Sören Dressler Shared Services, Business Process Outsourcing und Offshoring
Sören Dressler
Shared Services, Business Process Outsourcing und Offshoring Die moderne Ausgestaltung des Back Office – Wege zu Kostensenkung und mehr Effizienz im Unternehmen
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage Mai 2007 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Ulrike M. Vetter Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Nina Faber de.sign, Wiesbaden Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-0257-3
Einführung
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Vorwort
Dieses Buch über Shared Services, Business Process Outsourcing und Offshoring reflektiert die intensive Erfahrung mit der Materie aus der Sicht des Unternehmensberaters und Forschers. Seit nunmehr acht Jahren habe ich in diversen Klientenprojekten die reale Anwendung, Weiterentwicklung und Umsetzung des Shared-Services-Gedankens erleben dürfen. In den letzten Jahren spielten die Aspekte BPO und Offshoring eine besondere Rolle, und in diesem Zug konnte ich Unternehmen helfen, Standorte im globalen Service Business zu finden und Center in Ländern wie Ungarn oder Indien aufzubauen. „Mittendrin statt nur dabei“ hat sich hier auch als probate Forschungsstrategie gezeigt, kann man die Komplexität und Herausforderungen dieser Ansätze doch nur verstehen, wenn man unmittelbar in die Praxis von Shared Services, BPO und Offshoring eingebunden ist. Neben den vielen praktischen Erkenntnissen, die in diesem Buch dargelegt werden sollen, ist es aber auch mein Anliegen, eine wissenschaftliche Diskussion des Themas anzustoßen. Die theoretischen Beiträge zu Shared Services halten sich bislang in Grenzen, die wissenschaftlichen Aspekte werden – wenn überhaupt – nur am Rande diskutiert. Dabei greifen Shared Services massiv in die organisationstheoretischen Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre ein. BPO stellt die gesamte Theorie der Unternehmung und die Prinzipien der funktionalen Arbeitsteilung in Frage, und Offshoring befasst sich mit den übergeordneten wirtschaftspolitischen Fragen der optimalen Allokation von Arbeit. Da die Entstehung des Buches über fast eine Dekade durch Berater- und Forschertätigkeit befruchtet worden ist, ist es leider nicht möglich, allen Beteiligten den berechtigten Dank zukommen zu lassen. Ich möchte es aber nicht versäumen, einigen ausgewählten Personen meinen ganz besonderen Dank auszusprechen. Zunächst danke ich meinen ehemaligen Kollegen bei A.T. Kearney für die Unterstützung und Kameradschaft in der Erschließung des Themas Shared Services, BPO und Offshoring. Bart Kocha, Arjun Sethi, Omer Abdullah, Marcy Beitle, Chris Ahn, Beth Bovis, Mike Jacobs, Bill Foley, Neeraj Khanna, Devon Browne, Kathleen Brumme, Andrew Chang, Theo Klein sowie Stephan Frettlöhr waren kontinuierliche Inputgeber, ohne die ich wahrscheinlich keinen Zugang zum Thema bekommen hätte. Matt Appel von EDS gilt mein besonderer Dank,
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Vorwort
er hat die Art und Weise, wie ich über Shared Services denke, nachhaltig beeinflusst. Im Kreise meiner Kollegen an der FHTW Berlin möchte ich gern Professor Dr. Erhard Nullmeier sowie Professor Dr. Christian Böttger für ihre Diskussionsbereitschaft sowie ihre kritisch-konstruktiven Beiträge insbesondere zum Thema Offshoring danken. Besonderer Dank gilt auch den Gründungsmitgliedern des Offshoring Institute Professor Dr. Ulrich Blum, Dr. Juanito-Dovi Parbey, Torsten Dressler sowie Andreas Thurmann für die Unterstützung der Idee und die wertvollen Beiträge. Israel Balderas und Ronny Bauermeister vom Offshoring Institute gebührt mein Dank insbesondere für die akribische Aufbereitung der unterschiedlichsten Standortdaten. Last, but not least gilt mein spezieller Dank meiner Frau Sandra. Sie ist die treibende Kraft des Offshoring Institute und ein permanenter Motivator. Ohne ihre inhaltliche und fachliche Unterstützung wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Vielen Dank für alles! Zum Schluss noch ein Dank an zwei ganz besondere Menschen, die mit Shared Services, BPO und Offshoring (noch) gar nichts anfangen können und wollen. Meinen Töchtern Jasmine und Denise gelingt es immer wieder, meine Gedanken zu diesem spannenden Thema schlagartig zu zerstreuen und mich mit den wahren Dingen des Lebens zu beschäftigen. Aus diesem Grund soll dieses Buch euch beiden gewidmet sein. Berlin, im April 2007
Sören Dressler
Einführung
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort................................................................................................................ 5 Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend........... 9 1. Einführung....................................................................................................... 9 2. Shared Services – ein historischer Abriss...................................................... 10 3. Definition, aktuelle Trends und empirische Studien ..................................... 20 4. Prozessanalyse – Bewertungsansatz der Shared-Services-Potenziale........... 40 5. Die praktische Einführung von Shared Services und aktuelle Herausforderungen ........................................................................................ 48 6. Organisation und Bestimmung einer effektiven Governance-Struktur ......... 51 BPO – die logische Weiterentwicklung des Shared-Services-Gedankens ................ 59 1. Die Entstehung des Business Process Outsourcing....................................... 59 2. Definition, aktuelle Trends und empirische Studien ..................................... 68 3. Marktanalyse – Marktpotenziale und BPO-Anbieter .................................... 75 4. BPO-Branchenvergleich................................................................................ 85 Shared Services versus BPO – Good Bye Captive, welcome BPO? ............. 89 1. SSC oder BPO – eine Grundsatzfrage mit strategischen Implikationen ....... 89 2. Pluspunkte für das „Captive Shared Service Center“ ..................................... 94 3. Pluspunkte für BPO..................................................................................... 102 4. Die Entwicklung eines systematischen Vergleichs...................................... 108 5. Das Joint Venture – das Hybridmodell als „goldener Mittelweg“? ..............113
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Inhaltsverzeichnis
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit.............................................115 1. Die Globalisierungswelle hält an .................................................................115 2. Begriffliche Abgrenzungen, Trends und Studien .........................................122 3. Marktanalyse – die Bedeutung des Service Offshoring im globalen Kontext .......................133 4. Offshoring – die volkswirtschaftliche Dimension........................................139 5. Deutschlands Zukunft in der neuen Offshoring-Welt...................................150 Location, Location, Location – die Wahl des richtigen Standorts ..............155 1. Die Suche nach den „Service-Kernen“ ........................................................155 2. Location-Selection-Modelle – wie den richtigen Standort finden?..............160 3. Praktische Herausforderungen bei der Standortwahl ...................................167 4. Die Top-Offshoring-Standorte im Überblick................................................173 Ausblick – wie geht es weiter mit Shared Services, BPO und Offshoring?...................187 1. Zukunftsvision SSC......................................................................................187 2. Zukunftsvision BPO .....................................................................................190 3. Zukunftsvision Offshoring ...........................................................................192 Literaturverzeichnis ........................................................................................197 Der Autor..........................................................................................................205 Index .................................................................................................................207
Einführung
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Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
1.
Einführung
Shared Services, Business Process Outsourcing (BPO) und Offshoring sind neue Themen der Unternehmensführung, die durchaus kontrovers diskutiert werden. Während einerseits Unternehmen sich mit Hilfe dieser Ansätze neu ausrichten und ganze Verwaltungs- und Dienstleistungsbereiche z. T. global konsolidieren, verlagern oder sogar an Outsourcing Dienstleister abgeben, verhalten sich andere eher zurückhaltend. Die öffentliche Diskussion und insbesondere die politische Sichtweise verteufeln diese Methoden und sehen dadurch massenhaft Arbeitsplätze oder gar die wirtschaftliche Stabilität westlicher Industrienationen gefährdet. Unternehmen, die sich mit BPO und Offshoring Projekten befassen, müssen mit öffentlicher Kritik und der Schelte des „unsozialen Verhaltens“ rechnen – ein Umstand, der viele Konzerne dazu veranlasst diese Projekte unter größter Geheimhaltung ablaufen zu lassen. Rein betriebswirtschaftlich betrachtet, sind Shared Services, BPO und Offshoring begrüßenswerte Ansätze. Sie helfen, Kostenstrukturen zu optimieren und die Servicequalität der internen Unterstützungsprozesse zu verbessern. Die meisten Unternehmen folgen in empirischen Untersuchungen und Fallstudien auch dieser Einschätzung, wenngleich vereinzelte Probleme in der Umsetzung oder das Scheitern von Projekten das Bild etwas trüben. Zielsetzung dieses Buches ist es vornehmlich, die drei Ansätze Shared Services, BPO und Offshoring näher zu beleuchten und begrifflich-methodisch in einen Kontext zu stellen. Die Begriffe werden vielfach überlappend oder alternativ eingesetzt, deshalb erscheint eine klare Differenzierung unbedingt erforderlich. Es werden Gründe für Shared Services und BPO, aber auch Einführungs- und Umsetzungsprobleme erörtert. Bislang existieren die Begriffe Shared Services, BPO und Offshoring vornehmlich als Schlagworte. Wissenschaftlich-methodische Auseinandersetzungen liegen bislang kaum vor, geschweige denn eine theoretische
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Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
Ummantelung. Obgleich von einer Theorie der Shared Services oder des BPO bislang nicht gesprochen werden kann, verbergen sich doch erhebliche neue organisationstheoretische Paradigmen dahinter, die in einen methodischen Zusammenhang gestellt werden. In diesem Sinne wird das „Wie“ einer SharedServices-, BPO- und Offshoring-Lösung dargestellt, um dem Praktiker einen hilfreichen Leitfaden für die Umsetzung an die Hand zu geben. Da Offshoring ein politisch brisantes Thema ist, werden die volkswirtschaftliche Sichtweise sowie die globale Allokation der Arbeit besonderen betrachtet. Das Buch befasst sich zunächst mit Shared Services und BPO. Diese beiden Konzepte werden begrifflich, methodisch, empirisch und praktisch diskutiert. Anschließend wird eine vergleichende Analyse von Shared Services versus BPO durchgeführt. Diese Kernfrage ist derzeit insbesondere aus praktischer Sicht von hoher Relevanz. Der im Folgenden vorgestellte Aspekt Offshoring wird zunächst begrifflich eingeführt. Weiterhin werden aktuelle Trends und Studien diskutiert. Anschließend wird der der Markt für Offshoring, der Globalisierungsaspekt und die Rolle Deutschlands analysiert. Die Location-Frage wird in einem weiteren Abschnitt erörtert. Unterschiedliche Modelle zur Standortwahl werden vorgestellt sowie die Top-Offshoring-Locations im Einzelnen näher beleuchtet. Eine Anmerkung zur Sprache vorweg: Die Begriffe Shared Services, Business Process Outsourcing und Offshoring sind an sich Anglizismen. Da der Verbreitungsgrad der Konzepte im anglo-amerikanischen Raum wesentlich größer ist als in Deutschland, werden diese Themen vornehmlich mit englischen Begriffen be- und umschrieben. Auf eine womöglich künstlich wirkende Germanisierung der Begriffe ist hier bewusst verzichtet worden, so dass die Sprache immer wieder zwischen deutschen und englischen Begriffen wechselt. Eigentlich hätte dieses Buch bereits in Englisch verfasst werden sollen, allerdings existiert bislang noch kein umfassendes deutsches Werk zu Shared Services, BPO und Offshoring.
2.
Shared Services – ein historischer Abriss
Shared Services werden häufig als neuer Trend zur Optimierung der BackOffice-Funktionen positioniert. Die Einschätzung der Optimierung ist zwar grundsätzlich richtig, allerdings sind Shared Services wahrhaft kein neuer Trend.
Shared Services – ein historischer Abriss
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Das Grundprinzip der „internen Dienstleistungsfunktion“ existiert schon seit der umfassenden Einführung der Arbeitsteilung. Frederick W. Taylor hat seinerzeit das Prinzip der funktionalen Arbeitsteilung perfektioniert. Im Kern konnte er nachweisen, dass durch Spezialisierungseffekte ein Arbeiter in einem getakteten Arbeitssystem wesentlich mehr Transaktionen einer ähnlich gearteten Tätigkeit ausüben kann, als dies bei komplexen Serien von unterschiedlichen Tätigkeiten der Fall ist. Schon Adam Smith konnte bekanntermaßen am einfachen Beispiel der Nadelproduktion nachweisen, dass Arbeitsteilung grundsätzlich effizienter ist. Der Blick auf einfache administrative Aktivitäten unterstreicht diese fundamentale Erkenntnis: Das immer mehrfache Schreiben, Falten, Kuvertieren sowie Adressieren eines Briefes dauert beispielsweise signifikant länger als die Aufteilung der Einzelaktivitäten (erst Schreiben aller Briefe, Falten aller Briefe usw.). Taylor erweiterte diesen Gedanken mit dem Prinzip der getakteten Fließfertigung und konnte in Experimenten signifikante Verbesserungen der Produktivität nachweisen. Henry Ford hat diese Erkenntnis nur kurze Zeit später in der Produktion des T-Models in der Automobilindustrie umgesetzt und somit erstmals eine effiziente Fließfertigung realisiert. Mit dem Gedanken der Arbeitsteilung haben Taylor und Ford noch nicht die Shared Services erfunden oder den Grundstein dafür gelegt. Im EinProduktunternehmen ist es eine Selbstverständlichkeit, dass operative Prozesse von den administrativen Prozessen getrennt werden. Das war auch im Modell von Taylor oder Ford der Fall. Ihre organisationale Innovation bezog sich vornehmlich auf die operativen Prozesse und zwar in dem Sinne, dass vom ehemaligen Workshop-Modell, bei dem ein Fahrzeug durch eine Gruppe Arbeiter zu nahezu 100 % autark gefertigt wurde, zu einem Fließfertigungsmodell übergegangen wurde. Die klassischen Back-Office-Funktionen wie das Finanz- und Rechnungswesen sowie das Human Resource Management (HR) waren bereits seit der industriellen Revolution (seit Beginn des 19. Jahrhunderts) von den fertigenden Prozessen getrennt. Lediglich in der handwerklichen Werkstattfertigung, die vor der industriellen Revolution die vorherrschende Produktionsmethode war, kam es zu der Besonderheit, dass der gewerbliche Meister neben Unterstützung im Fertigungsprozess z. B. die Einstellung von Mitarbeitern sowie Erstellung der Ausgangsrechnung wahrnahm. Und das ist im gewerblichen Handwerk heute noch oftmals so. Den wesentlichen Grundstein zur Etablierung von Shared Services hat Alfred P. Sloan gelegt. Sloan, der 1923 zum Präsident von General Motors (GM) ernannt wurde, sah sich mit der eindeutigen Dominanz von Ford konfrontiert aufgrund der erfolgreichen Implementierung der Fließfertigung. Seine innovativen Ideen haben schließlich zur Aufteilung von GM in mehrere Divisionen (Chevrolet, Pontiac, Oldsmobile, Buick, Cadillac) geführt, womit es GM erstmals gelang, im
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Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
Jahr 1930 Ford als größten Automobilkonzern zu überholen. Seitdem hat GM diese Vormachtstellung in der Automobilindustrie nicht mehr abgegeben.1 Somit kann Sloan durchaus als der Gründer oder zumindest als erster praktischer Anwender der divisionalen Organisationsstruktur gelten.
Management
Management
Verwaltung, z.B. ReWe
Verwaltung Division Cadillac
Division Buick
Division Oldsmobile
GM vor 1923
Division Pontiac
Division Chevrolet
Operations
GM nach 1923
Abbildung 1-1: Shared Services – erstmalige Anwendung bei GM Damit aber nicht genug. Obgleich Sloan die Unterteilung des Konzerns in Divisionen als erforderlich sah, war es ihm durchaus bewusst, dass diese Organisationsstruktur erhebliche Effizienznachteile im Hinblick auf die Unterstützungsfunktionen nach sich zog. Schon bald wurde deutlich, dass viele Funktionen in der Verwaltung der Divisionen redundant im Konzern aufgebaut wurden und an den unterschiedlichen Stellen nicht effizient ausgeführt werden konnten. Die logische Konsequenz war zunächst die Zusammenfassung aller Verwaltungsaktivitäten über die Divisionen hinweg. In einem weiteren Schritt wurden bestimmte Aktivitäten, so z. B. die Buchhaltung, sogar räumlich ausgelagert, um die Abhängigkeit von der Konzernzentrale zu reduzieren. Damit strebte er eine bewusste Trennung der strategischen Headquarter-Aufgaben vom operativen Verwaltungstagesgeschäft an. Sloan erkannte zwar, dass Funktionen wie z. B.
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Vgl. www.inventhelp.com, 2006.
Shared Services – ein historischer Abriss
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das Rechnungswesen in erster Linie „Dienstleister“ der Divisionen sein sollten, er beließ allerdings die organisatorische Verankerung dieser Funktionen stets bei der Konzernzentrale.2 Im Ergebnis kann Alfred P. Sloan somit nicht nur als Erfinder, sondern auch als der erste Anwender einer Shared- Service-Struktur bezeichnet werden. Die im Wesentlichen von Sloan geprägte divisionale Organisation hat sich seitdem insbesondere im globalen, komplexen und nach Produktgruppen agierenden Konzern durchgesetzt. Allerdings fand der Ansatz der Shared Services für Verwaltungsfunktionen weitaus weniger Verbreitung. Nach dem 2. Weltkrieg waren es vor allem die nordamerikanischen Konzerne, die die Idee der Spartenorganisation erfolgreich nach Europa transferierten. Die in Deutschland wiederbelebten und wachsenden Konzerne sahen sich schon kurz nach dem „Wirtschaftswunder“ einem Käufermarkt gegenüber. Der Kunde in Westeuropa hatte schließlich in den 70er und 80er Jahren eine Vielzahl unterschiedlicher – auch internationaler – Kaufoptionen, wodurch der Wettbewerb um den Kunden zu einem dominierenden Paradigma wurde. Die Divisionalisierung erwies sich in dieser Phase als geeignete organisatorische Lösung, um unternehmerisch agierende, zu 100 % auf spezifische Kundenanforderungen fokussierte und weitgehend autonome Sparten zu formen. In diesem Zuge sind vielfach die klassischen Unterstützungsfunktionen als „Wettbewerbsvorteile“ klassifiziert worden. Selbst AccountingProzesse in den entsprechenden Geschäftsbereichen wurden auf die Besonderheiten der spezifischen Kundengruppe ausgerichtet, Mitarbeiter entsprechend geschult und trainiert sowie IT-Systeme an die Bedürfnisse des Kunden angepasst. Zeitgleich setzten sich mit der Matrix- und Hybridorganisation Organisationsformen durch, die aus Sicht der Konzernzentrale weiterhin Koordination und Einblick in die Aktivitäten der Verwaltungsfunktionen der Geschäftsbereiche ermöglichten. In der Folge wurde den Divisionen weitgehend freie Hand in der Ausgestaltung der eigenen Unterstützungsprozesse gelassen. Jegliche Form der konzernweiten Standardisierung und Harmonisierung sowie übermäßige Kontrolle seitens der Konzernzentrale waren verpönt. In Nordamerika entstanden so im Zuge der 70er und in Westeuropa im Zuge der 80er Jahre extrem marktorientierte Konzerne mit exzessiven Ineffizienzen der jeweiligen Back Offices. Die Idee, durch mehr eigenverantwortliches und initiatives Handeln die Geschäftsbereiche in die Lage zu versetzen, quasi wie unabhängige Unternehmen zu agieren, ist im Prinzip begrüßenswert. Die kleinere Einheit hat deutlich mehr Einblick in die aktuellen Bedürfnisse des Marktes und der spezifischen Kundensegmente. Dies birgt schnellere Reaktionszeiten – eine Eigenschaft, die in Märkten 2
Vgl. Sawyer, 2006.
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Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
mit immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen, wie der Consumer-Electronics-Industrie, überlebenswichtig sein kann. Darüber hinaus sind viele divisionale Organisationen, wie im globalen Konzern, nach Regionen ausgerichtet worden. In diesen regionalen Organisationen ist die Verantwortlichkeit für das Geschäft in die Hände des regional bzw. lokal erfahrenen Managements gelegt, das aufgrund seiner besseren Marktkenntnis und kulturellen Adaption in der Lage ist, den regionalen Geschäftsbereich zu führen und wachsen zu lassen. Die Hybridorganisation hat sich heute zu einer gängigen Strukturvariante für globale Konzerne entwickelt. In diesem Modell sind Geschäftsbereiche z. B. nach strategischen Geschäftsfeldern und Regionen als führende organisationale Prinzipien vereinigt. Im Hinblick auf die Effizienz der Organisation kann diese Organisationsform und deren grundlegendes Verständnis zu einem Problem werden: Das „Empowerment“ eines regionalen Geschäftsbereichsleiters hat häufig zwangsläufig zur Folge, ein regionales „Fürstentum“ aufzubauen. Der Geschäftsbereichsleiter definiert sich selbst als die Schlüsselperson und empfindet jegliche Einmischung seitens des Konzerns als unzulässige Intervention in seine regionale Unabhängigkeit – die der Region schließlich als Kernelement des unternehmerischen Erfolgs zugestanden worden ist. In der Folge ist es nur verständlich, dass der regionale Geschäftsbereich sich nahezu alle Funktionen selbst aufbauen möchte, um autark und unternehmerisch den regionalen Markt erschließen und bedienen zu können. Simple Sachverhalte wie die Fähigkeit, eine Rechnung in Landessprache ausstellen zu können, werden als Argument dafür gedeutet, umfassende regional-spezifische Rechnungsweseneinheiten aufzubauen. Kulturelles Verständnis im Umgang mit einer Kundenanfrage im After Sales Support wird als Grund gesehen, lokale Call Center vorzuhalten. Der Gedanke lässt sich leicht weiterentwickeln, und es wird deutlich, dass ein regionaler/lokaler Geschäftsbereich problemlos die Forderungen nach einem voll ausgebauten Back Office stellen kann, inklusive Finanz- und Rechnungswesen, Customer Support, Human Resource Management (HR), Logistik und Distribution, Einkauf und Beschaffung, Rechtsabteilung, Real Estate und Facility Management. Die Situation wird aus Effizienzgesichtspunkten natürlich noch brisanter, wenn eine Matrix- oder Hybridorganisation, d. h. zwei gleichberechtigte organisatorische Führungsdimensionen, im Unternehmen verankert werden. In der klassischen Hybrid- oder Matrixorganisation werden die funktionalen Einheiten (Finanzen, Operations, Vertrieb und Marketing, HR) als führende Dimension mit der Geschäftsbereichsstruktur (nach strategischen Geschäftsfeldern oder Regionen) vereinigt. In der erweiterten Form werden Regionen, strategische Geschäftsfelder und Funktionen als führende organisationale Dimensionen verwendet. Die daraus erwachsende Komplexität der Tensororganisation ist, wie in Ab-
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bildung 1-2 dargestellt, für große, globale Konzerne durchaus Realität. Die Koordination sowie effiziente und qualitativ gleichwertige Bereitstellung der Unterstützungsfunktionen sind quasi unmöglich geworden.
CEO
Führungsdimension: Funktion
Führungsdimension: Geschäftsbereich
CFO Corporate Accounting
Nutzfahrzeuge Accounting Geschäftsbereich
… Accounting Geschäftsbereich
Führungsdimension: Region
Europe
Abstimmung Koordination Qualität/ Standards Redundanzen Kommunikation
Regionales Accounting
… Regionales Accounting
Abbildung 1-2: Back-Office-Komplexität im mehrdimensionalen Konzern Im skizzierten Beispiel ist ausschließlich die Accountingfunktion gewählt worden. In diesem Modell finden buchhalterische Aktivitäten an mindestens fünf unterschiedlichen Stellen im Konzern statt (bei nur zwei Geschäftsbereichen und zwei Regionen). Im realen Fall ist häufig die Anzahl der Geschäftsbereiche und Regionen und insbesondere der einzelnen Ländergesellschaften um ein Vielfaches höher. Betreibt der hier skizzierte beispielhafte Automobilkonzern sein Geschäft (Vertrieb, Produktion, F&E) in 100 Ländern (mit 100 Ländergesellschaften) und ist in drei Geschäftsbereiche gegliedert (Nutzfahrzeuge, Pkw, Zubehör), so ist es durchaus üblich, dass die Nutzfahrzeug GmbH in Deutschland genauso ihre eigene Accountingfunktion betreibt wie die Pkw Ltd. In England oder die Zubehör Inc. in den USA. Das bedeutet, in diesem Konzern werden 100 x 3 lokale Buchhaltungen betrieben, zu denen die drei konsolidierten Buchhaltungen der Geschäftsbereiche sowie vier konsolidierte Buchhaltungen der Regionen (Americas, EMEA, AsiaPac, Rest of World) hinzukommen. In der Summe ergibt sich folgendes Bild:
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Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
Bezeichnung Buchhaltung Länderbuchhaltungen Nutzfahrzeuge Länderbuchhaltungen Pkw Länderbuchhaltungen Zubehör konsolidierte Länderbuchhaltungen (z. B. Automobil GmbH Deutschland als Konsolidierung der Nutzfahrzeug GmbH, Pkw GmbH und Zubehör GmbH) konsolidierte Buchhaltungen Nutzfahrzeuge nach Regionen konsolidierte Buchhaltungen Pkw nach Regionen konsolidierte Buchhaltungen Zubehör nach Regionen konsolidierte Buchhaltungen der Geschäftsbereiche konsolidierte Buchhaltungen der Regionen konsolidierte Konzernbuchhaltung Summe Buchhaltungen
Anzahl Buchhaltungen 100 100 100 100
4 4 4 3 4 1 420
Tabelle 1-1: Unterschiedliche Buchhaltungen im globalen Konzern (Beispiel) Insgesamt finden in diesem Beispielunternehmen an ca. 420 unterschiedlichen Stellen buchhalterische Transaktionen bzw. Rechnungslegungsaktivitäten statt. Wie kann nun sichergestellt werden, dass z. B. die Anlagenabschreibung in Brasilien analog zur Handhabung in Frankreich stattfindet oder dass die Reisekostenabrechnung des Vertriebsmitarbeiters in Australien nach den gleichen Richtlinien wie in Südafrika bearbeitet wird oder dass das Rechnungsformat in Kanada vergleichbar zu dem in Russland strukturiert ist? Darüber hinaus ist im Rechnungswesen zu beachten, dass die Rechnungswesenstandards in den einzelnen Ländern differieren. Handelt es sich bei dem Beispielunternehmen um einen deutschen Konzern, muss sichergestellt werden, dass die Buchhaltungstransaktionen z. B. in Kuwait auch in Übereinstimmung mit dem HGB vorgenommen werden oder zumindest entsprechend transferiert werden können. In den meisten Ländern wird es daher notwendig sein, einen Jahresabschluss entsprechend der lokalen Rechnungslegungsvorschriften sowie einen Jahresabschluss entsprechend der deutschen Vorschriften zu erstellen. In kleineren Ländergesellschaften wie beispielsweise. Litauen ist unter Umständen ein einzelner Mitarbeiter damit betraut, zwei unterschiedliche Buchhaltungen zu führen: eine für den Landesabschluss Litauen und eine für den Konzernabschluss. Das Beispiel mag extrem anmuten – ist es aber nicht. In vielen Konzernen, die in den vergangenen 20 bis 30 Jahren den Grundgedanken der Divisionalisierung gelebt und praktisch umgesetzt haben, ist die hier diskutierte und nahezu undurchdringbare Komplexität der Back-Office-Strukturen quasi zwangsläufig und z. T. unbemerkt gewachsen. Verwaltungsfunktionen finden fast überall im Konzern statt, sind schlecht oder gar nicht koordiniert, sind ineffizient und von unterschiedlicher, häufig suboptimaler Qualität. Den Verantwortlichen für das Back
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Office auf die Finger zu klopfen wäre jedoch unangebracht: Die Unterstützungsfunktionen folgen zwangsläufig der Komplexität des Geschäftsmodells. Je komplexer und vielschichtiger eingekauft, entwickelt, produziert, vertrieben und abgerechnet wird, umso umfassender und komplexer sind die Anforderungen an die Verwaltungsfunktionen. Allerdings hat Alfred Sloan schon in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts erkannt, dass Verwaltungsfunktionen divisionsübergreifend zusammengefasst werden können. Auch wenn das Geschäftsmodell noch so unterschiedlich ist, so gibt es doch viele Gemeinsamkeiten in den unterstützenden Prozessen. Die Bearbeitung von Eingangs- und Ausgangsrechnungen kann vielfach über Geschäftsbereiche hinweg standardisiert werden. Die Abrechnung von Reisekosten kann zentral erfolgen, die Erstellung von Jahresabschlüssen kann regional konsolidiert werden, um nur einige Beispiele zu nennen. Der Blick auf die historische Entwicklung und die Rolle der divisionalen Organisation verdeutlicht, weshalb Shared Services eine gute Lösung des Dilemmas sind: Die Divisionalisierung der 70er und 80er Jahre hat zu einer sehr selbstbewussten und unternehmerisch denkenden Managerpopulation geführt, die ihre Macht und ihr Selbstverständnis u. a. durch die durch sie geführten Verwaltungsfunktionen definiert hat. Ob als Ländergeschäftsführer, Regionalverantwortlicher oder Leiter einer großen Sparte: Ein Manager in dieser Funktion sieht sich i. d. R. nicht als „Vertriebsleiter“ oder „Head of Operations“ für seinen Zuständigkeitsbereich. Auch auf der Visitenkarte weist z. B. die Bezeichnung „CEO and President of Automotive Group Europe“ nicht unbedingt darauf hin, dass es sich um eine Person handelt, die in erster Linie den Markt in Europa aus vertrieblicher Sicht entwickeln soll. Allgemein hin wird unter Bezeichnungen wie CEO und President eine Rolle verstanden, die das umfassende Spektrum der unternehmerischen Aufgaben inklusive der Back-Office-Funktionen umfasst. Lediglich für den Experten wird offenkundig, dass die Bezeichnung „Automotive“ und „Europe“ möglicherweise erhebliche Einschränkungen im Hinblick auf die unternehmerische Freiheit bedeuten können. Im Ergebnis ist es häufig die oben genannte Gruppe von Managern, die dem SSC-Gedanken naturgemäß kritisch gegenübersteht. Jegliche Form der Reduktion ihrer Verwaltungsfunktionen wird als gravierender Einschnitt in die unternehmerische Freiheit und der jeweiligen Machtposition verstanden. Der Konzernleitung wird Unkenntnis des Geschäftsmodells, der regionalen bzw. produktgruppen-spezifischen Besonderheiten vorgeworfen und Shared Services werden gern als moderner Trend positioniert, der dem Unternehmen mehr schade als nutze.
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Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
Diese Sichtweise der Landesfürsten kann durchaus als tradiert eingestuft werden und hat sich, zumindest aus Konzernsicht, weitgehend gewandelt. Ein wichtiger Meilenstein in der historischen Analyse des Shared-ServiceGedankens liegt zu Beginn der 60er Jahre. Obwohl es sich nicht um SharedService-Aktivitäten im engeren Sinne handelt, können die Outsourcing-Erfolge der Unternehmen EDS und IBM als Key Events in der Shared-ServicesEntwicklung gesehen werden. EDS ist als Unternehmen aus dem Zusammenschluss von ehemaligen US-Offizieren entstanden, die im Rahmen ihres militärischen Dienstes die Arbeit mit Großrechnern erlernt hatten. In den 50er Jahren wurde IT fast ausschließlich zu Forschungs- und militärischen Zwecken genutzt, und Unternehmen begannen nur zögerlich, die Vorteile der elektronischen Datenverarbeitung zu erkennen und zu nutzen. Die Lochkarte war seinerzeit das zentrale Medium, um mit einem Großrechner kommunizieren zu können. EDS erkannte früh, dass Computer im kommerziellen Einsatz eine bedeutende Rolle einnehmen könnten, und während Firmen wie IBM und Hewlett-Packard in erster Linie auf die Produktion von Hardware fokussiert waren, verfolgte EDS das Dienstleistungsgeschäft. Im Jahr 1962 unterzeichnete EDS seinen ersten Kontrakt über den Datenverarbeitungsservice mit der Firma Collins Radio.3 Für Collins Radio oder den zweiten großen Kunden Frito Lay erschien es zu diesem Zeitpunkt sinnvoll, weder Investitionen in den Aufbau der Hardware noch in die Entwicklung der erforderlichen Expertise selber vorzunehmen, wenn ein Unternehmen wie EDS dies als Dienstleister zur Verfügung stellen könnte. Viele Unternehmen folgten dieser Logik und somit wurde die EDV zur ersten Verwaltungsfunktion, die outgesourct wurde. Die IT ist heute zweifelsohne die BackOffice-Funktion, die am häufigsten von Outsourcingpartnern übernommen wird. Zugegeben finden sich auch im IT-Bereich in stark divisionalisierten Konzernen bestimmte Herausforderungen:4 Die Unterschiedlichkeit der ERP-Systeme z. B. kreiert sowohl im Hinblick auf den Softwarelieferanten als auch im Hinblick auf die Konfigurationsvielfalt oftmals ähnliche Komplexitäten wie im oben dargestellten Rechnungswesenbeispiel. Ein weiterer wichtiger Meilenstein in der Verbreitung des SSC-Gedankens wurde im Jahr 1981 von der Firma Ford gesetzt. In diesem Jahr errichtet Ford als erstes global bedeutendes Unternehmen ein SSC für seine Finanz- und Rechnungswesenfunktion. Die wissenschaftliche Recherche nach SSC stellt sich mitunter als recht schwierig dar, weil in vielen nach Geschäftsbereichen organisierten Unternehmen der Gedanke der geteilten Verwaltungsdienstleistungen zwischen zwei
3 4
Vgl. www.eds.com, 2006. Vgl. Westerhoff, 2006, S. 57.
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oder mehreren Geschäftsbereichen praktiziert worden ist. Wieder andere Unternehmen haben, obgleich des vorherrschenden Trends der Divisionalisierung, die Verwaltungsfunktionen nie aus der Zentrale in die dezentralen Einheiten transferiert und somit als „Dienstleister“ quasi diese Services zur Verfügung gestellt. Mit Ford findet sich im Jahr 1981 zum ersten Mal eine bewusste Initiative eines Konzerns, die nach der Divisionalisierung dezentralisierten Finanz- und Rechnungswesenaktivitäten wieder zu zentralisieren beginnt (also ganz im Sinne von Sloan) und diese in Form einer Servicefunktion den Geschäftsbereichen anzubieten. In diesem Zusammenhang finden sich erstmals typische Merkmale wie z. B. die Bezeichnung „Shared Service Center“ sowie die Vereinbarung von Leistungen und Preisen. Ford beließ es bei einem SSC für das nordamerikanische Geschäft, was sich aufgrund der einheitlichen Währung und der einheitlichen Jurisdiktion als wesentlich weniger komplex darstellt als ein internationales SSC. Dem Erfolgsmodell Ford sind im Zuge der 80er und frühen 90er Jahre viele große nordamerikanische Konzerne gefolgt. Die größere praktische Akzeptanz des Konzeptes hat zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit Shared Services in der amerikanischen Literatur geführt. Bis in die frühen 90er Jahre war das Konzept in Europa, mit Ausnahme von Großbritannien, weitgehend unbekannt. Die Abbildung 1-3 stellt die wichtigsten Schritte in der Entwicklung von Shared Service Centern (SSC) für die Finanzfunktion dar: 1995: 40% der S&P 500 Unternehmen haben Formen von Finance SSC eingeführt, Akzeptanzrate in Europa steigt drastisch (British Airways, Rolls Royce, Saab, Hoechst, etc.)
Akzeptanzrate in % 100%
80%
1962: Unternehmen wie IBM und EDS bieten erstmals Outsourcing Lösungen im IT Bereich
2005: Akzeptanzrate von Finance Shared Services bei ca. 85% in Europa
60% 2000: Irland hat sich als SSC Standort in Europa etabliert, Grosse US Unternehmen haben erste Erfolge im Offshoring nach Indien (GE, AMEX, Citibank, HP, etc.)
1981: Ford richtet erstmals ein Finance Shared Service Center ein, große US Unternehmen folgen
40%
20%
2010: Outlook – mehr als 90% der großen Unternehmen in Europa nutzen Finance Shared Services
0% 1965
1985
1995
2000
2005
2010
Abbildung 1-3: Shared Services – die historische Entwicklung im Überblick
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Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
Im Jahr 1995 hatten bereits 40 % der S&P 500-Unternehmen eine Form des Finance SSC in Betrieb, und auch in Europa hatten einige große Unternehmen das Konzept umgesetzt bzw. initiiert. Insbesondere amerikanische Konzerne haben die Idee durch ihre Tochtergesellschaften oder einfach nur durch ihr Beispiel in Europa publik gemacht. Doch die Vielschichtigkeit der Jurisdiktionen inklusive der Rechnungslegungsvorschriften, der Sprachen, der Währungen sowie nicht zuletzt der Kulturen hat in erster Linie zu vornehmlich nationalen Lösungen für SSC geführt. Nichtsdestotrotz ist es dem Standort Irland gelungen, durch bestimmte Maßnahmen eine Reihe von internationalen Centern besonders nach Dublin zu locken: Aufbau von Investitionsanreizen in Form von Subventionen und Steuer-
erleichterungen Integration einer zweiten Pflichtfremdsprache in die Curricula wirtschaftswis-
senschaftlicher Studiengänge Integration internationaler Rechnungslegungsvorschriften in die Accounting-
Studiengänge Doch damit nicht genug. Der erodierende Kostenvorteil Irlands sowie die positiven Erfahrungen im IT-Offshoring seit Beginn der 90er Jahre mit dem Standort Indien haben den Fokus erweitert. Heute betreibt eine Vielzahl von Unternehmen Shared Services in einem globalen, mitunter mehrere Kontinente umfassenden Kontext.
3.
Definition, aktuelle Trends und empirische Studien
Die begriffliche Abgrenzung von Shared Services oder Shared-Service-Center kann nicht erfolgen, ohne einen Blick auf die wesentlichen Entwicklungen seit Beginn der 90er Jahre zu werfen, die zur weiteren Verbreitung und Akzeptanz dieses Konzeptes beigetragen haben. Obgleich die Grundidee schon vor fast 80 Jahren geboren wurde und erstmalig in der organisationalen Praxis bei GM umgesetzt worden ist, sind Shared Services noch ein immer nicht vollständig erfasstes wissenschaftlich-methodisches Konstrukt. Die Umsetzung bei GM war an bestimmte Rahmenbedingungen gebunden: die Einführung einer divisionalen Organisation und die räumliche Zentralisierung aller Divisionen an einem Standort in Detroit. Wie bereits erwähnt, wurde der divisionale Organisationsge-
Definition, aktuelle Trends und empirische Studien
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danke nach dem 2. Weltkrieg mit weitaus geringerem Fokus auf die räumliche Bündelung der Geschäftsbereiche umgesetzt. Kunden- und Marktnähe haben vielfach nicht nur organisational, sondern auch räumlich zu weit verzweigten Konzernstrukturen mit all den beschriebenen Problemen der effizienten und effektiven Unterstützung durch die entsprechenden Verwaltungsfunktionen geführt. Zwar sind Fax und Telefon als wesentliche Kommunikationsmittel seit den 70er Jahren etabliert, zur Konsolidierung von Verwaltungsaufgaben bieten sie allein jedoch nicht genügend Möglichkeiten. Vier wesentliche Entwicklungen sind als Treiber der Shared-Services-Idee zu nennen: der Personal Computer (PC), das Internet, Enterprise Resource Planning Systeme (ERP) und die moderne Kommunikationstechnik. Durch den PC ist eine Vielzahl von Verwaltungsaktivitäten vom Papierformat
auf digitales Format transferiert worden. Buchhaltungs-, Mitarbeiter-, Finanzsowie Kundendaten können digitalisiert und somit transferierbar gemacht werden. Mancher kann sich z. B. noch an die Datenbänder erinnern, die bis in die 90er Jahre per Kurier an die Bank gesendet wurden, um den monatlichen Zahlungslauf zu starten. Somit war der Grundstein für die ersten zaghaften Shared-Services-Versuche gelegt. Die zweite Entwicklung war das Internet. Sowohl unternehmensintern als
auch extern wurde ab den frühen 90er Jahren ein weiteres Kommunikationsmedium geschaffen, das es ermöglicht, Nachrichten und später auch Datenpakete per Datenleitung zu übertragen. Der physische Datentransport via Diskette oder Datenband konnte durch einen Direkttransfer ergänzt bzw. abgelöst werden. Zudem erfolgte in den 90er Jahren eine drastische Verbesserung der Speicherkapazitäten elektronischer Datenträger sowie der Übertragungskapazitäten. Somit waren die wesentlichen Voraussetzungen geschaffen, um einfache, transaktionale Aktivitäten zusammenzufassen und Datenpakete über größere räumliche Distanzen zu versenden. Die Finance & Accounting SSC der ersten Stunde in den frühen 90er Jahren basierten auf folgendem Prozessmodell: Das SSC am Standort A übernahm die Buchhaltungsfunktionen für den Geschäftsbereich B am Standort X. Am Monatsende erfolgte die Versendung der Daten per Diskette an die Geschäftsbereichsverantwortlichen zur Klärung von z. B. offenen Posten oder Rückstellungen. Klärungen erfolgten per Telefon oder Telefax. Die abgestimmten Daten wurden im SSC über alle Geschäftsbereiche zusammengefasst, Zahlungsläufe veranlasst sowie das Reporting an die Konzernleitung zentral koordiniert. Ein weiteres, wesentliches Element zur stärkeren Verbreitung des Shared-
Services-Konzepts
waren
die
Enterprise-Resource-Planning
(ERP)-
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Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
Softwarepakete, die zur Datenvereinheitlichung und Integration unterschiedlichster Datenstrukturen einen wesentlichen Beitrag geleistet haben. In Europa hat in dieser Hinsicht SAP eine führende Rolle gespielt, während in den USA Anbieter wie Oracle und PeopleSoft den Weg zur effizienten ERPAnwendung geebnet haben. Die SAP-Anwendungen in den 80er Jahren waren schon in der Lage, in lokalen Netzwerken vorwiegend Buchhaltungstransaktionen abzuwickeln. Der Datentransfer zwischen unterschiedlichen SAPKonfigurationen oder selbst entwickelten Buchhaltungsapplikationen erwies sich als schwierig. Soweit der Transfer per Datenband oder Diskette nicht möglich war, war die Praxis des „Ausdruckens und manuell wieder Eingebens“, bei Aufgaben wie z. B. Konsolidierung, Management Reporting oder Aktualisieren von Kunden- und Mitarbeiterstammdaten, somit nahezu unausweichlich – und alles andere als effizient und fehlerresistent. Die Qualität der ERP-Systeme hat sich im Laufe der 90er Jahre drastisch verbessert. Nicht nur der Abschied vom „schwarzen Bildschirm“ war eine der Verbesserungen: ERP-Systeme sind heute weniger komplex und ressourcenverschleißend in Implementierung und Betrieb. Kommunikation zwischen den Einzelkonfigurationen ist über große Distanzen problemlos möglich, und die Integration des Internets ist weitgehend sichergestellt. War Mitte der 90er Jahre die Komplexität der ERP-Anwendung noch ein Argument, kein SSC-Vorhaben zu verfolgen, werden nun Shared-Service-Initiativen gestartet, um gezielt die Einführung eines bestimmten ERP-Systems zu forcieren. Last, but not least hat die moderne Kommunikationstechnik an sich einen
wesentlichen Beitrag zur Etablierung des Shared-Services-Gedankens geleistet. Die globale Vernetzung mit Glasfaserkabeln hat sowohl den Datentransfer als auch den Sprachtransfer nicht nur signifikant verbilligt, sondern auch vereinfacht und qualitativ drastisch verbessert. Darüber hinaus haben die terrestrischen Netze der Mobilfunkanbieter weltweite Verbreitung gefunden. Heute muss in kritischen Fällen nicht auf Pager oder die Mailbox zurückgegriffen werden. Mitarbeiter im SSC sind per Mobiltelefon oder per Handheld Computer erreichbar, egal wo sie im Center sind und in welchem Land das Center sich befindet. Somit hat die Telekommunikation eine wesentliche Voraussetzung zum Offshoring geschaffen. Kommunikationskosten sind zwar ein nach wie vor nicht zu unterschätzender Kostenblock bei einem Shared-ServicesVorhaben, aber die Möglichkeiten durch verbesserte Kommunikation sind zu einem weiteren Hebel für Shared Services geworden. Telefon- und Videokonferenzen sowie E-Mail zur Abstimmung mit internen sowie externen Kunden und der Konzernzentrale gehören zum Routinegeschäft für SSC-Mitarbeiter. Schulungen erfolgen online, Weiterbildungen vielfach in Form von Web Casts. SSC sind häufig Best Practices in der Anwendung moderner Kommu-
Definition, aktuelle Trends und empirische Studien
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nikations- und Arbeitsmethoden. Das Arbeitsprinzip des „Remote Service Provisioning“ wird nirgendwo so extrem angewendet wie im Shared-Services, BPO- und ITO-Bereich. Die Risiken der Shared-Service-Projekte in den 90er Jahren waren u. a.: Integrität der Daten Beherrschung der Softwarepakete Kommunikation und Abstimmung mit dem internen/externen Kunden und
dem Center In Verbindung mit einer Near- oder Offshoring-Komponente liefen einige SSC nicht effizient und wurden in der Folge wieder eingestellt. Die Liste fehlgeschlagener SSC-Projekte war Ende der 90er Jahre beängstigend lang und vielerorts wurde das Ende des SSC-Trends vorhergesagt. Doch die Rahmenbedingungen haben sich ebenso geändert wie das Verständnis der Arbeitswelt. Moderne Kommunikationsmedien wie das Internet, E-Mail, Video oder Mobilfunk haben das Verständnis dafür wie, wann und von wo Arbeiten verrichtet werden können, grundlegend verändert. So werden E-Mails nach den offiziellen Büroarbeitszeiten oder am Wochenende beantwortet oder Intranet-Seiten im Urlaub aktualisiert. Für viele SSC-Mitarbeiter existiert häufig so gut wie kein physischer Kontakt mehr mit den internen/externen Kunden, für die das Center arbeitet – und ist dies eine von beiden Seiten akzeptierte Arbeitsweise. Die Verbreitung von SSC hat hauptsächlich ab dem Jahr 2000 wieder deutlich Fahrt aufgenommen. Die im Weiteren analysierten Studien liefern hierfür den Beleg. Doch zunächst sollen die Begriffe „Shared Services“ und „Shared Service Center“ abgegrenzt werden. Im Beratungsumfeld ist eine Vielzahl definitorischer Ansätze entstanden, die z. T. schwer verständlich sind. Die Beratungsgesellschaft A.T. Kearney stellt folgenden definitorischen Ansatz zur Verfügung: „Shared services are the creation of a client-focused business organization that consolidates a range of support activities and tasks. In this environment, support functions operate as a business partner to the business units and other functional areas within a company. Such organizations measure and drive the performance of their services like professional, independent entities focused on: Quantity, quality and cost of services that are mutually agreed upon Costs charged out on the basis of usage Service agreements that are used to formalize business relationships with in-
ternal clients
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Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
Shared services allow organizations to move beyond cost savings, positioning support functions as strategic value drivers, while allowing for the creation of new, more autonomous organizational units focused on efficient transactional management.“5 Wenn A.T. Kearney von „client-focused“ spricht, ist sicherzustellen, dass SSC vornehmlich interne Kunden adressieren. Lediglich Aufgaben wie der Customer Support, Kreditoren- und Debitorenbuchhaltung oder Help Desk beinhalten Transaktionen mit externen Kunden, ansonsten steht der interne Empfänger im Mittelpunkt. Ein Service Level Agreement (SLA) – ein Vertrag zwischen dem SSC und dem Leistungsempfänger – wird grundsätzlich mit dem internen Kunden vereinbart. Der Kontakt zum externen Kunden wird im Rahmen des Vertrags geregelt. Wenn von „professional, independent entities“ gesprochen wird, ist dies eher ein Idealzustand für SSC als die reale Abgrenzung, wie die Analyse der empirischen Studien zeigen wird. Die Behauptung, dass Shared Services „Strategic Value Driver“ sein sollten, kann an dieser Stelle im Sinne der Differenzierung von Kern- und Unterstützungsaufgaben nicht ohne weiteres als Abgrenzungsmerkmal dienen. In manchen Fällen wird dies der Fall sein, in anderen Fällen wird die Back-Office-Funktion „unterstützenden“ Charakter behalten und dennoch im SSC Ansatz zur Verfügung gestellt werden. Die Beratungsgesellschaft Deloitte spezifiziert den Shared-Services-Begriff an der Ausgliederung von Unternehmensfunktionen in andere Organisationseinheiten, die jedoch weiterhin zum Unternehmen oder Konzern gehören.6 Zur begrifflichen Abgrenzung ist dies zwar hilfreich, allerdings werden SSC in der Praxis häufig als solche bezeichnet, obgleich sie lediglich als Kostenstelle organisatorisch verankert sind. Schwarz erweitert die Sichtweise von Deloitte sogar noch um die explizite Forderung nach eigener Ergebnisverantwortung.7 Andere definitorische Ansätze verwenden den Shared-Services-Begriff eher als Strategie. Bergeron charakterisiert den Begriff wie folgt: „Shared Services is a collaborative strategy in which a subset of existing business functions concentrated into a new, semiautonomous business unit that has a management structure.“8 Dabei stellt der Autor implizit die Forderung nach einer eigenständigen organisatorischen Einheit auf, lässt aber offen, wie weit diese Eigenständigkeit inter5 6 7 8
Vgl. www.atkearney.com, 2006. Vgl. Suska, 2005, S. 39. Vgl. Schwarz, 2005, S. 27. Bergeron, 2002, S. 2.
Definition, aktuelle Trends und empirische Studien
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pretiert werden kann. Ähnlich wie beim Ansatz von A.T. Kearney bleibt der Aspekt des Kundenfokus offen. Hiermit können sowohl interne als auch externe Kunden gemeint sein. Autoren wie Camphausen und Rudolf fordern den Fokus auf den internen Kunden als explizites definitorisches Merkmal. 9 Shared Services erfreuen sich als Begriff zunehmender Beliebtheit, und so ist es nicht verwunderlich, dass sich ein definitorischer Ansatz in Wikipedia findet. Dort werden Shared Services derzeit wie folgt charakterisiert: „Shared Services can be considered as the convergence and streamlining of an organization’s functions to ensure that they deliver to the organization the services required as effectively and efficiently as possible. Usually it involves the centralizing of back office functions such as HR and Finance but can also be applied to the middle or front office. A key advantage of the convergence is that it enables the appreciation of economies of scale within the function and can enable multi function working.“10 Auch hier erfolgt implizit eine Konzentration auf den internen Kunden. Durch die grundsätzliche Anwendbarkeit wird die Ausweitung des Konzeptes auf externe Beziehungen in Betracht gezogen (middle and front office). Vielfach werden SSC auch als Accounting oder Reporting Factory bezeichnet.11 Hiermit wird der Konsolidierungs- und Standardisierungsaspekt in den Mittelpunkt gerückt. Shared Services sind aber grundsätzlich mehr als nur die Konsolidierung oder Zusammenfassung von Unterstützungsfunktionen. Shared Services umschreiben die Organisation von Verwaltungs- und Unterstützungsfunktionen auf einer professionellen Plattform in einem abgegrenzten organisatorischen Bereich. Idealerweise sollte der Bereich eigenverantwortlich gesteuert werden und eigene Ergebnisverantwortung besitzen. Durch den Fokus auf Verwaltungs- und Unterstützungsfunktionen sind die vornehmlichen Adressaten interner Natur, eine Ausweitung auf externe Kunden ist durchaus möglich soweit es die bearbeiteten Prozesse erfordern. Ein SSC wird dabei im Prinzip immer Dienstleister eines internen Bereichs sein (z. B. ist der Customer Support Help Desk eine Unterstützungsfunktion der Vertriebsfunktion und kein Selbstzweck). Ziel der Shared Services ist es, die Unterstützungsdienstleistung im Hinblick auf Kosten, Qualität, Durchlauf- und Prozesszeiten als wettbewerbliche Alternative zur Outsourcing Lösung anbieten zu können.
9 10 11
Vgl. Camphausen/Rudolf, 2001, Nr. 1, S. 82. www.en.wikipedia.org/wiki/Shared_Services, 2006. Vgl. Michel, 2006, S. 443.
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Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
Wie Kagelmann im Jahr 2000 konstatierte, sind bis Mitte der 90er Jahre vornehmlich populärwissenschaftliche Beiträge zum Thema erschienen.12 Bedingt zudem durch den Umstand, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung im Rahmen unterschiedlicher Disziplinen wie Management, Organisation, Arbeitsteilung & Spezialisierung, Gemeinkostenreduzierung u. Ä. sowie den einzelnen Funktionsgebieten, z. B. Finance & Accounting SSC, HR SSC, Procurement SSC stattgefunden hat, kann eine vollständige Abdeckung des Themenkomplexes nur schwerlich erreicht werden. Da Shared Services in der praktischen Umsetzung meist erheblicher, externer Unterstützung bedürfen, haben sich eine Reihe von Beratungsgesellschaften mit mehr oder weniger wissenschaftlicher Methodik der empirischen Analyse des Phänomens Shared Services gewidmet. Im Folgenden wird eine Auswahl von Studien vorgestellt, um die praktische Relevanz und den Stand der Forschung kurz zu skizzieren.
Hackett Finance Shared Services Study Eine sehr konsistente Untersuchung bietet die Benchmarking Gesellschaft Hackett, die zum US-Beratungshaus Answerthink gehört. Im Jahr 2005 wurde bereits zum vierten Mal in Folge die „European Finance Shared Services Organisation Study“ durchgeführt.13 Hackett definiert im Untersuchungsansatz die Trennung in „core“- und „non-core“-Prozesse als Entscheidungskriterium für Shared-Service-Prozesse. Im Zuge der Studie wurden erneut 100 europäische Unternehmen untersucht, die zum Großteil aus Deutschland (22 %), Großbritannien (21 %), der Schweiz (14 %) oder den Benelux-Staaten (11 %) stammen bzw. den Sitz des Headquarters in den USA (16 %) haben. Hackett beschränkt sich auf Unternehmen mit 10.000 bis 50.000 Mitarbeitern, also auf größere Unternehmen. Bei diesem Forschungsansatz wurden kontinuierlich 100 Unternehmen auf ihrem Weg zu SSC sowie unter Berücksichtigung der entsprechenden Entscheidungskriterien und Begleitumstände über einen vierjährigen Zeitraum verfolgt. So lassen sich Trends zeigen wie beispielsweise die Akzeptanzrate von Finance Shared Services, die von 58 % im Jahr 2003 auf 63 % in 2004 und schließlich auf 82 % im Jahr 2005 angestiegen ist (betrachtet wurden jeweils Unternehmen mit mindestens zwei Jahren Erfahrung im Umgang mit Shared Services). Darüber hinaus untersucht die Studie eine Reihe von Fragen der operativen Führung von SSC, wie den Einsatz von Service Level Agreements (81 %), Key Perfor-
12 13
Vgl. Kagelmann, 2000, S. 49. Vgl. www.thehackettgroup.com, 2006.
Definition, aktuelle Trends und empirische Studien
27
mance Metrics (50 %) oder die ERP-Plattform (68 % nutzen SAP). Bedingt durch den Fokus auf die Finanzfunktion bietet die Studie weitere Einsichten in die Spezifika der Finanzprozesse wie z. B. Häufigkeit der vertretenen transaktionalen Accounting Prozesse: 99 % der Center bearbeiten Kreditorenbuchhaltungen, 92 % das Hauptbuch, 92 % Intercompany-Buchungen und 88 % die Debitorenbuchhaltung. Hackett zeigt im Rahmen der Studie die Kosteneinsparungen, die bei den Untersuchungsteilnehmern realisiert werden konnten. 83 % der Unternehmen mit SSC haben demnach Einsparungen von mindestens 11 % realisiert. Weitere strategische Erkenntnisse betreffen die Standortentscheidungen, wobei ein langsamer Trend zu globalen Lösungen (20 % im Vergleich zu 11 % in 2004) erkennbar ist. Im Hinblick auf die Eigentümerfrage zeigt Hackett, dass lediglich 8 % der SSC vollständig von einem BPO-Anbieter betrieben werden. Im Hinblick auf die Sensitivität der Finanzfunktion ist dies durchaus nachvollziehbar. Aufschlussreich ist die Aussage auf die geplanten BPO-Transaktionen. Gemäß der Studie sind es demnach fast die Hälfte der Unternehmen (48 %), die eine externe Lösung in Betracht ziehen. Die wesentliche Einschränkung der Hackett-Studie ist der Fokus auf die Finanzfunktion. Daher können kaum generelle Aussagen auf das SSC-Konzept abgeleitet werden. Es wird somit nicht transparent, ob die SSC-Initiative von der Finanzfunktion getrieben wird oder die jeweils grundlegende Organisationsphilosophie für die Back-Office-Funktionen reflektiert wird.
Deloitte: Shared Services in a Global Economy Eine weitere Studie zum Thema Shared Services stammt von der Beratungsgesellschaft Deloitte aus dem Jahr 2005.14 Deloitte beschränkt sich hierbei nicht nur auf die Finanzfunktion und analysiert insgesamt 115 Unternehmen auf weltweiter Basis. Grundansatz der Untersuchung ist, dass alle Teilnehmer über Erfahrungen im Umgang mit SSC verfügen, wobei 6 % der Unternehmen SSC mehr als 10 Jahre betreiben und 19 % weniger als ein Jahr Erfahrung mit SSC vorweisen können. Der demografische Ansatz ist ausgewogen mit 43 % der Teilnehmer aus den Americas (vornehmlich Nordamerika) und 46 % der Teilnehmer aus Europa. 78 % der Unternehmen haben einen Umsatz von mehr als 2 Mrd. US-Dollar Somit liegt der Fokus ebenfalls eher auf größeren Unternehmen, es werden im Ver14
Vgl. www.deloitte.com, 2005.
28
Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
gleich zu Hackett noch eine Reihe von mittelgroßen Unternehmen in den Untersuchungsumfang einbezogen. Die Studie beruht auf einer einmaligen Untersuchung, deshalb werden keine Aussagen zu Trends abgeleitet. Die wesentlichen Ergebnisse in operativer Hinsicht betreffen zum einen den Einsatz von Service Level Agreements (SLA). Deloitte zeigt, dass 78 % der Unternehmen SLA einsetzen, hingegen davon nur 22 % deren Einsatz für effektiv halten. Darüber hinaus kommt Deloitte zu dem Ergebnis, dass SSC eine effektive Unterstützung im Zertifizierungsprozess für Sarbanes-Oxley (SOX) sein können. 82 % der Teilnehmer sehen durch der Einrichtung von Shared Services eine Verbesserung der internen Kontrollen. Deloitte nennt im Rahmen der Studie zwei wesentliche Herausforderungen für SSC: Die Karriereentwicklung wurde als zentrales Problem im Human Resource Management von Shared Services identifiziert sowie das Customer Relationship Management. Und obgleich SLA zum Management der Beziehungen zum internen SSC-Kunden weitgehend im Einsatz sind, bezeichnen lediglich 20 % der Studienteilnehmer den Umgang mit dem internen Kunden als effektiv. Für SSC zeichnet sich hier gegenwärtig ein weiter anhaltender Lernprozess ab. Im Hinblick auf die Standort- und Eigentümerfrage zeigt die Deloitte-Studie, dass 93 % der Teilnehmer die In-House- und On-Site-Lösung bevorzugen. Obgleich 37 % zudem für bestimmte Bereiche mit Drittanbietern zusammenarbeiten, zeigt sich eine starke Präferenz für die Captive Solution. Eine sehr interessante Erkenntnis, die im Rahmen der Deloitte-Studie gewonnen werden konnte, betrifft die Behandlung der steuerlichen Situation. Erstaunlicherweise hat eine Strategie zur Reduktion der Steuerlast lediglich in 16 % der SSC-Standortentscheidungen eine explizite Rolle gespielt. Zudem haben 47 % der Teilnehmer die Möglichkeiten von Subventionen, Steuererleichterungen und Zuschüssen überhaupt nicht geprüft. Die steuerliche Behandlung von SSC wird zwar zunehmend komplexer, es ist dennoch verwunderlich, weshalb dieses enorme Einsparungspotenzial nicht umgehend genutzt wird. Obgleich die Deloitte-Studie wertvolle Einsichten in SSC als Organisationskonzept liefert, fehlen funktionsspezifische Aussagen sowie die Einbeziehung von in Shared Services unerfahrenen Unternehmen, was im Design der Studie offensichtlich nicht vorgesehen war.
Definition, aktuelle Trends und empirische Studien
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A.T. Kearney Success through Shared Services Whitepaper Mit A.T. Kearney setzt sich erstmals eine klassische Managementberatung mit dem Thema Shared Services forschungsseitig auseinander.15 In der vorliegenden Studie wurden in Zusammenarbeit mit Harris Interactive 140 Führungskräfte aus Nordamerika und Europa (jeweils zu gleichen Teilen) befragt. Es wurden Unternehmen mit mehr als einer Milliarde US-Dollar Umsatz im Untersuchungsumfang berücksichtigt. A.T. Kearney verfolgt mit der Studie den Ansatz, Erfolgsrezepte beim Aufbau und Betrieb von SSC zu identifizieren und die Kernherausforderungen hervorzuheben. Antworten Europäische Teilnehmer in %
100%
18%
90%
17%
80%
6%
70% 60%
Durchschnitt
14% 17%
Keine Angaben
22%
Weniger als 5%
29%
5 – 15%
23%
15 - 25%
9%
Mehr als 25%
35%
50% 40% 30%
25%
20% 10%
17%
0% Erwartet
Realisiert
Quelle: A.T. Kearney16 Abbildung 1-4: Kosteneinsparungen europäischer Unternehmen Die wesentlichen Ergebnisse zeigen, dass Kosteneinsparungen zwar zu den wichtigsten Zielen bei der Verfolgung von Shared Services zählen (87 %), diese allerdings nur ganz knapp vor dem Ziel der angestrebten Leistungsverbesserungen (85 %) liegen. Bei den tatsächlich realisierten Verbesserungen berichten 67 % der Teilnehmer, die Kostenziele realisiert zu haben, und 66 % berichten, in der Tat die angestrebten Performance Improvements umgesetzt zu haben. Diese Erkenntnis zeigt deutlich, wie wichtig die disziplinierte Umsetzung von SSC-Vorhaben ist: 15 16
Vgl. A.T. Kearney, 2004. Vgl. a. a. O., S. 4.
