Vor den Bahamas liegt das Wrack des vor 200 Jahren gesunkenen Piratenschiffes „Belle Etoile". Daran glaubte Kathleens v...
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Vor den Bahamas liegt das Wrack des vor 200 Jahren gesunkenen Piratenschiffes „Belle Etoile". Daran glaubte Kathleens verstorbener Mann, der Sporttaucher Dave. Um seine Forschung weiterzuführen, engagiert sie - selbst eine erfahrene Taucherin - einen gewissen Simon, dessen Namen sie im Logbuch ihres Mannes fand. Zuerst zögert Simon, doch dann wird er ihr Partner und nimmt mit seinem Schiff Kurs auf die Korallenriffe der Karibik. Gleich beim ersten Tauchgang rettet er sie vor einem Hai. Kathleen ist hingerissen von seinem rauen Charme, dem sie kaum widerstehen kann. Bei einem Landausflug lädt er sie zum Dinner in einem Luxushotel ein. Hier lernt sie den Sänger Serge kennen. Kate fällt aus allen Wolken, als er ihr verrät, wer Simon wirklich ist...
1.
KAPITEL
„Tut mir Leid, Mrs. Taylor, aber Mr. Thompson ist unabkömmlich." Kathleen richtete sich zu ihrer vollen Größe von einem Meter dreiundsechzig auf. „Bitte, sagen Sie Mr. Thompson, wenn er mich jetzt nicht empfängt, wird mein Anwalt eine Verleumdungsklage einreichen." Die Sekretärin seufzte und drückte auf die Taste der Gegensprechanlage. „Verzeihen Sie die erneute Störung, Mr. Thompson, aber Mrs. Taylor besteht darauf, Sie sofort zu sprechen. Sie droht mit einer Klage." Der kleine Lautsprecher krachte etwas, bevor Mr. Thompsons Stimme ertönte. „Also gut, bringen Sie sie herein." „In Ordnung, Mr. Thompson." Die Sekretärin erhob sich und forderte Kathleen auf, ihr zu folgen. Sie führte Kathleen in ein imposantes, mit dickem Teppichboden ausgelegtes Büro. Hinter einem großen, mit Papieren überhäuften Schreibtisch saß ein grauhaariger Mann, der kaum aufblickte, als Kathleen eintrat. Empört über diese Unhöflichkeit, ging sie zu seinem Schreibtisch und schleuderte die Zeitschrift und das alte Logbuch wortlos auf die Tischplatte. Verdutzt hob der Verleger Alfred Thompson den Kopf, offensichtlich von Kathleens Auftreten überrascht. „Was ist das?" fragte er stirnrunzelnd. „Das", sie deutete auf das Magazin, „ist Ihre Zeitschrift. Sie enthält einen verleumderischen Artikel über meinen verstorbenen Mann. Und das hier ist der Beweis dafür", setzte sie hinzu und schob ihm das Logbuch zu. Alfred Thompson öffnete es zögernd. „Das ist doch nur ein altes Tagebuch", stellte er geringschätzig fest. „Das sind Aufzeichnungen. Mein Mann hat über jeden Tauchversuch genau Buch geführt", erklärte Kathleen würdevoll. Sie nahm Alfred Thompson das Logbuch aus der Hand und blätterte es rasch durch. „Hier", sagte sie und reichte es ihm zurück. „Lesen Sie das." 2
„Die Verteilung der Geschütze entspricht der bekannten Ausrüstung der Belle Princesse", las er laut und blätterte um. „Der eiserne Anker ist französischen Ursprungs, etwa aus der Zeit um siebzehnhundert." Der Verleger blickte erneut zu Kathleen auf. „Sehr interessant", musste er zugeben. „Aber das beweist gar nichts." „Was für Beweise brauchen Sie denn noch?" erkundigte sich Kathleen hitzig. Alfred Thompson lehnte sich in seinem Sessel zurück und betrachtete sie nachdenklich. Das also ist die Frau, die es geschafft hat, David Taylor vor den Traualtar zu bringen, dachte er. Nun, er verstand auch, warum. Sie hatte eine ausgezeichnete Figur und wirkte sehr weiblich durch die dunklen Locken, die ihr zartes Gesicht umrahmten. Wenn er zwanzig Jahre jünger wäre ... Alfred Thompson lächelte und legte den Kugelschreiber aus der Hand. „Nehmen Sie doch bitte Platz, Mrs. Taylor", meinte er versöhnlich. Kathleen folgte der Aufforderung und wartete darauf, dass Alfred Thompson weitersprach. „Über die Belle Princesse sind die widersprüchlichsten Gerüchte im Umlauf", begann er. „Das brauchen Sie mir nicht zu sagen", erwiderte sie aggressiv. „Mein Mann wusste mehr über das Schiff als alle anderen." Alfred Thompson nickte und hob besänftigend die Hand. „Ja, das ist mir bekannt", gab er zu. „Aber obwohl er einmal behauptete, das Wrack gefunden zu haben, hat er das Schiff danach nie mehr aufspüren können. Und überzeugende Beweise für dessen Existenz hat er auch nicht geliefert." „Sie hätten es niemals gewagt, diesen Artikel zu veröffentlichen, wenn er noch am Leben wäre", erklärte Kathleen scharf. Alfred Thompson schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid, Mrs. Taylor. Ich habe David immer bewundert, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass das Schicksal der Belle Princesse weiterhin ungeklärt bleibt." „Sie tun so, als hätte er das Ganze erfunden." „Nun, ich würde nicht gerade ..." „Doch, das tun Sie!" beharrte Kathleen. „Aber ich werde Ihnen das 3
Gegenteil beweisen! Ich werde zu den Bahamas fliegen und das Wrack finden. Darauf können Sie sich verlassen." Alfred Thompson zog überrascht die Brauen hoch. „Wenn Ihnen das gelingt, werde ich gern einen Widerruf bringen. Aber natürlich rauche ich Fotos ..." „Die bekommen Sie", versprach Kathleen selbstbewusst. „Gut." Er reichte ihr das Logbuch zurück. „Viel Glück." Kathleen verstaute das Dokument in der Umhängetasche und erhob sich. „Danke", erwiderte sie lächelnd. „Aber da ist noch etwas." „Ja?" „Wie wär's mit einem Vorschuss?" erkundigte sie sich forsch. Alfred Thompson schmunzelte. „Hemmungen scheinen Sie nicht gerade zu haben, Mrs. Taylor. Aber gut. Ich beauftrage Sie mit einem Artikel ... zu unseren üblichen Vertragsbedingungen. Wenden Sie sich deswegen an meine Sekretärin." Die Maschine setzte zur Landung an. Kathleen schnallte den Sicherheitsgurt fest, stellte die Armbanduhr auf Ortszeit und blickte auf die lang gezogene Inselkette hinunter, die sich in einem flachen Bogen von den Gewässern Floridas bis in die Karibik erstreckte. Zwar konnte sie noch keine Einzelheiten erkennen, aber bereits jetzt berührte sie der Zauber des glitzernden Wassers, das an die strahlend weißen Strände flutete und in allen Farbschattierungen schimmerte, von klarem, kristallfarbenem Grün bis zu tiefstem Blau. Das war Davids Welt gewesen. Kathleen blickte auf den goldenen Trauring und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. David hätte es nicht gern gesehen, dass sie weinte. Er War immer so lebenslustig gewesen und hatte nie zurückgeschaut. „Genieße das Heute", war seine Devise, „frage nicht nach dem Morgen. Wenn du dir ständig Gedanken machst, was dir an der nächsten Ecke passieren könnte, gehst du am eigentlichen Leben vorbei." Niemand konnte David Taylor vorwerfen, er hätte sein Leben nicht ausgekostet. Kathleen war diesem Mann begegnet, als sie gerade achtzehn gewesen war und zu studieren begonnen hatte. Wie ein Wikinger war er ihr mit seinem leuchtenden rotblonden Haar erschienen. Er war Professor für Meeresbiologie und mit einer geradezu 4
ansteckenden Begeisterung für seine Arbeit bei allen Studenten beliebt gewesen. Gleichzeitig hatte er den Tauchklub der Universität geleitet, wo sich Kathleen unter all den Mädchen, die für ihn schwärmten, bald durch ihre Tauchkünste hervortat. Da ihre Mutter Griechin war, verbrachte Kathleen jeden Sommer in der Villa ihrer Großeltern am Golf von Korinth. Durch den Großvater, selbst ein begeisterter Taucher, war sie schon frühzeitig mit dem Tauchsport in Berührung gekommen. Anfangs war Kathleen nur eine von vielen gewesen, mit denen David flirtete. Aber nach und nach wuchs sein Interesse an ihr. Bei Wochenendausflügen in die Gewässer von Cornwall und Südirland, wo sie das Leben von Fischen und Unterwasserpflanzen studierten und Davids Passion nachgingen, alte Wracks zu erkunden, kamen sie sich näher. Doch Kathleen hatte von ihrer Mutter nicht nur deren rassiges Aussehen geerbt, sondern auch eine etwas altmodische Einstellung zu Liebesbeziehungen. So weigerte sie sich stets, mit David eine Kabine an Bord des alten Fischerbootes zu teilen, das der Klub für diese Ausflüge gekauft hatte. Und dann, eines schönen Tages mitten in ihrem Abschlussjahr, erklärte ihr David plötzlich: „Also gut, du hast gewonnen. Lass uns heiraten." Kathleen hielt das erst für einen Scherz, aber er meinte es ernst. Impulsiv, wie er war, bestellte David noch am gleichen Tag das Aufgebot, und zwei Wochen später waren sie verheiratet. Vier Monate waren sie sehr glücklich gewesen, dann schlug das Schicksal zu. Davids Tod kam völlig unerwartet. Bei Arbeiten unter Wasser wurde David Taylor tödlich verletzt. Lag das wirklich schon fast ein Jahr zurück? Die Zeit war wie im Fluge verstrichen. In den ersten beiden schrecklichen Wochen nach Davids Tod wollte Kathleen nicht mehr weiterleben. Das Leben ohne ihren Mann schien ihr leer und öde. Nur ganz allmählich tauchte sie aus diesem dunklen Loch der Verzweiflung wieder auf, und der Schmerz wurde im Laufe der Zeit erträglicher. 5
Doch dann stieß sie zufällig auf den Artikel eines Magazins, für das David regelmäßig geschrieben hatte, und um ihren mühsam erworbenen Seelenfrieden war es erneut geschehen. Die darin enthaltenen Verleumdungen konnte Kathleen nicht einfach hinnehmen, das war sie David schuldig. Sie musste den Beweis erbringen, dass seine Behauptungen wahr waren. So informierte sie sich kurzerhand aus Davids Aufzeichnungen und allerlei Büchern über die Geschichte der Belle Princesse und setzte nun die langen Sommerferien, den Vorschuss von Mr. Thompson und ihre gesamten Ersparnisse ein, um das Wrack zu finden. Diese Suche würde sehr viel leichter werden, wenn ihr Simon McGregor dabei half. Er war der Kapitän des Bootes, mit dem David das Wrack entdeckt hatte. Es war nicht ganz einfach gewesen, McGregors Adresse ausfindig zu machen. Kathleen hatte ihm vor einigen Wochen geschrieben und sich erkundigt, ob er bereit sei, das Boot wieder zu vermieten. Leider war keine Antwort gekommen. Kathleen konnte sich darauf keinen Reim machen, aber schließlich hatte sie keine rechte Vorstellung von diesem Simon McGregor. Vermutlich war er ein alter Seebär mit grauem Haar, der sich mit dem Schreiben schwer tat. Mit einem kleinen Ruck setzte die Maschine auf. Wenige Minuten später ging Kathleen über die Rollbahn auf das Flughafengebäude zu. Eine sanfte Brise spielte mit ihren dunklen Locken, und sie musste die Sonnenbrille aufsetzen, um die Augen gegen die grelle Vormittagssonne zu schützen. Obwohl sie David noch immer vermisste, fühlte sie sich durch die frische salzhaltige Luft fast ein wenig beschwingt. Die gelöste, freundliche Atmosphäre der Inseln machte sich selbst bei der Zollabfertigung bemerkbar. Mit der sperrigen Tauchausrüstung und Davids kostbarer Unterwasserkamera passierte Kathleen die Kontrollen schneller als erwartet. Die Fahrt nach Nassau führte an malerischen Stränden entlang und war zu keinem Zeitpunkt langweilig. Kathleen hatte in einem der preiswerten Hotels gebucht. Todmüde ging sie sofort auf ihr Zimmer, der Zeitunterschied und die Aufregung forderten ihren Tribut. 6
Bevor sie sich schlafen legen konnte, musste sie noch einen wichtigen Telefonanruf erledigen. Mit Hilfe des freundlichen Fräuleins von der Vermittlung machte sie die Nummer ausfindig. Es dauerte lange, ehe sich eine weibliche Stimme meldete. „Ist Mr. McGregor da?" erkundigte sich Kathleen höflich. „Nein", war die knappe Antwort. „Wer spricht dort?" „Mein Name ist Kathleen Taylor, Mrs. Kathleen Taylor", setzte sie mit Nachdruck hinzu. „Ich habe Mr. McGregor vor einigen Wochen aus England geschrieben. Es geht um eine geschäftliche Sache, die ich mit ihm besprechen möchte." „Ach ja." Die Stimme der jungen Frau klang jetzt etwas freundlicher. „Er ist auf einer Angeltour und wird wohl erst spät zurückkommen. Bei Spanish Wells sind Haie gesehen worden." „Könnte er mich bitte zurückrufen?" fragte Kathleen rasch. „Es ist sehr wichtig." Sie hinterließ die Telefonnummer ihres Hotels und legte auf. Wer mochte die Dame sein? McGregors Frau? Oder vielleicht seine Tochter? Sie zuckte die Schultern und dachte nicht weiter darüber nach. Ohne auszupacken legte sie sich auf das Bett, um vor dem Mittagessen noch etwas zu schlafen. Sie schlief auf der Stelle ein. Als Kathleen erwachte, war es in ihrem Zimmer dunkel. Verwundert schaltete sie die Nachttischlampe ein und blickte auf die Armbanduhr. Sie hatte fast sechs Stunden geschlafen. Doch jetzt fühlte sie sich frisch und unternehmungslustig. Sie rief die Telefonvermittlung des Hotels an und erfuhr, dass sich Mr. McGregor nicht gemeldet hatte. Also ließ sie sich noch einmal mit seinem Anschluss verbinden. Diesmal nahm ein Mann ab. „Mr. McGregor?" fragte Kathleen hoffnungsvoll. „Wer spricht dort?" Die Stimme klang kalt und abweisend. „Kathleen Taylor", antwortete sie. „Ich habe vor einigen Stunden schon einmal angerufen." „Tut mir Leid, aber Mr. McGregor ist nicht da." „Wissen Sie, wann er zurückkommt?" „Nein." 7
„Ich verstehe." Kathleen hatte plötzlich einen Verdacht, ließ sich ihre Gereiztheit aber nicht anmerken. Es hatte keinen Sinn, sich mit dem Mann anzulegen. „Danke. Ich werde es später noch einmal versuchen." Sie legte auf und presste ärgerlich die Lippen zusammen. Dieser McGregor schien so viel zu verdienen, dass er an einem Geschäft mit ihr nicht interessiert war. Trotzdem hätte er ihr das wenigstens mitteilen können. Vielleicht war er aber auch einfach dagegen, eine Frau auf eine Bergungsexpedition mitzunehmen. In alten Wracks lauerten viele Gefahren, wie sie selbst wusste. Aber sie war sich des Risikos bewusst, auf das sie sich da einließ. Kathleen wandte sich von dem Telefonapparat ab. In dem großen Wandspiegel betrachtete sie sich kritisch. Im letzten Jahr hatte sie abgenommen, sie sah jetzt fast ein wenig zerbrechlich aus. Die dunklen Augen wirkten noch größer, ihre Wangenknochen noch ausgeprägter. Einen Augenblick fragte sie sich, ob Mr. McGregor eine so zierliche Person überhaupt auf eine Tauchexpedition mitnehmen würde. Aber sie war hartnäckig und würde sich nicht abweisen lassen. Plötzlich merkte Kathleen, dass sie hungrig war. Rasch packte sie die Reisetasche aus, duschte und schlüpfte danach in einen lässigen, steinfarbenen Overall. Um die Taille schnallte sie einen schwarzen Gürtel, was ihre Figur vorteilhaft betonte. Dazu trug sie hochhackige Sandaletten. Als sie im Restaurant Platz nahm, folgten ihr bewundernde Blicke. Kathleen bestellte ein Haifischsteak vom Grill und zum Dessert einen sündhaft kalorienreichen Guavenpudding mit Rumsauce. Die würzige Inselluft hatte ihren Appetit unglaublich gesteigert. Es war fast zehn, als sie das Essen beendete. Im Hintergrund spielte eine Band rhythmisch-einschmeichelnde Reggae-Musik. In der Halle blieb sie vor dem Telefon stehen und überlegte. Sie war sicher, dass sie zu Beginn des Abends Mr. McGregor persönlich am Apparat gehabt hatte. Mit einem erneuten Anruf würde sie bei ihm kaum weiterkommen. Es war klüger, ihn einfach aufzusuchen. Zu dieser Zeit würde er bestimmt nicht mit ihr rechnen. 8
Kathleen war nicht unbedingt erpicht darauf, nachts durch eine fremde Stadt zu wandern, aber auf diese Weise würde sie den Mann am schnellsten treffen. Nach kurzem Zögern eilte sie in ihr Zimmer, um ihre Jacke und eine Karte von Nassau zu holen. Die Hauptstadt der Bahamas pulsierte vor Leben. Eine schillernde Flitterwelt, die nur aus Bars und Nachtklubs zu bestehen schien, tat sich vor Kathleen auf. Die Luft war immer noch angenehm warm. Deshalb trug Kathleen die Jacke nur über dem Arm, während sie sich einen Weg durch die träge dahinströmende Menge bahnte. Reggae-, Calypso- und Jazzrhythmen ertönten aus den Gebäuden entlang der Bay Street und vermischten sich mit dem Hufgeklapper von Ponys, die hübsche, mit Touristen besetzte Kutschen zogen. Dazwischen ertönten das ärgerliche Hupen und die Motorgeräusche von Autos, die im dichten Verkehr stecken geblieben waren. Kathleen fand die Adresse schnell. Das Haus lag in der Nähe des Hafens. Doch als sie näher kam, zögerte sie. Die Tür, zu der zwei Stufen nach unten führten, machte einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck. Über dem Eingang blitzte die kitschige rotgoldene Neonreklame einer Biermarke. Sie blickte sich nach einer anderen Tür um, entdeckte jedoch keine. Während sie noch unschlüssig auf dem Gehsteig stand, ging die Tür auf, und zwei Matrosen torkelten heraus. Kathleen trat rasch zurück, aber die beiden hatten sie bereits gesehen und grinsten sie betrunken an. „Hallo, Baby, so spät noch unterwegs? Hat dein Freund dich versetzt? Warum kommst du nicht auf einen Drink mit uns, he?" grölte einer der beiden. „Nein, danke", antwortete sie kühl, „ich suche jemanden." „Wen denn, Schätzchen?" erkundigte sich der andere umgänglich. Er schien etwas nüchterner zu sein als sein Zechkumpan. „Simon McGregor", antwortete Kathleen. „Er soll hier wohnen." Der Erste blickte sie aus glasigen Augen an. „Was hat der gute Simon denn wieder auf dem Kerbholz? Hat er Sie in Schwierigkeiten gebracht?" Kathleen sah ihn schockiert an, doch der andere knuffte seinen 9
Freund in die Seite, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Klar wohnt der hier", versicherte er. „Kommen Sie, Sie wollen doch wohl nicht allein da reingehen?" Er trat höflich zur Seite, aber Kathleen war immer noch unsicher. Eine Matrosenkneipe war eigentlich nicht nach ihrem Geschmack. Dennoch war sie entschlossen, McGregor zu sprechen. Und was konnte ihr schon passieren? Also fasste sie sich ein Herz und ging die Stufen hinunter. Die beiden Matrosen folgten ihr. Kaum hatte Kathleen den Raum betreten, bereute sie ihren Wagemut auch schon. Sie befand sich in einem halbdunklen, verräucherten Keller, in dem es laut und geschäftig zuging. Die wenigen Frauen, die sie entdeckte, sahen ebenso zweifelhaft aus wie die anwesenden Männer. Sie spürte, wie sie lüstern gemustert wurde, und fühlte sich wie in einer Falle. Doch zum Umkehren war es zu spät. Jetzt durfte sie auf keinen Fall Furcht zeigen. Der weniger angetrunkene Matrose ergriff ihren Arm und zog sie an die Bar. „He, Maxie!" rief er über den Tresen. „Wo ist denn der gute Simon?" Eine attraktive, stark geschminkte Blondine in einem tief ausgeschnittenen Kleid drehte sich um. „Er pokert dort drüben mit Sharps und Banadol", erwiderte sie und stellte ein Glas mit schäumendem Bier vor einen Gast. Kathleen erkannte die Stimme. Sie gehörte der Frau, mit der sie am Vormittag gesprochen hatte. „Ich habe Sie heute Morgen angerufen", sagte Kathleen rasch. „Mein Name ist Kathleen Taylor." „Ach ja." Die Blondine lächelte und streckte Kathleen die Hand mit den knallrot lackierten Fingernägeln hin. „Hallo, ich bin Maxie. Ich habe ihm Ihre Nachricht bestellt. Hat er Sie nicht zurückgerufen?" Maxie schüttelte den Kopf. „Typisch Simon! Nun, dann geschieht es ihm recht, wenn Sie ihn abfangen. Er spielt dort drüben Karten." Sie deutete auf eine Runde von sechs Männern an einem Tisch, der mit Karten und Geld übersät war. Der Lärm und das Geschiebe um sie herum schien die Gruppe überhaupt nicht zu stören. Kathleen bedankte sich bei Maxie und dem Matrosen und ging tapfer auf die Männer zu. Eines war ihr aufgefallen: Die Erwähnung des Namens 10
McGregor hatte eine erstaunliche Wirkung. Viele der Anwesenden beobachteten sie jetzt mit unverhohlenem Interesse. Die Männer an dem Kartentisch nahmen zunächst keinerlei Notiz von Kathleen. Sie musste sich deshalb laut bemerkbar machen. „Ich suche Simon McGregor", erklärte sie bestimmt. Ihrer Erklärung folgte gespanntes Schweigen. Die Kartenspieler blickten auf, als ob Kathleen ein Sakrileg gebrochen hätte. Besonders einer mit kühlen blauen Augen musterte sie durchdringend. In der schummerigen Beleuchtung erkannte sie ein markantes, wettergegerbtes Gesicht mit einem energischen Mund. Der Mann hatte dichtes sonnengebleichtes Haar und an der linken Schläfe eine kleine Narbe. Er mochte ungefähr fünfunddreißig Jahre alt sein. „Ich bin Simon McGregor." Seine Stimme klang hart. „Kathleen Taylor", stellte sie sich ruhig vor. Sie würde sich von diesem Mann nicht einschüchtern lassen. „Ich habe Ihnen geschrieben." „Ja, das haben Sie", antwortete er gelangweilt. „Und ich habe Sie auch angerufen", setzte sie frostig hinzu. „Ihre ... äh ... Maxie sagt, Sie hätte Ihnen meine Mitteilung ausgerichtet." „Und ich dachte, Sie hätten inzwischen verstanden, Mrs. Taylor", erwiderte McGregor ironisch. Er wandte sich wieder dem Kartenspiel zu und warf zwei zerknitterte Banknoten auf den Haufen in der Mitte des Tisches. „Ich erhöhe um zwanzig." „Mr. McGregor", stieß Kathleen schneidend hervor, „wenn Ihr Boot ausgebucht ist, verstehe ich das. Dann könnten Sie mir das wenigstens der Höflichkeit halber mitteilen. Wenn Sie jedoch noch frei sind, möchte ich Sie mieten." Einer der Männer brach in raues Gelächter aus. „He, Simon! Wetten, dass du so ein Angebot nicht alle Tage bekommst?" McGregors Blick wurde noch um eine Schattierung kälter. „Ich bin nicht zu mieten, Mrs. Taylor." „Und warum nicht?" Er setzte sich auf und unterzog Kathleen einer ungenierten Musterung. Kathleen spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Stolz hob sie den Kopf und hielt McGregors Blick stand. 11
Simon McGregor verzog spöttisch die Mundwinkel. „Ich wüsste sehr viel Interessanteres mit Ihnen anzufangen, als Sie an die Haie zu verfüttern", erklärte er. „Ich habe nicht die Absicht, den Haien als Fraß zu dienen", erwiderte sie scharf. „Zu Ihrer Information, ich bin eine erfahrene Taucherin." Sie sah, wie er zweifelnd eine Braue hochzog. „Wie ich Ihnen bereits schrieb, habe ich meinem Mann bei verschiedenen Bergungsarbeiten geholfen, ehe er umkam", setzte sie energisch hinzu. „Das ist nicht gerade eine Empfehlung", bemerkte er abweisend und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Karten zu. „Mein Mann gehörte zu den besten Bergungsexperten der Welt", erwiderte Kathleen hitzig. „Und ich habe die Absicht, das zu beweisen." „Und dabei soll ich Ihnen helfen?" fragte McGregor. „Ja." Kathleen kochte innerlich vor Wut. „Obwohl es mir schwer fallen wird, mich an Zweitklassiges zu gewöhnen", setzte sie abschätzig hinzu. Gespannt wartete sie auf die Reaktion. Die Männerrunde brach in dröhnendes Gelächter aus. Simon McGregor ignorierte es. Ruhig deckte er seine Karten auf und zog den Geldhaufen unter dem Protest der anderen Spieler an sich. „Nun, Mrs. Taylor", sagte er und stopfte den Gewinn lässig in die Taschen seiner verwaschenen Jeans, „Sie haben mir ein Angebot gemacht, aber ich habe kein Interesse. Und jetzt bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als Sie zu Ihrem Hotel zurückzubegleiten." Er erhob sich, trat auf sie zu und ergriff ihren Arm. Kathleen blickte zu ihm auf. Simon McGregor überragte sie um einen Kopf und strahlte Kraft aus. Der dicke weiße Pullover unterstrich die eindrucksvolle Breite seiner Schultern, und sie musste sich eingestehen, dass er ein blendend aussehender Mann war. „Das ist nicht notwendig, Mr. McGregor", erwiderte sie kühl. „Ich bin durchaus in der Lage, auf mich selbst aufzupassen." Er lächelte ironisch. „Schauen Sie sich doch einmal um, Mrs. Taylor", erklärte er trocken. „Hier sind Sie nicht in einem Ihrer hübschen kleinen englischen Badeorte. „Wenn Ihre Leiche morgen früh im 12
Hafen schwimmt, könnte mir das Gewissen schlagen, weil Sie meinetwegen hergekommen sind." Kathleen blieb nichts anders übrig, als sich von Simon McGregor durch die Menge führen zu lassen. Dennoch konnte sie sich eine spitze Bemerkung nicht verkneifen. „So viel unerwartete Galanterie", stellte sie süßlich fest, als sie auf die Straße hinaustraten. „Und so unverdient", gab er prompt zurück. „Sagen Sie mal, Mrs. Taylor, verfolgen Sie fremde Männer öfter bis in fragwürdige Hafenkneipen?" „Nur, wenn sie mir aus dem Wege gehen." „Sie leben gefährlich." „Nein. Ich bin nur eine Frau, die nicht gleich aufgibt." „Was auf dasselbe hinauslaufen kann", konterte McGregor sofort. „Darf ich aus reiner Neugier fragen, warum Sie so erpicht darauf sind, die Belle Princesse nach all den Jahren aufzuspüren?" Kathleen blieb mitten auf der Straße stehen. „Es gibt sie also!" rief sie triumphierend. „Sicher gibt es das Schiff", bestätigte McGregor und zog Kathleen mit sich, als ein Taxifahrer ihretwegen hart auf die Bremse treten musste. „Haben Sie daran gezweifelt?" „Nein, natürlich nicht!" erwiderte sie rasch. „Es ist nur ... können Sie die Belle Princesse finden?" Er zuckte gleichgültig die Schultern. „Vielleicht, vielleicht auch nicht", meinte er ausweichend. „Sie liegt irgendwo und ist fast bis zur Unkenntlichkeit mit Korallen überwachsen. Nein, ich meine, es gibt kaum eine Chance, sie wieder zu finden." Kathleen sah ihn beschwörend an. „Aber Sie könnten es doch wenigstens versuchen", bat sie. Sein Blick war eiskalt. „Sicher könnte ich das, aber ich will nicht", erklärte er bestimmt. „Vergessen Sie das Ganze, Mrs. Taylor. Kehren Sie nach England zurück und spielen Sie mit Ihren Muscheln oder was immer ihr Meeresbiologen tut." „Ich denke nicht daran!" entgegnete sie wütend. „Wenn Sie mir nicht helfen, werde ich eben jemand anderen finden, der dazu bereit ist!" „Und wie?" 13
„Ich chartere mir ein anderes Boot. Ich höre mich so lange um, bis ich das Richtige gefunden habe." „Das könnte Monate dauern", gab McGregor zu bedenken. „Das ist mir gleichgültig", erwiderte sie heftig. „Ich bleibe hier, bis meine Ersparnisse aufgebraucht sind. Dann suche ich mir eine Arbeit, wenn es sein muss. Ich werde das Wrack finden, Mr. McGregor, dessen können Sie sicher sein!" Er blickte sie gereizt an. „Sie sind eine unmögliche Person, Mrs. Taylor! Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als Ihnen doch zu helfen. Schließlich kann ich nicht ruhig zusehen, wie Sie ins Verderben laufen. Bei mir sind Sie wenigstens verhältnismäßig sicher aufgehoben." „Sicher?" wiederholte sie sarkastisch. „Ja. Und ich beziehe mich nicht nur aufs Tauchen. Schließlich muss ich auf meinen Ruf achten. Wenn meine Leute Sie nachts stöhnen hören würden, könnten mir das einige übel nehmen." Die Anspielung trieb Kathleen das Blut ins Gesicht. An Komplikationen dieser Art hatte sie noch gar nicht gedacht. Am liebsten hätte sie diesen McGregor zum Teufel geschickt, aber das konnte sie sich nicht leisten. Trotz der kühnen Behauptung hätte sie sich ein Boot nur für kurze Zeit chartern können, denn im September musste sie ihre Arbeit als Lehrerin aufnehmen. Ohne McGregors Hilfe war die Chance, die Belle Princesse zu finden, gleich null. So wenig dieser Mann ihr gefiel, sie musste seine Gesellschaft für einige Wochen ertragen. Schließlich tat sie das alles für David. Also unterdrückte Kathleen die Verärgerung. „Danke. Wann können wir lossegeln?" „Sagen wir übermorgen? Zehn Uhr? Und da Sie ja eine so tüchtige kleine Detektivin sind, werden Sie mein Boot bestimmt finden." Sie hatten den bevölkerten Rawson Square erreicht, und Kathleen war jetzt nur noch wenige Schritte von ihrem Hotel entfernt. Sie streckte ihm förmlich die Hand hin. „Einverstanden, bis übermorgen. Gute Nacht, Mr. McGregor." „Gute Nacht, Mrs. Taylor." Er drückte ihre Hand kurz, dann ver14
schwand er in der Menge. Kathleen blickte ihm einen Augenblick zweifelnd nach. Ließ sie sich nicht auf ein zu großes Risiko ein, wenn sie mit diesem Mann lossegelte? Sie zuckte die Schultern und schlenderte nachdenklich zum Hotel hinüber.
