäßig ein; damals fanden durchschnittlich knapp 300 Streiks pro Jahr statt. In letzter Zeit sind Streiks jedoch aus der Mode gekommen. Sie spielen auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt praktisch keine Rolle mehr. Der Grund für diesen Rückgang liegt in der Wirkung von Streiks, die sich häufig gegen die Streikenden wendeten. Im Jahr 1981 wurden alle streikenden Fluglotsen von Präsident Reagan kurzerhand entlassen. Als 1987 die Profi-Footballspieler streikten, wurden sie von den Eigentümern der Vereine zurück aufs Spielfeld gezwungen, als diese die Spiele einfach von Ersatzleuten spielen ließen. Im Jahre 1992 mussten die Beschäftigten der Caterpillar Inc., eines Riesen der Baumaschinenbranche, ihren Streik nach sechs Monaten abbrechen, weil Caterpillar drohte, sie alle zu entlassen und durch andere Arbeitskräfte zu ersetzen. Die Unfähigkeit, die Unternehmen durch Streiks ernsthaft zu bedrohen, hat während der letzten beiden Jahrzehnte die Position der Gewerkschaften insgesamt sehr geschwächt. Sie fragen sich vielleicht, ob die schwindende Macht der Gewerkschaften auf die Löhne drückt. Ökonomen glauben im Allgemeinen, dass dadurch nur die relativen Löhne der Gewerkschaftsmitglieder, nicht aber die Löhne insgesamt sinken. Sehen Sie sich noch einmal Abbildung 12-1 an, die den Anteil der Arbeit am BIP zeigt. Können Sie eine Auswirkung der rückläufigen Macht der Gewerkschaften nach 1980 auf den Anteil der Arbeit erkennen? Die meisten Ökonomen würden einen solchen Einfluss bestreiten.
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Kapitel 13 Der Arbeitsmarkt
Diskriminierung Die Diskriminierung aufgrund von Rasse, ethnischer Zugehörigkeit und Geschlecht ist ein weit verbreitetes Phänomen menschlicher Gesellschaften seit den Anfängen der überlieferten Geschichte. Da gab es den Extremzustand, dass vor dem amerikanischen Bürgerkrieg schwarze Sklaven als Besitz betrachtet wurden, praktisch keine Rechte hatten und häufig sehr schlecht behandelt wurden. Zu anderen Zeiten oder an anderen Orten, etwa in den USA zu Zeiten der Rassentrennung oder im Zuge der südafrikanischen Apartheid, die bis in die 1990er Jahre hinein andauerte, wurden Menschen schwarzer Hautfarbe im Wohnungswesen, im Konsum und in öffentlichen Transportmitteln von ihren weißen Mitbürgern abgesondert und unterlagen bezüglich rassenübergreifender Eheschließungen und vor allem attraktiver Arbeitsplätze strengen Beschränkungen. Bis in unsere Tage, in denen eine solche Diskriminierung gegen das Gesetz verstößt, führen subtile Formen informeller, vor dem Markt angesiedelter, strafrechtlicher und statistischer Diskriminierung immer noch zu Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen und vor allem zwischen verschiedenen Rassen und ethnischen Gruppen. Wer sich je – theoretisch oder praktisch – mit dem Thema Diskriminierung beschäftigt hat, weiß, das dieses Problem weit über den Markt hinausreicht. Unsere Erörterung in diesem Buch beschränkt sich jedoch auf die wirtschaftliche Diskriminierung, und hier konzentrieren wir uns vor allem auf den Arbeitsmarkt. Wir möchten wissen, warum noch Jahrzehnte nach dem gesetzlichen Verbot jeder Diskriminierung Unterschiede zwischen den Gruppen bestehen. Wir müssen verstehen, woher die Lohnunterschiede zwischen weißen männlichen und allen anderen Teilnehmern des Arbeitsmarktes kommen. Warum erzielen afroamerikanische und hispanische US-Bürger immer noch messbar niedrigere Einkommen und verfügen über
einen geringeren Wohlstand als andere Gruppen? Warum werden Frauen von den besten Jobs in der Wirtschaft ausgeschlossen? Diese verstörenden Fragen bedürfen einer Antwort.
Volkswirtschaftliche Erklärungsmodelle der Diskriminierung Definition der Diskriminierung Wenn aufgrund irrelevanter persönlicher Merkmale wie Rasse, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Religion ökonomische Unterschiede auftreten, sprechen wir von Diskriminierung. Diskriminierung bedeutet im typischen Fall entweder (a) eine unterschiedliche Behandlung von Menschen aufgrund persönlicher Merkmale oder (b) Praktiken (beispielsweise Tests), die sich auf bestimmte Gruppen nachteilig auswirken. Als Ökonomen wie Gary Becker von der Universität Chicago begannen, sich mit dem Thema Diskriminierung auseinander zu setzen, stießen sie auf ein grundlegendes Dilemma: Wie kann es sein, dass zwei Gruppen von Arbeitnehmern mit derselben Produktivität nebeneinander bestehen, ohne dass gewinnorientierte Unternehmen selbstverständlich auf die kostengünstigeren Arbeiter zurückgreifen, umso ihre Gewinne zu steigern? Nehmen wir an, eine Gruppe von Unternehmen auf einem vollkommenen Markt würde zu dem Entschluss gelangen, blauäugigen Arbeitern mehr als ebenso tüchtigen braunäugigen zu bezahlen. Das gäbe einer anderen Gruppe von nicht diskriminierenden Unternehmen die Möglichkeit, auf den Markt zu drängen und Kosten und Preise der diskriminierenden Konkurrenzunternehmen zu unterbieten, indem vorwiegend braunäugige Arbeiter eingestellt werden. Auf diese Weise könnten die diskriminierenden Unternehmen vom Markt verdrängt werden. Selbst wenn einige Arbeitgeber ein Vorurteil gegenüber einer bestimmten Grup-
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
pe hegen, dürfte dies nicht ausreichen, um das Einkommen der so diskriminierten Gruppe zu senken. Beckers schließt daraus, dass somit noch andere Kräfte als die negative Einstellung der Arbeitgeber wirksam werden müssen, um Einkommensdisparitäten zwischen gleichwertigen Gruppen zu erzeugen.
Diskriminierung durch Ausschluss Die häufigste Form der Diskriminierung ist der Ausschluss bestimmter Gruppen vom Arbeits- oder Wohnungsangebot. Die Geschichte der Afroamerikaner zeigt, dass es soziale Prozesse waren, die auf ihre Löhne und ihren sozialen Status drückten und immer noch drücken. Nach der Abschaffung der Sklaverei fiel die schwarze Bevölkerung der Südstaaten aufgrund der Jim-Crow – Gesetzgebung in die Kaste der Tagelöhner. Auch wenn sie rein rechtlich frei waren und den Gesetzen von Angebot und Nachfrage unterlagen, wurden schwarze Arbeitnehmer viel schlechter entlohnt als weiße. Warum? Nun, sie waren nicht so gut ausgebildet und wurden von den Gewerkschaften, aber auch durch die lokalen
Vorschriften und Gebräuche von den besten Arbeitsstellen ferngehalten. Infolgedessen drängte man sie in niedrige, schlecht angesehene Jobs mit geringen Ausbildungsanforderungen ab, sodass es sich bei ihnen effektiv um eine nicht konkurrierende Gruppe handelte. Nur die Segmentierung des Arbeitsmarktes ermöglichte die Beibehaltung der Diskriminierung über Jahrzehnte hinweg. Das Konzept von Angebot und Nachfrage kann plastisch darstellen, wie dieser Ausschluss von bestimmten Tätigkeiten das Einkommen von Gruppen beschneidet, sobald sie Ziel von Diskriminierung werden. Im Fall einer Diskriminierung bleiben bestimmte Jobs der privilegierten Gruppe vorbehalten, wie in Abbildung 13-8(a) dargestellt. Auf diesem Arbeitsmarkt wird das Angebot an privilegierten Arbeitskräften durch SPSP, die Nachfrage nach diesen Arbeitskräften durch DPDP repräsentiert. Der Gleichgewichtslohn liegt auf dem hohen Niveau EP. Abbildung 13-8(b) zeigt hingegen, was mit den Arbeitnehmern der Minderheit geschieht, die aufgrund ihres Wohnortes in armen Vierteln mit schlechten Schulen, und
(a) Der Arbeitsmarkt der Privilegierten
(b) Der Arbeitsmarkt der Minderheiten
WP
Löhne für gute Jobs
DP EP DP Wm* SP 0
Löhne für minderwertige Jobs
Wm SP
Wp*
Teil 3
Sm
Dm
Em
Sm
Dm
0 Menge hochqualifizierter Jobs
Menge minderwertiger Jobs
Abbildung 13-8: Diskriminierung durch Ausschluss senkt das Lohnniveau der ausgeschlossenen Minderheiten Diskriminierung äußert sich in der Praxis häufig durch den Ausschluss einzelner Gruppen aus privilegierten Jobs. Werden Minderheiten von guten Jobs auf Markt (a) ausgeschlossen, müssen sie schlechtere Jobs auf Markt (b) annehmen. Die privilegierte Gruppe genießt höhere Löhne in Ep, während Minderheiten sich mit den niedrigen Löhnen in Em auf Markt (b) zufrieden geben müssen.
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Kapitel 13 Der Arbeitsmarkt
weil sie sich keine Privatschulen leisten können, nicht die nötige Ausbildung für gut bezahlte Jobs bekommen. Bei schlechter Ausbildung erzielen sie als Hilfsarbeiter nur ein geringes Wertgrenzprodukt, weshalb ihre Löhne auf das Niedriglohn-Gleichgewicht von Em gedrückt werden. Beachten Sie bitte den Unterschied zwischen den beiden Märkten. Da Minderheiten von guten Jobs ausgeschlossen bleiben, bewirken die Marktkräfte, dass sie viel schlechter entlohnt werden als privilegierte Arbeitskräfte. Man hört bisweilen sogar das Argument, Minderheiten würden deshalb niedrigere Löhne „verdienen“, weil ihr Wertgrenzprodukt im Wettbewerb geringer ist. Dabei wird allerdings übersehen, wie das Lohngefälle zustande kommt: nämlich dadurch, dass bestimmte Gruppen von guten Jobs ausgeschlossen blieben, weil sie nicht die entsprechende Schul- und Ausbildung genießen konnten, und weil Gebräuche, gesetzliche Bestimmungen oder Kollusionen ihren Zugang zu diesen begehrten Arbeitsplätzen verhindert haben.
„Taste for discrimination“: Nicht der Gewinn, sondern der subjektive „Nutzen“ entscheidet Das obige Beispiel des Ausschlusses einer Gruppe konfrontiert uns mit der Frage, warum nicht einige gewinnorientierte Unternehmen Gesetze oder Gebräuche einfach ignorieren, um billigere Arbeitskräfte als die Konkurrenz zu bekommen. Der bereits zitierte Gary Becker sah als eine mögliche Antwort auf diese Frage die „Vorliebe“ von Unternehmen oder ihrer Kunden für diskriminierende Praktiken. Vielleicht widerstrebt es einigen Führungskräften ganz einfach, schwarze Arbeitskräfte einzustellen, vielleicht hegen Verkäufer Vorurteile und verkaufen nicht gern an hispanische Kunden. Es gibt jedoch auch Kritiker, die diesen Ansatz für tautologisch halten, weil er im Wesentlichen Folgendes aussagt: „Die Dinge sind
nun einmal so, weil die Leute wollen, dass sie so sind.“
Statistische Diskriminierung Eine der interessantesten Varianten der Diskriminierung ergibt sich aus der Wechselwirkung zwischen unvollständiger Information und unnatürlichen Anreizen. Wir sprechen von statistischer Diskriminierung, wenn Individuen aufgrund des verbreiteten Verhaltens von Mitgliedern ihrer Gruppe, nicht aber anhand ihrer persönlichen Merkmale und ihres Verhaltens beurteilt und behandelt werden. Diese Art der Diskriminierung tritt etwa auf, wenn ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter anhand der Universität, von der sie kommen, beurteilt. Vielleicht hat er in der Vergangenheit beobachtet, dass Absolventen besserer Schulen im Durchschnitt produktiver sind. Dazu kommt, dass Abschlussnoten häufig nur schwer vergleichbar sind, weil die Notengebung stark differiert. So kann es geschehen, dass immer wieder Leute aufgrund ihrer Universität und nicht aufgrund ihrer Leistungen eingestellt werden. Bei genauerem Hinsehen müsste der Personalchef eigentlich erkennen, dass viele seiner hoch qualifizierten Arbeitskräfte aus ganz unbekannten Schulen kommen. Wir sehen hier eine häufige Form der statistischen Diskriminierung aufgrund der Durchschnittsqualität der Schulen. Statistische Diskriminierung führt zu Ineffizienzen, weil sie Stereotype verstärkt und die Anreize einzelner Mitglieder einer Gruppe verringert, sich weiterzubilden und Erfahrungen zu sammeln. Denken Sie an den Absolventen einer wenig bekannten Schule. Die betreffende Person weiß, dass sie hauptsächlich aufgrund des Rufs ihrer Schule beurteilt wird. Der Notendurchschnitt, der Schwierigkeitsgrad der besuchten Kurse, ihr tatsächliches Wissen und ihre praktische Erfahrung werden möglicherweise einfach ignoriert. Diese Person wird daher, wenn sie einer statistischen Diskriminierung ausge-
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
setzt ist, weniger motiviert sein, in ihre Ausund Weiterbildung zu investieren. Als besonders schädlich erweist sich statistische Diskriminierung übrigens im Zusammenhang mit Rasse, Geschlecht oder ethnischen Gruppen. Wenn Arbeitgeber alle schwarzen Jugendlichen als „unproduktiv“ ansehen, weil das eben ihrer Durchschnittserfahrung mit schwarzen Jugendlichen entspricht, wird der talentierte Einzelne nicht nur wie der Durchschnitt behandelt, sondern hat darüber hinaus wenig Anreiz, seine Fähigkeiten zu steigern. Statistische Diskriminierung begegnet uns in zahlreichen gesellschaftlichen Belangen. So mitteln Lebens- und Autoversicherungen im Allgemeinen das Risiko vorsichtiger und risikobereiter Leute. Damit verringern sie den Anreiz für die Versicherten, sich vorsichtig zu verhalten und senken sogar den Durchschnittsgrad an Vorsicht in der Bevölkerung. Frauen werden traditionell von Zahlenberufen wie technischen Jobs ausgeschlossen. Daher entscheiden sich Frauen im Allgemeinen eher für ein Studium der Philosophie und Sozialwissenschaften und für die entsprechenden Berufe. Damit verstärken sie zusätzlich das Stereotyp, wonach Frauen ohnehin kein Interesse an Technik hätten. Statistische Diskriminierung reduziert Menschen nicht nur auf Stereotype aufgrund von Gruppenmerkmalen. Sie schadet auch der Motivation der Betroffenen, sich weiterzubilden, und verstärkt somit das ursprüngliche Stereotyp.
Wirtschaftliche Diskriminierung von Frauen Die größte Gruppe, die in der Wirtschaft unter Diskriminierung zu leiden hat, sind die Frauen. Vor einer Generation erzielten Frauen rund 70 Prozent des Lohns, den Männer erhielten. Dies war teils auf ihre mangelnde Ausbildung, aber auch auf fehlende praktische Erfahrung und andere Faktoren zurück-
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zuführen. Diese Kluft zwischen den Geschlechtern schließt sich heute deutlich. Der Großteil der verbleibenden Diskrepanz ist der „Familienmalus“ – der finanzielle Nachteil, den Frauen als Mütter zu tragen haben. Was steckt nun tatsächlich hinter den Einkommensunterschieden zwischen Männern und Frauen? Die Gründe sind komplex und auf soziale Gebräuche und Erwartungen ebenso wie auf statistische Diskriminierung und wirtschaftliche Faktoren, beispielsweise Schul- und Berufsausbildung sowie praktische Berufserfahrung, zurückzuführen. Im Allgemeinen erhalten Frauen gar nicht weniger Lohn für denselben Job. Das niedrigere Lohnniveau von Frauen kommt vielmehr daher, dass Frauen von bestimmten, gut bezahlten Jobs weitgehend ausgeschlossen bleiben, beispielsweise von den Berufen des Ingenieurs, des Baumeisters und des Bergbauexperten. Dazu kommt, dass Frauen ihre Berufskarriere häufig wegen der Kinder und des Haushalts unterbrechen und so die Disparität aufrechterhalten. Die wirtschaftliche Ungleichheit der Geschlechter wurde auch dadurch gestützt, dass bis vor kurzem nur wenige Frauen in den Vorständen großer Unternehmen saßen, sich als führende Gesellschafter großer Anwaltsbüros durchsetzten oder mit einer Professur an Spitzenuniversitäten betraut wurden.
Empirische Forschungsergebnisse Nach gründlicher theoretischer Analyse jener Mechanismen, die eine Diskriminierung zur Folge haben, wollen wir nun nach empirischen Belegen für das konstatierte Einkommensgefälle suchen. Frauen und Vertreter von Minderheiten verdienen durchschnittlich weniger als weiße Männer. So erzielten in Vollzeit beschäftigte Frauen in den USA im Jahr 1967 nur 60 Prozent der Einnahmen ihrer männlichen Kollegen. Dieser Wert stieg bis 1998 auf immerhin 73 Prozent. Arbeitsökonomen weisen darauf hin, dass Einkommensunterschiede nicht mit Diskrimi-
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Kapitel 13 Der Arbeitsmarkt
nierung gleichgesetzt werden dürfen. Häufig spiegeln sie auch eine unterschiedliche Ausbildung und Produktivität wider. Viele hispanische Arbeitskräfte erhalten traditionellerweise eine schlechtere Ausbildung als Weiße. Frauen haben üblicherweise längere Karriereausfälle als Männer. Da sowohl Ausbildung als auch ununterbrochene Berufstätigkeit einen Zusammenhang mit dem Einkommensniveau aufweisen, sollte uns ein gewisses Einkommensgefälle nicht überraschen. Doch inwieweit ist das Lohngefälle auf Diskriminierung und nicht auf Produktivitätsunterschiede zurückzuführen? Hier einige Erkenntnisse: • Die Diskriminierung von Frauen ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Abgesehen von kinderbedingten Nachteilen – die Müttern Einkommenseinbußen von 10 bis 15 Prozent bescheren – scheinen Frauen in den USA heute etwa gleich viel zu verdienen wie ähnlich qualifizierte Männer. • Die Kluft zwischen Afroamerikanern und Weißen war zu Beginn des 20. Jahrhunderts enorm. Doch die Afroamerikaner konnten bis 1970 bedeutende Fortschritte erzielen. Daten aus den 1980er und 1990er Jahren zeigen, dass männliche Schwarze immer noch Einkommenseinbußen von 12–15 Prozent infolge der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt hinnehmen müssen. Weibliche Schwarze scheinen hingegen ähnlich hohe Einkommen wie weibliche Weiße zu beziehen. • Einer der sehr ermutigenden Trends besteht im Abbau der Beschäftigungsbarrieren für Frauen und Minderheiten in gut bezahlten Berufen. Im Zeitraum zwischen 1950 und 2000 stieg der Anteil der Frauen, die als Ärztinnen, Technikerinnen, Anwältinnen und Wirtschaftswissenschaftlerinnen arbeiteten, massiv an, bei den Anwältinnen etwa von 4 Prozent auf 29 Prozent. Ähnliche Trends lassen sich auch in anderen Bereichen feststellen, die traditionell
einem bestimmten Geschlecht oder einer Rasse vorbehalten waren.
Abbau der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt In den letzten 50 Jahren ergriffen die Vereinigten Staaten zahlreiche Maßnahmen, um den herrschenden diskriminierenden Praktiken ein Ende zu setzen. Die wichtigsten Schritte dazu waren bahnbrechende Gesetze wie der 1964 verabschiedete Civil Rights Act (mit dem die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt nach Rasse, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder nationaler Herkunft verboten wurde) und der Equal Pay Act aus dem Jahre 1963 (der die Arbeitgeber dazu anhielt, Männer und Frauen für gleiche Arbeit gleich zu entlohnen). Diese Gesetze haben dazu beigetragen, die krassesten Diskriminierungspraktiken abzuschaffen; subtilere Barrieren bestehen aber nach wie vor. Um diesen zu begegnen, wurden durchgreifendere und auch umstrittenere politische Maßnahmen beschlossen, darunter die so genannte Affirmative Action. Damit wird der Arbeitgeber gesetzlich zum Nachweis gezwungen, dass er spezielle Maßnahmen trifft, um unterrepräsentierte Gruppen zu ermitteln und einzustellen. Studien bestätigen, dass sich dieser Ansatz auf die Beschäftigung und auf die Löhne von Frauen und Minderheiten positiv ausgewirkt hat. Die Affirmative Action wurde in den letzten Jahren jedoch auch häufig als „umgekehrte Diskriminierung“ kritisiert, und einige Bundesstaaten haben sie auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungswesen außer Kraft gesetzt.
Ungleichmäßige Fortschritte Diskriminierung ist ein komplexer sozialer und ökonomischer Prozess. Sie wurde mithilfe von Gesetzen verstärkt und vollstreckt, die benachteiligten Gruppen einen gleichberechtigten Zugang zu Arbeitsplätzen, Wohnungen und Bildung verwehrten. Doch sogar
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
nach der Herstellung einer gesetzlichen Gleichstellung erhält die Trennung von Rassen und Geschlechtern die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit aufrecht. Die Fortschritte beim Abbau der Einkommensunterschiede zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen sind in den letzten 20 Jahren wieder ins Stocken geraten. Durch die Auflösung der traditionellen Kernfamilie, Kürzungen staatlicher Sozialprogramme, strenge Drogengesetze und die häufige Ver-
Teil 3
hängung von Gefängnisstrafen, diverse Rückschritte gegenüber früheren Antidiskriminierungsprogrammen und die sinkenden relativen Löhne von Hilfsarbeitern ist der Lebensstandard vieler Minderheitengruppen beeinträchtigt. Die Entwicklung verläuft ungleichmäßig, und nach wie vor verzeichnen wir bedeutende Unterschiede in der Einkommens-, Vermögens- und Berufssituation verschiedener Gruppen.
Zusammenfassung A. Die Grundlagen der Lohnbildung 1.
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3.
4.
Die Nachfrage nach Arbeit wird, wie bei jedem Produktionsfaktor, durch das Grenzprodukt der Arbeit bestimmt. Das allgemeine Lohnniveau eines Landes liegt daher im Allgemeinen höher, wenn seine Arbeitskräfte besser ausgebildet sind, wenn mehr und höherwertiges Kapital zur Verfügung steht und wenn moderne Produktionsmethoden zur Anwendung kommen. Das Arbeitsangebot in einem gegebenen Staat hängt von drei wesentlichen Faktoren ab: Bevölkerungszahl, durchschnittliche Arbeitszeit und Erwerbsquote. Für die USA stellt die Zuwanderung seit einigen Jahren eine wichtige Quelle neuer Arbeitskräfte dar, wobei der Anteil der ungelernten oder schlecht ausgebildeten Einwanderer zugenommen hat. Steigende Löhne haben zwei gegenläufige Auswirkungen auf das Arbeitsangebot. Der Substitutionseffekt drängt jeden Arbeitnehmer dazu, wegen der besseren Bezahlung seiner Arbeitszeit länger zu arbeiten. Der Einkommenseffekt hat die gegenteilige Wirkung, weil höhere Löhne auch bedeuten, dass sich der Arbeitnehmer nun mehr Freizeit und andere Annehmlichkeiten leisten kann. Ab einem kritischen Lohnniveau kann die Angebotskurve daher rückwärts geneigt sein. Das Arbeitsangebot hochbegabter, in einer bestimmten Beziehung einzigartiger Menschen ist weitgehend unelastisch: Hier bilden die Löhne eine reine volkswirtschaftliche Rente. Bei vollständigem Wettbewerbsgleichgewicht und unter der Annahme, dass alle Arbeitnehmer und alle Arbeiten exakt gleich gestaltet sind, dürfte es keine Lohnunterschiede geben. Das Gleichgewichtslohnniveau, das jeweils
durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird, wäre genau gleich. Doch sobald wir uns von unrealistischen Annahmen über die Gleichheit von Menschen und Jobs verabschieden, stellen wir ganz beachtliche Lohnunterschiede fest, und das auch auf einem vollkommenen Arbeitsmarkt. Das kompensatorische Lohndifferenzial zum Ausgleich nichtmonetärer qualitativer Unterschiede verschiedener Arbeitsplätze erklärt teilweise dieses Lohngefälle. Eine weitere wichtige Erklärung sind Unterschiede in der Qualität der Arbeit des Einzelnen. Außerdem besteht der Arbeitsmarkt aus unzähligen, untereinander nicht konkurrierenden oder nur teilweise konkurrierenden Gruppen.
B. Arbeitsmarkt: Probleme und politische Maßnahmen 5.
Gewerkschaften spielen in der US-Wirtschaft eine zwar wichtige, aber zunehmend geringere Rolle, sowohl hinsichtlich ihrer Mitgliederzahl als auch in Bezug auf ihren Einfluss. Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter setzen sich zu Kollektivvertragsverhandlungen an einen Tisch. Die so ausgehandelten Verträge enthalten im Normalfall Tarifbestimmungen sowie eine Regelung der Sozialleistungen und der Arbeitsbedingungen. Gewerkschaften nehmen Einfluss auf die Löhne, indem sie kollektivvertragliche Standardlöhne vereinbaren. Um jedoch die Reallöhne über das durch den Markt vorgegebene Niveau anzuheben, müssen die Gewerkschaften im Allgemeinen verhindern, dass gewerkschaftlich nicht organisierte Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt drängen oder in einen Wettbewerb mit den Gewerkschaftsmitgliedern treten.
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Kapitel 13 Der Arbeitsmarkt
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7.
8.
Mit volkswirtschaftlichen Theorien lässt sich das Ergebnis von Kollektivvertragsverhandlungen nicht sicher vorhersagen. Ein so genanntes bilaterales Monopol, wie es Verhandlungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite (vergleichbar der Situation im Kriegsfall oder bei Zweipersonenspielen) darstellen, weist keine theoretisch eindeutig vorhersagbare Lösung auf. Empirische Studien haben ergeben, dass Gewerkschaften die Löhne ihrer Mitglieder im Vergleich zu nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern tatsächlich anheben können. Dieser „Gewerkschaftsbonus“ ist im letzten Jahrzehnt durch den Wettbewerbsdruck von Seiten nicht gewerkschaftlich organisierter und ausländischer Arbeitskräfte aber wahrscheinlich geringer geworden. Zwar gelingt es den Gewerkschaften, die Löhne ihrer eigenen Mitglieder in die Höhe zu treiben, doch bisherigen Analysen zufolge können sie die Reallöhne insgesamt und somit auch den auf die Arbeit entfallenden Anteil am Volkseinkommen nicht erhöhen. Es darf angenommen werden, dass die gewerkschaftliche Tätigkeit die Arbeitslosigkeit unter den Gewerkschaftsmitgliedern erhöht, weil diese es vorziehen, auf einen neuen, gut bezahlten Arbeitsplatz zu warten, anstatt eine schlechter bezahlte Arbeit in einer anderen Branche anzunehmen. Und in Ländern mit unflexiblem Preisgefüge können überhöhte Reallöhne die so genannte klassische Arbeitslosigkeit auslösen. Aufgrund einer Laune der Geschichte genießt eine kleine Minderheit männlicher Weißer
weltweit den größten Wohlstand. Selbst mehr als ein Jahrhundert nach Abschaffung der Sklaverei konstatieren wir immer noch ungleiche Chancen und wirtschaftliche, rassische und geschlechtsspezifische Diskriminierung – Faktoren, die zu Einkommensverlusten der unterprivilegierten Gruppen führen. 9. Diskriminierung hat viele Ursachen. Ein wichtiger auslösender Mechanismus ist die Entstehung und Beibehaltung nicht konkurrierender Gruppen. Durch die Segmentierung des Arbeitsmarktes, auf dem leitende Positionen männlichen Weißen vorbehalten bleiben, während Frauen und Minderheiten auf niedere Dienste ohne Karriereaussichten zurückverwiesen werden, können Einkommensunterschiede in einer Wirtschaft jahrzehntelang bestehen bleiben. Zusätzlich kommt es zur statistischen Diskriminierung, wenn Individuen anhand des durchschnittlichen Verhaltens ihrer jeweiligen Gruppe beurteilt und behandelt werden. Diese subtile Form der Diskriminierung führt zur Stereotypisierung des Individuums, verringert seine Motivation, sich weiterzubilden und zu verbessern, und verstärkt so weiter das ursprüngliche Stereotyp. 10. Maßnahmen zur Verringerung der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt wurden in viele verschiedene Richtungen hin unternommen. Frühe Ansätze konzentrierten sich vor allem auf das Verbot von Verhaltensweisen, die eine Diskriminierung implizieren, während man es später mit positiven gesetzlichen Maßnahmen wie der „Affirmative Action“ versuchte.
Begriffe zur Wiederholung Lohnbildung bei vollständigem Wettbewerb
Themen des Arbeitsmarktes
Bestimmende Elemente der Arbeitsnachfrage: Arbeitsqualität Technologie Qualität der anderen Inputs Bestimmende Elemente des Arbeitsangebots: Arbeitszeit Teilnahme am Arbeitsmarkt Zuwanderung Substitutions- und Einkommenseffekt Kompensatorisches Lohndifferenzial Volkswirtschaftliche Rente als Lohnfaktor Segmentierte Märkte und nicht konkurrierende Gruppen
Kollektivvertragsverhandlungen Gewerkschaften als Monopole Gewerkschaften als Marktzutrittsbarriere Einfluss der Gewerkschaften auf die Reallöhne Klassische Arbeitslosigkeit Diskriminierung Einkommensunterschiede: Qualitätsunterschiede versus Diskriminierung Statistische Diskriminierung Maßnahmen gegen Diskriminierung
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
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Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Eine Erläuterung der Humankapitaltheorie finden Sie in Gary S. Becker, Human Capital: A Theoretical and Empirical Analysis, with Special Reference to Education, 3. Aufl. (University of Chicago Press, 1993). Die Arbeitsökonomie ist Gegenstand intensiver Forschungstätigkeit. Viele ihrer wichtigsten Themen werden in modernen Studien wie jener von Ronald G. Ehrenberg und Robert S. Smith, Modern Labor Economics: Theory and Applications, 10. Aufl. (Norton, New York, 2002), behandelt. Einen hervorragenden Überblick über das Thema Diskriminierung aus volkswirtschaftlicher Sicht bietet das Symposium über Diskriminierung auf dem Produkt-, Darlehens- und Arbeitsmarkt in: Journal of Economic Perspectives, Frühling 1998. Deutschsprachige Literatur: Mark Fudalla, Tarifautonomie und die Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes (Lang, Frankfurt a.M., 1997).
Websites Analysen der US-Arbeitsmarktdaten bietet das Bureau of Labor Statistics, das Sie unter www.bls.gov im Internet finden. Die Site enthält auch eine Online-Version des The Monthly Labor Review, eine ausgezeichnete Quelle für Studien über Löhne und Beschäftigung. Reallohntrends können unter „Earnings of College Graduates: Women Compared with Men”, Monthly Labor Review, März 1998, online auf www.bls.gov/opub/mlr/mlrhome.htm nachgelesen werden. Die Trends auf dem Arbeitsmarkt unter besonderer Berücksichtigung neuer Technologien und Diskriminierung sind in Economic Report of the President, 2000, Kap. 4, „Work and Learning in the 21st Century” hervorragend dargestellt, abrufbar unter w3.access.gpo.gov/eop/. Eine internationale Perspektive auf den Arbeitsmarkt bietet die Website der ILO: www.ilo.org.
Übungen 1.
2.
Was könnte man unternehmen, um die in Abbildung 13-8 dargestellte Segmentierung der Märkte zu unterbinden? Erklären Sie in Worten und anhand eines Angebots- und Nachfragediagramms die Auswirkungen folgender Situationen auf die Löhne und die Beschäftigungssituation am jeweiligen Arbeitsmarkt: a. Bei gewerkschaftlich organisierten Maurern: Die Maurergewerkschaft hat eine niedrigere Arbeitsvorgabe ausgehandelt; anstatt 60 Backsteine sind nur noch 50 Backsteine pro Stunde zu verarbeiten. b. Bei Piloten: Nach der Deregulierung der Luftfahrt konnten gewerkschaftlich nicht organisierte Fluglinien wie Continental ihren Marktanteil um 20 Prozent steigern. c. Bei Ärzten: In vielen Staaten überträgt man heute Krankenpflegern bestimmte Aufgaben, die bisher Ärzten vorbehalten waren.
d.
3.
4.
Bei Arbeitern der US-Automobilindustrie: Japan hat zugestimmt, seine Autoexporte in die USA zu drosseln. Erklären Sie, wie sich folgende Situationen auf die bestehenden Lohnunterschiede (Lohndifferenziale) auswirken könnten: a. Eine Verteuerung der College-Ausbildung. b. Freier Personenverkehr unter den Ländern Europas. c. Einführung einer kostenlosen öffentlichen Schulbildung in einem Land, in dem Schulen zuvor privat und teuer waren. d. Eine drastische Ausweitung des Publikums öffentlicher Sportveranstaltungen und Unterhaltungssendungen durch den technologischen Wandel. Es kommt zu Diskriminierungen, wenn benachteiligte Gruppen wie Frauen oder Afroamerikaner auf dem Weg einer Segmentierung des Arbeitsmarktes in Niedriglohnmärkte ab-
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Kapitel 13 Der Arbeitsmarkt
5.
gedrängt werden. Erklären Sie, wie jede der folgenden Gepflogenheiten, die in manchen Fällen noch bis vor kurzem anzutreffen waren, dazu beigetragen hat, die diskriminierende Arbeitsmarktsegmentierung aufrechtzuerhalten. a. An vielen Schulen war es Frauen verboten, Technik zu studieren. b. An zahlreichen Spitzen-Colleges waren Frauen nicht zugelassen. c. Farbige und Weiße wurden in unterschiedlichen Schulsystemen ausgebildet. d. Frauen, Afroamerikaner oder Katholiken hatten keinen Zutritt zu elitären Clubs. e. Arbeitgeber weigerten sich, Arbeitskräfte einzustellen, die die öffentlichen städtischen Schulen besucht hatten, weil die durchschnittliche Produktivität der Abgänger dieser Schulen niedrig war. In den letzten Jahren hat sich der Zuzug schlecht ausgebildeter ausländischer Arbeitskräfte mit geringem Einfluss auf das Arbeitsangebot an Fachkräften verstärkt. Eine Studie von George Borjas, Richard Freeman und Lawrence Katz gelangt zu dem Ergebnis, dass die Löhne von High-School-Abbrechern gegenüber den Löhnen von College-Absolventen in den 1980er Jahren infolge von Immigration und internationalem Handel um geschätzte 4 Prozent gesunken sind. a. Die Auswirkungen der Zuwanderung sind in Abbildung 12-6 des vorigen Kapitels erläutert. Zeichnen Sie die Diagramme neu, indem Sie Teil (a) als „Markt für ausgebildete Fachkräfte“ und Teil (b) als „Markt für schlecht ausgebildete Arbeitnehmer“ bezeichnen. Erhöhen Sie dann die Zuwanderung und damit das Angebot an schlecht ausgebildeten Arbeitskräften durch eine
6.
Verschiebung nach rechts unten, während Sie zugleich das Angebot an gut ausgebildeten Fachkräften gleich belassen. Wie würden sich die relativen Löhne der gut und der schlecht ausgebildeten Arbeitnehmer und wie das jeweilige Beschäftigungsniveau infolge der Immigration entwickeln? b. Analysieren Sie die Auswirkungen des internationalen Handels auf Löhne und Beschäftigung. Nehmen wir an, der Abbau der Handelsschranken hätte die Nachfrage nach ausgebildeten Arbeitskräften in (a) erhöht, zugleich aber die Nachfrage nach heimischen schlecht ausgebildeten Arbeitern in (b) gesenkt. Weisen Sie nach, dass sich durch diese Entwicklung die Schere zwischen gut und schlecht ausgebildeten Arbeitnehmern weiter öffnet. Man hört bisweilen die Befürchtung, hohe Steuersätze könnten das Arbeitsangebot verringern. Überlegen Sie sich die Auswirkungen höherer Steuern bei einer rückwärts geneigten Arbeitsangebotskurve wie folgt: Bezeichnen Sie den Lohn vor Steuern als W, den Lohn nach Steuern als Wp und den Steuersatz als t. Erklären Sie die Beziehung Wp = (1 – t)W. Erstellen Sie eine Tabelle, in der Sie die Löhne vor und nach Steuern angeben, wenn der Lohn vor Steuern US-$ 10 pro Stunde und der Steuersatz 0, 15, 25 bzw. 40 Prozent beträgt. Wenden Sie sich nun Abbildung 13-4 zu. Zeigen Sie für die Bereiche über und unter Punkt C die Auswirkungen eines geringeren Steuersatzes auf das Arbeitsangebot. Erklären Sie anhand Ihrer Tabelle die Beziehung zwischen Steuersatz und staatlichen Steuereinnahmen.
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KAPITEL 14 Boden und Kapital
Boden ist eine gute Investition. Der wird nicht mehr hergestellt. Will Rogers
Das Wirtschaftssystem der USA ist „kapitalistisch“. Wir meinen damit, dass sich Kapital und sonstige Vermögenswerte des Landes weitgehend in privater Hand befinden. Im Jahr 2003 betrug der Nettokapitalbestand im Land der unbegrenzten Möglichkeiten US-$ 100.000 pro Kopf, wovon 68 Prozent auf private Unternehmen, 14 Prozent auf Privatpersonen und 19 Prozent auf staatlichen Besitz entfielen. Darüber hinaus war eine weitgehende Konzentration des Volksvermögens bei den reichsten US-Bürgern festzustellen. Im Gegensatz dazu gehörte in sozialistischen Ländern wie der Sowjetunion vor 1991 der Löwenanteil an Boden und Kapital dem Staat, und es gab dort auch keine Superreichen wie J.P. Morgan oder Bill Gates. Im Kapitalismus entfällt der größte Brocken aller Ersparnisse auf Einzelpersonen und privat geführte Unternehmen, die auch den überwiegenden Teil des Vermögens besitzen und aus ihren Investitionen die größten Gewinne ziehen. Der Unterschied zwischen armen und reichen Ländern resultiert hauptsächlich aus der Fähigkeit letzterer, Ersparnisse anzuhäufen und diese in Kapitalanlagen mit hohen Renditen zu investieren. Doch das Vermögen eines Landes besteht, abgesehen von seinen Menschen, aus viel mehr als seinen Sachanlagen. Wir müssen hierzu auch den gesamten landwirtschaftlich genutzten Boden sowie Bodenschätze wie Erdöl und Mineralien, aber auch Umweltressourcen wie saubere Luft, Nationalparks oder Sandstrände zählen. In diesem Kapitel wollen wir die Funktionsweise der Faktormärkte für die – abgesehen von der menschlichen Arbeit – wichtigsten Produktionsfaktoren, nämlich Boden und Kapital, beleuchten. Wir beginnen mit einer Betrachtung des Marktes für Boden, der einen vollkommen unelastischen und seinerseits nicht „erzeugten“ Produktionsfaktor darstellt. Anschließend wollen wir uns der entscheidenden Frage zuwenden, wie Angebot und Nachfrage nach Kapital, das ja sowohl Output als auch Input ist, funktionieren. Wir vertiefen damit unser Verständnis
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
einiger wesentlicher Merkmale der kapitalistischen Marktwirtschaft. Im Anhang zu diesem Kapitel wollen wir das Verhalten aller Märkte, die so genannte allgemeine Gleichgewichtstheorie, unter die Lupe nehmen.
A. Boden und Bodenrente Rente als Ertrag eines vollkommen unelastischen (fixen) Produktionsfaktors
Als Rente (oder reine volkswirtschaftliche Rente) bezeichnet man Zahlungen, die für die Nutzung von Produktionsfaktoren mit vollkommen unelastischer (fixer) Angebotsmenge zu leisten sind. Marktgleichgewicht. Die Angebotskurve für Boden ist vollkommen unelastisch – verläuft also vertikal –, weil das Bodenangebot fix ist. In Abbildung 14-1 schneiden einander die Nachfrage- und die Angebotskurve im Gleichgewichtspunkt E. Die Bodenrente muss sich somit in Richtung dieses Faktorpreises bewegen. Warum? Ein Anstieg der Rente über den Gleichgewichtspreis hätte einen Rückgang der NachD
1 Manchmal kommen natürliche Ressourcen in Kombination mit Boden vor. Wir vertagen jedoch die volkswirtschaftliche Analyse der natürlichen Ressourcen auf Kapitel 18.
S
R
Bodenrente
Wenn Sie nicht vorhaben, Ihr Unternehmen von einem Ballon aus zu betreiben, ist Boden für Sie wie für jedes Unternehmen ein ganz wesentlicher Produktionsfaktor. Was Boden zu etwas so Besonderem macht, ist seine feststehende Menge und fehlende Preiselastizität.1 Der Preis für die Nutzung von Boden oder anderen fixen Faktoren wird als Rente (oder reine volkswirtschaftliche Rente) bezeichnet. Diese Rente berechnen wir in Geldeinheiten pro Zeiteinheit. So könnte die Bodenrente in der Wüste von Arizona etwa US-$ 1 pro Hektar und Jahr betragen, während man im Zentrum von New York oder Tokio mit US-$ 2 Millionen pro Hektar und Jahr zu rechnen hätte. Ökonomen verwenden den Begriff Rente übrigens nicht nur für Boden, sondern für jeden Produktionsfaktor mit fixer Angebotsmenge. Sollten Sie sich entschlossen haben, US-$ 1 Million hinzublättern, damit Jennifer Lopez bei Ihrer Geburtstagsparty auftritt, wäre diese Million die Rente für den Einsatz eines einzigartigen Faktors.2
Teil 3
E
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0
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Bodenangebot
Abbildung 14-1: Das fixe Bodenangebot arbeitet zu jedem beliebigen Faktorpreis Ein absolut unelastisches Angebot ist für den Fall der „Bodenrente“, manchmal auch als „reine volkswirtschaftliche Rente“ bezeichnet, charakteristisch. Wir verfolgen die SS-Kurve nach oben bis zur Faktornachfrage, um die Rente zu bestimmen. Abgesehen vom Boden lassen sich Renten-Überlegungen auch auf reichhaltige Öl- und Goldbestände, auf große Basketballspieler und alle anderen Produktionsfaktoren mit fixem Angebot anwenden. 2 Denken Sie stets daran: Der Begriff „Rente“ wird in der Volkswirtschaftslehre auf ganz spezielle und spezifische Weise verwendet und bezeichnet dabei Zahlungen für Produktionsfaktoren mit fixem Angebot. Im täglichen Gebrauch hat dieses Wort andere Bedeutungen, etwa die von Pensionszahlungen.
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Kapitel 14 Boden und Kapital
Aufgrund des unelastischen Bodenangebotes arbeitet Boden immer für den gerade erzielbaren Preis. Somit leitet sich der Wert des Bodens ausschließlich vom Wert des Produktes ab, nicht aber umgekehrt.
Grundsteuer Die Tatsache, dass das Bodenangebot vollkommen unelastisch oder fix ist, hat eine äußerst wichtige Konsequenz. Betrachten wir den Grundstücksmarkt in Abbildung 14-2 und nehmen wir an, der Staat würde eine 50-prozentige Steuer auf alle Bodenrenten erheben, wobei zu beachten ist, dass Gebäude oder Sanierungsmaßnahmen nicht besteuert werden, weil dadurch zweifellos die Bautätigkeit negativ beeinflusst würde. Besteuert wird so-
S
D
R Bodenrente (US-$ pro Jahr)
frage der Unternehmen nach Grund und Boden unter das bestehende Angebot zur Folge. Manche Immobilienbesitzer könnten daher ihr Land gar nicht verpachten. Sie müssten es billiger anbieten, also die Bodenrente senken. Im Umkehrschluss kann die Rente auch nicht lange unter dem Gleichgewichtspunkt verharren. Dann würden nämlich Unternehmen, deren Nachfrage noch nicht befriedigt ist, die Rente wieder auf Gleichgewichtsniveau anheben. Nur mit einem Wettbewerbspreis, bei dem die gesamte nachgefragte Bodenmenge genau dem fixen Bodenangebot entspricht, befindet sich der Markt im Gleichgewicht. Nehmen wir an, ein bestimmtes Grundstück wäre ausschließlich zum Maisanbau geeignet. Mit steigender Nachfrage nach Mais bewegt sich die Nachfragekurve nach Ackerland für Mais nach rechts oben, und die Rente steigt ebenfalls. Damit haben wir, was Grund und Boden betrifft, bereits eine wichtige Erkenntnis gewonnen: Der Bodenpreis ist hoch, weil der Maispreis hoch ist. Wir haben es hier mit einem sehr anschaulichen Beispiel einer abgeleiteten Nachfrage zu tun: Die Nachfrage nach einem Produktionsfaktor leitet sich von der Nachfrage nach dem Gut ab, das mithilfe dieses Faktors produziert wird.
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Bodenangebot
Abbildung 14-2: Grundsteuern trägt wegen des fixen Angebots an Boden der Eigentümer, während der Staat die reine volkswirtschaftliche Rente abschöpfen kann Eine Besteuerung des fixen Bodenangebotes lässt die von den Nutzern bezahlten Bodenpreise unverändert bei E und verringert nur die von den Bodeneigentümern eingenommene Rente auf E'. Was sollten die Eigentümer auch anderes tun, als den geringeren Ertrag zu akzeptieren? Diese Überlegung bildet die Grundlage für Henry Georges Einsteuerbewegung, die bestrebt war, den höheren Bodenwert der Gesellschaft zugute kommen zu lassen, ohne die Ressourcenallokation zu verzerren.
mit nur das Einkommen oder die Rente aus dem fixen Angebot landwirtschaftlicher Nutzflächen und städtischer Baugrundstücke. Trotz Grundsteuer verändert sich die Bodennachfrage nicht. Bei einem Preis (inklusive Steuer) von US-$ 200 in Abbildung 14-2 wird weiterhin das gesamte fixe Angebot an Boden nachgefragt. Daher bleibt bei fixem Angebot die Bodenrente auf dem Markt (inklusive Steuern) unverändert, also im ursprünglichen Marktgleichgewicht in Punkt E. Wie aber entwickelt sich die von den Grundbesitzern eingenommene Bodenrente? Nachfrage und Angebot sind unverändert, weshalb die Steuer offenbar keine Auswirkungen auf den Marktpreis hat, sondern zur Gänze aus der Tasche des Grundstücksbesitzers bezahlt werden muss. Diese Situation ist in Abbildung 14-2 dargestellt. Bei den Summen, die der Bauer bezahlt
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
und der Grundbesitzer erhält, handelt es sich um zwei ganz unterschiedliche Beträge. Für den Grundbesitzer ist der Effekt einer 50prozentigen staatlichen Steuer derselbe, als hätte sich die Nettonachfrage von DD nach D'D' verringert. Die Gleichgewichtsrente für den Grundbesitzer beträgt nach Steuern nur noch E' oder die Hälfte von E. Bei vollständig unelastischem Angebot wird die gesamte Steuer auf den Faktoreigentümer überwälzt. Natürlich werden die Grundbesitzer sich wütend beschweren. Doch unter vollständigen Wettbewerbsbedingungen haben sie keine Chance, denn das Gesamtangebot an Boden lässt sich nicht verändern, und der Boden muss für den jeweils erzielbaren Ertrag arbeiten. Ein halber Kuchen ist immer noch besser als gar keiner. Vielleicht fragen Sie sich nun, welche Auswirkungen eine solche Besteuerung des Bodens auf die volkswirtschaftliche Effizienz hätte. Das erstaunliche Ergebnis: Eine Besteuerung von Grund und Boden führt zu keinerlei Verzerrungen oder volkswirtschaftlichen Ineffizienzen, weil die Besteuerung einer reinen volkswirtschaftlichen Rente ohne Einfluss auf das wirtschaftliche Verhalten bleibt. Die Nachfrageseite ist bei unverändertem Preis nicht betroffen, und auch die Angebotsseite bleibt, wie sie ist, weil das Angebot an Boden fix ist und daher nicht verändert werden kann. Fazit: Die Wirtschaft funktioniert nach Einführung der Steuer genauso wie zuvor – ohne jede Verzerrung oder Ineffizienz aufgrund der Besteuerung von Grund und Boden. Die Besteuerung einer reinen volkswirtschaftlichen Rente führt zu keinen Verzerrungen oder Ineffizienzen. Die „Einsteuerbewegung“ des Henry George Die soeben entwickelte Theorie der reinen volkswirtschaftlichen Rente stand auch hinter der Einsteuer- oder Alleinsteuerbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Teil 3
Damals expandierte die amerikanische Bevölkerung durch den Zuzug aus allen Kontinenten sehr rasch. Bevölkerungswachstum und der Ausbau der Eisenbahnen bis in den amerikanischen Westen brachten einen Boom der Bodenrenten und sorgten für satte Gewinne derjenigen, die das Glück gehabt hatten oder klug genug waren, frühzeitig Grund und Boden zu erwerben. Warum also, so fragte sich mancher, sollte es diesen glücklichen Grundbesitzern gestattet sein, laufend ein „unverdientes Bodeneinkommen“ zu beziehen ? Henry George (1839–1897), von Beruf Journalist, der sich aber auch Gedanken über die Volkswirtschaft machte, verdichtete diese Idee zu einem Buch, das zum Bestseller wurde: Progress and Poverty (1879). In diesem Werk forderte er die Finanzierung des Staates hauptsächlich über Grundsteuern, wohingegen er alle anderen Steuern auf Kapital, Arbeit und Bodenaufwertung abschaffen wollte. George meinte, eine solche Steuer könnte zu einer gerechteren Einkommensverteilung führen, ohne die volkswirtschaftliche Produktivität zu beeinträchtigen. Doch während die US-Wirtschaft keine großen Anstalten machte, diesem Einsteuerideal nachzustreben, wurden doch viele der Ideen von Henry George von späteren Generationen politischer und wirtschaftlicher Reformer gern übernommen. In den 1920er Jahren erweiterte der britische Ökonom Frank Ramsey den Ansatz von George um eine Effizienzanalyse der unterschiedlichen Arten von Steuern. Dies führte zur Entwicklung der Effizienz- oder Ramsey-Steuertheorie. Ramseys Analyse zeigt, dass Steuern dann am wenigsten zu Verzerrungen führen, wenn sie in Bereichen erhoben werden, in denen Angebot oder Nachfrage weitgehend preisunelastisch sind. Die Überlegung hinter Ramseys Steuertheorie ist im Wesentlichen dieselbe, die in Abbildung 14-2 dargestellt ist. Ist das Angebot oder die Nachfrage eines Gutes weitgehend unelastisch, zeigt eine Besteuerung dieses Gutes kaum Auswirkungen auf Produktion und Konsum, und die Verzerrung hält sich in Grenzen.
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Kapitel 14 Boden und Kapital
B. Kapital und Zinsen Du willst deinen Kuchen essen und behalten? Kein Problem! Verleihe ihn als gut verzinstes Darlehen! Anonym
Die Grundbegriffe In der volkswirtschaftlichen Analyse werden Produktionsfaktoren zumeist in drei Kategorien unterteilt: Boden, Arbeit und Kapital. Die ersten zwei bezeichnen wir als primäre oder ursprüngliche Produktionsfaktoren, und ihr Angebot bildet sich abseits des Marktes. Als dritter im Bunde tritt ein produzierter oder abgeleiteter Faktor hinzu, nämlich das Kapital beziehungsweise die Kapitalgüter. Kapital, das sind jene dauerhaften, ihrerseits produzierten Güter, die als Inputs in der künftigen Produktion Verwendung finden. Manche Kapitalgüter haben eine Lebensdauer von wenigen Jahren, während andere auch ein Jahrhundert oder länger genutzt werden können. Das Hauptmerkmal von Kapitalgütern besteht darin, dass sie zugleich Input und Output darstellen. Kapitalgüter lassen sich in drei Hauptkategorien einteilen: Gebäude (wie Fabriken und Wohnhäuser), maschinelle Ausstattung (darunter sind dauerhafte Konsumgüter wie Autos und dauerhafte Produktionsgüter wie Maschinen und Computer zu verstehen) sowie Lagerbestände an Input- und Outputgütern (beispielsweise jene Autos, die ein Autohändler auf Lager hat).
Preis und Zins von Kapitalgütern Kapitalgüter werden auf Kapital- oder Investitionsgütermärkten gekauft und verkauft. Dell verkauft beispielsweise Computer an Unternehmen, die diese nutzen, um die Effizienz ihrer Lohnbuchhaltung zu steigern oder die Produktion effizienter zu gestalten.
Dabei können wir die Preise der Kapitalgüter beobachten. Kapitalgüter befinden sich zumeist im Eigentum des Unternehmens, das sie nutzt. Manche Kapitalgüter werden jedoch von ihren Eigentümern auch vermietet. Eine Zahlung für die zeitlich beschränkte Nutzung von Kapitalgütern wird als (Miet-)Zins bezeichnet. So könnte etwa eine Wohnung, die Frau Hausbesitzerin gehört, für die Dauer eines Jahres an einen Studenten vermietet werden, wobei die monatliche Zahlung von US-$ 600 den für die Wohnung zu entrichtenden Zins darstellt. Wir unterscheiden zwischen Rente für vollkommen unelastische oder fixe Produktionsfaktoren wie Boden und Zins für dauerhafte Produktionsfaktoren wie Kapital.3
Die Rendite von Kapitalgütern Eine der wichtigsten Aufgaben jeder Volkswirtschaft, jedes Unternehmens und jedes Haushalts besteht in der richtigen Verteilung oder Allokation des Kapitals auf die verschiedenen Investitionsmöglichkeiten. Sollte ein Land beispielsweise seine Investitionsressourcen lieber in die Schwerindustrie, etwa in Stahlwerke, oder doch eher in Informationstechnologien wie das Internet stecken? Wäre es für Intel ratsam, für US-$ 4 Milliarden eine Fabrik zu bauen, um darin die nächste Generation von Mikroprozessoren herzustellen? Sollte Farmer Jones in der Hoffnung, seine Buchhaltung damit verbessern zu können, ein für seine Zwecke maßgeschneidertes und teures Computerprogramm kaufen oder sich doch lieber mit der für rund US-$ 100 erhältlichen Standardanwendung begnügen? Bei all diesen Fragen geht es um kostspielige Investitionen – Geld, das heute ausgegeben wird, um künftige Erträge zu erzielen.
3 Denken Sie an die Warnung in Fußnote 2 oben, was die spezifische Bedeutung des Begriffs „Rente“ in der Volkswirtschaftslehre betrifft. Eine ganz ähnliche Warnung gilt auch für den Begriff „Zins“.
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Die Entscheidung über die bestmögliche Investition erfordert einen verlässlichen Maßstab für den zu erzielenden Ertrag oder Rückfluss. Ein solcher Maßstab ist die Kapitalrendite, die uns den jährlichen Nettoertrag jeder in Kapitalgüter investierten Geldeinheit angibt. Betrachten wir als Beispiel eine Leihwagenfirma. Die Ugly Duckling Rental Company kauft einen gebrauchten Ford für US-$ 10.000 und vermietet ihn für US-$ 2.500 pro Jahr. Unter Berücksichtigung aller Ausgaben (für Wartung, Versicherung, Abschreibung4 und so weiter) und unter Vernachlässigung möglicher Änderungen der Autopreise erwirtschaftet Ugly Duckling Nettomieteinnahmen von US-$ 1.200 jährlich. Wir können somit sagen, dass die Rendite auf den Ford 12 Prozent jährlich oder US-$ 1.200 von US-$ 10.000 beträgt. Beachten Sie bitte auch, dass die Rendite nichts weiter als eine Zahl je Zeiteinheit ist. Sie bezeichnet daher (Geldeinheiten pro Periode) / Geldeinheiten) und wird üblicherweise als Zinssatz, nämlich als jährlicher Prozentsatz, ausgewiesen. Möglicherweise stehen Sie vor der Entscheidung zwischen verschiedenen Geldanlagen: Mietautos, Ölquellen, Wohnraum, Bildung und so weiter. Ihr Finanzberater hat Ihnen mitgeteilt, dass Sie zu knapp bei Kasse sind, um alle diese Investitionen zu tätigen. Wie können Sie in dieser Situation eine sinnvolle Entscheidung treffen? Nun, es wäre bestimmt sinnvoll, die Kapitalrendite jeder einzelnen ins Auge gefassten Investition auszurechnen. Ermitteln Sie dazu die Kosten des jeweiligen Kapitalguts. Schätzen Sie dann die jährlichen Geldeinnahmen oder den Zins, den Ihnen diese Güter einbringen würden. Das Verhältnis zwischen jährlichem Zins und Kosten ergibt die Kapitalrendite. Sie sagt Ihnen, wie viel Geld Sie für jede investierte Geldeinheit zurückerhal-
4 Abschreibung ist ein Schätzwert des finanziellen Verlusts eines Kapitalgutes infolge Alterung oder Verschleiß in einer bestimmten Periode.
Teil 3
ten, und zwar gemessen als jährlicher Geldbetrag pro investiertem Geldbetrag. Die Kapitalrendite entspricht der jährlichen Nettorendite (Zins abzüglich Kosten) pro Geldeinheit der Kapitalinvestition. Es handelt sich hierbei um eine einfache Zahl – einen jährlichen Prozentsatz. Von Wein, Bäumen und Bohrern. Einige Beispiele zum Thema Kapitalrendite: • Ich kaufe Traubensaft für US-$ 10 und verkaufe ihn ein Jahr später als Wein für US-$ 11. Entstehen keine weiteren Kosten, beträgt die Kapitalrendite aus dieser Investition US-$ 1 / US-$ 10 oder 10 Prozent jährlich. • Ich pflanze eine Kiefer, und daraus entstehen mir Arbeitskosten von US-$ 100. Nach 25 Jahren kann ich das Holz des Baums für US-$ 430 verkaufen. Die Kapitalrendite dieses Projekts beträgt demnach 330 Prozent in 25 Jahren, was, wie uns der Taschenrechner zeigt, einer Rendite von 6 Prozent jährlich entspricht. Das heißt: US$ 100 (1,06)25 = 430. • Ich kaufe eine Ölbohrausrüstung für US-$ 20.000. Diese erbringt zehn Jahre lang einen Zins von jeweils US-$ 30.000, allerdings entstehen mir auch alljährlich Kosten von US-$ 26.000 für Treibstoff, Versicherung und Wartung. Mit der verbleibenden Nettorendite von US-$ 4.000 kann ich die Zinsen bedienen und das Kapital von US-$ 20.000 innerhalb von zehn Jahren zurückzahlen. Wie hoch ist die Kapitalrendite meiner Bohrausrüstung? Statistische Tabellen zeigen mir, dass die Rendite 15 Prozent jährlich beträgt.
Finanz- oder Sachanlagen? Bei Betrachtung der Bilanz eines Unternehmens oder eines Haushalts erkennen wir eine bunte Mischung aus Finanz- und Sachanlagen. Sachanlagen bestehen aus Boden und
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Kapitel 14 Boden und Kapital
Kapitalgütern wie Computern, Gebäuden und Autos, die zur Produktion weiterer Güter und Dienstleistungen benötigt werden. Wir müssen diese aber von den Finanzanlagen unterscheiden, die im Wesentlichen nichts weiter als ein paar Blätter Papier sind. Konkret stellen Finanzanlagen finanzielle Forderungen einer Partei an eine andere dar. Ein wichtiges Beispiel für eine Finanzanlage ist der Hypothekarkredit – die Forderung einer Bank gegenüber einem Hausbesitzer, der ihr monatlich Kapitalrückzahlungen und Zinszahlungen leisten muss. Mit diesen Zahlungen wird der Kredit beglichen, den der Eigentümer benötigte, um sein Haus zu kaufen. Wie im Fall des Hypothekarkredits steht hinter einer Finanzanlage häufig eine Sachanlage (oder dient zumindest zu deren Besicherung). In anderen Fällen – man denke an einen Studentenkredit – kann eine Finanzanlage aus einem Versprechen abgeleitet sein, in diesem Fall der Zusage, aus dem künftigen Einkommen Zahlungen zu leisten. Es versteht sich von selbst, dass Sachanlagen für eine Volkswirtschaft wichtig sind, erhöhen sie doch die Produktivität der anderen Faktoren. Doch welche Funktion haben Finanzanlagen? Nun, ihre Bedeutung ergibt sich aus dem Ungleichgewicht zwischen Sparern und Investoren. Studenten brauchen Geld, um sich ihr College leisten zu können, aber noch verdienen sie nicht genug, um die Rechnung selbst zu bezahlen. Ältere Menschen, die zugleich arbeiten und für ihre Pension sparen, verdienen bisweilen mehr, als sie ausgeben, und könnten beispielsweise ihre Ersparnisse diesen Studenten zur Verfügung stellen. Bei dieser Betrachtung stoßen wir auf ein weit verzweigtes Finanzsystem aus Banken, Investmentfonds, Versicherungsgesellschaften und Pensionsfonds – häufig kommen auch noch staatliche Darlehen und Garantien hinzu –, das die Gelder der Sparer hin zu den Investoren kanalisiert. Ohne dieses Finanzsystem könnten Unternehmen die enormen Investitionen für die Entwicklung neuer Produkte, könnten Haushalte das Geld zum Kauf eines Hauses oder könnten Stu-
denten ihr Studiengeld nicht aufbringen, sofern sie nicht selbst die benötigten hohen Beträge angespart haben. Die wichtigsten Elemente unseres Finanzsystems werden wir später, im makroökonomischen Teil dieses Buches, behandeln.
Finanzanlagen und Zinsen Wenn Menschen sparen, erwarten sie sich dafür natürlich etwas, einen Ertrag. Es ist dies der Zinssatz, der Finanzertrag aus ihren Geldern oder die jährliche Rendite auf die gegebenen Darlehen. Der Ertrag, den man durch die befristete Einlage von Geld auf ein Depot bei einer Geschäftsbank erzielt, ist ein gutes Beispiel für Zinsen. Nehmen wir einmal an, der Jahreszinssatz 2005 beträgt 5 Prozent. Wenn Sie am 1.1.2005 US-$ 1.000 einzahlen, erhalten Sie am 1.1.2006 US-$ 1.050 zurück. Normalerweise werden Zinsen (der Zinssatz) als X Prozent pro Jahr angegeben. Der sich daraus ergebende Betrag wäre zu bezahlen, bestünde das Darlehen genau für ein Jahr. Für eine kürzere oder längere Laufzeit muss er anteilig berechnet werden. Es gibt viele verschiedene Arten von Zinssätzen. Wir unterscheiden lang- und kurzfristige Zinssätze, je nach der Laufzeit eines Darlehens oder einer Anleihe; es gibt fest verzinste Darlehen ebenso wie Darlehen mit variablem Zinssatz; für besonders sichere Anleihen (etwa für US-Staatsschuldverschreibungen) gelten spezielle Zinssätze, für besonders riskante „Junk Bonds“ wiederum andere. Zusammenfassend: Haushalte und andere Sparer stellen Wirtschaftsteilnehmern, die in materielle oder immaterielle Anlagegüter investieren möchten, ihre finanziellen Ressourcen oder Geldmittel zur Verfügung. Der Zinssatz ist dabei jener Preis, den ein Darlehensnehmer seinem Darlehensgeber für die Nutzung seiner Gelder über einen bestimmten Zeitraum zu bezahlen hat; Zinssätze werden als ein bestimmter Prozentsatz pro Jahr angegeben.
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Real- oder Nominalzinssätze Die oben erwähnten Zinssätze werden in Geldeinheiten oder als Nominalwert, nicht aber in Form von Bäumen, Wein oder Autos angegeben. Zinssätze bezeichnen den jährlichen Ertrag einer Investition in Geldeinheiten pro investiertem Geldbetrag. Doch der Maßstab Geldeinheiten kann Verzerrungen unterliegen. Die Preise für Fisch, Bäume, Wein und andere Güter ändern sich von Jahr zu Jahr, wenn das allgemeine Preisniveau, bedingt durch die Inflation, steigt.5 Wir müssen daher auch einen Realwert der Kapitalrendite ermitteln, mit der wir jene Gütermenge messen können, die wir morgen für unseren heutigen Güterverzicht erhalten. Nehmen wir beispielsweise an, Sie hätten Anfang 1995 1.000 Rubel in eine russische Anleihe investiert. Da man Ihnen eine Verzinsung von 70 Prozent geboten hatte, freuten Sie sich wahrscheinlich über die üppige Rendite und sahen sich zum Jahresende bereits mit 1.700 Rubel in der Tasche. Als Sie jedoch später Ihr Geld wieder entnehmen wollten, um einige Verbrauchsgüter zu kaufen, mussten Sie feststellen, dass die Preise in Russland allein im Jahr 1995 um 65 Prozent gestiegen waren. Gemessen an der real erhältlichen Menge an Gütern konnten Sie also nur um 3 Prozent mehr einkaufen als zu Beginn des Jahres: (1.030 = 1,70/1,65). Mit anderen Worten: Hätten Sie zu Beginn des Jahres 1995 1.000 Warenkörbe verliehen, hätten Sie ein Jahr danach nur 1.030 Warenkörbe zurückerhalten. Bei hoher Inflation klafft ein deutlicher Unterschied zwischen Real- und Nominalverzinsung. Wir bezeichnen den realen Ertrag aus Geldmitteln als Realzins(satz), im Gegensatz zum Nominalzins(satz), der die Rendite in Geldeinheiten aus dem investierten Geldbetrag ausdrückt. Bei niedrigen Zins- und Inflationsraten liegt der Realzinssatz sehr nahe 5 Die Inflationsrate wird als Preisänderung von einer Periode zur nächsten definiert. Bei einem allgemeinen Preisniveau von 100 im Jahr 2000 und 103,5 im Jahr 2001 beträgt die Inflationsrate 3,5 Prozent jährlich.
Teil 3
am Nominalzinssatz abzüglich der Inflationsrate.6 Der Realzinssatz ist der Ertrag aus eingesetzten Geldmitteln, gemessen in Gütern und Dienstleistungen; wir berechnen den Realzinssatz im Allgemeinen als Nominalzinssatz abzüglich Inflationsrate. Tabelle 14-1 zeigt die Nominalverzinsung verschiedener Anlageinstrumente während der letzten 30 Jahre. (Die Realverzinsung können Sie anhand unserer Formel berechnen, indem Sie die durchschnittliche Inflation Anlageform
Steuerfreie Landes- und Kommunalanleihen Bundesanleihen: Kurzläufer Langläufer Unternehmensanleihen: Sicher (Aaa) Riskant (Baa) Verbraucherkredite: Hypothekarkredite Kreditkarten Neuwagenkredite
Nominalrendite 1976–2003 (jährlicher Prozentsatz) 7,3
6,5 8,3 9,2 10,3 9,9 16,2 11,2
Tabelle 14-1: Die Verzinsung ausgewählter Finanzinstrumente in den USA Die nominelle Verzinsung hängt von Risiko, Inflation und steuerlicher Behandlung ab. Die niedrigste Verzinsung erzielen steuerfreie und sichere Landesund Kommunalanleihen, gefolgt von steuerpflichtigen Bundesanleihen. Kreditkarten sind teure, aber problemlos erhältliche Kreditquellen. Anleihen von Ländern mit hohem staatlichem Ausfallrisiko und hoher Inflation können um ein Vielfaches höher verzinst sein. Quelle: Federal Reserve Board. 6 Mit anderen Worten: Entspricht π der Inflationsrate, i dem nominellen Zinssatz und r dem Realzinssatz, so berechnet sich die Realverzinsung wie folgt: 1 + r = (1 + i) / (1 + π). Wenn i und π gering sind, gilt hingegen: r = i – π.
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Kapitel 14 Boden und Kapital
von 4 Prozent jährlich in diesem Zeitraum berücksichtigen.)
Der Zeitwert von Kapitalgütern Kapitalgüter sind dauerhafte Vermögenswerte, die im Zeitablauf einen Zins- oder Ertragsstrom produzieren. Sollte Ihnen ein Wohnhaus gehören, so können Sie daraus während der gesamten Lebensdauer dieses Hauses Mieterträge erzielen, genauso wie der Besitzer eines Obstgartens alljährlich Früchte von seinen Bäumen ernten kann. Nehmen wir an, Sie haben es satt, Ihr Wohnhaus zu vermieten, und beschließen, es zu verkaufen. Um seinen fairen Preis festsetzen zu können, müssten Sie den Zeitwert des gesamten Stroms künftiger Erträge ermitteln. Der Wert dieses Ertragsstroms wird als Zeit- oder Gegenwartswert des Kapitalgutes bezeichnet. Der Zeitwert (auch Gegenwartswert genannt) ist der heutige Geldwert des gesamten im Zeitablauf zu erzielenden Ertragsstroms. Er wird ermittelt, indem man berechnet, wie viel Geld man heute zum gängigen Zinssatz investieren müsste, um den künftigen Ertragsstrom aus dem Kapitalgut zu erzielen. Beginnen wir mit einem ganz einfachen Beispiel. Nehmen wir an, irgendjemand möchte Ihnen eine Flasche Wein verkaufen, die noch genau ein Jahr lagern muss und für die Sie dann US-$ 11 erzielen können. Unter der Annahme, dass der gängige Zinssatz 10 Prozent jährlich beträgt, stellt sich nun die Frage, wie viel Sie heute für den Wein bezahlen sollten – wie hoch also sein Zeitwert ist. Die Antwort lautet: Bezahlen Sie genau US-$ 10, denn eine heutige Investition von US-$ 10 wird bei einem Marktzinssatz von 10 Prozent in einem Jahr einen Wert von US-$ 11 darstellen. Daher beträgt der Zeitwert des Weines, der in einem Jahr für US-$ 11 gehandelt werden wird, heute US-$ 10.
Der Zeitwert ewiger Renten Wir zeigen Ihnen hier die erste Methode zur Errechnung des Zeitwertes anhand des Falls einer ewigen Rente, die sich auf ein Kapitalgut wie Boden bezieht, das ewig bestehen bleibt und alljährlich, von jetzt an bis in alle Ewigkeit, US-$ N erbringt. Wir wollen den Zeitwert (V) ermitteln, wenn der Zinssatz i Prozent jährlich beträgt, wobei der Zeitwert der heute investierte Geldbetrag ist, der genau US-$ N pro Jahr ergeben würde. Die Formel hierfür lautet ganz einfach:
V = $N ------i wobei gilt: V = Zeitwert des Bodens (in US-$) $N = die ewige Rente (in US-$ pro Jahr) i = Zinssatz als Dezimalzahl (z.B. 0,05 oder 5/100 pro Jahr) Somit kann ein Vermögenswert, der eine ewige Rente erzielt, bei einem kontinuierlichen Zinssatz von 5 Prozent jährlich für genau das Zwanzigfache (= 1 ÷ 5/100) seines Jahresertrags verkauft werden. Wie hoch wäre in diesem Fall der Zeitwert einer ewigen Rente, die alljährlich US-$ 100 erbringt? Bei einem Zinssatz von 5 Prozent läge der Zeitwert bei US-$ 2.000 (= US-$ 100 ÷ 0,05). Die Formel für ewige Renten lässt sich auch zur Bewertung von Aktien heranziehen. Nehmen wir an, für eine Aktie der Spring Water Co. wird bis in alle Ewigkeit eine jährliche Dividende von US-$ 1 erwartet, und der Diskontsatz für Aktien liegt bei 5 Prozent jährlich. Der Aktienkurs sollte dann bei P = US-$ 1 / 0,05 = US-$ 20 je Aktie liegen. (Diese Zahlen werden inflationsbereinigt, wobei der Zähler den „realen Dividenden“ und der Nenner den „realen Zinssätzen“ oder dem „realen Diskontsatz“ entspricht.)
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Allgemeine Zeitwertformel Nachdem wir den einfachen Fall einer ewigen Rente bereits erörtert haben, wenden wir uns nun dem allgemeinen Fall des Zeitwertes eines Kapitalgutes zu, dessen Ertragsstrom im Laufe der Zeit variiert. Das Entscheidende im Zusammenhang mit dem Zeitwert ist die Erkenntnis, dass künftige Zahlungen weniger wertvoll sind als gegenwärtige und dass man sie daher diskontieren (abzinsen) muss. Der geringere Wert künftiger Zahlungen lässt sich mit entfernten Gegenständen vergleichen, die immer kleiner aussehen als Gegenstände in unmittelbarer Nähe. Der Zinssatz bewirkt eine ähnliche Schrumpfung durch die zeitliche Perspektive. Nehmen wir als fantastisches Beispiel an, irgendjemand würde vorschlagen, an Ihre Erben in 999 Jahren US-$ 100 Milliarden auszuzahlen.7 Wie viel müssten Sie dafür heute auf den Tisch legen? Gemäß der allgemeinen Zeitwertregel müssen Sie sich zur Ermittlung des heutigen Werts von US-$ P, die in t Jahren ab heute zahlbar sind, fragen, wie viel heute investiert werden muss, um nach t Jahren US-$ P zu erhalten. Nehmen wir an, der Zinssatz betrüge 6 Prozent jährlich. Legen wir diesen alljährlich auf den wachsenden Betrag an, so steigt ein Kapital von US-$ P in t Jahren auf US-$ P (1 + 0,06)t. Wir brauchen den Term nun nur noch umzudrehen, um den Zeitwert zu ermitteln: Der Zeitwert von in t Jahren ausbezahlten US-$ P beträgt nur US-$ P / (1 + 0,06)t. Mit dieser Formel können wir ermitteln, dass der Zeitwert von US-$ 100 Milliarden, die in 999 Jahren ausbezahlt werden sollen, US-$ 0,0000000000000052 beträgt. Zumeist beinhaltet der Ertragsstrom eines Kapitalgutes mehrere Teilbeträge. Bei Zeitwertberechnungen muss jede Geldeinheit gesondert betrachtet werden. Berechnen Sie den Zeitwert jedes Teils des zukünftigen Er7 Übung 9 am Ende dieses Kapitels befasst sich mit dem Zeitwert der Immobilie Manhattan zum Zeitpunkt des Kaufs durch die Holländer.
Teil 3
tragsstroms, wobei Sie die durch das Auszahlungsdatum erforderliche Diskontierung genau beachten. Dann addieren Sie einfach alle einzelnen Zeitwerte. Das Ergebnis ergibt den gesamten Zeitwert des Kapitalgutes. Die genaue Formel für den Zeitwert lautet:
N1 N2 Nt V = -----------+ … + -------------------+… - + --------------------t 1 + i ( 1 + i )2 (1 + i ) In dieser Gleichung wird i, der Marktzinssatz für eine Periode, als konstant angenommen. Außerdem entspricht N1 den (positiven oder negativen) Nettoeinnahmen in Periode 1, N2 den Nettoeinnahmen in Periode 2, Nt den Nettoeinnahmen in Periode t und so weiter. Somit hat der Zahlungsstrom (N1, N2, …, Nt, …) den Zeitwert V, wie sich durch die Formel ergibt. Nehmen wir an, der Zinssatz beträgt 10 Prozent jährlich, und Sie sollen im nächsten Jahr US-$ 1.100 und in drei Jahren US-$ 2.662 erhalten. Der Zeitwert dieses Ertragsstroms sieht folgendermaßen aus: 2.662 1.100 V = --------------------- + ---------------------3- = 3.000 1 ( 1,10 ) ( 1,10 ) In Abbildung 14-3 sehen Sie die grafische Aufbereitung der Berechnung des Zeitwerts für eine Maschine, mit der sich über 20 Jahre ein kontinuierlicher Jahresnettomietzins von US-$ 100 erzielen lässt, wobei zum Schluss kein Schrottwert mehr verbleibt. Beachten Sie bitte, wie sehr die späteren Einnahmen aufgrund der zeitlichen Perspektive schrumpfen beziehungsweise diskontiert werden. Der gesamte nach der Diskontierung verbleibende Bereich (die rostfarben schattierte Fläche) stellt den gesamten Zeitwert der Maschine – den heutigen Wert aller zukünftigen Ertragsströme – dar.
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Jährliche Dollarmiete
Kapitel 14 Boden und Kapital
eine vierte Einkommenskategorie, die Gewinne. Was sind Gewinne und wie unterscheiden sie sich ganz allgemein von Zinsen und Kapitalrenditen?
100 80
Diskontierter Zins
60 40 Zeitwert 20 0
5
10 Jahre ab heute
15
20
Abbildung 14-3: Der Zeitwert von Kapitalgütern Der untere, rostfarbene Bereich zeigt den Zeitwert einer Maschine und ergibt eine Jahres-Nettomiete von US-$ 100 über 20 Jahre mit einem Zinssatz von 6 Prozent jährlich. Der obere, graue Bereich wurde diskontiert. Erklären Sie, warum eine Steigerung des Zinssatzes den grauen Bereich vergrößert und daher den Marktpreis des Kapitalgutes drückt.
Maßnahmen zur Maximierung des Zeitwertes Die Zeitwertformel zeigt uns, wie wir den Wert eines Kapitalgutes berechnen können, wenn wir die Einnahmen kennen. Beachten Sie jedoch bitte auch, dass die künftigen Einnahmen aus einem Kapitalgut im Normalfall von bestimmten Unternehmensentscheidungen abhängen: Soll ein LKW acht oder neun Jahre lang genutzt werden? Sollte man ihn einmal monatlich oder einmal jährlich warten lassen? Wäre es besser, ihn durch einen billigen, nicht sehr langlebigen LKW oder durch einen teureren, aber haltbareren zu ersetzen? Es gibt eine Regel, die uns zeigt, wie Investitionsentscheidungen richtig getroffen werden: Wir müssen jeden einzelnen Zeitwert berechnen, der sich aus jeder möglichen Entscheidung ergibt. Dann gilt es immer so vorzugehen, dass der Zeitwert maximiert wird. Mit dieser Methode erzielen wir höhere Erträge, die wir schließlich – ganz nach Belieben – wieder investieren können.
Gewinne Außer über Löhne, Zinsen und Renten unterhalten sich Ökonomen häufig auch über
Ausgewiesene Unternehmensgewinne Betriebswirte definieren Gewinne als die Differenz zwischen den gesamten Erlösen und den gesamten Aufwendungen eines Unternehmens. Bei der Berechnung dieses Gewinns beginnen wir mit den Gesamterlösen aus Lieferungen und Leistungen. Davon ziehen wir alle Aufwendungen (Löhne, Gehälter, Mieten, Material, Zinsen, Verbrauchssteuern und was sonst noch anfällt) ab. Der verbleibende Rest ist der Saldo oder Gewinn.8
Determinanten des Gewinns Was entscheidet über die Höhe der Unternehmensgewinne in einer Marktwirtschaft? Gewinne setzen sich tatsächlich aus verschiedenen Elementen zusammen, darunter implizite Kapitelrenditen der Eigentümer, Lohn für Risikobereitschaft und Innovationsgewinne. Gewinne als implizite Renditen. Für den Volkswirt sind Unternehmensgewinne ein Konglomerat unterschiedlicher Elemente. Dabei besteht ein Großteil der im Geschäftsbericht eines Unternehmens ausgewiesenen Gewinne aus nichts anderem als den Erträgen der Unternehmenseigentümer für ihr Kapital und ihre Arbeit, also für die von ihnen bereitgestellten Produktionsfaktoren. 8 Bei der Analyse von Gewinnen kommt es darauf an, zwischen betrieblichen Gewinnen und volkswirtschaftlichen Gewinnen zu unterscheiden. Betriebliche Gewinne (auch als Betriebseinkommen oder Betriebsertrag bezeichnet) sind der von den Buchhaltern gemessene Restwert und entsprechen den Erlösen abzüglich der Aufwendungen. Betriebliche Gewinne beinhalten eine implizite Rendite des im Besitz des jeweiligen Unternehmens befindlichen Kapitals. Der volkswirtschaftliche Gewinn entspricht den Erträgen nach Abzug aller Kosten – sowohl der monetären als auch der impliziten oder Opportunitätskosten. In großen Unternehmen entspräche der volkswirtschaftliche somit dem betrieblichen Gewinn abzüglich einer impliziten Kapitalrendite und abzüglich aller sonstigen Kosten (wie etwa der unbezahlten Zeit der Führungskräfte), die nicht vollständig zu Marktpreisen abgegolten werden.
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Einige Gewinne stellen beispielsweise den Ertrag für die persönliche Arbeit dar, die Unternehmensinhaber leisten – denken Sie etwa an einen Arzt oder Rechtsanwalt, der in einer kleinen Praxis oder Kanzlei tätig ist. Ein weiterer Teil ist der Mietzins für den im Eigenbesitz des Unternehmens befindlichen Boden. In großen Unternehmen entfällt der Großteil aller Gewinne auf Opportunitätskosten des investierten Kapitals. Diese Erträge werden kalkulatorische (Faktor-)Erträge (oder Kosten) genannt, eine Bezeichnung für die Opportunitätskosten von Produktionsfaktoren, die im Eigentum des Unternehmens selbst stehen. Das bedeutet, dass so manches, was vereinfachend als Gewinn bezeichnet wird, tatsächlich nichts anderes darstellt als Zinsen, Renten und Löhne unter anderem Namen. Als „kalkulatorische Zinsen“, „kalkulatorische Renten“ und „kalkulatorische Löhne“ bezeichnen Volkswirte jene Einkünfte, die ein Unternehmen aus seinen eigenen Produktionsfaktoren bezieht. Gewinne als Lohn für Risikobereitschaft. Unter dem Begriff Gewinn ist auch die Belohnung für den Risikograd von Investitionen subsumiert. Die meisten Unternehmen tragen ein Ausfallrisiko, das heißt, sie müssen befürchten, dass ein Darlehen oder eine Investition nicht bezahlt werden kann, etwa weil der Darlehensnehmer Konkurs anmeldet. Darüber hinaus gibt es zahlreiche versicherbare Risiken wie das Brand- oder Sturmschadenrisiko, die in Kapitel 11 genauer behandelt sind. Diesen kann man durch den Abschluss einer Versicherung begegnen. Ein drittes Risiko ist das nicht versicherbare oder systematische Risiko einer Investition. Ein Unternehmen reagiert möglicherweise sensibel auf Konjunkturschwankungen, was dazu führt, dass seine Einkünfte bei Aufoder Abwärtsbewegungen der aggregierten Produktionsmenge stark schwanken. Darüber hinaus gibt es eine vierte Risikokategorie, das staatliche Risiko, welches sich in der Gefahr äußert, dass ein Staat seinen Zah-
Teil 3
lungsverpflichtungen nicht nachkommt und (weil der Staat ein „Souverän“ ist und selbst die Gesetzgebung repräsentiert) innerhalb des bestehenden Rechtssystems kein wirksames Mittel dagegen zur Verfügung steht. Da Unternehmensgewinne Elemente dieser vier genannten Risikoarten enthalten, sind sie die am stärksten schwankende oder volatile Komponente des Volkseinkommens. Das Recht, Unternehmensgewinne – Aktien oder Eigenkapital der Unternehmen – zu beziehen, muss somit einen signifikanten Renditeaufschlag beinhalten, um für risikoscheue Investoren attraktiv zu sein. Diese zusätzliche Rendite von Wertpapieren über den Ertrag risikofreier Anlagen hinaus bezeichnen wir als Equity Premium (Eigenkapitalaufschlag). Empirische Studien haben gezeigt, dass der Equity Premium im 20. Jahrhundert durchschnittlich 6 Prozent betrug. Im Laufe der Spekulationsblase auf den Aktienmärkten Ende der 1990er Jahre sank er fast auf null. Daraus konnte man auf relativ niedrige künftige Aktienrenditen schließen. Die magere Performance von Aktieninvestitionen in den Jahren nach 2000 erinnert uns wieder einmal daran, dass Wertpapiere eine riskante Investition darstellen. Gewinne als Belohnung für Innovation und Unternehmergeist. Eine dritte Art von Gewinnen besteht in der Belohnung für Innovationen und Erfindungen. Eine wachsende Wirtschaft produziert laufend neue Produkte – von Telefonen im 19. Jahrhundert über Autos Anfang des 20. Jahrhunderts bis schließlich zu all den Produkten rund um Computer und IT-Dienstleistungen heute. Die neuen Produkte sind das Ergebnis von Forschung, Entwicklung und Marketing. Wir bezeichnen Personen, die ein neues Produkt oder Verfahren auf den Markt bringen, als Innovatoren oder Unternehmer. Was aber verstehen wir unter einem „Innovator“? Es ist dies ein Mensch, der über die Visionen, die Originalität und den Mut verfügt, neue Ideen in einem Unternehmen umzusetzen. Unsere Wirtschaft wurde von
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Kapitel 14 Boden und Kapital
den Entdeckungen großer Erfinder wie Alexander Graham Bell (Telefon), Jack Kilby (integrierter Schaltkreis) und Kary Mullis (Polymerase-Kettenreaktion) revolutioniert. Einige Erfinder häufen durch ihren Unternehmergeist große Reichtümer an. In einer Liste der reichsten Leute der Welt fanden sich zuletzt unter den Top vier allein drei Gründungsmitglieder von Microsoft. Jede erfolgreiche Innovation schafft ein zeitweiliges Monopol. Wir können Innovationsgewinne (die manchmal Schumpeter-Gewinne genannt werden) als eine zeitweilige zusätzliche Rendite für Innovatoren oder Unternehmer definieren. Während kurzer Zeit lassen sich Innovationsgewinne verdienen. Diese Gewinne sind aber nur vorübergehend möglich und gehen durch die Konkurrenz, die bald in Form von Rivalen und Nachahmern auftaucht, verloren. Doch immer dann, wenn eine Quelle für Innovationsgewinne versiegt, entspringt anderswo eine neue. Solange eine Wirtschaft neue Produkte und Verfahren hervorbringt, generiert sie Innovationsgewinne.
Wiederholung Wiederholen wir noch einmal die bisher eingeführten Begriffe, bevor wir sie praktisch anwenden wollen: • Ein moderner Industriestaat akkumuliert große Bestände an Kapital oder Kapitalgütern. Es sind dies all die Maschinen, Gebäude und Lagerbestände, die für die Produktivität der Wirtschaft so wichtig sind. • Die jährlichen Kapitalerträge in Geldeinheiten werden als Zins bezeichnet. Wenn wir die Nettoeinkünfte (Zins abzüglich Kosten) durch den Geldwert des Kapitalgutes, das uns diesen Zins erbringt, dividieren, erhalten wir die Kapitalrendite (gemessen als jährlicher Prozentsatz). • Kapital wird von Sparern finanziert, die Geldmittel verleihen und Finanzanlagen hal-
ten. Der Geldertrag dieser Finanzanlagen ist der Zinssatz, gemessen in Prozent pro Jahr. • Kapital- und Finanzanlagen erbringen im Zeitablauf einen Ertragsstrom. Aus diesem Ertragsstrom lässt sich ein Zeit- oder Gegenwartswert ableiten, der dem heutigen Wert eines künftigen Ertragsstroms entspricht. Wir fragen uns dazu, welche Summe heute investiert werden müsste, um bei gängigen Marktzinsen den erwarteten Ertragsstrom des Kapitalgutes hervorzubringen. • Gewinne stellen ein Residualeinkommen dar und entsprechen dem in Geldwerten ausgedrückten Ertrag abzüglich der Gesamtkosten. Gewinne enthalten Elemente impliziter oder kalkulatorischer Erträge (wie die Eigenkapitalrendite), eine Belohnung für Risikobereitschaft sowie Innovationsgewinne.
Die Kapital- und Zinstheorie Nachdem wir nun die wichtigsten Grundbegriffe der Kapitaltheorie besprochen haben, wollen wir uns einer Analyse der klassischen Kapitaltheorie zuwenden. Diesen Ansatz haben unabhängig voneinander der Österreicher E. v. Böhm-Bawerk, der Schwede Knut Wickseil und der Amerikaner Irving Fisher von der Yale University entwickelt.
Umwegrentabilität Bereits in Kapitel 2 haben wir darauf hingewiesen, dass eine Investition in Kapitalgüter zu einer indirekten Produktion oder einem Produktionsumweg führt. Anstatt Fische mit bloßen Händen zu fangen, erscheint es uns sinnvoller, Boote zu bauen, Netze zu knüpfen und diese anschließend zum Fang einer größeren Menge an Fischen zu verwenden, als dies mit bloßen Händen jemals möglich gewesen wäre. Anders ausgedrückt bedeutet die Investition in Kapitalgüter einen Verzicht auf sofor-
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
tigen Konsum, um dafür mehr zukünftigen Konsum zu ermöglichen. Wenn wir heute weniger konsumieren, setzen wir Arbeitskapazitäten zur Erzeugung von Netzen frei und können dadurch morgen viel mehr Fische fangen. Ganz allgemein formuliert ist Kapital deshalb produktiv, weil der Verzicht auf sofortigen Konsum uns mehr künftigen Konsum beschert. Um dieses Konzept besser verstehen zu können, stellen Sie sich bitte zwei absolut gleiche Inseln vor. Auf beiden steht dieselbe Menge an Arbeitskraft und natürlichen Ressourcen zur Verfügung. Insel A verwendet ihre primären Produktionsfaktoren direkt, um Konsumgüter wie Nahrung und Bekleidung herzustellen; hier werden keinerlei Kapitalgüter eingesetzt. Im Gegensatz dazu verzichtet die sparsame Insel B auf sofortigen Konsum und setzt ihre Ressourcen und Arbeitszeit dazu ein, um Kapitalgüter wie Pflüge, Schaufeln und Webstühle herzustellen. Durch diesen kurzfristigen Verzicht auf Konsum sorgt Insel B für einen großen Bestand an Kapitalgütern. Abbildung 14-4 zeigt uns, welchen Vorsprung B vor A erzielt. Messen Sie den Konsum pro Person, der bei Aufrechterhaltung des bestehenden Kapitalbestandes auf jeder Insel möglich ist. Da Insel B so sparsam ist und sich in der Produktion einer kapitalintensiven Umwegmethode bedient, kann sie in Zukunft mehr konsumieren als Insel A. Insel B erhält für ihren Verzicht auf 100 Einheiten gegenwärtigen Konsums in Zukunft mehr als nur 100 Konsumeinheiten. Durch Verzicht auf sofortigen Konsum und die Akkumulation von Kapitalgütern kann eine Gesellschaft ihren künftigen Konsum erhöhen.
Abnehmende Grenzerträge und Kapitalnachfrage Was geschieht eigentlich, wenn ein Land zunehmend auf sofortigen Konsum verzichtet
Teil 3
Periode des höheren Konsumniveaus Sparsame Insel B
Pro-Kopf-Konsum (konstante Preise)
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Faule Insel A
Investitionsperiode jetzt
künftig Zeit
Abbildung 14-4: Heutige Investitionen erhöhen das künftige Konsumniveau Zwei Inseln haben dieselbe Ausgangsposition in Bezug auf Arbeitsangebot und natürliche Ressourcen. Die ausgabefreudige Insel A investiert nichts und kann ihren Pro-Kopf-Konsum nur geringfügig steigern. Die sparsame Insel B hingegen investiert zu Beginn massiv, verzichtet damit auf sofortigen Konsum und kann anschließend die Früchte ihrer Sparsamkeit in Form eines sehr viel höheren künftigen Konsums genießen.
und stattdessen Kapital akkumuliert, wobei es zu einer immer stärkeren indirekten Produktion, einem zunehmenden Produktionsumweg kommt? Wir würden eigentlich erwarten, dass hier irgendwann das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge zur Wirkung kommt. Nehmen wir als Beispiel Computer. Die ersten dieser Geräte waren teuer und wurden intensiv genutzt. Vor 30 Jahren kämpften die Wissenschaftler buchstäblich um jede Stunde an einem der damaligen Großrechner, die im Übrigen kaum die Rechenleistung eines heutigen PC erreichten. Heute verfügen die in den USA eingesetzten Computer über die millionenfache Rechen- und Speicherkapazität. Das Grenzprodukt der Computerleistung – der Wert des letzten Rechenvorgangs oder der letzten gespeicherten Dateneinheit – ging jedoch, sobald Computerinputs im Verhältnis zu Arbeit, Boden und anderen Kapitalgütern immer mehr zunahmen, stark zurück. Allgemeiner ausgedrückt: Wenn Kapital akkumuliert wird, gehen die Grenzerträge zurück, und die Investitionsrendite sinkt.
Kapitel 14 Boden und Kapital
Überraschenderweise ist jedoch im Verlauf der letzten 200 Jahre die Kapitalrendite nicht wesentlich gesunken, obwohl die Kapitalbestände um ein Vielfaches zugenommen haben. Die Rendite ist nach wie vor hoch, weil Innovation und technologische Veränderungen gewinnträchtige neue Möglichkeiten ebenso rasch eröffnen, wie frühere Investitionen diese zunichte gemacht haben. Obwohl unsere Computer heute die tausendfache Kapazität ihrer 30 Jahre alten Vorgängermodelle erreichen, machen neue Anwendungen an allen Ecken und Enden unserer Gesellschaft, von der medizinischen Diagnostik bis zum E-Commerce, Computerinvestitionen weiterhin profitabel. Irving Fisher: Der Ökonom als Missionar Irving Fisher (1867–1947) war ein überaus facettenreiches Genie mit einer stark ausgeprägten missionarischen Komponente. Seine Pioniertätigkeit als Ökonom spannte sich von grundlegenden theoretischen Studien über Nutzen und Kapital und wichtigen, praxisbezogenen Untersuchungen des Konjunkturzyklus bis hin zur Erstellung von Preisindizes und einer Reform des Geldwesens. Zu seinen wichtigsten Beiträgen gehört die Entwicklung einer umfassenden Kapital- und Zinstheorie in seinen Werken The Nature of Capital and Income (1906) und The Theory of Interest (1907). Fisher beschrieb die Wechselwirkung zwischen dem Zinssatz und zahlreichen anderen Elementen der Wirtschaft. Die für die Bildung des Zinssatzes bestimmenden Faktoren, das konnte Fischer nachweisen, sind letztlich nur zwei Eckpfeiler: Ungeduld, die sich als „Diskontierung der Zeit“ äußert, und Investitionschancen, die sich im „Grenzertrag nach Abzug der Kosten“ widerspiegeln. Es war Fisher, der die grundlegende Beziehung zwischen Zinsen, Kapital und Wirtschaft entdeckte, wie sie in der folgenden Zusammenfassung aus The Theory of Interest beschrieben ist:
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In Wahrheit handelt es sich beim Zinssatz nicht um ein peripheres Phänomen, anzuwenden allein auf einige wenige geschäftliche Transaktionen, sondern dieses Konzept durchzieht das gesamte Geflecht wirtschaftlicher Beziehungen. Der Zinssatz ist die Verbindung zwischen dem Menschen und seiner Zukunft, auf der alle seine weit reichenden Entscheidungen beruhen. Er zeigt sich im Preis von Wertpapieren, Boden und Kapitalgütern im Allgemeinen, findet aber auch Eingang in Renten, Löhne und den Wert aller „Interaktionen“. Der Zinssatz hat tief greifende Auswirkungen auf die Verteilung des Wohlstands. Kurz gesagt, von seiner präzisen Anpassung hängen die fairen Bedingungen jedes Tauschgeschäfts und jeder Verteilung ab.
Fisher legte großen Wert darauf, Forschungsergebnisse auch empirisch anwenden zu können. Seine Philosophie tritt am deutlichsten in der Econometric Society zutage, an deren Gründung er beteiligt war und deren Satzung eine Wissenschaft proklamiert, die zum „Fortschritt der Wirtschaftstheorie in ihrer Beziehung zur Statistik und Mathematik [und] zur Zusammenführung des theoretisch-quantitativen und des empirisch-quantitativen Ansatzes“ beitragen sollte. Zusätzlich zur reinen ökonomischen Forschung war Fisher auch ein begeisterter Missionar. Er sprach sich für einen „compensated dollar“ als Ersatz für den Goldstandard aus. Nachdem er an Tuberkulose erkrankte, entwickelte er sich zum passionierten Kämpfer für die Hebung der Volksgesundheit und entwickelte 15 Regeln der persönlichen Hygiene. Er erwies sich als strikter Befürworter der Prohibition und verschiedener Schrullen wie etwa der Forderung, jeden Bissen vor dem Schlucken 100 Mal zu kauen. Es heißt, Dinner-Partys im Hause Fisher hätten in New Haven in Ermangelung von Alkohol und wegen des langwierigen Kauvorgangs nicht unbedingt zu den begehrtesten Einladungen gezählt. Seine berühmteste Prognose sprach Fisher im Jahr 1929 aus, als er meinte, der Aktienmarkt habe ein „dauerhaftes Wohl-
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
standsniveau“ erreicht. Zur Bekräftigung investierte er auch gleich sein eigenes Vermögen, mit dem Erfolg, dass sein beträchtlicher Wohlstand von der Weltwirtschaftskrise einfach hinweggespült wurde. Auch wenn Fishers Begabung für Investitionen danach stark in Zweifel gezogen wurde, die Bedeutung seines wirtschaftswissenschaftlichen Erbes steigt bis heute immer noch, und er wird weithin als größter amerikanischer Ökonom aller Zeiten betrachtet.
Zinsbildung und Kapitalrendite Die klassische Kapitaltheorie erleichtert uns das Verständnis der Bildung von Zinssätzen. Da sind einmal die Haushalte, die das Angebot an Geldmitteln für die Investitionen bereitstellen, indem sie auf sofortigen Konsum verzichten und im Laufe der Zeit Ersparnisse akkumulieren. Zugleich besteht eine Nachfrage der Unternehmen nach Kapitalgütern, die sie in Kombination mit Arbeit, Boden und anderen Inputs einsetzen. Und schließlich wird die Nachfrage der Unternehmen nach Kapital durch ihr Gewinnstreben bestimmt, das sie befriedigen können, indem sie Güter produzieren. Oder, wie Irving Fisher es vor rund hundert Jahren ausgedrückt hat: Kapitalmenge und Kapitalrendite werden durch die Wechselwirkung zwischen (1) der Ungeduld der Menschen, die lieber sofort konsumieren, als Kapitalgüter für den zukünftigen Konsum (vielleicht für die Pension oder für die sprichwörtlichen mageren Jahre) anzuhäufen, und (2) den Investitionsmöglichkeiten mit ihren mehr oder weniger hohen Renditen auf das akkumulierte Kapital bestimmt.
Um Zins und Kapitalrendite verstehen zu können, sollten Sie sich den virtuellen Fall einer geschlossenen Volkswirtschaft mit vollständigem Wettbewerb und ohne Inflationsrisiko vorstellen. Bei der Entscheidung, ob eine Investition vorgenommen werden soll oder nicht, muss ein Unternehmen, das seine
Teil 3
Gewinne maximieren möchte, seine Finanzierungskosten stets mit der Kapitalrendite vergleichen. Ist die Rendite der Investition höher als der Marktzinssatz für Darlehen, wird ein solches Unternehmen die beabsichtigte Investition tätigen. Ist hingegen der Darlehenszinssatz höher als die Investitionsrendite, verzichtet das Unternehmen wohlweislich auf die Investition. Und wohin führt uns dieser Prozess? Die Unternehmen werden schlussendlich all jene Investitionen tätigen, deren Rentabilität höher ist als der Marktzinssatz. Das Gleichgewicht ist an dem Punkt erreicht, an dem die Höhe der Investition, die Unternehmen bei einem gegebenen Zinssatz tätigen, der Ersparnis durch den Zinssatz entspricht. In einer Wettbewerbswirtschaft ohne Inflationsrisiko entspricht die Kapitalrendite dem Marktzinssatz. Der Marktzinssatz hat zwei Funktionen: Er verteilt das knappe Angebot an Kapitalgütern einer Gesellschaft auf jene Zwecke, die die höchste Rentabilität versprechen, und er bringt die Menschen dazu, auf sofortigen Konsum zu verzichten, um das bestehende Kapital zu vermehren.
Grafische Analyse der Kapitalrendite Wir können die klassische Kapitaltheorie bildlich darstellen, wenn wir uns eine vereinfachte, fiktive Situation vorstellen, in der alle physischen Kapitalgüter gleich sind. Zusätzlich nehmen wir an, dass sich die Wirtschaft in einem statischen Zustand ohne Bevölkerungswachstum und ohne technologischen Wandel befindet. In Abbildung 14-5 stellt DD die Kapitalnachfragekurve dar; sie zeigt die Beziehung zwischen der nachgefragten Kapitalmenge und der Höhe der Kapitalrendite. Erinnern Sie sich aus Kapitel 12 daran, dass die Nachfrage nach einem Faktor wie Kapital eine abgeleitete Nachfrage ist, die sich aus dem Kapitalgrenzprodukt ergibt, das der zusätz-
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Kapitel 14 Boden und Kapital
Kapitalrendite und Zinssatz (Prozent pro Jahr)
r, i D S 14 12 10
kurzfristiges Gleichgewicht E
8 6 4
D
2 0
S
K
Kapitalbestand
Abbildung 14-5: Kurzfristige Bildung von Zinssätzen und Kapitalrendite Kurzfristig hat die Wirtschaft einen bestimmten Kapitalbestand aus der Vergangenheit übernommen, was als die senkrechte SS-Kapitalangebotskurve dargestellt ist. Im Schnittpunkt zwischen der kurzfristigen Angebotskurve und der Kapitalnachfragekurve ergeben sich die kurzfristige Kapitalrendite und der kurzfristige Realzinssatz von 10 Prozent jährlich.
lichen Produktionsleistung durch Zugänge zum Kapitalbestand entspricht. Das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge (Ertragsgesetz) lässt sich anhand der Tatsache belegen, dass die Kapitalnachfragekurve in Abbildung 14-5 abwärts geneigt ist. Bei sehr knappem Kapital erzielen die rentabelsten Umwegprojekte eine sehr hohe Rendite. Wenn die Gesellschaft nach und nach alle rentablen Projekte durch Kapitalakkumulation durchführt, wobei Arbeit und Land insgesamt fix sind, setzen rückläufige Kapitalerträge ein. Die Gesellschaft muss dann in weniger rentable Projekte investieren, wobei sie sich entlang der Kapitalnachfragekurve abwärts bewegt. Kurzfristiges Gleichgewicht. Wir können nun erkennen, in welcher Beziehung Angebot und Nachfrage zueinander stehen. In Abbil-
dung 14-5 haben frühere Investitionen zu einem bestimmten Kapitalbestand geführt, der als die vertikale kurzfristige Angebotskurve SS dargestellt ist. Die Unternehmen fragen immer weniger Kapitalgüter nach, wie durch die abwärts gerichtete Nachfragekurve DD zum Ausdruck gebracht wird. Im Schnittpunkt zwischen Angebot und Nachfrage, im Gleichgewichtspunkt E, wird der Kapitalmarkt von den nachfragenden Unternehmen geräumt. In diesem kurzfristigen Gleichgewicht sind die Unternehmen bereit, einen Zinssatz von 10 Prozent pro Jahr zu bezahlen, um Darlehen für den Ankauf von Kapitalgütern aufzunehmen. Und in diesem Punkt geben sich auch die Darlehensgeber mit 10 Prozent Zinsen pro Jahr für ihr Kapitalangebot zufrieden. So entspricht in unserer vereinfachten, risikolosen Welt die Kapitalrendite genau dem Marktzinssatz. Jeder höhere Zinssatz würde zum Verzicht der Unternehmen auf Darlehen für ihre Investitionen führen; jeder niedrigere Zinssatz hätte zur Folge, dass die Unternehmen Kämpfe um das zu knappe Kapital ausfechten würden. Nur beim Gleichgewichtszinssatz von 10 Prozent sind Angebot und Nachfrage ausgeglichen. (Denken Sie daran, dass es sich in unserem Beispiel mangels Inflation um Realzinssätze handelt.) Doch das Gleichgewicht in E bleibt nur kurzfristig bestehen. Bei einem so hohen Zinssatz wollen die Menschen mehr Wohlstand akkumulieren, und das heißt, sie sparen. So nimmt der Kapitalbestand zu. Zugleich bewegen sich aufgrund des Ertragsgesetzes Rentabilität und Zinssatz nach unten. Bei zunehmendem Kapital – wenn andere Faktoren wie Arbeit, Boden und technologische Möglichkeiten unverändert bleiben – sinkt die Rendite auf die erhöhten Kapitalbestände auf ein immer niedrigeres Niveau ab. So ist zu erklären, dass in Punkt E eine Nettokapitalbildung stattfindet. Der Kapitalbestand steigt leicht an, weil es zu Nettoinvestitionen kommt. Im Laufe der Zeit bewegt sich die Gesellschaft langsam die DD-Kurve abwärts, wie in Abbildung 14-6 durch die
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Teil 3
r, i D
Kapitalrendite und Realzinssatz (Prozentsatz pro Jahr)
S
S′ S″
S′′′
SL
12 10
E
8 6 S 4
E′ S′ S″
Langfristiges Gleichgewicht
S′′′ D
2
SL K
0 Kapitalbestand
Abbildung 14-6: Das langfristige Gleichgewicht von Kapitalangebot und Kapitalnachfrage Langfristig akkumuliert eine Gesellschaft Kapital, und ihre Angebotskurve verläuft nicht mehr senkrecht. Wie hier dargestellt, reagieren Kapitalangebot und Wohlstand auf die höheren Zinssätze. Im ursprünglichen Gleichgewicht E kommt es zu Nettoinvestitionen, sodass sich die Wirtschaft entlang ihrer Nachfragekurve DD nach unten bewegt, was durch die schwarzen Pfeile angezeigt ist. Das langfristige Gleichgewicht stellt sich in E' ein, wo die Nettoersparnis schwindet.
schwarzen Pfeile dargestellt. Sie erkennen hier auch eine Reihe sehr dünner kurzfristiger Kapitalangebotskurven – S, S', S'', S''', … Diese zeigen, wie das kurzfristige Kapitalangebot mit zunehmender Kapitalakkumulation steigt. Langfristiges Gleichgewicht. Wie verhalten sich Kapitalbestand und Kapitalrendite im langfristigen Gleichgewicht? In Abbildung 14-6 finden wir das langfristige Gleichgewicht in E'. Hier schneidet das langfristige Kapitalangebot (als SLSL eingezeichnet) die Kapitalnachfrage. Im langfristigen Gleichgewicht nimmt der Zinssatz jene Höhe an, bei der die von den Unternehmen gehaltenen erwünschten Kapitalbestände genau dem erwünschten Wohlstand der Menschen entsprechen. An diesem Punkt gibt es keine Nettoersparnis mehr, die Kapitalakkumulation beträgt null, und die Kapitalbestände wachsen nicht weiter an.
Das langfristige Kapitalgleichgewicht stellt sich bei jenem Zinssatz ein, bei dem die Sparguthaben, die die Haushalte anstreben, genau dem Darlehenskapital entsprechen, das die Unternehmen für ihre Produktion aufnehmen möchten.
Anwendungen der klassischen Kapitaltheorie Wir haben unseren Überblick über die Grundlagen der Zins- und Kapitaltheorie nun beendet. Diese klassische Theorie bedarf aber noch einiger Erweiterungen und Modifikationen, um wesentlichen Merkmalen der realen Wirtschaft gerecht zu werden.
Steuern und Inflation Investoren haben stets ein wachsames Auge auf Inflationsentwicklung und Steuerpolitik.
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Kapitel 14 Boden und Kapital
Sie erinnern sich bestimmt noch: Inflation führt dazu, dass man für einen bestimmten Geldbetrag letztlich weniger kaufen kann. Wir wollen daher den Realzinssatz oder die reale Investitionsrendite berechnen, um den Verzerrungseffekt durch den sich verändernden Geldmaßstab zu vermeiden. Ein zweiter wichtiger Parameter für Investoren sind Steuern. Ein Teil unseres Einkommens fällt an den Staat und wird von diesem für die Bezahlung öffentlicher Güter und anderer staatlicher Programme herangezogen. Investoren interessieren sich daher für die erzielbare Investitionsrendite unter Berücksichtigung der Steuern.
Technologische Anstöße Komplexer sind Probleme im Zusammenhang mit dem technologischen Wandel. Historische Studien zeigen, dass Erfindungen und Entdeckungen die Kapitalrendite steigern und so Einfluss auf den Gleichgewichtszinssatz nehmen. Und tatsächlich wirkten Erfindungen und der laufende technologische Fortschritt immer wieder der Tendenz zu sinkenden Zinssätzen durch abnehmende Grenzerträge entgegen. Einige Ökonomen (beispielsweise Joseph Schumpeter) haben den Investitionsprozess mit einer gezupften Geigensaite verglichen. In einer Welt unveränderter Technologien kommt die Saite nach und nach zur Ruhe, wenn die Kapitalakkumulation die Kapitalrendite senkt. Doch bevor sich die Wirtschaft in einen Ruhezustand begibt, führt irgendein Vorfall von außen oder eine neue Erfindung dazu, dass die Saite wieder gezupft wird und die Investitionskräfte wieder in Gang kommen.
Unsicherheit und Erwartungen Die letzte Einschränkung betrifft das Risiko und die Unsicherheit, die bei Investitionsentscheidungen eine Rolle spielen. Im realen Leben verfügt kein Mensch über eine fantas-
tische Kristallkugel, aus der sich die Zukunft ablesen lässt. Alle Investitionen, die ja auf Annahmen künftiger Erträge beruhen, müssen in jedem Fall Prognosen späterer Kosten und Kompensationen beinhalten. Wir haben in unserer obigen Erörterung jegliches Risiko außer Acht gelassen. Tatsächlich aber birgt praktisch jedes Darlehen oder jede Investition auch ein Risikoelement in sich. Maschinen versagen; eine Ölquelle kann versiegen; Ihr bevorzugter Internet-Provider geht vielleicht in Konkurs. Der Risikograd von Investitionen ist natürlich unterschiedlich, aber völlig gefahrlos sind sie nie. Investoren stehen riskanten Investitionen im Allgemeinen negativ gegenüber, sie sind risikoavers. Stattdessen bevorzugen sie Vermögenswerte, die ihnen garantiert 10 Prozent Rendite einbringen, während sie sich vor anderen hüten, bei denen mit sie gleicher Wahrscheinlichkeit einen Ertrag von 0 Prozent oder 20 Prozent zu erwarten haben. Investoren müssen somit eine zusätzliche Rendite oder Risikoprämie erhalten, die hoch genug sein muss, um sie zur Tätigung von Investitionen mit hohem systematischem oder nicht versicherbarem Risiko zu veranlassen.
Empirische Feststellungen Die Rendite von Arbeit und Kapital Ein letzter Vergleich in Abbildung 14-7 zeigt uns die Trends in den Arbeits- und Kapitalerträgen der USA während der letzten 40 Jahre. Die Reallöhne (es handelt sich um die in USDollar – (ausgewiesenen Löhne, bereinigt um Preisbewegungen der Konsumgüter) stiegen bis in die späten 1970er Jahre stetig an und stagnierten dann 20 Jahre lang mehr oder weniger. Die Kapitalerträge vor Steuern sanken von ihrem höchsten Wert Mitte der 1960er Jahre und lagen sich in den letzten 30 Jahren bei einem Durchschnitt von rund 8 Prozent pro Jahr. Beachten Sie bitte, dass die Kapitalerträge Ende der 1990er Jahre sogar sanken – obwohl
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Teil 3
16
Löhne (pro Stunde, Preise von 2002) Rendite oder Stundenlohn
12
8
Kapitalrendite der Unternehmen (in Prozent/Jahr) 4
1960
1970
1980
1990
2000
Jahr
Abbildung 14-7: Trends bei Löhnen und Gewinnen in den USA Wie haben sich Arbeitslöhne und Kapitalrenditen in den letzten Jahren entwickelt? Die amerikanischen Reallöhne wiesen nach dem Zweiten Weltkrieg ein rapides Wachstum auf, stagnierten ab Mitte der 1970er Jahre und steigen seit Mitte der 1990er Jahre wieder an. Nach einem Höhepunkt Mitte der 1960er Jahre entwickelten sich die Gewinne amerikanischer Unternehmen vor Steuern deutlich rückläufig und bewegen sich nun seit 30 Jahren um etwa 8 Prozent jährlich. Quelle: US-Handelsministerium
Innovationen und Produktivitätswachstum boomten. Dieser jüngste Trend lässt den Schluss zu, dass die Unternehmer der New Economy in ihren Versuchen, die sozialen Gewinne aus ihrer Innovationstätigkeit zu internalisieren, weitgehend scheiterten.
Abschließende Gedanken zu Faktorpreisen, Effizienz und Verteilung Viele Ökonomen betonen, dass ein freier Markt für Kapital und Boden höhere Spar- und Investitionsraten nach sich zieht sowie ein starkes Wirtschafts- und gesundes Produktivitätswachstum fördert. Zugleich sind viele Menschen aber auch besorgt, derselbe freie Markt
könnte die Reichen reicher und die Armen ärmer machen. Wir möchten zu dieser Debatte drei abschließende Gedanken beisteuern: 1. Konkurrierende Faktormärkte fördern die Effizienz. Das Markteinkommen der Menschen wird von Renten, Zinsen und Löhnen bestimmt. Ob uns die Einkommensverteilung im Wettbewerb nun gefällt oder nicht, müssen wir doch anerkennen, dass die Preisgestaltung unter Konkurrenzbedingungen zur Lösung der Frage beiträgt, wie Güter effizient produziert werden können. Die richtige Höhe der Preise ist für eine effiziente Auswahl der Produktionsfaktoren entscheidend. Bedenken Sie etwa, wie ungleich Boden und Arbeit in verschiedenen Ländern ver-
Kapitel 14 Boden und Kapital
teilt sind. Vergleichen Sie die USA, wo es viel Boden und wenig Arbeit gibt, mit Hongkong, wo Boden kostbar, Arbeit aber im Überfluss vorhanden ist. Infolge des Gesetzes von Angebot und Nachfrage sind in den USA die Löhne im Vergleich zu den Mieten hoch, während für Hongkong das Gegenteil zutrifft. Da sich diese relative Knappheit jeweils in den Faktorpreisen niederschlägt, sorgen die Märkte dafür, dass effiziente Kombinationen von Boden und Arbeit eingesetzt werden. Amerikaner haben riesige Farmen und bedienen sich möglichst weniger Arbeitskräfte, während der Boden Hongkongs für Industrie und Wohnzwecke anstatt für die bodenintensive Landwirtschaft genutzt wird. 2. Kapitalmärkte sorgen für den nötigen Ausgleich zwischen Ersparnis und Investition. Wenn die Leute über Gewinne sprechen, denken sie meist an all die Beträge, die Unternehmen an ihre Manager und Aktionäre auszahlen. Dabei übersehen sie aber den wesentlichen Punkt in der Bedeutung des Kapitals für eine Marktwirtschaft. Die Akkumulation von Kapital und dessen Rendite werden von zwei fundamentalen Kräften beeinflusst. Einerseits resultiert die Kapitalnachfrage aus der Tatsache, dass indirekte oder Umweg-Produktionsprozesse produktiv wirken; durch den Verzicht auf sofortigen Konsum kann eine Gesellschaft ihren zukünftigen Konsum erhöhen. Andererseits müssen die Menschen auch gewillt sein, auf Konsum zu verzichten, um Finanzanlagen anzuhäufen und den Unternehmen Darlehen zur Verfügung zu stellen, die dann produktive Investitionen in Umweg-Produktionsprozesse ermöglichen. Diese beiden Kräfte – Technologie und Ungeduld – werden durch den Zinssatz in ein Gleichgewicht gebracht, das sicherstellt, dass die Kapitalakkumulation in der Gesellschaft genau in jener Höhe erfolgt, die dem Konsumverzicht der Haushalte durch Sparen entspricht.
401 3. Der Staat kann ohne Nachteile für die Effizienz gegen Ungleichheiten vorgehen. Abschließend sollten wir noch daran denken, dass Einkommen nicht in Stein gemeißelt sind. Die Faktorpreise unterliegen dem Einfluss staatlicher Politik, und Einkommen lassen sich durch Transferzahlungen umverteilen. Ist die Gesellschaft also mit den hohen Bodenrenten oder den exorbitant hohen Löhnen Einzelner nicht einverstanden, kann sie die bestehende Ungleichheit durch Steuern mildern, ohne größere Ineffizienzen zu bewirken. Gut konzipierte Steuern auf hohe Einkommen und ererbtes Vermögen, effiziente Lohnstützungsprogramme für schlecht bezahlte Arbeitskräfte und Transferprogramme für die wahrhaft Bedürftigen können die schlimmsten Ungerechtigkeiten einer Marktwirtschaft beseitigen und beeinträchtigen dennoch nicht die Funktion der Faktorpreise, die Märkte zu effizienten Allokationen zu veranlassen. Dank gut konzipierter Steuer- und Transferprogramme kann der Kuchen wachsender Produktivität eines Staates unter den Bürgern etwas gleichmäßiger aufgeteilt werden. Unser kurzer Überblick über die wirtschaftlichen Aspekte von Arbeit, Boden und Kapital schließt nun die mikroökonomische Analyse dieses Buches ab. Im Anhang zum vorliegenden Kapitel werden wir unser Verständnis noch ein wenig vertiefen, indem wir das Verhalten der Märkte insgesamt, auch als allgemeines Gleichgewicht bekannt, untersuchen und Überlegungen zur Effizienz der Märkte anstellen. Gut ausgestattet mit unseren neuen Werkzeugen aus den vorigen Kapiteln sind wir nun bereit für die abschließenden Erörterungen zum Thema Mikroökonomie in Teil 4; darin behandeln wir einige wichtige Anwendungsgebiete unseres neu gewonnenen Wissens, wie etwa die Struktur des internationalen Handels, die Rolle des Staates und politische Maßnahmen zur Bekämpfung von Ungleichheit und Umweltverschmutzung.
402
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Teil 3
Zusammenfassung A. Boden und Bodenrente 1.
2.
Der Ertrag mengenmäßig vollkommen unelastischer (fixer) Produktionsfaktoren wie Boden wird als reine wirtschaftliche Rente oder kurz als Rente bezeichnet. Da die Angebotskurve für Boden senkrecht und absolut unelastisch ist, wird die Bodenrente vom Preis bestimmt, nicht der Preis von der Bodenrente. Ein Produktionsfaktor wie Boden, dessen Angebot unelastisch ist, arbeitet auch bei abnehmendem Faktorertrag genauso intensiv weiter wie bisher. Deshalb hat uns Henry George darauf hingewiesen, dass Renten eher den Charakter von Gewinnen als denjenigen einer notwendigen Entlohnung zur Vergütung des Faktoreinsatzes haben. Dieser Umstand bildete auch die Grundlage für seinen Vorschlag eines Einsteuersystems, mit dem er ausschließlich den als arbeitsloses Einkommen betrachteten Wertzuwachs des Bodens besteuern wollte: eine Steuer, die nicht auf die Konsumenten überwälzt würde oder die Produktion verzerren könnte. Die moderne Fiskaltheorie erweitert den Vorschlag, indem sie nachweist, dass sich Ineffizienzen auf ein Mindestmaß reduzieren lassen, wenn ausschließlich Güter, die in Bezug auf Angebot oder Nachfrage relativ unelastisch sind, besteuert werden.
5.
6.
N1 N2 Nt V = ------------ + ---------------------- + … + -------------------- + … t 1+i 2 (1 + i ) (1 + i ) 7.
B. Kapital und Zinsen 3.
4.
Ein dritter Produktionsfaktor ist das Kapital: Es handelt sich hierbei um selbst produzierte, dauerhafte Wirtschaftsgüter, die in der künftigen Produktion eingesetzt werden. Ganz allgemein ausgedrückt bedeuten Kapitalinvestitionen aufgeschobenen Konsum. Durch die Verschiebung des sofortigen Konsums auf später und die Anschaffung von Gebäuden oder Maschinen erhöht die Gesellschaft ihre künftigen Konsummöglichkeiten. Es ist unbestritten, dass sich Produktionsumwege bezahlt machen. Merken Sie sich bitte folgende Definitionen: Kapitalgüter: dauerhafte, ihrerseits produzierte Güter, die für die zukünftige Produktion eingesetzt werden. Rente: jährlicher Nettogeldertrag von Kapitalgütern. Kapitalrendite: jährlicher Nettoertrag von Kapital, dividiert durch seinen Geldwert (ausgedrückt als jährlicher Prozentsatz).
Zinssatz: Ertrag einer Anlage, ausgedrückt als Prozentsatz pro Jahr. Realzinssatz: inflationsbereinigter Ertrag einer Veranlagung, ebenfalls als Prozentsatz pro Jahr angegeben. Zeit- oder Gegenwartswert: heutiger Wert eines zukünftigen Ertragsstroms, den ein Vermögenswert auslöst. Gewinne: Residualeinkommen, das den Erträgen abzüglich den Aufwendungen entspricht. Vermögenswerte schaffen künftige Einkommensströme. Durch die Berechnung des Zeitwerts können wir aus einem künftigen Ertragsstrom den aktuellen Wert ableiten. Dazu berechnen wir die Geldmenge, die heute erforderlich ist, um diesen zukünftigen Ertragsstrom auszulösen, wenn die Investition zum Marktzinssatz erfolgt. Die genaue Zeitwertformel lautet: Jeder Dollar, der in t Jahren bezahlt werden muss, hat einen Zeitwert (V) von $1 / (1+i)t. Daher erhalten wir für jeden Nettoertragsstrom (N1, N2, … Nt, …), wenn Nt dem Dollarwert der Erträge in t Jahren entspricht:
8.
Zinsen sind ein Instrumentarium, das ökonomisch gesehen zwei Funktionen hat. Einerseits sind Zinsen ein Motivationsinstrument, weil sie einen Anreiz schaffen, damit Menschen sparen und Vermögen anhäufen. Als Rationierungsoder Zuteilungsinstrument ermöglichen Zinsen der Gesellschaft die Auswahl jener Investitionsprojekte, die die höchste Rentabilität versprechen. Wird jedoch zunehmend mehr Kapital akkumuliert und kommt das Ertragsgesetz zur Wirkung, werden Kapitalrendite und Zinssatz durch den Wettbewerb nach unten gedrückt. Sinkende Zinssätze sind ein Signal für die Gesellschaft, kapitalintensivere Projekte mit geringeren Renditen in Angriff zu nehmen. Sparen und Investieren bedeutet, auf zukünftigen Konsum zu setzen, anstatt sofort zu konsumieren. Diese Sparsamkeit steht in Beziehung zur Nettokapitalproduktivität, die Zinssätze, Kapitalrendite und Kapitalbestand bestimmt. Die zum Erwerb von Kapital erforderlichen Gelder oder Finanzmittel werden von den Haushalten zur Verfügung gestellt, wenn diese bereit sind, auf sofortigen Konsum zu verzich-
403
Kapitel 14 Boden und Kapital
ten, um dafür in Zukunft mehr zu konsumieren. Die Kapitalnachfrage kommt von Unternehmen, die in eine Vielzahl von Produktionsumwegprojekten investieren. Im langfristigen Gleichgewicht wird der Zinssatz so durch die Wechselwirkung zwischen der Nettokapitalproduktivität und der Bereitschaft der Haushalte bestimmt, auf einen sofortigen Konsum zu verzichten, um dafür später mehr konsumieren zu können. 9. Die folgenden Aussagen erweitern die klassische Kapitaltheorie: Technologischer Wandel bewirkt eine Veränderung der Kapitalproduktivität; unsere mangelnde Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken, bewirkt, dass Kapitalrenditen mit massiven Unsicherheiten behaftet sind; Investoren sollten unbedingt auch die Auswirkungen von Steuern und Inflation berücksichtigen. 10. Gewinne lassen sich als Erträge abzüglich der Aufwendungen ermitteln. Die in den Ge-
schäftsberichten der Unternehmen ausgewiesenen Gewinne entsprechen im Wesentlichen den Unternehmenseinkünften. Volkswirtschaftlich betrachtet unterscheiden wir jedoch drei Kategorien von Gewinnen: (a) Zu nennen sind einmal implizite Renditen als eine wichtige Quelle von Gewinnen. Unternehmen besitzen im Allgemeinen viele ihrer Produktionsfaktoren selbst, wenn wir von der Arbeit absehen: Kapital, Rohstoffe und Patente. In diesen Fällen gehören auch die impliziten Renditen auf unbezahlte oder im Eigentum des Unternehmens befindliche Inputs zum Gewinn. (b) Eine weitere Quelle von Gewinnen sind die unversicherbaren Risiken, insbesondere jene im Zusammenhang mit dem Konjunkturzyklus oder staatlichen Risiken. (c) Und schließlich gibt es noch Innovationsgewinne, die ein Unternehmer mit der Einführung neuer Produkte oder Innovationen erzielt.
Begriffe zur Wiederholung Boden Rente Unelastisches Bodenangebot Besteuerung fixer Produktionsfaktoren Die „Einsteuerbewegung“ des Henry George
Kapital und Zinsen Kapital, Kapitalgüter Sachanlagen im Gegensatz zu Finanzanlagen Zins, Kapitalrendite, Zinssatz, Gewinne Investition als Konsumverzicht Realzinssätze versus Nominalzinssätze Zeitwert Die zwei für die Zinsbildung verantwortlichen Elemente: Umwegrentabilität und Ungeduld Gewinne Implizite Renditen Unversicherbare Risiken Innovation
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Teil 3
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Die Grundlagen der Kapitaltheorie wurden von Irving Fisher in The Theory of Interest dargelegt (Macmillan, New York, 1930). David Ricardo entwickelte in Principles of Political Economy and Taxation (1819, verschiedene Herausgeber; deutsch: Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie und der Besteuerung, Metropolis, Marburg, 2005) eine Theorie der volkswirtschaftlichen Rente. Die moderne Kapital- und Finanztheorie gehört zu den besonders beliebten ökonomischen Themen, die im makroökonomischen Teil diverser Einführungskurse oder in Speziallehrgängen häufig behandelt werden. Gute Bücher zu diesem Thema sind unter anderem Burton Malkiel, A Random Walk Down Wall Street (Norton, New York, 2000; deutsch: Börsenerfolg ist kein Zufall, Finanzbuch Verlag, München, 2000) sowie Lawrence S. Ritter, William L. Silber und Gregory F. Udell, Principles of Money, Banking, and Financial Markets, 10. Ausg. (Addison Wesley Longman, New York, 1999). Jeremy Siegel und Peter Bernstein bieten in Stocks for the Long Run (McGraw-Hill, New York, 2002; deutsch: Aktien für die Zukunft, Finanzbuch Verlag, München, 2005) zahlreiche interessante Tabellen und Diagramme. Ein neueres Buch zum Thema Finanzgeschichte und Finanztheorie ist Robert Shillers Irrational Exuberance (Princeton University Press, Princeton, N.J., 2000; deutsch: Irrationaler Überschwang, Campus, Frankfurt/ New York, 2000).
Websites Finanzmarktdaten aller Art gibt es im Internet in Hülle und Fülle. Vielleicht möchten Sie in finance.yahoo.com oder de.finance.yahoo.com einen Einstieg in die Aktien- und Anleihenmärkte wagen oder Informationen über einzelne Unternehmen abrufen. Aktuelle Finanzdaten finden Sie ebenso unter www.bloomberg.com. Auch die amerikanische Notenbank, die Federal Reserve, hat unter www.federalreserve.gov Informationen bezüglich der Finanzmärkte ins Netz gestellt. Über das Leben und die Patente großer Erfinder informiert Sie www.invent.org/index.asp.
Übungen 1.
Definieren Sie den Fall der „reinen volkswirtschaftlichen Rente“. a. Weisen Sie nach, dass eine Erhöhung des Angebots des Produktionsfaktors, der die Rente einbringt, dessen Ertrag verringert und die Preise von Gütern, für die eine große Menge des betreffenden Faktors benötigt wird, senkt. b. Erklären Sie folgende Aussage der Rententheorie: „Es trifft nicht zu, dass der Mais wegen des hohen Bodenpreises so teuer ist. Das Gegenteil entspricht eher der Wahrheit: Der Bodenpreis ist deshalb so hoch, weil der Mais so teuer ist.“ Illustrieren Sie diese Aussage anhand eines Diagramms. c. Überdenken Sie noch einmal das Zitat in b. Warum trifft es zwar für den gesamten Markt, nicht aber für den einzelnen Landwirt zu? Erklären Sie den Trugschluss der
2.
3.
4.
Verallgemeinerung, dem man hier leicht erliegen kann. Berechnen Sie den Zeitwert jedes der folgenden Einkommensströme, wobei It dem Einkommen in t Jahren und i dem konstanten Zinssatz in Prozent pro Jahr entspricht. Runden Sie auf zwei Dezimalstellen, sofern es sich um keine ganzen Zahlen handelt. a. I0 = 10, I2 = 110, I3 = 133, i = 10. b. I0 = 17, I1 = 21, I2 = 33,08, I3 = 23,15, i = 5. c. I0 = 0, I1 = 12, I2 = 12, I3 = 12, …; i = 5. Berechnen Sie die realen Zinssätze für jedes der Finanzinstrumente in Tabelle 14-1 bei einer Inflationsrate von 4 Prozent jährlich. Vergleichen Sie die folgenden vier Erträge aus dauerhaften Vermögenswerten: (a) Bodenrente, (b) Zins für ein Kapitalgut, (c) Rendite aus einem Kapitalgut und (d) Realzinssatz. Geben Sie jeweils ein Beispiel an.
Kapitel 14 Boden und Kapital
5.
6.
7.
8.
Erklären Sie anhand der Angebots- und Nachfrageanalyse des Zinses, wie sehr jeder der folgenden Umstände nach der klassischen Analyse die Zinssätze beeinflussen würde: a. Eine Innovation, die die Grenzproduktivität des Kapitals auf jedem Kapitalniveau erhöht. b. Ein Rückgang der erwünschten Vermögensakkumulation der Haushalte. c. Eine 50-prozentige Steuer auf Kapitalrenditen (kurz- und langfristig). Sehen Sie sich die Abbildungen 14-5 und 14-6 noch einmal an und überlegen Sie, wie sich die Wirtschaft vom kurzfristigen Gleichgewichtszinssatz von 10 Prozent jährlich zum langfristigen Gleichgewicht hin bewegt hat. Erklären Sie nun, was jeweils lang- und kurzfristig geschähe, würden Innovationen die Kapitalnachfragekurve nach oben verschieben. Was würde passieren, wenn wir ein sehr hohes staatliches Defizit hätten und daher einen Großteil des Kapitalangebotes aufwenden müssten, um diese staatlichen Schulden zu bezahlen? Erklären Sie die Regel zur Berechnung des diskontierten Zeitwerts einer ewigen Rente. Welchen Wert hätte eine ewige Rente von jährlich US-$ 100 bei einer Verzinsung von 5 Prozent? Welchen Wert hätte sie bei einem jährlichen Ertrag von US-$ 200? Bei US-$ N jährlich? Wie hoch wäre der Wert einer ewigen Rente von jährlich US-$ 100 bei einer Verzinsung von 10 Prozent oder 8 Prozent? Was bewirkt eine Verdoppelung des Zinssatzes für den kapitalisierten Wert einer ewigen Rente – beispielsweise einer Annuitätenanleihe? Merken Sie sich die algebraische Formel für eine progressive geometrische Reihe:
2 1 1 + K + K + … = ------------1–K
405 für jede Bruchzahl kleiner als K = 1. Wenn Sie K = 1 / (1 + i) setzen, können Sie damit die Zeitwertformel für einen permanenten Einkommensstrom, V = $N/i, überprüfen? Führen Sie zusätzlich einen anderen Beweis an, der nur auf dem praktischen Verstand beruht. Welchen Wert hätte ein Lotteriegewinn, der Ihnen und Ihren Erben auf ewig US-$ 5.000 pro Jahr verspricht, wenn wir einen jährlichen Zinssatz von 6 Prozent zugrunde legen? 9. Der Grundstückswert in Manhattan betrug im Jahre 2003 rund US-$ 80 Milliarden. Stellen Sie sich vor, wir schrieben das Jahr 1626, und Sie wären Wirtschaftsberater der Holländer, die gerade überlegten, ob sie Manhattan kaufen sollten oder nicht. Unterstellen Sie bei der Berechnung des Zeitwerts einen jährlichen Zinssatz von 4 Prozent. Würden Sie den Holländern zu einem Kaufpreis von US-$ 24 raten oder nicht? Inwieweit würde sich Ihre Antwort ändern, wenn der Zinssatz 6 Prozent betrüge? 8 Prozent? (Ein kleiner Hinweis: Berechnen Sie für jeden Zinssatz den Zeitwert des Jahres 1626 vom Bodenwert des Jahres 2003. Vergleichen Sie Ihr Ergebnis anschließend mit dem Kaufpreis des Jahres 1626.) 10. Eine Erhöhung der Zinssätze senkt im Allgemeinen die Vermögenspreise. Um das zu erkennen, berechnen Sie folgende Zeitwerte bei einem Zinssatz von 5 Prozent, 10 Prozent und 20 Prozent jährlich: a. Den Zeitwert einer ewigen Rente von US-$ 100 pro Jahr. b. Den Zeitwert eines Christbaums, den Sie in einem Jahr für US$ 50 verkaufen können. Erklären Sie, warum der Preis langlebiger Güter stärker auf Zinssatzschwankungen reagiert als der Preis kurzlebiger Güter.
ANHANG 14 Märkte und volkswirtschaftliche Effizienz
Nach Abschluss unserer Analyse der Produkt- und Faktormärkte möchten wir natürlich auch noch wissen, wie die Gesamtheit der Märkte funktioniert. Schließlich verhält sich das Ganze häufig anders als die Summe seiner Teile. In der Wirtschaftswissenschaft sprechen wir vom „allgemeinen Marktgleichgewicht“. Die Analyse dieses allgemeinen Gleichgewichts ist eines der wichtigsten Themen der modernen Ökonomie, aber auch ein sehr technisches Gebiet. Wir haben die wesentlichen Merkmale der allgemeinen Gleichgewichtstheorie in diesem Anhang zusammengefasst.
Die Effizienz des vollständigen Wettbewerbs Vor zwei Jahrhunderten ließ Adam Smith mit der Aussage aufhorchen, jene Wirtschaftssubjekte, die in einer dem Wettbewerb unterworfenen Gesellschaft in ihrem eigenen Interesse handelten, dienten infolge des Wirkens der so genannten „unsichtbaren Hand“ dem Gemeinwohl am effektivsten. Diese Theorie – dass nämlich das raue Klima des Wettbewerbs am Markt eine wirkungsvolle Kraft zur Hebung von Produktion und Lebensstandard darstellt – gehört zu den profundesten und überzeugendsten Thesen der Geistesgeschichte. Eine der großen Errungenschaften der modernen Volkswirtschaftslehre ist das Verständnis der genauen Bedeutung dieser The-
se von Adam Smith. Seit 200 Jahren verfeinern Ökonomen den Begriff „Gemeinwohl“, und heute kennen wir seine Logik wie auch seine Grenzen. Effizienz ist nach volkswirtschaftlicher Definition ein Zustand, in dem die größtmögliche Bedürfnisbefriedigung mit den in einer Gesellschaft vorhandenen Ressourcen erreicht wird. Genauer ausgedrückt: Allokationseffizienz (oft auch als „ParetoOptimum“9, „Pareto-Effizienz“ oder einfach nur als „Effizienz“ bezeichnet) ist dann gegeben, wenn keine Möglichkeit besteht, Produktion oder Konsum so zu gestalten, dass dadurch die Bedürfnisbefriedigung eines Menschen gehoben werden kann, ohne zugleich diejenige eines anderen Menschen zu beeinträchtigen. Als effizient kann eine Situation bezeichnet werden, in der es niemandem besser gehen könnte, ohne einen anderen schlechter stellen zu müssen. Wir wissen heute Folgendes: Unter bestimmten Bedingungen, und dazu gehört insbesondere der vollständige Wettbewerb, kommt es in einer Marktwirtschaft zur Allokations- oder Pareto-Effizienz. In einem solchen System ist die gesamte Wirtschaft effizient, und niemand kann in ihr besser gestellt werden, ohne dass zugleich ein anderer schlechter gestellt wird. 9 So benannt nach Vilfredo Pareto (1848–1923), dem italienischen Ökonomen, der das Konzept erstmals vorstellte.
Anhang 14 Märkte und volkswirtschaftliche Effizienz
Dies ist eine wahrhaft erstaunliche Aussage über die Fähigkeit des Wettbewerbs, erstrebenswerte Ergebnisse hervorzubringen. Sie bedeutet, dass angesichts der vorgegebenen Ressourcen und Technologien in einer Gesellschaft nicht einmal der findigste Planer, ausgestattet mit Supercomputer oder einem genialen Reorganisationsplan, eine bessere Lösung finden könnte als jene, die durch den vollkommenen Markt herbeigeführt wird. Es ist unmöglich, durch Umorganisation eine für jedermann günstigere Situation zu erreichen. Und dieses Ergebnis trifft immer zu, gleichgültig ob es in der Wirtschaft einen, zwei oder zwei Millionen vollkommene Güter- und Faktormärkte gibt.
Allgemeines Gleichgewicht aller Märkte Nach dieser fundamentalen Aussage über vollkommene Wettbewerbsmärkte werden wir die Gründe für ein derart bemerkenswertes Ergebnis untersuchen. Wiederholen wir eingangs, was wir in den früheren Kapiteln über das Verhalten einzelner Märkte festgestellt haben: 1. Unter Wettbewerbsbedingungen bestimmen Angebot und Nachfrage auf den einzelnen Märkten Preise und Mengen. 2. Die Marktnachfragekurven leiten sich vom Grenznutzen der einzelnen Güter ab. 3. Die Grenzkosten der unterschiedlichen Wirtschaftsgüter bestimmen unter Wettbewerbsbedingungen die Angebotskurven. 4. Unternehmen berechnen die Grenzkosten der Produkte sowie die Wertgrenzprodukte der Produktionsfaktoren und wählen danach ihre Produktionsfaktoren und die zu erzeugenden Produkte im Sinne der Gewinnmaximierung aus. 5. Summiert man die Wertgrenzprodukte aller Unternehmen, erhält man die daraus abgeleitete Faktornachfrage. 6. Es besteht eine Wechselwirkung zwischen den abgeleiteten Nachfragen nach Boden,
407
Arbeit oder Kapitalgütern und dem Marktangebot, die dazu führt, dass sich die Preise der Produktionsfaktoren in Form von Rente, Lohn und Zins bilden. 7. Faktorpreise und -mengen bestimmen die Einkommen, die nun den Kreislauf zu den Schritten 1 und 2 wieder schließen, indem sie ihrerseits die Nachfrage nach bestimmten Wirtschaftsgütern bestimmen. Alle diese Aussagen sind das Ergebnis der partiellen Gleichgewichtsanalyse, die sich mit dem Verhalten eines einzelnen Marktes, Haushaltes oder Unternehmens beschäftigt, während das Verhalten aller anderen Märkte und der restlichen Wirtschaft als gegeben angenommen wird. In diesem Anhang geht es uns hingegen um die allgemeine Gleichgewichtsanalyse, die untersucht, wie (und wie erfolgreich) alle Haushalte, Unternehmen und Märkte simultan interagieren, um die Fragen des Wie, Was und Für Wen zu lösen.
Interaktion aller Märkte nach der Theorie des allgemeinen Gleichgewichts Es ist die Vernetzung des Wirtschaftslebens, die eine derart verflochtene und faszinierende Komplexität hervorbringt. Wie war es möglich, dass eine Revolution im Iran des Jahres 1979 die Erdölpreise überall auf der Welt in die Höhe trieb, somit die Nachfrage nach Autos dämpfte und schließlich Tausende von Arbeitnehmern in der Automobilbranche den Job kostete? Wie konnte der Ausfall russischer Junk-Bonds im Wert von einigen Milliarden US-Dollar 1997 den Weltmarkt in seinen Grundfesten erschüttern und zu massiven Korrekturen im Ausmaß mehrerer Billionen US-Dollar auf den Aktien- und Anleihenmärkten der USA und anderer Länder führen? Diese und zahllose andere wirtschaftliche Wirkmechanismen lassen sich durch die Wechselwirkung zwischen den oben angeführten sieben Schritten erklären.
