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Seewölfe 48 1
Roy Palmer 1.
Das Licht eines neuen Tages erhob sich grauweiß über der östlichen Kimm. Es war der 18. August 1579. Schweißgebadet richtete sich Generalkapitän Don Francisco Rodriguez von seinem zerwühlten Lager auf. Es war ganz und gar gegen seine Gewohnheit, früh aufzustehen, doch er hatte während der Nacht kaum ein Auge zugetan und hielt es nun einfach nicht mehr in seiner Koje aus. Es war, als hege die Koje so etwas wie eine tiefe Abneigung gegen ihn. Sie war hart und wollte ihn nicht. Überhaupt schien plötzlich die ganze Welt gegen ihn zu sein, jedenfalls redete er es sich ein. Die Nacht hatte, wie auch die vorherigen Nächte, etwas Bedrohliches gehabt. Qualvoll waren die Stunden gewesen, die Rodriguez in nur gelegentlichem Einnicken und traumdurchwebtem Dahindämmern durchlebt hatte. Die Dunkelheit hatte bedrückende Fragen an ihn gestellt, auf die er allenfalls ausweichende Antworten gewußt hatte. Und immer wieder hatte er angstvoll in die Nacht gelauscht, als stünden dort die Richter, die ihn für das Geschehene zur Verantwortung ziehen wollten. Die Feuchtigkeit in der Kapitänskammer der Galeone „San Josefe“ war drückend und lastete schwer auf ihm. Schwerfällig verließ Rodriguez seine Koje und schlurfte zu einem der Fenster in der Heckgalerie. Er blickte durch die Bleiglasscheiben und sah die zinngraue See im Schein des heraufziehenden Morgenlichtes. Die Dünung hatte zugenommen. Die Wellen trugen weiße Schaumkronen, die sich nach einem unergründlichen System entfalteten, dann wieder in sich zusammenfielen und sich wenig später neu aufrichteten. Rodriguez seufzte. Er glaubte, in der Ferne der Karibik einige der Spukgestalten auftauchen zu sehen, die ihn in seinen kurzen, bestürzenden Träumen heimgesucht hatten. Ihre Erscheinungen waren irreal, doch ihre Stimmen schienen Wirklichkeit zu sein, denn sie besaßen verblüffende Ähnlichkeit mit den Stimmen
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jener Senores, die Rodriguez’ Befehlshaber und Auftraggeber waren — Männer, die die Zusammenstellung des sechsunddreißig Schiffe zählenden Geleitzuges in Cartagena, Kolumbien, veranlaßt hatten. Männer, die ihn mit dem zumindest zu drei Vierteln vollständigen Konvoi in Havanna, Kuba, erwarteten. Männer, die auf ihn und seine Erfahrung bauten! Ihre Stimmen setzten seinen Geist gefangen und beherrschten ihn: „Sie sind ein Versager, Capitan General Rodriguez!“ „Wo sind die Schiffe, Capitan Rodriguez?“ „Eine schwache Leistung ist das für einen Mann Ihrer Reputation, Senor!“ Ja, sie begleiteten ihn in seinen Alpträumen und in seinen Visionen, und sie standen bereit, ihn bis tief in die Höllenschlünde hinein zu verdammen. Deshalb fand er keinen Schlaf — weil er sich seiner Fehler bewußt war. Er hatte ein schlechtes Gewissen. Sechsunddreißig Schiffe hatte der Konvoi einschließlich seiner „San Josefe“, des Flaggschiffes, gezählt. Und sechs waren nun übriggeblieben. Nur sechs! Gewiß, es war nicht seine Schuld, daß die Karibik von verfluchten Piraten geradezu wimmelte. Aber er hätte sich nicht ausschließlich auf den Geleitschutz der Zweimast-Karavelle „Cartagena“ verlassen dürfen. Er hätte mehr mitdenken und schon viel, viel früher aus eigenem Antrieb auch seine Kanonen gegen die Freibeuter richten sollen, die immer wieder wie reißende Raubtiere über den Konvoi hergefallen waren. Sicherlich hätte er verhindern können, daß einige Galeonen gekapert und als Prisen der Piraten entführt wurden. Doch was machte dies alles schon aus gegenüber dem Unheil, das vor wenigen Tagen an jenem entsetzlichen Morgen über sie hereingebrochen war! Sie hatten nachts Westkurs gewählt, um den zuletzt auftauchenden Piratenschaluppen zu entgehen. Diaz de Veloso, der Kapitän der „Cartagena“ hatte ihm dies empfohlen, und es hatte sich als kluge Lösung erwiesen.
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Doch dann hätte er, Don Francisco Rodriguez, auch weiter auf Diaz de Veloso hören und noch in derselben Nacht wieder nördlichen Kurs einschlagen sollen. Er hätte! Doch er hatte de Velosos Warnungen ignoriert und in den Wind geschlagen. Er hatte zu tun gehabt in jener Nacht und seine Kapitänskammer nicht verlassen wollen. Jetzt war es zu spät, sich Selbstvorwürfen hinzugeben. Rodriguez wußte es, aber die bittere Erkenntnis. daß er sich wie ein Narr benommen hatte, quälte ihn. Sechzehn Schiffe waren im Morgengrauen auf die berüchtigten Serranilla-Bänke gelaufen — Korallenriffe der übelsten Sorte. Ihre scharf über die Wasserlinie hinausreichenden Formationen hatten die Galeonen buchstäblich zersägt und aufgeknackt. Und wo die Besatzungen nicht von Trümmern zerquetscht und erschlagen worden waren, waren die gefürchteten tiburones zur Stelle gewesen. Haie! Sie hatten grausige Mahlzeit gehalten unter den in der See schwimmenden Schiffbrüchigen. Rodriguez hatte Beiboote aussetzen lassen, um Schiffbrüchige und Teile der Havarieladungen aufzunehmen. Doch das Unternehmen war im Ansatz erstickt worden —durch einen neuen Angriff von zwei Piratenschaluppen. Rodriguez war an der Spitze des winzigen Restverbandes nach Nordwesten geflohen und hatte de Veloso, diesen mutigen schwarzhaarigen Teufel, mit seinem Schicksal alleingelassen. Was aus ihm geworden war, wußte er nicht. Versager! riefen die Stimmen in ihm. O ja, er hatte in Cartagena gelegentlich Schauergeschichten über die SerranillaBänke vernommen. Sie lagen in nordöstlicher Richtung querab vor dem Capo Gracias a Dios, und spanische Seefahrer, die sich mit knapper Not vor den gefährlichen Riffen hatten retten können, hatten ihnen den Namen verliehen. Aber Rodriguez hatte die Erzählungen als Seemannsgarn und Großtuerei zurückgewiesen. Er hatte ihnen keinen Glauben geschenkt. Das hatte er nun
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davon! Er hatte sich eines Besseren belehren lassen müssen. Eigentlich gab es nun keine Rettung mehr. Die Casa de Contratacion in Sevilla — jene Behörde, die Handel und Verkehr mit den Kolonien überwachte — hatte klare Direktiven und Order für Fälle wie diese erlassen. Don Francisco Rodriguez würde sich für die Geschehnisse rechtfertigen müssen. Und wenn sie ihn für schuldig befanden, würde er einen Teil des Schadens sogar bezahlen müssen. Denn die gekaperten oder gesunkenen Galeonen waren Schatzschiffe gewesen, genau wie die „San Josefe“ und die restlichen fünf Schiffe. Sie hatten sich in Havanna mit anderen Schatzgaleonen vereinigen und nach Spanien zurücksegeln sollen. Rodriguez blickte starr auf die kabbelige See, als läge dort die Lösung für sein großes Problem. Wenn nur de Veloso zurückkehren würde, dachte er, dieser wilde, schwarzhaarige Bursche mit den eisblauen Augen. Wenn er doch nur den Kampf gegen die Piraten siegreich abgeschlossen hätte und versuchte, zum Restkonvoi zu stoßen. Die „Cartagena“ war im Golf von Darien mit ihnen zusammengetroffen. In einer Nacht hatte sie so bravourös drei Piratenschaluppen abgewehrt, daß Rodriguez sich am darauffolgenden Tag an Bord begeben hatte, um sich bei Kapitän Rafael Castelar zu bedanken. Bei dieser Gelegenheit hatte ihm jener Diaz de Veloso mitgeteilt, daß Castelar gleich zu Beginn des Gefechtes gefallen wäre. Rodriguez hatte de Veloso daraufhin spontan zum neuen Kapitän befördert. Eine Woche hatte er dem Konvoi Geleitschutz geliefert, dann, am tragischen 12. August, hatten die Serranilla-Bänke dem ohnehin schon arg reduzierten Konvoi den Rest gegeben. Rodriguez hatte sich überlegt, ob er nun einfach fliehen sollte. Doch das konnte er nicht. Man würde ihn suchen und finden. Er mußte nach Havanna laufen, was blieb ihm anderes übrig? Die letzte Chance bot eben nur Diaz de Veloso. Er, Rodriguez, würde ihn mit sich
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nach Havanna locken, wenn er zurückkehrte. Auf Kuba würde er ihn dann ganz rigoros der Pflichtvernachlässigung bezichtigen und ihm die ganze Schuld an dem Unheil in die Schuhe schieben. Was konnte de Veloso zu seiner Verteidigung vorbringen? Nichts! Er war ja der Geleitschutz. Gewiß, Rodriguez hatte einen Narren an ihm gefressen. Doch was bedeutete das schon? Männer stiegen und fielen in seiner Gunst, wie es ihm gerade in den Kram paßte. Und in einer Situation wie dieser war sich jeder selbst der Nächste. Rodriguez fühlte sich eingedenk dieser Erkenntnis irgendwie erleichtert. Vielleicht hatte er Glück, vielleicht ließ sich doch noch alles zu seinen Gunsten bereinigen. Er wandte sich von dem Fenster ab, zündete eine Öllampe an und verließ die Kapitänskammer. In den Schiffsgängen war es düster. Ohne Licht konnte man nicht die Hand vor den Augen sehen. Rodriguez wanderte durch sein stolzes Flaggschiff und glich die rollenden und stampfenden, beständig zunehmenden Decksbewegungen mit erstaunlichem Geschick aus. Er war ein dicker Mann, aber dennoch besaß er große Wendigkeit. Rodriguez steuerte einen bestimmten Raum im Vordeck an. Er war zu dem Schluß gelangt, daß alle Seelenqual nichts nutzte und ihn nicht weiterbrachte. Abwechslung tat not. Er wollte die tristen Gedanken verdrängen und über Bord werfen. Plötzlich polterten Schritte den Niedergang hinunter. Der Generalkapitän wollte sich verstecken, doch es war zu spät. Es paßte ihm nicht, hier von einem seiner Untergebenen gesehen zu werden. Aber jetzt ließ es sich nicht mehr ändern. Ausgerechnet der Erste Offizier trat ihm entgegen. Er grüßte höflich, aber um seine Mundwinkel spielte ein spöttischer Ausdruck. „So früh schon auf den Beinen, mi Capitan General? Aber, aber, das ist doch ganz gegen Ihre Gewohnheiten. Ist etwas nicht in Ordnung?“
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„Wir kriegen Sturm“, erwiderte Rodriguez unfreundlich. „Ja. Aber ich versichere Ihnen, daß auch hier unten im Vordeck alles ordnungsgemäß gestaut und festgezurrt ist.“ „Es empfiehlt sich, immer alles doppelt und dreifach zu prüfen“, entgegnete Francisco Rodriguez barsch. „Sie wissen genau, wie das ist. Die Mannschaft schläft mit offenen Au gen. Man kann sich auf keinen de Hunde verlassen.“ Der Erste Offizier lächelte. Für eine Weile herrschte Schweigen, und sie fixierten sich über den Lichtkreis der Öllampe weg. Nur das Knarren und Ächzen der Verspannungen in Schiffsrumpf waren zu hören. Endlich bewegte sich der andere, ging an seinem Kapitän vorbei und deutete auf ein Schott. Rodriguez hatte es fast erreicht, als er von dem Mann gestört worden war. Schwach hoben sich die Umrisse des schwer verriegelten Schotts im trüben Lichtschimmer ab. „Natürlich entzieht es sich meiner Kenntnis, was sich in dem Raum dort befindet“, sagte der Erste Offizier „Sie haben den Schlüssel, mi Capitan General. Weiß der Teufel, was hinter dem Schott vorgeht. Wollen wir zusammen nachsehen, ob alles seine Richtigkeit hat?“ Rodriguez kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. „Wie soll das verstehen — was dort vorgeht?“ Der Offizier wußte, daß er mit dem Feuer spielte. Doch die Ereignisse der letzten Tage, die offensichtliche Niederlage und Schmach des Generalkapitäns, bemüßigten ihn zu einem Maß an Forschheit, das er sich sonst niemals erlaubt hätte. Er baute sich vor Rodriguez auf und sagte ohne Umschweife: „Jetzt mal ganz offen, was verbergen Sie dort? Glauben Sie denn, es ist mir entgangen, daß die Kombüse tagtäglich größere Rationen kocht, als für Offiziere und Mannschaft verbrauch werden? Meinen Sie, ich hätte Tomaten auf den Augen? Dreimal täglich schafft Ihr Aufklarer Proviant hier herunter und hat strenge Order, die Tabletts und Kübel und was sonst noch alles vor dem Schott
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abzusetzen. Und weiter? Dann erscheinen Sie, schließen auf und lassen die Leute dort drinnen Essen fassen. Na schön, Sie haben das alles stets heimlich abgewickelt. Aber für wie dumm halten Sie uns Offiziere eigentlich? Auf einem Schiff kann so was nicht lange verborgen bleiben. Wir beobachten Sie seit einiger Zeit. Ich verlange eine Erklärung.“ Don Rodriguez war kleiner als sein Erster Offizier. Rein äußerlich gab er eine eher groteske als respekteinflößende Figur ab. Doch das täuschte nicht über den harten Kern in seinem Inneren hinweg. Der Erste Offizier war zu weit gegangen, er bemerkte es. Rodriguez’ Augen hatten plötzlich einen eisigkalten, erschreckenden Ausdruck. Der Erste Offizier bereute seine Worte, noch bevor der Generalkapitän zur Antwort ansetzte, aber zurücknehmen ließ sich das Gesagte nicht mehr. „Erklärung?“ fuhr Rodriguez ihn an. „Was fällt Ihnen überhaupt ein, sich eines solchen Tones zu bemächtigen? Diese Frechheit werden Sie noch bereuen, de Morales, das schwöre ich Ihnen. Was Sie sich hier anmaßen, grenzt an Meuterei!“ De Morales, der Erste Offizier der ,San Josefe“, versuchte seinen Fehler durch Flucht nach vorn zu übertrumpfen. Er trat zwei Schritte vor. Plötzlich zuckten seine Hände hoch, packten die Rockaufschläge des Generalkapitäns und hielten sie fest. De Morales’ Gesicht war dicht vor dem von Rodriguez. „So leicht winden Sie sich nicht heraus“, sagte de Morales scharf. „Antworten Sie auf meine Frage. Wer verbirgt sich in dem Raum?“ Rodriguez lief vor Zorn und Empörung dunkelrot an. In diesem Augenblick sah es wirklich so aus, als blähe sich sein gewaltiger Leib noch mehr auf. Sein Selbstvertrauen war erschüttert, aber nicht so weit, daß er sich jetzt von einem simplen Schiffsoffizier erniedrigen und seiner Autorität berauben ließ. „Sie!“ keuchte er. „Bastardo — Hundesohn! Verdammter Querulant, dir werde ich zeigen, was es heißt, einen Rodriguez anzugreifen!“
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De Morales wußte nicht, welcher Teufel ihn ritt, aber er ließ nicht von dem dicken Mann ab. Im Gegenteil, er krallte die Finger in dessen Aufschläge fest und schüttelte ihn. „Spuck es aus, dein Geheimnis. Eher kommst du hier nicht ‘raus!“ Wenn de Morales aber geglaubt hatte, sich jetzt den übergewichtigen Kapitän unterwerfen zu können, dann hatte er sich gründlich getäuscht. Es war eben sein Pech, daß er zuvor niemals Gelegenheit gehabt hatte, seine Kräfte mit denen Rodriguez’ zu messen. Er hatte ihn unterschätzt. Er war nicht besonders groß, dieser Francisco Rodriguez, aber er verfügte über verblüffende Körperkraft, besonders in den Armen. Unversehens fühlte sich de Morales hochgehoben und durch den Gang des Vorkastells geschleudert. Er ruderte mit den Armen, aber das nutzte ihm nichts. Rücklings prallte er gegen eine Wand, stöhnte auf und rutschte daran zu Boden. Ehe er sich wieder aufrappeln konnte, war Rodriguez bei ihm. Rodriguez eilte flink wie ein Affe herbei. Seine Körpermassen wabbelten und schwabbelten, doch sie behinderten ihn nicht in seiner Aktion. „Dreckskerl! Meuterer!“ schrie er. Und dann prasselte ein Trommelfeuer von Ohrfeigen, Boxhieben, Knüffen und Tritten auf de Morales nieder. Der Gepeinigte versuchte den Angriff abzuwehren. Er trachtete geradezu verzweifelt danach, eine Bresche in den Hagel aus Hieben zu treiben, doch jedes Unterfangen wurde durch Rodriguez’ Heftigkeit unterbunden. De Morales’ Wangen färbten sich rot bis violett. Seine Stirn hatte Schrammen. Seine Unterlippe platzte auf, und aus seiner Nase tropfte plötzlich Blut. Für kurze Zeit konnte er die Arme des Generalkapitäns festhalten, doch dann riß jener sich wieder los und drang von neuem auf ihn ein. „Aufhören“, stammelte de Morales. „Ich ergebe mich.“ Rodriguez stieß einen wilden Schrei aus. Er klang mehr wie ein Heulen. „Ha! Er
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ergibt sich! Daß ich nicht lache. Hier bestimme ich, wann alles vorüber ist.“ Und er drosch weiter auf den aufmüpfigen Mann ein. Vielleicht hätte er ihn umgebracht, wenn jetzt nicht oben auf Deck Rufe erschollen wären. Schritte trampelten den Niedergang hinunter. Jemand hatte offensichtlich Rodriguez’ Schrei gehört. Ein Trupp Seesoldaten erschien im Unterdeck. Das Öllicht war zu Boden gefallen, brannte aber noch und verbreitete schwache Helligkeit, die zuckend und gespenstisch auf die Szene fiel. Don Francisco Rodriguez packte de Morales und richtete ihn auf. Der Mann bot keinen schönen Anblick. Er war arg traktiert worden, konnte sich aber doch noch selbständig auf den Beinen halten. Ihm war schwindlig, doch er wurde nicht ohnmächtig. „Sargento“, sagte Rodriguez zu dem Anführer des Trupps. „Dieser Mann hat sich unbotmäßig verhalten. Bringen Sie ihn nach oben und lassen Sie ihn auf der Kuhlgräting festbinden. Dann schnappen Sie sich die Neunschwänzige und geben ihm dreißig Hiebe.“ Der Sargento bemerkte de Morales’ Blick auf sich und trat plötzlich von einem Fuß auf den anderen. „Aber — aber Senor Capitan General, es ist doch der Erste Offizier.“ „Wollen Sie etwa einen Befehl verweigern?“ schrie Rodriguez. „Nein, Senor.“ „Dann bringen Sie ihn ‘rauf!“ „Jawohl.“ „Dreißig Hiebe, verstanden? Dreißig!“ Der Sargento und die Seesoldaten schleppten den Ersten Offizier nach oben. Don Francisco Rodriguez schritt hinter ihnen her und begleitete das Unternehmen mit seinen Flüchen und Verwünschungen. De Morales war zu geschwächt, um noch Widerstand zu leisten. Willenlos ließ er sich mit Rohlederstreifen auf die Kuhlgräting binden. Als Rodriguez jedoch neben ihn trat, schaute er zu ihm auf. Die „San Josefe“ begann immer mehr in der kabbeligen See zu schlingern. Rodriguez’
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feistes Antlitz verwischte sich vor dem grauen Morgenhimmel. „Ich fordere Sie zum Duell“, sagte de Morales unter großen Anstrengungen. Rodriguez lachte so heftig, daß er sich den überlappenden Bauch halten mußte. „Das könnte dir so passen, du Meuterer! Hast du vergessen, daß ein Mann wie ich eine Herausforderung nur von ihm ebenbürtigen Männern annimmt, nicht von einem Dreck wie dir? Von dir lasse ich mir höchstens noch die Stiefel putzen. Ich erkläre dich hiermit als degradiert, du Hund.“ Er trat zurück und gab dem Sargento einen Wink. Der begann mit Unterstützung der Seesoldaten, dem gefesselten, halb besinnungslosen Mann die Kleider vom Leib zu fetzen. Unter Rodriguez’ unnachgiebigem Blick griff der Sargento sich schließlich die Neunschwänzige. Er hob sie hoch, holte aus und ließ sie auf den bloßen Rücken des Ersten Offiziers niederpfeifen. Die Riemen der Gerte klatschten auf die Haut und ließen sie platzen. De Morales preßte die Lippen zu einem Strich zusammen. Er zwang sich mit aller Macht dazu, keinen Laut von sich zu geben. Diese Genugtuung wollte er dem Generalkapitän nicht lassen. „Schlag zu!“ herrschte Rodriguez den Sargento an. „Fester, mit mehr Schwung, Mann! Und zähl gefälligst mit, wenn du nicht selbst auf der Gräting landen willst!“ „Zwei“, sagte der Mann. Er schlug wieder zu, diesmal mit größerer Anstrengung. De Morales hielt der Versuchung stand, vor Schmerz loszubrüllen. Der Sargento hielt sich strikt an seine Order, denn jedem Mann an Bord war die Unberechenbarkeit des Francisco Rodriguez bekannt. Wer bei ihm in Ungnade fiel -und das konnte schnell passieren -, der wurde seines Lebens nicht mehr froh. „Drei!“ Don Francisco Rodriguez schaute zu, wie de Morales unter den Schlägen blutete und sich alle Mühe gab, nicht zu schreien. Rodriguez bereitete es Spaß, den Mann leiden zu sehen. Endlich hatte er einen Sündenbock gefunden, an dem er sich
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auslassen konnte! De Morales mußte doppelt und dreifach büßen: für seine Dreistigkeit, für den Verlust der Galeonen, für die Raubzüge der Karibik - Piraten, für die Serranilla-Bänke. „Vier!“ De Morales öffnete den Mund und stieß einen Schrei aus. Der Generalkapitän lachte amüsiert auf. „So gefällst du mir schon besser, mein Freund. Wer bleibt unter der Neunschwänzigen schon still? Das schafft keiner, also mach dir nicht allzu viel daraus.“ Er drehte sich zu der Mannschaft um, die sich auf Back und Kuhl versammelt hatte. „Hört zu, ihr Bastarde! Hört euch sein Gebrüll an und laßt es euch eine Lehre sein, denn so ergeht es jedem, der seinen Kapitän beleidigt!“ „Fünf“, sagte der Sargento, aber dann unterbrach der Ausguck im Großmars die Züchtigung des degradierten Offiziers. Er lehnte sich ein Stück über, winkte und rief: „Deck! Mastspitzen Süd-Süd-Ost achteraus!“ „Wie viele Masten?“ brummte Rodriguez. „Zwei!“ „Wo befinden wir uns?“ fragte Rodriguez seinen Bootsmann. „Etwa zehn Meilen südlich der Insel Grand Cayman, mi Capitan General.“ Rodriguez rieb sich das schwammige Doppelkinn. „Ich wette meinen Degen, daß es die ,Cartagena` ist. Al diablo, dieser Satansbraten von einem Diaz de Veloso muß verdammt scharf gesegelt sein, wenn er uns jetzt schon einholt.“ Er begab sich aufs Achterdeck, trat ans Schanzkleid über der Heckgalerie und hielt selbst mit dem Spektiv Ausschau. Auf der Kuhl geißelte der Sargento den degradierten Ersten Offizier —jetzt allerdings wieder mit sehr laschen Hieben. 2. Der schwarzhaarige Mann mit den eisblauen Augenstand an der Quarterdecksgalerie der schnellen Zweimast-Karavelle und schaute voraus. Der steife Wind fuhr in seine Haare und
