raum&zeit Interview
„Unbequeme Wahrheiten müssen ans Licht!“ Eine Ethikschutzorganisation setzt sich dafür ein, dass wichtige Erkenntnisse nicht unterdrückt werden. raum&zeit Interview mit Antje Bultmann. Von Angelika Fischer, Wolfratshausen.
Menschen, die bei drohender Gefahr Alarm schlagen, auch wenn sie sich damit gegen den Willen von Machthabern stellen, nennt man Whistleblower. Zu ihnen gehören Wissenschaftler, die in Lebensmitteln giftige Stoffe entdecken oder bisher unbekannte Umweltbelastungen erforscht haben. Machen sie auf die bestehenden Missstände aufmerksam, geraten sie nicht selten unter massiven Druck von Industrie oder Politik. Diese oft existentiell bedrohten Menschen zu stärken, ist das Ziel der Ethikschutzinitiative in Wolfratshausen.
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ntje Bultmann, engagierte Leiterin dieses Projektes und Buchautorin, erzählt im Gespräch mit raum&zeitRedaktionsmitglied Angelika Fischer von ihrer wichtigen Arbeit: raum&zeit: Sie setzen sich seit 15 Jahren für Menschen ein, die auch in demokratischen Ländern wie Deutschland daran gehindert werden, wichtige Erkenntnisse an die Öffentlichkeit zu bringen. Gibt es hierzulande, Ihrer Ansicht nach, wirklich Meinungsfreiheit? Antje Bultmann: Nur eingeschränkt! Viele Leute, die sich mit Tabu-Themen befassen, werden mundtot gemacht. Einige sagen auch, dass sie abgehört werden oder dass ihre
Post kontrolliert wird. Das ist aber schwer nachzuweisen. r&z: Können Sie ein Beispiel für ein Thema nennen, das unterdrückt wurde? A. B.: Der deutsche Arzt und Professor Siegwart-Horst Günther beispielsweise entdeckte, dass die Amerikaner während des Golfkrieges im Irak für Milliarden Jahre tödliche Spuren hinterlassen haben. Wie mittlerweile nachgewiesen ist, verursachen nämlich Uranprojektile, die die Alliierten in den letzten vier Kriegen tonnenweise verschossen haben, Missbildungen und Krebserkrankungen. Nicht nur die Soldaten und die Zivilbevölkerung, die den Krieg miterlebt haben, sind betroffen, sondern auch die Menschen, die in Friedenszeiten in ehemaligen Kriegsgebieten leben. Diesen Zusammenhang entdeckte Prof. Günther,
Das Licht fällt auf vermeidbare Katastrophen: ein Urangeschädigtes Kindergesicht und einen mit Öl verschmutzen Strand. Collage: raum&zeit als er sich nach 1991 im Irak aufhielt. Er beobachtete dort Kinder, die Uranprojektile als Puppen verwendeten. Eines dieser Kinder war kurz zuvor an Leukämie erkrankt. In den dortigen Krankenhäusern sah er dann massenweise Kinder, die z. B. eine offene Wirbelsäule hatten, verkrüppelte Extremitäten, ein entstelltes Gesicht oder Leukämie. Diese Symptome glichen seiner Ansicht nach denen, die bei Kindern von USGolfkriegsveteranen gefunden wurden. Schließlich fand er heraus, dass Urangeschosse, die auch oft noch mit Plutonium verunreinigt sind, das Erbgut verändern. Hier wollte er weiterforschen und aufklären, wurde jedoch daran gehindert. r&z: Wie hat dies ausgesehen? A. B.: Als er zum Beispiel ein Uranprojektil aus dem Irak an deutschen Universitäten untersuchen wollte, verurteilte die Polizei ihn wegen „Freisetzung ionisierender Strahlung“
zu 3.000 Mark Strafe. Oder wenn er Vorträge hielt, wurden sie als unwissenschaftlich abgetan. Zweimal sind sogar Anschläge auf ihn verübt worden. Einmal hatte man ihm ei-
„Ich denke, dass unser Planet nur überleben kann, wenn mehr Menschen diesen mutigen Weg einschlagen.“
nen vergifteten Willkommenstrunk in sein Hotelzimmer in Amman gestellt. Ein anderes Mal hatte der Fahrer eines Jeeps ihm aufgelauert, als er um sechs Uhr morgens seinen Waldlauf machte. Plötzlich rammte ihn der Jeep, so dass Prof. Günther drei Brüche erlitt und die Besinnung verlor. Kriminell ging es auch zu, als