408
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Teil 3
Gütermärkte A Konsumentennachfrage (Proportionalität des jeweiligen Grenznutzens)
Getreidepreis Gesundheitswesen Flugtickets
Angebot der Unternehmen (Grenzkosten entsprechen dem Preis)
H
B P
H
B
B
H
Q
G
$
Haushalte Relativer Nutzen verschiedener Güter
$
C
Unternehmen $
$
Produktionsfunktionen verbinden Produktionsfaktoren und Güter
Bodenrente Chirurgenstunden Flugzeugpreise
P
F Faktorangebot (Wahl zwischen Arbeit und Freizeit sowie zwischen sofortigem und zukünftigem Konsum, Landbesitz)
B H
H
D
B Q
Abgeleitete Nachfrage (Proportionalität der Wertgrenzprodukte)
E Faktormärkte
Abbildung 14A-1: Produktionsfaktoren, Produktion, Güter und Konsum bilden zusammen den Wirtschaftskreislauf Im allgemeinen Gleichgewicht einer Wirtschaft verbinden sich Angebot und Nachfrage einer enormen Zahl von Produktionsfaktoren und Gütern. Beachten Sie bitte, wie die um Gewinnmaximierung bemühten Unternehmen und die um Nutzenmaximierung bemühten Haushalte auf den Gütermärkten in A sowie auf den Faktormärkten in E zusammenwirken. Beachten Sie ebenfalls, dass der Geldfluss innerhalb des Kreislaufs entgegen dem Güter- und Faktorfluss verläuft.
Beachten Sie bitte, dass unsere Liste der sieben Schritte einen logischen Ablauf nachzeichnet. In den Kapiteln dieses Buches werden sie übrigens beinahe in derselben Reihenfolge behandelt. Doch wie verhält es sich im realen Leben: Was kommt zuerst? Ist auch hier eine ordentliche Abfolge festzustellen, sodass beispielsweise montags die Preisbildung auf einzelnen Märkten stattfindet, am Dienstag die Evaluierung der Verbraucherpräferenzen, am Mittwoch jene der Unternehmenskosten, während die Grenzprodukte am Donnerstag ermittelt werden? Selbstver-
ständlich nicht. Alle diese partiellen Gleichgewichtsprozesse laufen zur gleichen Zeit ab. Doch damit nicht genug. Die verschiedenen Aktivitäten finden nicht unabhängig voneinander statt, sozusagen jede einzelne in ihrer eigenen kleinen Welt, immer darauf bedacht, den anderen nicht in die Quere zu kommen. Nein, alle Prozesse im Zusammenhang mit Angebot und Nachfrage, Kosten und Präferenzen, mit Faktorproduktivität und -nachfrage sind nur verschiedene Aspekte eines großen, simultan stattfindenden und vernetzten Prozesses.
Anhang 14 Märkte und volkswirtschaftliche Effizienz
Kreislauf. Die zahlreichen Input- und Outputmärkte müssen wir uns wie ein unsichtbares Netz in einem System wechselseitiger Abhängigkeiten vorstellen, das wir als allgemeines Gleichgewicht bezeichnen. Abbildung 14A-1 stellt die Grundstruktur eines allgemeinen Gleichgewichts dar. Die äußeren Kreise entsprechen Nachfrage und Angebot aller Güter und Produktionsfaktoren. Hier handelt es sich nicht um ein einzelnes Wirtschaftsgut oder einen einzelnen Produktionsfaktor, sondern um alle verschiedenen Produkte (Mais, Gesundheitswesen, Konzerte, Flugreisen und so weiter), die mithilfe einer riesigen Palette an Produktionsfaktoren hergestellt werden (Ackerboden, Chirurgen, Flugzeuge und so weiter). Jedes Wirtschaftsgut oder jeder Produktionsfaktor wird auf einem Markt getauscht, und das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage entscheidet über Preis und Menge dieses Gutes oder Faktors. Angebot und Nachfrage finden täglich millionenfach zusammen und zwar für alle Arten von Wirtschaftsgütern, von Aalen bis Zylinderköpfen. Beachten Sie bitte in Abbildung 14-A1, dass der obere Kreis Güterangebot und -nachfrage darstellt, während sich der untere Kreis auf Faktorangebot und -nachfrage bezieht. Achten Sie auch darauf, wie die Verbraucher Güter und Produktionsfaktoren nachfragen; Haushalte kaufen ihre Verbrauchsgüter mit dem Einkommen, das sie durch die von ihnen angebotenen Produktionsfaktoren verdienen. Ebenso kaufen Unternehmen Faktoren und bieten Produkte an, wobei sie Faktoreinkommen und Gewinne aus den Erlösen jener Güter bezahlen, die sie verkaufen. Wir erkennen also eine logische Struktur hinter den Millionen von Märkten, die Preise und Produktion bestimmen: (1) Die Haushalte, die bestrebt sind, ihre Zufriedenheit zu maximieren, liefern Produktionsfaktoren und kaufen Produkte, während (2) die Unternehmen, geleitet von Gewinnstreben, die den Haushalten abgekauften Produktionsfaktoren in Produk-
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te umwandeln, die ihrerseits wieder an die Haushalte verkauft werden. Die logische Kreislaufstruktur eines allgemeinen Gleichgewichtssystems ist damit geschlossen.
Merkmale eines allgemeinen Wettbewerbsgleichgewichts Dass die Durchführung einer allgemeinen Gleichgewichtsanalyse komplizierter ist als eine partielle Gleichgewichtsanalyse, die sich nur mit einem einzigen Markt beschäftigt, sollte uns nicht überraschen. Ein allgemeines Gleichgewichtssystem stellt eine Wirtschaft in ihrer Gesamtheit dar, nicht nur einen ihrer Teile. Es kann daher viele verschiedene Arten von Arbeit, Maschinen und Boden umfassen, die allesamt als Produktionsfaktoren zur Herstellung Dutzender verschiedener Arten von Computern, Hunderter verschiedener Autospezifikationen, Tausender verschiedener Kleidungsstücke und so weiter dienen. Es enthält Dienstleistungen wie Mobiltelefonnetze, College-Kurse und Ferien in Disneyland, aber auch Güter wie die Produkte der Schwerindustrie, Pizzas und Mobiltelefone. Woher aber wissen wir, dass eine vollkommene Marktwirtschaft effizient ist? Zur Beantwortung dieser Frage gehen wir wie folgt vor: Als Erstes beschreiben wir die unserem allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewicht zugrunde liegenden Annahmen. (2) Es folgt eine zusammenfassende Beschreibung der Merkmale eines allgemeinen Gleichgewichts. (3) Als Nächstes werden – zugegebenermaßen ein wenig technisch – die Merkmale dieses allgemeinen Gleichgewichtes in allen Einzelheiten skizziert. (4) Und schließlich weisen wir noch nach, warum ein allgemeines Gleichgewicht im vollständigen Wettbewerb effizient ist.
1. Merkmale eines allgemeinen Gleichgewichts Welche Annahmen treffen wir, wenn wir ein Wirtschaftssystem im Wettbewerb analysie-
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Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
ren? Wir unterstellen, dass alle Märkte im vollständigen Wettbewerb stehen, das heißt, dass sie der rücksichtslosen Konkurrenz zahlreicher Käufer und Verkäufer ausgesetzt sind. Jeder Preis, ob nun für einen Produktionsfaktor oder ein Produkt, ist elastisch genug, um jederzeit einen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage herstellen zu können. Die Unternehmen maximieren ihre Gewinne, während die Konsumenten sich für den Warenkorb ihrer Präferenz entscheiden. Jedes Wirtschaftsgut wird unter Bedingungen konstanter oder abnehmender Skaleneffekte produziert. Weder Umweltverschmutzung noch Marktzutrittsbeschränkungen oder monopolistische Gewerkschaften stören diese Wettbewerbslandschaft. Konsumenten und Produzenten sind über Preise und wirtschaftliche Möglichkeiten wohl informiert. Diese Bedingungen stellen natürlich einen wenig realistischen Idealfall dar. Eine solche Wirtschaft, gäbe es sie, wäre aber tatsächlich so beschaffen, dass die unsichtbare Hand Adam Smiths ohne Behinderung durch Externalitäten oder unvollständigen Wettbewerb in ihr regieren könnte.
2. Die Hauptmerkmale eines allgemeinen Gleichgewichts Wir skizzieren nun kurz, in welcher Wechselwirkung die verschiedenen Segmente einer Wirtschaft miteinander stehen. Die wichtigsten Zutaten sind Konsumenten- und Produzentenverhalten sowie deren Interaktion zur Herstellung eines allgemeinen Gleichgewichts. Zunächst teilen die Konsumenten ihre Einkommen so auf verschiedene Güter auf, dass sie damit ihre Bedürfnisbefriedigung maximieren. Sie treffen ihre Güterauswahl auf eine Weise, dass der Grenznutzen pro Geldeinheit Ausgabe für die jeweils letzte Einheit eines jeden Gutes gleich hoch ist. Unter welchen Bedingungen können nun die Produzenten ihre Gewinne maximieren? Auf den Gütermärkten wird jedes Unternehmen seine Produktionsmenge so wählen, dass
Teil 3
Produktionsgrenzkosten und Produktpreis gleich hoch sind. Da das bei jedem Gut und jedem Unternehmen geschieht, folgt daraus, dass der Wettbewerbsmarktpreis für jedes Gut den Grenzkosten dieses Gutes für die Gesellschaft entspricht. Durch die Kombination dieser beiden Aussagen ergibt sich die Vorbedingung für ein allgemeines Wettbewerbsgleichgewicht. Für jeden Konsumenten gilt, dass der Konsumgrenznutzen aus jedem Gut den Grenzkosten jedes dieser Güter entspricht. Außerdem ist der Grenznutzen der letzten für jedes Gut ausgegebenen Geldeinheit für alle Güter gleich. Wir können dieses Ergebnis durch ein Beispiel verdeutlichen. Nehmen wir an, wir hätten es mit zwei Einzelpersonen, Frau Smith und Herrn Ricardo, und mit zwei Arten von Gütern, Pizza und Bekleidung, zu tun. Im Sinne des Konsumentengleichgewichts kauft Frau Smith Pizza und Bekleidung, bis der Grenznutzen MU pro Geldeinheit jedes Gutes 1 (Smith)-Nutzen beträgt. Ebenso teilt Herr Ricardo sein Einkommen so auf, dass er 1 (Ricardo)-Nutzen pro Geldeinheit Ausgabe erzielt.10 Die Produzenten von Pizza und Bekleidung wählen ihre Produktionsmenge so, dass der Preis den Grenzkosten entspricht, was bedeutet, dass Pizza für eine Geldeinheit pro Produzenten Produktionsgrenzkosten in Höhe von ebenfalls 1 Geldeinheit verursacht; ebenso verhält es sich mit Bekleidung für eine Geldeinheit. Würde die Gesellschaft Pizza für eine weitere Geldeinheit produzieren, so würde dies die Gesellschaft genau den Gegenwert einer Geldeinheit eines Korbes knapper Ressourcen, bestehend aus Arbeit, Boden und Kapital, kosten. Durch die Verbindung dieser Bedingungen erkennen wir, dass jeder zusätzliche Kon10 Zur Vereinfachung der Analyse haben wir für den Nutzen einen speziellen „Geld-Freizeit-Maßstab“ eingeführt. Das bedeutet, wir passen unseren Nutzenmaßstab so an, dass der Grenznutzen einer zusätzlichen Stunde Freizeit stets konstant bleibt und einen Wert von US-$ 1 annimmt. Wir können damit alle Preise in diesen FreizeitGeldeinheiten darstellen, sodass ein „Nutzen“ eine Einheit des Nutzens nach diesem Geld-Freizeit-Maßstab darstellt.
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Anhang 14 Märkte und volkswirtschaftliche Effizienz
sum in Höhe einer Geldeinheit Frau Smith oder Herrn Ricardo genau 1 zusätzlichen Nutzen an Befriedigung einbringt, unabhängig davon, ob es sich um Pizzas oder Bekleidung handelt. Und ebenso führt jede zusätzliche Ausgabeneinheit für die Gesellschaft zu Grenz- oder Zusatzkosten an Ressourcen in Höhe einer zusätzlichen Geldeinheit, und das unabhängig davon, ob diese zusätzliche Geldeinheit von Frau Smith oder Herrn Ricardo ausgegeben wird. Das allgemeine Gleichgewicht der Märkte bestimmt daher die Preise und Produktionsmengen so, dass der Grenznutzen jedes Gutes für die Konsumenten genau den Grenzkosten jedes Gutes für die Gesellschaft entspricht.
3. Die Analyse des allgemeinen Gleichgewichts im Detail Betrachten wir nun die Bedingungen eines allgemeinen Wettbewerbsgleichgewichts näher. Die erste, die sich auf die Konsumenten bezieht, entspricht dem oberen Kreisbogen in Abbildung 14A-1, während die zweite, die sich auf die Produktion bezieht, durch den unteren Kreisbogen dargestellt wird. a. Konsumentengleichgewicht. Unsere Analyse des Konsumentenverhaltens in Kapitel 5 hat ergeben, dass die Konsumenten bei der Wahl zwischen verschiedenen Gütern ihren Nutzen maximieren, wenn der Grenznutzen je ausgegebener Geldeinheit jeweils gleich ist. Diese Regel impliziert die folgende Bedingung: MU1 P1 ------------ = ------MU2 P2 In Worten: Das Verhältnis zwischen den jeweiligen Grenznutzen der beiden Güter oder die jeweilige zusätzliche Bedürfnisbefriedigung, die man aus den beiden Gütern ziehen kann, entspricht dem Verhältnis ihrer Preise. Diese Bedingung muss für jeden einzelnen Konsumenten gelten, der die beiden Güter kauft.
b. Produzentengleichgewicht. Das Verhalten der Unternehmen mit ihrem Streben nach Gewinnmaximierung führt zu einem analogen, wenn auch in gewisser Weise komplexeren Geflecht an Bedingungen, die in den Kapiteln 6 bis 8 behandelt wurden. Dort hatten wir festgestellt, dass Unternehmen unter Wettbewerbsbedingungen ihre Produktionsfaktoren (Input) und Produktionsmengen (Output) wie folgt wählen: i Die Outputbedingung der Produzenten besagt: Jede Produktionsmenge wird so gewählt, dass der Preis jedes Gutes den Grenzkosten dieses Gutes entspricht. Bei entsprechender Umformung der Gleichung ergibt sich:
MC 1 P1 ------------ = ------MC 2 P2 Diese Gleichung besagt, dass das Verhältnis der Grenzkosten zweier Endprodukte bei vollständigem Wettbewerb ihrem Preisverhältnis entspricht. Das Gleichgewicht gilt für alle Güter, die produziert werden, und für alle Unternehmen, die diese Güter produzieren. Wir können das Verhältnis der Grenzkosten als Steigung der Produktionsmöglichkeiten- oder Transformationskurve interpretieren, die das Verhältnis angibt, in dem die Gesellschaft ein Gut in ein anderes umwandeln kann. Wenn die Grenzkosten für eine Pizza US-$ 1 diejenigen für einen Haarschnitt US-$ 10 betragen, kann die Gesellschaft durch Verlagerung von Ressourcen von den Friseuren zu den Bauern einen Haarschnitt in 10 Einheiten Pizza umwandeln. Das wesentlicheMerkmal einer Wettbewerbswirtschaft besteht darin, dass die Wettbewerbspreise die volkswirtschaftlichen Kosten oder Knappheiten widerspiegeln. Wir haben gerade darauf hingewiesen, dass das Verhältnis der Grenzkosten zwischen zwei Gütern das Verhältnis wiedergibt, zu dem die Gesellschaft das eine Gut in das andere umwandeln kann. Da aber
412
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
das Grenzkostenverhältnis dem Preisverhältnis entspricht, folgt daraus, dass die relativen Preise jenes Verhältnis widerspiegeln, zu dem eine Gesellschaft ein Gut in ein anderes verwandeln kann. Es ist diese fundamentale Tatsache – dass Wettbewerbspreise ein verlässliches Signal für die relative Knappheit verschiedener Güter darstellen –, die uns zeigt, auf welche perfekte Weise Wettbewerbsmärkte zur Allokationsoder Pareto-Effizienz beitragen. ii Der Wettbewerb führt auch zu bestimmten Inputbedingungen für die Produzenten. Wir haben gesehen, dass die Unternehmen mit ihrem Bedürfnis nach Gewinnmaximierung die Menge jedes Inputfaktors so wählen, dass der Wert seines Grenzproduktes dessen Preis entspricht. Daher gilt: Grenzprodukt des Bodens bei Gut 1 Preis von Gut 1 = Bodenrente Grenzprodukt des Bodens bei Gut 2 Preis von Gut 2 = Bodenrente Grenzprodukt der Arbeit bei Gut 1 Preis von Gut 1 = Arbeitslohn
Teil 3
Darüber hinaus gilt diese Beziehung für alle Unternehmen, die Boden und Arbeit verwenden, um Gut 1 herzustellen. Sie gilt ebenfalls für alle Produktionsfaktoren (Kapital, Öl, Hilfsarbeiter und so weiter) und für alle erzeugten Güter. Die Inputbedingungen sind deshalb wichtig, weil sie implizieren, dass die Verhältnisse der Grenzprodukte der Produktionsfaktoren für alle Inputs und für alle Unternehmen bei jeder Verwendung gleich sind. Wenn im amerikanischen Südwesten Arbeit im Verhältnis zu Boden knapp ist, sind die Bodenrenten im Vergleich zu den Löhnen niedrig. Das niedrige Renten-Lohn-Verhältnis signalisiert den Landwirten, dass sie wenige Arbeitskräfte auf großen Farmen einsetzen sollten, und es bewirkt größere Häuser, breite Straßen und geringere Pendelzeiten der Arbeitnehmer. In Manhattan mit seinem viel höheren Verhältnis zwischen Bodenpreisen und Arbeitslöhnen finden wir dagegen mehr Hochhäuser und längere Arbeitswege, während Bauernhöfe nur in Tagträumen vom Landleben vorkommen. Zusammenfassend:
und so weiter. Aus diesen Beziehungen können wir mehrere wichtige Folgerungen ableiten. Erstens: Da jedes Unternehmen eines bestimmten Wirtschaftszweiges mit denselben Faktorund Güterpreisen konfrontiert ist, ist das Grenzprodukt des Produktionsfaktors A für jedes Unternehmen in diesem Wirtschaftszweig gleich. Durch Umformung der einzelnen Terme in der obigen Gleichung lässt sich ersehen, dass das Verhältnis der Grenzprodukte der Produktionsfaktoren dem Verhältnis ihrer Preise entspricht:
Bei einem allgemeinen Gleichgewicht unter den Bedingungen vollständigen Wettbewerbs gilt unter der Annahme, dass die Konsumenten ihren Nutzen und die Unternehmen ihre Gewinne maximieren möchten:
Grenzertragsprodukt des Bodens bei Gut 1 Bodenpreis = Grenzertragsprodukt Arbeitspreis der Arbeit bei Gut 1
• Die relativen Grenzprodukte aller Produktionsfaktoren sind für alle Unternehmen und alle Güter gleich und entsprechen den relativen Preisen dieser Produktionsfaktoren.
• Die Verhältnisse zwischen den Grenznutzen verschiedener Güter für alle Konsumenten entsprechen den relativen Preisen dieser Güter. • Die Verhältnisse zwischen den Grenzkosten der von den Unternehmen erzeugten Güter entsprechen den relativen Preisen dieser Güter.
Anhang 14 Märkte und volkswirtschaftliche Effizienz
4. Die Effizienz des vollständigen Wettbewerbs Da wir nun gesehen haben, wie die Ressourcenallokation in einer Wettbewerbswirtschaft erfolgt, können wir auch verstehen, warum eine solche Wettbewerbswirtschaft effizient ist. Ein im allgemeinen Gleichgewicht befindliches Marktsystem zeichnet sich dann durch seine Pareto- oder Allokationseffizienz aus, wenn vollständiger Wettbewerb und umfassende Information gegeben sind und keine externen Effekte zur Wirkung kommen. In einem solchen System entspricht der Preis jedes Gutes seinen Grenzkosten, und jeder Faktorpreis entspricht dem Wert seines Grenzproduktes. Wenn jeder Produzent seine Gewinne maximiert und jeder Konsument seinen Nutzen, ist die Wirtschaft als Ganzes effizient. Niemand kann besser gestellt werden, ohne jemanden anderen schlechter zu stellen. Doch welchen Grund gibt es für diese überraschende Übereinstimmung von Gemeinwohl und Privatinteressen? Wir können die dahinter stehende Logik anhand eines Beispiels gleich erkennen. Nehmen wir an, irgendein selbsternannter Wirtschaftsfachmann stünde auf und sagte: „Ich habe eine Möglichkeit gefunden, wie wir unsere im vollkommenen Wettbewerb befindliche Marktwirtschaft so verändern können, dass es jedem von uns besser geht. Wir erzeugen zu wenige Pizzas. Geben wir einfach jedem mehr Pizzas und weniger Hemden, und jeder wird davon profitieren.“ Dieser vermeintliche Fachmann irrt sich. Nehmen wir an, der gegenwärtige Hemdenpreis beträgt US-$ 15, während der Pizzapreis bei US-$ 5 liegt. Auf der Konsumentenseite hat jeder Einzelne sein Budget so eingesetzt, dass der Grenznutzen der letzten Pizza genau ein Drittel des Grenznutzens des letzten Hemdes beträgt. Die Konsumenten wollen also sicherlich nicht noch mehr Pizzas und dafür weniger Hemden erhalten, es sei denn, sie könnten für jedes Hemd, auf das sie verzichten müssen, mehr als drei Pizzas bekommen.
413
Kann die Wirtschaft für jedes Hemd, auf das verzichtet wird, mehr als drei Pizzas herausholen? Nicht unter den Bedingungen des vollständigen Wettbewerbs. Im vollständigen Wettbewerb ist das Verhältnis des Hemdenpreises zum Pizzapreis gleich dem Verhältnis der Grenzkosten der beiden Güter. Daher können die Produzenten, wenn ihr Preisverhältnis US-$ 15 / US-$ 5 = 3 beträgt, eben auch nur drei Pizzas für jedes nicht produzierte Hemd erzielen. Ist die Transformations- oder Produktionsmöglichkeitenkurve nach außen gekrümmt, erhalten die Produzenten tatsächlich sogar ein bisschen weniger als drei Pizzas für jedes nicht produzierte Hemd. Wir erkennen also, warum sich unser Fachmann irrt. Die Konsumenten wollen nur dann mehr Pizzas essen und weniger Hemden kaufen, wenn sie ihre Bedürfnisbefriedigung steigern können, was aber bedeutet, dass sie mehr als drei Pizzas für jedes Hemd, auf das sie verzichten, bekommen müssen. Das ist jedoch nicht möglich, weil gewinnmaximierende Produzenten durch den Verzicht auf die Produktion eines Hemdes nicht mehr als drei Pizzas erzeugen können. Und genau aus diesem Grund kann die von unserem „Fachmann“ vorgeschlagene Änderung die wirtschaftliche Bedürfnisbefriedigung aller eben nicht verbessern. Dieser Gedankengang gilt natürlich nicht nur für Pizzas und Hemden. Nach kurzem Nachdenken werden Sie erkennen, dass er für alle Verbrauchsgüter gilt. Wenn Sie sich noch ein wenig mehr Mühe geben, werden Sie sehen, dass er sogar für die Reorganisation des Faktoreinsatzes und der produzierten Outputs quer über alle Unternehmen gilt. Und man erkennt leicht, dass er sich auch auf den zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Handel anwenden lässt. Die wesentliche Feststellung lautet: Da die Preise für die Produzenten als Signale der wirtschaftlichen Knappheit und für die Konsumenten als Signale des sozialen Nutzens dienen, ermöglicht der Preismechanismus unter Bedingungen vollständigen Wettbewerbs die
Faktormärkte: Arbeit, Boden und Kapital
Produktion der bestmöglichen Kombination von Gütern und Dienstleistungen aus den vorhandenen Ressourcen und mit den gegebenen technologischen Mitteln einer Gesellschaft.
Grafischer Nachweis Die eben erörterten Punkte lassen sich mithilfe eines Instruments, das als Nutzenmöglichkeitenkurve (UPF) bezeichnet wird, nachweisen. Diese Kurve zeigt die Außengrenze des Nutzens oder der Bedürfnisbefriedigung, die eine Gesellschaft erreichen kann. Ein solches Konzept gleicht gedanklich demjenigen der Produktionsmöglichkeitenkurve. Der Hauptunterschied besteht darin, dass auf den beiden Achsen der UPF Nutzen oder Zufriedenheit dargestellt ist, wie aus Abbildung 14A-2 hervorgeht. Die UPF ist abwärts geneigt, woraus wir erkennen, dass mit steigender Zufriedenheit einer Person die Zufriedenheit der anderen Person nachlassen muss. Beachten Sie bitte, dass die UPF ein wenig gewellt ist. Dieser Verlauf zeigt uns, dass der Maßstab des individuellen Nutzens willkürlich gewählt ist. Die Unmöglichkeit, den individuellen Nutzen zu messen und zu vergleichen, ist jedoch für die Analyse der Effizienz vollständig unerheblich. Wichtig ist nur, dass das Ausmaß an Bedürfnisbefriedigung einer Person steigt, wenn der Nutzenindex ansteigt. Aufgrund dieses positiven Verhältnisses zwischen Nutzen und gewünschtem Konsumniveau ist garantiert, dass jeder Mensch sich auf seiner Nutzenachse möglichst weit nach außen bewegen möchte. Und jetzt kommt das Entscheidende: Eine Wirtschaft ist dann effizient, wenn sie sich auf ihrer Nutzenmöglichkeitenkurve befindet. Ein derartiges Pareto-Optimum sehen Sie in Abbildung 14A-2 in Punkt A. Und warum ist Punkt A pareto-optimal? Weil es keine verfügbare wirtschaftliche Alternative gibt, die irgendjemanden besser stellen würde, ohne einen anderen schlechter zu stellen. Natürlich können wir uns zu Punkt C bewegen. Eine solche Bewegung würde Frau Müller sicherlich freuen, denn so könnte sie ihren
Teil 3
UM Nutzen oder Bedürfnisbefriedigung von Müller
414
A
Nutzenmöglichkeitenkurve
B
C
US Nutzen oder Bedürfnisbefriedigung von Schmidt
Abbildung 14A-2: Allokationseffizienz befördert uns auf unsere Nutzenmöglichkeitenkurve Von volkswirtschaftlicher Effizienz sprechen wir, wenn niemand besser gestellt werden kann, ohne dass zugleich ein anderer schlechter gestellt wird. Daraus folgt, dass effiziente Ergebnisse auf der Nutzenmöglichkeitenkurve (UPF) liegen müssen. Die Entwicklung von Ergebnis A zu Ergebnis C verbessert den Nutzen oder das Wohl von Schmidt nur deshalb, weil Frau Müller schlechter gestellt wird; beides sind effiziente Allokationen. Punkt B befindet sich innerhalb der UPF und ist deshalb ineffizient, weil Müller, Schmidt oder beide ohne Nachteil für den jeweils anderen besser gestellt werden könnten.
Konsum und ihre Zufriedenheit erhöhen. Doch Frau Müllers Freud wäre Herrn Schmidts Leid. Wenn jeder mögliche Gewinn und Frau Müller auf Kosten von Herrn Schmidt geht, befindet sich die Wirtschaft auf ihrer UPF und funktioniert effizient. Eine Wirtschaft ist effizient, wenn sie sich auf ihrer Nutzenmöglichkeitenkurve befindet. Und damit ist unsere Analyse des Verhaltens einer Marktwirtschaft auch schon abgeschlossen. Die Effizienzeigenschaften der Märkte im Wettbewerb sind eines der zentralen Themen der Mikroökonomie, die jeder Wirtschaftswissenschaftler beherrschen sollte. Denken Sie aber auch daran, welche Mängel die Märkte aufweisen und welche Maßnahmen der Staat ergreifen kann, um gegen Marktversagen und Ungleichheit aufzutreten. Diese wichtigen Themen sind Gegenstand der folgenden Kapitel.
415
Anhang 14 Märkte und volkswirtschaftliche Effizienz
Zusammenfassung des Anhangs 1.
2.
Unter bestimmten Bedingungen, und dazu gehört insbesondere der vollständige Wettbewerb, kommt es in einer Marktwirtschaft zur Allokationseffizienz, auch als Pareto-Optimum oder Pareto-Effizienz bezeichnet. Allokationsoder Pareto-Effizienz bedeutet, dass niemand besser gestellt werden kann, ohne zugleich einen anderen schlechter zu stellen. Das allgemeine Gleichgewicht aller Märkte ist durch einen Kreislauf gekennzeichnet, in dem über die Preise ein Netz wechselseitiger Beziehungen besteht. Die Haushalte bieten dabei Produktionsfaktoren an und fragen die erzeugten Güter nach; die Unternehmen kaufen Produktionsfaktoren und wandeln sie in jene Endprodukte um, die die Haushalte nachfragen.
3.
Das wichtigste Ergebnis der allgemeinen Gleichgewichtsanalyse lautet: Da die Preise als Signale der wirtschaftlichen Knappheit für die Produzenten und als Signale des sozialen Nutzens für die Konsumenten dienen, ermöglicht der Preismechanismus unter den Bedingungen vollständigen Wettbewerbs die maximale Produktionsmenge und die maximale Bedürfnisbefriedigung aus jenen Ressourcen und Technologien, die einer Gesellschaft zur Verfügung stehen. In einer solchen Situation befindet sich die Wirtschaft sowohl auf ihrer Produktionsmöglichkeiten- als auch auf ihrer Nutzenmöglichkeitenkurve.
Begriffe zur Wiederholung Parzielles und allgemeines Gleichgewicht Allokations- (oder Pareto-) Effizienz, Pareto-Optimum Nutzenmöglichkeitenkurve (UPF oder NMK) Bedingungen für ein effizientes allgemeines Gleichgewicht: MUs proportional zu den Ps MCs proportional zu den Ps Wertgrenzprodukte proportional zu Faktor-MCs
Übungen 1.
Erklären Sie detailliert die beiden Theoreme über die Wettbewerbswirtschaft. Wie verhalten Sie sich zu den folgenden Aussagen? a. „Der vollständige Wettbewerb sorgt für ideale Bedingungen zur Verteilung des Wohlstandes.“ (Francis Walker, 1892) b. „Die unsichtbare Hand, sollte es sie tatsächlich irgendwo geben, ist wahrscheinlich ein Taschendieb, der die Armen bestiehlt.“ (Edward Nell, 1982) c. Das Zitat über die unsichtbare Hand von Adam Smith (siehe Kapitel 2). d. „Pareto ... meinte, der Wettbewerb führe zu einer Situation, in der es unmöglich sei, die Bedürfnisbefriedigung eines Konsumenten im Rahmen der verfügbaren Ressourcen und des technologischen Knowhows zu erhöhen, ohne zugleich die Bedürfnisbefriedigung zumindest eines anderen Konsumenten zu beeinträchtigen“ (Tjalling Koopmans, 1957).
2.
Die Effizienzanalyse von Wirtschaftssystemen, die dem Wettbewerb unterworfen sind, beruht auf der Annahme, es gebe keinen technologischen Fortschritt. Erinnern Sie sich an die Hypothese Schumpeters aus Kapitel 10. Was bedeutet diese Aussage im Hinblick auf die volkswirtschaftliche Effizienz des Wettbewerbsmechanismus? Für welche Art eines Marktversagens lassen sich Erfindungen als Beispiel heranziehen? Weisen Sie in einer Welt des raschen potenziellen technologischen Wandels mithilfe von Produktionsmöglichkeitenkurven nach, warum eine innovative Wirtschaft langfristig im unvollständigen Wettbewerb ein höheres Konsumniveau hervorbringt als eine effiziente, dabei jedoch technologisch stagnierende Wettbewerbswirtschaft.
Teil 4
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
419
A. Das Wesen des internationalen Handels
KAPITEL 15 Komparativer Vorteil und Protektionismus
AN DIE ABGEORDNETEN DER DEPUTIERTENKAMMER: Wir unterliegen der unerträglichen Konkurrenz eines ausländischen Rivalen, der – wie es aussieht – Licht unter Bedingungen produziert, die den unseren so überlegen sind, dass er unseren nationalen Markt damit zu einem unglaublich niedrigen Preis überschwemmt. Dieser Rivale ist kein Geringerer als die Sonne. Wir fordern Sie auf, ein Gesetz zu erlassen, das das Schließen aller Fenster, Luken und Ritzen vorschreibt, durch die das Sonnenlicht üblicherweise in die Häuser dringt, zum Nachteil der gewinnbringenden Erzeugnisse, die wir diesem Land geben können. Unterzeichnet: Die Kerzenmacher F. Bastiat
Im täglichen Leben ist uns die Bedeutung des internationalen Handels nicht immer bewusst. Die Vereinigten Staaten liefern enorme Mengen an Lebensmitteln, Flugzeugen, Computern und Maschinen in alle Welt; im Gegenzug erhält das Land riesige Mengen an Öl, Schuhen, Automobilen, Kaffee und anderen Gütern und Dienstleistungen. Während sich die US-Amerikaner viel auf ihren Ideenreichtum zugute halten, ist es ernüchternd, sich vor Augen zu führen, dass viele unserer Produkte – wie Schießpulver, klassische Musik, Uhren, Eisenbahnen, Penicillin und Radar – dem Erfindungsgeist längst vergessener Menschen an entlegenen Orten zu verdanken sind. Worin bestehen die wirtschaftlichen Kräfte, die den internationalen Handel antreiben? Um es einfach auszudrücken: Der Handel fördert die Spezialisierung, und die Spezialisierung steigert die Produktivität. Auf lange Sicht erhöhen ein verstärkter Handel und eine höhere Produktivität den Lebensstandard aller Nationen. Schritt für Schritt setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Öffnung der Wirtschaft für den weltweiten Handel der sicherste Weg zum Wohlstand ist. In diesem Kapitel erweitern wir unsere Analyse, indem wir die Prinzipien des internationalen Handels untersuchen, also das System, mit dessen Hilfe die Staaten Güter, Dienstleistungen und Kapital exportieren und importieren. Die Internationalisierung der Wirtschaft wirft heiß diskutierte Fragen auf: Warum profitieren die Vereinigten Staaten davon, dass sie fast ein Viertel ihrer Autos und die Hälfte ihres Erdöls importieren? Welche Auswirkungen hat der freie Handel? Wie sollten die Prinzipien, die den Handel regeln, auf geistige Eigentumsrechte wie Patente und Urheberrechte ausgeweitet werden? Aus wirtschaftlicher Sicht hängt viel
420
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
davon ab, kluge Antworten auf diese Fragen zu finden.
Internationaler Handel und Binnenhandel Auf niedrigster Ebene ist Handel gleich Handel, egal ob zwischen Bewohnern desselben Landes oder zwischen Bewohnern verschiedener Länder. Zwischen dem Binnen- und dem internationalen Handel gibt es jedoch drei wichtige Unterschiede, die wichtige praktische und wirtschaftliche Konsequenzen haben: 1. Erweiterte Handelsmöglichkeiten. Der wichtigste Vorteil des zwischenstaatlichen Handels besteht darin, dass er den Handelshorizont erweitert. Wären wir gezwungen, nur das zu konsumieren, was im Inland erzeugt wird, würde das sowohl eine materielle als auch eine spirituelle Verarmung der Welt bedeuten. Die Kanadier säßen vor leeren Weingläsern, die USAmerikaner sähen sich gezwungen, auf Bananen zu verzichten, und der Großteil der Welt müsste ohne Jazz und Hollywood-Filme auskommen. 2. Souveräne Staaten. Der Handel über Grenzen hinweg setzt voraus, dass Menschen und Unternehmen in verschiedenen Staaten angesiedelt sind. Jeder Staat ist ein souveränes Gebilde, das die Bewegung von Menschen, Gütern und Geld über seine Grenzen hinweg regelt. Im Binnenhandel hingegen haben wir es nur mit einer Währung zu tun, Handel und Geld fließen innerhalb der Grenzen frei, und die Menschen können sich ungehindert bewegen, um neue Chancen zu suchen. Im internationalen Handel werden manchmal politische Handelsbarrieren errichtet, wenn sich betroffene Gruppen gegen den Außenhandel wenden und Staaten Zölle oder Importbeschränkungen einführen. Auf diese
Teil 4
Praxis, Protektionismus genannt, gehen wir am Ende dieses Kapitels ein. 3. Wechselkurse. Die meisten Nationen haben eine eigene Währung. Ich möchte mein japanisches Auto in US-Dollar bezahlen, während Toyota in japanischen Yen bezahlt werden möchte. Die US-Dollar werden entsprechend dem Wechselkurs – dem jeweiligen Kurs der einzelnen Währungen (zum Beispiel der Preis des japanischen Yen, ausgedrückt in US-Dollar) gegen den Yen eingetauscht. Das internationale Finanzsystem muss für einen reibungslosen Fluss und ungestörte Tauschmöglichkeiten von US-Dollar, Yen und anderen Währungen sorgen. Gelingt ihm dies nicht, droht ein Zusammenbruch des Handels. Die finanziellen Aspekte des internationalen Handels werden in den Kapiteln über Makroökonomie analysiert.
Trends des Außenhandels Worin bestehen die wichtigsten Komponenten des internationalen Handels für die Vereinigten Staaten? Tabelle 15-1 zeigt die Zusammensetzung des US-Außenhandels im Jahr 2002. Der Großteil des Handels entfällt auf Güter, vor allem Produktionsgüter, wenn auch der Handel mit Dienstleistungen stark zugenommen hat. Die Daten zeigen, dass die Vereinigten Staaten, obwohl sie eine moderne Industrienation sind, überraschend große Mengen an Primärgütern (wie Lebensmittel) exportieren und große Mengen an komplexen, kapitalintensiven Produktionsgütern (wie Autos und Computerteile) importieren. Daneben findet ein intensiver wechselseitiger oder brancheninterner Handel statt. In bestimmten Branchen exportieren und importieren die Vereinigten Staaten gleichzeitig. Der Grund liegt darin, dass einzelne Länder aufgrund der hohen Produktdifferenzierung Nischen in verschiedenen Teilen eines Marktes besetzen.
Kapitel 15 Komparativer Vorteil und Protektionismus
US-Außenhandel, 2002 (Mrd. US-$) Exporte Importe Güter
693,3
1.163,6
49,5
49,7
Industrielle Versorgungsgüter
156,9
269,0
Kapitalgüter
290,6
283,8
Kfz
78,4
203,9
Konsumgüter
84,4
307,8
Sonstige Güter
33,5
49,3
Dienstleistungen
279,3
210,4
Reisen
73,1
60,1
Personentransport
18,0
22,4
Sonstige Transporte
28,3
38,8
Lizenzgebühren
38,7
16,4
108,1
54,6
Militär- und staatliche Aufträge
13,1
18,1
Güter und Dienstleistungen gesamt
972,6
1.373,9
Lebensmittel und Getränke
Sonstige private Dienstleistungen
Tabelle 15-1: Internationaler Handel mit Gütern und Dienstleistungen Die USA exportieren eine breite Palette an Gütern und Dienstleistungen, von Lebensmitteln bis hin zu geistigem Eigentum. Im Jahre 2002 übertrafen die US-Importe die Exporte um US-$ 401 Milliarden, was sich in höheren Kreditaufnahmen im Ausland niederschlug. Die USA exportieren große Mengen an Primärgütern, vor allem Nahrungsmittel und Kohle. Der Grund dafür liegt hauptsächlich in den reichen natürlichen Ressourcen des Landes. Gleichzeitig importieren die USA viele Produktionsgüter wie Autos und Kameras, da die Handelspartner in anderen Marktnischen spezialisiert sind und dort von Skaleneffekten profitieren. Quelle: US-Handelsministerium.
421
Die Quellen des internationalen Handels mit Gütern und Dienstleistungen Worin bestehen nun die wirtschaftlichen Faktoren, die die Muster des internationalen Handels bestimmen? Für die einzelnen Länder ist es aus verschiedenen Gründen vorteilhaft, sich am internationalen Handel zu beteiligen: unterschiedliche Produktionsbedingungen, Geschmacksunterschiede und sinkende Kosten durch die Nutzung von Skaleneffekten.
Unterschiedliche natürliche Ressourcen Handel findet statt, weil die Produktionsmöglichkeiten der einzelnen Länder verschieden sind. Diese Unterschiede sind zum Teil auf eine bessere oder schlechtere Ausstattung mit natürlichen Ressourcen zurückzuführen. Ein Land kann mit großen Erdölvorräten gesegnet sein, während ein anderes große Flächen an fruchtbarem Ackerland vorzuweisen hat. Gebirgige Länder können große Mengen Strom aus Wasserkraftwerken produzieren, die sie an ihre Nachbarn verkaufen können, während Länder mit natürlichen Häfen als Schifffahrtszentren prädestiniert sind.
Verschiedene Geschmäcker Ein zweiter Grund liegt in den Präferenzen der Menschen. Selbst wenn die Produktionsbedingungen in allen Regionen gleich wären, würden die Länder wahrscheinlich Handel treiben, wenn ihre Geschmäcker verschieden wären. Nehmen wir zum Beispiel an, dass Norwegen und Schweden etwa gleich viel Fisch wie Fleisch produzierten, dass die Schweden aber große Fleischliebhaber wären, während die Norweger Fisch bevorzugten. Bald käme ein für beide Seiten vorteilhafter Fleischexport
422
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
aus Norwegen und Fischexport aus Schweden in Gang. Von diesem Handel würden beide Länder profitieren; die Summe des menschlichen Glücks würde größer, wie in dem bekannten englischen Gedicht, in dem Jack Sprat das magere Fleisch isst, während seiner Frau im Fett schwelgen kann.
Kostenunterschiede Der vielleicht wichtigste Grund für die Entstehung des Handels sind die unterschiedlichen Produktionskosten der einzelnen Länder. Skaleneffekte haben zum Beispiel positive Auswirkungen auf die Produktionsprozesse; das heißt, die durchschnittlichen Produktionskosten sinken, wenn das Produktionsvolumen steigt. Wenn ein bestimmtes Land bei der Herstellung eines bestimmten Produkts also einen Vorsprung erringt, kann es große Mengen zu niedrigen Kosten produzieren. Skaleneffekte sichern ihm gegenüber anderen Ländern, für die es billiger ist, von führenden Produzenten zu kaufen, als das Produkt selbst herzustellen, einen erheblichen Kosten- und Technologievorsprung. Größe ist oft ein wichtiger Vorteil in Branchen mit hohen Forschungs- und Entwicklungskosten. Als führender Flugzeughersteller der Welt kann Boeing die enormen Konzeptions-, Entwicklungs- und Testkosten eines neuen Flugzeugs auf große Verkaufsvolumina verteilen. Das bedeutet, dass das Unternehmen Flugzeuge zu einem niedrigeren Preis als seine Konkurrenten verkaufen kann, die mit kleineren Volumina Vorlieb nehmen müssen. Der einzige echte Konkurrent von Boeing, Airbus, kam nur dank hoher Subventionen mehrerer europäischer Staaten, mit denen er seine Forschungs- und Entwicklungskosten abdecken konnte, auf die Beine. Das Beispiel der sinkenden Kosten hilft, das wichtige Phänomen des umfassenden brancheninternen Handels, das in Tabelle 15-1 dargestellt ist, zu erklären. Wie kommt es, dass die Vereinigten Staaten Computer und zugehörige Ausrüstung sowohl importieren als auch exportieren? Denken Sie an ein Unter-
Teil 4
nehmen wie Intel, das hochwertige Halbleiter herstellt. Intel betreibt Produktionseinrichtungen in den Vereinigten Staaten, in China, Malaysia und auf den Philippinen, und das Unternehmen lässt Produkte, die in einem Land hergestellt werden, oft in einem anderen Land prüfen und montieren. Ein weiteres Beispiel ist Dell Computers, der weltweit größte PC-Hersteller. Dell tut im Grunde nichts anderes, als von anderen Herstellern produzierte Teile zusammenzubauen. Das Unternehmen sucht sich die Komponenten in allen Teilen der Welt zusammen und orientiert sich dabei am Preis und an der Verlässlichkeit der Produzenten. Ähnliche Muster brancheninterner Spezialisierung sind bei Autos, Stahl, Textilien und vielen anderen Produktionsgütern zu beobachten.
B. Der komparative Vorteil von Staaten Das Prinzip des komparativen Vorteils Schon der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass jedes Land jene Güter produzieren und exportieren sollte, für die es besondere Qualifikationen mitbringt. Doch dahinter steht ein grundlegenderes Prinzip, das für jeglichen Handel – innerhalb der Familie, innerhalb eines Landes und zwischen Ländern – gilt und das über den gesunden Menschenverstand hinausgeht. Dieses so genannte Prinzip des komparativen Vorteils besagt, dass ein Land selbst dann durch Handel profitieren kann, wenn es bei der Produktion aller Güter absolut effizienter (oder weniger effizient) als andere Länder ist. In der Tat bietet der Handel allen Ländern einen wechselseitigen Nutzen, wenn der komparative Vorteil genutzt wird.
Kapitel 15 Komparativer Vorteil und Protektionismus
423
Mehr als gesunder Menschenverstand
Die Analyse des komparativen Vorteils nach Ricardo
Stellen wir uns eine Welt vor, in der es nur zwei Güter gibt – Computer und Kleidung. Nehmen wir an, die USA erzielten in der Produktion von Computern und Kleidung eine höhere Produktionsleistung pro Kopf (oder pro Inputeinheit) als der Rest der Welt. Nehmen wir darüber hinaus an, die USA wären in der Produktion von Computern relativ effizienter als in der Kleidungsproduktion. Sie könnten bei Computern um 50 Prozent und bei Kleidung um 10 Prozent produktiver sein als andere Länder. In diesem Fall wären die USA gut beraten, das Produkt zu verkaufen, bei dessen Herstellung sie relativ effizienter sind (also Computer), und das Gut, bei dessen Herstellung sie relativ weniger effizient sind (Kleidung), nach Möglichkeit zu importieren. Oder nehmen wir ein armes Land wie Mali. Wie sollte das einkommensschwache Mali, wo Handwebstühle gang und gäbe sind und die Produktivität nur einen Bruchteil der Pro-Kopf-Produktivität in den industrialisierten Ländern ausmacht, hoffen können, seine Textilien zu exportieren? Überraschenderweise kann Mali entsprechend dem Prinzip des komparativen Vorteils trotzdem Außenhandel betreiben, indem es Güter exportiert, die es relativ effizienter herstellt (also beispielsweise Textilien), und andere Güter importiert, bei deren Herstellung es relativ weniger effizient ist (etwa bei Turbinen und Autos). Dem Prinzip des komparativen Wettbewerbs zufolge profitiert jedes Land, wenn es sich auf Produktion und Export jener Güter spezialisiert, die es zu relativ niedrigen Kosten herstellen kann. Im Gegensatz dazu profitiert ein Land, wenn es jene Güter importiert, deren Produktion für es relativ teuer ist.
Veranschaulichen wir nun die grundlegenden Prinzipien des internationalen Handels, indem wir auf die Situation Amerikas und Europas vor 100 Jahren zurückblicken. Wenn die Arbeit (oder allgemeiner: der Ressourceneinsatz) in Amerika absolut produktiver ist als in Europa, bedeuten dies, dass Amerika nichts importiert? Und wäre es wirtschaftlich sinnvoll für Europa, seine Märkte durch Zölle oder Einfuhrquoten zu „schützen“? Diese Fragen stellte sich im Jahre 1817 erstmals der englische Ökonom David Ricardo, der nachwies, dass die internationale Spezialisierung für die Staaten von Nutzen ist. Das Ergebnis seiner Forschungstätigkeit nannte Ricardo das Gesetz des komparativen Vorteils. Der Einfachheit halber betrachtete Ricardo nur zwei Regionen und zwei Güter, und er maß alle Produktionskosten in Arbeitsstunden. Wir werden hier seiner Vorgehensweise folgen und die Produktion von Nahrung und Bekleidung für Europa und Amerika analysieren.1 Tabelle 15-2 zeigt die illustrativen Daten. In Amerika nimmt die Produktion einer Einheit Nahrung eine Arbeitsstunde, die Produktion einer Einheit Bekleidung zwei Arbeitsstunden in Anspruch. In Europa liegt der Aufwand bei drei Arbeitsstunden für Nahrung und vier Arbeitsstunden für Bekleidung. Wir sehen, dass Amerika bei der Produktion beider Güter einen absoluten Vorteil für sich verbuchen kann, weil die absolute Produktionseffizienz in Amerika höher ist als in Europa. Trotzdem verfügt Amerika über einen komparativen Vorteil bei Nahrung, während Europas komparativer Vorteil in der Bekleidung liegt, weil Nahrung in Amerika relativ kostengünstig ist, während in Europa Bekleidung vergleichsweise weniger teuer ist.
Dieses einfache Prinzip bildet die unerschütterliche Grundlage des internationalen Handels.
1 Eine Analyse des komparativen Vorteils mit zahlreichen verschiedenen Ländern und Gütern werden wir später in diesem Kapitel vornehmen.
424
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Produktions-Arbeitseinsatz in Amerika und in Europa Erforderlicher Arbeitseinsatz (Arbeitsstunden) Produkt
Amerika
Europa
1 Nahrungsmitteleinheit
1
3
1 Bekleidungseinheit
2
4
Tabelle 15-2: Der komparative Vorteil hängt ausschließlich von den relativen Kosten ab Unserem hypothetischen Beispiel zufolge kann sowohl Nahrung als auch Bekleidung in Amerika zu niedrigeren Arbeitskosten hergestellt werden. Die Arbeitsproduktivität in Amerika liegt um das Zwei- bis Dreifache über derjenigen in Europa (bei Bekleidung um das Zweifache, bei Nahrung um das Dreifache).
Anhand diesen Fakten konnte Ricardo nachweisen, dass beide Regionen einen Vorteil daraus ziehen, wenn sie sich auf ihren jeweiligen komparativen Vorteil spezialisieren – das heißt, Amerika widmet sich der Produktion von Nahrungsmitteln, während sich Europa auf die Produktion von Bekleidung spezialisiert. In dieser Situation exportiert Amerika Nahrung, um Kleidung aus Europa zu bezahlen, während Europa Bekleidung exportiert, um aus Amerika kommende Nahrungsmittel zu bezahlen. Will man die Auswirkungen des Handels analysieren, muss man die Mengen an Nahrungsmitteln und Bekleidung messen, die in jeder Region produziert und konsumiert werden können, (1) wenn es keinen internationalen Handel gibt und (2) wenn es einen freien Handel gibt und sich jede Region auf das Gebiet ihres komparativen Vorteils spezialisiert. Vor Einführung des Außenhandels. Beginnen wir mit der Frage, was ohne jeglichen internationalen Handel geschieht, etwa weil Außenhandel verboten ist oder wegen eines prohibitiv hohen Zolls. Tabelle 15-2 stellt den Reallohn der amerikanischen Arbeitnehmer für eine Arbeitsstunde als 1 Einheit Nahrung oder
Teil 4
1/2 Einheit Bekleidung dar. Der europäische Arbeiter verdient nur 1/3 Einheit Nahrung oder 1/4 Einheit Kleidung pro Arbeitsstunde. Natürlich sind die Preise für Nahrung und Bekleidung in den beiden isolierten Regionen bei vollständigem Wettbewerb wegen der unterschiedlich hohen Produktionskosten verschieden hoch. In Amerika ist Bekleidung doppelt so teuer wie Nahrung, weil die Herstellung einer Einheit Bekleidung doppelt so viel Arbeit erfordert wie für die Herstellung einer Einheit Nahrung. In Europa beträgt der Preis für Bekleidung nur 4/3 des Nahrungsmittelpreises. Nach Einführung des Außenhandels. Nehmen wir nun an, dass alle Zölle abgeschafft werden und der freie Handel erlaubt ist. Der Einfachheit halber nehmen wir weiter an, dass keinerlei Transportkosten anfallen. Wie sieht der Güterfluss aus, wenn der Handel freigegeben wird? Kleidung ist in Amerika (mit einem Preisverhältnis von 2 verglichen mit 4/3) relativ teurer, während Lebensmittel in Europa (mit einem Preisverhältnis von 3/4 verglichen mit 1/2) relativ teurer sind. Angesichts der relativen Preise, und unter Vernachlässigung aller Transportkosten oder Zölle, wird schon bald Nahrung von Amerika nach Europa und Bekleidung von Europa nach Amerika verkauft werden. Wenn europäische Bekleidung auf den amerikanischen Markt drängt, stellen die amerikanischen Kleiderhersteller fest, dass ihre Preise fallen und ihre Gewinne schrumpfen, und sie beginnen, die Fabriken zu schließen. Im Gegensatz dazu müssen europäische Bauern feststellen, dass die Preise für Nahrung fallen, wenn amerikanische Produkte auf den europäischen Markt drängen; sie erleiden Verluste, manche müssen wohl auch aufgeben, und es werden Ressourcen aus der europäischen Landwirtschaft abgezogen. Nach all den Anpassungsprozessen des internationalen Handels müssen die Preise für Kleidung und Nahrungsmittel in Europa und Amerika ausgeglichen sein (wie das Wasser in zwei miteinander verbundenen Rohren
Kapitel 15 Komparativer Vorteil und Protektionismus
nach Entfernung einer Absperrung die gleiche Höhe erreichen muss). Ohne weiteres Wissen über die genaue Angebots- und Nachfrageentwicklung können wir das exakte Preisniveau nicht im Voraus bestimmen. Aber wir wissen doch, dass die relativen Nahrungs- und Bekleidungspreise irgendwo zwischen dem europäischen Preisverhältnis (Nahrung/Bekleidung 3/4) und jenem in Amerika (1/2) liegen müssen. Wir nehmen nun an, dass das endgültige Verhältnis bei 2/3 liegt, was bedeutet, dass zwei Einheiten Bekleidung gegen drei Einheiten Nahrung gehandelt werden können. Der Einfachheit halber messen wir die Preise in US-Dollar und nehmen an, dass der Freihandelspreis für Nahrung US-$ 2 pro Einheit beträgt, woraus abzuleiten ist, dass der Freihandelspreis für Bekleidung bei US-$ 3 pro Einheit liegt. Im freien Handel haben die Regionen ihre Produktionsaktivitäten verschoben. Amerika hat Ressourcen von der Kleidungsproduktion abgezogen und produziert Nahrungsmittel, während Europa seinen landwirtschaftlichen Sektor konsolidiert und seine Kleidungsproduktion erweitert. Im Freihandel verlagern die Länder ihre Produktion auf die Gebiete ihres jeweiligen komparativen Vorteils.
Der volkswirtschaftliche Gewinn durch den Außenhandel Welche volkswirtschaftlichen Auswirkungen ergeben sich in unserem Beispiel nun durch die Öffnung der beiden Regionen für den internationalen Handel? Amerika als Ganzes profitiert von der Tatsache, dass importierte Bekleidung weniger als die im Inland produzierte Kleidung kostet. Ebenso profitiert Europa von der Spezialisierung auf Kleidung und von Lebensmitteln, die billiger sind als heimische Produkte. Die Vorteile des Außenhandels werden deutlich, wenn wir seine Auswirkungen auf die Reallöhne der Arbeitnehmer berechnen. Reallöhne werden anhand der Güter gemessen, die eine Arbeitskraft mit ihrem Stunden-
425
lohn kaufen kann. Aus Tabelle 15-2 ersehen wir, dass die Reallöhne in beiden Regionen nach Einführung des Außenhandels höher ausfallen als vor der Öffnung der Grenzen. Nehmen wir aus Gründen der Einfachheit an, dass jeder Arbeiter eine Einheit Bekleidung und eine Einheit Nahrung kauft. Vor der Aufnahme internationaler Handelsbeziehungen kostete dieser Warenkorb einem amerikanischen Arbeitnehmer drei Arbeitsstunden, einem europäischen Arbeitnehmer dagegen sieben. Nach Einführung des Außenhandels liegt, wie wir bereits gesehen haben, der Preis für Bekleidung bei US-$ 3 pro Einheit, während der Nahrungsmittelpreis US-$ 2 pro Einheit beträgt. Ein amerikanischer Arbeitnehmer muss immer noch eine Stunde arbeiten, um eine Einheit Nahrung zu kaufen, weil Nahrungsmittel im Inland produziert werden, aber bei einem Preisverhältnis von 2 : 3 braucht er nur noch l,5 Stunden aufzuwenden, um eine Einheit europäischer Bekleidung zu erstehen. Sein Warenkorb kostet daher nach Einführung des Außenhandels 2,5 Stunden Arbeitszeit, was eine Erhöhung seines Reallohnes um 20 Prozent bedeutet. Für europäische Arbeitnehmer kostet eine Bekleidungseinheit bei funktionierendem Außenhandel nach wie vor vier Stunden Arbeit. Um jedoch eine Nahrungsmitteleinheit zu erwerben, braucht der europäische Arbeiter nur noch 2/3 einer Bekleidungseinheit zu produzieren (wozu 2/3 4 Arbeitsstunden erforderlich sind) und kann dann diese 2/3Kleidungseinheit gegen eine Einheit amerikanischer Nahrung eintauschen. Die gesamte Arbeitszeit, die in Europa für den Erwerb des genannten Warenkorbs erforderlich ist, beträgt daher 4 + 2 2/3, was einer Reallohnsteigerung von etwa 5 Prozent gegenüber der reinen Binnenhandelssituation gleichkommt. Wenn sich Länder im freien Handel auf die Gebiete konzentrieren, in denen sie einen komparativen Vorteil besitzen, profitieren sie. Vergleicht man das mit einer Situation, in der es keinen Handel gibt, können die Ar-
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
beitnehmer jeder betroffenen Region eine größere Menge an Verbrauchsgütern für dieselbe Arbeitszeit erwerben, wenn sie sich auf die Gebiete ihres komparativen Vorteils konzentrieren und ihre eigene Produktion gegen Güter aus anderen Bereichen eintauschen, in denen sie einen relativen Nachteil zu verzeichnen haben.
300
Amerika ohne Außenhandel In Kapitel 1 haben wir uns mit der Produktionsmöglichkeiten- oder Transformationskurve zur Darstellung der verschiedenen Güterkombinationen beschäftigt, die sich mit den gegebenen Ressourcen und Technologien einer Gesellschaft produzieren lassen. Anhand der Produktionsdaten aus Tabelle 15-2 und unter der Annahme, dass sowohl Europa als auch Amerika über 600 Arbeitseinheiten verfügen, können wir problemlos die PMK jeder der beiden Regionen ableiten. Die zu Abbildung 15-1 gehörige Tabelle zeigt, wie viel Nahrung und Bekleidung Amerika mit seinen Produktionsfaktoren und amerikanischer Technologie herstellen kann. In Abbildung 15-1 sind die Produktionsmöglichkeiten grafisch dargestellt, die rostfarbene Linie DA zeigt die amerikanische PMK. Die PMK hat eine Steigung von –1/2, da dies die Bedingungen repräsentiert, unter denen Nahrung und Kleidung in der Produktion substituiert werden können. Auf Wettbewerbsmärkten ohne internationalen Handel beträgt das Preisverhältnis von Nahrung und Kleidung ebenso 1/2.
D C
150
Die grafische Analyse des komparativen Vorteils Wir können unsere Produktionsmöglichkeitenkurve (PMK) zu einer Vertiefung der Analyse des komparativen Vorteils verwenden. Dazu verwenden wir weiterhin unser numerisches Beispiel mit den Arbeitskosten, doch das Prinzip wäre auch in einer Welt des Wettbewerbs mit vielen verschiedenen Produktionsfaktoren gültig.
Teil 4
450 Bekleidung
426
B A
0
200
400 Nahrung
600
Die Produktionsmöglichkeitenkurve Amerikas (Konstantes Kostenverhältnis 1 : 2)
Möglichkeiten
Nahrung (Einheiten)
Bekleidung (Einheiten)
A B C D
600 400 200 0
0 100 200 300
Abbildung 15-1: Produktionsdaten Amerikas Die Fixkostenlinie DA stellt die Produktionsmöglichkeitenkurve Amerikas bei reinem Binnenhandel dar. Produktion und Konsum Amerikas werden sich ohne Außenhandel bei B einpendeln.
Bisher haben wir uns auf die Produktion konzentriert und dabei den Konsum außer Acht gelassen. Bitte beachten Sie, dass Amerika, wenn es vom internationalen Handel völlig abgeschnitten ist, nur das konsumieren kann, was es selbst herstellt. Nehmen wir an, dass Punkt B in Abbildung 15-1 für die Markteinkommen und -nachfrage Produktion und Konsum in einem Amerika ohne Außenhandel darstellt. Ohne Außenhandel erreicht Amerika eine Produktion und einen Konsum von 400 Einheiten Nahrung und 100 Einheiten Bekleidung. Genau dieselbe Überlegung können wir auch für Europa anstellen. Doch die europäische PMK sieht anders aus als die amerikanische, weil die europäische Effizienz in der Produktion von Nahrung und Bekleidung von der amerikanischen abweicht. Das europäische Preisverhältnis beträgt 3/4, was der relativen europäischen Produktivität bei Nahrung und Bekleidung entspricht.
427
Kapitel 15 Komparativer Vorteil und Protektionismus
Öffnung für den Außenhandel Nun lassen wir den Handel zwischen zwei Regionen zu. Nahrung kann zum selben Preisverhältnis gegen Kleidung getauscht werden. Wir nennen das Verhältnis von Export- zu Importpreisen die Terms of Trade. Um die Handelsmöglichkeiten darzustellen, kombinieren wir die beiden PMK in Abbildung 15-2. Die rostfarbene amerikanische Kurve zeigt die heimischen Produktionsmöglichkeiten, während die graue europäische PMK die Bedingungen darstellt, zu denen in Europa Nahrung und Bekleidung ausgetauscht werden können. Beachten Sie, dass die europäische PMK näher am Ursprung verläuft als die amerikanische, da die europäische Produktivität in beiden Branchen niedriger ist; Europa hat sowohl bei der Nahrungsals auch bei der Kleidungsproduktion einen absoluten Nachteil.
Dennoch braucht sich Europa durch seinen absoluten Nachteil nicht entmutigen zu lassen, denn es ist der relative Produktivitätsunterschied oder komparative Vorteil, der den Außenhandel so vorteilhaft macht. Die Handelsgewinne werden durch die äußeren Linien in Abbildung 15-2 dargestellt. Könnte Amerika zu den europäischen relativen Preisen Handel treiben, könnte es 600 Einheiten Nahrung produzieren und entlang der äußeren grauen Linie in Abbildung 15-2(a) nach links oben wandern, wo die graue Linie das Austauschverhältnis oder die Terms of Trade darstellt, die durch die europäische PMK geschaffen werden. Ebenso könnte sich Europa, wenn es zu amerikanischen Preisen handeln könnte, auf Bekleidung spezialisieren und sich entlang der rostfarbenen Linie in Abbildung 15-2(b) nach rechts unten bewegen, wo die rostfarbene Linie dem amerikanischen Preisverhältnis vor Öffnung für den Außenhandel entspricht. (b) Europa
450
450
300
300
150
Vor Einführung des Außenhandels
E
Preislinie nach Einführung des Außenhandels
Bekleidung
Bekleidung
(a) Amerika
Preislinie nach Einführung des Außenhandels
150
Vor Einführung des Außenhandels 0
200
400
600
Nahrung
0
100
E
200 Nahrung
300
Abbildung 15-2: Grafische Darstellung des komparativen Vorteils Mithilfe des Außenhandels können Europa und Amerika ihren verfügbaren Konsum steigern. Wird kein Außenhandel zugelassen, muss sich jede Region mit ihrer eigenen Produktion begnügen. Sie ist daher auf ihre eigene Produktionsmöglichkeitenkurve beschränkt, die für jede Region als die mit „Vor Einführung des Außenhandels“ bezeichnete Linie dargestellt ist. Die relative Preislinie für die Situation nach Öffnung der Grenzen und nach Ausgleich der relativen Güterpreise durch den Wettbewerb ist durch die Pfeile dargestellt. Können Sie erkennen, warum sich die Konsummöglichkeiten verbessern müssen, wenn jede Region mit den durch die Pfeile gekennzeichneten Preisen konfrontiert ist?
428
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Dies führt uns zu einem ebenso wichtigen wie überraschenden Schluss: Kleine Länder können vom internationalen Handel am stärksten profitieren. Sie haben den geringsten Einfluss auf die internationalen Preise und können daher zu internationalen Preisen handeln, die sich stark von den Inlandspreisen unterscheiden. Außerdem gewinnen Länder, die sich von anderen Ländern stark unterscheiden, am stärksten, während große Länder am wenigsten zu gewinnen haben. (Diese Punkte werden in Übung 3 am Ende dieses Kapitels zur Sprache gebracht.) Preisverhältnis im Gleichgewicht. Sobald sich der Handel öffnet, müssen einige Preise je nach allgemeinem Angebot und allgemeiner Nachfrage auf dem internationalen Markt bestehen. Ohne weitere Informationen können wir das genaue GleichgewichtsPreisverhältnis nicht feststellen, sondern nur die mögliche Preisspanne ermitteln. Die Preise müssen irgendwo zwischen den Preisen der beiden Handelsregionen liegen. Das heißt, wir wissen, dass der jeweilige Nahrungs- und Bekleidungspreis irgendwo zwischen 1/2 und 3/4 liegen muss. Das Preisverhältnis, das sich letztlich einstellt, hängt von der jeweiligen Nachfrage nach Nahrung und Bekleidung ab. Wird sehr viel Nahrung nachgefragt, liegt der Nahrungspreis relativ hoch. Wäre die Nahrungsnachfrage so hoch, dass Europa Nahrung produzieren würde, läge das Preisverhältnis in Höhe der relativen europäischen Preise, also bei 3/4. Wenn die Bekleidungsnachfrage andererseits so stark wäre, dass Amerika Kleidung und Nahrungsmittel produzierte, entsprächen die Terms of Trade dem amerikanischen Preisverhältnis von 1/2. Würden sich beide Regionen auf das Gebiet ihres jeweiligen komparativen Vorteils spezialisieren, wobei Europa nur Bekleidung und Amerika nur Nahrung herstellte, müsste das Preisverhältnis irgendwo zwischen 1/2 und 3/4 liegen. Das genaue Verhältnis hängt davon ab, wie stark die Nachfrage ist. Nehmen wir einmal an, dass so viel nachgefragt wird, dass das Preisverhältnis letztlich
Teil 4
2/3 beträgt, wobei drei Nahrungseinheiten für zwei Bekleidungseinheiten eingetauscht werden können. Bei diesem Preisverhältnis wird sich jede Region spezialisieren – Amerika auf Nahrung, Europa auf Bekleidung – und einen Teil der eigenen Produktion exportieren, um die eigenen Importe entsprechend dem Weltpreisverhältnis von 2/3 zu bezahlen. Abbildung 15-2 zeigt, wie sich der Handel gestaltet. Jede Region ist mit ihrer eigenen Konsummöglichkeitenkurve entsprechend ihren Produktions-, Handels- und Konsummöglichkeiten konfrontiert. Diese Konsummöglichkeitenkurve beginnt am optimalen Spezialisierungspunkt der Region und läuft beim Weltpreisverhältnis von 2/3 aus. Abbildung 15-2(a) zeigt die amerikanischen Konsummöglichkeiten als dünnen schwarzen Pfeil mit einer Steigung von –2/3, der vom vollkommenen Spezialisierungspunkt bei 600 Einheiten Nahrung und 0 Einheiten Bekleidung ausgeht. Ebenso sind die europäischen Konsummöglichkeiten nach Einführung des Außenhandels in Abbildung 15-2(b) durch den schwarzen Pfeil dargestellt, der von ihrem vollkommenen Spezialisierungspunkt ausgehend mit einer Steigung von –2/3 nach rechts unten verläuft. Das Endergebnis wird durch die jeweiligen Punkte E in Abbildung 15-2 dargestellt. Bei diesem Freihandelsgleichgewicht spezialisiert sich Europa auf die Herstellung von Bekleidung und Amerika auf die Produktion von Nahrung. Europa exportiert 133 1/3 Einheiten Bekleidung gegen 200 Einheiten amerikanischer Nahrung. Beide Regionen können mehr konsumieren, als sie allein produzieren könnten. Beide Regionen haben also vom internationalen Handel profitiert. Abbildung 15-3 illustriert die Handelsvorteile für Amerika. Die innere rostfarbene Linie stellt die PMK, die äußere schwarze Linie die Konsummöglichkeiten zum Weltpreisverhältnis von 2/3 dar. Die rostfarbenen Pfeile zeigen die exportierten und importierten Mengen. Amerika erreicht schließlich Punkt B'. Mithilfe des Außenhandels bewegt es sich entlang der schwarzen Linie D'A,
429
Kapitel 15 Komparativer Vorteil und Protektionismus
Bekleidung
300
D′ D
Preisverhältnis nach Berücksichtigung 2 des Freihandels ( 3 )
B′
150 Ursprüngliches Preisverhältnis ( 1 )
B
200
400 Nahrung
Importe (–) A 600
Abbildung 15-3: Amerika vor und nach Einführung des Außenhandels Der freie Handel erweitert die Konsummöglichkeiten Amerikas. Die rostfarbene Linie DA stellt die Produktionsmöglichkeitenkurve Amerikas dar; die graue Linie D'A bezeichnet die neue Konsummöglichkeitenkurve, wenn Amerika beim Preisverhältnis von 2/3 freien Handel betreibt und sich in der Folge vollkommen auf die Nahrungsmittelproduktion (in A) spezialisieren kann. Die rostfarbenen Pfeile von S nach B' und von A nach S zeigen das Exportvolumen (+) und das Importvolumen (–) Amerikas. Infolge des Freihandels gelangt Amerika zu Punkt B', wo mehr von beiden Gütern zur Verfügung stehen, als es produzieren könnte, würde es sich entlang der Linie DA bewegen.
gerade so, als hätte eine nützliche neue Erfindung die PMK nach außen verschoben. Die Erkenntnisse aus dieser Analyse sind in Abbildung 15-4 zusammengefasst. Diese Abbildung zeigt die Welt-Produktionsmöglichkeitenkurve. Die Welt-PMK stellt den maximalen Output dar, der sich aus den weltweiten Ressourcen erzielen lässt, wenn möglichst effizient produziert wird, also bei möglichst effizienter Arbeitsteilung und regionaler Spezialisierung. Sie ergibt sich aus den beiden regionalen PMK in Abbildung 15-2 durch Ermittlung der maximalen weltweiten Produktionsleistung, die aus den individuellen RegionalPMK abgeleitet werden kann. So lässt sich beispielsweise die maximale Nahrungsmenge, die (ohne Bekleidungsproduktion) erzeugt werden kann, aus Abbildung 15-2 mit 600 Einheiten in Amerika und 200 Einheiten
X
(Vor Einführung des Außenhandels) B
Exporte (+) S
2
0
Bekleidung
500
450
E (Nach Einführung des Außenhandels) Z
0
500 Nahrung
Abbildung 15-4: Der Freihandel ermöglicht es der gesamten Welt, ihre Produktionsmöglichkeitenkurve zu erreichen Wir zeigen Ihnen hier die Auswirkungen des Freihandels aus der Sicht der gesamten Welt. Vor Zulassung des internationalen Handels befindet sich jede Region auf ihrer eigenen PMK. Da das Gleichgewicht ohne Außenhandel ineffizient ist, befindet sich die Welt als Ganzes innerhalb ihrer PMK in Punkt B. Der Freihandel ermöglicht nun jeder Region die Spezialisierung auf jene Güter, bei denen sie einen komparativen Vorteil besitzt. Als Folge der effizienten Spezialisierung verschiebt die Welt ihre Effizienzgrenze nach außen zu Punkt E.
in Europa ermitteln, was ein Weltmaximum von 800 Einheiten ergibt. Dieser maximale Nahrungsmittel-Produktionspunkt (800 Einheiten Nahrung, 0 Einheiten Bekleidung) wird anschließend in die Welt-PMK in Abbildung 15-4 eingetragen. Zusätzlich können wir den maximalen Bekleidungs-Produktionspunkt (0 Einheiten Nahrung, 450 Einheiten Bekleidung) in die Welt-PMK eintragen, indem wir die beiden Regional-PMK ermitteln. Alle Punkte dazwischen können durch sorgfältige Berechnung der maximalen weltweiten Produktionsleistungen ermittelt werden, die sich bei effizienter Spezialisierung der beiden Regionen erzielen lassen. Vor der Öffnung der Regionen für den Außenhandel befindet sich die Welt auf Punkt B. Es handelt sich dabei um einen ineffizienten Punkt – innerhalb der weltweiten PMK –, weil die Regionen ein unterschiedliches Niveau relativer Effizienz bei den verschiedenen Gütern aufweisen. Nach Öffnung der Grenzen für den Handel bewegt sich die Welt zum
430
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Komparativer Vorteil Amerikas
Mikroprozessoren
Computer Flugzeuge
Autos
Wein Croissants
Teil 4
Komparativer Vorteil Europas
Abbildung 15-5: Bei einer Vielzahl von Gütern entsteht eine große Bandbreite komparativer Vorteile
Freihandelsgleichgewicht in Punkt E, wo sich die Länder auf den Gebieten ihres komparativen Vorteils spezialisieren. Der freie Handel auf Wettbewerbsmärkten ermöglicht es der Welt, sich an die Grenze ihrer Produktionsmöglichkeitenkurve zu bewegen.
Erweiterung des Grundkonzeptes auf viele Güter und Länder Die Welt des internationalen Handels besteht aus sehr viel mehr als zwei Regionen und zwei Gütern. Trotzdem bleiben die Prinzipien, die wir oben erläutert haben, im Wesentlichen auch in realistischen Szenarien unverändert.
Viele Güter Wenn zwei Regionen oder Länder bei konstanten Kosten viele Güter erzeugen, kann diese Produktion entsprechend dem jeweiligen komparativen Kostenvorteil aufgeteilt werden. Bei den Gütern könnte es sich um Mikroprozessoren, Computer, Flugzeuge, Autos, Wein und Croissants handeln, die alle in der Abfolge ihres komparativen Vorteils gemäß Abbildung 15-5 aufgereiht werden. Wie Sie aus der Abbildung erkennen, sind in Amerika von allen Gütern gemessen an den europäischen Kosten Mikroprozessoren am billigsten. Europa hat den größten komparativen Vorteil bei Croissants. Vor 20 Jahren dominierte Amerika den internationalen Markt für kommerzielle Flugzeuge. Inzwischen hat Europa jedoch einen erheblichen Marktanteil erobert, sodass sich Flugzeuge auf der Linie nach rechts bewegen.
Wir können fast sicher prognostizieren, dass die Öffnung gegenüber dem Außenhandel Amerika dazu veranlasst, Mikroprozessoren zu produzieren und zu exportieren, während sich Europa auf Produktion und Export von Croissants konzentriert. Wo aber liegt die Trennlinie? Zwischen Flugzeugen und Autos? Oder zwischen Wein und Croissants? Womöglich liegt die Trennlinie bei einem der genannten Güter, nicht zwischen ihnen – sodass vielleicht an beiden Orten Autos produziert werden. Es wird Sie nicht überraschen, dass die Antwort von Angebot und Nachfrage der einzelnen Güter abhängt. Wir können uns die einzelnen Güter als Perlen vorstellen, die entsprechend ihrem komparativen Vorteil auf einer Kette aufgefädelt sind; die Höhe von Angebot und Nachfrage bestimmt, wo die Trennlinie zwischen amerikanischer und europäischer Produktion verläuft. Eine erhöhte Nachfrage nach Mikroprozessoren und Computern muss die Preise beispielsweise eher in Richtung amerikanischer Güter verschieben. Diese Verschiebung könnte dazu führen, dass sich Amerika so sehr auf die Gebiete seines komparativen Vorteils spezialisiert, dass es nicht mehr profitabel wäre, auf Gebieten komparativen Nachteils, etwa bei Autos, die Produktion aufrecht zu erhalten.
Viele Länder Und was geschieht, wenn viele Länder im Spiel sind? Die Einführung vieler Länder muss unsere Analyse nicht unbedingt verändern. Für jedes Land lassen sich alle anderen Länder zu einer Gesamtgruppe „restliche Welt“ zusammenfassen. Handelsvorteile kennen keine nationalen Grenzen. Die bereits dargelegten Prinzipien gelten ebenso zwischen Gruppen von Ländern wie zwischen
Kapitel 15 Komparativer Vorteil und Protektionismus
verschiedenen Regionen desselben Landes. Wir können sie auf die Handelsbeziehungen zwischen den amerikanischen Nord- und Südstaaten genauso anwenden wie auf den Handel zwischen den USA und Kanada.
Dreieckshandel und multilaterale Handelsbeziehungen Kommen viele Länder ins Spiel, so wirkt sich die Aufnahme von Dreiecks- oder multilateralen Handelsbeziehungen im Allgemeinen vorteilhaft aus. Ein bilateraler Handel zwischen Ländern ist im Allgemeinen nicht ausgeglichen. Denken Sie an das einfache Beispiel einer Dreiecks-Handelsbeziehung in Abbildung 15-6, wobei die Pfeile die jeweilige Exportrichtung angeben. Amerika kauft elektronische Konsumartikel aus Japan, Japan kauft Öl und Rohstoffe aus Entwicklungsländern, und die Entwicklungsländer kaufen Computer aus Amerika. In der Realität sind die Handelsmuster sehr viel komplexer als in diesem Dreiecksbeispiel. Die Vorteile des multilateralen Handels wären sehr viel geringer, müsste jeweils ein bilaterales Gleichgewicht erzielt werden. Öl
r
te
pu
m
Co
USA
Japan
E Ko lekt ns ron um isc ar he tik el
Entwicklungsländer
Abbildung 15-6: Der Dreieckshandel kommt allen zugute In der Realität hat der internationale Handel – wie auch der Binnenhandel – viele Seiten.
431
Einschränkungen und Schlussfolgerungen Wir haben nun unsere Erörterung der sehr eleganten Theorie des komparativen Vorteils beendet. Die daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen gelten für jede beliebige Anzahl von Ländern und Gütern. Zudem lässt sich die Theorie auch verallgemeinern und auf eine Vielzahl von Produktionsfaktoren, auf veränderte Faktorverhältnisse und sinkende Ertragszuwächse anwenden. Doch wir können zu keinem Schluss kommen, ohne uns zwei wichtige Einschränkungen dieser eleganten Theorie bewusst zu machen: 1. Klassische Annahmen. Aus theoretischer Sicht liegt der wesentliche Nachteil der Theorie des komparativen Vorteils in ihren klassischen Annahmen. Diese Theorie geht von einer reibungslos funktionierenden Wettbewerbswirtschaft aus. Der Handel könnte zu einer Verschärfung von Umweltproblemen führen, wenn lokale oder globale öffentliche Güter im Spiel sind (für eine genauere Diskussion siehe Kapitel 17). Außerdem könnten bei unflexiblen Preisen und Löhnen, als Folge von Konjunkturzyklen und bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit Ineffizienzen entstehen. Bei einem makroökonomischen oder mikroökonomischen Marktversagen könnte der Handel ein Land hinter seine PMK zurückwerfen. Befindet sich die Wirtschaft in einer Phase der Depression oder funktioniert das Preissystem aus umweltbedingten oder anderen Gründen nicht, können wir nicht mit Sicherheit behaupten, dass das betroffene Land vom Außenhandel profitiert. Angesichts dieser Einschränkungen verwundert es kaum, dass die Theorie des komparativen Vorteils in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs kaum Anhänger findet. Während der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre mit ihren enormen Arbeitslosenzahlen und der sinkenden re-
432
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
alen Produktionsleistung errichteten die Länder hohe Zollschranken, und das Außenhandelsvolumen ging drastisch zurück. In den wohlhabenden 90er Jahren des 20. Jahrhunderts war der freie Handel zunehmend den Angriffen von Umweltschützern ausgesetzt, die ihn verdächtigten, den Unternehmen einen Freibrief für die Verklappung von Schadstoffen in Meeren oder ihre Entsorgung in Ländern mit laxen Regelungen auszustellen. Gewerkschaften und Umweltschützer zählten zu den führenden Kritikern der letzten Versuche, einen freieren Handel zu fördern (siehe den Abschnitt „Freihandelsabkommen“ am Ende dieses Kapitels). 2. Einkommensverteilung. Ein zweiter Vorbehalt betrifft die Auswirkungen auf einzelne Menschen, Sektoren oder Produktionsfaktoren. Wir haben oben gezeigt, dass das Volkseinkommen eines Landes steigt, wenn es sich dem Außenhandel öffnet. Das Land kann mehr von allen Gütern und Dienstleistungen konsumieren, als dies möglich wäre, wenn seine Grenzen für den Handel geschlossen wären. Doch das bedeutet nicht, dass alle Menschen, Unternehmen, Sektoren oder Produktionsfaktoren vom Handel profitieren. Wenn der freie Handel das Angebot an Gütern, die von bestimmten Produktionsfaktoren oder in bestimmten Regionen hergestellt werden, durch Importe vergrößert, kann es sein, dass diese Faktoren oder Regionen niedrigere Einkommen erzielen, als dies unter den Handelsbeschränkungen der Fall war. Nehmen wir an, dass der freie Handel das Angebot an billigen Baumwollhemden in den Vereinigten Staaten vergrößert. Es wäre nicht erstaunlich, wenn infolgedessen Textilfirmen Verluste erlitten und in Konkurs gehen müssten. Aktuellen Studien zufolge mussten Hilfsarbeiter in Ländern mit hohen Einkommen in den letzten 30 Jahren Rückgänge ihres Reallohns hinnehmen. Grund waren die erhöhten Importe von
Teil 4
Gütern aus Niedriglohn-Entwicklungsländern. Die Lohnverluste traten ein, weil die Importgüter von Faktoren in Entwicklungsländern produziert werden, die nahe Substitute der Hilfsarbeiter der Länder mit hohen Einkommen sind. Die Theorie des komparativen Vorteils zeigt, dass andere Sektoren mehr gewinnen, als die beeinträchtigten Sektoren verlieren. Außerdem werden auf lange Sicht jene Menschen, die aus Niedriglohnsektoren verdrängt werden, in Jobs mit höheren Löhnen gedrängt. Doch jenen, die vom internationalen Handel vorübergehend beeinträchtigt werden, entsteht ernsthafter Schaden, und sie erheben folglich laut ihre Stimmen, um Schutzmechanismen und Handelsbarrieren einzufordern. Trotz der genannten Einschränkungen enthält die Theorie des komparativen Vorteils eine der grundlegendsten Wahrheiten der gesamten Volkswirtschaftslehre: Länder, die auf ihren komparativen Vorteil verzichten, zahlen dafür einen hohen Preis in Form eines zu niedrigen Lebensstandards und suboptimalen Wirtschaftswachstums.
C. Protektionismus Gehen Sie zum Anfang dieses Kapitels zurück und lesen Sie nochmals die „Petition der Kerzenmacher“ des französischen Ökonomen Frédéric Bastiat, der die Vorschläge zum Schutz inländischer Güter vor Importen auf satirische Weise darstellt. Heute betrachten die Menschen die ausländische Konkurrenz oft mit argwöhnischem Blick, und Kampagnen, in denen gefordert wird, amerikanische heimische Waren zu kaufen, klingen patriotisch. Und doch treten die Ökonomen seit den Zeiten von Adam Smith für etwas anderes ein. Sie sind verbreitet der Auffassung, dass der Freihandel eine wechselseitig vorteilhaf-
Kapitel 15 Komparativer Vorteil und Protektionismus
te Arbeitsteilung unter den Ländern fördert und ein freier und offener Handel es jedem Land gestattet, seine Produktions- und Konsummöglichkeiten zu erweitern, wodurch der weltweite Lebensstandard gehoben wird. Der Protektionismus verhindert, dass die Kräfte des komparativen Vorteils voll zum Tragen kommen. In diesem Kapitel werden die wirtschaftlichen Argumente für und gegen den Protektionismus aufgezeigt.
Angebots- und Nachfrageanalyse des Handels und der Zölle Freihandel versus Verzicht auf Außenhandel Die Theorie des komparativen Vorteils lässt sich mithilfe der Analyse von Angebot und Nachfrage nach Gütern im Außenhandel näher beleuchten. Betrachten wir nur den Bekleidungsmarkt in Amerika. Nehmen wir der Einfachheit halber an, Amerika wäre ein kleiner Teil des Gesamtmarktes und könnte daher den Weltmarktpreis für Bekleidung nicht beeinflussen. (Diese Annahme ermöglicht uns eine einfache Angebots- und Nachfrageanalyse; mit dem realistischeren Szenario, wonach ein Land sehr wohl Einfluss auf den Weltmarktpreis nehmen kann, wollen wir uns später in diesem Kapitel beschäftigen.) Abbildung 15-7 zeigt uns die Angebotsund Nachfragekurven für Bekleidung in Amerika. Die Nachfragekurve der amerikanischen Konsumenten ist die DD-Kurve, die heimische Angebotskurve der amerikanischen Unternehmen die SS-Kurve. Wir unterstellen, dass der Preis für Bekleidung auf dem Weltmarkt bestimmt wird und 4 US-$ pro Einheit beträgt. Obwohl internationale Handelstransaktionen natürlich in verschiedenen Währungen abgewickelt werden, können wir nun fürs Erste vereinfachen, indem wir die ausländische Angebotsfunktion in eine US-
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Dollar-Angebotskurve umwandeln, der wir die derzeitigen Wechselkurse zugrunde legen. Gleichgewicht ohne Außenhandel. Nehmen wir an, Transportkosten oder Zölle für Bekleidung wären prohibitiv hoch (beispielsweise US-$ 100 pro Einheit Bekleidung). Wo läge wohl das Gleichgewicht ohne Außenhandel? In diesem Fall befände sich der amerikanische Bekleidungsmarkt im Schnittpunkt zwischen heimischem Angebot und heimischer Nachfrage, dargestellt als Punkt N in Abbildung 15-7. An diesem Punkt, der voraussetzt, dass kein Außenhandel stattfindet, wären die Preise bei US-$ 8 pro Einheit relativ hoch, und die heimischen Produzenten könnten die gesamte Nachfrage abdecken. Freihandel. Nun tritt eine Öffnung des Bekleidungsmarktes ein. Ohne Transportkosten, Zölle und Importquoten muss der amerikanische Preis dem Weltmarktpreis entsprechen. Warum? Nun, läge der amerikanische über dem europäischen Preis, würden umsichtige Unternehmer dort einkaufen, wo Bekleidung billig ist (Europa) und verkaufen, wo sie höhere Preise erzielen können (Amerika); Europa würde also Kleidung nach Amerika exportieren. Sobald sich die Handelsströme vollständig an die jeweiligen Angebote und Nachfragen angepasst hätten, müsste der amerikanische Preis dem Weltmarktpreis entsprechen. (In einer Welt, in der jedoch sehr wohl Transport- und Zollkosten anfallen, würde der amerikanische Preis dem um diese Kosten bereinigten Weltmarktpreis entsprechen.) Abbildung 15-7 zeigt anhand unseres Bekleidungsbeispiels, wie Preise, Mengen und Handelsströme im Freihandel gebildet werden. Die horizontale Linie bei US-$ 4 stellt die Angebotskurve für Importe dar; sie ist deshalb waagrecht oder absolut preiselastisch, weil die amerikanische Nachfrage als zu gering angenommen wird, um den Weltmarktpreis zu beeinflussen. Sobald die Handelsschranken fallen, fließen Importe nach Amerika und senken den
434
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
S
D Bekleidungspreis in den USA (US-$ pro Einheit)
Teil 4
heimisches Angebot
N
8
heimische Produktion Importe 4
M
E
Weltangebot
F
heimische Nachfrage S D 0
100
200 300 400 Bekleidungsmenge in den USA (Einheiten)
Abbildung 15-7: Produktion, Importe und Konsum der USA in einer Freihandelssituation Oben sehen wir das Freihandelsgleichgewicht auf dem Bekleidungsmarkt. Die USA haben bei Bekleidung einen komparativen Nachteil. Aus diesem Grund läge das US-Gleichgewicht ohne Außenhandel bei N und einem Preis von US-$ 8, während der Weltmarktpreis nur US-$ 4 beträgt. Unter der Annahme, dass die US-Nachfrage keinen Einfluss auf den Weltmarktpreis von US-$ 4 pro Einheit hat, stellt sich das Freihandelsgleichgewicht ein, wenn die USA ME (100 Einheiten) produzieren und die Differenz zwischen Nachfrage und heimischem Angebot, die als EF (oder 200 Einheiten) dargestellt ist, importieren.
Bekleidungspreis auf den Weltmarktpreis von US-$ 4 pro Einheit. Auf diesem Niveau bieten heimische Produzenten die Menge ME oder 100 Einheiten an, während zu diesem Preis die Konsumenten 300 Einheiten kaufen wollen. Die Differenz, die durch die kräftige Linie EF dargestellt wird, entspricht der Menge der Importe. Wer hat entschieden, dass wir gerade diese Menge an Bekleidung importieren und dass die heimischen Produzenten nur 100 Einheiten anbieten sollten? Vielleicht eine europäische Wirtschaftsplanungsagentur? Ein Kartell der Textilunternehmen? Nein, die Handelsmenge wurde durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Darüber hinaus hat das Preisniveau im außenhandelsfreien Gleichgewicht die Richtung der Handelsströme bestimmt. Die amerikanischen Preise ohne Außenhandel waren höher als die europäischen, und deshalb kam es zu
einem Güterfluss nach Amerika. Prägen Sie sich diese Regel ein: Unter Bedingungen des Freihandels und auf Märkten allgemein fließen die Güter von Niedrigpreisregionen in Hochpreisregionen. Wenn sich Märkte für den freien Handel öffnen, fließt Bekleidung also vom europäischen Markt mit seinen niedrigeren Preisen hin zum US-Hochpreismarkt – so lange, bis sich die Preise angeglichen haben.
Handelsbarrieren Jahrhunderte lang haben Staaten Zölle und Importbeschränkungen dazu benutzt, ihre Einnahmen zu erhöhen und die Entwicklung einzelner Branchen zu beeinflussen. Schon seit dem 18. Jahrhundert, als das britische Parlament versuchte, Zölle auf Tee, Zucker und andere Güter, die für die amerikanischen Kolonien bestimmt waren, einzuführen, er-
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Kapitel 15 Komparativer Vorteil und Protektionismus
weist sich die Zollpolitik als Nährboden für Revolutionen und politische Grabenkämpfe. Wir können uns mithilfe der Angebots- und Nachfrageanalyse ein besseres Verständnis der volkswirtschaftlichen Auswirkungen von Zöllen und Importbeschränkungen aneignen. Halten wir zunächst fest, dass ein Zoll eine Steuer ist, die auf Importe erhoben wird. Importbeschränkungen, -quoten oder -kontingente bedeuten hingegen eine Mengenbeschränkung der Importe. Die USA verhängen Importbeschränkungen auf zahlreiche Produkte, darunter Erdnüsse, Textilien und Rindfleisch. Tabelle 15-3 zeigt die durchschnittlichen Zölle einiger bedeutender Länder im Jahr 2001. Bitte beachten Sie, dass die Zölle für verschiedene Güter in den meisten Ländern stark variieren. Man müsste eingehende Untersuchungen anstellen, um zu verstehen, warum keine Importzölle auf Pferde erhoben werden, während die Zölle auf Esel in den Vereinigten Staaten 6,8 Prozent beträgt. Andererseits bedarf es keiner langatmigen Analysen, um zu begreifen, warum es für Textilien und Stahl strenge Importbeschränkungen oder hohe Zölle gibt. Der Grund liegt darin, dass es sich um Industrien handelt, die im Kongress und im Weißen Haus über starke politische Lobbys verfügen. Prohibitivzölle. Am einfachsten lässt sich ein Prohibitivzoll analysieren – ein Zoll, der so hoch ist, dass er jegliche Importe im Keim erstickt. Sehen wir uns Abbildung 15-7 noch einmal an und überlegen wir uns, was geschähe, läge der Zoll für Bekleidung über US-$ 4 pro Einheit (also über der Differenz zwischen dem amerikanischen Preis ohne Außenhandel von US-$ 8 und dem Weltmarktpreis von US-$ 4). Dieser Zoll wäre prohibitiv hoch und würde jeglichen internationalen Bekleidungshandel verhindern. Jeder Importeur, der Bekleidung zum Weltmarktpreis von US-$ 4 kaufte, müsste für diese Bekleidung in Amerika zum Binnenhandelspreis US-$ 8 ausgeben. Doch dieser Preis würde die Kosten des Gutes zuzüglich des Zolls
Durchschnittliche Zolltarife, 2001 Land Hongkong Singapur USA Japan Australien Taiwan Deutschland Neuseeland Großbritannien Frankreich Thailand Philippinen Korea Indonesien Malaysia China Indien
Tarif (%) 0,0 1,0 2,0 2,2 3,0 3,1 3,5 3,5 3,5 3,5 3,7 8,3 8,6 8,9 9,5 17,0 27,2
Tabelle 15-3: Durchschnittliche Zolltarife verschiedener Länder, 2001 Die Zölle der einzelnen Länder variieren stark. Die USA und Regionen wie Singapur und Hongkong haben heute niedrige Zolltarife, auch wenn sie für Güter wie Textilien und Stahl Ausnahmen vorsehen. Länder wie Indien und China setzen weiterhin protektionistische Handelshemmnisse ein, obwohl die chinesischen Barrieren mit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation voraussichtlich fallen werden. Quelle: Welthandelsorganisation und staatliche Organisationen.
nicht abdecken. Prohibitivzölle verhindern daher jeglichen Handel. Nicht prohibitive Zölle. Niedrigere Zölle (in unserem Fall unter US-$ 4 pro Einheit Bekleidung) könnten den Außenhandel zwar beeinträchtigen, jedoch nicht verhindern. Abbildung 15-8 zeigt das Gleichgewicht auf dem Bekleidungsmarkt bei einem Zoll von US-$ 2. Sehen wir auch in diesem Fall von Transportkosten ab, bedeutet ein Zoll von US-$ 2, dass
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
S
Bekleidungspreis (US-$ pro Einheit)
D heimische Nachfrage
heimisches Angebot N
8 heimische Produktion 6
Teil 4
H
G
J
heimische (US-)Importpreise
Importe Zoll
4
E
Weltangebot
F
S D 0
100
200
300
400
Bekleidung (Einheiten)
Abbildung 15-8: Auswirkungen eines Zolls Die Verhängung eines Zolls verringert die Importe und den Konsum, steigert die heimische Produktion und führt zu Preiserhöhungen. Ausgehend vom Freihandelsgleichgewicht in Abbildung 15-7 nehmen wir nun an, dass die USA einen Zoll von US-$ 2 auf Kleidungsimporte verhängen. Der Preis für europäische Kleidungsimporte steigt damit auf US-$ 6 (inklusive Zoll). Der Marktpreis klettert folglich von US-$ 4 auf US-$ 6, und die gesamte nachgefragte Menge geht zurück. Die Importe sinken von 200 auf 100 Einheiten, während die heimische Produktion von 100 auf 150 Einheiten ansteigt.
ausländische Bekleidung in Amerika für US-$ 6 pro Einheit verkauft wird (entsprechend dem Weltmarktpreis von US-$ 4 zuzüglich des Zolls von US-$ 2). Das Gleichgewichtsergebnis bei einem Zoll von US-$ 2 besteht darin, dass der heimische Konsum (oder die nachgefragte Menge) von 300 Einheiten im Freihandelsgleichgewicht auf 250 Einheiten nach Verhängung des Zolls gesenkt wird, während die heimische Produktionsmenge um 50 Einheiten steigt und die Importmenge um 100 Einheiten gesenkt wird. Dieses Beispiel fasst die volkswirtschaftlichen Auswirkungen von Zöllen zusammen: Ein Zoll erhöht den Preis, senkt die konsumierte und importierte Menge und steigert die heimische Produktion.
Importbeschränkungen. Importbeschränkungen haben denselben qualitativen Effekt wie Zölle. Ein prohibitiv niedriges Importkontingent (das alle Importe verhindert) erzielt dasselbe Ergebnis wie ein Prohibitivzoll. Preis und Menge in Abbildung 15-8 würden sich zurück zum Gleichgewichtspunkt ohne Außenhandel N bewegen. Eine großzügigere Kontingentierung könnte die Importe auf beispielsweise 100 Bekleidungseinheiten beschränken; dieses Kontingent entspräche somit der kräftigen Linie HJ in Abbildung 15-8. Ein Kontingent von 100 Einheiten hätte denselben Gleichgewichtspreis und dieselbe Gleichgewichtsmenge zur Folge wie ein Zoll von US-$ 2. Obwohl es keinen wesentlichen Unterschied zwischen Zöllen und Importbeschränkungen gibt, lassen sich doch einige feine Verschiedenheiten konstatieren. Ein Zoll bringt dem Staat Einnahmen, was die Sen-
Kapitel 15 Komparativer Vorteil und Protektionismus
kung anderer Steuern ermöglicht und so einen Teil des Schadens an den Konsumenten im Importland ausgleicht. Ein Importkontingent verschiebt den Gewinn aus der Preisdifferenz andererseits in die Tasche jener Importeure oder Exporteure, die das Glück haben, eine der nur beschränkt verfügbaren Importgenehmigungen oder -lizenzen erhalten zu haben. Sie können es sich leisten, die Erlöse dazu zu verwenden, Behördenvertreter, denen die Vergabe von Importlizenzen obliegt, zu umhegen und zu umsorgen, ja vielleicht sogar zu bestechen. Wegen dieser genannten Unterschiede betrachten Ökonomen Zölle im Allgemeinen als das geringere Übel. Wenn ein Staat jedoch trotzdem entschlossen ist, Importbeschränkungen zu verhängen, sollte er die knappen Importlizenzen auf dem Weg einer Auktion vergeben. Nur eine Auktion kann sicherstellen, dass der Staat und nicht der Importeur den Ertrag aus den knappen Importlizenzen erzielt; außerdem gerät im Falle einer Versteigerung auch die Bürokratie nicht in Versuchung, Kontingente aufgrund von Erpressung, Freundschaft oder Nepotismus zu vergeben. Transportkosten. Was können wir über die Transportkosten aussagen? Die Kosten für den Transport sperriger und verderblicher Güter haben dieselbe Wirkung wie Zölle und verringern das Ausmaß einer vorteilhaften regionalen Spezialisierung. Fallen beispielsweise für den Export einer Einheit Bekleidung von Europa nach Amerika US-$ 2 an Transportkosten an, stellt sich das Angebotsund Nachfragegleichgewicht genauso dar wie in Abbildung 15-8, wo der amerikanische Preis um US-$ 2 über dem europäischen liegt. Trotzdem besteht ein Unterschied zwischen Protektionismus und Transportkosten: Transportkosten sind natürlich anfallende Kosten – zurückzuführen auf die Entfernung und Hindernisse wie Meere, Berge und Flüsse –, während restriktive Zölle in den Verantwortungsbereich der Staaten fallen. Ein Ökonom bezeichnete Zölle sogar einmal als „Bahnlinien mit negativem Vorzeichen“. Die Verhängung
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eines Zolls hat dieselbe volkswirtschaftliche Wirkung, als würde man Sand ins Getriebe jener Schiffe streuen, die Güter aus anderen Ländern in unsere Häfen transportieren.
Die volkswirtschaftlichen Kosten der Zölle Was geschieht, wenn Amerika einen Zoll auf Bekleidung verhängt, wie die US-$ 2 Zoll, die in Abbildung 15-8 dargestellt sind? Es sind drei Folgewirkungen festzustellen: (1) Die heimischen Produzenten, die mithilfe der Zölle unter einer Art Preisschirm agieren, können ihre Produktion ausweiten; (2) die Konsumenten sind mit höheren Preisen konfrontiert und senken daher ihren Konsum; und (3) der Staat kann sich über Zolleinnahmen freuen. Zölle führen zu volkswirtschaftlicher Ineffizienz. Wenn Zölle verhängt werden, übertrifft der volkswirtschaftliche Verlust für die Konsumenten die Einnahmen, die dem Staat erwachsen, zuzüglich der Zugewinne der Produzenten. Analyse im Diagramm. Abbildung 15-9 zeigt die volkswirtschaftlichen Kosten eines Zolls. Die Angebots- und Nachfragekurven gleichen jenen in Abbildung 15-8, wobei jedoch drei Bereiche besonders hervorgehoben sind: (1) Bereich B ist der Zollertrag, den der Staat kassiert. Er entspricht der Höhe des Zolls multipliziert mit den importierten Einheiten und beträgt insgesamt US-$ 200. (2) Die Einführung des Zolls erhöht den Preis auf den heimischen Märkten von US-$ 4 auf US-$ 6, und die Produzenten erhöhen ihre Produktionsmenge auf 150. Die Gesamtgewinne steigen daher um US-$ 250, dargestellt durch den Bereich LEHM; sie entsprechen US-$ 200 an alten Einheiten und zusätzlichen US-$ 50 für die neuen 50 Einheiten. (3) Beachten Sie schließlich, dass Zölle den Konsumenten hohe Kosten auferlegen. Der gesamte Verlust an Konsumentenrente wird durch den Bereich LMJF dargestellt; er entspricht US-$ 550.
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
S
D heimische Nachfrage Bekleidungspreis (US-$ pro Einheit)
Teil 4
heimisches Angebot
8
6
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H
M
E
L
A
J B
C
Weltmarktpreis plus Zoll F Weltmarktpreis
S D 0
100
150
250 300 Bekleidungsmenge
Abbildung 15-9: Die volkswirtschaftlichen Kosten eines Zolls Die Verhängung eines Zolls erhöht die Einnahmen des Staates und führt zu Ineffizienzen. Wir erkennen die Auswirkungen des Zolls in Form von drei Effekten. Rechteck B entspricht den Zolleinnahmen des Staates. Dreieck A entspricht den Produktionskosten der Unternehmen, die unter dem Schutz des Zolls produzieren. Dreieck C ist der Nettoverlust an Konsumentenrente durch den ineffizient hohen Preis. Die Bereiche A und C entsprechen den durch den Zoll verursachten unvermeidlichen Ineffizienzen.
Die sozialen Auswirkungen sind daher insgesamt ein Gewinn für die Produzenten in Höhe von US-$ 250, ein Gewinn für den Staat in Höhe von US-$ 200 und ein Verlust für die Konsumenten in Höhe von US-$ 550. Die sozialen Nettokosten (wobei jeder US-Dollar gleich gewichtet wird) betragen in diesem Fall US-$ 100. Sie entsprechen in unserem Beispiel den Bereichen A und C. Die Interpretation dieser Bereiche ist wichtig: • Bereich A ist der Nettoverlust, der sich ergibt, weil die heimische Produktion kostenintensiver ist als die ausländische. Wenn der Inlandspreis steigt, werden die Unternehmen dazu veranlasst, die relativ teuren Inlandskapazitäten stärker zu nutzen. Sie produzieren so lange, bis die Grenzkosten US-$ 6 pro Einheit betragen (anstatt bis zu US-$ 4 pro Einheit im Freihandel). Die Unternehmen sperren in-
effizient gewordene alte Fabriken wieder auf oder schieben zusätzliche Schichten ein. Aus wirtschaftlicher Sicht haben diese Fabriken einen Wettbewerbsnachteil, weil die von ihnen produzierte neue Bekleidung im Ausland billiger hergestellt werden könnte. Die neuen Sozialkosten dieser ineffizienten Produktion entsprechen Bereich A und betragen US-$ 50. • Außerdem kommt es für das Land zu einem Nettoverlust in Höhe der Preissteigerung, dargestellt durch den Bereich C. Es handelt sich um jenen Verlust an Konsumentenrente, der durch Unternehmensgewinne oder Zolleinnahmen nicht kompensiert wird. Dieser Bereich repräsentiert die wirtschaftlichen Kosten, die entstehen, wenn die Konsumenten ihre Käufe von den Niedrigkostenimporten zu den mit hohen Kosten befrachteten In-
Kapitel 15 Komparativer Vorteil und Protektionismus
landsgütern verlagern. Dieser Bereich entspricht ebenfalls US-$ 50. Die gesamten Sozialkosten infolge der Verhängung des Zolls betragen daher US-$ 100, gleich wie man sie errechnet. Abbildung 15-9 zeigt ein Merkmal, das für das Verständnis der politischen und geschichtlichen Aspekte von Zöllen wichtig ist. Wenn ein Zoll auferlegt wird, beruht ein Teil der wirtschaftlichen Wirkung darauf, dass Zölle Einkommen von den Konsumenten zu den geschützten inländischen Produzenten und Arbeitskräften zurück verteilen. In dem in Abbildung 15-9 dargestellten Beispiel stellen die Bereiche A und C jeweils Effizienzverluste aus einer ineffizient hohen heimischen Produktion und einem ineffizient geringen Konsum dar. Unter den vereinfachenden oben dargestellten Annahmen addieren sich die Effizienzverluste zu US-$ 100. Der Umverteilungseffekt ist jedoch viel größer und entspricht US-$ 200 an Zolleinnahmen, die von den Konsumenten des Gutes einzogen werden, zuzüglich der höheren Gewinne von US$ 250. Die Konsumenten werden zwar über die höheren Produktionskosten unglücklich sein, die heimischen Produzenten und deren Angestellte profitieren jedoch. Es ist also verständlich, warum bei den Auseinandersetzungen um Importrestriktionen im Allgemeinen um die Umverteilung der Gewinne und Verluste und nicht um Fragen der volkswirtschaftlichen Effizienz gestritten wird. Die Verhängung eines Zolls führt zu dreierlei Folgewirkungen: Sie kurbelt die ineffiziente heimische Produktion an; sie erhöht die Preise und bringt dadurch die Konsumenten dazu, ihren Verbrauch des mit dem Zoll belegten Gutes unter das Effizienzniveau zu senken; und sie erhöht die Einnahmen des Staates. Nur die ersten beiden Folgen führen unweigerlich zu Effizienzverlusten für die Wirtschaft.
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Die Kosten des Schutzes der Textilproduktion Veranschaulichen wir diese Analyse, indem wir die Auswirkungen eines bestimmten Zolls – jenes auf Kleidung – analysieren. Heute gehören Zölle auf importierte Textilien und Bekleidung zu den höchsten in den USA verhängten Zöllen. Inwieweit sind Konsumenten und Produzenten davon betroffen? Zunächst heben die Zölle die Preise für Kleidungsstücke aus heimischer Produktion. Wegen der höheren Preise bleiben viele Fabriken, die anderenfalls wegen des sinkenden komparativen Vorteils bei Textilien Konkurs anmelden müssten, in Betrieb. Sie liegen nur knapp in der Gewinnzone, aber schaffen es doch, genügend Umsatz zu erzielen, um die Produktion aufrecht zu erhalten. Die heimischen Arbeitsplätze wiegen schwerer als der Freihandel, obwohl die Textillöhne wegen des Drucks durch den ausländischen Wettbewerb zu den niedrigsten Industrielöhnen zählen. Aus wirtschaftlicher Sicht verschwendet das Land Ressourcen für Textilien. Diese Arbeiter, diese Materialien und dieses Kapital könnten in anderen Sektoren produktiver eingesetzt werden – vielleicht in der Produktion von Flugzeugen, bei der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder im Internethandel. Das Produktivkapital des Landes ist geringer, weil Produktionsfaktoren in einer Industrie belassen werden, in der das Land seinen komparativen Vorteil verloren hat. Natürlich bezahlen die Konsumenten für diesen Schutz der Textilindustrie mit höheren Preisen. Sie können mit ihrem Einkommen weniger Bedürfnisse befriedigen, als dies der Fall wäre, könnten sie Textilien aus Korea, Hongkong oder Indonesien zu Preisen ohne Aufschlag aufgrund hoher Zölle kaufen. Die Konsumenten werden so dazu veranlasst, weniger Bekleidung zu kaufen und ihr Geld in Nahrungsmittel, Transporte und Freizeitbeschäftigungen zu investieren, deren relative Preise durch den Zoll gesenkt werden.
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Schließlich erhält der Staat die Erträge aus den Zöllen, die auf Textilien erhoben werden. Diese Einnahmen können dazu verwendet werden, öffentliche Güter zu erwerben oder andere Steuern zu senken, weshalb (anders als die geringere Konsumentenrente oder die Produktionsineffizienz) diese Wirkung keine wirkliche soziale Belastung darstellt.
Die volkswirtschaftlichen Aspekte des Protektionismus Nachdem wir die Auswirkungen der Zölle auf Preise und Mengen untersucht haben, wenden wir uns nun der Analyse der Argumente für und gegen den Protektionismus zu. Die Argumente für Zölle oder Importbeschränkungen und gegen den Wettbewerb durch Importe treten in vielerlei Formen auf. Hier die wichtigsten: (1) Nicht wirtschaftlich begründete Argumente, denen zufolge es wünschenswert sei, das wirtschaftliche Wohlergehen zugunsten anderer nationaler Ziele zu opfern; (2) Argumente, denen ein logisches Missverständnis des volkswirtschaftlichen Prinzips zugrunde liegt, und (3) Analysen, die sich auf die Kraft des Marktes oder auf makroökonomische Unvollkommenheiten stützen.
Nicht wirtschaftliche Ziele Sollten Sie jemals mit dem Auftrag, den Freihandel zu verteidigen, in eine Diskussionsrunde entsandt werden, können Sie vielleicht zu Beginn ihre Position stärken, indem Sie einräumen, dass das wirtschaftliche Wohlergehen keineswegs das einzige Ziel im Leben ist. Ein Land sollte seine Freiheit, seine Kultur und die Menschenrechte nicht für ein paar Dollar zusätzlichen Einkommens aufs Spiel setzen. Die amerikanische Halbleiterindustrie bietet hier ein anschauliches Beispiel. In den achtziger Jahren behauptete das Verteidigungsministerium, die US-Armee würde oh-
Teil 4
ne eigenständige Halbleiterindustrie allzu sehr von Japan und anderen ausländischen Chiperzeugern, also von Zulieferern für High-Tech-Waffen, abhängig werden. Das führte zu einem Abkommen über einen speziellen Schutz dieser Branche. Ökonomen bezweifelten den Wert dieses Versuches. Ihr Argument stellte das Ziel der nationalen Sicherheit nicht in Frage. Stattdessen konzentrierte es sich auf den effizienten Einsatz der Mittel zur Erreichung des gewünschten Ergebnisses. Die Skeptiker meinten, dass protektionistische Maßnahmen teurer seien als eine Politik der zielgerichteten Branchenförderung im Inland, etwa in Form eines Programms zum Ankauf einer Mindestzahl qualitativ hochwertiger Chips. Doch die nationale Sicherheit ist keineswegs das einzige nicht wirtschaftliche Ziel in der Außenhandelspolitik. Länder haben bisweilen das Bedürfnis, ihre speziellen Kulturtraditionen oder Umweltbedingungen zu bewahren und zu erhalten. Frankreich argumentierte vor kurzem, seine Bürger müssten vor „unzivilisierten“ amerikanischen Filmen geschützt werden. Tatsächlich befürchtet die französische Filmindustrie, unter der neuen Welle teurer, mit beeindruckenden Stunts gespickter Hollywood-Thriller begraben zu werden. Die Folge war, dass Frankreich die Zahl der US-Filme und Fernsehshows, die importiert werden dürfen, stark beschränkte. Ein anderes Beispiel liefert uns die Schweizer Regierung, die den Beschluss gefasst hat, die Durchfahrt ausländischer LKWs durch die Schweiz zu verbieten, um die Stille und reine Luft ihrer Berglandschaft zu bewahren.
Fragwürdige Gründe für die Einführung von Zöllen Merkantilismus. Abraham Lincoln wird folgender Ausspruch zugeschrieben: „Ich weiß nicht viel über Zölle. Eines weiß ich aber: Wenn ich einen englischen Mantel kaufe, bekomme ich den Mantel und England das Geld. Kaufe ich einen amerikanischen Man-
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tel, bekomme ich den Mantel auch, aber Amerika bekommt das Geld.“ Diese Denkweise zeigt einen uralten Irrtum auf, der typisch für den so genannten Merkantilismus des 17. und 18. Jahrhunderts war. Vertreter dieser Richtung betrachteten jene Länder als glücklich, die mehr Güter verkaufen konnten, als sie einkauften, weil eine solche „wünschenswerte“ Handelsbilanz bedeutete, dass Gold als Bezahlung des Exportüberschusses ins Land floss. Die merkantilistische Argumentation verwechselt Mittel und Zweck. Die Anhäufung von Gold oder sonstigen Zahlungsmitteln allein verbessert den Lebensstandard eines Landes nicht. Geld ist kein Selbstzweck, sondern soll verwendet werden, um von anderen Ländern Waren und Dienstleistungen kaufen zu können. Aus diesem Grund verwerfen heute die meisten Ökonomen den Gedanken, die Erhebung von Zöllen zur Erzielung eines Außenhandelsüberschusses könne dem wirtschaftlichen Wohlergehen eines Landes nützen. Zölle für spezielle Interessengruppen. Besonders starker politischer Druck zugunsten von Schutzzöllen wird von mächtigen Interessensgruppen ausgeübt. Unternehmen und Arbeiter wissen ganz genau, dass ein Zoll auf ihre speziellen Produkte ihnen hilft, auch wenn er anderen Kosten auferlegt. Adam Smith war dies nur allzu bewusst, als er schrieb: Handelsfreiheit zu erwarten ist ebenso absurd, als würde man Utopia erwarten. Dagegen stehen nicht nur die Vorurteile der Öffentlichkeit, sondern ein noch schwieriger zu überwindendes Hindernis, die Eigeninteressen zahlreicher Einzelpersonen, die sich der Handelsfreiheit entschlossen entgegenstellen.
Wenn der Freihandel aber für das gesamte Land so nützlich ist, warum können dann die Verfechter des Protektionismus in den Legislativen einen derart überproportionalen Einfluss ausüben? Nun, die wenigen, die Vorteile
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aus dem spezifischen Protektionismus ziehen, stecken viel Geld in Lobby-Arbeit und in die Überredung von Politikern. Die Konsumenten sind durch den Zoll auf ein bestimmtes Produkt ohnehin nur geringfügig betroffen; da die breit gestreuten Verluste gering bleiben, verspürt der Einzelne nur wenig Anreiz, mit viel Aufwand seine Meinung zu jedem einzelnen Zollfall kundzutun. Vor einem Jahrhundert bediente man sich noch des direkten Wegs der Bestechung, um sich die nötigen Stimmen zugunsten der Einführung von Schutzzöllen zu sichern. Heute bilden sich mächtige „politische Aktionskomitees“, so genannte PACs, die mit ihren Anwälten für die Einführung von Zöllen oder Einfuhrbeschränkungen bei Textilien, Schnittholz, Stahl, Zucker und anderen Gütern kämpfen. Würde die politische Entscheidungsfindung dem volkswirtschaftlichen Nutzen folgen, müsste jedes Land den Großteil seiner Zollbestimmungen außer Kraft setzen. Doch wirtschaftliche Interessen sind nicht immer proportional vertreten. Es ist bedeutend schwieriger, die Massen der Konsumenten und Produzenten zu organisieren, damit sie sich für die Vorteile des Freihandels stark machen, als einige wenige Unternehmen oder Gewerkschaften einen Kreuzzug gegen die „billigen chinesischen Arbeitskräfte“ oder die „unfaire japanische Exportpolitik“ führen zu lassen. In allen Ländern agieren die durch Importbarrieren geschützten Unternehmen und Arbeitnehmer mit ihren Eigeninteressen als unermüdliche Feinde des Freihandels. Einen bemerkenswerten Fall in diesem Zusammenhang stellt die amerikanische Einfuhrbeschränkung für Zucker dar, die nur einer kleinen Zahl von Produzenten nützt, während sie die amerikanischen Konsumenten mit mehr als US-$ 1 Milliarde jährlich teuer zu stehen kommt. Der durchschnittliche Konsument weiß wahrscheinlich gar nicht, dass die Kontingentierung der Zuckerimporte jeden US-Amerikaner 1,5 Cents täglich kostet, und deshalb besteht für die Kon-
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
sumenten praktisch kein Anreiz, sich für den Freihandel stark zu machen. Wettbewerb durch billige ausländische Arbeitskräfte. Das häufigste Argument zugunsten protektionistischer Maßnahmen lautet, der Freihandel setze die amerikanischen Arbeitskräfte einem Wettbewerb durch billige ausländische Arbeitskräfte aus. Die einzige Möglichkeit, das hohe amerikanische Lohnniveau aufrechtzuerhalten, bestehe im Schutz der heimischen Arbeitskräfte, indem Güter, die in Niedriglohnländern erzeugt werden, nicht ins Land gelassen oder mit hohen Zöllen belegt werden. Eine Extremform dieser Ansicht ist die Befürchtung, dass die US- Löhne unter Freihandelsbedingungen auf das niedrigere ausländische Niveau absinken könnten. So malte Präsidentschaftskandidat Ross Perot während der Diskussion über das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA den Teufel an die Wand, indem er argumentierte: Philosophisch betrachtet ist [NAFTA] ein wunderbarer Gedanke, praktisch jedoch wird sie unserem Land schaden. Wir hier in den Vereinigten Staaten werden nur ein sehr lautes, saugendes Geräusch hören, und das zu einer Zeit, in der wir selbst Jobs brauchen und sicherlich keine abzugeben haben. Der Stundenlohn in Mexiko wird auf US-$ 7,50 steigen, bei uns wird er auf US-$ 7,50 sinken.
Dieses Argument klingt zwar stichhaltig, aber es ist von Grund auf falsch, da es das Prinzip des komparativen Vorteils missachtet. Der Grund, warum US-Arbeitnehmer höhere Löhne erhalten, liegt darin, dass sie im Durchschnitt produktiver sind. Wenn unser Gleichgewichtslohn fünfmal höher ist als der in Mexiko, so deshalb, weil das Grenzprodukt der amerikanischen Arbeiter im Durchschnitt fünfmal so hoch ist wie das der mexikanischen Arbeiter. Die Handelsströme entwickeln sich gemäß dem komparativen Vorteil, nicht nach dem Lohnniveau oder einem absoluten Vorteil.
Teil 4
Nachdem wir belegen konnten, dass die Länder durch den Import von Waren, die von „billigen ausländischen Arbeitskräften“ hergestellt werden und bei denen das betreffende Land über einen komparativen Nachteil verfügt, profitieren, sollten wir nun erwähnen, welche Kosten diese Strategie für die betroffenen Arbeitskräfte und Unternehmen vorübergehend mit sich bringen kann. Wenn Produktionsstätten an einem bestimmten Ort unerwartet geschlossen werden, weil die Produktion nach Übersee verlagert wird, kann der lokale Arbeitsmarkt von Arbeitsuchenden überflutet werden. Ältere Arbeitskräfte mit veralteten Berufen werden nur schwerlich einen neuen attraktiven Job finden und müssen deshalb einen Rückgang ihres Realeinkommens hinnehmen. Die Probleme der freigesetzten Arbeitskräfte verstärken sich in Zeiten einer allgemeinen wirtschaftlichen Depression oder bei hoher Arbeitslosigkeit auf den lokalen Arbeitsmärkten noch zusätzlich. Langfristig erfolgt zwar eine Reallokation der Arbeitnehmer von rückläufigen hin zu boomenden Branchen, doch der Übergang kann für viele sehr kostspielig sein. Zusammenfassend: Das Argument der billigen ausländischen Arbeitskräfte ist nicht stichhaltig, weil es die Theorie des komparativen Vorteils missachtet. Ein Land profitiert durch den Außenhandel selbst dann, wenn seine Löhne weit über jenen seiner Handelspartner liegen. Hohe Löhne sind nämlich das Ergebnis hoher Effizienz, nicht protektionistischer Zölle. Die Einführung von Zöllen als Vergeltungsmaßnahme. Zwar würden viele der Aussage zustimmen, dass eine Welt des Freihandels die beste aller möglichen Welten wäre, aber sie würden zugleich anmerken, dass diese Welt sicherlich nicht die ist, in der wir leben. Ihre Argumentation würde etwa folgendermaßen klingen: „Solange andere Länder Importbeschränkungen verhängen oder unsere Produkte anderweitig diskriminieren, haben wir
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keine Wahl, als das Spiel der Selbstverteidigung mitzuspielen. Freihandel ist für uns nur solange akzeptabel, wie es ein fairer Handel ist. Aber die Spielregeln müssen natürlich für alle gelten.“ In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts begaben sich die USA an den Rand eines Handelskrieges mit Japan und China, indem sie mit hohen Zöllen drohten, sollten diese Länder bestimmte unerwünschte Handelspraktiken nicht einstellen. Die Befürworter dieses Ansatzes argumentieren, dass er die Mauer des Protektionismus in anderen Ländern niederreißen kann. Diese Argumentation wird im Economic Report of the President in einer Analyse des Protektionismus wie folgt beschrieben: Eingriffe in die internationalen Handelsbeziehungen ..., so teuer sie für die amerikanische Wirtschaft kurzfristig sein mögen, lassen sich jedoch rechtfertigen, wenn sie dem strategischen Zweck dienen, die Kosten einer interventionistischen Politik für andere Staaten zu erhöhen. So können sich überlegte, zielgerichtete Maßnahmen durchaus positiv auswirken ... wenn sie darauf zielen, andere Länder davon zu überzeugen, auf ihre Handelsverzerrungen zu verzichten.
Obwohl dieses Argument einen wahren Kern beinhaltet, kann es nur mit Einschränkungen unterstützt werden. Wie drohende Kriege ebenso oft zu bewaffneten Konflikten wie zu Abrüstungsbestrebungen führen, wirkt sich ein protektionistischer Bluff unter Umständen für den Bluffer ebenso schädlich aus wie für seinen Gegner. Historische Studien zeigen, dass die Verhängung von Zöllen als Vergeltungsmaßnahmen andere Staaten meist dazu veranlasst, ihre Zölle noch weiter zu erhöhen, und dass sie sich beim Feilschen um einen bilateralen Zollabbau eigentlich kaum je als gute Karte erweisen. Importbeschränkungen. In den USA wie in anderen Ländern versuchen Unternehmen und Arbeitskräfte, die sich durch den Wettbewerb von außen benachteiligt fühlen, Schutz in Form von Zöllen oder Einfuhrbe-
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schränkungen zu erwirken. Heute werden die entsprechenden Beschlüsse jedoch kaum noch direkt vom Kongress gefasst. Der Kongress hat erkannt, dass die Zollpolitik ein allzu heißes Eisen ist, und daher spezielle Behörden mit der Aufgabe betraut, etwaige Klagen und Anträge zu untersuchen und über sie zu entscheiden. Im Allgemeinen wird heute in den USA ein Ansuchen um Schutz vor Importen vom US-Handelsministerium und der US International Trade Commission geprüft. Folgende Abhilfemaßnahmen können beschlossen werden: • Die Schutzklausel war früher sehr populär. Sie ermöglicht eine vorübergehende Importbeschränkung (auf dem Wege mit anderen Ländern ausgehandelter Zölle, Kontingente oder Exportquoten), wenn eine Branche durch Importe „geschädigt“ wurde. Man konnte sich auf sie berufen, wenn Produktion, Beschäftigungsstand und Gewinne der heimischen Industrie bei steigenden Importen zurückgegangen waren. • Antidumpingzölle werden erhoben, wenn ein anderes Land zu Preisen in die USA verkauft, die unter den Durchschnittskosten liegen oder niedriger sind als die Preise auf dem heimischen Markt. Wird ein Dumpingfall aufgedeckt, kommt es zur Erhebung einer „Dumpinggebühr“ auf die importierten Waren. • Ausgleichszölle werden verhängt, wenn andere Länder ihre Exporte in die USA subventionieren. Dieser Schritt entwickelte sich zur populärsten Schutzmaßnahme gegen Importe und kam in Hunderten von Fällen zur Anwendung. Wie werden solche Maßnahmen gerechtfertigt? Schutz vor Importen klingt vernünftig, doch widerspricht er vollkommen der Theorie des komparativen Vorteils. Diese Theorie besagt, dass eine Branche, die nicht mit ausländischen Konkurrenten Schritt halten kann, durch Importe geschädigt werden muss. Vom Standpunkt des wirtschaftlichen
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Vorteils aus betrachtet werden die weniger produktiven Branchen vom Wettbewerb durch produktivere heimische Wirtschaftszweige verdrängt. Das mag wirklich hart und rücksichtslos klingen. Kein Wirtschaftszweig verschwindet freiwillig von der Bühne. Keine Region unterzieht sich freiwillig einem Wandel hin zu neuen Branchen. Häufig geht der Wechsel von alten zu neuen Berufen und Wirtschaftszweigen mit einer schmerzhaften Arbeitslosigkeit und anderen Problemen einher. Die geschwächte Branche oder Region bekommt das Gefühl, sie sei isoliert und müsse nun die gesamte Bürde des Fortschritts allein tragen.
Potenziell stichhaltige Argumente für protektionistische Maßnahmen Nun wollen wir zum Schluss noch drei Argumente zugunsten des Protektionismus beleuchten, die tatsächlich aus volkswirtschaftlicher Sicht stichhaltig sein könnten: • Zölle können die Terms of Trade zugunsten eines Landes einseitig verändern. • Vorübergehende Schutzzölle für eine „neue Branche“ mit Wachstumspotenzial können sich als langfristig effizient erweisen. • Ein Zoll kann unter bestimmten Bedingungen dazu beitragen, die Arbeitslosigkeit zu verringern. Das Terms-of-Trade- oder Optimalzoll-Argument. Ein vernünftiges Argument für die Verhängung von Zöllen argumentiert mit der Verschiebung der Terms of Trade zugunsten eines Landes und zu Ungunsten anderer Länder. Der Begriff Terms of Trade bezieht sich auf das Verhältnis von Export- zu Importpreisen. Dahinter steht folgender Gedanke: Wenn ein großes Land Zölle auf seine Importe erhebt, senkt die verringerte Nachfrage nach dem Gut auf den Weltmärkten den Gleichgewichtspreis und damit die dem Land entstehenden Kosten vor Zoll. Eine solche
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Veränderung verbessert die Terms of Trade eines Landes und erhöht das reale Volkseinkommen. Eine Zollkombination, die die Realeinkommen maximiert, wird als Optimalzoll bezeichnet. Das Argument der Terms of Trade lässt sich 150 Jahre auf John Stuart Mill, einem Verfechter des Freihandels, zurückverfolgen. Es ist das einzige Argument zugunsten der Verhängung von Zöllen, das unter Bedingungen der Vollbeschäftigung und des vollständigen Wettbewerbs Gültigkeit hat. Nehmen wir an, dass die USA einen „optimalen“ Zoll auf importiertes Öl erheben. Dieser Zoll führt zu einer Erhöhung des Preises von inländischem Öl und senkt die weltweite Nachfrage nach Öl. Der Weltmarktpreis von Öl wird auf diese Weise gedrückt. Das bedeutet, dass ein Teil des Zolls tatsächlich auf den Ölproduzenten zurückfällt. (Wir können in diesem Zusammenhang auch erkennen, dass ein sehr kleines Land diese Möglichkeit nicht nutzen kann, weil es den Weltmarktpreis nicht beeinflussen kann.) Haben wir also nun doch theoretisch stichhaltige Argumente für die Verhängung von Zöllen gefunden? Die Antwort wäre ja, könnten wir einfach ignorieren, dass es sich dabei um eine „Beggar-Thy-Neighbor“-Politik handelt, die andere Länder benachteiligt und deren Reaktionen außer Acht lässt. Doch diese anderen Länder werden wahrscheinlich reagieren. Schließlich ist nicht einzusehen, warum die Europäische Union und Japan, sollten die USA einen Optimalzoll von 30 Prozent auf ihre Importe erheben, ihre Importe nicht ebenfalls mit einem 30prozentigen oder vielleicht sogar 40-prozentigen Zoll belegen sollten. Und letztlich könnte sich das allgemeine Zollniveau, wenn jedes Land seinen eigenen nationalistischen Optimalzoll berechnet und auch verhängt, in der Zollversion eines Rüstungswettlaufs hochschrauben. Im Endeffekt würde eine solche Situation zweifellos keine Verbesserung des weltweiten oder individuellen Wohlstandes bedeuten. Wenn alle Länder Optimalzölle verhän-
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gen, ist abzusehen, dass das wirtschaftliche Wohlergehen aller sinkt, wenn die Behinderungen des Freihandels Überhand nehmen. Von einer Abschaffung der Handelsbarrieren profitieren hingegen alle Länder. Erhebung von Zöllen auf Produkte junger Branchen. In seinem berühmten Report on Manufactures (1791) schlug Alexander Hamilton vor, man solle doch das Wachstum der Produktionsbranchen stimulieren, indem man junge Branchen vor ausländischem Wettbewerb schützt. Nach seiner Meinung, die übrigens auch von einigen Freihandelsbefürwortern unter den Ökonomen, etwa von John Stuart Mill und Alfred Marshall, vorsichtig unterstützt wurde, gibt es Produktionsbereiche, in denen ein Land nur dann einen komparativen Vorteil erringen kann, wenn der Start optimal gelingt. Solche jungen Branchen könnten der rauen Behandlung durch größere Rüpel auf dem globalen Markt nicht standhalten. Bei vorübergehender Hege und Pflege könnten sie jedoch erwachsen werden, eine Massenproduktion entwickeln, einen Pool ausgebildeter Arbeitskräfte aufbauen, neue, gut an die lokale Wirtschaft angepasste Produktentwicklungen hervorbringen und jene technologische Effizienz erreichen, die für viele reife Branchen typisch ist. Zwar würden protektionistische Maßnahmen die Verbraucherpreise in diesem Bereich zu Beginn erhöhen, aber die Branche könnte dadurch eine solche Effizienz erreichen, dass nach ihrer gelungenen Etablierung Kosten und Preise wieder sinken würden. Ein Zoll wäre demnach gerechtfertigt, wenn das Wohl der Verbraucher zu diesem späteren Zeitpunkt die höheren Preise während der Phase protektionistischer Maßnahmen überwiegt. Dieses Argument ist mit Vorsicht zu genießen. Historische Studien haben zwar tatsächlich einige echte Fälle geschützter junger Branchen zutage gefördert, die schließlich heranwuchsen und auf eigenen Füßen stehen konnten. Und Studien über erfolgreiche, erst jüngst industrialisierte Länder (wie Singapur
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und Taiwan) zeigen, dass diese Länder ihre Produktionsbranchen in den ersten Phasen der Industrialisierung tatsächlich schützten. Doch Subventionen sind eine effizientere und transparentere Methode zur Förderung junger Branchen. Tatsächlich kennt die Geschichte der Zölle noch viel mehr Fälle wie Stahl, Zucker und Textilien, in denen die ständig geschützten Branchenbabys auch nach vielen Jahren die Windeln noch nicht ablegen wollten. Der nutzlose Schutz der brasilianischen Computerindustrie Brasilien bietet ein anschauliches Beispiel dafür, wie Protektionismus scheitern kann. Im Jahr 1984 wurde in Brasilien ein Gesetz beschlossen, das ausländische Computer aus dem Land verbannte. Man wollte damit eine geschützte Umgebung schaffen, in der die brasilianische Computerindustrie, die noch in den Kinderschuhen steckte, gedeihen und sich entwickeln könnte. Dieses Gesetz wurde von einer speziellen „Computerpolizei“, die Büros und Klassenzimmer nach illegalen importierten Computern durchsuchte, rigoros überwacht. Die Folgen waren erschreckend. Technologisch gesehen hinkten die brasilianischen Computer um Jahre hinter dem sich rasch entwickelnden Weltmarkt hinterher, und die Konsumenten mussten für ein brasilianisches Gerät den zwei- oder dreifachen Weltmarktpreis bezahlen. Einer Schätzung zufolge kostete das Gesetz die brasilianischen Bürger jährlich US-$ 900 Millionen. Zugleich waren brasilianische Computer so teuer, dass sie auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig waren und es den brasilianischen Computerfirmen auch nicht möglich war, durch Verkauf in andere Länder Skalenerträge zu erzielen. Die hohen Computerpreise schadeten zusätzlich der Wettbewerbsfähigkeit der restlichen Wirtschaft. „Wir sind heute wegen dieses sinnlosen Nationalismus wirtschaftlich weit abgeschlagen“, konstatierte die brasilianische Wirtschaftsministerin Zelia Cardoso de Mello im Jahr 1990. „Das Computerproblem
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
hat verhindert, dass in der brasilianischen Industrie die nötigen Modernisierungen durchgeführt wurden.“ Eine Kombination aus Druck von Seiten der brasilianischen Konsumenten und Unternehmen und der Forderung der USA nach offenen Märkten zwang Brasilien, das Importverbot für ausländische Computer im Oktober 1992 aufzuheben. Innerhalb eines Jahres waren die Elektronikgeschäfte in São Paulo und Rio de Janeiro voll mit importierten Laptops, Laserdruckern und Handys, und die brasilianischen Unternehmen konnten sich endlich daran machen, die Computerrevolution für ihre Zwecke zu nutzen. Jedes Land und jede Generation muss die Lektionen des komparativen Vorteils von Grund auf neu lernen.
Zölle und Arbeitslosigkeit. Historisch gesehen war der Wunsch, in Zeiten einer Rezession oder wirtschaftlichen Stagnation die Beschäftigungssituation zu verbessern, immer ein starkes Motiv zugunsten protektionistischer Maßnahmen. Protektionismus schafft Arbeitsplätze, indem er die Preise für Importe erhöht und die Nachfrage hin zu heimischen Produkten umlenkt; Abbildung 15-8 zeigt diesen Effekt. Mit zunehmender Inlandsnachfrage stellen die Unternehmen mehr Arbeitskräfte ein, und die Arbeitslosigkeit geht zurück.2 Es handelt sich hierbei ebenfalls um eine „Beggar-Thy-Neighbor“-Politik, weil sie die heimische Nachfrage auf Kosten von Produktion und Beschäftigung in anderen Ländern steigert. Doch obwohl protektionistische Maßnahmen den Beschäftigungsstand heben können, stellen sie kein wirksames Programm für eine aktive und erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik, für mehr Effizienz und Preisstabilität dar. Die makroökonomische Analyse zeigt, dass es 2 Wer die Kapitel über Makroökonomie bereits durchgearbeitet hat, kann den Mechanismus, durch den Zölle die Beschäftigung kurzfristig erhöhen, schon verstehen. Protektionistische Maßnahmen erhöhen die Ausgaben für die heimische Produktion und damit die gesamte Nachfrage. Dieser Ausgabenschalter hat einen kurzfristigen Multiplikatoreffekt ähnlich dem von Investitionen oder staatlichen Ausgaben für Güter und Dienstleistungen.
Teil 4
bessere Methoden gibt, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, als die Errichtung von Importbarrieren. Durch den richtigen Einsatz von geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen kann ein Land seine Produktionsleistung steigern und die Arbeitslosigkeit senken. Außerdem erlaubt es die kluge Umsetzung wirtschaftspolitischer Strategien den Arbeitnehmern, aus Branchen, die ihren komparativen Vorteil verloren haben, in neue hochproduktive Jobs in Branchen mit einem komparativen Vorteil zu wechseln. Den Nachweis dafür liefern die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Von 1991 bis 1999 schufen die USA einen Nettozuwachs von 16 Millionen Arbeitsplätzen, während die offenen Märkte und niedrigen Zölle beibehalten wurden; das Handelsdefizit des Landes stieg in diesem Zeitraum stark an. Im Gegensatz dazu schufen die europäischen Länder praktisch keine neuen Jobs, während sie sich zu einer Position der Außenhandelsüberschüsse bewegten. Die Japaner verzeichneten währenddessen einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit bei einem wachsenden Außenhandelsüberschuss. Zölle und Importbeschränkungen sind eine ineffiziente Methode zur Schaffung von Arbeitsplätzen oder zur Verringerung der Arbeitslosigkeit. Effizienter lassen sich produktive Arbeitsplätze durch eine gezielte heimische Geld- und Fiskalpolitik schaffen.
Sonstige Handelsbarrieren Obwohl wir uns in diesem Kapitel hauptsächlich mit Zöllen befasst haben, gelten die meisten hier getätigten Aussagen ebenso für alle anderen Handelsbarrieren. Kontingentierungen haben weitgehend dieselben Auswirkungen wie Zölle, weil sie verhindern, dass der komparative Vorteil verschiedener Länder die Preise und Mengen auf dem Markt bestimmt. In den letzten Jahren kam es zur Aushandlung von Import- und Exportkontingenten zwischen verschiedenen Ländern. So zwangen beispielsweise die USA Japan, sich
Kapitel 15 Komparativer Vorteil und Protektionismus
selbst „freiwillig“ Exportkontingente bei Autos und in ähnlicher Weise bei Fernsehgeräten, Schuhen und Stahl aufzuerlegen. Nicht unerwähnt bleiben dürfen auch die so genannten nichttarifären Handelshemmnisse oder NTBs (nontariff barriers). Diese bedeuten informelle Beschränkungen oder Regulierungen, die es für die Länder schwierig machen, ihre Güter auf ausländischen Märkten zu platzieren. So beklagten sich beispielsweise amerikanische Unternehmen, dass japanische Regulierungsmaßnahmen sie praktisch vom Handel in den Branchen Telekommunikation, Tabak und Bauindustrie ausschlössen. Welche Bedeutung haben eigentlich nichttarifäre Handelshemmnisse im Vergleich zu den Zöllen? Wirtschaftlichen Studien zufolge spielten nichttarifäre Handelshemmnisse in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts aufgrund der Öl-Importkontingente tatsächlich eine wichtigere Rolle als Zölle. In den letzten Jahren haben sie den durch die Zollgesetze gebotenen Schutz effektiv verdoppelt. In einem gewissen Sinn dienen nichttarifäre Handelshemmnisse als Ersatz für konventionellere Zölle, da Letztere abgebaut wurden.
Multilaterale Handelsbeziehungen Können wir angesichts des Tauziehens zwischen den wirtschaftlichen Vorteilen des Freihandels und dem politischen Anspruch des Protektionismus heute vorhersagen, in welche Richtung das Pendel ausschlagen wird? Die Geschichte der US-Zölle, die Sie in Abbildung 15-10 verfolgen können, war voller Höhen und Tiefen. Während des Großteils ihrer Geschichte waren die USA ein Hochzollland. Der Höhepunkt des Protektionismus wurde mit dem berüchtigten SmootHawley-Zollgesetz von 1930 erreicht, gegen das sich praktisch jeder Ökonom in diesem Land aussprach, das jedoch trotzdem vom Kongress beschlossen wurde.
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Die Handelsbarrieren, die während der großen Weltwirtschaftskrise errichtet wurden, trugen in Wirklichkeit dazu bei, die Preise zu erhöhen und die volkswirtschaftlichen Probleme zusätzlich zu verschärfen. In den Handelskriegen der dreißiger Jahre versuchten die Länder, ihren Beschäftigungsstand und ihre Produktion durch die Errichtung von Handelsbarrieren auf Kosten ihrer Nachbarn anzuheben. Doch die Länder lernten ihre Lektion, als sie feststellen mussten, dass sie am Ende des Spiels um Zoll und Vergeltungszoll alle als Verlierer dastanden.
