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Many thx to: CasimYr Cathrin Corben Gobblin Kristy Volpone / K-Volp Zap (alphabetical order)
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10. November 2002
Titel der amerikanischen Originalausgabe: „The Lost" und „The Timeshifter". Verfaßt von John Peel, mit freundlicher Genehmigung von Tor Books. , Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Emanuel David Bergmann.
•SS. ISBN 3-932234-31-6 - 1. Auflage 1997 © 1996 Outer Productions Inc. All Rights Reserved. The Outer Limits is a trademark of Metro-Goldwyn-Mayer Inc., and is licensed by MGM Consumer Products. Lizensiert durch CTM Merchandising GmbH. Coverillustrationen: Jerry N. Uelsman Covergestaltung: Susanne Geben © 1997 Burgschmiet Verlag GmbH, Burgschmietstraße 2-4, 90419 Nürnberg Printed in Germany
Inhalt
Der Verlorene Der Zeitreisende
6 118
Der Verlorene Ein scheinbar allgemeines Problem, mit dem sich alle Eltern und Erwachsenen auseinanderzusetzen haben, ist die Frage, wie man seine Kinder erziehen soll. Sehr primitive Lebensformen tendieren dazu, viele Nachkömmlinge zu zeugen und sie anschließend auszusetzen. Dies geschieht in der Hoffnung, daß einige überleben und sich vermehren, um so den Kreislauf fortzusetzen. Bei komplexeren Lebensformen läßt sich elterliche Fürsorge beobachten, denn die ausgewachsenen Tiere kümmern sich um eine relativ geringe Anzahl von Nachkömmlingen. Sie erziehen sie und sorgen für sie, bringen ihnen die Fertigkeiten bei, die sie zum Überleben brauchen. Sie verteidigen sie gegen ihre natürlichen Feinde oder verstecken sie vor ihnen. Sie sind einfach für sie da. Die menschliche Spezies ist in einer Ausnahmestellung, zumindest was das Leben auf der Erde betrifft. Zum einen haben die Menschen nur wenige Feinde, von denen die meisten mikroskopisch klein sind. Also müssen sie nicht sonderlich viel Zeit damit verbringen, ihrem Nachwuchs das Überleben in einer feindlichen Welt beizubringen. Stattdessen versuchen sie ihre Kinder so zu erziehen, daß sie in ihre Fußstapfen treten können. Sie verbringen viele Jahre damit, aus ihren Kindern Ebenbilder ihrer selbst zu formen. Das Problem dabei ist, daß Kinder ihre eigene Intelligenz entwickeln. Man kann sie nicht einfach in eine Form pressen. Sie müssen ihren eigenen Weg wählen, egal ob dieser Weg richtig oder falsch ist. Sie fordern die Möglichkeit, selbständig Entscheidungen zu treffen, wenn auch vielleicht die falschen. Sie verlangen das Recht, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, obwohl ihre Eltern viele Jahre undviel Geld in sie investiert haben. Kurz gesagt, sie wollen als Individuen ernst genommen werden. Diese Forderungen stehen oft im Gegensatz zu dem, was sich die Eltern wünschen, manchmal in einem gefährlichen Maß. Wenn das geschieht, was sollen die Eltern tun ? Der vermutlich unausweichlichste Instinkt, den jede Mutter und jeder Vater im Universum haben wird, ist der, die Kinder zu beschützen. Ob es den Kindern gefällt oder nicht... Justin Chapman ist ein ganz normaler Teenager. Bis er eines Nachts von einer geheimnisvollen Polizeistreife verhaftet wird. Am nächsten Tag ist er nicht wiederzuerkennen: Sein langes Haar ist auf einmal kurzgeschoren. Statt Jeans und T-Shirt trägt er plötzlich Hemd und Krawatte. Sogar sein Verhalten ist ganz anders: Aus dem rebellischen Jungen ist ein Musterschüler geworden. Es ist klar, daß da etwas nicht stimmt. Seine Freundin beschließt, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen...
Kapitel l Hinter dem Auto heulte eine Sirene. Rotlicht wurde sichtbar. Justin Chapman fluchte und schlug frustriert auf das Lenkrad ein. Auf dem Beifahrersitz drehte sich seine Freundin Stacy Harvey zur Seite, um einen Blick aus dem Rückfenster zu werfen. In der Dunkelheit war ein Polizeiwagen zu sehen - und zu hören. Auf dem Rücksitz saßen Amy Moore, Stacys beste Freundin, und ihr Freund Adam Vitte, beide waren sichtlich nervös. „Ich bin nur ein bißchen zu schnell gefahren", beklagte sich Justin, als er widerstrebend den Wagen am Rand der Straße nach Hainesville zum Stehen brachte. Er drückte auf einen Knopf, und die Stereoanlage spuckte die Marilyn Manson-Kassette aus, die sie sich soeben angehört hatten. „Zwanzig Stundenkilometer über der Geschwindigkeitsbegrenzung", bemerkte Stacy. Justin starrte sie an. Sein dunkles Haar fiel ihm über den Nacken und in die Augen. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Auf welcher Seite stehst du eigentlich?" wollte er wissen. „Halt einfach den Mund, okay?" Stacys Gesicht brannte, als ob er sie geschlagen hätte. Sie strich durch ihr langes blondes Haar und starrte ihn an. „Ich bin kein Kind mehr", warnte sie ihn. Sie war fünfzehn, er zwei Jahre älter. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, er war athletisch gebaut, gutaussehend und cool. Auch er war von ihrem Aussehens angezogen; Stacy machte sich nichts vor. In mancherlei Hinsicht war Justin ein Steinzeitmensch, der glaubte, daß Mädchen nur eine Aufgabe im Leben hatten: zu tun, was die Männer ihnen sagten. Sie tolerierte sein Verhalten, weil sie wußte, daß genug andere Mädchen nur darauf warteten, an ihre Stelle zu treten und Justin seinerseits sofort zugreifen würde.Also mußte sie auch seine Unbedachtsamkeiten tolerieren, wie jetzt am Monatsende die Geschwindigkeitsbegrenzung zu verletzten, wo doch jeder wußte, daß die Bullen ihre Quoten zu erfüllen hatten. Die Polizeistreife fuhr von hinten an den Wagen heran. Das Scheinwerferlicht schien grell durch das Rückfenster. Amy und Adam wirkten, als hätten sie sich am liebsten versteckt, zumindest sah es für Stacy in dem blendenden Licht so aus. Die Umrisse eines Polizisten tauchten auf. Er ging zur Fahrerseite des Autos und klopfte ans Fenster. Justin ließ es widerstrebend herunter. „Bißchen schnell gefahren", sagte der Polizist und streckte seine Hand aus. „Laß mal deinen Führerschein sehen, mein Junge." Justin haßte es, als „junger Mann" angeredet zu werden. Er verzog das Gesicht, holte aber seine Brieftasche mit dem Führerschein heraus. „Tut mir leid, Herr Wachtmeister", entgegnete er und versuchte dabei höflich zu bleiben. „Wir sind etwas länger ausgeblieben, als wir eigentlich dürfen, und ich wollte die Mädels nach Hause bringen, bevor ihre Alten 'nen Anfall bekommen." „Hm", grunzte der Polizist. Er musterte den Führerschein im Licht seiner Taschenlampe. „Den hast du noch nicht lange, wie?" „Fast ein Jahr", antwortete Justin ein wenig bissig. „Irgendwelche Strafzettel? Vor heute nacht." Justins verzog das Gesicht, als er merkte, daß der Bulle ihm einen Strafzettel geben würde. „Nein", log er. Stacy wußte, daß er in den letzten paar Monaten zumindest einen Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitung bekommen hatte. Sie wollte ihn mit einem Fußtritt warnen. Wußte der Idiot denn nicht, daß die Bullen einen Computer in ihrem Streifenwagen hatten, mit dem sie sofort die Wahrheit herausfinden konnten? Sie mußten ihn nur überprüfen. Und wenn Justin ihm irgendeinen Anlaß dazu gab, würde der Polizist das zweifellos auch tun. Der lehnte sich in das Auto und blendete sie absichtlichmit der Taschenlampe, so daß sie die Augen zusammenkniffen und sich abwandten. Der Strahl der Lampe verharrte einen Moment auf Stacy
und glitt an ihren langen Beinen entlang. Stacy fühlte sich unwohl. Dann musterte der Polizist Amy und Adam, bevor er sich wieder aufrichtete. Stacys Augen waren noch immer geblendet. „Deine Freundin hat ihren Sicherheitsgurt nicht angelegt. Das ist gefährlich. Außerdem kostet's dich noch einen Strafzettel." Stacy zuckte zusammen. Normalerweise schnallte sie sich immer an - schließlich gab es keinen Grund, ein unnötiges Risiko einzugehen - aber heute trug sie ihre Spitzenbluse und durch den Gurt wurden die Spitzen immer plattgedrückt. Also hatte sie ihn weggelassen. Justin würde gewiß nicht begeistert darüber sein, daß er ihr einen weiteren Strafzettel zu verdanken hatte. Er würde seine schlechte Laune an ihr auslassen, wenn das hier vorbei war. Sie wagte nicht, ihn anzuschauen. Der Polizist beugte sich nach vorne und schnüffelte. „Hast du was getrunken, mein Junge?" fragte er. Sie hatte gehofft, daß er diese Frage nicht stellen würde. Eigentlich hatten sie nicht getrunken, jedenfalls nicht richtig. Aber Brad Syms hatte sie zu einer Faßparty eingeladen, und Justin hatte doch ein paar Bierchen gekippt. Stacy hatte nur mal probiert, aber es hatte ihr nicht geschmeckt und sie hatte ihr Glas nicht ausgetrunken. Aber Justin war definitiv unter einundzwanzig und die Polizei ging sehr hart mit Alkoholmißbrauch bei Jugendlichen um. Was sollte er sagen? Der Polizist war ja nicht dumm, er konnte die Fahne riechen. Justin seufzte. „Nur eine Kostprobe, das war alles." „Na, du hättest dich ruhig zusaufen können, mein Junge", entgegnete der Polizist. „Denn du mußt wegen einer Kostprobe genauso dran glauben, wie bei einem ordentlichen Rausch. Raus aus dem Auto." „Was?" „Raus aus dem Auto, hab' ich gesagt", wiederholte derPolizist. „Verstehst du kein Deutsch?" Er schlug mit der Handfläche auf das Autodach. „Los, los. Mach schon!" Justin motzte und schnallte den Gurt ab. Der Polizist trat zurück, als Justin die Tür öffnete und aus dem Auto stieg. Er sah ziemlich dämlich aus, wie er da so im Scheinwerferlicht stand. „Hände aufs Dach und Beine breitmachen", befahl der Polizist. „Was?" Justins Geduld war langsam am Ende. „Warum denn, Alter?" „Weil ich es dir sage, darum", schnauzte ihn der Polizist an. „Und mein Name ist nicht 'Alter'. Sprich mich gefälligst mit 'Herr Wachtmeister' an. Jetzt spreiz die Beine." „Ist ja schon gut", jammerte Justin. „Immer mit der Ruhe. Du hast mich doch eh' schon festgenagelt. Gibt doch keinen Grund für diesen Macho-Scheiß." „Tu was ich dir befohlen habe", entgegnete der Bulle kaltblütig. „Du steckst ganz schön tief im Dreck, Geschwindigkeitsüberschreitung, nicht angeschnallt und betrunken am Steuer. Jetzt werden wir dich mal auf Drogen untersuchen." „Was?" Justin starrte ihn an. „Sowas mache ich nicht." „Na, dann werd' ich ja wohl nichts finden, oder? Nimm die Beine auseinander." Justin tat wie ihm geheißen, voller Zorn und Scham. Der Bulle untersuchte ihn schnell und professionell. Dann starrte er durch das Fenster. „Und jetzt der Rest der Bande", befahl er. Aufgebracht und unsicher zugleich kletterte Stacy aus dem Auto und stellte sich neben die Tür. Amy und Adam folgten ihrem Beispiel. Der Polizist untersuchte zuerst Adam und leerte den Inhalt seiner Taschen auf dem Autodach aus. Dann ging er zu Amy über, befahl ihr, ihre Taschen auszuleeren und tastete sie ab. Schließlich war Stacy dran. Wortlos breitete sie den Inhalt ihrer Handtasche auf dem Autodach aus: Make-up, Taschentücher, ein paar Telefonnummern. Wütend legte sie ihre Hände aufs Dach.Sie fühlte, wie seine Hand an ihrem Körper entlangglitt und einen Moment länger als nötig dort verharrte, wo sie nichts zu suchen hatte. „Paß auf deine Hand auf, schnauzte sie ihn an, ohne zu überlegen. „Schnauze, Kleine", erwiderte er. „Außer du willst zum Präsidium mitkommen und eine Leibesvisitation über dich ergehen lassen. Ich weiß genau, daß ihr Jugendlichen euren Stoff in der Unterwäsche versteckt, damit wir nicht drankommen." Blöde Ausrede! Aber Stacy verbiß sich einen weiteren Kommentar. Sie war sich sicher, daß er sie mitnehmen würde, wenn sie noch einmal aufmuckte.
Justin allerdings war nicht so vorsichtig. „Laß sie in Ruhe", knurrte er. „Sie ist meine Freundin." Stacy war sich darüber im klaren, daß er nur seine Besitzansprüche geltend machte und sie nicht beschützen und verteidigen wollte. Deswegen hatte er diese Bemerkung gemacht. Aber es war ein Fehler. „Soll ich dich wegen Befehlsverweigerung verhaften?" fragte der Bulle. „Laß gefälligst meine Freundin in Ruhe", schnauzte Justin und trat einen Schritt nach vorne, sein Gesicht war rot vor Wut. „Hände aufs Dach!" befahl der Polizist. Er griff zu seiner Pistole, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Faschistenschwein", grummelte Justin, während er den Befehl befolgte. „Jetzt reicht's mir", sagte der Polizeibeamte. Ohne Stacy zu beachten, ging er um das Auto herum. Er schlug mit dem Arm auf Justins Rücken und warf ihn gegen den Wagen. Justin stieß einen erstickten Wutschrei aus und drehte sich, um sich zu wehren. Aber der Polizist griff Justins Handgelenk und drehte ihm den Arm um. Dann drückte er ihn gegen das Auto. „Du bist zu weit gegangen", knurrte der Bulle. Er legte seine Taschenlampe auf das Autodach und nahm die Handschellen von seinem Gürtel. Er fesselte erst Justinseine Hand, dann die andere. „Ich verhafte dich wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt", brüllte er. „Und wenn du dich noch weiter wehrst, dann werde ich noch hinzufügen, daß du dich der Verhaftung widersetzt hast." Justin gab auf. Sein Gesicht war rot vor Zorn und Schmerz. „Sehr klug." Der Polizist starrte die anderen drei an. „Hat einer von euch Kindern einen gültigen Führerschein?" „Äh, ich", erwiderte Adam. „Gut. Dann nimmst du besser den Wagen und bringst die Mädels nach Hause." Er lächelte sie an. „Und halt dich an die Geschwindigkeitsbegrenzung, denn ich bin hinter dir." Er gab Justin einen Schubs. „Du kommst mit. Der Rest, verzieht euch." Er zeigte auf Stacy. „Und du -schnall dich in Zukunft an." Wütend und schamerfüllt tat Stacy wie geheißen, egal was mit ihrer Bluse passierte. Adam glitt unbeholfen auf den Fahrersitz. Erst nach vier Versuchen gelang es ihm, den Wagen zu starten. Amy saß hinten. Stacy beobachtete, wie Justin in den Polizeiwagen geschoben wurde. „Was für ein Widerling", murmelte sie. Sie fühlte sich schmutzig. „Justin wird ziemlichen Ärger bekommen", murmelte Adam. „Tyrannen!" sagte Amy. „Das war doch völlig überflüssig." „Das turnt so einen Bullen eben an", kommentierte Stacy. „Da fühlt er sich groß und stark, wenn er Teenager terrorisiert. Solche widerlichen Typen gibt es überall. Um so schlimmer, wenn sie eine Polizeiuniform tragen." „Glaubst du, wir können uns verdrücken?" fragte Adam nervös. Er legte den Gang ein, fuhr aber noch nicht an. Stacy schaute zurück und sah, daß der andere Polizist aus dem Auto stieg und auf sie zukam. „Du wartest besser noch ein Weilchen", schlug sie vor. Der zweite Bulle war etwas älter als der erste. Er beugte sich vor, um sie besser sehen zu können.„Tut mir leid, Leute", entschuldigte er sich. „Jack ist manchmal etwas zu eifrig." „Soll das etwa ein Trost sein?" wollte Stacy wissen. „Er hat mich angegrabscht, meinen Freund verhaftet und das ist alles, was Sie dazu zu sagen haben?" Er errötete. „Ich behaupte ja nicht, daß Jack etwa falsch gehandelt hätte", entgegnete er. „Er ist eben ein bißchen zu enthusiastisch. Tut mir leid, daß ihr der Meinung seid, er sei zu brutal vorgegangen, aber so ist er nun mal. Und jetzt fahrt besser vorsichtig, okay?" Er richtete sich auf und schlug mit der Handfläche auf das Autodach. Adam ließ sich das nicht zweimal sagen. Er fuhr zögernd an und dann mit vierzig
Stundenkilometern ganz langsam nach Hause. Andere Fahrer hupten und überholten ihn, aber er wäre auf keinen Fall schneller fahren. Zuerst setzten sie Amy ab. Sie war zu verschreckt, als daß sie viel hätte sagen können, und verabschiedete sich schnell. Dann fuhr Adam zu Stacys Haus und ließ sie aussteigen. „Es wird schon schiefgehen", sagte er, aber es klang nicht überzeugend.. „Was auch immer." Stacy widerstand der Versuchung, die Tür zuzuschlagen. „Bring sein Auto sicher nach Hause, ja?" „Na, klar. Äh, bis bald." Adam fuhr mit zwanzig Stundenkilometern davon. Stacy war immer noch sauer, als sie ins Haus ging. Ihr Vater sah gerade fern. Er blickte auf seine Uhr. „Hi, Baby. Du bist früh dran." „Ich muß Justins Eltern anrufen", sagte sie und ging in die Küche. „Stimmt was nicht?" fragte ihr Vater besorgt. „Justin ist verhaftet worden." Sie mußte es ihrem Vater gestehen. „Ein Bulle hat ihn total gequält und anschließend verhaftet. Sie müssen ihn irgendwie wieder aus dem Gefängnis rauskriegen." Sie wollte ihrem Vater nicht erzählen, was ihr der Bulle angetan hatte. Sie schämte sich und sie wußte, daß es ihm wehtun würde.'Ich ruf sie an", bot er an. „Geh jetzt schlafen." Er berührte ihren Arm. „Mach dir keine Sorgen", sagte er. „Morgen früh ist alles wieder in Ordnung. Wart's nur ab." Aber dem war nicht so, am nächsten Morgen war alles noch viel schlimmer...
Kapitel 2 Am nächsten Morgen traf sich Stacy mit Amy auf dem Weg zur Schule. Sie hatte schlecht geschlafen und sich große Sorgen gemacht, weil sie nichts von Justin gehört hatte. Sie hätte ja bei ihm angerufen, aber er konnte es nicht leiden, wenn sie so ein Drama veranstaltete. Er würde sich schon bei ihr melden, wenn ihm der Sinn danach stand. Manchmal fragte sie sich, warum sie sich überhaupt mit ihm abgab. Jedesmal, wenn sie die Eifersucht in den Augen eines anderen Mädchens sah, wußte sie warum. „Wie fühlst du dich?" fragte Amy. Sie sah auch nicht so aus, als hätte sie viel geschlafen. „Schlecht gelaunt", gab Stacy zu. „Ich kann's nicht glauben, das mit dem Bullen letzte Nacht. Nur Ärger." „Ja", Amy seufzte. „Justins Eltern werden nicht gerade begeistert sein, oder?" Den Chapmans gehörte das örtliche Bestattungsinstitut Sie waren in der Stadt sehr aktiv - Rotary Club, Stadtrat, die demokratische Partei - und überhaupt außerordentlich gewissenhaft in sozialen Angelegenheiten. Die Tatsache, daß ihr Sohn verhaftet worden war, würde sie sicherlich sehr verärgern. Stacy wußte nicht, ob sie sich mehr über die Polizei oder über Justin aufregen würden. „Wahrscheinlich nicht", stimmte sie zu. „Sie haben's in letzter Zeit ganz schön auf Justin abgesehen." Amy seufzte. „Sie wollen, daß er den Jungen Demokraten beitritt", sagte sie. „Sie sind der Meinung, daß er eine Richtung braucht." Stacy wußte, daß sie dieses Wort oft benutzen. „Ja. Sie ertragen es nicht, daß er nicht in ihre Fußstapfen tritt. Aber wer will das schon?" Sie kamen an der Schule an und bemerkten mit Erstaunen, daß eine Gruppe von Schülern sich am Eingang desGymnasiums versammelt hatte. ,Jst hier 'ne Party am Laufen?" fragte Stacy. „Damit hat's nichts zu tun", erklärte Nina Roberts während sie sich die Fingernägel feilte. „Sie bauen einen Metalldetektor ein." „Einen Metalldetektor?" fragte Amy. „Warum denn das?" „Um zu sehen, ob jemand eine Goldfüllung in den Zähnen hat", antwortete Nina und rollte die Augen. „Was glaubst du denn? Es ist wegen Dave Bender." Stacy wußte, daß Nina recht hatte. Vor zwei Wochen hatte Dave Bender einen Streit mit Todd Andrew angezettelt, in dem es um Respekt ging. Todd flippte aus, zog ein Messer und die Lehrer mußten die Jungs schließlich gewaltsam trennen. Dave kam ins Krankenhaus, wo er noch immer war, und Todd ins Gefängnis, wegen Gewalttätigkeit und versuchter fahrlässiger Tötung. Der Fight hatte eine Menge Staub aufgewirbelt. Der „Hainesville Recorder" hatte bessere Sicherheitsvorkehrungen für die Kinder verlangt. Die Polizei war in die Schule gekommen, um über Sicherheit und Gewalt zu reden. Der Direx hatte große Reden geschwungen, und es hatte eine Abstimmung im Schulrat gegeben. „Und das mit unseren Steuergeldern", maulte Stacy. Selbstverständlich hatten sich ihre Eltern große Sorgen gemacht, als sie von der Messerstecherei gehört hatten. Als ob sowas jeden Tag vorkäme! So was passierte eben mal, aber davon konnte sie ihre Eltern nicht überzeugen. „Sowas ist in meiner Schule nie vorgekommen!" hatte ihr Vater gesagt. „Ich mache mir eben Sorgen um dich, Kleine. Eure Schule muß sicherer werden." Offensichtlich sollte der Metalldetektor diesen Zweck erfüllen. Stacy konnte es immer noch nicht glauben, aber sie ging durch die Kontrolle wie jeder andere auch. Es gab sogar zwei Wachleute, einen Mann und eine Frau, beide in den Fünfzigern und übergewichtig. Sah so aus als würden sie hauptsächlich Doughnuts bewachen. Billige Angestellte, deren einziger Zweck darin bestand, daß jeder sehen konnte, wie gut die Schule ihren Pflichten nachkam.Im Klassenzimmer sah Stacy, wie Bryan Weston sich aus dem Fenster lehnte und unter das Fensterbrett griff. Er holte einen
glitzernden Gegenstand herein und versteckte ihn in der Tasche seiner Lederjacke. Ah ja. Die Metalldetektoren arbeiteten ausgezeichnet... Justin war nicht anwesend, was keine große Überraschung war. Er schwänzte manchmal die Schule, wenn das Wetter schön war. Eigentlich glaubte Stacy nicht, daß dies der Grund war. Einen Tag nach einer Verhaftung die Schule zu schwänzen, das wäre ziemlich blöd, sogar für Justin. Naja, vielleicht hatten seine Eltern einen riesigen Stunk gemacht, und er mußte aus irgendwelchen Gründen daheim bleiben. Sie beschloß, ihn am Abend anzurufen, um zu hören, ob alles in Ordnung war. Wenn sie ihm damit auf die Nerven ging, war's auch egal. Er würde es vergessen, sobald er sich wieder nach ihr sehnte. Der Schultag verlief wie immer. Die meisten Kids hatten am Lernen kein Interesse, besonders an Mathe oder Sozialkunde. Stacy war eine durchschnittliche Schülerin, und der Unterricht störte sie nicht weiter. Nur Trigonometrie kapierte sie überhaupt nicht. Was sollte das Ganze? Völlig nutzlos im wirklichen Leben und total uninteressant. Die meisten in ihrer Klasse hatten noch radikalere Ansichten über dieses Thema. Nach der Schule gingen Stacy und Amy durch die Fußgängerzone nach Hause. Hier hingen die meisten Kids rum. Die Pizzeria war immer voll, genauso wie die Bowlingbahn. Die Bücherei war berüchtigt wegen der la uten Teenager, die immer rausgeschmissen wurden. Stacys Lieblingsladen war der „Record Barn". Rock und Grunge Poster hingen an der Wand. Die Musik war so laut, daß man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte, aber ziemlich cool. Gangsta Rap dröhnte im Laden, als Stacy und Amy sich die Neuerscheinungen ansahen. Der Ladeninhaber Rick hatte jede Menge Tätowierungen auf seinen Unterarmen. Sein Grateful Dead T-Shirt hatte Löcher. Er trug ein rot-schwarzesKopftuch und einen großen goldenen Ohrring, sowie einen kleineren Ring im Nasenloch. Stacy fragte sich, wie er sich die Nase schneuzen konnte, ohne sich weh zu tun. Sie hatte nicht einmal den Mut, ihre Ohren zu piercen. Bei Rick konnten sich die Kids endlos umsehen, ohne etwas zu kaufen. Aber es war klar, daß niemand etwas aus Ricks 'Record Barn' stahl. Im Supermarkt sah die Sache allerdings anders aus. Stacy sah nichts, was sie interessierte. Sie war sowieso nicht in der Stimmung, etwas zu kaufen. Sie wollte sich nur die Zeit vertreiben. Nach etwa fünfzehn Minuten zupfte sie Amy am Ärmel und deutete in Richtung Tür. Als sie gemeinsam den Laden verließen, merkte Stacy, daß Amy sich genauso langweilte. Aber ihre Mutter würde nicht vor einer Stunde nach Hause kommen und sie hatte keine Lust, daheim rumzuhängen. „Sollen wir irgendwo was trinken?" fragte sie. Amy zuckte mit den Schultern. „Klar." Sie gingen zur Pizzeria, als Stacy plötzlich anhielt. Sie sah einen vertrauten Wagen auf dem Parkplatz - Justins grüner Thunderbird. Sie hatte oft genug darin gesessen und würde den Wagen überall wiedererkennen., Justin ist hier", sagte sie, ein wenig verletzt darüber, daß er sich nicht bei ihr gemeldet hatte. „Cool", sagte Amy. „Scheint so, als ob ihm seine Eltern doch keinen Hausarrest gegeben haben. Wahrscheinlich ißt er Pizza. Komm, ich will wissen, wie es ihm ergangen ist." Sie gingen in die Pizzeria, die wie immer voller Leute war. Kids aßen, tranken, unterhielten sich und machten sich übereinander lustig. Adam war mit ein paar Leutchen da und winkte ihnen zu. Aber keine Spur von Justin. „Er muß irgendwoanders sein", sagte Amy und zuckte mit den Achseln. „Laß uns was zu trinken holen und uns draußen umsehen." Sie zahlte. Beide Mädchen gingen nach draußen, dabei wichen sie halbherzigen Annäherungsversuchen einiger Jungs aus. Das Auto war noch da. Stacy ging hinüber und sah, daß es ganz sauber war. Alle Fast-Food Verpackungen und Tapeswaren verschwunden. Es wirkte beinah steril, so sauber war es. „Vielleicht ist er in einem der Läden", schlug Amy vor. „Er könnte Besorgungen für seine Eltern machen, um dem Hausarrest zu entgehen." „Scheint so." Stacy setzte sich auf die Kühlerhaube des Autos. Der Motor war noch warm, also konnte er noch nicht lange hier sein. „Warten wir eben auf ihn." „Null problemo", stimmte ihre Freundin zu und hüpfte ebenfalls auf die Kühlerhaube. Sie plauderten ein Weilchen und schlürften ihre Drinks. Stacy beobachtete die Läden, um zu sehen, ob jemand herauskam. Als sie Justin endlich entdeckte, mußte sie dreimal hinsehen, um sicherzugehen, daß er es auch wirklich war. Zum einen kam er aus der Bücherei mit einem beachtlichen Stapel Bücher auf dem Arm. Normalerweise las Justin nie. Er war auf seine schlechten Noten beinahe stolz. Sein Ziel war es, professioneller Slacker zu werden, und er bestand darauf, daß sich Erziehung und slacking nicht
miteinander vereinbaren ließen. Und dann war da sein Äußeres. Stacy war verblüfft. Sein Haar war kurzgeschoren und es sah aus, als hätte er sich rasiert. Statt der üblichen Jeans und T-Shirt trug er ein Hemd mit Krawatte, eine feine Hose und dunkle Schuhe statt seiner Sneakers. „Um Gottes Willen!" rief sie und sprang von der Kühlerhaube. „Hey, Lover, was isn' mit dir passiert? Hat dich Oprah zum Make-over eingeladen?" Sein Gesicht hellte sich auf. „Hey, Stacy", sagte er fröhlich. „Schön dich zu sehen." Stacy verstand die Welt nicht mehr. Wie konnte er so rumlaufen und gleichzeitig fröhlich sein? Sie rannte zu ihm und umarmte ihn. Sie wollte ihm gerade einen dicken Kuß geben, als er sie höflich auf die Wange küßte, anstatt des üblichen Zungenkusses. „Justin? Bist du okay?" „Hab' mich noch nie besser gefühlt, sweetheart." Sweetheart? Stacy starrte ihn an, total verwirrt.Sonst nannte er sie nie so. Normalerweise verstand er unter Zärtlichkeiten vulgäre Ausdrücke für ihre Körperteile vor. Was war hier los? „Was ist denn mit dir passiert?" fragte Amy, sehr viel taktloser als Stacy. Sie starrte Justin an. „Was soll dieser Mittelklasse Poster Boy-Look?" Er zog die Augenbrauen zusammen. „Ich weiß nicht, wovon du redest", gab er zu. „Die Klamotten", sagte Amy und gestikulierte mit den Armen. „Warum bist du so angezogen? Sind deine Eltern hinter dir her wegen deiner Verhaftung?" „Verhaftung?" Justin wirkte total erstaunt. „Ich? Verhaftet?" Er lachte. „Du scherzt, nicht wahr? Amy, du bist wirklich komisch. Verhaftet. Ich." Er lachte wieder. Stacy fühlte, wie Kälte in ihren Knochen hochkroch. Er sah aus wie Justin - außer der Kleidung. Er klang wie Justin - nur, daß er höflich war. Der da konnte unmöglich Justin sein. „Wer bist du?" fragte sie. „Sein böser Zwilling? Was ist aus Justin geworden?" Er blinzelte verwirrt mit den Augen. „Stimmt was nicht, mein Blümchen?" fragte er. „Selbstverständlich bin ich Justin." „Ja", fuhr sie ihn wütend an. „Du stimmst nicht." Sie hatte Angst. Wenn der wirklich Justin war, dann stimmte was mit seinem Gehirn nicht. Justin starrte Amy an. „Ist sie in Ordnung?" fragte er mit ungewohnt sorgenvollem Ton in der Stimme. „Sie ist in Ordnung", antwortete Amy. „Ganz im Gegensatz zu dir." Sie sah beunruhigt aus. Auch Justin wirkte nervös. „Äh, ich muß jetzt gehen", sagte er. Er schulterte seine Bücher. „Ich muß noch einiges lesen. Tut mir leid, daß ich heute den Unterricht versäumt habe, aber ich sehe euch morgen. Vielleicht können wir am Abend miteinander ausgehen. Es gibt ein großartiges Konzert." „Konzert?" Stacy fühlte sich wie auf Autopilot. „Richtig." Justin grinste. „Ein Brahms-Quartett. Klingt echt cool."Er winkte ihnen zu. „Bis dann." Stacys Hirn war für einige Minuten völlig gelähmt. Sie sah zu, wie er wegfuhr und drehte sich dann zu Amy um. „War das wirklich Justin?" fragte sie mit zitternder Stimme. „Na, er sah ihm irgendwie ähnlich, klang auch so", antwortete Amy. „Aber das war's dann auch schon." Sie griff nach Stacys Arm. „Was ist mit ihm geschehen?" „Weiß ich nicht", gab Stacy mit besorgter Stimme zu. „Irgend etwas sehr Seltsames geht hier vor sich. Mir macht das Angst."
Kapitel 3 Justins Handlungen, Ansichten und Aussehen nervten Stacy total. Er verhielt sich nicht nur anders, er schaute sie an, als ob sie verrückt sei, etwas anderes von ihm zu erwarten. Und was bedeutete dieser Unfug, er sei nicht verhaftet worden? Wie konnte er auch nur für einen Moment annehmen, daß sie darauf reinfallen würde, nach all dem was vorgefallen war? Und dennoch ... er schien es ernst zu meinen. Während sie dastand, kam ein Polizeiwagen vorgefahren. Sie zuckte zusammen, bis ihr klar wurde, daß sie schon die ganze Zeit Schuldgefühle wegen der letzten Nacht plagten. Das hier hatte sicher nichts mit ihr zu tun. Dennoch klopfte ihr Herz etwas schneller, während sie zusah, wie der Wagen auf den Parkplatz des Supermarktes fuhr. Sie war sich nicht sicher, ob es dieselben Widerlinge wie letzte Nacht waren, aber sie wollte es auch gar nicht so genau wissen. Außer ... vielleicht wußten sie, was mit Justin geschehen war. „Komm schon", drängte sie Amy, während sie auf den Supermarkt zusteuerten. „Willst du miterleben, wie jemand wegen Ladendiebstahls verhaftet wird?" fragte Amy und zuckte mit den Achseln. „Was auch immer..." Als Stacy ankam, führte ein Wächter gerade Sam Gould zum Ausgang. Sein Gesicht war knallrot und er starrte auf den Boden. Amy hatte recht gehabt: Offensichtlich war er beim Klauen erwischt worden. Das gehörte zu den Aufnahmeritualen der örtlichen Gangs, und Sam hatte es wohl gerade vermasselt. Der Bulle war der etwas nettere von letzter Nacht. Vielleicht konnte Stacy etwas erreichen, indem sie seine Schuldgefühle wegen des Verhaltens seines Partners letzte Nacht ausspielte. Sie ignorierte Amys Bitte, es zu las-sen, und näherte sich dem Polizeiwagen. Sie konnte sehen, daß der Fahrer der fiese Bulle war, und war froh, daß er im Auto geblieben war. Der nette Polizist sprach gerade mit Sam. ,3ist du nicht der Sohn des Kantors?" fragte er. „Ich habe dich in der Synagoge gesehen. Schämst du dich nicht, deinen Eltern so etwas anzutun?" Sam antwortete nicht, die Sache war ihm zu peinlich. Erwischt zu werden war ja schon schlimm genug, aber dann noch von jemandem, der seinen Vater kannte. Stacy war klar, daß er für diese Eskapade ganz schön würde bezahlen müssen. Er wurde in den Polizeiwagen gestoßen, und die Tür fiel hinter ihm ins Schloß. Als der Mann aufblickte, sah er Stacy und erkannte sie sofort. „Hier gibt's nichts zu sehen", sagte er. „Verschwinde gefälligst." „Sie sind der Bulle, der letzte Nacht meinen Freund verhaftet hat." Stacy weigerte sich, die Sache auf sich beruhen zu lassen. „Heute benimmt er sich völlig seltsam. Ich will wissen, was ihr mit ihm angestellt habt." Der Polizist blickte sie nervös an. „Wir haben ihm gar nichts getan", entgegnete er. „Als seine Eltern kamen, haben wir uns entschlossen, kein Verfahren gegen ihn einzuleiten. Sie haben beschlossen, ihn zu einem Therapeuten zu schicken. Wieso, funktioniert das nicht?" „Therapie?" fragte Stacy. „Was soll das sein?" Der Bulle war nervös. „Die Eltern gehen mit ihm zum Psychiater, dort wird er gründlich untersucht und behandelt. Hat mit uns nichts zu tun." Therapie? Psychiater? Stacy hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend. „Welcher Arzt?" wollte sie wissen. „Was hat der mit Justin angestellt?" Der andere Bulle ließ sein Fenster herunter und steckte seinen Kopf heraus. „Hey, Kleine, hau endlich ab. Außer du willst verhaftet werden, okay? Komm schon, Tom - laß sie in Ruhe." Stacy war wütend. Sie wünschte, sie hätte den Mut, etwaszu erwidern, aber sie hatte Angst davor, daß er seine Drohung wahr machen würde. Stattdessen starrte sie Tom an und hoffte, ihn noch nervöser zu machen.
„Ich habe dir bereits gesagt", schnauzte er sie an, „das hat mit uns nichts zu tun. Sprich mit seinen Eltern, wenn du wissen willst, was vorgefallen ist. Die haben ihn schließlich mitgenommen." Er sah beinahe so aus, als ob er sich schämte, und kletterte in den Polizeiwagen. Jack legte den Gang ein, und sie fuhren los. Stacy wußte nicht so recht, was sie davon halten sollte. Justin hatte also die Wahrheit gesagt, als er behauptete, nicht verhaftet worden zu sein, auch wenn er die Wahrheit etwas zurechtrückte. Aber wie war diese plötzliche Veränderung zu erklären? Ein Besuch beim Psychiater konnte unmöglich eine solche Kehrtwendung, wie sie sie an ihm beobachtet hatte, verursachen. Es sei denn er stand unter irgendeiner Art von Hypnose. Sie wußte, daß man damit Leute dazu bringen konnte, alle möglichen Dinge zu tun, die sie sonst nie tun würden. Aber das schien nicht sehr wahrscheinlich. „Um Gottes Willen, Stacy", beklagte sich Amy. „Willst du unbedingt Ärger mit den Bullen haben? Reicht dir die letzte Nacht noch nicht?" „Doch", stimmte Stacy zu. „Aber das war bei weitem nicht so schlimm wie heute. Irgend jemand hat Justin etwas angetan, und das macht mir Angst." „Das gibt sich wieder", versicherte Amy. „Der wird schon wieder normal werden." „Mag sein." Stacy teilte den Optimismus ihrer Freundin nicht. „Und wenn dem nicht so ist, dann will ich ein paar Antworten haben." Am nächsten Tag war es nicht besser. Im Gegenteil, alles schien noch viel schlimmer zu sein. Im Unterricht trug Justin einen Anzug mit Krawatte. Der Spott seiner Klassenkameraden schien ihn nicht im geringsten zu stören, und das war unheimlich. Normalerweise war Justin sehr temperamentvoll, aber die Hohnreden ließen ihn völlig ungerührt.Er küßte sie wieder auf die Backe. „Willst du heute abend was machen?" fragte er sie. „Klar", erwiderte sie. Er benahm sich vielleicht etwas eigenartig, aber er war immer noch ihr Freund. Vielleicht würde es ihr ja gelingen, etwas herauszufinden. Oder vielleicht würde sich der alte Justin wieder zeigen. „Dufte." Er grinste. Als sie die Schule betraten, mußten sie wieder durch den Metalldetektor. Stacy trug eine Gürtelschnalle aus Metall und der Alarm ging los. „Versuch's noch mal ohne den Gürtel", sagte der Wächter. Stacy tat wie ihr geheißen, und der Alarm rührte sich nicht. Als sie ihren Gürtel wieder anzog, maulte sie: „Was denn? Sind Gürtelschnallen jetzt tödliche Waffen?" „Ich tue hier nur meine Pflicht", sagte der Wächter gelangweilt. „Also ich finde das tadellos", kommentierte Justin, als sie zusammen den Gang entlang gingen. „Findest du?" Stacy starrte ihn an, als ob er von einem anderen Planeten käme. „Klar. Alles, was deiner Sicherheit dient, macht mich froh." „A propos", sagte sie. „Was machst du eigentlich hier. Du bist doch in der Oberstufe." Justin nickte. „Da es in letzter Zeit soviel Ärger auf dem Schulgelände gegeben hat, dachte ich mir, daß ich dich in die Klasse begleite. Man kann nie vorsichtig genug sein." Stacy fröstelte. Es war beinah süß, wie er sich um sie sorgte, als sei sie ein kleines Hündchen. Gleichzeitig war es aber ziemlich nervtötend. „Ich kann schon selbst auf mich aufpassen", antwortete sie. „Immerhin trage ich den Todesgürtel."
„Nur zur Sicherheit", beteuerte er ihr. Sie kamen am Klassenzimmer an, und sie lächelte ihm zu. „So, hier bin ich. Völlig sicher. Danke dir. Bis heut' abend." Sie küßte ihn auf die Wange und er lief rot an. Etwas stimmte mit ihm nicht... „Was macht der denn?" sagte Justin plötzlich und starrteBryan Weston an. Bryan lehnte sich aus dem Fenster, um sein Messer zu holen, das er mit Klebeband unter dem Fensterbrett angebracht hatte. Genauso wie gestern. „Er legt das System aufs Kreuz", antwortete Stacy. „Er mag nun mal sein Messer." „Ach was?" Justin blickte in den Gang und sah den Stellvertreter des Schuldirektors. „Mr. Mellor!" rief er. Mellor kam herüber, etwas erstaunt. „Hey... Justin, nicht wahr? Wie kann ich dir helfen?" Justin deutete in Richtung Klassenzimmer. „Ich wollte Sie nur wissen lassen, daß Bryan Weston ein Messer versteckt hat, das er am Metalldetektor vorbeigeschmuggelt hat." Stacy konnte es nicht glauben: Justin verpfiff einen Mitschüler? Gestern hätte ihn Bryans Coup begeistert. Bryan konnte es ebenfalls nicht glauben. „Du Dreckskerl!" rief er und zog sein Messer. Er rannte auf Justin zu. Stacy fiel zu Boden, als Justin sie zur Seite schubste. Geschockt sah sie zu, wie Bryan sein Messer schwang. Sie hatte Angst, daß er Justin abstechen würde. Stattdessen kreuzte er die Hände und wehrte so Bryans Angriff ab. l )ann griff er nach Bryans Handgelenk und drehte es um. Das Messer flog aus Bryans tauben Fingern, und Bryan wurde hart gegen die Wand geschleudert. Er schrie vor Schmerz und fiel zu Boden. Justin schaute ruhig zu, während der Wächter angerannt kam. Mr. Mellor sah schockiert aus, dann faßte er sich und sagte zu dem Wachmann: „Bringen Sie Weston in mein Büro und rufen sie die Polizei." Er beugte sich vor und hob das Messer vorsichtig auf, gerade so als hätte er Angst, es könnte ihn beißen. Dann starrte er die Schüler an, die ihn vom Klassenzimmer aus beobachteten. „Laßt euch das eine Lehre sein. Solche Verstöße gegen die Regeln werden hier nicht toleriert." Er wendete sich Justin zu. „Vielen Dank für Ihre Hilfe, junger Mann." Justin war peinlich berührt. „Ich habe nur meine Pflicht getan", sagte er bescheiden. Mr. Mellor lächelte und ver-schwand, Justin half Stacy auf die Beine. „Tut mir leid, daß ich dich geschubst habe", entschuldigte er sich. „Aber ich wollte es nicht riskieren, daß er dir weh tut." Sie starrte ihn an. „Was ist in dich gefahren?" wollte sie zu wissen. „Warum hast du Bryan verpfiffen?" „Er hat die Regeln verletzt", entgegnete Justin, als ob es das Natürlichste auf der Welt wäre. „Er hat eine Waffe dabeigehabt. Er hätte dich in Gefahr bringen können. Ich mußte ihn melden." Er sah zu, wie sie Bryan abführten. „Ich bin sicher, daß er in Behandlung kommt." „So eine Behandlung, wie du sie bekommen hast?" fragte Stacy. „Ja", antwortete er mit einem Lächeln. „Es hat mir sehr geholfen. Ich bin sicher, daß es auch Bryan helfen würde." Stacy wußte, daß sie nah an der Lösung des Rätsels war. „Was für eine Art Behandlung war das eigentlich?" Er senkte den Kopf. „Ich möchte lieber nicht darüber sprechen", sagte er ruhig. „Ich bin nicht gerade stolz darauf." Dann besserte sich seine Laune und er küßte sie zaghaft auf die Wange. „Na, dann bis heute abend. Wir sehen uns dann einen Film an. Ciao." Stacy blickte ihm nach, als er wegging und merkte, daß Amy und Adam neben ihr standen. Völlig verwirrt drehte sie sich zu ihnen um. „Was ist nur in ihn gefahren", wollte Adam wissen. „Einfach so Bryan zu verpfeifen? Das sieht ihm überhaupt nicht ähnlich." „Nichts sieht ihm mehr ähnlich", beklagte sich Stacy. „Und ehrlich gesagt macht mir das Angst. Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist. Aber egal was es ist, ich werde dafür sorgen,, daß es nicht lange dauert." Der Zwischenfall machte ihr noch den Rest des Tages zu schaffen. Nach der Schule, beschloß sie, gleich nach Hause zu gehen, anstatt mit Amy rumzuhängen. Sie wollte sich auf ihr Date am Abend vorbereiten. Sie wollte Justin wieder zu seiner alten Persönlichkeit zurückbringen. So wie er jetzt war, machte er ihr Angst. Stacy wußte genau, wie sie das anstellen würde. Sie kramte in ihremSchrank herum und suchte nach Kleidern, die ihre Figur betonten. Sie entschied sich für abgeschnittene Jeans und ein Top. Sie zeigte sehr viel Haut, und das würde Justins Blut sicherlich zum Kocheri bringen. Ihre Mutter kam nach Hause, bevor Justin sie abholte, und Stacy erwartete, zu hören daß sie so nicht ausgehen könne. Ihr schien, daß ihre Mutter niemals jung und verliebt gewesen war. Sie wußte nicht, wie wichtig es war, für seinen Freund sexy auszusehen. Aber ihre Mutter hatte einen schlechten Arbeitstag gehabt und wollte nur ihre Schuhe ausziehen und sich entspannen. Sie arbeitete als Geschäftsführerin für den
„Hainesville Record", aber Stacy hatte keine Ahnung, was eine Geschäftsführerin eigentlich tat. Sie wußte nur, daß es ihrer Mutter alle Energie raubte. Dann kam Justin, und Stacy öffnete die Tür. Sie war sehr überrascht als sie sah, daß er ihr einen Blumenstrauß mitgebracht hatte. Er hatte ihr noch nie zuvor Blumen geschenkt. Das war eines dieser gefühlsduseligen Dinge, die Justin normalerweise verachtete. Er war überzeugt, daß er selbst das größte Geschenk sei, das sich ein Mädchen wünschen konnte. Alles was darüber hinausging, war dumm und völlig überflüssig. Wie sich herausstellte, hatte er Stacy auch diesmal keine Blumen mitgebracht. Er hielt den Strauß ihrer Mutter entgegen. „Für Sie, Mrs. Harvey", sagte er höflich. Ihre Mutter freute sich. Stacy konnte sich nicht entsinnen, wann ihr jemand das letzte Mal Blumen geschenkt hatte. Ihr Vater würde sowas nie tun. „Vielen Dank, Justin. Wie hübsch." Sie lächelte ihn an. „Du hast eine neue Frisur, stimmt's? Steht dir gut." „Danke", erwiderte er. „Mir gefällt's besser so. Ich werde gut auf Stacy achtgeben. Wann soll ich sie nach Hause bringen?" „Oh, so gegen Mitternacht wäre in Ordnung", entgegnete ihre Mutter und machte sich auf den Weg in die Küche, um eine Vase zu holen. „Das ist viel zu spät für einen Wochentag", sagte Justinhöflich. „Wäre zehn Uhr nicht besser?" „Mir egal", erwiderte ihre Mutter und verließ den Raum. Stacy hatte angenommen, daß sie nichts mehr schocken könnte, aber Justin bewies ihr wieder einmal, wie naiv sie in diesem Glauben gewesen war. „Du willst mich so früh nach Hause bringen?" fragte sie. „Justin, was ist in dich gefahren? Normalerweise möchtest du doch die ganze Nacht in irgendeinem Motel verbringen." Er sah sie verwirrt und etwas verstört an. Er beäugte ihre Kleidung mit äußerster Vorsicht, und sie hielt die Luft an, um ihre Figur zu betonen. „Könntest du nicht etwas weniger ... weniger ..." Ihm fehlten die Worte. Na, immerhin funktionierte ihr Sex-Appeal noch. „Wenn ich noch weniger trage", flüsterte sie, „würde ich vielleicht verhaftet werden." „Genau das meine ich", brachte er hervor. „Du solltest etwas tragen, was weniger zeigt." Stacy fühlte sich, als ob sie gerade eine Ohrfeige bekommen hätte. „Weniger zeigen?" fragte sie. „Jawohl", sagte Justin mit fester Stimme. „Tut mir leid, Sweetheart, aber du siehst aus ... nun, du siehst wie eine Schlampe aus. Du solltest einen Rock und einen Pullover tragen. Schließlich wollen wir ja nicht, daß sich jemand falsche Vorstellungen macht, oder?" „Nein", schnauzte sie ihn irritiert an. „Das wollen wir nicht." Sie stürmte nach oben. Weniger! Ihre Wangen glühten. Er hatte es gewagt, sie eine Schlampe zu nennen. Normalerweise betete er sie an, wenn sie so ein Outfit trug. Was auch immer mit ihm vorging, es war nicht durch provokative Kleidung zu heilen. Sie kramte in ihrem Schrank herum, bis sie einen Rock fand, der nicht allzu schlecht aussah. Aber ein Pullover? Sie wußte nicht, was sie tun sollte. Es war Juni und viel zu heiß, um sich so warm anzuziehen. Schließlich entschied sie sich für eine Bluse. Dann ging sie nach unten. „Viel besser", sagte Justin zustimmend. „Du siehst viel süßer aus. Das eben war ja sicherlich nur ein Scherz,oder?" „Ja", sagte sie sauer. „Ein Scherz." Als sie im Auto saßen, schaltete er seinen Kassettenrekorder ein und fuhr los - allerdings hielt er sich brav an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Einen Augenblick später hörte sie sanfte Töne. Sie starrte die Boxen an. „Was zum Teufel ist das?" wollte sie wissen. „Enya", entgegnete er fröhlich. „The Memory of Trees. Dufte, was?" „Dufte?" Welche Worte benutzte er auf einmal? „Was ist mit Marilyn Manson?" „Den Kram habe ich weggeworfen. Kaum zu glauben, was ich mir für einen Müll angehört habe." Er verzog das Gesicht. „Ich war nicht ganz bei Sinnen." „Du hast die Tapes weggeschmissen und stattdessen das da gekauft?" Stacy war wie betäubt vor Schreck. „Hast du noch was anderes?" Er deutete auf eine Box auf dem Rücksitz. „Dort drinnen. Sie sind alphabetisch sortiert." Es wurde immer schlimmer ... sie griff sich die Kiste und suchte nach etwas Vernünftigem. Es war, als ob sie in einem Aufzug in die Hölle fahren würde. The Sound of Music, Mantovani's Greatest Hits, Kenny G., Die Fledermaus... sein Geschmack war zum Teufel gegangen. Sie mußte sich einen Kommentar verbeißen, als sie die Kiste wieder auf ihren Platz zurückstellte. Ihn zu fragen, warum er nichts Vernünftiges hatte, war zwecklos. Offensichtlich hielt er diesen Kram für vernünftig. Sie fuhren beim Kino vor und parkten den Wagen. Ungewöhnlicherweise - zumindest
für den alten Justin -schloß er den Wagen ab. Sie gingen mit dem Rest der Menschenmenge in das Kino. „Was könnten wir uns denn ansehen?" fragte sie und guckte sich die Liste an. Der neue 'Die Hard' Film, 'Blood Beast' - die blutige Bestie und ein Film über psychopathische Bankräuber schienen ihr passabel. „Den neuen Disney-Film", sagte er. „Sonst gibt's wohl nichts Gutes zu sehen", fügte er kleinlaut hinzu.„Nichts?" fragte Stacy. „Wie war's denn mit Blood Beast'?" „Das ist doch ein Horrorfilm", erklärte er ihr. „Der würde dir nur Angst machen." „Darum geht's doch gerade", erklärte sie ihm. „Dann kann ich mich an dich rankuscheln ... zur Beruhigung." „Solche Filme sind schädlich für die Psyche", informierte er sie. „Die Vorstellung, daß Angst und Ekel Unterhaltung darstellen, kann nur einem kranken Hirn entsprungen sein." Sie gab auf. „Wie war's mit 'Die Hard V?" fragte sie. „Gewaltverherrlichung", seufzte er. „Nichts als Stunts und Explosionen anstelle von Charakteren und Handlungsverlauf. Kein guter Tausch." Es war ihr klar, daß es sinnlos war, den Bankräuber-Film vorzuschlagen. „Vielleicht hast du recht", sagte sie ohne Enthusiasmus. „Also der Cartoon." „Kein Cartoon, Animation", entgegnete er. „Ein wenig Humor, etwas Action - ohne Gewalt, versteht sich - und ein Schuß Satire. Der ideale Film für ein Date." Sie musterte die Schlange der Kinder, die in den Film wollten. „Stimmt", gab sie zu und rollte mit den Augen. Worauf hatte sie sich nur eingelassen?
