Guido Wolf Der Business Discourse
Guido Wolf
Der Business Discourse Effizienz und Effektivität der unternehmensinter...
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Guido Wolf Der Business Discourse
Guido Wolf
Der Business Discourse Effizienz und Effektivität der unternehmensinternen Kommunikation
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Stefanie A. Winter Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-8349-1425-5
Geleitwort
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Geleitwort
Wer Kommunikation erforscht und wer über Kommunikation schreibt oder spricht, tut gut daran, mit Vor-Urteilen zu rechnen, mit fremden und mit eigenen. Denn nicht erst als Wissenschaftler oder als Kommunikationsexperte, sondern schon als Laie, als Jedermann, verfügen wir über eine Art Kommunikationstheorie. Das gilt erst recht in Unternehmen und Organisationen: Wir wissen, wie man kommuniziert. Das haben wir schließlich von Kind auf gelernt und geübt; und die Gesellschaft hat uns alles das vermittelt, was man darüber wissen und wie man darüber denken soll. Vor allem wissen wir von anderen wie aus eigener Erfahrung, dass Kommunikation gelingt, dass wir uns anderen mitteilen können und von ihnen verstanden werden – zumindest in der Regel und für unsere alltäglichen Zwecke. Dass auch im kommunikativen Normalfall einmal etwas danebengeht, wissen wir natürlich ebenfalls und haben dafür, wie es sich für eine gute Theorie gehört, auch gleich Erklärungen vorrätig: Jemand hat sich unklar ausgedrückt, beherrscht unsere Sprache nicht oder war nicht aufmerksam, hat nicht ‚richtig‘ zugehört, ist unwillig oder einfach dumm, usw. usw. Nach jedermanns Kommunikationstheorie bedarf es eines Spezialwissens oder gar eines Expertentums – natürlich nur der Sprecher oder Autoren – lediglich für ganz besondere Fälle von Kommunikation, mit denen es eben nicht jeder in seinem Alltag schon immer zu tun hat. Vor allem für die öffentliche Kommunikation mit größeren Publiken oder gar Massen benötigen danach die Kommunikatoren eine besondere Eignung, eine spezielle Ausbildung als Redenschreiber, Journalist, PR-Spezialist oder allgemein Kommunikationsfachmann. Dass diese vermeintlich schwierigere und vor allem wichtigere öffentliche Kommunikation dann auch ein immer ausgefeilteres Management verlangt, z.B. in Unternehmen und Regierungen, versteht sich noch nicht sehr lange, aber heute doch weithin von selbst. Als ungeprüfte Vor-Urteile haben Kommunikations- und Unternehmensberater, Trainer und PR-Spezialisten, aber auch die Kommunikationsverantwortlichen in den Unternehmen und sogar manche Kommunikationswissenschaftler wesentliche Elemente dieser Alltagstheorie der Kommunikation übernommen in ihre Auffassungen von Kommunikation und von der Gestaltbarkeit kommunikativer Prozesse. Das ist einerseits nicht verwunderlich. Denn sie sind wie wir alle auch Träger des Alltagswissens jedermanns, das sie und ihre Kommunikationspraxis geprägt hat. Andererseits verwundert es doch sehr. Denn schon ein kritischer Blick auf unsere alltägliche Kommunikationserfahrung belehrt uns über die allgegenwärtige Unzuverlässigkeit und Täuschungsanfälligkeit aller Kommunikationsprozesse; und die kommunikationswissenschaftliche Forschung hat schließlich die Alltagstheorie der Kommunikation schon seit langem als unhaltbare Simplifizierung erwiesen, sogar als wichtigstes Hindernis einer Verbesserung jeder Kommunikationspraxis.
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Vor diesem Hintergrund besteht die erste und zugleich grundlegende Besonderheit der vorliegenden Untersuchung zur unternehmensinternen Kommunikation darin, dass Guido Wolf als Kommunikationswissenschaftler wie als Unternehmensberater mit solchen Vor-Urteilen rechnet, ihre irreführende Wirkung auf Theorie und Praxis aufdeckt und mit den sie vermeintlich stützenden Theorien wissenschaftlich abrechnet. In ernsthafter Auseinandersetzung mit überall vorfindbaren Alltagsauffassungen, mit der beobachteten Managementpraxis und der wohlfeilen Managementliteratur, wie auch mit der wissenschaftlichen Literatur über Kommunikation generell und Unternehmenskommunikation speziell begründet und entwickelt Guido Wolf seine eigene kommunikationspraktische Position. Obwohl in seiner vorbildlichen argumentativen Strenge und Gründlichkeit wissenschaftlich, ist und bleibt er dabei doch immer praktisch. Nicht allein in dem doch sehr allgemeinen Sinn, wonach nichts praktischer sei als eine gute Theorie, sondern vor allem in dem speziellen Sinn, dass letztlich die praktischen Probleme, Fragen und Folgen der Kommunikation in Unternehmen im Zentrum seiner Aufmerksamkeit stehen. Von daher ist Business Discourse ein Buch für Praktiker, das auch wissenschaftlichen Standards genügt. Indem sich Guido Wolf in der angedeuteten Weise mit den gängigen Vor-Urteilen über interne Unternehmenskommunikation kritisch auseinandersetzt, ermöglicht er uns überhaupt erst wieder einen unverstellten Blick auf die Gesamtheit der innerhalb eines Unternehmens beobachtbaren Kommunikationsprozesse. Er entlarvt dabei – und dies darf als zweite Besonderheit seiner Untersuchung hervorgehoben werden – die kommunikationswissenschaftliche und -praktische Fixierung des Verständnisses von „unternehmensinterner Kommunikation“ und „internem Kommunikationsmanagement“ auf Medien und Massenkommunikation von Unternehmen als eine fatale Verkürzung und Beschränkung. Denn da sie die weit vielfältigere und umfangreichere Kommunikation in Unternehmen, die hier als „Prozesskommunikation“ bezeichnet wird, theoretisch und managementpraktisch außer Acht lässt, können grundlegende Probleme und kommunikative Bedürfnisse von Führungskräften und Mitarbeitern in diesem Feld nicht einmal gesehen, geschweige denn thematisiert und als Managementaufgabe begriffen werden. So werden Effizienz- und Effektivitätspotenziale verspielt – allzu häufig unwissentlich und unbedarft. Der Vorschlag, das Gesamtgebiet der Internen Unternehmenskommunikation in die Teilgebiete der „Zentralkommunikation“ (von Unternehmen), der „Prozesskommunikation“ (in Unternehmen) und der „Kommunikationstrainings“ zu gliedern, sollte von Forschung und Praxis als Maßstab und Aufgabe aufgegriffen werden. Erst ermöglicht durch die beiden schon genannten Besonderheiten dieser Untersuchung wurde ihr höchst innovativer Kern, der komplexe Begriff des Business Discourse. Er vereint in sich die Bestimmung einer Klasse von Kommunikationsprozessen in Unternehmen und ein Konzept für das Management dieser Kommunikationsprozesse. „Business Discourse“ wird nämlich zum einen definiert als jede mit Unternehmensbezug geplante und realisierte, in Zweck-Mittel-Relationen eingepasste Kommunikationssequenz zwischen Organisationsmitgliedern, andererseits als Managementkonzept, das die Potenziale der Prinzipien des Prozessmanagements nutzt zur Verbesserung der unternehmensinternen Kommunikation. Dieser originelle Ansatz, der den mit der ganzen Problemvielfalt interner Unternehmenskommunikation vertrauten Kommunikationswissenschaftler erkennen lässt, erlaubt es Guido Wolf, bei
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den Bedingungen und Voraussetzungen für interne Kommunikation anzusetzen und ein Modell für ein ganzheitliches Vorgehen im Management unternehmensinterner Kommunikation bereitzustellen, das ein Managen von Zentral- und Prozesskommunikation anhand gleichförmig anwendbarer Prinzipien gestattet – und verlangt. Wie weit das Business Discourse-Konzept nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch reicht und greift, zeigt sich nicht zuletzt an den hierin wurzelnden Überlegungen zu Communication Excellence und den konkreten und systematischen Anwendungen der Prinzipien des Prozessmanagements auf unternehmensinterne Kommunikationsprozesse unterschiedlichster Art. Die Operationalisierbarkeit seiner Konzepte nicht nur postuliert, sondern bis in Details hinein vorgeführt zu haben, hebt Guido Wolfs Untersuchung noch einmal deutlich ab von so manchem anderen kommunikationswissenschaftlichen Ansatz, aus dem sich meist lediglich abstrakte, formelhaft bleibende Handlungsanweisungen ableiten lassen. Andererseits – und dies sei die letzte, allerdings keineswegs geringste Besonderheit dieses Buches, die hier erwähnt werden soll – verbietet es Guido Wolf seine kommunikationstheoretische Einsicht, seine Leser glauben zu lassen/machen, man könne Kommunikationsprozesse tatsächlich und in vollem Umfang steuern, also auf irgendeine Weise sicherstellen, dass gegenseitiges Verstehen erreicht wird – und womöglich darüber hinaus auch noch die kommunikativ angestrebte Folgehandlung bewirkt wird. Erreichbar ist auch dem geschicktesten und umfassendsten Kommunikationsmanagement lediglich, die Bedingungen und Voraussetzungen für erfolgreiche Kommunikation zu gestalten und zu verbessern, also den Kommunikationserfolg wahrscheinlicher zu machen. Sach- und zweckgemäßes Kommunikationsmanagement gemäß dem Business Discourse-Konzept setzt eine grundlegende Einsicht in das Funktionieren kommunikativer Prozesse und damit auch in die Grenzen ihrer Gestaltbarkeit und Kontrollierbarkeit voraus. Es ist sehr zu hoffen, dass dieses innovative, reichhaltige und theoretisch wie praktisch höchst anregende Buch unter Kommunikationsmanagern und anderen Führungskräften in Unternehmen ebenso wie unter Kommunikationswissenschaftlern, Organisationssoziologen und -psychologen die ihm gebührende Resonanz findet. Zeichnet es sich doch nicht nur durch die hier herausgestellten Besonderheiten des theoretischen Zugriffs und des Problemlösungsansatzes aus, sondern ebenso durch seine klare Sprache, seine schnörkellose Argumentation und, wo immer sie erforderlich ist, die Anstrengung des Begriffs und der Differenzierung, die sich so wohltuend abheben von der zu Recht kritisierten „feuilletonistischen Rhetorik“ und dem Geklapper der Leerformeln vieler Werke der Fach- und Managementliteratur zur Internen Unternehmenskommunikation. Essen, im August 2009
H. Walter Schmitz
Vorbemerkung
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Vorbemerkung
Ein deutschsprachiges Buch, dessen Titel aus zwei englischsprachigen Wörtern besteht und offenbar etwas mit Kommunikation zu tun hat – ich stelle mir vor, dass so etwas skeptische Fragen aufwirft: Handelt es sich um einen weiteren Fall von marktschreierischer Beraterattitüde? Liegt das nächste kommunikative Heilsversprechen vor oder geht es einfach nur um Wortgeklingel? Wird gar etwas sehr Einfaches, nämlich Kommunikation, unnötig verkompliziert und theoretisiert? Entgegen allen Befürchtungen geht es um etwas ausgesprochen Praktisches: Es geht um ein ganzheitliches Konzept für das Management von Kommunikationsprozessen, die innerhalb eines Unternehmens stattfinden. Diese Kommunikationsprozesse sollen effizient und effektiv sein und ihrerseits für Effizienz und Effektivität sorgen. Beide Perspektiven werden in einem Konzept bedient, das ich „Business Discourse“ nenne. Es stellt einen Bauplan für die Ausrichtung, Gestaltung und Bewertung interner Kommunikation zur Verfügung, um diese – ein weiteres, anglifiziertes Konzept – zu „Communication Excellence“ zu führen. Beide Konzepte werden auf Basis einer intensiven Auseinandersetzung mit vielfältigen theoretischen Grundlagen aus unterschiedlichen Disziplinen, unter Bezug auf etablierte Managementstandards und vor dem Hintergrund langjähriger Berufserfahrung als Unternehmensberater entwickelt. Das Ergebnis, so wird zu zeigen sein, führt zu neuen Perspektiven auf organisationsinterne Kommunikation und deshalb halte ich die Einführung neuer Bezeichnungen für gerechtfertigt. Wie ich sie ableite und rechtfertige, findet sich insbesondere in den ersten drei Kapiteln dieses Buches. Wie sich das Praxiskonzept für die Gestaltung organisationsinterner Kommunikationsprozesse darstellt und welche Werkzeuge besonders geeignet sind, wird ab dem vierten Kapitel dargelegt.
Hinweis: Leser, die sich vorrangig für die anwendungspraktische Seite des Business Discourse interessieren, mögen ihre Lektüre mit dem Kapitel IV. beginnen. Theoretische Hintergründe und die Herleitung des Konzepts finden sich in den Kapiteln I. – III.
Angesichts ganzer Bibliotheken könnte manchem ein weiterer Ansatz zur Gestaltung der organisationsinternen Kommunikationsprozesse als wenig originelles Unterfangen erscheinen. Zahlreiche Autoren haben sich dazu geäußert, haben vielfältige Aspekte unternehmensinterner Kommunikation erarbeitet, konzeptionell aufbereitet und Praxiserfahrungen beigetragen. Wie soll da noch Neues zu finden sein?
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Vorbemerkung
Die womöglich anmaßend erscheinende Behauptung eines neuen Zugangs zu organisationsinterner Kommunikation gründet darauf, dass ich Konzepte für die Gestaltung von Kommunikation und ihr Management zusammenführe, die aus ganz unterschiedlicher Perspektive auf den Gegenstandsbereich blicken. Da haben wir die Kommunikationsabteilungen, die sich um die interne Massenkommunikation und andere Formen zentral ausgelöster Kommunikation bemühen; da wären die Personalbereiche, die für Kommunikations-, Präsentations-, Moderations- oder Verhandlungstrainings sorgen; und da gibt es einen von den Kommunikationsexperten häufig ausgeblendeten Bereich: den Bereich der prozessintegrierten Kommunikation. Diese Kommunikation ist der Unternehmens- beziehungsweise Organisationsalltag, sie stellt das größte Kommunikationsaufkommen in täglicher Praxis dar. Denn „Prozesskommunikation“, wie ich sie nennen werde, übt jeder permanent aus, vielfältig und mannigfaltig. Und doch werden genau diese Kommunikationspraxis und die mit ihr verbundenen Probleme wie mangelhafte Koordination, Missverständnisse oder schlechtes Timing von den Kommunikationsexperten kaum zur Kenntnis genommen. Zudem wirken die verschiedenen Professionen, die Kommunikation ermöglichen, initiieren, gestalten, praktizieren, steuern und bewerten, durchweg parallel und unkoordiniert: Sie nehmen einander kaum zur Kenntnis. Schon allein die aus verabsolutierter Teilsicht resultierenden blinden Flecken zu tilgen und die „Prozesskommunikation“ in die Diskussion über das Management der organisationsinternen Kommunikation einzuführen, dürfte eine neue Perspektive darstellen. Von hier aus wird ein Konzept für das Management der unternehmens- beziehungsweise organisationsinternen Kommunikation vorgelegt, das einen ebenso praxiserprobten wie ganzheitlichen Anspruch nicht nur behauptet, sondern sogar einlöst. Einen ganzheitlichen Anspruch etwa im Sinne einer „Integrierten Kommunikation“ haben bereits andere erhoben. Doch geht es in aller Regel um einzelne Erscheinungsformen interner Kommunikation: Trotz anderslautender Beteuerungen steht die marketingaffine interne Massenkommunikation im Mittelpunkt. Nur Beachtung am Rande finden jedoch die mannigfaltigen Kommunikationssituationen im persönlichen Kontakt. In aller Regel bleiben so unterschiedliche face-to-faceSituationen wie Mitarbeitergespräch, Meeting, Schichtbesprechung, prozessimmanente Kommunikation, Unterweisung oder Betriebsversammlung unberücksichtigt. Paraphrasierend lässt sich die oppositionelle Position dieses Buches gegenüber den meisten anderen Ansätzen und Perspektiven so formulieren: „Unternehmenskommunikation“ wird in der Regel aufgefasst als „Kommunikation des Unternehmens“, also als solche Kommunikation, die im Auftrag der oder durch die Unternehmensführung vollzogen wird. Diese Engführung überwindet, wer Unternehmenskommunikation auch begreift als Bezeichnung für Kommunikation, die in einem Unternehmen realisiert wird – ob durch die Unternehmensführung und ihre Kommunikationsstäbe oder durch jeden Mitarbeiter und jede Führungskraft, täglich und in mannigfaltiger Weise. Ich versuche also nichts weniger als einen Ansatz vorzustellen, der tatsächlich alle Kommunikationen innerhalb der Organisation zu orientieren und die fundamentale Konzeptionslücke zu schließen vermag. Das ist der Anspruch des vorliegenden Buches.
Vorbemerkung
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Seit 1990 bin ich als Unternehmensberater tätig. Ich habe zahlreiche Projekte in vielen Unternehmen und Konzernen betreuen dürfen, die sich mit Strategie, Organisation und Kommunikation befassten. Dabei habe ich sehr oft festgestellt, dass innerhalb der Unternehmen parallele Sichtweisen auf denselben Aufgabenbereich existieren, die wenig Kenntnis voneinander nehmen und sich zuweilen sogar in ihren Deutungsperspektiven bekämpfen. Auch die jeweils eingesetzten Managementansätze, Methoden und Werkzeuge, die angeboten und verwirklicht werden, verabsolutieren die eigene Perspektive, ohne den Blick über den berühmten Tellerrand zu heben. Dies aber ist ein zentrales Motiv für mich: ausgehend von den Fragestellungen der alltäglichen Kommunikationspraxis unterschiedliche Ansätze auf einer soliden konzeptionellen, theoretisch begründeten Basis zu verknüpfen. Ein solches Vorhaben ist nur zu verwirklichen, wenn man Freunde und Helfer hat, wobei Irrtümer, Fehler und Entgleisungen allein mir zuzuschreiben sind. Ich danke Professor Dr. H. Walter Schmitz für seine hilfreichen Hinweise, die insbesondere im theoretischen Teil für Qualitätssteigerung sorgten. Dass er dieses Buch mit seinem Geleitwort bereichert, ist eine große Ehre. Denn ich weiß noch sehr gut, dass er es war, der mich vor mehr als 25 Jahren in meinem Vorhaben bestärkte, die Erforschung zwischenmenschlicher Kommunikation zum Thema meines Lebens zu machen. Zusammen mit meinem leider viel zu früh verstorbenen Lehrer und Doktorvater Professor Dr. Johann G. Juchem hat er mich mit den grundlegenden Perspektiven, Theorien und Methoden der Kommunikationswissenschaft vertraut gemacht. Dr. Jürgen Götze (g), Professor Dr. Michael Hanke und Professor Dr. Helmut Richter förderten meine Entwicklung in entscheidender Weise. Mein Freund Professor Ulrich Wünsch hat mir durch Anregungen und Korrekturvorschläge, nicht zuletzt aber auch durch kritische Anmerkungen geholfen, der Argumentation mehr Prägnanz und Durchgängigkeit zu verleihen. Doch hätte ich nie gewagt, ein solches Buch zu schreiben, ohne dass ich die Prinzipien und Konzepte hätte praktisch verwirklichen können. Insofern gebührt mein Dank den Klienten, die ich als Unternehmensberater in all den Jahren betreuen durfte: Ihre Innovationsbereitschaft und ihr Vertrauen erlaubten die Erprobung der Konzeption, die sich als Kondensat in diesem Buch wiederfindet. Unter meinen Partnern auf Klientenseite gebührt besonderer Dank Matthias Wilke, mit dem ich eines der interessantesten und mutigsten Projekte in fast zwanzigjähriger Tätigkeit als Unternehmensberater verwirklichte. Schließlich danke ich dem Gabler Verlag und insbesondere Stefanie Winter für den Anstoß, dieses Buch zu schreiben, und für die konstruktive und geduldige Zusammenarbeit. Es ist fast bezeichnend, dass in diesen Zeilen meine Familie zuletzt erscheint: Meiner Frau und meinen Töchtern kann ich nicht genug danken für ihre geduldige Liebe, die sie mir bei aller körperlichen wie geistigen Abwesenheit entgegenbringen. Ihnen widme ich dieses Buch. Meckenheim, Ersdorf, im August 2009
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Inhaltsverzeichnis
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Inhaltsverzeichnis
Geleitwort...................................................................................................................................5 Vorbemerkung ............................................................................................................................9 Sieben Spots und ein Bauplan: Problemaufriss .......................................................................15 I. Terminologische Klärungen im Kontext des Kommunikationsmanagements..............27 1. „Business Discourse“: Weshalb ein neuer Terminus vonnöten ist.....................................28 2. „Business“ ..........................................................................................................................28 3. Was ist ein „Discourse“? ....................................................................................................29 4. Emergenz............................................................................................................................34 5. Organisation .......................................................................................................................39 6. Management, Prozessmanagement und Business Excellence ...........................................43 II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen ........................................55 1. Kommunikation ist Kommunizieren ist absichtsvolles Tun ist Handeln ...........................57 2. Die Mär vom „Informationstransport“...............................................................................61 3. Wann ist eine Information eine Information?.....................................................................64 4. Der Hörer als Schöpfer: Information entsteht durch Konstruktion....................................69 5. Kommunikation zielt auf Handlungssteuerung..................................................................73 6. Kommunikation ist zeichenbasiert .....................................................................................81 III. Kommunikationsmanagement .......................................................................................87 1. Entwicklungslinien und Reifegrade im Kommunikationsmanagement.............................88 2. Perspektiven erweitern: Einschätzungen zum Management interner Kommunikation .....98 3. Kommunikation im Unternehmen – trivial? ....................................................................103 4. Reduktionistische Perspektiven auf Kommunikation und Kommunikationsmanagement...................................................................................106 5. Prozesskommunikation ....................................................................................................109 6. Informelle Kommunikation..............................................................................................120
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IV. Mit Business Discourse zu Communication Excellence ............................................. 125 1. Das Modell „Business Discourse“................................................................................... 126 2. Communication Excellence in der internen Kommunikation ......................................... 130 3. Kategorien, Elemente und Kriterien des Business Discourse ......................................... 132 4. Kommunikationsaudit...................................................................................................... 153 5. Orientierung für die Auditpraxis...................................................................................... 156 V. Business Discourse: Erfahrungen und Perspektiven ................................................... 169 1. Architektur und Architekten des Business Discourse...................................................... 171 2. Praxis-Szenarien und eine Blaupause für das Projektmanagement................................. 175 3. Keine Praxis ohne Theorie: Ausblicke ............................................................................ 183 Abbildungsverzeichnis .......................................................................................................... 185 Literaturverzeichnis ............................................................................................................... 187 Stichwortverzeichnis.............................................................................................................. 199 Der Autor ............................................................................................................................... 207
Sieben Spots und ein Bauplan: Problemaufriss
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Sieben Spots und ein Bauplan: Problemaufriss
Finster wird’s, beschäftigt man sich mit Kommunikation in Unternehmen, in Unternehmensbereichen, in Behörden oder anderen Organisationen. Unübersichtlich das Angebot sinnstiftender Ansätze, widersprüchlich die Empfehlungen, fast schon abstoßend die feilgebotenen Binsenwahrheiten: „Kommunikation“ ist ein zur Generalmetapher abgesunkener Ausdruck. Sich heutzutage über Kommunikation innerhalb einer Organisation zu äußern (es ist überwiegend von „Organisation“ die Rede, um ein Unternehmen, einen Unternehmensbereich oder eine andere Institution – zum Beispiel eine Behörde, einen Verband – zu bezeichnen), ist beinahe Zumutung. Permanent, so scheint es, wird darüber geredet. Doch das helle Licht weiterführender Erkenntnis erweist sich rasch als kümmerliches Glimmen und scheint zuweilen ganz verloschen: Kaum dämmert’s, tappt schon wieder im Dunkeln, wer Orientierung sucht. Eine Polemik, organisiert als „Spots“ auf das Dilemma, soll die finstere Diagnose näher ausleuchten.
1. Spot: Funktioniert Kommunikation? Kommunikation ist ganz einfach, sagen die einen: „Ich sage, was ich will, der andere versteht mich, und dann wird es gemacht.“ So einfach sei Kommunikation und alles Weitere bedeute nur unnötige Verkomplizierung. Kommunikation ist ganz schwer, sagen die anderen. Es gelinge uns häufig nur unzureichend, das zum Ausdruck zu bringen, was wir wirklich meinen. Das Gesagte aber komme dann nochmals ganz anders an, es werde anders aufgefasst und noch lange nicht umgesetzt, erst recht nicht so, wie wir es beabsichtigten. Wer hat recht? Der Eindruck von Kommunikation als einem unproblematisch einsetzbaren Alltagswerkzeug reflektiert unsere täglich zu wiederholenden Erfahrungen: Wir äußern Wünsche, geben Anweisungen, handeln eine gemeinsame Sichtweise aus, treffen Entscheidungen, wir geben etwas bekannt, informieren andere, stellen Fragen, loben und tadeln, versprechen und lügen. Vermeintlich funktioniert unsere Kommunikation, zufrieden beenden wir die kommunikative Begegnung, indem wir die Besprechung schließen, den Telefonhörer auflegen, eine abschließende Mail oder einen Brief schreiben.