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zerzauste sie, zerrte an seiner Kleidung, blies gegen sein hartes Gesicht an. Es war ein junges und doch schon von mannigfachen Erfahrungen unauslöschlich gezeichnetes Gesicht. Eine Narbe, die von der oberen rechten Stirnhälfte schräg über die linke Augenbraue bis auf die linke Wange hinab verlief, verlieh diesem Antlitz etwas Wildes und Furchteinflößendes. Er stand breitbeinig auf den Planken seines Schiffes und hielt die Balustrade, die den Vorderabschluß des Quarterdecks zur Kuhl hin bildete, fest mit beiden Händen umklammert. Längst hatte ihm Dan O’Flynn, der Ausguck mit den schärfsten Augen, das Auftauchen des Restkonvois an der nördlichen Kimm gemeldet -lange, bevor der spanische Ausguck auf der „San Josefe“ ihn entdeckt hatte. Don Francisco Rodriguez hatte den Zweimaster also richtig identifiziert. Doch das war auch alles, was den Tatsachen entsprach. Denn der schwarzhaarige Riese auf dem Quarterdeck war ebenso wenig Kapitän Diaz de Veloso wie die Karavelle „Cartagena“ hieß. Von Beginn an hatte ihre Crew ein tolldreistes Täuschungsmanöver inszeniert - und der dicke Rodriguez war darauf hereingefallen. Das Schiff, das er noch für die „Cartagena“ hielt, war gekapert und in „Isabella IV.“ umgetauft worden. Und der Mann, den er so euphorisch zum neuen Kapitän ernannt hatte, hieß mit wahrem Namen Philip Hasard Killigrew. Von seiner Mannschaft wurde er nur „Hasard“ oder „Seewolf“ gerufen. Diaz de Veloso nannte er sich gelegentlich nur, um die Spanier zum Narren zu halten. Er hatte diesen Namen von dem ehemaligen Kapitän der „Valparaiso“ übernommen, der „Isabella III.“. So hatte er Rodriguez erfolgreich geblendet, denn sowohl er als auch Ben Brighton, der Erste Offizier und Bootsmann, Jean Ribault und Karl von Hutten beherrschten die spanische Sprache einwandfrei. Sie waren im Konvoi der Spanier mitgesegelt, und Hasard hatte eine Woche
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lang mit der prachtvollen „San Josefe“ geliebäugelt. Er suchte ein neues Schiff, denn die „Isabella IV.“ war zu klein für sie geworden. Sie waren Korsaren der Königin von England, und was sie bisher der spanischen Krone abgeluchst hatten, stapelte sich bis unter die Ladeluken der Karavelle und verlangte nach größeren Frachträumen: Silber- und Goldbarren, Perlen. Schmuck in allen erdenklichen Formen und Größenordnungen, darunter auch der Privatschatz des Vizekönigs von Lima und in zwölf Truhen untergebrachtes Vermögen. das eigentlich exklusiv für Philipp II. von Spanien bestimmt gewesen war. Ihre neueste Errungenschaft fuhr unter der Galion mit. Es war ein schwerer Stockanker, den Hasard vor den SerranillaBänken geborgen hatte. Der von Haien angefallene, sterbende Kapitän Urbano de Angelis der aufgelaufenen Galeone „San Antonio“ hatte ihm sein großes Geheimnis gebeichtet: De Angelis hatte im Konvoi mitsegeln und die Schätze der spanischen Krone sicher nach Europa geleiten sollen. Doch er hatte dabei auch an seinen eigenen Vorteil gedacht und es verstanden, seine Schäfchen ins trockene zu bringen. In Kolumbien hatte er Goldbarren und Goldschmuck auf die Seite geschafft, und sie einschmelzen und in die Form eines Ankers gießen lassen. Später hatte er den Anker mit einem normalen, bleihaltigen Metallüberzug versehen, so daß der Schmuggel niemandem auffallen konnte. Beim Stranden auf den Korallenriffen hatte er den Goldanker dann aufgeben müssen. Er hatte seine Trosse gekappt. Hasard war nach dem Anker getaucht. Er hatte mit den Haien kämpfen müssen und sein Leben riskiert. Doch es hatte sich gelohnt. Englands königliche Lissy würde staunen, wenn sie dieses Präsent überreicht erhielt! Der Seewolf hätte sich jetzt einfach durch die Windward-Passage absetzen und den Atlantik überqueren können. Aber es gefiel ihm nicht, der Karibik so sang- und klanglos den Rücken zu kehren. Als er
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jetzt die Mastspitzen der „San Josefe“ an der Kimm sah, mußte er unwillkürlich grinsen. Sein Ziel rückte wieder näher. Tausend Teufel tanzten in seinen Augen. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, sich bei dem dicken Generalkapitän Rodriguez „zurückzumelden“. Ben Brighton trat neben ihn und musterte ihn forschend. „Also gut“, sagte er schließlich. „Ich kapiere ja, daß du nach wie vor auf die ,San Josefe’ scharf bist. Ist ein wirklich schmuckes Schiff.“ „Eine tolle Lady“, berichtigte Hasard grinsend. ,.Sie bietet uns viel Raum, Sicherheit und eine imponierende Armierung. Zwölf Stückpforten auf jeder Seite. Vier Drehbassen auf dem Vorderund sechs Drehbassen auf dem Achterkastell.“ Ben blickte ziemlich verdrossen drein. „Ist mir bekannt. Aber du vergißt, daß sich immer noch fünf Galeonen in ihrer Begleitung befinden, und sie sind auch nicht schlecht bestückt.“ „Du bist ein unverbesserlicher Pessimist“, sagte Hasard. „Ich will nur, daß wir unsere Beute sicher nach England kriegen.“ „Kriegen wir.“ „Dann will es mir nicht in den Kopf, warum es dich noch mal zu diesem fetten Widerling von Rodriguez zieht. Wie willst du dir die ,San Josefe’ denn unter den Nagel reißen?“ Der Seewolf wies auf die kabbelige See, dann auf den grau bis ockerfarben getönten Himmel. „Vielleicht hilft uns mal wieder der Zufall, Ben. Bleibt der Wind so wie jetzt, kriegen wir bald Sturm. Da könnte es passieren, daß sich der Verband der Galeonen auflöst und in alle Himmelsrichtungen verteilt.“ „Ach, darauf willst du hinaus.“ Ben lachte, aber irgendwie war ihm doch nicht ganz wohl in seiner Haut. Etwas später befand sich die ZweimastKaravelle auf Rufweite neben dem Flaggschiff des Konvois. Hasard blickte mit dem Kieker hinüber. Zunächst sah er, daß ein halbnackter, blutender Mann von
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der Kuhl abgeführt wurde. Die Wunden auf seinem Rücken vermittelten eine deutliche Sprache. Er hatte die Neunschwänzige zu schmecken bekommen, und zwar ganz kräftig. Hasard ließ die Optik nach rechts gleiten und entdeckte auf dem Achterdeck der stolzen Galeone den dicken, aufgeplusterten Don Francisco Rodriguez. „Senor Capitan General!“ rief der Seewolf hinüber. „Es ehrt mich, mich wieder bei Ihnen zurückzumelden. Ich kann Ihnen mitteilen, daß wir die beiden Piratenschaluppen vor den Korallenbänken versenkt haben!“ Rodriguez hatte an seinen Verlusten noch schwer zu kauen, das sah man ihm an. Aber er zeigte Haltung und wahrte die Form. „Ausgezeichnet!“ brüllte er zurück. „Ich wußte, daß ich mich auf Sie verlassen kann, Capitan de Veloso — trotz allem.“ „Danke“, gab Hasard zurück. Dabei dachte er: aber du Hund hättest uns beinahe im Gefecht verheizt... „Ein Viertel der Gesamtstrecke liegt noch vor uns!“ rief Rodriguez. „Zwar haben wir keine weiteren Piratenschiffe gesichtet, aber vielleicht haben sie sich in der Straße von Yucatan versammelt, um den Rest des Konvois dort abzufangen, bevor er in Havanna eintrifft.“ „Wir bleiben weiterhin bei Ihnen, Senor Capitan General“, versicherte Hasard. „Mir kommen gleich die Tränen“, sagte Jean Ribault neben ihm – so laut nur, daß es gerade die in der Nähe befindlichen Männer vernehmen konnten. Die Schiffe trennten sich voneinander. Die Karavelle sackte achteraus und lief in Lee des zusammengeschrumpften Konvois mit. Philip Hasard Killigrew gestattete den Männern, die wegen ihrer blonden oder roten Haare nicht wie Spanier wirkten, sich wieder an Deck zu zeigen. Er verriet ihnen: „Besser konnte es für Rodriguez gar nicht kommen. Erstens hat er jetzt beinahe die Garantie, wenigstens mit den letzten sechs Schiffen nach Havanna zu gelangen. Zweitens hat er in uns jemand, den er auf Kuba für alles
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Geschehene verantwortlich machen und in die Pfanne hauen lassen kann.“ Edwin Carberry, der Profos, erwiderte: „Wir wären ja die größten Hornochsen, wenn wir jemals in Havanna zusammen mit diesem dicken Schwein an Land gehen würden.“ * Der unberechenbarste aller Feinde packte sie am nächsten Tag. Es War ein Wirbelsturm, der von Südosten heranjagte und den sieben Schiffen des Geleitzuges seine ganze Macht zu spüren gab. Gigantische Wellenberge bauten sich unter den Leibern der Galeonen und der Karavelle auf, hoben sie auf ihre langen, überbrechenden Kämme und schleuderten sie wieder hinab in ihre von weiß schäumender Gischt erfüllten Schluchten. Jaulend fuhr der Wind in die Takelagen und pfiff in die Segel. Brüllen und Tosen erfüllte die Luft wie ein höllisches Konzert. Brecher rollten gegen die Bordwände, stoben daran empor und donnerten über die Decks. Die Wanten und Pardunen kreischten, als litten sie Todesqualen, und immer wieder erzitterten die Schiffsrümpfe unter den brutalen, erbarmungslosen Schlägen der heranbrandenden Wogen. Die Karibik zeigte die Zähne. Sie türmte sich zu bizarren Gebirgen auf, zu dröhnenden Konstruktionen, die immer wieder danach trachteten, sich über den Schiffen auszustülpen und sie unter sich zu begraben. Tempel und Kathedralen schienen sich aus der kochenden See zu erheben, ihre Glocken läuteten den Untergang des Konvois ein. Hasard stand wieder auf dem Quarterdeck der tanzenden „Isabella“. Den rechten Arm hatte er unter eine Nagelbank gehakt, um sich einen festen Stand zu sichern. Aus schmalen Augen überprüfte er den Kurs und den Stand des Segels. Sie fuhren nur noch eine Sturmfock, und selbst das war fast noch zuviel. Ferris Tucker hatte den beiden Masten zusätzliche Laschings verpassen müssen,
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damit sie während des Sturmes nicht baden gingen. Außerdem hatte Hasard vorsichtshalber angeordnet, daß Blacky, Batuti, Patrick O’Driscoll und Buck Buchanan achtern unter dem Kastell die dicksten Trossen bereitlegten, die sie an Bord ihres Prisenschiffes hatten finden können. Schon einmal, vor fast drei Jahren, hatte der Seewolf seiner Crew mit einer solchen Maßnahme verblüfft – und damals, nördlich der Azoren, die Galeone „Santa Barbara“ vor dem vernichtenden Zugriff eines Sturmes gerettet. Es war ein Trick. den er von seinem Alten, Sir John Killigrew, gelernt hatte. Die Trossen sollten unter dem Deck um den Großmast herum gelegt und durch das Koldergatt achtern im Heck ausgebracht werden. Damit konnte die ZweimastKaravelle vor dem Sturm herlaufen, ohne querzuschlagen. Die Trossen wirkten als Bremsen, hielten das Heck gegen die See und verhinderten sogar, daß sich hinter ihnen eine zu wüste und hohe Dünung aufbaute. Der Wirbelsturm knallte mit voller Wucht auf die Schiffe. Die „Isabella“ legte sich über, richtete sich ächzend wieder auf und raste trotz der verminderten Segelfläche wie ein aufgescheuchtes Stück Wild durch das Wetter. Sie schob sich über Backbord durch die aufgewühlte See. Das Heulen, Rauschen und Tosen um sie herum schwoll zu einem ohrenbetäubenden Brüllen an. Regen und Hagel stoben waagerecht über das Schiff, und zuckende Blitze beleuchteten das Inferno aufgepeitschter schäumender Wassermassen. Die entfesselten Naturgewalten verwandelten die Schiffe in Spielzeuge und trieben ihren grausigen Schabernack mit ihnen. Hasard stand mit zusammengebissenen Zähnen. Er war mit Drake durch jene verfluchte Straße gesegelt, die ein portugiesischer Offizier namens Fernao Magelhaes 1520 entdeckt und durchfahren hatte. Das war eine Höllenreise gewesen, aber nicht das erste Mal, daß er, Hasard, kräftig gegen den Wind gespuckt und dem Teufel ein Ohr abgesegelt hatte. So trotzte
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er auch diesmal unerschrocken dem Wüten der See. Pete Ballie wurde am Kolderstock von Stenmark und Sam Roskill unterstützt. Sie stemmten sich mit aller Kraft gegen das schwere Holz. „Dreht nach Steuerbord hoch!“ brüllte Hasard ihnen zu. „Dann müssen wir die verfluchten Stöße des Sturms nicht direkt von achtern nehmen!“ Allmählich luvte die „Isabella“ an und drehte ihren Bug schräg gegen den Wind. Die Karavelle nahm die anrollenden Seen, stieß mit ihrem Bugspriet in gleichsam schwindelnde Tiefen und erkletterte dann wieder die Höhen der Brecher. Oben auf den Kämmen herrschte brodelndes Chaos, und das Schiff tanzte wie verrückt. Sekunden verharrte es, dann jagte es wieder in die Tiefe. Dan O’Flynn hatte den Großmars geräumt, bevor es zu spät war. In diesem Inferno hätte kein Mensch mehr in den Ausguck auf- oder abentern können. Dan hangelte auf Hasards Wink hin in den Manntauen zu seinem Kapitän hinüber und band ihn fest. „Sag Ben, daß sich auch die anderen mit Tampen sichern sollen!“ rief Hasard. „Aye, aye, Sir!“ Dan wandte sich ab und verschwand geduckt am Niedergang zur Kuhl. Seine kleine Gestalt wurde vom Gischtnebel eingehüllt und entführt. Es war ein Wunder, daß er nicht über Bord ging. Aber dieses Bürschchen mit dem offenbar ewigen Stimmbruch war erfahrener und gewitzter als mancher Seemann, den die Natur mit Schultern, so breit wie ein Schapp, und Händen, die so groß wie Ankerklüsen waren, ausgestattet hatte. Dan schlug dem Sturm ein Schnippchen, er eilte wie ein Wiesel über Deck. Ferris Tucker arbeitete sich zum Quarterdeck hoch. „Bis jetzt macht der Kahn noch kein Wasser“, meldete er. „Hoffentlich bleibt’s so, daß wir nicht lenzen müssen.“ Carberry tauchte auf und schrie: „Den Konvoi hat es auseinandergesprengt. Der Henker mag wissen, wohin die sechs Kästen verschwunden sind!“
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Hasard hielt sich mit beiden Händen fest, blickte nach Steuerbord und nach Backbord und entdeckte plötzlich die „San Josefe“ auf einem spitzen Wellenkamm. Sie trudelte den Abhang aus schwarzen Fluten hinunter, aber sie ließ sich ebenfalls nicht unterkriegen. Hasard grinste und lachte verwegen. „Die Lady will nicht, daß ihr hübscher Hintern ramponiert wird. Am liebsten würde sie ihn vor dem Sturm verholen.“ Die Männer brüllten vor Lachen. Regen und Salzwasser brandeten über das Quarterdeck, und Carberry schluckte plötzlich eine Ladung von dem Naß. Er hustete und spuckte und gab eine Kanonade von Flüchen von sich. „Fahrt jetzt die Trossen achtern aus!“ schrie Hasard. „Paßt auf, daß sie nicht ausrauschen. Bringt sie so an, daß sie im Wasser eine riesige Schlinge bilden.“ „Aye, aye.“ Ferris Tucker und der Profos verzogen sich in das Achterkastell. Neue Brecher hieben gegen das Schiff, Wasserwände rauschten neben den Bordseiten hoch und fielen wieder in sich zusammen. Enorme Wassermassen ergossen sich über die Decks. Die tobende Macht des Wirbelsturmes rüttelte an der „Isabella“ und ließ sie bis in die letzten Verbände erbeben.. Dann traf sie ein Schlag. Es war, als hätten Giganten mit riesigen Eisenhämmern gegen die Bordwände gehauen. Die Männer fluchten und spuckten und glaubten, jetzt breche ihre Karavelle auseinander. Plötzlich aber bremste die „Isabella“ ihren Sturmlauf. Die Trossen hingen im schäumenden Kielwasser und hielten das Heck wie ein Treibanker vor dem Wind. Die Schiffsbewegungen wurden ausgeglichener und gedämpfter. Das Wetter dauerte an. Manchmal sah der Seewolf die „San Josefe“, die ihren Rumpf aus den Fluten emporreckte, als wolle sie ihm etwas zurufen. Immer tauchte sie nur für Sekunden auf, dann verschlangen sie wieder die Wellentäler. Es sah aus, als sinke sie, aber Hasard wußte, daß es eine optische Täuschung war. Von den anderen
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fünf Galeonen des Restkonvois sahen weder Hasard noch seine Crew etwas. Der Sturm wütete mit unverminderter Kraft weiter. Keiner der Männer kam zur Ruhe. Die Karavelle hatte nun doch Wasser übernommen und mußte gelenzt werden. Schäden mußten beseitigt werden. Es war ein beständiges Hin und Her. Die „Isabella“ hielt sich, wie der Seewolf es ihr abverlangte, aber welchen Kurs sie nahmen und wo sich befanden, ließ sich weiß Gott nicht mehr feststellen. Am Nachmittag sichtete Dan O’Flynn von der Back aus Land. Er ließ ein Mordsgeschrei vom Stapel. Hasard arbeitete sich an den Manntauen vom Quarterdeck über die Kuhl, kletterte auf die Back und vergewisserte sich, daß das Bürschchen auch diesmal keinen Halluzinationen erlegen war. Wenn die Karavelle vorn Sturm auf den Kamm einer Woge gehievt wurde, konnten sie durch Gischt und Regen hindurch den grauen Landstrich erkennen, der sich unweit vor ihnen erstreckte. Hasard stieß einen erfreuten Ruf aus. Er war klatschnaß, hungrig und ermattet, aber er sah endlich einen Hoffnungsschimmer. Er rief Karl von Hutten und Jean Ribault zu sich. Der Franzose meinte: „Das kann nur die Insel Grand Cayman sein.“ Karl von Hutten sagte: „Meines Wissens befindet sich eine größere Bucht an der Nordküste der Insel.“ „Ausgezeichnet“, erwiderte Hasard. „Der Wirbelsturm heult immer noch von Südosten heran, also bietet uns die Bucht den Schutz, den wir suchen.“ Er ließ die Männer auf der Back zurück, kämpfte sich durch Wind und Wasser zurück aufs Quarterdeck und erteilte Ferris Tucker und dem Profos neue Order. „Holt die Trossen wieder ein. Nehmt euch so viele Männer zu Hilfe, wir ihr braucht. Es muß schnell gehen, denn bald haben wir nicht mehr genügend freien Seeraum vor uns!“ „Kapiert“, antwortete der Profos. „Aye, aye, Sir. Los, Ferris, packen wir’s, sonst wird uns zum Verhängnis, was uns bisher geholfen hat.“
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Etwas später lief die „Isabella“ auf haushohen Wogen um die Insel herum und in die Bucht ein. Hasard leitete die Segelmanöver und paßte höllisch auf, daß sie nicht querschlugen. Immer noch war die Gefahr gegenwärtig, immer noch konnten sie kentern und elend absaufen. Dan O’Flynn mußte durchgedreht sein. Er enterte trotz der Wildheit des Wetters in den Großmars auf. Hasard sah es und hielt unwillkürlich die Luft an. Das Bürschchen schaffte es tatsächlich. Er kroch über die Segeltuchverkleidung der Plattform und kauerte sich hin. Er machte Arwenack, dem Schimpansenjunge, der sich jammernd unter Deck verkrochen hatte, wahrhaftig alle Ehre. Der Großmast neigte sich von Backbord nach Steuerbord, vollführte Bücklinge nach vorn und nach achtern und ließ den hartgesottenen Knaben sämtliche Bewegungen des Schiffes doppelt und dreifach spüren. Man mußte Mut haben, um es dort oben auszuhalten. Dan hatte ihn. Plötzlich beugte er sich über, schrie etwas und zeigte mit der Rechten auf die offene See. Was er gegen das Heulen des Sturmes anbrüllte, konnte der Seewolf nicht verstehen. Aber bald erblickte auch er das Schiff mit den drei Masten, das sich ihnen näherte. Seine Segel standen voll, und es schaukelte auf den Wogen, daß die Rahnocken beim Überkrängen die Fluten berührten. Die See schien spitzgekriegt zu haben, daß es. sich ebenfalls in die Bucht von Grand Cayman retten wollte — die See lehnte sich bockbeinig und wütend dagegen auf. Es war die „San Josefe“. „Na bitte“, sagte der Seewolf im Selbstgespräch. „Wir beide sind dafür vorherbestimmt, uns immer wieder zu begegnen.“ Don Francisco Rodriguez bewies Hartnäckigkeit und Format. Vielleicht war es auch seine Mannschaft, die in der Verzweiflung der Todes- angst schien unglaubliche Fähigkeiten entwickelte und ohne besonderes Zutun ihres Generalkapitäns die stolze Galeone durch das Inferno auf die Insel zulenkte. Wie
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auch immer, die „San Josefe“ schaffte es und geseilte sich zu der vermeintlichen „Cartagena“. Und dann schrie Dan wieder im Hauptmars los, und auch die Spanier auf dem Flaggschiff des Konvois sichteten, was da von Westen auf die Bucht zuraste. Das sprang wie ein Geschoß auf sprühende Wogenkämme hoch und kämpfte dort um Balance. Das stieß in unendlich wirkende Tiefen, wollte nicht mehr wiederkehren aus den Schlünden der Verdammnis und wurde schließlich doch wieder ausgespuckt. Das trieb mit zerfetzten Segeln aus reinem Zufall auf die Bucht zu. Hasard trat ans Schanzkleid und beobachtete gebannt das in Bedrängnis geratene Schiff. Der Sturm riß es mit sich in die orgelnden Zentren des Wirbelsturmes, doch noch schien seine Stunde nicht geschlagen zu haben. Irgendwie löste sich das Schiff aus der Umklammerung und trieb wieder ein Stück weiter auf die Bucht zu. Es war ein fortwährendes Zerren und Sichaufbäumen, Packen und Wegschlüpfen. Hasard erkannte, daß das Schiff eine der Galeonen des Geleitzuges war. Er konnte nichts für die Besatzung tun, wenn er nicht selbst zwischen den entfesselten Gewalten zerrieben werden wollte. Niemand konnte etwas unternehmen. Schreie tönten von Bord der Galeone herüber, als sie näher heran war. Laut mußte man schreien, um sich gegen das Tosen des Sturmes behaupten zu können. Nur Rufe, die man angesichts des nahenden Todes ausstieß, konnten solches Volumen besitzen. Die Mannschaft brüllte um ihr Leben, denn die Segel der Galeone waren zerfetzt und das Ruder zerschmettert. Sie konnten ihr Schiff nicht mehr steuern. Unter dem Heulen des Windes löste sich die Großmarsrah und krachte aufs Deck hinunter. Die schwere Spiere erschlug ein paar Männer, durchbohrte einen weiteren und riß andere mit, bevor sie in die kochende See abglitt. Hasard stand, hielt sich an der Handleiste des Schanzkleides festgeklammert und verfolgte die Szene voll Schaudern.