Kapitel 4 Alles in allem war der Film nicht ganz so schlimm, wie sie befürchtete hatte. Stellenweise war er sogar lustig und die „Animation" war ja ganz süß, wenn einem so etwas gefiel... nur gefiel es ihr nicht. Das war Kinderkram und nicht für jemanden ihres Alters geeignet. Egal, was Justin davon hielt, sie fand das Abenteuer/ Horror/ Soft-Porno-Zeug sehr viel besser. Das machte immerhin Spaß. Das hier war, nun ... okay. Justin hatte ihr was zu trinken gekauft (keinen Alkohol, versteht sich) und war sehr aufmerksam. Das letzte Mal als sie zusammen im Kino gewesen waren, hatte er ihr Popcorn in den B H gesteckt und vulgäre Kommentare über die Handlung auf der Leinwand losgelassen. Meistens betrafen sie die Hauptdarstellerin. Diesmal war er von der Cartoon-Story in den Bann geschlagen und weinte sogar, als es so aussah, als ob die Heldin sterben würde. Justin heulte? Das wurde Stacy langsam alles zuviel. Nachdem der Film vorüber war, brachte er sie nach Hause. Diesmal spielte er Disney's Greatest Hits, die er sich erst vor kurzem gekauft hatte. Sie fing beinahe an zu kotzen ,als „It's a small world after all" dran war, und er auch noch mitsang. Er parkte den Wagen vor ihrem Haus. „Vielen Dank, Stacy", sagte er. „Es war ein wunderschöner Abend." „Ist das alles?" verlangte sie zu wissen. „Beinah", sagte er und küßte sie zärtlich auf die Wange. „Du bist süß." Stacy starrte ihn an. Der Abend verlief überhaupt nicht so, wie sie sich das gedachte hatte. Es war an der Zeit, die Sache in die Hand zu nehmen. Sie beugte sich vor, griff ihn und küßte ihn auf den Mund, hart. Als sie versuchte, ihre Zunge zwischen seine Zähne zu schieben, begann er verzweifelt, sich freizumachen.„Stacy!" rief er aus. „Was ist in dich gefahren?" „Na, ich weiß es nicht", beklagte sie sich. „Justin, was stimmt denn nicht? Normalerweise kannst du die Pfoten nicht von mir lassen und auf einmal behandelst du mich, als ob ich Lepra hätte oder sowas." Er wirkte nervös. „Stacy, bitte verzeih mir. Ich weiß, daß ich dich früher schlecht behandelt habe. Ich habe dich benutzt, fast so, als ob du etwas wärest, das mir gehört. Nun, ich verspreche dir, daß das nie wieder vorkommen wird. Ich bete dich an und ich werde respektvoll und zärtlich sein, das schwöre ich dir. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen." „Gerade deswegen mache ich mir Sorgen", sagte sie. „Okay, Justin, ich geh' ja zu, daß du dich in letzter Zeit etwas daneben benommen hast. Aber das heißt nicht, daß du jetzt zum Mönch werden sollst. Ich will schließlich auch ein bißchen Spaß haben." Er sah schockiert aus. „Stacy, anständige Mädchen tun diese Art von Dingen nicht. Und ich weiß, daß du im Grunde deines Herzens ein anständiges Mädchen bist." Sie wollte ihren Ohren nicht trauen. „Du hast immer gesagt, daß es dir lieber ist, wenn ic h unanständig bin." „Ich habe eben meine alten, dummen Meinungen geändert." „Ja", sagte sie langsam. „Das hast du wirklich. Okay, wenn du nicht rumspielen willst, dann sprich wenigstens mit mir. Erklär mir bitte, was mit dir geschehen ist. Wie kam es, daß du dich über Nacht von einem Super-Macho in einen Super-Loser verwandelt hast?" „Hältst du mich dafür?" fragte er verletzt. „Für einen Super-Loser?" Er sah sie aus großen Hundeaugen an. „Stacy, ich war kraß, arrogant, eingebildet und egoistisch. Ich habe dich wie eine Schlampe behandelt und mit jedem anderen Mädchen geflirtet. War dir das wirklich lieber? Ist das der Justin Chapman, den du haben willst?" Sie dachte darüber nach. Es war alles wahr: Justin war tatsächlich ein egoistischer Idiot gewesen und hatte sich nur für sich selbst interessiert. Aber er war trotzdem eintoller Macker gewesen, der jedes andere Mädchen in der Schule neidisch gemacht hatte. Heute hatten ihn die Mädchen schräg angesehen und keine hatte ihn angemacht. Welcher Justin war ihr lie ber?
Die Frage war nicht einfach zu beantworten. Auf der einen Seite gefiel es ihr, wie eine Prinzessin behandelt zu werden. Dieser Justin spendete ihr viel Aufmerksamkeit und war höflich und sanft. Der alte Justin war ein Schwein gewesen und hatte alles, was sie wollte, völlig ignoriert. Aber wenigstens hatte er einen gewissen Stil gehabt. Sie konnte diese Disney-Fixierung nicht verstehen, diese bürgerliche Einstellung ... die Krawatte und das Jackett, zur Hölle noch mal! Es war fast so, als würde sie mit einem Mitglied der Jungen Union ausgehen. Oder dem Sohn eines Pfaffen. „Ich bin mir nicht sicher", gab sie zu. „Es ist nicht so, daß ich mich über dein Verhalten beklagen möchte. Aber deine plötzliche Verwandlung macht mir Angst. Einmal bist du so, am nächsten Tag total anders. Mir ist das unheimlich." „Das tut mir leid, Stacy", sagte er demütig. „Ich hätte merken müssen, daß das alles ein Schock für dich ist. Offensichtlich bin ich immer noch ein Idiot, dich so zu erschrecken." „Nein, fang nicht schon wieder damit an." Sie fühlte sich, als müßte sie schreien, wenn er wieder anfing, sich zu entschuldigen. „Ich möchte dich ja nur verstehen. Was ist passiert, das dich so verändert hat?" „Also gut", gab er klein bei. '„Ich möchte nicht darüber sprechen, weil ic h mich dessen schäme, was ich war. Aber ich bete dich an, und du verdienst es, daß ich dir die Wahrheit sage, auch wenn mir das weh tut..." Er atmete tief ein. „Als mich die Beamten neulich abends zum Polizeirevier mitnahmen, hatte ich einen Tiefpunkt in meinem Leben erreicht. Ich war wirklich übel dran, fluchte wie ein Müllkutscher. Ich habe getrunken und ich waregoistisch und habe dich schlecht behandelt. Ich schäme mich, darüber auch nur nachzudenken." Er riß sich zusammen. „Wie dem auch sei, die Polizisten riefen meine Eltern an, die dann auch kamen. Sie schämten sich zutiefst über mein Verhalten und waren bereit, mich im Gefängnis sitzen zu lassen. Ich werfe es ihnen nicht vor. Wäre mir klar gewesen, wie fürchterlich ich mich verhalten habe, dann hätte ich mich selbst in die Strafanstalt eingesperrt. Wie dem auch sei, die Polizisten boten ihnen eine Alternative an: anstatt ins Gefängnis durfte ich zur Therapie gehen. Also habe ich zugestimmt. Meine Eltern sind ziemlich bekannt in der Stadt, und es wäre ihnen sehr peinlich gewesen, daß ihr einziger Sohn im Kittchen sitzt. Also nahmen sie mich mit zu einem Arzt, der mit mir redete. Dabei ging mir auf, wie destruktiv mein Verhalten gewesen war. Stacy, das hat mir wirklich die Augen geöffnet. Zum ersten Mal konnte ich sehen, was für ein Idiot ich gewesen war, wie egoistisch ich mich verhalten hatte. Er hat mir verschiedene Dinge erklärt, und mir wurde klar, daß ich so nicht weitermachen konnte. Also habe ich es auch nicht getan. Zuerst bin ich den ganzen Müll aus meiner Vergangenheit losgeworden. Ich fühle mich jetzt frei und wunderbar." Er nahm zärtlich ihre Hand. „Mir ging auf, wie eklig ich zu dir war. Ich habe dich als selbstverständlich hingenommen und dich benutzt, mit anderen Mädchen rumgespielt. Ich verspreche dir, das alles ist Vergangenheit. Ich weiß jetzt, wie viel du mir bedeutest, und ich werde gut auf dich aufpassen. Ich werde nie wieder ein anderes Mädchen anschauen. Du bist alles, was ich will, Stacy." Sie fühlte sich schwindlig, als sie das alle s hörte. Es klang nicht wie Justin, aber es klang nett. Es war schön, so sehr geschätzt zu werden, und wenn sie ihm Glauben schenken konnte, dann mußte sie nicht mehr die ganze Zeit auf der Lauer liegen aus Angst, daß irgendeine andere Nutte ihn ihr wegschnappte. Auf der anderen Seite ... so wie er aussah und bei dieSachen, die er hören und sehen wollte... wie sollte sie das aushallen? „Und das hat der alles in biner Sitzung erreicht?" fragte sie, noch immer zweifelnd. „Ja. Sweetheart, es war unglaublich. Es war, als ob er meine Haut und Knochen weggeschält und sich tief in mein Fleisch gegraben hätte. Er hat das echte „Ich" tief aus meinem Inneren herausbefördert und mich von meinem schrecklichen Imitator befreit. Du kannst dir nicht vorstellen, wie frei ic h mich jetzt fühle. Es ist, als sei ich in einem Kerker angekettet gewesen und hätte in eine schreckliche, schmutzige Welt geblickt. Und jetzt bin ich draußen, in der Sonne, mit dem wunderbarsten Mädchen der Welt. Stacy, ich bin so glücklich!" Ihr fiel auf, daß er auch so aussah. Sie versuchte sich zu erinnern, wann sie Justin zum letzten Mal glücklich gesehen hatte. Klar, sie hatte ihn oft lachen sehen, aber meistens wenn er jemanden anderen schikanierte oftmals sie. Aber glücklich? Zufrieden? Niemals. Vielleicht hatte er recht. Vielleicht war es wirklich besser so. Stacy war sehr glücklich gewesen, als er sie das „wunderbarste Mädchen der Welt" genannt hatte. Klar, es war kitschig, aber es war
offensichtlich, daß er es ernst meinte. Und das war ein schönes Gefühl. Dennoch, sie konnte den Eindruck nicht loswerden, daß an der ganzen Sache etwas höchst unnatürlich war. Die Leute veränderten sich nicht einfach so, über Nacht. Etwas stimmte nicht. „Dieser Arzt der dir geholfen hat?" sagte sie. „Kennst du seinen Namen? Oder wo seine Praxis ist?" Justin schüttelte den Kopf. „Meine Eltern haben das alles erledigt. Ich kann mich nicht einmal mehr an seinen Namen erinnern. Aber ich kann sie fragen, wenn du es wirklich wissen willst." Er sah peinlich berührt aus. „Vielleicht könnte er dir auch ein bißchen helfen. Oh, ich weiß, du bist nahezu perfekt, mein Schatz, aber trotzdem ... nun, ich möchte ehrlich zu dir sein. Du trägst etwaszuviel Make-up. Und du scheinst ein winziges Problem mit dem Anstand zu haben. Das Outfit, das du vorhin anhattest... und dein Rock ist ziemlich kurz." Sie blickte nach unten und sah, daß der Rock ihre halbe Wade bedeckt, kaum ungebührlich, besonders wenn man in Betracht zog, wie er sie vorher am liebsten gesehen hatte, dachte sie. Jetzt nic ht mehr. Dieser Justin war ein perfekter Gentleman, und sie stellte ihn bloß, wenn sie sich entblößte. Sie zog ihren Rock nach unten und bemerkte, daß sie rot angelaufen war. Das war Blödsinn! Jetzt fing sie auch schon damit an. „Nein, ich dachte dabei eigentlich nicht an mich", entgegnete sie. „Aber ich würde liebend gern seinen Namen und seine Telefonnummer haben." „Alles was du willst, Liebling." Er blickte auf die Uhr. „Ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, daß du hineingehst. Ich sehe dich dann morgen und - hoffentlich in meinen Träumen." „Du kannst noch mehr von mir sehen, wenn du willst", erklärte sie ihm. „Du gehst besser schlafen", sagte er ihr. „Du hast morgen Schule und da willst du doch sicher ausgeruht sein." Er küßte sie zärtlich auf die Stirn. „Träum süß, Prinzessin." Stacy kämpfte gegen ihre Übelkeit an. Sie stieg aus dem Auto, aber er raste nicht mit quietschenden Reifen davon, sondern wartete, bis sie durch die Tür gegangen war, bevor er endlich losfuhr. Sehr rücksichtsvoll, sehr unJustin. Ihr Vater blickte vom Fernseher auf. „Hi, honey", rief er. 'Wie war's?" „Oh, in Ordnung", antwortete sie geistesabwesend. „Schläft Mami schon?" „Mh-hm." Er wandte sich wieder den Nachrichten zu. Zweifellos hatte sie einen Wodka-Martini zuviel gehabt. Mami trank immer, wenn sie Streß hatte, und sie vertrug keinen Alkohol. Das war mit ein Grund, warum Stacy nie so recht in die Party-Szene reingerutscht war, auch wenn das als cool galt. Sie hatte selbst miterlebt, was zuvielAlkohol bewirkte. Sie ging ihr Zimmer und zog sich aus, schlüpfte in ihren Pyjama, bevor sie in ins Badezimmer ging, um ihr Make-Up zu entfernen. Sie guckte in den Spiegel. Hatte Justin etwa recht? Trug sie zuviel Make-Up? Vielleicht etwas mehr als andere Mädchen, aber doch sicherlich nicht... Sie zwang sich wieder in die Realität zurück. Das war doch nur Justins böser Zwilling, der so sprach. Justin hatte sich vorher nie über ihr Make-up beschwert. Oder ihren Klamottengeschmack. Oder darüber, daß sie zuviel Bein zeigte. Dieser Justin war prüde, und sie schämte sich überhaupt nicht. Das war schließlich sein Problem. Eines amüsierte sie sogar: Es handelte sich nicht um Justins bösen Zwilling, eher um seinen überguten Zwilling. Sie betrachtete sich im Spiegel und lächelte. Wenn Justin sie so sehen würde, würde er wahrscheinlich vor Scham in Ohnmacht fallen. Die Idee gefiel ihr, das war auch soweit das einzige, was ihr an dem Abend gefallen hatte. Außer, daß er sie zur Abwechslung wie eine Prinzessin behandelt hatte. Das einzige, was er nicht getan hatte, war ihr einen Handkuß zu geben. Vielleicht beim nächsten Mal ... Stacy wußte nicht, was sie Amy über ihr Date erzählen sollte. Ihr fehlten die Worte, um ihre Gefühle zu beschreiben, insbesondere weil sie sich ihrer nicht sicher war. Sie hatte keine klare Meinung über den neuen Justin. Einerseits mochte sie ihn, andererseits aber auch nicht. Und Amy würde ihr da nicht helfen können. Sie war viel zu sehr in ihr eigenes Leben verstrickt, dachte nur an sich selbst. Ihr fiel auf, daß das auch für ihr eigenes Leben galt. Sie fühlte sich schuldig. Sie erwartete, daß Amy sich für ihr Leben interessierte und sich auch um Justin Sorgen machte, während sie sich nicht einmal nach Adam erkundigte. Stacy fragte sich, ob sie so oberflächlich war wie Justin früher. Als sie am nächsten Morgen vor der Schule fast mit Amyzusammengestoßen wäre, fragte sie sofort: „Wie war dein Abend?"
„Langweilig, wie immer", antwortete Amy. „Adam war mit den Jungs auf Achse und hat mich daheim sitzen lassen." Stacy nickte und versuchte so auszusehen, als ob sie Sympathie empfände. „Vielleicht solltest du rüberkom-men, wir könnten zusammen rumhängen", schlug sie vor. „Ohne die Kerle?" fragte Amy zweifelnd. „Stacy, du bist mein bester Kumpel, klar, aber wir haben nicht gerade viel gemeinsam, wenn wir nicht mit den Jungs rumhängen." Stacy wußte nicht, was sie sagen sollte. War das alles? Sie war Amys bester Kumpel, aber nur im wenn andere Leute dabeiwaren? Hatten sie sonst nichts gemeinsam? Das war doch Blödsinn. Sie mochten dieselbe Musik, dieselben Filme, dieselben dunklen Straßen zum Parken. Stacy fühlte sich in ihren Gefühlen verletzt, weil Amy dachte, sie hätten nichts gemeinsam. Und sie wollte ja nur nett zu ihr sein. Na, das war das letzte Mal, daß sie Interesse für sie zeigen würde. „Whoa!" sagte Amy und ignorierte dabei völlig Stacy s Reaktion. „Guck dir das mal an." Stacy tat, wie ihr geheißen. Plötzlich fröstelte sie. Zuerst dachte sie, es sei Justin - kurzes Haar, Hemd, Krawatte und Jackett. Dann merkte sie, daß es sich um Sam Gould handelte. Er sah sehr fröhlich aus, überhaupt nicht wie jemand, der beim Ladendiebstahl erwischt worden war. „Hi, Sam", sagten sie beide, als er an ihnen vorbeiging. Er lächelte sie an. „Meine Damen", erwiderte er mit einem freundlichen Nicken. „Sie sehen wie immer bezaubernd aus." Dann ging er weiter. „Was ist denn in den gefahren?" fragte Amy. „Damen?" „Er war nur höflich", schnauzte Stacy, etwas schärfer als sie eigentlich wollte. „Er hat sich verändert", sagte Amy. „Gestern wäre er zu schüchtern gewesen, uns zu begrüßen. Der Typ ist ein totaler Versager, er sieht aus wie ein Fisch ohne Wasser,wenn er mit Mädchen zusammen ist. Schau ihn dir jetzt an." Sam hielt einigen Mädchen die Tür auf, lächelte und sagte irgendwas Freundliches. Amy hatte recht: Das war nicht der alte Sam Gould. Und er trug eine Krawatte mit Jackett, kurzes Haar ... genau wie Justin. Und genau wie bei Justin war dies alles so, einen Tag nachdem er von der Polizei aufgegriffen worden war... „Hey!" rief Amy und umklammerte Stacys Arm. „Die Versager treten heute im Rudel auf." Stacy folgte Amys Blick und sah einen weiteren Teenager mit Jackett und Krawatte. Und wieder mit kurzem Haar. Nur war es diesmal Bryan Weston, der Superpsychopath. Kr nickte ihnen freundlich zu, als er fröhlich in die Schule ging. Stacy ignorierte Amys Proteste und rannte impulsiv hinter ihm her. Sie konnte gerade noch sehen, wie Bryan fröhlich durch den Metalldetektor ging. Sie folgte ihm ins Klassenzimmer. Mr. Mellor war da, und Bryan begrüßte ihn wie einen alten Freund. Dann führte er den Lehrer zum Fenster und öffnete es. „Wir haben früher die Messer mit Klebeband unter dem Fensterbrett festgeklebt", erklärte Bryan. „Auf diese Weise konnten wir sie an dem Metalldetektor vorbeischmuggeln." Seine Augen weiteten sich und er zog ein Messer heraus. „Sehen Sie sich das an! Irgend jemand tut es noch immer!" Er gab das Messer an Mr. Mellor weiter. „Machen Sie sich keine Sorgen, Sir", sagte er. „Ich werde herausfinden, wer das war und Ihnen sofort Bericht erstatten. Ich verspreche Ihnen, daß in diese Schule keine Messer mehr eingeschmuggelt werden." Jedesmal wenn Stacy glaubte, nichts könnte sie mehr erschüttern, traf sie ein neuer Schlag. Bryan Weston kooperierte mit Mr. Mellor. Es war unglaublich. Und er war höflich, freundlich und besorgt... Eine weitere Verhaftung, und am nächsten Tag gäbe es eine weitere Person, die sich verändert hatte. Stacy war sich ziemlich sicher, daß auch Bryans und Sams Eltern sich für die Therapie entschieden hatten. Und das es der-selbe Arzt gewesen war, zu dem auch Justin gegangen war. Das Ergebnis war das gleiche. Erst jetzt dämmerte ihr, daß sie herausfinden mußte, was hier vor sich ging ... das hier betraf nicht nur Justin; es war eine Epidemie.
Kapitel 5 Das schlimmste war, daß Stacy niemanden davon überzeugen konnte, daß etwas nicht stimmte. Selbst Amy schienen die Veränderungen nicht zu stören. „Nun, Justin hat sich eben geändert", sagte sie mit einem Achselzucken. „Und Bryan. Und Sam." Stacy wollte, daß Amy es auch sah. „Kurz nach ihren Verhaftungen haben sich ihre Persönlichkeiten verändert." Amy fröstelte. „Ich erinnere mich, ich hab' sowas mal im Fernsehen gesehen. Eine wahre Geschichte, sie hieß 'Scared Straight'. Es ging darum, wie sie die Gefängnisse benutzten, um ungezogene Kinder in brave zu verwandeln. „Amy", sagte Stacy voller Geduld. „Justin und die anderen sind nicht ins Gefängnis gekommen. Sie haben einen Psychiater besucht und das hat sie verändert." „Kommt doch aufs selbe raus", beharrte ihre Freundin. „Gefällt's dir denn nicht besser so? Sam ist ganz süß, jetzt wo er nicht mehr so schüchtern ist. Und Bryan ist ohne seine Gewaltfixierung ohnehin besser dran. Und Justin behandelt dich wirklich gut." „Vielleicht sind sie besser", sagte Stacy voller Zweifel. „Aber sie sind nicht mehr sie selbst." „Offen gestanden", antwortete Amy, „halte ich das für viel besser." Stacy gab es auf. Als nächstes versuchte sie's mit Adam. Er zuckte nur die Achseln. „Also, sie haben sich verändert. Ist doch egal." , Justin ist einfach nicht mehr so spaßig, wie er mal war", beklagte sich Stacy. „Das findest du.", entgegnete Adam. „Aber er ist jetzt ein viel besserer Basketballspieler. Er kommt immer regelmäßig zum Training. Unser Team hat sogar eine Chance, dieses Jahr die Meisterschaft zugewinnen. Also mecker nicht." Mit den Lehrern darüber zu reden, war zwecklos. Stacy stellte fest, daß Justin wirklich lernte - er sagte ein Treffen mit ihr ab, damit er Mathe üben konnte! Seine Noten hatten sich sehr verbessert. Es war äußerst unheimlich. Da sie keine andere Möglichkeit mehr sah, beschloß Stacy, mit ihrer Mutter zu sprechen. Die war ja an sich okay, aber an Stacys Leben hatte sie wenig Interesse. Das letzte Mal als sie ein vernünftiges Gespräch miteinander hatten, ging es um die Bienen und die Blumen. Stacy war damals neun und wußte schon sehr viel mehr, als ihre Mutter ihr erklärt hatte. Seitdem war sie so in ihre Arbeit vertieft, daß sie kaum Zeit hatten, mehr als sechs Worte miteinander zu wechseln. „Ich glaube nicht, daß mit Justin was nicht stimmt", behauptete ihre Mutter. „Er hat sich geändert", beharrte Stacy. „Das war offengestanden auch nötig." Ihre Mutter starrte sie an. „Ich mische mich nicht in dein Leben ein, Stacy, weil ich der Meinung bin, daß du aus deinen Fehlern lernen mußt. Aber ich habe immer geglaubt, daß Justin die falsche Art von Junge für dich ist. Er ist so ... ungepflegt. Aber jetzt ist er sehr viel besser geworden. Er ist endlich ein anständiger junger Mann. Ich bin froh, daß ich nie was gesagt habe, denn jetzt ist er die Art von Junge, auf die eine Mutter stolz sein kann." Stacy wollte schreien. Verstand sie denn niemand? Sie alle sahen Justins neue Persönlichkeit, und sie gefiel ihnen. In mancher Hinsicht gefiel es ihr auch. Aber darum ging es eben nicht: Es ging darum, daß das nicht der echte Justin war. Es war fast so, als ob sich jemand als er ausgeben würde. „Es ist wie in dem alten Film", sagte sie zu ihrer Mutter. „Du weißt doch, der, in dem die Außerirdischen die Welt erobern, indem sie diese riesigen Samenkapseln zu Menschen heranzüchten. Es sind Außerirdische, die die Erde überfallen wollen." Ihre Mutter lachte. „Glaubst du wirklich, daß Justin einMonster aus dem Weltall ist? Nun, ich kann nur sagen, dann brauchen wir noch mehr solcher Monster auf der Erde. Ehrlich gesagt Stacy, ich glaube, du solltest weniger fernsehen. Das ist nicht gut für dich." „Mit mir ist alles in Ordnung", schnauzte
Stacy sie an. „Und ich hab' nicht gesagt, daß er ein Außerirdischer ist. Ich habe nur gesagt, daß die Veränderung die über ihn hereingebrochen ist, mich an diesen Film erinnert. Ich glaube, daß dieser Psychiater etwas mit seinem Gehirn angestellt hat." „Na, wenn du mich fragst, war das schon lange überfällig", seufzte ihre Mutter. „Stacy, die Menschen verändern sich nun mal. Er hat endlich sein Leben umgekrempelt. Ihm ist wahrscheinlich aufgefallen, daß er, wenn er so weitermacht, wahrscheinlich im Kittchen enden oder umgebracht würde. Solch ein Schock kann einen Menschen schon verändern und in die Wirklichkeit zurückführen." „Wirklichkeit?" rief Stacy. „Er ist weit von der Wirklichkeit entfernt. Sogar sein Geschmack hat sich verändert. Er mag jetzt Enya und guckt Disney-Filme." Ihre Mutter zuckte mit den Achseln. „Daran ist doch nichts verkehrt. Gesunde Unterhaltung." „Aber es ist nicht Justin!" Es hatte keinen Zweck. Ihre Mutter bewunderte die Blumen an, die Justin ihr geschenkt hatte und die noch immer frisch in der Vase standen. Stacy war klar, daß sie nichts erreichen würde. An diesem Freitag ließ Justin Hausaufgaben Hausaufgaben sein und rief Stacy an, um mit ihr auszugehen. Dieses Mal brachte er ihrer Mutter Schokolade mit. Stacy wollte ihren Fehler vom letzten Mal nicht wiederholen und zog sich bieder an. Zumindest sagte er ihr nicht, sie solle sich umziehen. Außerdem trug sie weniger Make-up. Es gab keine Grund Ärger heraufzubeschwören. „Ich dachte mir, wir könnten vielleicht mal tanzen gehen", sagte Justin und legte eine CD von einemMenschen namens Ottmar Liebert ein. Eigenartige Gitarrenmusik, die beinahe akzeptabel klang. „Großartig", sagte Stacy voller Enthusiasmus. Eine Menge Jugendliche ging ins Sixteen, der örtlichen Disco. Dort war's laut, wild und das machte viel Spaß. Sie hätte es mittlerweile besser wissen sollen. Justin hatte etwas ganz anderes im Kopf. Frustriert knallte Stacy die Tür zu als sie nach Hause zurückkam. Ihr Vater blickte vom Fernseher auf. Er sah gerade sein Lieblingsprogramm, SFPD. Sie war sich sicher, daß ihm die Show nur gefiel, weil es darin viel Gewalt und Duschszenen gab. Ihr gefiel sie aus den selben Gründen, aber heute war ihr nicht nach Fernsehen zumute. „Alles in Ordnung, Liebling?" fragte er. „Ich war tanzen", sagte Stacy und versuchte, nicht zu spucken. „In einem Ballsaal." Ihr Vater hob die Augenbrauen. „Ich wußte gar nicht, daß dir sowas gefällt." Du weißt überhaupt nichts über mich, dachte Stacy, aber laut sagte sie nur: „Macht mir überhaupt keinen Spaß. Es war Justins Idee. Ich habe Walzer gelernt." „Klingt doch lustig", sagte ihr Vater. Die Werbung war beinah vorbei, also blickte er zurück zum Fernseher. „Du weißt ja gar nicht, was Spaß bedeutet", murmelte Stacy. Sie marschierte in ihr Zimmer und ließ sich aufs Bett fallen, warf ihre Schuhe in die Ecke. Sie war wütend und massierte ihre wunden Füße. Es wurde immer schlimmer. Walzer! Als nächstes würde er sie wohl noch zu Bingo-Abenden und in die Kirche mitnehmen. Ihre Beliebtheit in der Schule würde ins Bodenlose sinken, wenn davon auch nur ein Sterbenswörtchen an die Öffentlichkeit drang. Und der neue Justin quasselte wie ein Wasserfall. Am Montag würde sie sicher ausgelacht werden. Außer ihm fiel noch etwas ein, womit er sie noch mehr demütigen könnte. Ihr Leben war ruiniert, und niemanden schien das zu interessieren.Es gab nur einen Funken der Hoffnung an diesem Abend. Justin hatte endlich den Namen des Arztes für sie herausgefunden: Dr. Wells. Sobald sie wieder gerade stehen konnte, holte sie ein Telefonbuch und suchte nach seinem Namen. Sie fand nur einen Dr. Wells, einen Psychiater. Er hatte seine Praxis in dem neuen Hochhaus in Stadtnähe. Das war ein Vorteil. Stacy beschloß, ihm am nächsten Morgen einen Besuch abzustatten. Das Haus, in dem sich Dr. Wells Büro befand, war eines dieser Glasgebäude mit grünen Fenstern in allen sechs Stockwerken. Stacy fand heraus, daß sein Büro den gesamten zweiten Stock einnahm. Das war eigenartig, denn das zweite Stockwerk war recht geräumig. Sie war sich zwar nicht sicher, aber sie hatte immer angenommen, daß alles was Psychiater in ihren Praxen hatten, Schreibtische und Sofas waren. Dazu brauchte man doch kein ganzes Stockwerk. Ihr fiel gerade ein, daß Samstag war. Was sollte sie tun, wenn er nicht in seiner Praxis war? Vielleicht spielte er Golf. Nun, da sie schon einmal hier war, konnte sie sich auch umsehen.
Die Tür war offen. Als sie eintrat, sah sie eine Rezeption und ein Wartezimmer. Darin befanden sich Dutzende von Stühlen und veraltete Zeitschriften. Hinter der Rezeption saß eine gutaussehende Blondine, die an einem Computer tippte. Hinter ihr war eine Wand aus Aktenschränken, welche vermutlich die Informationen der Patienten enthielten. Niemand wartete hier und Stacy wußte nicht, wofür man alle diese Stühle brauchte. Hier schien nicht sehr viel los zu sein. Vielleicht war es ein Trick, damit der Arzt wichtiger und beschäftigter erschien als er eigentlich war. „Bitte?" fragte die Empfangsdame. „Ich möchte gerne Dr. Wells sprechen", sagte Stacy. „Haben Sie einen Termin?" „Nein", gab Stacy leicht eingeschüchtert zu. „Es tut mir leid", sagte die Dame, aber es klang, als ob esihr überhaupt nicht leid täte. „Dr. Wells empfangt keine Patienten ohne einen Termin." Sie wandte sich wieder ihrem Computer zu. „Ich bin nicht zur Behandlung hier", sagte Stacy und bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Ich möchte nur mit dem Arzt sprechen." Die Dame starrte Stacy eiskalt an. „Dies ist Dr. Wells' Praxis", sagte sie. „Er empfängt hier nur seine Patienten." „Es geht um etwas Geschäftliches", sagte sie. „Dann brauchen Sie einen Termin", wiederholte die Empfangsdame mit triumphierendem Unterton. „Und Sie haben keinen." „Kann ich dann einen Termin ausmachen?" schlug Stacy vor und versuchte nicht zu sauer zu klingen. Sie wußte nicht, wieviel das kosten würde, aber sie war sich ziemlich sicher, daß ihr Vater es zahlen würde. Er zahlte die meisten ihrer Rechnungen, vorausgesetzt sie waren nicht zu heftig. Das war einer seiner Vorzüge. „Sie können keinen Termin vereinbaren." sagte die Empfangsdame. „Sie sind noch minderjährig. Ihre Eltern müssen das für Sie erledigen." Stacy starrte die Frau an, fest überzeugt, daß sie absichtlich so stur war. „Was? Ich wußte nicht, daß man ein gewisses Alter erreicht haben muß, um von einem Psychiater behandelt zu werden." „Ich bin sicher, daß es noch sehr viele Dinge gibt, die Sie nicht wissen", antwortete die Dame mit Verachtung in der Stimme. „Aber Dr. Wells behandelt niemanden unter einundzwanzig, außer er hat die schriftliche Zustimmung der Eltern." „Ich will nicht behandelt werden", wiederholte Stacy. „Ich muß mit ihm über meinen Freund reden." „Dr. Wells wird Ihnen garantiert keine Ratschläge für Ihr Liebesleben geben." „Es geht nicht um mein Liebesleben", erwiderte Stacy, völlig genervt. „Dr. Wells hat meinen Freund behandelt, und jetzt hat er sich verändert. Ich will wissen, was er mit ihm gemacht hat."„Das würde die Schweigepflicht verletzen. Der Herr Doktor darf nicht mit Dritten über die Behandlung seiner Patienten sprechen." Sie starrte Stacy kalt an. „Auf Wiedersehen." „Aber ich wollte doch nur -" „Auf Wiedersehen", sagte die Frau kurz. „Wenn Sie hier nichts zu suchen haben - was bei Ihnen offensichtlich der Fall ist - muß ich Sie bitten, die Praxis zu verlassen. Ansonsten muß ich leider die Polizei anrufen und Sie verhaften lassen." Sie lächelte süß. „Dann können Sie vielleicht mit dem Doktor sprechen", fügte sie hinzu. „Als Patient." Das wollte Stacy überhaupt nicht. Sie drehte sich wütend um und verließ die Praxis. Eigentlich wollte sie die Tür hinter sich zuknallen, aber sie fiel leider sanft ins Schloß. Stacy marschierte die Treppe hinab und trat in der Lobby frustriert gegen den Mülleimer. Die Frau war absichtlich so stur gewesen. Wahrscheinlich bestand ihr Job darin, Neugierige wegzuschicken und sie so davon abzuhalten, herauszufinden, was hier wirklich vorging. Es war frustrierend. Dann fiel Stacy etwas auf - die Frau wußte, daß die Polizei Patienten herbrachte. Also mußte das Ganze mit der Polizei zu tun haben. Aber das half ihr auch nicht weiter. Die Polizei würde ihr sicherlich nicht das erzählen, was sie wissen wollte. Wie die meisten Jugendlichen, mied sie die Polizei, wann immer sie konnte. Tatsache war, daß sie neulich nachts und vor dem Supermarkt zum ersten Mal in ihrem Leben , mit einem Polizisten zu tun gehabt hatte. Sie konnte schlecht ins Polizeirevier marschieren und darauf bestehen, daß man ihr sagte, was hier los war. Man würde sie noch schneller rausschmeißen als in der Arztpraxis. Was konnte sie tun? Es war frustrierend, ein Teenager zu sein. Sie hatte selbst keine Autorität und niemanden anderen, an den sie sich wenden konnte. Jeder, den sie um Unterstützung bat, hielt sie für verrückt, weil sie sich beklagte. Was sie brauchte, war ein Erwachsener, der ihrhelfen konnte. Erwachsene bekamen die Dinge immer irgendwie hin. Wenn ein Erwachsener Dr. Wells besuchen wollte, würde er bestimmt nicht rausgeschmissen werden. Und wenn ein Erwachsener mit der
Polizei sprach, würde er Antworten zu hören bekommen und keine Beleidigungen. Aber sie kannte keine Erwachsenen, an die sie sich wenden konnte. Ihr fiel zumindest niemand ein. Ihre Eltern konnten ihr nicht helfen, und sie kannte eigentlich keine anderen Erwachsenen. Ein paar Nachbarn, aber die begrüßte sie nur ab und zu, oder hütete ihre Kinder. Niemand würde ihr helfen oder auch nur zuhören. Sie fühlte sich sehr allein. Da ihr sonst nic hts zu tun übrigblieb, ging sie nach Hause und dachte über ihre Situation nach. Ungefähr eine Stunde später rief Amy an. „Hast du heute abend schon was vor?" „Sieht nicht so aus", antwortete Stacy. „Justin kann nicht, er hat irgendein Familientreffen, zu dem er gehen muß." „Igitt. Normalerweise meidet er sowas doch wie die Pest." „Das war der alte Justin", erklärte Stacy. „Der neue Justin kann von seinen Verwandten nicht genug bekommen. Ich bin nur froh, faß es ausschließlich für Verwandte ist, ansonsten hätte ich noch mitkommen müssen. Was hast du so vor?" „Brad Syms hat noch 'ne Faßparty für heute abend arrangiert. Adam und ich gehen hin, und wir dachten uns, daß du vielleicht mitkommen willst." Stacy dachte darüber nach. Es würden normale Menschen dasein und es gäbe gute Musik. Auf der anderen Seite sicher auch Bier und Kotze und irgendwelche Typen, die sie anmachen würden. „Nein danke, ich glaube nicht", entschied sie sich. „Wenn dir Justin auf die Nerven geht", sagte Amy mit verschwörerischer Stimme, „solltest du dich heute abend vielleicht nach einem neuen Kerl umsehen ..." Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Nur Loser hatten keineDates, und sie wollte nicht unbedingt von denen begrab-scht werden. „Schon okay", sagte sie. „Ich will mich nicht vor die anderen Mädchen drängen. Viel Spaß, Amy." Nachdem sie aufgehängt hatte, starrte sie lange das Telefon an. Vielleicht hätte sie doch mitgehen sollen. Das hätte sie vielleicht abgelenkt. Aber diese Parties waren im allgemeinen ziemlich doof, und sie hatte keine Lust auf die ganzen Idioten. Sie hatte in der Tat die beste Entscheidung getroffen, auch wenn das bedeutete, heute abend allein zuhause zu bleiben. Naja - immerhin konnte sie gute Musik auflegen und alleine tanzen. Würde sicherlich mehr Spaß machen. Wenn sie sich wirklich anstrengte, konnte sie sich vielleicht davon überzeugen, daß sie glücklich war. Das klappte natürlich nicht. Sie legte eine Smashing Pumpkins und OffspringPlatte nach der anderen auf und versuchte, die Musik ihrer Probleme überdröhnen zu lassen. Gegen elf Uhr klingelte das Telefon, zum Glück zwischen den Songs, ansonsten hätte sie es nie gehört. Sie schaltete den Plattenspieler aus und hob den Hörer ab. Vielleicht war es Justin, vielleicht wollte er sie so spät am Abend noch sehen. „Hi, Stacy", sagte Amy mit besorgter Stimme. „Amy, stimmt was nicht?" „Stacy, du mußt mir helfen. Du mußt mich abholen. Meine Eltern sind noch nicht zurück und ich kann hier nicht länger bleiben." Es klang fast so, als weinte sie. „Amy, was ist denn los?" Stacy machte sich unwillkürlich um ihre Freundin Sorgen, auch wenn sie nicht sonderlich nett zu ihr gewesen war. „Ist es die Party? Ist was passiert?" , Ja, allerdings", entgegnete Amy. „Aber ich bin nicht auf der Party, ich bin im Knast. Stacy, ich will hier raus!"
Kapitel 6 Nach langem Hin und Her gelang es ihr endlich, ihren Vater davon zu überzeugen, mit ihr aufs Polizeirevier zu fahren. Er hatte keine Lust, den Fernsehapparat 'alleinzulassen' , aber er sah ein, daß seine Frau nach drei Wodka-Martini nicht in der Lage war, zu fahren. Und wenn doch, würde die Polizei sie gleich mit einsperren. Er maulte, startete den Wagen und fuhr los. Stacy wurde langsam klar, warum sie ein Einzelkind war. Ihr Vater war fernsehsüchtig und ihre Mutter hing ständig an der Flasche. Außer Stacy hatten sie nichts gemeinsam. Und keiner der beiden hatte sehr viel mit ihr zu tun. Stacy war noch nie auf dem Polizeirevier gewesen, aber sie fand, daß der Parkplatz ziemlich voll aussah, wenn man bedachte, daß es beinahe Mitternacht war. Innen war alles voller Menschen. Sie waren gezwungen, in einer langen Schlange zu warten, während der Schalterbeamte sich mit allen möglichen besorgten und wütenden Eltern abgeben mußte. Stacys Vater kannte den Mann, der vor ihnen stand, es war einer seiner Arbeitskollegen. Er war hier, um seinen Sohn abzuholen, der offensichtlich verhaftet worden war. Was ging hier vor? Stacy fand keine Erklärung. Es waren mindesten zwanzig oder dreißig Eltern hier, die nach ihren Kindern suchten. Alle paar Minuten würde ein Elternpaar mit Nachwuchs in einem separaten Zimmer verschwinden, um wenige Minuten später mit einem plötzlich sehr stillen Teenager wieder aufzutauchen. Stacy erkannte die Kinder aus ihrer Schule. Endlich, um viertel vor eins, waren endlich sie an der Reihe. Die Laune ihres Vaters hatte sich durch die Warterei nicht gerade verbessert. „Ich bin hier, um eine Amy Moore abzuholen", sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. Der Beamte schaute auf seine Liste. „Sind Sie Mr. Moore?"„Nein, ich bin Mr. Harvey", antwortete ihr Vater. „Mr. Moore ist wohl momentan unabkömmlich. Was geht hier überhaupt vor? Warum dauert das alles so lange?" „Kumpel", entgegnete der Bulle. „Wir haben heute drei-undvierzig Jugendliche verhaftet. Wir haben eine Razzia auf einer Faßparty veranstaltet. Alle waren minderjährig. Zum Glück hatte einer der Kids genügend Grips im Kopf um einzusehen, was für eine dumme Idee das war, und hat uns benachrichtigt." Stacy konnte sich schon denken, wer das gewesen war: Justin, S am oder Bryan mit ihrer neugefundenen Moral. Alle drei wären nur zu froh gewesen, ihre Freunde zu verpfeifen. Sie schluckte, als ihr einfiel, daß sie der Sache nur um Haaresbreite entgangen war. „Ist das Ihr Kind?" fragte der Polizist und nickte in Amys Richtung. „Ja. Sie ist eine Freundin von Amy." „Na, Sie können von Glück reden, das einzig anständige Kind in der ganzen Stadt zu haben. Mir scheint als hätten wir letzte die Woche fast die Hälfte aller Teenager hier gehabt." Er schaute sich um. „Tom, kannst du Amy Moore aus der Zelle holen? Jemand ist hier, um sie abzuholen." Stacy sah, daß es sich um den halbwegs freundlichen Polizisten handelte, dem sie ständig über den Weg zu laufen schien. Er zuckte zusammen, als er sie sah, aber er trat dennoch auf sie zu. „Ist die kleine Moore eine Freundin von dir?" fragte er. „Ja", antwortete sie. „Ihre Eltern sind momentan nicht da, deswegen sind wir hergekommen, um sie abzuholen." „Keine Bewährung", sagte er. „Wir stellen die Kinder nicht vor Gericht, wenn die Eltern sich bereit erklären, sie in Therapie zu geben." Er knurrte. „Aber da ihr ja keine Verwandten seid, könnt ihr das nicht entscheiden." „Nein", stimmte Stacys Vater zu. „Heißt das, daß sie hierbleiben muß, daß ich meine Zeit verschwendet habe?" Der Polizist starrte Stacy an und kaute auf seiner Unterlippe herum. „Warum versprechen Sie uns nicht ein-fach, Ihre Eltern zu fragen? Ich kann sie gehen lassen, wenn ihre Eltern morgen reinschauen und das Formular unterzeichnen. Es würde dem Kind bestimmt nicht helfen, die ganze Nacht in der Zelle zu sitzen. Wir kriegen da manchmal üble Gestalten."
Stacy war klar, daß er Amy zuliebe die Regeln verletzte. Vielleicht war er ja doch nicht so schlimm. „Danke", sagte sie. „Wir sind Ihnen wirklich sehr dankbar." Er nickte. „Aber ihre Eltern müssen morgen herkommen und das Formular unterzeichnen. Ansonsten müssen wir sie vor Gericht stellen. Und sie ist etwas zu jung, um ein Vorstrafenregister zu haben. Wenn Sie hier warten, gehe ich sie schnell holen." Stacys Vater nickte, und als der Polizist weg war, schaute er Stacy an. „Und wieso warst du nicht auf dieser Party?" „Sah nicht sonderlich spaßig aus", antwortete sie wahrheitsgemäß. „Offensichtlich war das die richtige Entscheidung." Ihr Vater sah sie zweifelnd an. „Ich bin mir nic ht sicher, ob diese Amy der richtige Umgang für dich ist, wenn sie solche Sachen anstellt." Stacy starrte ihn ungläubig an. Er hatte absolut keine Vorstellung davon, was sie normalerweise so trieb! Und er verurteilte Amy. „Sie ist schon okay", war alles, was sie schließlich herausbrachte. Der Beamte kam mit Amy zurück, die den Kopf gesenkt hielt und auf den Boden starrte. Stacy umarmte sie und merkte, daß Amy geweint hatte. Amy klammerte sich noch immer schluchzend an Stacy fest. Es mußte wirklich hart für sie gewesen sein. Der Beamte gab Stacys Vater ein paar Papiere. „Das ist das der Vertrag, den die Moores unterzeichnen sollen. Da steht nur drin, daß Amy Dr. Wells einen Besuch abstatten sollte. Er ist der Psychiater, der die Kinder untersucht." „Untersucht", meinte Stacy verächtlich. „Meinen Sie nicht: etwas verändert?" Der Beamte schüttelte den Kopf. Er sah aus, als ob erSchuldgefühle hätte. „Er redet mit ihnen und hilft ihnen so. Wir hatten noch nie Ärger mit Kindern, die er behandelt hat." „Das liegt daran, daß er ihnen etwas antut. Eine Lobotomie oder irgendwas. Danach sind sie nicht mehr so, wie sie einmal waren." „Sie machen keinen Ärger", wiederholte der Polizist. Stacy sah Amy an. „Ich glaube ernsthaft, daß du diesem Typen keinen Besuch abstatten solltest", sagte sie zu ihrer Freundin. „Er war es, der Justin, Sam und Bryan verändert hat." Der Beamte seufzte. „Hör mal, wenn sie es ablehnt, zu ihm zu gehen, muß ich sie in die Zelle zurückbringen. Willst du das?" fragte er Amy. Sie erschauderte. „Nein", sagte sie mit schwacher Stimme. „Kluges Mädchen," Der Beamte sah sie sorgenvoll an. „Ich weiß, daß es dir seltsam erscheint, aber die Sache funktioniert wirklich. Es ist hundertmal besser, als im Gefängnis zu sitzen, das kannst du mir glauben." „Ich wünschte, ich könnte es", entgegnete sie. Ihr Vater starrte sie an. „Hör' auf, Ärger zu machen, Stacy", sagte er zu ihr. „Wir haben Amy, du solltest damit zufrieden sein. Laß uns endlich gehen. Ich bin todmüde." Stacy wollte noch länger mit dem Beamten reden, aber er wurde zurück zur Zelle gerufen und verschwand. Frustriert und besorgt folgte Amy ihrem Vater, als er das Polizeirevier verließ. Amy setzte sich auf den Rücksitz, und Stacy blieb bei ihr. Sie zitterte noch immer, Tränen flössen ihr übers Gesic ht. Stacys Vater fuhr vom Parkplatz und dann nach Hause. „Warum hast du dich mit dem Polizisten gestritten?" wollte er wissen, er war total entnervt. „Es ist schlimm genug, daß wir mitten in der Nacht hierher kommen müssen, um deiner Freundin aus der Patsche zu helfen. Immer mußt du Ärger machen." „Es geht um diesen Dr. Wells, Papa", versuchte Stacy zu erklären. „Jedesmal wenn ihn jemand besucht, kommt ervöllig anders wieder zurück." „Das ist der Sinn der Sache", sagte ihr Vater. „Und wenn du mich fragst, diese Kinder brauchen eine Veränderung in ihrem Leben. Faßparties!" Sie war zu müde und zu schlecht gelaunt, um darüber nachzudenken, was sie sagte. „Hast du nie etwas Dummes angestellt, als du jung warst?" schnauzte sie ihn an. „Ja, doch", entgegnete er. „Ich habe geheiratet und ein Kind gezeugt." Das saß! Hielt er wirklich so wenig von ihr? Das sie ein Fehler war, den er mal begangen hatte. Oder war er nur müde und verschnupft, weil er wegen ihr ein paar Stunden Fernsehen verpaßt hatte, und war deswegen so gemein zu ihr? Egal aus welchem Grunde er das gesagt hatte, ihre Gefühle waren zutiefst verletzt. Nach einer Weile sagte sie: „Ich glaube, sie bleibt heute Nacht besser bei uns. Kommen deine Eltern morgen zurück?"
„Ja", entgegnete Amy. „Ich sollte heute nacht allein zuhause bleiben." „Nach all dem was vorgefallen ist, halte ich es für unklug, dich allein zu lassen", stimmte Stacys Vater zu. „Jemand muß ein Auge auf dich haben." Hielt er Amy für ein Kleinkind? Sie war immerhin fünfzehn Jahre alt und in der Lage, selbst auf sich aufzupassen. Aber Stacy wußte, daß es sinnlos war, mit ihm zu reden, wenn er in solch einer miesen Laune war. Stattdessen umarmte sie Amy. „Ich werd' dir einen Schlafanzug leihen", sagte sie zärtlich. „Wir haben fast die gleiche Größe - vorausgesetzt du nimmst ein paar Kilo ab." Amy war dünner als Stacy. Sie quälte sich ein Lächeln ab. Es war ein Uhr dreißig, als sie endlich zu Hause ankamen und ihr Vater die Scheinwerfer abstellte. Stacy war total erschöpft. Sie hatte gerade noch genügend Energie, um sich umzuziehen und Amy ein Nachthemd zu leihen, bevor sie einschlief. Am nächsten Morgen war Amy leise, zurückgezogen undeinsilbig. Sie weigerte sich, Stacy zu erzählen, was auf der Party vorgefallen war. Sie aß nichts zum Frühstück. Stacy s Mutter fuhr sie und Amy zu Amys Haus, wo ihre Eltern gerade angekommen waren. Die Erwachsenen besprachen die Sache alleine, während Amy vor sich hinstarrte und Stacy wartete. Als die Papiere, die der Polizist Stacys Vater gegeben hatte, weitergereicht wurden, konnte es Stacy nicht länger ertragen. „Unterschreibt das nicht!" unterbrach sie mit dringlicher Stimme die Erwachsenen. Ihre Mutter und die Moores starrten sie an, verwirrt und irritiert. „Ich weiß nicht, was dieser Dr. Wells mit den Leuten anstellt", versuchte sie zu erklären, „aber danach sind sie nicht mehr dieselben. Bitte tun Sie das Amy nicht an." „Wenn wir es nicht tun", sagte Mrs. Moore sanftmütig, „wird sie wieder ins Gefängnis kommen. Wenn sie Glück hat, kommt sie auf Bewährung raus, aber das wird dann im Vorstrafenregister stehen. Es wird ihr Leben nur unnötig komplizieren, Stacy. Es ist viel besser, wenn sie sich dieser Therapie unterzieht." „Nur wird sie nicht mehr die alte Amy sein, wenn sie das macht", warnte Stacy. Ihre Mutter hob die Hand. „Es ist schon in Ordnung, Stacy. Ich habe mit einigen Leuten über diesen Dr. Wells gesprochen. Er hat einen sehr guten Ruf, und alle seine Patienten sind geheilt. Das sind erstaunliche Statistiken." „Er verwandelt sie in Zombies", gab Stacy aufgebracht zurück. „Die Handelskammer hat ihn eingehend untersucht", beharrte ihre Mutter. „Die Handelskammer? Wissen die denn, was er treibt?" „Selbstverständlich", antwortete ihre Mutter. „Sonst würden sie ja der Polizei nicht erlauben, da Programm weiter laufen zu lassen. Er richtet keinen Schaden an und er hilft diesen Kindern. Nach der Behandlung sind sie alle viel besser in der Schule." „Er zerstört ihre Persönlichkeit," beharrte Stacy. „Nachder Behandlung sind sie nicht mehr sie selbst." „Die Leute, die er behandelt hat, waren keine besonders guten Menschen." stellte ihre Mutter fest. „Das ist noch lange kein Grund, sie einer Gehirnwäsche zu unterziehen." Sie wandte sich den Moores zu. „Sie wissen genau, daß Amy kein schlechter Mensch ist. Sie hat das nicht verdient. Bitte tun Sie ihr das nicht an." Mrs. Moore seufzte. „Anständige Kinder gehen nicht zu Faßparties, Stacy. Du bist immerhin nicht gegangen. Es tut mir wirklich leid, aber sie hat nun mal einen Fehler gemacht und sie muß auf die eine oder andere Art dafür zahlen." „Sie wäre im Gefängnis besser aufgehoben als in der Therapie", entgegnete Stacy. „Nein!" unterbrach Amy. „Nein. Ich will nicht zurück ins Gefängnis." Sie zitterte. „Stacy, du hast keine Vorstellung davon, wie schlimm das ist. Als ich da letzte Nacht drin war ..." Sie schauderte. „Ich kann das nicht. Alles ist besser als das." „Auch der Verlust deiner Persönlichkeit?" fragte Stacy mit bitterem Unterton. „Das wird schon nicht passieren", versprach sie. „Du solltest mich eigentlich besser kennen. Ich werd' einfach mit diesem Arzt reden, und das wars dann auch schon." „Nein", sagte Stacy. Ihr war schlecht. „Das war's eben nicht. Wenn du in seine Praxis gehst, wird Amy Moore nie wieder herauskommen. Du wirst jemand anders sein. Amy, bitte tu das nicht." „Du hast leicht reden", flüsterte Amy. „Du hast nicht das durchgemacht, was ich durchgemacht habe. Ich kann das nicht noch einmal aushallen." Sie wandte sich an ihre Eltern. „Unterschreibt die Papiere. Ich gehe zur Therapie." Stacy fühlte sich, als hätte ihr jemand einen Dolch ins Herz gestoßen. „Dann werd' ich mich jetzt verabschieden, Amy", flüsterte sie. „Denn ich werde dich nie wieder sehen. Nur deinen Körper,
wie ein Zombie." Ihre Mutter starrte sie an. „Hör bitte mit dem Drama auf,junges Fräulein", fuhr sie sie an. „Du bereitest den Moores nur Sorgen." „Genau darum geht's doch", antwortete Stacy. „Laß das gefälligst sein." Ihre Mutter wandte sich Amys Eltern zu. „Ich muß mich für ihr Verhalten entschuldigen. Ich bin sicher, daß sie die richtige Entscheidung getroffen haben." „Was weißt du denn schon," verlangte Stacy zu wissen. „Du hältst Justin für wunderbar! Aber er ist eben nicht mehr Justin." „Genug davon!" sagte ihre Mutter mit kalter Stimme. „Es ist Zeit, daß wir gehen. Ich bin sicher, die Moores wollen mit Amy sprechen und ihr erklären, wie sehr sie sie letzte Nacht enttäuscht hat." Stacy wußte, daß sie verloren hatte. Es brach ihr das Herz, ihre unglückliche Freundin so zu sehen und zu wissen, was aus ihr werden würde. Wortlos verließ sie das Haus und ging zum Auto. Einen Moment später folgte ihre Mutter. Sie sah etwas wütend aus. „Ich habe deinen Unfug lange genug toleriert" sagte sie mit kalter Stimme. „Ich will kein Wort mehr davon hören, daß Dr. Wells die Leute in außerirdische Samenkapseln verwandelt, oder was immer du glaubst, daß er tut. Er ist ein netter Mann und er tut viele wunderbare Dinge für die Kinder. Du weißt überhaupt nicht, wovon du redest, junges Fräulein. Gerade mal fünfzehn Jahre alt, aber du glaubst, daß du alles weiß t." Das tat Stacy weh. „Ich weiß überhaupt nicht alles", erwiderte sie. „Aber ein paar Sachen weiß ich schon. Ich weiß, daß sich die Leute verändert haben. Und ich weiß, daß du sowieso nicht geradeaus gucken kannst, wenn du durch ein Wodkaglas schaust." Für einen Moment dachte Stacy, daß ihre Mutter sie schlagen würde. Sie kochte vor Wut. Ihre Nackenmuskeln zuckten. Dann atmete sie tief ein. „Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist", sagte sie mit gespannter Stimme. „Aber was immer es ist, ich schlage vor, daß du es schnell vergißt. Du bleibst mir am bestenaus den Augen, bis du bessere Laune hast." Wenn ich vierundsechzig bin, dachte Stacy, als sie tiefer in ihren Sitz sank und den Mund hielt. Es war völlig zwecklos, mit ihrer Mutter zu reden. Sie war fest davon überzeugt, daß Stacy hysterisch war und akzeptierte die Wahrheit überhaupt nicht. Als sie wieder zu Hause waren, nahm der Tag seinen normalen, langweiligen Verlauf. Sie konnte sich auf nichts konzentrieren, außer auf ihre Sorgen wegen Amy. Alle schie nen zu glauben, daß die Therapie die richtige Entscheidung war, aber Stacy wußte es besser. Das führte nur zum Wahnsinn, egal was die anderen dachten. Es war schrecklich. Der Tag wollte nicht vergehen. Als es Zeit war, ins Bett zu gehen, widersprach sie nicht. Sie hatte grauenvolle Alpträume, in denen Amys Schädel offen war und ihr Gehirn ausgelöffelt wurde. Dabei lächelte sie die ganze Zeit blöde vor sich hin. Am nächsten Morgen fühlte sich Stacy, als ob sie die ganze Nacht auf einer Achterbahn verbracht hätte. Sie fühlte sich krank, müde und erschöpft. Selbst eine heiße Dusche half nicht. Sie aß nichts zum Frühstück und ging früh zur Schule. Sie hatte Angst vor dem, was sie erwartete. Es war schlimmer als sie angenommen hatte. Fast jeder zweite Junge trug jetzt einen Anzug mit Krawatte, hatte kurzgeschorenes Haar und ein fröhliches Lächeln im Gesicht. Stacy zuckte zusammen, wann immer einer an ihr vorbeikam. Ungefähr zehn Mädchen trugen spießige Kleider und lächelten ebenfalls vor sich hin. Und dann sah sie Amy. Es war, als wäre ihre der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Amy trug einen langen Rock und eine weiße Bluse mit einem Pulli darüber. Statt ihrer Doc Martens trug sie schwarze, flache Schuhe. Sie sah aus, als käme sie geradewegs aus einem Fifties-Retro Film. „Stacy!" rief sie und winkte freundlich. „Bin ich froh, dich zu sehen." Sie kam zu ihr herüber. „Siehst du, du hast dich völlig umsonst gesorgt. Es ist alles in bester Ordnung." Sie küßte Stacy auf die Wange. „Ich weiß, daßdu dir Sorgen gemacht hast, aber du bist nun mal meine beste Freundin. Es ist alles in Ordnung." Nein, ist es nicht, dachte Stacy. Jetzt haben sie dich auch erwischt.