Freihandelsabkommen Nach dem Zweiten Weltkrieg rief die internationale Staatengemeinschaft eine Reihe von Institutionen zur Förderung des Friedens und wirtschaftlichen Wohlstandes durch eine kooperative Politik ins Leben. Multilaterale Verträge. Zu den erfolgreichsten multilateralen Verträgen auf diesem Gebiet gehört wohl das GATT (General Agreement on Tariffs and Trade), das Anfang 1995 zur Welthandelsorganisation (WTO) umgewandelt wurde. Die Satzung der WTO gibt das Ziel vor, den Lebensstandard durch „eine erhebliche Senkung der Zölle und anderer Handelsbarrieren sowie durch die Abschaffung einer diskriminierenden Behandlung im internationalen Handel“ zu heben. Im Jahre 2003 zählte die WTO 146 Mitgliedsländer, welche 90 Prozent des internationalen Handels abwickelten. Zu den Grundlagen der WTO gehören folgende Prinzipien: (1) Die Teilnehmerländer müssen daran arbeiten, die wechselseitigen Handelsbarrieren abzubauen; (2) alle zwischenstaatlichen Handelsbarrieren sollen auf diskriminierende Tendenzen verzichten (das heißt, alle Länder sollen den so genannten Meistbegünstigungsstatus genießen); (3) wenn ein Land seine Zölle über das vereinbarte Niveau anhebt, so hat es seine Handelspartner für den daraus entstehenden wirtschaftlichen Schaden zu entschädigen; und (4) Handels-
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Teil 4
„Tariff of abominations“ (1828) 60
Morrill und Kriegszölle (1861–64)
Auf Importe erhobene Zölle
50
40
Trade Agreements Act (1934)
30
20
10
Compromise Tariff (1833)
0 1820
1840
Dingley-Zollgesetz (1897)
1860
1880
1900
SmootHawley-Zollgesetz (1930) 1920
1940
Kennedy-Runde (1967) TokyoRunde (1979) UruguayRunde (1993)
1960
1980
2002
Jahr
Abbildung 15-10: Historisch betrachtet sind die USA ein Hochzollland In der Geschichte der USA waren die Zölle zumeist hoch, doch internationale Handelsabkommen seit den dreißiger Jahren haben mittlerweile zu einem weitgehenden Zollabbau geführt.
konflikte sind durch Konsultationen und schiedsrichterliche Entscheide zu lösen. Multilaterale Verhandlungen konnten die Handelsbarrieren in den 50 Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfolgreich abbauen. Die jüngsten erfolgreichen Verhandlungen wurden in der Uruguay-Runde geführt, an der 123 Länder teilnahmen und die 1994 abgeschlossen wurde. Im Jahre 2001 wurde in der Hauptstadt Katars, Doha, eine neue Runde ins Leben gerufen. Diese Runde behandelt Fragen der Landwirtschaft, der geistigen Eigentumsrechte und des Umweltschutzes. Die neuen Verhandlungen sind sowohl bei Entwicklungsländern, die der Meinung sind, dass die reichen Länder ihre Landwirtschaft zu stark schützen, als auch bei Globalisierungsgegnern umstritten, die argumentieren, dass der zunehmende Handel der Umwelt schadet, während er den armen Ländern kaum hilft. Angesichts der zunehmen-
den Proteste in Seattle und Cancun erzielte die Doha-Runde keine Fortschritte. Regionale Ansätze. In den letzten Jahren ergriffen verschiedene Staaten eine Reihe von Maßnahmen zur Förderung des Freihandels oder zur Erweiterung der regionalen Märkte. Darunter sind besonders folgende zu nennen: Die umstrittenste Initiative zum Abbau von Handelsbarrieren war jene zur Gründung des NAFTA, des nordamerikanischen Freihandelsabkommens, über das bewegte Debatten geführt wurden und das 1993 mit knapper Mehrzeit vom Kongress verabschiedet wurde. Mexiko ist der zweitgrößte Handelspartner der USA, und der überwiegende Teil des Handels zwischen den USA und Mexiko betrifft Produktionsgüter. NAFTA ermöglicht nicht nur den zollfreien Handel von Gütern über die Grenzen hinweg, sondern lockert auch Investitionshemmnisse für
Kapitel 15 Komparativer Vorteil und Protektionismus
die USA und Kanada in Mexiko. Die Verfechter dieses Abkommens argumentierten, er würde ein effizienteres Spezialisierungsmuster ermöglichen und es den US-Unternehmen erlauben, mit Unternehmen in den Nachbarländern effektiver zu konkurrieren, während die Gegner, insbesondere Arbeitnehmerverbände, ins Feld führten, dass NAFTA das von schlecht ausgebildeten Arbeitern erzeugte Warenangebot vergrößern und damit die Löhne der Arbeitnehmer in den betroffenen Branchen senken würde. Ökonomen warnen jedoch davor, dass regionale Handelsvereinbarungen wie NAFTA zu Ineffizienz führen können, wenn sie potenzielle Außenhandelspartner ausschließen. Sie verweisen auf die Stagnation der karibischen Länder, die von den Freihandelsbestimmungen des NAFTA ausgeschlossen waren, als warnendes Beispiel für die Gefahren, die ein regionaler Ansatz beinhaltet. Das weitreichendste Handelsübereinkommen ist die Entwicklung eines Binnenmarktes der wichtigen europäischen Länder. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben die EU-Länder einen Binnenmarkt mit minimalen Hemmnissen für den internationalen Handel und die Bewegung von Produktionsfaktoren entwickelt. In einer ersten Phase fielen alle Binnenzölle und regulatorischen Barrieren für Handel, Arbeitskräfte und Kapitalflüsse. Der letzte Schritt, der in den Kapiteln über Makroökonomie analysiert wird, bestand in der Einführung einer gemeinsamen Währung, die von den meisten Mitgliedstaaten der EU übernommen wurde. Außerdem entschloss sich die EU im Zeitraum 2002–2003, zwölf neue Mitgliedstaaten in Ost- und Südeuropa aufzunehmen, darunter Polen, die Tschechische Republik und Slowenien. Die europäische Einigung ist eines der überzeugendsten Beispiele für die Kraft einer Idee – der Idee, dass ein freier, offener Handel die
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wirtschaftliche Effizienz und den technologischen Fortschritt fördert.
Abschließende Bewertung Nach dem Zweiten Weltkrieg glaubten Politiker überall auf der Welt, der Freihandel sei eine Voraussetzung für weltweiten Wohlstand. Diese Überzeugung führte zu mehreren erfolgreichen Abkommen zum Abbau von Zollschranken, wie Sie aus Abbildung 15-10 ersehen können. Die von Ökonomen und marktorientierten Politikern vertretene Philosophie des freien Handels wird von Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, Wechselkursschwankungen und in letzter Zeit auch von Anti-Globalisierungskräften immer wieder auf die Probe gestellt. Trotzdem schreiten die meisten Länder auf dem Weg zu mehr Offenheit und stärkerer Orientierung nach außen fort. Wirtschaftliche Studien zeigen im Allgemeinen, dass ein Land von niedrigeren Handelsbarrieren profitiert, wenn der Handel fließt und der Lebensstandard steigt. Doch das Bestreben zur Erhaltung offener Märkte wird durch die Veränderungen in der politischen und ökonomischen Umwelt immer wieder gefährdet. Eine der schwierigsten Herausforderungen für den freien Handel waren die Terroranschläge vom 11. September 2001. Sie erinnerten die Welt daran, dass die nationalen Grenzen nicht nur von schönen Dingen und guten Menschen überquert werden, und viele Ökonomen befürchteten, dass verstärkte Sicherheitsmaßnahmen die Grenzen blockieren und die Handelsströme eindämmen könnten. Betrachtet man die Erfahrungen der wenigen Jahre nach den Anschlägen des 11. September, erkennt man, dass der internationale Handel – mit Ausnahme des Tourismus – von den Anschlägen und den politischen Maßnahmen zur Verstärkung der Überwachung kaum beeinträchtigt wurde.
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Teil 4
Zusammenfassung A. Das Wesen des internationalen Handels 1.
2.
Spezialisierung, Arbeitsteilung und Handel erhöhen die Produktivität und die Konsummöglichkeiten. Außenhandel wirkt sich sowohl auf ein einzelnes Land als auch auf die Beziehungen zwischen den Ländern vorteilhaft aus. Es ist effizienter, am internationalen Handel teilzunehmen, als sich nur auf die Inlandsproduktion zu verlassen. Der internationale Handel unterscheidet sich vom Binnenhandel insofern, als er den Markt vergrößert, zwischen souveränen Staaten stattfindet und diese Länder normalerweise eine eigene Währung haben, die anhand von Wechselkursen umgetauscht werden muss. Der wichtigste Grund, warum Länder Außenhandel treiben, ist die Vielfalt. Dieses allgemeine Prinzip bedeutet im Einzelnen, dass der Außenhandel von (a) unterschiedlichen Produktionsbedingungen, (b) sinkenden Kosten (oder Skaleneffekten) und (c) unterschiedlichen Präferenzen angetrieben wird.
B. Der komparative Vorteil von Staaten 3.
4.
Wie wir gesehen haben, verdankt der internationale Handel seine Existenz verschiedenen Produktionsbedingungen oder unterschiedlichen Präferenzen. Die Grundlage des internationalen Handels ist Ricardos Prinzip des komparativen Vorteils. Laut diesem Prinzip profitiert jedes Land, wenn es sich auf Produktion und Export jener Güter spezialisiert, die es zu relativ niedrigen Kosten herstellen kann. Im Umkehrschluss profitiert ein Land auch, wenn es jene Güter importiert, deren Produktion relativ teuer ist. Dieses Prinzip gilt auch dann, wenn eine Region alle Güter mit absolut höherer oder niedrigerer Produktivität herstellt als eine andere. Solange es zwischen den Ländern Unterschiede in der relativen oder komparativen Effizienz gibt, muss jedes Land bei der Produktion einiger Güter einen komparativen Vorteil oder komparativen Nachteil aufweisen. Das Gesetz des komparativen Vorteils gibt nicht nur Aufschluss über das geografische Muster der Spezialisierung oder die Richtung der Handelsströme. Es zeigt auch, dass der Außenhandel und die aus ihm resultierende höhere Weltproduktion den Wohlstand eines
5.
Landes steigert und seine Reallöhne (oder allgemeiner das Volkseinkommen) erhöht. Importbeschränkungen und Zölle, die Arbeitnehmer oder einzelne Branchen „schützen“ sollen, verringern das Gesamteinkommen eines Landes und seine Konsummöglichkeiten. Die Prinzipien des komparativen Vorteils gelten selbst bei Einbeziehung einer Vielzahl von Gütern und Ländern. Die Güter lassen sich entlang eines Kontinuums komparativer Vorteile von relativ effizient bis relativ ineffizient anordnen. Im Fall vieler Länder können sich trilaterale oder multilaterale Handelsbeziehungen entwickeln, wobei die einzelnen Länder in ihrer Beziehung zu einem anderen Land bilaterale (oder beidseitige) Überschüsse oder Defizite aufweisen.
C. Protektionismus 6.
7.
8.
9.
Unbeschränkter Freihandel führt zu einer Angleichung der heimischen Preise handelbarer Güter an die Weltmarktpreise. Unter Freihandelsbedingungen fließen Güter von Niedrigpreis- zu Hochpreismärkten „stromaufwärts“. Die Verhängung eines Zolls erhöht die heimischen Preise für importierte Waren, was zu einem Konsumrückgang und einem Rückgang der Importe bei gleichzeitigem Anstieg der heimischen Produktion führt. Importbeschränkungen haben ganz ähnliche Auswirkungen und können zusätzlich zu einer Verringerung der Staatseinnahmen führen. Zölle bewirken eine volkswirtschaftliche Verschwendung. Die Wirtschaft leidet durch dem verringerten inländischen Konsum und die Verschwendung von Ressourcen für Güter, die keinen komparativen Vorteil bieten. Diese Verluste sind im Allgemeinen größer als die staatlichen Einnahmen durch den Zoll. Argumente zugunsten der Verhängung von Zöllen stellen zumeist auf konkrete Vorteile für spezielle Interessensgruppen ab und halten keiner volkswirtschaftlichen Analyse stand. Es folgen drei Argumente, die auch angesichts von Kritik bestehen können: (a) Die Terms of Trade oder ein Optimalzoll können die Realeinkommen eines großen Landes auf Kosten seiner Handelspartner prinzipiell anheben. (b) In einer Situation der Arbeitslosigkeit können Zölle eine Wirtschaft in Richtung eines höheren Beschäftigungsstandes bewegen; eine gezielte
Kapitel 15 Komparativer Vorteil und Protektionismus
Geld- oder Fiskalpolitik könnte dasselbe Beschäftigungsziel jedoch mit geringeren Effizienzverlusten erreichen als diese so genannte „Beggar-Thy-Neighbor“-Politik. (c) Bisweilen benötigen „junge Branchen“ vorübergehend Schutz, damit sie einen langfristigen komparativen Vorteil entwickeln können.
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10. Das Prinzip des komparativen Vorteils muss eingeschränkt werden, wenn Märkte aufgrund von Arbeitslosigkeit oder Wechselkursstörungen nicht mehr funktionieren. Außerdem können einzelne Sektoren oder Faktoren durch den Außenhandel beeinträchtigt werden, wenn ihre Erträge durch Importe sinken.
Begriffe zur Wiederholung Die Prinzipien internationaler Handelsbeziehungen
Volkswirtschaftliche Aspekte des Protektionismus
Absoluter und komparativer Vorteil (oder Nachteil) Prinzip des komparativen Vorteils Wirtschaftliche Vorteile des Außenhandels Trilateraler und multilateraler Handel Welt- vs. nationale Produktionsmöglichkeitskurve Konsum- versus Produktionsmöglichkeiten durch Handel Terms of Trade
Preisgleichgewicht mit und ohne Außenhandel Zoll, Einfuhrbeschränkung, nichttarifäre Handelshemmnisse Auswirkungen von Zöllen auf Preise, Importe und heimische Produktion Merkantilistische Argumente, Argumente gegen billige ausländische Arbeitskräfte, Vergeltungsmaßnahmen Ausnahmen Optimalzoll, Arbeitslosigkeit und junge Branchen WTO und Außenhandelsgespräche
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Die Theorie des komparativen Vorteils wurde von David Ricardo in Principles of Political Economy and Taxation (1819, verschiedene Verlage; deutsch: Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie und der Besteuerung, Metropolis, Marburg, 2005) beschrieben und diskutiert. Ricardos Theorie wurde auf verschiedenen Websites veröffentlicht, darunter www.econlib.org/library/ Ricardo/ricP.html. Eine klassische Wiedergabe der Diskussion über den Freihandel findet sich in Jagdish Bhagwati, Protectionism (MIT Press, Cambridge, Mass., 1990; deutsch: Protektionismus und Weltwirtschaft, Frankfurt/Main 1990). Einen interessanten Überblick über die Vor- und Nachteile der Globalisierung, der den Freihandel im Wesentlichen unterstützt, bieten Gary Burtless, Robert Z. Lawrence, Robert E. Litan und Robert J. Shapiro in Globaphobia: Confronting Fears about Trade (Brookings Institution Press, Washington, D.C., 1998). Ausgezeichnete Artikel zu Themen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen finden sich im Economist, auch auf der Website unter www.economist.com.
Websites Die Weltbank (www.worldbank.org) bietet auf ihrer Site Informationen über ihre Programme und Publikationen; dasselbe gilt für den Internationalen Währungsfonds oder IWF (www.imf.org). Die Website der Vereinten Nationen enthält Links zu den meisten internationalen Institutionen und ihren Datenbanken (www.unsystem.org). Eine weitere gute Informationsquelle über Länder mit hohem Einkommen bietet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) unter www.oecd.org. Außenhandelsdaten der USA sind unter www.census.gov zu finden. Die statistischen Zentralämter vieler Länder sind eine reichhaltige Quelle von Informationen. Eine Sammlung staatlicher Agenturen findet sich unter www.census.gov/main/www/stat_int.html.
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Teil 4
Übungen 1.
2.
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Erklären Sie, ob die folgenden Aussagen richtig sind, und begründen Sie Ihre Antwort. Sollte eine Aussage falsch sein, stellen Sie sie bitte richtig. a. „Wir Mexikaner werden mit diesem Koloss im Norden nie gewinnträchtig konkurrieren können. Die Fabriken dort sind zu effizient, es gibt zu viele Computer und Maschinen, und die Ausbildung der Leute ist einfach zu gut. Wir brauchen Zölle, oder wir werden nichts mehr exportieren können.“ b. „Sollten amerikanische Arbeitnehmer dem Wettbewerb durch billige mexikanische Arbeitskräfte ungeschützt ausgesetzt werden, so ist mit einem drastischen Rückgang der Reallöhne in den USA zu rechnen.“ c. „Das Prinzip des komparativen Vorteils gilt ebenso für Haushalte, Städte und Staaten wie für Nationen und Kontinente.“ d. Zitat von Ross Perot auf Seite 442: „Philosophisch betrachtet ist [NAFTA] ein wunderbarer Gedanke ...“ Zeichnen Sie Abbildung 15-1 und die zugehörige Tabelle noch einmal für die Produktionsdaten Europas. Nehmen Sie dabei an, Europa verfüge über 600 Einheiten Arbeit, und die Arbeitsproduktivität entspräche jener in Tabelle 15-2. Was geschähe im Fall einer Änderung der Daten in Tabelle 15-2 von (1, 2; 3, 4) zu (1, 2; 2, 4)? Weisen Sie nach, dass dadurch jeder Außenhandel verhindert würde. Erklären Sie anhand dessen das Sprichwort „Vive la différence!“ („Es lebe der Unterschied!“). Warum fließen die größten Außenhandelsgewinne in kleine Länder, deren Binnenpreise sich ohne Außenhandel von den Weltmarktpreisen stark unterscheiden? Zusatzfrage zu Übung 3: Nehmen wir an, dass die Daten in Tabelle 15-2 von einem jüngst industrialisierten Land (newly industrialized country – NIC) und den USA stammen. Welche Handelsgewinne wären zwischen den beiden Ländern zu erwarten? Nehmen wir nun an, dass das NIC amerikanische Technologie übernimmt und über Produktionsmöglichkeiten verfügt, die jenen der amerikanischen Spalte in Tabelle 15-2 entsprechen. Welche Auswirkungen ergäben sich für den internationalen Handel? Was geschähe im Hinblick auf den Lebensstandard und die Reallöhne des NIC? Was
5.
6.
geschähe im Hinblick auf den amerikanischen Lebensstandard? Können wir daraus etwas bezüglich der Auswirkungen konvergierender Volkswirtschaften auf Handel und Wohlstand lernen? Ein US-Senator schrieb folgende Worte: „Der internationale Handel soll die Einkommen aller beteiligten Nationen anheben – das jedenfalls haben uns Adam Smith und David Ricardo gelehrt. Wenn nun unser wirtschaftlicher Niedergang durch das Wirtschaftswachstum unserer Konkurrenten verursacht wurde, haben uns offensichtlich diese Philosophen – und die gesamte Disziplin der Volkswirtschaft, die sie begründet haben – 200 Jahre lang zum Narren gehalten.“ Erklären Sie, warum der erste Satz richtig ist. Und erklären Sie auch, warum der zweite keine logische Schlussfolgerung aus dem ersten ist. Können Sie ein Beispiel dafür anführen, wie das Wirtschaftswachstum in Land J den Lebensstandard in Land A senken könnte? (Ein kleiner Hinweis: Die Antwort auf Frage 4 ist für die Aufdeckung des Fehlers im obigen Zitat sehr hilfreich.) Die modernen Protektionisten führen zum Schutz heimischer Industrien vor der ausländischen Konkurrenz folgende Argumente an: a. In gewissen Situationen kann ein Land seinen Lebensstandard durch protektionistische Maßnahmen anheben, sofern kein anderes Land mit Vergeltung reagiert. b. Die Löhne in Korea betragen nur ein Zehntel der US-amerikanischen Löhne. Wenn die USA die Importe koreanischer Hersteller nicht drosseln, müssen sie in Zukunft aufgrund der hereindrängenden Konkurrenz von ostasiatischen Niedriglohnarbeitern mit einem steigenden Außenhandelsdefizit rechnen. c. Es könnte für ein Land durchaus akzeptabel erscheinen, einen gewissen Rückgang seines Lebensstandards in Kauf zu nehmen, um einzelne Branchen, die es für die nationale Sicherheit als wesentlich betrachtet, beispielsweise Supercomputer oder Erdöl, vor ausländischem Wettbewerb zu schützen. d. Für diejenigen unter Ihnen, die in Makroökonomie bewandert sind: Falls unflexible Löhne und Preise oder ein ungünstiger Wechselkurs zu Rezession und hoher Arbeitslosigkeit führen, könnten Zölle die
Kapitel 15 Komparativer Vorteil und Protektionismus
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Produktion erhöhen und die Arbeitslosigkeit senken. Setzen Sie jede Aussage zu einem der traditionellen Argumente zur Verteidigung des Protektionismus in Beziehung. Geben Sie an, unter welchen Bedingungen sie gilt und ob Sie ihr zustimmen. Die USA verhängen Importbeschränkungen auf Produkte wie Stahl, Autos, Textilien und vieles mehr. Schätzungen von Ökonomen zufolge würde der Finanzminister allein durch die Versteigerung der Kontingentrechte jährlich US-$ 10 Milliarden verdienen. Analysieren Sie anhand von Abbildung 15-9 die wirtschaftlichen Aspekte von Einfuhrbeschränkungen wie folgt: Nehmen Sie an, dass der Staat eine Importquote von 100 Einheiten verhängt und die zugehörigen Kontingente auf der Grundlage der letztjährigen Importe unter den Lieferländern verteilt. Wo lägen demnach der Gleichgewichtspreis und die Gleichgewichtsmenge für Bekleidung? Wie hoch wären die Effizienzverluste aufgrund der Kontingentierungen? Wem käme das Ertragsdreieck B zugute? Welche Wirkung hätte eine Versteigerung der Importkontingente?
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KAPITEL 16 Steuern und Staatsausgaben
Der Geist eines Volkes, sein kulturelles Niveau, seine Sozialstruktur, die Leistungen, die seine Politik vollbringt, all das und noch viel mehr steht in seiner Steuergeschichte geschrieben. ... Wer diese Botschaft versteht, vernimmt das Donnergrollen der Weltgeschichte hier deutlicher als irgendwo sonst. Joseph Schumpeter
Wenn wir eine Marktwirtschaft betrachten, die alle Arten von Produkten von Äpfeln und Booten bis hin zu Röntgengeräten und Zithern anbietet, sind wir versucht zu glauben, dass Märkte nicht viel mehr bräuchten als gut ausgebildete Arbeitskräfte und viel Kapital. Doch die Geschichte hat gezeigt, dass auf sich selbst gestellte Märkte nicht erfolgreich funktionieren. Eine erfolgreiche Marktwirtschaft benötigt zumindest eine Polizei, die für physische Sicherheit sorgt, ein unabhängiges Justizwesen zur Durchsetzung von Verträgen, Regulierungsmechanismen zur Verhinderung von Missbrauch durch Monopole und von tödlicher Umweltverschmutzung, Schulen zur Ausbildung der Jugend und ein öffentliches Gesundheitssystem, das übertragbare Krankheiten von den Bürgern fernhält. Wo genau die Grenze zwischen staatlichen und privaten Aktivitäten zu ziehen ist, ist eine schwierige und umstrittene Frage, und heute wird intensiv über die angemessene Rolle des Staates in Bildung, Gesundheitswesen und Einkommensunterstützung diskutiert. Wir als Ökonomen wollen über diese voreingenommenen Diskussionen hinausblicken und die Funktionen des Staates analysieren – den komparativen Vorteil des Staates im gemischten Wirtschaftssystem. Das vorliegende Kapitel beschäftigt sich mit der Rolle des Staates in einem entwickelten Industrieland. Welche vernünftigen Ziele kann sich die Wirtschaftspolitik in einer Marktwirtschaft setzen, und welche Instrumentarien stehen ihr zur Verfügung, um sie zu verfolgen? Anschließend wollen wir in diesem Kapitel staatliche Ausgaben und Besteuerung unter die Lupe nehmen. In späteren Kapiteln werden wir die Werkzeuge betrachten, die der Regierung zur Ankurbelung des Wettbewerbs zur Verfügung stehen, außerdem Fragen des Umweltschutzes und der Bekämpfung der Armut. Diese Themen zählen zu den wichtigsten Anwendungsgebieten der Mikroökonomie. Hier setzen wir unsere ökonomischen Werkzeuge zur Analyse vieler der großen wirtschaftlichen Probleme ein, mit denen moderne Gesellschaften konfrontiert sind.
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
A. Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft Die Diskussionen über die Rolle des Staates werden mit kämpferischen Parolen wie „Keine neuen Steuern“ oder „Nulldefizit jetzt“ oft auf dem Niveau von Autoaufklebern geführt. Diese vereinfachenden Phrasen sind nicht geeignet, die staatliche Wirtschaftspolitik mit ihrem Facettenreichtum zu erfassen. Nehmen wir an, die Bevölkerung beschließt, mehr Ressourcen in die Verbesserung des staatlichen Gesundheitswesens zu investieren, die Luftstreitkräfte des Landes zu mobilisieren, um den ethnischen Säuberungen im Kosovo einen Riegel vorzuschieben, den Schutz unserer kostbaren Umwelt für künftige Generationen zur nationalen Priorität zu machen, zusätzliche Mittel in die Bildung der Jugend zu investieren oder in einer tiefen Rezession die Arbeitslosigkeit zu verringern. Eine Marktwirtschaft kann solche Probleme nicht automatisch lösen. Jedes dieser Ziele lässt sich erreichen, aber nur, wenn der Staat seine Steuer- und Ausgabenpolitik oder seine Regulierungsmaßnahmen entsprechend ändert. In der Steuerpolitik ist das Donnergrollen der Weltgeschichte deshalb so deutlich zu hören, weil Steuern und staatliche Ausgaben so überaus wirkungsvolle Instrumente zur Herbeiführung eines gesellschaftlichen Wandels sind.
Die Instrumente staatlicher Wirtschaftspolitik In einer modernen industriellen Wirtschaft bleibt kein Aspekt des wirtschaftlichen Lebens völlig unberührt von staatlichen Eingriffen. Dabei sind drei wesentliche Methoden oder Werkzeuge zu unterscheiden, die Staaten zur Verfügung stehen, wenn sie auf privatwirtschaftliche Aktivitäten Einfluss nehmen wollen. Diese sind:
Teil 4
1. Steuern auf Einkommen sowie auf Güter und Dienstleistungen. Diese Steuern verringern die Privateinkommen und dadurch auch die Privatausgaben (etwa für Autos oder Restaurantbesuche), erschließen dafür jedoch Ressourcen für öffentliche Ausgaben (für Raketen oder für Mittagessen an Schulen). Das Steuersystem eines Staates wird auch gegen bestimmte unerwünschte Aktivitäten (etwa das Zigarettenrauchen) eingesetzt, die stärker besteuert werden, während andere Bereiche (beispielsweise der Erwerb von Wohnungseigentum) öffentlich gefördert oder sogar subventioniert werden. 2. Öffentliche Ausgaben für bestimmte Güter und Dienstleistungen (wie Straßen, Bildung oder Polizei) und Transferzahlungen (wie Sozialversicherungsleistungen und Arbeitslosengeld), die einzelnen Staatsbürgern ein Einkommen verschaffen. 3. Regulierungs- oder staatliche Aufsichtsmaßnahmen, die die Staatsbürger dazu anhalten, bestimmte wirtschaftliche Aktivitäten auszuüben oder zu unterlassen. Beispiele sind unter anderem Regeln, die festlegen, wie stark die Unternehmen die Umwelt verschmutzen dürfen, die Funkfrequenzen aufteilen oder Tests zur Feststellung der Sicherheit neuer Medikamente vorschreiben.
Trends im Umfang des öffentlichen Sektors Als Schumpeter vom Donnergrollen der Steuerpolitik schrieb, meinte er die heftigen Auseinandersetzungen um die staatlichen Budgets und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft. Seit mehr als einem Jahrhundert verzeichnen wir in allen industrialisierten Wirtschaftssystemen eine Steigerung der Volkseinkommen und der Produktionsleistung. Gleichzeitig wuchsen in den meisten Ländern die staatlichen Ausgaben sogar noch schneller als die Wirtschaft als Ganzes. Not-
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Kapitel 16 Steuern und Staatsausgaben
zeiten – wirtschaftliche Depression, Krieg oder Sorgen mit sozialen Problemen wie Armut oder Umweltverschmutzung – bewirkten immer eine Zunahme staatlicher Aktivität. War die Krise schließlich überwunden, erreichte der Umfang staatlicher Regulierungen und Ausgaben nie mehr das alte, niedrigere Vorkrisenniveau. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg machten Bundes-, Landes- und Kommunalausgaben bzw. -steuern kaum mehr als ein Zehntel des gesamten Volkseinkommens der USA aus. Die Anstrengungen des Zweiten Weltkriegs zwangen die USA, die Staatsausgaben auf rund die Hälfte der bereits stark angewachsenen gesamten Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Im Jahre 2002 belief sich der Anteil der öffentlichen Ausgaben aller Verwaltungsebenen am Bruttoinlandsprodukt – die sogenannte Staatsquote – auf etwa 30 Prozent. Abbildung 16-1 zeigt die Steuer- und Ausgabentrends für die gesamte öffentliche Verwaltung in den USA. Die ansteigenden Kurven verdeutlichen, dass sich der Anteil der
Steuern und öffentlichen Ausgaben im Verlauf des letzten Jahrhunderts kontinuierlich erhöht hat. Die Erhöhung der staatlichen Ausgaben ging nicht ohne Widerstand vonstatten. Alle neuen Ausgaben und alle neuen Steuerprogramme lösten heftige Reaktionen aus. Als 1935 zum Beispiel die Sozialversicherung eingeführt wurde, wurde sie von ihren Gegnern als gefährlicher Vorbote des Sozialismus diffamiert. Doch mit der Zeit tritt ein politischer Gewöhnungseffekt ein. Das „sozialistische“ Sozialversicherungssystem wird heute von Politikern jeglicher Couleur als wesentlicher Bestandteil des „Sozialvertrags“ zwischen den Generationen verteidigt. Die radikale Doktrin einer Ära wird bald zum überall nachgebeteten Evangelium der nächsten. Abbildung 16-2 zeigt, wie die als prozentueller Anteil am Bruttoinlandsprodukt ausgedrückten staatlichen Ausgaben von Land zu Land variieren. Reiche Länder tendieren dazu, einen größeren Anteil ihres BIP zu besteuern und für staatlichen Ausgaben heran-
Staatsausgaben und Steuern in der USA, 1902–2002
Staatsausgaben und Steuern (in % des BIP)
45 40 Zweiter Weltkrieg 35
Staatsausgaben
30 Steuern
25 Erster Weltkrieg 20 15 10 5 0 1900
1910
1920
1930
1940
1950 Jahr
1960
1970
1980
1990
2000
2010
Abbildung 16-1: Der staatliche Anteil an der US-Wirtschaft ist stark gestiegen Zu den öffentlichen Ausgaben zählen solche für Güter und Dienstleistungen sowie Transferprogramme auf gesamtstaatlicher, bundesstaatlicher und kommunaler Ebene. Bitte beachten Sie, wie rasch die Ausgaben in Kriegszeiten jeweils angestiegen sind, ohne jedoch nach dem Krieg wieder auf ihr Vorkriegsniveau zurückzukehren. Die Differenz zwischen Ausgaben und Steuereinnahmen ist das staatliche Haushaltsdefizit oder der Haushaltsüberschuss. Quelle: US-Handelsministerium
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
zuziehen als arme Länder. Lässt sich ein allgemeines Muster unter den wohlhabenden Ländern erkennen? Leider gibt es kein Gesetz, mit dessen Hilfe sich eine Beziehung zwischen der Steuerbelastung und dem Wohlstand der Bürger in diesen Ländern herstellen ließe und das dabei der Verschiedenheit der jeweiligen steuerlichen Situation Rechnung trüge.1 So sind beispielsweise das Bildungs- und das Gesundheitswesen, zwei der wichtigsten Positionen unter den Staatsausgaben, in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich organisiert. Schweden Frankreich Italien Deutschlad Großbritanien Polen USA Japan Iran Südkorea Philippinen Sierra Leone Dominikanische Republik 0
10 20 30 40 50 Staatsausgaben, 1999 (in % des BIP)
60
Abbildung 16-2: In einkommensstarken Ländern sind die Staatsausgaben besonders hoch Arme Länder können nur geringfügige Steuereinnahmen verbuchen und ebenso nur einen kleinen Teil ihres Volkseinkommens ausgeben. Mit zunehmendem Wohlstand steigt die Nachfrage nach öffentlichen Gütern und einer umverteilend wirkenden Besteuerung, um einkommensschwache Familien zu unterstützen. Quelle: OECD 1 Die Abbildungen 16-1 und 16-2 zeigen die staatlichen Gesamtausgaben. Solche Ausgaben umfassen Käufe von Gütern und Dienstleistungen (wie Raketen und Bildung) sowie Transferzahlungen (wie Sozialversicherungszahlungen und Zinsen auf die Staatsschulden). Käufe von Gütern und Dienstleistungen werden als „erschöpfend“ bezeichnet, weil sie direkte Ansprüche an die Produktion eines Landes stellen; Transferzahlungen hingegen erhöhen das Einkommen der Menschen und ermöglichen es dem Einzelnen, Güter und Dienstleistungen zu kaufen, wobei sie aber die Menge der Güter und Dienstleistungen, die für den privaten Konsum und für Investitionszwecke zur Verfügung stehen, nicht unmittelbar verringern.
Teil 4
Die Zunahme staatlicher Eingriffe und Regulierungsmaßnahmen Neben der rapiden Zunahme von Staatsausgaben und Steueraufkommen war auch eine enorme Ausweitung der gesetzlichen Bestimmungen und staatlichen Regulierungsmaßnahmen für wirtschaftliche Aktivitäten zu verzeichnen. Die amerikanische Wirtschaft des 19. Jahrhunderts kam von allen modernen Gesellschaften dem Extrem der reinen Laissezfaire-Gesellschaft am nächsten, jenem System, von dem der britische Historiker Thomas Carlyle gesagt hat, es sei nichts weiter als eine Kombination aus „Anarchie und Polizei“. Diese politische Philosophie ließ den Menschen große persönliche Freiheit bei der Verfolgung ihrer wirtschaftlichen Interessen und führte zu einem Jahrhundert rapiden materiellen Fortschritts. Doch Kritiker sahen in diesem Laissez-faire-Idyll gravierende Mängel. So berichten Historiker über periodisch auftretende Wirtschaftskrisen, extreme Armut und Ungleichheit, tief sitzende rassische Diskriminierung und die Vergiftung von Wasser, Boden und Luft durch rücksichtslose Umweltverschmutzung. Skandalblätter forderten Seite an Seite mit progressiven Kräften, dem Kapitalismus Zügel anzulegen, um diese ungezähmte Bestie vielleicht schließlich in eine humanere Richtung zu treiben. Mit Beginn der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wandten sich die Vereinigten Staaten nach und nach von der Vorstellung ab, dass „jene Regierung die beste ist, welche am wenigsten regiert“. Die Präsidenten Theodore Roosevelt, Woodrow Wilson, Franklin D. Roosevelt und Lyndon Johnson erweiterten – allerdings entgegen heftiger Widerstände – die staatlichen Eingriffe in das Wirtschaftsleben und führten neue Regulierungsmaßnahmen und Steuerinstrumente zur Bekämpfung der Missstände ihrer Zeit ein. Die verfassungsmäßigen Befugnisse des Staates wurden weiter interpretiert und dazu eingesetzt, um „das öffentliche Interesse zu
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Kapitel 16 Steuern und Staatsausgaben
wahren“ und das Wirtschaftsleben einer „Kontrolle zu unterwerfen“. Im Jahre 1887 kam es zur Gründung der Interstate Commerce Commission (ICC), die den Eisenbahnverkehr über die bundesstaatlichen Grenzen hinweg regelte. Schon bald danach sorgten der Sherman Antitrust Act und andere Gesetze dafür, dass monopolistischen Zusammenschlüssen zur „Beschränkung des Handels“ der Kampf angesagt wurde. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden zahlreiche Branchen einer staatlichen Wirtschaftslenkung unterworfen, was bedeutete, dass der Staat Preise, Marktzutritts- und -austrittsbedingungen sowie Sicherheitsstandards festlegte. Seit damals gehören Fluglinien, LKW-Verkehr sowie Boots- und Schiffsverkehr, Strom-, Gas- und Telefongesellschaften, die Finanzmärkte sowie Erdöl und Erdgas mit zugehörigen Pipelines zu den regulierten Branchen. Neben der Regulierung von Preisen und allgemeinen Standards des Geschäftslebens versuchte der Staat auch, Gesundheit und Sicherheit der Bürger unter seine Ägide zu nehmen, indem er laufend strengere Vorschriften für den Sozialbereich erließ. Nachdem zu Beginn des Jahrhunderts mehrere Skandale ans Licht gekommen waren, wurden gesetzliche Bestimmungen über die Reinhaltung von Lebens- und Arzneimitteln erlassen. In den sechziger und siebziger Jahren verabschiedete der Kongress eine Reihe von Gesetzen über die Sicherheit im Bergbau und schließlich über die Arbeitsplatzsicherheit im Allgemeinen. Er sorgte für die Eindämmung von Luft- und Wasserverschmutzung, genehmigte Sicherheitsstandards für Autos und Verbrauchsgüter und regelte den Tagebau ebenso wie den Umgang mit Kernkraft und Sondermüll. In den letzten beiden Jahrzehnten ebbte die Flut der staatlichen Wirtschaftsbestimmungen jedoch langsam ab. Ökonomen argumentierten überzeugend, dass viele Wirtschaftsbestimmungen den Wettbewerb behinderten und die Preise hoch hielten, anstatt sie zu senken. Tatsächlich wurde die erste
bundesstaatliche Regulierungsbehörde, die Interstate Commerce Commission, kurz nach dem 100. Jahrestag ihrer Gründung abgeschafft. Im Sozialbereich betonten die Ökonomen, müsse man dafür sorgen, dass die Vorschriften mehr Nutzen stifteten als Kosten mit sich brächten. Dennoch ist heute die Rückkehr zu den alten Laissez-faire-Zeiten sehr unwahrscheinlich. Regierungsprogramme haben die ureigene Natur des Kapitalismus verändert. Privateigentum ist immer weniger privat. Das freie Unternehmertum verliert zunehmend seine Freiheit. Unumkehrbare Entwicklungen sind Teil der Geschichte.
Funktionen des Staates Wir können uns nun langsam ein Bild davon machen, wie der Staat die Wirtschaft lenkt und sich wie das Wechselspiel zwischen Staat und Wirtschaft vollzieht. Welche sinnvollen wirtschaftlichen Ziele können mit staatlichen Eingriffen in eine moderne Mischwirtschaft verfolgt werden? Untersuchen wir einmal die vier wichtigsten Funktionen staatlicher Aktivitäten: 1. Verbesserung der volkswirtschaftlichen Effizienz 2. Verringerung der wirtschaftlichen Ungleichheit 3. Stabilisierung der Wirtschaft durch wirtschaftspolitische Maßnahmen 4. Formulierung und Umsetzung internationaler Wirtschaftspolitik
Verbesserung der wirtschaftlichen Effizienz Ein zentrales wirtschaftspolitisches Ziel des Staates besteht darin, auf eine sozial wünschenswerte Ressourcenallokation hinzuwirken. Dies ist die mikroökonomische Seite der staatlichen Politik; sie konzentriert sich auf
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
das Was und das Wie des Wirtschaftslebens. Mikroökonomische wirtschaftspolitische Maßnahmen nehmen in verschiedenen Ländern jeweils eine unterschiedliche Ausprägung an, je nach den historischen Gegebenheiten und den vorherrschenden politischen Philosophien. Manche Länder setzen auf einen Laissez-faire-Ansatz des „Hände weg“ und überlassen Entscheidungen überwiegend dem Markt. Andere Länder neigen zu drastischen staatlichen Regulierungsmaßnahmen oder sogar zum Betrieb staatlicher Unternehmen, deren Produktionsentscheidungen von staatlichen Planern getroffen werden. Die USA sind grundsätzlich eine Marktwirtschaft. Gleich um welche mikroökonomische Frage es auch immer geht, sind die meisten Leute jedenfalls der Ansicht, dass der Markt das anstehende wirtschaftliche Problem schon lösen wird. Doch bisweilen sprechen auch gute Gründe dafür, dem Staat in Allokationsentscheidungen Vorrang vor Angebot und Nachfrage auf dem Markt einzuräumen. Die Grenzen der unsichtbaren Hand. In früheren Kapiteln wurde dargelegt, wie die unsichtbare Hand des vollständigen Wettbewerbs zu einer effizienten Ressourcenallokation führt. Dennoch gilt dieses Ergebnis nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen. Alle Wirtschaftsgüter müssten demnach von Unternehmen unter vollständigen Wettbewerbsbedingungen vollkommen effizient erzeugt werden. Die Güter müssten sich wie eine aufgeschnittene Torte verhalten: Je mehr Stücke ich esse, umso weniger kannst du davon konsumieren. Es dürften auch keine Externalitäten wie etwa die Luftverschmutzung auftreten. Konsumenten und Unternehmen müssten uneingeschränkt über die Preise und Merkmale der von ihnen gekauften und verkauften Güter informiert sein. Träfen alle diese Idealbedingungen zu, könnte die unsichtbare Hand eine vollkommen effiziente Herstellung und Verteilung der Produktionsleistung eines Landes bewir-
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ken, und staatliche Eingriffe in die Wirtschaft zur Förderung der Effizienz wären tatsächlich verzichtbar. Doch selbst in dem genannten hypothetischen Fall und wenn es bei funktionierendem Preismechanismus eine Arbeitsteilung zwischen Menschen und Regionen gäbe, käme dem Staat eine bedeutende Rolle zu. Gerichte und Polizei wären weiterhin nötig, um über die Erfüllung von Verträgen zu wachen, Betrug und Gewalt zu vereiteln, Diebstähle und Aggressionen von außen zu verhindern und die gesetzlich gewährleisteten Eigentumsrechte zu schützen. Unvermeidliche Interdependenzen. Ein Laissez-faire-System mit minimaler Einmischung des Staates könnte sich durchaus bewähren, gäbe es irgendwo auf der Welt die oben beschriebenen hypothetischen Bedingungen. Tatsächlich aber tritt jede einzelne der genannten Idealbedingungen in allen menschlichen Gesellschaften nur teilweise auf. Der größte Teil der Produktion findet in Einheiten statt, die für einen wirklich perfekten Wettbewerb zu groß sind. Staatlich nicht regulierte Betriebe tendieren dazu, Luft, Wasser und Erdreich zu verschmutzen. Wenn ansteckende Krankheiten die Bevölkerung bedrohen, sind die privaten Märkte nur wenig motiviert, wirksame öffentliche Gesundheitsprogramme dagegen zu entwickeln. Konsumenten sind über die Merkmale der Güter, die sie kaufen, oft nur sehr mangelhaft informiert. Der Markt ist nicht ideal. Er kann versagen. Man könnte auch sagen, der Staat setzt seine Waffen häufig ein, um die folgenden Formen von gravierendem Marktversagen zu korrigieren: • Zusammenbruch des vollständigen Wettbewerbs. Zur Verhinderung eines Kollusionsmonopols oder -oligopols, bei dem Konkurrenz vermieden oder andere Unternehmen vom Markt verdrängt werden sollen, kann der Staat zu Antikartell- oder Regulierungsmaßnahmen greifen.
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Kapitel 16 Steuern und Staatsausgaben
• Externalitäten und öffentliche Güter. Ein unregulierter Markt produziert möglicherweise zu viel Luftverschmutzung und investiert zu wenig in Volksgesundheit und Bildung. Der Staat kann seinen Einfluss nutzen, um schädliche Externalitäten zu kontrollieren, oder er kann Programme in den Bereichen Wissenschaft und öffentliche Gesundheit finanzieren. Der Staat könnte Steuern auf Aktivitäten erheben, die externe öffentliche Kosten verursachen (wie etwa das Rauchen), oder Aktivitäten unterstützen, die als sozial wertvoll gelten (etwa Bildung und pränatale Diagnose). • Unzureichende Information. Unregulierte Märkte bieten Konsumenten oft nur mangelhafte Informationen, die nicht ausreichen, um gut informiert Entscheidungen treffen zu können. In früheren Zeiten gingen Krämer mit Schlangenölarzneien hausieren, die ihre Käufer genauso leicht unter die Erde bringen wie heilen konnten. Das führte zum Erlass von Lebens- und Arzneimittelbestimmungen, die den Pharmaunternehmen vorschreiben, umfassende Daten über Sicherheit und Wirksamkeit neuer Arzneimittel bekannt zu geben, bevor sie zum Verkauf zugelassen werden. Der Staat verlangt von den Unternehmen auch, Informationen über die Energieeffizienz wichtiger Haushaltsgeräte wie Kühlschränke und Wasserkessel bereitzustellen. Außerdem kann der Staat seine auf der Höhe seiner Ausgaben beruhende Marktmacht einsetzen und selbst die benötigten Informationen einholen und weitergeben, wie er dies bei Straßenverkehrsunfall- und Sicherheitsdaten übrigens auch tut. Offensichtlich ist die Palette der staatlichen Aufgaben im Zusammenhang mit möglichen Allokationsproblemen groß.
Verringerung der wirtschaftlichen Ungleichheit Auch wenn die unsichtbare Hand tatsächlich funktioniert und enorm effizient ist, kann sie durchaus eine sehr ungleichmäßige Einkommensverteilung bewirken. Unter Laissez-faire-Bedingungen wird der Reichtum oder die Armut der Menschen durch ihren Geburtsort, ihr ererbtes Vermögen, ihre Talente und ihren Fleiß, durch das Glück, das sie bei Ölbohrungen haben, oder durch ihr Geschlecht oder ihre Hautfarbe bestimmt. Manchen Leuten erscheint die Einkommensverteilung, die sich aus dem unregulierten Wettbewerb ergibt, ebenso willkürlich wie die von Darwin beschriebene Verteilung von Nahrung und Beute im Dschungel. In den ärmsten Gesellschaften gibt es sehr wenig überschüssiges Einkommen, das man den Bessergestellten wegnehmen und den weniger vom Glück Begünstigten zukommen lassen könnte. Aber je reicher eine Gesellschaft wird, desto mehr Ressourcen kann sie dazu verwenden, den Armen gewisse Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen; die so herbeigeführte Einkommensumverteilung ist die zweite wesentliche wirtschaftliche Funktion des Staates. Die Sozialstaaten Nordamerikas und Westeuropas geben heute einen beträchtlichen Teil ihrer Einnahmen dafür aus, Mindeststandards im Gesundheitswesen, in der Ernährung und bei der Einkommenshöhe zu gewährleisten. Einkommensumverteilung erfolgt zumeist über eine gezielte Steuer- und Ausgabenpolitik, obwohl bisweilen auch die staatliche Regulierungsfunktion eine gewisse Rolle spielt. Die meisten wohlhabenden Staaten sorgen heute dafür, dass Kinder nicht aufgrund der wirtschaftlichen Situation ihrer Eltern hungern, dass Arme nicht einfach ihrem Schicksal überlassen werden, nur weil ihnen das Geld für die entsprechende medizinische Versorgung fehlt, und dass die Alten ihre letzten Jahre mit einem Mindesteinkommen ungestört verbringen können. In den USA kommt der Staat diesen Aufgaben in erster
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Linie durch Sozialleistungen wie Lebensmittelmarken, das Programm Medicaid und das Sozialversicherungssystem nach. Doch auch die Einstellung zur Umverteilung verändert sich. Angesichts steigender Steuerbelastungen und staatlicher Budgetdefizite sowie steigender Kosten von Transferleistungen sträuben sich die Steuerzahler zunehmend gegen Umverteilungsprogramme und progressive Besteuerung. Schweden, wo der Wohlfahrtsstaat immer noch hoch entwickelt ist und das seinen Bürgern 63 Prozent ihrer Einkommen in Form von Steuern abverlangt, kämpft heute um die Eindämmung der Ausgaben bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der wichtigsten Umverteilungsprogramme.
Wirtschaftspolitische Stabilisierungsmaßnahmen Der Kapitalismus der frühen Tage war überaus anfällig für finanzielle Panikattacken sowie Inflations- und Depressionsanfälle, und die traumatische Erinnerung an die Große Depression der dreißiger Jahre ist unter älteren Amerikanern nach wie vor lebendig. Heute ist der Staat dafür verantwortlich, dass sich eine wirtschaftliche Krisensituation mit derart weitreichenden negativen Folgen nicht wiederholt. Als Instrumente stehen ihm dazu eine entsprechende Geld- und Fiskalpolitik sowie eine strikte Regulierung des Finanzsystems zur Verfügung. Darüber hinaus bemüht sich der Staat, Höhen und Tiefen der Konjunkturzyklen auszugleichen, um das Auftreten von Massenarbeitslosigkeit im konjunkturellen Tief und von um sich greifender Inflation im konjunkturellen Hoch zu verhindern. In letzter Zeit versuchen die Staaten, wirtschaftspolitische Maßnahmen umzusetzen, die für ein langfristig anhaltendes Wirtschaftswachstum sorgen sollen. Mit diesen Themenstellungen beschäftigen sich die Kapitel über Makroökonomie sehr ausführlich.
Teil 4
Internationale Wirtschaftspolitik Wie wir im Überblick des letzten Kapitels über den internationalen Handel gesehen haben, beteiligen sich die USA in den letzten Jahren immer stärker an der globalen Wirtschaft. Der Staat ist inzwischen ein maßgeblicher Vertreter der nationalen Interessen auf der internationalen Bühne sowie bei der Aushandlung von Verträgen mit anderen Ländern über verschiedenste Fragestellungen. Dabei lassen sich die wirtschaftspolitischen Themen in vier Hauptgebiete einteilen: • Abbau von Handelsbeschränkungen. Ein wesentlicher Bereich der Wirtschaftspolitik beschäftigt sich mit der Harmonisierung von Gesetzen und mit dem Abbau von Handelsschranken, um eine vorteilhafte internationale Spezialisierung und Arbeitsteilung zu fördern. In den letzten Jahren haben die Länder eine Reihe von Handelsvereinbarungen zur Senkung von Zöllen und anderen Handelsschranken für landwirtschaftliche Produkte, Produktionsgüter und Dienstleistungen ausgehandelt. Derartige Abkommen rufen auch sehr viel Widerstand hervor. Sie schaden mitunter einzelnen Gruppen, wenn beispielsweise durch die Abschaffung von Zöllen auf Textilien der Beschäftigungsstand in der Textilbranche zurückgeht. Außerdem verlangen internationale Abkommen in manchen Bereichen die Aufgabe der nationalen Souveränität als Preis für die zu erwartenden steigenden Einkommen. Nehmen wir an, in einem Land gäbe es gesetzliche Bestimmungen zum Schutz geistiger Eigentumsrechte, also etwa von Patenten und Copyrights, während die Gesetze eines anderen Landes das freie Kopieren von Büchern, Videos oder Computersoftware zuließen. Wessen Gesetze sollen in einer solchen Situation gelten? • Durchführung von Hilfsprogrammen. Reiche Staaten verfügen über zahlreiche Pro-
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gramme zur Verbesserung der Situation der mittellosen Bevölkerung in den ärmeren Ländern. Dazu gehören direkte Hilfe vor Ort, Unterstützung bei Katastrophen sowie technische Hilfestellungen, aber auch Institutionen wie die Weltbank, damit arme Länder niedrig verzinste Kredite erhalten können, sowie günstige Bedingungen für Exporte in diese Länder. • Koordinierung makroökonomischer Maßnahmen. Die einzelnen Staaten haben erkannt, dass die Fiskal- und Geldpolitik anderer Staaten sich auf ihre heimische Inflation, Arbeitsmarktlage und Finanzsituation auswirkt. Das internationale Finanzsystem kann sich nicht selbst steuern; die Schaffung eines reibungslos funktionierenden Wechselkurssystems ist eine Voraussetzung für einen effizienten internationalen Handel. Als im Jahr 1997 die ostasiatische „Grippewelle“ ausbrach, drohten ihre Auswirkungen auf die Güterund Kapitalmärkte das Wirtschaftswachstum in Japan, Europa und den Vereinigten Staaten zu drosseln. Vor allem in wirtschaftlich stark integrierten Regionen wie Westeuropa bemühen sich die Staaten darum, ihre Fiskal-, Geld- und Wechselkurspolitik so zu koordinieren, dass Inflation oder Arbeitslosigkeit in einem Land nicht auf die gesamte Region überspringen. Bisweilen wird sogar versucht, eine einheitliche Währung zu schaffen. • Internationaler Umweltschutz. Die neueste Facette internationaler Wirtschaftspolitik ist die Kooperation von Staaten auf ökologischem Gebiet, wenn einzelne Länder Umweltprobleme verursachen oder wenn Staaten von den Umweltproblemen anderer betroffen sind. Bis vor kurzem arbeitete man vor allem bei der Verbesserung der Wasserqualität der Flüsse und beim Schutz der Fischgründe international zusammen. Angesichts der zunehmenden Besorgnis der Wissenschaft wegen des Ozonlochs, der Abholzung der Wälder, der Erderwärmung und des Artensterbens sucht die Staatenge-
meinschaft in letzter Zeit verstärkt nach Möglichkeiten, die von diesen Problemen betroffenen globalen Ressourcen zu schützen und zu bewahren. Selbstverständlich können internationale Umweltprobleme nur gemeinsam gelöst werden. Selbst eingefleischte Konservative würden der Aussage zustimmen, dass der Staat bei der Vertretung nationaler Interessen in der Anarchie der Nationen eine äußerst wichtige Rolle spielt.
Public-Choice-Theorie Bisher haben sich unsere Analysen weitgehend auf die normative Theorie des Staates konzentriert – auf die Politik, die Staaten umsetzen sollten, um das Wohlergehen ihrer Bevölkerungen zu erhöhen. Doch die Ökonomen hängen heute hinsichtlich des Marktes oder auch des Staates keinen Illusionen mehr an. Regierungen können durchaus auch schlechte Entscheidungen treffen oder gute Ideen schlecht umsetzen. Ebenso wie es ein Versagen des Marktes gibt – etwa aufgrund von Monopolen oder Umweltverschmutzung –, kann auch der Staat „versagen“, wenn staatliche Eingriffe zu Verschwendung oder zu einer unerwünschten Einkommensumverteilung führen. Mit diesen Themenbereichen beschäftigt sich die Public-Choice-Theorie (Theorie der öffentlichen Entscheidung), also jener Zweig der Volks- und Politikwissenschaft, der erforscht, wie die Entscheidungsstrukturen in Staaten beschaffen sind. Die Public-ChoiceTheorie untersucht, wie verschiedene Abstimmungsmechanismen funktionieren können, und weist nach, dass es keine idealen Mechanismen gibt, die die individuellen Präferenzen zu gesamtgesellschaftlichen Entscheidungen summieren. Dieser Ansatz analysiert auch staatliches Versagen, das eintritt, wenn es mithilfe staatlicher Maßnahmen nicht gelingt, die wirtschaftliche Effizienz zu steigern, oder wenn der Staat eine ungerech-
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
te Einkommensumverteilung zu verantworten hat. Die Public-Choice-Theorie zeigt die kurzen Amtszeiten gewählter Vertreter, das Fehlen starrer Budgetbeschränkungen und die Rolle des Geldes bei der Finanzierung von Wahlen als Quellen staatlichen Versagens auf. Eine sorgfältige Studie staatlichen Versagens ist entscheidend, will man die Beschränkungen verstehen, denen Staaten unterliegen, und sicherstellen, dass staatliche Programme nicht übermäßig stark in das Leben der Bürger eingreifen oder verschwenderisch mit Ressourcen umgehen. Politische Ökonomie Seit den Zeiten Adam Smiths beschäftigen sich Ökonomen hauptsächlich mit der Funktionsweise des Marktes. Ernsthafte Denker haben dabei jedoch auch die Rolle des Staates in der Gesellschaft nicht außer Acht gelassen. Joseph Schumpeter war der erste, der sich in seinem Buch Capitalism, Socialism, and Democracy (deutsch: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 1942) mit öffentlichen Entscheidungskriterien auseinander setzte, und die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Studie von Kenneth Arrow über soziale Entscheidungsprozesse brachte mathematische Ordnung in dieses Fach. Doch es war die bahnbrechende Studie von Anthony Downs, An Economic Theory of Democracy (1957), die eine aussagekräftige neue Theorie entwickelte, wonach Politiker wirtschaftspolitische Maßnahmen einfach nur deshalb treffen, um wiedergewählt zu werden. Downs wies nach, dass politische Parteien dazu tendieren, sich in Richtung der Mitte des politischen Spektrums zu bewegen, und er proklamierte das „Abstimmungsparadoxon“, das besagt, es sei irrational, dass Menschen wählen, wenn man bedenkt, wie unwahrscheinlich es ist, dass ein Einzelner das Ergebnis beeinflussen kann.
Teil 4
Weitere Studien von James Buchanan und Gordon Tullock in The Calculus of Consent (1959) verteidigten eine wechselseitige Kontrolle zur Verhinderung von Machtmissbrauch („checks and balances“) und sprachen sich für das Einstimmigkeitsprinzip bei politischen Entscheidungen aus – mit dem Argument, dass Einstimmigkeit für niemanden einen Zwang bedeute und daher auch keine Kosten verursache. Für dieses und für andere Werke erhielt Buchanan 1986 den Nobelpreis. Die PublicChoice-Theorie wurde von konservativen Politikern Anfang der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts sorgfältig studiert. Ihre Ideen fanden Eingang in Bereiche wie Landwirtschaftspolitik, diverse Regulierungsmaßnahmen und in die Gerichtsbarkeit, und sie bildeten die theoretische Grundlage eines Vorschlags für eine Änderung der US-Verfassung, in die das Erfordernis eines ausgeglichenen Budgets aufgenommen werden sollte.
B. Staatsausgaben Nirgends werden die Veränderungen in der Rolle des Staates deutlicher sichtbar als im Bereich der staatlichen Ausgaben. Werfen Sie einen erneuten Blick auf Abbildung 16-1. Sie zeigt den Anteil der Produktionsleistung der USA, der für staatliche Ausgaben aufgewendet wird, also für Dinge wie den Kauf von Gütern und Dienstleistungen, für die Gehälter der Beamten, für Sozialversicherungszahlungen und andere Transferleistungen und für Zinsen auf die Schulden des Staates. Sie erkennen also, dass die Staatsquote im Laufe des 20. Jahrhunderts meist gestiegen ist, wobei die Steigerungen zu Kriegszeiten besonders hoch waren. In den letzten Jahren hat sich diese Quote jedoch eingependelt.
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Kapitel 16 Steuern und Staatsausgaben
Fiskalföderalismus Obwohl wir bisher immer vom Staat gesprochen haben, als handle es sich hierbei um eine einzige Organisation, sind US-Amerikaner in Wirklichkeit mit drei verschiedenen Verwaltungsebenen konfrontiert: mit der Bundesverwaltung, der Verwaltung einzelner Bundesstaatenund der Kommunalverwaltung. Dies spiegelt eine Aufteilung der Steuerverantwortung auf die unterschiedlichen Ebenen der öffentlichen Verwaltung wider, ein System, das als Fiskalföderalismus bezeichnet wird. Zwar sind die Grenzen zwischen den Verwaltungsebenen nicht immer scharf zu ziehen, doch ist im Allgemeinen die Bundesverwaltung für jene Aktivitäten zuständig, die das gesamte Land betreffen, also beispielsweise für Verteidigung, Raumforschung und Außenpolitik. Die kommunale Verwaltung kümmert sich um die Schulbildung der Kinder, um die Straßenpolizei und die Müllabfuhr. Die einzelnen Bundesstaaten bauen die Autobahnen, betreiben die Universitäten und verwalten die Sozialprogramme. Die gesamten Staatsausgaben der USA und ihre Verteilung nach wichtigen Funktionen auf den verschiedenen Verwaltungsebenen sind
Tabelle 16-1 zu entnehmen. Die Dominanz der Bundesverwaltung ist ein relativ junges Phänomen. Vor Beginn des 20. Jahrhunderts war die Kommunalverwaltung die mit Abstand wichtigste Ebene. Der Staat selbst hatte nicht viel mehr zu tun, als das Militär zu finanzieren, die Zinsen für die Staatsschulden zu bezahlen und einige wenige öffentliche Aufträge zu finanzieren. Der Großteil seiner Steuereinnahmen kam damals aus der Alkohol- und Tabaksteuer und aus Importzöllen. Doch die Kombination zweier kostspieliger Weltkriege und eines Kalten Krieges sowie die Neueinführung von Transferzahlungen wie Sozialversicherung und Medicare-Programm führten zu einer enormen Steigerung der Ausgaben auf Bundesebene. Außerdem erwies sich die im Jahre 1913 eingeführte nationale Einkommensteuer als munter sprudelnde Einnahmequelle, an die die erhobenen Landes- und Kommunalsteuern bei weitem nicht mehr herankommen konnten. Um den haushaltspolitischen Föderalismus zu begründen, verweisen Ökonomen auf die Notwendigkeit, Ausgabenentscheidungen anhand der Spillover-Effekte staatlicher Programme den verschiedenen staatlichen Ebenen zuzuweisen. Im Allgemeinen enga-
Anteil an den staatlichen Gesamtausgaben, 2001 (Mrd. US-$)* Staatliche Funktion Nationale Verteidigung Einkommenssicherung und Arbeitslosigkeit Pensionen und Behindertenprogramme Gesundheit Gefängnisse Bildung Gesamt Gesamte laufende Ausgaben
Bundesebene 100 % 100 % 97 % 52 % 6% 5% 56 % 1.936,4
Staatliche Ebene 0% 0% 3% 44 % 63 % 18 % 20 % 585,1
Lokale Ebene 0% 0% 0% 4% 31 % 77 % 24 % 707,5
*Zahlen ohne Investitionsausgaben; sie bezeichnen die Ausgaben für die wichtigsten Funktionen, nicht ihre Finanzierung.
Tabelle 16-1: Laufende staatliche, bundesstaatliche und lokale Ausgaben in den USA nach wichtigen Funktionen, 2001 Am Anfang der Republik wurden die meisten Ausgaben auf Einzelstaat- und Kommunaler Ebene getätigt. Heutzutage erfolgen über die Hälfte der Ausgaben auf Bundesebene. Beachten Sie, wie unterschiedlich Zuständigkeiten aufgeteilt sind. Quelle: U.S. Bureau of Economic Analysis
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gieren sich die Kommunen für lokale öffentliche Güter, also für Aktivitäten, die hauptsächlich der ansässigen Bevölkerung zugute kommen. Da Bibliotheken von den Bürgern der Stadt benutzt werden und Straßenlaternen die Straßen der Städte erleuchten, werden Entscheidungen über diese Güter auch von der ansässigen Bevölkerung getroffen. Viele Bundesfunktionen betreffen nationale öffentliche Güter, die allen Bewohnern des Landes zugute kommen. So würde beispielsweise eine Impfung gegen AIDS den Einwohnern aller Bundesstaaten nützen, nicht nur jenen, die in der Nähe des Labors leben, in dem die Impfung entwickelt wurde. In ähnlicher Weise wurden die Ölvorräte des gesamten Landes geschützt, als die US-Armee am Persischen Golf in den Krieg zog. Und wie sieht es mit globalen öffentlichen Gütern wie dem Schutz der Ozonschicht oder der Verlangsamung der globalen Erwärmung aus? Hier handelt es sich um internationale öffentliche Güter, weil sie die Grenzen der einzelnen Länder überschreiten. Ein effizientes System des Fiskalföderalismus berücksichtigt, wie der Nutzen aus öffentlichen Programmen über politische Grenzen hinweg spürbar wird. Am effizientesten ist es, die Steuer- und Ausgabenentscheidungen so zu treffen, dass die Nutznießer der Programme die Steuern bezahlen und die Vor- und Nachteile der jeweiligen Maßnahme gegeneinander abwägen können.
Bundesausgaben Betrachten wir nun die verschiedenen Ebenen der Verwaltung in einem Staat. Die Bundesregierung der USA ist das größte Unternehmen der ganzen Welt. Sie kauft mehr Autos und Stahl ein, hat höhere Gehaltskosten und macht mehr Umsatz als jede andere Organisation auf der Welt. Die Zahlen, mit denen wir es bei den staatlichen Finanzen der USA zu tun haben, sind astronomisch hoch – Milliarden und Billionen Dollar. Das Bun-
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desbudget für 2005 wird etwa US-$ 2.400 Milliarden oder US-$ 2,4 Billionen betragen; diese enorme Zahl entspricht etwa US-$ 6.000 pro Kopf der Bevölkerung oder rund 20 Prozent der gesamten nationalen Produktionsleistung (Bruttoinlandsprodukt, BIP). Bundesstaatliche Ausgaben, Haushaltsjahr 2005 Beschreibung
Gesamtaufwendungen oder -ausgaben
Ausgaben (Mrd. US-$)
In % der Gesamtausgaben
2.400
100,0
1. Sozialversicherung
515
21,5
2. Nationale Verteidigung
451
18,8
3. Einkommenssicherung
348
14,5
4. Medizinische Versorgung
294
12,3
5. Nettozinsen
178
7,4
6 Gesundheit
253
10,5
7. Bildung, Ausbildung, Beschäftigung und Sozialdienste
89
3,7
8. Transport
70
2,9
9. Sozial- und Dienstleistungen für Veteranen
57
2,4
10. Justiz
19
0,8
11. Natürliche Ressourcen und Umwelt
31
1,3
12. Landwirtschaft
43
1,8
13. Allgemeine Wissenschaft, Raumfahrt und Technologie
38
1,6
467
Kapitel 16 Steuern und Staatsausgaben
Bundesstaatliche Ausgaben, Haushaltsjahr 2005 Beschreibung
Ausgaben (Mrd. US-$)
In % der Gesamtausgaben
letzten Jahren auf das Konto der „Entitlement programs“, deren Anteil von 28 Prozent im Budget des Jahres 1960 bis auf 60 Prozent im Jahre 2005 gestiegen ist.
14. Internationale Angelegenheiten
38
1,6
Ausgaben der Bundesstaaten und der Kommunen
15. Allgemeine Regierungsaufgaben
17
0,7
Obwohl in erster Linie die Kämpfe um das Bundesbudget Schlagzeilen machen, sorgen die einzelnen Bundesstaaten und Gemeinden für viele der wichtigen Funktionen unserer Wirtschaft. Abbildung 16-3 zeigt, wofür die Bundesstaaten und Gemeinden ihre Gelder ausgeben. Die größte Position ist hier das Schulwesen, weil ein Großteil der Kinder in den USA in Schulen unterrichtet wird, die primär aus den lokalen Budgets finanziert werden. Strebt man an, eine gerechte Aufteilung der Ausbildungsressourcen, die jedem Kind zur Verfügung stehen, zu erreichen, so kann das öffentliche Schulwesen dazu beitragen, die ansonsten bestehende große Ungleichheit der wirtschaftlichen Chancen zu kompensieren.
Tabelle 16-2: Bei den bundesstaatlichen Ausgaben der Vereinigten Staaten dominieren Verteidigungsausgaben und Leistungen, auf die ein gesetzlicher Anspruch besteht (so genannte „Entitlement programs“) Rund ein Fünftel der bundesstaatlichen Ausgaben der USA entfällt auf Verteidigung und kriegsbedingte Pensionen. Mehr als die Hälfte der Ausgaben wird heute für schnell wachsende Transferleistungen aufgewendet – Einkommenssicherung, Renten und Gesundheitsfürsorge. Bitte beachten Sie die geringe Dotierung von Posten 15 – des traditionellen Regierungshaushalts. Quelle: Office of Management and Budget, Budget of the U.S. Government, Haushaltsjahr 2005.
Tabelle 16-2 führt die wichtigsten Kategorien der Bundesausgaben für das Steuerjahr 2005 auf. (Das amerikanische Steuerjahr 2005 beginnt mit dem 1.10.2004 und endet am 30.9.2005.) Die Positionen, die in den letzten beiden Jahrzehnten am raschesten angewachsen sind, sind die so genannten „Entitlement programs“, Sozialprogramme, die jedem, der bestimmte gesetzlich festgelegte Berechtigungskriterien erfüllt, einen Anspruch auf Sozialleistungen oder bestimmte Zahlungen zusichern. Zu den wichtigsten „Entitlements“ gehören die Sozialversicherung (Pensionen, Witwenpensionen und Behindertenversicherung), Gesundheitsprogramme (wie Medicare für die über 65-jährigen und Medicaid für mittellose Familien) und Programme zur Einkommenssicherung (darunter Zahlungen für Lebensmittel und Arbeitslosenversicherung). Im Grunde geht beinahe der gesamte Anstieg der Bundesausgaben in den
Einkommenssicherung Bildung Erholung und Kultur
Gesundheit Wohnungsbau- und Kommunaldienste Wirtschaftliche Angelegenheiten Öffentliche Ordnung und Sicherheit
Einzelstaaten Kommunen
Allgemeiner öffentlicher Dienst 0
100
200
300
400
500
Staatsausgaben (Mrd. US-$)
Abbildung 16-3: Verteilung der Ausgaben auf Einzelstaaten und Kommunen in den USA, 2001 Einzelstaatliche und lokale Programme sorgen für Bildung, die Finanzierung von Krankenhäusern und die Erhaltung der Straßen. Auf Bildung und Gesundheit entfällt ein wachsender Anteil der staatlichen und lokalen Ausgaben. Quelle: Bureau of Economic Analysis, Survey of Current Business, Juni 2003.
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
In den letzten Jahren waren die am schnellsten wachsenden Ausgabenkategorien von Einzelstaaten und Gemeinden die Ausgaben für das Gesundheitswesen und für Gefängnisse. In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die Anzahl der Strafgefangenen in den staatlichen Verwahranstalten verdreifacht. Der Grund dafür ist, dass in den USA ein erbitterter Kampf gegen die Kriminalität geführt wird, bei dem gegen Drogenhändler teilweise höhere Freiheitsstrafen als zuvor verhängt werden. Zugleich waren die Verwaltungen der Bundesstaaten und Kommunen gezwungen, ihren Anteil an den steigenden Kosten des Gesundheitswesens zu übernehmen.
Kulturelle und technologische Auswirkungen Staatliche Programme haben subtile Auswirkungen auf das Land, die über die ausgegebenen Beträge hinausgehen. Die Bundesregierung hat die Landschaft durch die Errichtung des Interstate-Autobahnsystems verändert. Nachdem dieses riesige Netzwerk das Autofahren durch Senkung der Transportkosten viel billiger gemacht hatte, verdrängte es die Eisenbahn und sorgte dafür, dass Güter in den letzten Winkel des Landes gebracht werden konnten. Es beschleunigte auch die Ausbreitung der Städte und der Vorstadtkultur. Die Regierung sorgte dafür, dass sich die Vereinigten Staaten in vielen Bereichen von Wissenschaft und Technologie eine wichtige Rolle eroberten. Die staatliche Unterstützung verlieh der Elektronikindustrie wichtige Impulse. So wurde etwa die Entwicklung des Transistors durch die Bell Labs zum Teil vom amerikanischen Verteidigungsministerium finanziert, das größtes Interesse an einer Verbesserung von Radarsystemen und Kommunikationsanlagen hatte. Die heutigen Computer- und Flugzeugindustrien erlebten in ihren Frühzeiten durch die starke staatliche Unterstützung einen Aufschwung. Das Internet wurde vom Verteidigungsministerium entwickelt, um ein Netzwerk zu schaffen, das
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auch im Fall eines Atomkriegs weiter funktionieren sollte. Der Staat nimmt durch die enorme Höhe seiner Ausgaben auch heute noch enormen Einfluss auf die Entwicklung von Wissenschaft und Technik. In den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden rund die Hälfte aller Forschungs- und Entwicklungsprojekte von der öffentlichen Hand unterstützt. In den letzten Jahren führte die Verdoppelung der Staatsausgaben für das Gesundheitswesen zu einem Boom in der Biotechnologie. Verfolgt man eine erfolgreiche Erfindung bis an ihren Ursprung zurück, stellt man oft fest, dass der Staat die Ausbildung des Erfinders förderte, die universitäre Grundlagenforschung in den Bereichen Biologie oder Physik vorantrieb und schließlich Prototypversionen kaufte. Wirtschaftliche Studien haben ergeben, dass diese Gelder gut angelegt sind, denn die Renditen von Bildung und Forschung schneiden im Vergleich zu jenen anderer Gebiete gut ab.
C. Volkswirtschaftliche Aspekte des Steuerwesens Steuern sind das, was wir für eine zivilisierte Gesellschaft zu bezahlen haben. Justice Oliver Wendell Holmes
Staaten müssen ihre Programme bezahlen: Die Mittel kommen hauptsächlich aus den Steuereinnahmen, und wenn zu wenig Geld da ist, muss es von der Öffentlichkeit geliehen werden. Doch in der Volkswirtschaftslehre ist es unsere Aufgabe, den Schleier der Geldströme zu lüften und dem tatsächlichen Ressourcenstrom nachzuspüren. Was der Staat unbeschadet der Steuereinnahmen tatsächlich benötigt, ist der knappe Boden, die Arbeit und das Kapital der Wirtschaft. Wenn die USA
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Kapitel 16 Steuern und Staatsausgaben
auf dem Balkan Krieg führen, wird im Kongress über die Finanzierung diskutiert. Tatsächlich aber werden die Menschen aus ihren zivilen Berufen abgezogen, transportieren Flugzeuge Truppen anstelle von Touristen, und der Treibstoff wird für Flugzeuge und nicht für Autos verwendet. Wenn der Staat ein Darlehen für biotechnologische Forschungsarbeiten vergibt, bedeutet diese Entscheidung in Wahrheit, dass ein Stück Land, das zur Errichtung eines Bürogebäudes genutzt werden könnte, stattdessen für ein Labor verwendet wird. Mit seinen Steuergesetzen entscheidet der Staat letztlich darüber, wie die benötigten Ressourcen von den Haushalten und Unternehmen für öffentliche Zwecke abgezogen werden können. Die durch die Besteuerung aufgebrachten Gelder sind das Vehikel, mit dem reale Ressourcen von privaten zu öffentlichen Gütern verlagert werden.
Die Steuerprinzipien Äquivalenzprinzip und Leistungsfähigkeitsprinzip Wenn der Staat beschlossen hat, bestimmte Steuerbeträge zu erheben, steht ihm dazu eine verwirrende Vielfalt an Steuern zur Verfügung. Er kann Einkommen, Gewinne oder Umsätze besteuern. Er kann die Reichen oder die Armen, die Alten oder die Jungen besteuern. Gibt es überhaupt Richtlinien, die dabei helfen können, ein gerechtes und effizientes Steuersystem zu entwickeln? Ja, diese Richtlinien gibt es. Ökonomen und politische Philosophen haben zwei Grundprinzipien entwickelt, nach denen ein Steuersystem ausgerichtet sein sollte: • Das Äquivalenzprinzip (oder Nutzenprinzip), dem zufolge der Einzelne je nach der Höhe des Nutzens besteuert werden sollte, den er aus staatlichen Programmen zieht. Ebenso wie die privaten Geldausgaben
der Menschen in einem Verhältnis zu ihrem privaten Konsum stehen, sollten die Steuern, die ein Mensch bezahlt, in einem Verhältnis zu seiner Nutzung kollektiver Güter wie des öffentlichen Straßennetzes oder öffentlicher Parkanlagen stehen. • Das Leistungsfähigkeitsprinzip, wonach sich die Höhe der Besteuerung nach dem Einkommen oder dem Vermögen des Einzelnen richten sollte. Je größer das Vermögen oder das Einkommen, desto höher auch die Steuern. Steuersysteme, die nach dem Prinzip der steuerlichen Leistungsfähigkeit ausgerichtet sind, wirken im Allgemeinen umverteilend, was bedeutet, dass damit Gelder von den höheren Einkommensschichten abgezogen werden, um damit die Einkommen und den Konsum der ärmeren Gesellschaftsgruppen anzuheben. Wurde beispielsweise die Errichtung einer neuen Brücke durch eine Mautgebühr für das Befahren der Brücke finanziert, so wurde hier nach dem Äquivalenzprinzip vorgegangen, weil man ja nur dann für die Brücke zu bezahlen braucht, wenn man sie auch benutzt. Wurde dieselbe Brücke jedoch aus der Einkommensteuer finanziert, haben wir es mit einem Beispiel für die Anwendung des Leistungsfähigkeitsprinzips zu tun.
Horizontale und vertikale Steuergerechtigkeit Die meisten modernen Steuersysteme, gleich ob sie nach dem Äquivalenz- oder nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip ausgerichtet sind, versuchen unsere heutigen Ansichten über Gerechtigkeit und Angemessenheit zu berücksichtigen. Eines der zu beachtenden Grundprinzipien ist jenes der horizontalen Gerechtigkeit, das besagt, dass weitgehend gleichgestellte Bürger auch gleich besteuert werden sollten. Die Ansicht, dass Gleiches auch gleich behandelt werden sollte, ist in der politischen Philosophie des Westens tief verankert.
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Wenn zwei Menschen mit Ausnahme der Augenfarbe gleich sind, so verlangen alle Prinzipien der Besteuerung, dass sie gleich hoch besteuert werden. Im Falle einer Besteuerung nach dem Äquivalenzprinzip besagt das Prinzip der horizontalen Gerechtigkeit, dass wir dann gleich viel an Steuern bezahlen sollten, wenn wir genau dieselben Dienste in Form von Autobahnen oder Parks in Anspruch nehmen. Folgt die Besteuerung dem Prinzip der steuerlichen Leistungsfähigkeit, so sollten Leute, die über gleich hohe Einkommen verfügen, auch Steuern in gleicher Höhe bezahlen. Ein nicht ganz so unumstrittenes Prinzip ist jenes der vertikalen Gerechtigkeit, das sich mit der Besteuerung von Menschen mit unterschiedlicher Einkommenshöhe beschäftigt. Abstrakte philosophische Prinzipien bieten hier bei der Lösung der Gerechtigkeitsfrage kaum eine Hilfestellung. Stellen Sie sich vor, A und B wären in jeder Hinsicht gleich, nur hätte B zehnmal soviel Besitz und Einkommen wie A. Bedeutet das, dass B dem Staat für seine Dienstleistungen, beispielsweise für die Arbeit der Polizei, den gleichen absoluten Steuerbetrag zu bezahlen hat wie A? Oder sollte B denselben Prozentsatz seines Einkommens als Steuerleistung abliefern müssen? Vielleicht wäre es ja nur recht und billig, dass B einen höheren Prozentsatz seines Einkommens in Form von Steuern an den Staat abliefert, weil die Polizei ja stärker damit beschäftigt ist, das Eigentum der Reichen zu schützen? Seien Sie gewarnt! Die Steuerstruktur eines Landes wird nicht von allgemeinen und abstrakten Prinzipien bestimmt. Als Ronald Reagan seine Kampagne für Steuersenkungen führte, tat er das, weil er meinte, hohe Steuern seien ungerecht gegenüber jenen, die hart gearbeitet und Ersparnisse für die Zukunft angelegt hätten. Doch zehn Jahre nach Reagan kam Clinton und sagte: „Unser Steuersystem ist heute gerecht, weil 80 Prozent der zusätzlichen Steuerbelastung von jenen getragen werden, die mehr als US-$ 200.000 pro Jahr verdienen.“ Gerechtigkeit ist nun einmal kein objektiver Maßstab.
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Das Prinzip der horizontalen Gerechtigkeit besagt, dass Gleiche gleich behandelt werden sollten. Der vertikalen Gerechtigkeit zufolge sollten Menschen mit ungleichen Lebensumständen nicht gleich, aber gerecht behandelt werden. Es gibt aber keine Übereinstimmung darüber, wie eine vertikale Gerechtigkeit in der Realität aussehen sollte.
Pragmatische Kompromisse im Steuersystem Wie haben die Gesellschaften diese heiklen philosophischen Fragen in der Praxis gelöst? Im Allgemeinen entscheiden sich Staaten für pragmatische Lösungen, die sich nur teilweise am Äquivalenz- oder am Leistungsfähigkeitsprinzip orientieren. Die politischen Vertreter wissen, dass Steuern im höchsten Maße unpopulär sind. Immerhin hat unter anderem auch der Slogan „Keine Besteuerung ohne Vertretung!“ die amerikanische Revolution ausgelöst. Die modernen Steuersysteme stellen einen komplizierten Kompromiss zwischen hehren Prinzipien und politischem Pragmatismus dar. Wie schrieb doch gleich der bauernschlaue französische Finanzminister Colbert schon vor 300 Jahren? „Steuern zu erheben ist wie das Rupfen einer Gans. Man möchte natürlich die größtmögliche Anzahl an Federn, aber bei minimalem Aufheben.“ Nun, welche Praktiken haben sich herausgebildet? Oft kommen öffentliche Dienstleistungen in erster Linie klar erkennbaren Gruppen zugute, und es besteht kein Grund, diese Gruppen aufgrund ihres Einkommens oder anderer Merkmale zu begünstigen oder zu benachteiligen. In solchen Fällen greifen moderne Staaten im Allgemeinen auf eine Besteuerung nach dem Äquivalenzprinzip durch gebührenartige Abgaben zurück. So werden Gemeindestraßen in den USA im Allgemeinen von den Bewohnern der betreffenden Gemeinde bezahlt. Für Wasser und Abfallbeseitigung, die wie private Güter behandelt werden, werden „Gebühren“ erhoben. Benzinsteuern können für die Errich-
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Kapitel 16 Steuern und Staatsausgaben
Progressive und regressive Besteuerung. Gebühren nach dem Äquivalenzprinzip gehen im Rahmen der staatlichen Gesamteinnahmen anteilsmäßig zurück. Ausgereifte politische Systeme stützen sich heute vermehrt auf progressive Einkommenssteuern. Bei einer progressiven Besteuerung bezahlt eine Familie mit einem Jahreseinkommen von US-$ 50.000 höhere Steuern als eine Familie mit einem Einkommen von US-$ 20.000. Einkommensstärkere Familien bezahlen nicht nur einen absolut höheren Betrag, sondern auch einen höheren Anteil ihres Einkommens an Steuern. Diese progressive Besteuerung steht im Gegensatz zur streng proportionalen Besteuerung, nach der alle Steuerzahler genau denselben Prozentsatz ihres Einkommens abzuliefern haben. Eine regressive Besteuerung verlangt von armen Familien einen höheren Einkommensprozentsatz als von den reichen. Ein Steuersystem wird als proportional, progressiv oder regressiv bezeichnet, je nachdem, ob von Steuerpflichtigen mit hohem Einkommen derselbe, ein höherer oder ein geringerer Einkommensprozentsatz erhoben wird als von Beziehern niedriger Einkommen.2 Die verschiedenen Arten der Besteuerung werden in Abbildung 16-4 dargestellt. Einige Beispiele: Eine abgestufte Einkommenssteuer, bei der jedes zusätzlich bezogene Einkommen mit einem immer höheren Steuersatz belegt wird, bezeichnet man als progressiv. Ökonomen haben zum Beispiel festgestellt, dass die Zigarettensteuer eine regressive Steuer ist. Der Grund liegt darin, dass die Zahl der gekauften Zigaretten weniger schnell ansteigt als das Einkommen. So haben Studien ergeben, dass die Einkommenselastizität des Zigarettenkonsums bei ca. 0,6 2 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Begriffe „progressiv“ und „regressiv“ rein wirtschaftswissenschaftliche Termini sind, die sich auf den Anteil der Steuerbelastung in Bezug auf unterschiedliche Einkommenshöhen beziehen.
T/Y Steueranteil am Einkommen (in %)
tung und Erhaltung von Straßen verwendet oder „zweckbestimmt“ werden.
Progressive Steuern
Proportionalsteuer
Regressive Steuer
Einkommen
Y
Abbildung 16-4: Progressive, proportionale und regressive Steuern Steuern sind progressiv, wenn die Steuerpflichtigen bei steigendem Einkommen einen immer größeren Teil ihrer Einkünfte abliefern müssen; sie sind proportional, wenn sie einen konstanten Teil des Einkommens ausmachen; und sie sind regressiv, wenn sie einkommensschwache Familien stärker belasten als Familien mit hohem Einkommen.
liegt. Das bedeutet, dass eine zehnprozentige Einkommenssteigerung zu Mehrausgaben für Zigaretten und damit zu zusätzlichen Zigarettensteuern von 6 Prozent führt. Demnach entrichten einkommensstarke Gruppen einen niedrigeren Prozentsatz an Zigarettensteuern als jene mit geringem Einkommen. Direkte und indirekte Steuern. Steuern werden in direkte und indirekte Steuern untergliedert. Indirekte Steuern sind jene, die auf Güter und Dienstleistungen erhoben werden und sich daher auf den Einzelnen nur „indirekt“ auswirken. Beispiele für indirekte Steuern sind Verbrauchs- und Umsatzsteuern, Zigaretten- und Benzinsteuern, Importzölle und Grundsteuern. Im Gegensatz dazu werden direkte Steuern direkt von Einzelpersonen oder Unternehmen erhoben. Beispiele für direkte Steuern sind die Einkommenssteuer, die Sozialversicherungsbeiträge oder andere auf den Arbeitslohn erhobene Steuern sowie die Erbschafts- und Schenkungsteuer. Direkte Steuern haben den Vorteil, sich leichter an persönliche Gegebenheiten anpassen zu lassen, etwa auf die Familiengröße, Ein-
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
kommen, Alter und ganz allgemein auf die steuerliche Leistungsfähigkeit. Indirekte Steuern hingegen haben den Vorteil, kostengünstiger und problemloser in der Erhebung zu sein, weil sie auf der Ebene des Einzeloder Großhandels abgeschöpft werden.
Bundessteuern Versuchen wir doch einmal nachzuvollziehen, nach welchen Prinzipien das bundesweite Steuersystem organisiert ist. Tabelle 16-3 vermittelt einen Überblick über die wichtigsten Bundessteuern in den USA und gibt an, ob sie progressiv, proportional oder regressiv sind. Bundesstaatliche Steuereinnahmen (USA), Haushaltsjahr 2002 Einnahmen (in % der Gesamteinnahmen) Progressiv: Individuelle Einkommenssteuer 43,1 Grund- und Schenkungs3,6 steuern Körperschaftssteuer 8,1 Proportional: Sozialversicherungsbeiträge 37,9 Regressiv: Verbrauchsteuern 4,6 Sonstige Steuern und 2,7 Einnahmen Gesamt 100,0 % Tabelle 16-3: Einkommenssteuern und Sozialversicherungsbeiträge sind die wichtigsten Steuerquellen für die Bundesregierung der Vereinigten Staaten Progressive Steuern sind weiterhin die wichtigste Quelle bundesstaatlicher Einnahmen in den USA, aber die proportionalen Sozialversicherungsbeiträge schließen schnell auf. Die regressiven Konsumsteuern sind auf bundesstaatlicher Ebene stark zurückgegangen. Quelle: Office of Management and Budget, Budget of the U.S. Government, Haushaltsjahr 2005
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Die Einkommenssteuer Wir beginnen mit der individuellen Einkommenssteuer, dem komplexesten und umstrittensten Teil des Steuersystems. Die Einkommenssteuer ist eine direkte Steuer, und sie ist diejenige, in der das Prinzip der steuerlichen Leistungsfähigkeit am deutlichsten zur Anwendung kommt. Die Einkommenssteuer wurde zu einem späten Zeitpunkt in der Geschichte der USA eingeführt. Die Verfassung verbot alle direkten Steuern, die nicht nach einem Bevölkerungsschlüssel auf die Staaten aufgeteilt waren. Das änderte sich im Jahre 1913, als der 16. Zusatz zur Verfassung beschlossen wurde, der vorsah, dass der „Kongress das Recht erhält, Steuern auf Einkommen unabhängig von ihrer Quelle festzulegen und einzuziehen“. Wie funktioniert die bundesweite Einkommenssteuer? Das Prinzip ist einfach, die Form jedoch ziemlich kompliziert. Die Berechnung der Einkommenssteuer beginnt mit der Erfassung der Höhe des Einkommens; von diesem werden bestimmte Ausgaben, Abzugsposten und Steuerfreibeträge abgezogen und so das steuerpflichtige Einkommen ermittelt. Die Steuer selbst wird dann anhand dieses steuerpflichtigen Einkommens errechnet. Tabelle 16-4 zeigt eine Berechnung der Einkommenssteuern einer vierköpfigen Familie bei unterschiedlicher Einkommenshöhe. Spalte (1) zeigt verschiedene Höhen des berichtigten Bruttoeinkommens – das heißt Löhne, Zinsen, Dividenden und andere Einkommen, die dem betreffenden Haushalt zufließen. Unter der Annahme, dass unser Haushalt vier Personen umfasst und bestimmte Abzugsposten geltend machen kann, zeigt Spalte (2) die zu entrichtende Steuer. Bitte beachten Sie, dass die Steuer für Einkommensgruppen von US-$ 5.000, US-$ 10.000 und US-$ 20.000 wegen der Steuergutschrift für Arbeitseinkommen (earned-income tax credit) negativ ist; in dieser Einkommenskategorie transferiert der Staat Gelder an einkommensschwache Familien.
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Kapitel 16 Steuern und Staatsausgaben
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Berichtigtes Bruttoeinkommen (vor Freibeträgen und Abzugsposten) (US-$)
Individuelle Einkommenssteuer
Durchschnittssteuersatz
Grenzsteuersatz (= Steuer auf zusätzliche Einnahmen)
Verfügbares Einkommen
(US-$)
(%)
(%)
(US-$)
(3) = [(2) : (1)] 100
(5) = (1) – (2)
5.000
– 2.010
– 40
– 40
7.010
10.000
– 4.010
– 40
– 40
14.010
20.000
– 2.878
– 14
21
22.878
50.000
3.184
6
15
45.646
100.000
12.097
12
27
85.700
200.000
34.909
17
30
122.700
500.000
123.006
25
39
189.100
1.000.000
278.084
28
39
699.663
10.000.000
3.057.284
31
39
6.741.543
Tabelle 16-4: Bundeseinkommensteuerlast einer vierköpfigen US-Familie, 2002 Die Tabelle stellt Einkommen, Steuern und Steuersätze einer repräsentativen vierköpfigen US-Familie im Jahr 2002 dar. Dank der Steuergutschrift für Arbeitseinkommen (earned-income tax credit) erhalten einkommensschwache Arbeitnehmer eine Steuervergütung – eine „negative Einkommensteuer“ – auf ihre Gehälter. Die Grenzsteuersätze sind anfangs negativ. Bei einem Einkommen von ca. US-$ 11.000 liegt der Grenzsteuersatz bei null, bei Spitzenverdienern erreicht er fast 40 Prozent. Da die Einkommensteuer progressiv ist, sind die durchschnittlichen oder effektiven Steuersätze immer niedriger als die Grenzsteuersätze. Quelle: Abgeleitet vom Computer-Steuerprogramm TurboTax. Die Tabelle unterstellt, dass die Abzüge das jeweils Höhere des Standardabzugs oder von 20 Prozent des Einkommens sind.
Spalte (3) zeigt den effektiven oder durchschnittlichen Steuersatz, der der gesamten Steuerlast dividiert durch das Gesamteinkommen entspricht. Aus dieser Berechnung können wir ersehen, wie progressiv die Einkommenssteuer tatsächlich ist. Eine Familie mit einem Einkommen von US-$ 50.000 jährlich hat eine relativ schwerere Steuerbürde zu tragen als eine Familie, die nur US-$ 20.000 jährlich verdient – Erstere bezahlt Steuern in Höhe von 9 Prozent ihres Einkommens, während für die zweite ein negativer Steuersatz von minus 2 Prozent gilt. Jemand, der jährlich US-$ 1 Million verdient, fällt in eine noch höhere Steuerkategorie. Spalte (4) führt einen neuen wichtigen Begriff ein. Der Grenzsteuersatz ist jene zu-
sätzliche Steuer, die pro Geldeinheit zusätzlichen Einkommens zu bezahlen ist. Wir sind dem Ausdruck „Grenz-“ bereits begegnet und wissen, dass er immer „zusätzlich“ bedeutet. Wenn Sie für US-$ 100 zusätzlichen Einkommens jeweils US-$ 30 an zusätzlichen Steuern bezahlen müssen, beträgt Ihr Grenzsteuersatz 30 Prozent. Nach den derzeitigen gesetzlichen Bestimmungen in den USA beträgt der Grenzsteuersatz für mittellose Familien minus 40 Prozent und steigt für die niedrigste Steuerklasse mit positivem Steuersatz auf 15 Prozent. Der Grenzsteuersatz ist ein wichtiges Werkzeug der Steueranalyse, da Menschen und Unternehmen meist auf ihre Grenzsteuersätze und nicht auf ihre durchschnittlichen Steuersätze reagieren. Extrem
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
hohe Grenzsteuersätze dämpfen überdies die Anreize und damit oft die Motivation.
Teil 4
Abbildung 16-5 zeigt die Geschichte der höchsten Grenzsteuersätze in den USA. Der Begriff des Grenzsteuersatzes ist in der modernen Volkswirtschaftslehre überaus wichtig. Denken Sie an das „Marginalprinzip“: Die Menschen sollen nur auf die zusätzlichen Kosten oder den zusätzlichen Nutzen achten; sie sollten sich an die Devise „Was vorbei ist, ist vorbei“ halten. Nach diesem Prinzip sind die wichtigsten Auswirkungen einer Steuer auf die Anreize durch den Grenzsteuersatz bestimmt. Der Grenzsteuersatz wurde zum intellektuellen Brennpunkt der „angebotsorientierten Wirtschaftspolitik“. Spalte (5) zeigt die Höhe der verfügbaren Einkommen nach Steuern. Bitte beachten Sie, dass sich höhere Einkommen in jedem Fall lohnen: Selbst wenn ein Rockstar eine weitere Million US-Dollar verdient, verbleiben ihm immer noch US-$ 610.000 an verfügbarem Einkommen [= US-$ 1.000.000 – (39% US-$ 1.000.000)].
Der Grenzsteuersatz ist ein zentrales Konzept der Steueranalyse. Er bezieht sich auf die pro zusätzlicher Einkommenseinheit zusätzlich bezahlte Steuer und ist besonders wichtig, um die Anreizwirkung der Besteuerung zu verstehen. Bei Einkommen über US-$ 250.000 beträgt der Grenzsteuersatz für die Bundeseinkommensteuer ca. 39 Prozent. Wenn Sie in New York City leben, müssen Sie zusätzlich 8 Prozent für den Bundesstaat und die Stadt und 2,9 Prozent an Sozialversicherungsbeiträgen bezahlen, was einem Gesamtgrenzsteuersatz von beinahe 50 Prozent auf Arbeitseinkommen entspricht. Dieser Satz mag Ihnen hoch erscheinen, er liegt jedoch weit unter jenem von 94 Prozent während des Zweiten Weltkrieges.
Angebotsorientierte Wirtschaftspolitik
90
60 50 40 30 20 10 0 1900
1920
1940
Steueraufschlag aufgrund des Vietnamkriegs
Zweiter Weltkrieg
70
Steuersenkungen der Kennedy-Regierung
80
Erster Weltkrieg
Höchster Grenzsteuersatz (in %)
100
1960
1980
2000
Jahr
Abbildung 16-5: Die Geschichte des höchsten Grenzsteuersatzes der USA Der Grenzsteuersatz ist jene zusätzliche Steuer, die pro Einheit an zusätzlichem Einkommen zu entrichten ist. Der Grenzsteuersatz auf individuelle Einkommen erreichte im Zweiten Weltkrieg den Spitzenwert von 94 Prozent. In der Zeit der Reagan-Administration ging er auf 28 Prozent zurück, in den Clinton-Jahren wurde er auf 39 Prozent erhöht und mit dem Wirtschaftspaket der Bush-Administration wieder auf 35 Prozent gedrückt. Quelle: US-Finanzministerium
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Kapitel 16 Steuern und Staatsausgaben
Radikale Steuerreform: Die Einheitssteuer Die individuelle Einkommenssteuer ist ein kraftvoller Motor zur Erhöhung der Staatseinnahmen. In dem Jahrhundert seit ihrer Einführung ist sie jedoch ungeheuer komplex geworden. Außerdem ist sie voller Schlupflöcher oder „Steuerbegünstigungen“, die bestimmte Einkommensformen oder Ausgaben und sogar einzelne Gruppen von Steuerzahlern bevorzugen. So können Ausgaben für Hypotheken und medizinische Betreuung vom Einkommen abgesetzt werden, womit diese im Endeffekt subventioniert werden. Viele Ökonomen fordern seit langem ein gradlinigeres Steuersystem – eines, das die Steuerbemessungsgrundlage verbreitert und die Einnahmen erhöht, indem es unnötige Steuererleichterungen abschafft und so Spielraum für eine Absenkung der Grenzsteuersätze schafft. Einer der radikalsten und innovativsten Vorschläge für eine grundlegende Steuerreform ist die so genannte Einheitssteuer (flat tax), eine Steuer, die im Detail von den beiden Stanford-Professoren Robert Hall und Alvin Rabushka3 entwickelt wurde. Ihr Vorschlag sieht die folgenden wesentlichen Merkmale vor (ein Beispiel ist in Übung 9 am Ende dieses Kapitels zu finden): • Besteuert wird nicht das Einkommen, sondern der Konsum. Wie wir weiter hinten in diesem Kapitel sehen werden, verstärkt die Besteuerung des Konsums den Anreiz zu sparen, sodass die sinkende nationale Sparrate dadurch möglicherweise erhöht werden kann. • Die Einheitssteuer fasst die Körperschaftssteuer mit der individuellen Einkommenssteuer zusammen. Dadurch entfällt eine der stärksten Verzerrungen im Steuerrecht der USA. • Sie eliminiert praktisch alle Schlupflöcher und Steuerbegünstigungen. Subventionen für medizinische Betreuung, Eigenheime und Spenden für wohltätige Zwecke entfallen. • Pro Familie wird ein Abzug von ca. US-$ 20.000 gewährt.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Einheitssteuer wären weitreichend. Die meisten Steuerberater würden arbeitslos. Stark besteuerte Einheiten wie Unternehmen würden sich über eine Senkung ihrer Steuerbelastung freuen und einen erheblichen Kapitalzuwachs verzeichnen. Der Steuersatz für Spitzenverdiener würde halbiert. Gleichzeitig würde die Zahl der Eigenheimbesitzer sinken, die medizinischen Ausgaben würden schrumpfen, und Spenden für wohltätige Zwecke würden stark zurückgehen. Hall und Rabushka schätzen, dass ihr Plan den Pro-Kopf-Output innerhalb eines Jahrzehnts um fast US-$ 3.000 erhöhen würde. Kritiker des Plans weisen darauf hin, dass er zu einer wesentlichen Umverteilung des Einkommens hin zu Spitzenverdienern führen würde – und zwar auf Kosten der Haushalte mit mittlerem und niedrigem Einkommen. Die Verlierer würden sich fragen, womit die Reichen, die bereits in den achtziger und neunziger Jahren eine massive Erhöhung ihres Wohlstands verzeichnen konnten, diesen erneuten unverhofften Segen verdient hätten. Wir sehen hier ein weiteres Beispiel der Abwägung zwischen Gerechtigkeit und Effizienz, die den meisten kontroversen wirtschaftspolitischen Diskussionen gemein ist.
Sozialversicherungsbeiträge Heute gilt der 1935 verabschiedete Social Security Act für praktisch alle Wirtschaftszweige der USA. Die Arbeitnehmer erhalten somit Rentenzahlungen, deren Höhe von den Einkünften und Sozialversicherungsabgaben während ihrer aktiven Zeit abhängen. Die US-Sozialversicherung finanziert aber auch ein Unterstützungsprogramm für arbeitsunfähige Arbeitnehmer sowie die Krankenversicherung der ärmeren und älteren Bevölkerungsschichten. 3 Damit alle diese Sozialleistungen bezahlt werden können, müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Sozialversicherungsbeiträge leis3 The Flat Tax, 2. Aufl. (Hoover Institute Press, Palo Alto, Calif., 1995).
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ten. Im Jahre 2003 lagen diese Beiträge bis zu einer jährlichen Einkommensgrenze von US$ 57.600 bei insgesamt 15,3 Prozent des gesamten Arbeitseinkommens, während Einkommensklassen über US-$ 87.600 noch um 2,9 Prozent mehr zu entrichten hatten. Diese Beitragsbelastung ist zu gleichen Teilen auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt. Tabelle 16-3 zeigt die Sozialversicherungsbeiträge als Proportionalsteuer, weil sie einen fixen Prozentsatz der Arbeitseinkommen abschöpfen. Sie haben allerdings auch regressive Merkmale, weil Einkommen aus Vermögen ausgenommen bleiben und weil sie bei niedrigen Einkommen relativ höher ausfallen als bei höheren Einkommen. Die Sozialversicherungsbeiträge sind unter allen Bundeseinnahmen am raschesten gestiegen, nämlich von null Prozent der staatlichen Einnahmen im Jahre 1929 auf 18 Prozent im Jahre 1960 und schließlich auf 38 Prozent im Jahr 2003.
Körperschaftssteuern Der Staat erhebt verschiedenste andere Steuern, von denen einige in Tabelle 16-3 beschrieben sind. Die Körperschaftssteuer wird auf die Gewinne von Unternehmen erhoben; der Körperschaftssteuersatz betrug 2003 35 Prozent vom Unternehmensgewinn. Viele Ökonomen kritisieren die Körperschaftssteuer vehement. Sie sprechen sich gegen diese Steuer aus, indem sie argumentieren, dass Unternehmen nur juristische Fiktion seien und als solche nicht besteuert werden sollten. Indem zuerst die Unternehmensgewinne und dann auch noch die von den Unternehmen an Einzelpersonen ausbezahlten Dividenden besteuert würden, ergebe sich eine Doppelbesteuerung der Unternehmen. Dieses Argument wurde von der George W. Bush Regierung unterstützt, die im Jahre 2003 vorschlug, die Steuer auf Dividenden auf individueller Ebene abzuschaffen. Der Kongress setzte einen Teil dieser Forderung um, indem er die Höchststeuer auf Dividenden auf 15 Prozent senkte (vergli-
Teil 4
chen mit maximal 35 Prozent auf normale Einkommen im Jahre 2003).
Verbrauchssteuern Während sich die USA stark auf die Einkommenssteuer stützen, haben die Verbrauchssteuern ihren Ursprung in einem völlig anderen Ansatz: Sie besteuern anstelle des Einkommens den Kauf von Gütern und Dienstleistungen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Menschen für das bestraft werden sollten, was sie verbrauchen, und nicht für das, was sie produzieren. Die Umsatzsteuer ist das bekannteste Beispiel einer Verbrauchssteuer. In den USA wird zwar keine Bundesumsatzsteuer erhoben, es gibt aber verschiedene Bundesverbrauchssteuern auf bestimmte Güter wie Zigaretten, Alkohol und Benzin. Umsatz- und Verbrauchssteuern wirken im Allgemeinen regressiv, weil sie armen Familien einen größeren Teil ihres Einkommens entziehen als Familien mit hohem Einkommen. Viele argumentieren, dass die USA verstärkt auf Umsatz- oder Verbrauchssteuern setzen sollten. Eine Steuer, die außerhalb der Vereinigten Staaten häufig eingesetzt wird, ist die Mehrwertsteuer. Sie ist eine Art Umsatzsteuer, die jedoch in jedem Produktionsstadium anfällt. Wenn also auf Brot Mehrwertsteuer erhoben würde, würde sie vom Bauern für die Weizenproduktion, von der Mühle für die Mehlproduktion, vom Bäcker für die Teigproduktion und vom Händler für den Verkauf erhoben. Die Befürworter von Verbrauchssteuern argumentieren, dass das Land derzeit weniger spart und investiert, als dies für die Bedürfnisse der Zukunft notwendig wäre. Sie meinen, dass die nationale Sparrate steigen würde, wenn Einkommenssteuern durch Verbrauchssteuern ersetzt würden. Kritiker von Verbrauchssteuern stört an diesem Vorschlag, dass eine solche Änderung wegen der regressiveren Wirkung der Verbrauchssteuern alles andere als wünschenswert wäre. Die bereits besprochene Einheitssteuer entspricht letztlich einem stark vereinfachten
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System einer persönlichen Verbrauchssteuer. Bei diesem Ansatz würden alle Grenzsteuersätze einheitlich niedrig (mit rund 20 Prozent) festgelegt werden. Die meisten Abzugsposten und steuerbefreiten Sozialleistungen wie zum Beispiel die Krankenversicherung und Zinsen auf Hypotheken würden gestrichen (siehe Übung 9).
Einzelstaat- und Kommunalsteuern Im amerikanischen föderalistischen Steuersystem stützen sich die Verwaltungen der Bundesstaaten und die Kommunen auf ein völlig anderes Steuersystem als der Bund. Abbildung 16-6 zeigt die wichtigsten Einnahmequellen der Bundesstaaten und Kommunen.
Vermögenssteuer Vermögenssteuer wird vor allem auf Immobilien – Grund und Boden – sowie auf Gebäude erhoben. Jede Kommune setzt einen jährlichen Steuersatz fest, der auf einem Schätzwert von Transfers von anderen Regierungsebenen Umsatz- und andere indirekte Steuern Individuelle Einkommenssteuer Vermögenssteuer Einzelstaaten Kommunen
Körperschaftssteuer Sozialversicherungssteuer 0
100 200 300 400 500 600 700 Staatliche Einnahmen (Mrd. US-$)
Abbildung 16-6: Einzelstaaten und Kommunen stützen sich auf Transfers und indirekte Steuern Kommunen stützen sich stark auf Grundsteuern, da Häuser und Grundstücke nicht so einfach in die nächste Stadt flüchten können, um der Besteuerung zu entgehen. Die Einzelstaaten erzielen die höchsten Einnahmen aus Umsatz- und Einkommenssteuern. Quelle: Bureau of Economic Analysis, Survey of Current Business, Juni 2003.
Grund und Boden und Bauten beruht. In vielen Kommunen liegt dieser geschätzte Wert weit unter dem tatsächlichen Marktwert. Aus der Vermögenssteuer werden etwa 30 Prozent der gesamten bundesstaatlichen und Kommunaleinnahmen bestritten. Abbildung 16-6 zeigt, dass die Kommunen die Hauptbegünstigten der Vermögenssteuer sind. Da etwa ein Viertel der Vermögenswerte in Grund und Boden bestehen, weist die Vermögenssteuer Elemente einer Kapitalsteuer und Elemente einer Grundsteuer nach der Theorie von Henry George auf. Ökonomen meinen, dass die Grundstückskomponente der Vermögenssteuer wenig verzerrend wirkt, während die Kapitalkomponente die Investitionen von den großen Städten, in denen die Steuersätze hoch sind, in die Vorstädte treibt, wo die Steuern niedriger sind. Unabhängig von den Ansichten der Ökonomen entwickelte sich eine heftige Kontroverse um die Vermögenssteuer, als in den siebziger Jahren ein Bauboom ausbrach und die Schätzwerte von Immobilien, und in der Folge auch die zugehörigen Steuern, förmlich explodierten. Überall im Land kam es zu Protesten der Steuerzahler. Die Wähler von Massachusetts setzten die so genannte „Proposition 21/2“ durch, durch die die Steuer auf 2,5 Prozent des Marktwertes begrenzt wurde. Heute gibt es beinahe in der Hälfte aller amerikanischen Bundesstaaten Höchstgrenzen für Vermögens- und andere Steuern. Dadurch wird verhindert, dass die bundesstaatlichen und Kommunalsteuern weiterhin so rasch ansteigen, wie das in den siebziger Jahren der Fall war. In Rezessionszeiten führen diese Steuerobergrenzen in Städten und Bundesstaaten der USA manchmal zu ernsten Finanzkrisen; der Verwaltung geht das Steuergeld aus, und diverse Dienstleistungen müssen eingestellt werden.
Sonstige Steuern Viele andere einzelstaatliche Steuern sind eng mit den entsprechenden Bundessteuern verwandt. Die amerikanischen Bundesstaa-
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
ten beziehen den Großteil ihrer Einnahmen aus den allgemeinen Umsatzsteuern auf Güter und Dienstleistungen. Auf jeden Einkauf oder jedes Essen im Restaurant wird eine anteilige Steuer aufgeschlagen (in manchen Bundesstaaten sind Lebensmittel und andere lebensnotwendige Güter von der Umsatzsteuer ausgenommen). Die Staaten besteuern die Nettoeinkommen von Unternehmen. Fünfundvierzig amerikanische Bundesstaaten ahmen einfach den Bund nach, wenn auch in bescheidenerem Rahmen, und besteuern den Einzelnen nach der Höhe seines Einkommens. Doch es gibt auch noch andere Steuereinnahmen. Viele Bundesstaaten erheben eine „Autobahn-Benutzungssteuer“ auf Benzin. Eine wachsende Einnahmequelle sind Lotterien und das legale Glücksspiel. Hier profitieren die Staaten, indem sie den Menschen Anreize bieten, sich selbst ärmer zu machen.
Steuern und Effizienz Steuern wirken sich sowohl auf die wirtschaftliche Effizienz als auch auf die Einkommensverteilung aus. In den letzten Jahren, als Ökonomen wie Politiker darüber nachzudenken begannen, inwieweit wirtschaftliche Anreize das Verhalten von Einzelpersonen und Unternehmen beeinflussen, beschäftigte sich die Steuerpolitik vorrangig mit den Auswirkungen auf die Effizienz. In der Steuerpolitik geht es in erster Linie darum, wie die Steuerzahler auf die verschiedenen Höhen des Grenzsteuersatzes reagieren. Eine wichtige politische Bewegung war der Aufstieg der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Diese makroökonomische Politik, eingeführt vom republikanischen Präsidenten Ronald Reagan, setzte anstelle von Eingriffen in den Konjunkturzyklus auf ein langfristiges Wirtschaftswachstum; sie beinhaltete eine Budgetpolitik, die vor allem den Verteidigungsetat aufstockte, zivile Programme beschnitt und sich kaum um Budgetdefizi-
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te kümmerte; und sie zeichnete sich durch ein Programm zur Rücknahme staatlicher Regulierungsmaßnahmen, vor allem in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit und Umwelt aus; ihre Hauptsäulen waren eine Senkung der Steuersätze und der Steuerbelastungen. Die wichtigsten Meilensteine dieser Periode waren die Steuerreformen der Jahre 1981 und 1986, die die Grenzsteuersätze dramatisch senkten, die Steuerbemessungsgrundlage verbreiterten und das gesamte System der Einkommenssteuer von Grund auf neu regelten. Die Steuerprogramme dieser Zeit führten auch zu einem erheblichen Anstieg des Budgetdefizits und zu Staatsschulden, die im Vergleich zur nationalen Produktionsleistung stark anstiegen. Welchen Einfluss haben hohe Steuersätze auf das wirtschaftliche Verhalten? Im Bereich des Arbeitsangebots sind die Auswirkungen gemischt. Schon in Kapitel 13 haben wir gesehen, dass der Einfluss der Steuersätze auf die tatsächliche Arbeitszeit unklar bleibt, weil Einkommens- und Substitutionseffekt diametral entgegengesetzt wirken. Infolge progressiver Steuern entscheiden sich einzelne Steuerzahler für mehr Freizeit anstatt für mehr Arbeit. Andere arbeiten in dieser Situation vielleicht umso härter, um ihre erste Million zu verdienen. Viele gut bezahlte Ärzte, Künstler, Stars und Geschäftsleute, die Freude an ihrer Arbeit haben, aber auch an dem Gefühl der Macht oder des Erfolgs, das sie mit sich bringt, arbeiten für US-$ 800.000 nach Steuern genauso hart wie für US-$ 1.000.000 nach Steuern. Dazu kommt, dass eine hohe Besteuerung von Alles-oder-nichts-Aktivitäten dazu beitragen kann, dass sich das Angebot an viel versprechenden Talenten in diesen überlaufenen Bereichen verringert. Abbildung 16-7 zeigt, welche Auswirkungen eine Anhebung der Besteuerung der Arbeit auf das Arbeitsangebot hat. Bitte beachten Sie das Paradoxon, dass die Arbeitsbereitschaft nach einer Steuersenkung sogar abnehmen kann, wenn die Arbeitsangebotskurve rückwärts gekrümmt ist.
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Kapitel 16 Steuern und Staatsausgaben
Wb
der Steuern über Sektoren hinweg wie in der Existenz hoher Steuern.4
Sa Sb
Bruttolohn (pro Stunde)
B
Effizienz versus Verteilungsgerechtigkeit
B DB
N N
DN
Arbeitsstunden
L
Abbildung 16-7: Die Reaktion der Arbeit auf die Besteuerung hängt von der Form der Angebotskurve ab Angebot und Nachfrage stellen das Arbeitsangebot im Verhältnis zum erzielbaren Bruttolohn dar. Die Angebotskurve der Arbeit vor der Besteuerung (Sb) verschiebt sich nach Einführung einer 25%igen Steuer auf die Arbeitseinkünfte vertikal nach oben zum Angebot nach Besteuerung (Sa). Wenn die Arbeitsnachfrage das Angebot im normalen Bereich unten schneidet, ist ein Rückgang des Arbeitsangebots von N zu N' zu erwarten. Wenn sich die Arbeitsangebotskurve wie im oberen Teil des Diagramms rückwärts krümmt, steigt das Arbeitsangebot mit der Steuererhöhung tatsächlich von B auf B'.
Wenn es um Sparen und Investitionen geht, haben Steuern natürlich starke Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Aktivitäten. Sind die Steuern in einem bestimmten Bereich hoch, fließen die Ressourcen mit einiger Wahrscheinlichkeit in weniger stark besteuerte Bereiche. Da Unternehmenskapital zum Beispiel doppelt besteuert wird, fließen die Ersparnisse der Bürger aus dem Unternehmenssektor in wenig besteuerte Sektoren wie Öl und Gas oder in Ferienwohnungen, die durch steuerbefreite Darlehen finanziert werden. Werden Risikoinvestitionen stark besteuert, ziehen die Investoren wahrscheinlich sicherere Anlageformen vor. Die Ineffizienz hat ihre Ursache ebenso in der Divergenz
Ökonomen beschäftigen sich seit langem mit den Auswirkungen, die Steuern auf die volkswirtschaftliche Effizienz haben. In Kapitel 14 haben wir gesehen, dass Henry George der Meinung war, eine Grundsteuer würde sich nur geringfügig auf die Effizienz auswirken, weil das Angebot an Grund und Boden vollkommen unelastisch sei. Die moderne Theorie einer effizienten Besteuerung folgt der Ramseyschen Besteuerungsregel, die besagt, dass der Staat die höchsten Steuern auf jene Produktionsfaktoren und Produkte erheben sollte, die in Bezug auf Angebot oder Nachfrage besonders preisunelastisch sind.5 Hinter Ramseys Überlegungen steht der Gedanke, dass die Besteuerung eines Gutes, das im Hinblick auf Angebot (oder Nachfrage) sehr preisunelastisch ist, nur geringfügige Auswirkungen auf dessen Konsum und Produktion hat. Unter gewissen Umständen können bei Anwendung der Ramseyschen Besteuerungsgrundsätze die Staatseinnahmen mit einem minimalen Verlust an volkswirtschaftlicher Effizienz erhöht werden. Doch Wirtschaft und Politik orientieren sich nicht allein an Effizienzgesichtspunkten. Vielleicht ist eine drastische Besteuerung von Bodenrenten oder Nahrungsmitteln effizient, aber manch einer würde sie wohl auch als ungerecht empfinden. Als die britische Regierung im Jahr 1990 vorschlug, eine Kopfsteuer einzuführen, wurden die Bürger unsanft an dieses Dilemma erinnert. Eine Kopfsteuer ist eine Pauschalsteuer, das heißt eine fixe Steuer pro Person. Der Vorteil einer solchen Steuer liegt darin, dass sie wie die 4 Ein interessantes Beispiel für die Interaktion zwischen Effizienz und Steuern ist die Laffer-Kurve, die in Übung 8 am Ende dieses Kapitels diskutiert wird. 5 Erinnern Sie sich an die Diskussion der Einsteuerbewegung von Henry George aus Kapitel 14 und die Erweiterung auf eine effiziente oder Ramsey-Steuer.
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Grundsteuer keine Ineffizienzen mit sich bringen würde. Schließlich würden die Menschen nicht gleich nach Russland auswandern oder Harakiri begehen, nur um die Steuer zu umgehen, sodass kaum volkswirtschaftliche Verzerrungen zu befürchten wären. Doch leider unterschätzte die britische Regierung das Ausmaß, in dem diese Steuer von der Bevölkerung als ungerecht empfunden wurde, bei weitem. Die Kopfsteuer ist eine äußerst regressive Steuer, weil sie niedrigen Einkommensschichten einen sehr viel höheren Prozentsatz ihres Einkommens abverlangt als Gruppen mit hohem Einkommen. Die Kritik an der Kopfsteuer trug wesentlich dazu bei, die Regierung Thatcher nach elf Jahren zu Fall zu bringen. Der Fall zeigt deutlich die Problematik, die sich bei der Entscheidung zwischen Effizienz und Gerechtigkeit der Besteuerung und anderer wirtschaftspolitischer Entscheidungen ergibt.
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schließen, der globalen Erwärmung durch eine Steuer auf fossile Brennstoffe einen Riegel vorzuschieben, also durch eine Steuer auf Schwefeldioxidemissionen aus Kraftwerken und anderen Quellen. Aus der herkömmlichen volkswirtschaftlichen Argumentation wissen wir, dass die Steuer die Unternehmen zu einer Senkung ihres Kohlendioxidausstoßes bewegt und dadurch die Umweltqualität verbessert. Außerdem erbringt eine solche Ökosteuer natürlich auch Einnahmen, die der Staat entweder dazu nutzen kann, um seine üblichen Aktivitäten zu finanzieren, oder um die Steuern auf wünschenswerte Tätigkeiten wie Arbeit und Sparen zu senken. Ökosteuern sind daher doppelt effektiv: Der Staat kommt zu Einnahmen, und der Umwelt wird geholfen, weil die Steuer zu einer Verringerung schädlicher Externalitäten beiträgt.
Besteuerung von Unerwünschtem anstelle von Erwünschtem: Ökosteuern
Das knifflige Problem der Steuerinzidenz
Während sich Ökonomen nur selten für Kopfsteuern aussprechen, favorisieren sie einen Ansatz, bei dem das Steuersystem eher Negatives als Positives besteuert. Die Hauptquelle der Ineffizienz ist die derzeit übliche Besteuerung von „Erwünschtem“ – also von erstrebenswerten wirtschaftlichen Verhaltensweisen und Aktivitäten wie Arbeit, Kapitalinvestitionen, Sparen oder Risikobereitschaft –, wodurch dieses „Erwünschte“ nicht gerade attraktiver wird. Ein alternativer Ansatz könnte daher darin bestehen, „Unerwünschtes“ zu besteuern. Diese Form der Besteuerung gibt es auch heute schon: Seit langem werden Alkohol, Zigaretten und andere die Gesundheit schädigende Substanzen besteuert. Ein neuer Ansatz in der Steuerpolitik ist die Besteuerung von Umweltverschmutzung und anderen unerwünschten Externalitäten. Diese Steuern werden als Ökosteuern bezeichnet, weil sie der Umwelt ebenso zugute kommen sollen, wie sie zur Beschaffung von Einnahmen für den Staat dienen. Nehmen wir an, unser Land würde sich dazu ent-
Wer bezahlt eigentlich letztendlich all diese Steuern, die die Staaten erheben? Es wäre nämlich völlig falsch anzunehmen, dass immer jene Einzelpersonen oder Unternehmen, die die Steuern an den Fiskus abführen, diese auch selbst tragen. Nur weil die Ölgesellschaft die Benzinsteuer an den Finanzminister abführt, sollte man nicht den Schluss ziehen, dass sie diese Steuer aus ihren Gewinnen bestreitet. Unternehmen können Steuern in vielen Fällen auf ihre Kunden „abwälzen“, indem sie den Preis ihrer Güter um die Höhe der Steuer anheben. In anderen Fällen können sie die Steuer auf die Lieferanten (die Eigentümer der Produktionsfaktoren wie Arbeit, Boden und anderer Produktionsgüter) „rückwälzen“ und ihnen niedrigere Löhne, Pachten und geringere Faktorpreise bezahlen, als es ohne Steuer der Fall gewesen wäre. Die Frage der Steuerverschiebung betrifft die Steuerinzidenz. Dieser Begriff beschreibt, von wem die Steuerlast letzten En-
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Kapitel 16 Steuern und Staatsausgaben
des getragen wird und welche Gesamtauswirkungen sie auf Preise, Mengen und die Zusammensetzung von Produktion und Verbrauch hat. Im Zusammenhang mit der Steuerinzidenz stellen sich folgende Fragen: Was geschieht, wenn der Kongress die Benzinsteuer anhebt? Wird die Steuererhöhung auf die Konsumenten überwälzt? Oder kommt es durch die Steuer zu einer Senkung des Rohölpreises, was bedeuten würde, dass die Ölproduzenten die Suppe auslöffeln müssen? Oder liegt die Inzidenz irgendwo in der Mitte? Gibt es Auswirkungen auf die Kohlepreise? Und bringt die Steuer womöglich die Ölproduktion zum Erliegen, sodass die Inzidenzeffekte über das hinausgehen, was sich anhand von Geld oder Löhnen messen lässt, vielleicht sogar über die Belastungen, die den verschiedenen Betroffenen zugerechnet werden können? Die Mikroökonomie liefert einige wichtige Werkzeuge zur Analyse der Steuerinzidenz. In einem der früheren Kapitel haben wir die Inzidenz einer Benzinsteuer erörtert. In diesen einfachen Fällen, in denen es nur um Angebot und Nachfrage eines einzigen Wirtschaftsgutes geht, ist eine direkte Inzidenzanalyse möglich. In anderen Fällen lassen sich die Auswirkungen quer durch die gesamte Wirtschaft verfolgen, was eine Analyse extrem schwierig macht und bisweilen sogar einen allgemeinen Gleichgewichtsansatz erfordert. Vielleicht interessiert uns auch die Fiskalinzidenz des gesamten staatlichen Steuerund Transferleistungssystems. Die Fiskalinzidenz untersucht die Auswirkungen von Steuern und staatlichen Ausgabenprogrammen auf die Einkommen der Bevölkerung. Sie fragt ganz allgemein nach der progressiven oder regressiven Wirkung staatlicher Programme. Die Schätzung der Fiskalinzidenz erfolgt durch Zuordnung aller Steuern und Transferzahlungen zu verschiedenen Gruppen. Eine solche Studie erzielt nur Annäherungswerte, weil niemand mit Sicherheit sagen kann, inwieweit die Körperschafts- oder
die Vermögenssteuer tatsächlich überwälzt werden. So sieht das Konzept für das Experiment aus, das wir durchführen wollen: • Messung der Einkommen ohne Steuern und Transferleistungen • Messung der Einkommen unter Berücksichtigung der Steuern und Transferleistungen • Und schließlich Messung der Inzidenz als Differenz zwischen diesen beiden Situationen Natürlich sind Ökonomen keine Zauberer, die solche kontrollierten Experimente durchführen können, aber sie nehmen ihre Messungen sehr sorgfältig vor. Außerdem verfügen sie über ein respektables Urteilsvermögen, um die Auswirkungen von Steuern und Ausgaben zu bewerten.
Die Inzidenz staatlicher Steuern und Transferleistungen Abbildung 16-8 zeigt die Ergebnisse einer neueren Studie über die Inzidenz aller amerikanischen Steuern und Transferzahlungen. In dieser Abbildung werden Transferzahlungen als negative Steuern behandelt und im negativen Bereich eingetragen. Interessant erscheint an diesem Ansatz, dass hier eine Untersuchung von Lebenseinkommen und Lebensverdienststeuern vorgenommen wird und dass man sich nicht auf ein einziges Jahr beschränkt hat. Es werden also auch bedeutende Veränderungen berücksichtigt, die sich im Laufe eines Lebens ereignen. (Menschen treten in den Arbeitsmarkt ein und verlassen ihn wieder, sie zahlen Sozialversicherungsabgaben, wenn sie jung sind, und erhalten Steuern in Form von Rententransferleistungen, wenn sie alt sind.) Die Studie berücksichtigt auch die enorme Komplexität des amerikanischen Steuersystems, über die Sie sich ja bereits ein Bild machen konnten.
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Nettosteuersatz (in %)
15 10 5 0 –5 –10 –15
0 50 100 150 200 250 Auf Jahresbasis umgerechnetes Lebenseinkommen (in Tsd. US-$)
Abbildung 16-8: Wer bezahlt die Steuern und wer profitiert von Transferzahlungen? Wie beeinflusst der moderne Wohlfahrtsstaat die Einkommen seiner Bürger über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg? Fullerton und Rogers schätzten die Auswirkungen aller staatlichen, bundesstaatlichen und lokalen Steuern sowie aller Geldtransfers des Jahres 1984 auf das Lebenseinkommen der Haushalte. Das Steuer- und Transfersystem ist in fast allen Einkommenskategorien progressiv. Bitte beachten Sie, dass das System tatsächlich Einkommen zu der schwächsten Gruppe verschiebt, während für die einkommensstärkste Gruppe ein Nettosteuersatz von 15 Prozent gilt. Quelle: Don Fullerton und Diane Lim Rogers, Who Bears the Lifetime Tax Burden? The Big Tradeoff (Brookings Institution, Washington, D.C., 1993), S. 123. Die Daten wurden auf das Niveau des Jahres 2003 angepasst, und die Lebenseinkommen wurden anhand eines realen Zinssatzes von 5 Prozent auf Jahresbasis umgerechnet.
Die Ergebnisse zeigen, dass das amerikanische Steuersystem schwach progressiv wirkt, wobei die Gruppe mit den niedrigsten Einkommen Nettotransferzahlungen erhält, während die Spitzenverdiener die höchste durchschnittliche Steuerbelastung haben. Bei näherer Betrachtung der Struktur des amerikanischen Steuer- und Transfersystems zeigt sich, dass seine progressive Wirkung, vor allem im unteren Bereich, in erster Linie auf die Transferzahlungen, nicht aber auf die Steuern zurückzuführen ist. Ein ähnliches Muster der Fiskalinzidenz stellen wir heute auch in anderen Ländern fest. Studien der Steuersysteme von Ländern mit hohem Einkommen haben ergeben, dass
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das Steuersystem fast keine Auswirkungen auf die Einkommensverteilung hat. Dieses überraschende Ergebnis beruht darauf, dass die Auswirkungen einer progressiven Einkommensbesteuerung normalerweise durch regressive Steuern, insbesondere Sozialversicherungsbeiträge und Umsatz- oder Mehrwertsteuern, ausgeglichen werden. Die wichtigsten progressiven Elemente öffentlicher Maßnahmen (das heißt die wichtigsten Elemente, die Einkommen auf Haushalte mit niedrigen Einkommen umverteilen) sind Programme zur Einkommensunterstützung wie Barzuwendungen, Lebensmittelmarken, staatliche Pensionen und subventionierte Gesundheitsdienste.
Ein Wort zum Abschluss Unsere einleitende Erörterung der Rolle des Staates in der Wirtschaft hält uns auf ernüchternde Weise die große Verantwortung, aber auch die Mängel kollektiven Handelns vor Augen. Einerseits muss der Staat seine Grenzen verteidigen, seine Wirtschaft stabilisieren, für die Volksgesundheit Sorge tragen und der Umweltverschmutzung Einhalt gebieten. Andererseits spiegelt die Politik in erster Linie oft den Versuch wieder, Einkommen von den Konsumenten zu politisch einflussreichen Interessengruppen umzuverteilen. Sollten wir also auf die sichtbare Hand des Staates verzichten und uns stattdessen lieber auf die unsichtbare Hand der Märkte verlassen? Die Volkswirtschaftslehre kann solche tiefgreifenden politischen Fragen nicht beantworten; sie kann nur die Stärken und Schwächen kollektiver und über den Markt getroffener Entscheidungen untersuchen und auf Mechanismen hinweisen (wie Ökosteuern oder Subventionen von Forschung und Entwicklung), mit deren Hilfe eine „gezügelte“ unsichtbare Hand effizienter wirksam werden kann als die extremen Modelle eines reinen Laissez-faire-Systems oder hemmungsloser bürokratischer Regulierung.
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Kapitel 16 Steuern und Staatsausgaben
Zusammenfassung A. Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft
C. Volkswirtschaftliche Aspekte des Steuerwesens
1.
6.
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3.
Die wirtschaftliche Rolle des Staates hat im vergangenen Jahrhundert stark an Bedeutung gewonnen. Der Staat nimmt Einfluss auf private wirtschaftliche Aktivitäten und kontrolliert diese mithilfe von Steuern, Staatsausgaben und direkter Regulierung. Ein moderner Wohlfahrtsstaat erfüllt vier wirtschaftliche Funktionen: (a) Er korrigiert Marktversagen; (b) er ist für die Umverteilung von Einkommen und Ressourcen verantwortlich; (c) er betreibt eine makroökonomische Stabilisierungspolitik, um die Konjunkturzyklen auszugleichen und das langfristige Wirtschaftswachstum zu sichern; und (d) er steuert die internationale Wirtschaftspolitik. Die Theorie der öffentlichen Entscheidung beschäftigt sich mit dem Verhalten von Staaten. Wie die unsichtbare Hand können auch Regierungen versagen, wenn staatliche Interventionen zu Verschwendung führen oder Einkommen auf unerwünschte Weise umverteilen.
7.
8.
B. Staatsausgaben 4.
5.
Das öffentliche Finanzwesen der USA ist durch einen so genannten Fiskalföderalismus gekennzeichnet. Die Bundesregierung konzentriert ihre Ausgaben dabei auf Bereiche von nationalem Interesse – auf bundesweit wichtige Güter wie Verteidigung und die Erforschung des Weltraums. Die Bundesstaaten und Kommunen engagieren sich hauptsächlich im Bereich der lokalen öffentlichen Güter, deren positive Auswirkungen weitgehend innerhalb der jeweiligen Staaten- oder Gemeindegrenzen erkennbar werden. Staatliche Ausgaben und Steuern machen heute etwa ein Drittel des gesamten Sozialprodukts aus. Davon werden rund 60 Prozent auf Bundesebene ausgegeben, der Rest teilt sich auf Bundesstaaten und Kommunen auf. Nur ein Bruchteil der staatlichen Ausgaben wird heute für die traditionellen staatlichen Funktionen wie Polizei und Gerichte aufgewendet.
9.
Zwei grundlegende Steuertheorien sind das „Äquivalenz- oder Nutzenprinzip“ und das „Leistungsfähigkeitsprinzip“. Eine Steuer kann progressiv, proportional oder regressiv sein, je nachdem, ob sie von reichen Haushalten einen höheren, gleich hohen oder geringeren Teil des Einkommens abzieht als von armen Haushalten. Direkte und progressive Einkommenssteuern stehen indirekten und regressiven Umsatzund Verbrauchssteuern gegenüber. Mehr als die Hälfte der Bundeseinnahmen der Vereinigten Staaten stammen aus Einkommenund Körperschaftssteuern. Der Rest stammt aus Sozialversicherungsbeiträgen oder Steuern auf Verbrauchsgüter. Die Kommunen beziehen einen Großteil ihrer Einnahmen aus Vermögenssteuern, während Umsatzsteuern vor allem den Bundesstaaten zugute kommen. Die Einkommenssteuer des Einzelnen wird aus allen Einkünften unabhängig von der Quelle abzüglich bestimmter Steuerfreibeträge und Abzugsposten errechnet. Der Grenzsteuersatz, der den Prozentsatz an Steuern für jede Geldeinheit zusätzlichen Einkommens bezeichnet, ist von wesentlicher Bedeutung für die Auswirkung von Steuern auf die wirtschaftlichen Anreize zu arbeiten und zu sparen. Die Grenzsteuersätze wurden in den achtziger Jahren in den USA stark gesenkt, jedoch von der Clinton-Regierung wieder erhöht und vom Steuerpaket Präsident Bushs im Jahre 2003 erneut gesenkt. Die am raschesten steigenden Bundessteuern sind die Sozialversicherungsbeiträge auf Lohnzahlungen, die zur Finanzierung des Sozialversicherungssystems herangezogen werden. Hierbei handelt es sich um eine „zweckgebundene“ Steuer, deren Erträge in die Bereitstellung staatlicher Renten sowie von Zuschüssen an Kranke und Behinderte fließen. Da am Ende des Zahlungsflusses erkennbar Sozialleistungen stehen, weisen die Sozialversicherungsbeiträge Elemente einer dem Äquivalenzprinzip entsprechenden Steuer auf.
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
10. Ökonomen verweisen auf die Ramseysche Besteuerungsregel, die betont, dass die Effizienz steigt, wenn relativ preisunelastische Aktivitäten stärker besteuert werden. Einen neuen Ansatz bieten die so genannten Ökosteuern, die externe Umweltfaktoren mit einer Steuer belegen und so schädliche Aktivitäten drosseln, während sie zugleich die staatlichen Einnahmen erhöhen, die andernfalls über Güter oder Produktionsleistungen erhoben werden müssten. Doch bei allen Steuern fallen Gerechtigkeit und politische Akzeptanz stark ins Gewicht.
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11. Die Inzidenz einer Steuer bezieht sich darauf, wer letztlich die Steuerlast zu tragen hat und welche Gesamtauswirkungen sich auf Preise und andere volkswirtschaftliche Größen ergeben. Jene, die eine Steuer zu entrichten haben, können die steuerliche Belastung häufig auf die Konsumenten überwälzen oder auf die Produktionsfaktoren rückwälzen. Das gegenwärtige amerikanische Steuer- und Transfersystem hat eine leicht progressive Wirkung.
Begriffe zur Wiederholung Funktionen des Staates
Staatsausgaben und Fiskalinzidenz
Drei Instrumente zur Kontrolle der Wirtschaft durch den Staat: Steuern Ausgaben Regulierung Marktversagen versus Versagen des Staates Theorie der öffentlichen Entscheidung Vier Funktionen des Staates: Effizienz Verteilung Stabilisierung Internationale Vertretung
Fiskalföderalismus und lokale versus nationale öffentliche Güter Volkswirtschaftliche Auswirkungen von Staatsausgaben Äquivalenzprinzip und Leistungsfähigkeitsprinzip Horizontale und vertikale Steuergerechtigkeit Direkte und indirekte Steuern Progressive, proportionale und regressive Steuern Steuer- und Transferinzidenz und Überwälzung von Steuern Ramsey- und Ökosteuern
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Ein hervorragender Überblick über Steuerfragen findet sich im Symposium zur Steuerreform im Journal of Economic Perspectives, Sommer 1987. Aktuelle politische Fragen werden jährlich von Wissenschaftlern der Brookings Institution in Setting National Priorities (Brookings Institution, Washington, D.C., verschiedene Jahrgänge), behandelt.
Deutschsprachige Literatur Andel, Norbert: Finanzwissenschaft. Mohr Siebeck, 1998 (4. Aufl.). Brümmerhoff, Dieter: Finanzwissenschaft. Oldenbourg, 2001 (8. Aufl.). Homburg, Stefan: Allgemeine Steuerlehre. Vahlen, 2005 (4. überarb. Aufl.).
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Kapitel 16 Steuern und Staatsausgaben
Websites Regierungs-Websites veröffentlichen Daten zu öffentlichen Haushalten und Steuertrends. Allgemeine Trends für die US-Wirtschaft werden zum Beispiel vom Bureau of Economic Analysis auf www.bea.gov präsentiert. Haushaltsdaten für die Bundesebene der USA sind vom Office of Management and Budget unter www.whitehouse.gov/OMB erhältlich. Die US-Steuerbehörde (Internal Revenue Service – IRS) bietet unter www.irs.gov und www.irs.gov/ taxstats/index.html eine lebhaft gestaltete Website mit einer Vielzahl von Steuerstatistiken an. Zwei Organisationen, die sich mit Steuerfragen beschäftigen und gute Websites unterhalten, sind die National Tax Association unter www.ntanet.org und die Brookings Institution unter www.brookings.org. Strategiepapiere eines britischen Forschungsinstituts, das sich schwerpunktmäßig mit Sozialversicherung und Steuerfragen befasst, finden sich unter www.ifs.org.uk.
Übungen 1.
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Erinnern Sie sich an die Aussage von Justice Oliver Wendell Holmes: „Steuern sind das, was wir für eine zivilisierte Gesellschaft zu bezahlen haben.” Interpretieren Sie diese Aussage, und berücksichtigen Sie dabei, dass es in der Volkswirtschaftslehre unsere Aufgabe ist, den Schleier der Geldströme zu lüften und dem tatsächlichen Ressourcenstrom nachzuspüren. Überlegen Sie in der Gruppe, wer von Ihnen sich eher für ein Laissez-faire-System oder für staatliche Eingriffe ausspricht, und diskutieren Sie, ob es staatliche Kontrollen von Prostitution, Drogenhandel, Herztransplantationen, Angriffswaffen und Alkohol geben sollte. Diskutieren Sie die jeweiligen Vorteile hoher Steuern und des Verbots solcher Güter. (Denken Sie dabei an die Diskussion eines Drogenverbots in Kapitel 5.) Kritiker des amerikanischen Steuersystems argumentieren, es schwäche die wirtschaftlichen Anreize für Arbeit, Sparverhalten und Innovation und hemme daher das langfristige Wirtschaftswachstum. Können Sie erkennen, warum „Ökosteuern“ sowohl die volkswirtschaftliche Effizienz als auch das Wirtschaftswachstum steigern könnten? Denken Sie beispielsweise an eine Besteuerung von Schwefel- oder Kohlendioxidemissionen oder an die Erhebung von Steuern auf Öltanker, aus denen Rohöl ausfließt. Erstellen Sie eine Liste von Steuern, die Ihrer Meinung nach effizienzsteigernd wirken würden, und vergleichen Sie deren Auswirkungen mit den Folgen einer Besteuerung von Arbeitsoder Kapitaleinkommen. Steuerexperten sprechen häufig von „Pauschalsteuern“, die von Einzelpersonen ohne Rücksicht auf deren wirtschaftliche Aktivitäten erhoben werden. Pauschalsteuern sind effizi-
5.
6.
ent, weil sie alle Inputs und Outputs mit einem Grenzsteuersatz von null belegen. Nehmen Sie an, die Regierung eines Landes würde jedem Menschen eine Pauschalsteuer von US-$ 200 auferlegen. Zeigen Sie die Auswirkungen dieser Maßnahme auf Angebot und Nachfrage nach Arbeit in einer Grafik. Entspricht das Wertgrenzprodukt der Arbeit immer noch dem Gleichgewichtslohn? Betrachten wir die lebenslange Steuerbelastung, so ist das dynamische Gegenstück zu einer Pauschalsteuer eine „Lebensverdienststeuer“, mit der Einzelpersonen auf der Grundlage ihrer potenziellen Arbeitseinkommen besteuert würden. Fullerton und Rogers (siehe Legende zu Abbildung 16-8) behaupten, dass eine vollkommen effiziente, proportional wirkende Lebensverdienststeuer das Durchschnittslebenseinkommen der Steuerzahler um 1,3 Prozent erhöhen würde. Wie denken Sie darüber? Beschreiben Sie, welche Schwierigkeiten sich infolge der Einführung einer Lebensverdienststeuer ergeben würden. Erstellen Sie eine Liste der verschiedenen Bundessteuern in der Reihenfolge ihrer progressiven Wirkung. Sollte der Staat anstelle der Einkommensteuern vermehrt Verbrauchs- oder Umsatzsteuern erheben? Welche Auswirkungen hätte das auf die allgemeine progressive Wirkung des Steuersystems? Manche öffentlichen Güter sind lokal und kommen den Bewohnern kleiner, abgegrenzter Gebiete zugute; andere sind national und erhöhen die Wohlfahrt eines ganzen Landes. Wiederum andere sind global und haben Auswirkungen auf alle Staaten. Ein privates Gut ist ein Gut, dessen externe Effekte vernachlässigbar gering sind. Geben Sie einige Beispiele für rein
7.
8.