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Die Ethikschutzinitiative Die Ethikschutzinitiative ist die erste deutsche Organisation, die sich ausschließlich der Situation der Whistleblower widmet. Dr. Günter Emde gründete sie 1994 als Projekt der internationalen Vereinigung INES (International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility). Als Antje Bultmann im selben Jahr das Buch „Käufliche Wissenschaft“ herausbrachte, wurde er auf sie aufmerksam und gewann sie als Leiterin des Projektes. Seitdem engagiert sich die Sozialwissenschaftlerin und ehemalige Heimleiterin „acht Tage die Woche“, wie sie sagt, dafür, unterstützt durch Bundesverwaltungsrichter Dieter Deiseroth, Prof. Armin Tenner und Rolf Besser. Von ihrem Wohnsitz in Wolfratshausen aus (zufälliger Weise unweit unseres Verlages) hilft sie Whistleblowern in der ganzen Welt. Bisher hatte sie hier vor allem mit Wissenschaftlern zu tun, die in ihrer Arbeit auf Erkenntnisse gestoßen sind, die sie in Gewissensnot gebracht haben. Prinzipiell ist die Initiative jedoch für alle da, die Missstände in der Gesellschaft gegen Widerstände öf-
er von einem Vortrag zurückkam, den er in Malaysia gehalten hatte. Zwei Männer verfolgten ihn nach seiner Ankunft am Hamburger Flughafen und entrissen ihm seine Tasche, in der sich Dias und Unterlagen zu den Wirkungen der Urangeschosse befanden. Die Strafanzeige, die Prof. Günther daraufhin aufgab hat, Anzeige
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fentlich machen wollen. Ein Angestellter beispielsweise, der bemerkt, dass seine Firma ihr Schmutzwasser unzulässig entsorgt, kann ebenso ein Whistleblower sein. Die korrekte Definition dieser Personengruppe stellt vier Kriterien auf, die zutreffen müssen: 1. Ein Whistleblower enthüllt Gefahren oder Fehlentwicklungen, die das friedliche Zusammenleben der Gesellschaft oder der Umwelt bedrohen. 2. Er handelt nicht aus Eigennutz, sondern aus Sorge um das Wohl von Mitmenschen und Umwelt. 3. Er schlägt Alarm. 4. Er geht ein hohes Risiko ein. Je stärker das Netzwerk aus Whistleblowern und deren Schützern ist, desto leichter kann das bedeutsame Wissen der Warner an die Öffentlichkeit gelangen. Menschen, die hier mithelfen wollen, werden deshalb mit offenen Armen empfangen von der: Ethikschutz-Initiative Sauerlacherstr. 1 82515 Wolfratshausen Tel.: 08171/7 26 15 e-mail:
[email protected] www.ethikschutz.de
hat nichts erbracht. 1998 ließ ihn ein Richter vom Amtsgericht Husum psychiatrisch untersuchen. „Was wäre der Staatsschutz ohne die Psychatrti“, hieß ein Artikel, den die Neue Leipziger Zeitung damals dazu schrieb. r&z: Mit welchen Methoden werden unbequeme Warner aufgehalten?
A. B.: Es gibt viele Methoden. Dem argentinischen Professor Guillermo Miguel Eguiazu zum Beispiel nahm die Universität Rosario nach und nach sein Institut weg. Er hatte das Pilzgift Aflatoxin und bestimmte Pestizide erforscht und daraufhin gefordert, Verbraucher und Anwender vor den davon ausgehenden Gefahren zu schützen. Weil er die breite Masse warnen wollte, ging er in die Dörfer und sprach öffentlich zu den Menschen. r&z: Und was passierte dann? A. B.: Seine Kontrahenten organisierten anschließend an den gleichen Orten Gegenveranstaltungen. Eines Tages fand Eguiazu sein Labor verwüstet vor. Die Forschungsgeräte waren zertrümmert. Mittlerweile nahm die Universität ihm seinen Arbeitsplatz ganz weg. Er erhält nur noch ein gekürztes Gehalt. Ein Protest der Studenten hat nichts erreicht. Das alles hat ihn so sehr getroffen, dass er eine Herzattacke erlitt. Mir tut Prof. Eguiazu furchtbar leid. r&z: Wer sind denn die Gegenspieler der Whistleblower? A. B.: Bei Prof. Eguiazu ist es wahrscheinlich die Universität, die abhängig ist von der Wirtschaft. Hätte er zum Beispiel erreicht, dass diese Sorte
Antje Bultmann zu Besuch bei Whistleblower Professor Siegwart-Horst Günther