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2. KAPITEL
Pünktlich um zehn stieg Kathleen aus dem Taxi, das sie für die kurze Strecke vom Hotel genommen hatte. „Guten Morgen, Mr. McGregor. Genau das richtige Segelwetter", fügte sie unverbindlich hinzu. Sie trug Jeans und ein gelbes T-Shirt und war entschlossen, sich Simon McGregor gegenüber kühl und sachlich zu geben. „Guten Morgen, Mrs. Taylor." Er nahm ihr die schwere Ausrüstung ab und ging über den belebten Kai zur Anlegestelle seines Schiffes, der „Barracuda". Kathleen war überrascht. Sie hatte ein Fischerboot erwartet und nicht eine große weiße Luxusyacht von gut siebzehn Metern Länge. Ein junger Einheimischer wartete bereits, um ihr an Bord zu helfen. „Das ist Josh", stellte Simon ihn vor. „Er kümmert sich um die Küche oder die Tauchgerätschaften und ist so eine Art Mädchen für alles." Der Junge strahlte Kathleen an und half ihr über das kurze Fallreep auf das Schiff. „Willkommen an Bord, Mrs. Taylor", sagte er mit weichem Akzent. „Danke, Josh", erwiderte Kathleen lächelnd. „Joshs Vater Joshua kümmert sich um das Schiff", setzte Simon hinzu. „Ich würde Ihnen raten, ihm möglichst aus dem Weg zu gehen. Er ist von Ihrem abenteuerlichen Vorhaben noch weniger begeistert als ich." Kathleen lag eine spitze Antwort auf der Zunge, doch sie beherrschte sich. Verstohlen betrachtete sie Simon. Er trug heute eine makellos weiße Hose und ein frisches weißes Hemd, dessen aufgerollte Ärmel kräftige, gebräunte Arme sehen ließen. Wer wäscht und bügelt wohl für ihn? überlegte Kathleen. Etwa Maxie, die Barfrau aus der Kneipe? „Josh wird die Gerätschaften verstauen", fuhr Simon fort und stellte ihr Gepäck auf dem Achterdeck ab. „Ich führe Sie ein wenig herum, ehe wir ablegen." Über eine kleine Treppe gelangten sie in den Salon, eine gemütli16
che, luftige Kabine mit polierten Teakholzwänden und ansprechenden braunbeige gestreiften Polstern. In einer Ecke waren Fernseher und Musikanlage installiert, und der Barschrank enthielt eine reichhaltige Auswahl an Getränken. „Wie Sie sehen, haben wir hier viel Platz", meinte Simon viel sagend. „Da werden wir in freien Stunden nicht zu nah aufeinander sitzen." Bei der Vorstellung, in nächster Zeit ständig mit ihm zusammen zu sein, begann Kathleens Herz unruhig zu schlagen. Sie war sich der Wirkung, die Simon auf sie hatte, durchaus bewusst. Simon hatte sich abgewandt und ging nach vorn. Dabei duckte er sich automatisch unter dem niedrigen Deckenbalken. Kathleen folgte ihm über weitere Stufen zu den Bugkabinen. „Hier unten sind die Mannschaftskabine und die Kombüse", erklärte er. Die Bordküche war hell und mit allem technischen Komfort ausgestattet. Selbst einen Mikrowellenherd entdeckte Kathleen. „Gäste brauchen natürlich nicht zu kochen", fuhr Simon fort. „Das übernimmt Josh. Er ist ein fabelhafter Koch. Aber wenn Sie zwischendurch Appetit auf Kaffee oder einen Imbiss verspüren sollten, bedienen Sie sich einfach selbst." Kathleen nickte. „Die Mannschaftskajüte." Er deutete kurz auf eine Kabine an der Hafenseite und öffnete dann die letzte Tür. „Mein Reich." Kathleen erhaschte einen Blick auf zimtfarbene Wildlederpolster und ein breites ovales Bett. Betreten wandte sie sich ab. Dieser Simon McGregor war kein gewöhnlicher Fischer! „Ihre Kabine ist achtern." Er ließ sie auf dem Rückweg durch den Salon vorangehen. Kathleens Schlafstätte lag noch einige Stufen tiefer. Die Kabine wirkte geräumig und hell. Auf jeder Seite befand sich eine Koje, und in den Schränken und Fächern gab es reichlich Platz. »Hier sind Sie ganz unabhängig", erklärte Simon und zeigte ihr ein sauberes kleines Bad mit einer Duschzelle. „Und jetzt lasse ich Sie erst mal allein, damit Sie auspacken können." Kathleen drehte sich um. „Mr. McGregor", setzte sie entschlossen 17
an, „ehe wir losfahren, sollte ich besser eines klarstellen. Ich hatte nur mit dem normalen Charterpreis gerechnet." „Natürlich." Simon lächelte belustigt. „Ich kann doch schließlich nicht erwarten, dass Sie für Zweitklassiges mehr bezahlen." Ihre Bemerkung hatte ihn also doch getroffen! „Zweitklassig würde ich dieses Schiff nun wirklich nicht nennen", stellte sie trocken fest. „Ach, wirklich nicht?" Simon wandte sich schmunzelnd ab und ging in den Salon zurück. Kathleen blickte sich in der kleinen Kabine um. Die Decke war etwas niedrig, aber an der Seite waren zwei Bullaugen. Die Kojen sahen einladend aus. Sie entschied, in welcher sie schlafen wollte, und legte ihren Leinensack auf das andere Bett, um die wenigen Sachen auszupacken. Sie hatte fast ausschließlich praktische Kleidung mitgebracht, bis auf den Overall und ein schwarzes Wickelkleid mit spitzem Ausschnitt. Kathleen hatte es eigentlich nur mitgenommen, weil es knitterfrei war und kaum Platz wegnahm. David hatte es ihr wenige Wochen nach der Hochzeit in Nizza gekauft, wo sie etwas verspätet ihre Flitterwochen nachholten. Traurig kramte Kathleen das kleine silbergerahmte Foto von David hervor, das seinen festen Platz auf ihrem Nachttisch hatte. Sie stellte es auf die Eckablage der Koje neben den Reisewecker. Es war ein Schnappschuss, den sie selbst gemacht hatte. David lächelte in die Kamera, und sein rotblondes Haar war vom Wind zerzaust. Es kam ihr vor, als sei es erst gestern gewesen ... Kathleen seufzte leise und wandte sich wieder dem Auspacken zu. Nachdem sie damit fertig war, ging sie aufs Achterdeck, wo der alte Joshua die Vorbereitungen zum Ablegen traf. Sie lächelte ihn freundlich an, aber seine Miene blieb ausdruckslos. Sobald das Schiff Fahrt aufgenommen hatte, verschwand er wortlos unter Deck. In der schmalen Meerenge zwischen Nassau und Paradise Island ging es geräuschvoll zu. Die Fischerboote der Einheimischen tänzelten zwischen Luxusyachten und Mietbooten umher. Die Barracuda glitt majestätisch dahin. Kathleen sah fasziniert zu, wie die grauen Kaimauern von Fort Charlotte an der Backbordseite vorbeizogen. 18
Dahinter wand sich unter Schatten spendenden Palmen und Sapotillbäumen eine Straße dahin, die an Luxushotels und weißen Sandstränden vorbeiführte. Die Barracuda fuhr mit gemächlichen fünfzehn Knoten. Kathleen blickte zu Simon hinauf, der auf der Schiffsbrücke am Steuer saß. Er trug jetzt eine weiße Schirmmütze, die er zum Schutz der Augen tief ins Gesicht gezogen hatte, und steuerte mit einer Hand. Dennoch strahlte er Kraft und Energie aus, und sein athletischer Körper ließ darauf schließen, dass er schwierigen Situationen gewachsen war. „Kaffee, Mrs. Taylor?" Josh stand am Saloneingang und strahlte sie wieder an. „Gern." Kathleen lächelte zurück. „Nennen Sie mich doch bitte Kathleen." Der Junge nickte erfreut. „Mit Milch und Zucker?" „Nur Milch, keinen Zucker." „Gut. Ich hoffe, dass Ihnen unser Essen schmeckt, Mrs. Kathleen. Wir haben reichlich Vorräte, und ich koche gern", sagte er eifrig. Kathleen lachte. „Das höre ich gern. Beim Tauchen entwickle ich nämlich immer großen Appetit." Josh blickte zufrieden drein. „Das wird bestimmt eine tolle Fahrt", meinte er zuversichtlich. „Der Kapitän ist für die Taucharbeiten zuständig, ich für das Essen und mein Vater für das Schiff. Und Sie passen gut auf sich auf", setzte er ernst hinzu. „Gehen Sie bei dem alten Wrack bloß kein Risiko ein. Es liegt schon viele Jahre dort unten." „Keine Sorge, Josh", versicherte Kathleen heiter. „Ich habe nicht die Absicht, mich in Gefahr zu begeben." „Das freut mich", mischte sich Simon ein und kam von der Schiffsbrücke herunter. „Das Letzte, was wir bei einem gefährlichen Wrack wie der Belle Princesse gebrauchen können, sind leichtsinnige Amateure." „Keine Sorge, Mr. McGregor", erwiderte Kathleen kühl. „Ich weiß, was ich tue." „Hoffentlich. Und jetzt erzählen Sie mir erst einmal, was Sie „Die Belle Princesse war eine Zweimastbrigg und wurde auf Tortuga ge19
baut", begann Kathleen. „Ihr Kapitän war Philippe de Mercourt, einer der berüchtigtsten Piraten der Bahamas. Sein Schiff wurde 1718 von den Engländern versenkt, was aber geheim gehalten wurde, weil er eine ganze Reihe von Kontakten zu wichtigen Leuten in Frankreich hatte und die Nachricht diplomatische Verwicklungen hervorgerufen hätte. Deshalb wurde das Gerücht verbreitet, Mercourt sei an der Pest gestorben und sein Schiff verbrannt worden, um Ansteckungen zu vermeiden", schloss sie. „Stimmt", lobte Simon. „Aber was wissen Sie über das Wrack selbst?" „Nur, dass es auf der Leeseite eines halbmondförmigen Riffs liegt. Ich habe die ungefähren Koordinaten. Es liegt etwa fünfzehn Meter tief und ist stark mit Korallen überwachsen." „Richtig", sagte Simon. „Und wissen Sie auch, wie viele halbmondförmige Riffe es in diesem Gebiet gibt?" „Ich ... ich glaube, ziemlich viele", antwortete sie unsicher. „Hunderte." Er winkte ihr zu. „Kommen Sie mit, und schauen Sie sich die Karte an." Kathleen folgte Simon in den Salon. Sein abschätziger Ton ärgerte sie. Er duckte sich wieder unter dem Deckenbalken hindurch und nahm vom Navigationstisch eine Karte auf. Der alte Joshua hatte jetzt das Steuer übernommen. Kathleen blickte prüfend zu ihm hinauf. Er schien noch immer entschlossen zu sein, ihre Anwesenheit zu ignorieren. Sie konnte seine Missbilligung fast körperlich spüren. Simon breitete die Karte auf dem Esstisch aus, als Josh mit dem Kaffee aus der Kombüse kam. „So, Mrs. Kathleen. Ich hoffe, er ist nach Ihrem Geschmack." Josh wartete gespannt, während sie daran nippte. „Wunderbar. Danke, Josh." Sie lächelte anerkennend. Er nickte glücklich und zog sich in sein Reich zurück. Kathleen beugte sich über die Karte und blickte auf Simons Finger, der die schicksalhafte letzte Reise der Belle Princesse verfolgte. „Die Hochburg der Piraten war Nassau", begann Simon. „Damals war der Ort nur eine Ansammlung von Hütten, die sich die Piraten aus Treib20
holz, Palmen und Segeltuch gebaut hatten. 1718 begann sich das Ganze jedoch bereits wieder aufzulösen. Die reichen Fänge wurden anderswo gemacht. Als Woodes Rogers mit einer Bevollmächtigung der Krone aus England zurückkehrte und ein Amnestieangebot verlas, schlugen sich viele der alten Kumpane auf seine Seite. Andere jedoch kämpften sich unter Führung von Charles Vane und Philippe de Mercourt den Weg aus dem Hafen frei und entkamen." Simon umkreiste mit dem Zeigefinger eine bestimmte Stelle auf der Karte. „Rogers beauftragte einige der ehemaligen Piraten mit der Verfolgung der Abtrünnigen. Sie stießen hier draußen in der Nähe von Highbourne Cay auf de Mercourt und verfolgten ihn in Richtung Süden. Möglicherweise hat er versucht, Haiti zu erreichen. Auf jeden Fall hatte er plötzlich Hornigolds Kanonen im Rücken und die Korallenbänke hier, südlich von Andros, vor sich. Sie sind von schiffbaren Rinnen durchzogen, und er muss versucht haben, Hornigolds Flotte ein Schnippchen zu schlagen und sich hindurchzuschlängeln. Doch er hat es nicht geschafft. Die Korallen rissen den Rumpf des Schiffes auf, es sank wie ein Stein. De Mercourt kam ums Leben und mit ihm die meisten seiner Besatzung. Die Verfolger fischten nur wenige Überlebende auf." Kathleen sah Simon erstaunt an. „Woher wissen Sie das alles?" „Einer meiner Vorfahren, Robert McGregor, war Kapitän eines der Schiffe von Hornigolds Flotte", erwiderte er gleichmütig. „Die Geschichte wurde in unserer Familie von einer Generation zur anderen überliefert." „Und warum haben Sie das noch niemandem erzählt?" Simon zuckte die Schultern. „Es hat mich niemand danach gefragt." „Aber diese Geschichte ist möglicherweise der Schlüssel zu wichtigen Entdeckungen!" rief Kathleen. „Das wohl kaum. Dort gibt es nichts mehr zu bergen ... nur verrottete Holzbalken, die mit Tonnen von Korallen überzogen sind." „Das nehme ich Ihnen nicht ab", protestierte sie erregt. „Seit die Belle Princesse gesunken ist, hat es alle möglichen Spekulationen über sie gegeben." 21
„Spekulationen", antwortete Simon lakonisch, „interessieren mich nicht weiter. Es gibt hier in der Gegend Hunderte von Wracks, und jedes Jahr kommen einige Narren beim Tauchen ums Leben. Die Belle Princesse wäre nur ein weiterer Friedhof. Wenn es nach mir ginge, könnten all die Schiffe für immer verschollen bleiben." Kathleen blickte ihn verunsichert an. „Vielleicht haben Sie Recht", sagte sie langsam. Aus dieser Sicht hatte sie die Sache noch gar nicht betrachtet. Für David war ein Wrack eine Herausforderung gewesen, der er sich stellen musste, ganz gleich um welchen Preis. Simon lachte bitter auf. „Trotzdem wollen Sie die Belle Princesse offenbar um jeden Preis weitersuchen." Kathleen seufzte. „Ich möchte sie finden, um zu beweisen, dass David die Wahrheit gesagt hat." Simon lehnte sich zurück und musterte Kathleen einen Augenblick kühl. „Also gut", meinte er resignierend, „aber vorher werden wir die Spielregeln festlegen. Wir tauchen nur, wenn ich das für richtig halte, und wir tauchen auf, wenn ich es sage. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?" Sie sah ihn fragend an. „Sie wollen mit mir tauchen?" „Sie erwarten doch nicht etwa, dass ich Sie allein losziehen lasse?" „Nun, ich ..." „Das ist im Charterpreis Inbegriffen", versicherte er spöttisch. „Es wirkt sich schlecht auf das Geschäft aus, wenn ein Kunde umkommt." „Ich verstehe", antwortete Kathleen betroffen. „Nun, in diesem Fall... danke, Mr. McGregor. Sie bieten wirklich einen umfassenden Service." „Der Kunde ist König", erwiderte er trocken. „Und noch etwas. Wir werden in ziemlich gefährlichen Gewässern tauchen. Finden Sie nicht, dass wir unsere Beziehung unter diesen Umständen freundlicher gestalten sollten? Ein bisschen gegenseitiges Vertrauen könnte uns beiden unter Umständen helfen, dieses verrückte Unternehmen zu überleben." „Aber natürlich, Mr. McGregor", antwortete Kathleen würdevoll. „Ich muss zugeben, dass ich mich über Ihre rüde Art gestern sehr 22
geärgert habe. Aber das will ich gern vergessen." Er lächelte nachsichtig. „Gut. Wie wär's, wenn wir damit anfangen, indem wir uns duzen? Ich heiße Simon." Er lächelte so jungenhaft, dass Kathleen einen Augenblick nichts erwidern konnte. „Simon ...", brachte sie endlich hervor, „wie lange wird es dauern, bis wir an Ort und Stelle sind?" „Wir dürften am späten Nachmittag dort sein", erklärte er. „Vor der Hauptinsel gehen wir vor Anker und tauchen morgen, um uns die Korallenbank einmal aus der Nähe anzusehen." „Du weißt also nicht genau, wo das Wrack liegt?" „In einem Umkreis von wenigen hundert Metern", erwiderte er gelassen. „Aber zwischen den Korallenriffen kann das gleichbedeutend mit siebzig Kilometern sein. Es wird jedenfalls nicht einfach sein, das Wrack zu finden." „Das habe ich erwartet", antwortete Kathleen ruhig. „Schließlich ist das nicht meine erste Tauchexpedition." Simon trank einen Schluck Kaffee und betrachtete sie nachdenklich. „Wie lange tauchst du schon?" „Seit meiner Kindheit." Er zog leicht die Brauen hoch. „So? David hat es dir also nicht beigebracht?" Wieder hatte in seiner Stimme leise Abneigung mitgeklungen. Kathleen blickte ihn forschend an. „Nein. Übrigens hat er nie von dir gesprochen", bemerkte sie vorsichtig. „Kanntest du ihn eigentlich gut?" „Nicht besonders." Simon machte sich daran, die Karte zusammenzufalten. „Wie stellst du dir die Bergung des Wracks vor, wenn wir es finden?" „Also, richtig bergen werde ich es wohl kaum können. Ich hoffe nur, einige Aufnahmen zu machen, Messungen vorzunehmen und vielleicht das eine oder andere Fundstück mit heraufzubringen, wenn ich Glück habe." Wieder nahm Simons Miene einen spöttischen Ausdruck an. „Ist dir das die Sache wirklich wert? Du setzt dein Leben aufs Spiel, um ein altes Wrack zu finden, das wahrscheinlich nicht einmal ein Dut23
zend Leute interessiert." „Natürlich ist es mir das wert", beharrte Kathleen. „Die Entdeckung der Belle Princesse war Davids größter Erfolg. Und den lasse ich ihm von niemandem streitig machen." Simon lächelte verächtlich. „Also gut, an die Arbeit! Du kämpfst ja für die Ehrenrettung des großen David Taylor." Der Sarkasmus in seiner Stimme brachte Kathleen in Rage. „Er braucht mich nicht für seine Ehrenrettung!" entgegnete sie heftig. „Sein Ruf war über jeden Zweifel erhaben!" „Davon scheinst du wirklich überzeugt zu sein", überlegte Simon laut. „In deinen Augen konnte er wohl keine Fehler machen." „Genau! Er war ein außergewöhnlicher Mann!" Mit Blicken kämpften sie einen stummen Kampf. Dann stand Simon unvermittelt auf. „Erhol dich noch, solange du es kannst. Auf der Schiffsbrücke bist du niemandem im Weg." Auf eine so plötzliche Beendigung ihres Gesprächs war Kathleen nicht vorbereitet. Sie wollte etwas erwidern, doch Simon war bereits die Treppe zur Kombüse hinuntergegangen. Gereizt erhob sie sich ebenfalls und betrat das Achterdeck. Nachdenklich starrte sie in die silbrige Gischt des Kielwassers. Seltsam, dass David nie von Simon McGregor gesprochen hatte ... Dabei war Simon ein beeindruckender Mann, selbst wenn man ihn nicht näher kannte. Wie mochte er zu einer so luxuriösen Yacht wie der Barracuda gekommen sein? Das Chartergeschäft in Nassau schien ausgezeichnet zu laufen. Oder hatte er das Schiff vielleicht beim Kartenspielen gewonnen? Kathleen verdrängte die Überlegungen und kletterte zur Schiffsbrücke hinauf. Dort entkleidete sie sich bis auf den Bikini und legte sich in die Sonne. Der Nachmittag wurde Kathleen lang, weil sie es nicht gewohnt war, tatenlos herumzusitzen. Als sie Josh auf dem Achterdeck den Tisch für das Mittagessen richten hörte, schlüpfte sie wieder in ihre Sachen und stieg nach unten. Steuerbords wurde eine Küste sichtbar, die mit dichten Mangrovenwäldern bewachsen war. Entlang der Küste verriet ein Streifen 24
flimmernden grünen Wassers, dass dort ein Korallenriff sein musste. Das Meer war von einem tiefen, majestätischen Blau, und das Schiff hob und senkte sich rhythmisch mit den Wellen. „Wo sind wir hier, Josh?" fragte Kathleen. „In der ,Zunge des Ozeans'", erwiderte der Junge. „Hier ist es sehr tief, stellenweise sogar über dreitausend Meter." „Das ist wirklich tief!" meinte sie beeindruckt. „Ist das dort drüben die Insel Andros?" „Ja, Mrs. Kathleen. Aber dorthin sollten Sie lieber nicht gehen." Josh senkte verschwörerisch die Stimme. „Auf der Insel ist es nicht geheuer." Kathleen blickte zu dem Eiland hinüber. Es hatte etwas Geheimnisvolles an sich, das Joshs Aberglauben irgendwie verständlich machte. „Ach, Josh, das ist doch Unsinn", widersprach sie. „Warum sollte es auf der Insel denn nicht geheuer sein?" „Chickcharnies", flüsterte er. „Chickcharnies? Was ist denn das?" „Das sind Wesen mit drei Zehen und roten Augen. Sie hängen an den Schwänzen in den Bäumen", flüsterte Josh. Kathleen musste lachten, doch er hielt ihre Reaktion offenbar für gänzlich unangebracht. „Wenn Sie über einen Chickcharnie lachen, dreht er Ihnen den Hals um." Kathleen blickte ihn amüsiert an. „Glaubst du an sie?" „Aber natürlich." Josh kam mit klauenförmig ausgestreckten Fingern grinsend auf sie zu. „Meine Mutter hat mir von ihnen erzählt, als ich noch klein war." Kathleen wich ihm lachend aus. Sie hielt die Luft an, als sie plötzlich mit einem harten Körper zusammenstieß und fast hingefallen wäre, wenn Simon sie nicht aufgefangen hätte. „Auf einem Schiff solltest du lieber nicht so herumhopsen", warnte er. „Sonst könnte es leicht geschehen, dass du über Bord gehst." „Ich ... Josh hat mir nur gerade von den Chickcharnies erzählt." Die unerwartete Berührung hatte Kathleen durcheinander gebracht, doch 25
Simon schien davon nichts zu bemerken. „Eher könntest du hier die Bekanntschaft eines russischen Unterseebootes machen", erwiderte er trocken. „Etwas weiter unten an der Küste befindet sich eine amerikanische Marinestation." „Um Himmels willen! Da ziehe ich die Chickcharnies vor!" lachte Kathleen. „Nun, wir dürften wohl von beiden nichts weiter zu befürchten haben", erwiderte Simon gedehnt und nahm ihr gegenüber an dem kleinen Tisch Platz. Josh hatte ein köstliches Mahl gezaubert. Es gab Fisch mit exotisch gewürztem Reis und als Nachtisch Früchtecocktail mit frisch geraspelter Kokosnuss. „Das war köstlich", meinte Kathleen genießerisch und lehnte sich mit geschlossenen Augen an die Reling. „Als ich dein Boot mietete, hast du mir verschwiegen, dass das Essen hier Luxusklasse ist." „Du hast bei der Planung dieser Expedition überhaupt eine Menge dem Zufall überlassen", stellte Simon fest. „In meiner Situation war eine gründliche Planung nun mal nicht möglich", entrüstete sich Kathleen. „Hast du keinen Vater oder Bruder, die dir verrückte Ideen wie diese hier ausreden?" „Es ist kein verrücktes Wagnis", erklärte sie würdevoll. „Ich weiß genau, was ich tue. Und mein Vater mischt sich grundsätzlich nicht in meine Angelegenheiten ein. Ich bin schließlich eine erwachsene Frau." Simon musterte sie träge. „Das sehe ich. Ein Grund mehr, vorsichtig zu sein." Kathleen zog die Beine an und legte die Arme um ihre Knie. „Mein lieber Simon", erinnerte sie ihn. „Vergiss bitte nicht, dass unsere Beziehung rein geschäftlicher Natur ist. Denk nur an deinen guten Ruf ..." Er schmunzelte und stand auf. „Natürlich, an was denn sonst? Und nun entschuldige mich bitte. Ich werde jetzt auch ein wenig sonnenbaden. Wenn ich gebraucht werde, ich bin vorn." Damit ging er zum Bug, streifte sein Hemd ab und streckte sich bequem aus. Kathleen blickte fasziniert auf seinen muskulösen Körper, 26
der in der Sonne bronzefarben schimmerte. Doch dann rief sie sich zur Ordnung. Sie ging in ihre Kabine und kehrte mit einem Buch wieder zu ihrem Ruheplatz auf der Schiffsbrücke zurück. Den Rest des Nachmittags verbrachte Kathleen in der Sonne. Sie versuchte zu lesen, aber die Möwen und Pelikane, die sich um die Fische im Kielwasser der Barracuda stritten, lenkten sie immer wieder ab. Als die Sonne tiefer sank, umrundete die Yacht die Südspitze von Andros und hielt auf eine Gruppe kleiner, vor der Küste gelagerter Inseln zu. Simon steuerte die Yacht geschickt durch die schmalen Rinnen zwischen den Riffen. In einer friedlichen Lagune ließ er den Anker fallen. Als das gleichmäßige Dröhnen der Motoren verstummte, waren die einzigen Geräusche die Vogelrufe aus den dichten Kokospalmenhainen am Strand. Das Wasser war unglaublich klar und von einem opalartigen Blau. Es wirkte so flach, dass Kathleen das Gefühl hatte, bis ans Ufer waten zu können. Doch sie wusste, dass dieser Eindruck trügerisch und die Lagune vermutlich mehrere Meter tief war. „In einer halben Stunde gibt es Abendessen, Mrs. Kathleen", verkündete Josh. „Fein. Es sieht so aus, als hätten wir eine ruhige Nacht vor uns." Es war fast windstill, und keine Wolke trübte den blauen Himmel. „Ja, das glaube ich auch", bestätigte Josh. „Wahrscheinlich haben wir heute Abend grünes Leuchten." „Grünes Leuchten? Was ist denn das?" „Das ist eine ungewöhnliche Brechung des Lichtes, wenn die Sonne untergeht", erklärte Simon, der an Deck gekommen war. „Diese Erscheinung kann man nur an sehr klaren Abenden wie heute beobachten." „Es bringt Glück", betonte Josh. „Hauptsächlich Menschen, die verliebt sind." Kathleen blickte zu der feinen Linie, an der sich Himmel und Meer zu treffen schienen. Kein Luftzug war zu spüren, es war, als wartete die ganze Natur mit angehaltenem Atem auf das Schauspiel. Die Sonne sank tiefer und verwandelte das Meer in flüssiges Gold. Dann, 27
in der allerletzten Sekunde, bevor sie majestätisch am Horizont versank, flammte plötzlich eine blendende, grüne Lichtflut auf, die schon im nächsten Augenblick wieder erlosch. Kathleen hatte unwillkürlich die Luft angehalten und wagte erst jetzt wieder zu atmen. Sie spürte, dass Simon hinter sie getreten und ihr ganz nah war. Ein seltsames Prickeln überlief sie. „Ich ... glaube, ich werde mich jetzt zum Abendessen umziehen", sagte sie rasch und floh in ihre Kabine.
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3. KAPITEL
Die Barracuda glitt langsam voran. Mit den kraftvollen Dieselmotoren bewegte sie sich sicher durch die schmalen Rinnen zwischen den Riffen mit ihren gefährlichen Strömungen. Der alte Joshua stand am Bug, Josh hielt an Backbord Wache, und Kathleen hatte sich an der Steuerbordreling postiert. Sie alle waren schon so vertraut miteinander, dass sie sich auch ohne Worte verstanden. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dass sie an Bord gegangen waren. Der Himmel war strahlend blau, und nur in der Ferne zeigten sich ein paar verlorene Wölkchen. Das Meer war seidig glatt und von einem unglaublich klaren Kristallgrün. Der sandige Boden mit dem wogenden Seegras schien zum Greifen nah zu sein, obwohl er, wie Kathleen genau wusste, fast zwanzig Meter unter dem Schiffsrumpf lag. Um sie herum warteten die atemberaubend schönen und doch so gefährlich scharfen Korallen auf den kleinsten Fehler, um sich der Yacht gnadenlos bemächtigen zu können. Aber es gab keinen Fehler. Simon stand auf der Brücke und steuerte die Barracuda mit unnachahmlicher Präzision durch die Rinnen. Mit einer Hand bediente er das Steuer, mit der anderen hielt er den Kopfhörer des Echolots ans Ohr gepresst. Kathleen konnte sein Können nur bewundern. Die Korallenbank lag acht Kilometer südlich von Andros und hatte eine Größe von mehreren Quadratkilometern. Hier und da ragten die Korallen aus dem Wasser und schimmerten weiß in der Sonne. Doch die meisten von ihnen lagen direkt unter der Wasseroberfläche. Sie waren gefährlich nahe. Wenn die Vormittagssonne wie jetzt auf das ruhige Meer schien, konnte man die Sandflächen durch die Riffe hindurch erkennen. Doch bei schlechten Lichtverhältnissen oder rauem Seegang waren Korallenriffe eine Todesfalle. Kathleen dachte schaudernd an die verzweifelten Männer, die sich für diesen Fluchtweg statt der Übergabe entschieden hatten. Und das in einem Segelschiff, das nicht 29
über die enorme Reaktionsgeschwindigkeit und Manövrierbarkeit der Barracuda verfügte. Was mochte damals in ihnen vorgegangen sein, dass sie dieses Risiko eingegangen waren. Und ihr Mut und Einsatz hatte sie dann doch noch das Leben gekostet. Wie viele Frauen und Kinder hatten dereinst wohl um ihre Männer und Väter geweint? Kathleen musste sich abwenden, um nicht noch weiter in die Vergangenheit einzusteigen. Endlich rief Simon: „Okay!" und schaltete die Motoren ab. Josh rannte nach achtern, um den Heckanker auszuwerfen, während sein Vater den anderen vom Bug herabließ. Kathleen richtete sich erleichtert auf und blickte in die Runde. Das Meer war ein blaugrüner Teppich, der von kleinen weißen Wellen durchbrochen wurde, wo das Wasser sich an den Riffen brach. „Wir tauchen in einer halben Stunde", erklärte Simon und kletterte über die Leiter auf das Achterdeck. „Dann steht die Sonne so hoch, dass wir genug sehen können. Das geht hier in dieser Gegend sehr schnell." „Bist du sicher, dass es das richtige Riff ist?" fragte Kathleen zweifelnd. „Nein", erwiderte er gelassen. „Wir bleiben eine Woche hier. Wenn wir dann nichts finden, fahren wir weiter. Ich habe dich ja gewarnt, dass wir unter Umständen nichts finden." Damit ging er in den Salon. Kathleen stieg in ihre Kabine hinunter und las eine Weile in Davids Logbuch. Als sie wieder an Deck kam, ließ Simon einen Haikäfig an einem dicken Nylonseil mit einer Flaschenzugvorrichtung ins Wasser gleiten. „Sehr gut", applaudierte sie und spähte hinunter, bis der Käfig auf dem Meeresboden aufkam. Simon sah sie ernst an. „Beim ersten Anzeichen von Haien ziehen wir uns in den Käfig zurück", bestimmte er. „Jawohl, Sir!" Er warf ihr einen warnenden Blick zu. „Du gehst mir da unten keinerlei Risiko ein, verstanden? Ich will dich schließlich unversehrt in Nassau absetzen." „Ich werde dir keine Vorwürfe machen, falls mich ein Hai zum 30
Fraß erwählt", antwortete sie feierlich. „Das ist gar nicht komisch." „Also gut." Simons bevormundende Art ging Kathleen allmählich auf die Nerven. „Ich weiß, dass hier Gefahren lauern, aber ich bin für meine Handlungen selbst verantwortlich. Wenn etwas schief geht, wird niemand dich dafür verantwortlich machen." „Meinst du?" „Ach, ich vergaß, das wäre für dich ja geschäftsschädigend! Der Himmel möge verhüten, dass der strahlende Ruf des großen Simon McGregor einen Kratzer abbekommt!" Er kam ärgerlich auf sie zu, und Kathleen wich betroffen zurück. „Ich ... entschuldige", sagte sie verlegen. „Das hatte ich nicht so gemeint. Natürlich werde ich auf mich aufpassen." Simons Miene wurde versöhnlicher. „Geh und mach dich fertig", wies er sie an. „Und vergiss den Taucheranzug nicht. In dieser Tiefe ist das Wasser kalt, und die Korallen sind ziemlich scharf. Du brauchst dir ja nicht gleich am Anfang die ersten Verletzungen zu holen. Dann dauert unsere Unternehmung noch länger. Und das wollen wir ja wohl beide nicht, nicht wahr?" Kathleen warf ihm einen wütenden Blick zu, folgte der Aufforderung, eilte in die Kabine und schlüpfte in ihren Badeanzug, den sie stets unter dem Taucheranzug trug. Als sie wieder an Deck kam, war Simon bereits fertig. Sie prüfte die Sauerstoffflaschen, ehe sie sich von Josh helfen ließ, sie auf dem Rücken zu befestigen. Während er ihr die übrige Ausrüstung reichte, überprüfte sie jedes Stück, wie Großvater es ihr beigebracht hatte. Aus den Augenwinkeln stellte sie befriedigt fest, dass Simon das Gleiche tat. Schließlich wandte sie sich lächelnd zu Simon. „Viel Glück!" „Mit Glück hat das nicht viel zu tun", antwortete er kühl. „Ich vertraue lieber meinen Augen und dem hier." Er hielt den Haispeer, eine Art Unterwassergewehr, in die Höhe. Kathleen sagte nichts. Unter Umständen hing ihr Leben von dieser Waffe ab. Wortlos stieg sie über die Leiter zu einer kleinen Schwimmplattform hinunter. Sie beugte sich über das Wasser, um ihre Maske und die Flossen 31
abzuspülen, ehe sie sie überzog. Dann sah sie sich nach Simon um, der ihr gefolgt war. „Fertig?" „Es kann losgehen." Kathleen schob den Schnorchel in den Mund und ließ sich rückwärts ins Wasser fallen. Sie landete in einer Welt voller leuchtender Grüntöne und Luftblasen, und ihre Ohren waren erfüllt von rauschenden und gurgelnden Geräuschen. Langsam streckte sie sich und fühlte sich plötzlich herrlich leicht und frei. Endlich war sie wieder in ihrem Element. Sie ließ sich an die Oberfläche tragen, warf das Haar zurück und schüttelte das Wasser aus Maske und Schnorchelröhre. Josh winkte ihr vom Deck begeistert zu. Sie gab ihm lächelnd das Okay-Zeichen und wandte sich Simon zu, der ganz plötzlich neben ihr aufgetaucht war. „Alles in Ordnung?" fragte er. Sie nickte. „Wir Schnorcheln zum Riff hinüber und markieren unseren Standort. Du schwimmst vor." Kathleen warf sich herum und begann langsam auf das Riff zuzukraulen. Dort angekommen, setzte Simon die erste rote Markierungsboje. „Okay", erklärte er. „Pass auf die Feuerkorallen auf. Hier gibt es jede Menge davon." „In Ordnung", versprach sie. „Ich habe zwölf Uhr siebenundzwanzig. " Simon verglich die Uhrzeit. „Ich auch. Wir tauchen um zwölf nach eins wieder auf." Kathleen passte ihr Mundstück ein und drehte den Sauerstoff auf. Sie wechselten Okay-Zeichen und tauchten dann geschmeidig unter. Die Korallenbänke waren wie ein bizarrer Garten. Kathleen entdeckte Geweih- und Elchgeweihfarnbüschel, kunstvolle Sternkorallenformationen und Blätterschwämme. Die Unterwasserwelt war hier viel interessanter als im Mittelmeer. In diesen Gewässern schien es alle Korallenarten zu geben, von denen sie je gehört hatte, und außerdem Schwämme, stachlige Seeigel, kräuselige Nacktkiemenschnecken und alle Arten von Muscheln, die in den verschiedensten Farben schillerten. Es war eine Welt, wie sie sich keine Fantasie ausmalen konnte. Kathleens Begeisterung nahm von Minute zu Mi32
nute zu. Das Riff war erfüllt von wogenden Seeanemonen und den fedrigen, pastellfarbenen Rosetten der Lamellenwürmer. Schwärme von leuchtenden Demoiselle- und Lippfischen zogen vorbei, die sonst nur gelegentlich von den langen, gefährlichen Barracudahaien gestört wurden. Plötzlich bewegte sich ein Schwamm. Doch wie Kathleen gleich darauf feststellte, war es kein Schwamm, sondern ein Fledermausfisch in seiner Tarnung. Alles war hier voller Überraschungen, ein Märchenland. Am liebsten hätte sie sich endlos treiben lassen, denn es gab hier so viel zu sehen. Doch sie hatte eine Aufgabe zu erfüllen und wandte sich entschlossen den Korallenformationen entlang des Riffbodens auf der Leeseite zu. Hier gab es nur noch wenig aktiven Korallenwuchs, weil das ruhige Wasser in der Nähe des Sandbodens nicht genug von dem lebenswichtigen Sauerstoff enthielt. Die Nischen und Ecken eines versunkenen Schiffes wiederum waren für die Korallen ein idealer Ort. Dort konnten sie sich vermehren. Und genau das war einer der Anhaltspunkte, nach denen sie Ausschau hielten - ungewöhnlich üppiges Wachstum lebender Korallen. Kathleen suchte gründlich. Sie benutzte ihr Tauchermesser, um alle verdächtigen Klumpen aufzubrechen. Ihr fiel auf, dass Simon das Gleiche tat, jedoch gleichzeitig scharf auf alles um sie herum achtete. So konnte sie sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren. Dennoch fand sie nichts. Als die vereinbarte Zeit abgelaufen war, berührte Simon ihren Arm und deutete nach oben. Kathleen nickte und überprüfte die genaue Position des Schiffsrumpfes, der sich schattenhaft gegen die saphirblau schimmernde Wasseroberfläche abhob. Langsam begann sie aufzusteigen. Simon tauchte neben ihr auf. „Alles okay?" „Alles okay." Kathleen ließ sich ihre Enttäuschung über die vergebliche Suche nicht anmerken. Dies war schließlich der erste Versuch gewesen, da durfte sie nicht zu viel erwarten." „Hunger?" fragte Simon. „Und wie!" „Josh serviert das Mittagessen, sobald wir geduscht haben." 33
Kathleen blickte zur Barracuda hinüber, die strahlend weiß knapp zwanzig Meter vor ihnen emporragte. „Gut. Bis gleich an Bord", sagte sie und bewegte sich auf die Schwimmplattform zu. Josh wartete mit einer Tasse heißer Schokolade an der Reling, als Kathleen die Leiter hinaufkletterte. Geschickt half er ihr aus der Tauchausrüstung. „Ich spüle alles ab", erbot er sich. „Danke, Josh." Kathleen wickelte sich in ein flauschiges Badehandtuch, als Simon an Deck kam. Sie setzte sich auf eine der gepolsterten Bänke und trank genüsslich und in kleinen Schlucken von der Schokolade. „Müde?" fragte Simon amüsiert. Sie blickte zu ihm auf. „Ein bisschen", gestand sie. „Ich bin seit... letztem Jahr nicht mehr getaucht." Ohne dass sie es verhindern konnte, trat ihr eine Träne ins Auge, und hastig wischte sie sie fort. „Du bist noch nicht darüber hinweg, nicht wahr?" Simons Stimme klang überraschend sanft. Kathleen schüttelte den Kopf. „Das werde ich wohl nie sein", flüsterte sie. „Was willst du tun, wenn das Ganze hier vorbei ist?" „Wie meinst du das?" „Hast du nach dieser Kreuzfahrt keine Zukunftspläne? Einen interessanten Beruf? Oder eine neue Romanze?" „Nein ... doch, eigentlich schon." Kathleen wich seinem Blick aus. „Ich werde als Lehrerin an einer Gesamtschule unterrichten, aber ich kann nicht behaupten, dass ich mich sonderlich darauf freue." „Hast du keinen Spaß daran?" „Das hätte ich schon, wenn die Kinder sich für den Lehrstoff interessieren würden. Aber dort sind fast fünfzehnhundert Kinder in einem großen, bunkerähnlichen Komplex untergebracht. Das Gebäude ist hässlich und total verbaut, und es wundert mich nicht, dass die Kinder sich dort nicht wohl fühlen. Man müsste den Architekten dafür einsperren." Simon lachte. „Was tätest du denn lieber?" Kathleen lehnte sich zurück und schloss schwärmerisch die Augen. „Auf einem Schiff in der Sonne sitzen und zwischen den traumhaf34