30
Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
Es gibt keine Erfolgsgarantie, insbesondere wenn ein Fünftel der Betroffenen die avisierten Ziele nicht erreicht. Dennoch: Die absolute Höhe der Einsparungen ist sehr eindrucksvoll. Im Durchschnitt realisieren Unternehmen in Europa durch die Einführungen von Shared Services einen Kostenvorteil von 14 %, bei geplanten 18 % ist dies durchaus noch beachtlich. Die Abbildung 1-4 illustriert dabei die prozentuale Verteilung der geplanten und realisierten Einsparungen. A.T. Kearney untersucht im Rahmen der Studie außerdem die funktionalen Präferenzen und ermittelt mit der HR-Funktion (87 %) einen bevorzugten Bereich, der für europäische Unternehmen eher überrascht. Zwar folgen IT (85 %), Finanzen (77 %) und Procurement (61 %) nicht allzu weit abgeschlagen, doch lässt diese Erkenntnis vermuten, dass hauptsächlich die nordamerikanischen Unternehmen mit dem aufwändigen und transaktional recht einfachen, aber hoch administrativen Prozess der Benefits-Abrechnungen einen sehr geeigneten Prozess für SSC aufweisen. In den meisten europäischen Unternehmen, in denen die Krankenversicherungsdienstleistungen zwischen dem Versicherer und dem Arbeitnehmer direkt verhandelt werden und keine unternehmensspezifischen Health Plans existieren, sind die Möglichkeiten für den Einsatz von Shared Services im HR-Bereich eingeschränkter. Bei der Analyse der Widerstände ermittelt A.T. Kearney eine ähnliche Problemlage wie sie auch die Deloitte-Studie bezüglich der internen Kundenzufriedenheit darstellt. Die Untersuchung erlaubt zwar keinen Einblick, ob das Verfehlen der Kundenerwartung faktisch begründet ist oder ob der interne Kunde der Wahrnehmung unterliegt, dass der durch das SSC zur Verfügung gestellte Service unzureichend ist. Die Tatsache, dass 59 % der Befragten diesen Umstand als Kernherausforderung benennen, zeigt, dass SSC an dieser Stelle inhaltlich wie kommunikativ Verbesserungspotenziale aufweisen. Auch die folgenden Problembereiche dokumentieren, dass Vertrauen und Kommunikation in der Zusammenarbeit mit den Geschäftsbereichen dringend verbessert werden müssen. In der Analyse der BPO-Anwendung ermittelt A.T. Kearney einen deutlichen Vorsprung der nordamerikanischen Unternehmen gegenüber Europa. Während 55 % der IT-Funktionen in Nordamerika sich in den Händen von Outsourcern befinden, sind es in Europa lediglich 40 %. Bei HR ist der Unterschied noch gravierender: 64 % zu 13 %, was in erster Linie mit den oben genannten Unterschieden in der Behandlung der Benefits zu erklären ist. Die Diskrepanz bei der Finanzfunktion von 50 % zu 15 % zugunsten nordamerikanischer Konzerne ist schwieriger zu erklären, insbesondere da aufgrund der vielen Finanzskandale in Nordamerika und des Sarbanes-Oxley Act mit noch größeren Sensitivitäten als in Europa zu rechnen wäre. Möglicherweise sind die umfangreicheren Erfahrungen der Amerikaner mit SSC aufgrund der nicht vorhandenen Währungs-, Sprach- und Rechtsraumproblematik ausschlaggebend.
Definition, aktuelle Trends und empirische Studien
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(Interne) Kundenzufriedenheit
59%
Vertrauen in SSC
54%
Kontrollkosten
53%
Widerstand der Mitarbeiter
50%
Unterstützung vom Management
42%
Leistungsmessung des SSC
26% 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
Quelle: A.T. Kearney17 Abbildung 1-5: Größte Herausforderungen bei der Umsetzung von Shared Services
SharedXpertise: Shared Service Implementation, 2006 Survey Results SharedXpertise hat, ähnlich wie die Hackett Group, einen mehrfach aufgelegten Survey im Jahr 2006 bereits zum dritten Mal durchgeführt und Vergleichswerte im Hinblick auf die Implementierung von Shared Services erhoben.18 Im Rahmen der Studie wurden 145 Unternehmen aus insgesamt 27 Ländern, davon allein 17 aus Europa untersucht. Der Schwerpunkt der Erhebung liegt auf globalen Konzernen aus den unterschiedlichsten Industriezweigen. 27 % der Teilnehmer an der Studie entstammen direkt der jeweiligen Shared-ServiceOrganisation im Unternehmen. Im Vergleichszeitraum von 2003 bis 2006 kommt SharedXpertise zu interessanten Ergebnissen: So scheint sich das Wachstum der Shared-Service-CenterZahlen zu verlangsamen, wodurch Durchschnittsalter der und Erfahrung im Center steigen. Konnten im Jahr 2004 ca. 33 % der Teilnehmer auf mehr als 4 Jahre Erfahrung im Umgang mit SSC zurückblicken, so hat sich dieser Wert bis zum Jahr 2006 auf 47 % erhöht. Im Gegenzug waren in 2004 noch 28 % SSC„Anfänger“ mit Centern jünger als ein Jahr. 2006 sind es lediglich 12 % der Un17 18
Vgl. a. a. O., S. 5. Vgl. SharedXpertise, 2006.
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Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
ternehmen. Die Gründe für SSC haben sich im Zeitverlauf nicht geändert: Die Erhöhung von Service Levels führt mit 62 % vor dem Kostenargument (56 %) sowie dem Reengineering-/Effizienzaspekt (52 %). Mit zunehmender Reife finden sich immer mehr Best Practices, und das Interesse an Outsourcing steigt. Indes versäumen viele Unternehmen, die Vorteile einer Relocation intensiver auszunutzen. Fast die Hälfte der Teilnehmer (49 %) hat die Shared Services in einer operativen Geschäftseinheit angesiedelt, ohne explizit Nearshoring- oder Offshoring-Potenziale zu erheben. Bislang sind es demnach weniger als 20 %, die überhaupt eine dezidierte Location Selection betreiben. In der Prozesssicht dominieren die transaktionalen Prozesse wie Payroll, Kreditoren- und Debitorenbuchhaltung. Zunehmend wandern nun höherwertige Controlling-Aufgaben in den Umfang des Centers. Business Process Outsourcing ist nur langsam auf dem Vormarsch: 2004 berichteten 48 % der Studienteilnehmer keinerlei Outsourcing-Aktivitäten. Im Jahr 2006 ist dieser Wert auf 38 % zurückgegangen. Die IT-bezogenen Prozesse dominieren in der SharedXpertise-Studie, interessanterweise ist General Accounting von 4 % auf 11 % angestiegen. Payroll (von 19 % auf 27 %) und Reisekostenabrechnung (5 % auf 11 %) sind weitere Wachstumsprozesse aus Sicht der Service-anbieter. Der Billing-Prozess verzeichnet einen Rückgang von 7 % auf 4 % ebenso wie Customer Service (5 % auf 2 %), wodurch sich die These ableiten lässt, dass kundenbezogene Aktivitäten ungern fremd vergeben werden. Die SharedXpertise-Studie ist speziell über den Zeitverlauf interessant. Mit dem deutlichen Fokus auf Shared-Services-erfahrene Unternehmen, liefert sie einen guten Einblick in die Weiterentwicklungsrichtungen von SSC. Ob die erhobenen Tendenzen im Hinblick auf die Standortwahl oder Outsourcing-Neigungen repräsentativ sind, kann hinterfragt werden.
PA Consulting: Benchmarking Shared Service Centres Survey Eine etwas ältere Studie aus dem Jahr 2002 wurde von der Beratungsgesellschaft PA Consulting durchgeführt.19 Die Analyse untersucht den generellen Einsatz von Shared Services. Aus methodischer Sicht ist zu bemängeln, dass die Demografie der Untersuchungsgruppe nicht weiter spezifiziert worden ist. Als Abgrenzungsmerkmal wurde die Existenz bzw. der geplante Aufbau von SharedService-Aktivitäten verwendet. Die Zusammensetzung der Untersuchungsgruppe ist als multinationale Konzerne beschrieben.
19
Vgl. PA Consulting, 2002.
Definition, aktuelle Trends und empirische Studien
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PA Consulting arbeitet in der Studie einen leicht abweichenden Hauptgrund für die Einrichtung von Shared Services heraus: Prozessstandardisierungen und verbesserungen (30 %). Zwar folgen Kostenaspekte unter der Bezeichnung Economies of Scale mit 28 % auf zweiter Stelle, ansonsten dominiert bei den involvierten Teilnehmern das Qualitätsargument. Verbesserte Entscheidungsunterstützung und Kontrolle (14 %) sowie verbesserte Service-Levels (8 %) folgen auf den weiteren Rängen. Im Hinblick auf die Erfolgsfaktoren leitet PA Consulting eine etwas andere Sichtweise als die bisher analysierten Studien ab: In einem Ranking der Erfolgsfaktoren wird der Aufbau einer kundenserviceorientierten Kultur als zentraler Erfolgsfaktor identifiziert – ein Bereich, der als problematisch herausgearbeitet worden ist in den später datierten Studien von Deloitte und A.T. Kearney. In puncto Kosteneinsparungen zeigt sich ein konsistentes Bild insbesondere im Vergleich mit der A.T. Kearney-Studie. PA Consulting ermittelt bei den Teilnehmern ebenso eine Diskrepanz der geplanten gegenüber den realisierten Einsparungen. Mit durchschnittlich 21 % realisierter Kosteneinsparung wird in dieser Umfrage sogar ein deutlich positiveres Bild ermittelt.
Plan
50%
Realisiert
4 Jahre
40% 30%
29% 21%
22% 17%
20%
2 Jahre
10% 0%
Kosteneinsparung
Reduzierung Headcount
Payback
Quelle: PA Consulting20 Abbildung 1-6: Geplante und realisierte Verbesserungen durch die Einführung von Shared Services
20
Vgl. a. a. O., S. 8.
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Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
Im Hinblick auf die organisationale und regionale Strukturierung von SSC ermittelt PA Consulting, dass obgleich des noch vorherrschenden regionalen Fokus der Trend zu globalen Lösungen zu erkennen bzw. unvermeidbar ist. Der im Rahmen der Studie erhobene Status quo der Organisationsformen ist ernüchternd: Obgleich die unabhängige, profitverantwortliche organisationale Einheit als wichtiges Element erfolgreicher SSC gefordert wird, zeigt sich eindeutig, dass SSC zumeist als Cost Center aufgebaut und organisatorisch integriert werden. Somit wird klar, dass eine kulturelle Transformation in eine Serviceeinheit schwer ist – obgleich PA Consulting hier einen anderen Trend festgestellt haben will.
Cost Center
64%
Separate Legal Entity
44%
Business Unit
25%
Profit Center
14%
Standalone Division
10%
Outsourced
6%
0%
10% 20% 30% 40% 50% 60% 70%
Quelle: PA Consulting21 Abbildung 1-7: Unterschiedliche Organisationsformen für Shared Services Erstaunlicherweise sind der Studie nach nur 44 % der SSC als eigenständige rechtliche Einheiten etabliert. In Verbindung mit der Präferenz für die CostCenter-Lösung ist dies nicht verwunderlich, da viele SSC vom Prinzip her eher in einer Abteilungsstruktur organisatorisch verankert sind und nicht als eigenständige Einheit agieren. Die 6 % Outsourcing-Lösungen decken sich mit den Feststellungen anderer Studien, da im Jahr 2002 schlichtweg noch wesentlich größere Vorbehalte gegenüber Service Providern als Back-Office-Anbieter bestanden als in den Jahren 2004/2005. Es ist zu erwarten, dass der Trend in naher Zukunft sich sukzessive zu den BPO Anbietern verlagern wird. 21
Vgl. a. a. O., S. 14.
Definition, aktuelle Trends und empirische Studien
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Die Studie von PA Consulting weist Schwachstellen in der fehlenden demografischen Kategorisierung der Untersuchungsgruppe und der funktionalen Spezifisierung auf. Als empirische Untersuchung aus dem Jahr 2002 dient sie dennoch als guter Anhaltspunkt.
FHTW Berlin/Offshoring Institute: Projekt zu Shared Services und Offshoring in deutschen Unternehmen Eine aktuelle Studie zur Akzeptanz von Shared Services in deutschen Großkonzernen wurde von der FHTW Berlin in Zusammenarbeit mit dem Offshoring Institute durchgeführt.22 Trotz der öffentlichen Reserviertheit gegenüber Shared Services und Offshoring zeigt sich eine beachtliche Akzeptanzrate von Shared Services. Von den insgesamt befragten 79 deutschen Großkonzernen, arbeiten 57 (72 %) mit dem SSC-Konzept, zumindest bei einer Back-Office-Funktion. Da im Rahmen dieser Studie kein anonymisiertes Fragebogenverfahren eingesetzt worden ist, sondern die Unternehmen im Interview Angaben über die tatsächlichen Center, die Standorte, die abgedeckten Aufgaben sowie die in den Centern beschäftigten Mitarbeiter zur Verfügung gestellt haben, kann eine sehr hohe Verlässlichkeit der Daten angenommen werden. Bei den 22 Unternehmen, von denen keine Angaben bezüglich Shared Service Centern vorliegen, wird entweder in der Tat das SSC-Konzept nicht im Konzern umgesetzt oder es wurde jede Form der Information darüber verweigert. Die Abbildung 1-8 zeigt überdies, dass die 57 Unternehmen mit Erfahrung im Einsatz von Shared Services das Konzept durchaus nicht nur für eine Funktion einsetzen. Im Durchschnitt arbeitet jedes Unternehmen mit ca. drei SSC, so dass sich die Gesamtanzahl von 146 Shared Service Centern ergibt. Gewiss beinhaltet die Anzahl der 146 Center einige Center, die funktional identisch sind, d. h. die Musterunternehmen AG betreibt z. B. zwei Finance SSC. Eliminiert man die Anzahl der funktional identischen Center, so ergeben sich immer noch 125 SSC, die von den 57 befragten Unternehmen betrieben werden. Die Finanz-, HR- und IT-Funktion werden dabei präferiert.
22
Vgl. www.offshoring-institute.org, 2006.
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Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
160 140 120 100
• Kein SSC im Einsatz oder • Auskunft verweigert
80 60 40 20
146
22 57
57
Unternehmen
Mit SSC
125
0 Anzahl SSC
Funktionale SSC
Quelle: Offshoring Institute Abbildung 1-8: Einsatz von Shared Services in deutschen Großkonzernen
Customer Support; 14 Procurement; 8 Information Technology; 26 Others; 24
Human Ressource; 26 Finance & Accounting; 27
Quelle: Offshoring Institute Abbildung 1-9: Verteilung der SSC nach Funktionen in deutschen Großkonzernen (Anzahl)
Definition, aktuelle Trends und empirische Studien
37
Auch Vertriebsunterstützungsfunktionen werden laut der Studie verstärkt in SSC-Strukturen angeboten und somit aus den dezentralen Vertriebseinheiten verlagert. Die 14 identifizierten Center an sich bilden zwar noch einen relativ geringen Prozentsatz (25 % aller Unternehmen mit SSC -Erfahrung), aber hier zeigt sich ein bestimmter Trend. Besonders in den vertriebsnahen Aktivitäten wirken die oben skizzierten Widerstände der geschäftsbereichs- oder regional bedingten Fürstentümer gravierend. Die Einkaufsfunktion findet sich bislang noch mit der schwächsten Akzeptanzrate. Doch eine Trennung der strategischen Einkaufsfunktionen von den operativen und transaktionalen Einkaufsaufgaben ist möglich und bietet die Alternative, mit Shared Services zu arbeiten. Interessanterweise findet sich eine erstaunlich hohe Anzahl von Shared-Service-CenterTypen, die keinen der klassischen Funktionen zugeordnet werden können. Es handelt sich zum einen um Center, die gezielt administrative Tätigkeiten bündeln, wie Facility Management, Sicherheitsdienstleistungen oder Büroservices. Andererseits werden zentrale Konzernabteilungen wie die Rechstabteilung in manchen Unternehmen als SSC bezeichnet und entsprechend geführt. In einigen branchenspezifischen Fällen wird der Begriff SSC auch einfach für die Bündelung bestimmter Aktivitäten verwendet. So fassen Einzelhandelsunternehmen die gastronomischen Dienstleistungen für ihre Geschäfte unter dem Begriff SSC „Gastronomie“ zusammen, oder Finanzdienstleistungsunternehmen bezeichnen das Asset Management der Gruppe als eine interne „Dienstleistungsfunktion“. An dieser Stelle kommt man definitorisch in Grenzbereiche, da die Trennung in Kern- und Unterstützungsgeschäft verschwimmt. Ist der Restaurantbetrieb eine Unterstützungsaktivität für das „Kerngeschäft“ Einzelhandel oder ein weiterer Geschäftsbereich, der nach Profit-Center-Prinzipien agiert? Bei den zuvor genannten zentralisierten Verwaltungsfunktionen kann die Aussage leichter getroffen werden: Solange eine Verwaltungsfunktion auf Basis eines Service Level Agreements zur Verfügung gestellt wird und dafür eine wettbewerblich und benchmarking-fundierte Vergütung seitens des internen Kunden erfolgt, kann von Shared Services gesprochen werden. Obgleich der Großteil der Standorte im Inland liegt, sind die großen deutschen Konzerne bereits weltweit mit SSC vertreten. Die bevorzugten Regionen sind derzeit eindeutig Mittel- und Osteuropa. Dies reflektiert die Besonderheiten der europäischen Situation mit unterschiedlichen Sprachen, Währungen und Rechtsräumen und dokumentiert gleichzeitig, wie vorsichtig sich die deutschen Unternehmen dem Thema Verlagerung nähern. Offensichtlich besteht die Tendenz, das SSC-Konzept zunächst im Inland zu testen, Probleme zu identifizieren und zu beseitigen, bevor der Sprung ins Ausland gewagt wird. So gesehen, kann eine gewaltige Zunahme von Shared-Service-Aktivitäten im Ausland in nächster Zeit erwartet werden. Von den 45 im europäischen Ausland angesiedelten SSC, be-
38
Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
finden sich durchaus nicht alle in Osteuropa. Klassische Nearshoring-Standorte wie z. B. die Beneluxstatten, Irland oder Spanien finden sich ebenso wie Luxemburg oder die Schweiz, wobei Letztere in erster Linie aus Gründen der Steueroptimierung dort etabliert worden sind. Darüber hinaus werden 32 Center im außereuropäischen Ausland betrieben. Hier stehen Länder wie Indien oder China im Fokus, aber auch – häufig bedingt durch den spezifischen Unternehmensfokus – Nord- und Südamerika. Im Ergebnis kann bislang kein massiver Nearoder Offshoring-Trend festgestellt werden. Der bisherige Status Quo erweckt nicht den Eindruck, das Ergebnis einer strategischen globalen Shared-ServiceStrategie zu sein, sondern erscheint eher historisch und geschäftsbedingt gewachsen. Anzahl der SSC
80 70 60 50 40 30 20 10 0
69 45 32
Deutschland
EMEA
Worldwide
Quelle: Offshoring Institute Abbildung 1-10: Regionale Verteilung der SSC großer deutscher Konzerne Die Tatsache, dass einige wenige Unternehmen keine Auskunftsbereitschaft signalisiert haben, sowie die fast schon investigative Vorgehensweise bei der Datenbeschaffung signalisieren, dass eine entsprechende Reserviertheit in der Kommunikation der eigenen Shared-Service-Vorhaben vorherrscht. Da häufig aufgrund der räumlichen Konsolidierung oder der Wahl eines ausländischen Standorts inländische Arbeitsplätze zur Disposition stehen, wird dieses Thema nicht offen kommuniziert. Shared-Service-Projekte ziehen meist interne Diskussionen und eine kritische externe Betrachtung nach sich. Die Studie der FHTW und des Offshoring Institute hat neben der Erfassung des Status quo der SSC-Aktivitäten deutscher Großkonzerne im Rahmen von Experteninterviews weitere Befindlichkeiten zu diesem Thema herausgearbeitet.
Definition, aktuelle Trends und empirische Studien
39
So wurden 28 Führungskräfte aus deutschen Großkonzernen zu ihrer persönlichen Einschätzung von Shared Services und Offshoring im Kontext der deutschen Wirtschaftslandschaft befragt. Hierbei ging es in erster Linie um die Bestimmung von Meinungen und Befindlichkeiten zum Thema. Die Abbildung 1-11 fasst die wesentlichen Ergebnisse zusammen: Average
Variance
"The main reason for SSC are cost savings“
4,5
0,3
"The main reason for SSC are quality improvements“
3,9
0,5
"The main reason for the use of SSC is the integration of technology and processes"
4,3
0,4
"Employees' resistance is a major obstacle for SSC“
2,6
0,8
"Power shifts as perceived by Management is a major obstacle of SSC“
3,1
1,9
"Concerns about potential shortfalls in quality is a major obstacle of SSC“
3,0
1,1
"High investment costs are a major obstacle of SSC“
2,5
0,9
"Implementation of Shared Services should be conducted in cooperation with a specialized consultant"
3,9
1,2
"Shared Services and Offshoring are essential measures to ensure the company's competitiveness in the short-term"
4,2
0,7
Questions
Fully Agree
Agree
Neutral
Disagree
Fully Disagree
Quelle: Offshoring Institute Abbildung 1-11: SSC-Status quo in deutschen Unternehmen – Ergebnisse einer Expertenbefragung Grundsätzlich stimmen die befragten Führungskräfte der These zu, dass sowohl Kosten als auch Qualität wesentliche Gründe für die Einrichtung von SSC sind. Darüber hinaus fällt auf, dass SSC häufig als Instrument dienen, um ein Unternehmen im Hinblick auf Prozesse und Technologie besser zu integrieren und Standardisierungen umzusetzen. Bezüglich der Widerstände ergibt sich ein weniger einheitliches Bild. Mitarbeiter oder Anfangsinvestitionen werden eher nicht als Hinderungsgrund gesehen. Bei dem bereits skizzierten Problem des potenziellen Machtverlustes herrscht die größte Uneinigkeit. Die durchschnittliche Bewertung spiegelt nicht die extrem hohe Varianz der Antworten wider. Die durchschnittliche Bewertung „Neutral“ (3,1) bei einer Varianz von 1,9 zeigt, dass die These des potentiellen Machtverlustes von einer signifikanten Gruppe stark unterstützt und von einer ebenso bedeutsamen Gruppe stark abgelehnt wird. Hier kommt es wahrscheinlich auf individuelle Erfahrungen und Einschätzungen an. Dass Shared Services ein wichtiges Element sind, um die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu verbessern, wird eindeutig unterstützt.
40
Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
Die oben durchgeführte Analyse ausgewählter empirischer Studien zum Thema Shared Services zeigt, dass Shared Services mehr sind als nur ein Trend. Der eindrucksvolle Verbreitungsgrad sowie die mittlerweile ausgefeilten Techniken zu Einrichtung, Betrieb und Optimierung dieser Center zeigen, wie weit die Unternehmenspraxis auf diesem Gebiet vorangekommen ist, ohne dass von wissenschaftlich-theoretischer Seite umfassende Beiträge zum Thema Shared Services zur Verfügung gestellt wurden. Von einer Theorie der Shared Services zu sprechen wäre allerdings verfrüht. Das Thema zeigt, wie schwer sich die wissenschaftliche Forschung im Bereich der Betriebswirtschaftslehre tut, mit den praktischen Gegebenheiten Schritt zu halten. Shared Services müssen in das methodische Instrumentarium der Organisationstheorie aufgenommen werden. Sie stellen eine innovative Form der organisationalen Gestaltung der Unterstützungsfunktionen, insbesondere im dezentralen Konzern dar. Das Thema Shared Services hat durch die Ergänzung der Dimension Business Process Outsourcing und Offshoring in großem Umfang weiterentwickelt. Es wäre nahezu naiv, sich der Auseinandersetzung mit Shared Services zur Optimierung der Back-OfficeFunktionen zu entziehen selbst wenn es sich um ein mittelgroßes Unternehmen handelt.
4.
Prozessanalyse – Bewertungsansatz der SharedServices-Potenziale
Die Einführung von Shared Services stellt zweifelsohne ein komplexes und umfassendes Unterfangen dar. Vor allem in stark dezentralisierten Organisationen stellt sich allein die Bewertung der vorhandenen Potenziale als außerordentlich schwierig dar, da Unterstützungsfunktionen teilweise nicht als solche bezeichnet werden. Die Assistentin des Vertriebsleiters übernimmt z. B. die Versendung der Rechnungen (eigentlich eine Debitorenbuchhaltungsaufgabe), der Leiter der Arbeitsplanung übernimmt die Schulungsplanung der Mitarbeiter (eigentlich eine HR-Aufgabe), und die Vertriebsniederlassung hat einen eigenen Mitarbeiter für „Spezialprojekte“ eingestellt, der eigentlich nichts anderes macht, als die PCs der Mitarbeiter in Ordnung zu halten (eigentlich eine IT-Help-Desk-Aufgabe). Die Beispiele illustrieren, dass Unterstützungsfunktionen zum Teil unkoordiniert über den ganzen Konzern hinweg stattfinden und manchmal bewusst „getarnt“ werden, um nicht auf Konzerndienstleistungen angewiesen zu sein oder einfach, um unabhängiger zu sein. Die bereits beschriebene Angst der dezentralen Einheiten vor Shared-Services-Initiativen führt in vielen Fällen zu „heimlich“ betriebenen Unterstützungsfunktionen.
Prozessanalyse – Bewertungsansatz der Shared-Services-Potenziale
41
Das folgende Beispiel untermauert die Bedeutung der Identifikation der „Shadow Costs“:23 Bei der Untersuchung der Finanzfunktion eines großen IT-Konzerns konnten Kosten für die Finanzfunktion in Höhe von ca. 1,3 % vom Umsatz identifiziert werden. Die Verantwortlichen hatten als Ergebnis vielfacher Kostensenkungsmaßnahmen ein relativ befriedigendes Kostenniveau der Finanzfunktion realisieren können (der Median liegt bei 1,2 %). Im Rahmen von unterschiedlichen Kostensenkungsprogrammen wurden die Dienstleistungen für die Geschäftsbereiche immer stärker reduziert – eine logische Folge reiner Kostensenkungsmaßnahmen, bei denen nicht gleichzeitig Qualität der Unterstützungsfunktion optimiert wird. In der Folge hatten einige operative Bereiche, wie Data Center, Vertriebsniederlassungen oder Entwicklungsbereiche ihr eigenes Controlling aufgebaut und z. T. bewusst mit irreführenden Abteilungsbezeichnungen belegt. So wurde z. B. als offizielle Positionsbezeichnung eines Controllers für ein Data Center der Begriff „Business Service Expert“ verwendet. Eine daraufhin gestartete Befragung von 17.000 der insgesamt 120.000 Mitarbeiter ergab, dass wesentlich mehr Mitarbeiter im Konzern klassische Finanzaufgaben wahrnehmen. Der Prozentsatz der Finanzkosten im Verhältnis zum Umsatz stieg auf 2,2 % und signalisierte den dringenden Handlungsbedarf zur Optimierung der Finanzfunktion. Das Unternehmen startete in der Folge eine globale SSC-Initiative und ist inzwischen an mehreren Offshoring-Standorten vertreten. Zur Erfassung des Umfangs einer typischen Unterstützungsfunktion erscheint es sinnvoll, die komplette Funktion zu strukturieren und in Kategorien einzuteilen. Eine grundsätzlich bewährte Methode ist die Trennung in transaktionale Aktivitäten, Entscheidungsunterstützung sowie die strategischen Aufgaben der Konzernleitung. Transaktionale Tätigkeiten umschreiben Aktivitäten, die häufig wiederkeh-
rende gleichartige Vorgänge betreffen und mit relativ kurzer Einarbeitungszeit und ohne großes Expertenwissen wahrgenommen werden können. Entscheidungsunterstützung umfasst alle Aktivitäten, die weniger strukturier-
ten und wiederkehrenden Charakter haben und die darauf ausgerichtet sind, Businessentscheidungen zu fundieren. Es sind hierbei wesentlich mehr Expertenwissen und Verständnis für das Geschäft gefordert.
23
Siehe unter der Bezeichnung „Shadow Staff“ auch die Publikation von Booz, Allen & Hamilton, 2003.
42
Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
Die strategischen Aufgaben der Zentrale umfassen Aktivitäten, die im Regel-
fall nur an einer Stelle im Konzern zentral erbracht werden. Diese Aufgaben haben richtungweisende Funktion, oftmals Richtliniencharakter und setzen die Rahmenbedingungen zur Unternehmensführung.
Current Direct & Estimated Shadow F&A Costs as % of Revenues Estimated Shadow Costs Direct Finance Costs
Finance Costs as % of Revenues
3.4%
Q4 2.2%
1.7%
Q3 1.2%
Q2 0.8%
1.3% Q1 Benchmark Quartiles
Client Global
Abbildung 1-12: Die Bedeutung der „Shadow Costs“ (Beispiel) Klassische Unterstützungsfunktionen wie das Finanz- und Rechnungswesen sowie das HR Management können nach dieser Methode, wie in Abbildung 1-13 gezeigt, differenziert werden.24 Die Spalte SSC beschreibt, welcher Prozentsatz des jeweiligen Prozesses in einem SSC-Format angeboten werden könnte. Dies ist stets stark von den jeweiligen Unternehmensspezifika, Prozessstrukturen und der eingesetzten Technologie abhängig. Deshalb haben die angegeben Prozentsätze nur beispielhaften Charakter. Dennoch soll der Trend dargestellt werden, dass die transaktionalen Aktivitäten erwartungsgemäß einen höheren Anteil an SSC-Potenzial ausweisen als die entscheidungsunterstützenden Prozesse. Im Finanzbereich bieten sich die 24
Vgl. Dressler, 2005, S. 90.
Prozessanalyse – Bewertungsansatz der Shared-Services-Potenziale
43
Accounting-Prozesse aufgrund der stetig wiederkehrenden Aktivitäten für die Bündelung in einem SSC an, wie die Verwaltung der Mitarbeiterstammdaten oder der Payroll-Prozess im Rahmen der HR-Funktion. Die klassische Pyramide ist ein hilfreiches Instrument, um sich den Überblick über eine Funktion zu verschaffen und die grundsätzliche Kategorisierung der Prozesse nachzuvollziehen. Obgleich die Bezeichnungen für die Prozesse zumeist nicht standardisiert sind, empfiehlt sich eine Strukturierung entsprechend benchmarkingfähiger Prozessstrukturen. Wie das Beispiel illustriert, wird es in den meisten Fällen nicht angebracht sein, 100 % eines Prozesses in ein SSC zu verlagern. Selbst bei extrem transaktionalen Prozessen wie der Reisekostenabrechnung werden bestimmte strategische Aufgaben wie die Bereitstellung der Reisekostenrichtlinien nicht im Center angesiedelt. Diese Aufgabe verbleibt im Allgemeinen in der Konzernzentrale und wird im Umfeld des CFO wahrgenommen. Die nicht in das SSC transferierten Prozessbestandteile werden die „Retained Services“ genannt. Neben strategischen Richtlinienaufgaben werden häufig geschäftsspezifische Prozessbestandteile zurückgehalten: Im Debitorenbuchhaltungsprozess verbleibt die buchhalterische Betreuung der Großkunden zum Teil im Geschäftsbereich, um eine bessere Koordination mit dem Vertrieb oder Key Account Management sicherstellen zu können.
Example
Corporate Strategic
Decision Support
Transactional Activities Transactional Activities
F&A Processes
SSC
HR Processes
SSC
Business / Financial Risk
5%
HR Policy Guidelines
5%
Treasury
5%
Compensation Policy
5%
Internal Audit
5%
Workforce Planning
10%
Tax
15%
Workforce Intelligence
5%
Planning / Forecasting
10%
Employee Relations Policy
5%
Strategic Planning
5%
Labor Relations
10%
New Business Pricing
25%
HR Reporting
25%
Management Reporting
20%
Performance Management
20%
Performance Analysis
5%
Recruiting
30%
Accounts Payable
95%
Compensation Admin
85%
Accounts Receivable
90%
Workforce Development
80%
External Reporting
75%
Payroll Administration
95%
Expense Reporting
95%
Staffing
90%
Asset Management
95%
Workforce Administration
90%
General Accounting
90%
Employee Data Management
95%
Abbildung 1-13: Kategorisierung der Finanz- und HR-Funktion Baselining und Benchmarking sind die nächsten beiden elementaren Schritte zur Bewertung der SSC-Potenziale. Obgleich der oben skizzierten Herausforderung bei der Erfassung der Shadow-Aktivitäten ist das Herausbilden der Baseline ein
44
Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
unumgänglicher Schritt. Der englische Begriff „Baseline“ umschreibt in diesem Zusammenhang wesentlich besser als jeder deutsche Begriff das Erfordernis, die gesamten Mitarbeiter- und Kostenstrukturen des jeweiligen Prozesses zu erfassen. Dabei gilt es, spezifische Feinheiten zu beachten. Bei der Erfassung der Mitarbeiter ist beispielsweise nicht nur deren Anzahl zu erheben, sondern vor allem die Mitarbeiterkapazitäten (im Englischen zumeist mit dem Begriff FTE = Full Time Equivalent bezeichnet). Zwei Mitarbeiter, die jeweils halbe Stellen besetzen, addieren sich in diesem Sinne zu einem FTE. Darüber hinaus sind die Kostenstrukturen für den Prozess zu spezifizieren. Unterstützungsfunktionen bestehen meist aus Prozessen, die maßgeblich Personalkosten aufweisen. Dazu zählen nicht nur die direkten Personalkosten (z. B. Gehälter) und Personalnebenkosten (z. B. Arbeitgeberanteile zur Kranken- und Rentenversicherung), sondern auch Infrastrukturkosten wie PC-, Büro- und Kommunikationskosten. Zudem sind die Konzernumlagen, z. B. für IT, Facility Management und Konzernleitung, zu berücksichtigen. Obgleich des Schwerpunktes auf den Personalkosten ist nicht zu vergessen, dass einige Prozesse oder Prozessbestandteile bereits durch Drittanbieter zur Verfügung gestellt werden. Ein simples Beispiel ist die vielfach durch Dritte realisierte Rechnungsversendung als Bestandteil des Debitorenbuchhaltungsprozesses. Auch diese Kosten sind zu erfassen und den entsprechenden Prozessen zuzuordnen. Alle diese Besonderheiten sind zu berücksichtigen, damit das Benchmarking tatsächlich im Ergebnis Äpfel mit Äpfeln vergleicht.25 In der Matrix- bzw. Hybridorganisation der meisten größeren Konzerne ergibt sich somit ein Datenerfassungsschema, das einer „Würfelstruktur“ entspricht. Mit dieser Vorgehensweise kann sichergestellt werden, dass eine vollständige Erfassung der funktionsspezifischen Daten erfolgt, wenn auch – wie schon angedeutet – das Problem der Shadow Costs nicht ganz ausgeschaltet werden kann, insbesondere wenn bewusst von den Geschäftsbereichen und dezentralen Einrichtungen keine vollständigen Daten zur Analyse des Funktionsbereichs zur Verfügung gestellt werden. Eine weitere Herausforderung ist die Erfassung von Overhead-Kosten, die in den direkten Kernprozessen wie z. B. in der Fertigung anfallen. Im Ergebnis von Gemeinkostenreduktionsprogrammen werden Kosten für die Unterstützungsprozesse gern „versteckt“.26
25 26
Vgl. Elben/Handschuh, 2004, S. 145. Vgl. a. a. O., S. 155 f.
Prozessanalyse – Bewertungsansatz der Shared-Services-Potenziale
45
Kostenart / FTE
Baseline der Funktionalen Organisation
• • • • • • • •
FTE Gehälter Nebenkosten Bürokosten Reisekosten Kommunikation Drittservices Etc.
Kostenart
Organisation Funktion/Prozesse Funktion / Prozesse HR — (Funktion) Prozesse • Stammdatenverwaltung • Payroll • Etc.
Fokus für externes Benchmarking
Org. Einheit/ Location • • • • •
Konzernzentrale Geschäftsbereich Region Standorte Etc.
Fokus für internes Benchmarking
Abbildung 1-14: Baselining-Dimensionen Die im Rahmen des Baselinings ermittelten Daten werden mit industriespezifischen Benchmarks für die unterschiedlichen Funktionen verglichen. Folgende Benchmarking-Anbieter sind dabei u. a. von Bedeutung: The Hackett Group: Benchmarks für den Finance & Accounting Bereich, z. T. auch HR und Procurement Saratoga: Benchmarks für den HR-Bereich Gartner/Forrester: Benchmarks für den IT-Bereich Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer Benchmarking Anbieter. Zu beachten ist, dass die Untersuchungsgruppe sowohl im Hinblick auf Größenordnungen, als auch auf die relevante Industrie eine ausreichende Verlässlichkeit der Benchmarks bietet. In der detaillierten Analyse der Einzelprozesse haben sich neben den reinen kosten- und kapazitätsbezogenen Merkmalen eine Reihe unterschiedlicher Kriterien herausgebildet. Wurden Prozesse früher häufig mit Hilfe von Matrizen im Hinblick auf „Kern- oder Unterstützungsfunktion“ und „Einführungswiderstände“ klassifiziert, sind die nunmehr verwendeten Methoden wesentlich umfassender und methodisch komplexer. Ein Ansatz, der beispielhaft vorgestellt wird, integriert fünf Einzelkriterien zur Dimension „Stakeholder-Perspektive“ sowie fünf Einzelkriterien zur Dimension „interne Analyse“. Die Stakeholder-Perspektive setzt sich aus den folgenden Elementen zusammen:
46
Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
Komplexität des Prozesses: Je komplexer und schnittstellenreicher ein Pro-
zess ist, umso geringer ist das Potenzial für Shared Services (bzw. desto größer ist der Reengineering-Bedarf). Erforderliches Expertenwissen: Je mehr Experten- oder Insiderwissen erfor-
derlich ist, desto geringer sind die Möglichkeiten der Standardisierung. Prozessqualität: Je besser die aktuelle Qualität bzw. die Anforderung an die
Qualität ist, desto größer ist der Aufwand im SSC, eine hohe Qualität zu erreichen. Prozess als Wettbewerbsfaktor (Competitive Differentiator): Je mehr der Pro-
zess als Wettbewerbsfaktor eingesetzt wird, desto stärker wird die Tendenz sein, den Prozess unter enger Kontrolle und Einflussnahme zu halten. Business Criticality: Je stärker ein Prozess einen Risikofaktor für das Unter-
nehmen darstellt, desto stärker wird die Tendenz sein, diesen Prozess eng zu kontrollieren. Auf der anderen Seite definieren sich die fünf Einzelkriterien der internen Analyse wie folgt: Benchmarking Performance: Dieses Kriterium definiert, welche Kostenvortei-
le durch SSC realisiert werden können. Je höher die aktuellen Prozesskosten sind, desto größer ist das Potenzial. Technology Readiness: Hierbei wird die erforderliche technologische Unter-
stützung eines Prozesses bewertet. Prozesse, die bereits auf standardisierten Systemen laufen, sind erfahrungsgemäß einfacher in ein SSC zu verlagern. Funktionale und prozessuale Readiness: Hierbei wird aus der internen Be-
trachtung beurteilt, inwieweit ein Prozess bereit ist, in ein SSC verlagert zu werden. Dabei werden mitarbeiter- und prozessspezifische Aspekte bewertet. Je stärker Prozesse vereinfacht und von der Wahrnehmung durch ganz spezifische Mitarbeiter entkoppelt sind, desto besser sind diese Prozesse in SSCStrukturen zu verlagern. Schwierigkeiten bei der Implementierung: Dieses Kriterium analysiert die
Kosten, die Zeit sowie den Aufwand zur Überwindung aller potenzieller Widerstände zur Verlagerung des identifizierten Prozesses in ein SSC. Je langwieriger die Umsetzung ist oder je höher beispielsweise der Kommunikationsund Trainingsaufwand ist, umso schwerer fällt die Umsetzung der SSCLösung.
Prozessanalyse – Bewertungsansatz der Shared-Services-Potenziale
47
Verfügbarkeit externer Anbieter: Dieses Kriterium bewertet bereits im Hin-
blick auf eine BPO-Lösung, inwieweit genügend Anbieterkapazität besteht, um den Prozess in der möglichen, weiteren Entwicklung in Form einer BPOLösung anzubieten. Je mehr externe Anbieter Erfahrung im BPO des betroffenen Prozesses nachweisen können, desto positiver stellt sich die SSCUmsetzung dar.
1
Stakeholder Perspective
• Business Criticality • Complexity of Process • Level of Expertise Required
• Shared Service Potential • Current Quality of Service • Competitive Differentiator
Shared Services Prioritization and Decision Matrix High Process A Process B
Process I
Stakeholder Perspective Attractiveness
Process F
Process L
Internal/Market Analysis
Process D
Low Low
2
SSC Candidates
Process H Process E
Baseline Costs
Process C
Internal Screening Criteria
High
• External Market Availability / • Technology Readiness Maturity • Functional and Process • Budget vs. Benchmark Analysis Readiness • Ease of Implementation
Abbildung 1-15: SSC-Prioritisierungs- und Entscheidungsmatrix Das vorgestellte Modell ermöglicht einen differenzierteren Einblick in die jeweilige Prozesslandschaft und die Bewertung der SSC Potenziale. Die nachfolgende Abbildung 1-16 zeigt an einem konkreten Beispiel für die Finanzfunktion, wie die einzelnen Prozesse positioniert worden sind. Wie erwartet, ist ein Großteil der Accounting Prozesse in diesem Modell als typische SSC-Kandidaten identifiziert worden. Die Detailbetrachtung von zwei ausgewählten Prozessen erläutert die Funktionsweise: Obgleich Customer Billing aus Sicht der Stakeholder durchaus als SSC-Kandidat gesehen wird, da z. B. Anforderungen an Expertenwissen oder Business Criticality als extrem gering
48
Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
gesehen werden, bietet sich der Prozess aufgrund eines spezifischen BillingSystems sowie erheblicher Widerstände seitens der Mitarbeiter und betroffenen Geschäftsbereiche nicht unbedingt als eindeutiger Kandidat an. Der Prozess Internal Audit, der an sich relativ wenig SSC-Potenzial besitzt, bietet sich in diesem Unternehmen an, da viele Audits automatisiert worden sind und ohne großes Expertenwissen durchgeführt werden können.
F&A SSC Assessment Matrix
Example High
Expense Reporting
Tax
Stakeholder Perspective Attractiveness
Customer Accounts Billing Accounts Receivable Payable, Credit & Collections Close Reconciliations Internal Billing
External/ Statutory Reporting
Inventory Management, Treasury Mgmt. Reporting
Asset Internal Management Audit
Investor Relations Forecasting & Planning
Business Performance Analysis
Low Low
Internal Screening Criteria
High
Abbildung 1-16: SSC-Entscheidungsmatrix – Beispiel Finanzprozesse
5.
Die praktische Einführung von Shared Services und aktuelle Herausforderungen
Die Identifikation der relevanten Prozesse für eine SSC-Lösung findet im Rahmen einer Feasibility Study statt, die vor Beginn eines eigentlichen SSCProjektes durchgeführt wird. Diese Studie deckt im Wesentlichen die beschriebenen Aktivitäten ab, wie das Baselining & Benchmarking, die Ermittlung der
Die praktische Einführung von Shared Services und aktuelle Herausforderungen49
Shadow Costs, die Bewertung von Technologie- und Prozesslandschaft sowie die Bestimmung der wirtschaftlichen Effekte. Die dargestellte Systematisierung der Prozesslandschaft findet prinzipiell nach Abschluss der Technologie- und Prozessbewertung statt und bildet somit eine wichtige Grundlage für den Business Case. Die Auswahl der zu transferierenden Prozesse sowie der jeweilige Umfang bilden im Vergleich zu den Benchmarking-Ergebnissen die Grundlage zur Bestimmung des wirtschaftlichen Vorteils durch die Implementierung der Shared Services. Auf Basis der Feasibility Study werden schlussendlich Umfang, Zeitplan sowie ggf. auch das dem SSC zugrunde liegende Standortkonzept entschieden. Aufgrund der Komplexität und erheblichen Bedeutung der Feasibility Study wird sie häufig mit externer Unterstützung durchgeführt. Die weiteren Schritte zur erfolgreichen Implementierung und dem Betrieb eines SSC sind: Entwicklung des Detailplans (Blueprint), Transfer und Implementierung sowie der Betrieb des Centers einschließlich der kontinuierlichen Optimierung. Die Entwicklung des Blueprints ist eine wesentliche Verfeinerung des HighLevel Business Cases. Der Blueprint enthält die Prozessdetails, die über das „Process Mapping“ sowie den „Process Carve-Out“ präzisiert werden. Beim Process Mapping werden der künftige Soll-Prozess für das SSC und die Schnittstellen zu angrenzenden Bereichen, z. B. der Konzernzentrale und der serviceempfangenden Geschäftsbereiche, entworfen und grafisch dokumentiert. In der Regel wird das Process Mapping als Grundlage zur Umsetzung der entsprechenden technologischen Unterstützung verwendet. Das Process Carve-Out stellt die analytische Zerlegung der Prozesse dar, bei der bestimmte Prozessanteile dem SSC, andere den Geschäftsbereichen und wieder andere der Konzernzentrale zugeordnet werden. Bei der Analyse des Reisekostenbuchhaltungsprozesses werden beispielsweise die Erstellung und Überwachung der Richtlinie der Konzernzentrale (CFO und Audit) zugeordnet. Die Erfassung und Buchung der Belege sowie die Rückerstattung an die Mitarbeiter erfolgen durch das SSC, und die Freigabe bestimmter Kosten bzw. Überwachung bestimmter Betragsgrenzen erfolgen durch den Geschäftsbereich. Erst wenn jeder Prozess präzise analysiert, dokumentiert und nach Zuständigkeiten aufgeteilt worden ist, kann die nächste Phase, Transfer und Implementierung, beginnen. Eine weitere Aufgabe, die im Zuge des Blueprinting zu erfüllen ist, betrifft die Ermittlung der Anzahl der Mitarbeiterfreisetzungen, Verlagerung in das SSC oder der anderweitigen Verwendung im Konzern. Erforderliche Maßnahmen wie die Auszahlung von Abfindungen, Umzugskostenvergütungen sowie alle organisatorischen Maßnahmen zur Mitarbeiterverlagerung sind ebenso vorzubereiten wie etwaige Expatriatverträge. Weiterhin gilt es, die im Business Case vorgeschlagene Standortlösung zu verifizieren und die erforderlichen Maßnahmen vor Ort, wie z. B. die Bereitstellung der Büroräume oder Anwerbung neuer Mitarbeiter, einzuleiten.
50
Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
Phase 1
Phase 2
Shadow Organization Assessment
Baseline & Benchmarking
• •
Develop Data Request Collect Data Run Benchmark Analysis
•
• •
Develop Assessment Approach Conduct Sample Analysis Conduct Interviews
Phase 4
Business Transition and Implementation
Designing the Blueprint
Feasibility Study
•
Phase 3
Operating the Center and optimizing
Technology Assessment
•
• •
Survey Technology Landscape Assess Business Requirements Develop SSC Technology vision
Process Assessment
• • • •
Survey Process Landscape Map sub-processes to SSC scope Preliminary resource and process triage Determine language and quality requirements
High-Level Business Case
•
•
Determine preliminary cost savings and service improvements Outline Business Case
Abbildung 1-17: Ansatz zur Einführung von Shared Services In der Transfer- und Implementierungsphase werden die genannten Maßnahmen umgesetzt. Der Mitarbeitertransfer und Einzug in die neuen Örtlichkeiten finden ebenso statt wie das Anlernen der neuen Belegschaft. Auch die entsprechenden Prozesse werden nun transferiert. Zur Realisierung des Transfers werden grundsätzlich zwei unterschiedliche Methoden eingesetzt: Parallel- oder Shadowbetrieb
Nicht zu verwechseln mit den Shadow Costs ist der so genannte ShadowBetrieb als Transfermethode von Prozessen in ein SSC. Hierbei werden die ausgewählten Prozesse über bestimmte Zeiträume im Parallelbetrieb an den bisherigen Standorten wie auch zeitgleich im SSC durchgeführt. In der Praxis reist meist das Schlüsselpersonal des neuen Centers zu den bisherigen (häufig dezentralen) Standorten, um den entsprechenden Prozess kennen zu lernen und im Live-Betrieb verfolgen zu können. Bei Finanzprozessen wird normalerweise ein kompletter Monatsabschluss durch das Schlüsselpersonal des künftigen Finance SSC vor Ort durchgeführt. Im Folgemonat reist das bisher dezentrale Personal in das neue SSC, um dort im Übungsbetrieb den Monatsabschluss nachvollziehen zu können, der im Live-Betrieb noch dezentralisiert umgesetzt wird. Im dritten Monat erfolgt der Transfer des Live-Betriebs in
Organisation und Bestimmung einer effektiven Governance-Struktur
51
das SSC. Der Parallel- oder Shadowbetrieb hat sich als Standardmethode für den Prozesstransfer in SSC durchgesetzt. Die Methode ist allerdings aus HRGesichtspunkten nicht immer einfach zu handhaben. Der Umsetzungserfolg basiert im Wesentlichen auf der Kooperationsbereitschaft von ggf. in Kürze freigesetztem Personal der dezentralen Einrichtungen. Pilotbetrieb
Weniger risikoreich ist der so genannte Pilotbetrieb. Bei diesem Ansatz erfolgt zunächst die Verlagerung kleinerer Prozessbestandteile in das Center, oder ein vollständiger Prozess wird nur für einen sehr begrenzten Anwendungsbereich in das Center verlagert. Um beim Beispiel des Reisekostenbuchhaltungsprozesses zu bleiben, kann dies bedeuten, dass zunächst nur die Bearbeitung der Reisekosten für eine Vertriebsniederlassung durch das Center erfolgt. Im nächsten Schritt werden alle Vertriebsniederlassungen einer Region übernommen. Kleinere Prozessfehler, unzureichende IT-Unterstützung sowie Abstimmungsprobleme werden identifiziert und abgestellt. In weiteren Teilschritten übernimmt das Center schließlich die Reisekostenabrechnungen des gesamten Konzerns. Die abschließende Phase setzt sich mit dem Betrieb sowie der kontinuierlichen Optimierung des Centers auseinander. Der Grundgedanke des Shared-ServicesKonzepts ist es, eine wettbewerbliche Alternative zur BPOLösung im Hinblick auf Kosten, Zeit und Qualität zu bieten. Viele BPO Anbieter weisen eine Reihe von Zertifizierungen sowie fortschrittliche Managementtechniken, wie z. B. Six Sigma oder Lean Management, vor. Daran wird deutlich, dass auch interne SSC aufgefordert sind, permanent nach Möglichkeiten zu suchen, den Betrieb und somit den angebotenen Service effizienter zu gestalten. Die kontinuierliche Optimierung ist zu einer Grundvoraussetzung des SSC-Betriebs geworden.
6.
Organisation und Bestimmung einer effektiven Governance-Struktur
Bevor die konkrete Umsetzung des SSC erfolgen kann, sind einige grundsätzliche, strategische Fragen zu thematisieren und grundlegend zu lösen. Bislang haben bei der organisatorischen Verankerung der Shared Services im Wesentlichen drei Modelle eine Rolle gespielt:27
27
Vgl. Dressler, 2004, S. 128 ff.
52
Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
Funktionales SSC
Das funktionale SSC-Modell deckt lediglich die Prozesse einer spezifischen Funktion (z. B. Finanzen, HR, Einkauf) ab und berichtet i. d. R direkt an den funktional Verantwortlichen, z. B. den CFO im Falle eines Finance SSC. Prinzipiell entspricht es somit der SSC-Definition. Praktisch ist es oft lediglich eine Erweiterung der bestehenden Funktionen, die konzernweit alle relevanten Aktivitäten konsolidiert und mit einer effizienten und kundenorientierten Servicementalität zur Verfügung stellt. Viele SSC werden als funktionale Modelle geführt, wie die empirischen Ergebnisse gezeigt haben. Die Struktur der „Kostenstelle“ ist in der Praxis nach wie vor am häufigsten anzutreffen. Unabhängiges Multifunktions-SSC
Das Multifunktions-SSC unterscheidet sich vom funktionalen Center dahingehend, dass es mehrere Funktionsbereiche vereinigt. Das heißt, Unterstützungsfunktionen wie Finanzen, HR, Einkauf, Customer Support werden aus einem Center für die unterschiedlichen vornehmlich internen Klienten angeboten. Dabei steht das Center unter einer einheitlichen Leitung und sollte die eigenen Kosten sowie internen Umsätze verantworten. Das MultifunktionsSSC wird im Regelfall mit Service Level Agreements arbeiten und wettbewerblich orientierte Leistungen anbieten. Stand Alone SSC
Die am weitesten entwickelte Form eines SSC ist das Stand Alone Center. Es handelt sich um eine rechtlich selbständige Tochtergesellschaft. Das Stand Alone Center ist folglich für das eigene Ergebnis verantwortlich. Der wesentliche Unterschied zum Multifunktions-SSC liegt in den zusätzlich für Dritte angebotenen Servicedienstleistungen. Neben der Dienstleistungsfunktion für die konzerninternen Kunden ist diese Form eines SSC explizit aufgefordert, externe Umsätze zu generieren und sich als BPO Provider zu positionieren. Der indische BPO-Anbieter Genpact ist ein Beispiel für diesen Evolutionsprozess. Aus dem ehemaligen GE Shared Service Center hat sich über die Jahre hinweg ein unabhängiger Multifunktions-BPO-Anbieter entwickelt. Die Frage, wie ein SSC positioniert und ggf. weiter entwickelt werden soll, spielt eine entscheidende Rolle, sobald eine SSC-Lösung im Unternehmen angestrebt wird. Mit SSC unerfahrene Unternehmen werden grundsätzlich mit einem funktionalen Ansatz starten wollen. Aber auch in diesem Fall ist im Hinblick auf eine effektive Governance bereits an dieser Stelle die organisatorische Verankerung im Konzern bewusst vorzunehmen. Die einfache Logik, dass ein Finance SSC an den CFO und ein HR SSC an den Chief HR Officer (CHRO) berichtet,
Organisation und Bestimmung einer effektiven Governance-Struktur
53
drängt sich zwar auf, im Hinblick auf den effizienten Betrieb von mehreren parallel laufenden funktionalen SSC ergeben sich jedoch Einschränkungen. Abbildung 1-18 symbolisiert die Komplexität, die beim Betrieb unterschiedlicher Center in der Matrix-, Hybrid- oder Tensororganisation entstehen kann.
CMO
COO
CFO
CHRO
CIO
CPO
Division 1
Region 1
Division 2
Region 2
Division n
Region n
SSC F&A
SSC HR
SSC IT
SSC Procurement
Abbildung 1-18: Komplexität der organisatorischen Verankerung von SSC im multi-dimensionalen Konzern Soweit im dargestellten Modell die funktionalen SSC an den jeweils verantwortlichen Funktionsbereich berichten, ergibt sich für die Divisions- bzw. Regionalleiter die Aufgabe, mit vier unterschiedlichen Ansprechpartnern SLAs zu verhandeln und Dienstleistungen zu managen. Hierbei können unterschiedliche Prozess- und Servicemodelle im Hinblick auf Kosten, Qualität und Technologien angetroffen werden. Abbildung 1-19 stellt dies am Beispiel von drei unterschiedlichen funktionalen SSC dar. Der wesentliche Vorteil ist eine qualitativ bessere Führung aufgrund der Funktionsausrichtung. Kein anderer als der CFO wird wahrscheinlich besser in der Lage sein, ein Finance & Accounting SSC inhaltlich und qualitativ zu führen. Aber er wird sein Bestreben in erster Linie darauf ausrichten, nur die F&AFunktion zu optimieren. Die Entscheidungen im Hinblick auf Technologieeinsatz, Prozessstruktur und Standort des SSC können grundlegend anders getroffen werden, als dies der Funktionsbereichsleiter für HR oder der Einkauf in einem Konzern entschieden hätten. Die Folge sind wenig genutzte Synergiepotenziale, Schnittstellenprobleme und Koordinationsmängel zwischen den Service Centern. Für die leistungsempfangende Division ist diese Konstellation mitunter schwierig
54
Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
aufgrund der nicht standardisierten Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Centern. Im Extremfall müssen die Divisionen unterschiedliche ERP-Systeme vorhalten, weil keine einheitliche SSC-Strategie verfolgt wird.
CMO
Division 1 Division 2 Division n
Service Delivery
COO
CIO
CFO
CHRO
CPO
Pro’s • High Expertise through functional leader involvement • Most efficient solution by function Con’s • Limited cross-functional synergies • Multiple points of contacts for Divisions
Operational Control Policy & Procedures & Best Practices
SSC Finance & Accounting SSC HR SSC Procurement
Abbildung 1-19: SSC-Governance – Management durch den Funktionsbereich Die Einrichtung einer zentral koordinierenden Funktion für alle SSC-Aktivitäten könnte an dieser Stelle Abhilfe schaffen. In diesem Fall wird das Idealmodell der Multifunktions- oder auch Stand-Alone-Lösung gleichfalls organisatorisch umgesetzt. Es wird eine zentrale Leitungsfunktion eingerichtet, in der alle Berichtslinien aus den SSC zusammenführen. Die zentrale Voraussetzung ist eine präzise Abgrenzung der SSC-Aufgaben von Aufgaben auf Konzernleitungsebene im Hinblick auf den entsprechenden Prozess. Im Regelfall wird einem unabhängigen SSC-Leiter in diesem Modell lediglich die Verantwortung für die eindeutigen transaktionalen Tätigkeiten überlassen, um negative Effekte durch geringeres funktionsspezifisches Expertenwissen zu vermeiden. Der in der Darstellung als „Consulting“ charakterisierten Aktivität kommt besondere Bedeutung zu: Ohne Unterstützung und Kooperation mit den Funktionen ist das Modell sehr risikoreich und kann leicht fehlschlagen. Darüber hinaus bedeutet dieses Modell eine implizite „Entmachtung“ der funktional verantwortlichen Führungskräfte, weshalb häufig massiver Widerstand entgegengebracht wird. Trotz der skizzierten Herausforderungen, bietet das Modell methodisch eine sinnvolle organisatorische Struktur. Alle Funktionen können aus einer Centerstruktur auf Basis harmonisierter Technologien, Prozesse sowie idealerweise in einem integrierten Standortkonzept erbracht werden. Für die Geschäfts-
Organisation und Bestimmung einer effektiven Governance-Struktur
55
bereiche ist die Zusammenarbeit mit nur einem Center für alle wesentlichen Unterstützungsleistungen einfacher, weniger zeitaufwändig und eindeutiger. Solange die Herausforderungen der Machtkonstellation auf Konzernebene gemeistert werden können, ist dieses Modell sehr effektiv.
CMO
COO
CIO
Division 1
Pro’s • Single point of contact • Synergies
Division 2
Con’s • Limited expertise • Less power for functional leaders (change management) • Co-ordination between decisionsupport and transactional activities
Division n
Service Delivery
CFO
CHRO
CPO
SSC Head
Consulting
Operational Control Policy & Procedures & Best Practices
Finance & Accounting HR Procurement Transactional Centers
Abbildung 1-20: SSC-Governance – Shared Services als konzernweite Leitungsfunktion Eine mögliche Weiterentwicklung wäre die Auslagerung des SSC an einen BPOAnbieter. Der SSC-Leiter auf Konzernebene würde mehr oder weniger überflüssig werden bzw. die Position auf das Management der Lieferantenbeziehung reduziert werden. Der so genannte „Big Bang“, d. h. die Zusammenarbeit mit nur einem BPO-Anbieter für alle Unterstützungsfunktionen, hat sich als Modell nicht durchgesetzt.28 Ein zentraler Meilenstein dabei war die Entscheidung von Procter & Gamble im Jahr 2002, die eigenen Global Business Services nicht an einen einzelnen Anbieter zu vergeben. Procter & Gamble verfügte im Jahr 2002 über eine der wahrscheinlich besten konzernweiten SSC-Lösungen mit einem Offshoring Konzept, das Standorte in Costa Rica (für die Region Americas), Newcastle (für die Region Europa) sowie Manila (für die Region AsiaPac) beinhaltete. Das Unternehmen verwarf den damaligen Plan, die gesamten Global Business Services nach einer entsprechenden Ausschreibung an einen BPOAnbieter auszulagern. Anstelle dessen wurden einzelne Funktionsbereiche 28
Vgl. IDC, 22.8.2005.
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Shared Services – keine neue Idee, aber weit mehr als nur ein Trend
sukzessive an spezifische BPO Anbieter vergeben. Diese richtungweisende Entscheidung hat dazu geführt, dass sich das BPO Geschäft auf funktionsspezifische Einzelauslagerungen konzentriert hat. In Abbildung 1-21 findet sich eine Idealausprägung zur Governance einer an unterschiedliche Anbieter ausgelagerten SSC-Struktur. Um zumindest eine zentralisierte Koordination sicherstellen zu können, empfiehlt sich die Aufrechterhaltung einer zentralen SSC-Leitungsfunktion auf Konzernebene. Diese übernimmt das Lieferantenmanagement und wird durch die entsprechenden Funktionsbereiche unterstützt.
CMO
Division 1 Division 2 Division n
Service Delivery
COO
CIO
CFO
Pro’s • Most effective Solution by Function • Limited Risks and Dependencies – no Large-scale Outsourcing • Centralized Coordination Con’s • Limited Synergies • Multiple points of contact for Vendor Management • Different Offshore Solutions
Finance & Accounting HR Procurement
CHRO
CPO
SSC Head
Consulting & Support
Vendor Management
BPO F&A BPO HR BPO Proc.