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Klappt doch prima. Haben also doch diejenigen recht, die einfach drauflos kommunizieren? Die nicht nachvollziehen können, weshalb man einfache Dinge mit komplizierten Theorien durcheinanderbringen muss? Haben sie nicht. Denn es ist genauso alltägliche Erfahrung, dass Kommunikation eben doch nicht ohne Weiteres funktioniert. Vermeintlicher Konsens erweist sich als Deckmantel unüberbrückter Differenzen, Verständigung hat entgegen unserer Annahme nicht stattgefunden und von tiefgreifendem Verstehen kann erst recht nicht die Rede sein. Wen wundert’s, dass sich keiner an die Abmachungen hält? Dass keiner die neue Kampagne zur Etablierung des Leitbilds trägt? Dass aus Vertrauen in die Aussagen der Unternehmensführung längst desillusionierter Zynismus geworden ist? Dass Vorgesetzte ebenso wie Kollegen anderer Bereiche signifikant schlechte Bewertungen in den allfälligen Mitarbeiterbefragungen oder 360-GradFeedbacks erhalten? Für solches Scheitern haben wir natürlich Erklärungen. Wenn wir mit einer kommunikativen Situation und ihren Resultaten unzufrieden sind, dann konnten wir uns eben nicht durchsetzen, dann waren die Umstände, die anderen oder was auch immer schuld – plausible und sicherlich häufig zutreffende Ursachen, mit denen sich auseinandersetzen muss, wer die interne Kommunikation verbessern will. Dabei ist zwar im Blick zu halten, dass jede Kommunikation stets defizitär bleiben muss, weil auch unter Idealbedingungen Kommunikation nicht mit Erfolgsgarantie stattfinden kann. Aber: Funktionierende Kommunikation und kommunikativer Erfolg können maßgeblich gefördert werden. Wie? Genau hierzu will dieses Buch fundierte und praxiserprobte Ansätze beisteuern.
2. Spot: Spielt Kommunikation eine Rolle? Was für unseren alltäglichen Umgang miteinander gilt, gilt ebenso für Kommunikation in Unternehmen und Organisationen. Auch hier wird dem allgegenwärtigen Phänomen Kommunikation zu jeder sich bietenden Gelegenheit eine herausragende Bedeutung zugestanden, wird funktionierende Kommunikation als notwendige Voraussetzung für den Erfolg des Unternehmens beschrieben. Wohl kaum ein Manager ließe sich finden, der diesem Statement seine Zustimmung verweigerte. Und recht haben sie. Kommunikation ist in jedweder Weise und zu jeder Zeit der Stoff, der Organisationen konstituiert und zusammenhält. Erst kommunikativ etabliert sich Organisation und sichert sich ihr Fortbestehen. Nur kommunikativ können Unternehmen und andere Organisationen ihre potenziellen Kunden erreichen, der gelungene kommunikative Auftritt gegenüber den Anteilseignern ist die Voraussetzung für Bestätigung und (Wieder-)Wahl der Vorstände und Geschäftsführungen. Kommunikation ist zentrales Werkzeug, mit dem Organisationen gesteuert und weiterentwickelt werden, denn gerade interne Planungs- und Steuerungsprozesse, also kommunikativ getragene und durchsetzte Abläufe, sind entscheidende und nicht ohne Weiteres vom Wettbewerb kopierbare Voraussetzungen für Effizienz und Effektivität. Vermutlich ließe sich nicht ein einziger organisationsinterner Prozess finden, der nicht kommunikativ getragen, mindestens aber kommunikativ durchsetzt ist. Die organisati-
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onsinterne Kommunikation, ob als Massenkommunikation oder Prozesskommunikation, ob face-to-face oder medial vermittelt, ist die alles entscheidende Voraussetzung und Ressource. Bestätigung für diese bereits alltagsweltlich fundierte Auffassung findet sich in allen Wissenschafts- und Forschungsrichtungen, die sich mit Organisation und Organisationen beschäftigen – in klassischen Disziplinen wie der Betriebswirtschaft, der Soziologie, der Psychologie, der Kommunikationswissenschaft ebenso wie in systemtheoretischen oder konstruktivistischen Ansätzen, die sich nicht unbedingt einer spezifischen Wissenschaftsdisziplin zuordnen lassen. Weitere Evidenz bieten Einzeluntersuchungen zur Bedeutung der innerbetrieblichen Kommunikation. Eine immer wieder zitierte Erkenntnis: Allein Führungskräfte verbringen bis zu 90 Prozent ihrer Zeit mit Kommunikation – ein Aufwand, der gerade in Krisenzeiten eher zu- als abnimmt. Und ob diese Prozentzahl nun für jeden exakt zutrifft oder nicht, in jedem Fall ist der größte Teil der Aufgaben einer Führungskraft wie auch der meisten Mitarbeiter ausschließlich kommunikativ zu lösen. Und so macht man sich auf und bemüht sich um die Kommunikation, sei es mit Hilfe von Agenturen, spezialisiert auf Marketing oder Events, Öffentlichkeits- oder Lobbyarbeit, sei es mit Hilfe von Beratern beim Auf- und Ausbau der internen Kommunikation oder sei es mit Hilfe von Trainern bei der Verbesserung des persönlichen Kommunikationsverhaltens. Bücher, Ratgeber, Leitfäden, Aufsätze, Vorträge und andere Publikationen ergänzen das Angebot und bieten zumindest vorgeblich Aufschluss über Kommunikation. Alles in Ordnung also?
3. Spot: Keiner blickt mehr durch Ein genauerer Blick lässt sowohl an der Ernsthaftigkeit wie an der Seriosität der Auseinandersetzung mit Kommunikation im Unternehmen zweifeln – insbesondere dann, wenn man sich die diversen Bemühungen um die Verbesserung der internen Kommunikationspraxis ansieht. Da wird in derselben Organisation an verschiedenen Stellen das Thema „Kommunikation“ behandelt, aber die Projekte laufen nebeneinander her. Prinzip Funkstille: Personalentwickler beauftragen Kommunikationstrainings, ohne sich mit dem parallel aufgesetzten Projekt zur Optimierung des internen Dialogs abzustimmen – kommuniziert wird nicht zwischen den Projektbeteiligten der beiden Lager, oftmals erfährt man nur zufällig vom anderen Vorhaben. Unterdessen aber wird im Unternehmensalltag munter weiter kommuniziert, in Besprechungen, Einzelgesprächen oder mannigfaltigen weiteren (Kommunikations-)Situationen und mit der allerorten anzutreffenden Einschätzung: Die Kommunikation klappt einfach nicht, sie ist ineffizient, mal zu viel und mal zu wenig – und nervt. Eine bedeutsame Ursache dürfte wohl darin liegen, dass, wie oben angerissen wurde, wir alltagspraktische Professionals sind, wenn es um Kommunikation geht. Und deshalb werfen wir kaum einmal selbstkritische Fragen nach der eigenen Kompetenz auf – das könnte ja unangenehme Erkenntnisse zeitigen. Also stürzt man sich, kaum ist ein neuer Ansatz zur Weiterentwicklung der Kommunikation ausgemacht, auch schon in das nächste Kommunikations-Abenteuer, ohne dass Umsetzung oder Auswertung des vorangegangenen Konzepts überhaupt in Sichtweite wären. Pseudoinnovativer Projekt-Eskapismus und Konzeptidylle
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schützen immer auch vor unangenehmen praktischen Folgen der Kommunikationsprojekte: Schließlich könnte man ja sogar selbst betroffen und zu karrierestrategisch unklugem Engagement gezwungen sein. Man hätte die bequemen Kommentatorenplätze und Tribünenränge zu verlassen und wäre plötzlich auf dem Spielfeld der kommunikativen Akteure – sichtbar, hörbar, aktiv und damit positioniert. So etwas aber hat Konsequenzen im ewigen Kampf um die eigene Reputation – manche sprechen von „Standing“ – gegenüber den anderen Organisationsinsassen. Denn wer sich wirklich auf ein systematisch und planvoll aufgesetztes Konzept zur internen Kommunikation (so selten das auch vorkommen mag) einlässt, wird mit einem Thema identifiziert, das immer noch als „weich“ gilt. Ob das hilfreich ist in Zeiten, in denen es vermeintlich auf mehr vom selben ankommt, also auf Härte, Durchsetzungskraft und inhaltlich fokussierte Positionen unter Emblemen wie „Kosten sparen“ oder „Personalabbau“ (was übrigens nicht selten auf dasselbe hinausläuft)? Dann lieber Souveränität vorgebende Kritikasterattitüde, die pseudoargumentativ mit alltagsweltlichen Simpeleien dem kommunikativen Handeln seine Komplexität abzusprechen sucht. O-Ton einer für das Qualitätsmanagement verantwortlichen Führungskraft in einem global aktiven Großkonzern, geäußert im Kontext der Planung von Kommunikationsmaßnahmen zur Implementierung eines wirksamen Prozessmanagements in der eigenen Organisation: „Was soll daran schwierig sein? Wir schicken denen einfach ein Paket mit PowerPoint-Charts zu und fertig!“ Interne Kommunikation, planvoll, systematisiert und konsequent – ein sinkender Stern? Beziehungsweise ein gar nicht erst aufgegangener Stern?
4. Spot: Kommunikation – nur etwas für gute Zeiten? Gerade in harten Zeiten haben vorgeblich „weiche Faktoren“ keine Konjunktur. Turbulenzen an den Finanzmärkten in nie gekanntem Ausmaß mit drastisch sinkenden Börsenkursen, (drohende) Übernahmen traditionsreicher Unternehmen durch fremde Investoren, Zwangsfusionen, neue und aggressive Wettbewerber im globalen Business und zunehmende Insolvenzrisiken geben den Makro-Rahmen für unternehmensinterne Krisenstimmung. Aber ebenso reflexhaft wie unbedacht wird das Instrumentarium bemüht, mit dem man schon früher den Gefahren des Marktes vermeintlich getrotzt hat: flächendeckende Einsparungen über alle Bereiche hinweg, Zurückstellen aller neuen und noch so aussichtsreichen Vorhaben zur Weiterentwicklung der Produkte oder Dienstleistungen, drastische Kürzung der Etats für Personalentwicklung – und eben auch für Kommunikation. Alle Branchen sind betroffen, von industrieller Fertigung bis zu den noch vor gar nicht so langer Zeit bejubelten Dienstleistern der neuen sowie allerneuesten Märkte. Und selbst bei jenen, die entgegen den allerorten rückläufigen Trends bislang noch stets mit stattlichen Wachstumszahlen auftrumpfen konnten, ist plötzlich Katerstimmung angesagt – den Beratern. Defensiv, verzagt, mit ernster Mine huschen die noch vor kurzem so großartigen Manager über die Gänge. Konformismus wird belohnt, vorbei die wohlwollende Behandlung von Offenheit und Querdenkertum. Gerade die zu Festtagen – berüchtigt: die Weihnachtsausgaben der Mitarbeiterzeitungen wie auch die Weihnachtsansprachen der Vorstände oder Ge-
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schäftsführungen – bemühte „Offenheit“ entpuppt sich allzu oft als das, was sie nur allzu oft war und ist: als eine leere Worthülse. Denn jetzt, in Zeiten der Krise, ist wieder die Zeit der harten Männer angebrochen, es wird rationalisiert, es wird auf Kernkompetenzen reduziert, es werden ganze Werke und Niederlassungen geschlossen – es wird gespart, koste es, was es wolle. „Hasta la vista, Baby!“, grinsen die Terminatoren, die mittlerweile auf „Outplacement“ umgeflaggt haben. Mit der Krise kommt die Angst: Was wird aus mir? In nicht wenigen Unternehmen sind in diesen Zeiten erstmals auch das mittlere und das höhere Management betroffen. Die gehörten in früheren Krisenphasen noch zu den Machern und wurden deshalb meist von empfindlichen Einschnitten verschont. Heute reichen die Arme der Rationalisierer bis hinauf in oberste Führungsetagen. Nur nicht auffallen heißt die Parole nun auch dort, „cover your ass“ lautet ihre raubeinigere Übersetzung in sich international gebenden Unternehmen. Kommuniziert wird nur noch im Flüsterton – bester Humus für Flurfunk, Gerüchte, Legenden. Als ich in einem international tätigen Dienstleistungsunternehmen ein Vorstandsmitglied vorsichtig auf diese Entwicklungen in seinem Unternehmen aufmerksam machen wollte, winkte dieses ab. „Sie haben ja recht“, war die lakonische Antwort. „Aber was glauben Sie, werden mir meine Kollegen erzählen, wenn ich mit solchen Sachen ankomme? Wir müssen bis Ende dieses Jahres nochmals acht Prozent Personal abbauen, wenn das gelungen ist, sehen wir weiter.“ Das Personal wurde abgebaut, der erhoffte Erfolg blieb – mittelfristig gesehen – dennoch aus. Unnötig zu erwähnen, dass es bis heute nicht zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem internen Kommunikationsmanagement kam. Übrigens: Besagtes Vorstandsmitglied löst heute andere Aufgaben – als Unternehmensberater mit Schwerpunkt Kommunikation. Sie wollen die Kommunikation innerhalb Ihrer Organisation weiterentwickeln, wollen die Organisation der Kommunikation optimieren? Es geht Ihnen um eine grundlegende Optimierung der prozessintegrierten Kommunikation, gerade auch im Zusammenspiel mit der zentral gesteuerten Kommunikation in Form der Mitarbeiterzeitung, des Intranets etc.? Ihnen liegt daran, den kommunikativen Umgang miteinander zu verbessern, weil Sie genau darin eine wesentliche Ursache für das Versanden der diversen, hoch ambitionierten RettungsankerProjekte sehen? Vergessen Sie’s: „Wir haben nun wirklich andere Probleme!“, ist die missbilligende Antwort. Kommunikation und Kommunikationsmanagement werden als Luxusgüter angesehen, so scheint es. Zwar bevorzugtes Thema, wenn es um nichts mehr als um die Bewältigung der Weihnachtsfeier geht, wird schnell abgewunken, wenn man ernsthaft versucht, unternehmensinterne Kommunikation und ihren bewussten Einsatz professionell auszugestalten: Luxus, wie gesagt. Und für Luxus ist zurzeit kein Geld da. Was zählt, ist schneller Ertrag. Ausgerechnet dieser Forderung ist in Sachen Kommunikation jedoch wenig entgegenzusetzen. Ein unmittelbar bezifferbarer, monetär ausweisbarer Nutzen optimierter Kommunikation ist nur schwer nachweisbar, nicht als Vorher-nachher-Vergleich und schon gar nicht kurzfristig. Doch kurzfristiger Nutzen ist das favorisierte, ja: verabsolutierte Paradigma, dem sich alles unterzuordnen hat, denn nur so lassen sich die ungeduldigen
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Sieben Spots und ein Bauplan: Problemaufriss
und zum Maß aller Dinge erhobenen Shareholder besänftigen. Auch eine Krise der Finanzmärkte von bislang unbekannten Dimensionen scheint daran wenig zu ändern (jedenfalls bisher). Auf der Strecke bleiben bereits erschlossene Potenziale in der Entwicklung der Organisation und der in ihr tätigen Menschen, bleiben Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Mut und Zuversicht.
5. Spot: Kommuniziert wird immer Doch wer sich nicht um Kommunikation kümmert, überlässt sie sich selbst. Ohne planvolles Tun, das nun einmal Ressourcen verbraucht, gehen Effizienz und Effektivität der gesteuerten Kommunikation verloren. Informelle Kommunikation, die in jeder Organisation schneller ist und folgenreicher wirkt, als es sich manche Kommunikationsabteilungen vorstellen können, setzt die Zeichen. Gerüchte und Stimmungen entstehen, denen mit Schweigen, unkoordinierten und ungeschickten Äußerungen oder mit unglaubwürdigen Beschwichtigungsmanövern begegnet wird – beste Voraussetzung für eine weitere Beschleunigung der Erosionserscheinungen. Auch ein noch so aufwendig gestaltetes, unter Einbindung der besten Agenturen entwickeltes Corporate Design ändert nichts daran, denn es poliert lediglich Oberflächen. Polierte Oberflächen wiederum befeuern die Fantasien und Ängste der Mitarbeiter: „Um Himmels willen, wenn die derart aufdrehen, dann muss es ja besonders schlimm stehen!“ Glaubwürdige Informationen, denen man vertrauen kann, vermuten jedenfalls die wenigsten hinter den hochglänzenden Verpackungen. Gerade mit Blick auf die aktuelle, tiefgreifende und an den Grundfesten der Wirtschaftssysteme rüttelnde Krise soll keinesfalls bestritten werden, dass die angesprochenen Risiken auf den Märkten existieren und dass sie fundamentale Bedrohungen für Unternehmen und andere Organisationen darstellen. Geld, das man ausgeben will – und sei es für Kommunikationsmanagement –, muss zuerst verdient werden. Zu beklagen ist aber, dass unproblematisiert offenbar die Auffassung herrscht, dass sich das für jede Organisation fundamentale Antriebsrad Kommunikation einfach anhalten ließe, bis die Zeiten wieder besser geworden sind. Was nämlich offenbar keiner merkt oder wahrhaben will: Kommuniziert wird trotzdem. Es ist ein bisschen wie ein Acker: Auch wenn dieser nicht gepflegt (ich könnte auch sagen: kultiviert) wird, wächst trotzdem irgendetwas – überwiegend handelt es sich jedoch um Unkraut. Alles also hoffnungslos?
6. Spot: Verschwunden im Dschungel der Konzepte: Kommunikation Immerhin: Nicht überall stößt man auf taube Ohren, wenn man einen kraftvollen Impuls für Kommunikation und Kommunikationsmanagement geben will. Es braucht jedoch eine ebenso fundierte wie entromantisierte Argumentation, soll die Kommunikation aus ihrer Kuschelecke geholt und zu dem gemacht werden, was sie nun einmal ist: ein Werkzeug hoher Kom-
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plexität und großer Potenziale, das zu nahezu jedem Prozess gehört, sei es ein Führungs- oder ein operativer Prozess. Wer also die praktizierte Kommunikation, wer deren Organisation und Gestaltung trotz aller Krisen und eigentlich sogar: wegen aller Krisen bewerten und verbessern möchte, braucht Orientierung. Davon aber gibt es reichlich – überreichlich. Bücherregale sind überfüllt mit Publikationen zu Kommunikation und Kommunikationsmanagement. Die Angebote der Beratungs- wie Seminarindustrie sind zu unübersichtlicher Vielfalt angeschwollen. Coaches, Agenturen, Medien- und andere Experten reichern das Spektrum zusätzlich an. Viele der vertretenen Ansätze verweisen selbstbewusst auf Referenzen und reklamieren jeder für sich, den Königsweg zum kommunikativen Erfolg zu bieten. Nur: Es sind so viele. Und: Sie widersprechen sich so oft. Verwirrt bleibt auf der Strecke, wer ernsthaft an fundierten Konzepten interessiert ist. Untersucht man die als Legitimationsbasis herangezogenen Theorien genauer – und ich habe sicherlich nur einen kleinen Teil sichten können –, dann entdeckt man hinter einem Feuerwerk von Bedeutsamkeit verheißenden, bevorzugt englischsprachigen Blendvokabeln – jaja, ich weiß, auch ich bin nicht ganz gefeit davor – nicht selten die Attitüde der Meisterlehre: „Das haben wir schon oft gemacht, das hat jedes Mal geklappt, darin sind wir Meister.“ Der Rest ist duster, besteht aus schlichten Alltagstheorien im mundgerecht servierten, pseudofundierten Gewand; besteht aus nicht hinterfragt übernommenen, weil derzeit angesagten Ansätzen oder falsch abgeschriebenen und ebenso falsch immer weiter tradierten Setzungen, die zu einem blendenden Cocktail verrührt und mehr oder weniger eloquent dargeboten werden. Wobei praktische Erfolge jener Anbieter gar nicht in Abrede gestellt werden sollen. Wie so häufig erweisen sich auch im Feld kommunikationsbezogener Beratung die Vitalenergien der beratenen Organisationen – also der handelnden Menschen – als derart robust, dass sogar eine kaum begründete Beraterempfehlung nutzbringend wirken kann. Motto: Egal wie und warum, Hauptsache, es wirkt, und zwar nicht wegen, sondern trotz der Beraterempfehlung. Was die Berater im Übrigen nicht davon abhält, jeden noch so bescheidenen – und häufig gar nicht selbst hervorgebrachten – Erfolg als Referenz für die nächste Akquisition zu nutzen. Die Klientel aber ist beeindruckt – und zahlt. Dass auf diese Weise Beliebigkeit, ja: Naivität Einzug halten, wird nicht bewusst. Zu diagnostizieren ist zunehmende Theoriefeindlichkeit, Reflektieren ist nicht gefragt. Schließlich dauert alles nur länger, wird komplizierter, und hinterher ist man auch nicht schlauer, so die unverblümten Statements, wenn es um Argumentation und Legitimation von Konzepten zu Kommunikation und Kommunikationsmanagement geht. Interessanterweise scheint diese rustikale Einstellung nur mit Blick auf die so genannten „weichen Faktoren“ zu gelten: Wer würde einen Motor, einen chemisch hergestellten Werkstoff oder einen medizinischen Eingriff akzeptieren, der ohne theoretische Grundlagen, ohne fachlich fundierte Methoden, ohne Laborversuche und anders gesicherte Vorgehensweisen zustande gebracht worden wäre? Dieses Theoriedefizit, das zu einem gerüttelten Maß Ursache der beklagten Verhältnisse ist und dem einiges entgegenzusetzen sein wird, vernebelt ein weiteres strukturelles Handicap. Gemeint ist die kaum hinterfragte Unterstellung, dass sich Rezepte von gestern – und genau das verbirgt sich hinter einem kruden Verweis auf eigene „Erfahrung“ – auf Probleme von
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heute und die Herausforderungen von morgen anwenden lassen. Erfahrung rührt nun einmal aus Vergangenheit, aus der sich jedoch gerade in turbulenten Zeiten nicht ohne Weiteres auf gegenwärtige oder gar zukünftige Herausforderungen extrapolieren lässt. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Erfahrungen heranzuziehen ist wichtig und unabdingbar. Aber: Keine Maßnahme zur Verbesserung von Kommunikation und Kommunikationsmanagement ist einfach schon deshalb geeignet, weil hierzu eine oder mehrere positive Erfahrungen aus der Vergangenheit vorliegen. Erfahrung kann nicht einfach singuläre und verabsolutierte Legitimationsbasis sein. Vielmehr muss kritisch gefragt werden: Sind die damaligen und die aktuellen Zielsetzungen, Ressourcen und Rahmenbedingungen überhaupt vergleichbar? Was sehen wir, wenn wir auf unsere Erfahrungen von gestern zurückgreifen, was blenden wir aus? Welche Fragen stellen wir nicht? Nur skizzenhaft angedeutete Prüfsteine, wenn wie so häufig „Erfahrung“ als Hauptstütze von Entscheidungen angeführt wird. Doch wer wendet sie an? Dieses prinzipielle Defizit bleibt selbst den Blendern und Scharlatanen, die mit ihrem Halbwissen nach wie vor die Klientel zu beeindrucken vermögen, nicht immer verborgen. Garniert oder auch maskiert wird es durch Bezüge auf vermeintlich gesicherte (kommunikations-) wissenschaftliche Erkenntnisse, die allerdings einer genauen Prüfung nur selten standhalten. Vordergründige und unhinterfragt übernommene Gemeinplätze auf der einen, kommunikationsromantische Setzungen auf der anderen Seite: Weder ist gesagt, dass während des eigenen Vortrags verschränkte Arme Ablehnung ausdrücken, noch ist Kommunikation aus sich heraus etwas Schönes und Heilsames. Trotzdem haben diese Leute Erfolg. Wie kann das sein? Weil die Gaukler immerhin ihr Handwerk der Eulenspiegeleien ausgezeichnet verstehen und gegenüber einer offenbar wenig vorbereiteten Klientel einzusetzen wissen. Diese, aufgeschreckt durch manch imponierenden Zaubertrick aus dem Seminarrepertoire oder verunsichert durch geschickt eingesetzte Fragestellungen anhand von Interviewleitfäden vorgeblich „wissenschaftlicher“ Herkunft, schweigt beeindruckt und denkt: „So etwas haben wir in unserer Ausbildung doch gar nicht gelernt, das ist alles sehr interessant, ich will meine Defizite abbauen, die mir der Trainer/Berater/Coach aufgezeigt hat.“ Darob verunsichert reicht es zumeist, einer schlecht ausgeleuchteten und verwackelten Videoaufnahme der eigenen Person während einer Stegreifrede zu einem absurden, nicht selbst gewählten und erst unmittelbar vor dem Auftritt bekannt gegebenen Thema ausgesetzt zu werden, um endgültig Gewissheit über eigene Defizite sowie die Kompetenz des Trainers zu erlangen. Kaum jemand, der sich jetzt noch zu fragen traut, worauf denn der Trainer/Berater/Coach seine Gewissheit stützt, dass jene Körperhaltung Unsicherheit, eine andere jedoch Überzeugungskraft bedeute. Zwischen allen Stühlen sitzt, wer nicht einfach auf Gedeih und Verderb rummachen oder abkupfern, sondern bewusst und fundiert seinen eigenen Weg finden will, wer sich emanzipieren will von solchen Zumutungen, wer sich nicht mehr mit noch so aufgepeppt dargebotenen Halbwahrheiten abspeisen lassen will.