testen Korallenriffen der Welt tauchen." „Lehrer haben lange Ferien", gab Simon zu bedenken. „Sicher. Aber eine Reise wie diese kann ich mir nie mehr leisten. Sie war mir nur durch den Vorschuss des Verlags möglich." „Vielleicht findest du ja einen Millionär, den du heiraten kannst." Kathleen verzog ironisch die Lippen. „In Peckham? Außerdem möchte ich nicht mehr heiraten." „Nicht einmal einen Millionär?" „Erst recht keinen Millionär!" erwiderte sie lachend. „Und jetzt gehe ich erst mal unter die Dusche. Bis nachher." Kathleen verbrachte den Nachmittag wieder auf der Brücke in der Sonne und gesellte sich erst beim Abendessen zu Simon. Sie aßen auch diesmal wieder allein auf dem Achterdeck. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn Josh und sein Vater dabei gewesen wären, denn Simons Gegenwart beunruhigte sie, und es fiel ihr schwer, ein unverfängliches Gespräch in Gang zu halten. Es war ein herrlicher Abend. Der Mond spiegelte sich silbern auf der glatten Wasseroberfläche. Die Barracuda schaukelte sanft in der Dünung. „Friedlich, nicht wahr?" meinte Simon und reckte sich. „Ja ..." Kathleen fühlte sich merkwürdig. Sie stand auf und trat an die Reling. „Kannst du dich an den Sternen orientieren?" „Nicht in diesen Gewässern. Sie sind zu gefährlich. Auf dem offenen Meer schon. Aber sonst ziehe ich es vor, mich auf Satelliten zu verlassen." Kathleen lächelte. „Wie prosaisch!" „Aber sehr viel sicherer." Simon trat zu ihr, und sie spürte, wie ihr Herz rascher zu schlagen begann. Ihre Stimme klang nicht mehr ganz natürlich. „Welches ist der Nordstern? Findet man den auf die gleiche Weise wie in England?" „Ja. Erst musst du den Großen Bären ausfindig machen." Kathleen suchte den Himmel ab. „Ich habe ihn", verkündete sie. „Dort drüben ist er. Welcher davon ist die Kassiopeia? Simon berührte ihre Schulter leicht und drehte sie in die richtige Richtung. Er 35
deutete über ihre Schulter, so dass sie die Konstellation an seinem Arm entlang ausmachen konnte. Seine Nähe ließ sie erzittern. Sie versuchte, von ihm abzurücken, aber er hielt ihre Schulter fest. „Sieh mal, dort." Er deutete auf drei Sterne, die etwas tiefer am Himmel standen. „Das ist der Orion. Und da, siehst du, genau darüber ... das ist Beteigeuze." „Beteigeuze?" wiederholte sie ungläubig. „Also, das nehme ich dir nicht ab." „Er heißt aber so." Kathleen sah Simon an, und ihre Blicke trafen für einen Moment aufeinander. Rasch trat sie zur Seite und schlang schützend die Arme um sich. „Was ist denn?" fragte er leise. „Nichts", antwortete sie etwas zu schnell. „Es ... es wird langsam kühl." „Ach so. Ich dachte im ersten Moment schon, du hast Angst vor dem, was uns da unten bei den Riffen erwarten könnte." „Nein, natürlich nicht." Kathleen hob stolz den Kopf. „Ich habe keine Angst." „Das kannst du dir auch nicht leisten. Was wir vorhaben, ist alles andere als ein Picknick." Sie sah ihn herausfordernd an. „Wenn dir die Sache zu viel wird, können wir natürlich nach Nassau zurückkehren. Ich kann mir auch ein anderes Boot chartern", erinnerte sie ihn. „Es ist mir nicht zu viel", antwortete er kurz. „Aber wie ist das bei dir?" Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er in den Salon. Während der folgenden Tage arbeiteten sie sich an beiden Ausläufern des Riffs entlang und untersuchten alles sorgfältig. Sie fanden nichts. Am sechsten Tag fuhr Simon im Schlauchboot los und kehrte mit der Nachricht zurück, dass sich südwestlich von ihrem Ankerplatz ein weiteres viel versprechendes Riff befände. Danach legten sie eine Ruhepause ein, nachdem die Barracuda in der Nähe des zweiten Riffs vor Anker gegangen war. Bisher waren sie zwei Mal täglich getaucht, und Kathleen war erschöpft. Aber das ließ sie sich natürlich nicht anmerken. Simon brauchte das nicht zu 36
wissen. Inzwischen war ihre Beziehung etwas gelöster geworden. Simon begann langsam aufzutauen. Ein-, zwei Mal hatte er sie mit seinem trockenen Humor sogar zum Lachen gebracht. Dennoch verhielt sich Kathleen immer noch zurückhaltend. Nur wenn sie gemeinsam tauchten, gab es zwischen ihnen ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das fast an Telepathie grenzte. Simon war ein wunderbarer Tauchkamerad. Bei ihm fühlte sie sich vollkommen sicher. Sie wusste, dass ihm nichts entging, dass er mit jeder Situation fertig werden würde. Es war schön, sich in seiner Gegenwart entspannen und ihm vertrauen zu können. So war es auch bei ihrem Großvater gewesen. David war. oft zu sehr in seine Arbeit vertieft gewesen, um sich mit Randerscheinungen zu befassen. So war es nicht selten Kathleen gewesen, die ihn an Strömungen oder die abgelaufene Zeit erinnern musste. Und er war risikofreudig gewesen, zu risikofreudig. Manchmal hatte Kathleen es richtig mit der Angst zu tun bekommen. Aber eben weil er so viel riskierte, hatte er so große Erfolge errungen. Es war ein langer, träger Nachmittag. Kathleen hatte nichts anderes zu tun, als in der Sonne zu liegen. Dennoch konnte sie sich nicht recht entspannen. Ständig wanderten ihre Gedanken zu Simon, der unten, nicht weit von ihr entfernt, auf dem Kabinendach lag. Was für ein Leben mochte er führen? Er war der geborene Seemann und schien auf dem Wasser erst richtig in seinem Element zu sein. Aber was tat er, wenn er nicht mit dem Schiff unterwegs war? Unwillkürlich sah sie die verräucherte Hafenkneipe vor sich. Warum wohnte ein Mann, der ein herrliches Schiff wie die Barracuda steuerte, in einem so verkommenen Haus? Das passte irgendwie nicht zusammen. Ob er allein lebte? Kathleen dachte an die attraktive Maxie. Nein, eigentlich konnte sie sich nicht vorstellen, dass Simon McGregor auf weibliche Gesellschaft verzichtete. Er war ein Mann, auf den die Frauen flogen. Wie unter einem Zwang setzte sie sich auf und spähte von der Brücke herunter. Simon lag auf dem Rücken und hatte den Kopf auf sei37
ne verschränkten Arme gelegt. Er hatte die weiße Schirmmütze über die Augen gezogen und trug nur ausgewaschene Leinenshorts. Kathleen sah zu, wie seine kraftvolle Brust sich gleichmäßig hob und senkte. Sie wagte kaum zu atmen, weil sie ihn nicht auf sich aufmerksam machen wollte. Selbst wenn er entspannt dalag wie jetzt, strahlte er eine Kraft und Energie aus, die sie faszinierte. Sie fragte sich, wie es sein müsste, seine Muskeln zu berühren und mit den Fingern über seinen Brustflaum zu streichen, der von Sonne und Meer fast weiß gebleicht war. Kathleen wandte sich ab. Es hatte keinen Sinn, sich solche Gedanken über einen Mann zu machen, der für sie ein Fremder war. Sie streifte das T-Shirt über und ging in die Kabine hinunter, um zu duschen. Das warme Wasser entspannte sie. Plötzlich sah sie Simons kraftvollen, sonnengebräunten Körper vor sich und erschauerte. Was war nur plötzlich mit ihr los? Solche Fantasievorstellungen hatte sie schon früher gehabt, aber da war es immer David gewesen, um den sie sich drehten. Ihr war fast, als sei sie ihm untreu geworden. Simon hatte kein Recht, sich zwischen sie zu drängen. Kathleen schüttelte irritiert den Kopf. Sicher lag es daran, dass sie auf so engem Raum zusammenlebten. In wenigen Wochen war die Fahrt zu Ende. Dann würde sie nach England zurückkehren und vergessen, dass es Simon McGregor je gegeben hatte. Wie immer aßen sie auch diesmal wieder allein. Trotz der guten Vorsätze war Kathleen von einer seltsamen inneren Unruhe erfüllt. Simon schien davon nichts zu merken. Er trug ein verblichenes hellblaues Leinenhemd zu den Shorts und erzählte ihr entspannt zurückgelehnt von einer abenteuerlichen Haijagd. „Hast du denn nie Angst?" fragte Kathleen. „Aber ja", antwortete er gelassen. „Ein Mann, der nie Angst hat, ist ein Dummkopf. Das macht die Sache doch erst aufregend - der Einsatz des eigenen Könnens gegen die Kräfte der Natur." Simon verzog spöttisch die Lippen. „Aber ich wäge meine Chancen und Möglichkeiten immer ab. Ich habe kein Interesse daran, ein toter Held zu sein." 38
Kathleen verkrampfte sich. „Wie meinst du das?" fragte sie scharf. „Soll das eine Anspielung auf David sein?" „Das habe nicht ich gesagt, sondern du." „David war ein Held!" verteidigte sie ihren verstorbenen Mann. „Er war der tapferste Mann, der mit je begegnet ist!" „Und du warst verrückt nach ihm." „Ja!" Simon lachte hart auf, „Ja, verrückt. Und du bist immer noch verrückt nach ihm. Wie ein Backfisch, der ein Idol anhimmelt. " „Davon hast du doch keine Ahnung!" stieß sie höhnisch hervor. „Was weißt du schon von Liebe." „Also das, worunter du leidest, kenne ich wirklich nicht", gab er trocken zurück. „Natürlich nicht. Ich würde sogar sagen, deine Erfahrungen in der Liebe beschränken sich auf eine endlose Folge von kurzen Abenteuern." Simon musterte sie kalt. „Warum sollte ich eine Sache in die Länge ziehen, wenn ich alles, was ich will, in einer Nacht bekommen kann?" antwortete er gedehnt. Kathleen verspürte einen Stich im Herzen. „Du ... bist unmöglich!" erklärte sie hitzig. Er zog spöttisch eine Braue hoch. „Ich dachte, unsere Beziehung sei rein geschäftlicher Natur. Warum machst du dir dann Gedanken über meine Moral ... oder meinen Mangel daran?" Kathleen sprang erregt auf. „Es ist mir gleichgültig, wie du lebst! Bleib nur bei Frauen wie ... dieser Maxie. Ich persönlich würde dich nicht einmal mit Handschuhen anfassen." Damit drehte Kathleen sich um und ging stolz in den Salon zurück. Simons heiteres Gelächter folgte ihr. Sie stürmte in ihre Kabine, schlug krachend die Tür hinter sich zu und warf sich auf die Koje. Sie war wütend.
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4. KAPITEL
Kathleen und Simon erkundeten das Riff den ganzen nächsten Tag. Nachdem sie nun schon fünf Tage getaucht waren, hatten sie immer noch nichts gefunden. Kathleen war enttäuscht und wurde von Mal zu Mal resignierter. In der übrigen Zeit, wenn sie wieder einmal tatenlos in der Sonne lag, beschäftigte sie sich immer öfter mit Simon. Es beunruhigte sie, dass sie sich so stark zu ihm hingezogen fühlte. Gleichzeitig fragte sie sich, warum er eine Abneigung gegen David zu haben schien, der doch bei allen immer so beliebt gewesen war. Am liebsten hätte sie Simon direkt darauf angesprochen, aber irgendwie brachte sie das nicht über sich. Vielleicht hätte Joshua etwas dazu sagen können, aber er fuhr fort, sie zu ignorieren. Also versuchte sie es bei Josh. „Vermutlich warst du noch zu jung, um dabei gewesen zu sein, als Simon und mein Mann das Wrack zum ersten Mal fanden", setzte sie vorsichtig an. Doch ehe der Junge antworten konnte, rief Simon ihn aus dem Salon wie auf Stichwort zu sich. „Josh, kannst du mir bitte hier unten helfen?" „Klar, Käptn! Bin schon unterwegs!" rief Josh zurück. „Entschuldigen Sie mich, Kathleen." Enttäuscht kletterte sie wieder auf die Brücke. Doch früher oder später würde sie schon herausfinden, was zwischen den beiden Männern gewesen war. Kathleen hatte es sich angewöhnt, auf der Brücke das Bikinioberteil abzunehmen, um keine hellen Streifen zu bekommen. Zum Schutz gegen die Sonne zog sie sich den Strohhut tief über den Nacken und legte den Kopf auf die Arme. Unter sich auf dem Achterdeck konnte sie Simon mit Josh sprechen hören. Sie versuchte nicht, die Worte zu verstehen, sondern lauschte nur dem Klang seiner Stimme. Sie war sympathisch dunkel und ein wenig rau, als hätten die Jahre auf See und die verräucherten Knei40
pen seine Stimmbänder angegriffen. Die Stimmen verklangen, und sie hörte Männerschritte im Salon. Ruhelos drehte sie sich auf den Rücken. Wieder verspürte sie die innere Leere, die sie zu verdrängen versucht hatte. Während die Sonne ihre Haut wärmte, entglitt sie in eine Traumwelt, in der ihre Fantasie sich selbstständig machte. Sie sah einen geschmeidigen, muskulösen Körper vor sich und einen markanten Mund, der faszinierend lächelte. Ein Geräusch in der Nähe ließ Kathleen zusammenfahren. Sie öffnete die Augen und sah Simon die Leiter heraufklettern. Er ließ den Blick ungeniert über ihren nackten Oberkörper wandern. „Entschuldige", meinte er gedehnt. „Ich bin nur gekommen, um nach der Radarantenne zu sehen." „Verschwinde!" Kathleen setzte sich hastig auf und legte die Arme vor ihre Brüste. „Ich gehe ja gleich wieder." Simon betrat die Brücke und betrachtete sie amüsiert. „Was ist denn los?" fragte er scheinheilig. Kathleen sah ihn vorwurfsvoll an. „Auf die Idee, dich vorher bemerkbar zu machen, bist du wohl gar nicht gekommen? Josh tut das immer." „Tut mir Leid." Simons Stimme klang ganz und gar nicht reumütig. „Ich konnte doch nicht wissen, dass du so prüde bist. Die meisten Frauen sonnen sich heutzutage oben ohne." „Ja nun, an öffentlichen Stränden vielleicht", widersprach sie. „Das ist etwas anderes." Er spielte den Erstaunten. „Wirklich? Wieso?" „Das weißt du genau!" blitzte sie ihn an. „Weil es dort mehr Leute gibt." „Statt nur mich?" „Mein lieber Simon, als ich dein Schiff mietete, hast du mir versprochen, dass ich hier sicher bin", erinnerte sie ihn scharf. Er lächelte. „Oh, du bist hier ganz sicher. Falls du das wirklich sein willst." Er hockte sich vor sie hin und ergriff ihr Kinn, so dass sie seinem Blick nicht ausweichen konnte. „Wenn du wirklich nicht willst, dass ich dich berühre, Kathleen, solltest du aufhören, mich so 41
anzusehen", sagte er leise. Kathleens Herz schlug so rasch, dass ihr schwindlig wurde. Simons Daumen strich sanft über ihre Lippen, und für einen wahnwitzigen Augenblick glaubte sie, ihre verrückten Fantasien würden Wirklichkeit. Sie war hilflos, halb nackt und allein auf sich gestellt. Simons Fingerspitzen wanderten langsam über ihren Arm, und Kathleen spürte, wie sie schwach wurde. Da wandte Simon sich ab, nahm Kathleens T-Shirt und drückte es ihr in die Hände. „Da, zieh das über, und hilf mir bitte bei der Radarantenne", erklärte er sachlich. Kathleen wandte sich verwirrt ab und schlüpfte in das T-Shirt. „Sieh doch mal nach, ob du unter dem Armaturenbrett einen kleinen Schraubenzieher entdecken kannst", sagte Simon mit unpersönlicher Stimme. Erleichtert, den gefährlichen Moment überstanden zu haben, ging sie zum Steuersitz, fand den Schraubenzieher im Handschuhfach und brachte ihn Simon. „Danke", erwiderte dieser kurz und gab ihr den größeren Schraubenzieher zum Halten. Fasziniert sah Kathleen zu, wie Simon geschickt die Abdeckung des Radars löste. Sie war sich seiner Nähe überstark bewusst und kämpfte gegen die Versuchung an, ihn zu berühren. Er schien ganz auf seine Arbeit konzentriert. „Halte den Draht hier bitte, während ich die Schraube anziehe", wies er sie an. „So, das war's", meinte er endlich. „Es war nur ein Kabel, das sich gelockert hat. Ich habe schon befürchtet, ich müsste das ganze Ding auseinander nehmen." „Weißt du denn, wie man das macht?" Er lachte amüsiert. „Natürlich. Ich kann hier auf dem Boot alles reparieren. Das ist lebenswichtig, wenn man an einer abgelegenen Insel, Meilen von jeglicher Zivilisation entfernt, festsitzt." „Wo hast du das denn alles gelernt?" erkundigte sie sich neugierig. „Das meiste von meinem Großvater." Er tauschte die Schraubenzieher mit ihr. „Ja, ich kann mir denken, dass es hier auf den Inseln wahrscheinlich 42
wenig Schulen gibt." Er lachte belustigt auf. „Aber sicher gibt es hier Schulen." Kathleen wurde verlegen. „Entschuldige, ich ...?" „Dachtest du etwa, ich sei Analphabet?" neckte Simon. „Nein, das nicht, aber ... ich hielt dich für einen Typ, der lieber mal den Unterricht ausfallen lässt, um fischen zu gehen." „Das habe ich auch des Öfteren versucht", gab er heiter zu. „Aber mein alter Herr war ziemlich streng. Er bestand darauf, mich aufs College zu schicken." „Du warst auf dem College?" „Ja." Simon schloss das Gehäuse und wandte sich ihr zu. „Aber das hat mich von meiner Passion, dem Fischen, natürlich nicht abgehalten." „Warum auch? Das eine schließt das andere ja nicht aus." Kathleen passte sich seinem leichten Ton an. „Was hast du denn am College gemacht?" „Football gespielt und mich mit Mädchen getroffen", antwortete er schmunzelnd. „Football?" Kathleen ging auf das andere vorsichtshalber gar nicht erst ein. „Du meinst dieses verrückte Spiel, bei dem alle sich wie Supermann auspolstern und ständig miteinander raufen, ähnlich wie beim Rugby?" „Genau." Simon lachte jungenhaft. „Und ich habe die Ehre, dir mitzuteilen, dass du mit dem zweitbesten Abwehrspieler des ganzen College sprichst." „Nur der zweitbeste?" neckte Kathleen. „Der beste wurde Profi und ein großer Football-Star." „Na ja, dann will ich nichts gesagt haben." Simon lehnte sich an den Radarkasten und betrachtete sie. „Das ist schon besser", stellte er befriedigt fest. Kathleen blickte ihn fragend an. „Was ist passiert?" „Du flirtest mit mir." Sie wurde verlegen. „Keineswegs", antwortete sie mit einer Stimme, die nicht ganz überzeugend klang. Er lachte leise. „O doch, das tust du. Du machst es sogar gut und 43
solltest es öfter versuchen." Kathleens Miene wurde verschlossen. „Du scheinst zu vergessen, dass ich vor kurzem meinen Mann verloren habe." „Ich habe es nicht vergessen. Aber das liegt jetzt ein Jahr zurück, Kathleen. Du kannst doch nicht ewig um ihn trauern." „Und mit welchem Recht glaubst du, mir vorschreiben zu können, wann ich damit aufhören soll?" erkundigte sie sich aufgebracht. Simon seufzte. „Mit überhaupt keinem. Aber siehst du denn nicht ein, dass du dein Leben wegwirfst, wenn du dich an die Vergangenheit klammerst?" „Mein Leben wegwerfen? Nur weil ich nicht zu der Sorte von Frauen gehöre, die für ein Abenteuer zu haben sind?" schleuderte sie ihm entgegen. Sie wollte an ihm vorbeigehen, aber er hielt sie am Arm zurück. „Bist du dir dessen so sicher?" fragte er herausfordernd. „Vielleicht solltest du es einmal versuchen. Es könnte sein, dass es genau das ist, was du brauchst." „Nimm die Hände weg!" zischte sie. „Ich brauche deine Art von Therapie nicht! Du bist nichts weiter als ... ein Sexbesessener!" Simon brach in schallendes Gelächter aus. „Also wirklich! Man hat mich mit allerlei Namen belegt, aber der ist neu!" „Ich wüsste noch ganz andere!" erklärte sie beherrscht. „Aber meine gute Erziehung verbietet mir, sie zu erwähnen." Er zuckte mit den Schultern und gab sie frei. „O ja, du bist eine Dame. Aber spiele lieber nicht die Unnahbare, Kathleen. Damen wie du oder Mädchen wie Maxie ... in meinem Bett seid ihr alle gleich." Kathleen hätte ihm am liebsten geohrfeigt, aber sie spürte, dass er genau darauf wartete. Also wandte sie sich hocherhobenen Gesichts ab und kletterte die Leiter hinunter. Enttäuscht und wütend zog sie sich in ihre Kabine zurück. Es dauerte einige Zeit, bis Kathleen sich wieder gefasst hatte. Endlich stand sie auf, duschte und zog Jeans und einen weißen Pullover an. Mit gemischten Gefühlen ging sie in den Salon. Dort nahm sie ihr Buch und versuchte zu lesen und von Simon keine Notiz zu nehmen. Er stand auf dem Achterdeck und blickte über das Wasser. 44
Die Sonne war am Untergehen und überzog die Wölkchen mit zarten Rosa- und Purpurtönen. Der Himmel färbte sich in der anbrechenden Dämmerung tiefblau. Josh kam aus der Kombüse herauf und deckte den Tisch für das Abendessen. „Heute gibt es etwas typisch Englisches", verkündete er stolz. „Fish and Chips." Doch als Kathleen sah, was er auftischte, musste sie lachen. „Ich glaube kaum, dass man in England unter diesem Begriff Haikoteletts versteht." „Dann wissen die Leute dort nicht, was ihnen entgeht", bemerkte Simon. „Haikoteletts sind nämlich köstlich." Das stimmte. Die Fischscheiben waren zart und saftig und schmeckten ausgezeichnet zu den goldbraunen Pommes frites, dem Zuckermais und den unvermeidlichen Pfefferschoten. Dennoch war Kathleen während der ganzen Mahlzeit verkrampft. Sie hielt es für notwendig, die geschäftsmäßige Atmosphäre zwischen sich und Simon wieder herzustellen. Auf der anderen Seite sollte er nicht glauben, dass der Zwischenfall auf der Brücke sie durcheinander gebracht hätte. Sie war einfach nur ein wenig überrascht gewesen, als er so plötzlich auftauchte, das war alles. „Du hast Recht, das war wirklich lecker. Josh ist ein ausgezeichneter Koch", lobte Kathleen und schenkte sich Kaffee ein. „Arbeitet er schon lange für dich?" „Von Anfang an." Simon lehnte sich gelöst zurück. „Schon sein Großvater hat früher für meinen gearbeitet." „Wirklich?" Sie gab sich höflich interessiert. „War dein Großvater auch ein Haijäger?" Simon lachte leise. „Nein, Blockadebrecher." Kathleen hätte sich um ein Haar verschluckt. „Was?" „Damals herrschte in den USA die Prohibition, ein staatlich verordnetes Alkoholverbot", erklärte Simon. „Mein Großvater hat Schnaps von Mexiko nach Florida geschmuggelt." Kathleen sah ihn zweifelnd an. „Du glaubst mir nicht?" fragte er amüsiert. „Das war auf den Inseln damals gang und gäbe, bis die Prohibition 1933 aufgehoben wurde. 45
Sogar einige von den besten Familien machten mit. Damit war eine Menge Geld zu verdienen." Kathleen hatte ihm erstaunt zugehört. „Hat dein Großvater viel Geld verdient?" „Eine ganze Menge." „Und trotzdem wohnst du in der schrecklichen Kneipe, in der ich dich getroffen habe?" Simon lachte erneut. „Sie gehört mir", klärte er sie auf. „Bist du jetzt schockiert?" „Nun, eigentlich nicht, ich meine ..." Sie wusste nicht weiter. „Es ist eine Spelunke", gab er ihr Recht. „Na und? Die Matrosen wollen beim Landgang einen guten Schnaps zu einem annehmbaren Preis und keine Spitzenvorhänge und Plüschsofas." Kathleen machte eine unsichere Handbewegung. „Das ist die fürchterlichste Kneipe, in der ich je war", erklärte sie in Erinnerung an die abschätzenden Blicke. Simon hob spaßhaft den Zeigefinger. „Das hoffe ich doch sehr. Schließlich ist das kein Ort für anständige junge Damen." „Und warum wohnst du dort?" „Weil es mir gefällt. Es ist bequem und liegt mitten in der Stadt." „Ja, aber ..." Kathleen sah beiseite, weil sie an Maxie mit ihren knallroten Lippen und den üppigen Rundungen dachte. „Aber du hältst nicht viel von den Menschen, mit denen ich verkehre, nicht wahr? Nun, bei diesen Leuten weiß ich zumindest, woran ich bin, was man von einigen anderen nicht gerade sagen kann." Kathleen sah ihn fragend an. Worauf zielten seine Anspielungen? „Wie kann man nur so arglos sein", stellte Simon spöttisch fest. „Kaum zu glauben, dass du mit einem Mann wie David Taylor verheiratet warst." „Worauf willst du hinaus?" Simon beugte sich zu ihr vor. „Wie lange wart ihr verheiratet, als er starb?" „Vier Monate." Kathleen senkte den Blick. Wie kam sie nur dazu, diesem Mann von ihrer Ehe zu erzählen? „Aha", meinte Simon triumphierend. „Das erklärt so manches." 46
„Was willst du damit sagen?" Kathleen war den Tränen nah. „Vier Monate reichen bei weitem nicht aus, um einen Menschen kennen zu lernen." „Ich kannte David gut", gab Kathleen leise zurück. „So gut, dass ich ihn liebte und immer lieben werde. Niemand wird je seinen Platz einnehmen." Sie stand hastig auf. „Entschuldige mich", sagte sie leise, „ich bin müde. Das muss an der vielen frischen Luft liegen. Ich werde jetzt schlafen gehen." Kathleen floh in ihre Kabine und schloss die Tür hinter sich. Am ganzen Körper zitternd, lehnte sie sich dagegen. Simons Worte ließen sie nicht los. Was steckte hinter seinen Andeutungen? Was hatte er gegen David, den er doch nach eigener Aussage kaum kannte? Sie setzte sich auf die Koje und nahm die silbergerahmte Fotografie von David in die Hand. Forschend blickte sie auf sein strahlendes Gesicht, als könne sie dort eine Erklärung finden. Aber alles, was sich auftat, waren neue Fragen. Vielleicht hatten David und Simon sich doch gekannt und Streit bekommen. Aber weshalb? Aus Rivalität? Wegen Geld? Oder einer Frau? Traurig stellte sie das Bild an seinen Platz zurück und begann sich für die Nacht fertig zu machen. Ehe sie das Licht ausschaltete, warf sie Davids Foto einen Gutenachtkuss zu, wie sie es stets tat. Am nächsten Morgen war die Atmosphäre zwischen Kathleen und Simon gespannt. Kathleen sprach nur das Nötigste mit ihm, und sie erhielt auch nur sachliche, einsilbige Antworten. Ihr tat Josh Leid, der die Verstimmung zu spüren schien und wiederholt hilflos von einem zum anderen blickte. Am liebsten hätte Kathleen sich diesmal vor dem Tauchen gedrückt. Doch als die Sonne höher stieg und es kurz nach zehn war, erklärte sie ruhig: „Zeit, dass wir wieder runtergehen." „Hm." Simon sah nicht einmal von seiner Zeitschrift auf. Kathleen warf ihm einen frostigen Blick zu, den er jedoch nicht bemerkte. Ärgerlich ging sie in ihre Kabine, um den Badeanzug anzuziehen. Als sie wieder an Deck kam, trug Simon bereits seinen Taucheranzug und überprüfte die Ausrüstung. Schweigend machte Kathleen sich ebenfalls fertig zum Tauchen. 47
Erst unten auf der Schwimmplattform sprach Simon mit ihr. „Fertig?" vergewisserte er sich. „Ja." „Gut. Wir dürften heute mit diesem Riff fertig werden. Es sieht so aus, als hätten wir auch hier wieder eine Niete gezogen." Sein Ton war nicht gerade freundlich, aber nicht mehr ganz so unpersönlich. Kathleen verzog resigniert den Mund. „Schließen wir die Suche hier ab und überlegen uns, wo wir als Nächstes anfangen." Sie ließ sich rückwärts in das klare Wasser gleiten. Wie stets beim Tauchen erfasste sie eine seltsame Erregung, die ihre Sinne schärfte. Die metallischen Geräusche vom Schiff und dem Atmungsgerät klangen wie ein verstimmtes, überirdisches Orchester. Das Sonnenlicht flirrte in saphirschimmernden Kegeln herunter wie in eine riesige Kathedrale. Kathleen sah sich um, die Fische waren um ihre Freiheit zu beneiden. Ungehindert konnten sie sich in den Fluten bewegen, ohne Atemgeräte mit sich herumtragen zu müssen. Geschichten von Tauchern fielen ihr ein, die sich in lebensgefährliche Tiefen gewagt hatten, in denen man dem berüchtigten Tiefenrausch erliegen konnte. Selbst erfahrene Taucher hatten in dieser Rauschstimmung die Sauerstoffflaschen abgenommen und fortgeworfen. Doch in einer Tiefe von weniger als zwanzig Metern bestand diese Gefahr nicht. Allerdings konnte mangelnde Aufmerksamkeit auch hier gefährlich sein, denn auf dem Meeresgrund lauerten überall unbekannte Gefahren. Wieder schien ihre Suche vergeblich zu sein. Jetzt gab es nur noch eine letzte Korallenansammlung zu untersuchen. Die Schwerelosigkeit ihrer Körper im Wasser machte es Simon und Kathleen schwer, Kraft hinter ihre Bewegungen zu setzen. Simon bearbeitete die Korallen, während Kathleen nach allen Seiten absicherte, um keine böse Überraschung zu erleben. Alles schien normal zu sein. Gerade wollte sie sich Simon wieder zuwenden, als irgendetwas sie warnte. Kathleen griff warnend an Simons Schulter, und gemeinsam drehten sie sich um. Aber da war nichts, überhaupt nichts mehr. Die Fischschwärme um sie herum waren plötzlich ver48
schwunden. Ein eisiger Schauer überlief Kathleen. Ihr war sofort klar, was das bedeutete - ein Hai. Im selben Augenblick tauchte auch schon ein drohender, dunkler Schatten im blaugrünen Nebel entlang des Riffs auf. Instinktiv streckte sie die Hand nach Simon aus. Er drückte sie beruhigend und manövrierte Kathleen vorsichtig hinter sich. Mit einer Hand hielt sie sich an seinem Gürtel fest, während sie mit der anderen ihr Tauchermesser aus dem Halfter am Bein zog. Langsam, jede hastige Bewegung vermeidend, steuerten sie rückwärts auf das Riff zu. Es war ein Riffhai, zwar nicht so groß wie andere Arten, aber dafür umso gefährlicher. Der Fisch kam näher ... so nah, dass seine mörderischen Waffen deutlich zu sehen waren - der riesige, halb geöffnete Rachen mit den rasiermesserscharfen Zähnen. Er war jetzt so dicht vor ihnen, dass Kathleen das Gefühl hatte, sie brauchte nur die Hand auszustrecken, um die blasse, schuppige Haut zu berühren. Stumm glitt der Hai an ihnen vorbei. Die kraftvollen Bewegungen seiner Schwanzflosse trieben ihn in einer geraden, tödlichen Linie voran. Kathleen packte Simons Gürtel fester und stellte entsetzt fest, dass der Fisch kehrtmachte und zurückkam. „Töte ihn!" hätte sie am liebsten geschrieen. Aber sie wusste, dass Simon das Risiko, das Wasser mit Blut anzureichern, nur als allerletzten Ausweg eingehen würde. Wenn es noch andere Haie in der Umgebung gab, würden diese sofort angelockt werden. Wieder zog der Fisch an ihnen vorbei, diesmal noch näher. Er schien die beiden Taucher beschnuppern zu wollen, als sei er nicht sicher, ob er diese seltsamen Gummiwesen in seinem Reich ungeschoren lassen sollte. Kathleen hatte gehört, dass Haie den Geruch von Taucheranzügen nicht mochten. Sie spürte Panik in sich hochsteigen. Der Luftvorrat ging zu Ende, und der Fluchtweg vom Riff weg war versperrt. Sie saßen in der Falle. Dann sah es so aus, als hätte der Hai sein Interesse verloren. Doch plötzlich kam er wieder auf sie zugeschossen, drehte jedoch im nächsten Augenblick mit einer Blut verströmenden Wunde am Kopf ab. Simon hatte eine Patrone abgeschossen. Ehe Kathleen 49
es sich versah, umfasste er ihre Taille und schwamm mit ihr auf den Haikäfig zu. Mit schnellen Bewegungen öffnete Simon das Gitter und schob Kathleen hinein. Dann folgte er unverzüglich und zog die Tür hinter sich zu. Instinktiv warf sich Kathleen in Simons Arme und legte das Gesicht an seine breite Brust. Ein Rucken am Käfig sagte ihnen, dass Josh sie nach oben hievte. Es kam ihnen wie eine Ewigkeit vor, obwohl es in Wirklichkeit kaum eine Minute dauerte, bis sie die Wasseroberfläche erreichten und sich die Mundstücke herausrissen. Wie eine Puppe hob Simon Kathleen aus dem Käfig. Sie klammerte sich an ihn, weil ihre Beine sie nicht tragen wollten. Leise Verwünschungen ausstoßend, nahm er ihr die Maske und die Sauerstoffflaschen ab. Dann öffnete er den Reißverschluss des schweren Taucheranzugs und half ihr behutsam heraus. Kurz darauf war sie schon in ein weiches Badetuch gehüllt. Kathleen merkte erst, dass sie weinte, als Simon ihr die Tränen fortküsste. Wie von selbst suchte sie seine Lippen. Eine seltsame Hitze durchflutete ihren zitternden Körper und verdrängte die Schrecken. Ein neues, nie gekanntes Gefühl ließ sie jede Kontrolle über sich verlieren. All das sinnliche Verlangen, das Kathleen so lange unterdrückt hatte, drängte an die Oberfläche und übertrug sich auf den Mann, der sie umfangen hielt. Hingebungsvoll schmiegte sie sich an Simons harten Körper und spürte, wie erregt er war. Er hob den Kopf und blickte sie ungläubig an. „He", sagte er leise, „wenn du auf ein bisschen Angst so reagierst..." Beschämt wurde ihr bewusst, was sie herausgefordert hatte, und ruckartig versuchte sie sich aus seinen Armen zu befreien. „Lass mich los!" Sofort gab Simon sie frei. Verstört trat Kathleen zurück und griff nach dem herabhängenden Zipfel ihres Badetuchs. „Was fällt dir ein, mich anzurühren?" Simon lachte. „Du bist vielleicht ein merkwürdiges Wesen", meinte er kopfschüttelnd. „Was in deinem hübschen Köpfchen vorgeht, weiß man ebenso wenig wie bei den verflixten Fischen." „Vielleicht gefällt mir dein Köder nicht", bemerkte sie spitz. 50
„Vielleicht hast du noch nicht genug davon probiert", konterte Simon und kam auf sie zu. Kathleen wollte fortlaufen, trat dabei jedoch auf das Handtuch und wäre gestürzt, wenn Simon sie nicht aufgefangen hätte. Sie kämpfte gegen ihn an, aber er war zu stark. Als er sie küsste, machte sie sich ganz steif und war entschlossen, kalt und teilnahmslos zu bleiben. Simons Zunge glitt langsam über ihre Lippen und drang dann in ihren Mund ein. Gegen die Leidenschaft, mit der er sie küsste, war Kathleen machtlos. Allmählich wurde sie schwach, das Verlangen ihrer Sinne war stärker als die Willenskraft. Als Simon spürte, dass sie nicht mehr an Widerstand dachte, hielt er sie von sich ab. „So, lass dir das eine Lehre sein", erklärte er spöttisch. „Fang lieber nichts an, was du nicht zu Ende führen kannst." „Ich hasse dich!" zischte sie. „Rühr mich ja nicht mehr an, sonst bringe ich dich um!" „Bringe mich nicht in Versuchung, kleiner Hitzkopf", spöttelte er. „Das wäre ein zu schöner Tod." Kathleen stolperte in ihre Kabine und entledigte sich mit zittrigen Fingern des Badeanzugs. Dann brach sie wieder in Tränen aus und weinte hemmungslos. In den wenigen Minuten an Deck hatte Simon McGregor die Schutzmauer durchbrochen, die sie um sich aufgerichtet hatte. Vor David hatte sie nur zwei harmlose Freundschaften mit Jungen ihres Alters gehabt. Zu mehr als bedeutungslosen Küssen war es da nicht gekommen. Erst durch David hatte sie körperliche Liebe kennen gelernt. Doch was sie soeben in Simons Armen erlebt hatte, war ihr mit David nie begegnet. Nie hätte sie es für möglich gehalten, so stark auf einen Mann zu reagieren. Einen Mann, den sie kaum kannte und nicht einmal mochte. Die Erkenntnis war erschreckend und machte ihr mehr Angst als die Haie. Simon hatte eine Macht über sie, der sie sich nicht entziehen konnte. Dennoch wusste Kathleen, dass sie ihren Gefühlen nicht nachgeben durfte, wenn sie ihre Selbstachtung nicht verlieren wollte. In Zukunft musste sie darauf achten, dass es zu Entgleisungen wie eben 51
nie mehr kam. Mit diesem Vorsatz trat sie unter die Dusche. Zehn Minuten später war ihr Haar fast wieder trocken, und sie ging mit Shorts und T-Shirt bekleidet nach oben. „Sie haben Ihre gewohnte Schokolade nicht getrunken, Mrs. Kathleen", erinnerte sie Josh. „Möchten Sie sie jetzt haben?" „Nein danke, Josh. Aber gegen Kaffee hätte ich nichts einzuwenden, wenn dir das nicht zu viel Mühe macht." Sie blickte ihn prüfend an. Hoffentlich hatten er oder sein Vater die peinliche Szene mit Simon nicht mit angesehen! Kathleen machte es sich auf dem Achterdeck bequem und nahm ihre Logbucheintragungen vor. Dabei trank sie den Kaffee, den Josh ihr gebracht hatte. Doch innerlich war sie unruhig und wartete auf Simons Erscheinen. Als er endlich an Deck kam, wirkte er so gelassen, als sei nichts geschehen. „Ich schlage vor, wir überlassen dieses Riff den Haien", erklärte er. „Wenn du einverstanden bist, legen wir zwei Tage Pause ein und fahren zu einer der Randinseln." „Klingt gut", antwortete Kathleen mit unsicherer Stimme. „Zu welcher denn?" „Wrecker's Cay. In zwei Stunden sind wir dort. Wir können heute Abend an Land essen, wenn du möchtest. Es gibt dort ein Hotel, in dem man recht gut essen kann." „Einverstanden." Kathleen war erleichtert, dass sie wieder eine normale Unterhaltung führen konnten. „Gab es auf Wrecker's Cay auch Piraten?" Simon setzte sich auf die Bank ihr gegenüber und streckte seine langen Beine aus. „Nein, aber Engel waren die Leute dort auch nicht. Vor der Insel gibt es eine gefährliche Sandbank. Früher sind dort viele Schiffe auf Grund gelaufen und wurden von den Inselbewohnern geplündert. Hier und da kann man immer noch Wracks zwischen den verkrusteten Korallen erkennen, obwohl die meisten Schiffe verbrannt oder auf hohe See geschleppt wurden, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen." „Und was geschah mit den Mannschaften?" 52
Simon fuhr sich mit dem Daumen quer über die Kehle. Kathleen erschauerte. „Wie schrecklich! Man kann sich kaum vorstellen, dass an einem paradiesischen Fleckchen Erde wie hier so viel Mord und Gewalt geherrscht haben." „Du musst meinen Großvater kennen lernen", meinte Simon. „Er könnte dir Geschichten erzählen, die dich das Grausen lehren würden." „Besser nicht. Was ist das übrigens für ein Hotel, in das wir gehen wollen? Soll ich ein Kleid anziehen?" „Wenn du möchtest. Aber dort nimmt man es mit der äußeren Erscheinung nicht so genau. Auf den kleinen Inseln geht es ziemlich ungezwungen zu." „Also, ich würde zur Abwechslung gern mal etwas anderes als nur immer Jeans und Shorts tragen", entschied sie. „Ich gehe mich jetzt umziehen."