Transactional Centers
Abbildung 1-21: SSC-Governance – zentrale Koordination der BPO Anbieter Somit werden die Vorteile spezifischer BPO-Lösungen mit den Vorteilen einer zentral gesteuerten SSC-Struktur kombiniert. Die Geschäftsbereiche verhandeln mit bzw. über die zentrale SSC-Leistung die entsprechenden SLAs, müssen aber damit rechnen, dass Prozesse, Technologie und Standorte der verschiedenen BPO-Lösungen nicht harmonisiert sind. Das zentrale BPO Vendor Management, das idealerweise durch den Konzerverantwortlichen für SSC wahrgenommen werden sollte, stellt sicher, dass die Service Levels vergleichbar sind, BPODienstleister mit vergleichbaren Performance Tools bewertet werden und die Governance Tools zur Ausgestaltung der Zusammenarbeit weitgehend vergleichbar sind. Das BPO Vendor Management wird zur zentralen Schnittstelle zwischen den externen Dienstleistern und den Geschäftsbereichen und vermindert Doppelarbeiten und eine unabgestimmte Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Providern. Procter & Gamble ist schließlich diesem Modell gefolgt, und in
Organisation und Bestimmung einer effektiven Governance-Struktur
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der Folge haben viele nordamerikanische Konzerne mit umfassender SSCErfahrung ähnliche Konzepte umgesetzt. Für die meisten europäischen Konzerne ist ein zentrales BPO Vendor Management zumeist noch Zukunftsmusik.
BPO Vendor Management SSC Head
BPO Provider F&A Service Management
Performance Management
Governance Tools
BPO Provider HR BPO Provider Procurement
Abbildung 1-22: BPO Vendor Management zur Koordination der Service Provider Die Anforderungen an das BPO Vendor Management steigen in dieser Konstellation erheblich. Corbett fordert in diesem Zusammenhang die besondere Ausbildung von Outsourcing Professionals, deren Aufgabengebiet exakt auf die Bedürfnisse der Koordination unterschiedlicher Service Provider zugeschnitten ist.29
29
Vgl. Corbett, 2005, S. 5.
Die Entstehung des Business Process Outsourcing
59
BPO – die logische Weiterentwicklung des Shared-Services-Gedankens
1.
Die Entstehung des Business Process Outsourcing
Im Zentrum des BPO steht die elementare „Make or buy“-Entscheidung. Zur Definition des Business Process Outsourcing ist es erforderlich, sich mit der Entwicklung der vertikalen Wertschöpfungstiefe auseinander zu setzen. Zwar hat diese nur mittelbaren Bezug zu den indirekten administrativen Funktionen, die im Fokus des BPO stehen. Die über die vergangenen 50 Jahre drastisch abnehmende Fertigungstiefe signalisiert eine immer stärkere Akzeptanz des Outsourcing elementarer Wertschöpfungsstufen. In diesem Zuge wird häufig von der dritten Revolution der Wertschöpfung gesprochen.30 Demnach haben Taylor und Ford die erste Welle mit dem Schritt zur Fließfertigung eingeführt. Die Reduktion der Fertigungstiefe im produzierenden Bereich, in den 70er und 80er Jahren, symbolisiert die zweite Welle. Die Übertragung der Erkenntnisse zur Reduzierung der Fertigungstiefe im Produktionsbereich auf die internen Unterstützungsprozesse wird als dritte Revolution der Wertschöpfung bezeichnet. Die Automobilproduktion stellt ein geeignetes Beispiel dar, da diese Industrie vielfach als Vorreiter für das Outsourcing durch die Reduktion der Fertigungstiefe gesehen wird.31 In den Wirkungszeiten von Henry Ford und Alfred P. Sloan war es durchaus üblich, Fahrzeuge in funktionaler Arbeitsteilung und auf Basis getakteter Fließfertigung zu produzieren. Dabei wurden die wesentlichen Komponenten, wie z. B. Fahrwerk, Motor, Getriebe, Achsen, Chassis, Bremssystem usw. generell durch den Automobilproduzenten selbst entwickelt und erstellt. Lediglich Reifen und Kleinteile wie Schrauben und Nieten, Schmiermittel sowie Farben und Lacke wurden extern bezogen. Diese Produktionsstrategie hatte auch
30 31
Vgl. Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V., Dezember 2004. Vgl. Wullenkord/Kiefer/Sure, 2005, S. 7.
60
BPO – die logische Weiterentwicklung des Shared-Services-Gedankens
nach dem 2. Weltkrieg bis in die 70er Jahre weiter Bestand. Basierend auf der grundlegenden Annahme, dass sich in der Technologie und Qualität der einzelnen Komponenten das wesentliche Know-how verbirgt, war die Verlagerung der Herstellung – oder sogar der Entwicklung – dieser Komponenten an Zulieferer zu diesem Zeitpunkt nahezu undenkbar. Die Fertigungstiefe bewegte sich folglich bis in die 70er Jahre in manchen Fällen um die 70 bis 80 %, was bedeutet, dass bis zu 80 % der erforderlichen Bearbeitungsschritte inhouse durchgeführt wurden. Motorblöcke wurden selbst gegossen, Gewinderäder gefräst sowie Türen oder Polster angefertigt. Dieses Bild hat sich in den 80er und 90er Jahren drastisch verändert. Für den assemblierenden Automobilkonzern erwies sich die Montage von ca. 13.000 Einzelteilen im Produktionsprozess eines Fahrzeugs als wenig effizient. Nicht zuletzt aufgrund der massiv in die nordamerikanischen und europäischen Märkte eindringenden kostengünstigen Konkurrenz aus Japan sahen sich die Automobilkonzerne in den USA und Europa gezwungen, ihren Wertschöpfungsprozess neu zu definieren und die Fertigungsprozesse schlanker zu gestalten. Die strategische Analyse des Wertschöpfungsprozesses bedeutet, dass jede Stufe kritisch auf ihren Wertbeitrag untersucht und der jeweilige „Competitive Differentiator“ identifiziert wird. Im Ergebnis werden bestimmte Fertigungsstufen gezielt an einen externen Anbieter abgegeben, entweder weil dessen Fähigkeiten besser sind als die internen oder weil Fertigungsstufen nicht als kritisch eingestuft bzw. vom Markt als spezifische Eigenschaft wahrgenommen werden. Folglich ist die Fertigung von Komponenten wie Motor, Antriebs- oder Bremssysteme, Getriebe oder Innenausstattung heute bei vielen Automobilkonzernen (im Folgenden auch als OEM = Original Equipment Manufacturer bezeichnet) an Zulieferer ausgelagert. In einigen Extremfällen haben OEMs die Produktion von Fahrzeugen vollständig in die Hände externer Partner gelegt. Der Kleinwagen Smart, der im französischen Hambach gefertigt wird, hat eine Fertigungstiefe von unter 10 %, d. h., die in Hambach stattfindende Assemblierung der vorgefertigten Komponenten trägt weniger als 10 % zur gesamten Wertschöpfung bei. Porsche ist noch einen Schritt weiter gegangen und hat sogar die End-Assemblierung der Modelle Boxter und Cayman an das finnische Unternehmen Valmet ausgelagert. Porsche orchestriert ein komplexes Netzwerk von Zulieferern und seinem abschließenden Assemblierer, ist aber selbst produktionsseitig bis auf die Fertigung des Motors nicht mehr eingebunden.
Die Entstehung des Business Process Outsourcing
61
Proportion of Value Chain (%)
100%
OEM
42%
Tier 1 Supplier
58%
1990
100%
35%
65%
2000
100%
25%
75%
2010
Abbildung 2-1: Verlagerung von Wertschöpfungsaktivitäten an Zulieferer (Automobilindustrie)
90% 80%
Fertigungstiefe OEM
70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Ford T-Model (1920)
Ford Thunderbird (1960)
Ford Fiesta (1990)
Smart (DC) (2000)
Porsche Boxter (2005)
Abbildung 2-2: Entwicklung der Fertigungstiefe in der Automobilindustrie (Beispiele)
62
BPO – die logische Weiterentwicklung des Shared-Services-Gedankens
Das Verhalten von Porsche mag leichtfertig anmuten, insbesondere bei diesen hochtechnologischen Produkten den Produktionsprozess aus der Hand zu geben. Es ist jedoch zu beachten, dass Porsche die wesentlichen Kernaufgaben weiterhin im Haus behält. Die strategische Produktpolitik, das Marketing inklusive Pflege des Markennamens, die Forschung & Entwicklung sowie das Design bleiben ebenso unter direkter Kontrolle von Porsche wie die Zusammensetzung der gesamten Supply Chain inklusive Lieferantenauswahl und Qualitätssicherung. Um die Abhängigkeit von seinem End-Assemblierer zu reduzieren, stellt das Unternehmen überdies sicher, dass die technologischen Fähigkeiten zur Endmontage im Hause Porsche vorhanden bleiben. So stellt Porsche pro Monat zwei Boxter quasi in Handarbeit in der Fertigungsstätte in Leipzig her. Das verbleibende Restrisiko ist für Porsche relativ gering. Abgesehen von potenziellen, negativen Imageeffekten und korrespondierenden Marktreaktionen stellt die Porsche AG sicher, dass der Wert der Marke Porsche im Haus bleibt. Im Extremfall können Netzwerkpartner inklusive des Assemblierers Valmet ausgetauscht werden und die Endmontage im Rahmen eines Insourcing wieder übernommen werden. Porsche ist somit ein innovatives und zukunftsfähiges Managementmodell gelungen: Konzentration auf die Kernaufgaben durch intelligentes Outsourcing unter Koordination eines globalen Lieferantennetzwerkes. Das Unternehmen kann sich gezielt auf Produktentwicklung und -positionierung, Marketing und Adressierung der Zielkundensegmente sowie Vertrieb und Kundenmanagement fokussieren, ohne von den täglichen operativen Problemen rund um die Produktion abgelenkt zu werden. Die Praxis der Eliminierung der Fertigungstiefe auf OEM-Seite ist wahrlich nichts Neues und wird seit über 30 Jahren erfolgreich im Konsumgüter- und Nahrungsmittelbereich umgesetzt. Die Sportartikelhersteller Nike und Reebok sind bekannt für ihre Konzentration auf Produktstrategie, Marketing, Design und Kundenfokus. Die Herstellung der Sportschuhe findet durch (vornehmlich asiatische) Lieferanten statt, die von durch Nike oder Reebok ausgewählten Teilelieferanten direkt beliefert werden. Mit Dell hat sich erstmals ein Unternehmen aus der Computerindustrie diese Fertigungsstrategie zunutze gemacht. Die Beispiele untermauern die These, dass die vorhandenen Modelle der Trennung in Kern- und Unterstützungsprozesse zur Identifikation von OutsourcingPotenzialen nicht mehr ausreichen. Hat man in der Vergangenheit auf Basis des Modells von Michael Porter die Klassifizierung outsourcingfähiger und nichtoutsourcingfähiger Prozesse vorgenommen, so zeigen Unternehmen wie Porsche, dass dieses Modell erweitert werden muss.
Die Entstehung des Business Process Outsourcing
63
Der klassische Aufgabenbereich der externen Dienstleistung beschränkte sich in der Vergangenheit auf den Bereich der unterstützenden Prozesse. Alles, was als Kernprozess verstanden wurde, galt als unantastbar und Ursprung des wettbewerblichen Erfolges.
Unterstützende Prozesse Strategisches Management Forschung & Entwicklung Personalwirtschaft (HR) Finanz- und Rechnungswesen Informationstechnologie Sonstige Verwaltungsfunktionen
Zulieferer
Einkauf
Inbound Logistik
Operations
Outbound Logistik
Vertrieb & Marketing
Kunden
Kernprozesse
Quelle: In Anlehnung an Porter, Michael32 Abbildung 2-3: Trennung in Kern- und unterstützende Prozesse Gemäß dem oben dargestellten Modell standen in den 50er bis 80er Jahren vom Prinzip her lediglich die allgemeinen Verwaltungsfunktionen sowie die bereits erwähnten IT-Dienstleistungen im Fokus des Outsourcings. Solche typischen Vewaltungsdienstleistungen sind z. B.: Gebäudereinigung Sicherheits- und Wachdienst Facility Management Catering und Kantinenversorgung
Zwar finden sich auch heute noch vereinzelt Unternehmen, die ihr eigenes Reinigungspersonal bzw. eigenen Kantinenbetrieb unterhalten, doch dürften dies die Ausnahmen sein. Der Anbietermarkt hat sich stark entwickelt, und Full-ServiceCatering-Dienstleister bieten nicht nur den Betrieb der Kantine, sondern bewirtschaften auch Getränkeautomaten und Kioske und richten Firmenjubiläen aus.
32
Vgl. Porter, 1998.
64
BPO – die logische Weiterentwicklung des Shared-Services-Gedankens
Diese Dienstleistungen als Business-Prozesse zu bezeichnen, wäre zu weit gegriffen (obgleich dies vielfach gern getan wird), da diese Aktivitäten zum Geschäft des Unternehmens in der Tat nur ein mittelbares Verhältnis haben. Zudem können diese Aktivitäten eindeutig von den üblichen unternehmerischen Prozessen getrennt werden und als „Servicepakete“ isoliert vom regulären Geschäft durchgeführt werden. Bedingt durch die Eigenschaften der guten Abgrenzbarkeit und einen entwickelten Anbietermarkt gibt es heute kaum noch Unternehmen, die solche klassischen Verwaltungsaufgaben selbst durchführen. Das Spektrum der Outsourcing-Möglichkeiten hat sich seit den 60er Jahren durch die Verlagerung von ganzen Fertigungsstufen und das Prinzip der Komponentenfertigung im Bereich der Kernprozesse sukzessive entwickelt. Unternehmen wie DaimlerChrysler, Dell und Porsche sind Vorreiter und beweisen, dass die eigentliche Fertigung nicht mehr zu den Unternehmensaufgaben gehören muss, solange die wertschaffenden Prozesse durch das Unternehmen selbst kontrolliert werden und ein rigides Governance-Modell zur Steuerung des Netzwerkes eingesetzt wird. Im Verlauf dieser Entwicklung sind ganze Logistikprozesse an externe Dritte abgetreten worden. Die Inbound-Logistik bezieht sich auf die Lieferung und Lagerung von Rohstoffen, Eingangsmaterialien sowie Komponenten, die in den Fertigungsprozess einfließen. Die Outbound-Logistik stellt die Belieferung der Ausgangs- und Distributionsläger mit den entsprechenden Fertigprodukten sicher, ebenso dass die Endprodukte den Kunden bzw. den Einzeloder Großhändler zum weiteren Vertrieb erreichen. Obgleich grundsätzlich vollständig durch externe Dritte umsetzbar, ist die Logistik dennoch ein i. d. R. nur teilweise outgesourcter Prozess. Mit dem Aspekt des BPO erweitern sich die Outsourcing-Möglichkeiten. Als Wegbereiter des Business Process Outsourcing-Gedankens kann die amerikanische Firma ADP (Automatic Data Processing) gelten. Modifikationen in der Steuergesetzgebung der USA waren ein Faktor, der ADP zur Entwicklung einer der ersten BPO-Lösungen im Jahr 1949 veranlasste: Seit 1949 behält das US Government die Einkommenssteuer direkt bei der Lohnzahlung ein, um seine Schulden schneller tilgen zu können. Bis zu diesem Jahr wurden die Steuerschulden im Nachhinein ermittelt und flossen somit dem Staat erst im folgenden Jahr zu. Die korrekte Vorausberechnung verkomplizierte die bis dato recht einfache cashbasierte Payroll-Funktion und wurde für die Unternehmen zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand. ADP spezialisierte sich auf die korrekte Payroll-Berechnung unter Berücksichtigung des Steuerabzuges und bot diesen Service Unternehmen an. Somit entstand vor über 50 Jahren die erste BPO-Lösung.33
33
Dominguez, 2006, S. 5.
Die Entstehung des Business Process Outsourcing
65
In anderen Unterstützungsfunktionen hat sich BPO langsamer entwickelt. Aufgrund der Komplexität auf der einen, aber auch des transaktionalen Charakters auf der anderen Seite ist der Payroll-Prozess ein Prozess, der im klein- und mittelständischen Bereich auch in Europa schon immer gern an einen externen Dienstleister, zumeist den Steuerberater oder ein Buchhaltungsbüro, abgetreten worden ist. Ähnlich wie bei den Verwaltungsfunktionen, können der Lohn- und Gehaltsbuchhaltungsprozess und die Finanzbuchhaltung gut von den üblichen Prozessen getrennt und in einem Servicepaket ausgelagert werden. In Großunternehmen waren sowohl Payroll, als auch Finanzbuchhaltung bis in die 90er Jahre hinein vorwiegend intern erbrachte Dienstleistungen, die durch eigens eingerichtete Abteilungen wahrgenommen werden. Es zeigt sich erst seit Mitte der 90er Jahre in Nordamerika und Großbritannien und ca. dem Jahr 2000 im kontinentalen Europa ein verstärkter Trend zu BPO-Lösungen. Besonders das Aufkommen globaler Servicedienstleister hat den Finance & Accounting (F&A) sowie HR-BPO Markt stark wachsen lassen. Große Beratungs-, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sowie IT-Outsourcing Dienstleister haben F&A und HR als Erweiterungen der bisherigen Leistungsportfolios aufgegriffen und sich im Markt etabliert. Unternehmen wie z. B. Accenture, IBM Global Services, Capgemini, Hewitt und EDS, um nur einige Namen zu nennen, haben diesen Markt stark geprägt. Zudem haben einige klassische indische IT-Offshoring-Anbieter wie Infosys, Wipro oder iGate das Leistungsangebot über IT-Dienstleistungen hinaus auf HR und F&A ausgebaut und treten nun gezielt als globale BPOAnbieter auf. Das Beispiel Genpact als ein Unternehmen, das aus einem ehemaligen SSC-Umfeld zu einem leistungsfähigen F&A-BPO-Anbieter gewachsen ist, wurde bereits skizziert. Einen ähnlichen Entwicklungsprozess hat der indische Provider WNS durchlaufen. Zwei weitere Prozesse gilt es zu analysieren, die häufig sowohl als Unterstützungs- als auch als Kernprozesse klassifiziert werden: der transaktionale Einkauf (Bestellausführung) sowie die Vertriebsunterstützung. Die Einkaufsfunktion als solche ist ein Kernprozess, da sie unmittelbar an den operativen Fertigungsprozess gekoppelt ist. Im produzierenden Unternehmen funktionieren die Fertigungsprozesse nicht ohne eine gut koordinierte Einkaufsfunktion. Die Beschaffung des direkten Materials für die Produktion ist ebenso ein Kernprozess wie die Fertigung selbst. Auch die Einkaufsfunktion kann in spezifische Teilprozesse zerlegt werden. Im Rahmen des strategischen Einkaufs werden bevorzugte Lieferanten ausgewählt, Einkaufskonditionen verhandelt sowie das Lieferantenmanagement betrieben. Dieser Bestandteil des Einkaufsprozesses sollte aufgrund des strategischen Charakters unter Kontrolle des Unternehmens bleiben. Die Ausführung der Bestellungen, Überwachung der ordnungsgemäßen Lieferung sowie Bezahlung der Lieferanten stellen eine Unterstützungsfunktion dar, die
66
BPO – die logische Weiterentwicklung des Shared-Services-Gedankens
ggf. von einem Outsourcing-Anbieter gestellt wird. Die Beschaffung indirekter Materialen, wie Büromaterial oder Kurierservices hat ebenso unterstützenden Charakter und kann einem externen Anbieter überlassen werden. Die outsourcing-fähigen Einkaufsprozesse sind in der nachfolgenden Abbildung 2-4 als Einkauf – Transaktional bezeichnet. Sie stellen die unterstützenden Aufgaben in der Beschaffung direkter und indirekter Materialien dar. Die Vertriebsunterstützung setzt sich ebenso aus einer Reihe unterschiedlicher Teilprozesse zusammen, wie z. B. die Pflege der Kundenkontaktdatenbanken oder die Vorbereitung von Kundenmeetings. Darüber hinaus sind etwaige CallCenter-Dienste als Unterstützungsfunktionen einzustufen. Im Outboundbereich können dies z. B. Kundenkontakte zur Vereinbarung von Terminen sein und im Inbound-Bereich jegliche Form von Kundenanfragen, von der Rechnungsanfrage über Service und Garantiefälle bis hin zur Beschwerde. Call-CenterDienstleistungen befinden sich seit Ende der 80er Jahre in der Angebotspalette externer Dienstleister. Seit Anfang der 90er Jahre ist eine Vielzahl von Anbietern auf dem Markt. Die Call Center Dienstleistungsbranche hat sich entwickelt und an Onshoring-, Nearshoring- und Offshoring-Standorten etabliert. Darüber hinaus werden Non-voice Services als ein Teil des integrierten Vertriebsunterstützungskonzepts durch Dienstleister angeboten. Strategisches Management Forschung & Entwicklung Personalwirtschaft (HR) Finanz- und Rechnungswesen Informationstechnologie Sonstige Verwaltungsfunktionen
Zulieferer
EinEin- kauf Inbound kauf Trans- Logistik Akt.
Vertr.- Vertr.
Operations
Outbound Unter- MarLogistik stüt- ke-
Kunden
zung ting
Unternehmensinterne Prozesse Outsourcing Prozesse
Abbildung 2-4: Das theoretische Outsourcingmodell Das dargestellte theoretische Outsourcing-Modell ist mittlerweile kein Denkmodell mehr, sondern eine durchaus realisierbare Option für Unternehmen – wenn auch nicht in vollem Umfang. Theoretisch könnten fast alle Prozesse von der Fertigung über die Logistik, Einkaufs- und Vertriebsunterstützung bis hin zu
Die Entstehung des Business Process Outsourcing
67
Finance & Accounting, HR, IT sowie den klassischen Verwaltungsaufgaben an externe Dritte ausgelagert werden.34 Selbst im Bereich der F&E findet sich schon eine Reihe von Unternehmen, die bestimmte Entwicklungsaufgaben auf Kontraktbasis an externe Entwickler vergeben. In einigen Fällen wird die Entwicklungsaufgabe gezielt an einen Tier 1-Zulieferer übertragen, der lediglich auf der Basis der groben Spezifikation die Entwicklung der Zulieferkomponente in Eigenverantwortung übernimmt. Das in Abbildung 2-4 dargestellte Modell ist dahingehend (noch) eine Fiktion, da ein Unternehmen derzeit wohl nicht bereit wäre, alle potenziellen Prozesse gleichzeitig zu vergeben. Das entstehende Netzwerk wäre extrem fragil, schwer zu steuern und würde eine fast unüberschaubare Komplexität sowie zahlreiche Abhängigkeiten nach sich ziehen. Dennoch, mit zunehmender Erfahrung im Umgang mit Shared Services, dem Management externer Anbieter im Bereich der Kern- und Unterstützungsprozesse sowie der Steuerung virtueller Netzwerke werden sich Unternehmen diesem Modell immer weiter nähern. Die entstehenden Freiräume in den Bereichen strategisches Management, strategischer Einkauf sowie Vertrieb und Marketing ließen sehr flexible, innovative, markt- und kundenorientierte sowie schnell agierende Konzerne entstehen. In Zeiten immer kürzer werdender Produktlebenszyklen, sich stetig wandelnder Märkte und Kundenanforderungen könnte dies ein Unternehmensmodell der Zukunft sein. Im Konsumgüterbereich positionieren sich einige Unternehmen gemäß dem Prinzip der Centerless oder Stateless Organization.35 Neben Nike verfolgen Nestlé, Procter & Gamble oder Unilever globale Strategien, nach denen der Wertschöpfungsprozess sich nicht nur über Netzwerke externer Anbieter, sondern auch über mehrere Kontinente gestaltet. Das Headquarter, das zumeist virtuell agiert, steuert und koordiniert die unterschiedlichen Beschaffungs-, Operations- und Distributionsprozesse sowie die erforderlichen Unterstützungsprozesse. Produkte werden lediglich in der Positionierung für bestimmte Kundensegmente mit landes- oder regionsspezifischen Features angepasst, wie etwa Verpackung oder Geschmack. Ansonsten entstehen die Produkte in einem modularen Netzwerk global koordinierter Wertkettenaktivitäten.
34 35
Vgl. zum Beispiel F&A De Ramos, 2004. Vgl. Pasternack/Viscio, 1998, S. 24-25.
68
BPO – die logische Weiterentwicklung des Shared-Services-Gedankens
2.
Definition, aktuelle Trends und empirische Studien
Die begriffliche Eingrenzung des Business Process Outsourcing fällt zunehmend schwerer, da eine Reihe von begrifflichen Verfeinerungen, aber auch Stilblüten entstanden sind. Grundsätzlich ist Outsourcing ein Kunstwort, das die Begriffe Ressource, Outside und Using zusammenführt. Inhaltlich soll es auf die Nutzung externer Ressourcen hinweisen.36 Durch die Nähe zum IT Outsourcing wird BPO häufig als eine Erweiterung des Outsourcing-Spektrums im Rahmen von ITO-Verträgen auf die Systeme und Applikationen, mit denen beispielsweise das Finanz- und Rechnungswesen oder der Payroll-Prozess betrieben wird, interpretiert. Übernimmt in diesem Sinne ein externer Anbieter z. B. Betrieb und Pflege der SAP R/3 FI/CO Software, auf deren Basis die Buchhaltungs- und wesentlichen Controlling-Prozesse unterstützt werden, würde dies als „BPO Finance & Accounting-Lösung“ bezeichnet werden. Im Grunde reflektiert dieser Sachverhalt nach wie vor die klassische Auslagerung der IT-Funktion, da inhaltlich lediglich IT-Applikationen betroffen sind. Ähnliche begriffliche Übergriffe finden häufig im Call-Center-Bereich statt. Outgesourcte Call Center haben in den vergangenen zehn Jahren Unternehmen umfassende Aufgaben der Kundenbetreuung und des Aftersales Services abgenommen. Wird das Aufgabenspektrum eines Call Centers um Bestandteile wie z. B. Statusmeldung über Bestellungen, Zahlungserinnerungen oder Rechnungsdatenübermittlung erweitert, so bezeichnet sich ein Call-Center-Anbieter gern als „BPO Finance & Accounting“ Anbieter. Die oben genannten Tätigkeiten können im weiteren Sinne der Debitorenbuchhaltung oder dem Prozess „Orderto-Cash“ zugeordnet werden. Somit hat man sich vom reinen Call Center zum BPO Center weiterentwickelt. Ähnlich wie im oben dargestellten IT-Fall stellt auch diese Situation streng genommen kein F&A BPO dar. Die Kernaufgabe des Mitarbeiters bleibt die Kundenbetreuung per Telefon. Trotz der Überschneidungen mit der Buchhaltungsaufgabe übernimmt der Call Center Agent in den meisten Fällen nicht den entsprechenden Finanzprozess. Ein weiterer Begriff, der in Abwandlung des Begriffs BPO starke Verbreitung findet, ist das Knowledge Process Outsourcing (KPO). Im Wesentlichen vorangetrieben durch die indischen BPO-Anbieter, wird der Begriff KPO als Synonym für Outsourcing von Prozessen mit höherer Wertschöpfung verwendet.37 Ganz
36 37
Kagelmann, 2000, S. 53. Chengalvarayan, 2003.
Definition, aktuelle Trends und empirische Studien
69
im Sinne der Trennung in transaktionale, entscheidungsunterstützende und strategische Aufgaben werden hierunter Prozesse insbesondere der beiden letztgenannten Kategorien subsumiert. Im Gegensatz zur transferierten Prozessexpertise im Fall des BPO steht der Transfer von Businessexpertise im Fokus des KPO.38 Bei der Entstehung des KPO spielt Indien, ähnlich wie in der Verbreitung des BPO, eine zentrale Rolle.39 Die relativ gut ausgebildeten BPOMitarbeiter in Indien verfügen zumeist über College-Abschlüsse und werden dementsprechend als Argument eingesetzt, um den BPO-Kunden zur Verlagerung von höherwertigen Prozessen zu veranlassen. In der praktischen Anwendung gibt es in der Tat eine Reihe von BPO-Verträgen, in denen Tätigkeiten wie Kundensegment- und Kaufverhaltens-, Markt- und Preisanalysen oder Controlling-Aufgaben wie z. B. die Erstellung und Konsolidierung der Planung sowie die Berechnung von Investitionsanträgen zum Inhalt zählen. Inzwischen wird Knowledge Process Outsourcing als ein wesentlicher Trend in der OutsourcingBranche gesehen. Zum einen sind es ähnliche Beweggründe wie für BPO, die ein Unternehmen veranlassen, selbst High-end Knowledge-Prozesse auszulagern wie z. B. Konzentration auf Kerngeschäft und Reduktion der „Fertigungstiefe“ sowie bei wissens-basierten Prozessen. Darüber hinaus spielen weitere Gründe eine Rolle, wie die demografische Situation in vielen westlichen Industrienationen sowie die günstigen Lohnkosten in Ländern mit verbesserten Ausbildungsstrukturen wie Indien, China oder den Philippinen. Bestimmte Branchen sind für das KPO besonders geeignet. Durch sehr komplexe Forschungsaufgaben ist z. B. die pharmazeutische Industrie oder Biotechnologie gefordert, eine Vielzahl von Daten zu erheben und zu verarbeiten. Financial Services, Managementberatungen oder IT Consultants haben umfassende Anforderungen zur gezielten Datenrecherche. Hightech-Unternehmen benötigen Unterstützung in der Computer Aided Simulation (CAD) und dem Engineering. KPO kann auch Aufgaben rechtlicher Natur abdecken, so z. B. die Suche von Trademarks und deren Registrierung, Anfertigung von Patentunterlagen oder internationale Rechtsberatung. Die Spezialisierung auf die Rechtsberatung oder die Unterstützung rechtlicher Prozesse hat zu einem neuen Begriff geführt: Legal Process Outsourcing (LPO). Obgleich KPO und LPO als neue Trends intensiv diskutiert werden, sind ihre Anteile am BPO-Markt noch relativ gering. Grundsätzlich wird BPO als eine Verlagerung prozessspezifischer Aufgaben zu einem externen Anbieter verstanden. Eine sehr technische Definition findet sich bei Dittrich und Braun:
38 39
www.en.wikipedia.org/wiki/knowledge_process_outsourcing, 9.9.2003. Vgl. Schaaf, 11.10.2005, S. 12.
70
BPO – die logische Weiterentwicklung des Shared-Services-Gedankens
„Business Process Outsourcing kann mehrere Applikationen umfassen und betrifft neben IT-bezogenen Prozessen auch solche, die nicht oder nur sehr wenig von Computern unterstützt werden.“40 Zwar deuten die Autoren an, dass ein Business-Prozess auch keinerlei ITUnterstützung bedarf, um der oben genannten Definition zu entsprechen. Allerdings wird zunächst nicht klar, dass diese Definition auch für klassische Unterstützungsfunktionen wie Buchhaltung, Einkauf oder HR gilt. Die Autoren heben die enge Verbindung von ITO und BPO hervor und präzisieren ihre definitorische Eingrenzung mit den Beispielen Personalmanagement, Gehaltsabrechnung, Reisekosten, Buchhaltung, Kreditvergabe, Kundenmanagement, Vertrieb, Marketing sowie Logistik und Beschaffung als typischen BPO-Prozessen. Kobayashi-Hillary ergänzt die BPO-Definition um den Aspekt der Übertragung von Anlagegütern: „BPO generally means that an entire function, including computer services, corporate assets and employees are transferred to a Business Service Provider. “41 Mit dieser Definition wird explizit gefordert, dass sowohl die entsprechenden Anlagen als auch die Mitarbeiter an den externen Dienstleister übertragen werden müssen, um der engen Definition von BPO gerecht zu werden. Manche Anbieter, wie EDS, übernehmen physisch Anlagen und Mitarbeiter. Andere Anbieter übernehmen lediglich die Prozesse und arbeiten entweder auf eigenen Anlagen oder denen des Kunden (Beispiel iGate mit der Middleware-Plattform iTops). Bei Mayer und Söbbing findet sich eine pragmatische definitorische Eingrenzung: Nach ihrem Verständnis umschreibt BPO eine Geschäftsbeziehung, in der ein BPO-Anbieter einen kompletten Geschäftsprozess übernimmt bzw. sogar eine Unternehmensfunktion. Hierin inbegriffen ist die prozessunterstützende IT.42 Die BPO-Praxis hat indessen gezeigt, dass der Transfer eines Business Prozesses durchaus ohne Übertragung der bestehenden IT-Landschaft stattfinden kann. Häufig werden BPO-Lösungen angestrebt, um gezielt bestehende und zumeist unbefriedigende IT-Lösungen abzuschaffen und durch moderne, häufig in Verantwortung des BPO-Anbieters aufgebaute IT-Struktur abzulösen. Insbesondere im Bereich der Unterstützungsprozesse haben die BPO-Anbieter erhebliche ITFähigkeiten entwickelt, die als Argument für eine BPO-Lösung gesehen werden. 40 41 42
Dittrich/Braun, 2004, S. 4. Kobayashi-Hillary, 2005, S. 167. Vgl. Mayer/Söbbing, 2004, S. 29 f.
Definition, aktuelle Trends und empirische Studien
71
In den meisten definitorischen Abgrenzungen fehlt eine explizite Eingrenzung des Begriffes „Business Process“. Im Modell von Porter könnte streng genommen ein Beschaffungs-, Fertigungs- und Vertriebsprozess als Business Process bezeichnet werden. Folgt man dieser begrifflichen Annahme, so könnten alle an Zulieferer verlagerten Tätigkeiten – also die gezielte Reduktion der Fertigungstiefe in der Automobilindustrie – als BPO gedeutet werden. Eine sinnvolle Abgrenzung wäre demnach nicht mehr möglich. In diesem Zusammenhang soll im Folgenden bewusst der Begriff „Unterstützungsprozess“ in den Mittelpunkt gestellt werden. Verlagerungen von Tätigkeiten im Bereich der Kernprozesse sind gezielte Maßnahmen, um die Wertschöpfungskette zu optimieren. BPO soll sicherstellen, die verbleibenden Kernprozesse effizient und effektiv zu unterstützen. Strategisches Management Informationstechnologie Forschung & Entwicklung Sonstige Verwaltungsfunktionen Personalwirtschaft (HR) Finanz- und Rechnungswesen Vertriebsunterstützung Einkauf – Transaktionale Aktivitäten
Zulieferer
Einkauf
Inbound Logistik
Operations
Outbound Logistik
ITO
BPO
Vertrieb & Marketing
Kunden
Unternehmensinterne Prozesse Outsourcing Prozesse
Neukonfiguration der Wertschöpfungskette
Abbildung 2-5: BPO versus ITO versus Kernprozessoutsourcing Im Kontext der vielfältigen Ansätze zur definitorischen Eingrenzung soll der Vorschlag einen Versuch darstellen, das mögliche Anwendungsgebiet BPO in den Unternehmensfunktionen deutlich zu machen. Die angesprochenen Überschneidungsprobleme mit ITO können wohl kaum gelöst werden. Die grundsätzliche Trennung in Kern- und Unterstützungsprozesse deutet an, dass faktisch alle unterstützenden Prozesse, die durch einen Dienstleister erbracht werden, ein BPO darstellen. Die neuen Sonderformen KPO und LPO fallen in diesem definitorischen Ansatz als Unterkategorien dem BPO zu, da diese Aktivitäten in sons-
72
BPO – die logische Weiterentwicklung des Shared-Services-Gedankens
tigen Verwaltungsfunktionen (z. B. Rechtsfragen), Vertriebsunterstützung (z. B. Marktanalysen) oder Finanz- und Rechnungswesen (z. B. Controlling-Aufgaben) integriert sein können. Grundlegend wird bewusst der Versuch unternommen, die IT-Komponente als definitorisches Merkmal abzuschwächen, um die begriffliche Trennung vom ITO zu verbessern. Im Bereich BPO findet sich ähnlich wie im Shared-Services-Umfeld eine Vielfalt von empirischen Studien, Whitepapern und Artikeln. Leider hat es im BPOUmfeld eher noch weniger wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema gegeben, als dies bei Shared Services der Fall ist. Die grundlegende methodische Betrachtung des BPO ist in der wissenschaftlichen Literatur im Wesentlichen auf die „Make-or-Buy“-Analysen beschränkt. Das BPO Feld ist – erwartungsgemäß – in empirischer Hinsicht durch die Branche der Anbieter abgedeckt worden. Deshalb findet sich hier eine Fülle von Publikationen, von denen einige ausgewählte exemplarisch angesprochen werden:
Accenture: Outside upside – Finding focus through finance outsourcing Accenture hat im Jahr 2003 in Zusammenarbeit mit der Economist Intelligence Unit eine umfassende Untersuchung zum Stand des BPO mit besonderem Fokus auf die Finanzfunktion durchgeführt.43 Im Rahmen der Untersuchung wurden 236 Führungskräfte aus dem Finanz- und Rechnungswesen per Online-Survey sowie weitere 44 Führungskräfte in Interviews zu ihrer jeweiligen Einschätzung von BPO im Finanzbereich befragt. Die wesentlichen Ergebnisse bestätigen, dass Finance BPO auf dem Vormarsch ist, zumindest erwarten 71 % der Befragten ein weiteres Wachstum in diesem Segment. Das Kostenargument konnte als wesentlicher Treiber identifiziert werden, aber viele Studienteilnehmer erwarten auch eine bessere Fokussierung auf die Kernkompetenzen (55 %) sowie eine höhere Produktivität durch BPO (32 %). Interessanterweise betrachtet die Mehrzahl der Teilnehmer die Einführung von Shared Services als ersten Schritt, bevor eine BPO-Lösung im Finanzbereich angestrebt wird.
IBM Business Consulting Services: Finance shared services and outsourcing study Die Studie wurde von IBM Business Consulting Services im Jahr 2005 durchgeführt und untersucht den Stand der Finanzfunktion in 210 Unternehmen aus 45 43
Vgl. Accenture, 2003.
Definition, aktuelle Trends und empirische Studien
73
unterschiedlichen Ländern.44 Dabei wurden vorwiegend Unternehmen aus der Region EMEA (46 %), der Region Americas (34 %) und der Region APAC (20 %) zum Einsatz von SSC sowie dem Stand der Outsourcing-Lösungen befragt. Ein zentrales Ergebnis ist die Zusammenstellung der aktuellen bzw. geplanten Outsourcing-Prozesse im Finanzbereich.
Travel & Expense Business Analysis Accounts Payable Invoice to Cash Fixed Assets General Accounting External Reporting Performance Management Management Reporting Project & Cost Accounting 0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
Quelle: IBM Business Consulting Services Abbildung 2-6: Outsourcing von Finanzprozessen Im Ergebnis zeigt sich ein durchaus positives Bild, das den Trend zu KPO untermauert: Zwar liegt der Prozess der Reisekostenbuchhaltung an der Spitze der outgesourcten Prozesse, doch auf dem zweiten Platz folgt bereits der Prozess Business Analysis, der auf umfassendes Expertenwissen angewiesen ist. Die vorliegende Studie trifft jedoch ausschließlich Aussagen zur Finanzfunktion.
Diamondcluster: 2005 Global IT Outsourcing Study Eine Studie mit starkem Bezug zum ITO hat die Beratungsgesellschaft Diamondcluster bereits zum dritten Mal in Folge durchgeführt. Im Rahmen der Studie wurden 210 Einkäufer von IT-Dienstleistungen sowie 242 Outsourcing44
Vgl. IBM Business Consulting Services, 2005a.
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BPO – die logische Weiterentwicklung des Shared-Services-Gedankens
Dienstleister befragt. Neben diesem interessanten Forschungsansatz ist die Demographie der globalen Studie bemerkenswert, da sowohl kleine und mittelgroße Unternehmen (ab 100 Mitarbeitern) als auch große, globale Konzerne mit mehr als 50.000 Mitarbeitern zur Stichprobe zählen. Eine Erkenntnis der Studie unterstützt die Wachstumsthese: In den Jahren 1980 bis 1985 starteten lediglich 4 % der Befragten das erste ITO-Engagement. Im Zeitraum 1991 bis 1995 waren es bereits 14,5 % und in den Jahren 2001 bis 2005 bereits 43 %. Eine ganz wichtige Aussage im Hinblick auf den BPO-Markt ist, dass der Trend zu unterschiedlichen Outsourcing Partnern anhält und sich eher noch verstärkt. Im Jahr 2004 haben 33 % der Befragten die Behandlung jeder Outsourcing-Situation als individuelles Vorhaben bevorzugt, was zu einer Vielzahl unterschiedlicher Service Provider führen kann. Im Jahr 2005 befürworten dies sogar 39 %. Den Ansatz mit nur einem Anbieter zusammenzuarbeiten, unterstützen lediglich 21 % der Studienteilnehmer. Leider fokussiert die Untersuchung von Diamondcluster ansonsten sehr stark den ITO-Markt, so dass Aussagen zu BPO nur mittelbar abgeleitet werden können.
FHTW Berlin/Offshoring Institute: Projekt zu Shared Services und Offshoring in deutschen Unternehmen Im Rahmen der Studie der FHTW Berlin und des Offshoring Institutes hat sich ein Themenkomplex mit dem BPO auseinander gesetzt. Bei 28 Experteninterviews mit Führungskräften aus den größten deutschen Unternehmen wurden gezielt Meinungen und Einschätzungen zum BPO insbesondere für deutsche Unternehmen und die deutsche Wirtschaft erhoben. Im Grundsatz unterstützen die Teilnehmer der Studie die Akzeptanz und wesentlichen Vorteile des BPO. Expertise, Kostenstrukturen sowie die größere Offshore Expertise der Offshoring-Anbieter werden als wesentliche Pro-Argumente für eine OutsourcingLösung gesehen. Die Studie spiegelt aber auch die Bedenken in deutschen Unternehmen wider. So der Schutz von Intellectual Capital und der mögliche Kontrollverlust als wesentliche Hinderungsgründe genannt. Besonders der Kontrollverlust als Argument überrascht an dieser Stelle, da im IT-basierten Geschäft eine tagaktuelle Überwachung eigentlich aller Transaktionen auf Anbieterseite möglich ist.45 Demzufolge beziehen sich die vorgebrachten Bedenken eher auf den Aspekt der Kontrolle im Sinne von Governance, wozu im folgenden Kapitel Stellung bezogen wird.
45
Vgl. Wullenkord/Kiefer/Sure, 2005, S. 30.
Marktanalyse – Marktpotenziale und BPO-Anbieter
Average
Variance
"The providers technological and professional capabilities are the main reasons for the cooperation with a third party (BPO)"
3,6
0,5
"The providers favorable cost structure is a major reason for the cooperation with a third party (BPO)"
3,8
0,2
"The providers Offshore experience is a major reason for the cooperation with third parties (BPO)"
3,5
0,4
"Potential loss of control is a major obstacle for the cooperation with a third party (BPO)"
3,6
0,7
"Concerns about the provider quality is a major obstacle for the cooperation with a third party (BPO)"
2,8
1,0
"Protection of confidential data is a major obstacle for the cooperation with a third party (BPO)"
3,7
0,7
Questions
Fully Agree
Agree
75
Neutral
Disagree
Fully Disagree
Abbildung 2-7: BPO Status quo in Deutschland – Ergebnisse einer Expertenbefragung Bei den Gegenargumenten zeigen sich größere Unstimmigkeiten. Die Varianzen von 0,7 bis 1,0 verraten, dass die Betroffenen entweder sehr große Bedenken im Hinblick auf Qualität, IC oder Kontrolle haben bzw. diese Argumente gänzlich ablehnen. Die Befragung hat bewusst die individuelle Meinung abgefragt und zeigt in den Ergebnissen durchaus die noch fehlende Reife des BPO-Marktes in Deutschland. Auf Anbieterseite ist es offensichtlich nicht gelungen, die wesentlichen Bedenken faktisch und kommunikativ stärker zu verdrängen, aber auch auf der Anwenderseite liegen noch keine ausreichenden Erfahrungen vor, um den Einsatz von BPO einheitlicher zu bewerten. Die Auswahl der analysierten Studien unterstreicht, dass BPO sich als organisationales Managementkonzept etabliert hat. Im Hinblick auf die Entwicklungsschritte sowie die weltweit hohe Akzeptanz des Konzeptes kann nicht mehr nur von einem Trend die Rede sein. Darüber hinaus hat sich eine solide und immer noch stark wachsende Service-Provider-Branche etabliert. Einige große Beratungs-, System- und IT-Unternehmen sehen in BPO den zentralen Wachstumsmarkt. Deshalb haben sie ihre Geschäftsmodelle auf diesen Bereich ausgerichtet und signifikante Kapazitäten geschaffen.
3.
Marktanalyse – Marktpotenziale und BPO-Anbieter
Die Analyse des BPO-Anbietermarktes ist kein leichtes Unterfangen. Die Branche wächst stark. Große Konzerne konzentrieren sich auf das BPO-Geschäft und
76
BPO – die logische Weiterentwicklung des Shared-Services-Gedankens
viele kleine Anbieter sprießen wie Pilze aus dem Boden. Zudem ist die Offshoring-Komponente mit in Betracht zu ziehen mit vielen, lokalen BPO-Anbietern, die vor allem in Ländern wie Indien und den Philippinen entstanden sind. Die funktionale Spezialisierung der Anbieter erschwert zudem eine Analyse. Die großen Anbieter versuchen, die komplette Palette der BPO-Lösungen zu offerieren. Viele Kleinere setzen ihren Schwerpunkt entweder auf Finance & Accounting, HR, Customer Support oder Procurement. Die großen Research-Firmen wie IDC, Gartner und Forrester setzen sich seit den späten 90er Jahren gezielt mit dem BPO-Markt auseinander – anfangs nur mit begrenztem Erfolg. Die ersten Einschätzungen zeichneten ein viel positiveres Bild als dies die Realität später bestätigen konnte. Im Jahr 1999 schätzte beispielsweise das renommierte Analysten-Unternehmen Gartner den Markt für BPO im Jahr 2004 auf ca. 302 Mrd. US-Dollar ein (der Markt im Jahr 1999 wurde auf ca. 106 Mrd. US-Dollar beziffert).46 Die größten Wachstumsraten wurden bei Sales/Customer Support (27,9 %) sowie F&A (25,8 %) gesehen. Milliarden US $ 250
% 30 27,9
Forecast 2004
25,8 200
1999 5 Year CAGR
23,9 21,9
21,4
20 150
17,6
100 10 50
0
0 Distribution/ Logistics
HR
Payment Services
F&A
Sales/ Customer Support
Administration
Quelle: In Anlehnung an Gartner, 1999 Abbildung 2-8: Ursprüngliche BPO-Markteinschätzung von Gartner (1999) Bereits kurze Zeit später publizierte das Research-Unternehmen IDC seine Einschätzung des BPO-Marktes mit einer deutlich reduzierten Einschätzung der 46
Vgl. www.gartner.com, 2006.
Marktanalyse – Marktpotenziale und BPO-Anbieter
77
Wachstumsraten.47 In Summe sah IDC zwar ein Volumen für die BPO-Anbieter von sogar 608 Mrd. US-Dollar bis zum Jahr 2006 als realistisch an, allerdings beinhaltete die Analyse von IDC Bereiche wie F&E oder Legal, die im Ansatz von Gartner nicht berücksichtigt wurden. Während IDC die klassischen BPOProzesse HR und F&A deutlich konservativer bewertete, zeigt sich im Bereich Sales/Customer Support eine massive Abweichung von 123 Mrd. US-Dollar (IDC) zu 39 Mrd. US-Dollar (Gartner). 20% Purchasing ($18) HR ($42)
15% Market Growth (2001 – 2006)
Logistics ($192)
Engineering/R&D ($25)
10%
Sales ($123)
F&A ($26) 5%
Marketing ($12)
10
20 30
Legal ($128)
Administration ($42)
40 50
60 70
80
90 100 110 120
200
Forecast 2003 Market Size (in Billion $)
Quelle: IDC, 2002 Abbildung 2-9: Ursprüngliche BPO Markteinschätzung von IDC (2002) IDC hat in seinen Analysen die Wachstumsraten deutlich revidiert. Waren drei Jahre zuvor fast alle BPO-Bereiche von Gartner mit über 20 % Wachstum bewertet worden, so findet sich in der IDC-Studie keine einzige Wachstumsrate mehr von über 20 %. Die Studien gelangen zu derart abweichenden Ergebnissen, dass sich die Frage stellt, inwiefern eine korrekte Markteinschätzung des BPO-Marktes überhaupt möglich ist. Sicherlich, im Jahr 2000 wurde die Idee BPO vielerorts von den Entscheidungsträgern wesentlich positiver bewertet, als diese später realisiert wurde. Risikoaspekte, fehlende Reife und Qualität auf Anbieterseite sowie die 47
Vgl. IDC, 2002a, 2002b, 2002c.
78
BPO – die logische Weiterentwicklung des Shared-Services-Gedankens
weitere Verbreitung von Captive Shared Services haben die Marktentwicklung für BPO-Anbieter deutlich konservativer verlaufen lassen. Es stellt sich deshalb die generelle Frage, welchen Wert Research-Unternehmen und Analysten derzeit an dieser Stelle beitragen können. Die in der Regel teuren Research-Studien basieren zum Großteil auf Markteinschätzungen von Führungskräften und Experten. Die angedeuteten Abweichungen zwischen den Erhebungsergebnissen und der tatsächlichen Marktentwicklung sowie die schnelle „Überaltung“ des Datenmaterials zeigen, dass verlässliche Daten wohl kaum aufzufinden sein dürften. Aus Vollständigkeitsgründen und um die oben aufgeworfenen Thesen zu unterstützen, soll ein kurzer Blick auf einige Daten aus dem Jahr 2006 geworfen werden. Das Analysten-Unternehmen Business Insights hat im August 2006 den BPO Market Outlook Report vorgestellt, der die bisherigen Ist-Werte der BPOIndustrie zusammenfasst und einen Ausblick auf das Jahr 2008 bietet.48 Business Insights sieht den Gesamtmarkt im Jahr 2005 von 112,1 Mrd. US-Dollar auf 144 Mrd. US-Dollar im Jahr 2008 ansteigen, was einer Steigerung von 40 % entspricht. Es fehlt jedoch eine Differenzierung in Alt- und Neugeschäft. Im wesentlich weiter entwickelten ITO-Markt beispielsweise wird von auslaufenden Verträgen in den Jahren 2006 bis 2008 in Höhe von ca. 118 Mrd. US-Dollar ausgegangen.49 Im Hinblick auf die einzelnen Bereiche folgt Business Insights bei der Beurteilung der Customer-Support-Prozesse eher der Einschätzung von Gartner und sieht den Markt derzeit bei rund 50 Mrd. US-Dollar. Im Bereich F&A sind die Einschätzungen demgegenüber eher in Übereinstimmung mit IDC, obgleich der aktuelle Wert von ca. 16 Mrd. US-Dollar immer noch um 10 Mrd. US-Dollar unter dem für das Jahr 2003 prognostizierten Wert liegt. Der HR BPO Wert ist grundsätzlich um einiges zu positiv eingeschätzt worden, obwohl absolut immer noch deutlich größer als das F&A-Geschäft.50 Das derzeitige Marktvolumen von 28 Mrd. US-Dollar ist deutlich geringer als bei den Einschätzungen von Gartner (78 Mrd. US-Dollar) und IDC (42 Mrd. US-Dollar). Die große Abweichung in der Gesamtmarktentwicklung und den einzelnen BPO-Prozessen reflektiert die schlechte Vorhersehbarkeit des BPO-Marktes. Auch wenn die anderen ResearchUnternehmen mit ihren sehr positiven Vorhersagen deutlich danebengelegen haben, sieht Business Insights selbst noch ein erhebliches Wachstumspotenzial in den Jahren 2006 bis 2008. Fakt ist an dieser Stelle, dass die BPO-Branche bei
48 49 50
Vgl. www.globalbusinessinsights.com, 2006. Vgl. www.outsourcing-alert.com, 3.8.2006. Vgl. Handelsblatt, 24.10.2005, S. b02.
Marktanalyse – Marktpotenziale und BPO-Anbieter
79
weitem nicht die Wachstumsprognosen aus den Jahren 1999 bis 2002 halten konnte. Konsequenterweise schätzen heute durchweg alle Analysten den Markt und die Entwicklungsmöglichkeiten wesentlich vorsichtiger ein.
60
Customer Support HR Financial Services Process Mngt F&A
50
Payment & Billing Supply Management Knowledge Processe
in $ Milliarden
40
30
20
10
0 2004
2006
2008
Quelle: Business Insights, 2006 Abbildung 2-10: BPO-Markteinschätzung von Business Insights (2006) Im Folgenden wird exemplarisch für den Finance & Accounting-Bereich eine tiefergehende Analyse des Anbietermarktes durchgeführt.51 In diesem Markt haben sich eine Reihe globaler Servicekonzerne die wesentlichen Marktanteile erarbeitet. Außerdem drängt eine immer stärker werdende indische BPOAnbieterszene erfolgreich in den F&A-Markt. Deshalb sollen einige wesentliche indische Player kurz diskutiert werden. Für diese Unternehmen wird der europäische Markt zunehmend wichtiger, weshalb eigene Standorte und Partnerschaften eine wichtige Rolle spielen.52
51
52
Eine umfassende Darstellung der Top 100 Outsourcing-Anbieter über alle ServiceProzesse hinweg findet sich bei der International Association of Outsourcing Professionals (IAOP), 2006. Vgl. Marriott, 23.8.2004.
80
BPO – die logische Weiterentwicklung des Shared-Services-Gedankens
Im Finance BPO-Bereich haben zwei Unternehmen eine besondere Vormachtstellung: Accenture und IBM Global Services (ehemals IBM/PwC). Accenture
hat sich als Marktführer etabliert. Mit wahrscheinlich über 30 % Marktanteil hat sich die Strategie, das BPO-Geschäft über solide Consulting-Expertise in den Markt zu bringen, offensichtlich ausgezahlt. Accenture ist entstanden aus Andersen Consulting, dem ehemaligen IT-Beratungsarm der Andersen Worldwide Organization. Unter dem Dach Andersen Worldwide entstand die Consultingfirma als Ableger der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Arthur Andersen zunächst als eigenständiges Technologie- und System-Profit-Center, später als eigenständige Einheit (1989) und schließlich als eigenständiger Geschäftsbereich (1992). Seit dem Jahr 1996 begannen die Partner von Andersen Consulting, den Abspaltungsprozess von Arthur Andersen und der Andersen Worldwide Organization, der im Jahr 2000 mit der Entstehung der neuen Gesellschaft Accenture abgeschlossen wurde. Accenture ist seit Juli 2001 eine an der New Yorker Stock Exchange gelistete Aktiengesellschaft. Durch die Abspaltung von Andersen Worldwide und dem nach der Abspaltung erforderlichen Re-Branding blieb Accenture von den negativen Auswirkungen des Enron Skandals verschont, der zur Auflösung von Arthur Andersen im Jahr 2002 geführt hat. Accenture hat den Trennungsprozess von der Wirtschaftsprüfung- und Steuerberatungsgesellschaft Arthur Andersen mit Nachdruck und Erfolg vorangetrieben. Es ist dem Unternehmen gelungen, seine Positionierung als IT- und Systemberatungshaus um die Finanzexpertise zu ergänzen. So hat zu Zeiten von Andersen Consulting ein erheblicher Wissenstransfer zwischen Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung und Consulting stattgefunden. Accenture ist somit bestens als BPO-Partner, insbesondere im F&A Bereich positioniert. Brancheninsider schätzen die umfassenden beraterischen Fähigkeiten im Rahmen von BPO-Projekten, wohingegen die spezielleren IT- und technologischen Fähigkeiten von Accenture nicht so stark eingestuft werden, wie dies bei den IT-Outsourcing-Gesellschaften der Fall ist. Die Verbindung Consulting plus F&A-Expertise plus IT-Expertise ist ein bislang ungeschlagenes Erfolgsrezept für Accenture. IBM
hat durch die Akquisition von PricewaterhouseCoopers Consulting im Jahr 2002 einen wesentlichen Grundstein für den Erfolg im Finance BPO-Geschäft gelegt. Mit IBM dringt somit nicht nur ein gut positionierter Anbieter von IT Hardware in dieses Geschäftsfeld; IBM hat seit Mitte der 90er Jahre ein positives Image im IT-Service- und Consulting-Segment aufgebaut und infolgedessen eine umfassende, neue strategische Stoßrichtung des Konzerns umgesetzt. Die Akquisition von PwC Consulting war ein weiterer logischer Schritt,
Marktanalyse – Marktpotenziale und BPO-Anbieter
81
um durch Ergänzung mit funktionaler Fachexpertise die Voraussetzungen für den Erfolg im BPO-Markt zu schaffen. PwC Consulting bringt durch die Herkunft als eine renommierte, globale Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein solides Fundament und das Image des Experten im F&A Consulting Geschäft mit. IT-Service- und Consulting-Expertise plus F&A-Consulting-Expertise ergibt einen BPO-Anbieter, der derzeit erwartungsgemäß den zweiten Platz im Bereich Finance BPO einnimmt. Durch den derzeit erfolgenden Re-Positionierungsprozess von IBM Global Services ist sogar mit noch mehr Druck seitens IBM zu rechnen, die Marktführerschaft im F&A-Bereich zu übernehmen. Durch IBM Global Business versucht IBM, das Image des Hardwareproduzenten gänzlich loszuwerden und im Markt als globaler Serviceanbieter wahrgenommen zu werden. Zur Verbesserung seiner Offshoring-Strukturen hat IBM Global Services im Jahr 2004 den indischen BPO-Anbieter Daksh eServices in New Delhi erworben und seine Delivery-Fähigkeiten weiter verbessert. Capgemini, ACS und EDS
sind Unternehmen, die aus dem klassischen ITO-Geschäft in den BPO-Markt vorgedrungen sind. In vielen Fällen wird im Rahmen von IT Projekten durch den Outsourcer der Systembetrieb eines Billing-, Buchhaltungs- oder Payroll Systems übernommen. Die hierbei durchgeführte transaktionale Unterstützung wird häufig direkt dem ITO-Anbieter überlassen. Je nachdem, wo die definitorische Grenze zwischen IT- und Business-Process-Unterstützung gezogen wird, kann ein ITO-Vertrag oder zumindest ein Teil davon als BPOGeschäft klassifiziert werden. Einige ITO-Firmen haben mit dem Aufkommen des BPO-Trends zunächst einige bestehende IT Service-Verträge neu klassifiziert und somit quasi „über Nacht“ BPO-Marktanteile gewonnen. Die Stärke von Capgemini, ACS und EDS liegt eindeutig im IT- und systemseitigen Teil des BPO Geschäfts, obgleich einige IT Outsourcing Provider in den vergangenen Jahren erhebliche Expertise in den jeweiligen funktionalen BPOBereichen aufgebaut haben und meist spezialisierte Practices für F&A, HR, Customer Support oder Procurement aufgebaut haben. Capgemini ist ein französisches Unternehmen mit fast 60.000 Mitarbeitern und Hauptsitz in Paris. ACS (Affiliated Computer Systems) mit Firmensitz in Dallas, Texas, beschäftigt weltweit 55.000 Mitarbeiter. EDS (Electronic Data Systems) mit Headquarter in Plano, Texas, beschäftigt weltweit ca. 120.000 Mitarbeiter.
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BPO – die logische Weiterentwicklung des Shared-Services-Gedankens
Others HP Services ACS
Accenture
Xansa
EDS
Genpact
Cap Gemini IBM Business Services
Quelle: The Offshoring Institute Abbildung 2-11: Marktanteile BPO-Anbieter Finance & Accounting Xansa
ist ein britischer BPO-Anbieter, der sich auf den F&A Bereich spezialisiert hat und heute ca. 8.000 Mitarbeiter beschäftigt. Über eine Reihe von Akquisitionen ist Xansa im Jahr 2001 entstanden und hat recht schnell Kapazitäten in Indien aufgebaut. Xansa ist in diesem Sinne das einzige Unternehmen der Top F&A BPO-Anbieter, das mit einem Schwerpunkt in F&A agiert. Alle anderen Top-Anbieter sind auch in anderen Business-Prozessen mit einem entsprechenden Service-Angebot positioniert. Als Ende der 90er Jahre vorwiegend Mega Deals, also die Zusammenarbeit mit nur einem BPO-Anbieter für alle BPO-Funktionen, als die Erfolg versprechende Strategie gehandelt wurden, wurden die Chancen für funktional spezialisierte Anbieter eher gering eingeschätzt. In der aktuellen BPO-Landschaft stehen die Chancen für Unternehmen wie Xansa nicht schlecht, da sie durch den engen Fokus grundsätzlich mit besserem Expertenwissen aufwarten können. HP Services
ist als ITO- und BPO-Arm von Hewlett-Packard (HP) entstanden und beschäftigt ca. 69.000 Mitarbeiter. Ähnlich wie bei IBM ist HP bemüht, den weniger profitablen Bereich der Hardware zu verlassen und stärker in das Servicesegment einzudringen. Da HP nicht wie IBM den Versuch unternommen
Marktanalyse – Marktpotenziale und BPO-Anbieter
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hat, durch Akquisition bzw. Partnerschaft funktionale Expertise aufzubauen, war ein zentraler BPO-Vertrag mit Procter & Gamble im Jahr 2003 der wesentliche Erfolgsfaktor. HP ist es gelungen, gegen jede F&A- und ITOspezialisierte Konkurrenz, Procter & Gamble dazu zu bewegen, ihnen das Finance & Accounting SSC des Konzerns zu überlassen. Somit gelang eine entsprechende Profilierung und es erfolgte die Positionierung im Kreise der größeren F&A BPO-Anbieter. Genpact
zählt zu den indischen Anbietern, die an dieser Stelle gesondert analysiert werden. Entstanden aus dem ehemaligen GE Capital SSC, wurde im Jahr 1997 die Tochtergesellschaft GECIS (GE Capital Information Services) in New Delhi, Indien, ins Leben gerufen, die Unterstützung bei einfachen Finanztransaktionen und IT-Aufgaben zur Verfügung stellte. Als unabhängige Geschäftseinheit übernahm GECIS in der Folge eine Vielzahl von Unterstützungsaufgaben bei der Bearbeitung von Versicherungs- und Kreditvorgängen. Über das Vordringen in die unterschiedlichen Knowledge-Prozesse in den Bereichen Bank- und Versicherungsgeschäft sowie Controlling wurde GECIS zu einem Center of Excellence für Business Processing. GE erkannte das Potenzial von GECIS und positionierte das aufstrebende Unternehmen schließlich als unabhängiges BPO Service-Unternehmen. Konsequenterweise wurde GECIS zum Teil an eine Investorengruppe veräußert und in Genpact umbenannt. Heute beschäftigt das Unternehmen, das zu GE und den Private EquityFirmen General Atlantic und Oak Hill Partners gehört, 25.000 Mitarbeiter in Indien, China, Ungarn, Rumänien und Mexiko. Genpact versteht sich als ein Vorreiter in der F&A BPO-Branche und hat mit seinen beiden BPO Centern in China sowie dem Center in Bukarest, Rumänien, neuen Boden im Bereich Nearshoring und Offshoring betreten. Mit den Aktivitäten in Budapest und Bukarest attackiert Genpact den vielfach betonten Nachteil der sprachlichen und kulturellen Distanz indischer Anbieter zu den westeuropäischen Kunden.53 Mit den umfassenden Controlling-Prozessen, die in den globalen Genpact Centern betrieben werden, setzt das Unternehmen auch im Bereich KPO Zeichen. Wipro BPO
(ehemals Wipro Spectramind) entstand aus der Akquisition von Spectramind durch den indischen Konzern Wipro (Western India Products Ltd.) im Jahr 2003. Spectramind wurde im Jahr 2000 mit gerade einmal 30 Mitarbeitern gegründet. Heute zählt das Unternehmen ca. 16.000 Mitarbeiter, die aus vier unterschiedlichen Centern in Indien agieren. 53
Vgl. Pohl, 2005, S. 209.