Kapitel 7 Amy war Stacys Gesichtsausdruck nicht entgangen. „Wirklich", versicherte sie ihr. „Ich bin in Ordnung. Ich bin immer noch Amy. Nichts hat sich verändert." „Alles hat sich verändert", sagte Stacy. „Dein Gehirn wurde irgendwie verändert. Mir ist egal, was du sagst, denn du sagst es ja nur, weil du so programmiert wurdest." „Das ist überhaupt nicht der Fall", beharrte Amy. „Ehrlich! Ich bin immer noch dasselbe Mädchen, das ich war, nur verstehe ich mich selbst jetzt besser. Ich bin Amy-plus." „Nein," informierte sie Stacy. „Du bist Amy minus. All die Dinge, die deine Persönlichkeit ausgemacht haben, sind verschwunden." „Die einzigen Dinge, die verschwunden sind, sind die negativen", erwiderte Amy. „Der Egoismus, die Kleinlichkeit, mein selbstzerstörerisches Verhalten. Wenn du glaubst, daß mich das einzigartig gemacht hat, Stacy, dann bist du diejenige, die oberflächlich ist, nicht ich." Dann lächelte sie und tätschelte Stacys Arm. „Ich bin sicher, daß du zu der Meinung gelangen wirst, daß ich mich verbessert habe. Dann können wir wieder beste Freunde sein. Vielleicht kannst du am Wochenende bei uns übernachten." Stacy starrte sie angeekelt an. „Amy, ich habe noch nie bei dir übernachtet. Und vor ein paar Tagen hast du mir erzählt, daß du nicht vorbeikommen wolltest, weil wir nicht genügend gemeinsam haben." „Das war, bevor ich angefangen habe, klar zu denken", antwortete Amy. „Ich muß vieles wiedergutmachen und das ist nur der Anfang." Stacy konnte es nicht mehr ertragen. Ohne sich umzudrehen, marschierte sie zum Klassenzimmer. Aber das halfauch nichts. Ungefähr die Hälfte ihrer Klasse hatte sich in Zombies verwandelt. Wo immer sie auch hinschaute, alles erinnerte sie daran, wie schlecht es um die Dinge stand. Aber es glaubte ihr natürlich niemand. Die Lehrer waren von den Veränderungen begeistert; zum ersten Mal paßten die Schüler im Unterricht auf, machten alle Hausaufgaben und verhielten sich ordentlich. Die Hälfte der Klasse wollte es so, der Rest hatte Angst, verpfiffen zu werden. In den nächsten Tagen wurde Stacy klar, wie schlimm der Stand der Dinge wirklich war. Es fiel ihr zum ersten Mal auf, als sie in den Record Barn ging - allein, weil sie weder Justin noch Amys Gesellschaft ertragen konnte. Die gehirnamputierten Zombies erinnerten Stacy die ganze Zeit an das, was sie einst gewesen waren. Der Laden hatte sich drastisch verändert. Statt Rock oder Rap war plötzlich irgendein New Age Müll zu hören. Und die alten Poster waren verschwunden. Stattdessen hingen jetzt „Rettet die Wale" und andere Umweltschutzplakate an den Wänden. Stacy schaute sich schockiert um. Dann ging sie zu den Wandregalen mit den CDs, um nach etwas Gutem zu suchen. Aber sie fand nichts. Es gab überhaupt keine Rockmusik. Stattdessen fand sie nur klassische Musik, New Age, seichte Unterhaltung und elektronische Musik. Verwirrt und verärgert marschierte sie an die Kasse, um sich zu beschweren. Dort erlebte sie ihren nächsten Schock. R ick hatte sich das lange Haar abgeschnitten und trug jetzt ein Hemd statt des alten T-Shirts. Er sah nervös aus und litt an einer Gesichtszuckung. „Rick", sagte sie. „Was ist denn hier passiert? Wo ist all die gute Musik?" Er zeigte auf eine Ramschkiste. „Da drinnen, Kid. Alles. Und selbst verramschen kann ich sie nicht. Niemand kauft sie. Alles was sie wollen ist Yanni und Clannard und so'n Zeug." Er hob die Schultern. „Ich hab' keine andere Wahl. Entweder verändere ich meinen Laden oder ich mache Pleite. Also habe ich andere Waren gekauft." Er seufzte. „Mache jetzt mehr Geld als je zuvor."„Aber es ist doch alles Müll", protestierte Stacy. „Das wissen wir beide," stimmte Rick traurig zu. „Aber der Großteil meiner Kunden ist anderer Meinung. Die mögen dieses Zeug auf einmal sehr, kaufen's mir tonnenweise ab. Ich bin Geschäftsmann, was soll ich tun? Ich muß mich den Zeiten anpassen." Er deutete in Richtung Ramschkiste. „Wenn dir da drinnen irgendwas gefällt, verkauf ich's dir für einen Dollar pro Stück. Immerhin verkauft."
Stacy ging rüber. „Und was hat's mit deinem neuen Kleidungsstil auf sich?" Er seufzte wieder. „Ein paar Kinder haben sich beschwert, daß ich dem Laden ein schlechtes Image verleihe und daß die gesamte Schule gezwungen wäre, mich zu boykottieren, wenn ich mich nicht rausputze. Wie gesagt, ich bin Geschäftsmann." Stacy fand das ungerecht. Jetzt fingen die Zombies bereits an, anderen Leuten vorzuschreiben, was sie verkaufen und wie sie sic h anziehen sollten. Die Sache wurde immer schrecklicher. Schlimm genug, daß die anderen Kids ihren Verstand verloren hatten. Aber jetzt wollten sie sicherstellen, daß andere Leute nicht mehr das machen konnten, was ihnen gefiel. Wieviel schlimmer konnte es überhaupt noch kommen? Die Antwort fiel ihr ein, als sie im Kiosk nach in den Magazinen blätterte. Stacy suchte nach der neuesten Ausgabe von Cosmopolitain, konnte sie aber nirgendwo finden. Sie ging zur Kasse und fragte die Verkäuferin: „Sind die Cosmos ausverkauft?" „Ausverkauft?" Sie schüttelte den Kopf. „Wir bekommen sie gar nicht mehr." „Heh? Warum denn nicht?" wollte Stacy wissen. „Die Kunden wollen es so." Stacy hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend. „Ich bin eine Kundin und ich will's." „Tut mir leid", sagte die Verkäuferin. „Die Mehrzahl der Kunden sind der Meinung, daß gewisse Magazine keinen sinnvollen Zweck haben."„Klingt, als würden sie eine Parteiphrase zitieren", ent-gegnete Stacy kalt. „Tu ich auch", sagte das Mädchen. „Das ist es, was sie mir gesagt haben. Ich habe Besuch gekriegt von einer Delegation der Handelskammer und von einer deiner Schule. Zeitschriften wie Cosmo, so wurde mir gesagt, sind es nicht wert, daß man sie liest. Es geht da um Themen, über die man nicht sprechen sollte, wie zum Beispiel Sex. Sie sagten mir, daß ich sowas nicht verkaufen soll, ansonsten würden sie meinen Laden dichtmachen." Sie sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. „Und das ist noch längst nicht alles. Soldier of Fortune habe ich auch rauswerfen müssen, weil das Gewaltverherrlichung ist. Und die ganzen Martial Arts Hefte, die Jagdzeitschriften ..." Sie schüttelte den Kopf. „Sie haben mir eine Liste zulässiger Magazine gegeben. Das ist alles, was ich im Laden haben darf." Mit schwindligem Kopf verließ Stacy den Laden. Keine Rockmusik, keine „subversiven" Magazine ... was war als nächstes dran? Die Antwort fand sie in der Boutique. Auf jedem Kleiderständer, in jedem Regal gab es nur biedere Klamotten. Obwohl es bereits Juni war, fand sie keine Bikinis. Nur Einteiler. Keine Tanktops, keine cutoff jeans ... sie ging zur Ladeninhaberin. „Lassen Sie mich raten", sagte sie. „Die Handelskammer hat Ihnen einen Besuch abgestattet." „Ja", sagte die Frau. „Was hätte ich schon tun können?" Nichts, so schien es zumindest. Stacy konnte den Anblick übergroßer Pullis und langer Röcke nicht länger ertragen, also verließ sie den Laden. Die Handelskammer und die mutierten Kinder arbeiteten Hand in Hand, um die Stadt zu verändern. Sie eliminierten alles, was sie für unangebracht hielten. Sie fühlte sich wie in einer Leichenhalle, nicht in einer Stadt. Und trotzdem kam es noch schlimmer. Die Pizzeria war weg. Man konnte erkennen, wo sie einstgewesen war, denn sie war von einem hastig angebrachten Plakat verdeckt worden. Innen sah alles noch genauso aus. Aber die Speisekarte hatte sich verändert. Keine Pizza, keine Calzones... alles was sie hatten waren Salat und anderer Naturkostfraß. Es gab nicht mal mehr Cola, nur Mineralwasser. „Was ist passiert?" fragte sie Mike, der immerhin noch hier arbeitete. „Wurdest du auch von der Handelskammer überfallen?" „Richtig geraten", sagte er traurig. „Sie sagten mir, daß ich ungesundes Essen serviere und daß ich entweder eine neue Speisekarte entwerfen müsse oder dichtmachen könne." „Cola ist ungesund?" Er zuckte mit den Achseln. „Hey, das geht nicht auf mein Konto. Sie sagten mir, daß der ganze Zucker schlecht für die Zähne und für die Figur ist. Und daß man von Pizza einen Herzinfarkt kriegen kann. Sie haben mir genau vorgeschrie ben, was ich servieren soll und was nicht." „Wir leben schließlich in Amerika", protestierte Stacy. „Das können die doch nicht machen. Sie haben schließlich ein Recht zu verkaufen, was sie wollen." „Und die haben ein Recht sicherzustellen, daß es niemand kauft", erwiderte Mike aufgebracht. „Glaubst du, mir schmeckt dieser Dreck?" Er
deutete auf die Speisekarte. „Tofu? Sojabohnen? Alfalfa? Falafel? Ich habe keine andere Wahl! Wenn ich das nicht verkaufe, verkaufe ich gar nichts." Wie betäubt entschied sich Stacy für Falafel und ein Selterwasser. Ihr fiel auf, daß das Restaurant halbvoll war, aber so ruhig, daß man das nie gemerkt hätte. Niemand lachte oder schrie, niemand warf mit Essen um sich. Alle saßen ruhig da, aßen und unterhielten sich in gedämpftem Ton. Sie saß alleine an einem Tisch und fühlte sich wie der letzte normale Mensch in einer wahnsinnigen Welt. Als sie fertig war, räumte sie sogar hinter sich auf, anstatt ihren Müll einfach stehenzulassen, wie sie es sonst tat. Siekochte innerlich, aber ihr war klar, daß man das von ihr erwartete. Sie wollte keine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Auf dem Parkplatz sah sie Sam Gould in seinem Auto sitzen. Das Kassettendeck spielte leise Musik. Offensichtlich wollte er niemanden mit seinem Musikgeschmack nerven. Wenn man in Betracht zog, wie grauenvoll sein Geschmack war, war das auch sehr nett von ihm. Stacy dachte wehmütig an die Vergangenheit zurück - vor ungefähr einer Woche oder so - als man noch aus zwei oder drei Autos gleichzeitig laute Rockmusik hören konnte. „Was hörst du dir denn an?" fragte sie ihn. Sie konnte kein Wort verstehen, die Musik war in irgendeiner fremden Sprache. Er grinste. „Chava Alberstein", sagte er. „Ich gehe zu meinen Wurzeln zurück. Eine großartige israelische Sängerin." „Na, es ist immerhin nett zu wissen, daß Amerika nicht das einzige Land ist, in dem dumme und spießige Musik produziert wird", kommentierte sie. Mit einem Seufzer ging sie weiter. Man konnte in Hainesville überhaupt keinen Spaß mehr haben. Keine gute Musik, keine schönen Kleider, keine anständigen Hefte, kein gutes Junk-Food... die Kids sahen alle glücklich aus, aber sie wirkten nicht sonderlich lebendig. Sie waren jetzt wie Mini-Erwachsene, nicht wie echte Kinder. Und deswegen waren die Erwachsenen so glücklich, so schien es zumindest Stacy. Es war ihnen irgendwie gelungen, Teenager in geklonte Fünfzigjährige zu verwandeln. Sie hatten die Exzesse der Jugend unterdrückt und durch die Vorsicht und den Konservatismus des Alters ersetzt. Aber wie? Das „warum" war offensichtlich: Die Erwachsenen zogen es vor, ihren Nachwuchs als Kopien ihrer selbst zu sehen. Eines war klar. Die Handelskammer mußte ihre Hand im Spiel haben. Der halbwegs freundliche Polizist hatteerwähnt, daß sie Dr. Wells eine Genehmigung ausgestellt hatten, um mit Kindern zu arbeiten. Und jeder Ladeninhaber war von Repräsentanten der Handelskammer heimgesucht worden. Wenn Stacy die Wahrheit herausfinden wollte, mußte sie zuerst dahinterkommen, wer der Feind war... und das bedeutete, daß sie in die Bücherei gehen mußte. Sie war nur selten dorthin gegangen und immer nur dann, wenn sie in Gefahr war, irgendwo durchzufallen. Es war ein großes, modernes Gebäude das normalerweise relativ menschenleer war. Heute war es voll. Viele Freunde von ihr waren hier, oder zumindest Leute, die noch vor einer Woche ihre Freunde gewesen waren. Alle verhielten sich leise und höflich. Kein Lärm, kein Getobe, kein gar nichts. Was hätte sie auch anderes erwarten können? Eigentlich überraschte sie das nicht weiter. Wo sonst würden ein paar gehirnamputierte Zombies freiwillig rumhängen? Sie sprach den Bibliothekar an. „Wo kann ich mich über die Handelskammer informieren?" fragte sie höflich. Sie war dazu bereit, eine große Lüge über einen Aufsatz, den sie schreiben mußte, aufzutischen aber das war wohl nicht nötig. Der Bibliothekar lächelte sie nett an und holte eine Akte hervor. „Hier steht alles drin, was du wissen willst", entgegnete er und gab ihr ein paar Broschüren. „Die Materialien sind umsonst, du kannst sie also mit nach Hause nehmen, wenn du willst. Wenn du noch Fragen hast kannst du einfach zu mir kommen, okay?" „Alles klar", stimmte sie zu. Sie sah sich um, sah aber keinen Sitzplatz. Die Tische und Bänke waren voll mit ernsthaften Schülern. Also beschloß sie, nach Hause zu gehen und dort zu lesen. Dort angekommen goß sie sich eine Coke ein, griff sich eine Tüte Chips, warf ihre Schuhe in die Ecke und fing an zu lesen. Wie sich herausstellte war die Handelskammer eine örtliche Organisation von freiwilligen Ladeninhabern undGeschäftsführern. Sie hatten sich 1966 zusammengeschlossen mit dem Ziel,
Hainesvilles Lebensstandard zu verbessern. Vorausgesetzt man stimmte ihrer Philosophie, wie man sein Leben zu führen hatte, voll zu. Sie hatten eine Menge Projekte durchgeführt um die Stadt zu verbessern, inklusive der Errichtung einer neuen Bücherei im Jahre 1982... bläh bläh bläh bläh... Der Kern der Sache war, wie Stacy nach ihrer Lektüre feststellte, daß die Handelskammer Hainesville zur besten Stadt Amerikas machen wollte. Und nichts würde ihnen dabei im Weg stehen. Sie waren auch dazu bereit, die Kinder der Gemeinde einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Das stand allerdings nicht in der Broschüre. Stacy wußte, daß sie auf der richtigen Spur war: Die Handelskammer mußte hinter all dem stecken. Ihr war nicht klar, wie ihnen das gelungen war, aber sie waren bestimmt für alles verantwortlich. Wenn sie eine Antwort haben wollte, dann mußte sie zur Handelskammer gehen. Zweifellos würde sie sich damit ins Fadenkreuz begeben. Es mußte einen Ausweg geben. Sie mußte einen Weg finden, an sie ranzukommen ohne dabei aufzufallen. Aber wie? Das war schließlich die Angelegenheit der Erwachsenen, oder nicht? Und dann fand sie in der Broschüre eine Organisation, die sich die „Junge Handelskammer" nannte, für die „zukünftigen Führer unserer wundervollen Gemeinde." Bingo! Sie las weiter und fand heraus, daß jeder Schüler der J.H. beitreten konnte und daß die Treffen im selben Haus wie die Treffen der Erwachsenen stattfanden. Es ging der J.H. schließlich darum, den Teenagern in ihrem Lebenslauf zu helfen, um sie zu zukünftigen Führern auszubilden. „Führer?" Manipulatoren war viel wahrscheinlicher. Aber die J.H. stand für alle Schüler offen, und die Broschüre enthielt auch eine Adresse. Am nächsten Tag ging sie gleich nach der Schule hin und schrieb sich ein. Die Frau, die sie rekrutierte, gab ihr ein Mitglieds-Paket, eine Karte und einen Anstecker, undschenkte ihr ein schmieriges Lächeln. „Willkommen in unserer wunderbaren Gruppe!" sagte die Frau. „Auch Sie können ein zukünftiger Führer Amerikas werden!" „Danke, gnä' Frau." sagte Stacy höflich. Sie trug einen langen Rock und ein spießiges Oberteil. Sie hatte sich allerdings nicht dazu bringen können, eine Schleife im Haar zu tragen, aber sie war überzeugt, daß sie genauso aussah wie jedes andere gehirnamputierte Kind. Stacy konnte gut lügen, wenn es darum ging, das zu bekommen, was sie wollte. Das erste Meeting war am Freitag abend und sie stellte zu ihrem Erstaunen fest, daß sie sich darauf freute. Nicht weil sie sich für den Müll wirklich interessierte, sondern weil sie hoffte herauszufinden, was wirklich in der Stadt los war. Immerhin hatte sie das Gefühl, Widerstand zu leisten, wenn auch nur in kleinem Rahmen. Auf dem Heimweg ging sie an den Geschäften vorbei. Es war deprimierend, sie in dieser Verfassung zu sehen, aber sie konnte nichts dagegen tun. Noch nicht. Vor dem Record Barn stand ein Polizeiwagen. Das war in diesen Tagen ein ungewöhnliches Vorkommnis. Da bereits so viele Kinder zur Therapie gegangen waren, kümmerte sich die Polizei gar nicht darum, die Gegend zu überwachen. Es war undenkbar, daß einer dieser gutherzigen Menschen Ladendiebstahl beging. Sie ging rasch hinüber um zu sehen, was da vor sich ging. Justin war da und stand höflich umher, während er zusah, wie zwei uniformierte Beamte Rick wegbrachten. Rick? Warum verhafteten sie ihn? „Was ist hier los, Just?" fragte sie ihn. Offiziell war er immer noch ihr Macker, obwohl sie immer weniger Kontakt mit ihm hatte. „Hat er eine Oasis-CD verkauft oder sowas?" „Beinah." erwiderte er. „Wie sich herausstellte, handelt es sich bei einer Menge von dem Rockzeug, das er verkauft hat, um Bootlegs. Wir haben erst jetzt davon Wind bekommen, weil Dave Minsky gestanden hat. Er hat ihmgeholfen." „Gestanden?" seufzte Stacy. Rick tat ihr leid. „Laß mich raten, er ist heute zur Therapie gegangen." „Jawohl." Justin lächelte. „Ihm wurde klar, daß er ein produktiver Bürger werde sollte und er wollte sein Gewissen erleichtern." „Indem er Rick an die Polizei verpfeift. "Stacy schüttelte den Kopf. Vielleicht war das, was Rick getan hatte wirklich illegal, aber ihn einfach so zu verpetzen... naja, das war ja genau das, was die hirngeschädigten Zombies am liebsten taten. „Und wem hat er das alles gestanden?" „Der Handelskammer natürlich." erwiderte Justin. „Wir müssen schließlich auf diese Gemeinde aufpassen." „Ja." sagte Stacy. „Das müssen wir." Sie zeigte ihm ihr Mitgliedspaket. „Ich bin gerade beigetreten. Ich dachte mir, es wäre schön, wenn wir mehr gemeinsam hätten." Er freute
sich. „Stacy, das ist ja wunderbar. Es wird so viel mehr Spaß machen, jetzt wo du dabei bist. Du bist ein einzigartiges Mädel. "Ja, dachte Stacy. Offensichtlich schon. Eine der wenigen, die noch nicht umgekrempelt worden waren. Aber ich krieg' euch noch. Euch alle. Das ist nur der Anfang..
Kapitel 8 Der Rest der Woche war nicht einfach für Stacy. Um ihrer „Sinneswandlung" mehr Gewicht zu verleihen, ging sie zweimal mit Justin aus. Außerdem war es wichtig, daß sie nichts tat oder sagte, was in irgendeiner Weise Verdacht erregen konnte. Ansonsten würde sie als nächstes verhaftet werden. Einmal waren sie in der Bowling-Bahn gewesen. Offensichtlich galt Bowling noch als akzeptable Form der Unterhaltung, und es hatte ihr auch Spaß gemacht. Natürlich war alles sehr ruhig und ordentlich verlaufen, aber man konnte ja nicht zuviel verlangen. Das zweite Mal hatte Justin sie, Amy und Adam zu sich eingeladen. Er hatte einen Pool und es gab Barbecue. Früher hätte das eine großartige Party versprochen. Stacy wußte es mittlerweile besser. Sie hatte sich sogar einen einteiligen Badeanzug gekauft. Er sah aus wie etwas, was ihre Großmutter tragen würde. Sie wußte, daß ein Bikini völlig out war. Sie hatte recht behalten. Das wilde Herumalbern bestand aus diszipliniertem Schwimmen. Den drei anderen schien das wirklich Spaß zu machen, und Stacy konnte sich gut verstellen. Das Barbecue war besser als erwartet. Sie hatte gegrilltes Tofu erwartet. Stattdessen gab es Lachs, was gar nicht so schlecht schmeckte. Obwohl Angeln verpönt war, hatte wohl keiner was dagegen, Fisch zu essen. Stacy wußte nicht, wie sich das logisch erklären ließ, sie wollte es auch gar nicht wissen. Amy war fröhlich und dumm und wollte „Girl-Dinge" tun, was auch immer das heißen mochte. Wenn man in Betracht zog, daß sie kein Make-Up mehr trug und sich nicht mehr für Jungs interessierte (sie hatte kundgegeben, daß sie ein Ein-Mann-Mädchen war), oder für Sex oder Musik, die Stacy ertragen konnte, dann konnte sich Stacy beim besten Willen nicht vorstellen was sie mit „Girl-Dingen" meinte. Sie fürchtete sich davor, es herauszufinden. Aber Amy schien ernsthaft zu glauben, daß Stacy ihre beste Freundin war, und wollte sie immer noch zum Übernachten einladen. Stacy hatte die Sache so lange sie konnte durch Ausreden vor sich hergeschoben. Und dann fand sie heraus, daß die Dinge ihren Tiefpunkt erreicht hatten. Ein Mädchen in der Schule, Nina Roberts zog sich genauso an, wie die Hirngeschädigten. Und sie war nicht behandelt worden. „Es ist die neuste Mode." erklärte sie Stacy. „Man muß eben mit der Zeit gehen." Sie drehte sich und der Rock flog ihr fast bis über die Knie. „Außerdem ist das ganz süß, nicht wahr?" Also gab es etwas, was schlimmer war als ein gehirntoter Zombie zu sein: Einen gehirntoten Zombie zu imitieren. Stacy war angeekelt. Es stimmte zwar, daß auch sie manchmal solche Klamotten trug, aber nicht weil es ihr gefiel. Sie wollte Justin und die anderen hereinlegen, wollte sie in Sicherheit wiegen. Die Anzahl der Kinder, die zur Therapie gingen, hatte sich verringert. Beinah zwei Drittel aller Kinder waren bereits behandelt worden. Der Rest waren die, die sich ohnehin schon immer gut benommen hatten. Am Freitag morgen, rief Mr. Mellor alle Schüler in die Aula. Stacy fragte sich, welch höllische Qualen er sic h jetzt ausgedacht hatte. Sie war angenehm überrascht, als sich herausstellte, daß eine Qual entfernt werden würde. „Mit frohem Herzen gebe ich hiermit bekannt." sagte Mr. Mellor, „daß sich das Verhalten an dieser Schule in den letzten paar Wochen sehr verbessert hat. Die Schulleitung hat deswegen beschlossen, den Metalldetektor abzuschaffen, da er nicht weiter benötigt wird. Die Wachleute werden ebenfalls gehen." Statt in lautes Grölen auszubrechen, klatschten die Schüler nur zurückhaltend in die Hände. Stacy applaudierte ebenso, ohne genau zu merken was sie tat.Das machte ihr Sorgen. Immerhin tat sie nur so, als ob sie dazugehörte. Zumindest dachte sie das. War es möglich, daß sie sich täuschte?. Sie mußte immerhin zugeben, daß einige der Veränderungen recht schön waren, das mußte sie zugeben. Justin war sehr viel netter zu ihr und behandelte sie sehr zuvorkommend. Das gefiel ihr sehr gut. Zumindest würde es das, wenn es ihr nicht so viel Angst einflößen würde. Aber
manchmal, wenn er ihr eine rote Rose brachte oder zärtlich ihre Wange küßte, dann fand sie, daß sie den alten Justin nicht so sehr vermißte, wie sie angenommen hatte... Das machte ihr wirklich Angst: Vielleicht gefielen ihr langsam die Dinge, die hier vor sich gingen. Nein, das war unmöglich. Sie hörte immer noch heimlich Rockmusik. Und sie überschritt beinah die Grenze akzeptablen Verhaltens, indem sie Röcke trug, die kurz überm Knie endeten. Sie wollte sich zwar anpassen, aber es gelang ihr nicht immer. Sie wußte, daß Justin ihre „gewagten" Rocksäume störten, aber er wagte es nicht, etwas zu sagen. Dennoch, es war klar, daß sie hart an der Grenze war. Die meiste Zeit fügte sie sich dennoch ziemlich gut ein. Sie hoffte, daß niemand herausfinden würde, was sie wirklich vorhatte. Der Metalldetektor wurde abgeschafft und ein Photograph vom „Hainesville Recorder" nahm ein Photo von Mr. Mellor auf, als er strahlend „half, den Metalldetektor abzubauen. Stacy freute sich darüber, daß die beiden Wachleute endlich verschwanden. Die meiste Zeit waren sie Kindern, die sich nicht wie Heilige benahmen, gegenüber unhöflich. Stacy hielt sie für nichts weiter als ein paar fette „Rent-a-cops". Als die anderen Kinder eine Party für sie schmissen und ihnen Abschiedsgeschenke überreichten, war sie schockiert. Ein großes Plakat hing im Schulcafe, mit den Worten: „Wir vermissen euch!" Es war zum Kotzen, aber Stacy war gezwungen, sichnichts anmerken zu lassen. Es war schwierig, nie Gefühle zeigen zu können, aber sie hatte sich geschworen, nicht klein beizugeben. Sie würden sie nie besiegen und es war ihr egal, daß sie glaubten, sie hätten bereits gewonnen. Sie wußte es besser. Und irgendwann würden sie es auch wissen. Das Treffen am Abend war eine Enttäuschung. Eine ultrahöflich Versammlung - ganz wie sie es erwartete hatte -, in der nur besprochen wurde, wie die Handelskammer die Schüler besser erziehen und bei ihnen Interesse für die aufregende Welt der Marktwirtschaft wecken konnte und wie - gähn - die Händler und Bürgerinitiativen zusammen ein „besseres Hainesville" erschaffen konnten. Ein gewisser Todd schlug ein Straßenfest vor und der Applaus war so stürmisch, als hätte er ein Mittel gegen Krebs gefunden. Der Rest des Abends war so langweilig, daß Stacy Schwierigkeiten hatte, wach zu bleiben. Bei dem Treffen war nur ein Erwachsener anwesend, ein gewisser Mr. Bradbury. Stacy hatte keine Ahnung wer das war, also fragte sie Justin. „Er ist der Vorsitzende der Handelskammer." erklärte Justin mit Bewunderung und stolz. Er ist an dem, was wir tun, sehr interessiert und er unterstützt uns." Bestimmt ist er das, dacht sich Stacy. Sie sah sich um -beinahe ihre halbe Schulklasse war hier - und kam zu der Einsicht, daß hier vielleicht ein mögliches Motiv für die Taten und Pläne der Handelskammer zu finden war. Bevor das mit der Therapie losgegangen war,, hatte die Junge Handelskammer genau acht Mitglieder. Jetzt lag die Zahl bei über sechzig. Warum? Wollte die Junge Handelskammer einfach mehr Mitglieder haben? Es schien Wahnsinn, all das zu veranstalten, nur um ein paar neu Mitglieder anzuwerben, aber Stacy konnte es nicht ausschließen. Mr. Bradbury war daran interessiert, daß die Mitgliederzahl der J.H. wuchs, und die Gehirne vonTeenagern zu verändern brachte ihn seinem Ziel näher. Stacy wollte Justin bitten, sie Mr. Bradbury vorzustellen, aber das erwies sich als überflüssig. Sobald das Treffen vorbei war, stellte Justin sie ihm von sich aus vor. „Er ist der Beste!" versicherte ihr Justin. „Davon bin ich überzeugt." stimmte sie zu. Der beste worin? Das hatte er nicht gesagt. Sie schüttelte Mr. Bradburys Hand und errötete, weil Justin sie viel zu gut darstellte. „Es freut mich zu sehen, daß Sie Interesse an der Zukunft unserer Gemeinde haben, junges Fräulein", sagte Mr. Bradbury. Er war Mitte Vierzig, übergewichtig und hatte lichtes Haar. Er schien es ernst zu meinen. „Selbstverständlich." stimmte sie zu. „Das Treffen war toll." Es gelang ihr, eine lange Miene zu ziehen. „Aber trotzdem war es nicht echt, oder?" Er starrte sie an. „Was soll das heißen, nicht echt?" „Nun, es war schön zu hören, wie alle besprachen, was man tun könnte, um unsere Gemeinde zu verbessern", erklärte Stacy und tat ihr Bestes, um großäugig und unschuldig auszusehen. „Aber wir sind schließlich nicht diejenigen, die wirklich was erreichen können, oder? Sie und die anderen Erwachsenen sind diejenigen, die die Entscheidungen treffen, die unserer Stadt den Weg in die Zukunft ebnen. Ich will mich nicht beklagen", fügte sie hastig hinzu, „aber es ist die richtige Handelskammer, wo das geschieht."
Mr. Bradbury beäugte sie mit Interesse. „Du würdest lieber dort sein?" fragte er. „Nun, ich bin fünfzehn." erklärte sie. „Ich werde mich bald nach einem Arbeitsplatz umsehen, und ehrlich gesagt, hier kann mir niemand einen Job geben." Mr. Bradbury lachte. „Du bist ein kluges Mädchen", sagte er zustimmend. „Warum kommst du Montag abend nicht zu unserem Treffen, als mein Gast? Was würdest du davon halten?" Er bemerkte Justin. „Und du kannst selbstverständlich deinen Freund mitbringen." Wiederschüttelte er ihre Hand. „Deine Art zu denken gefallt mir.." Dann verschwand er, um mit jemand anderem zu sprechen. Ja! Stacy grinste. Es war ihr egal, wer sie so sah. Sie würden es ohnehin falsch verstehen. Sie war jetzt drinnen... Mr. Bradbury zu manipulieren, war gar nicht so schwer gewesen. Das war das Problem der Therapiekids: Sie waren so höflich, daß sie jeden Sinn für Wettbewerb verloren hatten. „Nun", sagte Justin beeindruckt, „er mag dich. Sein Gast." „Seine Gäste", korrigierte sie ihn. „Du wirst hoffentlich mitkommen, oder?" „Wilde Pferde könnten mich nicht abhalten", versicherte er ihr. „Es ist so aufregend!" Er beugte sich vor und küßte sie - ein echter Kuß, auf die Lippen und beinah mit seiner alten Leidenschaft. Sie war erstaunt, und bevor sie etwas tun konnte, zog er sic h bereits zurück und lief rot an. „Oh, das tut mir leid, Stacy!" rief er. „Ich war so glücklich, ich weiß nicht was über mich gekommen ist." Sie wünschte sich, er wüßte häufiger nicht, was über ihn kam. Es war fast so, als hätte sie ihren alten Justin wieder, aber sie wußte, daß das nicht andauern würde. Und sie wollte ihre Lüge nicht offenbaren. „Ist schon in Ordnung", sagte sie sanft. „Ich verstehe." Er sah sehr erleichtert aus, aber er schämte sich trotzdem. Er fuhr sie nach Hause und entschuldigte sich wiederholt für sein Verhalten. Um ihn endlich zum Schweigen zu bringen, lehnte sich Stacy zu ihm rüber und küßte ihn zärtlich auf die Lippen. „Ich vergebe dir", versicherte sie ihm. Er sah schockiert aus, sagte aber nichts. Sie winkte ihm zu und ging ins Haus. Sie mußte unbedingt diesen Pulli loswerden. Es war Ende Juni und viel zu heiß. Ihr Vater saß mit finsterer Miene vorm Fernseher. Sie schaute hin. Zu ihrem Erstaunen handelte es sich um eine Sendung in Schwarzweiß. Ihr Vater weigerte sich in derRegel, sich Dinge anzuschauen die nicht in Farbe waren, sogar die Klassiker. „Nichts Vernünftiges im Fernsehen?" fragte sie. „Das ist das einzige was läuft." maulte er. „Eine Episode von Father Knows Best aus den Fünfzigern." Eine vorsintflutliche Sitcom. „Kannst du nicht den Kanal wechseln?" fragte sie ihn. „Oder geht das Kabelfernsehen wieder mal nicht?" „Das läuft auf jedem Kanal", beklagte er sich. „Auf jedem Kanal?" Stacy verstand nicht."Die zeigen überall dieselbe Episode und dieselbe Sendung?" „Ja. Das geht schon die ganze Nacht so. Nichts Aktuelleres als die frühen Siebziger und das meiste in Schwarz-Weiß." Das ergab keinen Sinn. „Irgendwas stimmt nicht." schlug sie vor. „Vielleicht solltest du den Sender anrufen?" „Das habe ich schon versucht. Die haben gesagt, daß alles in Ordnung ist und daß sie dieses Zeug ausstrahlen müssen." Oh-oh... Stacy hatte eine Vermutung, was das bedeuten konnte. Die Handelskammer hatte bereits Magazine, Fast Food, Kleider und Musik zensiert.... „Ich habe heute nacht jemand von der
Handelskammer kennengelernt", sagte Stacy. „Warum kommst du nicht einfach mit, dann kannst du mit ihm sprechen. Ich bin sicher, daß er etwas gegen diesen Unfug tun kann." Ihr Vater sah erleichtert aus. „Glaubst du wirklich?" Er holte seine Autoschlüssel. „Auf geht's." Er fuhr mit ihr zum Rathaus, zehn Stundenkilometer schneller als erlaubt. Stacy war schon lange nicht mehr so schnell gefahren. Er brannte darauf, sein altes Fernsehprogramm wiederzuhaben. Wie sie vermutet hatte, waren noch immer Leute da. Mr. Bradbury war auch darunter. Stacy winkte ihm zu und er kam rüber. „Schon wieder zurück?" fragte er lächelnd. „Das Treffen ist erst am Montag." „Darum geht es nicht." sagte Stacy höflich. „Das ist meinVater und er ist sehr aufgeregt. Ich dachte mir, daß sie ihm vielleicht helfen könnten." „Es geht ums Fernsehen." ergänzte ihr Vater."Es funktioniert nur ein Kanal, und die zeigen nur Schrott aus den Fünfzigern. Ich kriege nichts Gutes rein." „Nichts Gutes", fragte Mr. Bradbury. „Mein lieber Herr, das ist ein gutes Programm. Es ist moralisch aufbauende, gesunde Unterhaltung. Genau das, was unsere Kinder brauchen." „Ich bin kein Kind", schnauzte ihr Vater. „Und ich möchte nicht bevormundet werden. Ich will meine guten Sendung wiederhaben. Ich will mein SFDP." „Diese Sendung?" Mr. Bradbury hob die Augenbrauen. „Das ist eine außerordentlich gewalttätige Serie und äußerst ungeeignet für die Jugend." „Aber mir gefällt sie", knurrte ihr Vater. „Und ich will sie wiederhaben. Mir ist es egal, was Ihrer Meinung nach die Kinder sehen sollten, aber ich will meine eigenen Programme wiederhaben." Mr. Bradbury starrte ihm in die Augen. „Wir Erwachsenen müssen die Maßstäbe setzten, die wir von unseren Kinder einzuhalten verlangen", sagte er. „Und wenn diese Art von Sendung angeboten wird, garantiere ich Ihnen, daß unsere Kinder sie auch anschauen werden. Wir müssen ungebührliche Dinge von ihnen fernhalten." Er lächelte Stacy an. „Hast du jemals diese schreckliche Sendung geguckt?" fragte er. Sie konnte nicht widerstehen. „Oh ja", sagte sie. „Mein Vater hat's mir erlaubt. Es geht dort sehr häufig um Sauberkeit, denn es gibt sehr viele Duschszenen." „Na sehen Sie?" fragte Mr. Bradbury triumphierend. „Selbst ihre eigene Tochter steht unter dem Einfluß dieses Schmutzes. Zum Glück ist sie ein anständiges Kind, sonst wäre sie sicherlich schon längst korrumpiert worden. Und das können wir schließlich nicht zulassen." „Ich will - „ fing ihr Vater wieder an, aber Mr. Bradbury unterbrach ihn. „Sicherlich möchten Sie nicht sagen, daß Ihnen dasWohlergehen Ihrer Kinder egal ist. Denn wenn das so wäre, wäre ich leider gezwungen, Sie den Behörden zu melden. Ich bin sicher, die würden Ihre Einstellung nicht mit Nachsicht betrachten." Das wirkte. Stacy war sicher, daß er wußte was „nicht mit Nachsicht" zu bedeuten hatte. Sie ahnte, daß die Therapie nicht bei Kindern angewendet wurde. Immerhin war Rick verhaftet worden, und der war beinah ein Erwachsener. „Ich bin sicher, daß mein Vater nic hts dergleichen meinte, Mr Bradbury" sagte Stacy fröhlich. „Er ist nur etwas aufgeregt, das ist alles. Ich fühle mich sehr viel besser, jetzt wo sie ihm die Lager erklärt haben. Nicht wahr, Papa?" Sie knuffte ihn mit dem Ellbogen. „Äh?" krächzte er. Er hie lt es nicht für nötig, seine Gefühle zu verbergen. „Nun, so kommen wir nicht weiter. "Er zerrte Stacy mit sich, als er das Haus verließ. Es gelang ihr noch, Mr. Bradbury zuzuwinken bevor sie gingen. Sie konnte jeden Punkt gebrauchen. Ihr Vater parkte vor der Videothek. „Ich werde mir wohl besser ein Video ausleihen, wenn's nichts im Fernsehen gibt." beklagte er sich. „Kommst du?" „Das möchte ich um nichts in der Welt verpassen", versicherte sie ihm ernsthaft und folgte ihm in den Laden. Sie lächelte und wartete auf die unvermeidliche Explosion. Die Videothek hatte nur noch halb soviele Tapes wie früher. Was sie sah, war sorgfältig ausgemistet worden. Jeder Film, der Sex, Gewalt oder etwas anderes, was als unzulässig galt , enthielt, war verschwunden. Das Hinterzimmer mit den Pornos war jetzt abgeschlossen. Ihr Vater regte sich unheimlich auf, was Stacy sehr amüsant fand. Der Angestellte versuchte ihm zu erklären, daß es nichts gab, was er dagegen tun konnte: Mr. Harvey könne entweder einen Film ausleihen oder er solle sich gefälligst verdrücken. Stacys Vater verließ den Laden. Stacy folgte ihm. Dabei fiel ihr auf ,daß Rick wieder im Plattenladen stand. Er war pedantisch gekleidet, sein Haar war in bester Ordnung,und er lächelte, während er Bryan Weston die neuste John
Tesh CD verkaufte. Tatsächlich waren also nicht nur die Kinder von all dem betroffen...
Kapitel 9 Stacys Vater war das ganze Wochenende über schlecht gelaunt. Jedesmal wenn er den Fernseher anschaltete sah er Sendungen, die älter waren als er selbst. Stacy fand das sehr zufriedenstellend, solange es ihr gelang, sich in sicherer Entfernung von ihm aufzuhalten. Ihre Mutter hatte immer ein Glas in der Hand, wenn Stacy sie sah, und ging auf ihre übliche Weise mit dem Streß um, indem sie sich komplett zurückzog. Stacy verzog sich und schmökerte die neuste Ausgabe des „Hainesville Record" von Anfang bis zum Ende. In ihrem Zimmer, versteht sich, die Musik war viel zu laut für die schlechte Laune ihres Vaters. Sie las einen Artikel mit einem Photo über die Entfernung des Metalldetektors. Der Stil war heuchlerisch. Unter anderem stand darin, daß die Verbrechensrate unter Teenagern mittlerweile bei null lag. Das bedeutete nicht nur keine Diebstähle oder Angriffe. Nicht einmal Graffiti oder lauter Musik gab es mehr. Der Grund war natürlich naheliegend: Jeder, der so etwas Asoziales tat, wurde sofort zur Therapie geschleppt und in einen Zombie verwandelt. Viele Jugendliche meldeten sich freiwillig für wohltätige Aktionen und gingen regelmäßig in die Kirche und Synagoge. Natürlich gab es noch immer Verbrechen, aber die waren meistens von Erwachsenen verübt worden. Die meisten Kinder waren bereits zur Therapie gegangen. Stacy vermutete, daß nur wenige Erwachsene dieser Behandlung unterzogen worden waren. Aber das würde sich sicher bald ändern. Rick war das erste Opfer und er würde sicherlich nicht das letzte sein. Ihr fiel auf, daß das örtliche Kino keine gewalttätigen oder sexuellen Filme mehr zeigte. Nur noch Familienfilme. Und das Sixteen hatte sich von einemNachtclub in ein Jugencafe verwandelt. Sogar McDonalds würde wohl bald dichtmachen. Offensichtlich dachte die Gesundheitspolizei, daß die Hamburger und Fritten zu fetthaltig waren und man davon einen Herzinfarkt bekommen könnte. Stacy fragte sie, wie lange es wohl noch dauern würde, bis die Autoritäten verbieten würden, weil er zu bunt war. Sogar die Supermärkte verkauften nur noch Naturkost... Die ganze Stadt verwandelte sich so, wie sich die Handelskammer das vorstellte. Sie haben sich vorsichtig verhalten, dachte Stacy, und mit Jugendlichen angefangen, die von den Erwachsenen gefürchtet wurden. Da sie damit erfolgreich gewesen waren, erweiterten sie jetzt ihr Programm. Wie weit würden sie noch gehen? Vielleicht würde sie am Montag eine Antwort darauf bekommen. Die Sache war die, daß Hainesville sich unter einem bestimmten Blickwinkel durchaus zum Besseren verändert hatte. Zumindest auf dem Papier sah alles besser aus. Stacy war sich sicher, daß die Handelskammer es so sehen würde. Für alle anderen war es schlimm. Sie säuberten die Stadt, indem sie die Gehirne der Menschen leerfegten, ihnen ihre Vergnügungen wegnahmen und sie bedrohten, wenn sie nicht mitzogen. Das Problem war, dachte Stacy, daß sich niemand zur Wehr setzte. Sie konnte sich vorstellen, was passieren würde, wenn ein paar Erwachsene eine Kampagne starteten, um ihre alten Fernsehprogramme zurückzubekommen. Sie würden gefragt werden, warum sie so etwas Krankes und Gewaltverherrlichendes sehen wollten, und dann als Außenseiter angeprangert werden, die der Gemeinschaft Schaden zufügen wollten. Nicht weil echter Schaden entstanden war, sondern weil es passieren konnte. Das schien ihr unfair. Das selbe galt für zensierte Magazine und Bücher. Stacy dachte sich, daß man, wenn man an zensierte Materialien herankommen wollte, sie wahrscheinlich durch die Post erhalten könnte. Und das Postgeheimnis zu verletzen war schließlich noch immer ein Verbrechen, selbst für dieHandelskammer. Auf der anderen Seite, wenn der Briefträger vermerkte, wer sich diese Materialien ins Haus kommen ließ? Die Handelskammer könnte sich dann mit den Bestellern unterhalten und sie höflich bitten, damit aufzuhören. Zweifellos würden sie das Argument verwenden, daß es für die örtliche Wirtschaft schädlich war, auf dem Versandweg zu bestellen. Aber was sie damit wirklich
meinten war: Hör auf oder es setzt was. Und da gab es ja immerhin noch diesen Dr. Wells und seine Therapie. Stacy dachte sich, daß es sich schließlich um ein freies Land handelte, solange man das tat, was die Mehrheit sich wünschte. Und Stacy war sich sicher, daß die Erwachsenen von Hainesville das sicherlich bald rausfinden würden. Der Sonntag war schlimm. Ihre Mutter fing noch früher als sonst an zu trinken, um sich der schlechten Laune ihres Vaters zu entziehen. Stacy hatte klugerweise eine Einladung Amys angenommen, den Tag mit ihr und ihrer Familie zu verbringen. Natürlich nach der Kirche. Amy hatte plötzlich ihren Glauben wiederentdeckt und war sogar dem Kirchenchor beigetreten. Stacy hatte nichts gegen Religion - sie war katholisch erzogen worden und glaubte noch immer an Gott, nur nicht an organisierte Religion. Das Problem war, daß die Handelskammer beschlossen hatte, daß regelmäßige Kirchenbesuche gut für die Jugendlichen waren. Also gingen sie hin. Nicht, daß sie etwa wirklich daran glaubten. Sie taten einfach alles, was man ihnen sagte. Solange Stacy Amys Fröhlichkeit ignorieren konnte, verlief der Nachmittag ruhig. Amy war immer noch leichter zu ertragen als ihr Vater. Als Stacy nach Hause kam, war er noch immer schlechter Laune, aber immerhin schaute er wieder in die Glotze, wenn auch mit Verachtung. Stacy verzog sich auf ihr Zimmer. Am nächsten Tag in der Schule hatte sie Schwierigkeiten sich zu konzentrieren. Es war nicht einfach. Die unheim-liehen Kids umzingelten sie. Es waren zu wenig normale Jugendliche übrig, die sich von der Masse absetzten, und ihre Zahl schrumpfte ständig. Sie hatte keine Ahnung, welche Verbrechen die Kinder begangen haben konnten, um zur Therapie geschickt zu werden, aber sie veränderten sich. Manche von ihnen taten das sogar ohne die Therapie. Wie üblich folgten sie den Führern. Endlich war die Schule aus, und Stacy flüchtete sich nach Hause. Als der Termin des Treffens der Handelskammer näher rückte, konnte Stacy ihre Aufregung kaum noch verbergen. Sie war sicher, daß sie eine Antwort erhalten würde. Sie mußte nur ruhig bleiben und sich unschuldig stellen. Dann würde sie sicher herausfinden, was sie wissen wollte... Justin holte sie vor dem Treffen ab. Stacy hatte überlegt, eine schöne Hose anzuziehen, aber sie hatte es sich doch anders überlegt. Manche Leute waren der Meinung, daß Hosen für Mädchen zu maskulin waren. Sie durfte kein Risiko eingehen. Es war notwendig, sich in den Kopf ihrer Feinde zu versetzen. Sie mußte sich feminin und demütig kleiden. Also trug sie das weiße Kleid, das sie bei der Hochzeit ihres Cousins getragen hatte. Es ging bis über die Knie und hatte lange Ärmel und Rüschen. Von ihrer Brust war darin nichts zu sehen. Gute, sichere, traditionelle Kleidung. Als Justin ihr ein Kompliment machte, wußte sie, daß sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Das Treffen wurde im Rathaus abgehalten. Der Saal war voll. Justins Vater war anwesend, ebenso wie Mrs. Moore. Sie erkannte ungefähr vier andere Erwachsene, unter anderem den Chef ihrer Mutter. Zwei Lehrer waren da, ebenso wie Mr. Mellor. Alles in allem waren ungefähr sechzig Leute anwesend, schätzte Stacy. Mr. Bradbury kam herüber, um sie zu begrüßen. Er stellte sie und Justin verschiedenen Leuten vor. „Es würde mich nicht überraschen, wenn wir bald eine Hochzeit feiern würden, eh?" sagte er und zwinkerte Stacy zu."Du sieht wirklich gut aus, so ganz in Weiß,meine Liebe." Stacy errötete. Eine Hochzeit! Lieber wollte sie sterben, bevor sie so einen Zombie heiratete. Dennoch zog sie es vor, schamerfüllt zu Boden zu blicken. „Und das hier ist Dr. Wells", sagte Mr. Bradbury. Stacy konzentrierte sich auf den Mann. Er war mittelgroß. Er hatte schütteres Haar und trug einen kleinen Schnurrbart. Er war teuer gekleidet, mit goldenen Manschettenknöpfen und einer altmodischen Taschenuhr. Er lächelte sie und und nickte. Stacy war froh, daß sie endlich ihren Widersacher identifiziert hatte. Das war der Mann, der für den Zustand ihrer Freunde verantwortlich war. Das war der Gehirnwäscher. Sie zwang sich dazu, keine negative Reaktion zu zeigen. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. „Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Doktor", murmelte sie. „Was ist denn Ihr Spezialgebiet? Hals, Nase, Ohren?" Er lächelte gezwungen. „Ich bin Psychologe", erwiderte er. „Oh." Es gelang Stacy, freundlich zu erscheinen. „Dann sind Sie sicher sehr unglücklich." „Wie kommst du denn darauf?" fragte er. Seine Augen verengten sich. Ihr fiel auf, daß ihm offensichtlich wirklich etwas auf der Seele la g. Sehr interessant... „Weil jeder den ich kenne so fröhlich und gesund ist", entgegnete sie. „Das kann nicht gut sein für's Geschäft, oder?"
Dr. Wells starrte sie an. „Nein", stimmte er schließlich zu. „Wenn es keine Leute mit Problemen und Neurosen gäbe, wäre ich arbeitslos." „Ich habe heute in der Zeitung gelesen", sagte Stacy und stieß den Dolch noch tiefer in die Wunde, „daß die Lebensqualität in unserer Stadt sich ständig verbessert. Das ist mir auch aufgefallen. Verbrechen und Vandalismus sind weitgehend unbekannt, und alle meine Freunde sind sehr glücklich." Sie lächelte ihn an. „Das sind sicher schlechte Nachrichten für Sie." ,,Nur in gewisser Weise", murmelte er. „Als Bürger dieserStadt bin ich überglücklich darüber, daß die Lebensqualität so gestiegen ist." Er sah nicht sonderlich glücklich aus. „Ja, also", sagte Mr. Bradbury hastig. „Ich glaube es ist an der Zeit, das Treffen zu eröffnen. Bitte alle hinsetzen." Stacy tat es gut, den Arzt malträtiert zu haben. Sie ging zu Justin, der neben seinem Vater saß. Es gelang ihr, die meiste Zeit aufmerksam zu bleiben. Am Anfang wurde über das Treffen der vergangenen Woche gesprochen, das ebenfalls todlangweilig gewesen sein mußte. Dann wurden einige kleinere Probleme besprochen, die Stacy nicht interessierten. Schließlich wurden neue Fragen diskutiert, was bedeutete, daß jeder etwas sagen konnte. Stacy wollte unbedingt etwas loswerden, aber ihr war klar, daß sie nicht als erste sprechen durfte. Irgend jemand fragte, wie die Planung der Parade zum vierten Juli voranschritt, und jemand anderes antwortete. Eine Person schlug vor, die Blumenarrangements im Park ein wenig zu verändern. Es gab noch ein paar andere Dinge zu besprechen, und schließlich war Stacy der Meinung, daß sie lange genug gewartete hatte. Sie hob ihre Hand. Mr Bradbury forderte sie auf zu sprechen, er lächelte dabei glücklich. Sie stand auf. Sie war nervös, weil alle sie anstarrten. Dies war nicht der rechte Augenblick, um Lampenfieber zu kriegen. Sie atmete tief ein, lächelte und begann ihren Vorschlag. „Die jungen Leute dieser Stadt", sagte sie, „sind stolz darauf, ein Teil dieser wachsenden Gemeinschaft zu sein. Am Freitag war ich bei meinem ersten Treffen der Jungen Handelskammer. Ich war sehr beeindruckt von dem Enthusiasmus, der dort an den Tag gelegt wird. Aber das Problem ist, daß wir nicht sehr viel tun können. Wir wollen mithelfen, daß die Stadt schöner und besser wird, aber was wissen wir denn schon von der Geschäftswelt? Ich habe darüber nachgedacht und bin auf eine Idee verfallen, die funktionieren könnte. Ich schlage vor, daß die Läden und Geschäfte in Hainesville ein Ausbildungsprogrammeinrichten. Jeder sollte einen Jugendlichen in seinem Geschäft aufnehmen und ihm oder ihr genau zeigen, wie alles funktioniert. Nicht nur, um sie auszubilden, sondern damit wir lernen können, wie alles tagtäglich abläuft. So könnten wir auf unsere Art und Weise helfen - zum Beispiel Akten sortieren, oder so etwas - und ein Verständnis dafür entwicklen, wie Geschäfte wirklich funktionieren. Zusammen mit dem, was wir in der Schule lernen, könnten wir uns dann ein besseres Bild von der Marktwirtschaft machen. Dann hätten wir bei der J.H. eine genauere Vorstellung davon, worum es geht und wären in der Lage, besser Vorschläge zu machen." Zum Schluß lächelte sie noch einmal. „Ich weiß, daß die Idee albern klingt, aber wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie darüber nachdenken würden." Sie<setzte sich. Justin lächelte glücklich und tätschelte ihre Hand. Mr. Bradbury erhob sich. „Nun, ich bin sicher, daß jeder der Anwesenden von Stacys Idee ebenso beeindruckt ist, wie von ihrer Höflichkeit und ihrem Auftreten. Wir werden natürlich abstimmen, aber ich halte das für eine sehr gute Idee. Unseren Kindern einen Eindruck von der Realität der Geschäftswelt zu vermitteln, ist eine wunderbare Sache." Stacy schöpfte Hoffnung. Es sah ganz so aus, als würde die Handelskammer ihren Köder schlucken. Sie mußte zugeben, daß ihre Idee in vieler Hinsicht gut war. Aber sie war sich sicher, daß niemand ihr wahres Motiv für diesen Vorschlag ahnen konnte. Alle lobten ihre Idee, wie klug sie war und daß man das wirklich tun sollte. „Sie kann bei mir jederzeit eine Lehre anfangen", sagte Mr. Chapman. „Vielen Dank", sagte Stacy zaghaft. „Aber ich glaube, daß ich es nicht ertragen könnte, den ganzen Tag mit Toten zu verbringen..." Zustimmende Kommentare wurden laut. Die einhellige Meinung war, daß Damen nichts mit Leichen zu tunhaben sollten. Tatsächlich störte Stacy der Gedanke überhaupt nicht. Sie hatte eine andere Lehrstelle im Auge, aber sie fürchtete sich, ihren Wunsch auszusprechen. Es kam zur Abstimmung, was an sich Zeitverschwendung war, da niemand etwas gegen den Vorschlag einzuwenden hatte. Stacy errötete, als man ihr sagte, wie klug sie sei. Da ihr Vorschlag der letzte
gewesen war, beendete man das Treffen mit Tee und Gebäck. Stacy hielt sich an Justin und Mr. Chapman. Höflich und zaghaft dankte sie allen möglichen Leuten und lehnte ihre Angebote für Lehrstellen ab. Endlich schloß sich ihnen Dr. Wells an. „Du bist ein schlaues Kind", sagte er. „Du hast einen klugen Kopf auf deinen Schultern." „Vielen Dank", murmelte sie. Hatte er angebissen? „Und du weißt mehr über die Welt, als du uns verrätst", fügte er hinzu. Stacy fragte sich eine Sekunde, ob er ihr auf der Schliche war, aber es war klar, daß er sie nicht durchschaut hatte. „Deine Bemerkung, daß die Behandlung meiner Patienten im Endeffekt schlecht für's Geschäft ist, war sehr... interessant. Hättest du Lust, bei mir in die Lehre zu gehen?" Ja! Es gelang Stacy, ihre Freude zu unterdrücken und interessiert dreinzuschauen. Sie wollte nicht zu enthusiastisch erscheinen. „Glauben Sie, daß es in Hainesville eine Zukunft für die Psychiatrie gibt?" fragte sie. „Mehr als du glaubst", versicherte er ihr. „Also gut." willigte sie lächelnd ein. „Wann?" „Morgen, nach der Schule", schlug er vor. „Ich glaube, du wirst das, was ich dir zu zeigen habe höchst interessant finden." Davon bin ich überzeugt, dachte Stacy. Endlich war sie in der Lage, aufzuklären, was in dieser Stadt vor sich ging. Und dann würde sie hoffentlich einen Weg finden, wieder zur Normalität zurückzukehren...