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Und dann schlug die Galeone quer. Es war, als habe sie eingesehen, daß sie sich gegen die erdrückende Macht nicht behaupten konnte. Untertänig drehte sie sich herum, legte sich nach Backbord über und tauchte die Rahen in die Gischt. Brecher rollten heran, richteten sich wie aufbäumende Pferde an ihrer Steuerbordseite auf, warfen sie auf ihren schweren Leib und deckten alles, auch das Brüllen der Mannschaft, mit ihrem Rauschen zu. Der Wind heulte und pfiff sein grausames Lied dazu. Die Galeone kenterte. Vereinzelte Schreie klangen noch auf. Doch die Decks waren bereits leer geräumt. Wer sich noch irgendwo festklammern konnte oder bereits im Wasser trieb, wurde von den nächsten Brechern eingeholt, mitgerissen und in die brodelnde Hölle hinabgestoßen. Es gab keine Überlebenden. Der Rumpf der gekenterten Galeone trieb mit dem Sturm und entfernte sich wieder von der Bucht der Insel. Von den anderen Galeonen war nichts mehr zu sehen, und Philip Hasard Killigrew gab sich. was ihr Schicksal betraf, keinen Illusionen hin. Es war das Ende des Konvois. Nur das Flaggschiff war den Klauen des Todes mit knapper Not entronnen. „Wir gehen so dicht wie möglich unter Land!“ schrie Hasard Ben Brighton zu. „Dann weg mit dem Anker!“ „Aye, aye!“ Ben gab die Kommandos weiter. Die „Isabella“ schob sich bockend und schlingernd an die Küste heran. Dicht unter Land gab Hasard das Zeichen. Der Buganker klatschte ins Wasser und zog die Trosse mit. Die Karavelle sackte achteraus und ruckte in den Anker ein. Er hielt. Hurrikan holte zu neuem Wüten aus und orgelte über sie weg. Hasard und seine Männer beobachteten, wie die „San Josefe“ von dem erneuten Auf brausen der Gewalten hochgehoben und geschüttelt wurde. Sie hatte den Anschluß verpaßt und befand sich noch zu weit draußen. Bedenklich schwankte sie hin und her. Die Rahnocken tauchten ein, die Schanzkleider wurden überspült, mal
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an Steuerbord, mal an Backbord. Die „San - Josefe“ nahm viel Wasser über, drohte zu kentern und auseinanderzubrechen - und die Spanier brüllten in Panik. „Himmel, Arsch und Zwirn!“ rief der Profos. „Nun seht euch diese Rindviecher an!“ Männer sprangen von der Galeone außenbords. Sie wollten an Land schwimmen. Aber ihr Vorhaben wurde von dem Sturm unterbunden. Er blies anlandig über die Karibik und hatte auch dicht über den Wogen noch viel mehr Kraft, als die Spanier in ihrer Angst und Verzweiflung glauben mochten. Er drückte sie mit sich seewärts. Er warf sie durcheinander, preßte sie mit den Köpfen in die Fluten und ließ sie ertrinken. „Jetzt hat sich die Mannschaft der ,San Josefe’ erheblich vermindert!“ rief Ben Brighton. „Was meint ihr, ob der Fettsack bei den Leuten war, die ins Meer gesprungen sind?“ „Zuzutrauen wäre es ihm“, entgegnete Hasard. „Aber ich habe ihn nirgends entdeckt. Und einen Burschen wie den übersieht man nicht, oder?“ 3. Der Hurrikan dauerte auch am nächsten Tag noch an und verlangte den Männern unter Philip Hasard Killigrew das Äußerste an Energie ab. Am Nachmittag des 19. August 1579 hatte der Seewolf es jedoch geschafft: er hatte zusammen mit seiner Crew Leinen an Land gemannt und die „Isabella“ zusätzlich vertäut. Gemeinsam mit dem Buganker stellte dies das Höchstmaß an Sicherheit dar, mit der sie ihre Zweimast-Karavelle in der Bucht halten konnten. „Wir haben nur kleine Schäden an Bord gehabt“, meldete Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, seinem Kapitän. „Die meisten habe ich behoben. Da wäre nur noch eines ...“ „Das zerfetzte Großsegel?“ fragte der Seewolf. „Ja. Es muß ersetzt werden.“
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Hasard trat an das Backbordschanzkleid auf dem Achterdeck und schaute zur „San Josefe“ hinüber. Das Flaggschiff hob und senkte sich auf der Dünung. Durch das Spektiv erkannte Hasard, daß es an manchen Stellen zwar ein bißchen angekratzt war, aber nicht erheblich. Und ihren prallen Hintern hatte die schmucke Lady unversehrt aus dem Wetter gerettet. „Wir werden das Segel nicht ersetzen“, sagte Hasard. „Ich will die ,San Josefe’. Und ich kriege sie.“ „Moment mal“, wandte Ferris ein. „Wie ist es um deren Segelfähigkeit bestellt?“ „Nicht so schlecht, wie du vielleicht glaubst. Soweit ich sehen kann, kommen die Dons leidlich zurecht. Ernsthafte Sturmschäden hat ihr Schiff nicht erlitten.“ „Schön wär’s ja“, sagte der rothaarige Riese. „Aber ich weiß nicht, ob wir ein Gefecht mit den Philipps durchstehen. Immerhin sind sie noch in der Überzahl.“ „Schon. Aber wie ich sie einschätze, sind sie total entnervt. Die vierundzwanzig Stunden Sturm haben sie erledigt.“ „Ha“, sagte der Profos, der soeben auf dem Achterdeck erschienen war. „Und diese Affenärsche und Rübenschweine hier, die sich erdreisten, als ‚Crew’ betitelt zu werden? Seht euch an, wie abgeschlafft die Halunken sind. Verlauste, von ihren Großmüttern im Linksgalopp an die Wand geschissene Waldameisen. Stinkstiefel und räudige Hurensöhne ...“ „Halt die Luft an“, entgegnete der Seewolf. „Lauf lieber in meine Kammer, hol den Schnaps und teile ihn aus. Die Männer haben ihn sich verdient. Paß mal auf, wie schnell sie wieder auf die Beine kommen.“ Der Profos schob schnaubend ab. Natürlich übertrieb er — wie immer. Hasard und die anderen kannten seine Tiraden zur Genüge und regten sich nicht mehr darüber auf. Der Seewolf wußte außerdem, wie fest und gut sich seine Mannschaft im Laufe der Monate zusammengeschmiedet hatte. Sie hatten Seite an Seite mit ihm gekämpft und gesiegt, hatten ihre Wunden geleckt, ohne zu murren, hatten alle Herausforderungen angenommen und bestanden. Auch diese!
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Auch der Wirbelsturm hatte sie nicht knicken können. Sie waren eben eine Seewolf-Crew. * Der Sturm dauerte mit unverminderter Kraft fort und schien sich nicht entscheiden zu können, ob er von neuem aufwallen und toben oder sich endgültig legen sollte. Am übernächsten Tag, dem 21. August, wehte der Wind nur noch mäßig. Hasard schickte die Hälfte der Crew in die Kojen und blieb mit der Restwache auf Deck. Dan O’Flynn war von Jean Ribault im Hauptmars abgelöst worden. Es ging auf Mittag zu, als Jean einen schrillen Pfiff ausstieß. „Besuch!“ rief er auf Spanisch. „Generalkapitän Don Francisco Rodriguez begibt sich in ein Beiboot und gewährt uns die Ehre seiner Visite.“ Die Ironie in seinen absichtlich geschraubt gewählten Worten war nicht zu überhören. Hasard beobachtete durch den Kieker, wie Rodriguez breit und behäbig an der Jakobsleiter abenterte. Zunächst sah es so aus, als würde er ins Wasser plumpsen. Aber dann zeigte er doch erstaunliche Behändigkeit und kletterte langsam, aber geschickt wie ein satter Bär auf die Heckducht des Beibootes. Das Boot legte sich von der Bordwand der Galeone ab und wurde zur „Isabella IV.“ herübergepullt. Jetzt oder nie, dachte der Seewolf. „Laß das Schiff klar zum Gefecht machen“, sagte er zu Carberry. „Die Männer sollen aber die Stückpforten noch nicht fallen lassen und sich verstecken oder einfach so tun, als sei alles in bester Ordnung. Noch will ich kein Aufsehen erregen, sonst erschreckt sich unser Freund Rodriguez vor der Zeit. Lassen wir ihn erstmal an Bord.“ „Aye, aye, Sir“, erwiderte der Profos fröhlich. Ben Brighton, Karl von Hutten und all die anderen konnten sich ein Grinsen auch nicht verkneifen, als sie jetzt ruhig ihre Vorbereitungen trafen. Pulver und Blei
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wurden in die Bodenstücke der Kanonen gefüllt, sowohl in die je sechs Geschütze zu beiden Seiten der Kuhl als auch in die insgesamt drei Drehbassen auf Back und Poop. Drehbassen waren als Hinterlader konzipiert und lagerten mit ihren Schildzapfen in eisernen Gabeln, sogenannten „Schwanenhälsen“. Die Bassen konnten seitlich gedreht und auch in ihrer Höhe verstellt werden, und waren wegen ihrer Beweglichkeit und raschen Ladeart für jede Seeschlacht unerläßlich. Dan O’Flynn schien das leise Rumoren an Deck vernommen zu haben. Jedenfalls streckte er den Kopf zum Schott des Vordecks heraus und peilte die Lage. Bei dem, was sich da anbahnte, wollte er auf keinen Fall fehlen. Er schlüpfte aus dem Schott und glitt auf die Kuhl. Wenige Augenblicke später folgten Smoky mit Arwenack auf der Schulter, Buck Buchanan, Matt Davies —kurzum alle, die Hasard in die Kojen abkommandiert hatte. Sie pfiffen auf die wohlverdiente Ruhe. Smoky ging zu Hasard. „Ich finde es verdammt rücksichtsvoll, daß du uns von Carberry nicht an Deck hast trommeln lassen“, sagte er. „Aber wir dürfen hier nicht fehlen.“ „Meinetwegen. Sag Ferris, er soll seinen Rotschopf wegstecken. Die paar Minuten wird er ja wohl noch warten können. Rodriguez soll nicht gleich Verdacht schöpfen und Alarm brüllen, wenn er übers Schanzkleid klettert.“ „Aye, aye.“ Die Brooktaue der Kanonen waren gelöst, die Geschütze standen fix und fertig gerichtet und geladen. Natürlich hatte der Kutscher vorsichtshalber die Kombüsenfeuer gelöscht und die Decks mit Sand bestreut. Hasard stand am Backbordschanzkleid der Kuhl, als das Beiboot des Flaggschiffes anlegte und die üblichen, zwei Seesoldaten an Bord erschienen. Sie meldeten Rodriguez’ Erscheinen. Hasard verbeugte sich rollengemäß und sagte mit gespielter Würde: „Es erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit, den Senor Capitan General an Bord
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willkommen heißen zu dürfen.“ Spanier waren Freunde großer Worte und umständlichen Floskeln, und der Seewolf hielt sich daran. Noch ... So keuchte der dicke Mann die Jakobsleiter herauf. Hasard sah sein feistes Gesicht mit den Hängewangen über dem Schanzkleid auftauchen und deutete wieder einen Kratzfuß an. Ben Brighton, Jean Ribault und Karl von Hutten waren neben ihm und taten es ihm gleich. Am liebsten hätten sie losgeprustet vor Vergnügen, aber sie wußten sich zu zügeln. Hasard wollte Rodriguez zu Hilfe eilen, und die beiden spanischen Seesoldaten standen auch schon bereit, dem Dicken unter die Arme zu greifen — doch der Dicke lehnte ab. Er wußte sich allein zu helfen. Er ließ sich vom Schanzkleid auf die Decksplanken gleiten und hielt mit kleinen Schritten auf Hasard und dessen Delegation spanisch sprechender Freunde zu. Der Seewolf war freundlich wie ein Kater vor dem Milchnapf. „Welcher Glanz auf meinem kleinen Schiff, Don Rodriguez. Der Sturm ist vorüber und wir leben, allen Widrigkeiten zum Trotz. Seien Sie mein Gast und lassen Sie sich zu einem Glas Malaga einladen.“ „Ja“, erwiderte Rodriguez. „Den kann ich brauchen. Ich hätte Lust, mich bis obenhin vollaufen zu lassen, um alles zu vergessen. Es war schrecklich. Ich bin ein erledigter Mann.“ „Aber, aber.“ Hasard lächelte beschwichtigend. Er wollte Zeit gewinnen und Ben und Jean Gelegenheit geben, den beiden Seesoldaten näher zu rücken. Wie zufällig schoben sich seine Gefährten auf die Spanier zu. „Capitan de Veloso“, sagte Rodriguez schnaufend und kurzatmig. „Ich möchte Sie noch einmal um Ihre Hilfe ersuchen. Begleiten Sie mich mit der ,Cartagena` nach Havanna hinauf, damit wenigstens ich meine Pflicht ausüben und mich dort dem nach Spanien auslaufenden Konvoi anschließen kann.“ Der Seewolf nickte verstehend. „Sicher, Amigo. Ich verstehe deine Angst. Man
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wird dir die Hammelbeine langziehen, wenn du allein auf Kuba erscheinst. Du brauchst dringend jemanden, dem du die Schuld in die Stiefel schieben kannst. Willst du uns zusammen mit dem Caballero verheizen, den du drüben auf der ,San Josefe’ hast auspeitschen lasse? Oder hast du den schon an der Großrah baumeln?“ Rodriguez kniff die Augen zusammen. Er duckte sich ein wenig. Hatte er sich verhört? „Capitan de Veloso“, sagte er. „Was fällt Ihnen ein, mich plötzlich zu duzen? Und warum ...“ Weiter kam er nicht, denn einer der Seesoldaten sagte laut und vernehmlich: „Al diablo!“ Rodriguez fuhr herum. Er wollte den Mann anschreien, aber die Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Er sah seine beiden Untergebenen, die mit verzerrten Mienen dastanden. Er blickte fassungslos auf Ben Brighton und Jean Ribault, die ihre Pistolen auf die Köpfe der Uniformierten angelegt hatten. „Was - ist das?“ Es war das einzige, was Rodriguez vorläufig herausbrachte. Hasard lächelte wieder. „Nun, die Waffe, die mein Freund Ben hält, ist eine kostbare Radschloßpistole mit Elfenbeingravuren und einem am Ende verdickten Kolben, den man einem Gegner zusätzlich über den Schädel ziehen kann, wenn man ihn angeschossen hat. Mein Freund Jean indes hat eine Pistole mit seltenem MiqueletSchloß auf den Don zu seiner Seite gerichtet.“ Er legte den Kopf ein wenig schief und fragte: „Das wolltest du doch wissen, Don Francisco der Dicke, nicht wahr?“ Rodriguez schnappte nach Luft und suchte krampfhaft nach Worten. „Das ist der Gipfel. Das ist - Meuterei!“ „Al diablo!“ sagte der Seesoldat wieder. Jean führte die Laufmündung seiner Waffe gegen die Schläfe des Mannes und sagte gedämpft und freundlich: „Noch so eine Bemerkung, mein Freund, und ich puste dir ein Loch in den Schädel.“
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Der Spanier schwieg erschrocken. Unten im Beiboot rührte sich nichts, denn die dort wartenden Rudergasten hatten offenbar immer noch nicht Lunte gerochen. Generalkapitän Rodriguez blickte den Seewolf in einer Mischung aus Unglauben und Entsetzen an. Hasards Lächeln war wie weggewischt. Er beschrieb eine ausholende Gebärde und wies auf die Männer, die nun aus ihren Verstecken erschienen: Ferris Tucker, der Rotschopf, der blonde Dan O’Flynn, der blonde Pete Ballie, Gary Andrews mit seinem strohblonden Haar — und Batuti, der pechschwarze Herkules aus Gambia. Bei dem Anblick des Negers gab Rodriguez unwillkürlich einen ächzenden Laut von sich. „Ein Cimarron“, sagte er fassungslos, „ein Wilder!“ „Ja“, erwiderte Hasard. „Und wir sind ebenso wenig Meuterer, wie wir es nötig haben, Befehle von dir entgegenzunehmen, Rodriguez. Nein, es gibt keine Weiterfahrt nach Havanna. Für dich und deine Männer endet die Reise hier.“ „Wer seid ihr?“ stammelte der beleibte Mann. „Philip Hasard Killigrew aus Cornwall und seine Crew“, gab ihm Dan O’Flynn zischend in seiner Muttersprache zu verstehen. Don Rodriguez verstand nur Hasards Namen, aber er entnahm der Sprechweise und dem Akzent des Bürschchens, aus welchem Land diese Männer stammen mußten. „Ingléses“, hauchte er. „Maldidos Ingléses ...“ „Noch eine Beleidigung“, sagte Karl von Hutten, „und ich schieße dich nieder, Dicker.“ Er hielt plötzlich ebenfalls eine Pistole. Seiner Miene war anzusehen, wie bitterernst er es mit seiner Drohung meinte. Spanier hatten seine Familie umgebracht, Spanier hatten ihn sein Leben lang gehetzt — er haßte die Spanier. „Wir sind keine verfluchten Engländer“, fuhr er fort. „Wir sind ehrenwerte Lords zur See, von denen ihr Hunde noch allerhand lernen könnt.
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Zum Beispiel, wie man sich nicht überrumpeln läßt.“ „Aber für dich kommt jede Erkenntnis zu spät“, teilte Hasard dem Generalkapitän mit. „Und jetzt will ich Klartext reden. Du bist verhaftet. Wage auch nur eine Dummheit, und ich lasse dich niederstrecken. Wer sich meinen Befehlen widersetzt, wird getötet.“ Diese Worte waren auch an die beiden Seesoldaten adressiert. Die zwei hätten sich nur außenbords beugen zu brauchen, um ihre Gefährten zu warnen. Doch sie hatten Angst. Sie lasen in den verwegenen Gesichtern der Seewolf - Mannschaft, daß man mit ihnen nicht viel Federlesens machen würde. „O Gott“, sagte Rodriguez. Er taumelte ein wenig, so betroffen war er. „Heilige Mutter Gottes, alles habe ich erwartet, nur das nicht. Jesus, warum nur — warum muß mir so etwas passieren?“ Anklagend hob er die Hände. „Dieser schwarzhaarige Mann hat sich für uns geschlagen, daß es eine Freude war — und nun dies.“ „Hasard hat das nur getan, um dir näherzukommen“, sagte Ben Brighton. „Er hängt sehr an dir und an deinem Schiff.“ Plötzlich lachte er vergnügt auf, und die Crew fiel ein. Die Spanier unten im Beiboot mußten jetzt den Eindruck haben, an Bord der „Isabella IV.“ herrschte Hochstimmung nach dem Sturm. Karl von Hutten trat vor den Generalkapitän. „Du hast begriffen, daß wir Engländer sind, aber du weißt noch nicht alles, Bursche. Dieses Schiff heißt nicht mehr ,Cartagena’. Wir haben es in ,Isabella IV.’ umgetauft. Ja, es ist das vierte Schiff, das der Seewolf euch Spaniern abluchst, seit er mit Francis Drake zusammentraf und beschloß, als Korsar die Weltmeere zu bereisen. Es sind schwarze Zeiten für euch angebrochen, das schwöre ich dir.“ Es war eine vehemente Rede, und besonders unter den letzten Worten zuckte der dicke Mann zusammen —wie unter Hieben der Neunschwänzigen. „Seewolf?“ wiederholte er. „El lobo del Mar? Drake? El Draque, der berüchtigte
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Freibeuter? Heilige Mutter Maria, Santa Maria im Himmel, erbarme dich meiner!“ Arwenack turnte in den Backbordhauptwanten herum und hielt bereits eine leere Kokosnußschale bereit, um sie auf die Schädelplatte des Dicken abzufeuern. Der Profos baute sich breitbeinig vor der Kuhlgräting auf, stemmte die Fäuste in die Seiten und zog wütend die Augenbrauen zusammen. „Fängt der jetzt schon wieder an? Himmel, Arsch, ich komme mir ja vor wie bei Kaplan Francis Fletcher, dem Himmelhund, der bei Drake mitfährt. Sagt dem Halunken dort, er soll aufhören, sonst ziehe ich ihm die Haut in Streifen vom Hintern!“ Dan drückte den Finger gegen die Lippen und zischte „Schscht“, aber es nutzte nichts. Carberry brüllte, daß die Mastspitzen bebten. Und unten im Beiboot der „San Josefe“ wurden die Rudergasten hellhörig. Sie konnten nicht die Bohne von dem verstehen, was der Profos von sich gab, aber natürlich fühlten sie sich alarmiert — wie man eben hochfährt, wenn jemand auf einem Schiff der königlichen spanischen Krone in einer ganz und gar fremden Sprache herumwettert. Die Rudergasten griffen zu ihren Waffen. Doch eine Stimme über ihnen rief: „Ich an eurer Stelle würde hübsch die Finger von den Schießprügeln lasse.“ Auf spanisch. Es war Karl von Hutten, und er legte seine Pistole auf die Männer im Boot an. Im selben Augenblick zeigten sich an mehreren Stellen des Backbordschanzkleides Musketenläufe. Die Stückpforten fielen. Drohend glotzten die Mündungen der Backbordgeschütze aus den Lukensülls. Die Rudergasten wagten keine Bewegung. Sie waren wie angenagelt. Hasard wandte sich wieder an den völlig perplexen Generalkapitän: „Meine Order lautet, die Besatzung der ,San Josefe’ hat sofort die Galeone ohne Waffen zu räumen und sich an Land zu begeben.“ Rodriguez leckte sich die spröden Lippen. Sein Gaumen war ausgetrocknet, und in
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seinem Hals hatte sich ein dicker Klumpen gebildet. „Das ist Irrsinn ...“ „Ben“, sagte Hasard. Ben Brighton ließ von dem einen Seesoldaten ab, der ja nun auch von anderen Männern der Crew in Schach gehalten wurde. Er trat heran und zielte mit der reich verzierten Radschloßpistole auf Rodriguez’ Kopf. Rodriguez kriegte eine Art Schluckanfall. Er würgte und keuchte und sah aus, als würde er jeden Augenblick zusammenbrechen. „Dieser Teufel“, sagte Jan Ranse, der Holländer. „Der spielt doch bloß Theater. Laßt mich mal ‘ran, ich bring ihm Flötentöne bei.“ Hasard hielt ihn durch einen Wink davon ab, den Generalkapitän zu packen. Rodriguez hatte sich inzwischen wieder gefaßt. Er wirbelte zu den Seesoldaten herum und fuhr sie an: „Und? Habt ihr nicht gehört? Gebt das an die Bootsbesatzung weiter. Klettert die Jakobsleiter ‘runter und pullt mit den anderen zusammen zur .San Josefe’ zurück.“ Die Seesoldaten zögerten, und er kreischte: „Das ist ein Befehl! Bewegt euch!“ Sie gehorchten. Sie enterten ins Boot ab, berieten sich gestikulierend und sehr aufgeregt mit ihren Begleitern und legten schließlich ab. Hasard blickte ihnen nach. „Dan, in den Großmars“, befahl er. „Ich will wissen, ob die Philipps die Anweisung befolgen.“ „Sie werden es nicht wagen, dagegen zu handeln“, beeilte sich Rodriguez zu versichern. „Sie sind sich darüber im klaren, was ihnen blüht, wenn sie es nicht tun. Der Mann, den ich am Morgen des 18. August auf der Gräting auspeitschen ließ, war der Erste Offizier. Er hatte sich aufwieglerisch und dreist gezeigt.“ „Schön“, entgegnete Karl von Hutten höhnisch. „So verschafft man sich Respekt. Wir werden ja gleich sehen, ob das etwas gefruchtet hat, Amigo. Jedenfalls scheinst du mächtige Angst um deine jämmerliche Existenz zu haben.“ „He, ho!“ rief das Bürschchen aus dem Hauptmars. „Die Dons haben die ,San
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Josefe’ erreicht und fangen an. Sie palavern. Die anderen Beiboote werden abgefiert.“ Hasard verfolgte die Vorkehrungen der Spanier durch seinen Kieker. Tatsächlich, die Besatzung enterte über Jakobsleitern ab. Ein erster Schwung wurde auf die Insel Grand Cayman hinübergepullt und abgesetzt, dann kehrten die Rudergasten mit den Booten zum Schiff zurück und holten den nächsten Törn ab. Dan O’Flynn hockte mit Arwenack im Großmars und ließ sich keine Einzelheit entgehen. „Soweit ich sehen kann, haben die Dons keine Waffen dabei!“ rief er. „Das will ich ihnen auch nicht geraten haben“, meinte Hasard mit einem Seitenblick auf Francisco Rodriguez. Der zog den fetten Kopf noch ein Stück weiter ein und schnitt eine unterwürfige, weinerliche Miene. 4. Mit dem dritten Törn war die zahlenmäßige Stärke der spanischen Besatzung erschöpft. Die letzten Leute pullten an Land, sprangen ins flache Uferwasser und zogen die Beiboote auf den Sandstrand. Dan O’Flynn kauerte immer noch im Hauptmars und inspizierte eingehend die Decks der „San Josefe“. Sie waren wie leergefegt. „Wenn uns die Dons keine Falle gebaut haben, können wir uns den Waschzuber jetzt ansehen“, meldete er seinem Kapitän. Hasard schaute wieder Rodriguez an. „Eine Falle? Das würde übel für euch ausgehen — für dich zuerst.“ „Meine Männer wagen so etwas nicht“, versicherte der Dicke schwitzend. „Also gut. Karl, Matt, Gary und Al!“ „Sir?“ sagte Gary Andrews. „Ihr fiert unser Beiboot ab und steigt an Bord. Wir fahren zur Galeone hinüber. Bevor ich unsere wertvolle Fracht umlade, will ich mir das Schiff genau ansehen und alles dort kennenlernen. Mein Freund Rodriguez begleitet mich und liefert mir die nötigen Erklärungen.“
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Rodriguez’ Gedanken waren von glühendem Haß gegen den Seewolf erfüllt. In seiner Phantasie folterte und brandmarkte er ihn, weidete sich an seinem Geschrei, ließ ihn hängen, kielholen, erwürgen und vierteilen. Doch er wagte nicht einmal durch seinen Blick kundzutun, was in seinem Inneren vorging. Der harte Kern in ihm hatte sich aufgelöst. Er war nur noch ein zitterndes Bündel, denn so unmittelbar hatte er dem Tod noch nie ins Antlitz geblickt. Als er mit Hasard, Ben Brighton, Gary Andrews, Karl von Hutten, Matt Davies und Al Conroy ins Boot abentern mußte, fiel ihm der Raum im Vordeck ein. Rodriguez wurde von Unruhe gequält. Was war, wenn die Korsaren das Schott aufbrachen und entdeckten, was er dahinter versteckt hielt? Dumme Frage — ganz gewiß würden sie sein Geheimnis lüften... „Rodriguez“, sagte Hasard, der auf der Heckducht Platz genommen hatte und die Ruderpinne hielt. „Was ist lös?“ „Nichts“, sagte der Dicke, ohne seinen Todfeind anzublicken. Gary, Karl, Matt und Al legten sich in die Riemen. Das Boot zog mit leisem Rauschen durch die Fluten. Schmatzend leckten die Wellen gegen die Bordwände. Matt Davies lachte. „Nichts! Ist doch klar, daß er die Hosen voll hat. So, wie er schlottert.“ „Ich will nicht sterben“, sagte Rodriguez. Hasard blickte ihn forschend an. „Wirst du auch nicht, wenn du keine Tricks versuchst und uns nichts verbirgst.“ Er wies zu der hinter ihnen zurückbleibenden ZweimastKaravelle zurück. „Die ‚Isabella’ bleibt natürlich gefechtsklar. Mein Profos hat Order, sofort und ohne jede Rücksicht die Waffen einzusetzen, falls das nötig ist.“ Ben Brighton taxierte den Generalkapitän mit einem langen Blick und sagte dann: „Also, wie ich den einschätze, bereitet er uns keine Schwierigkeiten.“ Rodriguez wollte zu einer Erklärung ansetzen, aber es fehlte ihm dann doch der Schneid dazu. Fast sehnsüchtig blickte er zum Ufer der Insel hinüber. Es lag gut eine halbe Meile entfernt, doch er konnte
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ziemlich genau verfolgen, wie die Reste seiner Besatzung sich dort zusammenrotteten und beratschlagten. Sie hatten auch den Ersten Offizier mitgenommen. Vielleicht hätten sie nun wirklich Meuterei begangen und ihm, Rodriguez, die Hölle heiß gemacht, wenn er bei ihnen gewesen wäre. Und doch wünschte er sich nichts sehnlicher, als jetzt unter ihnen zu weilen. Daraus wurde nichts. Die Wirklichkeit ließ sich nicht verändern. Das Beiboot ging an der „San Josefe“ längsseits. Oben auf den Decks der Galeone herrschte Totenstille. Sie hatte sich in ein Geisterschiff verwandelt. Das gelegentliche Knarren der Blöcke, Taljen und Rahen nahm sich fast unheimlich aus. Trotz der sommerlichen Wärme fröstelte es Don Francisco Rodriguez. Sie enterten auf, Hasard allen voran, hinter ihm Ben Brighton, dann Gary und Al. Rodriguez mußte aufschließen. Unter ihm hangelten schließlich Matt Davies und Karl von Hutten an den Querholmen hoch. Sie trafen auf der Kuhl ein und begannen ihren ausführlichen Rundgang. „Ich nehme mir das Achterkastell und die Frachträume vor“, sagte der Seewolf. „Ben, Gary und Al, ihr bleibt bei mir. Karl und Matt, ihr werft einen Blick ins Vorkastell.“ „Aye, aye, Sir“, antwortete Karl. Er machte sich mit dem einarmigen Matt auf den Weg. Sie blickten an dem imposanten Großmast hoch, nickten sich sachverständig zu und marschierten über die Planken auf die Back zu. Auf der Galeone herrschten ganz andere Dimensionen als auf ihrer ZweimastKaravelle. „Hier kann mach sich beinahe verlaufen“, sagte Matt. Er blieb stehen, pochte mit seiner Eisenhakenprothese gegen ein Schott und grinste plötzlich. „He, das hier wird das Reich vom Kutscher.“ Er zog das Schott auf und deutete in die Kombüse, deren Holzkohlenfeuer noch glommen. Der Geruch von kaltem Olivenöl, Knoblauch, Thymian und Rosmarin stieg ihnen in die Nase. „Also, die Dons sollen ja gute Köche
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sein“, sagte Matt. „Aber mich könntest du mit dem Zeug jagen, das die da zusammenbrutzeln. Knoblauch —puh!“ Er betrat die Kombüse, forschte in den vielen Schapps nach und fand endlich, wonach sein Herz sehnsüchtig verlangte: eine Korbflasche Rotwein. Er entkorkte sie, führte sie an die Lippen und ließ einen ordentlichen Schluck seine Kehle hinabgluckern. „Ha“, sagte er anschließend. „Das schmeckt nach mehr.“ Er probierte noch einmal, dann reichte er die Flasche an Karl weiter. „Wein aus Kolumbien“, stellte Karl fest. „Davon ist sicher noch mehr an Bord, du brauchst dir also keine Sorgen über Nachschub zu machen. Besauf dich bloß nicht, sonst gibt’s Ärger mit dem Seewolf.“ „Ich heiße doch nicht Dan O’Flynn“, sagte Matt. Sie verließen die Kombüse und drangen tiefer ins Vorkastell vor. Sie befanden sich auf dem Unterdeck, als Karl von Hutten jählings seinen Schritt verhielt und Matt am Arm packte. „Matt—hörst du das?“ „Was denn?“ „Da klopft jemand.“ Matt Davies spitzte die Ohren und schnitt eine verdrossene Miene. Es wurmte ihn, daß er nichts bemerkt hatte. Endlich vernahm er es auch: irgendwo bummerte jemand gegen eine Holzwand. „Bin doch nicht taub“, sagte Matt. „Natürlich höre ich das. Holzwürmer sind’s bestimmt nicht, die da lärmen.“ Er blickte Karl von Hutten an. „Mensch, und wir Idioten haben wirklich gedacht, das Schiff sei leer. Diesem Fettsack Rodriguez drehe ich den Hals um.“ „Ich glaube nicht, daß es Feinde sind, Matt. Die würden doch kein solches Spektakel schlagen, wenn sie uns auflauern wollten.“ „Na und? Feinde oder nicht, er hat uns hinters Licht führen wollen, der feine, vollgefressene Generalkapitän.“ „Sehen wir mal nach, woher die Geräusche kommen.“
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Sie zückten ihre Pistolen und tasteten sich weiter vor. Matt entdeckte einen Vorratsraum, stöberte eine Weile darin herum und fand ein Talglicht. Sie zündeten es an und pirschten in seinem Schein weiter. Bald standen sie vor dem Schott, gegen das von der Innenseite her gehämmert wurde. Matt öffnete schon den Mund, um loszuwettern, aber von Hutten warnte ihn. „Stopp“, raunte er. „Wir sagen besser Hasard und den anderen Bescheid.“ Er hielt das Talglicht tiefer und untersuchte die Verriegelung des Schotts. Da prangte ein dickes Eisenschloß. Der Seewolf, Gary Andrews, Al Conroy und Ben Brighton hatten sich zu diesem Zeitpunkt durch das Achterkastell bis zur Kapitänskammer vorgearbeitet. Don Francisco Rodriguez war hochrot im Gesicht, schnaufte und -schwitzte. Seine Bezwinger drängten ihn, die Tür aufzuschließen. Er tat es voll Widerwillen — aber was blieb ihm anderes übrig? Die Tür schwang auf, sein Allerheiligstes lag offen vor ihnen. Die Einrichtung war gediegen, ja, fast schon pompös. Da baumelten prunkvolle Kronlüster über Schreibpult, Tisch und Stühlen aus gedrechseltem und reich verziertem Mahagoniholz. Da hingen Wandgobelins und Ölgemälde, die ernst dreinblickende, hochdekorierte spanische Commodores zeigten, über lederbespannten Sesseln. Es lagen sogar Teppiche auf dem Boden. In krassem Widerspruch zu dem gesamten Interieur stand eigentlich nur Don Rodriguez’ Lager, das völlig zerwühlt war. „Aber, aber“, sagte Hasard. „Unordnung ist ein Zeichen für mangelnde Disziplin.“ Er trat an die Schapps. Ihre Verschläge hatte neckische Butzenfensterscheiben. Hasard grinste und öffnete sie einen nach dem anderen. Dann brachte er eine Flasche zum Vorschein - mit Malaga. „Ich halte mein Wort“, sagte er. „Trinken wir auf deine Niederlage, Amigo Rodriguez.“ Er nahm Gläser heraus und schenkte sie voll.