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
private Güter und für lokale, nationale und globale öffentliche Güter oder für Externalitäten an. Geben Sie für jede Externalität die Verwaltungsebene an, die am effizientesten tätig werden könnte, und machen Sie einen oder zwei geeignete Vorschläge für staatliche Maßnahmen, mit denen sich unerwünschte Externalitäten internalisieren lassen. Nachstehend einige Fragen über die Inzidenz, die sich mithilfe von Angebot und Nachfrage beantworten lassen. Erklären Sie Ihre Antworten anhand von Grafiken. a. Mit dem Budgetgesetz von 1993 hob der Kongress die Bundesbenzinsteuer der Vereinigten Staaten um 4,3 Cent pro Gallone an. Welche Auswirkungen hat diese Maßnahme unter der Annahme, dass der Großhandelspreis für Benzin auf dem Weltmarkt gebildet wird, auf Produzenten und Verbraucher? b. Sozialversicherungsbeiträge werden im Allgemeinen von den Arbeitseinkommen abgezogen. Wie ist ihre Inzidenz, wenn das Arbeitsangebot vollkommen unelastisch ist? Wenn sich die Arbeitsangebotskurve rückwärts krümmt? c. Welche Inzidenz hat eine Körperschaftssteuer in einer kleinen offenen Volkswirtschaft, wenn die Unternehmen eine Investitionsrentabilität nach Steuern erzielen müssen, die vom Weltkapitalmarkt bestimmt wird? Eine interessante Frage wirft die Laffer-Kurve auf, die nach dem kalifornischen Ökonomen und einstigen Senatskandidaten Arthur Laffer benannt ist. In Abbildung 16-9 zeigt die LafferKurve, wie bei einer Erhöhung der Steuersätze die Steuereinnahmen zunächst steigen, in Punkt L ihren Höhepunkt erreichen und dann bei einem Steuersatz von 100 Prozent auf null zurückgehen, da hier Aktivitäten völlig entmutigt werden. Die genaue Form der Laffer-Kurve für verschiedene Steuern ist höchst umstritten. Ein häufiger Fehler in der Diskussion von Steuern ist der Post-hoc-Irrtum (siehe Kapitel 1). Verfechter niedrigerer Steuern berufen sich in ihrer Argumentation oft auf die Laffer-Kurve. Sie verweisen auf die Steuersenkungen der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, und behaupten, die Wirtschaft befände sich rechts neben dem Gipfel des Mount Laffer, sagen wir bei B. Damit sagen sie Folgendes: „Nach den Steuersenkungen der Kennedyund Johnson-Administrationen im Jahr 1964 stiegen die Staatseinnahmen von US-$ 110 Milliarden im Jahr 1963 auf US-$ 133 Milliar-
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Teil 4
den im Jahre 1966. Steuersenkungen bewirken also höhere Staatseinnahmen.“ Erklären Sie, warum damit nicht bewiesen ist, dass sich die Wirtschaft tatsächlich rechts neben Punkt L befand. Erklären Sie weiter, warum dies ein Beispiel für einen Post-hoc-Irrtum ist. Stellen Sie die Analyse richtig. Bei der Einheitssteuer werden alle persönlichen und Unternehmenseinkommen nur einmal besteuert, und zwar mit einem fixen Steuersatz. Tabelle 16-5 zeigt, wie eine solche Einheitssteuer funktionieren könnte. Vergleichen Sie die Durchschnitts- und Grenzsteuersätze der Einheitssteuer mit dem in Tabelle 16-4 im Text dargestellten Steuertarif. Führen Sie die Vor- und Nachteile beider Systeme auf. Welches ist progressiver? R
L
Steuereinnahmen
486
A B
0
25
50
75
100
Steuersatz (in %)
Abbildung 16-9: Die Laffer-Kurve
(1)
(2)
(3)
(4)
Berichtigtes Bruttoeinkommen
Abzugsposten und Freibeträge
Steuerpflichtiges Einkommen
Individuelle Einkommenssteuer
(US-$)
(US-$)
(US-$)
(US-$)
5.000
20.000
0
0
10.000
20.000
0
0
20.000
20.000
0
0
50.000
20.000
30.000
6.000
100.000
20.000
80.000
16.000
1.000.000
20.000
980.000
196.000
Tabelle 16-5.
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KAPITEL 17 Wie werden Märkte effizienter?
Märkte sind das ideale Spielfeld für wirtschaftliche Transaktionen, doch ganz ohne Aufsicht Erwachsener geht es nicht. David Wessel
Bevor sie sich mit dem Thema Wirtschaft näher auseinandersetzen, glauben viele Leute, der Staat habe die Funktion eines Wachhundes, der die Konsumenten vor monopolistischem Missbrauch und Preismanipulation schützen müsse. Sobald wir jedoch die Theorie von der unsichtbaren Hand kennen, zögern wir vielleicht doch einzugreifen, weil uns die Ökonomik lehrt, dass Wettbewerbsmärkte Produktion und Preise ganz von selbst effizient gestalten. Marktwirtschaftlich organisierte Staaten stützen sich in ihrem Versuch, den privaten Sektor zu einem möglichst effizienten Verhalten zu bewegen, überwiegend auf die Kräfte der Konkurrenz und des Wettbewerbs – man könnte auch sagen, auf das Zuckerbrot der Gewinne und die Peitsche des Konkurses. Doch die Kräfte des Wettbewerbs greifen bei fehlender Konkurrenz oder schwachen Wettbewerbern nicht wie gewünscht. Ist die Marktmacht zu groß, kann der Staat daher bewusst Maßnahmen zur Förderung des Wettbewerbs ergreifen. Auch andere Formen von Marktversagen erfordern staatliche Interventionen. Bisweilen fehlt es den Marktteilnehmern an ausreichenden Informationen, um die Qualität eines Produkts einschätzen zu können. Deshalb fordert der Staat etwa von den Pharmaunternehmen, dass sie die Sicherheit und Wirksamkeit ihrer Medikamente nachweisen. Die öffentliche Hand reguliert Wirtschaftszweige wie das Bankenwesen oder das Kabelfernsehen, sie versucht die Konsumenten vor unlauterer Werbung und finanziellem Betrug zu schützen und engagiert sich sogar in der Raumordnung, um die wirtschaftlich vernünftigste Nutzung des vorhandenen Bodens zu gewährleisten. Wie aber kann der Staat effiziente Märkte bestmöglich fördern? Wie lässt sich Marktversagen optimal kontrollieren, ohne die massiven Effizienzgewinne des ungebremsten Marktwettbewerbs und der Konkurrenz zu untergraben? Bisweilen liegt die Regulierung eines bestimmten, eingegrenzten Bereichs ganz im öffentlichen Interesse. In anderen Fällen kann staatliche Regulierung
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aber weitaus mehr Probleme schaffen, als sie zu lösen imstande ist. In diesen Fällen empfiehlt es sich für den Staat, den betroffenen Sektor zu deregulieren. Wir befassen uns in diesem Kapitel mit der Wirtschaftspolitik und konzentrieren uns dabei insbesondere auf Regulierung und kartellrechtliche Erwägungen.
A. Staatliche Regulierungsmaßnahmen in Theorie und Praxis Die Regulierung der amerikanischen Wirtschaft durch den Staat lässt sich über ein Jahrhundert zurückverfolgen, und zwar bis hin zur Gründung der Interstate Commerce Commission (ICC) im Jahre 1887. Die ICC wurde gegründet, um einerseits Preiskriege zu verhindern und die Versorgung kleiner Gemeinden mit öffentlichen Dienstleistungen zu gewährleisten und um andererseits eine Monopolkontrolle zu garantieren. Etwas später, im Jahr 1913, wurde die staatliche Einflussnahme auch auf die Banken, 1920 auf die Elektrizitätsgesellschaften und auf den Kommunikationsbereich, die Wertpapiermärkte, den Arbeitsmarkt sowie LKW-Transporte und in den dreißiger Jahren auch auf die Luftfahrt ausgedehnt. Erst in den letzten Jahren hat, wie wir noch sehen werden, die US-Regierung ihren Kurs geändert und bemüht sich heute um die Deregulierung zahlreicher Wirtschaftszweige. In ihrem Versuch, wirtschaftliche Aktivitäten zu kontrollieren, können sich Staaten entweder ökonomischer Anreize oder staatlicher Verordnungen bedienen. Historisch gesehen erscheint staatliche Regulierung hauptsächlich durch den direkten Ansatz geprägt. Das heißt, die Staaten verließen sich vorrangig auf den Erlass von Vorschriften und die Kontrolle ihrer Einhaltung. Nach dieser
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Methode weist der Staat auf dem Verordnungsweg seine Bürger an, bestimmte Aktivitäten vorzunehmen oder zu unterlassen. So könnte ein Staat etwa verlangen, dass sich Unternehmen ausschließlich in Gewerbegebieten niederlassen oder keinerlei Chemikalien in Flüsse einleiten. Der Staat gebietet heute über zahlreiche unterschiedliche Bereiche, nicht nur über Umweltverschmutzung und Flächenwidmung, sondern auch über Lohn- und Arbeitszeitstandards und zahlreiche branchenspezifische Vorschriften wie Anweisungen für den Einsatz von Pestiziden oder die Herstellung neuer Medikamente. In letzter Zeit bemühten sich Ökonomen, Regierungen zur Erprobung einer völlig neuen Form der Regulierung zu überreden: den Marktanreizen. Das beste Beispiel dafür liefert das Luftreinhaltegesetz aus dem Jahr 1990, das im nächsten Kapitel besprochen werden soll. Dieses Gesetz sieht die Bildung von Märkten zum An- und Verkauf so genannter „handelbarer Emissionszertifikate“ vor, die im Wesentlichen eine Lizenz zur Luftverschmutzung darstellen. Eine solche Nutzung der Marktkräfte eröffnet viel effizientere Möglichkeiten zur Erreichung staatlicher Ziele als einfache Verordnungs- und Kontrollmethoden. Regulierung bedeutet staatliche Verordnungen oder Gesetze, die zur Kontrolle der Preis-, Verkaufs- oder Produktionsentscheidungen von Unternehmen erlassen werden.
Zwei Arten der Regulierung Man unterscheidet üblicherweise zwischen zwei Formen der Regulierung: Die wirtschaftliche Regulierung bezieht sich auf die Kontrolle von Preisen, Marktzutritts- und -austrittsbedingungen sowie auf Produktstandards in bestimmten Branchen. Am wichtigsten ist dieser Ansatz in Branchen mit einem natürlichen Monopol. (Erinnern Sie sich: Ein natürliches Monopol ist ein Markt, auf dem ein effizienter Branchenoutput nur
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Kapitel 17 Wie werden Märkte effizienter?
von einem einzigen Unternehmen zu gewährleisten ist.) Häufige Beispiele einer wirtschaftlichen Regulierung betreffen etwa die öffentlichen Versorgungsunternehmen (Telefon, Strom, Erdgas, Wasser) oder einige andere Wirtschaftszweige (Transport, Radio und Fernsehen). Der Finanzsektor ist seit den 1930er Jahren einer strengen Regulierung unterworfen, wobei genau festgelegt wird, was Banken, Broker und Versicherungsgesellschaften tun dürfen und was nicht. Daneben ist aber auch noch eine neuere Regulierungsform zu nennen, die soziale Regulierung, die eingesetzt wird, um unsere Umwelt oder die Gesundheit und Sicherheit von Arbeitnehmern und Konsumenten zu schützen. Soziale Regulierungsmaßnahmen zielen darauf ab, eine breite Palette von Nebenwirkungen oder Externalitäten zu korrigieren, die mit wirtschaftlichen Aktivitäten einhergehen. Programme zur Reinhaltung von Luft und Wasser oder zur Gewährleistung der Sicherheit von Kernkraftwerken, Medikamenten oder Autos gehören zu den bekanntesten Beispielen sozialer Regulierung. Aufgrund ihrer großen Bedeutung werden wir die ökologische Regulierung im nächsten Kapitel ausführlich gesondert behandeln.
Wie lässt sich eine Regulierung der Wirtschaft begründen? Staatliche Regulierungsmaßnahmen federn die ungebremste Marktmacht von Unternehmen ab. Doch welche legitimen Gründe können es sein, die eine Regierung dazu bewegen, sich über die Entscheidungen des freien Marktes hinwegzusetzen? Nun, für eine Regulierung durch den Staat lassen sich drei gewichtige Gründe im Sinne des öffentlichen Interesses anführen. Der erste bezieht sich auf die Regulierung des Verhaltens von Unternehmen mit dem Ziel, einem Missbrauch der Marktmacht durch Monopole oder Oligopole entgegenzuwirken. Der zweite Grund
liegt in der Beseitigung von Informationsmängeln wie etwa unzureichendem Wissen der Konsumenten über die Merkmale wichtiger Produkte wie Medikamenten oder elektrischen Geräten. Und der dritte Grund, der staatliche Eingriffe rechtfertigt, liegt in der Korrektur externer Effekte wie der Umweltverschmutzung – sie ist Gegenstand der sozialen Regulierung, die wir im nächsten Kapitel behandeln werden.
Einschränkung der Marktmacht Traditionell werden staatliche Regulierungsmaßnahmen normativ gesehen: Regulierungsmaßnahmen sollen dazu dienen, schwerwiegende Formen des Marktversagens zu korrigieren. Oder konkreter, der Staat sollte jene Wirtschaftszweige regulieren, in denen zu wenige Unternehmen tätig sind, um eine gesunde Konkurrenz zu gewährleisten. Wirtschaftszweige bedürfen speziell im Fall eines natürlichen Monopols der staatlichen Regulierung. Als anschauliches Beispiel für ein natürliches Monopol kann uns die lokale Wasserversorgung dienen. Die Kosten für die Sammlung des Wassers, den Aufbau eines Leitungsnetzes und schließlich die Versorgung aller Haushalte mit Trinkwasser sind so hoch, dass sie mehr als einen lokalen Wasserversorger nicht tragen würden, und somit stellt die lokale Wasserversorgung ein natürliches Monopol dar. Bisweilen übernimmt sogar der Staat selbst die Wasserversorgung seiner Bürger, während in den meisten Fällen diese Aufgabe einem staatlich regulierten privaten Wasserwerk zufällt. Eine andere Art eines natürlichen Monopols ergibt sich in Wirtschaftszweigen mit Verbundvorteilen, die entstehen, wenn eine ganze Reihe verschiedener Produkte effizienter von einem als von mehreren, organisatorisch getrennten Unternehmen produziert werden kann. Computersoftware ist etwa ein allseits bekanntes Beispiel für beträchtliche Verbundvorteile. Viele Computerprogramme werden im Zuge ihrer Entwicklung mit zusätzlichen Funktionen ausgestattet. Kauft
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
sich ein Bürger ein Programm zur Erstellung seiner Einkommensteuererklärung, findet er auf der CD-ROM meist noch mehrere andere Module, beispielsweise Links zu diversen Websites, staatliche Dokumente und ein Handbuch, das genau erklärt, wie man eine Steuererklärung erstellt. Der Verbundvorteil besteht darin, dass die verschiedenen Module billiger produziert, kombiniert und zusammen anstatt einzeln verwendet werden können. Eine letzte Komponente eines natürlichen Monopols, die wir insbesondere in Branchen, die auf Netzen aufbauen, finden, ergibt sich aus der Notwendigkeit der Standardisierung und Koordinierung innerhalb eines Systems, das andernfalls nicht effizient betrieben werden könnte. Eisenbahnen benötigen genormte Spurweiten, das Stromnetz erfordert einen Ladungsausgleich, und die Kommunikationsbranche ist auf Standardcodes angewiesen, ohne die ihre Teilnehmer nicht miteinander „sprechen“ könnten. Wir wissen bereits aus unserer Kostenanalyse in den früheren Kapiteln dieses Buches, dass sich bei jeder Produktionshöhe erziehlbare Skalenerträge mit einem vollständigen Wettbewerb schlecht vertragen; in diesen Fällen kommt es häufig zu Monopolen oder Oligopolen. Hier wollen wir allerdings auf einen noch extremeren Fall hinaus: Treten Skalenerträge oder Verbundvorteile auf, die so stark sind, dass nur ein einziges Unternehmen überleben kann, sprechen wir von einem natürlichen Monopol. Warum sollten Staaten natürliche Monopole regulieren? Sie tun das, weil ein natürlicher Monopolist, der sich über einen großen Kostenvorteil gegenüber seinen potenziellen Konkurrenten und über eine preisunelastische Nachfrage freuen darf, seine Preise überhöht ansetzen, enorme Monopolgewinne erzielen und große volkswirtschaftliche Ineffizienzen bewirken kann. Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts etwa profitierten Kabelfernsehgesellschaften ungeniert von ihren lokalen Monopolen, indem sie eine Vielzahl von Fernsehkanälen
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mit qualitativ hochwertigem Programmangebot zu deutlich überhöhten Preisen offerierten. Das bewog den amerikanischen Kongress und zahlreiche amerikanische Bundesstaaten, die von den Kabelfernsehgesellschaften berechneten Preise staatlich zu regulieren. Studien zeigen jedoch, dass diese Preiskontrolle wenig bewirkte und in einigen Sparten die Preise sogar in die Höhe trieb. Daher vollzog der Kongress mit dem Communications Act von 1996 eine Wende und hob die Preis- und Marktzutrittskontrolle auf, weil er zu der Ansicht gelangt war, ein verstärkter Wettbewerb könne sich für die Konsumenten positiver auswirken als verordnete Preise. Früher rechtfertigte man staatliche Regulierungsmaßnahmen mit durchaus fragwürdigen Begründungen, etwa dass man sie benötige, um einen allzu mörderischen Wettbewerb zu verhindern. Mit diesem Argument wurde unter anderem die permanente Kontrolle der Eisenbahnen, des LKW-Verkehrs, der Flug- und Buslinien sowie die Regulierung der landwirtschaftlichen Produktion gerechtfertigt. Volkswirte können dieser Argumentationsweise heute nur noch wenig abgewinnen. Schließlich ist der Wettbewerb mit seiner höheren Effizienz und den niedrigen Preisen genau das, was ein effizientes Marktsystem ausmacht.
Behebung von Informationsversagen Ein weiterer Grund für staatliche Regulierungsmaßnahmen besteht in der unzureichenden Information der Konsumenten über die verfügbaren Produkte. Medikamententests erfordern nun einmal ein ziemlich kostspieliges und wissenschaftlich aufwendiges Verfahren. Der Staat reguliert daher den Medikamentenhandel, indem er nur jene Wirkstoffe zum Verkauf zulässt, die sich als „unbedenklich und wirksam“ erwiesen haben. Er verbietet aber auch inhaltlich falsche und irreführende Werbung. In beiden Fällen
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Kapitel 17 Wie werden Märkte effizienter?
bemüht sich die öffentliche Hand, das aufgetretene Marktversagen auszugleichen und Informationen auf effiziente Weise zur Verfügung zu stellen. Besonders wichtig erscheinen Informationen auf den Finanzmärkten. Ein Käufer von Aktien oder Anleihen privater Unternehmen legt sein Vermögen in die Hände von Leuten, über die er praktisch gar nichts weiß. Daher empfiehlt es sich, vor einem Aktienkauf – ob von IBM oder der XYZ.com – die Abschlüsse des jeweiligen Unternehmens zu studieren, um zu erfahren, wie hoch Umsatz, Gewinn und Dividenden zuletzt waren. Aber weiß der potenzielle Käufer deshalb auch schon, wie das Objekt seiner Begierde seine Gewinne misst? Wie kann er darauf vertrauen, dass sein Kaufobjekt ehrlich und ohne Tricks bilanziert? An dieser Stelle greift der Staat in die Finanzmärkte ein. Die staatliche Aufsicht über die Finanzdienstleister hat zumeist den Zweck, Qualität und Quantität der Informationen zu verbessern und so die Effizienz der Märkte zu heben. Auch wenn ein Unternehmen an die Börse geht oder Anleihen begibt, muss es eine umfassende Dokumentation seiner aktuellen finanziellen Situation und möglicher zukünftiger Finanzentwicklungen vorlegen. Die Bücher müssen das Testat eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers aufweisen. Durchgesetzt werden die staatlichen Vorschriften bisweilen auch von Privaten: So müssen etwa die an der NYSE, der Börse von New York, notierten Unternehmen Kriterien erfüllen, die sogar noch strenger sind als die staatlichen Vorgaben. Gelegentlich, und zwar vor allem in Zeiten spekulativer Blasen, überspannen oder brechen einzelne Unternehmen die geltenden Vorschriften. Das geschah etwa Ende der neunziger Jahre und noch einmal knapp nach der Jahrtausendwende im großen Maßstab, insbesondere in den Kommunikationsbranche bei den Unternehmen der New Economy. Als die illegalen Praktiken bekannt wurden, verabschiedete der Kongress im Jahre
2002 ein neues Gesetz. Demnach ist es nun gesetzlich verboten, Wirtschaftsprüfern falsche Informationen vorzulegen; außerdem wurde ein unabhängiges Kontrollgremium über die Wirtschaftsprüferkanzleien eingerichtet, und die US-Wertpapieraufsichtsbehörde SEC wurde mit zusätzlichen Aufsichtsbefugnissen ausgestattet. Man hört bisweilen die Ansicht, ein solches Gesetz müsse den ehrlichen Unternehmen doch eigentlich sehr gelegen kommen: Strenge Berichtsstandards und Offenlegungspflichten nützen den Finanzmärkten, weil sie das Informationsungleichgewicht zwischen Käufern und Verkäufern verringern, Vertrauen stärken und zu Finanzanlagen anregen.
Wie mit externen Effekten umgehen? Auch beim Auftreten externer Effekte können staatliche Regulierungsmaßnahmen gerechtfertigt sein. Das klassische Beispiel einer Regulierung dieses Typs, die wir im nächsten Kapitel behandeln wollen, sind Maßnahmen zum Schutz der Umwelt. Doch es gibt auch noch weitere interessante Fälle. Zu nennen wären etwa raumplanerische Aktivitäten und Flächennutzungspläne, die den Einsatz von Grund und Boden durch die Eigentümer regeln. Zumeist sagt ein Flächennutzungsplan aus, ob ein Grundstück für den Bau von Wohnhäusern, Geschäften oder Industrieanlagen ausgewiesen ist und wie groß das darauf zu errichtende Gebäude maximal sein darf. Lässt sich die Widmung von Grundstücken durch den Staat volkswirtschaftlich rechtfertigen? Nun, würde man beispielsweise die Errichtung einer Mülldeponie in einem Wohngebiet gestatten, käme es zu Externalitäten, die für jedermann in der Umgebung unangenehme Folgen hätten. Ebenso könnte ein fünfzigstöckiges Bürogebäude in einer Zone mit zweistöckigen Häusern das lokale Verkehrssystem und andere Infrastruktureinrichtungen überfordern.
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Flächennutzung können enorm sein. Die Möglichkeit, auf einem Grundstück ein fünfzigstöckiges Bürogebäude anstatt eines zweistöckigen Wohnhauses zu errichten, verändert den Wert des Bodens ganz beträchtlich. Daher ist der Flächennutzungsplan die wahrscheinlich wichtigste Form der Regulierung auf der Verwaltungsebene der Kommunen.
Interessengruppen und Regulierung Bisher haben wir uns mit der normativen Rechtfertigung staatlicher Regulierungsmaßnahmen beschäftigt. Wir sollten jedoch auch bedenken, dass die Regulierung ihrerseits Gewinne schafft und somit Interessengruppen produziert, die ein reges Interesse an den Ergebnissen staatlicher Eingriffe haben. Manchmal kommt es aufgrund der Wechselwirkung zwischen Regulierung und Politik zu unerwünschten Resultaten in Form einer Beschränkung des Zutritts zum regulierten Sektor, sodass Preise und Gewinne der etablierten Unternehmen steigen.1 Ein regulierter Sektor kann daher Lobby-Arbeit für die Beibehaltung der Regulierung betreiben, um sich lästige Mitbewerber vom Hals zu halten und weiterhin überhöhte Gewinne zu erzielen. Ökonomen, die den wettbewerbsfeindlichen Aspekt von Regulierungen betonen, argumentieren wie folgt: „Sie behaupten, staatliche Regulierung sei im Interesse der Konsumenten und Arbeitnehmer. Glauben Sie das bloß nicht! Staatliche Eingriffe sollen nur das Einkommen der Produzenten heben, indem der Marktzutritt erschwert und so ein Wettbewerb im regulierten Bereich verhindert wird. Wenn Verbraucher 1 Die grundlegende Arbeit zu diesem Thema hat George Stigler von der University of Chicago verfasst, der dafür und für seine sonstigen Beiträge mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Die Chicago School hat mit ihrer These, wonach staatliche Eingriffe in die Wirtschaft häufig mehr schaden als nützen, die öffentliche Diskussion stark beeinflusst.
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und Arbeitnehmer überhaupt einen Nutzen aus der Regulierung ziehen, so ergibt sich dieser rein zufällig.“
Die historische Betrachtung staatlicher Regulierungstätigkeit zeigt uns, dass in dieser Ansicht offenbar mehr als nur ein Körnchen Wahrheit steckt. So haben zahlreiche ökonomische Studien zum Thema den Nachweis erbracht, dass es gerade die staatlichen Eingriffe sind, die in vielen Fällen die Preise künstlich hochhalten. Jahrelang mussten Transportunternehmen und Fluglinien erst eine Genehmigung einholen, wenn sie ihre Preise senken oder neue Märkte erschließen wollten. Andere Arten der Regulierung bewirken außerdem eine Beschränkung des Wettbewerbs. So machen die strengen Auflagen vor der Einführung neuer Medikamente die Verfahren bis zur Marktzulassung langwierig und sehr kostspielig, ein Umstand, der zahlreiche kleinere Unternehmen vom Markt fernhält, weil sie sich jahrelange Tests, wie sie für ein neues Medikament nun einmal erforderlich sind, nicht leisten können. Ein Beispiel dafür, dass Regulierungsmaßnahmen dem betreffenden Wirtschaftszweig auf Kosten der Steuerzahler zugute kommen können, führte uns vor einiger Zeit der Sparkassen- und Kreditvergabesektor vor Augen. Das staatliche System der Einlagenversicherung war in den USA in den dreißiger Jahren eingeführt worden, um das Vertrauen in die Banken wieder herzustellen und Panik unter den Bankkunden zu vermeiden. Zu Beginn der achtziger Jahre zeigte sich jedoch, dass dieses Programm nicht ausreichend durchdacht war. Es bot eine staatliche Garantie auf Bankeinlagen, ohne sicherzustellen, dass die Banken mit den Einlagen auch vorsichtig und vernünftig umgingen. Nach der Deregulierung des Sektors wurden die Banken weniger streng geprüft. Viele Banken zahlten hohe Zinsen, mit denen sie Einlagekunden anlockten, um dann das Geld für riskante Darlehen und Investitionen zu verwenden und wohl auch, um die hohen Gehälter ihrer leitenden Mitarbeiter und Funktionäre zu bezahlen.
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Kapitel 17 Wie werden Märkte effizienter?
Regulierung öffentlicher Versorgungsunternehmen mit natürlichem Monopol Ein traditionelles Argument für staatliche Regulierungsmaßnahmen ist das Bemühen, die monopolistische Preisgestaltung natürlicher Monopolisten zu unterbinden. Doch betrachten wir einmal im Detail, wie die Aufsichtsbehörden überhöhte Preise von Monopolisten kontrollieren. Sie erinnern sich sicher, dass ein natürliches Monopol ein Wirtschaftszweig ist, in dem am effizientesten durch ein einziges Unternehmen produziert werden kann. Abbildung 17-1 zeigt, wie die Durchschnittskosten AC, die Grenzkosten MC und die Nachfragekurve der Branche in einem natürlichen Monopol beschaffen sein könnten. Beachten Sie bitte, dass die Branchennachfragekurve (DD) die MC-Kurve des Unternehmens im Bereich sinkender Durchschnittskosten AC schneidet. Würden zwei ähnliche Unternehmen den Branchenoutput produzieren, lägen die Durchschnittskosten für die beiden Unternehmen weit über jenen des einen Unternehmens.
AC, MC Durchschnittskosten, Grenzkosten
Als unter den Banken eine wahre Pleitenserie ausbrach, musste der Staat einspringen. Die Verluste beliefen sich auf Hunderte Milliarden US-Dollar. Wegen der intensiven Lobby-Arbeit und großzügiger Wahlspenden verzögerten sich vernünftige staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der schädlichen Vorgehensweise um viele Jahre, bis der Kongress im Jahre 1989 endlich beschloss, den verschwenderischen Praktiken Einhalt zu gebieten. Doch wer waren die Nutznießer der ungeeigneten und korrupten Regulierung des Bankensektors? In erster Linie die Banker, die Banken und die Aktionäre der Banken. Die Verlierer? Sie haben es erraten, das waren die Steuerzahler.
D
300
200 AC 100 MC D Q
1
–2 Q*
Q* Menge
Abbildung 17-1: Die Kostenkurven eines natürlichen Monopolisten Die AC-Kurve eines natürlichen Monopolisten fällt selbst dort noch, wo sie die DD-Kurve der Branche schneidet. Eine effiziente Produktion erfordert daher eine Konzentration und muss von einem einzigen Unternehmen erbracht werden. (Schätzen Sie aus dem Diagramm, um wie viel teurer es wäre, müsste Q* von zwei Unternehmen jeweils zur Hälfte produziert werden!)
Nehmen wir an, der Gesetzgeber beschlösse die Regulierung der öffentlichen Versorgungsbetriebe eines bestimmten Sektors. Wie würde er dabei wohl vorgehen? Er würde zunächst eine Kommission einsetzen, die Preise, Dienstleistungen sowie Marktzutritt und -austritt zu beobachten hätte. Die wichtigste Entscheidung wäre jedoch die Regelung der Preisgestaltung für das Monopolunternehmen. Üblicherweise wird im Zuge staatlicher Regulierung den Unternehmen ein Durchschnittspreis vorgeschrieben. So müsste ein Stromversorgungsunternehmen seine gesamten Kosten (fixe wie variable) errechnen und sie auf alle verkauften Produkte umlegen (beispielsweise Strom und Dampf). Den Kunden würden dementsprechend die auf die jeweils beanspruchte Dienstleistung umgelegten Durchschnittskosten berechnet.
494
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
P
Preis
PM
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D
M (Monopolpreis)
R (regulierter Preis) PR
AC
I (Idealpreis) PI
MC
MR D
QR
QM
QI
Q
Menge
Abbildung 17-2: Ideale und tatsächliche Preisregulierung bei Monopolisten Das gewinnmaximale Gleichgewicht für den unregulierten Monopolisten liegt in M, direkt über dem Schnittpunkt von MR und den langfristigen Grenzkosten MC, wobei der Preis über den Grenzkosten MC liegt. Behörden mit Aufsichtsfunktion über die Versorgungseinrichtungen fordern zumeist, die Preise in Höhe der Durchschnittskosten in R anzusetzen, wo die Nachfragekurve die langfristige Durchschnittskostenkurve schneidet. Damit werden übertriebene Gewinne vermieden, und der Preis nähert sich den Grenzkosten an. Im Idealfall sollte der Preis bis auf I gedrückt werden, wo gilt: Preis = MC, sodass soziale Grenzkosten und Grenznutzen ausgewogen sind. In Punkt I träte durch den Umstand, dass der Preis genau den Grenzkosten entspricht , kein Effizienzverlust ein.
Abbildung 17-2 zeigt die Regulierung öffentlicher Versorgungseinrichtungen. Punkt M (mit einer Produktionsleistung QM verbunden) ist der unregulierte, gewinnmaximierende Output des Monopolisten, den wir bereits in Kapitel 9 behandelt haben. Hier treffen wir auf hohe Preise, geringe Mengen und ansehnliche Gewinne (dargestellt durch den schattierten Bereich in Abbildung 17-2). Bei einer herkömmlichen Regulierung darf der Monopolist jenen Preis verlangen, der gerade ausreicht, um seine Durchschnittskosten zu decken. In diesem Fall wird das Unternehmen seinen Preis dort ansetzen, wo sich die Nachfragekurve DD mit der Durchschnittskosten- oder AC-Kurve schneidet. Das Gleichgewicht stellt sich somit in Punkt R ein, die Produktionsmenge beträgt QR. Doch was taugt diese Lösung? Volkswirtschaftlich gesprochen darf sie immerhin als
Verbesserung gegenüber dem unregulierten Monopol gelten. Erstens ist nicht nachzuvollziehen, warum die Inhaber des Monopols mehr Rechte haben sollten als die Konsumenten. Es liegt daher auch kein Grund vor, ihnen das Herauspressen von Monopolgewinnen aus den Konsumenten zu gestatten. Zweitens haben die regulierenden Behörden, indem sie den Monopolisten zwingen, seinen Preis von PM auf PR zu senken, die Diskrepanz zwischen Preis und Grenzkosten verringert. Diese Änderung erhöht die volkswirtschaftliche Effizienz, weil die höhere Produktionsmenge den Konsumenten mehr an Grenznutzen einbringt, als sie für die Gesellschaft an Grenzkosten verursacht. Erst wenn der Preis in allen Bereichen den Grenzkosten entspricht, setzt eine Gesellschaft ihre Ressourcen so effizient wie möglich ein.
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Kapitel 17 Wie werden Märkte effizienter?
Ideale Preisregulierung. Wenn P = MC die Idealformel schlechthin ist, stellt sich die Frage, warum die Aufsichtsbehörden den Monopolisten nicht einfach zwingen, seinen Preis so weit zu senken, bis er den Grenzkosten am Schnittpunkt von DD und MC entspricht (in I). Tatsächlich ist die Gleichung P = MC oder die Preisbildung in Höhe der Grenzkosten das Idealziel im Sinne volkswirtschaftlicher Effizienz. Doch in der Praxis ist die Sache nicht so einfach: Setzt ein Unternehmen mit sinkenden Durchschnittskosten seine Preise auf Höhe der Grenzkosten fest, so entsteht ihm dadurch ein chronischer Verlust. Der Grund liegt darin, dass bei sinkenden Durchschnittskosten AC gilt: MC < AC, sodass die Gleichsetzung P = MC impliziert, dass der Preis unter die Durchschnittskosten fällt (P < AC). Liegt der Preis (oder liegen die durchschnittlichen Erträge) unter den Durchschnittskosten, verliert das Unternehmen Geld. Um diese Aussage auch grafisch nachvollziehen zu können, prüfen Sie bitte die ideale Regulierungslösung im Punkt I der Abbildung 17-2. Hier entspricht der Preis den Grenzkosten, aber die MC liegen unter den Durchschnittskosten. Wenn die Durchschnittskosten über dem Preis liegen, verliert das Unternehmen Geld. Da Unternehmen bei ständigen Verlusten nicht lange weiter bestehen können und Staaten Monopolisten nur ungern subventionieren, lässt sich die Ideallösung schwerlich erreichen. Ein alternativer Ansatz wäre eine Preisbildung anhand zusammengesetzter Preise oder Gebühren. Das Unternehmen berechnet dabei eine fixe Gebühr (beispielsweise einige US-Dollar pro Monat), um seine Betriebskosten abdecken zu können, und zusätzlich einen Aufschlag für die variablen Kosten (etwa pro telefonierter Einheit, pro Kilowattstunde Strom oder dergleichen), um seine Grenzkosten decken zu können. Mit diesem Ansatz käme man den idealen Grenzkostenpreisen noch näher als mit der traditionellen
Preisgestaltung anhand der Durchschnittskosten. Volkswirtschaftliche Innovationen: Regulierung auf Leistungsbasis Wie wir bereits gesehen haben, werden die Preise im Rahmen einer traditionellen Renditeregulierung ermittelt, indem man zu den Produktionskosten des betreffenden Unternehmens eine Kapitalrendite in festgelegter Höhe addiert. Dieser Ansatz bietet nur geringe Sparanreize und führt tendenziell zu kapitalintensiven Produktionstechniken. Die Anreize erweisen sich sogar als kontraproduktiv, denn wenn der Preis den Durchschnittskosten entspricht, können die Unternehmen ihre Gewinne durch höhere Kosten sogar steigern. Wie ein Wirtschaftswissenschaftler bemerkte, ist dies der einzige Markt, auf dem Sie profitieren können, wenn Sie Ihr Büro mit einem teuren Perserteppich schmücken! Ein radikal neuer Ansatz zur Anreizverbesserung ist die leistungsbasierte Regulierung. Mit dieser Methode werden Unternehmen anhand ihrer Leistung und nicht nach den Produktionsinputs behandelt, wozu im Normalfall Preisobergrenzen zur Anwendung kommen. Eine Regel besagt, dass sich regulierte Preise mithilfe der Formel „Inflation minus X“verändern sollten. Bei diesem Ansatz wird der vom regulierten Unternehmen maximal berechnete jährliche Preisaufschlag einem Betrag entsprechen, der sich aus der Inflationsrate („Inflation“) abzüglich einer jährlichen Effizienzsteigerungsnorm („X“) ergibt. Die Attraktivität dieses Ansatzes liegt in der Nachahmung eines Wettbewerbsmarktes. Die Unternehmen werden Preisnehmer, und jede Kostensenkung verbessert unmittelbar das Betriebsergebnis. Die negativen Anreize durch die konventionelle Regulierung werden hiermit vermieden. Eine gut konzipierte Preiskontrolle ermutigt die Versorgungsunternehmen, ihre Kosten zu senken, ermöglicht das Entstehen eines Wettbewerbs und verringert unökonomische Quersubventionierungen.
496
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Teil 4
Die Kosten der Regulierung
Diese neuartige Technik wurde in den letzten zehn Jahren bereits in mehreren Wirtschaftssektoren der USA und anderer Länder erprobt. Zwar bieten Preisobergrenzen überlegene Effizienzanreize, aber auch sie haben ihre Mängel. Der größte Nachteil dieses Ansatzes besteht in der Unsicherheit über die angemessene Höhe von X. X sollte den Zielwert der Kostensenkung im Verhältnis zur Wirtschaft als Ganzes darstellen. Wird X über zu lange Zeit falsch festgesetzt, geht das Unternehmen in Konkurs oder nimmt große Monopol-Mitnahmegewinne ein. Daher überprüfen alle staatlichen Behörden, die Preisobergrenzen vorschreiben, den X-Faktor in regelmäßigen Abständen.
Volkswirte beschäftigen sich mit den Auswirkungen staatlicher Regulierung. Sie wollen Kosten und Nutzen gegeneinander abwägen. Die Ergebnisse der neuesten einschlägigen Studie sind in Tabelle 17-1 nachzulesen. Staatliche Regulierung bringt sowohl Effizienzgewinne als auch Effizienzverluste mit sich (beispielsweise durch einen exzessiven und daher ineffizienten Umweltschutz), und sie bewirkt eine Einkommensumverteilung (wenn etwa aufgrund hoher Frachtpreise Einkommen von den Konsumenten zu den Transportunternehmen hin umgeschichtet wird). Die meisten Studien gelangen zu dem
Die Auswirkungen von Regulierungsmaßnahmen, USA, 1988* Effizienzgewinne oder -verluste Vorteile (Mrd. US-$)
Kosten (Mrd. US-$)
Nettovorteile (Mrd. US-$)
Einkommensumverteilung (Mrd. US-$)
Volkswirtschaftliche Regulierung Telekommunikation
0,0
14,1
–14,1
42,3
Landwirtschaft
0,0
6,7
–6,7
18,4
Fluglinien
0,0
3,8
–3,8
7,7
Eisenbahn
0,0
2,3
–2,3
6,8
Milch
0,0
0,7
–0,7
2,2
Erdgas
0,0
0,3
–0,3
5,0
Kredite
0,0
0,3
–0,3
0,8
Schiffe
0,0
0,3
–0,3
0,8
Davis-Bacon Act
0,0
0,2
–0,2
0,5
Ozean
0,0
0,1
–0,1
0,2
Postgebühren
0,0
k. A.
0,0
8,0
58,4
66,5
–8,1
k. A.
Kernkraft
kA
6,5
kA
k. A.
Sicherheit am Arbeitsplatz
0,0
8,8
–8,8
k. A.
Soziale Regulierung Umwelt
497
Kapitel 17 Wie werden Märkte effizienter?
Die Auswirkungen von Regulierungsmaßnahmen, USA, 1988* Effizienzgewinne oder -verluste Vorteile (Mrd. US-$)
Kosten (Mrd. US-$)
Nettovorteile (Mrd. US-$)
Einkommensumverteilung (Mrd. US-$)
Sicherheit auf Autobahnen
35,6
7,7
27,9
k. A.
Pharmazeutika
k. A.
2,3
k. A.
k. A.
Chancengleichheit
k. A.
0,9
k. A.
k. A.
Verbrauchsgüter
k. A.
0,03
k. A.
k. A.
0,0
17,3
–17,3
98,1
Soziale Regulierung
Sonstige Außenhandel
Gesamt, alle Regulierungsmaßnahmen und Branchen** Mrd. US-$ Als Prozentsatz des BIP
94,0
139,0
–35,0
191,0
2,1
3,2
–0,8
4,4
* Alle Schätzwerte in US-Dollar, Stand 1988; kA = liegt nicht vor. ** Bitte beachten Sie, dass beim Fehlen von Angaben (kA) der betreffende Wert gleich null gesetzt wurde. Damit werden die Vorteile wahrscheinlich ein wenig zu gering angesetzt, und auch die umverteilende Wirkung dürfte leicht unterbewertet sein. Tabelle 17-1: Auswirkungen der Regulierung auf die Effizienz und umverteilende Wirkung Studien über die Auswirkungen einer volkswirtschaftlichen und sozialen Regulierung belegen, dass wirtschaftlich motivierte Eingriffe nur geringfügige Vorteile aufweisen, weil sie zu beträchtlichen Effizienzverlusten führen und stark umverteilend wirken. Soziale Regulierungsmaßnahmen haben jedoch nachweislich Vorteile, allerdings sind diese extrem schwierig zu messen. Quelle: Robert W. Hahn und John A. Hird, „The Costs and Benefits of Regulation: Review and Synthesis,“ Yale Journal on Regulation, Bd. 8, 1991, S. 233–287. Bei einer gewissen Bandbreite der Schätzungen wurde jeweils der Mittelwert gewählt.
Schluss, dass sich eine ökonomische Regulierung hauptsächlich in Effizienzverlusten und einer massiven Einkommensumverteilung äußert. Die Erfolgsbilanz der sozialen Regulierung ist dagegen gemischt. In einigen Fällen ergeben sich signifikante Vorteile, während andere kostenintensiv, aber nicht besonders nützlich sind. Die Kosten der sozialen wie auch der ökonomischen Regulierung (einschließlich internationaler Handelsbeschränkungen) werden (zum Stand von 1988)
auf rund 3,2 Prozent des NIP der Vereinigten Staaten geschätzt. Zwar gibt es keine mit Tabelle 17-1 vergleichbaren Studien aus letzter Zeit, doch dürfte die Gesamtbelastung der Regulierung heute wahrscheinlich geringer sein. Schließlich wurden in den letzten zehn Jahren Handelsbarrieren abgebaut sowie die Deregulierung der Industrie vorangetrieben, und es gab auch weniger große soziale Regulierungsmaßnahmen.
Erste Deregulierungsmaßnahmen in der zivilen Luftfahrt Seit 1975 ging die US-Regierung dazu über, viele Sektoren ganz oder teilweise wieder zu deregulieren, darunter Benzin, Fluglinien, Transportunternehmen, Eisenbahnen, Börsenhandel, Telefon-Ferngespräche, das Bankwesen, das Kommunikationswesen, den Finanzsektor und die Erdgasförderung. Alle diese Wirtschaftszweige zeichnen sich durch wettbewerbsfördernde Strukturmerkmale aus, weil ihre Märkte gemessen an der effizienten Größe der einzelnen Unternehmen sehr groß sind. Anhand der zivilen Luftfahrt lässt sich das Dilemma der Deregulierung sehr deutlich zeigen. Seit seiner Gründung in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sah das Civil Aeronautics Board (CAB) seine Aufgabe in einer Verhinderung jedes Wettbewerbs. In den Jahren 1938–1978 wurde es keiner einzigen neuen großen Fluglinie gestattet, auf
Vollständiger Wettbewerb
Autobahnen*
Teil 4
Lokale Wasserversorgung*
Mikroprozessoren Flugzeugproduktion
Automobilproduktion
Während der letzten beiden Jahrzehnte hörte man von vielen Ökonomen immer wieder das Argument, die staatliche Regulierung führe eher zur Bildung von Monopolen, als dass sie diese verhindern könne. Diese Vorstellung gründet teilweise auf der weiter oben erwähnten Einflussnahme diverser Interessengruppen auf die staatliche Regulierung. Außerdem haben Beobachter festgestellt, dass sich der Bereich wirtschaftlicher Regulierung mittlerweile weit über die natürlichen Monopole hinaus erstreckt. Mitte der siebziger Jahre griffen staatliche Aufsichtsbehörden nach Eisenbahnen und Transportunternehmen, nach Fluglinien und Bussen, nach Radio und Fernsehen, Erdöl und Erdgas, nach Pekannüssen, Milch und praktisch allen Finanzmärkten. Einige dieser mittlerweile regulierten Wirtschaftszweige entsprachen eher dem vollständigen Wettbewerb als dem natürlichen Monopol, wie Abbildung 17-3 zeigt.
Bankenwesen*
Die Abkehr von wirtschaftlichen Regulierungsmaßnahmen
Textilien Transportwesen (LKW)* Stahl Fluglinien*
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Landwirtschaft* Erdölbohrungen u. Bergbau
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Natürliches Monopol
Abbildung 17-3: Ausmaß des natürlichen Monopols in verschiedenen Branchen In dieser Grafik sind mehrere regulierte und nicht regulierte Sektoren nach dem Ausmaß des in ihnen herrschenden natürlichen Monopols oder vollständigen Wettbewerbs aufgelistet. In Branchen mit vollständigem Wettbewerb ist die kleinste noch effiziente Unternehmensgröße gemessen am Gesamtmarkt winzig, während ein natürliches Monopol dadurch gekennzeichnet ist, dass die durchschnittlichen Produktionskosten selbst auf dem Niveau der gesamten Branchenproduktion noch stark fallend sind. Landwirtschaft und Bergbau weisen einen deutlichen inhärenten Wettbewerb auf, während Autobahnen und lokale Versorgungsbetriebe einem natürlichen Monopol sehr nahe kommen. Der Stern (*) kennzeichnet Branchen, die in der Vergangenheit stark reguliert waren.
dem Binnenmarkt der Vereinigten Staaten mitzumischen. Wurde eine innovative, kostengünstige und einfache Ticketpreisgestaltung vorgeschlagen, wischte das CAB den Vorschlag einfach vom Tisch. Das CAB war (wie eigentlich vorauszusehen, wenn man die Einstellung von Interessengruppen zur Regulierung kennt) darum bemüht, die Flugpreise möglichst hoch zu halten, und eine Preissenkung lag ganz sicher nicht in seinem Interesse. Im Jahre 1977 ernannte Präsident Carter Alfred Kahn zum CAB-Vorsitzenden. Der anerkannte Ökonom und Regulierungskritiker stellte sich der schwierigen Aufgabe, durch größere Marktzutritts- und Preisflexibilität mehr Wettbewerb zuzulassen. Kurz nach seinem Amtsantritt beschloss der Kongress ein Gesetz, das auf allen Inlandsrouten freien Marktzutritt und -austritt ermöglichte. Die Fluglinien durften nun selbst über ihre Preisgestaltung entscheiden.
Kapitel 17 Wie werden Märkte effizienter?
Sehr häufig waren nun ängstliche Stimmen zu hören, denen zufolge es ohne staatliche Regulierungsmaßnahmen zu massiven Entlassungswellen und zu Versorgungsengpässen kommen werde. Doch nach über 20 Jahren Deregulierungserfahrung wissen wir, dass in der US-Zivilluftfahrt heute rund 65 Prozent mehr Mitarbeiter beschäftigt und etwa 70 Prozent mehr Inlands-Passagiermeilen zu verzeichnen sind. Studien haben ergeben, dass (inflationsbereinigt) die durchschnittlichen Ticketpreise in den Jahren nach der Deregulierung deutlich gesunken sind, dass sich die Auslastung der Flugzeuge verbessert hat und dass mittlerweile die Fluglinien in ihren Preisstrategien außerordentlich innovativ sind. Der Wettbewerb wurde schließlich so intensiv, dass die zivile Luftfahrt in den letzten zehn Jahren keine hohen Gewinne mehr erzielte, und Airline-Pleiten sind heute längst keine Seltenheit mehr. Nach und nach ersetzen nun neue Fluglinien wie Southwest Airlines die bankrotten alten Gesellschaften. Was sich mit Sicherheit als Fazit feststellen lässt, ist die Tatsache, dass die zivile Luftfahrt seit Einführung der Deregulierung in vielerlei Hinsicht effizienter geworden ist. Der Deregulierungserfolg bei den Airlines hat Ökonomen und Nichtökonomen überall auf der Welt ermutigt, selbst in Sektoren, deren Unternehmen das Potenzial zu einer signifikanten Marktmacht aufweisen, auf den unregulierten Markt zu vertrauen. Wirtschaftspolitik in der Praxis: Die Deregulierung der Stromversorgung Eines jener Gebiete, in denen wir in den letzten zehn Jahren eine besonders starke Deregulierung beobachten, ist die Stromversorgung. Der Sektor zerfällt in vier Produktionsstufen – Stromerzeugung, Stromübertragung, physische Verteilung an lokale Stromversorger und Verkauf an Privatkunden. Bis vor kurzem wurde die gesamte Stromversorgung als natürliches Monopol betrachtet und unterlag daher einer massiven staatlichen Regulierung. In vielen Ländern befinden sich die wichtigsten Ver-
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sorgungsunternehmen als kontrolliertes Monopol im Besitz der öffentlichen Hand, während andere Länder auf eine Gebührenregulierung durch Festlegung der Rendite setzen, um die Preise und Märkte der Stromversorgung im Griff zu behalten. Bis in die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurde Strom in den USA überwiegend von regulierten, vertikal integrierten Monopolen produziert, die große Gebiete elektrisch versorgten. In den letzten 20 Jahren entwickelte sich ein neuer Ansatz, der die bisherigen Ansichten zur optimalen Stromversorgung über den Haufen warf. Diese neue Theorie besagte, dass die Stromerzeugung selbst zwar technisch kompliziert, die optimale Größe einer Anlage jedoch so gering sei, dass problemlos Wettbewerbsmärkte zwischen alternativen Stromerzeugern entstehen könnten. Der Vertrieb über lokale Stromversorger ist ein typisches natürliches Monopol (wie die Wasserversorgung oder lokale Telefongesellschaften), das behördlicher Aufsicht bedarf, etwa durch eine Kontrolle der Servicegebühren. Überaus kompliziert ist hingegen die Übertragung von Strom über Fernstrecken. Man darf sie sich nicht wie eine Straße vorstellen, auf der Elektronen von Punkt A zu Punkt B befördert werden.Vielmehr geht es hier um eng verbundene Leitungsnetze, die einer zentralen Verwaltung bedürfen und erheblichen Skaleneffekten unterliegen. Die USA haben einen vorsichtigen Schritt zurück getan und die vertikal integrierten Monopolisten, von denen die Stromindustrie dominiert wurde, zerschlagen und dereguliert. Zum einen erschien die Deregulierung nach den erfolgreichen Versuchen in der zivilen Luftfahrt als sehr attraktiv. Zum anderen glaubte man aufgrund der erfolgreichen Zerschlagung des Telekommunikationsmonopols von Bell und der Anwendung der Bell-Doktrin (die wir beide weiter hinten in diesem Kapitel erörtern werden), dass die Deregulierung der Stromindustrie signifikante wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen würde.
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Das Reformpaket, das schließlich zur Deregulierung der amerikanischen Elektrizitätswirtschaft geschnürt wurde, enthielt folgende Elemente: • Privatisierung staatlicher Betriebe, wo die öffentliche Hand als Stromerzeuger aufgetreten war. Für das Management sollte dies „einschneidende Budgeteinschränkungen“ und starke Anreize zur Kostensenkung mit sich bringen, während man zugleich der Neigung des Staates entgegenwirken wollte, den politisch sensiblen Stromverbrauch zu subventionieren. • Deregulierung der Stromerzeugung durch freien Marktzugang und Abbau von Preiskontrollen. Damit wollte man Anbieter mit kostenintensiver Produktion verdrängen und die Einführung neuer Technologien fördern. Die Freigabe der Preise führte zur Entstehung von „Spotmärkten“ für Strom, auf denen die Preise mit Angebot und Nachfrage stark schwanken und mit deren Hilfe gravierende Engpässe überwunden werden können, die manchmal in extremen Situationen oder bei Hitzewellen auftreten.2 • Gründung einer unabhängigen Agentur für den Stromtransport über Hochspannungsleitungen, die von einer halbstaatlichen Organisation reguliert oder betrieben wird. Dies ist der schwierigste Teil des Pakets, weil diese Übertragungsagentur mehrere Aufgaben zu erfüllen hat: Sie muss den Marktzutritt für neue Stromerzeuger und das Stromangebot erleichtern, das Netz betreiben und adäquate Erlöse zum Aufbau neuer Kapazitäten gewährleisten. Dieses Deregulierungspaket war bereits in mehreren Ländern erprobt worden, darunter in Großbritannien, Schweden und Chile, und in den USA folgten mehrere Bundesstaaten ihrem Beispiel. In einigen Fällen funktionierte die Deregulierung problemlos und brachte den Konsumenten beträchtliche Vorteile in Form niedrigerer Strompreise ein.
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Doch in jenen anderen Fällen, in denen die Umsetzung gröbere Mängel aufwies – etwa in Kalifornien –, erwies sich die Stromderegulierung bisweilen als echtes Fiasko. Eines der Probleme in Kalifornien bestand darin, dass der Staat die Preise zwar im lokalen Vertrieb kontrollierte, die Großhandelspreise hingegen nicht. Eine weitere Schwierigkeit ergab sich mit der Konzeption der Auktion, die es Unternehmen wie Enron ermöglichte, Käufe und Verkäufe zu manipulieren und die Preise in die Höhe zu treiben. Als die Großhandelspreise in Kalifornien immer weiter anstiegen, ging das größte Versorgungsunternehmen des Bundesstaates in Konkurs; der Staat übernahm dessen Programm und kaufte große Mengen Strom zu enorm hohen Preisen ein, während gleichzeitig das Auktionssystem aufgegeben wurde. Die von der öffentlichen Hand bezahlten überhöhten Preise führten zu einer ernsthaften Haushaltskrise. Diese Episode verpasste allen Deregulierungsbestrebungen einen erheblichen Dämpfer und löste eine Flut von Untersuchungen und Klagen aus, um Licht in den Schlamassel zu bringen. Schlagzeilen machte die Stromderegulierung 2003, als es im Nordosten der USA zu weit verbreiteten Stromausfällen kam. Hier war das Problem auf die schlechte Koordinierung des Stromnetzes im neuen deregulierten Umfeld zurückzuführen. Stromübertragungsnetze funktionieren nach Art einer „Technologie des schwächsten Gliedes“, wobei irgendein unbedeutender Teil des Systems das ganze Netz zusammenbrechen lassen kann. Eine Technologie des schwächsten Gliedes in Netzen bedarf mehr als alles andere der „Aufsicht Erwachsener“, in diesem Fall der Aufsicht durch den Stromregulator.
Deregulierung: Die Unvollendete 2 Die Deregulierungsbewegung der letzten drei Jahrzehnte zeitigte Erfolge und Misserfolge. Aus Erfahrung wissen wir, wie schwierig es sein kann, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft so zu gestalten, dass die Markt-
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kräfte dennoch für die nötigen Anreize sorgen, während zugleich sichergestellt ist, dass Monopolmacht und Informationsdefizite auf ein Minimum beschränkt bleiben. Einige Ökonomen sind der Ansicht, die USA hätten sich von einem intelligenten Abbau staatlicher Kontrollen in den siebziger Jahren hin zu einer bedenkenlosen Deregulierung querbeet in den neunziger Jahren bewegt. Sie verweisen auf eine ganze Reihe von Marktversagen, die sich Ende der neunziger Jahre und kurz nach der Jahrtausendwende zeigten und die den Bedarf an einer stärkeren Aufsicht des Staates belegen: • Der Staat hatte nach und nach zahlreiche Aspekte der Stromproduktion dereguliert. Der große Blackout, der Stromausfall des Jahres 2003, führte den Amerikanern jedoch die Notwendigkeit einer klügeren staatlichen Regulierung der Übertragungsstandards vor Augen, sollte die Stromversorgung verlässlicher werden. (Siehe dazu die Erörterung der Stromderegulierung weiter oben.) • Die Bilanzskandale rund um Enron, WorldCom und zahlreiche andere Unternehmen verwiesen auf die Notwendigkeit strengerer Bilanzierungsgrundsätze und verlässlicher Haftungs- und Vollmachtsysteme für die Vorstände und Aufsichtsräte der Unternehmen. Der Kongress erließ 2002 ein Gesetz zur Erweiterung der Verfügungsgewalt der US-Wertpapieraufsichtsbehörde SEC. • Als der Kongress 1997 die Finanzmärkte deregulierte, eröffnete er damit den Ban2 Wie funktioniert ein solcher Spotmarkt? Im typischen Fall gibt jeder Stromerzeuger seine Mengenangebote und Lieferpreise für jede halbe Stunde des folgenden Tages bekannt. Die Agentur für die Stromübertragung reiht diese Angebote dann anhand der Kosten und erstellt durch Verbindung mit den vorliegenden Nachfrageschätzungen einen Plan für den kostengünstigsten Betrieb am kommenden Tag. Der Plan sieht auch eine Reihe von Spot- (oder kurzfristigen) Preisen vor. Die Spotpreise haben sich als überaus variabel erwiesen, ganz typisch für eine Branche, in der die Grenzkosten je nach Auslastung oder Nachfrage so stark schwanken. Sie können die täglichen Veränderungen der Spotmarktpreise leicht im Wall Street Journal verfolgen. Spotmärkte bestehen für zahlreiche Waren.
501 ken ein neues Geschäftsfeld in den Bereichen Investment Banking und Aktienhandel. Viele Wirtschaftswissenschaftler sind der Ansicht, dies habe Anreize für die Research-Analysten unter den Wertpapierbrokern geschaffen, mit viel Eifer die Aktien von Unternehmen, deren Anleihen der Private-Banking-Bereich der Bank verkaufte oder an die die Bank ausstehende, aber notleidende Kredite vergeben hatte, zu bewerben. John McMillan von der Universität Stanford beschreibt die Rolle der staatlichen Regulierung anhand einer interessanten Analogie. Im Sport gehe es um Wettbewerbe, in denen einzelne Sportler oder ganze Teams bemüht seien, ihre Gegner an Kraft und Intelligenz zu übertreffen. Die Teilnehmer müssten sich jedoch an ein detailliertes Gefüge von Regeln und Vorschriften halten. Zusätzlich habe auch noch der Schiedsrichter ein wachsames Auge auf die Spieler, um seinerseits dafür zu sorgen, dass die Regeln eingehalten würden, und um Regelverstöße entsprechend zu ahnden. Ohne sorgfältig ausgearbeitete Regeln würde ein sportlicher Wettbewerb zum chaotischen und blutigen Kampf ausarten. Ebenso benötigten wir in einer modernen Volkswirtschaft ein staatliches Regelwerk und ein starkes Rechtssystem zu dessen Durchsetzung, damit der gesunde Wettbewerb nicht zur Bildung von Monopolen, zu Umweltverschmutzung, Betrug, Irreführung und zur Verletzung von Rechten führe oder in sonstige Nachteile für Arbeitnehmer und Konsumenten ausarte. Diese Analogie aus dem Sport erinnert uns daran, dass der Staat auch heute noch eine wichtige Funktion in der Überwachung der Wirtschaft und in der Festlegung der darin geltenden Regeln hat.
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B. Antitrustpolitik Wenden wir nun einer der ältesten und wichtigsten Formen staatlicher Kontrolle über die Wirtschaft, dem Kartellrecht oder konkret der US-Antitrustpolitik, zu. Dieser Zweig der mikroökonomischen Politik dient der Förderung eines lebhaften Wettbewerbs und der Verhinderung von monopolistischem Missbrauch.
Der unvollständige Wettbewerb im Überblick In den Kapiteln 9 und 10 haben wir uns damit befasst, wie Akteure im unvollständigen Wettbewerb ihre Preise und Produktionsmengen festsetzen. Wiederholen wir kurz noch einmal die wichtigsten volkswirtschaftlichen Theorien hinter der staatlichen Monopolbekämpfung: • Unternehmen im unvollständigen Wettbewerb sind deshalb ineffizient, weil sie ihre Preise über Grenzkostenniveau ansetzen. Die Konsumenten eines monopolistischen oder oligopolistischen Wirtschaftszweigs können weniger Güter als bei effizientem Güterangebot konsumieren. • In zahlreichen Branchen werden enorme Skalenerträge wirksam. Es wäre schlicht unrealistisch, würde man versuchen, die Produktionsleistung dieser Branchen mit Unternehmen erzeugen zu wollen, die unter Bedingungen des vollständigen Wettbewerbs arbeiten, weil dann ja ineffizient kleine Unternehmen die Produktion übernehmen müssten. In einigen wenigen Fällen lässt sich die Technik in einem Wirtschaftszweig effizient sogar nur von einem einzigen Unternehmen nutzen. Wir sprechen in diesem Fall von einem „natürlichen Monopol“.
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• Langfristig ist wirtschaftlicher Fortschritt beinahe immer auf einen technologischen Wandel zurückzuführen. Nach der Schumpeterschen Hypothese sind große Unternehmen mit starker Marktmacht für einen Großteil der Erfindungen und des technologischen Wandels verantwortlich. Staatliche Politik sollte daher besonders behutsam vorgehen, um die Innovationsanreize nicht zu gefährden. • Die Hauptformen eines Marktmissbrauchs – ein zu hoher Preis oder eine schlechte Produktqualität – treten auf, wenn ein Wirtschaftszweig effektiv monopolisiert ist. Eine verlässliche Faustregel besagt, dass sich ein Wirtschaftszweig monopolistisch verhält, wenn ein einziges Unternehmen oder eine durch Kollusion verbundene Gruppe mehrerer Unternehmen mehr als drei Viertel der Produktionsmenge einer Branche erzeugt. • Es liegt nun am Staat, eine Monopolisierung nach Möglichkeit zu verhindern, unvermeidliche Monopole aber zu regulieren. Staatliche Antikartellpolitik stellt den Versuch dar, die Monopolisierung oder ein unerwünschtes, wettbewerbshemmendes Verhalten zu verhindern; staatliche Regulierungsmaßnahmen werden getroffen, um die Ausübung der Monopolmacht in natürlichen Monopolen zu kontrollieren. Mit der Rücknahme der volkswirtschaftlichen Regulierung als wichtigem Werkzeug zur Verhinderung von monopolistischem Missbrauch konzentriert sich staatliche Wirtschaftspolitik heute zunehmend auf die Förderung des Wettbewerbs und den Einsatz kartellrechtlicher Maßnahmen als wichtigste Methoden zur Förderung der Markteffizienz. In diesem Abschnitt befassen wir uns mit der US-amerikanischen Antitrustpolitik, die auf zwei verschiedene Arten gegen Wettbewerbsbehinderungen vorgeht. Erstens unterbindet sie bestimmte Arten des Unternehmensverhaltens wie Preisabsprachen, die die Wettbewerbskräfte hemmen sollen. Zwei-
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tens schränkt sie bestimmte Marktstrukturen wie Monopole ein, von denen man annimmt, dass sie aller Voraussicht nach den Handel beschränken und ihre wirtschaftliche Macht auch anderweitig missbrauchen werden. Der Rahmen für die amerikanische Antitrustpolitik wurde durch einige wichtige Gesetze und eine mittlerweile hundertjährige Geschichte entsprechender Gerichtsentscheide geschaffen. In den letzten Jahren hat sich die Antitrustpolitik unter dem Druck der Ökonomen weg von der „Big-is-Bad“-Philosophie und hin zu einem volkswirtschaftlichen Antitrustansatz entwickelt. Der volkswirtschaftliche Ansatz betont die immanente Rivalität zwischen Oligopolisten und folgert daraus, dass wirksame Anreize für große Unternehmen, ihre Preise zu senken und die Produktqualität zu heben, nur in einer deregulierten Welt entstehen können, in der die Marktzutrittsbarrieren niedrig und die Märkte für den in- und ausländischen Wettbewerb offen sind. Nach dieser Auffassung sollten die eigentlichen kartellrechtlichen Maßnahmen nur gravierenden Fällen eines Missbrauchs von Marktmacht vorbehalten bleiben.
Das gesetzliche Rahmenwerk Das heutige amerikanische Kartellrecht erscheint uns wie ein undurchdringlicher Dschungel, der sich aus einer Handvoll Samen entwickelt hat. Die gesetzlichen Bestimmungen, auf denen das Antitrustrecht fußt, sind so knapp und einfach gehalten, dass sie sich in Tabelle 17-2 darstellen lassen. Es ist wirklich erstaunlich, welche Fülle an komplexen rechtlichen Sachverhalten sich aus einigen wenigen kurzen Texten entwickeln konnte.
von denen die US-Wirtschaft in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts geprägt war, als wirkungslos.3 Es war das öffentliche Klima, das im Jahr 1890 zur Verabschiedung des Sherman Act, des Eckpfeilers des amerikanischen Kartellrechts, führte. Paragraf 1 des Sherman Act verbietet alle Verträge, Fusionen und Machenschaften „zur Einschränkung des Handels“. Paragraf 2 verbietet die „Monopolbildung“ und Absprachen mit diesem Ziel. Weder das Gesetz selbst noch die zugehörigen Durchführungsbestimmungen enthalten eine klare Definition des Begriffs Monopol oder der verbotenen Handlungen. Die Bedeutung dieses Gesetzes bildete sich erst im späteren Fallrecht anhand gerichtlicher Entscheidungen heraus.
Der Clayton Act (1914) Der Clayton Act sollte die Bestimmungen des Sherman Act klären und ihm zur Durchsetzung verhelfen. Er verbot so genannte Knebelungsverträge (die einen Kunden dazu zwingen, mit Produkt A auch Produkt B zu kaufen) und Preisdiskriminierung sowie Exklusivtransaktionen als gesetzwidrig. Auch Funktionshäufungen (wenn dieselben Personen in den Vorständen oder Aufsichtsräten mehr als eines Unternehmens desselben Sektors saßen) und Fusionen durch den Aufkauf von Aktien eines Mitbewerbers wurden darin verboten. Diese Verbote galten allerdings nur, wenn sich die jeweiligen Praktiken per se schädlich auf den Wettbewerb auswirkten. Der Clayton Act sah bereits Prävention und Strafandrohung vor. Erwähnenswert ist auch, dass der Clayton Act den Gewerkschaften ausdrücklich kartellrechtliche Immunität gewährte.
Der Sherman Act (1890) Monopole waren nach dem Common Law, das auf Gepflogenheiten und früheren Gerichtsentscheiden beruht, lange Zeit hindurch verboten. Trotzdem erwies sich das Gesetz gegen Fusionen, Kartelle und Trusts,
3 Ein Trust ist eine Gruppe von Firmen, zumeist desselben Sektors, die durch einen Vertrag so verbunden sind, dass sie Produktion, Preise oder sonstige Branchenbedingungen kontrollieren können. Um ein wenig Zeitgefühl zu entwickeln, können Sie sich den Abschnitt „Monopolisten der amerikanischen Gründerzeit“ in Kapitel 9 durchlesen.
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Die amerikanischen Antitrust-Gesetze Sherman Antitrust Act (1890, samt Novellen) § 1. Jeder Vertrag, jede Verbindung in Form eines Trusts oder auf andere Weise oder konspirative Absprachen zur Einschränkung des Handels zwischen mehreren Bundesstaaten oder mit dem Ausland werden als gesetzwidrig erklärt. § 2. Jede Person, die bestimmte Bereiche des Handels zwischen den einzelnen Bundesstaaten oder mit anderen Staaten monopolisiert, zu monopolisieren versucht oder sich zu diesem Zweck mit einer oder mehreren anderen Personen zusammenschließt oder verabredet, macht sich einer Straftat schuldig. ... Clayton Antitrust Act (1914, samt Novellen) § 2. Es ist gesetzwidrig ... bei der Preisgestaltung zwischen verschiedenen Käufern von Waren derselben Art und Qualität zu unterscheiden ... wenn sich die Diskriminierung so auswirkt, dass dadurch der Wettbewerb erheblich beeinträchtigt oder in einer Geschäftssparte ein Monopol errichtet wird ... Wobei keine der gegenständlichen Ausführungen Preisunterschiede, die nur den jeweiligen Kostenunterschieden entsprechen, unter Strafe stellt. ... § 3. Dass es niemandem gestattet ist ... etwas zu vermieten, zu verkaufen oder vertraglich zu vereinbaren ... unter der Bedingung, mit der Absprache oder Übereinkunft, dass der Mieter oder Käufer die Waren eines Konkurrenten nicht ... nutzen oder mit ihnen handeln darf, wenn die Auswirkungen einer solchen Vereinbarung den Wettbewerb beträchtlich hemmen oder geeignet sind, in einem Wirtschaftszweig ein Monopol zu errichten. § 7. Kein [Unternehmen] ... darf ... ganz oder teilweise ... ein anderes [Unternehmen] kaufen ... wenn ... die Auswirkungen eines solchen Kaufs den Wettbewerb erheblich hemmen oder geeignet sind, ein Monopol zu errichten. Federal Trade Commission Act (1914, samt Novellen) § 5. Unfaire Wettbewerbsmethoden ... und unfaire oder betrügerische Akte oder Praktiken ... werden als ungesetzlich erklärt. Tabelle 17-2: Das Kartellrecht der USA gründet auf einigen wenigen Gesetzestexten Der Sherman, Clayton und der Federal Trade Commission Act bilden die Grundsteine des amerikanischen Antitrust-Rechts. Aus der Interpretation dieser Gesetze entwickelten sich die modernen Kartelltheorien.
Die Federal Trade Commission Die Federal Trade Commission (FTC,) wurde im Jahre 1914 gegründet, um „unfaire Wettbewerbsmethoden“ zu verhindern und vor wettbewerbsfeindlichen Fusionen zu warnen. Im Jahr 1938 wurde die FTC zusätzlich mit der Aufgabe betraut, gegen irreführende und betrügerische Werbung aufzutreten. Die FTC darf Untersuchungen durchführen, Anhörungen abhalten und Unterlassungsanordnungen erteilen.
Grundlagen des Kartellrechtes: Verhalten und Struktur von Unternehmen So klar und eindeutig die wichtigsten kartellrechtlichen Bestimmungen sind, so schwer kann dennoch in der Praxis die Entscheidung fallen, wie auf konkrete Situationen einer bestimmten Marktstruktur oder eines bestimmten Verhaltens von Unternehmen reagiert werden soll. Die faktische Rechtslage hat sich im Kartellrecht der USA durch die Wechsel-
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wirkung zwischen volkswirtschaftlicher Theorie und Rechtsprechung entwickelt.
Gesetzwidriges Verhalten Einige der ersten Antitrustentscheidungen betrafen so genanntes gesetzwidriges Verhalten. Die Gerichte befanden, dass bestimmte Arten der Kollusion per se gesetzwidrig sind. Wer so handelt, kann sich nicht auf hehre Ziele (wie die Produktqualität) oder mildernde Umstände (wie niedrige Gewinne) berufen. Zu den per se gesetzwidrigen Absprachen zwischen konkurrierenden Unternehmen gehören Preisabsprachen, Mengenbeschränkungen oder Marktaufteilung. Sie wirken sich in Form steigender Preise und sinkender Produktionsleistung aus. Nicht einmal die hartnäckigsten Kritiker eines kartellrechtlichen Eingreifens des Staates können Preisabsprachen etwas abgewinnen. Eingeschränkt werden auch folgende Verhaltensweisen von Unternehmen: • Die Festsetzung von Kampfpreisen, von denen wir sprechen, wenn ein Unternehmen seine Produkte unter den Gestehungskosten (zumeist interpretiert als Grenzkosten oder variable Durchschnittskosten) verkauft. Das Argument gegen dieses so genannte Preisdumping lautet, dass ein großes Unternehmen auf seine finanziellen Ressourcen zurückgreifen, die Preise senken und kleinere Rivalen aus dem Geschäft drängen kann, um anschließend die Preise wieder kräftig anzuheben. In den letzten Jahren wurden einige der größten Supermarktketten von ihren kleineren Mitbewerbern des Preisdumpings bezichtigt. • Die Bildung von Junktims zwischen Geschäften durch Knebelungsverträge oder Arrangements, denen zufolge ein Unternehmen Produkt A nur dann verkauft, wenn der Käufer zugleich auch Produkt B erwirbt. • Preisdiskriminierung, wobei ein Unternehmen dasselbe Produkt verschiedenen Kunden zu unterschiedlichen Preisen ver-
505 kauft, ohne in seiner Begründung die Kosten oder den Wettbewerb geltend machen zu können. (Erinnern Sie sich bitte an unsere Erörterung der Preisdiskriminierung in Kapitel 10.) Bitte beachten Sie auch, dass sich alle drei Praktiken unserer kurzen Liste auf das Verhalten eines Unternehmens beziehen. Die Handlungsweise selbst ist gesetzwidrig, nicht die Struktur der Branche, innerhalb der sie stattfindet. Das berühmt-berüchtigtste Beispiel dafür ist wahrscheinlich die große Verschwörung der Anbieter elektrischer Ausrüstung. Im Jahre 1961 wurde die Elektroanlagenindustrie der Preisabsprachen im Rahmen einer Kollusion für schuldig befunden. Leitende Angestellte der Branchenführer – wie GE und Westinghouse – hoben in verschwörerischer Weise die Preise an und verwischten alle diesbezüglichen Spuren, indem sie einander in Jagdhütten trafen, Codenamen benutzten und Anrufe von öffentlichen Telefonzellen aus tätigten. Zwar wusste das Top-Management der betroffenen Unternehmen ganz offensichtlich nicht, was die jeweils zweite Ebene tat, aber diese zweite Ebene stand unter einem massiven Druck, die Umsätze anzukurbeln. Die Unternehmen willigten ein, ihren Kunden hohe Beträge an Schadensersatz für überhöhte Rechnungen zu bezahlen, und einige der Führungskräfte wanderten wegen kartellrechtlicher Verstöße hinter Gitter. Preisabsprachen aus der jüngsten Zeit. Ein interessanter akademischer Fall einer Preisabsprache wurde nach Untersuchungen des US-Justizministeriums bekannt, das sich für die Festsetzung der Studiengebühren an amerikanischen Colleges und Universitäten interessierte. Die Regierung unterstellte, dass eine kleine Gruppe dieser Bildungseinrichtungen in konspirativer Weise den Wettbewerb um die Stipendienvergabe an begabte Bewerber untergraben hatte, indem sie ihre Stipendien ausschließlich aufgrund sozialer Umstände und durch den Vergleich mit
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künftigen Beihilfen für die auf normalem Weg aufgenommenen Studenten festsetzte. Eine der beschuldigten Parteien, das berühmte MIT (Massachusetts Institute of Technology), ging gerichtlich gegen die Regierung vor und argumentierte, gemeinnützige Organisationen müssten sich eben nach anderen Standards richten als gewinnorientierte Unternehmen. Das MIT gewann das Berufungsverfahren, doch der Fall warf einige neue Fragen über die Art und Weise auf, wie sich kartellrechtliche Bestimmungen auf Bildungseinrichtungen und andere gemeinnützige Institutionen anwenden lassen. Neue Werkzeuge für die Antitrustpolitik Die meisten Ökonomen würden heute zustimmen, dass staatliche Kartellpolitik niedrige Preise und eine hohe Produktqualität fördern sollte. Über Monopole hört man selten freundliche Worte. Doch echte Monopole sind auch extrem selten, und die Politiker müssen das Verhalten einer großen Bandbreite an verschiedenen oligopolistischen Marktstrukturen analysieren. In der Vergangenheit konzentrierten sich die Streiter gegen monopolistische Strukturen, die so genannten Trustbuster, primär auf die Marktanteile eines Unternehmens sowie auf ganz bestimmte Formen wettbewerbsfeindlichen Verhaltens. Heute, da uns genauere Daten und stärkere Computer zur Verfügung stehen, können sich die Ökonomen, wenn sie die Ratsamkeit einer Fusion erwägen, der eigentlichen Entwicklung der Preise zuwenden. Ein Beispiel aus letzter Zeit zeigt uns, welche Werkzeuge der Ökonomie heute zur Verfügung stehen, um kartellrechtliche Entscheidungen richtig zu treffen. Im Jahre 1997 ging es um die angestrebte Fusion zweier Handelsketten für Bürobedarf, Staples und Office Depot. Da die Branche eine sehr niedrige Konzentration aufwies, hätte es aufgrund der traditionellen Richtlinien grünes Licht für den Zusammenschluss geben müssen.
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Doch die Ökonomen der Regierung analysierten die tatsächlichen Kassenpreise und Mengendaten für jeden Artikel der beiden Ketten, und verglichen diese für die einzelnen Standorte. Dank der eingesetzten Werkzeuge der Sektororganisation und der Ökonometrie trat bald ein interessantes Muster zutage: Die Preise von Staples waren in Städten, in denen Office Depot ebenfalls einen Laden betrieb, deutlich niedriger als an Standorten, an denen nur Staples vertreten war. Dies zeigte deutlich, dass die Fusion Staples ermöglichen würde, die Preise anzuheben. Die Fusion wurde daher verboten. Einige Ökonomen glauben zu erkennen, dass Daten über das tatsächliche Verhalten die bisherigen Marktanteilsdaten in der Analyse des Unternehmensverhaltens verdrängen. Angesichts der Mängel dieser Marktanteilsdaten in der Vorhersage des wirtschaftlichen Verhaltens und des Abschneidens von Unternehmen werden aber viele diesen Wandel begrüßen.
Branchenstrukturen: Ist „Big“ wirklich „Bad“? Spektakulärer als alle Maßnahmen gegen das Verhalten einzelner Unternehmen sind Antitrustfälle, die sich auf die Struktur ganzer Wirtschaftszweige beziehen. Dazu gehören Versuche, große Unternehmen zu zerschlagen, ebenso wie Antifusionsverfahren gegen den angestrebten Zusammenschluss großer Unternehmen. Die erste Welle kartellrechtlicher Maßnahmen auf der Grundlage des Sherman Act zielte auf die Zerschlagung bestehender Monopole ab. So ordnete der Oberste Gerichtshof der USA im Jahre 1911 an, die American Tobacco Company und die Standard Oil in mehrere kleine Einzelunternehmen zu teilen. Im Zuge dieses Verfahrens erließ der Oberste Gerichtshof die so genannte „Rule of Reason“. Demnach sind nur unangemessene Handelsbeschränkungen (Fusionen, Absprachen und dergleichen) nach dem Sherman Act gesetzwidrig und strafbar.
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Die Rule of Reason machte die kartellrechtlichen Bemühungen gegen monopolistische Fusionen fast völlig zunichte, wie sich anhand des Falls der U.S. Steel (1920) nachweisen lässt. J.P. Morgan hatte den Giganten durch eine Kette von Fusionen aufgebaut, und am Höhepunkt seiner Macht kontrollierte der Konzern ganze 60 Prozent des Marktes. Der Oberste Gerichtshof vertrat jedoch die Ansicht, Größe oder Monopol allein könnten keinen strafrechtlichen Tatbestand darstellen. Damals wie heute konzentrierten sich die Gerichte stärker auf das wettbewerbsfeindliche Verhalten als auf die monopolistische Struktur.
Strukturelle Kartellprobleme der letzten Jahre Die bedeutendsten Antitrust-Fälle der letzten Jahre betrafen drei Großkonzerne in zwei der wichtigsten Wirtschaftssektoren, nämlich Telekommunikation und Computer. Bei näherer Betrachtung können wir daraus die Grundzüge der modernen Konzepte einer Antikartellpolitik ableiten. Der Fall AT&T und die Bell-Doktrin. Bis in die frühen achtziger Jahre war AT&T ein vertikal und horizontal integrierter Monopolist des Telekommunikationsmarktes. Das Unternehmen wickelte über 95 Prozent der Ferngespräche ab, betrieb 85 Prozent aller lokalen Telefonleitungen und verkaufte den Großteil des gesamten Telefonzubehörs in den USA. Der Firmenkomplex im Eigentum der AT&T – man sprach häufig vom BellSystem – umfasste die Bell Telephone Labs, die Western Electric Company sowie 23 BellBetriebsgesellschaften. 1974 erhob das Justizministerium Klage gegen AT&T, ein Vorgehen, das weitreichende Folgen haben sollte. Beanstandet wurde, dass AT&T (1) den regulierten Ferngesprächsmarkt auf wettbewerbsfeindliche Weise monopolisiert habe, etwa indem MCI und andere von der Anbindung an die lokalen Märkte abgehalten wurden, und (2) dass
507 durch die Weigerung, Ausrüstung von firmenexternen Anbietern zu kaufen, ein Telekommunikationsmonopol aufgebaut worden sei. Der Klage lag die so genannte „Bell-Doktrin“ von William Baxter, einem Rechtsgelehrten und ehemaligen Leiter der Antitrust Division der USA, zugrunde. Danach verfügen regulierte Monopolisten über den Anreiz und die Möglichkeit, verwandte Märkte (wie diejenigen, auf denen sie kaufen oder verkaufen) zu monopolisieren, und die wirksamste Lösung besteht in der Verhängung einer „Quarantäne“ über das monopolistische Segment, indem Eigentum und Kontrolle desselben vom Eigentum und der Kontrolle potenziell konkurrierender Segmente der Branche getrennt werden. Kurz gesagt, reguliertes Monopole und Wettbewerb sollten nicht vermengt werden. Die wirtschaftliche Theorie hinter der Bell-Doktrin besagt, dass ein Monopolist, insbesondere ein regulierter Monopolist, seine Gewinne durch horizontale oder vertikale Integration steigern kann. So lassen sich etwa höhere Gewinne durch die Benachteiligung möglicher Konkurrenten in einem verwandten Wirtschaftszweig oder durch Berechnung überhöhter Preise für die eigenen nicht regulierten Produkte (wie Telefonzubehör) an die regulierte Einheit erzielen, wobei diese überhöhten Preise anschließend mittels Kostenaufschlagsformel (für Telefoniedienste) auf die Kunden überwälzt werden. Dieses Verhalten tritt mit größter Wahrscheinlichkeit in Fällen auf, in denen der Regulator über Kosten und Verhalten des Unternehmens nur unzureichend informiert ist. Angesichts der Aussicht, das AntitrustVerfahren zu verlieren, stimmte AT&T einem so genannten „Consent Decree“ zu, das fast vollständig der Bell-Doktrin folgte. Die lokalen Bell-Betriebsgesellschaften wurden aus AT&T ausgegliedert (rechtlich getrennt) und zu sieben großen regionalen TelefonHoldinggesellschaften umgruppiert. AT&T behielt das Ferngesprächsgeschäft und die Bell Labs (die F&E-Organisation) sowie
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Western Electric (den Telefonzubehörhersteller). Alles in allem schrumpfte der BellVerbund sowohl nach Größe als auch nach Umsatz um 80 Prozent. Die regulierten Monopolisten durften sich nicht mehr auf verwandten Wettbewerbsmärkten betätigen. Die Zerschlagung des Bell-Systems löste eine atemberaubende Revolution in der Telekommunikationsbranche aus. Die Szenerie verändert sich grundlegend, seit Mobiltelefonsysteme das natürliche Monopol der Festnetztelefonie des großen Alexander Graham Bell unterminieren. Telefongesellschaften schließen sich zusammen, um nun auch Fernsehdienste anzubieten. Glasfaserkabel dienen als Daten-Superhighways und können enorme Datenmengen quer durch das Land und über den Globus befördern. Das Internet verbindet Menschen und Orte auf eine Weise, die noch vor zehn Jahren unvorstellbar gewesen wäre. Wenn sich eine Lehre aus der Zerschlagung des Bell-Systems ziehen lässt, dann diese: Für einen raschen technologischen Wandel werden keine Monopole benötigt. Der Fall IBM. Mehrere spektakuläre Kartellverfahren der letzten Jahre betrafen Computergesellschaften. Der erste dieser Fälle war ein Versuch der US-Regierung, IBM in mehrere Teile zu zerschlagen. Die 1969 eingebrachte Klage lautete, IBM habe „digitale Computer für allgemeine Zwecke zu monopolisieren versucht ... und tatsächlich monopolisiert.“ Die US-Regierung befand, IBM verfüge mit 76 Prozent des Marktes im Jahr 1967 über einen dominierenden Marktanteil. Beanstandet wurde auch, dass IBM viele Vorrichtungen und Geräte dazu verwendet habe, die Konkurrenz zu behindern. Unter den inkriminierten wettbewerbsfeindlichen Praktiken wurden Preisjunktims, zu niedrige Preise, die den Marktzutritt neuer Unternehmen behinderten, und die Einführung neuer Produkte genannt, die zumindest tendenziell die Attraktivität der Produkte anderer Gesellschaften untergruben. IBM kämpfte verbissen und mit großem Einsatz gegen die Anschuldigungen der USRegierung. Der Haupteinwand von IBM lau-
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tete, die Regierung wolle erfolgreiche Betriebsführung, nicht wettbewerbsfeindliches Verhalten bestrafen. Das grundlegende Dilemma in all diesen Fällen war bereits im Alcoa-Fall deutlich zutage getreten: „Gewinnt ein zur Konkurrenz gezwungenes Unternehmen, darf ihm das nicht zum Vorwurf gemacht werden.“ IBM behauptete, die USRegierung wolle das Unternehmen dafür bestrafen, dass es das enorme Potenzial der Computer-Revolution vorhergesehen habe und nun den Sektor eben aufgrund seiner „überlegenen Fähigkeiten, Umsicht und Bemühungen“ dominiere. Der Fall zog sich endlos dahin, bis der Leiter der Kartellbehörde der Reagan-Administration, William Baxter, 1982 beschloss, den Fall als „jeder Grundlage entbehrend“ zu den Akten zu legen. Die Argumentation der Regierung lautete, die Computerindustrie sei anders als die Telekommunikationsbranche nicht reguliert und somit den Markt- und Wettbewerbskräften bedingungslos ausgesetzt. Baxter meinte, dieser Wirtschaftszweig sei ohnehin heiß umstritten, und staatliche Versuche, den Computermarkt umzustrukturieren, müssten der volkswirtschaftlichen Effizienz eher abträglich als zuträglich sein. Kartellrecht in der New Economy: Der Fall Microsoft Der jüngste große kartellrechtliche Fall bezog sich auf den Software-Riesen Microsoft. 1998 erhoben die US-Regierung sowie 19 Bundesstaaten eine umfassende Klage gegen Microsoft, wobei sie erklärten, das Unternehmen habe seine marktdominierende Position bei Betriebssystemen gesetzwidrig erreicht und eingesetzt, um sich weitere Märkte zu erschließen, etwa jenen für Internet-Browser. Die US-Regierung warf Microsoft vor, sich „einer ganzen Reihe gesetzwidriger Handlungen schuldig gemacht zu haben, deren Zweck und Wirkung in der Vereitelung jeder künftigen Bedrohung seines mächtigen und gut verankerten Monopols im Bereich der Betriebssysteme bestand.“
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In der Klageschrift konnte man lesen, dass Microsoft eine ganze Reihe wettbewerbsfeindlicher Praktiken an den Tag gelegt habe, etwa die Verdrängung der Konkurrenz und eine unfaire Preisgestaltung, illegale Knebel- und Exklusivverträge, die den Sherman Act verletzten. Auch wenn ein mit fairen Mitteln erreichtes Monopol legal ist, verstoßen alle Maßnahmen zur Verhinderung des Wettbewerbs gegen das Gesetz. Die brutale Vorgehensweise, die Microsoft in den so genannten „Browser Wars“ gegen Netscape an den Tag gelegt hatte, wurde in der Klage besonders tadelnd erwähnt. Eine wettbewerbsfeindliche Praxis stellte laut Angaben der Regierung etwa die kostenlose Abgabe des MicrosoftBrowsers Internet Explorer und dessen Verbindung mit dem Betriebssystem Windows 98 dar. Diese Handlungsweise erfüllt den Tatbestand der verdrängenden Preisgestaltung, die es Microsoft ermöglichte, seine Marktmacht bei Betriebssystemen zu nutzen, um Netscape auszubremsen. Microsoft verwendete häufig eine bildreiche Sprache, um das eigene Verhalten zu beschreiben, etwa als Vice President Paul Maritz die firmeneigene Strategie Netscape gegenüber so erläuterte: „Wir werden ihnen die Luftzufuhr abschneiden. Wir werden alles, was sie verkaufen, kostenlos unter die Leute bringen.“ Microsoft bediente sich in seiner Verteidigungsschrift der Argumentation des „guten Monopols“ und führte aus, der hauseigene Internet Explorer sei bei den Konsumenten „aus dem einfachen Grund“ so beliebt, „weil er eine überlegene Technologie darstellt und in praktisch allen unabhängigen Tests gegenüber dem Navigator von Netscape besser abschneidet.“ Die Regierung vertrat überdies die Auffassung, Microsoft würde das bestehende Monopol gezielt einsetzen, indem es Unternehmen zum Abschluss von Exklusiv-Vertriebsverträgen zwinge, denen zufolge sie Microsoft-Software und -Produkte auf Kosten der Konkurrenz abzusetzen hätten. So erklärte beispielsweise ein leitender Mitarbeiter von IBM in seiner Zeugenaussage
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das IBM-Betriebssystem OS/2 könne mit Windows deshalb nicht konkurrieren, weil Microsoft unabhängige Softwarefirmen durch restriktive Lizenzverträge anderweitig gebunden habe. Somit würden die Softwareentwickler davon abgehalten, Programme für die OS/2-Plattform zu schreiben, worunter die Marktgängigkeit und Beliebtheit von OS/2 litten, während zugleich die dominierende Stellung von Microsoft gefestigt würde. Microsoft soll überdies Computerhersteller gezwungen haben, den Internet Explorer von Microsoft und nicht den Netscape Navigator zu installieren, indem das Unternehmen ihnen drohte, die Windows-Lizenzen zu widerrufen, sollten sie der Aufforderung nicht nachkommen. Microsoft verteidigte sich mit dem Hinweis, derartige Lizenzierungen und Kooperationsverträge seien in der Softwareindustrie gang und gäbe. (All dies bezieht sich auf die Netzwerkmerkmale von Betriebssystemen.) In seinen „Findings of Fact“, seiner Tatsachenfeststellung, erklärte Richter Jackson, Microsoft sei ein Monopol, das seit 1990 über 90 Prozent der Marktanteile für PC-Betriebssysteme kontrolliere; es habe seine Marktmacht missbraucht und den „Konsumenten durch Wettbewerbsverzerrungen Schaden zugefügt“. Seine Erklärung geriet zu einem vernichtenden Urteil: „Drei wichtige Fakten weisen darauf hin, dass Microsoft eine Monopolstellung innehat. Erstens ist der Marktanteil von Microsoft für Intel-kompatible PC-Betriebssysteme extrem groß und stabil. Zweitens wird der dominierende Marktanteil von Microsoft durch eine hohe Marktzutrittsbarriere geschützt. Und drittens – überwiegend als Folge dieser Zutrittsbarriere – haben die Microsoft-Kunden keine wirtschaftliche Alternative zu Windows.“ ... Besonders schädlich ist die Botschaft, die die Vorgehensweise von Microsoft jedem anderen Unternehmen vermitteln muss, dass das Potenzial zur Innovation der Computerindustrie hätte. Durch sein Verhalten gegenüber Netscape, IBM, Compaq, Intel und zeigt Microsoft, dass es seine überragende Marktmacht und enormen Gewinne dazu benutzen wird, um jedem Unternehmen zu schaden,
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
das hartnäckig auf Initiativen besteht, die den Wettbewerb gegen eines der Hauptprodukte von Microsoft intensivieren könnten. Die früheren Erfolge von Microsoft, als es darum ging, solchen Unternehmen zu schaden und Innovationen zu behindern, halten Investoren davon ab, ihr Geld in Technologien und Unternehmen zu investieren, die eine potenzielle Bedrohung für Microsoft darstellen könnten. Letztlich führt dies dazu, dass einige Innovationen, die den Konsumenten wirklich nützen würden, allein deshalb nie auf den Markt kommen, weil sie den firmeninternen Interessen von Microsoft widersprechen.
Bei der Feststellung, ob Konsumenten durch den Monopolstatus von Microsoft geschädigt wurden, zitierte der Richter eine Microsoft-Studie, wonach Microsoft für die Upgrade-Version von Windows 98 eigentlich US-$ 49 statt US-$ 89 hätte verlangen müssen, aber US-$ 89 berechnete, weil dies der „ertragsmaximierende“ Preis war (siehe Übung 10 am Ende dieses Kapitels). In seinen „Findings of Law“, der rechtlichen Würdigung, stellte Richter Jackson fest, Microsoft habe sich einer Verletzung der Paragrafen 1 und 2 des Sherman Act schuldig gemacht. Er erklärte, „Microsoft habe seine Monopolmacht mit wettbewerbsfeindlichen Methoden verteidigt [,] den Web-Browser-Markt zu monopolisieren versucht ... und den ... Sherman Act durch gesetzwidrige Einbindung seines Web-Browsers in sein Betriebssystem verletzt.“ In der letzten Phase des Falls, der so genannten „Remedy-Phase“, ging es um Maßnahmen zur Beendigung der gesetzwidrigen monopolistischen Praktiken. Das Justizministerium schlug den radikalen Schritt vor, Microsoft entlang seiner Funktionslinien zu zerschlagen. Diese „Ausgliederung“ hätte eine Teilung von Microsoft in zwei getrennte, unabhängige Unternehmen nach sich gezogen. Eines der Unternehmen („WinCo“) sollte das Betriebssystem Windows und andere Betriebssysteme entwickeln und anbieten, während das andere („AppCo“) sich um die Anwendungen und zugehörige Geschäftszweige kümmern würde.
Teil 4
Im Jahr 2000 akzeptierte Richter Jackson die Empfehlungen des Justizministeriums uneingeschränkt. Doch danach nahm der Fall eine bizarre Wendung, weil sich herausstellte, dass Richter Jackson noch während seiner Verhandlung des Falls freundschaftliche Privatgespräche mit Journalisten geführt hatte. Er wurde für dieses unethische Verhalten disziplinär belangt und von dem Fall abgezogen. Kurz danach beschloss die neue Bush-Administration, von einer Teilung von Microsoft Abstand zu nehmen und stattdessen auf eine Änderung des „Verhaltens“ zu setzen. Die damit einhergehenden Maßnahmen sollten den Freiraum von Microsoft einschränken und den Wettbewerb schützen – es ging um Schritte wie das Verbot von Knebelverträgen und diskriminierender Preisgestaltung sowie um die Gewährleistung der Kompatibilität von Windows mit firmenfremder Software. Nach umfangreichen Anhörungen wurde der Fall im November 2002 beigelegt. Microsoft ist nach wie vor intakt, muss sich aber fünf Jahre lang unter dem wachsamen Auge des Gerichts bewähren.
Fusionen: Rechtsgrundlage und Praxis Unternehmen können Marktmacht unter anderem durch Wachstum gewinnen (indem sie ihre Einkünfte in das Unternehmen zurückfließen lassen und damit neue Produktionsanlagen errichten). Es gibt aber auch eine viel einfachere Methode, Marktanteile zu erwerben oder einfach zu wachsen, nämlich die Fusion mit einem anderen Unternehmen. Besonders die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zeichneten sich durch einen enormen Fusionsboom aus. Horizontale Fusionen, bei denen sich Unternehmen desselben Wirtschaftszweiges verbinden, sind nach dem Clayton Act verboten, wenn die Fusion den Wettbewerb im betreffenden Sektor merklich hemmt. Rechtspraxis und staatliche Fusionsrichtlinien bewirkten eine Klärung der etwas vage gefassten Geset-
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Kapitel 17 Wie werden Märkte effizienter?
zestexte. Zur Bewertung angestrebter Fusionen verwendet der US-Staat den so genannten Herfindahl-Hirschman Index (HHI).4 Danach lassen sich die Wirtschaftssektoren in drei Gruppen unterteilen: nicht konzentriert (HHI unter 1000), geringfügig konzentriert (HHI 1000–1800) und hoch konzentriert (HHI über 1800). Fusionen der beiden letzten Gruppen werden sogar dann angefochten, wenn die involvierten Unternehmen nur geringe Marktanteile halten. Vertikale Fusionen sind Zusammenschlüsse zweier Unternehmen, in denen verschiedene Stufen desselben Produktionsprozesses stattfinden. In den letzten Jahren griffen amerikanische Gerichte häufig hart gegen vertikale Fusionen durch. Ihre Sorge galt dabei den potenziellen Wettbewerbsbeschränkungen durch Exklusivverträge, wenn sich zwei unabhängige Unternehmen auf diese Weise zusammentaten. Weniger Gewicht schienen die Gerichte auf die potenziellen Effizienzgewinne aus einer gemeinsamen Vorgehensweise der aus einer vertikalen Fusion hervorgegangenen Unternehmen zu legen. Eine dritte Art der Unternehmenszusammenführung, die als konglomerater Zusammenschluss bezeichnet wird, bezieht sich auf bis dahin unverbundene Unternehmen. Im Zuge eines konglomeraten Zusammenschlusses kann etwa eine Stahl- oder Chemiegesellschaft eine Ölgesellschaft aufkaufen. Kritiker dieser Art von Fusion erheben zweierlei Einwände. Zunächst erscheint ihnen die absolute Größe der so entstehenden Unternehmensgiganten furchterregend. Die größten 200 Unternehmungen kontrollieren über US-$ 2,5 Billionen an Vermögenswerten. Riesenkonzerne verfügen somit über eine enorme wirtschaftliche und politische Macht. Viele Beobachter machen sich jedoch bereits mehr Sorgen über die Art und Weise, wie große Unternehmen sich den einen oder anderen Gefallen im politischen Prozess erkaufen 4 Der HHI entspricht der Summe der Quadrate des prozentualen Marktanteils der in der Branche tätigen Unternehmen. Eine Erörterung des HHI finden Sie in Kapitel 10.
können, als darüber, wie sie ihre Marktmacht missbrauchen. Der zweite Punkt, den die Gegner konglomerater Zusammenschlüsse vorbringen, ist der, dass viele dieser Konglomerate keinem wirtschaftlichen Zweck dienen. Sie sind, so wird argumentiert, nur eine Art Vorstandspoker zur Unterhaltung der Manager, die die Überwachung ihrer öden Stahl- oder Chemiegeschäfte längst satt haben. Und dieser Kritikpunkt enthält doch tatsächlich ein Körnchen Wahrheit: Was hat die zivile Luftfahrt mit dem Geschäft des Fleischverpackens gemeinsam? Was verbindet Schreibmaschinen mit der Antibabypille? Oder Computerverleih mit einer Busgesellschaft? Dennoch gibt es auch Verfechter konglomerater Zusammenschlüsse. Manche Ökonomen sind der Ansicht, diese Fusionen führten häufig gutes modernes Management in veraltete Unternehmen ein, und Übernahmen und Konkurse seien einfach die gängige Methode, mit der eine Volkswirtschaft im Kampf ums wirtschaftliche Überleben tote Teile abstößt. Allerdings herrscht wenig Einigkeit über die Verdienste oder Untaten konglomerater Zusammenschlüsse, weshalb sie toleriert werden, solange sie die Konzentration in bestimmten Sektoren nicht über Gebühr erhöhen.
Kartellrecht und Effizienz Die wirtschaftliche, aber auch die juristische Sichtweise von Regulierung und Kartellrecht hat sich in den letzten 30 Jahren deutlich geändert. Während der konservativen achtziger Jahre rückten die US-Antitrustgesetze von ihrer Mission ab, „den großen Kapitalakkumulationen ein Ende zu setzen, weil ihnen der Einzelne machtlos gegenübersteht“ (Zitat aus dem Alcoa-Urteil von 1945). Zunehmend sollten behördliche Aufsicht und Kartellbestimmungen die ökonomische Effizienz heben. Doch wodurch wurde diese veränderte Einstellung gegenüber dem Kartellrecht aus-
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
gelöst? Zunächst konstatierten die Ökonomen eine bisweilen überragende Performance hoch konzentrierter Wirtschaftszweige. Denken Sie beispielsweise an Unternehmen wie Intel, Microsoft und Boeing: Sie verfügen über erhebliche Marktanteile, haben sich jedoch auch als besonders innovativ und kommerziell erfolgreich erwiesen. Obwohl die volkswirtschaftliche Theorie besagt, dass Monopole die Preise künstlich hochhalten, lässt die empirische Erfahrung aus der Geschichte doch eher den Schluss zu, hoch konzentrierte Wirtschaftszweige würden im Vergleich zu sehr viel weniger konzentrierten Branchen oft eine stark rückläufige Preisentwicklung aufweisen. Zugleich zeigten auch Bereiche mit so geringer Konzentration wie die Landwirtschaft hervorragende Resultate. Es ließ sich einfach kein allgemeingültiges Gesetz finden, das einen Zusammenhang zwischen Struktur und Leistung formuliert hätte. Wie können wir dieses Paradoxon erklären? Manche Ökonomen berufen sich auf die Schumpetersche Hypothese. Unternehmen in konzentrierten Wirtschaftszweigen erzielen Monopolgewinne, so viel ist sicher. Die Marktgröße bedeutet aber auch, dass Industriegiganten einen wesentlichen Teil ihrer Erträge aus Forschung und Entwicklung (F&E) internalisieren können, und das erklärt den hohen Anteil an F&E sowie den rapiden technologischen Wandel in konzentrierten Wirtschaftszweigen. Wenn der technologische Wandel, wie Schumpeter behauptete, in großen Unternehmen entsteht, so wäre es doch töricht, diese Riesengänse zu schlachten, solange sie goldene Eier legen. Ein zweiter Vorstoß der neuen Antitrustpolitik ergab sich aus einer veränderten Sichtweise des Wettbewerbs. Aufgrund experimenteller Nachweise und Beobachtung meinen heute auch viele Ökonomen, selbst auf oligopolistischen Märkten komme es zu einer intensiven Konkurrenz, solange Kollusionen streng verboten seien. Und tatsächlich, glaubt man den Worten von Richard Posner, einem früheren Rechtsgelehrten und
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derzeitigen Bundesrichter, stellt sich die Situation wie folgt dar: Die einzigen wirklich einseitigen Maßnahmen, mit denen Unternehmen Monopolmacht erlangen oder erhalten können, sind doch Praktiken wie Betrug am Patentamt oder Sprengung der Produktionsanlagen eines Mitbewerbers! Betrug und Gewalt werden im Allgemeinen nach geltendem Recht aber ohnehin streng bestraft.5
Dieser Ansicht zufolge bestünde die einzig vertretbare kartellrechtliche Maßnahme darin, die bestehenden gesetzlichen Regelungen durch ein einfaches Verbot aller expliziten oder stillschweigenden Absprachen, die den Wettbewerb in unvertretbarer Weise beschränken, zu ersetzen. Drittens schwang das Pendel mit zunehmender Betonung der Marktkräfte und der vom Markt ausgehenden Anreize gegen die frühere, strenge Auslegung kartellrechtlicher Bestimmungen aus. Diese Position vertraten unter anderem Anhänger der Chicago School, die meinten, ein Großteil der bestehenden Monopolmacht leite sich ohnehin nur aus staatlicher Einflussnahme ab. Nach dieser Ansicht haben wir die Hauptpfründe des Monopols in staatlich geschützten Bereichen zu suchen. Als wichtige Beispiele werden volkswirtschaftliche Regulierungen und Gesetze (siehe Tabelle 17-1) auf diversen Gebieten angeführt: im Außenhandel, bei der Ausnahme der Gewerkschaften aus den Antitrustgesetzen, beim Monopolschutz durch Patente und bei der Einführung von Berufsbeschränkungen und Restriktionen im Gesundheitswesen. Die Verfechter einer Laissez-faire-Politik argumentieren, die Zurücknahme staatlicher Regulierung müsse den Wettbewerb fördern. Ein abschließender Grund für die zuletzt gedämpften Antitrust-Bemühungen liegt im immer härteren importierten Wettbewerb. Wenn heute mehr und mehr ausländische 5 Siehe Posner im Abschnitt „Weiterführende Literatur“ am Ende dieses Kapitels.
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Kapitel 17 Wie werden Märkte effizienter?
Unternehmen in der amerikanischen Wirtschaft Fuß fassen, so entspinnt sich eine heftige Konkurrenz um Marktanteile, und häufig werden dabei etablierte Verkaufsmuster und Preisgestaltungspraktiken über den Haufen geworfen. Als der Umsatz japanischer Autos in den USA massiv zunahm, war es mit der gemütlichen, friedlichen Koexis-
tenz der drei großen amerikanischen Autohersteller plötzlich vorbei. Viele Ökonomen sind der Ansicht, die Bedrohung, die vom ausländischen Wettbewerb ausgehe, sei ein sehr viel wirksameres Werkzeug zur Durchsetzung von Marktdisziplin, als es Antitrustgesetze jemals sein könnten.
Zusammenfassung A. Staatliche Regulierung von Unternehmen: Theorie und Praxis 1.
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Die staatliche Regulierung der Wirtschaft erfolgt über Vorschriften, die der Staat erlässt, um die Unternehmen zu einer Änderung ihres Verhaltens zu bewegen. Die wirtschaftliche Regulierung umfasst die Kontrolle von Preisen, Produktion, Marktzutritts- und -austrittsbedingungen sowie die Produktstandards in einzelnen Wirtschaftszweigen. Soziale Regulierung bezieht sich hingegen auf Regeln zur Kompensierung von Informationsversagen und Externalitäten, vor allem in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit und Umwelt. Die normative Sichtweise staatlicher Interventionen besagt, dass Regulierungsmaßnahmen immer dann angezeigt sind, wenn es zu beträchtlichem Marktversagen kommt. Dazu gehören exzessive Marktmacht in einem Wirtschaftszweig, unzureichende Informationen für Konsumenten und Arbeitnehmer sowie Externalitäten wie etwa die Umweltverschmutzung. Ökonomen haben eine positivistische Regulierungstheorie entwickelt, wonach der Staat häufig zugunsten der regulierten Unternehmen eingreift und durch Ausschluss potenzieller Konkurrenten in Wirklichkeit deren Interessen dient. Einen Extremfall volkswirtschaftlicher Regulierung stellen die natürlichen Monopole dar. Natürliche Monopole treten auf, wenn die Durchschnittskosten unabhängig von der Produktionsmenge sinken, sodass eine effiziente Organisation des Wirtschaftszweiges nur möglich ist, wenn ein einziges Unternehmen die gesamte Produktion übernimmt. Heute trifft dies jedoch nur auf wenige Wirtschaftszweige zu, darunter beispielsweise auf lokale Versorgungsunternehmen wie Wasser- und Elektrizitätswerke.
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Unter den Bedingungen eines natürlichen Monopols reguliert der Staat Preise und Dienstleistungen privater Unternehmen. Traditionell wird durch die staatliche Regulierung von Monopolen der Preis in Höhe der durchschnittlichen Produktionskosten festgesetzt. Eine ideale Regulierung würde erfordern, dass der Preis in Höhe der Grenzkosten festgesetzt wird, doch dieser Ansatz erscheint in der Praxis nicht tauglich, weil danach der Staat das Monopol subventionieren müsste. Ein neuer Ansatz ist die leistungsbasierte Regulierung, etwa in Form von Preisobergrenzen, die regulierten Unternehmen ausgezeichnete Anreize zur Senkung ihrer Kosten und zur Verbesserung der Produktivität bietet. Angesichts der Stärke der Wettbewerbskräfte, insbesondere im Zuge der Globalisierung, kommt eine volkswirtschaftliche Regulierung heute nur noch für wenige Wirtschaftszweige in Betracht. Die Deregulierungsbewegung der 1970er Jahre hat das Ausmaß der wirtschaftlichen Regulierung drastisch zurückgeschraubt und in Branchen wie der zivilen Luftfahrt positive Wirkungen gezeitigt.
B. Antitrustpolitik 6.
Die so genannte Antikartell- oder Antitrustpolitik, die wettbewerbswidriges Verhalten verbietet und die Bildung monopolistischer Strukturen verhindert, ist die vorrangige Methode staatlicher Politik, wenn es darum geht, den Missbrauch von Marktmacht durch große Unternehmen zu verhindern. In den USA entwickelte sich das Kartellrecht aus Gesetzen wie dem Sherman Act (1890) und dem Clayton Act (1914). Hauptzweck des Kartellrechts ist es, (a) wettbewerbswidrige Aktivitäten zu verbieten (darunter Preisabsprachen oder Gebietsaufteilungen, Preisdiskriminierung und Kopplungsvereinbarungen) und (b) monopolistische Un-
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
ternehmensstrukturen aufzubrechen. Nach der heutigen Rechtstheorie handelt es sich dabei um Strukturen, die über eine exzessive Marktmacht (einen großen Marktanteil) verfügen und überdies ein wettbewerbswidriges Verhalten an den Tag legen. Das Kartellrecht regelt aber nicht nur das Verhalten bestehender Unternehmen, sondern verhindert auch Fusionen, die zu einer Hemmung des Wettbewerbs führen würden. Heute geben vor allem horizontale Fusionen (zwischen Unternehmen derselben Branche) Anlass zur Sorge, während vertikale Fusionen und konglomerate Zusammenschlüsse eher toleriert werden.
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Teil 4
Die amerikanische Antitrustpolitik wurde durch die volkswirtschaftlichen Theorien der letzten 20 Jahre entscheidend geprägt. So konzentrierte sich die Antitrustpolitik der 1980er Jahre beinahe ausschließlich auf die Steigerung der Effizienz und wandte sich von der populistischen Position des Kampfes gegen das Big Business ab. Dazu kommt, dass in der heutigen Situation mit dem intensiven Wettbewerb durch ausländische Produzenten und deregulierten Konkurrenten nach Meinung vieler eine sinnvolle Antitrustpolitik primär auf die Verhinderung von Kollusionen wie etwa Preisabsprachen abzielen sollte.
Begriffe zur Wiederholung Regulierung Zwei Arten staatlicher Regulierung: wirtschaftliche und soziale Regulierung Alte (auf Vorschriften und Kontrolle beruhende) und neue (mit wirtschaftlichen Anreizen arbeitende) Regulierung Natürliches Monopol Gründe für eine staatliche Regulierung: Marktmacht Externalitäten Informationsmängel
Antitrustpolitik der USA Gesetzliche Grundlage: Sherman Act, Clayton Act und FTC Uneingeschränkte Verbote im Gegensatz zur so genannten „Rule of Reason“ Fusionen: vertikal horizontal konglomerat Effizienzorientierte Antitrustpolitik
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Kapitel 17 Wie werden Märkte effizienter?
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften nahmen unter dem Einfluss großer Wissenschaftler wie Richard Posner, heute Richter am US-Bundesberufungsgericht, einen bedeutenden Aufschwung. Sein Buch, Antitrust Law: An Economic Perspective (University of Chicago Press, 1976), ist ein Klassiker. Deutschsprachige Literatur: Günter Knieps, Wettbewerbsökonomie: Regulierungstheorie, Industrieökonomie, Wettbewerbspolitik (Springer, Berlin Heidelberg, 2001).
Websites Eine ausgezeichnete Website mit vielen Links zum Thema Kartellrecht finden Sie unter www.law.cornell.edu/wex/index.php/Antitrust. Die Homepage der Antitrust Division des US-Justizministeriums ist unter www.usdoj.gov/atr/overview.html abrufbar und enthält ausgezeichnetes Material zu kartellrechtlichen Fragen. Auf dem Laufenden bleiben Sie auch mit den Artikeln der Zeitschrift The Economist unter www.economist.com. Das AEI-Brookings Joint Center on Regulatory Studies betreibt innovative wissenschaftliche Studien zum Thema Regulierung und publiziert diese unter www.aei.brookings.org. Auf dieser Seite bieten Ihnen Kenneth J. Arrow u.a. mit Benefit-Cost Analysis in Environmental, Health, and Safety Regulation (1996) einen Überblick über die wichtigsten Themen der Kosten-Nutzen-Analyse sowie ein Memorandum an die Adresse des Obersten Gerichtshofs, die im Jahr 2000 von 40 Ökonomen zugunsten eines vermehrten Einsatzes der Kosten-Nutzen-Analyse zur Bewertung von Regulierungsmaßnahmen im Umweltschutz abgegeben wurde.
Übungen 1.
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Welche wichtigen Instrumentarien stehen dem Staat zur Einschränkung der Monopolmacht zur Verfügung? Beschreiben Sie Stärken und Schwächen der verschiedenen Alternativen. Sehen Sie sich die drei Preisbeispiele in Abbildung 17-2 an. Welche Schwierigkeiten werden sich Ihrer Meinung nach bei der Implementierung des idealen regulierten Preises ergeben? (Ein kleiner Hinweis: Woher bezieht das Land seine Einnahmen? Lassen sich die Grenzkosten problemlos messen?) Ebenso können Sie sich Gründe überlegen, warum viele Ökonomen lieber auf jegliche Regulierung verzichten möchten. (Hinweis: Was geschieht, wenn PM nicht weit über PR liegt? Was, wenn Ihnen die Theorie, wonach staatliche Regulierungsmaßnahmen vorrangig einzelnen Interessengruppen dienen, Sorge bereitet?) Erklären Sie, warum regulierende Maßnahmen wie Preisobergrenzen oder Preisfestsetzungen mithilfe der Formel „Inflation-minus-X“ bessere Anreize darstellen als die übliche Preisregulierung über die Kosten. Erklären Sie, warum
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sich Monopolgewinne damit besser vermeiden lassen. „Microsoft, der weltweit größte Softwarehersteller, ist nicht schlecht, nur weil das Unternehmen so groß ist.“ Überlegen Sie sich diese Aussage insbesondere im Hinblick auf die Handhabung von Antitrustgesetzen gegenüber großen Konzernen. Untersuchen Sie die Kostenkurven und die Nachfragekurve in Abbildung 17-1. Zeichnen Sie den Monopolpreis und die Monopolmenge in diese Kurven ein. Vergleichen Sie diese mit dem ideal regulierten Preis und der ideal regulierten Menge. Beschreiben Sie den Unterschied. Zwei wichtige Ansätze zum Thema Kartellrecht sind die „Unternehmensstruktur“ und das „Unternehmensverhalten“. Der erste Ansatz konzentriert sich ausschließlich auf die Struktur in einem Wirtschaftszweig (wie die Unternehmenskonzentration), der andere nur auf das Verhalten der Unternehmen (z.B. Preisabsprachen). a. Welche Stellung beziehen die amerikanischen Antitrustgesetze zu diesen beiden
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Ansätzen? Wie sieht es mit staatlichen Fusionsvorschriften aus? b. Welche Vor- und Nachteile hat jeder dieser Ansätze? Erstellen Sie eine Liste jener Wirtschaftszweige, von denen Sie meinen, man könnte sie zurecht als „natürliche Monopole“ bezeichnen. Überlegen Sie sich anschließend verschiedene Strategien, mit denen die Ausübung von Monopolmacht zu verhindern wäre. Wie würden Sie sich jeder einzelnen Branche auf Ihrer Liste gegenüber verhalten? Weisen Sie nach, dass ein auf Gewinnmaximierung ausgerichteter, nicht regulierter Monopolist niemals im preisunelastischen Bereich seiner Nachfragekurve operieren wird. Zeigen Sie, wie staatliche Regulierung den Monopolisten dazu zwingen kann, auch den unelastischen Bereich seiner Nachfragekurve zu bedienen. Welche Auswirkungen hat eine Anhebung des regulierten Preises eines Monopolisten auf dessen Umsatz und Gewinn, wenn er (a) im elastischen Bereich der Nachfragekurve, (b) im unelastischen Bereich der Nachfragekurve und (c) in jenem Bereich seiner Nachfragekurve tätig wird, in dem die Elastizität 1 beträgt? Wiederholen Sie noch einmal die Fusionsrichtlinien in diesem Kapitel, die HHI-Definition in Kapitel 10 sowie die Tabelle und Erörterung in Übung 2 des genannten Kapitels 10. In welche Kategorie fällt die Luftfahrtindustrie? Können nach einer Entscheidung der Regierung, CodeSharing-Verträge mit Fusionen gleichzusetzen, diese Verträge die Fusionsvorschriften überhaupt noch erfüllen? In seiner Tatsachenfeststellung erklärte Richter Jackson: „Es zeugt von Monopolmacht, dass man bei Microsoft offenbar glaubte, den Preis für das Upgrade-Produkt auf Windows 98 (das Betriebssystem, das Microsoft an die User von Windows 95 verkauft hat) nach freiem Ermessen festsetzen zu können. Eine im November 1997 erstellte Microsoft-Studie ergibt, dass das Unternehmen US-$ 49 für ein Upgrade auf Windows 98 hätte verlangen können. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass ein Preis von US-$ 49 nicht gewinnträchtig gewesen wäre, doch die Studie errechnet US-$ 89 als den zur Gewinnmaximierung erforderlichen Preis. Microsoft hat sich daher für den höheren Preis entschieden.“ Erklären Sie, warum diese Fakten einen Hinweis darauf bieten könnten, dass Microsoft kein Unternehmen im vollständigen Wettbewerb ist. Welche zusätzlichen Informa-
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tionen würde man benötigen, um nachzuweisen, dass Microsoft ein Monopol ist?
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KAPITEL 18 Umweltschutz
Wachstum um des Wachstums willen – das ist das Motto von Krebszellen. Edward Abbey
Saubere Luft, reines Wasser, unverdorbenes Land – wer wollte bestreiten, dass dies wünschenswerte Güter sind? Doch wie viel ist es uns wert, sie zu bekommen oder zu erhalten? Und auf welche Bedrohungen muss sich die Menschheit einstellen, wenn sie die Grenzen der Natur nicht respektiert? Am einen Ende des Meinungsspektrums steht die ökologische Philosophie mit ihrer Betonung der Grenzen und Gefahren des Wachstums. Glaubt man ihr, so stören oder zerstören die Aktivitäten des Menschen das empfindliche Gleichgewicht der natürlichen Ökosysteme. Die Sorglosigkeit des Menschen führt zu unbeabsichtigten Folgewirkungen, und wir müssen auf der Hut sein, die Dämme nicht brechen zu lassen, damit wir nicht von der reißenden Flut ökologischer Probleme überrollt werden. Diese ökologisch ausgerichtete Sichtweise offenbart sich deutlich in der Warnung, die der bekannte Biologe E.O. Wilson von der Universität Harvard ausspricht: Die Ökologiebewegung ... sieht den Menschen als eine Spezies, die sehr stark von ihrer natürlichen Umwelt abhängt ... Viele der lebensnotwendigen Ressourcen der Erde sind beinahe erschöpft, die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre verschlechtert sich zusehends, und die Übervölkerung unseres Planeten hat ein gefährliches Ausmaß erreicht. Unsere natürlichen Ökosysteme, die Quelle einer gesunden Umwelt, werden unwiederbringlich ausgebeutet ... Ich bin radikal genug, um die immer häufiger gestellte Frage ernst zu nehmen: Neigt die Menschheit zum kollektiven Selbstmord?1
Die Anhänger dieses düsteren Szenarios argumentieren, der Mensch müsse ein „nachhaltiges“ Wirtschaftswachstum anstreben und lernen, mit den Beschränkungen seiner knappen Ressourcen zu leben, um furchtbare und irreparable Konsequenzen zu vermeiden. 1 Zum Artikel von Wilson siehe den Abschnitt „Weiterführende Literatur“ am Ende dieses Kapitels.
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Am anderen Ende des Spektrums finden wir die Vertreter der so genannten „Füllhorntheorie“, die glauben, weder die natürlichen Ressourcen noch die technologischen Möglichkeiten seien auch nur im geringsten erschöpft. Ihrer optimistischen Weltsicht zufolge dürfen wir ein grenzenloses Wachstum und einen steigenden Lebensstandard erwarten, während der menschliche Erfindergeist mögliche Umweltprobleme mit Leichtigkeit bewältigen wird. Geht uns das Öl aus – kein Problem, wir haben doch noch immer genug Kohle! Sollte sie wider Erwarten nicht ausreichen, werden die steigenden Energiepreise eben zu Innovationen in der Sonnen- oder Kernenergie führen. Diese fortschrittsgläubigen Optimisten sehen unser aller Rettung in Technologie, Wirtschaftswachstum und Marktkräften, deren negative Aspekte sie hartnäckig übersehen. Die etablierten Ökonomen liegen im Allgemeinen mit ihren Ansichten zwischen den beiden Extremen der Ökologen einerseits und der bedingungslos Fortschrittsgläubigen andererseits. Sie haben erkannt, dass der Mensch seit Jahrhunderten auf seine natürliche Umwelt zugreift. Historisch gesehen waren die dramatischsten Eingriffe des Menschen sein Sesshaftwerden, die Rodung von Wäldern zu landwirtschaftlichen Zwecken und der Beginn von Ackerbau und Viehzucht. Doch diese angesprochenen Veränderungen verblassen angesichts der heutigen massiven Eingriffe wie der Biotechnologie, der Abholzung riesiger Urwälder, des Abbaus von Bodenschätzen und der Ausbeutung der Pflanzenressourcen unseres Planeten. Wir werden uns in diesem Kapitel damit beschäftigen, wie die Werkzeuge der Volkswirtschaftslehre uns helfen können, ökologische Probleme zu verstehen und eine Politik zu konzipieren, die unsere Welt zu einem wohnlicheren Planeten macht.
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A. Bevölkerungswachstum und begrenzte Ressourcen Malthus und die „düstere Wissenschaft“ Die Angst vor einem alles verschlingenden, explodierenden Bevölkerungswachstum liegt vielen Sorgen und Befürchtungen im Zusammenhang mit unserer Umwelt zugrunde, wie das Zitat Wilsons zu Beginn des Kapitels zeigt. Lassen Sie einmal folgenden Leitartikel des weltweit führenden Wissenschaftsmagazins auf sich wirken: In erster Linie kommt es wohl darauf an, den Hauptschuldigen in Gestalt der Überbevölkerung dingfest zu machen. In den guten alten Zeiten ... litt man in Wahrheit unter Nahrungsmittelknappheit, Hunger, Pferdekot und Ungeziefer, das sich überall breit machte, unter Öfen, in denen schwefelhaltige Braunkohle verbrannt wurde und die fetten Ruß ausspieen, und unter Wasser, das durch diverse Mikroorganismen kontaminiert war. Es gab damals allerdings so wenige Menschen und so viel Land, dass diese Mängel von der Natur ohne schwerwiegende Folgen einfach kompensiert wurden. Damit dürfen wir heute allerdings nicht mehr rechnen.2
Die eine Hälfte dieser Aussage, die das Bevölkerungswachstum zum Thema hat, wollen wir im Folgenden untersuchen. Die andere Hälfte bezieht sich auf die Ursachen der Umweltverschmutzung und anderer ökologischer Probleme, ein Thema, das wir in Abschnitt C behandeln werden. Die volkswirtschaftliche Analyse des Bevölkerungswachstums geht auf Reverend T.R. Malthus zurück. Er entwickelte seine 2 Science, 10.9.1993, S. 1371.
Kapitel 18 Umweltschutz
Ansichten in Streitgesprächen, die er beim Frühstück mit seinem fortschrittsgläubigen Vater führte, der meinte, die menschliche Rasse verbessere sich laufend selbst. Der Sohn regte sich in diesen Diskussionen schließlich so sehr auf, dass er 1798 An Essay on the Principle of Population schrieb. Das Werk wurde sofort zum Bestseller und beeinflusst seither das Denken der Menschen zu den Themen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum überall auf der Welt. Malthus begann mit einer Beobachtung Benjamin Franklins, wonach sich in jenen amerikanischen Kolonien, in denen es genügend Ressourcen gab, die Bevölkerung etwa alle 25 Jahre verdoppelte. Daraus abgeleitet postulierte er eine allgemeine Tendenz des Bevölkerungswachstums, das – sofern es nicht durch ein beschränktes Nahrungsmittelangebot gedrosselt werde – exponentiell oder anhand einer geometrischen Reihe zunehme. Irgendwann müsse die Bevölkerung, die sich mit jeder neuen Generation verdopple – 1, 2, 4, 8, 16, 32, 64, 128, 256, 512, 1024, ... – eine solche Zahl erreicht haben, dass es, so sehr man sie auch zusammenpferche, auf der ganzen Welt nicht mehr genügend Platz für sie gebe. Volkswirtschaft in der Praxis: Zinseszins und exponentielles Wachstum Exponentielles Wachstum und Zinseszins sind wichtige Werkzeuge der Volkswirtschaftslehre. Von exponentiellem (oder geometrischem) Wachstum sprechen wir, wenn eine Variable von Periode zu Periode in konstanten Schritten zunimmt. Wächst daher eine Bevölkerung von 200 Personen mit einer jährlichen Rate von 3 Prozent, so ergeben sich folgende Bevölkerungsstände: 200 im Jahre 0, 200 1,03 im 1. Jahr, 200 1,03 1,03 im 2. Jahr, 200 (1,03)3 im 3. Jahr, … , 200 (1,03)10 im 10. Jahr und so weiter. Wird irgendwo laufend Geld investiert, so erwirtschaftet dieses Geld einen Zinseszins, also Zinsen auch auf die bereits aufgelaufenen Zinsen der Vergangenheit. Geld,
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für das man Zinseszinsen erhält, steig exponentiell in seinem Wert. Es ist beispielsweise interessant zu berechnen, wie viel die US-$ 24, die die Indianer für die Insel Manhattan bekamen, heute wert wären, hätte man sie mit Zins und Zinseszins angelegt. Nehmen wir an, dieses Geld wäre in eine Stiftung eingeflossen, die seit dem Jahre 1624 einen jährlichen Ertrag von 6 Prozent erwirtschaftet hätte. Dann wären aus den US-$ 24 bis zum Jahr 1995 US-$ 59 Milliarden geworden. Eine im Zusammenhang mit dem Zinseszins nützliche Regel ist die so genannte „70er-Regel“, die besagt, dass sich eine Größe, die alljährlich um g Prozent zunimmt, in (70/g) Jahren verdoppelt. Eine Bevölkerung mit einem Wachstum von 2 Prozent jährlich verdoppelt sich demnach in 35 Jahren, während Gelder, die mit einer Verzinsung von 7 Prozent jährlich angelegt werden, sich schon alle 10 Jahre verdoppeln. Malthus, der sich mit seinen Aussagen auf Zinseszinsberechnungen stützte, hatte jedoch noch einen weiteren Trumpf im Ärmel. Nun beschwor er nämlich das Gespenst der abnehmenden Grenzerträge. Er argumentierte, dass Grund und Boden eine fixe Größe seien, während immer mehr Arbeit zur Verfügung stehe, um diesen Boden zu bearbeiten. Nahrungsmittel könnten daher nur ein arithmetisches, aber kein geometrisches Wachstum aufweisen. (Vergleichen Sie die Reihen 1, 2, 3, 4, ... und 1, 2, 4, 8, …) Malthus schloss düster: Während sich die Bevölkerung verdoppelt und wieder verdoppelt, scheint es, als würde sich die Größe des Globus immer wieder halbieren – bis er schließlich soweit geschrumpft ist, dass das Nahrungsangebot unter das zum Überleben notwendige Maß fällt.
Wendet man das Gesetz der abnehmenden Ertragszuwächse auf das fixe Angebot an Grund und Boden an, so wird die Nahrungsproduktion nicht mit dem geometrischen Wachstum der Bevölkerung Schritt halten können.
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Allerdings behauptete Malthus gar nicht, dass es zu einem exponentiellen Bevölkerungswachstum kommen müsse. Er sah nur die allgemeine Tendenz dazu, sofern dem Wachstum keine Grenzen gesetzt würden. Malthus beschrieb auch, welche Einflüsse das Bevölkerungswachstum immer und überall drosseln. In den späteren, allerdings kaum gelesenen Auflagen seines Werks betonte er die „positiven“ Mechanismen, die die Lebenserwartung verringerten: Pest, Hunger und Krieg. Später äußerte er die Hoffnung, das Bevölkerungswachstum könne auch durch „moralische Beschränkung“, also durch Abstinenz und Eheschließung erst in höherem Alter, gedrosselt werden. Diese wichtige Anwendung des Gesetzes der abnehmenden Grenzerträge zeigt, welche enormen Auswirkungen eine ganz einfache Theorie haben kann. Malthus’ Ideen verbreiteten sich rasch. Man benutzte sein Buch zur Rechtfertigung einer Überarbeitung der englischen Armengesetze. Unter dem Einfluss der Schriften Malthus’ argumentierte man, Armut müsse so unangenehm wie möglich gestaltet werden. Seine Meinungen dienten auch zur Rechtfertigung des Arguments, eine Regierung könne das Wohl der Armen nicht fördern, weil höhere Einkommen ohnehin nur dazu führten, dass sich Arbeiternehmer immer weiter fortpflanzten, bis ihnen schließlich wiederum nur das Existenzminimum bleibe. Selbst heute erscheint uns der Geist Malthus’ noch in einer apokalyptischen Ökonomie, wie sie etwa in der berühmten Studie Die Grenzen des Wachstums und im 1992 erschienenen Folgeband Die neuen Grenzen des Wachstums zum Ausdruck kommt. Die Prognosen dieses modernen Malthusianismus klingen sogar noch düsterer als jene des Gründervaters: Sollten die gegenwärtigen Trends des Bevölkerungswachstums, der um sich greifenden Industrialisierung, Verschmutzung unserer Umwelt und zunehmender Nahrungsmittelknappheit sowie die Ressourcenplünderung
Teil 4
unverändert anhalten, werden wir die Grenzen des Wachstums auf diesem Planeten schon in den nächsten hundert Jahren erreicht haben. In der Folge wird es aller Voraussicht nach zu einem plötzlichen und unkontrollierbaren Rückgang sowohl der Bevölkerungszahl als auch der Industrieproduktion kommen.3
Widerlegte malthusianische Prophezeiungen. Trotz der sorgfältigen statistischen Untersuchungen, die Malthus angestellt hatte, meinen heutige Demografen, er habe seinen Theorien ungebührlich vereinfachte Prämissen zugrunde gelegt. In seiner Erörterung der abnehmenden Grenzerträge berücksichtigte Malthus in keiner Weise das technologische Wunder der Industriellen Revolution. Er sah auch nicht voraus, dass die Familien von heute mit den Möglichkeiten der Geburtenkontrolle und neuen Technologien die Geburtenrate selbst steuern können. Und tatsächlich entwickelte sich das Bevölkerungswachstum in den meisten westlichen Staaten nach 1870 rückläufig, gerade als Lebensstandard und Reallöhne am stärksten stiegen. Im Jahrhundert nach Malthus verschob der technologische Fortschritt die Produktionsmöglichkeitenkurve der Länder Europas und Nordamerikas nach außen. Tatsächlich vollzog sich der Wandel so rasch, dass die erzielten Produktionszuwächse das Bevölkerungswachstum bei weitem übertrafen und zu einem rapiden Anstieg der Reallöhne führten. Trotz all ihrer Fehler bleiben die Aussagen Malthus’ aber in ihrem Kern von Bedeutung, um die Bevölkerungsentwicklung in armen Ländern zu verstehen, in denen nach wie vor ein Wettlauf zwischen Bevölkerungswachstum und Nahrungsproduktion stattfindet.
3 Siehe dazu Die Grenzen des Wachstums, S. 23, im Abschnitt „Weiterführende Literatur“ am Ende dieses Kapitels.
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Reicher ist gesünder Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass sich das beständige Bevölkerungswachstum abträglich auf Bäume, Wölfe und Unkraut auswirkt, weil sie alle vom Menschen verdrängt werden und Städten sowie anderen menschlichen Lebensformen weichen müssen. Doch treffen die Befürchtungen moderner Malthusianer, dass Wirtschaftswachstum und Industrialisierung der direkte Weg in den ökologischen Ruin sind, ebenso zu? Die historische Entwicklung lässt eine derart simple Schlussfolgerung nicht zu. Denken wir etwa an die Verschmutzungstrends, die quer durch die verschiedenen Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung eine inverse Uförmige Kurve beschreiben (siehe Abbildung 18-1). Der ansteigende Teil der Kurve ist durch die Urbanisierung bedingt, begleitet vom Wachstum stark verschmutzender Industrien, die häufig in den ersten Entwicklungsphasen die Landwirtschaft ersetzen. Wird dort, wo früher ein kleiner Bauernhof stand, ein Stahlwerk errichtet, ist fast unausweichlich mit einer Verschlechterung der Luftqualität zu rechnen, vor allem in armen Ländern, die sich einen gezielten Umweltschutz kaum leisten können. Mit steigenden Einkommen investieren Länder jedoch meist mehr in ökologische Maßnahmen, und ihre Wirtschaftsstruktur entwickelt sich in Richtung einer Ausdehnung des Dienstleistungssektors zulasten der Industrie, sodass die Umwelt weniger stark in Mitleidenschaft gezogen wird. Dies erklärt die inverse U-Form der Verschmutzungskurve in Abbildung 18-1. Die längerfristigen Trends in der Umweltverschmutzung der Vereinigten Staaten bestätigen diese Theorie. Abbildung 18-2 zeigt das Ausmaß der Verschmutzung je Produktionseinheit anhand von fünf wichtigen Umweltgiften im Verlauf des letzten Jahrhunderts. Bei allen fünf Substanzen ist im 20. Jahrhundert ein drastischer Rückgang zu verzeichnen.
Verschmutzung pro Kopf oder je Produktionseinheit
Kapitel 18 Umweltschutz
B
C A
Pro-Kopf-Einkommen
Abbildung 18-1: Umweltverschmutzung und Wirtschaftswachstum Steigt die Umweltverschmutzung mit zunehmendem Wirtschaftswachstum? Empirische Studien belegen, dass die Kurve der Umweltverschmutzung mit steigenden Einkommen eine umgekehrte U-Form beschreibt. Beim niedrigen Einkommensniveau A verursacht eine primitive Landwirtschaft nur geringe ökologische Schäden. Mit dem Einsetzen wirtschaftlicher Entwicklung führt das Wachstum der Schwerindustrie ohne Umweltschutzmaßnahmen zu einer höheren Pro-Kopf-Verschmutzung in B. Und schließlich in entwickelten Staaten sinkt dank verschiedener ökologischer Maßnahmen und mit dem Bedeutungsverlust der Industrie gegenüber der Dienstleistungswirtschaft die Verschmutzung in C wieder.
Welches Verhältnis besteht zwischen Wirtschaftsentwicklung und Gesundheit? Hier führen uns Studien klar vor Augen, dass die Beziehung zwischen Gesundheit, Pro-KopfEinkommen und Bildung der Bevölkerung positiv ist, wobei in den ärmsten Ländern die massivsten Umweltschäden, etwa in Form unzureichender sanitärer Verhältnisse und fehlenden Trinkwassers, zu konstatieren sind. Einer der gründlichsten Erforscher der Korrelationen zwischen Bevölkerungswachstum, wirtschaftlicher Entwicklung und Umweltverschmutzung ist Wilfred Beckerman von der Universität Oxford, der seine Studienergebnisse folgendermaßen zusammenfasst:
522
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Teil 4
Verschmutzung je Produktionseinheit 500 Flüchtige organische Verbindungen
Schwefel
Verschmutzung/BIP (1970 100)
Blei 400
Kohlendioxid 400
Feinstaub
300
200
100
0 1900
1910
1920
1930
1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
Jahr
Abbildung 18-2: Umweltverschmutzungstrends in den USA, 1900–2000 Die Verschmutzung je Produktionseinheit war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts am höchsten und entwickelt sich seither stark rückläufig. Die US-Wirtschaft befindet sich derzeit im abwärts geneigten Bereich zwischen B und C in Abbildung 18-1. Quelle: Environmental Protection Agency, Energie- und Handelsministerium. Die Verschmutzungsmenge wird für jede Emissionsquelle durch das reale BIP dividiert.
Die drängendsten ökologischen Probleme für jene 75 Prozent der Weltbevölkerung, die in Entwicklungsländern leben, bestehen im mangelndem Zugang zu sicheren Trinkwasservorräten oder angemessenen sanitären Einrichtungen sowie in der Verelendung der Städte. Außerdem gibt es klare Hinweise darauf, dass für die meisten Länder ... letztlich der beste – und wahrscheinlich der einzige – Weg zur Erlangung einer erträglichen Umwelt darin besteht, reich zu werden.4
4 Siehe zu Beckermans Artikel den Hinweis im Abschnitt „Weiterführende Literatur“ am Ende dieses Kapitels.
B. Ökonomie der natürlichen Ressourcen Ressourcenkategorien Welche wichtigen natürlichen Ressourcen gibt es? Da sind einmal Grund und Boden, Wasser und Luft. Grund und Boden liefern uns Nahrung und Wein von fruchtbaren Äckern und Weinbergen, aber auch Erdöl und viele Mineralien aus dem Erdinneren. Unser Wasser beschert uns Nahrung in Form von Fischen, aber auch Erholung und ein bemerkenswert effizientes Transportmedium. Die kostbare Erdatmosphäre sorgt für Luft, die wir atmen können, für schöne Sonnenun-
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Kapitel 18 Umweltschutz
tergänge und für den Raum, in dem unsere Flugzeuge fliegen. Natürliche Ressourcen und Umwelt sind – wie Arbeit und Kapital – in einem bestimmten Sinn nichts weiter als Produktionsfaktoren. Sie dienen uns Menschen, weil wir aus ihnen Produkte oder Bedürfnisbefriedigung beziehen können.
Internalisierbare und nicht internalisierbare Ressourcen In ihrer Analyse der natürlichen Ressourcen treffen Ökonomen zwei grundsätzliche Unterscheidungen. Am wichtigsten ist ihnen dabei festzustellen, ob Ressourcen internalisierbar oder nicht internalisierbar sind. Sie erinnern sich bestimmt noch: Ein Wirtschaftsgut wird als internalisierbar bezeichnet, wenn Unternehmen oder Konsumenten seinen gesamten volkswirtschaftlichen Wert nutzen können. Zu den internalisierbaren natürlichen Ressourcen gehören Boden (dessen Fruchtbarkeit der Bauer nutzen kann, der den auf diesem Boden angebauten Weizen oder Wein verkauft), Bodenschätze wie Erdöl oder Erdgas (hier kann der Eigentümer den Wert der Lagerstätten auf Märkten verkaufen) und Vegetation wie Bäume (der Eigentümer kann das entsprechende Grundstück oder die Bäume an den Meistbietenden verkaufen). Auf einem funktionierenden vollkommenen Markt ist zu erwarten, dass internalisierbare natürliche Ressourcen eine effiziente Preisbildung und Allokation ermöglichen. Eine zweite Kategorie, die nicht internalisierbaren Ressourcen, können zweifellos ökonomische Probleme verursachen. Es handelt sich hierbei um Ressourcen, deren Kosten und Nutzen nicht dem Eigentümer erwachsen. Mit anderen Worten, nicht internalisierbare Ressourcen beinhalten externe Effekte. (Denken Sie daran: Externalitäten oder externe Effekte bedeuten, dass ein Produktionsvorgang oder ein Konsum zu Kosten oder Nutzen für andere als die beteiligten Parteien führt.) Beispiele für nicht internalisierbare Ressourcen findet man überall auf unserem
Planeten. Nehmen wir als Beispiel Fisch. Ein Thunfischschwarm liefert nicht nur ein köstliches Abendessen, sondern ist auch nötig, um künftige Thunfischgenerationen hervorzubringen. Doch das Brutpotenzial der Thunfische wird von keinem Markt erfasst oder internalisiert. Niemand kauft oder verkauft das Fortpflanzungsverhalten eines Thunfischs. Wenn daher ein Fischer einen Thunfisch aus dem Wasser zieht, bezahlt er der Gesellschaft für die Vernichtung zukünftigen Fortpflanzungspotenzials keinen Cent. Aus diesem Grund werden die Fischgründe, sofern die Staatengemeinschaft nicht regulierend eingreift, auch laufend überfischt. Dies führt zu einem der wichtigsten Ergebnisse der gesamten Ressourcen- und Umweltökonomie: Wenn Märkte nicht alle Kosten und den gesamten Nutzen ihres Einsatzes an natürlichen Ressourcen selbst tragen oder genießen können, wenn also erhebliche Externalitäten auftreten, senden die Märkte die falschen Signale aus, und es kommt zu Preisverzerrungen. Im Allgemeinen produzieren die Märkte zu viel von jenen Gütern, die negative externe Effekte aufweisen, während es von Gütern mit positiven externen Effekten immer zu wenig gibt.
Erneuerbare und nicht erneuerbare Ressourcen Welche Techniken im Ressourcenmanagement zur Anwendung gelangen, hängt davon ab, ob es sich um erneuerbare oder nicht erneuerbare Ressourcen handelt. Eine nicht erneuerbare Ressource ist im Wesentlichen durch ein fixes Angebot gekennzeichnet und regeneriert sich in volkswirtschaftlich relevanten Mengen nicht rasch genug. Wichtige Beispiele für diese Ressourcenart sind fossile Brennstoffe, die vor Millionen von Jahren entstanden und für die Menschheit als fixe Größe betrachtet werden können, aber auch andere Bodenschätze wie Kupfer, Silber, Gold, Stein und Sand.