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5. KAPITEL
Die Sonne stand bereits tief am Himmel, als sie sich Wrecker's Cay näherten. Kathleen freute sich so auf den Landgang, dass sie ihre Zurückhaltung Simon gegenüber längst wieder aufgegeben hatte. Es war schön, das beste Kleid anziehen und wieder einmal Make-up benutzen zu können. Als sie fertig war, betrachtete sie sich kritisch im Spiegel. Die seidigen dunklen Locken umrahmten ihr fein geschnittenes Gesicht, und die Haut schimmerte golden. Zur Feier des Tages hatte sie die großen Augen mit einem Hauch von Lidschatten versehen und einen dezenten Lippenstift gewählt. Das Kleid betonte ihre Figur und floss beim Gehen weich um die Beine. Kathleen wusste, dass sie keine klassische Schönheit war, aber sie strahlte so viel Weiblichkeit aus, dass Simon sicher überrascht sein würde, wenn er sie nach all den Tagen in praktischer Bordkleidung jetzt plötzlich einmal anders erlebte. Mit einem Lächeln auf den Lippen betrat sie den Salon. Ihre Verwandlung hatte durchschlagende Wirkung. Simon unterhielt sich gerade mit Josh. Als der Junge bei Kathleens Anblick die Augen aufriss, drehte Simon sich ruckartig um und stieß prompt mit dem Kopf an den Deckenbalken, was er sonst immer automatisch vermied. Kathleen brach in heiteres Gelächter aus. „Also wirklich", sagte Simon und rieb sich die Stirn. „Ehe du so auftrittst, solltest du besser eine Vorwarnung abgeben." „Soll das ein Kompliment sein?" „Was denn sonst?" Kathleen senkte den Blick. „Danke", antwortete sie leise. „Wann gehen wir?" „Gleich, wenn du willst", antwortete Simon. „Viel Spaß, Josh! Ein schönes Wochenende, bis Montag." „Willst du das ganze Wochenende im Hotel verbringen?" fragte Kathleen überrascht und auch ganz schön verwirrt. „Nein." Simon half ihr über die Laufplanke auf den hölzernen An54
legersteg. „Josh und sein Vater besuchen für zwei Tage ihre Familie." Ein gepflegter Kiesweg führte durch einen Garten mit blühendem Oleander, Hibiskus und hohen Jacarandabäumen. Bei Tage musste diese Farbenpracht einfach überwältigend wirken. Auf einer Anhöhe, die den Yachthafen vom Hotel trennte, blieb Kathleen erstaunt stehen. Das Hotel war ein hochmoderner Bau und viel größer, als sie erwartet hatte. Es war ein langer, flacher Komplex aus getöntem Glas und Beton und erstrahlte in verschwenderischem Lichterglanz. Eine große, mit Blumen geschmückte Terrasse trennte es von dem palmengesäumten Strand. „Du meine Güte! Das ist ja ein Luxushotel!" Kathleen war froh, dass sie sich mit ihrem Aussehen solche Mühe gegeben hatte. „Freut mich sehr, dass es dir hier gefällt", antwortete Simon trocken. „Das habe ich nicht gesagt. Ich meinte nur, es sei ein Luxushotel. Bestimmt wimmelt es hier nur so von Millionären." „Hast du etwas gegen Millionäre?" Kathleen zuckte skeptisch die Schultern. „Sicher gibt es auch nette unter ihnen", antwortete sie. Simon lachte. „Wollen wir trotzdem hier essen?" „Muss man nicht vorher einen Tisch bestellen?" Es widerstrebte Kathleen, sich in dieses sicher teure Restaurant einladen zu lassen. „Ich habe ihnen unsere Ankunft per Funk durchgegeben", erklärte Simon. Sie gingen den Pfad entlang und betraten durch breite Glastüren die Empfangshalle des Hotels. „Guten Abend, Mr. McGregor." Kathleen blickte den elegant gekleideten Empfangschef überrascht an. „Guten Abend, Lucas. Viel Betrieb heute?" „Mehr als genug, Sir", antwortete Lucas zufrieden. „Guten Abend, Mrs. Taylor", setzte er mit einer höflichen Verbeugung hinzu. „Guten Abend." Kathleen wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte, und folgte Simon in den großen, gedämpft beleuchteten Speise55
saal. Die Tische waren um eine kleine Tanzfläche gruppiert, auf der bereits einige Paare tanzten. Eine farbenfroh gekleidete Band spielte einheimische Gumbay-Musik. „Du musst hier ein bekannter Gast sein", meinte Kathleen, als er sie zu einem der Tische führte. „Da gibt es ein, zwei Dinge, die ich dir ..." „Simon! Was für eine Überraschung!" Erstaunt wandte sich Simon um. „Hallo, Serge. Darf ich dir Kathleen Taylor vorstellen? Kathleen, das ist Serge Francois." Der dunkelhaarige, südländisch aussehende Mann bedachte sie mit einem strahlenden Lächeln. Er sah blendend aus, und sein Gesicht war Kathleen fast so vertraut wie sein Name. „Willkommen in Wrecker's Cay", begrüßte er sie und küsste ihr galant die Hand. Mutter würde mich beneiden, dachte Kathleen, denn Serge Francois war ihr Lieblingssänger. Serge ließ den Blick anerkennend anerkennend über Kathleens schlanke Gestalt gleiten, um ihr dann tief in die Augen zu sehen. „Wie lange werden Sie bleiben?" „Nur übers Wochenende", antwortete sie leichthin. Serge Francois schien enttäuscht zu sein, dass sein Charme offenbar nicht die gewohnte Wirkung hatte. Doch er erholte sich schnell. „Oh, dann müssen wir Simon überreden, länger zu bleiben, ja?" Er gab Kathleens Hand nicht frei und wandte sich fragend an Simon. „Wie lange wir bleiben, liegt ganz bei Mrs. Taylor", gab dieser trocken zurück. „Sie hat die Barracuda gechartert." „Gechartert?" Serge Francois machte ein verständnisloses Gesicht. „Ich bin auf der Suche nach einem Wrack", antwortete Kathleen. „Einem alten Piratenschiff." „Ah!" Serge Francois zog unaufgefordert einen Stuhl vom Nebentisch heran und nahm Platz. „Faszinierend", meinte er und setzte erneut seinen betörendsten Blick ein. „Erzählen Sie mir mehr darüber." „Wollen wir nicht erst bestellen?" mischte sich Simon ein. Er lächelte amüsiert, weil er annahm, dass Kathleen sich von Serges Umschmeichelung beeindrucken ließ. „Ich weiß gar nicht, was ich nehmen soll", erklärte sie nach Durch56
sicht der Speisekarte. „Was würden Sie mir empfehlen, Serge?" „Versuchen Sie den Panzerkrebs", schlug er vor. „Es gibt ihn erst wieder seit Saisonbeginn." „Also gut, Panzerkrebs", entschied Kathleen. „Darf ich Sie in der Zwischenzeit um einen Tanz bitten?" fuhr Serge aalglatt fort. „Gern", sagte Kathleen und lächelte Serge strahlend an. Simons selbstsichere Art könnte ruhig einen kleinen Dämpfer vertragen, dachte sie und ließ sich von Serge auf die Tanzfläche führen. Er zog sie sofort eng an sich, aber sie legte die Hand auf seine Brust, um ihn auf Distanz zu halten. „Kennen Sie Simon schon lange?" erkundigte er sich sofort. „Nein. Ich habe die Barracuda vor zwei Wochen in Nassau gechartert. Vorher kannte ich ihn nicht. Er war ... ein Bekannter meines Mannes." „Tatsächlich?" Serge lachte leise. „Dass Simon im Chartergeschäft sein soll, ist mir neu." Kathleen blickte ihn verwundert an. „Aber ich dachte, dass er damit sein Geld verdient." „Aber nein, ma cherie. Hat er es Ihnen nicht gesagt?" Serge zog sie enger an sich und führte sie geschickt zwischen den anderen Paaren hindurch. „Er ist der Enkel von Nathan McGregor, dem dieses Hotel gehört." Sie hielt unwillkürlich den Atem an und blickte zu ihrem Tisch. Er war leer. Sie suchte unter den Tanzenden und entdeckte Simon sofort an seiner Größe und dem hellen Haar. Er tanzte mit einer temperamentvollen Blondine und lachte über etwas, das seine Tanzpartnerin eben erzählte. Serge war Kathleens Blick gefolgt. „Ah, wie ich sehe, hat Simon keine Zeit verloren, seine Bekanntschaft mit Georgina zu erneuern", bemerkte er ironisch. „Er versteht es, sich zu amüsieren." „Sie sieht außerordentlich gut aus", musste Kathleen zugeben. Serge zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Sie ist durchaus eine reizvolle Frau." Er lächelte Kathleen auf eine Weise an, die ihr sagen sollte, dass er sie viel faszinierender fände. „Auf jeden Fall scheint 57
sie Simons Typ zu sein. Wie ich höre, zeigt sich die junge Dame, die er in Nassau kennt, mit ihrer Gunst ähnlich großzügig." Kathleen zuckte zusammen, und Serge blickte sie fragend an. „Ich hoffe, ich habe da nichts Unpassendes gesagt", meinte er zerknirscht. „Ich dachte ..." Er ließ den Satz unvollendet. „Keineswegs." Kathleen lächelte krampfhaft. „Mr. McGregors Privatleben geht mich nichts an. Unsere Beziehung ist rein geschäftlicher Natur." Serge lächelte beglückt. „Fabelhaft", sagte er leise und drückte sie an sich. „Das hatte ich gehofft. Sie sind so gar nicht wie die Frauen, für die sich mein Freund Simon leider interessiert. Und mit verheirateten hat er überhaupt nichts im Sinn. Da ist er ganz altmodisch." Sein Ton ließ anklingen, dass er solche Hemmungen nicht hatte. Kathleen löste sich von ihm. „Müssen wir ständig über Simon reden?" fragte sie kühl. „Bitte verzeihen Sie mir", erklärte Serge sofort. Er merkte, dass er seinen Rivalen nun genug herabgesetzt hatte. „Leider möchte der Kellner Ihnen servieren, und es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als auf Sie zu vernichten, jedenfalls fürs Erste." Damit begleitete er Kathleen an den Tisch zurück und verbeugte sich galant. „Darf ich hoffen, Sie wieder zu sehen, solange Sie hier sind?" Kathleen schenkte ihm ihr schönstes Lächeln. „Natürlich", erklärte sie liebenswürdig, „Das wäre sehr nett." Er küsste ihre Fingerspitzen und richtete sich dann triumphierend auf, um einige Worte mit Simon zu wechseln, der ebenfalls von der Tanzfläche zurück war. Simon nahm schmunzelnd Platz und schien keineswegs eifersüchtig zu sein. „Wein?" fragte er und schenkte ihr nach, ohne die Antwort abzuwarten. „Danke." „Hüte dich vor Serge", riet er gelassen. „Er dreht seinen Charme auf und zu wie einen Wasserhahn." „Danke für die Warnung", gab Kathleen zurück. „Aber wenn man im Glashaus sitzt, sollte man nicht mit Steinen werfen." Simon nahm die Anspielung mit einem ironischen Lächeln zur 58
Kenntnis. „Wir haben uns übrigens über dich unterhalten", fuhr Kathleen kühn fort. „Jetzt weiß ich, warum du so ohne weiteres einen Tisch bekommen hast." Simon lehnte sich zurück und trank vom Wein. „Ich wollte dir davon erzählen, als Serge dummerweise dazwischenkam." „Warum hast du mir vorher nichts davon gesagt?" Simon machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es erschien mir nicht wichtig für unsere Beziehung." Kathleen wurde einer Antwort enthoben, da der Kellner mit dem ersten Gang erschien. Als er wieder gegangen war, fragte sie nach. „Gehört deinem Großvater nur dieses Hotel oder eine ganze Kette?" „Ein halbes Dutzend", erwiderte er gleichgültig. „Tatsächlich? Und die wirst du wohl einmal erben, nicht wahr?" Kathleens Stimme triefte vor Sarkasmus. „Irgendwann einmal." Simons Gesichtsausdruck warnte sie, ihn weiter herauszufordern. Also schwieg sie und widmete sich dem ausgezeichneten Essen. Nach einiger Zeit wurde die Beleuchtung des Saals schwächer, und Serge trat in den Kegel der Scheinwerfer. Er trug jetzt einen eleganten schwarzen Samtanzug mit weißem Spitzenhemd. Nachdem er mit seiner samtigen Stimme einige romantische Lieder zum Besten gegeben hatte, wanderte er mit einer roten Rose in der Hand zwischen den Tischen herum. Jeder Frau, an der er vorbeikam, ob sie nun achtzehn oder achtzig war, ließ er eine schmeichelnde Geste zuteil werden. Verträumte Blicke folgten ihm, als er weiterging. Schließlich kam er zu Kathleen, und mit einem schmelzenden Blick reichte er ihr die Rose. Sie nahm die Blume lächelnd entgegen, obwohl sie sich im Licht der Scheinwerfer etwas unbehaglich fühlte. Serge beendete sein Lied und badete sich im Applaus der Gäste. Kathleen spürte, wie Simon sie beobachtete. Sie gab sich bewusst gelassen, obwohl die jüngsten Enthüllungen sie stark beschäftigten. Prüfend sah sie sich in dem luxuriösen Speisesaal um. Simon musste 59
der Erbe eines Millionenvermögens sein! Und natürlich konnte er jede Frau haben. Dennoch zog er es vor, über der zweifelhaften Bar in Nassau zu wohnen und sich mit flatterhaften Mädchen wie Maxie und Georgina abzugeben. Verstohlen studierte sie sein Gesicht und versuchte diesen Mann einzuordnen. Warum hatte er der Gesellschaft den Rücken gekehrt, zu der er doch offenbar gehörte? „Ist etwas nicht in Ordnung?" unterbrach Simon ihre Überlegungen. „Du machst so ein merkwürdiges Gesicht." Kathleen setzte schnell ein Lächeln auf. „Findest du? Nun, ich ... hoffe nur, du wirst mich mein Essen nicht selbst bezahlen lassen", improvisierte sie rasch. „Das würde mir nicht im Traum einfallen. Noch etwas Wein? Oder hättest du jetzt lieber Kaffee?" „Kaffee, bitte." Simon winkte den Kellner heran und bestellte. Kathleen spielte geistesabwesend mit dem Zipfel ihrer Serviette und dachte über das Rätsel Simon McGregor nach. „Warum hast du mir vorgemacht, du seiest ein Charterkapitän?" brach es schließlich aus ihr heraus. „Weil du dich in alle möglichen Abenteuer gestürzt hättest, nur um das verflixte Wrack zu finden", antwortete er prompt. „Du bist ein Hitzkopf und gehst die Dinge manchmal etwas impulsiv und ganz schön blauäugig an." „Ich wäre auch ohne dich zurechtgekommen", erklärte Kathleen trotzig. „Es hätte mich höchstens etwas mehr Zeit gekostet, das ist alles." „Du hättest möglicherweise den Rest deines Lebens gesucht und keine Ruhe mehr gefunden." „Das Risiko wäre ich eingegangen." „Und dein Lebensunterhalt?" erkundigte er sich spöttisch. „Hier auf den Inseln besteht kein Bedarf an englischen Lehrerinnen." „Dann hätte ich mir eben eine andere Arbeit gesucht", beharrte Kathleen. „Als was? Was kannst du denn? Bier zapfen in einer Spelunke?" „Dort würde ich für nichts auf der Welt arbeiten." 60
Simon lachte leise. „Ich würde dich jedenfalls nicht einstellen", erklärte er gedehnt. „Dem Job wärst du nämlich nicht gewachsen." Ihre Blicke hielten sich einen Augenblick fest, dann stand er auf. „Aber da sich dieses Problem ja gar nicht stellt, lass uns tanzen und unsere Meinungsverschiedenheiten für eine Weile vergessen, okay?" Simon zog Kathleen auf die Tanzfläche, bevor sie noch etwas sagen konnte. Die Band spielte ein langsames Stück, und sie bewegten sich zu den einschmeichelnden Rhythmen der Musik. Noch etwas widerstrebend ließ sie sich von ihm führen. Langsam, fast unmerklich löste sich ihre Verkrampfung. Simon war ein blendender Tänzer, und Kathleen bemerkte, dass die anwesenden Frauen sie neidvoll beobachteten. Es gefiel ihr. Dann ging die Band zu heißen Rockrhythmen über. Simon ergriff Kathleens Hände und wirbelte sie herum, um sie immer wieder aufzufangen. Musik und Bewegungen ergriffen vollständig Besitz von ihr, und sie strahlte Simon an. Alle Unstimmigkeiten waren plötzlich in weite Ferne gerückt. Sie fühlte sich unbeschwert und glücklich. Als die Musik wieder langsamer wurde, ließ sie sich widerstandslos von Simon in die Arme nehmen. Sie legte ihre Wange an seine Schulter und konnte seinen Atem an ihrem Haar spüren. Mit geschlossenen Augen wiegte sie sich in harmonischem Einklang mit ihm, bis alles um sie herum versank und es nur noch die starken Arme gab, die sie umfangen hielten. Es war unglaublich, welche Wirkung er auf sie hatte. Eine Melodie löste die andere ab. Kathleen hatte jedes Zeitgefühl verloren. Sie hätte in alle Ewigkeit so weitertanzen mögen. „Für heute sollten wir es genug sein lassen, Kathleen", hörte sie Simon plötzlich leise sagen. „Die Band möchte Schluss machen." Sie öffnete die Augen und stellte verlegen fest, dass außer ihnen und den Kellnern, die diskret die Tische abräumten, keine Gäste mehr im Saal waren. „Oh!" Rasch löste sie sich aus Simons Armen. Der Bandleader klatschte ihnen Beifall. Kathleen eilte verwirrt zu ihrem Tisch zurück. Simon war jedoch vor ihr da. Er reichte ihr die Handtasche und legte ihr die Seidenstola um die Schultern. Seine Hände waren sanft 61
und zärtlich. Die Berührung elektrisierte Kathleen, und sie hielt den Blick gesenkt. Die Augenblicke in seinen Armen hatten erneut eine Intimität geschaffen, über die sie lieber nicht nachdenken wollte. Dabei wollte sie sich Simon gegenüber kühl und zurückhaltend geben. Und dennoch war sie wieder seinem Charme erlegen. Dieser Mann spielte mit ihr wie mit einem Hai an der Leine. Erst lockte er sie an und ließ sie dann so lange kämpfen, bis er sie haben konnte, wann er wollte. Die Richtung, die ihre Gedanken genommen hatten, schockierte Kathleen. Stumm ging sie mit Simon durch den Hotelgarten zum Yachthafen zurück. Es war ein wunderschöner Abend. Das Wasser breitete sich samtig schwarz unter einem sternenübersäten Himmel aus. Am Horizont schimmerte majestätisch die Sichel des Mondes. Winzige Lichtpunkte in der Ferne verrieten die Existenz anderer Inseln. Die friedliche Schönheit der Nacht konnte Kathleen nicht beruhigen. Der süße Duft der Frangipani erfüllte die Luft, und das Meer flüsterte dem Korallenstrand ein Wiegenlied. Die Nacht war voller Romantik, und Kathleens Willenskraft war durch die Musik und den Wein bereits geschwächt. Sie warf Simon einen verstohlenen Blick zu. Er hatte die Hände in die Hosentaschen geschoben und schritt gelöst neben ihr her. Ein heißer Schauer überlief sie bei dem Gedanken, dass sie heute Nacht mit ihm auf dem Schiff allein sein würde.
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6. KAPITEL
Der Yachthafen lag friedlich da, und die Schiffe schaukelten träge auf den Wellen. Simon reichte Kathleen die Hand, um ihr über die Laufplanke der Barracuda zu helfen. Ihr war, als überquerte sie die Schwelle zu etwas Unbekanntem. An Deck ließ Simon ihre Hand nicht los. Nervös blickte sie ihn an. „Ich habe dir doch schon einmal gesagt, dass du mich nicht so ansehen sollst, Kathleen", sagte er mit belegter Stimme. „Ich ... weiß nicht, was du meinst." „Nein? Das glaube ich dir nicht. Trotz deiner großen Unschuldsaugen bist du kein naives junges Mädchen mehr. Du warst verheiratet und weißt also, was du herausforderst." Sie versuchte ihre Hand zurückzuziehen, aber er hielt sie fest. „Wovor hast du Angst, Kathleen? Ich weiß doch, dass du mich küssen möchtest." „Nein!" Er lachte leise und zog sie an sich. „O ja, du möchtest es. Du möchtest sogar mehr als nur geküsst werden." Sie schüttelte benommen den Kopf und spürte, wie ihre Vorsätze unter seiner Berührung ins Wanken gerieten. „Doch", flüsterte er. Kathleen machte sich frei und wich vor ihm zurück. Simon versuchte nicht, sie aufzuhalten, als sie sich umdrehte und zur Salontür floh. Sie zog daran, aber nichts rührte sich. „Die Tür ist abgeschlossen", stieß sie voller Panik hervor. „Richtig." „Darf ich bitte den Schlüssel haben?" Simon trat näher, ohne sie zu berühren, und gab einen Kombinationscode ein, der die elektronische Schließvorrichtung freigab. Die Tür glitt auf, und Kathleen stürzte in den Salon. Simon folgte ihr und schloss die Tür hinter sich. Dann stellte er sich so, dass er den Gang zu ihrer Kabine blockierte. In seiner Miene war zu lesen, was er vorhatte. Er würde sie nicht vorbeilassen.