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Gary Andrews war unterdessen an die Koje des Generalkapitäns getreten und streifte das Durcheinander aus Decken und Kissen mit einem verächtlichen Blick. Plötzlich entdeckte er etwas, das unter dem Kojenrand hervorlugte. Er bückte sich und beförderte es zutage. Er klappte den Mund auf, hob es auf und hielt es hoch. „Jetzt bleibt mir aber die Spucke weg!“ rief er aus. „Don Philippo, trägst du so was?“ Die Männer wollten sich ausschütten vor Lachen. An Garys Finger baumelte ein weißes; echt seidenes Spitzenhöschen. Rodriguez lief noch ein paar Nuancen dunkler an, und es sah so aus, als treffe ihn nun tatsächlich der Schlag. „Unterlassen Sie das“, sagte er. Hasard drehte sich zu ihm um. Sein Lachen zerbröckelte. „Schluß jetzt, Rodriguez. Ich habe es satt. Was geht hier vor? Du verheimlichst uns was.“ „Nein“, hauchte Rodriguez. Er zitterte wieder. Wie Pudding. „Ben“, sagte der Seewolf. Ben Brighton hob seine Radschloßpistole und brachte sie in Anschlag. Rodriguez trotziger Widerstand schmolz unter dem Einfluß der drohenden Waffenmündung dahin. „Ich gestehe“, kreischte er. „Ich will alles sagen - alles, alles!“ „Das wird auch Zeit“, meldete sich eine Stimme von der Tür der Kammer her. Matt Davies trat ein. „Im Vorschiff gibt’s einen Raum, in dem jemand eingesperrt ist“, sagte er trocken. „Mehrere Leute, nach dem Lärm zu urteilen, den Sie da veranstalten. Karl von Hutten hält vor dem Schott Wache und wartet auf uns.“ „Gehen wir“, sagte Hasard. „Das Schott hat ein Schloß“, sagte Matt. Hasard blickte Rodriguez nur mit jenem unvergleichlichen eisigen Blick an, den der Generalkapitän schon fürchten gelernt hatte - und Rodriguez wies bereitwillig sein Schlüsselbund vor. „Ihr braucht das Schott nicht aufzubrechen“, sagte er. „Ich habe den Schlüssel.“ „Umso besser“, sagte Al Conroy. „Was wir hier zerstören, müssen wir nämlich
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hinterher selbst wieder reparieren. Ferris würde sich schön bedanken.“ Sie eilten auf die Kuhl zurück. „Al“, sagte Hasard. „Du bleibst auf Deck zurück. Du alarmierst Carberry und die anderen von der ‚Isabella’, falls uns unten was zustößt.“ „Aye, aye, Sir.“ Der Seewolf, Matt Davies, Gary Andrews, Ben Brighton und der dicke Generalkapitän hasteten weiter. Rodriguez wurde angetrieben, Niedergänge hinuntergeschubst, ständig zur Eile angehalten. Sie trafen auf Karl von Hutten, der mit seinem Talglicht vor dem Schott Wache hielt. „Den Schlüssel“, sagte Hasard barsch zu Rodriguez - und drinnen wurde wieder mit großer Heftigkeit gegen das Holz gewummert. Rodriguez’ Augen huschten hin und her, er wußte nicht mehr, wie er sich rechtfertigen sollte. Am liebsten hätte er sich in einem Mauseloch verkrochen. Hasard bosselte mit dem Schlüssel an dem Schloß herum, da ertönte von jenseits des Schotts ein schriller Laut. Hasard wandte sich zu den Freunden um. „Augenblick mal -was war das eurer Meinung nach?“ „Ein Keifen“, sagte Matt Davies verdattert. „Aber so keift kein Kerl“, sagte Ben Brighton. „Santo cielo, Madre de Dios, oiga me“, jammerte Don Rodriguez. „Jetzt haben wir sie gleich, die Besitzerin des Spitzenhöschens“, stieß Hasard grimmig hervor. Er schloß auf, löste die Verriegelung, packte nach dem Schott und ließ es in seinen quietschenden Eisenangeln zurückschwingen. Dann prallte er zurück. Denn was da aus dem Raum schnatternd hervorquoll, setzte allem bisher Dagewesenen die Krone auf. Eine Gruppe, nein - ein Rudel grell geschminkter Frauenzimmer ergoß sich auf den Gang, umringte die grenzenlos verblüfften Männer, stieß Rodriguez erbost vor die Brust und drängte ihn gegen die Wand ab. Der Seewolf und seine Freunde sahen verschmiertes Lippenrot und zerlaufene Wimperntusche in wütenden Gesichtern,
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sahen rote Fingernägel auf Händen, die Rüschenröcke rafften, sahen wippende, pralle Brüste in spitzenbesetzen Kleidausschnitten und entzückende Pos unterschiedlicher Größenordnungen, die empört wackelten — auf und ab, hin und her ... „Gerechter Himmel“, stöhnte Ben Brighton. „Hurra!“ jubelte Gary Andrews, als er den ersten Schreck überstanden hatte. Rodriguez schrie: „Hilfe!“ Drei, vier Frauenzimmer hatten ihm den Fluchtweg verstellt und zeigten ihm Zähne und Krallen. Sie kreischten durcheinander und waren drauf und dran, ihn zu massakrieren. Eine Brünette mit kräftigen Hüften schrie: „Verhungern lassen wolltest du uns. Ist das der Dank?“ Eine üppige Blonde fuhr dazwischen: „Man sollte ihm was abschneiden, dem Scheißkerl!“ Die anderen fielen ein, schrien durcheinander. „Bastard!“ „Hurensohn!“ „Schweinetreiber!“ Rodriguez wimmerte und rang die Hände, mit seiner Selbstbeherrschung war es völlig dahin. Zu allem Überfluß riß ihm die Brünette mit den kräftigen Hüften auch noch die Perücke vom Kopf und schleuderte sie in den Gang. Rodriguez heulte, und die Frauen schrien um die Wette. „Ihr mißversteht mich“, beteuerte er. „Ich bin ein Opfer widriger Umstände. Ich kann alles erklären ...“ Philip Hasard Killigrew schaute sich das wüste Treiben noch ein paar Sekunden mit an. Sein Gemüt schwankte zwischen Belustigung und Verärgerung. Schließlich platzte ihm der Kragen, und er meldete sich mit einer Stimme zu Wort, die selbst Carberry in den Schatten stellte und zu einem harmlosen Flüsterer degradierte. „Schluß jetzt! Ruhe!“ Rodriguez stand wie vom Donner gerührt, und auch die grell geschminkten, leicht lädierten Ladys hörten auf zu keifen. Alle
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Blicke vereinten sich auf der großen Gestalt des Seewolfs. Sein Donnerruf hallte durch die Schiffsgänge. Hasard stand mit leicht abgewinkelten Beinen. Die Blicke der Frauenzimmer maßen ihn ungeniert von oben bis unten, sie waren eine einzige Herausforderung. Er war ein Vollblutmann und hatte lange keine Frau mehr gehabt. Aber trotzdem beschloß er, ihr Getue vorläufig zu ignorieren. „So ist das“, sagte er. Er zählte ab, wie viele aufgedonnerte Mädchen sich da versammelt hatten. „Zwölf. Wir kapern eine schmucke Lady und finden ein Dutzend Ladys in ihrem Bauch. Ist das nicht ein Witz?“ Matt Davies kicherte, aber es fiel niemand ein. Karl von Hutten schoß einen warnenden Seitenblick auf ihn ab, da war er still. Der Seewolf verneigte sich ein bißchen, immerhin wußte er, was sich Frauen gegenüber gehörte, und wirkten sie auch noch so ramponiert und vulgär. „Myladys, mein Name ist Philip Hasard Killigrew, Kapitän der ,Isabella IV.’ und neu ernannter Kapitän der ‚San Josefe’ beziehungsweise ‚Isabella V.’. Ich würde mich wirklich freuen, von Ihnen zu erfahren, was Sie auf diesem Schiff zu suchen haben.“ Die Brünette mit den stämmigen Hüften trat vor. „Zu suchen haben? Du machst mir Spaß, Großer. Meine Freundinnen und ich haben auf dem neu entdeckten Kontinent ein kleines Vermögen verdient und befinden uns jetzt auf der Rückreise nach Spanien, kapiert? Ich heiße Maria Juanita, und das dort“, sie wies mit einer ausladenden Geste auf die anderen elf, „das sind Estelita, Dolores, Alana, Patricia, Joana, Mona, Veronica, Micaela, Roberta, Emanuela und Rafaela.“ „Halt die Luft an“, flüsterte Matt Davies. „Was für ein prächtiger Schwung von Edelhuren!“ Er konnte froh sein, daß Maria Juanita kein Englisch verstand, sonst wäre sie ihm wahrscheinlich an die Kehle gesprungen. Immerhin nahm auch eine Gunstgewerblerin für sich in Anspruch,
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wie eine Dame behandelt und angesprochen zu werden. „Aha“, sagte Hasard. „Jetzt geht mir ein Licht auf. Rodriguez hat natürlich, so, wie ich ihn kenne, ordentlich für die Überfahrt kassiert.“ Maria Juanita nickte empört. „Und wie! Von der Summe kann er sich in der Heimat zwölf Landhäuser kaufen — der Hurenbock! Erst hat er uns verwöhnt und eine nach der anderen nachts zu sich in die Kammer eingeladen. Dann, ganz plötzlich, hat er sich nicht mehr blicken lassen. Wir haben uns im Sturm fast die Seele aus dem Leib gespuckt und seitdem keine Verpflegung mehr gekriegt.“ „Capitan General“, sagte Hasard honigsüß. „Ist dir denn nicht bekannt, daß Frauen auf einem Kriegsschiff der spanischen Krone nichts zu suchen haben?“ „Ich ...“ „Das kann dich den Kopf kosten, du Gierhals. Du wolltest nebenbei kassieren und während der Überfahrt auch noch deinen Spaß haben, was?“ Hasard grinste wild. „Da hast du dir aber ins eigene Fleisch geschnitten. Ich wette, dein Erster Offizier hatte was spitzgekriegt. Deswegen empfing er die Neunschwänzige. Und weil die Offiziere und die Mannschaft kurz davor waren, das Spielchen aufzudecken, hast du die zwölf Ladys zuletzt ganz einfach ihrem Schicksal überlassen, nicht wahr?“ „Ja“, gestand Rodriguez weinerlich. „Ich will fort. Bitte ...“ „Räudiger Hund!“ kreischte Maria Juanita los. „Alana, wir erwürgen ihn!“ Alana, die üppige Blonde, warf sich mit Maria Juanita zusammen auf den Dicken. Dann drängten die anderen nach. Sie überhäuften den Mann mit Flüchen und Verwünschungen, die selbst einen abgebrühten Seemann noch erröten lassen konnten. Sie waren keifende Megären, zwar die Spitzenklasse der Edelhuren, aber nichtsdestotrotz ordinär bis unter die gefärbten Perücken. Sie wollten Rodriguez erledigen, aber Hasard griff jetzt wieder ein.
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Er tat drei Schritte, griff sich Maria Juanita und Alana und zerrte sie mit sich den Niedergang hoch. Die anderen zehn „Ladys“ bemerkten das natürlich und ließen sofort von dem fetten Generalkapitän ab. Maria Juanita war ihre Wortführerin –sie folgten ihr. Die ganze kreischende Schar trappelte schließlich über Deck, und der arme Al Conroy kriegte vor Überraschung den Mund nicht mehr zu. Hasard verharrte in seiner Nähe und drückte die zeternden beiden Frauenzimmer gegen das Backbordschanzkleid. Sie mußten da stehenbleiben, ob sie wollten oder nicht. Hasard hielt sie an den ausgestreckten Armen und ertrug ihr Kratzen und Beißen, ohne mit der Wimper zu zucken. Um sich Gehör zu verschaffen, mußte er sie nur ein bißchen schütteln. Maria Juanita stöhnte auf. „Laß das, du tust uns weh.“ „Seid ihr endlich friedlich? Mir reicht’s.“ „Wir können vernünftig miteinander reden“, sagte Alana. Sie setzte das einstudierte Lächeln auf, mit dem sie in Kolumbien und den anderen südamerikanischen Ländern sicherlich ein Heer von zahlungskräftigen Kunden an Land gezogen hatte. „Nimmst du uns mit, Großer, wenn wir hübsch artig sind?“ fragte Maria Juanita. „Wie ich die Dinge sehe, bist du hier doch der Gewinner, oder? Ein schöner Engländer, wie? Himmel, ich wollte immer schon mal nach England rüber und mich vergewissern, ob die Ingléses tatsächlich so sture Böcke sind, wie es in Spanien erzählt wird.“ Sie fügte noch etwas Eindeutiges, sehr Obszönes hinzu, und Al Conroy gab ein dröhnendes Lachen von sich. Hasard blickte ihn vernichtend an. Er verstummte. Die anderen traten hinzu, bauten sich neben den übrigen zehn Frauen auf und wagten es nicht, auch nur den Mund aufzutun. Sie kannten ihren Seewolf und wußten, wann bei ihm der Humor zu Ende war.
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„Daraus wird nichts, Mädchen“, sagte Hasard zu Maria Juanita. „Ich sage dir, was ihr tut. Ihr klettert an der Jakobsleiter runter und steigt in unser Beiboot. Ben, Gary, Al und Matt pullen euch zur Insel. Und da bleibt ihr.“ Maria Juanita protestierte lautstark, aber das nutzte ihr nichts. Sie wurde samt ihren „Kolleginnen“ in das Beiboot verbannt. Ben und die anderen drei Rudergasten enterten ebenfalls ab und beeilten sich, das Boot von der Bordwand loszukriegen. Hasard und von Hutten beugten sich neben dem völlig am Boden zerstörten Rodriguez übers Schanzkleid der Dreimast-Galeone und winkten den zwölf Prostituierten noch einmal hohnvoll zu. Die Schimpfkanonade, die daraufhin von Bord des Bootes zu ihnen heraufdrang, war nicht von schlechten Eltern. „Eigentlich schade“, sagte Karl von Hutten. „Sie sind hübsch, die Mädchen. Man könnte sich in die eine oder andere vergucken — wenn sie nicht so verflixt vulgär wären.“ Hasard blickte ihn von der Seite an. „Der Hauptteil meiner Crew ist da weniger wählerisch, Freund. Ich würde ihnen den Spaß ja gönnen, aber wir könnten uns die Finger daran verbrennen. Maria Juanita hat das Zeug zur Rebellin. Vergiß nicht, daß sich auf Grand Cayman immer noch nahezu siebzig Mannschaftsmitglieder der ,San Josefe’ befinden. Ich glaube, sie hätte große Lust gehabt, uns irgendwie gegen die auszuspielen. Denn nach England will sie trotz aller Beteuerungen nicht — das falsche Luder.“ 5. Dan O’Flynn wäre nicht der Ausguck mit den allerbesten Augen gewesen, wenn er jetzt nicht loskrakeelt hätte. Natürlich hatte er vom Großmars der „Isabella“ aus alles beobachtet. Und die Crew stürzte ans Backbordschanzkleid, lehnte sich über, daß sie ins Wasser zu fallen drohte und grölte Beifall. Eine Welle brüllender Heiterkeit brauste zu dem Beiboot hinüber.