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Eine zweite Kategorie sind die erneuerbaren Ressourcen, die regelmäßig wieder hergestellt werden und bei richtigem Umgang unbegrenzt nützliche Dienste leisten können. Sonnenenergie, landwirtschaftliche Nutzflächen, Flusswasser, Wälder und Fischgründe gehören zu den wichtigsten Kategorien erneuerbarer Ressourcen. Die Grundsätze, nach denen diese beiden Ressourcenarten effizient bewirtschaftet werden können, stellen uns vor ganz verschiedenartige Herausforderungen, wie wir später noch sehen werden. Die effiziente Nutzung einer nicht erneuerbaren Ressource verlangt die Verteilung einer beschränkten Menge derselben innerhalb einer bestimmten Zeit: Sollen wir unser kostengünstiges Erdgas schon in dieser Generation verbrauchen oder es besser für die Zukunft aufbewahren? Dagegen gehört zur klugen Nutzung erneuerbarer Ressourcen die Vergewisserung, dass der Nutzenfluss auf effiziente Weise aufrechterhalten wird, etwa durch bestmögliche Bewirtschaftung eines Waldes, durch den Schutz der Laichgründe der Fische oder durch die Einschränkung toxischer Immissionen in Flüsse und Seen. Tabelle 18-1 zeigt uns die grundlegende Unterteilung der Ressourcen in erneuerbar und nicht erneuerbar und führt jeweils einige wichtige Beispiele an.
Die Allokation internalisierbarer natürlicher Ressourcen Wir beginnen unsere kurze Übersicht mit den internalisierbaren Ressourcen – jenen, die sich in privatem Eigentum oder in privater Nutzung befinden und deren Hauptkosten und -nutzen in Produktion und Konsum auf dem Markt erfasst werden. Welche Branchen sind im Zusammenhang mit natürlichen Ressourcen vor allem zu nennen? Tabelle 18-2 zeigt uns die Wertschöpfung in jedem der wichtigsten Industriezweige, wie er im Volkseinkommen
Erneuerbar
Teil 4
Nicht erneuerbar
Internalisierbar
Holz, landwirtschaftlich nutzbarer Boden, Solarenergie
Erdöl, Erdgas, Kupfer
Nicht internalisierbar
Fischgründe, Luftqualität, Gebirgsaussicht
Klima, radioaktiver Abfall
Tabelle 18-1: Klassifikation von Ressourcen Ressourcen werden je nach dem Auftreten erheblicher Externalitäten durch ihre Produktion oder ihren Konsum als internalisierbar oder nicht internalisierbar bezeichnet. Darüber hinaus stellt sich bei nicht erneuerbaren Ressourcen wie Erdöl oder Erdgas die Frage, wie die begrenzten Ressourcen über Raum und Zeit eingeteilt werden sollten. Bei erneuerbaren Ressourcen wie Holz oder Fischbeständen ist vorrangig zu entscheiden, wie wir möglichst umsichtig damit umgehen, sodass der Wert der Ressource insgesamt maximiert wird.
und in den Produktionskonten der Vereinigten Staaten gemessen wird. Die Gesamtheit aller auf dem Markt anzutreffenden Ressourcen-Sektoren zeichneten 2001 für 2,6 Prozent der Gesamtproduktion verantwortlich. Zwei Wirtschaftszweige, nämlich Landwirtschaft sowie die Erdöl- und Erdgasindustrie, machten allein zwei Drittel der Wirtschaftsleistung aller auf dem Markt befindlichen natürlichen Ressourcen aus. Obwohl der Anteil der Ressourcen am Gesamteinkommen gering ist, wäre es doch sehr unklug, in überheblicher Weise anzunehmen, dass natürliche Ressourcen für das Wirtschaftswachstum praktisch keine Rolle spielen. Wer weiß, vielleicht neigen sich eines Tages einige unserer wichtigsten Rohstoffe wie Erdöl dem Ende zu, und wir müssen alle unsere Anstrengungen darauf verwenden, möglichst schnell einen Ersatz zu finden? Nichts würde eine moderne Industriegesellschaft schneller in Chaos und Armut stürzen
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Kapitel 18 Umweltschutz
Sektor
Wertschöpfung 2001* (Mrd. US-$)
Branchen mit erneuerbarem Ressourceneinsatz
1,1
Landwirtschaft
80,6
Forstwirtschaft und Fischerei
17,2
Gewinnung erneuerbarer Energie
10,4
Branchen mit nicht erneuerbarem Ressourceneinsatz Erdöl und Erdgas Kohle
Prozentualer Anteil am BIP 2001
1,5
110,3 10,5
Sonstige Mineralien (ohne Treibstoffe): Geologisch selten**
8,8
Geologisch sehr häufig***
2,9
Stein, Lehm, Sand usw.
16,8
* Gesamtumsatz abzüglich Materialeinkauf; beinhaltet Gewinne, Löhne, Zinsen, Rente, Abschreibung und Steuern. ** Beinhaltet 17 Mineralien wie Kupfer, Gold, Silber und Vanadium. *** Beinhaltet Mineralien wie Eisen und Aluminium. Tabelle 18-2: Der Beitrag der verschiedenen Ressourcen zur Produktion, 2001 Viele wichtige Güter und Dienstleistungen beruhen auf erneuerbaren und nicht erneuerbaren Ressourcen. Schätzungen der gesamten Produktionsmenge oder des Gesamtumsatzes berücksichtigen nicht nur den Beitrag der natürlichen Ressource, sondern auch die Kapital- und Arbeitserträge. Quelle: „Benchmark Input-Output for 1997“, abrufbar unter www.bea.gov, sowie Robert Gordon u.a., Toward a New Iron Age? (Yale University Press, New Haven, 1989.
als der unwiederbringliche Verbrauch aller Treibstoffe, die wir so dringend für unsere Computer, Autos, Krankenhäuser und Elektromotoren benötigen. Das ist deshalb so besorgniserregend, weil 90 Prozent des amerikanischen Energieverbrauchs heute aus endlichen, nicht erneuerbaren Ressourcen wie Erdöl, Erdgas und Kohle stammen. Sollten wir nicht vielleicht Vorkehrungen treffen, um die Nutzung dieser außerordentlich kostbaren Kapitalbestände unserer Gesellschaft zu drosseln, damit sie auch unseren Enkelkindern noch zur Verfügung stehen? Ökonomen geben auf diese Frage zwei Antworten. Erstens weisen sie darauf hin, dass fossile Brennstoffe wie Erdöl und Erdgas zwar nur beschränkt vorhanden, aber nicht „essentiell“ sind. Eine essentielle Ressource, beispielsweise Sauerstoff, kann durch
nichts ersetzt werden. Doch für alle Energieressourcen gibt es einen möglichen Ersatz. Wir können in den meisten Fällen Kohle anstelle von Erdöl oder Erdgas einsetzen. Wir können Kohle verflüssigen oder vergasen, sollte irgendwo ein flüssiger oder gasförmiger Brennstoff unbedingt benötigt werden. Geht uns irgendwann die Kohle aus, können wir ersatzweise immer noch die teurere Sonnenenergie, die Kernspaltung und vielleicht eines Tages auch die Kernfusion verwenden. Die drei zuletzt genannten Energiequellen sind im Überfluss vorhanden, denn wenn uns eines Tages auch die Sonnenenergie ausgeht, ist die Erde ohnehin längst unbewohnbar geworden. Der zweite volkswirtschaftliche Ansatz bezieht sich auf die relative Produktivität verschiedener Ressourcen. Ökologen argumen-
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
tieren immer wieder, dass Energie und andere natürliche Ressourcen wie unberührte Natur oder Urwälder ganz besondere Formen von Kapital sind, die unbedingt bewahrt werden müssen, um ein „nachhaltiges“ Wirtschaftswachstum zu gewährleisten. Dieser Ansicht können sich Ökonomen nicht anschließen, denn sie betrachten die natürlichen Ressourcen einfach nur als eine weitere Kapitalform, die die Gesellschaft ebenso wie schnelle Computer, Humankapital in Form gut ausgebildeter Arbeitskräfte oder technologisches Know-how in ihren Wissenschaftlern und Technikern besitzt. Dagegen sind sich Ökonomen und Ökologen einig, wenn es darum geht, dass unsere Generation zukünftigen Generationen einen angemessenen Kapitalstock hinterlassen sollte. Nur betonen die Ökonomen, dass die Zusammensetzung dieses Kapitalbestandes von der jeweiligen zukünftigen Produktivität der einzelnen Kapitalgüter abhängen sollte. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass künftige Generationen von größeren Beständen natürlichen Kapitals wie Erdöl, Erdgas und Kohle mehr profitieren würden als von produziertem Kapital in Form von mehr Wissenschaftlern oder besseren Labors und Bibliotheken, die durch Daten-Superhighways untereinander verbunden sind. Die Substituierbarkeit natürlichen Kapitals und anderer Arten von Kapital wird durch die Produktions-Indifferenzkurve oder „Isoquante“ in Abbildung 18-3 dargestellt. Wir zeigen darin die jeweiligen Mengen der beiden Arten von Kapital, die erforderlich wären, um in Zukunft ein bestimmtes Produktionsniveau (Q*) zu erreichen, wenn die anderen Produktionsfaktoren konstant bleiben. Dieser Output lässt sich bei Punkt C mit einer konservativen Strategie erreichen, die eine Reduzierung des heutigen Energieverbrauchs vorsieht, sodass ein großer Teil des Erdöls und Erdgases, aber relativ wenig Humankapital zukünftigen Generationen hinterlassen wird. Oder er ließe sich mit einer Niedrigenergiepreis- und Ausbildungsstrategie in Punkt B erreichen. Jede dieser beiden Strategien ist möglich, und wün-
Teil 4
schenswerter wäre daher wohl jene, die heute und in Zukunft ein höheres Maß an Konsum ermöglicht. Bitte beachten Sie auch, dass die Isoquante in Punkt A auf die Y-Achse auftrifft, was anzeigt, dass wir ein zukünftiges Produktionsniveau von Q* ohne Erdöl und Erdgas erreichen können. Wie ist das möglich? Mit dem durch Punkt A dargestellten größeren wissenschaftlichen und technologischen Know-how kann die Gesellschaft Ersatztechnologien entwickeln, wie beispielsweise eine saubere Kohletechnologie oder Solarenergie, um die erschöpften Erdöl- und Erdgasvorkommen zu ersetzen. Dass die Kurve an die Künftiger Bestand an Humankapital (KH)
526
A
B
Zur Erzeugung des zukünftigen Outputs erforderliche Produktionsfaktoren Q*
C
Künftige Bestände an Öl und Gas (KN)
Abbildung 18-3: Natürliches Kapital und produziertes Kapital sind Produktionssubstitute Produktion kann entweder mit natürlichem Kapital (KN) oder mit Humankapital (KH) erfolgen. Die Kurve zeigt die Faktorkombinationen, die in Zukunft eine bestimmte Produktionsmenge (Q*) erzeugen werden. Ökologen drängen auf die Bewahrung des natürlichen Kapitals, um die Bestände für die Zukunft weitgehend zu erhalten, wie etwa in C. Ökonomen betonen hingegen die Notwendigkeit, darauf zu achten, dass knappes Kapital in jene Sektoren fließt, in denen es den höchsten Ertrag erbringt. Steht genügend natürliches Kapital zur Verfügung, wäre es effizienter, sich durch den Verbrauch der Bestände an natürlichem Kapital heute zu Punkt B zu bewegen, während man sich zugleich um Aufstockung des Humankapitals und technologischen Fortschritt durch Forschung und Entwicklung bemüht.
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Kapitel 18 Umweltschutz
Achse anstößt, zeigt an, dass Öl und Gas langfristig keine essentiellen Ressourcen sind.
Preistrends bei Ressourcen Im Jahre 1973 explodierte nach einem Krieg und einem Ölembargo im Mittleren Osten der Rohölpreis, und auch die Preise für andere Ressourcen schossen in die Höhe. Damals befürchteten viele, die Welt könnte sich in einem Stadium kurz vor Erschöpfung ihrer wichtigsten nicht erneuerbaren Ressourcen befinden. Sogar Experten der Ölindustrie prognostizierten – zum damaligen Dollarkurs – Ölpreise von US-$ 100–200 je Barrel bis zum Jahr 2000. Dreißig Jahre später lag der Ölpreis weit unter diesen Prognosen. Inflationsbereinigt kostete das Barrel kaum mehr als vor den
Ölkrisen der siebziger Jahre. Und erstaunlicherweise gilt dasselbe eigentlich für praktisch alle natürlichen Ressourcen: Langfristig kommt es eher zu Preisrückgängen als zu Preissteigerungen. Abbildung 18-4 zeigt die Preistrends einer ganzen Reihe von Ressourcen im Vergleich zum Preis des Faktors Arbeit in den letzten 50 Jahren. Sie alle wurden gegenüber der Arbeit weniger knapp, obwohl natürlich kurzfristige Krisen wie jene der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts den Trend vorübergehend umkehrten. Betrachtet man die Sache von einem anderen Gesichtspunkt, müsste man, sollten die Ressourcenpessimisten Recht behalten, eigentlich erwarten, dass ein immer höherer Anteil des Sozialprodukts in den Ressourcensektor fließt. Tatsächlich ist der Anteil der Res-
Rohstoffknappheit 200
Rohstoffpreis/Arbeitskosten (Basis 1948 = 100)
160 120 100 80
40
Holz Oil
Kohle Landwirtschaft
20
1950
1955
1960
1965
1970
1975 1980 Jahr
1985
1990
1995
2000
Abbildung 18-4: Die Preise der meisten Ressourcen sind im Vergleich zu den Erwerbslöhnen gesunken Der Einsatz der meisten Rohstoffe ist durch die gestiegene Produktivität und neue Entdeckungen heute von geringerer Bedeutung, sodass ihr Marktpreis im Verhältnis zu den Arbeitskosten oder Löhnen gesunken ist. Dies wird anhand von vier wichtigen Rohstoffen illustriert. Zwar kehrte sich der langfristige Rückgang in den 1970er Jahren während einer vorübergehenden Ressourcenknappheit um, doch seit 25 Jahren setzt sich der Trend wieder fort. Quelle: Bureau of Labor Statistics und Energieministerium.
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Teil 4
16 14 Alle marktgängigen Rohstoffe (Gesamtwert)
BIP-Anteil (in%)
12 10 8 6
Sonstige Rohstoffsektoren*
4 2
1945
Landwirtschaft
1955
1965
1975 Jahr
1985
1995
2005
* Zu den sonstigen Rohstoffsektoren gehören Forstwirtschaft, Fischerei, Bergbau, Stromwirtschaft Erdgaswirtschaft und Trinkwasserversorgung
Abbildung 18-5: Der Anteil der internalisierbaren natürlichen Ressourcen an der Wirtschaftsleistung ist rückläufig Während der letzten 50 Jahre ist der Anteil der auf natürlichen Rohstoffen fußenden Aktivitäten dramatisch zurückgegangen. Dieser Abwärtstrend ist primär auf die geringere Bedeutung der Landwirtschaft zurückzuführen, während die anderen auf dem Markt gehandelten natürlichen Ressourcen ihren Anteil an der gesamten Wirtschaftsleistung halten konnten. Quelle: Die Daten zeigen die Anteile der Brutto-Industrieproduktion am gesamten BIP; Angaben laut US-Handelsministerium.
sourcenwirtschaft an der Gesamtwirtschaft zurückgegangen. Abbildung 18-5 zeigt den Prozentsatz von Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Bergbau und Ressourcen-Versorgungsunternehmen am gesamten Sozialprodukt der USA. Der Anteil dieser Wirtschaftszweige belief sich gegen Ende der vierziger Jahre noch auf etwa 13 Prozent, ging jedoch bis 2001 auf nur noch 5 Prozent des gesamten Wirtschaftsvolumens zurück. Der Großteil dieses Rückgangs entfiel auf die Landwirtschaft, und die Gründe dafür haben wir bereits in Kapitel 4 beschrieben. Die Auswirkungen der Ölkrise der siebziger Jahre zeigen sich im unregelmäßigen Verlauf der Kurve in Abbildung 18-5 mit den Aufwärtsbewegungen der Öl- und Gaspreise und ihres Anteils am BIP, doch die Abbildung stellt auch den erneut einsetzenden Abwärtstrend zu Beginn der 1980er Jahre dar.
Was aber steht hinter diesen Entwicklungstrends bei Preisen und BIP-Anteil? Wir können hier eindeutig Parallelen zur Diskussion um den Malthusianismus feststellen. Tatsächlich hat der preisdämpfende Einfluss des technologischen Wandels und der neuen Entdeckungen den Preissteigerungseffekt durch den Abbau der Ressourcen wettgemacht. So werden heute beispielsweise Telefondrähte aus Kupfer durch Glasfaserkabel ersetzt, für die viel billigere und reichlich vorhandene Rohmaterialien verwendet werden. Und diesen Effekt stellen wir auf den meisten Rohstoffsektoren fest.
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Kapitel 18 Umweltschutz
Die Rohstoffwette Im Jahr 1980 forderte Julian Simon, Ökonom und führender Verfechter der Füllhorntheorie, die Ökopessimisten heraus. Er bot ihnen an, selbst irgendeinen beliebigen natürlichen Rohstoff auszuwählen; er, Simon, der fest daran glaubte, die Technik sei jederzeit in der Lage, einen Ersatz für ausgebeutete Rohstoffe zu finden, sei dann bereit zu wetten, dass sein Preis sinken und nicht steigen werde. Diese Herausforderung nahm Paul Ehrlich, ein anerkannter Biologe und Ökologe, an. Ehrlich war erstmals im Jahre 1968 als Autor von The Population Bomb (deutsch: Die Bevölkerungsbombe) zu Berühmtheit gelangt, ein Werk, in dem er für die nächste Zukunft weltweit große Hungerkatastrophen prognostizierte. In einem späteren Buch sah er eine Rohstoffknappheit bis zum Jahr 1985 voraus. Kein Wunder, dass Ehrlich das Angebot Simons einfach unwiderstehlich fand. Er wettete US-$ 1.000, dass die Preise für fünf Metalle – Chrom, Kupfer, Nickel, Zinn und Tungsten – bis 1990 inflationsbereinigt steigen würden. Simon gewann seine Wette spielend. Inflationsbereinigt waren die Preise aller fünf Metalle im Verlauf des Jahrzehnts deutlich gefallen (in Abbildung 18-4 ersehen Sie den allgemeinen Trend). Ehrlich hatte nicht nur den langfristigen relativen Trend der Ressourcenpreise falsch eingeschätzt, nein, er hatte auch noch das Pech, ausgerechnet ein Jahrzehnt zu erwischen, in dem der Konjunkturzyklus die langfristigen Kräfte zusätzlich verstärkte.
C. Umweltökonomik Im Präsidentschaftswahlkampf 1992 sprach Vizepräsidentschaftskandidat Al Gore von der Notwendigkeit, die möglicherweise katastrophalen Folgen zu erkennen, die ein ungezügeltes Wirtschaftswachstum haben könnte, und er wies auf Probleme wie das
Ozonloch über der Antarktis und den Treibhauseffekt hin. Präsident George Bush Sr. machte sich über Gore lustig: „Wissen Sie, warum ich ihn ‚Ozonman‘ nenne? Dieser Kerl ist ein Ökoextremist, mit ihm würden wir bald bis zum Hals in Eulen, aber ohne Arbeit für das Land dastehen.“ Diese Kontroverse auf oberster Ebene der politischen Entscheidungsträger spiegelt nur die tiefe Spaltung zwischen zwei Bevölkerungsgruppen wider: jenen, die ausschließlich Probleme und Schäden sehen, die entstehen, wenn die Staaten ihre drängenden ökologischen Probleme einfach ignorieren, und den anderen, die meinen, Umweltprobleme müssten ohne Schwierigkeiten mit der modernen Technologie in den Griff zu bekommen sein. In diesem Abschnitt wollen wir die ökologischen Externalitäten untersuchen und beschreiben, warum sie zu volkswirtschaftlicher Ineffizienz führen, sowie Möglichkeiten zur Abhilfe erörtern.
Externalitäten Wir haben den Begriff Externalitäten oder externe Effekte bereits als eine Aktivität definiert, deren Kosten andere zu tragen haben oder deren Nutzen anderen zugute kommt, ohne dass dies beabsichtigt wäre, oder als eine Aktivität, deren Auswirkungen sich in den Preisen und Markttransaktionen nicht vollständig wiederfinden. Externalitäten kennen wir in vielerlei Gestalt. Manche sind positiv (positive externe Effekte), andere hingegen negativ (negative externe Effekte). Wenn ich ein Fass voll mit Säure in einen Fluss kippe, tötet die Säure dort Fische und Pflanzen. Da ich für diesen Schaden niemandem etwas bezahle, tritt ein negativer externer Effekt auf. Sollte ich hingegen eine bessere Methode entdecken, um Verunreinigungen durch Öl zu beseitigen, werden viele Leute einen Nutzen aus meiner Entdeckung ziehen, ohne je etwas an mich bezahlen zu müssen. Das wäre verständlicherweise ein positiver externer Effekt.
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Manche Externalitäten haben weit reichende Auswirkungen, während andere nur geringe Spillover-Komponenten aufweisen. Wenn ein Überträger der Beulenpest im Mittelalter eine Stadt betrat, konnte es geschehen, dass die gesamte Stadtbevölkerung von dieser Seuche ausgerottet wurde. Kommt es Ihnen jedoch an einem windigen Tag in den Sinn, in einem großen Fußballstadion an einer Knoblauchzehe herumzukauen, so ist der externe Effekt eigentlich kaum feststellbar.
Öffentliche und private Güter Das Extrembeispiel einer Externalität ist ein öffentliches Gut, das ebenso leicht der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden kann wie einem Einzelnen. Das öffentliche Gut schlechthin ist die nationale Verteidigung. Nichts ist wichtiger für eine Gesellschaft als ihre Sicherheit. Doch die nationale Sicherheit als Wirtschaftsgut unterscheidet sich völlig von einem privaten Gut wie Brot. Zehn Brotlaibe lassen sich in vielerlei Weise zwischen Einzelpersonen aufteilen, und was ich einmal gegessen habe, kann nach mir kein anderer essen. Die nationale Verteidigung eines Staates, sofern es eine gibt, betrifft hingegen jeden Staatsbürger in gleicher Weise. Es ist völlig gleichgültig, ob Sie Militarist oder Pazifist sind, alt oder jung, gebildet oder ungebildet – Sie erhalten dasselbe Ausmaß an nationaler Sicherheit von der Armee wie jeder andere Bewohner Ihres Landes auch. Beachten Sie daher den starken Gegensatz: Die Entscheidung, eine bestimmte Menge eines öffentlichen Gutes anzubieten, beispielsweise an nationaler Verteidigung, bewirkt, dass es eine Reihe von U-Booten, Raketen und Panzern gibt, die jeden von uns beschützen. Dagegen ist die Entscheidung, ein privates Gut wie Brot zu konsumieren, ein völlig individueller Akt. Sie können vier Scheiben essen oder zwei, oder auch den ganzen Laib: Sie allein treffen die Entscheidung, und sie verpflichten damit niemand anderen, eine bestimmte Menge Brot zu essen.
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Das Beispiel der nationalen Verteidigung ist ein drastischer und extremer Fall eines öffentlichen Gutes. Aber auch wenn Sie an die Pockenimpfung denken oder an ein Konzert im Park, einen Damm gegen Überschwemmungen und viele andere öffentliche Projekte, werden Sie im Allgemeinen Elemente eines öffentlichen Gutes feststellen. Zusammenfassend: Öffentliche Güter sind jene, deren Nutzen unteilbar der gesamten Gemeinschaft zugute kommt, ob die Einzelperson das öffentliche Gut kaufen möchte oder nicht. Private Güter sind hingegen jene Güter, die geteilt und getrennt verschiedenen Einzelpersonen angeboten werden können, ohne dass ein externer Nutzen oder externe Kosten für Dritte entstehen. Die effiziente Bereitstellung öffentlicher Güter erfordert häufig aktives staatliches Handeln, während private Güter von den Märkten durchaus effizient angeboten werden können. Globale öffentliche Güter Das wahrscheinlich schwierigste aller Marktversagen bezieht sich auf die globalen öffentlichen Güter. Es handelt sich hierbei um Externalitäten, deren Auswirkungen unteilbar den gesamten Planeten betreffen. Wichtige Beispiele betreffen etwa Maßnahmen zur Eindämmung der Erderwärmung (wie später in diesem Kapitel erörtert), Aktionen gegen die Vergrößerung des Ozonlochs oder die Entdeckung neuer Produkte (beispielsweise eines Malaria-Impfstoffs). Globale öffentliche Güter stellen deshalb spezielle Probleme dar, weil es keinen wirksamen Markt oder keine politischen Mechanismen gibt, um eine effiziente Allokation vornehmen zu können. Hier versagen die Märkte ständig, weil der Einzelne nicht genügend Anreize hat, um sie zu erzeugen, während die Nationalstaaten nicht den gesamten Nutzen ihrer Investitionen in globale öffentliche Güter für sich beanspruchen können.
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Warum aber unterscheiden sich eigentlich globale öffentliche von anderen Gütern? Würde ein schrecklicher Wirbelsturm einen Großteil der gesamten amerikanischen Maisernte vernichten, könnte das Preissystem Landwirte und Konsumenten wieder in ein Gleichgewicht von Bedarf und Verfügbarkeit bringen. Muss das amerikanische Straßensystem modernisiert werden, sorgen die Wähler mit ihrer Wahlentscheidung dafür, dass die Regierung ein effizientes Transportsystem zur Verfügung stellt. Doch wenn es Probleme mit globalen öffentlichen Gütern gibt – man denke nur an den Treibhauseffekt oder an Resistenzen gegen Antibiotika –, verfügen weder die Marktteilnehmer noch die nationalen Regierungen über angemessene Anreize, um ein effizientes Ergebnis zu erzielen. Die Grenzkosten der Investitionen für einen Einzelnen oder einen Staat sind viel geringer als der globale Grenznutzen, und unzureichende Investitionen sind die logische Folge dieses Umstands.
Marktineffizienzen durch Externalitäten Abraham Lincoln hat einmal gesagt, zu regieren bedeute „für die Leute das Nötige zu tun, das sie durch ihre individuelle Bemühung gar nicht oder nicht ebenso gut selbst tun können“. Dieser Satz lässt sich hervorragend auf den staatlichen Umweltschutz beziehen, denn hier bewirkt der Marktmechanismus keine adäquate Kontrolle über die Umweltverschmutzer. Unternehmen schränken ihre Emissionen schädlicher Chemikalien nicht freiwillig ein; sie verzichten auch nicht darauf, toxische Abfälle auf billige Hausmülldeponien zu werfen. Und daher ist staatlicher Umweltschutz als nützliche und notwendige Funktion des Staates weitgehend anerkannt.
Analyse der Ineffizienz Warum führen negative Externalitäten wie die Umweltverschmutzung zu volkswirtschaftlichen Ineffizienzen? Betrachten wir den hypothetischen Fall eines Kohlekraftwerkes. Die Dirty Light & Power bewirkt negative Externalitäten, weil sie Tonnen schädlicher Schwefeldioxidabgase in die Luft bläst. Ein Teil des Schwefels schädigt zwar die eigenen Anlagen, die deshalb häufiger einen neuen Anstrich benötigen, und die Emissionen schlagen sich auch in höheren Krankenständen im Unternehmen selbst nieder. Dennoch: Der Großteil des Schadens wird „extern“, also außerhalb des Unternehmens wirksam, weil sich die toxischen Stoffe überall in der Umgebung absetzen, die Vegetation und umliegende Gebäude schädigen und zu diversen Atemwegserkrankungen, ja sogar zum vorzeitigen Tod der Anwohner führen. Als gewinnmaximierendes Unternehmen muss die Dirty Light & Power entscheiden, wie viel Verschmutzung durch Abgase sie produzieren sollte. Verzichtet man gänzlich auf Umweltschutzmaßnahmen, leiden Arbeiter und Werksanlagen. Eine wirklich penible Reinhaltung der Umwelt würde hingegen extrem hohe Kosten in Form von schwefelarmen Brennstoffen, Filtern, Recyclingsystemen, Reinigungsvorrichtungen und so weiter verursachen. Die vollständige Rauchgasreinigung schließlich wäre so teuer, dass die Dirty Light & Power keinerlei Chance hätte, auf dem Markt zu bestehen. Aus diesem Grund beschließt die Unternehmensleitung, Schadstoffe nur soweit herauszufiltern, als der Nutzen durch jede zusätzliche vermiedene Verschmutzungseinheit oder durch jede Rauchgasreinigungseinheit (privater Grenznutzen) den Grenzkosten für die Rauchgasreinigung (Vermeidungsgrenzkosten) entspricht. Die Finanzchefs des Unternehmens schätzen den privaten Grenznutzen auf US-$ 10 pro Tonne Schwefeldioxid. Die Unternehmenstechniker erklären der Firmenleitung, dass für die Ausfilterung von 50 der 400 normalerweise emittierten Tonnen
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Schwefeldioxid Grenzkosten in Höhe von US$ 10 pro Tonne anfallen würden. Das Unternehmen hat also sein privates Vermeidungsoptimum in Höhe von 50 Tonnen SO2 gefunden, bei dem der private Grenznutzen für das Unternehmen genau den privaten Grenzkosten für die Filteranlage entspricht. Mit anderen Worten, wenn die Dirty Light & Power Elektrizität nach der Kostenoptimierungsregel erzeugt, indem sie nur ihre eigenen Kosten gegen den eigenen Nutzen abwägt, wird sie ab sofort 350 Tonnen Schwefeldioxid emittieren und 50 Tonnen herausfiltern. Tritt jedoch plötzlich ein Team von Umwelt- und Wirtschaftswissenschaftlern auf den Plan, das die allgemeinen Emissionsauswirkungen auf die Gesellschaft und nicht nur die Schäden für die Dirty Light & Power selbst zu untersuchen hat, werden die Prüfer feststellen, dass der soziale Grenznutzen von Filtermaßnahmen – einschließlich der verbesserten Gesundheitssituation der Bevölkerung und des Immobilienwertes in der unmittelbaren Umgebung – zehnmal so hoch ist wie der private Grenznutzen. Die Kostenauswirkungen durch jede zusätzliche Tonne Schwefeldioxid betragen für die Dirty Light & Power US-$ 10, während für die restliche Gesellschaft zusätzliche negative Auswirkungen in Höhe von US-$ 90 an externalisierten Kosten pro Tonne Schwefeldioxid entstehen. Warum berücksichtigt die Dirty Light & Power diese US-$ 90 an zusätzlichem sozialem Nutzen nicht in ihrer Berechnung? Nun, diese US-$ 90 werden ignoriert, weil der Nutzen außerhalb des Unternehmens zur Wirkung kommt und für die Unternehmensgewinne ohne Folgen bleibt. Wir erkennen nun, wie Umweltverschmutzung und andere Externalitäten zu volkswirtschaftlich ineffizienten Ergebnissen führen: In einer ungeschützten Umwelt wählen die Unternehmen das Verschmutzungsniveau so hoch, wie es für sie selbst am gewinnträchtigsten ist, indem sie nämlich den privaten Grenznutzen durch Verschmutzungsvermeidung mit den Grenzkosten für die Vermeidung gleichsetzen. Bei signifikanten ökologischen Spillover-Effekten führt das private
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Gleichgewicht zu einer ineffizient starken Verschmutzung und unzureichenden Umweltschutzmaßnahmen. Das sozial effiziente Maß an Umweltverschmutzung. Wenn private Entscheidungen über Umweltschutzmaßnahmen offensichtlich ineffizient sind, kann es eine bessere Lösung geben? Sollte jegliche Verschmutzung einfach verboten werden? Sollten wir verlangen, dass die geschädigten Parteien mit den Umweltverschmutzern über Entschädigungen verhandeln oder ihnen erlauben, die Umweltverschmutzer zu verklagen? Oder gibt es eine technische Lösung des Problems? Ökonomen versuchen im Allgemeinen, das sozial effiziente Ausmaß an Umweltverschmutzung zu ermitteln, indem sie die sozialen Kosten und den sozialen Nutzen gegeneinander abwägen. Effizienz erfordert demnach, dass der soziale Grenznutzen durch die Reinhaltemaßnahmen den sozialen Grenzkosten der Reinhaltemaßnahmen entspricht. Dieser Zustand tritt ein, wenn der Grenznutzen von Reinhaltemaßnahmen für die Volksgesundheit und das Volksvermögen auf die Einheit genauso hoch ist wie die Grenzkosten dieser Reinhaltemaßnahmen. Wie lässt sich das effiziente Ausmaß an Umweltverschmutzung denn eigentlich ermitteln? Ökonomen empfehlen einen Ansatz, der unter der Bezeichnung Kosten-Nutzen-Analyse bekannt ist. Dabei wird das Effizienzniveau vermittelt, indem die Grenzkosten einer Maßnahme gegen den Grenznutzen dieser Maßnahme abgewogen werden. Im Falle unserer Dirty Light & Power könnten wir etwa annehmen, dass ein externes Expertengutachten die Kosten von Umweltschutzmaßnahmen und die Kosten der Umweltschäden ermittelt. Diese Gutachter stellen fest, dass die sozialen Grenzkosten und der soziale Grenznutzen einander entsprechen, wenn nicht 50, sondern 250 Tonnen Schwefeldioxid aus der Abluft des Kraftwerks herausgefiltert werden. Beim effizienten Verschmutzungsniveau, so stellen sie fest, liegen die Grenzkosten für Luftreinhaltemaßnahmen bei US-$ 40 pro Tonne, und der
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soziale Grenznutzen durch die letzte herausgefilterte SO2-Einheit beträgt ebenfalls US-$ 40 pro Tonne. Warum ist es für das Unternehmen effizient, nur noch 150 Tonnen anstatt 400 Tonnen Schadstoffe zu emittieren? Nun, bei dieser SO2-Emissionsrate wird der gesamtwirtschaftliche Nettoproduktionswert maximiert. Bei Emissionen der Dirty Light & Power von mehr als 150 Tonnen SO2 würde der zusätzliche Schaden für die Umwelt die Kosteneinsparungen durch billigere Filtermaßnahmen übersteigen. Im Falle einer Senkung der SO2Emission unter 150 Tonnen wären die Grenzkosten für die Filtermaßnahmen jedoch höher als der Grenznutzen durch die reinere Luft. So wie auf vielen anderen Gebieten finden wir auch hier das effizienteste Ergebnis durch die Gleichsetzung von Grenzkosten und Grenznutzen einer Aktivität. Die Kosten-Nutzen-Analyse zeigt, warum die extreme Ökoposition der „Risikovermeidung“ oder „Nullemission“ im Allgemeinen zu Verschwendung führt. Eine Reduzierung der Emissionen auf null bringt zumeist horrende Kosten mit sich, während der Grenznutzen aus der Beseitigung selbst des letzten Gramms eines toxischen Stoffes womöglich eher gering ist. In manchen Fällen müsste die Produktion völlig eingestellt werden, wenn jegliche Emission verboten ist, und eine NoRisk-Philosophie hätte zur Folge, dass die gesamte Stahlindustrie dichtmachen oder der gesamte Fahrzeugverkehr verboten werden müsste. Im Allgemeinen verlangt volkswirtschaftliche Effizienz nach einem Kompromiss, mit dem der Zusatzwert der Produktion eines Wirtschaftszweiges gegen den Zusatzschaden durch dessen Verschmutzung der Umwelt abgewogen wird. Eine unregulierte Marktwirtschaft führt zu einem Ausmaß an Umweltverschmutzung (oder anderen Externalitäten), bei dem der private Grenznutzen der Reinhaltemaßnahmen den privaten Grenzkosten dieser Maßnahmen entspricht. Effizienz erfordert jedoch eine Gleichsetzung des sozialen Grenznutzens
533 mit den sozialen Grenzkosten der Reinhaltemaßnahmen. In einer unregulierten Wirtschaft wird zu wenig für die Umwelt getan, und ökologische Probleme nehmen überhand.
Bewertung von Umweltschäden Eines der größten Probleme in der Entscheidung für eine effiziente Umweltpolitik hängt mit der Notwendigkeit zusammen, den Nutzen des Umweltschutzes und anderer politischer Maßnahmen zu schätzen. Wie bereits beschrieben, erfordert ein effizientes Umweltmanagement eine Ausgewogenheit von Auswirkungen und Kosten jeder zusätzlichen Verschmutzung. Wenn beispielsweise die Emissionsgebühren gleich hoch sein sollen wie der Grenzschaden, müssen wir den Schaden durch die Verschmutzung berechnen. In Fällen, in denen die Verschmutzung nur marktgängige Güter und Dienstleistungen betrifft, kann die Messung vergleichsweise direkt erfolgen. Wenn durch die Erderwärmung die Erträge im Weizenanbau zurückgehen, können wir den Schäden durch den Klimawandel anhand des Nettowerts des Weizens messen. Ebenso können wir, wenn eine neue Straße den Abriss eines Wohnhauses erforderlich macht, den Marktwert für eine gleichwertige Behausung ermitteln. Leider sind viele Arten von Umweltschäden, insbesondere in marktfernen Bereichen, sehr viel schwerer zu bewerten. So riefen beispielsweise Umweltschützer vor kurzem zum Stopp der Rodungsarbeiten in großen Teilen des Nordwestens der USA auf, um den Lebensraum der gefleckten Waldeule zu schützen. Das würde Tausende von Holzfällern ihren Job kosten und die Holzpreise in die Höhe treiben. Wie nun sollten wir den Nutzen durch das Weiterbestehen der gefleckten Waldeule berechnen? Oder, um ein anderes Beispiel anzuführen, denken wir an die Exxon Valdez, deren Öl sich über den Prince-William-Sund in Alaska ergoss und damit Strände verseuchte und Wildtiere tötete. Welchen Wert messen wir dem Leben eines Seeotters bei?
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Grenzkosten, Grenznutzen durch ökologische Maßnahmen
Ökonomen haben mehrere Ansätze für Schätzungen externer Effekte wie jene auf das Leben von Eulen und Ottern entwickelt, die sich nicht direkt in den Marktpreisen niederschlagen. Die verlässlichsten Techniken untersuchen die Auswirkungen von Umweltschäden auf verschiedene Aktivitäten und messen diesen Aktivitäten anschließend einen vom Markt abgeleiteten Wert bei. Bei der Bewertung der Folgen von Schwefeldioxidemissionen schätzen Umweltökonomen beispielsweise zunächst die Auswirkungen der höheren Emissionen auf die Gesundheit und setzen danach mithilfe gezielter Umfragetechniken für diese Gesundheitsbeeinträchtigungen einen Geldwert an, der sich durch das tatsächliche Verhalten der Menschen ergibt. Besonders schwierige Fälle treten in Situationen auf, die Ökosysteme und das Überleben verschiedener Spezies betreffen. Wie viel sollte die Gesellschaft bezahlen, um dafür zu sorgen, dass die gefleckte Waldeule überlebt? 120
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Die meisten Leute werden in ihrem ganzen Leben kein einziges Exemplar dieser Vogelart sehen, so wie sie auch nie einen Schreikranich beobachten oder den Prince-William-Sund besuchen werden. Trotzdem können diese natürlichen Ressourcen für sie einen Wert haben. Manche Umweltökonomen verwenden eine Technik, die als kontingenter Bewertungsansatz (contingent valuation oder CV) bezeichnet wird. Dabei werden Menschen darüber befragt, wie viel sie in einer hypothetischen Situation zu zahlen bereit wären, um bestimmte Naturschätze unbeschädigt zu bewahren. Mit dieser Technik erhält man zwar Antworten, doch diese haben sich nie als besonders verlässlich erwiesen. Kaum jemand würde bezweifeln, dass eine gesunde und saubere Umwelt einen hohen Wert darstellt, doch die verlässliche Bewertung der Umwelt, insbesondere ihrer marktfernen Komponenten, entpuppt sich als schwieriges Unterfangen. MC
MSB (sozialer Grenznutzen) S
100
MC (Grenzkosten der ökologischen Maßnahmen)
80
Z 60
E 40
MPB (privater Grenznutzen)
20
I B 0
300
200 100 Ökologische Maßnahmen (Beseitigung von Umweltschäden)
400
Abbildung 18-6: Ineffizienz durch Externalitäten Wenn der soziale Grenznutzen (MSB) vom privaten Grenznutzen (MPB) abweicht, schaffen die Märkte ein unreguliertes Gleichgewicht in I, bei dem zu wenig vorbeugende oder korrigierende Umweltschutzmaßnahmen getroffen werden. Effiziente ökologische Maßnahmen stellen sich in E ein, wo gilt: MSB = MC.
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Grafische Analyse der Umweltverschmutzung Wir können das bisher Gesagte mithilfe von Abbildung 18-6 verdeutlichen. Die nach oben strebende Markt-MC-Kurve stellt die Grenzkosten für Reinhaltemaßnahmen zugunsten der Umwelt dar. Bei den abwärts geneigten Kurven handelt es sich um die Grenznutzen aus den Reinhaltemaßnahmen, wobei die obere durchgängige MSB-Linie den sozialen Grenznutzen, der durch die geringere Verschmutzung entsteht, und die untere MPBLinie den privaten Grenznutzen für den Verursacher darstellt. Vorsicht bei der grafischen Darstellung von Umweltverschmutzung! In der Analyse von Umweltproblemen hat es sich bewährt, Umweltschutzmaßnahmen als ein „Gut“ zu betrachten. In Diagrammen messen wir daher Grenzkosten und Grenznutzen auf der Y-Achse, während Umweltschutzmaßnahmen auf der X-Achse dargestellt werden. Der Trick besteht darin, Umweltschutzmaßnahmen immer als ein Gut zu behandeln, was bedeutet, dass Sie auf der X-Achse einen positiven Wert annehmen. Sie können natürlich stattdessen Umweltschäden vom rechts außen liegenden Punkt 400 ausgehend als negativen Wert einzeichnen. Das bedeutet, dass der völlige Verzicht auf Umweltschutzmaßnahmen eine Verschmutzung von 400 zur Folge hat, während Maßnahmen, die zu einer Vermeidung der gesamten 400 Tonnen SO2 führen, einem Verschmutzungsgrad von null entsprechen.
Die Marktlösung ohne staatliche Eingriffe bedeutet ein Ergebnis in Punkt I, bei dem private Grenzkosten und Grenznutzen einander entsprechen. In diesem Punkt werden nur 50 Tonnen SO2 ausgefiltert, und die privaten Grenzkosten betragen ebenso wie der private Grenznutzen US-$ 10 pro Tonne. Doch die unregulierte Marktlösung erweist
535 sich als ineffizient. Wir können das mithilfe eines Experimentes nachweisen, indem wir annehmen, es würden weitere 10 Tonnen SO2 ausgefiltert, in unserer Grafik als der schmale Balken rechts von Punkt I zu sehen. Der Grenznutzen für diese zusätzliche Filterleistung ergibt sich durch den Gesamtbereich des Ausschnittes unter der MSB-Kurve, während die Grenzkosten durch den Bereich unter der MC-Kurve dargestellt werden. Der Nettonutzen entspricht infolgedessen dem zwischen den beiden Kurven liegenden Bereich des schmalen schattierten Balkens. Das effiziente Verschmutzungsausmaß liegt in Punkt E, wo der soziale Grenznutzen den Grenzkosten für die Reinhaltemaßnahmen entspricht. In diesem Punkt liegen MSB und MC gleich hoch, nämlich bei US-$ 40 pro Tonne. Da MSB und MC einander entsprechen, lässt sich mit einem Experiment, für das wir laufend mehr SO2 ausfiltern, feststellen, dass sich die Kurven nicht voneinander entfernen, dass also durch zusätzliche Reinhaltemaßnahmen kein zusätzlicher Nettonutzen zu erwarten ist. Wir können den Nettonutzen durch die effiziente Lösung im Vergleich zur Marktlösung auch messen, indem wir all die kleinen Ausschnitte des jeweiligen Nettonutzens zwischen dem schattierten Bereich und Punkt E berücksichtigen. Anhand dieser Berechnung spiegelt der Bereich ISE die Gewinne durch eine effiziente Beseitigung der verschmutzenden Faktoren wider. Als letztes Experiment wollen wir die Auswirkungen der Forderung, auch den letzten Rest einer Umweltverschmutzung zu beseitigen, durchdenken. Dieser Ansatz wird als Zero-risk-Ansatz bezeichnet, und er würde in unserem Beispiel bedeuten, dass 400 Tonnen SO2 ausgefiltert werden müssen. Hier liegt der soziale Grenznutzen bei null, während die Grenzkosten den Punkt Z erreichen, was einen enormen Kostenüberhang bedeutet. Indem wir alle kleinen Bereiche rechts des Effizienzpunktes addieren, können wir erkennen, dass die Nettokosten eines Zerorisk-Ansatzes durch den Bereich EZB dargestellt werden. Dieses Beispiel zeigt uns, wa-
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rum Ökonomen einer Verringerung der Umweltverschmutzung auf null skeptisch gegenüberstehen – sie würden die Wirtschaft voraussichtlich in den Bankrott treiben.
Strategien zur Korrektur von Externalitäten Welche Waffen stehen eigentlich einem Staat zur Verfügung, der gegen Ineffizienzen vorgehen will, wie sie von Externalitäten verursacht werden? Am bekanntesten sind staatliche Umweltschutzprogramme, die sich entweder einer direkten Kontrolle oder finanzieller Anreize bedienen, um externe Effekte zu korrigieren. Subtilere Lösungen greifen auf ein komplexes Eigentumsrecht zurück, das dem privaten Sektor die Möglichkeiten an die Hand gibt, effiziente Lösungen zu verhandeln. In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit derartigen Ansätzen.
Staatliche Programme Direkte Eingriffe. Beinahe immer, wenn es um Umweltverschmutzung oder um Externalitäten im Bereich Gesundheit und Sicherheit geht, greift der Staat auf direkte Regulierungsmaßnahmen zurück, die in diesem Zusammenhang häufig als soziale Regulierung bezeichnet werden (siehe Kapitel 17). Als Beispiel sei hier der Clean Air Act, das USLuftreinhaltegesetz aus dem Jahr 1970, genannt, das die zulässigen Emissionsgrenzwerte von drei der größten Umweltverpester um 90 Prozent senkte. Im Jahr 1977 trat ein staatlicher Erlass in Kraft, der öffentliche Versorgungsbetriebe anwies, ihre Schwefelemissionen in neuen Anlagen um 90 Prozent zu reduzieren. Und mit einer Reihe von Gesetzen wurden in den letzten Jahrzehnten die Unternehmen dazu angehalten, ihre für die Ozonschicht schädlichen Chemikalien durch andere Stoffe zu ersetzen. All das gelang mithilfe staatlicher Regulierung.
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Wie kann der Staat für die Umsetzung seiner Umweltgesetze sorgen? Bleiben wir doch bei unserem Beispiel der Dirty Light & Power. Das Umweltministerium könnte unser Unternehmen auffordern, seine SO2Emissionen von 400 Tonnen auf 150 Tonnen zu reduzieren. Im Falle einer Regulierung auf dem Verordnungsweg würde die regulierende Behörde das Unternehmen einfach anweisen, der Verordnung gemäß zu handeln, und sie würde genau vorschreiben, welche Filtertechnik zu verwenden und wo sie einzusetzen ist. Es gäbe nur wenig Spielraum für neue Lösungsansätze oder für Abstimmungsmaßnahmen innerhalb des Unternehmens oder zwischen mehreren Unternehmen. Wenn die Standards richtig gesetzt werden – und auf dieses „Wenn“ kommt es an –, könnte das Ergebnis eine Annäherung an das effiziente Verschmutzungsausmaß bedeuten, das wir weiter oben in diesem Abschnitt definiert haben. Es ist zwar möglich, dass die regulierende Behörde ihre Umweltschutzverordnungen im Sinne der volkswirtschaftlichen Effizienz erlässt, in der Praxis ist damit jedoch kaum zu rechnen. Tatsächlich leiden nämlich zahlreiche staatliche Umweltschutzmaßnahmen unter diversen Mängeln: Umweltschutzstandards werden häufig ohne den Vergleich zwischen Grenzkosten und Grenznutzen willkürlich festgelegt. Ohne einen derartigen Vergleich ist es jedoch nicht möglich, das effiziente Ausmaß von Umweltschutzmaßnahmen zu ermitteln. Die gesetzlichen Bestimmungen verbieten in einigen regulierten Bereichen sogar ausdrücklich einen KostenNutzen-Vergleich als Methode zur Festlegung des Standards. Überdies sind staatlich vorgeschriebene Umweltstandards in jedem Fall ein sehr grobes und undifferenziertes Regulierungsinstrument. Effizienter staatlicher Umweltschutz erfordert die Gleichsetzung der Verschmutzungsgrenzkosten für alle Verschmutzungsquellen. Regulierungsmaßnahmen auf dem Verordnungsweg ermöglichen im Allgemeinen keine Differenzierung nach Unternehmen,
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Regionen oder Wirtschaftszweigen. So betreffen Regulierungsmaßnahmen zumeist große ebenso wie kleine Unternehmen, urbane wie ländliche Gebiete oder Unternehmen mit hohem genauso wie solche mit geringem Verschmutzungsgrad in gleicher Weise. Obwohl Unternehmen A eine Emissionsreduktion schon mit einem Bruchteil der Kosten bewerkstelligen könnte, die dafür in Unternehmen B anfallen, müssen beide Unternehmen denselben Standard einhalten. Es gibt keinerlei wirtschaftlichen Anreiz für Unternehmen A, seine Emissionswerte unter den geforderten Grenzwert zu senken, obwohl es volkswirtschaftlich richtig wäre, entsprechende Anreize zu bieten. Zahlreiche Studien belegen, dass die mangelnde Differenzierung des Systems der Grenzwerte und der staatlich festgesetzten Umweltstandards ein Land sehr viel teurer zu stehen kommt, als ein effizientes Umweltmanagement jemals an Kosten verursachen würde. Marktlösung: Emissionsgebühren. Um manche der Mängel einer direkten staatlichen Kontrolle zu umgehen, wird von zahlreichen Ökonomen immer wieder vorgeschlagen, doch eine Strategie zu wählen, die eher auf wirtschaftliche Anreize als auf staatliche Verordnungen baut. Einer dieser Ansätze sieht die Erhebung von Emissionsgebühren vor, die bedeuten würden, dass die Unternehmen eine Steuer für die von ihnen verursachte Verschmutzung zu entrichten haben, die ebenso hoch sein müsste wie der durch den externen Effekt verursachte Schaden. Würde daher die Dirty Light & Power für die betroffene Öffentlichkeit externe Grenzkosten von US-$ 35 pro Tonne verursachen, müssten für die von ihr verursachten Emissionen US-$ 35 pro Tonne erhoben werden. Mit dieser Maßnahme würden die Externalitäten internalisiert, indem das Unternehmen selbst die sozialen Kosten seiner Aktivitäten zu tragen hätte. Bei Kalkulation ihrer privaten Kosten würde die Dirty Light & Power feststellen, dass jede zusätzliche Tonne SO2 interne Kosten von US-$ 5 verursacht, zuzüglich der Emissionsgebühr von US-$ 35, was insgesamt
537 zu Grenzkosten von US-$ 40 pro Tonne Emission führt. Setzen wir nun den neuen Grenznutzen (privater Nutzen plus Verschmutzungsgebühr) mit den Grenzkosten des Umweltschutzes gleich, müsste das Unternehmen seine Emissionen auf ein effizientes Niveau verringern. Wenn Emissionsgebühren richtig berechnet würden – und auch hier liegt die Betonung wieder auf dem Wörtchen „wenn“ –, würden gewinnorientierte Unternehmen wie von einer unsichtbaren Hand dazu angeleitet, jenen Effizienzzustand anzustreben, bei dem soziale Grenzkosten und sozialer Grenznutzen der Emission gleich hoch sind. Die alternativen Ansätze sind grafisch in Abbildung 18-7 dargestellt, die mit Ausnahme eines Details Abbildung 18-6 gleicht: Hier wird angenommen, dass der private Nutzen durch Umweltschutzmaßnahmen vernachlässigbar gering ist. Durch direkte staatliche Kontrolle hält der Staat das Unternehmen an, 250 Tonnen seiner Emissionen auszufiltern (oder maximal 150 Tonnen zu emittieren). Damit läge der staatlich festgelegte Standard bei der breiten, vertikal verlaufenden Linie. Sofern dieser Standard in der richtigen Höhe festgelegt ist, wählt das Unternehmen nun das sozial effiziente Ausmaß an Umweltschutzmaßnahmen. Bei effizienter Regulierung müsste das Unternehmen daher Punkt E wählen, wobei MSC MC entspräche. Und wie würde sich das Ergebnis nach der Einführung von Emissionsgebühren darstellen? Nehmen wir an, der Staat erhebt eine Steuer von US-$ 40 pro Tonne. Das bedeutet de facto, dass der private Grenznutzen von Umweltschutzmaßnahmen von US-$ 5 auf US-$ 40 pro Tonne steigt. Angesichts eines derartigen Anreizes würde sich das Unternehmen ebenfalls für den effizienten Punkt E in Abbildung 18-7 entscheiden. Marktlösung: Handelbare Emissionszertifikate. Ein neuer Ansatz, der keine staatliche Steuergesetzgebung erfordert, wäre der Einsatz handelbarer Emissionszertifikate. Anstatt dem Unternehmen die Zahlung einer Steuer
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Grenzkosten, Grenznutzen durch ökologische Maßnahmen
120 100
MSB
Staatlich festgelegte Umweltstandards
80 (Emissionsgebühr plus privater Kosten)
60 40
E
MC
20 0
100 200 300 Ökologische Maßnahmen (Beseitigung von Umweltschäden)
400
Abbildung 18-7: Umweltstandards und Emissionsgebühren Wenn der Staat einen Emissionsgrenzwert von 150 Tonnen festsetzt oder die Beseitigung von 250 Tonnen vorschreibt, führt dies zu einem ökologisch effizienten Umweltzustand in E. Dasselbe Ergebnis erreicht man auch mit Emissionsgebühren von US-$ 35 je Tonne: Bei einer Gebühr von US-$ 35 pro Tonne plus US-$ 5 je Tonne an privatem Grenzschaden entspricht der Betrag den Grenzkosten und führt zu den effizienten Umweltschutzmaßnahmen in Punkt E.
von US-$ pro Tonne Emission aufzuerlegen und es dann dem Unternehmen zu überlassen, das Ausmaß seiner Verschmutzung festzulegen, entscheidet der Staat über die zulässige Verschmutzung und stellt die entsprechende Anzahl an Emissionszertifikaten aus. Der Preis für diese Zertifikate, der der Verschmutzungsgebühr entspricht, wird dann durch Angebot und Nachfrage auf dem Zertifikatmarkt gebildet. Unter der Annahme, dass die Unternehmen ihre Produktions- und Umweltschutzkosten kennen, sorgen die Zertifikate für dasselbe Ergebnis wie die Emissionsgebühren. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Ansätzen besteht darin, dass der Staat Emissionszertifikate häufig an Unternehmen ausgibt, um deren politische Unterstützung zu erreichen. Das bedeutet, dass für die Industrie Zertifikate gewinnträchtig sind, während bei den Emissionsgebühren die Regierung die Gewinne einfährt.
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Volkswirtschaftliche Innovationen: Der Handel mit Emissionszertifikaten Die meisten ökologischen Regulierungswerkzeuge bedienen sich eines Verordnungs- und Kontrollansatzes, um die Emissionen aus den einzelnen Quellen wie Kraftwerken oder Autos einzuschränken. Dieser Ansatz kann die Gesamtemissionen nicht beschränken. Vor allem aber garantiert er geradezu, dass das Gesamtprogramm extrem ineffizient ausfällt, weil es die Bedingung, dass alle Emissionsquellen dieselben Grenzkosten tragen müssen, nicht erfüllt. 1990 wurde in den USA ein radikal neuer Ansatz im staatlichen Programm zur Senkung des Schwefeldioxidausstoßes, übrigens eines der besonders schädlichen Umweltgifte, eingeführt. Gemäß einer Novelle des Clean Air Act aus dem Jahr 1990 vergibt der Staat alljährlich eine bestimmte Anzahl von Genehmigungen zum SO2-Ausstoß für das gesamte Land. Die Emissionen sollten gegenüber dem Stand von 1990 bis zum Jahr 2000 um 50 Prozent gesenkt werden. Der innovative Aspekt des Plans besteht in der uneingeschränkten Handelbarkeit dieser Emissionszertifikate. Die Stromversorgungsbetriebe erhalten Verschmutzungszertifikate und dürfen diese untereinander genauso kaufen und verkaufen, als handle es sich hierbei um Schweinebäuche oder Weizen. Unternehmen, die ihre Schwefelemissionen reduzieren können, tun dies auf die billigste Art und Weise und verkaufen ihre Zertifikate an andere Unternehmen, die diese für neue Anlagen benötigen oder die sich selbst gegen die Senkung ihrer Emissionen und für den Kauf von Zertifikaten entscheiden, weil sie keine teuren Filter einbauen oder Werke schließen wollen. Umweltökonomen sind der Ansicht, dass diese verbesserten Anreize eine viel kostengünstigere Erreichung der gesteckten Ziele ermöglichen als die traditionelle Methode mit Vorschriften und Kontrollen. Studien des Ökonomen Tom Tietenberg vom Colby College in Maine haben ergeben, dass die traditionellen Ansätze zwei-
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bis zehnmal mehr kosten als andere, kostenbewusste Methoden wie der Emissionshandel. Dieser Markt hat übrigens ein sehr überraschendes Verhalten an den Tag gelegt. Ursprünglich nahm die Regierung an, die Emissionszertifikate würden in den ersten Jahren für etwa US-$ 300 je Tonne Schwefeldioxid gehandelt werden. In der Praxis ist der Marktpreis jedoch in den ersten Jahren auf unter US-$ 100 je Tonne gesunken. Ein Grund für diesen Erfolg waren die starken Innovationsanreize, die das Programm schuf, und die Unternehmen stellten fest, dass schwefelarme Kohle viel einfacher und billiger einzusetzen war, als sie zuvor gedacht hatten. Dieses bedeutende Experiment unterstützt auf eindrucksvolle Weise jene Ökonomen, die sich für marktorientierte Ansätze der Umweltpolitik aussprechen.
Privatwirtschaftliche Ansätze Es wird allgemein angenommen, dass irgendeine Form staatlicher Eingriffe nötig ist, um das Marktversagen im Zusammenhang mit Umweltverschmutzung und anderen Externalitäten zu überwinden. In einigen Fällen kann jedoch ein starkes Eigentums- und Haftungsrecht den staatlichen Eingriff oder die Regulierung über Steuern ersetzen. Eine Lösung unter Betonung des privaten Sektors setzt auf die zivilrechtliche Haftung anstelle einer direkten staatlichen Regulierung. Mit dieser Methode macht das Rechtssystem den Verursacher von Externalitäten für alle Schäden haftbar, die anderen Personen daraus entstehen. Durch Einführung eines geeigneten Haftungssystems werden die Externalitäten letztlich wieder internalisiert. In einigen Bereichen ist diese Lehrmeinung bereits fest etabliert. So kann man in den meisten US-Bundesstaaten, wird man im Straßenverkehr von einem anderen Autofahrer verletzt, auf Schadensersatz klagen. Wer durch ein defektes Produkt Verletzungen oder Krankheiten erleidet, kann das Unternehmen auf Produkthaftung verklagen.
539 Während Haftungsregeln im Wesentlichen eine attraktive Methode der Internalisierung marktferner Produktionskosten sind, kommen sie in der Praxis nur sehr eingeschränkt zur Anwendung. Meistens bedingen sie hohe Streitkosten, die zu den ursprünglichen Externalitäten noch hinzukommen. Außerdem können viele Schäden nicht eingeklagt werden, weil die Eigentumsrechte keine geeignete Grundlage dafür abgeben (etwa jene im Zusammenhang mit sauberer Luft) oder weil zu viele Unternehmen gemeinsam den beklagten externen Effekt verursachen (etwa im Fall von Chemikalien, die in einen Fluss eingeleitet werden). Ein zweiter privatwirtschaftlicher Ansatz geht von starken Eigentumsrechten und Verhandlungen zwischen den Parteien aus. Er wurde von Ronald Coase von der Universität Chicago entwickelt, der nachweisen konnte, dass freiwillige Verhandlungen unter allen Betroffenen bisweilen zu einem effizienten Ergebnis führen. Nehmen wir an, ich wäre ein Landwirt und würde Düngemittel einsetzen, die flussabwärts gelangen und viele Fische in Ihren Teichen töten. Nehmen wir weiter an, Sie könnten mich nicht für die Tötung Ihrer Fische belangen. Wenn Ihr Fischgeschäft einigermaßen rentabel ist, könnten Sie versuchen, mich zu einer Einschränkung meines Düngerverbrauchs zu bringen, obwohl Sie gegen mich nicht klagen können. Mit anderen Worten, wenn sich aus der Neuausrichtung unserer gemeinsamen Aktivitäten ein Nettogewinn erzielen lässt, haben wir einen starken Anreiz, uns zusammenzutun und uns über das effiziente Niveau der Düngerimmissionen in den Fluss zu einigen. Dieser Anreiz würde übrigens ohne jedes staatliche Ökologieprogramm oder Haftungsrecht wirken. Wenn die Eigentumsrechte wohl definiert und die Transaktionskosten niedrig sind, kann insbesondere im Fall einer Involvierung weniger Parteien ein starkes Haftungsrecht oder der Verhandlungstisch bisweilen eine effiziente Lösung des Externalitätenproblems hervorbringen.
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Klimawandel: Aufhalten oder nicht aufhalten? Kein anderes ökologisches Thema beunruhigt die Wissenschaftler mehr als die Bedrohung durch die Erderwärmung infolge des Treibhauseffekts. Klimatologen und andere Wissenschaftler warnen immer wieder, die Akkumulation von Gasen wie Kohlendioxid (CO2), das durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe in großen Mengen frei wird, werde im nächsten Jahrhundert wahrscheinlich zu einer Erwärmung unseres Planeten und zu anderen signifikanten Klimaveränderungen führen. Auf der Grundlage von Klimamodellen haben die Wissenschaftler errechnet, dass sich die Erde im kommenden Jahrhundert bei anhaltendem Trend um 2,8 bis 6,0 ˚C erwärmen könnte. Damit entstünde ein Klima, das während des gesamten bisherigen Zeitraums menschlicher Zivilisation noch nie aufgetreten ist. Der Treibhauseffekt ist die große alte Dame unter den Problemen mit öffentlichen Gütern: Maßnahmen, die wir heute treffen, beeinflussen die Lebensbedingungen aller Menschen in allen Ländern, und das über Jahrhunderte! Die Kosten für eine Reduktion der CO2-Emissionen entstehen hingegen kurzfristig, wenn die Länder ihre Nutzung fossiler Brennstoffe durch Energieeinsparungen, alternative Energiequellen (Sonnenenergie oder vielleicht auch Kernkraft), durch das Anpflanzen von Bäumen und andere Maßnahmen einschränken. Der Nutzen von Emissionsreduktionen ist aber erst in vielen Jahren zu erwarten, wenn die geringeren Emissionen zukünftige klimainduzierte Schäden verringern – was eine geringere Störung der Landwirtschaft, der Meeresküsten und Ökosysteme bedeuten würde. Die Ökonomen haben nun damit begonnen, die volkswirtschaftlichen Auswirkungen des sich abzeichnenden Klimawandels zu studieren, um zu verstehen, wie die Staatengemeinschaft hier gegensteuern könnte und welche vernünftigen Strategien sich entwi-
Teil 4
ckeln ließen. Wirtschaftliche Studien besagen, dass die Marktwirtschaften in den entwickelten Ländern wie den Vereinigten Staaten in den kommenden Jahrzehnten vom Klimawandel weitgehend unberührt bleiben werden. Die schwerwiegendsten Auswirkungen werden wohl die Landwirtschaft und vom Menschen unkontrollierte Ökosysteme wie Wälder, Fischgründe und Korallenriffe zu tragen haben. Viele Wissenschaftler sind über den möglicherweise abrupten Klimawandel besorgt, könnte er doch in wenigen Jahren die klimatischen Muster dramatisch verschieben. Diese Szenarien sind nun tatsächlich furchterregend, doch über die Wahrscheinlichkeit ihres Eintreffens können wir derzeit nichts Verlässliches aussagen. Eine effiziente Strategie zur Eindämmung des Klimawandels erfordert die Abwägung der Grenzkosten einer CO2-Reduktion gegen den dadurch entstehenden Grenznutzen. Abbildung 18-8 zeigt die Grenzkosten der Reduktion schematisch als MC und den sozialen Grenznutzen als MSB. Die Y-Achse misst Kosten und Nutzen in US-Dollar, während auf der X-Achse die Emissionsreduktion in Prozent der Kohlendioxidreduktion abgetragen ist. Punkt E im Diagramm stellt den Effizienzpunkt dar, an dem die Grenzkosten der Reduktion dem Grenznutzen durch die Verzögerung des Klimawandels entsprechen. Dies ist jener Punkt, bei dem es zu einer Maximierung des Gegenwartswerts des zukünftigen menschlichen Konsums kommt. Im Gegensatz dazu weist die reine Marktlösung Emissionsreduktionen von null auf, wobei MSB weit über den MC von null liegt, während eine extreme ökologische Lösung, die versucht, jegliche Störung des natürlichen Ökosystems zu vermeiden, an den rechten Rand des Diagramms gerät, wo MC MSB weit überschreitet. Wie lässt sich Punkt E, das Effizienzniveau einer CO2-Reduktion, erreichen? Da CO2Emissionen durch die Verbrennung von kohlehaltigen Brennstoffen entstehen, wurde unter anderem eine Steuer auf den Kohlenstoffgehalt von Brennstoffen gefordert. Brenn-
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Kapitel 18 Umweltschutz
Grenzkosten, Grenznutzen, CO2-Steuer
MC
T✽
E
r✽
MSB
Emissionsverminderung (r )
Abbildung 18-8: CO2-Steuern können den schädlichen Klimawandel verzögern Die effiziente Verzögerung des Klimawandels erfordert eine Verhängung von Kohlendioxidsteuern in T* oder die Drosselung der Emissionen auf r*, um für die nötige Ausgewogenheit zwischen den Grenzkosten einer Emissionssenkung und dem Grenznutzen aus den verringerten, durch den Treibhauseffekt bedingten Schäden zu sorgen.
stoffe, die einen höheren CO-Anteil haben – beispielsweise Kohle selbst –, sollten stärker besteuert werden als Brennstoffe mit geringem Kohlenstoffgehalt wie Benzin. Ökonomen haben Modelle zur Schätzung einer effizienten Kohlendioxidbesteuerung entwickelt, die die Kosten höherer Steuern mit dem Nutzen durch geringere Schäden aus der Erderwärmung abgleichen. Diese Modelle können als Richtschnur für die Politik und ihre Maßnahmen im Kampf gegen den Treibhauseffekt dienen. Globale öffentliche Güter und das Kyoto-Protokoll Wir haben schon weiter oben in diesem Kapitel das Problem der globalen öffentlichen Güter angesprochen. Die Staaten nähern sich diesem Thema auf dem Weg über internationale Verträge und Abkommen. Diese sollen sie von einem ineffizienten, unkooperativen Ergebnis zu einer effizienten und kooperativen Lösung des Verschmutzungsspiels führen. Doch es
erweist sich häufig als schwierig, effiziente Vereinbarungen zu erreichen. Die Maßnahmen zur Verlangsamung des Treibhauseffekts können hier als anschauliches Beispiel dienen. Obwohl Wissenschaftler längst Alarm geschlagen haben, weil sich seit über 30 Jahren ein Klimawandel abzeichnet, kamen keine bedeutenden internationalen Abkommen zu dessen Verhinderung zustande, bis im Jahre 1992 das Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen (FCCC) abgeschlossen wurde. Das FCCC enthielt Bestimmungen, wonach sich die reichen Länder unverbindlich einigten, ihre Emission von Treibhausgasen wie CO2 einzuschränken. Nachdem sich freiwillige Maßnahmen als unwirksam erwiesen hatten, handelten die Staaten im Jahre 1997 das KyotoProtokoll über den Klimawandel aus. Darin verständigten sich die reichen Industriestaaten mit den ehemals kommunistischen Ländern auf verbindliche Zusagen, bis 2010 ihre Gesamtemission an Treibhausgasen um 5 Prozent (gegenüber 1990) zu senken. Jedem Staat wurde ein bestimmtes Ziel zugewiesen. Auf der Grundlage ökonomischer Theorien und der Erfahrung mit dem amerikanischen SchwefeldioxidEmissionshandelsprogramm (wie oben erörtert), beinhaltet das Kyoto-Protokoll auch eine Bestimmung über den Emissionshandel zwischen den Staaten. Wirtschaftswissenschaftler haben mittlerweile detaillierte Analysen des KyotoProtokolls vorgenommen. Zu ihren wichtigsten Schlussfolgerungen gehört zum einen, dass eine Reduzierung der Treibhausgase voraussichtlich ein teures Unterfangen wird. Nach volkswirtschaftlichen Modellen würden sich der Zeitwert der globalen Schadstoffreduktionskosten bei Umsetzung eines erweiterten Kyoto-Protokolls zu Preisen des Jahres 2000 auf rund US-$ 1 Billion belaufen. Zum anderen bemängelten die Ökonomen, dass die Einschränkung des Kyoto-Protokolls auf die reichen und ehemals sozialistischen Länder dessen Wirtschaftlichkeit deutlich verschlechtere. Durch den Ausschluss energieintensiver Schwellenländer wie China erhöhten sich die Kosten zur Einhaltung
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der globalen Emissionsziele gegenüber einem wirtschaftlichen und global gültigen Abkommen um einen Faktor zwischen zwei und vier. Viele Studien schlossen, die Vereinigten Staaten müssten die wirtschaftliche Hauptlast einer Umsetzung des Kyoto-Protokolls tragen. Wegen ihres starken Wirtschaftswachstums und der sinkenden Energiepreise stieg der Kohlendioxidausstoß in den USA viel rascher als in den anderen Kyoto-Staaten. Teils wegen der hohen Kosten und teils wegen der in den USA vorherrschenden Abneigung gegen internationale Verträge zog sich die BushAdministration im Jahr 2001 aus dem Kyoto-Protokoll zurück. Die anderen teilnehmenden Staaten setzen das Abkommen aber vereinbarungsgemäß um. Die künftige Rolle der USA in der Politik gegen die drohende Erderwärmung wird somit auch in den kommenden Jahren ein überaus strittiges Thema bleiben.
Streiten und verschmutzen oder nachdenken und rechnen? Wir haben dieses Kapitel mit düsteren Fragestellungen über die Zukunft der Menschheit begonnen. Nun, nachdem wir das Feld mehr oder weniger abgesteckt haben – welche Schlussfolgerung drängt sich uns auf? Je nach persönlicher Veranlagung kann man in der gegenwärtigen Situation sowohl optimistisch als auch pessimistisch sein, was die Fähigkeit der Menschheit, die Bedrohungen unserer natürlichen Umwelt zu erkennen und entsprechend zu reagieren, betrifft. Es stimmt
Teil 4
schon: Wir bewegen uns in Richtung unbekannter Gewässer, wenn wir viele Ressourcen einfach ausplündern, andere irreversibel verändern und mit unserem Universum spielen, ohne uns die Auswirkungen unseres Handelns bewusst zu machen. Die Menschheit erscheint heute ebenso kampflustig wie zu Beginn ihrer geschriebenen Geschichte, und sie hat Waffen entwickelt, die sich in Kriegen als erschreckend effektiv erweisen. Ebenso haben sich aber unsere Möglichkeiten der Beobachtung und Analyse entscheidend verbessert. Unsere Fähigkeit, Beobachtungen, Messungen, Analysen und Berechnungen zu kombinieren, steigt noch rascher als unsere Neigung, Schadstoffe zu emittieren, Bäume umzusägen und immer mehr Menschen zu produzieren. Was aber wird in diesem Wettlauf zwischen unserer Neigung zu Uneinigkeit, Streit und zur Verschmutzung unserer natürlichen Umwelt sowie unserer Fähigkeit, nachzudenken und vernünftige Berechnungen anzustellen, den Sieg davontragen? Gibt es genügend Ressourcen, um den Armen den Konsumstandard der heutigen industrialisierten Welt zu ermöglichen, oder werden die heute Reichen die Leiter hinter sich einfach hochziehen und alle anderen draußen vor der Tür lassen? Es gibt keine endgültige Antwort auf diese weit reichenden Fragen, aber viele Ökonomen vertreten die Ansicht, dass der Homo sapiens, sollte er weise mit den ihm zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen umgehen, nicht nur überleben, sondern noch lange Zeit hindurch erfolgreich auf dieser Welt agieren wird.
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Kapitel 18 Umweltschutz
Zusammenfassung A. Bevölkerungswachstum und beschränkte Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen 1.
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3.
Die von Malthus entwickelte Bevölkerungstheorie beruht auf dem Gesetz der abnehmenden Grenzerträge. Malthus glaubte, die Bevölkerung werde, sofern niemand ihr Grenzen setzen könne, exponentiell wachsen, was eine Verdoppelung der Bevölkerungszahl etwa einmal pro Generation bedeute. Doch dem Einzelnen in dieser stetig wachsenden Menschenmasse stünden immer weniger Boden und weniger natürliche Ressourcen zur Verfügung. Aufgrund des erwähnten Ertragsgesetzes könnten die Einkommen bestenfalls ein arithmetisches Wachstum erreichen; die Produktionsleistung pro Person würde damit so weit zurückgehen, dass Stabilität erst auf einem sehr niedrigen Niveau, knapp über dem Hungertod, erreicht werde. Im Verlauf der letzten anderthalb Jahrhunderte wurden Malthus und seine Anhänger in mehreren Punkten widerlegt. Zu den wichtigsten Kritikpunkten zählt der Hinweis, Malthus habe die Möglichkeit eines technologischen Fortschritts außer Acht gelassen und ebenso die Bedeutung der Geburtenkontrolle als wirksame Maßnahme zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums verkannt. Studien über die Beziehung zwischen Umweltverschmutzung, Bevölkerungsdichte und Einkommen haben ergeben, dass die Nachfrage nach guter Umweltqualität mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen rapide zunimmt, sodass sich nach der überwiegenden Zahl der Indikatoren die Umweltqualität mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen eher verbessert als verschlechtert.
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C. Umweltökonomie 7.
8.
B. Ökonomie der natürlichen Ressourcen 4.
Natürliche Ressourcen gelten als nicht erneuerbar, wenn ihr Angebot im Wesentlichen fix ist und sich nicht rasch regenerieren kann. Erneuerbare Ressourcen sind hingegen jene, deren Angebot sich regelmäßig wieder „auffüllen“ lässt und die, wenn man richtig mit ihnen umgeht, unbegrenzt nützliche Dienste leisten können.
Aus volkswirtschaftlicher Sicht besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen internalisierbaren und nicht internalisierbaren Ressourcen. Natürliche Ressourcen sind dann internalisierbar, wenn Unternehmen oder Konsumenten den vollen Nutzen ihrer Dienste in Anspruch nehmen können; als Beispiele sind etwa Weinberge oder Ölfelder zu nennen. Dagegen sind natürliche Ressourcen dann nicht internalisierbar, wenn ihre Kosten oder ihr Nutzen nicht auf den Eigentümer durchschlagen. Mit anderen Worten, sie bewirken in diesem Fall Externalitäten. Beispiele sind hier Luftqualität und Klima, die Externalitäten aufweisen und durch menschliche Aktivitäten, wie das Verbrennen fossiler Brennstoffe, beeinflusst werden. Wichtige Beispiele für internalisierbare, nicht erneuerbare, natürliche Ressourcen sind fossile Brennstoffe wie Erdöl, Erdgas und Kohle. Ökonomen argumentieren, dass natürliche Ressourcen wegen der effizienten Preisgestaltungs- und Allokationsmöglichkeiten auf privaten Märkten nicht anders behandelt werden sollten als alle anderen Kapitalgüter auch.
9.
Ein ganz wesentliches und in seiner Bedeutung zunehmendes Marktversagen betrifft die Externalitäten. Diese treten auf, wenn die Kosten (oder der Nutzen) einer Aktivität zu SpilloverEffekten auf andere Menschen führt, ohne dass diese Menschen für die ihnen erwachsenden Kosten entschädigt werden oder für den gewonnenen Nutzen bezahlen müssen. Das anschaulichste Beispiel für Externalitäten bieten öffentliche Güter wie die Landesverteidigung, deren Konsum sich auf alle Mitglieder einer Gruppe gleichermaßen verteilt und von deren Konsum niemand sich ausschließen kann. Weniger offensichtliche Beispiele sind das öffentliche Gesundheitswesen, Erfindungen, öffentlich zugängliche Parkanlagen und Dämme, die auch Eigenschaften öffentlicher Güter aufweisen. Diese stehen den privaten Gütern, beispielsweise Brot, gegenüber, die sich teilen lassen und Einzelpersonen zugute kommen können. Umweltprobleme entstehen durch Externalitäten aus Produktion oder Konsum. In einer unregulierten Marktwirtschaft entsteht ein Übermaß an Umweltverschmutzung, dem ein zu geringes Maß an Umweltschutzmaßnah-
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men gegenübersteht. Nicht regulierte Unternehmen treffen Umweltschutzentscheidungen (und Entscheidungen über andere öffentliche Güter), indem sie ihren privaten Grenznutzen mit ihren privaten Grenzkosten gleichsetzen. Die Effizienz würde es jedoch erfordern, dass der soziale Grenznutzen den sozialen Grenzkosten für Umweltschutzmaßnahmen entspricht. 10. Es gibt zahlreiche Maßnahmen, mit denen Staaten die Ineffizienzen aus Externalitäten internalisieren oder korrigieren können. Als Alternativen bieten sich etwa dezentrale Lösungen (wie Ausgleichsverhandlungen oder gut entwickelte Haftungsgesetze) oder staatlich auferlegte Maßnahmen (etwa die Festlegung von Grenzwerten
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oder Emissionssteuern) an. Nach allen Erfahrungen ist keiner dieser Ansätze in jeder Situation ideal, aber viele Ökonomen sind der Ansicht, der intensivere Einsatz marktähnlicher Systeme könnte die Effizienz von Regulierungssystemen verbessern. 11. Globale öffentliche Güter, wie eine Verzögerung des bevorstehenden Klimawandels, verursachen die kniffligsten Probleme, die häufig weder von den Märkten noch von den Staaten selbst gelöst werden können. Daher müssen die Staaten neue Werkzeuge finden, um internationale Abkommen zu treffen, wenn globale Umwelttrends unseren Lebensstandard oder unsere Ökosysteme bedrohen.
Begriffe zur Wiederholung Bevölkerungswachstum und natürliche Ressourcen Malthusianische Bevölkerungstheorie Erneuerbare und nicht erneuerbare Ressourcen Internalisierbare und nicht internalisierbare Ressourcen
Umweltökonomie Externalitäten und öffentliche Güter Private und öffentliche Güter Ineffizienz von Externalitäten Interne und externe Kosten, soziale und private Kosten Abhilfe bei Externalitäten: Umweltstandards Steuern Haftung Verhandlungen und das Coase-Theorem Handel mit Emissionszertifikaten Globale öffentliche Güter
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Kapitel 18 Umweltschutz
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Die Umweltökonomik ist eine sehr dynamisch wachsende Wissenschaft. Vielleicht möchten Sie dazu ein Lehrbuch für Fortgeschrittene, Thomas H. Tietenberg, Environmental Economics and Policy, 3. Aufl. (Addison-Wesley, 2000), studieren. Ein hervorragendes Lesebuch zum Thema ist Robert Stavins (Hrsg.), Economics of the Environment: Selected Readings (Norton, New York, 2000). Zu den einflussreichsten Werken aller Zeiten gehört T. R. Malthus, Essay on Population (1798; deutsch: Das Bevölkerungsgesetz, DTV, München, 1982). Sie finden es als Online-Version unter www.ac.wwu.edu/ ~stephan/malthus/malthus.0.html. Die viel gelesenen Werke der Neo-Malthusianer Donella H. Meadows, Dennis L. Meadows und Jørgen Randers heißen The Limits to Growth (Potomac, Washington, D.C., 1972; deutsch: Die Grenzen des Wachstums, DVA, München, 1972) und Beyond the Limits (Chelsea Green, Post Mills, Vt., 1992; deutsch: Die neuen Grenzen des Wachstums, DVA, München, 1994). Das Wilson-Zitat stammt aus Edward O. Wilson, „Is Humanity Suicidal?“, New York Times Magazine, 30.5.1993, S. 27. Zur optimistischen Sichtweise siehe Wilfred Beckerman, „Economic Growth and the Environment“, World Development, Bd. 20, Nr. 4, 1992, S. 482. Deutschsprachige Literatur: Fraunhofer-Institut und DIW, „Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen von Emissionsminderungsstrategien“, in: Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“ (Hrsg.), Energie. Studienprogramm, Band 3, Teilband II (Economica, Bonn, 1995); Werner Hediger, Opportunitätskosten der Umweltverschmutzung. Eine dynamisch ökologisch-ökonomische Analyse (Rüegger, Zürich, 1991).
Websites Eine der besten Seiten über Ressourcen und Umwelt wird von der gemeinnützigen Organisation „Resources for the Future“ unter www.rff.org/ betrieben. Sie finden darin eine große Bandbreite von Themen. Bevölkerungsdaten stellen die Vereinten Nationen zur Verfügung: www.un.org/popin/. Energiedaten sind auf der sehr umfassenden Website der Energy Information Administration unter www.eia.doe.gov abrufbar. Weitere Informationen über Umweltpolitik erhalten Sie auf der Website der amerikanischen Umweltschutzagentur EPA: www.epa.gov. Auf der Homepage des UNO-Umweltschutzprogramms unter www.unep.org wird internationale Umweltpolitik behandelt. Das Kyoto-Protokoll und andere Programme gegen den Klimawandel sind unter www.ipcc.ch und www.unfccc.de zu finden.
Übungen 1.
2.
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Worin besteht der Unterschied zwischen erneuerbaren und nicht erneuerbaren Ressourcen? Führen Sie jeweils ein Beispiel an. Was versteht man unter einer nicht internalisierbaren natürlichen Ressource? Nennen Sie ein Beispiel und erklären Sie, warum die Marktallokation dieser Ressource ineffizient ist. Welche Methode würden Sie vorziehen, um ein besseres Marktergebnis zu erzielen? Eine geometrische Reihe ist eine Folge von Termen (g1, g2, … gt, gt + 1, …), bei der jeder Term dasselbe Vielfache des vorherigen Wer-
tes darstellt: g2 / g1 = g3 / g2 = … = gt + 1 / gt, = . Wenn gilt: = 1 + i > 1, nehmen die Terme exponentiell zu wie der Zinseszins, wenn i dem Zinssatz entspricht. Eine arithmetische Reihe ist eine Termenfolge (a1, a2, a3, … at, at + 1, ...), bei der die Differenz zwischen jedem Term und dem vorherigen konstant ist: a2 – a1 = a3 – a2 = … = at + 1 – at = … = . Führen Sie jeweils mehrere Beispiele an. Beweisen Sie, dass eine geometrische Reihe, bei der gilt: > 1, irgendwann jede arithmetische Reihe überholen muss. Stellen Sie eine Verbindung zwischen
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4.
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6.
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dieser Erkenntnis und der malthusianischen Bevölkerungstheorie her. Erinnern Sie sich an die Aussage Malthus’, wonach das ungehinderte Bevölkerungswachstum einer geometrischen Reihe entsprechen muss, während das Nahrungsangebot – das durch das Gesetz des abnehmenden Grenzertrags eingeschränkt ist – nur im Ausmaß der arithmetischen Reihe zunehmen kann. Verwenden Sie ein numerisches Beispiel, um nachzuweisen, warum die Nahrungsmittelproduktion pro Kopf sinken muss, wenn die Bevölkerung ungehindert wächst, während aufgrund der abnehmenden Grenzerträge bei der Nahrungsmittelproduktion nur ein im Vergleich zur Zunahme des Arbeitsangebotes geringeres Wachstum möglich ist. „Lokale öffentliche Güter“ sind Güter, die im Wesentlichen den Bewohnern einer Stadt oder eines Bundeslandes zugute kommen – etwa Strände oder Schulen, die nur von Einheimischen besucht werden. Gibt es einen Grund anzunehmen, dass Städte ein Wettbewerbsverhalten an den Tag legen könnten, um ihren Bewohnern die richtige Menge lokaler öffentlicher Güter anzubieten? Falls ja, lässt sich daraus eine volkswirtschaftliche Theorie des „Fiskalföderalismus“ ableiten, wonach lokale öffentliche Güter auch lokal angeboten werden sollten? Entscheiden Sie für jede der folgenden Externalitäten, ob sie ein so ernsthaftes Problem darstellt, dass kollektive Maßnahmen gerechtfertigt wären. Sollte Ihre Antwort ja lauten, welche der vier in diesem Kapitel erörterten Maßnahmen würden Sie als effizienteste Vorgehensweise betrachten? a. Stahlwerke, die Schwefeldioxid in die Luft Ihrer Stadt ausstoßen b. Raucher in Restaurants c. Rauchende Studenten in Einzelzimmern d. Autofahren in alkoholisiertem Zustand, das 25.000 Todesfälle pro Jahr in den USA verursacht e. Autofahren alkoholisierter Lenker unter 21 Jahren Führen Sie gemeinsam mit ihren Studienkollegen eine CV, eine kontingente Bewertung durch, indem Sie Folgendem jeweils einen Geldwert beimessen: Reinhaltung des PrinceWilliam-Sund; Verhinderung der Ausrottung der gefleckten Waldeule über weitere 10.000 Jahre; Gewährleistung des Weiterbestehens von mindestens 1 Million gefleckter Waldeulen für weitere 10.000 Jahre; jährliche Verringerung der Wahrscheinlichkeit, im Zuge eines Autounfalls zu sterben, von 1 zu 1000 auf 1 zu
8.
9.
Teil 4
2000. Wie verlässlich ist Ihrer Ansicht nach diese Technik, um Informationen über die Vorlieben der Menschen zu sammeln? Don Fullerton und Robert Stavins argumentieren, folgende Aussagen stellten Gerüchte über die Sichtweise der Umwelt durch Ökonomen dar (siehe Kapitel 1 in Stavins Buch, das in den Leseempfehlungen angeführt ist). Erklären Sie, warum jede dieser Aussagen nur ein Gerücht sein kann und wie der richtige Ansatz lauten müsste: a. Ökonomen glauben, der Markt könne alle Umweltprobleme lösen. b. Ökonomen empfehlen für alle Umweltprobleme ausschließlich eine Marktlösung. c. Ökonomen verwenden stets Marktpreise zur Evaluierung von Umweltproblemen. d. Ökonomen befassen sich nur mit der Effizienz, nie mit der Einkommensverteilung. Problemstellung für Fortgeschrittene: Globale öffentliche Güter stellen einen Spezialfall dar, weil kein Land allein den Nutzen aus seinen Umweltschutzbemühungen ziehen kann. Zeichnen Sie zur Bestätigung Abbildung 18-8 noch einmal, und benennen Sie sie diesmal „Emissionsreduktion für die USA“. Bezeichnen Sie die Kurven jeweils mit „USA“, um anzuzeigen, dass es sich ausschließlich um die Kosten und den Nutzen für die USA handelt. Zeichnen Sie als Nächstes eine neue MSB-Kurve, die überall dreimal so hoch ist wie die MSBUSKurve, um zu zeigen, dass der Nutzen für die Welt dreimal so hoch ist wie jener für die USA. Betrachten Sie das „nationalistische“ Gleichgewicht in E, bei dem die Vereinigten Staaten ihren eigenen Nutzen maximieren. Erkennen Sie, warum dies aus Sicht der gesamten Welt ineffizient ist? (Hinweis: Die Überlegung ist vollkommen analog zu Abbildung 18-6.) Überlegen Sie sich die Frage aus Sicht der Spieltheorie. Das Nash-Gleichgewicht träte ein, würde sich jedes Land für das nationalistische Gleichgewicht entscheiden, das Sie gerade analysiert haben. Beschreiben Sie, warum es genau analog zum ineffizienten Nash-Gleichgewicht im Umweltverschmutzungsspiel in Kapitel 11 ist – nur handelt es sich bei den Spielern hier um Staaten und nicht um Unternehmen. Überlegen Sie sich nun das kooperative Spiel, bei dem die Staaten zusammenwirken, um gemeinsam das effiziente Gleichgewicht feststellen zu können. Beschreiben Sie das effiziente Gleichgewicht in Form globaler MC- und MSB-Kurven. Erkennen Sie, warum das effiziente Gleichgewicht in allen Ländern eine einheitliche CO2-Steuer erfordern würde?
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KAPITEL 19 Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit: Der große Zwiespalt
[Der Konflikt] zwischen Gerechtigkeit und Effizienz [ist] unser größter sozioökonomischer Zwiespalt, der uns in der Sozialpolitik in Dutzenden Facetten heimsucht. Wir können einfach nicht beides zugleich haben: Markteffizienz und Verteilungsgerechtigkeit. Arthur Okun (1975)
Vor rund 100 Jahren begannen viele westliche Regierungen, auf dem Markt zu intervenieren und als Bollwerk gegen den Druck der sozialistischen Bewegung ein soziales Sicherheitsnetz einzuführen. Dieses neue Gesellschaftskonzept nannte man „Wohlfahrtsstaat“. Dieses System entwickelte sich Schritt für Schritt in Richtung eines marktwirtschaftlichen Mischsystems, wie wir es heute in den Demokratien Europas und Nordamerikas vorfinden. In diesen Ländern bestimmt der Markt Produktion und Preise der meisten Güter und Dienstleistungen, während die öffentliche Hand die Wirtschaft steuert und dafür sorgt, dass die Armen, Arbeitslosen und Alten von einem sozialen Sicherheitsnetz aufgefangen werden. Einer der umstrittensten Aspekte staatlicher Politik ist das Verhalten gegenüber den Armen. Sollte jeder Familie ein gewisses Mindesteinkommen garantiert werden? Oder genügt eine Mindestversorgung mit Lebensmitteln, Unterkünften und Gesundheitsleistungen? Sollte die Besteuerung progressiv sein, sodass Einkommen von den Reichen zu den Armen umverteilt wird? Oder sollte das Steueraufkommen in erster Linie zur Förderung von wirtschaftlichem Wachstum und Effizienz verwendet werden? Überraschenderweise lässt die Brisanz dieser Fragen nicht nach, je reicher eine Gesellschaft wird. Vielleicht meinen Sie, dass ein Land, dessen Wohlstand ansteigt, stets einen größeren Teil seines Einkommens in Programme für die Bedürftigen im In- und Ausland investiert. Doch dem ist nicht immer so. Wenn die Steuerlast in den letzten 50 Jahren besonders drückend wurde, gab es in den Vereinigten Staaten oft Steuerrevolten, die Steuersenkungen nach sich zogen. Den Menschen wird auch zunehmend bewusst, dass Bemühungen um den Ausgleich von Einkommenshöhen zu einer Beeinträchtigung von Anreizen und Effizienz führen können. Heute stellt sich die Frage: Wie viel von unserem wirtschaftlichen Kuchen müssen wir opfern, um ihn gerechter aufteilen zu können? Wie müssen wir Programme zur Ein-
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
kommensunterstützung umgestalten, um Bedürftigkeit und Ungleichheit zu verringern, ohne das Land gleich in den Bankrott zu führen? Der Zweck dieses Kapitels besteht darin, die Einkommensverteilung und die Dilemmata der auf die Beseitigung von Ungleichheit gerichteten Politik unter die Lupe zu nehmen. Diese Themen zählen zu den umstrittensten wirtschaftlichen Fragen unserer Zeit. Hier helfen kühle wirtschaftliche Analysen der Einkommenstrends und der Stärken und Schwächen verschiedener Programme, um sowohl ein Gefühl der Gerechtigkeit als auch ein fortgesetztes rasches Wachstum der Mischwirtschaft zu fördern.
A. Die Ursachen von Ungleichheit Um Ungleichheiten in der Verfügung über volkswirtschaftliche Ressourcen messen zu können, müssen wir sowohl die bestehenden Einkommens- als auch die Vermögensunterschiede betrachten. Sie erinnern sich bestimmt: Unter persönlichem Einkommen verstehen wir die Gesamteinnahmen oder Geldbeträge, die eine Person oder ein Haushalt in einer bestimmten Periode (normalerweise in einem Jahr) einnimmt. Die wichtigsten Bestandteile des persönlichen Einkommens sind Einkommen aus Erwerbsarbeit, Einkommen aus Vermögen (Mieten, Zinsen und Dividenden) sowie staatliche Transferzahlungen. Das verfügbare persönliche Einkommen setzt sich aus dem persönlichen Einkommen abzüglich aller abzuführenden Steuern zusammen. Das Vermögen oder „Reinvermögen“ besteht aus dem gesamten Geldvermögen oder den gesamten finanziellen und materiellen Vermögenswerten abzüglich der Schulden gegenüber Banken und anderen Gläubigern. Sie können Ihr Gedächtnis, was die wichtigsten Einkommens- und Vermögensquellen betrifft, ein wenig auffrischen, in-
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dem Sie noch einmal die Tabellen 12-1 und 12-2 (vgl. Seite 329 und Seite 331) durcharbeiten.
Die Verteilung von Einkommen und Vermögen Statistiken zufolge betrug das Medianeinkommen amerikanischer Familien im Jahre 2001 US-$ 42.228. Das bedeutet, dass die Hälfte aller Familien ein niedrigeres und die Hälfte ein höheres Einkommen erzielte. Diese Zahl bezieht sich auf die Einkommensverteilung, die uns über die Streuung der Haushaltseinkommen informiert. Durchdenken Sie zum besseren Verständnis der Einkommensverteilung einmal folgendes Experiment: Nehmen wir an, ein Mitglied jedes Haushalts würde das jeweilige Haushaltsjahreseinkommen auf eine Karteikarte schreiben. Alle so erhaltenen Karten könnten wir anschließend nach Einkommensklassen sortieren. Manche der Karten wären in die Rubrik der untersten 20 Prozent mit einem Einkommen von weniger als US-$ 17.970 einzureihen. Manche könnten wir der nächsten Kategorie zuordnen. Und nur einige wenige wären den 5 Prozent der Spitzenverdiener unter den Haushalten mit Einkommen von US-$ 150.500 und darüber zuzuordnen. Die tatsächliche Einkommensverteilung amerikanischer Haushalte im Jahre 2001 ist Tabelle 19-1 zu entnehmen. Spalte (1) zeigt die willkürliche Einteilung der Einkommen in fünf Klassen oder Quintile sowie die 5 Prozent der Spitzenverdiener. Spalte (2) weist die Bandbreite der Haushaltseinkommen in jeder Einkommensklasse aus. Spalte (3) zeigt den Prozentsatz der Haushalte in jeder Einkommensklasse, und Spalte (4) enthält den Prozentsatz des gesamten Volkseinkommens, den die Haushalte einer Einkommensklasse vereinnahmen. Tabelle 19-1 ermöglicht es uns, die breite Streuung der Einkommen in der amerikanischen Wirtschaft auf einen Blick zu erfassen. Das ärmste Fünftel der amerikanischen Haushalte verfügt über ein Einkommen von weni-
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Kapitel 19 Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit: Der große Zwiespalt
(1)
(2)
(3)
(4)
Einkommensklasse der Haushalte
Einkommenshöhe (US-$)
Prozentsatz der betroffenen Haushalte
Unterstes Fünftel Zweites Fünftel Drittes Fünftel Viertes Fünftel Oberstes Fünftel
0 – 17.970 17.971 – 33.314 33.315 – 53.000 53.001 – 83.500 > 83.500
20 20 20 20 20
Prozentsatz des Gesamteinkommens, der auf die jeweilige Klasse entfällt 3,5 8,7 14,6 23,0 50,1
Oberste 5 Prozent
>150.500
5
22,4
Tabelle 19-1: Die Verteilung der Geldeinkommen unter den amerikanischen Haushalten, 2001 Wie sah die Verteilung der Gesamteinkommen unter den Haushalten im Jahre 2001 aus? Wir teilen dazu die Haushalte in Fünftel (so genannte Quintile) ein: ein Fünftel mit dem niedrigsten, ein zweites mit dem zweitniedrigsten Einkommen und so weiter. Quelle: U.S. Bureau of the Census, Money Income of Households, Families, and Persons in the United States: 2001, Current Population Report, Series P-60, no. 218, September 2002, abrufbar im Internet unter www.census.gov/hhes/www/
ger als US-$ 17.970, während sich das reichste Fünftel über Einkommen von mehr als US-$ 83.500 freuen kann. Etwa 5 Prozent der Haushalte verfügen über ein Einkommen von über US-$ 150.500. Manche Glücklichen verdienen sicherlich noch wesentlich mehr, aber je weiter man in der Einkommenspyramide nach oben gelangt, desto einsamer wird es dort auch. Würden wir aus Bauklötzen eine Einkommenspyramide errichten, bei der jede Schicht für US-$ 500 Einkommen stünde, so läge zwar die Spitze dieser Pyramide weit über dem Gipfel des Mount Everest, doch der überwiegende Teil der Menschen befände sich höchstens ein oder zwei Meter über dem Boden.
Wie lässt sich die Ungleichheit zwischen den Einkommensklassen messen? Wie können wir das Ausmaß der Einkommensungleichheit messen? Wären die Einkommen absolut gleich verteilt, dürfte es natürlich keinerlei Unterschiede zwischen den ärmsten 20 Prozent und den reichsten 20 Prozent der Bevölkerung geben: Jedes Quin-
til erhielte exakt 20 Prozent des Einkommens des Landes. Das wäre absolute Gleichheit. Die Realität sieht jedoch ganz anders aus. Das unterste Fünftel – also 20 Prozent aller Haushalte – muss sich mit nicht einmal 4 Prozent des Gesamteinkommens zufrieden geben. Die Situation für die 5 Prozent der bestverdienenden Haushalte ist genau umgekehrt – sie können 22 Prozent des Einkommens für sich verbuchen. Das Ausmaß der Ungleichheit lässt sich anhand eines Diagramms zeigen, das als Lorenzkurve bekannt ist und zur Analyse von Einkommens- und Vermögensungleichheit gern verwendet wird. Abbildung 19-1 ist eine Lorenzkurve, die das Maß an Ungleichheit darstellt, das in den Spalten von Tabelle 19-2 aufgeführt ist; sie stellt also die Muster von (1) absoluter Gleichheit, (2) absoluter Ungleichheit und (3) aktueller Ungleichheit in den USA im Jahre 2001 gegenüber. Absolute Gleichheit wird von der Zahlenkolonne in Spalte (4) von Tabelle 19-2 dargestellt. Überträgt man diese Zahlen ins Diagramm, wird aus ihnen die diagonale, gestrichelte rostfarbene Linie der Lorenzkurve in Abbildung 19-1.
550
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
die durchgehende rostfarbene Kurve in der Mitte. Der schattierte Bereich zeigt die Abweichung von der absoluten Gleichheit und gibt daher ein Maß für die Einkommensungleichheit an.
100
Prozent der Einkommen
80
60
40
Kurve absoluter Gleichheit
Abweichung von der absoluten Gleichheit
0
Der Gini-Koeffizient Tatsächliche US-Einkommensverteilung, 2001 Kurve absoluter Ungleichheit
20
20
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40 60 80 Prozent der Bevölkerung
100
Abbildung 19-1: Die Lorenzkurve zeigt die Einkommensstreuung Durch Übertragung der Daten aus Spalte (6) von Tabelle 19-2 erkennen wir, dass die durchgängige rostfarbene Kurve, die die tatsächliche Einkommensverteilung darstellt, zwischen den beiden Extremen der absoluten Gleichheit und der absoluten Ungleichheit liegt. Der schattierte Bereich dieser Lorenzkurve (als Prozentsatz des dreieckigen Bereichs) misst die relative Einkommensstreuung. (Wie hätte die Kurve damals in den Goldenen Zwanzigern ausgesehen, als die Ungleichheit größer war? Wie in einem egalitären Utopia, wo jedermann gleich viel erbt und gleiche Chancen hat?)
Das andere Extrem wäre der hypothetische Fall absoluter Ungleichheit, demzufolge ein Mensch das gesamte Einkommen erhielte. Der Fall der absoluten Ungleichheit ist Spalte (5) von Tabelle 19-2 zu entnehmen und wird durch die unterste Kurve im Lorenzdiagramm dargestellt – die gestrichelte, rechtwinkelig verlaufende, schwarze Linie. Die tatsächliche Einkommensverteilung, also beispielsweise jene des Jahres 2001, liegt immer irgendwo zwischen den Extremen der absoluten Gleichheit und der absoluten Ungleichheit. Die rostfarbene Spalte (6) in Tabelle 19-2 stellt jene Daten dar, die aus den ersten beiden Spalten in der Form aufbereitet wurden, dass sie sich als Lorenzkurve darstellen lassen. Diese der Realität entsprechende Lorenzkurve erscheint in Abbildung 19-1 als
Ökonomen müssen oft quantitative Maße der Ungleichheit berechnen. Ein nützliches Maß hierfür ist der Gini-Koeffizient. Er wird gemessen, indem der schattierte Bereich der Lorenz-Kurve von Abbildung 19-1 berechnet und mit 2 multipliziert wird. Der Gini-Koeffizient beträgt unter den Bedingungen vollständiger Ungleichheit 1 und unter den Bedingungen vollständiger Gleichheit 0. Um das zu verstehen, erinnern Sie sich, dass die Lorenzkurve einer Gesellschaft mit gleichen Einkommen entlang der 45˚-Linie verliefe, sodass der Bereich null wäre. Wenn die Lorenzkurve im Gegensatz dazu entlang der Achsen verläuft, ist der Bereich 0,5; bei Multiplikation mit 2 ergibt dies einen Gini-Koeffizienten von 1. Mithilfe des Gini-Koeffizienten berechnete das Census Bureau, dass sich die Ungleichheit von 1967 bis 1980 nur wenig veränderte (der Gini-Koeffizient stieg von 0,399 auf 0,403), von 1980 bis 2001 jedoch konstant anstieg (von 0,403 auf 0,466).
Die Verteilung der Vermögen Eine wesentliche Quelle der Einkommensungleichheit ist die ungleiche Verteilung der Vermögen, also des Nettoeigentums an finanziellen Ansprüchen und finanziellen Vermögenswerten. Die wirklich – ob durch Erbschaften, eigene Geschicklichkeit oder Glück – enorm Vermögenden erzielen Einkommen, die weit über jenen des durchschnittlichen Haushalts liegen. Dagegen haben Menschen ohne Vermögen von Anfang an einen Startnachteil. In einer Marktwirtschaft sind die Vermögen sehr viel ungleicher verteilt als die Einkommen, wie Abbildung 19-2(b) zeigt. In den Vereinigten Staaten besaßen die reichsten 10
551
Kapitel 19 Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit: Der große Zwiespalt
(1)
(2)
Einkommensklasse der Haushalte
Unterstes Fünftel Zweites Fünftel Drittes Fünftel Viertes Fünftel Oberstes Fünftel
(3)
(4)
Prozentsatz Prozentsatz der von den der Haushalte Haushalten in dieser dieser Klasse Klasse und bezogenen darunter Einkommen 3,5 0 8,7 20 14,6 40 23,0 80 50,1 100
(5)
(6)
Einkommensprozentsatz, der von dieser und darunter liegenden Klassen bezogen wurde Absolute Gleichheit
0 20 40 80 100
Absolute Ungleichheit
Tatsächliche Verteilung
0 0 0 0 100
3,5 12,2 26,8 49,8 100,0
Tabelle 19-2: Tatsächliche und Extremfälle von Ungleichheit Durch Kumulierung der Einkommensanteile jedes Quintils in Spalte (2) können wir in Spalte (6) die tatsächliche Einkommensverteilung mit den Extremfällen der vollständigen Ungleichheit und der vollständigen Gleichheit vergleichen. Quelle: Tabelle 19-1 (a) Einkommensungleichheit
(b) Vermögensungleichheit
100
100 Schweden 80 Prozent der Vermögen
Prozent der Einkommen
80 Großbritannien 60
USA
40 Brasilien 20
60
40
20
USA Großbritannien
0
20 40 60 80 Prozent der Bevölkerung
100
0
20 40 60 80 Prozent der Bevölkerung
100
Abbildung 19-2: Das Ausmaß der Ungleichheit variiert in den verschiedenen Gesellschaften und ist bei den Vermögen größer als bei den Einkommen (a) Reife Volkswirtschaften weisen eine geringere Ungleichheit der Einkommensverteilung auf als Volkswirtschaften mit mittleren Einkommen. (b) Die Vermögen sind offensichtlich stärker konzentriert als die Jahreseinkommen. Die USA und Großbritannien weisen eine ähnliche Einkommensverteilung auf, aber in Großbritannien sind die Vermögen stärker konzentriert als in den USA. In sozialistischen Ländern wie in China ist die Konzentration der privaten Vermögen sehr viel geringer. Quelle: Ana M. Aizcorbe, Arthur B. Kennickell und Kevin B. Moore, „Recent Changes in U.S. Family Finances: Evidence from the 1998 and 2001 Survey of Consumer Finances“, Federal Reserve Bulletin, vol. 89 (Januar 2003), S. 1–32 (online verfügbar); und World Bank, World Development Report, verschiedene Ausgaben.
552
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Prozent der Haushalte im Jahre 2001 70 Prozent der Vermögenswerte, und das reichste 1 Prozent besaß rund 40 Prozent des Gesamtvermögens. Studien von Edward Wolff von der New York University zeigen, dass die Ungleichheit der Vermögensverteilung im Laufe der Zeit stark zugenommen hat. Die Gesellschaften sind ambivalent, wenn es um große Vermögen geht. Vor hundert Jahren kritisierte Präsident T. Roosevelt „schwerreiche Übeltäter“ und schlug für Einkommens- und Erbschaftssteuern eine hohe Progression vor. Hundert Jahre später wurde in den USA jedoch ein Gesetz verabschiedet, das alle Erbschafts- und Schenkungssteuern ab 2010 abschafft und sie als „Todessteuern“ bezeichnet. Falls dieses Gesetz tatsächlich in Kraft treten sollte, könnte die Ungleichheit der Vermögensverteilung in den nächsten Jahren weiter stark zunehmen.
Teil 4
größte Ungleichheit – extremer Luxus und Reichtum neben Elend und Armut – ist in Ländern der mittleren Einkommensstufe, vor allem in lateinamerikanischen Ländern wie Peru, Brasilien und Venezuela, festzustellen.
Ungleichheit der Erwerbseinkommen Was sind die Quellen der Ungleichheit? Als Erstes denken wir hier an die Erwerbseinkommen, die rund 75 Prozent der Faktoreinkommen ausmachen. Selbst wenn die Vermögenseinkommen gleichmäßig verteilt wären, bliebe also ein Großteil der Ungleichheit bestehen. Die Kräfte, die zu ungleichen Einkommen führen, sind unterschiedliche Fähigkeiten und Kenntnisse, unterschiedliche Arbeitsintensität, unterschiedliche Berufe und andere Faktoren.
Ungleichheit zwischen den Ländern
Fähigkeiten und Kenntnisse
Die Einkommensverteilung variiert je nach Wirtschafts- und Sozialstruktur zwischen den einzelnen Ländern beträchtlich. Abbildung 19-3 zeigt die Ungleichheit zwischen den verschiedenen Ländern bei Messung durch den Gini-Koeffizienten. (Der Gini-Koeffizient ist im Kasten weiter oben beschrieben.) In marktwirtschaftlich orientierten Ländern wie in den USA divergiert die Einkommensverteilung unter allen einkommensstarken Ländern am stärksten. In den Wohlfahrtsstaaten Nordeuropas ist die Ungleichheit hingegen am schwächsten ausgeprägt. Die Ursachen für diese starke Ungleichheit in den Vereinigten Staaten werden weiter hinten in diesem Kapitel zur Sprache gebracht. Die Erfahrungen der Entwicklungsländer zeigen eine interessante Entwicklung. Die Ungleichheit beginnt mit zunehmender Industrialisierung der Länder zu steigen. Wenn diese Industrialisierung ihren Höhepunkt überschritten hat, wird sie rückläufig. Die
Menschen unterscheiden sich in körperlicher und geistiger Hinsicht und auch nach ihrem Temperament ganz enorm in ihren Fähigkeiten. Doch diese individuellen Besonderheiten helfen uns im Grunde kaum, das Rätsel der Einkommensverteilung zu lüften. Physische Eigenschaften (wie Körperkraft, Größe oder Gewicht) und messbare geistige Eigenschaften (etwa der Intelligenzquotient oder die Aufnahmefähigkeit) erklären die Unterschiede zwischen den Einkommen der Menschen nur sehr begrenzt. Damit soll nicht behauptet werden, dass individuelle Fähigkeiten keine Bedeutung hätten. Die Fähigkeit, ein Tor zu schießen oder ein Publikum in Entzücken zu versetzen, erhöhen das Einkommenspotenzial eines Menschen beträchtlich. Aber die auf dem Markt geschätzten Fähigkeiten sind sehr unterschiedlich und oft sehr schwer zu messen. So honorieren die Märkte beispielsweise Risikobereitschaft, Ehrgeiz, Glück, geniale
553
Kapitel 19 Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit: Der große Zwiespalt
50
45
Gini-Koeffizient der Ungleichheit
40
35
30
25
20
15
10 5
(1
5) (1
99
99
7)
5) 99
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4)
0
Abbildung 19-3: Ungleichheit in verschiedenen Ländern Die Streuung der Einkommen ist je nach Land sehr unterschiedlich ausgeprägt. Russland und die heutigen USA weisen die größte Ungleichheit der Einkommen auf, während sich die skandinavischen Länder im Allgemeinen durch die geringste Ungleichheit auszeichnen. Diese Grafik stellt den Gini-Koeffizienten dar, wie er im Text definiert wird. Quelle: Koen Vleminckx, Luxembourg Income Study, August 1998, online verfügbar.
technische Einfälle, gutes Urteilsvermögen und harte Arbeit – und nichts von all dem lässt sich mit standardisierten Tests problemlos messen. Mark Twain hätte es vielleicht folgendermaßen ausgedrückt: „Du musst nicht klug sein, um Geld zu verdienen. Aber Du musst wissen, wie man Geld verdient.“
derlich, um sich das Lebensnotwendige leisten zu können. Einkommensunterschiede können schon deshalb groß sein, weil nicht alle Menschen gleich hart arbeiten, und man kann kaum behaupten, dass in keinem dieser Fälle die wirtschaftliche Chancengleichheit gegeben wäre.
Arbeitsintensität
Berufe
Die Arbeitsintensität variiert von Mensch zu Mensch beträchtlich. Ein Workaholic verbringt 70 Stunden wöchentlich an seinem Arbeitsplatz, verzichtet auf Urlaube und schiebt vielleicht sogar seine Pension immer weiter hinaus. Ein Asket hingegen arbeitet möglicherweise nur so viel wie gerade erfor-
Eine wichtige Quelle von Einkommensunterschieden sind natürlich die unterschiedlichen Berufe der Menschen. Am unteren Ende der Skala finden wir Hausangestellte, Personal von Fast-Food-Restaurants und Hilfsarbeiter. Ein ganzjährig vollbeschäftigter Mitarbeiter bei McDonald’s oder ein Autowäscher
554
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
verdient heute durchschnittlich nur US-$ 10.000 jährlich. Am oberen Ende finden wir die ausgezeichnet verdienenden Fachkräfte. In welchem Beruf verdient man am besten? Für die letzten Jahre kann diese Frage ganz eindeutig beantwortet werden: als Arzt. Ärzte erzielten im Jahr 1998 ein zu versteuerndes Durchschnittseinkommen von US-$ 160.000, was einen beinahe 70-prozentigen Anstieg seit 1986 bedeutet. Wie kann es zu derart großen Einkommensunterschieden zwischen den verschiedenen Berufsgruppen kommen? Teilweise erklärt sich die Disparität durch Investitionen in Humankapital, wie in die Ausbildungszeit, die beispielsweise bei Ärzten sehr lang ist. Doch auch spezielle Fähigkeiten spielen eine Rolle, beispielsweise mathematisches und technisches Verständnis, das eine Voraussetzung für den Beruf des Technikers darstellt. In einigen Berufen verdient man mehr, weil sie gefährlich oder unangenehm sind (denken Sie nur an die Diskussion der kompensatorischen Lohnunterschiede in Kapitel 13). Und wenn es in einem Beruf zu einer Angebotsknappheit kommt, beispielsweise wegen einer restriktiven Gewerkschaftspolitik oder durch die Gewerbeordnung, treibt der Nachfrageüberhang die Löhne und Gehälter in diesem Beruf in die Höhe.
Sonstige Faktoren Zusätzlich zu individuellen Fähigkeiten, Arbeitsintensität und Beruf wirken sich auch noch andere Faktoren auf die Ungleichheit der Arbeitseinkommen aus. Wie bereits in Kapitel 13 besprochen, spielen Diskriminierung und die Ausschließung von bestimmten Berufen eine gewichtige Rolle im Zusammenhang mit den konstant niedrigen Löhnen von Frauen und vielen Minderheitengruppen. Darüber hinaus hat das Familien- und Sozialleben von Kindern einen großen Einfluss auf ihre späteren Einkünfte. Kinder aus reichen Familien profitieren in jedem Alter
Teil 4
von ihrer Umwelt. Ein Kind, das in Armut aufwächst, lebt häufig in beengten Verhältnissen, ist unzureichend ernährt, besucht schlecht geführte Schulen und wird von überlasteten Lehrern unterrichtet. Das Schicksal von Kindern aus den armen Innenstädten ist zumeist schon entschieden, bevor diese zehn Jahre alt sind. Manche Ökonomen meinen, dass der technologische Wandel, Einwanderungsbewegungen, der internationale Handel und die zunehmende Verbreitung von Alles-odernichts-Märkten zu größerer Ungleichheit führen. Nehmen wir die Technologie: Erinnern Sie sich an die Diskussion von Kapitel 11, in der es darum ging, dass die Technologie die Leistung des Einzelnen so multipliziert, dass sie viel mehr Menschen erreicht. Die Folge ist: Während talentierte Sportler vor 30 Jahren kaum mehr verdienten als der durchschnittliche Fabrikarbeiter, erhalten Spitzenspieler im Basketball heute Willkommensprämien von an die 100 Millionen US-$. Ähnliche Trends sind in anderen Sportarten, in der Unterhaltungsindustrie und im Topmanagement zu beobachten.
Ungleichheit der Einkommen aus Vermögen Die größten Ungleichheiten im Einkommen ergeben sich aus Unterschieden des Einkommens aus Vermögen, das unter anderem die Einkommen aus Aktien, Anleihen und Immobilien umfasst. Mit wenigen Ausnahmen beziehen die Personen, die auf der Einkommenspyramide ganz oben stehen, den Großteil ihres Einkommens aus ihrem Vermögen. Die Armen hingegen besitzen nur wenig Finanzvermögen und können deshalb aus ihrem nicht existenten Vermögen auch kein Einkommen beziehen. Werfen wir einen Blick auf die Ursachen der Vermögensunterschiede – Sparverhalten, Unternehmertum und Erbschaften –, die zu den konstatierten Vermögensungleichheiten führen.
555
Kapitel 19 Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit: Der große Zwiespalt
Lebenszyklisches Sparen als Vermögensquelle
Unternehmertum Verglichen mit emsigem Sparen spielt das Unternehmertum auf dem Weg zum Reichtum eine weitaus bedeutendere Rolle. Tabelle 19-3 zeigt die diesbezüglichen Erfahrungen der 100 reichsten Bürger der Vereinigten Staaten im Jahre 2003. Ihre Daten lassen den Schluss zu, dass die meisten wirklich vermögenden US-Bürger durch Risikobereitschaft und den Aufbau gewinnträchtiger Unternehmen, etwa von Computersoftwarefirmen, Fernsehnetzen und Einzelhandelsketten, zu ihrem Reichtum gelangt sind. Wer neue Produkte oder Dienstleistungen erfand oder die Unternehmen lenkte, die diese Produkte oder Dienstleistungen auf den Markt brachten, wurde durch die Schumpeter-Gewinne aus diesen Innovationen reich. Zu dieser wohlhabenden Gruppe zählen Volkshelden wie Bill Gates (Chef des Software-Riesen Microsoft), die Waltons (Gründer von Wal-Mart) und Warren Buffett (Investment-Guru).
Obwohl der Großteil der Menschen sich abplagt, um ein paar Dollar für die Pension anzusparen, ist dieses knauserige Verhalten wahrscheinlich nicht die wichtigste Quelle der US-Vermögen. Wie schwierig es ist, durch Sparen des normalen Arbeitseinkommens ein großes Vermögen anzuhäufen, lässt sich anhand eines realistischen Beispiels zeigen. Nehmen wir an, die durchschnittliche Mittelklassefamilie spart 20 Jahre lang jährlich rund US-$ 2.000 (5 Prozent ihres Einkommens). Nehmen wir weiter an, dass es ihr durch umsichtiges Anlegen ihres Geldes gelingt, jährlich einen Gewinn nach Steuern von 5 Prozent zu erzielen. Nach 20 Jahren würde diese Familie über ein erspartes Vermögen von US-$ 73.200 verfügen – einen Betrag, der nur einem Sechstel des Reinvermögens der Durchschnittsfamilie entspricht.
Die 100 reichsten US-Amerikaner Höhe des Reinvermögens Quelle des Reichtums
Anzahl der Personen
Mrd. US-$
Prozent
8
18,8
3
Finanzgeschäfte
16
99,4
16
Unternehmertum
76
506,7
81
12
70,4
11
3
9,5
2
Industrie
13
72,7
12
New Economy
12
152,7
24
Öl
6
19,8
3
Immobilien
9
28,4
5
21
153,2
25
100
624,9
100
Erbschaft
Kommunikation Unterhaltung
Einzelhandel Gesamt
Tabelle 19-3: Wie haben die reichsten Amerikaner ihr Glück gemacht? Im Jahr 2003 verfügten 100 Amerikaner laut Forbes Magazin über ein Reinvermögen von mindestens US-$ 2 Milliarden. Die meisten von ihnen hatten ihre Vermögen als Unternehmer erworben (wie Bill Gates oder die Waltons), während ein kleiner Prozentsatz sein Vermögen einer Erbschaft oder Finanzgeschäften verdankte. Quelle: Forbes, Oktober 2003.
556
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Erbschaft Wie viel tragen Erbschaften zu den US-Vermögen bei? Etwa ein Viertel der 100 reichsten Personen des Jahres 1999 gelangten eher durch Erbschaft als durch den Aufbau von Vermögen zu ihrem Reichtum. Doch stellt dies wahrscheinlich eine Unterbewertung der Bedeutung von Erbschaften für die Einkommensverteilung dar. Studien belegen, dass zwei Drittel des reichsten Prozent der US-Amerikaner einen beträchtlichen Vermögensanteil ererbt haben. Diese Konzentration ererbten Vermögens in wenigen Händen ist es, die den heftigen Widerwillen vieler Menschen auf sich zieht, die sich mit der ungleichen Vermögensverteilung im Land nicht abfinden können.
Armut in den Vereinigten Staaten Gesellschaften neigen dazu, bestimmte Gruppen oder Probleme herauszugreifen und sich auf sie zu konzentrieren. In den sechziger Jahren erklärten die Vereinigten Staaten der Armut „den Krieg“ und führten ehrgeizige Gesundheits- und Ernährungsprogramme ein, um das wirtschaftliche Elend ein für allemal auszurotten. Bevor wir uns jedoch der Analyse konkreter Maßnahmen gegen die Armut zuwenden, müssen wir erst den Begriff Armut definieren, und wir werden feststellen, dass es sich hierbei um einen erstaunlich schwer fassbaren Terminus handelt. Der schwer fassbare Begriff der „Armut“ Das Wort „Armut“ bedeutet nicht für jedermann dasselbe. Armut ist zweifellos ein Zustand, in dem Menschen unzureichende Einkommen beziehen, aber eine genaue Trennlinie zwischen Armen und nicht Armen zu ziehen, erweist sich als ziemlich schwierig. Ökonomen haben daher bestimmte Instrumentarien entwickelt, mit denen sie sich an eine offizielle Definition des Begriffes Armut heranwagen können.
Teil 4
Armut wurde in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA als Einkommenshöhe definiert, die nicht zur Beschaffung von Grundnahrungsmitteln, Kleidung, Unterkunft und anderen Lebensnotwendigkeiten ausreicht. Dieses Einkommen wurde anhand von Familienbudgets berechnet und überprüft, indem man feststellte, welcher Einkommensanteil für Lebensmittel ausgegeben wurde. Seit damals wird das Armutsbudget anhand des von der Regierung herausgegebenen Konsumentenpreisindex angepasst und spiegelt Änderungen in den Lebenshaltungskosten wider. Laut Standarddefinition beliefen sich die Mindestlebenshaltungskosten einer vierköpfigen US-Familie im Jahre 2004 auf US-$ 18.850. Diese Zahl bezeichnet die „Armutsgrenze“ oder sozusagen die Demarkationslinie zwischen den vom Staat als arm und den als nicht arm angesehenen Familien. Die Armutsgrenze hängt auch von der Familiengröße ab. Während eine genaue Zahl zur Messung der Armut nützlich ist, räumen Wissenschaftler ein, dass „Armut“ ein relativer Begriff ist. Der Begriff des Existenzminimums beinhaltet viele subjektive Wertungen und soziale Konventionen. Wohnungen, die heute als kaum zumutbar gelten, sind technisch häufig ausgestattet, wie es sich in früheren Zeiten selbst Millionäre und Räuberbarone nicht hätten leisten können. Aufgrund der Mängel der aktuellen Definition empfahl ein Expertengremium der National Academy of Sciences im Jahre 1995, die Definition von „Armut“ so zu ändern, dass sie den relativen Einkommensstatus widerspiegelt. Das Gremium empfahl, eine Familie als arm zu betrachten, wenn ihr Konsum um 50 Prozent unter dem Lebensmittel-, Kleidungs- und Wohnungskonsum der mittleren Familie liegt. Die Armut, gemessen am relativen Einkommen würde zurückgehen, wenn die Ungleichheit abnimmt; sie bliebe unverändert, wenn die Wirtschaft blüht, ohne dass sich die Verteilung von Einkommen und Konsum ändert. In dieser neuen Welt würde eine Flut alle Boote heben, doch den Anteil der als arm zu betrachtenden
557
Kapitel 19 Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit: Der große Zwiespalt
Bevölkerung nicht verändern. Dieser radikale neue Ansatz wird von der Regierung sorgfältig abgewogen.
Armut in den wichtigsten Bevölkerungsgruppen, 2001 Bevölkerungsgruppe
Wer sind die Armen?
Gesamtbevölkerung
Armut betrifft bestimmte Bevölkerungsgruppen deutlich stärker als andere. Tabelle 19-4 zeigt die Inzidenz der Armut in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen für das Jahr 2001. Danach waren insgesamt 11,7 Prozent der Bevölkerung als arm einzustufen, weil ihr Einkommen unter der Armutsgrenze des Jahres 2001 lag, wobei die Armutsrate bei schwarzen und lateinamerikanischen Familien fast dreimal so hoch war wie bei nicht lateinamerikanischen weißen Familien. Am bedrohlichsten schien der Trend bei den allein erziehenden Müttern mit Kindern zu sein, die einen stetig wachsenden Anteil an der armen Bevölkerung stellen. 1959 waren die Haushaltsvorstände von rund 18 Prozent der armen Familien allein erziehende Mütter. Im Jahre 2001 lag die Armutsrate dieser Gruppe bei 26 Prozent. Sozialwissenschaftler zeigen sich besorgt, dass die Kinder aus diesen Familien nur unzureichend ernährt und ausgebildet werden, sodass es ihnen aller Voraussicht nach schwer fallen wird, als Erwachsene selbst der Armut zu entkommen. Doch natürlich wäre eine Erörterung des Problems der Armut unvollständig, würde man nicht auch die Lage der Minderheiten berücksichtigen. Das Einkommen von fast einem Drittel aller Afroamerikaner, Lateinamerikaner und Indianerfamilien der USA liegt unter der Armutsgrenze. Warum fallen gerade so viele Mutter-KindHaushalte und Familien, die Minderheiten angehören, unter die Armutsgrenze? Welche Rolle spielt dabei die Diskriminierung?1 Erfahrene Beobachter betonen heute, dass eine offene Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder des Geschlechts immer seltener festzustellen ist. Und dennoch nimmt die relative Armut von
Nach rassischer und ethnischer Zugehörigkeit:
1 Die volkswirtschaftlichen Aspekte der Diskriminierung am Arbeitsplatz werden in Kapitel 13 erläutert.
Weiße (ohne Lateinamerikaner)
Prozentsatz unter der Armutsgrenze 11,7
7,8
Schwarze
22,7
Lateinamerikaner
21,8
Nach Alter: Unter 18 Jahren
16,3
18 bis –64 Jahre
10,1
65 Jahre und darüber
10,1
Nach Haushaltstyp: Verheiratete Paare
4,9
Weiblicher Haushaltsvorstand, kein Ehemann anwesend
26,4
Männlicher Haushaltsvorstand, keine Ehefrau anwesend
13,1
Tabelle 19-4: Armut in verschiedenen Bevölkerungsgruppen, 2001 Bei Weißen und verheirateten Paaren liegen die Armutsraten unter dem Durchschnitt. Schwarze, Lateinamerikaner und Familien mit weiblichen Haushaltsvorständen hingegen sind von Armut überdurchschnittlich stark betroffen. Quelle: U.S. Bureau of the Census, Poverty in the United States: 2001, Current Population Report, Series P-60, Nr. 219, September 2002, abrufbar im Internet unter www.census.gov
Frauen und Schwarzen zu. Wie aber lassen sich diese beiden scheinbar gegenläufigen Trends vereinbaren? Der wichtigste Faktor ist die zunehmende Kluft zwischen den Einkommen von Menschen mit hoher Bildung und Facharbeitern und jenen von Hilfsarbeitern und schlechter gebildeten Arbeitnehmern. Im Laufe der
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
letzten 25 Jahre ist das Lohngefälle zwischen diesen beiden Gruppen stark gestiegen, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden. Das zunehmende Lohngefälle hat Minderheitengruppen besonders stark getroffen.
Die Trends der Ungleichheit Die Geschichte der Ungleichheit in den Vereinigten Staaten ist in Abbildung 19-4 dargestellt. Sie zeigt das Verhältnis der Einkommen des bestverdienenden Fünftels der Familien und jener des untersten Fünftels. Wir erkennen drei abgegrenzte Zeiträume: abnehmende Ungleichheit bis zum Zweiten Weltkrieg, stabile Verhältnisse bis 1980 und danach in den beiden letzten Jahrzehnten steigende Ungleichheit. Seit 1980 ist das Gefälle zwischen den Einkommen der gut und der schlecht verdienenden Gruppen um nahezu 50 Prozent gestiegen. Rückläufige Ungleichheit: 1929–1975. Unabhängig davon, welche Messmethode wir anwenden, lässt sich für den Zeitraum 1930 bis 1975 mit Sicherheit aussagen, dass Ungleichheit abgebaut wurde und dass die Armen ebenso wie die Wohlhabenden die Früchte des Wirtschaftswachstums genießen konnten. Wirtschaftsgeschichtlichen Studien zufolge war von den zwanziger Jahren bis zur Mitte der siebziger Jahre ein stetiger Anstieg des Realeinkommens des ärmsten Fünftels der Bevölkerung zu verzeichnen, der über dem allgemeinen Wirtschaftswachstum lag. So stieg auch der Anteil des Gesamteinkommens, das dem ärmsten Bevölkerungsfünftel (oder Quintil) zugute kam, zwischen 1929 und 1975 von 3,8 Prozent auf rund 5 Prozent. Im selben Zeitraum sank die Armutsrate so stark, dass manche schon hofften, das Phänomen Armut könnte in den USA bald der Vergangenheit angehören. Warum konnte die wirtschaftliche Ungleichheit in diesem Zeitraum so erfolgreich zurückgedrängt werden? Die Ungleichheit ging teilweise aufgrund des Abbaus der Einkommensungleichheit zurück. Mit zunehmen-
Verhältnis des Einkommens des obersten Fünftels zum Einkommen des untersten Fünftels der Haushalte
558
Teil 4
15 14 13 12 11 10 9 1920
1940
1960
1980
2000
Jahr
Abbildung 19-4: Die Entwicklung der Ungleichheit in den USA, 1929–2001 Ein nützliches Maß der Ungleichheit ist das Verhältnis der Einkommen des obersten und des untersten Fünftels der Bevölkerung. Der Anteil der Spitzeneinkommen ging nach 1929 mit dem Börsen-Crash der dreißiger Jahre, der niedrigen Arbeitslosenrate und dem Abbau der Barrieren für Frauen und Minderheiten während des Zweiten Weltkriegs sowie der Abwanderung vom Land in die Städte zurück. Seit 1980 ist die Einkommensungleichheit durch die höhere Einwanderung und den Rückgang der Löhne von Hilfsarbeitern stark angestiegen. Quelle: U.S. Bureau of the Census, Zeitreihen von den Autoren zusammengestellt.
der Bildung der ärmeren Gruppen und verstärkter gewerkschaftlicher Organisation der Arbeitnehmer begann sich die Lücke zu schließen. Staatliche Maßnahmen wie die Einführung der Sozialversicherung brachten der älteren Bevölkerung viel, während Finanzhilfeprogramme und Lebensmittelmarken für Mittellose und Arbeitslosenversicherung die Einkommen der anderen Gruppen aufbesserten. Zusätzlich reduzierte ein progressiv wirkendes Einkommensteuersystem, das hohe Einkommen stärker als niedrige Einkommen besteuerte, das Ausmaß der Ungleichheit. Die Kluft wird wieder breiter: 1975–2001. In den letzten 25 Jahren kam es jedoch zu einer Trendumkehr (in mehrerlei Hinsicht). Der auf das ärmste Bevölkerungsfünftel entfal-
Kapitel 19 Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit: Der große Zwiespalt
lende Anteil der Gesamteinkommen ging in den achtziger Jahren stark zurück; noch 1975 entfielen auf dieses Quintil 5,4 Prozent, 2001 waren es nur noch 3,5 Prozent. Die durchschnittlichen Realeinkommen von Familien des ärmsten Quintils lagen damit weit unter den einstigen Spitzenwerten. Die Armutsrate begann jedoch während der langen wirtschaftlichen Expansionsphase der neunziger Jahre zu sinken und erreichte 2000 mit 11,3 Prozent einen Tiefpunkt. Während die Einkommen der Armen in den letzten 25 Jahren stagnierten, stiegen die Einkommen der reichsten Amerikaner sprunghaft an. Von 1975 bis 2001 stieg jener Anteil am Gesamteinkommen, der den reichsten 5 Prozent der Haushalte zugute kam, von 16 Prozent auf 22,4 Prozent. Eine neuere Studie über einkommensstarke Haushalte belegt sogar, dass der Großteil der Zugewinne im obersten Segment tatsächlich den besonders Vermögenden zugute kam, nämlich nur den reichsten 0,1 Prozent aller US-Steuerzahler. Warum nahm die Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten zu? Nach einer mehrjährigen und intensiven Erforschung dieser Frage nennen die Ökonomen heute mehrere Gründe für die neuerdings wieder zunehmende Ungleichheit: Einerseits kam es zu Beginn der achtziger Jahre zu Änderungen der staatlichen Politik: Transferzahlungen für arme Familien wurden gekürzt, während man gleichzeitig die reichsten Gruppen durch eine angebotsorientierte Steuersenkung in den achtziger Jahren aktiv unterstützte. Staatliche Maßnahmen können jedoch den neuen Trend nur teilweise erklären. In den letzten beiden Jahrzehnten durften sich leitende Angestellte und Manager über geradezu exorbitante Gehaltserhöhungen freuen, während die steigende Geburtenrate bei unverheirateten Müttern zu einer Zunahme jener MutterKind-Familien führte, die viel eher unter die Armutsgrenze fallen. Der wahrscheinlich wichtigste Grund für die steigende Ungleichheit ist die Tatsache, dass in den achtziger Jahren gut ausgebildete Arbeitskräfte viel besser bezahlt wurden als
559
ungelernte Hilfsarbeiter. Ökonomen haben sich eingehend mit der Frage des so genannten College-Bonus beschäftigt, also mit den Lohnunterschieden zwischen Akademikern und High-School-Absolventen bei vergleichbaren Jobs. Gerade im letzten Jahrzehnt ist der College-Bonus stark angestiegen. Nach dem Economic Report of the President, dem Wirtschaftsbericht des Präsidenten, verdienten Akademiker im Jahre 1981 etwa 45 Prozent mehr als High-School-Absolventen. Doch 1997 verdienten vollzeitbeschäftigte College-Absolventen um 103 Prozent mehr als Arbeitnehmer, die nur einen HighSchool-Abschluss in der Tasche hatten. Diese zunehmende Lohnschere vertiefte die Kluft zwischen den Spitzenverdienern und den weniger gut Verdienenden.2 Warum machte sich gerade in den achtziger Jahren Bildung zunehmend bezahlt? Ein Grund lag darin, dass viele Einwanderer in die Vereinigten Staaten kamen und dass die Konkurrenz durch ausländische Importe stark war. Am stärksten waren weniger gut gebildete Arbeitnehmer betroffen, die in früheren Jahren beispielsweise in der Automobil- und Stahlindustrie gut verdient hatten. In den achtziger Jahren verschwanden diese gut bezahlten Industriejobs für Arbeitskräfte ohne Hochschulabschluss nach und nach. Die zunehmende Deregulierung und der Wettbewerb aus dem Ausland schwächten die Marktmacht der Gewerkschaften und führten zu einer Senkung der relativ hohen Löhne gewerkschaftlich organisierter Arbeitskräfte. Zugleich aber verlangten viele der neuen Jobs, die natürlich auch geschaffen wurden, ein vergleichsweise hohes Schul- und Berufsausbildungsniveau. Die zunehmende Verbreitung von Computern am Arbeitsplatz stellte hohe Anforderungen an die Leseund Schreibfertigkeiten und an die analytischen Fähigkeiten. Insgesamt haben diese Trends zu einem Anstieg der Einkommens2 Erinnern Sie sich an die Diskussion der zunehmenden Lohngefälle in Kapitel 13.
560
Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
ungleichheit in den Vereinigten Staaten und in den meisten einkommensstarken Ländern geführt. Wir können auf mindestens einen Faktor verweisen, der nicht zu größerer Ungleichheit führte: Der Anteil der Arbeit am Volkseinkommen ging nicht zurück. Der Teil des Gesamteinkommens, der 1999 von Löhnen, Gehältern und Zusatzleistungen bestritten wurde, lag praktisch gleich hoch wie 25 Jahre davor. In dieser Frage ist wenigstens Entwarnung angezeigt. Hiermit beschließen wir unsere Beschreibung der Quellen der Ungleichheit und ihrer Messung. Im nächsten Abschnitt wenden wir uns einer Analyse staatlicher Programme zur Bekämpfung von Armut und Ungleichheit zu. Wohlhabende Demokratien in allen Teilen der Welt überdenken heute diese Programme im Zuge einer Neudefinition der Rolle des Staates.
B. Wirtschaftspolitische Maßnahmen gegen die Armut Alle Gesellschaften ergreifen Maßnahmen zur Versorgung ihrer Armen. Doch was man den Armen gibt, muss man anderen Gruppen nehmen, und das ist zweifellos der Punkt, der den heftigsten Widerstand gegen Umverteilungsprogramme auslöst. Ökonomen zeigen sich überdies wegen der Wirkung der Umverteilung auf Effizienz und Moral besorgt. Die Bedeutung dieser Themen hat durch den steigenden Widerstand gegen Steuererhöhungen noch zugenommen. In diesem Abschnitt wollen wir uns mit dem Aufstieg des Wohlfahrtsstaates befassen und ergründen, welche Kosten im Zusammenhang mit der Einkommensumverteilung entstehen und wie das gegenwärtige System der Einkommenssicherung in den USA beschaffen ist.
Teil 4
Der Aufstieg des Wohlfahrtsstaates Die frühen Klassiker unter den Ökonomen vertraten die Ansicht, die bestehende Einkommensverteilung sei einfach unabänderlich. Sie argumentierten, dass Versuche des Staates, die Armut mithilfe von Eingriffen in die Wirtschaft zu lindern, nur untaugliche Bemühungen darstellten, als deren einzige Auswirkung ein Rückgang des Volkseinkommens zu erwarten sei. Dieser Ansicht widersprach der englische Ökonom und Philosoph John Stuart Mill. Während er vor Eingriffen in die Marktmechanismen warnte, argumentierte er eloquent, dass die Ungleichheit durch staatliche Maßnahmen abgebaut werden könne. Ein halbes Jahrhundert später, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, unternahmen jedoch führende Politiker Westeuropas Schritte, die einen historischen Wendepunkt in der wirtschaftlichen Rolle des Staates darstellen sollten. Bismarck in Deutschland, Gladstone und Disraeli in Großbritannien, gefolgt von Franklin Roosevelt in den USA, führten ein neues politisches Prinzip ein: die Verantwortung des Staates für das Wohlergehen des Volkes. Damit begann der Aufstieg des Wohlfahrtsstaates, der die Marktkräfte so kontrolliert, dass der Einzelne gegen konkrete Unwägbarkeiten geschützt ist und ein Mindestlebensstandard für alle gesichert wird. Zu den bedeutendsten Maßnahmen des Wohlfahrtsstaates gehören staatliche Pensionen, Unfall- und Krankenversicherungen, Arbeitslosenversicherung, Familienbeihilfen und Einkommenszuschüsse für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Solche Maßnahmen wurden ab 1880 schrittweise eingeführt; auch heute kommt es bisweilen noch zur Neueinführung entsprechender Programme. Der Wohlfahrtsstaat erreichte die USA spät. Er wurde in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts mit dem New Deal eingeführt, der Arbeitslosen- und Sozialversicherung brachte. Medizinische Betreuung für die Alten und die Armen kam in
Kapitel 19 Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit: Der große Zwiespalt
den sechziger Jahren hinzu. Die meisten einkommensstarken Länder bieten ihren Bürgern einen allgemeinen Gesundheitsschutz, doch der amerikanische Kongress beschloss 1994 nach einer hitzigen Debatte, keine allgemeinen Gesundheitsleistungen einzuführen. 1996 drehte die Bundesregierung die Uhr zurück, indem sie die garantierte Höhe der Mindesteinkommen aufhob. Die Diskussion über die Umverteilung endet nie.
Die Kosten der Umverteilung Eines der Ziele einer modernen Mischwirtschaft besteht darin, ein Sicherheitsnetz für jene bereitzustellen, die vorübergehend oder auf Dauer nicht in der Lage sind, sich selbst adäquate Einkommen zu verschaffen. Die Politik versucht damit unter anderem, mehr Gleichheit herzustellen. Wie sind die verschiedenen Gleichheitskonzepte beschaffen? Zunächst betonen die demokratischen Gesellschaften das Prinzip der Gleichheit der politischen Rechte; hierzu gehören üblicherweise das Stimmrecht, das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren und das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit. In den sechziger Jahren vertraten liberale Philosophen die Ansicht, die Menschen hätten auch ein Recht auf wirtschaftliche Chancengleichheit. Mit anderen Worten, alle Menschen sollten unter gleichen Voraussetzungen und nach denselben Regeln spielen. Alle sollten denselben Zugang zu den besten Schulen, zur besten Ausbildung und zu den besten Jobs erhalten. Die Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht oder Religion würde dann schon von allein verschwinden. Es wurden auch tatsächlich zahlreiche Maßnahmen getroffen, um die Chancengleichheit zu fördern, aber die Ungleichheit der Chancen erwies sich als ziemlich hartnäckig. Auch in den Vereinigten Staaten an der Schwelle zum neuen Jahrtausend ist das Ziel gleicher wirtschaftlicher
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Möglichkeiten noch bei weitem nicht erreicht. Eine dritte und besonders weit reichende Idealvorstellung bezieht sich auf das Ergebnis der Wirtschaftstätigkeit (wirtschaftliche Gleichstellung). Dieser Utopie zufolge sollten alle Menschen, Kluge und Dumme, Fleißige und Faule, vom Glück Begünstigte und Unglücksraben, dasselbe Konsumniveau erreichen. Die Löhne müssten dazu für alle, für Ärzte und Schwestern, Anwälte und Sekretärinnen, gleich sein. Ein Leitspruch der Philosophie von Karl Marx lautete: „Jeder gebe nach seinen Möglichkeiten und erhalte nach seinen Bedürfnissen.“ Heute gestehen sogar die radikalsten Sozialisten zu, dass gewisse Unterschiede in den wirtschaftlichen Ergebnissen erforderlich sind, wenn eine Wirtschaft effizient funktionieren soll. Wie ließe sich auch ohne Unterschiede in der Entlohnung für verschiedene Arbeiten sicherstellen, dass unangenehme ebenso wie angenehme Arbeiten verrichtet werden, dass sich für gefährliche Arbeiten auf Bohrinseln ebenso jemand findet wie für die friedliche, angenehme Tätigkeit des Parkwächters? Würden wir auf gleicher Entlohnung bestehen, käme es zweifellos zu einer ernsthaften Beeinträchtigung der Wirtschaft. Der löchrige Eimer Mit seinen Versuchen, eine Einkommensumverteilung von den Reichen hin zu den Armen vorzunehmen, kann der Staat unter Umständen der volkswirtschaftlichen Effizienz Schaden zufügen und das gesamte zur Verteilung verfügbare Volkseinkommen schmälern. Andererseits ist es die Gleichheit, wenn sie ein soziales Gut darstellt, sicher wert, dass wir für sie einen Preis bezahlen. Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet daher, wie viel wir in Form geringerer Effizienz für ein Mehr an Gleichheit zu bezahlen bereit sind. Arthur Okun hat sich mit dieser Frage in seinem Experiment des „löchrigen Eimers“ beschäftigt: Er stellt fest, dass wir, wenn wir auf Gleichheit
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Wert legen, damit einverstanden sein werden, dass ein Dollar aus dem Eimer der Reichsten genommen und den Ärmsten gegeben wird. Doch, so fährt er fort, nehmen wir einmal an, der Umverteilungseimer hätte ein Loch. Nehmen wir an, dass nur ein Teil – vielleicht die Hälfte – jedes von den Reichen bezahlten Dollars an Steuern die Armen auch tatsächlich erreicht. Dann erfolgt die Umverteilung im Namen der Gleichheit auf Kosten der volkswirtschaftlichen Effizienz.3 Okun zeigte mit seinem Experiment ein ganz fundamentales Dilemma der Wirtschaftspolitik auf. Umverteilungsmaßnahmen wie etwa eine progressive Einkommensbesteuerung, die wir in Kapitel 16 behandelt haben, verringern die reale Wirtschaftsleistung, weil sie die Spar- und Arbeitsanreize verringern. Bei der Wahl seiner Maßnahmen zur Einkommensumverteilung muss der Staat vernünftigerweise bestrebt sein, die Vorteile durch mehr Gleichheit gegen die Auswirkungen dieser Politik auf das gesamte Volkseinkommen abzuwägen.