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7. Spot: Nur noch Spott? Was zu zeigen, zumindest anzureißen war: Kommunikation hat ihre Unschuld verloren. Sie dient jedem zu allem, sie wird hervorgeholt und zurückgestellt, wie es beliebt, sie ist Projektionsfläche für zweifelhafte Absichten ebenso wie für übersteigerte Hoffnungen. Was sie nicht ist: Sie ist in kaum einem Unternehmen Gegenstand einer systematischen Auseinandersetzung im Sinne einer umfassenden Managementdisziplin. Der mehrdeutige Ausdruck „Management“ ist hier bewusst gewählt, denn er ermöglicht es, die getroffene Diagnose für eine sich als „Management“ bezeichnende Personengruppe ebenso wie für einen definierbaren Set von Tätigkeiten anzuwenden. Und so sind wir beim zentralen Motiv für dieses Buch angelangt: Es ist fundiertes Kommunikationsmanagement in den Unternehmen und Organisationen vonnöten. Kommunikation ist nicht als etwas zu betrachten, dessen Erfolg man in einem mechanistischen Sinn vorhersagen und erzwingen kann; gleichwohl darf Kommunikation nicht dem Zufall überlassen bleiben, sondern muss gefördert und entwickelt werden, damit sich eine stabile und ebenso dynamisch-anpassungsfähige Organisation entfalten kann. Unter Anerkennung der prinzipiellen Unkalkulierbarkeit zwischenmenschlicher Kommunikation sollen Wege zu einem Management von Kommunikation gezeigt werden, die auf einem kohärenten Fundus kommunikationstheoretisch legitimierter und praxiserprobter Ansätze basieren. Und dabei ein Konzept heranziehen, das sehr lohnend für die Weiterentwicklung der Organisation ist: Emergenz. Wer bereits hier ein Kapitulieren vor der soeben angedeuteten, kritischen Position gegenüber jenen „Meisterlehren“ vermutet, möge sich durch die weitere Lektüre (hoffentlich) eines Besseren belehren lassen. Die formulierte Gegenposition zu üblichen Konzepten betrifft insbesondere die Einbettung in kommunikationstheoretische Konstrukte. Hierauf basiert ein Praxisinstrumentarium, das nicht unmittelbar auf Kommunikation, sondern auf Kommunikations-Management zielt. Im Sinne einer Praxeologie werden Lösungen vorgeschlagen, die die unternehmensinterne Kommunikation in all ihren Erscheinungsformen indirekt über ihre Ausrichtung, Planung und Ausstattung optimieren können. Es ist wichtig immer wieder zu betonen, dass ich mich auf interne Kommunikation konzentriere. Damit stehen die unmittelbar auf externe Stakeholder zielenden Kommunikationsaktivitäten im Hintergrund. Hierum bemühen sich einschlägige Konzepte aus Werbung, Public Relations, Investor Relations etc., die primär anderen, an Konzepten der Massenkommunikation ausgerichteten Prinzipien folgen. Konzepte der Massenkommunikation aber vermögen gerade nicht die face-to-face-Kommunikation adäquat zu fassen, wie sie in interner Kommunikation mannigfaltig auftritt – wobei nicht zu bestreiten ist, dass interne Kommunikation sehr wohl nach außen wirksam ist, wie auch Kommunikation gegenüber organisationsexternen Adressaten Wirkung auf die Insassen der Organisation hat. Zudem sind Prinzipien der externen Kommunikation durchaus für internes Kommunikationsmanagement nutzbar zu machen – und umgekehrt. Insofern darf das Verhältnis zwischen interner und externer Kommunikation nicht aus dem Blick geraten – im Fokus der folgenden Überlegungen bleibt jedoch das Management interner Kommunikation.
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Sieben Spots und ein Bauplan: Problemaufriss
Die diagnostizierte Theorieferne – oder sollte ich sagen: Theoriefeindlichkeit? – vieler auf dem Markt anzutreffender Konzepte impliziert, dass eine neue Konzeption ihre Legitimation nicht nur auf Praxiserfahrungen, sondern auf ein solides theoretisches Fundament zu stellen hat. Anderenfalls setzt sich auch das „Neue“ unmittelbar denselben Vorwürfen aus, die vorstehend erhoben wurden. Von diesem Problemaufriss ausgehend entfaltet sich jenes ganzheitlich ausgelegte Konzept, das ich als „Business Discourse“ bezeichne, daher in den folgenden Kapiteln: Zunächst werden in Kapitel I verschiedene theoretische Referenzen installiert, die der Legitimation des Business Discourse als Praxiswerkzeug dienen. Die Klärung von in Wirtschaftsunternehmen bislang weitgehend unbeachteten Beschreibungskategorien wie „Diskurs“ oder „Emergenz“ stehen im Mittelpunkt. Ebenso erforderlich (und lohnend) ist die Auseinandersetzung mit den Konzepten „Organisation“ und „Management“. Diese lenkt den Blick auf Perspektiven, die wesentliche Aspekte des Business Discourse prägen. Gemeint sind insbesondere Prozessmanagement, Business Excellence sowie die Methode der Auditierung. Kapitel II entwickelt in einer zweiten theoretisch motivierten Argumentationslinie verschiedene Bausteine einer Kommunikationstheorie, die Begründungsinstanz für den „Business Discourse“ sind. Dieses Kapitel nutze ich, um einige Grundfesten üblicher Konzeptionen, die ganz einfach nicht haltbar sind oder sich bei genauerer Betrachtung als theoretisch – und praktisch – unzulänglich erweisen, zu attackieren. So wird aufgezeigt, inwiefern allgegenwärtige Bezugsgrößen wie das Sender-Empfänger-Modell oder die Axiomatik nach Watzlawick/Beavin/Jackson kaum für die Gestaltung, Realisierung und Bewertung kommunikativen Handelns innerhalb eines Unternehmens geeignet sind, wenn es um einen adäquaten und umfassenden Blick auf die Sache geht. Analoges gilt für Ansätze, die sich auf die zentral gesteuerte, interne Massenkommunikation konzentrieren. Das dürfte manchem als starker Tobak erscheinen – und deshalb bedarf es einer soliden Legitimation. Diese kann nur unter Bezugnahme auf (kommunikations-)theoretische Grundlagen hergestellt werden. Eine kritische Bestandsaufnahme zum Management interner Kommunikation in Kapitel III, ausgehend von einer Einschätzung verschiedener Entwicklungslinien, soll aufzeigen, welche Merkmale derzeit im Vordergrund von Theorie und Unternehmenspraxis stehen. Dabei bemühe ich nicht nur einige der für wesentlich gehaltenen Diskussionsstränge aus dem umfangreichen Feld der Theorien und Konzepte, sondern greife auch auf Praxisstudien zurück, die interne Kommunikation als entscheidende Produktivitätsbarriere ausweisen. Dies wird belegen, weshalb die Auseinandersetzung mit der hier eingeführten „Prozesskommunikation“ mit Blick auf Effizienz und Effektivität der internen Kommunikation essenziell ist. Abgerundet werden die Darlegungen zum Kommunikationsmanagement mit einer Diskussion der informellen Kommunikation. Unter Nutzung dieser Bausteine wird in Kapitel IV das Konzept „Business Discourse“ entfaltet. Dieses Konzept stellt sich dar als orientierendes Modell für alle geplanten, in Ziel-Zweck-Relationen eingepassten Kommunikationen, die entweder von zentraler Seite
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inszeniert oder im Rahmen alltäglicher Prozessvollzüge ausgeführt werden. Wer den Business Discourse konsequent anwendet, steuert auf eine idealisierte Vision des Kommunikationsmanagements zu, die hier als „Communication Excellence“ geführt wird. Nicht nur terminologisch wird damit der Anschluss des Konzepts Business Discourse an Modelle sichergestellt, die seit Jahren für die erfolgreiche Unternehmenssteuerung herangezogen werden. Hinweise auf praxisbewährtes Vorgehen, das sich anhand verschiedener Szenarien konkretisiert, zeigen in Kapitel V auf, wie der Business Discourse für unterschiedliche Ausgangssituationen anwendbar wird. Insbesondere die „Kommunikationsaudits“ werden sich als wichtiges Praxisinstrument erweisen. Trotz aller Strukturiertheit des Business Discourse wird berücksichtigt, dass erfolgreiche Kommunikation wesentlich auf Vitalität und prinzipieller Offenheit beruht. Deshalb werden praxiserprobte Vorgehensweisen aufgezeigt, die bewusst und absichtsvoll auf das Motiv der Informalität setzen. Weiterführende Perspektiven ergeben sich aufgrund der Ausblicke auf Communication Excellence, mit denen das Buch endet. Die folgende Abbildung 1 illustriert den „Bauplan“ dieses Buches:
I. Terminologische Klärungen
III. Kommunikationsmanagement
V. Business Discourse: Erfahrungen und Perspektiven
Entwicklungslinien und Reifegrade
Business Discourse
Architektur und Architekten
Perspektiverweiterung Enttrivialisierung und Re-Reduktion
Emergenz Organisation
Szenarien
Prozesskommunikation
Management, Prozessmanagement, Business Excellence
Problemaufriss
Business Discourse
Kommunikation ist zeichenbasiert und kontextgebunden
Auditpraxis
Kommunikation ist handlungssteuernd Hörerorientierung Informationstheorie Kommunikation als absichtsvolles Tun
II. Kommunikationstheoretischer Rahmen
Abbildung 1:
Ausblicke
Informelle Kommunikation
Kommunikationsaudit Kategorien und Elemente Communication Excellence Modell Business Discourse
IV. Business Discourse – Communication Excellence
Bauplan des Buches
Communication Excellence
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Sieben Spots und ein Bauplan: Problemaufriss
Auch wenn dieses Buch einer Gliederung folgt, die aus meiner Sicht nicht anders ausfallen kann, mag es Leser geben, die zunächst an den Praxiskapiteln interessiert sind und nur wenig Interesse an den theoretischen Erörterungen haben: nur zu! Eine am Praxiskonzept interessierte Lektüre muss nicht notwendig an der Kapitelfolge orientiert sein, weshalb der Einstieg ab Kapitel IV durchaus möglich ist. Zu empfehlen ist diesen Lesern jedoch, dass sie sich immer dann, wenn sie auf unerwartete oder gar irritierende Aspekte treffen, zumindest in Teilen mit den theoretischen Darlegungen befassen. Zur besseren Auffindbarkeit sind wichtige Definitionen oder Kernaussagen in den Theoriekapiteln hervorgehoben oder anderweitig illustriert.
„Business Discourse“: Weshalb ein neuer Terminus vonnöten ist
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I. Terminologische Klärungen im Kontext des Kommunikationsmanagements
Der bekannte St. Gallener Wirtschaftsprofessor und Unternehmensberater Fredmund Malik äußert in einem oft zitierten Diktum: „Die wirtschaftlichen Fehlentwicklungen und Exzesse der jüngeren Vergangenheit sind maßgeblich der Verwirrung von Sprache und des Denkens zuzuschreiben“ (Malik 2004, S. 7). Schon daraus folgt, dass in einem Buch wie dem vorliegenden zumindest die zentralen Termini geklärt werden sollten. Das gilt umso mehr, als im Themenfeld der Unternehmenskommunikation eine Unzahl von Publikationen und Konzepten feilgeboten wird, die zu einem Großteil identisches Vokabular verwenden, damit jedoch durchaus Unterschiedliches meinen. Gleichzeitig werden immer wieder neue Bezeichnungen kreiert, oftmals unter Verwendung von Anglizismen, die aufgrund mangelhafter Klärung und nicht stattfindender theoretischer Begründung das Durcheinander weiter vergrößern. Vor dem Hintergrund dieser kritischen Perspektive wird Mancher sofort fragen, weshalb gleich zwei englischsprachige Ausdrücke im Buchtitel Verwendung finden? Die Legitimierung setzt an einer ersten und sicherlich noch zu kurzen Antwort an: Mit der Bezeichnung „Business Discourse“ öffnet sich die Tür zu reichhaltigen und äußerst fruchtbaren Perspektiven, die gerade für ein praxiswirksames Kommunikationsmanagement eine ausgezeichnete Orientierung bieten. Diese Aussage wirft weitere Fragen auf: „Business“ dürfte manchem als unnötiger Anglizismus erscheinen; könnte man nicht einfach „Wirtschaft“ oder „Geschäft“ sagen? Und Selbiges gilt für „Discourse“: weshalb nicht „Diskurs“? Wieso überhaupt ein weiteres Etikett im an Etiketten nicht eben armen Themenfeld der unternehmens- beziehungsweise organisationsinternen Kommunikation? Und das nach einer Philippika, wie sie sich in der Einleitung findet?
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I. Terminologische Klärungen im Kontext des Kommunikationsmanagements
1.
„Business Discourse“: Weshalb ein neuer Terminus vonnöten ist
Fangen wir mit dem zweiten Einwand an: weshalb noch ein Etikett? Ganz einfach: Für das, was es zu entfalten gilt, ist eine Bezeichnung notwendig. Denn es wird in diesem Buch vor allem um Formen interner Kommunikation gehen, die in einer unternehmensbezogenen Zweck-Mittel-Relation stehen. Damit gehen die Erörterungen deutlich über jene Kommunikationsformen hinaus, die sich als „interne Massenkommunikation“ bezeichnen lassen, also um Intranet, Mitarbeiterzeitung, internes Marketing oder Ähnliches. In aller Regel stehen jedoch – trotz anderweitiger Beteuerungen – nahezu ausschließlich diese Erscheinungsformen interner Kommunikation im Mittelpunkt der Konzepte, die unter Emblemen wie „Corporate Communications“ oder „Integrierte Unternehmenskommunikation“ firmieren.1 Für einen ganzheitlich orientierten Ansatz aber stehen keine passenden und unbelasteten Termini zur Verfügung, die hinreichend distinktiv wären, das Gemeinte zu bezeichnen. Zöge man bestehende Termini für etwas Neues und ursprünglich nicht Gemeintes heran, müsste eine Reihe von Problemen gelöst werden, die von der Vermeidung möglicher Missverständnisse, welche aus bisherigem Sprachgebrauch entstehen, bis hin zur womöglich notwendigen Klärung von Urheberrechten reichten. Somit also trotz aller Bedenken ein neues Konzept unter einer neuen Bezeichnung: „Business Discourse“ Doch bedarf es weiterer Explikation der englischsprachigen Ausdrücke „Business“ und insbesondere des Terms „Discourse“, denn beide Ausdrücke stehen seit langem im Zentrum von Diskussionen, wenn auch sehr unterschiedlicher Art.
2.
„Business“
Der Gebrauch des englischen Ausdrucks „Business“ gehorcht der Not, dass die deutsche Sprache keinen vollständig passenden und griffigen Ausdruck bereithält. „Wirtschaft“ wäre viel zu weit gefasst und zu diffus, „Geschäft“ wiederum zu eng, weil in aller Regel auf eine zustande gebrachte Kunden-Lieferanten-Beziehung („wir sind im Geschäft mit dem Kunden X“) oder aber auf den Marktauftritt bezogen („unser Geschäft ist es, …“). Der Ausdruck „Geschäftsleben“ käme dem Gemeinten noch am nächsten, denn ich möchte anzeigen, dass es um jedwedes kommunikatives Handeln im Zusammenhang des Unternehmens geht, für 1
Vergleiche insbesondere die bei Piwinger/Zerfaß (2007) in verschiedenen Aufsätzen vorgestellten Konzepte. Auf das Konzept der „Integrierten Kommunikation“ wird im Kapitel III.1 näher eingegangen.
Was ist ein „Discourse“?
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das der Einzelne tätig ist; er ist aber zu sperrig (und offen gesagt: ein wenig hausbacken – ja, ich gebe es zu, ganz frei bin auch ich nicht von dem Bestreben nach klangvollem „Branding“). „Business“ vermag jedoch gerade in seiner Mehrdeutigkeit den Fokus der weiteren Ausführungen zu bündeln. Zudem hat sich unsere sprachlich gebundene Kommunikation im Wirtschaftsleben (sic!) von einer durchgängig deutschen Sprachverwendung längst zu einem eigenartigen Sprachengemisch entwickelt. Das mag man beklagen – was auch ich durchaus tue, wenn ich den Gebrauch englischsprachiger Ausdrücke erlebe, der primär auf Versuche der Imagearbeit in eigener Sache zurückzuführen ist. Beim Ausdruck „Business“ aber darf wohl mittlerweile von einem etablierten Lehnwort ausgegangen werden, fast schon vergleichbar anderen Lehnwörtern aus dem Englischen wie „Management“, „Reporting“, „Mail“, „Internet“ usw. Ob man es gutheißt oder nicht, Redeweisen im deutschsprachigen Wirtschaftsraum können sich seit langem nicht mehr dem Einfluss eines international nun einmal vom Englischen dominierten Sprachgebrauchs verschließen. Und so wage ich es und spreche von „Business“. Doch das ist noch nicht alles an englischsprachiger Orientierung: Auch der „Discourse“ dürfte hier und da für Stirnrunzeln sorgen.
3.
Was ist ein „Discourse“?
Die an sich bereits schillernde Vokabel „Discourse“ wurde gewählt, um alle Kommunikationsformen, die argumentativ-linear angelegt sind und aus einem oder mehreren, gleichwohl aber einer umgrenzten und thematisch fokussierten Anzahl kommunikativer Züge bestehen, fassen zu können. Dabei können die kommunikativen (Voll-)Züge sprachlich – gesprochen oder verschriftet – oder durch andere Zeichen getragen sein. Alltagsweltlich findet der Ausdruck „Discourse“ beziehungsweise „Diskurs“2 dann Anwendung, wenn Gesprächspartner über Kommunikation sowie die in ihr bewusst oder unbewusst zugrunde gelegten Werte, Strukturen oder Regeln kommunizieren. Mit dieser hier noch grob und vortheoretisch gehaltenen Verortung soll Anschluss gefunden werden an die nicht nur in Europa, sondern auch in den Vereinigten Staaten seit langem tradierte „Discourse Analysis“ beziehungsweise an die geistes- wie sozialwissenschaftlich ausgelegte „Diskursforschung“, deren vielfältige Fragestellungen in ausgezeichneter Weise für die vorliegenden Darlegungen passen. Ein etwas längeres Zitat soll dies belegen. Keller bilanziert in seiner Einführung in die Diskursforschung: 2
In den konzeptionellen Ausführungen werden „Discourse“ und „Diskurs“ parallel verwendet. Als Terminus technicus für den vorzustellenden Ansatz des „Business Discourse“ bleibt es stringent beim „Discourse“.
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I. Terminologische Klärungen im Kontext des Kommunikationsmanagements
„Der Bezug auf den Begriff ‚Diskurs‘ erfolgt dann, wenn sich die theoretischen Perspektiven und die Forschungsfragen auf die Konstitution und Konstruktion von Welt im konkreten Zeichengebrauch und auf zugrunde liegende Strukturmuster oder Regeln der Bedeutungs-(re-)produktion beziehen. Diskurse lassen sich als mehr oder weniger erfolgreiche Versuche verstehen, Bedeutungszuschreibungen und Sinn-Ordnungen zumindest auf Zeit zu stabilisieren und dadurch eine kollektiv verbindliche Wissensordnung in einem sozialen Ensemble zu institutionalisieren“ (Keller 20073, S. 7).
Mit dieser Begriffsbestimmung sind wesentliche Eckpunkte für die weitere Verwendung von „Diskurs“, „Diskursforschung“ und „Diskursanalyse“ markiert. Ich wende mich der organisationsinternen Kommunikation zu, indem ich diese als allgegenwärtiges Werkzeug im täglichen Handeln begreife. Kommunizierend, also per „Zeichengebrauch“ (dieses und weitere Merkmale des Kommunikationsprozesses werden noch zu diskutieren sein) wird innerhalb der Organisation (= „soziales Ensemble“) Wirklichkeit produziert (entsprechend der „Konstruktion von Welt“), etwa durch Entscheidungen, Anweisungen oder Wissensproduktion (analog den „Bedeutungszuschreibungen und Sinn-Ordnungen“ Kellers). Anders ausgedrückt: In den Unternehmen werden kommunizierend Sinnordnungen hervorgebracht, die zu konkreten Ergebnissen wie Produkten oder Dienstleistungen führen. Dem unterlegt sind die im Unternehmen wirksamen Regeln, Routinen, Rituale etc. So wird letztlich „Welt“ konstruiert – die Welt, die das spezifische, in seiner Existenz stabil zu haltende Unternehmen ausmacht. Der hiermit vollzogene Anschluss an die Diskursforschung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es aus der unten zu skizzierenden kommunikationstheoretischen Perspektive einen wichtigen Kritikpunkt gibt: die Fokussierung auf den Sprecher und die damit verbundene, zumindest implizite Ausblendung des Hörers. Keller stellt das „Sprechen/Schreiben“ in den Mittelpunkt, jedoch nicht den handelnden Mit- beziehungsweise Nachvollzug von Sinnproduktion durch den Hörer. Diesen Aspekt greife ich im Zusammenhang der kommunikationstheoretischen Erörterungen wieder auf, wenn es um die Perspektive des Hörers im Kommunikationsprozess geht (siehe Kapitel II.4). Die Auseinandersetzung mit dem Diskurs wird spätestens seit den 70er Jahren aus sehr unterschiedlichen Forschungsrichtungen betrieben. Historische, soziologische, linguistische, philosophische und andere Traditionen schaffen ein ausgesprochen heterogenes Bild, so dass es kaum den Anschein hat, als redeten sie über denselben Gegenstand. Zu dieser Vielfalt hat maßgeblich der französische Philosoph Michel Foucault beigetragen. Angeregt durch die vielfältigen und einflussreichen Arbeiten Foucaults interessieren sich Diskursforscher seitdem insbesondere für die Erzeugung und Aufrechterhaltung sozial wirksamer Strukturen und Wirklichkeitskonstruktionen als Resultate von Macht und Machtausübung. Foucault führt strukturalistisch-linguistische, philosophische und wissenschaftshistorische Ansätze zusammen (vergleiche Schmitz ohne Jahr), um von hier aus Perspektiven auf die Konstruktionsbedingtheit von gesellschaftlichen Institutionen und den in ihnen wirksamen Machtstrukturen ableiten zu können.
Was ist ein „Discourse“?
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Dass sich hieraus auch Aspekte für die Analyse von Kommunikationsprozessen in Wirtschaftsunternehmen gewinnen lassen, belegt unter anderem Foucaults Auseinandersetzung mit dem Wahrheitsanspruch des Diskurses, der nicht nur durch Kontrolle und Einschränkung von außen definiert ist, sondern auch durch „Interne Prozeduren, mit denen Diskurse ihre eigene Kontrolle selbst ausüben; Prozeduren, die als Klassifikations-, Anordnungs-, Verteilungsprinzipien wirken“ (Foucault 2007, S. 17). Just solche Prozeduren sind in Wirtschaftsunternehmen anzutreffen: Sie werden dort diskursiv erzeugt und kommunizierend wirksam. Aus dieser Sicht stellt sich der Diskurs also in einer Art „Tiefenstruktur menschlicher Denk-, Wahrnehmungs- und Redeweisen“ (Bührmann/Schneider 2008, S. 112) dar. Fast nebenbei und obwohl so nicht explizit bei Foucault geäußert, ist darauf hinzuweisen, dass ein Diskurs durchaus von mehreren Diskursen getragen sein kann, indem die im Zitat genannten Prozeduren ihrerseits Diskurse sind und diskursiv hervorgebracht wurden. Genau solche internen Prozeduren werden eingesetzt, um den „Business Discourse“ zu planen, zu gestalten, zu bewerten und weiter zu entwickeln (siehe Kapitel IV). Eine wichtige Abgrenzung ist unbedingt noch anzusprechen: Der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas bezeichnet mit „Diskurs“ eine ideale und herrschaftsfreie Sprechsituation, in der die Chancen für kommunikative Teilhabe gleich verteilt sind. Dieser Diskurs sei einzusetzen, wenn einer „naiv vorausgesetzten Geltung der Alltagswirklichkeit“ (Juchem 1988, S. 123) im Verlauf der Kommunikation widersprochen wird, wenn also Geltungs- beziehungsweise Wahrheitsansprüche in ihrer Legitimation offengelegt werden (müssen). Der Diskurs wird bei Habermas zu einem Konzept, das zur Herstellung eines „wahren Konsensus“ im Sinne einer von allen Beteiligten akzeptierten Übereinkunft diene. So gelangt der Diskurs für Habermas in gewisser Weise zur höchsten und damit erstrebenswerten Form kommunikativer Auseinandersetzung („Konsensustheorie der Wahrheit“, vergleiche erstmals Habermas 1971, S. 136) und damit zu einem normativen, wertenden Konzept.3 Wenigstens angedeutet sei eine kritische Gegenposition aus kommunikationstheoretischer Sicht. Diese hält Habermas ein Verkennen der unaufhebbaren, notwendig mit jeder Kommunikation verbundenen Asymmetrie zwischen Sprecher und Hörer entgegen.4 Gemeint ist der nicht hintergehbare Umstand, dass der Sprecher durch seine Äußerungen die inneren wie äußeren Handlungen des Hörers anleitet.5 Deshalb kann von herrschaftsfreier Kommunikation nicht ausgegangen werden, selbst wenn alle gesellschaftlichen Machtverhältnisse aufgehoben wären. Mit diesen Hinweisen breche ich jedoch die Auseinandersetzung mit Haber3
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Unverkennbar sind auch bei Habermas die Einflüsse der Arbeiten Foucaults. Scheufele bietet eine kurze Übersicht über Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns, in der er zu Recht die sprechakttheoretischen Wurzeln des Habermas’schen Ansatzes herausstellt. Außerdem verweist er auf einen konkreten Anwendungsversuch der Habermas’schen Theorie des kommunikativen Handelns bei Burkhard/Probst. Vergleiche Scheufele (2007, S. 97 ff.). Vergleiche hierzu beispielsweise die Ausführungen des früheren Direktors des Instituts für Kommunikationsforschung und Phonetik der Universität Bonn, Gerold Ungeheuer, zu „kommunikativer Subjektion“, also zur nicht aufhebbaren Unterwerfung eines Hörers unter die Impulse, die ein Sprecher für ihn setzt. Siehe Ungeheuer (1987b, S. 317 f.). Ähnlich Juchem (1985, S. 96 ff.) sowie Juchem (1988, S. 122 ff.). Eine nähere Auseinandersetzung mit den kommunikativen Rollen des Sprechers und des Hörers findet sich in den kommunikationstheoretischen Erörterungen im Kapitel IV.