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BPO – die logische Weiterentwicklung des Shared-Services-Gedankens
HCL Technology
(Hindustan Computer Ltd.) wurde im Jahr 1975 gegründet und hat sich über das Hardware Geschäft und IT Services immer stärker in den BPO-Markt entwickelt. Mittlerweile beschäftigt das Unternehmen rund 10.000 Mitarbeiter in den HCL BPO Services. Neben den drei indischen Standorten existieren weitere Center in Belfast, Nordirland, und in Malaysia. WNS
wurde – ähnlich wie Genpact – als Captive SSC von British Airways im Jahr 1997 in Indien eingerichtet. Seit dem Jahr 1999 arbeitet WNS gezielt als BPO-Anbieter und akquiriert eigene Kunden. British Airways hat zwischenzeitlich die Mehrheit an WNS an die Private Equity-Firma Warburg Pincus veräußert. Das Unternehmen beschäftigt 9.000 Mitarbeiter an seinen Standorten in Indien, Sri Lanka und Großbritannien und ist seit kurzem an der New York Stock Exchange gelistet.54 WNS wirbt mit dem in den Jahren 2004 und 2005 vom indischen IT und Serviceverband NASSCOM verliehenen Titel des besten indischen BPO-Anbieters. Infosys BPO
(ehemals Progeon) ist eine Tochtergesellschaft des indischen IT-Unternehmens Infosys. Gegründet im Jahr 2002 als der BPO-Spezialist innerhalb der Infosys Gruppe, hat das Unternehmen mittlerweile 5.700 Mitarbeiter und ist neben Indien an Standorten auf den Philippinen, in Australien und der Tschechischen Republik aktiv. Infosys selbst ist als das wachstumsstärkste und das am besten geführte Unternehmen ausgezeichnet worden.55 iGate
mit Sitz in Bangalore ist ein indischer BPO-Spezialist, der ca. 5.600 Mitarbeiter zählt. iGate hat sich im F&A BPO einen Namen gemacht, da das Unternehmen eine spezielle Middleware entwickelt hat (iTops), die es Klienten erlaubt, die eigenen Systeme und Applikationen beizubehalten und dennoch die Vorzüge eines Offshoring BPO Anbieters nutzen zu können. TCS
(Tata Consulting Services) ist die Servicesparte des Industriekonzerns Tata in Indien. Im Rahmen des Service-Geschäfts, das allein über 40.000 Mitarbeiter zählt, besteht seit 2002 das Geschäftsfeld BPO Services, das die ambitionierte Vision verfolgt, in 2010 in den Kreis der Top 10 BPO-Anbieter vordringen zu wollen. Derzeit beschäftigt das BPO Services-Geschäft 1.600 Mitarbeiter an Standorten in Indien, Ungarn sowie den USA. 54 55
Vgl. www.outsourcing-alert.com, 27.7.2006. Vgl. Müller/Dorfs, 2.8.2005, S. 12.
BPO-Branchenvergleich
4.
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BPO-Branchenvergleich
Im Branchenvergleich spielt die bereits analysierte Fertigungstiefe eine wichtige Rolle. Wie angesprochen, ist in der Automobilindustrie die Fertigungstiefe im Verlauf der letzten Jahrzehnte durch immer stärkere Verlagerung zu Zulieferern stark gesunken und liegt momentan bei ca. 20 %. Ganze Komponenten wie das Fahrwerk, der Motor oder die Türen werden als vollständige Bauteile an den OEM geliefert, der lediglich die Assemblierung der übersichtlichen Komponentenanzahl vornimmt. Extremfälle, wie die Fertigungstiefe von ca. 10 % bei der Herstellung des Smart oder gar die vollständige Auslagerung der Produktion des Porsche Boxter, zeigen, wo die Reise hingeht. In der produzierenden Industrie werden künftig OEMs möglicherweise nur als netzwerkkoordinierende Einheiten fungieren, die lediglich strategische Ziele, Produktportfolios und Marketingmaßnahmen in Eigenregie steuern. Darüber hinaus besteht ihre Hauptaufgabe in der Koordination globaler Supply Chain- und Distributionsnetzwerke, in denen Zulieferer und Distributoren als Outsourcing-Dienstleister alle Kernprozesse von der Beschaffung über die Herstellung bis hin zum Vertrieb und den Kundenservice für den OEM übernehmen. Das in diesem Szenario die Unterstützungsfunktionen wie Finanzen, HR und Customer Support ebenfalls an Dienstleister übergeben werden, ist offenkundig. Die Frage nach dem „Corporate Core“, also dem Unternehmenszweck definierenden Kern des unternehmerischen Handelns, reduziert sich auf Strategie, Produkte (Entwicklung, Design und Positionierung) sowie die Pflege und Entwicklung der Brands (Unternehmen und Produkte). Die produzierende Industrie könnte schon in wenigen Jahren dieser Vision recht nahe kommen. Grundsätzlich kann diese branchenspezifische Entwicklung auf weite Teile des produzierenden Gewerbes übertragen werden: Elektronikindustrie, Konsumgüter, chemische und pharmazeutische Industrie, Bekleidungs- sowie Lebensmittelindustrie. In der Baubranche sowie der Verkehrs- und Transportbranche lässt sich das Fertigungsstufenkonzept ebenfalls mit Einschränkungen anwenden. Insbesondere in der Baubranche ist ein Großteil der Fertigungsstufen häufig an Subunternehmer vergeben. Der Bauträger übernimmt die Rolle der netzwerkkoordinierenden Einheit und behält nur wenige, strategische Kernaufgaben. In der Transportbranche sind ebenso weite Teile der Transportdienstleistungen an externe Dritte verlagert, weil z. B. Cargo-Fluglinien nicht jede Route selbst fliegen können und Cargo-Frachtraum in Passagierflugzeugen anmieten.
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BPO – die logische Weiterentwicklung des Shared-Services-Gedankens
In der Dienstleistungs- und der Finanzdienstleistungsbranche sieht das Bild noch grundsätzlich anders aus. Im Dienstleistungsgeschäft kann eine eindeutige Trennung der Kern- und Unterstützungsprozesse nicht ohne weiteres bestimmt werden, wie dies in der fertigenden Industrie der Fall ist. Eine Beratungsleistung oder Finanzprodukte sind virtuelle Leistungen, die nicht „auf Lager“ und ortsungebunden erbracht werden können. Ein Finanzprodukt, das in den USA entwickelt wurde, kann durchaus über eine deutsche Bank mit Hilfe eines indischen Call Center Agents an einen britischen Kunden vermittelt werden. Obgleich dies wohl eher noch die Ausnahme darstellt, ist ein derartiger Wertschöpfungsprozess durchaus möglich. Grundsätzlich hinkt der Vergleich der Fertigungstiefe aus dem produzierenden Gewerbe mit der Wertschöpfungstiefe aus dem Dienstleistungsgeschäft. Eine Bank oder Versicherung „produziert“ ein Produkt nicht nur, indem es entwickelt, vermarktet und verkauft wird. Um ein Versicherungspaket zum Beispiel als fertiges Produkt anbieten zu können, sind die entsprechenden internen Prozesse wie Bearbeitung der eingehenden Zahlungen, Anlage der vereinnahmten Geldmittel, Rückversicherung des Versicherungsbetrags sowie die kontinuierliche Pflege der Kundendatei und Kundenservicebereitschaft sicherzustellen. Ob diese als Kernoder Unterstützungsprozesse klassifiziert werden, ist eigentlich unerheblich. Fakt ist, dass in der Dienstleistungsindustrie wesentlich mehr Aktivitäten intern erbracht werden, als dies im produzierenden Gewerbe der Fall ist. Der derzeitige Trend, dass Finanzdienstleister in viele BPO Deals involviert sind, spiegelt nicht eine besonders offene Haltung gegenüber Outsourcing wieder, sondern zeigt einen dringenden Nachholbedarf der Branche. Während das produzierende Gewerbe seit nunmehr 40 Jahren mit der Auslagerung von Produktionsschritten befasst ist, vollziehen Finanzdienstleister den Wertschöpfungsprozess weitgehend in Eigenregie. Folglich ist die Wertschöpfungstiefe noch sehr hoch, in den meisten Fällen noch bei mehr als 80 %. Customer Support, wie Kundendatenpflege oder Call Center Services, werden künftig ebenso zu Standard-ZuliefererServices werden wie die Bearbeitung und Nachverfolgung von Versicherungsoder Kreditzahlungen und somit Bestandteil von BPO-Lösungen, die die Wertschöpfungstiefe auch im Dienstleistungsbereich sukzessive reduzieren werden. In der Telekommunikations- und Energieversorgungsbranche finden sich Unternehmenstypen, die sowohl die Aspekte des oben genannten Fertigungsstufenkonzeptes aufweisen als auch ein umfassendes Dienstleistungsgeschäft betreiben. Der Netzbetrieb eines Telekommunikationsunternehmens oder der Kraftwerksbetrieb eines Energieversorgers entspricht in weiten Teilen dem Produktionsprozess eines produzierenden Unternehmens. Im Kundenservice und Dienstleistungsgeschäft werden überdies Dienstleistungsprodukte vermarktet, die begrifflich dem BPO-Geschäft zugeordnet werden könnten (z. B. als BPO Customer Support).
BPO-Branchenvergleich
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UnterstützungsKern prozesse prozesse
Unterstützungs- Kern prozesse prozesse 100%
Outside
Outside
Outside
Outside
BPO Potenzial
100%
80% 70%
Produzierendes Gewerbe
z.B. • Kundendatenpflege • Customer Support • Research
Inside
Inside
20%
70%
Inside
Inside
(bereits outgesourcte Fertigungsprozesse)
BPO Potenzial
20%
Finanz- und Dienstleistungsbranche
Quelle: Offshoring Institute, Prozentwerte der Kernprozesse in Anlehnung an Schaaf, Jörg56 Abbildung 2-12: Vertikale Integration im Branchenvergleich Diese Analyse untermauert die These, dass in der Service- und Finanzdienstleistungsbranche in den kommenden Jahren mit wesentlich höheren BPO-Volumina zu rechnen ist als im produzierenden Gewerbe. Während im produzierenden Gewerbe der Fokus weiterhin auf den Unterstützungsprozessen liegen wird, werden im Servicebereich viele Kernprozesse unter BPO-Gesichtspunkten analysiert. Grundsätzlich soll an dieser Stelle die These aufgestellt werden, dass mittelgroße und große Unternehmen in einem Zukunftsszenario in 20 bis 30 Jahren wahrscheinlich lediglich weniger als 20 % der Wertschöpfungstiefe inhouse bewerkstelligen werden. Somit lässt sich im Anschluss an die Erkenntnisse von Adam Smith bezüglich der Arbeitsteilung aus dem Jahr 1776 über die Weiterentwicklung zur Fließfertigung von Frederick Taylor und Henry Ford Anfang des 20. Jahrhunderts, die Divisionalisierung zur Erhöhung der Kundennähe in den 70er und 80er Jahren sowie das Lean Management in den frühen 90er Jahren der Bogen über BPO im neuen Jahrtausend weiter spannen: Das organisatorische Paradigma im 21. Jahrhundert wird Unternehmen zu netzwerkkoordinierenden Einheiten mit strategische Kernaufgaben werden lassen, die alle wesentlichen Unterstützungsfunktionen sowie weite Teile des Produktionsprozesses outgesourct haben werden. 56
Vgl. Schaaf, 13.6.2005, S. 5-6.
SSC oder BPO – eine Grundsatzfrage mit strategischen Implikationen
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Shared Services versus BPO – Good Bye Captive, welcome BPO?
1.
SSC oder BPO – eine Grundsatzfrage mit strategischen Implikationen
Shared Service Center (SSC) und Business Process Outsourcing (BPO) haben inhaltlich viele Gemeinsamkeiten. Die Organisation, Arbeitsweise und internen Prozesse sind identisch. Auch die Arbeitsgebiete – die klassischen Unterstützungsfunktionen wie z. B. Finanz- und Rechnungswesen, HR, Einkauf & Logistik, Customer Support – weichen kaum voneinander ab. Dennoch kann die Frage Shared Services oder BPO zu einem Problem werden, an dem sich die Geister scheiden. Das klassische Shared Service Center gehört im Regelfall zu 100 % oder zumindest eindeutig mehrheitlich dem Unternehmen, für das es exklusiv seine Dienste erbringt. Die Business-Process-Outsourcing-Lösung basiert üblicherweise auf einem oder mehreren Center(n) eines Service Providers, das entweder nur einem Unternehmen exklusiv seine Dienste anbietet, des aber durchaus auch mehrere Kunden parallel aus dem Center bedienen kann. Dazwischen existieren strategische Allianzen, bei denen sich zwei oder mehrere Unternehmen zusammenschließen, um ein gemeinsames Center zu errichten, sowie Joint Ventures. Beim Joint Venture arbeitet ein Unternehmen mit einem BPO-Anbieter zusammen, um ein gemeinsames Unternehmen zu gründen, an dem beide Partner beteiligt sind. Die Zusammenarbeit in Joint Ventures dient grundsätzlich der Kombination der Stärken und Schwächen der Captive SSC sowie der BPO-Lösung, vor allem der Faktor Expertise des BPO-Anbieters ist häufig ausschlaggebend. Weitere Spezialformen sind das Build Operate Transfer Model (BOT) sowie das InvertedBuild-Operate-Transfer-Model. Beim ersteren erfolgen der Aufbau sowie der Betrieb in den ersten Jahren durch einen BPO-Anbieter, der im Regelfall Eigentümer des Centers ist. Nach einem festgelegten Zeitraum wird das stabil laufende Center dem Unternehmen übertragen. Beim Inverted BOT Model veräußert ein Unternehmen das eigene funktionsfähige Center an einen BPO-Anbieter.
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Shared Services versus BPO – Good Bye Captive, welcome BPO?
Captive Solution
Service Center
Aufbau eines firmeneigenen Shared Service Centers
Business Process Outsourcing
Beauftragung eines BPO Anbieters zum Aufbau und Betrieb eines Service Centers
Strategische Allianz/ Joint Venture
Zusammenarbeit mit einem anderen Unternehmen bzw. BPO-Anbieter zum Aufbau eines Shared Service Centers
Abbildung 3-1: Unterschiedliche Modelle zur Realisierung von Service Centern Der Kernunterschied zeigt sich in der Eigentümerstruktur. Eng verbunden mit der Eigentumsfrage sind vier wesentliche Aspekte, die es im Weiteren kurz zu beleuchten gilt: Kontrolle Gewinn Risiko Qualität
Der Kontrollaspekt wird oftmals überbewertet. Allgemein wird angenommen, dass Eigentum automatisch zu einer besseren Kontrolle führt. Üblicherweise ist das auch so: Mit dem Eigentumsrecht geht ein Anweisungs- und Durchgriffsrecht einher, was bedeutet, dass ein Unternehmen disziplinarisch die Leistungserbringung und Kompensation des Centers überwachen und ggf. sanktionieren kann. Praktisch bedeutet dies z. B., dass die interne Revision jederzeit Ordnungsmäßigkeits-Audits veranlassen und durchführen kann oder Manager und Mitarbeiter gezielt ausgetauscht bzw. versetzt werden. Die konzernweiten Richtlinien sowie die vorgegeben Berichtsformate gelten ebenso für das SSC. Aufgrund der spezifischen Aufgaben des SSC werden häufig noch zusätzliche Berichte bzw. Scorecard-Informationen vom SSC gefordert. Häufig sind die Vorteile der engen Kontrolle nicht evident. Trotz der „kurzen Leine“ und des direkten Einflusses auf das Center, gelingt es vielen Captive SSC über mehrere Jahre nicht, z. B. Kostenstrukturvorgaben einzuhalten oder be-
SSC oder BPO – eine Grundsatzfrage mit strategischen Implikationen
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stimmte Service Levels zu erreichen. Einige Center sehen fast jedes Jahr einen neuen Leiter und eine Qualitäts- und Kostenoffensive nach der anderen – mit begrenztem Erfolg. Offensichtlich führt die enge Konzernkontrolle nicht immer zum gewünschten Erfolg. Warum? Ganz einfach, wie mit vielen Konzerninitiativen ist es auch mit einem SSC: Insbesondere in den trägen Mühlen eines vielschichtigen Großkonzerns versickern Initiativen zur Optimierung des SSC sehr schnell. Innerhalb eines Konzerns ist z. B. ein Finance & Accounting SSC für die erste und zweite Führungsebene eine Karrieresackgasse.57 Um Karriere in den Geschäftsbereichen als CFO oder Controller oder in der Zentrale als Bereichsleiter Planung oder sogar als Corporate CFO zu machen gilt es, so schnell wie möglich aus dem SSC herauszukommen. Obgleich die Aufgaben in einem SSC vielfältig und interessant sind, bestehen häufig Vorurteile, die Mitarbeiter in Richtung Geschäftsbereiche oder Konzernhauptverwaltung drängen lassen. Die Angst, als funktionaler Experte im Konzern abgestempelt zu werden oder gar durch eine Offshoring-Initiative den Job zu verlieren, wiegt häufig schwerer als die Tätigkeit in einer modern ausgerichteten Konzerndienstleistungsfunktion. Aus Konzernsicht ist es viel einfacher, auf der Basis eines entsprechenden Vertrages mit dem BPO, Anbieter Preise und Leistungen klar zu fixieren. Die Optimierung des BPO-Centers ist dann nicht mehr Sache des Konzerns, darum kümmert sich jetzt der BPO-Anbieter. Und sollten die vereinbarten Leistungen nicht erbracht werden, greifen entsprechende Vertragsstrafen. Natürlich hört sich das einfacher an als de facto umgesetzt – doch die Bottom Line bleibt: weniger Kontrolle bedeutet nicht unbedingt schlechtere Leistung. Oftmals ist genau das Gegenteil der Fall. Im Hinblick auf ökonomische Vorteile schneidet das SSC auf den ersten Blick besser ab als der Outsourcing-Anbieter. Letzterer kalkuliert einschließlich seiner Gewinnmarge und muss somit etwas teurer sein als jedes interne Center, oder? Diese Diskussion findet sich meist im Kern einer jeden Make-or-Buy-Entscheidung.58 Der BPO-Anbieter wird versuchen, das Gewinnmargenargument mit dem Hinweis auf geringere Investitionskosten, Spezialisierungseffekte, Economies of Scale and Scope und Offshore-Standorte abzuschwächen. Dass die BPOAnbieter z. T. erhebliche Gewinne realisieren, ist offenkundig und kann nicht von der Hand gewiesen werden. Die interne SSC-Organisation kann zudem ähnliche Argumente vorbringen, was die Kostenvorteile betrifft. Letztlich hängt es von der Größe des Centers, der globalen Aufstellung des Konzerns sowie der
57 58
Vgl. www.deloitte.com, 2006, S. 7 (Beispiel zum Umgang mit den Karriereentwicklungsmöglichkeiten). Zur Vertiefung zum Thema „Make or Buy“: Vgl. Mayer/Söbbing, 2004, S. 46 ff.
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Shared Services versus BPO – Good Bye Captive, welcome BPO?
Standortstrategie ab, ob ähnliche Vorteile wie die eines BPO-Anbieters realisiert werden können. Das aus den Kinderschuhen gewachsene SSC von GE Capital, das sich heute als eigenständiger BPO-Anbieter unter dem Namen Genpact im Markt präsentiert, sowie der BPO-Anbieter New Source, der einmal als SSC für Bahlsen begonnen hat, untermauern die Fähigkeit eines SSC, ähnlich effektiv wie BPO-Anbieter zu operieren. Die Analyse der Kostenvorteile wird im folgenden Vergleichsmodell eine besondere Rolle spielen. An dieser Stelle kann die Antwort zur Frage nach Captive SSC oder BPO unter ökonomischen Aspekten nur heißen: Es kommt drauf an. Das Thema Risiko kann an dieser Stelle schon eher Verständnis für die interne Lösung wecken. Insbesondere bei kritischen Prozessen, wie z. B. dem Finanzund Rechnungswesen, verbleibt die Haftung auf jeden Fall beim Unternehmen. Sogar bei einem zu fast 100 % outgesourcten Accounting zeichnet letztendlich immer wieder der CFO verantwortlich für die Korrektheit und Ordnungsmäßigkeit der finanziellen Darstellung des Unternehmens. Ähnlich sieht es bei der inhaltlichen Ausgestaltung der vom Outsourcer übernommenen Dienstleistung aus. Geht ein Großkunde aufgrund eines nicht kompetenten BPO Call Center Agents verloren, sind die Konsequenzen des Umsatzverlustes durch das Unternehmen selbst zu tragen. Natürlich wird in beiden Beispielen in einem vernünftig ausgehandelten BPOVertrag der Dienstleister mit erheblichen Vertragsstrafen versehen werden. Die Tatsache, dass ein Unternehmen aufgrund eines verweigerten Testats seitens der Wirtschaftprüfer auf die „Watchlist“ der Steuerbehörde gerät, Investoren verschreckt worden sind oder aktuelle und potenzielle Kunden Zweifel am Finanzgebaren des Unternehmens tragen, sind langfristige Risiken, die durch keine BPO-Vertragsstrafe kompensiert werden können. Ebenso verhält es sich mit den externen und internen Empfängern von BPO Dienstleistungen. Sowohl Kunden und Zulieferer als auch eigene Mitarbeiter reagieren verwundert auf unzulänglichen Service an den Schnittstellen zum BPO Provider und assoziieren damit eine Schwäche des Unternehmens, die zu einem langfristigen Imageschaden führen kann, der materielle Konsequenzen nach sich ziehen kann: Der viel umworbene Experte sucht sich vielleicht einen neuen Arbeitgeber, nachdem ihm zum dritten Mal in Folge eine falsche Gehaltsabrechnung ausgestellt worden ist, ebenso wie der kritische Zulieferer, der nach wiederholtem Verfehlen des Zahlungsziels seine Lieferungen einstellt, oder wie ein Kunde, der, weil er nicht zum Help Desk durchdringen kann, eher den Lieferanten wechselt, bevor er seinen derzeitigen Zulieferer zum Wechsel des Help Desk Providers überreden wird. Jedoch bedeutet unter Risikogesichtspunkten ein eigenes SSC nicht unbedingt Besse-
SSC oder BPO – eine Grundsatzfrage mit strategischen Implikationen
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rung. Alle oben genannten Verfehlungen können genauso in einem internen Service Center auftreten. Durch bessere Kontrollen hofft man lediglich, solche Risiken reduzieren zu können, ausschließen kann man sie nicht. Beim Thema Qualität zeigt sich eindeutig die Stärke der Outsourcing-Anbieter. Eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung hat im April 2006 bei der Befragung von 4.400 deutschen Unternehmen herausgefunden, dass IT-bezogene Outsourcing Dienstleistungen in 86 % aller Fälle aus Qualitätsgründen der internen Bereitstellung vorgezogen werden.59 Aufgrund des nicht so eindeutigen Kostenvorteils, wie oben dargestellt, haben immer mehr BPO-Provider den Weg des Qualitätsvorsprungs gewählt, um sich gegen interne Anbieter durchsetzen zu können. Die Verwaltungsprozesse im Großkonzern sind häufig nicht optimiert, so dass interne Bereiche wenig Interesse zeigen, sich dem permanenten Leistungs-, Wettbewerbs- und BenchmarkingDruck zu stellen. Solange der Druck auf Back-Office-Prozesse nicht übermäßig steigt und ein Kosten- und Qualitätsvergleich mit den entsprechenden BPOAnbietern umgangen werden kann, wird kaum ein internes SSC proaktiv zu viel Transparenz anstreben. Und ohne Transparenz wird auch die Qualität noch eine Weile hinterherhinken. Die Frage, wer Eigentümer des Service Centers sein soll, wird zu einer strategischen Frage. Beispiele wie Nike zeigen, dass ein Konzern seine Existenz durch die Steuerung virtueller Netzwerke von Zulieferern, Distributoren und ServiceProvidern sichern kann, solange er die wesentlichen strategischen Aufgaben nicht aus der Hand gibt. Die Tatsache, dass im produzierenden Gewerbe bereits erhebliche Fertigungsstufen und Teile der Entwicklungsarbeiten an Zulieferer abgegeben worden sind, weist auf einen Trend für die Zukunft. Die klassischen BPO-Funktionen wie z. B. Finanz- und Rechnungswesen, HR Management, Call Center und Help Desk, Einkaufsmanagement und Logistik werden künftig schwerlich eine Positionierung als „strategische Kernaufgabe“ im Unternehmen rechtfertigen können. Zudem ist die Einschätzung, dass die einmal getroffene Entscheidung für Captive SSC oder BPO schwerlich revidiert werden kann, nicht mehr ohne weiteres richtig. Das eigene Center kann mitunter recht schnell an einen BPO-Anbieter veräußert werden (Inverted BOT). Andererseits laufen BPO-Verträge nicht über den im ITO-Bereich anzutreffenden Zeitraum von fünf bis zehn Jahren. Eine Zeitspanne von drei Jahren setzt sich momentan durch und somit ist die Revision einer einmal getroffenen BPO-Entscheidung mittelfristig möglich.
59
Vgl. Fuest, 22.10.2005.
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Shared Services versus BPO – Good Bye Captive, welcome BPO?
In einer Zukunftsvision wird das Captive SSC kaum wiederzufinden sein. Im Zuge der Spezialisierung und Fokussierung auf Kernkompetenzen wäre es nahezu absurd zu glauben, die Aktualisierung der Mitarbeiterdatenbanken oder die Kreditorenbuchhaltung aus eigener Hand könne zu einem Wettbewerbsvorteil verhelfen.60 Genau das Gegenteil ist der Fall. Das Management-Team, das zu viel Zeit damit „verplempert“ das Back Office zu optimieren, verliert den Blick für sich schnell wandelnde Märkte, kurze Produktlebenszyklen, Innovationen und Kundenanforderungen. Die Angst vor Kontrollverlusten und Risiko wird zwangsläufig der gut strukturierten Outsourcing-Lösung weichen. Dass so viele Firmen derzeit die Captive-Lösung bevorzugen, ist nachvollziehbar und eine normale Entwicklungsstufe. Das Modell der Remote Service Provisioning muss gelernt werden und das geht nicht von heute auf morgen. Dabei hat die Entscheidung, ob Outsourcing oder nicht eine erhebliche, strategische Tragweite. Die Anforderungen an Manager, um dieses komplexe Themengebiet bearbeiten zu können, verlangen nach einer neuen Art von „Outsourcing Professionals“.61 Wenn das Vertrauen in das eigene Shared Service Center steigt und das Management aus strategischer Sicht das Thema „Outsourcing“ zunehmend beherrscht, kann es nur heißen: Good Bye Captive – welcome BPO. Soweit die Zukunftsvision. Aktuelle Umfragen sehen heute noch SSC leicht im Vorteil.62 Wann und für welche Aufgaben der richtige Zeitpunkt gekommen ist, auf BPO umzusteigen, soll im Folgenden anhand eines systematischen Ansatzes zur Entscheidungsunterstützung betrachtet werden.
2.
Pluspunkte für das „Captive Shared Service Center“
Es gibt einige offenkundige Gründe, die – obgleich der oben skizzierten Zukunftsvision – für eine interne Shared-Service-Lösung sprechen.
Kostenersparnis Als wesentliches Pro-Argument wird allgemein der Kostenvorteil gesehen. Dafür ist es erforderlich, dass der Umfang eines geplanten SSC groß genug ist, um
60 61 62
Vgl. Mayer/Söbbing, 2004, S. 12. Vgl. Corbett, 2005, S. 2. Vgl. www.globalservicesmedia.com. 19.4.2006, S. 1.
Pluspunkte für das „Captive Shared Service Center“
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Economies of Scale zu erreichen, und der Wille vorhanden ist, auch OffshoringStandorte in Betracht zu ziehen. Für viele Unternehmen bedeutet dies, dass eine Vielzahl ähnlich gearteter Back-Office-Prozesse in das Center übertragen werden müssen, um die geforderte kritische Masse zu erreichen. Im Rahmen eines Finanz- und Rechnungswesencenters reicht es somit mitunter nicht aus, lediglich Teilprozesse wie z. B. die Kreditorenbuchhaltung bzw. noch weiter differenzierte Prozessbausteine wie die Bearbeitung der Eingangsrechnungen in ein exklusiv dafür errichtetes Center zu integrieren. Ein Blick auf die Benchmarks verdeutlicht, warum: Ein Unternehmen mit einem Umsatz von 1 Milliarde Euro investiert im Regelfall ca. 1 % seines Umsatzes in den Betrieb der gesamten Finanzfunktion. Angenommen der Großteil der Mitarbeiter ist in mittel- und westeuropäischen Standorten bzw. am Sitz der Firmenzentrale in Deutschland beschäftigt, kann davon ausgegangen werden, dass ca. 200 Mitarbeiter die gesamte Finanzfunktion abdecken. Folgende Annahme liegt der Mitarbeiteranzahl zugrunde: Die durchschnittlichen Fully Loaded Labor Costs, also die Kosten für Gehalts- und Nebenkosten zuzüglich sonstiger Personalnebenkosten, Büro-, IT- und Kommunikationskosten sowie etwaiger Konzernumlagen, dürften pro Mitarbeiter bei ca. 50.000 Euro liegen. Ein Budget von 10 Mio. Euro ergibt somit ca. 200 Mitarbeiter. Betrachtet man lediglich den Kreditorenbuchhaltungsprozess, so investieren Unternehmen im Durchschnitt ca. 0,11 % des Umsatzes in diesen Prozess. Angewendet auf das oben genannten Beispiel ergäbe dies ein Service Center mit gerade einmal 22 Mitarbeitern. Plant man nun gegebenenfalls sogar die Verlagerung dieses Centers an einen Offshoring-Standort, fällt die fehlende kritische Größe des Centers eindeutig negativ ins Gewicht und schränkt die ökonomischen Vorteile der internen Lösung ein. An dieser Stelle wäre bereits die gesamte Accounting-Funktion in Betracht zu ziehen, um ein SSC mit ca. 60 Mitarbeitern aufbauen zu können. Die optimale Betriebsgröße für ein SSC zu definieren, ist ein komplexes Unterfangen.63 Auch ein Center mit weniger als 20 Mitarbeitern kann in hohem Maße effizient arbeiten. Im Vergleich zur BPO-Lösung ist jedoch zu konstatieren, dass der BPO-Anbieter aufgrund der Zusammenfassung von Kapazitäten unterschiedlicher Kunden an dieser Stelle sehr wahrscheinlich eine kostengünstigere Lösung realisieren kann. Inwieweit diese Vorteilhaftigkeit unter Berücksichtigung der Gewinnmarge des Outsourcing-Anbieters Bestand haben wird, ist ein anderes Thema. Das Beispiel einiger indischer BPO-Anbieter vermag die Komplexität zu illustrieren:
63
Zu den als Verbundeffekten bezeichneten „Economies of Scope“ siehe Dittrich/Braun, 2004, S. 33 f.
96
Shared Services versus BPO – Good Bye Captive, welcome BPO?
Derzeit operieren die meisten indischen BPO-Anbieter mit einer Kostenstruktur, bei der die jährlichen Fully Loaded Labor Costs für einen Finance Agent bei ca. 12.000 bis 15.000 US-Dollar liegen. Im Detail setzen sich die Kosten wie folgt zusammen: Komponenten Gehalt (inklusive ca. 20 % Nebenkosten)64 Transportkosten Sonstige Center Overheads Summe
Werte in US-Dollar 9.000 – 11.000 1.000 – 1.500 2.500 – 2.500 12.000 – 15.000
Quelle: Offshoring Institute Tabelle 3-1: Kostenstruktur für Finance BPO-Mitarbeiter (Indien) Mittlerweile berechnen die meisten Service Provider in Indien die Stunde pro Finance Agent mit ca. 10 bis 12 US-Dollar, was zu einer Kostenbelastung pro Mitarbeiter von ca. 20.000 bis 24.000 US-Dollar auf der Seite des Service empfangenden Unternehmens führt. Wird die „teuerste“ BPO-Lösung (24.000) mit der „teuersten“ internen Lösung (15.000) verglichen, ergibt sich eine Gewinnmarge von 37,5 % für den BPO-Anbieter. Bei einem derartigen Szenario dürfte es schwer fallen, allein aus Kostengründen die BPO Lösung zu favorisieren. Die geplante Marge eines Anbieters ist folglich kritisch zu hinterfragen. Viele Anbieter bieten „open books“ und ermöglichen ihren Kunden einen Einblick in die – mehr oder weniger – „wahren“ Kostenstrukturen. Grundsätzlich kann momentan eindeutig der Trend feststellt werden, dass sich BPO-Anbieter das Wachstum erschweren, weil – letztendlich bedingt durch die signifikanten Erfolge der vergangenen Jahre – die Margenvorstellungen zum Teil zu hoch sind.
Eingriff in Unternehmenskultur und Prozessabläufe Die Unternehmenskultur ist ein elementarer Faktor, um ein Unternehmen auf Kurs zu halten und die Mitarbeiter kontinuierlich zu Höchstleistungen zu motivieren. Sie kann jedoch zu einer Gefahr für das Unternehmen werden, wenn sie nicht in eine gewünschte Richtung entwickelt oder vernachlässigt wird. Eine Unternehmenskultur existiert immer, jedes Unternehmen hat eine, ob pro-aktiv gemanagt oder als „Matter of Fact“. Typischer Zeichen der Unternehmenskultur
64
Anm.: Associate mit ca. 3 Jahren Berufserfahrung und Hochschulabschluss.
Pluspunkte für das „Captive Shared Service Center“
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sind z. B. Führungs- und Kommunikationsstil, Einrichtung und Architektur der Gebäude, Kleiderordnung (explizit und implizit), Arbeitsweisen, Statussymbole usw. Die häufig niedergeschriebenen Führungsgrundsätze oder Mission Statements sind demgegenüber ein Versuch, die gewünschte Unternehmenskultur zu artikulieren und ein gemeinsames Verständnis dafür zu schaffen. Gewiss ist dies ein schweres Unterfangen und gelingt nur selten richtig gut. Integrationsprobleme unterschiedlicher Unternehmenskulturen treten insbesondere bei der Zusammenführung unterschiedlicher Unternehmen auf und lassen sich oftmals über Jahrzehnte nicht vollständig beseitigen. Das Aufgeben der gewohnten, eigenen Unternehmensidentität fällt schwer und stößt oftmals auf erhebliche Widerstände. Somit stellt sich im Grundsatz aus unternehmenskultureller Sicht die Einrichtung eines Captive SSC als einfacher dar.65 Die Mitarbeiter bleiben im Unternehmen, und die Unternehmenskultur wird nicht weiter gestört. Im Rahmen einer räumlichen Verlagerung oder sogar einer OffshoringLösung treten allerdings die erwähnten Irritationen bezüglich der Unternehmenskultur auf. Die Zusammenarbeit mit einem BPO-Anbieter ist an dieser Stelle ein noch schwerwiegenderer Einschnitt. Ähnlich wie bei einem Merger tritt beim BPO die Redundanz von Aktivitäten zutage. Eine BPO-Lösung würde nicht realisiert werden, würde das Unternehmen nicht die entsprechenden Mitarbeiterkapazitäten abbauen, die bislang zur Ausführung der betroffenen Arbeiten vorgesehen waren. An den relevanten Schnittstellen, z. B. dem Finanz- und Rechnungswesen, der Personalabteilung oder dem Sales Support, sitzen auf einmal „fremde“, externe Mitarbeiter. Die Arbeitsweise des BPO-Anbieters ist grundsätzlich anders, da er als Spezialist auf diesem Gebiet andere Schwerpunkte setzen wird. Der externe Bearbeiter der Mitarbeiterstammdatenbank wird darauf achten, dass für jede Anfrage – und sei es nur eine Adressänderung – eine Vorgangsnummer erteilt sowie ein Bestätigungs-E-Mail versendet wird. Der meldende Mitarbeiter wird sich anmelden müssen und ggf. erforderliche IDs sowie Passwords zur Verfügung stellen. Der BPO-Mitarbeiter benötigt die Informationen, um die Leistungsabrechnung sowie das Berichtswesen des BPO-Anbieters zu ermöglichen. Für den Unternehmensmitarbeiter, der bislang diese Dinge mit der „netten“ Personalsachbearbeiterin besprochen hat, wirkt dies alles fremd, neu und im ersten Augenblick sehr kompliziert. Aber immerhin spricht er in diesem Szenario noch mit einem Menschen. Noch gravierender werden die Eingriffe in die Unternehmenskultur, wenn der oben genannten Sachverhalt in Form einer SelfService-Lösung realisiert wird (hierbei ist es für den Mitarbeiter ggf. noch nicht einmal transparent, ob diese Leistung intern oder als BPO-Lösung angeboten 65
Vgl. Ibold/Mauch, 2006, S. 380.
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Shared Services versus BPO – Good Bye Captive, welcome BPO?
wird). Der Mitarbeiter wird eine Adressänderung selbst vornehmen müssen, wozu Anmeldung und die Arbeiten mit einem neuen System gelernt werden müssen, In diesem Fall findet gar kein persönlicher Kontakt mit einem Kollegen oder Service-Mitarbeiter mehr statt. Beim erstmaligen Aufbau eines SSC gilt es, Ressourcen aus dezentralen Geschäftseinheiten zunächst an einem Standort physisch zu konsolidieren. Virtuelle SSC, bei denen Einzelmitarbeiter an ihren dezentralen Standorten verbleiben, sind halbherzige, organisatorische Maßnahmen ohne die tatsächlichen Vorteile eines SSC anzustreben. Häufig führt bereits die rein räumliche Zusammenfassung zu Problemen, wenn Mitarbeiter gezwungen werden umzuziehen. Insbesondere deutsche Arbeitnehmer zeichnen sich nicht gerade durch Mobilität aus. Bevor das Pendeln zur Arbeitsstätte oder ein Umzug akzeptiert werden, wird erstmal ordentlich Widerstand geleistet und jedes Argument zur Abwendung des räumlich konsolidierten SSC herangezogen. Weiterhin ist ein internes Center über kurz oder lang gezwungen, ähnliche Arbeitsweisen wie ein externer BPO-Anbieter anzuwenden. Da Leistungen pro Transaktion an das Center vergütet werden und die Qualität sorgsam gemessen werden muss, sind ähnliche Daten anzufragen wie im oben dargestellten BPO-Fall. Im Endeffekt sind die Einschnitte in die Unternehmenskultur nicht das eigentliche Problem. Die größte Sorge ist nach wie vor der Verlust des Arbeitsplatzes. Die Verlagerung von Back-Office-Aktivitäten zu BPO-Anbietern wird als schleichendes Anzeichen dafür gesehen, dass künftig weitere – derzeit noch als Kernprozesse eingestufte – Aktivitäten in die Hände externer Anbieter verlagert werden. Somit ist Widerstand eine nachvollziehbare Reaktion. Ein Beispiel zeigt, dass die Verlagerung an einen Dritten nicht unbedingt Nachteile für den betroffenen Mitarbeiter bedeutet: Einige große ITOutsourcing-Anbieter haben über die Jahre hinweg hervorragende Integrationsfähigkeiten entwickelt: Von den 120.000 Mitarbeitern des IT-OutsourcingUnternehmens EDS waren ca. 80.000 Mitarbeiter ursprünglich bei den Kunden des Unternehmens beschäftigt. EDS ist es gelungen, eine eigene Kultur zu entwickeln, in der sich Mitarbeiter aus akquirierten IT-Abteilungen nicht einem Outsourcer ausgeliefert sehen. EDS bietet interessante Karriereentwicklungsmöglichkeiten sowie das globale Umfeld eines Großkonzerns. Dieses Modell hat wegweisenden Charakter auch für die BPO-Branche. Im Hinblick auf die Eingriffe in die Prozessabläufe ist anzumerken, dass die Unterschiede zwischen dem internen SSC und BPO wahrscheinlich kaum noch ins Gewicht fallen. Moderne Captive SSC sind häufig gezwungen, neue Prozesse und Technologien zu implementieren, um die anvisierten Verbesserungen realisieren zu können. Andererseits sind BPO-Anbieter schon in der der Lage
Pluspunkte für das „Captive Shared Service Center“
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durch intelligente Middleware Solutions auf der Prozessstruktur und Technologie der Kunden zu arbeiten. Für die Mitarbeiter im Unternehmen, die an den Schnittstellen zum BPO-Anbieter arbeiten, ändert sich in diesem Fall wenig.
Risiko im Hinblick auf Daten und Intellectual Property In der Informationsgesellschaft ist die Herrschaft über Daten und Intellectual Property zu einem wesentlichen Wettbewerbsfaktor geworden. Das Wissen über Märkte, Produkte, Trends, Wettbewerber sowie die eigenen F&E-, Kunden-, Zulieferer- und Mitarbeiterdaten sind vielfach wichtiger als Produktionsanlagen, Auslieferungslager oder Verkehrsanschlüsse. Die abgebrannte Lagerhalle hinterlässt oftmals einen geringeren Schaden als eine verloren gegangene Datei mit Kundendaten. Insbesondere die hohe Sensitivität und Bedeutung bestimmter Daten weckt das Interesse der Öffentlichkeit und der Konkurrenz. Und so ist es mehr als verständlich, dass ein Unternehmen besondere Vorsicht walten lässt. Die klassischen BPO-Themen wie Finanz- und Rechnungswesen, HR oder Customer Support erfordern die Überlassung einer Vielzahl sensitiver Daten an einen externen Anbieter. Einige Beispiele mögen das illustrieren: Die Debitorenbuchhaltung verfügt über Einsicht in alle Kundentransaktionen,
Preise und etwaige Preisnachlässe, Zahlungsbedingungen und Zahlungsmoral der Kunden. Die Mitarbeiterstammdatenverwaltung verfügt über alle Mitarbeiterdaten
inklusive Gehälter, Boni und Kontaktdaten. Der Customer Support kann nachvollziehen, welches Produkt an welchen
Kunden und Standort gegangen ist. Das sind alles Informationen, die für einen Wettbewerber Gold wert sein können. Diese Daten sind grundsätzlich in den Händen unternehmenseigener Mitarbeiter besser aufgehoben als in den Händen eines noch so vertrauenserweckenden externen Dienstleisters. Der eigene Mitarbeiter ist rechtlich gebunden, Firmengeheimnisse nicht an externe Dritte weiterzugeben und – noch viel wichtiger – er wird sich aus moralischen Gründen zurückhalten, diese Daten an einen Externen weiterzugeben. Darüber hinaus ist es für den internen SSC-Mitarbeiter nicht so verlockend, da er kaum oder gar keinen Kontakt zu Mitarbeitern potenzieller Konkurrenten hat. Das sieht für den BPO-Mitarbeiter schon anders aus: in den BPO Centern werden i. d. R. Mitarbeiter, die für unterschiedliche Kunden arbeiten, gleichzeitig beschäftigt – oder noch extremer – ein BPO-Mitarbeiter muss für mehrere Kunden, ggf. sogar Konkurrenten, ähnlich geartete Tätigkeiten verrichten.
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Shared Services versus BPO – Good Bye Captive, welcome BPO?
Die BPO-Branche hat an dieser Stelle mittlerweile dazugelernt. Der oben genannte Fall der Doppelbelastung eines Mitarbeiters mit Aufgaben konkurrierender Unternehmen wird kaum noch zu finden sein (obgleich in Einzelfällen noch anzutreffen), und BPO-Mitarbeiter für konkurrierende Kunden werden z. T. hermetisch voneinander getrennt. Nicht nur IT-technisch, sondern auch räumlich werden strikte Trennungen vorgenommen, und die Sicherheitsvorkehrungen, um vom Flur A, auf dem die Gehaltsabrechnung der Musterunternehmen GmbH bearbeitet werden, auf den Flur B zu kommen, wo die BPO-Mitarbeiter für die Stammdatenverwaltung der Beispiel AG sitzen, sind manchmal umfassender als bei den betreffenden Unternehmen selbst. Die Unterzeichnung von Confidentiality Agreements ist in der BPO-Branche Standard und Mitarbeiter sind somit ebenfalls rechtlich gebunden, die Daten des Kunden streng vertraulich zu behandeln. Obgleich die BPO-Unternehmen in den letzten Jahren diesbezüglich erhebliche Verbesserungen vorgenommen haben, liegt derzeit hier ein klarer Vorteil bei den Captive SSC.
Kapazitätsanforderungen Die hohen Kapazitäten großer BPO-Anbieter werden allgemein als ein wesentlicher Vorteil der BPO-Lösung gesehen. Es ist zweifelsohne richtig, dass große, globale, US-amerikanische und indische BPO-Anbieter erstaunlich große Center eingerichtet haben und mit der Multi-Standortstrategie durchaus in der Lage sind, umfassende Call-Center-Aktivitäten oder gar gesamte Accounting Abteilungen großer Konzerne zu übernehmen. Dennoch gibt es bezüglich der Kapazitätsanforderungen einige wesentliche Vorteile für die interne SSC-Lösung. Wie bereits dargestellt, erscheint die Einrichtung eines Captive SSC nur dann sinnvoll, wenn in entsprechendem Umfang Prozesse zusammengefasst und in einem Paket im SSC angesiedelt werden. Für Unternehmen, deren Umsatzvolumen in der Größenordnung von 500 Mio. bis 1,5 Mrd. Euro liegt, ist es zumeist erforderlich, beispielsweise das gesamte Accounting zusammen zu fassen. In einem internen Center stellt ist dies aus Kontroll-, Risiko-, Ordnungsmäßigkeits- sowie organisatorischen Aspekten problemlos. Bei einer externen Lösung gilt es, die gesamte relativ sensitive Accountingfunktion an nur einen Dienstleister abzutreten, was zu einer erheblichen Abhängigkeit führt. Die Vergabe umfassender, komplexer und sensitiver Back-Office-Pakete erfordert Erfahrung im Modell des „Remote Service Provisioning“, garantierte Service Levels sowie Vertrauen in den Dienstleister und die eigene Organisation, um mit dieser Situation zurechtzukommen. Im Regelfall wird dies schwer in einem Schritt umsetzbar sein, so dass die temporäre Captive SSC-Lösung oder eine Joint-Venture-Konstellation typischer ist.
Pluspunkte für das „Captive Shared Service Center“
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Obgleich die großen BPO Player generell umfassende Kapazitäten aufgebaut haben, bestehen aber dennoch Engpässe, um spezifische – häufig branchenspezifische – Anforderungen abbilden zu können. Einige Beispiele mögen dies untermauern: In der Telekommunikationsbranche ist die Abrechnungsfunktion (Billing) ein datenverarbeitungstechnisch aufwändiges Verfahren. Telefon-, SMS- und Datenservice-Aktivitäten sind pro Kunde zu erfassen, basierend auf den entsprechenden Tarifmodellen zu bewerten und in einer monatlich abgegrenzten Rechnung zusammenzustellen. Bei mehreren Millionen Kunden mit hunderten von entsprechenden Aktivitäten kommen da leicht mehrere Milliarden Transaktionen pro Monat zusammen, die es zu verarbeiten gilt. Die Telekommunikationsbranche sowie die Mobilfunkunternehmen haben erstaunliche Fähigkeiten und Systeme entwickelt, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Ein weiteres konkretes Beispiel ist der nordamerikanische Einzelhändler Sears. Das Bestellwesen und die Kreditorenbuchhaltung des Unternehmens verarbeiten jeden Monat Daten für die ca. 1.000 Stores, die das z. T. bis zu 50.000 Artikel umfassende Sortiment anbieten. Dabei gilt es sicherzustellen, dass alle Artikel zur richtigen Zeit an der richtigen Verkaufsstelle ankommen und der entsprechende Zulieferer unter Berücksichtigung aller etwaigen Sonderkonditionen und unter Einhaltung der spezifischen Zahlungsbedingungen bezahlt wird. Dabei ist zu beachten, dass zum einen das Sortiment von Monat zu Monat saisonal schwankt und zum anderen aufgrund unterschiedlicher Verkaufszahlen permanent Änderungen im Supply Chain Management vorgenommen werden müssen. In Verbindung mit den üblichen Problemen, die im Kreditorenprozess auftreten (Rechnungssumme, Lieferort, Qualität, Zahlungsbedingungen etc.) wird deutlich, dass spezifische Kenntnisse sowie die Fähigkeit zum Management eines umfassenden Retail-Datenvolumens erforderlich sind. Sears hat hier eine entsprechende Lösung im eigenen SSC realisiert und bislang noch keinen BPOAnbieter gefunden, der in der Lage wäre, dieses komplexe und anspruchsvolle Geschäft in gleicher Qualität zu managen. Im Ergebnis bestehen in spezifischen Branchen und Anwendungsgebieten noch Lücken, in denen BPO-Anbieter keine entsprechende Expertise und die Fähigkeit zum Management des entsprechenden Volumens aufgebaut haben bzw. vorweisen können. Mittelfristig sind bestimmte Unternehmen quasi gezwungen, Effizienzvorteile durch die Einrichtung von Captive Shared Services zu realisieren.
Komplexität Die Komplexität einer Organisation kann durchaus zu einem Hinderungsgrund werden, um effektiv mit einem Service Provider zusammenarbeiten zu können.
102
Shared Services versus BPO – Good Bye Captive, welcome BPO?
Diese Komplexität kann organisatorisch bedingt sein, etwa dass eine Vielzahl von (globalen) Standorten mit völlig unterschiedlichen Diensten bedient werden muss bzw. kann sich in völlig unterschiedlichen Anforderungen, Prozessabläufen und Systemen äußern. Eine zu hohe Komplexität wird einen BPO-Anbieter abschrecken bzw. nach der entsprechenden Kompensation verlangen, wodurch aller Wahrscheinlichkeit nach die BPO-Lösung ökonomisch drastisch an Attraktivität verlieren würde. Soweit ein Unternehmen Einschränkungen im Hinblick auf Standardisierungsmaßnahmen verlangt (was unternehmenskulturell durchaus nachvollziehbar sein kann) bzw. diese über einen bestimmten Zeitraum nicht wünscht, wird die Zusammenarbeit mit einem BPO-Anbieter schwer. Zweifelsohne ist ein Captive SSC in diesen Situationen gefordert – soweit wie möglich – Harmonisierungsbestrebungen umzusetzen. Anders könnte das SSC ebenfalls nicht effizient operieren. Ein internes Center kann langsamer und mit der entsprechenden Dosierung im Hinblick auf das Change Management agieren, soweit dies eine Anforderung der Unternehmensleitung ist. Es besteht zwar die Gefahr, ein SSC langfristig zur Suboptimalität zu zwingen, aber letztendlich ist es das Unternehmen selbst, das definiert, in welchem Rahmen Eingriffe in die Unternehmenskultur, Prozesse und Systeme vorgenommen werden sollen. Wie eingangs erläutert: Über einen längeren Zeitraum hinweg wird es sich kaum noch ein Unternehmen leisten können, mit nicht effizienten Back-OfficeProzessen zu agieren. Ein internes SSC ermöglicht es, selbst die Veränderungsgeschwindigkeit zu bestimmen. Ein externer Dritter verlangt sofortige Eingriffe – mit allen potenziellen Folgen für die Unternehmenskultur und das Change Management.
3.
Pluspunkte für BPO
Obgleich in der mittelfristigen Betrachtung das Captive SSC durchaus einen interessante Lösung sein kann, so ist grundsätzlich zu bedenken, dass SSC im Back-Office-Bereich sehr wahrscheinlich in vielen Fällen nur eine „Übergangslösung“ sein werden. Soweit Change-Management-Herausforderungen sowie das Risikomanagement gemeistert werden können, wird sich im Zuge der Fokussierung auf Kernkompetenzen die BPO-Lösung durchsetzen und zwar auch in spezifischen Teilbereichen. Im Folgenden werden die wichtigsten Gründe für BPO zusammengefasst.
Pluspunkte für BPO
103
Expertise und Know-how Expertise und Know-how werden häufig als Grund gegen BPO genannt. Insbesondere in den Fällen, in denen spezielles Wissen, etwa wie in den oben dargestellten Branchenbeispielen aus der Telekommunikation oder dem Einzelhandel, erforderlich ist, erscheint Unternehmens-Know-how als sehr wichtig und sollte eigentlich ein internes SSC vorteilhafter positionieren. Auf den ersten Blick richtig, aber: Ein Telekommunikationsunternehmen wird sich vorwiegend um die eigenen Systeme und Abläufe kümmern und selten über den Tellerrand sehen. Für den BPO-Anbieter ist dies hingegen eine Selbstverständlichkeit. Der BPOAnbieter, der mehrere Telekommunikationsunternehmen in seinem Kundenstamm pflegt, wird zwar die Daten hermetisch voneinander abriegeln (s. o.), er wird aber durchaus Best Practices von einem Fall zum nächsten übertragen und durch unternehmensübergreifendes Benchmarking versuchen, Effizienzpotenziale zu heben. Die hierbei aufgebaute Branchenexpertise für bestimmte Prozesse ist bei weitem besser ausgebaut, als dies bei einem internen SSC der Fall sein kann. Darüber hinaus wird ein BPO-Anbieter einen besseren Überblick über etwaige Offshoring-Alternativen besitzen. Durch den Betrieb mehrerer Center an unterschiedlichen Standorten kann ein BPO-Anbieter grundsätzlich besser abschätzen, welcher Prozess aus Kosten-, Qualitätsgründen sowie aus Gründen der Arbeitskräfteverfügbarkeit von wo aus angeboten werden soll, als dies ein internes SSC mit nur einem oder maximal zwei Standorten kann.
Ausnutzung von Größeneffekten Das Thema Economies of Scale wurde bereits als eine nicht eindeutig zu beantwortende Thematik dargestellt.66 Es hängt maßgeblich von der Größe des Centers ab, ob eine interne SSC-Lösung annähernd so effizient wie die externe BPO-Lösung betrieben werden kann. Dennoch gibt es grundsätzliche Vorteile für den BPO-Anbieter beim Thema Größeneffekte. Der Service Provider kann an einem Standort die Aktivitäten mehrerer Kunden zusammenfassen. Er tritt dadurch als größerer Arbeitgeber auf und wird grundsätzlich leichter und günstiger die entsprechenden Arbeitskräfteressourcen für sich gewinnen können. Darüber hinaus ist er in der Lage, ein Center an einem Offshoring-Standort mit lokalem Management und nicht mit Expatriates zu besetzen. Ein Captive SSC an einem Offshoring-Standort wird zumindest übergangsweise auf Expatriates zurückgreifen
66
Eine detaillierte Analyse der Economies of Scale im BPO-Umfeld findet sich bei Dittrich/Braun, 2004, S. 30 ff.
104
Shared Services versus BPO – Good Bye Captive, welcome BPO?
müssen, da Schlüsselpersonal für Back-Office-Prozesse nicht leicht zu finden ist.67 Ein Beispiel vermag die Problematik zu illustrieren: Das bereits als Beispiel verwendete Unternehmen mit 1 Mrd. Euro Umsatz und mit einem Captive SSC mit ca. 60 Finance & Accounting-Mitarbeitern kann an einem Nearshoring-Standort in der Tschechischen Republik, Ungarn oder der Slowakei einen durchschnittlichen Kostensatz von unter 30.000 Euro für die Fully Loaded Labor Costs realisieren. Ein lokaler Centerleiter in den entsprechenden Standorten würde ca. 65.000 Euro an Kosten verursachen. Somit würde sich über alle 61 Mitarbeiter ein Kostensatz von 30.574 Euro ergeben. Da ein SSC – aus unterschiedlichen Gründen – einen internen Leiter bevorzugen wird, muss zwangsläufig mit einem Expatriate gearbeitet werden. Expatriates verursachen erhebliche Mehrkosten für Unterbringung, ggf. Umzug, Heimflüge, zusätzliche Dienstfahrzeuge, Privatschulen für Kinder etc. Aus diesen Gründen können die Kosten für einen Expatriate schon ohne weiteres auf 250.000 Euro ansteigen. Somit ergibt sich auf die 61 Mitarbeiter des Centers hochgerechnet ein durchschnittlicher Kostensatz von 33.607 Euro. Lediglich ein Expatriate bedeutet bereits über 3.000 Euro Kostennachteil pro Mitarbeiter (185.000 Euro in Summe), ein weiterer Expatriate würde diese Diskrepanz auf fast 7.000 Euro/Mitarbeiter (405.000 Euro in Summe), ein dritter Expatriate auf über 11.000 Euro/Mitarbeiter (625.000 Euro in Summe) explodieren lassen. Das Problem der Expatriates fällt bei einer BPO-Lösung weniger ins Gewicht. Die Einarbeitung in die Unternehmensspezifika ist in erster Linie durch den Service Provider sicherzustellen. Ebenso obliegt es dem BPO-Anbieter die ausreichende Expertise (fachlich, prozess- und systemseitig) zur Verfügung zu stellen sowie die Leitungsfunktionen zu besetzen. Die BPO-Lösung ist zudem ein gern gewählter Weg, um Zugang zu Expertise und zu Fachpersonal zu bekommen, das andererseits schwer zu rekrutieren ist.68 Am Beispiel der Finanzfunktion lässt sich dies verdeutlichen: Momentan fehlt es beispielsweise an Fachpersonal mit Expertise zu den Themen Sarbanes-Oxley (SOX), internationaler Rechnungslegung (insbesondere IFRS) sowie SAP Strategic Enterprise Management (SEM). Durch die Zusammenarbeit mit Service Providern kann diese häufig leichter sichergestellt werden. Für BPO-Anbieter ist es zu einem wichtigen Differenzierungsmerkmal geworden, durch entsprechende Qualitätszertifizierungen (z. B. Capability Maturity Model für Softwareentwicklung, COPC-Zertifizierung für Call Center, ISO) sowie Management Methoden wie z. B. Six Sigma und Qualifizierungsquoten (x % der Mitarbeiter haben pro-
67 68
Vgl. Goolsby, 2006, S. 6. Vgl. a. a. O. S. 6.
Pluspunkte für BPO
105
moviert, y % der Mitarbeiter sind CPA, CMA oder CFA) dem Kunden zu demonstrieren, dass Expertise, Know-how und Qualität in ausreichendem Maße vorhanden sind.69
Investitionsvolumen und Austrittskosten Aus rein ökonomischer Sicht ist die BPO-Lösung nicht immer vorteilhafter im Vergleich zum internen SSC. Insbesondere die veranschlagte Gewinnmarge ist ausschlaggebend, inwieweit der BPO-Anbieter Vorteile in Größe, Prozesskosten sowie ggf. kostengünstigerer Standorte in einen für das outsourcende Unternehmen transparenten Kostenvorteil transferieren kann. In zwei Aspekten der ökonomischen Beurteilung kann sich die BPO Lösung deutlich vom Captive Center abheben: dem Investitionsvolumen sowie den Austrittskosten. Das Investitionsvolumen kann bei der BPO-Lösung quasi vernachlässigt werden. Ausgenommen die Fälle, in denen ein Joint Venture oder Inverted BOT vorliegt, wird das Finanzierungsvolumen im Allgemeinen vollständig vom BPO Provider absorbiert. Für Unternehmen unter Kostendruck ist dies ein attraktives Szenario, da positive Einspareffekte unmittelbar transparent werden, ohne dass vorher Kapital investiert werden muss. Jedoch dürfen die Kosten der Providerauswahl sowie die Vertragsverhandlungen nicht unterschätzt werden. Wichtig ist weiterhin, dass Kosten wie Abfindungen beim outsourcenden Unternehmen verbleiben soweit die Mitarbeiter nicht zum BPO-Anbieter übertragen werden können. Die Austrittskosten beziehen sich auf die Situation, in der es gilt, eine SSC- bzw. BPO-Entscheidung zu revidieren oder zu modifizieren. Ersteres kann der Fall sein, wenn Aktivitäten wieder in das Unternehmen bzw. die betroffenen Geschäftsbereiche re-integriert werden sollen (so genanntes „Insourcing“), weil z. B. Qualitäts- oder Ordnungsmäßigkeitserwägungen dazu zwingen. Modifikationen können eintreten, wenn SSC- bzw. BPO-Lösungen nicht die angestrebten Effizienz- und Qualitätsvorteile realisieren und Standorte, Organisation, Eigentümerstruktur (BPO oder vice versa) oder Prozesse verändert werden müssen. In diesem Fall gilt es, ggf. ein Center zu schließen und ein neues an einem neuen Standort und unter Umständen mit einem neuen Eigentümer zu eröffnen. Während die Kosten der Errichtung des ursprünglichen SSC aus Unternehmenssicht als „Sunk Cost“ bezeichnet werden, die kaum oder gar nicht kompensiert werden können, stellt sich dies bei der BPO-Lösung grundlegend anders dar. Da 69
Anm.: CPA = Certified Public Accountant; CMA = Certified Management Accountant; CFA = Certified Financial Analyst. Siehe zu den Qualifizierungszertifizierungen auch www.copc.com, www.sei.cmu.edu, www.iso.org, www.sixsigmaonline.org.
