Viel mehr als eine Affäre Myrna Mackenzie
Bianca 1261
11/2 2001
gescannt von suzi_kay korrigiert von Dodoree
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Viel mehr als eine Affäre Myrna Mackenzie
Bianca 1261
11/2 2001
gescannt von suzi_kay korrigiert von Dodoree
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1. KAPITEL
"Wow, sieh dir all diese Frauen da oben an! All diese ... Beine und Lippen und Haut... Und was für Frauen!" Der junge Mann redete begeistert auf seinen Freund ein und zeigte zu der Bühne hinüber, die auf der Rasenfläche vor dem Rathaus von Eldora, Illinois, stand. Die beiden gingen gerade an Logan Brewsters schwarzem Jaguar vorbei, und Logan vergaß für einen Moment seine Prob leme. Er sah ihnen nach und musste über ihre verklärten Mienen und leuchtenden Augen lächeln. "Der Bursche hat Recht, das muss man ihm lassen", murmelte Logan, während er aus dem Wagen stieg, um sich die Stadt anzuschauen. Hier wollte er sein neuestes Hotel eröffnen. Aber viel mehr als das interessierte ihn jetzt die Sommerjobbörse von Eldora. Das Banner über dem Podium verkündete, dass sie zum dritten Mal statt fand. In diesem Jahr waren die Bewerber, die von den Arbeitgebern ersteigert werden konnten, tatsächlich nur ... Frauen. "Wie es scheint, ist heute doch dein Glückstag, Brewster", flüsterte er voller Erleichterung. Bisher hatte es wahrlich nicht danach ausgesehen. Eigentlich hätte er diesen Tag im Bett beginnen sollen. Und zwar nicht allein, sondern mit Allison Myer, seiner Assistentin und Gelegenheitsgeliebten. Aber als er aufgewacht war, hatte er nicht Allison vor gefunden, sondern einen Zettel mit einer kurzen Nach richt. Auf die Geliebte konnte er notfalls verzichten, nicht jedoch auf die Assistentin. Und deshalb war er jetzt auf der Jagd nach einer Nachfolgerin. Logan runzelte die Stirn. Allisons Abgang war uner 3
wartet gekommen. In letzter Zeit hatte sie immer wieder angedeutet, dass sie nichts gegen eine Zweckehe einzuwenden hätte. Er hatte sich ihren Vorschlag sorgfältig durch den Kopf ge hen lassen. Als ein Mann, der zu echter Liebe nicht fähig war, hatte er kein Recht, eine feste Beziehung einzuge hen und einer Frau das Herz zu brechen. Oder auch nur ihren Stolz zu verletzen. Aber Allison wollte gar keine Liebe, und sie war für ihn nicht nur Geliebte und Partne rin, sondern auch eine gute Freundin gewesen. Mit einer solchen Vernunftehe wäre er durchaus einverstanden gewesen. Auf die Nachricht, dass sie ihn und die Firma verließ, um zu einem Konkurrenten zu wechseln, war er nicht vorbereitet gewesen. "Aber das spielt jetzt alles keine Rolle mehr, Brewster", murmelte er und war heilfroh, dass er Allison nicht ge heiratet hatte. "Und du brauchst unbedingt eine neue As sistentin." Allison wusste genau, wie wichtig ihm das Hotel in Eldora war, und hatte ihn bei der Planung unter stützt. Der zukünftige Hoteldirektor war plötzlich er krankt und konnte nicht herkommen. Also musste Brewster sich selbst um alles kümmern. Und das würde er. Eine Ehefrau oder eine fürs Bett brauchte er vorläufig nicht, aber eine Assistentin, die musste er finden. Das würde nicht einfach werden. Aber es ist nicht unmöglich, Brewster, sagte er sich. Im Geschäftsleben ist nichts unmöglich. Das war es nie gewesen, seit er sich aus den mehr als bescheidenen Verhältnissen seiner Kindheit und Jugend hochgearbeitet hatte. Er hatte Erfolg gehabt und war mit dem zufrieden, was er geleistet hatte. Aber ohne ein wenig Glück hätte ich 4
das wohl kaum geschafft, dachte Logan selbstkritisch, während er sich dem Podium näherte. Vielleicht bot sich ihm hier eine ungeahnte Gelegen heit. Allison hatte diese Provinzstadt nicht gemocht. Sie war ihr zu eng und stickig gewesen. Aber er brauchte jemanden, der dafür sorgen konnte, dass sein Hotel in Eldora kein Fremdkörper sein würde. Von seinen Leuten würde es keiner rechtzeitig schaffen, sich mit der Atmo sphäre vertraut zu machen. Eine Einheimische wäre ide al, denn sie war hier aufgewachsen und kannte die Men schen, die hier lebten. "Hör schon auf", sagte einer der jungen Männer vor ihm und riss ihn aus seinen Gedanken. "Du redest, als wärst du auf ein Date mit ihnen aus. Dabei sind das fast alles Lehrerinnen von der Alliota Junior High. Einige davon waren meine Lehrerinnen! Sie könnten meine älteren Schwestern sein." "Okay, okay ... du hast ja Recht. Es sind nette Ladys, aber ... auch tolle Frauen", erwiderte sein Freund und drehte sich grinsend zu Logan um. "Stimmt", sagte Logan und meinte es ernst. Diese La dys opferten ihre Freizeit, um anderen zu helfen. Unwill kürlich musste er lächeln, und seine Stimmung hob sich beträchtlich. Heute hatten er und seine geschäftlichen Pläne einen Rückschlag erlitten, aber morgen ... morgen sah alles vielleicht schon ganz anders aus. Die Begeisterung des jungen Mannes vor ihm war anste ckend, die Sonne schien, das Gras war saftig grün, und er hatte einen Job zu erledigen. Also los, triff deine Wahl, befahl er sich und setzte sich auf einen der Klappstühle, die vor der Bühne aufgereiht waren. Die Veranstaltung hatte bereits begonnen. Er hob eine Broschüre auf, die jemand fallen gelassen hatte. In 5
ihr wurden sämtliche Teilnehmerinnen kurz vorgestellt. Viele Ladys, und er brauchte nur eine. Die richtige. Logan lehnte sich zurück. Keine Eile. Er beobachtete, wie die erste Teilnehmerin die Bühne betrat, und spürte, dass sich vor ihm etwas Außergewöhnliches abspielte. Das aufgeregte Getuschel der Zuschauer verstummte, und er war sicher, dass es nur mit der Frau auf dem Podi um zu tun hatte. Sie hatte langes braunes Haar mit gold blonden Strähnen, das über ihre Schultern glitt, als sie den Kopf hob. Aber es war nicht nur das, das ihn lang sam und tief Luft holen ließ. Es war etwas, das seine Sinne weckte. Eine Ausstrahlung. Eine Aura. Ihre Haltung war stolz und selbstbewusst. Mit einem anerkennenden Lächeln streckte Logan die langen Beine aus. "Sieh dir die an", hörte er jemanden flüstern. "Die hat Klasse." Klasse. Ja, dachte Logan, das trifft es. Und dann gab es für ihn nur noch die Frau auf dem Podium. Sie hob das Kinn, und ihre Blicke trafen sich. Zart ge schwungene Brauen betonten große violette, aber trotz dem wachsam schauende Augen, und Logan spürte ihre Wirkung wie einen Stromstoß. Reiß dich zusammen, Junge, befahl er sich. Dann brachte er sich unter Kontrolle und lächelte ihr zu. Für den Bruchteil einer Sekunde zuckten ihre Augen brauen. Ihre Schritte wurden unsicher, doch dann fing sie sich und erwiderte sein Lächeln. An ihren Wangen er schienen Grübchen, als sie die Bühne überquerte. Sie war groß und schlank. Kein aufreizendes Outfit, kein Schmuck, kaum Make-up, und doch war sie hinrei ßend schön. Eine atemberaubende Mischung aus Un schuld und Eleganz. Eine klassisch gerade Nase über erregend vollen Lippen. Das rote Kleid war schlicht, ü 6
berhaupt nicht figurbetont, aber umso wirkungsvoller. Und er war nicht der Einzige, der es bemerkte. Mindes tens die Hälfte der Männer im Publikum starrte sie mit großen Augen und halb geöffnetem Mund an. Die Lady schien es gar nicht wahrzunehmen. "Guten Morgen. Vielen Dank, dass Sie an diesem herr lichen Junitag hergekommen sind", sagte sie mit leiser, aber deutlicher Stimme. Offenbar ließ sie sich von den Männern, die sie mit ih ren Blicken auszogen, nicht einschüchtern. "Und danke, dass du heute Morgen hergekommen bist", flüsterte Logan und schämte sich, weil er sie genauso anstarrte wie all seine Geschlechtsgenossen. Aber er konnte nichts dagegen tun. Vielleicht lag seine plötzliche Rastlosigkeit daran, dass seine Pläne sich so unerwartet geändert hatten. Es würde vorübergehen, da war er si cher. Vorläufig musste er seine Reaktion auf diese Frau ein wenig zügeln. "Es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen, die Versteige rung zu eröffnen", fuhr sie fort. "Ich bin Rebecca Linden und habe diese Veranstaltung zusammen mit Emily Alton und Caroline O'Donald organisiert. Für diejenigen, denen ich bekannt vorkomme ... ja, ich bin Sekretärin an der Alliota Junior High. Heute jedoch bin ich hier, um zu verkünden, wer bei unserer Lotterie das Motorrad ge wonnen hat." Sie sprach das Wort Motorrad ganz korrekt aus, aber ihre Stimme klang dabei so sinnlich, als würde sie etwas höchst Erotisches beschreiben. Am liebsten wäre Logan aufgestanden und hätte sie gebeten, es noch einmal zu sagen. Aber er beherrschte sich und lehnte sich zurück. Deshalb war er schließlich nicht hier. 7
"Natürlich brauchen wir jemanden, der das Los zieht", sagte sie lächelnd. "Ich bitte um einen Freiwilligen. Je manden, der kein Los gekauft hat." Logan sah, wie der junge Mann vor ihm den Arm hob und verzweifelt mit den Fingern schnippte. Sie ließ den Blick über die Menge wandern. "Nur Mut", rief sie. "Sie sind ja widerspenstiger als die Kinder, mit denen ich sonst zu tun habe. Ich beiße nicht, ehrlich", sagte sie, während ihr Blick auf Logan fiel. Ein leicht verwirrter Ausdruck trat in ihre Augen, bis sie sich hastig abwandte. Ohne zu überlegen sprang Logan auf. "Ich glaube, ich erfülle Ihre Anforderungen", rief er und bahnte sich einen Weg zum Podium. Er konnte nur hoffen, dass sie seinen Anforderungen genügte! Warum sollte er nicht hier und jetzt herausfinden, ob sie geeignet war? Man hatte ihm gesagt, dass er ein wenig Furcht erre gend war, wenn er es auf etwas abgesehen hatte. Offen bar stimmte das, denn das Lächeln der Lady verblasste kurz, als er sich vor der Bühne aufbaute und ihr in die Augen schaute. Er würde die Stufen nicht hinaufsteigen, bevor sie Ja sagte, und er hoffte inständig, dass sie es sagen würde. Und sei es auch nur, um ihre Stimme wieder zu hören. Natürlich nur aus rein sachlichen Gründen. Die Frau, die Allison ersetzen würde, musste viel reden. Sie musste in kritischen Situationen einen kühlen Kopf bewahren und aufgeregte Kunden besänftigen. Nur deshalb wollte er sie noch einmal Ja sagen hören. Warum er allerdings unbedingt zu ihr auf die Bühne und in ihre Nähe wollte, war ihm unerfindlich. Das war nicht seine Art, und er musste etwas dagegen tun. Aber vorläufig wartete er nur gespannt auf ihre Ant 8
wort. Ihm entging nicht, wie sie tief durchatmete, bevor sie reagierte. Sie erholte sich rasch. "Sind Sie sicher, dass Sie nicht doch noch das Motorrad gewinnen wollen?" fragte sie und sprach das erregende Wort wieder aus. "Der braucht kein Motorrad. Er fährt einen Jaguar", rief einer der jungen Männer. Verwirrt hob sie den Blick. Dann sah sie Logan an. "Könnten Sie heraufkommen, Sir?" bat sie mit einem zaghaften Lächeln. Langsam und ohne die Frau aus den Augen zu lassen, stieg Logan die Stufen hinauf und ging über die Bühne. Sie sah ihm entgegen. Ein wenig nervös, wie er fand. Als er sie erreichte und ihre ausgestreckte Hand ergriff, wa ren ihre Finger kalt und zitterten leicht. Er hoffte, dass sie nicht bemerkt hatte, was die Berührung in ihm auslöste. Wie ein Stromschlag, dachte er. Sie senkte den Blick, und fast konnte er hören, wie sie tief durchatmete, um sich zu beruhigen. Dann zeigte sie auf ein schnittiges Gefährt in Schwarz und Chrom am Rand der Bühne. "Das ist unser Baby. Man hat mir ge sagt, es sei ein sehr beachtliches Exemplar." "Das ist es", bestätigte er. "Verlosen Sie so etwas jedes Jahr?" Ihr Lachen war leise und kehlig, und am liebsten hätte er sich zu ihr gebeugt. Er widerstand der Versuchung. Nicht nur wegen der Zuschauer, sondern auch, weil er sich immer gegen seine Gefühle wehrte, wenn sie außer Kontrolle zu geraten drohten. Nur so hatte er überleben können. Es diente seinem eigenen Schutz. Und dem jeder Frau, die so unvorsichtig war, in ihm zu hohe Flammen zu entfachen. "Wir verlosen, was immer gespendet wird. Vor zwei 9
Jahren war es ein Schulbus und im letzten Jahr ein aus rangierter Streifenwagen. Der Gewinner hat mich auf dem Rücksitz mitfahren lassen." Ihre Augen funkelten belustigt. Logan konnte sie gut verstehen. "Nicht Ihre übliche Transportmethode, nehme ich an." Sie lächelte. "Ich fahre einen vernünftigen Kleinwagen. Und Sie haben Recht, wenn ich ein schlechtes Gewissen habe, sieht man mir das sofort an. Als Kriminelle hätte ich keine Chance. Nein, das war hoffentlich meine letzte Fahrt in einem Polizeiwagen." Gut zu wissen, dachte er. Aber das hatte er eigentlich nicht gemeint. Eine Frau wie sie gehörte in eine Luxuslimousine, ge hüllt in Seide und Schmuck. Falls er heute Glück hätte, würde sie genau das während der nächsten Wochen be kommen. Inzwischen war sie schon dabei, der Menge zu erklären, wie die Ziehung vor sich gehen würde. Als sie fertig war, hielt sie ihm einen Korb hin. "Okay. Und jetzt erfüllen Sie jemandem seinen Traum", murmelte sie. Wieder trafen sich ihre Blicke. Nur eine Sekunde lang, aber es war, als wären sie ganz allein. Logan hätte schwören können, dass sie den Atem anhielt, und war nicht einmal sicher, ob er in diesem Moment genügend Sauerstoff bekam. Die Vorstellung, dass er den Kontakt zur Realität verloren hatte, erschreckte ihn. Sofort zügelte er seine Reaktion auf ihre Nähe und brachte sogar ein mattes Lächeln zu Stande, als sie ihm den Korb vor die Brust hielt. Er tat, wozu er hier oben war, und machte einen jungen Mann aus dem Publikum sehr glücklich. "Danke", sagte die Lady so laut, dass auch die Menge es verstand. 10
"Danke für Ihre Hilfe", fügte sie hinzu, und das war nur für Logans Ohren bestimmt. Hastig kehrte er auf seinen Platz zurück. Als er wieder zur Bühne sah, kündigte sie bereits die Versteigerung an. "Wir möchten Sie noch einmal daran erinnern, dass der gesamte Erlös dieser Veranstaltung benachteiligten Kindern und ihren Famili en zugute kommt. Falls Sie dazu Fragen haben, wenden Sie sich an mich. Haben Sie keine Angst, um Hilfe zu bitten. Und jetzt begrüßen Sie mit mir unseren wunderbaren Auktionator, Mr. Donald Painter." Die Menge applaudierte begeistert, während sie einen älteren Mann auf die Wange küsste und ihn ans Mikrofon führte. "Danke, Donnie", sagte sie mit leiser, aber äußerst me lodischer Stimme. "Es ist wirklich süß von Ihnen, dass Sie sich auch in diesem Jahr wieder bereit erklärt haben. Bitte reservieren Sie mir einen guten Job, ja?" Logan traf seine Entscheidungen meistens ohne Zö gern, und auch dieses Mal stand für ihn sofort fest, was er tun würde. Er würde diese Frau ersteigern. Als sie sich umwandte, um die Bühne zu verlassen, hob sie den Kopf. Ihre Augen strahlten vor Begeisterung, und ihr Anblick ging ihm unter die Haut. Er spürte, wie sich das Jagdfie ber in ihm regte. Und nicht nur das. "Reiß dich zusammen, Brewster", murmelte er verär gert. So reizvoll, ja verführerisch sie auch aussah, war sie mit Sicherheit doch ein Kleinstadtgeschöpf, unschulds voll und geboren für die wahre Liebe und die traditionel le Ehe. Rotkäppchen auf dem Weg zur Großmutter, den Korb voller Kuchen und das Herz voller Mitgefühl für die Bedürftigen, und gewiss nicht der Typ von Frau, mit dem er sich jemals einlassen würde. Dass er so heftig auf 11
sie reagierte, konnte nur an einem liegen. Er war es ein fach nicht gewöhnt, Single zu sein. Das war in den letz ten Jahren selten vorgekommen. Alles, was er wirklich von dieser Frau wollte, waren ihre Dienste als Assistentin bei der Hoteleröffnung. Also wartete er, bis er den Wunsch, sie zu berühren und zu schmecken, gezähmt hatte. Dann blätterte er in der Broschüre und schlenderte nach einer Weile hinter die Bühne. Die Lady, die er suchte, stand an einem Kopierer, der ein beunruhigendes Summen von sich gab. Sie betrachtete das Gerät einige Sekunden lang, drückte auf einige Tasten und beugte sich darüber. Logan starrte auf ihren anmutig gerundeten Po und die langen Beine, von denen sie ihm mehr zeigte, als ihr bewusst war. Sie strich mit der Hand an der Seite des Kopierers entlang, tastete über eine bestimmte Stelle, hob die Hand und gab dem widerspenstigen Gerät einen heftigen Klaps. Das Summen brach ab. "Warum nicht gleich so?" murmelte sie zufrieden. Logan musste schmunzeln. "Ms. Linden?" sagte er und trat hinter sie. Mit einem leisen Aufschrei fuhr sie herum. Das gold braune Haar fiel ihr ins Gesicht, und sie schob es nach hinten. "O nein! Das haben Sie doch nicht etwa gesehen, oder?" Gegen seinen Willen lächelte er. Die Mischung aus e leganter Schönheit und erfrischender Offenheit war ... faszinierend. "Was denn?" erwiderte er mit Unschuldsmiene. Sie lächelte zurück und zuckte verlegen mit den Schul tern. "Nun ja, wir brauchen in der Schule dringend einen neuen Kopierer, bekommen jedoch keinen, also müssen wir uns mit dem alten begnügen. Und dazu muss man 12
eben manchmal erfinderisch sein. Aber natürlich soll nicht bekannt werden, dass ich mich regelmäßig an Schuleigentum vergreife ... Verzeihen Sie, ich will Sie nicht mit meinen technischen Problemen langweilen. Bestimmt haben Sie eine Frage. Wie kann ich Ihnen helfen?" Die Lady mochte eine brave Schulsekretärin sein, aber ihre Stimme gehörte in ein Schlafzimmer. Sie ließ ihn an Nächte denken. Lange Nächte. Und an Berührungen. Viele Berührungen. Logan fragte sich, wie viele Schüler lange nach ihrem Abschluss ihrer alten High School ei nen Besuch abstatteten, nur um diese Lady zu hören. Be stimmt Dutzende. Wenn nicht Hunderte. Allein die Frage Wie kann ich Ihnen helfen? aus ihrem Mund war genug, um einem Mann den Verstand zu rauben. Wenn er nicht wachsam war. Und Logan war immer wachsam. Wie sie ihm helfen konnte? "Ja, ich habe eine Frage, Ms. Linden", erwiderte er. Sie lächelte zu ihm hinauf, und erst jetzt wurde ihm bewusst, wie tief das Blau ihrer Augen war. Bezaubernd. Nein, verzaubernd. O ja, sie konnte ihm helfen. "Zu unserer Jobbörse? Oder zu einem bestimmten Teil nehmer?" "Ja ... zu Ihnen." Er sah und hörte, dass seine Antwort sie überraschte. Ihr Atem ging ein wenig schneller, und ihre Hand legte sich etwas fester um den Deckel des Kopierers. "Und Ihre Frage lautet?" Er fand es bewundernswert, wie ruhig sie äußerlich blieb. So, wie sie aussah, musste sie sich vermutlich oft unerwünschter Avancen erwehren. Und im Moment mus terte er sie intensiver, als es ihm zustand. Und er stand einen Hauch zu dicht vor ihr. Aber sie blieb gelassen. 13
Gut. Sie wurde mit Stress fertig. Nicht, dass er ihr wel chen bereiten wollte. Er musste nur wissen, wie sie auf Druck reagierte. Jetzt, da er es wusste, ging er wieder auf Abstand. "Ich möchte mich vorstellen", sagte er. "Ich bin Logan Brewster und habe das Eldora Oaks Hotel renoviert." Langsam stieß sie den angehaltenen Atem aus. Ihr Lä cheln wurde etwas natürlicher. "O ja, Mr. Brewster. Ich habe von Ihnen gehört." Offenbar wusste sie gern, mit wem sie sprach. "Dann kennen Sie mein Unternehmen?" "Wer nicht? Sie kaufen Hotels, modernisieren sie und verhelfen ihnen wieder zu ihrem alten Glanz." Er nickte. "Stimmt. Und das Oaks liegt mir besonders am Herzen. Ich möchte, dass die Eröffnung etwas ganz Besonderes wird. Ich erwarte viele Gäste." "Es wird bestimmt ein großes Ereignis. Selbst als es baufällig war, konnte man sehen, dass es eine große Ver gangenheit hat. Ich freue mich schon darauf, zu sehen, was Sie daraus gemacht haben." "Wie wäre es mit heute?" Ihre Augen wurden groß. Er hob die Hände und machte noch einen Schritt von ihr weg, um sie nicht zu sehr zu bedrängen. "Rein beruf lich, Ms. Linden, das versichere ich Ihnen." "Beruflich? Sie suchen also jemanden, der in Ihrem Ho tel arbeiten soll?" Er lächelte. "In gewisser Weise, ja." Sie strahlte ihn an. "Dann brauchen Sie Gloria Angelis. Sie hat im Sommer immer an der Rezeption im Nightri der ausgeholfen, als es noch geöffnet war. Möchten Sie die Broschüre mit ihren persönlichen Angaben sehen?" "Die habe ich gelesen", antwortete er sanft. Er wusste, 14
dass Rebecca die Jobbörse zusammen mit zwei Freun dinnen, den Lehrerinnen Caroline O'Donald und Emily Alton, ins Leben gerufen hatte, als eine Schülerin eine medizinische Behandlung brauchte, die ihre Eltern nicht bezahlen konnten. Die drei Frauen hatten noch andere Lehrer angeworben, und seit drei Jahren ging der Erlös der Auktion an bedürftige Kinder. Aber er wusste auch, dass Gloria Angelis ihn nicht interessierte. In keiner Wei se. Er wollte Rebecca Linden. Rebecca gelang es irgendwie, ihr Lächeln beizubehal ten. Dieser Mann, dieser ... Logan Brewster machte sie nervös. Er war ihr sofort aufgefallen, als sie die Bühne betreten hatte. Natürlich war er das. Ganz in Schwarz gekleidet, groß, breitschultrig, schmalhüftig, mit dunklem schimmerndem Haar und braunen Augen, die in jeder Frau nichts als Verlangen weckten, sah er einfach ... hinreißend aus. Aber sie wollte nicht wie jede Frau sein, wollte es schon lange nicht mehr. Jedenfalls gab sie sich nicht mehr jenen gefährlichen Sehnsüchten hin, die das Leben eines Menschen ruinieren konnten. Sie wich jeder echten Versuchung aus. Und das sehr er folgreich. Leider war die Versuchung, die darin bestand, neben Logan Brewster zu stehen, zu gewaltig, um sie einfach zu ignorieren. Rebecca spürte sie zu deutlich. Wie ein lang sames Pulsieren, das ihren Körper durchlief. Natürlich war das nicht anders zu erwarten gewesen. Seit Tagen sprach die ganze Stadt von ihm. Und davon, dass er es wie kein anderer Mann verstand, Frauen zu befriedigen. Vermutlich verführte er sie selbst dann, wenn er es gar nicht bewusst vorhatte. Aber sie war darauf vorbereitet. Vor ein paar Jahren 15
hatte sie fast eine Dummheit begangen und gegen eine ihrer Grundregeln verstoßen. Aber nur fast. Daraus hatte sie gelernt. Denk an den Nordpol, befahl sie sich jetzt. Denk notfalls sogar an Eis bären. Es funktionierte. Sie bekam ihre Sinne wieder un ter Kontrolle. "Falls Sie Hilfe im Hotel brauchen, sind Sie mit Gloria am besten bedient", sagte sie zu ihm und klang, als wäre er ein Zehnjähriger, der nachsitzen musste und Angst hatte, seine Mutter anzurufen. "Sie können Klavier spielen?" fragte er. "Ja", gestand sie, ohne zu wissen, worauf er hinaus wollte. Er war reich, und sie konnten eine großzügige Spende gut gebrauchen. "Und Sie hatten Ballettunterricht?" "Ich tanze nicht sehr gut", gab sie zu. "Aber Sie sind lernfähig und diszipliniert. Und Sie ha ben in Ihrem Beruf viel mit Menschen zu tun?" "Meistens mit kleinen." Er lächelte, ihr Herz schlug schneller, und sie atmete gleichmäßig ein und aus, bis es sich beruhigte. "Kleine Menschen sind am schwierigsten", erwiderte er, und sei ne leise Stimme ging ihr unter die Haut, als hätte er gera de etwas Unanständiges vorgeschlagen. Das hatte er nicht, aber vielleicht reagierte sie so, weil sie es sich wünschte. Denk an etwas Eiskaltes, befahl sie sich. "Ich mag kleine Menschen", sagte sie und hörte sich ein wenig trotzig an. Sie wollte es nicht, aber es schien ihn nicht zu stören. Sein Lächeln wurde breiter. "Tut mir Leid. Natürlich wird es im Eldora Oaks kaum kleine Menschen geben, aber einige unserer Gäste wer den sich von Zeit zu Zeit wie Kinder aufführen, das kann 16
ich Ihnen garantieren." "Was wollen Sie von mir, Mr. Logan?" "Ihre Hilfe. Leider bin ich im Moment etwas ... hilflos. Würden Sie mir zur Hand gehen?" Oh, er war so raffiniert. Welche Frau würde Nein sa gen, wenn seine Stimme so sinnlich, sein Ausdruck so ernst, sein Blick so warm war? Keine ... Fast jede Frau würde zehn Sommer und ihre Vernunft opfern, um diesem Mann ... zur Hand zu gehen. In Rebecca heulte eine Alarmsirene auf. "Ich werde jemanden für Sie finden", versprach sie und schlug die Broschüre auf. "Welche Qualifikation suchen Sie? Können Sie mir eine Tätigkeitsbeschreibung ge ben?" "Ich will ehrlich sein. Meine Assistentin ist leider ... ausgefallen", erwiderte er sanft. "Allison ... so heißt sie ... sollte bei der Eröffnung eine wichtige Rolle spielen. Also ..." Er streckte beide Hände aus. "Ich weiß, es ist viel ver langt. Aber ich brauche eine Frau, die sich in dieser Stadt aus kennt und in weniger als zwei Wochen alles lernt, was man über die Hotelbranche wissen muss. Jemanden, der wohlhabende Gäste betreut, die sich manchmal wie ver zogene Gören benehmen. Die ohne Ende selbst die dümmsten Fragen freundlich beantwortet. Die in meinem Hotel wohnt, sich dort für eine Weile wie zu Hause fühlt und den Gästen das Gefühl gibt, dass sie es ebenfalls sind." Rebecca hob den Kopf, obwohl ihr Herz noch heftiger schlug, als ihre Blicke sich trafen. Genau das wollte sie nicht. Ein klopfendes Herz und heftiges Atmen und un vernünftige Gedanken, für all das war kein Platz in ihrem 17
Leben. Es verlief in sicheren Grenzen, und so sollte es auch bleiben. Dieser Mann und sein Hotel passten nicht dazu. "Ich soll Ihre Assistentin werden? Für die Eröffnung?" Die Frage kam wie von selbst. Als würde sie sein Ange bot ernsthaft erwägen. Vielleicht tat sie das wirklich. Denn wenn sie diesem Mann half, würde er den Kindern helfen, deren Schicksal ihr so sehr am Herzen lag. "Ja, genau das meine ich." Er lächelte mild, als wüsste er, welchen inneren Kampf sie ausfocht. Als würde er sie verstehen. Vielleicht tat er das sogar. Offenbar traf diese Situation ihn ebenso unvorbereitet wie sie. Seine Assis tentin war ausgefallen, hatte er gesagt. Rebecca fragte sich, was geschehen war. Ein Streit? Eine Beziehungskri se? Aber das ging sie nichts an. "Und Sie würden die neue Mitarbeiterin anlernen?" Er musterte sie. Sie schaute in seine goldbraunen Au gen und versuchte sich einzureden, dass sie gar nicht be merkt hatte, welche Farbe sie hatten. Er zuckte mit den Schultern. "Angesichts der begrenz ten Zeit, die uns zur Verfügung steht, wäre es eine sehr intensive Ausbildungsphase. Sie müssten sich sehr schnell mit geschäftlichen Details vertraut machen und sich gesellschaftliche Umgangsfor men aneignen. Danach müssten Sie sich in meinem Weinkeller, in der Mode, in der Küche und im Ge schmack meiner zukünftigen Gäste auskennen." Sie zog die Augenbrauen hoch. "Das alles in weniger als zwei Wochen?" "In zwölf Tagen, um genau zu sein. Danach wird sich die Eröffnung über zwei Wochen erstrecken. Aber ich 18
werde Ihnen helfen, Rebecca. Ich kenne mich mit engen Terminen aus. Es ist mach bar." Er sprach mit ihr, als wäre sie die einzige Bewerberin. Vielleicht war sie das. Der Job war alles andere als leicht, und guten Gewissens konnte sie keine ihrer Freundinnen bitten, ihn zu übernehmen. Sie war die einzige Frau, die die Erfahrung aufwies, die Logan Brewster von seiner Assistentin verlangte. Die Erfahrung, quasi über Nacht zu einem anderen Menschen werden zu müssen. Sie besaß sie, und diese Erfahrung hatte ihr Leben gründlich verän dert. Leider nicht zum Guten. Doch das war lange her. Sie war noch zur High School gegangen, als ihre Eltern ums Leben gekommen waren. Danach war sie zu wohlhabenden Verwandten gekom men und hatte deren hohen Ansprüchen nicht genügt. Sie suchte Liebe, bekam sie nicht und fand sie schließlich anderswo. Bei James, der sie nicht nur akzeptierte, son dern sogar heiratete. Aber dann enttäuschte sie ihn, wie sie ihre Onkel und Tanten enttäuscht hatte. Er liebte die Frau, die er sich in ihr ersehnt hatte. Die war sie nicht, sosehr er es sich auch erhoffte. James war vor vier Jahren beim Skilaufen verunglückt, und seitdem mied sie jedes tiefere Gefühl für einen Mann. Nie würde sie sich zu verändern versuchen, um anderen zu gefallen. Jedenfalls nicht privat ... Sie sah den Mann an, der auf ihre Antwort wartete. "Sie brauchen jemanden, der sich anpassen kann", sagte sie ohne Harne oder Zorn. "Jemanden, der bereit ist, eine neue Erfahrung zu ma chen", verbesserte er. "Dies ist eine Versteigerung, Mr. Brewster. Falls je mand für meine Dienste mehr bietet als Sie ..." 19
"Das wird niemand tun", sagte er. Logan behielt Recht. Niemand überbot die fünfund zwanzigtausend Dollar, die Rebeccas Hilfe ihm wert war.