Kapitel 10 Am nächsten Tag, nach der Schule, beeilte sich Stacy, zu Dr. Wells Praxis zu gelangen. Sie machte sich Sorgen, ob die arrogante Empfangsdame sich an sie erinnern und ihr Ärger machen würde. Stacy verließ sich darauf, daß Empfangsdamen Leuten, mit denen sie nichts zu tun hatten, keine Aufmerksamkeit schenkten. Außerdem war sie diesmal anders gekleidet, sehr viel spießiger. Das war ein Unterschied. Dieses Mal lächelte die Frau, als Stacy ihren Namen angab. „Ah ja, der Herr Doktor erwartet Sie bereits, Fräulein Harvey. ich werde ihn wissen lassen, daß sie hier sind." Sie verließ das Zimmer durch eine Tür am Ende des Empfangssaals. Stacy sah sich um. Diesmal war eine Familie anwesend -Mutter, Vater und Tochter. Stacy kannte das Mädchen nicht. Sie schien ungefähr zwölf Jahre alt zu sein. Das Mädchen vermied jeden Blickkontakt und starrte stattdes-sen auf die Muster des Teppichs. Der Vater hielt eines der Polizeiformulare in der Hand. Stacy fragte sich, was das Mädchen wohl angestellt hatte, aber im Endeffekt war es egal. Es konnte jede beliebige Art von Vergehen sein, sie würde in jedem Falle hier enden. Die Kleine tat ihr leid. Die Empfangsdame kam wieder, diesmal mit Dr. Wells im Schlepptau. „Fräulein Harvey!" begrüßte er sie freundlich. „Kommen Sie rein." Er musterte die wartende Familie. „Ah, Mr und Mrs. Greene. Ich werde mich gleich mit Ihnen befassen." Er führte Stacy durch einen Korridor, in dem sich fünf Türen befanden. Eine davon stand halb offen und trug seinen Namen. „Gehen wir in mein Büro." Er zeigte ihr den Weg und bat sie, sich zu setzen. Er selbst blieb stehen und blickte durch das verspiegelte Fenster. „Ihr Vorschlag letzte Nacht hat mich sehr beeindruckt", erklärte er ihr. „Sie besitzen einen klaren Kopf und eingutes Verständnis für Geschäftspraktiken." Er sah sie an. „Außerdem waren Sie nicht bei mir in Behandlung." „Nein", stimmte Stacy zu, aber sie sagte ihm nicht, wie froh sie darüber war. „Ich habe noch nie Schwierigkeiten mit der Polizei gehabt, Herr Doktor. Ich bemühe mich, anständig zu sein." „Es ist Ihnen offensichtlich gelungen, was bei der heutigen Jugend selten ist." Er lächelte sie noch einmal freundlich an."Die meisten jungen Leute heutzutage sind zu egoistisch, um ihre Verantwortung der Gesellschaft gegenüber zu verstehen. Sie hingegen scheinen sehr intelligent zu sein. Ich bin sicher, daß es Ihnen hier gefallen wird. Angela wird Ihnen alles zeigen, aber zuerst dachte ich mir, ich erzähle Ihnen ein wenig von dem, was ich so tue." Es fiel ihr schwer, ihre Mimik unter Kontrolle zu behalten. Bald würde sie seine Geheimnisse erfahren. Vielleicht würde es nicht einmal so lange dauern, wie sie ursprünglich gedacht hatte, um der Sache auf den Grund zu gehen. „Das klingt toll." Er nickte. „Ich bin Kinderpsychologe. Ich arbeite mit Jugendlichen und versuche sie dazu zu bringen, die Welt so zu sehen wie sie ist und nicht so wie es ihnen gefallen würde. Ich habe das große Glück, eine Methode entwickelt zu haben, um Problemkinder zu behandeln, die bisher zu hundert Prozent erfolgreich war." Stacy war wirklich beeindruckt. „Das ist eine irrsinnig gut Statistik", sagte sie. „Keine Fehlschläge?" „Bisher keine", erwiderte er. „Selbstverständlich ist das, was ich tue, ein Berufsgeheimnis. Ich bin sicher, daß sie eine zuverlässige junge Dame sind, aber ich kann es mir nicht leisten, daß meine Methoden bekannt gemacht werden. Ob Sie es glauben oder nicht, es gibt nicht viel Ehrgefühl unter Psychiatern. Insbesondere wenn man eine Methode entwickelt hat, die funktioniert, und andere nicht." Stacy nickte und versuchte, ihre Enttäuschung zu verber-gen. „Ich verstehe." Es sah nicht so aus, als würde er ihr sagen, was hier vor sich ging. Aber sie hatte schließlich noch andere Möglichkeiten. Während sie in seiner Praxis arbeitete, würde sie sicher einen Weg finden, das was sie brauchte herauszufinden. „Gut. Ich werde Sie jetzt an Angela übergeben, während ich meine nächste Patientin empfange. Ich möchte sie nicht zu lange warten lassen." Er lächelte. „Ein wenig Nervosität und Angst ist gut für die Seele, aber zuviel davon ist unproduktiv." Stacy schaute sich in seinem Büro um, in dem nur ein Schreibtisch und die branchenübliche Couch standen. „Entschuldigen Sie," sagte sie, „mir ist aufgefallen, daß Ihre Praxis das gesamte Stockwerk einnimmt. Aber Ihr Büro ist nicht sehr groß."
„Ich habe... andere Dinge auf diesem Stockwerk", ent-gegnete er. „Nichts, worüber Sie sich Sorgen machen müßten, meine Gute. Sie werden mit Angela in der Rezeption arbeiten." „Selbstverständlich", stimmte Stacy zu. Sie folgte ihm aus dem Büro und begrüßte Angela. Dr. Wells führte die Familie Greene in sein Büro und schloß die Tür. Angela war eigentlich ganz nett, solange sie sich nicht wieeine Empfangstussi benahm. Sie zeigte Stacy die Aktensysteme für die Daten der Patienten und demonstrierte, wie man das Computerprogramm benutzte, das Informationen und Finanzen verwaltete. „Der Herr Doktor verlangt bestimmt viel Geld für seine Dienste", sagte Stacy. „Es kostet sicherlich viel Geld, das ganze Stockwerk zu unterhalten." „Oh, er erhält eine Mietvergünstigung", versicherte Angela. „Seine Rechnungen sind recht niedrig, und die Handelskammer bezahlt einige davon." Stacy nic kte, sie verstand was sie meinte. „Kommen denn keine Kunden zurück?" „Wir nennen sie Klienten oder Patienten", erwiderte ; Angela. „Und wir haben sehr wenige, die wiederkommen. Eine Sitzung reicht in der Regel."Stacy fröstelte. „Ich weiß, daß das zynisch klingt, aber ich dachte immer, die meisten Psychiater verdienen ihr Geld damit, tagein tagaus die selben Patienten zu empfangen, über Jahre hinweg -manchmal werden sie nie geheilt." Angela lachte. „Das stimmt schon - bei einigen Leuten", gab sie zu. „Aber nicht bei Dr. Wells. Er heilt Leute beim ersten Mal. Ich kann mich nicht entsinnen, wann wir mehr als eine Sitzung benötigt hätten." „Wow. Er muß sehr gut sein." „Das ist er", sagte Angela. Stacy nickte. Aber das mußte seinem Einkommen schaden. Wenn er alle Patienten beim ersten Versuch heilte -dann verringerte er damit sein Einkommen. Wenn die Menschen keinen Psychiater mehr brauchten, dann wäre er bald arm. Sie hatte einen wunden Punkt getroffen, als sie das ihm gegenüber in der Handelskammer erwähnte... Sie war klug genug, nicht sofort zu versuchen, etwas herauszufinden. Angela wartete nur auf ein Anzeichen von Ärger, also gab sie ihr keines. Was auch immer von ihr verlangt wurde, sie tat es schnell, gründlich und mit guter Miene. Sie mußte sicherstellen, daß sie hierher zurückkommen durfte. Kurz darauf kamen die Greenes wieder aus dem Büro heraus. Diesmal lächelte die Tochter. Als Stacy in die Augen des Mädchens blickte, sah sie, daß es völlig gehirnamputiert war. Aber sie schien glücklich zu sein und war völlig verändert. Und die ganze Sache hatte weniger als eine Stunde gedauert. Eine schöne Methode, die der Doktor da entwickelt hatte. Stacy war sich über eines sicher: Es handelte sich hierbei nicht um einen Trick. Es war unmöglich, daß er den Leuten nur gut zuredete und sie so veränderte. Hypnose war ebenfalls ausgeschlossen. Sie hatte sich über das Thema ein wenig informiert und wußte, daß die Wirkung von Hypnose mit der Zeit nachließ, wenn man sie nicht erneuerte. Aber der Herr Doktor behandelte seine Patienten nur einmal. Das bedeutete, daß er ein bestimmtes Verfahren hatte, daser an den Leuten anwendete. Und sie vermutete, daß das ganze Stockwerk in Anspruch nahm. Sie mußte mehr herausfinden, denn hinter dem Empfangssaal waren fünf Türen. Eine davon führte zum Büro des Arztes, und das war auch als solches gekennzeichnet. Auf den anderen Türen stand nichts geschrieben. Es war ihr ein Leichtes, eine zweite Tür auszuscheiden, indem sie nach der Toilette fragte. Eine dritte Tür entpuppte sich als Lagerraum, wo Formulare und andere Dinge aufbewahrt wurden. Damit blieben also noch zwei Türen übrig, aber die konnte sie an diesem Tag nicht auskundschaften. Die Zeit verging schnell, und Stacy lernte am ersten Arbeitstag viel über die Praxis. Am Donnerstag, als sie wiederkam, waren keine Patienten da. Sie mußte nur Akten sortieren und saubermachen. Sie sprach kurz mit dem Arzt. Er schien sie wirklich zu mögen, was Stacy sehr überraschte. Sie hatte den Mann, der für die Gehirnwäsche aller ihrer Freunde verantwortlic h war, für ein verrücktes Monster gehalten, das seine Patienten grauenvollen Experimenten unterzog. Stattdessen wirkte er wie ein durchschnittlicher Mensch. Er war glücklich verheiratet und hatte zwei kleine Kinder, die er sehr liebte. Dr. Wells war keineswegs das wahnsinnige Genie, das sie erwartet hatte. Wenn sie nicht gewußt hätte, was er den Leuten antat, hätte Stacy ihn vielleicht ganz gut leiden können. Aber das, was er ihren Freunden angetan hatte, konnte sie ihm nicht vergeben. Justin schien Mr. Bradburys Bemerkung über die Hochzeit ernst zu nehmen und er versuchte Stacys Haltung dazu herauszufinden. Offensichtlich dachte er, daß er sehr subtil vorging, aber
Stacy roch den Braten sofort. Sie konnte ihm nicht sagen, wie ekelerregend sie die Idee fand. Sie würde diesen langweiligen Roboter niemals heiraten! Mit ihm auszugehen war schlimmgenug. Aber das mußte sie tun, um den Schein, daß alles in Ordnung war, aufrecht zu erhalten. In Wirklichkeit hatte sie nicht schlecht Lust, ihm mit der Faust etwas Verstand in den Schädel zu prügeln. Und Amy ebenso. Amy hielt Justins Idee für göttlich und ging völlig in der Planung von Stacys Hochzeit auf. Sie wollte unbedingt Brautjungfer sein, egal wie oft Stacy murrte und darauf hindeutete, daß es zu keiner Hochzeit kommen würde. .Justin muß seinen Traum verwirklichen", log Stacy. „Er kann es im Basketball wirklich zu was bringen. Er ist sehr gut. Aber er könnte das nie erreichen, wenn er an eine Frau gekettet ist und - vielleicht - Kinder." Amy lief rot an als Stacy Babies erwähnte. Als ob die Tatsachen des Lebens ihr plötzlich peinlich wären. Stacy fand das unangenehm. „Na, ihr beiden müßt irgendwann heiraten", sagte Amy. „Ihr seid einfach das perfekte Paar." Nie im Leben, dachte Stacy. Ich und der Hirntote. Klugerweise erwiderte sie nichts. So ging das Leben ein paar Wochen lang weiter. Stacy war häufig in Dr. Wells Praxis. Sie sortierte Akten an ihren beiden freien Abenden, und während der Ferien arbeitete sie den Rest der Woche ebenfalls dort. Stacy fand es verwunderlich, daß das klappte, denn es gab nicht allzu viel Arbeit für sie und Angela. Da bereits die meisten Jugendlichen in der Stadt verarztet worden waren, hatte Dr. Wells nicht sehr viele Patienten. Dennoch, das bedeutete daß Angela und Dr. Wells sich an ihre Anwesenheit gewöhnt hatten und nicht mehr so genau auf sie aufpaßten. Das war es, worauf Stacy gewartet hatte. Eines Nachmittages mußte Angela sich ein paar Stunden freinehmen. Stacy fragte nicht warum; obwohl sie mit der jungen Frau ganz gut zurecht kam, standen sie sich keineswegs nahe. Dr. Wells trug Stacy auf, an der Rezeption zu sitzen, und verzog sich in sein Büro, wie er es oft tat. Stacy wollte unbedingt rumschnüffeln, aber sie wußte daß es besser war ruhig zu bleiben und auf den richtigenMoment zu warten. Der kam dann auch, als ein Ehepaar mit ihrem störrischen Sohn und einigen Polizeiformularen eintrat. Stacy lächelte sie an. Das Paar hatte seinen Sohn An zur Behandlung gebracht. Stacy tippte die notwendigen Informationen in den Computer und druckte sie aus. „Bitte warten Sie einen Moment", sagte sie. „Ich werde nachsehen, ob der Herr Doktor Zeit hat." Sie war sehr stolz auf sich, sie klang wie eine echte Empfangsdame. Sie ging durch die Tür und klopfte an Dr. Wells Büro. Als er sie rief, ging sie hinein. „Eine Familie Campbell ist hier, Herr Doktor." sagte sie. „Der Sohn, lan, wurde dabei erwischt, als er ein Hakenkreuz an das Haus der Goulds schmierte." „Also sowas", murmelte Wells. „Antisemitismus, eh? Nun, da kann ich vielleicht helfen." Er ging in die Rezeption, begrüßte die Familie und bat sie in sein Büro. Stacy ließ die Tür ein wenig offen. Dann kehrte sie zum Computer zurück und legte eine Akte für die Campbeils an. Sie nahm einen Taschenspiegel aus ihrer Handtasche und lehnte ihn gegen den Monitor. So konnte sie durch die offene Tür in den Korridor blicken. Ungefähr zehn Minuten später öffnete Dr. Wells die Tür und führte lan durch die nähergelegene der beiden Türen, welche Stacy bislang noch nicht identifiziert hatte. Stacys Herz klopfte. Das mußte das Zimmer sein, in dem die Transformationen stattfanden. Und es war nicht einmal abgeschlossen! Zwanzig Minuten lang spähte sie in ihren Spiegel, aber sie sah und hörte nichts. Endlich öffnete sich die Tür, und Dr. Wells kam heraus. lan folgte ihm mit einem fröhlichen Lächeln. Sie gingen zurück in sein Büro, wo seine Eltern warteten. Zwanzig Minuten! So lange dauerte es also, einen normalen Jungen in einen Zombie zu verwandeln. Einige Minuten später kamen die Campbells heraus, fröhlich lächelnd. Die Eltern konnten dem Arzt nicht genug danken und führten stolz ihren gehirntoten Sohn ab. Dr.Wells beobachtete sie und lächelte. „Das Schönste an meiner Arbeit, Stacy", sagte er, „ist daß ich in der Lage bin, Menschen in Not zu helfen." „Sie schienen sehr zufrieden mit dem Resultat", erwiderte Stacy diplomatisch. „Stimmt." Er sah auf seine Uhr. „Vier Uhr dreißig. Ich werde meine Frau anrufen, also bin ich für die nächste halbe Stunde nicht zu sprechen. Ich bin sicher, daß sie es solange allein hier aushaken." „Machen Sie sich keine Sorgen", versprach sie ihm. „Ich werde sicherstellen, daß sie niemand stört." „Davon bin ich überzeugt." Er lächelte sie an und verzog sich in sein Büro. Einen Moment später sah Stacy, wie eines der Telefonlichter aufleuchtete, was bedeutete, daß er telefonierte.
Stacy gab ihm zwei Minuten, bevor sie sich in Bewegung setzte. So war er in sein Gespräch vertieft. Es war unwahrscheinlich daß er aus seinem Büro kommen würde. Mit angehaltenem Atem ging sie zu der Tür am Korridor und öffnete sie sanft. Seine Bürotür war zum Glück geschlossen, und er war zweifellos mit seiner Frau beschäftigt. Das war die Gelegenheit, auf die sie gewartet hatte. Einen Moment stand sie im Türrahmen und war sehr erstaunt angesichts dessen, was sie da sah. Der Raum nahm beinahe das gesamte Stockwerk ein. Riesige Computerkonsolen standen an der Wand. Sie sah einen Stuhl, wie beim Zahnarzt, mit Hand und Fußschellen, einer Nackenstütze und einer Art Schädelkappe. DemStuhl gegenüber befand sich etwas, das wie ein Laser aussah. Es hatte sechs Mündungen, die alle auf die Schädeldecke gerichtet waren. Auf dem Boden liefen Kabel zu den Computerkonsolen. Es sah aus wie ein großes Kontrollpanel. Stacy sah es sich an und merkte, daß es voller Lichter, Schalter und Knöpfe war. Außerdem befand sich ein Generator im Raum und ein riesiger Ventilator. Offensichtlich wurde dieses Zeug sehr heiß, wenn es benutzt wurde.Das also verwendete Dr. Wells, um Menschen einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Stacy verstand die Maschine nicht, aber es handelte sich offensichtlich um eine fortgeschrittene Technologie. Der bloße Anblick machte sie schaudern. Sie ging am Kontrollpanel entlang und vermied dabei den Folterstuhl. Überall waren Beschriftungen, aber Stacy verstand nicht ,was sie bedeuteten. Das einzige, was sie erkannte, war ein kleiner grüner Monitor. Sowas wurde in Arztsendungen verwendet, um Gehirnwellen zu messen. Es mußte eine Art Meßanlage im Stuhl eingebaut sein. Von hier aus konnte Dr. Wells alles beobachten. „Nun, Stacy", sagte eine Stimme von der Tür her, „ich muß sagen, Sie sind sehr geduldig. Ich hätte nicht gedacht, daß es so lange dauern würde, bis Sie Ihren Weg hier herein finden." Stacy drehte sich um und merkte, daß sie gefangen war. All dies war eine Falle gewesen. Dr. Wells hatte sie von Anfang an durchschaut! „Also", sagte er noch immer lächelnd. „Wie gefällt Ihnen mein kleines Experiment?"
Kapitel 11 Stacy wich einen Schritt zurück und spürte, wie sich das Kontrollpanel in ihren Rücken bohrte."Sie wußten, was ich vorhatte?" „Oh ja." Dr. Wells trat ein und schloß die Tür hinter sich. „Wie gesagt, Sie sind ein kluges Mädchen, aber ich bin um einiges klüger. Nachdem Sie mir bei dem Treffen vorgestellt worden waren, habe ich einige Nachforschungen angestellt. Wie sich herausstellte, war Ihr Freund einer meiner ersten Erfolge, also habe ich ihn in mein Büro bestellt, um ein wenig mit ihm über Sie zu plaudern." Sie rollte die Augen. „Kein Wunder." „Sie sollten es ihm nicht übelnehmen; er wußte daß es in ihrem eigenen Interesse lag." Dr. Wells lächelte."Er sagte mir, daß Sie dachten, ich hätte ihn einer Gehirnwäsche unterzogen und in eine Art Monster verwandelt. Und daß Sie es anschließend akzeptiert hatten. Dann sprach ich mit Amy Moore und sie erzählte mir eine ähnliche Geschichte." Er schüttelte den Kopf. „Man mußte kein Genie sein, um eins und eins zusammenzuzählen und zu der Einsicht zu gelangen, daß sie sicherlich etwas Tapferes unternehmen wollten." Er lächelte. „Das Problem ist, Stacy, daß es niemanden zu retten gibt. Ich habe niemanden einer Gehirnwäsche unterzogen." Stacy konnte nicht glauben, daß er wirklich von ihr erwartete, das zu akzeptieren. Sie deutete auf den Stuhl. „Und was ist das? Ein Toaster?" Dr. Wells lachte, offensic htlich mochte er ihren Humor. „Nein, das ist Teil meines Verfahrens." Er tippte auf den Pager, den er an seinem Gürtel trug und bewegte sich dann langsam und vorsichtig durch das Zimmer, hielt dabei die Hände hoch. „Ich möchte Ihnen nichts antun, Stacy. Ich dachte, es sei vielleicht eine gute Idee, ein wenig mit Ihnen zu plaudern. Sie leiden unter einigenschlimmen Wahnvorstellung was mich und meine Arbeit betrifft." Welche denn?" verlangte sie zu wissen. „Daß sie irgendein Monster sind, das Jugendliche Gehirnwäschen unterzieht und sie in Clones ihrer Eltern verwandelt? Erzählen Sie mir doch nichts - Ich hab' gesehen, was aus Kindern wird, die hier herauskommen. Sie sind sich alle ähnlich. Keine Persönlichkeit, kein Lebensfunken, kein Ehrgeiz. Alles, was sie einmal waren, ist weg." „Nein", sagte er mit Nachdruck. „Sie irren sich. Ich nehmen ihnen nichts weg. Alles, was vorher da war, ist nachher immer noch da. Nur bringe ich die Dinge in eine Perspektive. Ihr Freund Justin zum Beispiel. Alles, was seine Persönlichkeit ausmachte, ist noch immer da. Alles was ich getan habe, war etwas zu seinem Verständnis beizutragen." „Sie haben ihn in ein Monster verwandelt." knurrte sie. „Ein Monster?" Er schüttelte den Kopf. „Keineswegs. Er war gewalttätig, unangenehm, egoistisch und arrogant. Jetzt ist er angenehm, fröhlich und liebenswürdig. Ich würde das kaum als monströs bezeichnen. Er ist schlicht und einfach der Mensch, der er schon immer hätte sein sollen." „Sie haben seine Persönlichkeit zerstört!" beharrte Stacy. „Er ist ein völliger Waschlappen." „Was für eigenartige Ausdrücke ihr jungen Leute doch habt", seufzte Dr. Wells. „Hören Sie zu, Stacy. Ich mag Sie sehr und respektiere Sie. Sie haben sehr viel Intelligenz bewiesen, indem Sie bis hierher vorgedrungen sind. Sie sind sehr schlau und möchten das tun, was Sie für Ihre Freunde zuträglich finden. Ich bewundere das. Aber sie irren sich. Kommen Sie, setzen Sie sich, wir werden alles in Ruhe besprechen. Keine Tricks, keine Vorwände, keine Lügen." Er deutete auf die beiden Stühle bei der Computerkonsole. „Sie können in dem Stuhl sitzen, der Ihnen gefällt, und ich sitze in dem anderen. Wenn es Ihnen hilft, können Sie etwas zwischen uns halten, aberich verspreche Ihnen, daß ich Ihnen keinen Schaden zufügen werde." Stacy dachte darüber nach und kam zu dem Entschluß, daß sie nichts zu verlieren hatte, wenn sie ihm zuhörte. „Okay", stimmte sie zu. Sie setzte sich in einen der beiden Stühle. „Sie sitzen dort." Sie beobachtete ihn, als er sich hinsetzte. „Wenn Sie mir auch nur ein Haar krümmen wollen", versprach sie ihm. „hau ich sofort ab." „Versprochen", sagte er. Sie starrte ihn mißtrauisch an."Zuerst werde ich Ihnen ein paar Hintergrundinformationen geben bezüglich dessen, was ich hier tue. Ich frage Sie: Warum schicken wir unsere Kinder in die Schule?"
„Häh?" So etwas hatte Stacy nicht erwartet. „Um sie zu erziehen. Um ihnen Dinge beizubringen, die sie später brauchen werden." „Zum Teil", stimmte er zu. „Aber es gibt noch einen tieferen Grund für Schulen. Sehen Sie, Babies kommen als selbstsüchtige Kreaturen zur Welt. Sie fühlen Hunger, Kälte, Unbequemlichkeit oder das Bedürfnis, die Windel gewechselt zu bekommen. Alles, was sie zuerst in ihrem Leben tun, ist Dinge zu verlangen. Ihre Eltern sorgen sich darum, diese Verlangen zu stillen. Der Sinn einer Erziehung liegt nicht nur darin, Informationen zu übermitteln, sondern sie von diesem Verhalten abzubringen. Babies und Kleinkinder sind inhärent egoistische Kreaturen. Alles was sie tun, ist Dinge zu verlangen. So kann die Menschheit nicht überleben. Wenn die Menschen nur Dinge wollten und einfach nähmen, was sie wollen, dann wäre unsere Welt ein einziges Chaos. Die Zivilisation würde zugrundegehen. Der Sinn der Schulen ist es, den Kindern beizubringen, wie man sich weniger egoistisch verhält. Sport, zum Beispiel, fördert den Zusammenhalt. Man muß als Team spielen, um gewinnen zu können. Zusammenarbeit ist essentiell. In der Schule lernt man Freundschaft, Teilen, Geben. Obwohl unsere Instinkte uns dazu verleiten, zu nehmen, müssen wir lernen zugeben, wenn die Gesellschaft überleben soll. Zusammenarbeit. Zusammenhalten. Dies ist keine einfache Lektion für einen jungen Menschen. Es geht gegen unsere Instinkte. Und einige Leute lernen es nie. Ihr Freund Justin, zum Beispiel. Er war ein typischer Nehmer. Er tat was immer ihm in den Sinn kam, ohne die Wünsche oder Bedürfnisse seiner Umwelt dabei in Betracht zu ziehen. Ich habe lange mit ihm gesprochen und dabei viel über ihn herausgefunden, zum Beispiel wie schlecht er Sie behandelt hat. Er hat zugegeben, Sie mehr als einmal geschlagen zu haben. Und... nun, es ist wohl nicht nötig, ins Detail zu gehen, aber er hat sie physisch benutzt, ohne ihre eigenen Bedürfnisse in Betracht zu ziehen." Stacy lief rot an, versuchte aber, ihren Zorn nicht zu zeigen. „Okay, er war nicht gerade der netteste Mensch der Welt, aber wer ist das schon?" „Nun, ich würde sagen, er - jetzt." Dr. Wells betrachtete sie. „Er denkt zuerst an Sie. Völlig selbstlos. Er ist bereit, seine eigenen Wünsche zu vernachlässigen, damit Sie glücklich und zufrieden sind. Er wird Sie nie wieder schlagen oder irgendetwas anderes tun, was Ihnen nicht gefällt. Ist das denn nicht besser als vorher?" „Ich weiß es nicht", antwortete sie wahrheitsgemäß. „Manchmal sieht es so aus. Aber dann erinnere ich mich daran, wie lebendig er mal gewesen ist. Und wie langweilig er jetzt ist." Dr. Wells schüttelte den Kopf. „Das ist Ihre Einbildung. Er ist nicht so aufdringlich wie er einmal war, nicht so anstrengend oder aggressiv. Wenn Sie das als langweilig bezeichnen, liegt das ganz einfach daran, daß Sie auf die falschen Dinge im Leben Wert legen." Er blickte sie verständnisvoll an. „Es gibt da eine selbstzerstörerische Ader in Ihrer Psyche, Stacy. Sie möchten emotional mißbraucht werden. Wenigstens werden Sie dann nicht ignoriert. Sie haben Justin akzeptiert, obwohl er Ihnen weh getan hat. Sie haben Amy akzeptiert, obwohl sie eigentlich nicht Ihre Freundin war. Jetzt liebtund verehrt Justin Sie. Amy ist Ihre beste Freundin - und Sie weisen sie zurück. Das ergibt keinen Sinn." „Oh nein", sagte Stacy nachdrücklich. „So leicht kommen Sie mir nicht davon. Sie können nicht einfach so tun, als ob mit mir was nicht stimmt. Sie haben meine Freunde verändert. Sie haben Hunderte von Kindern verändert. Sie sind krank, nicht ich." „Nein", sagte er sanft. „Ich habe das nicht getan. Die Leute, von denen Sie sprechen, haben das System enttäuscht. Aus irgendwelchen Gründen wurden sie nie in die Zivilisation eingegliedert. Sie haben es nie gelernt, zuammenzuarbeiten und zu kooperieren. Sie handelten aus selbstsüchtigen Gründen, die alles andere ausschalteten. Zum Beispiel lan Campbell, der gerade hier war. Sein Großvater war ein Rassist und er brachte lan bei, ebenfalls einer zu sein. lan haßte Menschen aus keinem anderen Grunde, als weil sie einer anderen Rasse angehörten. Halten Sie das für gut?" „Nein", gab Stacy zu. „Es ist schrecklich." „Ich wußte, daß Sie es so sehen würden. Nun, ich habe lan seine Handlungsweise vor Augen gehalten - die Tatsache, daß er handelte ohne nachzudenken und in seinem Verhalten unmenschlich war. Das Resultat ist, daß er sich verändert hat - ist das so schlimm?" „Nur weil er im Unrecht war, heißt das noch lange nicht, daß Sie recht haben", schnauzte Stacy. „Nur weil es von lan falsch war, Juden zu hassen, heißt das noch lange nicht, daß Sie das Recht haben, ihn einer Gehirnwäsche zu unterziehen.!"
„Wieder der selbe Vorwurf!" Dr. Wells schüttelte den Kopf. „Stacy, ich unterziehe niemanden einer Gehirnwäsche." Er tätschelte die Konsole. „Alles was ich tue, ist den Leuten die Erziehung zu geben, die ihnen von den Eltern und von der Schule her zusteht. Ich richte es so ein, daß sie erkennen können, inwieweit ihr Verhalten nicht stimmt. Sie sehen ein, daß sie selbstsüchtig sind und daß das falsch ist. Ich füge ihren Persönlichkeiten etwashinzu, statt ihnen etwas wegzunehmen. Meine Maschine hat eine komplette Erziehung bezüglich des Umgangs mit anderen Menschen einprogrammiert. Diese wird durch die Sehnerven in ihre Gehirne eingespeist. Die Laser sind sehr sanft und richten keinen Schaden an. Wie Drähte in einem Computersystem sind sie in der Lage, Informationen ins Gehirn einzuleiten. Ich führe ihnen vor Augen wie sie sich verhalten sollten. Sie vergleichen das mit ihrem momentanen Verhalten und führen dann die notwendigen Veränderungen durch. Wie Justin sehen sie ein daß sie als menschliche Wesen versagt haben, und ändern das entsprechend. Ich habe ihn keiner Gehirnwäsche unterzogen, damit er Sie liebt; er hat sein Leben analysiert und festgestellt daß es so ist. Meine Patienten kommen nie zurück, da ich ihnen ihre schreckliche Lebensweise vor Augen führe und ihnen helfe, den Ausweg zu finden. Sie werden bessere, ausgeglichenere Menschen. Natürlich verändern sie sich - aber zum Guten hin, nicht zum Schlechten. Sie hören auf, irgendwelche Verbrechen zu begehen. Sie ernähren sich gesund, trainieren regelmäßig und sorgen sich um andere. Sie verstehen, was es bedeutet, Mensch zu sein." „Ihre Geschmäcker ändern sich", maulte Stacy. „Sie hören sich doofe Musik an und sehen sich langweilige Filme an. Sie zensieren das, was anderen Spaß macht." Er lächelte. „Ein Großteil der Rockmusik, Stacy, befaßt sich mit Egoismus, Selbstzerstörung und Gewalt. Sie ist brutal und oftmals schmerzhaft. Selbstverständlich verlie ren sie ihr Interesse daran: Ihre Gefühle sind anders. Sie sind glücklicher, ausgeglichener und fürsorglich, also sind das die Dinge, die sie genießen. Gewalt, ein Übermaß an Sexualität, all das hat keinen Reiz mehr für sie. Das sind fehlerhafte Denkstrukturen, und meine Patienten haben sich davon befreit. Was die Zensur betrifft - sie sehen die Dinge wie sie sind und verstehen, wie schädlich solche Sachen für andere Menschen sein können. Selbstverständlich versuchen sie, solcheEinflüsse zu verhindern, so daß andere Menschen nicht zu Schaden kommen. Das ist absolut natürlich und seht zuvorkommend. Da ist nichts falsch dran." „Sie verdrehen alles", beklagte sich Stacy. „Nein", sagte Dr. Wells sanft. „Sie verdrehen alles. Sie wissen es nur noch nicht." Noch nicht? Plötzlich wurde Stacy klar, was hier vor sich ging. Sie sprang auf. „Sie wollen mich auch unter diese Maschine setzen, nicht wahr?" schrie sie. „Sie wollen mir auch das Gehirn verdrehen!" „Stacy", sagte er sanft. „Es ist in Ihrem eigenen Interesse. Momentan denken Sie noch wie ein Egoist. Wenn Sie behandelt worden sind, werden Sie schon sehen, daß ich Recht habe." „Nein." schrie sie und ging zur Tür. „Sie werden das nicht tun! Ich werde meine eigenen Gedanken behalten!" Sie stieß den Stuhl in seine Richtung, drehte sich um und stürzte hinaus. Sie war jünger und schneller als er und sie wußte, daß er sie niemals aufhalten konnte. Aber er benutzte seinen Pager um ein Signal zu senden... Sie rannte aus seiner Praxis und floh die Treppe herunter. Schwer atmend rannte sie auf den Parkplatz. Sie mußte hier weg, bevor Verstärkung anrückte. Es war ihre einzige Chance, sonst würde sie den Verstand verlieren, genau wie alle anderen. Ein Polizeiwagen fuhr auf den Parkplatz. Die Lichter waren an, die Sirene war still.
Sie drehte sich um und rannte in die entgegengesetzte Richtung. Jemand rief ihr zu, anzuhalten, aber sie konzentrierte sich nur darauf, so schnell sie konnte zu rennen. Sie wagte nicht, zurückzublicken. Sie mußte einfach weg. Das war das einzige, was jetzt noch zählte. Ihr Herz schlug wie verrückt, sie rannte ums nackte Überleben - und um ihren Verstand. Am Rand des Parkplatzes war eine niedrige Mauer, über die sie sprang. Passanten sahen sie verwirrt an. Sie stießsie mit ihren Ellbogen aus dem Weg, es war ihr ganz egal, wer dabei auf die Schnauze fiel. Dann kam sie an eine Straße an. Sie rannte blind darauf zu, dann merkte sie, daß sie mitten im Verkehr war. Sie hörte die Autos hupen und die Reifen quietschen. Sie war gezwungen, zurückzuspringen. Und dann griffen Hände sie an der Hüfte und holten sie zurück. Stacy wehret sich so gut sie konnte. Etwas traf sie an der Schläfe, beinah verlor sie die Besinnung. Sie hörte jemanden rufen: „Nein!" Als sie wieder klar sehen konnte, merkte sie, daß ein Polizist einen Arm um ihre Hüfte geschlungen hatte und mit der anderen Hand seine Pistole hielt. Er hatte sie mit dem Griff geschlagen und sie wäre beinahe in Ohnmacht gefallen. Sie erkannte den anderen Polizisten. Tom war sein Name. Im Gegensatz zu seinem Partner war er nett. „Es gibt keinen Grund, ihr weh zu tun!" sagte Tom. „Du hast sie erwischt." „Sie widersetzt sich der Verhaftung", knurrte sein Partner und starrte erst Stacy und dann Tom an. Es war klar, daß er es genossen hatte, sie zu schlagen. „Wir sind nic ht hier, um sie zu verhaften." sagte Tom. „Wir sollen sie nur davon abhalten, irgendwelche Dummheiten zu machen. Wir sollen sie zum Arzt bringen und nicht verprügeln." „Nein", flüsterte Stacy, als sie ihre Stimme wiederfand. „Bitte — bringen Sie mich nicht dahin! Er wird mein Gehirn braten!" „Das wird dir sicher gut tun", sagte der Partner, Harris. Ihr fiel auf, daß sein Gesicht blutete. Sie mußte ihn wohl gekratzt haben, als sie miteinander kämpften. „Er wird dir nicht weh tun", versicherte ihr Tom und meinte damit offensichtlich den Doktor und nicht seinen Partner. „Er wird dir nur helfen, die Dinge besser zu verstehen, das ist alles." „Nein", beharrte Stacy. Ihre Kraft kehrte zurück, als ihr Kopf klarer wurde. „Er darf das nicht tun. Ich habeschließlich nichts getan. Ich habe kein Verbrechen begangen. Er kann mich nicht zur Therapie zwingen." „Einen Polizeibeamten anzugreifen ist ein Verbrechen", sagte Harris. „Das war Selbstverteidigung", entgegnete sie. „Sie haben angefangen, als Sie mich festgehalten haben. Sie hatten nicht das Recht, das zu tun." Sie starrte Tom an, wohl wissend, daß er ihre einzige Hoffnung war. „Bitte! Sie wissen, daß ich nichts angestellt habe! Es gibt keinen Grund für den Doktor, mich zu behandeln!" Tom sah aus, als ob ihr Argument wirken würde. Dann schüttelte er den Kopf. „Tut mir leid, Kleine. Die Entscheidung liegt nicht bei mir. Ich muß tun, was mir befohlen wurde." Stacy verlor alle Hoffnung. Würde ihr denn niemand helfen? Würden man sie einfach dem Arzt übergeben, damit der seine Lobotomie durchführen konnte? Sie fing wieder an, sich zu wehren. „Du willst wohl Ärger, wie?" fragte Harris und hob seine Pistole. „Na mach schon", sagte sie bitter. „Lieber wäre ich ohnmächtig, als wieder dorthin zurückzukehren. Es gibt nichts schlimmeres, als was er mir antun wird." „Das wird nicht nötig sein", sagte Tom und starrte seinen Partner an. Er hielt Stacys linkes Handgelenk fest. „Wir beide sollten in der Lage sein, ein kleines Mädchen abzuführen ohne es zu verprügeln." Egal wie sehr Stacy bettelte, sie wurde wieder zurückgebracht. Tom gefiel es zwar nicht, aber sie taten es trotzdem. Sie lieferten sie im Empfangssaal von Dr. Wells Praxis ab. Angela lächelte Stacy siegessicher an. Und dann erblickte Stacy ihre Eltern. „Mami!" schrie sie . „Papi! Sagt ihnen, daß sie mich loslassen sollen. Sag's ihnen!"
Aber sie wandten ihren Blick ab. Stattdessen sahen sie hilflos die Empfangsdame an. „Sind Sie sicher, daß das nötig ist?" fragte ihre Mutter.„Absolut", sagte Dr. Wells, als er das Zimmer betrat. „Ihre Tochter braucht Hilfe." „Hört nicht auf ihn!" heulte Stacy. „Er lügt! Mit mir ist alles in Ordnung! Ich habe doch nichts getan!" „Ihr Freund sagte, daß sie sich seit einiger Zeit ungebührlich verhalten hat. Ihre beste Freundin sagte, daß sie sie kaum wiedererkennt", erklärte der Arzt. „Das ist nicht gut für Stacy. Sie leidet unter Wahnvorstellungen und großen Stimmungsschwankungen. Ich bitte Sie, keinen Fehler zu machen: Stacy ist nicht nur für ihre Umwelt gefährlich, sondern auch für sich selbst. Sie müssen der Behandlung zustimmen. Sie braucht es." Stacy wollte ihn beschimpfen. „Nein!" war alles, was sie schreien konnte, als sie sich wehrte. „Also gut", sagte ihr Vater. Er beugte sich vor und unterschrieb die Papiere. Er hatte nicht den Mut, ihr die Augen zu sehen. „Nein!" schrie Stacy wieder, diesmal voller Entsetzen. Sie wußte, was sie als nächstes erwartete. „Tut mir das nicht an!" Ihre Eltern drehten sich um. Sie waren nicht in der Lage, ihr nach dem Verrat, den sie begangen hatten, ins Gesic ht zu blicken. Die beiden Polizisten zerrten sie durch die Tür. Stacy gelang es, ihren Eltern einen Blick zuzuwerfen. „Das zahl' ich euch heim!" sagte sie."Wie, weiß ich nicht, aber das zahl ich euch heim!" „Nein", sagte Dr. Wells sanft. „Wenn all das vorbei ist, werden Sie Ihre Eltern lieben." Er schloß die Tür hinter ihnen, und sie mußte ihre verräterischen Gesichter nicht mehr sehen. Die Polizisten schleppten sie in den Operationssaal. „Schnallt sie im Stuhl fest." befahl Dr. Wells. Stacy schrie und wehrte sich, jedoch ohne Erfolg. Sie war festgegurtet. Jetzt saß sie im Stuhl und starrte die grauenvolle Maschine an. Dr. Wells ignorierte ihre Schreie, als erden Helm auf ihrem
Kapitel 12
Kopf festschnallte. „Jetzt", sagte er sanft, „können wir anfangen." Stacy hatte große Angst, als sie im Stuhl festgeschnallt wurde. Sie konnte nicht mehr klar denken und fühlte nur ein Verlangen, von hier abzuhauen. Aber das konnte sie nicht. Es gab keinen Ausweg. Ihr Herz schlug sehr schnell, und ihre Kehle war rauh vom vielen Schreien. Dr. Wells ignorierte sie, als er seinen Apparat vorbereitete. Plötzlich schalteten sich die Laser vor ihr ein. Wieder versuchte Stacy sich zu befreien, wieder ohne Erfolg. Die sechs Laserstrahlen bewegten sich langsam nach oben, über ihre Brust und auf ihr Gesicht zu. Entgegen ihren Erwartungen brannten sie nicht, aber sie wußte, was sie in ihrem Gehirn anrichten würden. Sie versuchte, den Kopf, doch der Helm hielt sie fest. Die Laser krochen über ihre Kehle, ihre Lippen und Nase und leuchteten in ihre Augen. Stacy konnte nicht wegsehen. Die Strahlen tanzten vor ihren Augen und ergaben hypnotische Muster. Sie wollte ihnen keine Aufmerksamkeit schenken, aber das war unmöglich. Dr. Wells arbeitete am Kontrollpanel, aber sie sah nur die tanzenden Lichter. Als sie merkte, daß sie ihr nicht wehtaten, beruhigte sie sich langsam. Ihr Herzschlag war immer noch schnell, aber nicht mehr so wild wie vorher. Sie fühlte sich langsam etwas ruhiger, friedlicher. Die Lichter tanzten in ihren Augen. Ihr fiel auf, daß sie im Unrecht gewesen war. Dr. Wells hatte nicht gelogen. Er wollte ihr wirklich helfen. Sie konnte noch immer all das fühlen, was die alte Stacy gefühlt hatte. Ein neues Bewußtsein schlich sich bei ihr ein. Sie sah jetzt ein, daß ihr früheres Verhalten selbstzerstörerisch und oberflächlich gewesen war. Sie hatte Justins Verhalten ertragen, weil er gut aussah! Wie närrisch! Sie hatte an ihm festgehalten, nur weil esdie anderen Mädchen eifersüchtig machte. Wie unreif. Und zu glauben, daß er jetzt schlimmer war als vorher, wenn es doch offensichtlich war, wie sehr er sich verbessert hatte... Ihr gesamtes Verhalten der Vergangenheit ging ihr durch den Kopf und sie war in der Lage, alles klar zu analysieren, ohne die Panik, die sie beherrscht hatte. Hainesville war viel besser als früher. Dr. Wells hatte wunderbare Dinge geleistet. Wie dumm von ihr, das nicht früher ein-zusehen! Sie nahm entfernt wahr, daß man ihr die Ledergurte abnahm und dann fiel ihr auf, daß die Lichter zu tanzen aufgehört hatten. Aber ihre Gedanken waren noch aktiv. Sie merkte kaum, was um sie herum geschah, bis Dr. Wells sie sanft schüttelte. „Sind Sie in Ordnung, Stacy?" fragte er freundlich. „Mehr als in Ordnung", antwortete sie glücklich. „Doktor, ich danke Ihnen. Endlich kann ich klar denken. Was für ein Idiot ich doch war."
Er lächelte. „Das war zu erwarten, meine Gute. Jetzt kommen Sie. Sie werden mit Ihren Eltern nach Hause gehen und alles wird in Ordnung sein." Sie nickte und folgte ihm zurück in den Empfangssaal. Ihre Mutter und ihr Vater waren da. Sie sahen angespannt und nervös aus. Sie lächelte sie an. „Hi. Es ist alles in Ordnung. Es geht mir sehr viel besser. Ich habe mich noch nie so gut gefühlt." Ihre Mutter brach vor Erleichterung beinahe zusammen. „Oh Liebling, wir haben uns solche Sorgen gemacht. Du hast geschrien und dich gewehrt..." „Es ist in Ordnung", sagte sie zu ihrer Mutter und berührte sie sanft am Arm. „Das ist jetzt alles vorbei. Ich hatte nur Angst und konnte nicht klar denken. Jetzt geht es mir besser." „Aber du hast gedroht, es uns heimzuzahlen", fügte ihre Mutter hinzu und umarmte dabei Stacy mit aller Kraft. „Ich war krank, Mami", sagte Stacy. „Ich würde euch niemals etwas antun. Ich liebe euch beide." Sie umarmte ihreMutter ebenfalls. „Sie bringen sie am besten nach Hause", meinte Dr. Wells „Sie wird bald müde werden und sie braucht viel Ruhe. Es wird noch ein Weilchen dauern, bis ihr Gehirn sich völlig assimiliert hat. Aber danach wird sie sich besser fühlen als je zuvor, das garantiere ich." Stacy war klar, daß er recht hatte: Nach all dem, was vorgefallen war fühlte sie sich ein wenig erschöpft. Zum ersten Mal fiel ihr auf, daß sie klar dachte. Sie wurde nicht von blödsinnigen Emotionen beherrscht, sondern war in der Lage, genau zu verstehen, was vor sich ging. Diese neue Welt, die sich ihr eröffnet hatte, war sehr aufregend. Sie konnte es kaum erwarten, sie zu erforschen. Stacy ging ohne sich zu beklagen früh zu Bett. Sie wußte nicht, was ihre Eltern jetzt tun würden, aber das machte nichts. Beide fühlten sich abwechselnd schuldig und erleichtert. Nun, sie sollten bald merken, wie die neue Stacy sich verhielt. Am nächsten Tag wachte Stacy auf und bereitete für alle das Frühstück zu. Ihre Eltern waren angenehm überrascht. Die alte Stacy hätte so etwas nie getan. Aber es gab eine Menge Dinge, die die alte Stacy nie getan hätte, auf die die neue Stacy geradezu brannte. Zuerst ging ihren Schrank durch. Sie konnte kaum glauben, was für Kleider sie besaß. Kurze Tops und enge Hosen, die nur dazu dienten, ihren Sex Appeal zu erhöhen. Kein Wunder, daß es soviel vorehelichen Sex gab, mit solcher Kleidung. Stacy wußte, daß sie sich nicht vor den Jungs entblößen mußte. Das war närrisch und frauenfeindlich. Außerdem hatte sie Justin, der sie liebte. Warum mußte sie für andere attraktiv sein? Justin war schließlich gut genug für sie. Dann durchforstete sie ihre Musiksammlung. Sie war angeekelt. Alle Songs befaßten sich mit Gewalt, Sex und Selbstzerstörung. Vorgetragen ohne Kunstfertigkeit oder Charme. Wie konnte sie sich so Zeug nur anhören? Ihrschlechter Geschmack machte sie schaudern. Später würde sie zum Record Barn gehen und sich was vernünftiges holen. Enya Haines vielleicht, oder Mahler... Gerade als sie die letzten Reste Müll aus ihrem Zimmer rausschmiß, kam Justin vorbei. Stacy rannte auf ihn zu und umarmte ihn. „Es ist so schön, dich zu sehen", sagte sie. „Ich hatte Angst, daß du mir böse bist", sagte er sanft, „weil ich Dr. Wells von deinen Problemen erzählt habe." „Böse?" Stacy lachte. „Justin, das war das beste, was jemals en Mensch für mich getan hat. Ich danke dir." Sie schüttelte den Kopf. „Ich fühle mich so lebendig, es ist schwer sich vorzustellen, wie ich einmal gewesen bin." Sie küßte ihn zärtlich. „Also, möchtest du noch immer über die Hochzeit sprechen?" Bis Dienstag hatte sich Stacys Leben völlig verändert. Sie trug jetzt einen kleinen aber sehr wertvollen Verlobungsring. Sie fühlte sich, als ob sie endlich ihr Leben unter Kontrolle hatte. Es ging ihr besser als je zuvor, und das hatte sie nur Dr. Wells zu verdanken. Sie betrat seine Praxis und lächelte Angela freundlich zu. Die Empfangsdame blickte sie verwirrt an. „Was tust du denn hier?" fragte sie. Stacy zuckte mit den Achseln. „Soweit ich weiß, arbeite ich hier", entgegnete sie. „Es sei denn Dr. Wells hat mich entlassen, ohne mich davon zu informieren, und das würde er bestimmt nicht tun. Er ist so ein netter Mensch."