106
Shared Services versus BPO – Good Bye Captive, welcome BPO?
BPO-Lösungen zumeist an bewährten Standorten und durch Integration mit bestehenden Einheiten realisiert werden, wird der BPO-Anbieter die vorhandene Kapazität zumindest teilweise wieder verwenden können. Zu beachten ist allerdings, dass der BPO-Lösung ein Vertrag zugrunde liegt, der es erschwert, sich gänzlich aus der BPO-Option mit dem gewählten Anbieter zu verabschieden. Die häufig anzutreffende Annahme, durch BPO Fixkosten in bestimmten Umfang mit einem variablen Charakter zu versehen, ist demzufolge nicht ganz richtig.70 Entsprechend der vertraglichen Regelung, bleibt das Unternehmen grundsätzlich jedoch nicht in dem Maße auf den Austrittskosten sitzen, wie dies beim Captive SSC der Fall gewesen wäre. Weitere, wesentliche Austrittsbarrieren für Captive SSC sind der potenzielle Gesichtsverlust sowie der psychologische Effekt. Führungskräfte, die eine SSCEntscheidung zu verantworten haben, halten oftmals deutlich zu lange daran fest, bevor sie zähneknirschend der Modifikation zustimmen. Ihnen droht ein unangenehmer Gesichtsverlust. Dies ist zwar prinzipiell bei BPO-Lösungen auch der Fall, nur kann man dort die Schuld einfacher dem externen Dritten in die Schuhe schieben.
Zeithorizont und Reifegrad Unternehmen, die erstmalig vor einer SSC- oder BPO-Entscheidung stehen, müssen sich auf einen relativ langen Zeitraum einrichten, bevor erste Einsparungen realisiert werden können. Konzeption, Ausgestaltung und Aufbau des Centers beanspruchen viel Zeit, vor allem, wenn zudem ein Offshoring-Standort gewählt worden ist.71 Zwar ist ein Trend festzustellen, dass die erfolgreiche Umsetzung von SSC immer schneller erfolgt, dennoch wird es i. d. R. 12 bis 18 Monate dauern, bis ein funktionsfähiges Center errichtet und jede Form von Pilot- oder Shadowbetrieb eingestellt werden kann und alle Prozesse erfolgreich transferiert sind. In Zeiten, in denen Manager zunehmend gefordert sind, Effekte ihrer Kostenoptimierungsprogramme und Qualitätsoffensiven möglichst ohne zeitlichen Verzug zu präsentieren, kann damit eine SSC-Lösung nicht mit dem BPO-Fall mithalten. Eine BPO-Lösung ist nicht über Nacht realisiert, aber aufgrund der Erfahrung der BPO-Anbieter, der vorhandenen Ressourcen sowie bewährten Transformationsansätze können Erfolge mitunter in weniger als sechs Monaten demonstriert werden. Ein wesentlicher Vorteil ist außerdem, dass die BPO-Organisation das Geschäft nicht von der Pike auf erlernen muss, wie dies 70 71
Vgl. Dittrich/Braun, 2004, S. 48 f. Vgl. Goolsby, 2006, S. 3.
Pluspunkte für BPO
107
häufig im Offshoring SSC der Fall ist. Standardisierung und Strukturierung von Prozessen und Technologien sind häufig ein Argument für die Zusammenarbeit mit einem Service Provider.72 Obgleich Zeithorizont und Reifegrad eindeutig für eine BPO-Lösung sprechen, soll nicht unterschlagen werden, dass auch der Service Provider Mitarbeiterkapazitäten und ggf. Infrastruktur aufbauen muss. Das Einarbeiten in die Unternehmensspezifika sowie die Ausgestaltung der Schnittstellen nehmen Zeit in Anspruch und können den Umsetzungsprozess verzögern. Generell ist jedoch ein Anbieter besser aufgestellt als ein SSC-unerfahrenes Unternehmen. Zusammenfassend stellen sich die Pro-Argumente der jeweiligen Lösung wie folgt dar:73
Captive Shared Service Center • Kostenersparnis • Unternehmenskultur und Prozessabläufe • Risiko (Daten) und Intellectual Capital • Kapazitätsanforderungen • Komplexität
BPO-Lösung • Expertise und Know-how • Größeneffekte • Investitionsvolumen und Austrittskosten • Zeithorizont und Reifegrad
Abbildung 3-2: Captive SSC versus BPO im Überblick An dieser Stelle ist bewusst auf die quantifizierbare Gewichtung der Kriterien verzichtet worden. Ob dies überhaupt möglich ist, kann in Frage gestellt werden. Im folgenden Abschnitt wird deshalb ein systematischer Vergleich entwickelt, der die konkrete Ableitung von Tendenzaussagen ermöglicht.
72 73
Vgl. IBM Business Consulting, 2005b, S. 7. Vgl. Dressler, 2005, S. 88.
108
4.
Shared Services versus BPO – Good Bye Captive, welcome BPO?
Die Entwicklung eines systematischen Vergleichs
Zur Beurteilung der Vorteilhaftigkeit von Captive SSC im Vergleich zu BPO ist es erforderlich, eine diesbezügliche Methode zu entwickeln. Da bei unterschiedlicher Auslegung ein Vorteil, wie z. B. die Kostenersparnis, durchaus zu einem Nachteil werden kann (wenn beispielsweise. die BPO-Lösung sich kostengünstiger darstellt als die interne Alternative), kann und soll an dieser Stelle nicht der abschließende Versuch unternommen werden, eine grundsätzliche Präferenz zum Ausdruck zu bringen. Deshalb fokussiert sich die vorgestellte Methode auf eine kurz- oder mittelfristige Entscheidungsunterstützung. Existieren bei den oben dargestellten Kriterien bestimmte Präferenzen im Unternehmen oder wird eine SSC/BPO-Lösung aus bestimmten Gründen angestrebt, ist eine analytische Bewertung relativ einfach. Sind die Kriterien „Zeithorizont zur Realisierung von Effizienzvorteilen“ sowie „Umfang der SSC/BPO-Lösung“ maßgebliche Kriterien, so lässt sich die Analyse anhand einer Matrix aufbauen: Langfristig
BPO/ SSC
SSC
Zeithorizont
BPO Kurzfristig Wenig
Umfang/ Anzahl Prozesse
Viel
Abbildung 3-3: SSC/BPO-Analyse am Beispiel von zwei ausgewählten Kriterien Matrixbasierte Analysen haben eine Reihe von Einschränkungen. So sind die Definition und Abgrenzung der verwendeten Kriterien eine Schwachstelle wie auch die exakte Positionierung innerhalb der Matrix. Darüber hinaus ist nur der Vergleich von maximal zwei Kriterien möglich, so dass bei komplexeren Entscheidungssituationen – und das sind SSC- versus BPO-Entscheidungen in der Regel – dieses Verfahren nicht ausreicht. Zur Bestimmung von Tendenzen kann jedoch ein Matrixverfahren zunächst sinnvoll sein.
Die Entwicklung eines systematischen Vergleichs
109
Im Beratungsumfeld existiert eine Vielzahl von z. T. hochkomplexen Matrixverfahren, die zur Entscheidungsunterstützung dienen. Im Folgenden wird ein Beispiel vorgestellt, das über die bislang genannten Kriterien hinaus die Thematik „räumliche Abhängigkeit“ aufführt. Somit wird in die Analyse SSC versus BPO erstmals die Offshoring-Dimension eingebaut. Als weiteres differenzierendes Merkmal wird in dieser Analyse der Aspekt Risiko/Schutz von Intellectual Capital verwendet. Mit Hilfe dieses Modells lassen sich die einzelnen Finanzprozesse zunächst isoliert voneinander analysieren, bevor in einem zweiten Schritt nach sinnvollen Clustern zu suchen ist, um Prozesspakete für eine Centerstruktur definieren zu können:
Offshoring
Hoch
Risiko/ Schutz IC
Gering
Lokale Shared Services • Bilanzpolitik • Konsolidierung • Steuerplanung • Strategische Planung • Preisanalysen
Offshore Captive • Auftragseingang • Debitorenbuchhaltung • Hauptbuch • Management Reporting • Budget & Forecast
Local Outsource • Mahnwesen • Steuererklärungen • Internal Audit • Cash Management
Offshore Outsource • Kreditorenbuchhaltung • Anlagenbuchhaltung • Reisekostenbuchhaltung
Nähe zum Geschäft erfordert
Räumliche Abhängigkeit
Outsourcing
Keine
Abbildung 3-4: Komplexe SSC/BPO-Analyse unter Berücksichtigung von Offshoring In diesem Modell könnte nun eine Zusammenfassung der Prozesse Kreditorenbuchhaltung, Anlagenbuchhaltung und Reisekostenbuchhaltung zu einem Gesamtpaket für eine BPO-Lösung erfolgen. Weiterhin könnten alle sonstigen Accounting-Funktionen sowie Auftragseingang, Management Reporting und Budgeting in einem Captive SSC an einem Offshoring Standort zusammengefasst werden. Es ist zu berücksichtigen, dass das Unternehmen über eine entsprechende Größenordnung verfügen muss, um ein effizientes Center aufbauen zu können. Die Bezeichnung „Lokale Shared Services“ ist ein Synonym für alle Pro-
110
Shared Services versus BPO – Good Bye Captive, welcome BPO?
zesse, die weitgehend in der Konzernzentrale verbleiben, aber mit einer ähnlichen Philosophie wie ein SSC gesteuert werden sollen, wie z. B. Service Level Agreements und Preiskataloge. Ob Tätigkeiten wie die Bilanzplanung den Geschäftsbereichen „in Rechnung“ gestellt werden können, ist anzuzweifeln. Bestimmte Tätigkeiten werden grundsätzlich einen Konzerncharakter behalten und nur schwerlich nach dem Verursacherprinzip einem Geschäftsbereich weiterbelastet werden können. Hierzu zählen auch die Steuerplanung sowie das Investor Relations Management. Im Hinblick auf die ökonomischen Kriterien ist festzuhalten, dass eine analytische Beantwortung der jeweiligen Vorteilhaftigkeit von SSC versus BPO kaum möglich ist. Die Diskussion um die Kostenersparnis hat deutlich gemacht, dass ein potenziell gegebener Kostenvorteil der BPO-Lösung durch eine zu hohe Gewinnmarge wieder zunichte gemacht werden kann. Die Investitionskosten bei einem SSC-Vorhaben können grundsätzlich in fünf unterschiedliche Dimensionen unterteilt werden: Severance (= Abfindungen)
Dieser Kostenblock ist vor allem in Ländern mit arbeitnehmerfreundlicher Gesetzgebung sowie starken Gewerkschaften der größte Kostenblock. Durch die mit der Einrichtung des SSC erforderliche räumliche Verlagerung von Arbeitsplätzen ist oftmals eine Reihe von Kündigungen erforderlich. Aufgrund der aktuellen demografischen Trends ist hier Vorsicht geboten. Zu leichtfertig abgebaute Mitarbeiterkapazitäten können im Unternehmen an anderer Stelle schnell zu Engpässen werden.74 Infrastruktur
Umfasst als wesentliche Positionen die Beschaffung von Hard- und Software. Darüber hinaus gilt es häufig, ein neues Gebäude zu akquirieren/zu leasen und zu beziehen. Insbesondere bei der Einrichtung einer neuen legalen Einheit sind Gebühren zu tragen. Bei der Verlagerung an einen Offshoring-Standort fallen zu den Rechts- und Notarkosten noch erhebliche Reisekosten an. Shadow Operations (= Parallelbetrieb)
Beim Transfer von Prozessen aus dezentralen Einheiten in ein SSC sind grundsätzlich zwei Verfahren möglich: Erstens ein Parallelbetrieb, d. h., die Prozesse werden über einen bestimmten Zeitraum (z. B. 2 bis 3 Monate) zunächst im neuen SSC im „Übungsbetrieb“ ausgeführt und zeitgleich an den bisherigen Standorten im Echtbetrieb. Im nächsten Monat wechselt der Echtbetrieb in das SSC. Piloten, d. h. ausgewählte Prozesse oder Prozessbestandteile, werden in das Center verlagert, um die Stabilität des Centers zu testen. 74
Vgl. Bramson, Dec./Jan. 2006, S. 13 f.
Die Entwicklung eines systematischen Vergleichs
111
Consulting
Ein SSC-Vorhaben ist für viele Unternehmen immer noch ein einmaliges Projekt. Naturgemäß ist deshalb das Maß an Spezialwissen im Hinblick auf IT-, Management- und Rechtsfragen limitiert. Deshalb werden dafür i. d. R. externe Ressourcen genutzt. Hiring & Training
Zum Aufbau eines neuen Centers sind entsprechende Ressourcen zu akquirieren und auf die neuen Aufgaben vorzubereiten. Diese Aufgabe wird noch schwieriger und bedeutsamer, wenn das Center an einem Offshoring-Standort errichtet wird.
Investitionskosten im Vergleich (in €) 1.800.000 € 1.600.000 € 1.400.000 €
Consulting Hiring & Training
1.200.000 €
Infrastructure
1.000.000 €
Shadow Operations
800.000 € 600.000 € 400.000 €
Severance
200.000 € -
€ Captive
BPO
Abbildung 3-5: Investitionskosten SSC vs. BPO im Vergleich (Beispiel) Die Abfindungskosten entstehen unabhängig von der Entscheidung für SSC oder BPO. Die Kostenpositionen Shadow Operations und Infrastruktur können durch die Zusammenarbeit mit einem Service Provider reduziert werden, da ein BPOAnbieter häufig über existierende Einrichtungen mit den entsprechenden Hardware- und Software-Voraussetzungen verfügt. Der Shadow-Betrieb kann reduziert werden, sofern der BPO Provider über entsprechende Expertise in den betreffenden Prozessgebieten verfügt. Vollständig beseitigt werden kann dieser Kostenblock jedoch nicht. Die Kosten für Hiring & Training sowie für Consulting fallen in der BPO-Lösung im Regelfall nicht an. Diese Aufgaben werden vom Service Provider wahrgenommen.
112
Shared Services versus BPO – Good Bye Captive, welcome BPO?
Abschließend darf nicht vergessen werden, dass sich der BPO Anbieter diese Vorteile bezüglich der Investitionskosten in Form einer entsprechenden Gewinnmarge vergüten lässt. Eine zu Beginn attraktive Kostensituation kann sich nach mehreren Jahren in das Gegenteil umkehren, d. h., die Kosteneinsparungen der internen Lösung gegenüber dem BPO-Fall kompensieren die Investitionskosten und lassen mittelfristig das Captive SSC als attraktivere Lösung dastehen. Faktoren
Beschreibung
SSC
BPO
Beschreibung
Unternehmenskultur/Prozesse
Sehr spezifisch, Eingriffe nicht gewollt
Sehr flexibel, kein Differenzierungsmerkmal
Risiko/Intellectual Capital
Absolut kritisch, schwer zu schützen
Kann ausreichend geschützt werden
Kapazität
Spezifische Branche, spezifisches Prozessgebiet
Standardprozess, BPO Lösungen vorhanden
Komplexität
Organisatorische weit verzweigt, wenig standardisierbar
Gradlinige Organisation, relativ standardisierte Abläufe
Expertise/Know How
In ausreichendem Maß intern bereits vorhanden
Expertise ist Differenzierungsmerkmal, schwer zu akquirieren
Zeithorizont
Center soll für mehr als 5 Jahre konzipiert werden
Ergebnisse werden in weniger als 2 Jahren realisiert werden Tendenz BPO
Abbildung 3-6: Methode zur Bewertung der qualitativen Faktoren (Beispiel) Bei den qualitativen Faktoren gilt es zudem, Präferenzen des Managements und der Mitarbeiter sowie die derzeitige Aufstellung der Organisation und Abläufe in einen Kontext zu stellen. Die im Weiteren dargestellte Profilanalyse stellt die soeben diskutierten Kriterien in einen Zusammenhang, der die grundlegende Einschätzung der Vorteilhaftigkeit von SSC versus BPO ermöglicht. Verfügt das Unternehmen über eine sehr spezifische Unternehmenskultur und Prozesslandschaft und sind gravierende Eingriffe weder vom Management noch von den Mitarbeitern selbst gewollt, bietet sich grundsätzlich eine SSC-Lösung eher an. Ist dies nicht der Fall, kann eine BPO-Lösung in Betracht gezogen werden. Dieses Modell erhebt keinen Anspruch auf eine vollständige analytische Lösung der Fragestellung. Ähnlich wie bei den oben vorgestellten Ansätzen kann eine Tendenz ermittelt werden, die die grundsätzliche Eignung einer SSC-Lösung im Vergleich zum BPO zum Ausdruck bringt.
Das Joint Venture – das Hybridmodell als „goldener Mittelweg“?
5.
113
Das Joint Venture – das Hybridmodell als „goldener Mittelweg“?
Die Analyse hat gezeigt, dass die SSC- oder BPO-Entscheidung von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird. Sowohl unter Berücksichtigung des ökonomischen Vergleichs als auch unter Heranziehung qualitativer Aspekte, gibt es keine offenkundig bessere Alternative. SSC wie auch BPO gehören zum Managementkonzept vieler Unternehmen und haben dazu beigetragen, dass Effizienz und Qualität der Back Office Services optimiert werden können, damit mehr Fokus auf das Kerngeschäft gelegt werden kann. Dennoch, eine Reihe von Unternehmen steht noch vor der Bewältigung dieser zentralen Aufgabe, insbesondere Unternehmen, die aus Größenordnungsgesichtspunkten bislang SSC oder BPO nicht in Betracht gezogen haben oder die aufgrund des lokalen oder nationalen Geschäftsfokus die Möglichkeiten der Labor Arbitrage noch nicht gesehen haben. Mit der zunehmenden Verbreitung des SSC- und BPO-Gedankens werden sich alle Unternehmen in der Zukunft mit der Umsetzung des einen oder anderen Konzeptes befassen müssen. Den einleitenden, visionären Gedanken folgend, müsste die Lösung in den meisten Fällen BPO lauten. Die oben dargestellte Analyse zeigt aber, dass in vielen Bereichen und aus unterschiedlichen Gründen die BPO-Lösung „noch“ nicht angemessen oder realisierbar erscheint. Bevor mit massivem Aufwand an einer internen Lösung gearbeitet wird, sollte zumindest die partielle Zusammenarbeit mit einem spezialisierten Anbieter getestet werden. Die Vorteile einer solchen Zusammenarbeit sind offenkundig: Der BPO-Anbieter bringt Expertise in der Bestimmung möglicher Verbesse-
rungspotenziale mit. Er kann helfen, die Ist-Situation angemessen zu bewerten, Risiken herauszuarbeiten und den Change-Management-Aufwand zu identifizieren. BPO-Anbieter bringen entsprechende Erfahrung mit Offshoring Standorten
mit. Speziell Unternehmen, die bislang lediglich im Fertigungs- oder Vertriebsbereich Erfahrungen mit klassischen Niedriglohnländern gesammelt haben, können dadurch wertvolle Erkenntnisse über potenzielle Standorte sowie deren Vor- und Nachteile gewinnen. Durch einen BPO-Anbieter wird die erforderliche „Service Mentalität“ in die
Back-Office-Bereiche eingeführt. Die Back-Office-Bereiche in vielen Unternehmen sind den Umgang mit Service Levels und einer „internen“ Kundensicht nicht gewohnt.
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Shared Services versus BPO – Good Bye Captive, welcome BPO?
Die Zusammenarbeit mit einem externen Anbieter erhöht den internen Wett-
bewerbsdruck. Die internen Funktionen werden im Rahmen der Diskussion über eine BPO-Lösung zeigen wollen, dass die interne Alternative die bessere ist.75 Durch diesen Effekt lassen sich erstaunliche, vorhandene Kosten- und Qualitätspotenziale identifizieren. Der BPO-Anbieter wird mit Benchmarks und Best Practices versuchen, die
Prozesse zu optimieren. Dadurch wird ein wertvoller Beitrag zur kontinuierlichen Leistungsverbesserung geleistet. Selbst wenn ein Unternehmen nicht unmittelbar größere Prozesskomplexe in die Hände eines Dritten geben möchte, so erscheint zumindest eine partielle Vergabe von Leistungen oder die Konstruktion eines Joint Ventures als eine empfehlenswerte Vorgehensweise.76 Viele Manager schrecken vor dem Kontakt mit Service Providern zurück, da ansonsten die zuweilen intensiven Vertriebsmannschaften der BPO-Industrie vor der Tür stehen. Beim Thema SSC sollte keine Initiative gestartet werden, ohne vorher das entsprechende externe Angebot gründlich überprüft zu haben. Das Wissen, dass Finanzen, HR, Customer Support, Logistik und Distribution und weitere Prozesse in den (hoffentlich) guten Händen eines BPO Anbieters sind, beruhigt nicht nur, es öffnet tatsächlich einen völlig anderen Blick auf das Wesentliche des eigenen Geschäftsmodells.
75 76
Vgl. Dittrich/Braun, 2004, S. 52f. Diesen Trend bestätigt z. B. Deloitte, 8.8.2005, S. 2 f.
Die Globalisierungswelle hält an
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Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
1.
Die Globalisierungswelle hält an
Shared Services sind aus den Kinderschuhen gewachsen. Waren in den 90er Jahren Projekte noch von IT-, Kommunikations- und Prozessproblemen geprägt, sieht das heute schon anders aus. Hat man sich in den 90er Jahren wenn überhaupt außer Landes getraut, ist man als mitteleuropäisches Unternehmen vorsichtig in die Benelux-Länder oder nach Irland gegangen. Das war einmal. Heute ist dank flexibler ERP-Lösungen und den Inter- sowie Intranetmöglichkeiten die IT-Welt zur Unterstützung von Shared Services gereift. Eine Vielzahl von BPOAnbietern hat sich etabliert und offeriert interessante Alternativen zur Captive Solution. Service-Mitarbeiter nutzen E-Mail, Telefon- und Videokonferenzen, Webcasts oder Online-Trainings wie selbstverständlich. Tools, die vor 15 Jahren als visionär galten, sind mittlerweile Standard. Auch die Standorte haben sich gewandelt. Indien ist längst ein Selbstläufer geworden mit hunderttausenden Beschäftigten in der Shared-Services- und Business-Process-OutsourcingIndustrie. Es geht längst in Länder wie China, die Philippinen oder Malaysia. Osteuropa hat sich gewaltig entwickelt. Nach Prag, Budapest, Warschau und Krakau stehen nun Orte wie Sofia oder Bukarest auf der Agenda. Vor wenigen Jahren noch als wenig geschäftstauglich eingestuft, haben diese Standorte im Hinblick auf Shared Services eine erstaunliche Professionalität entwickelt. Ein Blick nach Indien lässt vermuten, wo diese Entwicklung hinführen könnte: Die dortigen BPO-Anbieter wie Genpact, HCL Technology, Wipro BPO, Infosys BPO, iGate oder WNS arbeiten mit moderneren Management-Techniken, als dies in Deutschland oftmals der Fall ist. CMM SEI- und COPC-Zertifizierungen sind Standard, ebenso Six-Sigma-Methoden. Prozesse und Fehlerquoten werden permanent kontrolliert und rigiden Benchmarks unterzogen. Welcher deutsche Konzern geht so wettbewerbsorientiert mit seinem Back Office um? Während Gegner der Entwicklung Schnittstellen-Probleme und eine kurzfristige Abstimmung vor Ort als Argumente gegen eine SSC- oder BPO-Lösung anführen, zeigt sich doch, dass der Zug Fahrt in Richtung Nearshoring- und Offshoring-
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Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
Standorte aufgenommen hat. Und genauso wie das produzierende Gewerbe in den 70er Jahren auf die globale Suche nach kostenoptimalen Standorten gegangen ist – und im Übrigen bislang nicht wieder heimgekehrt ist –, wird das Back Office folgen. Einfache, administrative Tätigkeiten, ob im Finanzbereich, HR Management, Einkauf, IT oder sonstigen Unterstützungsfunktionen werden unter dem Druck der Globalisierung an High-Cost-Standorten nicht mehr tragbar sein. Die weiterführenden Trends wie Knowledge Process Outsourcing (KPO) und Legal Process Outsourcing (LPO) deuten an, dass bei den einfachen, transaktionalen Tätigkeiten noch nicht Schluss ist. Die anhaltende Globalisierung sowie die immer bessere technologische Vernetzung internationaler Business Center bieten zunehmend Möglichkeiten, um internationale Standortstrategien für die Unterstützungsprozesse umzusetzen. Globale Konzepte mit der Einkaufsunterstützungsfunktion in Nordamerika, dem Finanz- und Rechnungswesen in Osteuropa, einem ITO Service Provider in Indien und Call Centern in Südamerika, den Philippinen und Westafrika gibt es schon. Wo in einem solchen Konzern das Headquarter sitzt, spielt quasi kaum noch eine Rolle. Das Unternehmen nutzt die Arbeits- und Infrastrukturkostenvorteile, erschließt den Zugang zu knappem Expertenwissen und stellt jegliche Form der Business-Unterstützung mit bestmöglicher Qualität zur Verfügung. Die Low-Cost-Regionen haben entsprechend mit Bildungsangeboten aufgerüstet, die gezielt IT-, internationale Accountingund Fremdsprachenkenntnisse forcieren. Professionelle Business Parks entstehen nicht nur in den Vororten von New Delhi und Bangalore. Malaysia, Indonesien, Costa Rica, Chile, Rumänien und Bulgarien sind andere Länder, die diesen Trend erkennen und sich entsprechend positionieren. Und diese Standorte wollen nicht mehr nur als verlängerte Werkbänke für gewerbliche Tätigkeiten attraktiv sein. Ihr vornehmliches Interesse gilt den administrativen Unterstützungsfunktionen. Historisch gesehen kann ein eindeutiger Startpunkt für das Offshoring nicht fixiert werden. Internationalen Handel gibt es hingegen seit Jahrtausenden, wie etwa die Bernsteinstraße belegt, die Nordeuropa mit dem Römischen Reich zum Handel von Bernstein verknüpfte. Die Seidenstraße, genutzt zum Austausch von Handelsgütern zwischen China und Europa, ist ein weiterer Beweis für den regen internationalen Handel, der schon in der vorchristlichen Zeit stattgefunden hat. Seit dem Mittelalter hat sich der internationale Handel verstärkt auf die Seewege ausgeweitet. Der internationale Handel gilt aus volkswirtschaftlicher Sicht als besonders förderungswürdig. Das Prinzip des komparativen Kostenvorteils, nach dem sich ein Land auf die Produktion bestimmter Güter konzentriert und andere Güter besser importieren soll, wird allgemein als wohlstandsfördernd für alle eingestuft. Im Ergebnis gibt es eine Reihe von Industrien, wie z. B. die Personal-Computer-, Textil- oder Sportartikel-Branche, in denen ein Großteil der Wertschöpfungskette in einem globalen Konzept realisiert wird.
Die Globalisierungswelle hält an
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Das Ausmaß des Offshoring ist – sowohl für Kern- als auch für Unterstützungsprozesse – weniger umfangreich als vielfach angenommen. In der Automobilindustrie beispielsweise werden 90 % aller Fahrzeuge in den Ländern verkauft, in denen sie produziert wurden.77 Nicht zu verwechseln ist dies mit dem Fakt, dass ein Großteil der Wertschöpfung bereits in einem globalen Supply Chain Network stattfindet. Die Welthandelsorganisation (World Trade Organization = WTO) hat mit ihrem Handelsabkommen GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) aus dem Jahr 1947/48 entscheidend dazu beigetragen, dass Handelschranken und Zölle abgebaut und internationale Handelsbedingungen harmonisiert werden. Das GATT hat seinerzeit den Weg geebnet für umfassende Verlagerungen in der Wertschöpfungskette, wie am Beispiel der Automobilindustrie beschrieben. Seit den 60er Jahren werden im immer größer werdenden Umfang Arbeitsschritte im produzierenden Gewerbe nach Mittel- und Südamerika sowie Asien verlagert. Waren in den Anfangsjahren noch Standorte wie Mexiko, Brasilien oder Japan im Fokus des Offshoring für Produktionsarbeiten, stehen heute Standorte in China, Taiwan, Indonesien, Thailand, Osteuropa oder Afrika im Fokus. Die WTO hebt in ihrem Jahresbericht 2005 die Verabschiedung des General Agreement on Trade Services (GATS) und dessen besondere Bedeutung für das Service Offshoring hervor:78 „The creation of the General Agreement on Trade Services can be viewed as a milestone in the history of the multilateral tradingsystem, comparable to the inception of GATT, its counterpart in merchandise trade, in 1947/48. Beyond its significance for international relations, this extension of trade rules reflects a major change in the role of services as part of a country’s economic fabric. Traditionally, services had been viewed essentially as domestic activities that could not be traded for at least two reasons: first, the need for direct physical contact between producer and consumer in many traditional areas of personal services and, second, the existence of government monopolies in infrastructure-related sectors such as telecommunications, transport and various insurance sectors. This perception has changed significantly.“ Die WTO führt neue Kommunikationstechnologien, Liberalisierung und das Aufkommen spezialisierter Anbieter als Hauptgründe für die Notwendigkeit eines Service-spezifischen Abkommens an.
77 78
Vgl. Agarwal/Farrell/Remes, 2006, S. 27 f., vgl. auch www.csmauto.com, 2006. World Trade Organization, 2005, S. 123 f.
118
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
Im Hinblick auf IT-bezogene Tätigkeiten wird der lokale Fachkräftemangel als ein Motor des Offshoring gesehen. Während die USA und Großbritannien dem Mangel mit dem Prinzip der globalen Arbeitsteilung begegnen und verstärkt ITAufgaben ins Ausland verlagertern, versuchte Deutschland den Bedarf mit der kurzfristigen Einführung der „Greencard“ zu decken.79 Die zögerliche Haltung Deutschlands gegenüber dem Offshoring sowie die letztendlich fehlgeschlagene Politik der „Greencard“ haben dazu beigetragen, dass Deutschland heute einen kostenseitigen und qualitativen Wettbewerbsnachteil im IT-Service-Geschäft im Vergleich zu den meisten Industrienationen überwinden muss. Historische Tatsachen und vor allem die Entwicklung der IT spielen eine besondere Rolle in der kurzen Geschichte des Offshoring im Kontext von Shared Services und BPO. Die Gründe sind aber noch vielfältiger. In seinem mehrfach ausgezeichneten Werk „The World is Flat“ entwickelt der Pulitzer Preisträger Thomas L. Friedman eine umfassende Darstellung der Globalisierung. Friedman nutzt den Begriff „Flattener“, um zu illustrieren, dass die entwickelten Industrienationen aufgrund unterschiedlicher Entwicklungen ihren komparativen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Entwicklungs- und Schwellenländern verloren haben. Insgesamt werden 10 Gründe („Flattener“) analysiert, weshalb über Shared Services und BPO hinaus Arbeit in Zukunft in einem globalen Kontext – insbesondere unter der Nutzung einer Offshoring-Komponente – erbracht wird.80 9. November 1989: Der Fall der Berliner Mauer signalisierte das endgültige
Ende des Kalten Krieges und der strikten Abschottung zwischen Ost und West. Die kommunistischen Regime in Mittel- und Osteuropa befanden sich in Auflösung, und eine neue Ära der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Ländern des demokratischen Westens und des ehemals kommunistischen Ostens begann. Die großen Konzerne erkannten schnell, dass mit dem Fall der Mauer der Zugang zu neuen Märkten, kostengünstigen Ressourcen für Produktionsstätten und später auch für administrative Tätigkeiten über Nacht geschaffen wurde. 9. August 1995: Netscape geht an die Börse. Seit den 80er Jahren hat die
PC/Windows-Revolution viele Menschen in den Genuss eines leistungsfähigen Computers gebracht. Bis Mitte der 90er Jahre funktionierten die meisten PCs noch als isolierte stand-alone Workstations. Dies änderte sich mit der Entwicklung von E-Mail und Internet. Die Idee des World Wide Web, geboren von Forschern mit dem Ansinnen, Forschungsarbeiten einer globalen For-
79 80
Vgl. Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V., 31.1.2005, S. 10. Vgl. Friedman, 2005, S. 48-172.
Die Globalisierungswelle hält an
119
schungs-Community zugänglich zu machen, führte schließlich zur Kommerzialisierung der Idee des Web Browsings. Netscape etablierte sich als Startup-Unternehmen und entwickelte den ersten Mainstream Browser, ein Prinzip, das es heute Millionen von Menschen ermöglicht, digital vernetzt zu sein, Informationen und Daten auszutauschen sowie Online Shopping zu nutzen. Work Flow Software: Die Entwicklungen der Datenformate XML und SOAP
in den späten 90er Jahren waren Meilensteine in der Verbesserung der Kommunikation von Software zu Software. Sie haben den Grundstein gelegt für die Entwicklung von webbasierten Workflow-Systemen, mit denen Unternehmen ihre globalen Supply-Chain-Aktivitäten und administrativen Prozesse koordinieren. Globale Entwicklungsprojekte werden somit möglich ebenso wie das Bestandsmanagement, die Abwicklung des Zahlungsverkehrs oder die Pflege der Kundendatenbank. Open Source Communities: Das Internet ermöglicht es, dass unterschiedliche
Interessengruppen zusammenkommen, Information austauschen, gemeinsam Projekte durchführen oder Produkte entwickeln. Das Online-Lexikon Wikipedia ist ein typisches Beispiel einer Online Community. Jeder Nutzer von Wikipedia kann nicht nur Beiträge abrufen, er kann sie auch ändern, erweitern oder kommentieren. Das Beispiel von Wikipedia zeigt, dass viele in Open Source Initiativen entwickelte Produkte weitaus erfolgreicher sind als die entsprechenden kommerziellen Alternativen. Outsourcing und Y2K: Indien hat seit dem Beginn seiner Unabhängigkeit im
Jahr 1947 einen besonderen Schwerpunkt auf Ausbildung gesetzt und mit dem Indian Institute of Technology (IIT) eine weltweit hoch angesehene Bildungseinrichtung geschaffen. Waren talentierte und gut ausgebildete Inder vor Mitte der 90er Jahre häufig noch gezwungen, das Land zu verlassen, um einer ihrer Ausbildung entsprechenden Tätigkeit nachzugehen, hat sich dies mit der Verfügbarkeit von Glasfaserkabelüberkapazitäten in den späten 90er Jahren grundlegend geändert. Diese Kapazitäten, geschaffen von amerikanischen Unternehmen im Zuge der Internet-Hysterie, sind heute ein Grundstein für das Outsourcing IT-bezogener Aktivitäten. Insbesondere Indien, aber auch China oder Russland profitieren von den Möglichkeiten, ihre Spezialisten im Land zu behalten und per Internet Arbeiten für westliche Industrienationen zu verrichten. Das Problem Y2K, also die Herausforderung, Computer und Softwaresysteme zur Jahrtausendwende von einem zweistelligen auf einen vierstelligen Uhrzeitmechanismus umzustellen, hat Engpässe an Softwareentwicklern und Programmierern in den Staaten der westlichen Welt offenkundig werden lassen. Indien ist eingesprungen und war in der Lage, viele Konzernen via Glasfaserkabelverbindung bei der Umstellung der entsprechenden ITApplikationen zu unterstützen.
120
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
Offshoring selbst taucht als ein weiterer Grund auf. Mit dem offiziellen Bei-
tritt Chinas zur World Trade Organization im Jahr 2001 hat das Offshoring einen weiteren Boom erfahren. Der seit den 60er Jahren vorherrschende Trend zur Verlagerung unternehmerischer Aktivitäten an kostengünstigere Standorte wurde weiter beschleunigt. China ist nicht nur als Produktions- und Verwaltungsstandort mit extrem günstigen Kostenstrukturen interessant, sondern auch als gigantischer Absatzmarkt. Die Wachstumsraten der chinesischen Wirtschaft, die rasante Stadtentwicklung sowie die immer besser werdende Infrastruktur deuten an, dass der Offshoring-Trend in ein neues Zeitalter tritt. Friedman beschränkt seine Beobachtungen vornehmlich auf China. Der zugrunde liegende Trend trifft aber auch für andere größere Nationen wie z. B. Malaysia, Indonesien oder Brasilien zu. Supply Chaining: Die immer engere und besser abgestimmte Zusammenarbeit
zwischen Retailern oder OEMs (Original Equipment Manufacturer) und ihren Zulieferern hat es ermöglicht, dass sehr große Mengen gleichartiger Produkte weltweit verkauft werden können. Das Phänomen der vertikalen Netzwerke, also der Integration von unterschiedlichen Zulieferern über mehrere Stufen und dem OEM oder Retailer, verbessert die ökonomische Effizienz der Leistungserstellung erheblich und lässt alle beteiligten Partner profitieren. Die Zeiten des aggressiven Ausbootens von Zulieferern gehören der Vergangenheit an. Das Grundprinzip heißt heute: Mehr Wert schaffen durch engere Zusammenarbeit. Das Unternehmen Wal-Mart soll als Beispiel dienen, dass man durch effizientes Supply Chain Management Marken- und Qualitätsprodukte zu günstigeren Preisen anbieten kann als der Wettbewerb. Insourcing: Insourcing im Sinne Friedmans beschreibt nicht die Situation,
dass ein Unternehmen die an einen BPO-Anbieter outgesourcten Leistungen wieder ins Haus zurückholt. Insourcing in diesem Sinne umschreibt die weiter reichenden Angebote klassischer Logistik- und Transportdienstleister wie UPS oder FedEx, bestimmte Aufgaben vom Beschwerdemanagement bis hin zur Computerinstandsetzung für die Kunden zu übernehmen. Das von Friedman dargestellte Beispiel, dass UPS die Computerreparatur für Toshiba-Kunden übernimmt, beschreibt jedoch eher eine BPO-Situation als ein Insourcing. Informing: Internet-Suchmaschinen wie Google, Yahoo! oder MNS Search
haben den globalen Informationsfluss drastisch erhöht und beschleunigt. Von einfachen Suchanfragen bis hin zu umfangreichen Recherchen können Informationen in kürzester Zeit generiert werden.
Die Globalisierungswelle hält an
121
Neue Technologien: Wireless-Technologien in Verbindung mit dem Internet
ermöglichen es mittlerweile, Informationen fast überall auf der Welt online abzurufen, Webseiten zu besuchen, Suchanfragen zu starten oder E-Mails zu senden. Neue Technologien werden die bereits skizzierten Gründe für die „Flat World“ weiter anheizen und dazu beitragen, dass die einstigen Wettbewerbsvorteile der westlichen Industriennationen im Zeitverlauf verschwinden werden. De facto sind aufstrebende Länder in den angesprochenen Bereichen auf einem höheren technologischen Standard, als dies in Europa oder in den USA der Fall ist. Die Mobilfunknetze in Japan oder Korea sind weitaus stabiler und leistungsfähiger als in den USA. Und die Nutzer von neuen Technologien in den asiatischen Metropolen stehen häufig den Technologien besonders im Konsumgüterbereich wesentlich aufgeschlossener gegenüber. Die oben skizzierten Gründe für eine neue Welt, in der die Regeln des Wettbewerbs andere sein werden, spiegeln sich auch in der Arbeitswelt wider. Der Lebenszeitarbeitsplatz, der über viele Jahrzehnte hinweg in Ländern wie Deutschland oder Japan als das erstrebenswerte Standardmodell einer beruflichen Laufbahn galt, existiert nicht mehr. Fluktuationsraten sind in bestimmten Bereichen so hoch wie nie, und die Flexibilität vor allem der jüngeren Arbeitnehmer nimmt stetig zu.81 Arbeitnehmer, die sich bei deutschen Großkonzernen wie Siemens oder VW nahezu auf eine behördenähnliche Lebensarbeitszeitgarantie verlassen konnten, finden sich häufig in ausgegründeten oder veräußerten Tochtergesellschaften wieder, die als externe Dienstleistungsanbieter fungieren. Den Arbeitsplatz lediglich über eine Arbeitnehmerüberlassungs-Regelung zeitweise gesichert, gilt auch für diese Arbeitnehmer, dass Mobilität, Flexibilität sowie der ständige Wille zur kontinuierlichen Weiterbildung erforderlich sind, um in der neuen „flachen Welt“ des Wettbewerbs mithalten zu können. Das Konzept der Free Agents wird vielerorts als eine neues Paradigma gesehen: Arbeitnehmer binden sich nur noch zeitweise an Unternehmen, denen sie ihr Know-how und ihre Expertise anbieten. Bietet sich eine Gelegenheit, für einen anderen Vertragspartner das eigene Wissen gegen einen höheren Preis zu veräußern, wird das Unternehmen bzw. der Auftraggeber gewechselt. Die Grenzen zwischen eigenen Mitarbeitern, BPO-Dienstleistern und Free Agents werden zunehmend unklarer, und im Gegenzug bildet sich eine kreative, flexible Gesellschaftsform heraus.
81
Vgl. Vashishta/Vashishta, 2006, S. 5 f.
122
2.
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
Begriffliche Abgrenzungen, Trends und Studien
Offshoring als die bewusste Verlagerung von Service- und KnowledgeProzessen an neue Standorte ist vom Begriff „Offshore“ im Sinne der Finanzökonomie zu trennen.82 Hierunter zu verstehen ist in erster Linie die Gründung von Unternehmen an steuerlich interessanten Standorten wie den Bahamas, Cayman Islands, der Schweiz, Luxemburg, Liechtenstein oder Singapur, um durch eine entsprechende Gestaltung der gewählten Rechtsform eine Reduktion der Unternehmensbesteuerung sowie die Wahrung des Bankgeheimnisses zu ermöglichen. Besonders US-amerikanische und britische Unternehmen haben die Möglichkeit der Errichtung von Firmensitzen sozusagen „Offshore“ in der Vergangenheit genutzt. Zahlreiche Steuerberatungs- und Anwaltskanzleien sowie ein spezielles Institut haben sich auf dieses Geschäftsfeld spezialisiert. Da sich viele steuerlich begünstigte Standorte „Offshore“ befinden, bietet sich die begriffliche Verwendung an. Bei der begrifflichen Präzisierung des Offshoring gilt es weiterhin, den Begriff gegen viele artverwandte Termini abzugrenzen. Grundsätzlich soll der Begriff „Offshoring“ in diesem Buch im Sinne des Service Offshoring verwendet werden und weniger Aspekte des Offshoring von Elementen der Kernprozesse wie z. B. der Produktion umschreiben. Offshoring ist explizit vom Begriff Outsourcing zu differenzieren. Wie in den beiden vorangegangenen Kapiteln unterstrichen, bezieht sich das Outsourcing grundsätzlich auf die Übertragung von Serviceaufgaben an externe Dritte. Dies kann, muss aber nicht, mit einer örtlichen Veränderung der Leistungserstellung einhergehen. Ein Beispiel für die Zusammenfassung der beiden Begriffe findet sich bei Schawel und Billing: „Offshoring bedeutet die Verlagerung von bestimmten Unternehmensbereichen in das entfernte Ausland – meist in Kombination mit Outsourcing.“83 Aufgrund der Tatsache, dass viele BPO Services aufgrund der skizzierten Veränderungen in Technologie und globaler Kommunikation häufig zum Offshoring führen, werden die Begriffe immer wieder gemeinsam oder mit vertauschter inhaltlicher Bedeutung verwendet. In der IT-bezogenen Literatur hat sich der Begriff „Offshore-Outsourcing“ nahezu etabliert, obgleich eine Offshoring-
82 83
Vgl. Kunze/Neuhaus, 28.2.2006, S. 1 f. Schawel/Billing, 2004, S. 138.
Begriffliche Abgrenzungen, Trends und Studien
123
Strategie durchaus mit einem Captive SSC vorangetrieben werden kann oder eine IT Outsourcing-Lösung in einem On-Site-Modell erfolgen kann.84 Berry arbeitet diese begriffliche Unschärfe heraus, indem er auf die in den amerikanischen Medien irreführende Verwendung des Begriffes Outsourcing hinweist:85 Lou Dobbs vom Nachrichtensender CNN verurteilt Unternehmen, die Outsourcing Deals eingehen unter der Annahme, dass damit eine Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland einhergeht. Den Sachverhalt der Errichtung von Captive SSC verfolgt er jedoch nicht weiter, obgleich dabei ebenfalls eine Vielzahl hochqualifizierter Arbeitsplätze wegfallen kann. Das in Abbildung 4-1 dargestellte Bild unterstreicht die begriffliche Fehleinschätzung. Plakate wie das Folgende werden gern von Gewerkschaftsseite bei Kundgebungen in den USA verwendet:
Quelle: www.fightbackamerica.net, 2006 Abbildung 4-1: „Stop Outsourcing” Mit der Aussage „Stop Outsourcing American Jobs“ interpretiert dieses Plakat die Möglichkeiten durch BPO falsch. Natürlich müsste es „Stop Offshoring“ heißen, wenn man die Arbeitsplätze nicht ins Ausland verlieren möchte. Sobald eine Verlagerung von Service-Dienstleistungen über Landesgrenzen hinweg erfolgt, ist dies eine Service Handelstransaktion und zählt für die Handelsbilanzen. Bezieht z. B. Bosch in Deutschland Buchhaltungsdienstleistungen aus seinem Finance SSC in Bangalore, ist es ein Einkauf von Dienstleistungen von der indischen Tochtergesellschaft von Bosch und unterliegt somit sowohl der normalen steuerlichen Behandlung als auch der Erfassung in der volkswirtschaftlichen Statistik. Innerhalb der EU-Staaten gibt es die Möglichkeit, das 84 85
Vgl. als weiteres Beispiel für den Begriff Offshore-Outsourcing Bongartz, 2003, S. 225. Vgl. Berry, 2006, S. 8 f.
124
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
Niederlassungsprinzip geltend zu machen nachdem z. B. ein britisches Unternehmen sein Finance & Accounting SSC in Budapest als „Niederlassung“ führt und somit zumindest dem Tatbestand der Umsatzbesteuerung entgehen kann und auf die Einrichtung eines separaten Legal Entity verzichten darf. Ob und in welchem Umfang die Leistungen von Captive SSC in den jeweiligen Handelsbilanzen der betroffenen Länder ihren Niederschlag finden, ist derzeit noch ungeklärt und zeigt zugleich, dass die neue Branche von SSC, BPO und Offshoring bei weitem noch nicht alle steuerlichen, rechtlichen und volkswirtschaftlichen Fragen gelöst hat. Davon betroffen ist ebenso die Ausgestaltung der internationalen Transferpreise. Gemäß dem in den OECD-Richtlinien kodifizierten ArmsLength Principle sind Captive SSC angehalten, angemessene Transferpreise in Rechnung zu stellen.86 Momentan wird zumeist die Methode Cost plus eingesetzt, bei der die jeweilige Kostenbasis pro Transaktion zu erheben ist und mit einem „angemessenen“ Kostenaufschlag versehen wird. Die bislang gewählten Kostenaufschläge werden von den jeweiligen Steuerbehörden akzeptiert, sofern sie den üblichen Transferpreisregelungen im Konzern entsprechen. Dennoch werfen Steuerbehörden ein zunehmend kritisches Auge auf die erhobenen Transferpreise, da befürchtet wird, dass aufgrund nicht zutreffender Kostenaufschläge Gewinne aus dem Land der Leistungserstellung (dem Sitz des SSC) transferiert werden. Der „Einkäufer“ der SSC-Leistungen ist zumeist eine Tochtergesellschaft in einem Land mit günstigem Steuersatz, die diese Leistungen schließlich extrem verteuert an die Konzerngesellschaften veräußert und somit hohe – aber gering versteuerte – Gewinne ausweist. Mit zunehmender Reife des SSC- und BPO-Marktes ist davon auszugehen, dass in den klassischen SSC/BPODienstleistungen in naher Zukunft das Prinzip der vergleichbaren Marktpreise die Cost-plus-Methode verdrängen wird. Es existieren bereits eine Reihe von neutralen Benchmarks für die unterschiedlichen Services, die zunehmend zur Gestaltung von Service Level Agreements verwendet werden und somit die rein kostenbasierten Verrechnungspreise ersetzen könnten. Bei Transaktionen mit Dritten ist die Handelskomponente unumstritten: Der Einkauf einer Rechtsberatung z. B. für einen deutschen Automobilkonzern bei einem Anwaltsbüro in New York ist eine steuerpflichtige Transaktion mit entsprechender Berücksichtigung in der deutschen und US-Handelsbilanz. Ebenso wird mit jeder Form eines BPO- oder ITO-Geschäftsvorfalls verfahren. Dennoch würde niemand die Rechtsberatung aus New York als „Offshoring“ bezeichnen. Anders verhält sich dies bei einem BPO-Kontrakt, in dessen Rahmen ein deutsches Unternehmen die Kreditprüfung von Lieferanten durch einen indischen Service Provider abwickeln lässt, obgleich beides handelsbilanz-relevante Ge86
Vgl. OECD, 1.6.2005.
Begriffliche Abgrenzungen, Trends und Studien
125
schäftsvorfälle sind. Es spielen der Umfang der Dienstleistung sowie deren prozessbezogene Abgrenzung in der Definition von Offshoring eine Rolle. Eine Definition für Offshoring, die den Prozessbezug in den Vordergrund stellt, schlägt Schaaf vor: „Beim so genannten Offshoring verlagern Unternehmen Prozesse, vornehmlich IT-basierte Dienstleistungen, über große Distanzen in andere Staaten, oft in Billiglohnländer. … In der Regel handelt es sich um einfache Tätigkeiten, wie z. B. Dateneingabe und -verarbeitung, Call Center und Support-Dienstleistungen (Help Desk) oder Prozesse, bei denen Versicherungsansprüche standardisiert bearbeitet werden. Aber auch anspruchsvolle Aufgaben, wie die Anwendungsentwicklung und -instandhaltung oder die Auswertung von aus Europa stammenden Computer-Tomographien durch indische Radiologen, fallen unter Offshoring.“87 In Anlehnung an diese Definition leitet sich die folgende Matrix ab, um den Begriff Offshoring zu erläutern und eine Klassifizierung anzubieten:
BPO
Onshore Outsourcing
Offshore Outsourcing
Captive
Captive SSC Onshore
Captive Offshore SSC
Inland
Ausland
Abbildung 4-2: Captive vs. BPO/Onshore vs. Offshore Der Begriff Offshoring existiert überdies in einer Reihe von Nuancen. So finden sich die Varianten „Nearshoring“ und „Onshoring“ als begriffliche Modifikationen mit durchaus unterschiedlichen Bedeutungen. Im Folgenden wird eine pragmatische, definitorische Richtlinie zur Verfügung gestellt, die einer einheitlichen Abgrenzung dienen.88 87 88
Vgl. Schaaf, 26.8.2004, S. 3. Vgl. Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V., 20.9.2005, S. 11.
126
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
Häufig werden alle drei Versionen als Offshoring bezeichnet Offshoring
Nearshoring
Onshoring
=
=
=
Verlagerung bestimmter Geschäftsaktivitäten auf einen anderen Kontinent
Verlagerung bestimmter Geschäftsaktivitäten in ein anderes Land auf dem gleichen Kontinent
Verlagerung bestimmter Geschäftsaktivitäten in eine andere Region im gleichen Land
Beispiel: Whirlpool Amerikanisches Unternehmen verlagert Aktivitäten nach Kanada
Beispiel: Société Générale Französisches Unternehmen verlagert bestimmte Aktivitäten nach Marseille
Beispiel: Deutsche Bank Deutsches Unternehmen verlagert Aktivitäten nach Indien
Zielsetzung in allen drei Fällen: • Geringere Lohnkosten • Verbesserte Servicequalität (z.B. 24/7) • Zugang zu kritischem Know-how (z.B. IT)
Abbildung 4-3: Offshoring – Nearshoring – Onshoring Streng genommen ist der Begriff Offshoring vom Nearshoring zu trennen. Das heißt, dass lediglich eine Verlagerung auf einen anderen Kontinent als Offshoring zu klassifizieren ist (Beispiel Deutsche Bank). Würde die Deutsche Bank Aktivitäten aus dem Unterstützungsbereich nach Polen oder in die Tschechische Republik verlagern, wäre dies als Nearshoring zu klassifizieren. Der Begriff Onshoring trifft in diesem Zusammenhang nur dann zu, wenn die Verlagerung innerhalb des Landes erfolgen würde. Das Beispiel der Société Générale stellt eine klassische Shared-Services-Onshoring-Entscheidung dar, weil transaktionale Finanzprozesse von Paris in die Region Marseille verlagert worden sind, vorwiegend um Kostenvorteile zu realisieren. Definitorische Überschneidungen treten im Zusammenhang mit dem Begriff Onshoring auf: Die Errichtung des BASF Shared Service Centers in Berlin dient der Zusammenfassung von Rechnungswesen und HR-Aktivitäten für Europa und insbesondere für Deutschland. Die Verlagerung einer Buchhaltung aus Nordrhein-Westfalen nach Berlin wäre als Onshoring zu interpretieren, während die Verlegung der Buchhaltung aus Sevilla nach Berlin dem Begriff des Nearshoring entsprechen würde. Würde nun eine Buchhaltung aus Kairo nach Berlin verlagert, so wäre die Anwendung des Begriffes Offshoring angebracht.
Begriffliche Abgrenzungen, Trends und Studien
127
Im Ergebnis finden sich in Praxis und Theorie alle drei Begriffe mit kleineren Abweichungen. Jedoch wird überwiegend der Begriff Offshoring verwendet, um zum Ausdruck zu bringen, dass Unterstützungsfunktionen in Form von Shared Services oder BPO an einem neuen Standort zur Verfügung gestellt werden. Obwohl definitorisch nicht korrekt, hat sich im Sprachgebrauch etabliert, dass Verlagerungen von Bayern in die Tschechische Republik als Offshoring bezeichnet werden genauso wie die Eröffnung eines Call Centers auf den Philippinen, das Dienste zusammenfasst, die zuvor in Australien, Neuseeland, Großbritannien und den USA geleistet worden sind. Eine interessante These leiten Kunze und Neuhaus im Rahmen der Studie der Deutschen Bank Research ab.89 Demnach ist der Begriff Offshoring immer im Kontext des Inshorings zusehen, was im Prinzip bedeutet, dass Länder mit Offshoring-Aktivitäten nebenbei Profiteure dieser Entwicklung im Rahmen des Inshorings sein können. Deutschland ist ein bevorzugter Offshoring-Standort von Innovations- und Entwicklungscentern von Unternehmen wie GE, AMD oder japanischer Automobilhersteller geworden. Mit der Aussage „des einen Offshoring ist des anderen Inshoring“ wird dargestellt, dass Offshoring durchaus keine Einbahnstraße ist. Verlagerungsentscheidungen sind zwar zumeist durch Kostenargumente gestützt, jedoch spielt in anderen Bereichen der Aspekt Qualität die entscheidende Rolle. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Beispiel der Firma Panasonic. Das Unternehmen hat die Fertigungsaktivitäten für Europa zwar in der Slowakei konzentriert, die Forschungs-, Marketing- und Technologiecenter sitzen jedoch in Langen bzw. Lüneburg. Panasonic nutzt mit dieser Strategie gezielt die Lohnkostenvorteile in Osteuropa und stellt zugleich sicher, dass das erforderliche Ingenieur-Know-how im benachbarten Deutschland in ausreichender Qualität und Menge bereitgestellt wird. Das Thema Offshoring im hier behandelten Sinne ist mittlerweile umfassend in mehreren empirischen Studien untersucht worden. Die Studien überschneiden sich zwar häufig mit Analysen aus dem BPO/ITO- oder Shared-ServicesBereich, aber dennoch gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die sich explizit mit dem Offshoring auseinander setzen. Im Folgenden werden einige ausgewählte Studien exemplarisch kurz beleuchtet und diskutiert.
89
Vgl. Kunze/Neuhaus, 28.2.2005, S. 3.
128
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
PricewaterhouseCoopers (PwC): Offshoring in the financial services industry: Risks and rewards PwC hat sich gemeinsam mit der Economist Intelligence Unit unter anderem in der Financial-Institutions-Branche mit dem Aspekt Offshoring befasst.90 In einer globalen Survey-gestützten Befragung von 156 Führungskräften sowie 20 Detailinterviews im Sommer 2005 haben die Studienorganisatoren Erfahrungen, Auffassungen und Trends zum Thema erfasst. Eine wesentliche Erkenntnis ist die zu erwartende drastische Zunahme von Offshoring-Aktivitäten. Während 20 % der Teilnehmer bislang keine Offshoring-Aktivitäten betreiben, wird erwartet, dass dieser Prozentsatz bis zum Jahr 2008 auf 6 % abnehmen wird. Obgleich des zunehmenden Drucks seitens der Gewerkschaften oder Regierungen gehen die Beteiligten davon aus, dass der Prozentsatz der Arbeitsplätze an den OffshoreStandorten drastisch ansteigen wird: Im Jahr 2005 gaben 36 % der Befragten an, bereits mehr als 6 % der Belegschaft an Offshoring-Standorten zu beschäftigen. Für das Jahr 2008 glauben sogar mehr als zwei Drittel der Befragten, dass mindestens 6 % Offshoring-Arbeitsplätze auch in ihrem Unternehmen erreicht sein werden. Auch bei den knowledge-basierten Prozessen zeigt sich eine massive Steigerung. Gaben im Jahr 2005 lediglich 14 % an, wissensbasierte Aktivitäten offshore zu betreiben, glauben weitere 22 %, dass dies in 3 Jahren auch in ihrem Unternehmen eintreten wird. Obgleich die Studie einen Schwerpunkt auf Financial Institutions setzt, sind aufgrund des Untersuchungsdesigns aufschlussreiche Erkenntnisse für den Offshoring-Trend ableitbar.
Deutsche Bank Research/BITKOM: Offshoring-Report 2005: Ready for Take-off DB Research hat in Verbindung mit dem Bundesverband Informationsgesellschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. eine umfassende Untersuchung zum Thema Offshoring durchgeführt.91 Im Rahmen der Studie wurden 570 Unternehmen im deutschsprachigen Raum zu ihren Offshoring-Aktivitäten befragt, wobei 305 Unternehmen als Nachfrager von Offshoring Services und 267 als Anbieter der entsprechenden Leistungen klassifiziert werden. Analog zur globalen Untersuchung von PwC finden sich bei den deutschsprachigen Unternehmen hohe Wachstumserwartungen beim Thema Offshoring. Die Mehrheit der Studienteilnehmer erwartet zwischen 5 bis 20 % mehr Nachfrage nach entspre-
90 91
Vgl. PricewaterhouseCoopers, September 2005. Vgl. Deutsche Bank Research/BITKOM, 14.6.2005.
Begriffliche Abgrenzungen, Trends und Studien
129
chenden Offshoring-Diensten. Die DB Research/BITKOM Studie vermittelt aufschlussreiche Einblicke in die bevorzugten BPO-Funktionen. Demnach zeigt das Finanz- und Rechnungswesen die beste Eignung für BPO, nur knapp vor dem Einkauf und der Logistik. Das Ergebnis zeigt deutlich, dass im Hinblick auf HR- und Payroll-Funktionen Unternehmen im deutschsprachigen Raum eine größere Komplexität bewältigen müssen, als dies im anglo-amerikanischen Raum der Fall ist und somit die Präferenz für HR-Offshoring nicht sonderlich stark ausgeprägt ist. BPO Processes for Offshoring (570 Unternehmen in D, AT, CH) Frage: „Welche BPO-Prozesse sind zum Teil offshored oder werden in naher Zukunft offshored?“ Finance & Accounting
18,0%
Procurement
17,5%
Logistics
17,3%
HR 0,0%
12,5% 5,0%
10,0%
15,0%
20,0%
Quelle: DB Research/BITKOM Abbildung 4-4: Offshoring – Bevorzugte BPO-Prozesse Grundsätzlich fällt auf, dass die Akzeptanzrate für BPO geringer ist als für ITOutsourcing. Wesentliche Gründe sind das fehlende Vertrauen in ServiceQualität, komplexe Prozesse, regulatorische Hindernisse und die höheren Anforderungen an das Change Management. Im Hinblick auf die bevorzugten Länder unterstreicht die Untersuchung deutlich die Dominanz von Indien mit 70 %. Allerdings holen die osteuropäischen Länder schnell auf. Die Einschätzung der regionalen Präferenz unterstreicht die Neigung der Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum, BPO- oder ITOProjekte nicht offshore zu vergeben, sondern einen einfacher zu erreichenden Nearshoring-Standort zu bevorzugen. Auch Sprachaspekte und die höhere kulturelle Kompatibilität spielen eine entscheidende Rolle.92 92
Vgl. auch Brown/Karamouzis, 21.9.2005, S. 1.
130
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
Offshoring Locations (570 Companies in D, AT, CH) Frage: “In welches Land haben Sie bereits oder planen Sie BPO oder IT Prozesse zu verlagern?” 92%
Poland, CR, Slovakia, Hungary 70%
India Russia, Ukraine, Belarus
50% 41%
Other Countries Europe Bulgaria, Romania
36%
China
32%
Other Countries Asia
27%
Other Countries
20%
Ireland
13%
Spain, Portugal
9% 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
Quelle: DB Research/BITKOM Abbildung 4-5: Offshoring – Bevorzugte Standorte Die Studie zeigt, dass – obgleich der Vorbehalte – neben Indien, das vorrangig im Fokus von IT-Projekten steht, China an Bedeutung gewinnt. Zudem sind mit Rumänien und Bulgarien zwei Länder auf dem Vormarsch, die günstigere Kostenstrukturen im Vergleich zu Ungarn, der Slowakei, Polen oder der Tschechischen Republik gezielt als Argument nutzen wollen. Eine wichtige Erkenntnis dämpft die Begeisterung für den Offshoring-Markt: Grundsätzlich sind die Anbieter bei weitem optimistischer im Hinblick auf Offshoring-Vorhaben als die Unternehmen selbst. Die Untersuchung reflektiert insgesamt eine noch sehr vorsichtige Einschätzung der Offshoring-Möglichkeiten. Obgleich diese Studie sehr stark die Aspekte BPO und ITO beleuchtet und weniger in die Captive SSC-Alternativen eindringt, ist sie dahingehend interessant, dass sie eine Beurteilung der Offshoring-Situation aus der spezifischen Sichtweise deutscher, schweizerischer und österreichischer Unternehmen erlaubt.