Verzweifelt suchte sie nach etwas Belanglosem, mit dem sie die Spannung brechen konnte. „Nun, ich glaube, ich sollte dir für den schönen Abend danken", brachte sie unsicher hervor. „Freut mich, wenn es dir gefallen hat", antwortete Simon ruhig. „Und das, obwohl es dort von Millionären nur so wimmelte." „Ach ja." Sie schlug einen spöttischen Ton an. „Da bin ich ganz hübsch ins Fettnäpfchen getreten, nicht wahr? Ich hielt dich für einen Charterkapitän und Haifischjäger, und dann stellt sich heraus, dass du ein Millionenerbe bist. Da habe ich mich ganz schön lächerlich gemacht, nicht wahr?" Simon lächelte nachsichtig. „Warum hast du nicht die Wahrheit gesagt?" fuhr Kathleen vorwurfsvoll fort. „War es etwa amüsant, mich an der Nase herumzuführen? Nun, ich halte nichts von deinen Spielchen. Sie sind nicht sehr komisch." „Hätte es etwas geändert, wenn ich dich aufgeklärt hätte?" „Nein, ganz bestimmt nicht", erwiderte sie hitzig. „Dass du ein paar Nullen mehr auf dem Konto hast, macht dich mir nicht sympathischer." „Das hatte ich mir auch gedacht." In Simons Augen tanzten kleine Kobolde. „Bei den meisten Damen ist das ein todsicheres Mittel. Ein Hauch von Geld, und sie sind zu allem bereit, ehe ich überhaupt dazu komme, mich nach ihrem Namen zu erkundigen." „Wie langweilig", stieß Kathleen abschätzig hervor. „Ja, das ist es." Sie blickte Simon wütend an. Sie fühlte sich ihm gegenüber hilflos und wusste nur, dass sie so schnell wie möglich von ihm fort musste, sonst war sie verloren. „Dein Liebesleben interessiert mich nicht", erklärte sie spitz. „Ich gehe jetzt in meine Kabine." „Dann musst du erst an mir vorbeigehen", antwortete er, ohne den Weg freizugeben. Kathleens Herz schlug wild. Eine deutlich fühlbare Spannung hatte sich zwischen ihnen aufgebaut. Wie hypnotisiert sah sie Simon an. Sie sehnte sich danach, ihn zu berühren, nach der Wärme seiner Haut, nach seinen Küssen. Langsam ging sie auf ihn zu und blieb 64
dicht vor ihm stehen. Wie in Trance tastete sie nach seiner Wange, seinem Haar, seinen Lippen. Ohne Kathleen aus den Augen zu lassen, drehte Simon leicht den Kopf und küsste ihre Fingerspitzen. Spielerisch erfasste er sie mit den Zähnen und hielt sie fest. Dann legte er den Arm um ihre Taille und zog sie an sich. Sie legte den Kopf zurück und blickte Simon in die Augen. Wie von selbst fanden ihre Hände seine breiten Schultern, und sie versuchte in seinem Gesicht zu lesen. Ihr Blick blieb an seinen sinnlichen Lippen hängen, die sie aufzufordern schienen, das Begonnene zu Ende zu bringen. Scheu, noch zögernd, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und berührte flüchtig seinen Mund. Sie wusste, dass Simon sich bewusst zurückhielt, um sie herauszufordern. Er wollte sie aus der Reserve locken, indem er ihr das Gefühl vermittelte, dass sie es war, die ihn verführte. Und Kathleen war bereits zu weit gegangen, um jetzt noch einen Rückzieher machen zu können. Als Simon sie an sich zog und zärtlich und verlangend zugleich küsste, erwiderte Kathleen seinen Kuss und schmiegte sich erwartungsvoll an ihn. Sie spürte sein Begehren und gab den letzten Rest von Widerstand auf. Jetzt hielt ihn nichts mehr zurück. Er küsste sie mit einer Leidenschaft, der sie sich nur unterordnen konnte. Der Schal war von Kathleens Schulter geglitten, und seine Hände streichelten ihren Rücken, um dann besitzergreifend tiefer zu wandern. Er bedeckte die empfindsamen Stellen an ihrem Hals mit kleinen Küssen, bis sie hingebungsvoll den Kopf zurücklegte. Kathleen gab sich nun ganz seinen Liebkosungen hin. Alles in ihr sehnte sich danach, diesem Mann ganz zu gehören. Sie spürte, wie seine Hand langsam über ihren Körper glitt und an ihren Brüsten Halt machte. Zärtlich streichelte er sie. Während er Kathleen erneut küsste, schob er die Hand unter ihr Kleid, um die nackte Haut zu liebkosen und ihre Brustspitzen zu reizen, bis sie hart wurden. Mit meisterlicher Geschicklichkeit führte Simon sie der vollkommenen Hingabe entgegen. Seine Küsse waren heiß und erregend, und seine Liebkosungen weckten Empfindungen in ihr, die sie nie ge65
kannt hatte. Doch dann hob er den Kopf und sah sie herausfordernd an. „Nun, Kathleen", sagte er, „bist du jetzt bereit, dich mit dem Zweitbesten abzufinden?" Sie konnte ihn nur verständnislos anstarren. Dann begann die Erinnerung zurückzuströmen ... langsam und schmerzlich. Tränen der Erniedrigung traten ihr in die Augen, und sie riss sich aus Simons Armen los. „Nein!" stieß sie verstört hervor. „Niemals!" Simons Züge wurden hart. „Dann geh", sagte er verächtlich. „Kapsle dich weiter ab, wenn du kannst. Aber wie lange glaubst du gegen dich selbst ankämpfen zu können? Du kannst deinen nach Liebe hungernden Körper nicht ewig auf Eis legen, jedenfalls nicht bei deiner Leidenschaft, die in dir schlummert." Kathleen rang nach Luft. „Ich hasse dich!" brachte sie mühsam hervor. Simon lächelte spöttisch. „Wirklich? Das macht weiter nichts." Sie war so wütend, dass sie ihm am liebsten etwas Schweres an den Kopf geworfen hätte. Doch alles, was sie finden konnte, war ein Kissen. Mit aller Macht schleuderte sie es nach Simon, stürmte zu ihrer Kabine und schlug krachend die Tür hinter sich zu. Erst jetzt ließ Kathleen den Tränen freien Lauf. Simon hatte ja Recht. Nicht einmal David hatte solche Empfindungen in ihr geweckt. Langsam nahm sie sein Foto in die Hand und setzte sich auf die Koje. Mit schwachem Schuldbewusstsein wurde ihr klar, dass sie David zu vergessen begann. Die Begegnung mit Simon hatte sie unwiderruflich verändert, und die Erinnerung an David verblasste immer mehr. Die kurzen glücklichen Monate ihrer Ehe erschienen ihr jetzt nur noch wie ein Kapitel aus einem Buch, das sie einmal fasziniert hatte. Sie blickte das Foto bedauernd an. „Tut mir Leid, David", flüsterte sie. „Ich kann nichts dafür." Nachdenklich betrachtete sie sein lächelndes Gesicht. Sie hatte stets getan, was er wollte, und sich nie gegen ihn gesperrt - außer vor der Ehe, als sie sich geweigert hatte, mit ihm ins Bett zu gehen. 66
Kathleen musste plötzlich daran denken, wie hilflos sie in Simons Armen gewesen war. Sie hatte David geliebt, aber wenn Simon McGregor sie berührte, ja, sie auch nur ansah, geschah etwas mit ihr. Sie legte den Kopf auf das kühle Kissen und dachte nach. Nie hätte sie sich träumen lassen, ein so starkes körperliches Verlangen empfinden zu können, schon gar nicht nach einem Mann, den sie nicht liebte. Diese Begegnung stellte das ganze Bild von sich und ihren Wertvorstellungen in Frage. Früher war ihr alles so einfach erschienen. Liebe war eine Hinwendung von Seele und Geist, und die daraus erfolgende körperliche Vereinigung war ein Ausdruck dieser Bindung. Aber bei Simon schien alles anders zu sein. Sie zogen sich körperlich auf einer Ebene an, die außerhalb jeder verstandesmäßigen Erklärung lag. Ich liebe ihn nicht, und dennoch leide ich, fiel ihr ein. Warum musste es ausgerechnet Simon McGregor sein? Selbst wenn die Leidenschaft sie dazu drängte, mit ihm zu schlafen, die Treue zu David würde sie letztlich zurückhalten. Aber warum hatte Simon sie so einfach gehen lassen? Wenn er nur mit ihr schlafen wollte, hätte er das vorhin spielend geschafft. Er hätte sie nur weiter zu küssen brauchen, bis sie nicht mehr fähig gewesen wäre, ihn abzuweisen. Was wollte er nur erreichen mit seinem Verhalten? Kathleen schob die beunruhigenden Gedanken beiseite. Mechanisch stand sie auf und kleidete sich aus. Die warme Dusche entspannte sie etwas. Sie schlüpfte in ihren Pyjama und kletterte in die Koje. Dort lag sie noch lange wach und wälzte sich ruhelos hin und her. Am nächsten Morgen blieb Kathleen bis zum späten Vormittag in ihrer Kabine. Zwar war sie bereits bei Morgengrauen aufgewacht, blieb aber noch stundenlang im Bett, weil sie sich davor fürchtete, Simon nach den Ereignissen der Nacht gegenüberzutreten. Ein kräftiges Pochen an der Tür ließ sie auffahren. Ihr Herz begann heftig zu klopfen. „Ja?" „Kathleen? Ist alles in Ordnung? Es ist schon nach zehn." Simons Stimme klang kühl und unpersönlich. 67
„Ja, ich ... ich habe Kopfschmerzen, das ist alles", ließ sie sich schnell eine Ausrede einfallen. Er lachte verständnisvoll. „Sag bloß, du hast einen Kater!" Kathleen lächelte zufrieden. Damit hatte er eine ausgezeichnete Entschuldigung für ihr Verhalten in der Nacht geliefert. „Nun, ich habe wohl tatsächlich etwas zu viel Wein getrunken", log sie. „Ich bin Alkohol nicht gewohnt." „Ich verstehe." Simons Stimme klang belegt. „Soll ich dir Kaffee bringen?" „Ja, bitte." Als Simon mit dem Kaffee zurückkehrte, zog sie sich die Decke bis über die Ohren hoch, damit er nicht merkte, wie gesund sie war. „Stell ihn bitte auf den Boden", bat sie mit gespielt matter Stimme. „Ich habe gar nicht gesehen, dass du so viel getrunken hast." Er schien von ihrem Zustand nicht so ganz überzeugt zu sein. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich Alkohol nicht gewohnt bin", verteidigte sie sich. „Na gut. Das erklärt wohl auch dein untypisches Verhalten." „Ich fürchte, ich erinnere mich an nicht mehr viel", gestand sie zerknirscht. „Also, wenn du dich nicht wohl fühlst, bleib lieber im Bett", riet Simon kühl. „Übrigens, ich lasse dich heute auf dem Schiff allein, da ich noch eine Menge zu erledigen habe." „Gut." Kathleen wusste selbst nicht, warum sie sich ärgerte. Das war doch eigentlich ganz in ihrem Sinn! „Ich hinterlasse dir den Türcode. Verlege ihn nicht. Präge ihn dir am besten ein", fuhr Simon sachlich fort. „Wann ich zurück sein werde, weiß ich noch nicht, vielleicht erst morgen. Wirst du allein klarkommen?" „Natürlich." „Okay. Bis bald, und gute Besserung." „Bis bald", antwortete sie betont gleichmütig. Kathleen legte sich zurück und starrte zur Decke. Wohin ging Simon? Wollte er den Tag mit Georgina verbringen? Und die Nacht ...? Und wenn schon. Ihr konnte das doch gleichgültig sein. Das bedeute68
te wenigstens, dass sie Ruhe vor ihm hatte. Simons Schritte auf dem Achterdeck sagten Kathleen, dass er das Schiff verließ. Sie stand auf, schlüpfte in bequeme Jeans und ein TShirt und ging in die Küche. Dort kippte sie den unerwünschten Kaffee in den Abguss. Sie bereitete sich ein Frühstück und aß mit schuldbewusster Eile, weil sie nicht sicher war, ob Simon vielleicht doch zurückkommen und ihr Theater durchschauen würde. Es war ein merkwürdiges Gefühl, allein an Bord zu sein. Sie spülte ihr Frühstücksgeschirr und ging in den Salon. Jetzt, wo sie wusste, dass dies eine Privatyacht und kein Charterboot war, sah sie die luxuriöse Einrichtung in einem ganz anderen Licht. Auf See schien Simon durchaus Gefallen an einem gehobenen Lebensstil zu finden, im Gegensatz zu der Kneipe in Nassau. Neugierig wanderte sie nach unten zu den vorderen Kabinen. Einen Augenblick blieb sie unschlüssig vor Simons Tür stehen. Sie dachte an den kurzen Eindruck, den sie bei der Besichtigungsrunde am ersten Tag von seiner Kabine erhascht hatte. Dann konnte sie der Versuchung nicht widerstehen und öffnete die Tür. Der Raum strahlte ebenso viel Männlichkeit aus wie sein Bewohner. Das große Bett war mit einer zimtfarbenen Wildlederdecke bedeckt, der dicke Teppichboden von einem kräftigen Braun, und die Wände waren mit glänzendem dunklem Mahagoni getäfelt. An einer Wand befanden sich gerahmte Farbfotografien. Kathleen trat näher, um sie anzuschauen. Alle zeigten Simon mit Freunden und großen Fischen, die sie geangelt hatten. Einige davon stammten aus seiner Teenagerzeit. Die Gesichter der Jungen strahlten stolz und zuversichtlich. Beim Betrachten der Fotos fiel Kathleen auf, dass da ein Zeitsprung bestand. Ungefähr zwei Jahre waren nicht vertreten. In diesen zwei Jahren musste Simon etwas Entscheidendes passiert sein, denn danach wirkten seine Züge plötzlich hart, und sein Lächeln war zynisch geworden. Konnte das etwas mit David zu tun haben? Aber was? Sie war der Lösung des Rätsels um keinen Schritt näher gekommen. Gedankenverloren ging sie auf das Sonnendeck zurück. 69
„Ahoi! Barracuda!" Kathleen blickte auf und entdeckte auf dem Anlegesteg Serge Francois, der ihr selbstbewusst zuwinkte. Er trug einen hellblauen Jogging-Anzug, dessen Oberteil vorn geöffnet war und einen dunklen Brustflaum mit glänzender Goldkette sehen ließ. „Hallo", antwortete sie lustlos. Serge schien ihren Mangel an Begeisterung nicht zu bemerken. „Ist Simon nicht da?" „Im Moment nicht." „Ah! Darf ich an Bord?" Kathleen nickte. Schließlich konnte sie ihn nicht einfach abweisen, ohne unhöflich zu sein. „Was haben Sie heute vor, Cherie?" Serge verströmte wieder seinen ganzen Charme. „Eine Menge", erwiderte Kathleen rasch. „Ich muss meine Aufzeichnungen schreiben, solange alles noch frisch in Erinnerung ist." „So?" Serge machte ein enttäuschtes Gesicht. „Könnten Sie das heute nicht ausnahmsweise einmal liegen lassen und mit mir Wasserski fahren?" „Das geht leider nicht." „Dann müssen Sie mit mir zu Abend essen", beharrte Serge. „Sie können doch nicht die ganze Zeit arbeiten. Essen müssen Sie ja schließlich." Kathleen zögerte. Sie suchte verzweifelt nach einer Ausrede, aber ihr fiel nichts ein. „Also gut", gab sie nach. „Ich nehme die Einladung an." „Das freut mich." Serge strahlte. „Sagen wir sechs Uhr? Ich werde voller Ungeduld auf den Abend warten." Er nahm ihre Hand und küsste sie galant auf die Fingerspitzen, bevor er die Barracuda wieder verließ. Kathleen sah ihm nach, wie er zum Hotel joggte. Manchmal blieb er stehen, um ein Wort mit Hotelgästen zu wechseln oder ein Autogramm zu geben. Ihm war anzumerken, dass er die bewundernden Blicke der Frauen genoss. Er sah ja auch blendend aus, wie Kathleen sich eingestehen musste, wenn er auch nicht ihr Typ war. Ihr Ge70
schmack neigte eher zu blondem Haar und kühlen blauen Augen. Wo mochte Simon sein? Mit Georgina an einem romantischen Strand? Wenn sie sich mit ihm einlässt, ist sie selbst schuld, dachte Kathleen hämisch. Sie muss doch längst gemerkt haben, dass sie nur eine weitere Eroberung auf seiner Liste wäre. Für Simon gab es keine feste Beziehung. Dennoch musste Kathleen den ganzen Tag über immer wieder an Simon und Georgina denken, obwohl sie versuchte, sich auf die Aufzeichnungen zu konzentrieren. Schließlich musste sie sich eingestehen, dass sie eifersüchtig war. Am späten Nachmittag schlüpfte Kathleen in ihren Overall, wählte passende Ohrringe aus und schminkte sich leicht. Natürlich würde Simon von ihrer Verabredung erfahren und merken, dass sie sich keineswegs nach ihm verzehrt hatte. Sie wartete an Deck auf Serge, weil sie nicht wollte, dass er an Bord kam. Als sie ihn den Steg entlangkommen sah, ging sie ihm entgegen. Er ergriff ihre beiden Hände und sah sie glutvoll an. „Ah, ma cherie, einfach zauberhaft!" erklärte er überschwänglich. Kathleen unterdrückte ein Lächeln. Vermutlich nannte er sie „Cherie", weil er ihren Namen vergessen hatte. In dem schwarzen Abendanzug bot Serge ein Bild männlicher Eleganz. Er bewegte sich mit selbstbewusster Geschmeidigkeit und schien sich seiner Wirkung auf der ganzen Linie bewusst zu sein. Beim Betreten des Speisesaals ließ Kathleen den Blick rasch durch den Raum wandern. Doch Simon war nicht da und auch Georgina nicht. „Also", begann Serge, nachdem der Kellner ihre Bestellungen aufgenommen hatte, „erzählen Sie mir doch einmal von dem versunkenen Schatz, nach dem Sie suchen." Er sprach in leicht gönnerhaftem Ton, was Kathleen störte. Sie erzählte ihm kurz von ihrem Vorhaben, spürte jedoch, dass er nur halb zuhörte. Sein Blick wanderte ständig durch den Raum, und er lächelte jeder hübschen Frau zu. Der Kellner brachte die Vorspeise. Jetzt konzentrierte sich Serge 71
wieder vollständig auf Kathleen. „Klingt faszinierend", erklärte er und warf ihr einen schmachtenden Blick zu. „Wie lange treten Sie hier auf?" erkundigte sie sich, weil sie vermutete, dass sie das Gespräch damit auf sein Lieblingsthema brachte. „Diesmal nur drei Wochen", erwiderte er. „Leider muss ich danach nach Los Angeles. Ich werde dort ein Album aufzeichnen und wahrscheinlich auch eine Fernsehserie." Er sprach weiter und redete über sich und seine Karriere. Seinen Monolog würzte er mit amüsanten Anekdoten, und Kathleen kam sich wie bei einer bewährten Routinedarbietung vor. Dennoch lachte sie an den richtigen Stellen, weil sie froh war, sich entspannen und den Abend in lockerer Atmosphäre verbringen zu können. Plötzlich erspähte sie aus dem Augenwinkel Georgina. Sie war in Begleitung einer Gruppe von Gästen, die sich lautstark unterhielten. Der bunten Sommerkleidung und den Souvenir-Korallen, die sie bei sich trugen, war zu entnehmen, dass sie gerade von einer Tagestour zurückgekehrt waren. Einige von ihnen hatten unübersehbar den starken Bahama-Cocktails etwas zu sehr zugesprochen, und Georgina hatte ihre liebe Not, sie an den Tischen unterzubringen. Ohne Kathleen um Zustimmung zu fragen, winkte Serge Georgina heran. Georgina nahm den angebotenen Stuhl dankbar an. „Puh! Mir reicht es!" verkündete sie und nahm Platz. „Du hast wohl einen harten Tag hinter dir, was?" fragte Serge teilnahmsvoll. „Trink ein Glas Wein mit uns." „Gern. Also ich schwöre, eines Tages komme ich noch so weit, dass ich einen von diesen Touristen über Bord stoße." Serge lachte. „Wart ihr bei den Seegärten?" „Du hast es erraten", stöhnte sie, „dreizehn Stunden lang. Um halb acht ging's los, und jetzt ist es fast zehn. Allmählich wird es mir einfach zu viel, Serge. Immer die gleichen blöden Reden, zum Beispiel ,Donnerwetter, das Boot hat einen Glasboden! Warum laufen Sie nicht mal drüber, Schätzchen? Das wird die Fische in Fahrt bringen.' Lange lasse ich mir das nicht mehr bieten." Georgina redete weiter, aber Kathleen hörte ihr nicht mehr zu. Nur ein einziger Gedanke beherrschte sie: Wo war Simon. Mit Georgina 72
jedenfalls hatte er sich nicht getroffen. Serges Stimme unterbrach ihre Überlegungen. „Es tut mir außerordentlich Leid, zwei so bezaubernde Damen allein lassen zu müssen, aber es wird Zeit, dass ich wieder etwas für meinen Lebensunterhalt tue", erklärte er mit schmelzender Stimme. „Sobald ich fertig bin, komme ich zurück." Er lächelte ihnen viel versprechend zu, verbeugte sich leicht und ging davon. „Ein umwerfender Mann, nicht wahr?" meinte Georgina. „Ja", antwortete Kathleen geistesabwesend. „Und das weiß er sehr gut", fuhr Georgina fort. Kathleen blickte sie überrascht an. Dann lächelte sie. „Das vermute ich auch." Georgina betrachtete sie interessiert. „Sie sind mit Simon hier, nicht wahr?" „Ja." Georgina nickte nachdenklich. „Das ist ein Mann", meinte sie wehmütig. „Serge ist schrecklich eifersüchtig und versucht immer, Simon die Frauen auszuspannen. Oh ... ich wollte Sie nicht beleidigen", setzte sie rasch hinzu. Georgina begann Kathleen zu gefallen. „Schon gut", erwiderte sie versöhnlich. „Ich habe mir da keine Illusionen gemacht, aber in diesem Fall irrt Serge. Ich bin keine von Simons Frauen." Georgina blickte sie zweifelnd an. „Sie haben doch aber mit ihm gestern Abend lange getanzt", stellte sie fest. „Ja sicher, ich ... wir ..." Georgina lachte. „Ach, Sie brauchen mir nichts zu erklären. Ich glaube, jede Frau, die ihn trifft, verliebt sich in ihn. Ich selbst bin auch ganz verrückt nach ihm. Aber lassen Sie sich eines sagen: Er ist ein Mann, der bei keiner bleibt. Lassen Sie sich von ihm nicht das Herz brechen." Sie lächelte resigniert, und Kathleen hatte fast ein wenig Mitleid mit ihr. „Kennen Sie Simon schon lange?" fragte sie. „Seit zwanzig Jahren. Aber ich möchte nicht behaupten, dass ich ihn gut kenne. Das tut wohl keiner. Er ist ein ziemlich in sich gekehrter Mensch." Da Kathleen sich interessiert vorbeugte, fuhr Georgina 73
fort. „Ich weiß nur, dass er in Nassau aufgewachsen ist. Sein Vater starb, als er noch sehr jung war. Simon und seine Mutter kamen dann bei seinem Großvater unter. Ich glaube, seine Mutter hat dann später wieder geheiratet. Sie lebt jetzt in Miami, und er besucht sie oft. Sein Großvater ist die Schlüsselperson. Er dürfte wohl der einzige Mensch sein, an dem er wirklich hängt. Alle paar Wochen kommt er her, um ihn zu besuchen." „Sein Großvater lebt hier?" „Auf der anderen Seite der Insel. Er ist vor etwa zehn Jahren in den Ruhestand getreten und hat Simon die Geschäfte überlassen. Wir sehen ihn hier nicht oft. Er ist schon sehr alt und sitzt im Rollstuhl. Die McGregors leben schon seit Generationen auf dieser Insel. Als der Alte genug Geld verdient hatte, hat er sie gekauft. Damals gab es hier noch ein anderes Hotel, aber ein Hurrikan hat es vor einigen Jahren dem Erdboden gleichgemacht. Da ließ Simon dieses hier erbauen." „Ich hatte keine Ahnung, dass Simon etwas mit Hotels zu tun hat", gestand Kathleen. „Den Eindruck scheint er bewusst erwecken zu wollen", erklärte Georgina. „Er holt sich die besten Leute und lässt sie dann selbstständig arbeiten. Dennoch weiß er stets, was los ist. Wenn es irgendwo Schwierigkeiten gibt, taucht er prompt auf und greift ein. Er kann manchmal ziemlich grob werden, wenn jemand versucht, ihn zu hintergehen. Aber die Angestellten, die schon lange bei ihm sind, halten große Stücke auf ihn. Und ich kann Ihnen sagen, ich habe schon für viele Hotels gearbeitet, aber die Atmosphäre hier ist die beste, die ich je erlebt habe." Kathleen lehnte sich zurück und versuchte das Gehörte zu verarbeiten. Wieder hatte sich das Bild verschoben, das sie sich von Simon gemacht hatte. Die Band verließ das Podium. Der Pianist schlug ein paar leichte Takte an, und Serge trat in den Scheinwerferkegel. Er trug jetzt wieder seine Bühnenkleidung. Georgina lachte leise. „Ist er nicht ein hübscher Bursche?" Kathleen stimmte in ihr Lachen ein. Sie war erstaunt, dass sie jetzt 74
so viel Sympathie für die junge Frau empfand, wegen der sie sich in den letzten vierundzwanzig Stunden vor Eifersucht fast verzehrt hatte. Serge gesellte sich wieder zu ihnen, nachdem seine Show beendet war. Kathleen tanzte eine Weile mit ihm, dann ließ sie sich durch den Hotelgarten zum Yachthafen zurückbringen. Vor der Barracuda blieb sie stehen und lächelte Serge höflich an. „Gute Nacht", verabschiedete sie ihn. „Danke für den schönen Abend." Er sah sie fragend an und schien mehr zu erwarten. „Ich würde Sie noch auf einen Kaffee an Bord einladen, aber Simon schläft sicher schon." Serge schien verunsichert zu sein. „Ja, das verstehe ich", sagte er leise. „Aber ich sehe Sie morgen, nicht wahr? Hätten Sie Lust, mit mir Wasserski zu laufen?" „Also, ich weiß nicht..." „Ich hole Sie um elf ab", entschied Serge einfach. „Gute Nacht, ma cherie." Er hob ihr Kinn mit einem Finger und beugte sich über sie. Widerstrebend ließ Kathleen sich von ihm küssen. Es War nicht direkt unangenehm, aber sie musste an Simons Kuss denken, und damit gab es keinen Vergleich. Als Serge etwas zu stürmisch zu werden begann, löste sie sich aus seinen Armen. „Ich muss jetzt gehen", erklärte sie ruhig. „Gute Nacht." Er machte keinen weiteren Versuch, sie zurückzuhalten, sondern zog ihre Hand an die Lippen und küsste ihre Finger. „Gute Nacht. Schlafen Sie gut, ma cherie." Mit wiegenden Schritten ging er davon. Kathleen sah ihm amüsiert nach. Er war wirklich hartnäckig. Aber sie würde sich schon etwas einfallen lassen, um das Wasserskilaufen abzusagen. Serge war durchaus zuzutrauen, dass er sie an einen einsamen Strand lockte, um ihr seine Qualitäten als Liebhaber zu beweisen. Leise betrat sie das Deck und fragte sich, ob Simon schon zurück war. Hatte er möglicherweise mitbekommen, dass Serge sie geküsst 75
hatte? Und wenn schon. Ihn konnte sie doch nicht eifersüchtig machen. Die Stille im Salon verriet ihr, dass sie allein an Bord war. Mit angehaltenem Atem schlich sie zu den Stufen, die zur Kombüse hinunterführten. Auf Zehenspitzen näherte sie sich Simons Kabine und öffnete sie. Sie war leer. Rasch ging Kathleen zu ihrer Kabine, und wenige Minuten später lag sie auch schon in ihrer Koje.
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7. KAPITEL
Kathleen erwachte frühzeitig und musste feststellen, dass Simon immer noch nicht zurückgekehrt war. Mit einem türkisfarbenen Rock und einem weißen T-Shirt bekleidet, trug sie ihr Frühstück an Deck. Es war wieder ein wunderschöner Morgen. Die Sonne schien von einem klaren, blauen Himmel, und das Meer war so glatt wie Seide. Einfach zauberhaft dieser Anblick. Kathleen atmete zufrieden die frische Salzluft ein. Serge war kein Problem. Morgen würden sie sowieso weiterfahren. Eine Weile überließ sie sich Tagträumereien, die immer wieder um Simon kreisten. Als sie plötzlich seine Stimme hörte, glaubte sie erst an eine Ausgeburt ihrer Fantasie. Doch als er erneut nach ihr rief, fuhr sie herum. Simon stand tatsächlich am Kai und trug nur ein Paar ausgeblichene Shorts. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, um dann heftig zu pochen. „Hast du Lust, mit mir einen Ausflug vor die Insel zu machen?" erkundigte er sich gelassen. „Ich möchte dich mit einem alten Freund bekannt machen." „Ich wollte eigentlich mit Serge Wasserski laufen", antwortete sie unsicher. Er schüttelte den Kopf. „Bist du seinem Charme endlich erlegen?" „Nein", antwortete sie rasch. „Ich wollte nur ..." „Dann hinterlass ihm eine Nachricht", schlug Simon vor, und es klang wie ein Befehl. Unter seinem Blick wurde Kathleen schwach. „Also gut", gab sie nach. „Ich komme gleich." Mit einer knallroten Badetasche über der Schulter ging sie zehn Minuten später neben Simon den Kai entlang. Serge hatte sie eine kurze Mitteilung geschrieben und an der Kabinentür der Barracuda befestigt. „Da wären wir", sagte Simon. „Sei vorsichtig, fall nicht hinein." Kathleen blickte auf das kleine, auf dem Wasser tanzende
Schlauchboot. „Hineinfallen? Ich? Ich bin praktisch in Booten aufgewachsen." „Für alles gibt es ein erstes Mal", neckte er. „Nun, diesmal nicht. Das heißt, solange du mich nicht hineinschubst." „Das würde mir nicht im Traum einfallen." Simon trat mit Unschuldsmiene zurück, während Kathleen vorsichtig in das kleine Gefährt kletterte. Sie machte es sich vorn bequem und nahm die Strandtasche zwischen die Füße. Das Boot war so klein, dass Simon seine langen Beine seitlich neben ihr unterbringen musste, als er im Heck Platz nahm. Mit einem kräftigen Ruck ließ Simon den Außenbordmotor an und steuerte auf die offene See hinaus. Bald umrundeten sie die westliche Spitze der Insel in einem weiten Bogen. Vor ihnen lag jetzt die Südküste, wo schlanke Palmen bis zum Strand hinunterwuchsen und ein Labyrinth von Sand- und Korallenbänken das glitzernde grüne Wasser mit kleinen Wellen kräuselte. Eine der noch vorhandenen Idyllen. Simon lenkte das kleine Boot geschickt durch die gewundenen Fahrrinnen hindurch. Kathleen beobachtete fasziniert einen Schwarm silbriger Meeräschen, die sich wie in Formation bewegten und aus dem Schatten des Bootes schossen. Ganz in der Nähe trieb das durchsichtige, fallschirmähnliche Gebilde einer Giftqualle vorbei. Obwohl sie es vermied, Simon anzusehen, war sie sich seiner Nähe überstark bewusst. Vergeblich suchte sie nach etwas Unverfänglichem, um ein Gespräch in Gang zu bringen und die Befangenheit zu überspielen, doch ihr fiel nichts ein. Also träumte sie vor sich hin. Ein plötzliches Aufblitzen auf dem Wasser ließ Kathleen zusammenfahren. „Er möchte deine Bekanntschaft machen", lachte Simon. Kathleen spähte in das Wasser. Sie hielt unwillkürlich den Atem an, als ein geschmeidiger Körper erneut am Boot entlangschoss und wieder verschwand. Im nächsten Augenblick hob sich ein freundliches rundes Gesicht aus dem Wasser und betrachtete sie neugierig. „Ein Delfin!" rief sie überrascht. Damit hatte sie jetzt nicht gerechnet. „Das ist Salty", erklärte Simon und beugte sich über den Boots78
rand, um den Kopf des Tieres zu streicheln. Gebannt sah Kathleen zu. Sie waren in eine geschützte Lagune gefahren, wo ein kleiner Korallenstrand sanft in das ruhige blaue Wasser abfiel. Salty stupste das Boot spielerisch an, und es begann heftig zu schaukeln. „Okay, Salty, ich komme ja gleich", rief Simon. „Kipp mir bloß nicht das Boot um, mein Lieber." Er schaltete den Außenbordmotor aus und ließ das Boot die letzten Meter auf den Strand zu treiben. Dann stand er auf und ließ sich träge über den Rand gleiten und auf den Grund des Wassers sinken. Jetzt erst begann das Spiel. Kathleen sah sprachlos zu, wie der Delfin blitzschnell kehrtmachte, zu Simon schwamm und ihn behutsam an die Oberfläche bugsierte. Begeistert klatschte sie dem „Retter" Beifall. Salty steckte den Kopf aus dem Wasser und nickte ihr zu, als wolle er sich für die Anerkennung bedanken. Das Boot schrammte jetzt mit einem dumpfen Laut über den Grund. Kathleen sprang heraus und zog es auf den Strand. Der Delfin tummelte sich in dem kristallklaren Wasser und sprang übermütig in die Luft, um dann in einem eleganten Bogen wieder ins Wasser einzutauchen, ohne die Oberfläche weiter aufzurühren. Ab und zu drehte er sich in der Luft und ließ sich klatschend auf den Rücken fallen, so dass seine zwei Zentner das Wasser aufpeitschten. Salty ließ Simon sogar auf seinen Rücken klettern, wo dieser sich an der Rückenflosse festhalten konnte. Dann tauchte er prompt unter, um ihn abzuschütteln. Im nächsten Augenblick kam er wieder zurück, um das Ganze zu wiederholen. Es machte ihm offenbar viel Spaß. „Ob er mich an sich heranlässt?" fragte Kathleen. „Das weiß ich nicht", meinte Simon. „Du bist für ihn eine Fremde. Aber versuchen kannst du's ja mal. Vielleicht findet er dich auch zum Anbeißen." Rasch streifte sie ihre Sachen bis auf den Bikini ab und rannte ins Wasser. Salty entfernte sich sofort misstrauisch. „Steh ganz still", riet Simon. Er schwamm zu ihr und wartete, bis der Delfin vorsichtig näher kam. Kathleen beobachtete das Tier aufmerksam. Als Simon sie packte und unter Wasser drückte, ging sie 79
prustend unter und fuchtelte Hilfe suchend mit den Armen. Lächelnd tauchte sie wieder auf und bespritzte Simon. Er bekam ihre Füße zu fassen, aber sie war nass und glitschig und konnte ihm entkommen. Er jagte ihr nach. Salty gesellte sich zu ihnen, um bei dem interessanten Spiel mitzumachen. Er tauchte unter Kathleen auf, so dass diese den Halt verlor. Als Simon Beifall klatschte, bewegte Salty seinen geschmeidigen Schwanz und brachte auch ihn aus dem Gleichgewicht. „Danke, Salty!" rief Kathleen lachend und rang nach Luft. Sie spielten wie Kinder, bis Salty Kathleen tatsächlich gestattete, seine Rückenflosse zu packen, und sie dann einige Meter durch die Lagune trug. Er setzte seine Reiterin wieder neben Simon ab und ließ sich von Kathleen den runden Kopf streicheln. „Du bist ein toller Bursche", lobte sie das intelligente, verspielte Tier. „Ich wusste, dass du ihn gern hast." Simon verfolgte die mühelosen Wasserkünste des Delfins, bis dieser schließlich mit einem letzten Salto in Richtung auf die Korallengrenze und das offene Meer verschwand. Kathleen seufzte wehmütig und watete ans Ufer. „So nahe habe ich einen Delfin noch nie erlebt", gestand sie und trocknete sich mit dem Badehandtuch aus ihrer Tasche ab. „Wie lange kennst du Salty schon?" „Rund fünf Jahre. Er schwimmt in die Lagune, wenn ihm danach ist, und bleibt hier manchmal monatelang. Dann wieder begnügt er sich mit einer kurzen Gastvorstellung." „War er schon immer so zahm?" „Zahm ist wohl nicht der richtige Ausdruck", erklärte Simon. „Er ist bei der Auswahl seiner Freunde sehr wählerisch. Aber wenn er erst einmal Zutrauen gefasst hat, entwickelt er eine Lebensfreude und eine Begeisterung, wie sie Menschen kaum noch kennen." Kathleen blickte überrascht auf und betrachtete Simon, als nehme sie ihn zum ersten Mal richtig wahr. Ich habe mich nun schon in so vielem bei ihm getäuscht und ihn falsch eingeschätzt, dachte sie. Womöglich tue ich Simon bitter Unrecht, wenn ich ihn für hart und 80
zynisch halte. Simon schien ihre Gedanken erraten zu haben. „Kathleen?" fragte er leise und legte ihr eine Hand an die Wange. Sie neigte den Kopf und streifte mit den Lippen über sein Handgelenk. „Kathleen?" Er griff in ihr Haar. Ihre Blicke begegneten sich und hielten sich fest. Langsam beugte er sich über sie, bis ihr warmer Atem sich vermischte und ihre Lippen verschmolzen. Sie leistete keinen Widerstand, als seine Zunge ihre Lippen erkundete. Eine Welle des Verlangens durchflutete sie. Als sie die Arme um seinen Nacken legte, riss er sie an sich. Sein Kuss war suchend und fordernd zugleich. Kathleen konnte nicht mehr klar denken. Das Dröhnen in ihren Ohren übertönte die kleine Stimme der Vernunft. Simon hob sie auf und legte sie sanft auf den warmen Sand. Alles um Kathleen herum verschwamm. Ihr Bikinioberteil war plötzlich verschwunden. Sie fühlte Simons Hände, die ihren nackten Rücken streichelten, und seinen Körper an ihren entblößten Brüsten. Ein Schauer der Erwartung durchlief sie. Sie wollte ihn ganz haben. Aufstöhnend rollte Simon sich über sie und begann ihr Ohr, ihren Hals und ihren Brustansatz mit kleinen Küssen zu bedecken. Seine Hände hinterließen eine glühende Spur auf ihrer Haut, und sie hob sich ihm einladend entgegen. Langsam glitten seine Lippen zu ihren Brüsten. Seine Zunge umkreiste ihre rosigen Spitzen, und er sog zart daran, bis Kathleen vor Lust aufstöhnte. Sie erbebte und war jetzt zu allem bereit. Doch als Simon ihr Bikinihöschen behutsam herunterschieben wollte, erstarrte sie. Tausend Fragen und Zweifel erhoben sich plötzlich wieder. David schien sie anzusehen. „Nein!" stieß sie matt hervor und wollte sich befreien. „Was ist?" Der Ausdruck in Simons Blick veränderte sich, als sie sich ihm in letzter Sekunde verweigerte und auf einmal gegen ihn ankämpfte. Er drückte sie mühelos in den Sand. „Was für ein Spielchen treibst du mit mir?" stieß er scharf hervor. „Lass mich los!" flüsterte Kathleen erstickt. 81