Pestizide in Argentinien verboten wird, wie dies in den USA bereits der Fall ist, hätte die Herstellerfirma einen Verlust hinnehmen müssen. Ich habe Prof. Eguiazu auch häufig gefragt, wer denn hinter diesen Anfeindungen steht. Er hat sich jedoch immer bedeckt gehalten, vielleicht weiß er es auch nicht. Bei Siegwart-Horst Günther hat die US-amerikanische Regierung großes Interesse daran, dass die Öffentlichkeit nicht weiter über die Uran-Problematik stolpert. Andernfalls ständen ihr nämlich Schadensersatzklagen in Milliardenhöhe ins Haus. Allein im Staat Mississippi leiden 67 Prozent der Kinder von 250 Golfkriegsveteranen unter der Uran bedingten Symptomatik. r&z: In England und den USA gibt es bereits Gesetze, die Whistleblower schützen. Wäre dies auch bei uns sinnvoll? A. B.: Wir brauchen auf jeden Fall auch solche Regelungen, damit Menschen sich trauen, auch gegen Widerstände verantwortungsbewusst zu handeln. Unbequeme Wahrheiten müssen ans Licht! Viele
Der argentinische Professor Guillermo Miguel Eguiazu wollte die Gefahren durch Aflatoxine bekannt machen. Whistleblower halten große Ängste aus. Sie setzen wissentlich ihren Arbeitsplatz aufs Spiel, ihr Ansehen, ihre finanzielle Sicherheit und natürlich oft auch ihren häuslichen Frieden. Oft haben sie irgendwann kei-
ne Kraft mehr zu kämpfen und zu prozessieren und ziehen sich in ihr Schneckenhaus zurück. Deshalb wäre es sehr wichtig, Schutzinstanzen gesellschaftlich zu verankern. Unsere Grundrechte auf Meinungs- und Gewissensfreiheit
müssen gewahrt werden. Es wäre sinnvoll, in großen Betrieben die Stelle einer Ethikschutz-Vertrauensperson einzurichten. r&z: Gibt es bereits Ansätze bei uns? A. B.: Der Bundesverwaltungsrichter Dieter Deiseroth hat hier mit seiner Schrift „Berufsethische Verantwortung in der Forschung“ schon gute Vorarbeit geleistet, ebenso die Juristin Prof. Ulrike Wendeling Schröder. Gerade in unserer Zeit, in der ständig neue Technologien entwickelt werden und neue Produkte auf den Markt kommen, können immer mehr unvorhergesehene Begleiterscheinungen auftreten. Warnungen von Einzelpersonen mit speziellem Wissen sind von daher unendlich wichtig. Ich denke, dass unser Planet nur überleben kann, wenn mehr Menschen diesen mutigen Weg einschlagen. r&z: Haben es solche Menschen in einem als liberal geltenden Land wie Deutschland leichter als in einem diktatorischen System? A. B.: Natürlich kommen in weniger liberalen Ländern extremere Mittel zum Einsatz. Dort werden eben Labors verwüstet oder störende Personen relativ leicht hinter Gitter gebracht. Aber auch in Deutschland ist es schlimm genug! Hier versucht man’s auf die feine Tour: Da wird die
Presse unter Druck gesetzt. Ein Magazin, das auf Anzeigen von einer Firma angewiesen ist, kann über diese nichts Schädigendes schreiben. Angestellte werden in Deutschland auch häufig damit unter Druck gesetzt, dass man ihnen
„Viele Whistleblower setzen wissentlich ihren Arbeitsplatz aufs Spiel, ihr Ansehen, ihre finanzielle Sicherheit und natürlich oft auch ihren häuslichen Frieden.“
mit Kündigung droht oder dass sie am Arbeitsplatz von ihren Kollegen extrem isoliert bzw. auch schikaniert werden. r&z: Haben Sie Angst, dass es auch für Sie mal gefährlich werden könnte? A. B.: Ich bin bisher noch nicht bedroht worden. Man kann aber schon Angst bekommen, wenn man von Whistleblowern erfährt, die verprügelt wurden oder Morddrohungen erhielten und wenn man mitbekommt, was sie alles durchmachen müssen
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und wie gesetzeswidrig sie behandelt werden. r&z: Gab es für Sie ein Schlüsselerlebnis, das Sie zu dieser Arbeit gebracht hat? A. B.: Ja, das kann man so sagen. Als ich 1988 noch in Tübingen gewohnt habe, haben in meiner Umgebung plötzlich immer mehr Menschen rätselhafte Krankheitssymptome bekommen. Die Tübinger Hautärztin Dr. Josenhans stellte fest, dass schubweise gehäuft Patienten mit blauen Flecken am ganzen Körper, gestörter Hautempfindung und Kopfschmerzen erschienen. Die Ärztin entdeckte, dass diese Patientenwellen immer dann auftraten, wenn die Felder und Obstbäume in der Region mit Pestiziden gespritzt wurden. Insgesamt waren um die 100 Menschen unterschiedlich stark davon beeinträchtigt. Sehr schlimm für mich war, dass eine Bekannte von mir und ein Anzeige