Begriffliche Abgrenzungen, Trends und Studien
131
CFO Magazine: Offshoring by the Numbers Eine Umfrage aus dem journalistischen Umfeld wurde vom CFO Magazine im Jahr 2004 zum Thema Offshoring durchgeführt.93 Im Rahmen dieser Untersuchung wurden 275 nicht weiter spezifizierte Führungskräfte aus dem Finanzund Rechnungswesen befragt. Einleitend weisen die Verfasser des Beitrags auf ähnliche Erfassungsprobleme im Hinblick auf die Marktgröße hin, wie diese im Rahmen des BPO-Marktes festgestellt wurden. Demnach schwanken die Einschätzungen über die Anzahl von US-Service-Arbeitsplätzen, die bis zum Jahr 2015 durch Offshoring verloren gehen könnten, von 3,3 Mio. (Forrester Research) bis zu 14 Mio. (University of California, Berkeley). Im Gegensatz zur überaus positiven Einschätzung des Offshoring-Marktes aus der Sicht einiger Experten zeichnet die Studie des CFO Magazine ein eher ernüchterndes Bild: Lediglich 18 % der befragten Unternehmen nutzen derzeit eine OffshoringOutsourcing-Lösung. Im Durchschnitt wurden dabei 6 % der Arbeitsplätze an Offshoring-Standorte verlagert. Erstaunlich hoch ist die Einschätzung von 70 % der befragten Führungskräfte, keinerlei Offshoring-Pläne zu haben. Diese Einschätzung steht gewissermaßen im Widerspruch zur positiven Einschätzung des Gesamtmarktes. Bei der Betrachtung der Service-Prozesse führt IT mit 59 % deutlich vor Customer Support (31 %) und Finance & Accounting (21 %). Leider ist die Untersuchungsgruppe der Studie nicht weiter spezifiziert, und demografische oder branchenspezifische Aussagen sind nicht möglich. Zudem hat sich die CFO Magazine-Studie vornehmlich dem Offshore Outsourcing, im Sinne von BPO und ITO, gewidmet. Die Auffassung der Studienteilnehmer zur Captive SSC-Lösung an Offshoring Standorten wird nicht untersucht.
Ventoro: Offshore 2005 Research Eine umfassende Untersuchung zum Offshoring wurde von der Beratungsgesellschaft Ventoro im Jahr 2004 durchgeführt.94 Im Rahmen dieser Studie wurden 5.231 Führungskräfte aus Nordamerika und Europa befragt. Wichtiges Kriterium bei der Auswahl der Studienteilnehmer war die Einschätzung, als potenzieller Einkäufer von Offshoring-Dienstleistungen aufzutreten. Mit 3.139 Teilnehmern hat die Studie einen Schwerpunkt auf die USA gelegt, in Europa waren Deutschland (628 Teilnehmer), Frankreich (523) sowie Großbritannien (471) die wichtigsten Länder der Untersuchung. Eine wichtige Erkenntnis der Studie ist, dass
93 94
Vgl. O’Sullivan/Durfee 1.6.2004. Vgl. Hatch, P., www.ventoro.com, 2004.
132
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
die Fortune 1000 Unternehmen wesentlich stärker mit der Entwicklung von Offshore-Strategien befasst sind als kleinere Unternehmen: Von allen Studienteilnehmern geben lediglich 19 % an, eine Offshoring-Strategie zu besitzen wohingegen 95 % der Fortune 1000 Unternehmen der Stichprobe diese Frage bejahen. Auch im Hinblick auf die zukünftigen Pläne zeigen die Ergebnisse eine eher vorsichtige Haltung: Lediglich 32 % der befragten Führungskräfte glauben, dass Offshoring-Pläne im kommenden Jahr entwickelt werden. Teilnehmer, die über Offshoring-Erfahrung verfügen, sind offenbar zufrieden mit der gefällten Entscheidung. 72 % dieser Teilnehmer erwarten, dass die derzeitigen Investitionen in Offshore-Vorhaben noch ausgeweitet werden.
FHTW Berlin/Offshoring Institute: Projekt zu Shared Services und Offshoring in deutschen Unternehmen Die bereits vorgestellte Studie der FHTW Berlin, die in Zusammenarbeit mit dem Offshoring Institute 2005/2006 durchgeführt wurde, hat sich in einem Schwerpunkt mit der Thematik Offshoring auseinander gesetzt. Im Rahmen von 28 Experteninterviews mit Führungskräften aus den größten deutschen Unternehmen wurden Meinungen, Befindlichkeiten und individuelle Einschätzungen hierzu näher analysiert. Bei der Beurteilung der politischen Rahmenbedingungen sehen die Experten die deutschen Unternehmen z. T. mit dem bestehenden rechtlichen Rahmen in der Umsetzung ihrer Offshoring-Vorhaben behindert. Der Großteil der Teilnehmer sieht das Offshoring als eine unausweichliche Realität auch für deutsche Unternehmen, die ebenso wenig aufgehalten werden kann wie der Offshoring Trend der Fertigungsaktivitäten in den 60er und 70er Jahren. Ansonsten stehen die Befragten dem Trend Offshoring eher moderat gegenüber. Weder die derzeitige politische Landschaft noch die Arbeitsmarktdiskussion werden als gravierende Nachteile in der Umsetzung des Offshoring gesehen. Bemerkenswert ist die Einschätzung, dass Offshoring keine wesentlichen Entwicklungsmöglichkeiten für die deutsche Wirtschaft bietet. Die günstige geografische Lage Deutschlands in der Nähe zu den Nearshoring-Destinationen Tschechische Republik, Polen, Slowakei und Ungarn wird ebenso wenig positiv bewertet wie die Möglichkeiten des Inshoring im Bereich der KnowledgeProzesse. Im Ergebnis zeigen die unterschiedlichen Studien, dass Offshoring eine wichtige strategische Rolle vor allem bei großen Unternehmen spielen wird. In den Zukunftsprognosen dominiert bei den Befragten die Vorsicht – die meisten Unternehmen scheinen sich dem Thema nur langsam zu nähern, obgleich die Entwick-
Marktanalyse – die Bedeutung des Service Offshoring im globalen Kontext
133
lung gemeinhin gesehen und als lang anhaltend eingestuft wird. Indien und zunehmend China spielen international die wohl wichtigste Rolle, und Osteuropa hat sich als Nearshoring-Alternative fest etabliert. Die IT ist nach wie vor die bevorzugte Funktion für eine Verlagerung, Customer Support und Finance & Accounting folgen dicht auf. Average
Variance
"The legal framework is a major obstacle to implement SSC and Offshoring solutions in German companies."
3,5
0,6
"The German policy spreads a job psychosis and is becoming a restraint for the implementation of SSC and Offshoring."
2,8
0,6
"German companies trail in competitiveness due to the hesitant use of SSC and Offshoring."
3,0
0,3
"The German economic growth could be accelerated by more intense use of SSC and Offshoring."
3,3
0,3
"German companies could create more high-value and safe jobs if low-value activities were increasingly relocated abroad."
3,0
0,7
"The policy should support companies in the relocation of jobs for Shared Services (e.g. by legal relief)."
3,4
0,3
"Offshoring is a big opportunity for the business location Germany."
3,0
0,6
"Due to its cost structure Germany doesn't play a role as location for simple administrative activities."
3,2
0,9
"Due to the use of new technology Shared Services and Offshoring is inevitable for modern companies."
3,6
0,6
The offshore cost savings will be erode quickly and therefore should generally not be applied as a decision criterion.
2,9
0,5
“Today Offshoring for administrative activities is a comparable trend to Offshoring of production activities in the 70s and 80s of the last century.”
4,2
0,3
Questions
Fully Agree
Agree
Neutral
Disagree
Fully Disagree
Quelle: Offshoring Institute Abbildung 4-6: Offshoring in deutschen Unternehmen – Ergebnisse einer Expertenbefragung
3.
Marktanalyse – die Bedeutung des Service Offshoring im globalen Kontext
Die Marktanalyse des Offshoring-Potenzials wird erheblich erschwert durch starke Überschneidungen von Produktions- und Service-Offshoring. Bereits seit über 100 Jahren drängen Konzerne etwa aus der Automobilindustrie, dem Eisenbahn- oder Maschinenbau und der Konsumgüterindustrie in neue Länder, um
134
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
neue Märkte zu erschließen. Seit den 60er und 70er Jahren sind die Unternehmen der westlichen Welt zudem an Offshoring-Standorten präsent, auch um die Vorteile günstiger Kostenstrukturen im Fertigungsbereich nutzen zu können. Manche Unternehmen sind aufgrund der Art der Dienstleistung gezwungen, in ausländischen Märkten präsent zu sein, um Services oder Produkte an den Kunden vermitteln zu können. Letzteres erklärt, warum z. B. Metro eigene Märkte in Indien, die Deutsche Bank Filialen in Brasilien oder A.T. Kearney ein Beratungsbüro in Tokio unterhält. Hier eine klare Linie zwischen Produktions- und Service-Offshoring oder einer branchenspezifischen Auslandspräsenz zum Zwecke der Markterschließung zu ziehen, führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Ein wichtiger Indikator in der Bestimmung des Service-Offshoring-Marktes ist das Volumen an ITO- und BPO-Dienstleistungen, die an Offshoring Standorten erbracht werden. Diese Services umfassen zum Großteil Leistungen, die für Kunden, die in der Regel in Nordamerika oder Europa sitzen, erbracht werden. Bei der Erfassung des Offshore-Outsourcing-Volumens ist nicht ersichtlich, in welchem Rahmen Shared Services in einem Captive-Modell zur Verfügung gestellt werden. Für die Statistik ist es nahezu unmöglich zu differenzieren, ob ein SSC in Ungarn Finance & Accounting-Dienstleistungen für das Land Ungarn, Tochtergesellschaften oder Niederlassungen der ungarischen Gesellschaft oder andere Konzerngesellschaften erbringt. Zudem ist für die Statistik nicht transparent, mit welchen Transferpreisen die Servicedienstleistungen konzernintern gehandelt werden. Obgleich das WTO Agreement GATS einen Klassifizierungsvorschlag für Servicedienstleistungen bietet, kann nicht sichergestellt werden, dass alle diese Leistungen tatsächlich korrekt zugeordnet werden. Insbesondere Entwicklungs- und Schwellenländer nehmen es bei der Klassifizierung nicht immer genau.95 Trotz dieser Bedenken liefert die Zusammenfassung der ITO- und BPO-Exporte der Beratungsgesellschaft neoIT hilfreiche Richtwerte. In Summe exportieren die untersuchten Top 14-Standorte ca. 25 Mrd. US-Dollar IT-Dienstleistungen und 12,2 Mrd. US-Dollar Business Process Services. Damit liegt der Wert irgendwo in der Mitte der Einschätzung der Deutschen Bank Research, die den Markt mit 10 bis 50 Mrd. US-Dollar relativ grob beziffert.96 Nach der Einschätzung von neoIT ist in der Länderanalyse Indien im Export von IT-Dienstleistungen der eindeutige Spitzenreiter. Im BPO-Umfeld befindet sich Indien auf dem zweiten Platz, knapp hinter Kanada, das aufgrund der vielfältigen Dienstleistungen für US-Unternehmen die Spitzenposition behauptet. Dennoch liegt Indien im BPO 95 96
Vgl. Schaaf, 26.8.2004, S. 4. Vgl. a. a. O., S. 4.
Marktanalyse – die Bedeutung des Service Offshoring im globalen Kontext
135
Geschäft weit vor den europäischen Standorten Polen, Ungarn und Rumänien, die zusammen nach Angaben von neoIT weniger als 4 % des indischen Volumens exportieren.97 Polen • ITO: • BPO:
$110 Mio. $70 Mio.
Tschechische Rep. • ITO: $60 Mio. • BPO: $40 Mio. Canada • ITO: $8,2 Mrd. • BPO: $5,5 Mrd.
Irland • ITO:
Ungarn • ITO: • BPO:
$50 Mio $25 Mio. Russland • ITO: $550 Mio • BPO: $25 Mio.
$2,2 Mrd.
Rumänien • ITO: $30 Mio • BPO: $25 Mio.
Mexico • ITO: • BPO:
China • ITO: • BPO:
Philippinen • ITO: $330 Mio • BPO: $800 Mio.
$100 Mio. $200 Mio. Indien • ITO: • BPO: Brasilien • ITO: $200 Mio.
$700 Mio $ 200Mio.
$12,2 Mrd. $5,2 Mrd. Malaysia • ITO: $120 Mio • BPO: $40 Mio.
Südafrika • ITO: $220 Mio
Quelle: neoIT Abbildung 4-7: ITO- und BPO-Exporte weltweit Die europäischen Länder schlagen mit relativ geringen BPO-Werten zu Buche und Irland fehlt in der BPO-Statistik gänzlich, da Captive SSC in der Erhebung nicht berücksichtigt wurden. Vor allem Irland hat sich Ende der 90er Jahre als SSC Nearshoring-Standort in Europa einen Namen gemacht aufgrund guter Qualität hinsichtlich Fremdsprachen, internationaler Accounting-Ausbildung sowie Kostenvorteilen durch niedrigere Arbeitskosten, Steuervergünstigungen und Zuschüsse. Das Kostenargument ist über die vergangenen Jahre zwar erodiert, Irland bleibt jedoch ein beliebter F&A SSC-Standort. Nach einer Einschätzung von Kunze und Neuhaus bewegt sich das Volumen für Captive Offshoring bei ca. zwei Drittel des gesamten Offshoring Marktes.98
97
98
Vgl. neoIT, September 2005, S. 4; eine ähnliche Studie legen Farrell, D. et al. vor, die allerdings offensichtlich lediglich die IT Services umfasst. Demnach führt Indien mit 12,2 Mrd. US-Dollar vor Kanada mit 3,8 Mrd. US-Dollar (vgl. Farrell et al., Juni 2005, S. 13). Vgl. Kunze/Neuhaus, 28.2.2005, S. 5f.
136
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
Setzt man diese Zahl in Kontext mit dem von neoIT erhobenen OffshoreOutsourcing-Marktpotenzial von 37,2 Mrd. US-Dollar für die Top 14 Offshoring Destinationen, so ergibt sich eine beachtliche Größe des Offshoring Marktes von mindestens 112 Mrd. US-Dollar.99 Die exportierenden Länder von IT- und BPO-Dienstleistungen beginnen sich nunmehr zu spezialisieren. Während Irland sich in den 90er Jahren mit einem starken Fokus auf Finance & Accounting zu einem attraktiven SSC-Standort entwickelt hat, folgen andere Länder diesem Beispiel. Indien hat schon in den 80er Jahren begonnen, seine IT-und Software-Ingenieure gezielt in der ITOExportindustrie einzusetzen und dazu beigetragen, dass die unumstrittene Führungsposition im ITO Geschäft aufgebaut werden konnte. Die Staaten der ehemaligen Sowjetunion sind diesem Beispiel zwar gefolgt, doch haben die erheblichen Restrukturierungsprobleme in diesen Ländern die Wachstumsraten im ITO geringer ausfallen lassen als erwartet. Dessen ungeachtet hat sich Russland eine beachtliche Marktposition aufgebaut und wird weiter wachsen. Im voicebasierten BPO-Geschäft stellen Fremdsprachen einen wesentlichen limitierenden Faktor dar. Selbst Indien, fälschlicherweise häufig als englischsprachiges Land verstanden, stößt hier an seine Grenzen. Seit der Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947 ist Englisch nicht mehr Pflichtsprache, und in den niedrigeren bis mittleren Bevölkerungsschichten wird kaum oder gar kein Englisch gesprochen. Zudem ist das gesprochene Englisch in Indien selbst für Amerikaner oder Engländer nur schwer zu verstehen. In den indischen Service Centern mit Voice-Geschäft werden deshalb intensive „Accent Neutralization“-Trainings durchgeführt, die es indischen Agents ermöglichen sollen, weitgehend akzentfrei oder zumindest verständlich mit den Kunden in Westeuropa und Nordamerika zu kommunizieren. Die Akzentproblematik hat einen Standort wie die Philippinen besonders aus US-Sicht wesentlich attraktiver werden lassen. Auf den Philippinen wird nicht zuletzt aufgrund der langjährigen Besatzung ein eher amerikanisches Englisch gesprochen. Zudem haben große Teile der Bevölkerung die amerikanische Kultur verinnerlicht, was einer Kommunikation mit Kunden im Rahmen eines Call-Center-Betriebs förderlich ist. In Europa haben die Sprachbarrieren vor allem im Voice-Bereich den Trend zum Onshoring verstärkt. Allein an einem Standort wie Berlin sind deswegen ca. 12.000 Call-Center-Arbeitsplätze zu finden. Die Standorte von Service Centern in Berlin (Beispiel BASF), Barcelona (Beispiel Bayer) oder den Benelux-Staaten (Beispiel Basell) sind unter anderem gewählt worden, um durch die Nähe zu 99
Allerdings finden sich auch eine Reihe von Einschätzungen, die ganz andere Dimensionen vorschlagen: Frost & Sullivan beispielsweise beziffert das globale SSC-Volumen allein auf 647,4 Mrd. US-Dollar (vgl. www.frost.com; 2006).
Marktanalyse – die Bedeutung des Service Offshoring im globalen Kontext
137
multinationalen Agglomerationen den vielfältigen Sprachanforderungen in einem europäischen Kontext gerecht zu werden. Das Kostenargument wiegt bei derartigen Entscheidungen weniger als das Qualitäts- und Serviceargument. Städte wie Budapest, Prag und Bukarest haben sich der Sprachherausforderung gestellt und locken mit mehrsprachigen und gut ausgebildeten Universitätsabsolventen SSC oder BPO Center ins Land. Das SSC von Alcoa in Budapest beispielsweise bietet 14 gesprochene europäische Sprachen und das BPO Center von Genpact in Bukarest 12 Sprachen. Dennoch bleibt das Sprachproblem ein unumstößlicher, limitierender Faktor in der Globalisierung der Serviceindustrie. Im Bereich Finance & Accounting stellt die Einführung der International Financial Reporting Standards (IFRS) eine wesentliche Vereinfachung dar. Zusätzlich sind Kenntnisse in den jeweiligen lokalen Gesetzesgrundlagen erforderlich, um höherwertige Accounting Services übernehmen zu können. Diese Einschränkung wird mittelfristig die Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung lokaler AccountingExpertise zur Folge haben. Höherqualifizierte Tätigkeiten werden deshalb eher im Controlling offshored werden können, da diese Aufgaben weniger durch lokale Gesetze beeinflusst werden. Indien spielt aus diesem Grund auch zunehmend für Controllingaufgaben eine Rolle. Die meisten europäischen Konzerne sind momentan eher auf der Suche nach osteuropäischen Lösungen, da die Verbindung von Sprache und Rechnungslegungskenntnissen eine zu große Hemmschwelle darstellt, um nach Indien oder China zu gehen. Die Human-Resource-Funktion ist gleichfalls differenziert zu betrachten. Während durch Konzernrichtlinien geregelte Aufgaben wie die Verwaltung von Mitarbeiterdaten und Expatriates, Training sowie die Unterstützung des Recruitings durchaus von einem Offshoring-Standort unterstützt werden können, sieht das bei der Lohn- und Gehaltsabrechnung problematischer aus. Ähnlich wie bei den Rechnungslegungsvorschriften, ist der Payroll-Prozess maßgeblich durch die lokalen rechtlichen Rahmenbedingungen geprägt und erfordert aktuelle und umfassende Kenntnisse der Materie. Der BPO-Anbieter ADP hat ein globales Payroll-Service-Modell entwickelt, in dem quasi in jedem Land ein eigenes Payroll Office in Nähe zum Kunden betrieben wird und lediglich die einfachen, transaktionalen Tätigkeiten in kostengünstigeren Centern regional konsolidiert werden. Darüber hinaus haben sich im Knowledge Process Outsourcing einige Schwerpunkte gebildet, die Offshoring im Service-Bereich überhaupt gestartet haben. Indien hilft bei der Verarbeitung von medizinischen Informationen seit den 80er Jahren. Auf Band gesprochene Diagnosen werden von medizinischen Fachkräften über Nacht in Reports verfasst, oder indische Ärzte unterstützen bei den Auswertungen von Röntgenaufnahmen oder Tomographien per Ferndiagnose. Im Bereich des Offshoring von Unterstützung in Rechtsprozessen haben sich
138
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
einige indische Anwaltskanzleien auf die Auswertung von Aktenmaterial sowie die Archivierung relevanter Unterlagen für Gerichtsprozesse spezialisiert. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich bislang keine ausgeprägte Spezialisierung bestimmter Nationen auf ausgewählte BPO-Bereiche herausgebildet hat. Indiens Stellung im ITO ist historisch gewachsen und Ergebnis einer langfristigen Strategie. Eine spezifische Arbeitsteilung wie im Bereich der produzierenden Prozesse, besteht im Service-Bereich (noch) nicht. Sofern Prozesse standardisiert und simplifiziert werden können, dominiert das Kostenargument. Bei den wissens-basierten Prozessen spielen Ausbildungsstandards sowie das Verständnis lokaler rechtlicher, aufsichtsbehördlicher, kultureller und nicht zuletzt politischer Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle. Das Prinzip des Inshoring wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen, wenn es darum geht, Strukturunterschiede innerhalb eines Landes durch gezielte Verlagerung zu nutzen. In diesem Sinne stellt das Beispiel von Lakota Technologies die Ausnutzung eines komparativen Standortvorteils innerhalb eines Landes dar: Das Unternehmen Lakota Technologies mit Sitz im US-Bundesstaat South Dakota wird von Mitgliedern des Cheyenne River Sioux Stamms aus deren Reservat betrieben.100 Das Unternehmen hat sich auf die Digitalisierung und Archivierung von Fachartikeln spezialisiert und beispielsweise einen Großauftrag der Washington National Library bekommen. Die Bibliothek sah sich als staatliche Einrichtung außerstande, die Digitalisierung und Archivierung ihres Zeitschriftenbestandes an einen Zulieferer außerhalb der USA zu vergeben, weshalb die Onshore-Lösung in South Dakota bevorzugt wurde. Der Standort in einem Indianerreservat bietet günstigere Kostenstrukturen zum vergleichbaren Durchschnitt der USA, obwohl sie höher sind als vergleichsweise in China oder Indien, und die US-Regierung bietet in diesen Regionen noch zusätzlich Subventionshilfen und Steuererleichterungen an. Dieses Vorgehen findet sich ebenso in Europa. Die staatliche Förderung strukturschwacher Regionen wie z. B. Süditalien oder Ostdeutschland erhöht hier die Attraktivität von Near- oder sogar OnshoringLösungen. Aus Sicht eines einzelnen, global agierenden Unternehmens bedeutet die fehlende Spezialisierung der Länder auf bestimmte BPO/Captive SSC-Bereiche nicht, dass z. B. mehrere SSC in unterschiedlichen europäischen Ländern eingerichtet werden. Jedes Unternehmen wird im Rahmen der Spezialisierung versuchen, seine Funktionen nach individuellen Gesichtspunkten zu bündeln und den optimalen Mix von Outsourcing und Captive SSC zu finden.101 So hat z. B. ein
100 Vgl. Dressler, 2004, 152. 101 Vgl. Kunze/Neuhaus, 28.2.2005, S. 6.
Offshoring – die volkswirtschaftliche Dimension
139
deutsches Unternehmen ein SSC für Finance & Accounting in Ungarn errichtet, die europaweiten HR Services in einer deutschen Tochtergesellschaft zusammengefasst und die IT Services z. T. in einem Joint Venture mit einem BPOProvider nach Indien verlagert. Grundsätzlich zeichnet sich eher der Trend in Richtung globaler Multi-Standortstrategien für das Back Office ab.
4.
Offshoring – die volkswirtschaftliche Dimension
Die zunehmende Globalisierung der Weltwirtschaft als Motor des OffshoringTrends ist bereits diskutiert worden. Ob argumentativ über das Rationalisierungsargument mit Verfeinerung der (globalen) Arbeitsteilung, dem Zugang zu neuen Märkten oder pragmatisch über die 10 „Flattener“ von Thomas Friedman verfolgt, ist die Tatsache unumstößlich, dass die Globalisierung in den letzten 3 Dekaden drastisch an Geschwindigkeit zugenommen hat. Der Abbau von Handelsschranken und Aufbau transnationaler Wirtschaftsräume haben den Weg für die Globalisierung geebnet. Zudem befindet sich die Weltwirtschaft derzeit in einem Transformationsprozess: Die industriellen Ökonomien, die noch bis in die 70er Jahre das bezeichnende Modell für die meisten Staaten waren, wandeln sich zu wissensgestützen Ökonomien.102 Demzufolge hat die Bedeutung des tertiären Dienstleistungssektors die des sekundären Sektors (produzierendes Gewerbe) mittlerweile überholt. Wesentliche Wegbereiter in diesem Prozess waren die technologischen Innovationen wie das Internet, ERP und Workflow-Systeme sowie die modernen Kommunikationstechniken. Eine weitere Entwicklung in Richtung Globalisierung ist der anhaltende Strukturwandel, der in zwei unterschiedliche Stoßrichtungen wirkt: Zum einen sind die Arbeitnehmer in den entwickelten Industrienationen zunehmend dem Besitzstandsdenken verhaftet und lehnen Flexibilität im Hinblick auf Ausbildungs- und Arbeitsinhalte weitgehend ab. Von einer grundsätzlichen Technologieablehnung zu sprechen wäre zu weit gegriffen, aber die Bereitwilligkeit zur Umschulung oder zu freiwilligen Weiterbildungsmaßnahmen kann generell als gering eingestuft werden – insbesondere in den Fällen, in denen ein soziales Netz im Falle eines Arbeitsplatzverlustes ausreichende Sicherung bietet. Ähnlich verhält es sich mit der Mobilität. Die Bereitschaft zu einem beruflich bedingten Umzug ist 102 Vgl. Baßler/Heinrich/Utrecht, Stuttgart 2002, S. 138.
140
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
in den entwickelten Ländern nicht sonderlich stark ausgeprägt. Mit Ausnahme der USA, die eine grundsätzlich höhere Mobilität in der Gesellschaft zu verzeichnen haben, sind die Arbeitnehmer z. B. in Westeuropa eher immobil. Eher wird noch eine berufliche Pendellösung mit doppelter Haushaltsführung akzeptiert, als dass der Lebensmittelpunkt verlagert wird. Obgleich dieses Problem nicht neu ist, ist es im Hinblick auf die Entwicklung seit 1995 bis heute kritisch geworden. Schon in den 70er und 80er Jahren haben Arbeitnehmer aus der sterbenden Stahlindustrie im Ruhrgebiet oder den Werften im Emsland Arbeitsplatzmöglichkeiten im Maschinenbau oder der Metallverarbeitung in BadenWürttemberg, Bayern oder Südhessen ausgeschlagen, um einem Umzug zu entgehen. Ein Großteil der Arbeitslosigkeitsprobleme in Deutschland, aber auch Frankreich oder Italien, ist nicht zuletzt durch die Starrheit des Arbeitsmarktes hervorgerufen. Zum anderen zeigt sich eine ganz neue Qualität der globalen Mobilität gut ausgebildeter Fachkräfte in den Entwicklungs- und Schwellenländer. Die Vielzahl der mobilen und hochqualifizierten indischen IT-Experten hat den USA geholfen, über Know-how Engpässe in der IT-Industrie hinwegzukommen. Die in Deutschland gestartete „Greencard“-Initiative Ende der 90er Jahre war zwar weitaus weniger erfolgreich, aber die Maßnahme symbolisiert, wie intensiv das Schließen von Wissenslücken seitens der Unternehmen unter Ausnutzung eines globalen Arbeitsmarktes vorangetrieben wird. Noch ist die westliche Welt und insbesondere die EU recht erfolgreich, durch strikte Einwanderungs- und Arbeitserlaubnisbeschränkungen dem verstärkten Zuzug auch hochqualifizierter Fachkräfte Einhalt zu gebieten, doch tendenziell wird eine zunehmende Durchlässigkeit der globalen Arbeitsmärkte erforderlich sein, um strukturbedingte Know-how Engpässe zu schließen. Die demografischen Effekte Westeuropas erfordern nahezu die Öffnung des EU-Arbeitsmarkts für Nicht-EU-Absolventen höherer Bildungseinrichtungen. Momentan ist jedoch Offshoring die einzige kurzfristige Lösung, um Kosten und Qualität in administrativen Unterstützungsprozessen wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Einige Fakten untermauern die zunehmende Vernetzung der globalen Weltwirtschaft: Seit 1985 hat die weltweite Produktion stark zugenommen, was sich an der
Steigerung der kumulierten weltweiten Bruttoinlandsprodukte um ca. 3 % (CAGR 1985 – 2003) zeigt. Im gleichen Zeitraum ist das Volumen der Weltexporte mit einer jährlichen Wachstumsrate von 6 % doppelt so stark gestiegen. Abbildung 4-8 bringt diese Diskrepanz zum Ausdruck.
Offshoring – die volkswirtschaftliche Dimension
141
300 250
Weltexporte BIPs kumuliert CAGR 6%
200 150 3%
100 50 0 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003
Quelle: IMF World Economic Outlook Database Abbildung 4-8: Weltexporte und BIP im Vergleich Obgleich der hohe Wert der Exportzunahmen maßgeblich vom produzierenden Gewerbe getrieben wird, zeigt die noch stärkere jährliche Wachstumsrate von fast 7 % im Zeitraum 1995 bis 2003 den Einfluss des internationalen Service-Geschäfts. Die Wachstumsrate zwischen 1985 und 1994 liegt nämlich mit 5,8 % unter dem Wert der letzten 10 Jahre. Die Anzahl sowie die Umsätze der global agierenden Unternehmen sind dras-
tisch gestiegen. Allein im Zeitraum 1986 bis 2002 ist die Wertschöpfung ausländischer Tochtergesellschaften um 10 % und die Anzahl der Beschäftigten um 7 % gestiegen.103 Insgesamt 64.000 Unternehmen agieren derzeit weltweit und betreiben dazu ca. 850.000 Tochtergesellschaften, den Großteil davon in anderen Ländern als dem Sitz der Firmenzentrale. Ein weiterer Indikator ist das Volumen der Direktinvestitionen, das sich seit
dem Jahr 1970 verdreißigfacht hat. Im bisherigen Spitzenjahr 2000 betrug der Gesamtwert aller Direktinvestitionen 1,4 Billionen US-Dollar.104 Dieser massive Kapitaldienst signalisiert, wie wichtig es den Unternehmen geworden ist,
103 Vgl. Kunze/Neuhaus, 28.2.2005, S. 5. 104 Vgl. Seidel, 2004, S. 23.
142
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
nicht nur in neue Märkte als potenzielle Käufermärkte zu investieren, sondern gezielt die globale Supply Chain inklusive der Unterstützungsfunktionen auf die Erfordernisse einer weltweiten Vernetzung hin zu gestalten. Die Transportkosten für Güter und Informationen sinken seit mehreren Jahr-
zehnten drastisch. Technologische Neuerungen sowie effiziente und stärker integrierte Anbieter von Transportdienstleistungen haben diese Kostenreduktionen möglich gemacht. Effizienzverbesserungen und besser integrierte globale Produktionsnetzwerke führen auch zu Kostensenkungen im produzierenden Gewerbe. Dennoch ist es der Transportbranche gelungen, überproportionale Effizienzsteigerungen zu erzielen. Die Kosten für Telekommunikation und Datentransfer sind erheblich gesun-
ken. Allein im Zeitraum 1990 bis 2000 sind die Kosten für Telekommunikation um 60 % gefallen.105 Massive Investitionen in Glasfasernetze haben die unterschiedlichen Kontinente sowohl im festnetzbasierten Voice- als auch im Datentransfer auf einer kostengünstigen Basis verbunden. Die Anlandung des zentralen asiatischen Glasfasernetzkopfes in Mumbai hat Indien quasi über Nacht Zugang zu einem hochmodernen, leistungsstarken und verlässlichen Datentransfermedium verschafft, das dem Land bei seiner Positionierung als Offshoring Destination einen wesentlichen Beitrag geleistet hat. Die Entwicklung terrestrischer Telekommunikationsnetze, letztendlich motiviert durch den Wettlauf mit den Satellitennetzwerken Mitte der 90er Jahre, sowie die globale Zusammenarbeit in einheitlichen Standards (im Wesentlichen GSM) haben eine nahezu weltweite Abdeckung mit Mobilfunknetzen ermöglicht. Wireless LAN ist nur eine weitere Anwendungsform moderner und gleichzeitig kostengünstiger Kommunikation. Ein weiterer Aspekt, der die Globalisierung zumindest mittelbar beschleunigt
hat, ist die anhaltende Deregulierung in verschiedenen Branchen: Energieversorgung, Banken, Versicherungen und Verkehr. Das Beispiel Energieversorgung zeigt deutlich die Effekte der Globalisierung. Mit der 1997 beschlossenen Richtlinie zur Deregulierung des Elektrizitätsmarktes in Deutschland wurden die Weichen zur Öffnung dieser Unternehmen für ausländische Investoren gestellt. Mit der Electricité du France (EDF) und Vattenfall (Schweden) haben zwei ausländische Firmen Zugang zum deutschen Energiemarkt bekommen. Im Zuge der Optimierung der Geschäftsprozesse besteht jetzt die Möglichkeit, Überkapazitäten aus den jeweiligen nationalen Versorgungsnetzwerken grenzüberschreitend in anderen Ländern anzubieten. Ebenso wie das Stromgeschäft im internationalen Kontext ermöglicht wird, stellt sich für 105 Vgl. Schweigler, 2000, S. 21 ff.
Offshoring – die volkswirtschaftliche Dimension
143
die beteiligten Konzerne die Frage nach der effizienten Ausgestaltung der Unterstützungsprozesse, was häufig zu Nearshoring oder Offshoring-Modellen führt. Ab dem Jahr 2007 plant die EU, den Energiemarkt vollständig zu liberalisieren und somit den Verbrauchern die Möglichkeit zu bieten, ihre Energie und sonstigen Versorgungsdienstleistungen sogar bei ausländischen Versorgern einzukaufen.106 Der wesentliche Treiber der meisten Offshoring-Vorhaben im Service Bereich ist das Kostenargument. Folglich stellt sich die Frage, wie beständig die Kostenvorteile sein können unter dem Gesichtspunkt, dass in Offshoring-Hochburgen wie Indien, Irland, Ungarn und der Tschechischen Republik starke Kostensteigerungen festgestellt werden konnten. In Metropolen wie Prag oder Budapest beispielsweise sind die Lohn- und Gehaltskosten für qualifiziertes AccountingPersonal im Jahr 2006 fast im zweistelligen Bereich gewachsen. Die Durchschnitte liegen noch bei unter 6 %. Die Beurteilung der Kostenentwicklung ist kritisch zu beleuchten, da einmal getroffene Verlagerungsentscheidungen sich innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens amortisiert haben sollen. Ebenso spielen die unterschiedlichen Job Level eine wichtige Rolle. Die Everest Group beziffert beispielsweise für den indischen Markt die Gehaltswachstumsraten je nach Einstufung der Beschäftigten wie folgt:107 Einstufung Project Manager Project Leader Team Leader Senior Software Engineer Software Engineer
In % der Beschäftigten 3% 5% 8% 34 % 50 %
Gehaltssteigerung 6% 7% 15 % 12 % 11 %
Quelle: Everest Research Institute Tabelle 4-1: Gehaltssteigerungen nach Einstufung der Beschäftigten (ADM Center, Indien) Somit liegt die durchschnittliche Gehaltssteigerung für ein Application Development Management (ADM) Center bei 11,5 %. Augenscheinlich sind es die Steigerungsraten für Team Leader und Senior-Software-Ingenieure, die den Durchschnitt stark anheben. Dennoch, unter der vereinfachenden Annahme, dass der Durchschnittsverdienst in einem ADM Center bei 10.000 US-Dollar liegt, würde es ca. 14 Jahre dauern, bis die Kostenstrukturen zu denen in Deutschland heute vergleichbar wären. Da auch in Deutschland inflatorische und normale 106 Vgl. IBM Business Consulting Services, 2003, S. 2. 107 Vgl. Bahl, 2006, S. 1.
144
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
Gehaltssteigerungseffekte in den nächsten 14 Jahren zu erwarten sind, kann – stark vereinfachend – davon ausgegangen werden, dass die Kostenvorteile nominal über ca. 20 Jahre Bestand haben werden. Im Vergleich zu China kann sogar von bis zu 30 Jahren ausgegangen werden.108 Neben inflatorischen Effekten ist zu berücksichtigen, dass an vielen Offshoring Standorten nicht in US-Dollar oder Euro fakturiert wird. Das heißt, die Abwertungstendenzen von Währungen wie dem Rupee in Indien, dem Real in Brasilien, dem Ringgit in Malaysia oder dem Peso in Mexiko werden dazu beitragen, dass der nominale Kostenvorteil über einen längeren Zeitraum hinweg Bestand haben wird. Das folgende Beispiel vergleicht Großbritannien mit Indien und zeigt, dass der Arbeitskostenvorteil durch Gehaltssteigerungen in Indien gegenüber Großbritannien gerade einmal um 1,8 % pro Jahr sinkt.
3,4%
9,4% 4,2%
1,8% Durchschnittliche Durchschnittliche Gehaltssteigerungen Gehaltssteigerungen Indien Großbritannien
Rupee Abwertung
Nominale Reduktion des Arbeitskostenvorteils
Quelle: Everest Research Institute Abbildung 4-9: Nominale Reduktion des Arbeitskostenvorteils (Vergleich Großbritannien – Indien) In diesem Beispiel steigen die Gehälter in der BPO-Branche in Indien zwar um signifikante 9,4 %, doch auch in Großbritannien ist von Gehaltssteigerungen von ca. 3,4 % auszugehen. Somit verschlechtert sich der Arbeitskostenvorteil lediglich um 6 %. Die Währungsabwertung des Rupee um 4,2 % im Vergleich zum 108 Vgl. Fischer/Schaudwet/Handschuh, 27.11.2006, S. 31.
Offshoring – die volkswirtschaftliche Dimension
145
britischen Pfund wirkt sich als weiterer Faktor aus. Nominal verbleiben nur 1,8 %, um die der Arbeitskostenvorteil in Indien pro Jahr im Verhältnis zu Großbritannien reduziert wird. Dieses Beispiel setzt eine Reihe von Ceteris-Paribus-Kriterien voraus. Zum einen werden die Gehaltsentwicklungen in den zu vergleichenden Ländern unterschiedliche Verläufe annehmen und wird die Abwertungstendenz einer Währung zum Teil nur temporären Charakter haben. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass hohe Gehaltsteigerungen ebenfalls nur temporär möglich sein werden, da sonst das industriestrukturelle Gleichgewicht in Ländern wie Indien erheblich durcheinanderkommen würde. Oder anders gesagt: Solange Länder wie Indien, Malaysia, die Philippinen oder Brasilien nicht das gesamtwirtschaftliche Einkommensgefüge weiter entwickeln und ausbalancieren, können Shared Services und BPO zwar als Wachstumsmotoren dienen, die Branche allein wird es aber nicht schaffen, landesweit westliche Lebensstandards zu erreichen. In Indien sind nach wie vor weniger als 1 % der arbeitenden Bevölkerung in der SSC und ITO/BPO-Branche tätig.
16 14,4 14
12 10,4 10
7,6
8
Durchschnitt 7,8
6
4
3,5 Durchschnitt 1,7 1,8
2
1,7
1,6
1,5
ni en
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itt a ßb r G ro
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0
Quelle: Everest Research Institute Abbildung 4-10: Programmierer-Gehälter im Verhältnis zum jeweiligen BIP pro Kopf
146
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
In diesem Zusammenhang ist das vorliegende Ungleichgewicht zwischen dem Einkommensniveau der ITO/BPO-Industrie und dem Bruttoinlandsprodukt von besonderem Interesse. Demnach liegen die Gehälter für Programmierer in den entwickelten westlichen Industrienationen im Durchschnitt 1,7-mal höher als das jeweilige Bruttoinlandsprodukt. In Deutschland bedeutet dies, dass ein Programmierer im Durchschnitt mit ca. 49.000 Euro ungefähr 1,7-mal soviel verdient wie das Bruttoinlandsprodukt pro Jahr (27.402 Euro, Stand 2005). In Indien sieht dieses Verhältnis ganz anders aus: Bei einem durchschnittlichen BIP von 687 US-Dollar (Stand 2005) verdient ein Programmierer mit ca. 9.700 USDollar etwa das 14,4-fache des Durchschnitts. Diese massive Diskrepanz deutet darauf hin, dass der Wachstumseffekt im Sinne eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nicht von Dauer sein kann. Andererseits zeigt diese Gehaltssituation die immense Attraktivität des BPO/ITOSektors. Nicht nur die verantwortlichen Regierungen werden optimale Rahmenbedingungen schaffen wollen, ausbildungssuchende Menschen werden weiterhin in großer Zahl in diese Berufsfelder strömen. Dieser Trend hat in den bevorzugten Offshoring-Destinationen schon begonnen. Das größere Angebot und ggf. Überangebot an qualifizierten Fachkräften wird den makroökonomischen Effekt der sinkenden Preise nach sich ziehen. Auch wenn ein Standort wie Indien zwar mit einem geringer werdenden Arbeitskostenvorteil in der Zukunft konfrontiert sein wird, die Angleichung an westliche Kostenniveaus wird noch sehr lange dauern. So gesehen dürfte der Kostenvorteil weiterhin ein aus volkswirtschaftlicher Sicht angemessenes Argument sein, Tätigkeiten an einem OffshoringStandort verrichten zu lassen. Im Sinne der komparativen Wettbewerbsvorteile führt Offshoring gesamtwirtschaftlich zu einer Erhöhung des Wohlstandes.109 Die globale Betrachtung ist einleuchtend – die Sichtweise der beteiligten Länder ist jedoch häufig durchaus eine andere. In den westlichen Industrienationen, in denen Offshoring zunächst als Gefahr für tausende Arbeitsplätze gesehen wird, weckt die Entwicklung Unbehagen. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass Gewerkschaften, Politiker und sonstige Interessenvertretungen protektionistische Maßnahmen entwerfen, um die eigenen, nationalen Interessen zu wahren. Die USA sowie einzelne ihrer Bundesstaaten haben bereits 33 Gesetze eingeführt, die Offshoring einschränken oder behindern sollen, wie den „Job Protection Act“ aus dem Jahr 2005.110 Dazu gehören z. B. rechtliche Rahmenbedingungen, die es einem öffentlichen Auftraggeber untersagen, bestimmte Tätigkeiten an Service Provider zu vergeben, wenn dadurch Tätigkeiten aus den USA verlagert wer109 Eine umfassende Diskussion zur Theorie der komparativen Wettbewerbsvorteile nach
David Ricardo findet sich bei Wettach, 27.11.2006, S. 36 f. 110 Vgl. Kumar, 2004, S. 8.
Offshoring – die volkswirtschaftliche Dimension
147
den. In der öffentlichen Diskussion ist das Thema Offshoring speziell in nationalen Wahlkämpfen thematisiert worden. Der amerikanische Präsidentschaftskandidat John Kerry beispielsweise hatte im Jahr 2004 im Rahmen seines Wahlprogramms eine wahre Hetzjagd auf das Offshoring von Arbeitsplätzen angekündigt – eine Strategie, die nicht zu signifikanten Stimmgewinnen geführt hat. Der Nachrichtensender CNN und insbesondere das Nachrichtenmagazin „Lou Dobbs Moneyline“ haben eine „Blacklist of Offshoring“ eingeführt und dort Unternehmen publik gemacht, die Arbeitsplätze aus den USA verlagern wollen. Trotz dieser sehr publizistischen Maßnahmen und des stetigen Anheizens dieser Diskussion durch die Gewerkschaften ist es bislang nicht gelungen, Offshoring in der amerikanischen Öffentlichkeit negativ zu positionieren. Grundsätzlich wird Offshoring eher als ein notwendiges Übel verstanden und akzeptiert. Die USA sind zweifelsohne das Land mit den meisten durch Offshoring bedrohten Arbeitsplätzen. Ähnliche Debatten sind in allen westlichen Industrienationen zu vernehmen. Auch in Deutschland wurde im Wahlkampf 2005 eine neue Patriotismusdebatte losgetreten, und mehr oder weniger sinnvolle Vorschläge zum Umgang mit dem Offshoring wurden unterbreitet. Einer dieser Vorschläge aus dem Lager der SPD sah die Einrichtung eines „Versicherungssystems“ vor. Demnach sollen alle Unternehmen die durch Offshoring realisierten Profite in einem Pool zusammenfassen und den „Betroffenen“, also denjenigen, die Einkommenseinbußen bzw. Arbeitsplatzverluste erleiden, eine Kompensation leisten. Abgesehen von der Tatsache, dass die Einrichtung eines solchen Pools praktisch wohl kaum möglich ist und eher als den Strukturwandel behindernde protektionistische Maßnahme eingestuft werden kann, wirft die Diskussion eine wichtige Kernfrage auf: Entsteht auf der Seite der Nachfragerländer von Offshoring Services volkswirtschaftlicher Mehrwert? Das McKinsey Global Institute hat herausgefunden, dass jeder Dollar, den amerikanische Firmen nach Indien verlagern, im Gegenzug einen volkswirtschaftlichen Mehrwert von 1,13 US-Dollar nach sich zieht – ein Nettoeffekt von 13 Cent.111 Dieser Effekt setzt sich aus unterschiedlichen Faktoren zusammen: Kosteneinsparungen durch niedrigere Arbeitskosten verhelfen Unternehmen
zu höherer Profitabilität. Zusätzliche Umsätze durch besseren Service, z. B. 24/7-Kundenservice erhöht
ebenfalls die Profitabilität. Steigende Exporte durch gestiegene Kaufkraft in den Offshoring-Ländern.
111 Vgl. McKinsey Global Institute, Juli 2004a.
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Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
Rückfließende Profite durch Captive SSC oder sonstige eigene Tochtergesell-
schaften an den Offshoring Standorten So genannte unternehmerische Gewinne fließen i. d. R. dem Mutterkonzern mit Sitz in den USA zu, in den operativen SSC/BPO Centern verbleiben jeweils nur die funktionalen Gewinne. Schaffung neuer und höherwertigerer Arbeitsplätze in den USA.
So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass es zahlreiche Befürworter des Offshoring in den USA gibt. Die IT-Industrie in den USA ist durch das Ausnutzen von Offshoring-Möglichkeiten in den Jahren 2002 bis 2005 im Durchschnitt um 2 % stärker gewachsen als der Markt in Europa.112 Eine weitere Schätzung geht davon aus, dass die gesamte amerikanische Volkswirtschaft zwischen 1995 und 2002 um 0,3 Prozentpunkte geringer gewachsen wäre, hätten die USA das Prinzip Offshoring nicht so konsequent umgesetzt.113 Die volkswirtschaftlichen Effekte für Deutschland bewegen sich in kleinerem Rahmen: Durch die zögerliche Akzeptanz von Offshoring zugunsten der Nearshoring-Alternativen sind die Kosteneinsparungen bei weitem nicht so erheblich, wie dies bei US-Unternehmen der Fall ist. Eine Nearshoring-Verlagerung von Deutschland nach Ungarn oder Polen kann zwar durchaus einen Arbeitskosteneinsparungseffekt von 30 bis 40 % nach sich ziehen, die Einsparungen bei Verlagerungen nach Indien könnten hingegen im Bereich von 60 % liegen. Die deutschen Unternehmen profitieren weitaus weniger als die amerikanischen von Exporteffekten als Aspekt der globalen Arbeitsteilung. Die Offshoring-Märkte werden maßgeblich von US-Unternehmen und deren Markenprodukten dominiert, die fehlende Präsenz als Offshoring-Nachfrager in den relevanten Märkten erschwert auch die Positionierung als Anbieter von Produkten. Da die deutsche Wirtschaft den IT-, SSC- und BPO-Boom aus Anbietersicht vollkommen verschlafen hat, bestehen nur begrenzte Möglichkeiten, Gewinne wieder ins Land zurückfließen zu lassen. SAP ist das einzige deutsche Unternehmen, das zu den Top 10 IT-Firmen weltweit zählt. Auch bei Elektronik- oder Konsumgütern sind deutsche Unternehmen wesentlich schlechter positioniert als US-Unternehmen.114 Ob Computer, Sportartikel oder Lebensmittel: Nur wenige deutsche Marken sind in Indien, China, Malaysia oder auf den Philippinen gut positioniert. Obgleich dieser bestehenden Voraussetzungen könnte Deutschland immer noch einen positiven Effekt von 5 US-Cent je investiertem Dollar aus dem Offshoring-Markt ziehen. Der Grund, weshalb Deutschlands Bilanz letztendlich negativ ist, liegt im Arbeitsmarkt: In Deutschland, so schätzt das McKinsey Global Institute, 112 Vgl. Schaaf, 26.8.2004, S. 1. 113 Vgl. a. a. O., S. 12. 114 Vgl. McKinsey Global Institute, 15.7. 2004.
Offshoring – die volkswirtschaftliche Dimension
149
finden lediglich 40 % der Betroffenen von Offshoring-Entscheidungen wieder einen adäquaten Arbeitsplatz im Vergleich zu 70 % in den USA.115 Erneut ein Problem des Strukturwandels und der wenig flexiblen Arbeitsmarktpolitik. Im Ergebnis erleidet die deutsche Wirtschaft einen Nettoeffekt von ca. 20 Cent. Vor diesem Szenario stellen sich die prognostizierten Effekte für den deutschen Arbeitsmarkt als wahrlich bedenklich dar: A.T. Kearney sowie Forrester Research prognostizieren einen Stellenabbau von 130.000 bis 140.000 Stellen allein im IT-Sektor. Die Deutsche Bank Research beziffert das Volumen zwar etwas konservativer, nennt mit ca. 50.000 der derzeit insgesamt 1,4 Mio. Stellen in diesem Sektor dennoch eine enorme Zahl.116 Die Einschätzungen berücksichtigen zudem lediglich den IT-Bereich. Die zusätzlich potenziell bedrohten Arbeitsplätze in den Bereichen Finance & Accounting, HR, Customer Support, Einkaufsunterstützung oder wissensbasierter Aufgaben könnten diese Zahl in den kommenden Jahren schnell auf bis zu einer Million anwachsen lassen. Dennoch: Auch für Deutschland wie viele andere europäische Industrienationen sollte Service Offshoring als Startpunkt genutzt werden, um den vielfach überfälligen Strukturwandel umzusetzen. Die demografische Entwicklung in diesen Ländern erfordert eine Verlagerung von Tätigkeiten einfacher und gering wertschöpfender Natur an die kostengünstigsten Standorte. Dies würde helfen, höherwertige Arbeitsplätze zu halten bzw. neue zu schaffen. Der rechnerische Negativeffekt in Deutschland sollte schnellstmöglich in eine positive Bilanz im Offshoring-Geschäft umgewandelt werden. Die risikoaverse Haltung vieler Unternehmen im Hinblick auf Offshoring limitiert die möglichen positiven Kosteneffekte. Die Nearshore-Lösung quasi vor der „Haustür“ in der Tschechischen Republik oder Polen mag zwar leichter zu managen sein, die Einsparpotenziale in China oder Malaysia sind aber um ein Vielfaches höher bei z. T. besserer Servicequalität. Mit stärkerer Präsenz in den Offshoring-Ländern könnte manches deutsche Unternehmen zur Stärkung des eigenen Markennamens auf globalem Niveau beitragen und neue Märkte erschließen. Wie bei jeder Form des innovativ bedingten Strukturwandels schaffen protektionistische Maßnahmen und Einstellungen Wettbewerbsnachteile. Offshoring ist nur möglich geworden, weil neue Technologien das Prinzip des „Remote Service
115 Allerdings sind diese 70 % gemessen an der US-Wirtschaftssituation von vor 2000. Vgl.
D’Andrea Tyson, 6.12.2004, S. 1. 116 Vgl. Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V.,
31.1.2005, S. 12.
150
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
Provisioning“ möglich gemacht haben. Damit hat sich die Welt verändert, betriebliche Unterstützungsprozesse können nach dem Prinzip der globalen Arbeitsteilung organisiert werden. Gesamtwirtschaftlich sind die Voraussetzungen für global höheren Wohlstand geschaffen – solange rückwärtsgerichtete staatliche Protektionssysteme diese nicht zunichte machen. Mit dem Internet und neuen Kommunikationsformen sind neue Technologien geschaffen worden, die den Offshoring-Trend ermöglicht haben – eine Umkehr ist unwahrscheinlich. In der Menschheitsgeschichte haben Innovationen neue Berufsfelder entstehen lassen und zu wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Strukturwandeln geführt, wie ein paar Beispiele zeigen: Die Postkutschenfahrer im 19. Jahrhundert dürften die rasche Verbreitung der Eisenbahn mit Argwohn betrachtet haben, doch viele haben in dieser neuen Industrie eine Anstellung gefunden, die ertragreicher und sicherer war als die vorherige Tätigkeit. Dem Bibliotheksarchivar in den 70er Jahren war die Einführung des Mikrofiches wahrscheinlich ebenso suspekt wie die Digitalisierung von Printmedien. Nun sind in diesen neuen Bereichen viele hochwertige und gut bezahlte Arbeitsplätze entstanden. Den Amerikanern kommt bei diesen innovationsbedingten Strukturwandeln ein historisch gewachsener Vorteil zu: Als Land der unbegrenzten Möglichkeiten wurde der Bevölkerung schon immer ein hohes Maß an Risikobereitschaft, Innovationsfreude und Flexibilität abverlangt. Strukturbrüche können schneller überwunden werden, weil die Menschen es als Chance sehen, in neue Branchen und Berufsfelder zu gehen. Deutschland stellt hierzu das Gegenteil dar und behindert somit die eigene Wettbewerbsfähigkeit in einer neuen globalen Offshoring-Welt.
5.
Deutschlands Zukunft in der neuen Offshoring-Welt
Wie kann es weitergehen für Deutschlands Volkswirtschaft? Der Strukturwandel ist unvermeidlich. Der Überlebenskampf der Unternehmen im globalen Wettbewerb und die demografische Entwicklung stehen der bestehenden, sozialen Sicherheit gegenüber. Folgende Vorschläge dienen der Aufrechterhaltung von Deutschlands Position als eine führende Industrienation: Flexibilität des Arbeitsmarktes
Deutschland ist bekannt für seinen wenig flexiblen Arbeitsmarkt. Die Schwierigkeiten beim Finden neuer Arbeitsplätze selbst für hochqualifizierte Fach-
Deutschlands Zukunft in der neuen Offshoring-Welt
151
kräfte sind als Problem für das Nutzen von Offshoring-Vorteilen genannt worden. Eine höhere Flexibilität des Arbeitsmarktes zieht ein erhöhtes Risiko nach sich, den Arbeitsplatz zu verlieren, doch führt dies im Umkehrschluss auch zur Vereinfachung in der Beschaffung eines neuen Arbeitsplatzes. Der internationale Währungsfonds rügt Deutschland für seinen äußerst rigiden und mit bürokratischen Hürden versehenen Arbeitsmarkt.117 Im Ranking der Weltbank landet Deutschland bezüglich Arbeitsmarktflexibilität auf dem 131. Platz von 155 bewerteten Ländern.118 In Deutschland fallen im Durchschnitt 66 Wochen Abfindungszahlungen nach der Entlassung an. Ein erschreckender Wert, der unterstreicht, wie dysfunktional die Rechtsgrundlage an dieser Stelle ist und wie übermäßig die Belastung der Unternehmen im Falle einer Mitarbeiterfreisetzung ist. In Großbritannien beträgt dieser Wert z. B. ungefähr die Hälfte. Verhinderung protektionistischer Maßnahmen
Deutschland hat aufgrund der bislang zögerlichen Haltung gegenüber Offshoring noch keine wesentlichen Gesetzesinitiativen in Vorbereitung, die Unternehmen bei der Umsetzung von Offshoring-Projekten behindern würden. Dies sollte so bleiben und nicht aufgrund populistischen Drucks, der Verbreitung einer allgemeinen Arbeitsmarktpsychose und Anti-Offshoring-Stimmung politisch zum Thema hochstilisiert werden. Die bislang diskutierten Methoden wie der angesprochene „Versicherungspool“ oder künstliche Vergünstigungen von EU-Produkten sind kontraproduktiv. Förderung von Arbeitserlaubnissen für nicht EU-Angehörige mit hochwertiger
Ausbildung Deutschland hat Ende der 90er Jahre mit der „Greencard“ den richtigen Anlauf unternommen. Leider hat die Initiative auch aufgrund der Sprachbarriere nicht den gewünschten positiven Effekt nach sich gezogen. Der Fachkräftemangel in der IT-Branche ist signifikant und wird weiterhin eine Wachstumsbremse darstellen. Deutschland ist als Einwanderungsland gezeichnet von Wirtschaftsflüchtlingen mit geringwertiger Berufsausbildung, die auf Vorteile des deutschen Sozialstaats setzen. Die dadurch entstandene grundsätzlich wenig einwanderungsfreundliche Einstellung vieler Deutscher verklärt den Blick für hochqualifizierte Nicht-EU-Bürger, die in Deutschland einen interessanten Standort sehen, um ihre Expertise anzuwenden und wertvolle professionelle Erfahrungen zu sammeln. Einwanderer mit entsprechender Qualifikation sind nicht nur eine gesellschaftliche Bereicherung, die Deutschen die Globalisie-
117 Vgl. Internationaler Währungsfonds, 2006, S. 6. 118 Vgl. Weltbank, 2006.
152
Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
rung greifbarer werden lassen. Nicht zuletzt stellen ausländische Fachkräfte rege Konsumenten und Steuerzahler dar. Die USA sind an dieser Stelle ein paar wesentliche Schritte weiter: Trotz einer rigiden und restriktiven Einwanderungspolitik, die Zuwanderungen ohne oder mit nicht gefragter Berufsausbildung faktisch unmöglich macht, fällt es Antragstellern mit hoher Qualifikation und gesuchtem Expertenwissen relativ leicht, Visa und Arbeitserlaubnisse zu erhalten. Dadurch werden gezielt Know-how Lücken in der Wirtschaft geschlossen und eine kaufkräftige Arbeitnehmerschicht ins Land gelockt. Fokussierung auf höherwertige Berufsfelder
Eine wichtige Aufgabe fällt den Bildungsverantwortlichen zu. Offshoring hat bereits und wird weiterhin Berufsbilder verändern. Der klassische Buchhalter z. B. wird in Deutschland sehr wahrscheinlich zum Auslaufmodell, da Systemunterstützung und „Industrialisierung von Verwaltungstätigkeiten“ diese einfachen Tätigkeiten am Standort Deutschland obsolet werden lassen.119 Warum also sollten die kaufmännischen Lehrberufe weiter forciert werden? Vergleichbares trifft für den einfachen Programmierer zu. Mit der Umsetzung des Bologna-Prozesses und der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge bis zum Jahr 2010 hat die Diskussion um die Werthaltigkeit kaufmännischer und administrativer Lehrberufe begonnen. Mit dem Aspekt Offshoring bekommt sie eine weitere Dimension: So wie es ebenso wenig Sinn macht, in Deutschland Lehrberufe wie den Bergarbeiter, Stahlgießer oder Textilfacharbeiter anzubieten, die aufgrund des Strukturwandels quasi verschwunden sind, sind auch kaufmännische und administrative Lehrberufe generell zu überdenken. Viele dieser Jobs gehen künftig ins Ausland, und es ist sinnvoller, junge Menschen in zukunftsweisende und höherwertige Berufsbilder zu leiten. Wenn Deutschland einen komparativen Wettbewerbsvorteil zurückerlangen will, spielen die richtigen Ausbildungsinhalte eine zentrale Rolle. Management von Offshoring-Projekten
Offshoring-Projekte werden für die meisten deutschen Unternehmen in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Neben der Entsendung von Expatriates zur Koordination der ausgelagerten Aktivitäten wird die Steuerung der so genannten „Retained Services“ ein Erfolgsfaktor in der Umsetzung von OffshoringVorhaben sein. Retained Services sind die Prozessaktivitäten, die weiterhin dezentral bei den Geschäftsbereichen oder zentral im Headquarter wahrgenommen werden müssen. Die mit diesen Aufgaben betrauten Mitarbeiter sind für das möglichst reibungslose Management der Schnittstellen zur OffshoringEinrichtung verantwortlich. Dazu sind Erfahrung und Expertise in der Zusammenarbeit in globalen Teams ebenso erforderlich wie umfassende Pro119 Vgl. Michel, 2006, S. 443.