2. KAPITEL
Mehrere Stunden nach der Auktion und nachdem sie gepackt und sich von Caroline und Emily verabschiedet hatte, saß Rebecca in einem schwarzen Jaguar, auf dem Weg zum Eldora Oaks. Es war Jahre her, dass sie in ei nem solchen Wagen gefahren war. Sie hatte nicht erwar tet, dass sie es je wieder tun würde. Aber Logan hatte ihr erzählt, dass ihr im Hotel viele Geschäftswagen zur Ver fügung stünden. Die richtigen, vermutete sie. Es hatte also begonnen. Die versuchte Ummodelung von Rebecca Linden. Das Gefühl, dass das, was sie ei gentlich war, einfach nicht ... reichte. Nur dass sie diesmal nicht davonlaufen konnte. Diesmal hatte sie zugestimmt und musste bleiben. Sie seufzte. Es war nicht Logans Schuld. Er brauchte eine Assistentin, hatte für ihre Dienste gutes Geld be zahlt, und sie wusste schließlich, wie man das Beste aus derartigen Situationen machte. Außerdem war sie inzwi schen erwachsen, und dies war nur ein Job, nicht ihr gan zes Leben. Diese verwirrenden Gefühle, die sie für Lo gan empfand, würden schon vergehen, sobald er den Chef herauskehrte. Doch davon konnte noch keine Rede sein. Er sah sie an und schüttelte den Kopf. "Es tut mir Leid, dass ich Sie so abrupt entführt habe. So haben Sie sich die nächsten Wo 20
chen sicher nicht vorgestellt, was?" Sie schaute in seine Augen, las darin Besorgnis, und ihr Herz schlug schneller. O nein. Er ahnte, was sie dachte, und würde nett sein. Das würde alles noch schwieriger machen. Wie sollte es ihr gelingen, in ihm nur den Ar beitgeber und Vorgesetzten zu sehen? Und im Zusam mensein mit Logan Brewster nur ... einen Job? Als sie und Logan vor dem Hotel hielten, starrte Re becca fasziniert auf das, was er aus dem Eldora Oaks gemacht hatte. "Okay, Mr. Brewster", sagte sie und ließ den Blick über die rosefarbene Fassade und die graue Dachkuppel wan dern. Früher hatte das Gebäude verlassen und schäbig ausgesehen, jetzt wirkte es wie verzaubert und ... roman tisch. "Sie sind gut." Lächelnd stieg Logan aus und ging um den Wagen, um ihr die Beifahrertür zu öffnen. "Logan", verbesserte er. "Das Ergebnis unserer Renovierung gefällt Ihnen also?" Sie sah sich um. Im Garten, der das Hotel umgab, blüh ten rosa und blaue Blumen zwischen den von Bäumen gesäumten Wegen, die vorher nicht da waren. "Es ist lange her, dass ich hier war, aber so majestätisch und einladend hat das Eldora Oaks noch nie ausgesehen. Vor vier Jahren habe ich meine erste Nacht in dieser Stadt hier verbracht." Er lächelte. "Wie war es?" "Das Bett hing in der Mitte durch. Ich habe mich die ganze Nacht an der Kante festgehalten." Er zog eine Augenbraue hoch. "Das klingt ... unterhalt sam." "So kann man es wohl auch sehen", erwiderte sie. "Da mals dachte ich, das ist kein gutes Omen, aber ich habe mich geirrt." 21
"Also mögen Sie diese Stadt?" Sie nickte. "Ich fühle mich hier zu Hause, mehr als je zuvor in meinen einunddreißig Jahren. Und wo sind Sie zu Hause, Logan?" Er zuckte mit den Schultern und lehnte sich gegen den Wagen. "Wo immer ich gerade bin. Heute ist es Eldora, morgen eine andere Stadt." "Und Sie leben gern so?" "Ja, aber ich weiß natürlich, dass so ein Nomadenda sein nichts für jeden ist. Jedenfalls wurde mir das ge sagt." Von Frauen, nahm sie an. Frauen, die ihn wollten. "Die meisten von uns wünschen sich ein Zuhause und eine Familie." "Mit uns meinen Sie sich selbst, nicht wahr? Entschul digen Sie, ich will nicht zu persönlich werden. Aber wenn zwei Menschen so eng zusammenarbeiten wie wir, ist es nützlich, etwas über die Persönlichkeit und Ziele des anderen zu wissen." "Stimmt, Und ja, ich habe Ziele. Ich möchte mein Stu dium abschließen und Schülerberaterin werden. Außer dem möchte ich ein Heim und eine Familie." "Und was ist mit Liebe? Einige der Männer, die hier wohnen, werden Sie danach fragen, da bin ich sicher. Das tun sie immer." Sein Blick war intensiv, als wäre ihre Antwort ihm wichtig. So intensiv, dass er sie wieder nervös machte. Sie schluckte und hob das Kinn. "Ich will Liebe, aber nicht so, wie Sie es vermutlich meinen. Ich habe geliebt, bin geliebt worden und war sogar verheiratet. Mein Mann ist vor vier Jahren gestor ben. Eines Tages möchte ich wieder heiraten, aber es soll eine ... ruhige und beständige Liebe sein. An den heftigen 22
Emotionen und Leidenschaften, die die meisten sich wünschen, liegt mir nichts." Ihr Wunsch, endlich akzeptiert zu werden, hatte in der Ehe zu einer Katastrophe geführt. James war gekränkt gewesen, weil sie sich nicht als seine Traumfrau erwiesen hatte. Vermutlich war sie das deshalb nicht gewesen, weil sie ihn nicht so sehr geliebt hatte wie er sie. Schon lange bevor sie James an dem verschneiten Hang verloren hatte, war er nicht mehr der sanfte Träumer ge wesen, den sie geheiratet hatte. Sie kannte die Gefahren, die zu starke Gefühle mit sich brachten, und hütete sich vor ihnen. Zuneigung war gut, solange sie auf beiden Seiten unkompliziert blieb. Kein Feuer. Keine Flammen. Kein Risiko. Logan lächelte und streckte beide Hände aus. "Ich bin der Letzte, der Sie deshalb kritisieren würde, glauben Sie mir. Manche von uns sind einfach nicht für die große Liebe geschaffen." "Genau", erwiderte Rebecca und fragte sich, warum sie nicht erleichtert war. "So." Sie versuchte, sich etwas Intelligentes einfallen zu lassen. Etwas Vernünftiges, das sie vergessen ließ, wie gern sie ihm ganz tief in seine erregenden Augen geblickt hätte. "Jetzt, da wir ein wenig übereinander wissen ... warum haben Sie mich ausgesucht, Logan?" "Ist das nicht offensichtlich, Rebecca? Sie sind gelas sen, schön und können mit Menschen umgehen. Es kann nicht schaden, wenn meine Gäste sich vom Charme einer ebenso klugen wie hübschen Frau bezaubern lassen." Sie zuckte sichtlich zusammen. "Sie ... ich meine, Sie erwarten doch nicht etwa, dass ich ..." Nur mit Mühe unterdrückte Logan einen Fluch. Dann legte er einen Finger unter ihr Kinn, hob es behutsam an 23
und sah ihr in die Augen. "Nein, das erwarte ich nicht", sagte er mit Nachdruck. "Niemals. Das hier ist rein geschäftlich, Rebecca. Zwi schen Ihnen und mir und zwischen Ihnen und jedem, der im Oaks absteigt. Ihr Vertrag wird nicht den leisesten Zweifel daran lassen. Und falls jemand ... egal wer ... Sie zu bedrängen versucht, setze ich ihn höchstpersönlich vor die Tür. Und zwar unsanft. Wie viel Geld er in der Ta sche hat, spielt dabei keine Rolle. Falls ich den Eindruck erweckt haben sollte, dass ich von Ihnen erwarte ..." Als er sie losließ, legte Rebecca eine Hand auf seinen Arm, zog sie jedoch sofort zurück, als sie seine Wärme an den Fingern fühlte. "Nein, das haben Sie nicht, Logan. Aber wir beide le ben in verschiedenen Welten, und ich wollte sicher sein, dass ich alles richtig verstanden habe." Sein Blick verfinsterte sich, während er sich das Kinn rieb. "Haben Sie allen Ernstes geglaubt, ich würde von Ihnen verlangen, unseren Gästen ... in jeder Hinsicht ge fällig zu sein?" "Nein, das habe ich nicht geglaubt", beteuerte sie. Das hatte sie wirklich nicht. Es war nur, dass dieser Mann ... Nun ja, in seiner Nähe fiel es ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Als sie den Blick hob, blitzten seine Augen. "Was, wenn ich das tatsächlich von Ihnen erwartet hätte?" Sie lächelte. "Logan, ich bin Schulsekretärin. In dem Beruf verbringt man einen großen Teil des Tages damit, Nein zu sagen." Er schüttelte den Kopf. "Das sind Kinder, nicht er wachsene Männer, die nur eins im Sinn haben." Ihr Lächeln wurde sanfter. "Haben Sie jemals einem süßen Kind mit Krokodilstränen in den Augen etwas ab 24
schlagen müssen?" In Logans Augen flackerte etwas auf, das aussah wie der Ausdruck tiefsten Schmerzes. "Kinder und ich ... na ja, wir passen einfach nicht zusammen. Zum Glück habe ich das noch nie tun müssen." Sie nickte zufrieden. "Kinder und ich passen sehr gut zusammen, und ich kann Ihnen versichern, es gibt nichts Überzeugenderes als ein Kind, das auf die Tränendrüse drückt. Es bricht mir jedes Mal das Herz, wenn ein klei ner Übeltäter um Gnade bettelt und ich streng bleiben muss. Glauben Sie mir, ich kann sehr hart sein, Logan. Und hätten Sie von mir verlangt, dass ich Ihnen außer meinem Verstand auch noch meinen Körper verkaufe, wäre ich längst zu Hause." Logan nickte. "Ich bin sehr froh, das zu hören. Aber Ih re Antwort überrascht mich nicht. Als ich Sie sah, wusste ich gleich, dass Sie eine Frau sind, die weiß, was sie will ... und was sie nicht will." Sie freute sich über das Kompliment, doch als sie zum Eingang des Eldora Oaks gingen, blieb sie noch einmal stehen. "Warum ... ist Ihre bisherige Assistentin gegan gen?" Er runzelte die Stirn. "Bedenkt man die Umstände, so ist das eine berechtigte Frage, und ich wünschte, ich könnte Ihnen eine umfassende Antwort geben. Leider kenne ich die Gründe nur unvollständig", gestand er. "Al lison und ich kannten uns schon sehr lange, als meine damalige Assistentin Urlaub machte, und sie mir freiwil lig anbot, sie zu vertreten. Deshalb glaube ich nicht, dass sie gegangen ist, weil ich ein Sklaventreiber war. Wie auch immer, ich kann Ihnen garantieren, dass unsere Zu sammenarbeit anders sein wird." In diesem Moment wurde Rebecca klar, dass diese Al 25
lison für ihn mehr als nur eine Assistentin gewesen war. Sie war ziemlich sicher, dass ihre Zusammenarbeit sich nicht nur auf berufliche Dinge beschränkt hatte. "Danke", sagte sie. "Dafür, dass Sie mich beruhigt ha ben." Und dafür, dass er ihr versichert hatte, dass ihr Verhältnis rein beruflich sein würde. Denn das war das, was auch sie wollte. Die meisten Frauen würden wahrscheinlich nachts wach liegen und sich ausmalen, wie sie mit Logan Brewster... Aber sie nicht. Denn sie wusste, wie riskant das hier war. Logan Brewster war ein draufgängerischer, verführerischer, verlockender Mann, der seine Frauen vermutlich im Rhythmus der Jahreszeiten wechselte. Er lebte in einer Welt, in die sie nicht passte, und glaubte nicht daran, dass es eine ruhige, gelassene Liebe geben konnte. Ihre plötzliche Unruhe bewies, dass Logan ein Risiko faktor war. Aber sie hatte ihre Lektion gelernt. Also wür de sie sich einfach gegen das wehren, was er in ihr aus löste. Sie konzentrierte sich auf das Gebäude vor ihnen, be rührte die von der Sonne erwärmte Mauer und starrte durch die Glastür in die Eingangshalle. Das Hotel war hell und luftig. Irgendwie hatte Logan Brewster es geschafft, die Natur in das alte Haus zu ho len. Die Bäume, die Blumen, das Licht von draußen. "Sie müssen ein Genie sein, Logan", flüsterte sie. "Das ist fantastisch. Beeindruckend. Hier würde jeder gern ... na ja, leben." Sie strich über das Holz einer der Bänke, die vor dem Eingang standen. Es war glatt und warm, und sie schaute zu dem Mann auf, der neben ihr schwieg. In seinen Augen brannte ein Feuer. 26
"Keine Frage, ich habe die Richtige ausgesucht. Dan ke", sagte er so leise und eindringlich, dass sie unwillkür lich den Atem anhielt. Sie konnte sich vorstellen, wie er eine Decke zurückschlug, aus dem Bett einer Frau auf stand und genau diese Worte wisperte. Nein, das war keine gute Idee. So würde sie diesem Mann nicht sehr lange widerstehen können. Offenbar reichte es nicht, an Eisbären zu denken. Sie musste sich mehr Mühe geben. Aber dann nahm er ihre Hand, und sie fühlte es bis in die Zehenspitzen. Es gab nur eine Methode, vernünftig zu bleiben. Sie durfte Logan Brewster nie wieder berühren. Sie nahm es sich fest vor. Aber in diesem Moment spürte sie seine Haut an ihrer. Und tat nichts dagegen. "Willkommen in meinem Zuhause, Rebecca", sagte er. "Kommen Sie, ich zeige Ihnen mehr davon." Ihr Puls wurde unregelmäßig. Wild. Dies wäre genau der richtige Zeitpunkt, sich umzudrehen und nach Hause zu fahren. Ihm zu erklären, dass sie die falsche Frau für diesen Job war. Doch das tat sie nicht. Stattdessen holte sie tief Luft, straffte die Schultern und betrat das Hotel. Das Zuhause, das sie während der nächsten Wochen mit Logan teilen würde. "Wollen Sie wirklich gleich anfangen?" fragte Logan, während er Dateien auf den Bildschirm seines Computers lud. "Sicher, ich habe gesagt, es gibt viel zu tun, aber vielleicht sollten Sie sich erst an die neue Umgebung gewöhnen." Und du solltest dich gar nicht erst an deine neue Mitarbeiterin gewöhnen, ermahnte er sich. Seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, existierten seine Sinne unter Belagerungszustand. Vielleicht sollte er ihnen eine 27
Pause gönnen. Aus gutem Grund. Niemand wusste besser als er, wie leichtsinnig es war, seinen Gefühlen nachzugeben. Genau das hatte seine Mutter getan. Und was hatte es ihr eingebracht? Ohne einen Cent, allein und schwanger war sie auf der Straße gelandet, nachdem ihr Liebhaber und ihre Familie sie im Stich gelassen hatten. Sie hatte ihren Sohn nicht gewollt, aber sie hatte ihn gelehrt, welch hohen Preis man für un vorsichtige Gefühle entrichten musste. Doch in diesem Augenblick war nicht die Vergangen heit wichtig, sondern allein die Gegenwart. Und in der saß die Lady, die diese beunruhigenden Empfindungen in ihm hervorrief, rechts von ihm, das Kinn auf die Hand gestützt. "Lassen Sie mich einfach nur allein, Logan", bat sie. "Dann finde ich mich schon zurecht.", Keine Frage, sie war klug und würde es auch ohne seine Hilfe schaffen, aber... "Die Liste der Gäste, die wir in zwölf Tagen erwarten, verzeichnet einen ehemaligen Politiker, Rechtsanwälte, Steuerberater und Buchprüfer sowie einen viel verspre chenden Jungstar aus Hollywood. Was bedeutet das für uns?" Rebecca kniff die Augen zusammen. "Sie alle erwarten einen Spitzenservice, und den werden wir ihnen bieten." Ihre Antwort gefiel ihm. Es war klar, dass sie Bedenken gehabt hatte, und doch stand sie jetzt mit ihm in der Ein gangshalle seines neuesten Hotels. Sie hatte sich nicht geziert, keine billigen Ausreden erfunden. Nein, sie war hier, um das zu tun, wozu er sie engagiert hatte. "Wir bieten ihnen alle Annehmlichkeiten eines Luxus hotels", sagte er. 28
"Persönlichen Service?" "Natürlich." "Was bedeutetet, mehr über die Gäste zu wissen, als auf dem Computerbildschirm steht", sagte sie und zeigte auf die nackten Zahlen auf dem Monitor. "Also zeigen Sie es mir, Logan. Zeigen Sie mir, was ich wissen muss." Ihre Antwort ließ ihn fast eine Sekunde lang erstarren. Andere Frauen hatten ihn gebeten, ihnen zu zeigen, was sie wissen mussten, in genau dem gleichen Tonfall. Aber sie hatten etwas ganz anderes gemeint. Rebecca Linden meinte rein berufliche Dinge, das wusste er, und doch ging seine Fantasie mit ihm durch. Bilder schossen ihm durch den Kopf, auf die er sich jetzt unmöglich konzentrieren durfte. Also tat er es auch nicht. Stattdessen rang er sich ein unbeschwertes Lächeln ab. "Okay. Nehmen wir zum Beispiel Brian Jaynes, den Anwalt. Trägt Armani, fährt Porsche und Ferrari, ist in fast allen Metropolen der Welt zu Hause. Er ist ein Mann, der Luxus gewöhnt ist, also warum sollte er das Eldora Oaks als ein besonderes Hotel in Erinnerung be halten?" Rebecca antworte nicht sofort. "Eine bequemere Mat ratze vielleicht?" fragte sie lächelnd, und an ihren Wangen erschienen Grübchen. Logan schmunzelte. "Das auch, aber vor allem ein bes serer persönlicher Service. Brian gehört zu den oberen Zehntausend, aber er reist mehr, als ihm lieb ist. Und wie wir alle, schaltet er gern mal ab. Er mag Science-Fiction-Romane, Big-Band-Musik und seine Klarinette. Zu Hause isst er Reispudding mit Schlagsahne. Wir müssen dafür sorgen, dass er all das hat, wenn er bei uns absteigt." 29
Sie zog die Augenbrauen hoch. "Und abgesehen davon, dass wir ihm sein Lieblingsgericht servieren, was tun wir noch für ihn?" "Na ja, falls zufällig eine Big Band in der Stadt auftritt, besorgen wir ihm Karten. Falls nicht, bekommt er CDs und Noten aufs Zimmer." "Und eine Klarinette?" "Wenn er eine will." Sie lächelte. "Wie gesagt, ich bin vor vier Jahren hier abgestiegen. Angenommen, ich hätte um eine Klarinette gebeten, was glauben Sie, hätte man mir geantwortet?" fragte sie. "Man hätte Ihnen das Branchenbuch in die Hand ge drückt." Sie schüttelte den Kopf. "Nein, man hätte mir gesagt, dass es in der Telefonzelle in der Eingangshalle eins gibt." "Ich sorge dafür, dass Sie Ihr eigenes Exemplar be kommen." Sie blinzelte. "Ich ... ich bin kein Gast." Die Lady errötete. Logan fragte sich, warum. "Und..." "Und Sie brauchen mich nicht zu ... verwöhnen, Lo gan." Aber irgendwie brachte sie ihn dazu, genau das zu wol len. Das war ihm allerdings erst bewusst geworden, als sie es ausgesprochen hatte. Und dabei schwebten ihm auch nicht Telefonbücher vor. "Rebecca, während der nächsten Wochen sind wir Part ner. Geschäftspartner. Und wenn ich Sie wirklich ... ver wöhnen wollte, würde ich das bestimmt nicht mit etwas 30
so Banalem wie einem Telefonbuch tun." Sie lachte nervös und strich mit den Fingern über die Notizen, die sie sich gemacht hatte. "Na gut", gab sie nach. "Aber wenn Sie jedem Gast sämtliche Wünsche erfüllen ... haben Sie keine Angst, dass man Sie aus nutzt?" Logan drückte ihre Hand und ließ sie rasch los. Die La dy machte sich Gedanken. Über ihn. Langsam schüttelte er den Kopf. "Rebecca, ich bin auf den Straßen von Chicago aufgewachsen. Zäh und schnell und als Kämpfer. Wenn ich dort geblieben wäre, wäre ich vielleicht umgekommen. Aber das bin ich nicht. Ich habe gelernt, wie man überlebt, wie man immer einen Schritt schneller ist und sich nicht ausnutzen lässt." Ihr Blick war interessiert. "Wie haben Sie es von dort bis hierher geschafft?" "Ich habe gearbeitet. Gespart. Ein altes Haus gekauft, es renoviert und wieder verkauft. Das habe ich mehrmals wiederholt. Irgendwann machte ich das mit einem herun tergekommenen Motel. Ich lernte, wie man Erfolg hat, indem man Menschen das gibt, was sie anderswo nicht bekommen können. Ich kenne meine Branche, Rebecca. Und ich lasse mich nie ausnutzen. Es sei denn, ich will es." Sie hatte ihn angesehen, doch bei seinem letzten Satz senkte sie die Lider. Wie eine Frau, die gleich geküsst werden würde, dachte Logan unwillkürlich und starrte auf ihre Lippen. Als er mühsam schluckte und um Selbstbeherrschung rang, öffnete sie die Augen wieder, und er sah das Licht, das in ihnen tanzte. "Heißt das, ich bekomme mein Telefonbuch doch?" fragte sie. 31
"Das heißt, wir sollten weiterarbeiten, bevor Sie mir er klären, dass Sie ein Symphonieorchester aufs Zimmer haben möchten." "Bestimmt nicht. Dazu wäre nicht genug Platz." "Gefällt Ihnen Ihr Zimmer nicht?" Rebecca schaute in seine braunen Augen und musste tief durchatmen, um ihr heftig klopfendes Herz zu beru higen. "Es ist eine wunderschöne Suite mit Platz für mich und alles, was ich hier brauche. Also kommen Sie nicht auf die Idee, mir ein anderes zu geben. Ich fühle mich sehr wohl." Das tat sie wirklich. Obwohl Logan betont hatte, dass ihre Beziehung rein beruflich war und sie nichts anderes wollte, löste er eine weit mehr als kollegiale Re aktion in ihr aus. Das war weder seine Schuld noch sein Problem. Und ihres auch nicht mehr, sobald sie sich end lich in den Griff bekam. Während der nächsten Stunde konzentrierte sie sich auf alles, was Logan ihr erklärte. Danach brauchte sie nur einen Blick auf ein Foto zu werfen und konnte nicht nur den Namen und den Beruf des Gastes nennen, sondern auch ein paar wichtige Details aus seinem Leben. "Sie sind eine Naturbegabung", lobte Logan. Doch das war nicht der Grund für ihr gutes Personen gedächtnis. Als sie mit James verheiratet gewesen war, hatte er gewollt, dass sie all seine Geschäftsfreunde kann te. Sie hatte ihm den Gefallen getan, um ihr schlechtes Gewissen zu besänftigen. Ihr Schuldgefühl, weil sie ihren Ehemann nicht genug liebte. "Eine Schulsekretärin muss jedes Kind auf der Schule kennen", erklärte sie stattdessen und musste plötzlich daran denken, was er gesagt hatte. Dass Kinder und er nicht sehr gut zusammenpassten. 32
"Entschuldigen Sie, wenn ich Sie so einfach frage ... Sie haben gerade eine Menge Geld für benachteiligte Kinder gespendet. Warum haben Sie das getan, wenn Sie ... nicht besonders viel für Kinder übrig haben?" Er zog die Augenbrauen hoch. "Tut mir Leid. In der Schule muss ich oft Fragen stel len. Es ist schwer, sich das abzugewöhnen." Er zuckte mit den Schultern. "Das macht nichts. Zu den Fähigkeiten, die ich an Ihnen schätze, gehört auch die, Menschen aus der Reserve zu locken. Und was mich be trifft... Ich habe viel zu viele Kinder gesehen, die ohne Überlegung in die Welt gesetzt wurden. Kinder, die unter Druck zerbrachen oder so aufwuchsen, dass sie selbst noch miserablere Eltern wurden. Ich finde, Leute, die Kinder wollen, sollten eine Eignungsprüfung ablegen. Ich bin nicht geeignet." Okay, das klang ziemlich unumstößlich. Sie wollte nicht darüber nachdenken, warum er zu dem Entschluss gelangt war. Offenbar hatte er ihn sich gut überlegt und wollte nicht über seine Gründe sprechen. Das würde sie respektieren. Zugleich war sie froh über das, was er gesagt hatte. In einen Mann, der keine Kinder wollte, konnte sie sich unmöglich verlieben. "Na gut", sagte sie und klopfte auf den Stapel Unterla gen vor ihr. "Keine Kinder, nur Hotels. Darf ich noch eine Frage stellen? Warum ausgerechnet Hotels? Wieso ausgerech net das hier?" Sie hob die Hände und zeigte auf das Dach über ihren Köpfen. Er lächelte. "Zwei Gründe. Nachdem ich mich ent schlossen hatte, von der Straße wegzukommen, bin ich durchs Land gezogen und habe gearbeitet. Das hier war das erste Hotel, in dem ich übernachtete, als ich genug 33
Geld für ein Zimmer hatte. Der zweite Grund ist genauso einfach. Wenn man lange genug auf der Straße gelebt hat, ist es nicht selbstverständlich, sich irgendwo zu Hau se zu fühlen. Ich weiß ein gutes Hotel zu schätzen und nehme die Zimmer und die Betten hier sehr wichtig. Vor allem die Betten." Rebecca starrte ihn an. Als er das Wort Betten ausge sprochen hatte, waren ihre Knie ein wenig weich gewor den, obwohl sie saß. Sie hatte das Gefühl, dass diesem Mann seine Betten tatsächlich sehr wichtig waren. Und die Auswahl seiner Bettpartnerinnen. "Da wir gerade von Betten reden", sagte sie nach einer Weile. "Ich glaube, ich gehe jetzt nach oben. Um zu schlafen", fügte sie hinzu. "Natürlich. Träumen Sie schön, Rebecca." Wohl kaum, dachte sie. Selbst wenn Logan Brewster ihr die bequemste Matratze und das luxuriöseste Zimmer bot, an Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken. Weil Logan Brewster ein paar Türen weiter schlief. Und weil sie jetzt wusste, wie wichtig er seine Betten nahm.