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I. Terminologische Klärungen im Kontext des Kommunikationsmanagements
mas’ Ansatz an dieser Stelle ab, der insbesondere in den 80er und 90er Jahren nicht zuletzt im Kontext der Diskussionen um den Ansatz der „Kritischen Theorie“ eine große Resonanz erfahren hat.6 Jenseits der Habermas’schen Begriffsverwendung bezeichnet „Diskurs“ in den eher linguistisch geprägten Disziplinen gemeinhin eine argumentative, in der Regel kontroverse Auseinandersetzung innerhalb eines Themenbereichs, die meist mit Attributen näher bestimmt wird: Beispiele sind der „politische Diskurs“ oder der „wissenschaftliche Diskurs“. DiazBone et al. sehen in sozio-linguistischen wie auch konversationsanalytischen Richtungen den „discourse“ bestimmt als „interactional order which emerges in social situations“ (Diaz-Bone et al. 2008, S. 10). Spätestens seit den 50er Jahren ist in der US-amerikanischen Linguistik und insbesondere in der Gesprächsanalyse der Ausdruck „Discourse Analysis“ gebräuchlich, der für eine ganze Gattung vielfältiger Untersuchungen und Studien zu Phänomenen alltagsweltlicher Kommunikation steht. Die sprachhistorischen Studien zu den Indianersprachen von Zellig S. Harris markieren einen Meilenstein in der „Discourse Analysis“, die „satzübergreifende sprachliche Strukturen“ (Keller 20073, S. 14) im Sinne natürlicher Sprachen als „Discourse“ untersucht. Doch nicht nur Sprachen, sondern auch das Sprechen sind seit vielen Jahren Gegenstand unterschiedlich ausgerichteter Forschungslinien der Discourse Analysis. Ähnlich verhält es sich mit der deutschsprachigen Gesprächs- beziehungsweise Konversationsanalyse, die auch unter „Diskursanalyse“ firmiert. Ebenso werden sprachhistorische, geschichts- wie politikwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Diskursen bis hin zu korpuslinguistischen Studien darunter gefasst. In seinem Vergleich zwischen strukturalistischer Linguistik und Diskursforschung zeigt der Sprachwissenschaftler Becker-Mrotzek auf, dass Letztere „umfassende mündliche Äußerungssequenzen mehrerer Sprecher in den Blick [nimmt] und […] dabei auch situative Bedingungen, das Wissen und die Wahrnehmungen der Beteiligten und pragmatische Aspekte“ berücksichtige (Becker-Mrotzek 1992, S. 1). Diese Zusammenfassung dürfte auch heute noch zutreffen und markiert aus sprachwissenschaftlicher Sicht die hier eingenommene diskursanalytische, auf Kommunikation fokussierte Position, auch wenn ich meinen Diskursbegriff nicht nur auf mündliche, sondern auch auf schriftliche sowie mit anderen Zeichen operierende Kommunikationsformen bezogen wissen möchte. Eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit dem ohne Zweifel ergiebigen Potenzial des Diskursbegriffs muss hier unterbleiben, auch wenn vermutet werden kann, dass originelle und weiterführende Perspektiven gerade für eine kulturkritisch-ethnografisch ausgelegte Auseinandersetzung mit Unternehmen und vergleichbaren Organisationen aus dem Spektrum der Diskurstheorien zu gewinnen sind. Bis jetzt ging es um den Diskurs als solchen. Doch auch der Terminus „Business Discourse“ ist in linguistisch beziehungsweise gesprächsanalytisch ausgerichteter Forschung nicht ungebräuchlich. Trosborg/Jorgensen (2005) verwenden den Terminus in der Einleitung des von ihnen herausgegebenen Sammelbands „Business Discourse“ noch weitgehend unproblemati6
Grundlegend zur kritischen Theorie siehe insbesondere Horkheimer/Adorno (1998).
Was ist ein „Discourse“?
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siert. Ihnen und den weiteren Autoren geht es letztlich darum, die vielfältigen Facetten von Kommunikation im Geschäftsleben unter linguistischen Fragestellungen zu fassen. Eine konzeptionell entwickelte inhaltliche Kategorie „Business Discourse“ wird nicht vorgelegt. Immerhin stellt Gunnarssonn einige diskurstheoretische Überlegungen an, wenn sie davon ausgeht: „that discourse plays an essential role in the construction of an enterprise as an unique and attractive entity. Discourse constructs and maintains the organizational self. It is by means of discourse that the organization remembers its history, creates visions for the future, and upholds its goals, policies and ideas“ (Gunnarssonn 2005, S. 102).
Interessanterweise überschreibt sie ihren Aufsatz jedoch mit „Enterprise Discourse“, was als weiterer Beleg dafür gelten mag, dass der Terminus „Business Discourse“ im von Trosborg/Jorgenson herausgegebenen Sammelband nicht als eigene Kategorie bestimmt ist. Bargiela-Chiappini/Nickerson/Planken gehen terminologisch weiter. In ihrem im Jahr 2007 erschienenen Buch beginnen sie mit der Eingrenzung: „Business Discourse is all about how people communicate using talk or writing in commercial organizations in order to get their work done“ (Bargiela-Chiappini/Nickerson/Planken 2007, S. 3). Aus dieser Perspektive geben sie einen Überblick über Forschungsergebnisse „of spoken and written communication in general and language in particular in business settings, most often in corporate settings“ (ebd.). Der durch die Autoren umfassend erschlossene Forschungsstand zum Konzept des „Business Discourse“, der über mehr als zwei Jahrzehnte zurückreicht, soll hier nicht referiert werden. Festzuhalten ist, dass es im angelsächsischen Sprachraum längst eine breite, linguistisch, philologisch wie auch sprachdidaktisch ausgerichtete Tradition in der Auseinandersetzung mit kommunikativem Sprachgebrauch in Unternehmen gibt, sowohl für face-to-face- als auch für medienbasierte Kommunikation. Ein Anschluss an die eher geisteswissenschaftlich motivierten Diskurstheorien, wie sie hier zumindest umrissen wurden, unterbleibt jedoch bei Bargiela-Chiappini/Nickerson/Planken, die sich als Linguisten auf den Sprachgebrauch in Unternehmensdiskursen konzentrieren. Für die hier interessierenden Zwecke sei vorläufig festgehalten: Ein Diskurs ist Kommunikation über Kommunikation: über ihre Ausrichtung, ihre Regeln, Themen, Verläufe und die ihr zugrunde liegenden Werte. „Business Discourse“ ist jede mit Unternehmensbezug geplante und realisierte, in ZielZweck-Relationen eingepasste Kommunikationssequenz zwischen Organisationsmitgliedern. Im Verlauf dieser Kommunikationssequenz schaffen die Handelnden durch ihre Entscheidungen, Beschlüsse, Anweisungen, Absprachen sowie durch weitere kommunikative Resultate die Voraussetzungen für den Erhalt ihrer Organisation und die dort stattfindende Kommunikation.
Die oben begonnene Rechtfertigung der englischsprachigen Ausdrucksweise möchte ich mit diesem Hinweis abschließen: Weil einerseits „Business“ aus den genannten Gründen der Ausdruck der Wahl war, kam andererseits der deutschsprachige Ausdruck „Diskurs“ nicht in
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I. Terminologische Klärungen im Kontext des Kommunikationsmanagements
Frage. Denn „Business Diskurs“ hätte sicherlich für noch mehr Irritation gesorgt als der hier verwendete Ausdruck „Business Discourse“. Die nun folgende Auseinandersetzung mit dem Begriff der Emergenz setzt den Aufbau des übergeordneten Begriffsinventars fort, in dem das eigentliche, kommunikationstheoretisch begründete Praxiskonzept des „Business Discourse“ verortet ist.
4.
Emergenz
Der ursprünglich aus der Philosophie stammende Begriff der Emergenz wird bislang kaum herangezogen, wenn es um die Beschreibung von Entwicklungen innerhalb einer Organisation geht. Deshalb beginne ich mit einem Abriss emergenztheoretischer Ansätze.7 In vorläufigem Zugriff sei mit „Emergenz“ das Phänomen bezeichnet, wenn sich aus ursprünglichen Zuständen oder Elementen „etwas Neues“ entwickelt, das als Ganzes nicht vollständig rückführbar auf die Eigenschaften seiner Elemente ist, die diese isoliert aufweisen. Bütterlin zeigt in seiner Auseinandersetzung mit dem Emergenzbegriff in der Soziologie auf, dass es grundsätzlich möglich ist, das Postulat der Neuartigkeit eines emergenten Phänomens abzulehnen, ohne auf den Terminus Emergenz verzichten zu müssen: „Neuartigkeit durch Kollektiveigenschaften bedeutet nicht, dass man neuartige Eigenschaften nicht auf Verhalten und Ordnung der Kollektivbestandteile zurückführen kann“ (Bütterlin 2006, S. 65). Er schlägt vor, „von emergentistischer Neuartigkeit erst zu sprechen, wenn eine […] Neuartigkeit mit einer prinzipiellen Unvorhersagbarkeit einhergeht“ (ebd.). Dieser Hinweis ist für meine Darlegungszwecke deshalb relevant, weil Emergenz im Kontext von Kommunikationsmanagement eine wesentliche Orientierungsfunktion erhalten wird. Bekannt ist das geflügelte Wort: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“, das in eine ähnliche Richtung zu weisen scheint, aber nicht mit Emergenz zu verwechseln ist.8 Bütterlin schlägt als Bezeichnung von emergent entstandenen, diskreten Eigenschaften eines als System angesehenen materiellen oder immateriellen Gegenstands den Terminus „emer7
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Eine instruktive Abhandlung der historischen und konzeptionellen Entwicklungslinien von „Emergenz“ beziehungsweise der Richtung des „Emergentismus“ findet sich in Stephan (2005) sowie – knapper – in Stephan (2000). Eine geradezu enzyklopädische Auseinandersetzung mit Emergenz bei Bütterlin (2006). Emergenz findet mittlerweile auch in der Psychologie Berücksichtigung, siehe beispielsweise den Lexikoneintrag zum Stichwort in Fröhlich (200224, S. 147 f.). Vergleiche Stephan (2005, S. 147 ff.). Backhausen/Thommen analogisieren Emergenz jedoch mit genau diesem Satz vom Ganzen, das mehr sei als seine Teile. Sie scheinen dabei ein alltagsweltliches Verständnis von Emergenz zugrunde zu legen, da sie keine näheren emergenztheoretischen Bezüge herstellen. Vergleiche Backhausen/Thommen (2007, S. 18 f. sowie S. 75).
Emergenz
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gente Momente“ vor (ebd., S. 8 f.). Diese „neuen“ Eigenschaften sind also nicht vorhersagbar und können sogar einen „>abwärts gerichteten< kausalen Einfluss auf die Systemeigenschaften ausüben“ (Stephan 2005, S. XI). Für emergente Phänomene lassen sich in den Naturwissenschaften zahlreiche Beispiele finden, etwa wenn ein synthetisierter chemischer Stoff bei seinem ersten Auftreten Eigenschaften aufweist, die nicht vollständig auf die isolierten Eigenschaften seiner Elemente rückführbar sind. In der Biologie mögen Erscheinungsformen wie das Kollektiv eines Ameisenhaufens als Beispiel dienen, das Dinge tut, die sich die einzelne Ameise nie hätte träumen lassen: Das Kollektiv legt Wege an, bildet Brücken, zieht bei Gefahr mit dem ganzen Nest um oder reproduziert nach jeder Störung die gleiche Arbeitsteilung – ohne jede zentrale Steuerung (Beispiel in Anlehnung an Wägenbaur 1999/2000, ohne Seite). Ebenso finden sich Beispiele in sozialen Systemen, etwa im Schwarmverhalten großer Mengen von Lebewesen derselben Gattung, die als Schwarm andere Eigenschaften wie etwa äußerst rasche Reaktionen auf Umwelteinflüsse aufweisen, als es ein einzelner Repräsentant der Gattung vermochte (zum Beispiel Fischschwärme). Und schließlich hat sich der Terminus längst auch in den Sozialwissenschaften etabliert, etwa bei Niklas Luhmann. Für ihn ist Kommunikation das Ergebnis von Emergenz, wenn eine dreifache Selektion zusammengebracht wird: „die Selektivität der Information selbst“, ich ergänze: beim Sprecher, die „Selektion ihrer Mitteilung“, wieder ergänzt: durch den Sprecher;9 und die „Annahmeselektion“ (Luhmann 1987, S. 196).10 Das Prinzip der Emergenz ist seit seiner Blütezeit, die mit Stephan sicherlich in den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Großbritannien zu verorten ist (vergleiche Stephan 2005, S. 3ff.), in vielfacher Weise aufgegriffen und diskutiert worden. Eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Positionen aus philosophischer oder soziologischer Sicht kann hier nicht geleistet werden. Ohne dies allzu gründlich auszuführen, möchte ich unter Anwendung der bei Stephan zu findenden Terminologie den diesem Buch zugrunde gelegten Emergenzbegriff der Kategorie „schwacher Emergentismus“ (ebd., S. 66 ff.) zuordnen. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass es in sozialen Systemen, denen ich Unternehmen und vergleichbare Organisationen zurechne, Zustände beziehungsweise Merkmale gibt, die in vergleichbarer Weise nicht bei den isoliert betrachteten Organisationsmitgliedern existieren. Dennoch lassen sich die Erscheinungsformen der Organisation aus dem Verhalten der Individuen ableiten, aus denen die Organisation besteht (vergleiche Bütterlin 2006, S. 164 f.). Anders gewendet: Wenn ein Unternehmen durch das Verhalten seiner Mitarbeiter eine spezifische und beschreibbare Eigenart 9
Übrigens eine bemerkenswerte Parallele zu Ungeheuers Diktum, dass „es zu jedem gesetzten Inhalt, der kommuniziert werden soll, […] nicht nur eine einzige richtige, sondern immer mehrere mögliche Formulierungen gibt“. Siehe Ungeheuer (1987e, S. 79). 10 In späteren Publikationen führt Luhmann als dritte Selektion eine andere an, nämlich die Verstehensselektion (Luhmann 1998, S. 72 sowie S. 190 ff.). Ich lasse das hier jedoch undiskutiert, ebenso wie weitere Aspekte, die für eine gründlichere Auseinandersetzung mit Luhmann heranzuziehen wären.
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ausprägt, die nicht in identischer Weise bei einem seiner Mitarbeiter anzutreffen ist, dann ist diese spezifische Eigenart emergent – selbst wenn sie nicht gänzlich neu ist. Dabei ist der Bezug auf den „schwachen“ Emergenzbegriff keineswegs eine exotische Position: „Weak emergence is the notion of emergence that is most common in recent scientific discussions of emergence“ (Chalmers 2008, S. 244 f.). Diese noch sehr abstrakten Ausführungen seien anhand einiger praktischer Beispiele illustriert: Wenn in einem Unternehmen übereinstimmend festgestellt wird, dass eine ausgezeichnete „Unternehmenskultur“ herrscht, dann ist diese Unternehmenskultur aus dem Verhalten der Führungskräfte und Mitarbeiter emergiert. Der nach langen Diskussionen erzielte Beschluss zur Umsetzung einer neuen Strategie ist emergent, insbesondere, wenn er trotz unterschiedlicher Ausgangspositionen mehrheitlich akzeptiert wird. Ein Verbesserungsvorschlag, durch ein Team von Mitarbeitern eingereicht, ist aus verschiedenen Perspektiven emergent – beispielsweise dann, wenn er eine Reaktion auf die innerbetriebliche Kampagne zur Förderung des Mitarbeiterengagements darstellt. Nun ließe sich argumentieren, dass solche Phänomene auch unabhängig von einer aufwendigen Diskussion um den Emergenzbegriff beschreibbar sind, stellen sie doch in unzähligen Unternehmen tägliche Praxis dar. Dass Emergenz überhaupt eingeführt werden muss, liegt darin begründet, dass es zahlreiche Fälle gibt, in denen unter denselben Voraussetzungen eben nicht derselbe Erfolg erzielt wird – also trotz aller Bemühungen keine befriedigende Unternehmenskultur entsteht, die Strategie nicht beschlossen und schon gar nicht umgesetzt wird oder keine Verbesserungsvorschläge eingereicht werden. Genau diese Unvorhersagbarkeit von Phänomenen, die komplexe Systeme wie Unternehmen ausprägen, lässt sich mit Emergenz bezeichnen – streng genommen ist Emergenz also eigentlich ein Beschreibungsund kein Begründungsmodell. Das aber macht die Einführung emergentistischen Denkens nicht weniger produktiv, gerade auch für ein Managementkonzept zur internen Kommunikation. Es sei auf die Radikalität dieses Alternativkonzepts hingewiesen, das im Grunde auf ein gerade nicht-deterministisches Führungsmodell zielt: Emergenz wird zu einem Managementkonzept, das kruden Reiz-Reaktionsmustern eine (empirisch absicherbare) Absage erteilt.11 Denn eine Organisation besteht aus Menschen und das impliziert, dass immer auch Neues, Unerwartetes auftreten kann. Letztlich sind emergente Phänomene, unabhängig von dem Gebiet, in dem sie auftreten, weder vollständig vorhersagbar noch ohne Weiteres rückführbar auf ihre Ursprünge, selbst wenn sie durch Störungen ausgelöst werden: „Während man bei einer kausalen Erklärung bemüht sein wird, Störungen zu beseitigen oder zu vernachlässigen, erweist sich Emergenz gerade als Herausbildung einer 11
Ähnlich positioniert sich das Konzept von Backhausen/Thommen (2007), die von einem „Management 2. Ordnung“ (Buchtitel) sprechen und darunter Führung als Schaffen von sinnstiftenden Kontexten verstehen.
Emergenz
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Ordnung, die aus der Verarbeitung von Störungen hervorgegangen ist. Folglich ist sie keine Ordnung, die sich aus anderen Ordnungen speist und deshalb ist sie nicht ableitbar oder vorhersagbar. Und ganz sicher sind doch Störungen der Motor in Evolution, Kommunikation und Ästhetik“ (Wägenbaur 1999/2000, ohne Seite).
Die Verbindung von Emergenz mit dem Moment einer „Störung“ erlaubt eine bessere Nutzbarmachung für mein Modell zum Kommunikationsmanagement. Wie unten zu zeigen sein wird, ist es für kommunikative Prozesse weder zweckmäßig noch haltbar anzunehmen, dass ihr Gelingen auf trivialen Reiz-Reaktions-Schemata gründet (näheres im Exkurs zu trivialen Maschinen, Kapitel III.). Daraus folgt aber, dass wir uns von dem Gedanken befreien müssen, Kommunikationserfolg – und wieder ein Vorgriff: „Kommunikationserfolg“ zu verstehen als Erreichen von Zielen und Zwecken – im engen Sinn vorhersagen zu können. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Kommunikationserfolg emergiert – und damit ist gleichzeitig gesagt, dass prinzipiell auch Misserfolg oder etwas ganz anderes, vollkommen Unerwartetes emergieren kann. Unsere Lebenspraxis beweist im Übrigen, dass dies zutrifft – nicht nur in Unternehmen. Was also bleibt einer Unternehmensführung, die Kommunikationsprozesse innerhalb ihres Unternehmens nicht sich selbst überlassen will? Sie kann lediglich Impulse setzen, um zu „ver-stören“, also um die Organisationsmitglieder zu bestimmten Kommunikationsformen oder -stilen anzustoßen. Maturana/Varela verwenden im Originaltext ihres Buchs „Der Baum der Erkenntnis“ den Ausdruck „perturbación“, was den Übersetzer vor arge Probleme stellt. Denn die wörtliche Übersetzung mit „Störung“ oder „Störeinwirkung“ ist im Deutschen kausal oder negativ besetzt, so dass sich zumindest für soziale Phänomene eine Übersetzung mit „Verstörung“ anböte (siehe Anmerkung des Übersetzers in Maturana/Varela 19873, S. 27). Ich paraphrasiere „Verstörung“ mit „Anstoß“, „Irritation“ oder „Impuls“ und gewinne auf diesem Weg eine Kategorie, die als Prinzip für Managementhandeln gelten soll. Es wird sich zeigen, dass Emergenz auch im Zusammenhang organisationstheoretischer Ansätze Berücksichtigung findet. Verwiesen sei auf Schreyögg. Dieser spricht von Einflussgrößen, die in ihrer Gesamtheit nicht beabsichtigt sind, jedoch als „emergente Prozesse und Strukturen“ (Schreyögg 20064, S. 417ff.) limitierende Wirkung für den Erfolg der Organisation haben (dazu mehr im Kapitel I.5). Damit möchte ich wie folgt zusammenfassen: In Wirtschaftsorganisationen, aufgefasst als soziale Systeme, können gewünschte Wirkungen nur als emergente Resultate aus Handlungen hervorgehen, die durch bewusst gesetzte Anstöße unter förderlichen Kontextbedingungen ausgelöst werden.
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Es führte zu weit, diese zweifellos unorthodoxe, weil Emergenz zu einem Kalkül erklärende Sichtweise im Kontext der reichhaltigen emergenztheoretischen Positionen zu diskutieren. Eine gewisse Stütze finde ich bei Niklas Luhmann, der davon ausgeht, dass „zwei sich wechselseitig beobachtende selbstreferentielle Systeme“ – auch wenn Luhmann protestieren würde, möchte ich diese Systeme kurzerhand mit „Handelnde“ analogisieren12 – „das, was sie beobachten, […] durch eigenes Handeln zu beeinflussen versuchen, und am feedback können sie wiederum lernen. Auf diese Weise kann eine emergente Ordnung zustande kommen“ (Luhmann 1987, S. 157). Weniger abstrakt, aber ähnlich gelagert argumentiert Küsters, der im Zusammenhang der Diskussion der Prinzipien von „Corporate Governance“ diese als „emergente Unternehmensentwicklung als Ansatz einer wirksamen Unternehmensführung“ herausstellt (Küsters 2008, S. 28). Für Küsters bedeutet Emergenz in diesem Zusammenhang, „dass unternehmensspezifische Corporate-Governance-Regeln im Verlauf der Kommunikation so etabliert werden, dass daraus neue Ausprägungen der Organisation hervorgehen“ (ebd., S. 29). Es wird etwas etabliert – hier: bestimmte Regeln –, das zu etwas Neuem führt, nämlich zu neuen Ausprägungen der Organisation, die jedoch nicht ohne Weiteres vorhersehbar sind. Emergenz beschreibt also ein Wirkprinzip – wenn auch ohne Erfolgsgarantie. Deutlich wird, dass Küsters einen Gegenentwurf zu deterministischen Erklärungskonzepten in der Managementpraxis postuliert, ebenso wie ich es mit diesem Buch für das Management organisationsinterner Kommunikation unternehme. Weitere Klärungen sind geboten. Ein zentrales Postulat des hier vertretenen Ansatzes lautet, dass die organisationsinterne Kommunikation eines differenzierten und sorgfältigen Managements bedarf. Womit wir neben dem Reizwort „Kommunikation“ zwei weitere Ausdrücke vor uns haben, die trotz permanenten Gebrauchs keineswegs als unmissverständlich vorausgesetzt werden dürfen: „Organisation“ und „Management“. Nun wäre eine gründliche, intensive Auseinandersetzung mit den mannigfaltigen Definitionen und Auffassungen von „Management“ sowie „Organisation“ sicherlich ein interessantes Unterfangen. Es würde jedoch den Rahmen der hier auf interne Kommunikation fokussierten Darlegungen sprengen. Deshalb beschränke ich mich auf die Skizzierung von als wesentlich erachteten Ansätzen, die den Bezugsrahmen der weiteren Ausführungen bilden. Zumindest grobe Missverständnisse sollten damit ausgeschlossen sein.