Umverteilungskosten in Diagrammen Wir können Okuns Aussage anhand der Einkommens-Transformationskurve in Abbildung 19-5 darstellen. Dieses Diagramm zeigt uns die verfügbaren Einkommen der unterschiedlichen Gruppen, wenn der Staat Programme zur Einkommensumverteilung durchführt. 3 Wir unterteilen zunächst die Bevölkerung in zwei Hälften; das Realeinkommen der einkommensschwachen Gruppen wird anhand der senkrechten Achse von Abbildung 19-5 gemessen, während das Einkommen der oberen Hälfte auf der waagrechten Achse gemessen wird. In Punkt A, dem Punkt vor der Umverteilung, werden keine Steuern erhoben und keine Transferzahlungen geleistet, was bedeutet, dass die Menschen einfach von 3 Arthur M. Okun, Equality and Efficiency: The Big Tradeoff (Brookings Institution, Washington, D.C., 1975).
Teil 4
E Realeinkommen der ärmeren Hälfte
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Z
C 45°
B
A
45°
0 Realeinkommen der reicheren Hälfte
Abbildung 19-5: Die Einkommensverteilung kann zu lasten der wirtschaftlichen Effizienz gehen Punkt A markiert das effizienteste Ergebnis bei maximaler nationaler Produktionsleistung. Wäre die Umverteilung in einer Gesellschaft ohne Effizienzverluste möglich, so würde sich diese Gesellschaft hin zu Punkt E bewegen. Da Umverteilungsprogramme jedoch im Allgemeinen zu Verzerrungen und Effizienzverlusten führen, dürfte die Entwicklung der Umverteilung entlang der rostfarbenen Kurve ABZ verlaufen. Die Gesellschaft muss darüber entscheiden, wie viel Effizienz sie zugunsten einer größeren Gleichheit opfern möchte. Warum würde jedermann ineffiziente Umverteilungsprogramme ablehnen, die die Gesellschaft von Punkt B zu Punkt C bringen?
ihren Markteinkommen leben. In einer Wettbewerbswirtschaft bedeutet Punkt A Effizienz, und das Volkseinkommen wird insgesamt durch die Unterlassung von Umverteilungsmaßnahmen maximiert. Leider erhält die obere Einkommensgruppe im Laissez-faire-Punkt A wesentlich mehr Einkommen als die niedrigen Einkommensgruppen. In dieser Situation könnten die Gesellschaft mithilfe von Steuer- und Transferprogrammen eine größere Gleichheit anstreben und darauf hoffen, dass sie den Punkt der Einkommensgleichheit E erreicht. Wäre es möglich, diese Maßnahmen ohne Verringerung des Volkseinkommens zu treffen, könnte sich die Wirtschaft entlang der schwarzen Linie von A nach E bewegen. Der Anstieg der Linie AE beträgt –45˚, was auf die Effizienz bezogen bedeutet, dass der Umverteilungseimer keine Löcher hat – mit anderen Worten, dass jeder US-Dollar, der von der oberen Einkommensgruppe genommen
Kapitel 19 Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit: Der große Zwiespalt
wird, dem Einkommen der unteren Gruppe mit genau US-$ 1 zugute kommt. Entlang der –45˚-Linie bleibt das Volkseinkommen konstant, was anzeigt, dass die Umverteilungsprogramme keine Auswirkungen auf das gesamte Volkseinkommen haben. Die meisten Umverteilungsprogramme beeinflussen die Effizienz. Wenn ein Land durch eine hohe Besteuerung seiner reichsten Bürger Einkommen umverteilt, kann dies deren Spar- und Arbeitsanstrengungen dämpfen oder in eine falsche Richtung lenken, was zu einer Verringerung des Volkseinkommens führt. Die Reichen geben vielleicht mehr Geld für den Steuerberater aus, sparen weniger für ihre Pension an oder investieren weniger Geld in ertragreiche, aber riskante Innovationen. Garantiert eine Gesellschaft eine Einkommensuntergrenze für ihre Armen, wird dadurch das Problem der Armut ein wenig gemildert, und die Armen wollen vielleicht nicht mehr so viel arbeiten. Alle diese Reaktionen auf Umverteilungsprogramme wirken sich auf die Gesamthöhe des realen Volkseinkommens negativ aus. In Okuns Experiment würden wir beispielsweise feststellen, dass sich durch jeweils US-$ 100, die die Reichen an Steuerleistung zu erbringen haben, das Einkommen der Armen nur um bescheidene US-$ 50 erhöht, während der Rest in sinkender Arbeitsmoral oder hohen Verwaltungskosten versickert. Der Umverteilungseimer hat ein großes Leck bekommen. Die Kosten der Umverteilung werden durch die ABZ-Kurve in Abbildung 19-5 dargestellt. Hier weicht die hypothetische Transformationskurve der Realeinkommen von der –45˚-Linie ab, weil Steuern und Transferzahlungen zu Ineffizienzen führen. Die Erfahrung der ehemals kommunistischen Länder zeigt, wie Versuche, die Einkommen durch Enteignung der Reichen gleichzuschalten, schließlich allen Schaden zufügen können. Indem sie Privateigentum an Produktionsmitteln untersagten, konnten die kommunistischen Regierungen zwar die durch große Vermögenseinkommen verursachten Ungleichheiten abschaffen. Doch die
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geringeren Anreize zur Arbeitsaufnahme, zur Kapitalakkumulation und zur Durchsetzung von Innovationen vereitelten dieses radikale Experiment unter der Devise „Jedem nach seinen Bedürfnissen“ und ließen ganze Länder verarmt zurück. Um 1990 hatte der Vergleich von östlichem und westlichem Lebensstandard schließlich auch viele sozialistische Länder davon überzeugt, dass Privateigentum an Produktionsmitteln den Lebensstandard der Arbeiter ebenso wie jenen der Kapitalisten heben könnte.
Wie groß sind die Löcher im Eimer? Okun stellte unser Umverteilungssystem mit seinen Steuern und Transferleistungen als löchrigen Eimer dar. Doch wie groß sind denn die Löcher in der amerikanischen Wirtschaft? Befindet sich das Land näher an Punkt A, wo die Löcher vernachlässigbar klein sind? Oder näher an B, wo es schon gehörig tropft? Oder befindet es sich gar in der Nähe von Z, jenem Punkt, an dem der Umverteilungseimer vielmehr als Sieb bezeichnet werden müsste? Um die Antwort auf diese Frage zu finden, müssen wir die wesentlichen Ineffizienzen untersuchen, die durch hohe Steuersätze und großzügige Programme zur Einkommensstützung hervorgerufen werden: Verwaltungskosten, verringerte Anreize zu arbeiten und zu sparen sowie sozioökonomische Kosten. Der Staat muss Finanzbeamte zur Erhebung der Steuern einstellen, und er muss auch das Personal zur Verwaltung der Sozialausgaben einstellen. Dies führt ganz offensichtlich zu Ineffizienzen, die aber relativ geringfügig sind: So gibt die US-amerikanische Steuerbehörde nur einen halben Cent an Verwaltungskosten für jeden eingenommenen US-Dollar an Steuern aus. • Besteht nicht die Gefahr, dass die Steuerzahler mit jeder Drehung an der Steuerschraube weiter entmutigt werden und beschließen, doch nicht mehr ganz so hart zu arbeiten? Die Steuersätze könnten schließ-
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lich so hoch sein, dass der Gesamterlös niedriger ausfällt als bei moderateren Steuersätzen. Empirische Untersuchungen lassen diesbezüglich allerdings den Schluss zu, dass die Arbeitsmoral der Bürger durch die Steuerlast eher geringfügig beeinträchtigt wird. In einigen wenigen Gruppen kann die Arbeitsangebotskurve sogar rückläufig sein, was darauf hindeutet, dass eine Lohnsteuer die Arbeitsleistung hier eher anspornt als verringert. Den meisten Studien zufolge ist der Effekt der Steuern auf die Arbeitswilligkeit in den mittleren und höheren Einkommensgruppen gering. Das Steuer- und Transfersystem kann das Verhalten der Menschen jedoch erheblich beeinflussen. • Das womöglich potenziell größte Loch im Umverteilungseimer ist die Sparkomponente. Bisweilen hört man die Auffassung, die aktuellen staatlichen Maßnahmen würden sich negativ auf das Spar- und Investitionsverhalten auswirken. Einigen wirtschaftlichen Studien zufolge wird die allgemeine Sparquote durch die Besteuerung der Einkommen anstelle des Konsums eher gedämpft. Außerdem weisen Ökonomen darauf hin, dass die Sparquote in den Vereinigten Staaten aufgrund der großzügigen Sozialprogramme – vor allem aufgrund von Medicare und Sozialversicherung – stark gesunken ist. Solche Programme entlasten den Einzelnen nämlich von dem Druck, fürs Alter und für den Krankheitsfall selbst vorzusorgen. • Bisweilen wird behauptet, die Löcher im Eimer ließen sich nicht anhand der ökonomischen Kostenstatistik feststellen. Die wahren Kosten, die das Gleichheitsstreben verursachten, seien eher an Einstellungen als an Geldwerten abzulesen. Wird hier vielleicht die wirtschaftliche Ethik untergraben? Werden die Leute von der Aussicht auf hohe Steuern so sehr abgeschreckt, dass sie sich Drogen und Müßiggang zuwenden? Bringt das Wohlfahrtssystem eine bleibende Unterschicht her-
Teil 4
vor, eine Gesellschaft, die sich aus ihrer Kultur der Abhängigkeit nie wieder wird befreien können? • Bisweilen wird das gesamte Konzept der teuren Umverteilung mit folgenden Argumenten kritisiert: Armut wurzele in Unterernährung während der Kindheit, in zerrütteten Familien, Analphabetentum zuhause, schlechter Schul- und mangelnder Berufsausbildung; Armut bringe wieder Armut hervor; der Teufelskreis aus Mangelernährung, unzureichender Ausbildung, Drogenabhängigkeit, geringer Produktivität und niedrigen Einkommen führe zur Bildung immer neuen Generationen armer Familien. Die betreffenden Ökonomen behaupten, dass verbesserte Programme zur Bereitstellung medizinischer Versorgung und angemessener Ernährung für arme Familien die Produktivität und Effizienz erhöhten und keineswegs die Produktionsleistung beeinträchtigten. Indem wir heute den Teufelskreis der Armut durchbrächen, so heißt es, förderten wir das Humankapital und die Produktivität der Kinder der Armen für morgen. Staatliche Maßnahmen zur Durchbrechung des Teufelskreises der Armut seien Investitionen, die zwar heute Ressourcen verschlängen, aber die künftige Produktivität heben könnten.
Und alle Löcher zusammengenommen ...? Betrachtet man alle genannten Löcher in unserem Umverteilungseimer zusammengenommen – wie durchlässig ist der Eimer? Nach Okuns Ansicht sind die Löcher klein, und zwar vor allem dann, wenn die Gelder für die Umverteilungsprogramme aus der ohnehin breit angelegten Einkommensteuer stammen. Gegen diese Meinung erhebt sich mancherorts allerdings starker Widerstand, wobei auf die hohen Grenzsteuersätze und auf die allzu großzügigen Transferprogramme hingewiesen wird, die angeblich die
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volkswirtschaftliche Effizienz unterlaufen und zerstören. Und wie sieht die Realität aus? Zwar wurden die Kosten der Umverteilung ausgiebig erforscht, doch die Wahrheit in dieser Angelegenheit scheint schwer greifbar zu sein. Eine vorsichtige Aussage könnte lauten, dass es durch Umverteilungsprogramme, wie es sie heute in den USA gibt, nur zu geringfügigen Verlusten an volkswirtschaftlicher Effizienz kommt. Für viele Menschen sind die Effizienzkosten der Umverteilung ein angemessener Preis für die Senkung der wirtschaftlichen und menschlichen Kosten der Armut gemessen an Mangelernährung, Gesundheitsmängeln, verlorenen beruflichen Fähigkeiten und menschlichem Elend. Doch Länder, deren Wohlfahrtsprogramme weit über diejenigen der USA hinausgehen, erleiden erhebliche Ineffizienzen. Egalitär ausgerichtete Länder wie Schweden und die Niederlande, die ihre Bürger von der Wiege bis zur Bahre umhegen, mussten feststellen, dass die Teilnahme am Arbeitsmarkt zurückging, die Arbeitslosigkeit zunahm und die Budgetdefizite anstiegen. Diese Länder haben Schritte ergriffen, um die Last des Wohlfahrtsstaats abzubauen. Staaten müssen ihre Politik sorgfältig konzipieren, um die Extreme inakzeptabler Ungleichheit auf der einen und großer Ineffizienz auf der anderen Seite zu vermeiden.
Wirtschaftspolitische Maßnahmen gegen die Armut: Programme und Kritikpunkte Alle Gesellschaften sorgen für ihre Alten, Jungen und Kranken. Manchmal kommt die Unterstützung von Familien oder religiösen Organisationen. Im Laufe des letzten Jahrhunderts haben die Staaten die Quelle der Einkommensunterstützung für die Bedürftigen zunehmend in Richtung der Zentralregierungen verschoben. Doch wenn der Staat
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mehr Verantwortung für immer mehr Menschen übernehmen muss, steigt die Steuerlast immer stärker an. Heute müssen die meisten reichen Staaten immer wieder die Steuern erhöhen, um öffentliche Gesundheits- und Rentenprogramme sowie Einkommensunterstützungsprogramme für arme Familien zu finanzieren. Diese zunehmende Steuerlast hat vor allem in den Vereinigten Staaten zu einer starken Gegenreaktion geführt, die sich gegen „Wohlfahrtsprogramme“ richtet. Sehen wir uns die wichtigsten Programme zur Armutsbekämpfung und die aktuellen Reformen doch einmal genauer an.
Programme zur Einkommenssicherung Wie sind die wesentlichen Programme zur Einkommenssicherung heute beschaffen? Betrachten wir kurz einige der derzeit wichtigsten US-Sozialprogramme. Die meisten dieser Programme zielen auf die Alten, nicht auf die sozial Schwachen, wie aus Tabelle 19-5 ersichtlich ist. Die wichtigsten Programme sind die Sozialversicherung, ein beitragsfinanziertes staatliches Pensionsprogramm, und Medicare, ein subventioniertes Krankenversicherungsprogramm für die über 65-jährigen. Diese beiden Programme sind die größten Transferprogramme der Vereinigten Staaten und werden den Prognosen zufolge auch den kommenden Jahrzehnten für hohe Ausgaben sorgen. Programme, die speziell auf arme Haushalte zielen, sind ein Flickenteppich aus bundesstaatlichen, staatlichen und kommunalen Programmen. Einige davon bestehen in Barzahlungen, andere subventionieren bestimmte Ausgaben (wie die Lebensmittelmarkenprogramme, bei denen arme Familien Kupons erhalten, mit denen sie Lebensmittel zu einem Bruchteil ihrer Marktkosten kaufen können), und wieder andere sind „Sachtransferleistungen“ wie Medicaid, ein Programm, das armen Familien medizinische Betreuung bietet. Die meisten der Programme für arme
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Teil 4
Bundessozialprogramme, 2003 Programm
Betrag (Mrd. US-$)
Prozentsatz der gesamten Bundesausgaben
Allgemeine Programme
779
36,4
Sozialversicherung
478
22,4
Medicare
245
11,4
56
2,6
456
21,3
Medicaid
196
9,2
Sonstige einkommenssichernde Programme
147
6,9
Essen und Ernährung
43
2,0
Wohnbeihilfen
34
1,6
Steuergutschriften auf Einkommen
36
1,7
Alle einkommenssichernden Programme
1.235*
57,7
Arbeitslosenversicherung Programme für einkommensschwache Haushalte
* Beinhaltet sowohl Ausgaben als auch niedrige Steuererträge
Tabelle 19-5: Der Großteil der Geldbeträge für einkommenssichernde staatliche Maßnahmen fließt in allgemeine Programme wie Sozialversicherung Staatliche einkommenssichernde Maßnahmen kommen zum Großteil der Gesamtbevölkerung zugute, nicht nur den Armen. Beachten Sie bitte auch die hohen Kosten der Gesundheitsprogramme sowohl für Arme als auch für nicht Arme. Quelle: Budget of the United States Government, 2004
Familien wurden in den letzten beiden Jahrzehnten stark gekürzt. Das umstrittenste Programm sah die finanzielle Unterstützung armer Eltern mit Kleinkindern vor. Dieses Programm wurde 1996 drastisch zusammengestrichen. Wir werden uns diese Reform weiter unten näher ansehen. Wie viel machen eigentlich all die vom Bund finanzierten Sozialprogramme im amerikanischen Bundesbudget aus? Tabelle 19-5 zeigt die Höhe der Bundesausgaben für einkommenssichernde Programme sowohl für die Gesamtbevölkerung als auch für mittellose Haushalte. Die Gesamtausgaben für alle auf die Armutsbekämpfung gerichteten USProgramme belaufen sich heute auf insgesamt 21 Prozent des Bundesbudgets.
Das Problem der wirtschaftlichen Anreize für die Armen Eines der Hauptprobleme für mittellose Familien besteht darin, dass die meisten Wohlfahrtsprogramme die Anreize zur Arbeitsaufnahme für Erwachsene mit niedrigem Einkommen stark verringern. Wenn ein Erwachsener, der von der Fürsorge lebt, plötzlich einen Arbeitsplatz findet, kürzt ihm der Staat umgehend seine Lebensmittelmarken, die Sozialhilfe und die Mietzuschüsse. Möglicherweise verliert er sogar seine Krankenversicherung. Mit anderen Worten, mittellose Bürger müssen mit hohen „Grenzsteuersätzen“ (oder richtiger: „Sozialkürzungssätzen“) rechnen, weil alle Sozialleistungen schon bei geringem Erwerbseinkommen drastisch eingeschränkt werden.
Kapitel 19 Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit: Der große Zwiespalt
Der Kampf um die Reform des Wohlfahrtssystems Das traditionelle Wohlfahrtssystem hat in den USA nur wenige Befürworter. Einige wollen es abbauen, andere stärken. Einige wollen die Verantwortung für Einkommensbeihilfen an die Einzelstaaten, Kommunen oder Familien delegieren, wieder andere wollen die Rolle des Staates stärken. Diese unterschiedlichen Ansätze spiegeln divergierende Ansichten über Armut wider und führen zu völlig unterschiedlichen politischen Vorschlägen.
Zwei gegensätzliche Ansichten über die Armut Sozialwissenschaftler haben in der Vergangenheit zahlreiche Vorschläge unterbreitet, wie Armut zu bekämpfen oder wenigstens zu lindern sei. In ihren Ansätzen spiegeln sich häufig unterschiedliche Meinungen darüber wider, wie Armut entsteht. Verfechter einer umfassenden staatlichen Unterstützung betrachten Armut als das Ergebnis sozialer und wirtschaftlicher Bedingungen, auf die der Einzelne nur wenig Einfluss hat. Sie nennen Mangelernährung, schlechte Schulen, zerrüttete Familien, Diskriminierung, Arbeitsplatzmangel und negative Umwelteinflüsse als die bestimmenden Faktoren für das Schicksal der Armen. Sollten Sie dieser Meinung zuneigen, so vertreten Sie wahrscheinlich auch die Ansicht, dass der Staat für die Linderung der Not verantwortlich ist – entweder indem er den Armen ein Einkommen verschafft oder indem er die Bedingungen beseitigt, die zur Armut führen. Nach einer anderen Meinung hingegen entsteht Armut aus schlecht angepasstem individuellem Verhalten – einem Verhalten, das im Verantwortungsbereich des Einzelnen liegt und nur von den Armen selbst behoben werden kann. In früheren Jahrhunderten vertraten Apologeten einer Laissez-faire-Politik die Ansicht, Arme seien energielose, faule
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Menschen oder Alkoholiker; so schrieb etwa ein Sozialarbeiter vor beinahe einem Jahrhundert: „Arbeitslosigkeit ... wird in der Hälfte der Fälle durch Alkoholismus [hervorgerufen].“ Bisweilen wird der Staat selbst beschuldigt, er mache die Leute von einer Fülle staatlicher Programme abhängig, die die Initiative des Einzelnen im Keim erstickten. Kritiker des Systems, die diese Meinung vertreten, sprechen sich für eine Kürzung der staatlichen Sozialprogramme aus, damit die Bürger vermehrt auf ihre eigenen Möglichkeiten zurückgreifen. Diese Armutsdebatte hat der bekannte Sozialwissenschaftler William Wilson kurz und bündig so zusammengefasst: Die Liberalen [in den USA] weisen traditionell darauf hin, dass die Bürden benachteiligter Gruppen auf gesamtgesellschaftliche Probleme zurückgeführt werden können, zum Beispiel auf die Probleme der Diskriminierung und der Rangordnung der sozialen Klassen. … Die Konservativen betonen im Gegenzug stets die Bedeutung der Werte der verschiedenen Gruppen und der Wettbewerbsressourcen für die Erklärung von Benachteiligung.4
Ein Großteil der heutigen Armutsdebatte wird verständlicher, wenn wir diese gegensätzlichen Ansichten und ihre Implikationen in die politische Gleichung einsetzen.
Einkommensergänzungsprogramme in den USA heute Die meisten Länder mit hohem Einkommen gewähren armen Familien mit Kindern Einkommensunterstützung. Dieses Modell galt bis 1996 auch in den USA. Damals setzte sich im Land jedoch ein vollkommen anderer Ansatz zur Erhöhung der Einkommen der Armen durch. Zum einen wurde ein Programm ausgebaut, das die Gehälter arbeitender Familien durch Lohnzuschüsse erhöhte. Zum anderen wurden grundlegende Ände4 William Julius Wilson, „Cycles of Deprivation and the Underclass Debate“, Social Service Review, Dezember 1985, S. 541–559.
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rungen finanzieller Transferleistungen beschlossen, die dem Rechtsanspruch armer Familien gegen den Staat einen Riegel vorschoben.
Steuergutschriften auf Erwerbseinkommen (Earned-Income Tax Credit) Das Lohnzuschussprogramm trägt den Namen Earned-income tax credit oder EITC. Diese Gutschrift gilt für Erwerbseinkommen und stellt letztlich einen Lohnzuschuss dar. Im Jahre 2002 konnte eine Familie ihr Erwerbseinkommen im Rahmen dieses Programms um bis zu 40 Prozent steigern (jedoch maximal um US-$ 4.140); arbeitende Familien erhielten Steuergutschriften für Einkommen bis zu einer Höhe von rund US$ 34.000. Dieser Zuschuss wird als „rückzahlbare“ Gutschrift bezeichnet, weil er tatsächlich an einen Steuerzahler ausbezahlt wird, der keine Steuer schuldet (man bezeichnet dies auch als Negativsteuer). Tabelle 19-6 zeigt die Auswirkungen der Steuergutschrift auf die Erwerbseinkommen
Teil 4
von Familien mit unterschiedlicher Einkommenshöhe. Worin besteht der Unterschied zwischen einem traditionellen finanziellen Unterstützungsprogramm und der Steuergutschrift auf Erwerbseinkommen? Finanzielle Unterstützungsleistungen bieten armen Familien ein Mindesteinkommen. Je höher das Markteinkommen, desto geringer die Leistungen. Die Steuergutschrift auf Erwerbseinkommen bietet nicht arbeitenden Personen hingegen nichts, erhöht jedoch die Einkommen jener, die einer Arbeit nachgehen. Die Philosophie des EITC lautet im Wesentlichen: „Wer nicht arbeitet, bekommt auch kein Geld vom Staat.“
Die Wohlfahrtsreform 1996 in den USA Ab den dreißiger Jahren kamen arme Familien auch in den Genuss eines staatlichen finanziellen Unterstützungsprogramms namens „Aid to Families with Dependent Children“. Dabei handelte es sich um ein gesamtstaatliches Programm, dessen Leis-
Derzeitige Struktur der Steuergutschrift auf Erwerbseinkommen, 2002 Markteinkünfte (US-$)
Positive bzw. negative Steuer (+ bei Steuer; – bei Leistungsbezug) (US-$)
Einkommen nach Steuern und Gutschrift (US-$)
0
0
0
4.000
–1.610
5.610
8.000
–3.210
11.210
12.000
–4.140
16.140
24.000
–2.138
26.138
28.000
–1.296
29.296
32.000
–453
32.453
Tabelle 19-6: Steuergutschriften auf Erwerbseinkommen bewirken reale Lohnsteigerungen, kommen jedoch nicht den Ärmsten zugute Nach der derzeitigen Regelung des Earned-Income Tax Credit werden die Arbeitseinkommen durch eine Steuergutschrift um bis zu 40 Prozent, aber maximal um US-$ 4.140 erhöht, danach sinkt die Steuergutschrift stufenweise. Das entspricht einer „Negativsteuer“ für sehr niedrige Erwerbseinkommen. Quelle: US-Finanzministerium. Dieses Beispiel bezieht sich auf eine Familie mit zwei Elternteilen und zwei Kindern.
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tungen allen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllten, gesetzlich zustanden. Präsident Clinton hatte in seinem Wahlkampf versprochen, „das Wohlfahrtssystem, wie wir es kennen, zu reformieren.“ 1996 tat er sich mit dem republikanischen Kongress zusammen und veränderte die Spielregeln für finanzielle Unterstützung von Grund auf. Das alte Programm wurde durch ein Programm namens „Temporary Assistance for Needy Families“ (TANF) ersetzt, das den Rechtsanspruch auf staatliche Finanzunterstützung abschaffte und die Leistungen in die Hände der 50 Einzelstaaten legte. Das neue Programm hatte folgende Eckpfeiler: • Die Staaten erhielten zur Finanzierung des gesamtstaatlichen Teils der Finanzleistungen einen so genannten „Block Grant“, einen Fixbetrag aus Bundesmitteln. Dieser Block Grant trat an die Stelle des früheren Systems, bei dem die Bundesregierung 50 Prozent der einzelstaatlichen Ausgaben oder mehr übernahm. • Der Anspruch auf finanzielle Unterstützung durch den Bund entfiel. • Jede Familie erhält insgesamt höchstens fünf Jahre lang Leistungen aus dem von der Bundesregierung unterstützten Programm. Nach fünf Jahren darf die Familie nicht mehr aus TANF-Mitteln unterstützt werden, auch dann nicht, wenn sie in einen anderen Staat zieht oder zwischenzeitlich einige Jahre nicht von der Wohlfahrt lebte. • Erwachsene Programmteilnehmer müssen nach zweijährigem Leistungsbezug eine Arbeit aufnehmen. • Legale Einwanderer können von TANFLeistungen ausgeschlossen werden. • Andere wichtige Programme zur Unterstützung niedriger Einkommen blieben weitgehend unverändert.
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Bewertung. Die Wohlfahrtsreform des Jahres 1996 war ein radikales Experiment der Sozialpolitik. Einer ihrer Aspekte sind die Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte. In dem Maß, in dem der Leistungsverlust die Menschen dazu zwingt, Arbeit zu suchen, erhöht sich durch das Programm das Angebot an relativ schlecht gebildeten und ausgebildeten Arbeitskräften und Hilfsarbeitern. Dieses erhöhte Angebot übt Druck auf die Gehälter der am schlechtesten bezahlten Arbeitskräfte aus und verstärkt die Ungleichheit der Einkommen. (Dieser Effekt ist etwa dem Effekt der starken Zunahme der Einwanderung vergleichbar, durch die die Löhne der Hilfsarbeiter in den letzten beiden Jahrzehnten sanken.) Falls die Gleichgewichtslöhne einiger Arbeiter unter den Mindestlohn gedrückt werden, kann dies auch zu einer Erhöhung der Arbeitslosenquote in diesen Gruppen führen. Ein wichtiges Merkmal des neuen Gesetzes ist die Rückübertragung der Verantwortung für finanzielle Hilfe an die Einzelstaaten. Diese Bestimmung steht in scharfem Kontrast zu der Philosophie, die hinter zentralen Programmen zur Einkommensunterstützung steht. Manche Ökonomen meinen, dass die Einzelstaaten einen starken Anreiz haben, die von der einkommensschwachen Bevölkerung verursachten Kosten und Steuerlasten zu senken, wenn sie Fixbeträge aus Bundesmitteln erhalten und ihnen die Verantwortung für die Entscheidungsfindung übertragen wird. Hier sprechen einige von einem „ruinösen Wettbewerb“, bei dem die Staaten danach streben, die Kosten ihrer Leistungen möglichst niedrig zu halten und einkommensschwache Haushalte in andere Staaten zu treiben. Betrachtet man die Entwicklung bis zum Jahr 2000, so stellt man fest, dass die Staaten die Leistungen für nicht arbeitende arme Familien tatsächlich gekürzt haben. Die Auswirkungen des erweiterten EITC und der Wohlfahrtsreform des Jahres 1996 haben die meisten Analysten überrascht. Hier die wichtigsten Folgen:
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auch bei steigenden Beschäftigungszahlen durch die niedrigeren staatlichen Leistungen mehr als wettgemacht werden könnten. Im Jahr 2000 lösten die starke Wirtschaft und die Wohlfahrtsreform einen allgemeinen Rückgang der Armutsraten und einen Anstieg der Durchschnittseinkommen ehemaliger Sozialhilfeempfänger aus. Nur das unterste Quintil der Haushalte mit weiblichen Vorständen und insbesondere Neueinwanderern musste in den späten neunziger Jahren einen Einkommensrückgang hinnehmen.
• Der Rückgang der Zahl der Sozialhilfeanwärter war noch nie so stark, so umfassend und so dauerhaft (siehe Abbildung 19-6). Von 1995 bis 2001 ging die Zahl der Haushalte, die von der Sozialhilfe lebten, um mehr als 60 Prozent zurück. Auch wenn ein Rückgang erwartet worden war, waren sein Umfang und seine Beständigkeit doch überraschend. Selbst als die Beschäftigung nach dem Jahr 2000 zurückging, sank die Zahl der Sozialhilfeanwärter weiter. • Allein stehende Frauen mit kleinen Kindern strömten verstärkt auf den Arbeitsmarkt. Die Kombination wirtschaftlicher Anreize und eines starken Arbeitsmarktes erwies sich als erfolgreich in dem Bestreben, die Frauen von den Sozialhilfetöpfen wegzudrängen und ins Erwerbsleben einzugliedern. • Die prognostizierte Wirkung auf die wirtschaftliche Situation von Haushalten mit niedrigen Einkommen birgt einen Zwiespalt, da die höheren Erwerbseinkünfte
Teil 4
Die Erfolge der Kombination von EITC und der Wohlfahrtsreform in den späten neunziger Jahren sind im Kontext einer Wirtschaft mit sehr niedrigen Arbeitslosenraten und einer starken staatlichen Unterstützung von Beschäftigungsprogrammen zu sehen. Die nächste große Prüfung des Systems wird in der Analyse der Frage bestehen, ob sich dieser Erfolg auch im Zeitraum 2001–2004, der durch rückläufige Beschäftigungszahlen
Zahl der Haushalte mit AFDC/TANF-Unterstützung (in Mio.)
6
Haushalte mit Sozialhilfe
5
4
3
Wohlfahrtsreform 1996
2
1
0 1970
1990
1980
2000
Jahr
Abbildung 19-6: Sozialhilfefälle, 1970–2000 Die Inanspruchnahme von Sozialhilfe folgt tendenziell dem Konjunkturzyklus. Seit der Ausweitung des EITC und der Wohlfahrtsreform des Jahres 1996 ist die Zahl der Sozialhilfeanwärter jedoch stark rückläufig. Quelle: Rebecca Blank, auf der Grundlage von Daten des U.S. Department of Health and Human Services.
Kapitel 19 Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit: Der große Zwiespalt
und eine staatliche Budgetkrise gekennzeichnet war, fortgesetzt hat.
Wirtschaftspolitik an der Schwelle zum neuen Jahrtausend Wie sollte die Rolle des Staates in der Wirtschaft heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, definiert werden? Hier drei abschließende Überlegungen: 1. Wir haben uns mit den wichtigsten wirtschaftlichen Funktionen des Staates bereits auseinander gesetzt. Der Staat kämpft gegen Marktversagen, sorgt für eine Umverteilung der Einkommen, stabilisiert die Wirtschaft und fördert das langfristige Wirtschaftswachstum. Jede dieser Aufgaben ist wichtig. Niemand würde heute ernsthaft vorschlagen, die Regierung abzuschaffen. Niemand würde vorschlagen, die unkontrollierte Lagerung von Atommüll zuzulassen, arme Waisen hungrig durch die Straßen irren zu lassen, die Zentralbank zu privatisieren oder die Grenzen für Menschen, Güter und Drogen aller Art weit zu öffnen. Die Frage ist nicht, ob der Staat die Wirtschaft regulieren sollte, sondern wie und wo er intervenieren sollte. 2. Während der Staat in einer zivilisierten Gesellschaft eine zentrale Rolle spielt, müssen wir die Aufgaben und Instrumente staatlicher Politik ständig neu bewerten. Regierungen haben ein Monopol an politischer Macht, was ihnen eine besondere Verantwortung auferlegt, effizient zu arbeiten. Jeder Dollar, der in nutzlose Programme gesteckt wird, könnte zur Förderung der Forschung oder zur Linderung
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des Hungers verwendet werden. Jede ineffiziente Steuer verringert die Konsummöglichkeiten der Menschen, gleich ob es um Essen, Bildung oder Wohnen geht. Die zentrale Prämisse der Wirtschaft lautet, dass Ressourcen knapp sind – das gilt für den Staat ebenso wie für den Privatsektor. 3. Während die Volkswirtschaftslehre die wichtigen strittigen Fragen der Politik analysieren kann, kann sie nicht das letzte Wort haben. Immerhin liegen all diesen politischen Diskussionen normative Annahmen und Bewertungen darüber zugrunde, was gut und gerecht ist. Der Volkswirt kann daher nichts weiter tun, als sich intensiv zu bemühen, die positive Wissenschaft fein säuberlich von normativen Urteilen zu unterscheiden, um nach Möglichkeit eine Trennlinie zwischen den ökonomischen Berechnungen des Kopfes und den menschlichen Gefühlen des Herzens zu ziehen. Die Trennung von beschreibender und vorschreibender Vorgehensweise bedeutet jedoch nicht, dass professionelle Ökonomen privat blutleere Roboter sind. Ökonomen hängen ebenso wie der Rest der Bevölkerung verschiedenen politischen Richtungen an. Konservativ-liberale Ökonomen treten vehement dafür ein, den Einfluss des Staates zu verringern und Programme zur Einkommensumverteilung einzustellen. Ökonomen, die staatliche Interventionen befürworten, setzen sich ebenso leidenschaftlich dafür ein, die Armut zu lindern oder die Arbeitslosigkeit mithilfe von makroökonomischen Maßnahmen zu bekämpfen. Die wissenschaftlich betriebene Volkswirtschaftslehre kann keine Aussage darüber treffen, welche Ansicht richtig und welche falsch ist. Sie kann uns nur mit den passenden Argumenten für den großen politischen Disput versorgen.
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
Teil 4
Zusammenfassung A. Die Ursachen der Ungleichheit 1.
2.
3.
4.
5.
Im vergangenen Jahrhundert glaubten die klassischen Ökonomen, die wirtschaftliche Ungleichheit sei eine allgemein gültige Konstante, die sich durch staatliche Politik in keiner Weise beeinflussen lasse. Diese Ansicht hält einer genaueren Betrachtung nicht stand. Die Armut konnte seit Beginn des 20. Jahrhunderts stark zurückgedrängt werden, und die absoluten Einkommen derer, die auf der untersten Stufe der Einkommensskala stehen, sind stark angestiegen. Allerdings vollzieht sich seit etwa 1980 eine Trendumkehr, und die Ungleichheit ist wieder im Steigen begriffen. Die Lorenzkurve ist eine praktische Methode, um die Streuung oder Ungleichheit in der Einkommensverteilung zu messen. Sie zeigt, welcher Prozentsatz des Gesamteinkommens jeweils auf das ärmste Prozent, die ärmsten 10 Prozent, die ärmsten 95 Prozent und so weiter entfällt. Der Gini-Koeffizient ist ein quantitativer Maßstab der Ungleichheit. Armut ist im Wesentlichen ein relativer Begriff. In den USA wurde Armut zu Beginn der sechziger Jahre über die Angemessenheit der Einkommen definiert. Nach diesem Beurteilungsstandard war im letzten Jahrzehnt kaum ein Erfolg bei der Verringerung der Armut zu verzeichnen. Die Verteilung der amerikanischen Einkommen erscheint heute weniger ungleich als zu Beginn des Jahrhunderts oder als in weniger entwickelten Staaten der heutigen Zeit. Doch sie zeigt immer noch eine beträchtliche Ungleichheit, die in den letzten 25 Jahren sogar gestiegen ist. Vermögen sind noch sehr viel ungleichmäßiger verteilt als Erwerbseinkommen, wobei sich die USA in dieser Hinsicht nicht von anderen kapitalistischen Wirtschaftssystemen unterscheiden. Um die Ungleichheiten in der Einkommensverteilung zu erklären, empfiehlt es sich, Erwerbsund Vermögenseinkommen getrennt zu betrachten. Unterschiede in den Erwerbseinkommen ergeben sich aus unterschiedlichen Fähigkeiten der Menschen, unterschiedlicher Arbeitsintensität (Arbeitszeit und Anstrengung) sowie aus der Tatsache, dass unterschiedliche Berufe verschieden gut bezahlt werden, was wiederum unter anderem auf Unterschiede im Humankapital zurückzuführen ist.
6.
Die Verteilung der Besitzeinkommen weist noch krassere Ungleichheiten auf als jene der Erwerbseinkommen, vor allem wegen der großen Unterschiede im Vermögensbesitz. Ein ererbtes Vermögen verhilft den Kindern der Reichen von Anfang an zu einem Startvorteil; und nur ein kleiner Teil des Vermögens der Amerikaner ist auf Ersparnisse aus Erwerbseinkommen zurückzuführen.
B. Wirtschaftspolitische Maßnahmen gegen die Armut 7.
8.
9.
Politische Philosophen kennen drei Arten von Gleichheit: (a) Gleichheit der politischen Rechte wie zum Beispiel des Stimmrechts; (b) Chancengleichheit, die für gleichen Zugang zu Arbeitsplätzen, Bildung und anderen sozialen Systemen sorgt und (c) Einkommensgleichheit, die den Menschen gleiche Einkommen oder Konsummöglichkeiten garantiert. Während die beiden ersten Arten von Gleichheit in den meisten fortgeschrittenen Demokratien wie den Vereinigten Staaten zunehmend akzeptiert werden, wird die Ergebnisgleichheit allgemein als wirklichkeitsfremd und zu schädlich für die wirtschaftliche Effizienz zurückgewiesen. Gleichheit bringt Kosten und Nutzen mit sich. Die Kosten sind bildlich als das darzustellen, was aus Okuns „löchrigem Eimer“ herausrinnt. Das bedeutet, dass sich Versuche, Einkommensdisparitäten mithilfe einer progressiven Besteuerung oder durch Transferzahlungen auszugleichen, auf die wirtschaftlichen Arbeits- und Sparanreize schädlich auswirken und das BIP verringern können. Als mögliche Löcher wären hier etwa Verwaltungskosten und geringere Arbeitszeit oder eine niedrigere Sparquote zu nennen. Zu den wichtigsten staatlichen Programmen gegen die Armut gehören in den USA direkte Transferzahlungen, Lebensmittelgutscheine, Medicaid und eine Reihe kleinerer und weniger zielgerichteter Programme. Diese Programme werden insgesamt kritisiert, weil sie Familien mit niedrigen Einkommen hohe Sozialkürzungssätze (oder einen hohe „Grenzsteuersatz“) auferlegen, sobald diese Familien ein Arbeitseinkommen oder andere Einkommen erzielen.
Kapitel 19 Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit: Der große Zwiespalt
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Begriffe zur Wiederholung Trends in der Einkommensverteilung Die Lorenzkurve von Einkommen und Vermögen Gini-Koeffizient Erwerbs- und Vermögenseinkommen Die relative Rolle von Glück, Ersparnis, Risikobereitschaft, Erbschaft Lohnvorteile von Akademikern gegenüber Nichtakademikern Armut Wohlfahrtsstaat Okuns „löchriger Eimer“ Gleichheit: Politische Gleichheit, Chancengleichheit, Ergebnisgleichheit Gleichheit im Gegensatz zu Effizienz Programme zur Einkommensunterstützung Einkommens-Transformationskurve: Ideal und Wirklichkeit
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Ein wichtiges Buch über den Konflikt zwischen Gleichheit und Effizienz ist Arthur Okun, Equality and Efficiency: The Big Tradeoff (Brookings Institution, Washington, D.C., 1975). Einen allgemein verständlichen Überblick über Fragen der Gesundheitsreform bietet das Symposium im Journal of Economic Perspectives, Sommer 1994. Deutschsprachige Literatur: Erika Claupein, Vermögen und Vermögensbildungsprozesse der privaten Haushalte (Duncker & Humblot, Berlin, 1990).
Websites Das Census Department veröffentlicht Daten über die Armut in den Vereinigten Staaten unter www.census.gov/hhes/www/poverty.html. Informationen über Wohlfahrt und Armut in den USA sind unter www.financeproject.org/irc/win.asp erhältlich. Auf der Site www.doleta.gov werden die Ergebnisse der Wohlfahrtsreform aus der Sicht einzelner Personen beschrieben. Informationen zur Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland bietet die Studie Lebenslagen in Deutschland – Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Das Urban Institute (www.urban.org) und das Joint Center for Poverty Research (www.jcpr.org) sind Organisationen, die Trends in den Bereichen Armut und Einkommensverteilung analysieren.
Übungen 1.
Bitten Sie alle Kursteilnehmer, auf einer Karte anonym das geschätzte Jahreseinkommen ihrer Familie anzugeben. Erstellen Sie anhand dieser Angaben eine Häufigkeitstabelle, aus der die Einkommensverteilung ersichtlich ist. Wie hoch ist das mittlere Einkommen? Das Durchschnittseinkommen?
2.
Welche Auswirkungen hätten folgende Maßnahmen auf die Lorenzkurve der Einkommen nach Steuern? (Nehmen wir an, dass die Steuereinnahmen des Staates in einen repräsentativen Anteil des BIP fließen.)
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Angewandte Mikroökonomie: Internationaler Handel, Staat und Umwelt
a.
3.
4.
5.
Eine proportionale Einkommenssteuer (d.h. eine Steuer, die alle Einkommen mit demselben Steuersatz belegt). b. Eine progressive Einkommenssteuer (d.h. eine Steuer, die hohe Einkommen stärker besteuert als niedrige). c. Eine starke Anhebung der Steuern auf Zigaretten und Lebensmittel. Zeichnen Sie vier Lorenzkurven, aus denen die ursprüngliche Einkommensverteilung und die Einkommensverteilung nach jeder der Maßnahmen a bis c ersichtlich ist. Sehen Sie sich Okuns Experiment des „löchrigen Eimers“ nochmals an. Stellen Sie eine Gruppe zusammen und lassen Sie jedes Gruppenmitglied auf einem Stück Papier angeben, bis zu welcher Größe ein Leck toleriert werden sollte, wenn der Staat US-$ 100 vom obersten Einkommensquintil zum untersten transferiert. 99 Prozent? Oder 50 Prozent? Oder null? Jeder Teilnehmer sollte die von ihm angegebene Höchstzahl kurz begründen. Stellen Sie die Ergebnisse in einer Tabelle dar und besprechen Sie dann die Unterschiede. Betrachten Sie zwei verschiedene Wege zur Hebung des Einkommens der Armen: (a) finanzielle Unterstützungen (z.B. US-$ 500 monatlich) und (b) Sachleistungen wie Lebensmittelsubventionen oder medizinische Dienstleistungen. Erläutern Sie das Für und Wider jeder dieser Strategien. Können Sie erklären, warum sich die USA hauptsächlich auf Strategie (b) stützen? Können Sie dem zustimmen? In einem Land, nennen wir es Ökonoland, leben zehn Menschen. Ihre Einkommen (in Tausend) betragen US-$ 3, US-$ 6, US-$ 2, US$ 8, US-$ 4, US-$ 9, US-$ 1, US-$ 5, US-$ 7 und
6.
Teil 4
US-$ 5. Erstellen Sie eine Einkommenstabelle und nehmen Sie eine Einteilung in Einkommensfünftel oder Quintile vor wie in Tabelle 192. Zeichnen Sie die zugehörige Lorenzkurve. Berechnen Sie den Gini-Koeffizienten, wie er in Abschnitt A definiert ist. In der Öffentlichkeit wird laufend darüber gestritten, in welcher Form die armen Gruppen der Gesellschaft unterstützt werden sollten. Eine Schule sagt: „Gebt den Leuten Geld und lasst sie medizinische Leistungen und Nahrungsmittel nach ihrem Bedarf einkaufen.“ Die andere Schule sagt: „Wenn man den Armen Geld gibt, geben sie es vielleicht für Bier und Drogen aus. Unterernährung und Krankheiten bekämpft man wirkungsvoller, wenn man Sachleistungen anbietet. Geld, das man selbst verdient, kann man auch nach eigenem Ermessen ausgeben, aber Geld, das die Gesellschaft zuschießt, sollte zweckgebunden sein.“ Das Argument der ersten Schule könnte von der Nachfragetheorie beeinflusst sein: Soll doch jeder Haushalt selbst bestimmen, wie er seinen Nutzen mit einem begrenzten Budget maximiert. Kapitel 5 zeigt, warum dieses Argument durchaus stichhaltig sein könnte. Doch was soll man machen, wenn der Nutzen der Eltern vor allem darin besteht, sich viel Bier und Lottoscheine zu kaufen, während ihnen Milch und Kleidung für ihre Kinder wenig Nutzen zu bringen scheinen? Würden Sie der zweiten Meinung zustimmen? Überlegen Sie, welche dieser beiden Ansichten Sie auf der Grundlage Ihrer persönlichen Erfahrung und Ihres Wissens eher vertreten würden. Begründen Sie Ihre Argumentation.
Teil 5
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
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KAPITEL 20 Makroökonomie im Überblick
Die Wirtschaft dient nur dem einzigen Zweck, Güter oder Dienstleistungen für den sofortigen oder den zukünftigen Konsum zu erzeugen. Ich glaube, dass die Beweislast immer diejenigen treffen sollte, die weniger anstatt mehr produzieren; jene, die Menschen, Maschinen oder Grund und Boden ungenutzt lassen, obwohl man sie einsetzen könnte. Es verblüfft mich immer wieder, wie viele Gründe sich finden lassen, um eine derartige Verschwendung zu rechtfertigen: Angst vor Inflation, Zahlungsbilanzdefizite, unausgeglichene Budgets, eine zu hohe Staatsverschuldung, Vertrauensverlust in den Dollar. James Tobin, Nationale Wirtschaftspolitik
Ist es leicht oder schwer, eine neue Stelle zu finden? Steigen die Reallöhne und der Lebensstandard rasch an, oder herrscht wirtschaftlicher Stillstand? Erhöht die Zentralbank die Zinsen, um die Inflation einzudämmen, oder macht sie Geld leicht verfügbar, um der Wirtschaft aus einer Rezession zu helfen? Welche Auswirkungen haben Globalisierung und Außenhandel auf Beschäftigung und Produktion im Inland? Solche Fragen stehen im Zentrum der Makroökonomie, mit der wir uns in den folgenden Kapiteln beschäftigen werden. Makroökonomik ist die Lehre vom Verhalten der Wirtschaft als Ganzes. Sie untersucht die Kräfte, die auf viele Unternehmen, Konsumenten und Arbeitnehmer gleichzeitig einwirken. Im Gegensatz dazu steht die Mikroökonomik, die einzelne Preise, Mengen und Märkte betrachtet. Zwei zentrale Themen werden uns in den Kapiteln über Makroökonomik beschäftigen: (1) kurzfristige Schwankungen von Produktion, Beschäftigung und Preisen, ein Phänomen, das wir als Konjunkturzyklus bezeichnen, und (2) jene längerfristigen Trends in Produktion und Lebensstandard, die als Wirtschaftswachstum bekannt sind. Mit der Entwicklung der makroökonomischen Theorie gelang der Wirtschaftstheorie im 20. Jahrhundert ein wesentlicher Durchbruch, der zu einem besseren Verständnis dafür führte, wie man periodisch auftretende Wirtschaftskrisen bekämpfen und das langfristige Wirtschaftswachstum ankurbeln kann. Als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre entwickelte John Maynard Keynes seine revolutionäre Theorie, mit der er jene Kräfte zu erklären half, die zu konjunkturellen Schwankungen führen. Er war es auch, der schließlich einen Ansatz fand, um die schlimmsten Auswüchse des Konjunkturzyklus unter Kontrolle zu bringen. Dank Keynes und seinen modernen Nachfolgern wissen wir heute, dass ein Staat mit der Wahl seiner Wirtschaftspolitik, also jener Maßnahmen, mit denen er auf die Geldmenge, die Steuern und die Staatsausga-
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
ben einwirkt, das Wirtschaftswachstum ankurbeln oder drosseln, einer galoppierenden Inflation oder konjunkturbedingten Arbeitslosigkeit entgegenwirken oder auch Ungleichgewichten begegnen kann, die durch den Außenhandel oder internationale Finanztransaktion entstehen. Makroökonomische Themen bestimmten während eines Großteils des letzten Jahrhunderts Politik und Wirtschaft der Vereinigten Staaten. Während der dreißiger Jahre, als dort wie fast überall in der entwickelten Welt Produktion, Beschäftigung und die Preise zusammenbrachen, rangen sowohl Ökonomen als auch politische Führer mit den Problemen der Großen Depression. Während des Vietnamkrieges in den sechziger und der verschiedenen Energiekrisen der siebziger Jahre war „Stagflation“, eine Kombination von langsamem Wirtschaftswachstum und steigenden Preisen, das beherrschende Thema, das alle Amerikaner bedrückte. Während der neunziger Jahre wuchs die Wirtschaft rasch, die Arbeitslosigkeit ging zurück und die Preise blieben stabil – in dieser Zeit schien alles zu funktionieren, weshalb sie mitunter auch als „großartiges Jahrzehnt“ bezeichnet wird. Anfang des 21. Jahrhunderts nahm die Herrlichkeit jedoch ein Ende, als die Wirtschaft vom rapiden Sinken der Börsenkurse, Terroranschlägen und dem Irakkrieg schwer getroffen wurde. Mitunter kann ein makroökonomisches Versagen einzelne Länder oder sogar Ideologien in schwere Krisen stürzen. Die kommunistischen Führer der ehemaligen Sowjetunion erklärten, sie würden den Westen wirtschaftlich überrunden. Die Geschichte hat inzwischen gezeigt, dass es sich dabei um leere Versprechungen handelte, denn Russland, eine Militärmacht mit enormen natürlichen Ressourcen, konnte zwar ausreichend Kanonen für sein Heer, aber nicht genug Butter für seine Bürger produzieren. Die vielen makroökonomischen Fehler führten schließlich zum Zusammenbruch der Sowjetunion und des ganzen Ostblocks, was die Menschen überzeugte,
Teil 5
dass private Märkte der beste Weg sind, um ein rasches Wirtschaftswachstum zu fördern. Dieses Kapitel dient als Einführung in die Makroökonomie. Hier werden die wichtigsten Konzepte dargelegt und gezeigt, wie man sie zur Lösung wesentlicher politischer und wirtschaftlicher Fragen der letzten Jahre einsetzen kann. Diese Einleitung soll aber nicht mehr als einen Appetithappen darstellen. Erst wenn Sie sich durch alle Kapitel in den Teilen 5 und 6 dieses Buches durchgearbeitet haben, können Sie das reichhaltige makroökonomische Bankett genießen, das der Wirtschaftspolitik als Quelle der Inspiration dient und unter Makroökonomen nach wie vor kontrovers diskutiert wird.
A. Wesentliche Konzepte der Makroökonomie Die Entstehung der Makroökonomie Die Geburtsstunde der Makroökonomik liegt in den 1930er Jahren, als John Maynard Keynes versuchte, die volkswirtschaftlichen Mechanismen zu verstehen, die zur Großen Depression beziehungsweise zur Weltwirtschaftskrise geführt hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg erklärte der amerikanische Kongress in Reaktion sowohl auf den zunehmenden Einfluss der keynesianischen Ideen als auch aus Angst vor einer weiteren Depression förmlich, dass der Staat sehr wohl für die makroökonomische Wirtschaftsleistung verantwortlich sei. Er verabschiedete den bahnbrechenden Employment Act (Beschäftigungsgesetz) von 1946, in dem es heißt: „Der Kongress erklärt hiermit, dass es die fortwährende Politik und Verpflichtung der Bundesregierung ist, alle durchführbaren Maßnahmen entsprechend ihren jeweiligen
Kapitel 20 Makroökonomie im Überblick
Erfordernissen und Verpflichtungen zu ergreifen ... um eine maximale Beschäftigungsrate, Produktion und Kaufkraft zu fördern.“
Erstmals bekannte sich der Kongress damit zur Rolle des Staates als Förderer des Produktionswachstums und der Vollbeschäftigung sowie der Preisstabilität. Seit Verabschiedung des Employment Act im Jahre 1946 haben sich zwar die Prioritäten des Landes hinsichtlich der drei genannten Ziele verschoben, aber in den USA wie in allen anderen Marktwirtschaften bilden diese Ziele nach wie vor den Rahmen für die zentralen makroökonomischen Fragen: 1. Warum gehen bisweilen Produktion und Beschäftigung zurück, und wie kann man die Arbeitslosigkeit eindämmen? Alle Marktwirtschaften weisen Expansionsund Schrumpfungsmuster auf, die als Konjunkturzyklen bezeichnet werden. Den letzten größeren Konjunkturabschwung verzeichneten die Vereinigten Staaten im Jahr 2001, als die Warenproduktion und das Dienstleistungsangebot zurückgingen und Millionen Menschen ihre Stelle verloren. Während eines Großteils der Nachkriegszeit bestand ein wesentliches Ziel makroökonomischer Politik darin, die Geld- und Fiskalpolitik zu nutzen, um Konjunkturabschwünge und den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu dämpfen. Mitunter leiden Länder unter hoher und beständiger Arbeitslosigkeit, die bisweilen sogar zehn Jahre lang anhält. In den Vereinigten Staaten geschah dies während der Großen Depression, die 1929 begann. Während der folgenden Jahre stieg die Arbeitslosigkeit dermaßen an, dass schließlich fast ein Viertel der Arbeitskräfte keine Beschäftigung hatte; gleichzeitig sank die industrielle Produktion um die Hälfte. Während der neunziger Jahre erlebten verschiedene europäische Länder eine milde Form der Depression, die in manchen Ländern zu einer anhaltenden Arbeitslosigkeit von über zehn Prozent führte.
579 Die Makroökonomik beschäftigt sich mit den Ursachen einer solchen hartnäckigen Arbeitslosigkeit. Ist die Diagnose einmal gestellt, kann die Makroökonomik auch mögliche Therapien vorschlagen, beispielsweise eine Erhöhung der Gesamtnachfrage oder eine Reform arbeitsmarktpolitischer Instrumente. Das Wohl und Wehe von Millionen von Menschen hängt davon ab, ob die Makroökonomen die richtige Antwort auf derartige Fragen finden. 2. Worauf ist Inflation zurückzuführen, und wie lässt sie sich eindämmen? In einer Marktwirtschaft dienen die Preise als Maßstab zur Messung wirtschaftlicher Werte und sind für das Geschäftsleben unverzichtbar. In Zeiten rasch steigender Preise, eines Phänomens, das man als Inflation bezeichnet, verliert der Maßstab seine Bedeutung. Unter den Bedingungen hoher Inflation verlieren die Menschen das Gefühl für relative Preise und machen bei ihren Ausgaben- und Investitionsentscheidungen Fehler. Die Steuerbelastung kann steigen. Die Menschen verbringen viel Zeit damit, sich zu sorgen, die Inflation könnte ihr Einkommen mindern. Die Wirtschaftspolitik forciert seit langem und in zunehmendem Maße die Preisstabilität als wesentliches Ziel. In den Vereinigten Staaten sank die Inflationsrate von über zehn Prozent Ende der siebziger Jahre auf etwa drei Prozent während der neunziger Jahre und Anfang des 21. Jahrhunderts. Manchen Ländern ist es bis heute nicht gelungen, die Inflation einzudämmen. Ehemals sozialistische Länder wie Russland oder viele lateinamerikanische und Entwicklungsländer mussten während der letzten zwei Jahrzehnte mit Inflationsraten von 50, 100 oder gar 1.000 Prozent leben. Warum gelang es den Vereinigten Staaten, das Raubtier der Inflation zu bändigen, während dies Russland nicht gelungen ist? Die Makroökonomik kann sinnvolle Empfehlungen geben, wie Geld- und Fiskalpolitik, Wechselkurssysteme und ei-
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
ne unabhängige Zentralbank zur Eindämmung der Inflation eingesetzt werden können. 3. Wie kann ein Land sein Wirtschaftswachstum ankurbeln? Die Makroökonomik beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Wirtschaftswachstum, worunter man das Wachstum des Produktionspotenzials einer Wirtschaft versteht. Das Produktionspotenzial einer Wirtschaft hat einen wesentlichen Einfluss auf den Anstieg der Reallöhne und des Lebensstandards. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte das schnelle Wirtschaftswachstum in asiatischen Ländern wie Japan, Südkorea und Taiwan zu einer dramatischen Verbesserung des Lebensstandards der Menschen in diesen Gebieten. Andere Länder dagegen, vor allem solche in Afrika südlich der Sahara, hatten während der letzten zwei Jahrzehnte eine pro Kopf der Bevölkerung sinkende Produktionsleistung und damit einen Rückgang des Lebensstandards zu verzeichnen. Staaten möchten natürlich unbedingt das Rezept für erfolgreiches Wachstum erfahren. Zu den wesentlichen Faktoren für schnelles Wirtschaftswachstum zählen die Vorherrschaft freier Märkte, eine hohe Spar- und Investitionsquote, niedrige Handelsschranken sowie eine ehrliche Regierung, die Eigentumsrechte respektiert. Jede Wirtschaft muss notwendigerweise zwischen diesen Zielen wählen. Eine langfristige Erhöhung des Produktionswachstums erfordert möglicherweise höhere Investitionen in Ausbildung und Kapital, aber eine Zunahme der Investitionen bedeutet gleichzeitig eine Reduzierung des Konsums von Lebensmitteln, Bekleidung und Freizeitvergnügen. Außerdem sind Politiker mitunter gezwungen, zur Erhaltung der Preisstabilität in die Wirtschaft einzugreifen, wenn diese insgesamt oder die Beschäftigung zu rasch wächst. Es gibt keine einfachen Formeln zur Lösung dieser Probleme, und die Makroökonomen vertreten häufig unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der angemessenen Maßnah-
Teil 5
men zur Bekämpfung einer hohen Inflation, zunehmender Arbeitslosigkeit oder niedrigen Wirtschaftswachstums. Doch vernünftige makroökonomische Maßnahmen können zur bestmöglichen Erreichung der wirtschaftlichen Ziele eines Landes beitragen. Der Schutzpatron der Makroökonomie Jede Diskussion über Makroökonomie muss mit John Maynard Keynes beginnen. Keynes (1883–1946) war ein vielseitiges Genie und leistete Hervorragendes in den Bereichen Mathematik, Philosophie und Literatur. Daneben fand er die Zeit, ein großes Versicherungsunternehmen zu führen, das britische Finanzministerium zu beraten, die Bank of England mit zu leiten, eine weltberühmte Wirtschaftszeitschrift herauszugeben, moderne Kunst und seltene Bücher zu sammeln, ein Theater zu gründen und eine berühmte russische Tänzerin zu heiraten. Als Anleger verstand er es, geschickt zu spekulieren, sowohl für seine eigene Kasse als auch für die des King’s College in Cambridge, wo er lehrte. Seine größte Leistung war jedoch die Erfindung einer neuen Methode, die Gesamtwirtschaft und gesamtwirtschaftliche Politik zu betrachten. Vor Keynes akzeptierten die meisten Ökonomen und Politiker das Auf und Ab von Konjunkturzyklen als ebenso naturgegeben wie Ebbe und Flut. Aufgrund dieser traditionellen Auffassung standen sie der Weltwirtschaftkrise in den dreißiger Jahren hilflos gegenüber. Mit seinem 1936 veröffentlichten Buch The General Theory of Employment, Interest, and Money (Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes) gelang Keynes eine enorme geistige Leistung. Kernpunkt sind zwei Thesen: Erstens erklärte Keynes, es sei durchaus möglich, dass in einer Marktwirtschaft hohe Arbeitslosigkeit und ungenutzte Kapazitäten auf Dauer nebeneinander bestünden. Zweitens behauptete er, Fiskal- und Geldpolitik könnten die Produktionsleistung beeinflussen, wodurch es möglich werde, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren und den Wirtschaftsabschwung zu bremsen.
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Kapitel 20 Makroökonomie im Überblick
Als Keynes seine Behauptungen erstmals aufstellte, hatten sie eine enorme Wirkung und führten zu lebhaften Diskussionen und Streitgesprächen. In der Nachkriegszeit dominierten die Keynesianer die Makroökonomie und Regierungspolitik. Während der sechziger Jahre gründete fast jede Untersuchung der Wirtschaftspolitik auf einer Keynesianischen Sicht der Welt. Seither haben neue Entwicklungen, die auch die Angebotsseite sowie Erwartungen berücksichtigen, und alternative Meinungen zur Lohn- und Preisdynamik die frühere Einigkeit über den Ansatz von Keynes untergraben. Nur wenige Ökonomen glauben heute noch, eine Regierung könne durch ihr Handeln Konjunkturzyklen verhindern, was die Wirtschaftstheorie von Keynes einst zu versprechen schien, aber sowohl die Wirtschaftswissenschaften als auch die Wirtschaftspolitik sind durch die Entdeckungen von Keynes grundlegend verändert worden.
Ziele und Instrumente der Makroökonomie Nachdem wir die wesentlichen Themen der Makroökonomik erwähnt haben, beschäftigen wir uns nun mit ihren wichtigsten Zielen und Instrumenten. Wie bewerten Ökonomen eigentlich die Gesamtleistung einer Volkswirtschaft? Welche Instrumente können Regierungen zur Erreichung ihrer Wirtschaftsziele einsetzen? Tabelle 20-1 enthält die wichtigsten Ziele und Instrumente makroökonomischer Politik.
Die Wirtschaftsleistung messen Die wichtigsten makroökonomischen Ziele sind eine rasche und beträchtliche Steigerung der Produktion, niedrige Arbeitslosigkeit und ein stabiles Preisniveau. In diesem Abschnitt werden wir grundlegende makroökonomische Begriffe definieren und ihre Bedeutung erörtern. Eine umfassende Betrachtung makroökonomischer Daten folgt erst im
Ziele Produktionsleistung: Hohes Niveau und schnelles Wachstum der Produktionsleistung Beschäftigung: Hohes Beschäftigungsniveau mit niedriger unfreiwilliger Arbeitslosigkeit Stabilität des Preisniveaus Instrumente Geldpolitik: Kontrolle der verfügbaren Geldmenge, um die Zinssätze zu beeinflussen Fiskalpolitik: Staatsausgaben Steuern Tabelle 20-1: Ziele und Instrumente der Wirtschaftspolitik Im oberen Teil der Tabelle finden sich die wesentlichen Ziele makroökonomischer Politik. Die untere Hälfte führt die Instrumente oder politischen Maßnahmen auf, die in einer modernen Volkswirtschaft zur Verfügung stehen. Die Politik passt das Instrumentarium gelegentlich an, um Ausrichtung und Geschwindigkeit wirtschaftlicher Aktivitäten zu steuern.
nächsten Kapitel. Einige wesentliche Daten sind jedoch schon im Anhang zu diesem Kapitel zusammengestellt. Die Produktionsleistung. Ziel jeder wirtschaftlichen Tätigkeit ist letztlich die Bereitstellung jener Güter und Dienstleistungen, die die Bevölkerung verlangt. Was könnte für die Wirtschaft wichtiger sein, als die Bevölkerung mit genügend Wohnungen, Nahrungsmitteln, Ausbildungs- und Freizeitmöglichkeiten zu versorgen? Das umfassendste Maß für die Gesamtleistung einer Volkswirtschaft ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das BIP ist das Maß für den Marktwert aller Endprodukte und Dienstleistungen – Bier, Autos, Rockkonzerte, Eselsritte und so weiter –, die ein Land innerhalb eines Jahres produziert oder bereitstellt. Man kann das BIP auf zweierlei
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Weise messen. Das nominale BIP wird anhand der tatsächlichen Marktpreise gemessen. Das reale BIP lässt sich anhand konstanter oder nicht variabler Preise errechnen (dabei multiplizieren wir beispielsweise die Anzahl der produzierten Autos mit den Autopreisen des Jahres 2000). Kein anderes Maß für die Gesamtleistung wird so genau beobachtet wie das reale BIP; an diesem ständig beobachteten Pulsschlag wird die Gesundheit der Wirtschaft gemessen. Abbildung 20-1 zeigt die Entwicklung des realen BIP in den Vereinigten Staaten seit 1929. Beachten Sie den wirtschaftlichen Abschwung während der Großen Depression in den dreißiger Jahren, den enormen Aufschwung während des Zweiten Weltkriegs, die ausgeprägte Rezession der Jahre 1975 und 1982 sowie die Periode schnellen Wachstums
Teil 5
von 1982 – 2001, gefolgt von einer Phase langsamerer Zunahmen von 2001 – 2004. Trotz der kurzfristigen Schwankungen in den Konjunkturzyklen zeigen reife Wirtschaften im Allgemeinen ein beständiges langfristiges Wachstum des realen BIP und eine Verbesserung des Lebensstandards; dieser Prozess wird als Wirtschaftswachstum bezeichnet. Die amerikanische Wirtschaft hat sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrhundert als kraftvoller Motor des wirtschaftlichen Fortschritts erwiesen, wie das Wachstum der potenziellen Produktionsleistung zeigt. Das potenzielle BIP stellt das höchste nachhaltige Produktionsniveau dar, das eine Volkswirtschaft erreichen kann. Schöpft eine Wirtschaft ihr Produktionspotenzial aus, werden die Arbeitskräfte und der Kapitalstock weitestgehend genutzt. Wenn die tatsächliche
12.000 10.000
1.000
1930
1940
1950
1960
1970
Wohlstand durch „New Economy“
Inflationsbekämpfung
II. Weltkrieg
2.000
Ölpreisschocks
4.000
Vietnamkrieg
Nachkriegserholung
6.000
Weltwirtschaftskrise
Reales BIP (Mrd. US-$, Preise von 2000)
8.000
1980
1990
2000
Jahr
Abbildung 20-1: Reales Bruttoinlandsprodukt (USA), 1929–2003 Das reale Bruttoinlandsprodukt ist das umfassendste Maß für die gesamtwirtschaftliche Produktionsleistung. Beachten Sie, wie drastisch die Produktionsleistung während der Großen Depression in den dreißiger Jahren zurückging. Abgesehen von den Turbulenzen, die steigende Ölpreise während der Ölkrise in den siebziger Jahren auslösten, und der antiinflationären Politik der frühen achtziger Jahre ist die Wirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg stetiger gewachsen als zuvor. Quelle: U.S. Department of Commerce. Grau unterlegte Bereiche zeigen einen Wirtschaftsabschwung.
583
Kapitel 20 Makroökonomie im Überblick
Produktionsleistung über das Produktionspotenzial steigt, nimmt in der Regel die Inflation zu, während eine Produktionsleistung unterhalb des Produktionspotenzials zu Arbeitslosigkeit führt. Das Produktionspotenzial wird von der Produktionskapazität einer Volkswirtschaft bestimmt, die von den verfügbaren Produktionsfaktoren (Kapital, Arbeit, Land usw.) sowie der technischen Effizienz abhängt. Das potenzielle BIP wächst in der Regel stetig, denn die Faktoren Arbeit und Kapitel sowie das Ausmaß an Technologisierung ändern sich im Zeitablauf nur langsam. Im Gegensatz dazu hängt das tatsächliche BIP von den langfristigen Konjunkturzyklen ab, wenn sich das Ausgabenverhalten stark verändert. Während eines Wirtschaftsabschwungs sinkt das tatsächliche BIP unter sein Potenzi-
al, und die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Im Jahre 1982 lag beispielsweise die Produktion der amerikanischen Wirtschaft um US-$ 400 Milliarden unter ihrem Potenzial. Pro Familie bedeutete das einen Verlust von US-$ 6.000 in einem einzigen Jahr. Eine Rezession ist eine Zeit, in der die gesamte Produktionsleistung sowie Einkommen und Beschäftigung deutlich zurückgehen; sie dauert in der Regel zwischen sechs Monaten und einem Jahr und ist durch ein deutliches Schrumpfen zahlreicher Wirtschaftsbereiche gekennzeichnet. Einen lang anhaltenden und stark ausgeprägten Abschwung bezeichnet man als Depression. In Zeiten starken Aufschwungs oder während eines Krieges kann die Produktionsleistung zeitweilig über ihrem Potenzial liegen, wenn die Wirtschaft am Rande ihrer Kapazität produziert, aber der hohe Auslastungs-
12.000
Reales BIP (Mrd. US-$, Preise von 2000)
10.000 8.000
5.000 4.000 3.000 Tatsächliches BIP 2.000
Potenzielles BIP 1.000 800 1930
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1960
1970 Jahr
1980
1990
2000
Abbildung 20-2: Tatsächliches und potenzielles BIP Konjunkturzyklen treten auf, wenn die tatsächliche Produktionsleistung von ihrem Potenzial abweicht. Die durchgezogene rostfarbene Linie zeigt die potenzielle Produktionsleistung von 1929–2003. Die potenzielle Produktionsleistung ist jährlich um etwa 3,4 Prozent gewachsen. Beachten Sie die große Lücke zwischen der tatsächlichen und der potenziellen Produktionsleistung, die sich während der Großen Depression in den dreißiger Jahren auftat. Quelle: U.S. Department of Commerce und Schätzungen des Autors. Beachten Sie, dass das tatsächliche BIP auf der Basis vorhandener Wirtschaftsdaten geschätzt wird, während die potenzielle Produktionsleistung ein analytisches Konzept ist; die Zahlen für die potenzielle Produktionsleistung sind vom tatsächlichen BIP und den Arbeitslosenzahlen abgeleitet.
584
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
grad führt zu einer zunehmenden Inflation, und beides wird meistens durch eine restriktive Geld- oder Fiskalpolitik eingedämmt. Abbildung 20-2 zeigt das geschätzte Potenzial und die tatsächliche Produktionsleistung für den Zeitraum von 1930 – 2003. Beachten Sie die enorme Lücke zwischen der tatsächlichen und der potenziellen Produktionsleistung während der Großen Depression in den dreißiger Jahren. Hoher Beschäftigungsstand, geringe Arbeitslosigkeit. Der gesamtwirtschaftliche Indikator, den die meisten Menschen direkt zu spüren bekommen, ist die Beschäftigung beziehungsweise Arbeitslosigkeit. Die Menschen wollen ohne lange Wartezeiten oder große Suche gut bezahlte Arbeitsplätze finden, sie wollen sichere Arbeitsplätze und gute Sozialleistungen. Makroökonomisch
Teil 5
ausgedrückt handelt es sich hierbei um das Ziel hoher Beschäftigungsstand, was man auch als geringe Arbeitslosigkeit bezeichnen kann. Abbildung 20-3 zeigt die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in den USA während der letzten sechs Jahrzehnte. Die Arbeitslosenquote auf der Y-Achse stellt den Prozentsatz der Arbeitslosen an der Erwerbsbevölkerung dar. Zur Erwerbsbevölkerung gehören alle Personen, die eine Beschäftigung haben, sowie die Arbeitslosen, die eine Beschäftigung suchen. Nicht inbegriffen sind Arbeitslose, die keinen Arbeitplatz suchen. Die Arbeitslosenquote zeigt üblicherweise an, wo wir uns innerhalb eines Konjunkturzyklus befinden: Bei schwacher Wirtschaftsleistung sinkt die Nachfrage nach Arbeit, und die Arbeitslosenquote steigt. Während der Großen Depression der dreißiger Jahre wurde die Arbeitslosigkeit fast zur Epidemie, da fast ein
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Arbeitslosenquote (% der Erwerbstätigen)
25
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1990
2000
Jahr
Abbildung 20-3: Die Arbeitslosigkeit nimmt während einer Rezession zu und während eines Aufschwungs ab Die Arbeitslosenquote misst den Prozentsatz der Arbeitskräfte, die Arbeit suchen, aber keine finden. Während der dreißiger Jahre erreichte die Arbeitslosenquote erschreckende Werte von bis zu 25 Prozent im Jahre 1933. Die Arbeitslosigkeit steigt während eines Wirtschaftsabschwungs und sinkt während eines Aufschwungs. Bei den grau unterlegten Bereichen handelt es sich um Rezessionen. Quelle: U.S. Department of Labor.
585
Kapitel 20 Makroökonomie im Überblick
Viertel der Arbeitskräfte nicht beschäftigt wurde. Seit dem Zweiten Weltkrieg schwankt die Arbeitslosenquote in den Vereinigten Staaten, aber sie hat niemals wieder ein Niveau erreicht, das man mit einer Depression in Verbindung bringt, oder ist so tief gesunken, dass eine hohe Inflation zu befürchten war. Preisstabilität. Das dritte wirtschaftspolitische Ziel ist die Erhaltung der Preisstabilität. Dieser Ausdruck bedeutet, dass das Gesamtpreisniveau entweder stabil ist oder nur langsam steigt. Um die Preisentwicklung zu verfolgen, arbeiten Statistiker mit Preisindizes, Instrumenten zur Messung des Gesamtpreisniveaus. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist der Verbraucherpreisindex (VPI), der den Durchschnittspreis von Waren und Dienstleistungen misst,
die Konsumenten kaufen. Das gesamtwirtschaftliche Preisniveau wird häufig durch den Buchstaben P abgekürzt. Wirtschaftswissenschaftler messen die Preisstabilität anhand der Inflationsrate. Die Inflationsrate ist die prozentuale Änderung des gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus von einem Jahr zum nächsten. Beispielsweise lag der Verbraucherpreisindex 2001 bei 177,1 und bei 179,9 im Jahre 2002 (wobei das Jahr 1983 = 100 gesetzt wurde). Wir berechnen daher die Inflationsrate für 2002 als Inflation 2002 = [P(2002) – P(2001)]/P(2001)] 100 % = [(179,9 – 177,1)] /177,1] 100 % = 1,6 %
25
15
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Große Depression
⫺10
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Neue Wirtschaft und erfolgreiche Geldpolitik
⫺5
⫺15 1930
Ölkrise
0 Aufhebung der Preiskontrollen nach dem 2. Weltkrieg
Inflationsrate (Verbraucherpreisindex, jährlicher Prozentsatz)
20
1990
2000
Jahr
Abbildung 20-4: Inflation der Verbraucherpreise, 1929–2003 Die Inflationsrate misst das Ausmaß von Preisveränderungen im Vergleich zum Vorjahr; hier ist die Inflationsrate des Verbraucherpreisindex (VPI) dargestellt. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind die Preise fast ständig gestiegen, insbesondere nach den Ölkrisen von 1973 und 1979. Seit 1984 ist die Inflationsrate in den Vereinigten Staaten niedrig. Quelle: U.S. Department of Labor. Die Zahlen zeigen die Inflationsrate im Vergleich zum Vorjahresmonat.
586
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Abbildung 20-4 zeigt die Inflationsrate des VPI für die Jahre 1930 bis 2003. Während dieses ganzen Zeitraums lag die durchschnittliche Inflation bei 3,3 Prozent jährlich. Beachten Sie, dass die Preisänderungen im Lauf der Jahre stark schwanken, zwischen minus 10 Prozent im Jahre 1932 und 14 Prozent im Jahr 1947. Von einer Deflation spricht man bei sinkenden Preisen (also bei negativer Inflationsrate). Das andere Extrem ist die Hyperinflation, ein Preisanstieg um 1.000 oder 1 Million Prozent jährlich. In solchen Situationen, wie etwa zu Zeiten der Weimarer Republik in Deutschland während der zwanziger Jahre, in Brasilien während der achtziger oder in Russland während der neunziger Jahre, haben die Preise praktisch keine Bedeutung mehr, und das gesamte Preissystem bricht zusammen. Die Preisstabilität ist deswegen so wichtig, weil ein gut funktionierendes marktwirtschaftliches System sich darauf verlassen können muss, dass die Preise genaue und deutliche Informationen über die relative Knappheit liefern. Die Geschichte hat gezeigt, dass eine hohe Inflation einer Wirtschaft viele Kosten – manche sichtbar, manche verborgen – aufbürdet. Ist die Inflation hoch, ändern sich die Steuern häufig, verlieren die Renten an Wert und gehen die Menschen ans Eingemachte, um nicht auf beständig an Wert verlierende Rubel oder Pesos angewiesen zu sein. Aber sinkende Preise oder eine Deflation kommen ein Land teuer zu stehen. Daher suchen die Länder die goldene Mitte mit stabilen oder nur langsam steigenden Preisen als bestes Mittel, um ein gut funktionierendes Preissystem zu erhalten. Zusammenfassend kann man sagen: Die Ziele der Wirtschaftspolitik sind: 1. Eine hohe und steigende volkswirtschaftliche Produktionsleistung 2. Hoher Beschäftigungsgrad mit geringer Arbeitslosigkeit 3. Ein stabiles oder leicht steigendes Preisniveau
Teil 5
Wirtschaftspolitische Instrumente Versetzen Sie sich einmal in die Lage des Chefvolkswirts, der eine Regierung berät. Die Arbeitslosigkeit steigt, das BIP sinkt. Vielleicht wächst auch die Produktivität nicht mehr so stark, und Sie möchten das Wachstum der potenziellen Produktionsleistung erhöhen. Ihr Land leidet möglicherweise an einer Zahlungsbilanzkrise, das Handelsbilanzdefizit ist hoch, und ihre Währung steht unter Druck. Auf welche Instrumente kann man zurückgreifen, um die Inflation oder die Arbeitslosigkeit einzudämmen, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln oder ein Handelsbilanzdefizit auszugleichen? Den Regierungen steht ein bestimmtes Instrumentarium zur Verfügung, mit dem sie auf die makroökonomischen Aktivitäten einwirken können. Ein wirtschaftspolitisches Instrument ist eine volkswirtschaftliche Variable, auf die der Staat Einfluss nehmen kann und die Auswirkungen auf eines oder mehrere der makroökonomische Ziele hat. Indem Regierungen ihre Geld-, Fiskal- oder sonstige Wirtschaftspolitik ändern, können sie die schlimmsten Schwankungen eines Konjunkturzyklus verhindern oder das Wachstum der potenziellen Produktionsleistung erhöhen. Die wichtigsten Instrumente makroökonomischer Politik sind im unteren Teil von Tabelle 20-1 aufgeführt. Fiskalpolitik. Als Fiskalpolitik bezeichnet man den gezielten Einsatz von Steuern und Staatsausgaben. Staatsausgaben können zwei verschiedene Formen annehmen. Einerseits tätigt der Staat Einkäufe. Dazu gehören die Ausgaben für Güter und Dienstleistungen – der Einkauf von Panzern, der Straßenbau, die Gehälter der Richter und so weiter. Daneben leistet der Staat Transferzahlungen, die das Einkommen bestimmter Zielgruppen erhöhen, beispielsweise älterer Menschen oder Arbeitsloser. Die staatliche Ausgabenpolitik bestimmt die relative Größe des öffentlichen und des privaten Sektors; sie entscheidet also darüber, wie viel von unserem
587
Kapitel 20 Makroökonomie im Überblick
BIP kollektiv und wie viel privat konsumiert wird. Aus makroökonomischer Sicht wirken sich die Staatsausgaben auch auf das allgemeine Ausgabenniveau der Wirtschaft aus und beeinflussen so die Höhe des BIP. Das zweite Instrument der Fiskalpolitik, die Besteuerung, wirkt sich in zweierlei Weise auf die Gesamtwirtschaft aus. Erstens schmälern Steuern das Einkommen der Menschen. Je nach Besteuerung ist das verfügbare Einkommen der Haushalte höher oder niedriger, daher beeinflussen Steuern die Ausgaben der Menschen für Waren und Dienstleistungen sowie die privaten Ersparnisse. Privater Konsum und private Ersparnisse haben kurz- und langfristig bedeutende Auswirkungen auf Investitionen und Produktion. Außerdem wirken sich die Steuern auf die Preise von Waren und Produktionsfaktoren aus, womit sie auch einen Einfluss auf wirtschaftliche Anreize und ökonomisches Verhalten ausüben. Beispielsweise gab es zwischen 1962 und 1986 in den Vereinigten Staaten einen Investitionssteuernachlass, sozusagen einen Rabatt für Unternehmen, die bereit waren, Kapitalgüter zu kaufen, um Investitionen und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Zahlreiche Bestimmungen der Steuergesetze beeinflussen die Anreize zu arbeiten oder Geld zu sparen, also die Erwerbs- und Sparneigung, und wirken sich dadurch erheblich auf den Grad an wirtschaftlicher Aktivität aus. Geldpolitik. Das zweite bedeutende Instrument makroökonomischer Politik ist die Geldpolitik, die der Staat durch sein Management des Geldes, der Kreditvergabe und des Bankensystems betreibt. Sie wissen vielleicht bereits, dass die amerikanische Zentralbank, das Federal Reserve System, Einfluss auf die Geldmenge nimmt. Aber was genau versteht man unter der Geldmenge? Geld ist ein Sammelbegriff für Tausch- oder Zahlungsmittel. Heutzutage verwenden die Menschen Bargeld und Bankkonten, um ihre Rechnungen zu bezahlen. Die Zentralbank reguliert die für die Wirtschaft verfügbare Geldmenge.
Wie kann etwas scheinbar so Unbedeutendes wie die Geldversorgung derart dramatische Auswirkungen auf makroökonomische Aktivitäten haben? Durch eine Änderung der verfügbaren Geldmenge wirkt die Zentralbank auf zahlreiche finanztechnische und volkswirtschaftliche Variablen ein, beispielsweise auf Zinssätze, Aktienkurse, Wohnungskosten und Wechselkurse. Eine restriktive Geldpolitik führt zu höheren Zinssätzen und zu geringerer Investitionstätigkeit, was wiederum einen Rückgang des BIP und der Inflationsrate auslöst. Angesichts eines wirtschaftlichen Abschwungs kann die Zentralbank die Geldmenge erhöhen und die Zinssätze senken, umso die Wirtschaftstätigkeit anzukurbeln. Die Frage nach der genauen Bedeutung der Geldpolitik gehört zu den wichtigsten Themen der Makroökonomie. Die restriktive Geldpolitik der amerikanischen Zentralbank in der Zeit von 1979 – 1982 führte zu steigenden Zinsen, einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und steigenden Arbeitslosenzahlen. In der darauf folgenden Periode von 1982 – 2000 unterstützte die Zentralbank mit einer vorsichtigen Geldmengensteuerung den längsten Wirtschaftsaufschwung in der amerikanischen Geschichte. Während des letzten Jahrzehnts ist die Geldpolitik zur wichtigsten Waffe geworden, die die Regierung zur Steuerung von Konjunkturzyklen einsetzt. Wie eine Zentralbank Einfluss auf die Wirtschaftsaktivitäten eines Landes nehmen kann, werden wird ausführlich in den Kapiteln über Geldpolitik erörtert. Zusammenfassung: Einem Staat stehen zur Erreichung makroökonomischer Ziele zwei wesentliche Instrumente zur Verfügung – die Fiskal- und die Geldpolitik. 1. Zur Fiskalpolitik gehören Staatsausgaben und Steuern. Staatsausgaben beeinflussen das relative Ausmaß kollektiver Ausgaben im Vergleich zum privaten Konsum. Durch
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
die Erhebung von Steuern verringern sich die Einkommen, die privaten Ausgaben sinken und die privaten Ersparnisse werden berührt. Außerdem ergeben sich Auswirkungen auf Investitionen und die potenzielle Produktionsleistung. Die Fiskalpolitik wird heute hauptsächlich eingesetzt, um durch die Beeinflussung der Ersparnisbildung sowie der Anreize zu arbeiten und zu sparen das langfristige Wirtschaftswachstum zu steuern. 2. Durch die Geldpolitik der Zentralbank werden die Geldmenge und die Finanzkonditionen bestimmt. Veränderungen der verfügbaren Geldmenge führen zu einer Erhöhung oder Senkung der Zinssätze und haben Auswirkungen auf die Ausgaben in verschiedenen Bereichen, beispielsweise für Investitionen, für Wohnungen und für den Außenhandel. Die Geldpolitik hat einen bedeutenden Einfluss sowohl auf das tatsächliche als auch auf das potenzielle BIP. Andere Zeiten, andere politische Maßnahmen Oft suchen Länder nach neuen Wegen, um ihre wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Der Wunsch, die Inflation in den Griff zu bekommen, hat zu vielen innovativen Ideen geführt. Wie wir noch sehen werden, besteht der herkömmliche Ansatz zur Eindämmung der Inflation darin, dass Regierungen geld- und fiskalpolitische Maßnahmen ergreifen, um die Produktionsleistung zu drosseln und die Arbeitslosigkeit zu erhöhen. Da dies eine besonders bittere Pille ist, haben Regierungen immer wieder nach anderen Mitteln gesucht, um die Inflation unter Kontrolle zu halten. Einer dieser Ansätze wird als Einkommenspolitik bezeichnet; er beinhaltet die direkte Kontrolle von Preisen und Löhnen. Diese Methode wird in Kriegszeiten häufig genutzt, mitunter auch im Zuge von ernsten Krisen in Friedenszeiten. In Kriegszeiten werden Preise und Löhne häufig vom Staat festgesetzt; eine weniger dramati-
Teil 5
sche Maßnahme ist in Friedenszeiten der Erlass von Richtlinien für die Preis- und Lohngestaltung. Noch vor einer Generation glaubten viele Ökonomen, die Einkommenspolitik könne eine billige Methode darstellen, um die Inflationsrate niedrig zu halten. Beispielsweise führte die Regierung Nixon 1971 drakonische und obligatorische Lohn- und Preiskontrollen ein, in der Hoffnung, damit die Inflation zu verlangsamen, ohne eine Rezession hervorzurufen. Eine Analyse der Einkommenspolitik der Regierung Nixon oder vergleichbaren Bedingungen führt meist zu dem Ergebnis, dass eine solche Politik die Inflation kaum nachhaltig beeinflusst hat. Diese Erfahrung, zusammen mit einer heute allgemein eher zurückhaltenden Einstellung gegenüber Regierungsinterventionen haben zu einer verbreiteten Skepsis hinsichtlich direkter Einkommenspolitik geführt. Viele Ökonomen halten sie schlicht und ergreifend für wirkungslos. Andere bezeichnen sie als schädlich – sie stelle einen Eingriff in freie Märkte sowie eine Behinderung von natürlichen Preisschwankungen dar und sei nicht in der Lage, die Inflation tatsächlich zu senken. Die meisten Länder mit hohem Einkommensniveau verzichten inzwischen auf eine Einkommenspolitik; sie wird aber noch häufig von Entwicklungsländern und Ländern an der Schwelle zur Marktwirtschaft genutzt.
Internationale Verbindungen Kein Staat führt heute ein isoliertes Inseldasein, denn alle Länder nehmen an der Weltwirtschaft teil und sind über Handel und Finanztransaktionen miteinander verbunden. Handelsverbindungen durch den Import und Export von Waren und Dienstleistungen entstehen beispielsweise, wenn die Vereinigten Staaten Autos aus Japan importieren oder Computer nach Mexiko exportieren. Finanzielle Kontakte liegen vor, wenn die Vereinigten Staaten Mexiko Geld leihen, um den mexikanischen Peso zu stützen, oder wenn eine britische Pensionskasse ihre Portfolios
Kapitel 20 Makroökonomie im Überblick
durch Geldanlagen am florierenden amerikanischen Aktienmarkt streut. Staaten behalten ihre Außenhandelsströme immer genau im Auge. Einen besonders wichtigen Index stellen dabei die Nettoexporte dar, das heißt die numerische Differenz zwischen dem Wert der Exporte und dem der Importe. Wenn mehr exportiert als importiert wird, kommt es zu einem Außenhandelsüberschuss, während eine negative Nettoexportbilanz ein Außenhandelsdefizit darstellt. Als im Jahr 2003 die US-Exporte insgesamt US-$ 1.062 Milliarden betrugen, während die Importe einen Wert von US-$ 1.555 Milliarden erreichten, verzeichneten die Vereinigten Staaten ein Außenhandelsdefizit von US-$ 494 Milliarden, das entsprach 4,4 Prozent des BIP. Aufgrund der gesunkenen Transport- und Kommunikationskosten sind heute die internationalen Verbindungen viel enger, als sie es noch vor einer Generation waren. Der internationale Handel hat die Schaffung politischer Imperien und militärische Eroberungen als sicherstem Weg zu nationalem Wohlstand und Einfluss abgelöst. Manche Volkswirtschaften vertreiben heute mehr als die Hälfte ihrer Produktion im Ausland. Beinahe das gesamte 20. Jahrhundert hindurch erzielten die Vereinigten Staaten einen Außenhandelsüberschuss, das heißt, sie exportierten mehr, als sie importierten. Doch im letzten Viertel des Jahrhunderts änderten sich die Handelsströme dramatisch. Aufgrund des Rückgangs der nationalen Sparquote und enormer Investitionen wurde die Nettoexportbilanz deutlich negativ, wobei das Defizit Anfang des 21. Jahrhunderts vier Prozent des BIP übertraf. Aufgrund der wachsenden Defizite schuldeten die Vereinigten Staaten 2003 Ausländern bereits US$ 3 Billionen. Manche Ökonomen befürchten, dass die hohen Auslandsschulden ein großes Risiko für die Vereinigten Staaten darstellen – solche Risiken werden wir in späteren Kapiteln behandeln. Mit der zunehmend engeren Vernetzung der Volkswirtschaften wenden auch Politiker ihre Aufmerksamkeit immer mehr der inter-
589 nationalen Wirtschaftspolitik zu. Internationaler Handel ist keineswegs Selbstzweck, sondern die Staaten bemühen sich deswegen so darum, weil der Handel letztendlich dem Ziel dient, den Lebensstandard vieler zu heben. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Handelspolitik und das internationale Finanzmanagement gelegt. Instrumente der Handelspolitik sind Zölle, Quoten und andere staatliche Regulierungsmaßnahmen zur Einschränkung oder Förderung von Importen und Exporten. Die meisten handelspolitischen Maßnahmen haben nur geringe Auswirkungen auf die makroökonomische Leistung, aber hin und wieder sind die Beschränkungen des internationalen Handels so restriktiv, dass sie zu enormen volkswirtschaftlichen Verzerrungen, zu Inflation oder zu Rezessionen führen, wie es beispielsweise in den dreißiger Jahren der Fall war. Ein weiterer Fächer wirtschaftspolitischer Maßnahmen stellt das internationale Finanzmanagement dar. Der Außenhandel eines Landes wird stark von Wechselkursen beeinflusst, das heißt den Preisen der eigenen Währung ausgedrückt in den jeweils anderen Währungen. Im Rahmen ihrer Geldpolitik ergreifen Staaten unterschiedliche Maßnahmen, um ihre Wechselkurse zu regulieren. Vor allem in kleinen, offenen Volkswirtschaften ist die Steuerung des Wechselkurses das wichtigste wirtschaftspolitische Instrument. Die Weltwirtschaft stellt ein dichtes Netz aus Handels- und Finanzbeziehungen zwischen den Ländern dar. Funktioniert das internationale Wirtschaftssystem gut, trägt es zu raschem Wirtschaftswachstum bei; wenn Handelssysteme dagegen zusammenbrechen, leiden weltweit Produktion und Einkommen darunter. Daher denken die Staaten sorgfältig über die Auswirkungen ihrer Handelspolitik und ihres internationalen Finanzmanagements auf ihre innenpolitischen Ziele Produktionsleistung, Beschäftigung und Preisstabilität nach.
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
B. Gesamtangebot und Gesamtnachfrage Die Wirtschaftsgeschichte eines Landes spiegelt sich in dessen gesamtwirtschaftlicher Leistung wider. Die Wirtschaftswissenschaft hat die Analyse von gesamtwirtschaftlichem Angebot und gesamtwirtschaftlicher Nachfrage entwickelt, um die wichtigsten Entwicklungen der Produktionsleistung und der Preise zu erklären. Zunächst wollen wir dieses bedeutende makroökonomische Instrument erläutern und es dann verwenden, um einige entscheidende historische Ereignisse besser deuten zu können.
Im Zentrum der Makroökonomie: Gesamtangebot und Gesamtnachfrage Definitionen von Gesamtangebot und Gesamtnachfrage Wie greifen die verschiedenen Kräfte ineinander, um die gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten zu bestimmen? Abbildung 20-5 zeigt die Beziehungen zwischen den verschiedenen makroökonomischen Variablen, die sich in zwei Gruppen einteilen lassen: diejenigen, die sich auf das Gesamtangebot, und jene, die sich auf die Gesamtnachfrage auswirken. Diese Einteilung der Variablen in die zwei genannten Kategorien ist wesentlich für unser Verständnis dessen, was Produktionsniveau, Preise und Arbeitslosigkeit bestimmt. Der untere Teil von Abbildung 20-5 zeigt die Kräfte, die sich auf das Gesamtangebot auswirken. Als Gesamtangebot bezeichnet man die Gesamtmenge aller Waren und Dienstleistungen, die die Unternehmen eines Landes in einem bestimmten Zeitraum zu
Teil 5
produzieren und zu verkaufen gewillt sind. Das Gesamtangebot (auch als AS bezeichnet) hängt vom Preisniveau, der Produktionskapazität der Wirtschaft und dem Kostenniveau ab. Im Allgemeinen möchten die Unternehmen alles, was sie herstellen können, zu hohen Preisen verkaufen. Unter bestimmten Umständen kann das Preis- und Ausgabenniveau jedoch niedrig sein, sodass die Unternehmen Überkapazitäten haben. Unter anderen Bedingungen, beispielsweise während eines kriegsbedingten Wirtschaftsaufschwungs, erreichen die Fabriken ihre Kapazitätsgrenzen, weil sich die Unternehmen bemühen, genug zu produzieren, um alle Aufträge erfüllen zu können. Wir sehen also, dass das Gesamtangebot vom Preisniveau abhängt, zu dem die Unternehmen verkaufen können, aber auch von den Kapazitäten der Wirtschaft oder der potenziellen Produktionsleistung. Die potenzielle Produktionsleistung wird wiederum von der Verfügbarkeit der Produktionsfaktoren (die wichtigsten sind Arbeit und Kapital) sowie der unternehmerischen und technischen Effizienz beeinflusst, mit der diese Faktoren eingesetzt werden. Gesamtangebot und Gesamtnachfrage sind die Blätter der Schere, die die nationale Produktionsleistung und das allgemeine Preisniveau bestimmen. Das zweite Scherenblatt ist die Gesamtnachfrage, also die Gesamtsumme der von den verschiedenen Wirtschaftssektoren während eines bestimmten Zeitraums freiwillig getätigten Ausgaben. Die Gesamtnachfrage (auch als AD bezeichnet) ist die Summe der Ausgaben der Konsumenten, Unternehmen und Regierungsorgane und hängt vom Preisniveau, der Geldpolitik, der Fiskalpolitik und weiteren Faktoren ab. Zur Gesamtnachfrage gehören Autos, Lebensmittel und sonstige Konsumgüter, die von den Konsumenten gekauft werden, auch die Fabriken und Anlagen, die Unternehmen erwerben, die Raketen und Computer, welche die Regierung kauft, sowie die Nettoexporte. Alle Käufe werden von den Preisen beeinflusst, zu denen die jeweiligen Waren
591
Kapitel 20 Makroökonomie im Überblick
Geldpolitik
Produktionsleistung (reales BIP)
Fiskalpolitik Gesamtnachfrage Sonstige Kräfte Zusammenwirken von Gesamtangebot und Gesamtnachfrage
Preisniveau und Kosten
Gesamtangebot
Beschäftigung und Arbeitslosigkeit
Preise und Inflation
Produktionskapazität
Kapital, Arbeit, Technologie
Außenhandel, …
Abbildung 20-5: Gesamtangebot und Gesamtnachfrage sind Determinanten der wichtigsten makroökonomischen Variablen Dieses Schlüsseldiagramm zeigt die wesentlichen Faktoren, die gesamtwirtschaftliche Aktivitäten beeinflussen. Auf der linken Seite stehen die Hauptvariablen, die das Gesamtangebot und die Gesamtnachfrage bestimmen; dazu gehören unter anderem die Geld- und Fiskalpolitik, aber auch der vorhandene Bestand an Kapital und Arbeit. Im Zentrum findet die Interaktion von Gesamtangebot und Gesamtnachfrage statt; die Nachfrage greift auf die vorhandenen Ressourcen zu. Die wesentlichen Ergebnisse sind auf der rechten Seite in Sechsecken dargestellt: Produktionsleistung, Beschäftigung, Preisniveau und internationaler Handel.
angeboten werden, außerdem von exogenen Kräften wie Kriegen oder dem Wetter sowie der staatlichen Politik. Mit Hilfe beider Scherenblätter, also des Gesamtangebots und der Gesamtnachfrage, erzielen wir als Ergebnis das Gleichgewicht, das in dem Kreis rechts in Abbildung 20-5 dargestellt ist. Die gesamtwirtschaftliche Produktionsleistung und das Preisniveau pendeln sich auf jener Höhe ein, auf der die Nachfrager bereitwillig kaufen, was die Unternehmen
zu verkaufen gewillt sind. Die daraus resultierende Produktionsleistung und das sich ergebende Preisniveau bestimmen das Beschäftigungsniveau, die Arbeitslosigkeit und den Außenhandel.
Gesamtangebots- und Gesamtnachfragekurven Gesamtangebots- und Gesamtnachfragekurven werden häufig zur Analyse makroökono-
592
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
mischer Bedingungen herangezogen. Erinnern Sie sich, dass wir in Kapitel 3 die MarktAngebots- und Nachfragekurven dazu verwendet haben, um die Preise und Mengen einzelner Produkte zu untersuchen. Das entsprechende grafische Instrumentarium hilft uns zu verstehen, wie die Geldpolitik oder technische Veränderungen über das Gesamtangebot und die Gesamtnachfrage die nationale Produktionsleistung und das Preisniveau bestimmen. Abbildung 20-6 zeigt das Gesamtangebot und die Gesamtnachfrage für die Produktionsleistung einer ganzen Volkswirtschaft. Entlang der X-Achse oder Mengenachse P
AS
Güterpreisindex
250 B
200
C E
150 100 AD
50 0 0
1.000
2.000 3.000 4.000 Reales BIP (Milliarden)
5.000
Q
Abbildung 20-6: Das Gesamtpreisniveau und die Produktionsleistung werden durch die Interaktion von Gesamtangebot und Gesamtnachfrage bestimmt Die AD-Kurve zeigt die Höhe der Gesamtausgaben bei unterschiedlichen Preisniveaus, wenn alle anderen Faktoren konstant bleiben. Die AS-Kurve zeigt, was Unternehmen bei gegebenen Preisniveaus produzieren und verkaufen, vorausgesetzt, alle anderen Faktoren bleiben konstant. Der Schnittpunkt der Gesamtangebots- mit der Gesamtnachfragekurve, E, bestimmt die Höhe des Gesamtpreisniveaus und die nationale Produktionsleistung. Dieses Gleichgewicht stellt sich bei einem Preisniveau ein, bei dem die Unternehmen bereit sind, genau so viel zu produzieren und zu verkaufen, wie die Konsumenten und andere Nachfrager zu kaufen gewillt sind.
Teil 5
wird die gesamte Produktionsleistung (das reale BIP) einer Volkswirtschaft dargestellt. Anhand der Y-Achse wird das allgemeine Preisniveau (beispielsweise in Form des Verbraucherpreisindex) gemessen. Wir verwenden das Symbol Q für die tatsächliche Produktionsleistung und P für das Preisniveau. Die abwärts gerichtete Kurve ist die Gesamtnachfragefunktion oder AD-Kurve. Sie stellt dar, was alle Wirtschaftssubjekte – Konsumenten, Unternehmen, Ausländer und Regierungen – bei jedem gesamtwirtschaftlichen Preisniveau zu kaufen gewillt sind (wobei die anderen Faktoren, die sich auf die Gesamtnachfrage auswirken könnten, konstant bleiben). Aus dieser Kurve ersehen wir, dass sich bei einem Gesamtpreisniveau von 150 die Gesamtausgaben auf US-$ 3.000 Milliarden (jährlich) belaufen. Wenn das Preisniveau auf 200 steigt, fallen die Gesamtausgaben auf US-$ 2.300 Milliarden. Die ansteigende Kurve ist die Gesamtangebotsfunktion oder AS-Kurve. Diese Kurve stellt die Waren- und Dienstleistungsmengen dar, welche die Unternehmen beim jeweiligen Preisniveau zu produzieren und zu verkaufen gewillt sind (wobei die anderen Faktoren, die sich auf das Gesamtangebot auswirkten könnten, konstant bleiben). Dieser Kurve zufolge wollen die Unternehmen bei einem Preisniveau von 150 für US-$ 3.000 Milliarden verkaufen; wenn das Preisniveau auf 200 ansteigt, wollen sie mehr verkaufen, für insgesamt US-$ 3.300 Milliarden. Mit steigender Nachfrage möchten die Unternehmen mehr Güter und Dienstleistungen zu einem höheren Preis verkaufen. (Wir haben die AS-Kurve als ansteigende und die AD-Kurve als abwärts gerichtete Kurve gezeichnet, aber keine Begründung für diese Entscheidung gegeben. Eine ausführliche Diskussion der Kurven und ihrer Steigungen wird in späteren Kapiteln erfolgen.)
Kapitel 20 Makroökonomie im Überblick
Warnung bezüglich der AS- und AD-Kurven Ehe wir fortfahren, noch ein wichtiger Hinweis: Verwechseln Sie nicht die makroökonomischen AD- und AS-Kurven mit den mikroökonomischen DD- und SS-Kurven. Die mikroökonomischen Angebots- und Nachfragekurven zeigen die Mengen und Preise für individuelle Güter, wobei das Volkseinkommen und die Preise aller anderen Güter als gegeben angenommen werden. Im Gegensatz dazu dienen die Gesamtangebots- und Gesamtnachfragekurven der Bestimmung der gesamten Produktionsleistung und des Gesamtpreisniveaus, wobei die Geldmenge, die Fiskalpolitik und die Kapitalausstattung als konstant angenommen werden. Gesamtangebot und Gesamtnachfrage helfen bei der Erklärung, wie Steuern die Gesamtproduktionsleistung und die Veränderung aller Preise beeinflussen; in der mikroökonomischen Angebots- und Nachfragetheorie betrachtet man dagegen, wie eine Erhöhung der Benzinsteuer sich auf die Käufe von PKWs auswirkt. Die beiden Kurvenpaare sehen sich ähnlich, sie erklären aber grundsätzlich verschiedene Phänomene.
Makroökonomisches Gleichgewicht. Wir werden nun sehen, wie sich die Gesamtproduktion und das Preisniveau anpassen, damit ein Gleichgewicht zwischen Gesamtangebot und Gesamtnachfrage entsteht. Dazu verwenden wir die AS- und AD-Kurven, anhand derer sich zeigen lässt, wie die Gleichgewichtswerte für die gesamtwirtschaftlichen Preise und Mengen bestimmt werden oder wie man die richtigen Pund Q-Werte findet, bei denen die Bedürfnisse von Käufern und Verkäufern gleichermaßen befriedigt werden. Für die in Abbildung 20-6 gezeigten Kurven AS und AD befindet sich die Gesamtwirtschaft in Punkt E im Gleichgewicht. Nur in diesem Punkt, in dem die Produktionsmenge Q = 3.000 beträgt und der Preis bei P = 150 liegt, sind Käufer und Verkäufer zufrieden. Nur in Punkt E liegt die Nachfrage genau bei jener Menge, die die Unternehmen produzieren und verkaufen wollen.
593 Wie erreicht die Wirtschaft dieses Gleichgewicht? Was verstehen wir überhaupt unter Gleichgewicht? Ein makroökonomisches Gleichgewicht ist eine Kombination aus Gesamtpreis und -menge, bei der alle Käufer und Verkäufer mit ihren Käufen, Verkäufen und den Preisen zufrieden sind. Abbildung 20-6 verdeutlicht dieses Konzept. Läge das Preisniveau über dem Gleichgewicht, sagen wir bei P = 200, würden die Unternehmen mehr verkaufen wollen, als die Käufer zu kaufen gewillt sind. Die Unternehmer möchten hier Menge C verkaufen, während die Käufer nur Menge B kaufen wollen. Waren würden sich in den Regalen türmen, weil die Unternehmen mehr produzieren, als die Konsumenten kaufen. Schließlich würden die Firmen ihre Produktion drosseln und ihre Preise etwas zurücknehmen. Sobald der Preis vom ursprünglich zu hohen Niveau von 200 heruntergekommen ist, schließt sich allmählich die Lücke zwischen den vorgesehenen Käufen und Verkäufen, bis bei P = 150 und Q = 3.000 das Gleichgewicht erreicht wird. Wenn das Gleichgewicht einmal erreicht ist, möchten weder Käufer noch Verkäufer die nachgefragten beziehungsweise angebotenen Mengen ändern, und es entsteht kein Druck auf das Preisniveau.
Geschichte der Makroökonomie: 1900–2005 Wir können das Instrumentarium von Gesamtangebot und Gesamtnachfrage dazu benutzen, um einige der wichtigsten makroökonomischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts in Amerika zu analysieren. Unsere Themen sind die wirtschaftliche Expansion zu Zeiten des Vietnamkrieges, die tiefe Rezession, die in den frühen achtziger Jahren durch eine restriktive Geldpolitik verursacht wurde, sowie das phänomenale Wachstums in diesem Jahrhundert insgesamt. Makroökonomische Daten zu den letzten Jahren finden Sie im Anhang zu diesem Kapitel.
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Aufschwung durch Krieg. Zu Beginn der sechziger Jahre hatte die amerikanische Wirtschaft bereits zahlreiche Rezessionen durchlebt. Als John F. Kennedy Präsident wurde, hoffte er, die Wirtschaft neu beleben zu können. Es war die Zeit, als „New Economics“, wie der keynesianische Ansatz bezeichnet wurde, in Washington Einzug hielt. Die Wirtschaftsberater der Präsidenten Kennedy und Johnson empfahlen eine Expansionspolitik, und der Kongress verabschiedete Maßnahmen zur Stimulierung der Wirtschaft, darunter drastische Kürzungen der Einkommensund Körperschaftssteuersätze in den Jahren 1963 und 1964. Das BIP stieg zu Beginn der sechziger Jahre um vier Prozent jährlich, die Arbeitslosigkeit ging zurück, und die Preise blieben stabil. Schon im Jahre 1965 schöpfte die Wirtschaft ihr Produktionspotenzial wieder voll aus. Leider unterschätzte die Regierung das Ausmaß der Rüstungsvorbereitungen für den Vietnamkrieg. Die Verteidigungsausgaben stiegen von 1965–1969 um 55 Prozent. Selbst als sich schon deutlich abzeichnete, dass dem Land eine größere Inflation drohte, verschob Präsident Johnson schmerzhafte Maßnahmen zur Verlangsamung des Wirtschaftswachstums. Erst 1968 wurden Steuererhöhungen beschlossen und die Zivilausgaben gekürzt, zu spät, um den Inflationsdruck aufgrund der Überhitzung der Wirtschaft aufhalten zu können. Die Zentralbank unterstützte die rasche Wirtschaftsexpansion durch eine großzügige Geldmengenpolitik und niedrige Zinssätze. Infolgedessen wuchs die Wirtschaft in der Zeit von 1966–1970 rasch an. Aufgrund der geringen Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig hohem Auslastungsgrad der Fabriken begann die Inflation zu steigen, was zum „Zeitalter der Inflation führte“, das von 1966–1981 dauerte. Abbildung 20-7 zeigt, was in dieser Zeit geschah. Die Steuersenkungen und Verteidigungsausgaben führten zu einer erhöhten Gesamtnachfrage, wodurch die Gesamtnachfragekurve nach rechts von AD zu AD' verschoben wurde, wodurch sich das Gleichge-
Teil 5
P AS
Produktionskapazität
Preisniveau
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E′
P′ E P
AD′ AD
Q Q′ Preisniveau
Q
Abbildung 20-7: Eine wachsende Gesamtnachfrage führt zu einem Wirtschaftsaufschwung in Kriegszeiten Während eines Krieges erhöhen steigende Verteidigungsausgaben die Gesamtnachfrage von AD auf AD', wodurch sich das Gleichgewicht mit entsprechender Produktionsleistung von E nach E' verschiebt. Wenn die Produktion deutlich über die potenzielle Produktionsleistung steigt, dann geht auch das Preisniveau deutlich in die Höhe, von P auf P', wodurch eine in Kriegszeiten typische Inflation entsteht.
wicht von E nach E' verlagerte. Produktionsleistung und Beschäftigung stiegen drastisch an, und die Preisentwicklung beschleunigte sich, weil die Produktion die Kapazitätsgrenzen sprengte. Die Ökonomen erkannten damals, dass es leichter ist, die Wirtschaft zu stimulieren, als die Politiker davon zu überzeugen, dass sie angesichts der drohenden Inflation das Wachstum drosseln sollten. Diese Erfahrung löste bei vielen ein Nachdenken darüber aus, ob es tatsächlich ratsam ist, die Fiskalpolitik zur Stabilisierung der Wirtschaft zu nutzen. Knappes Geld, 1979–1982. Die siebziger Jahre waren eine stürmische Zeit, in der der Ölpreis sich verzehnfachte, die Löhne rasch anstiegen und die Inflation die Vereinigten Staaten und viele andere Volkswirtschaften in ihrem Würgegriff hielt. Wie Abbildung 20-4 auf Seite 585 zeigt, erreichte die Inflationsrate
Kapitel 20 Makroökonomie im Überblick
von 1978–1980 zweistellige Werte, und die Zinssätze lagen bei fast 20 Prozent. Eine zweistellige Inflationsrate war inakzeptabel. Die Zentralbank unter der Leitung des Ökonomen Paul Volcker reagierte darauf, indem sie die bittere Medizin einer Geldmengenverknappung zur Eindämmung der Inflation verschrieb. Die Zinssätze stiegen 1979 und 1980 drastisch an, die Börsenkurse purzelten, und Kredite waren schwer zu bekommen. Die restriktive Geldpolitik der Zentralbank drosselte die Ausgaben der Konsumenten und Unternehmen. Besonders hart waren die zinssensiblen Komponenten der Gesamtnachfrage betroffen. Nach 1979 kam es zu einem beträchtlichen Rückgang im Wohnungsbau, bei Autokäufen, Investitionen und Nettoexporten. Wir können darstellen, wie die knappe Geldmenge die Zinssätze in die Höhe trieb und die Gesamtnachfrage drosselte, indem wir in Abbildung 20-7 den Pfeil einfach umdrehen. Das heißt, die restriktive Geldpolitik führte zu einem Rückgang der Ausgaben und erzeugte eine Verschiebung der Gesamtnachfragekurve nach links unten – genau das Gegenteil der Auswirkungen der Aufrüstung während der sechziger Jahre. Der Rückgang der Gesamtnachfrage führte bis Ende 1982 zu einer Senkung der Wirtschaftsleistung auf einen Wert, der fast zehn Prozent unter dem Potenzial lag, und die Arbeitslosenquote kletterte von unter sechs Prozent 1979 auf über zehn Prozent Ende 1982. Der Lohn dieser strengen Maßnahmen war ein deutlicher Rückgang der Inflation von durchschnittlich zwölf Prozent in den Jahren 1979 und 1980 auf vier Prozent in der Zeit von 1983–1988. Der restriktiven Geldpolitik gelang es, das Zeitalter der Inflation zu beenden, aber für diese Leistung bezahlte das Land mit höherer Arbeitslosigkeit und einer geringeren Produktionsleistung, solange die restriktive Geldpolitik anhielt. Die strikte Geldpolitik der achtziger Jahre bereitete die lange wirtschaftliche Expansion von 1982–2000 vor. Diese Periode, die nur 1990–1991 von einer milden Rezession unter-
595 brochen wurde, ist bisher der Zeitraum mit der höchsten makroökonomischen Stabilität in der amerikanischen Geschichte. Das reale BIP wuchs jährlich im Durchschnitt um drei Prozent, wobei die Inflationsrate durchschnittlich knapp über 3,5 Prozent lag. Ende der neunziger Jahre hatte ein Großteil der Beschäftigten noch nie einen ernst zu nehmenden Konjunkturabschwung oder eine Inflationsphase erlebt, und ein paar naive Zeitgenossen behaupteten sogar, in dieser „Newera“-Wirtschaft seien Konjunkturzyklen abgeschafft. Das Jahrhundert des Wachstums. Der letzte Akt unseres makroökonomischen Dramas beschäftigt sich mit dem Wachstum der Produktionsleistung und der Preise während des gesamten Zeitraums seit 1900. Die Produktionsleistung der US-Wirtschaft ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts um fast das Zwanzigfache gestiegen. Wie können wir diesen phänomenalen Anstieg erklären? Ein aufmerksamer Blick auf das amerikanische Wirtschaftswachstum zeigt, dass die Wachstumsrate im 20. Jahrhundert im Durchschnitt bei 3,5 Prozent lag. Ein Teil dieses Wachstums war auf die enorme Ausweitung der Produktion zurückzuführen, die durch die beträchtliche Zunahme der Produktionsfaktoren Kapital, Arbeit und sogar Land ermöglicht wurde. Ebenso wichtig waren Effizienzverbesserungen durch neue Produkte (beispielsweise Autos) und neue Verfahren (wie die elektronische Datenverarbeitung). Weitere, weniger offensichtliche Faktoren haben ebenfalls zum Wirtschaftswachstum beigetragen, so etwa verbesserte Managementtechniken und verbesserte Dienstleistungen (hier sind Innovationen wie das Fließband und Lieferungen über Nacht zu nennen). Viele Ökonomen sind der Ansicht, das gemessene Wachstum läge weit unter dem tatsächlichen Wachstum, weil die offiziellen Statistiken die Auswirkungen neuer Produkte und Verbesserungen der Produktqualität auf den Lebensstandard nicht genügend berücksichtigten. Beispielsweise mussten nach
596
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
der Einführung von Toiletten im Hausinnern Millionen von Menschen im Winter nicht mehr durch den Schnee stapfen, um sich auf dem Abort zu erleichtern, und doch tauchte dieser Komfort niemals im gemessenen Bruttoinlandsprodukt auf. Wie lässt sich der enorme Anstieg der Produktionsleistung mit unserem AS-ADInstrumentarium darstellen? Abbildung 20-8 zeigt es. Die Zunahme der Produktionsfaktoren und Effizienzverbesserungen haben zu einer massiven Rechtsverschiebung der ASKurve von AS1900 auf AS2000 geführt. Darüber hinaus kam es zu einem rapiden Anstieg der Produktionskosten, weil der durchschnittliche Stundenlohn von US-$ 0,10 auf US-$ 13,20 anstieg, wodurch sich die ASKurve auch nach oben verschob. Insgesamt kam es daher zu einer Erhöhung der Produktionsleistung und der Preise, was in Abbildung 20-8 dargestellt ist. P
AS2000
P2000
Preisniveau
AD2000
AS1900 P1900 AD1900 Q1900 Q2000 reale Produktionsleistung
Q
Abbildung 20-8: Das Wachstum der potenziellen Produktionsleistung bestimmt die langfristige Wirtschaftsleistung Während des 20. Jahrhunderts führten eine wachsende Beschäftigtenzahl, mehr Kapital und höhere Effizienz zu einem deutlichen Anstieg des Produktionspotenzials der Wirtschaft, wodurch sich die Gesamtangebotskurve weit nach rechts verschob. Langfristig betrachtet ist das Gesamtangebot der wesentliche Bestimmungsfaktor für das Wachstum der Produktionsleistung.
Teil 5
Die Rolle der Wirtschaftspolitik Welche Rolle spielte die Wirtschaftspolitik während des Jahrhunderts des Wachstums? Die bedeutendste Veränderung in der Volkswirtschaftslehre im 20. Jahrhundert war die Entdeckung und anschließende Anwendung der Makroökonomie zusammen mit dem Verständnis dafür, welche Rolle die Geldund Fiskalpolitik spielen können und welche Grenzen ihnen gesetzt sind. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ließen sich im Vergleich zur ersten ein schnelles Wirtschaftswachstum und deutlich abgeschwächte Konjunkturzyklen beobachten. Der Einsatz der Fiskal-, aber insbesondere der Geldpolitik half die Arbeitslosigkeit zu senken und bescherte uns während der letzten beiden Jahrzehnte weitgehend stabile Preise. Allerdings sollte man nicht von einem Wundermittel sprechen. Es kommt immer noch zu Rezessionen, und es wird durchaus nicht auf der ganzen Welt eine vernünftige Wirtschaftpolitik betrieben. Aber wir haben das grundlegende Wissen, um das Risiko einer galoppierenden Inflation und tiefer Depressionen zu mindern.
597
Kapitel 20 Makroökonomie im Überblick
Zusammenfassung A. Die wichtigsten Konzepte der Makroökonomie 5. 1.
2.
3.
4.
Die Makroökonomik ist die Lehre vom Verhalten der Gesamtwirtschaft. Sie analysiert das langfristige Wirtschaftswachstum ebenso wie konjunkturbedingte Schwankungen der Produktion, des Arbeitsmarktes und der Inflation, außerdem die Geldmenge, das Budgetdefizit sowie Außenhandel und internationales Finanzwesen. Die Makroökonomik ist das Gegenstück zur Mikroökonomik, die das Verhalten einzelner Märkte, Preise und Produktionsmengen untersucht. Die Vereinigten Staaten legten ihre makroökonomischen Ziele im Employment Act von 1946 nieder, der postuliert, die Bundespolitik habe „maximale Beschäftigung, Produktion und Kaufkraft zu fördern.” Seit damals hat das Land hinsichtlich der Erreichung einzelner dieser drei Ziele unterschiedliche Prioritäten gesetzt. Alle Marktwirtschaften müssen sich jedoch drei zentralen makroökonomischen Fragen stellen: (a) Warum gehen Produktion und Beschäftigung manchmal zurück, und wie kann man die Arbeitslosigkeit senken? (b) Welche Gründe gibt es für eine Inflation, und wie kann man sie im Zaum halten? (c) Wie kann ein Land sein Wirtschaftswachstum ankurbeln? Abgesehen von diesen komplexen Fragen muss man hinnehmen, dass es zu unvermeidbaren Konflikten zwischen diesen Zielen kommt, das heißt, dass man sie nicht alle gleichzeitig und gleichermaßen erreichen kann: Ein rasches Wachstum des zukünftigen Lebensstandards kann bedeuten, dass wir unseren heutigen Konsum einschränken müssen, und die Eindämmung der Inflation kann kurzfristig zu hoher Arbeitslosigkeit führen. Ökonomen bewerten die Gesamtleistung einer Wirtschaft danach, ob sie folgende Ziele erreicht: (a) ein hohes Niveau und schnelles Wachstum der Produktion und des Konsums [die Produktionsleistung wird üblicherweise mit Hilfe des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gemessen, das den Gesamtwert aller Endprodukte und Dienstleistungen darstellt, die in einem gegebenen Jahr produziert werden; das BIP sollte nahe beim potenziellen BIP liegen, der höchsten nachhaltigen oder Vollbeschäftigungsproduktionsleistung]; (b) eine niedrige Arbeitslosenquote und hohe Beschäftigungszahlen verbunden mit einem umfassenden An-
6.
gebot an attraktiven Arbeitsplätzen; (c) Preisstabilität (oder niedrige Inflation). Vor der Entwicklung der Makroökonomik als Wissenschaft trieben die Länder praktisch steuerlos in den wechselnden makroökonomischen Strömungen. Heutzutage stehen den Regierungen zahlreiche Instrumente zur Verfügung, mit denen sie die Wirtschaft steuern können: (a) Die Fiskalpolitik (Staatsausgaben und Steuern) beeinflusst die Verteilung von Ressourcen zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor, wirkt sich auf die Einkommen und den Konsum der Menschen aus und liefert Anreize für Investitionen und andere wirtschaftliche Entscheidungen. (b) Die Geldpolitik (vor allem die Regulierung der Geldmenge durch die Zentralbank, um die Zinssätze und Kreditkonditionen zu beeinflussen) wirkt sich auf zinssensible Wirtschaftsbereiche aus. Die am stärksten betroffenen Sektoren sind der Wohnungsbau, die Unternehmensinvestitionen und die Nettoexporte. Ein einzelnes Land ist nur ein kleiner Teil einer zunehmend integrierten Weltwirtschaft, in der die Länder durch den Handel mit Waren und Dienstleistungen und durch Finanzströme miteinander verbunden sind. Ein gut funktionierendes internationales Wirtschaftssystem trägt zu einem raschen Wirtschaftswachstum bei, doch der Außenhandel kann auch Sand in das Getriebe des Wachstums streuen, wenn die Handelsflüsse unterbrochen werden oder die internationalen Finanzmechanismen zusammenbrechen. Der Außenhandel steht heute auf der Tagesordnung aller Länder ganz oben.
B. Gesamtangebot und Gesamtnachfrage 7.
Die zentralen Konzepte, die uns verstehen helfen, wie Produktionsleistung und Preisniveau in einem Land bestimmt werden, sind das Gesamtangebot (AS) und die Gesamtnachfrage (AD). Die Gesamtnachfrage ergibt sich aus den Gesamtausgaben der Haushalte, Unternehmen, des Staates und der Ausländer in einer Volkswirtschaft. Sie stellt die gesamtwirtschaftliche Produktion dar, die bei einer gegebenen Geld- und Fiskalpolitik und angesichts der anderen nachfragewirksamen Faktoren beim jeweils herrschenden Preisniveau bereitwillig gekauft wird. Das Gesamtangebot zeigt an, welche Produktionsmenge die Unterneh-
598
8.
9.
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
men bei gegebenen Preisen, Kosten und Marktbedingungen bereit sind zu produzieren und zu verkaufen. Die AS- und AD-Kurven haben dieselbe Form wie die bereits bekannten Angebots- und Nachfragekurven, die in der Mikroökonomie untersucht werden. Die abwärts geneigte ADKurve gibt die Menge an, die Konsumenten, Unternehmen und andere beim jeweiligen Preisniveau kaufen möchten, wenn alle übrigen Faktoren konstant bleiben. Die AS-Kurve stellt jene Menge dar, die die Unternehmen beim gegebenen Preisniveau produzieren und verkaufen wollen, wenn alle anderen Faktoren konstant bleiben. (Hüten Sie sich vor einer möglichen Verwechslung des mikroökonomischen und makroökonomischen Konzepts von Angebot und Nachfrage.) Das gesamtwirtschaftliche makroökonomische Gleichgewicht, das den Gesamtpreis und die gesamtwirtschaftliche Produktionsleistung bestimmt, stellt sich dort ein, wo die AS- und ADKurven einander schneiden. Zum Gleichgewichtspreis kaufen die Konsumenten freiwillig die von den Unternehmen freiwillig verkauften Mengen. Die Gleichgewichtsmenge kann von der Vollbeschäftigungs- oder potenziellen Produktionsleistung abweichen.
10. In der jüngeren amerikanischen Geschichte kann man einen unregelmäßigen Zyklus von Nachfrage- und Angebotsschocks sowie politischen Reaktionen darauf beobachten. Mitte der sechziger Jahre führten die durch den Vietnamkrieg aufgeblähten Defizite in Kombination mit einer laxen Geldpolitik zu einem rapiden Anstieg der Gesamtnachfrage. Das Ergebnis waren ein rascher Preisanstieg und Inflation. Gegen Ende der siebziger Jahre reagierten die wirtschaftpolitischen Entscheidungsträger auf die steigende Inflation, indem sie eine restriktive Geldpolitik betrieben und die Zinssätze anhoben. Das Ergebnis waren sinkende Ausgaben in zinssensiblen Bereichen, beispielsweise dem Wohnungsbau, Investitionen und Nettoexporten. Die Sparmaßnahmen in den frühen achtziger Jahren legten den Grundstein für eine lange Periode makroökonomischer Stabilität. 11. Insgesamt betrachtet erhöhte im 20. Jahrhundert der Anstieg der potenziellen Produktionsleistung die Gesamtnachfrage enorm und führte zu einem stetigen Wachstum der Produktionsleistung und einer kontinuierlichen Verbesserung der Lebensstandards. .
Begriffe zur Wiederholung Wichtige makroökonomische Konzepte Makroökonomie im Vergleich zur Mikroökonomie Bruttoinlandsprodukt (BIP), tatsächliches und potenzielles Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Arbeitslosenquote Inflation, Deflation Verbraucherpreisindex (VPI) Nettoexporte Fiskalpolitik (Staatsausgaben, Steuern) Geld, Geldpolitik
Gesamtangebot und Gesamtnachfrage Gesamtangebot, Gesamtnachfrage AS-Kurve, AD-Kurve Gleichgewicht von AS und AD Ursachen langfristigen Wirtschaftswachstums
Teil 5
599
Kapitel 20 Makroökonomie im Überblick
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Der Klassiker unter den Makroökonomiebüchern ist John Maynard Keynes, The General Theory of Employment, Interest, and Money (Harcourt, New York, Erstauflage 1935; deutsch: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes). Keynes war einer der besten Stilisten unter den Wirtschaftswissenschaftlern. Für Fortgeschrittene gibt es viele gute Bücher zur Makroökonomie. Diese Bücher können für Sie hilfreich sein, wenn Sie mehr zu einem bestimmten Thema wissen wollen. Deutschsprachige Literatur: Olivier Blanchard und Gerhard Illing, Makroökonomie, 3. Aufl. (Pearson, München, 2004); Dieter Cassel, Herbert Müller und Jörg Thieme (Hrsg.), Stabilisierungsprobleme in der Marktwirtschaft. Prozesse und Strukturen (Vahlen, München, 2004). Im Zentrum des zuletzt genannten Sammelbandes stehen Aspekte der monetären Makroökonomik und der nationalen und internationalen Stabilität sowie der damit verbundenen Politikoptionen. Reiner Clement, Wiltrud Terlau und Manfred Kiy, Grundlagen der Angewandten Makroökonomie. Eine Verbindung von Makroökonomie und Wirtschaftspolitik in Fallbeispielen, 3. Aufl. (Vahlen, München, 2004).
Websites Makroökonomische Fragen sind ein wesentliches Thema der Analysen im Economic Report of the President. Diese Berichte sind für einige Jahre im Internet verfügbar unter www.gpoaccess.gov/eop/. Eine weitere gute Quelle zum Thema Makroökonomie ist das Congressional Budget Office, das periodisch Berichte zur Wirtschaft und zur Budgetlage unter www.cbo.gov veröffentlicht. Auf der Website von Forschungsinstituten findet man häufig hervorragende Diskussionen aktueller makroökonomischer Themen. Erwähnenswert ist vor allem die Website der Brookings Institution, www.brookings.org, und des American Enterprise Institute, www.aei.org/. Der deutsche Sachverständigenrat stellt seine Gutachten online zur Verfügung und ermöglicht eine Suche nach Themenfeldern aus den jeweils neueren Gutachten unter www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/ gutacht/gutachten.php Das Kieler Institut für Weltwirtschaft veröffentlicht zu aktuellen Themen Diskussionspapiere im Internet: www.uni-kiel.de/ifw/pub/kd/diskus.htm Statistiken zur wirtschaftlichen Entwicklung und Konjuktur in Deutschland findet man beim Statistischen Bundesamt: www.destatis.de sowie bei der Bundesbank, www.bundesbank.de. Entsprechende Daten für Österreich findet man unter www.statistik.at und für die Schweiz unter www.statistik.admin.ch. Eine weitere nützliche Informationsquelle ist das Statistische Amt der Europäischen Union unter http://eurostat.ec.europa.eu.
Übungen 1.
2.
Welche wesentlichen Ziele verfolgt die Makroökonomik? Definieren Sie diese Ziele kurz. Erläutern Sie sorgfältig, warum jedes dieser Ziele wichtig ist. Berechnen Sie anhand der Zahlen aus dem Anhang zu diesem Kapitel: a. die Inflationsrate in den Jahren 1981 und 1999 b. die Wachstumsrate des realen BIP in den Jahren 1982 und 1984
c.
3.
die durchschnittliche Inflationsrate von 1970 – 1980 und von 1990 – 1999 d. die durchschnittliche Wachstumsrate des realen BIP von 1970 – 1999 Welche Auswirkungen hätte jedes der folgenden Ereignisse auf die Gesamtnachfrage oder das Gesamtangebot (alle anderen Faktoren bleiben konstant)? a. eine deutliche Senkung von Einkommensund Gewerbesteuer (auf AD)
600
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
b.
4.
5.
6.
ein Abrüstungsvertrag, der zur Reduzierung der Verteidigungsausgaben führt (auf AD) c. eine Erhöhung der potenziellen Produktionsleistung (auf AS) d. eine Lockerung der Geldpolitik, die zu einer Zinssenkung führt (auf AD) Verwenden Sie das AS-AD-Instrumentarium für alle Punkte von Frage 3., um die Auswirkungen auf die Produktionsleistung und das Gesamtpreisniveau zu zeigen. Versetzen Sie sich in die Lage eines wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgers. Die Wirtschaft befindet sich im Gleichgewicht bei P = 100 und Q = 3.000 = potenzielles BIP. Sie weigern sich, eine Inflation zu „tolerieren”; das heißt, Sie wollen die Preise absolut stabil auf dem Niveau P = 100 halten, gleichgültig wie sich die Produktionsleistung entwickelt. Sie können geld- und fiskalpolitische Maßnahmen zur Beeinflussung der Gesamtnachfrage ergreifen, aber Sie haben keine Möglichkeit, kurzfristig das Gesamtangebot zu verändern. Wie würden Sie auf folgende Situationen reagieren: a. Ein überraschender Anstieg der Investitionsausgaben. b. Ein drastischer Anstieg der Lebensmittelpreise nach verheerenden Überschwemmungen am Mississippi. c. Ein Produktivitätsrückgang, der die potenzielle Produktionsleistung mindert. d. Ein drastischer Rückgang der Nettoexporte im Gefolge einer tiefen Depression in Ostasien. In den Jahren 1981–1983 betrieb die Regierung Reagan eine Fiskalpolitik, die Steuersenkungen und steigende Staatsausgaben mit sich brachte. a. Erklären Sie, warum ein solche Politik im Allgemeinen die Gesamtnachfrage erhöht. Zeigen Sie die Auswirkungen auf die Produktionsmenge und die Preise, wenn sich ausschließlich die AD-Kurve verschiebt. b. Die angebotsseitig orientierten Ökonomen behaupten, Steuersenkungen würden das Gesamtangebot hauptsächlich dadurch beeinflussen, dass sie die potenzielle Produktionsleistung erhöhen. Nehmen Sie an, dass die Fiskalpolitik der Regierung Reagan sowohl AS als auch AD beeinflusste, und zeigen Sie die Folgen dieser Fiskalpolitik für die Produktionsleistung und das Preisniveau. Erklären Sie, warum die Auswirkungen der Fiskalpolitik Reagans auf
7.
8.
Teil 5
die Produktion eindeutig, auf die Preise jedoch uneindeutig sind. Die Wirtschaftsgesetzgebung der Regierung Clinton, die vom Kongress 1993 beschlossen wurde, führte zu einer restriktiven Fiskalpolitik, das heißt zu Steuererhöhungen und zu einer Senkung der Staatsausgaben. Zeigen Sie die Folgen dieser Politik (a) unter der Annahme, dass es keine entgegengerichtete Geldpolitik gab, und (b) unter der Annahme, dass die Geldpolitik die Auswirkungen auf das BIP völlig neutralisierte und dass das geringere Defizit zu höheren Investitionen und höheren Zuwächsen der potenziellen Produktionsleistung führte. Den letzten größeren Wirtschaftsabschwung erlebten die Vereinigten Staaten in den frühen achtziger Jahren. Betrachten Sie die Zahlen zum realen BIP und dem Preisniveau in Tabelle 20-2. a. Berechnen Sie für den Zeitraum 1981–1985 die Wachstumsrate des realen BIP und die Inflationsrate. Können Sie feststellen, in welchem Jahr ein starker Wirtschaftsabschwung oder eine Rezession festzustellen war? b. Zeichnen Sie in ein AS-AD-Diagramm wie Abbildung 20-6 jeweils eine Gesamtangebots- und Gesamtnachfragekurve ein, mit denen Sie das in der Tabelle angegebene Preis- und Mengengleichgewicht darstellen. Wie erklären Sie sich die so erscheinende Rezession?
Jahr
Reales BIP (Mrd. US-$ Preise von 2000)
Preisniveau* (2000 = 100)
1980
5.161,7
54,1
1981
5.291,7
59,1
1982
5.189,3
62,7
1983
5.423,8
65,2
1984
5.813,6
67,7
1985
6.053,7
69,7
* Beachten Sie, dass hier der Preisindex für das BIP verwendet wurde, der die Preisentwicklung für alle Komponenten des BIP misst.
ANHANG 20 Gesamtwirtschaftliche Daten für die USA
Jahr Nomina- Reales BIP ArbeitsVPI les BIP (Mrd. US-$, losenquote 1982 bis (Mrd. Preise von 1984 US-$) 2000) (%) = 100
Jährliche Inflationsrate (CPI) (%)
Haushaltsüberschuss (+) oder -defizit (–) (Mrd. US-$)
Nettoexporte (Mrd. US-$)
1929
103,6
865,2
3,2
17,1
0,0
1,1
0,4
1933
56,4
635,5
24,9
13,0
–5,1
–1,3
0,1
1939
92,2
950,7
17,2
13,9
–1,4
–2,6
0,8
1945
223,1
1.786,3
1,9
18,0
2,3
–43,0
–0,8
1948
269,2
1.643,2
3,8
24,1
8,1
8,8
5,5
1950
293,8
1.777,3
5,2
24,1
1,3
7,6
0,7
1960
526,4
2.501,8
5,5
29,6
1,7
2,1
4,2
1970
1.038,5
3.771,9
5,0
38,8
5,7
–15,2
4,0
1971
1.127,1
3.898,6
6,0
40,5
4,4
–24,5
0,6
1972
1.238,3
4.105,0
5,6
41,8
3,2
–19,7
–3,4
1973
1.382,7
4.341,5
4,9
44,4
6,2
–5,5
4,1
1974
1.500,0
4.319,6
5,6
49,3
11,0
–9,6
–0,8
1975
1.638,3
4.311,2
8,5
53,8
9,1
–73,1
16,0
1976
1.825,3
4.540,9
7,7
56,9
5,8
–55,5
–1,6
1977
2.030,9
4.750,5
7,1
60,6
6,5
–48,3
–23,1
1978
2.294,7
5.015,0
6,1
65,2
7,6
–35,1
–25,4
1979
2.563,3
5.173,4
5,9
72,6
11,3
–22,0
–22,5
1980
2.789,5
5.161,7
7,2
82,4
13,5
–65,9
–13,1
1981
3.128,4
5.291,7
7,6
90,9
10,3
–64,6
–12,5
1982
3.255,0
5.189,3
9,7
96,5
6,2
–145,1
–20,0
1983
3.536,7
5.423,8
9,6
99,6
3,2
–193,5
–51,7
1984
3.933,2
5.813,6
7,5
103,9
4,3
–195,6
–102,7
602
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Jahr Nomina- Reales BIP ArbeitsVPI les BIP (Mrd. US-$, losenquote 1982 bis (Mrd. Preise von 1984 US-$) 2000) (%) = 100
Teil 5
Jährliche Inflationsrate (CPI) (%)
Haushaltsüberschuss (+) oder -defizit (–) (Mrd. US-$)
Nettoexporte (Mrd. US-$)
1985
4.220,3
6.053,7
7,2
107,6
3,6
–213,2
–115,2
1986
4.462,8
6.263,6
7,0
109,6
1,9
–229,6
–132,7
1987
4.739,5
6.475,1
6,2
113,6
3,6
–186,9
–145,2
1988
5.103,8
6.742,7
5,5
118,3
4,1
–166,9
–110,4
1989
5.484,4
6.981,4
5,3
124,0
4,8
–160,1
–88,2
1990
5.803,1
7.112,5
5,6
130,7
5,4
–208,3
–78,0
1991
5.995,9
7.100,5
6,9
136,2
4,2
–245,3
–27,5
1992
6.337,7
7.336,6
7,5
140,3
3,0
–322,9
–33,2
1993
6.657,4
7.532,7
6,9
144,5
3,0
–290,7
–65,0
1994
7.072,2
7.835,5
6,1
148,2
2,6
–221,4
–93,6
1995
7.397,7
8.031,7
5,6
152,4
2,8
–199,2
–91,4
1996
7.816,9
8.328,9
5,4
156,9
3,0
–147,8
–96,2
1997
8.304,3
8.703,5
4,9
160,5
2,3
–47,4
–101,6
1998
8.747,0
9.066,9
4,5
163,0
1,6
47,8
–159,9
1999
9.268,4
9.470,3
4,2
166,6
2,2
101,3
–260,5
2000
9.817,0
9.817,0
4,0
172,2
3,4
189,4
–379,5
2001 10.100,8
9.866,6
4,8
177,1
2,8
45,4
–366,5
2002 10.480,8
10.083,0
5,8
179,9
1,6
–258,6
–426,3
2003 10.990,8
10.397,0
6,0
184,0
2,3
–467,7
–498,5
Tabelle 20A-1: Tabelle 20A-1 führt einige der wichtigsten makroökonomischen Daten auf, die in diesem Kapitel behandelt wurden. Weitere Daten finden Sie auf den Websites der amerikanischen Regierung unter www.fedstats.gov, www.bea.gov oder www.bls.gov.