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Ben Brighton saß auf der Heckducht. Ihm war nicht gerade wohl in seiner Haut. Er hielt die Pinne fest, als wolle sie abbrechen und davontreiben, und nahm die Augen nicht von seinen drei Begleitern. Gary und Al legten sich mächtig ins Zeug. Matt Davies auch, aber er hatte ein freches Grinsen aufgesetzt. „Was grinst du so dämlich?“ fragte Ben. „Sticht dich der Hafer?“ Matt erwiderte: „Ja. Und wie. Warum dürfen wir nicht ein paar von diesen niedlichen Zuckerpuppen so ganz nebenbei vernaschen?“ „Weil der Seewolf dagegen ist.“ „Na schön, aber was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß ...“ Ben kriegte schmale Augen. „Wir pullen die zwölf Weiber an Land und kehren schleunigst zur ,San Josefe’ zurück, verstanden?“ „Ist ja gut ...“ Alana drängelte sich neben Matt, stieß ihn mit dem Ellenbogen an und lächelte verführerisch. „Ich glaube, du bist in Ordnung, Junge. Du hast zwar ‘ne Hakenhand, aber die braucht man im Bett nicht. In der Liebe zählen andere Qualitäten.“ „Ja“, jauchzte Matt. „Und ich schwöre dir, daß sie mir wirklich nur den rechten Unterarm amputiert haben, Rose von Kastilien!“ Al und Gary konnten sich da nicht mehr halten, sie prusteten einfach los. Die zwölf liederlichen Frauenzimmer kicherten, belagerten die Duchten und sorgten dafür, daß einerseits das Boot ordentlich Tiefgang hatte und andererseits die Widerstandskraft der kleinen Besatzung erhebliche Schlagseite erhielt. Sie reizten die liebeshungrigen Männer bis zum Äußersten — was zur Folge hatte, daß das Beiboot langsamer wurde und fast ganz stoppte. „Ruder an!“ sagte Ben Brighton scharf. „Legt euch ja in die Riemen, ‚sonst erstatte ich dem Seewolf nachher Meldung, und er reißt euch die Köpfe ab. Befehl ist Befehl.“
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Al Conroy wußte, daß Ben nur seine Pflicht tat. Außerdem gab es an den Anordnungen des Seewolfes nichts zu rütteln. Er hatte ihnen schon oft die größtmögliche Freiheit gewährt, wenn er irgend konnte. In der Hafenstadt Culebra in Nicaragua zum Beispiel hatte er der Mannschaft in drei Törns Urlaub bis zum Wecken erteilt. Sie hatten sich bei den „Putas“ an Land ordentlich austoben können, bloß lief das Ganze schlecht für Gordon Watts, einen der ehemaligen Karibik-Piraten, aus. Er war sozusagen durchgedreht und hatte sein Leben lassen müssen. Philip Hasard Killigrew hatte jetzt seine Gründe, wenn er ihnen eine Gelegenheit wie diese vorenthielt.. Al stieß Matt an. „Halt an dich, Mann. Stell dir einfach vor, du wärst für heute nachmittag ein frommer Mönch.“ Matt sandte einen entsagungsvollen Blick in Alanas Busenausschnitt, dann nickte er. Er hatte kapiert und stauchte nun auch Gary Andrews zusammen: „Reiß dich zusammen, Kerl, und bleib abstinent. Quertreiben ist nicht.“ Gary wollte aufbrausen, aber dann sah er die ernsten Mienen der Freunde und bremste sich. „Also schön“, sagte er zerknirscht. „Ich hab’s auch begriffen.“ Sie pullten wieder kräftiger. Maria Juanita verzog den hübschen Mund zu einem Schmollen. Sie kletterte zwischen den Männern über die Duchten weg und näherte sich dem Heck. Das Boot begann bedenklich zu schaukeln. Ben funkelte sie aus seinen braunen Augen an. „Setz dich wieder hin. Sofort.“ Sie ließ sich neben ihm auf der Heckducht nieder. „Ich sitze ja schon, Süßer. Warum bist du denn nur so unfreundlich? Ich verstehe das nicht. Wir haben dir doch nichts getan.“ Ihre Hand lag plötzlich auf seinem Unterarm. Ihre weiche, warme Hüfte drängte sich gegen ihn, und er roch ihr Parfüm. Es war ein billiges, aufdringliches Parfüm, aber es rief doch gewisse Erinnerungen in ihm wach. Da waren die stürmischen: Nächte, die sie in der „Bloody Mary“, in Nathaniel Plymsons
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Kneipe in Plymouth, verbracht hatten. Da waren die Wünsche, die ein Mann zur See immer wieder verdrängen mußte — bis zur Selbstaufopferung. „Ich sehe, wir verstehen uns“, gurrte die berückende Maria Juanita. Ihre Hand glitt von seinem Arm auf seine Brust, verharrte dort eine le und rutschte dann tiefer, immer tiefer. „Du wirst nicht enttäuscht von mir sein“, flüsterte sie heiser. „Ich bin besser als die Hafenhuren, die du kennst. Ich gehe nicht mit jedem. Nur mit Typen, die ich mag. Mit starken Männern wie dir.“ „Holla!“ rief Matt Davies. „Wir sind fast am Ufer, Jungs!“ Diese Worte rüttelten Ben Brighton wach und holten ihn in die Wirklichkeit zurück. Er rückte von Maria Juanita ab, blickte angestrengt voraus und zwang sich, der Frau keine Beachtung mehr zu schenken. Maria Juanita, die ihre flinke Hand schon an Bens Hosenbund gehabt hatte, ließ einen zischenden Laut vernehmen. „Das wirst du mir büßen, du Hund“, sagte sie leise. Am Ufer hatten sich die Spanier zusammengeschart. Ben gab den Befehl, vorsichtshalber die Waffen in Anschlag zu bringen. So holten Gary, Al und Matt die Riemen ein und griffen zu den Musketen und Pistolen. Ben stellte fest, daß das Uferwasser nun flach genug war — und scheuchte die „Ladys“ ins Naß. Sie rafften die Röcke und ließen sich kreischend in die etwa kniehohen Fluten gleiten. Natürlich schlugen sie mehr Krach, als nötig war. Bald wateten sie allesamt taumelnd und zeternd dem Trockenen entgegen. Matt Davies griff auf Bens Geheiß hin wieder zu den Riemen. Die Blätter tauchten ein, und das Beiboot glitt vom Ufer weg. Al, Gary und Ben hielten weiterhin ihre Waffen auf die Spanier gerichtet. Sie konnten nicht genügend auf der Hut sein. Doch es passierte nichts. Erstens hatten die Dons wirklich keine Waffen mehr — außer ihren Messern und Degen vielleicht —, zweitens hatten sie nur noch Augen für die Prostituierten. Grölend und lachend liefen
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sie ins Wasser und nahmen die Frauen in Empfang. Es wurde eine gottvolle Szene: Die Spanier tanzten wie die Kinder mit den Liebesdienerinnen im Wasser herum, schlugen ihnen auf die Hinterteile und hoben sie hoch in die Luft hinaus. Ben Brighton atmete auf. „Na bitte. Es lebe die freie Liebe.“ Maria Juanita hatte sich einem muskulösen Burschen mit dichtem Bartwuchs an den Hals geworfen. Sie ließ sich auf seine Schultern heben, dann reckte sie ihre Fäuste und schrie den Davonpullenden nach: „Der Teufel soll euch holen! Ihr seid ja alle anders ‘rum, ihr Schweine!“ „Das muß man sich nun gefallen lassen“, brummte Matt Davies. Er war wirklich beleidigt. * Hasard schob das Spektiv zusammen und lachte. Das Beiboot hatte wieder an der Backbordseite der „San Josefe“ angelegt, und in der Zwischenzeit hatte er reichlich Gelegenheit gehabt, das Treiben am Strand der Insel zu verfolgen. Die Spanier waren vollauf mit den „Ladys“ beschäftigt — und wie! Viele machten sich nicht mal die Mühe, sich mit ihren hastig Auserwählten hinter die Büsche zurückzuziehen. Die Rosen von Kastilien wurden nach Herzenslust erprobt, und es gab auch schon einige Kerle, die leer ausgegangen waren und sich deswegen balgten. „Gut“, sagte der Seewolf. „Sehr gut.“ „Diese Schmach“, stöhnte Don Francisco Rodriguez neben ihm. „Diese Schande. Ich Elender!“ Er hatte seine Perücke wiedergefunden und aufgesetzt, aber sein Aussehen wurde dadurch keineswegs aufgebessert. Die Perücke saß schief. Rodriguez war ein Ritter von der traurigen Gestalt. Eine Witzfigur. „Ich kann dies alles immer noch nicht fassen“, sagte er theatralisch. Hasard wandte den Kopf. „Du kannst froh sein, daß wir nicht Bordgericht über dich halten und deinen Kopf rollen lassen. Karl und Al, ihr sperrt den Knaben in die
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Vorpiek, da soll er schmachten und über seine Sünden nachdenken.“ Der Generalkapitän wurde abgeführt. Hasard stieg mit Ben Brighton in die Laderäume der Galeone hinunter, während Gary Andrews und Matt Davies oben als Deckwache zurückblieben. Hasard und Ben fanden Lichter und zündeten sie an. Innerhalb der nächsten halben Stunde waren sie vollauf damit beschäftigt, die Fracht unter den Luken der „San Josefe“ zu inspizieren und eine erste grobe Einteilung zu schaffen. Sie fanden Gold- und Silberbarren, Schmucktruhen, die bis zu ihrem oberen Rand mit Edelsteinen und Perlen gefüllt waren, Gewürze, edle Hölzer, Tabak, Zucker und Kakao sowie eine bestens ausgestattete Waffenkammer und ein Gelaß, in dem sich Pulverfässer türmten. „Das können wir unmöglich alles mitnehmen“, sagte Ben. „Wenn wir die Ladung der ‚Isabella’ hier stauen wollen, müssen wir auf einen Teil der Güter verzichten.“ Hasard entgegnete: „Allerdings. Wir behalten nur das Gold, das Silber, die Perlen und die Edelsteine. Alles andere schaffen wir an Land. Der Proviant bleibt natürlich an Bord, zumal er den Freiraum für unsere eigene Schatzbeute kaum einschränkt.“ Sie kehrten auf Deck zurück. Die Abenddämmerung setzte ein. und der Seewolf erkannte, daß er sein Vorhaben an diesem Tag nicht mehr verwirklichen konnte. Er ließ Ben Brighton und die anderen vier auf der Galeone zurück und ruderte allein mit dem Beiboot zur Zweimast-Karavelle. Als er an Bord kletterte, stürmte ihm als erster Dan O’Flynn entgegen. Er hatte sich von Jean Ribault im Hauptmars ablösen lassen. „Mann, o Mann!“ rief er. „Warum hast du nicht wenigstens eines von den Weibsbildern zurückbehalten? Ich bin ganz verrückt danach, mal wieder was Griffiges zwischen die Finger zu kriegen.“ „Da lachen ja die Hühner“, sagte der Profos grinsend. „Das Knäblein ist noch
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nicht trocken hinter den Ohren und will schon mitreden.“ „Guck erst mal bei den Großen zu, wie sie’s machen“, fügte Smoky hinzu. „Was kümmert den Adler das Gekrächze der Krähen“, sagte Dan. „Hasard, du holst die Weiber doch wieder, wenn wir erst mit dem Umladen fertig sind, nicht?“ Der Seewolf legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Mal ganz abgesehen davon, daß die aufgetakelten Dinger bleiben, wo sie augenblicklich sind - so heiße Brocken sind wirklich nichts für euch Kinder.“ „Euch?“ echote Dan verdutzt. „Eben, für Arwenack und dich.“ Dan zog wütend ab, und die Crew wollte sich ausschütten vor Lachen. Arwenack hing in den Steuerbordhauptwanten und keckerte ebenfalls wie besessen — das stimmte das Bürschchen erst richtig wild. Er verschwand unterm Vordeck und knallte das Schott hinter sich zu. „Wahrscheinlich läßt er sich an den Vorräten aus“, sagte Smoky. „Wenn er auf der Palme ist, frißt er, um sich wieder zu beruhigen.“ Wenig später bestätigte das erboste Rufen des Kutschers, daß Smoky recht gehabt hatte. Dan O’Flynn hatte sich in die Kombüse geschlichen und war - wie üblich - vom Kutscher ertappt worden. Die beiden kamen auf die Kuhl getobt. Der Kutscher wollte Dan eines mit der Bratpfanne überziehen, aber Hasard stoppte ihn. „Laß das, wir haben jetzt Wichtigeres zu tun.“ Dem Kutscher juckte es ganz mächtig in den Fingern, aber er parierte. „Aye, aye, Sir.“ „Profos!“ „Sir?“ „Wir verholen die ‚Isabella’ längsseits der Galeone“, ordnete Hasard an. „Bewegt euch, ihr Kanalratten!“ brüllte Ed Carberry los. „Habt ihr nicht gehört? Dan, du Enkel einer triefäugigen Ziege, komm gefälligst sofort wieder an Deck. Hopp, hopp, ihr Rübenschweine, sonst gibt es Zunder.“ Als die Dunkelheit hereinbrach, hatten sie es geschafft. Hasard überprüfte selbst, ob
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die Festmacher der Karavelle drüben auf der Galeone auch richtig festgezurrt worden waren. Er vergewisserte sich, daß die Fender ordnungsgemäß zwischen den Bordwänden klemmten und nichts schamfielen konnte. Dann ließ er für die Nacht doppelte Wachen aufziehen. Seine Männer mußten mit den Waffen schlafen. Aber nichts von alledem, was ein pessimistisches Gemüt sich ausmalen mochte, ereignete sich. An Land tobten die Spanier mit den Huren herum. Das heisere Männerlachen, das Kreischen und Juchen der „Ladys“ wehte zu den Schiffen herüber. Der Lärm, so fand der Seewolf, hatte direkt etwas Beruhigendes. * 22. August 1579. Hasard war vom frühen Morgen an auf den Beinen und kontrollierte die Arbeiten von Schiff zu Schiff. Während die „San Josefe“ von einem Teil der Crew um die von dem Seewolf ausgewählten Stückgüter geleichtert wurde, schafften andere Männer bereits Beute aus den Laderäumen der „Isabella IV.“ auf die Galeone hinüber. Außerdem wurde der goldene Anker zur Galion der „San Josefe“ hinübergewuchtet und fachgerecht mit Trossen befestigt. In den freiwerdenden Räumen der Galeone wurden die Reichtümer, die der Seewolf erbeutet hatte, Stück für Stück gestaut. Das Beiboot der „Isabella“ und das Beiboot der „San Josefe“, das sie vom Strand der Insel abgeholt und zum Schiff zurückgeführt hatten, brachten die überflüssigen Güter an Land. Smoky, Batuti, der Kutscher und Jean Ribault waren in dem einen Boot. Sie pullten bis an die westliche Seite der großen Bucht, ließen das Boot auflaufen und sprangen an Land, um die Fracht zu löschen. Smoky und Jean Ribault sicherten das Unternehmen mit Musketen. Sie rechneten damit, daß die Spanier anrücken und eine Attacke unternehmen würden. Weit gefehlt! Die Spanier sahen teilnahmslos zu, wie allmählich die Güter an Land gestapelt wurden. Ein paar
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schienen in der Nacht nicht genug gekriegt zu haben — sie schäkerten schon wieder mit den Frauen herum. Sie dachten nur an ihr Vergnügen. Sie hatten keine Lust, sich in einem sinnlosen Unterfangen gegen die Engländer zu werfen und damit Selbstmord zu begehen. Lieber blieben sie auf Grand Cayman und lebten in den Tag hinein, bis sie jemand fand. „Woran mangelt es denen auch schon?“ sagte der Kutscher. „Sie haben Frauen. Zu essen und zu trinken liefert ihnen das Binnenland der Insel. Und jetzt noch das Zeug, das wir ihnen bringen — sie wären ja hirnverbrannt, wenn sie da noch an Kampf dächten.“ Sie hatten ihre Fracht gelöscht und befanden sich auf dem Rückweg zu den Schiffen, als sich an Land die ersten Spanier nach Westen hin in Bewegung setzten. Wer zuerst kam, mahlte zuerst: Die Männer an der Spitze konnten sich aussuchen, was sie von den Gütern mitgehen lassen wollten. Da wurden Tabakballen hochgehoben und davongetragen: Da wurden Jutesäcke mit Zucker fortgeschafft. Einer eignete sich soviel Kakao an, wie er schleppen konnte. Zwei andere rauften sich um Gewürze. Zum Schluß, so stellten Hasards Männer belustigt fest, wurde um die Ladungsteile gewürfelt. Gegen Mittag entdeckten Matt Davies und Pete Ballie tief unten im Bauch der „San Josefe“ noch ein paar „blinde Passagiere“. Aus einer Kammer, die man bisher übersehen hatte, erschienen Schweine, Hühner, Perlhühner, Truthähne und Truthennen sowie Enten. Truthähne hatten die Spanier erst in der Neuen Welt kennengelernt. Sie hatten sie den Indianern weggenommen und als schmackhaft zu schätzen gelernt. Eine Pute schlüpfte in den Gang, bevor Matt und Pete wieder das Schott zuwerfen konnten. Sie watschelte davon. Matt stürmte ihr nach, stolperte und stürzte. Pate Ballie hakte mit dem Fuß hinter Matts Körper, als er das Federvieh fangen wollte, und Matt rief: „Hölle und Teufel, das Biest haut ab!“
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Das Biest fand irgendwie den Weg auf die Kuhl. Es lief verstört herum. Die Männer begrüßten es mit großem Hallo. Dan jagte hinter der Pute her und warf sich immer wieder todesmutig und unerschrocken auf sie. Aber sie verstand sich aufs Wegschlüpfen. Drei-, viermal kniff sie vor dem sonst flinken Bürschchen aus. Dan stieß sich die Nase auf den Planken und fluchte, daß selbst der Profos die Ohren spitzte. Arwenack ließ sich schließlich vom Schanzkleid auf das entsetzte Federvieh fallen. Die Pute kreischte in den höchsten Tönen und dachte wohl, es sei um sie geschehen. Der Schimpansenjunge packte sie an der Gurgel und schleppte sie im Triumphzug aufs Achterkastell. Wie ein kühner Großwildjäger legte er sie vor Hasard hin und trommelte sich mit beiden Fäusten vor die Brust. Die Pute duckte sich und stellte sich tot, weil sie das für das vorläufig beste hielt. Hasard grinste. „Ich weiß gar nicht, warum ihr hinter dem armen Tier her seid“, sagte er. „Puten können nicht fliegen, falls euch einer fragt. Und auch nicht schwimmen. Die wäre uns niemals entwischt.“ Matt, Pete, Dan und die anderen an der Jagd Beteiligten schauten sich belämmert an. Ein Teil des lebenden Proviants wurde auf die Insel verfrachtet. Die Spanier jubelten, als sie Schweine und Federtiere über den Strand hetzen sahen. Während der nächsten halben Stunde hatten sie vollauf damit zu tun, sie einzufangen. Die zwölf Huren lachten dazu und schienen sich wirklich köstlich zu amüsieren. „Das ist ein Idyll“, sagte Ben Brighton zu dem Seewolf. „Sie kümmern sich einen Dreck um die ‚Isabella’ und die ,San Josefe’. Sie wären ja dumm, wenn sie sich mit uns anlegen würden.“ Hasard erwiderte: „Ja. Noch sind sie froh, Not und Tod des Geleitzuges hinter sich zu haben. Aber das kann sich ändern, glaub mir. Ich sage dir, wir müssen auf der Hut bleiben.“ Im Laufe des Nachmittages ließ Hasard den einst so stolzen und jetzt geknickten
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Generalkapitän aus der Vorpiek der „San Josefe“ heraufholen. Er verbeugte sich spöttisch vor ihm und sagte: „Rodriguez, wir haben ein neues Quartier für dich bestimmt. Du kommst ins Kabelgatt der ,Isabella’, da ist es gemütlicher.“ „Warum?“ fragte Rodriguez entsetzt. „Wenn ich mit der Galeone in See gehe, will ich dich nicht mehr in meiner Nähe wissen“, erwiderte Hasard. „Ich kann dein Gegreine nicht ausstehen.“ Bis zum Abend brachten die Männer des Seewolfs es fertig, die „Isabella IV.“ zu leeren und die „San Josefe“ mit ihrer Beute zu füllen. Noch blieb die Crew auf beide Schiffe verteilt, aber alle waren auf Deck und schauten zu, als der Seewolf am Abend mit einer Flasche Wein auf die Back der Galeone trat. Er nahm neben einer der Drehbassen an der Steuerbordseite Aufstellung und hielt die Flasche empor. „Die opfern wir für die Neutaufe dieses Schiffes“, sagte er. „Bisher waren es immer glücksbringende Schiffe, die den Namen ‚Isabella’ getragen haben. Die fünfte wird langsamer als ihre Vorgängerin sein, aber sie bietet uns sehr viel mehr Platz als die Karavelle. Außerdem hat sie eine Armierung, die einem Kriegsschiff zur Ehre gereicht. Ich glaube wirklich, daß wir uns ein gutes Schiff ausgesucht haben!“ Er befestigte eine Leine am Flaschenhals. Dann beugte er sich außenbords und ließ die Flasche nach unten baumeln. Unter seinen Armbewegungen schwang sie ein paarmal vor und zurück und knallte dann gegen die Bordwand der „San Josefe“. Die Galeone war aus gutem Eichenholz gebaut, und das hielt sehr viel mehr aus als so einen Flaschenhieb. Das Glas zerbarst klirrend. Scherben regneten in die See. Der Rotwein floß an der Bordwand hinab, und Philip Hasard Killigrew rief: „Und so taufe ich dich auf den Namen ,Isabella V.’ um!“ Die Mannschaft brüllte Beifall. Pete Ballie und ein paar andere warfen ihre Mützen hoch. Es gab ein regelrechtes Ritual, wenn der Seewolf ein neues Prisenschiff kaperte und unter sein Kommando stellte. Und das Schönste bot sich zum Schluß: Hasard ließ
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Wein und Schnaps ausschenken. Er entschädigte seine Männer für den Verzicht auf die zwölf Frauen, achtete dabei aber darauf, daß sich keiner besoff. Trotz allem, dessen war er sicher, mußten sie auch während der Nacht weiterhin die Augen offenhalten. 6. Maria Juanita besaß in Wirklichkeit keine brünetten, sondern schwarze, nicht sonderlich lange und recht struppige Haare. Sie hatte diese Haare mühselig zu einem Knoten aufgesteckt und stülpte sich jetzt wieder ihre Perücke über. Dies geschah im zuckenden Schein eines Lagerfeuers, das einige der spanischen Besatzungsmitglieder am Strand der großen Bucht von Grand Cayman entfacht hatten. Sie saß auf weichem, weißen Sand und spürte den Sand zwischen den Zehen ihrer Füße, in der Kleidung, in den Ohren, in der Nase und unter der Perücke. Tagsüber hatte sie ohne Erfolg versucht, sich einigermaßen vernünftig zu schminken. So ging es auch ihren Freundinnen. Der Raum der „San Josefe“, in dem sie sich aufgehalten hatten, hatte wenigstens noch ein kleines bißchen Komfort geboten. Sie hatten sich kämmen und schminken können, ohne beeinträchtigt zu werden, und sie hatten Essen und Trinken erhalten, bevor Rodriguez nicht vom großen Zittern gepackt worden war und sie im Stich gelassen hatte. Aber hier wurde man vom feinen Sand buchstäblich zugedeckt. Der Sand haftete auf der Haut. Maria Juanita spürte ihn, bereits auf der Zunge, und unter ihrer Perücke juckte es heftig. Sie fluchte, riß sich die Perücke wieder vom Kopf und schleuderte sie von sich. Sie entledigte sich des bis auf den Boden reichenden Rüschenkleides mit dem tiefen Brustausschnitt und zog es vor, nur mit ein paar Dessous angetan auf dem Strand zu hocken. Der große, muskulöse Portugiese mit dem dicken Vollbart wertete das falsch. Er hieß
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Raoul Colon. Er hatte sie im Wasser in Empfang genommen und auf die Schultern gehoben, als sie mit den anderen ausgesetzt worden war. Er hatte mehrmals mit ihr geschlafen und näherte sich jetzt grinsend, in der Absicht, die schönste aller Beschäftigungen erneut mit Maria Juanita zu praktizieren. Als er sich über sie beugte, stieß sie ihn weg. „Hau ab. Du kotzt mich an.“ Er blickte sie verdattert an. „Aber mein Täubchen, was ist denn plötzlich in dich gefahren?“ Maria Juanita richtete sich wütend auf. „Das fragst du? Zum Teufel, ich habe die Nase gestrichen voll von diesem Zustand! Ich habe in den schönsten Salons der Neuen Welt verkehrt und bin bei den adligen Herren aus und ein gegangen. Glotz mich nicht so blöd an!“ Sie stampfte mit einem ihrer nackten Füße auf, und ihre Oberweite geriet bedenklich in Schwingung. „Ich bin ein vornehmes Leben gewohnt und ertrage es nicht, wie eine Wilde dahinzuvegetieren, will dir das nicht in den dicken Schädel?“ „Natürlich“, erwiderte er kleinlaut. „Der Sand geht mir unter die Haut“, beschwerte sie sich. „Ich fange an zu stinken.“ „Aber nein ... „Aber doch! Ich will doch kein Tier sein. Ich will nicht auf dieser verfluchten Insel umkommen.“ Colon kratzte sich am Hinterkopf. Er wußte, wie man eine Frau zu nehmen hatte, aber in seinem einfältigen Hirn war kein Platz für komplizierte Erwägungen. Er wußte nicht, wie er die Aufgebrachte beschwichtigen sollte. Das einzige, was ihm einfiel, war: „Es ist doch nicht meine Schuld, daß wir hier ausgesetzt worden sind.“ „Du bist ein Idiot“, sagte sie. Raoul Colon war ein Bulle von Kerl, der einem Gegner mit bloßen Händen die Knochen brechen konnte. Aber Maria Juanita gegenüber zeigte er sich lammfromm. Er war vernarrt in sie und hätte ihr aus der Hand gefressen, falls sie
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das von ihm verlangt hätte. Sie hatte ihn sich hörig gemacht. „Es tut mir leid“, sagte er bedrückt. „Narr!“ fuhr sie ihn wieder an. „Was verstehst du schon? Ich wollte nach Spanien, so wie die anderen elf Mädchen. Ich hatte viel dafür bezahlt und dachte nicht im Traum daran, so hereingelegt zu werden. Und jetzt? Jetzt sitze ich hier mit einer Meute von Hurensöhnen und Bastarden, die alle der Reihe nach mit mir schlafen wollen ...“ „Das lasse ich nicht zu“, stieß der Portugiese hervor. Er ballte die Hände und blickte sich lauernd nach allen Seiten um. Maria Juanita hatte laut genug gesprochen. Köpfe waren herumgeruckt, Augenpaare fixierten sie interessiert. Aber unter Colons drohenden Gesten wandten sich alle rasch wieder um. Keiner wollte sich mit ihm anlegen. Er stand bereit, den ersten Nebenbuhler, der sich zeigte, mit ein paar Faustschlägen ins Jenseits zu befördern. Maria Juanita hatte sich in Eifer geredet. Mit stolz erhobenem Haupt drängte sie sich an dem Portugiesen vorüber. Sie stolzierte zum Lagerfeuer, und er folgte ihr wie ein Hund. Mit leicht abgewinkelten Beinen nahm sie neben der Glut Aufstellung und hob beide Hände. Der Feuerschein fiel auf ihre berückenden Formen und zeichnete sie nach. Die hauchdünnen, etwas lädierten Dessous wurden im Licht transparent und erlaubten den Blicken der Männer, bis auf ihre nackte Haut durchzudringen. „Hört mich an!“ rief sie. „Ihr seid in meinen Augen Feiglinge und Schlappschwänze. Herumhuren wollt ihr, aber ihr seid nicht Manns genug, diese verdammten Engländer zum Teufel zu jagen. Was bildet ihr euch ein? Daß wir ewig hier auf der Insel in den blauen Tag leben können? Einmal gehen die Vorräte aus, dann krepieren wir elend, einer nach dem anderen. Will euch das nicht in den Kopf?“ Die Männer und die Frauen scharten sich allmählich zusammen und bildeten einen Kreis um die Rednerin.
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Alana, die üppige Blonde, befreite sich aus dem Griff ihres Liebhabers, trat neben Maria Juanita und sagte: „Recht hat sie. Bald hauen die verfluchten Ingléses ab und überlassen uns unserem Schicksal.“ Maria Juanita stemmte die Hände auf die Hüften. „Eine Schande ist das! Was seid ihr für Waschlappen! Wenn ich ein Mann wäre, hätte ich schon längst etwas gegen diese Schweinehunde unternommen.“ Der Erste Offizier de Morales trat in den zuckenden Lichtkreis des Feuers. Er hatte sich einigermaßen von den dreißig Peitschenhieben erholt, zumal der Sargento zuletzt nicht mehr so kräftig zugeschlagen hatte. Im übrigen hatte er die Gewißheit, daß er glimpflich davongekommen war, denn hätten die Engländer nicht die „San Josefe“ gekapert, hätte der dicke Generalkapitän sicherlich Bordgericht über ihn gehalten und ihn wegen „Aufwiegelung zur Meuterei“ hängen oder köpfen lassen. „Ich würde den Mund nicht so vollnehmen, Maria Juanita“, sagte de Morales. „Wie sprichst du mit einer Dame?“ „Ach, hör doch auf mit solchen Sprüchen! Ich habe euretwegen die größte Schmach über mich ergehen lassen müssen, die man einem Offizier zufügen kann. Der Handel, den ihr mit Rodriguez abgeschlossen hattet, war illegal. Das weißt du. Trotz des Geldes, das ihr ihm gegeben hattet, wart ihr blinde Passagiere. Folglich hast du hier auch nicht so große Töne zu spucken. Und beleidigen lassen wir uns auch nicht.“ Maria Juanita bog sich in der Hüfte zurück und lachte lauthals. „Alana, Estelita, Dolores, Patricia und ihr anderen – habt ihr das gehört? Er will mir den Mund verbieten!“ Sie beugte sich wieder vor und fixierte den Mann scharf. „Weiß du, daß ich mir von keinem etwas vorschreiben lasse? Im übrigen bist du degradiert worden, wenn ich richtig informiert bin.“ „Ja, das stimmt“, trumpfte jetzt der Portugiese auf. „Du bist ein kleiner Decksmann wie wir, de Morales. Du hast hier nichts zu meckern, merk dir das!“ „Großartig“, sagte Maria Juanita. Sie klatschte sogar zweimal in die Hände.