Aus irgendwelchen Gründen schien Angela etwas verstört „Einen Moment", sagte sie. 'Warte hier." Sie ging durch die Tür. Stacy blickte sich in der Praxis um. Wie immer war es sehr ruhig. Nun, das würde sich schon ändern. Sie hatte ein paar gute Ideen. Dr. Wells kam aus seinem Büro heraus und sah genauso verwirrt aus wie Angela. „Was machen Sie denn hier? Ich dachte -" „Ich arbeite hier, erinnern Sie sich?" Stacy lachte. „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich muß mir nicht mehrfreinehmen. Ich fühle mich wunderbar. Und ich habe vieles mit Ihnen zu besprechen. Ich habe einige Ideen, wie Sie IhrenUmsatz erhöhen können und dabei der Stadt helfen." Dr. Wells fröstelte. „Vielleicht sollten Sie lieber in mein Büro kommen", schlug er vor. „Dort können wir ungestört reden." „Dufte!" Stacy folgte ihm und setzte sich ihm gegenüber. „Sehen Sie, Sie haben bereits allen Jugendlichen dieser Stadt geholfen, nicht wahr? Die sind weitgehend geheilt, nicht wahr?" „Stimmt", gab er zu. „Es ist Zeit, Ihr Geschäft zu vergrößern", sagte sie mit fester Stimme. „Haben Sie die neuesten Polizeiberichte gesehen?" „Ja sicher", entgegnete er. „Die Zahl der Verbrechen ist drastisch zurückgegangen." „Verbrechen von Jugendlichen", sagte sie. „Die Verbrechensrate der Erwachsenen ist immer noch dieselbe. Es ist an der Zeit, etwas dagegen zu unternehmen, finden Sie nicht?" Endlich dämmerte es ihm. Stacy fragte sich, warum es so lange gedauert hatte. Vielleicht konnte er nicht klar denken. Der arme Kerl. Nun ja, sie war durchaus in der Lage, für beide zu denken. „Stacy", sagte er sanft, „ich kann Jugendliche behandeln, weil sie keine Rechte haben, bis sie alt genug sind um zu wählen. Ihre Eltern unterschreiben die Formulare. Sie sind diejenigen, die die Behandlung autorisieren. Ich kann das gleiche nicht für Erwachsene tun." 'Seien Sie doch nicht albern", widersprach sie. „Schließlich wäre es für alle das Beste. Sicherlich werden sie das einsehen. Wenn die Leute sich kriminell verhalten oder sich nicht in die Gesellschaft eingliedern können, wäre es nahezu grausam, sie einfach so allein zu lassen. Sie werden einander nur Schaden zufügen. Sie brauchen Ihre Behandlung, Herr Doktor. Es ist die einzige Hoffnung für sie, inneren Frieden zu finden. Es wäre eineSünde, sie nicht zu behandeln. Es sind unglückliche Menschen, Doktor. Ansonsten würden sie sich anders verhalten. Nur Sie können sie dem inneren Frieden zuführen. Sie müssen es tun. Es ist Ihre moralische Pflicht." Sie lächelte. „Außerdem wäre es sehr gut für Ihr Geschäft." „Aber ich brauche doch eine Erlaubnis, um so etwas zu tun", protestierte er. „Und die werden sie auch bekommen", versprach sie ihm. „Doktor, ic h bin schließlich von Ihnen behandelt worden. Es funktioniert einwandfrei. Glauben Sie mir, wenn Ihre Patienten einmal geheilt sind, werden sie sicherlich ein Zustimmungsformular unterschreiben. Es wird überhaupt kein Problem geben, und Sie werden ihnen helfen, ihr Leben neu zu gestalten." Sie beugte sich vor. „Bitte, Doktor - sie müssen es tun. Es ist das Beste. Sie werden so viel glücklicher sein, statt wie Freaks durchs Leben zu treiben." Er dachte darüber nach; Stacy konnte es klar sehen. Er wollte den Leuten wirklich helfen. Und seine Maschine war dazu in der Lage. Er sah ein, daß sie recht hatte. Aber er mußte überzeugt werden. „Ich möchte Ihnen helfen, Herr Doktor", sagte sie. „Ich möchte ebenfalls ein Wohltäter der Menschheit sein. Wenn Sie mir zeigen, wie Ihre Maschine funktioniert, kann ich Ihnen helfen. Gemeinsam können wir Hainesville in eine Traumstadt verwandeln. Jeder wird stolz sein, hier zu leben. Es ist Ihre Pflicht." Er nickte. „Sie haben recht", sagte er. „Kommen Sie mit." Er führte sie in das andere Zimmer. „Ich bin stolz auf Sie, Stacy. Alle meine Patienten sind wertvolle Mitbürger geworden. Aber Sie sind etwas Besonderes, wissen Sie das?" Stacy lief rot an. „Oh Herr Doktor", sagte sie, „ich möchte doch nur der Gemeinschaft etwas von dem geben, was Sie mir gegeben haben." „Und ich bin sehr beeindruckt." Er führet sie
zumKontrollpanel und zeigte ihr, wie alles funktionierte. „Diese Spalte kontrolliert die Feed Rate", erklärte er, während er auf das Hauptsystem zeigte. „Meine Maschine mißt automatisch die Gehirnwellen des Patienten und paßt den Strahlenfluß entsprechend an." „Brillant", sagte sie. „Ich bin so beeindruckt von dem, was Sie getan haben. Es ist wirklich erstaunlich. Und all diese Informationen werden durch die Laserstrahlen eingespeist?" „Nein", antwortete er. „Einiges davon fließt durch den Helm. Er hat kleine Adapter, die sich mit dem Gehirn verbinden." „Wirklich?" „Ja. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen." Er führte sie zu dem Stuhl und hob den Helm auf. „Diese Kontakte übermitteln kraftvolle Signale an das Gehirn. Sie unterdrücken einige der Verteidigungsmechanismen und ermöglichen eine bessere Aufnahme der Informationen." „Dufte!" sagte Stacy mit einem fröhlichen Lächeln und schubste ihn nach vorn. „Was", rief er und fiel sofort in den Stuhl. Stacy setzte ihm den Helm auf. Seine Augen entspannten sich. „So ist's recht", murmelte sie hocherfreut. „Jetzt setzen wir uns mal gerade hin. Ich glaube nicht, daß wir die Fesseln brauchen. Aber wir müssen endlich mal klar denken, nicht wahr Herr Doktor?" Sie ging zurück zum Kontrollpult und schaltete die Maschine ein. Die Laser wurden aktiviert und leuchteten in seine Augen. Seine Erlösung hatte begonnen. Jetzt würde er die Dinge klar sehen können. Der arme Kerl - nachdem er so viele Menschen befreit hatte, war er selbst noch angekettet. Nun, es würde ihm gleich besser gehen, viel besser. Er würde einsehen, daß Stacy recht hatte. Wie sehr die Stadt sie beide brauchte... „Bist du wirklich sicher, daß das notwendig ist, meine Liebe?" fragte ihre Mutter, als sie und ihr Vater Stacy indie Praxis begleiteten. „Ich dachte Dr. Wells hatte gesagt, daß nur ein Besuch nötig ist." 'Er hatte recht, ich bin geheilt", versicherte ihr Stacy, „das wißt ihr doch sicherlich, oder nicht? Bin ich nicht sehr viel anständiger, seitdem ich hier war?" „Ja", stimmte ihr Vater zu. „Du warst erstaunlich hilfsbereit." „Und ich bin noch lange nicht am Ende." Stacy begrüßte Angela. Jetzt, wo sie auch behandelt worden war, war sie sehr viel netter, fast wie eine ältere Schwester. „Papi, du bleibst hier und unterhältst dich mit Angela. Mami, du kommst mit und triffst dich mit Dr. Wells." Sie führte ihre Mutter ins Behandlungszimmer, wo der Doktor bereits wartete. „Mrs Harvey", sagte er freundlich. „Ich bin so froh, Sie wiederzusehen. Stacy hat mir viel von Ihnen erzählt." „Hat sie das?" fragte ihre Mutter. Sie war etwas nervös. „Nichts Schlechtes, hoffe ich." Dr. Wells seufzte. „Leider auch nichts Gutes." Er blickte auf das Zustimmungsformular. „Alkohol sucht, Kindesmißhandlung... alles kriminelle Vergehen." Ihre Mutter machte sich jetzt wirklich Sorgen. „Was?" „Oh, es ist in Ordnung", versicherte ihr Stacy. „Es ist ja nicht deine Schuld, und wir können dich behandeln. Du wirst geheilt werden. Deswegen bist du ja hier." Sie griff einen Arm ihrer Mutter und Dr. Wells den anderen. Plötzlich verstand ihre Mutter, was passierte, und sie fing an sich zu wehren. „Nein!" schrie sie. „Ihr könnt dieses Ding nicht an mir verwenden!" „Selbstverständlich können wir", entgegnete Dr. Wells. „Nur ruhig." „Frank!" schrie ihre Mutter, als sie erfolglos versuchte, sich zur Wehr zu setzen „Frank, hilf mir." „Es ist alles in Ordnung, Mutti.," sagte Stacy. „Papa hat gerade ein Beruhigungsmittel erhalten, damit er in Ruhe abwarten kann ,bis er an der Reihe ist. Ihr werdet beide geheilt sein. Und wenn ihr geheilt seid, dann ist Mr.Moore dran. Und dann die Polizisten. Ihr werdet euch bald alle sehr viel besser fühlen." Ihre Mutter blickte Stacy aus angsterfüllten Augen an, während sie gefesselt wurde und der Helm sich auf ihren Kopf senkte. „Das ist es, nicht wahr?" fragte sie mit einem erschreckten Flüstern. „Du hast gesagt, daß du dich an uns rächen willst! Das war also dein Plan, nicht wahr?" „Sei nicht albern, Mami", versicherte ihr Stacy. „Ich liebe dich und ich würde niemals etwas tun, was dir schaden könnte. Das ist keine Rache. Es ist schließlich in deinem Interesse. Glaub mir. Es ist so am besten." Ihre Mutter schrie, aber Stacy machte sich keine Sorgen. Bald würde sie alles verstehen. ***
Wie man seine Kinder erziehen soll, ist ein Problem, mit dem sich alle Eltern auseinanderzusetzen haben. Aber manchmal ist auch der umgekehrte Fall möglich. Es gibt ein altes Sprichwort, das besagt, daß der Apfel nicht weit vom Stamm fällt. Aber wenn man die OUTER LIMITS erreicht, stellt man fest, daß die Kinder ihren Eltern noch viel beizubringen haben. Und natürlich hat jedes Werkzeug seinen Nutzen. Nur ist manchmal dieser Nutzen nicht genau so, wie man ihn sich vorgstellt hat...
Der Zeitreisende Als der zwölfjährige Brandon Mooney plötzlich Besuch von einem Unbekannten bekommt, gerät sein Leben völlig aus den Fugen. Der Mann, der ihn besucht, ist er selbst -als Erwachsener. Er ist durch die Zeit gereist und so in die Vergangenheit zurückgekehrt. Seine Mission ist es, die Zukunft zu retten. Die Erde wird zunehmend von korrupten Politikern und skrupellosen Industriellen zerstört. Um eine Katastrophe zu verhindern, müssen die Schuldigen getötet werden. Brandon muß eine Entscheidung treffen: Kann er sich an einem Mord beteiligen? Oder soll er tatenlos zusehen, wie die Menschheit ihrer Zukunft beraubt wird?
Kapitel l Bald würde es so weit sein. Der Scharfschütze fühlte es. Irgend etwas regte sich in ihm, während er von seinem Baumast aus in das gegenüberliegende Fenster spähte, sein Gewehr zärtlich und dennoch fest im Arm haltend. Er schaute auf seine Uhr und sah, daß es kurz nach zehn Uhr abends war. Und Henry Brandt war ein Pünktlichkeitsfanatiker. Der Scharfschütze hatte bereits über eine Stunde geduldig auf ihn gewartet. Die Zeit war noch nicht gekommen. Brandt besaß ein großes und gut bewachtes Anwesen, zumindest für einen Mann der Jahrhundertwende. Ein hoher Metallzaun, viel zu hoch, als daß man darüber hätte springen können, umgab das achtzehn Hektar große Grundstück. Und versuchte man darüberzuklettern, würde man mit ziemlicher Sicherheit von einem der Wächter gesehen werden, oder von einer der durchtrainierten Doggen. Und schaffte es jemand, den Wachen und Hunden zu entkommen, würden sicherlich die im Zaun eingebauten Bewegungsdetektoren Alarm schlagen. Gelänge es einem Eindringling dennoch, über den Zaun zu kommen, war der Garten ebenfalls mit Bewegungsdetektoren, Wärmesensoren und anderen High-Tech Spiele reien ausgestattet, die selbst einen an einem Blatt nagenden Grashüpfer finden würden. Aber keines dieser Sicherheitssysteme hatte auch nur die geringste Chance, den Scharfschützen zu entdecken. Das Problem war, daß sie ihn auf völlig falsche Weise betrachteten. Er lockerte seine verkrampften Finger ein wenig und lächelte. Brandts Nachbarn hielten den Industriemagnaten für paranoid, glaubten, seine Sicherheitsmaßnahmen seien zu strikt. Besonders dann, wenn eine niedrig fliegende Eule von Zeit zu Zeit die Sensoren aktivierte und so den Alarm auslöste. IhreBeschwerden nahm Brandt völlig gleichgültig auf. Brandt fühlte sich sicher, in einen technologischen Kokon eingehüllt, er wußte, daß ihm, solange er sich in seinem Haus aufhielt, außer einer kleinen Armee nichts und niemand etwas anhaben konnte. Er hatte die alte Redewendung bis in ihre letzte Konsequenz umgesetzt. Sein Haus war eine Festung, so einbruchssicher wie es die moderne Technologie nur erlaubte. Eine Festung, so meinte er. Andere dachten an ein Gefängnis. Dummerweise hatte er es diesmal mit mehr als nur moderner Technologie zu tun. Für den Scharfschützen war es ein Leiches, all diese Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen - er besaß nämlich seinen eigenen Zeitfeldgenerator. Er war in den Stoff seines schwarzen Overalls eingenäht, die Steuerung trug der Mörder an seinem Gürtel. Hätte er versucht, in der Gegenwart in Brandts Haus einzudringen, wäre er mit Sicherheit geschnappt worden. Also hatte er es gar nicht erst versucht. Er hatte schlicht und einfach die Kontrollen auf zwanzig Jahre in die Vergangenheit eingestellt, lange bevor Brandt sein wunderschönes Anwesen erbaut hatte. Dann war er durch den Wald spaziert, bis er bei einem Baum ankam, der zwanzig Jahre später seine Äste über Henry Brandts Arbeitszimmer ausbreiten sollte. Er war auf den Baum geklettert und hatte das Gewehr von der Schulter genommen. Dann hatte er sich gemütlich hingesetzt und sich zwanzig Jahre in die Zukunft teleportiert, bis er auf dem selben Fleck auf dem selben Baum angekommen war. Und so saß er hier und beobachtete das Fenster des ihm gegenüberliegenden Arbeitszimmers. Er wartete darauf, daß der überaus pünktliche Herr Brandt um fünf nach zehn sein Arbeitszimmer betrat, wie er es in jeder Nacht seines Lebens tat. Nur daß diese Nacht die letzte war, in der sein kleines Ritual zelebrieren würde. Brandt war einer der einflußreichsten Männer Amerikas,obwohl nur wenige Leute außerhalb seines sozialen Umfelds das wußten. In einem Zeitalter, in dem sich Millionäre wie Fliegen tummelten und Milliardäre kaum noch der Rede wert waren, war Brandt einer der reichsten Männer des Landes. Dennoch tauchte sein Name niemals in den Klatschspalten auf, oder auf der Liste der reichsten Männer der Welt, obgleich er sicherlich die Nummer drei auf einer solchen Liste einnähme.
Brandt haßte Publicity. Er war eine sehr zurückgezogene Person und haßte es, Details aus seinem Privatleben zu verbreiten. Es machte ihn unsicher, wenn jemand zuviel über ihn wußte. Er hielt sich von der Öffentlichkeit fern. Sein Vermögen und seinen Einfluß hatte er in aller Ruhe durch verschiedene Firmen und Industrien zusammengetragen. Er gab keine Interviews, und seine Tausende von Angestellten nur selten. Er hatte zwei Privatsekretärinnen, mit denen er sich einmal am Tag zu einer Besprechung traf. Er hatte einen Buchhalter und einen Anwalt. Und sonst niemanden. Natürlich war er verheiratet. Brandt wußte, daß er nicht ewig leben würde, und er hatte kein Interesse daran, daß sein Imperium und sein Reichtum nach seinem Tod zu Grunde gingen. Seine Frau war bildschön, sie hatten ein Kind, einen Sohn, der jetzt siebzehn Jahre alt war. Er würde eines Tages das Brandt-Vermögen erben, wenn Brandt stürbe In ungefähr fünf Minuten. Frau Brandt war den Angewohnheiten ihres Gatten gegenüber sehr nachgiebig. Sie fand den Wunsch ihres Mannes, alleine gelassen zu werden, in keinster Weise störend. Die schöne Frau Brandt war nämlich so warmherzig wie ein Eisberg. Ihre ganze Liebe galt dem Geld ihres Gatten, und der gab ihr alles, was sie sich wünschte. Wie ausgefallen ihr Geschmack auch sein mochte, ihre Ausgaben fielen auf dem Konto ihres Mannes kaum ins Gewicht. Beide fanden in ihrer Beziehung was sie gesucht hatten: Sie hatte Geld, Luxus, teure und exotische Reisen; er hatte einen Sohn, einen Thronfolger - und ansonsten seine Ruhe.Der Killer fand das alles sehr amüsant. Es stimmte, daß Brandts Plan soweit funktionierte - solange er am Leben blieb. Aber in dem Moment, in dem er sterben würde, im Jahre 2027, würde die Wahrheit über Brandt herauskommen. Die Welt würde erstaunt sein, zu erfahren wieviel Einfluß Brandt besessen hatte. Und da der Mörder aus einer Zeit kam, die fünfzig Jahre in der Zukunft lag - vom Jahr 2027 aus gesehen - wußte er alles über Henry Brandt. Keines seiner Geheimnisse war sicher. Ebensowenig wie sein Leben, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen. Fast war es soweit. Der Scharfschütze bereitete sein Gewehr vor, blickte angespannt durch das dichte Laubwerk in Brandts Arbeitszimmer. Brandt war ein Mensch, bei dem alles nach Plan verlief. Er wollte, daß sein Leben genau so aussah und nicht anders. Er aß immer zur gleichen Zeit; er traf seine Kontaktleute immer genau zur gleichen Stunde und er überprüfte den Wert seiner Aktien jeden Tag im gleichen Augenblick. Jeden Abend um fünf nach zehn betrat er sein Arbeitszimmer, wo ihm der Butler einen großen Wermut einschenkte und darauf verschwand. Brandt brauchte genau zweiunddreißig Minuten, um seinen Drink zu leeren. Danach ging er allein zu Bett. Aber heute abend würde das Präzisionsregime ein Ende finden. Fünf nach zehn. Die Tür des Arbeitszimmers öffnete sich, und Henry Brandt betrat den Raum. Selbst sein Körper war streng diszipliniert. Sein graues Haar war straff aus seiner hohen Stirn gekämmt. Sein Anzug, sein Hemd und seine Krawatte waren in tadellosem Zustand. Er war ein Mann, der die Situation immer unter Kontrolle hatte. Der Butler trat nach ihm ein, schenkte den Drink ein, verbeugte sich und verließ den Raum. Brandt war alleine. Er nippte an seinem Drink und dachte über irgendwelche Geschäfte nach. Zweifellos kam es ihm nicht in den Sinn,daß er in den nächsten zwei Minuten sterben würde. Vielleicht dachte er an die Gesetzesreform, die er - ganz privat - in Bewegung gebracht hatte. Seine Vorschläge waren sehr umstritten und brachten Industrielle und Umweltschützer gegeneinander auf. Profit gegen Bäume. Im letzten Jahr war ein recht weitreichendes Gesetz in Kraft getreten, das den Schadstoffausstoß gewisser Fabriken festlegte. Dieses Gesetz hatte Henry Brandt sehr viel Geld gekostet. Er hatte sich gerade ein paar Kongreßabgeordnete und Senatoren gekauft und hatte damit begonnen, das Gesetz, das das Wachstum und den Profit seiner Firma gefährdete, zu untergraben. Und es würde ihm auch sicherlich gelingen, in etwa ein bis zwei Jahren. Diesem Gesetzes mußten die Zähne gezogen werden, damit sich der Profit von Brandts Firmen verdoppeln konnte. Dadurch würde allerdings die Verschmutzung von Amerikas Flüssen drastisch zunehmen, Tierarten würden vergiftet werden und die Schadstoffe würden im Jahre 2043 fast einer Million Menschen das Leben kosten. Brandt ahnte nicht, was seine Gier anrichten würde. Er glaubte allen Ernstes, daß es besser war, wenn seine Fabriken mehr Menschen beschäftigen und mehr Produkte herstellen konnten. Er
glaubte, daß die Linken, die die Frösche schützen wollten, nicht praktisch dachten und ohnehin viel zu vorsichtig waren. Selbstverständlich machte das alles keinen Unterschied. Seine Taten würden nach wie vor eine Million Menschen umbringen und die Vereinigten Staaten auf Generationen hinaus verschulden. Achtundsiebzig gefährdete Tierarten würden auf Grund des gelockerten Gesetzes aussterben. Die Welt des Scharfschützen würde eine arme und grausame Welt sein. Zumindest war sie es bis gerade eben. Der Mörder würde das alles ändern. Er brachte sein Gewehr in die richtige Position und ziel-te. Er konnte Brandt im elektronischen Fadenkreuz genau beobachten. Auch wenn es stockfinster gewesen wäre, hätte er Brandt trotzdem sehen können.. Er zielte auf Brandts Herz und konzentrierte sich. Brandt war sein sechstes Opfer. Dennoch begehrte sein Gewissen jedesmal auf, wenn er den Abzug drückte. Er fragte sich, ob Henry Brandt den Tod verdiente. Ja, beantwortete er seine eigene Frage. Henry Brandt war ein gefährlicher Mensch. Nicht bösartig, wie etwa Hitler, sondern nur gierig und töricht. Aber was ist mit den Millionen von Toten, die ihm zum Opfer fallen würden? Hatten sie den Tod verdient? Er wußte, daß er richtig handelte. Was bedeutete schon das Leben eines einzelnen verglichen mit dem von Millionen? Sein Finger legte sich um den Abzug. Das Gewehr feuerte. Ein elektronischer Impuls ging durch das Glasfenster, ohne daß es den geringsten Kratzer abbekommen hätte. Nur im Kontakt mit lebendigem Fleisch - menschlichem oder tierischem richtete der Impuls gewaltigen Schaden an. Brandt griff sich an die Brust. Wahrscheinlich schnappte er nach Luft, aber das konnte der Mörder durch das Glas nicht hören. Der Drink fiel ihm aus der Hand, und dann sank Brandts Körper zu Boden. Es bestand keine Notwendigkeit nachzusehen, ob auch alles in Ordnung war; er war tot. Der Mord konnte nicht entdeckt werden. Wenn man am nächsten Morgen Brandts Leiche finden würde, würde alles auf einen Herzinfarkt hindeuten. Keine Spur von einer Waffe. Und selbst wenn die Polizei nach einem Eindringling suchen sollte, so war das vergebens. Schließlich war es völlig unmöglich, unbemerkt einzudringen und die Sicherheitssysteme, den Zaun, die Hunde und die Wachen zu umgehen. Insbesondere ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Der Mörder lächelte. Jetzt wo Brandt tot war, war die Zukunft sicher. Das neue, laxe „Umweltschutzgesetz" würde niemals durchkommen. Die achtundsiebzigTierarten würden nicht sterben. Eine Million Menschen würden am Leben bleiben. Der Mörder betätigte ruhig seinen persönlichen TimeField-Generator und rutschte zwanzig Jahre in die Vergangenheit zurück. Dann kletterte er von dem Baum herunter und ging durch den Wald zum Rest seiner Ausrüstung. Dort angekommen legte er das Bolt-Gewehr in den Koffer zurück und öffnete einen zweiten Koffer. Darin befand sich nur ein Helm. Seine Hände zitterten leicht, als er sich darauf vorbereitete, den Helm anzuziehen. Er war völlig rund. Sobald man ihn anhatte, konnte man die Außenwelt überhaupt nicht mehr wahrnehmen. Im Inneren bekam man währenddessen ein völlig realistisches, dreidimensionales Bild in die Sehnerven projiziert. Der Helm war mit einer Maschine verbunden, die sich in einem Labor in der Zukunft befand. Sie würde ihm sein Zuhause zeigen, so wie es jetzt aussah, jetzt wo Brandt zwanzig Jahre vor seinem eigentlichen Tod ermordet worden war. Es würde eine bessere Welt sein. Er hatte die Geschichte korrigiert. Er zog den Helm an, und sein Blick auf den Wald wurde abrupt abgeschnitten. Das aktivierte den Helm. Für eine Sekunde sah er Dunkelheit, dann leuchtete die Welt um ihn herum hell auf. Es sah aus, als würde er auf dem Balkon seines Labors stehen, die Berge überblickend. Zu seiner Zeit gab es auf diesen Bergen fast kein Leben mehr. Der Boden war viel zu vergiftet, als daß Gras oder Pflanzen darauf hätten wachsen können. Keine Tiere lebten auf diesen Hügeln, keine Vögel nisteten in den Bäumen, keine Insekten flogen über die weiten Flüsse. Der Fluß am Fuß des Berges hatte eine bräunliche Farbe, und wenn der Wind in die ric htige Richtung wehte, konnte man den Verwesungsgestank wahrnehmen. „Oh mein -" Er war nicht vorbereitet auf das, was er sah. In den Bergen gab es kein Leben. Völlige Leere. Der Flußwar mit einer dicken roten Flüssigkeit angefüllt, die sich wie eine rostige Wunde durch die Erde wand. Ansonsten keinerlei Lebenszeichen.
Schmerz und Wut stiegen in ihm auf. Der Mörder riß sich den Helm vom Kopf und war versucht, ihn voller Verzweiflung auf dem Boden zu zerschmettern. Dann besann er sich eines Besseren. Er konnte nicht die einzige Verbindung mit seiner eigenen Zeit zerstören. Er hatte in der Tat die Zukunft verändert, als er Brandt ermordete - aber sie war schlimmer. Er hatte versagt. Schon wieder.
Kapitel 2 Brandon Mooney stellte fest, daß sein Leben, das ohnehin schon ziemlich lausig war, noch etwas weiter nach unten abgesackt war. Entsetzt starrte er Rory Tucker an. Der andere Junge lag auf dem Rücken, seine Bücher auf dem Boden verteilt, seine Notizblätter verwehten wie Herbstlaub. Mit Rory zusammenzustoßen, hatte Brandon ziemlich weh getan, aber der schlimmste Schmerz würde noch kommen. Er versuchte, die Situation zu entspannen, für den nicht anzunehmenden Fall, daß Rory guter Laune war. „Tut mir sehr leid", entschuldigte er sich. „War echt tolpatschig von mir, laß mich dir helfen." Er streckte seine Hand aus, aber Rory schubste sie aus dem Weg, sein Gesicht war verzerrt. „Du hast gerade einen tödlichen Fehler begangen", grummelte er, während er sich aufraffte. „Niemand schubst mich ungestraft rum." Brandons Magen schien sich umzustülpen. „Ich wollte dich nicht schubsen. Ehrlich", sagte er. „Ich war nur in Eile und -" „Schnauze", sagte Rory. „Du wirst dafür bezahlen, und zwar mit deinem Blut." Brandon war eins sechsundsiebzig, aber sehr mager. Rory war eins dreiundachtzig groß und hatte die Statur einer Backsteinwand. Er hatte auch ungefähr den selben Intelligenzquotienten wie eine Mauer. Wenn eine Idee sich einmal in seinem Kopf festgesetzt hatte, war es sehr schwierig, sie ihm wieder auszureden. Außerdem machte es ihm Spaß, Brandon zu verprügeln. Jetzt hatte er außerdem einen guten Grund. Und Brandon wußte, daß er keine Chance hatte. Es war definitiv Zeit, sich zu verdrücken. Er hoffte, daß er schneller als Rory rennen konnte. Aber da der andereJunge Mitglied des Footballteams war, während Brandons Lieblingssport derParcours auf dem Mauspad war, hatte er so seine Zweifel. Dennoch hatte er sicherlich bessere Chancen, wenn er rannte, als wenn er rumstand und darauf wartete, verprügelt zu werden. Aber Rorys Freunde und der Rest der Schüler hatten von Brandons Plan Wind bekommen. Sie bildeten einen Kreis um Rory und Brandon. Noch sah er lose aus, aber Branden ahnte, daß sich der Kreis bei einem Fluchtversuch schließen würde. Er saß in der Falle. Rorys Hände ballten sich zu Fäusten. Ein Lächeln spielte um seine Lippen, während er sich darauf vorbereitete, Brandon den Garaus zu machen. Brandon wußte, daß er keine Chance hatte, also versuchte er zum letzten Mal mit Rory zu verhandeln. „Na komm, Rory", bettelte er. „Es war ein Unfall. Außerdem bin ich's doch gar nicht wert. Wirklich." „Ich hab' eh nichts Besseres zu tun", sagte Rory, und seine Faust schoß nach vorne. Alles in allem gar nicht mal so heftig. Brandon stand wie angewurzelt da, wie ein Reh im Scheinwerferlicht eines sechzehn-TonnenLastwagens. Es kam ihm nicht in den Sinn, den Schlag abzufangen. Er war nicht der Typ, der sich
mit körperlichen Dingen gut auskannte. Der Schlag traf ihn am Unterarm und tat weh. Er stieß einen kleinen Schrei aus und sprang zurück. Einige der Jungs kicherten. „Komm schon, du Angsthase", rief einer. „Das war ja nicht mal 'n echter Schlag." „Ja...", sagte Brianne Waite und rollte mit den Augen. „Stell dich nicht so an." „Rory, bitte", bettelte Brandon, wohl wissend, daß es vergeblich war. „Na komm, du Feigling", spottete Rory und schubste ihn. „Tu doch wenigstens so, als würdest du dich wehren. Du machst es mir viel zu leicht." Er schlug Brandon in den Magen, immer noch nicht sonderlich hart.Branden durchschaute die Strategie. Der Schlag diente nur dazu, ihn zu reizen, ihn locker zu machen, ihm in den Glauben zu wiegen, daß er vielleicht eine Chance gegen Rory hätte. Und dann würde Rory ihn vernichten. Sich zu wehren hatte keinen Zweck. Brandon wich einen Schritt nach hinten zurück und beobachtete Rorys Fäuste. Hinter ihm schubsten ihn Hände nach vorn, die anderen verspotteten ihn. Brandon stolperte und starrte Rory entsetzt an. „Ich werd' mich nicht mit dir prügeln", sagte er, nach Luft schnappend. „Und du hast keinen Grund, mich zu verhauen." „Was für'n Loser", beschwerte sich Rory. Er schlug noch einmal zu, diesmal kräftiger. Rory schrie auf. „Nimm deine Medizin wie ein Mann", sagte Rory. „Hör auf, rumzugackern wie ein Huhn." Seine Faust schoß ein weiteres Mal nach vorne und traf Brandons Bizeps auf äußerst scherzhafte Weise. Brandon wußte, daß alles verloren war, aber dennoch versuchte er, Rorys Schlägen auszuweichen. Er hob seine Hände, nicht um sich zu wehren, sondern als eine Art Protest. Rory grummelte voller Ekel und schlug ein wenig höher. Brandons Sichtfeld wurde unscharf, und dann traf in eine Portion puren Schmerzes auf die Nase. Er fühlte etwas Klebriges und dann den scharfen Geschmack seines eigenen Blutes. Brandon stöhnte und fühlte, wie Blut sein Gesicht herunterlief. Rory hatte ihm die Nase blutig geschlagen. Er fühlte, wie Panik in ihm aufstieg. Rory hatte Blut geleckt. Brandon vermutete, daß der Anblick und der Geruch eine ebenso aufregende Wirkung auf ihn haben würden, wie auf jedes andere Tier, daß er ihm jetzt den Gnadenstoß versetzen würde. Stattdessen hörte er eine Mädchenstimme: „Rory Tucker, hör sofort auf! Laß ihn in Ruhe!" Brandon krümmte sich, als er sah, wie Toni Frost ein paar Jungs aus dem Weg schubste, um in den Kreis zu gelangen. Sie war wütend und drängte sich zwischen ihn und Rory. „Für wen hältst du dich eigentlich?" schnauzte sie ihn an.Rory wirkte enttäuscht und ließ seine Fäuste langsam nach unten sinken. Spuren von Brandons Blut klebten an seinen Knöcheln. „Wollte ihm nur 'ne kleine Lektion erteilen." „Du?" Toni rümpfte die Nase. „Du weißt ja nicht mal, wie man Lektion buchstabiert. Du bist einfach nur 'n Schlägertyp. Laß ihn gefälligst in Ruhe." „Warum denn?" wollte Rory wissen. „Weil ich sonst den Direx hole", maulte ihn Toni an. „Und ich glaube, daß du eine weitere Verwarnung nicht brauchen kannst. Oder?" Sie starrte ihn an und Rory wandte sich von ihr ab. „Ah, der ist sowieso ein Feigling", beklagte er sich. „An dem mach' ich mir doch nicht die Hände schmutzig." „Das ist die beste Idee, die du heute hattest", sagte Toni, als sie sich herunterbeugte, um seine Bücher und Papiere aufzuheben. Als die anderen Schüler merkten, daß es heute nicht zum Mord kommen würde schlichen sie davon. Toni wandte sich an Brandon. „Und was fällt dir ein, mit diesem Schläger einen Streit anzufangen?" wollte sie wissen, während sie ein paar Taschentücher aus ihrem Rucksack holte und ihm reichte. „Ich habe dich für klüger gehalten." Brandon nahm die Taschentücher und hielt sie unter seine Nase, versuchte den Blutfluß zu stoppen. „Ich bin aus Versehen in ihn reingerannt", erklärte er schamerfüllt. Von Rory verdroschen zu werden, war ja an sich schlimm genug, aber von einem Mädchen gerettet zu werden, war wirklich peinlich. Fast wäre es ihm lieber gewesen, sich besinnungslos schlagen zu lassen. Die Sache mit Toni war, daß sie eine wohltätige Samariterin war, sich immer in irgendwelche Sachen einmischte. Sie wollte die Wale retten, weggelaufene Hunde und Katzen aufnehmen — solange sie mit Herzenseifer dabei sein konnte, war ihr alles recht. Es sah so aus, als sei er ihr Projekt für heute. „Solche Unfälle können einen umbringen", sagte sie, während sie ihn kritisch betrachtete. „Komm, wir gehenbesser zur Krankenschwester, damit sie sich deine Nase ansehen kann."
„ Ich brauch' deine Hilfe nicht", schnauzte sie Branden unhöflich an. Toni zog wieder mal die Nase hoch. „Verstehe. Du hattest Rory genau da, wo du ihn haben wolltest, stimmt's? Brandon, du bist ein erstklassiger Dummkopf, wußtest du das?" „Und du bist ein Mädchen, das sich einmischt", gab er zurück und wünschte sich, ihm wäre etwas Intelligenteres und Schärferes eingefallen. Das ging ihm immer so. Nur im Nachhinein fielen ihm schlagfertige Antworten ein, die ihm fehlten, wenn er sie brauchte. „Freut mich, daß es dir immerhin gelungen, ist mein Geschlecht zu identifizieren", antwortete sie. „Jetzt komm endlich." Es würde ihm weitaus weniger Probleme verursachen, mit ihr mitzukommen. Also folgte er ihr. Innerlich brannte er vor Scham. Er hatte sich verprügeln la ssen - zumindest ein wenig, aber immerhin - und das vor der ganzen Klasse. Und der einzige Grund, warum er noch am Leben war, war Toni, die einfach so reingesegelt war, um ihn zu retten. Wieviel schlimmer konnte sein Leben noch werden „Du brauchst einen Aufpasser", erklärte sie ihm. „Meldest du dich freiwillig für den Job?" knurrte er, ohne darüber nachzudenken, was er sagte. Zu seiner Überraschung drehte sie sich um und blickte ihn kritisch an. „Du bist ein Schwächling", stellte sie fest. „Du hast nicht mal den Mut, dich zu wehren." „Gewalt ist barbarisch" antwortete er ohne rechte Überzeugung. Toni grinste. „Stimmt. Aber wir leben in einer barbarischen Gesellschaft. Du kannst dich nicht mit Pazifismus durchmogeln,Brandon, egal wie sehr du daran glaubst." „Ich glaube nicht an Pazifismus!" schnauzte er sie an. „Aber wenn ich versucht hätte, mich zu wehren, hätte Rory mir was schlimmeres angetan als nur 'ne blutige Nase."„Da hast du recht", stimmte sie ihm zu. „Wie gesagt, du brauchst einen Aufpasser. Vielleic ht sollte ich dich in den nächsten paar Tagen im Auge behalten." Brandon lief rot an. In Begleitung eines Mädchens gesehen zu werden, würde seinen Ruf vollends zerstören. Klar, wenn es sich dabei um eine heiße Braut wie Brianne Waite handelte, wäre das durchaus okay, er würde sogar beneidet werden. Brianne war eine blonde Klassefrau zum Dahinschmelzen und jeder Macker in der Schule leckte sich nach ihr die Lippen. Selbstverständlich verachtete sie Brandon, und er fühlte den Stich ihrer harten Worte recht häufig. Zum Beispiel eben bei der Schlägerei... Toni war allerdings auch keine Kröte. Sie hatte kurzes dunkles Haar und ein recht nettes Gesicht. Dennoch war sie als Freundin für die Jungs in der Schule nicht akzeptabel. Ihr schien das allerdings völlig egal zu sein. Sie war zu den anderen Mädchen freundlich, aber an sich hielt sie sich von anderen zurück. Sie war zwar ziemlich sanftmütig, hatte aber feste Meinungen und keine Scheu, diese auch auszusprechen. Genau die Art von Person, die Brandon nicht leiden konnte. „Vielen Dank, aber ich denke, daß ich dein Angebot ablehnen werde", sagte er zu ihr. „Du hast überhaupt nicht zu entscheiden", antwortete sie. „Komm, die Krankenschwester wartet. Warum hat Rory die Sache überhaupt angefangen?" „Warum fällt Regen nach unten?" antwortete Brandon. „So ist es nun mal. Rory verkloppt gerne Leute, die klüger sind als er. Also so ziemlich der gesamte Rest der Menschheit. Wenn man ihn überhaupt als Mensch betrachten kann. Er wird jedesmal wütend, wenn's ihm dämmert, daß er doof wie ein Ochse ist, und er haßt mich, weil ich besser bin als er." „Du hast eine ziemlich hohe Meinung von dir, nicht wahr?" fragte Toni. „Warum nicht? Ich bin hier so ziemlich der Klügste, dasweiß schließlich jeder." ! Toni starrte ihn an, und er sah weg. „Wenn du nicht so überheblich wärst und nicht so ein Angeber, könnten dich die Leute vielleicht etwas besser leiden", erklärte sie ihm. „Ist mir völlig egal, was die Leute denken", knurrte er. „Sind sowieso wertlos." „Auch noch arrogant", sagte Toni zu sich selbst. „Was für 'ne tolle Mischung. Arroganz, Zorn, falsches Selbstbild und Feigheit. Nicht gerade Spitzenmaterial." „Dann laß mich gefälligst alleine!" verlangte Brandon, von ihrer Kritik getroffen. „Ich habe weder nach deiner Hilfe noch nach deiner Gesellschaft gefragt." Sie ignorierte seine Proteste und öffnete die Tür der Krankenschwester. Als er an ihr vorbeistürmen wollte, hielt sie ihn auf. „Ich werd' dich im Auge behalten, ob's dir gefällt oder nicht. Warum sollten wir daraus keine angenehme Erfahrung machen? Wie war's mit Pizza, nach der Schule. Du kannst mich einladen." „Kommt nicht in Frage", antwortete er. „Ich hab' keine Lust, mit dir gesehen zu werden." Sie lachte. „Na wenn schon", sagte sie. „Bis später." Schon war sie weg und ließ ihn an der Tür stehen. Was nahm die
sich denn raus? Kam überhaupt nicht in Frage, daß Brandon mit ihr rumlatschte. Zum einen wollte er sie nicht um sich haben. Außerdem würden ihn die anderen dann noch viel mehr verspotten. Und dann -Er gab angeekelt auf und ging hinein, um seine Nase untersuchen zu lassen. Der Tag war echt übel. Brandon war es zwar gelungen, Toni aus dem Weg zu gehen, nachdem ihn die Krankenschwester verarztet hatte, aber er wußte, daß sein Glück nicht andauern konnte. Warum tat sie ihm das an? War er denn einer ihrer streunenden Hunde, den sie so einfach adoptieren konnte? Oder hatte sie sich aus irgendeinem seltsamen Grund in ihn verknallt? Naja, egal, irgendwie würde er sie schon loswerden.Dann sah er sie den Korridor entlanglaufen, genau auf ihn zusteuernd. Brandon wurde von Panik ergriffen und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Das Jungenklo! Mit einem triumphierenden Lächeln ging er hinein. Hier war er sicher, zumindest für den Moment. Er ließ seinen Rucksack auf den Boden plumpsen und ging rüber zum Waschbecken. Er betrachtete sein Spiegelbild. Seine Nase war geschwollen und immer noch ein bißchen rot, aber ansonsten sah er gar nicht so schlecht aus. Er fühlte einen leichten Schmerz unter seinem Arm und er wußte, daß er dort eine Prellung hatte. Trotzdem war er aus dem Kampf glimpflich herausgekommen. Das einzige Problem war, daß er seine Rettung Toni verdankte und das schmerzte ihn mehr als seine Nase und sein Arm. Warum ließ sie ihn denn nicht einfach in Ruhe? Er starrte wieder in den Spiegel und ließ etwas kaltes Wasser über sein Gesicht laufen. Er fühlte sich schon besser. Plötzlich spannte er sich an. Etwas Seltsames geschah im Spiegel. Er bewölkte sich, als ob er mit heißem Dampf beschlagen wäre. Brandon war verwirrt, aber er dachte sich, daß wahrscheinlich etwas in der Schule nicht stimmte. Das Gebäude war vierzig Jahre alt und hatte alle möglichen Lecks, sowie Störungen und Fehlfunktionen aller Art. Ein beschlagener Spiegel war nichts, worüber man sich Sorgen machen mußte. Er sah, wie sich das Bild verzerrte, die Tiefenschärfe sich veränderte. Und dann bemerkte Brandon etwas sehr Ungewöhnliches. Mit kaltem Entsetzen starrte er in den Spiegel. Obwohl das Spiegelbild sich zunehmend verfremdete, war der Hintergrund davon völlig unberührt. Es veränderte sich nur der Teil des Spiegels, der sein eigenes Bild wiedergab... Und das veränderte sich wirklich. Sein Spiegelbild war um einige Zentimeter gewachsen, das Gesicht fülliger. Plötzlich war die Schärfe wieder voll da. Nur war es nicht sein eigenes Gesicht, das ihn anstarrte.Es war das Gesicht eines alten Mannes, so um die Sechzig. Es sah ihm irgendwie ähnlich, aber es mußte sich um jemanden ganz anderen handeln. Er starrte entsetzt in den Spiegel. Was ging hier vor sich? Ein Spiegel sollte einen selbst zeigen, nicht irgendeine alte Type. Und dann sagte sein Spiegelbild: „Hallo, Brandon."
Kapitel 3 Branden fragte sich, ob ihn Rory vielleicht nicht doch härter getroffen hatte, als er ursprünglich angenommen hatte. Das mußte eine Halluzination sein. Ein Spiegelbild, das nicht sein eigenes war sprach mit ihm durch den Spiegel... er wußte, daß das weder normal noch möglich war. Sein Spiegelbild schien das allerdings nicht zu wissen. „Beruhige dich", wies es ihn an, „ich bin keine Einbildung, und du bist nicht verrückt. Dies ist ein Notfall, und es gab keine andere Möglichkeit, dich zu kontaktieren." Während er seinen Kopf ungläubig schüttelte, trat Brandon langsam vom Spiegel weg. Das Bild blieb, wo es war. Brandon schluckte und bekämpfte die in ihm aufsteigende Panik. Zweifellos war er verrückt, er sah und hörte alle möglichen Dinge, aber auf keinen Fall würde er versuchen, der Halluzination zu antworten. „Ich weiß, daß das schwer ist für dich", sagte der alte Mann. „Und es wird noch sehr viel schwieriger werden. Aber ich muß dich sehen und zwar in festerer Form als diese hier." Er gestikulierte und seufzte. „Geh noch ein Stück nach hinten." Brandon ließ sich nicht lange bitten. Er war ohnehin schon dabei, aus der Toilette zu flüchten. Das einzige was ihn zurückhielt war die Angst, daß ihm die Halluzination vielleicht folgen würde und dann würde die ganze Schule wissen, daß er verrückt war. Wenn er schon seinen Verstand verlor, dann lieber ohne Zeugen. Also stellte er sich vor die Wand. „Gut", sagte der Alte. Seine Hand verschwand aus dem Spiegel, gerade so, als ob er ein Ausrüstungsteil einstellte. „Ich komme jetzt." Und dann bekam der Spiegel plötzlich Wellen, wie eineWasseroberfläche auf die man einen Stein wirft. Nur kam in diesem Falle der Stein heraus. Besser gesagt, der Mann kam heraus. Irgendwie gelang es ihm. aus dem Spiegel zu treten, als wäre dieser das Portal zu einer anderen Welt. Einen Moment stand er auf dem Rand des Waschbeckens und versuchte, die Balance zu halten, aber als das Waschbecken anfing, unter seinem Gewicht zu knirschen sprang er auf den Boden, recht flink für ein Mensch seines Alters. Er trug ein dunkles Kostüm, eine Art einteiligen Jumpsuit, wie ein Air Force Pilot, und einfarbige Stiefel. An seinem breiten Gürtel hingen verschiedene kleine Kontrollen und blinkende Lichter. Er blickte amüsiert und leicht angeekelt um sich. „Ich hatte ganz vergessen, wie heruntergekommen dieser Ort war", kommentierte er. Dann ging er zu Brandon hinüber und streckte ihm die Hand entgegen. „Nett dich endlich kennenzulernen, Brandon", sagte er. Brandon schüttelte die ausgestreckte und äußerst reale Hand. Wenn dieser Mann eine Illusion war, dann war es die realistischste, die Brandon je erlebt hatte. Wenn er wirklich verrückt war, dann immerhin mit einem gewissen Stil. „Wer sind Sie?" wollte er wissen. „Und wie haben Sie das gemacht?" „Na, immerhin kannst du sprechen", antwortete der Mann. „Ich würde es bevorzugen, die erste Frage vorerst nicht zu beantworten, denn das würde etwas kompliziert werden. Was die zweite Frage betrifft..." Er kaute einen Moment auf seiner Lippe. „Man muß lediglich Potentialfelder schaffen. Ganz so wie eine virtuelle Realität, wenn du so willst, nur daß man das Potential besitzt, vom Virtuellen ins Reale überzusetzen. Es ist ein zu weitläufiges Konzept, als daß du es jetzt verstehen könntest, aber in ungefähr dreißig Jahren wirst du die ganze Sache verstanden haben. Tatsache ist, daß du sie erfinden wirst." „Erfinden?" Das verstand Brandon überhaupt nicht. Woher konnte der Mann wissen, was Brandon mit seinemLeben anfangen würde? Niemand konnte das wissen, und Brandon glaubte nicht an den ganzen „Psychokinese"Müll, den die Klatschspalten im Supermarkt und die Besteller anpriesen. Außer... es gab noch eine andere Möglichkeit. „Kommen Sie aus der Zukunft?" Der Mann grinste. „Beim ersten Mal richtig geraten", sagte er und freute sich. „Ich komme in der Tat aus der Zukunft. Achtzig Jahre aus der Zukunft, um genau zu
sein. Und ich muß viel mit dir besprechen und dir viel zeigen, denn ich brauche deine Hilfe." „Sprechen Sie weiter", sagte Brandon. Es überraschte ihn, wie schnell er das, was der Mann ihm erzählte, als Wahrheit akzeptierte. Es war die einzige Alternative zum Wahnsinn, die einen Sinn ergab. Er glaubte nicht, daß er verrückt war. Wenn er allerdings wirklich verrückt war, würde er es selbstverständlich nicht glauben. Dennoch mußte er annehmen, daß er Ok war, denn er hatte keinen Beweis dafür, daß es anders sein könnte. „Noch nicht", sagte der Mann. „Und garantiert nicht hier. Hier kann schließlich jeder reinspazieren. Wir sollten uns nach der Schule im Wald treffen. Du weißt wo." „Häh?" Brandon starrte ihn verwirrt an. „Woher wissen Sie wo, wenn ich nicht einmal weiß, wer sie sind?" „Dein Versteck", antwortete der Mann. „Glaub mir, ich kenne es ebenso gut wie du. Und die Tatsache, daß das so ist, sollte meiner Geschichte mehr Glaubwürdigkeit verleihen, wenn wir uns wiedersehen. Jetzt muß ich gehen, falls noch jemand reinkommt. Bis später, Brandon." Er salutierte und berührte die Kontrollen an seinem Gürtel. Der Spiegel begann sich zu verformen, und der Mann sprang leichtfüßig auf das Waschbecken und dann in den Spiegel. Dieser wirbelte kurz auf und plötzlich starrte Brandon nur sein eigenes Spiegelbild an. Er lehnte sich nach vorne, wackelig auf den Beinen. Das alles war so irre, er konnte es kaum glauben. Ein Mann, der behauptete, aus der Zukunft zu kommen, wollte ihnnach der Schule treffen... Es schien verrückt, aber Brandon mußte annehmen, daß es so war. Es war in der Tat schockierend und verstörend, aber nicht verrückt. Er ließ sich ein weiteres Mal kaltes Wasser übers Gesicht laufen und trocknete sich ab. Dann verließ er die Toilette. Er zuckte zusammen, als er Toni Frost sah, die ihn anstarrte. Die hatte er völlig vergessen! „Na, das hat ja lange gedauert", sagte sie. „Nicht lange genug", knurrte Brandon. „Du bist ja immer noch hier. Warum läßt du mich nicht in Ruhe? Ich will mit dir nichts zu tun haben." „Hast du vergessen, daß wir nach der Schule Pizza essen gehen?" fragte sie ihn. „Dem hab' ich nie zugestimmt", protestierte er. „Schau, ich weiß nicht warum du an mir plötzlich so interessiert bist, aber mir ist es egal. Laß mich einfach in Ruhe, Ok?" „Damit du dich wieder verprügeln lassen kannst?" fragte Toni mit süßer Stimme. „Wenn ich es so will, ja." Brandon hatte keine Lust auf Wortspielereien. „Es ist mein Leben, und ich tue damit was immer ich möchte. Nicht das, was du oder irgend jemand von mir will." Sie sah ihn mit einem seltsamen Blick in den Augen an. „Du bist sehr selbstsicher, nicht wahr?" wollte sie wissen. , Ja", antwortete Brandon „Das ist mein Recht. Ich bin der Klügste der jemals in diese Schule gegangen ist oder
gehen wird. Ich bin vielleicht ein Schwächling, aber mein Hirn ist stärker als zehn Leute zusammen." „Und bescheiden", sagte sie trocken. „Selbst wenn du so schlau bist wie du sagst, damit anzugeben schreckt die meisten Leute ziemlich ab. „Dich zum Beispiel?" sagte er unhöflich. Toni schüttelte den Kopf. „Nein. Mich kann nichts mehr abbringen, wenn ich einmal einen Plan gefaßt habe. Du bist vielleicht der Klügste hier, aber ich bin die Starrköpfigste."Branden seufzte. „Und die Lästigste." „Stimmt." Nichts konnte sie beleidigen. „Also, ich seh' dich dann nach der Schule?" „Nein", knurrte er. „Zum einen möchte ich nicht mit dir gesehen werden. Außerdem hab' ich was zu tun. Also laß mich in Ruhe." Er drehte sich um und marschierte den Korridor entlang. „Also morgen", rief sie ihm nach. „Ich kann warten. Wenn auch nicht lange." Brandons Gesicht war glühend heiß. Warum tat sie ihm das an? Warum konnte sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Er wollte mit ihr nichts zu tun haben; warum konnte sie das nicht einsehen? Er zog entrüstet die Nase hoch, als er bemerkte, daß er beinahe in jemanden reingerannt wäre. Er mußte endlich aufhören, ständig beim Laufen seinen Gedanken nachzuhängen, und sich mehr darauf konzentrieren, sicher durch die Schule zu navigieren. Er sah die Person, die er beinah umgerannt hätte: Brianne. „Oh, hi", murmelte er, mit hochrotem Kopf. Brianne zuckte mit der Augenbraue und sähe ihn angeekelt an.„ Wenn das nicht unser Feigling ist", sagte sie herablassend. „Willst mich etwa auch übern Haufen rennen, was? Wenn du das tust, du Feigling, dann hau' ich dir mehr als nur die Nase blutig, das versprech' ich dir." Da er nicht wußte, was er sagen sollte, stand Brandon einfach nur da, fühlte sich dumm und schämte sich. Mit einem verächtlichen Schnauben lief Brianne an ihm vorbei und den Gang entlang. Brandon bemerkte, daß dieser kleine Wortwechsel vor Zeugen stattgefunden hatte, denn einer seiner Klassenkameraden spottete, „Gut gemacht, Romeo." Der Rest der Kinder, ungefähr ein Dutzend, brach in Gelächter aus. Brandon wurde noch röter und rannte davon. Konnte denn auch gar nichts gutgehen? Immer hackten sie auf ihm rum. Er wußte, daß es nicht seine Schuld war. Sie waren alle eingeschüchtert und hatten Angst vor ihm, weil er so viel schlauer war als sie. Siebenutzten jede sich bietende Ausrede, um ihn schlecht zu machen. Klassische Abwehrstrategie: Um sich selbst in besserem Licht zu präsentieren, mußte man einfach die, die besser sind als man selbst, schlecht machen. Nur daß es in seinem Fall nicht funktionierte. Er wußte, daß er besser war als sie, ihre Spötteleien konnten ihn nicht wirklich verletzten. Vielleicht nicht. Dennoch schmerzte es. Der Rest des Tages verging langsam. Mehrmals versuchten ihn andere zu veralbern, aber er bemühte sich, es zu ignorieren, egal wie sehr es ihm wehtat. Es waren igno-rante Idioten, deren Meinung so wertlos war wie ihre Gedanken. Aber es war dennoch unbequem, das Opfer ihrer Spaße zu sein. Schließlich war der Unterricht zu Ende und Brandon flüchtete aus der Schule. Seine Eltern waren beide berufstätig, also war es egal, wann er zuhause ankam. Für die nächsten paar Stunden konnte er tun und lassen was er wollte. Er rannte von der Schule zum nahen Wald. Eigentlich war es gar kein Wald, sondern die Ruine eines verlassenen Apartmentkomplexes. Verschiedene Häuser waren hier vor ungefähr fünfzehn Jahren gebaut worden, darunter das, in dem er selbst lebte. Aber dann hatte der Auftraggeber bankrott gemacht, und der Rest des Geländes wurde nicht weiter bebaut. Das Resultat war, daß es dort noch dichte Wälder gab. Schon als Kind war Brandon lieber mit sich selbst allein gewesen und vor ungefähr fünf Jahren hatte er einen coolen Platz entdeckt, wo früher mal ein alter Baum gestanden hatte. Er war durch heftige Stürme umgestürzt, und dort wo seine Wurzeln einst gewesen waren, befand sich jetzt eine Art Höhle. Als er die Stelle fand, wurde sie sofort zu Brandons Lieblingsplatz. Dort wollte sich der alte Mann mit ihm treffen. Falls der alte Mann tatsächlich existierte und nicht einfach ein Produkt von Brandons Phantasie war. DasHändeschütteln hatte sich immerhin real genug angefühlt. Und bis er das Gegenteil beweisen konnte, mußte Branden davon ausgehen, daß der alte Mann echt war und es ihm
irgendwie gelungen war, durch die Zeit zu reisen. Brandon war jedenfalls sehr aufgeregt. Er wollte mehr wissen. Warum sollte ein Zeitreisender ausgerechnet ihn aufsuchen? Was ging hier vor, und warum brauchte er Brandons Hilfe? Das alles war sehr interessant und recht spannend. Als Brandon sich der Höhle näherte, sah er, daß der alte Mann bereits da war und auf ihn wartete. Neben ihm stand ein überlebensgroßer Koffer. Er war von silbriger Farbe, war ungefähr einen Meter zwanzig hoch, einen Meter achtzig lang und einen Meter zwanzig tief. Als Brandon seinen Schritt beschleunigte, hob der alte Mann die Hand zum Gruß. „Ich bin froh, daß du deine Zweifel überwunden hast", sagte er als Begrüßung. „Schön, dich wieder zu sehen." Brandon nickte und betrachtete den alten Mann genau. Er sah tatsächlich so aus, als stamme er aus einer anderen Zeit. Er war eigenartig gekleidet, aber nicht allzu seltsam. Auf der anderen Seite, sein Gürtel sah anders aus, als irgend etwas das Brandon je gesehen hatte. Und da er ein Technikfreak war, hatte er schon allerhand komplizierte Geräte gesehen. „Sie hatten mir eine Erklärung versprochen", bemerkte er. „In der Tat", stimmte der alte Mann zu, während er sich auf den Koffer setzte. „Und es ist wichtig, daß du mich genauesten verstehst, damit du einsiehst, wie wichtig es ist, daß du mir hilfst." Er machte eine einladende Handbewegung und Brandon setzte sich. „Also zuerst einmal, wie ich bereits gesagt habe komme ich achtzig Jahre aus der Zukunft. Wie alt glaubst du bin ich?" Brandon konnte derartige Fragen nicht leiden. Die Leute erwarteten ständig, daß man ihnen schmeichelte, indem man sie jünger schätzte als sie wirklich waren. Brandon tat das nie. „Ungefähr sechzig", antwortete er wahrheitsgemäß.„Danke", antwortete der alte Mann mit einem Grinsen. „Eigentlich bin ich zweiundneunzig." „Zweiundneunzig?" Brandon starrte ihn erstaunt an. „Dann haben Sie sich ziemlich gut gehalten." Der Mann zuckte mit den Achseln. „In achtzig Jahren wird die Medizin gewaltige Fortschritte gemacht haben", antwortete er. „Ich bin eigentlich in guter Form. Es ist durchaus möglich, daß ich noch weitere fünfzig oder sechzig Jahre leben werde." „Cool", antwortete Brandon. „Aber was hat das mit mir zu tun?" „Es hat sehr viel mit dir zu tun, Brandon", antwortete der Zeitreisende. „Ich bin nämlich nicht irgendein Zweiundneunzigjähriger aus der Zukunft, ich bin du. Ich bin Brandon Mooney."