3. KAPITEL
"Okay, ich gebe es zu", sagte Emily Alton einige Stun den später zu Rebecca. "Bei dem Gedanken, dass du mit einem Mann wie Logan Brewster durch ein leeres Hotel streifst, ist mir unwohl, Becky. Der Mann soll so seine Art mit Frauen haben." Rebecca ärgerte sich nicht über die Worte ihrer Freun din, denn die Vorstellung machte auch sie selbst nervös. 34
"Es ist ein sehr großes Hotel, Em", erwiderte sie nur. "Das ist gut, Becky", sagte Caroline, die über eine Kon ferenzschaltung mit den Freundinnen verbunden war. "Umso mehr Betten zum Ausprobieren." "Caroline ..." "Tut mir Leid, aber ich finde, Em hat Recht. Wir ma chen uns Sorgen um dich." "Logan wird mir nicht wehtun." "Nicht absichtlich", begann Emily. "Aber ..." "Du weißt, dass ich immun bin." "Und was war vor zwei Jahren? Mit dem Typen, der nur auf der Durchreise war und dich fast herumbekom men hätte?" "Genau, er hat es nur fast geschafft. Ich habe der Ver suchung widerstanden." "Er war nicht Logan Brewster." Das stimmte. Der Typ hatte nicht einmal halb so viel Charme wie Logan besessen. Sie war interessiert genug gewesen, um zu wissen, dass sie aufpassen musste. Aber ihr Interesse hatte sie nur der Tatsache verdankt, dass sie so lange enthaltsam gelebt hatte. Aber daran wollte sie jetzt lieber nicht denken, denn die Enthaltsamkeit dauerte mittlerweile zwei Jahre länger. "Du knabberst doch nicht an deinen Fingernägeln, Re becca?" fragte Caroline. "Denn wenn du das tust, stimmt etwas nicht, das wissen wir beide." "Nein, tue ich nicht." Wirklich nicht. Noch nicht. Sie wünschte, sie hätte den Freundinnen nie von dieser klei nen Unart erzählt. "Kommt schon, Caroline ... Emily, ich will, dass ihr aufhört, euch Sorgen zu machen. Wer von uns dreien hat denn Eiswasser in den Adern, wenn es darauf ankommt?" Aus der Leitung kam Schweigen. Ein langes Schwei 35
gen. "Okay, du hast gewonnen", brach Emily es schließlich. "Wir haben alle gelernt, uns zu beherrschen, aber wenn es hart auf hart kommt, bist du die Eisernste. Trotzdem, findest du es vernünftig, drei Wochen in einem Hotel zu verbringen, allein mit einem Mann, der Frauen konsu miert wie andere Cornflakes?" "Emily, glaub nicht alles, was du hörst. Ich bin sicher, du tust Logan unrecht." So sicher war sie gar nicht, aber das ging ihre Freundinnen nichts an. "Außerdem sind wir nicht allein. Es gibt noch Köche, Gärtner und Zimmer mädchen. Und meine Tür lässt sich abschließen. Doppelt sogar." "Ja, aber was, wenn du sie freiwillig öffnest?" "Das werde ich nicht", antwortete Rebecca streng. "Glaubt mir." "Hm. Den Tonfall kenne ich. Du nicht auch, Em?" frag te Caroline. "Ja. Das ist der Lasst-mich-in-Ruhe-Tonfall." "Stimmt. Also, Becky, wir glauben dir", beteuerte Ca roline, und ihr Augenzwinkern war nicht zu überhören. "Wir wollten nur sicher sein, dass du keine Hilfe brauchst. Wir wissen ja, du würdest nie um welche bit ten, deshalb drängen wir sie dir notfalls auf." Rebecca wusste es auch. Nur zu gut. In der Zeit, in der sie ganz allein gewesen war, hatte sie sich angewöhnt, sich auf niemanden zu verlassen. Sie schüttelte den Kopf. Das war die Vergangenheit, und jetzt war sie mit sich und ihrem Leben zufrieden. "Becky?" Emilys Stimme war sanft. Und wieder besorgt. "Danke der Nachfrage", sagte Rebecca rasch. "Aber ihr braucht euch wirklich keine Sorgen zu machen. Ich habe 36
alles unter Kontrolle. Logan und ich haben eine rein geschäftliche Beziehung, mehr nicht. In meinem Zimmer wartete ein Arbeitsver trag auf mich. Ich habe ihn überflogen und unterschrie ben, weil er ganz klar und eindeutig ist. Okay?" "Okay", sagte ihre Freundin. "Becky?" "Ja?" "Na ja", begann Emily. "Das Hotel ... Wir haben ge hört, dass ..." "Die Badewanne in der Hochzeitssuite zehn Fuß breit ist, einen vergoldeten Rand und einen zusätzlichen Hahn hat, aus dem Champagner strömt", unterbrach Rebecca sie lachend. "Und dass neben dem Bett eine Kristallschale mit fri schen Rosenblüten steht. Stimmt das wirklich?" wollte Caroline aufgeregt wissen. "Keine Ahnung", sagte Rebecca. "Aber ich sehe nach und erzähle es euch." "Tu das. Und ... falls du etwas brauchst, wir sind tele fonisch zu erreichen." "Ich melde mich", erwiderte sie. "Versprochen." Sie verabschiedete sich von ihren Freundinnen und leg te auf. Nachdem sie fünf Minuten lang in der Dunkelheit ge sessen hatte, stand sie auf. Wo war überhaupt die Hoch zeitssuite? Die Nacht war schon einige Stunden alt, als Logan lei se, kaum wahrnehmbare Schritte auf dem Korridor hörte. Wie er es auf der Straße gelernt hatte, war er sofort hell wach. Er stand auf und schlich zur Tür. Es ärgerte ihn, dass er sich selbst nach all den Jahren wie jemand benahm, der um sein Leben fürchten musste. 37
Er wusste, dass das neue Eldora Oaks eine hoch empfind liche Alarmanlage besaß, die kein Unbefugter überwin den konnte. Wenn also jemand um diese Zeit durch die Gänge geisterte, konnte es nur eine Person sein. Und er war nicht sicher, ob seine eigene Alarmanlage dieser La dy gewachsen sein würde. Logan stöhnte leise auf und zügelte seine außer Kon trolle geratene Fantasie. Die Lady war allein, das Hotel riesengroß. Sie würde sich verirren. Vielleicht brauchte sie Hilfe und hatte vergessen, welches sein Zimmer war. Er öffnete die Tür und schaute auf den Korridor. Rebecca war nirgends zu sehen. Verdammt. Und die Schritte waren verstummt. Er bog um eine Ecke, und da war sie. Einige Schritte hinter ihr räusperte er sich, um sie nicht zu erschrecken. Er hörte, wie sie den Atem anhielt. "Logan." "Alles in Ordnung?" fragte er und ging rasch zu ihr. "Ja", erwiderte sie, und selbst im matten Schein der Nachtbeleuchtung war zu erkennen, wie sie errötete. "Ich konnte nicht schlafen, und meine Freundinnen haben mich vorhin nach der Hochzeitssuite gefragt. Ich wollte sie mir mal ansehen." Er schmunzelte. "Die Rosenblüten neben dem Bett?" "Ich dachte, das hätten die beiden sich nur ausgedacht." Er zuckte mit den Schultern. "Kommen Sie, ich zeige sie Ihnen." Er nahm ihre Hand. Ein Fehler, dachte er, ließ sie jedoch nicht wieder los. Ihre Haut war zarter und verlockender als Rosenblüten. Und dies war nur ihre Hand. Zweifellos gab es an ihr noch zartere Regionen, die er nicht sehen und erst recht nicht berühren durfte. Er schloss kurz die Augen und versuchte, das Bild zu 38
verdrängen. "Hier ist sie", verkündete er ein wenig atemlos, als sie um eine Ecke bogen, und holte den Generalschlüssel her aus. "Oh." Ihre Hand zuckte in seiner. "An den Schlüssel habe ich gar nicht gedacht." "Ich hätte Ihnen einen geben sollen." Dann wäre sie jetzt vermutlich längst wieder in ihrem Zimmer und nicht hier, dicht neben ihm, viel zu dicht. Er würde ihr schnell die Suite zeigen, sie zu ihrem Zimmer bringen und sie bitten, hinter ihm gut abzuschließen. "So", sagte er und blieb in der offenen Tür stehen. Sie ging an ihm vorbei in die Suite, streifte ihn, und ihr erre gender Duft drang an seine Nase. "Unser Märchenland für frisch Verheiratete." Sie machte ein paar Schritte, blieb stehen und legte den Kopf leicht nach hinten, so dass ihr langes Haar auf den Rücken fiel. "Du meine Güte", hauchte sie, und das blieb einige Se kunden lang ihre einzige Reaktion. Er schaute in ihre Augen und wünschte, er hätte es nicht getan. Sie waren groß vor Aufregung, und ihm wurde klar, was ihn an ih rem Blick faszinierte. Es war diese Mischung aus Un schuld und Sinnlichkeit. "Es gibt also wirklich einen Hahn, aus dem Champag ner strömt?" fragte sie. "Und eine Wanne mit vergoldeten Armatu ren und ..." Langsam ging sie auf das Bett zu. "Es sieht genauso aus, wie man es mir beschrieben hat. Es ist ... sehr groß, nicht wahr?" Er wusste nicht, ob er lachen oder stöhnen sollte. Das Bett war tatsächlich sehr groß. Groß genug, um einen 39
Mann in Versuchung zu führen, wenn er mit einer Frau wie Rebecca davor stand. Selbst einen Mann, der fest entschlossen war, jeder Versuchung zu widerstehen. "Nun ja, es ist eine Suite für Hochzeitsnächte", sagte er und malte sich aus, was die Gäste hier taten. Das Bett war nicht zu groß für den Raum, aber jetzt, da er mit die ser Lady allein in dem Hotel war, schien es mit ihm zu sprechen. Geh zu ihr. Streich mit den Fingerspitzen über die Kurven, die dich so anziehen. Zieh sie an dich, zieh sie ... auf das Bett. Er senkte den Blick und war kurz davor, der Stimme zu gehorchen. "Logan?" Sie klang so ruhig wie immer, wenn auch ein wenig leise, doch ihre Augen ... Irgendwie schien sie es nicht zu schaffen, die Besorgnis aus ihrem Blick heraus zuhalten. Er hob den Kopf und zwang sich mühsam, seine außer Kontrolle geratene Fantasie zu zügeln. Er lächelte und hoffte, dass es gelassen genug wirkte, um sie nicht zu erschrecken. Dann zuckte er mit den Schultern. "Ein Bett für frisch Verheiratete muss geräumig sein", sagte er. "Sollen wir gehen?" Er überlegte, ob er wieder ihre Hand nehmen sollte, aber es wäre ein schwerer Fehler, sie jetzt zu berühren. Die Bilder, die das Bett in ihm heraufbe schworen hatte, wirkten noch nach. "Ja, gehen wir. Es ist eine wunderschöne Suite, Logan", erwiderte sie und war wieder die gelassene, selbstsichere Frau, die er so sehr bewunderte. Er wusste, wie ein schüchternd er auf seine Mitmenschen wirken konnte. "Ich bringe Sie zu Ihrem Zimmer", sagte er und ging auf sie zu. "Nein. Ich meine ... das ist wirklich nicht nötig, aber ..." "Ja?" 40
Sie sah ihm in die Augen. "Sicher verstehen Sie, wie schwer es ist, in der ersten Nacht an einem fremden Ort einzuschlafen. Ich würde gern noch ein wenig lesen. Ich muss so viel wissen. Hätten Sie vielleicht noch etwas Informationsmaterial über das Hotel? Oder ein Buch?" Als sie vor ihm die Suite verließ, wanderte sein Blick wie von selbst an ihrem Rücken hinab. Zu gern hätte er seine Hand dorthin gelegt. Nein, daran durfte er nicht einmal denken. "Ein Buch? Bestimmt findet sich in der Bibliothek et was für Sie. Möchten Sie, dass ich Sie dorthin begleite?" Bei dem Gedanken, wieder mit ihr allein zu sein, im engen Halbdunkel zwischen den Bücherregalen, war sei ne Stimme automatisch leiser geworden. Und sie hatte es gemerkt. Sie verharrte kurz und schüttelte hastig den Kopf. "Wenn es Ihnen nichts ausmacht ... könnten Sie mir et was aussuchen und es vor meine Tür legen? Sie werden schon das Richtige finden. Ich vertraue Ihnen." Unwillkürlich hielt Logan den Atem an. Sie vertraute ihm. Was für eine verrückte Aussage angesichts dessen, was ihm gerade durch den Kopf ging. Er würde dieser Lady mehr beibringen müssen als nur die Eigenheiten seiner illustren Gäste und wie man den richtigen Wein auswählte. Sie musste unbedingt lernen, wie man mit Männern und ihren nicht immer ehrenhaften Absichten umging. "Ich lege Ihnen ein oder zwei Bücher vor die Tür", ver sprach er. Und er würde sich selbst auch eins aussuchen. Warum sollte er die Nacht nicht mit Lesen verbringen? Schlaf 41
würde er ohnehin nicht bekommen - und etwas anderes erst recht nicht. Als Rebecca am nächsten Morgen den Speisesaal betrat, fragte sie sich, ob Caroline und Emily nicht doch Recht gehabt hatten. Zu viel Zeit mit einem Mann wie Logan zu verbringen, war tatsächlich gefährlich. Vor einer halben Stunde war sie zwischen aufgeschlagenen Büchern und zerwühlten Laken aufgewacht, nachdem sie im Schlaf immer wieder Logans Stimme gehört hatte. Danach hatte sie kalt geduscht und dachte jetzt, sie wäre gefasst genug, um ihm gegenüberzutreten. Aber sie hatte sich getäuscht. Er erhob sich vom Frühstückstisch, ge schmeidig und kraftvoll zugleich, der Blick aus den goldbraunen Augen atemberaubend. "Die Zeit drängt, liebe Rebecca. Wir kaufen Ihnen jetzt etwas zum Anziehen." Seine sanfte Stimme ließ sie eher an Ausziehen denken. Aber sie musste wachsam bleiben, fit für den neuen Job. "Eine neue Garderobe", erwiderte sie, und ihre Stimme zitterte leicht. Logan lächelte. "Entspannen Sie sich, Rebecca. Nur ein kleiner Ausflug in die Stadt, um Ihnen ..." "Ich kann nicht zulassen, dass Sie mir neue Sachen kaufen." ' Er hob beide Hände. "Aber die gehören nun einmal zum Job. Wir waren uns doch einig. Sie helfen mir aus der Klemme, und ich liefere Ihnen alles, was Sie dazu brauchen." Sie biss sich auf die Unterlippe, öffnete die Augen ganz weit und sah ihn an. "Sicher, aber Sie haben gesagt, Sie würden mir beibringen, was ich wissen muss. Davon, dass Sie mich anziehen, haben Sie nichts gesagt." Sie sah 42
auf den schlichten blauen Rock und die weiße Bluse hin ab. Wieder einmal wollte jemand einen Zauberstab schwingen und sie in jemanden verwandeln, der sie nicht war. Wie ihre Tante und ihr Onkel damals. Wie James. "Was Sie jetzt tragen, ist wunderschön", fuhr er rasch fort. "Unschuldsvoll, und gerade deshalb würden Sie darin Ihren männlichen Kollegen den Kopf verdrehen. Aber Sie sind eine Frau, die viele Stile anziehen kann, Rebec ca. Und für die feierliche Eröffnung brauchen wir etwas anderes, etwas ..." "Eleganteres, ich weiß", unterbrach sie ihn sanft und schob sich das Haar aus dem Gesicht. Sie wusste es wirk lich. Als sie hergekommen war, war ihr klar gewesen, was von ihr erwartet wurde. Es wäre kindisch, gekränkt zu sein, nur weil Logan aus ihr eine perfekte Frau ma chen wollte. Es war nur ein Job, und wie bei vielen Jobs, gab es auch hier ein vorgeschriebenes Outfit. Sie rang sich ein Lächeln ab. "Sie haben natürlich Recht. Dies ist ein Brewster-Hotel, und Ihre Gäste erwarten ein ganz bestimmtes Ambiente. Dazu gehört auch das Personal. Also, gehen wir shoppen, Logan." Sie holte tief Luft und trat vor. Dann lächelte sie in seine Augen. Logan erwiderte es verlegen. Diese Frau ließ sich von ihm neu einkleiden, als wäre sie eine Anziehpuppe, weil sie eine Abmachung getroffen hatte und zu ihrem Wort stand. Äußerlich schön, innerlich stark und edel, eine wirkungsvolle Kombination. Fast zu verlockend, um ihr zu widerstehen. Aber er widerstand. Diese Lady suchte nicht nach ei nem kurzen Abenteuer. Sie suchte Liebe, ein Heim, eine Familie. All die Dinge, die er nicht brauchte und nach 43
denen er sich nie sehnen würde. "Gehen wir", sagte er, ergriff ihre Hand und unter drückte das erregende Gefühl, das die Berührung in ihm auslöste. Er würde es schaffen. Solange sie sich nicht bewegte. Oder atmete. Oder sprach. "Wohin gehen wir?" fragte sie mit ihrer kühlen und ge rade deswegen unglaublich erotischen Stimme. Fast unmerklich schloss seine Hand sich fester um ihre. Er wehrte sich gegen seine Reaktion. "In ein Geschäft hier am Ort. Eins, das ein wenig außerhalb der Norm liegt." "Also nicht mein Lieblings Warenhaus, was?" entgeg nete sie belustigt. Logan entspannte sich etwas und er laubte sich, ihre Nähe zu genießen. "Angelique wäre zutiefst beleidigt, wenn man ihre ein zigartige Boutique mit einem Kaufhaus vergleichen wür de. Aber sie würde mir verzeihen", fügte er lachend hin zu. Die fragliche Lady hatte tatsächlich in einem Kauf haus angefangen und sich dort hochgearbeitet. Er hatte sie kennen gelernt, als sie beide noch auf dem Weg nach oben gewesen waren. Wenig später betraten sie das Geschäft, und Rebecca zuckte mit keiner Wimper, als Angelique erschien. Die Inhaberin war in viele farbenfrohe Tücher gehüllt, die besser zu ihr passten als der falsche französische Akzent. Rebecca lächelte ihr entgegen. "Logan hat mir gesagt, dass Sie mich in eine elegante Frau verwandeln werden." Angelique legte die Stirn in Falten und bedachte Logan mit einem strengen Blick. Er schüttelte den Kopf. "Ich weiß, was du denkst, An gelique. Sie sieht schon elegant aus. Ich möchte nur, dass sie ihre Vorzüge noch mehr zur Geltung bringt", sagte er zu Rebecca gewandt. 44
Angelique lächelte versöhnt. "Das klingt schon besser, du ungehobelter Klotz." Rebecca blinzelte verwirrt, und Logan lachte fröhlich. "Angelique liebt mich", erklärte er. "Solange Sie mich beleidigt, weiß ich, dass ich nicht auf ihrer schwarzen Liste stehe." "Stimmt, du sexy Monster. Jetzt kommen Sie, meine Liebe", sagte sie zu Rebecca. "Nehmen wir erst einmal Ihre Maße." Logan zog eine Augenbraue hoch. "Und du bleibst hier", befahl Angelique ihm. "Ich möchte nicht, dass die Lady zappelig wird, weil du sie anstarrst." Rebeccas Wangen färbten sich zartrosa. "Ich bin sicher, Sie sind nicht deswegen mitgekommen", sagte sie fast entschuldigend. Angelique lachte aus vollem Hals. "Dann kennen Sie ihn nicht. Er ist ein Frauenheld. Selbst die, die das wis sen, bieten sich ihm an wie ein leckeres Dessert. Und wenn Sie glauben, dass er nicht nimmt, was sich ihm bietet, sind Sie noch naiver als Sie aussehen." Rebeccas Augen wurden noch größer, aber Logan wi dersprach seiner Freundin nicht. Dabei war ihr Vorwurf unbegründet. Er suchte sich die Frauen, mit denen er sei ne Zeit verbrachte, sehr sorgfältig aus und hielt sich von naiven und unschuldsvollen Ladys fern. Die Minuten vergingen. Als Rebecca wieder erschien, trug sie ein hautenges eisblaues Kleid mit Spaghettiträ gern, das kurz über ihren hinreißenden Knien endete. Aber offenbar fühlte sie sich darin nicht wohl. "Du bist die Beste, Angelique", sagte er, und die Inha berin nickte stolz. "Das Blau passt genau zu ihren großartigen Augen, und 45
das hier ..." Sie nahm ein weißes Kleid vom Ständer, "...zu ihren Haaren." "O nein", murmelte Rebecca und starrte auf den tief ausgeschnittenen Rücken. "O doch", erwiderte Logan. "Keine andere Frau würde diesem Kleid gerecht werden." Sie legte die Stirn in Falten. Er hob eine Hand und warf Angelique einen Blick zu. Sie nickte und zog sich zurück. "Es ist nicht zu ... offenherzig, Rebecca", sagte er. "Nein. Es ist nur zu teuer. Ich kann nicht zulassen, dass Sie so viel Geld für mich ausgeben." Er legte die Hände an ihre Oberarme und schaute ihr in die Augen. Zu gern hätte er die Gelegenheit genutzt, um über ihre sanfte Haut zu streichen, aber er beherrschte sich. Mit Mühe. "Dieses Kleid ist ... rein geschäftlich, Rebecca. Sonst nichts." Das stimmte. Er ertrug die Versuchung, die sie darstellte, aus gutem Grund. Sie würde in sein Hotel pas sen. Sie würde sich dort wie zu Hause fühlen und dem Eldora Oaks etwas Besonderes verleihen. Sie öffnete den Mund. Um zu protestieren, vermutete er. "Geschäftlich", wiederholte er. "Sie und ich haben ei nen Vertrag." "Es ist schrecklich teuer." Er lachte. "Ich kann es mir leisten. Sie sind eine gute Investition, Lady. Eine sehr gute sogar." Sie sah ihn an. Er hielt ihrem Blick stand und blinzelte nicht einmal, sondern ließ ihre Arme los. "Na gut", gab sie seufzend nach. "Wenn Sie unbedingt Geld ausgeben wollen, um mich in eine perfekte Gastge 46
berin zu verwandeln, beuge ich mich Ihrem Wunsch, Mr. Brewster." Sie vollführte einen tadellosen Hofknicks. Er starrte erst auf ihr schimmerndes Haar, dann dorthin, wo sich der Ansatz ihrer sanft gerundeten Brüste abzeichne te. "Ich werde meinen Vertrag erfüllen", versicherte sie ihm. Rebecca gab sich in Angeliques Hände. Die Designerin hüllte sie in Seide und cremefarbenes Leinen und ver passte ihr genau die richtigen Accessoires. "Und jetzt ..." sagte Angelique, und Logan verstand den Wink. "Nur noch ein paar Kleinigkeiten, Rebecca", flüsterte er. "Ich bin gleich zurück." Dann folgte er Angelique zu einem Tisch. Von dort aus beobachtete er, wie Rebecca durch den Laden ging und sich die eleganten oder schrillen Kleider ansah. Andere Kunden kamen herein oder gingen hinaus. Während er mit Angelique ein paar Sachen aussuchte, registrierte er, wie sich die Atmosphäre in der Boutique geringfügig, aber schlagartig veränderte. Ein leiser Aufschrei, ein eigenartiges Rascheln an ei nem der Kleiderständer, ein kindliches Schluchzen. Plötzlich schnürte sich ihm die Brust zusammen, und der Raum kam ihm viel zu eng vor. Er spürte einen Anflug von Platzangst und das dringende Bedürfnis nach frischer Luft und freiem Himmel, aber er beherrschte sich. Er hatte das hier schon oft erlebt. Das Gefühl, dass das Wei nen eines Kindes die Zeit zurückdrehte. Bis zu seiner Mutter. Verbittert. Zornig. Auf der Suche nach einem Sündenbock. Aber der war er nicht mehr. Nie wieder. Und dies war nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart, und die 47
war gut, sehr gut. "Oje, die Mutter der Kleinen ist in der Umkleidekabi ne", wisperte Angelique, während das Kind zu wimmern begann. "Ich muss sie holen. Ihr Kind hat Angst." Während sie davoneilte, sah Logan, wie Rebecca neben dem Rundständer in die Hocke ging. "Du brauchst nicht zu weinen, meine Kleine. Deine Mommy ist nur ein paar Schritte entfernt. Sie hat dich nicht allein gelassen und möchte nicht, dass du Angst hast. Gleich ist sie wieder bei dir. Wir warten zusammen auf sie", versprach Rebecca dem Mädchen. Zaghaft tauchte ein blonder Kinderschopf zwischen den Kleidern auf. Das Mädchen warf einen Blick auf die braunhaarige Madonna, die ihm aufmunternd zulächelte, und ver schwand wieder hinter einer pinkfarbenen Satinbluse. "Keine Angst", sagte Rebecca. "Ich komme nicht näher. Ich bleibe nur hier draußen, bis deine Mommy wieder hier ist, und passe auf dich auf, damit du dir nicht an ir gendwelchen Sachen wehtust." Logan wusste, dass sie Recht hatte. In Angeliques Bou tique wimmelte es nur so von Dingen, die einem kleinen Kind gefährlich werden konnten. Ohrstecker, die man verschlucken konnte. Broschen mit spitzen Nadeln. Stän der mit Beinen, über die unsichere kurze Beine stolpern konnten. Logan konnte den Blick nicht von ihr losreißen. Sie hockte da, in dem zweiteiligen Kleid aus smaragdgrüner Seide, das sie trug, weil er darauf bestanden hatte. Und ihre Augen leuchteten wie zwei Sterne, als sie das Kind vor ihr betrachtete. Fast tat es ihm weh, als das Mädchen sich endlich aus seinem Versteck traute, weil ihr Lächeln ihm Mut machte. Rebecca Linden. Eine Frau, die eine 48
Familie wollte, mehr, als alles andere. Sie würde sie be kommen. Zweifellos würde sie eines Tages den richtigen Mann finden. Einen Ehemann und Vater für ihre Kinder. "Sie ist wunderschön, nicht wahr?" flüsterte Angelique. "Ja, natürlich", stimmte er zu, während die Mutter in den Verkaufsraum eilte und ihr verängstigtes Kind in die Arme schloss. "Sie wird ... das Oaks aufwerten. Ich habe sie gut aus gesucht, nicht?" Rebecca erhob sich und kam auf sie zu. Auf Beinen, die lang und schlank waren. Und dazu geschaffen, einen Mann unruhig schlafen zu lassen. Angelique verpasste ihm einen Rippenstoß. "Das Oaks aufwerten? Unsinn, Logan. Du bist verrückt nach ihr, das sehe ich dir an." Er sah seine alte Freundin an. "Es ist rein geschäftlich, Angelique." Und falls nicht, würde er es einfach ignorieren. Rebec ca Linden war eine wertvolle Mitarbeiterin, mehr nicht. Und wenn er dazu täglich fünf Mal eiskalt duschen muss te. Rebecca trat an seine Seite, und ihr Lächeln war so ge lassen wie nicht mehr, seit sie die Boutique betreten hat ten. Er fragte sich, was das Kind damit zu tun hatte. "Sie haben das kleine Mädchen beruhigt, Rebecca", sagte Angelique und zeigte auf das Kind, das Rebecca gerade fröhlich zuwinkte. "Sie sollten Babys bekommen. Viele." Rebecca erwiderte Angeliques Lächeln, trotzdem ent ging ihr die Anspannung in Logans Augen nicht. "Danke. Das habe ich vor. Und danke für Ihre Geduld. Ich fürch te, ich bin keine einfache Kundin." 49
"He, das macht doch nichts. Ich wusste, Logan würde Sie schon überreden. Er kann sehr überzeugend sein." Fast gefror Rebecca das Lächeln auf dem Gesicht, aber sie erholte sich rasch. "Das verstehen Sie falsch, Angeli que. Logan und ich haben eine rein geschäftliche Bezie hung. Das hier ..." Sie machte eine ausholende Geste. "... gehört alles zum Job." Die Designerin zuckte mit den Schultern. "Natürlich. Und ich bin froh, dass ich davon profitiere. Er hatte Recht, wissen Sie. Sie sind wunderschön. Ich bin stolz, dass Sie meine Entwürfe tragen. Auch wenn es rein ge schäftlich ist, meine Liebe." Logan ignorierte Angeliques wissenden Blick, während sie versprach, alles ins Hotel liefern zu lassen. Rebecca hatte Recht. Ihre Beziehung war rein geschäftlich. Darüber gab es sogar einen sehr trockenen, aber höchst eindeutigen Vertrag zwischen ihnen.