„Einfach so?" Simons Stimme war eisig. „Du denkst, du kannst mich so einfach an- und abdrehen, wie dir gerade zu Mute ist. O nein, Kathleen, nicht mit mir!" Sie wollte sich fortrollen, aber er packte sie am Arm und zog sie zurück. Mit seiner freien Hand streifte er ihr das Bikinihöschen ab. Kathleen wand sich und trat wild um sich, aber er war viel zu stark, und es schien ihm gleichgültig zu sein, ob er ihr wehtat. „Ich hasse dich!" stieß sie schluchzend hervor. „Das hast du schon einmal gesagt", erinnerte er sie. „Glaubst du, dass sich daran etwas ändert, wenn du mich mit Gewalt nimmst?" Simon lachte hart auf. „Ich habe nicht die Absicht, das zu tun, Kathleen. In meinem ganzen Leben habe ich noch keine Frau zur Liebe gezwungen. Und mit dir werde ich da bestimmt nicht anfangen. Nein, ich möchte dir nur eine Lektion erteilen, die du so schnell nicht mehr vergisst." Kathleen lag hilflos da, während er sie auf dem Boden festhielt und so gekonnt liebkoste, dass sie sich kaum noch beherrschen konnte. Simon reizte und streichelte sie, bis er ihre letzten Geheimnisse erkundet hatte und sie nicht mehr die Willenskraft besaß, ihm zu widerstehen. Kathleen überließ sich ihm und spürte, wie eine heiße Welle sie fortschwemmte. Doch als sie bereit war, Simon das Letzte zu geben, lachte er nur grausam auf und stieß sie von sich. Hilflos und gedemütigt rollte sie sich zusammen und schluchzte hemmungslos. Kathleen brauchte lange, bis sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Erst als ihre Tränen versiegt waren, bemerkte sie Simon neben sich. Er ließ den Bikini neben ihr in den Sand fallen. „Zieh dich an", befahl er kalt. „Wir essen bei meinem Großvater zu Mittag. Er erwartet uns." Kathleen sah ihn entgeistert an. In diesem Zustand wollte sie niemandem gegenübertreten. Schon gar nicht seinem Großvater. „Ich möchte lieber ..." „Es ist mir gleichgültig, was du lieber möchtest", unterbrach er sie 82
schneidend. „Er erwartet uns, wie ich dir bereits gesagt habe. Also reiß dich zusammen und komm." Kathleen schwieg verstört. Einen Augenblick überlegte sie, ob sie sich einfach weigern und mit dem Schlauchboot allein zur Barracuda zurückfahren sollte. Doch Simon kam ihr mit einer Stimme zuvor, die keinen Widerspruch duldete. „Du brauchst erst gar nicht darüber nachzudenken", warnte er. „Dir bleibt keine Wahl." Sie blickte ihn wütend an. „Also gut, ich komme mit", antwortete sie gereizt. „Und diesen Ton solltest du auch ablegen", setzte Simon eindringlich hinzu. „Ich möchte meinen Großvater nicht kränken, verstehst du? Verhalte dich bitte so, als hätte es zwischen uns nie mehr als eine rein geschäftliche Beziehung gegeben." „Das passt mir ausgezeichnet", gab Kathleen bissig zurück. „Genau das war ja von Anfang an meine Absicht." „Ach, wirklich?" meinte er verächtlich. „Du hast das bekommen, was du verdienst. Sei froh, dass du noch so glimpflich davongekommen bist." Kathleen wandte sich ab, weil sie den Tränen nah war. Rasch zog sie ihre Sachen wieder über den Bikini und kämmte sich die inzwischen fast trockenen Locken. Dann nahm sie das Handtuch, schüttelte es aus und verstaute es im Badebeutel. Sie fühlte sich jetzt etwas besser und wandte sich wieder Simon zu, der bereits ungeduldig wartete. „Fertig?" stieß er kurz hervor. Kathleen nickte. Er drehte sich um und ging zwischen den Bäumen davon. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Kathleen graute vor dem, was ihr bevorstand, aber sie wollte sich nicht anmerken lassen, wie ihr zu Mute war. Und das nicht nur, weil Simon das von ihr erwartete. Es wäre gegen ihre Natur gewesen, sich einem alten Mann gegenüber ungehörig zu benehmen. Außerdem war sie neugierig auf Simons Großvater. Der Weg endete an einer in graugrünen Fels gehauenen Treppe, die zu einem weißen Bungalow direkt über dem Meer führte. Entlang der Vorderseite des Gebäudes befand sich eine breite, überdachte Veranda. In ihrem Schutz saß ein alter Mann mit einer karierten Decke 83
über den Beinen in einem Korbstuhl. Kathleen glaubte zuerst, er schliefe. Doch aus näherer Distanz merkte sie, wie der alte Mann sie aufmerksam und prüfend ansah. Seine Augen waren vom selben tiefen Blau wie Simons. Kathleen hielt dem Blick ruhig stand und trat auf die Veranda. „Guten Tag", begrüßte sie der Alte mit einer erstaunlich kräftigen Stimme. Sein Haar war weiß, und die Haut seines wettergegerbten Gesichtes wirkte wie Pergament. „Sie sind also Kathleen Taylor. Willkommen in meinem Haus." Damit reichte er ihr die linke Hand, die Kathleen etwas unsicher schüttelte. „Sie müssen entschuldigen, dass ich Ihnen nicht die Rechte geben kann", fuhr er schmunzelnd fort und zog die andere Hand unter der Decke hervor. Schockiert sah Kathleen, dass sie in einem Stumpf endete. „Hab' das verflixte Ding vor vierzig Jahren verlegt", erklärte der Alte trocken. „Ich hatte Regel Nummer eins der Haifischjäger nicht beachtet: Vergewissere dich stets, dass der gute Fisch auch wirklich tot ist, bevor du ihn an Bord hievst." Er lachte über Kathleens entsetztes Gesicht. „Dabei war es nur ein kleiner Brocken", fuhr er beiläufig fort. „Ein Tigerhai, knapp dreieinhalb bis vier Meter lang. Hat uns vorher ganz schön ins Schwitzen gebracht, der Gute. Den ganzen Vormittag hat er uns zu schaffen gemacht, ehe wir ihn an Bord hatten. Und dann, gerade als ich ihn aufschlitzen will, macht der Bursche schnapp und hat meine Hand mitsamt dem Messer." „Und was haben Sie da getan?" fragte Kathleen schaudernd. „Was sollte ich schon tun?" Der Alte gluckste vergnügt. „Ich habe ihn zum Teufel gewünscht, anderes blieb mir ja nicht übrig." „Das hätte ich auch getan", gestand Kathleen. „Aber wie haben Sie ihn dann getötet?" „Oh, der Biss nach meiner Hand war seine letzte Regung. Danach war es mit ihm wirklich aus." Er wandte sich seinem Enkel zu. „Du hast mir nicht gesagt, dass sie so hübsch ist", schalt er. „Nein?" Simons Stimme klang ausdruckslos. „Es ist doch immer dasselbe mit dir!" brummte der Großvater. „Geh und zieh dir wenigstens etwas Anständiges an. Was wird Mart84
ha sagen, wenn sie dich mit diesen abgewetzten Shorts erwischt, und das in Begleitung einer jungen Dame. Siehst du denn nicht, dass Mrs. Taylor sich von deinen sonstigen Bekanntschaften unterscheidet?" „Doch." Simon drehte sich zu Kathleen um. „Bitte, entschuldige mich jetzt, ich gehe mich umziehen. Es ist bald Zeit zum Mittagessen", erklärte er in korrektem, aber unpersönlichem Ton. Kathleen nickte verständnisvoll, da der Alte sie beobachtete. Als Simon gegangen war, drehte sich Nathan McGregor zu ihr hin. „Setzen Sie sich, meine Liebe." „Danke, Mr. McGregor." „Nennen Sie mich doch Nat", erwiderte er ungeduldig. „Wenn eine hübsche junge Dame mich Mr. McGregor nennt, fühle ich mich gleich so alt. Das können Sie mir nicht antun." „Das nehme ich Ihnen nicht ab", erwiderte Kathleen lächelnd. Trotz seiner Jahre konnte der Alte das Flirten nicht lassen. Er muss bei Frauen großen Erfolg gehabt haben, überlegte sie, genau wie sein Enkel. Nat musterte sie interessiert. „Also", setzte er an, „Sie suchen nach dem Wrack dieses verflixten Piratenschiffs?" „Ja." „Und wie haben Sie meinen Enkel dazu bewegen können, Ihnen zu helfen?" Kathleen hielt seinem durchdringenden Blick stand. „Wissen Sie, ich habe da anfangs einiges falsch verstanden", gestand sie. „Ich kannte nur seinen Namen, der im Logbuch meines verstorbenen Mannes stand. Deshalb nahm ich an, dass Simon sein Schiff auf Charterbasis vermietet." „Tatsächlich? Ihr Mann hat Ihnen überhaupt nichts über Simon erzählt?" „Nicht das Geringste", bestätigte Kathleen. „Selbst als wir auf Wrecker's Cay ankamen, hatte ich keine Ahnung, dass das Hotel Simons Familie gehört." Nat nickte nachdenklich, lächelte dann aber zufrieden. Ob er wohl annahm, ich hätte es auf Simons Geld abgesehen? überlegte Kathleen. Oder weiß er etwas über das Verhältnis zwischen Simon und 85
David? In diesem Augenblick erschien Simon wieder. Er trug jetzt Jeans und ein kariertes Hemd. „Komm ich zeige dir, wo du dich frisch machen kannst", forderte er sie auf. „Danke." Kathleen stand auf und ergriff die Strandtasche. „Entschuldigen Sie mich", sagte sie zu Nat. „Ich bleibe nicht lange." „Das würde ich Ihnen auch nicht raten", warnte Nat vergnüglich. „Martha wird nämlich ärgerlich, wenn sie mit dem Essen warten muss. Lieber würde ich einen Hurrikan über mich ergehen lassen als Marthas Donnerwetter." Kathleen musste lachen. Dieser unbezähmbare alte Mann hatte bestimmt vor niemandem Angst. Dann folgte sie Simon durch mehrere Räume mit alten Teakholz-Möbeln, Schiffsmodellen und einer Unmenge präparierter Fischköpfe zur Rückseite des Gebäudes. „Hier ist es." Simon öffnete die Tür eines altmodischen Badezimmers. „Du brauchst dich nicht zu beeilen. Martha sagte, das Essen sei erst in zwanzig Minuten so weit." „Gut. Ich würde mir nämlich gern das Salzwasser aus dem Haar waschen." Kathleen sprach in einem unpersönlichen Ton und ging an Simon vorbei, ohne ihn anzusehen. Sie schloss die Tür, streifte ihr Oberteil ab und ließ warmes Wasser in das Waschbecken. Eine viertel Stunde später war Kathleen fertig. Sie hatte ihr Haar wieder halbwegs in Ordnung gebracht und begab sich zurück auf die Veranda. Simon stand an das Geländer gelehnt und wirkte entspannt. Er lächelte seinen Großvater an, und in seinen Augen lag eine Wärme, die Kathleen zutiefst berührte. Doch bei ihrem Anblick wurde sein Gesicht wieder ausdruckslos. Nathan McGregor wandte sich schmunzelnd Kathleen zu. „Das gefällt mir", stellte er anerkennend fest. „Sie sind eine Frau, die nicht Stunden braucht, um sich schön zu machen." „Nun denn, Mr. Nat", ertönte eine befehlsgewohnte Stimme hinter Kathleen, „genug des Plauderns. Das Mittagessen ist fertig." Kathleen drehte sich um und hatte eine stattliche Einheimische in einem gelb geblümten Kleid vor sich. Sie trat auf die Veranda und ergriff mit ihren großen Händen den Rollstuhl. 86
„Schon gut, Martha", brummte Nat. „Willst du unseren Gast nicht erst einmal begrüßen?" Die Haushälterin wandte sich Kathleen zu. „Guten Tag", sagte sie kühl. Die unerwartete Feindseligkeit Marthas machte Kathleen betroffen. „Guten Tag", erwiderte sie höflich und streckte ihr die Hand hin. Martha nahm keine Notiz davon, sondern schob den Rollstuhl durch die Tür. „Martha führt hier im Hause das Regiment", flüsterte Nat ihr zu und zwinkerte lustig mit den Augen. Kathleen folgte ihnen betreten ins Haus. Es gab keine Erklärung für Marthas Ablehnung oder Joshuas Verhalten auf der Yacht. Was war nur der Grund dafür? Hatte es etwas mit David zu tun? Diese Feindseligkeit bei den sonst so freundlichen Inselbewohnern war seltsam, war doch David bereits über ein Jahr tot. Das Mittagessen war köstlich. Es gab frische, in der Schale gebackene Krebse, mit frischem grünen Pfeffer gewürzt, dazu Curryreis und Salat aus Palmenherzen. Anschließend brachte Martha Platten mit verschiedenen exotischen Früchten: frische Ananas, Papayas, Kiwis, Feigen und vieles mehr. Simon unterhielt sich angeregt mit seinem Großvater, während er für Kathleen nur ironisch-höfliche Bemerkungen übrig hatte. Der alte Nathan McGregor war ein faszinierender Mann. Er hatte die abenteuerlichsten Dinge erlebt und all die legendären Gangster getroffen, die Kathleen nur aus Filmen kannte. Sie bat ihn, von den Zeiten zu erzählen, wie er die amerikanische Küstenwache auf seinen Schmuggelfahrten austrickste und ganze Schiffsladungen Schnaps illegal an Land brachte. „Nicht jetzt", entschuldigte sich Nat. „Ich bin ein alter Mann und brauche nach dem Essen ein Nickerchen. Aber später, später haben wir genug Zeit dazu." Kathleen blickte Simon fragend an. „Wir fahren erst morgen früh weiter", erinnerte er sie gelassen. Es blieb Kathleen nichts anderes übrig, als sich stillschweigend zu fügen, wollte sie es vor Nat nicht zu einer Auseinandersetzung kom87
men lassen. Stumm grollte sie vor sich hin, bis Martha kam, um den Alten zum Mittagsschlaf fortzurollen. „Du hast mir nicht gesagt, dass ich über Nacht hier bleiben soll", brach es aus ihr hervor, sobald sie allein waren. Simon zuckte gleichgültig mit den Schultern und stand wortlos auf. Kathleen folgte ihm auf die Veranda hinaus. Seine kühle Art brachte sie noch mehr auf. „Ich möchte noch heute auf die Barracuda zurück", beharrte sie. „Warum?" Er tat so, als bemerke er ihre Gereiztheit gar nicht. „Martha kann dir alles geben, was du für die Nacht brauchst." „Ich wollte nicht herkommen", protestierte Kathleen. „Und ich will auch nicht bleiben." „Ich dachte, du wolltest die Geschichten meines Großvaters hören?" spöttelte Simon. „Er erzählt gern aus alten Tagen und bekommt nur selten Besuch." „Das will ich auch, aber ..." Sie wandte sich ab, weil ihr die Worte fehlten. „Wir bleiben", bestimmte Simon. „Keine Sorge, ich komme dir nicht zu nah. Es wird keine Wiederholung des Vorfalls am Strand geben. Von jetzt an darfst du sicher sein, dass ich dich nicht mehr anrühre." Kathleen hörte Simon fortgehen, drehte sich jedoch nicht um. Niedergeschlagen ließ sie sich auf die Verandastufen sinken und lehnte sich traurig gegen das Geländer. Was ist nur mit mir los? dachte sie. Habe ich mich etwa in Simon verliebt, in einen Mann, der mich ständig nur demütigt? Kathleen wurde es immer klarer, dass sie ihn am Strand zu sehr herausgefordert hatte. Nie hätte sie es so weit kommen lassen dürfen. Kathleen dachte an David. Was war zwischen ihm und Simon geschehen? Vorsichtig sah sie sich um. Im Haus war es still, von Simon war nichts zu sehen, und sein Großvater schlief. Vielleicht konnte sie hier, wo Simon aufgewachsen war, Anhaltspunkte zur Vergangenheit finden.
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8. KAPITEL
Kathleen zögerte, weil es ihr peinlich war, als Gast herumzuspionieren. Doch die Neugier war stärker als ihre Bedenken. Sie stand auf und schlich auf Zehenspitzen ins Haus. Der erste Raum war das Wohnzimmer, von dem aus man über das offene Meer blicken konnte. Der Eichenfußboden glänzte vom jahrelangen Bohnern, und die dunkelgrünen Ledersessel waren schon etwas abgenutzt. Aber sie waren nicht aus Nachlässigkeit behalten worden, sondern aus Liebe zum Althergebrachten, wie die ganze Atmosphäre des Zimmers verriet. Hier war ein Ort, an dem man sich wohl fühlen musste. Kathleen jedenfalls fühlte sich sofort heimisch. Auf blank polierten Kommoden standen allerlei Andenken, vergilbte Fotos in Silberrahmen und Trophäen eines Mannes, dessen Leben voller Abenteuer gewesen war. Eine lange Wand bestand nur aus Bücherregalen. Kathleen wanderte daran entlang und studierte die Titel. Zwischen den Büchern befanden sich Zeitschriftenstapel und Schuhkartons mit alten Briefen. Und dann gab es da auch Fotoalben, von denen einige etwas neueren Datums zu sein schienen. Sie sahen wirklich sehr interessant aus. Kathleen schlug eines davon auf. Es zeigte Bilder von Simon als junger Mann am Strand von Nassau mit einem Hai zu Füßen oder Simon in Football-Kleidung, wie er stolz einen silbernen Pokal hochhielt. Sie blätterte weiter. Jetzt kamen seine College-Jahre, Simon mit Freunden auf einem Boot, das kleiner war als die Barracuda, jedoch den gleichen Namen trug ... Und da, inmitten einer Gruppe war David, auch auf den folgenden Seiten. Die Gesichter wechselten, aber David war immer dabei. Das letzte Bild zeigte David und Simon - zwei lachende junge Männer, die enge Freunde zu sein schienen. Dann hörten die Bilder plötzlich auf, die Seiten blieben leer. Was hatte das zu bedeuten? Also hatte Simon gelogen, als er behauptete, David nicht gut zu kennen. Die Fotos erfassten immerhin einen Zeitraum von zwei Jahren, und Da89
vid hatte Simons Namen nie erwähnt. Das wusste sie genau. Was hatte die Freunde auseinander gebracht? Eine Frau? Kathleen ging die Fotos noch einmal durch. Aber obwohl es dort genug hübsche Mädchen gab, erschien keine so regelmäßig, dass dies auf eine engere Beziehung hingedeutet hätte. Was aber konnte es sonst gewesen sein? Hatte Geld eine Rolle gespielt? Oder waren vielleicht Droge im Spiel gewesen? Aber David hatte Geld nie so wichtig genommen, und Simon besaß genug davon. Und als leidenschaftliche Taucher mussten beide auf körperliche Leistungsfähigkeit achten und konnten es sich nicht leisten, durch Drogen ihre Gesundheit zu ruinieren. Plötzlich hörte Kathleen Schritte. Schuldbewusst blickte sie auf, als Martha an der Tür erschien. „Ich ... konnte der Versuchung nicht widerstehen, diese alten Fotos anzusehen", sagte sie rasch und zeigte das älteste Album vor. „Wer sind denn diese Leute? Wissen Sie es?" Martha machte ein argwöhnisches Gesicht. „Schmuggelkameraden von Mr. Nat. Sie können ihn gleich danach fragen, denn ich gehe ihn jetzt wecken. Er erzählt gerne von früher. In letzter Zeit bekommt er kaum noch Besuch, außer von Mr. Simon. Seine Freunde sind inzwischen alle gestorben." Sie lächelte einen Augenblick, doch dann wurde ihr wohl bewusst, wen sie vor sich hatte. Marthas Lächeln verschwand, und sie ließ Kathleen einfach stehen. Wenige Minuten später rollte Martha den alten Nathan McGregor auf die Veranda hinaus. Kathleen brachte ihm erwartungsvoll die Alben und legte sie auf den flachen Glastisch. Martha servierte Eiskaffee, danach setzte sie sich in einen Schaukelstuhl und begann mit Palmenfasern eine Matte zu fertigen. Die Erzählstunde konnte beginnen. Den Rest des Nachmittags lauschte Kathleen gebannt, wie der alte Nat die unglaublichsten und fantastischsten Geschichten aus der Zeit der Prohibition erzählte. Gegen fünf Uhr kehrte Simon zurück. Sein Großvater warf ihm einen durchdringenden Blick zu. „Wo bist du gewesen?" erkundigte er sich scharf. „Unten bei ,Deadman's Rock'", antwortete Simon gleichmütig. „Ich 90
wollte nachsehen, ob um das alte Wrack herum noch Münzen zu finden sind." Er warf eine Hand voll abgenutzter Silberstücke auf den Tisch. „Ah!" Nat nahm eine von den Münzen auf und reichte sie Kathleen. „Spanisches Silbergeld. Die Leute hier plünderten die Schiffe, die draußen auf der Sandbank auf Grund liefen. Und wenn sie nicht von sich aus aufliefen, wurde manchmal ein wenig nachgeholfen." Er lächelte verschmitzt. „Mein Urgroßvater William McGregor war der Anführer einer Bände, die innerhalb von drei Monaten zwanzig Schiffe aufgebracht hat", setzte er stolz hinzu. „Wir sind direkte Nachkommen von Robert McGregor, dem Piraten. Er segelte mit Kapitän Woodes Rogers und wurde später zum Königlichen Gouverneur ernannt." „Wollt ihr die ganze Nacht hier draußen bleiben, oder kommt ihr zum Essen herein?" ertönte Marthas resolute Stimme hinter ihnen. „Aber ja." Nat schmunzelte. „Von all dem Gerede habe ich richtig Hunger bekommen. Komm, Junge", wandte er sich an Simon. „Mach dich mal ein wenig nützlich und schieb mich hinein, ja?" Simons Gesichtsausdruck wurde weich, als er seinen Großvater ansah. „Pass bloß auf", riet er, „sonst hält Kathleen dich noch für einen mürrischen alten Mann." „Das tue ich nicht!" protestierte Kathleen rasch. „Simon hat ja Recht", sagte Nat und blinzelte Kathleen schalkhaft zu. „Aber schließlich bin ich dreiundneunzig Jahre alt und habe sie alle überlebt. Und das gedenke ich auch noch eine ganze Weile zu tun." Das Essen war ebenso ausgezeichnet wie am Mittag. Simon und sein Großvater unterhielten Kathleen mit abenteuerlichen Geschichten. Hinterher kehrten sie wieder auf die Veranda zurück und plauderten dort über das Leben auf den Bahamas, über die Einheimischen und ihre Bräuche. Eine Lampe flackerte auf dem Tisch und warf zuckende Schatten auf ihre Gesichter. Kathleens Blick wanderte immer wieder zu Simons markantem Profil. Er sah seinem Großvater erstaunlich ähnlich. Sie versuchte ihn sich als Seeräuber vorzustellen und musste 91
dabei unwillkürlich lächeln. Nach einer Weile kam Martha und bestand darauf, dass Nat schlafen gehen müsse. Widerstrebend gab der Alte nach. Kathleen küsste ihn liebevoll auf die Wange und wünschte ihm herzlich eine gute Nacht. Sie sah Martha nach, die den Rollstuhl ins Haus schob. Ein leichter Schauer überlief sie bei dem Gedanken, mit Simon allein in der Dunkelheit zu sitzen. Sie sah zu ihm hinüber, aber er schien die Spannung zwischen ihnen gar nicht zu spüren. Er hatte die langen Beine ausgestreckt und saß gelöst in seinem gemütlichen Rohrsessel.
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Als Kathleen wieder ihm gegenüber Platz nahm, fuhr er ungerührt mit der Geschichte eines Schiffsuntergangs fort, als sei nichts zwischen ihnen gewesen. Sie lauschte seiner dunklen melodischen Stimme, ohne die Worte richtig aufzunehmen. Erinnerungen drängten sich ihr auf, die ihr Herz schneller schlagen ließen. Ein quälendes Verlangen erfasste sie. Simon war ihr so nah, dass sie nur die Hand auszustrecken brauchte, um ihn zu berühren, sich von ihm in die Arme nehmen zu lassen ... Der Himmel war mit geheimnisvollen Wölkchen gesprenkelt, die rasch dahinzogen. Die Stille der Nacht wurde durch leise Geräusche durchbrochen - dem fernen Rauschen des Meeres an den Korallenbänken, dem Raunen des Windes in den Wipfeln der Jacarandabäume und Kokospalmen, dem nächtlichen Gesang der Laubfrösche. Die Nachtluft war erfüllt von süßem und sinnlich schwerem Blütenduft. Kathleen saß reglos da und beobachtete Simon beim Erzählen. Er hatte die Hemdärmel hochgekrempelt und untermalte seine Berichterstattung gelegentlich mit erklärenden Handbewegungen. Fast unbewusst prägte sie sich jede Einzelheit dieses verzauberten Abends ein, um ihn und vor allem Simon nie mehr zu vergessen. Es war schon spät, als Martha an der Tür erschien und sich erkundigte, ob sie vor dem Schlafengehen noch Kaffee bringen sollte. „Ist es wirklich schon so spät?" Simon blickte auf seine Armbanduhr. „Mach dir keine Mühe, Martha, den Kaffee koche ich. Möchtest du welchen, Kathleen?" „Ja, gern", antwortete sie mechanisch. Es fiel ihr schwer, sich von ihren Gedanken zu lösen. „Also gut", sagte Martha. „Aber mach mir in der Küche ja keine Unordnung." Dabei lächelte sie Simon liebevoll an. „Das würde ich nie wagen", neckte er und küsste sie auf die Stirn. „Gute Nacht, Martha." „Gute Nacht, Mr. Simon." „Gute Nacht", setzte Kathleen hoffnungsvoll hinzu. Martha blickte sie abweisend an, doch dann wurde ihr Gesichtsausdruck etwas weicher. „Gute Nacht, Mrs. Kathleen", murmelte sie und folgte Simon ins Haus.
Kathleen lehnte sich zurück und schloss die Augen. Eine seltsame Wehmut erfasste sie. All die verschiedenen Bilder von Simon tauchten vor ihr auf und bildeten plötzlich eine Einheit. Sie dachte daran, wie er sie beim Tauchen beschützt und den Hai getötet hatte. Und dann war da dieses strahlende Lächeln, das er für die wenigen hatte, die seine Liebe und sein Vertrauen genossen. Zu diesem Personenkreis zu gehören, dafür hätte Kathleen fast alles gegeben ... Der aromatische Duft frisch gebrühten Kaffees riss Kathleen aus ihren Träumen. Sie öffnete die Augen und sah Simon auf die Veranda zurückkommen. Er trug zwei dampfende Becher, die er auf den Tisch neben die Fotoalben stellte. Ohne weiter nachzudenken, zog Kathleen das Album mit den Aufnahmen von David heran und schlug es auf. „Ich habe es zufällig entdeckt, als ich mir die alten Fotos ansah", begann sie unsicher. Simons Miene blieb ausdruckslos. „Rein zufällig", meinte er ironisch. „Natürlich. Aber als ich die Fotos von David sah, habe ich natürlich näher hingesehen." Kathleen wusste selbst nicht, warum sie log. „Natürlich", wiederholte Simon verächtlich. „Da sind eine Menge Aufnahmen von David", fuhr sie hastig fort und schlug die Seiten mit zitternder Hand um. „Ihr wart doch früher Freunde, nicht wahr?" „Nein." „Aber ..." „Ich sagte Nein", stieß er scharf hervor. „David Taylor wusste nicht einmal, was das Wort Freundschaft bedeutet." „Warum habt ihr euch zerstritten?" fragte Kathleen mit belegter Stimme. „Was ist passiert? Bitte sag es mir!" Einen langen Augenblick hielten ihre Blicke sich im Schein der Öllampe fest. Dann stand Simon ruckartig auf. „Gute Nacht!" sagte er nur und verschwand in Windeseile zwischen den dunklen Bäumen. Erst nach einer Weile fand Kathleen die Kraft aufzustehen. Traurig begab sie sich zu dem Zimmer, das ihr zugewiesen worden war. Es war ein kleiner, aber gemütlicher Raum mit einem altmodischen Ei94
chenbett und einer sonnengelben Steppdecke. Auf dem Fußboden lagen Palmfasermatten, und in einer Ecke gab es ein herrlich altes Porzellanwaschbecken. Kathleen kleidete sich aus und spülte den Bikini aus. Bis zum Morgen würde er trocken sein. Dann schlüpfte sie nackt in das kühle Bett und starrte in die Dunkelheit. In ihr war ein dumpfer, fast unerträglicher Schmerz. Sie wälzte sich hin und her, konnte jedoch keinen Schlaf finden. Dabei war sie so sicher gewesen, nach David keinen Mann mehr lieben zu können. Doch Simon beherrschte ihr Fühlen und Denken immer mehr, und die Vergangenheit verblasste. Sie hörte ihn zurückkommen und leise das Zimmer nebenan betreten. Das Knarren des Bettes verriet ihr, dass er sich hingelegt hatte. Er war ihr so nah, nur wenige Schritte entfernt... Sie presste ihr Gesicht ins Kissen und unterdrückte ein Stöhnen. In plötzlicher, erschreckender Erkenntnis war ihr klar geworden, dass sie Simon liebte. Ihr Herz war stärker als die Vernunft. Es nützte nichts, dass sie sich einzureden versuchte, er sei ein oberflächlicher Playboy und Frauenheld, ein Spieler, der sich in zweifelhaften Hafenbars die Zeit vertrieb. Nicht einmal das ungeklärte Verhältnis zwischen ihm und David änderte etwas daran, dass sie Simon hoffnungslos liebte. Der Aufbruch erfolgte gleich nach dem Frühstück. Kathleen verabschiedete sich herzlich von Simons Großvater. Sie lächelte wehmütig, als er erklärte: „Ich hoffe, Sie besuchen mich bald wieder." „Das würde ich gern tun", antwortete sie ehrlich. „Aber wenn diese Fahrt zu Ende ist, muss ich nach England zurückkehren. Und eine solche Reise kann ich mir so bald kaum mehr leisten." „Schade." Der Alte drückte ihr kräftig die Hand. „Behalten Sie uns wenigstens in guter Erinnerung. Mit guten Erinnerungen vertreibt man die schlechten." Kathleen sah ihn forschend an. Diese Anspielung auf die Vergangenheit hatte doch etwas zu bedeuten! Aber ehe sie Nat darauf ansprechen konnte, kam Simon dazwischen. Er verabschiedete sich von 95
seinem Großvater und versprach, in zwei Wochen wieder zu kommen. „Fein", meinte Nat erfreut. „Und geh mit dem Preis für die Pauschalbuchungen im Cable Beach bloß nicht zu weit herunter." „Traust du mir das zu?" Simon machte ein spitzbübisches Gesicht. „Nein, schließlich bist du bei mir in eine gute Schule gegangen. Und du bist ein McGregor. Das bedeutet, dass du kein Dummkopf bist", erklärte Nat. „Also geh jetzt, und achte auf das Wetter." Kathleen blickte verwundert zu dem wolkenlosen blauen Himmel auf. „Aber heute ist doch ein wunderschöner Tag", meinte sie verständnislos. „Mag sein", erwiderte der Alte. „Aber das ist noch lange keine Garantie, dass es morgen auch so ist. Es kann gut sein, dass sich irgendwo draußen über dem Meer etwas zusammenbraut." Simon nahm die Warnung ernst. „Keine Sorge", versicherte er, „wir verlassen die Korallenbank beim ersten Anzeichen von Gefahr." Nach einigen Schritten drehte sich Kathleen noch einmal um und winkte den beiden auf der Veranda. Nat winkte zurück, und nach kurzem Zögern hob auch Martha, die wie ein Schutzengel hinter ihm stand, grüßend die Hand. Wenige Minuten später waren sie am Strand beim Schlauchboot. Schweigend fuhren sie zum Yachthafen und machten längsseits der Barracuda fest. Josh und sein Vater waren bereits zurück. Der Junge beugte sich über die Reling und half Kathleen an Bord. „Hatten Sie ein schönes Wochenende, Kathleen?" erkundigte er sich freundlich. „Ja, danke, Josh", antwortete sie lächelnd. „Wir haben Mr. McGregor besucht." Sie fing einen kurzen, feindseligen Blick von Joshua auf, während Josh und Simon sich bedeutungsvoll ansahen. Was steckte denn da nun wieder hinter? Die lächerliche Geheimnistuerei machte Kathleen wütend. Ohne ein weiteres Wort stieg sie in ihre Kabine hinunter. Dort nahm sie das Foto von David auf und setzte sich im Schneidersitz auf die Koje. Seltsam, dass sein Bild innerhalb so kurzer Zeit eine andere Bedeutung angenommen hatte. Der Schmerz über seinen Tod war ver96
ebbt, und Kathleen spürte kein Schuldgefühl dabei, einen anderen Mann zu lieben. Wenn es nur nicht gerade Simon McGregor gewesen wäre, der diese Veränderung bewirkt hatte! Gedankenverloren stellte Kathleen die Fotografie an ihren Platz zurück und ging wieder an Deck. Die Barracuda nahm gerade Fahrt auf. Allmählich wurde Wrecker's Cay immer kleiner und verschwand schließlich am Horizont. Versonnen starrte sie auf die See hinaus. Es war, als hätte es die Insel nie gegeben, den Abend, an dem sie mit Simon getanzt hatte, die leidenschaftliche Umarmung am Strand ... Gegen Mittag erreichte die Barracuda die Korallenbank. Vorsichtig steuerte Simon die Yacht durch das Labyrinth der Fahrrinnen. Die Sonne stand jetzt fast senkrecht über ihnen. Kathleen konnte sich nicht vorstellen, wie Simon eine Rinne von der anderen unterschied. Doch er schien genau zu wissen, was er tat. Nach einiger Zeit erspähte sie endlich die roten Markierungsbojen, die nach der Haiattacke zurückgelassen worden waren. Die Fahrt ging an den Korallenbänken vorbei und weiter in das trügerische Labyrinth hinein. Auf der Leeseite eines weiteren halbmondförmigen Riffs warfen sie Anker. „Wir tauchen gleich, während die Sonne noch hoch steht", kündigte Simon mit unpersönlicher Stimme an. „In fünfundvierzig Minuten könnten wir es schaffen, das Riff einmal in seiner ganzen Ausdehnung zu erkunden. Dann entscheiden wir, wo wir anfangen." Die Riffwand war steil und mit ausladenden Korallenverästelungen dicht überwachsen, was alle schiffsähnlichen Konturen unkenntlich machen musste. Simon und Kathleen bewegten sich in einer Entfernung von drei Metern langsam daran entlang und suchten nach irgendeiner Spur. Das Riff wies am Grund teilweise klaffende Spalten auf. Kathleen untersuchte routinemäßig eine Stelle genauer. Ihr Herz begann plötzlich rascher zu schlagen, denn die Korallenformen vor ihr entpuppten sich als ein Durcheinander von Holzplanken, die dick mit Korallen überkrustet waren. Aufgeregt drehte sie sich zu Simon um. Er nickte, gab ihr das Okay-Zeichen, und gemeinsam schwam97
men sie näher. Jetzt konnte Kathleen auch die Umrisse einer Kanone ausmachen. Lediglich die Geschützmündung war sichtbar und auch nur an der unnatürlichen Regelmäßigkeit des Korallenmantels zu erkennen. Simon markierte die Stelle mit einer aufblasbaren roten Boje, während Kathleen sich am Riff entlangarbeitete. Sie wusste, dass die Belle Princesse nur mit sieben Kanonen bestückt gewesen war. Philippe de Mercourt hatte sich ganz auf Geschwindigkeit und Beweglichkeit seines Schiffes verlassen, mit dem er sich an die schwerfälligen spanischen Fregatten so nah heranmachte, dass die Mannschaft Enterhaken werfen konnte. Behände kletterten die Piraten dann die Taue hinauf und brachten das Beuteschiff in blutigem Kampf von Mann zu Mann in ihre Gewalt. Kathleen entdeckte sogar noch drei weitere Geschütze, bis Simon ihren Arm berührte und sie daran erinnerte, dass es Zeit zum Auftauchen war. Nur wenige Meter von der Barracuda entfernt durchbrach Kathleen die Wasseroberfläche. „Wir haben sie gefunden, Josh!" schrie sie und winkte ihm aufgeregt zu. „Das war reines Glück", keuchte Simon und schwang sich auf die Schwimmplattform. Mit einem Ruck zog er Kathleen ebenfalls herauf. Dann kletterten sie das Fallreep hoch an Bord. Das Meerwasser lief ihr aus dem Haar und verschleierte die Tränen, die Kathleen über die Wangen liefen. Jetzt war es nur noch eine Frage von wenigen Tagen, bis sie nach Nassau zurückkehrten. Die Fotoaufnahmen, Messungen und Karteneintragungen, die Bergung einiger Gegenstände aus dem Wrack, all das dauerte nicht mehr lange. Und dann würde alles vorbei sein. Sie würde nach England zurückfliegen und Simon nie wieder sehen. „Was ist mit dir, Kathleen? Freust du dich denn nicht? Wir haben dein kostbares Wrack doch endlich gefunden. Jetzt kannst du tatsächlich beweisen, welch ein Held David war." Simons Zynismus tat weh. „Natürlich freue ich mich", erklärte sie leise. „Ich wünschte nur, er wäre hier und könnte dies alles miterle98
ben." „Das ist glücklicherweise nicht mehr möglich", war die scharfe Antwort. „Was hast du eigentlich gegen ihn?" erkundigte sie sich aufgebracht. „Und warum sagst du mir nicht endlich, warum ihr euch zerstritten habt?" Er beugte sich über sie und hob ihr Gesicht mit der Fingerspitze. „Weil ich deine Illusionen nicht zerstören möchte, Kathleen." „Ich würde sowieso nicht glauben, was du über ihn erzählst", erwiderte sie verächtlich und riss sich von ihm los. Simon ging ruhelos auf dem Deck hin und her, während Kathleen verzweifelt auf die glitzernde Wasseroberfläche starrte. Die Kluft zwischen ihnen schien unüberbrückbar geworden zu sein. Schließlich hielt Simon inne. „Was willst du jetzt tun?" fragte er. „Ich würde gern Mr. Thompson anrufen und ihm sagen, dass wir die Belle Princesse gefunden haben." „Du kannst das Funkgerät benutzen." „Danke, ich erledige den Anruf am besten gleich jetzt", erwiderte Kathleen sachlich. Alfred Thompson war begeistert. „Das haben Sie großartig gemacht", lobte er. „Wir werden eine sechsseitige Fotoreportage bringen. Können Sie das schaffen?" „Ich denke schon." Kathleen sprach sehr deutlich, damit Alfred Thompson auch alles verstand. „Soll ich den Begleittext gleich schreiben?" Sie wartete, bis Mr. Thompsons Stimme durch das Rauschen der Leitung wieder hörbar wurde. „Natürlich. Ich brauche etwa zweitausend Wörter. Wir können den Text später kürzen, falls wir mehr Platz für die Fotos benötigen. Wann werden Sie wieder in England sein?" „In etwa einer Woche", antwortete Kathleen. „Ich rufe Sie an, sobald ich zurück bin." „Fein. Ich freue mich schon auf Sie. Bis bald." „Bis bald." Kathleen hängte die Kopfhörer auf den Haken und stell99
te das Funksprechgerät ab. Aufatmend lehnte sie sich zurück und rieb sich mit unkontrollierten Bewegungen das Gesicht. Nur noch eine Woche, dann würde sie Simon nie wieder sehen ... Aber vielleicht war das auch gut so. Wozu sich Hoffnung machen? Die Vergangenheit würde stets zwischen ihnen stehen, ihre Liebe hatte keine Zukunft. Das Zerwürfnis mit David musste einen sehr ernsten Hintergrund gehabt haben. Was um alles in der Welt war damals geschehen? Sie war gezwungen, in einer Sache Partei zu ergreifen, deren Umstände im Dunkeln lagen. Kathleen fühlte sich ausgelaugt und leer. Sie war sich nicht sicher, ob sie dieser inneren Zerreißprobe standhalten würde.