603
KAPITEL 21 Das Messen wirtschaftlicher Aktivität
Wenn wir messen und in Zahlen ausdrücken können, worüber wir sprechen, dann wissen wir auch etwas darüber. Wenn wir es nicht messen und somit nicht in Zahlen ausdrücken können, dann ist unser Wissen darüber ungenügend; wir stehen vielleicht schon an der Schwelle zu höherem Wissen, aber die Stufe der Wissenschaft haben wir noch nicht erreicht. Lord Kelvin
Von allen Größen der Makroökonomie ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) die wichtigste; es misst den Gesamtwert an Waren und Dienstleistungen, die in einer Volkswirtschaft produziert werden. Das BIP ist Teil der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, das heißt einer Statistik, anhand derer Entscheidungsträger feststellen können, ob eine Wirtschaft wächst oder schrumpft und ob eine ernstzunehmende Rezession oder Inflation droht. Wenn Wirtschaftswissenschaftler den Grad der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes bestimmen wollen, dann betrachten sie das BIP pro Kopf der Bevölkerung. Obwohl das BIP, wie auch der Rest der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, von vielen als ein geheimnisvolles Konzept angesehen werden mag, stellt es in Wirklichkeit eine der größten Erfindungen des 20. Jahrhunderts dar. Ganz wie ein Satellit im Weltraum das Wetter eines gesamten Kontinents überwachen kann, so vermittelt das BIP einen Überblick über den Zustand der Volkswirtschaft. In diesem Kapitel erläutern wir, wie Ökonomen das BIP und andere bedeutende makroökonomische Größen messen.
Das Bruttoinlandsprodukt: Der Maßtab wirtschaftlicher Leistung Was versteht man unter Bruttoinlandsprodukt? Das BIP stellt den nominellen Wert aller im Inland erzeugten Endprodukte und Dienstleistungen während eines Jahres dar. Man erhält diese Zahl, indem man die unterschiedlichen Güter und Dienstleistungen – von Äpfeln bis Zithern – die in einem Land mit Hilfe seines Bodens, seiner Arbeitskräfte und Kapitalressourcen hergestellt werden, mit Geld bewertet. Das BIP entspricht der Gesamtproduktion aller Konsum- und Investitionsgüter, zuzüglich der Staatsausgaben und der Nettoexporte in andere Länder.
604
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stellt das umfassendste Maß für die Gesamtproduktion einer Volkswirtschaft an Waren und Dienstleistungen dar. Es ist die Summe der Geldwerte des Konsums (C), der Bruttoinvestitionen (I), der Staatsausgaben für Waren und Dienstleistungen (G) und der Nettoexporte (X), die in einer Volkswirtschaft innerhalb eines Jahres hergestellt werden. Als Gleichung ausgedrückt: BIP = C + I + G + X Das BIP wird für viele Zwecke verwendet, am wichtigsten ist jedoch sein Einsatz als Messlatte für die Gesamtleistung einer Volkswirtschaft. Wenn Sie einen Wirtschaftshistoriker fragen würden, was während der Großen Depression geschah, dann könnte seine beste kurze Antwort lauten: Zwischen 1929 und 1933 sank das BIP von US-$ 104 Milliarden auf US-$ 56 Milliarden. Dieser beträchtliche Rückgang des Geldwertes von Waren und Dienstleistungen, welche die amerikanische Wirtschaft bereitstellte, führte zu hoher Arbeitslosigkeit, Elend, einem Fall der Börsenkurse ins Bodenlose, Konkursen, Bankenzusammenbrüchen, Aufständen und politischen Unruhen.
Würden Sie fragen, was an den neunziger Jahren ungewöhnlich war, so könnte ein Makroökonom auf ähnliche Weise antworten: Die neunziger Jahre waren die längste Phase wirtschaftlichen Aufschwungs in der Geschichte der USA. Von 1992 – 2000 wuchs das reale BIP stetig und um insgesamt 34 Prozent an, die Arbeitslosigkeit ging zurück, die Preise blieben stabil und die Börsenkurse stiegen.
In diesem Kapitel werden wir die einzelnen Elemente der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung diskutieren. Dabei beginnen wir mit der Darstellung der verschiedenen Berechnungsmöglichkeiten sowie der Unterscheidung zwischen realem und nominalem BIP.
Teil 5
Danach betrachten wir die Hauptbestandteile des BIP. Wir beschließen das Kapitel mit einer Debatte über die Messung des allgemeinen Preisniveaus und der Inflationsrate.
Zwei Berechnungsmethoden des Bruttoinlandsprodukts: Güterstrom und Einkommensstrom Wie messen Ökonomen das Bruttoinlandsprodukt? Eine der größten Überraschungen besteht darin, dass wir das BIP auf zwei völlig unterschiedliche Arten messen können. Wie Abbildung 21-1 zeigt, kann es entweder als Güterstrom (Verwendungsseite) oder als Einkommensstrom (Entstehungsseite) ermittelt werden. Wir setzen uns im Folgenden mit diesen beiden Möglichkeiten der BIP-Berechnung auseinander, indem wir uns eine sehr vereinfachte Welt ohne Staat, Außenhandel und Investitionen vorstellen. Unsere einfache Volkswirtschaft produziert ausschließlich Konsumgüter, die Haushalte zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse kaufen. (Unser erstes Beispiel ist absichtlich grob vereinfacht, um die zugrunde liegende Idee zu verdeutlichen. In den anschließenden realitätsnäheren Beispielen werden wir Investitionen, Staatsausgaben und die Außenwirtschaft berücksichtigen.) Der Güterstromansatz. Jahr für Jahr konsumieren die Haushalte Güter wie zum Beispiel Äpfel, Computersoftware und Blue Jeans und nehmen Dienstleistungen wie Gesundheitsfürsorge und Haarschneiden in Anspruch. Wir beziehen nur Endprodukte ein, das heißt unmittelbar von Konsumenten gekaufte und verbrauchte Produkte. Haushalte geben ihr Einkommen für diese Konsumgüter aus, wie in der oberen Schleife in Abbildung 21-1 zu sehen ist. Wenn man die Geldwerte aller Endprodukte addiert, errechnet man das BIP unserer vereinfachten Volkswirtschaft. Wie Sie sehen, kann man in unserem einfachen Modell einer Volkswirtschaft ohne Schwierigkeiten das Volkseinkommen oder das Bruttoinlandsprodukt als Summe der jährlichen End-
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Kapitel 21 Das Messen wirtschaftlicher Aktivität
Kreislauf der makroökonomischen Aktivitäten Konsumausgaben (in US-$)
(a) Endprodukte und Dienstleistungen (Brot, Computer, Haarschnitte etc.)
Käufer (Haushalte, öffentliche Hand etc.)
Produzenten (Unternehmen)
(b) Produktive Dienste (Arbeit, Boden etc.)
Löhne, Zinsen, Gewinne etc. (in US-$)
Abbildung 21-1: Das Bruttoinlandsprodukt kann entweder als Güterstrom (a) oder als Kostenstrom (b) gemessen werden Im oberen Teil des Diagramms erwerben Käufer Waren und Dienstleistungen. Dieser jährliche Ausgabenfluss ist ein Maßstab für das Bruttoinlandsprodukt. Im unteren Teil des Kreislaufs werden die für die Produktionsleistung jährlich aufgewendeten Kosten dargestellt: Das sind die Einkommen, die Unternehmen in Form von Löhnen und Gehältern, Mieten, Zinsen, Dividenden und Gewinnen an die Haushalte zahlen. Die beiden Berechnungsmöglichkeiten des BIP müssen immer zum selben Ergebnis führen. Beachten Sie, dass diese Abbildung das makroökonomische Gegenstück zu Abb. 2-1 ist, die das mikroökonomische Kreislaufdiagramm von Angebot und Nachfrage darstellt.
produkt- und Dienstleistungsströme berechnen: (Preis von Blue Jeans Menge von Blue Jeans) + (Apfelpreis Apfelmenge) und so weiter für alle Endprodukte. Das Bruttoinlandsprodukt ist definiert als der gesamte Geldwert aller Endprodukte, die in einem Land produziert werden. Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung verwendet Marktpreise zur Bewertung unterschiedlicher Wirtschaftsgüter, weil die Marktpreise den relativen Wert der verschiedenen Waren und Dienstleistungen widerspiegeln. Das bedeutet, dass die relativen Preise unterschiedlicher Waren anzeigen, wie hoch Konsumenten die jeweils letzte (oder Grenz-) Einheit dieser konsumierten Güter bewerten.
Der Einkommens- oder Kostenstromansatz. Die zweite gleichwertige Berechnungsmethode des Bruttoinlandsprodukts setzt am Einkommens- oder Kostenstrom (an der Entstehungsseite) an. Betrachten Sie die untere Schleife in Abbildung 21-1: Hier sind alle Kosten der wirtschaftlichen Tätigkeit dargestellt. Diese Kosten beinhalten Löhne und Gehälter, Grundrenten, Kapitalgewinne und so weiter. Aber diese Kosten für die Wirtschaft stellen ebenso die Einkünfte der Haushalte dar, die sie von Unternehmen erhalten. Statistiker können das BIP ebenso durch die Messung dieser jährlichen Einkommensströme bzw. Gewinne berechnen.
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Damit umfasst diese zweite Art der BIPBerechnung die Summe aller Faktoreinkommen (Löhne und Gehälter, Zins- und Mieterträge sowie Gewinne), die wiederum nur die Produktionskosten für die Endprodukte einer Volkswirtschaft darstellen. Die Entsprechung der zwei Methoden. Wir haben nun das BIP anhand des Güterstroms im oberen Teil des Diagramms und anhand des Einkommensstroms im unteren Teil des Diagramms ermittelt. Welche Methode ist die bessere? Die überraschende Antwort lautet, dass beide vollkommen gleichwertig sind. Wir können die Identität der zwei Methoden verständlich machen, indem wir uns eine einfache Volkswirtschaft mit Friseuren vorstellen. Nehmen wir an, dass der Einsatz des Faktors Arbeit die einzige Kostenart der Friseure darstellt. Wenn sie zehn Haarschnitte zu je US-$ 8 verkaufen, beläuft sich das BIP auf US-$ 80. Aber auch der Erlös der Friseure (Löhne und Gewinne) macht US-$ 80 aus. Deshalb ist das errechnete BIP identisch, gleich ob es anhand des Dienstleistungsstroms (US-$ 80 an Frisuren) oder anhand des Einkommensstroms (US-$ 80 an Löhnen und Gewinn) ermittelt wird. Die beiden Methoden stimmen im Ergebnis deshalb überein, weil wir im unteren Teil des Diagramms den „Gewinn“ inklusive Löhne und Miete mit eingeschlossen haben. Was genau ist unter Gewinn zu verstehen? Der Gewinn stellt eine Restgröße dar, die nach dem Verkauf eines Produkts übrig bleibt, nachdem alle anderen Faktorkosten (wie Löhne, Zinsen und Mieten) bezahlt sind. Demnach ist Gewinn der Restbetrag, der immer den unteren Teils des Kreislaufs (Kosten bzw. Einkünfte) an den oberen Teil des Kreislaufs (den Wert der Güter) anpasst. Zusammenfassend können wir feststellen: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) lässt sich auf zwei unterschiedliche Arten berechnen: (1) als Strom von Endprodukten oder (2) als Strom der Gesamtkosten bzw. -einkünfte. Da der Gewinn eine Restgröße darstellt, bringt
Teil 5
er die Ergebnisse der beiden Berechnungsarten immer in Übereinstimmung, und es resultiert daraus das exakt gleich hohe BIP.
Unternehmensbilanzen und BIP Sie werden sich vielleicht fragen, woher Ökonomen all die für die Berechnung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung notwendigen Daten nehmen. Diese werden aus einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen ermittelt, beispielsweise aus Umfragen, Einkommenssteuererklärungen oder statistischen Daten über die Umsätze des Einzelhandels und die Beschäftigungslage. Die wichtigste Datenquelle stellen die Unternehmensbilanzen dar. Eine Bilanz einer Firma oder eines Landes besteht aus der Addition aller Ströme (Produktion, Kosten usw.) während einer bestimmten Periode. Wir können den Zusammenhang zwischen Unternehmensbilanzen und Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung demonstrieren, indem wir die Gesamtrechnung für eine Wirtschaft zusammenstellen, die nur aus Bauernhöfen besteht. Der obere Teil von Tabelle 21-1 zeigt das während eines Jahres erwirtschaftete Betriebsergebnis eines typischen Bauernhofs. Die linke Seite des Kontos führt den Umsatz an Endprodukten auf, die rechte Seite zeigt die verschiedenen Produktionskosten. Der untere Teil von Tabelle 21-1 veranschaulicht den Kontenrahmen des BIP für eine einfache agrarische Volkswirtschaft, in der alle Endprodukte von 10 Millionen identischen Bauernhöfen produziert werden. Im BIP werden die Endprodukte sowie die Kosten der 10 Millionen Bauern jeweils aufsummiert oder aggregiert, und man erhält so zwei unterschiedliche Messmethoden für das BIP.
Das Problem der „Doppelzählungen“ Wir definierten das BIP als die gesamte Produktion an Endprodukten und Dienstleistungen. Ein Endprodukt wird für Konsum- oder Investitionszwecke hergestellt und verkauft. Im BIP werden also keine Halbfabrikate be-
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Kapitel 21 Das Messen wirtschaftlicher Aktivität
(a) Gewinn- und Verlustrechnung eines typischen Bauernhofs Landwirtschaftliche Produktion Einnahmen Verkauf von Waren (Getreide, Äpfel etc.) $ 1.000 Produktionskosten: Löhne Mieten Zinsen Gewinn (Restgröße) Insgesamt $ 1.000 Insgesamt
$ 800 100 25 75 $ 1.000
(b) Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (in Mio. US-$) Oberer Kreislauf: Güterstrom Unterer Kreislauf: Einkommensstrom Gesamtproduktion (10 1.000) $ 10.000 Kosten/Erträge: Löhne (10 x 800) $ 8.000 Mieten (10 x 100) 1,000 Zinsen (10 x 25) 250 Gewinne (10 x 75) 750 BIP gesamt $ 10.000 BIP gesamt $ 10.000 Tabelle 21-1: Von der Betriebsbuchhaltung zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Teil (a) zeigt die Gewinn- und Verlustrechnung eines typischen Bauernhofs. Auf der linken Seite finden sich Angaben zur Produktion, auf der rechten Daten zu den entstandenen Kosten. In Teil (b) werden die Ergebnisse von zehn Millionen identischen landwirtschaftlichen Betrieben zum BIP aufsummiert. Beachten Sie, dass das BIP auf der Entstehungsseite genau dem BIP auf der Verwendungsseite entspricht.
rücksichtigt, d.h. Güter, die für die Produktion von anderen Gütern aufgebraucht werden. Damit ist im BIP Brot enthalten, aber kein Weizen; Heimcomputer werden berücksichtigt, aber keine Mikroprozessoren. Für die BIP-Kalkulation nach dem Güterstromverfahren stellt die Nichtberücksichtigung von Halbfabrikaten kein großes Problem dar. Wir berücksichtigen einfach Brot und Computer im BIP, schließen den Weizen und den Teig zur Brotherstellung aber ebenso aus wie die Mikroprozessoren und den Kunststoff, die man für Computer benötigt. Dies können wir auch der oberen Schleife des Kreislaufs in Abbildung 21-1 entnehmen. Sie sehen, dass Brot und Computer im Güterstrom der Verwendungsrechnung enthalten sind, aber kein Mehl und keine Mikroprozessoren. Was ist also mit Produkten wie Mehl oder Mikroprozessoren geschehen? Sie stellen Halbfabrikate dar und zirkulieren einfach innerhalb des als „Unternehmen“ betitelten
Quaders. Solange sie nicht von Konsumenten gekauft werden, erscheinen sie nie als Endprodukte im BIP. Die „Wertschöpfung“ in der unteren Kreislaufschleife. Ein junger Statistiker, der gerade lernt, wie man das BIP berechnet, könnte seine Verwirrung mit folgenden Worten zum Ausdruck bringen: Ich begreife, dass man bei sorgfältiger Messung in der oberen Güterkreislaufschleife die Berücksichtigung von Halbfabrikaten ausschließen kann. Ich frage mich aber, ob nicht Schwierigkeiten bei der BIP-Berechnung aus der unteren Kosten- oder Einkommenskreislaufschleife entstehen können. Werden wir nicht, wenn wir die gesammelten Unternehmensbilanzen auswerten, auch erfassen, was die Getreidehändler den Bauern bezahlen, was die Bäcker den Getreidehändlern zahlen und was die Lebensmittelhändler den Bäckern geben? Liefe das nicht auf Doppel- oder sogar
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Dreifachzählungen von Posten hinaus, die mehrere Produktionsstufen durchlaufen?
Das sind berechtigte Fragen. Zur Lösung dieses Problems gibt es jedoch eine zufrieden stellende Antwort. Bei der Berechnung der Einkommenskreislaufschleife achten Statistiker besonders darauf, nur die Wertschöpfung der jeweiligen Produktionsstufe zu berücksichtigen und nicht den Gesamtwert des Produkts. Diese Wertschöpfung entspricht dem Unterschied zwischen den Verkaufs- und Einkaufspreisen der zur Produktion verwendeten Materialien und Dienstleistungen. Anders ausgedrückt, berücksichtigt der Statistiker bei der BIP-Berechnung bzw. der Berechnung der Wertschöpfung eines Unternehmens alle Kosten, abgesehen von Zahlungen an andere Unternehmen. Damit werden Produktionskosten in Form von Löhnen und Gehältern, Zinszahlungen und Dividenden mit eingerechnet, Einkäufe von Weizen, Stahl oder Elektrizität jedoch von der Wertschöpfung ausgeschlossen. Weshalb aber werden alle bei anderen Unternehmen getätigten Einkäufe nicht einbezogen? Die Antwort lautet, dass diese Produkte bereits bei den Lieferanten und Vorlieferanten ordnungsgemäß als deren Wertschöpfung in das BIP eingehen.
Produktionsstufe
Weizen Mehl Teig Endprodukt: Brot Gesamt
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Tabelle 21-2 veranschaulicht anhand der verschiedenen Produktionsstufen der Brotherstellung, wie ein sorgfältiges Festhalten am Wertschöpfungsverfahren es uns ermöglicht, die Aufwendungen für den Kauf von Halbfabrikaten abzuziehen, die in den Bilanzen der Bauern, Müller, Bäcker und Lebensmittelhändler stehen. Dadurch kommt es am Ende zu der gewünschten Gleichheit zwischen (1) dem Verkaufswert des Endproduktes Brot und (2) dem daraus erzielten Gesamteinkommen, das sich als Summe der Wertschöpfung aller Stufen der Brotproduktion ergibt. Wertschöpfungsansatz: Um Doppelzählungen zu vermeiden, achten wir darauf, dass bei der Berechnung des Bruttoinlandsprodukts nur Endprodukte und keine Halbfertigprodukte, die man zur Herstellung der Endprodukte verwendet, berücksichtigt werden. Auf jeder Produktionsstufe wird die Wertschöpfung ermittelt, indem die Ausgaben für von anderen Unternehmen gekaufte Halbfertigprodukte abgezogen werden. Dadurch wird in der unteren Einkommenskreislaufschleife jegliche Doppelzählung vermieden und Löhne, Zinsen, Mieten und Gewinne nur einmal einbezogen.
Brotumsatz, Kosten und Wertschöpfung (Cents pro Laib) (1) (2) (3) Verkaufserlös Minus: Wertschöpfung Kosten für (Löhne, Gewinne etc.) Vorleistungen (3) = (1) – (2) 23 0 = 23 53 23 = 30 110 53 = 57 190 110 = 80 376 186 190 (Summe der Wertschöpfung)
Tabelle 21-2: Das BIP ist die Summe der Wertschöpfungen aller einzelnen Produktionsstufen Um Doppelzählungen zu vermeiden, ermitteln wir auf jeder Produktionsstufe die Wertschöpfung, indem wir alle Kosten für Material und Halbfertigfabrikate, die von anderen Unternehmen gekauft wurden, vom Gesamtverkaufserlös abziehen. Beachten Sie, dass alle Halbfertigprodukte in Spalte (1) erscheinen, auf der nächsten Produktionsstufe in Spalte (2) aber wieder abgezogen werden. (Um wie viel würde das BIP zu hoch geschätzt, wenn wir alle Verkaufserlöse hineinrechneten, nicht nur die Wertschöpfung? Pro Laib Brot würden wir den Wert um 186 Cents zu hoch schätzen.)
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Kapitel 21 Das Messen wirtschaftlicher Aktivität
Details der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Da wir nun einen Überblick über die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung gewonnen haben, werden wir uns im restlichen Kapitel etwas eingehender mit den verschiedenen Sektoren beschäftigen. Schauen Sie sich zur Einstimmung Tabelle 21-3 an, damit Sie wissen, worum es geht. Hier sehen wir eine Zusammenfassung der Konten sowohl der Produktions- als auch der Einkommensseite. Wenn Sie mit der Tabellenstruktur und den verwendeten Begriffen etwas anzufangen wissen, dann haben Sie bereits einen großen Schritt hin zum Verständnis des Bruttoinlandsprodukts und dessen Bestandteilen gemacht. Verwendungsrechnung
Verteilungsrechnung
Komponenten des Erlöse und Kosten Bruttoinlandsprodukts: als Basis des BIP: Konsum (C)
Löhne, Gehälter, Lohnnebenkosten
+ Private Bruttoinlandsinvestitionen (I)
+ Unternehmensgewinne
+ Staatsverbrauch (G)
+ Zinsen, Mieten, Besitzeinkommen
+ Nettoexporte (X)
+ Abschreibungen + indirekte Steuern
entspricht dem Bruttoinlandsprodukt
entspricht dem Bruttoinlandsprodukt
Tabelle 21-3: Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung: eine Übersicht Diese Tabelle zeigt die Hauptkomponenten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Die linke Seite stellt die Komponenten der Verwendungsrechnung (oberer Kreislauf) dar: die Symbole C, I, G, und X werden häufig zur Bezeichnung der vier Komponenten des BIP verwendet. Auf der rechten Seite sind die Elemente der Verteilungsrechnung (unterer Kreislauf) angegeben. Die BIP-Berechnung führt nach beiden Methoden zum gleichen Ergebnis.
Reales und nominales BIP: „Bereinigung“ des BIP durch einen Preisindex Wir definieren das Bruttoinlandsprodukt als den Geldwert von Endprodukten und Dienstleistungen. Für die Messung des Geldwertes verwenden wir die Marktpreise der verschiedenen Waren und Dienstleistungen. Preise ändern sich jedoch im Lauf der Zeit, da die Inflation das allgemeine Preisniveau in der Regel jährlich ansteigen lässt. Das bedeutet aber, dass man anstatt mit einem immer gleich langen „Zollstock“ mit einem gummiartigen Maßstab misst, der sich in der Hand von Tag zu Tag weiter ausdehnt. Wenn Wirtschaftswissenschaftler Geld als Maßstab verwenden wollen, müssen sie das Problem der Preisveränderungen in den Griff bekommen. Natürlich wünschen wir uns eine stabile Messlatte für die Feststellung der gesamtwirtschaftlichen Produktion bzw. des Einkommens. Die Ökonomen können die allzu flexible Messlatte durch eine zuverlässigere ersetzen, indem sie den Preisanstieg herausrechnen und so einen realen oder Mengenindex für die volkswirtschaftliche Leistung schaffen. Folgende Idee liegt diesem Konzept zugrunde: Wir können das BIP eines bestimmten Jahres durch die Verwendung der aktuellen Marktpreise berechnen; damit erhalten wir das nominale BIP, das auch als BIP zu Marktpreisen bezeichnet wird. Meistens sind wir jedoch mehr daran interessiert festzustellen, was mit dem realen BIP geschehen ist, das einen Index des Volumens oder der Menge der hergestellten Waren und bereitgestellten Dienstleistungen darstellt. Das reale BIP berechnet man, indem man das Produktionsvolumen betrachtet, nachdem man den Einfluss von Preisveränderungen (Inflation) eliminiert hat. Das heißt, dass man zur Berechnung des nominalen BIP sich ändernde Preise verwendet, während das reale BIP die Mengenänderungen der gesamten Produk-
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
tionsleistung darstellt, nachdem man die Preisveränderungen herausgerechnet hat. Der Unterschied zwischen dem Wachstum des nominalen und des realen BIP ist der Preisanstieg des BIP, den man gelegentlich auch als BIP-Deflator bezeichnet. Ein einfaches Beispiel soll zur Veranschaulichung dieses Verfahrens dienen. Nehmen wir an, ein Land produziert 1.000 Scheffel Getreide im Jahr 1 und 1.010 Scheffel im Jahr 2. Der Preis eines Scheffels beträgt US$ 1 im Jahr 1 und US-$ 2 im Jahr 2. Damit beträgt das nominale Bruttoinlandsprodukt (PQ) US-$ 1.000 im Jahr 1 und US-$ 2.020 im Jahr 2. Vom einen Jahr zum nächsten wuchs das nominale BIP um 102 Prozent. Das wirkliche Produktionsniveau erhöhte sich jedoch keineswegs in diesem Ausmaß. Zur Bestimmung der realen Produktionsleistung müssen wir berücksichtigen, was mit den Preisen geschah. Wir verwenden das Jahr 1 als das Basisjahr, das heißt das Jahr, in dem wir die Preise messen. Der Preisindex (BIPDeflator) wird im Basisjahr auf eins gesetzt (P1 = 1). Aus den Daten im vorigen Absatz errechnet sich ein BIP-Deflator von P2 = $ 2/ $ 1 = 2 im Jahr 2. Das reale BIP (Q) entspricht dem nominalen BIP (PQ) dividiert durch den BIP-Deflator (P). Deshalb gilt für unsere Rechnung, dass sich das reale BIP im Jahr 1 auf $ 1.000/1 = $ 1.000 und im Jahr 2 auf $ 2.020/2 = $ 1.010 beläuft. Daraus ergibt sich eine Wachstumsrate des realen BIP (korrigiert um die Preisänderungen) von 1%. Dies entspricht genau der Produktionserhöhung des Getreides von Jahr 1 auf Jahr 2. Ein historischer Vergleich der Jahre 1929 bis 1933 soll das Verfahren der Preisbereinigung des BIP anhand eines konkreten Beispiels veranschaulichen. Tabelle 21-4 weist ein nominales BIP von US-$ 104 Milliarden für 1929 und US-$ 56 Milliarden für 1933 aus. Während dieser Jahre kam es also zu einem Rückgang des nominalen BIP um 46 Prozent. Die Regierung der Vereinigten Staaten schätzt jedoch, dass die Preise während der Depression um etwa 25 Prozent fielen. Wenn wir 1929 als unser Basisjahr mit einem BIP-
Teil 5
Deflator von 1 definieren, so ergibt sich für das Jahr 1933 ein Preisindex von ungefähr 0,75. Folglich war das BIP des Jahres 1933 mit US-$ 56 Milliarden tatsächlich viel mehr wert als nur die Hälfte des BIP von 1929. Tabelle 21-4 zeigt, dass in Preisen von 1929, oder zu der Kaufkraft von 1929, das reale BIP auf US-$ 76 Milliarden fiel. Die Halbierung des nominalen BIP wurde also zum Teil durch das rasch sinkende Preisniveau, die so genannte Deflation während der Großen Depression, verursacht. In Abbildung 21-2 stellt die schwarze Linie das Wachstum des nominalen BIP seit dem Jahr 2000 dar, und zwar zu den in dem jeweiligen Jahr tatsächlich vorherrschenden Preisen. Zum Vergleich ist die Entwicklung des realen BIP in Preisen von 2000 in rostfarben dargestellt. Offensichtlich ist ein großer Teil des Anstiegs des nominalen BIP der letzten 50 Jahre auf die Inflation zurückzuführen. Tabelle 21-4 zeigt die einfachste Methode zur Berechnung des realen BIP und des BIPDeflators. Mitunter resultieren diese Berechnungen in irreführenden Ergebnissen, besonders wenn Importmengen und -preise sich (1)
(2)
(3)
Jahr
Nominales BIP (in Mrd. $ zu laufenden Preisen)
Preisindex (BIPDeflator, 1929 =1))
reales BIP (in Mrd. $ zu Preisen von 1929) (1) (3) = -------(2)
1929
104
1,00
1933
56
0,77
104 ---------- = 104 1,00 56 ---------- = 76 0,76
Tabelle 21-4: Das reale BIP ergibt sich aus der Division des nominalen BIP durch den BIP-Deflator Mithilfe des Preisindex in Spalte (2) bereinigen wir das nominale BIP der Spalte (1), um zum realen BIP in Spalte (3) zu gelangen. (Quizfrage: Können Sie nachweisen, dass das reale BIP des Jahres 1929, bewertet zu den Preisen des Jahres 1933, US-$ 77 Mrd. betrug? Hinweis: Wenn Sie 1933 als Basisjahr für den Preisindex wählen, dann lag der Preisindex 1929 bei 1,34.)
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Kapitel 21 Das Messen wirtschaftlicher Aktivität
12.000 10.000 8.000 Reales BIP (Preise von 2000) 6.000 4.000
Bruttoinlandsprodukt (in Mrd. US-$/Jahr)
2.000
1.000
400
Nominales BIP
100
1930
1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2010
Jahr
Abbildung 21-2: Inflationsbedingt wächst das nominale BIP schneller als das reale BIP Der Anstieg des nominalen BIP ist höher als das Produktionswachstum, weil im nominalen BIP sowohl die Preis- als auch die Produktionszuwächse eingerechnet sind. Um ein genaues Maß der realen Produktionsleistung zu erhalten, müssen wir das nominale BIP um die Preisveränderungen bereinigen. Quelle: US-Handelsministerium
rasch ändern. Während der beiden letzten Jahrzehnte sind beispielsweise die Preise für Computer drastisch gesunken, die Produktionsmengen dagegen rapide gestiegen (bei unserer Diskussion der Preisindizes weiter unten kommen wir auf dieses Thema zurück). Wenn sich die relativen Preise verschiedener Waren schnell ändern, dann führt die Verwendung von konstanten Preisen eines bestimmten Jahres zu irreführenden Schätzungen hinsichtlich des Wachstums des realen BIP. Um diese Verzerrung zu korrigieren, verwenden Statistiker ein Verfahren, das als Kettengewichtung bezeichnet wird. Dabei lässt man die relativen Gewichte für die einzelnen Jahre nicht konstant (beispielsweise indem man die Gewichte für ein bestimmtes Jahr wie 1990 verwendet), sondern die Gewichte für die einzelnen Waren und
Dienstleistungen ändern sich von Jahr zu Jahr, um die sich ändernden Ausgabenmuster einer Volkswirtschaft widerzuspiegeln. Heutzutage werden für die Berechnungen des BIP und des BIP-Preisindex durch die US-Regierung Kettengewichtungen verwendet. Die genauen Bezeichnungen für die so berechneten Größen sind „reales BIP in kettengewichteten US-Dollar“ und „kettengewichteter Preisindex für das BIP“. Um uns kurz zu fassen, verwenden wir generell die Ausdrücke reales BIP und BIP-Preisindex.1 Weitere Hinweise zur Kettengewichtung. Genaue Angaben zur Kettengewichtung sind 1 Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden arbeitet mit einem Qualitätsbereinigungsverfahren, es verwendet keine Kettengewichtung. A.d.Ü.
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
etwas komplizierter, aber anhand eines einfachen Beispiels können wir uns die Grundidee erschließen. Zur Berechnung der Kettengewichte muss man die Produktions- und Preisdatenreihen verbinden, indem man die Wachstumsraten von einer Periode zur nächsten multipliziert. Am Beispiel einer aus Friseuren bestehenden Volkswirtschaft lässt sich dies darstellen. Nehmen wir an, der Wert aller Haarschnitte im Jahre 1998 war US$ 300. Weiterhin nehmen wir an, dass die Menge aller Haarschnitte von 1998 auf 1999 um ein Prozent stieg und von 1999 auf 2000 um zwei Prozent. Dann beträgt der Wert des realen BIP (in kettengewichteten Dollar von 1998) US-$ 300 für 1998, US-$ 300 1,01 = US-$ 303 für 1999 und US-$ 303 1,02 = US$ 309,06 für 2000. Wenn wir viele verschiedene Waren und Dienstleistungen betrachten, dann addieren wir die Wachstumsraten der unterschiedlichen Elemente, also Äpfel, Bananen, Katamarane usw. und gewichten die Wachstumsraten mit den Ausgaben für die verschiedenen Waren. Zusammenfassend können wir feststellen: Das nominale BIP (PQ) stellt den gesamten Geldwert aller Endprodukte und Dienstleistungen dar, die in einem bestimmten Jahr produziert wurden, wobei deren Bewertung zu Marktpreisen des jeweiligen Jahres erfolgt. Das reale BIP (Q) rechnet die Preisveränderungen aus dem nominalen BIP heraus und berechnet das BIP auf der Basis der Mengen von Waren und Dienstleistungen. Der BIP-Preisindex (P) ist der „Preis des BIP“ und lässt sich annähernd folgendermaßen berechnen:
P BIP Q = reales BIP = nominales -------------------------------------------- = ---R BIP-Deflator Um den sich schnell ändernden relativen Preisen Rechnung zu tragen, verwendet man für die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Vereinigten Staaten Kettengewichte, um das reale BIP und Preisindizes zu berechnen.
Teil 5
Konsum Der erste wichtige Bestandteil des BIP ist der Konsum, präziser ausgedrückt die „privaten Konsumausgaben“. Der Konsum ist die mit Abstand größte Komponente des BIP und machte während der letzten Jahre etwa zwei Drittel des Gesamtvolumens aus. Abbildung 21-3 zeigt den Teil des BIP, der während der letzten sechs Jahrzehnte in den USA für Konsum ausgegeben wurde. Die Konsumausgaben lassen sich in drei Gruppen unterteilen: langlebige Güter wie beispielsweise Autos, Verbrauchsgüter wie Lebensmittel sowie Dienstleistungen, zum Beispiel die Gesundheitsfürsorge. Der Dienstleistungssektor wächst am schnellsten.
Investitionen und Kapitalbildung Bislang haben wir in unserer Analyse kein Kapital berücksichtigt. In Wirklichkeit verwenden Volkswirtschaften jedoch einen Teil ihres gesamten Outputs zur Produktion von Kapital – langlebigen Wirtschaftsgütern, welche zur Erhöhung der zukünftigen Produktion beitragen. Damit Kapital gebildet werden kann, muss man zur Erhöhung des zukünftigen Konsums auf gegenwärtigen Konsum verzichten. Anstatt jetzt mehr Pizzas zu essen, bauen die Menschen mit dem gesparten Geld neue Pizzaöfen, um für den zukünftigen Konsum mehr Pizzas backen zu können. In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zählt man zu den Investitionen alle Zugänge zum Kapitalstock eines Landes, also zu Gebäuden, Anlagen und Maschinen, Software und Lagerbeständen, während eines Jahres. In die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung gehen viele materielle Kapitalgüter ein (beispielsweise Gebäude und Computer), aber kaum immaterielle Kapitalgüter (also Ausgaben für Forschung und Entwicklung oder Ausbildung). Wie werden Investitionen in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung berücksichtigt? Wenn Menschen einen Teil der gesamten Pro-
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Kapitel 21 Das Messen wirtschaftlicher Aktivität
Anteil des Konsums am BIP (in Prozent)
85 80 75 70 65 60 55 50 45 1930
1940
1950
1960
1970 Jahr
1980
1990
2000
2010
Abbildung 21-3: In letzter Zeit ist der Anteil des Konsums am BIP gestiegen Der Anteil des Konsums am gesamten BIP stieg während der Großen Depression, als wenig Investitionsanreize bestanden; er sank während des Zweiten Weltkriegs, als Kriegsausgaben private Bedürfnisse in den Hintergrund drängten. Während der letzten beiden Jahrzehnte ist der Konsum schneller gestiegen als die gesamte Produktionsleistung; Sparquote und Staatsausgaben sind hingegen gesunken. Quelle: US-Handelsministerium
duktionsmöglichkeiten statt für unmittelbaren Konsum für die Kapitalbildung verwenden, erkennen die Statistiker, dass dieser Output in die obere Schleife des BIP-Kreislaufs einbezogen werden muss. Investitionen erhöhen den langfristigen Bestand an Kapitalgütern, wodurch die zukünftigen Produktionsmöglichkeiten steigen. Folglich müssen wir unsere ursprüngliche Definition modifizieren: Das BIP ist die Summe aller Endprodukte. Neben Konsumgütern und Dienstleistungen müssen wir auch die Bruttoinvestitionen einbeziehen. Realinvestitionen verglichen mit Finanzinvestitionen Wirtschaftswissenschaftler definieren „Investitionen“ (mitunter auch als Realinvestitionen bezeichnet) als Produktion von langlebigen Kapitalgütern. Im täglichen Umgang spricht man auch von „Investitionen“, wenn man sein Geld verwendet, um Aktien von General Motors zu kaufen
oder auf einem Sparkonto anzulegen. Der Eindeutigkeit wegen bezeichnen Ökonomen dies als Finanzinvestitionen. Bitte verwechseln Sie diese beiden unterschiedlichen Bedeutungen des Wortes „Investitionen“ nicht. Wenn ich US-$ 1.000 aus dem Safe nehme und ein paar Aktien kaufe, dann handelt es sich dabei nicht um eine Investition im makroökonomischen Sinne. Ich habe einfach nur eine Art der Geldanlage durch eine andere ersetzt. Eine Investition liegt dann vor, wenn ein physisches Kapitalgut hergestellt wird.
Netto- oder Bruttoinvestitionen. Unsere korrigierte Definition des BIP umfasst nun neben dem Konsum auch die „Bruttoinvestitionen“. Was bedeutet nun „brutto“ in diesem Zusammenhang? Es zeigt an, dass alle produzierten Investitionsgüter gemeint sind. Diese Bruttoinvestitionen sind noch nicht um die Abschreibungen berichtigt, welche den jährlichen Kapitalverbrauch messen. Die Bruttoinvestitionen umfassen alle innerhalb eines
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Jahres produzierten Maschinen, Fabriken und Häuser – auch wenn manche von ihnen nur produziert wurden, um alte Kapitalgüter zu ersetzen, die vielleicht niedergebrannt oder auf der Müllkippe gelandet sind. Als Maß für den Zuwachs des Kapitalstocks einer Volkswirtschaft taugen die Bruttoinvestitionen kaum. Da sie noch nicht um die Abschreibungen bereinigt sind, ist ihre Summe zu groß. Ein Vergleich mit der Bevölkerungsentwicklung wird den Zweck der Abschreibungen verdeutlichen: Wenn Sie das Bevölkerungswachstum ermitteln wollen, ist es nicht sinnvoll, nur die Geburten zu zählen, denn damit würde der Nettozuwachs der Bevölkerung eindeutig übertrieben. Zur Berechnung des Bevölkerungswachstums muss man die Todesfälle abziehen. Das gleiche gilt auch für das Kapital. Der Nettoanstieg des Kapitals wird berechnet, indem von den Bruttoinvestitionen die Kapitalverminderung in Form von Abschreibungen (bzw. der Betrag des aufgebrauchten Kapitals) abgezogen wird. Um die Kapitalbildung zu schätzen, messen wir immer die Nettoinvestitionen. Die Nettoinvestitionen ergeben sich aus der Summe der Kapitalzunahme (Bruttoinvestitionen) abzüglich der Summe der Kapitalvernichtung (Abschreibungen). Wir definieren die Nettoinvestitionen als Bruttoinvestitionen minus Abschreibungen.
Der Staat In unserer Analyse haben wir uns bislang zwar mit dem Konsum beschäftigt, aber dabei den größten aller Konsumenten, den Bund und die Landesregierungen, ausgeschlossen. Irgendwie müssen im BIP auch die Milliardenbeträge berücksichtigt werden, die ein Staat kollektiv konsumiert oder investiert. Aber wie geschieht das? Es ist kompliziert, den Beitrag des Staates zum Inlandsprodukt zu ermitteln, weil die meisten Dienste des Staates nicht am Markt verkauft werden. Der Staat kauft sowohl
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Konsumgüter (beispielsweise Lebensmittel für die Soldaten) als auch Investitionsgüter (Computer oder Straßen). Um den Beitrag des Staates zum BIP zu erfassen, addieren wir einfach alle Käufe des Staates zum Konsum, den Investitionen und, wie wir später noch sehen werden, den Nettoexporten. Die dritte große Kategorie des Güterstroms umfasst alle Lohn- und Gehaltszahlungen des Staates an die von ihm Beschäftigten, außerdem die Kosten für Waren, die der Staat von der Privatwirtschaft kauft (Lasergeräte, Straßen, Flugzeuge), und wird als „Staatsverbrauch an Gütern und Dienstleistungen“ bezeichnet. Sie entspricht dem Beitrag des Bundes, der Länder und der Gemeinden zum BIP. Nichtberücksichtigung von Transferzahlungen. Bedeutet dies nun, dass jeder Dollar an Staatsausgaben im BIP enthalten ist? Sicherlich nicht, da im BIP nur öffentliche Ausgaben für Güter und Dienstleistungen berücksichtigt und Transferzahlungen ausgeschlossen werden. Staatliche Transferzahlungen stellen Leistungen des Staates an Individuen dar, die nicht im Austausch für Güter und Dienstleistungen erfolgen. Beispiele für staatliche Transfers sind Zahlungen aus der Arbeitslosenversicherung, Renten für Kriegsveteranen, Pensionen und Behindertenrenten. Diese Zahlungen erfüllen einen sozialen Zweck; da sie aber nicht als Gegenleistung für Güter oder Dienstleistungen getätigt werden, werden sie im BIP nicht berücksichtigt. Wenn Sie als Lehrer vom Staat ein Gehalt beziehen, wird dies als Faktoreinkommen betrachtet und in das BIP einbezogen. Falls Sie Sozialbeihilfe erhalten, weil Sie arm sind, werden diese Zahlungen aufgrund der fehlenden Gegenleistung als Transferleistungen angesehen und nicht ins BIP eingerechnet. Einen besonderen Transferposten stellen die Zinszahlungen für Staatsschulden dar. Die Zinsen werden als Zahlungen für Schulden betrachtet, die gemacht wurden, um in der Vergangenheit Kriege oder Regierungsprogramme
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Kapitel 21 Das Messen wirtschaftlicher Aktivität
zu finanzieren. Diese Zahlungen dienen in der Gegenwart nicht dem Kauf von Waren oder Dienstleistungen. Die Zinszahlungen des Staates werden als Transferzahlungen betrachtet und daher nicht im BIP berücksichtigt. Beachten Sie, dass die Berücksichtigung des staatlichen Verbrauchs an Gütern und Dienstleistungen (G) in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht mit dem allgemeinen öffentlichen Budget zu verwechseln ist. Wenn das Finanzministerium seine Ausgaben berechnet, dann werden neben den Ausgaben für Güter und Dienstleistungen (G) auch die Transferleistungen hinzugerechnet. Steuern. Wenn wir zur Kalkulation des Bruttoinlandsprodukts den Güterstrom heranziehen, brauchen wir uns nicht darum zu kümmern, wie der Staat seine Ausgaben finanziert. Es ist gleichgültig, ob der Staat zur Finanzierung seines Konsums Steuern erhebt, Geld druckt oder dieses borgt. Was auch immer als Geldquelle dient, der Statistiker wird den Staatsanteil am BIP als „Staatsverbrauch für Güter und Dienstleistungen“ veranschlagen. Solange man sich am Güterstrom orientiert, kann man die Steuern unberücksichtigt lassen, aber bei Heranziehung des Einkommens- oder Kostenstroms zur Berechnung des BIP müssen wir die Steuern berücksichtigen. Veranschaulichen wir das anhand der Löhne und Gehälter. Einen Teil des vom Arbeitgeber bezahlten Gehaltes muss jeder Arbeitnehmer über die Einkommenssteuer an den Staat abführen. Solche direkten Steuern sind auf jeden Fall als Bestandteil der Unternehmensausgaben für Löhne zu betrachten, und das Gleiche gilt für direkte Steuern (von Einzelpersonen oder Körperschaften) auf Zinsen, Mieten und Gewinne. Sehen wir uns nun die Umsatzsteuer oder andere indirekte Steuern näher an, die Hersteller und Einzelhändler beispielsweise für einen Laib Brot zu bezahlen haben (oder für Weizen, Mehl und Teig). Nehmen wir an, die Summe dieser indirekten Steuern beträgt 10 Cents für einen Laib Brot. Die Kosten für
Löhne, Gewinne und weitere Posten der Wertschöpfung belaufen sich auf 90 Cents. Welcher Preis wird für das Brot gemäß der Entstehungsrechnung bezahlt werden? 90 Cents? Natürlich nicht. Der Preis wird einen Dollar betragen, was den 90 Cents an Faktorkosten plus den 10 Cents an indirekten Steuern entspricht. Die Heranziehung des Kostenstroms zur Berechnung des BIP berücksichtigt also sowohl indirekte als auch direkte Steuern als Kostenbestandteile der gesamtwirtschaftlichen Endproduktion.
Nettoexporte Die Vereinigten Staaten sind ein offener Wirtschaftsraum, aus dem und in den Waren und Dienstleistungen exportiert und importiert werden. Diese letzte Komponente des BIP – eine, die während der letzten Jahre immer wichtiger geworden ist – sind die Nettoexporte, also die Differenz zwischen den Exporten und den Importen von Waren und Dienstleistungen. Wie zieht man die Trennlinie zwischen dem eigenen BIP und dem anderer Länder? Das BIP der Vereinigten Staaten umfasst alle Produkte und Dienstleistungen, die innerhalb der Landesgrenzen hergestellt wurden. In den Vereinigten Staaten unterscheidet sich die Produktion von den Verkäufen in zweifacher Hinsicht: Erstens wird ein Teil der Produktion (z.B. Weizen aus Iowa und Flugzeuge der Boeing-Flugzeugwerke) von Ausländern gekauft und ins Ausland gebracht, das sind die Exporte. Zweitens wird ein Teil des Konsums (z.B. mexikanisches Öl und japanische Autos) im Ausland produziert und in die Vereinigten Staaten gebracht, das sind die US-amerikanischen Importe. Ein Zahlenbeispiel. Wir können die Funktionsweise der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung beschreiben, indem wir uns eine einfache, nur auf landwirtschaftlicher Tätigkeit basierende Volkswirtschaft vorstellen. Nehmen wir an, dass in Agrovia 100 Scheffel Getreide produziert und 7 Scheffel importiert
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werden. Davon werden 87 Scheffel von Privaten konsumiert (C), zehn werden vom Staat (für die Verpflegung des Militärs) gekauft (G), und sechs dienen als inländische Investition zur Erhöhung der Vorratshaltung (I). Zusätzlich werden vier Scheffel exportiert, womit sich die Nettoexporte (X) als 4 – 7 = –3 errechnen lassen. Das BIP von Agrovia setzt sich nun folgendermaßen zusammen: BIP = 87 C + 10 G + 6 I –3 X = 100 Scheffel
Bruttoinlandsprodukt, Nettoinlandsprodukt und Bruttosozialprodukt Obwohl das BIP die am meisten verwendete Maßzahl für die gesamtwirtschaftliche Produktion der Vereinigten Staaten darstellt, gibt es noch zwei weitere gebräuchliche Konzepte: das Nettoinlandsprodukt und das Bruttosozialprodukt. Erinnern wir uns daran, dass im BIP die Bruttoinvestitionen enthalten sind, die Summe aus Nettoinvestitionen und Abschreibungen. Die Berücksichtigung der Abschreibungen schafft aber das gleiche Problem wie die Einbeziehung von Weizen und Brot. Ein besserer Maßstab würde nur die Nettoinvestitionen in die gesamtwirtschaftliche Produktionsleistung einbeziehen. Indem wir die Abschreibungen vom BIP abziehen, erhalten wir das Nettoinlandsprodukt (NIP). Wenn aber das NIP einen besseren Maßstab für die gesamtwirtschaftliche Produktion darstellt, wieso verwenden dann Ökonomen wie auch Journalisten das BIP? Die Antwort lautet, dass die Abschreibungen für die ganze Volkswirtschaft schwer zu schätzen sind, wohingegen die Bruttoinvestitionen recht genau ermittelt werden können. Einen weiteren Maßstab für die gesamtwirtschaftliche Produktion stellt das bis vor kurzem häufig verwendete Bruttosozialprodukt (BSP) dar. Welcher Unterschied besteht zwischen dem Bruttosozialprodukt und dem Bruttoinlandsprodukt? Das BSP ist die Sum-
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me aller Endprodukte, welche mit Hilfe von Produktionsmitteln (Arbeit und Kapital) erwirtschaftet werden, die Eigentum von Inländern sind, während sich das BIP aus Endprodukten errechnet, die mit den innerhalb der Grenzen eines Staates befindlichen Produktionsmitteln erzeugt werden. Zum Beispiel wird ein Teil des BIP der Vereinigten Staaten in Honda-Fabriken produziert, die Eigentum japanischer Unternehmen sind. Die Gewinne aus diesen Betriebsanlagen werden in das BIP, aber nicht in das BSP der Vereinigten Staaten eingerechnet, da Honda ein japanischer Konzern ist. Wenn ein US-Ökonom nach Japan fliegt, um dort einen bezahlten Vortrag über die wirtschaftlichen Aspekte des Baseballspiels zu halten, dann wird dieses Honorar in das japanische BIP, aber auch in das BSP der Vereinigten Staaten eingerechnet. Im Fall der Vereinigten Staaten liegen die Werte für BIP und BSP eng beieinander, aber in sehr offenen Volkswirtschaften können zwischen ihnen erhebliche Unterschiede bestehen. Zusammenfassend kann man sagen: Das Nettoinlandsprodukt (NIP) entspricht den gesamten während eines Jahres im Inland hergestellten Endprodukten und Dienstleistungen, wobei dieses Produktionsmaß die Nettoinvestitionen, also die Bruttoinvestitionen abzüglich der Abschreibungen, beinhaltet: NIP = BIP – Abschreibungen Das Bruttosozialprodukt (BSP) entspricht dem Wert aller innerhalb eines Jahres hergestellten Endprodukte und Dienstleistungen, deren Produktionsfaktoren Eigentum von Inländern sind. In Tabelle 21-5 finden Sie Definitionen wichtiger Komponenten des BIP.
BIP und NIP: einige Zahlenbeispiele Da wir inzwischen die unterschiedlichen Begriffe geklärt haben, können wir uns nun den Daten in Tabelle 21-6 zuwenden.
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Kapitel 21 Das Messen wirtschaftlicher Aktivität
1. Das BIP nach der Verwendungsrechnung entspricht der Summe seiner vier Hauptkomponenten: • Konsumausgaben der Haushalte für Waren und Dienstleistungen (C) • Private Bruttoinlandsinvestitionen (I) • Staatliche Konsumausgaben und Investitionen (G) • Nettoexporte von Waren und Dienstleistungen (X) bzw. Exporte abzüglich Importe 2. Das BIP nach der Entstehungsrechnung entspricht der Summe der folgenden Hauptkomponenten: • Arbeitsentgelte (Löhne, Gehälter, Lohnnebenkosten) • Unternehmensgewinne, Unternehmereinkommen, Zinsen, Mieten • Indirekte Steuern und Abschreibungen (Vergessen Sie nicht, den Wertschöpfungsansatz zu verwenden, um Doppelzählungen von Halbfertigprodukten, die von anderen Unternehmen gekauft werden, zu vermeiden.) 3. Verwendungs- und Verteilungsrechnung führen zum gleichen Ergebnis (aufgrund der auf der Wertschöpfung fußenden Buchhaltung und der Betrachtung des Gewinns als Restgröße). 4. Das Nettoinlandsprodukt (NIP) entspricht dem BIP abzüglich Abschreibungen. Tabelle 21-5: Schlüsselbegriffe der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung
Bruttoinlandsprodukt der USA 2003 (Mrd. US-$) Verwendungsrechnungen 1. Persönliche Konsumausgaben
7.752
Gebrauchsgüter
942
Verbrauchsgüter
2.208
Dienstleistungen
4.602
2. Private Bruttoinlandsinvestitionen Gewerbliche Bauten Wohnungsbau Lagerbestandsveränderungen
1.668 1.108 563 –3
3. Nettoexporte von Waren und Dienstleistungen
–492
Exporte
1.048
Importe
1.540
4. Staatsausgaben für Konsum und Bruttoinvestitionen Bundesebene Einzelstaaten und Kommunen Bruttoinlandsprodukt
2.056 757 1.299 10.984
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
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Entstehungsrechnung 1. Arbeitsentgelte
6.186
2. Einkommen von Unternehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit
846
3. Mieten und Pachten
164
4. Nettozinsen
582
5. Unternehmensgewinne (nach Korrekturen)
1.059
6. Abschreibungen
1.308
7. Indirekte Unternehmenssteuern
739
8. Statistische Abweichungen und Sonstiges
100
Bruttoinlandsprodukt
10.984
Tabelle 21-6: Die zwei Berechnungsmethoden des BIP anhand aktueller Zahlen Die vorige Seite zeigt die Verwendungsrechnung (Güterströme zu Marktpreisen). Diese Seite veranschaulicht die Entstehungsseite (Faktoreinkommen und Abschreibungen plus indirekte Steuern). Quelle: US-Handelsministerium
Der Güterstromansatz. Konzentrieren wir uns zunächst auf die rechte Seite von Tabelle 21-6. Hier wird das BIP gemäß der oberen Schleife des Kreislaufs, dem Güterstrom, dargestellt. Alle vier Komponenten sind dargestellt, zusammen mit dem entsprechenden Produktionsniveau für 2003. Die Konsumausgaben (C) sowie die Staatsausgaben (G) und deren Untergruppen bedürfen wohl keiner näheren Erläuterung. Auf die privaten Bruttoinlandsinvestitionen soll jedoch kurz eingegangen werden. Deren Summe von US-$ 1.668 Milliarden beinhaltet die gesamte Realkapitalbildung privater Unternehmen und Haushalte: Fabriken, Anlagen, Maschinen, Wohngebäude sowie Lagerbestandszuwächse. Dieser Bruttobetrag ist die Summe vor Abzug von Abschreibungen auf die Kapitalanlagen. Die Abschreibungen der Bruttoinvestitionen belaufen sich auf US-$ 1.308 Milliarden; nach deren Abzug erhalten wir Nettoinvestitionen von US-$ 360 Milliarden. Beachtenswert ist der relativ hohe Negativbetrag von US-$ 492 Milliarden bei den
Nettoexporten. Dies bedeutet, dass die Vereinigten Staaten 2003 um US-$ 492 Milliarden mehr Güter und Dienstleistungen importierten als exportierten. Addieren wir die vier Posten von der vorigenSeite, so erhalten wir ein BIP von US-$ 10.984 Milliarden. Dies stellt also das Ergebnis unserer Anstrengungen dar: den Geldwert aller Leistungen der US-Wirtschaft im Jahre 2003. Der Ansatz über den Kostenstrom. Wir wenden uns nun dem Teil der Tabelle auf der vorigen Seite zu, die den Kostenstrom, die untere Schleife des Kreislaufs, zeigt. Hier sind alle Produktionskosten plus Steuern und Abschreibungen angeführt. Die Position „Löhne und Gehälter“ umfasst Nettolöhne und Lohnnebenkosten. Für den Posten „Zinsen“ gilt Ähnliches. Beachten Sie jedoch, dass Zinsen für Staatsschulden nicht in G oder im BIP enthalten sind, sondern als Einkommenstransfers betrachtet werden. Die Position „Mieten und Pachten“ bezieht sich auf die von Hausbesitzern erhaltenen
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Kapitel 21 Das Messen wirtschaftlicher Aktivität
Mieterträge. Es kommt aber noch hinzu, dass auch Eigenheimbesitzer statistisch so behandelt werden, als zahlten sie an sich selbst Miete. Das ist ein Beispiel der vielen „unterstellten Transaktionen“ (Zurechnungen) in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Der Sinn einer solchen Maßnahme liegt bei unserem Beispiel darin, dass die gesamten Dienstleistungen auf dem Wohnungssektor erfasst werden und darüber hinaus auch deren Berechnung vereinfacht wird. Die ermittelten Zahlen müssen nicht jedes Mal geändert werden, wenn jemand eine Wohnung kauft, die er zuvor gemietet hatte. Die „indirekten Steuern“ sind inklusive einiger kleinerer Anpassungen, insbesondere der unvermeidlichen „statistischen Differenz“, als eigenständiger Punkt angeführt. Dies spiegelt die Tatsache wider, dass Statistikern niemals alle nötigen Daten lückenlos zur Verfügung stehen.2 Die „Abschreibungen“ vom Anlagevermögen müssen, wie auch alle anderen Kostenbestandteile, im BIP angeführt werden. Der Gewinn ist eine Restgröße – das, was übrig bleibt, wenn alle Kosten von den Umsatzerlösen abgezogen wurden. Wir unterscheiden zwei Arten von Gewinnen: den Gewinn von Kapitalgesellschaften und den Nettoertrag der Unternehmen ohne Rechtspersönlichkeit. Der Posten „Einkommen von Unternehmen ohne eigene Rechtsperson“ umfasst Gewinne von Einzelunternehmen und Personengesellschaften, worin insbesondere die Einkommen von Bauern und freiberuflich Tätigen enthalten sind. Die in Tabelle 21-6 ausgewiesenen „Unternehmensgewinne vor Steuerabzug“ betragen US-$ 1.059 Milliarden; enthalten sind darin die Körperschaftssteuer, Dividenden und un2 Statistiker arbeiten mit unvollständigen Unterlagen und füllen Lücken durch Schätzungen. Genauso wie die Messwerte in einem Chemielaboratorium vom Ideal abweichen, schleichen sich Fehler in die Entstehungs- und Verwendungsrechnung ein. Der Ausgleich wird durch den Posten „Statistische Abweichungen“ erzielt. Zusätzlich zu den Beamten, welche die Abteilungen „Löhne und Gehälter“ oder „Zinsen“ leiten, gab es auch einen „Leiter der Abteilung Statistische Abweichungen“. Bei perfekter Datenlage wäre diese Person arbeitslos.
ausgeschüttete Gewinne. Diese einbehaltenen Gewinne bezeichnet man als Nettoersparnis der Unternehmen; sie werden entweder einfach im Unternehmen (z.B. als Rücklagen) belassen oder reinvestiert. Wir erhalten auf der rechten Seite nach dem Kostenstromansatz das gleich hohe BIP von US-$ 10.984 Milliarden wie nach dem Güterstromansatz. Der erste und der zweite Teil der Tabelle stimmen überein.
Vom Bruttoinlandsprodukt zum verfügbaren Einkommen Die Konten des BIP sind nicht nur für sich gesehen von Interesse, sondern auch deshalb, weil sie uns helfen, das Verhalten von Konsumenten und Unternehmen zu verstehen. Einige weitere Details verdeutlichen die Funktionsweise der nationalen Buchführung. Das Volkseinkommen (VI). Diese Größe hilft uns, die Aufteilung des Gesamteinkommens auf die verschiedenen Produktionsfaktoren besser zu verstehen. Das Volkseinkommen entspricht dem Gesamteinkommen der Faktoren Arbeit, Kapital und Land. Man errechnet es, indem man vom BIP die Abschreibungen subtrahiert. Das Volkseinkommen entspricht der Summe aus Löhnen und Gehältern, Miet- und Zinserträgen sowie Unternehmensgewinnen. Der Zusammenhang zwischen BIP und Volkseinkommen ist anhand der ersten beiden Balken in Abbildung 21-4 dargestellt. Der linke Balken zeigt die Zusammensetzung des BIP, während der zweite Balken die nötigen Abzüge zur Berechnung des Volkseinkommens veranschaulicht. Das verfügbare Einkommen. Ein zweites wichtiges Konzept beantwortet die Frage, wie viel Geld die Haushalte jährlich für den privaten Konsum tatsächlich zur Verfügung haben. Man erhält das verfügbare persönliche Einkommen (gewöhnlich als verfügbares Einkommen bzw. DI bezeichnet), indem man
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
vom Gesamteinkommen der Haushalte die Einkommenssteuer und Ergänzungsabgaben abzieht. Abbildung 21-4 zeigt die Berechnung des verfügbaren Einkommens. Wir beginnen mit dem Volkseinkommen, das als zweiter Balken abgebildet ist. Davon ziehen wir alle Steuern sowie die Nettoersparnisse (Gewinne minus Abschreibung minus Dividenden) der Unternehmen ab. Dazu addieren wir die Transferzahlungen vom Staat an die Haushalte. So erhalten wir das verfügbare Einkommen, das im vierten Balken der Abbildung 21-4 dargestellt ist. Das verfügbare Einkommen entspricht also dem Geld, das die Konsumenten in die Hand bekommen und das sie nach eigenem Gutdünken ausgeben
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können. (In unserer Diskussion bleiben einige kleinere Posten unberücksichtigt, beispielsweise statistische Abweichungen und das Nettofaktoreneinkommen von Ausländern, die üblicherweise gegen Null gehen.) Wie wir in den nächsten Kapiteln noch näher erläutern werden, kann das verfügbare Einkommen entweder für Konsumzwecke oder privates Sparen verwendet werden.
Ersparnisse und Investitionen Wie wir gesehen haben, kann die Produktion entweder konsumiert oder investiert werden. Investitionen sind eine wichtige Wirtschaftsaktivität, denn sie erhöhen den Kapitalstock, der für die zukünftige Produktion zur Verfü-
Vom BIP über das Volkseinkommen zum verfügbaren Einkommen
Außenbeitrag
Abschreibungen
Staatsausgaben Steuern
Transferzahlungen
Investitionen Einbehaltene Gewinne BIP Volkseinkommen
DI
Konsum
Bruttoinlandsprodukt (BIP)
Volkseinkommen (NI)
verfügbares Einkommen (DI)
Abbildung 21-4: Ausgehend vom BIP lassen sich Volkseinkommen (NI) und verfügbares Einkommen (DI) berechnen Wichtige Maßzahlen des gesamtwirtschaftlichen Einkommens sind: (1) das BIP, die Summe der Bruttoeinkommen aller Faktoren; (2) das Volkseinkommen, die Summe aller Faktoreinkommen, berechnet durch Abzug der Abschreibungen vom BIP; und (3) das persönlich verfügbare Einkommen, d.h. die gesamten Einkommen der Haushalte einschließlich der Transferzahlungen, aber abzüglich aller Steuern.
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Kapitel 21 Das Messen wirtschaftlicher Aktivität
gung steht. Einer der wichtigsten Aspekte der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist die Gleichheit von Ersparnissen und Investitionen. Wir werden zeigen, dass gemäß den oben beschriebenen buchhalterischen Regeln die von den Statistikern gemessenen Ersparnisse exakt den gemessenen Investitionen entsprechen. Die Übereinstimmung von Ersparnissen und Investitionen ergibt sich definitionsgemäß aus deren Identität in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und ist immer gültig. Nehmen wir im einfachsten Fall einmal an, dass es keinen Staat und keine Außenwirtschaft gibt. Investitionen sind der Teil der nationalen Produktionsleistung, der nicht konsumiert wird. Ersparnisse sind der Teil des Volkseinkommens, der nicht konsumiert wird. Da Volkseinkommen und Produktionsleistung gleich sind, bedeutet dies, dass Ersparnisse und Investitionen identisch sind. Als Gleichung lässt sich dies folgendermaßen ausdrücken: I = BIP minus C (Güterstromansatz) S = BIP minus C (Einkommensstromansatz) Da unabhängig vom Berechnungsansatz das BIP identisch ist, gilt daher: I = S: die gemessenen Investitionen und gemessenen Ersparnisse sind identisch. Dies ist der einfachste Fall. Wir müssen aber auch eine gesamte Volkswirtschaft betrachten, wozu Unternehmen, der Staat und die Nettoexporte gehören. Die gesamten Ersparnisse einer Volkswirtschaft (ST) setzen sich aus den privaten Ersparnissen der privaten Haushalte und Unternehmen (SP) sowie den Ersparnissen des Staates (SG) zusammen. Die Ersparnisse des Staates entsprechen dem Budgetüberschuss oder der Differenz aus Steuereinnahmen und Staatsausgaben. Die Gesamtinvestitionen eines Landes (IT) setzen sich zusammen aus den privaten inländischen Bruttoinvestitionen (I) und den
Nettoauslandsinvestitionen, die ungefähr den Nettoexporten (X) entsprechen. So lässt sich die gesamte Ersparnisse-Investitionen-Gleichung ausdrücken als3 Gesamtinveprivate Nettostitionen = Investiti- + exporte eines Landes onen Gesamterprivate Ersparnisse sparnisse = Erspar- + = des Staates eines nisse Landes
oder IT = I + X = SP + SG = ST Definitionsgemäß sind die Ersparnisse eines Landes und seine Investitionen gleich. Die Investitionen setzen sich aus den privaten einheimischen Investitionen und den ausländischen Investitionen (Nettoexporten) zusammen. Die Ersparnisse setzen sich aus den privaten Ersparnissen (der Haushalte und Unternehmen) und den Ersparnissen des Staates (Budgetüberschuss) zusammen. Die privaten Investitionen entsprechen zusammen mit den Nettoexporten den privaten Ersparnissen zuzüglich des Budgetüberschusses. Diese grundlegenden Gleichungen gelten immer, unabhängig vom Konjunkturzyklus.
Über die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung hinaus Verfechter des vorherrschenden wirtschaftlichen und sozialen Systems argumentieren oft, dass uns das frei agierende Unternehmertum ein historisch beispiellos hohes Realwachstum beschert hat. „Schauen Sie nur, wie dank der freien Marktwirtschaft das BIP gewachsen ist“, sagen die Anhänger des Kapitalismus. 3 Im Rahmen unserer Diskussion betrachten wir nur die privaten Investitionen und behandeln alle Käufe des Staates als Konsum. Die meisten Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen unterscheiden heutzutage zwischen Staatsausgaben für Konsum und solchen für Investitionen. Wenn wir die staatlichen Investitionen berücksichtigen, erhöhen sich damit die Gesamtinvestitionen und der Budgetüberschuss.
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Kritiker weisen jedoch auf die Schwächen des BIP hin. In das BIP fließen viele fragwürdige Größen ein, während wertvolle wirtschaftliche Aktivitäten nicht berücksichtigt werden. Ein Skeptiker drückte es einmal so aus: „Erzählt mir nichts über eure Produktion, eure Dollars oder euer BIP. Für mich steht BIP für Bruttoinlandsverpestung!“ Woran soll man sich nun halten? Ist es nicht wahr, dass im BIP Staatsausgaben für Bomben und Raketen und ebenso Gehälter von Gefängniswärtern enthalten sind? Erhöht nicht ein Ansteigen der Kriminalitätsrate den Absatz von Alarmanlagen, wodurch das BIP wächst? Wird nicht auch das Abholzen von aussterbenden Baumarten als eine Erhöhung der Produktion in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verbucht? Versäumt es das BIP nicht, Umweltschäden wie sauren Regen und die weltweite Klimaerwärmung zu berücksichtigen? In den letzten Jahren haben Ökonomen begonnen, neue Maßstäbe zu entwickeln, welche die Mängel der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung beheben und die Produktionsleistung unserer Wirtschaft, die uns wirklich befriedigt, besser abbilden sollen. Die neuen Ansätze versuchen, über die Grenzen der traditionellen Konten hinauszugehen und wichtige Aktivitäten zu berücksichtigen, die nicht am Markt angeboten werden, sowie schädliches Tun, das derzeit nicht in die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung einfließt. Im Folgenden werden wir einige dieser positiven und negativen Aspekte betrachten, welche die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ignoriert. Unberücksichtigte Aktivitäten, die nicht am Markt angeboten werden. Die herkömmliche Gesamtrechnung berücksichtigt hauptsächlich Verkäufe am Markt. Doch viele nützliche wirtschaftliche Aktivitäten laufen am Markt vorbei. Beispielsweise investieren Studenten an Universitäten in menschliches Kapital. In die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung geht zwar die Lehrtätigkeit ein, aber die Opportunitätskosten der entgangenen Einkommen werden nicht berücksichtigt. Unter-
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suchungen zeigen, dass eine Berücksichtigung von Investitionen außerhalb des Marktes in Ausbildung und andere Bereiche die nationale Sparquote mehr als verdoppeln würde. Auch viele häusliche Aktivitäten stellen wertvolle Waren und Dienstleistungen bereit, die am Markt verkauft werden könnten, beispielsweise Mahlzeiten, Wäschewaschen und Kinderbetreuung. Jüngste Schätzungen des Wertes unbezahlter Arbeit im Haushalt scheinen darauf hinzudeuten, dass er fast 50 Prozent des gesamten errechneten Konsums entsprechen könnte. Vielleicht ist Freizeit der größte Posten, dessen Wert in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht auftaucht. Im Durchschnitt haben die Amerikaner genauso viel Zeit für nützliche Freizeitaktivitäten wie für die Arbeit, mit der sie Geld verdienen. Doch der Wert der Freizeit fließt nicht in die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ein. Vielleicht fragen Sie sich auch, wie es mit der Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit aussieht, worunter man eine ganze Reihe von Aktivitäten zusammenfassen kann, von denen der Staat nichts erfährt. Dazu gehören beispielsweise Glücksspiel, Prostitution, Drogenhandel, die Arbeit illegaler Immigranten, Tauschgeschäfte und Schmuggel. Ein großer Teil der Schattenwirtschaft wird ganz bewusst nicht berücksichtigt, weil die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung illegale Handlungen ausschließt – es herrscht ein allgemeiner Konsens, dass sie „schlecht“ und nicht „gut“ sind. Ein blühender Kokainhandel wird nicht ins BIP einfließen. Der Wert anderer legaler, aber nicht aufgezeichneter Handlungen, wie das Geben von Trinkgeldern, wird vom Handelsministerium aufgrund von Umfragen und Unterlagen der Finanzämter geschätzt. Unberücksichtigte Umweltschäden. Das BIP übersieht nicht nur manche Aktivitäten, es lässt auch manche schädlichen Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns unberücksichtigt. Ein wichtiges Beispiel ist das Ignorieren von Umweltschäden. Nehmen wir zum Beispiel an, dass die Bewohner einer Vorstadtgegend 10 Millionen Kilowattstunden an Strom zur
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Kapitel 21 Das Messen wirtschaftlicher Aktivität
Kühlung ihrer Häuser von der ansässigen Elektrizitätsgesellschaft zum Preis von 10 Cents pro Kilowattstunde einkaufen. Diese US-$ 1 Million decken die Kosten für die Arbeit, den Betrieb der Anlage und den Brennstoff. Wir können aber außerdem davon ausgehen, dass das Elektrizitätsunternehmen durch die Herstellung von Strom die Nachbarschaft verschmutzt. Es trägt aber nicht die Kosten für diese externen Effekte. In unseren Maßstab für die Produktionsleistung sollte nicht nur der Wert des Stromes einberechnet werden (wie im BIP), sondern auch der entsprechende Wert der Umweltschäden abgezogen werden (was das BIP nicht tut). Entwickeln wir unser Beispiel noch weiter, indem wir annehmen, dass für die Nachbarschaft zu den direkten Kosten von 10 Cents noch 1 Cent pro Kilowattstunde an Umweltschäden hinzukommt. Dazu zählen die Kosten der Verschmutzung (von Bäumen, Forellen, Flüssen und Menschen), die nicht vom Elektrizitätsunternehmen getragen werden. Damit ergeben sich „externe“ Kosten von US-$ 100.000. Um diesen Kosten in einem erweiterten Kontenrahmen Rechnung zu tragen, müssen wir US-$ 100.000 für Umweltschäden vom ursprünglichen Wert der Elektrizität von US-$ 1 Million abziehen. Erweiterte Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung Während der vergangenen Jahre wurden bei der Entwicklung einer erweiterten Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung beträchtliche Fortschritte gemacht, wobei es sich um eine Buchhaltung handelt, die auch die Aktivitäten erfasst, die nicht am Markt verkauft werden. Die erweiterte Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung hat das Ziel, so viele wirtschaftliche Tätigkeiten wie möglich zu erfassen, unabhängig davon, ob diese am Markt angeboten werden oder nicht. Beispiele für Posten, die berücksichtigt werden, sind Investitionen in menschliches Kapital, der Wert unbezahlter Hausarbeit, der Wert von Wäldern und von Freizeit.
1994 stellte das Handelsministerium der Vereinigten Staaten seine erweiterte Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung mit der Einführung von Umweltkonten vor (die mitunter auch als „grüne Konten“ bezeichnet werden). Diese waren entwickelt worden, um den Beitrag von natürlichen Ressourcen und Umweltgütern zum Einkommen eines Landes zu schätzen. Der erste Schritt bestand in der Entwicklung von Konten zur Messung des Beitrags von unterirdischen Beständen wie Öl, Gas und Kohle. Die Ökologen unter den Kritikern argumentieren, dass die verschwenderische Lebensweise der Vereinigten Staaten die kostbaren natürlichen Ressourcen des Landes vergeudet. Viele waren vom Ergebnis der ersten Untersuchung zur ökologischen Gesamtrechnung überrascht. Die Schätzungen berücksichtigen, dass Neuendeckungen die bereits bekannten Reserven vergrößern, während jede Art von Abbau sie vermindert oder erschöpft. Tatsache ist, dass sich die beiden Aktivitäten praktisch gegenseitig aufheben: Der Nettoeffekt von Entdeckungen und Abbau lag zwischen 1958 und 1991 – abhängig von der Berechnungsmethode – zwischen minus US-$ 2 Milliarden und plus US-$ 1 Milliarde, im Vergleich zu einem durchschnittlichen BIP von US-$ 4.200 Milliarden während dieses Zeitraums (jeweils in Preisen von 1992). Auf diesem Gebiet muss weiter gearbeitet werden, ehe wir ein vollständiges Bild der nicht am Markt angebotenen Wirtschaftstätigkeiten erhalten. Ökonomen und Ökologen beobachten diese aufregende neue Entwicklung sehr sorgfältig.
Preisindizes und Inflation Wir haben uns in diesem Kapitel auf die Messung der Produktionsleistung konzentriert. Doch die Menschen machen sich auch um die Preisentwicklung Gedanken, die Veränderung des allgemeinen Preisniveaus, die Inflation. Was bedeuten diese Ausdrücke?
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Fangen wir mit einer sorgfältigen Definition an: Ein Preisindex ist ein Maßstab für das durchschnittliche Preisniveau. Als Inflation bezeichnet man einen Anstieg des allgemeinen Preisniveaus. Die Inflationsrate ist die prozentuale Veränderung des allgemeinen Preisniveaus und wird folgendermaßen berechnet: Inflationsrate (im Jahr t):
=
Preisniveau Preisniveau – (Jahr t) (Jahr t – 1) Preisniveau (Jahr t – 1)
100
Aber wie messen wir das „Preisniveau“, das wir zur Bestimmung der Inflation benötigen? Das Preisniveau ist der gewichtete Durchschnitt der Preise für die verschiedenen Waren und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft. Die Regierung berechnet das Preisniveau, indem sie Preisindizes bildet, die Preisdurchschnitte für Waren und Dienstleistungen darstellen. Das Gegenteil einer Inflation ist eine Deflation, von der man spricht, wenn das Gesamtpreisniveau sinkt. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts traten Deflationen selten auf. In den Vereinigten Staaten war 1955 das letzte Jahr, in dem die Endverbraucherpreise von einem Jahr zum anderen zurückgingen. Lang anhaltende Deflationen, in deren Verlauf die Preise mehrere Jahre lang stetig zurückgehen, sind ein typisches Erscheinungsbild wirtschaftlicher Depressionen, wie sie in den Vereinigten Staaten während der dreißiger Jahre und während der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts auftraten. Japan erlebte Ende der neunziger Jahre eine Deflation, als die Wirtschaft unter einer langen Rezession litt.
Preisindizes Wenn die Zeitungen von einer „steigenden Inflation“ berichten, dann meinen sie die Veränderung eines Preisindex. Ein Preisindex ist
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der gewichtete Durchschnitt der Preise einer Reihe von Waren und Dienstleistungen. Um einen Preisindex zu bilden, gewichten die Ökonomen einzelne Preise nach der wirtschaftlichen Bedeutung der dazugehörigen Ware. Die wichtigsten Preisindizes sind der Verbraucherpreisindex, der Preisindex des BIP und der Erzeugerpreisindex. Der Verbraucherpreisindex (VPI). Der am häufigsten verwendete Maßstab für die Inflation ist der Verbraucherpreisindex oder VPI, den das U.S. Bureau of Labor Statistics (BLS) berechnet. Der Verbraucherpreisindex ist ein Maß für die im Zeitverlauf durchschnittliche Veränderung der Preise, die Konsumenten für einen Warenkorb von Gütern und Dienstleistungen zahlen. Berücksichtigt werden dabei die Preise für Lebensmittel, Bekleidung, Wohnungen, Heizkosten, Transport, medizinische Versorgung, Ausbildungskosten und sonstige Waren und Dienstleistungen, die man für den Alltagsgebrauch kauft. Für 364 verschiedene Waren- und Dienstleistungsklassen werden von 23.000 Haushalten in 87 Regionen im ganzen Land die Preise ermittelt. Wie gewichtet man die verschiedenen Preise, um einen Preisindex zu bilden? Offensichtlich ist es nicht sinnvoll, die einzelnen Preise einfach zu addieren oder sie mit der dazu gehörigen Masse oder dem Volumen zu gewichten. Man bildet einen Preisindex, indem man jeden Preis je nach der wirtschaftlichen Bedeutung der betreffenden Ware gewichtet. Im Fall des herkömmlichen VPI wird jedem Artikel ein fixes Gewicht zugeordnet, proportional zur relativen Bedeutung dieses Artikels für die Konsumausgaben; die Gewichte für jeden dieser Artikel sind proportional zu den Gesamtausgaben der Konsumenten für diesen Artikel, wie sie in der Untersuchung der Konsumausgaben für die Jahre 1993–1995 festgestellt wurden. Seit Dezember 1999 sind die Wohnausgaben der größte Einzelposten im VPI, denn sie beanspruchen 41 Prozent der Konsumentenbud-
Kapitel 21 Das Messen wirtschaftlicher Aktivität
gets. Im Vergleich dazu bringen es die Kosten für neue Autos oder andere Fahrzeuge nur auf fünf Prozent der für den VPI berücksichtigen Konsumentenausgaben. Die Berechnung des Verbraucherpreisindex Folgende Formel wird zur Berechnung des Verbraucherpreisindex verwendet: VPI zum Zeitpunkt t + VPI zum Zeitpunkt (t – 1) gewichtete Preisveränderung zum Zeitpunkt t wobei die gewichtete Preisveränderung zum Zeitpunkt t = [relative Bedeutung von Gut i zum Zeitpunkt (t – 1)] x [prozentuale Bedeutungszunahme von Gut i von (t – 1) auf t] Um die Vorgehensweise anhand eines konkreten Beispiels zu demonstrieren, zeigt die folgende Tabelle für mehrere Produkte die relative Bedeutung im Februar 2003 und die Veränderung im Vergleich zum Vorjahr:
Kategorie
Relative Jährliche Bedeutung Veränderung von Februar 2002 bis Februar 2003 (%) (%)
Lebensmittel und Getränke
15,6
1,4
Wohnungen
40,9
2,6
Ärzliche Versorgung
6,0
4,5
Sonstiges
37,5
3,9
Insgesamt
100,0
3,0
Man kann die jährliche Inflationsrate von Februar 2002 bis Februar 2003 als 3,014 Prozent berechnen. (Übung 9 am Ende dieses Kapitels bietet ein weiteres Rechenbeispiel.)
625
Dieses Beispiel zeigt, wie der herkömmliche VPI die Inflation misst. Der einzige Unterschied zwischen dieser vereinfachten Berechnung und der tatsächlichen besteht darin, dass der VPI in der Realität viel mehr Positionen erfasst und in einer Reihe von Regionen erhoben wird. Die Vorgehensweise bleibt aber gleich.
Der Preisindex des BIP. Ein weiterer häufig verwendeter Preisindex ist der Preisindex des BIP (den man gelegentlich auch als BIPDeflator bezeichnet), der uns schon weiter oben in diesem Kapitel begegnet ist. Der Preisindex des BIP ist der Preis aller Waren und Dienstleistungen, die in einem Land produziert und bereitgestellt werden (Konsum, Investitionen, Staatsausgaben und Nettoexporte), und nicht nur derjenige einer einzelnen Komponente (Konsum). Dieser Index unterscheidet sich auch insofern vom herkömmlichen Verbraucherpreisindex, als bei ihm eine Kettengewichtung vorgenommen wird, die den veränderlichen Anteil der verschiedenen Waren am BIP berücksichtigt (siehe dazu weiter oben die Diskussion zur Kettengewichtung). Daneben gibt es Preisindizes für einzelne Komponenten des BIP, beispielsweise für Investitionsgüter, Computer, persönlichen Konsum und so weiter, die man gelegentlich zur Ergänzung des VPI heranzieht. Der Erzeugerpreisindex (EPI). Dieser noch aus dem Jahre 1890 stammende Index ist derjenige, der am längsten in den statistischen Reihen des Bureau of Labor Statistics veröffentlicht wird. Er misst das Preisniveau auf der Großhandels- oder Produktionsebene. Der EPI fußt auf den Preisen von etwa 3.400 Waren, darunter Lebensmittel, Fabrikwaren und Bergwerkserzeugnisse. Die festgesetzten Gewichte, die zur Berechnung des EPI herangezogen werden, sind die Nettoverkäufe der entsprechenden Waren. Dieser Index wird in der Unternehmenswelt viel verwendet.
626
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Die richtige Preisberechnung Die genaue Ermittlung von Preisen ist eines der zentralen Themen der empirischen Wirtschaftsforschung. Preisindizes beeinflussen nicht nur etwas so Offensichtliches wie die Inflationsrate; sie gehen auch in die Messung der realen Produktionsleistung und Produktivität ein. Über die Regierungspolitik beeinflussen sie auch die Geldpolitik, Steuern und Transferleistungen des Staates, beispielsweise Sozialhilfe, sowie zahllose private Verträge. Der Verbraucherpreisindex hat die Aufgabe, die Lebenshaltungskosten zu messen. Es mag Sie überraschen zu lesen, dass dies gar nicht so einfach ist. Manche Probleme sind durch das Wesen von Preisindizes bedingt, beispielsweise das Indexzahlproblem, das mit der Gewichtung und Durchschnittsbildung der Preise zusammenhängt. Erinnern Sie sich, dass der herkömmliche VPI für jeden Artikel ein festes Gewicht benutzt. Infolgedessen werden die Lebenshaltungskosten immer dann zu hoch eingeschätzt, wenn Konsumenten einen vergleichsweise teuren Artikel durch ein preisgünstigeres Substitut ersetzen. Am Beispiel der Energiekosten können wir das Problem verdeutlichen. Als während der siebziger Jahre die Benzinpreise drastisch stiegen, reduzierten die Konsumenten ihre Käufe, schafften sich kleinere Autos an oder benutzten sie seltener. Der VPI unterstellte jedoch, dass sie nach wie vor die gleiche Menge Benzin nachfragten, obgleich sich der Benzinpreis verdreifacht hatte. Dadurch wurde der Anstieg der Lebenshaltungskosten übertrieben dargestellt. Die Statistiker haben Methoden entwickelt, um solche Indexzahlprobleme zu minimieren, indem sie unterschiedliche Gewichtungen verwenden, beispielsweise die weiter oben erläuterte Kettengewichtung, aber die staatlichen Statistiker stehen erst am Anfang ihrer Experimente mit neuen Berechnungsmethoden des VPI. Ein bedeutenderes Problem entsteht aufgrund der Schwierigkeiten bei der Anpassung von Preisindizes, um den Beitrag von neuen und verbesserten Waren
Teil 5
und Dienstleistungen zu erfassen. Ein Beispiel wird dieses Problem verständlich machen: Seit einigen Jahren profitieren Konsumenten von Energiesparlampen, die nur etwa ein Viertel so viel Strom verbrauchen wie herkömmliche Glühbirnen. Diese Qualitätsverbesserung wird jedoch in keinem Preisindex berücksichtigt. Das gleiche Problem trat auf, als CDs die Langspielplatten zu ersetzen begannen, als unser alter Fernsehempfang durch das Kabelfernsehen mit zahllosen Kanälen ersetzt wurde, als die Menschen immer häufiger den Flieger statt Autos und der Bahn benutzten, sowie im Fall von Tausenden anderer verbesserter Waren oder Dienstleistungen: Die Preisindizes spiegelten die verbesserte Qualität nicht wider. Neuere Studien weisen darauf hin, dass bei einer adäquaten Berücksichtigung von Qualitätsverbesserungen in den Preisindizes der VPI während der letzten Jahre nicht so stark angestiegen wäre. Dieses Problem ist vor allem für die Gesundheitsversorgung von Bedeutung. Auf diesem Gebiet sind die erfassten Preise während der letzten zwei Jahrzehnte stark gestiegen. Wir können die Qualität der medizinischen Versorgung jedoch nicht ausreichend messen, und der VPI berücksichtigt die Einführung von neuen Medikamenten, beispielsweise solchen, die teure Operationen überflüssig machen, überhaupt nicht. Eine Gruppe angesehener Wirtschaftswissenschaftler unter Leitung von Michael Boskin von der Stanford University hat das Problem untersucht und schätzt, dass die Verzerrung des VPI nach oben pro Jahr etwas mehr als ein Prozent beträgt. Diese Zahl mag klein sein, aber sie hat große Auswirkungen. Es steht zu befürchten, dass unsere wahre Produktionsleistung um den gleichen Prozentsatz zu niedrig ausgewiesen wurde. Wenn die Verzerrung im VPI sich auch auf den BIP-Deflator auswirkt, dann stieg die Produktion pro Beschäftigtenstunde in den Vereinigten Staaten während der letzten zwei Jahrzehnte um zwei Prozent und nicht um ein Prozent, wie die offizielle Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung behauptet.
627
Kapitel 21 Das Messen wirtschaftlicher Aktivität
Diese Entdeckung signalisiert auch, dass die Anpassungen an die veränderten Lebenshaltungskosten (die für die Sozialhilfe und für einige Tarifverträge bedeutend sind) dazu geführt haben, dass bestimmte Menschen für die Veränderung der Lebenshaltungskosten überkompensiert wurden. Würde die Regierung ihre Transferzahlungen anhand eines um die Verzerrung bereinigten Index berechnen, anstatt hierzu den VPI heranzuziehen, so könnte das Budgetdefizit nach Schätzungen der Boskin-Gruppe bis zum Jahr 2008 um US-$ 180 Milliarden reduziert und die Staatsverschuldung der Vereinigten Staaten im Lauf eines Jahrzehnts um mehr als US-$ 1 Billion gesenkt werden. Diese Ergebnisse zeigen, dass es sich bei der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und bei Indexzahlen nicht um abstrakte Konzepte handelt, die nur eine Handvoll Spezialisten interessieren. Die richtige Bildung von Preis- und Produktionsindizes hat Auswirkungen auf das Budget, die Altersvorsorge und sogar darauf, wie wir die Leistung unserer Volkswirtschaft beurteilen. In Reaktion auf seine eigenen Untersuchungen und diejenigen seiner Kritiker hat das Bureau of Labor Statistics den VPI gründlich überarbeitet. Die bedeutendste Innovation ist der seit 2002 veröffentlichte „kettengewichtete Verbraucherpreisindex“, der den Preisindex mit fixer Gewichtung um eine Kettengewichtung ergänzt (vergleichbar derjenigen, die zur Berechnung des BIP herangezogen und weiter oben diskutiert werden), die Substitutionsprozessen Rechnung trägt. Seit seiner Erstveröffentlichung vor drei Jahren wundern sich die Leute, dass der kettengewichtete VPI viel langsamer steigt als der herkömmliche VPI – die Differenz beträgt rund ein Prozent pro Jahr. Offenbar war die Kritik, wonach der traditionelle VPI die Inflation übertreibe, berechtigt.4
Beurteilung der Berechnungsmethode In diesem Kapitel haben wir dargelegt, wie die Wirtschaftwissenschaftler die gesamtwirtschaftliche Leistung und das gesamtwirtschaftliche Preisniveau bestimmen. Zu welchem Schluss sollten wir hinsichtlich der Angemessenheit der Maßstäbe kommen, nachdem wir die Berechnungsmethoden betrachtet und die Mängel des BIP untersucht haben? Erfassen unsere Maßstäbe die wesentlichen Entwicklungen? Kann man mit ihrer Hilfe das Wohlbefinden einer Gesellschaft zutreffend beurteilen? Arthur Okun hat in einer Besprechung die passende Antwort gegeben: 4 Es sollte niemanden überraschen, dass der nationale Wohlstand keine Garantie für eine glückliche Gesellschaft ist, genauso wenig wie der persönliche Wohlstand eine glückliche Familie garantiert. Kein noch so hohes Wachstum des BIP kann die Spannungen beseitigen, die durch einen unbeliebten und erfolglosen Krieg entstehen, eine überfällige Auseinandersetzung mit unserem Gewissen über Rassendiskriminierung, eine dramatische Veränderung der Sexualmoral und ein beispielloses Unabhängigkeitsstreben der Jugend. Aber Wohlstand ... ist eine Voraussetzung für das Erreichen unserer Ziele.5
4 Informationen über ein Symposium zur Bestimmung des VPI finden Sie im Abschnitt „Weiterführende Literatur“ zu diesem Kapitel. 5 The Political Economy of Prosperity (Norton, New York, 1970), S. 124.
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Teil 5
Zusammenfassung 1.
Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung liefert uns die wichtigsten Maßstäbe für das Einkommen und die Produktion eines Landes. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stellt die umfassendste Maßzahl für die gesamtwirtschaftliche Produktion von Waren und Dienstleistungen eines Landes dar. Es entspricht dem nominellen Wert der Summe aus Konsum (C), privaten Bruttoinlandsinvestitionen (I), Staatsausgaben für Waren und Dienstleistungen (G) und Nettoexporten (X), die im Inland während eines Jahres produziert beziehungsweise konsumiert werden. Erinnern Sie sich an die Gleichung:
5.
6.
BIP = C + I + G + X Sie wird manchmal vereinfacht, indem Inlandsinvestitionen (I) und Nettoexporte (X) zu den gesamtwirtschaftlichen Bruttoinvestitionen (IT) zusammengefasst werden: BIP = C + IT + G 2.
3.
4.
Wie in Abbildung 21-1 dargestellt, stimmt das Ergebnis der Berechnung des BIP aus dem Güterstrom der Verwendungsrechnung (obere Schleife des Wirtschaftskreislaufs) mit dem aus dem Einkommens- oder Kostenstrom der Entstehungsseite (untere Schleife des Wirtschaftskreislaufs) überein. Dem am Kostenstrom orientierten Ansatz liegen die Faktoreinkommen zugrunde, wobei die Wertschöpfung sorgfältig ermittelt wird, um Doppelzählungen von Halbfabrikaten zu vermeiden. Nachdem alle Löhne und Gehälter (vor Steuerabzug), Zinsen, Mieten und Pachten, Abschreibungen und Gewinne addiert sind, werden zu dieser Summe noch alle indirekten Unternehmenssteuern hinzugezählt. Im BIP sind keine Transferzahlungen, wie zum Beispiel Zinsen auf Staatsschulden oder Sozialleistungen, enthalten. Mithilfe eines Preisindex („BIP-Deflator“) können wir das nominale BIP (entspricht dem BIP zu derzeitigen Preisen) preislich bereinigen, um so zum genaueren Maß des realen BIP (Geldwert des BIP entsprechend der Kaufkraft eines bestimmten Basisjahres) zu gelangen. Durch diesen Preisindex korrigieren wir den „dehnbaren“ Maßstab, den das nominale BIP darstellt, das von Veränderungen des allgemeinen Preisniveaus beeinflusst wird. Die Nettoinvestitionen sind positiv, wenn die Volkswirtschaft innerhalb eines bestimmten Zeitraums mehr Kapitalgüter produziert, als sie durch Abschreibungen (laufende Abnutzung)
7.
8.
aufbraucht. Da die Abschreibungen nur schwer genau geschätzt werden können, ziehen die Statistiker die Verwendung der Bruttoinvestitionen den Nettoinvestitionen vor. Das Volkseinkommen und das verfügbare Einkommen stellen zwei weitere offizielle Maßstäbe dar. Das verfügbare Einkommen ist der gesamte Geldbetrag, der uns nach Abzug aller Steuern und einbehaltenen Unternehmensgewinne sowie der Addition von Transferleistungen tatsächlich verbleibt und den wir für Konsumzwecke ausgeben oder sparen können. Wenn wir die Regeln der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung anwenden, muss die ermittelte Ersparnis genau den Investitionen entsprechen. Dies kann leicht anhand einer fiktiven Volkswirtschaft nachvollzogen werden, die nur aus Haushalten besteht. Für eine gesamte Volkswirtschaft gilt, dass die Ersparnis der Haushalte zuzüglich der staatlichen Ersparnis gleich den Inlandsinvestitionen zuzüglich der Nettoauslandsinvestitionen ist. Die Identität von Ersparnissen und Investitionen gilt immer, gleich ob die Volkswirtschaft sich im Aufschwung oder in einer Rezession, im Krieg oder im Frieden befindet. Sie ergibt sich aus den Definitionen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Das Bruttoinlandsprodukt und sogar das Nettoinlandsprodukt sind unvollständige Maßstäbe zur Erfassung des tatsächlichen wirtschaftlichen Wohlergehens. Während der letzten Jahre haben die Statistiker begonnen, bei den Messzahlen Aktivitäten außerhalb des Marktgeschehens zu berücksichtigen, beispielsweise unbezahlte Hausarbeit und Einflüsse auf die Umwelt. Von Inflation spricht man, wenn das allgemeine Preisniveau ansteigt (wenn es sinkt, liegt eine Deflation vor). Wir messen das Gesamtpreisniveau und die Inflationsrate mithilfe von Preisindizes – der gewichteten Durchschnitte der Preise von Tausenden von Artikeln. Der wichtigste Preisindex ist der Verbraucherpreisindex (VPI), der herkömmlicherweise die Kosten eines bestimmten Korbes aus Konsumgütern und Dienstleistungen im Vergleich zu den Kosten desselben Korbes in einem bestimmten Basisjahr misst. Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass der VPI nach oben verzerrt ist, weil es zu Problemen mit Indexzahlen kommt und neue, verbesserte Waren nicht berücksichtigt werden. Die US-Regierung hat Maßnahmen ergriffen, um die Verzerrung wenigstens teilweise zu korrigieren.
Kapitel 21 Das Messen wirtschaftlicher Aktivität
629
Begriffe zur Wiederholung Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung Reales und nominales BIP BIP-Deflator BIP = C + I + G + X Nettoinvestitionen = Bruttoinvestitionen – Abschreibungen Berechnung des BIP nach zwei gleichwertigen Methoden: Entstehungsseite (obere Kreislaufschleife) Verwendungsseite (untere Kreislaufschleife) Halbfabrikate, Wertschöpfung Nettoinlandsprodukt = BIP – Abschreibungen Transferzahlungen des Staates Verfügbares Einkommen Gleichheit von Ersparnissen und Investitionen I=S
IT = I + X = SP + SG = ST
Inflation, Deflation Preisindizes: VPI Preisindex des BIP Erzeugerpreisindex
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Eine hervorragende Zusammenstellung historischer Daten für die Vereinigten Staaten enthalten die Historical Statistics of the United States, 2 Bände (Government Printing Office, Washington, D.C., 1975). Eine Übersicht über die Probleme, die bei der Berechnung des Verbraucherpreisindex auftreten, findet sich im „Symposium on the CPI“, Journal of Economic Perspectives, Winter 1998. Deutschsprachige Literatur: Michael Frenkel und Klaus Dieter John, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, 5. Aufl. (Vahlen, München, 2003); Hans-Peter Nissen, Das europäische System volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen, 4. Aufl. (Physica-Verlag, Heidelberg, 2002).
Websites Die beste Website für die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Vereinigten Staaten wird vom Bureau of Economic Analysis (BEA) unter www.bea.gov bereitgestellt. Hier findet man auch die jüngsten Ausgaben von The Survey of Current Business, wo die neuesten wirtschaftlichen Entwicklungen diskutiert werden. Ein hervorragender Ausgangspunkt zur Suche nach statistischen Daten zu vielen Sektoren ist www.lib.umich.edu/govdocs/. Die beste Quelle für statistische Daten zu den Vereinigten Staaten ist The Statistical Abstract of the United States, das jährlich erscheint. Die Zusammenfassung steht online unter www.census.gov/statab/www/ zur Verfügung. Eine große Anzahl wichtiger Wirtschaftsdaten findet man unter www.economagic.com/. Eine kürzlich erstellte Übersicht über alternative Ansätze zur Berücksichtigung von Umweltfaktoren ist in dem Bericht der National Academy of Sciences enthalten, der in William Nordhaus und Edward Kokkelenberg (Hrsg.), Nature's Numbers: Expanding the National Accounts to Include the Environment, veröffentlicht wurde (National Academy Press, Washington D.C., 1999). Man findet den Bericht unter www.nap.edu. Für Informationen zu Preisen konsultieren Sie bitte die Websites-Empfehlungen zu Kapitel 32.
630
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Teil 5
Übungen 1.
2.
3.
4.
5.
Definieren Sie folgende Begriffe und geben Sie zu jedem ein Beispiel an: a. Konsum b. Private Bruttoinlandsinvestitionen c. Staatsausgaben für Konsum und Investitionen (Komponente des BIP) d. Staatliche Transferzahlungen (nicht im BIP enthalten) e. Exporte Mitunter wird behauptet: „Äpfel und Birnen kann man nicht addieren.“ Zeigen Sie, dass dies in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung doch möglich ist. Erklären Sie, warum dies möglich ist. Schauen Sie sich die Daten im Anhang zu Kapitel 20 an und suchen Sie die Zahlen für das nominale und reale BIP für 1999 und 1998. Berechnen Sie den BIP-Deflator. Um wie viel ist das nominale und das reale BIP von 1998 auf 1999 jeweils gewachsen? Welche Inflationsrate herrschte 1999 (berechnet mit dem BIP-Deflator)? Robinson Crusoe stellt ein Produkt im Wert von US-$ 1.000 her. Er zahlt US-$ 750 an Löhnen, US-$ 125 an Zinsen und US-$ 75 an Miete. Wie hoch muss sein Gewinn sein? Unterstellen Sie, dass 75 Prozent von Crusoes Produktion konsumiert und der Rest investiert wird, und berechnen Sie das BIP für die Crusoe-Insel von der Entstehungsseite und der Verwendungsseite her. Zeigen Sie, dass die beiden Ergebnisse übereinstimmen müssen. Noch ein paar Denksportaufgaben. Verstehen Sie, warum die folgenden Punkte nicht im BIP der Vereinigten Staaten berücksichtigt sind? a. Ein Drei-Sterne-Koch bereitet zu Hause ein Festmenü vor. b. Der Kauf eines Grundstücks. c. Der Kauf eines Originalgemäldes von Rembrandt. d. Der Nutzen, den ich im Jahre 2000 davon habe, dass ich eine CD aus dem Jahr 1997 abspiele. e. Schäden an Häusern und Getreide aufgrund der von einem Elektrizitätswerk verursachten Umweltverschmutzung. f. Gewinne von IBM aufgrund der Produktion in einem britischen Werk.
6.
7.
8.
9.
Wenden wir uns dem Staat Agrovia zu, dessen BIP bereits unter „Ein Zahlenbeispiel“ auf Seite 616 diskutiert wurde. Erstellen Sie die Konten für das Bruttoinlandsprodukt anhand des Beispiels von Tabelle 21-6, wobei Sie annehmen, dass ein Scheffel Weizen US-$ 5 kostet, es keine Abschreibungen gibt, Löhne und Gehälter drei Viertel des Gesamteinkommens ausmachen, indirekte Unternehmenssteuern zur vollständigen Finanzierung der Staatsausgaben genutzt werden und der Einkommensüberschuss als Miet- und Pachteinkommen an die Bauern gezahlt wird. Kehren Sie noch einmal zu der Diskussion über die Verzerrung des VPI zurück. Erläutern Sie, warum die Nichtberücksichtigung von Qualitätsverbesserungen neuer Waren den VPI im Laufe der Zeit nach oben verzerrt. Wählen Sie ein Produkt, das Sie gut kennen. Erklären Sie, wie sich dessen Qualität verändert hat und warum es schwierig sein könnte, derartige Qualitätsveränderungen mithilfe eines Preisindex zu erfassen. Seit einigen Jahrzehnten gehen mehr und mehr Frauen einer bezahlten Arbeit nach und verbringen weniger Zeit mit unbezahlter Hausarbeit. a. Welchen Einfluss haben die zusätzlich geleisteten Arbeitsstunden auf das BIP? b. Erläutern Sie, warum dieser Anstieg des gemessenen BIP die tatsächliche Erhöhung der Produktionsleistung übertreibt. Erklären Sie, wie eine Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, die auch die Leistungen im Haushalt berücksichtigt, diese Verschiebung von nicht am Markt angebotener Arbeit zu bezahlter Arbeit darstellen würde. c. Erläutern Sie das Paradox: „Wenn jemand seinen Gärtner/seine Gärtnerin heiratet, sinkt das BIP.“ Schauen Sie sich die Preise in Tabelle 21-7 an. Sie führt die tatsächlichen Daten für den Verbraucherpreisindex im Dezember 2000 auf. a. Wenden Sie die in dem Kasten „Die Berechnung des Verbraucherpreisindex“ vorgestellte Technik an und berechnen Sie den prozentualen Anstieg des VPI von Dezember 1999 bis Dezember 2000. b. Im Dezember 1999 lag der VPI bei 168,3 (auf der Basis 1983 = 100). Wie hoch war der entsprechende VPI im Dezember 2000?
Kapitel 21 Das Messen wirtschaftlicher Aktivität
Ausgabengruppe
Relative Bedeutung, Dezember 1999 (%)
Prozentuale Veränderung, Dezember 1999 vgl. mit Dezember 2000
Alle Gruppen (1967 = 100)
100,00
?
Lebensmittel und Getränke
16,30
2,80
Wohnungen
39,64
4,30
Bekleidung
4,68
–1,80
17,45
4,10
Medizinische Versorgung
5,77
4,20
Freizeit
6,01
1,70
Bildung und Kommunikation
5,42
1,30
Sonstige Waren und Dienstleistungen
4,73
4,20
Transport
Tabelle 21-7: Angaben zum Verbraucherpreisindex, Dezember 2000 Quelle: Bureau of Labor Statistics, ftp://ftp.bls.gov/pub/news.release/History/cpi.01142000.news
631
633
KAPITEL 22 Konsum und Investitionen
Micawbers Gleichung: Einkommen 20 Pfund; Ausgaben 19 Pfund, 19 Shilling und Sixpence = Glück. Einkommen 20 Pfund; jährliche Ausgaben 20 Pfund und Sixpence = Kummer. Charles Dickens, „David Copperfield“
Konsum, Ersparnisse und Investitionen spielen eine wesentliche Rolle für die wirtschaftliche Leistung einer Nation. Länder, die einen Großteil ihres Einkommens sparen und investieren, erzielen üblicherweise rasche Steigerungen ihrer Produktionsleistung, ihres Einkommens sowie ihrer Löhne und Gehälter. Während des 19. Jahrhunderts folgte die Entwicklung der Vereinigten Staaten diesem Muster; während des 20. Jahrhunderts galt dasselbe für Japan und während der letzten 30 Jahre für die „Wunder“-Wirtschaften Ostasiens. Im Gegensatz dazu investieren Nationen, die den größten Teil ihres Einkommens konsumieren, wie viele arme Länder Afrikas oder Lateinamerikas, wenig in neue Fabriken und Anlagen und erzielen daher nur ein geringes Wachstum von Produktivität, Löhnen und Gehältern. Ein im Vergleich zum Einkommen hoher Konsum bedeutet geringe Investitionen und niedriges Wachstum; ein hohes Maß an Ersparnissen führt zu hohen Investitionsausgaben und einem schnellen Wachstum Das Zusammenspiel zwischen Ausgaben und Einkommen spielt während eines Wirtschaftsaufschwungs eine andere Rolle als während eines Wirtschaftsabschwungs. Wenn die wirtschaftlichen Bedingungen das schnelle Wachstum von Konsum und Investitionen fördern, erhöhen sich die Gesamtausgaben oder die Gesamtnachfrage, was kurzfristig zum Anstieg von Produktion und Beschäftigung führt. Der Wirtschaftsaufschwung in den Vereinigten Staaten gegen Ende der neunziger Jahre wurde hauptsächlich durch die schnell wachsenden Konsumausgaben angetrieben. Wenn dagegen der Konsum aufgrund von Steuererhöhungen oder eines Vertrauensverlusts der Konsumenten sinkt, wie es Ende der neunziger Jahre in Japan der Fall war, führt das üblicherweise zu sinkenden Ausgaben und kann eine Rezession verursachen. Da Konsum und Investitionen ein so wesentlicher Teil der Makroökonomie sind, widmen wir ihnen dieses Kapitel. Abbildung 22-1 verdeutlicht, wie sich die in diesem Kapitel
634
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Teil 5
Gesamtnachfrage (AD) Konsum und Investitionen Zusammenspiel von AS und AD
Gesamtangebot (AS)
Investitionen und Kapital
Abbildung 22-1: Welche Hauptfaktoren beeinflussen Konsum und Investitionen? In diesem Kapitel werden zwei Hauptkomponenten des BIP analysiert: Konsum und Investitionen. In späteren Kapiteln werden wir sehen, dass diese sowohl das gesamtwirtschaftliche Angebot als auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage beeinflussen.
behandelten Themen in das Gesamtbild einer Volkswirtschaft einfügen.
A. Konsum und Sparverhalten In diesem Abschnitt betrachten wir den Konsum und das Sparverhalten, wobei wir mit einer Analyse individueller Ausgabenmuster beginnen und dann das Gesamtkonsumverhalten betrachten. In Kapitel 21 wurde dargelegt, dass Konsum (oder, genauer gesagt,
die persönlichen Konsumausgaben) die Ausgaben der Haushalte für Endprodukte und Dienstleistungen bezeichnet. Die Ersparnisse sind der Teil des verfügbaren Einkommens, der nicht konsumiert wird. Der Konsum stellt die größte Einzelposition des BIP dar. Im letzten Jahrzehnt entfielen in den Vereinigten Staaten 66 Prozent aller Ausgaben auf den Konsum. Aus welchen Hauptelementen setzt er sich zusammen? Zu den wichtigsten Komponenten zählen der Wohnungsbau, Kraftfahrzeuge, Nahrungsmittel und die medizinische Versorgung. Tabelle 22-1 listet die Hauptbestandteile des Konsums auf, unterteilt in die drei Kategori-
635
Kapitel 22 Konsum und Investitionen
Konsumkomponenten
Wert für 2002 (Mrd. US-$)
Gebrauchsgüter Kraftfahrzeuge und -teile
376,1
Möbel und Haushaltsgeräte
318,7
Sonstige
177,1
Verbrauchsgüter Lebensmittel
324,3
Energieversorgung
173,5
Sonstige
587,8
Dienstleistungen
11,9
2.115
29,0
4.317
59,1
7.304
100,0
1.071,5
Arbeiten im Haushalt
405,2
Transport
275,8
Ärztliche Versorgung
1.148,5
Freizeit und Erholung
285,1
Sonstige
872
1.029,4
Bekleidung und Schuhe
Wohnungen
Anteil am Gesamtkonsum (in %)
1.130,7
Gesamte Konsumausgaben Tabelle 22-1: Die Hauptkomponenten des Konsums
Der Konsum wird in drei Kategorien unterteilt: (langlebige) Gebrauchsgüter, Verbrauchsgüter und Dienstleistungen. Der Dienstleistungssektor nimmt an Bedeutung zu, da die Grundbedürfnisse nach Nahrung befriedigt sind und die Gesundheitsvorsorge, Freizeitaktivitäten und Bildung einen größeren Anteil am Haushaltsbudget beanspruchen. Quelle: US-Handelsministerium, verfügbar unter www.bea.gov.
en langlebige Konsumgüter (Gebrauchsgüter), Verbrauchsgüter und Dienstleistungen. Diese Positionen sind Ihnen sicherlich geläufig, aber ihre relative Bedeutung, insbesondere die steigende Bedeutung der Dienstleistungen, rechtfertigt eine genauere Auseinandersetzung mit diesem Thema.
Ausgabenmuster der privaten Haushalte Wie unterscheidet sich die Ausgabenstruktur der verschiedenen privaten Haushalte in den Vereinigten Staaten? Keine zwei Familien geben ihr verfügbares Einkommen auf genau gleiche Art und Weise aus. Trotzdem zeigen
Statistiken, dass eine voraussagbare Gleichmäßigkeit darin besteht, wie Menschen ihre Ausgaben auf Nahrungsmittel, Kleidung und andere wichtige Positionen verteilen. Tausende von Untersuchungen über das Ausgabenverhalten zeigen eine erstaunliche Übereinstimmung der allgemeinen qualitativen Verhaltensmuster.1 Abbildung 22-2 verdeutlicht 1 Das in Abbildung 22-2 gezeigte Ausgabenmuster wird nach dem preußischen Statistiker Ernst Engel (19. Jahrhundert) als „Engelsches Gesetz“ bezeichnet. Im Durchschnitt stehen die Konsumausgaben in einer recht regelmäßigen Beziehung zum Einkommen. Doch Durchschnitte haben nur eine begrenzte Aussagekraft. Tatsächlich ist innerhalb jeder Einkommensklasse eine beträchtliche Streuung der Konsumausgaben um den Durchschnitt festzustellen.
636
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Teil 5
100.000
Private Konsumausgaben (in US-$)
80.000
Ersparnis 60.000
Medizinische Versorgung und Sonstiges 40.000 Transport
20.000 Wohnungskosten
Nahrungsmittel
0 0
20.000
60.000 40.000 Verfügbares Einkommen (in US-$)
80.000
100.000
Abbildung 22-2: Die Haushaltsausgaben weisen regelmäßige Muster auf Untersuchungen bestätigen die Bedeutung des verfügbaren Einkommens als Bestimmungsgröße der Konsumausgaben. Beachten Sie die prozentuale Abnahme der Nahrungsmittelausgaben bei steigendem Einkommen. Beachten Sie auch, dass die Ersparnisse bei niedrigem Einkommen negativ sind, aber mit wachsendem Einkommen deutlich ansteigen. Quelle: US Arbeitsministerium, Consumer Expenditure Survey, 1998.
diesen Tatbestand. Arme Familien sind gezwungen, ihr Einkommen hauptsächlich für lebensnotwendige Güter zu verwenden, also Nahrungsmittel und Wohnraum. Mit steigendem Einkommen erhöhen sich auch die Nahrungsmittelausgaben: Die Menschen essen mehr und besser. Allerdings geben sie bei steigendem Einkommen nicht alles zusätzliche Geld für Lebensmittel aus. Folglich sinkt mit steigendem Einkommen der prozentuelle Anteil, der für Nahrungsmittel ausgegeben wird.
Bis zum Erreichen eines hohen Einkommensniveaus steigen im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen die Ausgaben für Kleidung, Erholung und Kraftfahrzeuge überproportional an. Die Ausgaben für Luxusgüter nehmen stärker zu als das Einkommen. Schließlich ist bei zunehmendem Nettoeinkommen auch ein starker Anstieg der Ersparnisse festzustellen. Sparen ist der größte Luxus überhaupt.
637
Kapitel 22 Konsum und Investitionen
Die Entwicklung des Konsums im 20. Jahrhundert Stetige Veränderungen der Technik, der Einkommen und der sozialen Kräfte haben im Lauf der Zeit zu dramatischen Veränderungen der Konsummuster in den Vereinigten Staaten geführt. 1918 gaben amerikanische Haushalte im Durchschnitt 41 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Heutzutage beträgt dieser Anteil nur noch 19 Prozent. Wie kam es zu diesem bemerkenswerten Rückgang? Der Hauptgrund besteht darin, dass die Ausgaben für Lebensmittel üblicherweise langsamer steigen als die Einkommen. Ebenso sind auch die Ausgaben für Bekleidung von 18 Prozent des Haushaltseinkommens am Anfang des 20. Jahrhunderts auf nur noch sechs Prozent gesunken. Für welche „Luxusgüter“ geben die Amerikaner heutzutage mehr aus? Ein wichtiger Posten ist der Transport. Im Jahre 1918 gaben die Amerikaner nur ein Prozent ihres Einkommens für Fahrzeuge aus – Henry Ford hat sein erstes Model T ja auch erst 1908 verkauft. Inzwischen verfügt jeder Haushalt über 1,3 Autos, daher überrascht es nicht, dass 23 Prozent der Ausgaben auf den Transport mit Kraftfahrzeugen entfallen. Wie sieht es mit Freizeit und Unterhaltung aus? Heutzutage geben Haushalte beträchtliche Summen fürs Fernsehen, für Videorekorder und Mobiltelefone aus, alles Produkte, die es vor 75 Jahren noch gar nicht gab. Diese neuen Erfindungen haben die Ausgaben für Unterhaltung von drei Prozent auf sechs Prozent der Haushaltsbudgets steigen lassen. Auch die Ausgaben für Wohnraum und damit verbundene Dienstleistungen beanspruchen nun einen größeren Teil des Einkommens – 20 Prozent statt 14 Prozent gegen Anfang des Jahrhunderts. Das zeigt in gewisser Weise, wie erfolgreich der amerikanische Traum verwirklicht wird: Es kostet mehr, ein großes Haus in einem Vorort zu besitzen, als eine kleine Wohnung in der Innenstadt zu mieten. Während des letzten Jahrzehnts sind die Gesundheitsausgaben besonders stark gestiegen, wobei sowohl die Konsumenten
selbst mehr für die Gesundheitsvorsorge ausgeben als auch Unternehmen und die Regierung höhere Beiträge zum Gesundheitswesen leisten. Erstaunlicherweise ist der Prozentsatz am Haushaltseinkommen, den die Konsumenten direkt für ihre Gesundheit ausgeben, seit Anfang des 20. Jahrhunderts fast unverändert geblieben. Den größten Zuwachs verzeichnen auf diesem Gebiet die Regierungsausgaben, da die Regierung der Vereinigten Staaten wie auch diejenigen anderer Länder mit hohem Durchschnittseinkommen zunehmend mehr für Gesundheitsvorsorge ausgeben.
Konsum, Einkommen und Ersparnisse Einkommen, Konsum und Ersparnisse sind eng miteinander verflochten. Genauer gesagt sind die persönlichen Ersparnisse der Teil des verfügbaren Einkommens, der nicht konsumiert wird. Mit anderen Worten: Zieht man vom Einkommen den Konsum ab, erhält man die Ersparnisse. Die Beziehung zwischen Einkommen, Konsum und Ersparnissen in den Vereinigten Staaten im Jahre 2002 ist in Tabelle 22-2 dargestellt. Beginnen wir mit dem persönlichen Einkommen (das sich, wie in Kapitel 21 gezeigt, aus Löhnen, Gehältern, Zins-, Miet- und Dividendenerträgen, Transferzahlungen und so weiter zusammensetzt). Im Jahre 2002 wurden etwa US-$ 1.114 Milliarden oder 12,5 Prozent an Einkommensteuern vom persönlichen Einkommen abgezogen. Damit verblieben den Haushalten $ 7.816 Milliarden an verfügbarem Einkommen. Die Haushaltsausgaben für Konsum (einschließlich Zinsen) betrugen 96,3 Prozent des verfügbaren Einkommens oder US-$ 7.525 Milliarden, womit US-$ 291 Milliarden für persönliche Ersparnisse übrig blieben. Die letzte Position der Tabelle zeigt die wichtige Sparquote der privaten Haushalte. Diese gibt die persönlichen Ersparnisse als Prozentsatz des verfügbaren Einkommens an (3,7 Prozent für 2002).
638
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Posten
Betrag für 2002 (Mrd. US-$)
(1)
(2)
(3)
Verfügbares Einkommen
Konsum
(US-$)
Nettoersparnis (+) oder negative Ersparnis (–) (US-$)
A
24.000
–200
24.200
B
25.000
0
25.000
291
C
26.000
200
25.800
3,7
D
27.000
400
26.600
E
28.000
600
27.400
F
29.000
800
28.200
G
30.000
1.000
29.000
Persönliches Einkommen
8.929
minus Einkommensteuer
1.114
= Persönliches verfügbares Einkommen
7.816
minus persönliche Ausgaben (Konsum und Zinsen) = Persönliche Ersparnisse Persönliche Ersparnisse in % des persönlichen verfügbaren Einkommens
Teil 5
7.525
Tabelle 22-2: Die Ersparnis entspricht dem verfügbaren Einkommen abzüglich der Konsumausgaben Quelle: US Handelsministerium, verfügbar unter: www.bea.gov.
Volkswirtschaftliche Studien haben gezeigt, dass die Aufteilung zwischen Konsum und Sparen primär vom Einkommen abhängt. Reiche Menschen sparen mehr als arme, sowohl absolut als auch als Prozentsatz ihres Einkommens. Angehörige der untersten Einkommensschichten können gar nicht sparen. Solange sie Geld leihen oder von ihrem Vermögen leben können, betreiben sie so genanntes „negatives Sparen“. Das bedeutet, dass diese ärmeren Bevölkerungsgruppen dazu tendieren, mehr auszugeben, als sie einnehmen, und damit bisherige Ersparnisse aufzuzehren oder sich noch tiefer zu verschulden. Tabelle 22-3 zeigt beispielhaft Daten aus Budgetstudien über verfügbare Einkommen, Ersparnis und Konsum von Haushalten der Vereinigten Staaten. Die erste Spalte führt sieben unterschiedlich hohen Einkommensniveaus auf. Spalte (2) zeigt die zu jedem verfügbaren Einkommen gehörende Nettoersparnis, und aus der dritten Spalte lassen sich die entsprechenden Konsumausgaben ersehen. Der Gleichgewichtspunkt beziehungsweise die „Sparschwelle“, an der ein Haushalt weder positiv noch negativ spart, sondern sein gesamtes Einkommen konsumiert, liegt
(US-$)
Tabelle 22-3: Konsum und Ersparnisse werden hauptsächlich vom Einkommen bestimmt Konsum und Ersparnisse steigen mit dem verfügbaren Einkommen. Die Sparschwelle, an der die Menschen gar nichts sparen, liegt hier bei US-$ 25.000. Wie viel von jedem zusätzlichen Dollar an Einkommen wird in dieser Einkommensklasse für zusätzlichen Konsum und wie viel für zusätzliche Ersparnisse verwendet? (Antwort: 80 Cents und 20 Cents, wie aus den Zeilen B und C ersichtlich.)
bei einem jährlichen Einkommen von etwa US-$ 25.000. Unterhalb dieses Punktes, zum Beispiel bei US-$ 24.000, übersteigen die Konsumausgaben das Einkommen des Haushaltes: Es kommt zum negativen Sparen (im Beispiel US-$ –200). Bei allen Einkommen über US-$ 25.000 verzeichnen wir positive Ersparnisse (in unserem Beispiel US-$ 200 und die übrigen positiven Zahlenangaben der zweiten Spalte). Die dritte Spalte zeigt die Konsumausgaben für jede Einkommenshöhe. Da jeder Dollar Einkommen zwischen Konsum und Sparen aufgeteilt wird, sind Spalten (2) und (3) nicht unabhängig voneinander. In der Summe müssen sie immer den Betrag der ersten Spalte ergeben. Um zu verstehen, wie der Konsum die gesamtwirtschaftliche Produktion beeinflusst, müssen wir einige neue Instrumente in die Diskussion einführen. Wir müssen verste-
639
Kapitel 22 Konsum und Investitionen
hen lernen, wie viel zusätzlichen Konsum und wie viel zusätzliches Sparen jede zusätzliche Geldeinheit an Einkommen auslöst. Diese Beziehung wird mit Hilfe folgender Instrumente beschrieben: • der Konsumfunktion, die das Verhältnis zwischen Konsum und Einkommen darstellt; • und ihres Zwillings, der Sparfunktion, die das Verhältnis zwischen Ersparnis und Einkommen ausdrückt.
Die Konsumfunktion Einen der wichtigsten Zusammenhänge der Volkswirtschaftslehre stellt die Konsumfunktion dar. Sie zeigt die Beziehung zwischen der
Höhe der Konsumausgaben und der Höhe des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte. Dieser von Keynes eingeführte Begriff basiert auf der Hypothese, dass es eine stabile empirische Beziehung zwischen Konsum und Einkommen gibt. Die Konsumfunktion lässt sich am anschaulichsten in Form einer Grafik darstellen. In Abbildung 22-3 sind die sieben Einkommenshöhen aus Tabelle 22-3 aufgezeichnet. Das verfügbare Einkommen (erste Spalte aus Tabelle 23-3) wird auf der waagrechten und der Konsum (dritte Spalte) auf der senkrechten Achse aufgetragen. Jeder der einzelnen Punkte in der Grafik repräsentiert eine bestimmte Einkommens-KonsumKombination; diese werden nun zu einer Kurve verbunden.
C
Er
E′′ 28.000 Konsumausgaben (in US-$)
E C
26.000 Gleichgewichtspunkt (Sparschwelle) A
r pa
nis
se
s G
F Konsumfunktion
D
B
24.000 Konsum
22.000
20.000
45˚ 0
E′
20.000 22.000 24.000 26.000 28.000 Verfügbares Einkommen (in US-$)
30.000
DI
Abbildung 22-3: Grafische Darstellung der Konsumfunktion Die Kurve durch die Punkte A, B, C bis G stellt die Konsumfunktion dar. Auf der waagrechten Achse sind die verfügbaren Einkommen (DI) verzeichnet. Für jedes Niveau von DI zeigt die Konsumfunktion die zugehörige Konsumhöhe (in US-Dollar) der Haushalte. Beachten Sie, dass der Konsum mit dem verfügbaren Einkommen steigt. Die 45˚-Linie hilft, die Sparschwelle zu identifizieren und die Nettoersparnisse anhand der Grafik zu erkennen. Quelle: Tabelle 22-3.
640
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Der in Abbildung 23-3 gezeigte Zusammenhang zwischen Konsum und Einkommen wird Konsumfunktion genannt. Die „Sparschwelle“ (Gleichgewichtspunkt). Beachten Sie die 45˚-Linie, die durch den Ursprung des Diagramms nach oben rechts verläuft. Da auf der vertikalen sowie auf der horizontalen Achse die gleichen Skalen verwendet werden, weist die 45˚-Linie eine ganz spezielle Eigenschaft auf: Auf jedem Punkt der Linie entspricht der Abstand von der senkrechten Achse (Konsum) exakt dem Abstand von der waagrechten Achse (verfügbares Einkommen). Sie können diese Tatsache leicht selbst nachprüfen. Die 45˚-Linie ermöglicht es uns daher, schnell herauszufinden, ob die Konsumausgaben gleich dem verfügbaren Einkommen oder aber größer oder kleiner als dieses sind. Der Schnittpunkt der 45˚-Linie mit der Konsumfunktion markiert jenes verfügbare Einkommen, das gerade zur Deckung der Konsumausgaben ausreicht (Gleichgewichtspunkt). In Abbildung 22-3 ist dieser Punkt mit B bezeichnet. Die Konsumausgaben und das verfügbare Einkommen sind gleich hoch: Der Haushalt nimmt keine Kredite auf und spart nicht. Rechts von B liegt die Konsumfunktion unterhalb der 45˚-Linie. Die dünne schwarze Linie von E' nach E in Abbildung 22-3 zeigt hier die Beziehung zwischen Einkommen und Konsum. Bei einem Einkommen von US-$ 28.000 beträgt das Konsumniveau US-$ 27.400 (wie wir aus Tabelle 22-3 wissen). Den Umstand, dass der Konsum geringer als das Einkommen ist, können wir daraus ersehen, dass die Konsumfunktion in Punkt E unterhalb der 45˚-Linie liegt. Gibt ein Haushalt nicht sein gesamtes Einkommen aus, so spart er den Rest. Die 45˚-Linie ermöglicht es uns festzustellen, wie viel gespart wird. Wir messen die Höhe der Nettoersparnis als vertikalen Abstand zwischen der Konsumfunktion und der 45˚-Linie, wie mit Hilfe des rostfarbenen Pfeils von E nach E“ veranschaulicht wird.
Teil 5
Die 45˚-Linie verdeutlicht auch, dass der Haushalt links von Punkt B mehr ausgibt, als er einnimmt. Der Überhang an Konsumausgaben gegenüber dem Einkommen bedeutet ein „negatives Sparen“ und wird ebenso anhand des Vertikalabstandes zwischen Konsumfunktion und 45˚-Linie gemessen. Wir können also festhalten: Auf jedem Punkt der 45˚-Linie entsprechen die Konsumausgaben genau dem verfügbaren Einkommen; es wird nichts gespart. Liegt die Konsumfunktion oberhalb der 45˚-Linie, dann betreibt der Haushalt „negatives Sparen“. Liegt die Kurve unterhalb der 45˚-Linie, bildet der Haushalt positive Nettoersparnisse. Die Höhe des „negativen“ oder des positiven Sparens wird immer durch den vertikalen Abstand der Konsumfunktion von der 45˚Linie gemessen.
Die Sparfunktion Die Sparfunktion zeigt den Zusammenhang zwischen der Höhe der Ersparnis und dem Einkommen. Dies wird grafisch durch Abbildung 22-4 verdeutlicht. Wieder ist das verfügbare Einkommen entlang der waagrechten Achse dargestellt; die senkrechte Achse repräsentiert dieses Mal jedoch die positiven oder negativen Nettoersparnisse der einzelnen Haushalte. Die Sparfunktion lässt sich unmittelbar aus Abbildung 22-3 ableiten. Sie ist nichts anderes als der Abstand zwischen der 45˚-Linie und der Konsumfunktion. Zum Beispiel zeigt Punkt A in Abbildung 22-3 die negative Ersparnis des Haushalts dadurch an, dass die Konsumfunktion oberhalb der 45˚-Linie liegt. In Abbildung 22-4 kann das „negative Sparen“ unmittelbar abgelesen werden, da Punkt A im negativen Bereich liegt. Dementsprechend werden rechts von Punkt B positive Ersparnisse gebildet, da die Sparfunktion im Plusbereich liegt.
641
Kapitel 22 Konsum und Investitionen
Nettoersparnis (inUS-$)
S
G
1.000
F
800
E
600
D
400
Ersparnis
C
200
B
0
A
–200 20.000
22.000
24.000
26.000
28.000
30.000
DI
Verfügbares Einkommen (in US-$)
Abbildung 22-4: Die Sparfunktion ist das Spiegelbild der Konsumfunktion Man berechnet die Sparfunktion, indem man vom Einkommen den Konsum abzieht. In der Grafik erhält man die Sparfunktion, indem man vertikal die Konsumfunktion von der 45˚-Linie in Abbildung 22-3 abzieht. Beachten Sie, dass die Sparschwelle B bei demselben Einkommensniveau von US-$ 25.000 liegt wie in Abbildung 22-3.
Die Grenzneigung zum Konsum Heutzutage misst die Makroökonomie der Reaktion des Konsums auf Einkommensveränderungen große Bedeutung bei. Man bezeichnet dieses Konzept als Grenzneigung zum Konsum (MPC – Marginal Propensity to Consume). Die Grenzneigung zum Konsum stellt jenen zusätzlichen Konsum dar, der pro zusätzlicher Geldeinheit an verfügbarem Einkommen getätigt wird. Der Begriff „Grenz-“ wird bekanntlich in der Volkswirtschaft im Sinne von „zusätzlich“ gebraucht. So werden zum Beispiel die „Grenzkosten“ als die anfallenden Kosten pro zusätzlich produzierter Einheit definiert. Die „Neigung zum Konsum“ bezeichnet das gewünschte Konsumniveau. MPC ist dann der zusätzliche Konsum, der aus jeder zusätzlichen Geldeinheit an verfügbarem Einkommen resultiert. In Tabelle 22-4 werden die Daten aus Tabelle 22-3 noch einmal in übersichtlicher Form dargestellt. Vergewissern Sie sich zunächst der Deckungsgleichheit der Daten. Schauen Sie sich dann die beiden Spalten an, die zeigen, wie die Konsumausgaben mit höherem Einkommen steigen. In der dritten Spalte wird die Berechnung der Grenzneigung zum Konsum dargestellt. Zwischen den Punkten B und C steigt das
Einkommen um US-$ 1.000, nämlich von US-$ 25.000 auf US-$ 26.000. Um wie viel steigt dann der Konsum? Die Antwort lautet: um US-$ 800, von US-$ 25.000 auf US$ 25.800. Das Verhältnis von zusätzlichem Konsum zu zusätzlichem Einkommen beträgt also 0,80. Von jedem zusätzlichen Dollar Einkommen werden 80 Cent für den Konsum aufgewandt, und 20 Cent werden gespart. Im hier gezeigten Beispiel wird eine lineare Konsumfunktion verwendet – eine, bei der die marginale Konsum- und Sparneigung konstant sind. Sie können leicht feststellen, dass MPC überall 0,80 beträgt und MPS 0,20. In der Realität sind vollkommen lineare Konsumfunktionen unwahrscheinlich, aber für unsere Zwecke genügt diese Annäherung an die Wirklichkeit. Geometrische Darstellung der Grenzneigung zum Konsum. Wir wissen nun, wie man die Grenzneigung zum Konsum (MPC) aus den Daten für Einkommen und Konsum berechnet. In Abbildung 22-5 beantworten wir die Frage, wie MPC grafisch ermittelt werden kann. Beachten Sie das eingezeichnete Dreieck unterhalb der Punkte B und C. Wenn das Einkommen von Punkt B nach C um US-$ 1.000 steigt, nimmt der Konsum entsprechend um US-$ 800 zu. Die MPC entspricht hier also $ 800 / $ 1.000 = 0,80. Wie aber im Anhang zum ersten Kapitel beschrieben wurde, ist der numerische Ausdruck für die Steigung einer Geraden der Y-
642
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
(1) Verfügbares Einkommen nach Steuern (US-$) A
24.000
(2) Konsumausgaben
(3) Grenzneigung zum Konsum
(US-$)
(MPC)
24.200
(4) Netto Ersparnisse (in US-$) (4) = (1) – (2)
25.000
25.000
200/1.000 = 0,20 0
800/1.000 = 0,80 C
26.000
25.800
200/1.000 = 0,20 200
800/1.000 = 0,80 D
27.000
26.600
200/1.000 = 0,20 400
800/1.000 = 0,80 E
28.000
27.400
200/1.000 = 0,20 600
800/1.000 = 0,80 F
29.000
28.200
200/1.000 = 0,20 800
800/1.000 = 0,80 G
30.000
(5) Grenzneigung zum Sparen (MPS)
–200 800/1.000 = 0,80
B
Teil 5
29.000
200/1.000 = 0,20 1.000
800/1.000 = 0,80
200/1.000 = 0,20
Tabelle 22-4: Die Grenzneigung zum Konsum und zum Sparen Jeder Dollar des verfügbaren Einkommens, der nicht in den Konsum fließt, wird gespart. Jeder zusätzliche Dollar an verfügbarem Einkommen wird entweder für zusätzlichen Konsum oder zusätzliche Ersparnisse ausgegeben. Die Kombination dieser beiden Tatsachen erlaubt es uns, die marginale Konsumneigung (MPC) und die marginale Sparneigung (MPS) zu berechnen.
Wert dividiert durch den X-Wert.2 Dementsprechend können wir feststellen, dass die Steigung der Konsumfunktion der Grenzneigung zum Konsum entspricht. Die Steigung der Konsumfunktion entspricht der Grenzneigung zum Konsum; beide stellen die Konsumveränderung pro zusätzlicher Geldeinheit an verfügbarem Einkommen dar.
Die Grenzneigung zum Sparen Das Spiegelbild der Grenzneigung zum Konsum ist die Grenzneigung zum Sparen (MPS – Marginal Propensity to Save). Sie wird de2 Für gekrümmte Linien berechnen wir die Steigung als die Steigung der Tangente in diesem Punkt.
finiert als jener Teil jeder zusätzlichen Geldeinheit des verfügbaren Einkommens, der nicht konsumiert, sondern gespart wird. Weshalb stellen sich MPC und MPS wie Spiegelbilder dar? Erinnern wir uns daran, dass das verfügbare Einkommen dem Konsum zuzüglich der Ersparnis entspricht. Dies bedeutet, dass jeder zusätzliche Dollar an verfügbarem Einkommen zwischen zusätzlichem Konsum und zusätzlicher Ersparnis aufgeteilt werden muss. Wenn MPC = 0,80, muss MPS = 0,20 sein. (Wie hoch wäre MPS, wenn MPC = 0,6 oder 0,99 wäre?) Ein Vergleich der Spalten (3) und (5) in Tabelle 22-4 bestätigt uns, dass bei jedem Einkommensniveau MPC plus MPS immer exakt 1 ergibt. Es gilt also immer und überall: MPS = 1 – MPC.
643
Kapitel 22 Konsum und Investitionen
30.000
C
G Konsumausgaben (in US-$)
28.000
F E C
26.000
D
B A
$ 800 $ 1.000
24.000
22.000
20.000
45˚ 0
20.000 22.000 24.000 26.000 28.000 Verfügbares Einkommen (in US-$)
30.000
DI
Abbildung 22-5: Die Steigung der Konsumfunktion entspricht der Grenzneigung zum Konsum Zur Berechnung der Grenzneigung zum Konsum (MPC) messen wir die Steigung der Konsumfunktion, indem wir in einem rechtwinkligen Dreieck die Höhe zur Basis in Relation setzen. Von Punkt B nach Punkt C wächst das verfügbare Einkommen um US-$ 1.000, und der Konsum steigt um US-$ 800. Die Steigung entspricht der Veränderung von C dividiert durch die Veränderung des DI und ist mit MPC identisch. Wenn die Konsumfunktion in jedem Punkt der Grafik steigt, was bedeutet dies für MPC? Wenn die Linie eine Gerade mit konstanter Steigung ist, was sagt uns das über MPC?
Kurze Zusammenfassung der bisher verwendeten Definitionen Lassen Sie uns die wichtigsten bisherigen Definitionen wiederholen: 1. Die Konsumfunktion setzt die Höhe der Konsumausgaben zu der Höhe des verfügbaren Einkommens in Beziehung. 2. Die Sparfunktion setzt die Ersparnis zu dem verfügbaren Einkommen in Beziehung. Da Sparen gleichzeitig Nicht-Konsum bedeutet, verhalten sich Spar- und Konsumfunktion spiegelbildlich zueinander. 3. Die Grenzneigung zum Konsum (MPC) stellt jenen zusätzlichen Konsum dar, der pro zusätzlicher Geldeinheit an verfügba-
rem Einkommen getätigt wird. Grafisch lässt sie sich als Steigung der Konsumfunktion darstellen. 4. Die Grenzneigung zum Sparen (MPS) bezeichnet die zusätzlichen Ersparnisse, die aus einer zusätzlichen Geldeinheit an verfügbarem Einkommen stammen. Grafisch entspricht sie der Steigung der Sparfunktion. 5. Da der nicht konsumierte Teil jeder Geldeinheit des verfügbaren Einkommens notwendigerweise gespart wird, gilt stets: MPS 1 – MPC.
Das gesamtwirtschaftliche Konsumverhalten Bisher haben wir die Strukturen der Haushaltsbudgets und das Konsumverhalten typi-
644
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
scher Familien bei unterschiedlicher Einkommenshöhe untersucht. Im Folgenden wenden wir uns der Frage nach dem Konsumverhalten einer gesamten Volkswirtschaft zu. Der Übergang von der Betrachtung des Verhaltens einzelner Haushalte zu gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen zeigt exemplarisch die Methodik der Makroökonomik auf: Wir beginnen mit der Untersuchung der wirtschaftlichen Tätigkeit auf einzelwirtschaftlicher Ebene und addieren anschließend die individuellen Ergebnisse, um zu sehen, wie die gesamte Volkswirtschaft funktioniert. Wieso sind wir an gesamtwirtschaftlichen Konsumtrends interessiert? Das Konsumverhalten ist für das Verständnis kurzfristiger Konjunkturzyklen und des langfristigen Wirtschaftswachstums wichtig. Kurzfristig betrachtet sind die Konsumausgaben der
Teil 5
Hauptbestandteil der volkswirtschaftlichen Gesamtausgaben. Wenn sich der Konsum drastisch verändert, dann hat diese Veränderung durch ihren Einfluss auf die Gesamtnachfrage aller Wahrscheinlichkeit nach Auswirkungen auf die Produktion und die Beschäftigung. Diesen Mechanismus werden wir in dem Kapitel über die Makroökonomie von Keynes genauer untersuchen. Außerdem ist das Konsumverhalten wichtig, weil alles, was nicht konsumiert – also gespart – wird, der Volkswirtschaft für Investitionen in neue Kapitalgüter zur Verfügung steht; Kapital ist eine der treibenden Kräfte des langfristigen Wirtschaftswachstums. Konsum- und Sparverhalten sind Schlüsselfaktoren für das Verständnis des Wirtschaftswachstums und der Konjunkturzyklen.
8.000 7.000 6.000
Milliarden US-$ (Preise von 2000)
5.000
verfügbares Einkommen
4.000 3.000
2.000
Konsum
1.000
1930
1940
1950
1960
1970 Jahr
1980
1990
2000
2010
Abbildung 22-6: Konsum und verfügbares Einkommen, 1929–2003 Während der letzten sieben Jahrzehnte sind die Konsumausgaben in den Vereinigten Staaten der Höhe des persönlichen verfügbaren Einkommens dicht gefolgt. Die Makroökonomen können auf der Basis der historischen Konsumfunktion den zukünftigen Konsum gut vorhersagen. Quelle: US-Handelsministerium. Um das reale verfügbare Einkommen zu erhalten, verwendet man den Preisindex für persönliche Konsumausgaben als Deflator.
Kapitel 22 Konsum und Investitionen
Bestimmungsfaktoren des Konsums Beginnen wir mit der Analyse der wichtigsten Faktoren, die das Konsumverhalten bestimmen. Welche Faktoren im Leben einer Volkswirtschaft und eines Einzelnen bestimmen die Konsumausgaben? Das laufende verfügbare Einkommen. Abbildung 22-6 zeigt, wie eng im Zeitraum 1929–1999 in den Vereinigten Staaten der private Konsum der Entwicklung des jeweils verfügbaren Einkommens folgte. Nur während des Zweiten Weltkriegs entwickelten sich Einkommen und Konsum nicht parallel. Damals waren die Güter knapp und wurden deshalb rationiert, und die Menschen wurden zum Sparen gedrängt, um die Finanzierung des Krieges sicherzustellen. Empirische Beobachtungen und die Auswertung statistischer Daten zeigen, dass die jeweilige Höhe des verfügbaren Einkommens den zentralen Bestimmungsfaktor für das Niveau des gesamtwirtschaftlichen Konsums darstellt. Permanentes Einkommen und Lebenszyklusmodell des Konsums. Die einfachste Theorie zur Ermittlung der Konsumfunktion zieht nur das Einkommen des laufenden Jahres heran, um die Konsumausgaben vorherzusagen. Aber betrachten Sie die folgenden Beispiele, die auf andere Zusammenhänge hindeuten: Wenn schlechtes Wetter die Ernte vernichtet, werden die Bauern auf ihre Ersparnisse zurückgreifen. Genauso leihen sich angehende Juristen während ihres Studiums Geld für ihren Konsum, weil sie glauben, dass ihre Einkommen nach Studienabschluss deutlich höher sein werden als der Nebenverdienst während des Studiums. In beiden Situationen stellen sich die Menschen letztendlich die Frage: „Wenn ich mein derzeitiges und mein zukünftiges Einkommen berücksichtige, wie viel kann ich dann heute konsumieren, ohne mich übermäßig zu verschulden?“ Sorgfältige Untersuchungen zeigen, dass Konsumenten die Höhe ihrer Ausgaben so-
645 wohl aufgrund der kurzfristigen als auch der langfristigen Einkommensaussichten wählen. Um zu verstehen, inwieweit der Konsum von der langfristigen Einkommensentwicklung abhängt, haben Ökonomen die Theorie des permanenten Einkommens sowie die Lebenszyklushypothese entwickelt.3 Das permanente Einkommen ist jenes Einkommensniveau, das die Haushalte verdienen, wenn man vorübergehende Einflüsse (zum Beispiel wetterbedingt, oder Zufallsgewinne bzw. -verluste) ausklammert. Das Konsumverhalten hängt nach dieser Theorie primär vom permanenten Einkommen ab. Diese Theorie besagt auch, dass Konsumenten nicht auf jede Einkommensschwankung gleich reagieren. Wird eine Änderung des Einkommens als dauerhaft eingeschätzt (wie zum Beispiel im Falle einer Beförderung auf einen sicheren und gut bezahlten Arbeitsplatz), wird der Betroffene einen großen Teil des Einkommenszugewinns für den Konsum verwenden. Andererseits wird bei einer offensichtlich vorübergehenden Einkommensschwankung (wie etwa bei Auszahlung einer einmaligen Prämie oder einer besonders guten Ernte) ein Gutteil des zusätzlichen Einkommens wahrscheinlich gespart werden. Die Lebenszyklushypothese geht davon aus, dass Personen sparen, um ihr Konsumniveau während ihrer Lebenszeit möglichst ausgeglichen halten zu können. Ein wichtiges Ziel ist dabei die angemessene Höhe des Pensionseinkommens. Aus diesem Grund neigen Menschen dazu, während ihrer Erwerbseinkommensphase Geld zu sparen und Rücklagen für den Ruhestand zu bilden, um dann die Ersparnisse gegen Ende des Lebens für den Konsum verwenden zu können. Eine Folgerung aus der Lebenszyklushypothese ist, dass Leistungen wie diejenigen aus der Pensionsversicherung (die ja einen weit reichenden Einkommensersatz für den Ruhe3 Die bahnbrechenden Studien zu den langfristigen Auswirkungen stammen von Milton Friedman (der die Hypothese des permanenten Einkommens entwickelte) und Franco Modigliani (der über das Lebenszyklusmodell schrieb). Beide erhielten für ihre Leistungen auf diesem und auf anderen Gebieten den Nobelpreis für Wirtschaft.