4. KAPITEL
"Sie glaubt, ich werde mit Ihnen schlafen, nicht wahr?" Sie waren erst ein paar Schritte gegangen, als Rebecca das fragte und dabei die Hand auf Logans Arm legte. Er legte seine Hand über ihre und schaute ihr in die be sorgt blickenden Augen. "Für Angelique dreht sich die Welt nur um Mode und Liebe, aber wir beide sind uns über diese Themen längst einig, Rebecca. Habe ich Recht?" Sie lächelte erleichtert. "Ja, das sind wir. Und welche Frau würde einem Mann widersprechen, der sie in tolle 50
Sachen kleidet und ihr Kost und Logis in einem Luxus hotel bietet?" Logan schüttelte langsam den Kopf, während er sie gründlich musterte. "Bestimmt nicht Sie, Rebecca Lin den." "Nein, ich nicht, Logan Brewster. Schließlich bin ich die Assistentin des neuen Eigentümers und brauche all die Sachen, um meine vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen, nicht wahr?" "Ganz genau, meine Liebe." "Und außerdem brauche ich eine intime Kenntnis des Eldora Oaks, wenn ich den Gästen helfen will, sich bei uns wie zu Hause zu fühlen, stimmt's?" "Vollkommen richtig." "Und wenn die Leute glauben, ich würde mit dem Ei gentümer schlafen, nur weil er ..." "Einen schlechten Ruf hat?" unterbrach er sie. Sie legte die Stirn in Falten. "Als Frauenkenner gilt. Dann werde ich eben beweisen müssen, dass unsere Be ziehung rein beruflich und völlig unpersönlich ist, finden Sie nicht auch? Ich werde eine vorbildliche Mitarbeiterin sein müssen, kühl, sachlich und kompetent." "Dazu ist niemand besser qualifiziert als Sie", erwiderte er. "Das wusste ich sofort, als ich Sie das erste Mal sah." "Na dann, Logan, lassen wir ganz Eldora wissen, dass das Oaks bald eröffnet werden und ein perfekt geführtes Hotel sein wird." Er war nicht sicher, worauf sie hinauswollte. "Sie meinen ...?" Sie ging zum Wagen. "Ich meine, Sie laden mich jetzt zum Essen ein. Nach der langen Anprobe habe ich einen gewaltigen Appetit. Ach, Logan?" schloss sie, als er ihr lächelnd folgte. 51
Er zog die Augenbrauen hoch. "Ja, Rebecca?" "Ich denke, es wäre eine gute Idee, mir alles über das Oaks zu erzählen, was es zu wissen gibt. Wenn ich mei nen Job richtig machen soll, muss ich mich mit der Ge schichte und den Einrichtungen des Hotels bestens aus kennen. Ich will jede Frage beantworten können, die ein Gast mir stellt. Also geben Sie mir die Antworten." Er tat genau das. Sie saßen an einem Fenstertisch im Restaurant Heart of Heaven und demonstrierten der gan zen Stadt, dass ihre Beziehung rein beruflich war. Logan sprach, Rebecca machte sich Notizen. Und als sie wieder auf die Straße traten, wusste sie, was das Eldora Oaks früher gewesen war und was Logan daraus machen woll te. Als er ihr in ihren Wagen half, sah sie ihn an. "So. Ich finde, wir haben es allen gezeigt. Jetzt wird niemand mehr denken, was Angelique dachte. Jeder weiß, dass zwischen uns alles nur geschäftlich ist, nicht wahr?" Lächelnd schloss Logan die Wagentür hinter ihr. "Zweifellos, Rebecca", antwortete er. Aber seine Gedanken gingen in eine vollkommen ande re Richtung, während er den Wagen umrundete. Er hatte Rebecca beim Essen zugesehen, und jedes Mal, wenn sie sich vorbeugte, um eine Frage zu stellen, hatte er faszi niert auf ihre feuchten Lippen gestarrt. Hätte er getan, wonach er sich sehnte, hätte jeder ge wusst, was er längst wusste. Der Wolf in ihm hatte sein Rotkäppchen gefunden, allein durch den Wald wandernd, und jetzt wollte er sie mit nach Hause nehmen, um sie für sich allein zu haben. Stunden später war Rebecca klar, warum Logan eine Assistentin brauchte. Nachdem sie seine Computerdatei 52
en studiert hatte, wusste sie, wie viele Gäste zur Eröff nung erwartet wurden. Leute, die er kannte. Leute, die über ihn gelesen hatten und unbedingt dabei sein wollten. Einheimische, die ein Stück Stadtgeschichte miterleben wollten. Menschen, die ganz einfach nur eine Nacht in einem FirstClass-Hotel verbringen wollten. Während der beiden Eröffnungswochen jagte ein Ereignis das nächste. Keine Frage, ein Job für zwei Personen. Mindestens. Die Dateien enthielten nicht nur Informationen über die Gäste, sondern auch über das einstige und aktuelle Per sonal. Rebecca hatte nicht danach gesucht, wirklich nicht. Doch als Allisons Name auf dem Bildschirm er schien, musste sie einfach genauer hinsehen. "Schwerer Fehler, Linden", flüsterte sie. Die Frau hatte Modelformat, stammte aus guter Familie und hatte die besten Schulen besucht. Intelligent, schön und welterfahren, wäre sie die ideale Partnerin für Logan Brewster gewesen. Sie war die Frau, in die Rebeccas Tante und Onkel sie hatten verwandeln wollen. Die Prinzessin, von der James geträumt hatte. Das Wesen, das Rebecca nie hatte werden wollen. Und jetzt musste sie eine solche Frau vertreten. "Okay, tief durchatmen", befahl Rebecca sich. Sie saß barfuss, in Jeans und weißer Bluse, auf ihrem Bett. "Du schaffst es." Dieses Mal würde sie sich verwandeln lassen. Weil Lo gan sie dafür bezahlte und weil es nicht lange dauern würde. Es war, als würde man unter Wasser die Luft an halten. Außerdem würde sie es schaffen, einen emotionalen Si cherheitsabstand zu Logan einzuhalten. Sicher, allein sein Anblick verursachte ihr Herzklopfen. Aber sich als eine Frau wie sie mit einem Mann wie ihm einzulassen 53
würde ihr nichts als ein gebrochenes Herz einbringen. Er war ein Mann mit anderen Bedürfnissen als ihren. Ein Mann, der wusste, was er wollte. Und sie stand nicht auf seiner Liste. Sie scheute große Gefühle. Der Preis war zu hoch. Und Lust und Liebe hingen einfach zu eng zusammen. Also würde sie sich vorsichtshalber zügeln, sobald sie auch nur den leisesten Anflug von Leidenschaft spürte. "Logan ist ein Mann, bei dem jede Frau versucht ist, die Zügel ein wenig schleifen zu lassen", murmelte sie und stand auf. "Aber kein Problem. Mir wird das nicht passieren. Wenn das hier vorbei ist, werde ich mir einen Mann suchen, der zu mir passt, der ein Heim und eine Familie will. Bei dem es kein plötzliches ungestümes Verlangen gibt. Keinen erschreckenden Wunsch, mit ihm in den Wald zu rennen und ihm die Kleider vom Leib zu reißen. Vielleicht gibt es bei der Jobbörse auch noch An gebote für Juli und August. Wer weiß? Vielleicht begegne ich dann dem Richtigen. Alles wird gut werden. Bleib ruhig, du wirst es schaffen." Ihre Worte beruhigten sie. Ein wenig jedenfalls. Jetzt brauchte sie nur noch zu beweisen, dass sie die Lady sein konnte, die Logan an seiner Seite haben wollte. Dieses Hotel war sein zehntes und das, in dem für ihn alles an gefangen hatte. Die Eröffnung bedeutete ihm sehr viel, und sie würde ihr Bestes geben. Also ging sie an den Schrank und wählte ein cremefarbenes Kleid mit Gürtel und tiefem V-Ausschnitt. Dazu trug sie eine schlichte Goldkette und kleine goldene Creolen. Die Frau, die ihr aus dem Spiegel entgegenstarrte, pass te zu dem Job, das musste sie zugeben. Ihre Erscheinung hatte ihr in all den Jahren nur Probleme bereitet. Ihre 54
Angehörigen hatten sie für eine Frau ohne Gefühle gehal ten. Eine Frau, der es nichts ausmachte, wenn man hinter ihrem Rücken über sie tuschelte. Die es nicht störte, dass man ihr die Klasse absprach. In der James die schlafende Prinzessin sehen konnte, die er nur wach zu küssen brauchte. Und fast jeder Mann eine Herausforderung. Wie versprochen wartete Logan im Garten auf sie. Der schwarze Anzug und das weiße Hemd ließen ihn ein we nig streng wirken, doch als er sie anlächelte, war sein Blick warm und bewundernd. "Sie sehen wunderschön aus, Rebecca." Die Sommerhitze und der Duft der Rosen verbanden sich mit dem eindringlichen Ausdruck seiner Augen zu etwas, das sie unwillkürlich den Atem anhalten ließ. Trotzdem rang sie sich ein unbeschwertes Lächeln ab. "Danke. Ich dachte mir, wir könnten ein kleines Rol lenspiel probieren, um zu sehen, ob ich mich an jeden einzelnen Gast erinnere", schlug sie vor. "Lernen Sie so die Namen Ihrer Schüler?" Sie lachte. "Manche merke ich mir nur, weil sie etwas angestellt haben. Andere sind einfach so liebenswert, dass ihre Namen sich mir von selbst einprägen. Einige erfordern richtig Mühe, bis ich sie kenne. Aber es lohnt sich immer, denn Kinder freuen sich, wenn sie Beachtung finden." Sie sah Logan an. Sein Blick war ausdruckslos gewor den. "Das glaube ich Ihnen gern", sagte er. "Ich bin sicher, Sie geben ihnen das Gefühl, beachtet zu werden." Er war ein Mann, dem es unangenehm war, über Kin der zu reden. Wie hatte sie das vergessen können? "Sie wollten mir das Hotel zeigen", wechselte sie hastig das Thema. 55
"Wo fangen wir an?" "Vielleicht unten", erwiderte er. "In den wichtigsten Räumen. Bisher habe ich Ihnen ja nur den Speisesaal und die Halle gezeigt." Also legte sie die Hand auf seinen Arm und ließ sich durch einen luftigen Wintergarten voller Pflanzen und gemütlicher Sitzecken führen. Sie folgte ihm durch die Hotelküchen, wo er sie mit den wenigen Mitarbeitern bekannt machte, die ihre Stelle im Eldora Oaks schon angetreten hatten. "Hallo, Jarvis", begrüßte er den Chefkoch. "Das ist meine neue Assistentin. Sie isst für ihr Leben gern." Rebecca errötete. "Stimmt, und alles, was mir hier ser viert wurde, schmeckte großartig." Lächelnd schüttelte der Mann den Kopf. "Es muss noch besser werden", gestand er. "Sie sind wunderschön, aber viel zu schlank. Morgen bereite ich Ihnen etwas ganz Besonderes zu, Ms. Linden." "Rebecca", verbesserte sie. "Mit der Schokoladentorte, die es gestern Abend gab, haben Sie mein Herz schon erobert." Sie strahlte ihn an. Seine Augen leuchteten auf. "Für Sie zu kochen wird mir ein Vergnügen sein, Rebecca." Er küsste ihre Finger. "Morgen gibt es für Sie meine ganz persönliche Überra schung." "Oh, meine kluge und charmante Lady", sagte Logan leise, als sie weitergingen. "Ab jetzt wird Jarvis den Mond und die Sterne vom Himmel holen und sie für Sie zu einem köstlichen Gericht verarbeiten, wenn Sie ihn darum bitten." "Sie haben ihm doch gesagt, dass ich gern esse", ent gegnete sie lachend. 56
Er schüttelte den Kopf. "Nur dass Sie seine Kochkünste zu schätzen wissen. Aber er hat Recht. Sie haben die Fi gur einer Elfe, und ich freue mich darauf, Ihnen beim Essen zuzusehen." Seine leise Stimme ging ihr unter die Haut, und Rebec ca musste sich beherrschen, um ihre Atemlosigkeit nicht mit tiefen Atemzügen zu bekämpfen. Das wäre allzu ver räterisch gewesen. Sie musste kühl und sachlich wirken und in Logan nicht mehr sehen als einen der vielen Gäs te, die bald eintreffen würden. Die, über die sie noch mehr wissen musste. "Okay, nehmen wir mal an, Sie sind Gerald Vanna. Ich weiß, dass Sie gern Poolbillard spielen. Und zufällig ha ben wir hier im Oaks einen sehr guten Tisch. Bitte erlau ben Sie mir, Sie dorthin zu begleiten." "Ein guter Billardtisch und eine hübsche Frau? Welcher Mann könnte eine solche Einladung ablehnen?" schlüpfte Logan in die Rolle des Gastes. „Spielen Sie Billard, Ms. Linden?" Sie lächelte höflich. "Nicht sehr oft und zuletzt vor Jah ren", gab sie zu. "Sie werden meine Regelkenntnisse ein wenig auffrischen müssen. Hier entlang, bitte." Auf dem Weg zum Spielzimmer unterhielten sie sich angeregt, und als sie davor ankamen, öffnete Logan ihr die Tür. Innen duftete es nach dem dunkelgrünen Leder und rotbraunen Holz der Möbel. Auf der Bar in der Ecke funkelte edles Kristall. Und natürlich gab es auch einen Billardtisch der Spitzenklasse. Der Raum war groß, aber einladend, und plötzlich wur de Rebecca bewusst, dass sie mit Logan allein war. Dennoch lächelte sie und wählte ein Queue. "Sollen wir spielen, Mr. Vanna?" 57
Logan zog eine Braue hoch und folgte ihr. "Sind Sie si cher, dass es Jahre her ist. Ms. Linden?" "Ein paar. Und mich einfach nur gewinnen zu lassen wäre doch langweilig, nicht wahr? Außerdem kenne ich Ihren Ruf bei diesem Spiel." Logan schmunzelte. "Rebecca, wenn Sie ihn so anse hen, wird er glauben, dass Sie von etwas anderem als Billard sprechen." Sie blinzelte. "Das habe ich ... ganz bestimmt nicht." "Ich weiß. Und jeder andere Mann wüsste das auch, a ber Gerald Vanna hält sich für unwiderstehlich. Das steht nicht in meiner Gästedatei. Vielleicht sollte ich es auf nehmen, um mein weibliches Personal zu warnen." "Nun ja, dann werde ich ihm eben beweisen, dass ich nur am Billard interessiert bin, nicht wahr?" entgegnete sie und straffte die Schultern. Sie nahm ihr Queue und machte den ersten Stoß. Die Kugeln sausten auseinander und zwei davon landeten in den Taschen. Logan beobachtete Rebecca interessiert. Dass diese La dy nicht zum ersten Mal ein Queue in den Händen hielt, war klar. Sie hatte Talent, und das Spiel machte ihr Spaß. Als sie die nächste Kugel versenkte, fiel sie aus der Rolle der kühlen, eleganten Gastgeberin und strahlte übers ganze Gesicht. Er spielte auch. Recht gut sogar. Aber meistens genoss er Rebeccas Anblick. Sie versenkte die letzte Kugel, stützte sich auf das Queue und zwinkerte ihm zu. "Eins zu null für mich, Mr. Vanna." Ihre Lippen glänzten fast so sehr wie ihre Augen, und eine Strähne hatte sich aus dem goldenen Clip befreit. Er konnte nicht anders. Langsam trat er vor, legte eine 58
Hand in ihren Nacken und senkte den Mund auf ihren. "Sie haben gewonnen, Rebecca", flüsterte er und küsste sie ein zweites Mal. Heftiger, leidenschaftlicher. Dann ließ er die Hand über ihren Rücken gleiten und presste sie an sich, um zu schmecken, was er schmecken wollte, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Sie schrie leise auf, bevor sie seufzte und den Mund öffnete. Sie lehnte sich nach vorn, die Hände an seiner Brust. Ihr Körper erbebte, als sie sich an ihn schmiegte und den Kuss erwiderte. Sie standen neben dem Billardtisch. Er hätte sie einfach anheben, auf den Tisch legen und nehmen können. Hier und jetzt. Und es wäre ein Verbrechen an dieser Lady, gestand er sich ein, während sein Verlangen so schnell gefror, wie es entflammt war. Langsam lockerte er seinen Griff und beschränkte sich nur noch darauf, sie zu stüt zen. Er wollte nicht, dass eine Frau etwas von ihm erwarte te, was er nicht geben konnte. Außerdem stand er nicht auf unschuldsvolle Frauen mit großen Augen. Selbst dann nicht, wenn sie verdammt gut Billard spielten und hinreißend aussahen. Fast schwankend stand sie vor ihm und starrte ihn an, wie unter Schock, als wäre sie noch nie geküsst worden. Er sah sie, wie sie um Fassung rang. "Gut, dass du nicht Gerald Vanna bist", sagte sie schließlich und lächelte matt. "Dazu hätte vermutlich nicht einmal Gerald sich hinrei ßen lassen. Ich bitte um Entschuldigung, Rebecca." Sie schüttelte den Kopf. "Du hast... mir doch nur zum Sieg gratuliert", half sie ihm aus der Verlegenheit. "Ich habe dich bedrängt und mir etwas genommen, was 59
du mir nicht angeboten hast", widersprach er. "Das ist nicht meine Art. Es wird nicht wieder vorkommen." Sie presste die Hände an ihre Seiten, als müsste sie sich selbst Halt geben. "Vielleicht sollten wir beide nicht mehr Billard spielen." Er runzelte die Stirn. "Vielleicht sollten wir beide zehn Meilen Mindestabstand halten, Rebecca. Aber das lässt sich nicht einrichten, also werde ich ab jetzt... vorsichti ger sein." "Ich auch", versprach sie. "Das müsste funktionieren, oder? Schließlich kann nichts passieren, wenn wir es nicht wollen." Und das, dachte er später, ist genau das Problem. Er hatte ja gewollt, dass etwas passierte. Aber nicht jeder Wunsch konnte in Erfüllung gehen. Das hatte er früh gelernt. Als Kind, das sich nach einer Mutter sehnte, von der es Umarmungen statt Ohrfeigen bekam. Als Junge auf der Straße, der Nähe suchte, aber Freiheit brauchte. Es war höchste Zeit, sich an diese Lektionen zu erinnern. Er würde Rebecca nicht mehr berühren. Er würde auf hören, sie zu begehren. Und er würde es schaffen. Es würde hart werden, aber er musste es tun. Denn eine Frau, die den biederen ame rikanischen Traum von Heim, Herd und Familie träumte, war nichts für ihn.
5. KAPITEL
Die Lady ist unglaublich, befand Logan zwei Tage spä 60
ter. Bis spät in die Nacht lernte sie alles, was es über Ho telmanagement zu lernen gab. Am Tag schaute sie ihren Kollegen über die Schulter und ging immer wieder die Pläne durch, die Allison gemacht hatte. Jedes Mal, wenn er sich umdrehte, sah er ihren süßen kleinen Po umherhu schen. Und er hörte ihre leise, melodische Stimme, wenn sie die nächste von unzähligen Fragen stellte und Ordnung ins Chaos brachte. "Du solltest dankbar sein, Brewster", knurrte er und fuhr sich durch das dichte Haar. Das war er. Dieses Hotel bewies, welchen Weg er hin ter sich hatte. Rebecca war genau die Mitarbeiterin, die er gesucht hatte. Sie kümmerte sich auch um die Kollegen, die hin ter den Kulissen arbeiteten, und die Begeisterung, mit der sie an ihre Aufgabe ging, war ansteckend. In sechs Tagen war die Eröffnung, und ohne sie wären die unvermeidli chen Pannen nicht zu meistern gewesen. Eigentlich hätte er ihr Blumen streuen müssen, doch er hielt sich von ihr fern. Aus Angst, die Beherrschung zu verlieren und sie wieder zu berühren. Also beschränkte er sich darauf, Jarvis zu fragen, ob sie genug aß. Und Pete, den Fitnesstrainer, ob sie oft genug bei ihm im Studio auftauchte. Was er hörte, stimmte ihn nicht froh. Rebecca sorgte sich um sein Hotel, aber er sorgte sich nicht genug um sie. Das musste sich ändern. Wie schnell, wurde ihm klar, als er einer blassen jungen Frau begegnete, die ihm auf dem Korridor langsam ent gegenkam. Es war eins der Zimmermädchen, die erst in der letzten Woche im Oaks angefangen hatten. "Terry? Geht es Ihnen gut?" 61
Sie nickte. "Ich habe Sie gesucht, Mr. Brewster. Ich fühle mich ein wenig unwohl. Ich dachte, ich könnte trotzdem arbeiten, aber als ich gerade Ms. Lindens Bett machte, wurde mir schwindlig. Ich dachte, ich falle in Ohnmacht. Sie hat gesagt, ich soll mich ein wenig hinle gen und dann nach Hause gehen." Verlegen senkte sie den Blick. "Dabei bin ich doch erst eine Woche hier." Logan runzelte die Stirn. "Wenn Sie krank sind, gehö ren Sie nach Hause und ins Bett. Ich werde jemanden bitten, Ihre Familie anzurufen und Sie heimzufahren. Und machen Sie sich wegen Ihrer Arbeit keine Sorgen. Die wird schon gemacht. Gleich morgen werde ich eine Aushilfe einstellen. Ms. Linden macht es bestimmt nichts aus, noch eine Weile auf ihr gemachtes Bett zu warten." Die junge Frau wurde noch blasser. "Das ist es ja, Mr. Brewster. Sie hat mir gesagt, ich soll mir keine Gedanken machen, aber ich habe das Gefühl, dass sie ihr Zimmer selbst aufräumen will. Das geht doch nicht, Mr. Brewster. Sie kann doch nicht meine Arbeit für mich machen." Doch, genau das kann sie, dachte Logan. Es wäre ty pisch Rebecca. Er lächelte dem Zimmermädchen auf munternd zu. "Machen Sie sich deswegen keine Sorgen, Terry. Sie fahren jetzt nach Hause und ruhen sich aus. Ich werde Dave bitten, mit einem Wagen vor dem Eingang auf Sie zu warten." Außerdem würde er nachsehen, was Rebecca gerade tat. Als er Minuten später vor ihrem Zimmer auftauchte, fuhr sie gerade mit einem Staubwedel über die Kommo de, in enger abgeschnittener Jeans und einem alten roten T-Shirt. Sie summte vor sich hin, und der perfekt geform 62
te Po bewegte sich zur selbst gemachten Musik. Die Tür stand offen, und der Wagen des Zimmermäd chens stand davor. Als er schmunzelte, wirbelte sie herum. Bevor sie etwas sagen konnte, hob er eine Hand. "Terry hat mir schon alles erzählt, Rebecca. Aber du brauchst sie doch nicht selbst zu vertreten. Es gibt noch andere Zim mermädchen. Leg sofort den Staubwedel hin." Sie tat es nicht. "Ich wäre mir wie eine Primadonna vorgekommen, wenn ich herumgesessen und darauf ge wartet hätte, dass jemand mein Zimmer aufräumt. Das hier ist kein Problem für mich. Zu Hause mache ich doch auch allein sauber. Manchmal macht es sogar Spaß. Man kann dabei gut nachdenken." "Worüber?" Seine beiläufige Frage traf sie unerwartet. Ruckartig hob sie das Kinn, und ihre Wangen flammten auf. Ob sie an den Kuss gedacht hatte? Wie er immer wieder? Oder an etwas aus ihrer Vergan genheit, das ihn absolut nichts anging? Einen peinlichen Moment. Ihre geheimsten Wünsche. Einen anderen Mann. Hastig verdrängte er den Gedanken, doch er ließ ein unangenehmes Gefühl zurück. Am liebsten hätte er die Flucht ergriffen. Aber wenn er jetzt ging, würde er sie wahrscheinlich irgendwann dabei ertappen, wie sie den Marmorboden in der Eingangshalle bohnerte. "Komm schon", sagte er und streckte die Hand aus. Ihre Augen wurden groß. Sie starrte auf seine Hand, als würde er sie gleich an sich ziehen und küssen. Natürlich hätte er das gern getan, aber er beherrschte sich. "Kommst du?" 63
"Wohin?" fragte sie. Die Anspannung in ihrer Stimme ließ ihn lächeln. "Nicht in meinen Harem, Rebecca. Jedenfalls nicht heute. Ich habe ein kleines Problem. Meine Assistentin scheint sich nicht genug Pausen zu gönnen." "In meinem Vertrag sind keine Pausen vorgeschrie ben." Er zog die Augenbrauen hoch. "Deshalb bitte ich dich ja jetzt, welche zu machen." "Das Hotel eröffnet in sechs Tagen, Logan. Und ich bin ... ziemlich nervös. Ich bin Schulsekretärin und habe we der die Erfahrung noch die natürliche Begabung für die sen Job hier. Ich werde mir die größte Mühe geben und alles tun, um die Eröffnung zu einem Erfolg zu machen. Und wenn ich dazu für ein erkranktes Zimmermädchen einspringen muss, tue ich das eben. Ich kann es mir nicht leisten, über eine Blumenwiese zu tanzen." Sie sah so ruhig aus wie immer, aber ihre Finger taste ten über den Hals, und ihre Stimme klang gestresst. An statt ihr zu helfen, hatte er sich rar gemacht, weil er sei ner Selbstkontrolle nicht traute. Damit war jetzt Schluss. "Komm schon", wiederholte er. "Du wirst perfekt sein, Rebecca. Du hast schon jetzt Wunder vollbracht. Alles läuft hervorragend, besser als anderswo, glaub mir. Das Personal ist zufrieden und lässt keine Hektik aufkommen. Du erfüllst sämtliche Erwartungen. Nein, du übertriffst sie sogar. Also komm jetzt und gönn dir eine Pause." Ihre Wangen röteten sich immer mehr, und sie zitterte ein wenig. "Ich habe hier einen Job, Logan", sagte sie leise. "Bitte, lass mich ihn machen." Sie drehte sich um und begann, den Tisch abzuwischen. Okay, dann musste er es eben anders probieren. "Na 64
gut", gab er nach. "Also keine Pause. Aber ich muss dich trotzdem aus dem Hotel schleifen. Der Pianist, den Allison für das Konzert am Freitag engagiert hat, musste absagen. Ich treffe mich nachher in der Stadt mit einem gewissen Mr. Grady Barron, der für Ersatz sorgen soll. Ich hoffe, du kennst dich mit einheimischen Künstlern aus." Eigentlich hatte er das allein erledigen wollen, aber er durfte sie nicht hier zurücklassen. Sie würde sich zu Tode schuften. "Kennst du welche?" fragte er. "Ich kenne Grady." Lächelnd nahm er ihre Hand. "Worauf warten wir noch?" Als er sie berührte, sah er an ihrem Hals, wie ihr Puls schneller schlug. Der Wunsch, ihre zarte Haut an den Lippen zu spüren, wurde fast übermächtig. Sie brachte ein schwaches Lächeln hervor und zog die Hand aus seiner. "Ich möchte nur noch rasch das Zimmer fertig machen." "Ich helfe dir beim Bett", bot er an und griff nach dem zerwühlten Laken. "Das kann ich allein." Er senkte den Blick, ignorierte ihre Antwort und strich das Laken glatt. Plötzlich ging ihm auf, dass er genau die Stelle berührte, auf der diese Lady in der Nacht zuvor gelegen hatte. Ihr Körper ... und etwa hier mussten die Hüften gewesen sein ... die Brüste, die langen Beine. Logan hob den Kopf und schaute in ihre besorgt bli ckenden Augen, als sie die Decke über die Stelle zog, auf die er so gedankenverloren gestarrt hatte. Hastig kehrte er in die Gegenwart zurück und stopfte das Laken fest. 65
Verblüfft zog sie eine Braue hoch. "Ich kenne sämtliche Aufgaben, für die ich Leute ein stelle", erklärte er. "Ich habe in meinem Leben schon viele Betten gemacht." Sie nickte. "Du hast mir erzählt, wie sehr du ein be quemes Bett zu schätzen weißt." Er schmunzelte. "Wir machen das Bett doch nur, Re becca, wir benutzen es nicht. Ich habe nicht vor, dich aufs Laken zu werfen. Schon gar nicht, wenn die Tür offen ist." Sie sah ihn an und spitzte die Lippen. "Nein? Das wür de doch dem Ruf deines Hotels das gewisse Etwas ver leihen. Du könntest damit werben, dass du deine Gäste betten auf jede erdenkliche Weise getestet hast." "Du bist eine gefährliche Frau, Rebecca." "Und eine ordentliche", erwiderte sie und strich das Laken glatt. "Natalie wird ihre Überstunden gut bezahlt bekommen. Wahrscheinlich ist sie bereits hierher unterwegs." Rebeccas Augen wurden noch größer. "Ich muss mich umziehen", sagte sie. "Dann fahren wir zum Musikgeschäft, wenn es unbedingt sein muss." "Ich gebe dir zehn Minuten. Und wenn du auf die Idee kommst, auch noch das Badezimmer zu putzen, trage ich dich eigenhändig zum Wagen. Ich habe dich nicht als Zimmermädchen eingestellt, Rebecca. Natalie braucht diese Arbeit und den Zusatzverdienst. Sie muss drei Kinder ernähren." Sofort tat ihm Leid, was er gesagt hatte. Die Lady sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Er wuss te, was sie dachte, und zerwühlte mit wenigen Handgrif fen das frisch gemachte Bett. "Zufrieden?" 66
"Du willst sie für eine Arbeit bezahlen, die längst erle digt ist?" fragte sie ungläubig. "Zieh dich um", entgegnete er. "Wenn wir zurückkom men, wird hier alles wieder seinen normalen Gang gehen. Natalie und Terry haben keinen Grund, sich Sorgen zu machen." Und er? Hatte er Grund zur Sorge? Rebecca Linden raubte ihm nicht nur den Verstand, sondern auch den Schlaf. Der Wolf in ihm begehrte sie wie noch keine Frau zuvor. Er sehnte sich nach ihrem Körper, ihrer Schönheit, ihrem Duft... und mehr. Das Verlangen wurde langsam unerträglich. Aber er würde sie nicht bekommen. Die Lady würde dieses Hotel so unberührt verlassen, wie sie es betreten hatte. Als sie eine Stunde später Barron's Music Shoppe verließen, war Rebecca froh, dass Logan sie mitgenommen hatte. Ihr war nicht entgangen, dass er einige Blocks entfernt geparkt, mit ihr durch den Park spaziert und sie zu einem erfrischenden Drink eingeladen hatte. Ihr Wohlergehen war ihm wichtig. Wie das all seiner Mitarbeiter. Sie wusste, dass er sich nach ihr erkundigt hatte und dafür sorgen wollte, dass sie sich nicht zu Tode arbeitete. Sie war ihm dankbar dafür. Doch das war nicht der einzige Grund, aus dem sie sich freute, dass er mit ihr in die Stadt gefahren war. Der Hauptgrund war, dass sie das Eldora Oaks liebte. Das Hotel erschien ihr wie eine Märchenwelt, in dem alles passieren konnte, in dem man gegen sämtliche Re geln verstoßen konnte, ohne negative Folgen befürchten zu müssen. Dort konnte sie vergessen, wer und was sie wirklich war. Aber hier draußen, in der Realität, wusste sie es nur zu gut. Was Logan anging, musste sie auf dem Boden der Tatsachen bleiben. 67
Er war reich und weltmännisch. In seinem Leben gab es sicher viele Allisons. Frauen, die von Natur aus hinein passten. Frauen, die sich nicht verändern oder angepasst werden mussten. Das alles war ihr klar, aber als sie vor hin mit ihm an dem Bett stand, hatte sie fast ihren Sinn für die Realität verloren. Sie hatte seine Lippen wieder auf ihrer Haut spüren wollen. Die Erinnerung ließ sie frösteln. Hastig hob sie den Blick und hoffte, dass Logan es nicht bemerkt hatte. "Mal sehen, ob ich alles richtig verstanden habe", sagte er, während hinter ihnen noch die Glocke an der Laden tür läutete. "Alles, was wir wollten, war ein neuer Pianist für die Eröffnung. Aber jetzt haben wir eine Harfenistin, ein Streichquartett, eine Gruppe irischer Stepptänzer, eine komplette Gauklertruppe und einen Dudelsackpfei fer?" Rebecca lächelte verlegen. "Findest du, ich habe über trieben?" "Keineswegs. Ich finde deine Idee, überall auf dem Ge lände etwas stattfinden zu lassen, einfach großartig." Er machte eine Kopfbewegung zum Geschäft hinüber. "Und du bist sicher, dass dieser Grady uns nur gute Leute be sorgt?" "Du nicht? Du hast doch den Termin mit ihm verein bart." Er nickte. "Stimmt, aber dir vertraue ich mehr. Dich kenne ich besser als ihn." Dabei kannte er sie fast gar nicht. Rebecca fragte sich, wie viele Menschen im Lauf der Jahre in Logans Leben geschneit waren. Und wieder hinaus. Er war ein reicher Nomade, und sie hatte das Gefühl, dass er keine dauer haften Bindungen zuließ. "Grady weiß, wovon er spricht", sagte sie. "Er lebt für 68
die Musik." "Also kennst du ihn gut." Seine Stimme klang ein we nig gereizt. Sie zuckte mit den Schultern. "Ich habe ihn kennen ge lernt, als die Schule ein neues Klavier für den Musikraum brauchte. Er hat mich ertappt, als ich nach Feierabend an dem Piano übte, das seit Jahrzehnten bei uns stand." Es war ihr peinlich gewesen. Ihre Tante hatte sie als völlig unbegabt bezeichnet, aber sie liebte die Musik noch im mer. "Grady hat mich nicht ausgelacht. Im Gegenteil, er lädt mich manchmal auf einen Tee zu sich ein und lässt mich auf seinem alten Flügel spielen. Er wird uns nur die Besten schicken, Logan." Er antwortete nicht, sondern runzelte die Stirn. "Was ist los, Logan? Grady weiß, was er tut. Wirklich." Er legte zwei Finger auf ihre Lippen. "Alles in Ord nung, Rebecca. Ich vertraue dir und Grady voll und ganz. Ich dachte nur ... Warum hast du mir nicht erzählt, wie sehr du Musik liebst? Ich weiß, dass du gern singst. Ich habe dich gehört. Aber das Klavier in der Eingangshalle hast du nicht angerührt. Ich versichere dir, es ist ein gutes Instrument." Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, und fühl te seine Finger auf ihrer Haut. Verlangen stieg in ihr auf, warm und unaufhaltsam. Als er die Hand zurückzog, wollte sie ihr mit den Lip pen folgen und ihn bitten, sie wieder zu berühren. Aber sie zwang sich, den Wunsch zu unterdrücken. "Falls du es noch nicht bemerkt hast, Logan, das ist ein Konzertflügel." Er legte den Kopf schief. "Na und?" "Ich klimpere auf dem Klavier herum. An ein Instru ment wie deines traue ich mich nicht heran." 69
Und sie traute sich auch nicht an ihn heran. An seinen atemberaubenden Körper. Er war für sie ebenso tabu wie die Tasten des edlen Instruments. Einatmen, ausatmen, befahl sie sich. Okay, dachte sie, es geht wieder. "Der Flügel steht da, damit auf ihm gespielt wird, Re becca. So oft steigen bei uns keine Konzertpianisten ab. Bitte, erweise mir die Ehre, ihn zu benutzen." Sie legte die Stirn in äußerst anmutige Falten. Er beugte sich zu ihr, bis seine Lippen fast ihr Ohr be rührten. "Es wird dich entspannen", flüsterte er, und sein warmer Atem strich über ihren Hals. "Du kannst dabei nachdenken, ohne für die Zimmermädchen einzusprin gen." Sie wich zurück. "Davon steht nichts in meinem Ver trag." "Ich habe ihn gerade um eine Übungsstunde pro Tag erweitert. Wer weiß, wann der nächste Künstler absagt und ich einen Ersatz brauche?" "Darfst du das?" "Ich bin dein Arbeitgeber und tue nichts Verbotenes." Da täuschte er sich. Gewaltig. Allein sein Lächeln ge hörte verboten. "Okay, ich werde üben", gab sie nach. "Aber du solltest beten, dass ich nie vor Gästen auftreten muss." Spätes tens dann würde er einsehen, dass ihr jegliches Talent fehlte. Und ihr wurde bewusst, dass sie ihn nicht enttäu schen wollte. Ihr Job war ihr wichtig, und sie wollte eine gute Leistung abliefern. Ob sie als Frau einem Mann ge fiel, war ihr egal. Jetzt erst recht. "Danke, Rebecca. Und bitte sieh mich nicht an, als hät te ich dich gebeten, für mich zum Zahnarzt zu gehen. Ich möchte nur, dass du dich hin und wieder etwas ausruhst. Ich will dich nicht zwingen, Klavier zu spielen." 70
Logan ließ sie nicht aus den Augen und war froh, dass sie nicht mehr wie ein in die Enge getriebenes Reh wirk te. Verdammt, er hatte ihr doch nur einen Gefallen tun wollen. Rebecca nahm ihre Arbeit ernst. Zu ernst, und das hätte er nicht vergessen dürfen. "Du bist der Chef", flüsterte sie. "Und zwar ein sehr gu ter. Du kümmerst dich um deine Leute, und sie schätzen sich glücklich, für dich arbeiten zu dürfen. Obwohl ein Hotel wie dieses viel Personal hat, kennst du jeden mit Namen. Es gibt nicht viele Arbeitgeber, die sich die Mü he machen." "Das ist nichts Besonderes, Rebecca. Jeder meiner Mit arbeiter ist wichtig und einzigartig und verdient meine Fürsorge und meinen Respekt. Der Name gehört zur I dentität eines Menschen, und eher fällt in den Tropen Schnee, als dass ich zu jemandem Sie da sage." Erst als er ihren fragenden Blick bemerkte, wurde ihm klar, was für einen Fehler er gerade begangen hatte. Er hatte zu viel von sich selbst offenbart. Diese Lady besaß Einfühlungsvermögen und Menschenkenntnis, und ihre Sanftheit hatte ihn unvorsichtig gemacht. Jetzt war es an der Zeit, wieder auf Distanz zu gehen und sachlicher zu werden. Er rang sich ein Lächeln ab. "Ich lade dich zum Essen ein, bevor wir ins Oaks zurückkehren." "Wenn du darauf bestehst", sagte sie nur. Erleichtert setzte er sich in Bewegung, kam jedoch nicht weit. Schon nach wenigen Schritten begegneten sie drei von Rebeccas Schützlingen, zwei Jungen, zehn oder elf Jahre alt, und einem kleinem Mädchen, das selbst für die Vorschule zu jung war. Sie drängten sich um sie, und Logan trat automatisch einen Schritt zurück. "He, Ms. Linden, ist es wirklich so cool, in einem Hotel 71
zu wohnen? Meine Mom sagt, Sie haben Glück, dass Sie jetzt schon sehen können, was aus dem alten Eldora Oaks geworden ist." Rebecca lächelte zu dem dunkelhaarigen Jungen hinun ter. "Sogar noch besser als cool, Kyle. Der Swimming pool ist gigantisch, und ich habe ihn ganz für mich al lein." "Wow! Hast du das gehört, Mindy?" sagte er zu dem kleinen Mädchen, das sich an die Hand des anderen Jun gen klammerte. "Ein ganzer Pool für einen allein." Ehrfürchtig schaute er zu Rebecca hinauf. Sie hockte sich vor das blonde Mädchen. "Und wie geht es dir, Min dy?" Mit großen Augen griff das Kind nach Rebeccas Hals kette. "Nicht, Mindy", befahl der Junge neben ihr. "Schon gut, Jack", sagte Rebecca leise und strahlte über das ganze Gesicht. "Deine kleine Schwester will sie sich doch nur ansehen. Nicht wahr, mein Engel?" fragte sie lächelnd, und so fort schlang die Kleine ihre Arme um Rebeccas Hals. Logan musterte sie unauffällig. Er ließ es sich nicht anmerken, aber ihr Anblick ging ihm ans Herz. Die Lady war in ihrem Element und freute sich ehrlich, die Kinder zu sehen. Das ließ ihn an seine Vergangenheit denken. An Kinder, die noch nie von einem Erwachsenen so herz lich begrüßt worden waren. Aber die Erwachsenen, die er gekannt hatte, waren nicht wie Rebecca gewesen. Sie wiegte die Kleine in ih ren Armen und schaute die beiden Jungen immer wieder an, damit sie sich nicht ausgeschlossen fühlten. Plötzlich warf sie auch Logan einen Blick zu, und er 72
wusste, dass sie auch ihn mit einbeziehen wollte. Dabei wäre er am liebsten davongelaufen. Kaum merklich schüttelte er den Kopf. Sie nickte ihm ebenso diskret zu und wich zurück, um ihm den Raum zu geben, den er brauchte. "Und wie läuft's bei dir, Jack?" "Gut", erwiderte er mit einer verlegenen Handbewe gung. "Aber ich muss zur Sommerschule. Miese Mathe zensur." "Aber du hast hart gearbeitet", tröstete sie ihn, während sie das kleine Mädchen behutsam absetzte. "Ms. Hartman hat mir die Zeichnungen gezeigt, die du bei eurem Aus flug ins Naturkundemuseum gemacht hat. Sie waren sehr schön, Jack." Der Junge strahlte, und Logan wandte den Blick ab. "Ich mache Ihnen auch welche", versprach Jack. "Da freue ich mich aber. Das Bild von dem Hündchen, das du mir gemalt hast, hängt in einem Rahmen neben der Haustür, damit ich es immer gleich sehe, wenn ich heimkomme." "Nicht am Kühlschrank?" Sie zwinkerte ihm zu. "Da kleben die anderen. Du malst viel, weißt du?" Er lachte und wirkte plötzlich unbeschwert. Dann be merkte er Logan und zog die Augenbrauen zusammen. "Ist das Ihr Chef?" Logan zwang sich, einen Schritt auf die kleine Gruppe zu zu machen. "Ich bin Logan Brewster." "Er ist ein guter Mann, Jack", sagte Rebecca rasch, und Logan wusste sofort, dass der Junge ihr nicht recht glaub te. "Mein Dad sagt, dass Sie reich sind und dass reiche 73
Leute denken, sie können tun, was sie wollen. Aber Sie ... dürfen nicht gemein zu ihr sein", platzte Jack heraus und senkte verängstigt den Kopf. Das war etwas, das Logan nur zu gut kannte, und der Wunsch, einfach da vonzugehen, wurde immer stärker. Aber er wehrte sich dagegen. "Jack", begann Rebecca, doch Logan unterbrach sie mit einer knappen Geste. "Es wäre doch dumm von mir, sie falsch zu behan deln", erklärte er dem Jungen. "Denn dann verlässt sie mich vielleicht und arbeitet für einen anderen. Sie ist unabhängig und könnte das tun." Der Junge nickte langsam. "Das könnte sie tun", wie derholte er zufrieden und nahm seine Schwester an die Hand. "Komm schon, Mindy. Lass uns gehen, Kyle. Wir müssen los", sagte er. "Viel Spaß im Pool, Ms. Linden", rief der andere Junge über die Schulter und lächelte ihr zu. Logan war sicher, dass dieses Lächeln eines Tages unzählige junge Frauen um den Verstand bringen würde. "Danke, Kyle. Und Jack? Vergiss meine Zeichnung nicht", erwiderte Rebecca. "Etwas ganz Besonderes", versprach Jack. "Mir fällt schon was ein." Die drei Kinder rannten davon. "Danke", sagte Rebecca sanft. Logan lachte leise. "Wofür? Dass er dachte, er muss dich vor deinem Chef beschützen?" "Nein. Das hat er bestimmt nicht so gemeint. Er hat nur versucht, wie ein Erwachsener zu reden." Logan nahm ihre Hand, obwohl er wusste, wie leicht sinnig das war. Der Wolf in ihm war kaum noch zu bändigen, und die 74
Lady glich mehr einem Rotkäppchen, als er geahnt hatte. Er lächelte matt. "Unterschätz den Jungen nicht." "Das tue ich nicht", protestierte sie. "Er ist so intelligent und begabt. Er ist..." Logan wartete. "Er ist viel zu ernst. Seine Eltern meinen es gut, aber sie erwarten zu viel von ihm. Sie sind so sehr mit ihrer Arbeit und ihren Geldsorgen beschäftigt, dass sie ihm mehr Verantwortung aufbürden, als Kinder in seinem Alter tragen können. Und manchmal wirkt sich das nega tiv auf seine schulischen Leistungen aus." "Und deshalb musst du ihn hin und wieder zum Lä cheln bringen." "Vielleicht. Ich muss ihm helfen, auch einmal Kind sein zu können. Sicher, das gehört nicht zu meinem Job, aber ich bin nun einmal..." "Eine geborene Mutter." Verlegen sah sie ihn an. "Bin ich so leicht zu durch schauen?" "Am liebsten würdest du sie alle mit nach Hause neh men, was?" fragte er und fühlte, wie die dunkle Wolke über ihm sich hob. Schließlich wussten sie beide, was Sache war. Sie war eine Frau, die unbedingt Mutter werden wollte. Und dass er nicht Vater werden wollte, würde ihm helfen, sein Verlangen im Zaum zu halten. Jedenfalls hoffte er das. Sie zuckte mit den Schultern. "Ich mag sie. Vor allem Jack. Er gibt sich so große Mühe, perfekt zu sein. Seine Eltern wollen ihm nicht schaden, aber sie träumen von 75
einem besseren Leben, und deshalb möchten sie ihn än dern. Und er hat Angst, ihren Ansprüchen nicht zu genü gen. Damit kenne ich mich aus." Er beobachtete sie und wartete. "Rebecca?" "Nach dem Tod meiner Eltern habe ich bei einer Tante und ihrem Mann gelebt. Sie wollten eine Tochter, aber eine, die zu ihnen passte. Also versuchten sie, einen anderen Menschen aus mir zu machen." So, wie er jetzt. Er versuchte, sie zu der Mitarbeiterin zu machen, die er brauchte. Er fragte sich, warum sie eingewilligt hatte, wenn dieser Job bei ihr alte Wunden aufriss. Sie sah ihm ins Gesicht, als könnte sie seine Gedanken lesen. "Aber jetzt bin ich älter. Das hier ist ein Job, noch dazu ein vorübergehender. Und inzwischen weiß ich, wer ich bin und was ich will", sagte sie mit Nachdruck. Logan wusste, wer sie war. Rebecca Linden, eine gebo rene Mutter, unschuldsvoll, stolz und schön. Und eine Frau, die er begehrte. Mehr als jede andere. Ab jetzt würde er sich auf das konzentrieren, was ihm wirklich wichtig war. Das neue Hotel und seine Eröff nung. Das allein zählte in seinem Leben. Das war es, was ihn einst gerettet hatte. Alles andere war nur eine über flüssige und gefährliche Ablenkung.