Kapitel 4 Branden starrte den alten Mann entsetzt an. Er weigerte sich zu glauben, daß er eines Tages so aussehen würde -alt und grau. Aber.... naja, eine gewisse Ähnlichkeit war durchaus vorhanden, das konnte er nicht abstreiten. Und zu wissen, daß er noch weitere achtzig Jahre zu leben hatte und Erfinder werden würde, war auch nicht schlecht. „Ich?" sagte er atemlos. „Ja", antwortete der Zeitreisende. „Du. Deshalb wußte ich, wo die Höhle ist." Er machte eine umfassende Handbewegung. „Ich bin hier sehr oft hergekommen, zumindest in meinen Erinnerung. Das alles existiert in meiner Zeit nicht mehr." Brandon versuchte seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Er war einfach überwältigt und mußte sic h erst einmal fassen. „Wie ist es denn dort, von wo du herkommst - von wann du herkommst?" fragte er. „Und wie hast du es gemacht? Und was wird mit mir geschehen?" Der alte Mann lachte. „Nur Geduld, ich werde versuchen, deine Fragen nach meinem besten Wissen zu beantworten, so, daß du es auch verstehst. Siehst du, eine Menge von dem, was ich dir zu erzählen habe, wird für dich keinen Sinn ergeben, da du die notwendigen Mechanismen noch nicht erfunden hast. Die Sache ist die, daß ich den Zeitfeld-Generator erst letzten Monat fertiggestellt habe, also kann ich es nicht in einfache Worte fassen. Laß es mich so versuchen: Der ZeitfeldGenerator umgibt mich mit einer Zeitblase. Normalerweise verläuft die Zeit im gesamten Universum in einer Richtung - von der Vergangenheit in die Zukunft. Jeder ist in die Zeit eingebettet. Was meine Erfindung vermag, um es mal so auszudrücken, ist, mich aus der Zeit herauszunehmen, so daß ich meinen Kurs rückwärts oder vorwärts beschleunigenkann, ich kann also vorwärts oder rückwärts durch die Zeit springen." „Du kannst also hingehen, wohin du willst?" fragte Brandon voller Eifer. Unglaublich! „Nein", antwortete sein älteres Selbst.„Ich kann mich nur durch die Zeit bewegen, nicht durch verschiedene Orte. Wenn ich hier hinspringe, werde ich auch hier ankommen. Ich muß also vorsichtig sein. Wenn ich zum Beispiel weitere zwanzig Jahre in die Vergangenheit springen würde, würde ich zu einer Zeit ankommen, in der dieser Baum noch steht, ich wäre also in seinem Inneren gefangen. Das könnte ich nicht überleben. Es gibt natürlich Ausnahmen, wie zum Beispiel, als ich mich im Spiegel materialisiert habe. Es ist eine Bewegung dimensionaler Permeabiliät." „Permea-was?" Er lächelte. „Später. Wie dem auch sei, ich kann rückwärts durch die Zeit springen - oder vorwärts - ohne Probleme. Ich mag es nicht besonders, weit zu reisen, weil ich dann nicht weiß, wie das Terrain bei meiner Landung ist. Bislang bin ich nur hierhin gesprungen." „ Willst du denn nicht die Vergangenheit erforschen?" fragte er, von sich selbst etwas enttäuscht. Er beschloß, sein älteres Selbst als „Mooney" anzureden, um Verwechslungen zu vermeiden. „Liebend gerne", antwortete Mooney. „Nur möchte ich nur ungerne in einer Wand oder einem Baum landen. Also muß ich vorsichtig vorgehen und sicherstellen, daß mir so etwas nicht passiert. Und außerdem habe ich den Zeitfeldgenerator nicht zum Spaß erfunden. Ich habe eine Mission, die ich erfüllen muß. Dazu komme ich noch." Er lächelte. „Du wolltest wissen, was aus dir wird. Nun, ich kann es dir sagen: Du wirst einer der reichsten und mächtigsten Männer der Welt." Brandon starrte ihn voller Erstaunen an.„Das ist wohl ein Witz.".Er schluckte. „Nein, kein Witz. Vergiß nicht, ich habe all diese Jahre erlebt. Und ich weiß, wie brillant du bist. Wenn du mitdem Studium fertig bist, wirst du Computer designen und in zehn Jahren wirst du die nächste Generation von Computern erfinden, die auf Kristallen basieren. Dadurch wirst du reich werden und danach werden deine Computer einen globalen Standard setzten. Durch sie werden alle möglich Maschinen entwickelt werden. Die Menschheit wird den Computer-Weltraum erobern. Und letztendlich wirst du den Zeitfeldgenerator erfinden." „Das klingt recht erstaunlich", antwortete Brandon, stolz auf seine Leistungen. „Ich kann's kaum erwarten, mit der Arbeit anzufangen."
Mooney lachte. „Weiter so. Und es erwarten dich noch viele andere Belohnungen. Erinnerst du dich an all die Kinder in der Schule, die dich immer malträtiert haben?" Brandon nickte. „Wie könnte ich das vergessen. Meine Nase tut immer noch weh von dem Schlag, den mir Rory Tucker versetzt hat." „Rory Tucker?" Mooney überlegte einen Moment lang. „Ah ja, jetzt erinnere ich mich. Ein großer dummer Tyrann." Er nickte. „In fünfzehn Jahren wird er zu einem ausgelaugten Football-Spieler werden .dessen finanzielle Investitionen schiefgehen. Kurz danach wird er sich erschießen. Geschieht ihm recht." Brandon fühlte sich eigenartig, als er das hörte. Ihm gefiel die Idee, daß Rory ein völliger Loser werden würde; das überraschte ihn nicht im geringsten und es schien auch gut zu passen. Aber der Rest... „Selbstmord?" Mooney nickte. „Er hatte weder den Mut noch die Fähigkeiten, es noch einmal anzupacken, also wählte er einen feigen Ausweg. Weißt du, ich hatte es ganz vergessen, bis du den Namen erwähnt hast. Geschieht dem Schläger recht. Die Welt ist besser dran ohne ihn." Das klang etwas zu gemein für Brandons Geschmack, aber er wollte den Punkt nicht weiter diskutieren. „Was wird aus den anderen?" fragte er. „Werden sie irgendwann merken, daß sie den Falschen fertiggemacht haben?" „Oh ja", versichterte ihm Mooney mit einem Lächeln.„Ich habe sichergestellt, daß einige von ihnen mich nicht vergessen werden. Zum Beispiel Andrew Dalbe. Erinnerst du dich an ihn?" Brandon würde Andre Daley niemals vergessen. Der Junge hatte ihn in der fünften Klasse immer gnadenlos fertiggemacht. „Ja, der ist letztes Jahr umgezogen. Ich hab' jetzt endlich meine Ruhe vor ihm." „Er wird eine Kette von Geschäften aufmachen, in ungefähr zwanzig Jahren. Seine Geschäfte werden sehr gut gehen", erklärte Mooney. „Das scheint mir nicht gerade fair", beschwerte sich Brandon. „Dachte ich auch", sagte der alte Mann. „Also habe ich ihn in den Bankrott getrieben." Er lächelte. „Es fühlte sich gut an, ihn um Gnade winseln zu sehen, Brandon. Ihm nach all diesen Jahren endlich heimzuzahlen was er mir angetan hat." Brandon nickte. Das klang echt gut. Aber dennoch schien es etwas... extrem. Er war sich nicht sicher, ob er wirklich so weit gehen wollte in seinem Bedürfnis, alte Rechnungen zu begleichen. Auf der andere Seite, wenn er das wirklich tat, mußte es ja recht und billig sein, sonst hätte er es gar nicht erst getan. „Und wie wäre es mit Brianne Waite?" schlug Money mit einem Lächeln im Gesicht vor. „Willst du wissen, was mit ihr geschieht?" „Brianne?" Brandons Gesicht lief rot an, als er an sie dachte. „Die Schultussi? Die ist immer am gemeinsten zu mit. Klar, ich würd' gern wissen, was aus ihr wird." Mooney lachte. „Sie wird dich heiraten, Brandon." „Heiraten?" Er zog die Nase hoch. „Kommt überhaupt nicht in Frage, würd' ich niemals tun." „Doch", antwortete sein älteres Selbst. „Sie mag dich nicht sonderlich, aber sie liebt Geld. Und du wirst sehr sehr reich sein. Als du sie eines Tages besuchst, wird sie sehr froh sein, dich zu sehen. Sie ist bereits verheiratet, und ihr Mann ist ein Versager. Du bietest ihr an, das alles zu ändern, also läßt sie sich von ihrem Mann scheidenund heiratet dich." Brandon konnte sich Schlimmeres vorstellen, als mit solch einer heiß en Braut verheiratet zu sein. „Klingt cool", gab er zu. „Aber wird sie mich lieben - in der Zukunft?" „ Sei nicht albern", schnauzte Mooney. „Sie liebt dein Geld. Die Macht. Die Parties. Sie hat sich nie für mich interessiert... dich. Aber ich wußte das. Und als sie sich einmal an diesen Lebensstil gewöhnt hatte, hab' ich mich scheiden lassen, hab' sie einfach abgeschoben, ohne einen Pfennig. Sie war so doof, einen Ehevertrag zu unterschreiben, der sie mit nichts zurückließ. Ich habe sie weggeworfen, nachdem ich ihr all das gezeigt hatte, was sie sich immer gewünscht hat - und dann habe ich es zurückgenommen. Erst dann merkte sie, wie dumm sie war." Brandon fühlte sich wieder unbehaglich. Dieser alte Mann - er selbst - schien bitter und sadistisch zu sein. Stimmte schon, er würde es Brianne schon gerne heimzahlen, daß sie so gemein zu ihm war. Aber alles hatte Grenzen. Bewußt ihre Ehe zu zerstören, um sie dann mit dem Abfall aus dem Fenster zu weifen, das schien... extrem. Er hatte Schwierigkeiten, sich selbst zu verstehen. Aber er nahm an, daß diese Unterschiede das Resultat seiner jahrelangen Lebenserfahrung waren. Vielleicht würden sich noch andere Dinge ereignen die ihn veränderten, die ihn abhärteten. „Und was ist mit Toni Frost?" fragte er.
„Wer?" Mooneys Gesicht zeigte Erstaunen. „Ich kann mich an den Namen nicht erinnern. Wer ist er?" „Sie", korrigierte Brandon. „Sie ist ein Mädchen in meiner Klasse. Kurz, dunkelhaarig, ziemlich eingebildet. Sie fing heute an, mich zu verfolgen und sie will mich einfach nicht in Ruhe lassen." Mooney schüttelte den Kopf. „Kann mich nicht erinnern", antwortete er verwirrt. „Aber ich kann mich nach achtzig Jahren schließlich nicht an jeden erinnern. Wahrscheinlich wird sie vertrocknen und vom Wind weg-geblasen werden. Auf jeden Fall hat sie mir nichts angetan, was mich so sehr genervt hätte, daß ich mich an sie erinnern könnte." „Oh." Brandon war wiederum nicht sicher, wie er sich fühlen sollte. Zum einen war es beruhigend zu wissen, daß sie ihn nicht mehr belästigen würde. Auf der anderen Seite... nun, irgendwie sagte es ihm doch zu, daß sie sich mit ihm abgab. Klar, sie war nervtötend, aber immerhin verspottete sie ihn nicht. Zumindest nicht so wie die anderen Kinder. Immerhin schien sie zu glauben daß er gut genug war, damit sie sich mit ihm abgab, und das war ihm schon lange nicht mehr passiert. Brandon versuchte, das alles immer noch zu verstehen. Sein Gehirn war wie ein Wirbelwind. Ideen und Gedanken wurden entwurzelt, an die Oberfläche gerissen, ebenso wie der Baum, neben dem er stand. Eigenartige Gedanken tauchten auf. „Du bist also zurückgekommen, um dich mit mir zu treffen - mit dir selbst", sagte er langsam. „Warum? Ich vermute, daß du dich daran erinnern kannst, wie es war, als du so alt warst wie ich und dieses Treffen stattfand." „Nein", sagte Mooney mit sicherer Stimme. „In meiner Vergangenheit hat sich das nie ereignet. Ich bin einfach nur erwachsen geworden." „Häh?" Brandon starrte ihn an, einen verlorenen Blick in den Augen. „Aber ich weiß mit Sicherheit, daß ich es nicht vergessen könnte, daß wir jetzt miteinander sprechen. „Völlig unmöglich. Du mußt dich also an dieses Treffen erinnern." „Nein", wiederholte Mooney. „Du mußt verstehen, daß ich die Vergangenheit nicht erschaffe, sondern verändere." Er sah Brandons verwirrten Blick. „Ok, versuchen wir's mal so: Ich bin in die Vergangenheit zurückgekehrt, um ihren Verlauf zu ändern. Erinnerst du dich, daß ich sagte, daß ich den Zeitfeldgenerator aus einem bestimmten Grund erfunden habe? Nun, der Grund ist, daß ich in die Vergangenheit reisen wollte um Begebenheiten zu ändern. Ich möchte die Zukunft, aus der ich komme, verhindern."Brandon verstand nun gar nichts mehr. „Ich kapier' das alles nicht", gab er zu. „Unser Treffen hat sich nie ereignet? Du willst versuchen, Dinge zu verändern?" „Nicht versuchen", entgegnete Mooney. „Ich habe Dinge bereits verändert. Meine Aktionen im hier und jetzt veränderen den Lauf der Zeit. Ich habe bereits zu sechs verschiedenen Gelegenheiten die Zeit verändert. Wenn ich jetzt in meine Zeit zurückkehren würde, wäre es eine andere Zeit als die, die ich verlassen habe. Allein dadurch, daß ich hier mit dir spreche, verändere ich die Zukunft. Als ich so alt war wie du, wußte ich daß ich für Großes bestimmt war. Aber welcher Art, das konnte ich mir nicht vorstellen. Jetzt habe ich es dir erzählt, also weißt du Bescheid. Vielleicht wirst du die Computerkristalle noch früher in deiner Karriere erfinden und den Zeitfeldgenerator vielleicht auch. Ich weiß es nicht." „Ok", sagte Brandon. „Ich glaube, daß ich die Sache langsam durchschaue, zumindest einige Aspekte. Du möchtest die Welt, in der du lebst, verändern. Warum?" „Es gibt nur einen Weg für dich, das zu verstehen", erklärte ihm Mooney. „Steh auf." Beide standen auf, und der alte Mann öffnete den Koffer. „Ich habe alles mitgebracht, was ich brauchen konnte", erklärte er. „Dies alles hilft mir bei meiner Mission." Er holte eine Box aus dem Koffer und öffnete sie. Darin lag etwas, das wie eine große Revolverkugel aussah. Vorsichtig hob er sie heraus. „ Das ist ein Virtual Reality Generator", erklärte Mooney. „Er ist mit einer Projektionseinheit in meiner Zeit verbunden. Wenn du ihn anziehst, kannst du sehen, wie meine Zeit aussieht. Dann werde ich dir erklären, was ich hier tue." Er hielt ihm den Helm entgegen. Brandon nahm ihn und sah ihn sich an. Innen drin befanden sich Platine mit grünen Kristallen. Offensichtlich seine eigene Erfindung. Nun, das hieß, daß es keinen Grund zur Besorgnis gab. Es mußte sicher sein. Er atmete tief ein und zog den Helm an. Für eine Sekunde war alles schwarz, und dann sah es soaus, als würde er in einer Art Büro stehen. Es sah alles so täuschend echt aus, daß er glaubte, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um Gegenstände zu berühren. Er fühlte den Helm auf seinen Schultern, konnte ihn aber nicht sehen.
Es war ein schönes Büro. Ein schwarzer Schreibtisch stand vor ihm, mit einem eingelassenen Computer-Panel. An der Wand war ein großer Bildschirm, der vage, sich verändernde Muster zeigte. Kunstwerke standen auf Podesten im Raum, sowie verschiedene einladende Stühle. „Dreh dich um", hörte er Mooneys Stimme, durch die Lautsprechanlage im Helm verzerrt. Brandon tat wie ihm gesagt, und stellte fest, daß er durch ein riesiges Fenster schaute. Was er sah, erschreckte ihn. Es sah aus wie eine Wüste, die man durch Unrat verschandelt hatte. Ein kahler Berg ragte hinter einem schmutzigen Fluß auf. Der Himmel war dunkel und bedrückend.,, Das ist ja... schrecklich", sagte er schockiert. Der Helm wurde ihm von den Schultern gehoben, und er befand sich wieder im Wald. Mooney nickte. „Es ist schrecklich. Und da ich einer der reichsten Männer der Welt bin, habe ich eine weitaus bessere Aussicht als die meisten meiner unglücklichen Mitbürger." „Wie können Menschen nur so leben?" fragte Brandon angewidert. „Sie können es nicht und sie sollten es auch nicht." Mooney nahm den Helm und legte ihn zurück in den Koffer. „Ich bin hier, um das alles zu ander. Ich weiß, was diese Zerstörungen verursacht hat, und ich möchte es für immer ändern. Ich möchte, daß meine Welt ein schöner Ort wird, in dem zu leben es sich lohnt. Nicht solch ein Trümmerhaufen." Brandon nickte. „Verstehe", sagte er. „Klingt nach einer guten Idee, und ich werde tun was ich kann um zu helfen. Aber was ist die Ursache?" Er machte eine weit ausho-lende Handbewegung. „Ich weiß, daß wir Umweltprobleme haben, aber nichts was dem gleichkommt." „Noch nicht." Mooney seufzte. „Das Problem ist, daß Menschen nicht logisch denken wollen. Sie geben ihren gesunden Menschenverstand für Gewohnheiten auf. Viele Menschen sind gierig, sie verstehen nicht, daß ihre Gier große Auswirkungen auf die Zukunft haben wird. Sie sind nicht wirklich böse, aber auch kleine Sünden können großen Schaden anrichten." Dann lenkte er auf ein anderes Thema um. „Kennst du Henry Brandt?" Brandon dachte einen Moment nach. „Oh, ja. Ich hab' da was in den Nachrichten gehört. Er ist gestern abend gestorben. Er war irgendein Multimillionär oder sowas." „Richtig." Mooney stimmte ihm zu. „Er war außerdem ein Industrieller, der die existierenden Umweltschutzgesetze abschaffen wollte. Sie beschnitten seine Profite. Also wollte er einige Politiker bestechen und so die Gesetze schwächen. Auf diese Art und Weise bekam er, was er wollte, und die Erde wurde verschmutzt. Ihn interessierte es schlichtweg nicht." Brandon verstand nicht recht. „Ich kapier' das nicht. Deine Welt ist sowieso verschmutzt. Und er kann das alles nicht getan haben, weil er gestern abend gestorben ist." „In meiner Welt hat er es getan", erklärte Mooney. „Wie gesagt, ich bin hier, um meine Welt zu verhindern. Ich habe sichergestellt, daß Brandt seine Pläne nicht in Taten umsetzten konnte. Ich habe ihn letzte Nacht umgebracht." Brandon ließ sich auf den Koffer plumpsen. „Du hast ihn ermordet?" „Ja." Mooney sah, daß er entsetzt zusammenzuckte. „Glaub' mir, Brandon, es war der einzige Weg. Ich mußte ihn stoppen." „Konntest du nicht einfach mit ihm darüber reden?" rief Brandon. „Warum hast du ihm nicht das gezeigt, was du mir gezeigt hast? Wenn er das gewußt hätte, hätte er niemals getan, was er tat." Mooney schüttelte den Kopf. „Ein liebenswerterGedanke, aber schlichtweg naiv. Glaub' mir, es hat mir nicht gerade Spaß gemacht, Brandt umzubringen. Aber er hätte mir niemals zugehört. Zum einen hat er mich nie zu sich vorgelassen. Leute die so reich sind wie er haben wenig Geduld für Dahergelaufene. Und meine Zeitreise-Geschichte hätte er mir bestimmt nie abgekauft." „Du hättest ihm den Helm zeigen können", protestierte Brandon. „Er hätte es für einen Trick gehalten", sagte Mooney starrköpfig. „Und wenn er mir geglaubt hätte, hätte er mich und mein Wissen nur benutzen wollen, um noch reicher zu werden. Er hätte wissen wollen, wie man die Zukunft zu seinem Vorteil verändert und nicht zu dem der Menschheit." Er lehnte sich nach vorn. „Glaub mir. Ich weiß, daß es so ist. Beim ersten Mal habe ich genau das versucht, was du vorgeschlagen hast, ich habe versucht, mit der Person zu reden. Als er mir endlich glaubte, wollte er mich einsperren, damit ich ihm helfen würde, noch reicher zu werden. Er wollte geradewegs die Welt beherrschen. Ich hatte keine andere Wahl als ihn zu töten." „Beim ersten Mal?" wiederholte Brandon. „Wieviele Leute hast du ermordet?"
„ Henry Brandt war der sechste", gab Mooney zu. Brandon fühlte sich wie gelähmt. Er würde zu einem Killer heranwachsen. Er konnte und wollte es nicht glauben. Dennoch saß er hier, sah in an und gab offen zu, sechs Menschen ermordet zu haben. Dann kam ihm ein Gedanke.„Es hat nicht funktioniert, nicht wahr?" fragte er. „Sie zu töten hat nichts verändert." „Doch", sagte Mooney mit schwerer Stimme. „Es hat alles noch viel schlimmer gemacht. Aber ich kann nicht einfach aufgeben. Ich muß die Zukunft verändern, damit die Menschheit eine Chance hat. Deswegen bin ich zu dir gekommen, Brandon. Ich brauche deine Hilfe. Du stammst aus dieser Zeit, und vielleicht verstehst du sie etwas besser als ich. Vielleicht kannst du mir bei meiner Aufgabe helfen. Vielleicht können wir gemeinsam denVerlauf der Zukunft verändern." Brandon versuchte noch immer dies alles zu verarbeiten. „Also was soll ich tun?" fragte er mit schwacher Stimme. „Ich möchte, daß du mich auf meinem Kreuzzug begleitest", erklärte Mooney voller Enthusiasmus. „Zusammen sind wir zu zweit. Ich möchte, daß du mir dabei hilfst, die nächste Person zu finden, die sterben muß." Brandon starrte ihn voller Entsetzen an. Mooney wollte ihn zu einem Killer machen...
Kapitel 5 „Ich weiß, daß das keine einfache Entscheidung für dich ist", sagte Mooney voller Sympathie. „Immerhin war es auch für mich keine einfache Entscheidung, und ich habe achtzig Jahre mehr Erfahrung als du. Aber wir sind uns so ähnlich, daß ich glaube, du kannst mich verstehen. „Nein", sagte Brandon. „Wir sind uns nicht ähnlich. Ich halte das Töten für falsch, gleich aus welchem Grund." Der bloße Gedanke schlug ihm auf den Magen. „Hitler", sagte Mooney schlicht und einfach. „Was?" Brandon starrte ihn an. „Wovon redest du?" „Es ist eine alte Frage", antwortete Mooney. „Angenommen du würdest durch die Zeit reisen und das Kind kennenlernen, das eines Tages zu Adolf Hitler heranwachsen wird -- das eines Tages die Welt in den totalen Krieg stürzen wird, das den Tod von Millionen von Juden, Zigeunern und anderen Unerwünschten in Konzentrationslagern anordnen wird - wenn du dieses Kind sehen würdest, wohl wissend, was es eines Tages anrichten würde - würdest du es umbringen?" Brandon stutzte einen Moment. Sie hatten den Holocaust in der Schule besprochen, und deshalb wußte er von diesen schrecklichen Ereignissen. Wenn man dies alles verhindern könnte, auch wenn der Preis der Mord an einem Kind wäre, wäre es das nicht wert? Oder wäre der Preis zu hoch?" Brandon wußte es einfach nicht. Er sah beide Seiten des Problems, und es mangelte ihm an der notwendigen Erfahrung, um die Frage zu beantworten. „Ich weiß es nicht", gab er zu. „Es klingt vernünftig, aber ist es das wirklich?" Er schüttelte den Kopf. „Mir ist das zu kompliziert." Mooney tätschelte ihm die Schulter. „Schon in Ordnung", sagte er. „Denk heute nacht darüber nach. Ich weiß, daß es eine schwierige Entscheidung ist. Ich treffe dich mor-gen hier, nach der Schule. Dann können wir noch ein Weilchen reden." Er lächelte. „Aber denk dran - du hast eine großartige Zukunft vor dir. Vorausgesetzt wir können die Probleme meiner Welt lösen." Brandon nickte und eilte nach Hause. Er mußte allein sein, brauchte Zeit zum Nachdenken. Was Mooney von ihn forderte, war gegen seine Einstellungen. Jemanden zu töten, gleich aus welchem Grunde, war schlichtweg falsch. Oder nicht? Und dann erinnerte er sich an die Landschaften der Zukunft, wo nichts leben konnte. Wie könnte es falsch sein, dies verhindern zu wollen, egal mit welchen Methoden? Wenn ein oder zwei Menschen dabei drauf-gingen, heiligte nicht der Zweck die Mittel? Brandon wußte es nicht. Er war schließlich erst zwölf -wie sollte er mit solch einem moralischen Dilemma umgehen! Also tat er das einzige, was er tun konnte: Er versuchte, die Sache für den Moment zu vergessen. Es gab keinen Grund, seinen Eltern davon zu erzählen. Sie waren okay, aber manchmal schienen sie in der Zeit zurückgeblieben. Sie würden ihn nicht verstehen. Was er brauchte, war ein Freund, jemand dem er vertraute, mit dem er darüber sprechen konnte. Aber er hatte keine Freunde. Die meisten Leute, die er kannte, wollten mit ihm nichts zu tun haben. Sie waren allesamt dumm, ausschließlich daran interessiert, fernzusehen oder die Sportseiten zu lesen und ähnliche hirnlose Aktivitäten. Stattdessen dachte er daran, wie die Zukunft aussehen würde. Sein älteres Selbst hatte gesagt, daß er wirklich berühmt sein würde, ein brillanter Erfinder, zudem noch schwerreich. Das klang soweit sehr gut. Dazu würde er sicherlich nicht nein sagen. Brianne Waite zu heiraten klang auch nicht schlecht. Sie war definitiv die schönste Frau, die er sich vorstellen konnte. Aber es gab auch Nachteile. Mooney sagte, daß er Brianne nur heiraten würde, um sich zu rächen, und dann würde er sie verarmt verstoßen. Vielleicht verdiente siedas ja wirklich, sie war ja immerhin ziemlich fies zu ihm. Aber war das nicht etwas extrem? Sein älteres Selbst schien es zu genießen, Menschen, die ihn verletzt hatten, weh zu tun. Brandon mußte gestehen daß es durchaus verlockend klang, es Leuten wie Rory Tucker heimzuzahlen. Der Schläger verdiente seine gerechte Strafe für die blutige Nase, die er ihm geschlagen hatte, und für all die anderen Male, die er auf Brandon rumgehackt hatte. Aber trotzdem, sein Leben zu ruinieren und ihn in den Selbstmord treiben schien ihm ziemlich extrem. Aber wenn Rory so schwach war, daß er sich auf Grund eines geschäftlichen Versagens umbrachte, war er ein noch schwächerer Charakter als Brandon angenommen hatte. Dennoch, Rache ist süß... Brandon konnte ein gewisses Kribbeln nicht unterdrücken, als er daran dachte,
wie Rory und Brianne für ihre Gemeinheiten ihm gegenüber zahlen würden. Was auch immer aus ihnen wurde, war ihre eigene Schuld, nicht seine. Wenn sie nur etwas netter zu ihm gewesen wären, hätte er ihnen keine Lektion erteilen müssen... Es war immer noch zu viel, als daß er es vollends hätte verstehen könne. Er beschloß, darüber zu schlafen und morgen nachmittag nach der Schule eine Entscheidung zu treffen. Brandon schlief schlecht, drehte und wälzte sich die ganze Nacht hindurch. Am Morgen fühlte er sich immer noch erschöpft. Schlecht gelaunt ging er in die Schule. Er fühlte sich keineswegs besser, als er Toni Frost sah. Offensichtlich hatte sie auf ihn gewartet und sie lief neben ihm her, als er die letzten paar Straßenblocks zur Schule entlangging. „Also", fragte sie ihn fröhlich, „ äst du deine Sache gestern erledigt? Gehen wir heute Pizza essen?" Er warf ihr einen finsteren Blick zu. „Kapierst du denn überhaupt nichts?" fragte er unhöflich. „Ich will mit dir nichts zu tun haben. Hab' ich mich klar ausgedrückt?" „Ich kenne jemanden, der wirklich miese Laune hat, heute morgen", antwortete Toni unbekümmert. „Bist dupleite? Wenn du willst, kann ich die Pizza bezahlen." „Es geht dir einfach nicht in den Dickschädel rein, wie? Ich will nicht mit dir zusammen rumhängen. Laß mich in Ruhe!" „Damit du dich mies fühlen kannst?" fragte sie. „So kannst du doch nicht dein ganzes Leben verbringen. Du verpaßt so viel. Hast du keinen Sinn fürs Abenteuer? Versuch doch mal was anderes. Amüsier dich." Sie drehte ihren Kopf um und blickte ihn an. „Weißt du, ich hab' dich noch nie lächeln sehen. Du würdest bestimmt besser aussehen wenn du es tätest. Warum versuchst du's nicht mal?" Seine Laune war am Boden. „Weil ich nichts habe, was mich freuen würde", sagte er. „Warum läßt du mich nicht allein? Das würde mich aufheitern!" „Blödsinn", antwortete Toni. „Es gibt vieles, was dich glücklich machen könnte. Schau dir zum Beispiel mal dieses niedlich Hündchen an." Er blickte an die Stelle, wo sie mit ihrem Finger hinzeigte. Ein kleiner Highland-Terrier rollte sich in einem Garten auf dem Rücken, seine Pfoten spielerisch in die Luft gestreckt. „Der ist glücklich", bemerkte Toni. „Nichts Kompliziertes, er genießt einfach die Welt. Wenn der das kann, kannst du es auch." Sie grinste. „Ich möchte, daß du dich auf den Rücken legst und deine Beine in die Luft streckst. Ich versprech's auch für mich zu behalten." „Das ist doch nur ein doofer Hund", schnauzte Brandon. „ Ich hasse Tiere. Und ich hab' garantiert nicht vor, mich wie ein Hund zu benehmen weil's dir Spaß macht." Toni seufzte. „Du haßt doch Tiere nicht wirklich", sagte sie. „Die sind so süß. Wie kann man nur so einen Hund nicht mögen?" Brandon rümpfte die Nase. „Alles was Hunde wollen ist was zu fressen und ein paar blöde Spielsachen. Man gibt's ihnen, sie geben einem nichts zurück. Warum sollte ich sowas mögen?" „Nichts?" Toni starrte ihn an. Endlich war es ihm gelun-gen, etwas zu sagen was sie reizte. „Sie geben dir Zärtlichkeit und Treue. Niemand ist einsam, solange er einen Hund hat, der einen liebt. Aber du hast ja nicht einmal das, oder? Du bist ein miserabler Mensch, weißt du das?" „Wenn ich so mies bin, solltest du dich lieber nicht mit mir abgeben", schoß Brandon zurück. „Sonst stecke ich dich noch an." Toni schüttelte den Kopf. „Ganz im Gegenteil, Brandon Mooney. Ich hänge um dich rum, damit ich dich anstecke. Weißt du, ich glaube nämlich zu wissen, daß irgendwo da drinnen ein ganz netter Typ steckt. Er ist nur vergraben unter diesem Berg von Wut, Ressentiment und Schmerz. Ich bleibe hier, bis er sich wieder herausgraben kann." „Darauf kannst du lange warten", sagte Brandon. Er konnte ihre Versuche, ihn zu analysieren, überhaupt nicht leiden. Außerdem lag sie völlig daneben. Er war überhaupt nicht so. „Dann warte ich eben", antwortete sie schlicht. „Aber es wird nicht lange dauern. Alles was du tun mußt ist, deinen Zorn loszulassen und ein paar nette Dinge für andere Menschen zu tun. Eh' du dich versiehst, genießt du das Leben." Brandon rollte mit den Augen. Was für eine simplizisti-sche Philosophie. Er wußte nicht mal genau, warum er sich mit ihr stritt, außer daß er sie nicht in dem Glauben lassen wollte, sie habe den Streit gewonnen, weil er plötzlich schwieg. „Ich bin nicht zornig!" „Natürlich bist du es", sagte Toni. „Du bist so zornig, daß wenn dir jemand eine Pistole gäbe, während du neben Rory Tucker stehst, du ihn erschießen würdest. Oder etwa nicht?"
Brandon war plötzlich schockiert und sprachlos. Es war beinah so, als hätte Toni rausgefunden, was ihm in Kopf umherspukte. Natürlich war das unmöglich. Sie benutzte nur irgendeinen billigen psychologischen Trick, den sie in einer Illustrierten gelesen hatte. Sie war natürlich imUnrecht, aber die Tatsache daß sie seinen Gedanken sehr nahe gekommen war, beunruhigte ihn. „Ich glaube, daß es nicht richtig ist, Menschen zu ermorden", sagte er. „Ganz gleich aus welchem Grund." „Na, ich bin froh, daß du wenigstens an etwas glaubst", erwiderte sie. „Es ist nicht viel, aber immerhin ein Anfang. Vielleicht können wir darauf aufbauen und doch noch einen guten Menschen aus dir machen. Als nächstes solltest du lernen, daß man Menschen aus Haß umbringt, und dann solltest du deine ganze Ressentiments und den ganzen Haß der in dir aufgestaut ist, aufgeben. Sonst, wirst du eines Tages explodieren." Er ignorierte ihre alberne Bemerkung und konzentrierte sich auf eine Sache, die sie gesagt hatte, die ihn interessierte. „Menschen umzubringen hat nicht unbedingt was mit Haß zu tun", erklärte er ihr. „Man kann Menschen auch aus guten Gründen umbringen." „Echt?" Sie rümpfte die Nase. „Zum Beispiel im Krieg, wo's okay ist einen anderen Menschen zu ermorden, nur weil er auf der anderen Seite steht als du?" „Vielleicht", erwiderte Brandon. „Aber ich dachte mehr daran, jemanden aus positiven Gründen umzubringen." Sie war nervtötend, aber vielleicht konnte sie ihm helfen, die Sache zu durchdenken. „Angenommen, du könntest in die Zukunft sehen. Und du würdest herausfinden daß, zum Beispiel, Rory Tucker ein General werden wird und den dritten Weltkrieg auslösen wird. Und dann wird er die gesamte Menschheit ausrotten. Und du bist hier, im jetzt, Rory Tucker ist noch nicht erwachsen. Wenn du ihn heute umbringen würdest, würdest du den dritten Weltkrieg verhindern und die Menschheit retten. Wäre das nicht ein Beispiel, daß man jemanden aus guten Gründen umbringen kann?" , Junge, Junge, das ist ziemlich an den Haaren herangezogen", antwortete Toni, „Aber ich glaube, die Antwort ist immer noch nein. Man kann kein gutes Ziel durch einen bösen Akt erreichen. Es funktioniert nicht. Böse Methoden vergiften den Zweck. Auch wenn du die Weltrettest, bist du immer noch ein Mörder. Vielleicht ist die Welt besser dran, aber du bist es nicht. Außerdem weißt du ja gar nicht, ob Rorys Tod den dritten Weltkrieg wirklich verhindern würde. Vielleicht würdest du zu dem General heranwachsen, der den Krieg auslöst. Der Krieg könnte sich immer noch ereignen, aufgrund der conditio humana der ganzen Welt, und nicht der eines einzelnen Menschen oder dessen Aktionen." Darüber hatte er noch gar nicht nachgedacht, aber ihm fiel auf, daß sie recht hatte. „Du behauptest also, daß selbst wenn jemand Hitler ermordet hätte, der zweite Weltkrieg vielleicht doch stattgefunden hätte?" fragte er. „Vielleicht hätte er nicht stattgefunden", antwortete sie. „Aber ich bezweifle es. Hitler was schließlich nicht allein. Er hatte eine Menge Leute, die mit ihm zusammengearbeitet haben - Goebbels und Bormann und all die anderen. Wenn Hitler nicht das Dritte Reich geführt hätte, dann vielleicht ein anderer. Immerhin war es das gesamte soziale Klima Deutschlands in jener Zeit, das den Krieg herbeigeführt hat, und nicht der Wahnsinn eines Einzelnen. Klar, das hat geholfen, aber es war ja nicht nur er." Sie schauderte. „Es steckt schließlich in jedem von uns ein wenig von Hitler, weißt du? Wir glauben, daß wir wissen was für alle anderen am besten ist, wenn sie nur auf Dummheiten hören. Der Glaube, daß Vorurteile in manchen Situationen Ok sind. Manchmal ist es zu verlockend, diesen Gefühlen nachzugeben. Aber dennoch sollten wir es nicht tun." Brandon starrte sie erstaunt an. Seine schlechte Laune war verflogen, als er ihr zuhörte. Sie hatte recht. Hitler zu töten war nicht die Lösung. Es war schließlich nicht nur ein einziger Mann schuldig, sondern eine Menge Faktoren. Das war der Grund warum sein älteres Selbst den Krieg gegen die Umweltzerstörung nicht gewann. Er versuchte, eine einzelne Person aus dem Spiel zu nehmen, anstatt die Zusammenhänge zu sehen. Tonis Erklärungen ergaben einen gewissen Sinn.Sie mißverstand sein Schweigen. „Ja ich weiß. Du denkst wahrscheinlich, daß ich nur eine dumme Göre bin, die ihre Meinung für sich selbst behalten soll, stimmt's?" „Nein", sagte er und fühlte, wie seine Lippen sich zu einem Lächeln verzogen. „Im Gegenteil, Toni, Ich finde was du gesagt hast, ergibt viel Sinn. Ich wünschte, ich hätte es allein rausfinden können." Sie zwinkerte ihm zu, verwirrt aber erfreut. „Brandon Mooney, mir scheint du lächelst. Vielleicht gibt es für dich ja doch noch Hoffnung. Ich wünschte nur, ich wüßte was ich richtig gemacht habe. Ich meine, du hast doch nicht allen Ernstes daran gedacht, Rory Tucker zu ermorden um die Zukunft zu retten, oder
doch?" „Nichts dergleichen, nein", versicherte er ihr. „Aber ich hatte etwas, was mich bedrückte, und du hast mir damit geholfen." Er fügte hinzu: „Vielleicht werd' ich dich doch noch zu 'ner Pizza einladen. Aber heute geht's nicht, ich hab' nach der Schule was zu tun. Wie war's mit morgen?" Toni sah ihn erstaunt an und nickte. „Okay, gehen wir zusammen." Dann grinste sie. „Ich meine, zusammen zum Essen, natürlich", fügte sie hinzu. „Nicht als Junge/Mädchen oder so. Ich will dich nicht erschrecken." Brandon blickte sie mit neu gewonnenem Respekt an. Sie kamen an der Schule an, und er ging in Richtung seiner Klasse. „Vielleicht würde es mich nicht erschrecken", sagte er und trollte sich. Seine eigenen Worte überraschten ihn. Was ihn noch mehr überraschte war, daß er es ernst meinte. Seine ersten Eindrücke bezüglich Toni waren falsch gewesen. Sie war vielleicht doch kein Idiot. Sie war sogar ziemlich schlau. Beinah fast so schlau wie er. Mit besserer Laune verlief der Schultag gleich viel angenehmer. Toni gesellte sich beim Mittagessen zu ihm. Zu seiner Überraschung stellte Brandon fest, daß ihn das überhaupt nicht störte. Ganz im Gegenteil, er genoß es mit ihr zu quatschen. Eigentlich redete vorwiegend sie, er hörte nur zu. Aber sie war interessant und leidenschaftlich an verschiedenen Dingen interessiert. Beinah wäre es ihrgelungen, ihn zu überreden, der „National Wildlife Föderation" beizutreten und die Wölfe zu retten. Nach der Schule machte er sich auf den Weg zu seiner kleinen „Höhle". Mooney wartete bereits auf ihn. Der alte Mann sah in eifrig an. „Ich bin froh, daß du zurückgekommen bist", sagte er fröhlicher Stimme. „Hast du dich dazu entschieden, dich mir anzuschließen um die Welt zu retten?" „Nein", informierte ihn Branden. „Weil ich nicht glaube, daß das was du tust, funktioniert." Das Lächeln des alten Mannes war plötzlich wie weggewischt. „Aber ich war mir sicher, daß du zu der Überzeugung gelangen würdest, daß ich im Recht bin", sagte er trotzig. „Ich muß meine Zeit vor ihrem Schicksal bewahren. Sicherlich stimmst du mir zu, daß das ein lohnens-wertes Ziel ist." „Einhundert Prozent", stimmte Brandon zu. „Nur töten darf man dafür nicht." Er atmete tief ein. „Ich habe mit einem Mädchen in meiner Schule gesprochen, und sie hat mich überzeugt, daß es nicht so einfach ist die Zukunft zu verändern. Ich habe darüber nachgedacht und kam zu der Überzeugung, daß sie recht hat." „Sie hat dich verdorben", grummelte Mooney. „Überhaupt nicht", beharrte Brandon. „Sie hat mir nur geholfen, klar nachzudenken. Du siehst Verschmutzung und Verwesung in deiner Zeit und du hast alles auf einen Mann, der eine Tat begeht, reduziert. Du glaubst, daß sein Tod dies alles verhindern wird, aber das stimmt nicht." „Selbstverständlich wird es", argumentierte Mooney. „Zum Beispiel Brandt. Seine Firmen verschmutzen die Welt, sein Tod wird dies verhindern." „Aber es hat nicht geklappt", erwiderte Brandon. „Und ich kann dir sagen warum. Weil derjenige, der nach Brandts Tod die Firma übernommen hat, die selben Ideen hat wie Brandt. Also haben sich die Dinge nicht verändert. Außerdem ist es Brandt nur gelungen, die Welt zu verschmutzen, weil er Politiker bestochen hat. BrandtsTod macht die nicht weniger korrupt. Wenn er sie nicht besticht, dann ein anderer. Das Resultat ist dasselbe: Deine Welt wird zu Tode verschmutzt. Brandts Tod änderte nichts. Er kann es gar nicht." Moone schüttelte den Kopf. „Das stimmt nicht", beharrte er. „Das kann nicht stimmen. Ich kann nicht glauben, daß es für meine Welt keine Hoffnung gibt. Ich kann nicht! Und ich werde es nicht zulassen, bloß weil du beschlossen hast, daß das Kämpfen keinen Sinn hat." Er starrte Brandon an. „Ich hatte gehofft, daß du mir helfen würdest, aber wenn dem nicht so ist, dann bleib mir gefälligst vom Hals. Ich werde meine Welt retten, auch wenn du mir nicht hilfst." Brandon starrte ihn an und es dämmerte ihn das der Alte immer noch nicht verstand. „Du planst einen neuen Mord, nicht wahr?" fragte er. „Ja." Mooney starrte ihn düster an. „Ein Mann namens Troy Ryder. Ich habe nachgeforscht, und in acht Jahren wird er einen riesigen Ölteppich verursachen, der fast alles Leben in der Wildnis Alaskas ausrotten wird. Das Wasser wird verschmutzt werden und Tausende von Eskimos werden sterben. Das Terrain wird auf Jahre hinaus unbewohnbar werden. Dich geht das wohl nichts an, aber mich schon. Und ich werde sicherstellen, daß es nicht geschehen wird." Brandon öffnete seinen Mund um etwas zu entgegnen, aber Mooney war verschwunden. Er hatte seinen Zeitfeldgenerator benutzt, um zu entfliehen. Er würde einen weiteren Mord begehen.
Kapitel 6 Branden wußte nicht, was er tun sollte. Mooney war ganz offensichtlich bereits unterwegs, um Troy Ryder umzubringen, ein weiterer Versuch die Zukunft zu verändern. Er war natürlich sehr verärgert, daß Branden sich geweigert hatte, ihm zu helfen, aber es war ihm schlichtweg unmöglich, das mit reinem Gewissen zu tun. Jemanden umzubringen würde überhaupt nichts nützen, das wußte er. Aber jetzt wußte er, daß Mooney mit oder ohne ihm seinen Plan durchführen würde, er war also der Mithilfe zum Mord schuldig. Branden war sich ziemlich sicher, daß das die korrekte Rechtsterminologie war. Wenn er Mooney nicht aufhalten würde, wäre es ebenso schlimm, wie wenn er ihm geholfen hätte. Aber wie kann man jemanden aufhalten, der durch die Zeit reisen kann? Branden fiel nur eines ein: Die Polizei davon zu verständigen, daß jemand, wer auch immer das sein möge, versuchen würde Ryder umzubringen. Das Problem war, daß er sich wie ein Verräter fühlte, wenn er sein älteres Selbst einfach so hinterging.. Was wenn die Polizei Mooney festnehmen würde und ihn einsperren würde? Was dann? Je länger er über das Problem nachdachte, umso verwirrter wurde er. Er wollte nicht, daß sein älteres Selbst verhaftet werden würde, aber was sollte er tun? Er konnte nicht einfach rumsitzen und den Mord geschehen lassen. Branden rannte durch den Wald nach Hause. Er mußte die Polizei anrufen. Aber dann hielt er an. Sie würden sicherlich wissen wollen, wer er war und woher er wußte, daß ein Mord geplant wurde. Seinen Namen wollte er ihnen nicht sagen. Wenn sie Mooney fingen, würden sie sich fragen, wer er war. Sie hatten sogar die selben Fingerabdrücke. Also mußte er einen anonymen Anruf tätigen. Nur, wenn er von zuhause anrief, konnte die Polizei mit Sicherheitden Anruf zurückverfolgen, was die ganze Sache sinnlos machte. Also mußte er den Anruf von einer Telefonzelle aus erledigen. Und der Notruf war immerhin umsonst. Er überlegte einen Moment und erinnerte sich dann, daß sich außerhalb der Pizzeria bei der Schule eine Telefonzelle war befand. Die wäre perfekt. Sie zu erreichen dauerte nur eine Minute. Die Pizzeria war ziemlich voll, da sie nach der Schule sehr beliebt war. Jemand den Brandon entfernt kannte, war am Telefon, also wartete er ungeduldig, bis er fertig war. Dann griff er den Hörer und wählte den Notruf. Er verlangte, mit der Polizei verbunden zu werden. Spannung und Angst verknoteten ihm den Magen. Er war sich fast sicher, daß er die richtige Entscheidung getroffen hatte... aber er fühlte sich dennoch miserabel. „Ich möchte einen Mord melden", sagte er zu der Politesse, als sie das Telefon abnahm. „Ist jemand ermordet worden?" fragte sie. „Noch nicht", sagte er. „Wenigstens nehme ich das an. Der Name des Mannes ist Troy Ryder. Sagt Ihnen das etwas?" „Nein", entgegnete die Politesse. „Können Sie mir mehr Details geben?" „Leider nein", antwortete Brandon. „Alles was ich weiß ist, daß ich einen Mann belauscht habe, der behauptete, heute abend Troy Ryder umbringen zu wollen. Ich glaube, daß er hier irgendwo wohnt, aber wo weiß ich nicht." „Ich verstehe." Kurze Pause. „Ich brauche mehr Informationen", sagte sie ihm. „Was ist Ihr Name und Ihre Adresse?" Ups. Der Knoten in seinem Magen drehte sich noch enger zusammen. „An, das würde ich lieber nicht sagen", sagte er zu ihr. „Ich verstehe." Ihrer Stimme nach mißtraute sie ihm. „Und wo haben Sie den Mann belauscht? Können Sie mir seinen Namen nennen, oder eine Beschreibung geben?" Autsch! „Äh, ich kenne seinen Namen nicht", log er. „Aber er ist ungefähr einsachtzig groß und hat graues Haar. Er ist etwa sechzig Jahre alt und schwarz gekleidet."Eine weitere Pause, dann sagte die Dame: „Jetzt hören Sie mir mal zu, junger Mann. Sie rufen von der Telefonzelle bei der Pizzeria an. Wir hatten von dort schon einige Scherze. Wenn Sie mir Ihren Namen und Ihre Adresse nicht geben wollen, werde ich annehmen, daß dies ebenfalls ein Scherz ist. Ihr Kids solltet es eigentlich besser wissen."
„Das ist kein Scherz!" schrie Branden. „Sie müssen mir glauben! Troy Ryder ist in Lebensgefahr! Sie müssen ihn warnen und beschützten. Sie müssen!" „Das werden wir auch tun", sagte die Dame. „Aber wir würden uns sehr viel besser fühlen, wenn Sie uns Ihren Namen geben könnten." Dann fiel Brandon etwas auf, was ihn erschreckte. Sie wußte, woher er anrief. Sie hatte den Anruf aufgezeichnet. Er war sich sicher, daß sie einen Polizeiwagen losschicken würde, um herauszufinden, wer das Telefon benutzte. Sie wollte ihn nur am Telefon halten, bis die Polizeistreife ankam! Er legte auf und schaute sich um. Dann ging er blitzschnell in den Schreibwarenladen neben der Pizzeria. Während er das tat, kam ein anderer Junge aus der Pizzeria und ging in die Telefonzelle. Brandon war in dem Laden und schaute durchs Fenster. Weniger als zwanzig Sekunden später fuhr ein Polizeiwagen vor. Ein Polizist stieg aus und ging zu dem Jungen in der Telefonzelle. Das war knapp gewesen! Sie würden sicherlich merken, daß sie den falschen Jungen hatten. Und dann kam Brandon ein anderer Gedanke: Der Junge mußte ihn am Telefon gesehen haben; er war vielleicht in der Lage, ihn zu beschreiben. Vielleicht hatte er sogar gesehen, wie Brandon in den Schreibwarenladen ging... Brandons Handflächen wurden feucht, als er sah das sich der Polizist dem Jungen näherte. Er konnte jeden Moment in große Schwierigkeiten geraten. Und dann sah er den Polizisten. Er ließ den Hörer fallen und fing an zu rennen. Der Polizist lief ihm hinterher. Was war los? Brandon mochte seinen Augen nicht trauen.Eigenartig. Neben ihm bewegte sich etwas, und ein Mädchen, das ein paar Jahre älter war als Brandon starrte neben ihm durch das Fenster. Sie stieß ein kurzes Lachen aus, als sie sah wie der Polizist das fliehende Kind ergriff. „Geschieht ihm recht", meinte sie. „Wir haben uns alle gefragt, wann die Bullen ihn endlich schnappen würden." Brandon war verwirrt. „Was hat er denn getan?" Das Mädchen grinste. „Er hat den Leuten ständig Telefonstreiche gespielt und sie genervt. Sieht so aus, als hätte er diesmal nicht schnell genug aufgehängt." Sie zuckte die Achseln und ging zurück zu ihren Teenagerillustrierten. Was für ein unglaubliches Glück. Die Polizei hatte einen echten Streichespieler geschnappt. Das hieß, daß sie nicht nach Brandon suchen würden und er in Sicherheit war. Der Junge würde zweifellos den Troy-Ryder-Anruf nicht auf sein Konto nehmen wollen, aber würde ihm die Polizei Glauben schenken? Oder würden sie annehmen, daß das auch ein Streich war? In dem Falle würden sie Troy Ryder nicht warnen. Brandon konnte dieses Risiko nicht auf sich nehmen. Ihm fiel ein, ins Telefonbuch zu schauen und den Mann selbst anzurufen, um ihn zu warnen. Er wartete, bis die Polizisten den Jungen ins Auto verfrachtet hatten und davonfuhren. Dann rannte er aus dem Laden heraus und ging schnell nach Hause. Da seine Eltern noch nicht zuhause waren, schaute er ins örtliche Telefonbuch. Den Namen Troy Ryder konnte er allerdings nicht finden. Dann fiel ihm ein, daß sein Vater eines dieser CD-ROMTelefonverzeichnisse besaß. Er war Versicherungsvertreter und brauchte oft schnellen Zugriff auf alle möglichen Telefonnummern. Er ging ins Arbeitszimmer und schaltete den Computer ein. Als die Systeme hochgefahren waren, suchte er nach der Diskette. Immer noch kein Eintrag für Troy Ryder. Es gab zwei T. Ryders, aber er wußte nicht, ob einer von denen wirklich Troy war. Der eine lebte in Kalifornien, der andere in Idaho. Beide schienen etwas zu weit weg zu sein. Mooneyhatte erwähnt, daß er nur durch die Zeit reisen konnte, nicht durch den Raum. Er mußte also nach jemandem suchen, der hier in der Nähe wohnte. Branden schlug mit der Faust auf den Tisch. Er war frustriert. Er versuchte das zu tun, was er für richtig hielt, aber nichts funktionierte. Ihm fiel nichts mehr ein. Was auch immer passieren würde, er hatte alles versucht. Er hoffte nur, daß er damit leben konnte. Mooney hatte Ryders Haus ohne große Schwierigkeiten gefunden. Ebenso wie Brandt bevorzugte es auch Ryder, unerkannt zu leben. Er lebte mit seiner Familie zusammen in einem riesigen Haus auf einem großen Gelände. Aber während Brandt lieber alleine blieb, ging Ryder ständig auf Parties. Es war kurz nach Sonnenuntergang, aber das Haus erwachte jetzt erst richtig zum Leben. Autos fuhren vor und spuckten Gäste aus. Mooney beobachtete das alles von der gegenüberliegenden Straßenseite aus, wieder einmal auf einem Baum hockend. Durch seinen Fernstecher blickte er auf Ryders Haustür. Heute nacht war eine große Party angesagt. Seinem Buch nach war das ziemlich
alltäglich hier. Ryder liebte es, Menschen um sich zu haben. Aber er war kein einfacher Angeber. Der Mann spendete viel für wohltätige Zwecke und diese Party war höchstwahrscheinlich dazu gedacht, Geld für AIDS-Forschung aufzutreiben, oder für die Rettung einer bedrohten Tierart. Mooney fand das äußerst ironisch, da Ryders Firmen die Erde vergifteten und die Lebenserwartung der Menschen im nächsten Vierteljahrhundert erheblich senken würden. Ryder war sich seiner eigenen Verlogenheit offensichtlich nicht bewußt und dachte, daß er mit seinen Stiftungen viel Gutes tat, während er im Privatleben Sünden beging, die seine guten Taten in den Schatten stellten. Die Menschen waren erstaunlich gut darin, ihre Gewissen zu beruhigen. Ryders Versuche, etwas Gutes zu tun, waren nicht mehr als ein Pflaster auf der entzündeten Wunde, welche die Welt seinen echten Spenden zu verdanken hatte. Mooneykonnte es nicht zulassen, daß er so weitermachte. So wie es aussah, kam die Party gerade erst in Schwung. Mooney konnte die Töne einer Big Band irgendwo im Haus vernehmen. Die ganze Angelegenheit würde sicherlich noch einige Stunden dauern. Jeder andere hätte warten müssen. Mooney stellte einfach seinen Gürtel auf ein paar Stunden in die Zukunft ein. Sein Sichtfeld verschwamm und wurde dann wieder klar. Die Sterne waren sichtbar und die Nacht war kühl. Aber die Party war immer noch in vollem Gang. Nun, vielleicht sollte er Ryder seine letzten paar Stunden auf dieser Welt in Ruhe genießen lassen. Er schaltete seine Kontrollen noch einmal zwei Stunden in die Zukunft. Als sich sein Sichtfeld klärte, sah er, daß der Zeitpunkt diesmal besser gewählt war. Es war bereits drei Uhr morgens und mehrere Autos fuhren davon. Sehr gut. Einige der Lichter waren bereits erloschen und einige Leuten standen vor der Tür und bereiteten sich auf die Abreise vor. Mooney stellte seinen nächsten Sprung auf eine halbe Stunde in die Zukunft ein und bereitete einen Raumsprung auf die Rückseite des Hauses vor. Ryders Schlafzimmer war genau über dem Ballsaal, in dem die Party stattgefunden hatte. Wie immer verschwamm sein Blickfeld für einen Moment. Dann landete Mooney im Garten, in der selben Position, die er im Baum gehabt hatte. Er sprang auf die Füße und beobachtete das Haus mit einem angespanntem Lächeln. Der Raumsprung hatte es ihm ermöglicht, die Sicherheitssysteme zu überwinden. Problematisch wäre es selbstverständlich, wenn Ryder Wachhunde besäße. Er kletterte auf einen nahen Baum. Von dort aus hatte er einen guten Blick auf das Haus. Im Schlafzimmer waren die Lichter an. Offensichtlich räumte die Dienerschaft im Ballsaal auf, während Ryder zu Bett ging. Im Gegensatz zu Brandt verstand sich Ryder mit seiner Frau sehr gut, also war anzunehmen, daß sie auch anwesend war. Mooney fühlte sich schuldig, weil sie den Tod ihres Mannes miterleben mußte, aber er unter-drückte das Gefühl. Er hatte ja nichts gegen ihn. Die Mission war nun mal wichtiger und das bedeutete, daß Ryder sterben mußte. Es war nur ein dummer Zufall, daß Mrs. Ryder dabeisein mußte. Mooney beobachtete den Raum durch seinen Feldstecher. Er konnte es sich nicht leisten, den Falschen zu treffen. Die Vorhänge waren geschlossen, also schaltete er auf Infrarot um. Sofort konnte er durch die Vorhänge hindurch sehen. Der Feldstecher machte die Störung, die normalerweise von Infrarotsicht verursacht wird, wieder wett. Ein winziger Mikroprozessor rechnete die Bilder um, so daß es aussah, als würde er alles in normalem Licht beobachten. Mit Ausnahme der Tatsache, daß er nur Hitze beobachten konnte. In anderen Worten, Kleidung war für ihn unsichtbar. Er sah Ryder und seine Frau völlig nackt. Mrs. Ryder hielt eine glühende Tasse in ihrer Hand, vermutlich Kaffee oder heiße Schokolade, was in dieser Sichtweise sehr intensiv aussah. Mooney schaltete sofort auf ihren Gatten um. Er war schließlich als Mörder hier, nicht als Lustmolch. Ryder schickte sich offenbar an, zu Bett zu gehen, was Mooney nicht sehr viel Zeit ließ. Er konnte nur durch die Vorhänge schießen, nicht durch die Backsteinwand. Er nahm sein Gewehr und schaltete die Powerzellen ein. Das Gewehr war auch mit einem Infrarot-Adapter ausgerüstet, durch den er sein Ziel beobachten konnte. Ryder ging zum offenen Fenster, um Luft zu schnappen. Perfekt! Als Ryder nach dem Fensterrahmen griff, feuerte Mooney. Sein Gewehr war eine tadellose Maschine. Es strahlte einen elektronischen Impuls aus; alles was Mooney tun mußte, war, auf den Kopf seine Opfers zu zielen. Wenn der Impuls traf, würde er eine massive Gehirnblutung auslösen, die das Opfer augenblicklich tötete. Bei der Autopsie würde alles auf einen Gehirnschlag hindeuten. Niemand würde einen Mord vermuten. Ryder richtete sich
plötzlich auf, sein Mund öffnete sich zu einem Schrei, den Mooney Gott sei Dank nicht hörenkonnte. Dann fiel er rückwärts ins Zimmer. Durch das Fadenkreuz sah Mooney, wie Mrs. Ryder ihre Tasse fallen ließ und von Panik ergriffen ihrem Mann zur Seite eilte. Er seufzte. Es war eine Schande, daß er diesen Mann hatte töten müssen, denn er empfand Mitleid für die frischgebackene Witwe. Aber er konnte es nicht zulassen, daß seine Gefühle die Mission beeinträchtigten. Er schaltete das Gewehr ab und schulterte es. Dann stellte er seine Gürtel darauf ein, ihn wieder quer durch das Land zu seinem Platz im Wald zurückzubringen. Wieder einmal saß er im Schmutz. Er stand auf und klopfte den Staub und Dreck von seiner Kleidung. Dann ging er zu seiner Ausrüstung hinüber. Diesmal mußte es funktioniert haben. Er mußte endlich die gewünschten Veränderungen herbeigeführt haben. Seine Welt mußte sicher sein! Mit zitternden Händen holte er den Helm aus seiner Box. Fast fürchtete er sich davor, ihn aufzusetzen. Was, wenn sich wieder nichts verändert hatte? Konnte er ein weiteres Versagen akzeptieren? Welche Möglichkeiten blieben ihm noch? Er mußte sehen, was passiert war, auch wenn es nichts war. Er setze den Helm auf. Um ihn herum flackerten Lichter, dann befand er sich wieder in seinem Büro. Diesmal hatte sich wirklich etwas verändert. Er sah durch eine zerschmetterte Wand hindurch, über ein ausgetrocknetes Flußbett, auf einen Hügel. Grauer Staub bedeckte alles, wehte im Wind umher. Es gab nicht ein einziges Lebewesen, nicht mal einen Grashalm Er blickte über eine Erde, die nicht einfach tot war; sie war steril... Mit einem Wutschrei riß sich Mooney den Helm vom Kopf. Wieder einmal hatte er die Zukunft verändert. Diesmal war es am schlimmsten: Seine Welt war nicht nur vergiftet und am absterben. Sie war völlig tot.