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Antje Bultmann (links) mit Redaktionsmitglied Angelika Fischer im Besprechungszimmer des Ehlers Verlages. Foto: raum&eit Nachbar, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite gewohnt hat, an den Symptomen gestorben sind. Viele Betroffene haben damals Anzeige erstattet, was an der Staatsanwaltschaft jedoch abgeprallt ist. Ein Vertreter vom Wirtschaftskontrolldienst durchschaute die Situation. Er könne jedoch nichts tun, war seine Stellungnahme, dies sei eine politische Angelegenheit. Das war’s. Die Patienten bekamen den Stempel „psychisch krank“ aufgedrückt. Vielen Betroffenen blieb von daher keine andere Wahl als wegzuziehen. r&z: Im Verhältnis zu den Widerständen, die Whistleblowern entgegengesetzt werden, ist Ihre Ethikschutz-Initiative sehr klein, d. h. sie besteht aus sechs Personen, die sich jedoch teilweise nur in geringerem Umfang einbringen können. Können Sie den Wahrheitskämpfern, die mit dem Rücken zur Wand stehen, da wirklich helfen? A. B.: Wir tun, was wir können. Für sehr wichtig halten wir die Auklärungsarbeit. Zusammen mit Dieter Deiseroth veröffentlichte ich zum Beispiel viele Artikel. Es erschienen auch einige Bücher zum Thema Whistleblowing. Das Wichtigste ist, dass die Leute hierüber zu Reden beginnen. Dann vergeben wir alle zwei Jahre einen Preis gemeinsam mit der Juristenorganisation IALANA (international association of lawyers against nuclear arms) und der VDW (Vereinigung Deutscher Wissenschaftler). 1999 haben wir einen Preis an Alexandr Nikitin verliehen, der öffentlich gemacht hat, dass die russische Marine im Eismeer Atommüll versenkt. 2001 haben wir Dr. Margrit Herbst geehrt, die schon vor zwölf Jahren vor BSE (siehe raum&zeit Nr.110
„BSE-Missachtung der Naturgesetze“) warnte. In manchen Fällen versuchen wir auch, Whistleblower finanziell zu unterstützen. Leider können wir hier nur bescheidene Summen aufbringen. Natürlich würden wir gerne noch mehr tun, dafür bräuchten wir jedoch noch mehr Menschen, die uns tatkräftig oder finanziell unterstützen. r&z: Glauben Sie, dass Whistleblower irgendwann einmal weniger hart kämpfen müssen? A. B.: Ich bin davon überzeugt, dass sich die Situation verbessert. Für das nächste Jahr haben wir vier Konferenzen geplant, in denen wir das Gesetz zum Schutz der Whistleblower vorbereiten möchten. Hierzu sind auch Vertreter aus
London und Seattle (USA) eingeladen, die selbst große Whistleblower-Organisationen haben. Dort ist man viel weiter. Es gibt Rechtsanwälte, die sich spezialisiert haben und schon millionenschwere Prozesse für Whistleblower gewonnen haben. Da beraten die Initiativen nicht nur denjenigen, der einen Missstand im Unternehmen aufdeckt, sondern auch das Unternehmen selbst. Im Dialog mit allen Beteiligten versuchen sie, die Probleme demokratisch zu lösen. Für eine bessere Situation in den hier weniger fortschrittlichen Ländern ist es entscheidend, dass die Bevölkerung umdenkt und in Whistleblowern das sieht, was sie sind, nämlich wirkliche Helden. ■
Bücher zum Thema • „Ein gesamtdeutsches Unternehmen zieht Bilanz und legt, wie nebenbei, die anhaltende soziale Spaltung des Landes offen.“ Günter Grass, Daniela Dahn, Johano Strasser (Hg.): „In einem reichen Land. Zeugnisse alltäglichen Leidens an der Gesellschaft“ (mit Artikel von Antje Bultmann). Steidl Verlag 2002, ISBN 3-88243-841-X, auch zu beziehen beim raum&zeit Bücherservice, Ehlers Verlag GmbH, Geltinger Str. 14e, 82515 Wolfratshausen, Tel.: 08171/41 84-60, 34 €, Fax: 08171/41 84-66, e-mail:
[email protected] • Antje Bultmann (Hg.) in ihrem Buch: „Auf der Abschussliste. Wie kritische Wissenschaftler mundtot gemacht werden.“ Knaur Verlag 1997, 8,70 €, vergriffen nur noch erhältlich bei Antje Bultmann, Sauerlacher Str. 1, 82515 Wolfratshausen, Tel.: 08171/72615