6. KAPITEL
Seit Tagen machte Rebecca sich nun schon Gedanken 76
um die bevorstehende Eröffnung und fürchtete sich da vor, den in sie gesetzten Erwartungen nicht gerecht zu werden. Aber an diesem Abend wurde ihr klar, dass ihre Angst vor allem mit dem Eigentümer des Eldora Oaks zu tun hatte. "Er ist nur ein Mann, Rebecca", sagte sie sich, aber sie wusste, dass das nicht stimmte. Logan war viel mehr als das. Er war ein Mann, der ihre Knie weich werden ließ. Er hatte aus dem Nichts eine Hotelkette aufgebaut und doch sorgte er sich um jeden einzelnen seiner Mitarbei ter. Er kannte jeden ihrer Namen und interessierte sich für die, die seine Mahlzeiten zubereiteten, und die, die sein Bett machten und seine Möbel abstaubten. Er fühlte sich in der Gegenwart von Kindern sichtlich unwohl, trotzdem hatte er sich alle Mühe gegeben, den kleinen Jack aufzumuntern. Er war der Mann, der ihren Ehrgeiz anstachelte, und der, der sie nachts unruhig schlafen ließ. Allein die Erin nerung daran, wie seine Lippen ihre gestreichelt hatten, ließ sie erbeben. Selbst jetzt, da sie allein auf ihrem Bett saß. Natürlich war das dumm, unglaublich dumm. Denn das brennende Verlangen in ihr würde ungestillt bleiben. Sie würde sich nicht nach einem Mann verzehren, der so of fensichtlich der falsche für sie war. Denn dann wäre sie nicht besser als James, der sein Le ben lang einem unerfüllbaren Traum nachgejagt war. "So darfst du nicht sein, Linden", flüsterte sie, bevor sie vom Bett kletterte und in den rotgoldenen Kimono schlüpfte. "Logan ist vielleicht einzigartig, aber er ist nicht dein Held, also hör auf zu fantasieren." Ja, das würde sie. Sie würde Deb Lerringer anrufen und fragen, ob sich bei der Jobbörse ein Arbeitgeber gemeldet 77
hatte, der noch jemanden brauchte. Deb war eine Nacht eule und war bestimmt noch wach, selbst jetzt, nach zweiundzwanzig Uhr. Ein neuer Job im Juli oder August würde ihr helfen, das hier zu vergessen. "Und nach dem Anruf ... ein Film, Rebecca. Wenn du schon einen Helden suchst, nimm einen von der Lein wand." Sie bat Deb, die Listen durchzugehen, und fuhr nach unten in das kleine Kino, das zum Service des Hotels gehörte. "Vermutlich hat Logan Recht", murmelte sie, als sie sich dort in den bequemen Sitz fallen ließ. "An manchen Abenden braucht eine Frau eben eine warme Milch, ein weiches Kissen und einen guten Film." Das würde ihr helfen, nicht mehr an ihn zu denken. Endlich hatte sie eine einfache Lösung für ihr Problem gefunden. Es war schon weit nach Mitternacht, als Logan durch das Hotel spazierte. Nicht, dass er sich um die Sicher heitsvorkehrungen Sorgen machte. Die waren Spitzen klasse. Wie alles andere. Nein, dies war sein Zuhause, wenn auch nur zeitweilig. Und er wollte sich persönlich davon überzeugen, dass alles in Ordnung war. Natürlich spielte heute auch eine Rolle, dass er nicht schlafen konnte. Warum nicht, war klar. Rebecca Linden ging ihm unter die Haut. Bisher hatte er mindestens neunzig Mal am Tag mit dem Wunsch gekämpft, sie einfach nur zu berühren. Jetzt kam noch ihre Ausstrahlung hinzu. Ihre Begeisterung. Egal, ob sie ihn beim Billard schlug oder nicht nur einen Ersatzpianisten, sondern gleich eine ganze Künstlertrup pe engagierte. 78
Diese Lady war faszinierend. Sie brachte ihn dazu, mit ten in der Nacht durch sein Hotel zu streifen. Auf der Suche nach innerem Frieden. "Solange das alles ist, wonach du suchst, ist alles okay, Brewster", knurrte er. "Halt dich einfach nur von der Tür der Lady fern. Und von ihren langen Beinen und hinrei ßenden Kurven." Ja, Zurückhaltung und Beherrschung, das war es, was er jetzt brauchte. Sie war so still gewesen, als sie aus der Stadt zurückgekehrt waren. Sie hatte noch ein paar Tele fonate geführt und war dann verschwunden. Sie hatte sich das Abendessen aufs Zimmer bringen lassen und war nicht mehr nach unten gekommen. Nein, er würde nicht hinaufgehen und sie fragen, was los war. Er würde sich beherrschen, noch eine Runde durchs Hotel drehen, vielleicht ein paar Bahnen schwimmen und danach ... Ein schmaler Lichtstreifen fiel ihm auf. Die Tür des kleinen Kinos war geschlossen, aber offenbar war je mand darin. Rebecca. Allein hier unten. Wie er. Wahrscheinlich konnte sie nicht schlafen. Er sollte sie jetzt besser sich selbst überlassen. Es wäre ein Fehler, sich der Tür auch nur zu nähern. Wäre er ein kluger Mann, und das sagte man ihm nach, würde er sich auf dem Absatz umdrehen und das Weite suchen. Aber der Wunsch, sie zu sehen, war zu stark, um ihn zu unterdrücken. Außerdem musste er sich als fürsorglicher Arbeitgeber selbst davon überzeugen, dass es ihr gut ging. Vorsichtig drehte er den Knauf und betrat das Kino. 79
Sie weinte, einen Karton mit Taschentüchern neben sich, das lange feuchte Haar über den noch feuchteren Augen. Sie trug einen leuchtend roten Bademantel und hatte beide Arme um ein Kissen geschlungen, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. "Rebecca, Liebling", sagte Logan. Mit drei Schritten war er bei ihr und setzte sich. Dann zog er sie auf den Schoß und drückte sie an sich. "Was ist denn, mein Engel? Hat jemand dir wehgetan? Habe ich dir wehgetan?" Er strich ihr übers Haar. Sie antwortete nicht. "Rebecca?" fragte er nach einer Weile und wich zurück, um ihr in die Augen schauen zu können. Eine Träne rann über ihr Kinn und fiel auf seine Hand. Er wollte ihr die anderen abwischen, doch sie hielt sein Handgelenk fest. Dann starrte sie ihn verlegen an. "Logan, es ... es tut mir so Leid", flüsterte sie mit großen Augen und rieb mit den Handrücken über ihr Gesicht. "Das muss es nicht, Rebecca. Ich bin doch selber schuld. Ich hätte dich nicht in die Stadt schleifen dürfen. Ich habe dich zu etwas gezwungen. Glaub mir, das wollte ich nicht." Sie schloss die Augen und legte die Stirn an seine Brust. "Du bist ein so guter Mensch, Logan." "Unsinn, das bin ich ganz und gar nicht. Ich habe dich heute herumkommandiert. Aber nur, weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe, Rebecca." Errötend packte sie sein Hemd. "Du verstehst nicht. Ich ... es ist mir so peinlich." "Was? Dass du geweint hast, Liebling? Das muss dir nicht peinlich sein. Erzähl mir einfach, wo das Problem liegt? Bei mir? Bei Grady Barron? Hat jemand etwas zu 80
dir gesagt, dich irgendwie verletzt oder enttäuscht? Sag es mir, mein Engel. Ich bringe es wieder in Ordnung." Sie schloss die Augen. Er hörte und fühlte sie seufzen und hätte sie gern wieder an sich gezogen. Rebecca holte tief Luft, öffnete die Augen wieder und biss sich auf die Unterlippe. "Es fällt mir schwer, es dir zu gestehen", wisperte sie. Er musste sich vorbeugen, um sie zu verstehen. "Es wird alles wieder gut. Erzähl es mir einfach", drängte er behutsam und strich mit den Lippen über ihre feuchten Fingerspitzen. "Es war der Film, Logan." Er erstarrte. "Wie bitte?" Sie hob eine Schulter und sah ihn mit halb gesenkten Lidern an. "Es tut mir Leid. Ich habe nur geweint, weil... der Film so traurig war." Jetzt konnte Logan nicht mehr anders, er musste sie an sich drücken. Er verbarg seinen Mund in ihrem Haar, damit sie nicht sah, wie er lächelte. "Bist du jetzt böse, Logan?" fragte sie. "Ich hätte es dir früher sagen sollen, ich weiß, aber ..." "Schon gut", unterbrach er sie schmunzelnd. "Es macht dir nichts aus, dass ich dir dein Hemd nass geweint habe ... nur wegen eines Films?" Er legte einen Finger unter ihr Kinn und hob es an. "War der Film so gut?" fragte er leise. Sie nickte. "Ein alter Schwarzweißfilm. Der Held stirbt am Schluss. Auf tragische Weise. Ich liebe diesen Film", gestand sie. Logan hielt sie von sich ab und lachte. 81
Sie versteifte sich in seinen Armen. "Es war richtig traurig, Logan Brewster", beteuerte sie. "Wenn du ihn gesehen hättest ..." "Ich wünschte, das hätte ich. Siehst du dir oft traurige alte Filme an?" Sie nickte verlegen. "Das ist eine Schwäche von mir. Weißt du, was ich meine?" "Natürlich." Er wusste genau, was sie meinte. Leider schien sie seine größte Schwäche zu sein, doch in diesem Moment war ihm das egal. Viel wichtiger war die Erleichterung darüber, dass sie nicht seinetwegen weinte, sondern nur wegen eines alten Films. Schmunzelnd schüttelte er den Kopf. "So komisch ist das nun auch wieder nicht", sagte sie und versuchte, verärgert zu klingen. "Findest du es etwa nicht komisch, wie ich hier herein gestürmt kam, voller Sorge um dich? Ich wollte dich trösten, dich psychisch wieder aufbauen und dir eine Hühnerbrühe kochen. Und das alles, weil du dir einen Film angesehen hast." Ein Lächeln huschte über ihr ernstes Gesicht. "Du warst sehr ... überzeugend, Logan", lobte sie ihn. "Hätte ich echte Probleme gehabt, wärst du genau der Richtige gewesen, um mir zu helfen." "Stattdessen habe ich deinen Film unterbrochen." "O nein, der war schon zu Ende. Ich war schon dabei, mich zu erholen." "Es scheint dir schon viel besser zu gehen", sagte er lei se und hörte sich plötzlich heiser an. Er spürte ihre Wär me und fühle die zarten Brüste durch die rote Seide hin durch. "Das tut es", bestätigte sie, und ihr Atem strich warm 82
und frisch über sein Gesicht. Der Raum kam ihm kleiner vor, als er tatsächlich war. "Rebecca?" "Ja?" "Es tut mir Leid, aber ich werde dich jetzt küssen. Wenn du weglaufen willst, tu es jetzt." Sie wollte es nicht und sie tat es auch nicht. Seit Tagen sehnte sie sich nach seiner Berührung. Und sei es auch nur, um ihrem Verlangen die Spitze zu nehmen. Also schob sie die Finger in sein Haar und legte den Kopf in den Nacken, damit sein Mund ihren leichter fand. Obwohl sie wusste, welchen Fehler sie beging, schmolz sie unter ihm dahin. Das hier konnte auf lange Sicht zu nichts Gutem führen, aber sie musste seine Lippen wie der an ihren fühlen. Dieser eine Moment war es wert, sich nicht mehr zu wehren und sich einfach nur gehen zu lassen. Wenn sie jemals von diesem Mann loskommen wollte, musste sie ihre Sehnsucht stillen. Also gestattete sie ihm, ihren Hals zu küssen, seinen Mund daran hinab gleiten zu lassen. Dorthin, wo er den hauchdünnen Stoff ihres Ki monos beiseite schieben konnte. Sie spürte seine Küsse wie einen Schmetterling, der über ihre Brüste flatterte. Wenn das hier vorüber wäre, würde sie endgültig geheilt sein. Von dem unwiderstehlichen Bedürfnis, seine Finger an ihrer Haut zu fühlen. "Lass mich dich berühren", flüsterte sie. "Bitte." Sie beugte sich in seinen Armen vor, öffnete den ersten Knopf an seinem Hemd, schob es mit beiden Händen auseinander und presste den Mund auf seine erhitzte Haut. "Rebecca", stöhnte er und zog sie hoch, um sie leiden 83
schaftlich zu küssen. "Ich will dich, wie ich seit Jahren nichts und niemanden gewollt habe. Allein deine Lippen rauben mir den Verstand, Liebling." Er küsste sie wieder, knabberte, nagte, schmeckte, er oberte kühn ihre Lippen. Er war wild und fordernd, und Rebecca spürte, wie es ihr unter die Haut ging. Aber es war ihr egal, obwohl sie so sehr um ihre Identität ge kämpft hatte. Doch als sie sich bewegte und die glatte Seide sie halb auf seinen Schoß gleiten ließ, fühlte sie, wie erregt er schon war. Sie sah ihm in die Augen und nahm darin eine Mischung aus Verlangen und Schmerz wahr. Genau die Mischung, die er bestimmt auch in ihren sah. Eine Sekunde lang zögerte sie. Der Kampf, der in ihr tobte, wurde heftiger. Sie wollte Logan ganz nah bei sich, in sich spüren, obwohl ihr klar war, was für ein gewaltiger Schritt das wäre. Sie war nicht sicher, wer oder was sie danach sein würde. Wäre die Ekstase erst vorbei, würde sie viele Dinge fühlen, die sie lieber nicht fühlen wollte. Und doch ... schaute sie ihm noch tiefer in die Augen. Sie schmiegte sich an ihn und sog seine Nähe ein. Ihre Finger verharrten an seinem Hemd, bis er ihre Hände in seine nahm. Mit einem leisen Aufstöhnen hob er sie von seinem Schoß, drehte sich weg und schloss dabei ihren Kimono. "Logan?" "Meine Schuld, Liebling. Ich habe versprochen, dich nicht wieder zu berühren." "Ich hätte dich daran hindern können." "Nur mit einem sehr deutlichen Nein, und wir wissen beide, dass du noch unter den Nachwirkungen deines Films gelitten hast." 84
Sie öffnete den Mund, um ihm zu versichern, dass sie sehr wohl gewusst hatte, was sie tat. Aber sein Blick bat sie, nichts mehr zu sagen. "Ich entschuldige mich nicht dafür, dass ich dich ge küsst habe, Rebecca. Vermutlich war es besser, sich eine kleine Kostprobe zu gönnen, anstatt zu warten, bis ich komplett die Kontrolle verliere. Aber wir wissen beide, dass es ein Fehler wäre, jetzt weiterzumachen. Du bist keine Frau, die durch den dunklen Wald spa ziert, dem bösen Wolf begegnet und danach so tut, als wäre überhaupt nichts geschehen. Und ich bin kein Mann, der unschuldigen Mädchen Kuchen und Milch stiehlt." Sie verschränkte die Arme. "Ich bin kein unschuldiges Mädchen, Logan. Ich war verheiratet." Sein Lächeln war entwaffnend. Zärtlich strich er ihr das Haar aus dem Gesicht. "Unschuld hat nichts mit Ehe zu tun, Rebecca. Sie ist eine Frage der Einstellung, nicht des Familienstands, Liebling. Du wirst selbst als schöne alte Frau noch diese unschuldige Ausstrahlung haben und die Wölfe um den Verstand bringen." "Du bist also ein Wolf?" fragte sie. Obwohl das Ver langen noch in ihr pulsierte, wusste sie, dass sie Logan dankbar sein sollte. Im Gegensatz zu ihr hatte er einen kühlen Kopf bewahrt. Sie dagegen hatte vergessen, wie gefährlich ihre Gefühle ihr werden konnten. "Ich bin ein Wolf, der verzweifelt versucht, brav zu sein", erwiderte er und stand auf. "Deshalb ist es das Bes te, wenn ich jetzt gehe, Rebecca." Er drehte sich um. "Logan?" Er schaute über die Schulter. 85
"Danke", sagte sie leise. "Dafür, dass du mir heute eine Pause verschafft hast. Und dafür, dass du mich geküsst und dann damit aufgehört hast, obwohl keiner von uns es wollte." Er stöhnte auf. "Rebecca", warnte er. "So etwas solltest du zu einem Wolf nicht sagen, glaub mir." Sie schüttelte den Kopf. "Ich vertraue dir, Logan. Und du hast Recht, ich sollte nicht zu viel arbeiten. Wenn wir beide uns nicht mehr so krampfhaft aus dem Weg gehen ..." Er wartete darauf, dass sie weiter sprach. "Ja?" "Wir könnten morgen nach der Arbeit im Pool schwim men", schlug sie lächelnd vor. "Mal sehen, wer schneller ist." Ihr Wolf wirkte ein wenig ... verunsichert. "Du vertraust mir wirklich, was?" fragte er verblüfft. "Voll und ganz." Er atmete tief durch. "Ich werde mir Mühe geben, dein Vertrauen zu rechtfertigen, Rotkäppchen." "Rotkäppchen?" "Geh heute Abend nicht mehr im Wald spazieren, Lieb ling." Er ging davon. Sie starrte auf die Fernbedienung. Ei gentlich hatte sie sich noch einen zweiten Film anschau en wollen. Aber irgendwie verblasste jeder Leinwandheld neben ihrem Wolf aus Fleisch und Blut. Sie fragte sich, was er getan und erlebt haben mochte, um sich für so schlecht und gefährlich zu halten. "Aber er ist gefährlich, Linden", flüsterte sie. "Und die meisten Frauen würden ihm in den Wald folgen und nur zu gern ein gebrochenes Herz in Kauf nehmen. Aber ich nicht." 86
Logan hatte ihr einen Ausweg gelassen, und es wäre dumm, ihn nicht zu nutzen. Und dumm war Rebecca nie gewesen.