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Hinter dieser Bemerkung verbirgt sich eine nicht nur von mir erhobene Kritik am Ansatz Luhmanns, der menschliche Individuen nicht als Bestandteil sozialer Systeme begreift. Näheres hierzu sowie zum Begriff des Handelns in den weiteren Ausführungen sowie Kapitel II.1.
Organisation
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Organisation
Ich konzentriere mich auf den Bereich menschlichen Lebens. Hier wird der Ausdruck „Organisation“ zumeist als Oberbegriff für soziale Einheiten verwendet, die institutionalisiert und in der Regel als Rechtsform ausgewiesen sind. Die soziale Einheit, um die es hier geht, ist das Wirtschaftsunternehmen. Da aber auch andere Organisationen im institutionalisierten Sinn eine organisationsinterne Kommunikation aufweisen – zu nennen sind etwa Behörden, Verbände, Vereine, Stiftungen, religiöse Gemeinschaften oder andere umgrenzte Korporationen –, verwende ich die Termini „Unternehmen“ und „Organisation“ in vortheoretischem Gebrauch synonym. Denn für die Explikation des hier zu entwickelnden Ansatzes zum Management der internen Kommunikation sind die Unterschiede zwischen Unternehmen und anderen Organisationen sekundär, zumal heutzutage auch andere Organisationen als Wirtschaftsunternehmungen in der Regel nicht frei von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen sind. Aus verschiedenen Forschungsrichtungen und Wissenschaftsdisziplinen gab es immer wieder Versuche, eine allgemeingültige Theorie der Organisation zu entwickeln. Der Kölner Betriebswirtschaftler Erich Frese weist jedoch darauf hin, dass es eine „geschlossene, allseits akzeptierte Organisationstheorie“ aufgrund der jeweiligen Wissenschaftsperspektiven des Forschers gar nicht geben könne (Frese 19922, S. 109). Gerade deshalb sind Differenzierungen erforderlich, um den Betrachtungsgegenstand zu konturieren. In der betriebswirtschaftlich motivierten Diskussion findet sich zumeist die grundlegende Unterscheidung zwischen einem funktionalen und einem institutionellen Organisationsbegriff13: Funktionaler Organisationsbegriff In dieser Perspektive wird „Organisation als eine Funktion der Unternehmensführung“ aufgefasst (Schreyögg 20064, S. 4), die zur Zweckerfüllung der Unternehmung wahrgenommen werden muss. In seiner Auseinandersetzung mit dem Begründer der Betriebswirtschaftslehre in Deutschland, dem Kölner Ökonomen Erich Gutenberg, arbeitet Schreyögg für diesen Kontext heraus, dass mit Organisation der Vollzug vorangegangener Planung gemeint ist. Damit wird Organisation zu einem Instrument, damit „das Geplante Wirklichkeit wird“ (ebd., S. 6). Institutioneller Organisationsbegriff Der institutionelle Organisationsbegriff richtet den Blick auf das gesamte soziale System. Dabei werden üblicherweise drei Merkmale angesetzt, die eine Organisation als solche ausmachen: die spezifische Zweckorientierung, die geregelte Arbeitsteilung sowie beständige Grenzen (vergleiche ebd., S. 9 ff.). Diese aus der Soziologie stammende Sicht auf 13
Vergleiche unter anderem Schreyögg (20064, S. 4 ff.), Laux/Liermann (20056, S. 1 ff.) und Scherm/Pietsch (2007, S. 3 ff.). Einen Überblick über aktuelle organisationstheoretische Ansätze bieten Kieser/Ebers (Hg.) (20066). Kritisch zu der instrumentellen Sicht auf Organisation äußern sich Kieser/Hegele/Klimmer (1998, insbesondere S. 136 ff.).
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Organisation ist grundsätzlich auch auf andere Organisationen als Wirtschaftsunternehmen anwendbar. Aufgrund seiner deutlich größeren Beschreibungspotenziale hat der institutionelle Organisationsbegriff den funktionalen mittlerweile in seiner Bedeutung abgelöst. Ähnlich setzen Kieser/Walgenbach den Organisationsbegriff an. Sie fassen unter Organisation „soziale Gebilde, die dauerhaft ein Ziel verfolgen und eine formale Struktur aufweisen, mit deren Hilfe die Aktivitäten der Mitglieder auf das verfolgte Ziel ausgerichtet werden sollen“ (Kieser/Walgenbach 20075, S. 6). Und auch die Organisationspsychologie kommt zu vergleichbaren Auffassungen, wenn etwa festgestellt wird: „Organisationen beziehungsweise Organisationsstrukturen dienen somit der Koordination arbeitsteiliger Aufgabenerfüllung. […] Es geht darum, knappe Ressourcen so einzusetzen, dass das angestrebte Ziel erreicht wird (Effektivität) und dabei möglichst wenig Ressourcen verzehrt werden (Effizienz). Im Wettbewerb um knappe Ressourcen setzt sich letztlich die Organisationsform durch, die eine möglichst reibungslose Abwicklung arbeitsteiliger Leistungsprozesse erlaubt“ (Reichwald/Möslein 1999, S. 29).
Allerdings ist zumindest implizit erkennbar, dass hierbei auf Organisationen aus dem Bereich der Wirtschaft fokussiert wird, da insbesondere Effizienz nicht notwendig ein konstituierendes Merkmal von Organisationen jenseits des Wirtschaftslebens sein muss. Der institutionelle Organisationsbegriff erfährt eine Weiterentwicklung durch die jüngeren Entwicklungen der Systemtheorie. Es sei auf das hier erneut nur angedeutete erkenntnistheoretische Modell des „Radikalen Konstruktivismus“ verwiesen, das sich vor allem auf den Biologen Humberto Maturana beruft. Auf dieses Modell greifen die modern gewordenen sogenannten „systemischen“ Konzepte zurück, die eine Organisation als System begreifen. Das auf biologischer Forschung beruhende Konzept der „Autopoiesis“ (die Reproduktion eines Systems aus sich selbst; vergleiche unter anderem Maturana/Varela 19873, S. 55 ff.) sowie das insbesondere durch den Bielefelder Soziologen Niklas Luhmann vertretene Konzept der „Selbstreferentialität“ sind zwei wesentliche Bausteine dieser Ansätze. Luhmann, der seit den 70er Jahren sicherlich zum bekanntesten und einflussreichsten deutschsprachigen Soziologen auch über seine eigene Wissenschaftsdisziplin hinaus wurde, versteht ein System als selbstreferentielles Gebilde, denn „alles, was im System als Einheit fungiert, [ist] als Eigenleistung des Systems auf[zu]fassen“ (Luhmann 19962, S. 49). Im Zusammenhang der näheren Auseinandersetzung mit „Kommunikation“ werde ich auf einzelne Theoreme des Konstruktivismus sowie auf Luhmann zurückkommen (siehe Kapitel II.). Aber auch zur näheren Ausleuchtung des Begriffskonzepts „Organisation“ finden sich konstruktivistische Perspektiven, die definitorisch weiterhelfen.14
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Auch Kieser markiert seine organisationstheoretische Position als „konstruktivistische Perspektive“ (Kieser 1998, S. 45) und setzt sie in Opposition zu instrumentellen Ansätzen. In Anspielung auf den bekannten Kleisttext spricht er „Über die allmähliche Verfertigung der Organisation beim Reden. Organisieren als Kommunizieren“ (Aufsatztitel) und setzt „Organisieren“ mit „Kommunizieren“ gleich.
Organisation
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Im Anschluss an Maturana kann unter „Organisation“ eine umgrenzte Menge von Elementen verstanden werden, die durch ein spezifisches Geflecht von Relationen zwischen diesen Elementen ausgezeichnet sind (vergleiche Maturana 1988a, S. 92 f.). Diese zugegeben sperrige Definition möchte ich für die hier relevanten Organisationen, also die Wirtschaftsunternehmen sowie vergleichbare Korporationen, wie folgt reformulieren: Eine Organisation sei eine umgrenzte Menge von durch Relationen verbundenen Personen oder Personengruppen, die bei unterschiedlicher Verteilung von Aufgaben, Verantwortung und Risiko unter Nutzung von Ressourcen ihr Handeln koordinieren und auf (wirtschaftliche) Ziele ausrichten. Luhmann würde hier entschieden Einspruch einlegen und darauf hinweisen, dass die Elemente einer Organisation – aufzufassen als System – nicht Personen, sondern Kommunikationen sind. Letztlich verbannt Luhmann Personen aus seiner bewusst abstrakt gehaltenen Konzeption, die seitdem immer wieder Gegenstand heftiger Debatten ist.15 Es liegt auf der Hand, dass die Relationen, zu denen auch Regeln, Routinen sowie Rituale ebenso wie Prozess- und andere Standards zu zählen sind, genuin kommunikativ generiert, getragen und modifiziert werden. Dies gilt in gleichem Maße für die Formulierung und Verbreitung von Zielen wie für die Handlungskoordination und das ist der Grund, weshalb hier immer wieder von „Prozesskommunikation“ die Rede sein wird, also von solchen Kommunikationshandlungen, die in (ablauf-)organisatorischen Prozessen auftreten. Auch Kieser/Hegele/Klimmer betonen, dass es nicht allein auf das Vorhandensein von Regeln, sondern auf deren Interpretation und Auslegung im praktischen Tun ankommt (Kieser/Hegele/Klimmer 1998, S. 136 ff.). In eine ähnliche Richtung zielt Schreyögg, der darauf hinweist, dass sich aus dem Geflecht der vielfältigen Handlungen von Organisationsmitgliedern Einflussgrößen ergeben, die in ihrer Gesamtheit nicht beabsichtigt sind, jedoch als informelle oder „emergente Prozesse und Strukturen“ (Schreyögg 20064, S. 417 ff.) den Erfolg der Organisation in hohem Maße beeinflussen.16 Kieser/Hegele/Klimmer bilanzieren: „Organisationsstrukturen bestehen also aus Kommunikation und sie werden ständig durch Kommunikation interpretiert, auch neu interpretiert, und damit stabilisiert bzw. verändert. Insofern sind Organisationsstrukturen sozial und nicht technisch konstruiert“ (Kieser/Hegele/Klimmer 1998, S. 143).
Notwendigerweise sind die Handlungen von Organisationen nicht nur auf innerorganisationale Mitglieder, sondern auch auf andere Organisationen beziehungsweise deren Mitglieder oder sogar auf anonyme, nicht mehr als „Organisation“ fassbare Personengruppen wie den „Markt“, die „Wirtschaft“ oder die „Gesellschaft“ bezogen. Luhmann sieht Markt oder Wirt15
Eine Auseinandersetzung mit den durchaus kontrovers zu sehenden Ansätzen Maturanas und Luhmanns sowie eine daraus abgeleitete kritische Position findet sich unter anderem in Wolf (2000, S. 27 ff.). Kritisch zu Luhmann Tropp (1995, passim) oder Bütterlin (2006, S. 82 sowie S. 131 ff.). Eine Verteidigung Luhmanns gerade im Hinblick auf den Kommunikationsbegriff unter anderem bei Fuchs (2003). Die aus meiner Sicht beste, weil differenzierte Auseinandersetzung mit Luhmann bei Martens/Ortmann (2006). 16 Im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit informeller Kommunikation wird hierauf zurückzukommen sein. Die Beschreibungskategorie „Emergenz“ wurde im Kapitel I.4 genauer betrachtet.
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I. Terminologische Klärungen im Kontext des Kommunikationsmanagements
schaft ebenfalls als Systeme und führt sie als „Medium“, innerhalb derer sich Organisationen als „Form“ herausbilden (vergleiche Luhmann 19962, S. 302 ff.). Er bezeichnet mit Medium eine „relativ lose Kopplung von Elementen“, die „Form dagegen stellt eine rigide und dadurch stärkere Kopplung her“ (ebd., S. 303). Weil der Terminus „Medium“ jedoch in anderer, auf Kommunikation fokussierter Weise für meine Diskussion eine wichtige Rolle spielt, möchte ich jene supra-organisationalen Systeme als „Kontext“ bezeichnen.17 Von Luhmann ausgehend sei deshalb festgehalten, dass Organisation Komplexität reduziert, indem sie im Kontext anderer Systeme eine rigide Kopplung darstellt. Hinzuzufügen ist, dass Organisation durch diese Kopplung ihrer Elemente gleichzeitig das Risiko von Kontingenz, also von Offenheit, Mehrdeutigkeit und Unbestimmtheit reduziert.18 Erst im handelnd erzeugten Kontakt mit anderen Organisationen beziehungsweise darüber hinausgehenden Systemen wie dem Markt oder der Gesellschaft kann eine wirtschaftlich orientierte Organisation wie das Unternehmen die für den Fortbestand erforderlichen Ressourcen erzeugen. Mit anderen Worten: Organisationen agieren mit Bezug auf andere Organisationen beziehungsweise Personengruppen, stehen aber darüber hinaus in Wechselbeziehung zu übergeordneten Rahmenbedingungen. Diese können ökonomischer, sozialer, politischer, kultureller, ökologischer oder anderer Art sein, prägen die Organisation und werden gleichzeitig durch diese geprägt. Festzuhalten ist: Organisationen entwickeln sich in Kontexten, die aus anderen Organisationen sowie aus ökonomischen, sozialen, kulturellen und weiteren Rahmenbedingungen bestehen. Bezogen auf die Mitglieder einer Organisation bildet die Organisation ihrerseits einen Kontext.
Auch wenn die nähere Auseinandersetzung mit „Kommunikation“ noch aussteht, lege ich fortan dieses Begriffsverständnis von „Organisation“ zugrunde: Eine Organisation ist eine kommunikativ hervorgebrachte und stabil gehaltene, hierarchisch strukturierte und umgrenzte soziale Einheit, in der hierarchiegestützte Vorgaben das Handeln ihrer Mitglieder koordiniert auf die innerhalb oder außerhalb der Organisation zu erreichenden Ziele ausrichten. Ohne interne Kommunikation können in einer Organisation weder Ziele gesetzt noch diese erreicht werden.
Unter Berufung auf die diskutierten organisationstheoretischen Ansätze erhebt diese Definition Kommunikation zum konstituierenden Moment (wirtschaftlicher) Organisationen: Kommunikation ist Voraussetzung für die Erzeugung und Aufrechterhaltung von Organisation. Doch (Unternehmens-)Organisationen bedürfen der Steuerung, um ihre Ziele und Zwecke verwirklichen zu können.
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Diese Paraphrase scheint auch deshalb gerechtfertigt, weil Luhmann im Zusammenhang der Bestimmung sozialer Systeme von der Differenz zwischen „System“ und „Umwelt“ spricht. Mit Umwelt ist alles das bezeichnet, das ein System umgibt (vergleiche unter anderem Luhmann 1987, S. 22 ff. et passim). Deshalb bezeichne ich die „Umwelt“ der Systeme vom Typ „Organisation“ als „Kontext“. 18 Zum Kontingenzbegriff siehe Luhmann (1987, S. 152).
Management, Prozessmanagement und Business Excellence
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Management, Prozessmanagement und Business Excellence
Die Auseinandersetzung mit dem Ausdruck „Management“ zeigt Parallelen zu den Definitionsansätzen bezüglich „Organisation“, wie sie soeben skizziert wurden. Auch bei der Verwendung des Ausdrucks „Management“ sind mindestens zwei grundlegende Bedeutungen zu unterscheiden. So bezeichnen wir einerseits eine bestimmte Gruppe von Menschen als „Management“, wenn diese einer Organisation – zumeist einem Unternehmen – angehören und mit Anweisungsbefugnissen und Leistungsaufgaben betraut sind („das Top-Management unserer Firma …“). Üblicherweise wird dieses Managementverständnis als „institutionelle Perspektive“ kategorisiert (vergleiche unter anderem Steinmann/Schreyögg 20056, S. 6 ff.). Andererseits meinen wir mit „Management“ bestimmte Handlungen („wir kommen nur mit straffem Management weiter“). Mindestens implizit entspricht dieser alltäglich anzutreffende Sprachgebrauch der „funktionalen Perspektive“, die unter Management spezifische, zur Steuerung der Organisation zu erfüllende Aufgaben fasst (ebd.). Streng genommen modifiziert diese Klassifizierung von Management als „Handlung“ die funktionale Perspektive, denn ich verschiebe die eher auf spezifische Aufgaben bezogene Orientierung, wie sie nicht nur bei Steinmann/Schreyögg vertreten wird, zu einer prozessorientierten Sichtweise. Leitendes Motiv ist der Umstand, dass die Prozessualität ausdrückende Kategorie „Handeln“ beziehungsweise „Handlung“ eine zentrale Bedeutung im Kontext der weiteren Darlegungen einnehmen wird. Für eine rasche Vorklärung greife ich abermals vor: Handeln ist zu verstehen als absichtsvolles Tun, Unterlassen oder Dulden (womit ich an die klassische Definition von Handeln anschließe, die auf Max Weber zurückgeht). Vor diesem Hintergrund und mit großer Nähe zu der Definition, die Steinmann/Schreyögg vorlegen (vergleiche ebd., S. 7 f.), ergibt sich als Definition für das vorliegende Buch: „Management“ ist ein absichtsvolles Tun, Unterlassen oder Dulden, das als zielgerichtet, planvoll und koordiniert zu charakterisieren ist und der Steuerung der Organisation in Richtung Effizienz und Effektivität gilt.
Eine interessante Facette des Ausdrucks zeigt sich, wenn man den Wortursprung von „Management“ näher betrachtet. Das englischsprachige Wort, das sich längst auch im deutschen Sprachgebrauch etabliert hat, ist auf das lateinische Substantiv „manus“ = „Hand“ zurückzuführen (Kluge 2002, S. 594). Etymologisch lässt sich jedoch auch eine Verbindung zu dem lateinischen Verb „agere“ = „handeln, tun“ herstellen, so dass „Management“ im ursprünglichen Sinn aufgefasst werden kann als das „mit der Hand Hergestellte“ oder, verkürzt, als „Handwerk“. Ein guter Manager wäre in diesem Sinn nichts anderes als ein guter Handwerker – ein an Bescheidenheit gemahnendes Bild mit Korrektivfunktion, das allzu hochtrabenden (Selbst-)Konzepten von Management eine Absage erteilt und ein wenig zur Bodenhaftung
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I. Terminologische Klärungen im Kontext des Kommunikationsmanagements
verhelfen kann. Denn solides Handwerk impliziert planvolles und gewissenhaftes Tun, und ob dieses Attribut durchgängig von den Managern heutiger Zeit in Anspruch genommen werden kann, sei dahingestellt.
Exkurs: Bemerkungen zur gängigen Managementliteratur Die soeben angedeutete Ironie speist sich auch daraus, dass das Thema „Management“ seit langem Gegenstand einer Unzahl von Veröffentlichungen ist. In aller Regel geht es den Autoren darum, anhand von positiven Beispielen ein Erfolgskonzept im Sinne eines neuen strategischen oder operativen Ansatzes vorzustellen, das vergleichbar einer Meisterlehre Orientierung bieten soll. Nicht nur der Mannheimer Betriebswirtschaftler Alfred Kieser spricht ob des inflationären Aufkommens solcher „Erfolgskonzepte“ durchaus nachvollziehbar von „Managementmoden“ (vergleiche Kieser 1997), hinter denen nicht selten Unternehmensberater und ihre Versuche der Etablierung neuer Akquisitionsansätze durch Buchveröffentlichungen stehen (aber ja: Auch ich bin ein solcher). Vornehmlich aus dem amerikanischen Raum erhielt und erhält die Publikationsszene immer wieder neue Impulse. Zu nennen ist insbesondere das schon in den frühen 80er Jahren erschienene und bis heute diskutierte Buch „Auf der Suche nach Spitzenleistungen“ von Peters/Waterman, beide seinerzeit Mitarbeiter der Unternehmensberatung McKinsey. Interessanterweise zeigten die Autoren bereits damals auf, dass es gerade die Kreativität und das Engagement der Mitarbeiter sind, die zu exzellenten Ergebnissen führen. Obwohl nicht alle der damals als „Spitzenklasse“ gehandelten Unternehmen heutzutage noch zu dieser Kategorie gezählt werden können – als Beispiel sei auf das mittlerweile zum Hewlett-Packard-Konzern gehörende Unternehmen Digital Equipment verwiesen –, kann wohl getrost festgehalten werden, dass dieses Buch die sogenannte „Managementliteratur“ geprägt, wenn nicht sogar begründet hat, wie sie sich bis heute darstellt. Der Erfolg dieses Bestsellers dürfte maßgeblich zu der immer noch weiter ansteigenden, längst unüberschaubaren Flut von Veröffentlichungen beigetragen haben, die uns in Sachen Unternehmensführung überschwemmt. Als eine Begründung für diese Auswirkungen vermute ich den spezifischen Schreibstil, den Peters/Waterman anwenden und der seitdem durchgängig verwendet wird. Spätestens mit ihrem Buch ist ein schwungvoller, beinah als „süffig“ zu bezeichnender, weil ausgeprägt narrativer Stil in der Managementliteratur zu beobachten. Getragen von einer eher feuilletonistischen Rhetorik und nicht allzu interessiert an der Erfüllung von Gültigkeitsanforderungen wissenschaftlicher Provenienz erlaubt dieser Stil dem Leser einen schnellen Zugriff auf die Kernaussagen und erhöht gegenüber einem schwergängigen, weil theorieverpflichteten Werk die Lesbarkeit. Kurze Sätze oder sogar nur unvollständige Sätze in Form von Phrasen oder Ausrufen, zugespitzte Schlussfolgerungen und die bevorzugte Orientierung an gesprochener Sprache sind weitere Merkmale. Thesen werden überwiegend im Duktus saftiger Pointen anstelle spröder, sperriger Theorien präsentiert und sollen durch Anekdoten oder passende Zitate von Unter-
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nehmenslenkern oder anderen „Zeugen“ plausibilisiert werden, nicht jedoch durch theoretisch fundierte Aussagensysteme. Das notorische Theoriedefizit ließe sich vielleicht noch durch eine breite empirische Basis kompensieren. Doch auch dies unterbleibt meistens, selten gehen die Begründungen über Einzelbeispiele oder singuläre Fallstudien hinaus. Das müssten sie vielleicht nicht unbedingt, aber angesichts der erhobenen Allgemeingültigkeitsansprüche bei gleichzeitig kaum ausgearbeiteter theoretischer und begrifflicher Referenzsysteme sollte zumindest fallweise eine angemessene und überprüfbare Empirie geboten werden.19 Doch diese Praxis wird in aller Regel bei Autoren wie Lesern nicht reflektiert – womöglich bleibt sie sogar unbemerkt. Weshalb aber dieser Umstand die Verallgemeinerung der je vorgelegten „Erfolgskonzepte“ aufgrund dürrer Begründungsinstanzen theoretischer oder empirischer Art nicht beeinträchtigt, wundert deshalb nicht, weil die Argumentation überwiegend auf nachvollziehbare und unmittelbar einleuchtende – manche sagen: auf triviale – Erkenntnisse hinausläuft. Im Gegenteil, diese Art zu schreiben verschafft dem jeweils präsentierten Konzept sogar erleichterten Zugang zum erstrebenswerten Attribut der „Praxistauglichkeit“. Motto: Wer Praktiker als Kronzeugen zu Wort kommen lässt, der muss auch Praktiker sein und wenn er dann noch Erfolge vorzuweisen hat, dann ist er bestimmt ein Meister seines Fachs. Ohne diesen Aspekt weiter zu verfolgen sei damit immerhin aufgezeigt, weshalb ich von „Meisterlehren“ spreche und diese Art von Publikationen unter „Ratgeberliteratur“ verbuche, die eine nicht unerhebliche Rolle in den Akquisitionsstrategien von Unternehmensberatern spielen.20 Und füge sogleich so reumütig wie vorauseilend hinzu, dass auch das vorliegende Buch nicht frei von den genannten Stilmerkmalen ist. Exemplarisch nenne ich nur einige wenige weitere Beispiele ähnlicher Art und mit vergleichbaren Auswirkungen auf die Diskussionen, wobei ich hier nur Publikationen berücksichtige, die vornehmlich allgemeiner, umfassender und auf Unternehmensführung ausgerichtet sind, und dabei nicht allzu weit zurückgehe. Zu nennen sind etwa Womack et al. (19948), deren Anfang der 90er Jahre erschienene Studie sehr einflussreich insbesondere für die strategische wie operative Weiterentwicklung der Automobilindustrie war (verwiesen sei auf die seitdem geführte Diskussion rund um das Emblem „Lean Management“), oder das 1993 erstmals erschienene Buch von Hammer/Champy (20037), mit dem das Konzept des „Business Reengineering“ vorgestellt wurde. Auch das Buch zur heutzutage fast selbstverständlich gewordenen Methode „Balanced Scorecard“ von Kaplan/Norton, im Original erstmals 1996 veröffentlicht, kann zu dieser Reihe gezählt werden (vergleiche Kaplan/Norton 1997). Daneben muss sicherlich Peter Drucker erwähnt werden, dessen Einfluss über mehrere Jahrzehnte nicht allein auf einer einzigen Publikation, sondern auf zahlreichen Büchern und einer Vielzahl von Aufsätzen beruht (vergleiche unter anderem Drucker 2000). Mit einem deutlicheren Fokus auf Mitarbeiterführung sind die Werke von 19 20
Ähnlich die Kritik bei Gaitanides (20072, S. 2 sowie 100 ff.). Siehe zu den Kommunikationsstrategien von Unternehmensberatern in Akquisitionssituationen Wolf (2000) sowie Wolf (2001a).