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9. KAPITEL
Am nächsten Tag untersuchte Kathleen die Überreste der Belle Princesse genauer. Vorsichtig erkundete sie das Labyrinth von Räumen und Gängen unter den ineinander verschobenen Deckplanken. Diesmal trug sie einen Taucherhelm mit einem kleinen Scheinwerfer. Ein dünnes Nylonseil verband sie mit Simon, der vor dem Wrack wartete. Im Inneren des Rumpfes befand sich die siebte und letzte Kanone, und auf der anderen Seite des Decks türmte sich eine größere Korallenformation vor Kathleen auf. Als sie einzelne Korallenstücke abschlug, kam nach und nach der Anker der Belle Princesse zum Vorschein. Sie dachte an Davids Eintragung: „Eisenanker französischer Herkunft, um 1700." Eine seltsame Vorstellung, dass er vor Jahren genau an derselben Stelle gewesen war. Ein zweifaches Ziehen an der Leine erinnerte sie, dass ihr nur noch fünf Minuten Tauchzeit blieben. Sie sammelte rasch einige undefinierbare, von Korallen überwucherte Gegenstände vom Boden ein, dann folgte sie der Leine durch das Labyrinth zurück, um erleichtert ins offene Wasser zu schwimmen. Vorsichtig stieg sie an die Oberfläche und benutzte dabei ihre Schwimmweste, um das zusätzliche Gewicht der Fundstücke auszugleichen. Simon stieg neben ihr auf, bereit zu helfen, falls dies notwendig sein sollte. Wenige Minuten später stand Kathleen wieder sicher auf dem Achterdeck der Barracuda. Josh redete aufgeregt auf sie ein, weil er glaubte, sie hätte einen versunkenen Schatz geborgen. „Das bezweifle ich, Josh", erklärte sie lachend. „Wenn sich in diesen Klumpen irgendetwas befindet, dann höchstens Zinn- oder Bronzegegenstände. Hole mir eine Schüssel und Essig, dann werden wir feststellen, um was es sich handelt." Zu Joshs Enttäuschung sollte sie Recht behalten. Nach Entfernung von Korallen und Sand kamen ein Zinnbecher und ein vollkommen verrosteter Dolchgriff zum Vorschein. 101
Beim zweiten Tauchgang an diesem Tag nahm Kathleen Davids Unterwasserkamera mit. In dieser Tiefe war es nicht einfach, Aufnahmen zu machen. Das Wasser täuschte falsche Ausmaße und Entfernungen vor und absorbierte den größten Teil des einfallenden Lichts. Kathleen machte mehrere Aufnahmen von den Geschützen und schwamm dann zum nächsten Objekt weiter. Gewissenhaft fotografierte sie jede Einzelheit, um später einen umfassenden Eindruck vom Wrack und seiner Umgebung vermitteln zu können. Als die Zeit abgelaufen war, tauchten sie gemeinsam auf und schwammen zur Barracuda zurück. „Eine gute Ausbeute", stellte Kathleen zufrieden fest und streifte sich die Flossen ab. „Ich hoffe nur, die Aufnahmen werden etwas." „Du kannst sie ja nach dem Mittagessen entwickeln", schlug Simon vor. Bedrückt reichte Kathleen Josh die Kamera. Es war immer das Gleiche. Das Zusammengehörigkeitsgefühl, das sie beim Tauchen verband, verschwand an Deck sofort wieder, als ob sich eine unsichtbare Schranke zwischen sie und Simon senken würde. Nach dem Mittagessen brachte Simon eine Kiste mit FotoUtensilien und trug sie in die Kombüse. „Hier müsstest du alles finden, was du brauchst", erklärte er Kathleen. „Chemikalien, Wannen, Thermometer und so weiter. Wenn du die Tür zumachst, kannst du entwickeln. Wegen der Belüftung mach dir keine Gedanken, das übernimmt die Klimaanlage." Kathleen sah zu, wie er die Bullaugen mit Karton zuklebte und die Glühbirne gegen eine orangefarbene Dunkelkammerlampe austauschte. „Du hast hier an Bord wirklich alles", stellte sie anerkennend fest. „Zu den Vorteilen des Reichseins gehört es, dass man sich alles leisten kann, was man sich wünscht", antwortete er lakonisch. „Wie angenehm", spöttelte sie. „Das ist es auch." „Aber die wirklich wichtigen Dinge im Leben kannst du nicht kaufen", setzte sie eindringlich hinzu. „Freundschaft oder Liebe sind 102
nicht mit Geld zu erwerben." „Wahrscheinlich nicht. Aber den äußeren Schein echter Liebe kann man kaufen. Nach einer Weile hat man sich so daran gewöhnt, dass der Unterschied gar nicht mehr auffällt." Kathleen sah ihn betroffen an. „Warst du schon immer so zynisch?" Plötzlich ergriff Simon sie mit beiden Händen an den Schultern, ihre Gesichter waren nur noch Zentimeter voneinander entfernt. „Vielleicht hat mir das Leben einige Lektionen erteilt, die dir noch bevorstehen, Kathleen." Sie machte sich frei und hob abwehrend die Hände. „Hoffentlich nicht! Ich möchte kein so unerfreulicher Zeitgenosse werden wie du." Sie spürte, dass sie ihn getroffen hatte, und war auf einen Ausbruch gefasst. Doch Simon wandte sich stumm ab und verließ die Kombüse. Krampfhaft versuchte Kathleen, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Die Aufgabe war schwierig, doch Kathleen besaß Erfahrung beim Entwickeln. David hatte diese Seite ihrer Arbeit immer langweilig gefunden und ihr das Entwickeln der Bilder überlassen, sobald er merkte, dass sie sich damit auskannte. Eine Weile gelang es Kathleen, jeden anderen Gedanken zu verdrängen. Schließlich begann sie sogar, einen der mitreißenden Reggae-Songs zu singen, den sie im Radio gehört hatte. Die Streifen der Farbdias waren nach dem Entwickeln anfangs noch verschwommen. Erst wenn sie trockneten, würden die Bilder scharf. Kathleen packte die Ausrüstung zusammen und trug die Filmstreifen ins Bad. Dort hängte sie sie an einer sicheren Stelle auf und ging danach zurück an Deck, um ihre Aufzeichnungen zu ergänzen. Am nächsten Morgen beendete Kathleen die Außenaufnahmen des Wracks. Die Erforschung der bedrückenden Gänge im Schiffsinneren erforderte jedoch viel Zeit, weil dies die kritischste Phase der Arbeit war. Für einen unerfahrenen Taucher konnte das Wrack zur Todesfalle werden. Obwohl Simon ihr jederzeit helfen würde, musste Kathleen ihren ganzen Mut zusammennehmen, um nicht ins freie 103
Wasser zu flüchten. Beim Mittagessen war sie schweigsam und nachdenklich, weil am Nachmittag ein weiterer Tauchgang in das Wrackinnere auf dem Programm stand, um die letzten Fotos zu machen. Dennoch ließ sie sich vor Simon nichts anmerken, da sie seinen Spott fürchtete. Nach dem Essen machte sie es sich auf dem Achterdeck bequem und versuchte eine Lagekarte des Wracks zu zeichnen. Eine brütende Hitze, die nichts Gutes verhieß, lastete inzwischen auf dem Schiff. Gegen drei Uhr war Kathleen fast froh, wieder ins Wasser gehen zu können, obwohl es bedeutete, noch einmal in das Labyrinth der Belle Princesse eindringen zu müssen. Sie arbeitete ruhig und stetig und schaffte es, alle Aufnahmen zu machen, ehe es Zeit zum Aufsteigen war. Gleich nach dem Auftauchen stellte Kathleen fest, dass das Wetter umgeschlagen war. Das Wasser war jetzt nicht mehr klar und blaugrün, sondern bleigrau. Am späten Nachmittag rührten kleine graue Wellen die vorher so ruhige Oberfläche auf. Die Durchsagen der Wetterdienste ließen keinen Zweifel mehr: Über dem Atlantik braute sich ein Hurrikan zusammen. Die Meteorologen versprachen zwar, dass er den Bahamas nicht zu nah kommen würde, aber ein Hurrikan war unberechenbar. Am Abend gab es keine kühle Brise wie sonst, der Sonnenuntergang war von trügerischer Schönheit. Flammende goldene Streifen zogen sich wie Schwerter durch die dicken blauschwarzen Wolkenbänke. Kathleen verfolgte das Naturschauspiel in stummer Ehrfurcht. Als sie sich schließlich abwandte, sah sie Simon an der Tür zum Salon stehen. Auch er beobachtete den Sonnenuntergang. „Ist das nicht wunderschön?" meinte sie lächelnd. „Wie man's nimmt. Wir haben einen hübschen Sturm vor uns." „Können wir dann überhaupt hier bleiben?" fragte sie zweifelnd. Er blickte sie kalt an. „Ich habe nicht die Absicht, mein Schiff für dein verflixtes Wrack aufs Spiel zu setzen. Für alle Fälle habe ich die Rinnen markiert. Wenn das Wetter zu schlecht wird, suchen wir in Nassau Unterschlupf." 104
„Warum nicht hier im Hafen?" „Ich möchte nicht tagelang auf Andros festsitzen", antwortete er schroff. „Du hast deine Fotos im Kasten. In ein, zwei Tagen ist die Arbeit beendet." Kathleen zuckte schmerzlich zusammen. In ein, zwei Tagen. Dann würde sie wieder in Nassau sein und die Maschine zurück nach England besteigen. Simon würde sie nie wieder sehen. Am liebsten hätte sie die Hände ausgestreckt, um ihn zu berühren, aber er war bereits in den Salon gegangen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen und sich beim Abendessen nicht anmerken lassen, wie weh ihr ums Herz war. Die Yacht rollte schwer auf den kräftigen Wellen, die den bevorstehenden Sturm ankündigten. In der Luft lag eine seltsame Spannung, als halte die Natur erwartungsvoll den Atem an. Kathleen nahm das alles kaum wahr. Obwohl Josh köstliche Barschfilets gebraten hatte, war ihr der Appetit vergangen. Sie aß nur wenig und schob den Teller bald von sich. Nervös rückte sie den Stuhl zurück und blickte zum nächtlichen Himmel auf, der sich tintenschwarz verfärbt hatte. Hohe, rasch dahintreibende Wolken verdeckten immer wieder die Sterne, und der Mond war von einem kränklichen Gelb. Das Radio plärrte unentwegt, die Unterhaltung wurde nur einsilbig geführt. „Kann das Radio nicht abgeschaltet werden?" erkundigte sich Kathleen gereizt. Simon schüttelte den Kopf. „Wir sind auf die Wetterdurchsagen angewiesen." „Verflixt!" Kathleen setzte sich wieder. Die Hitze wurde unerträglich, und fast wünschte sie den Sturm herbei, damit die spannungsgeladene Atmosphäre sich entladen konnte. Simon las in einer Zeitschrift und schien von der drückenden Stimmung nichts zu spüren. Aber er war ja sowieso nicht aus der Ruhe zu bringen! Was könnte ihn wohl aus der Reserve locken? überlegte Kathleen. In ihrer überreizten Verfassung malte sie sich aus, was sie sagen könnte, damit er die Kontrolle über sich verlor und sie einfach in seine Kabine trug. 105
Doch als sie verstohlen zu ihm hinüberschaute, sah sie seine unnahbare Miene und schlug sich diese Gedanken aus dem Kopf. „Ich glaube, ich gehe jetzt in meine Koje und lege mich hin." Simon blickte auf seine Uhr. „Es ist noch früh", stellte er fest. „Sicher, aber ich langweile mich. Ich werde noch lesen." Damit ging sie in ihre Kabine und kleidete sich aus. Nach einer Dusche, die nur für kurze Zeit erfrischte, legte sie sich unruhig auf das Bett. Kathleen war todunglücklich und verzweifelt. Sie wäre zu allem bereit, wenn sie nur mit Simon die nächsten Stunden verbringen könnte. Sie träumte davon, in seinen Armen zu liegen und seinen Körper zu spüren, nur eine einzige Nacht. Was der Morgen brachte, war ihr gleichgültig. Alles in ihr verlangte nach ihm. Was war nur das Ereignis gewesen, welches Simon und David zu so erbitterten Feinden gemacht hatte, dass selbst der Tod des einen keinen Frieden brachte? Nicht genug, dieses unselige Geschehnis verhinderte jetzt auch noch, dass sie und Simon zusammenkamen. Wenn sie die Wahrheit herausfände, hätte die Liebe zu Simon vielleicht noch eine Chance ... Kathleen konnte keinen Schlaf finden. Hoffnung und Zweifel wechselten sich ab, Unsicherheit, Resignation und grenzenlose Einsamkeit erfüllten sie. Von Zeit zu Zeit drang das Geräusch von Schritten an ihr Ohr. Vermutlich überprüften Simon und Joshua Position und Verankerung der Barracuda. Die See war stürmischer geworden, und allmählich ließ das Rollen des Schiffes Kathleen in einen unruhigen Schlummer fallen. Endlich brach der Morgen an. Kathleen richtete sich in ihrer Koje auf und sah durch das Bullauge. Die aufgehende Sonne war von tief hängenden Wolken überschattet und schickte blassgoldene Strahlen über den purpurfarbenen Himmel. Bereits zu dieser frühen Stunde war es ungemütlich heiß. Kathleen duschte und war froh, dass die Destillieranlage der Barracuda es gestattete, so verschwenderisch mit Süßwasser umzugehen. Sie schlüpfte in leichte Shorts und ein T-Shirt und ging an Deck. Staunend blickte sie auf die dicken schwarzen Wolken, die aus dem Meer herauszuquellen schienen. 106
Dreihundert Kilometer weiter, im Auge des Hurrikans musste der Sturm fürchterlich toben. Selbst hier draußen an seinem Rand war das Meer von einem Unheil verkündenden Grau, und die Barracuda zerrte bedrohlich an den Ankerketten. „Können wir heute tauchen, Simon?" Kathleen war zu ihm getreten und setzte sich. „Wenn das Wetter nicht schlimmer wird", gab er kurz zurück. Sie zögerte einen Augenblick, weil es ihr widerstrebte, das Thema Geld anzuschneiden. Doch früher oder später musste es sein. „Was hältst du davon, wenn wir jetzt schon abrechnen? Du brauchst mir nur zu sagen, wie viel ich dir schulde." Simon lächelte ironisch. „Wie bitte?" „Meine Rechnung. Für die Charter und ... und überhaupt alles. Kann ich mit Scheck bezahlen?" Er lachte bitter. „Ach, du willst mich bezahlen? Lass mich mal nachdenken. Was soll ich dir für das Tanzen im Hotel berechnen? Und für die Küsse, um dein Selbstwertgefühl aufzupolieren? Ach, und für die Liebesszene am Strand - die musste doch auch ein paar Dollar wert sein - mit Preisnachlass natürlich, weil ich die Sache ja nicht zu Ende geführt habe." „Hör auf! Warum redest du so mit mir?" rief Kathleen gequält aus. „Du warst es doch, die das Thema Geld angeschnitten hat." Sie unterdrückte die Tränen. „Wir hatten abgemacht, dass ich dein Schiff zum normalen Chartertarif miete. Alles andere, was zwischen uns war, hat doch damit überhaupt nichts zu tun." „Aber ich bin kein Charterkapitän", erinnerte er sie. „Das weiß ich, trotzdem möchte ich bezahlen." „Ich brauche dein Geld nicht. Die ganze Fahrt hat mich weniger gekostet, als ich beim Poker mit einer Karte einsetze." „Das hat doch damit nichts zu tun", beharrte sie. „Für dich mag das ein Pappenstiel sein, aber für mich geht es hier um das Prinzip." Er verzog abschätzig die Lippen. „Ach ja, das hatte ich ganz vergessen. Du bist eine Frau, die sich von Geld nicht beeindrucken lässt. Bitte verzeih, so viel Unbestechlichkeit begegnete mir bisher selten." 107
„Ist dir noch nie der Gedanke gekommen, dass manche Menschen deine Freunde sein möchten, du ihnen aber gar keine Möglichkeit dazu gibst?" schleuderte sie ihm entgegen. „Doch, natürlich. Was ist mit dir, Kathleen? Möchtest du meine Freundin sein?" Ehe sie sich wehren konnte, fasste Simon sie mit beiden Händen und schüttelte sie leicht. „Was für eine Freundin möchtest du sein? Eine Geliebte? Würdest du mir auch so treu sein wie deinem verstorbenen Mann?" Kathleen schloss die Augen. „Du begehrst mich doch, nicht wahr, Kathleen?" Simon streichelte aufreizend langsam ihren Körper. „Gib es doch zu! Ich spüre doch, wie du auf mich reagierst." Simon presste Kathleens Arme zusammen, bis sie schmerzten. Tränen strömten ihr über die Wangen. Der Schmerz, den seine Verachtung verursachte, war stärker als das Verlangen, das seine Berührungen erweckten. „Nun, wie wär's, Kathleen? Wollen wir ins Bett gehen? Hättest du Lust, mit einem Mörder zu schlafen?" Unwillkürlich wich Kathleen zurück. Ungläubiges Entsetzen lag in ihrem Blick. „Dieses oberflächliche Gerede von Liebe und Freundschaft!" stieß Simon höhnisch hervor. „Wie oft, glaubst du, habe ich das schon erlebt? Freundschaft? Aber ja! Jeder möchte Freund eines Millionärs sein. Bis sie die Gerüchte hören, dann wird das Lächeln ein bisschen starr ... du weißt schon, was ich meine. Deshalb ziehe ich die Gesellschaft von Gaunern und Halsabschneidern vor. Ich bin einer von ihnen, und sie nehmen mich so, wie ich bin." Kathleen konnte ihn nur benommen anstarren. Sie wusste nicht, ob Simon die Wahrheit sagte oder nicht. Einen Augenblick kämpfte sie mit sich. Dann rannte sie plötzlich wie von Furien gehetzt über die Treppe zu ihrer Kabine hinunter. Nein! Es konnte einfach nicht wahr sein! Simon ein Mörder? Sie wollte es einfach nicht glauben. Bestimmt wollte er ihr nur Angst einjagen. Kathleen wusch sich das Gesicht und wechselte mechanisch die Kleidung. Ihr Kopf schmerzte, und sie hatte das Gefühl, einen Albtraum zu durchleben. 108
Mit müden Schritten ging sie in den Salon zurück. Von Simon war nichts zu sehen. Sie hörte Josh in der Kombüse pfeifen, und der alte Joshua räumte auf dem Achterdeck die Fächer unter den Sitzen aus. Erst als es Zeit zum Tauchen war, erschien Simon wieder. Er und Kathleen vermieden es, sich offen anzusehen. Schweigend legten sie die Taucherausrüstungen an. Nachdem das Meer den ganzen Tage über ruhig und klar gewesen war, konnten sie jetzt kaum sieben Meter weit sehen und mussten außerdem gegen starke Strömungen ankämpfen. Aber im englischen Kanal hatte Kathleen oft ähnliche Situationen erlebt. Sobald sie sich etwas an die veränderten Verhältnisse gewöhnt hatte, kehrte das alte Selbstvertrauen zurück. Sie vermaßen die Wrackstelle und notierten sich die Ergebnisse auf einem Spezialblock, den sie am Gewichtsgurt trugen. Oft konnten sie sich nur durch das Licht der Helmscheinwerfer ausmachen, und es war schwierig, das Maßband gegen die Strömung straff zu halten. Unermüdlich arbeiteten sie weiter, bis der Heckteil der Belle Princesse vermessen war. Zurück an Bord der Barracuda zeichnete Kathleen ein genaues Diagramm des Wracks. Josh versorgte sie laufend mit eisgekühltem Sodawasser, und sie war froh über die Klimaanlage des Salons. Doch ihre Gedanken wanderten immer wieder in andere Richtungen, und sie konnte sich nur schlecht konzentrieren. Simons Enthüllung ließ Kathleen nicht los. Welche schreckliche Wahrheit verbarg sich hinter seinen Worten? Simon war bestimmt kein kaltblütiger Mörder! War er in einen Kampf oder einen Autounfall verwickelt worden? Und welche Rolle hatte David dabei gespielt? Sosehr sich Kathleen auch den Kopf zermarterte, sie fand keine Antwort auf diese Fragen. Der Sturm zog näher, und die Schwüle wurde unerträglich. Wieder blickte sie auf die Uhr: fast halb drei. Sie hörte Simons Schritte und beugte sich hastig wieder über die Aufzeichnungen. „Wir können noch einmal tauchen", verkündete er sachlich. „Also mach dich lieber fertig. In einer Stunde möchte ich von hier fort sein. Das ist die letzte Chance, deine Arbeit hier zu vollenden. Der Sturm 109
kann stärker werden, und wenn wir erst zurück in Nassau sind, ist die Sache für mich abgeschlossen." Die Sichtweite an der Wrackstelle betrug jetzt nur noch knapp drei Meter, und die Strömung begann problematisch zu werden. Dennoch gelang es ihnen, die vordere Hälfte des Schiffes zu vermessen. Kathleen warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass nur noch für wenige Minuten Sauerstoff in den Tanks war. Das Meer wurde immer aufgewühlter, Korallenteile lösten sich vom Riff und wirbelten in der Strömung durcheinander. Dennoch war Kathleen entschlossen, diese letzte Gelegenheit bis zum Schluss auszunutzen. Sie berührte Simons Schulter und signalisierte ihm, dass sie sich noch einmal in das Wrack wagen wollte, um nach kleinen Fundstücken zu suchen. Er schüttelte wild den Kopf, aber Kathleen ließ sich nicht beirren und schwamm noch einmal durch eine Lücke in das Wrack hinein. Diesmal hatte sie ein Netz mitgebracht. Sie arbeitete rasch und füllte es mit Korallenklumpen, die aussahen, als enthielten sie etwas Interessantes. Plötzlich hörte sie ein dumpfes Krachen. Im nächsten Augenblick brach der Wrackrumpf um sie herum zusammen. Instinktiv hob sie schützend die Hände über den Kopf, dann stürzten Holz- und Korallenteile auf sie herab. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, ehe der Spuk aufhörte und es um sie herum wieder ruhig wurde. Kathleen wand sich voller Panik, aber ihr Fuß war eingeklemmt. Die Tauchermaske hatte sich mit Wasser gefüllt, so dass sie nichts sehen konnte. Glücklicherweise waren die Luftschläuche nicht zerrissen. Verzweifelt versuchte sie den Fuß freizubekommen, als sich beruhigend eine Hand auf ihre Schulter legte. Simon war da! Kathleen atmete hastig und unregelmäßig und verbrauchte die kostbare Luft zu schnell. Doch seine bloße Berührung genügte, um sie etwas zu beruhige. Wieder packte sie die Angst. Wie viel Luft war noch übrig? Wenn sie doch wenigstens etwas sehen könnte! Ganz ruhig, befahl sie sich, du musst Ruhe bewahren, Simon wird dich retten. Kathleen dachte daran, wie ihr Großvater ihr beigebracht 110
hatte, die Maske zu säubern. Sie atmete scharf durch die Nase, um das Wasser wieder durch Luft zu ersetzen. Jetzt konnte sie erkennen, was ihren Fuß festhielt: Einige Deckplanken, bis jetzt von Korallen zusammengehalten, waren zusammengebrochen und quer über ihren Knöchel gestürzt. Wie leicht hätte das Bein dabei zerschmettert werden können! Erleichtert stellte sie fest, dass sie die Zehen noch bewegen konnte, die Verletzung hielt sich also in Grenzen. Doch ein Blick auf den Luftmesser sagte ihr, dass der Sauerstoffvorrat bald zu Ende war. Panik erfasste sie. Sie berührte Simons Arm und deutete auf den Luftmesser. Er nickte und versuchte mit aller Kraft, die schweren Planken wegzudrücken. Kathleen zwang sich zur Geduld, obwohl sie jetzt beim Atmen merkte, dass die Luft in ihren Tanks knapp zu werden begann. Noch einige Augenblicke, und sie musste Simon bitten, seinen Sauerstoff mit ihr zu teilen. Doch sein Vorrat war bestimmt ebenfalls bald aufgebraucht. Da reichte ihr Simon auch schon sein Mundstück, und Kathleen atmete zwei Mal tief ein. Dann schloss sie die Augen und kämpfte mit aller Macht gegen die Versuchung an, es festzuhalten. Langsam atmete sie aus, in dem blinden Vertrauen, dass Simon sie wieder an die Oberfläche bringen würde, ehe sie erstickte. Kathleen spürte, wie er hinter ihr weitere verkrustete Planken zur Seite zog. Er kam mit dem Mundstück genau in dem Augenblick zurück, als ihr schwindlig zu werden begann. Beruhigend legte er den Arm um ihre Taille, während sie seine Luft einatmete. Dankbar blickte sie zu ihm auf und wünschte, sie könnte ihm jetzt sagen, was sie für ihn empfand. Aber in dieser Welt ohne Worte war nur zu hoffen, dass er die Botschaft in ihren Augen las. Nachdem sie ein zweites Mal Luft getankt hatte, reichte sie Simon das Mundstück zurück. Eine stumme Resignation erfasste sie. Die Sekunden tickten dahin, und Dunkelheit brach allmählich über Kathleen herein. Plötzlich hörte der Druck auf ihrem Knöchel auf. Hastig strampelte sie sich frei, die Flosse blieb zurück. Kathleens Lungen schrien nach Luft, doch Simon war wieder da 111
und schob ihr das Mundstück zwischen die Lippen. Sie nahm einen verzweifelten Zug. Im nächsten Augenblick waren sie aus dem Wrack heraus und stiegen langsam auf. Kathleen konnte die perlende Wasseroberfläche jetzt bereits über sich erkennen. Dann blickte sie plötzlich in den wolkenverhangenden Himmel, von dem sie bereits geglaubt hatte, sie würde ihn niemals wieder sehen. Am Ende ihrer Kräfte angelangt, brach sie in Tränen aus. Simon löste Kathleens Gewichtsgürtel und die Lufttanks und nahm ihr das Netz ab, das sie immer noch krampfhaft umklammert hielt. Dann begann er sie in Richtung auf das Schiff abzuschleppen. Josh hatte gemerkt, dass etwas nicht stimmte, und war auf die Schwimmplattform heruntergeklettert. Sofort half er Simon, Kathleen aus dem Wasser zu ziehen. Der alte Joshua stand oben, ebenfalls bereit, ihnen beizuspringen. Irgendwie schafften sie es, Kathleen an Bord zu hieven. Behutsam legten sie sie auf das Achterdeck. Der Knöchel schmerzte jetzt unerträglich, und ihr Kopf fühlte sich merkwürdig leicht an. Simon streifte ihren Taucheranzug ab, dann kniete er nieder, um die Verletzung vorsichtig zu untersuchen. „Ich glaube, es ist nur eine Prellung", meinte er. „Auf jeden Fall werde ich einen Arzt rufen, sobald wir in Nassau sind." Er stand auf und entledigte sich nun ebenfalls seines Taucheranzugs. „Kannst du aufstehen?" „Ich weiß nicht." Sie wusste nur, dass sie seine Arme wieder um sich spüren wollte. Was kümmerte sie das Morgen? Ohne Simon hätte sie es nicht mehr erlebt. Es war ihr gleichgültig, ob er ein Verbrechen begangen hatte. Nichts zählte mehr, nur noch ihre Sehnsucht nach ihm. Als Simon ihr auf die Beine half, lehnte sie sich an ihn, obwohl sie sich gar nicht so schwach fühlte. Er sah sie besorgt an. „Vielleicht sollte ich dich lieber tragen", erklärte er und hob sie auf die Arme. Sie legte den Kopf an seine Schulter und fühlte sich so geborgen und sicher wie nie zuvor. „Hol die Anker ein und bring uns von hier 112
fort, Joshua!" rief Simon dem Alten zu, ehe er Kathleen durch den Salon in die Kabine trug. Als Simon sie auf der Koje absetzte, nahm Kathleen die Arme nicht von seinem Hals. „Ich möchte duschen", sagte sie leise. „Ich möchte nicht, dass das Salzwasser in meinem Haar trocknet." Sie sah, dass Simon zögerte. „Hilfst du mir dabei? Ich weiß nicht, ob ich es allein schaffe", setzte sie kühn hinzu. Sie spürte, wie er sich verkrampfte, und blickte vorsichtig zu ihm auf. Seine Lippen waren zusammengepresst und bildeten eine einzige harte Linie. Wortlos hob er sie wieder auf und trug sie unter die Dusche. Das warme Wasser strömte über ihre Körper. Kathleen sah fasziniert zu, wie es in winzigen Bächen durch Simons Brustflaum rann. Wie in Trance hob sie die Hand und begann die feinen Härchen zu streicheln. Unter ihren Fingerspitzen konnte sie seinen kraftvollen Herzschlag spüren. Simon nahm ihre Hand fort. Als sie die andere hob, ergriff er auch diese. „Hör auf damit, Kathleen", warnte er mit rauer Stimme. Sie blickte ihn scheu lächelnd an. Simon packte ihre Schultern und schüttelte sie. „Um Himmels willen, hör auf damit!" Kathleen legte die Arme um seine Taille und presste sich an ihn. Als sie seine Brust mit kleinen Küssen bedeckte, spürte sie, wie erregt er war. Dennoch beherrschte er sich. „Kathleen!" stieß er heiser hervor. „Du weißt ja nicht, was du tust. Das muss der Schock sein." Sie blickte verlangend zu ihm auf. „Nein, es ist nicht der Schock." Für lange Sekunden glaubte sie, er würde sie von sich schieben. Doch plötzlich drückte er sie an die Fliesenwand und streifte ihr mit raschen Griffen den Badeanzug ab. Sie leistete keinen Widerstand, als er sie aus der Duschkabine zog und auf eine der Kojen legte. Wogen der Leidenschaft rissen sie mit sich fort, alle Spannung und Aufregung der letzten Zeit entluden sich in einem nicht mehr enden wollenden Verlangen nach Liebe. Die Barracuda schlingerte im Sturm, doch die mächtigen Motoren 113
brummten und surrten zuverlässig, während sie mit Höchstgeschwindigkeit durch die aufgewühlte karibische See auf Nassau zuhielt.