7. KAPITEL
Der Countdown hatte begonnen. Fünf Tage vor der großen Eröffnung war Logan nicht sicher, welcher Countdown ihn mehr Nerven kostete. Der geschäftliche oder der bis zu dem Tag, an dem Re beccas und seine Wege sich trennen und er wieder ein klar denkender Mann sein würde. Eigentlich gab es für ihn gar keinen Grund, so nervös zu sein. Das Eldora Oaks war sein Baby, das wichtigste Hotel, das er je eröffnet hatte. Aber er war ein Profi und reich genug, um einen Misserfolg zu verkraften. Und auch mit Frauen hatte er genügend Erfahrungen gesam melt, also verstand er nicht, warum er so angespannt war, als er jetzt zum Pool ging. "Nackte Lust, sonst nichts", murmelte er. Mehr konnte es nicht sein. Dann hob er den Kopf und sah Rebecca. Sie saß am Beckenrand, winkte ihm zu und sah gar nicht besonders aufreizend aus. Die Lady trug einen schlichten schwarzen Badeanzug, nicht zu tief ausgeschnitten. Das seidige braune Haar lag züchtig auf den Schultern, keine Locke lenkte den Blick auf die Brüste. Und auch ihr Blick ent hielt nichts Verführerisches. Warum ging er automatisch schneller? Warum hätte er sie am liebsten an sich gezogen? Warum ließ ihr un 87
schuldsvolles Lächeln sein Herz schneller schlagen? Der reine Wahnsinn, Brewster, dachte er. "Du bist spät, Brewster", sagte sie, bevor sie auf die Uhr zeigte und ihr Haar hochsteckte. "Das heißt, bei un serem Duell habe ich die Wahl der Waffen." Sie zog die Nase kraus. Er hob beide Hände. "Ich bin pünktlich, Lady. Du hast deine Uhr um drei Minuten vorgestellt, damit du nie in letzter Sekunde kommst. Pete hat mir dein kleines Ge heimnis verraten, als ich das letzte Mal im Fitnessraum war. Und was genau meinst du mit Waffen?" Aber sie war schon aufgesprungen, und er starrte auf ihren süßen Po, als sie zu der Kiste neben dem Pool ging und darin wühlte. "Tauchringe", verkündete sie triumphierend und hielt drei Stück hoch. "Bist du bereit?" lächelte sie und warf sie in den Pool. "Gibt es bestimmte Regeln?" Sie zuckte mit den Schultern. "Wer die meisten Ringe heraufholt, hat gewonnen." Sie schaute über die Schulter und begann rückwärts zu zählen. Bei null sprangen sie beide ins Wasser. Die Lady schwimmt wie ein Fisch, dachte Logan, als sie das eine Ende des Pools ansteuerte. Er tauchte ans andere, schnappte sich den grünen Ring und schwamm unter Wasser auf den blauen zu, der ungefähr in der Mitte lag. Er streckte gerade einen Arm danach aus, als eine ge schmeidige Gestalt an ihm vorbeisauste und ebenfalls nach dem Ring griff. Fingerspitzen berührten sich. Eine Sekunde lang ließ Rebecca den Ring los, und Logan tat es ebenfalls. Der 88
Ring sank wieder nach unten, die Lady schnappte ihn sich und schwamm an die Oberfläche. Ihre langen Beine glitten an ihm vorbei. Mit einem kraftvollen Zug folgte er ihr und tauchte kurz nach ihr auf. "Ich habe gewonnen", sagte sie strahlend. "Das hast du." "Ach, komm schon", erwiderte sie und spritzte ihm Wasser ins Gesicht. "So einfach gibst du dich geschla gen? Du hattest den Ring mindestens eine halbe Sekunde lang fest im Griff. Wo ist der Killerinstinkt, der dich zu einem erfolgreichen Hotelier gemacht hat?" "Ich habe ihn wieder fallen lassen." "Aber nicht unabsichtlich. Du bist ein Gentleman. Oder auch nur ein höflicher Hotelier, der seinen Gästen jeden Wunsch zu erfüllen versucht." Er schüttelte das Wasser aus seinem Haar. "Die Kids, mit denen ich auf der Straße gepokert habe, wären er staunt, das zu hören. Ein Gentleman, sagst du?" "Du hast mich gewinnen lassen, Logan." Nicht wirklich, dachte er. Eigentlich war es nur die plötzliche Berührung gewesen, die ihn hatte zurückzu cken lassen. Aber vielleicht war das gut so, denn der Tri umph des Sieges würde Rebecca vergessen lassen, was unter Wasser geschehen war. Er hob das Kinn. "Okay, Rebecca. Wenn du es so willst ... Wie wäre es mit einer Revanche?" Und damit warf er den grünen Ring in hohem Bogen zurück in den Pool. Sie lachte. Während der nächsten zwei Stunden tauch ten sie um die Wette und lieferten sich erbitterte Rennen über die gesamte Länge des Beckens. Er gewann einige, verlor einige und freute sich scham los über jeden Sieg. 89
"Du brauchst gar nicht so anzugeben", protestierte sie, als sie nebeneinander auf dem Wasser trieben. "Beim letzten Mal war ich nur einen Fingerbreit hinter dir." "Es war knapp", gab er zu. Ihr Lächeln verblasste. "Ich nehme an, du hast früh ge lernt, wie man kämpft. War dein Leben ... Wie war dein Leben als Kind?" fragte sie so leise, dass es fast im Plät schern des Wassers unterging. Okay, Brewster, sei vorsichtig, sagte er sich. Du hast selbst gesehen, wie sehr die Lady sich von unglücklichen Kindern rühren lässt. Und du weißt, unter welchem Stress sie momentan steht. Da musst du sie nicht auch noch mit einer Vergangenheit belasten, die du für dich abgehakt hast. Achselzuckend wendete er und schwamm zum Becken rand. "Meine Kindheit unterschied sich nicht sehr von der anderer Kinder, Rebecca." Sie folgte ihm und zog sich neben ihm aus dem Wasser. "Du hast erzählt, dass du auf der Straße aufgewachsen bist. Ich kenne nicht viele Kinder, die das von sich be haupten können." "Es sind eine ganze Menge. Es hat uns stark gemacht." "Vielleicht zu früh." "Rebecca ..." "Deine Eltern ..." Okay, sie wollte Einzelheiten. Er würde ihr die Kurz fassung liefern. "Kein Vater. Ich habe keine Ahnung, wer er war. Ich weiß nur, dass meine Mutter ihn geliebt hat und er sie nicht. Ich hatte eine Mutter, das hat gereicht." Ende der Geschichte. Das hätte ihr genügen müssen, aber sie hatte wieder diesen besorgten, mitfühlenden Ausdruck in den Augen. 90
"Das ist alles? Ich hatte eine Mutter? Ist sie ... tot?" "Seit Jahren. Sie starb, kurz nachdem ich mein zweites Hotel eröffnet hatte." Sie nickte. "Sie muss stolz auf dich gewesen sein." Die Frau hatte ihn gehasst. Aber wenn Rebecca glauben wollte, dass er eine liebende Mutter gehabt hatte, würde er sie nicht schockieren. Also rang er sich ein Lächeln ab. "Was ist mit dir? Du hast eine ... unangenehme Tante und ihren Mann erwähnt, aber du warst auch verheiratet und wurdest geliebt. Erzähl mir von deinem Ehemann." Vielleicht würde ihr das wieder ein Lächeln entlocken. Die Erinnerung an den Mann, um den ihre Welt sich einmal gedreht hatte. Aber sie schüttelte den Kopf. "James war ein wunder barer Mensch. Er hat mich geheiratet, obwohl er wusste, dass ich ihn nicht so sehr liebte wie er mich. Ich glaube, er hoffte, dass meine Gefühle für ihn sich ändern würden. Aber ich empfand nur Dankbarkeit und Bewunderung." Sie sah Logan in die Augen, um ihre Worte zu unterstrei chen. "Ich fürchte ... nein, ich weiß, dass ich ihn verletzt habe." "Er war doch selbst schuld", wandte Logan ein. "James wusste von meiner Tante und meinem Onkel. Er sah in mir eine Prinzessin, die er aus einem Turm ge rettet hatte. Er war ein sanfter Mann, zehn Jahre älter als ich, und hatte sein ganzes Leben auf seine Prinzessin gewartet. Mit einer Frau, die gern Billard spielte, beim Pferderennen wettete, laut sang und auf dem Klavier her umhämmerte, hat er nicht gerechnet. Er hat es nie ausge sprochen, mich nie kritisiert, aber insgeheim liebte er nur die Traumfrau, zu der er mich gern gemacht hätte. Er war traurig und hoffte wohl, dass ich mich noch ändern wür 91
de." Logan spürte, wie Wut in ihm aufstieg. "Das war nicht deine Schuld, Rebecca", sagte er. "Du bist nicht verantwortlich für die Träume eines anderen." Sie sah ihn an. "Das mag sein, aber ich hätte das Prob lem sehen müssen, bevor ich ihn geheiratet habe. Viel leicht hätte ich ihn dann nicht geheiratet ... oder doch, denn ich musste damals gerettet werden." Ihr Lächeln wurde unnatürlich breit. "Na ja, das ist Jah re her. Jetzt bin ich unabhängig und brauche nicht mehr gerettet zu werden. Ich bin mit meinem Leben zufrieden und glücklich. Ich möchte nie wie James werden", sagte sie. "Eine alles verschlingende Liebe ist nichts für mich." Obwohl sie lächelte, klang sie betrübt, und Logan wur de klar, dass die Lady mit einem großen Schuldgefühl lebte. "He, Rotkäppchen", sagte er zärtlich und strich über ih re Wange. "Ich fürchte, wir haben nicht an die Zeit ge dacht. Wer als Letzter auf der anderen Seite ist, muss Jarvis erklären, warum wir zu spät zum Abendessen kommen." Blinzelnd starrte sie auf die Uhr. "Oje!" Die Trauer ver schwand aus ihrem Blick, als sie sich vom Beckenrand abstieß und davonschwamm. "Gewonnen", rief sie, als sie auf der anderen Seite an schlug. Nein, Lady, dachte er. Diesmal habe ich gewonnen. Er nickte lächelnd. Sie legte die Stirn in Falten. "Du lässt mich schon wie der gewinnen. Obwohl ich einen unfairen Vorsprung hatte. Hoffent lich serviert Jarvis uns nicht zur Strafe Sägespäne." "Niemals." 92
"Schokoladentorte zum Nachtisch?" "Mit Kirschen." Ihr sanftes Lachen vertrieb die dunklen Wolken. Beim Abendessen betrachtete er sie über die Kerzen hinweg und wusste, was für einen Schatz er bei der Jobauktion ersteigert hatte. Aber sie zu lieben war unmöglich. Denn sie wollte sich nie wieder den Gefahren aussetzen, die die Liebe nun einmal mit sich brachte. Und er natürlich auch nicht. Nein, er durfte und wollte sich nicht in Rebecca Linden verlieben. Rebecca fragte sich, ob alle Eröffnungstage so hektisch begannen, und ob es Logan so ging wie ihr. Ob auch sein Herz so heftig schlug, dass schon das Atmen schwer fiel. Seit dem Tag am Pool arbeiteten sie noch enger zu sammen, mehr als Team und doch distanzierter. Sie wusste, wie gefährlich es war, diesem Mann zu nahe zu kommen. Er hatte sie dazu gebracht, über ihre Vergan genheit zu sprechen. Er hatte sie nicht dazu gedrängt oder gar gezwungen, sondern einfach nur gefragt. Sie wollte sich nicht ausmalen, was sie ihm noch alles geben würde, nur weil er sie darum bat. Ihre Frage, ob seine Mutter stolz auf ihn gewesen war, hatte er nicht beantwortet. Aber sie war sicher, dass Lo gan Brewster eine harte Kindheit mit einer nicht sehr liebevollen Mutter gehabt hatte. Der kleine Junge, der er gewesen war, tat ihr Leid, und zugleich bewunderte sie den Mann, den er aus sich gemacht hatte. Und plötzlich war das hier für sie mehr als ein Job, es war eine Missi on. Das Eldora Oaks war sein zehntes Hotel und bedeutete ihm mehr als die anderen neun. Also würde sie dafür sorgen, dass diese Eröffnung ganz besonders ausfiel. 93
Also war sie seit dem frühen Morgen auf den Beinen, um nichts dem Zufall zu überlassen. Als sich die Türen des neuen Eldora Oaks erstmals für Besucher und Gäste öffneten, stand sie an Logans Seite. "Bist du bereit?" flüsterte sie. Er sah ihr in die Augen. "Du bist wunderschön, Lieb ling. Keine Angst, es wird schon alles klappen." Sein Blick, seine Berührung beruhigten sie. Sie dachte daran, dass sie ihm helfen wollte. Er sollte sich ihretwe gen keine Sorgen machen müssen. Sie hob den Kopf, straffte die Schultern und trat vor, um eine ältere Lady zu begrüßen, deren Gepäck gerade herein getragen wurde. "Sie müssen Mrs. Winslow sein. Willkommen im Eldora Oaks. Ich bin Rebecca Linden und möchte Ihren Aufenthalt so angenehm wie möglich gestalten. Wir freuen uns, dass Sie gekommen sind." "Es ist ein schönes Hotel, nicht wahr?" erwiderte die Frau lächelnd und zeigte auf die hohen Fenster, die den Sonnenschein hereinließen und dem in himmelblau ge haltenen Foyer mit seinen Springbrunnen und Pflanzen arrangements das Licht und die Atmosphäre eines Som mertags verliehen. Rebecca nickte strahlend. "Ich bin vielleicht nicht ob jektiv, aber es ist das schönste Hotel, in dem ich je war. Und ich bin sicher, Sie werden feststellen, dass es auch das komfortabelste ist. Wir sind für Sie da, also fragen Sie einfach, wenn Sie etwas brauchen. Ich weiß, dass Sie zur Entspannung gern stricken oder lesen. Daher finden Sie in Ihrem Zimmer eine Wollkollektion, Stricknadeln, verschiedene Romane und natürlich den Zitronentee, den Sie mögen. Falls noch etwas fehlt, werde ich es Ihnen gern beschaffen." Die Frau sah Logan an. "Das letzte Mal war kein Zitro 94
nentee da, Logan." Er schmunzelte. "Sie haben nie erwähnt, dass Sie ihn gern trinken, Cecily, sonst hätten Sie ihn sofort bekom men. Aber es bedurfte schon einer Mitarbeiterin wie Re becca, um das herauszufinden. Wenn Sie sich hier wohl fühlen, verdanken Sie das in erster Linie ihr. Sie ist ein Juwel." Cecily Winslow lächelte Rebecca zu. "Ist er nicht süß?" Rebecca spürte, wie ihr warm wurde. "Ich habe das Ge fühl, einige der Ladys würden ihn jedem Zitronentee vor ziehen." Die Frau lachte. "Sie haben Recht, Logan. Sie ist ein Juwel." Dann ließ Mrs. Winslow sich zu ihrem Zimmer führen. Rebecca spürte, wie sich ihre Anspannung legte. "Sie war sehr nett, nicht?" Logan legte eine Hand an ihren Rücken. "Es sind nur Menschen, Rebecca, und im Grunde sind sie alle recht umgänglich." Das stimmte. Rebecca ignorierte Tony Reveres Son nenbrille, die vermutlich teurer war als ihr Wagen, und fragte ihn nach seinem Golfspiel. Sie erzählte ihm, dass sie sämtliche Golfplätze der Umgegend besucht und eine Liste mit Beschreibungen in sein Zimmer gelegt hatte. Sie erkundigte sich bei Agnes Farrell nach ihren Enkeln und sah sich die Fotos der niedlichen Kleinen an, die mit ihren Eltern Urlaub auf St. Kitts machten. Sie willigte ein, sich mit Melanie Stivers einen alten Film anzusehen, damit die alte Lady Gesellschaft hatte. Logan schlenderte derweil von Gast zu Gast, plauderte, frischte alte Bekanntschaften auf und schloss neue. Läs sig. Charmant. Rebecca entging nicht, dass er immer wieder zu ihr zu 95
rückkehrte, sie Bekannten vorstellte und ihr bei schwieri gen Gästen half. Nur ein einziges Mal verschwand das Lächeln aus sei nem Gesicht. Als eine junge vierköpfige Familie das Hotel betrat. Der Mann kommandierte seine Frau herum, die ohnehin schon gestresst genug war. Als sie daraufhin ihren neun jährigen Sohn anschrie, spürte Rebecca, wie Logan neben ihr erstarrte. Sie sah ihn an. Seine Miene war wie verstei nert. Er setzte sich in Bewegung, blieb dann jedoch ste hen, als hätte er sich im letzten Moment beherrscht. Rebecca eilte zu der jungen Ehefrau. Sie lächelte dem Jungen zu und streckte der Mutter die Hand entgegen. "Hallo und willkommen. Ich bin Rebecca Linden. Wir möchten alle Eltern unter unseren Gästen informieren, dass es hier einen speziellen Service für Familien gibt. Da wir wissen, wie hektisch es manchmal bei der An kunft zugeht, haben wir einen Bereich nur für Kinder eingerichtet. Sie werden dort von zwei ehemaligen Leh rerinnen betreut. Vielleicht möchte Ihr Sohn sich dort ein wenig umsehen, während Sie und Ihr Mann sich in Ihrem Zimmer einrichten. Natürlich nur, wenn es Ihnen beiden recht ist." Sofort war den Eltern ihr schlechtes Gewissen anzuse hen. "Ich fürchte, wir waren zu lange unterwegs", sagte die Frau. "Vielen Dank für Ihr Angebot. Möchtest du erst einmal ein wenig spielen, Evan?" Der Junge nickte hastig. "Ja, Mom. Tut mir Leid, dass ich Nina gekniffen habe", sagte er mit einem Blick auf seine kleine Schwester. Rebecca lächelte verständnisvoll. "Nach einer Auto fahrt muss ich mich immer eine Weile hinlegen." Sie zeigte den Eltern, wo sich das Spielzimmer für die Kin 96
der befand, und ging zu Logan zurück. "Ich glaube, jetzt kommen die vier zurecht", sagte sie zu ihm und musterte sein Gesicht. "Natürlich. Und danke. Familiäre Streitigkeiten zu schlichten ist nicht gerade meine Stärke." Seine Antwort machte sie noch neugieriger. Was moch te er als Kind durchgemacht haben? Er hatte heute we sentlich schwierigere Situationen gemeistert. Eine Frau mit fünf jaulenden Hunden. Einen Mann, dessen Koffer zerbarst, als der Page ihn anhob. Eine Familie, die erst zufrieden war, nachdem sie vier Mal umgezogen war. Er verlor niemals die Geduld und behandelte jeden Gast höflich und zuvorkommend. Als die Hektik sich endlich legte, kehrte er zu Rebecca zurück. "Tut mir Leid, dass ich dich mit Bill Errins allein lassen musste", entschuldigte er sich. "Er ist manchmal recht mürrisch." "Es ging schon. Ich habe ihn im Geiste zu einem wei nerlichen Achtjährigen geschrumpft, und danach war es einfach. Er brauchte nur eine feste Hand." Ein Lächeln umspielte seine Lippen. "Was genau hast du zu ihm gesagt?" Sie drehte den obersten Knopf ihres blauen Kleids. "Nicht viel. Nur dass er bestimmt müde ist und sich nach einem Bad und einem Nickerchen sicher besser fühlen wird." Sein Lächeln wurde breiter, und sie drehte noch schnel ler am Knopf. "Meinst du, das war zu deutlich?" "Es war genau richtig, Liebling. Hör auf damit", flüs terte er und hielt ihre Hände fest. "Sonst drehst du den Knopf noch ab. Und stell dir vor, was dann passiert. Wie würde es aussehen, wenn der Eigentümer des Oaks mit 97
ten in der Eingangshalle über seine Assistentin herfällt?" Sofort nahm sie die Finger vom Knopf und sah ihm in die stürmischen dunklen Augen. Am liebsten hätte sie sich hier und jetzt an ihn geschmiegt, damit er sie küssen und streicheln konnte. Aber das wäre unvernünftig, das wussten sie beide. Er wich einen Schritt zurück, und sein Lächeln wurde wieder zu dem des erfolgreichen Hoteliers. "Du warst heute perfekt, Rebecca. Danke. Alles war perfekt." Doch als sie davonging, um ein paar Kleinigkeiten zu erledigen, wurde ihr klar, dass nicht alles perfekt war. Sie unterstützte Logan, und das war gut. Er hatte Erfolg, das war auch gut. Aber der Wunsch, sich ihm ganz hinzuge ben, wurde immer stärker. Ihre Welt hatte begonnen, sich um Logan Brewster zu drehen, und das war überhaupt nicht gut! Sie war nicht wie die Frauen, mit denen er sich bisher vergnügt hatte, und sie würde sich nicht ummodeln las sen. Sie wollte nicht wie James auf eine Liebe hoffen, die es für sie nicht geben konnte. Logan Brewster ließ keinen Zweifel daran, dass er keine Familie wollte. Jedes Mal, wenn er ein Kind sah, verkrampfte er sich. Dass er kein eigenes wollte, war klar. Nein, er war nicht der Richtige für Sie. Es war höchste Zeit, sich bei der Sommerjobbörse ei nen neuen Job zu suchen. Die Arbeit würde sie ablenken. Wie immer.
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8. KAPITEL
"Okay, Liebling, du hast genug gearbeitet. Wir machen einen Ausflug." Logans tiefe Stimme ging Rebecca unter die Haut, und eine Sekunde lang genoss sie einfach nur ihren Klang. Eines Tages würde sie sie vermissen, das wusste sie. Aber im Moment redete der Mann Unsinn. "Ich kann nicht weg, Logan. Es gibt zu viel zu tun." Sie hielt ihm ihre Liste der unerledigten Aufgaben hin. Er nahm sie und gab sie einem in der Nähe stehenden Pagen. "Verlieren Sie das hier nicht, Joe. Die Lady könnte ge walttätig werden, wenn sie nicht mehr arbeiten darf." "Ich werde den Zettel wie meinen Augapfel hüten", versprach Joe. Logan dankte ihm mit einem Lächeln. "Und jetzt zu dir", sagte er zu Rebecca. "Wir haben doch schon darüber gesprochen, dass du ab und zu eine Pause brauchst." "Das war, bevor die Gäste eingetroffen sind." "Stimmt, und die Gäste werden noch schwieriger wer den, wenn wir sie auf Schritt und Tritt verfolgen. Ent spann dich, Liebling. Die Tagschicht hat gerade ihren Dienst angetreten, frisch und fit. Die nächsten Aktivitäten sind erst für den Abend angesetzt, damit die Gäste die Sehenswürdigkeiten der Gegend besuchen können. Und falls sie Fragen haben, sind genug Leute da, um sie zu beantworten. Ich möchte, dass du dich ausruhst." Sie öffnete den Mund, um zu protestieren. Lächelnd kam Logan ihr zuvor. "Wenn du dich nicht ausruhst, wirst du heute Abend nicht in Topform sein. Aber das musst du sein, wenn du all die Künstler, die auftreten, im Griff behalten willst." 99
Sie wirkte ein wenig verunsichert, und er nutzte seine Chance. "Außerdem habe ich gehört, dass heute in Eldora ein Kunstmarkt stattfindet und deine Freundinnen Emily und Caroline auch dort sein werden." "Woher weißt du das?" "Ich habe meine Spione." Sie zog eine Braue hoch. "Ich nehme an, das hast du auf der Straße gelernt." "Stimmt." Sie nahm den Blick von dem Pagen, der ihre Aufgaben liste in der Hand hielt. "Konntest du überhaupt irgendwann einmal einfach nur Kind sein, Logan?" Er nahm ihren Arm und führte sie zum Ausgang. Zum Glück trug sie eine weiße Hose. Für das, was er mit ihr vorhatte, war ein Kleid ungeeignet. "Ich hatte einen Freund namens Deets, der mit allen möglichen Gegenständen jonglieren konnte. Damit haben wir auf der Straße nicht schlecht verdient. Und er hat mir sogar ein paar Sachen beigebracht." "Du kannst jonglieren?" Er zuckte mit den Schultern. "Ein wenig." Während sie ihn erstaunt ansah, führte er sie durch eine Seitentür zum Pavillon. "Zeigst du es mir?" bat sie mit großen Augen. "Versprochen", erwiderte er. "Aber jetzt besuchen wir erst einmal den Kunstmarkt." Er warf Andy, der den Pa villon führte, einen Blick zu, hob zwei Finger und nickte zu Rebecca hinüber. Der junge Mann reckte lächelnd den Daumen. Sofort runzelte Rebecca die Stirn. "Was ...?" Sie sah sich um. "Sie sind ganz schön gerissen, Mr. Brewster. Du hast mich abgelenkt, damit ich nicht merke, wohin wir 100
gehen. Aus dir wäre ein guter Taschendieb geworden." Das klang nicht wie ein Kompliment, also verschwieg er ihr, dass er sein bescheidenes Einkommen tatsächlich einmal so aufgebessert hatte. "Wahrscheinlich kannst du gar nicht jonglieren", schloss sie. "Warte nur ab. Eines Tages beweise ich es dir, Lieb ling", flüsterte er ihr ins Ohr und stieg auf eins der beiden Fahrräder, die Andy inzwischen bereitgestellt hatte. Sie folgte ihm vom Hotelgelände. "Keine leeren Ver sprechungen, Logan. Das versuchen viele Kinder auch, aber ich nehme sie beim Wort. Es bildet den Charakter, und ich bekomme, was ich will." Er drehte sich zu ihr. Sie lächelte, und offenbar machte das hier ihr Spaß. "Ich habe gehört, dass du gern Rad fährst." "Stimmt. Das hält mich in Form, und außerdem mag ich den Wind im Haar." Wie aufs Stichwort wehte eine Brise es ihr nach hinten. Die Versuchung, es zu berühren, war gewaltig. Aber Lo gan wagte nicht, die Hand vom Lenker zu nehmen. Re becca sollte nicht erfahren, dass er als Kind kein Geld für ein Fahrrad gehabt hatte. "Woher weißt du, dass Emily und Caroline auf dem Kunstmarkt sind?" fragte sie nach einer Weile. "Ganz einfach. Die beiden sind an reiche und promi nente Männer vermittelt worden. So etwas spricht sich herum." "Du weißt mehr über meine Freunde als ich über dei ne", erwiderte sie lachend. "Was ist aus diesem Deets geworden, der dir angeblich das Jonglieren beigebracht hat?" Er antwortete nicht. "Logan?" 101
Da hob er den Kopf und lächelte ihr traurig zu. "Er ist leider gestorben. Aber das ist lange her, Rebecca. Ich war noch ein Kind." "Wie alt?" Er umklammerte den Lenker so fest, dass die Finger knöchel weiß hervortraten. "Zwölf." Weil er wusste, dass sie sich ohnehin Gedanken darüber machen würde, fuhr er näher an sie heran und erzählte weiter. "Sein Vater schlug ihn regelmäßig. Das war in dem Viertel, aus dem wir kamen, nicht ungewöhnlich. Deets war viel kleiner als ich, und sein Vater ein Schrank. Ein mal kamen wir spätabends nach Hause, und der Mann schlug auf ihn ein. Immer wieder. Ich ging dazwischen und verpasste dem Alten einen Faustschlag. Er haute ihn nicht um, aber es reichte, Deets die Flucht in den Keller zu ermöglichen. Am Tag darauf stürzte Deets eine Trep pe hinunter. Jedenfalls wurde das behauptet. Er starb, bevor ich mich von ihm verabschieden konnte." "Hast du ... der Polizei von dem Vorfall mit seinem Va ter berichtet?" Er wünschte, er könnte ihr ein anderes Ende der Ge schichte liefern. "Deets und ich waren der Polizei schon häufig unange nehm aufgefallen. Also stand das Wort eines jugendli ches Diebes gegen das eines Erwachsenen. Ich frage mich noch immer, was passiert wäre, wenn ich nicht ein gegriffen hätte. Wenn ich zugelassen hätte, dass Deets' Stiefvater ihn zusammenschlug, anstatt den Mann vor seinem Jungen zu erniedrigen." Rebecca bremste scharf und blieb stehen. Als Logan es auch tat, legte sie eine Hand auf seinen Arm. "Du hast richtig gehandelt, Logan." Er schüttelte den Kopf. "Es war nicht das erste Mal, 102
dass ich mich eingemischt habe und jemand es ausbaden musste. Ich war ein zorniges und trotziges Kind, Rebec ca. Und kein sehr kluges." "Niemand ist mit zwölf schon klug, Logan." Doch. Dort, wo er herkam, mussten Kinder früh klug werden. Lass niemanden zu nah an dich heran. Zeig kei ne Blößen. Behalt deine Gefühle für dich. Diese Regeln, die zum Überleben auf der Straße wichtig waren, hatte er in letzter Zeit nicht genug beherzigt. "Du bist eine sehr kluge Lady, Rebecca", sagte er und lächelte, um sie wieder aufzumuntern. Sie erwiderte es zaghaft. "Ja, das bin ich, Logan. Daran solltest du denken." Kurz darauf stellten sie die Räder am Rand der großen Rasenfläche ab, auf der der Kunstmarkt stattfand. Sie schlenderten zwischen den Ständen umher, an denen die Werke von Kunsthandwerkern und Malern ausgestellt waren. Rebecca bewunderte die Zeichnung eines Jungen, der ihrem kleinen Freund Jack ziemlich ähnelte, und Lo gan merkte sich den jungen Künstler. Einige Stände weiter begegneten sie Emily und Caroli ne. Die drei Frauen umarmten einander und unterhielten sich angeregt über ihre Sommerjobs. Logan fand alle drei entzückend, aber ihm entging nicht, wie angespannt sie wirkten. Nach einer Weile wandte er sich ab, um sich aufwendig verzierte Vogelhäuser anzusehen. Noch während er sich ausmalte, wie sie in den Bäumen um das Oaks aussehen würden, merkte er plötzlich, dass er nicht mehr allein war. "Entschuldigen Sie die Frage, aber Rebecca wohnt mit Emily und mir zusammen, und daher müssen wir es wis sen. Sie muss doch nicht zu hart arbeiten, oder, Mr. 103
Brewster?" Er drehte sich zu einer blauäugigen, braunhaarigen Schönheit um. "Caroline O'Donald. Ich habe Sie gesehen, als Sie Re becca abholten", erklärte sie. Dann musste die andere, die gerade mit Rebecca auf ihn zukam, also Emily sein. Er lächelte Rebeccas Freundinnen zu. "Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Ladys. Ich fürchte, Rebecca arbei tet wirklich zu viel, aber sie tut es freiwillig. Ich versu che, sie davon abzuhalten." "Und hat sie genug Raum für sich? Den braucht sie nämlich", meinte die dunkelhaarige Emily. "Würdet ihr bitte aufhören?" griff Rebecca ein. "Ich bin erwachsen. Sag ihnen, dass ich erwachsen bin, Logan." "Rebecca ist erwachsen", sagte er. "Auch wenn sie beim Wettschwimmen mogelt und lieber Fahrrad fährt, als sich mit einer hoteleigenen Luxuslimousine in die Stadt chauffieren zu lassen." "Und was ist mit ihrem Freiraum?" wiederholte Emily ihre Frage. "Der Mann hat mir eine Suite gegeben, Em", sagte Re becca. Ihre Freundinnen gaben Logan die Hand. "Wir müssen weiter", erklärte Caroline. "Geben Sie gut auf Rebecca Acht, Logan, sonst bekommen Sie es mit Em und mir zu tun." Er schmunzelte. "Ich bin froh, dass Rebecca so gute Freundinnen hat. Dann muss ich nicht mehr allein auf sie aufpassen." Die beiden Frauen wechselten einen Blick. "Logan hat diese unsinnige Theorie, dass ich zu naiv 104
für diese Welt bin", erklärte Rebecca mit einem matten Lächeln. "Womit er nicht ganz Unrecht hat, Rebecca", sagte Caroline und zog ihre Freundin mit sich fort. Rebecca warf Logan einen verlegenen Blick zu. Er lachte. "Wie gesagt, ich bin froh, dass du so gute Freundinnen hast, Liebling." Das stimmte. Trotzdem würde er nicht aufhören, sich um ihre Zukunft zu sorgen. Die Eröffnungsfeier verlief planmäßig. Jack hatte Re becca die zugesagte Zeichnung geschickt. Ein Porträt seiner Schwester mit großen runden Augen. Sofort muss te sie an das denken, was Logan ihr auf der Radfahrt in die Stadt erzählt hatte. Mit zwölf Jahren hatte er seinen besten Freund verlo ren. Und mochte er es auch bestreiten, sie wusste, dass er sich die Schuld daran gab. Was musste in einem Jungen vorgehen, der nicht nur auf liebende Eltern verzichten und auf der Straße leben, sondern sich auch noch mit einem schlechten Gewissen belasten musste? Wände, dachte sie. Er hatte Wände um sein Herz er richtet. Schutzwälle, die so hoch waren, dass er nie wieder für ein Kind verantwortlich sein wollte. Nie wieder lieben wollte, denn Liebe machte verletzlich. Liebe konnte of fene Wunden hinterlassen, die vielleicht nie wieder ver heilten. "O, Logan", flüsterte sie, während sie daran ging, sich für die abendliche Gala umzuziehen. Der Mann war char mant und erfolgreich, aber hinter der strahlenden Fassade verbarg sich ein Herz, das von einem Eispanzer umgeben war. 105
Doch zugleich war er freundlich und fürsorglich, zu ihr und seinen Angestellten. Und er half Kindern, obwohl er keine wollte. Sie würde ihm zeigen, was in ihm steckte. Also nahm sie den Hörer ab und führte ein kurzes Tele fonat. "Das Leben kann nicht nur aus Arbeit bestehen, Lo gan", sagte sie lächelnd. "Du hast mich aus dem Hotel geschleift, damit ich mir eine Pause gönne. Das kann ich auch mit dir, warte es nur ab." Morgen würde sie es ihm beweisen. Heute Abend hatte sie ein Dutzend Künstlerauftritte zu organisieren. Logan wog die Halskette aus Brillanten und Saphiren in der Hand und malte sich aus, wie sie an Rebecca ausse hen würde. Er sah ihr Haar wie einen Fächer auf dem Kissen, die großen ausdrucksstarken Augen und die fun kelnden Edelsteine auf ihrer zarten Haut. Und er sah sich selbst, wie er ihren Körper mit Küssen bedeckte. Von den Augen bis hin zum schmalen Spann ihres Fußes. "Das reicht, Brewster", murmelte er und schloss die Hand um den Schmuck, während er sich Rebeccas Suite näherte. Der Abend würde auch ohne sein außer Rand und Band geratenes Verlangen anstrengend genug wer den. Als sie ihm öffnete, strahlte sie, doch ihre Nervosität war nicht zu übersehen. "Bin fast fertig, Logan", versprach sie und streifte ein Paar schwarzer Pumps über die Füße. Er starrte auf ihre Beine, die zarten Gelenke und ihre Finger, die mit den kleinen Verschlüssen kämpften. "Diese falschen Fingernägel", stöhnte sie lächelnd. "Ich bin gleich so weit." "Lass mich." Ohne ihre Antwort abzuwarten, kniete er sich vor sie und half ihr. Schlagartig wurde ihm klar, was 106
für ein Fehler das war. Ihre Haut war seidig, ihr Duft stieg ihm zu Kopf, und seine Augen befanden sich auf einer Höhe mit ihren anmutig geformten Brüsten, die sich auf erregende Weise hoben und senkten. Hastig nahm er die Hände von dem Verschluss. Sie wollte sich aufrichten, doch er hielt sie zurück. "Nein, warte." Er zog die Halskette aus der Tasche. Sekundenlang starrte sie sie an, dann schüttelte sie fast unmerklich den Kopf. Nach kurzem Zögern versuchte sie, die schlichte Silberkette abzunehmen, die sie trug. Ihre Finger zitterten. Er ließ seinen Blick über ihr schlichtes, aber enges Sei denkleid wandern. Die Brillanten und Saphire würden perfekt dazu passen. Und zu der Lady. Aber er wusste, was sie dachte. Rebecca würde sich mit den Edelsteinen unwohl fühlen. Wie eine Anziehpuppe, die er auszustaf fieren versuchte. Kopfschüttelnd wollte er die Kette wieder in die Tasche gleiten lassen. "Du siehst auch so schön aus", sagte er leise. Auch oh ne den Schmuck würde sie jede andere Frau verblassen lassen. Sie legte eine Hand auf seine und strich darüber, bis er sie öffnete. "Ich wollte nicht so empfindlich sein", sagte sie. "Es ist kindisch. Die Vergangenheit ist... vorbei." Rasch legte er ihr die Brillanten und Saphire um, ließ ihre Silberkette auf die Kommode gleiten und hielt ihr den Arm hin. "Der Abend fängt gerade erst an. Amüsie ren wir uns. Nichts Tiefes, nicht Ernstes, ja?" "Genießen wir die Musik", schlug sie vor und ließ sich von ihm aus der Suite führen. Logan war mit dem Verlauf des Abends voll und ganz 107
zufrieden, als er einige Stunden später an der Harfenistin und ihren aufmerksamen Zuhörern vorbeischlenderte. Wieder einmal suchte er in der Menge nach Rebecca und fand sie inmitten einer Gruppe von Gästen. Lächelnd unterhielt sie sich mit ihnen, scheinbar unbe eindruckt von ihrem Reichtum. Die Gäste drifteten davon, doch bevor Logan zu Re becca eilen konnte, sah er Glenna Delmont auf sie zuge hen. "Ms. Linden?" begann die übertrieben geschminkte Frau. "Ja, Ms. Delmont, wie kann ich Ihnen helfen?" "Ich frage mich schon den ganzen Abend, woher Sie Ihre wunderschöne Halskette haben?" Das Misstrauen in Ms. Delmonts Stimme war nicht zu überhören. Errötend tastete Rebecca nach ihrem Hals. "Mr. Brewster hat sie mir geliehen", antwortete sie leise. "Oh, ich verstehe", sagte die Frau, und es war offensichtlich, dass sie falsch verstand. "Wie nett von ihm. Nun ja, in Ihrer Position können Sie sich so ein Schmuckstück wohl auch kaum leisten. Es muss Tausen de wert sein." "Äußerlichkeiten können trügerisch sein, nicht wahr, Glenna?" griff Logan ein und stellte sich hinter Rebecca. Nah genug, um sie berühren, und weit genug, um den Verdacht der Frau ins Lächerliche zu ziehen. "Das sagt man so, Mr. Brewster, aber ich weiß, was ich sehe", entgegnete die ältere Lady mit einem herablassen den Lachen. "Kann sein, Glenna. Aber nehmen wir den Fall Ihrer Großmutter. Wer hätte gedacht, dass eine Frau, die mit nicht mehr als ein paar Federn bekleidet vor meist männ 108
lichen Zuschauern tanzte, zu einer der ältesten und ange sehensten Familien von Wicket County gehörte?" "Ich ... Meine Großmutter war ... Sie wissen nicht... Ich ..." Mit offenem Mund funkelte sie Logan und Rebecca an. Ihr Ehemann lachte. "Das hast du dir selbst einge brockt, Glenna. Deine Großmutter hat eine Gerüchteküche angeheizt, die noch heute brodelt." Er sah Rebecca an. "Ms. Linden, mir ist völlig egal, woher Sie die Klunker haben. Sie se hen bezaubernd damit aus. Und Sie sind freundlich, höf lich und eine echte Hilfe für jeden Gast. Ich finde, meine Frau sollte sich bei Ihnen entschuldigen. Das wird sie bestimmt auch tun, wenn sie eine Weile über ihre Worte nachgedacht hat. Mr. Brewster", er nickte Logan zu und führte seine sprach lose Frau davon. Rebecca fröstelte und sah Logan an. "Danke." Er schüttelte den Kopf. "Frank Delmont hat Recht. Du bist das Beste, was diesem Hotel passieren konnte. Die Frau hatte kein Recht, solche Andeutungen zu machen." "Ich trage deinen Schmuck. Jeder kann daraus falsche Schlüsse ziehen." "Du bist viel zu nachsichtig, Rebecca. Nimm Glenna Delmonts Entschuldigung nicht sofort an, wenn sie kommt." Rebecca zuckte mit den Schultern. "Wenn sie kommt." Logan lehnte sich an den Flügel, nachdem der letzte Gast ihnen zum Abschied zugewinkt hatte. "Es war ein wunderbarer Abend. Du solltest stolz auf dich sein. Du hast alles perfekt arrangiert." "Die Musik war schön, nicht wahr?" Ihre Miene erhell te sich wieder. 109
"Sehr schön. Hattest du schon Gelegenheit, darauf zu spielen?" fragte er und strich über den Flügel. "Ein oder zwei Mal. Aber vor den Gästen möchte ich nicht spielen." Er sah sich um. "Die sind doch schon alle fort." Rebecca wusste, dass er sie ablenken wollte. Das ge lang ihm. Jetzt, da sie mit ihm allein im Raum war, konn te sie an nichts anderes als ihn denken. Aber spielen wollte sie nicht. Sie liebte Musik, aber sie war keine Konzertpianistin. Ihre Tante hatte ihr oft genug vorgeworfen, kein Talent zu besitzen, und sie kritisiert, weil sie sich in der Musik verlor, anstatt Perfektion anzu streben. "Ich möchte dich spielen hören, Rebecca. Nur dieses eine Mal. Ich erwarte keine Wunder. Aber ich weiß, dass du Musik in deiner Seele hast. Wenn du allein bist, summst und singst du vor dich hin. Das würde ich gern wieder hören." Das von der Musik in ihrer Seele hatte auch ihre Mutter gesagt. Also setzte Rebecca sich an den Flügel und spiel te für Logan. Sie versuchte, ihm die Musik zu geben, die er als Kind vermisst haben musste. Sie verlor sich darin, für diesen Mann. Die Vergangenheit war nicht zu ändern, aber vielleicht konnte sie ihm ein wenig von dem Ge schenk zurückgeben, das er ihr gerade gemacht hatte. Als er sie mit Feuer in den Augen und Eis in der Stimme ge gen Glenna Delmont verteidigt hatte. Also spielte sie. Logan lauschte und beobachtete sie. Sie streichelt die Tasten, wie eine Frau ihren Liebhaber streicheln würde, dachte er und sah, wie sie die Augen schloss. Die sanfte, sehnsuchtsvolle Melodie von Someone to Watch Over Me strömte durch den Raum und in seine Gedanken und 110
in seine Seele. Als die Lady schließlich die Finger von den Tasten nahm und die letzten Töne langsam verklangen, beugte er sich zu ihr und streifte ihre Lippen mit seinen. Sie öffnete die Augen und tastete nach dem Mund, den er gerade geküsst hatte. Er lächelte. "Spiel etwas Schnelles, Rotkäppchen", bat er und nahm sich aus dem Obstkorb auf dem kleinen Tisch neben dem Flügel einen Apfel, eine Orange und eine Birne. Jetzt lächelte auch sie. "Zeig's mir, Logan", sagte sie begeistert und schlug einige Akkorde an, die wie eine Zirkusfanfare klangen. Logan hoffte inständig, dass es ihm gelingen würde, die drei Früchte lange genug in der Luft zu halten. Wenn er Rebecca nachher eine gute Nacht wünschte, sollte sie diesen Abend als ihren persönlichen Erfolg in Erinnerung behalten. Und wenn ihre Wege sich trennten, sollte sie gern an ihre kurze gemeinsame Zeit zurückdenken. Ohne Reue, ohne Bedauern, ohne Trauer. Genieß den Augenblick, dachte er, ohne den Blick von den herumwirbelnden Objekten zu nehmen. Schau nicht zurück. Schau nicht nach vorn. Das war ein Motto, das ihm in der Vergangenheit oft geholfen hatte. Es gab kei nen Grund, warum es nicht auch jetzt funktionieren soll te.