Kapitel 7 Branden fühlte sich scheußlich. Er hatte die ganze Nacht damit zugebracht, sich über Dinge, auf die er keinen Einfluß hatte, den Kopf zu zerbrechen. Er wußte, daß er alles versucht hatte und daß es nicht seine Schuld war, wenn es Mooney trotzdem irgendwie gelungen sein sollte, Ryder zu ermorden. Dennoch plagte ihn sein Gewissen. Ob es ihm gefiel oder nicht, Mooney war er. Er würde eines Tages zu einem Mörder heranwachsen. Der Gedanke spukte ihm im Kopf herum. Es war klar, daß Mooney dachte, die einzige Möglichkeit seine Welt zu retten sei, Menschen zu töten. Aber das reichte Brandon nicht. Schließlich gab er es auf, sich im Bett herumzuwälzen. Es war noch zu früh um in die Schule zu gehen, was ziemlich selten vorkam. Er hatte keinen Appetit aufs Frühstück, aber er trank etwas Saft, um den schlechten Geschmack in seinem Mund runterzuspülen. Er saß allein in der Küche, während seine Eltern noch schliefen. Er fragte sich was aus ihm werden würde. Was hatte ihn zu Mooney gemacht? Ok, einige der Argumente, die der Mann anbrachte, waren durchaus sinnvoll. Aber er war auf Rache aus. Brandon konnte Rory Tucker nicht leiden, aber er konnte sich nicht vorstellen, daß er sich freuen würde, wenn Rory wirklich Selbstmord begehen sollte. Aber Mooney hatte sich sehr gefreut. Und dann die Sache mit Brianne Waite. Mooney hatte sie geheiratet - nicht aus Liebe oder wenigstens Lust; er hatte es bewußt getan um sie zu zerstören. Klar, Brianne war nicht gerade die freundlichste Person der Welt, aber der Gedanke, sie bewußt anzulügen machte ihn krank. Sicher, er würde sich gerne an beiden rächen. Aber eine angemessene Rache, nicht so etwas extremes. Brandonstellte sich vor, Rory zu verprügeln. Es war ihm klar, daß das nie passieren würde - Rory war groß und stark; und Brandon war dürr und benutzte seine Hände ausschließlich am Computer - aber es war nett, sich vorzustellen, wie er Rory die Nase blutig schlug. Wenn irgend jemand Prügel verdiente, dann Rory. Aber das war dann auch alles. Er wollte nicht, daß der andere Junge starb. Und er hatte ganz gewiß auch Phantasien über Brianne, aber keine beinhaltete, ihren Willen zu brechen. Oh, er hatte eine, in der sie einsah, wie schlecht sie ihn behandelt hatte und ihn geradezu anbettelte, mit ihr auszugehen. Er lehnte das ab und stellte sie vor der ganzen Schule bloß. Aber sie zu heiraten um sie zu vernichten... Was für ein Monster war dieser Mooney eigentlich? Das Problem war, daß Brandon die Antwort kannte. Mooney war das Monster, zu dem er heranwachsen würde. Und das bedeutete, daß das was er in Mooney verachtete, auch in ihm zu finden war. Er konnte es bereits fühlen, und eines Tages würde er zu Mooney werden. Er war dazu verdammt, ein sadistischer aber wohlmeinender Mörder zu werden. Auf den anderen Seite, würde er reich und berühmt und einsam werden. Brandon hatte oft versucht, sich vorzustellen wie die Zukunft wohl aussehen könnte. Er träumte von Erfolg, Reichtum und natürlich Frauen. Aber er hätte sich nie vorstellen können, daß er wie Mooney enden würde. Jetzt kannte er seine eigene Zukunft; wußte was aus ihm werden würde. Und es ekelte ihn an. Seine Eltern standen endlich auf und sie frühstücken gemeinsam. Sobald er konnte, ging er zur Schule. Er fühlte sich zwar nicht danach, aber er brauchte Ablenkung. Er schaute in den Todesanzeigen in der Zeitung nach, aber er sah nichts über Troy Ryder. Natürlich war es möglich, daß es zu spät geschehen war, um in die Morgenausgabe reinzukommen. Oder vielleicht hielt man Ryder für nichtwichtig genug, um über ihn zu schreiben. Oder vielleicht hatte die Polizei seine Warnung doch ernst genommen. Vielleicht lebte Ryder noch. Er hoffte es sehr. Aber ohne Beweise konnte er es nicht glauben. So sehr er den Gedanken auch verabscheute, Branden wußte, daß er nach der Schule in den Wald gehen mußte, um zu sehen ob Mooney dort war. Und ob er irgendwelche Neuigkeiten hatte. Brandons Magen drehte sich, er wünschte er hätte nicht gefrühstückt. „Wow, du siehst heute morgen ja ziemlich übel aus", sagte eine vertraute weibliche Stimme. Brandon drehte sich um und sah, daß Toni hinter ihm herging. „Danke", sagte er. „Genau das
brauche ich jetzt." „Na, wofür hat man den schließlich Freunde?" fragte sie. „Was ist denn los? Hausaufgaben? Familienkrach?" „Ich will nicht darüber reden", sagte er zu ihr. Zu seinem Erstaunen fühlte er sich etwas besser, jetzt da Toni bei ihm war. Nicht daß er sie etwa besonders mochte. Aber es war nett, sie dabei zu haben, trotz ihrer großen Klappe. „Genau das ist dein Problem", schnauzte sie ihn an. „Du willst nicht darüber sprechen. Du willst über gar nichts sprechen. Das ist ein großer Fehler, denn das ist wie ein Vulkan. Wenn du nicht ab und an mal Druck abläßt, wirst du eines Tages hochgehen wie der Vesuv und alle werden in der Explosion draufgehen." Der Gedanke traf Brandon mit erstaunlicher Wucht. Er blieb abrupt stehen und starrte sie an. Ob sie etwa recht hatte? War es vielleicht das, was Brandon in Mooney verwandelt hatte? Wurde Mooney etwa so, weil er all seine Gefühle in sich vergraben hatte und schließlich explodiert war? „Bitte sag' was", flehte ihn Toni an. „Nenn mich einen Idioten, wenn du willst. Aber steh nicht wie angegossen rum, Brandon." Er zwinkerte mit den Augen und schüttelte den Kopf. „Ich hab' gerade über das, was du gesagt hast, nachgedacht", erwiderte er langsam. „Vie lleicht hast du recht."„Echt?" Sie lächelte ein wenig. „Tut mir leid, manchmal ergeben Sachen die ich sage leider Sinn. Ich versuche, es zu vermeiden, aber es passiert trotzdem. Bedeutet das, daß du über deine Probleme reden möchtest?" „Das weiß ich nicht", gab er offen zu. „Um die Wahrheit zu sagen, wenn ich dir erzählen würde, was mich so quält, würdest du mich für verrückt halten, oder glauben daß ich mich einer Hirntransplantation unterzogen habe." Toni sah ihn eigenartig an. „Ach, ich weiß nicht. Ich bin Dingen gegenüber ziemlich aufgeschlossen. Aber ich will dich nicht unter Druck setzten. Wenn du reden möchtest, höre ich dir gerne zu. Wenn nicht, rede ich einfach weiter, um die Stille zu übertönen, Ok?" Er konnte sich das Lächeln nicht verkneifen. „Ok. Ich verspreche dir, daß wenn ich mit jemandem darüber sprechen möchte, dann mit dir." „Vielen Dank - vielleicht." Sie hob ihren Rucksack auf die andere Schulter. „So, gehen wir nach der Schule essen oder nicht?" Das hatte er ganz vergessen. Er hatte ihr eine Pizza versprochen, nicht wahr? Aber damals hatte er geglaubt, daß die Sache mit Mooney zu Ende war. „Ich weiß nicht", ent-gegnete er. „Ich würde gerne, nur..." „Nur hast du irgendwo was zu erledigen, stimmt's?" Toni schüttelte den Kopf. „Ich hoffe, daß das nicht deine Art ist mir zu sagen, daß du lieber nicht mit mir gesehen werden möchtest. Ich könnte mich ja verkleiden." Sie grinste. „Glaubst du, eine blonde Perücke würde mir stehen?" Sie hatte die eigenartige Angewohnheit, ihn an Dinge zu erinnern, an die er noch gar nicht gedachte hatte. Er schaute sie an und ihm fiel etwas auf. Toni Frost war ziemlich gutaussehend. Ihr kurzes Haar war etwas maskulin, und er bevorzugte Briannes längere Frisur. Aber sie hatte ein hübsches Gesicht und große Augen. Außerdem war sie viel schlauer und netter als Brianne. Er versuchte, sich Toni mit langen blonden Haaren vorzustellen, aber es funktionierte einfach nicht. Der blonde Look war fürBrianne ganz okay, aber nicht für Toni. „Ich finde du siehst gut aus so wie du bist", sagte er zu ihr. Sie lief sogar ein bißchen rot an. „Ehrlich?" Sie spielte mit ihrem Haar. „Findest du nicht, daß es etwas zu kurz ist? Meine Mutter behauptet das nämlich ständig." „Könnte vielleicht ein paar Zentimeter länger sein", antwortete er, wohl wissend, daß er ebenfalls rot anlief. „Aber es steht dir gut." „Vielleicht gibt es ja für mich doch noch Hoffnung", sagte Toni. „Und für dich vielleicht auch. Danke für das Kompliment, Brandon." Als sie schließlich die Schule erreichten, zwinkerte sie ihm zu und rannte davon. Brandon blicke ihr nach. Er konnte seine Gefühle für sie nicht ganz verstehen. Es hatte jedenfalls nichts mit den Hormonen zu tun, wie bei Brianne. Ein Typ, der Brianne nicht bemerkte, mußte schließlich blind sein. Auf der anderen Seite gab ihm Toni ein Gefühl von... Geborgenheit. „Hey, sieht aus als hätte der Doofkopf 'ne Freundin!" Brandon zuckte zusammen. Gerade als es schien, daß es mit seinem Leben bergauf ging, ging alles zu Bruch. Rory Tucker, wer sonst. Er konnte sich nicht aus Brandons Leben verziehen. Brandon ignorierte die Stimme und lief einfach weiter. Es fiel ihm schwer, denn er fühlte die feindlichen Blicke auf seinem Rücken. „Ich bin dir wohl nicht gut genug, du antwortest mir nicht einmal, du Stück Dreck."
Brandon wußte, daß es nichts helfen würde, ihn zu ignorieren. Er drehte sich um und sah wie ihn Rory anstarrte. Um ihn herum standen sechs andere Junge, bereit zu lachen oder ihn anzufeuern. Typische Herdenmentalität. „Ich hab' keine Lust auf große Reden", entgegnete Brandon. „Ich weiß, daß jedes Wort mit mehr als zwei Silben für dich zu verwirrend ist." „Findest du dich etwa lustig?" forderte ihn Rory heraus. Brandon seufzte innerlich. Er hatte eine weitere Konfrontation mit dem Schultyrann wirklich gerne vermieden, aber es sah ganz so aus, als hätte es Rory daraufabgesehen, ein paar Punkte zu machen. „Paß auf, sagte er und versuchte vernünftig zu sein, „wenn es deinen Morgen aufheitert mich zu beleidigen, dann tus doch einfach. Ich bin sicher, deine Freunde werden lachen, auch wenn's nicht lustig ist. Aber ich hab' kein Interesse daran, Ok?" Er zuckte mit den Achseln und wollte sich umdrehen. Aber das war nicht das, was Rory wollte. Seine Hand schoß nach vorn und prallte gegen Brandons Schulter. „Sei kein Klugscheißer", grummelte er. „Du solltest dich besser bei mir entschuldigen." „Wofür?" fragte Brandon. Er konnte die Spannung in der Luft förmlich fühlen. Sein Magen verkrampfte sich bereits. „Was immer du willst", entgegnete Rory mit einem widerlichen Grinsen. „Ich will nur, daß du dich bei mir entschuldigst." Das war zuviel. Brandon schüttelte den Kopf. „Vergiß es", riet er dem Schläger. „Ich weiß genau, daß du mich nach Strich und Faden verprügeln kannst wenn du willst, also tu es doch endlich. Du weißt es auch, jeder hier weiß das. Aber ich werde nicht um Gnade winseln um es zu vermeiden." Rory starrte ihn von oben herab an. „Du spuckst heute große Töne. Glaubst du etwa, daß deine Freundin wieder kommt, um dich zu retten?" „Sie ist nicht meine Freundin", antwortete Brandon. „Und ich hab' keine Ahnung was sie tun wird. Sie ist unabhängig" „Sie ist ein Idiot, wenn sie mit dir rumhängt", stänkerte Rory. „Sie sollte sich einen richtigen Mann suchen." „Nun, wenn du einen finden solltest, kannst du sie es ja wissen lassen" entgegnete Brandon. „Sie wird dir sicher dankbar sein." Das gefiel Rory gar nicht, und beinah wünschte Brandon, er hätte es nicht gesagt. Aber es war die Wahrheit: Rory konnte ihn verprügeln, wann immer ihm der Sinn danach stand. Und er hatte nicht vor, seine Stiefel zu lecken, umPrügel zu vermeiden. Ein paar Hiebe würden sicherlich wehtun, aber nicht so sehr wie eine öffentlich Demütigung. „Du willst wohl meine Faust zu schmecken bekommen?"! sagte Rory. „Nein danke", gab Brandon zurück „ich bin auf Diät." Einer der anderen Jungs kicherte und Rory starrte ihn an, bis wieder Ruhe war. „Die kleine Frost braucht jemanden, der sie so richtig versorgt", sagte Rory. „Vielleicht sollte ich mich melden. So 'nen Schwächling wie dich kann sie sicher nicht gebrauchen." Brandon rümpfte die Nase. „Wenn du das versuchst, wirst du's bereuen. Sie hat für deinen Quatsch nichts übrig." „Behauptest du etwa, daß mich ein Mädchen niedermachen könnte?" grummelte Rory. Seine Faust schoß nach vorn. Aber Brandon hatte nicht vorgehabt, eine Zielscheibe abzugeben. Er duckte sich und der Schlag verfehlte ihn, zischte knapp an seinem Ohr vorbei. „Beruhig dich", schlug er vor, während der Knoten in seinem Magen zu schwerem Stein wurde. „Kein Grund zur Gewalt." „Dir werd ich's zeigen", versprach Rory. „Und dann der Frost. Die wird's noch bereuen, mit dir befreundet zu sein." Das war zuviel. Schlimm genug, daß Rory auf ihm rumhackte, aber jetzt bedrohte er Toni - und nur weil sie mit ihm befreundet war. Eine Sicherung brannte durch und Brandon hörte auf, klar zu denken. Er ließ seinen Rucksack fallen und schlug mit einem Wutschrei auf Rory ein. Es war kein harter Schlag, und Rorys Magen bestand fast nur aus Muskeln. Aber er kam unerwartet. Rory war sich sicher, daß Brandon nur versuchen würde abzuhauen. Er hatte den Schlag nicht vorhergesehen. Er atmete schwer aus und taumelte eine Sekunde lang. Brandon hatte keine Angst mehr, verletzt zu werden. Rory hatte Toni gedroht, und Brandon würde das auf keinen Fall
zulassen. Er schlug zum zweiten Mal zu, dann zumdritten und vierten Mal. Keiner seiner Schläge war besonders präzise oder effektiv. Aber sie machten Rory stutzig. Er merkte, daß Brandon dieses Mal nicht einfach klein beigeben würde. Brandon war alles egal; er wollte Rory nur wehtun. Sein Zorn war zu groß, als daß er noch hätte denken können; alles was er wollte war, Rory in einer Pfütze seines eigenen Blutes liegen zu sehen. Er schlug immer noch zu und war nicht einmal überrascht, daß sich Rory nicht wehrte. Der hielt sich die Arme schützend vors Gesicht und wehrte so die meisten Schläge ab. Brandon war sich nicht sicher, wie lange das alles dauerte. Er nahm alles wie durch einen Nebel war. Er fühlte, wie ihn ein Schlag heftig auf die linke Schulter traf, aber das machte ihn nur noch wütender. Einer seiner Schläge traf Rorys Nase, und er sah Blut auf dem Gesicht des anderen Jungen kleben. „Sofort aufhören!" Sogar durch sein benebeltes Hirn konnte Brandon die autoritäre Stimme des Schuldirektors Marotta vernehmen. Er schlug noch einmal kräftig rein und ließ dann die Arme schlaff runterhängen. Er atmete schwer und fühlte Schmerz in verschiedenen Körperteilen. Seine Fäuste waren taub, und seine Handgelenke schmerzten von der Wucht der Schläge, die er ausgeteilt hatte. Seine Gedanken wurden klarer. Rory atmete auch schwerer und ließ seine Arme nach unten fallen. Mr. Marotta ging auf sie zu. „Schlägereien im Gang sind nicht erlaubt, was ihr beide wissen solltet." Er starrte Rory an, dann Brandon. „Ihr werdet beide am Freitag nachmittag nachsitzen. Und jetzt geht gefällig zum Unterricht, alle beide." Brandon hob seinen Rucksack vom Boden auf. Seine Hände schmerzten, als er ihn auf seine rechte Schulter schwang. Seine linke tat ihm weh. Wortlos drehte er sich um und ging davon. Nachsitzen! In seinem ganzen Leben hatte er noch nie nachsitzen müssen. Er fühlte Scham über das, was er getan hatte. Er hatte einfach seiner Wut nachgegeben undRory angegriffen. Der andere Junge hatte es sicherlich verdient und hatte ihn auch provoziert, aber Brandon war entsetzt, diese Seite seiner Persönlichkeit zu entdecken. Er hatte immer gedacht, er sei zu klug um sich in Schlägereien verwickeln zu lassen, aber heute hatte er etwas Neues gelernt: Daß er sehr viel Zorn in seinem Inneren mit sich trug, ganz wie Toni gesagt hatte, und daß er in der Lage war, diesen Zorn auch an anderen auszulassen. Er hatte Rory Tucker ernsthaft wehtun wollen, weil er Toni bedroht hatte. Das beschäftigte ihn. Nicht etwa, weil er Toni verteidigt hatte, dessen war er sicher. Er machte sich Sorgen, weil er Rory gegenüber so wütend geworden war. Er hatte den anderen Jungen wirklich zu Brei schlagen wollen. Er wollte ihn vernichten, und es hatte sich sehr gut angefühlt, als er ihm die Nase blutig gehauen hatte. Das Problem war, daß Brandon wußte, wohin das führen würde. Er hatte Rory wehtun wollen, was ihm vielleicht auch gelungen war. Und er wußte, daß in ihm noch sehr viel mehr Zorn angestaut war. Wenn die Umstände es erforderten, würde er wieder so handeln. Und das machte ihm große Angst. Dies war genau die Art von Zorn, die Mooney in sich trug. Diese Wut hatte ihn dazu getrieben, Rory wehzutun, und würde ihn dazu verleiten, sich zu freuen, wenn sich Rory als Erwachsener umbringen würde. Die Wut brachte ihn dazu, Brianne Waite zu demütigen und zu zerstören. Brandon hatte gerade die ersten Anzeichen von Mooney in seiner eigenen Seele entdeckt. Und das machte ihm große Angst.
Kapitel 8 Irgendwie gelang es Brandon, den Unterricht bis zur Mittagspause zu ertragen. Dann ging er nach draußen, um mit seinen Depressionen allein zu sein. Sein Leben wurde immer schlimmer, und er wußte nicht, wieviel er noch ertragen konnte. Sein Zorn hatte sich so gut angefühlt. Aber jetzt... jetzt erst merkte er, wie tief er noch sinken konnte. „Du gehst mir aus dem Weg, wie?" fragte Toni. Brandon blickte auf. Er saß unter einem Baum und schützte seine Augen gegen das grelle Sonnenlicht. „Ich gehe dem Rest der Menschheit aus dem Weg.", sagte er. „Bis auf den, den ich wirklich umgehen möchte. Mic h selbst." Toni setzte sich neben ihn. „Ja. Ich hab' gehört, daß du wieder Zoff mit Rory Tucker hattest." Sie grinste. „Und daß diesmal du es warst, der ihm die Nase blutig geschlagen hat. Ich bin stolz auf dich, Brandon." „Na wenigstens einer", erwiderte er bedrückt. Ihre Augen blickten ihn scharf an. „Ich versteh' dich nicht. Was ist denn los? Die ganze Schule weiß mittlerweile, daß du Rory beinah verprügelt hättest. Freust du dich nicht? Oder machst du dir Sorgen, weil du nachsitzen mußt?" Sie zuckte mit den Achseln. „Wenn ja, komme ich einfach mit, dann mußt du immerhin nicht alleine leiden." Brandon spürte, daß Toni versuchte ihn aufzuheitern. Das Problem war, daß sie nicht die leiseste Ahnung hatte, was in ihm vorging. „Darum geht's nicht. Ehrlich, das Nachsitzen stört mich momentan gar nicht." „Was dann?" Toni sah ihn durchdringend an. „Ich dachte, du hattest mir zugestimmt, daß es ungesund ist seine Emotionen zu unterdrücken. Also, was ist los?" „Sitz' ich hier im Beichtstuhl oder was?" schnauzte er siean, etwas lauter als er eigentlich wollte. Sein Temperament ging wieder mit ihm durch. „Tut mir leid, so hab' ich das nicht gemeint." Er entschuldige sich. „Aber du würdest mein Problem wirklich nicht verstehen." „Hat was mit Jungs zu tun, he?" Toni lächelte. „Ok, ich bin kein Junge, aber ich habe ein gutes Vorstellungsvermögen. Ich kann so tun, als ob ich ein Junge wäre. Besonders mit meinem Haarschnitt. Weißt du, ich glaube langsam, daß du und meine Mutter recht habt. Vielleicht sollte ich sie ein wenig wachsen lassen." Branden lächelte. Sie versuchte ihn aufzuheitern. „Es hat mit Jungs nichts zu tun. So weit ich weiß, hat noch nie jemand dieses Problem gehabt." Toni zog die Augenbrauen hoch. „Hast du eine neue Art mentaler Qualen erfunden? Ich bin stolz auf dich. Weiter so, irgendwann kriegst du noch den Nobelpreis." Sie berührte seinen Arm. „Ok, vielleicht kann ich's wirklich nicht verstehen. Aber du könnest es ja wenigstens mal versuchen. Was ist denn los?" Brandon konzentrierte sich auf seine Gefühle . Irgend jemandem mußte er ja sagen, was mit ihm nicht stimmte. Und ehrlich gesagt fühlte er sich in Tonis Anwesenheit sicher. Er wußte nicht genau warum, aber ihre andauernden Fragen stießen endlich durch seine Mauern hindurch. „Du hattest recht, als du über meinen Zorn gesprochen hast", sagte er zu ihr. „Als ich mich heute morgen mit Rory gekloppt habe, wollte ich sein Blut spritzen sehen. Und das macht mir Angst." „Glaubt mir, es gibt hier sehr viele Leute die gerne den Boden mit seinem Blut verschmieren würden", versicherte ihm Toni. „Er ist einer der unbeliebtesten Leute in der ganzen Schule. Die meisten haben nicht den Mut, gegen ihn anzugehen, aber du bist anders. Du mußt dich überhaupt nicht schämen. Er hat dich provoziert, und du hast es ihm gezeigt. Er wird sich's zweimal überlegen, bevor er dich wieder schikaniert." „Darum geht's doch nicht", sagte Brandon. „Du hast völ-lig recht, Rory verdient es, die Nase blutig geschlagen zu bekommen. Das ist nicht das Problem. Das Problem bin ich." Er seufzte und seine Stimme wurde leiser. „Als ich mit Rory gekämpft habe, habe ich zum ersten Mal einen Einblick in mein Herz bekommen. Normalerweise untersuche ich meine Gefühle nicht sonderlich. Ganz wie du sagst, ich schlucke sie einfach runter und lasse sie schmoren. Naja, heute waren sie stärker als ich. Ich wollte Blut. Und ich habe es genossen, Rory wehzutun. Das ist es, was mir Angst macht - das was ich in meinem Inneren gesehen habe. Der Zorn, der Haß, die Bereitschaft zu töten. Ich hab' dies alles gesehen und es gefällt mir nicht." Toni legte wieder ihre Hand auf seinen Arm. „Ich glaube, ich verstehe langsam was du meinst", sagte sie sanft. „Du hast immer gedacht, daß du dich unter Kontrolle hast, stimmt's? Daß dein Verstand deine Gefühle beherrscht. Und jetzt hast du herausgefunden, daß du
all diese Emotionen in dir hast und daß sie nicht einfach weggehen. Und das macht dir Angst. Aber das ist doch gar nicht so schlecht, Brandon. Wir brauchen unsere Gefühle. Du bist nicht Dr. Spock, du bist Brandon Mooney. Klar, Rory hat deinen Zorn an die Oberfläche gebracht, aber das ist ja nur menschlich. Du bist kein fieses Monster, nur weil du aus-geflippt bist." Beinah verstand sie ihn, merkte Brandon, aber sie konnte die letzte und wichtigste Schlußfolgerung nicht nachvollziehen, da sie nicht alle Fakten kannte. „Das stimmt nicht ganz", sagte er zu ihr. „Ich weiß, daß ich Gefühle habe und ich weiß, daß das an sich nicht schlecht ist. Einige davon sind sogar ganz nett. Ich mag es, mit dir zusammen zu sein, auch wenn du mich ab und zu in den Wahnsinn treibst. Aber die anderen Gefühle, der Haß, der Zorn, sie sind so finster. Es ist fast so, als würde in mir ein anderer Mensch leben, der nur darauf wartet auszubrechen." „Key, danke für das Kompliment", sagte sie und verstand seine Bemerkung. Er war sich kaum darüber im klaren was er eigentlich gesagt hatte. Zu jedem anderemZeitpunkt wäre er rot angelaufen, aber momentan war er viel zu deprimiert. „Sieh's mal so", sagte sie. „Wir alle haben eine dunkle Seite. Ich auch. Es gibt 'n Haufen Mädels, denen ich liebend gerne eine reinhauen würde. Aber ich gebe meinen Gefühlen nicht nach. Ich weigere mich, mich von ihnen beherrschen zu lassen. Das ist alles. Jetzt, da du deinen Zorn gesehen hast, mußt du daran arbeiten, daß du nicht die Kontrolle verlierst." „Das klappt nicht", sagte er mit einer schrecklichen Gewißheit. „Ich kann diesen Zorn nicht besiegen. Er wird mich überwältigen." „Du hast nur Angst", widersprach sie. „Woher willst du das denn wissen?" „Ich weiß es", sagte er zu ihr. „Darin liegt ja das Problem - ich weiß, daß es so ist." Sie starrte ihn an, ohne ihn zu verstehen. „Könntest du das bitte erklären?" fragte sie endlich. „Erinnerst du dich, wie ich die gefragt habe, was du davon hieltest ein Kind zu töten, das zu Adolf Hitler heranwachsen würde?" fragte er sie. „Na klar. Ich habe dir wahrscheinlich gesagt, daß es keinen großen Unterschied machen würde." Er nickte. „Was wenn du dieses Kind bist?" Toni fröstelte. „Ich? Du glaubst, daß ich zu sowas werden könnte?" „Nein, nein", sagte er hastig. „Nicht du - ich." Sie starrte ihn an, dann schüttelte sie den Kopf. „Vielleicht hat er dich etwas zu hart auf den Kopf geschlagen", sagte sie endlich. „Brandon, du bist ein wenig verrückt, aber ganz so schlimm bist du doch nicht. Du glaubst doch nicht allen Ernstes, daß du einen Krieg anfangen wirst?" „Nein, keinen Krieg", gab er zu. „Aber ich weiß, daß ich zu einem Mörder heranwachsen werde. Daß ich es genießen werde, die Leben derjenigen zu zerstören, die meine Pläne durchkreuzt oder mich verletzt haben." Es war klar, daß Toni nicht wußte was sie sagen sollte.Zwei mal versuchte sie etwas zu sagen, beide Male besann sie sich eines besseren. Endlich gab sie sich einen Ruck. „Wie kannst du das überhaupt wissen, nur weil du heute morgen mit Rory die Geduld verloren hast?" verlangte sie zu wissen. „Ich weiß es nicht daher", gab er zu. „Es gibt eben Dinge, die du nicht weißt und diese Sache bestätigt es." „Was für Dinge?" grummelte sie. „Etwa daß du Leute umgebracht und im Keller vergraben hast?" „Es geht nicht darum, was ich getan habe", versicherte er ihr, „sondern darum, was ich tun werde." Toni schlug mit der Hand gegen den Baumstamm. „Brandon, das ergibt keinen Sinn. Hör auf. Glaubst du denn wirklich, daß du übersinnliche Kräfte hast oder in die Zukunft schauen kannst oder was?" „Nein", sagte er, „keine übersinnlichen Kräfte. Davon habe ich keine Ahnung. Aber das was ich weiß, das würdest du mir ohnehin nicht glauben." Toni lehnte sich nach vorn und starrte ihm in die Augen. Er fühlte ein Kribbeln, war aber immer noch zu deprimiert um es zu verstehen. „Versuch's doch einfach", sagte sie schlicht. „Wenn's dir soviel Angst macht, werde ich's schon glauben." Was für einen Unterschied machte es schon? „Du glaubst bestimmt, ich bin verrückt", sagte er zu ihr. „Aber mittlerweile ist's mir auch egal. Ich bin mir selbst begegnet -die Person, zu der ich heranwachsen werde. Er ist durch die Zeit hierher gereist und hat mit mir gesprochen." Toni sah besorgt aus und dachte scharf nach. „Also das ist es, was du die letzten paar Tage nach der Schule getrieben hast", sagte sie. „Du hast dein zukünftiges Selbst getroffen."
„Richtig." Er zuckte die Achseln. „Ich weiß, es klingt unglaublich, aber er sagte, daß ich in ungefähr achtzig Jahren eine Zeitmaschine erfinden werde, mit der ich dann in diese Zeit zurückreise, um mich selbst kennenzulernen." Sie kaute auf ihrer Unterlippe und sah ihn an. „Erzähl miralles, was passiert ist", sagte sie. Brandon ließ sich das nicht zweimal sagen. Nachdem er ihr alles über Mooney und seine Taten erzählt hatte, fühlte er sich viel besser. Er verschwieg nichts, und es war ihm auch egal ob sie ihm glaubte oder nicht. Es tat gut, einfach alles rauszulassen. Sie saß still da und hörte zu, selbst wenn sie ihm kein Wort glaubte. Endlich, als er fertig war, saß er da und blickte sie an. Es war klar, daß sie Schwierigkeiten hatte, das was er gesagt hatte zu verarbeiten. Sie mußte sich entscheiden, ob sie ihm glaubte oder ihn für verrückt hielt. Da sie ihm ohnehin nicht helfen konnte, saß sie einfach da und wartete. Endlich blickte sie ihn an und seufzte. „Was für 'ne Story", sagte sie. „Du hattest recht. Das ist wirklich schwer zu glauben." „Ich habe nicht angenommen, daß du mir glauben würdest.", gab er zu. „Aber ich bin froh, daß du trotzdem zugehört hast. Du hältst mich wahrscheinlich für verrückt, stimmt's?" „Du hast gerade fünfzehn Minuten lang geredet", fuhr sie ihn an. „Jetzt sei endlich mal ruhig und hör mir zu. Ich sagte, daß es schwer zu glauben ist, nicht unmöglich. Ehrlich gesagt, wenn irgend jemand anderes mir erzählt hätte, daß er in der Zukunft eine Zeitmaschine bauen wird, würde ich ihm nicht glauben. Aber dir..." Sie schüttelte den Kopf. „Wenn jemand einen neuen Supercomputer erfinden wird, der die Welt verändert und dann noch eine Zeitmaschine dazu, dann mußt du es sein. Du bist beinah so schlau wie du glaubst. Ich habe in der Tat Schwierigkeiten, gewisse Teile deiner Geschichte zu akzeptieren, aber ich glaube dir. Du bist vielleicht etwas neben der Kappe, aber du bist nicht wahnsinnig." Er konnte kaum glauben, was sie da gesagt hatte. „Du denkst, daß ich die Wahrheit sage? Daß ich nicht verrückt bin?" „Ja, das tue ich." In diesem Moment klingelte die Schulglocke. Automatisch sprang Brandon auf.. Toni packte ihn amArm. „ Wir sind noch nicht fertig", sagte sie bestimmt. „Aber...", er deutete in Richtung Schule. „Wir müssen zurück." „Ehrlich gesagt, Brandon", sagte sie zu ihm, „ich glaube, daß das sehr viel wichtiger ist als am Unterricht teilzunehmen. Wir könnten uns eh nicht konzentrieren. Normalerweise würde ich so etwas nicht sagen, aber ich glaube, daß wir schwänzen sollten und diese Sache ein für allemal zu Ende zu bringen." Schwänzen? Brandon machte sich Sorgen. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie absichtlich eine Unterrichtsstunde verpaßt. Er wußte, daß es seine Verantwortung war in die Schule zu gehen und zu lernen. Im Gegensatz zu anderen Leuten war er noch nie in Versuchung geraten zu schwänzen. Auf der anderen Seit hatte Toni recht. Er hatte keine Ahnung, was heute morgen im Unterricht besprochen worden war, und es war klar, daß er sich auf den Rest des Schultages auch nicht konzentrieren konnte. Die Sache mit Mooney lag ihm schwer auf der Seele. „Glaubst du wirklich?", fragte er sie zögernd. „Ich bin mir sicher", erwiderte sie. „Zum einen bin ich recht gespannt, diesen Mooney kennenzulernen. Ich hätte nicht schlecht Lust, ihm eine reinzuhauen, nach dem was er dir alles angetan hat." „Aber er ist doch ich", protestierte Brandon. „Er ist nicht du", entgegnete sie. „Er ist, was du vielleicht mal werden könntest. Er ist, was du bist, wenn alles schiefgeht. Aber er ist nicht du, denn du bist noch nicht so. Und ich hoffe, daß du niemals so werden wirst." Sie sprang auf. „Wir verdrücken uns besser. Gehen wir in den Wald und sehen ob der Irre sich dort aufhält. Wir müssen ihm eine Lektion erteilen." Brandon nickte, und sie rannten davon so schnell sie konnten. Er fühlte sich viel besser, jetzt wo Toni ihm glaubte. Was noch wichtiger war, sie glaubte nicht nur ihm, sondern sie glaubte an ihn. Ein großer Stein fiel ihm vom Herzen, er fühlte sich beinahe gut. Bis er sich anMooney erinnerte und wußte, daß dies sein Schicksal war. „Dieser Mooney", sagte Toni, als sie schnellen Schrittes liefen. „Er hat Rory betrogen und sich dann gefreut, als der sich umgebracht hat?" Brandon nickte. „Und dann hat er Briannes Ehe zerstört und sie weggeworfen, nur weil sie ihn als Kind gehänselt hatte?" Wieder nickte er. „Was hältst du davon?" „Ich finde das ekelerregend", sagte er. „Ich meine, ich hab's ja genossen, Rory eins auf die Nase zu versetzen, aber wenn das alles ist, was ich ihm antue, kann ich damit leben. Und was Brianne
angeht..." Er zuckte die Achseln. Toni starrte ihn an. „Was ist mit Brianne?, verlangte sie zu wissen. Uups... sah so aus, als würde Toni eifersüchtig werden. Vielleicht wäre es besser, so zu tun als ob er an der Blondine überhaupt kein Interesse hätte. Aber er konnte Toni einfach nicht anlügen. Rot im Gesicht gab er zu: „Sie ist ja ganz süß und so, aber ich könnte durchaus leben wenn ich sie nie wieder sähe." Er schluckte. „Was ich von dir nicht behaupten kann." Ihre Wut war wie weggeblasen, und sie knuffte ihn zärtlich in den Arm. „Das ist dafür, daß du hinter ihr her bist", sagte sie, aber sie lächelte, während sie das sagte. „Wenn du sie nicht süß fändest, müßte ich annehmen, daß mit dir was nicht stimmt. Aber bitte erwähne es nicht zu oft, okay?" „Versprochen." „Wo waren wir?" Toni sammelte sich. „Ah, ja. Sieh's mal so. Du glaubst, Mooneys Handlungen seien zu extrem, stimmt's? Also würdest du niemals so etwas tun, nicht wahr? Also wirst du eben nicht zu Mooney heranwachsen. So einfach ist das." „Schön war's", antwortete er, wieder deprimiert. „Aber so einfach ist es nicht. Mooney ist hier und er hat diese Dinge getan. Also ist es egal, wie sehr ich seine Handlungen momentan verabscheue, irgend etwas wird mir zustoßen, so daß ich's mir anders überlege. Mooney weiß was es ist, aber ich hab' keine Ahnung. Ich bin ver-loren, Toni. Ich werde zu einem Hitler werden, und es gibt nichts was ich dagegen tun könnte." „Das wird sich noch zeigen", sagte Toni entschlossen. „Ist das der Wald?" Er sah sich um und ihm fiel auf, daß sie bereits sein Versteck erreicht hatten. „Ja.", antwortete er. „ Es ist nicht mehr weit. Komm." Er führte sie in den umgestürzten Baum. Als er näherkam, konnte er sehen, daß jemand auf ihn wartete. Er trug seine schwarze Kleidung, hatte den beiden den Rücken zugekehrt und beugte sich über seine Trickkiste. „Das ist Mooney.", sagte er voller Furcht, seinem zukünftigen Selbst wiederzubegegnen. Als er seine Stimme hörte, drehte sich Mooney blitzschnell um und sah die beiden an. Er war schockiert, aber lange nicht so schockiert wie Branden. Mooney hatte sich verändert. Sein Haar war viel grauer, und sein Gesicht hatte mehr Falten. Er sah zwanzig Jahre älter aus. Sein linkes Auge sah nicht mehr normal aus. Es war angeschwollen, und Brandon merkte daß es nicht echt war. Es war eine Art künstliches Implantat. Im Schatten seines Gesichts glühte es rot...
Kapitel 9 „Wer ist das?" verlangte Mooney zu wissen während er Toni durchdringend anstarrte. „Was hat sie hier zu suchen?" „Sie ist ein Freund von mir", antwortete Brandon. „Sie weiß alles über dich. Ich brauchte jemanden, mit dem ich über alles reden konnte." „Du hättest es niemandem sagen sollen!" schrie Mooney. „Niemand kann vorhersagen, wie so etwas den Zeitfluß verändert." „Sie offensichtlich auch nicht", kommentierte Toni. „Sie wissen ja nicht einmal, wer ich bin." „Habe ich das nicht gerade gesagt?" fragte Mooney. Sie drehte sich zu Brandon um und blickte ihn triumphierend an. „Das beweist, daß er nicht du sein kannst. Du würdest mich doch gewiß nicht in lächerlichen achtzig Jahren vergessen haben, oder?" „Glaub' ich nicht.", gab Brandon zu. „Aber wenn er dich nicht kennt, muß ich dich aus irgendeinem Grund vergessen haben." „Entweder das, oder du hast die Zukunft bereits verändert", schlug Toni vor. „Vielleicht hat dieser Brandon mir nie Aufmerksamkeit geschenkt. Und dadurch daß du es getan hast, hast du die Zukunft beeinflußt." „Wenn ich die Zukunft verändert hätte", deutete Brandon an, „dann würde er sich doch bestimmt an dich erinnern." Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe gar nichts verändert." Dann fiel ihm etwas ein. „Aber er hat sich verändert. Gestern sah er anders aus. Das künstliche Auge ist neu." „Echt?" Toni lächelte. „Kein Wunder, daß du nicht erwähnt hast wie häßlich er ist." „Halt den Mund, du Göre", knurrte Mooney. Blitzschnell drehte er sich zu Brandon um. „Wovon redet ihr über-haupt? Seit meinem zweiunddreißigsten Lebensjahr sehe ich so aus. Du hast mich noch nie anders gesehen." Zuerst ergab das für Brandon keinen Sinn. Und dann fiel ihm plötzlich ein, was das bedeutete. „Du hast ihn umgebracht, nic ht wahr? Troy Ryder? Du hast ihn letzte Nacht ermordet?" „Ja." Mooney machte eine Hackbewegung mit der Hand. „Und die Zukunft ist schlimmer denn je." Brandon sah Toni an, die ganz offensichtlich nicht verstand, was hier vor sich ging. Dann warf er seinen Blick wieder auf Mooney. „Wo wohnte er? Wo hast du ihn ermordet?" „In Kalifornien, wo sonst?" Mooney sah drin nichts Besonderes. „Aber dein Anzug kann doch nur durch die Zeit reisen", stellte Brandon fest. „Nicht durch den Raum. Du kannst überhaupt nicht nach Kalifornien gereist sein." „Wovon redest du?" verlangte Mooney zu wissen. „Selbstverständlich kann ich mich räumlich fortbewegen. Zeit und Raum sind eng miteinander verbunden. Wenn man will, kann man durch beide reisen." Brandon fühlte sich plötzlich sehr müde. Er sank zu Boden und schüttelte den Kopf. „Mooney, du kapierst es einfach nicht. Wenn du hier in der Vergangenheit etwas veränderst, veränderst du die Zukunft." „Selbstverständlich", grummelte er. „Darum geht's doch gerade." „Aber du hast dir die Sache nicht gut genug überlegt", rief Brandon. „Du bist ein Teil der Zukunft. Wenn du hier in der Vergangenheit etwas veränderst, dann veränderst du dadurch die gesamte Zukunft. Und dich selbst ebenso." Als du hier ankamst, konnte dein Zeitfeldgenerator nur durch die Zeit reisen, nicht durch den Raum. Als du Brandt ermordet hast, änderte sich das. Du kannst jetzt durch Zeit und Raum reisen. Als du Ryder umgebracht hast, hast du dich verändert. Du hast jetzt ein künstliches Auge, das du vorher nicht hattest." Mooney überkam ein Schauern. „Bist du dir sicher? Icherinnere mich ganz genau, daß ich dir bei unserem ersten Treffen erzählt habe, daß mein Anzug durch Zeit und Raum reisen kann. Und das künstliche Auge habe ich seit fünfzig Jahren." „Weil sich Ihre Zeitlinie verändert hat", sagte Toni als ihr klar wurde, worauf Branden hinauswollte. „Seine ist konstant geblieben. Er kann sich daran erinnern, was passiert ist; Sie erinnern sich an die Veränderungen." Mooney dachte einen Moment lang nach. „Das ergiebt schon irgendwie Sinn", stimmte er zu. „Aber es macht keinen Unterschied. Ob ich mich an mein Leben so erinnere und du dich anders ist irrelevant. Was ich weiß, ist geschehen." „Du kapierst es immer noch nicht", sagte Branden erschöpft. „Deine Taten im hier und jetzt beeinflussen alles in der Zukunft. Ryders Tod hat die Dinge nicht verbessert, oder?"
„Nein", gab Mooney zu. „Meine Welt ist immer noch tot und verseucht." „Und ich vermute, daß du bereits einen weiteren Mord planst", beharrte Brandon. „Was bleibt mir denn anderes übrig?" schrie Mooney. „Ich muß eine Veränderung bewirken! Ich kann die Dinge nicht so lassen wie sie sind." „Du Idiot", sagte Brandon. „Bisher hast du Glück gehabt. Alles was du verändert hast, soweit wir das wissen, ist, daß du einen besseren Zeitfeldgenerator bekommen hast und dein Auge verloren hast. Wer weiß, was das nächste Mal passieren wird, wenn du jemanden umbringst? Vielleicht schaffst du dann eine Zukunft, in der du nicht mal zweiundneunzig Jahre alt wirst, sonder viel früher stirbst. Wenn du so weitermachst, bringst du dich noch um!" Das versetzte Mooney einen Schock und brachte ihn zum Nachdenken. Dann schüttelte er den Kopf. „Nein. Du willst ja nur meinen Kreuzzug verhindern. Das darf nicht geschehen. Ich kann mich nicht selbst umbringen." „Aber was wenn es trotzdem geschieht?" fragte Brandon,der sich weigerte den Punkt zu übergehen. „Du würdest dann nicht mal mehr existieren, könntest also die Vergangenheit nicht weiter verändern." Mooney lachte. „In dem Fall", sagte er triumphierend, „würde alles so werden wie es war. Du würdest mich nicht getroffen haben, denn ich bin nicht in die Vergangenheit zurückgekehrt. Du würdest aufwachsen, würdest ich werden, den Zeitfeldgenerator erfinden und dann in die Vergangenheit zurückreisen, um dich selbst zu treffen." Branden schüttelte sich bei dem Gedanken. „Du sagst, daß dies alles Teil eines niemals enden wollenden Kreises ist? Daß wir vielleicht die selben Aktionen wieder und wieder durchmachen, die Zukunft verändern, dann nochmals verändern und niemals einen wirklichen Unterschied bewirken?" Mooney zuckte die Achseln und gab zu „Das ist durchaus möglich. Aber selbst wenn es geschähe, würden wir es nie herausfinden." Brandon war müde, er schüttelte den Kopf. „Diese Zeitreisen können einem ganz schön das Leben versauen, nicht wahr?" „Scheint so", stimmte ihm Mooney zu. „Aber wie dem auch sei, ich kann jetzt nicht einfach aufgeben. Ich werde meine Mission erfüllen oder bei dem Versuch sterben." Toni hatte lange genug geschwiegen. „Sie sind ein Terrorist", erklärte sie. „Sie alleine haben entschieden, was für die Menschheit am besten ist. Und Sie haben beschlossen, daß kein Preis zu hoch ist für das, was Sie erreichen wollen. Sie sind dazu bereit, immer wieder zu morden, nicht wahr? Egal wie viele Menschen dabei ums Leben kommen?" „Ja", entgegnete Mooney. „Es ist am besten so, für die gesamte Menschheit. Ich habe keine andere Wahl." „Es ist für niemanden am besten", schrie Toni. „Sie haben bereits zugegeben, daß jede Veränderung, die sie bewirkt haben, schiefgegangen ist. Ihr Plan kann nicht funktionieren. Sie müssen aufgeben und was anderes versuchen."Mooney rümpfte die Nase. „Zum Beispiel?" „Ich weiß es nicht!" sagte Toni. „Vielleicht etwas mit weniger Blut. Sie sind davon besessen, die Leute, die Sie für den Zustand Ihrer Welt verantwortlich machen, umzubringen. Und es klappt nicht." „Ich glaube ich weiß warum", sah Mooney ein. „Brandon hatte recht. Ich habe es auf die falschen Leute abgesehen. Statt der Industriellen sollte ich die Politiker umbringen. Schließlich sind sie es, die die Gesetze durchboxen, die meine Zukunft zerstören. Logischerweise muß ich also sie umbringen, um die Zukunft zu verändern. Und ich werde noch heute nacht damit anfangen." Er deutete auf seinen Koffer. „Ich habe im Buch nachgesehen. Der Mann, der für die schwächeren Umweltschutzgesetze verantwortlich ist, ist Senator George Hartley. Wenn ich ihn eliminiere, werden diese Gesetze nie durchkommen. Dieses Mal wird es funktionieren, ich weiß es." „Es wird nicht funktionieren", beharrte Brandon. „Toni hat recht. Wenn nicht Hartley die Gesetze lockert, dann ein anderer." „Dann werde ich diesen anderen eben auch töten", sagte Mooney. „Ich werde so viele töten, wie nötig." Toni starrte Brandon an. „Der Typ ist total blutrünstig. Glaubst du immer noch, daß du zu sowas heranwachsen würdest?" Sie nickte in Richtung Mooney. „Sagen Sie mal, was wird aus Rory Tucker?" Mooney grinste verschmitzt. „Ich habe ihm alles heimgezahlt, was er mir angetan hat. Ich habe seine Firma aufgekauft und ihn in den Ruin getrieben. Dann habe ich ihn umgebracht."