646
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
stand darstellen) das Sparbedürfnis von Personen im mittleren Alter reduzieren, da sie nun selbst nicht so hohe Beträge für den Ruhestand ansparen müssen. Wohlstand und andere Einflussgrößen. Ein weiterer für die Konsumhöhe entscheidender Faktor ist das individuelle Vermögen. Stellen Sie sich zwei Konsumenten vor, die beide jährlich US-$ 50.000 verdienen. Einer hat US-$ 200.000 auf seinem Sparkonto, während der andere über keinerlei Ersparnisse verfügt. Somit kann die erste Person einen Teil ihres Vermögens konsumieren, während die zweite Person auf keine Habe zurückgreifen kann. Die Tatsache, dass ein höheres Vermögen zu einem höheren Konsumniveau führt, wird Vermögenseffekt genannt. Normalerweise ändert sich der Wohlstand von Jahr zu Jahr nur langsam. Wenn Vermögen jedoch plötzlich steigt oder sinkt, kann dies zu drastischen Konsumveränderungen führen. Ein bedeutendes Beispiel war der Zusammenbruch des Börsenmarktes 1929, als Vermögen vernichtet und auf dem Papier wohlhabende Kapitalisten über Nacht zu Bettlern wurden. Wirtschaftshistoriker glauben, dass der dramatische Wohlstandsverlust nach dem Börsenzusammenbruch von 1929 die Konsumausgaben reduzierte und somit die Große Depression noch verschlimmerte. Das Gegenteil passierte während des Börsenbooms der neunziger Jahre. Aufgrund der kräftig steigenden Börsenkurse vermehrte sich der Nettowohlstand der Haushalte von US$ 28 Billionen im Jahre 1995 auf US-$ 42 Billionen im Jahre 2000. Dies führte zu einer Steigerung des Konsums und einer Verringerung der gemessenen Ersparnisse. Als die Börsenkurse nach 2000 dann einbrachen, schnürten die Konsumenten den Gürtel wieder enger.
Die gesamtwirtschaftliche Konsumfunktion Nachdem wir die Bestimmungsfaktoren des Konsums untersucht haben, können wir sagen,
Teil 5
dass vor allem die Höhe des verfügbaren Einkommens das gesamtwirtschaftliche Konsumniveau beeinflusst. Dank dieser Erkenntnis ist es uns nun möglich, die jährlichen Daten für den gesamtwirtschaftlichen Konsum und die verfügbaren Einkommen in Abbildung 22-7 darzustellen. Das Streudiagramm zeigt Daten für die Zeitspanne 1970 – 1999, wobei jeder Punkt Konsumniveau und verfügbares Einkommen für das betreffende Jahr darstellt. Außerdem kann man in Abbildung 22-7 durch die verstreuten Punkte eine Linie ziehen, die als geglättete Konsumfunktion bezeichnet wird. Die geglättete Konsumfunktion zeigt, wie eng Konsum und verfügbares Einkommen während der letzten 25 Jahre zusammenhingen. Tatsächlich haben Wirtschaftshistoriker herausgefunden, dass die enge Beziehung zwischen dem verfügbaren Einkommen und dem Konsum bis in das neunzehnte Jahrhundert zurückreicht. Die abnehmende Sparquote Obwohl das Konsumverhalten im Zeitverlauf weitgehend stabil blieb, sank die Sparquote der privaten Haushalte während der letzten zwei Jahrzehnte in den Vereinigten Staaten deutlich. Nach Maßgabe der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung lag die Sparquote der privaten Haushalte während fast des gesamten 20. Jahrhunderts bei etwa acht Prozent des persönlichen verfügbaren Einkommens. Ab etwa 1980 begann sie jedoch zu sinken und war während der letzten paar Jahre nur schwach positiv (siehe Abbildung 22-8). Dieser Rückgang beunruhigt viele Wirtschaftswissenschaftler, denn langfristig gesehen wird der Kapitalbestand eines Landes zum großen Teil von der Sparquote in diesem Land bestimmt. Die nationalen Ersparnisse setzen sich aus den privaten und den staatlichen Ersparnissen zusammen. In einem Land, in dem viel gespart wird, wächst der Kapitalbestand rasch an, was mit einem schnellen Anstieg des Produktionspotenzials einhergeht. Ist die Sparquote in einem Land niedrig, veralten
647
Kapitel 22 Konsum und Investitionen
Konsumausgaben der Haushalte (Mrd. US-$, Preise von 2000)
9.000
8.000 2003
7.000 2000 6.000 1995
5.000 1990 4.000 1980
3.000 1970
2.000 1960 1.000 45 0
0
2.000 4.000 6.000 8.000 Verfügbares Einkommen (Mrd. US-$, Stand 2000)
Abbildung 22-7. Die Konsumfunktion der USA von 1970 – 1999 Ziehen Sie eine gerade Linie durch das Streudiagramm. Können Sie nachweisen, dass die Steigung der Grenzneigung zum Konsum, die von dieser Linie dargestellt wird, 0,95 beträgt? Woran erkennen Sie, dass die durchschnittliche Sparquote während der letzen zwei Jahrzehnte zurückgegangen ist? Quelle: US-Handelsministerium.
seine Fabriken und Industrieanlagen, und die Infrastruktur beginnt zu zerfallen. Welches sind die Gründe für den starken Rückgang der Sparquote der privaten Haushalte? Diese Frage wird heutzutage äußerst kontrovers diskutiert, aber die Wirtschaftswissenschaftler verweisen auf die folgenden möglichen Gründe: • Das Sozialversicherungssystem. Manche Ökonomen argumentieren, dass die Sozialversicherung uns eines Teils der Notwendigkeit enthebt, selbst zu sparen. Wie das Lebenszyklusmodell des Konsums andeutet, sparte in früheren Zeiten ein Haushalt während der Jahre der Beschäftigung, um für die Jahre nach der Pensionierung ein Vermögen zu bilden. Wenn eine Regierung Sozialabgaben einnimmt und Sozialleistungen
auszahlt, müssen die Menschen selbst weniger für ihr Rentenalter sparen. Andere Systeme, die für Zusätze zum Einkommen sorgen, haben einen ähnlichen Effekt, sie senken die Notwendigkeit, für schwierige Zeiten zu sparen: Ernteversicherungen für Landwirte, Arbeitslosenversicherung für Beschäftigte und eine Krankenversicherung für die Armen und Alten vermindern die Notwendigkeit, dass Menschen vorbeugend sparen. • Die Kapitalmärkte. Bis vor kurzem waren die Kapitalmärkte alles andere als perfekt. Die Menschen hatten Schwierigkeiten, für lohnende Projekte Geld zu borgen, sei es zum Kauf eines Hauses, zur Finanzierung einer Ausbildung oder zum Aufbau eines eigenen Unternehmens. Dank der Entwicklung der Kapitalmärkte, die häufig durch die Regierung
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
unterstützt wurde, machen neue Kreditinstrumente es den Menschen nun leichter, Geld auszuleihen. Ein Beispiel ist die zunehmende Verbreitung von Kreditkarten, welche die Leute zum Borgen direkt ermuntern (obgleich die Zinssätze recht hoch sind). Noch vor einer Generation hätte eine Privatperson nur mit Mühe mehr als US-$ 1.000 borgen können, wenn sie nicht schon über beträchtliche Vermögenswerte verfügte. Heute kommen fast täglich Kreditkartenangebote mit der Post. Es ist durchaus üblich, innerhalb einer Woche mehrere Werbesendungen zu erhalten, die einem eine Kreditlinie von US-$ 10.000 oder mehr anbieten! Manche glauben, dass die leichte Verfügbarkeit von Krediten die Sparquote derjenigen senkt, die über geringe flüssige Mittel verfügen. • Das schnelle Wohlstandswachstum. Teilweise lässt sich der Rückgang der Ersparnisse der privaten Haushalte während der neunziger Jahre sicherlich auf den schnellen Anstieg persönlichen Wohlstands erklären, der hauptsächlich auf den Boom am Aktienmarkt zurückzuführen ist. Von 1995–1999 stieg der Wert von Aktien beispielsweise um etwa US$ 5 Billionen. Wenn die Haushalte jedes Jahr drei Prozent dieses Zugewinns ausgeben (ein Prozentsatz, der auf Erfahrungswerten basiert), dann würde der Wohlstandseffekt die Sparquote um etwa drei Prozentpunkte reduzieren.
Alternative Messmethoden der Ersparnisse Sie können nun die berechtigte Frage stellen: „Wenn so wenig gespart wird, wieso gibt es dann so viele reiche Leute?“ Diese Frage führt uns zu einem wichtigen Aspekt der Messung persönlicher Ersparnisse. Aus Sicht eines Haushalts sind Ersparnisse etwas anderes als vom Standpunkt einer ganzen Volkswirtschaft. Das liegt daran, dass die Ersparnisse in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung anders gemessen werden als von
Teil 5
12 Nettoersparnis der Haushalte (in % des verfügbaren Einkommens)
648
10 8 6 Sparquote der Haushalte 4 2 0 1950
1960
1970
1980 Jahr
1990
2000
Abbildung 22-8: Die Sparquote der privaten Haushalte ist zurückgegangen Nachdem sie in der Nachkriegszeit einen langsamen Anstieg vollzog, sank die Sparquote der privaten Haushalte nach 1980 drastisch. Quelle: US-Handelsministerium
Buchhaltern in ihren Bilanzen. Für die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung sind Ersparnisse die Differenz aus verfügbarem Einkommen (ausschließlich Kapitalerträge) und Konsum. In den Bilanzen werden Ersparnisse als Veränderung des Nettowertes (das heißt, Aktiva minus Passiva, bereinigt um die Inflation) von einem Jahr auf das nächste ausgewiesen; die Kapitalgewinne fließen hier mit ein. Die unterschiedlichen Betrachtungsweisen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und der Bilanzbuchhalter sind in Abbildung 22-9 dargestellt. Wird die deutliche Wertsteigerung von Vermögenswerten (vor allem Aktien) mit berücksichtigt, lag die Sparquote während der neunziger Jahre bei satten 33 Prozent verglichen mit den sechs Prozent, die in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausgewiesen wurden. Viele Wirtschaftswissenschaftler glauben, dass die beobachtete Zunahme des Wohlstands zu einem Großteil für den Rückgang der Sparquote laut Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung verantwortlich ist. Bedeutet die alternative Sicht auf die Lage, dass wir uns nun erleichtert zurücklehnen können? Wahrscheinlich nicht. Die hohen Ersparnisse während der neunziger Jahre be-
649
Kapitel 22 Konsum und Investitionen
standen zum großen Teil nur auf dem Papier. Eine Höherbewertung bereits bestehender Vermögenswerte durch den Markt spiegelt nicht unbedingt die Produktivität oder den „wahren Wohlstand“ einer Volkswirtschaft wider. Obwohl sich die Menschen reicher fühlen, wenn ihre Aktiva in einer Spekulationsblase höher bewertet werden, kann die Wirtschaft deshalb noch lange nicht mehr Autos, Computer, Lebensmittel oder Wohnungen produzieren. Wenn sich die Aktionäre überdies entscheiden, ihre Aktien zu ver-
silbern, werden die Kurse sehr schnell fallen, und sie können ihren papierenen Wohlstand nicht in Konsum umsetzen. Daher machen sich die Ökonomen berechtigte Sorgen um den Rückgang der Sparquote in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Die Konsumenten mögen sich aufgrund der ständig zunehmenden Börsenkurse reicher fühlen, eine Volkswirtschaft wird aber nur dann tatsächlich reicher, wenn ihre produktiven materiellen und immateriellen Vermögenswerte steigen.
40 Sparquote in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Sparquote (in % des verfügbaren Einkommens)
Sparquote in der Finanzbuchhaltung
30
20
10
0
1980–1984
1985–1989
1990–1994
1995–2000
Jahre
Abbildung 22-9: Zwei Methoden zur Messung der Sparquote der privaten Haushalte Laut der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist die Sparquote während der letzten zwei Jahrzehnte deutlich zurückgegangen. Diese Messmethode unterscheidet sich deutlich von derjenigen, welche die Bilanzen der Haushalte heranzieht, also die Veränderung des realen Nettowertes (einschließlich Kapitalgewinne) dividiert durch das reale verfügbare Einkommen. Aufgrund des deutlichen Anstiegs der Börsenkurse während der neunziger Jahre war die Sparquote der privaten Haushalte nach der Bilanzrechnung auch dann noch hoch, als sie nach der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung schon deutlich zurückging. Quelle: Maria G. Perozek und Marshall B. Reinsdorf, „Alternative Measures of Personal Savings“, Survey of Current Business, April 2002, S. 13–24, verfügbar unter www.bea.gov.
650
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
B. Investitionen Die zweite wesentliche Komponente der privaten Ausgaben sind die Investitionen. In der Makroökonomie haben die Investitionen zweierlei Auswirkungen: Da Investitionen einerseits einen großen und veränderlichen Bestandteil der Ausgaben darstellen, führen sie häufig zu Veränderungen der Gesamtnachfrage und beeinflussen damit den Konjunkturzyklus. Andererseits führen Investitionen zur Ansammlung von Kapital. Die Erhöhung des Bestands an Gebäuden und Maschinen steigert die gesamtwirtschaftlichen Produktionsmöglichkeiten und fördert langfristig gesehen das Wirtschaftswachstum. Deshalb spielen die Investitionen in zweifacher Hinsicht eine wesentliche Rolle: Durch ihren Einfluss auf die Gesamtnachfrage wirken sie kurzfristig auf die Produktionsleistung, und sie beeinflussen langfristig das Produktionswachstum, da die Kapitalbildung Auswirkungen auf die Produktionsmöglichkeiten und das Gesamtangebot hat. Die Bedeutung des Wortes „Investition“ in der Wirtschaft Vergessen Sie nicht, dass die Makroökonomen den Ausdruck „Investition“ oder „Realinvestition“ verwenden, wenn sie einen Zugang zum Bestand an produktiven Aktiva oder an Kapitalgütern wie Computern oder Lastwagen meinen. Wenn Amazon.com ein neues Lager errichtet oder wenn die Schmidts sich ein neues Haus bauen, dann handelt es sich um Investitionen. Viele Menschen sprechen von Investitionen, wenn sie sich ein Grundstück kaufen oder ein Wertpapier oder irgendein Besitzrecht erwerben. Für die Wirtschaftswissenschaften sind diese Käufe Finanztransaktionen oder „Finanzinvestitionen“, denn was eine Person kauft, wird von einer anderen verkauft. Als Investition zählt nur die Schaffung von realem Kapital.
Teil 5
Bestimmungsfaktoren der Investitionen Bei dieser Diskussion konzentrieren wir uns auf die privaten Bruttoinlandsinvestitionen (I) oder, anders ausgedrückt, die inländische Komponente der Investitionen in einem Land. Erinnern Sie sich aber bitte daran, dass I nur einen Teil der Investitionen in einer Gesellschaft darstellt, zu denen auch ausländische und Regierungsinvestitionen zählen, ebenso immaterielle Investitionen in menschliches Kapital und verbessertes Wissen. Die wichtigsten Arten der privaten Bruttoinlandsinvestitionen stellen solche in Wohngebäude dar, in Betriebsgebäude und Maschinen, Software und Organisationsstrukturen sowie in die Ausweitung von Lagerbeständen. Etwa ein Viertel der Investitionen entfällt auf den Wohnungsbau, etwa ein Zwanzigstel wird für die Aufstockung der Lagerbestände verwendet, und der Rest – während der letzten Jahre etwa 70 Prozent des gesamten Investitionsvolumens – wird für Betriebsgebäude, Anlagen, Maschinen und Software ausgegeben. Warum investieren Unternehmen? Letztendlich erwerben sie nur dann Kapitalgüter, wenn sie erwarten, dass sie damit Gewinne erwirtschaften – das heißt, wenn die damit erzielbaren Erträge höher sind als die Investitionskosten. Diese simple Feststellung beinhaltet bereits jene drei Begriffe, die für das bessere Verständnis von Investitionen nötig sind: Erträge, Kosten und Erwartungen.
Erträge Eine Investition wird einem Unternehmen zusätzliche Erträge bringen, wenn sie ihm hilft, mehr Produkte zu verkaufen. Das deutet darauf hin, dass die Höhe des gesamtwirtschaftlichen Produktionsniveaus (BIP) einen entscheidenden Einfluss auf die Investitionen hat. Wenn bestehende Fabriken nicht ausgelastet sind, haben Unternehmen einen relativ geringen Bedarf an neuen Betriebsstätten; daher wird das Investitionsniveau gering
651
Kapitel 22 Konsum und Investitionen
sein. Allgemeiner ausgedrückt hängen Investitionen von den Erträgen ab, die durch die gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten entstehen. Die meisten Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Investitionen sehr empfindlich auf Konjunkturzyklen reagieren. Ein Beispiel jüngeren Datums für den großen Einfluss der Gesamtproduktion war die Rezession der Jahre 1979–1982 in den Vereinigten Staaten, als die Produktion stark sank und die Investitionen um 15 Prozent zurückgingen.
Cents des letzten Dollars an Unternehmensgewinnen, wodurch die Neigung zu Investitionen im Unternehmensbereich gedämpft wird. Mitunter gewährt die Regierung Steuererleichterungen für bestimmte Aktivitäten oder Sektoren. Beispielsweise fördert die Regierung den Besitz von privatem Wohneigentum, indem sie Hausbesitzern erlaubt, Grundsteuern und Hypothekenzinsen von ihrem steuerbaren Einkommen abzuziehen.
Kosten
Der dritte für das Investitionsniveau bestimmende Faktor sind Gewinnerwartungen und das Vertrauen der Unternehmen. Investitionen zu tätigen bedeutet vor allem ein Spiel mit der Zukunft – eine Wette, dass der Ertrag aus einer Investition deren Kosten übersteigen wird. Wenn Unternehmen die politische Situation in Russland für instabil halten, werden sie dort nur zögernd investieren. Hingegen investieren Unternehmen stark in den Internethandel, weil sie (berechtigter- oder unberechtigterweise) glauben, dieser Handel entwickle sich zu einem wichtigen Vertriebskanal. Investitionsentscheidungen hängen daher von Erwartungen und Prognosen zukünftiger Ereignisse ab. Aber wie es ein geistreicher Mensch einmal formulierte: Voraussagen sind immer gefährlich, insbesondere jene, die sich auf die Zukunft beziehen. Unternehmen verwenden viel Energie auf die Analyse von Investitionen und versuchen, die damit verbundenen Unsicherheiten auf ein Minimum zu reduzieren. Damit können wir unsere Diskussion über die Einflussfaktoren auf Investitionsentscheidungen wie folgt zusammenfassen:
Einen zweiten wichtigen Faktor für die Bestimmung des Investitionsniveaus stellen die Investitionskosten dar. Da Investitionsgüter langlebiger Natur sind, ist die Berechnung der Investitionskosten etwas komplizierter als die anderer Waren, wie zum Beispiel Kohle oder Weizen. Die Kosten langlebiger Gebrauchsgüter beinhalten nicht nur den Preis des Gutes, sondern auch den Zinssatz, den Kreditnehmer zu Finanzierung des Kapitalgutes zahlen müssen, sowie die Steuern, die Unternehmen auf ihre Einkommen entrichten. Um dies besser zu verstehen, beachten Sie, dass Investoren oft die für Investitionen nötigen Geldmittel ausleihen (zum Beispiel in Form eines Hypothekendarlehens oder durch die Ausgabe von Schuldverschreibungen oder festverzinslichen Wertpapieren). Die Kosten solcher Kredite sind der Zinssatz, der für den aufgenommenen Kredit bezahlt werden muss. Erinnern Sie sich: Der Zinssatz ist der Preis für geborgtes Geld während eines bestimmten Zeitraums; so könnten zum Beispiel acht Prozent Zinsen für einen über ein Jahr laufenden Kredit von US-$ 1.000 anfallen. Wenn eine Familie ein Haus kauft, dann ist der Zinssatz derjenige der Hypothek. Auch Steuern können bedeutende Auswirkungen auf Investitionen haben. Eine wichtige Steuer ist die Körperschaftssteuer, die in den Vereinigten Staaten auf Bundesebene erhoben wird. Diese Steuer beträgt 34
Erwartungen
Unternehmen investieren, um Gewinne zu erzielen. Da Kapitalgüter mehrere Jahre hindurch genutzt werden können, hängen Investitionsentscheidungen (1) von der Nachfrage nach den mit Hilfe der Neuinvestition produzierten Gütern, (2) von den Zinssätzen und Steuern, die sich auf die Investitionskosten
652
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
auswirken, und (3) von den Erwartungen der Unternehmen über den Zustand der Volkswirtschaft ab.
Die Investitionsfunktion Bei der Untersuchung der Bestimmungsfaktoren von Investitionen konzentrieren wir uns hauptsächlich auf die Beziehung zwischen Zinssätzen und Investitionen. Dieser Zusammenhang ist deshalb besonders wichtig, weil die (von der Zentralbank beeinflussten) Zinssätze das Hauptinstrument sind, durch das der Staat Investitionen zu steuern versucht. Um die Beziehung zwischen Zinssätzen und Investitionen aufzuzeigen, verwenden Ökonomen die so genannte Investitionsfunktion oder Investitionsnachfragefunktion. Stellen Sie sich eine einfache Volkswirtschaft vor, in der Unternehmen in unterschiedliche Projekte investieren können: A, B, C bis H. Diese Investitionen sind so langlebig (wie zum Beispiel Kraftwerke oder Gebäude), dass wir annehmen, sie niemals ersetzen zu müssen. Außerdem unterstellen wir ein konstantes jährliches Nettoeinkommen und eine Inflationsrate von null. Tabelle 22-5 zeigt die Finanzdaten jedes Investitionsprojektes. Konzentrieren wir uns zunächst auf Projekt A. Es kostet US-$ 1 Million und weist sehr hohe Erlöse von jährlich US-$ 1.500 pro US-$ 1.000 Investition auf (das entspricht einer jährlichen Ertragsquote von 150 Prozent). Den Spalten (4) und (5) können wir die Kosten der Investition entnehmen. Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass die Investitionen nur mit Fremdkapital zu einem Marktzinssatz von jährlich zehn Prozent (Spalte 4) beziehungsweise alternativ von fünf Prozent (Spalte 5) finanziert werden. Zum Zinssatz von zehn Prozent ergeben sich jährliche Kreditkosten von US-$ 100 pro ausgeliehenen US-$ 1.000, wie wir aus Spalte (4) ersehen; ein Zinssatz von fünf Prozent führt zu jährlichen Kreditkosten von US-$ 50 pro investierten US-$ 1.000 (Spalte 5). Die
Teil 5
letzten beiden Spalten zeigen den jährlichen Nettogewinn jeder Investition. Für das lukrative Projekt A errechnet sich bei einem Zinssatz von zehn Prozent ein jährlicher Nettogewinn von US-$ 1.400 pro US-$ 1.000 Investition, das Projekt H weist einen Verlust aus. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Unternehmen bei ihrer Entscheidung zwischen unterschiedlichen Projekten die jährlich erzielbaren Erträge einer Investition mit den jährlichen Kapitalkosten, die von der Höhe des Zinssatzes abhängen, vergleichen. Die Differenz aus jährlichen Erträgen und Kosten ergibt den jährlichen Nettogewinn. Ist der jährliche Nettogewinn positiv, verdient man an der Investition; ein negativer Nettogewinn bedeutet einen Verlust durch die Investition.4 Wenden wir uns wieder Tabelle 22-5 zu. Die letzte Spalte enthält den jährlichen Nettogewinn bei einem Zinssatz von fünf Prozent. Bei diesem Zinssatz weisen die Investitionsprojekte A bis G einen Gewinn aus. Wir würden deshalb auch erwarten, dass gewinnmaximierende Unternehmen in alle sieben Projekte investierten, woraus sich Investitionen von insgesamt US-$ 55 Millionen (aus Spalte 2) errechnen. Bei einem Zinssatz von fünf Prozent läge die Investitionsnachfrage also bei US-$ 55 Millionen. Nehmen wir nun an, dass der Zinssatz auf zehn Prozent steigt. Damit verdoppeln sich die Finanzierungskosten der zuvor betrachteten Investitionen. Aus Spalte (6) ersehen wir, dass die Investitionsprojekte F bis G bei diesem Zinssatz unrentabel werden. Die Investitionsnachfrage würde deshalb auf US$ 30 Millionen absinken. Das Ergebnis dieser Analyse ist in Abbildung 22-10 dargestellt, aus der Sie die Investitionsfunktion ersehen können, in unserem 4 Dieses Beispiel vereinfacht stark die Berechnungen, die Unternehmen für ihre Investitionsentscheidungen anstellen müssen. Üblicherweise sind Investitionen an unregelmäßige Erträgnisrückflüsse sowie an Kapitalabschreibungen, Inflationsraten, Steuern und unterschiedliche Zinssätze für das geborgte Kapital gekoppelt. Eine Diskussion über Abzinsung und Gegenwarts- sowie Kapitalwert finden Sie in Büchern über Geld und Finanzen. Sehen Sie dazu den Abschnitt über weiterführende Literatur zu diesem Kapitel.
653
Kapitel 22 Konsum und Investitionen
(1) Projekt
(2)
(3)
Gesamtinvestitionen in das Projekt
Jährliche Einnahmen pro US-$ 1.000 Investition
Kosten pro US-$ 1.000 des Projekts bei einem Jahreszinssatz von:
Jährlicher Nettogewinn pro US-$ 1.000 Investition bei einem Jahreszinssatz von:
10 %
5%
(US-$)
(US-$) 100 100 100 100 100 100 100 100
(US-$) 50 50 50 50 50 50 50 50
10 % 5% (US-$) (US-$) (6) = (3) – (4) (7) = (3) – (5) 1.400 1.450 120 170 60 110 30 80 10 60 –10 40 –40 10 –60 –10
(Mio. US-$) A B C D E F G H
1 4 10 10 5 15 10 20
1.500 220 160 130 110 90 60 40
(4)
(5)
(6)
(7)
Tabelle 22-5: Der Zinssatz bestimmt die Rentabilität von Investitionen In unserer Volkswirtschaft stehen acht Investitionsprojekte zur Realisierung an, die nach ihrer Rendite sortiert sind. Spalte (2) zeigt das Investitionsvolumen, das in jedes Projekt einfließt. In Spalte (3) ist die jährliche Rendite pro US-$ 1.000 Investition aufgezeichnet. Die Spalten (4) und (5) zeigen die Kosten des Projekts pro US-$ 1.000, unter der Annahme, dass alles Geld zu Zinssätzen von zehn und fünf Prozent geliehen wurde. Die letzten beiden Spalten zeigen die jeweiligen jährlichen Nettoerträge pro investierte US-$ 1.000. Ist der Nettoertrag positiv, werden gewinnmaximierende Unternehmen die Investition tätigen; ist er negativ, werden sie das Projekt ablehnen. Beachten Sie, wie sich die Grenze zwischen rentablen und unrentablen Investitionen mit der Veränderung des Zinssatzes verschiebt. (Wo würde diese Grenze liegen, wenn der Zinssatz auf 15 Prozent stiege?)
Beispiel eine fallende treppenförmige Funktion des Zinssatzes (negative Steigung). Diese Funktion zeigt die Höhe der Investitionen, die beim jeweiligen Zinssatz getätigt würden; errechnet wird sie, indem alle Investitionen addiert werden, die bei einer bestimmten Zinshöhe profitabel wären. Daraus ergibt sich, dass bei einem Marktzinssatz von fünf Prozent die gewünschte Investitionshöhe bei Punkt M, das heißt bei US-$ 55 Millionen, liegt. Zu diesem Zinssatz werden die Projekte A bis G umgesetzt. Steigt der Zinssatz auf zehn Prozent, werden die Projekte F bis G unrentabel und kommen deshalb auch nicht zustande. Die Investitionsnachfrage läge in diesem Fall in Punkt M' in Abbildung 22-10, was Gesamtinvestitionen in Höhe von US-$ 30 Millionen entspricht.5
Verschiebungen der Investitionsfunktion Wir haben gesehen, wie das Investitionsvolumen von den Zinssätzen abhängt. Aber Investitionen werden auch von anderen Faktoren bestimmt. So verschiebt zum Beispiel eine Erhöhung des BIP die Investitionsnachfragekurve nach außen, wie in Abbildung 22-11(a) dargestellt. Eine Erhöhung der Körperschaftssteuer wirkt sich negativ auf die Investitionen aus. Nehmen wir an, die Regierung vereinnahmte die Hälfte des Nettoertrags in Spalte (3) von 5 Wir werden später feststellen, dass es bei Preisveränderungen angebracht ist, den realen Zinssatz zu verwenden, der den nominalen Zinssatz um die Inflation bereinigt.
654
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
r,i DI Ertragsquote, Zinssatz (% pro Jahr)
B 20 Investitionsfunktion
10
5
M′
M
DI 0
10 20 30 40 50 60 70 Investitionsausgaben (Mio. US-$)
I
Abbildung 22-10: Die Investitionen hängen vom Zinssatz ab Die stufenförmig abwärts geneigte Investitionsnachfragekurve zeigt, wie viel die Unternehmen bei jedem Zinssatz investieren würden (berechnet aus den Daten in Tabelle 22-5). Jede Stufe stellt eine Investitionssumme dar: Projekt A weist eine derart hohe Ertragsquote auf, dass sie hier nicht abgebildet werden kann; Projekt B stellt die höchste sichtbare Stufe am linken oberen Rand dar. Zu jedem Zinssatz werden diejenigen Projekte umgesetzt, die zu positiven Nettoerträgen führen.
Tabelle 22-5 über Steuern für sich, wobei die Zinskosten in den Spalten (4) und (5) nicht abzugsfähig wären. Die in den Spalten (6) und (7) ausgewiesenen Nettogewinne würden dann sinken. [Überzeugen Sie sich, dass bei einem Zinssatz von zehn Prozent eine 50prozentige Steuer auf die Werte in Spalte (3) die Grenze zwischen Rentabilität und Unrentabilität in den Bereich zwischen Projekte B und C verschöbe und damit die Investitionsnachfrage auf $ 5 Millionen sänke.] Die Auswirkungen einer Steuererhöhung auf das Investitionseinkommen sind in Abbildung 22-11(b) dargestellt. Letztendlich ist auch die Bedeutung von Erwartungen nicht zu unterschätzen. Ende der neunziger Jahre waren viele Investoren von der „New Economy“ regelrecht besessen. Sie sagten unrealistisch hohe Wachstumsraten für Unternehmen wie AOL-Time Warner, Yahoo! und NetZero voraus, wobei sie alle herkömmlichen betriebwirtschaftlichen Regeln
Teil 5
über Investitionen außer Acht ließen. Infolgedessen stiegen die Investitionen in Software für Internetfirmen beträchtlich an, bis der Markt im Jahre 2000 einen scharfen Einbruch erlebte. Abbildung 22-11(c) zeigt, wie ein Anfall von wirtschaftlichem Optimismus die Investitionsnachfragekurve verschiebt. Ein entgegengesetztes Beispiel, pessimistische Erwartungen hinsichtlich der Gewinnsituation im korrupten Russland, kann erklären, warum westliche Unternehmen nur sehr zögernd in diese Volkswirtschaft investieren. Dies sind nur zwei Beispiele für die beträchtliche Wirkung, die Erwartungen auf Investitionen haben können. Nachdem Sie nun alle Einflussfaktoren auf Investitionen kennen gelernt haben, wird Sie die Feststellung kaum überraschen, dass Investitionen die Ausgabenkomponente sind, die den größten Schwankungen unterliegt. Investitionen sind deshalb so schwer vorherzusagen, weil sie von so unsicheren Faktoren wie Erfolg oder Misserfolg eines neuen Produktes, Veränderungen der Steuer- und Zinssätze, politischen Einstellungen und Ansätzen zur Stabilisierung der Volkswirtschaft sowie ähnlich veränderlichen Ereignissen des wirtschaftlichen Lebens abhängen. In fast jedem Konjunkturzyklus entschieden Investitionsschwankungen darüber, ob es auf- oder abwärts ging.
Zur Theorie der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage Wir haben nun unsere Einführung in die grundlegenden Konzepte der Makroökonomie abgeschlossen. Aus der Analyse der entscheidenden Einflussfaktoren auf Konsum und Investition haben wir erkannt, weshalb diese jährlichen – manchmal sogar sehr heftigen – Schwankungen unterworfen sind. An diesem Punkt spaltet sich nun die Makroökonomie in zwei bedeutende Themenbereiche – Konjunkturzyklen und Wirtschaftswachstum. In den folgenden Kapiteln beginnen wir mit der Untersuchung von Kon-
Anhang 1
655
Diagramme richtig lesen
(a) höhere Produktionsleistung
(b) höhere Steuern
Rendite, Zinssatz
r,i
Rendite, Zinssatz
r,i
Rendite, Zinssatz
r,i
(c) Internet Euphorie
DI
DI 0
D′I
Investitionausgaben
DI
D′I I
0
I Investitionausgaben
D′I 0
I
Investitionausgaben
Abbildung 22-11: Verschiebung der Investitionsfunktion Bei der Investitionsfunktion (DI) zeigen die Pfeile den Einfluss von (a) einem höheren BIP, (b) höheren Ertragssteuern und (c) plötzlicher Unternehmenseuphorie, die durch die Begeisterung über die Zukunftsaussichten des Internets hervorgerufen wird.
junkturzyklen, dem kurzfristigen Verhalten einer Volkswirtschaft. Dieser Ansatz, der auch als keynesianisch bezeichnet wird, zeigt, wie Veränderungen der Investitionen, der Staatsausgaben, der Steuern, des Außenhandels und der verfügbaren Geldmenge sich auf die restliche Volkswirtschaft auswirken. Wir werden sehen, dass das tatsächliche BIP von seinem Vollbeschäftigungspotenzial abwei-
chen kann. Darüber hinaus werden wir erkennen, wie die staatliche Fiskal- und Geldpolitik Wirtschaftsaufschwüngen und -abschwüngen entgegenwirken kann. Im Zentrum der Analyse stehen wiederum die Veränderungen von Konsum und Investitionen, mit denen wir uns bereits in diesem Kapitel auseinandergesetzt haben.
Zusammenfassung A. Konsum- und Sparverhalten 1.
2.
Das verfügbare Einkommen stellt einen zentralen Bestimmungsfaktor von Konsum und Ersparnissen dar. Die Konsumfunktion gibt die Beziehung des gesamtwirtschaftlichen Konsums zum gesamten verfügbaren Einkommen wieder. Da jede Geldeinheit des verfügbaren Einkommens entweder gespart oder konsumiert wird, stellt die Sparfunktion das Spiegelbild der Konsumfunktion dar. Erinnern Sie sich an die Haupteigenschaften der Konsum- und Sparfunktion: a. Die Konsum- (oder Spar-)funktion setzt die Höhe des Konsums (der Ersparnisse) zu der Höhe des verfügbaren Einkommens in Beziehung.
b.
3.
Die Grenzneigung zum Konsum (MPC) ist die Menge an zusätzlichem Konsum, die mit einer zusätzlichen Geldeinheit an verfügbarem Einkommen getätigt wird. c. Als Grenzneigung zum Sparen (MPS) bezeichnet man die zusätzlichen Ersparnisse, die aus einer zusätzlichen Geldeinheit an verfügbarem Einkommen getätigt werden. d. In der grafischen Darstellung sind MPC und MPS die jeweilige Steigung der Konsum- und Sparfunktion. e. MPS 1 – MPC. Durch Addition der individuellen Konsumfunktionen erhalten wir die gesamtwirtschaftliche Konsumfunktion. Diese stellt in einfachster Form die Gesamtkonsumausgaben als eine Funktion des gesamten verfügbaren Einkom-
656
4.
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
mens dar. Andere Variablen, wie zum Beispiel das permanente Einkommen oder der Lebenszykluseffekt, Vermögen und Alter, haben ebenso einen beträchtlichen Einfluss auf das Konsumverhalten. In den Vereinigten Staaten ist die Sparquote während der letzten zwei Jahrzehnte stark gesunken. Zur Erklärung dieses Rückgangs verweisen Wirtschaftswissenschaftler auf die Sozialversicherung und Gesundheitsfürsorgeprogramme der Regierung, Veränderungen am Kapitalmarkt sowie auf den schnellen Anstieg des persönlichen Wohlstands aufgrund steigender Börsenkurse während der neunziger Jahre. Ein Rückgang der Sparquote schadet der Wirtschaft, weil die persönlichen Ersparnisse eine wesentliche Komponente der gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse und Investitionen sind. Obgleich sich die Menschen aufgrund des Börsenbooms reicher fühlen, steigt der wahre Wohlstand einer Nation nur, wenn sein produktives materielles und immaterielles Vermögen wächst.
B. Investitionen 5.
6.
Teil 5
häuser, Fabriken, Software, Anlagen und Maschinen. Unternehmen investieren, um einen Gewinn zu erwirtschaften. Deshalb sind die wichtigsten, das Investitionsniveau bestimmenden wirtschaftlichen Triebkräfte die durch die Investitionen erwirtschafteten Erträge (primär durch den Konjunkturzyklus beeinflusst), die Investitionskosten (bestimmt durch Zinssätze und Steuerpolitik) und die Erwartungshaltung hinsichtlich der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung. Da die Bestimmungsfaktoren für Investitionen von sehr unsicheren zukünftigen Gegebenheiten abhängen, stellen sie den am stärksten Schwankungen unterworfenen Teil der Gesamtausgaben dar. Ein elementarer Zusammenhang wird durch die Investitionsfunktion dargestellt, die das Niveau der Investitionsausgaben mit dem Zinssatz verbindet. Da die Rentabilität einer Investition in umgekehrtem Verhältnis zum Zinssatz (der die Kapitalkosten beeinflusst) steht, ergibt sich eine abwärts geneigte Investitionsnachfragekurve. Wenn der Zinssatz sinkt, rentieren sich mehr Investitionsprojekte, was verdeutlicht, warum die Investitionsnachfragekurve abwärts geneigt sein muss.
Die zweite wichtige Ausgabenkomponente sind die privaten Bruttoinvestitionen in Wohn-
Begriffe zur Wiederholung Konsum und Ersparnis
Investitionen
Verfügbares Einkommen, Konsum, Ersparnis Konsum- und Sparfunktion Sparquote der privaten Haushalte Grenzneigung zum Konsum (MPC) Grenzneigung zum Sparen (MPS) MPC + MPS 1 Gleichgewichtspunkt = Sparschwelle 45˚-Linie Bestimmungsfaktoren des Konsums: Gegenwärtig verfügbares Einkommen Permanentes Einkommen Vermögen Lebenszykluseffekt
Bestimmungsfaktoren des Investitionsverhaltens: Erträge Kosten Erwartungen Einfluss der Zinssätze auf die Investitionen Investitionsfunktion
657
Kapitel 22 Konsum und Investitionen
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Die Wirtschaftswissenschaft hat das Ausgabeverhalten von Konsumenten untersucht, um ihre Voraussagen zu verbessern und bei der Optimierung der Wirtschaftspolitik zu helfen. Eine der bedeutendsten Studien stammt von Milton Friedman: The Theory of the Consumption Function (University of Chicago Press, 1957). Einen historischen Überblick bietet der Wirtschaftshistoriker Stanley Lebergott in Pursuing Happiness: American Consumers in the Twentieth Century (Princeton University Press, Princeton, N.J., 1993). In Unternehmen verbringen Manager viel Zeit damit, ihre Investitionsstrategien festzulegen. Einen guten Überblick über dieses Thema bieten Richard A. Brealey und Stewart C. Meyers in Principles of Corporate Finance, 6. Auflage (McGraw-Hill, New York, 2000).
Websites Daten zu den gesamten persönlichen Konsumausgaben in den Vereinigten Staaten finden sich auf der Website des Bureau of Economic Analysis, www.bea.gov. Daten über die Budgets der privaten Haushalte liefert das Bureau of Labor Statistics unter der Überschrift „Consumer Expenditures“ auf der Website www.bls.gov. Daten und Untersuchungen der Investitionen in den Vereinigten Staaten liefert das Bureau of Economic Analysis auf der Website www.bea.gov.
Übungen 1.
2.
Beschreiben Sie kurz die Ausgabenmuster für Lebensmittel und Bekleidung sowie die Muster der Ersparnisbildung. Wenn wir mit der Konsum- und der Investitionsfunktion arbeiten, müssen wir zwischen Verschiebungen der Kurven und Bewegungen entlang der Kurven unterscheiden. a. Definieren Sie für beide Funktionen sorgfältig die Veränderungen, die zu einer Verschiebung der Kurve führen, und jene, die in einer Bewegung entlang der Kurve resultieren. b. Erklären Sie und zeigen Sie anhand eines Diagramms, ob die folgenden Aktivitäten Verschiebungen oder Bewegungen entlang der Konsumfunktion darstellen: ein Anstieg des verfügbaren Einkommens, eine Vermögensverminderung, ein Sinken der Aktienkurse. c. Erklären Sie und zeigen Sie anhand eines Diagramms, ob die folgenden Aktivitäten Verschiebungen der oder Bewegungen entlang der Investitionsfunktion darstellen: die Erwartung einer gesamtwirtschaftlichen Produktionsverringerung im nächsten Jahr, eine Zinssatzsteigerung, eine Senkung der Ertragssteuer.
3.
4.
5.
6.
7.
Rekonstruieren Sie, wie in Tabelle 22-4 die Grenzneigung zum Konsum (MPC) und die Grenzneigung zum Sparen (MPS) berechnet wurden. Verdeutlichen Sie dies am Beispiel, indem Sie MPC und MPS zwischen den Punkten A und B ermitteln. Erklären Sie, wieso die Gleichung MPC + MPS 1 immer gelten muss. Nehmen wir an, ich konsumiere mein ganzes Einkommen, egal wie hoch es sein mag. Zeichnen Sie meine Konsum- und Sparfunktion. Berechnen Sie meine MPC und MPS. Schätzen Sie Ihr Einkommen, Ihren Konsum und Ihre Ersparnisse während des letzten Jahres. Falls Ihre Ersparnisse negativ waren (falls Sie mehr als Ihr Einkommen konsumierten), wie konnten Sie das finanzieren? Schätzen Sie die Zusammensetzung Ihres Konsums gemäß den in Tabelle 22-1 angeführten Hauptkategorien. „Entlang der Konsumfunktion verändert sich das Einkommen stärker als der Konsum.“ Was bedeutet das für MPC und MPS? „Veränderungen des verfügbaren Einkommens führen zu Bewegungen entlang der Konsumfunktion; Veränderungen des Vermögens oder anderer Faktoren resultieren in einer Verschiebung der Konsumfunktion.“ Erläutern Sie
658
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
diese Aussage jeweils anhand eines Fallbeispiels. 8. Welche Auswirkungen hätten die folgenden Veränderungen auf die in Tabelle 22-5 und Abbildung 22-10 dargestellte Investitionsfunktion? a. Eine Verdoppelung der jährlichen Erträge pro US-$ 1.000 Investition in Spalte 3; b. ein Anstieg des Zinssatzes auf jährlich 15 Prozent; c. die Hinzufügung eines neunten Projekts mit folgenden Daten in den ersten drei Spalten: J, 10, 70; d. eine Steuer von 50 Prozent auf die in den Spalten 6 und 7 ausgewiesenen Nettogewinne. 9. Wir bleiben bei der Investitionsfunktion der Frage 8c und nehmen an, dass der Zinssatz zehn Prozent beträgt. Wie hoch sind die Investitionen für die Fälle a bis d in Frage 8? 10. Für Fortgeschrittene: Nach dem Lebenszyklusmodell gibt der Einzelne jährlich einen Betrag für den Konsum aus, der eher vom Lebenseinkommen abhängt als vom gegenwärtigen Einkommen. Nehmen wir an, Sie würden ein zukünftiges, inflationsbereinigtes Einkommen gemäß den Angaben in Tabelle 22-6 erwarten. a. Nehmen Sie zusätzlich an, dass für Ersparnisse keine Zinsen bezahlt werden und dass Sie noch über keine Nettoersparnisse verfügen. Nehmen Sie außerdem an, dass
b.
Teil 5
Sie Ihren Konsum „ausgleichen“ wollen (das heißt, das Konsumniveau über die Jahre gleichhalten möchten), da Ihnen zusätzlicher Konsum eine zunehmend geringere Zusatzbefriedigung verschafft. Leiten Sie den für die angegebene Situation günstigsten Kurvenverlauf für die fünf Jahre ab und tragen Sie die Zahlen in Spalte (3) ein. Berechnen Sie dann Ihre jährlichen Ersparnisse, die Sie in Spalte (4) eintragen. Spalte (5) enthält Ihr Vermögen oder die addierten Ersparnisse jeweils zum Jahresende. Wie hoch ist Ihre durchschnittliche Sparquote während der ersten vier Jahre? Nehmen Sie nun an, dass Ihnen für die staatliche Pensionsversicherung in jedem Beschäftigungsjahr US-$ 2.000 vom Einkommen abgezogen werden, dass Ihnen dafür im Jahr fünf jedoch eine Pension von US-$ 8.000 zusteht. Berechnen Sie Ihren neuen Sparplan unter der Bedingung, dass Sie immer noch Ihren Konsum über die Jahre gleich hoch halten wollen. Wie hat die Pensionsversicherung Ihren Konsum und Ihre durchschnittliche Sparquote während der ersten vier Jahre beeinflusst? Können Sie nun verstehen, warum einige Ökonomen behaupten, die staatliche Pensionsversicherung verringere die private Sparquote?
(1)
(2) Einkommen
(3) Konsum
(4) Ersparnisse
Jahr
(US-$)
(US-$)
(US-$)
(5) Kumulative Ersparnisse (Jahresende) (US-$)
1
30.000
––––––––
––––––––
––––––––
2
30.000
––––––––
––––––––
––––––––
3
25.000
––––––––
––––––––
––––––––
4
15.000
––––––––
––––––––
––––––––
0
––––––––
––––––––
0
5* * in Rente
Tabelle 22-6.
659
KAPITEL 23 Konjunkturzyklen und die Theorie der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage
Nicht durch die Schuld der Sterne, lieber Brutus, durch eigene Schuld nur sind wir Schwächlinge. William Shakespeare, Julius Cäsar
In der Geschichte des amerikanischen Kapitalismus gab und gibt es immer wieder Phasen des Auf- und Abschwungs, von Expansionen und Rezessionen. Mitunter findet man nur schwer eine Arbeitsstelle, Fabriken stehen still und die Gewinne sind niedrig. Üblicherweise fällt der Wirtschaftsabschwung kurz und moderat aus, wie im Fall der Rezession, die im März 2001 begann und im November des gleichen Jahres endete. Nur selten hält der wirtschaftliche Rückgang ein ganzes Jahrzehnt an und führt zu umfangreichen wirtschaftlichen Verwerfungen, wie während der Großen Depression. Zu anderen Zeiten sind die Geschäftsbedingungen gut; die Beschäftigung steigt rasch an, in den Fabriken werden Überstunden geleistet und gute Gewinne erzielt. Die „großartigen neunziger Jahre“ waren für die amerikanischen Konsumenten eine solche Zeit des Wohlstands. Die Wirtschaft wuchs rasch; auf den Arbeits- und Gütermärkten herrschte Knappheit; die Arbeitslosigkeit war niedrig und die Kapazitätsauslastung hoch. Aber anders als in früheren Phasen des lang anhaltenden Wirtschaftsaufschwungs blieb die Inflationsrate während der neunziger Jahre niedrig. Die Börse setzte zu einem bislang nie erlebten Höhenflug an. Handelte es sich um eine „neue Ära“ des amerikanischen Kapitalismus, die von der Globalisierung und der Informationstechnik vorangetrieben wurde? Oder war dies noch immer der herkömmliche Kapitalismus, der aber von „besonderen Umständen“ begleitet wurde, die zu hohem Wachstum und niedriger Inflation führten? Die kurzfristigen Veränderungen der wirtschaftlichen Aktivitäten bezeichnet man als Konjunkturzyklen oder Konjunkturschwankungen; sie werden im ersten Teil dieses Kapitels behandelt. Das Verständnis der Konjunkturzyklen hat sich als eines der hartnäckigsten Probleme der Makroökonomie erwiesen. Was verursacht Konjunkturschwankungen? Durch welche staatlichen Maßnahmen können sie wenigstens abgemildert werden? Bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Investition
Teil 5
Produktion (reales BIP)
Fiskalpolitik Gesamtnachfrage (AD) Außenhandel
Zusammenwirken von AS und AD
Gesamtangebot (AS)
Abbildung 23-1: Konjunkturzyklen sind ein traditionelles Merkmal des Kapitalismus Das Kapitel beginnt mit einer Untersuchung von Konjunkturzyklen. Im Anschluss daran entwickelt es die Theorie der Gesamtnachfrage, um zu erklären, wie Verlagerungen der Nachfragekurve zu Konjunkturzyklen führen.
war die Wirtschaftswissenschaft kaum in der Lage, diese Fragen zu beantworten. Dann veröffentliche John Maynard Keynes seine revolutionären makroökonomischen Theorien, die auf die Kräfte der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage als Bestimmungsfaktor der Konjunkturzyklen hindeuteten. Die wichtigste Lektion von Keynes lautet, dass Veränderungen der Gesamtnachfrage kurzfristig bedeutende Auswirkungen auf die Höhe der Produktion, der Beschäftigung und der Preise haben können. Von Anfang an wurde das Keynesianische Rahmenwerk in Frage gestellt, modifiziert und weiter ausgearbeitet. Aber nach wie vor
ist die Theorie der Gesamtnachfrage das beste Instrument zum Verständnis von Konjunkturzyklen. Daher werden wir im zweiten Teil dieses Kapitels die Grundsätze der Analyse der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage beschreiben und den grundlegenden Keynesianischen Ansatz zur Erklärung von Konjunkturschwankungen vorstellen. Diese Diskussion bereitet den Weg für die Untersuchung des Keynesianischen Multiplikatormodells im nächsten Kapitel, das die einfachste Theorie der Einkommensbestimmung erläutert. Abbildung 23-1 unterstützt uns bei der Analyse.
Kapitel 23 Konjunkturzyklen und die Theorie der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage
A. Konjukturschwankungen Wie die Wirtschaftsgeschichte zeigt, wächst eine Wirtschaft niemals gleichmäßig. Es kann in einem Land einige Jahre lang zu einer berauschenden Wirtschaftsexpansion kommen, wie in den Vereinigten Staaten während der neunziger Jahre. Darauf kann aber durchaus eine Rezession folgen, eine Finanzkrise oder – seltener – eine lang anhaltende Depression. Dann sinkt die Produktionsleistung des Landes, die Gewinne und das Realeinkommen gehen zurück, und die Arbeitslosenquote schnellt beunruhigend in die Höhe, da ganze Heerscharen von Beschäftigten ihre Arbeitsplätze verlieren. Irgendwann ist aber die Talsohle erreicht und die Erholung beginnt. Sie kann kurz oder lang sein, unvollständig ausfallen oder aber stark genug sein, um zu einem neuen Aufschwung zu führen. Eine Hochkonjunktur kann eine lange, nachhaltige Periode lebhafter
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Nachfrage, ein gutes Arbeitsplatzangebot und einen generell steigenden Lebensstandard mit sich bringen. Sie kann aber auch durch einen raschen, inflationären Preisanstieg und einen Spekulationsboom gekennzeichnet sein, worauf dann der nächste Abschwung folgt. Dieses Auf und Ab der Produktion, der Inflation, der Zinssätze und der Beschäftigungslage ergeben den Konjunkturzyklus, der für alle Marktwirtschaften charakteristisch ist.
Merkmale des Konjukturzyklus Was genau verstehen wir unter „Konjunkturzyklus“? Konjunkturzyklen sind gesamtwirtschaftliche Schwankungen von Produktion, Einkommen und Beschäftigung. Ihre Länge beträgt in der Regel zwischen zwei und zehn Jahren, und sie sind durch eine weitgehende Expansion oder Kontraktion der meisten Wirtschaftssektoren gekennzeichnet.
Recession Rezession
Hoch
Hoch
AEu xfsp cahn wsiu onn g
Tief Ab sc hw un g
Zustand der Wirtschaft
Hoch
Rezession Tief
Abbildung 23-2: Genau wie ein Kalenderjahr hat auch ein Konjunkturzyklus seine Jahreszeiten Der Konjunkturzyklus beschreibt die unregelmäßigen Auf- und Abschwungsphasen einer Volkswirtschaft. (Hier werden die tatsächlichen Monatsdaten der Industrieproduktion während eines kürzlichen Konjunkturzyklus dargestellt.)
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Üblicherweise unterscheiden Ökonomen zwei Hauptphasen im Verlauf eines Konjunkturzyklus, nämlich Rezessions- und Expansionsphase. Gipfel und Tiefpunkt des Zyklus stellen jeweils die Wendepunkte dar. Abbildung 23-2 zeigt die aufeinander folgenden Phasen des Konjunkturzyklus. Ein Wirtschaftsabschwung wird als Rezession bezeichnet. Unter Rezession verstehen wir eine immer wieder auftretende Periode des Rückgangs der Produktionsleistung, des Einkommens und der Beschäftigung, die üblicherweise zwischen sechs Monaten und einem Jahr dauert und durch einen deutlichen Abschwung in vielen Wirtschaftsektoren gekennzeichnet ist. Eine lang anhaltende, gravierende Rezession bezeichnet man als Depression. Laut Angaben des National Bureau of Economic Research, der Organisation, die Beginn und Ende eines Konjunkturzyklus datiert, begann die letzte Rezession in den Vereinigten Staaten im März 2001. Der Abschwung beendete die längste jemals registrierte Expansion, die insgesamt 120 Monate lang anhielt. (Für weitere Informationen siehe den Abschnitt „Websites“ am Ende dieses Kapitels.) Obgleich wir kurzfristige Schwankungen als „Zyklen“ bezeichnen, ist ihr Muster doch unregelmäßig. Keine zwei Konjunkturzyklen sind identisch. Es gibt keine exakte Formel, wie wir sie beispielsweise für die Umlaufbahnen der Planeten oder Pendelbewegungen kennen, die wir verwenden könnten, um Dauer oder Ablauf eines Konjunkturzyklus vorherzusagen. In ihrer Unregelmäßigkeit gleichen die Konjunkturzyklen eher den Veränderungen des Wetters. Abbildung 23-3 zeigt die Konjunkturzyklen der amerikanischen Wirtschaft während der letzten Jahre. Beachten Sie die Form der Zyklen, die Gebirgsketten gleichen, in denen die Hügel und Täler auf unterschiedlichen Höhen liegen. Manche Täler sind sehr tief und breit, wie während der Großen Depression; andere sind eng und eher flach, wie die Rezession von 1991.
Teil 5
Obwohl Konjunkturzyklen niemals genau gleich verlaufen, haben sie doch gewisse Ähnlichkeiten. Frage: Wenn ein seriöser Wirtschaftsforscher die nächste Rezession ankündigt, gibt es dann irgendwelche typischen Phänomene, die man als Begleiterscheinung der Rezession erwarten sollte? Im Folgenden sind einige der üblichen Merkmale einer Rezession aufgeführt: • Häufig gehen die Konsumausgaben stark zurück, während die Lagerbestände der Unternehmen an Autos und sonstigen dauerhaften Gebrauchsgütern unerwartet ansteigen. Wenn die Unternehmen mit einer Drosselung ihrer Produktion reagieren, sinkt das reale BIP. Kurz danach gehen auch die Unternehmensinvestitionen in Fabriken, Anlagen und Maschinen drastisch zurück. • Die Arbeitsnachfrage sinkt – was sich zuerst in einer kürzeren durchschnittlichen Arbeitszeit, später aber auch in Entlassungen und höherer Arbeitslosigkeit äußert. • Mit sinkender Produktionsleistung verlangsamt sich auch die Inflation. Lässt die Nachfrage nach Rohstoffen nach, kommen deren Preise ins Trudeln. Löhne und Preise für Dienstleistungen werden wahrscheinlich nicht sinken, aber sie steigen in Abschwungphasen normalerweise weniger rasch. • Die Unternehmensgewinne schrumpfen in Rezessionsperioden beträchtlich. In Vorwegnahme dieser Entwicklung sinken zumeist die Aktienkurse, wenn die Investoren die Rezession zu riechen beginnen. Da jedoch die Kreditnachfrage zurückgeht, fallen im Verlauf einer Rezession zumeist auch die Kreditzinsen. Expansionen sind das Gegenstück zu Rezessionen, wobei jeder der oben erwähnten Faktoren sich umgekehrt wie in einer Rezession verhält.
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Kapitel 23 Konjunkturzyklen und die Theorie der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage
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Abweichung der Produktionsleistung vom langjährigen Trend (in %)
Aktienhausse II. Weltkrieg 40
Nachkriegserholung
20
Vietnamkrieg
Koreakrieg
Geldpolitik Golfkrieg
0
Erster Ölschock
Nachkriegserholung
–20
„New Economy“ der 1990er Jahre
Nachkriegsdepression
Angebotsseitige Politik
–40 Aufrüstung –60 Weltwirtschaftskrise
–80 1920
1930
1940
1950
1960 Jahr
1970
1980
1990
2000
Abbildung 23-3: Die wirtschaftliche Entwicklung in den USA seit 1919 Die Industrieproduktion schwankt unregelmäßig um ihre langfristige Trendlinie. Beachten Sie, wie der lang anhaltende Aufschwung und die Revolution in der Informationstechnologie während der neunziger Jahre den Konjunkturzyklus deutlich nach oben verschoben haben. Können Sie während der letzten Jahre eine gleichmäßigere Wirtschaftsentwicklung feststellen? Quelle: Federal Reserve Board, von den Autoren trendbereinigt.
Konjunkturtheorien Exogene und endogene Zyklen. Seit langen Jahren herrscht in der Makroökonomie eine rege Debatte über die Entstehung der Konjunkturzyklen. Warum ändert sich die Entwicklung von Beschäftigung und Produktionsleistung ganz plötzlich? Warum geht es Marktwirtschaften mal gut, mal schlecht? Es gibt unzählige Erklärungen, aber es ist hilfreich, die verschiedenen Ursachen in zwei Kategorien einzuteilen: exogen und endogen. Die auf exogenen Ursachen gründenden Theorien erklären Konjunkturzyklen aus den Änderungen von Faktoren, die mit dem Wirt-
schaftsgeschehen nicht unmittelbar zu tun haben – Kriege, Revolutionen und Wahlen; Ölpreise; die Entdeckung von Gold; Wanderungsbewegungen; die Erschließung von neuem Land und neuen Ressourcen; wissenschaftliche Durchbrüche und technische Innovationen; sogar Sonnenflecke, Klimaveränderungen oder das Wetter. Ein Beispiel für einen exogenen Bestimmungsfaktor ist die Entdeckung der Neuen Welt. Als die Entdecker mit ihren Schätzen nach Europa zurückkehrten, führte dies zu einer Zunahme der Gold- und Silberbestände, was wiederum zu Preiserhöhungen und Wirtschaftswachstum beitrug. Dieses exoge-
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
ne Ereignis – die Entdeckung Amerikas – führte zu einem Wirtschaftsaufschwung. Die auf endogenen Ursachen fußenden Theorien besagen, dass Konjunkturzyklen von Mechanismen innerhalb des Wirtschaftssystems selbst hervorgerufen werden. Diesem Ansatz zufolge trägt jede Expansion schon den Keim der nachfolgenden Abschwächung und Rezession in sich, während jede Abschwächung ihrerseits wieder in einer Konjunkturbelebung und einem Aufschwung mündet – eine fast regelmäßige, sich ständig wiederholende Kettenreaktion. Ein in diesem Zusammenhang bedeutendes Konzept ist die Multiplikator-Akzelerator-Theorie. Demnach stimuliert ein schnelles Anwachsen der Produktion die Investitionen. Höhere Investitionen führen ihrerseits zu einer Steigerung der Produktion, und dieser Prozess setzt sich fort, bis die Wirtschaft ihre Kapazitätsgrenze erreicht hat, ab der sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt. Das geringere Wirtschaftswachstum wiederum führt zu einer Minderung der Investitionsausgaben und geringerem Ausbau von Lagerbeständen, was in einer Wirtschaft üblicherweise einen Abschwung verursacht. Sodann verläuft der Prozess in umgekehrter Richtung, bis die Talsohle erreicht ist, auf der sich die Wirtschaft stabilisiert, um dann wieder zu wachsen. Diese Theorie der internen Ursachen von Konjunkturzyklen unterstellt einen Mechanismus ähnlich der Bewegung eines Pendels, der bewirkt, dass ein exogener Schock sich auf zyklische Weise durch die ganze Wirtschaft fortpflanzt. Spekulative Hochkonjunktur und Wirtschaftsflauten Eine andere Ausprägung endogen begründeter Konjunkturzyklen waren die spekulationsbedingten Hochkonjunkturen und Wirtschaftsflauten im Kapitalismus des 19. Jahrhunderts und während der Großen Depression, ein Phänomen, das in den Vereinigten Staaten gegen Ende der neunziger Jahre und zu Beginn des 21. Jahrhunderts
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erneut auftrat. Das bemerkenswerte Wachstum und die Innovationskraft in den Sektoren der „New Economy“– zu der die Bereiche Computer, Software und Internet zählen – führte zwischen 1995 und 2000 bei den New-Economy-Aktien zur Ausbildung einer Spekulationsblase. Die betreffenden Unternehmen boten Partnervermittlung per Internet oder verkauften Lebensmittel, vermittelten freien Internetzugang oder boten die Versendung elektronischer Geburtstagsgrüße an; manche stellten auch winzige, aber angeblich wesentliche elektronische Komponenten her. Studenten verließen die Universität und wurden praktisch über Nacht zu Millionären. Auf dem Höhepunkt des Spekulationswahns standen die Leute Schlange, um Aktien von Unternehmen zu kaufen, die enorme Verluste erwirtschafteten und teilweise so gut wie nichts verkauften. Der Wert der NewEconomy-Unternehmen stieg Anfang 2000, kurz bevor die Spekulationsblase platzte, auf US-$ 3 Billionen. All dies förderte Investitionen in Computer, Software und Telekommunikation. Die Investitionen in IT-Anlagen und -Maschinen stiegen von 1995–2000 um 70 Prozent und zeichneten so für ein Fünftel des Gesamtzuwachses des realen BIP während dieses Zeitraums verantwortlich. Schließlich regte sich in der Investorengemeinde große Skepsis hinsichtlich des wahren Wertes vieler dieser Unternehmen. Die Verluste nahmen kein Ende. Der unwiderstehliche Drang, Aktien zu kaufen, ehe deren Kurse noch höher stiegen, wurde durch den panischen Wunsch ersetzt, sie zu verkaufen, ehe die Preise noch weiter verfielen. Der Aktienkurs eines typischen NewEconomy-Unternehmens fiel von US-$ 50 oder gar US-$ 100 pro Aktie bis 2003 auf Pennybeträge. Viele Firmen gingen Bankrott. Die Studienabbrecher kehrten an die Universitäten zurück – klüger, aber nur selten reicher geworden. Der Rückgang des Aktienmarktes von 2000 bis 2003 trug zu der Rezession und dem langsamen Wachstum in diesem Zeitraum bei. Die Investitionen in informationsverarbeitende Anlagen und Maschinen
Kapitel 23 Konjunkturzyklen und die Theorie der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage
Nachfragebedingte Zyklen. Ein wichtiger Auslöser für Konjunkturschwankungen sind schockartige Einflüsse auf die Gesamtnachfrage. Ein typisches Beispiel ist in Abbildung 23-4 dargestellt, die zeigt, wie ein Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu einer Produktionsminderung führt. Beginnen wir unsere Betrachtung bei Punkt B, an dem sich die Wirtschaft in einem kurzfristigen Gleichgewicht befindet. Die Gesamtnachfragekurve verschiebt sich nun nach links zu AD', vielleicht aufgrund eines Rückgangs der Verteidigungsausgaben oder einer Geldverknappung. Wenn sich das Gesamtangebot nicht ändert, erreicht die Wirtschaft ein neues Gleichgewicht in Punkt C. Beachten Sie, dass sich die Produktionsleistung von Q auf Q' verringert. Außerdem liegen die Preise nun niedriger als beim ersten Gleichgewichtspunkt, und die Inflationsrate sinkt. Ein Wirtschaftsaufschwung stellt sich natürlich genau umgekehrt zur eben geschilderten Entwicklung dar. Die AD-Kurve verschiebt sich nun nach rechts, die Produktionsleistung erreicht das potenzielle BIP oder geht vielleicht noch darüber hinaus, Preise und Inflation steigen. Konjunkturzyklische Veränderungen von Produktion, Beschäftigung und Preisen sind häufig durch Verlagerungen der Gesamtnachfragekurve bedingt. Derartige Verlagerungen ergeben sich, wenn die Konsumenten, Unternehmen oder der Staat ihre Gesamtausgaben relativ zur produktiven Kapazität der Wirtschaft ändern. Wenn eine solche Änderung der Gesamtnachfrage zu einem deutlichen Wirtschaftsabschwung führt, gleitet
Qp AS
P
AD Preisniveau
sanken um zehn Prozent, die Investitionen in Computer gingen gar um das Doppelte dieses Wertes zurück. Die beeindruckenden Innovationen der New-Economy-Unternehmen hatten Auswirkungen auf das ganze Wirtschaftsleben, aber die Investoren haben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, als Ausgleich für ihre Mühen nur geringen oder gar keinen Gewinn erzielt.
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AD′ B
P P′ C
AD AD′
Q′
Potenzielle Produktionsleistung
Q
Q
Reale Produktionsleistung
Abbildung 23-4. Ein Rückgang der Gesamtnachfrage führt zu einem Wirtschaftsabschwung Eine Abwärtsverschiebung der AD-Kurve entlang einer flachen und unveränderten AS-Kurve führt zu einem Rückgang des Produktionsniveaus. Beachten Sie, dass infolge der Abwärtsverschiebung der AD-Kurve in einer Rezession die tatsächliche Produktion relativ zur potenziellen Produktionsleistung zurückgeht.
die Wirtschaft in eine Rezession oder gar Depression ab. Ein rasches Ansteigen der wirtschaftlicher Aktivität kann zu Inflation führen. Konjunkturtheorien Die Wirtschaftswissenschaft analysiert Konjunkturzyklen nun schon seit fast zwei Jahrhunderten. Im Folgenden beschreiben wir einige der verschiedenen Ansätze und benennen ihre Vertreter: 1. Monetaristische Theorien führen Konjunkturzyklen auf die Ausweitung und Verringerung von Geldmenge und Krediten zurück (M. Friedman). Dieser Theorie zufolge sind monetäre Faktoren die Hauptursache für Schwankungen in der Gesamtnachfrage. Beispielsweise wurde die Rezession von 1981–1982 angeblich dadurch ausgelöst, dass die Zentralbank zur Bekämpfung der Inflation die Nominalzinssätze auf 18 Prozent anhob. 2. Das oben beschriebene MultiplikatorAkzelerator-Modell erklärt, dass plötzliche externe Einflüsse durch den Multiplikatormechanismus, den wir im nächs-
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
ten Kapitel untersuchen werden, und ein Element aus der Investitionstheorie, das unter der Bezeichnung Akzelerator bekannt ist, auf die Wirtschaft einwirken (P. Samuelson). Diese Theorie zeigt, wie das Zusammenspiel von Multiplikator und Akzelerator zur Ausbildung regelmäßiger Zyklen in der Gesamtnachfrage führen kann; es ist eines der wenigen Modelle, das endogene Zyklen erklärt. 3. Politische Konjunkturtheorien führen wirtschaftliche Schwankungen auf das Agieren von Politikern zurück, die zur Förderung ihrer Wiederwahl fiskal- und geldpolitische Maßnahmen ergreifen (W. Nordhaus, E. Tufte). Historisch betrachtet kann man sagen, dass die Ergebnisse von US-Präsidentschaftswahlen sensibel auf die Wirtschaftslage im Jahr vor der Wahl reagieren. Deshalb würden auch die meisten Präsidenten, hätten sie die Wahl, am liebsten dem Beispiel Ronald Reagans folgen. Zu Beginn seiner ersten Amtsperiode durchliefen die USA zwar eine tiefe Rezession, doch zum Zeitpunkt seines zweiten Wahlkampfes 1984 wuchs die Wirtschaft kräftig, was sehr zu seiner Wiederwahl beitrug, die er mit beträchtlicher Mehrheit errang. 4. Gleichgewichts-Konjunkturtheorien behaupten, dass falsche Vorstellungen von Preis- und Lohnentwicklungen die Menschen dazu brächten, zu viel oder zu wenig Arbeit anzubieten. Dies löse immer wieder Produktions- und Beschäftigungsschwankungen aus (R. Lucas, R. Barro, T. Sargent). Einer Version dieser Theorien zufolge steigt die Arbeitslosigkeit in Rezessionszeiten, weil die Arbeitnehmer überhöhte, nicht marktgerechte Löhne anstreben. 5. Verfechter der Real-Business-Cycle-Theorie betonen, dass Innovationen oder plötzliche Einwirkungen auf die Produktivität in einem Sektor auf den Rest der Wirtschaft übergreifen und dort zu Auf- oder Abschwüngen führen können (J. Schumpeter am Anfang des 20. Jahrhunderts und E. Prescott, P. Long, C. Plosser in jüngerer Zeit). Laut diesem
Teil 5
klassischen Ansatz werden Konjunkturzyklen hauptsächlich durch plötzliche Einwirkungen auf das Gesamtangebot hervorgerufen, nicht durch Veränderungen der Gesamtnachfrage. Ein derartiger Ansatz kann scheinbar besonders gut Situationen wie in Russland erklären, das sich während der neunziger Jahre von einer zentralen Planwirtschaft zu einer Marktwirtschaft wandelte. Aufgrund der allgemeinen Verwirrung und wirtschaftlicher Störungen ging die Produktion in diesem Land schnell und drastisch zurück. 6. Von Angebotsschocks spricht man, wenn Konjunkturzyklen durch Veränderungen des Gesamtangebots ausgelöst werden (R.J. Gordon). Klassische Beispiele lassen sich während der Ölkrise in den siebziger Jahren finden, als der dramatische Anstieg der Ölpreise zu einem Rückgang des Gesamtangebots führte, die Inflation anheizte und zu einer Senkung von Produktion und Beschäftigung beitrug. Viele Wirtschaftswissenschaftler glauben, dass die niedrige Inflationsrate und das schnelle Wachstum der amerikanischen Wirtschaft von 1994 bis 2000 durch positive Angebotsschocks erklärt werden kann. Während dieses Zeitraums stiegen die Kosten nur langsam an, weil Öl- und andere Rohstoffpreise sanken, die Importpreise zurückgingen, die Produktivität rasch zunahm und die Kosten für die Gesundheitsvorsorge unterdurchschnittlich zulegten. Natürlich stellt sich nun die Frage, welche dieser Theorien Konjunkturzyklen am besten erklärt. Jeder der verschiedenen Ansätze enthält ein Körnchen Wahrheit, aber keiner kann Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen. Ein kluger Wirtschaftswissenschaftler kennt nicht nur die verschiedenen Theorien, sondern weiß auch, wann und wo er welche anwenden muss.
Kapitel 23 Konjunkturzyklen und die Theorie der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage
Die Prognose von Konjukturzyklen Die Wirtschaftswissenschaft hat Prognosewerkzeuge entwickelt, mit denen sie Veränderungen im Wirtschaftsgefüge vorhersagen kann. Wie die hellen Scheinwerfer eines Autos erleuchtet eine gute Prognose das vor uns liegende wirtschaftliche Terrain und hilft den Entscheidungsträgern, ihre Handlungen der jeweiligen wirtschaftlichen Situation anzupassen.
Ökonometrische Modelle und Prognosen In früheren Zeiten versuchten die Ökonomen durch das Studium und die Projektion vorhandener Daten über den Geldumlauf, LKW-Ladungen und die Stahlproduktion einen Blick auf die Zukunft zu erhaschen. So deutete beispielsweise ein Rückgang in der Stahlproduktion darauf hin, dass die Unternehmen ihre Ausgaben verringerten und das Wirtschaftswachstum bald abflauen würde. Schließlich wurde dieser Vorgang durch die Kombination verschiedener statistischer Daten formalisiert und als „Index of Leading Indicators“ (Index der Konjunktur-Vorlaufindikatoren) bezeichnet. Obwohl dieser Index keineswegs unfehlbar ist, ermöglicht er doch eine frühzeitige und automatische Warnung hinsichtlich der künftigen Richtung der Wirtschaftsentwicklung. Um jedoch noch etwas genauer in die Zukunft sehen zu können, greifen die Ökonomen heute zu computergestützten ökonometrischen Prognosemodellen. Ein ökonometrisches Modell besteht aus einer Reihe von Gleichungen, die das Verhalten der Wirtschaft widerspiegeln, das aufgrund von historischen Daten eingeschätzt wird. Frühe Pioniere auf diesem Gebiet waren Jan Tinbergen aus den Niederlanden und Lawrence Klein von der University of Pennsylvania – beide gewannen den Nobelpreis für ihre Entwicklung empirischer makroökonomischer Mo-
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delle. Heutzutage bilden die Ökonometriker eine eigene Branche, entwickeln makroökonomische Modelle und sagen die Zukunft der Wirtschaft voraus. Wie entstehen Computermodelle der Wirtschaft? Im Allgemeinen beginnen die Entwickler dieser Programme mit einem analytischen Rahmenwerk, das Gleichungen für Gesamtnachfrage und Gesamtangebot enthält. Mithilfe der Techniken der modernen Ökonometrie wird jede Gleichung an die historischen Daten „angepasst“, sodass Parameterschätzungen vorgenommen werden können (etwa zur marginalen Konsumneigung MPC oder zur Steigung der Investitionsnachfragekurve). Außerdem bringen die Entwickler in jeder Phase ihre eigene Erfahrung und ihr eigenes Urteil ein, um die Plausibilität der Ergebnisse zu beurteilen. Schließlich wird das gesamte Modell zusammengestellt und als ein System von Gleichungen auf dem Computer zum Laufen gebracht. Kleine Modelle bestehen nur aus ein oder zwei Dutzend Gleichungen. Große Prognosemodelle umfassen heute jedoch mehr als einige Hundert bis zu 10.000 Variablen. Wenn die exogenen und maßnahmenbezogenen Variablen einmal spezifiziert sind (Bevölkerungszahl, Staatsausgaben und Steuersätze, Geldpolitik und so weiter), lassen sich mit Hilfe dieses Gleichungssystems Projektionen wichtiger volkswirtschaftlicher Variablen in die Zukunft vornehmen. Unter normalen Umständen schneiden diese Prognosen bei der Beleuchtung des vor uns liegenden Weges recht gut ab. In anderen Situationen, vor allem wenn es zu drastischen Änderungen staatlicher Politik kommt, sind Wirtschaftsprognosen ein unsicheres Geschäft. Abbildung 23-5 zeigt die Ergebnisse einer Zusammenstellung der BIP- (früher BNP-) Prognosen aller wichtigen Wirtschaftsforschungsinstitutionen der USA. Aus Vergleichsgründen legte diese Studie als Benchmark eine „naive Prognose“ zugrunde, in der das prognostizierte Wachstum der Produktionsleistung des kommenden Jahres einfach der Wachstumsrate des laufenden Jahres entsprach.
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
sich eines unsystematischen oder unwissenschaftlichen Ansatzes bedienen, genauere Ergebnisse liefern.
4
Prognosefehler (in % Jahr)
Teil 5
3
2
1
0
1950er Jahre
1960er Jahre
1970er Jahre
1980er Jahre
Fehleinschätzung des BIP-Wachstums durch professionelle Wirtschaftsforscher
B. Grundlagen der gesamtwirtschaftlichen Nachfragen
Naive Fehleinschätzung des BIP-Wachstums
Abbildung 23-5: Inwieweit haben sich professionelle Wirtschaftsprognosen bewahrheitet? Hier werden die Ergebnisse der professionellen Wirtschaftsforscher mit jenen einer „naiven“ Wirtschaftsprognose verglichen. Seit systematische Wirtschaftsprognosen erstellt werden, haben sich die makroökonomischen Voraussagen im Vergleich zur reinen Raterei in jedem Jahrzehnt verbessert, und die zusätzlich erzielte Verbesserung fällt immer höher aus. Quelle: Stephen McNees, New England Economic Review, Juli 1992. Für jedes Jahr der Dekade wurden Durchschnitte gebildet.
Wie die Abbildung zeigt, konnten die professionellen Zukunftsforscher die naive Prognose regelmäßig schlagen. In den ersten beiden Jahrzehnten lag die durchschnittliche Prognoseabweichung der Experten von der Realität bei mehr als der Hälfte der Abweichung des naiven Modells, während das Ausmaß des Fehlers während der siebziger und achtziger Jahre auf weniger als die Hälfte der Abweichung des naiven Modells sank. Interessant an Abbildung 23-5 ist außerdem, dass die Instabilität von Periode zu Periode schwankt, wobei die fünfziger und siebziger Jahre relativ große Fluktuationen aufwiesen, während die sechziger und achtziger Jahre einen ruhigeren Verlauf zeigen. Offenbar sind Wirtschaftsprognosen in unserer unsicheren Welt ebenso sehr eine Kunst wie eine Wissenschaft. Die Stärke professioneller Wirtschaftsprognosen liegt jedenfalls darin, dass sie jahrein, jahraus im Vergleich zu jenen, die
Im ersten Teil dieses Kapitels wurden die kurzfristigen Veränderungen von Produktion, Beschäftigung und Preisen beschrieben, die in Marktwirtschaften ein Merkmal von Konjunkturzyklen sind. Wir zeigten, wie Veränderungen der Gesamtnachfrage zu zyklischen Bewegungen führen können. Nun ist es Zeit, im Detail die Grundlagen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu erforschen. Welche Hauptkomponenten bestimmen die Gesamtnachfrage? Welche Wechselwirkungen zwischen ihnen und der Gesamtnachfrage bestimmen Produktion und Preise? Was besagt die Theorie von Keynes über die Bestimmung der Produktion, und wie erklärt sie kurzfristige Schwankungen des BIP? In der Einleitung zur Makroökonomie in Kapitel 20 haben wir diese Fragen kurz untersucht. Wir betrachten die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nun gründlicher, um die Kräfte besser zu verstehen, die die Wirtschaft vorantreiben. Im nächsten Kapitel untersuchen wir das einfachste Modell der Gesamtnachfrage – das Multiplikatormodell. Als gesamtwirtschaftliche Nachfrage (AD – Aggregate Demand) bezeichnet man die gesamte Menge an Waren und Dienstleistungen, die zu einem gegebenen Preisniveau nachgefragt wird, wobei alle übrigen Faktoren konstant gehalten werden. Die Gesamtnachfrage entspricht also den gewünschten Ausgaben aller Sektoren: Konsum, private Inlandsinvestitionen, Staatsausgaben für Waren und Dienstleistungen sowie Nettoexpor-
Kapitel 23 Konjunkturzyklen und die Theorie der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage
te. Sie setzt sich aus vier Komponenten zusammen: 1. Konsum. Wie wir aus dem letzten Kapitel wissen, wird der Konsum (C) primär durch das verfügbare Einkommen (persönliches Einkommen abzüglich Steuern) bestimmt. Weitere Einflussfaktoren sind die langfristige Einkommensentwicklung, die Vermögen der Haushalte und das gesamtwirtschaftliche Preisniveau. Die Analyse der Gesamtnachfrage konzentriert sich auf die bestimmenden Faktoren des realen Konsums (das heißt auf den nominalen Konsum dividiert durch den Verbraucherpreisindex). 2. Investitionen. Die Investitionen (I) umfassen den Erwerb von Gebäuden, Software, Anlagen und Maschinen sowie Lagerbestandszuwächse des privaten Sektors. Gemäß unserer Analyse in Kapitel 22 sind die bestimmenden Faktoren für Investitionen das Produktionsniveau, die Kapitalkosten (beeinflusst durch Steuerpolitik, Zinssätze und andere finanzielle Rahmenbedingungen) sowie die Zukunftserwartungen. Das wichtigste Instrument, mit dem die Wirtschaftspolitik Einfluss auf die Investitionstätigkeit nehmen kann, ist die Geldpolitik. 3. Staatsausgaben. Der dritte Bestandteil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage sind die Staatsausgaben für Waren und Dienstleistungen (G): Darunter versteht man den Erwerb von Gütern wie zum Beispiel Panzer oder Maschinen für den Straßenbau oder die Dienstleistungen der Richter und Lehrer an öffentlichen Schulen. Im Unterschied zum privaten Konsum und privaten Investitionen wird diese Komponente der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage direkt durch die staatlichen Ausgabenentscheidungen bestimmt. Wenn das Verteidigungsministerium neue Flugzeuge kauft, wird der Kaufpreis dem BIP hinzugerechnet.
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4. Nettoexporte. Den letzten Bestandteil der Gesamtnachfrage stellen die Nettoexporte (X) dar, die sich aus dem Wert der Exporte minus dem Wert der Importe errechnen. Die Importe werden durch Einkommen und die Produktionsleistung im Inland bestimmt, durch das Verhältnis von inländischen zu ausländischen Preisen sowie durch den Wechselkurs. Die Exporte (das heißt Importe anderer Staaten) sind das Spiegelbild der Importe. Sie werden durch das Einkommen und die Produktion im Ausland, die relativen Preise und die Wechselkurse bestimmt. Folglich resultieren die Nettoexporte aus den inländischen und ausländischen Einkommen und Produktionsniveaus, den relativen Preisen und den Wechselkursen. Abbildung 23-6 zeigt die Gesamtnachfragekurve (AD) und ihre vier wichtigsten Komponenten. Zu einem gegebenen Preisniveau P können wir die Höhe des Konsums, der Investitionen, der Staatsausgaben und der Nettoexporte bestimmen und erhalten durch deren Addition das mit Q bezeichnete BIP. Die Summe der vier Ausgabenströme entspricht den gesamtwirtschaftlichen Ausgaben oder der Gesamtnachfrage zu diesem Preisniveau.
Die abwärts geneigte Gesamtnachfragekurve Ein wichtiger Punkt, der Ihnen nicht entgehen sollte, ist die Tatsache, dass die Gesamtnachfragekurve in Abbildung 23-6 nach unten geneigt ist. Unter der Annahme, dass alle anderen Faktoren konstant bleiben, heißt dies, dass bei steigendem Preisniveau in der Wirtschaft die realen Konsumausgaben sinken. Welche Gründe gibt es für die Neigung nach unten? Der Hauptgrund besteht darin, dass einige Einkommens- oder Vermögenskomponenten nicht steigen, wenn das Preisniveau in die Höhe geht. Beispielsweise kön-
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Preisniveau
P
P
C
I
G
X
AD Q Q reales BIP
Abbildung 23-6: Komponenten der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage Die Gesamtnachfrage (AD) setzt sich aus vier Komponenten zusammen: Konsum (C), private Inlandsinvestitionen (I), Staatsausgaben für Waren und Dienstleistungen (G) und Nettoexporte (X). Die Gesamtnachfragekurve verlagert sich bei unterschiedlichem Einsatz makroökonomischer Instrumente (beispielsweise Änderungen der Geldpolitik, der Staatsausgaben oder der Steuersätze) oder wenn exogene Ereignisse die Ausgaben verändern (eventuell bedingt durch Produktionsänderungen im Ausland, die sich auf die Nettoexporte auswirken, oder eine Änderung des Vertrauens der Unternehmen, die die Investitionen beeinflusst).
nen einige Elemente des persönlichen Einkommens in nominalen Geldeinheiten festgelegt sein – Transferleistungen der Regierung, Mindestlöhne und Betriebsrenten, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wenn das Preisniveau steigt, fällt daher das reale verfügbare Einkommen, was zu einem Rückgang der realen Konsumausgaben führt. Außerdem können manche Vermögenswerte in nominalen Geldeinheiten bestimmt sein. Beispiele hierfür sind gehortetes Bargeld, festverzinsliche Wertpapiere und Schuldverschreibungen, an die meistens das Versprechen geknüpft ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt einen bestimmten Geldbetrag zu zahlen. Steigt das Preisniveau, sinkt daher
Teil 5
der Realwert dieses Vermögens, was wiederum den realen Konsum senkt. Preise beeinflussen die Ausgaben noch auf einem anderen Weg, nämlich über die Geldversorgung. Mitunter hält die Zentralbank die Geldmenge bei einer bestimmten Dollarmenge konstant (oder lässt sie, nominal gesehen, in bestimmtem Umfang wachsen). Wenn dann die Preise steigen, sinkt die reale Geldmenge (die nominale, um Preisveränderungen bereinigte Geldmenge). Nehmen wir beispielsweise an, die Geldmenge eines Landes sei bei US-$ 600 Milliarden konstant. Wenn nun der Verbraucherpreisindex auf das Doppelte steigt, sinkt die reale Geldmenge von US-$ 600 Milliarden auf US-$ 300 Milliarden. Bei schrumpfendem realem Geldangebot wird Geld relativ knapp. Die Zinssätze und Rückzahlungen auf Hypothekendarlehen steigen, und Kredite sind schwieriger zu erhalten. Eine knappe Geldmenge verursacht einen Rückgang an Investitionen und Konsum. Kurzum, wenn alle anderen Faktoren konstant sind, führt ein Preisanstieg verbunden mit einer konstanten Geldmenge zu Geldverknappung und verursacht eine Verringerung der gesamten Realausgaben. (In den folgenden Kapiteln werden wir uns ausführlicher mit den Geldmechanismen beschäftigen.) Infolge aller dieser Auswirkungen eines höheren Preisniveaus bewegt sich die Wirtschaft entlang der abwärts gerichteten ADKurve nach oben und nach links. Die Auswirkungen eines verringerten Geldangebots sind in Abbildung 23-7(a) dargestellt. Nehmen wir an, die Volkswirtschaft befände sich in Punkt B bei einem Preisniveau von 100, einem realen BIP von US-$ 3.000 Milliarden und einem Geldangebot von US-$ 600 Milliarden im Gleichgewicht. Weiterhin nehmen wir an, dass die Preise um 50 Prozent steigen und der Preisindex P damit von 100 auf 150 klettert. Bei einem fixen nominalen Geldangebot sinkt das reale Geldangebot von US-$ 600 Milliarden auf US-$ 400 Milliarden. Aufgrund des nun geringeren realen Geldangebots steigen
(a) Bewegung entlang der Gesamtnachfragekurve
(b) Verschiebung der Gesamtnachfragekurve
P
P
250
250
200
200
Preisniveau
Preisniveau
Kapitel 23 Konjunkturzyklen und die Theorie der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage
C 150 B 100 50
0
AD
1.000 2.000 3.000 4.000 reales BIP (in Mrd. US-$)
5.000
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150 100
AD′
50
AD
Q 0
Q 1.000 2.000 3.000 4.000 reales BIP (in Mrd. US-$)
5.000
Abbildung 23-7: Bewegung entlang oder Verschiebung der Gesamtnachfragekurve In Abbildung (a) führt ein höheres Preisniveau bei einer starren nominalen Geldmenge zu Geldverknappung, höheren Zinssätzen und geringeren Ausgaben für zinssensible Investitionen und Konsum. Dies wird durch eine Bewegung entlang der AD-Kurve von B nach C verdeutlicht, unter der Annahme, dass alle übrigen Faktoren konstant bleiben. In Abbildung (b) sind die übrigen Variablen nicht länger konstant. Veränderungen von Faktoren, die die Gesamtnachfrage bestimmen – beispielsweise die Geldmenge, die Steuerpolitik oder Verteidigungsausgaben – führen zu Änderungen der Gesamtausgaben bei einem bestimmten Preisniveau. Dies bewirkt eine Verlagerung der AD-Kurve.
die Zinsen, was die Ausgaben in zinsempfindlichen Wirtschaftsbereichen, beispielsweise am Wohnungsmarkt, dem Bau von Fabriken und Anlagen sowie auf dem Automobilsektor sinken lässt. Der Nettoeffekt besteht in der Verminderung der gesamten realen Ausgaben auf US-$ 2.000 Milliarden, in obiger Abbildung als Punkt C bezeichnet. Zusammenfassend kann man sagen: Die AD-Kurve ist abwärts geneigt. Das bedeutet, dass die Realausgaben bei steigendem Preisniveau sinken, vorausgesetzt, alle anderen Faktoren sind konstant. Die Realausgaben gehen bei steigenden Preisen wegen der Auswirkung dieser Preise auf das Realeinkommen, das Realvermögen und das reale Geldangebot zurück.
Die Nachfrage in der Mikround Makroökonomie An dieser Stelle wollen wir noch einmal auf den Unterschied zwischen mikro- und makroökonomischen Nachfragekurven hinweisen. Erinnern Sie sich an unsere Untersuchung von Angebot und Nachfrage: Dort haben wir gesehen, dass bei der mikroökonomischen Nachfragekurve der Preis eines einzelnen Produkts auf der senkrechten und die produzierte Menge dieses Produktes auf der waagrechten Achse dargestellt werden, wobei alle anderen Preise und das Konsumenteneinkommen als konstant angenommen werden. Im Fall der Gesamtnachfragekurve verändert sich das allgemeine Preisniveau entlang der vertikalen Achse, während die Gesamtproduktion und das Gesamteinkommen anhand der horizontalen Achse dargestellt werden. Im Gegensatz dazu werden für die mikroökonomische Nach-
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
fragekurve Einkommen und Produktion als konstant angenommen. Die negative Neigung der mikroökonomischen Nachfragekurve entsteht, weil die Konsumenten das betrachtete Produkt durch andere substituieren. Wenn der Fleischpreis steigt, sinkt die Nachfrage nach Fleisch, weil die Konsumenten stattdessen mehr Brot und Kartoffeln essen, also eine größere Menge von relativ billigen Waren, aber weniger von der teuren Ware konsumieren. Die Gesamtnachfragekurve ist aus ganz anderem Grund nach unten geneigt: Wenn das Gesamtpreisniveau steigt, sinken die Gesamtausgaben hauptsächlich deswegen, weil ein fixes Geldangebot unter denen, die Geld brauchen, rationiert werden muss, wozu die Zinssätze erhöht, die Kredite verknappt und die Gesamtausgaben verringert werden. Die makroökonomischen AD-Kurven unterscheiden sich von ihren mikroökonomischen Verwandten, weil die Gesamtnachfrage einen Zusammenhang zwischen den Preisen und der Produktion der gesamten Volkswirtschaft herstellt, während die mikroökonomische Kurve nur Preis und Menge eines Einzelprodukts betrachtet. Die AD-Kurve ist hauptsächlich wegen des Geldmengeneffekts nach unten geneigt, während die mikroökonomische AD-Kurve abwärts zeigt, weil die Konsumenten einen Artikel, dessen Preis gestiegen ist, durch an-dere Produkte substituieren.
Verschiebungen der Gesamtnachfragekurve Wir wissen inzwischen, dass bei steigendem Preisniveau die Gesamtausgaben in einer Volkswirtschaft zurückgehen, wenn alle anderen Einflussfaktoren konstant bleiben. Aber auch diese anderen Faktoren können sich verändern und beeinflussen dann wiederum die Gesamtnachfrage. Welche Schlüsselvariablen führen zu einer Verschiebung der Gesamtnachfragefunktion? Grundsätzlich können wir die bestimmenden Faktoren der Gesamtnachfrage (AD) in
Teil 5
zwei Kategorien einteilen, wie in Tabelle 23-1 ersichtlich. Die erste Gruppe umfasst die wichtigsten makroökonomischen Instrumente, die dem Staat zur Verfügung stehen: Es sind dies die Geldpolitik (die Zentralbank beeinflusst die Geldmenge und andere Finanzierungsbedingungen) und die Fiskalpolitik (Steuern und Staatsausgaben). Tabelle 23-1 stellt dar, wie die staatlichen Instrumente die unterschiedlichen Komponenten der Gesamtnachfrage beeinflussen können. Die zweite Gruppe sind die exogenen Variablen bzw. jene Variablen, die außerhalb des Gesamtangebots-Gesamtnachfrage-Modells (AS-AD) liegen. Wie Tabelle 23-1 zeigt, sind einige dieser veränderlichen Größen (etwa Kriege oder Revolutionen) einer makroökonomischen Analyse nicht zugänglich, einige (etwa wirtschaftliche Aktivitäten im Ausland) können durch die inländische Politik nicht beeinflusst werden, und wieder andere (wie die Börse) haben ein bedeutendes Eigenleben. Welche Auswirkungen haben Veränderungen der Variablen, die der AD-Funktion zugrunde liegen? Betrachten wir die Situation, als die Vereinigten Staaten 2003 den Krieg gegen den Irak begannen. Zu den zusätzlichen Kosten für den Krieg zählen Löhne und Gehälter der Truppen, der Kauf von Munition und Ausrüstungsgegenständen sowie die Transportkosten. Diese Käufe bewirkten einen Anstieg der Staatsausgaben G. Wenn der Anstieg von G nicht durch eine andere Ausgabenkomponente ausgeglichen wird, verschiebt sich die Gesamtnachfragefunktion entsprechend der Erhöhung von G nach rechts außen. Ganz ähnlich würde eine Erhöhung der Geldmenge, eine bahnbrechende Innovation, die zur Erhöhung der Rentabilität einer neuen Investition führt, oder eine Wertsteigerung des Vermögens der Konsumenten aufgrund des Anstiegs der Börsenkurse zu einer Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und damit zu einer Verschiebung der Gesamtnachfragekurve (AD) nach außen führen. Abbildung 23-3(b) zeigt grafisch, wie die in Tabelle 23-1 aufgeführten Veränderungen die
Kapitel 23 Konjunkturzyklen und die Theorie der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage
Variable
673
Auswirkungen auf die Gesamtnachfrage Variablen staatlicher Politik
Geldpolitik
Eine Ausweitung der Geldmenge führt zu niedrigeren Zinssätzen und günstigeren Kreditkonditionen, was höhere Investitionen und Ausgaben für dauerhafte Gebrauchsgüter begünstigt. In einer offenen Volkswirtschaft wirkt sich die Geldpolitik auf den Wechselkurs und die Nettoexporte aus.
Fiskalpolitik
Eine Erhöhung der Staatsausgaben für Waren und Dienstleistungen bedeutet eine direkte Ausgabenerhöhung: Steuersenkungen oder höhere Transferzahlungen lassen das verfügbare Einkommen ansteigen und vermehren den Konsum. Steuervergünstigungen für Investitionen können zu höheren Ausgaben in bestimmten Wirtschaftssektoren führen. Exogene Variablen
Produktion im Ausland
Ein Anwachsen der Produktion im Ausland führt zu einem Ansteigen der Nettoexporte.
Vermögenswerte
Ein Anstieg der Börsenkurse erhöht das Vermögen der Haushalte und damit auch den Konsum; außerdem führt dies zu niedrigeren Kapitalkosten und steigenden Investitionen.
Technische Fortschritte
Durch technische Fortschritte können sich neue Investitionschancen eröffnen. Wichtige Beispiele hierfür sind die Eisenbahn, Autos und Computer.
Sonstige
Politische Ereignisse, Freihandelsabkommen und das Ende des Kalten Krieges haben positive Auswirkungen auf die Wirtschaft sowie das Vertrauen der Konsumenten und führen zu steigenden Investitionen und Ausgaben für dauerhafte Gebrauchsgüter.
Tabelle 23-1. Viele Faktoren können zu einer Erhöhung der Gesamtnachfrage und zu einer Verschiebung der AD-Kurve nach außen führen Die Gesamtnachfragekurve setzt die Gesamtausgaben zum Preisniveau in Beziehung. Doch es gibt noch zahlreiche andere Faktoren, die sich auf die Gesamtnachfrage auswirken – manche wirtschaftspolitischen Instrumente, aber auch exogene Faktoren. Die Tabelle listet Veränderungen auf, die üblicherweise zu einem Anstieg der Gesamtnachfrage und einer Verschiebung der AD-Kurve führen.
gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve (AD) beeinflussen würden. Um Ihr Verständnis zu überprüfen, stellen Sie eine ähnliche Tabelle mit Einflussfaktoren zusammen, die zu einer Abnahme der Gesamtnachfrage führen würden (siehe dazu auch Übung 4 am Ende dieses Kapitels).
Die relative Bedeutung der Bestimmungsfaktoren der Nachfrage Während Ökonomen generell darin übereinstimmen, welche Faktoren die Nachfrage be-
stimmen, so beurteilen sie deren Gewichtung doch recht unterschiedlich. Manche konzentrieren sich primär auf monetäre Einflüsse, wenn sie Veränderungen der Gesamtnachfrage untersuchen, wobei insbesondere die Rolle der Geldmenge betont wird. Nach Meinung dieser Ökonomen, die oft auch Monetaristen genannt werden, ist die Geldmenge der entscheidende Faktor für die Höhe der Gesamtausgaben. Andere Ökonomen konzentrieren sich indessen auf exogene Faktoren. Einige haben beispielsweise argumentiert, dass der technische Fortschritt Konjunkturzyklen entscheidend beeinflusst. So wurden etwa nach 1850
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
in den USA erstmals Eisenbahnen kommerziell genutzt. Diese Innovation läutete auf der ganzen Welt zwei Jahrzehnte massiver Investitionen in den Eisenbahnbau ein, die der industrialisierten Welt zu einer anhaltenden Hochkonjunktur verhalfen. Bei der Betrachtung der neunziger Jahre kamen Wirtschaftswissenschaftler zu dem Schluss, dass die durchgreifenden technischen Neuerungen bei der Computerhardware, der Software und im Kommunikationsbereich zu einer raschen Preissenkung in diesem Bereich und anschließend in der gesamten Volkswirtschaft führten; damit lösten sie einen deutlichen Anstieg des potenziellen Wachstums der Gesamtwirtschaft und eine bemerkenswerte Zunahme der Investitionen aus. Die herrschende Meinung in der Makroökonomie stellt heutzutage eine Synthese aus verschiedenen Ansätzen dar. Um Konjunkturzyklen zu verstehen, stützt sich die Ökonomie auf die Erkenntnisse von Keynes, der die Auswirkungen von Anstößen auf die Gesamtnachfrage als wichtigste Ursache zyklischer Schwankungen betonte. Diese Anstöße können von der Geld- oder Fiskalpolitik ausgehen oder durch Veränderungen im Privatsektor entstehen. Während des Zweiten Weltkriegs, als die Militärausgaben fast die Hälfte des BIP ausmachten und die Geldpolitik sich passiv verhielt, bestimmte die Fiskalpolitik maßgeblich die Veränderungen der Gesamtnachfrage. Während der siebziger und achtziger Jahre waren die Ölpreisschocks und die nachfolgende Reaktion der Geldpolitik die wichtigsten Bestimmungsfaktoren zyklischer Schwankungen. In den neunziger Jahren sowie von 2001–2003 verschreckten Kriege und Terrorismus die Konsumenten, sodass die Konsumausgaben und mit ihnen die Gesamtnachfrage sanken. Jede Periode hat ihre eigenen technischen, politischen oder militärischen Entwicklungen, die sich jeweils auf unterschiedliche Weise auf den Konjunkturzyklus auswirken. Wir haben nun die Hauptelemente der Theorie der Gesamtnachfrage betrachtet. Im nächsten Kapitel untersuchen wir diese The-
Teil 5
orie noch genauer, indem wir uns mit ihrem einfachsten Ansatz befassen, dem Multiplikatormodell.
Lassen sich Konjunkturzyklen vermeiden? Eine Betrachtung der Konjunkturzyklen in den Vereinigten Staaten im Zeitverlauf zeigt einen bemerkenswerten Trend zu höherer Stabilität während der letzten 150 Jahre (siehe Abbildung 23-3). Bis 1940 gab es zahlreiche Krisen und Depressionen – lang anhaltende Konjunkturrückgänge wie diejenigen in den siebziger und neunziger Jahren des 19. sowie in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Seit 1945 gibt es weniger und weniger deutlich ausgeprägte Konjunkturschwankungen, und viele Amerikaner begingen die Jahrtausendwende, ohne jemals einen stärkeren Wirtschaftsabschwung erlebt zu haben. Was ist geschehen? Manche glauben, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem heutzutage einfach stabiler ist als in der Vergangenheit. Teilweise lässt sich die Beständigkeit auf einen größeren und berechenbareren Staatssektor zurückführen. Unserer Ansicht nach ist jedoch wesentlich bedeutender, dass ein besseres Verständnis der Makroökonomie es den Regierungen heute erlaubt, ihre Geldund Fiskalpolitik einzusetzen, um nach einem Schock ein Abgleiten der Wirtschaft in eine Rezession zu verhindern oder zumindest dafür zu sorgen, dass Rezessionen sich nicht zu Depressionen auswachsen. Während der neunziger Jahre erlebten die USA die stabilste Zeit ihrer Wirtschaftsgeschichte. Manche fragten sich bereits, ob die Zeit der Konjunkturzyklen endgültig vorbei sei. Sie schrieben, dass wir dank freier Märkte und weiser Führung gravierende Rezessionen und die Inflation aus diesem Land verbannt hätten. Lässt sich eine derartige Prognose rechtfertigen? Wir glauben, dass es für solche Aussagen noch zu früh ist. Es mag in Nordamerika keine Konjunkturzyklen gegeben haben, aber in anderen Wirtschaftsräumen traten sie während der neunziger Jahre
Kapitel 23 Konjunkturzyklen und die Theorie der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage
deutlich häufiger als in früheren Jahrzehnten auf. Nehmen wir uns die folgenden prophetischen Worte von Arthur Okun, einem der führenden Analysten von Konjunkturzyklen, zu Herzen, die er gegen Ende des zweitlängsten Wirtschaftsaufschwungs in der amerikanischen Geschichte schrieb: Rezessionen werden heute im Grunde als vermeidbar qualifiziert, vergleichbar etwa einem Flugzeugabsturz, aber anders als Wirbelstürme. Es kommt jedoch nach wie vor zu Flugzeugabstürzen, und wir können auch nicht darauf bauen, dass wir über die nötige Weisheit
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oder die Fähigkeiten verfügen, um Rezessionen zu verhindern. Die Gefahr ihres Auftretens besteht nach wie vor. Die Kräfte, die zu wiederkehrenden Rezessionen führen, lauern auch heute noch im Hintergrund und warten nur auf ihren Einsatz.1
Kurz nachdem Okun diese Worte schrieb, begann für die Vereinigten Staaten eine der turbulentesten Phasen der Nachkriegsgeschichte. 1 Arthur M. Okun, The Political Economy of Prosperity (Norton, New York, 1970), S. 33ff.
Zusammenfassung A. Konjunkturzyklen 1.
2.
3.
Unter dem Begriff Konjunkturzyklus oder -schwankung verstehen wir Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Produktionsleistung, des Einkommens und der Beschäftigungslage, die durch eine umfassende Expansion oder Kontraktion vieler wirtschaftlicher Sektoren gekennzeichnet ist. Alle reifen Marktwirtschaften erleben Konjunkturzyklen. Wir unterscheiden die Phasen Aufschwung, Hochkonjunktur, Abschwung und Rezession. Viele Konjunkturzyklen entstehen, wenn eine Veränderung der Gesamtnachfrage zu drastischen Änderungen in der Produktionsleistung, der Beschäftigung oder bei den Preisen führt. Die Gesamtnachfragekurve verlagert sich, wenn Veränderungen der Konsumenten-, Unternehmens- oder Staatsausgaben zu einer Änderung der Gesamtausgaben in Relation zur Produktionskapazität einer Volkswirtschaft führen. Ein Rückgang der Gesamtnachfrage führt zu einer Rezession oder einer Depression. Ein Wirtschaftsaufschwung kann zu Inflation führen. Die Konjunkturzyklustheorien unterscheiden sich je nach ihrer Betonung exogener oder endogener Faktoren. Häufig wird exogenen Einflüssen, also etwa dem technischen Fortschritt, Wahlen, Kriegen, Änderungen der Wechselkurse oder Ölpreisschocks, große Bedeutung beigemessen. Den meisten Theorien zufolge werden die konjunkturellen Schwankungen von der Wechselwirkung zwischen exogenen Schocks und internen Mechanismen, beispielsweise dem Multiplikator und Verschiebungen der Investiti-
onsnachfrage, ausgelöst. Genauso wie Menschen an ganz unterschiedlichen Krankheiten leiden können, sind auch die konjunkturzyklischen Krankheitsbilder je nach Zeit und Ort ganz verschieden.
B. Analytische Grundlagen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage 4.
5.
Frühere Gesellschaften litten Hungersnöte aufgrund schlechter Ernten. In modernen Marktwirtschaften kann Armut inmitten des Überflusses auftreten, wenn eine unzureichende gesamtwirtschaftliche Nachfrage zur Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und zu steigender Arbeitslosigkeit beiträgt. Ein anderes Mal verursacht ein übermäßiger Einsatz der Notenpresse eine galoppierende Inflation. Wenn sie die Faktoren verstehen, die die gesamtwirtschaftliche Nachfrage beeinflussen, einschließlich der staatlichen Fiskal- und Geldpolitik, können Wirtschaftwissenschaftler und Entscheidungsträger erfolgreiche Konzepte zur Abschwächung der Konjunkturzyklen entwikkeln. Die Gesamtnachfrage entspricht der Gesamtproduktion einer Volkswirtschaft, die – bei konstanten sonstigen Einflussfaktoren – freiwillig bei einem gegebenen Preisniveau gekauft wird. Ausgabenbestandteile sind (a) der Konsum, der primär vom verfügbaren Einkommen abhängt, (b) die Investitionen, die durch das gegenwärtige und das erwartete Produktionsniveau sowie durch Zinssätze und Steuern bestimmt werden,
676
6.
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
(c) die Staatsausgaben für Waren und Dienstleistungen sowie (d) die Nettoexporte, die durch die Produktions- und Preisniveaus im Ausland und im Inland sowie durch die Wechselkurse beeinflusst werden. Die gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurven unterscheiden sich von den Nachfragekurven der mikroökonomischen Analyse. AD-Kurven setzen die Gesamtausgaben für sämtliche Produktionskomponenten zum Gesamtpreisniveau in Beziehung, wobei politische Instrumentarien und exogene Einflussfaktoren als konstant angenommen werden. Die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve neigt sich primär wegen des Geldmengeneffektes nach unten. Dieser besagt, dass bei konstant gehal-
7.
Teil 5
tener nominaler Geldmenge die reale Geldmenge sinkt, wenn das Preisniveau steigt. Eine niedrigere reale Geldmenge bewirkt steigende Zinsen, erschwert die Kreditaufnahme und reduziert die realen Gesamtausgaben. Dies führt zu einer Bewegung entlang der unveränderten Gesamtnachfragekurve AD. Zu den Faktoren, die die Gesamtnachfrage verändern, gehören (a) makroökonomische Instrumente wie die staatliche Geld- und Fiskalpolitik und (b) exogene Variablen wie zum Beispiel der Außenhandel, technischer Fortschritt oder Kapitalverlagerungen auf den Wertpapiermärkten. Bei Änderungen dieser Variablen verschiebt sich die Gesamtnachfragekurve.
Begriffe zur Wiederholung Konjunkturzyklen oder -schwankungen
Gesamtwirtschaftliche Nachfrage
Konjunkturzyklen oder Konjunkturschwankungen Phasen der Konjunkturzyklen: Hochkonjunktur Depression Aufschwung Abschwung Rezession Verlagerung der Gesamtnachfragekurve und Konjunkturzyklen Theorie der exogenen und endogenen Einflüsse auf Konjunkturzyklen Makroökonomische Modelle
Reale Variable = nominale Variable ÷ Preisniveau Gesamtnachfrage, AD-Kurve Hauptkomponenten der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage: C, I, G, X Abwärts geneigte AD-Kurve aufgrund des Geldmengeneffekts Faktoren, die zur Verschiebung der Gesamtnachfragekurve führen
Weiterführende Literatur und Websites Weiterführende Literatur Die klassische Untersuchung über Konjunkturzyklen, an der sich führende Wissenschaftler des National Bureau of Economic Research (NBER) beteiligten, stammt von Arthur F. Burns und Wesley Clair Mitchell: Measuring Business Cycles (Columbia University, Press, New York, 1946). Eine Diskussion des NBERAnsatzes findet sich in Geoffrey H. Moore, Business Cycles, Inflation and Forecasting, 2. Aufl. (Ballinger, Cambridge, Mass., 1983). Einer der Hauptkritiker der Keynesianischen Konjunkturzyklustheorie ist Robert E. Lucas. Siehe dazu seine Studies in Business-Cycle Theory (MIT Press, Cambridge, Mass., 1981). Deutschsprachige Literatur: Alfred Maußner, Konjunkturtheorie (Springer, Heidelberg New York, 1994).
Kapitel 23 Konjunkturzyklen und die Theorie der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage
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Websites Eine Arbeitsgemeinschaft von Makroökonomen betreibt das NBER-Programm zu Wirtschaftsschwankungen und -wachstum. Eine Auswahl ihrer Schriften und Daten finden Sie unter www.nber.org/ programs/efg/efg.html. Das NBER datiert auch die Konjunkturzyklen für die Vereinigten Staaten, deren Verläufe Sie unter www.nber.org/cycles.html einsehen können. Daten und Analysen zu Konjunkturzyklen finden Sie auch auf der Website des Bureau of Economic Analysis unter www.bea.gov. Auf den ersten Seiten des Survey of Current Business, der unter www.bea.gov/scb/ index.htm bereitsteht, werden die jüngsten Entwicklungen des Konjunkturzyklus diskutiert.
Übungen 1.
2.
3.
Definieren Sie den Unterschied zwischen Bewegungen entlang der AD-Kurve und Verlagerungen der AD-Kurve. Erläutern Sie, warum eine Steigerung der potenziellen Produktion die AS-Kurve verschiebt und zu einer Bewegung entlang der AD-Kurve führt. Erklären Sie, warum eine Steuersenkung die AD-Kurve nach außen verschiebt (Zunahme der Gesamtnachfrage). Welche Wirkung hätte eine Verringerung der Geldmenge (eine Geldverknappung) auf die Gesamtnachfrage? Beschreiben Sie die verschiedenen Phasen eines Konjunkturzyklus. In welcher Phase befindet sich die US-amerikanische Wirtschaft zurzeit? Manche Veränderungen der Gesamtproduktion werden durch die Nachfrage verursacht, andere resultieren aus schockartigen Einflüssen auf das Angebot. a. Nennen Sie Beispiele für beide Fälle. Erklären Sie mit Hilfe des AS-AD-Instrumentariums, wie man zwischen einem Wirtschaftsabschwung, der von der Angebotsseite her resultiert, und einem, der von der Nachfrageseite her verursacht wurde, unterscheidet. (Hinweis: Was geschieht in den unterschiedlichen Situationen mit P?) b. Geben Sie an, welches der folgenden Ereignisse zu einem von der Angebots- beziehungsweise Nachfrageseite her bestimmten Konjunkturzyklus führen wird, und erläutern Sie die Auswirkungen mit Hilfe eines AS-AD-Diagramms wie in Abbildung 23-4: Erhöhung der Verteidigungsausgaben in Kriegszeiten; Zerstörung von Fabriken und Elektrizitätswerken durch eine Bombardierung im Krieg; ein Rückgang der Nettoexporte aufgrund einer schweren Rezession in Europa; ein deutlicher Innovationsschub und Anstieg der Produktivität durch zunehmende Nutzung von Computern.
4.
5.
6.
Stellen Sie in Analogie zu Tabelle 23-1 eine weitere Tabelle auf, in der Sie Ereignisse aufzählen, die zu einem Rückgang der Gesamtnachfrage führen. (Dabei sollten Sie nicht einfach die Richtung der in Tabelle 23-1 genannten Faktoren ändern, sondern sich neue eigene Beispiele überlegen.) In jüngster Zeit ist eine neue Theorie der realen Konjunkturzyklen (real business cycles = RBC) entwickelt worden (dieser Ansatz wird in Kapitel 33 genauer untersucht). Die RBC-Theorie behauptet, dass Konjunkturzyklen durch plötzliche Einwirkungen auf die Produktivität verursacht werden, die sich dann innerhalb der Gesamtwirtschaft auswirken. a. Demonstrieren Sie die RBC-Theorie im ASAD-Diagramm. b. Untersuchen Sie, ob die RBC-Theorie die üblichen Eigenschaften von Konjunkturzyklen erklären kann, wie sie oben im Abschnitt „Merkmale des Konjunkturzyklus“ beschrieben sind. Für Fortgeschrittene: Nehmen Sie zwei Würfel und tun Sie Folgendes, um zu probieren, ob Sie etwas Ähnliches wie einen Konjunkturzyklus produzieren können: Werfen Sie die Würfel 20 Mal oder öfter und schreiben Sie die erhaltenen Zahlen auf. Bilden Sie fünfmal den gleitenden Durchschnitt aus fünf aufeinander folgenden Zahlen. Tragen Sie die Ergebnisse in eine Grafik ein. Sie werden eine hohe Ähnlichkeit zu Veränderungen des BIP, der Arbeitslosigkeit oder der Inflation aufweisen. Eine Zahlenfolge, die wir mit unseren Würfen erzielten, war 7, 4, 10, 3, 7, 11, 7, 2, 9, 10 und so weiter. Daraus bildeten wir die Durchschnitte (7 + 4 + 10 + 3 + 7) ÷ 5 = 6,2; (4 + 10 + 3 + 7 + 11) ÷ 5 = 7, und so fort. Warum ähnelt diese Zahlenfolge einem Konjunkturzyklus? [Hinweis: Die vom Würfel erzeugten Zufallszahlen entsprechen externen
678
7.
Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
plötzlichen Einwirkungen auf Investitionen oder Kriegen. Der gleitende Durchschnitt funktioniert ähnlich wie der interne Multiplikator oder Ausgleichsmechanismus des Wirtschaftssystems (wie bei einem Schaukelstuhl). Zusammen genommen erzeugen diese Mechanismen etwas, das einem Konjunkturzyklus gleicht.] Für Fortgeschrittene: Ein bedeutender Makroökonom, George Perry von der Brookings Institution, schrieb nach dem Golfkrieg von 1990 bis 1991 Folgendes: Kriege sind zumeist gut für die US-amerikanische Wirtschaft gewesen. Üblicherweise führen sie zu steigender Produktion, niedriger Arbeitslosigkeit und einer vollen Ausnutzung der Industriekapazität, da die Nachfrage durch das Militär zu der normalen Wirtschaftstätigkeit hinzukommt. Dieses Mal haben wir erstmalig einen Krieg und eine Rezession gleichzeitig beobachtet. Was verrät uns diese Anomalie über die Rezession? (Brookings Review, Frühjahr 1991). Nutzen Sie das Internet oder gehen Sie in eine Bibliothek und finden Sie Daten über die wesentlichen Bestimmungsfaktoren der Gesamtnachfrage während des Golfkriegs von 1990 bis 1991 und früherer Kriege (Zweiter Weltkrieg, Koreakrieg, Vietnamkrieg). Untersuchen Sie insbesondere die Staatsausgaben für Waren und Dienstleistungen (vor allem die Verteidigungsausgaben), Steuern, Investitionen und die Zinssätze. Können Sie die von Perry beschriebene Anomalie erklären? (Hinweise dazu, wo Sie makroökonomische Daten im Internet finden, werden in der Einleitung sowie im Abschnitt „Websites“ zu Kapitel 21 gegeben.)
8.
Teil 5
Statistische Übung: Finden Sie Jahreszahlen für das BIP der Vereinigten Staaten für den Zeitraum von 1948–2003 (nutzen Sie dazu die Website des Bureau of Economic Analysis, www.bea.gov.). a. Wenn wir die Jahre als „Rezession“ definieren, in denen das reale BIP sank, in welchen Jahren herrschte dann Rezession? (Beachten Sie, dass dies nicht die herkömmliche Definition einer Rezession ist.) b. Berechnen Sie die durchschnittliche Wachstumsrate des realen BIP für die Zeiträume von 1948–1973, 1973–1988 und 1988 bis 2003. Wie hat sich die durchschnittliche Wachstumsrate während dieser Zeiträume verändert? [Hinweis: Die durchschnittliche Wachstumsrate ergibt sich aus der Gleichung: (1 + g) = (BIP1973/BIP1948)1/(1973–1948), wobei g die durchschnittliche Wachstumsrate pro Jahr angibt.] c. Manche Makroökonomen identifizieren so genannte „Wachstumsrezessionen“, worunter Perioden verstanden werden, in denen das BIP deutlich langsamer wächst als im allgemeinen Trend. Lassen Sie uns beispielsweise eine „Wachstumsrezession“ als eine Periode definieren, in der das reale BIP-Wachstum mindestens zwei Prozent unter dem langjährigen Durchschnitt lag. In welchen Jahren herrschte während des betrachteten Zeitraums eine Wachstumsrezession?
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KAPITEL 24 Das Multiplikatormodell
Der bemerkenswerteste Fehler der Wirtschaftsgesellschaft, in der wir leben, ist ihr Unvermögen, für Vollbeschäftigung zu sorgen, und ihre willkürliche und ungerechte Verteilung von Wohlstand und Einkommen. John Maynard Keynes, Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes (1935)
Die Vereinigten Staaten und andere Marktwirtschaften leiden häufig an unvorhersehbaren Schwankungen der Produktion, der Preise und der Beschäftigung. In der Vergangenheit traten diese Schwankungen, die als Konjunkturzyklen bezeichnet werden, üblicherweise auf, weil sich die Ausgaben für Investitionen, dauerhafte Gebrauchsgüter oder die Verteidigung änderten. Als Wirtschaftswissenschaftler wollen wir den Mechanismus verstehen, durch den Ausgabenänderungen auch zu Veränderungen von Produktion und Beschäftigung führen. Dieses Kapitel entwickelt den einfachsten Ansatz zum Verständnis von Konjunkturzyklen, das keynesianische Multiplikatormodell. Im ersten Teil dieses Kapitels werden wir sehen, wie ein Anstieg der Investitionen die Einkommen der Verbraucher erhöht und dadurch zu einer Kettenreaktion von Ausgabenerhöhungen führt, die sich im Zeitverlauf stetig abschwächt. Eine Zunahme der Investitionen wird daher zu einem höheren Produktionswachstum multipliziert. Der Multiplikatormechanismus gilt nicht nur für Investitionen, sondern auf breiter Basis, wie wir im zweiten Teil dieses Kapitels erfahren werden. Auch Veränderungen der Staatsausgaben, der Exporte oder sonstiger exogener Ausgabenströme werden zu höheren Produktionsveränderungen verstärkt. Weiter unten werden wir zeigen, wie Käufe des Staates auf ganz ähnliche Weise wie Investitionen eine weit größere Veränderung der Produktion bewirken; diese Tatsache hat viele Makroökonomen dazu bewegt, den Einsatz der Fiskalpolitik zur Stabilisierung der Wirtschaft zu empfehlen. Das Multiplikatormodell ist das erste vollständige Modell zur Bestimmung kurzfristiger Produktionsveränderungen, das wir entwickeln werden. Es ist jedoch eine stark vereinfachte Beschreibung der Wirtschaft, denn es lässt wesentliche Elemente unberücksichtigt, beispielsweise die Finanzmärkte und die Geldpolitik, Interaktionen mit dem Rest der Welt sowie Preis- und Lohnentwicklungen. Diese zusätzlichen Aspekte werden zu gegebener Zeit erörtert werden. Im Au-
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
genblick konzentrieren wir uns hauptsächlich auf die bedeutenden Auswirkungen, die Veränderungen von Investitionen und Staatsausgaben für die Höhe der Produktion eines Landes haben.
A. Das einfache Multiplikatormodell Wenn Ökonomen eine einfache Antwort auf die Frage suchen, warum eine drastische Erhöhung von Militärausgaben in Kriegszeiten zu einem raschen Anstieg des BIP führt, warum die Steuersenkungen in den sechziger oder achtziger Jahren den Vereinigten Staaten lange Phasen des Aufschwungs bescherten oder auch, warum der Investitionsboom in den späten neunziger Jahren zur längsten Phase wirtschaftlicher Expansion führte, die die USA je erlebt haben, dann greifen sie häufig auf das Multiplikatormodell zurück. Was genau ist das Multiplikatormodell? Es handelt sich dabei um eine makroökonomische Theorie, die zu erklären versucht, wodurch die Produktionsleistung kurzfristig bestimmt wird. Der Begriff „Multiplikator“ wurde deshalb gewählt, weil man erkannte, dass jede Veränderung der Ausgaben um eine Geldeinheit (etwa durch eine Investition) zu einer Änderung des BIP um mehr als eine Geldeinheit (das heißt um ein Vielfaches) führt. Das Multiplikatormodell erklärt, wie plötzliche Einwirkungen auf die Investitionen, den Außenhandel sowie Steuern und Staatsausgaben das Produktionsniveau und die Beschäftigungslage in einer Volkswirtschaft beeinflussen können. Dem Multiplikatormodell liegt die Annahme zugrunde, dass Löhne und Preise konstant sind und es unbeschäftigte Ressourcen gibt. Darüber hinaus ignoriert es die Rolle der Geldpolitik und unterstellt, dass die Finanzmärkte nicht auf Veränderungen in der Wirtschaft reagieren.
Teil 5
Die Bestimmung von Produktion und Einkommen durch die Sparund Investitionsfunktion Zunächst zeigen wir, wie Investitionen und Ersparnisse im Multiplikatormodell gleichgesetzt werden, um eine grob vereinfachte Volkswirtschaft zu konstruieren. Erinnern Sie sich an die Grafik der gesamtwirtschaftlichen Konsum- und Sparfunktionen in Kapitel 22; sie werden in Abbildung 24-1 noch einmal dargestellt.1 Jeder Punkt auf der Konsumfunktion zeigt für jede gegebene Höhe des verfügbaren Einkommens den gewünschten oder geplanten Konsum. Entsprechend verdeutlicht jeder Punkt auf der Sparfunktion die gewünschten oder geplanten Ersparnisse für jede Höhe des verfügbaren Einkommens. Die beiden Funktionen sind eng miteinander verbunden: Da C + S immer dem verfügbaren Einkommen entspricht, stellen die Konsum- und die Sparkurve Spiegelbilder dar, die in der Summe immer die 45˚-Linie ergeben. Wir übernehmen die Sparfunktion (SS) zudem in Abbildung 24-2. Wir wissen inzwischen, dass Ersparnisse und Investitionen von völlig unterschiedlichen Faktoren bestimmt werden: Ersparnisse sind primär vom verfügbaren Einkommen abhängig, während Investitionen durch die Produktionsleistung, Zinssätze, die Steuerpolitik und das Vertrauen der Unternehmen bestimmt werden. Zur Vereinfachung behandeln wir hier Investitionen als exogene Variable, deren Höhe von Faktoren außerhalb unseres Modells bestimmt wird. Nehmen wir an, dass sich die Investitionen, unabhängig von der Höhe des BIP, jährlich auf exakt US-$ 200 Milliarden belaufen. Dann müssen wir in einem Diagramm, in dem Investitionen und BIP zueinander in 1 Hier vereinfachen wir zunächst, indem wir Steuern, nicht ausgeschüttete Unternehmensgewinne, Außenhandel, Abschreibungen und die Fiskalpolitik unberücksichtigt lassen. Im Moment nehmen wir an, das verfügbare Einkommen sei mit dem BIP identisch.
681
Kapitel 24 Das Multiplikatormodell
(a) Konsumfunktion Q
P
Konsum
C
A Gleichgewichtspunkt E
500 45° 500 Bruttoinlandsprodukt
QP
BIP
(b) Sparfunktion
+
I
I 0
BIP
B M S
Bruttoinlandsprodukt
QP
Abbildung 24-2: Das Gleichgewichtsniveau der gesamtwirtschaftlichen Produktion wird durch die Schnittstelle der Spar- und Investitionsfunktionen bestimmt
C
0
QP S
– B
Ersparnis
Ersparnis und Investition
C
+
QP
S
S B
0
BIP S QP
– Bruttoinlandsprodukt
Abbildung 24-1: Die gesamtwirtschaftliche Produktion bestimmt die Höhe von Konsum und Ersparnissen Erinnern Sie sich an die Konsum- und Sparfunktionen CC und SS aus Kapitel 22. Diese beiden Kurven verlaufen spiegelbildlich, daher entspricht der Gleichgewichtspunkt B im oberen Diagramm der Sparschwelle im unteren Diagramm, wo SS die Abszisse schneidet. Die beiden mit „500“ bezeichneten Punkte in (a) betonen die bedeutende Eigenschaft der 45˚-Linie: Jeder Punkt auf ihr ist von der waagrechten Achse genauso weit entfernt wie von der senkrechten Achse. Das graue, durch QPQP gekennzeichnete Band zeigt die Höhe des potenziellen BIP.
Beziehung gesetzt werden, die Investitionsfunktion als horizontale Gerade einzeichnen. Der Fall exogener Investitionen wird in Abbildung 24-2 dargestellt, wobei die Investitionsfunktion mit II und die Sparfunktion mit SS bezeichnet wird. (Beachten Sie, dass II nicht der römischen Ziffer „2“ entspricht.)
Die waagrechte Linie II zeigt ein konstantes Investitionsniveau an. E kennzeichnet den Punkt, an dem sich die Investitions- und Sparkurve schneiden. Das BIP erreicht sein Gleichgewicht im Schnittpunkt der SS- und II-Kurven, da dies das einzige BIP-Niveau ist, bei dem die geplanten Ersparnisse der Haushalte genau den geplanten Investitionen der Unternehmen entsprechen.
Die Spar- und die Investitionsfunktion schneiden sich in Punkt E in Abbildung 24-2. Dieser Punkt entspricht der Höhe des BIP in Punkt M und stellt das Gleichgewichtsniveau der Produktion im Multiplikatormodell dar. Der Schnittpunkt von Spar- und Investitionsfunktion ist also das Gleichgewichtsniveau des BIP, auf das sich die gesamtwirtschaftliche Produktion hinbewegt. Die Bedeutung des Gleichgewichts: eine Erinnerung Wenn wir Konjunkturzyklen oder das Wirtschaftswachstum untersuchen, dann halten wir oft Ausschau nach dem makroökonomischen „Gleichgewicht“. Was bedeutet dieser Ausdruck genau? Ein Gleichgewicht ist eine Situation, in der die verschiedenen betrachteten Kräfte einander ausgleichen. Wenn Sie einen Ball einen Hügel hinabrollen sehen, dann befindet sich dieser Ball nicht im Gleichgewicht, denn es sind Kräfte am Werk, die ihn nach unten treiben (hier handelt es sich um ein Ungleichgewicht).
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Wenn der Ball in einem Loch am Fuß des Hügels zur Ruhe kommt, dann halten sich die auf ihn einwirkenden Kräfte die Waage, und der Ball ist im Gleichgewicht. In der Markoökonomie sprechen wir dort von einem Gleichgewichtsniveau der Produktion, wo Ausgaben und Ersparnisse sich die Waage halten; die Produktion bleibt im Gleichgewichtszustand, bis die Volkswirtschaft von den auf sie einwirkenden Kräften verändert wird.
Bei Betrachtung von Abbildung 24-2 erkennen wir E als Gleichgewichtspunkt. Der Grund liegt darin, dass bei dieser Produktionshöhe die geplanten Ersparnisse der Haushalte den geplanten Investitionen der Unternehmen entsprechen. Falls Ersparnisse und Investitionen nicht gleich sind, wird sich das Produktionsniveau entweder nach unten oder nach oben anpassen. Die in Abbildung 24-2 gezeigten Spar- und Investitionsfunktionen beschreiben gewünschte (oder geplante) Niveaus. Folglich planen Unternehmen, beim Produktionsniveau M Investitionsausgaben im Ausmaß des vertikalen Abstandes ME zu tätigen. Ebenso wünschen Haushalte, bei diesem Einkommensniveau Ersparnisse in Höhe von ME zu bilden. Daraus folgt aber nicht logisch zwingend, dass die tatsächlichen und die geplanten Ersparnisse (oder Investitionen) übereinstimmen müssen. Menschen können Fehler machen oder zukünftige Ereignisse falsch voraussagen. Und wenn solche Fehler passieren, können Ersparnisse und Investitionen von den geplanten Niveaus abweichen. Um zu erkennen, wie sich die Produktion anpasst, bis das geplante Spar- und Investitionsniveau übereinstimmen, werden wir nachfolgend drei Fälle betrachten. Im ersten Fall befindet sich die Volkswirtschaft im Punkt E, wo sich die Kurve der von den Unternehmen geplanten Investitionen mit der Kurve der von den Haushalten gewünschten Ersparnisse schneidet. Wenn die Pläne und Wünsche aller Beteiligten erfüllt werden, sind alle zufrieden und werden sich in Zukunft genauso verhalten wie bisher.
Teil 5
An diesem Gleichgewichtspunkt werden sich bei den Unternehmen weder Lagerbestände anhäufen, noch werden sie steigende Umsätze dazu verleiten, die Produktion auszuweiten. Produktion, Beschäftigung, Einkommen und Ausgaben werden sich auf ihrer bisherigen Höhe halten. Das BIP verharrt in E, und wir können mit Recht von einem Gleichgewicht sprechen. Im zweiten Fall – dem eines Ungleichgewichts – befindet sich das BIP oberhalb von E. Betrachten wir Punkt A, an dem das BIP rechts von M ein Einkommensniveau hat, bei dem die Sparfunktion über der Investitionsfunktion liegt. Hier handelt es sich nicht um ein Gleichgewicht, weil bei diesem Einkommensniveau die Haushalte mehr sparen, als die Unternehmen gewillt sind zu investieren. Infolgedessen werden die Unternehmen weniger Kunden und höhere Bestände an unverkaufter Ware haben, als sie möchten. Was können die Unternehmen tun, um die Lage zu ändern? Sie können ihre Produktion drosseln und Arbeitskräfte entlassen. Dadurch wird das BIP sinken, was in Abbildung 24-2 zu einer Bewegung der Produktion nach links führt. Die Volkswirtschaft kommt erst wieder ins Gleichgewicht, wenn sie E erreicht, wo kein Hang zu Veränderungen mehr gegeben ist. Den dritten Fall sollten Sie inzwischen selbst analysieren können. Zeigen Sie, dass bei einem BIP, das unterhalb des Gleichgewichtsniveaus E liegt, starke Kräfte wirksam werden, die es wieder auf E erhöhen. Alle drei Fälle führen zum selben Ergebnis: Das Gleichgewichtsniveau des BIP liegt in Punkt E, wo die geplanten Ersparnisse den geplanten Investitionen entsprechen. Bei jedem anderen Produktionsniveau unterscheidet sich die geplante Ersparnisbildung der Haushalte von den gewünschten Investitionen der Unternehmen. Diese Diskrepanz wird die Unternehmen veranlassen, ihre Produktions- und Beschäftigungsniveaus so lan-
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Kapitel 24 Das Multiplikatormodell
QP
Gesamtausgaben (TE)
C + I = TE E
C
I
C+I
I
C
45° 0
D
QP
B
BIP
M Bruttoinlandsprodukt
Abbildung 24-3: Im Einnahmen-Ausgaben-Modell findet man das Gleichgewichts-BIP an der Schnittstelle der Funktion C + I = TE mit der 45˚-Linie Addiert man II zu CC, erhält man die (C + I)-Kurve der geplanten Gesamtausgaben. In E, wo diese Kurve die 45˚-Linie schneidet, erhalten wir dasselbe Gleichgewicht wie im Diagramm der Ersparnis- und Investitionsfunktionen. (Beachten Sie die Ähnlichkeit zwischen dieser und Abbildung 24-2: Die zu CC addierten Investitionen sind mit II aus Abbildung 24-2 identisch, was auch für den Schnittpunkt E gelten muss.)
ge zu variieren, bis die Volkswirtschaft ihr Gleichgewichtsniveau gefunden hat.
Die Bestimmung der Produktion durch die Gesamtausgaben Ein zweiter Ansatz, den Studenten häufig intuitiv leichter verständlich finden, besteht darin, die gesamtwirtschaftliche Produktion über die Gesamtausgaben zu bestimmen. Dieser Ansatz wird in Abbildung 24-3 dargestellt, wo die Kurve der Gesamtausgaben derjenigen der Gesamtproduktion oder des Gesamteinkommen gegenüber gestellt wird. Die schwarze Kurve (CC) stellt die Konsumfunktion dar, die das zu jeder gegebenen Einkommenshöhe gewünschte Konsumniveau zeigt. Wenn wir nun die geplanten Investitionen
(mit konstanter Höhe I) zur Konsumfunktion addieren, erhalten wir die geplanten Gesamtausgaben TE (total expenditure), die in Abbildung 24-3 durch die rostfarbene Kurve (C + I) dargestellt werden. Wir zeichnen nun noch die 45˚-Linie ein, um den Gleichgewichtspunkt ermitteln zu können. In jedem Punkt auf der 45˚-Linie entsprechen die gewünschten Gesamtausgaben (vertikal gemessen) exakt dem gesamten Produktionsniveau (horizontal gemessen). Nun können wir das Gleichgewichtsniveau der Produktion in Abbildung 24-3 bestimmen. Dort, wo die geplanten Gesamtausgaben, dargestellt durch die TE-Kurve, der Gesamtproduktion entsprechen, befindet sich die Volkswirtschaft im Gleichgewicht. Die Gesamtausgabenfunktion (TE) zeigt das gewünschte Ausgabenniveau der Haushalte und der Unternehmen bei jeder gegebenen gesamtwirtschaftlichen Produktionshöhe. Die Volkswirtschaft ist in dem Punkt im Gleichgewicht, wo die Kurve C + I = TE die 45˚-Linie schneidet – in Punkt E in Abbildung 24-3. In diesem Punkt E ist die Volkswirtschaft deshalb im Gleichgewicht, weil die geplanten Konsum- und Investitionsausgaben exakt der Produktionshöhe entsprechen.
Der Anpassungsmechanismus Es ist wichtig zu verstehen, weshalb in Punkt E Gleichgewicht herrscht. Eine Volkswirtschaft ist im Gleichgewicht, wenn die geplanten Gesamtausgaben (für C und I) der geplanten Produktion entsprechen. Was geschieht, wenn es zu einer Abweichung vom Gleichgewichtspunkt kommt, wie zum Beispiel beim Produktionsniveau D in Abbildung 24-3? Bei einer Produktion in dieser Höhe liegt die Kurve der Gesamtausgaben (C + I) oberhalb der 45˚-Linie; die geplanten Gesamtausgaben sind somit höher als die geplante Produktion. Damit kaufen die Konsumenten mehr Waren, als die Unternehmen produzieren. Die Lager der Autohändler leeren sich, und die
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Makroökonomie: Wirtschaftswachstum und Konjunkturzyklen
Computerproduktion kann kaum noch Schritt halten. In dieser Ungleichgewichtssituation werden Autohändler und Computerhersteller ihr Angebot erhöhen. Die Autoproduzenten werden entlassene Arbeiter wieder einstellen und ihre Produktion beschleunigen, Computerhersteller zusätzliche Schichten einführen. Das heißt, eine Diskrepanz zwischen den geplanten Gesamtausgaben und der Gesamtproduktion führt zu einer Anpassung der Produktion. Wir erkennen dank dieser Argumentationskette, dass die Volkswirtschaft nur im Punkt E im Gleichgewicht ist, wenn Unternehmen wertmäßig so viel produzieren, wie Haushalte für Konsum und andere Unternehmen für Investitionen auszugeben planen. (Sie sollten diesen Gedankengang auch für den Fall durchspielen, dass das Produktionsniveau höher als im Gleichgewichtspunkt E liegt.) Geplante und tatsächliche Beträge In diesem Abschnitt sprechen wir wiederholt über „geplante“ oder „gewünschte“ Ausgaben und Produktionsmengen. Diese Wörter lenken die Aufmerksamkeit auf den Unterschied zwischen (1) der Höhe von geplantem oder gewünschtem Konsum beziehungsweise Investitionen, die durch Konsum- und Investitionsfunktion dargestellt werden, und (2) der tatsächlichen oder realisierten Höhe des Konsums beziehungsweise der Investitionen, die nachträglich festgestellt werden. Der folgende Dialog mag Ihnen helfen, sich diesen Unterschied vor Augen zu führen: Confusio: Ich dachte, du hättest gesagt, dass die Ersparnisse immer mit den Investitionen übereinstimmen. Clario: Das stimmt. So wie sie in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung gemessen werden, sind Ersparnisse und Investitionen immer genau gleich, im Aufschwung wie im Abschwung.
Teil 5
Confusio: Aber warum muss ich mir dann um Pläne und Wünsche Gedanken machen, wenn S und I immer identisch sind? Clario: Der Grund liegt darin, dass eine Wirtschaft nur dann im Gleichgewicht ist, wenn Unternehmen und Konsumenten die von ihnen gewünschten Mengen produzieren und verbrauchen. Confusio: Was passiert, wenn die geplanten Mengen von den tatsächlichen abweichen? Clario: Die wirklichen Investitionen unterscheiden sich häufig von den geplanten Investitionen. Beispielsweise könnte General Motors weniger Autos verkaufen als ursprünglich geplant. Wenn das passiert, wachsen die Lagerbestände von GM. Diese ungeplante Zunahme der Investitionen in Lagerbestände stellt kein Gleichgewicht dar, daher wird GM seine Produktion drosseln. Confusio: Aha! Jetzt verstehe ich: Nur wenn das Produktionsniveau so hoch ist, dass die geplanten Ausgaben für C + I der geplanten Produktion entsprechen, werden Produktion, Einkommen oder Ausgaben nicht zu Änderungen neigen. Clario: Genau.
Ein Rechenbeispiel Ein Rechenbeispiel kann vielleicht verdeutlichen, warum sich das Gleichgewichtsniveau der Produktion genau dort befindet, wo die geplanten Gesamtausgaben und die geplante Produktion übereinstimmen. Tabelle 24-1 zeigt ein einfaches Beispiel für die Konsum- und Sparfunktion. Die Einkommenshöhe, bei der die Volkswirtschaft noch zu arm ist, um Nettoersparnisse zu bilden, wird auf US-$ 3.000 Milliarden (US-$ 3 Billionen) geschätzt. Jede Einkommensänderung im Umfang von US-$ 300 Milliarden wird annahmegemäß eine Ersparnisänderung von US-$ 100 Milliarden und eine Konsumänderung von US-$ 200 Milliarden nach sich ziehen. Anders ausgedrückt: Der Vereinfachung halber nehmen wir die Grenzneigung zum
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Kapitel 24 Das Multiplikatormodell
Das Gleichgewichts-BIP ist dort zu finden, wo die Produktion den geplanten Ausgaben entspricht (in Mrd. US- $) (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) BIP und Geplanter Geplante Geplante BIP Geplante Auswirkunverfügbares Konsum Ersparnisse InvesAusgaben gen auf die Einkommen titionen (Konsum Produktion und Investitionen) (3) = (1) – (2) 4.200 3.900 3.600 3.300 3.000 2.700
3.800 3.600 3.400 3.200 3.000 2.800
400 300 200 100 0 –100
(5) = (1) 200 200 200 200 200 200
4.200 3.900 3.600 3.300 3.000 2.700
> > = < <