9. KAPITEL
"Bist du noch immer der Überzeugung, dass man sich mindestens einmal am Tag eine Pause gönnen und spie 111
len sollte?" fragte Rebecca. Fast eine komplette Stunde hatte sie auf der Lauer ge legen, um ihn abzufangen. Der Mann hielt ihr Vorträge, dass sie zu viel arbeitete, dabei schonte er sich selbst auch nicht. Gerade hatte er Dave Elstrom, den wieder genesenen Hoteldirektor, über die Traditionen und Sehenswürdigkeiten von Eldora auf geklärt. Und davor hatte er sich persönlich um ein Prob lem mit dem Poolfilter gekümmert. Einem Mann, der sich über ein zu geringes Angebot an Unterhaltungsmöglichkeiten beschwerte, hatte er Kon zertkarten geschenkt, und mit Jarvis hatte er über ein neues Rezept beraten, das der Küchenchef ausprobieren wollte. Jetzt blieb er vor ihr stehen und lächelte sie an. "Du klingst ein wenig verunsichert, Rebecca. Hast du etwa Angst, dass ich dich heute wieder von der Arbeit abhal te?" Das war nun wirklich das Letzte, wovor sie Angst hat te. "Es gibt da etwas, das ich außerhalb des Hotels erledi gen muss. Ich wollte nur fragen, ob ich am Vormittag hier gebraucht werde, bevor ich aufbreche", erklärte sie. "Nein, es sind keine Aktivitäten geplant. Ich bin froh, dass du mal an die frische Luft kommst", erwiderte er. "Ich auch", gestand sie lächelnd. "Aber leider ist es nicht so einfach. Ich ... hatte gehofft, dass du mich begleiten kannst. Es tut mir Leid, aber ich habe praktisch schon zugesagt, dass du kommst. Ich weiß, das hätte ich nicht tun dürfen, nur ... Sally hat so sehr gebettelt, da konnte ich einfach nicht Nein sagen." "Du kennst eine Frau, die um meine Anwesenheit ge 112
bettelt hat?" fragte er belustigt und ein wenig stolz. Die Kombinati on ließ ihn noch unwiderstehlicher aussehen. "He, tu nicht so, als hätte noch keine Frau bei dir um etwas gebettelt, Logan. Das nehme ich dir nicht ab." "Der viel unglaublichere Teil ist, dass du zu dieser ... Sally einfach nicht Nein sagen konntest. Bist du nicht die Frau, die mal behauptet hat, sie könne zu allem Nein sa gen? Selbst zu einem Kind mit großen verweinten Au gen?" Sie rümpfte die Nase. "Okay, du hast gewonnen. Ich habe Sally versprochen, dich zu fragen, ob du mit kommst. Ich möchte, dass du mich heute begleitest. Würdest du das tun, Logan?" "Wohin du willst, Liebling", sagte er sanft. "Du hättest mich gar nicht so eindringlich bitten müssen." Das konnte er nur sagen, weil er nicht wusste, wohin der Ausflug sie führen würde. Wenn er es erfuhr, würde er bestimmt nicht mehr so großmütig sein. Dass das milde formuliert war, zeigte sich an Logans Reaktion, als sie den Chauffeur zum SummerstaffKinderheim dirigierte. Seine Miene wurde starr, der Blick eisig, und plötzlich saß er neben ihr wie eine große, breitschultrige, reglose Schaufensterpuppe. "Gibt es einen besonderen Grund dafür, dass du mich unbedingt dabeihaben wolltest?" fragte er, und seine Stimme war ausdrucksloser als jemals zuvor. "Ja, natürlich. Das Summerstaff-Kinderheim veranstal tet jedes Jahr eine Party für seine Schützlinge. Mehrmals im Jahr sogar, denn die Kinder kommen und gehen. Dazu brauchen wir möglichst viele ehrenamtliche Helfer. Das ist im Sommer immer schwierig, weil die meisten für die Jobbörse im Einsatz sind. Außerdem laden wir immer ein 113
paar Sponsoren ein, damit die Kinder sehen, wem sie ihr Zuhause verdanken." Er drehte sich zu ihr und nahm ihre Hand. "Rebecca, ich weiß, dass dir diese Sache sehr am Herzen liegt, und ich weiß auch, dass du mir viele gute Eigenschaften zu billigst, die ich gar nicht besitze. Aber findest du nicht auch, dass es ziemlich unfair war, mich auf diese Weise herzulocken?" Sie starrte auf ihre Finger und nagte an der Unterlippe. "Hör auf damit", bat er. "Du weißt, wie sehr ich dich begehre. Und im Moment möchte ich lieber einen klaren Kopf behalten." Sie hob den Kopf und schaute ihm in die Augen. "Ich habe nicht versucht, dich abzulenken", beteuerte sie. "Wirklich nicht." "Das weiß ich, Rebecca. Aber du könntest mich allein dadurch erregen, dass du nervös mit deinem Haar spielst. So wie jetzt." Sofort ließ sie die Hand sinken. "Es tut mir Leid." Sie seufzte. "Ja, natürlich weiß ich, dass es unfair war, dir nicht gleich zu sagen, wohin wir fahren. Logan, versteh doch, wie wichtig es für diese Kinder wäre, mit eigenen Augen zu sehen, dass man auch mit einer verpfuschten Kindheit Erfolg haben kann. Du bist nun einmal der le bende Beweis dafür, weißt du." Und vielleicht würde Logan einsehen, dass auch Kin der, denen Schlimmes angetan worden war, überleben konnten. Nicht jedes Kind, das in die Hölle hineingebo ren wurde, starb unter den Händen seiner Eltern. Fehler konnten korrigiert, Unrecht wieder gutgemacht werden. "Vielleicht bin ich doch nicht so unschuldig, wie du glaubst, Logan", sagte sie. "Vielleicht bin ich dieses Mal der Wolf." 114
Er lächelte wieder. "Guter Versuch, Rotkäppchen." Aber so ganz entspann te er sich nicht mehr. Als sie das Kinderheim erreichten, das in einem heruntergekommenen Viertel von Eldora lag, sah er sich angewidert um. Rebecca ahnte, dass er bei seinen vielen Besuchen in der Stadt diese Gegend bewusst ausgelassen hatte. "Dies ist nicht gerade der sicherste Stadtteil für eine un schuldsvolle Frau", sagte er, und seine Anspannung war nicht zu überhören. Sie hob das Kinn. "Aber die Kinder aus dem Heim le ben nun einmal hier. Wenn die es schaffen, werden wir ja wohl ein paar Stunden ungeschoren davonkommen." Fast hätte sie ihm gesagt, dass Armut nie hübsch anzusehen war. Das war die Standardantwort, die jeder andere von ihr auf einen solchen Kommentar bekommen hätte. Aber so etwas zu Logan zu sagen, wäre eine Beleidigung ge wesen. Er kannte sich mit Armut aus und wusste mehr über ihre Hässlichkeit, als sie erfahren würde. Dass sie einen schweren Fehler begangen hatte, wurde ihr klar, als sie sich dem Eingang näherten. Sie spürte seinen Schmerz fast körperlich, obwohl er ein tapferes Lächeln aufsetzte, für jeden ein paar freundliche Worte fand und alle Fragen beantwortete, die die Kinder ihm stellten. Er sprach stockend und vorsichtig. Sie hätte ihm gern geholfen, ihn in den Arm genom men, aber sie war nicht seinetwegen hier. Diese Kinder brauchten sie, und sie musste für sie da sein. Sie ging im Raum umher und sprach mit jedem Kind, das sie finden konnte. Als es Zeit war, die mitgebrachten Geschenke zu verteilen, kehrte sie zu Logan zurück. "Na gut", sagte er auf ihren flehentlichen Blick hin. "Ich spiele den reichen Wohltäter und helfe dir bei dieser 115
Sache. Denn es ist nicht die Schuld der Kinder, dass ich mit dieser ... Nähe nicht umgehen kann. Und deine Schuld ist es auch nicht. Aber danach ist Schluss, Rebecca. Geld allein reicht nicht. Es wird nie reichen, aber mehr als Geld kann ich nicht geben. Verstehst du das?" Sie nickte betrübt. "Ja, Logan, das verstehe ich." Sie verstand, dass er sein Herz nicht öffnen konnte, weil er die Wahrheit kannte. Er wusste, dass viele dieser Kinder trotz all des guten Willens, den man ihnen entgegen brachte, im Leben scheitern würden. Manche von ihnen konnten einfach nicht gerettet werden. Und dieser Mann würde es nicht ertragen, dass noch einem Kind etwas zustieß, weil er etwas getan oder unterlassen hatte. "Es reicht einfach nicht, Rebecca", wiederholte er, aber er lächelte den Kindern entgegen, die ankamen, um ihre Geschenke abzuholen. Kinder mit großen dunklen Augen. Kinder, die viel zu früh viel zu viel über die Ungerechtigkeiten dieser Welt gelernt hatten. Er unterhielt sich mit denen, die es interessierte, über die Erfolge und Aussichten der beiden Chicagoer Baseballmannschaften, und er scherzte mit anderen über die aktuellen Kinohelden. Sorgfältig mied er alle ernsten Themen, und die Kinder taten es auch. Rebecca kannte den Grund. Je oberflächlicher die Gespräche waren, desto geringer war die Gefahr, an die dunklen Seiten ihres Le bens erinnert zu werden. Es war ein Mittel zum Überle ben, und sowohl Logan als auch diese Kinder kannten die Spielregeln genau. Als sie schließlich gingen, folgte sie ihm zum Wagen. Sie stieg ein und wartete, bis der Chauffeur Logan die Tür auf der anderen Seite öffnete. Er setzte sich zu ihr 116
und sagte nichts. Minutenlang schwieg er. Auch sie saß stumm da. Aber mit jeder Sekunde, die verging und ihr wie eine Ewigkeit vorkam, wurde der Schmerz, den sie mit ihm fühlte, größer. Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus und tastete nach seiner Hand. Er zuckte zusammen. "Es tut mir Leid", sagte sie rasch. "Ich hätte dich nicht herbringen dürfen, um meine Amateurpsychologie an dir zu erproben. Ich glaube, ich begreife erst jetzt richtig, was du fühlst. Ich verstehe es zwar noch immer nicht ganz, aber ich weiß genug, um einzusehen, dass das hier falsch von mir war." Endlich drehte er sich zu ihr, aber sein Blick war ver schlossen. "Mach nicht den Fehler, Mitleid mit mir zu empfinden, Rebecca", sagte er zornig. "Empfinde es mit diesen Kindern. Das sind diejenigen, die deine Fürsorge brauchen. Ich habe die Straße schon vor vielen Jahren hinter mir gelassen, ich bin reich, und mein Leben ist genau so, wie ich es führen will. Meine Kindheit ist Ver gangenheit. Abgehakt und erledigt." Doch als sie in seine Augen schaute, ahnte sie, dass er sich etwas vormachte. So ganz würde er seine Vergan genheit niemals über Bord werfen können. Und sie konn te nichts tun, um ihm zu helfen. Wenn sie es versuchte, würde sie diesem guten, fürsorglichen Mann nur noch mehr Schmerzen zufügen. Nein, sie würde es nie wieder versuchen. Aber sie würde etwas anderes tun. Auf der Rückfahrt zum Hotel beschloss Rebecca, sich ernsthafte Gedanken über ihre Zukunft zu machen. Über ihr Leben nach Lo gan Brewster. Ihre Wege würden sich früh genug tren nen, und sie wusste, dass sie sich in den ersten Wochen 117
danach ablenken musste, wenn sie die Trennung verkraf ten wollte. Denn so erschreckend es für sie auch war, langsam be gann sie zu begreifen, wie ihr Exmann unter seiner uner füllten Liebe gelitten haben musste. Sie empfand schon viel zu viel für einen Mann, der ihre Gefühle niemals würde erwidern können. Ohne dass er es versuchte oder auch nur wollte, raubte Logan Brewster ihr langsam, aber sicher das Herz. Und keiner von ihnen konnte das Ge ringste tun, um das zu verhindern. Der große Ballsaal des Hotels war in strahlendem Weiß, sattem Rosé und glänzendem Silber dekoriert, aber Logan hatte kein Auge dafür. Und er achtete auch kaum auf das Theaterstück, das Rebecca auf die Bühne des Eldora Oaks geholt hatte. Nicht etwa, weil die Schauspieler nicht gut waren. Die Zuschauer schienen sich köstlich zu amüsieren. Nein, er dachte einfach nur zu viel an die Lady, die dies alles organisiert hatte. Ihm war inzwischen klar, dass Rebecca ihn ins Kinder heim mitgenommen hatte, weil sie es gut mit ihm meinte und ihn vor sich selbst retten wollte. So, wie sie auch ihren kleinen Freund Jack retten wollte. So, wie sie ver mutlich jeden zu retten versuchen würde, der unver schuldet in Not geraten war. Offenbar wollte sie nicht einsehen, dass er längst geret tet war. Er war zufrieden mit seinem Leben und allem, was er daraus gemacht hatte. Er reiste gern umher, ohne Heimat und feste Bindung, blieb nirgendwo und bei niemandem zu lange. Und zu diesem Lebensstil würde er auch wieder zurückkehren, sobald er die Lady davon überzeugt hatte, dass sie sich 118
um ihn keine Sorgen zu machen brauchte. Irgendwie würde er das schaffen müssen. Weil er, wenn er sich von ihr verabschiedete, sich nicht mit der Frage quälen wollte, ob sie ihm mit Trauer in den Augen nach sah. Sie so hier in Eldora zurückzulassen wäre ein Verbrechen. Es wäre ... unverzeihlich. Als die Pause kam und die Gäste sich wieder ihren Ti schen und ihren Gesprächen zuwandten, lächelte er Re becca zu. "Du hast dich mal wieder selbst übertroffen", flüsterte er ihr zu. Tadelnd legte sie die Stirn in Falten. "Du hast von dem Theaterstück kein einziges Wort mitbekommen." Okay, sie hatte ihn erwischt, das konnte er nicht leug nen. Er öffnete den Mund, um sich zu entschuldigen, aber sie schüttelte den Kopf und presste einen Finger an seine Lippen, um ihn daran zu hindern. "Schon gut", sagte sie lächelnd. "Du warst abgelenkt, aber das war ich auch. Was glaubst du denn, woher ich weiß, dass du nicht auf die Bühne geachtet hast. Ich war mit den Gedanken auch bei etwas anderem." "Bei etwas Gutem?" fragte er und hoffte, dass es so war. Sie nickte, ein Lächeln umspielte ihre reizvollen rosi gen Lippen, und er war versucht, sie zu küssen oder we nigstens mit einem Finger darüber zu streichen. "Ich glaube schon, dass es etwas Gutes ist", bestätigte sie. "Ich bin sicher, du bist meiner Meinung, wenn du davon hörst. Ich wollte dir nur sagen, dass ich heute zwei gute Nachrichten bekommen habe. Die erste ist die, dass dank dir und den anderen Spendern dieser Sommer für unsere Sommerjobbörse der bisher erfolgreichste war. 119
Die zweite ist die, dass der Sommer noch nicht vorüber ist. Es gab so viele Leute, die uns helfen und unsere Freiwilligen engagieren wollten, dass nicht alle das Per sonal bekommen haben, das sie brauchten. Daher werden diejenigen von uns, deren Jobs auslaufen, für den Rest des Sommers andere Aufgaben übernehmen." "Uns? Du also auch?" "Ja. Ich habe vorhin mit unserem Büro telefoniert. Man hat für mich einen anderen Job besorgt, den ich über nehmen kann, wenn ich in ein paar Tagen hier aufhöre. Ein anderer Job. Ein anderer Arbeitgeber. Vielleicht auch ein anderer Mann, der ihre Lippen betrachtete und sie küssen wollte. Jemand, der ihr Lachen hören wollte, wenn er morgens erwachte. Der sie jeden Abend mit in sein Bett nehmen wollte. Irgendwie gelang es Logan, ein aufmunterndes Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern. "Und weißt du etwas Genaues über diesen Job, den du als Nächstens machen wirst?" Nachdem du meine Seite verlassen hast, fügte er stumm hinzu. "Ein wenig. Mein zukünftiger Arbeitgeber ist ein Wit wer mit zwei Kindern." Genau der Typ von Mann, nach dem sie sucht, dachte er unwillkürlich. Ein Familienmensch, ein Mann mit den Kindern, nach denen sie sich so sehr sehnt. "Er will mit ihnen Urlaub in einer Blockhütte in den North Woods von Wisconsin machen und braucht ein Kindermädchen, das sich um sie kümmert." "Das klingt ... interessant", erwiderte er lächelnd. "Es klingt abenteuerlich." Und es klang viel zu bequem und praktisch für einen al lein stehenden Mann, mit Rebecca mehrere Wochen in einer einsamen Hütte in den fast menschenleeren Wäl 120
dern von Wisconsin zu verbringen. Logan spürte, wie die Anspannung in ihm nach oben kroch. Zusammen mit dem vertrauten Bedürfnis, die Hände zu Fäusten zu bal len und auf etwas Hartes einzuschlagen, um seiner Frust ration Luft zu machen. "Hast du schon einmal in einer Blockhütte Urlaub ge macht, Liebling?" "Du?" Er hatte schon an Orten gelebt, die weitaus übler waren, als es eine Blockhütte jemals sein konnte. "Nein", antwortete er. "In den Schulferien, mit meinen Eltern, aber das ist lange her", sagte sie achselzuckend. "Ich nehme an, was ich vergessen habe, kann ich wieder lernen. Wie man ein Lagerfeuer macht, wandert, Fische fängt, Marshmallows röstet und im See schwimmt." Und vielleicht kann sie auch lernen, ihren Witwer zu lieben, dachte er. Er wird ihre Liebe erwidern, sie werden seine Kinder zusammen aufziehen und Babys bekommen, und Rebec ca wird endlich das haben, was sie sich so sehr wünscht. Eigentlich sollte er sich für sie freuen. Verdammt noch mal, er musste es tun. Sie schaute zu ihm hinauf, mit dem Blick, den er so sehr liebte. Ihre Augen waren groß und voller Vertrauen, ihre Lip pen weich und anschmiegsam. In diesem Moment war es ihm egal, dass der Saal voller Gäste war und jeder sie sehen konnte. Er beugte sich zu ihr, nahm sich den Kuss und kostete ihn voll und ganz aus. Vielleicht würde er nie wieder die Gelegenheit be kommen, ihr so nahe zu sein. "Ich wünsche dir viel Glück, Liebling", sagte er leise. "Ich freue mich, dass du eine Arbeit gefunden hast, die 121
dir Freude bereiten kann." Er freute sich wirklich. Aber das änderte nichts daran, dass es ihm zugleich das Herz brach.
10. KAPITEL
Rebeccas Finger fühlten sich an wie gefrorene Zweige, als sie den Reißverschluss des kurzen silbernen Abend kleids hochzog, das sie zum letzten großen Ereignis in Logans Eröffnungswoche tragen würde. Die Welt schien sich ohne sie weiterzudrehen. Erst vor ein paar Tagen hatten ihre Freundinnen Emily und Caro line in Simon und Gideon die Liebe ihres Lebens gefun den. Rebecca freute sich riesig darüber und gönnte den beiden ihr Glück von ganzem Herzen, denn sie waren für sie wie Schwestern. Aber ... ihre eigene kleine Welt war aus den Fugen ge raten. Ihre Verwirrung war so gewaltig, dass sie sie wie einen tiefen Schmerz empfand. Nur noch ein Tag, dann würde sie sich von Logan trennen müssen. Wenn die letzten Gäste dieser ersten Gruppe ihre Koffer packten und abreisten, würden Logan und sie wieder ihre eigenen Wege gehen. Natürlich war nicht auszuschließen, dass ihre Pfade sich in den nächsten Jahren kreuzen würden, aber die Wahrscheinlichkeit war äußerst gering. Logan besaß Hotels in der ganzen Welt und eröffnete andauernd ein neues. In der Zukunft würden andere As sistentinnen ihm dabei helfen. Andere Frauen würden dieses unbändige Verlangen empfinden, wenn er ihnen lächelnd in die Augen schaute. 122
Es würden andere Frauen sein, mit denen er lachte, sich vergnügte ... und die er in die Arme nahm. "Hör auf, dich zu bemitleiden, Linden", befahl sie sich streng. Konnte sie sich denn nicht auf die Zukunft freu en? Auf ihren neuen Job? Doch, das konnte sie. Vielleicht würde sie mit ihrem neuen Arbeitgeber Freundschaft schließen. Vielleicht würde er eine Ehefrau und Mutter für seine Kinder brauchen. Vielleicht würde auch sie in Kürze ihr Glück finden, in einer Blockhütte irgendwo tief in den Wäldern von Wisconsin. Aber Logan würde nicht dort sein. Diese Tage würde sie nie wieder durchleben, nie wieder dieses Feuer in sich fühlen. Rebecca war sicher, dass eine Frau nur einmal im Leben ein solches Verlangen spürte. Sie hoffte inständig, dass es bei diesem einen Mal blei ben würde. Ein zweites Mal würde sie es nicht verkraf ten. Sie war schon jetzt den Tränen nah. "Du darfst nicht weinen, nicht heute Abend", flüsterte sie. "Heute Abend musst du für ihn lächeln, für ihn da sein. Dies ist der Abend, den seine Gäste als beeindru ckendstes Ereignis in Erinnerung behalten werden. Der letzte verzauberte Abend." In den nächsten Stunden wür de der Ruf des Eldora Oaks für die Zukunft begründet werden. Sie mussten ganz besonders sein. Sie mussten ... perfekt sein. Sie küsste ihre Finger und legte sie an die Lippen. "Ich werde diesen Abend perfekt machen. Für dich, Logan", sagte sie mit einem tapferen Lächeln. "Er ist mein Ab schiedsgeschenk für dich. Er ist alles, was ich jetzt noch für dich tun kann." Logan war mit dem Verlauf der Cocktailparty sehr zu frieden. Die Gäste flanierten zu den leisen Klängen von 123
Händels Wassermusik durch den Saal, fanden sich immer wieder zu neuen, angeregt plaudernden Gruppen zusam men. Aufmerksame Kellner servierten Häppchen, die zum Besten gehörten, was Jarvis' Küche zu bieten hatte. Der Wein war erlesen und schien allen zu schmecken. Die Gäste trugen ihre festlichste Kleidung und ihr fröh lichstes Lächeln. Es gab für ihn absolut keinen Grund, an diesem Abend gereizt zu sein. Aber er war es. Seine Nerven waren zum Zerreißen ge spannt, und es kostete ihn große Mühe, es sich nicht an merken zu lassen und den charmanten Gastgeber zu spie len. Er kannte den Grund dafür. Es war das hinreißend an mutige Geschöpf in Silber und funkelndem Geschmeide, das lächelnd durch die Menge schwebte. Rebecca Lin den. Sie strahlte, sie glühte vor Freude und Stolz. Egal, wo er stand, stets drang ihr sanftes Lachen an sein Ohr. Sie war der Star der Party und genoss es in vollen Zü gen, ihre Gäste zu unterhalten und selbst unterhalten zu werden. Er dagegen war schlecht gelaunt und fand sich völlig ungenießbar. Merkte diese unschuldige Frau denn gar nicht, dass die Blicke sämtlicher Männer im Saal ihr folgten? Blicke, in denen sich ein brennendes Verlangen spiegelte. Wusste sie nicht, dass er der Schlimmste von allen war? Spürte sie nicht das geringste Bedauern darüber, dass sie morgen ihre Taschen packen und für immer aus seinem Leben verschwinden würde? In irgendeine Blockhütte mitten im Wald. Zu einem anderen Mann. Zu einem, der ihr das geben konnte, was er ihr versagen musste. Babys. Und Liebe. "Vorsichtig, Brewster", murmelte er. Dann winkte er 124
ab, als ein Kellner ihm ein Glas Wein reichen wollte, und schlenderte zu einer Gruppe von Geschäftsleuten, um neue Kontakte zu knüpfen. Die Lady hatte ihren Job er ledigt und das besser, als er es sich jemals erträumt hatte. Sie hatte alles getan, worum er sie gebeten hatte, und sogar noch mehr als das. Es war nicht Rebeccas Schuld, dass sie ihm unter die Haut ging und ihn an Dinge den ken ließ, an die er besser nicht denken sollte. Sie war ihm gegenüber zu nichts verpflichtet. Und angesichts der Tat sache, dass er ihr nichts zu bieten hatte, konnte er heil froh sein, dass ihre kurze Beziehung ein unkompliziertes Ende nehmen würde. Er sollte diese letzten Stunden mit ihr genießen, solan ge er das noch konnte. Er wünschte den Geschäftsleuten einen schönen Abend und ging zu der Lady, die seine Gedanken so sehr be herrschte. "Jarvis hat sich heute Abend wirklich selbst übertrof fen", sagte sie. "Du hast dich heute Abend übertroffen", erwiderte er. "Und du auch. Du hast mich wie eine Prinzessin ge stylt", entgegnete sie mit einem Blick auf ihr silbrig glän zendes Kleid und die darauf abgestimmten Schuhe. Er machte eine abwehrende Handbewegung, "Das Kleid kommt nur an der richtigen Frau zur Geltung. An gelique hätte es nur unter Tränen einer anderen Frau an gezogen." Rebecca schmunzelte. "Das hast du dir ausgedacht, gib es zu." Er schüttelte den Kopf. "Keineswegs. Das hat sie mir selbst gesagt. Logan, mein Lieber, meinte sie, ich will dieses Kleid für Becka und für keine andere. Du musst sie unbedingt 125
dazu bringen, meine creation zu tragen." Er legte eine Hand aufs Herz. "Logan." Sie unterdrückte ein nachsichtiges Lächeln. "Jetzt sei mal ernst." "Ich bin ernst, Liebling, sehr sogar", beteuerte er und nahm ihre Hand. "Wirklich. Angelique mag dich. Du hast ihr Freude be reitet. Du hast so vielen Menschen Freude bereitet. Das ist wichtig. Glaub ja nicht, dass du für uns nur eine An ziehpuppe bist, mit der wir spielen können, Liebling. Du hast eine wunderschöne Seele und bist ein wunderschö ner Mensch. Und ich danke dir ... dafür, dass du die letz ten Wochen mit mir verbracht hast." Auf keinen Fall würde er sie jetzt kränken, indem er andeutete, dass sie nur ihren Job gemacht hatte. Sie hatte weitaus mehr geleistet als das, was irgendein Job von ihr verlangte. Sie hatte ihm ihre ganze Zeit gegeben, all ihre Kreativität, ihre Schönheit, innerlich wie äußerlich. All das würde er vermissen, alles an ihr. Das musste der Grund sein, aus dem er sich jetzt so fühlte, als würde seine Seele in zwei Teile gespalten. "Es waren doch ... gute Wochen, nicht wahr, Logan?" fragte sie und sah ihm dabei in die Augen. Sie hatte sich so große Mühe gegeben, zwischen ihnen alles locker und unkompliziert zu halten, keine Gefühle zu investieren ... oder daran zu denken, dass die Zeiger der Uhr unaufhalt sam vorrückten, immer weiter. Und sie bald, sehr bald für immer von ihm trennen würden. "Die besten, die ich je erlebt habe", versicherte er ihr. "Ich bin ... ich muss zugeben, dass ich dich vermissen werde, Rebecca Linden." "Ich dich auch", erwiderte sie leise, aber so unbe schwert, wie sie es in dieser Situation vermochte. Denn 126
sie würde mehr tun, als ihn nur zu vermissen. Sie würde trauern und sich nach ihm verzehren. Aber das durfte er auf keinen Fall erfahren. Er würde sich verantwortlich fühlen und ein schlechtes Gewissen bekommen. Er wür de sich ihretwegen Sorgen machen, und was sie von ihm wollte, war mehr als Sorge. Es war etwas, das er ihr nicht geben konnte. Etwas, von dem er unter keinen Umstän den wissen durfte, dass sie es sich von ihm erhoffte. Er hatte sie Rotkäppchen genannt, und irgendwie war das zutreffend, denn im Moment fühlte sie sich tatsäch lich wie ein kleines Mädchen, das sich im dunklen Wald verlaufen hatte. Schon jetzt vermisste sie ihren Wolf mit den goldbraunen Augen. Behutsam nahm er ihre Hand. Zusammen verließen sie den Ballsaal. Sie gingen durch die Korridore des Hotels. Vorbei am vom Mond beschienenen Swimmingpool, in dem sie um die Wette geschwommen waren und gelacht hatten. Vor bei am Kino, in dem er sie in den Armen gehalten hatte, während sie weinte. Und hinaus in den Garten, dunkel und erfüllt vom Duft der Rosen und der Sommernacht, erhellt nur vom Mondschein und den umhersausenden Leuchtkäfern. "Du reist morgen ab?" fragte er leise. Sie nickte und fröstelte ein wenig, als seine Finger über ihren Arm strichen und ihre Hand fanden. Er hob sie an die Lippen und küsste die warme Haut an der Innenseite. "Ich... ja. Ich dachte mir, ich verabschiede mich schon heute Abend von allen, denn morgen werden sie damit beschäftigt sein, ihre Taschen zu packen und auszuche cken." Er drehte ihre Hand um und küsste sie erst auf den Rü cken, dann jeden einzelnen Finger. 127
"Und wann fährst du nach Wisconsin?" fragte er mit heiserer Stimme, und sie fühlte jede Bewegung seiner Lippen an ihrer Haut. Seine Nähe machte sie schwindelig. Seine Wärme, der Druck seiner Lippen. Die schreckliche Gewissheit, dass er ihr gleich Lebewohl wünschen würde. Jetzt. Hier. Es war zu Ende. Für immer. "Ich reise in zwei Tagen ab", sagte sie mit erstickter Stimme. "Ich werde zwei Wochen weg sein." "Du bist diesem Mann noch nie begegnet, nicht wahr, Rebecca?" "Nein, aber Deb hat ihm eine Menge Fragen gestellt. Mir wird nichts zustoßen, Logan", versprach sie. Fast hätte sie ihn anders genannt. Liebling. So wie er sie so oft genannt hatte. Aber bei Logan gehörte es zu seiner Persönlichkeit. Bei ihm war es etwas, das ihm unbeschwert und fast beiläufig von den Lippen kam. Wie die Küsse, mit denen er ihre Finger und die empfindliche Haut an den Handgelenken bedeckte. Bei ihr hätte es eine andere Bedeutung gehabt. Sie hätte es ernst gemeint. Und er hätte es gemerkt. "Pass auf dich auf, mein Schatz", sagte er sanft. "Ich werde mir Sorgen um dich machen." Er nahm den Mund von ihrem Handgelenk und zog sie behutsam an sich, in seine Arme, ganz dicht an sein hef tig klopfendes Herz. Sie versuchte, sich alles genau einzuprägen, um es für immer in Erinnerung zu behalten. Wie er sich anfühlte. Jede Empfindung, jede Berührung, jede Kontur seines Körpers. Seine Lippen pressten sich auf ihre, und er küss te sie. Er gab, suchte und forderte. Rebecca erwiderte seine Leidenschaft Kuss für Kuss. Das hier war es, was sie wollte. Für immer, auch wenn 128