Brandon war erstaunt. „Das ist nicht das, was geschehen ist", rief er. „Du hast mir gesagt, daß er Selbstmord begangen hat." „Das war der alte Mooney", informierte ihn Toni. „Dieser Mooney ist noch fieser. Rorys Ruin mitzuerleben, war ihm nicht genug. Er mußte mithelfen. Und ich wette, daß er Brianne Waite noch viel Schlimmeres angetan hat." Mooney lächelte, als ihn geliebte Erinnerungen überka-men. „Brianne hat für ihr Verhalten gezahlt.", sagte er. „Da wo sie jetzt ist, kann sie nie wieder etwas gegen mich sagen." „Mehr will ich glaube ich nicht wissen", unterbrach ihn Toni. „Mooney, Sie ekeln mich an. Sie sprechen von Ihrer Mission, als ob Sie etwas Edles im Dienste der Menschheit unternehmen. Aber darum geht es Ihnen überhaupt nicht. Es geht nur um Sie selbst, um Ihre kranke Rache an Leuten, die Sie für den Zustand Ihrer Welt verantwortlich halten. Sie sind krank, Mooney. Verdorben, bitter und eklig. Sie müssen einsehen, was sie falsch machen." Mooney schüttelte den Kopf. „Du willst mich nur aufhalten", grummelte er. „Du bist krank, nicht ich." Er zielte mit seiner Pistole auf sie. „Wenn ich den Abzug drücke, wird jeder Nerv in deinem Körper augenblicklich fritiert werden. Du wirst einen qualvollen Tod sterben." Er lächelte. „Und dann werde ich deine dumme Stimme nie wieder hören müssen." Sein Finger umklammerte den Abzug. Brandon sprang ihm in den Weg, er brachte seinen Körper schützend zwischen sie und Mooney. „Nein!" schrie er. „Du darfst ihr nicht wehtun. Ich lasse das nicht zu. ich bring' dich um!" Er wartete auf den tödlichen Schuß. Aber Mooney ließ die Pistole nach unten sinken. „Gefühlsduseliger Idiot", knurrte er. „Du weißt genau, daß ich dich nicht umbringen kann. Ich weiß nicht, warum diese weinerliche Göre dir so am Herzen liegt, aber gut. Keiner von euch beiden kann meine Pläne durchkreuzen." Seine Hand wanderte zu seinem Gürtel. „Die Zukunft wird verändert werden." Seine Finger tippten ein Kommando ein, und er verschwand. Brandon brach zusammen, die Anspannung war zuviel für ihn gewesen. „Er wird wieder töten.", sagte er atemlos. „Und es gibt nichts, was wir dagegen tun könnten." Aber Toni war mit anderen Gedanken beschäftigt. Sie kniete neben ihm. „Du hast mir das Leben gerettet", sagte sie zitternd. „Mooney wollte mich umbringen. Er hättedich töten können. Du hast dein Leben riskiert, um meins zu retten." Branden nickte, noch immer zitternd. „Das habe ich getan?" Toni beugte sich vor und küßte ihn. „Danke, Brandon. Du bist ein Held, genauso wie ich immer geahnt habe. Denk' mal nach. Vielleicht würde es dir irgendwie gelingen, mich zu vergessen. Aber könntest du mich wirklich einfach so umbringen? Oder Rory? Oder Brianne das antun, was dieses Monster getan hat?" Brandon fühlte einen Schauer in seiner Seele. „Ich hoffe nicht. Und ich verstehe, was du sagst, Toni. Aber es funktioniert immer noch nicht. Wenn ich mich nicht zu Mooney entwickeln würde, dann wäre er schließlich nicht hier. Er hätte jemand netteres werden können. Aber das ist nicht geschehen. Und das bedeutet, daß er das Monster ist, zu dem ich werde, ob mir das gefällt oder nicht.", Er zitterte und fühlte sich zum Kotzen schlecht. „Ich hasse das", flüsterte er. „Und ich hasse ihn. Ich hasse mich." „Hör mit dem Selbstmitleid auf, sagte Toni mit fester Stimme. „Wir haben viel zu tun." „Was denn?" Brandon verstand nicht, was sie meinte. „Wovon redest du? Was haben wir zu tun?" „Wir müssen Mooney stoppen", sagte Toni, als ob es das offensichtlichste auf der Welt wäre. Brandon stand taumelnd auf. „Das habe ich letzte Nacht versucht. Ich wollte Ryder warnen, aber ich habe versagt. Die Polizei hat mir nicht geglaubt. Und ihn direkt zu warnen, war nicht drin. Ich habe gestern versagt, wenn ich es wieder versuche, werde ich wieder versagen." „Gib doch nicht klein bei", sagte Toni zu ihm. Sie hielt seine Hand. „Du konntest vielleicht nichts unternehmen. Aber ich kann." Brandon verstand nicht, was sie meinte. „Wovon redest du? Warum sollte die Polizei dir glauben und nicht mir?" „Falsch", erwiderte Toni lächelnd und schüttelte den Kopf. „Du weißt nicht viel über mich, stimmt's?" Das stimmte, also schüttelte er den Kopf. Bis vor zweiTagen hatte er ihr kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Aber jetzt war sie aus irgendwelchen Gründen sehr wichtig für ihn geworden. Er fühlte immer noch ein Kribbeln wo sie ihn geküßt hatte. „Meine Mutter ist der Sheriff', er klärte Toni. „Glaub mir, dieses Mal wird dir die Polizei Glauben schenken. Wenn nicht wird's zuhause für meine Mutter Ärger geben." Toni war ein erstaunliches
Mädchen. Wie dem auch war, Brandon war sich nicht sicher, ob das eine gute Idee war. „Wir können ihnen nicht die Wahrheit sagen", warf er ein. „Niemand würde uns glauben. Außerdem habe ich gehofft, die ganze Sache anonym durchzuziehen." „Wir werden die Wahrheit etwas verändern müssen, so daß sie uns glauben", entgegnete Toni. „Und meine Mutter wird sicherstellen, daß dein Name nicht aufkommt, mach dir also keine Sorgen. Jetzt laß uns gehen bevor es zu spät ist." „Noch eine Sache", sagte er und deutete auf die Kiste. „Mooney bewahrt seine Ausrüstung in diesem Koffer auf. Einiges davon können wir bestimmt benutzen." „Er ist doch sicher abgeschlossen", sagte Toni. „Ja, und zwar mit einem Fingerabdruckschloß", entgegnete Brandon mit einem breiten Grinsen. „Und ich habe die selben Fingerabdrücke wie Mooney." Er beugte sich vor und berührte das Schloß. Wie erwartet öffnete sich der Koffer. Er nahm das Buch und reichte es an Toni weiter. Dann griff er den Helm und schloß den Koffer. „Zeit zu gehen." Sie rannten zum Polizeipräsidium, wo Toni den Herrn am Empfang begrüßte und nach ihrer Mutter fragte. Der Polizist deutete ans Ende des Gebäudes. „Ihr Büro", erklärte Toni. „Mach schnell." Sie führte ihn durch das Zimmer und klopfte an eine Tür auf der „SHERIFF FROST" stand und ging hinein. Brandon folgte ihr sehr zögernd. Er fühlte sich deplaziert und wäre am liebsten woanders gewesen. Aber Toni hatte recht - sie mußten Senator Hartley beschützen.Tonis Mutter blickte von ihrem Schreibtisch aus auf. Sie sah ihrer Tochter sehr ähnlich, nur trug sie ihre dunkles Haar schulterlang. „Warum bist du nicht in der Schule?" fragte sie. „Wir können nicht immer dort sein, wo wir sein sollten", antwortete Toni. „Mami, ich habe gehört, daß irgendein Wahnsinniger jeden Moment versuchen wird, Senator Hartley umzubringen." Sheriff Frost schloß ihre Akte und stand auf. „Bist du sicher?" verlangte sie zu wissen. „Ja.", sagte Toni. Sie zeigte auf Branden. „Das hier ist Brandon Mooney. Wir beide haben gehört, wie der Mann gedroht hat, Senator Hartley umzubringen." Ihre Mutter fröstelte. „Dann haben wir ja genügend Zeit.", sagte sie. „Der Senator ist momentan im Landtag. Die Fahrt dauert ein paar Stunden." „Ein paar Minuten", sagte Toni leise. „Er hat Reisemittel, die du dir nicht vorstellen kannst." Sheriff Frost blickte ihre Tochter scharf an. „Das klingt ein wenig... fantastisch." „Ich weiß", gab sie zu. „Aber es ist wahr. Er könnte bereits dort sein. Du mußt ihn unbedingt unter Polizeischutz stellen. Dann werde ich dir alles erklären." Sie starrte erst Brandon an, dann ihre Tochter. Dann hob sie das Telefon ab. „Verbinden Sie mich bitte mit der Staatspolizei", befahl sie. „Es ist ein Notfall." Jawohl! Toni hatte recht gehabt - ihre Mutter griff ein. Vielleicht konnten sie dieses Mal Mooney stoppen, bevor er wieder tötete.
Kapitel 10 Mooney zog es vor, bei Nacht zu arbeiten, wenn die Chancen gesehen zu werden geringer waren. Aber in diesem Falle wußte er, daß sich der Senator alleine in seinem Büro im Landtag aufhalten würde. Es wäre sehr viel einfacher, so an sein Opfer zu kommen, als abends, wenn er zuhause war. Hartley hat kürzlich zum zweiten Mal geheiratet. Er und seine neue Frau waren unzertrennlich. Mooney konnte Hartley nicht zuhause ermorden, ohne seine Frau dabei ebenfalls zu erwischen. Wenn es dazu kommen mußte, dann würde er es eben tun, aber er bevorzugte es, keine Unschuldigen zu treffen. Er hatte es nur auf die Schuldigen abgesehen. Und Hartley war schuldig wie die Sünde. Das Buch hatte sich ganz klar ausgedrückt. In drei Tagen würde er ein Gesetz erlassen, welches es ermöglichen würde, größere Mengen von Insektenvertilgungsmitteln zu verwenden. Kurzfristig würde das die Ernteerträge erhöhen. Aber auf lange Sicht würden diese Mittel in die Flüsse gelangen. Dort würden sie von Fischen gefressen werden, welche die Giftstoffe in ihren Körpern behielten. Vögel, Bären und Menschen würden diese Fische essen und sich so große Mengen konzentrierter Insektenvertilgungsmittel einverleiben. Wenn sie sich fortpflanzten, würden die Pestizide noch weiter konzentriert werden. Die Kinder würden mit Gehirnschäden geboren werden, oder einfach sterben. In zehn Jahren würde das Land eine niedrige Geburtenrate haben und sehr viel weniger Wildleben. Hartleys Taten würde Millionen töten oder verkrüppeln. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, nahm Hartley tatsächlich Bestechungsgelder von der Industrie entgegen, damit er ihre Interessen vertrat. Der Mann war Abschaum und Mooney fühlte nicht das geringste Bißchen Mitleid.Normalerweise standen vor dem Landtagsgebäude nur zwei Wachen. Mooney fröstelte, als er sah, daß zusätzlich noch sechs Polizisten anwesend waren und daß sie die Leute, die in das Gebäude einzutreten wünschten, gründlich untersuchten. Sah aus als würden sie jemanden suchen. Ihn? War es möglich das Brandon ihn verraten hatte? Daß es ihm irgendwie gelungen war, die Polizei zu alarmieren und die ihm geglaubt hatte? Mooney konnte sich das nicht vorstellen. Selbst wenn er es versucht hätte, warum sollte die Polizei ihm Glauben schenken? Natürlich war es möglich, daß Brandon ihn tatsächlich verpfiffen hatte. Er hatte mit seiner Meinung schließlich nicht hinterm Berg gehalten. Mooney war so naiv gewesen, anzunehmen, daß Brandon außer zu protestieren nichts tun würde. Aber dieses Mädchen, das bei ihm war... Toni Frost. Vielleicht war sie diejenige, die ihn verpfiffen hatte. Sie war ein Großmaul, eine eingebildete Göre, und Mooney konnte sich gut vorstellen, daß sie die Polizei alarmiert hatte. Wenn dem so war, so würde er es ihr schon zeigen. Er dachte scharf nach, aber der Name Toni Frost wollte bei ihm keine Erinnerungen hervorrufen. Wie konnte er sie vergessen haben? Es mußte eine Antwort auf diese Frage geben. Wenn er sie umbrachte, würde sie aufhören zu existieren. Vielleicht würde Brandon sie dann vergessen, was der Grund dafür sein könnte, warum Mooney sich nicht an sie erinnern konnte. Das schien plausibel. Es bedeutete außerdem, daß sie sein nächstes Ziel war, nachdem dieser Teil seiner Mission abgeschlossen war. Aber zuerst mußte er in das Gebäude eindringen, denn er wußte, wohin er zu gehen hatte, und wenn der Weg frei gewesen wäre, hätte er den Zeitfeldgenerator benutzen können. Aber ohne klare Sicht gab es keine Möglichkeit sicherzustellen, daß er sich nicht in einem Gegenstand materialisierte. Und das wäre sehr unangenehm. Aber auch dieses Problem hatte eine Lösung. Er stellte seinen Zeitfeldgenerator eine Sekunde vor. DieBeobachter würden glauben, er sei gerade verschwunden, obwohl er in Wirklichkeit anwesend war. Die Leute würden vielleicht einen kurzen Eindruck im Augenwinkel wahrnehmen, aber sie könnten ihn nicht wirklich sehen. Auf diese Weise konnte er natürlich den Senator nicht erschießen, aber wenn er erst einmal mit dem Mann alleine war, konnte er wieder in die Standardzeit zurückfallen. Er ging auf die Wachen des Landtagsgebäudes zu und schlüpfte einfach zwischen ihnen hindurch. Da er sich nicht in der selben Zeitphase befand, würden sie es erst eine Sekunde später fühlen, wenn er aus Versehen in sie reinlief. Es würde sie verwirren, aber er wollte Probleme trotzdem vermeiden. Als er an den Polizisten vorbeilief, drehte sich einer von ihnen um und schaute ungefähr in seine Richtung. Er mußte einen Glimmer von Mooney im Augenwinkel gesehen haben, aber er konnte jetzt nichts
mehr entdecken. Er sagte etwas zu seinem Partner, das Mooney nicht hören konnte. Stimmen klangen seltsam in diesem Zustand, die Zeitverschiebung gab ihnen eine eigenartige Dissonanz. Mooney sah ein Stück Papier, das einer der Polizisten hielt. Es war das Fax eines Phantombildes und es zeigte definitiv Mooneys Gesicht. Die kleine Göre hatte ihn also wirklich verraten! Sie waren ihm auf der Spur. Nun, er würde es ihr schon zeigen, sobald das hier vorbei war. Er ging den Korridor entlang, wobei er Kontakt mit Menschen und Dingen strengstens vermied. Er hatte im Buch gelesen, wo sich Hartleys Büro befand. Als er sich näherte, sah er weitere Polizisten, zwei davon vor der Bürotür des Senators stationiert. Sie beobachteten den Korridor genau, erwarteten also offensichtlich Ärger. Glücklicherweise hatten sie keine Vorstellung davon, was für eine Art Ärger sie gleich haben würden. Mooney wartete vor der Tür. Es war unmöglich sie zu öffnen, ohne dabei gesehen zu werden und er wollte nicht warten, bis je mand anders sie öffnete. Das könnte nochStunden dauern und er konnte nicht lange in dieser Zeitverschiebung verharren. Er mußte das Risiko eingehen und durch die Tür in den Raum „springen". Wenn er gleich hinter der Tür landete, war die Gefahr, sich in einem Möbelstück zu materialisieren, ziemlich gering - es war unwahrscheinlich, daß sie die Tür verbarrikadiert hatten! Aber vielleicht stand noch eine weitere Wache hinter der Tür, und das wäre gefahrlich. Dennoch, er mußte das Risiko eingehen. Er stellte seine Gürtelkontrollen ein, und löste den Sprung aus. Er stand jetzt sicher im Büro des Senators. Er hatte sich zum Glück nicht in einem Menschen materialisiert. Es war außer ihm nur eine Person im Zimmer, Hartley selbst, der an seinem Schreibtisch arbeitete. Offensichtlich wollte er sich von den Sicherheitsmaßnahmen, die seinem Schutz dienten, nicht allzusehr stören lassen. Sein einziges Zugeständnis war, die Fensterläden geschlossen zu halten und seinen Schreibtisch vom Fenster weg bewegt zu haben. Selbstverständlich konnte der Senator ihn nicht sehen, da Mooney noch immer in der Zeitverschiebung war. Mooney zückte seine Pistole und aktivierte die Kontrollen um in die wirkliche Zeit zurückzukehren. Hartley sprang auf, als sich in seinem Blickfeld plötzlich ein Mann einfach so materialisierte. Mooney feuerte sofort. Der elektronische Schuß ging durch Hartleys Körper und brannte durch jede einzelne Nervenverbindung. Der Senator schrie, als er starb. Mooneys Hand berührte die Gürtelkontrollen, um zum Wald zurückzukehren. Als er die Kontrollen aktivierte, öffnete sich die Tür und zwei bewaffnete Polizisten sprangen in den Raum. Einer feuerte seine Pistole ab, gerade in dem Moment als Mooney verschwand. Für einen Sekundenbruchteil glaubte Mooney, er sei tot. Er hatte die Pistole und den Schuß genau gesehen. Die Kugel war eine Millisekunde von seinem Kopf entfernt, als der Raum verschwand und er sich im Wald wiederfand.Erleichtert ließ er sich zu Boden sinken. Ihm war klar, daß er dem Tod nur um Haaresbreite ein Schnippchen geschlagen hatte. Und das war allein die Schuld dieses weinerlichen Mädchens. Naja, sie hatte nicht mehr lang zu leben. Zuerst mußte er allerdings überprüfen, wie erfolgreich seine neuste Mission gewesen war. Dieses Mal war er sicher, daß er erfolgreich gewesen war. Brandon hatte das Problem seines ersten Plans sofort erkannt. Es war unerheblich, wieviele Industrielle er tötete, es würden immer neue antreten. Aber wenn er selektiv korrupte Politiker entfernte, könnte er die Welt verändern. Er ging zu seinem Koffer und öffnete ihn. Ungläubig starrte er auf die leeren Halterungen. Das Buch und der Helm waren verschwunden. Aber wie? Niemand in diesem primitiven Zeitalter hatte die Fähigkeit, seinen Koffer zu öffnen. Das konnte nur ihm gelingen. Plötzlic h wurde ihm klar, wie weit der Verrat reichte. Es war doch nicht das Mädchen, das ihn betrogen hatte. Es war Brandon. Er hatte sich selbst betrogen. Wie konnte der Junge so etwas Schreckliches tun? Sicherlich war er niemals so eine schlimme Person gewesen. Die Zukunft einfach zu verraten! Egal. Was auch immer Brandons Gründe für den Verrat waren, Mooney mußte die Dinge wieder in Ordnung bringen. Und wenn das bedeutete, auch Brandon eins auszuwischen... Sheriff Frost hatte der Geschichte, die Brandon und Toni ihr erzählten, mit angespanntem Gesichtsausdruck zugehört. Brandon konnte sich nicht vorstellen, daß sie ihnen glauben würde, und nahm an, daß selbst ein Versuch zwecklos war. Toni sah das natürlich anders, und wenn sich Toni was in den Kopf gesetzt hatte, dann wurde es auch getan. Als sie fertig waren, saß Sheriff Frost einfach da und blickte zuerst in Tonis und dann in Brandons Gesicht, ohne auch nur mit der
Wimper zu zucken. Dann sah sie auf das Buch und den Helm, die beide auf dem Tisch lagen.„Offen gestanden", sagte sie endlich, „hätte ich nicht schlecht Lust, euch beide Alkoholund Drogentests zu unterziehen." Dann seufzte sie. „Aber wie ich dich kenne, würde es eh nichts nutzen, oder?" „Nein", sagte Toni. „Du kennst mich, Mami. Ich mach so Sachen nicht. Und Brandon ist da noch strikter." „Das habe ich befürchtet", sagte sie mit einem tiefen Seufzer. „Das heißt, daß diese verrückte Geschichte wahr sein muß, und ich weiß nicht, ob ich damit umgehen kann. Ich würde viel lieber glauben, daß ihr beide verrückt seid, oder lügt, oder high seid, oder sonstwas. Aber du bist meine Tochter, und ich kenne dich zu gut." Sie starrte Brandon an. „Und wenn ich den Blick in den Augen meiner Tochter richtig deute, werde ich dich auch noch besser kennenlernen. Also in Ordnung." Sie streckte ihre Hände aus. „Ich glaube euch. Habt ihr irgendeine Idee, wie wir ihn fangen können?" Brandon zeigte auf das Buch und den Helm. „Köder", sagte er schlicht. „Mooney braucht das Zeug, um zu sehen ob sein Plan funktioniert hat." Toni nickte. „Gute Idee. Wir müssen ihn nur davon abhalten, seine Gürtelkontrollen zu benutzen. Damit springt er nämlich durch die Zeit." „Ah ja, da wird bestimmt einfach", grummelte ihre Mutter. „Nun, ich muß wohl..." Sie wurde vom Klingeln des Telefons unterbrochen. Sie nahm den Hörer ab und hörte gebannt zu. Ihr Gesicht spannte sich an, dann legte sie auf. „Hartley ist tot", sagte sie mit sanfter Stimme. „Sieht aus wie Herzversagen, aber einer der Wachen schwört, ein Gespenst im Raum gesehen zu haben." Brandons Hoffnungen waren zerschmettert. „Mooney", sagte er mit schmerzerfüllter Stimme. „Wir haben ihn nicht aufhalten können." „Scheint so", sagte Sheriff Frost. Toni starrte Brandon besorgt an. „Er geht bestimmt in den Wald zurück, um zu sehen ob er erfolgreich war", sagte sie. „Und dann wird er feststellen, daß wir ihn betrogen haben."„Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis er herausfindet wo wir sind", antwortete Brandon. Er sah das Buch und den Helm an. „Na, mal sehen was er der Welt dieses Mal angetan hat." Und dieses Mal sah er nur Dunkelheit. Er zog den Helm ab und betrachtete ihn verwundert. „Es klappt nicht", sagte er. „Vielleicht gibt's irgendwo einen Schalter an dem Ding." Er untersuchte den Helm, sah aber kein Anzeichen einer Kontrolle. „Normalerweise schaltet er sich ein, wenn man ihn anzieht." „Vielleicht funktioniert er ja doch", schlug Toni vor. „Vielleicht zeigt er dir nur nichts, weil's nichts zu zeigen gibt." Was sie da sagte, verursachte ihm eine Gänsehaut. „Glaubst du, daß es Mooney dieses Mal gelungen ist, alles zu zerstören?" Vielleicht nicht alles", antwortete Toni und sah dabei so elend aus wie er sich fühlte. „Nur das Gebäude, in dem seine Ausrüstung ist. Der Helm empfängt ein Signal von einem Generator dort. Wenn der Generator weg ist, gibt es nichts mehr zu empfangen." Brandon nickte, war aber immer noch verwirrt. „Vielleicht ist es Mooney dieses Mal gelungen, sich selbst umzubringen?" schlug er vor. „Dann gäbe es überhaupt keinen Generator." „Wenn dem so wäre", argumentierte Toni, „dann würden ja das Buch und der Helm auch verschwinden. Aber die sind noch da." Brandon knurrte. „Ich hasse diesen Zeitreisekram", beklagte er sich. „Kaum etwas ergibt irgendeinen Sinn." „Wie glaubst du denn daß ich mich fühle?" fragte Sheriff Frost. „Ich verstehe noch weniger davon als ihr. Aber was ist mit dem Buch? Wenn es eine Geschichte der Zukunft ist, kann es uns vielleicht die Antwort auf das, was hier vorgefallen ist, geben." „Stimmt", pflichtete Brandon aufgeregt bei. „Mooney sagte, daß alle Veränderungen in diesem Buch aufgezeichnet werden." Er berührte das Keyboard, und dasDisplay des Buches leuchtete auf. „Okay. Mal sehen was in den letzten achtzig Jahren so passiert ist." Er gab ein Datum ein und drückte „Enter". Nichts passierte. „Ich werde mal zurückscrollen", sagte er besorgt. Machte er etwa was falsch? Die letzte Eintragung war in fünfzig Jahren. Und dann sah er etwas, das ihm den Atem stocken ließ. „Ein Atomkrieg", flüsterte er, als er die Eintragung las. „Der größte Teil der Menschheit wurde ausgelöscht. Es gibt nur noch vereinzelte Überlebende. Offensichtlich ist Mooney einer von ihnen. Sie sterben langsam aus... wegen der Radioaktivität. Es geschah im Jahre 2021..." Er blickte Toni und ihre Mutter an. „US-Präsident Dundee hatte eine Konfrontation mit China. Keiner wollte nachgeben, bis schließlich ein Krieg ausbrach. Er zerstörte die gesamte Welt und
hat die Menschheit fast vollständig ausgelöscht. Weniger als ein Prozent haben überlebt und die sind steril. Die meisten davon leiden an Strahlenvergiftung. Im Jahre 2075 sind in der gesamten Welt weniger als hundert Menschen am Leben. Das ist die letzte Eintragung." „Aber Mooney muß irgendwie überlebt haben", sagte Toni, ihre Stimme schwach und zitternd. „Und er war immer noch in der Lage, den Zeitfeldgenerator zu bauen." „Der Idiot!" schrie Branden und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Dieser Esel! Er wollte die Welt vor der Verschmutzung retten und was hat er getan? Er hat die gesamte Menschheit ausgerottet!" Er fühlte sich schwach. Beinahe wäre er ohnmächtig geworden. „Ich habe die Menschheit ausgerottet." Er schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich bin schlimmer als sich Hitler je hätte träumen lassen." „Halt den Mund", knurrte Toni und schüttelte ihn. „Mooney ist nicht du. Du kannst dich nicht in ihn verwandeln. Völlig ausgeschlossen." „Ist ja auch egal", entgegnete Branden „Denn Mooneys Taten haben diese Zukunft verursacht. Wir haben nochungefähr zwanzig Jahre zu leben, dann stirbt die gesamte Menschheit aus." Ihm kam noch ein weiterer Gedanke. „Und ich werde den Atomschlag überleben. Vielleicht ist es das, was mich in Mooney verwandelt. Den Krieg zu überleben, den Mooney verursacht hat, treibt ihn in den Wahnsinn. Deswegen kann er sich an dich nicht erinnern, Toni. Und deswegen kann er problemlos Leute umbringen. Er ist wahnsinnig." „Durchaus möglich", gab Sheriff Frost zu. „Nein", beharrte Toni. „Es ist nicht möglich. Brandon, hör auf. Du bist nicht Mooney. Wenn er den Tod der Menschheit verursacht, dann muß es etwas geben, was wir dagegen tun können." „Es gibt in der Tat etwas was ihr tun könnt", stimmte Brandon zu. Sein Herz schlug plötzlich schneller, jetzt wo ihm die Antwort auf alles einfiel. „Ihr könnt die Zukunft recht einfach verändern." Sein Blick fiel auf Sheriff Frost. „Sie haben eine Pistole - Sie müssen mich erschießen. Jetzt. Dann kann ich nicht zu Mooney heranwachsen. Verstehen Sie?" schrie er. „Die einzige Möglichkeit, die Zukunft zu retten, ist mich zu töten!"
Kapitel 11 Brandon mußte seinen ganzen Mut zusammennehmen, um diese Worte zu stammeln, aber er meinte es ernst. Langsam ergaben die Dinge Sinn, und er verstand alles. Er mußte sterben, damit die Menschheit leben konnte. Auf diese Weise würde Mooney niemals existieren und er würde nie durch die Zeit reisen und Unruhe stiften. Alles würde wieder zur Normalität zurückkehren. Alles was er tun mußte, war zu sterben. Sheriff Frost schüttelte den Kopf. „Kommt nicht in Frage", sagte sie. „Abgesehen davon, daß ich Leben schützen soll und nicht zerstören, glaube ich kaum, daß meine Tochter sich besonders freuen würde, wenn ich ihren Freund erschieße." „Sie verstehen nicht!" sagte er voller Verzweiflung. „Wenn Sie mich töten, retten Sie die Welt Es gibt keine andere Möglichkeit!" „Wir müssen einen anderen Weg finden, um die Welt zu retten", sagte Toni bestimmt. „Es ist ja sehr nett von dir, daß du dich zum Märtyrer machen lassen willst, um die Menschheit zu retten, aber ich glaube, daß es wahrscheinlich nicht notwendig sein wird." „Es ist die einzige Möglichkeit zu verhindern, daß ich zu Mooney werde", beharrte Brandon. „Wenn ich tot bin, kann er nicht existieren." „Nehmen wir mal an, daß du recht hast", sagte Sheriff Frost. Sie hob die Hand, um Tonis Gefühlsausbruch zu stoppen. „Laß mich gefälligst ausreden, Fräulein! Danke. Nehmen wir an, daß du recht hast. Daß die einzige Möglichkeit, Mooney zu stoppen, ist, dich zu töten. Wir müssen es ja nicht jetzt tun. Er ist achtzig Jahre älter als du. Wir könnten es also irgendwann in den nächsten achtzig Jahren tun." „Nein, könnten wir nicht", beharrte Brandon. „VerstehenSie. Mooney läuft frei nun und bringt Leute um, um eine perfekte Welt zu erschaffen. Wenn er das nächste Mal etwas anstellt, wird er vielleicht noch mehr Schaden anrichten. Momentan bleiben der Welt noch zwanzig Jahre. Was, wenn uns beim nächsten Mal nur noch zwanzig Minuten bleiben? Er ist verrückt, wer weiß schon, was er als nächsten tun wird. Die einzig defmitv sichere Methode, ihn zu stoppen, ist, mich jetzt zu töten." „Willst du Selbstmord begehen oder was?" fragte Toni. „Du weißt nicht mit Sicherheit, ob das die einzige Lösung ist. Und solange es vielleicht noch andere Alternativen gibt, bringt dich keiner um ohne mich vorher umzubringen." Sie kreuzte die Arme und starrte ihn an. „Ich habe beschlossen, daß du der Typ bist, den ich will, und basta." Ihre Mutter kicherte. „Sie kann sehr starrköpfig sein, Branden. Sieht so aus, als würdest du dich besser dran gewöhnen. Klingt so, also würde sie bereits ein langes Leben zusammen mit dir planen." Branden wäre zu jeder anderen Zeit zutiefst berührt gewesen bei dem Gedanken, daß Toni ihn so sehr mochte. Aber warum konnten sie nicht einsehen, was getan werden mußte? „Wenn ihr mich nicht tötet, muß ich es eben selber tun", schnauzte er und beugte sich schnell über den Tisch. Sheriff Frost und Toni griffen ihn beide gleichzeitig. „Wenn du das noch mal versuchst, sperre ich dich ein", versprach ihm Sheriff Frost. „Und dann nehme ich dir auch Gürtel und Schnürsenkel ab, damit du dich nicht erhängen kannst. In meiner Zelle bringt sich keiner um. Ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren." „Und wenn du glaubst dich einfach so umbringen zu können", sagte Toni wütend, „dann solltest du auch dazu bereit sein, mich zuerst zu ermorden. Ich werde das nämlich nicht zulassen." Branden war frustriert. Warum verstand ihn denn keiner? Und plötzlich stand Mooney im Raum. „Dich zuerst umzubringen hört sich gut an, wenn ihr mich fragt." Alle waren erschrocken, als sie Mooney sahen. Nicht nurwegen der Bedrohung, die er darstellte, sondern auch aufgrund seines Aussehens. Er sah jetzt noch älter aus. Sein künstliches Auge war verschwunden, aber das war die einzige Verbesserung. Seine Haut war grau und aufgedunsen. Sein Gesicht, seine Hände und sein Nacken waren von roten Beulen bedeckt, allesamt eiterfarben und entzündet. Er hatte kein Haar mehr, und sein linkes Auge war glasig weiß. „Strahlenvergiftung", sagte Brandon entsetzt, als er den kranken Mann angeekelt betrachtete. „Jeder Überlebende in meiner Zeit ist radioaktiv verseucht", knurrte Mooney. „Ich auch. Ich habe nicht mehr lange zu leben, aber ich habe noch genügend Zeit, um das hier in Ordnung zu bringen." Er hatte seine Pistole in der Hand, aber er zeigte damit auf Sheriff Frost, nicht auf Toni.
„Ich habe eurer kleinen Unterhaltung geraume Zeit zugehört", erklärte er. „Ich habe gehört, was geschehen ist, was meine Welt in diese Situation gebracht hat. Ich kann es in Ordnung bringen. Aber ich kann nicht riskieren, daß ihr drei mich aufhaltet. Es ist Zeit, daß wir alle auf eine kleine Reise gehen." „Wovon reden Sie überhaupt?" verlangte Sheriff Frost zu wissen. „Ich gehe nirgendwo hin, dasselbe gilt für meine Tochter. Hören Sie mit diesem Wahnsinn auf, Mooney." Mooney schüttelte den Kopf und hustete. „Ich muß diesen Krieg verhindern", sagte er. „Entweder kommt ihr mit mir mit, oder ich werde euch auf der Stelle töten. Ihr wißt, was diese Pistole anrichten kann." Die Pistole sah anders aus, als bei den vorherigen Begegnungen. Brandon schüttelte den Kopf. „Die hat sich auch verändert", sagte er. „Sie sieht anders aus als die, die ich gesehen hatte." „Oh." Mooney kicherte. „Nun, sie feuert konzentrierte Radioaktivität. Kann eure Gehirne in einer halben Sekunde braten. Also ihr habt die Wahl. Mitkommen oder sterben." „Sterben," sagte Brandon und tat einen Schritt nach vorn. ,,Nicht du, du Idiot", schnauzte Mooney. „Ich meine dieanderen beiden. Du weißt genau, daß ich dich nicht töten kann." Branden hatte es tatsächlich nicht erwartet, aber er fühlte sich trotzdem besiegt. „Also Sheriff', sagte Mooney. „Was wollen Sie? Soll ich Sie und Ihre Tochter umbringen?" Sheriff Frosts Schultern sanken nach unten. „Nein", sagte sie leise. „Wir kommen mit." „Kluge Entscheidung." Er fuchtelte mit der Pistole. „Schnallen Sie die Waffe langsam ab und werfen Sie sie in die Ecke." Sie tat was er sagte, und er nickte zustimmend. „Gut gemacht. Jetzt kommen Sie auf diese Seite des Tisches und stellen Sie sich zu Ihrer Tochter und meinem jüngeren Selbst." Sheriff Frost tat wie ihr geheißen und legte einen schützenden Arm um ihre Tochter. „Das wird nie funktionieren", sagte sie. „Das werden wir ja sehen", erwiderte er. „Ich habe keine andere Wahl, als diesen Dundee umzubringen." Er nickte Toni zu „Nimm das Buch." Und zu Branden: „Du nimmst den Helm. Eine falsche Bewegung und ich blase deiner Freundin das Gehirn heraus." Er hatte keine andere Wahl. Der Mann hatte ihn bereits vorher angeekelt, aber das war nichts im Vergleich zu dem, was er jetzt fühlte. „Du Abschaum!" sagte er zu Mooney. „Ich sehe, daß du noch viel lernen mußt, wenn wir hier fertig sind", antwortete Mooney. „Diese Pistole kann die Stärke des Strahls verändern und ich weiß sehr viel über das menschliche Gehirn. Ein wenig gezielte Arbeit und du wirst mich besser verstehen." Brandon war angeekelt und hatte Angst. Mooney hatte vor, ihn einer Art Gehirnwäsche zu unterziehen, um seine Art zu denken zu verändern. War das vielleicht die Art und Weise, wie Mooney entstanden war? Durch eine Veränderung an Brandons Gehirn? Jetzt da Mooney alle drei vor sich hatte, begann er, an seinem Rucksack zu nesteln. Brandon hatte ihn sich vorhernicht angesehen, aber jetzt wußte er, worum es sich handelte „Der Zeitfeldgenerator", sagte er. „Er ist nicht mehr im Gürtel eingebaut. Er ist jetzt viel größer." Mooney stimmte zu: „Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, hätte ich ihn kompakter gebaut. Ich habe eine Gürtelversion in Betracht gezogen. Aber ich hatte weder die Zeit noch die Materialien. Wie ihr euch sicher vorstellen könnt, sind die meisten elektronischen Teile im Atomkrieg zerstört worden. Ich mußte mit den Dingen arbeiten, die mir zur Verfügung standen. Dennoch, diese Version ist ausreichend Und ihr seid alle nahe genug." Er nahm etwas aus dem Rucksack, das wie eine Fernsteuerung aussah. Er programmierte sein Ziel und schaltete das Gerät ein. Brandon fühlte ein eigenartiges Kribbeln in seinem Bauch. Ihm fiel auf, daß der Zeitfeldgenerator wieder einmal den Gang der Zeit beeinflußt hatte. Anstatt nur auf Mooney Auswirkungen zu haben, hüllte das Zeitfeld alle drei ein und noch Teile des Bodens. Das Sheriff-Büro verschwand, und obwohl sie alle noch auf dem selben Boden standen, befand sich dieser plötzlich im Wald, bei dem umgestürzten Baum. Sheriff Frost war erstaunt. „Unglaublich", sagte sie. „Sie haben uns blitzschnell durch den Raum teleportiert." „Nicht ganz", korrigierte sie Mooney. „Wir befinden uns außerdem eine Stunde in der Zukunft. Das ist der kürzeste Zeitsprung, den ich mit dieser primitiven Ausrüstung tun kann." Er deutete mit der Pistole auf den Koffer.„Den brauchen wir auch. Ich werde ihn nicht wieder zurücklassen, so daß ihn jemand findet. Stellt euch drum herum, ihr alle. Wir müssen einen weiteren Sprung machen." Da er seine Waffe immer noch auf Toni gerichtet hatte, sah Brandon
keine andere Wahl, als ihm zu gehorchen. Alle drei taten wie ihnen geheißen. Mooney folgte ihnen. Er programmierte ein neues Ziel und löste den Mechanismus aus. Die Bretter des Sheriff-Büros im Wald zu sehen, wareigenartig genug, aber Teile des Waldbockes
mitzunehmen war noch seltsamer. Brandon hatte keine Ahnung wo sie waren, aber allem Anschein nach hatten sie sich in einer Art Keller materialisiert. Ein kleines Fenster war oben in der Wand eingelassen, und ein verrosteter Boiler stand in der Ecke. Abgesehen davon lagen überall leere Kisten und viel Staub herum. Wo auch immer sie waren, Leute kamen hier wohl nicht oft vorbei. „Als ich in diese Zeit reiste", sagte Mooney, „dachte ich, daß ich ein zweites Versteck brauchen könnte. Dies ist der Keller des Hauses wo einmal mein Büro stehen wird. Ihr drei werdet hier sicher sein, während ich arbeite." Er zeigte mit seiner Waffe auf Sheriff Frost. „Ich sehe, daß Sie Handschellen in Ihrer Tasche haben. Ich möchte, daß Sie mir die Schlüssel geben." Sie tat wie ihr geheißen, wortlos. „Gut. Jetzt stellt euch alle drei neben den Boiler." Als sie dort standen, befahl Mooney ihnen, die Hände auszustrecken. „Sheriff, ich möchte, daß Sie ihre linke Hand an seine rechte ketten, hinter dem Rohr an der Wand." Brandon stellte sich hin wo Mooney gesagt hatte, mit dem Rücken zur Wand. Toni stand auf der anderen Seite des Rohrs. Ihre Mutter kettete die beiden zögerend aneinander, ganz so wie ihr befohlen worden war. Beide konnten sich noch relativ frei bewegen, aber das Rohr war nur neun Zentimeter von der Wand entfernt. Sie waren also gefesselt. „Gut", sagte Mooney. „Ketten Sie sich jetzt an das andere Rohr." Sheriff Frost legte ihre Hand in eine der verbleibenden Handschellen und kettete sich an das zweite Rohr. Sie konnte sich am Rohr entlang bewegen, aber nicht davon entfernen. „Zufrieden?" fragte sie? „Perfekt" antwortete Mooney. Er starrte Toni an. „Ich vermute, daß du für das närrische Verhalten meines jüngeren Selbst verantwortlich bist. Wenn dem so ist, werde ichdich töten, um das Problem aus der Welt zu schaffen. Wenn du auch nur aufmuckst, ist es sofort vorbei." „Wenn du sie anrührst", sagte Branden mit kalter Stimme, „werde ich irgendwie einen Weg finden, mich selbst umzubringen, damit du auch stirbst." „Das ist das einzige, was sie am Leben erhält", informierte ihn Mooney. „Andernfalls hätte ich es längst getan. So, jetzt muß ich mehr über diesen Dundee herausfinden. Ich muß einen Atomkrieg verhindern." Er ging dorthin, wo Toni das Buch plaziert hatte und tippte etwas. Er begann, die Eintragungen zu lesen, suchte nach den Informationen die er brauchte. Toni kam noch näher an das Rohr heran. „Kannst du uns irgendwie befreien?" fragte sie Brandon. „Ich bin kein Houdini", entgegnete er. „Aber irgendetwas müssen wir unternehmen, sonst wird er wieder morden. Er ist besessen von der Idee, daß er sich den Weg in eine perfekte Welt ermorden kann." „Ein typischer Terrorist", sagte Sheriff Frost mit leiser Stimme. „Er ist völlig davon überzeugt, daß dies der einzige Weg ist, und es ist ihm egal, wer dabei draufgeht. Ich glaube nicht, daß wir ihn überzeugen können. Wir müssen eine andere Lösung finden." Brandon seufzte. „Nun, ich glaube daß irgendein Plan, der darauf basiert ihn zu überwältigen, ebenfalls nicht durchführbar ist." Er rüttelte am Rohr. „Und wir haben nicht gerade viele andere Möglichkeiten." Mooney legte das Buch wieder hin und kam zu ihnen herüber. „Ich habe gefunden, was ich suchte", sagte er und hustete. Blutflecken waren auf seinen Lippen sichtbar. „Ich muß schnell handeln, denn ich habe nicht mehr lange zu leben. Dundees Tod wird eine Veränderung bewirken. Vielleicht werde ich die Welt nicht perfekt gestalten, aber viel zu verlieren habe ich nicht." Er deutet auf seine grauenhafte Haut. „Vielleicht bringst du dich dieses Mal selbst um", sagte Brandon. „Immer noch besser als mit dieser Strahlenvergiftung zuleben", sagte Mooney. „Ich bin bald wieder zurück." Er nahm die Fernbedienung aus seinem Rucksack und stellte die Kontrollen ein. Dann verschwand er. Brandon fühlte sich entsetzlich müde. „Das war's dann wohl", sagte er. „Weg ist er, und wir sind hier gefangen. Es ist unmöglich, ihn jetzt noch aufzuhalten."
Kapitel 12 Mooney materialisierte sich in der Nähe von Dundees Haus. Zwanzig Jahre später würde er Präsident der Vereinigen Staaten werden, aber momentan war er noch ein erfolgreicher Anwalt. Sein Haus war groß. Es lag ein Stück abseits von der Straße und hatte einen langen Zufahrtsweg, der von Kieselsteinen bedeckt war. Eine lange Hecke umgab das Anwesen, und einige Bäume waren über den Rasen verstreut sichtbar. Die Blumen am Haus wurden vom Gärtner in perfektem Zustand gehalten. Es war ein angenehmes Haus und Mooney verspürte ein wenig Nostalgie. Seit dem Krieg hatte er kein solches Haus mehr gesehen. In seiner eigenen Zeit war alles grau und von Staub bedeckt. Fast alle Lebewesen waren von der Erde verschwunden. Er und die Handvoll anderer Überlebender aßen aus Dosen, die sie aus zerstörten Supermärkten geborgen hatten. Wenn die weg waren... naja, das war jetzt auch egal. Die wenigen Leute, die noch am Leben waren, würden sterben, bevor die Nahrungsmittel zu Ende gingen. Und dann würde die Erde für immer zu einem kalten und toten Planeten werden. Außer er konnte den Krieg verhindern. Und dazu gab es nur eine einzige Möglichkeit: Den Wahnsinnigen, der den Krieg anfangen würde, umzubringen. Dundee. Nichts konnte Mooney aufhalten. Es war seine einzige Hoffnung, die Welt vor der totalen Zerstörung zu bewahren. Er sah keine Wächter. Warum auch? Dundee stand schließlich noch nicht im Licht der Öffentlichkeit, also benötigte er auch keinen Schutz. Wahrscheinlich besaß das Haus nur eine einfache Alarmanlage. Das würde Mooney nicht aufhalten. Er mußte ja nicht mal in das Haus eindringen. Alles was nötig war, war ein einzigerSchuß, und die Welt würde gerettet sein. Und hoffentlich würde er sich dann auch verändern. Wenn seine Welt nicht im Atomfeuer verglüht wäre, dann würde er sicher nicht mehr an der Strahlenvergiftung leiden, die ihn langsam aber sicher dahinraffte. Er wäre dann frei und besser denn je gewappnet, mit seiner Mission fortzufahren. Es war Zeit zu töten... „Gib nicht immer klein bei!" schnauzte Toni Brandon an. „Es muß eine Lösung geben. Wir können es nicht zulassen, daß er frei rumläuft und Menschen umbringt." „Außerdem", fügte ihrer Mutter mit kalter Stimme hinzu, „hat er meiner Tochter Schaden angedroht. Wenn es stimmt, daß du für sie Gefühle hegst, dann solltest du dir gefälligst was einfallen lassen." Brandon fühlte sich hilflos und überwältigt. „Es geht nicht", protestierte er. „Mir fällt nichts ein. Und wir sind an diese Rohre gekettet." Er starrte Sheriff Frost an. „Ihr hättet mich töten sollen, als ihr die Gelegenheit dazu hattet. Das hätte ihn aufgehalten." „Obwohl das Angebot mittlerweile recht verlockend klingt", antwortete Sheriff Frost, „würde ich es trotzdem nicht tun. Es muß einen anderen Weg geben." Toni griff mit ihrer freien Hand nach seinem Arm. „ Brandon, du bist der Klügste den ich kenne", flehte sie. „Dir muß doch was einfallen Es muß eine Lösung geben." „Wenn es eine gibt, fällt sie mir nicht ein. Sieht so aus, als wäre ich dazu verdammt, Mooney zu werden. So sehr ich sein Verhalten auch verachte, offensichtlich wird etwas geschehen ,das mich in ihn verwandelt. Ich weiß nur nicht, was es ist." Sheriff Frost schlug mit der Hand gegen den alten Boiler und wirbelte eine Staubwolke auf. „Für ein Kind das so klug sein soll", bemerkte sie, „bist du ziemlich blöd. Vielleicht weißt du nicht, was wir tun können, aber das weiß es." Sie zeigte auf das Buch, das noch immer auf Mooneys Koffer lag.Ein Anflug von Hoffnung überkam Branden, als er das Buch ansah. „Na klar!" rief er. „Wenn das die Geschichte der Zukunft ist, dann steht auch bestimmt meine Veränderung drin." Dann brach die Realität über ihn herein. „Es ist aussichtslos. Das Buch ist da drüben, und wir sind hier gefangen." „Es könnte also eine Möglichkeit geben, die nicht bedeutet, daß wir dich töten?" fragte Sheriff Frost. Aus irgendwelchen Gründen klang sie ziemlich fröhlich. „Selbstverständlich", gab er zu. „Wenn wir rausfinden was es ist, das mich in Mooney verwandelt, dann können wir es verändern. Das könnte all unsere Probleme lösen. Aber wir kommen an das Buch nicht heran. Wir stecken hier fest." „Aber nein." Sheriff Frost holte einige Schlüssel aus ihrer Jeanstasche. „Ihr glaubt doch nicht im Ernst, daß ich so dumm bin, keine Ersatzschlüssel mit mir zu tragen?" Sie begann sich zu befreien.
Brandon starrte sie erstaunt an. „Wollen Sie damit sagen, daß Sie uns die ganze Zeit hätten befreien können?" „Klar doch." Sie schloß die Handschellen auf. „Aber ich hätte dich garantiert nicht befreit, wenn du versucht hättest dich umzubringen." Dann grinste sie. Außerdem dachte ich, daß ihr beide es vielleicht genießen würdet, aneinander gekettet zu sein." „Mami!" schrie Toni, schockiert und amüsiert. „Wir hatten noch nicht mal ein Date." Brandon versuchte, das alles zu ignorieren. Er rannte quer durch den Keller und griff sich das Buch. So schnell er nur konnte, tippte er seinen Namen ein und drückte den „Search"-Knopf. Der Bildschirm zeigte Informationen. Es war sehr eigenartig, dazusitzen und über seine zukünftigen Leistungen informiert zu werden: Nach dem Abitur nach Harvard... Stipendien... sein erster Job... Die Antwort mußte irgendwo zu finden sein. Sie mußte. Sie zu finden war nur eine Frage der Zeit. Und er hoffte, daß ihm genug Zeit blieb, um Dundees Leben zu retten.Mooney hatte sich im Garten versteckt und blickte durch das halb offene Fenster des Hauses. Dundee befand sich mit seiner Familie im Inneren. Er, seine Frau und seine achtjährige Tochter. Sie tranken gerade Tee. Ein Anblick wie aus dem Bilderbuch. Alle drei schienen sehr glücklich zu sein. Zu dumm. Die Tatsache, daß Dundee ein netter Kerl war, zählte nicht, wenn man bedachte, daß die Zukunft der Erde auf dem Spiel stand. Er mußte sterben, damit die Erde leben konnte. So einfach war das. Mooneys Körper verkrampfte sich. Er fühlte einen scharfen Schmerz in seiner Brust. Er rang nach Luft, während sein Körper zu brennen schien. Endlich kam er wieder zu Atem. Er hustete. Er hatte kaum noch Zeit. Sein Herz war kurz davor aufzugeben. Sein Körper zitterte vor Schmerz. Er wußte, daß er nicht einmal mehr genug Kraft hatte, zum Fenster zu gehen und Dundee zu erschießen. Er würde beim Versuch sterben. Aber es gab noch eine andere Möglichkeit. Er stellte seine Radioaktivitätspistole auf Overload. Sofort begann sich die Spannung aufzubauen. Ein leises Heulen erfüllte den Garten. In ungefähr zehn Sekunden würde es zu einem Kurzschluß kommen, und die Pistole würde sich in eine tödlich Granate verwandeln. Sie würde explodieren und alle Anwesenden töten. Inklusive Mrs. Dundee und ihre fröhliche Tochter. Mooney wollte das zwar nicht, hatte aber keine Wahl. In jedem Krieg starben Unschuldige. Sie waren lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort. Sie mußten sterben, damit seine Welt leben konnte. Mit all seiner verbleibenden Kraft warf Mooney die Pistole durch das offene Fenster. Noch fünf Sekunden... „Kannst du dich nicht einfach entschließen, nicht zu Mooney zu werden? fragte Toni verzweifelt. „Reicht das nicht?" „Nein", antwortete Branden. „Wenn dem so wäre, wäre erschon längst verschwunden. Ich hasse alles das woran er glaubt. Es muß etwas anderes sein. Etwas das mich in ihn verwandelt." Er las die Seite und plötzlich fühlte er sich, als würde er explodieren. Das war's! „Der Computer!" rief er voller Hoffnung. „Wenn ich in sieben Jahren diesen Supercomputer erfinde, kommt es dabei zu einem Unfall im Labor. Ich muß für eine Woche ins Krankenhaus und habe daraufhin irgendeine Art Gehirnschaden." „Du hast bestimmt recht", sagte Toni voller Freude. „Also, was nun? Wie halten wir Mooney auf?" „Ganz einfach." Brandon lachte. „Ich werde einfach kein Informatiker werden. Vielleicht studiere ich stattdessen Meeresbiologie oder sonst was. Das ist alles. Ich werde schlichtweg den Computer nicht erfinden." In dem Moment, in dem er das sagte, verschwanden der Koffer und das Buch. Dundee blickte vom Tisch zum Fenster hinüber, wo er soeben ein Geräusch vernommen hatte. Es kam ihm vor, als hätte jemand etwas geworfen... Er konnte nichts entdecken. Er hätte schwören
können, daß er gesehen hatte, wie etwas hereingeflogen war, aber es war jetzt nichts mehr zu sehen. Egal... muß wohl der Wind gewesen sein. Alles war in bester Ordnung. In bester Ordnung. „Also", fuhr er fort. „Ich habe heute einen Anruf von Jim White bekommen, dem Demokraten. Sieht so aus, als würden sie jemanden brauchen, der sich als Senator zur Wahl stellen läßt. Sie haben meinen Namen erwähnt. Was haltet ihr davon?" „Es ist verschwunden", sagte Sheriff Frost und starrte dabei auf den leere Fleck auf dem Boden. „Brandon, glaubst du er ist ebenfalls verschwunden?" „Ja", sagte Brandon mit absoluter Sicherheit. „Er ist futsch. Und alles was er mit sich durch die Zeit gebracht hatte, ist auch weg." Er grinste Toni an. „Ich glaube, wirwerden feststellen, daß Henry Brandt und Troy Ryder auch noch am Leben sind. Da ich nie zu Mooney wurde, kam ich nie hierher um sie zu ermorden." „Mir fällt ein Stein vom Herzen", sagte Toni glücklich. Plötzlich fiel ihr etwas ein. „Aber was ist mit der Zukunft? Wird die Welt immer noch so schlimm verschmutzt sein?" „Ich glaube, das bleibt euch überlassen", antwortete ihre Mutter. „Und dem Rest eurer Generation. Du weißt, daß es möglich ist, daß die Zukunft schrecklich wird, aber ihr habt die Chance, das zu ändern. Wenn ihr euch dazu entschließt, könnt ihr es tun." Sie lächelte beide an. „Und ehrlich gestanden, wenn ihr beide nicht die Welt retten könnt - zum zweiten Mal -, dann kann es niemand tun." „Wir werden es schon hinkriegen", schwor Branden. „Da ich nicht in die Informatik einsteige, kann ich etwas gegen die Umweltverschmutzung unternehmen. Ich weiß, daß ich die Zukunft besser machen kann, als sie es bisher war." Toni nahm seine Hand in die ihre. „Und ich werde dir helfen", versprach sie. „Wie Mami bereits gesagt hat, ich bin zu starrsinnig um mich zu ändern, und da ich beschlossen habe, daß du zu mir gehörst, tust du es eben, ob es dir gefällt oder nicht." „Ich bin sicher, daß es mir gefällt", antwortete er. Er fühlte sich glücklich und zufrieden. Das war etwas, was er sich vorher nie richtig zu fühlen erlaubt hatte. Sein Zorn war verschwunden. Und sein alles überwältigender Egoismus auch. Alles was er brauchte war jemand, der ihn liebte und den er lieben konnte. Er hatte es Toni zu verdanken, daß er jetzt Sicherheit in seinem Leben hatte. Er würde sie nie loslassen. Er war glücklich, daß Toni, aus welchen Gründen auch immer, beschlossen hatte, Teil seines Lebens zu sein. Das bedeutete für ihn einen riesigen Unterschied. Achtzig Jahre später sah Brandon Mooney von seiner Arbeit auf, gerade in dem Moment, als sich seine Frau inihrem gemeinsamen Labor materialisierte. Seine Hälfte war mit Materialien zum Studium von Meeresbiologie angefüllt und ihre Hälfte mit Elektronik. Er arbeitete sehr hart an seinen Forschungen. Er war sicher, daß die Wale einen Punkt erreicht hatten, an dem sie stark genug waren, um sich selbst durchbringen zu können. Es war der Schlußpunkt von siebzig Jahren Arbeit. Die Bedrohung der Erde durch Umweltverschmutzung war vorbei, hoffentlich für immer. Jetzt ging es darum, das zerstörte Tierreich wieder aufzubauen. Die letzten Durchbrüche in der Medizin ermöglichten es den Menschen, ein- oder zwei hundert Jahre zu leben, bevor sie zu altern anfingen. Er hatte genügend Arbeit, um sich so lange zu beschäftigen. Seine Frau lächelte ihn an, als sie ihren Zeitfeldgenerator abschaltete. „Es funktioniert", sagte sie. „Ich bin achtzig Jahre in die Vergangenheit gereist und bin mir selbst begegnet." Branden lächelte sie an. Sie war immer noch wunderschön, was sie der Nanotechnologie zu verdanken hatte, die die Ärzte in ihren Blutkreislauf eingebaut hatten, um sie in optimaler Verfassung zu erhalten. „Süß war die Kleine, nicht wahr?" fragte er. „War?" sagte Toni und runzelte die Augenbrauen. „Soll das heißen, daß ich nicht mehr süß bin?" „Du bist immer noch wunderschön", versicherte er und küßte sie auf die Nase. „Und begabt. Ich habe immer gewußt, daß du den Zeitfeldgenerator zum Laufen bringen wirst. Worüber haben du und dein jüngeres Selbst gesprochen." „Was glaubst du denn?" fragte sie mit einem frechen Lächeln. „Jungs. Damals hatte ich's darauf abgesehen, einen Freund zu finden. Ich habe ihr alles über dich erzählt. Scheint so, als ob sie dich noch nicht kennt und noch nie an dich gedacht hat, bis ich ihr über das wunderbare Leben erzählt habe, das wir gemeinsam führen. Dann hat sie sich für dich entschieden, komme was wolle."Branden lachte., Ja, ich entsinne mich, daß du es auf die Ehe abgesehen hattest, sogar als wir beide noch sehr jung waren. Obwohl ich mich nicht daran erinnere, warum wir das erste Mal miteinander ausgegangen sind." „Nach all der Zeit kann ich mich auch nicht mehr daran
erinnern", gab Toni zu. „ Ich vermute, daß meine Zeitreise etwas damit zu tun hatte. Ich glaube, daß ich diesen Gürtel besser wegschließen sollte, wenn ich bedenke, was er anrichten könnte. Schließlich sollte ich nicht rumlaufen und die Vergangenheit verändern, oder?" „Nein", stimmte Brandon ihr zu. „Das würde ich nicht tun. Ich mag die Vergangenheit genauso wie sie ist. Und die Gegenwart ebenso." Er gab ihr einen zärtlichen Kuß. „Ich möchte nichts verändern."
Manchmal sind die besten Absichten nicht gut genug. Manchmal aber schon. Und andere Male... nun, die Zeiten ändern sich, die Menschen auch. Für uns kommt die Zukunft wie sie es immer getan hat, Tag für Tag. Aber wenn du die Möglichkeit hättest, die Vergangenheit zu ändern, würdest du es tun? Oder würdest du überhaupt nichts tun?