Deutschlands Zukunft in der neuen Offshoring-Welt
153
zesskenntnisse. Neben den Retained Services ist zu beachten, dass Offshoring-Projekte im Hinblick auf das Projektmanagement spezielle Anforderungen stellen. Kommunikation und Koordination dieser Projekte erfordern spezifische Expertise. Verbesserung der Zusammenarbeit in multikulturellen Teams
Die Belegschaft in deutschen Unternehmen spiegelt weitgehend die Gesellschaftsstruktur des Landes wider – und diese ist nicht gerade multikulturell. Die Zusammenarbeit in Teams gestaltet sich aufgrund eines einheitlichen, kulturellen und sprachlichen Backgrounds und Bildungssystems relativ einfach. Dieser Umstand ändert sich im Offshoring-Umfeld, da detaillierte Unterstützungsprozesse in Mitarbeiterteams mit vollkommen unterschiedlichen kulturellen Backgrounds bearbeitet werden. Die Art und Weise der Kommunikation und der Arbeit selbst variieren ebenso wie der Umgang mit Vorgesetzten und Untergebenen. Die effektive Zusammenarbeit in multikulturellen Teams kann schwerlich als Ausbildungsstoff vermittelt werden, primär gilt es, diese Erfahrungen selbst zu sammeln oder im Rahmen der Ausbildung die später im Offshoring-Umfeld relevanten Kenntnisse in Form von länderübergreifenden Projekten zu erlernen. An dieser Stelle sind die Hochschulen gefragt, länderübergreifend nicht nur Studenten und Lehrende auszutauschen, sondern ebenso inhaltlich in Lehre und Projekten zusammenzuarbeiten. Verbesserung der Anwendung moderner Kommunikationstechnologien
Im Offshoring-Umfeld sind virtuelle Arbeits- und Kommunikationsformen Grundvoraussetzungen. Der Umgang mit Internet und E-Mail gehören zum Standardrepertoire wie Telefon- und Videokonferenzen. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass eine Telefonkonferenz z. B. ein physisches Meeting „ersetzen“ und nicht „ergänzen“ soll. Das bedeutet, die Konferenz ist sorgsam vorzubereiten, diszipliniert durchzuführen und akribisch nachzuarbeiten, um die gleichen Effekte eines Arbeitsmeetings mit Anwesenheit der betroffenen Personen zu erzielen. Der regelmäßige Kontakt per Telefon oder Video gilt nicht nur der Information, sondern ist Arbeitsmittel. Um es als solches zu nutzen, sind die Vermittlung der technischen und technologischen Voraussetzungen zur Kommunikation sowie die inhaltliche Ausgestaltung dieser Kommunikationsformen im Rahmen der entsprechenden Ausbildungsprogramme zu gewährleisten. Im internationalen Masterprogramm Master of Business Administration & Engineering an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin werden beispielsweise die Themen Zusammenarbeit in multikulturellen Teams und moderne Kommunikationstechnologie explizit in der Ausbildung gelehrt: Die aus allen Kontinenten stammenden Studenten bearbeiten gemeinsam mit der Caldonian University of Glasgow per Videokonferenz Projekte oder nehmen
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Offshoring – die globale Allokation der Arbeit
an Lehrveranstaltungen per Video teil. Dabei wird bewusst ein Schwerpunkt auf die Erhöhung der Arbeitseffizienz unter Ausnutzung der Videotechnologie gelegt. Verbesserung der Fremdsprachenkenntnisse, insbesondere Englisch
Fremdsprachenkenntnisse sind letztendlich die Eintrittskarte, um im Offshoring-Geschäft mitwirken zu können. Deutschland hat mit Englisch als Pflichtfremdsprache in der Schule und zum großen Teil in weiterführenden Bildungseinrichtungen die wesentlichen Voraussetzungen geschaffen, aber es sind weitere Verbesserungen im Rahmen der betrieblichen Aus- und Weiterbildung erforderlich. Älteren Arbeitnehmern, die über unzureichende Grundkenntnisse verfügen und die im bisherigen Berufsleben keine Fremdsprachenkenntnisse benötigt haben, ist durch gezielte Weiterbildungsmaßnahmen der Zugang zu verbesserten Englischkenntnissen zu verschaffen. Dazu ist die Bereitschaft jedes Einzelnen gefordert, sich der Fremdsprache zu öffnen. Die skizzierten Maßnahmen sind nur ausgewählte Aktivitäten, um sich besser an die neue globale Arbeitswelt anzupassen. Grundsätzlich sollte es ein Ziel sein, bestimmte Branchen und Unternehmen bewusst im Lande zu belassen. Der deutsche mittelständische Maschinen- und Anlagebau geht mit Speziallösungen z. B. der Massenproduktion aus Indien und China aus dem Weg. Analog bieten sich im Service-Bereich Möglichkeiten, um durch Spezialwissen und Know-howVorsprünge in bestimmten Nischen wettbewerbsfähig zu bleiben. Eine Offshoring-Entscheidung hängt immer von mehreren Faktoren ab. Dort wo Qualität und Kosten in der günstigsten Konstellation angeboten werden können sowie weitere Faktoren wie Risiko, sprachliche und kulturelle Kompatibilität ausgewogen sind, werden sich mittelfristig die Back-Office-Prozesse ansiedeln – und das kann und sollte in einigen Fällen auch Deutschland sein.
Die Suche nach den „Service-Kernen“
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Location, Location, Location – die Wahl des richtigen Standorts
1.
Die Suche nach den „Service-Kernen“
Die alte Immobilienmaklerweisheit „Location, Location, Location“ trifft auch im Shared-Services- und BPO-Geschäft zu: Die Wahl des richtigen Standortes oder der richtigen Standorte ist ein entscheidender Erfolgsfaktor eines jeden Shared-Services und BPO-Vorhabens. Während produzierenden Unternehmen bei der Standortwahl viele Supply-Chain-spezifische Besonderheiten im Auge behalten müssen, ist dies bei einem Service Center vergleichsweise einfach: Der produzierende Betrieb muss günstig an Verkehrswege angeschlossen sein, damit Rohstoffe bzw. Komponenten effizient auf dem Land-, See- oder Luftweg zum Produktionsstandort gelangen. Das Gleiche gilt für die produzierten Güter, die entweder in das Distributionssystem oder zur Weiterverarbeitung in die Supply Chain des erwerbenden Unternehmens eingespeist werden müssen. Die meisten Produktionsstätten westeuropäischer und nordamerikanischer Unternehmen, die sich an interessanten Near- bzw. Offshoring-Standorten befinden, erfüllen das Pflichtkriterium „Verkehrsanbindung“ deshalb in der Regel zufrieden stellend. Ein weiteres Kriterium sind niedrigere „Arbeitskosten“ sowie die „Verfügbarkeit von ausreichend qualifiziertem Personal“. Arbeitskosteninduzierte Verlagerungen sind häufig dadurch geprägt, dass manuelle Tätigkeiten verlagert werden, um entweder Automatisierungsinvestitionen zu vermeiden oder weil bestimmte Tätigkeiten kaum oder gar nicht automatisiert werden können. Bei letzterem Beweggrund spielt das Niveau des lokal vorhandenen Facharbeiterwissens eine maßgebliche Rolle. Von daher ist nicht verwunderlich, dass Unternehmen z. B. in Mittel- und Osteuropa gern in Regionen ziehen, die als industrielle Kerne bezeichnet werden. In Ostdeutschland lässt sich dies am deutlichsten mit den folgenden Ansiedlungen beispielhaft darstellen: Computerindustrie in Dresden: Ehemaliger Standort des Kombinats Robotron
– heute z. B. Infineon und AMD
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Location, Location, Location – die Wahl des richtigen Standorts
Automobilindustrie in Zwickau: Ehemaliger Standort des Kombinats Sach-
senring Zwickau, Fertigung des Trabant – heute z. B. VW Automobilindustrie in Eisenach: Ehemaliger Standort des Automobilwerks
Eisenach, Fertigung des Wartburg – heute z. B. Opel Chemische Industrie in Buna und Leuna – heute z. B. BASF
Die Verlagerung von Service Centern betritt vergleichsweise Neuland. Über mehrere Dekaden gewachsene „Service-Kerne“ existieren im Servicebereich nicht. Es gibt keine Region, in der der Fall der Mauer oder ein anderer politischer Umbruch ganze Landstriche von IT-Experten, Call Center Agents oder Buchhaltern quasi über Nacht in die Arbeitslosigkeit geschickt hat. In vielen Regionen, die heute von der Shared-Services- und BPO-Industrie heiß begehrt sind, hat vor nicht einmal 10 Jahren kaum jemand die nun nachgefragte Tätigkeit erlernt oder als Beruf ausgeübt. Heute sind tausende junge Menschen in Städten wie Lodz, Krakau, Brünn, Prag, Bratislava, Pécs, Budapest oder Bukarest damit beschäftigt, z. B. Buchungstransaktionen gemäß IFRS-Standard zu buchen, OracleDatenbanken zu pflegen, Airline-Reservierungen vorzunehmen, Kundenanfragen telefonisch zu beantworten oder Auskünfte über die Kreditwürdigkeit westeuropäischer Antragsteller zusammen zu stellen. Primär war und ist es die Höhe der Arbeitskosten, die Unternehmen zur Verlagerung derartiger Aktivitäten nach Osteuropa, Indien oder China veranlasst hat. Wie bereits herausgestellt, kann davon ausgegangen werden, dass in Indien aufgrund der Größe des Talentpools selbst bei einem jährlichen Lohnanstieg von 9 % der Kostenvorteil für Dekaden anhalten dürfte.120 An dieser Stelle ist auch auf eine erwartete Knappheit international einsetzbarer College-Absolventen in den Offshoring-Destinationen hinzuweisen.121 Indien bringt ca. 2 Mio. Hochschulabsolventen pro Jahr hervor und scheint damit im Vergleich beispielsweise zu Irland als attraktive Nearshore Location in den 90er Jahren mit nur 43.000 Absolventen pro Jahr enorm im Vorteil.122 Allerdings sind von den 2 Mio. Absolventen lediglich 40.000 in qualitativer Hinsicht geeignet und bereit, einer vergleichsweise anstrengenden Tätigkeit, womöglich noch im Schichtbetrieb in der internationalen ITO- und BPO/Shared-ServicesIndustrie nachzugehen. Dazu kommen Faktoren wie globale Erreichbarkeit von Absolventen. Es leben z. B. nur rund ein Drittel der russischen Hochschulabsolventen in Großstädten. In Ländern wie China oder Indien entsteht zurzeit eine 120 Vgl. Kobayasyhi-Hillary, 2005, S. 155. 121 Farrell/Laboissière/Rosenfeld, 2005, S. 2. 122 Vgl. Kobayasyhi-Hillary, 2005, S. 155.
Die Suche nach den „Service-Kernen“
157
starke Binnennachfrage nach qualifizierten Fachkräften, die den Arbeitskräftepool schrumpfen lässt.123 Und last, but not least: Abgesehen von einigen Eliteuniversitäten in den bevorzugten Offshoring-Ländern lässt die Ausbildung inhaltlich und auch im Hinblick auf vermitteltes Praxiswissen zu wünschen übrig und genügt nicht den Standards globaler Konzerne. In diesem Kontext könnte die Arbeitskräfteverfügbarkeit zu einem limitierenden Faktor werden. Farrel et al. ermitteln die Gesamtzahl von 4,1 Mio. Arbeitsplätzen, die bis zum Jahr 2008 aus den westlichen Industrienationen an die klassischen Offshoring-Standorte verlagert werden.124 Diesen 4,1 Mio. stehen nur 3,9 Mio. geeignete Fachkräfte gegenüber, was nur 12 % des gesamten Marktes von jungen Hochschulabsolventen in den betroffenen Ländern entspricht. In den westlichen Industrienationen stehen dieser Zahl ca. 8,8 Mio. junge und qualifizierte Business Professionals gegenüber, die diese Tätigkeiten wahrnehmen können. Auch innerhalb der Nearshoring/Offshoring-Nationen zeigen sich erhebliche Unterschiede: Während ca. 50 % der ungarischen Ingenieure uneingeschränkt für den Einsatz in einem globalen Service Center geeignet erscheinen, sind dies in China nur 10 %, in Indien sind es immerhin bereits 25 %. Obgleich China und Indien die bevölkerungsreichsten Offshoring-Länder sind, könnte ihre Bedeutung aufgrund des kleineren Talentpools geeigneter Arbeitskräften in Zukunft abnehmen, wie ein Beispiel unterstreicht: Die Tschechische Republik, Ungarn, Polen und Russland sind zusammengenommen fünfmal kleiner als Indien, haben aber zusammen ebenso viel ausgebildete Betriebswirte und Volkswirte wie Indien. Am Beispiel des Vergleichs von Polen und Russland bzw. den Philippinen und China unterstreicht die McKinsey-Studie diese Einsicht. Obgleich Russland und China bevölkerungsmäßig die beiden anderen Länder um ein Vielfaches überragen, verfügen sie nicht im gleichen Umfang über qualifiziertes Fachpersonal, wie die Abbildung 5-1 untermauert:125
123 Vgl. Germund/Muscat, S., 16.1.2006. 124 Vgl. Farrell/Laboissière/Rosenfeld, 2005, S. 2 f.; Siehe auch Gentner/Lee, 2005, S. 319:
Demnach verlagert allein die Telekommunikationsbranche 275.000 Arbeitsplätze offshore. 125 Vgl. Farrell et al., Juni 2005, S. 36.
158
Location, Location, Location – die Wahl des richtigen Standorts
Ingenieure mit weniger als 7 Jahren Berufserfahrung in Tausend
Bevölkerung in Mio. 160 140
60
3,7 mal 50
120 100
40
80
30
60
20
40
10
20 0
0 Polen
Russland
1400 1200
1,3 mal
180 160 140 120 100 80 60 40 20 0
15,8 mal
1000 800 600 400 200 0 Philippinen
Polen
China
Russland
2,7 mal
Philippinen
China
Quelle: McKinsey Global Institute Abbildung 5-1: Bevölkerungszahlen und Ausbildungsniveaus im Vergleich Obwohl Russland 3,7-mal so viele Einwohner hat wie Polen, verfügt das Land nur über 1,3-mal so viele junge Ingenieure. Im Vergleich der Philippinen mit China stehen der 15,8-mal so großen chinesischen Bevölkerung nur 2,7-mal mehr Ingenieure gegenüber. Im Hinblick auf die Eignung zum Einsatz in multinationalen Unternehmen zeigt die Studie einige Einschränkungen. Im Durchschnitt sind demnach nur 13 % der Absolventen in den klassischen Low Cost Countries für die Aufgaben in diesen Unternehmen geeignet.126 Am besten sieht es noch für Finance & Accounting-Spezialisten aus (19 %), Generalisten sind allerdings nur zu 10 % im internationalen Umfeld einsetzbar. Zu einem wesentlichen Teil ist dies auf sprachliche und kulturelle Adaptionsprobleme zurückzuführen. Aber auch die generell z. T. wenig standardisierten Ausbildungsstandards sind dafür verantwortlich. Das Hochschulstudium in vielen Emerging Countries hat zumeist vorwiegend Ausbildungscharakter und dient weniger einem wissenschaftlichen Bildungszweck. Bei den generalistischen Ausbildungen wie z. B. General Management zeigen sich in der Folge Schwächen, komplexe Sachverhalte zu bearbeiten oder in Gesamtzusammenhängen zu denken und handeln. 126 Vgl. a. a. O., S. 40.
Die Suche nach den „Service-Kernen“
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20% 18% 16% 14% 12% 10% 8% 6% 4% 2% 0% Financial Accountants
Engineers
Analysts
Life Science Researchers
Generalists
Average
Quelle: McKinsey Global Institute Abbildung 5-2: Einsatz von Hochschulabsolventen in Low Cost Countries in multinationalen Konzernen Aufgrund steigender Ausbildungskapazitäten in den Offshoring-Ländern ist davon auszugehen, dass rein zahlenmäßig ein großes Überangebot an Arbeitskräften bestehen bleibt. Der Markt ist nicht ideal verteilt, und in den Offshoring Hotspots zeichnen sich deutlich die Anzeichen der Überhitzung ab: Büromieten in Bukarest sind bereits höher als in Berlin, Gehälter in Bangalore steigen im zweistelligen Bereich. In Prag finden sich kaum noch ausgebildete Finance & Accounting-Experten ohne Job und in Gurgoan/New Delhi kämpfen Service Center mit Fluktuationsraten von bis zu 80 %. Die einfache Empfehlung, die Offshoring-Hochburgen zu vermeiden, hilft vielen Unternehmen wenig. ServiceOffshoring-Entscheidungen sind sehr sensitiver Natur, und Qualitätsaspekte spielen eine ebenso wichtige Rolle wie die Kosten. Zudem werden transaktionale Tätigkeiten oft erst dann verlagert, wenn eine bestimmte Größenordnung erreicht wird, um Economies of Scale nutzen zu können. Damit ist der Weg in eine größere Stadt häufig unvermeidlich. Wer kann, sollte eine so genannte „Tier 2“Stadt in Erwägung ziehen.
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Location, Location, Location – die Wahl des richtigen Standorts
Ausbildungsqualität und Arbeitskräfteverfügbarkeit lassen bereits Service-Kerne im IT Bereich entstehen. Indien, Russland, Malaysia und Singapore haben sich für Highend-IT-Projekte einen Namen gemacht. Brasilien, Mexiko und Rumänien folgen. China, Vietnam und Indonesien z. B. werden für einfachere ITAufgaben als Standorte nachgefragt. Mit Ausnahme der Philippinen für Call Center Services und Irland für F&A haben sich ansonsten noch keine wesentlichen Ballungszentren der Service-Industrie herausgebildet.
2.
Location-Selection-Modelle – wie den richtigen Standort finden?
Um sich der Frage nach dem besten Offshoring-Standort systematisch nähern zu können, haben Research- und Beratungsgesellschaften eine Vielzahl von methodischen Ansätzen entworfen. Obgleich die Unterschiede in diesen Bewertungsmodellen meist nicht groß sind, werden dennoch unterschiedliche Schwerpunkte vorgeschlagen und zum Teil diametrale Aussagen getroffen. Außerdem verändern einige Länder ihre Position auf der Beliebtheitsskala im Zeitverlauf drastisch, was zumeist an eher veränderten Schwerpunkten und Gewichtungen liegt als an einer tatsächlich inhaltlichen Verbesserung oder Verschlechterung des untersuchten Kriteriums. Ein Beispiel ist Singapur: Aufgrund der relativ hohen Kostenstruktur war dieser Standort aus den meisten Offshoring-Länder-Rankings verschwunden. A.T. Kearney hat die Gewichtung für Risk Management in seinem Index erhöht und somit ist Singapur durchaus wieder als interessanter Standort gelistet. Nahezu alle derzeit publizierten Standortbewertungsmodelle konzentrieren sich vornehmlich auf die Länderebene. Im Hinblick auf die zum Teil signifikanten Unterschiede in der regionalen Betrachtung ist dieser Ansatz wenig zielführend. Selbst innerhalb der entwickelten Industrienationen gibt es gravierende Unterschiede zwischen den Standorten. Einige Offshoring Hotspots wie z. B. Prag oder Budapest repräsentieren nicht die Gegebenheiten in anderen Städten des Landes. Heerwarden und Schwarz stellen einen Ansatz nach Ballungsräumen vor, aber leider kein Ranking zur Verfügung.127 Ebenso stellen Fernandes et al. vom Everest Research Institute auf die Bedeutung der Unterschiede innerhalb 127 Vgl. Herwaarden/ Schwarz, 2005, S. 178f.
Location-Selection-Modelle – wie den richtigen Standort finden?
161
von Ländern ab und vergleichen ausgewählte Städte anhand von Sprachkenntnissen und Real-Estate-Preisen.128 Das Offshoring Institute, ein unabhängiges Forschungsinstitut auf dem Gebiet des Service Offshoring, hat eine auf Regionen- und Städteebene relevante Erfassung von Standortdaten durchgeführt und bietet seinen Mitgliedern Zugang den Informationen in Form einer Datenbank.129 Im Folgenden werden die Ansätze von McKinsey Global Institute, Gartner, A.T. Kearney, EDS und neoIT kurz vorgestellt und verglichen. Das McKinsey Global Institute (MGI) arbeitet mit einem Bewertungsmodell, das insgesamt sechs Bewertungskriterien vorschlägt.130 Erwartungsgemäß erhält das Kriterium „Kosten“ mit 50 % die höchste Bewertung. Obgleich das MGI die Problematik Arbeitskräfteverfügbarkeit explizit herausarbeitet, beinhaltet das Modell kein Kriterium, das diesen Engpass direkt adressiert: Kosten (50 % Gewichtungsfaktor) Markt der Service Anbieter (10 %) Binnenmarkt (10 %) Risikoprofil (10 %) Business-Umgebung (10 %) Qualität der Infrastruktur (10 %)
Der Vorteil des Ansatzes liegt sicherlich in der Einfachheit der Anwendung. Einige der Kriterien sind hingegen sehr interpretationsbedürftig, und das Zustandekommen der Werte kann nicht nachvollzogen werden. In diesem Ansatz kommt Indien als knapper Spitzenreiter vor China und Malaysia ins Ziel. Der Ansatz von Gartner fokussiert explizit auf den Fall des Offshore External Service Providers. Dieses ebenfalls auf Landesebene operierende Modell analysiert die Standorte lediglich aus einer ITO/BPO-Perspektive.131 Demnach stehen Fragen wie Provider-Stärken und -Schwächen im Vordergrund. Der Ansatz basiert auf drei unterschiedlichen Dimensionen, bei denen mit jeder Stufe die Kostenbetrachtung an Bedeutung gewinnt, wohingegen das Risiko abnimmt:
128 Vgl. Fernandes/Rajpal/Ramesh, 2006. 129 Vgl. www.offshoring-institute.org. 130 Vgl. Farrell/Laboissière/Rosenfeld, Sizing the emerging global labor market, in:
McKinsey Quarterly, Nr. 3, 2005, S. 6. 131 Vgl. Marriott, 13.6.2005, S. 4-10.
162
Location, Location, Location – die Wahl des richtigen Standorts
Tier 1: Readiness Risk (geopolitische, länderspezifische und soziökonomische
Risiken) Tier 2: Risiken des globalen Delivery-Modells (Kultur, Sprache, Infrastruktur,
Datensicherheit, Verfügbarkeit qualifizierte Mitarbeiter) Tier 3: BPO Provider-spezifische Risiken (Vertragsgestaltung, Preismodell,
Verlässlichkeit) Auch Gartner hebt die besondere Bedeutung der Kostensituation hervor. Bei der Analyse der durchschnittlichen Gehälter für BPO Mitarbeiter wird das Problem der Betrachtung auf Landesebenedeutlich: In der Tschechischen Republik wird ein Durchschnittswert von ca. 3.000 US-Dollar angegeben. In einer Stadt wie Brünn liegt der Durchschnitt derzeit schon bei über 15.000 US-Dollar, in Prag sogar bei über 18.000 US-Dollar. Darüber hinaus untersucht Gartner, ob in einem Land BPO-Aktivitäten stattfinden oder in Vorbereitung sind. Es wird nach Application- und IT-InfrastrukturManagement-Centern sowie BPO-Centern gesucht. Die Unternehmen mit einem positiven Rating werden anschließend einer qualitativen Bewertung unterzogen, das folgende Einzelkriterien umfasst: Fremdsprachkenntnisse Unterstützung seitens der Regierung Größe des Arbeitsmarkts an qualifizierten Fachkräften Infrastruktur des Landes Ausbildungssystem Kosten (quantitatives Kriterium) Politische Stabilität Kulturelle Kompatibilität Datensicherheit
Gartner schlägt jedoch kein Gewichtungsschema für die einzelnen Kriterien vor. Die Bewertung erfolgt allgemein nach einem 5-Punkte Schema (ausgezeichnet, sehr gut, gut, schlecht, sehr schlecht). Im Ergebnis setzt sich Indien als einziges sehr gut bewertetes Land durch. Auf den Plätzen folgen Südafrika, Nordirland, Irland, die Philippinen sowie Russland.
Location-Selection-Modelle – wie den richtigen Standort finden?
163
Der Offshore Location Attractiveness Index von A.T. Kearney stellt einen sehr umfassenden Ansatz zur Bewertung von Offshoring-Standorten dar.132 Seit dem Jahr 2004 führt A.T. Kearney diese Untersuchung jährlich durch und nimmt marginale Anpassungen im Bewertungsschema und den entsprechenden Gewichtungen vor. Der Ansatz wurde in Global Services Location IndexTM umbenannt, um den Service-Aspekt in den Vordergrund zu stellen und Verwechslungen mit dem Produktions-Offshoring zu vermeiden. Ebenso sind im neuen Index Industrienationen wie z. B. USA, Großbritannien oder Deutschland vertreten, um die zunehmende Bedeutung von Onshoring-Lösungen zu adressieren. A.T. Kearney differenziert drei generelle Kategorien: Finanzielle Rahmenbedingungen (40 % Gewichtung)
Arbeitskosten Individuelle Infrastrukturkosten (z. B. Büromieten, Elektrizität, Telekommunikationskosten) Steuern, negativer Einfluss von Korruption, Währungsrisiken Qualifikation und Verfügbarkeit von Mitarbeitern (30 %)
Kumulierte Erfahrung im BPO und ITO Business inklusive Marktgröße und Qualitätsrankings Verfügbarkeit von Mitarbeitern gemessen in absoluter Größe des Arbeitsmarktes sowie Universitätsabsolventen Ausbildung und Fremdsprachenkenntnisse Fluktuationsraten Business-Umgebung (30 %)
Investorenratings A.T. Kearney’s Foreign Direct Investment Confidence Index (eine surveybasierte Erhebung des Investitionsklimas) Bürokratie Unterstützung durch die Regierung für BPO/ITO-Geschäft Infrastruktur des Landes Kulturelle Anpassungsfähigkeiten Sicherheit von Intellectual Capital Aufgrund der jährlichen Analyse sind aufschlussreiche Beobachtungen möglich wie beispielsweise bei der Tschechischen Republik, die vom 4. (2004) auf den 7. Platz in 2006 maßgeblich wegen der eingeschränkten Verfügbarkeit von Fach132 Vgl. A.T. Kearney, 2004b; 2006.
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Location, Location, Location – die Wahl des richtigen Standorts
kräften gefallen ist. Im Ergebnis liegt Indien unangefochten auf dem ersten Platz des Rankings, gefolgt von China und Malaysia. Der Abstand von Indien zu den Nächstplatzierten hat sich zwar verkleinert, ist aber immer noch größer als der Abstand des Zweiten (China) zu Platz 13 (Indonesien). Neben der günstigen Kostenstruktur ragt Indien in der Untersuchung von A.T. Kearney durch die Verfügbarkeit von Fachkräften heraus. Nur die USA erreicht hier einen besseren Wert. Der ITO- und BPO-Anbieter EDS hat ein Bestshore-Modell entwickelt und versucht, für jeden Klienten unter Berücksichtigung der spezifischen Fragestellung den möglichst idealen Standort zu finden. Dabei nutzt EDS sein weltweites Netzwerk von ITO und Service Centern, um die ausgewogene Balance zwischen Klientenanforderungen und gegebenen Rahmenbedingungen in den bestehenden Centern im Hinblick auf Kosten, Qualität und Verfügbarkeit der erforderlichen Ressourcen zu finden. Ein wesentlicher Bestandteil des Bestshore-Ansatzes ist das Offshore-Country-Profile-Modell mit dem auf quantitativer im Wesentlichen Kosten und qualitativer Basis ausgewählte Kriterien verglichen werden.133 Betrachtet werden neun Kriterien: Kosten Operationales Risikomanagement Reifegrad des Marktes Erfahrungen im Business Process Management Expertise der Fachkräfte Application Development & Maintenance IT-Infrastruktur Fremdsprachenkenntnisse Kulturelle Anpassungsfähigkeit
Die Kriterien in diesem Modell werden nicht gewichtet und nicht mit zahlenmäßigen Werten bewertet. Eine zusammenfassende Auswertung fehlt ebenfalls. Im Ergebnis sind Irland und Kanada am besten positioniert, aber es könnte sich die Positionierung bei entsprechender Wertung des Kostenarguments schlagartig ändern. Erwartungsgemäß findet sich Indien in der Spitzengruppe, wohingegen China aufgrund fehlender Marktreife, wenig ausgebauter BPO/ITO-Expertise und unzureichenden Fremdsprachenkenntnissen relativ abgeschlagen auf Platz 14 landet. 133 Vgl. Kumar, 2004, S. 4.
Location-Selection-Modelle – wie den richtigen Standort finden?
165
Die Beratungsgesellschaft neoIT hat den Offshore Attractiveness Index entwickelt.134 Dieser Ansatz versucht, die Anforderungen für Onshore-, Nearshoreund Offshore-Projekte zu adressieren. Im Mittelpunkt des Ansatzes stehen fünf auf Landesebene aggregierte Kriterien: Financial Benefit (30 % Gewichtung)
Arbeitskosten Operative Kosten und Investitionserfordernis ITO/BPO-Service-Erfahrung (25 %)
Prozesserfahrung Reifegrad der Service Provider Größe und Wachstum der Service-Industrie Datensicherheit
People (25 %)
Größe und Qualität des Arbeitskräftepools Fremdsprachenkenntnisse Ausbildungssystem Infrastruktur (5 %)
Kommunikationsinfrastruktur Allgemeine physische Infrastruktur Catalyst (15 %)
Regierungsunterstützung Geopolitische Umgebung Zeitunterschied, Entfernung Kulturelle Kompatibilität
Im Ergebnis wird über die Kriterien in einem systematischen Ansatz jeweils ein Ranking für die Standortwahl aus ITO- und aus BPO-Sicht erstellt. In beiden Kategorien führt Indien eindeutig den Wettbewerb an. Der Vorsprung im ITORanking vor dem Zweitplatzierten (Kanada) ist größer als der Abstand zwischen Kanada und Rumänien auf dem 11. Platz. Auf dem dritten Platz landet China. Somit kommt neoIT ähnlich wie A.T. Kearney zu einer eindeutigen Vormachtstellung von Indien als Top Offshore Location. Die Ansätze von neoIT und A.T. Kearney sind im Konzept ohnehin sehr vergleichbar, lediglich die Kriterien sind 134 Vgl. neoIT, September 2005, S. 5 ff.
166
Location, Location, Location – die Wahl des richtigen Standorts
etwas unterschiedlich strukturiert. Im BPO-Ranking führt Indien vor den Philippinen, die sich vorwiegend aufgrund der starken Call-Center-Aktivitäten auszeichnen, sowie Polen. Der Vorsprung Indiens ist etwas geringer als im ITORanking. Tabelle 5-1 fasst die betrachteten Länderbewertungen zusammen. #
A.T. Kearney
EDS
McKinsey Global Institute
neoIT (ITO)
neoIT (BPO)
Gartner
Summary
1.
India
Ireland
India
India
India
India
India
2.
China
Canada
China
Canada
Philippines
Ireland
China
3.
Malaysia
India
Malaysia
China
Poland
Northern Ireland
Malaysia
4.
Philippines
South Africa
Philippines
Poland
Ireland
Philippines
Philippines
5.
Singapore
Singapore
Brazil
Ireland
Canada
South Africa
Ireland
6.
Thailand
Israel
Mexico
Czech Republic
Mexico
Russia
Czech Republic
7.
Czech Republic
Taiwan
Hungary
Russia
Czech Republic
Czech Republic
South Africa Poland
8.
Chile
Hungary
Czech Republic
Malaysia
Malaysia
Israel
9.
Canada
Malaysia
Poland
Mexico
China
China
Brazil
10.
Brazil
Philippines
USA
Hungary
Hungary
Hungary
Hungary
11.
USA
Brazil
Canada
Philippines
Romania
12.
Egypt
Russia
Russia
Romania
Brazil
Russia
13.
Indonesia
Poland
United Kingdom
Brazil
South Africa
Romania
South Africa
Russia
Singapore
14.
Jordan
China
Germany
15.
Bulgaria
Vietnam
Ireland
16.
Slovakia
Czech Republic
Japan
17.
Mexico
Mexico
18.
Poland
Romania
19.
Hungary
Indonesia
20.
UAE
Mexico
Tabelle 5-1: Länderrankings im Vergleich Die Zusammenfassung bestätigt den Standort Indien als eindeutig bevorzugte Offshoring-Destination. Mit China, Malaysia und den Philippinen folgen allesamt Standorte, die vorwiegend über das Kostenargument punkten. Irland auf Rang 5 ist der erste Standort, dessen explizite Vorteile in der Qualität sowie der Business-Umgebung liegen. In den Rankings, in denen Kosten mit einem hohen Gewichtungsfaktor versehen worden sind, taucht Irland aufgrund seiner stark gestiegenen Kosten nicht mehr auf. Lediglich mit Singapur findet sich auf dem 14. Platz ein weiteres Land, das durch qualitative Vorteile seinen Kostennachteil zumindest partiell wettmachen kann. Die Analyse zeigt, dass je nach Methodik, Kriterien und Gewichtungsfaktoren die Ergebnisse sehr unterschiedlich ausfallen können. Lediglich Indien besticht aufgrund sehr attraktiver Kostenstrukturen und eines gut qualifizierten Fachkräf-
Praktische Herausforderungen bei der Standortwahl
167
tepools und ist somit ein unumstrittener Favorit. In allen anderen Fällen hängt die Bewertung stark von den spezifischen Begebenheiten eines Unternehmens und den Gründen für eine potenzielle Offshoring-Entscheidung ab. Ein Unternehmen auf der Suche nach einem kostengünstigen französisch sprechenden Call Center wird mit keiner der oben genannten 14 Offshoring-Destinationen zufrieden sein. Maximal Rumänien kommt aufgrund der französischen Sprachpräferenz in Frage. De facto orientieren sich französische Konzerne wie beispielsweise Carrefour an Ländern wie dem Senegal, um individuelle Lösungen zu finden. Der Senegal hat es in keiner der oben analysierten Location Rankings in die Finalrunde geschafft. Die Frage, ob Mexiko oder Russland der 11. Platz gebührt, ist unerheblich, wenn der Offshore Support suchende Konzern spanische Sprachkenntnisse benötigt und diese wichtiger einstuft als das bessere Ingenieur Know-how in Russland. Da für zahlreiche Unternehmen Kosteneinsparungen der wesentliche Treiber einer Offshoring-Entscheidung sind, sind Standorte wie China oder die Philippinen interessant, während andere Konzerne unter Umständen die unsicheren rechtlichen Rahmenbedingungen und die Herausforderungen z. B. in der Zusammenarbeit mit einem chinesischen Partner meiden wollen.
3.
Praktische Herausforderungen bei der Standortwahl
Die unternehmensspezifische Situation ist entscheidend für die finale Offshoring-Standort-Entscheidung. Dazu kommt die Grundsatzfrage: Outsourcing, Shared Services oder Joint Venture? Trotz der zahlreichen Länderanalysen und Bewertungen, die von den unterschiedlichen Institutionen zur Verfügung gestellt werden, ist die Standortwahl die wohl schwierigste Aufgabe in jedem SharedServices- oder ITO/BPO-Projekt. Standortentscheidungen im Service Business können zwar leichter revidiert werden als im produzierenden Bereich, dennoch besteht bei Serviceproblemen im Bereich der Unterstützungsprozesse ein erhebliches Business Risk. Durch die hohen Anforderungen an den HR-Faktor und die offensichtlich nicht unendlich großen Talentpools an den bevorzugten Offshoring-Standorten kann eine einmal falsch getroffene Strandortentscheidung nicht kurzfristig ohne weiteres revidiert werden.
168
Location, Location, Location – die Wahl des richtigen Standorts
An dieser Stelle sollen einige kritische Aspekte der Standortwahl aus praktischer Sicht explizit angesprochen werden. Diese Aspekte sollten genau hinterfragt und als die Objektivität beeinflussende Faktoren berücksichtigt werden.
Selbstläufer Indien? Indien steht eindeutig an der Spitze der Offshoring-Standorte. Der Besucher in den indischen Service-Centern wird meist überzeugt sein von den hohen Qualitätsstandards, gut organisierten Unternehmen und motivierten Mitarbeitern. Dennoch verlässt so manche westeuropäische oder nordamerikanische Führungskraft Indien mit Unbehagen und der schwelenden Frage, ob das Land die richtige Entscheidung ist. Das Land zeigt eine fast unglaubliche Diskrepanz von Arm und Reich. Neben den modernsten Bürogebäuden spielen Straßenkinder auf Müllhalden. Der Weg von New Delhi zum boomenden IT- und Service-Vorort Gurgoan dauert 2 Stunden – obwohl lediglich 20 km zu überwinden sind. Der Verkehr droht im Chaos zu versinken, und überall zeugen angefangene Infrastrukturprojekte von den großen Ambitionen des Landes, doch nur wenig ist fertig gestellt. Kann Indien seinen Strukturwandel beherrschen und vorantreiben? Die Segmentierung der Einkommenssituation hat schon dazu geführt, dass indische Unternehmen wie z. B. Genpact Prozesse nach China verlagern. Die Lobbyisten der NASSCOM, dem indischen Verband der IT- und ServiceIndustrie, jammern über diesen Umstand fast im Stile deutscher Kommunalpolitiker, die Arbeitsplätze in ihrem Regierungsbezirk durch Offshoring bedroht sehen. Auch die Ausbildungssituation in Indien ist für große Teile der Bevölkerung immer noch katastrophal.135 In Indien leben über 300 Millionen Menschen – das ist mehr als alle EU-Staaten zusammen – unterhalb der Armutsgrenze und müssen mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen.136 Indiens Verwaltungsapparat gilt als korrupt: Der Transparency Index listet Indien an 71. Stelle von 102 Staaten.137 Die Fluktuationsraten in den IT und insbesondere BPO Centern sind aufgrund des Booms dramatisch hoch. Es besteht fast permanent die Gefahr, dass ganze Projektteams verschwinden und somit kann im Prinzip nicht von einer Servicegarantie ausgegangen werden. Hochqualifizierte Inder sind sehr mobil – innerhalb und außerhalb des Landes. Fast alle hoffen und planen, ihre Karrieren in Großbritannien oder den USA fortsetzen zu können. Darüber hinaus präsentiert sich gerade Indien als überaus protektionistisch. Von
135 Vgl. Asuncion-Mund, 3.6.2005, S. 4. 136 Vgl. Schaffer/Mitra, 8.2.2006, S. 4. 137 Vgl. Netzwerk internationale Technologiekooperation, 2004, S. 6.
Praktische Herausforderungen bei der Standortwahl
169
einem Land, dessen Service-Industrie fast ausschließlich vom Exportgeschäft lebt, wird grundsätzlich eine offenere Haltung erwartet. Ausländische Investoren im ITO- und BPO-Sektor werden als Arbeitgeber zwar begrüßt, von der inländischen Konkurrenz jedoch kritisch beobachtet. Es sind lediglich fünf große nichtindische Firmen, die sich in Indien als Service-Anbieter etabliert haben: EDS, IBM, CSC, Unisys und Accenture. Kobayashi-Hillary bezeichnet sie in diesem Zusammenhang als auch „Foreign Invaders“138. Die globale Präsenz der Inder im IT- und Service-Sektor hat dazu geführt, dass viele Analysen, Reports, Präsentationen oder Länderbewertungsmodelle von Indern erstellt werden. Dass dabei voreingenommene Meinungen eine Rolle spielen, kann nicht ausgeschlossen werden. In den USA kursiert schon der Begriff der „India Bubble“, der in Anlehnung an die Internet Bubble im Jahr 2000 auf eine möglicherweise fatale Überbewertung der indischen Situation hinweisen soll. Für das nach einem Standort suchende westliche Unternehmen ist es derzeit schwer, eine objektive und vertrauenswürdige Bewertung zu finden.
Wie verlässlich sind Standortdaten? Die Länderbewertung wird durch die Tatsache erschwert, dass Unternehmensberater und Research-Institute kaum oder keinen Einblick in das verwendete Datenmaterial gewähren. Die Datenherkunft wird zumeist klassifiziert als „Erfahrung aus Klientenprojekten“ oder ist in der Zusammenarbeit mit einem Partnerunternehmen entwickelt oder von einem Interessenverband zur Verfügung gestellt worden. Wie verlässlich die Daten einer Interessenvertretung sind, hängt maßgeblich von den Interessen ab, die der Verband vertritt. Eine objektive Quelle ist dies zumeist nicht. Kleine, aber wichtige Details werden häufig nicht ausreichend berücksichtigt, wie beispielsweise der Fakt, dass ein ausländischer Investor in Rumänien mitunter 20 % über dem Marktpreis für das Personal zahlen muss, wenn er sein Finance & Accounting Center in Bukarest besetzen möchte. Wer derartigen Ungewissheiten aus dem Weg gehen möchte, sollte eher die Zusammenarbeit mit einem BPO-Anbieter suchen. Das Problem eines verlässlichen Businessplans für das Offshoring-Vorhaben liegt in diesem Fall beim BPOAnbieter. Sich unüberlegt in die Hände eines Service Providers zu begeben, ist nicht ratsam. Es gilt zu überdenken, dass die ITO/BPO-Anbieter zumeist ein globales Netzwerk von Onshoring-, Nearshoring- und Offshoring-Standorten 138 Kobayashi-Hillary, 2005, S. 91.
170
Location, Location, Location – die Wahl des richtigen Standorts
unterhalten und darum bemüht sind, ihre bestehenden Center vernünftig auszulasten. Nicht zuletzt deshalb kommt bei mancher Standortanalyse Indien heraus und nicht etwa eine die unternehmensspezifische Situation reflektierende, globale Standortkonzeption. Außerdem wird in der Zusammenarbeit mit einem BPOAnbieter wenig Unterstützung für ein mögliches Captive SSC geleistet. Für BPO Firmen-sind Captive Center die größten Wettbewerber, und die objektive Unterstützung in der Standortfrage für ein eigenes Center ist folglich eingeschränkt.
Wie können bestehende Standorte integriert werden? Der oben dargestellte Umstand wirkt sich in den Fällen negativ aus, wenn ein Unternehmen seine Service-Standorte mit dem bereits existierenden globalen Standortkonzept bestehend aus Fertigungsstellen, Distributionslägern und Verkaufsniederlassungen integrieren möchte. Häufig erscheint es einfach logisch und nicht sonderlich komplex, eine Servicefunktion an einem bestehenden Standort für eine Region oder sogar global zu konsolidieren. Ein Beispiel: Ein Unternehmen, das ein regionales Verwaltungscenter für Osteuropa in Lodz, Polen betreibt und bereits gut ausgebildete und fremdsprachengeschulte Mitarbeiter für Customer Support, Finance & Accounting und IT beschäftigt, könnte relativ schnell und mit wenig Aufwand die Belegschaft gezielt verstärken und die gesamteuropäischen Serviceaufgaben übernehmen. Ein BPOAnbieter, der Center in Budapest und Prag betreibt, würde sehr wahrscheinlich eine Verlagerung der Servicefunktionen weg vom bestehenden OsteuropaHeadquarter empfehlen, zusätzliche Kommunikationsschnittstellen aufbauen und einen Großteil des vorhandenen Kostenvorteils zunichte machen. Noch gravierender wäre die Empfehlung einer Verlagerung nach Indien, einem Land, in dem das Beispielunternehmen bislang nicht aktiv ist. Neben dem Relationship Management des BPO Providers kommt in diesem Fall noch der Umgang mit dem neuen kulturellen Hintergrund hinzu.
Wie einen Service Provider finden und die Zusammenarbeit ausgestalten? Wer sich für die Zusammenarbeit mit einem BPO-Anbieter entscheidet, sollte sich über das Ausmaß des Vorhabens im Klaren sein: Der Markt der BPO/ITOAnbieter ist explosionsartig gewachsen. Viele große Anbieter sind in den Service-Angeboten und strategischen Ausrichtungen sehr vergleichbar und erschweren damit den Auswahlprozess. Spezifische Anbieter wie das OutsourcingCenter oder das Outsourcing Institute haben sich auf die Rolle des Intermediärs
Praktische Herausforderungen bei der Standortwahl
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zwischen dem zunehmend unübersichtlich werdenden Anbietermarkt und den suchenden Käufern von Service-Dienstleistungen konzentriert. Beratungsgesellschaften wie Equa Terra, Everest oder TPI haben die Vermittlungsberatung und Vertragsgestaltung zwischen Anbietern und Käufern als Schwerpunkt definiert. Internationale Anwaltskanzleien wie Baker & McKenzie bieten Spezialwissen zur rechtlichen Ausgestaltung von Verträgen mit ITO/BPO-Anbietern an Offshoring Standorten an. Die an sich positive Tatsache, dass umfassende Unterstützung angeboten wird, vermittelt auch ein Gefühl für den Aufwand und die Komplexität des zu erwartenden Relationship Managements mit dem Service Provider.139
Kostenvorteil – was „kostet“ der BPO Service Provider? Obwohl der ITO/BPO-Anbieter für die Erzielung der avisierten Kostenziele die Verantwortung trägt, ist Vorsicht geboten hinsichtlich der Ausgestaltung der Konditionen. Wie an anderer Stelle angedeutet, arbeiten die Service Provider zum Teil mit signifikanten Profitmargen, die das eigene Einsparpotenzial erheblich reduzieren. Wenn z. B. Servicestunden für 15 US-Dollar am OffshoringStandort angeboten werden, sind das zwar lediglich ca. 20 % des vergleichbaren Outsourcing-Stundensatzes in einer deutschen Onshoring-Lösung. Es bedeutet aber auch, dass der Kunde bis zu 30.000 US-Dollar für einen Service Agent pro Jahr zahlt, während dieser mit einem Gehalt von weniger als 10.000 US-Dollar nach Hause geht. Hier verdient der BPO Provider kräftig, und das Unternehmen lässt erhebliches Potenzial ungenutzt. Zwar muss der Provider eine Reihe von Nebenkosten und den aufwändigen Centerbetrieb finanzieren, dennoch schöpfen manche Anbieter noch kräftig ab. Zu den Nebenkosten in Indien zählen z. B. Fahrdienste für die Mitarbeiter, denn aufgrund fehlender Infrastruktur und Sicherheitsaspekte wird jeder Mitarbeiter von zu Hause abgeholt, zur Arbeitstelle gefahren und abends wieder zurückgebracht, wodurch die Nebenkosten pro Mitarbeiter um 5.000 bis 7.000 US-Dollar steigen. Die Forderung nach „open books“ des Service Providers ist deshalb ebenso verständlich wie das konsequente Hinterfragen aller Kostenfaktoren. Wer mit einer Fixpreislösung, die bereits ausreichend Einsparpotenzial bietet, zufrieden ist und sich aus strategischen Gründen von bestimmten Back-OfficeProzessen trennen möchte, sollte auf jeden Fall mit einem BPO Anbieter zusammenarbeiten.
139 Vgl. Harris, 1.6.2004.
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Location, Location, Location – die Wahl des richtigen Standorts
Gibt es Ausweichstandorte im bevorzugten Offshoring-Land? Wie bereits angesprochen, sind Kostenstrukturen innerhalb eines Landes oft sehr unterschiedlich. Während die Metropolen meist deutlich über den Gehaltsdurchschnitten liegen, gibt es in den Kleinstädten noch sehr attraktive Arbeits- und Infrastrukturkosten. Nachteil hier ist, dass oftmals Fachkräfte mit dem gesuchten Expertenwissen nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Detailinformationen auf Regional- oder Städteebene sind folglich ein wichtiger Aspekt, doch in den wenigsten Standortanalysemodellen berücksichtigt. Auf der Suche nach der idealen Offshoring Location ist der Kontakt zu örtlichen Wirtschaftskammern, Investment Agencies, Wirtschaftsförderungsverbänden, Hochschulen, Recruiting und Real Estate Agencies sowie Regierungsstellen herzustellen, eine umfangreiche Detailarbeit, auf die sich z. B. das Offshoring Institute spezialisiert hat. Die Beratungsgesellschaft neoIT hat im Oktober 2006 ebenfalls einen so genanntes Global City Competitiveness Ranking herausgegeben. Dabei werden 24 typische Offshoring-Standorte miteinander verglichen, wobei die teilnehmenden 7 indischen Standorte allesamt an der Spitze stehen.140 Im Einzelfall dürfte diese Analyse bei globalen Fragestellungen nicht wirklich weiterhelfen.
Was sagt der „Bauch“? Last, but not least ist bei aller Methodik und Recherche nach verlässlichen Standortdaten ein wichtiges Kriterium nicht zu vergessen: das Bauchgefühl. Unternehmen mit einem unfassenden Netzwerk globaler Standorte haben meist eine Reihe positiver und negativer Erfahrungen im Umgang mit den einzelnen Ländern. Im Falle einer Captive-Shared-Services-Lösung ist das Vertrauen in Führungskräfte am Offshoring-Standort wichtiger als der letzte Euro Kostenvorteil oder eine bessere Universität an einem alternativen Standort. Der Faktor Mensch ist beim Service Offshoring sehr wichtig, taucht aber leider bei den konventionellen Standortbewertungsmethoden nicht auf. Er ist auch – zugegebenermaßen – kaum sinnvoll zu quantifizieren. Wer mit der OffshoringEntscheidung Neuland betritt, dem sei der Besuch des jeweiligen Landes dringend empfohlen. Der Eindruck vor Ort ist nicht durch die Analyse umfassenden Datenmaterials ersetzbar. Wer im indischen Verkehr stecken bleibt, HurrikanSchäden an karibischen Service Centern besichtigt, an den (fehlenden) Englischkenntnissen einer chinesischen Rezeptionistin hängen bleibt oder in mondänen Conference Centern mit Central-Command-Ausstattung mit indischen Mit-
140 Vgl. neoIT, October 2006, 7.
Die Top-Offshoring-Standorte im Überblick
173
arbeitern mögliche BPO-Lösungen diskutiert, bekommt das beste Gefühl für die Möglichkeiten – aber auch die Grenzen des Offshoring. Diese Softfacts spielen neben der Datenanalyse eine entscheidende Rolle und müssen bei der Entscheidungsfindung über die Verlagerung sensitiver Business-Prozesse einbezogen werden.
4.
Die Top-Offshoring-Standorte im Überblick
Im Folgenden werden die wesentlichen Offshoring-Standorte kurz beschrieben und einige zentrale Vor- und Nachteile diskutiert. Wie angesprochen, können die Einschätzungen je nach der spezifischen Situation anders gewertet werden, einige grundlegende Besonderheiten sind allgemein relevant.
Indien Indien führt die Liste der Offshoring-Nationen unangefochten an. Der jahrzehntelange Prozess der Schwerpunktsetzung in Bildung und Ausbau des IT-Sektors hat sich für das Land bezahlt gemacht. Die Ausbildungsqualität für Service Offshoring ist generell hoch, obgleich nur ein kleiner Prozentsatz der Absolventen pro Jahr (2 bis 3 %) im globalen SSC-, ITO- und BPO-Geschäft eingesetzt werden können. Viele globale Konzerne haben mit ihren Operationen Fuß gefasst, und die Gilde der indischen Service Provider ist längst aus den Kinderschuhen gewachsen. Mit Infosys, Wipro und Co. steht eine Reihe international erfahrener und hochprofessioneller Anbieter bereit, um die unterschiedlichsten Anforderungen einer globalen Klientel zu bedienen. Die gebotene Qualität, insbesondere in IT-bezogenen Aufgaben, ist Weltspitze. Alle großen Anbieter sind CMM Level 5-zertifiziert. Die wichtigsten Standorte sind New Delhi, Mumbai und Bangalore. Doch diese Standorte leiden massiv unter Fluktuationsproblemen, und der Arbeitsmarkt zeigt deutliche Anzeichen einer Sättigung. Die Arbeitskosten sind hier um bis zu 20 % allein in 2005 gestiegen. Selbst Ausweichstandorte wie Chennai, Hyderabad oder Pune zeigen bereits Anzeichen von Engpässen, und Unternehmen weichen weiter aus in Orte wie Kalkutta, Jaipur oder Ahmadabad.141
141 Vgl. A.T. Kearney, 2006, S. 4.
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Location, Location, Location – die Wahl des richtigen Standorts
Während Indien im Hinblick auf Expertise, Qualität und Kosten zweifelsohne ein Top-Standort ist, ist es für ein individuelles Unternehmen jedoch nicht ganz einfach, dort einen Standort zu errichten. Der langsame, verkrustete und korrupte Verwaltungsapparat ist ebenso ein Hindernis wie die Unsicherheit im Bereich Intellectual Capital. Indien ist zwar bei weitem nicht so gefährdet wie China, dennoch befindet sich das Land auf der International Intellectual Alliance (IIPA) Watch List.142 Und Indien ist ein Land der gewaltigen Gegensätze. Verkehrschaos, Armut, Währungsinstabilitäten und nicht zuletzt verbesserte Bedingungen an alternativen Offshoring-Standorten haben Indiens Vormachtstellung in letzter Zeit etwas schrumpfen lassen.
China Trotz der nach wie vor kommunistischen Rahmenbedingungen ist es China gelungen, sich nicht nur als sinnvoller Fertigungsstandort zu positionieren, sondern durchaus auch als Service-Offshore-Destination in Frage zu kommen. Die Infrastruktur hat sich vor allem in den Metropolen Peking und Shanghai in den letzten 5 Jahren erheblich verbessert.143 Die Rahmenbedingungen für Unternehmen sind sicherer geworden, was im Beitritt Chinas zur WTO im Jahr 2005 zum Ausdruck kommt. Der Kostenvorteil ist im Vergleich zu Indien noch wesentlich größer. Programmierer oder Service Agents kosten bis zu 40 % weniger als in den indischen Metropolen, die zudem mit drastisch steigenden Gehältern zu kämpfen haben. Bereits heute hat sich China als Niedriglohnstandort für die wesentlichen Nachbarn in der Region etabliert: Japan, Korea, Taiwan, Hongkong und Singapur nutzen die vielfältigen chinesischen und vorhandenen japanischen oder koreanischen Sprachkenntnisse im Land. Westliche Länder verlagern zunehmend Aktivitäten nach China. Aber auch große, indische Anbieter wie Genpact oder Infosys haben China als Ausweichalternative erkannt. Genpact betreibt zwei Center in Dalian, und Changchun und Infosys plant, die Belegschaft in China von derzeit 250 auf 6.000 aufzustocken. Die wesentlichen OffshoringStandorte sind die Metropolen in den Küstenregionen Shanghai, Peking, Guangdong und Dalian. Xian und Chengdu sind inländische Alternativen, die noch günstigere Kostenstrukturen, aber noch erhebliche Engpässe im Hinblick auf vorhandenes Expertenwissen und Erfahrung aufweisen. Mit Ausnahme von Peking werden alle oben genannten Städte in einem BPO-Förderprogramm staatlicherseits unterstützt.
142 Vgl. Overby, 2006, S. 2. 143 Vgl. Lieberthal/Lieberthal, 2004, S. 8f.
Die Top-Offshoring-Standorte im Überblick
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Gestandene Service-Mitarbeiter auf Projektmanager-Ebene sind generell dünn gesät und wechseln häufig den Arbeitsplatz. Die Fluktuationsraten in den Küstenmetropolen in dieser Berufsgruppe sind als kritisch einzustufen. Auch qualitätsseitig hat China noch aufzuholen. Das Hochschulsystem ist bei weitem nicht so anspruchsvoll wie z. B. das indische Netzwerk des Indian Institute of Technology, obgleich es bereits einige Top-Universitäten gibt. Fehlende Englischkenntnisse sowie limitiertes Wissen über westliche Business-Gepflogenheiten sind weitere Schwachstellen. Obgleich die englische Sprache mittlerweile weit verbreitet ist, ist das grundsätzliche Sprachniveau viel geringer als an Standorten wie Indien oder den Philippinen. Die begrenzten Fähigkeiten in der interkulturellen Teamarbeit und geringe Selbstständigkeit der Mitarbeiter sind weitere Erschwernisse in der Zusammenarbeit mit chinesischen Service Centern. Momentan erscheint China – obgleich eindeutig im Aufwind – eher der Standort für einfache und transaktionale Service-Aufgaben und weniger für HighendKnowledge-Prozesse.
Malaysia Malaysia zählt zweifelsohne zu den aufstrebenden Offshoring-Standorten in der Service-Industrie. Basierend auf ähnlichen bildungspolitischen Rahmenbedingungen wie Indien, bietet das Land einen signifikanten Pool an IT- und Business-Process-geschulten Fachkräften. Da die Kostenstrukturen über denen Indiens und anderen Offshoring-Alternativen in der Region liegen, versucht Malaysia, sich als Standort für HighendShared Services oder BPO Services zu etablieren. Die Multimedia Super Corridor (MSC) ist ein Beispiel hierfür. Mit dieser im Jahr 1996 geborenen Idee hat Malaysia mittlerweile 900 Unternehmen, die meisten davon multinationaler Herkunft, in einem Information Communication & Technology Hub zusammengefasst. In diesem Hub werden ResearchProjekte sowie Produkt- und Technologieentwicklungen gemeinsam vorangetrieben. Die Regierung stützt diese Initiative durch besondere Telekommunikations- und Datennetzwerke im MSC, die erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen sowie finanzielle und nicht-finanzielle Incentives für Investoren. Ergebnis dieser Initiative ist der ca. 50 km vor den Toren Kuala Lumpurs entstandene Hightech-Ort Cyberjaya, der als das Silicon Valley Malaysias bezeichnet wird. Heute sind ca. 30.000 IT- und Business-Service-Experten in Cyberjaya beschäftigt, viele davon für große globale Konzerne. Neben Cyberjaya ist Kuala Lumpur, die einzige Stadt mit mehr als einer Million Einwohnern, Businesszentrale und wichtiger Offshoring Standort. Mit HSBC und Shell sind zwei europäische Vertreter bereits im Land mit großen Service Centern vertreten, und auch
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Location, Location, Location – die Wahl des richtigen Standorts
BMW betreibt ein Data Center und Help Desk mit 80 Mitarbeitern in Malaysia. DHL und IBM sind die größten amerikanischen Investoren im Service-Sektor. Malaysias Angebot an qualifizierten Fachkräften wird begrenzt durch den relativ kleinen Arbeitsmarkt im Vergleich zu Indien oder China. Die Knappheit an qualifizierten Ressourcen führt zwangsläufig zu einer höheren Kostenstruktur, weshalb Malaysia von vornherein versucht, sich als KPO- und High-Value-AddStandort zu positionieren.
Philippinen Die Philippinen sind kein neuer Offshoring-Standort. In den letzten 10 Jahren ist es dem Inselstaat gelungen, sich als Call-Center-Destination zu positionieren und somit gut 1 Mrd. US-Dollar Services zu exportieren. Die sprachliche und kulturelle Nähe zu den USA sind in diesem Prozess sehr hilfreich und somit ist es nicht verwunderlich, dass vorwiegend amerikanische Firmen Voice-Dienste auf die Philippinen verlagert haben. Die Philippinen bieten interessante Incentive Pakete, um weitere IT-Investitionen ins Land zu locken. Die Erfahrung im globalen Service Business hat zu entsprechenden Schwerpunkten in der Hochschulausbildung geführt, so dass neben den attraktiven Kostenstrukturen, die in etwa vergleichbar sind mit Indien, ein kleiner, aber hochqualifizierter Fachkräftepool speziell für BPO-Aufgaben zur Verfügung steht. Die Entscheidung von Dell, die Philippinen als zentralen Call-Center-Standort zu wählen, war wegweisend für andere große Konzerne, wie z. B. AOL, Procter & Gamble, Citibank oder Siemens Business Services, die nun ebenfalls Einrichtungen unterhalten. Auch der US/indische ITO/BPO- Anbieter IBM Daksh betreibt ein Center auf den Philippinen. Nicht zu vergessen die zahlreichen, lokalen Call-CenterAnbieter. Die Hauptstadt Manila mit ihrem Eastwood City Cyberpark steht im Mittelpunkt der Aktivitäten der Service-Industrie. Aber auch die Regionen um Cebu, Baguio City, Davao City oder Angeles City sind in letzter Zeit als Standorte für Call Center gewählt worden. Ähnlich wie in Indien geht aufgrund der knapp werdenden Fachkräfte in Metro Manila der Trend zu den Vororten und weiter entfernte Regionen. Nachteilig für das Land wirken sich die fehlende politische Stabilität sowie die schwache Infrastruktur aus. Sowohl in den Bereichen Verkehr und speziell öffentlicher Nahverkehr sowie in den Bereichen Energie und Telekommunikation besteht Nachholbedarf. Obgleich im Bereich des Bankensektors einige amerikanische Spezialzertifizierungen ausgewählter Processing Center nachgewiesen werden können, fehlt es ansonsten an nachvollziehbaren Standards. CMMZertifizierungen sowie Prozessqualitätssicherungsmethoden wie Six Sigma sind noch wenig verbreitet, aber auf dem Vormarsch.
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Singapur Normalerweise gehört Singapur zu den High-cost-Standorten und dürfte auf der Liste der Offshoring/Nearshoring-Kandidaten nicht zu finden sein. Aber ähnlich wie Irland ist es Singapur gelungen, ein interessanter Standort aufgrund der großen IT-Expertise zu bleiben, dessen Servicequalität den Kostennachteil in gewissem Maße kompensieren kann. Vielfältige IT-Entwicklungsprojekte, bei denen Datenschutz, Sicherung des Intellectual Capitals und Risikominimierung oberste Priorität haben, werden in Singapur realisiert. Singapur hat als erster Standort einen Standard für Business Continuity und Disaster Recovery eingeführt. Die hervorragende Infrastruktur und der global ausgerichtete Arbeitsmarkt sind weitere Gründe für Singapur als Service-Standort. Globale Service Provider wie Equinix und Frontline Technologies bieten Data Center und BPO Services für Kunden wie Google, Yahoo, Kyocera oder Société Générale; lokale Anbieter wie NCS sind im Einsatz für globale Kunden wie Dell oder Prudential. Singapurs Kostenstruktur ist der größte Nachteil des Standorts. Obgleich nicht ganz so hoch wie in Westeuropa oder Nordamerika, so liegen die Arbeitskosten doch über denen Osteuropas. Die Service Provider in Singapur verlagern ihrerseits bereits Aktivitäten nach China und Vietnam.
Irland Irland war als Standort zuletzt kaum noch in den Offshoring-Rankings zu finden. Grund dafür sind die seit Ende der 90er Jahre explodierenden Gehaltskosten. Irland hat sich als robuster SSC-, ITO- sowie BPO-Standort etabliert und über die Jahre wertvolle Prozessexpertise, Know-how und Erfahrung im ServiceGeschäft gesammelt. Die irische Wirtschaftspolitik der frühen 90er Jahre ist eine Success Story: Ähnlich wie in Indien, wo frühzeitig die Weichen für den Schwerpunkt im IT-Sektor gestellt worden sind, hat Irland seine Chance als englischsprechender SSC- und BPO-Standort für westliche Konzerne erkannt. In der Folge wurden zwei Fremdsprachen als Pflichtbestandteil der akademischen Hochschulausbildung verankert und für Accounting-Studenten internationale Rechnungslegungsvorschriften im Curriculum verbindlich vorgeschrieben. Auf diese Weise hat Irland eine Vielzahl international hochqualifizierter FinanceSSC- bzw. BPO-Absolventen hervorgebracht. Zudem hat das Land mit Investitionszuschüssen, Steuererleichterungen und sonstigen Incentives ServiceInvestoren ins Land geholt, wobei der Fokus auf der Ansiedlung von Captive SSC lag und Irland somit in den Statistiken als ITO/BPO-Exporteur eine untergeordnete Rolle spielt. Heute ist Irland aus der Low-Cost-Alternative für die USA oder Großbritannien längst herausgewachsen, positioniert sich aber sehr
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erfolgreich als Standort für High-Value-Add-Services. Neben der sprachlichen Kompatibilität und dem Angebot weiterer Fremdsprachen ist Irland geografisch wie kulturell insbesondere für die europäische Klientel interessant. Dublin ist dabei der Hub für die meisten Service-Center-Aktivitäten. Irland ist z. T. Opfer seines eigenen Erfolges geworden. Die rasant steigende Nachfrage nach qualifiziertem Personal am Standort Dublin hat die vorhandenen Ressourcen bereits erschöpft und das Gehaltsniveau auf einen vergleichbaren Level zu vielen nord- und mittelenglischen Städten anwachsen lassen. Es zieht sogar schon qualifizierte Fachkräfte aus Großbritannien nach Irland, um dort Arbeit in einem der Service Center zu finden. Ein unglaublicher Trend, wenn man bedenkt, dass Irland seit mehr als 700 Jahren ein Emigrationsland ist und Iren nach England und später die USA auswanderten, um ihre Einkommens- und Lebenssituation zu verbessern. Der Sättigungsgrad des Arbeitsmarktes sowie die Kostenstrukturen werden dafür verantwortlich gemacht, dass wenig Wachstum zu erwarten ist und die Service-Industrie in Irland langsam, aber sicher ihren Zenit überschritten hat. Die Situation Irlands hat die Diskussion um die Nachhaltigkeit von Kostenvorteilen an den Offshoring-Standorten in den letzten zwei bis drei Jahren angeheizt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Irland wirtschaftsstrukturell und wohlstandseitig von einem anderen Ausgangspunkt in das OffshoringGeschäft eingestiegen ist als etwa Indien oder China. Die Situation Irlands hat dennoch Relevanz für einige osteuropäische Metropolen, da Prag oder Budapest beispielsweise nicht mehr weit vom Kostenniveau westeuropäischer Tier 2- und 3-Standorte entfernt sind.