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„Endlich wachst du auf, Raoul. Es wird Zeit, daß die Starken sich von den Weichen und Memmen absondern. So gefällst du mir, Raoul.“ Der Portugiese warf sich vor Stolz in die Brust. „Wer sich hier mit ¬meiner Freundin anlegt, kriegt was in die Schnauze!“ rief er drohend aus. Maria Juanita verschränkte die Arme vor der imposanten Oberweite. Sie war eine Frau, doch sie hatte alle Qualitäten eines Provokateurs. Kampflustig funkelten ihre Augen, Der Wind zerzauste ihre struppigen schwarzen Haare, und im Licht der Flammen wirkte sie plötzlich wie der Inbegriff einer rüden Amazone. Sie wußte, was sie zu tun hatte, und sie zog alle Register. „Raoul, ich ernenne dich zu meinem ständigen Begleiter, Adjutanten und Leibwächter. Deine Worte sind Musik in meinen Ohren. Ha, ich liebe Männer wie dich.“ Sie streichelte ihm die blanke Schulter, und er grinste glückselig. Maria Juanita senkte ein wenig die Stimme. Um sie herum herrschte jetzt verhaltenes Schweigen. „Ich habe euch gezählt, Burschen”, sagte sie. „Siebzig seid ihr. Ist das nichts? Schämt ihr euch nicht? Ich weiß auch, wie groß die Mannschaft der Engländer ist — sechsundzwanzig Mann. Wir befinden uns ihnen gegenüber also nahezu in der dreifachen Übermacht. Ihr habt den Piraten getrotzt und den Sturm heil überstanden. Und jetzt wollt ihr euch von einer Handvoll verdammter Engländer ausbooten lassen?“ „Die Engländer sind hart und unerschrocken“, gab der Sargento zu bedenken. „Und sie können kämpfen, das haben sie bewiesen. Sie sind einige Nummern zu groß für uns, das schwöre ich euch!“ „Pah!“ rief Maria Juanita. „Hört euch den an! Da lachen ja die Flöhe! Die Engländer haben nichts zu bieten als ihre unerhörte Frechheit. Damit haben sie sich in den Konvoi geschmuggelt, und damit haben sie Rodriguez, dieses fette Mastschwein, überrumpelt. Das ist alles. Wirft man sich
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ihnen entschlossen entgegen, müssen sie unterliegen.“ Einer der Seesoldaten erhob einen Einwand. „Warum sollten wir mit ihnen kämpfen? Wir werden nicht lange auf der Insel bleiben. Eines der vielen spanischen Schiffe, die hier ständig vorbeisegeln, wird uns finden:’ „Das ist kein Argument!“ rief Maria Juanita. Einer der Seeleute hatte sich zu dem Portugiesen und den Mädchen gesellt und gab nun zurück: „Und was ist, wenn uns statt unserer Landsleute die Piraten aufstöbern? Wir haben keine Waffen, von den Messern und den paar Degen mal abgesehen.“ „Eben“, erwiderte de Morales grinsend. „Wollt ihr gegen die Kanonen, Musketen und Pistolen der Engländer mit Messern angehen?“ Maria Juanita ließ einen Laut der Verachtung vernehmen. „Ich hab’s gewußt. Du bist ein Feigling, de Morales. Du glaubst, die Männer von der Sinnlosigkeit einer Auseinandersetzung zu überzeugen, nicht wahr? Aber du verschweigst etwas. Dabei weißt du es genauso gut wie ich. Auf der ,San Josefe’ sind Schatzgüter zurückgeblieben, deren Wert kein Mensch ermessen kann. Und außerdem habe ich beobachtet, was da tagsüber alles von der Karavelle zur Galeone hinübergemannt worden ist. Da waren auch Schatztruhen dabei.“ „Natürlich“, sagte ein dritter Seemann. „Die Engländer sind Korsaren, die zu dem berüchtigten ,E1 Draque’ gehören. Sie haben ihr Schiff mit Gold, Silber, Edelsteinen und Schmuck vollgestopft, das ist doch klar. Sie stauen alles in den Laderäumen der ,San Josefe’, weil die Karavelle aus den Nähten platzt. Madre de Dios, ich wage mir kaum vorzustellen, was sich da unter den Luken häuft!“ „Wenn man sich das holen könnte“, sagte der Portugiese. „O Mann, wir würden alle auf einen Schlag reich werden.“ „Ja“, fügte Alana hinzu. „Wir brauchen nur zuzupacken.“
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„Augenblick mal“, sagte nun der Bootsmann der „San Josefe“. „Selbst gesetzt den Fall, ein derartiger Wahnsinn würde uns gelingen — wir wären jederzeit verpflichtet, die Galeone wieder dem Kommando von Don Rodriguez zuunterstellen und sie weisungsgemäß nach Havanna und dann nach Spanien zu führen.“ Maria Juanita lachte schrill. „Du Narr! Der Konvoi ist geplatzt und auseinandergesprengt. Der dicke Generalkapitän, dieser Scheißkerl, hat keine Befehlsbefugnisse mehr. Jeder ist sich hier selbst der Nächste. Wir brauchen wirklich nur noch zuzugreifen, und jeder einzelne von uns wird steinreich.“ Das Gros der Seeleute hatte sich jetzt um die Sprecherin und ihren „Leibwächter“ zusammengerottet. Sie klatschten Beifall, grölten und riefen durcheinander. „Maria Juanita soll hochleben!“ „Wir reißen uns die Schätze unter den Nagel!“ „Tod den Engländern! Nieder mit Rodriguez!“ Alana hieb auch kräftig mit in diese Kerbe, aber die anderen Mädchen rückten nach und nach zu der anderen Partei hinüber, die sich gebildet hatte. Die Offiziere und Seesoldaten spürten nach wie vor jene militärische Disziplin, mit der sie großgeworden und ausgebildet worden waren. De Morales zum Beispiel war zwar von Rodriguez geschurigelt und seines Ranges enthoben worden, weil er das Geheimnis der zwölf Gunstgewerblerinnen aufgedeckt hatte. Dennoch hing er an den Konventionen. Rodriguez hin, Korsaren her – zum Freibeuter wollte er nicht werden. „Ich sage, wir dürfen den Generalkapitän trotz allem nicht in Gefahr bringen“, erklärte er seinen Getreuen. „Vielleicht lassen sie ihn auch auf Grand Cayman zurück. Vielleicht geben sie sogar die Karavelle auf. In dem Fall könnten wir nach Kuba segeln und der Obrigkeit Meldung erstatten. Man würde die Engländer verfolgen und ihnen die Beute wieder abjagen.“
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„Ja“, entgegnete der Bootsmann. „Auch mir erscheint dies die vernünftigere Lösung. Rodriguez ist nicht der beste Kapitän, aber das besagt nicht, daß wir gegen unser Vaterland rebellieren. Als Räuber und Freibeuter würden wir das tun.“ Der Sargento sagte: „De Morales, wir unterstehen trotz Ihrer Degradierung bis auf weiteres Ihrem Kommando.“ „Danke. Wenn nötig, trennen wir uns von diesen Verrückten und ziehen uns ins Innere der Insel zurück.“ Dolores, ein zierliches Mädchen mit großen dunklen Augen, trat neben den Sargento. „Bitte, nehmt uns mit. Wir haben auf Maria Juanita und Alana gehört, aber jetzt gehen sie unserer Meinung nach einen Schritt zu weit. Wir haben jedenfalls Angst. Sterben wollen wir nicht, dann ziehen wir schon eher ein primitives Leben vor. Ich begreife überhaupt nicht, wie Maria Juanita sich einen Überfall auf die Galeone vorstellt.“ „Sie will im Schutze der Dunkelheit hinüberschwimmen, aufentern und die Bordwachen töten.“ „Und dabei sollen auch die Frauen mitmachen?“ fragte Dolores ungläubig. Maria Juanita hatte die Spaltung der Gruppe längst erfaßt, aber sie unternahm jetzt einen temperamentvollen Ausfall, um ihre Geschlechtsgenossinnen bei sich zu halten. Sie lief um das Feuer herum und packte eine der Unschlüssigen am Arm. „Estelita, du bist wohl nicht recht bei Trost. Was hast du bei de Morales und diesen Idioten zu suchen? Du hörst doch, daß die gegen uns sind.“ Sie gestikulierte heftig und trachtete danach, das Mädchen mit sich zu zerren. Estelita erwiderte: „Ich hab sonst vor nichts Angst, aber ich will mir von den Engländern nicht den Hals umdrehen lassen.“ Maria Juanita brachte ihr Gesicht dicht vor Estelitas Augen. „Companera“, versetzte sie fast sanft. „Glaubst du denn wirklich, ich würde euer Leben so leicht aufs Spiel setzen? Traust du mir das wirklich zu?“ „Nein, aber ...
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„Siehst du. Natürlich erledigen es die Männer, die Korsaren fertigzumachen. Wir bleiben hier am Strand. Allenfalls würde ich den Kampftrupp anführen, aber ihr seid jederzeit außer Gefahr.“ Estelita war überzeugt, sie kehrte mit Maria Juanita zu den Seeleuten zurück. Die meisten anderen schlossen sich an. Zuletzt zögerte nur noch Dolores, weil sie ein Auge auf de Morales geworfen hatte und ihn weiterhin begleiten wollte. Der degradierte Erste Offizier hatte einen Arm um ihre Hüften gelegt. Maria Juanita funkelte sie aus schmalen Augen an. „Dolores! Das ist Verrat! Das kannst du nicht tun. Unser Haß wird dich verfolgen, wenn du nicht bedingungslos zu uns hälst.“ Dolores wußte nicht, was sie sagen sollte, aber Raoul Colon und ein paar andere Seeleute schritten auf einen Wink der schwarzhaarigen Amazone hin auf die Offiziere und Seesoldaten zu. Sie bauten sich im Halbkreis um sie auf. „Gebt sie raus, forderte Raoul. „Sie gehört zu uns.“ De Morales sträubte sich. Er preßte Dolores an sich. „Ihr habt kein Recht auf sie. Jeder Mensch ist Herr seiner Entscheidungen. Laßt sie in Ruhe.“ „Hört, hört“, höhnte ein glatzköpfiger Decksmann. „Er verteidigt eine Nutte. Wie tief der gesunken ist! Laß sie frei, de Morales, sie gehört zu uns und wir wollen unseren Spaß mit ihr haben.“ De Morales beschrieb eine abwehrende Gebärde zu Colon hin, aber das hätte er lieber nicht tun sollen. Der Portugiese packte ihn. Plötzlich hatte er sein Messer in der Hand und stach zu. Die Seeleute brüllten Beifall. De Morales sank zu Boden, er blutete aus einer Bauchwunde. Colon hätte weiter auf ihn eingestochen, wenn die anderen ihn nicht zurückgehalten hätten. „Ich hab doch gesagt, wer nörgelt, kriegt was auf die Schnauze!“ schrie er. Der Sargento und seine Leute halfen de Morales auf die. Beine. Er schwankte und konnte sich kaum aufrecht halten. Es war eine verteufelte Situation. Seine Männer
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standen bereit, es mit den Meuterern auf zunehmen. Die Gegenpartei hatte die Messer gezückt. „Kommt doch“, sagte Raoul Colon. „Wir reißen euch in Stücke. Auf die Gelegenheit habe ich schon lange gewartet, ihr eingebildeten Scheißkerle.“ „Bravo, Raoul!“ jubelte Maria Juanita. „Du bist ein ganzer Kerl! Ich liebe dich!“ Ihre Worte waren wie ein aufputschendes Gift für den muskulösen Mann. In seiner Leidenschaft für die Frau hätte er es in diesem Moment mit jedem aufgenommen —selbst mit dem König von Spanien. Für ihn gab es nichts Wertvolleres als die Gunst der berechnenden, betörenden Maria Juanita. De Morales winkte schwach ab. Die „Friedenspartei“ war den Rebellen zahlenmäßig stark unterlegen. Er sah, wie Dolores klein beigab, seine Gruppe verließ und zu Maria Juanita und den anderen hinüberging. Eigentlich gab es nichts mehr, wofür man sich mit diesen wilden Bastarden schlagen sollte. „Wir ziehen uns zurück“, flüsterte er und preßte die Hand auf die Wunde. „Es hat keinen Zweck, sich mit diesen Narren anzulegen. Es führt zu nichts. Sie werden nie einsehen, daß wir die Klügeren sind.“ „Den Narren zahl ich dir heim“, sagte Colon. Er wollte wieder auf den degradierten Offizier losstürzen, doch ein Ruf Maria Juanitas hielt ihn zurück. „Laß ihn. Die Dreckskerle sollen verschwinden!“ De Morales krümmte sich vor Schmerzen. Seine Leute unterfingen ihn. Ein paar mußten ihn tragen: Schweigend packten sie ihre Habseligkeiten und schlugen sich in die Büsche, um irgendwo im Inneren der Insel einen neuen Lagerplatz zu errichten. Maria Juanita drehte sich zu Dolores um. „Du hast ziemlich lange gebraucht, um dich zu einer Entscheidung durchzuringen, mein Kind. Ich finde das gar nicht nett von dir.“ Dolores schluckte ein paarmal, bevor sie antwortete. „Ich weiß auch nicht, was plötzlich mit mir los war. Aber du kannst mir glauben, ich wäre niemals wirklich mit
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diesen –diesen Kerlen davongelaufen. Ich gehöre doch zu euch.“ „Und ich bin die Anführerin“, sagte Maria Juanita. „Ja, das bist du.“ „Du erkennst mich an?“ „Bestimmt.“ „Trotzdem hast du eine Lektion verdient“, erklärte Maria Juanita. „Hinterher wirst du nicht mehr auf dumme Gedanken verfallen. Weißt du, Querida, es ist eine Sache, mit einem dieser Kerle zu schlafen. Aber es ist eine ganz andere Sache, gegen deinen Willen von einer Meute genommen zu werden.“ Sie winkte ein paar Seeleuten zu. „Packt sie. Knetet sie ordentlich durch!“ Dolores nahm Reißaus. Aber sie stürmten ihr über den weißen Sand nach, warfen sich auf sie und brachten sie zu Fall. Johlend rissen sie ihr die Kleider vorn Leib. Maria Juanita und die anderen Zurückgebliebenen konnten ihren weißen nackten Körper im Mondlicht schimmern sehen. Zunächst kreischte und zappelte Dolores, aber dann ergab sie sich ihrem Schicksal. „Ihr anderen“, sagte Maria Juanita zu den Männern, „sammelt Treibholz ein. Es ist genug angeschwemmt worden, zum größten Teil stammt es wohl von den gesunkenen und zerschmetterten Galeonen des Konvois. Wir bauen Flöße daraus. Wir brauchen die Strecke zur Galeone nicht schwimmend zurückzulegen. Dabei würden wir nur unnötig Kräfte vergeuden.“ Raoul Colon blickte sie in offener Bewunderung an. „Schlau. Für ein Weib bist du verdammt gerissen.“ „Und wir?“ fragte Alana. „Wir wollen uns auch irgendwie beteiligen.“ „Gut“, erwiderte die Schwarzhaarige. „Ich habe gesehen, daß es jenseits der Uferböschung Büsche mit sehr zähen, dünnen Zweigen gibt–so etwas Ähnliches wie Weidenholz. Da wir keine Taue haben, tragen wir die Zweige zusammen und binden mit ihnen die Treibholzstücke zusammen.“
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„Moment mal“, sagte einer der Männer. „Soll das jetzt heißen, daß wir uns von dir kommandieren lassen sollen?“ „Wie meinst du das?“ fragte sie in gespielter Freundlichkeit. Er druckste ein wenig herum, dann entgegnete er: „Na ja, ich finde, auf die Sache mit den Flößen wären wir auch allein gekommen. Wir Seeleute brauchen keine Frauen, um unsere Entscheidungen zu treffen.“ „Warum hast du dich dann nicht gemeldet?“ „Ich ...“ „Siehst du“, sagte Maria Juanita scharf. „Ihr Hammel braucht jemanden, der organisieren kann und euch Befehle gibt. Daß ich es vermag, wird keiner abstreiten. Und wenn jetzt noch jemand aufmuckt, kriegt er es mit Raoul zu tun.“ Raoul Colon schob sich geduckt auf den Mann zu, aber der hob beschwichtigend die Hände. „Schon gut, ich habe ja nur mal gefragt. Ich bin mit allem einverstanden. Ich will reich werden, alles andere interessiert mich nicht.“ Die Männer suchten den Strand ab und holten große Stücke Treibholz aus der Brandung. Maria Juanita schwärmte mit den anderen Frauen aus. Sie schritten an dem Behelfslager vorüber, das die Männer am Tag für die Tiere gebaut hatten. Der Seewolf und seine Crew hatten sechs Schweine und einen Schwung Geflügel auf die Insel herübergebracht. Offenbar fehlte ihnen auch dafür der Platz. Maria Juanita warf einen Blick auf die grunzenden Schweine und das gackernde und schnatternde Federvieh und befand, daß der Schatz der Korsaren schon gewaltig groß sein mußte, wenn sie sich seinetwegen auch schon eines Teils des Lebendproviantes entledigten. Sie zeigte ihren Begleiterinnen, wo die Büsche zu finden waren. In den nächsten Stunden waren sie alle damit beschäftigt, das Material für die Flöße zusammenzutragen. Maria Juanita half kräftig mit, passende Zweige von den Sträuchern abzuschneiden. Sie liebte es, sich Männer reihenweise untertan zu
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machen und herumzukommandieren, aber sie drückte sich auch nicht vor körperlicher Arbeit. Sie war in Spanien in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und hatte von Kind auf hart schuften müssen, um ihre vielen Geschwister mit durchzubringen. Der einzige Ausweg, der sich ihr geboten hatte, um die kleine dreckige Hütte in ihrem Heimatort für alle Zeiten hinter sich zu lassen, war die Prostitution gewesen. Sie hatte den Glimmer einer anderen Welt kennengelernt. Und sie würde sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, jemals wieder in die Armut zurückzukehren. Der Strand von Grand Cayman und die Gewißheit, auf ungewisse Zeit verstoßen zu sein aus prunkvollen Gemächern und der Gesellschaft betuchter, lüsterner Senores — diese Dinge vermittelten etwas von ihrer schmutzigen Kindheit. Deshalb bereitete ihre Lage ihr ohnmächtige Wut. Es war tiefe Nacht, als Raoul zu ihr ins Gebüsch trat. „Ich erstatte Meldung“, sagte er. „Wir haben genügend Holz zusammen, um zwei Flöße daraus zu bauen. Und zwei Flöße genügen uns, schätze ich.“ Sie blickte ihn überrascht an. „He, du hast ja tatsächlich auch Köpfchen, Amigo. Sag den anderen, sie sollen mit dem Zusammenbasteln anfangen.“ Raoul, von so viel Lob stolzgeschwellt und gleichsam um ein paar Zoll größer, lief wieder zum Strand hinunter. Wenig später erschien er jedoch wieder neben der schwarzhaarigen Frau. „In Ordnung. Sie beginnen.“ „Und du?“ fragte sie erstaunt. „Erst will ich meine Belohnung.“ „Belohnung wofür?“ Er war bei ihr und drückte sie zu Boden, bevor sie überhaupt Protest erheben konnte. Es war eine warme Nacht, und Maria Juanita trug nach wie vor lediglich ihre hauchdünnen, mit reichem Spitzenwerk besetzten Dessous. Raoul Colon hatte nicht viel Mühe, ihr die Sachen vom Körper zu streifen. Maria Juanita überlegte, ob sie ihn abwimmeln und auf die Dringlichkeit ihrer Arbeiten
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verweisen sollte. Dann aber sagte sie sich, daß das unklug gewesen wäre. Sie mußte den Portugiesen bei Laune halten. Sie überlegte eiskalt, daß er sich noch kompromißloser für sie einsetzen würde, wenn sie sich ihm willig zeigte. Sie strich ihm mit den Händen durchs Haar. „Du wilder Stier“, raunte sie. „Kannst du denn nicht genug kriegen?“ „Nie“, sagte er heiser. Er fuhr mit seinen Pranken über ihre großen, festen Brüste, dann massierte er ihren ganzen Körper. Er beugte sich tief über sie. Sie begleitete seine Liebkosungen mit kleinen Jauchzern. Seine Bewegungen wurden ungestümer und drängend. „Puta“, flüsterte er. „Ich könnte dich fressen.“ Er wälzte sich über sie. Über Grand Cayman stand als Zeuge die weißliche Sichel des Mondes. 7. „Wie spät mag es sein?“ fragte Maria Juanita. Einer der Männer blickte zu dem Mond und den Sternen auf und prüfte deren Stand. „So gegen fünf Uhr, schätze ich.“ Er stand neben Raoul Colon. Sie alle umringten die Schwarzhaarige und die übrigen Frauen, die längst aus den Gebüschen zurückgekehrt waren. „Dann müssen wir uns beeilen“, sagte Maria Juanita. „Seid ihr sicher, daß die Flöße halten?“ „Garantiert“, antwortete der Spanier, der an Bord der Galeone „San Josefe“ der Schiffszimmermann gewesen war. „Ich würde mir zutrauen, notfalls damit bis nach Kuba zu fahren.“ Maria Juanita betrachtete die beiden primitiven Gefährte. Sie lagen halb auf dem Sandstrand, halb im Wasser, die Brandungswellen leckten an ihren vorderen Rändern. Es waren große, wuchtige Konstruktionen, und irgendwie vermittelten sie den Eindruck von Zuverlässigkeit. „Also schön“, sagte die Frau. „Bemannen wir die Dinger. Raoul, du hältst dich immer in meiner Nähe.“
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Jeweils etwa zwanzig Männer packten die Flöße an ihren Seitenholmen und schleppten sie ins flache Uferwasser. Dann sprangen sie auf. Maria Juanita war mit von der Partie, aber die anderen elf Prostituierten blieben an Land zurück. „Die Waffen“, raunte die Schwarzhaarige. „Habt ihr sie überprüft?“ Raoul Colon grinste und wies ihr das langklingige Messer vor, das er im Gurt mit sich trug. Auch die anderen zeigten ihre Hieb- und Stichwaffen. Außer den Messern gab es ein paar Degen und Äxte, und kein Mann war völlig wehrlos. Die Männer stakten die Flöße mit Stangen in tieferes Wasser, und schließlich begannen sie mit einfachen Riemen, die sie gebastelt hatten und nun in Behelfsdollen paßten, zu pullen. Maria Juanita kauerte sich neben ihre portugiesischen Leibwächter und Liebhaber und schaute voraus. Sie dirigierte die Floßbewegungen durch Winke. Langsam, ganz langsam schoben sich die Flöße auf die beiden Schiffe zu. Die „San Josefe“ und die „Isabella IV.“ waren wieder voneinander getrennt worden und lagen knapp eine halbe Kabellänge voneinander entfernt im Wasser. Ihre Leiber waren schemenhafte Schatten in der Dunkelheit, ihr Mastwerk ragte majestätisch in die Nacht auf. „Vor dem Morgengrauen“, sagte Maria Juanita leise. „Das ist eine gute Zeit. Da liegen die Hunde im tiefsten Schlaf. Wir knöpfen uns sofort die ,San Josefe’ vor und schalten zuerst die Deckwache aus. Wenn wir Glück haben, pennt die auch.“ „Oder sie ist besoffen“, flüsterte Raoul. „Wir haben eine Menge Wein an Bord gehabt.“ „Ausgezeichnet. Wir pirschen uns an das Heck, dann entern wir auf.“ „Wir haben keine Enterhaken, keine Leinen, nichts.“ „Wir müssen nur zusehen, daß wir das Ruder erklimmen und durch das große Loch kriechen, das die Galeone in ihrem Hinterteil hat.“ Raoul grinste. „Du meinst die Hennegatöffnung im Heck?“ „Ja, die.“
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„Wir schaffen das schon. Schön wäre es, wenn die Bastarde von Engländern vergessen hätten, eine der Jakobsleitern einzuholen, die sie am Tag benutzt haben.“ Die Flöße glitten nahezu geräuschlos auf die beiden Schiffe zu. Bald waren sie so weit an die Zweimast-Karavelle heran, daß sie sie unter Beschuß hätten nehmen können —wenn sie Kanonen gehabt hätten. Maria Juanita gab den Männern durch Zeichen zu verstehen, daß beide Flöße direkt auf die „San Josefe“ zugesteuert werden sollten. Sie rechnete damit, daß der Großteil ihrer eigenen Mannschaft im möglichen Kampf auf Deck niedergemacht würde. Sie hatte die Kerle innerlich angeheizt, hatte ihnen das Blaue vom Himmel herunter versprochen und war sicher, daß sie sich bedingungslos für sie einsetzen würden. Die Hauptsache war, daß sie siegten! Was hinterher mit diesen Leuten passierte, interessierte sie nicht im geringsten. Von ihr aus konnten sie alle verrecken. Besser: sie würde die, die übrigblieben, auch noch durch irgendeinen Trick ins Jenseits befördern. Sie hatte wenig Lust, die Reichtümer der „San Jose fe“ mit jemandem zu teilen. Vielleicht würde sie auch Alana, Dolores, Estelita und die anderen Mitstreiterinnen beseitigen. Dann hatte sie die Schätze ganz für sich allein! Sie malte sich schon aus, was da in den Laderäumen auf sie wartete. Und rächen wollte sie sich! Ganz besonders würde der große schwarzhaarige Engländer mit den blauen Augen zu leiden haben — dieser Teufel! Sie wollte ihn foltern lassen und sich an seinem Geschrei vergnügen. * Donegal Daniel O’Flynn hockte neben Arwenack im Großmars. Arwenack spielte mit den Kieker, aber Dan rupfte ihn ihm aus den Pfoten. „Dazu braucht man kein Spektiv, du Affe. Außerdem kannst du ohne einen Funken von Licht durch das Rohr sowieso nichts erkennen.“
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Arwenack grunzte bekümmert. Der Kieker war schön rund und lang und ließ sich auseinanderund wieder zusammenschieben. „Also“, raunte Dan. „Siehst du sie jetzt?“ Der Schimpansenjunge nickte und zeigte eine ernste Miene. Er erkannte beileibe nicht, was da draußen auf der schwarzen Wasserfläche zwischen den Schiffen und der Insel vorging, aber die Hauptsache war für ihn, Dan war zufrieden. „Na bitte“, sagte das Bürschchen. „Ich hab’s ja gesagt. Was hältst du von der Sache?“ Arwenack tippte zweimal mit dem .Finger gegen seine sorgenvoll gefurchte Stirn. Er fletschte die Zähne und grunzte noch mal gedämpft. „Ja, ich finde auch, die sind verrückt. Ehrlich gesagt, ich hätte ihnen so eine Dämlichkeit nicht zugetraut. Aber Hasard hatte recht. Irgendwann versuchen die Spanier, sich ihr Schiff zurückzuholen oder die Schätze zu klauen, hat er gesagt. Und, bitte schön, jetzt rücken sie mit zwei selbstgezimmerten Flößen an. Gut, daß wir zwei die Augen aufgehalten haben, wie? Na wartet, ihr Scheiß-Dons. Deck!“ Er flüsterte das, denn er durfte sich keinesfalls durch lautes Reden auf seinem luftigen Posten verraten. Unten auf der Kuhl standen Matt Davies und Karl von Hutten beieinander. Aber weder die beiden noch Patrick O’Driscoll auf der Back oder Buck Buchanan, der auf dem Achterkastell Wache schob, bemerkten ihn. „Jetzt wird’s mir doch zu bunt“, zischte Dan. Ob Jean Ribault, der drüben auf der „Isabella“ als Hauptmarsgast im Dienst war, wohl die Spanier gesichtet hatte’? Jedenfalls kam es jetzt auf Sekunden an, denn langsam wie die Schnecken waren die Flöße gerade nicht. „Geschoß“, raunte Dan. Arwenack zückte eine der unvermeidlichen Kokosnußschalen, die er im Schiff hortete und ständig für alle erdenklichen passenden und unpassenden Gelegenheiten bereithielt. „Feuer“, sagte Dan.