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Peter Senge zu nennen (insbesondere Senge 20039). Aus dem deutschsprachigen Raum hat es in den 90er Jahren unter anderem Reinhard Sprenger mit seiner gegen den Trend gebürsteten, kritischen Diskussion des Motivationsbegriffs in die Bestseller-Listen geschafft (Sprenger 199916). Weil der Anspruch der Vollständigkeit ohnehin zum Scheitern verurteilt wäre, sehe ich davon ab, weitere einflussreiche Bücher aufzuzählen. Herauszustellen ist immerhin, dass unabhängig von der Ausprägung der jeweiligen Argumentationsbasis mehr oder weniger deutlich in nahezu allen Publikationen auf die Relevanz der internen Kommunikation für den Unternehmenserfolg hingewiesen wird. Dabei muss ergänzend auf kritische Gegenpositionen aufmerksam gemacht werden. In jüngerer Zeit kommen Backhausen/Thommen zu dem gerade mit Blick auf den Umfang vorliegender Managementliteratur durchaus erstaunlichen Urteil: „Führung und Management, die in ihrer Bedeutsamkeit für die moderne Welt kaum zu überschätzen sind, scheinen nicht hinreichend geklärt“ (Backhausen/Thommen 2007, S. 7). Sie begründen dies mit der Unterschiedlichkeit sowie Widersprüchlichkeit der Ansätze und postulieren einen Paradigmenwechsel hin zu einer kognitiven Wende und damit zu der Einsicht, „dass unser vermeintlich „richtiges“ Wissen mehr durch unsere eigenen Erkenntnisprozesse als durch eine objektive Welt bestimmt wird“ (ebd., S. 9). So gelangen die Autoren zu einem an systemtheoretischen beziehungsweise konstruktivistischen Modellen geschulten Ansatz, der eben nicht mehr Eindeutigkeit und triviale, weil lineare Ursache-Wirkungsketten voraussetzt, sondern Führen als Beeinflussung komplexer Systeme begreift. Diesem Ansatz begegne ich durchaus mit Sympathie, da bereits alltäglich zu gewinnende Erfahrungen der Unterstellung einfacher Input-Output-Verhältnisse im Management und der damit angestrebten Beherrschbarkeit widersprechen.
Es wurde soeben bereits eine prozessfokussierte Auslegung von „Management“ angedeutet, die weiterer Erläuterung sowie einer Verknüpfung mit gängigen Ansätzen der strategischen Ausrichtung und operativen Steuerung von Unternehmen bedarf. Die Rede ist von einer im Kommunikationsmanagement kaum beachteten Perspektive: der Perspektive des Prozessmanagements. Spätestens mit den 90er Jahren hat sich in den Unternehmen die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine wirksame Steuerung nur mittels definierter, auf konkrete und messbare Ziele ausgerichteter Prozesse möglich ist. Damit verlagerte sich der Fokus zunehmend von Betrachtungen und Analysen der Aufbau- oder Strukturorganisation, die sich auf die Ordnung der hierarchischen Linien der Organisation im Sinne von Über- und Unterstellungsverhältnissen, Berichtswegen und Befugnissen konzentriert, auf die Gestaltung von Abläufen beziehungsweise Prozessen. Auslöser für diesen zunehmend Fahrt aufnehmenden Kurswechsel waren Erfolge insbesondere der japanischen Automobilhersteller, die in der oben kurz vorgestellten Studie zum Lean Management (Womack et al. 19948) aufgezeigt wurden. Zusätzlich setzte sich etwa Mitte der 90er Jahre im Zusammenhang der flächendeckenden Implementierung von Qualitätsmanagementsystemen im Zuge der internationalen Standards ISO 9000 ff. der Ansatz durch, dass die Prozesslandschaft eines Unternehmens als entscheidender Stellhebel für exzellente Qualität anzusehen ist. Parallel dazu fanden neue Ansätze aus betriebswirt-
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schaftlicher Sicht Berücksichtigung, die die klassische Kostenrechnung auf eine Prozesskostenrechnung umstellten, um die realen Kosten für komplexe, oftmals cross-funktionale Abläufe ermitteln zu können.21 In einem allgemeinen Sinn kann ein Prozess als sequenziell verlaufende Input-Output-Kette von Handlungen verstanden werden. Prozesse können einmalig auftreten, sie können jedoch – und das ist in Organisationen vom Typ Wirtschaftsunternehmen die Regel – wiederholt auftreten. Gerade bei wiederkehrenden Prozessen lassen sich Prinzipien und Merkmale von Management, wie sie oben angesetzt wurden, zur Wirkung bringen. Die Rede ist von Effizienz und Effektivität, von planvollem und koordiniertem Vorgehen und von Steuerung sowie Messung und Bewertung erzielter Prozessergebnisse. Als Beispiel sei auf die Serienproduktion von Geräten verwiesen, in der angestrebt wird, dass alle Geräte vom selben Typ dieselben Eigenschaften hinsichtlich Qualität, Bedienungssicherheit oder Umweltverträglichkeit aufweisen. Bei Akzeptanz dieser Prämisse sind die direkt oder indirekt auf die Geräteherstellung bezogenen Prozesse als wiederkehrend, systematisiert und keineswegs als zufällig oder ineffizient festzulegen. Es dürfte auf der Hand liegen, dass in einem solchen Geflecht von Prozessen ebenso wie bei der Organisation im Ganzen die Kommunikation tragendes Prinzip ist. Wobei anzumerken ist, dass Prozesse stets auch Interaktionen zwischen Mensch und Maschine (oder Computer) wie auch zwischen Maschinen (beispielsweise wenn Computer eine technische Anlage steuern) beinhalten.22 „Prozessmanagement“ ist wie folgt zu verstehen: Prozessmanagement strebt eine übersituativ stabile, nach Effizienz- und Effektivitätskriterien geordnete, zweckrational ausgerichtete und kontingenzreduzierende Input-OutputKette von Interaktionen an.
Immer wieder hat sich herausgestellt, dass bei einem konsequent verfolgten Ansatz zum Prozessmanagement erhebliche Qualitäts- sowie Effizienz- und Effektivitätspotenziale zu heben sind, wobei die Unternehmen aufgrund von Wettbewerb und Kostendruck nur spärlich und in Ausnahmefällen handfeste Kennzahlen mitteilen. Aus den wenigen vorhandenen Praxisfallstudien seien zwei Beispiele herausgegriffen:
21
In den vergangenen 15 Jahren ist erhebliches Methodenwissen zu Prozessmanagement und Prozesskostenrechnung aufgebaut worden, eng verbunden mit der Auseinandersetzung um Qualität und Qualitätsmanagement. Naturgemäß hat dies zu einer weiter steigenden Anzahl von Publikationen geführt, die hier nicht diskutiert werden können. Im Vorgriff auf spätere Kapitel sei allerdings darauf hingewiesen, dass auch im Kommunikationsmanagement die Prozesskostenrechnung thematisiert wird, so beispielsweise von Bruhn (2005, S. 198 ff.). Eine der ersten deutschsprachigen Publikationen zum Qualitätsmanagement aus der Perspektive des Prozessmanagements findet sich in Wolf (1996). Unternehmensspezifische Fallstudien bei Panek/Wolf (1997) sowie in Bamberg/Brenk/Wolf (2002). Ansätze zum Qualitätsmanagement im Dienstleistungsbereich in Wolf (1994b). Grundlegend zu prozessorientiert aufgebauten Qualitätsmanagementsystemen sind die internationalen Standards ISO 9000: 2005, ISO 9001: 2008 sowie (für Audits) ISO 19011: 2002, alle herausgegeben durch die International Organization for Standardization (ISO). Umfassenden Überblick über Prinzipien, Entwicklungslinien und Konzepte zum Prozessmanagement bieten unter anderem Gaitanides (20072) und Wilhelm (20072). Praxisleitfäden zum Prozessmanagement bei Fischermanns (20066), Schmelzer/Sesselmann (20086) oder Best /Weth (20093). 22 Erneut weise ich darauf hin, dass die Auseinandersetzung mit „Kommunikation“ im Kapitel II. zu finden ist. Dort auch Hinweise auf das Verhältnis von Kommunikation und Interaktion.
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Gaitanides geht auf das Beispiel der IBM-Credit-Corporation ein. Dieses Unternehmen benötigte für die Bearbeitung einer Kreditanfrage zunächst eine Durchlaufzeit von sechs Arbeitstagen, von denen lediglich 3 Prozent der Zeit (= 1,5 Stunden) für die tatsächliche Bearbeitung aufgewandt wurden. Die restlichen 46,5 Stunden ergaben sich aus Transportund Wartezeiten während des Vorgangs. Nach Abschluss einer prozessorientierten Reorganisation reduzierten sich die Transport- und Wartezeiten auf 2,5 Stunden, was eine Zeitersparnis von 44 Stunden (= 91,7 Prozent) bedeutete – bei gleich gebliebener tatsächlicher Bearbeitungszeit (Gaitanides 20072, S. 47 ff.). Die positiven Effekte einer konsequenten Prozessorientierung belegt auch das Fallbeispiel von Siemens Medical Solutions, einem Hersteller komplexer Medizingeräte. Dort begann man in den 90er Jahren mit der konsequenten Implementierung eines prozessorientierten Ansatzes, was bald zu gravierenden Erfolgen führte. So berichtet das Unternehmen über eine Verkürzung der Lieferzeiten von 22 auf 2 Wochen, eine Steigerung der Termintreue von 60 Prozent auf 99,4 Prozent, eine Reduktion der Prozesszeiten um 76 Prozent und die Verbesserung des operativen Wirtschaftsergebnisses um fast das Doppelte (Schmelzer/Sesselmann 2001, S. 1413). Angesichts dieser Potenziale sollten sich „Kommunikationsmacher“ fragen, ob nicht auch die eigenen Vorgehensweisen zur Hervorbringung von Kommunikationsinstrumenten einem konsequenten Prozessmanagementansatz unterzogen werden sollten. Zu denken wäre beispielsweise an die nicht selten sehr komplexen und für alle Beteiligten aufreibenden Prozeduren im Zuge der Konzipierung und Produktion eines neuen Intranetauftritts, einer Ausgabe der Mitarbeiterzeitschrift oder eines Geschäftsberichts. Ich selbst habe schon vor einigen Jahren im Kommunikationsbereich eines global tätigen Konzerns der Finanzwirtschaft derartige Prozessverbesserungen im Rahmen eines Optimierungsprojekts begleitet. Auch hier konnten erhebliche Verbesserungen erzielt werden, gerade in der Zusammenarbeit mit internen „Inhaltslieferanten“ sowie mit externen Agenturen. Die Praxiserfahrungen zeigen jedoch, dass dies eine Ausnahme war. Prozessmanagement wird immer noch zu häufig auf die wertschöpfenden, in Industrieunternehmen also vor allem auf die Produktionsprozesse konzentriert.23 Interne Abstimmungsprozesse, die beispielsweise die Planung von Kommunikationsoder Qualifizierungsmaßnahmen betreffen, werden mit deutlich geringerer Aufmerksamkeit systematisiert. Dies mag auch darin begründet sein, dass die einen – gemeint: die Prozessmanager – die Bedeutung einer effizienten und effektiven internen Kommunikation verkennen, die anderen aber – gemeint: die Verantwortlichen für Unternehmenskommunikation beziehungsweise die Personalentwicklungsbereiche – den Nutzen eines konsequenten Prozessmanagements auch in den vermeintlich „weichen“ Themenbereichen, die nicht unmittelbar wertschöpfend sind, übersehen. Das ist angesichts der möglichen Wertsteigerung zu bedauern.24 Für mich, der ich in rund 20 Jahren praktizierter Unternehmensberatung zahlreiche 23
Lange Zeit hielt sich die Fehleinschätzung, dass Qualitätsmanagement nur in Produktions- und nicht auch in Dienstleistungsorganisationen anwendbar sei. Dagegen bereits früh Wolf (1994b). 24 Positive Effekte werden häufig und in vielfältiger Weise berichtet, nicht selten branchenspezifisch aufbereitet. Ebenso nachvollziehbar wie bedauerlich ist jedoch, dass wie schon oben erwähnt nur selten konkrete Zahlen oder Daten genannt werden.
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Projekte zum Prozess- wie zum Kommunikationsmanagement in großen Unternehmen und Konzernen, aber auch in mittelständischen Unternehmen durchgeführt habe, ist es ein zentrales Anliegen, die bislang parallel betriebenen Ansätze zum Management interner Kommunikation sowie jene zum Prozessmanagement zusammenzuführen. Dabei werden großflächige Konkordanzen sichtbar, die von der postulierten Ziel- und Zweckorientierung zwischenmenschlicher Kommunikation und dem analogen Prinzip eines auf messbare Ziele ausgerichteten Managements interner Prozesse bis hin zu den Audits als Bewertungsinstrument reichen (siehe Kapitel IV.4). Bereits die Auseinandersetzung mit prozessintegrierter Kommunikation, die bereits kurz erwähnt wurde und weiter unten (Kapitel III.5) genauer zu bestimmen sein wird, schlägt eine erste Brücke zwischen Kommunikations- und Prozessmanagement.25 Die Prinzipien, Ansätze und Methoden zum Prozessmanagement bieten große Potenziale zur Verbesserung der unternehmensinternen Kommunikation. Der Ansatz „Business Discourse“ nutzt diese Potenziale.
In einzelnen Ansätzen zum Prozessmanagement findet sich ein methodisches Hilfsmittel, das kurz vorgestellt werden soll, da es später für die Standortbestimmung des eigenen Kommunikationsmanagements aufgegriffen wird. Die Rede ist von Modellen, die dem Unternehmen eine Standortbestimmung anhand des Reifegrads seines Prozessmanagements erlauben. Da ein international akzeptierter Standard (noch) nicht zur Verfügung steht, sei ein in praktischer Arbeit eingesetztes, bewusst grob gehaltenes Reifegradkonzept für das Prozessmanagement vorgestellt:26
25
Auch in der Literatur stellt es eine Ausnahme dar, wenn Prozessmanagement auf das Aufgabengebiet der internen Unternehmenskommunikation angewandt wird. Eine solche Ausnahme ist Siegfried Schick, der Unternehmenskommunikation als Geschäftsprozess begreift und folgerichtig aufzeigt, dass es klarer Ziele und Messungen, einer Zuweisung der Verantwortlichkeiten, geeigneter Ressourcen sowie eines durchgängigen Controllings bedarf. Vergleiche Schick (20073, S. 7 ff., insbesondere S. 9). Auch Bruhn bietet eine Darstellung zum „Kernprozess Integrierte Kommunikation“. Vergleiche Bruhn (2005, S. 199 f.). 26 Ab Stufe 3 sind die vorangehenden Stufen eingeschlossen. Es existieren durchaus themenspezifische Reifegradmodelle, insbesondere im Bereich der Informationstechnologie (IT). Hingewiesen sei auf die Modelle „CMMI“ (Capability Maturity Model Improvement) oder „SPICE“ (Software Process Improvement and Capability Determination); Erläuterungen hierzu bei Sze/Müller (2009). Ein ähnlich motiviertes Reifegradmodell für das Lieferantenmanagement bei Bernhardt/Wolf (2009).
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I. Terminologische Klärungen im Kontext des Kommunikationsmanagements
Stufe 4: Prozess-Exzellenz • • •
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Simulation und Innovation Vergleich mit anderen Merkmal: Vorreiter im Wettbewerb
Stufe 3: Prozessmanagement • • •
Prozessziele und -messungen definiert und umgesetzt Systematische Prozesssteuerung und -verbesserung Merkmal: Effizienz und Effektivität
Stufe 2: Prozessbeschreibung • • •
Prozesse durchgängig und systematisch beschrieben (z.B. Ziel, Messungen, Workflow) Prozess kommuniziert, Klarheit und Transparenz für Beteiligte Merkmal: Prozesswissen steht allen zur Verfügung
Stufe 1: Prozessnebel • • •
Prozesse nicht oder nur zum Teil beschrieben Keine Systematik, uneinheitliche Darstellung, geringe Transparenz, keine Prozessmessungen Merkmal: Prozesswissen ist Herrschaftswissen
Abbildung 2:
Stufenmodell der Prozessreifegrade
Ein solches Modell erlaubt anhand definierter Kriterien, deren Ausprägungsgrad im betroffenen Unternehmen durch verschiedene Erhebungsmethoden zu ermitteln ist, eine Einstufung des eigenen Reifegrads zum Prozessmanagement. Stärken und Schwächen in der Organisation werden sichtbar und können als Ausgangsbasis gezielter Verbesserungs- beziehungsweise Weiterentwicklungsmaßnahmen genutzt werden. Im Zusammenhang der praktischen Anwendung des Konzepts Business Discourse wird uns ein Reifegradmodell ähnlichen Zuschnitts wieder begegnen (siehe Kapitel III.1). Es gehört zu den fundamentalen Prämissen des Prozess- wie Qualitätsmanagements, dass Prozesse anhand definierter Kennzahlen gemessen werden, die ihrerseits aus wohl definierten Zielen abzuleiten sind. Damit stellt sich die Frage nach den Mess- und Erhebungsmethoden. Diese kann nur prozess- und organisationsspezifisch beantwortet werden, da abhängig von den Geschäftszielen und -prozessen, der bereitstehenden Infrastruktur einschließlich der eingesetzten IT-Systeme sowie dem verfolgten Managementansatz die Messung von Prozessen hinsichtlich ihrer Umsetzung, Eignung und Wirksamkeit sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Eine Erhebungsmethode hat jedoch spätestens seit den 80er Jahren weitgehende Anerkennung und zunehmende Verbreitung erfahren. Die Rede ist von den „Audits“. Audits können als dialogförmige und themenzentrierte Frage-Antwort-Interaktionen beschrieben werden, die zur Ermittlung der Effizienz und Effektivität von Regelungen oder anderen Vorgaben innerhalb der Organisation geplant, durchgeführt und ausgewertet werden. In der Regel werden Audits von einem oder mehreren eigens qualifizierten Auditoren anhand
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von Checklisten oder vergleichbaren Gesprächsleitfäden mit Führungskräften oder Mitarbeitern geführt, um die Anwendung, Eignung und Wirksamkeit der Prozesse anhand von Nachweisen zu überprüfen. Oft münden Auditgespräche (auch als Auditinterview bezeichnet) in konkrete Vereinbarungen zur Verbesserung. Dabei finden Audits nicht nur innerhalb einer Organisation, etwa im Zusammenhang eines zertifizierten Qualitätsmanagementsystems, statt. Sie können ebenfalls zur Qualifizierung und periodischen Bewertung von Lieferanten und damit von vertraglich verbundenen Unternehmen eingesetzt werden.27 Auch im Zusammenhang anderer Managementkonzepte wie Umwelt- oder Arbeitsschutzmanagement finden Audits als „Umweltaudit“ oder „Sicherheitsaudit“ Anwendung. Wesentliche Voraussetzung für die Seriosität eines Audits ist der Bezug auf definierte und als etabliert vorauszusetzende Kriterien, die beispielsweise die Ausführung von Prozessen innerhalb des Unternehmens betreffen. Anhand dieser Kriterien wird im Audit überprüft, in welchem Grad die Einhaltung der Vorgaben nachgewiesen werden kann. Dort, wo persönliches Dafürhalten oder Vorlieben der „Auditoren“ die bevorzugte Quelle für Bewertungskriterien darstellen, ist die Grenze methodischer Vertretbarkeit in Richtung Unseriosität und Beliebigkeit überschritten. Formelhaft ausgedrückt: ohne Referenz auf legitimierte Kriterien kein Audit. In einem weiten Sinn können Auditinterviews daher als explorative Messungen angesehen werden, die Aufschluss über die auditierten Sachverhalte bieten.28 Neben Produktions-, Markt- und anderen Daten liefern Audits also wichtige Erkenntnisse über den Reifegrad des Prozessmanagements. Wir kommen unten auf das Instrument der Auditierung im Zusammenhang der „Kommunikationsaudits“ zurück, die methodisch im Qualitäts- beziehungsweise Prozessaudit wurzeln. Audits sind als qualitative Erhebungsmethode eine praxisbewährte, interviewförmige Methode zur Ermittlung der realen Gegebenheiten vor Ort. Als erprobtes Werkzeug werden sie für das Kommunikationsmanagement im Konzept Business Discourse aufgegriffen.
27
Eine gesprächsanalytisch motivierte Untersuchung, fokussiert auf Qualitätsaudits, findet sich in Wolf (2009). Hier auch weitere Erläuterungen zum Konzept der Auditierung. Weiterer Aufschluss über Audits, insbesondere interpretiert als internes Audit, Lieferanten-, Kunden- oder Zertifizierungsaudit, findet sich in Wolf (1993), Wolf (1994a), Wolf (1994c) und Wolf (2001b). Grundlegend für Qualitäts- und Umweltaudits ist der internationale Standard ISO 19011, abgedruckt in DIN Deutsches Institut für Normung (Hg.) (2002). 28 Neubauer legt im Anschluss an Neuberger/Kompa ein „Klassifikationsschema für Verfahren zur Erfassung der Unternehmenskultur“ vor, in dem sich die Audits als „nonreaktiv-qualitative“ Erhebungsmethode für eine „verstehende Fremdinterpretation“ von Vorgehensweisen verorten ließen (dort Feld IV; vergleiche Neubauer 2003, S. 79 ff.). Stumpf listet eine Reihe spezieller Formen qualitativer Interviews auf, unter denen das „episodische Interview“ (Stumpf 2005, S. 93) zur Sprache kommt. Da auch im Audit sowohl Erzählungen ausgelöst als auch zielgerichtete Fragen gestellt werden, ist diese Interviewkategorie am ehesten für das Audit zutreffend. Aufgrund der üblicherweise eingesetzten Auditchecklisten treffen jedoch auch Merkmale des „Leitfadeninterviews“ (ebd., S. 91) zu, so dass das Audit eine Mischform verschiedener Interviewstile ist. Ich bevorzuge es jedoch, das Audit als „narratives Interview“ (Schütze 1978) zu interpretieren. Unabhängig von der Interviewkategorie bleibt das Audit eine qualitative Erhebungsmethode.
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I. Terminologische Klärungen im Kontext des Kommunikationsmanagements
Wie bereits die obige Abbildung 2 zu den Prozessreifegraden zeigt, ist mit „Excellence“ eine Art orientierendes Ideal definiert. Da dieser Terminus in seiner Interpretation als „Communication Excellence“ im vorliegenden Buch die zentrale Orientierung darstellt, ist das Konzept „Excellence“ näher zu betrachten. Es wurde bereits auf die enge konzeptionelle Verwandtschaft zwischen Prozess- und Qualitätsmanagement hingewiesen. Im Modell zu „Business Excellence“, vertreten durch die European Foundation for Quality Management (EFQM), findet sich eine international anerkannte Gesamtkonzeption, die diese Perspektiven zusammenführt. Das Modell wurde im Jahr 1988 ursprünglich durch 14 europäische Großunternehmen entwickelt, um allen Organisationen einen orientierenden Rahmen für ihr Qualitätsmanagement zur Verfügung zu stellen und ihnen gleichzeitig eine Positionierung des erreichten Exzellenzgrades zu ermöglichen. Die Betonung von Business Excellence verdeutlicht den damit erhobenen Anspruch: Es geht um Spitzenleistungen im Geschäft, insbesondere unter dem Primat einer konsequenten Kundenorientierung.29 Getragen durch die EFQM wird seitdem jährlich der Europäische Qualitätspreis an die besten Unternehmen in verschiedenen Kategorien verliehen, ermittelt anhand eines anspruchsvollen Kriterienkatalogs zu Business Excellence. Die Organisation legt diese Prämisse zugrunde: „Excellent results with respect to Performance, Customers, People and Society are achieved through Leadership driving Policy and Strategy, that is delivered through People, Partnerships and Resources, and Processes“ (EFQM-Homepage, http://ww1. efqm.org/en/Home/aboutEFQM/Ourvaluesandmodels/TheEFQMEcellenceModel/tabid/ 170/Default.aspx, Aufruf am 26.03.2009).