Tschechische Republik Die Tschechische Republik hat sich als der stärkste Offshoring-Standort Osteuropas etabliert. Ausgehend von der Metropole Prag hat es das Land verstanden, seine hohen Ausbildungsstandards und die relativ guten Fremdsprachenkenntnisse in Verbindung mit dem Kostenvorteil als wesentliche Erfolgsfaktoren zu positionieren. Speziell für deutsche Großkonzerne hat sich die Tschechische Republik als geografisch und kulturell nahe gelegene Nearshoring-Alternative mit teilweisen deutschen Sprachkenntnissen bewährt. Für diese Unternehmen ist die Lösung Tschechische Republik auch deshalb so interessant, weil sie die Möglichkeit bietet, den Umgang mit einem Remote-Service-Provisioning-Modell kennen zu lernen ohne ein großes Risiko einzugehen und um gleichzeitig Kostenvorteile zu realisieren. Infrastruktur und wirtschaftliche Rahmenbedingungen in den größeren Städten haben vergleichbare Standards zu vielen westlichen Städten, die Erreichbarkeit per Flugzeug oder Auto ist problemlos, kulturell besteht eine hohe Kompatibilität, und Zeitunterschiede zu Westeuropa gibt es so
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gut wie nicht. Mit SAP hat ein großer deutscher Konzern ein Finance SSC in Prag aufgebaut, weitere globale Service-Investoren sind Siemens, IBM, DHL und Honeywell. Accenture betreibt in der Tschechischen Republik ein BPO Center ebenso wie der indische Service Provider Infosys BPO (ehemals Progeon). Der zentrale Standort ist Prag, allerdings weichen Unternehmen aufgrund der stark gestiegenen Gehalts- und Infrastrukturkosten zunehmend in Orte wie Pilsen, Brünn, Liberec, Ostrau oder Zlin aus. Das rasche Aufholen der Tschechischen Republik und Erreichen westlicher Standards hat nachteilige Effekte auf den Offshoring-Standort. Die Gehaltskosten in Prag sind z. T. vergleichbar mit einigen kostengünstigen westlichen Standorten, die Büromieten für 1a Lagen in der Prager Innenstadt liegen z. B. mittlerweile über denen von Berlin, und auch in Brünn – obgleich erst wenige Jahre im Service Offshoring-Geschäft – zeigen sich ansteigende Kostenniveaus. Zudem verknappt sich der Markt an Fachkräften zusehends. Wie andernorts festgestellt, tendiert hochqualifiziertes Personal auf Projektmanager-Ebene aufgrund der extremen Nachfrage zum schnellen Jobwechsel, was zu einem Risikofaktor wird. Überhaupt ist das Land, ähnlich wie Ungarn, mit ca. 10 Mio. Einwohnern relativ klein. Die Qualifikation in der Tschechischen Republik erreicht nicht das Niveau von Irland. Hochschulabsolventen sprechen zwar in der Regel ausreichend englisch, um in globalen Operationen eingesetzt werden zu können, und häufig liegen deutsche Sprachkenntnisse vor, aber fachliche Schwerpunkte in der Ausbildung im Hinblick auf internationale Rechnungslegungsvorschriften werden noch nicht flächendeckend gesetzt. Die Prozessexpertise und ITKenntnisse liegen grundsätzlich noch deutlich unter denen Indiens.
Polen Polen hat sich auf den zweiten Platz der aufstrebenden osteuropäischen Standorte hochgearbeitet und dabei sogar das weiter entwickelte Ungarn hinter sich gelassen. Was Polen im Vergleich zu Ungarn oder der Tschechischen Republik zugute kommt, ist die wesentlich größere Bevölkerung mit fast 39 Mio. Einwohnern bei vergleichbaren Ausbildungsstandards. Somit ist der Talentpool für BPO und ITO in Polen fast viermal so groß wie in den beiden Konkurrenzstandorten. Mit ca. 1,8 Millionen Studenten, davon allein 500.000 im Bereich Wirtschaftswissenschaften, hat Polen sogar eine höhere Ausbildungskapazität als Deutschland. Ähnlich wie in der Tschechischen Republik, fallen aus deutscher Sicht die z. T. vorhandenen Kenntnisse der deutschen und englischen Sprache sowie die kulturelle Nähe positiv ins Gewicht. Mit dem EU-Beitritt haben sich in Polen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und das Rechtssystem massiv stabilisiert. Darum hat sich eine Reihe von Service Centern in Polen angesiedelt, so z. B.
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KPMG, Accenture, Citibank und IBM. Lufthansa und Philips nutzen die vielfältigen Sprachkenntnisse und das gute, internationale Accounting-Know-how und haben in Polen jeweils Shared Services für Buchhaltungsaufgaben aufgebaut. Fiat hat ein Center für Back-Office-Aufgaben am Produktionsstandort Bielsko Biala eingerichtet. Anders als in der Tschechischen Republik oder Ungarn, in denen sich das Service-Geschäft noch stark auf die Metropolen Prag und Budapest konzentriert, bieten sich in Polen gleich mehrere große Städte für BPO-, ITO- oder Shared Service-Vorhaben an. Hier hat z. B. Krakau an Bedeutung gewonnen. Lufthansa, KPMG, IBM und Capgemini haben diesen Standort gewählt.144 Aber auch in Lodz, u. a. Standort für Philips, GE und Accenture sowie in Posen und Warschau sind Service Center ansässig. Aufgrund der Größe des Landes ist Polen insgesamt noch nicht so weit entwickelt wie etwa Ungarn. Die Regierung fördert die Ansiedlung von Service Centern nicht vordringlich. In den stark nachgefragten Standorten sind die Arbeitsund Infrastrukturkosten erheblich gestiegen. Obgleich Polen derzeit mit einem attraktiven Unternehmenssteuersatz von 19 % aufwartet, ist davon auszugehen, dass der Steuersatz mittelfristig im Rahmen der EU-Harmonisierung erhöht wird. Anzumerken ist weiterhin, dass Polen einen starren rechtlichen Rahmen hat, der zu Einschränkungen in der Wahrnehmung von F&A-Aktivitäten führt.
Ungarn Die westliche Ausrichtung Ungarns hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Offshoring- und Nearshoring-Projekte in Osteuropa Einzug gehalten haben. Ungarn war ein Vorreiter und hat sich bereits früh dem internationalen Service-Geschäft geöffnet und gezielt Investoren ins Land geholt. Das Land hat sich im ITO-, BPO- und SSC-Geschäft als ausgesprochen offen präsentiert und hat seit vielen Jahren mit professioneller Wirtschaftsförderung den Standort beworben. Neben seiner westlich orientierten hohen Ausbildungsqualität ist Ungarn aufgrund seines Fremdsprachenangebots interessant. In Budapest, dem Dreh- und Angelpunkt im ungarischen Service-Geschäft, werden in einigen Centern bis zu 14 gesprochene europäische Sprachen angeboten. So ist nicht verwunderlich, dass Ungarn Standort für vielfältige Service Center geworden ist. Genpact, Tata und Satyam sind indische BPO-Anbieter, die ebenso wie der US-OutsourcingKonzern EDS Center in Ungarn errichtet haben. Diageo, Exxon Mobile, Visteon und Alcoa haben den Standort für Finance Shared Services gewählt. Diageo und Alcoa finden sich z. B. auch auf der Liste der „Most Admired SSC“ der Shared 144 Vgl. Fäßle, 2005, S. 375-394.
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Services News – nicht zuletzt wegen ihrer ungarischen Centerstandorte.145 Aufgrund der vielfältigen Sprachkenntnisse in Ungarn, haben auch Call-CenterAnbieter wie Sykes oder das deutsche Unternehmen buw Center eröffnet. buw ist dabei bewusst dem Fachkräftemangel in der Metropole Budapest aus dem Weg gegangen und hat ein Center mit deutschem Sprachschwerpunkt in Pécs eingerichtet. Budapest ist zwar der zentrale Anlaufpunkt für Service Center, aber auch Orte wie Pécs, Szekesfehévár oder Vasvár haben sich aufgrund gestiegener Kosten in Budapest als Centerstandorte einen Namen gemacht. Ungarns große Beliebtheit ist zu einem der größten Probleme geworden. Fachkräfte sind knapp, in manchen Funktionen wie Finance & Accounting sind sie in der Metropole Budapest kaum noch zu vernünftigen Konditionen zu bekommen. Die Arbeitskosten in Budapest haben das Niveau vieler westeuropäischer Tier 2Städte erreicht. Im Zusammenhang mit den steigenden Arbeitskosten sind auch hier die Fluktuationsprobleme zu nennen. Darüber hinaus ist Ungarn mit ca. 10 Mio. Einwohnern recht klein und es scheint, als sei der Standort im ITO/BPOund Shared-Services-Geschäft „ausverkauft“. Die Krawalle vom 19. September 2006, die als die größten in der postkommunistischen Ära bezeichnet werden können, sind allerdings keine Anzeichen für Wachstumsprobleme oder gar tief greifende politische Instabilitäten in Osteuropa.146 Vielmehr zeigen sie, dass die Regierungen dieser Staaten sich dem demokratischen Meinungsbildungsprozess kontinuierlich stellen müssen und dass Unzufriedenheit in Protest und manchmal in Form von Krawallen artikuliert wird. Auf die Ansiedlung von Shared Services oder BPO dürfte dies jedoch keinen Einfluss haben.
Russland Russland hat mit den Herausforderungen eines instabilen wirtschaftlichen Umfelds zu kämpfen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind ebenso unsicher wie die politische Landschaft im Hinblick auf internationale Investitionen. Aber Russland hat einen hochqualifizierten Arbeitsmarkt zu bieten. Als ehemalige Supermacht ist die Qualität in der technischen und ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung immer noch hervorragend. Darüber hinaus ist die Größe des Talent145 Vgl. Shared Services News, 2004. 146 Anm.: Am 19.9.2006 hatte es im Rahmen der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestags des
Volksaufstands Ungarns Ausschreitungen gegeben, bei denen 130 Personen verletzt wurden. Die Krawalle hatten sich in erster Linie gegen den ungarischen Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany gerichtet, dem unlautere Mittel im Wahlkampf angelastet werden.
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pools beachtlich: In Russland studieren ca. 3 Mio. Studenten an staatlichen Hochschulen, etwa doppelt so viele wie in Deutschland. Somit erscheint Russland in spezifischen technischen und IT-Fragestellungen der richtige Standort. Auch sind komplexe und wissenschaftlich anspruchsvolle Aufgaben in Russland gut aufgehoben. Aufgrund der unsicheren Situation finden sich derzeit noch keine größeren Service oder IT Center in Russland. Wesentliche Investitionen beschränken sich auf spezifische Projekte. Dem großen Wissenspotenzial steht an den meisten Orten eine attraktive Kostenstruktur gegenüber, denn außerhalb der Metropolen Moskau und St. Petersburg liegen die Kostenstrukturen deutlich unter denen von Prag oder Budapest. In den Metropolen sind die Arbeitskosten in besonders gesuchten Berufszweigen jedoch zum Teil über das Niveau Deutschlands in die Höhe geschnellt. Die steigenden Kostenstrukturen und das unsichere Geschäftsklima ermöglichen es derzeit nur begrenzt, die großen Potenziale Russlands zu nutzen. Da der lokale Markt die hochqualifizierten Fachkräfte nicht absorbieren kann, ist davon auszugehen, dass internationale Investoren weiterhin an diesem Arbeitsmarkt Interesse zeigen werden. Vorsicht ist im Hinblick auf Intellectual Property und Software-Piraterie geboten: Russland steht auf einem traurigen ersten Platz, der unterstreicht, wie wichtig eine stabile Rechts- und Wirtschaftslage für das Land ist, um im Service-Geschäft eine ernste Rolle zu spielen.
Rumänien Fast unbemerkt und mit beachtlichem Erfolg ist Rumänien seit einigen Jahren im Service-Near- und Offshoring-Geschäft vertreten. Große deutsche und amerikanische Konzerne wie z. B. Siemens nutzen seit Ende der 90er Jahre das IT Know-how in der Region um Timisoara für Entwicklungsprojekte. In dieser nahe der ungarischen Grenze gelegenen Region haben sich ca. 5.000 HightechFirmen angesiedelt – nicht zuletzt aufgrund üppiger staatlicher Subventionen und einer Zero-percent Tax Policy für Softwareingenieure. Diese Vergünstigungen werden schrittweise verschwinden, da Rumänien im Jahr 2007 in die EU aufgenommen wird. Im Service-Bereich positioniert sich Rumänien derzeit durch die gute wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung. Genpact ist als indischer BPO-Anbieter in Bukarest ansässig geworden und hat somit den Trend weiter Richtung Osten eingeläutet, nachdem die Tschechische Republik und Ungarn Anzeichen einer Überhitzung im Service-Sektor zeigten. Rumänien ist zudem bei vergleichbarer Ausbildungsstruktur und -qualität doppelt so groß wie die beiden Nearshoring-Musterländer und kann mit einer großen Sprachenvielfalt locken. Neben der zunehmenden Verbreitung der englischen Sprache finden sich in Rumänien Deutsch sowie alle romanischen Sprachen in großem Umfang.
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Insbesondere international schwer zu findende Sprachkenntnisse wie beispielsweise italienisch können in Rumänien geboten werden. Neben Genpact hat mit Accenture ein weiterer globaler BPO-Anbieter Kapazitäten in Bukarest aufgebaut. Das Center mit einer geplanten Größe von 1.000 Mitarbeitern soll vornehmlich HR Services-Dienstleistungen in den Bereichen F&A und Procurement liefern. HP hat ebenfalls ein F&A Center in Rumänien in Planung, um die ausgeschöpften Kapazitäten in seinem polnischen Center zu ergänzen. Rumäniens Herausforderung liegt im Meistern der Kostenexplosion, die anderen osteuropäischen Nearshoring-Destinationen schwer zu schaffen macht. Auch in Bukarest sind die Arbeits- und Infrastrukturkosten stark steigend. Mit dem EUBeitritt zum 1. Januar 2007 wird sich die wirtschaftliche Stabilität des Landes zwar weiter festigen, allerdings werden die Kosten ebenso weiter steigen. Zudem muss Rumänien in puncto westliche Business-Gepflogenheiten und Korruption Verbesserungen anstreben.147 Da außerdem die IT-und Kommunikationsinfrastruktur zum Teil noch Mängel aufzeigen, läuft Rumänien Gefahr, von der Servicewelle Richtung Osten überrannt zu werden.
Südafrika Der afrikanische Kontinent hat es bislang nicht geschafft, sich im ServiceOffshoring-Markt einen Namen zu machen. Neben Südafrika sind es Ägypten, Tunesien, Ghana, Marokko sowie der Senegal die im begrenzten Ausmaß als Standorte für globale Service Center agieren. Südafrika hat sich als IT-ServiceStandort vor allem für britische Unternehmen im Markt positioniert. Gründe, die für Südafrika sprechen, sind zum einen die guten Englischkenntnisse, die neben den ITO-Erfolgen zur Ansiedlung von etlichen Call Centern geführt haben. Die identische Zeitzone mit Mitteleuropa ist ein weiterer Vorteil. Nicht zuletzt deswegen hat die Lufthansa Südafrika als Standort gewählt. Neben den Metropolen Johannesburg, Kapstadt und Durban stehen kleinere Städte wie Pretoria, Port Elizabeth oder Bloemfontain als Standorte zur Verfügung. Die politischen Instabilitäten und die hohe Kriminalitätsrate sind wesentliche Nachteile Südafrikas und anderer afrikanischer Staaten. Die Kostenstrukturen sind zwar durchaus interessanter als in Osteuropa, liegen aber über denen von Indien oder China. Im Hinblick auf die Kosten ist die Ausbildungsqualität speziell in BPO-Themen außerhalb des Call-Center und IT-Bereichs nicht adäquat. Prozesserfahrung und -expertise sind nicht sonderlich gut entwickelt. Und die Telekommunikationskosten sind im Verhältnis zu alternativen OffshoringDestinationen relativ hoch. 147 Vgl. The Economist, 3.12.2005, S. 71.
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Brasilien Brasilien hat sich als der lateinamerikanische Spitzenreiter für IT Services etabliert. Dazu beigetragen hat die große Investitionsfreudigkeit in diesem Bereich. Brasilien investiert prozentual mehr des Bruttoinlandproduktes in den Auf- und Ausbau der Kommunikationsinfrastruktur als z. B. Indien oder China. Obgleich Brasilien mit ca. 15.000 Hochschulabsolventen im Bereich IT weit hinter Ländern wie Indien oder China liegt, ist dieser Wert dennoch bemerkenswert, da ein Großteil dieser Absolventen unmittelbar im Service-Geschäft eingesetzt werden kann. Zum Vergleich: In Indien stehen rund 40.000 Hochschulabsolventen mit diesen Fähigkeiten pro Jahr zur Verfügung. Momentan ist der IT-Sektor in Brasilien vornehmlich auf die Deckung des lokalen Bedarfes bedacht und weniger auf Service-Exporte ausgerichtet. Die stark verbesserte Qualität der Ausbildung sowie das Zunehmen der Zertifizierungsraten lassen Brasilien zu einem Anlaufpunkt für IT-Aktivitäten werden. Aufgrund der überschneidenden Zeitzonen bietet sich Brasilien als Standort für nordamerikanische Projekte an, ist aber nicht gerade als Nearshoring-Lösung zu sehen. Der Flug von New York nach Sao Paulo dauert immerhin 9 Stunden. IBM und Nestlé sowie VW sind in Brasilien mit umfassenden IT-Aktivitäten vertreten. Als wesentliche Regionen sind in Brasilien die Hauptstadt Brasilia sowie die Metropole Sao Paulo relevant. Letzterer Standort liegt von der Kostenstruktur deutlich über dem Landesdurchschnitt. Im Süden bieten Orte wie Porto Alegre oder Blumenau nicht nur wesentliche attraktivere Kostenstrukturen, sondern z. T. auch deutsche Sprachkenntnisse. Grundsätzlich liegen die brasilianischen Arbeitskosten unter denen der mexikanischen Konkurrenzstandorte oder den IT-Hochburgen in Costa Rica. Ein wesentlicher Nachteil in Brasilien ist die portugiesische Sprache, wodurch Brasilien nur begrenzt als Anlaufpunkt für spanische Sprachkenntnisse in Frage kommt. Die Englischkenntnisse sind unterdurchschnittlich, und somit sind neben den im IT-Geschäft ausgebildeten Absolventen nur wenige Graduierte sozialoder wirtschaftswissenschaftlicher Studienrichtungen international einsetzbar. Aus diesen Gründen dürfte Brasilien als BPO-Standort in den kommenden Jahren kaum eine Rolle spielen. Regierungsseitig wird wenig unternommen, um das Land auf der globalen Service-Landkarte zu positionieren. Es fehlt eine Verbesserung des sprachlichen Ausbildungsniveaus.
Mexiko Mexiko ist neben Brasilien der zweite große IT und Service Hub Lateinamerikas. Aufgrund der spanischen Sprache und der größeren Affinität zum Englischen ist Mexiko im globalen Service-Geschäft besser positioniert als Brasilien, wenn
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auch in kleinerem Umfang. Mit 107 Mio. Einwohnern ist das Land fast halb so groß wie Brasilien mit 188 Mio. Einwohnern. Insgesamt sind derzeit ca. 70.000 Call Center Agents in Mexiko allein in dieser Branche tätig, wobei schwerpunktmäßig spanische, aber auch in zunehmendem Umfang englische Sprachkenntnisse angeboten werden. Die Anforderungen des lokalen Marktes stehen derzeit noch im Vordergrund. Anbieter wie Teleperformance Mexiko mit 14.500 Agents oder Telvista mit 8.000 Agents betreiben Center von beachtlicher Größe, die neben spanischen auch englische Services für eine internationale Klientel anbieten. IBM, Accenture und EDS sind im Land mit umfassenden ITOperationen vertreten. Darüber hinaus haben die Big Four Accounting-Firmen wie Ernst & Young und PricewaterhouseCoopers Niederlassungen in Mexiko, die Auditing Services für U.S. Klienten übernehmen. Als zentraler Standort fungiert für die meisten IT Services und Call-Center-Aktivitäten Mexico City. Aber auch andere Großstädte wie Monterrey, León, Tijuana, Guadalajara und Puebla sind bevorzugte Standorte. Mexiko hat als Grenzland zu den USA unterschiedliche Abkommen, um die Abwanderung der Bevölkerung in die USA zu begrenzen. Das Maquilladores Abkommen wurde getroffen, um es US-Unternehmen zu ermöglichen, zollfrei in der Grenzzone zu den USA zu produzieren und arbeitswilligen Mexikanern Arbeitsplätze im eigenen Land zu bieten. In der Folge sind die Grenzstädte Tijuana, Ciudad Juarez und Matamaros entstanden, die heute Standorte für vielfältige einfache Produktionsaktivitäten von US-Unternehmen sind. Die Potenziale für Service Nearshoring sind noch begrenzt, da die entsprechenden Ausbildungsund Qualifikationsvoraussetzungen fehlen. Darüber hinaus sind in den vergangenen Jahren die Kostenstrukturen stark gestiegen, so dass Mexiko zum teuersten Standort in Lateinamerika geworden ist. Diesem besonders durch die Nähe zu den USA entstandenen Umstand steht jedoch keine adäquate Verbesserung der Qualifikation gegenüber. Prozess-Know-how und Expertise, wenngleich stark verbessert in den vergangenen Jahren, sind immer noch nicht mit z. B. Indien vergleichbar.
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Ausblick – wie geht es weiter mit Shared Services, BPO und Offshoring?
Skeptiker gehen davon aus, dass es sich um kurzfristige Trenderscheinungen handelt, die in Kürze wieder überholt sein dürfen. Allerdings weisen die zahlreichen Belege und Fakten in eine andere Richtung: Shared Services, BPO und Offshoring sind Realität für die meisten großen und international tätigen Konzerne. Der Gedanke der Zentralisierung im Sinne der höheren Effizienz sowie die Serviceorientierung des Back Offices haben sich als organisatorisches Konzept etabliert. Ebenso der Gedanke des Outsourcing von Verwaltungsfunktionen sowie die regionale Bündelung der Aktivitäten an kostengünstigen Standorten. Bislang wurde der Status quo dargestellt, im Folgenden gilt es nunmehr, einen Blick auf die kommenden Entwicklungsschritte zu werfen.
1.
Zukunftsvision SSC
Shared Services sind zu einem organisatorischen Paradigma geworden. Nahezu jedes größere Unternehmen setzt sich derzeit mit diesem Thema auseinander. Zum einen, um nach Anwendungs- und Umsetzungsmöglichkeiten im eigenen Fall zu suchen, zum anderen um wirklich sicherzustellen, dass es für das eigene Unternehmen wenig Relevanz bietet. Sich dem Thema gar nicht zu stellen und lapidar abzuwinken ist nicht nur grob fahrlässig, es kann sich sogar zu einem die Existenz bedrohenden Wettbewerbsnachteil auswachsen. Shared Services stellen ein zu komplexes Thema dar, dass sich nicht durch die flüchtige Lektüre eines Fachartikels oder das Gespräch mit einem Unternehmensberater umfassend bewerten lässt. Effizienzmessung und Benchmarkings der Verwaltungsbereiche haben neue Möglichkeiten zur Optimierung geschaffen. Internet, Work Flow und ERP System sowie moderne Kommunikationstechnologie sind wichtige Gestaltungselemente geworden. Das wichtigste Argument ist der Wettbewerb. Die
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Ausblick – wie geht es weiter mit Shared Services, BPO und Offshoring?
empirische Analyse zeigt, dass die Mehrheit der Unternehmen das Thema bereits umgesetzt hat bzw. konkrete Pläne dazu entwickelt. Shared Services haben bedingt durch Unternehmenstyp und Geschäftsstrategie für manche Unternehmen mehr und für andere Unternehmen weniger Relevanz. Es wird natürlich auch weiterhin Unternehmen geben, die das Prinzip überhaupt nicht anwenden können. Das funktional strukturierte Ein-Produktunternehmen mit lokalem Geschäftsfokus und zentraler Aufstellung der Verwaltungsfunktion wird kein Shared Service Center benötigen. Aber für welches reale Unternehmen trifft diese Kategorisierung eigentlich noch zu? Selbst diese Unternehmen können sich Prinzipien wie Benchmarking, Digitalisierung des Datenflusses sowie partielles Outsourcing zu eigen machen, um die eigene Kostenstruktur zu optimieren. Der international agierende Konzern mit mehrdimensionaler Geschäftsbereich- und regionaler Organisationsstruktur kann dieses Thema nicht unbeachtet lassen.148 Die Wettbewerber im globalen Markt haben sehr wahrscheinlich bereits eine Shared-Service-Organisation umgesetzt und stehen mit schlanker Kostenstruktur, optimierten Prozessen und Serviceorientierung wesentlich besser dar. Eine SSC-Organisation kann hierbei durchaus positiv auf den Shareholder Value wirken.149 Shared Services mögen als Modebegriff abgewertet werden, die betriebswirtschaftlichen Prinzipien, die sich dahinter verbergen, sind aber unbedingt auf Anwendbarkeit zu überprüfen. Die aktuellen Studien belegen, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema stattfindet und möglicherweise ihren Höhepunkt erreicht hat. Die wenigen großen Unternehmen, die bislang keinerlei Shared-Service-Aktivitäten in Bewertung, Planung oder Umsetzung haben, werden dies unter Umständen auch nicht mehr nachholen. In Einzelfällen wird das Konzept in der Tat wenig Sinn machen, in anderen Fällen ist Shared Services in der aktuellen Prioritätenliste einfach noch nicht hoch genug positioniert. In Wachstumsbranchen mit Fokus auf Marktanteilsausweitung und Aufbau einer Wettbewerbsposition spielt die Optimierung des Back Offices derzeit keine Rolle. Am Beispiel der Mobilfunkunternehmen zeigt sich dieses Prinzip: Galten die vergangenen 10 Jahre dem Geschäftsaufbau, so richtet sich jetzt der Fokus auf „profitables“ Wachstum. Und somit kommt der Verwaltungsbereich auf den Prüfstand. Eine letzte Gruppe von Unternehmen hat die Shared-Service-Entwicklung schlichtweg verschlafen. Als notorische Nörgler gegen jede anglo-amerikanisch angehauchte Managementmethode, von Process Reengineering, Balanced Scorecards und Shareholder Value Management über Six Sigma bis hin zu Shared Services und BPO versucht man als tradierte Firma mit altbackenen Führungsphilosophien das Unter148 Vgl. Keuper/Oeckling, 2006, S. 391 f. 149 Vgl. Deimel, 2006, S. 215-217.
Zukunftsvision SSC
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nehmen am Leben zu halten. Ein mitunter gefährliches Unterfangen – ein Blick auf die Arbeitswelt zeigt, dass heutzutage kein erfolgreiches Unternehmen so gesteuert wird wie noch vor 20 Jahren. Irgendwann führt das permanente Schwimmen gegen den Strom unweigerlich zum Ertrinken. Die Studie der FHTW Berlin sowie des Offshoring Institute hat gezeigt, dass viel mehr Unternehmen sich mit dem Thema auseinander setzen, als allgemein hin bekannt ist, aus Neugier und als Überlebensstrategie. Da mit der Umsetzung von Shared Services häufig Arbeitsplatzverluste assoziiert werden, halten Unternehmen in Deutschland dieses Thema gern unter Verschluss. Bei den großen Unternehmen ist das Thema SSC i. d. R. bereits etabliert, jetzt steht der Mittelstand an. Aufgrund geringerer Betriebsgrößen sind die Skaleneffekte und Bündelungsmöglichkeiten zwar geringer, dennoch sind Optimierungspotenziale vorhanden. Auch Mittelständler sind häufig dezentral und zudem international aufgestellt und haben somit zwangsläufig die wesentlichen BackOffice-Funktionen recht ineffizient umgesetzt. Ob das klassische mittelgroße Unternehmen seine Back-Office.Vision in möglicherweise sub-skalierten mit weniger als 20 Mitarbeitern zählenden SSC umsetzen kann, kann bezweifelt werden. Sinnvollerweise wären hier BPO-Lösungen anzustreben, doch der deutsche Mittelstand hegt noch seine Bedenken gegen die Vergabe von Verwaltungsfunktionen an Dienstleister. Diejenigen, die am schnellsten ihre Bedenken abschütteln und unternehmensinternen und -externen Druck nicht scheuen, werden sich eindeutige Wettbewerbsvorteile durch maßgeschneiderte BPO-Lösungen erarbeiten und zudem strategisch wesentlich stärker die Kernprozesse vorantreiben können. Letztendlich bedeutet BPO nicht eine unverantwortliche Unternehmensführung. Ganz im Gegenteil, insbesondere das mittelgroße Unternehmen mit begrenzten Ressourcen würde unverantwortlich handeln, wenn gezielte Outsourcing-Möglichkeiten nicht explizit gesucht und vorangetrieben werden. Möglicherweise können sich im Mittelstand Kooperationslösungen zum Aufbau eines SSC zwischen mehreren Unternehmen ergeben – angesichts der mittlerweile recht reifen BPO-Anbieter-Branche wäre dies eher ein weiterer Zwischenschritt, der den Weg zu einem wirklich effizienten Back Office eher verlängert und erschwert. Für die Unternehmen mit SSC-Betrieb wird der Schwerpunkt in den kommenden Jahren in der Optimierung liegen. Prozess- und Technologiestandardisierung sind vielfach noch nicht ausgereift und können weiter verfeinert werden. Der Trend wird zur weiteren Automatisierung gehen, d. h. die noch stärkere Elimination der manuellen Bearbeitung von Massentransaktionen. Die technologischen Voraussetzungen bestehen bereits, viele standardisierte Prozesse quasi ohne humane Intervention zu bewerkstelligen. Dazu sind derzeit noch umfassende
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Ausblick – wie geht es weiter mit Shared Services, BPO und Offshoring?
Change-Management-Hürden insbesondere im unternehmensübergreifenden Überzeugungsprozess zu überwinden. In anderen Fällen gilt es nun, den Scope auszuweiten. Viele der bestehenden SSC-Lösungen konzentrieren sich auf das transaktionale Massengeschäft. Die größten Länder- und Regionalorganisationen sind im Center oder befinden sich im Transfer. Die Integration der Kleinstbuchhaltung in der Vertriebsniederlassung Litauen ist das klassische Beispiel einer häufig hoffnungslos ineffizienten dezentralen Finanzfunktion – doch SSC-Lösungsvorschläge für diese Probleme existieren noch nicht. Ausweitung des Scope bedeutet, mehr Knowledge- und High-Value-Add Prozesse in die Center zu integrieren. Jeder Controller, Personalfachreferent oder Einkäufer ist immer noch mit vielen zeitraubenden und ineffizienten Verwaltungsaufgaben betraut. Einige BPO-Anbieter wie z. B. Genpact bewegen sich langsam auch in das Geschäft des Outsourcing von Analysetätigkeiten, die SSC sind an dieser Stelle gefordert, neue Ideen zu entwickeln.
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Zukunftsvision BPO
BPO befindet sich auf dem Vormarsch, obwohl häufig nicht so wahrgenommen. Die Idee, Verwaltungsfunktionen in die Hände spezialisierter Serviceunternehmen zu geben, stellt eine nachvollziehbare Weiterentwicklung des SharedServices-Konzeptes dar. Die größte Herausforderung beim Einführen von Shared Services stellt ohne Zweifel der Standardisierungseffekt für Prozesse und Technologie dar. Nicht zu vernachlässigen ist auch die personelle Komponente, wenn Arbeitsplätze im Zuge der Konsolidierung verloren gehen. Ist ein SSC errichtet und agiert schlank und effizient sowie mit bestmöglicher Serviceorientierung und wettbewerblicher Ausrichtung, sind dessen Leistungen und Preise transparent und standardisiert. Dies sind beste Voraussetzungen, um gezielt einen Drittanbieter ins Spiel zu bringen bzw. sich selbst zu einem Drittanbieter weiterzuentwickeln. Momentan gibt es zwei Wege, auf denen sich Unternehmen dem Thema BPO nähern: Der derzeit seltenere Fall ist der Sprung ins „kalte Wasser“, indem unmittelbar aus der dezentralisierten heterogenen Umgebung auf eine BPO-Lösungen übergegangen wird. Der Fall der Linde AG mit seiner Zusammenarbeit mit Genpact zeigt aber, dass dieser Weg durchaus auch realistisch ist. Der weitaus häufigere Fall dürfte der „Umweg“ über ein Captive SSC sein. Aspekte wie Risiko und Change Management lassen diese Option zunächst einfacher erscheinen. Im Zuge der Konzentration auf Kernprozesse werden die Back-
Zukunftsvision BPO
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Office-Prozesse über kurz oder lang zur Disposition stehen; die schnelle, effiziente und verlässliche BPO-Lösung kann zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden. Dieser Erkenntnisprozess hat aber noch einen weiten Weg vor sich. Wandelresistente Unternehmen mit ihrer ebenfalls wandelresistenten Belegschaft werden den BPO-Anbietern in Europa weiterhin das Leben schwer machen. Während in den USA die BPO-Bewegung nicht mehr zu stoppen ist, stellt sich der europäische Markt wesentlich statischer dar. Nationale und lokale Spezifika, Arbeitsplatzprotektionismus, überzogene Risiko- und ComplianceBedenken sowie die ohnehin wesentlich stärkere Verzahnung zwischen Politik und Wirtschaft werden weiterhin bremsend auf das BPO-Geschäft in Europa wirken. Insbesondere die asiatischen BPO-Anbieter, die in Europa (richtigerweise) zwar einen gewaltigen Wachstumsmarkt sehen, verspüren Anzeichen einer Durststrecke. Nur wenige klassische Konzerne des europäischen Festlandes finden sich im Kundenstamm der mittlerweile in z. B. Belfast, Brünn, Budapest, Bukarest und Lodz präsenten Gilde indischer BPO-Unternehmen. Die hehren Wachstumsziele werden heute und morgen in Europa nicht zu realisieren sein und zu einer ersten, größeren Bereinigungswelle in der BPO-Anbieterlandschaft führen. Doch werden diese Konsolidierungseffekte die Branche im Kern eher bestärken. Die abnehmende Zahl der Anbieter führt letztendlich zu größeren und global noch flexibler aufgestellten Wettbewerbern. BPO hat zudem einen positiven Einfluss auf die Industrielandschaft der westeuropäischen Nationen. Obgleich der Mittelstand der größte Arbeitgeber in Deutschland ist, fokussiert sich das öffentliche Interesse auf die „Großkonzernschlachtschiffe“ mit jeweils mehreren hunderttausend Beschäftigten. Jede Veräußerung von Konzernteilen an ausländische Investoren oder Reduktion der Belegschaft wird medienwirksam kritisiert, von Gewerkschaften und Politikern scharf verurteilt und selten öffentlich mit gebotenem betriebswirtschaftlichem Sachverstand vernünftig bewertet. So ist es nur verständlich, wenn SharedServices oder gar BPO-Initiativen verzweifelt unter Verschluss gehalten und häufig unter strengster Geheimhaltung umgesetzt werden. BPO kann einen wesentlichen Beitrag leisten, um bewusst Verwaltungsfunktionen an Drittanbieter zu verlagern und somit einer fortwährenden öffentlichen Diskussion zu entgehen und um zudem höhere Flexibilität im Umgang mit den Ressourcen im Back Office zu erhalten.150 Die Veräußerung eines kompletten Verwaltungsprozesses wie z. B. dem Finance & Accounting entspricht eben nicht einer Massenentlassung. Wenn der Service-Anbieter über die kommenden Jahre den Verwaltungsapparat verschlankt und gezielt Mitarbeiter freisetzt bzw. verlagert, fallen die 150 Vgl. Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V.,
Dezember 2004, S. 5.
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Ausblick – wie geht es weiter mit Shared Services, BPO und Offshoring?
negativen öffentlichen Effekte nicht mehr unmittelbar auf das outsourcende Unternehmen zurück. Auch bei Unternehmenskäufen und -verkäufen erweist sich die BPO-Lösung als pragmatisch. Die Bewertung der Verwaltungsfunktion im Rahmen der Due Dilligence ist sehr vereinfacht – lediglich der bestehende Outsourcing-Vertrag ist zu bewerten. Letztendlich erweist sich BPO als probates Mittel, um die häufig verkrusteten und wenig dynamischen Back-Office-Bereiche der Großkonzerne aufzubrechen. Die Verwaltungsfunktionen haben in vielen Konzernen eine gewisse Eigendynamik entwickelt und stehen fast permanent im Rechtfertigungszwang. Jedes noch so probate Argument wird gern zur Aufrechterhaltung des Status quo verwendet: Sei es der endlos komplexe Budgetierungsprozess, die zunehmend komplizierter werdenden internationalen Rechnungsvorschriften, Risikomanagement, Compliance-Anforderungen wie Sarbanes-Oxley, Personalinformationssysteme, Schulungs- und Trainingskonzepte, Rekrutierung usw. – das Back Office verwirklicht sich z. T. selbst ohne den eigenen Mehrwert für den Gesamtkonzern zu hinterfragen. Eine BPO-Lösung hilft, die „goldenen Türklinken“ in der Verwaltung ans Tageslicht zu befördern und angemessene Dienstleistungen und Service-Levels zu identifizieren. Logisch, dass wohl kaum ein Verwaltungsbereich im Großkonzern in Jubel ausbricht, wenn BPO-Lösungen diskutiert werden. Für die Service-Anbieter ist dies ein ernstes Wachstumsproblem – auch wenn der betriebswirtschaftliche Sachverstand in vielen Fällen für eine externe Lösung sprechen würde. Karriere bei einem BPO-Anbieter kann sich kaum ein deutscher Verwaltungsangestellter im Großkonzern vorstellen, eine Kommunikationslücke die durch die Service-Unternehmen dringend zu schließen ist.
3.
Zukunftsvision Offshoring
Offshoring ist derzeit ein Begriff, der wie ein Damoklesschwert in den Unternehmen und im politischen Umfeld der meisten entwickelten westlichen Industrienationen diskutiert wird. Stefan Baron überschreibt beispielsweise seine Einleitung der Globalisierungsserie des Wirtschaftsmagazins „Wirtschaftswoche“ mit dem Titel „Spirale des Todes“ und adressiert damit die öffentliche Meinung zum Thema Offshoring.151 In seinem Beitrag identifiziert er aber schnell, dass die 151 Vgl. Baron, 27.11.2006, S. 3.
Zukunftsvision Offshoring
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eigentlichen Gefahren von protektionistischen Maßnahmen ausgehen, mit denen der Westen verzweifelt versucht, seine wirtschaftliche Vormachtstellung aufrechtzuerhalten. Insbesondere Deutschland habe große Probleme, sich der Globalisierung zu öffnen und erkennt die Wachstumschance durch Offshoring nicht. Die globale Allokation hat begonnen und das nicht erst gestern. Waren es zunächst Warenströme, die international gehandelt wurden und im Sinne der Theorie des komparativen Wettbewerbsvorteils nach David Ricardo zur Wohlstandserhöhung in beiden handelnden Nationen beigetragen haben, sind es nunmehr Prozessstufen im betrieblichen Leistungserstellungsprozess, die grenzüberschreitend bewerkstelligt werden. Seit den 60er Jahren sind hierbei Fertigungsprozesse zergliedert und globalisiert worden, seit den späten 80er und 90er Jahren findet dies auch im Rahmen der unterstützenden Verwaltungsprozesse statt. Technologie wie das Internet und neue Kommunikationsmöglichkeiten haben einen wesentlichen Beitrag geleistet und zeigen, dass die Theorie von Ricardo durchaus in der innerbetrieblichen Leistungserstellung inklusive der entsprechenden Unterstützungsprozesse Relevanz besitzt: Ein deutsches Unternehmen mag komparative Wettbewerbsvorteile in der Entwicklung, dem Design sowie der finalen Assemblierung und Qualitätssicherung eines Produktes, z. B. eines Kraftfahrzeuges, besitzen. Die Bearbeitung der Einzelteile und Erstellung der Komponenten wie auch die Bereitstellung der erforderlichen IT sowie der Abrechnungsfunktion können womöglich von einem andern Land aus wesentlich kostengünstiger bewerkstelligt werden. Die globale Zergliederung der Wertschöpfungskette erhöht somit den Gesamtnutzen, in diesem Fall den Shareholder Value des Unternehmens sowie der einbezogenen Zulieferer und Dienstleister. Offshoring hilft, die ineffizienten und wertvernichtenden Elemente im betrieblichen Leistungserstellungsprozess zu identifizieren und herauszuschneiden. Die globale Allokation von Arbeit wirkt wie ein „Fettabsauger“, der die Leistungsfähigkeit von Unternehmen drastisch erhöht und somit gesamtwirtschaftlich positive Impulse setzt. Werden die Unternehmen deshalb in Scharen dem Prinzip Near- und Offshoring folgen? Wahrscheinlich eher nicht oder zumindest nicht in absehbarer Zeit. Zu groß sind noch die Widerstände in Gesellschaft und Unternehmen gegen die Einsicht in die Möglichkeiten des Offshoring. Insbesondere die westlichen Industrienationen, die mit hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben, stemmen sich vehement dagegen und versuchen, den Prozess aufzuhalten oder zumindest zu verzögern. Ähnlich wie bei Shared Services und BPO werden einige Unternehmen aufgrund des Unternehmenstyps und Geschäftsmodells grundsätzlich nicht für Offshoring-Lösungen in Frage kommen.152 Kleine und mittlere Betriebe mit 152 Vgl. Handelsblatt, 22.8.2006, S. 24.
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Ausblick – wie geht es weiter mit Shared Services, BPO und Offshoring?
ausschließlich nationalem Geschäftsfokus werden kaum Teile des eigenen Wertschöpfungsprozesses oder Verwaltungsfunktionen ins Ausland verlagern. Dennoch beziehen diese Unternehmen oftmals Zulieferteile oder externe Dienstleistungen aus dem Ausland.153 Bei aller Hysterie um Globalisierung und Offshoring ist die Bedeutung der Größe des jeweiligen Binnenmarktes nicht zu vernachlässigen. Für mittelgroße und große Unternehmen mit internationaler Aufstellung wäre es nahezu fatal, sich der Offshoring-Diskussion zu entziehen und Möglichkeiten der Effizienzsteigerung durch globale Allokation der Wertschöpfung kategorisch abzulehnen. Im gleichen Sinne, in dem international vertrieben und produziert wird, kann auch international unterstützt, verwaltet, eingekauft und entwickelt werden. Die Entwicklung eines globalen Footprints ist eine strategische Aufgabe, da sie sich wesentlich auf die Generierung von Shareholder Value auswirkt. Je effizienter die nationalen komparativen Wettbewerbsvorteile innerhalb eines internationalen Konzerngebildes genutzt werden, umso höher der unternehmerische Wohlstand, sprich der Shareholder Value. Im Hinblick auf die Servicefunktionen wird künftig eine differenzierte Betrachtung erforderlich sein. Unterstützende Prozesse an sich können sehr komplex sein, unterschiedliche Qualifikationen der Bearbeiter verlangen und mit verschiedensten Technologien unterstützt werden. Der Software-Entwicklungsprozess z. B. hat ebenso seine eigenen Spezifika wie der Kreditorenbuchhaltungs-, Payroll- oder Management-Reportingprozess. Alles auf eine Karte setzen, war bislang nicht und wird auch künftig nicht die probate OffshoringStrategie sein, wie ein kurzes Beispiel untermauert: Aus Kostensicht könnte der Kreditorenbuchhaltungsprozess in einem internationalem Konzern möglicherweise in China bearbeitet werden. Sprach- und Kommunikationsprobleme sowie kulturelle und Zeitzonenunterschiede würden allerdings gegen eine Verlagerung der gesamten Kreditorenbuchhaltung des Konzerns nach Asien sprechen (ganz abgesehen von den pragmatischen Hindernissen). Dieses Beispielunternehmen wäre mit einem Multistandortkonzept besser bedient, indem es unterschiedliche Front Offices, z. B. in der Slowakei für Europa, in Mexiko für die Region Americas und in China für Asien einrichten würde, in denen Eingangslieferungen gescannt, Rechnungsabweichungen mit Lieferanten bearbeitet werden und der enge Kontakt zum regionalen Einkauf gehalten wird. Weiterhin könnten diese Teilcenter die regionalen Zahlungsläufe anstoßen und koordinieren. Die Erfassung des Standardbuchungsstoffes für Kreditoren könnte im SSC in Indien angesiedelt werden, ebenso wie die Unterstützung der betroffenen IT-Systeme. Ein derartiger globaler Footprint wäre zweifelsohne effizienter als die Zentralisierungslösung 153 Vgl. Seal, 3.5.2006.
Zukunftsvision Offshoring
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in nur einem Land, aber auch um ein Vielfaches sinnvoller als dezentrale Kreditorenabteilungen in hunderten, global weit verstreuten Vertriebs- und Produktionsniederlassungen. Unternehmen werden sich künftig der Frage nach Offshoring nicht mit dem grundsätzlichen „ja“ oder „nein“ nähern müssen, sondern vielmehr mit dem „was wohin“. Dass dabei bestimmte Prozessbestandteile dezentral bzw. im Land verbleiben, ist unstrittig und logisch. Trotz aller Panikmache steht Deutschland nicht vor dem Ausverkauf durch Offshoring. Durch die Bedeutung des Binnenmarktes und Bestandteile der Serviceprozesse, die aus unterschiedlichen Gründen besser onshore realisiert werden, ist letztendlich nur der kleinere Teil des Servicevolumens geeignet für Nearshoring und Offshoring. Ein Teil der Aufgaben im Verwaltungs- und Dienstleistungsbereich in deutschen mittelgroßen und großen Konzernen wird künftig nicht hier wahrgenommen werden und die betroffenen Arbeitsplätze werden folglich verschwinden.154 Anstatt rückwärts zu rudern und wenig schützenswerte Aufgaben zum Preis einer immer schwächeren Wettbewerbsfähigkeit im Land zu halten, sollte der Fokus eher auf die Definition komparativer Wettbewerbsvorteile gelegt werden. So wie sich viele deutsche Mittelständler durch innovative Produkte, Flexibilität und hohe Qualität auf den Weltmärkten behaupten konnten und den asiatischen Massenanbietern erfolgreich die Stirn bieten, sind auch die Unterstützungsprozesse kritisch zu durchleuchten. Massen- und Standardgeschäft wie z. B. einfache Softwareentwicklung, Buchhaltung, einfache Help-DeskFunktionen, Data Processing und Stammdatenverwaltung sind Aufgaben, die im internationalen Konzern an anderer Stelle besser aufgehoben sind. HighendEntwicklung, Design, Marketing, Controlling und Mitarbeiterentwicklung könnten beispielsweise Themen sein, mit denen sich auch Deutschland noch mit komparativen Wettbewerbsvorteilen positionieren kann.155 Shared Services, BPO und Offshoring sind moderne Instrumente der Unternehmensführung und strategischen Organisationsgestaltung geworden. Dabei handeln Unternehmen durchaus nicht unsozial oder vernachlässigen bestimmte Stakeholder, wenn sie diese einsetzen. Um mit dem großen Ökonom und Nobelpreisträger Milton Friedman zu sprechen, liegt „die soziale Verantwortung der Unternehmen darin, Gewinn zu machen“.156 Dieses Kernziel der Betriebswirtschaftslehre behält auch im globalen Kontext seine Bedeutung – die Mittel und Wege, es zu erreichen, haben sich allerdings gewandelt.
154 Vgl. Chakravarti, N., 26.6.2006. 155 Vgl. KPMG, 2006, S. 7. 156 Vgl. www.de.wikipedia.org/wiki/Milton_Friedman, 2007.
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Der Autor
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Der Autor
Dr. Sören Dressler ist Professor für Internationales Controlling an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und Visiting Professor an der Loyola Graduate School of Business in Chicago. Zudem ist er Director des Offshoring Institute, einer unabhängigen Forschungseinrichtung, die sich mit der Standortwahl für die BPO-, ITO- und Shared-Services-Branche befasst. Vor seiner Tätigkeit als Hochschullehrer war Sören Dressler für A.T. Kearney Management Consultants in Chicago tätig. Weitere berufliche Stationen waren die Arthur Andersen Managementberatung in Frankfurt/M. und die debis AG in Berlin. Kontakt:
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Index
A A.T. Kearney....................23, 29, 149, 163 Accent neutralization......136 Accenture.............65, 72, 80, 169, 179, 180, 183, 185 Accounting Factory ..........25 ACS ..................................81 ADP ..........................64, 137 Ägypten ..........................183 Ahmadabad.....................173 Alcoa.......................137, 180 AMD.......................127, 155 Andersen Consulting ........80 Andersen Worldwide ........80 Angeles City ...................176 AOL................................176 Application Development Management (ADM) .143 Arbeitsmarktflexibilität ..151 Arbeitsplatzprotektionismus .........191 Arms-Length Principle ...124 Arthur Andersen ...............80 Australien .........................84 B Baguio City.....................176 Bahamas .........................122 Bahlsen .............................92 Baker & McKenzie.........171 Balanced Scorecards.......188 Bangalore................116, 173
Barcelona........................ 136 Baselining......................... 43 Basell.............................. 136 BASF.............. 126, 136, 156 Bayer .............................. 136 Belfast............................... 84 Benchmarking ............ 43, 95 Benelux............. 38, 115, 136 Bergeron, B. ..................... 24 Berlin.............................. 136 Berliner Mauer ............... 118 Bernsteinstraße ............... 116 Berry, J. .......................... 123 Bielsko Biala .................. 180 Billing, F......................... 122 BITKOM ........................ 128 Blacklist of Offshoring... 147 Bloemfontain.................. 183 Blueprints ......................... 49 Blumenau ....................... 184 BMW.............................. 176 Bologna-Prozesses ......... 152 Bosch.............................. 123 Boxter ............................... 60 Brasilia ........................... 184 Brasilien . 117, 120, 145, 184 Bratislava........................ 156 Braun, M........................... 69 British Airways................. 84 Brünn...................... 156, 179 Budapest .......................... 83, 115, 137, 143, 156
208
Build Operate Transfer Model (BOT)...............89 Bukarest...........................83, 115, 137, 156, 182 Bulgarien ................ 116, 130 Business Insights ..............78 C Caldonian University of Glasgow ................153 Camphausen, C. v. ............25 Capability Maturity Model für Softwareentwicklung ...............104 Capgemini ..........65, 81, 180 Carrefour ........................167 Cayman.............................60 Cayman Islands ..............122 Cebu................................176 CFA ................................105 CFO Magazine ...............131 Chengdu..........................174 Chennai...........................173 Cheyenne River Sioux....138 Chile ............................... 116 China ...................38, 69, 83, 117, 119, 130, 156, 174 Citibank ..................176, 180 CMA...............................105 CMM SEI ....................... 115 CNN........................123, 147 Collins Radio....................18 Computer Aided Simulation ...................69 Confidentiality Agreements................100 COPC...................... 104, 115 Corporate Core .................85 Cost plus .........................124 Costa Rica................. 56, 116 CPA.................................105
Index
CSC ................................ 169 Cyberjaya ....................... 175 D DaimlerChrysler ............... 64 Daksh................................ 81 Dalian ............................. 174 Davao City ..................... 176 Dell........................... 62, 176 Deloitte....................... 24, 27 Deutsche Bank ............... 126 Deutsche Bank Research ............ 128, 149 DHL........................ 176, 179 Diageo ............................ 180 Diamondcluster ................ 73 Dittrich, J.......................... 69 Divisionalisierung ............ 17 Dobbs, L......................... 123 Dublin............................... 20 Durban............................ 183 E Eastwood City Cyberpark.................. 176 Economies of Scale .. 91, 103 EDS ..................... 18, 65, 81, 98, 164, 169, 180, 185 Electricité du France....... 142 Empowerment .................. 14 Equa Terra ...................... 171 Ernst & Young................ 185 ERP .................. 22, 115, 139 EU .......................... 123, 140 Everest............................ 171 Everest Group................. 143 Exxon Mobile................. 180 F Farrel, D. ........................ 157 FedEx ............................. 120
Index
Fernandes, J. ...................160 Fertigungstiefe......59, 69, 86 FHTW Berlin......35, 74, 132 Fiat..................................180 Flattener ..........................118 Ford ............................12, 19 Ford, Henry.................11, 59 Foreign Invaders.............169 Forrester...........................45, 76, 131, 149 Fortune 1000...................132 Free Agents.....................121 Friedman, T.....................118 FTE ...................................44 Funktionales SSC .............52 G Gartner................45, 76, 161 GE Capital ........................83 GECIS...............................83 General Agreement on Terms of Trade......117 General Agreement on Trade Services ......117 General Atlantic................83 General Motors.................11 Genpact............................53, 65, 83, 92, 115, 137, 168, 180, 183 Ghana..............................183 Glasfasernetze.................142 Global City Competitiveness Ranking .....................172 Google ....................120, 177 Governance.......................52 Greencard ....... 118, 140, 151 GSM ...............................142 Guadalajara.....................185 Guangdong .....................174 Gurgoan ..........................168
209
H Hackett ....................... 26, 45 Hambach........................... 60 HCL Technology ...... 84, 115 Heerwarden, E. v. ........... 160 Hewitt ............................... 65 Hewlett-Packard ............... 18 Honeywell ...................... 179 HP183 HP Services ...................... 82 HSBC ............................. 175 Hybridorganisation.......... 13, 44, 53 Hyderabad ...................... 173 I IBM ................... 18, 80, 169, 176, 179, 180, 184, 185 IBM Business Consulting Services..... 72 IBM Daksh ..................... 176 IBM Global Services .. 65, 81 IDC ................................... 76 IFRS ....................... 104, 137 iGate ............. 65, 70, 84, 115 India Bubble ................... 169 Indian Institute of Technology (IIT) ... 119 Indien............................... 38, 76, 83, 84, 136, 144, 145, 156, 168, 173 Indonesien ...... 116, 117, 120 Infineon .......................... 155 Infosys ........................ 65, 84 Infosys BPO ..... 84, 115, 179 Inshoring................. 127, 138 Insourcing......... 62, 105, 120 International Intellectual Alliance (IIPA) .......... 174 Inverted BOT.................. 105
210
Inverted Build Operate Transfer Modell ...........89 Irland ...............................20, 38, 115, 136, 177 ISO..................................104 ITops...........................70, 84 J Jaipur ..............................173 Japan....................... 117, 121 Job Protection Act ..........146 Johannesburg ..................183 K Kagelmann, U...................26 Kalkutta ..........................173 Kalter Krieg.................... 118 Kapstadt..........................183 Kerry, J. ..........................147 Knowledge Process Outsourcing ................68, 116, 137 Kobayashi-Hillary, M. .....70, 169 Komparativer Kostenvorteil ............. 116 Korea ..............................121 KPMG ............................180 KPO ..................................83 Krakau ............ 115, 156, 180 Kuala Lumpur.................175 Kunze, F..........................127 Kyocera ..........................177 L Lakota Technologies.......138 Langen ............................127 Lean Management ............51 Legal Process Outsourcing ......... 69, 116 León................................185
Index
Liberec............................ 179 Liechtenstein .................. 122 Lodz................................ 156 Lou Dobbs Moneyline.... 147 Lufthansa........................ 180 Lüneburg ........................ 127 Luxemburg ............... 38, 122 M Make-or-Buy .................... 72 Malaysia .......................... 84, 116, 120, 145, 175 Manila ...................... 56, 176 Marokko ......................... 183 Matrixorganisation .......... 13, 44, 53 Mayer, A. G. ..................... 70 McKinsey Global Institute.. 147, 161 Mexico.................... 117, 184 Mexico City.................... 185 Mittelstand...................... 189 MNS Search ................... 120 Monterrey....................... 185 Moskau........................... 182 Most Admired SSC ........ 180 Multifunktions-SSC ......... 52 Multimedia Super Corridor (MSC)......... 175 Mumbai .................. 142, 173 N NASSCOM .............. 84, 168 NCS ................................ 177 NeoIT ..................... 134, 165 Nestlé........................ 67, 184 Netscape ......................... 118 Neuhaus, M. ................... 127 New Delhi ....................... 81, 116, 168, 173 New Source ...................... 92
Index
Newcastle .........................56 Niederlassungsprinzip ....124 Nike ......................62, 67, 93 Nordirland.........................84 O Oak Hill Partners ..............83 OECD .............................124 OEM .................................60 Offshoring Institute..........35, 74, 132, 161 Opel ................................156 Open Source Communities .............119 Oracle ...............................22 Ostrau .............................179 P PA Consulting ...................32 Panasonic........................127 Parallelbetrieb...........51, 110 Pécs.........................156, 181 Peking .............................174 PeopleSoft.........................22 Peso ................................144 Philippinen.......................69, 76, 84, 136, 145, 176 Philips .............................180 Pilotbetrieb .......................51 Pilsen ..............................179 Polen ...............130, 158, 179 Porsche .............................60 Port Elizabeth .................183 Porto Alegre....................184 Posen...............................180 Prag................................115, 137, 143, 156 Pretoria ...........................183 Pricewaterhouse Coopers..............128, 185
211
Pricewaterhouse Coopers Consulting..... 80 Process Carve-Out............ 49 Process Mapping .............. 49 Process Reengineering ........... 188 Procter & Gamble............ 56, 67, 83, 176 Progeon............................. 84 Prudential ....................... 177 Puebla ............................. 185 Pune................................ 173 R Real................................. 144 Reebok.............................. 62 Remote service provisioning............... 150 Reporting Factory............. 25 Retained Services ........... 152 Ricardo, D. ..................... 193 Ringgit............................ 144 Robotron......................... 155 Röntgenaufnahmen......... 137 Rudolf, A. ......................... 25 Rumänien ........................ 83, 116, 130, 182 Rupee.............................. 144 Russland ......... 119, 158, 181 S S&P 500 ........................... 20 Sachsenring Zwickau ..... 156 Sao Paulo........................ 184 SAP .................. 22, 148, 179 SAP-SEM ....................... 104 Saratoga............................ 45 Sarbanes-Oxley (SOX).... 28, 104, 192 Satyam............................ 180 Schaaf, J. ........................ 125
212
Schawel, C......................122 Schwarz, G................24, 160 Schweiz ....................38, 122 Sears ...............................101 Seidenstraße.................... 116 Self Service.......................97 Senegal ...................167, 183 Service Level Agreement ...................24 Severance........................ 110 Shadow Costs .............41, 44 Shadowbetrieb ..........51, 106 Shanghai .........................174 SharedXpertise .................31 Shareholder Value...188, 194 Shell................................175 Siemens ..................121, 179 Siemens Business Services .....................176 Singapur..........122, 160, 177 Six Sigma ........................51, 104, 115, 188 Sloan, Alfred P. ........... 11, 59 Slowakei .................127, 130 Smart ................................60 Smith, Adam..................... 11 SOAP.............................. 119 Söbbing, T.........................70 Société Générale.....126, 177 Sofia................................ 115 Software Piraterie ...........182 South Dakota ..................138 Spanien .............................38 SPD.................................147 Spectramind......................83 Sri Lanka ..........................84 St. Petersburg..................182 Südafrika ........................183 Supply Chaining .............120 Szekesfehévár .................181
Index
T Taiwan ............................ 117 Tata ........................... 84, 180 Tata Consulting Services ....................... 84 Taylor, Frederick W. ... 11, 59 TCS .................................. 84 Teleperformance Mexico ...................... 185 Telvista ........................... 185 Tensororganisation ..... 14, 53 Thailand.......................... 117 Tijuana............................ 185 Timisoara........................ 182 T-Model ............................ 11 Tomographien................. 137 Toshiba ........................... 120 TPI.................................. 171 Trademarks....................... 69 Transparency Index ........ 168 Tschechische Republik.... 84, 130, 178 Tunesien ......................... 183 U Ungarn.............. 83, 130, 180 Unilever............................ 67 Unisys............................. 169 University of California, Berkeley .................... 131 Unternehmenskultur ......... 96 UPS ................................ 120 USA........................ 147, 152 V Valmet .............................. 60 Vasvár............................. 181 Vattenfall ........................ 142 Ventoro ........................... 131 Visteon............................ 180
Index
VW ................................121, 156, 184 W Wal-Mart.........................120 Warburg Pincus.................84 Warschau ................115, 180 Washington National Library .......................138 Web Browsing ................119 Webcasts .........................115 Wikipedia........................119 Windows .........................118 Wipro ................................65 Wipro BPO ...............83, 115 Wireless LAN .................142 WNS ................................65, 84, 115 Work Flow Software.......119
213
Workflow-Systeme ......... 139 World Trade Organization .............. 117 X Xansa................................ 82 Xian ................................ 174 XML ............................... 119 Y Y2K ................................ 119 Yahoo! .................... 120, 177 Z Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung... 93 Zero-percent Tax Policy.................. 182 Zlin ................................. 179