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10. KAPITEL
Kathleen erwachte wie aus einem Trancezustand. Simon lag neben ihr, sah sie mit leicht trotziger Miene an. „Ich entschuldige mich nicht. Daran warst du selbst schuld", fing er an. „Ich weiß", antwortete sie ruhig. „Tut dein Knöchel immer noch weh?" „Nicht sehr." Simon erhob sich. „Ruh dich lieber aus", erklärte er. „Ich gebe einen Funkspruch an den Arzt durch. Er wird dich untersuchen, sobald wir in Nassau sind." Seine Stimme klang sanft, aber seine Fürsorge errichtete nur eine weitere Barriere zwischen ihnen. Er fühlte sich für Kathleen verantwortlich, weil sie auf seiner Yacht zu Schaden gekommen war, und nicht, weil er mit ihr geschlafen hatte. Simon blickte sich nach einem Handtuch um und half ihr, sich aufzusetzen. Dann frottierte er ihr Haar trocken. „Hast du ein Nachthemd oder etwas anderes, das du überziehen kannst?" erkundigte er sich. „Einen Pyjama. Er ist unter dem Kopfkissen." Simon holte ihn hervor und half Kathleen beim Anziehen. Dann vergewisserte er sich, dass sie bequem gebettet war. „Schlaf ein wenig", sagte er leise und küsste sie sanft auf die Stirn. Kathleen hätte ihn am liebsten zurückgehalten und ihn gebeten, bei ihr zu bleiben, aber sie wagte es nicht. Sie hatte sich ihm aus freien Stücken geschenkt und kein Recht, Ansprüche an ihn zu stellen. Erst nachdem Simon die Kabine verlassen hatte, ließ Kathleen den Tränen freien Lauf. Sie hatte gewusst, dass es so ausgehen würde. Das gleichmäßige Rollen des Schiffes und rhythmische Stampfen der Maschinen hatte eine beruhigende Wirkung auf Kathleen. Die Anstrengungen der letzten Stunden forderten nun ihren Tribut, und nach kurzer Zeit fiel sie in festen Schlaf. Kathleen erwachte, weil die Motoren plötzlich anders klangen.
Neugierig setzte sie sich auf und spähte aus dem Bullauge. Sie fuhren gerade in den Hafen von Nassau ein. Die wackelnden Masten und Aufbauten anderer Schiffe verrieten, dass der Hurrikan ihnen gefolgt war. Das Schiff manövrierte auf dem bewegten Wasser hin und her und legte dann mit einem dumpfen Laut am Kai an. Das Geräusch der Motoren erstarb. Wenige Augenblicke später klopfte es an Kathleens Tür. Rasch setzte sie sich auf. „Herein!" Es war der junge Josh, der den Kopf hereinsteckte und sie besorgt ansah. „Fühlen Sie sich jetzt besser, Mrs. Kathleen?" erkundigte er sich mitfühlend. „Ja, danke, Josh." „Mr. Simon sagt, ich soll Ihre Sachen packen. Er wird Sie ins Haus tragen." „Aber ich kann laufen", protestierte sie. „Es ist besser, du belastest den Knöchel nicht, solange der Arzt ihn nicht untersucht hat", erklärte Simon und betrat die Kabine. „Du brauchst dich nicht weiter anzukleiden, ich wickle dich in eine Decke. Es ist nicht weit." Kathleen widersprach nicht. Als Simon sie in eine große Decke hüllte und auf die Arme nahm, kam sie sich sehr klein und verletzlich vor. Was hätte sie darum gegeben, wenn er ihr irgendwie zu verstehen gegeben hätte, dass sie ihm etwas bedeutete. Aber er zeigte keine Regung. Obwohl die Barracuda heftig auf und nieder tanzte, trug Simon Kathleen sicher an Land. Der Himmel war von dunklen, rasch dahintreibenden Wolken überzogen, die Straßen waren nahezu menschenleer. Hier und da klapperte ein Fensterladen oder eine dahinrollende Blechdose, oder ein Stück Zeitung segelte durch die Luft. Der Wind trug Geräuschfetzen von Musik und Stimmen zu ihnen herüber. Josh eilte neben ihnen her. Simon kämpfte sich gegen den Sturm zu der alten Hafenbar durch. Dort angekommen, öffnete er ein schmiedeeisernes Tor an einer Seite des Gebäudes, das Kathleen bei ihrem ersten Besuch nicht bemerkt hatte. Über einen Steinweg gelangten sie zwischen blühenden Hibiskussträuchern hindurch zu einer breiten 116
steinernen Treppe, die zu einem eleganten Säulenportal hinaufführte. Kathleen war überrascht, als die Tür geöffnet wurde und Maxie sie in eine geschmackvolle Marmordiele geleitete. „Um Himmels willen, Sie Ärmste!" rief Maxie mitfühlend. „Es muss fürchterlich gewesen sein, da unten eingeklemmt zu sein." Sie schauderte. „Ich habe das Bett im Gästezimmer gerichtet, wie du es gewünscht hast, Simon, und Kaffee gekocht. Haben Sie Hunger?" fragte sie zu Kathleen gewandt. „Ein bisschen", gestand sie. „Aber ich möchte Ihnen keine Umstände machen." „Ach, das sind keine Umstände", erklärte Maxie freundlich. „Heute Abend haben wir nur wenig Gäste. Die anderen können gut eine Weile ohne mich auskommen." Kathleen brachte ein Lächeln zu Stande. Maxie sah umwerfend aus. Ihre schimmernden blonden Locken hatte sie an einer Seite zurückgesteckt, und sie trug ein enges blaues Kleid mit Schlitzen an der Seite. Da kann ich nicht mithalten, dachte Kathleen resigniert. In den letzten Tagen hatte sie fast vergessen, dass es Maxie gab. Es war ihr irgendwie peinlich, der jungen Frau gegenüberzustehen, nachdem sie nur wenige Stunden zuvor mit Simon geschlafen hatte. Doch Maxie schien nichts zu ahnen. Oder sie war es gewohnt, dass Simon ihr untreu war, und überging das einfach. Simon trug Kathleen die Treppe hinauf, Josh und Maxie folgten. Im Obergeschoss öffnete er die Tür zu einem großen Zimmer, das herrlich altmodisch eingerichtet war. Maxie eilte voran und schlug die Bettdecke zurück, und Simon setzte Kathleen behutsam auf dem Bett ab. In diesem Augenblick läutete die Türglocke. „Das muss der Arzt sein", sagte Maxie. „Er kommt gerade richtig." Eilig verließ sie das Zimmer. Josh stellte Kathleens Tasche ab und lächelte etwas traurig. „Auf Wiedersehen, Mrs. Kathleen. Passen Sie gut auf sich auf. Ich hoffe, wir sehen uns noch mal, ehe Sie nach England zurückfliegen." „Aber natürlich, Josh", sagte sie rasch. Die Endgültigkeit ihrer Si117
tuation schmerzte. „Ich komme mich noch verabschieden." Nachdem auch Josh gegangen war, blieb Kathleen allein mit Simon zurück. Sie beobachtete ihn verstohlen, wie er im Raum umherging, die Fensterläden überprüfte und die Nachttischlampe einschaltete. Er schien sich ebenso unbehaglich zu fühlen wie sie selbst. Doch keiner von beiden sprach, bis der Arzt das Zimmer betrat. Simon begrüßte ihn wie einen alten Freund. „Danke, Tom, dass du so rasch gekommen bist." „Ich bitte dich, Simon, das ist doch selbstverständlich", antwortete der Arzt, und die beiden Männer schüttelten sich die Hände. „Wie geht's deinem alten Herrn?" „Recht gut. Die Gicht macht ihm etwas zu schaffen, aber ansonsten ist er ganz der Alte." „Ein zäher Bursche. Der wird noch hundert Jahre alt. Aber jetzt zu Ihnen, meine Liebe", wandte er sich Kathleen zu. „Was haben wir denn angestellt?" „Es geht mir ganz gut", erklärte Kathleen. „Ich habe nur einige blaue Flecken abbekommen, das ist alles." Sie streckte das Bein langsam unter der Bettdecke hervor, weil sie Schmerzen hatte. Der Knöchel war geschwollen und inzwischen bläulich rot angelaufen. Der Arzt untersuchte den Fuß vorsichtig. Als er das Gelenk etwas drehte, zuckte sie leicht zusammen. „Nun, Sie haben noch mal Glück gehabt", meinte der Arzt. „Es ist nichts gebrochen, das Gelenk ist etwas verstaucht. Die blauen Flecken bilden sich in ein, zwei Tagen zurück. Bis dahin braucht der Fuß aber absolute Ruhe." Er setzte sich auf die Bettkante, fühlte Kathleens Puls und leuchtete ihr in die Augen. „Keine Beulen am Kopf?" erkundigte er sich. „Nein. Mir ist zum Schluss die Luft ziemlich knapp geworden, aber das haben wir bewältigt." Kathleen blickte zu Simon. Als sie sein besorgtes Gesicht sah, begann ihr Herz so heftig zu schlagen, dass sie befürchtete, der Arzt könnte es hören. Rasch senkte sie den Kopf. „Lassen Sie die Dinge ein, zwei Tage ganz ruhig angehen", riet der Doktor. „Bei diesem Sturm können Sie sowieso nichts unternehmen. Wir werden in den nächsten vierundzwanzig Stunden vermutlich alle 118
ans Haus gefesselt sein." Er stand auf und wandte sich schmunzelnd an Simon. „Sie wird bald wieder fit sein", erklärte er beruhigend. „Mach dir ihretwegen also keine Sorgen." Simon nickte. „Gut. Hast du noch Zeit für eine Tasse Kaffee? Oder vielleicht auch etwas Stärkeres?" „Da sage ich nicht Nein", erwiderte der Arzt. „Was sagst du übrigens zu den neuesten Baseball-Ergebnissen? Der neue Mann der Dolphins scheint ein Wunderknabe zu sein.“ Ehe die beiden Männer den Raum verließen, blickte sich Simon noch einmal zu Kathleen um. Für eine Sekunde glaubte sie, in seinem Blick so etwas wie Zärtlichkeit zu sehen. Gleich darauf kam Maxie herein und riss sie aus ihren Träumereien. „Ich habe Ihnen Kaffee und ein Omelett gemacht", verkündete sie und stellte das Tablett auf den Nachttisch. „Hoffentlich schmeckt es Ihnen." Kathleen setzte sich vorsichtig auf. „Vielen Dank. Es ist wirklich sehr nett von Ihnen, mich hier aufzunehmen." Maxie lächelte warmherzig. „Schon in Ordnung. Das ist doch weiter nichts. Außerdem ist das Simons Haus, nicht meines. Ich habe nur das Erdgeschoss gemietet." Kathleen sah sie verwundert an. „Aber ich dachte ..." „Dass wir zusammenleben?" beendete Maxie ihren Satz. „Nein, nein. Wir sind nur gute Freunde, wie man so sagt. Simon und ich sind praktisch zusammen aufgewachsen. Meine Mutter war Köchin bei seinem Großvater." „Ach, so ist das." „Ich behaupte ja nicht, dass wir immer wie Bruder und Schwester waren", fuhr Maxie ehrlich fort. „Es gab eine Zeit, vor meiner zweiten Ehe ... Aber dann habe ich wie immer alles verdorben. Bei Männern mache ich einfach alles falsch." Kathleen sah sie verwundert an. „Das kann ich mir, ehrlich gesagt, gar nicht vorstellen", gestand sie. „Es ist aber so", bekräftigte Maxie. „Ich scheine das Schlechte in Männern anzusprechen. Bei Simon nicht, er war mir ein echter Freund und hat jedes Mal geholfen, wenn ich wieder mal Schwierig119
keiten hatte. Als mein dritter Mann mich rauswarf, hatte ich nicht mal ein Dach über dem Kopf. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, auf welche Weise ich mich da durchgeschlagen habe. Als Simon davon erfuhr, hat er mich hierher zurückgeholt und mir einen Job angeboten. Er bezahlt auch die Schule für meine beiden Kinder. Dabei sind sie gar nicht von ihm, obwohl alle hier das glauben." Maxie zuckte mit den Schultern. „Aber sicher sind Sie müde, und ich muss wieder in die Bar hinunter, obwohl dort kaum etwas los ist. Hoffentlich können Sie bei diesem Sturmgetöse schlafen. Wenigstens bekommen wir auf diese Weise Regen, und die Luft wird etwas kühler. In dieser Schwüle kann man ja kaum atmen. Gute Nacht, bis morgen." „Gute Nacht", antwortete Kathleen. Maxies Worte ließen sie nicht los. Sie hatte Simon als gütigen, großherzigen Mann beschrieben, und das passte eigentlich auch zu dem, was sie selbst erlebt hatte. Doch jetzt war die Tauchexpedition zu Ende, und sie wusste nicht einmal, ob er zurückkommen und sich von ihr verabschieden würde. Obwohl Kathleen nicht sehr hungrig war, aß sie das ganze Omelett, das Maxie gebracht hatte. Sie trank den Kaffee und legte sich wieder hin. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie erschöpft sie war, obwohl sie auf der Barracuda bereits einige Stunden geschlafen hatte. Der Wind heulte um das Haus. Von unten drangen manchmal schwache Musikfetzen zu ihr herauf. Sie schlief bereits, als der erste Regenguss des herannahenden Hurrikans gegen die geschlossenen Fensterläden prasselte. Kathleen befand sich in tiefem dunklem Wasser, und etwas hielt sie fest. Sie zappelte heftig und versuchte sich zu befreien. „Simon! Simon! Bitte hilf mir!" „Schon gut, Kathleen, ich bin ja da." Simon zog sie sanft in die Arme und streichelte ihr Haar. „Du hast nur schlecht geträumt. Jetzt bist du in Sicherheit und brauchst keine Angst mehr zu haben." Trotz Simons beruhigenden Worten schluchzte sie weiter und klammerte sich an ihn, als wolle sie ihn nie wieder loslassen. Sie barg das Gesicht in den Falten seines Bademantels und spürte die warme Haut an ihrer Wange. Seine Nähe gab ihr Geborgenheit, und 120
die panische Angst ließ langsam nach. Nur vage bekam sie mit, dass draußen der Sturm tobte. Die Musik in der Bar hatte aufgehört. Kathleen berührte den Kragen von Simons Bademantel und wurde sich erst jetzt bewusst, dass ihre Schreie ihn aus dem Bett geholt haben mussten. Entschlossen versuchte sie Ordnung in ihre Gedanken zu bringen und löste sich aus seinen Armen. „Wie spät ist es?" fragte sie vorsichtig. „Etwa vier Uhr." „Bitte entschuldige, ich wollte dich nicht aufwecken." „Ich habe nicht geschlafen." Etwas in Simons Ton ließ sie aufblicken. In seinem Blick las sie, dass es nicht der Hurrikan war, der ihm den Schlaf raubte. Sie zögerte, weil sie nicht sicher war, ob sie das Richtige tat. Es gab noch so viele unbeantwortete Fragen. Aber die hatten Zeit bis morgen. Das Schicksal hatte ihr eine letzte Chance gegeben, und die würde sie nicht verstreichen lassen. Kathleen schob die Finger in Simons Haar und hob sich ihm entgegen. Sie hielt nichts zurück, als er ihre Lippen mit einer Leidenschaft in Besitz nahm, die sie erzittern ließ. Er zog sie auf sich und streichelte ihren Körper durch den dünnen Stoff ihres Pyjamas. Eine Welle des Verlangens durchströmte Kathleen, und sie drängte sich ihm entgegen. Simon hob sie auf und trug sie in sein Zimmer. Das Bett war groß und einladend und verströmte immer noch seine Körperwärme. Kathleen zog ihn zu sich herunter, und er begann sie zärtlich zu streicheln, als wolle er sein Ungestüm vom Nachmittag wieder gutmachen. Nun harmonierten sie ebenso vollkommen wie unter Wasser. Er zog sie langsam aus, und auch Kathleen streifte ihm den Bademantel ab. Sie tastete mit den Fingern über seine harten Rückenmuskeln, und als sie mit den Händen tiefer glitt, spürte sie seine Erregung. Dann vereinigten sie sich mit einer Leidenschaft, die alle bisherigen Verirrungen und Missverständnisse vergessen ließ. Seine Liebkosungen trugen Kathleen in eine Welt der Lust, die sie sich nie erträumt hätte. 121
Er löste sich etwas von ihr, um ihre Augen, das Ohrläppchen und den Hals mit kleinen Küssen zu bedecken. Dabei streichelte er ihre Brüste, bis Kathleen vor Lust aufstöhnte. Dann senkte er den Kopf und begann ihre Brustspitzen zu küssen. Langsam umkreiste er sie mit der Zunge, um dann mit den Lippen über Kathleens Leib zu den Schenkeln zu wandern. Sie erschauerte unter den Berührungen und ließ sich von ihm in die letzten Geheimnisse der Ekstase einführen. Kathleen merkte kaum, dass sie aufschrie, als Simon sie nahm. Alles in ihr schien plötzlich zu explodieren. Grenzenlose Glückseligkeit erfüllte sie. Sie war eins mit Simon und fühlte sich plötzlich so frei wie der Hurrikan. Eng umschlungen sanken sie erschöpft auf die Kissen zurück. Hinterher bettete Simon sie sanft an seine Schulter. „Schlaf, Kathleen", sagte er leise. Das waren seine einzigen Worte, seitdem er sie in sein Zimmer getragen hatte. Es drängte sie, ihm ihre Liebe zu gestehen, aber immer noch waren so viele Fragen zwischen ihnen offen. Dieser Augenblick war so kostbar, dass sie den Zauber nicht brechen wollte. Also gab sie vor zu schlafen und atmete tief und gleichmäßig. Sie wusste, dass Simon noch wach war. Draußen tobte der Sturm, und Wind und Regen peitschten über die Dächer der Häuser. Die Morgendämmerung begann ganz allmählich hereinzubrechen. Simon legte ihren Kopf behutsam auf das Kissen und stand leise auf. Unter den Wimpern hervor beobachtete Kathleen, wie er ans Fenster ging und zu dem grauen, stürmischen Himmel aufsah. Er blieb dort so lange stehen, dass ihre Lider schwer wurden. Sie öffnete die Augen, als die Tür laut knarrte. Rasch setzte sie sich auf. Er war gegangen! Auch seine Sachen waren fort. Kathleen presste das Gesicht auf die Stelle des Kissens, wo er gelegen hatte, und begann hemmungslos zu weinen. Kathleen erwachte, als die Tür geöffnet wurde. Es war Tag, und der Sturm hatte etwas nachgelassen. Umsonst hoffte sie, Simons große Gestalt zu erblicken. Es war Maxie, die mit einem Frühstückstablett lächelnd ins Zimmer trat. 122
Kathleen errötete. Es war ihr entsetzlich peinlich, dass Maxie sie in Simons Bett antraf. Maxie stellte das Tablett auf den Nachttisch und setzte sich zu ihr auf die Bettkante. „Er ist fort", stellte sie fest. Kathleen konnte nur dumpf nicken. „Sie sollten das nicht so tragisch nehmen", sagte Maxie mitfühlend. „Er ist immer so." Kathleen holte tief Luft. „Wird er zurückkommen?" Maxie schüttelte den Kopf. „Erst wenn Sie fort sind." „Warum nur?" fragte Kathleen niedergeschlagen. Maxie zuckte mit den Schultern. „Er lässt einfach niemanden so richtig an sich heran." Kathleen griff Hilfe suchend nach Maxies Hand. „Er hat mir etwas Schreckliches gestanden", flüsterte sie verloren. „Er sagte, er hätte jemanden umgebracht. Ich kann es einfach nicht glauben, Maxie." Maxie wurde unruhig und sah sich Hilfe suchend im Zimmer um. „Stimmt das?" drängte Kathleen. Maxie schüttelte den Kopf. „Das war nicht Simon", erwiderte sie. „Es war ... es war ..." Sie brach ab und wurde blass. Dann wollte sie aufstehen, aber Kathleen hielt sie zurück. „Bitte sagen Sie es mir!" „Wissen Sie es denn wirklich nicht?" „Nein." „Ich wusste anfangs nicht, wer Sie sind", fuhr Maxie fort. „Das Ganze liegt so lange zurück, ich hatte es fast schon vergessen. Aber am Abend, bevor Sie mit Simon ausliefen, hat er mir davon erzählt." „Was denn?" Maxie kämpfte mit sich. „Ich sollte es Ihnen wohl besser sagen", gab sie nach. „Trotzdem wünschte ich, Sie würden es nicht ausgerechnet von mir erfahren." Sie schwieg und blickte zu Boden. Kathleen wartete. „Wie gesagt, die Sache liegt lange zurück. Simon und David hatten sich auf dem College kennen gelernt. Sie wurden gute Freunde und verbrachten die meiste Zeit auf Simons Schiff, der alten Barracuda. 123
Ständig gab es Mädchen und Partys, und sie gingen auf Haifischjagd oder tauchten nach versunkenen Schätzen. Dann erzählte Simon David von dem alten Piratenschiff. Danach war David durch nichts mehr davon abzubringen, es zu suchen. Also fuhren sie an einem Wochenende los. Als David zurückkam, war er vollkommen aufgeregt. Er rief die Zeitungen und Rundfunkstationen an und erklärte, er würde eine Expedition auf die Beine stellen. Sie würden eine Riesenstory von ihm bekommen." Maxie stockte und machte mit einer Hand nervöse Bewegungen auf dem Leintuch. „Simon war weniger versessen darauf. Er meinte, das Wrack sei zu gefährlich. Aber David wollte nicht auf ihn hören. Er trommelte einige Freunde zusammen, die des Öfteren mit auf Tauchtour gegangen waren, und bedrängte Simon so lange, bis dieser sich einverstanden erklärte, sie hinauszufahren. Alles schien gut zu gehen, bis es am zweiten Tag einen schrecklichen Unfall gab, der einen Toten forderte. Simon war mit der Deckwache an der Reihe, während David mit zwei anderen tauchte ..." Kathleen wurde hellwach. Die Geschichte rief nur allzu lebendige Erinnerungen wach. „Und da ging ihnen der Sauerstoff aus!" warf sie ein. „Richtig." Maxie blickte sie prüfend an. „Sie wissen also doch Bescheid." Kathleen schüttelte den Kopf. „Nein, ich zähle nur eins und eins zusammen. Kein Wunder, dass er mir aus dem Wege ging, als ich hier ankam. Er wollte nicht, dass ich die Belle Princesse finde." Maxie nickte. „Das riss die alten Wunden wieder auf, die Untersuchung und die Gerichtsverhandlung. Die Zweifel, die Freunde ihm plötzlich entgegenbrachten, und die Vorwände, unter denen sie sich von ihm zurückzogen, haben ihn schwer getroffen. Seitdem hat er niemandem mehr so recht getraut, außer den wenigen von uns, die zu ihm hielten. Tut mir Leid, Kathleen", setzte Maxie ernst hinzu, „ich weiß, dass David Ihr Mann war und man über Tote nichts Schlechtes sagen soll, aber ich habe David nie verziehen, was er Simon angetan hat. Ich konnte es einfach nicht glauben, als er damals von der Zeugenbank aufstand und schwor, dass Simon an dem Unglück schuld sei." 124
„Aber ... es lag doch an den Lufttanks", warf Kathleen erregt ein. „Sie waren nicht ganz voll. Wenn Simon Deckwache hatte, war er dafür verantwortlich, vor allem bei unerfahrenen Tauchern, die schon mal versäumen, sie vorher zu überprüfen. Das war sträfliche Nachlässigkeit ..." Maxie blickte sie überrascht an. „Das glauben Sie doch nicht im Ernst?" fragte sie scharf. „Ich ... aber ... was ist dann geschehen?" Kathleen war selbst nicht sicher, ob sie die Antwort hören wollte. „Simon sagte aus, David hätte die anderen zu lange unten gehalten. David hätte vergessen, ihrer Unerfahrenheit Rechnung zu tragen, so dass sie ihre Luft rascher verbraucht hätten als er selbst. Er meint, sie seien vermutlich in Panik geraten, als die Luft plötzlich zu Ende war, und hätten dann etwas Falsches getan. Deswegen seien sie ertrunken." „Aber einer von ihnen hat doch überlebt", gab Kathleen zu bedenken. „Wie hat der Überlebende die Sache denn geschildert?" Maxie machte ein finsteres Gesicht. „Also, laut Larry hat David ihm das Leben gerettet. Larry hat Davids Aussage auf der ganzen Linie bestätigt." Kathleen legte sich schockiert auf das Kissen zurück. „Und was war dann bei der Gerichtsverhandlung?" wollte sie wissen. „Wurde Simon verurteilt?" „Nein. Der Richter stellte fest, eine Aussage stünde in diesem Fall gegen die andere. Simon wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen." Kathleen atmete schwer. „Aber Sie glauben, dass es Davids Schuld war, nicht wahr?" „Ja." Kathleen schloss die Augen, weil ihr die Tränen kamen. „Nein", widersprach sie. „Zu einer solchen Lüge wäre David niemals fähig gewesen." „Aber Simon, nicht wahr?" stieß Maxie heftig hervor. „Das weiß ich nicht. Ich kenne ihn eigentlich gar nicht richtig." „Nein? Sie waren drei Wochen mit ihm unterwegs, haben mit ihm 125
getaucht, mit ihm geschlafen. Da müssen Sie ihn doch recht gut kennen." Kathleen richtete sich auf. „Wo ist er jetzt, Maxie?" Maxie wich ihrem Blick aus. „Das weiß ich nicht." „Auf der Barracuda, nicht wahr?" Kathleen setzte sich auf. „Ich gehe zu ihm und frage ihn selbst. Es ist mir gleichgültig, ob er mich sehen will oder nicht. Ich muss die Wahrheit herausfinden!" Maxie gab nach. „Also gut. Er ist auf der Barracuda. Aber sagen Sie ihm bloß nicht, dass ich es Ihnen verraten habe. Was macht Ihr Knöchel?" setzte sie teilnahmsvoll hinzu, als Kathleen den verletzten Fuß vorsichtig auf den Boden setzte. „Bis zum Hafen werde ich es schon schaffen", erklärte Kathleen entschlossen. Maxie lächelte schwach. „Seien Sie vorsichtig, und viel Glück." Als Kathleen aus dem Schutz der Häuser trat, erfasste sie der Wind so stark, dass sie fast gestürzt wäre. Humpelnd und bis auf die Haut durchnässt, kämpfte sie sich entlang der Hafenmauer voran. Die sturmgeschüttelten Boote schlugen auf dem aufgepeitschten grauen Wasser aneinander, und einige waren stark beschädigt. Der Sturm würde sich noch weitere Opfer suchen. Doch die Barracuda war stabil gebaut und sicher verankert. Kathleen wusste das. Das Schiff schwankte bedrohlich, und Kathleen bereute den kurzen Blick in das schäumende Wasser unter sich sofort wieder. Sie holte tief Luft und versuchte sich dem raschen Heben und Senken des Schiffes anzupassen. Dann sprang sie an Bord und hielt sich an der Reling fest, das Gesicht schmerzverzerrt. Aber der Kampf war noch nicht gewonnen. Sie arbeitete sich über das Achterdeck zur Haupttür vor und drückte rasch die Kombination des Schlosses. Der Sturm machte es ihr schwer, die Tür aufzuschieben, und sie fiel halb die Treppe hinunter. Mit aller Kraft drückte sie die Schiebetür wieder zu. Das ohrenbetäubende Heulen des Windes wurde sofort erträglicher. Kathleen hörte ein Geräusch hinter sich und fuhr herum. Simon stand am Eingang zu den vorderen Kabinen. Er war unrasiert, und 126
sein Kinn voller Stoppeln. In der Hand hielt er eine halb leere Whiskyflasche, und seine blauen Augen glitzerten feindselig. So hatte sie ihn noch nie gesehen. „Was zum Teufel tust du hier?" fragte er grob. „Ich möchte mit dir sprechen", antwortete Kathleen atemlos und ein bisschen verunsichert. „Ich aber nicht mit dir. Die Nacht ist vorbei, die Affäre beendet. Danke für den Spaß. Und jetzt raus mit dir!" „Du bist betrunken", sagte Kathleen vorwurfsvoll. Seine grausamen Worte taten weh, aber sie war darauf gefasst gewesen. Er lachte rau auf. „Nicht so betrunken, wie ich gleich sein werde." Damit drehte er ihr den Rücken zu und ging in seine Kabine hinunter. „Ich möchte doch nur mit dir reden", flehte Kathleen und humpelte hinter ihm her. Simon drehte sich um und sah sie höhnisch an. „Was willst du, Kathleen? Dass ich dir sage, du seiest anders als die anderen? Dass ich dich liebe? Willst du das hören?" Sie hob hilflos die Hände. „Bitte, Simon ..." „Aber es stimmt!" stieß er hart hervor. „Ja, lach nur! Es ist ein Witz! Ein großer, unheimlich komischer Witz!" Er wandte sich wieder ab und warf sich ungestüm auf sein Bett. Kathleen näherte sich unsicher. „Ich wusste, dass das passieren würde! Gleich zu Anfang, als ich dich zum ersten Mal sah", fuhr Simon erregt fort. „Schon an jenem ersten Abend ... weißt du noch? Du kamst die Treppe herunter und sahst wie eine Perle aus ... eine wunderschöne Perle inmitten all des Abschaums. Ich begehrte dich schon damals, obwohl ich mir denken konnte, wer du warst." Kathleen setzte sich vorsichtig auf die Bettkante, ohne den Blick von Simon abzuwenden. „Seitdem war ich verrückt nach dir." Er blickte angewidert auf die Whiskyflasche. „Sieh mich an! Ich versuche meinen Kummer zu ertränken." Er stellte die Flasche auf den Boden und packte Kathleen an den Schultern. „Ich hätte mich von dir niemals überreden lassen 127
dürfen, nach dem elenden Wrack zu suchen. Ich hätte mich auf meinen Instinkt verlassen und mich von dir fern halten sollen. Aber ich konnte nicht. Am vergangenen Wochenende hatte ich eigentlich vor, einige Tage fortzubleiben, um wieder zu mir zu finden. Stattdessen habe ich dich zum Abendessen ausgeführt. Und als ich dann am nächsten Tag fort war, musste ich die ganze Zeit an dich denken, bis ich nicht anders konnte, als zurückzukommen und dich zu holen. Und dann, am Strand, sah es einen Augenblick so aus, als würde alles doch noch gut werden. Aber da hatte ich wohl zu viel erwartet, nicht wahr, Kathleen?" Er spielte geistesabwesend mit einer ihrer Locken. „Die Vergangenheit war stärker als wir." Sein hoffnungsloser Ton berührte sie zutiefst. „Warum wolltest du mir nicht erzählen, was zwischen David und dir gewesen ist?" fragte sie leise. Simon schloss die Augen. „Warum bist du gekommen?" stöhnte er. „Warum konntest du nicht nach England zurückfliegen und mir die Erinnerung an unsere Nacht lassen?" Sie griff nach seiner Hand. „Ich gehe nirgendwohin, bis du mir die Wahrheit gesagt hast", beharrte sie. Simon öffnete die Augen und blickte sie eindringlich an. „Die Wahrheit?" wiederholte er widerstrebend. „Bitte, Simon! Sonst werde ich nie Gewissheit haben. Und die muss ich haben." „Dann bist du also nicht sicher, wem du glauben sollst?" Kathleen schüttelte verzweifelt den Kopf. „Es gibt Davids Version des Unglücks und deine. Maxie hat mir von allem berichtet. Simon, bitte sage mir die Wahrheit: Hast du damals die Sauerstofftanks überprüft?" „Ja." Kathleen atmete befreit auf. Plötzlich passte alles zusammen. Sie sah Simon direkt an. „Ich glaube dir." Dann stand sie auf und trat an das Bullauge. Der Hurrikan hatte nachgelassen. Bald würde alles wieder ruhig sein, die Sonne würde durch die Wolken brechen und das Leben auf den Inseln wieder seinen gewohnten Lauf nehmen. „Typisch David, die Zeit zu vergessen", meinte sie traurig. „Er war 128
immer so in seine Arbeit vertieft. Ich glaube nicht, dass er lügen wollte. Er konnte sich seinen Fehler einfach nicht eingestehen. Wahrscheinlich war er schließlich sogar selbst davon überzeugt, dass du der Schuldige bist." „Du liebst ihn also immer noch", stellte Simon schmerzlich fest und stöhnte auf. „Ja, ich glaube, ich werde ihn wohl immer lieben, in einem Winkel meines Herzens." Kathleen drehte sich um und sah Simon an. „Aber jetzt kenne ich ihn besser, und mich selbst auch." Sie lächelte entschuldigend. „Du hattest Recht. Was ich für ihn empfand, war wohl mehr so etwas wie eine Backfischschwärmerei, eine Art Heldenanbetung. Ich war noch sehr jung, als ich ihn kennen lernte. Vielleicht wäre daraus im Laufe der Zeit mehr geworden ... wer weiß ..." „Was wirst du jetzt tun?" fragte Simon leise. Kathleen senkte scheu die Lider und schwieg. „Bitte geh nicht nach England zurück, bleibe bei mir. Ich biete dir ewigen Sonnenschein und die schönsten Korallenriffe der Welt. Und ich liebe dich", setzte er etwas unsicher hinzu. Kathleens Herz setzte vor Freude einen Schlag aus. „Unter einer Bedingung", neckte sie. „Dass wir nicht über der Kneipe wohnen." Simon lachte schallend. „Nein, dort bestimmt nicht. Maxie wird sowieso mehr Platz brauchen, wenn ihre Kinder aus dem Internat kommen. Wir leben dort, wo du möchtest, mein Liebling. Das verspreche ich dir." Kathleen lächelte selig. „Einverstanden." Er streckte ihr die Hand hin, und sie ließ sich zu ihm auf das Bett ziehen. „Aber sag mir noch eines, Kathleen", fragte er lächelnd. „Bin ich immer noch der Zweitbeste?" Sie strich ihm zärtlich über die Wange. „Nein, ich liebe nur dich, Simon." Simon umarmte Kathleen und küsste sie zärtlich. Sein nach Whisky riechender Atem streifte ihr Gesicht. „Pfui, du bist ja betrunken!" tadelte sie. „Ich weiß", erwiderte Simon zerknirscht. „Bitte verzeih mir. Bestehst du darauf, dass ich erst wieder nüchtern werde, ehe ich dich 129
bitte, meine Frau zu werden?" Kathleen schmiegte sich zärtlich an ihn und antwortete auf ihre Weise.
- ENDE -
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