Das EFQM-Modell für Excellence geht von acht „Grundkonzepten“ (im englischen Original: „fundamental concepts“) aus. Diese Grundkonzepte sind „Ergebnisorientierung, Ausrichtung auf den Kunden, Führung und Zielkonsequenz, Management mittels Prozessen und Fakten, Mitarbeiterentwicklung und -beurteilung, Kontinuierliches Lernen, Innovation und Verbesserung, Entwicklung von Partnerschaften, Soziale Verantwortung“ (EFQM 2003a, S. 4 ff.). Bereits aus diesen Grundkonzepten wird deutlich, dass das Modell einen breit angelegten „Stakeholder-Ansatz“ verfolgt, der zwar den Kunden und seine Zufriedenheit in den Mittelpunkt stellt, dabei jedoch auch Interessengruppen wie Mitarbeiter, Anteilseigner oder das gesellschaftliche Umfeld im Blick behält.30 Zink bündelt: „Excellence in Bezug auf Ergebnisorientierung bedeutet, die Erwartungen der Stakeholder einer Organisation zu übertreffen (‚delight‘)“ (Zink 20042, S. 71). 29
Nähere Informationen über die Homepage der EFQM: http://ww1.efqm.org/en/ sowie über die Deutsche Seite: www.deutsche-efqm.de. Einen Überblick zu den Entwicklungsstufen bis hin zu Business Excellence bietet Töpfer (2002). Grundlegend zum Excellence-Modell insbesondere Zink (20042). 30 Als „Stakeholder“ eines Unternehmens werden alle Anspruchs- oder Interessengruppen bezeichnet, die Erwartungen an das Unternehmen haben. Zu nennen sind beispielsweise Anteilseigner („Shareholder“), Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten oder andere Partner sowie die Gesellschaft. Cum grano salis können mindestens einige der Stakeholder im Luhmann’schen Sinn als „Medium“ für eine Organisation aufgefasst werden (vergleiche oben). Es wäre sicherlich reizvoll, die Konzeption des EFQM-Modells für Excellence aus systemtheoretisch-konstruktivistischer Sicht zu untersuchen, wobei sich gerade die oben vorgestellten Ansätze Luhmanns anböten. Dieser Gedanke wird hier jedoch nicht weiter verfolgt.
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Das eigentliche Modell legt neun Kriterien zugrunde, die als Rahmenstruktur für jede Organisation, sei sie ein Wirtschaftsunternehmen, eine Behörde oder eine andere Art von Organisation, anwendbar sind. Die neun Kriterien gliedern sich in „Befähiger-Kriterien“ (die ersten fünf Kriterien) und „Ergebnis-Kriterien“ (weitere vier Kriterien). „Die ‚Befähiger‘-Kriterien behandeln das, was eine Organisation tut, wie sie vorgeht. Die ‚Ergebnis‘-Kriterien behandeln, was eine Organisation erzielt“ (EFQM 2003b, S. 12). Befähiger (Enablers) und Ergebnisse (Results) wirken aufeinander ein: „,Results‘ are caused by ,Enablers‘ and ,Enablers‘ are improved using feedback from ,Results‘“ (EFQM-Homepage, http://ww1.efqm.org/en/Home/ aboutEFQM/ Ourvaluesandmodels/TheEFQMEcellenceModel/tabid/170/Default.aspx, Aufruf am 24.04.2009). Grafisch stellt sich das Modell so dar:
Befähiger
Ergebnisse
Mitarbeiterbezogene Ergebnisse
Mitarbeiter
Führung
Politik und Strategie
Prozesse
Kundenbezogene Ergebnisse
Schlüsselergebnisse
Gesellschaftsbezogene Ergebnisse
Partnerschaften und Ressourcen
Innovation und Lernen
Abbildung 3:
Das EFQM-Modell für Excellence (Quelle: http://www.deutsche-efqm.de/ inhseiten/247.htm, Aufruf am 24.04.2009; Grafik nachgezeichnet)
Jedes einzelne Kriterium gliedert sich nach Unterkriterien, die wiederum durch „Orientierungspunkte“ konkretisiert werden. Anhand der tatsächlichen Ausprägung zu den Orientierungspunkten, Teilkriterien und Kriterien, die in der eigenen Organisation nachweisbar verwirklicht sind, kann im Rahmen einer „Selbstbewertung“31 der Reifegrad des eigenen Vorgehens ermittelt werden. Excellence ist ein sich dynamisch entwickelndes Ideal, das mit Attributen wie „best practice“ oder „Weltklasse“ belegt ist. Anhand der Methodik „RA31
„Die EFQM definiert Selbstbewertung wie folgt: Selbstbewertung ist eine von der Organisation durchgeführte umfassende, systematische und regelmäßige Überprüfung ihrer Tätigkeiten und Ergebnisse anhand des EFQM-Modells für Excellence. Mit Hilfe des Selbstbewertungsprozesses kann eine Organisation ihre Stärken und Verbesserungspotenziale klar erkennen und in geplante Verbesserungsmaßnahmen umsetzen, deren Forschritt überwacht wird“ (EFQM 2003c, S. 11).
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I. Terminologische Klärungen im Kontext des Kommunikationsmanagements
DAR“32 werden die identifizierten Reifegrade mit Punkten bewertet, wobei die Kriterien hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Excellence unterschiedlich gewichtet sind. So ergibt sich eine Gesamtpunktzahl, die es erlaubt, verschiedene Organisationen auf einer Skala von 0– 1000 Punkten zu vergleichen. Die sogenannte „RADAR-Bewertungsmatrix“ wird zur Ermittlung der Gewinner des Europäischen Qualitätspreises sowie für viele nationale Qualitätswettbewerbe eingesetzt (EFQM 2003c, S. 26). Das EFQM-Modell für Excellence sowie die RADAR-Bewertungsmatrix stellen eine konzeptionelle Basis für das Modell des Business Discourse dar, der seine Ausrichtung im Ideal von „Communication Excellence“ findet (vergleiche unten, Kapitel IV.2). „Diskurs“, „Emergenz“, „Organisation“ und „Management“ waren aufgrund ihres ideengeschichtlichen Spektrums einer hier trotz allem knapp gehaltenen näheren terminologischen Diskussion auszusetzen, um das Referenzsystem aufzubauen. Eine tiefer gehende Diskussion dieser Termini sowie der weiteren, im jeweiligen Zusammenhang diskutierten Konzepte kann hier unterbleiben, da für die Zwecke der weiteren Darlegungen eine plausible begriffliche Bezugsbasis geschaffen sein sollte. Der Bezug auf die vorgestellten Ansätze insbesondere zu Prozessmanagement, zur Methode der Auditierung sowie zu Business Excellence stellt sicher, dass sich der Ansatz zum Kommunikationsmanagement nach dem Modell des Business Discourse auf praxisbewährte und international anerkannte Managementansätze und -methoden berufen kann. Darüber hinaus könnte der Rückgriff auf bewährte und etablierte Ansätze zum Prozessmanagement auch dort Verständnis und Akzeptanz für die im Weiteren anzustellenden kommunikationsbezogenen Überlegungen befördern, wo die unternehmensinterne Kommunikation allzu oft unreflektiert „mitläuft“. Nach diesen ersten Klärungen wenden wir uns dem eigentlichen Terminus zu, um den es geht: Kommunikation. Hier allerdings werden wir die Eindringtiefe in theoretische Überlegungen teilweise erhöhen müssen, mindestens auch, um die in manchen Fällen zu Unrecht reklamierte Dignität durchgängig bevorrateter und vorgeblich gesicherter kommunikationstheoretischer Ansätze zu bestreiten, wenn nicht zu attackieren. Dieser Streit ist meines Erachtens dringend geboten, um auf theorie- und in der Konsequenz praxiswirksame Defizite der überwiegend zum Einsatz kommenden Konzepte hinzuweisen. Genau ein solcher notwendig theoretisch motivierter Disput fehlt weitgehend in den diversen Ansätzen und Konzepten zu organisationsinterner Kommunikation und ihrem Management.
32
„RADAR“ steht als Akronym für „Results, Approach, Deployment, Assessment and Review“ (EFQMHomepage, http://ww1.efqm.org/en/Home/aboutEFQM/Ourvaluesandmodels/RADAR/tabid/171/Default. aspx, Aufruf am 24.04.2009). Zur Erläuterung der RADAR-Methode siehe Zink (20042, S. 291 ff.).
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II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen
„Kommunikation“ ist schon seit langem zu einem Ausdruck geworden, der praktisch alles und gar nichts heißt. Das zeigen nicht nur Blicke in die einschlägige Literatur der Beratungs-, Seminar- und Coachingindustrie. Auch die Sichtung (kommunikations-)wissenschaftlicher Arbeiten zeigt eine schillernde Vielfalt von Auffassungen, die sich mal redundant, mal komplementär, mal widersprüchlich und gelegentlich auch vollkommen unvereinbar gegenüberstehen. Das liegt sicherlich in der jeweiligen Perspektive der wissenschaftlichen Disziplin begründet, aus der das Phänomen zwischenmenschlicher Kommunikation betrachtet wird. Teilweise lässt sich jedoch der Verdacht nicht ablegen, dass es auch um das Reklamieren und Behaupten der Deutungshoheit geht. Motto: Wer die Definition hat, hat recht. Vielleicht hat der Soziologe Thomas Luckmann diese Entwicklung geahnt, als er bereits 1980 zu dem Ergebnis kam, dass Kommunikation zu einer „Generalmetapher“ (Luckmann 1980) abgesunken sei. Binse oder nicht: Wir können nur das zum Gegenstand von Managementaktivitäten machen, was wir begrifflich fassen. Anders gewendet: Was wir nicht sehen – „sehen“ hier in einem metaphorischen Sinn für „wahrnehmen“, „denken“, „zum Gegenstand unserer Aufmerksamkeit machen“ –, lässt sich nicht managen. Bezogen auf unseren Betrachtungsgegenstand „Kommunikationsmanagement“ lässt sich ableiten, dass wir zuerst ein fundiertes und anders gefasstes Konzept für (organisationsinterne) Kommunikation benötigen, wollen wir über die häufig unterkomplex gehaltenen Ansätze hinausgelangen. Es ist im Übrigen durchweg üblich, den Gegenstandsbereich präzise zu bestimmen, der einem Managementkonzept auszusetzen ist. Beispielhaft sei nur auf Managementbereiche wie das Prozessmanagement, das Servicemanagement, das Lieferantenmanagement oder auch – für IT-Bereiche – das Anforderungsmanagement verwiesen: Stets ist zu klären, innerhalb welcher Grenzen welche Aspekte zum Gegenstand von Management werden sollen. Selbst für die Zwecke eines auf praktische Anwendbarkeit zielenden Buches wie dem vorliegenden kann daher nicht auf kommunikationstheoretische Überlegungen verzichtet werden. Anderenfalls drohen erhebliche Missverständnisse, womöglich gar Unverständnis, sobald es um Kriterien und Merkmale für das Kommunikationsmanagement geht. Wenn aber, wie in der einleitenden Polemik zu diesem Buch unternommen, den bisherigen Ansätzen Theoriearmut angelastet wird, darf erst recht nicht auf die Entfaltung eines kommunikationstheoretischen Rahmens verzichtet werden. Die kommunikationstheoretische Referenz ergänzt die
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II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen
oben vorgenommene Installation rahmender Grundlagen aus wissenschaftlichen wie managementbezogenen Perspektiven für das Praxiskonzept des Business Discourse.33 Die Argumentationsführung setzt an einer den Ausführungen vorangestellten Definition von Kommunikation an, die im Weiteren plausibilisiert wird. Dieser Kommunikationsbegriff kann markiert werden als handlungstheoretisch, kybernetisch und semiotisch. Daraus folgt aber auch, dass die hier zugrunde gelegte Perspektive auf Kommunikation in mindestens dreifacher Opposition steht: in Opposition zu verhaltenstherapeutischen Modellen, insbesondere in Opposition zu Watzlawick/Beavin/Jackson (1967); in Opposition zu nachrichten- beziehungsweise informationstheoretischen Modellen; und in Opposition zu Modellen, die sich allein an Konzepten der Massenkommunikation beziehungsweise der Journalistik orientieren. Die Darlegungen werden immer wieder durch Beispiele illustriert, die überwiegend aus der angetroffenen Praxis in Unternehmen gewonnen wurden. Wo dies geboten ist, werden bereits Vorgriffe auf Aspekte des Kommunikationsmanagements unternommen. Den weiteren Erörterungen sei diese als Definition verdichtete Begriffsbestimmung für Kommunikation, ausgedrückt als Nominalsatz, vorangestellt: Kommunikation sei ein zeichengebundenes soziales Handeln mit dem Zweck der gegenseitigen Handlungssteuerung.
Sogleich muss eine weitere Grundposition meines Kommunikationsverständnisses herausgestellt werden, die das Verhältnis zwischen Kommunikation und Interaktion betrifft. Interaktion bezeichne ein Verhalten, das in irgendeiner Weise auf einen anderen gerichtet ist. In Interaktion treten können Individuen, Gruppen von Individuen, aber auch Nicht-Lebewesen (vergleiche Juchem 1985, S. 118). Mit Verweis auf die obigen Ausführungen zum Prozessmanagement: Die Steuerung einer technischen Anlage durch einen Computer wäre als Interaktion aufzufassen. Ebenso wäre die Besprechung zwischen den Konstrukteuren der Anlage und den Programmierern des Computers als Interaktion aufzufassen – und zwar als
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Vielleicht bietet ein Wort, das dem Psychologen und Feldforscher Kurt Lewin zugeschrieben wird, einen gewissen Trost: „Nichts ist praktischer als eine gute Theorie.“ Auch Backhausen/Thommen, denen es um einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel im Konzept der Führung und Steuerung im Unternehmen geht, weisen auf die praktische Relevanz theoretischer Reflexionen hin. Vergleiche Backhausen/Thommen (2007, S. 45).
Kommunikation ist Kommunizieren ist absichtsvolles Tun ist Handeln
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Interaktion vom spezifischen Typ „Kommunikation“.34 Damit ist Interaktion gegenüber Kommunikation der allgemeinere Begriff, denn anders formuliert könnte die soeben vorgeschlagene Definition von Kommunikation auch lauten, dass sie eine soziale (also auf einen oder mehrere Menschen bezogene) und zeichengebundene Interaktion sei. Diese Auffassung soll im Weiteren erläutert und begründet werden. Dabei geht es jedoch nicht allein um kommunikatives Handeln im engen Sinn. Vielmehr sollen auch der kommunikative Kontext, also das jeder Kommunikation vor- und nachgelagerte Handeln, sowie die materiellen und immateriellen Rahmenbedingungen in die Darlegungen integriert werden. Beispiele für diese materiellen oder immateriellen Rahmenbedingungen sind die innerhalb der Organisation verfügbaren Kommunikationsmedien sowie die kommunikativ relevante Infrastruktur, aber auch die Organisationsstrukturen sowie die stattfindenden Prozesse, Routinen und Rituale. Mit Blick auf die oben angestellten diskurstheoretischen Erörterungen: Gerade die im Unternehmen wirksamen Regeln, Routinen, Rituale etc. stellen immaterielle Rahmenbedingungen dar. Schon durch die unscheinbar anmutende Prämisse, dass eine Betrachtung organisationsinterner (und -externer) Rahmenbedingungen für eine kommunikationstheoretisch fundierte Analyse erforderlich ist, lassen sich neue Perspektiven zur Gestaltung organisationsinterner Kommunikation gewinnen. Denn es geht darum zu zeigen, dass Kommunikation und insbesondere die organisationsinterne Kommunikation selbst als ein Handeln aufzufassen ist, das ebenso wie jedes andere absichtsvolle und Ressourcen verbrauchende Tun innerhalb eines Unternehmens geplant, gesteuert und bewertet werden muss: Kommunikatives Handeln ist zu analysieren als ein in Handlungsketten eingebettetes Tun, das hieraus nicht herauspräpariert werden darf. Diese an Zielen und Zwecken ausgerichteten Handlungsketten rahmen die jeweils betrachtete Kommunikationssituation ein, indem sie sinnstiftende Funktion erfüllen. Das sei nachfolgend erläutert.
1.
Kommunikation ist Kommunizieren ist absichtsvolles Tun ist Handeln
In Unternehmen und anderen Organisationen gilt es, kommunikatives Handeln an Zwecken, Zielen und Strategien auszurichten, zu planen, zu steuern, zu bewerten und zu verbessern. Dem dürften auch die Vertreter von eher informationstheoretisch ausgelegten Ansätzen zustimmen. Es gilt letztlich, Kommunikation zweckgemäß einzusetzen, um wiederum postkommunikative Handlungen auszulösen, zu prägen, zu begleiten, zu dokumentieren, zu re34
Weitere Spezifika von Kommunikation, die diese neben dem Merkmal der Sozialität als besondere Interaktionsform ausweisen, finden sich in den weiteren Ausführungen.
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II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen
flektieren, zu bewerten – eigentlich sogar: um sie überhaupt erst zu ermöglichen. Damit, also durch ihren zweckgemäßen Einsatz, kann interne Kommunikation effizient und effektiv gestaltet werden. Insofern bewerten wir kommunikatives Handeln an den erreichten Effekten. Erst am post-kommunikativen Handlungsvollzug und -ergebnis lässt sich in der Regel bemessen, ob die vorangegangene Kommunikation als erfolgreich, also als effizient und effektiv, verbucht werden kann. Als wesentlichen Baustein des hier zugrunde gelegten Verständnisses von Kommunikation greife ich immer wieder auf den Ausdruck „Handeln“ zurück. Auch dieser sei kurz bestimmt. Im Anschluss an den Wissenssoziologen Alfred Schütz, der den Definitionsansatz Max Webers in kritischer Analyse ergänzt, möchte ich Handeln als sinnhaftes Verhalten auffassen (vergleiche Schütz 19812, S. 50 ff.).35 Der Sinn unseres Handelns ergibt sich aus dem Handlungsziel, sozusagen aus dem „Um-zu-Motiv“ (ebd., S. 117): Ich handele, um dieses oder jenes zu erreichen. Der Sinn meines Handelns entspringt also diesem Ziel beziehungsweise unseren Handlungsabsichten. Wenn Kommunikation als eine spezifische Form von Handeln begriffen wird, so folgt daraus, dass nur dann von Kommunikation zu sprechen ist, wenn wir mit ihr Absichten beziehungsweise Ziele verfolgen. Das klingt simpel? Vielleicht, aber weiter gedacht ist mit dieser Auffassung eine klare Abkehr vom allerorten anzutreffenden, wenn auch meistens nicht näher reflektierten Anschluss an den viel weiter gefassten Begriff von Kommunikation bei Watzlawick/Beavin/Jackson (1967; deutsche Übersetzung: dies. 1969) verbunden. In ihrer Axiomatik, die sie mit dem Adjektiv „tentative“ (= „versuchsweise“, „vorläufig“; siehe Watzlawick/Beavin/Jackson 1967, S. 48) bereits vorsichtiger betiteln, als gemeinhin tradiert wird, setzen die drei Autoren, unter denen allerdings meistens nur Watzlawick Berücksichtigung findet, „Kommunizieren“ mit „Verhalten“ gleich. Menschen verhalten sich jederzeit, sobald sie sich ihren Erlebnissen „durch spontane Aktivität“ bewusst zuwenden (Schütz 19812, S. 73). Andere Autoren setzen den Verhaltensbegriff sogar noch weiter an und fassen auch subjektiv sinnlose, unbewusste oder unwillkürliche Phänomene wie Reflexe darunter. Ein Verhalten kann also (übrigens auch für Alfred Schütz; siehe ebd., S. 73 ff.) durchaus absichtsfrei sein – ein Handeln als sinnhaftes Verhalten (und damit als Teilmenge von Verhalten) ist es jedoch nicht. Watzlawick/Beavin/Jackson haben also durchaus recht, wenn sie sagen: „(…) one cannot not behave“ (Watzlawick/Beavin/Jackson 1967, a. a. O.). Die Gleichsetzung von „Verhalten“ mit „Kommunizieren“ führt jedoch dazu, dass der Terminus „Kommunikation“ seine Beschreibungspotenziale einbüßt: Auch unbewusste, unwillkürliche und subjektiv sinnlose Phänomene bis zu unseren physiologisch bedingten Reflexen – alles wird zu Kommunikation. Und genauso findet es sich ja auch bei Watzlawick/Beavin/Jackson und ihren zahllosen Apologeten.
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Eine gründlichere Auseinandersetzung mit dem Konzept Alfred Schütz’ findet sich unter anderem in Wolf (2000, S. 79 ff.).
Kommunikation ist Kommunizieren ist absichtsvolles Tun ist Handeln
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Letztere übersehen allerdings in der Regel, dass die Anwendbarkeit der vermutlich berühmtesten aller Axiomatiken (zumindest im Kontext zwischenmenschlicher Kommunikation36) auf einer Empirie basiert, die in verhaltenstherapeutisch motivierten Situationen gewonnen wurde: „Examples and analogies were chosen from as wide a range of subjects as seemed applicable, although predominance remained in the field of psychopathology“ (ebd., S. 14; Hervorhebung G.W.).
Interessanterweise äußern sogar die Autoren selbst Vorbehalte ob der Gültigkeit ihrer Axiome, was jedoch durchweg übersehen wird: „Regarding the above axioms in general, some qualifications should be re-emphasized. First, it should be clear that they are put forth tentatively, rather informally defined and certainly more preliminary than exhaustive“ (ebd., S. 70).
Aber auch diese fundamentale Einschränkung hält die Publikateure unserer Zeit nicht davon ab, munter und unverdrossen jene Axiomatik zu zitieren und ihr damit eine von den ursprünglichen Autoren nie behauptete Allgemeingültigkeit zu verleihen. Ob sie in ihrer Lektüre von Watzlawick/Beavin/Jackson überhaupt bis zur Seite 70 vorgedrungen sind? Es ist sehr viel ergiebiger, Kommunikation enger zu fassen, da der Begriff ansonsten keine Trennschärfe mehr hat. In vielfältigen Situationen und auch in solchen, in denen wir uns zur gleichen Zeit am gleichen Ort wie andere Menschen aufhalten, stehen wir nicht notwendig mit anderen in kommunikativer Verbindung. Man denke nur an Aufenthalte in einer überfüllten Straßenbahn: Ich kommuniziere durchaus nicht mit einer Person, die neben mir steht, insbesondere dann nicht, wenn ich mich ihr nicht zuwende. Vielleicht bemerke ich die andere Person nicht einmal, denn ich lese soeben eine Zeitung oder betrachte den Plan des U-BahnNetzes. Selbstverständlich könnte ein Beobachter meine Nicht-Zuwendung beziehungsweise meine ausbleibenden Versuche, mit dieser Person in ein Gespräch zu finden, als Aussage (und damit kommunikativ) deuten, etwa im Sinne: „Er möchte nicht mit der anderen Person kommunizieren.“ Doch ist hierdurch keineswegs gesagt, dass ich selbst diese Mitteilungsabsicht verfolge – es ist lediglich ausgedrückt, dass ein Beobachter mir etwas unterstellt. Diese Zuschreibung, die keineswegs zutreffend sein muss (und auch in keiner Weise zutrifft, wenn ich gerade Zeitung lese oder bemüht bin, den Plan eines U-Bahn-Netzes zu verstehen), verabsolutierte der Beobachter, indem er sie als meinerseits mit mitteilender Absicht vollzogen ansieht. Er verliehe seinen unterstellenden Deutungen also Wahrheitscharakter. Wie aber kommt irgendjemand dazu, aus seinen mich betreffenden Unterstellungen, die sich lediglich an beobachtetem äußeren Verhalten festmachen können, Schlussfolgerungen mit Wahrheitsanspruch über meine Absichten zu ziehen? Es gibt keine seriöse (empirisch ausgelegte) Erkenntnistheorie, die eine solche Gleichsetzung von deutender Unterstellung beo36
Es handelt sich jedoch keineswegs um die einzige oder gar erste Axiomatik. Schon Karl Bühler legte in den 20er Jahren eine Axiomatik vor, die für das Verständnis zwischenmenschlicher Kommunikation deutlich adäquater ist. Vergleiche Bühler (2000, S. 71).
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II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen
bachteter Verhaltensweisen mit tatsächlichen Handlungsabsichten vollkommen unreflektiert und unkontrolliert akzeptierte. Zustimmung wäre eher gesichert, hätten Watzlawick/Beavin/Jackson gleich ihr erstes, immer wieder triumphal in Diskussionsschlachten um den Kommunikationsbegriff bemühtes und für die Autoren fundamentales Axiom anders formuliert. Vorsichtiger vielleicht so: „Man kann in sozialen Situationen nicht nicht-beobachtet werden.“ Etwas weiterreichend: „Man kann in sozialen Situationen nicht ausschließen, dass das eigene Verhalten von anderen gedeutet wird, als sei es mit kommunikativer Absicht hervorgebracht.“37 Oder eher konstruktivistisch: „Jeder Beobachter eines Verhaltens generiert Informationen, die durch das beobachtete Verhalten in ihm ausgelöst werden.“ Das aber entzöge dem verhaltenstherapeutisch motivierten Konzept der Autoren vollends den Boden – und das wäre sogar bedauerlich. Denn in (verhaltens-)therapeutisch oder psychopathologisch geprägten Situationen dürfte die Gleichsetzung von Verhalten und Kommunizieren für Therapeuten durchaus nützlich sein. Aber ich weigere mich, die in den Unternehmen stattfindende Kommunikation unisono als psychopathologisch motiviert zu kategorisieren – jedenfalls nicht durchgängig. Es dürfte weitgehend unbekannt sein, dass auch Janet Beavin, eine der drei Urheberinnen jener Axiomatik, später durchaus Zweifel an der universellen Gültigkeit gerade des ersten Axioms äußerte. Griffin referiert eine Publikation aus den 90er Jahren der mittlerweile als Janet Beavin Bavelas arbeitenden Forscherin: „(…) she now concedes that not all nonverbal behavior is communication. Oberservers may draw inferences from what they see, but in the absence of a sender-receiver relationship and the intentional use of a shared code, Bavelas would describe nonverbal behavior as informative rather than communicative“ (Griffin 2006, S. 184; dort Verweis auf Bavelas 1992).