sie sich fast verzweifelt dagegen gewehrt hatte. Sie hatte alles getan, um sich nicht in Logan zu verlieben. Vergeb lich. Sie durfte nicht bleiben. Wenn er sie noch einmal küss te, wenn sie sich noch fester an ihn schmiegte, würde sie nicht mehr an sich halten können. Sie würde ihm ihre geheimsten Wünsche, Sehnsüchte und Hoffnungen ent hüllen. Sie würde diesen letzten perfekten Abend ruinie ren. Den Abend mit dem Mann, dem sie auf dieser Welt am allerwenigsten wehtun wollte. Also atmete sie tief durch, legte die Hände flach an sei nen festen, warmen Brustkorb und schob ihn von sich. Gleichzeitig riss sie die Lippen von seinen. "Ich ... sollte jetzt besser gehen", brachte sie irgendwie heraus. Sekundenlang starrte er sie an, und selbst im Halbdun kel war die Anspannung in seinen Augen deutlich zu erkennen. Schon glaubte sie, er würde sie wieder an sich ziehen. Und sie wünschte, er würde es tun. Sie hoffte es inständig. Aber er ließ sie los und trat zurück. Er holte tief Luft und lächelte schließlich. Es war nur die Andeutung eines Lächelns, aber immerhin. "Mach's gut, Rotkäppchen. Du bist wie keine andere Frau, die ich kenne. An Abenden wie diesem werde ich an dich denken. Du hast mir mehr gegeben, als du wissen kannst." "Leb wohl, Logan", flüsterte sie. Nachdem Rebecca auf ihr Zimmer gegangen war, spür te Logan eine ungeheure Unruhe in sich. Ein heftiges, quälendes Verlangen, das in ihm beständig wuchs. Er wusste, dass er in dieser Nacht nicht schlafen würde. Volle fünf Minuten lang stand er im Rosengarten und 129
spürte die Sehnsucht nach etwas, auf das er schon vor vielen Jahren endgültig verzichtet hatte. Was er für Re becca empfand, war wie ein nagender Hunger. Ein Hun ger, der so wirklich war wie alles, was er in seinen schwersten Zeiten auf der Straße gefühlt hatte. Der Schmerz war nicht zu lindern. Hier würde er sie nie vergessen können. Hier, wo er sie eben noch in den Ar men gehalten hatte. Hier niemals. Es gab nur eine Zu flucht für ihn. Einen Ort, an dem ein Mann zu jeder Zeit einen klaren Kopf behalten musste, wenn er nicht alles verlieren wollte, was ihm lieb und teuer war. Draußen auf der Straße, wo jeder, ob Mann, Frau oder Kind, einen Dämon in sich hatte. Er brauchte Action, Bewegung, einen Ort, wo nur eins zählte. Erfolg, Sieg, das nackte Überleben. Dorthin ge hörte er in dieser Nacht. Dorthin, wo er seit vielen, vielen Jahren nicht mehr gewesen war. Als ein Mann, der die Frau verloren hatte, die er für sich allein wollte. Es würde eine lange Nacht werden, und wahrscheinlich würde er die Sohlen seiner teuren Schuhe durchlaufen. "Aber das wird nicht reichen, Brewster", flüsterte er und wusste, dass er Recht hatte. Er würde laufen. Mei lenweit. Durch die übelsten Viertel der Stadt. Er würde in eine Schlägerei geraten. Er würde alles tun, um seinen Schmerz in der Sinnlosigkeit zu ertränken, der manche Menschen sich auslieferten, wenn sie ihre Probleme ver gessen wollten. Aber am Morgen würde er sich wieder der Realität stel len müssen. Sie würde ihn verlassen. Und er war der Dummkopf, der sie einfach ihres Weges ziehen ließ. Vielleicht war das das Beste, das Uneigennützigste, das er in seinem 130
ganzen Leben vollbringen würde. Und eines Tages, wenn er der Lady irgendwo auf der Straße begegnete, mit ihren fünf Kindern und ihrem E hemann, der gern Urlaub in einer Blockhütte machte, würde sie lächeln. Und er würde froh über alle die Dinge sein, die er ihr nicht gesagt hatte. Über alle die Gelegen heiten, die er ungenutzt hatte verstreichen lassen. Aber jetzt? "Höchste Zeit, dein altes Revier anzusteuern, Kumpel." Dass dies eine andere Stadt und andere Zeiten waren, spielte keine Rolle. Dort, wo die Armut herrschte, galten überall und zu jeder Zeit die gleichen Gesetze. Jeder dort war voller Verzweiflung und voller Angst. Zornig und auf sich allein gestellt. In dieser Nacht passte er genau dorthin. Die Sonne war noch gar nicht richtig aufgegangen, aber Rebecca war schon auf und aktiv. Vielleicht deshalb, weil sie in der Nacht zuvor nicht wirklich geschlafen hatte. Dies war der Tag, an dem sie abreisen würde, und sie hoffte, dass auch die meisten Gäste in den nächsten Stunden aus dem Eldora Oaks auschecken würden. Sie konnte es kaum abwarten, durch die Halle und zu der wartenden Limousine zu gehen, die sie von Logan und seinem Hotel fortbringen würde. Sie wollte es hinter sich bringen. Ohne nachzudenken, ohne sich die Zeit zum Zögern, zum Fühlen zu geben. Rebecca gab sich die größte Mühe, natürlich zu wirken. Die wenigen Gäste, die zu dieser frühen Stunde auf dem Weg nach unten waren, sollten nicht sehen, dass ihr Lä cheln nur gekünstelt war. Sie winkte jemandem zu, der sie begrüßte, verabschiedete sich hastig, aber ihr Blick 131
galt allein der nächsten Tür. Dem Ausgang. Dem Weg ins Vergessen. In ein paar Stunden würde all das hier vorüber sein. Sie war schon fast dort, kurz vor der breiten Tür aus Glas und Eichenholz, die sie einst so bewundert hatte, als eine Frau eben diese Tür aufstieß und das Eldora Oaks betrat. Die Lady gehörte nicht zu den Gästen, deren Gesichter Rebecca inzwischen so vertraut waren. Und doch war etwas an ihr, das Rebecca an jemanden erinnerte. Die schimmernde brünette Haarpracht, die meeresblauen Au gen, die langen Modelbeine. Reine Eleganz, gehüllt in Designermode. Mondäne Ausstrahlung. Selbstsicherheit. Exotische Augen, in denen sich Erotik mit Intelligenz verband. Ein Blick, der selbst dem mür rischsten Mann ein Lächeln entlockte. Dies war eine Frau, die man nicht ausbilden oder gar verändern musste. Man musste schon blind sein, um nicht zu erkennen, dass sie für einen Mann wie Logan die perfekte Ergänzung war. Die Frau ging auf Rebecca zu und streckte eine schma le Hand aus. "Hi, ich suche Logan Brewster. Sind Sie Gast im Ho tel? Wissen Sie vielleicht, ob er hier ist?" Rebecca winkte dem Angestellten an der Rezeption und bat ihn, Logan anzurufen, obwohl es noch sehr früh war. Sie würde ihn nur ungern stören, aber offenbar war etwas geschehen, von dem er erfahren musste. Das hier wird ihn interessieren, dachte sie und musterte die Frau so unauffällig wie möglich. Sie holte tief Luft und ergriff deren noch immer ausgestreckte Hand. "Hallo, ich bin Rebecca Linden, und nein, ich bin kein Gast. Ich gehöre zum Personal. Sie müssen Allison Myer sein. Wenn es Ihnen nichts ausmacht zu warten, werde 132
ich dafür sorgen, dass man Logan verständigt." Die Frau hob eine schmale Schulter zu einem unbe schwerten Achselzucken und betrachtete ihre zart ge formte Hand mit makellos polierten Nägeln und goldenen Ringen an den meisten Fingern. "Logan ist es wert, dass man auf ihn wartet, finden Sie nicht? Vielleicht wären Sie so freundlich, ihm etwas ausrich ten zu lassen." Rebecca hob den Blick und wartete darauf, dass die Frau fort fuhr. "Sagen Sie ihm, ich hoffe, dass er mich empfängt, und es tut mir Leid", sagte die Frau mit einer Stimme, die selbst einen zweiköpfigen Drachen besänftigt hätte. Als Rebecca sich mit einem Nicken begnügte, lächelte die Frau und schüttelte den Kopf. "Wir waren kurz davor, uns zu verloben, als ich ihn verließ, wissen Sie. Man sag te uns nach, wir wären das perfekte Paar." Rebecca fühlte sich, als würde sie versuchen, in Gelati ne schwimmen. Sie wollte weg von hier, aber sie kam einfach nicht von der Stelle. "Und jetzt sind Sie wieder da." "Ganz genau", bestätigte die Frau mit einem anmutigen Lächeln. "Jetzt bin ich wieder da."
11. KAPITEL
Logan meldete sich offenbar nicht. Also blieb Rebecca 133
nichts anderes übrig, als Allison zu einer Tasse Kaffee in den Speisesaal einzuladen und mit ihr zu warten. Automatisch streifte die Frau ihre Schuhe ab und zog die Beine auf den Stuhl, um es sich bequem zu machen. Bei manchen hätte das in einer so eleganten Umgebung kindisch ausgesehen. Bei Allison wirkte es ganz natürlich und selbstverständlich. Allison legte den Kopf schief und stützte ihn auf die Handfläche. "Sie waren mein Ersatz, nicht wahr?" Rebecca atmete tief durch und setzte sich gerader hin. "Ich wurde engagiert, um Logan bei der Eröffnung zu unterstützen, ja." Die Lady lächelte, als hätte sie ein Geheimnis, das sonst niemand kannte. "Dann wissen Sie ja, wie er ist. Der Mann raubt einer Frau ganz einfach den Atem. Er bringt einen dazu, alles zu geben, nur um ihm zu gefal len." Rebecca starrte Allison an. Sie wollte mit dieser Frau keine Vertraulichkeiten über Logan austauschen. Dazu waren ihre Gefühle für ihn einfach zu wertvoll, zu privat. Die Lady kicherte. "Sie haben doch wohl nicht ange nommen, Sie wären die einzige Frau, bei der er so etwas auslöst, oder?" Natürlich hatte sie das nicht geglaubt. Welche Frau konnte so naiv sein? "Na ja", sagte Allison, seufzte und nippte an ihrem Kaf fee, nachdem der Kellner ihn ihr hingestellt hatte. "Mir gefiel es nicht, dass ich so fühlte. Logan und ich dachten daran zu heiraten, und ich ... nun ja, die Männer hatten mir schon immer zu Füßen gelegen. Sie umschwärmten mich und wollten mir gefallen, nicht umgekehrt. Für Lo gan war ich nicht mehr als eine besonders gute Freundin, das wusste ich, obwohl er überlegte, ob er mich heiraten 134
sollte. Ich hatte immer gern alles unter Kontrolle, aber bei ihm gelang mir das nicht. Deshalb bin ich einfach davongelaufen." Allisons Stimme war mit jedem Wort ernster geworden, und Rebecca konnte nicht anders. Sie wusste, dass sie ein viel zu weiches Herz besaß. Sie wollte diese Frau hassen, die so ideal für Logan war, aber sie konnte es einfach nicht. Denn Allison wusste nur zu gut, wie vergeblich es war, Logan Brewster zu lieben. "Sie hätten bleiben sollen", sagte Rebecca sanft. "Das weiß ich. Es war falsch von mir, ihn zu verlassen, obwohl mir klar war, wie viel dieses Hotel Logan bedeu tete. Und vor allem war es falsch, ihn zu verlassen, ohne ihm den genauen Grund dafür zu nennen. Ich habe ... als Edwin mich einlud, ihn zu begleiten ... ich wusste, dass er von mir fasziniert war ... da habe ich einfach Ja gesagt, ganz spontan. Verglichen mit Logan erschien er mir so ... unkompliziert. Also trennte ich mich von Logan und schrieb ihm, dass ich zu einem Mann gehe, der mehr Geld hat. Und dann habe ich Logan und das Oaks verlas sen." "Und warum sind Sie jetzt zurückgekommen?" Allison zuckte mit den Schultern. "Um endlich ehrlich zu ihm zu sein. So ehrlich, wie ich es von Anfang an hätte sein sollen. In den letzten Wochen ist mir eines klar geworden. Das größte Geschenk, das man einem anderen Menschen ma chen kann, ist Ehrlichkeit. Logan und ich standen uns einmal sehr nahe. Ich muss mich bei ihm entschuldigen. Und mehr als das, ich muss ihn einfach wieder sehen." Rebecca nickte. Sie versuchte den Schmerz zu ignorie ren, der in ihr aufstieg und beständig wuchs. Auf keinen Fall wollte sie dabei sein, wenn Allison und Logan sich 135
versöhnten. Sie musste weg von hier. Sie verstand, dass Allison eine Weile allein sein wollte, um Mut für ihre Begegnung mit Logan zu sammeln, und stand auf. Aber noch konnte sie das Hotel nicht endgültig verlassen. Denn die Frau hatte Recht. Einfach davonzuschleichen war falsch und feige. Langsam ging sie durch die Korridore. Sie stieß die Tür zum Kino auf. Dort hatte sie Logan gestehen müssen, warum sie wein te. Jetzt dachte sie daran, wie sie einander umarmt und miteinander gelacht hatten. Dort war sie ehrlich zu ihm gewesen, wenn auch nur in einem kleinen, unbedeutenden Punkt. Aber wenn sie jetzt und heute das Hotel verließ, ohne noch einmal mit ihm zu sprechen, wäre sie nicht besser als Allison. Sie würde vor der Wahrheit davonlaufen. Und genau das hatte sie schon einmal getan. Ihre Ehe mit James war im Grunde mehr ein Davonlau fen vor ihrer Tante und ihrem Onkel gewesen als ein Hinlaufen zu ihrem Mann. Und selbst den beiden gegenüber hatte sie ihre Gefühle nie erklärt. Sie hatte einfach angenommen, dass die bei den wussten, was sie fühlte, aber vielleicht hatten die beiden das gar nicht. Trotzdem war sie gegangen, ohne ihr selbst und ihnen die Chance zu geben, ihren Gefühlen Luft zu machen. Und war sie jetzt nicht dabei, genau den gleichen Feh ler bei Logan zu wiederholen? Einfach zu gehen, ohne ihm zu sagen, was er ihr bedeutete und wie sehr ihre Welt sich durch ihn verändert hatte? Sie holte tief Luft. "Er ist jedes Risiko wert. Und ich werde ihm klarmachen, dass ich es verkrafte, wenn er 136
meine Gefühle nicht erwidert." Dass es eine ganze Weile dauern würde, bis sie darüber hinweg war, würde sie ihm verschweigen. Aber irgendwann würde sie ein besserer und glücklicherer Mensch sein, einfach nur deshalb, weil sie Logan Brewster ein paar Wochen lang gekannt hatte. Genau das würde sie ihm sagen. Das erste Sonnenlicht erhellte die düsteren Straßen im östlichen Teil von Eldora, und Logans Beine trugen ihn kaum noch. Seit Stunden war er jetzt durch die Stadt ge laufen. Er hatte versucht, nicht mehr an Rebecca zu den ken. Sie war eine warmherzige und hingebungsvolle Frau. Eine Frau, die von einem Ehemann und Kindern träumte. Wie konnte er für so eine Frau der Richtige sein? Das konnte er nicht. Unmöglich. Er brauchte sich nur in diesem Viertel umzusehen. Überall gab es Armut, Zorn und Verletzungen, die so tief waren, dass nichts und nie mand sie heilen konnte. Ein Mann, der ein solches Vier tel überlebte, schaffte das nur, indem er lernte, nicht zu fühlen und zu lieben. Er hatte seine Lektion gelernt. Verdammt gut. Zu gut. Und das war der Grund, weshalb er diese Frau, die er so sehr wollte, niemals bekommen konnte. "Du würdest sie um das betrügen, wofür sie lebt. Du würdest ihr das nehmen, was sie braucht, um glücklich zu sein." Während er durch die Straßen wanderte und es immer heller wurde, begriff Logan, dass er noch eine Weile an Rebecca denken musste. Nur eine Weile. "Was denkst du, Brewster, würde sie von diesem Stadt viertel halten?" 137
fragte er zynisch. Er fragte es, als wäre Rebecca noch nie in dieser Ge gend gewesen. Dabei wusste er genau, dass ihr Kinderheim sich hier irgendwo befand. Sie kam oft her. Sie kannte dieses Vier tel besser als jeder andere, der nicht hier lebte. "Und was hält sie davon?" murmelte er und schaute sich um. Er versuchte, sich in Rebecca zu versetzen. Zuerst gelang es ihm nicht. Er sah nur, was er immer gesehen hatte. Den Schmutz, die Armut, die abblätternde Farbe an den Häuserwänden. All die Dinge, die ihn dazu gebracht hat ten, einen Ort wie diesen hinter sich zu lassen und es zu etwas zu bringen. Erfolgreich zu sein, um jeden Preis. Nie wieder zurück zukehren. Und die Augen vor allem zu verschließen, was ihm wehtun konnte. Vor falschen Hoffnungen, zum Bei spiel. Oder unmöglichen Träumen. Oder der Liebe. Der Schmerz war so gewaltig, dass er sich fast krümm te. Schlagartig begriff er, wie gefühlskalt er geworden war. Er schaffte es nicht einmal, sich auszumalen, was in Rebeccas Herz vorging, wenn sie eine Straße entlang ging. Aber dann schloss er für eine Sekunde die Augen und konzentrierte sich. Als er die Augen öffnete, sah er ... andere Dinge. Ein junges Paar, das Hand in Hand die Straße entlangging. Und trotz der trostlosen Umgebung lächelte. Hin und wieder stehen blieb, um sich zu umarmen, sich zu küs sen, und dann weiterging, Hand in Hand. Als wären sie wirklich glücklich. Als könnten selbst hier Träume wahr werden. 138
Er drehte den Kopf und sah eine Mutter und einen Va ter, die einen leicht schiefen Kinderwagen schoben. Der Mann winkte seiner Frau, in den Wagen zu schauen, und gemeinsam betrachteten sie ihr Baby. Er trug eine schäbige Lederjacke und zerrissene schwarze Jeans, aber sein Blick war voller Zärtlichkeit, als er behutsam nach seinem Sohn griff. Er drückte ihn an sich und küsste ihn auf die Stirn. Dann lächelte er der Frau zu, die sich vorbeugte, um ihren Mann und ihr Kind zu küssen. Plötzlich kam Logan die Farbe an den Häuserwänden ein wenig weißer, ein wenig sauberer vor. Ein Haus lässt sich streichen, dachte er. "Oder wenigstens würde Rebecca das denken", mur melte er. Dann sah er wieder zu dem Ehepaar mit dem Baby hin über. Er fragte sich, ob es in dem Viertel, in dem er auf gewachsen war, solche Eltern gegeben hatte. "Mach dir nichts vor, Brewster. Dieses Viertel braucht Arbeit und viel mehr als Hoffnung", flüsterte er. "Hier leben verlorene Seelen." "Reden Sie mit sich selbst, Mister? Sie sehen nicht aus wie ein Mann, der das tut?" Logan drehte sich nach der kindlichen Stimme um und starrte auf einen kleinen Jungen hinunter, auf dessen in telligentem Gesicht ein wissendes Grinsen lag. Logan lächelte verlegen. "Ich habe nur laut nachge dacht. Kennst du das Kinderheim dort hinten?" Misstrauisch kniff der Junge die Augen zusammen, a ber dann nickte er. "Sicher. Ich habe diesen Baseball von da." Er warf den Ball in die Luft und fing ihn wieder auf. "Und das Shirt hier." Er zupfte am Stoff. "Was ist damit?" 139
"Kennst du die Ladys, die dort arbeiten?" Der Kleine runzelte die Stirn. "Haben Sie ein Problem mit denen? Wenn ja, haben Sie jetzt ein Problem mit mir, Mister. Die Ladys da sind meine Engel. Wir hier lassen nicht zu, dass jemand ihnen was tut. Nicht mal irgendein reicher Knacker wie Sie." "Dann sind wir uns ja einig", erwiderte Logan. "Zufäl lig liegt mir auch viel an den Engeln. Ich wollte nur wis sen, ob ihr Kinderheim dir irgendwie geholfen hat." Der Blick des Jungen verriet, was er über die Frage dachte. "Ich habe einen neuen Baseball, oder etwa nicht? Und ein neues Shirt. Die Engel sind gut zu uns. Ich weiß nicht, ob Sie unsere Engel wirklich kennen. Sonst würden Sie keine so dämlichen Fragen stellen", fügte er kopfschüttelnd hinzu. Und in diesem Moment wusste Logan, dass der Junge von den Ladys mehr als nur einen Baseball und ein Shirt bekommen hatte. Eine solche Loyalität erwuchs nicht aus schlichter Wohltätigkeit, aus dem Verteilen von Ge schenken oder Geld. Dieser Junge hatte ganz offenbar etwas viel Wichtigeres und Wirksameres erlebt. Seine Engel hatten ihm nicht nur Geschenke, sondern auch Würde gegeben. Logan schaute wieder zu dem Jungen hinunter und nickte anerkennend. "Dann pass gut auf deine Engel auf. Sie sind etwas ganz Besonderes." Der Junge lächelte zustimmend. Logan winkte ihm zum Abschied zu, und als er weiter ging, begriff er, dass er die Welt wirklich mit Rebeccas Augen gesehen hatte. Denn der Schmutz war noch immer da. Genau wie die Angst und die Armut und die Häss lichkeit. Jede Menge Hässlichkeit sogar. Er selbst gehörte 140
zu den wenigen Glücklichen, die ihr entflohen waren. Aber... was wäre, wenn er wieder an einem Ort wie die sem leben müsste? Wie würde es ihm ergehen, wenn die ses Viertel noch immer sein Zuhause wäre? Die Antwort schoss ihm durch den Kopf, wie Wasser, das über eine Felsklippe strömte. Er würde jemanden brauchen, der neben all dem Schlechten auch das wenige Schöne sah. Würde er hier leben, würde er es mit jeman dem tun wollen, der ihm etwas Hoffnung geben konnte. Mit jemandem, der fühlte und liebte. Mit jemandem ganz Bestimmten. Und dieser ganz bestimmte Mensch fehlte ihm jetzt sehr. Aber jetzt konnte er nicht einfach gehen. Rebecca wür de nie gehen, ohne etwas Gutes zu hinterlassen. Als er jung gewesen war, hatte er nichts ändern können. Er hatte seinem Freund nicht helfen können. Doch er war kein Kind mehr, und er hatte ein kleines Stück der Welt mit den Augen einer warmherzigen, mit fühlenden Frau gesehen. Wäre sie hier, würde sie alles tun, was sie könnte. Aber nicht sie, sondern er war heute hier. Also suchte er unter den Menschen auf der Straße nach denen, deren Blick am wenigsten Hoffnung verriet. Er fand eine Frau, deren Baby herzzerreißend weinte. Eine Frau, die viel älter aussah, als sie vermutlich war. Vorsichtig ging er auf sie zu, lächelte dem Baby aufmunternd zu und stopfte der Mutter einen Geldschein in die Tasche. "Bitte, nehmen Sie es. Es ist nichts", sagte er, als sie ängstlich zurückwich. "Ich wollte Sie nicht erschrecken. Bitte, nehmen Sie das Geld für das Baby", sagte er und zeigte auf das Kind. "Auch wenn es nicht reicht. Nicht annähernd." Das stimmte. Er wollte so viel mehr geben als nur Geld, aber in diesem Moment war 141
Geld alles, was er geben konnte. Dann ging er davon. Er lächelte jedem Kind zu, dem er begegnete, und sagte Hallo zu jedem Erwachsenen, der ihn ansah. "Denen, die sie brauchen und annehmen, ein wenig Hoffnung zu schenken." Ein bisschen Hoffnung brauche ich selbst, dachte er und machte sich auf den Rückweg zum Hotel und zu der Frau, die vielleicht schon dabei war, für immer aus sei nem Leben zu verschwinden. Nervös ging Rebecca irgendwo im Hotel auf und ab, bis ein Page ihr meldete, dass Logan ins Oaks zurückge kehrt war. Sie eilte in die Halle und war fest entschlossen, ihn in eine ruhige Ecke zu bitten und ihm dort zu sagen, was ihr auf der Seele brannte. Bei der Vorstellung wurde ihr fast übel. Trotzdem ging sie weiter und sah als Erstes, wie Allison gerade ihre Hand in seine schob und ihn aus der Halle zog. Wohin, konnte Rebecca nur ahnen. Natürlich. Er und Allison waren so gut wie verlobt ge wesen und hätten fast geheiratet, hatte die Frau ihr er zählt. Die Lady hatte das Recht, ihm ihr Herz auszuschüt ten und eine Versöhnung zu versuchen. Einen Moment lang zögerte Rebecca. Vielleicht sollte sie ihm doch nichts sagen. Vielleicht würde ihr Geständ nis nicht das bewirken, was sie erhoffte. Vielleicht wäre Logan doch nicht stolz darauf, dass er sie glücklich ge macht hatte. Möglicherweise würde es ihn sogar belasten, dass er ihre Liebe nicht erwidern konnte. Sollte sie einfach davongehen? Die bequemste Lösung wählen? Die feigste? Hastig schüttelte sie den Kopf. Nein, das brachte sie 142
nicht fertig. Also setzte sie sich in Logans Büro. Und wartete. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit. Doch als die Tür sich endlich öffnete, stellte sie ver blüfft fest, dass sie erst drei Minuten hier war. Er lächelte, als hätte er gerade das schönste Geschenk der Welt bekommen. "Ich ... habe dich mit Allison gesehen", begann sie, ihre Stimme nicht mehr als ein gespanntes Wispern. Er nickte. "Ja. Ich war überrascht, sie hier zu sehen." Und seinem Gesichtsausdruck nach war es eine höchst angenehme Überraschung gewesen. Sie sollte zur Sache kommen, ihm sagen, was sie zu sagen hatte, und dann gehen. Ich muss weg von hier, dachte Rebecca, während sein Lächeln ihr das Herz brach. Sie senkte den Kopf ein wenig. "Eigentlich wollte ich längst weg sein", sagte sie. "Ich weiß, unser Vertrag ist ausgelaufen, aber..." Sie wagte es, den Kopf wieder zu heben und ihm in die Augen zu schauen. "Ich möchte mich bei dir bedanken", begann sie mit brüchiger Stimme. "Ich weiß, wir haben uns schon verab schiedet, aber... ich habe dir nie gesagt... ich möchte dir sagen, wie besonders diese Zeit für mich war. Ich führe ein glückliches Leben, und trotzdem ... während ich hier war, habe ich Dinge gefühlt, die ich noch nie zuvor gefühlt hatte. Deinetwegen. Und ich woll te, dass du weißt... wie wunderbar du bist." Er machte einen Schritt auf sie zu. Sie wich zurück und hob abwehrend die Hand. "Ver steh mich bitte nicht falsch. Ich sage dir das nicht, weil ich etwas von dir will. Ich finde nur ... ein Mensch sollte es erfahren, wenn er das Leben eines anderen Menschen verändert hat. Wenn er etwas bewirkt hat. Ich wollte, 143
dass du das weißt, bevor ich gehe." Rebecca wandte sich zum Gehen. Ihre Schritte waren zaghaft, fast wie ein Taumeln. Dann wurde sie aufgehal ten. Seine Hand an ihrem Arm war warm und behutsam, aber fest. "Du kannst nicht gehen", sagte er leise. "Noch nicht, Rebecca." Schlagartig wurde ihr Blick klar, und aus großen Augen starrte sie ihn an. "Dein Vertrag läuft erst um Mitternacht aus, Liebling. Wenn du mir nicht glaubst, hol ihn heraus, und wir gehen ihn noch einmal gemeinsam durch." "Ich muss gehen", sagte sie. "Ich möchte gehen. Bitte." "Rebecca, Liebling. Ich bin bereit, den Vertrag zu zer reißen, aber wenn wir das tun ... werde ich einen neuen aufsetzen, einen anderen. Wenn du das willst." Er zog sie an sich. "Logan?" Er griff hinter sich, tastete auf seinem Schreibtisch nach Papier und einem Stift. "Warte", flüsterte er und ließ sie los, um etwas zu schreiben. Hastig notierte er ein paar Sätze und drückte ihr den Bogen in die Hand. Sie starrte darauf, las die Worte und schloss die Augen. Er hatte einen neuen Vertrag verfasst. Einen ganz ein fachen. Sie öffnete die Augen wieder. Ich, Logan Brewster, erkläre feierlich, dass ich Dich, Rebecca Linden, für immer lieben werde. Im Gegenzug erklärst Du, Rebecca Linden, dass Du mich auf deine Weise lieben wirst, solange Du kannst. Wir beide erklä ren, dass wir diese Welt zu einer besseren für Kinder 144
machen werden. Für unsere eigenen und viele andere. Darunter stand sein Name. Sie sah ihn an. "Ich dachte, du und Allison ..." "Sie ist nur gekommen, um endgültig Schluss zu machen. Sie wollte Edwin, dem Mann, den sie wirklich liebt, beweisen, dass sie frei für ihn ist." "Aber du wolltest sie heiraten." Er lächelte. "Das wäre ein geschäftliches Arrangement gewesen, mehr nicht. Mit dir wird es das nicht sein, wenn du mich haben willst. An dich denke ich, wenn ich arbei te oder esse oder schlafe. Du bist die erste Frau, die mich dazu bringt, sesshaft werden zu wollen. Ich will dich ne ben mir haben, wenn ich aufwache, und in meinen Ar men, wenn ich einschlafe. Und immer in meinem Leben." Sie lächelte. "Steht das auch in dem Vertrag, Logan?" "Ganz be stimmt, Rotkäppchen", erwiderte er und küsste sie.
ENDE
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