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Die leere Kokosnußschale fiel auf die Kuhl hinunter und erwischte Matt Davies am Hinterkopf. Matt sagte „Oaahh“, aber von Hutten warnte ihn rechtzeitig. „Halt doch das Maul!“ Sie blickten hoch und sahen das Bürschchen fuchteln. Jetzt lösten sie sich aus ihrer Erstarrung, fegten über Deck und alarmierten die anderen. Binnen kürzester Zeit war die komplette Crew auf den Beinen und hastete an die Geschütze. Da gab es nichts mehr zu laden und zu richten, die Gefechtsstationen waren längst klar. Die letzten Vorbereitungen wurden mit geradezu unheimlicher Lautlosigkeit abgewickelt. Philip Hasard Killigrew trat aufs Achterdeck und kauerte sich hinter das Schanzkleid über der prunkvollen Heckgalerie der Dreimast-Galeone. Durch ein Speigat erblickte er die Flöße. Er hielt angestrengt Ausschau und erkannte nun auch, daß sich auf dem vordersten Floß eine Frau befand. „Maria Juanita“, sagte er leise zu Ben Brighton. „Nur sie kann es sein, die die Spanier aufgewiegelt hat. Was habe ich dir gesagt, Ben?“ „Ja, es war richtig, die Aktivitäten an Land zu verfolgen.“ „Hoffentlich hat Jean nicht geschlafen.“ „Carberry drüben auf der ‚Isabella’ hat auch alles klarmachen lassen und wird sich einmischen, sobald er uns loskrakeelen hört.“ Ben warf seinem Kapitän einen raschen Seitenblick zu. „Wie weit lassen wir die Dons heran?“ „Sie sind schätzungsweise vierzig. Sie könnten es schaffen, hier aufzuentern und wenigstens ein paar von uns umzubringen. Immerhin besitzen sie noch Messer und ein paar Degen. Wir hier auf der ‚San Josefe’ sind nur dreizehn, vergiß das nicht.“ „Also?“ „Wir lassen sie nicht bis an die Bordwände heran, das schwöre ich dir.“ „Und die Frau?“ Hasards Gesicht war hart wie gemeißelter Stein, als er antwortete. „Die Schwarzhaarige hätte besser abwägen sollen, welche Erfolgschancen sie bei einem solchen Himmelfahrtskommando
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hat. Jetzt ist es zu spät dazu. Mitgefangen, mitgehangen.“ Er wartete noch eine Weile und hoffte auf einen Zufall, der die Spanier von ihrem Unterfangen abbrachte. Aber der Zufall trat nicht ein. Breit und schwerfällig hielten die beiden Flöße auf den Achtersteven der Galeone zu. Sie waren noch einen kräftigen Steinwurf entfernt und zogen an der Backbordseite der „San Josefe“ vorüber, da erteilte der Seewolf das Zeichen. „Feuer!“ Sein Ruf schallte über Deck und scheuchte die Crew auf. Drüben auf den Flößen wurden natürlich auch die Spanier hellhörig, aber für ein Manöver war es zu spät. Lunten wurden in Brand gesetzt, glühende Feuerspuren fraßen sich durch Zündkanäle zum Pulver in den Bodenstücken der Kanonen — und dann brach das Inferno los! Die Geschütze auf der Backbordseite der Galeone ruckten in ihren Brooktauen zurück und spuckten brüllend ihre Ladungen aus. Dicke Rauchschwaden pufften hoch und quälten sich beißend über Deck. Vor rötlichgelben Stichflammen rasten tödliche Bleiladungen aus den Rohren und heulten zu den Flößen hinüber. Zwei Kugeln strichen über das erste Floß weg, die anderen trafen das zweite Floß voll. Den Spaniern blieb kaum die Zeit zum Schreien. Sie wurden in die Nacht hinausgewirbelt, in Stücke gerissen, als blutig zerfetzte Teile der „Isabella IV.“ vor die Bordwände geschleudert. Und nun begann auch die „Isabella“ ihr höllisches Konzert anzustimmen! Jean Ribault hatte nicht geschlafen, und der Profos, der drüben das Kommando gab, dirigierte die halbe Crew mit eiserner Hand. Zuerst schleuderten die Drehbassen auf dem Achterdeck heraus, was in ihnen steckte. Dann präsentierte die Karavelle den zu Tode erschrockenen Spaniern ihre Breitseite. Hasard ließ derweil die Drehbassen der „San Josefe“ sprechen. Er sah, daß die Spanier auf dem vorderen Floß sich durch heftiges Pullen in Sicherheit zu bringen
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suchten. Hasard ließ auf das Heck halten. Eine hinüberorgelnde Ladung räumte vier, fünf Mann ab und schlug das Heck des Floßes kaputt. Holztrümmer segelten durch die Luft. Wasserfontänen stiegen auf. Mitten hinein in das brüllende Durcheinander wummerten die Kanonen der Karavelle. „Drauf!“ rief Dan O’Flynn. „Gebt’s ihnen! Laßt sie nicht zum Luftholen kommen!“ Sie waren bereit, die nächste Breitseite auf die Flöße abzugeben, als Ben Brighton plötzlich meldete: „He, Hasard, nun sieh dir diese Wahnsinnsknaben an!“ Der Seewolf beugte sich kurz übers Schanzkleid und sah sie herankommen. Ein paar Spanier hatten das Massaker lebend überstanden. Sie schwammen auf die „San Josefe“ zu. Die Messer hatten sie quer zwischen die Zähne genommen. Vielleicht glaubten sie wirklich, es den verdammten Engländern noch geben zu können. Möglich auch, daß der Mut der Verzweiflung sie zu ihrer Tat antrieb. Sie wollten die Bordwand der Galeone erreichen und irgendwie aufentern. Hasard legte mit seiner doppelläufigen Reiterpistole an. Der Knall fuhr in die Nacht hinaus und leitete das Böllern der Breitseite ein. Ein im Wasser dahingleitender Spanier drehte sich mit einem Schrei auf den Rücken. Dann ging er unter. Die anderen schwammen weiter. Die Breitseite erwischte die Reste des zweiten Floßes und hieb es vollständig auseinander. Trümmer und Leichenteile wirbelten in die Luft, einiges davon prasselte auf die Decks der Karavelle nieder. Mit dem zweiten Schuß aus seiner Pistole traf Hasard noch einen Mann. Dann blafften die Musketen von Ben Brighton, Ferris Tucker und Karl von Hutten los. Sie hatten sie auf Gabelstützen gelegt und zielten über das Schanzkleid auf die Dons im Wasser. Unter dem Bleihagel versanken auch die letzten Männer. Der Seewolf preßte die Lippen zu einem Strich zusammen. Er freute sich nicht über seinen Sieg, wie er sich über eine gewonnene Seeschlacht zwischen
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gleichbestückten Parteien gefreut hätte. Es behagte ihm nicht, nahezu unbewaffnete Männer zu töten. Und doch - hätte er sich überfallen lassen sollen? Er wollte nicht das Leben eines einzigen Crewmitgliedes aufs Spiel setzen. Deswegen schlug er den Angriff der Spanier so hart und gnadenlos zurück. Dieses Inferno sollte ihnen eine Lehre sein. Das erste Floß hatte sich nahezu aus dem Schußbereich der Schiffe entfernt. Aber die Kanonen und Drehbassen der „Isabella IV.“ brüllten noch einmal auf. Die letzten auf dem Floß kauernden Menschen, unter ihnen Maria Juanita, stürzten schreiend in die Fluten. Dann entzogen sie sich den Blicken von Hasard und seinen Leuten. Nicht einmal Dan oder Jean konnten noch erkennen, ob es Überlebende gab. Der Mantel der Nacht hüllte die letzten Floßtrümmer ein. Sie schaukelten auf den Wellenkämmen und würden irgendwann als Treibholz an den Strand zurückgespült werden. Die Kanonen schwiegen. * Maria Juanita spürte, wie das Salzwasser an ihrem Körper sog. In ihrem Kopf war ein tosender Wirbel, ihre Lungen schmerzten. Finsternis senkte sich über alles und entführte sie in endlose Tiefen. Als sie die Augen wieder aufschlug, glaubte sie, daß Stunden vergangen seien. Über ihr spannte sich ein mit Silbertupfern durchsetztes schwarzes Samttuch. Sie fragte sich, ob so das Jenseits aussähe. Dann spuckte sie hustend Wasser und wußte, daß es noch nicht aus war. Sie lebte. Rücklings trieb sie auf der See. Ihr war hundeelend zumute, aber ein Wunder hatte sie vor dem Tod gerettet. Über ihr war der Nachthimmel der Karibik. Sie war vom Floß ins Wasser gestürzt, beinahe ertrunken und minutenlang bewußtlos dem Ufer der Insel entgegengetrieben. Als sie sich jetzt im Wasser umdrehte, gewahrte sie den düsteren Streifen vor sich, der die Insel darstellte. Ein Blick zurück über die
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Schulter, und sie entdeckte die beiden Schiffe. Sie duckten sich in die Fluten — und ihr war, als seien sie schadenfroh grinsende Ungeheuer. Maria Juanita hob die Faust und schüttelte sie gegen die Sieger. „Verfluchte Hunde! Der Teufel soll euch holen! An der Pest sollt ihr verrecken!“ Sie schluchzte vor Wut und Verzweiflung. Dann begann sie zu schwimmen. Sie fluchte, stöhnte, weinte und lamentierte fast unausgesetzt vor sich hin. Erst als sie unweit von sich einen Kopf auftauchen sah, wurde sie still. Wer war das? Freund oder Feind? Hatten sich die Engländer ins Wasser geworfen, um ihr nachzustellen und ihr auch noch die Gurgel durchzuschneiden? Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Der Kopf erhielt Gesellschaft von anderen Köpfen. Maria Juanita hielt die Luft an. Ihr war sterbenselend zumute. Die in ihr aufsteigende Todesangst hatte etwas Selbstzerstörerisches. Fast hätte die schwarzhaarige Frau sich einfach sinken lassen und den Fluten überlassen, da erkannte sie einen der Heranschwimmenden als Raoul. Die anderen waren Spanier, die sie auf dem ersten Floß begleitet hatten. Sie zählte ungefähr ein Dutzend Männer, die das Massaker überstanden hatten. „Companeros“, sagte sie erstickt. „Daß ihr noch lebt! Und die anderen?“ „Die anderen?“ rief einer von ihnen. „Tot sind sie. Was hast du erwartet?“ Raoul Colon war jetzt neben ihr und preßte sie an sich. Seine Nähe gab ihr etwas von ihrer alten Kraft wieder. „Wir müssen an Land“, sagte sie. „Dort können wir beratschlagen, was jetzt zu tun ist.“ „Mein Arm blutet“, meldete sich ein Mann. „Das Salzwasser beißt in der Wunde. Der Schmerz bringt mich noch um.“ „Reiß dich zusammen und schweig“, fuhr Raoul Colon ihn an. „Los, schwimmen wir. Wenn wir zu lange im Wasser bleiben und
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du viel Blut verlierst, locken wir noch die Haie an.“ Die nächsten Minuten verstrichen unter dem Einfluß der beständigen Furcht vor Haien. Maria Juanita drehte sich immer wieder um und hielt mit geweiteten Augen Ausschau. Der Gedanke, daß messerscharfe Zähne sie von unten packen und bei lebendigem Leib zerreißen könnten, war unerträglich. Plötzlich schrie sie auf. Raoul war neben ihr, und sie klammerte sich zitternd an ihm fest. Er vermochte sie kaum zu halten; ging mit ihr unter. Beide schluckten Wasser und prusteten, als sie wieder auftauchten. „Dios, Querida, was ist denn los?“ sagte er wütend. Sie wies hinter sich. Der Portugiese entdeckte nun auch ein Objekt, das sich fast keilförmig aus dem Wasser abhob. Ja wirklich, auf den ersten Blick sah es wie die dreieckige Rückenflosse eines Haies aus. Raoul schwamm hin. Er beäugte das Etwas genauer und stieß plötzlich einen gurgelnden Laut aus. Er hob es aus dem Wasser, und Maria Juanita schrie vor Grauen. Es entpuppte sich als die Hälfte eines Menschen, als Leichenteil, dessen angewinkelter Arm so irreführend aus dem Naß aufgeragt hatte. So schnell sie konnten, schwammen sie an Land. Unweit des Strandes liefen die elf Mädchen ins Wasser und nahmen sie mit besorgten Mienen in Empfang. Sie überfielen sie mit Fragen, aber sie hatten ja selbst gehört, was vorgefallen war und brauchten eigentlich keine Erklärungen mehr. Alle Hoffnungen waren zerstört. Der Traum vom schnellen Reichwerden war geplatzt wie eine Seifenblase. „Aus und vorbei“, sagte einer der erschöpften Spanier. „Dreißig Kameraden sind gefallen. Es war entsetzlich. Nie wieder will ich etwas Derartiges erleben.“ „Wenn du eine Kanone oder wenigstens eine Muskete bedienen kannst, ist es noch etwas anderes“, meinte ein zweiter. „Aber nur mit einem Messer in der Hand —
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Madre de Dios, wir kamen uns so furchtbar hilflos vor.“ Sie halfen dem verletzten Mann aus dem Wasser und traten an Land. Das beinahe erloschene Lagerfeuer wurde wieder neu entfacht. Betretenes Schweigen umfing sie, bis Maria Juanita den Mut wiedergefunden hatte, ein paar Worte zu sagen. „Es war eine Niederlage“, sagte sie. „Aber wir dürfen uns trotzdem nicht geschlagen geben. Immerhin sind wir noch über zwanzig. Wir bauen neue Flöße und wagen es noch einmal. Die Engländer werden sich jetzt auf ihren Lorbeeren ausruhen. Sie ahnen nicht, daß wir es noch einmal riskieren. Diesmal überrumpeln wir sie.“ Raoul war in diesem Augenblick der einzige, der beifällig nickte. Die anderen schauten die Schwarzhaarige mit einer Mischung aus Verblüffung und Zorn an. „Sie haben uns niedergemetzelt“, sagte der Verwundete. „Sie haben bewiesen, wie sehr sie auf der Hut waren und wie scharf die Augen ihrer Wachtposten sind, und du — Himmel, und du hast den Mumm, von einem neuen Angriff zu sprechen. Du mußt verrückt sein.“ Sein Nebenmann erhob sich. „Sie hat uns ins Unglück gestürzt, die Hure. Wir waren blind, wir Narren.“ Ein nächster stand auf, dann ein dritter und ein vierter. Sie alle nahmen eine drohende Haltung ein. „Steinreich, wie?“ sagte der eine höhnisch. „Das haben wir jetzt von unserer Vermessenheit.“ Er zückte sein Messer. Die anderen taten es ihm gleich. „Raoul“, sagte Maria Juanita. Der Portugiese schwang hoch, riß sein langklingiges Messer aus dem Bund der nassen Hose und wies es vor. „Kommt, ihr Bastarde. Ich spieße euch auf wie diesen verdammten de Morales. Alle.“ „Uns schaffst du nicht“, entgegnete einer seiner Kameraden. „Wir sind in der Überzahl. Überleg dir’s, Raoul. Es ist besser, du hältst dich ‘raus. Das Weib hat uns verraten und verkauft. Ich schlitze ihr den Bauch auf, diesem Miststück.“ Maria Juanita sah ihre Felle davonschwimmen. „Nein“, hauchte sie.
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„Ich konnte doch nicht ahnen, daß die Engländer gefechtsbereit waren.“ „Hört auf“, sagte Alana und näherte sich dem Sprecher. „Es hat keinen Zweck, wenn wir uns jetzt gegenseitig anfallen. Seid doch vernünftig.“ Er wollte sie wegstoßen, überlegte es sich dann aber doch anders. „Was sind wir?“ klagte Dolores. „Wölfe? Reißende Bestien? Die Toten werden davon nicht wieder lebendig. Seien wir froh, daß wir leben. Ihr Männer könnt euch mit uns trösten, wir bleiben ja bei euch. Es wird bessere Zeiten für uns geben.“ Die Spanier ließen sich überzeugen. Langsam setzten sie sich wieder und steckten die Waffen ein. Der Mann neben Alana nickte bedächtig. „Also gut, verhalten wir uns friedlich. Es bleibt uns nichts anderes übrig.“ Er wies mit dem Finger auf Maria Juanita. „Aber sie soll nicht noch einmal von einem neuen Angriff auf die Schiffe faseln, sonst vergesse ich mich.“ 8. Der schwerverletzte, bewußtlose de Morales war von seinen etwa dreißig Getreuen während der Nacht durch einen Dschungelstreifen geschleppt worden. Dann hatten sie jedoch aufsteigendes Gelände angetroffen. Sie hatten Stunden gebraucht, das Bergland zu erforschen, doch es hatte sich gelohnt. Denn sie hatten als höchsten Punkt von Grand Cayman ein kleines Plateau entdeckt, das sich vorzüglich als Lagerplatz eignete. Von hier aus konnten sie die Umgebung überblicken und nahende Gefahren rechtzeitig bemerken. Ganz in der Nähe gab es eine Trinkwasserquelle. Sie verfügten über Proviant, und die Matten für ihre primitiven Lager fertigten sie aus Pflanzen, die sie dem Urwald abgewannen. In der Nacht starb de Morales an der Bauchwunde. Sie konnten ihm nicht helfen. Er wurde abseits zwischen den Felsen begraben. Gegen Morgen wurden sie durch den Schußdonner in der Bucht geweckt. Sie
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beobachteten abwechselnd durch ein Spektiv, das sie von der „San Josefe“ herübergerettet hatten. Und sie begriffen, was dort unten vor sich ging. „Diese Narren“, sagte ein Mann namens Valdez. „Sie haben ihren Plan tatsächlich verwirklicht und kriegen jetzt die Rechnung präsentiert.“ „Wie gut, daß wir nicht dabei sind“, erwiderte der Sargento. Valdez, ein im Pulverdampf ergrauter Kriegersmann, grinste und sagte: „Sie werden sich blutige Köpfe holen — gut für uns, damit wird die Partie ausgeglichener.“ „Was denn“, sagte der Sargento, „willst du dich mit den Hurensöhnen noch einmal anlegen?“ „Vielleicht“, sagte Valdez. „Oder wollt ihr auf dieser verdammten Insel bleiben? Ich schätze, daß die Engländer die Karavelle zurücklassen werden. Entweder holen wir sie uns, um abzuhauen, oder dieser portugiesische Narr mit seinen Idioten samt Harem.“ Der Sargento seufzte und murmelte: „Du hast recht.“ Sie teilten neue Wachen ein, dann legte sich der Großteil der Gruppe wieder schlafen. Rund zweieinhalb Stunden später wurden sie von einem Posten geweckt. „Mastspitzen an der östlichen Kimm“, meldete der Mann. Sofort war Valdez auf den Beinen. Er richtete das Spektiv auf die von „der Morgensonne durchglänzte See und entdeckte die Maststengen und Flögel von zwei Schiffen über der Kimm. „Sargento!“ rief er. Der Mann trat neben ihn und blickte nun durch die Optik. „Das sind Galeonen“, stellte er fest. „Es läßt sich nicht erkennen, welche Nationalität sie haben. Ich sehe nicht, welche Flagge sie führen. Aber es sind bestimmt Landsleute. Das ist unsere Chance, Valdez!“ „Du willst ...“ „Ich will ihnen ein Zeichen geben. Sicher, ich habe meine Hoffnungen darauf gesetzt, daß die Engländer bald mit der ,San Josefe’ abrücken und uns die Karavelle
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zurücklassen, wie du sagtest. Aber wer garantiert uns, daß wir sie auch wirklich in den Griff kriegen? Beispielsweise könnten die Engländer sie auch versenken. Oder die Überlebenden des nächtlichen Massakers, Maria Juanita und ihre Freunde, entern das Schiff. Dann gucken wir in die Röhre. Also ist es besser, Alarm zu schlagen. Im übrigen werden die beiden Galeonen dort mit ein bißchen Geschick die Engländer zusammenschießen und ihnen den Schatz wieder abnehmen. Damit wären alle unsere Probleme gelöst.“ „Und Don Francisco Rodriguez?“ Der Sargento blickte ihn an. „Er ist die Geisel der Engländer. Wir können ihm nicht helfen. Wenn er in der Schlacht fällt, so wird man ihn als Märtyrer und Helden ehren.“ Wieder starrte er durch das Spektiv nach Osten. „Besonders groß sind sie nicht, die Galeonen, aber ich schätze, sie werden mit den verdammten Engländern fertig.“ „Und jetzt willst du ein Feuerchen anzünden, wie?“ fragte Valdez stirnrunzelnd. „Richtig. Der Rauch wird sie hierher lenken. Los, wir müssen trockene Äste zusammentragen — und auch Laub, damit wir genügend Zunder haben. Wir entfachen ein hübsches Feuerchen!“ Valdez war nicht sonderlich überzeugt von der Richtigkeit ihres Handelns. Doch den Sargento schien der Plan regelrecht zu beseelen. Er verfolgte das nun einsetzende Tun der Männer und trieb sie immer wieder zur Hast an. Binnen kurzem hatten sie das Ast- und Zweigwerk einer Krüppelfichte zerkleinert und aufgeschichtet und stopften anschließend fachgerecht dürres Laub darunter. Je trockener das Brennmaterial war, desto besser ließ es sich anzünden! Der Sargento griff schließlich selbst zu Feuerstein und Feuerstahl. Er entfachte eine Lunte, setzte mit ihr den Zunder in Brand und schaute dann befriedigt zu, wie die ersten gelblichen Flammen aus dem Laub emporzüngelten. Bald nährten sich die Feuerzungen von dem trockenen Holz und stiegen höher auf. Zum Schluß loderte
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ein ansehnliches, Hitze verbreitendes Feuer himmelan. „Schürt es“, ordnete der Sargento an. „Je mächtiger es brennt, desto größer ist die Rauchentwicklung.“ Ein halbes Dutzend Männer gab sich redlich Mühe, die Flammen so groß wie möglich zu halten. Andere holzten einen weiteren Baum ab, um ja genügend Brennstoff zu haben. Bald stieg eine beachtliche Rauchsäule aus der Lohe auf. Sie kräuselte in den bleigrauen Morgenhimmel hinauf, entfaltete sich und dehnte sich weit über die Grundfläche des kleinen Plateaus hinaus aus. „Die Engländer“, sagte Valdez. „Sie werden den Rauch auch sehen.“ Der Sargento winkte ab. „Na und? Sie glauben bestimmt, wir kochen uns eine Mahlzeit. Sie haben uns die Gewürze, den Zucker, Kakao, Tabak und den übrigen Proviant ja selbst an Land gesetzt.“ Valdez hätte noch einiges zu bemerken gehabt, aber er hielt es für besser, zu schweigen. Der Sargento war seiner Meinung nach ein Holzkopf. Nun, man würde ja sehen, wie sich alles weiterentwickelte. Der Sargento hielt das Spektiv fortwährend auf die östliche See gerichtet. Plötzlich stieß er einen Jubelruf aus. „Die Galeonen drehen auf uns zu! Ja, sie steuern die Insel an!“ * „Hol’s der Teufel“, sagte Dan O’Flynn. Er formulierte das etwas zerknautscht und schwer verständlich, denn er kaute gerade auf einer gedörrten Pflaume. Die Nacht war lang gewesen. Er hatte es abgelehnt, im Großmars der „San Josefe“ abgelöst zu werden; doch er hatte dauernd das unbändige Verlangen verspürt, etwas zwischen die Zähne zu kriegen. So hatte Arwenack die Vorratsräume durchstöbert und die gedörrten Pflaumen entdeckt. Einen ganzen Beutel voll hatten sie in den Hauptmars hochgehievt - ohne, daß der Kutscher etwas bemerkt hatte.
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Dan spuckte den Kern auf den Boden seines luftigen Sitzes. Arwenack fand dies großartig und machte es ihm nach. Dann versenkte er wieder die Pfote in dem Beutel, um neue Dörrpflaumen herauszufischen. „Hör mal einen Moment auf damit“, sagte Dan. Er hielt die Augen auf die Insel gerichtet und sah die Rauchwolke aufsteigen. Er kratzte sich am Kopf, überlegte eine Weile hin und her — und beugte sich dann über die Segeltuchverkleidung. Unter ihm erstreckte sich die breite Kuhl der Galeone. Die Gestalten der Männer darauf erschienen kaum größer als die Dörrpflaumen im Leinentuchbeutel. „He, Deck! Zum Teufel, pennt ihr?“ Smoky schaute zu ihm auf. „Nicht so frech, Kleiner. Was st denn los?“ „Holt Hasard ‘rauf! Drüben auf der Insel zündelt jemand.“ Der Seewolf wurde gerufen, und wenig später stand er neben einer Gruppe von Männern auf dem Achterkastell und beobachtete die heftige Rauchentwicklung im Inneren von Grand Cayman. „Was haltet ihr davon?“ fragte er. Ben Brighton antwortete: „Ich könnte mir denken, daß ein Teil der Spanier bei dem Selbstmordunternehmen der Nacht nicht mitmischen wollte. Also hat sich die Gruppe zurückgezogen. Sicherlich ist sie es, die das Feuer entfacht hat.“ Karl von Hutten hatte aufmerksam zugehört. „Gewiß“, sagte er jetzt. „Eingeborene würden niemals soviel Qualm verursachen. Sie hüten sich davor, die Flammen ihrer Feuer zu hoch schlagen zu lassen. Sie wollen nicht, daß man sie aus weiter Ferne entdeckt.“ „Aha“, entgegnete Hasard. „Und damit hast du schon erwähnt, auf was ich hinaus will. Auch die Dons sind nicht dumm. Warum sollten sie ihren jetzigen Standort aller Welt verraten? Nein, ich sage euch, wer solche Rauchzeichen gibt, der will gesehen werden. Also muß sich jemand der Insel nähern.“ „Dan!“ rief Matt Davies zum Großmars hoch. „Du Schlafmütze!“
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„Was ist denn los?“ schrie das Bürschchen zurück. Hasard zeigte eine beschwichtigende Gebärde. „Langsam, langsam. Ihr dürft nicht vergessen, daß die östliche See für uns im toten Blickwinkel liegt — selbst für den Ausguck. Ich nehme an, daß von dorther jemand auf uns zusegelt. Wer, das kriegen wir gleich heraus.“ „Drake ist es bestimmt nicht“, sagte Karl von Hutten, und die anderen lachten amüsiert. „Ob Spanier oder Piraten — wir haben von keinem was Gutes zu erwarten“, sagte der Seewolf. „Beide sind Feinde. Ben, wir gehen längsseits der Karavelle, nehmen den Rest der Mannschaft über und machen sofort seeklar!“ „Aye, aye, Sir.“ Ben ließ seine Kommandorufe erschallen, und sofort setzte die gewohnte Geräuschkulisse ein: das Traben der bloßen Füße über Deck, das Hämmern von Stiefeln auf den Planken, das Fluchen der Männer, das Knarren der Blöcke und Taljen, als die Segel gesetzt wurden. Die „San Josefe“ ging ankerauf und lavierte zur „Isabella IV.“ hinüber, die noch an ihrer Ankertrosse schwoite. Die Galeone legte sich mit der Backbordseite an die Steuerbordseite der Karavelle, und kurz darauf jumpte Hasard auf sein altes Schiff über. Natürlich waren der Profos Carberry und die übrigen Männer längst von den Kommandos auf der „San Josefe“ in Bereitschaftszustand versetzt worden. Sie warteten nur noch darauf, die Karavelle zu verlassen. Auf dem Schiff gab es nichts mehr, das sich auf die „San Josefe“ hinüberzutragen gelohnt hätte — von den Handfeuerwaffen der Männer abgesehen. Während sich das Überwechseln der halben Crew von der alten „Isabella IV.“ auf die neue „Isabella V.“ schweigend und hastig vollzog, stattete Hasard dem Generalkapitän Rodriguez einen letzten kurzen Besuch ab. Rodriguez hatte etwas von dem leisen Aufruhr an Bord gehört und dachte vielleicht. seine Stunde habe nun geschlagen, aus welchem Grund auch
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immer. Er trommelte mit den Fäusten gegen das Schott des Kabelgatts. Hasard schloß es auf und ließ ihn heraustreten. „Nun, Rodriguez? Hast du ausreichend über deine Sünden nachgedacht?“ „Was war heute nacht los?“ fragte der dicke Mann. Er schwitzte und war käsebleich im Gesicht. „Ich verlange eine Erklärung. Was hatte das zu bedeuten?“ Hasard sagte es ihm, und der fette Mann wurde noch um eine Schattierung blasser. „Diese Bastarde“, sagte Rodriguez. „Meine eigenen Leute haben sich von dieser Straßenhure Maria Juanita aufwiegeln lassen, aber nicht, um mich zu befreien. Ich mache mir keine Illusionen. Sie wollten die Reichtümer an Bord der ,San Josefe’.“ „An Bord der ,Isabella V.“, stellte Hasard richtig. „Genau, Amigo, denn sie steuerten die Karavelle gar nicht erst an, obwohl sie am Tag von Land aus beobachtet haben müssen, wie wir dich hier herüberschaffen.“ „Was wird jetzt, Lobo del Mar?“ erkundigte sich Rodriguez kleinlaut. „Gefahr ist im Verzug. Wir müssen nachsehen, wen deine Mannschaft durch Rauchzeichen angelockt hat. Unsere Wege trennen sich. Mir blutet das Herz.“ Hasard lächelte spöttisch. „Keine Angst, du bleibst am Leben. Und ich schenke dir sogar dieses Schiff. Wenn du willst, kannst du es in ,Cartagena` zurücktaufen. Na, bist du zufrieden?“ Für einen Augenblick hatte es den Anschein, als wolle der fette Mann sich auf seinen Todfeind stürzen. Doch die Klugheit siegte. Don Francisco Rodriguez hatte einen de Morales im Zweikampf besiegen können —doch gegen diesen schwarzhaarigen Teufel, das wußte er genau, würde er sich niemals behaupten können. Dieser Riese würde nicht einmal schwanken, wenn er einen derben Hieb einstecken mußte. Rodriguez beschränkte sich auf eine haßvolle Bemerkung. „Weit kommst du nicht.“
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Hasard fixierte ihn aus kalten, blitzenden Augen. „Ich warne dich. Wage es ja nicht, mir nachzusegeln. Überhaupt, lauf mir niemals wieder über den Weg. Das nächste Mal bin ich nicht so nachsichtig mit dir. Das nächste Mal lasse ich dich gleich köpfen, das schwöre ich dir.“ Rodriguez wagte keine Äußerung mehr. Stumm und mit geballten Händen blickte er dem Seewolf nach, wie dieser über den Gang davonschritt und über die knarrenden Stufen eines Niederganges nach oben verschwand. Wenig später legte die neue „Isabella“ von der Karavelle ab. Don Francisco Rodriguez stand jetzt auf der Kuhl, dicht neben dem Großmast. Er trug keine Fesseln und war unverwundet. Er war sozusagen mit einem blauen Auge und damit mehr als glimpflich davongekommen. Er blickte den Männern nach, die ihm da von Bord seiner Galeone noch einmal zu pfiffen und zugrölten. Das war ein einziges Zeichen des Hohnes und der Verachtung. Rodriguez fühlte sich erniedrigt und ausgestoßen. Er wußte nicht, was ihm die Zukunft bringen würde. Was sollte er tun? Zu der Mannschaft, die ihn haßte, an Land schwimmen? Sich noch mehr anpöbeln lassen? Nein, er spürte nicht das geringste Verlangen danach. Wenn schon, dann mußten sie es sein, die zu ihm zurückkehrten. Und wenn nicht? Sollte er dann allein mit der Karavelle in See gehen? Unmöglich. Es wäre purer Wahnsinn gewesen. Ein einzelner Mann konnte kein Schiff manövrieren, und war es auch von bescheidener Größe wie dieser Zweimaster. Rodriguez’ Wut kulminierte in einem jähen Ausbruch. Er riß sich die Perücke vom Kopf, schleuderte sie auf die Decksplanken und trampelte wie besessen darauf herum. Er ließ ein Stakkato von saftigen Flüchen vorn Stapel, heulte und kreischte. Kurzum: er tobte auf der Kuhl herum und führte sich wie ein wildgewordener Giftzwerg auf. Als er sich wieder halbwegs beruhigt hatte, durchfuhr ihn eine neue, böse
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Zukunftsvision. Hatten die Besatzungsmitglieder, diese Bastarde, nicht von der Insel aus alles verfolgt? Wußten sie nicht, daß er noch an Bord der Karavelle war? Einen Mann seines Umfanges übersah man nicht. Vielleicht erschienen sie nun, um sich das Schiff anzueignen und ihn grausam zu töten. Er malte sich bereits die fürchterlichsten Arten der Hinrichtung aus. Von dieser Ahnung beflügelt, eilte er über Deck, stürzte an die Geschütze und untersuchte sie. Sie waren nicht geladen. Er durchsuchte das gesamte Schiff - so schnell, wie er das noch nie getan hatte. Das Resultat: es gab keine Unze Pulver an Bord, geschweige denn Bleikugeln, Eisenkugeln oder etwas anderes, mit dem man die Kanonen und Drehbassen laden konnte. Auch existierten keine anderen Waffen mehr an Bord der Karavelle. Die Männer des Seewolfes hatten wohlweislich alles mitgehen lassen. Wenn die Besatzung die Insel verließ und das Schiff kaperte, konnte er, Rodriguez, sich ihrer allenfalls mit ein paar lächerlichen Koffeynägeln erwehren. Er setzte sich auf die Kuhlgräting und ließ den Kopf hängen. Ein trockenes Schluchzen ließ seinen Körper beben. Dann rollten Tränen über seine Hängewangen und tropften aufs Deck. 9. Gischt schäumte in Flocken um den Bug der „Isabella V.“. Sie hatte Fahrt aufgenommen und rauschte aus der Bucht von Grand Cayman. Die Crew hatte Vollzeug gesetzt, und der Wind, der jetzt von Westen wehte, griff hinein und blähte es auf. Der Profos hatte seine üblichen Kommandos und Flüche vom Stapel gelassen. Rasch hatten sich die Männer, die bisher noch auf der ZweimastKaravelle geblieben waren, auf dem neuen Schiff verteilt. Im Eiltempo wurden die Gefechtsstationen klargemacht. Die Stückpforten gingen hoch, rumpelnd wurden die Kanonen ausgefahren -
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vierundzwanzig, ein Dutzend auf jeder Schiffsseite. Aus den Luken schauten drohend die Mündungen hervor. Die vier Drehbassen auf dem Vorderkastell und die sechs Drehbassen auf dem Achterkastell wurden zur selben Zeit geladen und in Schußposition gebracht. Die Kombüsenfeuer waren, kaum, daß er sie angeheizt hatte, wieder vom Kutscher gelöscht worden. Jetzt flitzte der Kutscher über Deck und streute Sand aus. Nachdem die Brooktaue der Geschütze gelöst worden waren, nahm Carberry die Zubehöre der Kanonen in Augenschein Kartuschen, Kuhfüße, Handspaken, Schwämme und Keile. Alle Pulverhörner waren ordnungsgemäß gefüllt. Die Eimer, die zum Befeuchten der Wischer bereitstanden, waren mit Meerwasser gefüllt worden. „Alles in bester Ordnung“, meldete er dem Seewolf. „Die Dons haben die Gefechtsstationen nicht verkommen lassen, sondern vorbildlich in Schuß gehalten, das muß ihnen der Neid lassen, diesen Kanalratten. Allerdings könnten wir für dieses Ungetüm von Schiff noch zwanzig Männer mehr gebrauchen, was, wie?“ Der Seewolf ließ seinen Blick über Deck schweifen. „Schon. Aber vergiß nicht, daß wir eigentlich immer unterbesetzt waren — allemal, bevor die Karibik-Piraten zu uns stießen. Das hat die Crew geschult.“ „Stimmt-, sagte Carberry grinsend. „Die entsprechenden Manöver haben wir zur Genüge exerziert.“ „Jeder Mann an Bord hat seine Aufgaben, muß aber auch für die anderen einspringen können, falls nötig.“ Hasard wies stolz auf seine Männer. „Ist das nicht Beweis genug für ihre gute Schulung? Sie haben das Schiff übernommen, ohne lange auf Befehle zu warten. Es hat sich gelohnt, sie hart zu trimmen. Nur ein kleiner Teil bedient die Segel — die anderen stehen für den Kampf bereit.“ Der Profos stützte sich an der Schmuckbalustrade zur Kuhl hin auf und blickte zum Seewolf, der mit verschränkten Armen auf dem Quarterdeck stand. „Ich weiß, was du damit sagen
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willst. Diese ‚Isabella’ ist in unserer Hand eine Kampfmaschine. wie es in der Karibik kaum eine zweite gibt.“ „Genau das. Bei der Armierung und der Crew!“ Ungefähr zum selben Zeitpunkt verschluckte sich Dan O’Flynn oben im Hauptmars fast an einer Dörrpflaume. Er lugte unablässig durch den Kieker. behielt die Kimm im Auge — und sichtete plötzlich die beiden Galeonen, die sich um die Ostspitze der Insel herumschoben. Dan hustete, würgte die Pflaume fast herunter und spuckte sie dann doch aus. Dann schrie er mit überkippender Stimme: „Mastspitzen Steuerbord voraus!“ Philip Hasard Killigrew entdeckte die beiden Schiffe nun ebenfalls und behielt sie scharf im Auge. „Sie halten auf uns zu“, sagte er zu Ben Brighton. „Das ist eine offene Herausforderung,“ „Und? Welche Flagge führen sie?“ „Kann ich noch nicht erkennen. Ein Holzkreuz, wie es alle Schiffe der Dons am Vorsteven baumeln haben, scheinen sie jedenfalls nicht zu führen.“ Hasard spähte noch eine Weile voraus, dann fügte er hinzu: „Die führen keine Flagge, Ben. Das sind Piraten.“ „Geben wir uns zu erkennen?“ „Ja.“ „Heißt Flagge!“ rief Ben Brighton. Blacky und Al Conroy wandten sich dem Großmast zu und ließen die schon bereitgelegte Stoffbahn emporgleiten. Es war die Flagge mit dem roten Georgskreuz auf weißem Feld — der Union Jack. Munter flatterte sie kurz darauf hoch oben an der Stenge in der frischen Morgenluft. Und wenn die Piraten bisher noch Zweifel an der Nationalität der Galeonenbesatzung gehabt hatten, jetzt waren alle Unklarheiten beseitigt. Prompt eröffneten sie das Feuer. Weiße Wolken pufften über den Schanzkleidern der kleinen Galeonen hoch, Geschosse heulten herüber. Der Seewolf lachte wild, als er die Wasserfontänen weit vor der „Isabella“ aufsteigen sah. Die Freibeuter mochten genügend Zielwasser
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getrunken haben, aber sie hatten die Reichweite ihrer Kanonen ein wenig überschätzt! „Zahlen wir ihnen die Frechheit zurück!“ rief er. „Spannt die Hähne“, brüllte der Profos, und dann: „Klar bei Kartuschen „Feuer!“ Zuerst röhrten die Drehbassen auf dem Vorderkastell los. Ihre Ladungen donnerten über die Galion und den darunter festgelaschten goldenen Anker hinweg, fegten auf die beiden Feindschiffe zu und überbrachten ihnen den ersten Gruß des Seewolfes. Zwei Schüsse gingen den Galeonen dicht vor den Bug, ein dritter riß ein Loch in das Großmarssegel der an der Nordseite segelnden Galeone, der vierte räumte zwei Männer von der Back des anderen Schiffes ab. „He, ho!“ schrie Dan aus dem Großmars. „Wir haben ihnen eins verpaßt! Jetzt geraten sie aus dem Häuschen!“ In der Tat, auch Hasard beobachtete durch sein Spektiv, wie die abenteuerlich kostümierten Piraten auf den Galeonen nun gestikulierten und durcheinanderschrien. Sie waren so weit heran, daß er die Einzelheiten mühelos erkennen konnte. Auf der Back des näher zur Insel hin versetzten Schiffes tobte ein schwarzbärtiger Kerl mit langem Rock, rotem Leibgurt und breitem Ledergürtel herum. In dem Ledergürtel trug er zwei Steinschloßpistolen, in der Faust hielt er einen Säbel. „Der Anführer“, sagte er sich. „Wenn er jetzt schlau ist, bricht er ab und verschwindet auf Nimmerwidersehen.“ Die Piraten änderten ihren Kurs nicht. Stur hielten sie weiter auf die „Isabella V.“ zu. Dan O’Flynns Stimme schraubte sich in den höchsten Diskant hinauf, als er schrie: „Himmel, Arsch und Zwirn, jetzt wollen die uns von zwei Seiten angreifen!“ Batuti enterte am Fockmast auf und kauerte sich in den Vormars, um die Rolle eines Kämpfers ganz besonderer Art zu erfüllen. Er zückte seinen Bogen und legte den ersten Pfeil ein. Er wartete geduldig auf seine Gelegenheit. Ein ausgezeichneter
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Schütze war dieser herkulesgroße GambiaNeger, und schon oft hatten seine Brandpfeile entscheidend zum Ausgang eines Kampfes beigetragen. Carberry, Ferris Tucker, Smoky, Blacky, der Kutscher, Matt Davies und alle anderen auf den Gefechtsstationen hielten sich bereit, die vierundzwanzig Kanonen zu bedienen. Das entscheidende Kommando oblag dem Seewolf. Der stand ruhig und gelassen hinter dem Querabschluß des Quarterdecks. Er hielt die Hände aufgestützt und blickte voraus. Noch nicht, dachte er, nur nichts überstürzen. Die Piraten werteten die momentane Pause als Schwäche, wurden wieder dreister. Unverzüglich segelten sie näher. Hasard ließ sie heran. Er harrte so lange aus, daß seine Männer schon Bedenken kriegten. Zwei Breitseiten wummerten von den beiden Piratengaleonen herüber, aber auch diesmal saßen die meisten Kugeln zu tief und schlugen wirkungslos in die See. Ein paar Schüsse aus der Salve strichen am Bug der „Isabella“ vorüber, einige heulten über die Decks weg. Die Crew duckte sich, zog die Köpfe ein und verfolgte, wie eine Kugel ein Stück vom Steuerbordschanzkleid wegfegte. Zu früh, sagte sich der Seewolf, diese Scheißpiraten haben die Zeit einfach nicht abwarten können. Dann rief er: „Feuer!“ Die Freibeuter hatten sich eingebildet, die „Isabella“ jetzt in der Zange zu haben. Beide Galeonen befanden sich fast auf einer Höhe mit ihr, die eine Backbord, die andere Steuerbord. Schmutziggelbe und rote Feuerzungen leckten aus den Rohrmündungen auf der „Isabella V.“ hervor. Der donnernde Schußlärm klang ohrenbetäubend. Beißender gelber Pulverrauch floß in dichten Wolken ineinander, als die schweren Kanonen im Rückstoß nach hinten prallten. Es waren Demi-Culverinen und Culverinen, Neunpfünder und Siebzehnpfünder, und ihre Ladungen hatten verheerende Wirkung. Der
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Gluthauch des Todes raste auf die beiden Feindschiffe zu, riß Löcher, schuf Tote und Verwundete. Holz splitterte, auf dem nördlich postierten Schiff schlug eine Rahe mit Segel krachend auf die Planken der Kuhl. Männer schrien. Durch Feuerrauch und Pulverqualm hindurch waren Holzfragmente zu sehen, die durch die Luft schwirrten. Der Seewolf stand hochaufgerichtet auf dem Quarterdeck. Rauchschwaden hüllten ihn ein. Seinem unbestechlichen Auge entging jedoch keine Einzelheit. Bisher hatte er keinen einzigen Verletzten zu verzeichnen, aber bei dem Gegner sah es aus, als hätte der Blitz eingeschlagen. Auf der Galeone des Anführers war der Fockmast geknickt und drohte, außenbords zu gehen. Als er tatsächlich in die See rauschte, krängte das Schiff bedenklich weit nach Backbord über. Die Freibeuter hatten beide Breitseiten der großen Galeone zu schmecken bekommen. Jetzt luden Hasards Männer mit fliegenden Fingern nach. Pulver wurde neu in die Bodenstücke der Kanonen gefüllt. Die Männer legten die Keile aus den Händen und preßten mit den Ansetzern Knäuel Kabelgarn auf das Pulver. Dann setzten sie die Kugeln auf und hielten sie wiederum mit Kabelgarn in ihren Lagen. Die Zündlöcher wurden mit Pulver gefüllt. „Feuer!“ Der Ruf fiel in die erbitterte Erwiderung der Gegenseite. Bleikugeln orgelten herüber, rissen Wasserfontänen vor den Bordwänden der „Isabella V.“ hoch und ließen kraterförmige Gebilde aus den Fluten aufsteigen, die rauschend wieder in sich zusammenfielen. Eine Kugel rasierte beinahe den Bugspriet ab. Hasard mußte sich flach aufs Quarterdeck werfen, denn eine andere hätte ihn erwischt und mit sich auf die See hinausgerissen, wenn er nicht reagiert hätte. Zum Glück trug die „Isabella“ keinen nennenswerten Schaden davon — und vor allen Dingen gab es keine Toten und Schwerverletzten. Sekunden nach dem Kanonendonner der Piratenschiffe meldete sich nun wieder die
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„Isabella“. Wieder zuckten die Geschütze auf ihren Eichenholzlafetten zurück, wurden von den Tauen abgefangen und verbreiteten dicke Rauchwolken. Diesmal hagelten auch Kettenkugeln auf die Feindgaleonen ein, und Batuti verschoß seinen ersten Brandpfeil. Ein weiterer Mast der Freibeuter ging in die Brüche. Auf dem Schiff des Anführers stand plötzlich das Großsegel in hellen Flammen. Batuti hatte getroffen. Gräßliche Schreie tönten zur „Isabella“ herüber. Hasards Männer luden die Geschütze nach. Der Seewolf selbst hastete auf die Poop, richtete eine der Backborddrehbassen und legte auf das Schiff des Piratenführers an. Er sah ihn auf der Back stehen, diesen großen, schwarzbärtigen Burschen. Er visierte ihn genau an, dann ließ er die Lunte von Karl von Hutten zünden. Das Geschoß fauchte nach drüben — doch der Piratenkapitän spurte und machte sich flach wie eine Seezunge. Das Schanzkleid der kleinen Galeone ging krachend und prasselnd in die Brüche, Trümmer wirbelten durch die Luft in alle Himmelsrichtungen. Aber der Schwarzbart war noch einmal mit heiler Haut davongekommen. Als beide Schiffe in Flammen aufgingen, stieß er einen wüsten Schrei aus. Wer noch die Kraft hatte, die Beiboote zu Wasser zu lassen und zu pullen, der beeilte sich jetzt, von Bord zu kommen. Die Piraten ließen ihre Schiffe fluchtartig im Stich und pullten in die Bucht hinüber, was das Zeug hielt. Hasard grinste. Er sah verwegen aus, wie er breitbeinig hoch oben auf dem Achterkastell stand, von Rauchschwaden umgeben und mit leicht angerußtem Gesicht. „Ich stelle mir bloß vor, was unser Freund Rodriguez für ein Gesicht macht, wenn er die Hurensöhne zu sehen kriegt“, sagte er zu Ben Brighton. „Ich bedaure richtig, das nicht miterleben zu können.“ „Und die Spanier auf Grand Cayman – hast du die vergessen?“ Karl von Hutten lachte. „Für die zwölf hochwohlgeborenen ‚Ladys’ brechen auch
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neue Zeiten an. Ich schätze, sie werden sich zu schlagen wissen, sie haben ja ihre ganz speziellen Waffen. Aber es wird gleich allerhand los sein auf Grand Cayman.“ Hasard gab den Befehl, aufzuklaren und dann auf Ostkurs zu gehen. Er hatte sein
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neues, großes, mit Schätzen vollgestopftes Schiff. Die schmucke Lady hatte ihm nicht länger widerstehen können. Jetzt gab es nichts mehr, das ihn davon abhielt, durch die Windward-Passage in den Atlantik hinauszusegeln...
ENDE