Bei aller verbliebenen Unterschiedlichkeit der Auffassungen ist festzustellen, dass Bavelas mittlerweile die Intentionalität als Merkmal von Kommunikation zu akzeptieren scheint: Auch für sie ist also nicht mehr alles Kommunikation. Dass nach wie vor große Konfusion hinsichtlich der Intentionalität als konstituierendem Merkmal von zwischenmenschlicher Kommunikation besteht, zeigt etwa ein Blick auf den 37
Diese Lesart würde zu solchen Argumentationslinien passen, die auf die Bedeutung einer aktiv gestalteten Mitarbeiterkommunikation hinweisen. Beispielhaft sei auf Manfred Bruhn verwiesen, der durch expliziten Bezug auf das Axiom seine Aufforderung begründet, die „Mitarbeiterkommunikation aktiv und systematisch zu gestalten“ (Bruhn 2005, S. 1206 f.). Ebenfalls besser würde diese Lesart zu den Überlegungen bei Backhausen/Thommen passen, die im Zusammenhang ihres Konzepts zum „Management 2. Ordnung“ erstaunlich unreflektiert das erste Axiom aufgreifen und dabei das für kommunikatives Handeln ausschlaggebende Merkmal der Intentionalität aufgeben. Vergleiche Backhausen/Thommen (2007, S. 136 f.).
Die Mär vom „Informationstransport“
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Versuch des Jenaer Kommunikationswissenschaftlers Bertram Scheufele, die Grundbegriffe der Unternehmenskommunikation zu erhellen. Scheufele führt zunächst im Anschluss an eine Definition von Kommunikation, die Bentele/Beckvorgelegt haben, die Intentionalität als Merkmal von Kommunikation ein: „Kommunikation ist ein bewusstes Handeln“, „d. h. die Kommunizierenden müssen etwas mitteilen wollen“ (Scheufele 2007, S. 90). Wenig später aber hebt er dieses Merkmal wieder auf, wenn er im Zusammenhang seiner Erläuterung der Grundbegriffe „Interaktion“ und „soziales Handeln“ feststellt: „Kommunikation ist dabei auch die unbeabsichtigte Informationsweitergabe (z. B. Schamesröte oder Stottern) sowie die Unterlassung einer Äußerung“ (ebd., S. 91). Damit erliegt Scheufele der immer wieder anzutreffenden, unproblematisierten Gleichsetzung von Kommunikation und Information. Und das, obwohl Scheufele eigentlich wenige Zeilen zuvor explizit zwischen Kommunikation als sozialem Vorgang und einer einseitigen Informationsübertragung von einem Sender zu einem Empfänger zu unterscheiden weiß (ebd., S. 90 f.). Ohne Zweifel muss weiter geklärt werden, was unter Kommunikation zu verstehen ist, zumindest für den hier im Mittelpunkt stehenden Bereich der organisationsinternen Kommunikation. Insbesondere bedarf es der Auseinandersetzung mit einer vermeintlichen Zwillingsschwester von Kommunikation: der Information.
2.
Die Mär vom „Informationstransport“
Fragt man in Seminaren, Workshops oder im alltäglichen Gespräch danach, was der andere unter Kommunikation verstehe, dann lautet die Antwort oftmals: „Kommunikation ist Information.“ In den meisten Erklärungskonzepten wird uns Kommunikation als gegenseitiges Informieren präsentiert und jeder hat schon einmal etwas vom „Sender-Empfänger-Modell“ gehört. Das möglicherweise Überraschende: Diese Konzepte sind nicht haltbar, wenn zwischenmenschliche Kommunikation sinnvoll erfasst werden soll. Starker Tobak, ohne Zweifel, der nach Begründung verlangt. Ein an alltägliche Berufswirklichkeit angelehntes, wenn auch konstruiertes Beispiel für Kommunikation im Arbeitsalltag (die wir später als „Prozesskommunikation“ bezeichnen werden) sei Ausgangspunkt der Argumentation.
Beispiel: Der Kundenanruf (Gespräch in neun Zügen) Situation: In der Abteilung Auftragsbearbeitung der Maier GmbH soll der Mitarbeiter X eine Bestellung des Kunden Müller GmbH bearbeiten. Er stellt fest, dass die Müller GmbH es versäumt hat, in der Bestellung einen Liefertermin anzugeben, und wendet sich an seinen Vorgesetzten Y, damit dieser Rücksprache mit der Müller GmbH hält:
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II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen
1
Mitarbeiter X (geht vorsichtig ins Arbeitszimmer seines Vorgesetzten)
„Entschuldigung, Herr Y, ich bearbeite soeben die neue Bestellung der Müller GmbH und stelle fest, dass die wieder einmal unvollständig ist, der Liefertermin fehlt. Sie wollen in diesen Fällen ja selbst mit dem Kunden sprechen.“
2
Vorgesetzter Y (schaut jetzt erst den Mitarbeiter an)
„Wie bitte?“
3
Mitarbeiter (mit lauterer Stimme)
„Bitte rufen Sie die Müller GmbH an, bei der Bestellung fehlt der Liefertermin.“
4
Vorgesetzter
„Ich rufe gleich an.“ (Mitarbeiter kehrt zurück an seinen Arbeitsplatz)
5
Vorgesetzter (kommt zwei Stunden später ins Zimmer des Mitarbeiters)
„Ich habe soeben mit der Müller GmbH telefoniert. Morgen kommt die neue Bestellung per Fax.“
6
Mitarbeiter
„Auch der Liefertermin?“
7
Vorgesetzter
„Ist doch klar!“ (zeigt auf einen Vorgang, der auf dem Schreibtisch des Mitarbeiters liegt, und blickt ihn an)
8
Mitarbeiter
(folgt dem Fingerzeig und blickt auf denselben Vorgang) „Ah ja, noch ein Problem. Mit der Schulze GmbH ist ein anderer Preis vereinbart.“
9
Vorgesetzter
„Das geht schon in Ordnung. Ich muss jetzt in die Vertriebsbesprechung, in der ich erklären soll, warum wir in der Auftragsbearbeitung so weit zurückliegen.“ (verlässt den Raum)
Auf den ersten Blick scheinen alle neun Äußerungen Informationscharakter zu haben: Der Mitarbeiter informiert über fehlende Bestellangaben (in 1), nach Überwinden akustischer Probleme (2) und erneutem Vorbringen des Anliegens (3) informiert der Vorgesetzte darüber, dass er sich des Falles annehmen wird (in 4) und präsentiert in (5) die Lösung. Der Mitarbeiter fragt zwar in (6) zurück, was vielleicht keine unmittelbare Information für den Vorgesetzten darstellt, aber indirekt als Information über vorhandene und auszuräumende Unsicherheit interpretiert werden könnte. Der Vorgesetzte schließt den Informationsprozess in (7) ab, und der Mitarbeiter vermag sogar eine weitere Information (anderer Preis bei der Schulze GmbH; in 8) zu äußern. Auch dieses Thema wird rasch abgehakt und abschließend informiert der Vorgesetzte den Mitarbeiter über die anstehende Besprechung, die sich kritisch mit der Auftragsbearbeitung auseinandersetzen soll (9). Also alles klar? Bei genauerer Betrachtung dieses kurzen Kommunikationsverlaufs stellen sich erhebliche Zweifel ein. Bereits die Äußerungen (2) und (3) werfen die Frage auf, ob der Informationsprozess wirklich erfolgreich und ungestört beginnt. Der Vorgesetzte hat möglicherweise gar kein akustisches Problem zum Ausdruck bringen wollen, sondern seine Verärgerung über die Unselbstständigkeit des Mitarbeiters. Und auch wenn für den Mitarbeiter seine Äußerung in (3) als Wiederholung gelten mag – er äußert sich ohne Zweifel vor dem Hintergrund der vorausgegangenen, vollständigeren Aussage, die der Vorgesetzte ja vielleicht doch wahrge-
Die Mär vom „Informationstransport“
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nommen hat und nur vorgibt, nicht verstanden zu haben. Wollte der Vorgesetzte etwa darauf anspielen, dass der Mitarbeiter stets zu leise redet oder zu unselbstständig ist? Liegt darin die Information der Äußerung (2)? Aber falls der Vorgesetzte tatsächlich nicht die ursprüngliche Aussage in (1) mitbekommen hat: Wiederholt die Äußerung (3) wirklich die Informationen aus (1)? Und weiter: Hat der Vorgesetzte das Anliegen des Mitarbeiters überhaupt verstanden? Immerhin sagt er zu, die Firma Müller GmbH anzurufen, und kommt dem offenbar auch wirklich nach. Aber die Bestellung der Müller GmbH liegt ja vor, es fehlt nur eine bestimmte Angabe, wieso redet er dann in (5) von einer „neuen Bestellung“? Meint er eine neue Bestellung im Sinne „korrigierte und um fehlende Angaben ergänzte Bestellung“ oder meint er eine ganz neue Bestellung? Ist dann überhaupt der Liefertermin für die ursprüngliche Bestellung geklärt worden und, falls ja, auf welchen Tag ist dieser vereinbart? Auch der Mitarbeiter scheint seine Zweifel zu haben, vielleicht kennt er ja seinen Chef und hat manch traurige Erfahrung machen müssen. Er fragt also in der Äußerung (6) nach, um sich zu vergewissern. Aber vielleicht meint er ja bereits auch nicht mehr die ursprüngliche Bestellung, sondern die neue und zusätzliche der Firma Müller GmbH. Wie aber stünde es in dem Fall um den Liefertermin der ursprünglichen Bestellung, die Anlass des Klärungsprozesses war? Und meint der Vorgesetzte in (7) überhaupt noch den ursprünglichen Fall? Möglicherweise zeigt er auf einen ganz anderen Vorgang, der mit der Firma Schulze GmbH zu tun hat und der zufällig auf dem Tisch des Mitarbeiters liegt; er mag Kritik andeuten wollen, dass dieser Vorgang offensichtlich noch nicht abschließend bearbeitet wurde. Die in diesem Fall als Rechtfertigung zu wertende Äußerung (8) des Mitarbeiters scheint auf ein solches Verständnis seinerseits hinzudeuten. Vielleicht zeigt der Vorgesetzte aber doch auf den betreffenden Vorgang der Müller GmbH, und der Mitarbeiter, der seinen Chef endlich einmal vor sich hat, will noch rasch ein ganz anderes Thema klären. Ob das geklärt wird, lässt sich aus (9) allerdings nicht zweifelsfrei schließen: Was „geht schon in Ordnung“? Der andere Preis gegenüber der Schulz GmbH? Oder doch der gesamte Vorgang Müller GmbH? Möglicherweise trifft auch zu, dass der Vorgesetzte Y seinen Mitarbeiter darüber informieren will, dass er genug von ihm als unselbstständig und zu langsam arbeitenden Mitarbeiter hat? Auch das könnte hinter seiner Information über die anstehende Besprechung stecken (9).38 Dass ich hier lediglich verunsichernde Fragen aufwerfe und keine Erklärung zum „eigentlichen“ Informationsprozess liefere, liegt unmittelbar darin begründet, dass es müßig ist, für einen konstruierten Fall eine Art von „Wahrheit“ in der Lesart eines erfolgreich verlaufenen Informationsprozesses zu entwickeln. Vielmehr steckt meine Mitteilungsabsicht gerade in den aufgezeigten Ungewissheiten, die plausibilisieren sollen: Informationen sind nicht einfach den Wörtern zu entnehmen, sondern müssen ihrerseits erst zu Informationen „gemacht“, also konstruiert werden – und zwar vom Kommunikationspartner, also dem Hörer. Denn was der Sprecher „eigentlich“ sagen will, ist dem Hörer gerade nicht eo ipso und wie selbstverständlich zugänglich – und sei es noch so (vermeintlich) unmissverständlich formuliert. Da wir uns aber in alltäglicher Kommunikation in der Regel in den Rollen des Sprechers und Hörers permanent abwechseln, deutet sich bereits hier an, weshalb wir derart häufig einen erzielten Konsens im Nachhinein ernüchtert als Scheinkonsens zu bilanzieren haben. 38
Das Beispiel wird unten nochmals aufgegriffen und weiter diskutiert.
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3.
II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen
Wann ist eine Information eine Information?
Immer mehr Unsicherheiten stellen sich ein, wenn wir Kommunikation unproblematisiert als Informationsprozess beschreiben. So ist beispielsweise zu fragen, ob eine Information als solche bereits gelten kann, wenn sie sprachlich geäußert wird, oder ob sie erst durch Entgegennahme und korrekte Deutung zur Information wird, was heißt: erst durch Interpretation entsteht. Noch ein Beispiel: In einem Hochregallager für schwere Gussteile hat ein Lagerist die verschiedenen Positionen einer Kommission auf einer Palette zusammengestellt. Diese müssen nun in die Warenbereitstellungszone gebracht werden. Doch wo ist der Gabelstaplerfahrer mit seinem Fahrzeug? In diesem Moment kommt ein unserem Lageristen bislang nicht bekannter Kollege (trägt den gleichen Arbeitskittel, muss also ein Kollege sein) entgegen. Der Kollege schaut erst auf die Palette mit Gussteilen, dann den Lageristen freundlich an und sagt etwas, das sich für den Lageristen ungefähr so anhört: „Istiff arabasse bosuk.“ Haben Sie’s verstanden? Ich nicht und auch unser Lagerist nicht. Der offenbar neue Kollege hat aber nichts anderes gesagt als: „Der Gabelstapler ist kaputt“ – auf Türkisch.39 War das eine Information? Der türkische Kollege hat sofort erfasst, um was es dem Lageristen geht und worin sein Problem liegt, also informiert er ihn, wenn auch wie selbstverständlich in seiner Muttersprache. Die Information, dass der Gabelstapler defekt ist, ist für den Lageristen ausgesprochen relevant, denn jetzt braucht er nicht länger zu warten, sondern muss etwas anderes unternehmen, um seine Palette zu transportieren. Aber „hat“ er die Information überhaupt? Ist er allein aufgrund der Tatsache, dass jene Aussage getroffen wurde, bereits informiert? Ist er natürlich nicht, denn er vermag die fremdsprachige Äußerung nicht zu deuten. Es greift also zu kurz, den Informationsprozess bereits mit der Äußerung einer Information als vollzogen zu betrachten, wir müssen den sprachverstehenden Hörer und seine Deutungen in den Informationsprozess integrieren. Informationen sind nicht einfach gegeben, nur weil sie geäußert werden. Sie stecken nicht in einer Äußerung, so dass man sie einfach nur herauslösen müsste, und sie werden auch nicht in Wörter verpackt, denen man sie dann wieder entnehmen kann wie Ware, die man aus einem Paket holt. Informationen werden vielmehr erst durch den anderen konstruiert, der dazu zwar veranlasst und durch den Informierenden beeinflusst, aber eben nicht zwingend eindeutig geführt wird. Das provoziert sofort weitere Fragen: Macht erst die Bedeutung einer sprachlichen Äußerung die Information aus? Welche Bedeutung wäre dann aber gemeint: die desjenigen, der die Information mitteilt, oder die Bedeutung, die die sprachliche Äußerung durch den erhält, der sie aufnimmt? Oder ist der Informationsprozess gar erst dann gelungen, wenn die beiden „Be-Deutungen“ der Äußerung bei Sprecher wie Hörer deckungsgleich beziehungsweise identisch sind? 39
Korrekt ist diese Schreibweise: „østif arabasi bozuk.“
Wann ist eine Information eine Information?
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Vor die Wahl gestellt, dürften die meisten zur letztgenannten Möglichkeit tendieren. Wie und woran aber können die am Informationsprozess Beteiligten erkennen, ob die sprachliche Äußerung für sie dieselbe Bedeutung hat? Bedarf es dazu nicht weiterer Kommunikationen, so dass wir die prinzipiellen und strukturellen Defizite des ersten Informationsprozesses nur durch einen weiteren Informationsprozess zu beheben versuchten? Und wie beheben wir die Defizite, denen dieser Informationsprozess notwendigerweise ebenfalls ausgesetzt ist? Antwort: Wir beheben diese prinzipiellen Defizite gar nicht, wir gehen über sie hinweg; ja, wir nehmen sie nicht einmal zur Kenntnis. Denn im Alltag beenden wir unsere Kommunikation, sobald wir ausreichend überzeugt sind, dass unsere Information „angekommen“ ist. Sollen wir das an Kriterien belegen müssen, beginnen wir zu stottern: „Aber das weiß man doch!“, behaupten wir unsicher werdend (diese Unsicherheit jedoch durch besondere Betonung von Selbstverständlichkeit und -gewissheit überspielend). Hier aber müssen wir weiterkommen, wenn wir uns professionell mit Information und Kommunikation in Organisationen befassen wollen – Klärungen sind angezeigt, die uns den Begriff der Information in neuem Licht erscheinen lassen werden. „Information“ wird zumeist als etwas aufgefasst, das von einem Sender an einen Empfänger weitergegeben wird. Dahinter verbirgt sich das von dem amerikanischen Nachrichtentechniker Claude Shannon im Jahr 1949 publizierte „Sender-Empfänger-Modell“. Shannon geht davon aus, dass eine zuvor in einer Nachrichtenquelle erzeugte Nachricht in einem Sender kodiert und von diesem Sender als Signal übermittelt wird. Dieses Signal wird durch ein Medium (zum Beispiel die Luft oder eine Drahtleitung) übertragen, von einem Empfänger aufgenommen und schließlich an seinem Bestimmungsort (Nachrichtenziel) dekodiert beziehungsweise verarbeitet. Auf dem Weg vom Sender zum Empfänger können Störungen der Übertragung auftreten, die es auszuschalten gilt. Gelingt dies und arbeiten die technischen Apparaturen, die als Sender und Empfänger bezeichnet werden, funktionsgerecht, gilt die Nachrichtenübermittlung als erfolgreich. Dieses Modell entwickelte Shannon für technische Signalübertragung und hier vor allem für die Telefonie. Kein Wunder: Shannon war Mitarbeiter der Bell Telephone Laboratories. Ausdrücklich aber hat Shannon das technisch ausgelegte Sender-Empfänger-Modell abgegrenzt von Bedeutungsaspekten, wie sie mit zwischenmenschlicher Kommunikation einhergehen. Sein Modell sei auf kommunikationstechnische Prozesse anzuwenden, für die die Bedeutung der Signale (= Semantik) vollkommen gleichgültig ist.40 Am Beispiel des Telefons illustriert: Shannon interessiert sich für die technische Seite der Nachrichtenübermittlung, ihm ist es jedoch gleichgültig, welche Nachricht übermittelt wird, mithin: über was die Telefonierenden sprechen. Bei Teilnehmern eines Kommunikationstrainings ist es sicherlich exakt umgekehrt: Diese interessieren sich für die Herstellung und Vermittlung von inhaltlicher Bedeutung und kaum für die technischen Voraussetzungen einer übertragungsfähigen 40
„These semantic aspects of communication are irrelevant to the engineering problem“ (Shannon 1949, S. 3). Vergleiche die Erörterungen bei Köck (1988, S. 342 ff.) sowie Lenke/Lutz/Sprenger (1995, S. 15 ff.). Auch Luhmann weist das Sender-Empfänger-Modell zurück, siehe beispielsweise Luhmann (1984, S. 193). Ebenfalls kritisch gegenüber dem Sender-Empfänger-Modell äußert sich Scheufele (2007, S. 92 f.), wobei er seine Kritik auf die Vernachlässigung der sozialen Aspekte von Kommunikation stützt (ebd., S. 93).
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II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen
Drahtleitung.41 Es sind also verschiedene Begriffe von „Information“ zu unterscheiden: ein nachrichtentechnisch-physikalischer Begriff, für den Bedeutungen irrelevant sind und für den das Sender-Empfänger-Modell entwickelt wurde, sowie ein alltagsweltlich-kommunikativer Begriff von Information, in dem es vor allem um die Bedeutung einer Mitteilung geht – und für den das Modell eben gerade nicht vorgesehen ist! Der Marburger Philosoph Peter Janich zeigt in einer ausführlichen Diskussion des Informationsbegriffs und insbesondere des nachrichtentechnischen Modells Shannons auf, welche Inkohärenzen bereits Warren Weaver zustande bringt, wenn er als Koherausgeber im selben Band um eine Übertragung des nachrichtentechnischen Modells Shannons auf zwischenmenschliche Kommunikation bemüht ist. Im Zuge einer gründlichen Auseinandersetzung gelangt Janich zu dem Urteil: „Weaver ist bei seiner Erklärung zur Kommunikation an begrifflicher Nachlässigkeit kaum mehr zu überbieten“ (Janich 2006, S. 75) und bilanziert für die gesamte Tradition, in der das Paradigma des Sender-Empfänger-Modells verwendet wird: „(1) Das zugrundeliegende Sprachverständnis ist monologisch. (2) Es nimmt für Fragen der Semantik und der Pragmatik, also für Fragen des Bedeutens und Geltens sprachlicher Äußerungen, einen naiven Beobachterstandpunkt außerhalb des Kommunikationsprozesses ein. (3) Es spricht von Zeichen und Signalen […], wo in Wahrheit ausschließlich naturwissenschaftlich-technische, kausal bestens definierte Wirkungsausbreitungen vorliegen“ (ebd., S. 81 f.).
Gerade der erste Einwand Janichs weist auf ein fundamentales Merkmal von Kommunikation hin, das häufig gar nicht in Betracht gezogen wird: auf die Gemeinschaftshandlung, die jeder Kommunikation zugrunde liegt.42 Zugespitzt kann – und auch da ist Janich ausdrücklich zuzustimmen – Kommunikation nur dann stattfinden, wenn es einen „permanenten Rollenwechsel von Sprecher und Hörer“ (ebd., S. 155) gibt, weil „nur in diesem Wechselspiel die Kommunikanten selbst beurteilen, wieweit ihre Redehandlungen gelungen sind und Erfolg hatten“ (ebd.).43 Auch Luhmann sieht Kommunikation als „eine genuin soziale […] Operation“ an (Luhmann 1998, S. 81). Schon die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Information und Mitteilung hat allerdings kaum jemand zur Kenntnis genommen, der sich auf dem Feld der Trainings, Seminare, Beratungs- oder Coaching-Projekte tummelt – nicht zu reden von den weiteren Implikationen des Sender-Empfänger-Modells, die darauf hinauslaufen, wesentliche Elemente zwischenmenschlicher Kommunikation auszublenden. Nur andeutungsweise seien als Defizitbeispiele die von Shannon strikt ausgeschlossenen semantischen Aspekte genannt, also der kommuni41
Bei Interesse an Letzterem wären andere Veranstaltungen aufzusuchen, etwa im Zuge nachrichtentechnischer Studiengänge; 42 Anders dagegen Scheufele, der im Anschluss an Max Weber Kommunikation als soziales Handeln begreift (Scheufele 2007, S. 91). Wie bereits oben ausgeführt, verstrickt sich Scheufele bedauerlicherweise in Widersprüche, wenn er an gleicher Stelle das unmittelbar zuvor eingeführte Merkmal der Intentionalität für Kommunikation gleich wieder aufhebt. 43 Auf Sprecher und Hörer sowie auf die Beurteilung des kommunikativen Erfolgs wird im Kapitel II.4 zurückgekommen.
Wann ist eine Information eine Information?
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kativen Vermittlung von Bedeutung, oder die Reduzierung des Kommunikationsprozesses auf das Senden und die daraus resultierende Vernachlässigung des Hörers. Und doch es ist heutzutage nahezu ausgeschlossen, sich mit Kommunikation zu beschäftigen, ohne dem SenderEmpfänger-Modell als Erklärungs- und Beschreibungskonzept ausgesetzt zu werden – kaum ein Berater, Trainer oder Coach, der nicht mit diesem Modell arbeitete. Ob auch nur ein kleiner Teil dieser Propagandisten jemals einen Blick in die ursprüngliche Quelle geworfen hat? Obwohl bedeutende Forscher das Sender-Empfänger-Modell immer wieder mit fundierter Kritik als Erklärung zwischenmenschlicher Kommunikation zurückgewiesen haben und sogar Shannon selbst als Urheber vor kruder Übertragung des Modells auf zwischenmenschliche Kommunikation warnte, hat das seiner Verarbeitung durch die Beratungs- und Trainingsindustrie nichts anhaben können. Es ließe sich argumentieren, dass Shannon das Modell zwar anders gemeint habe, es jedoch trotzdem als Beschreibungsmodell für zwischenmenschliche Kommunikation tauge. Was also ist gegen dieses Modell und seine Übertragung auf zwischenmenschliche Kommunikation zu sagen? Für eine Antwort müssen wir uns konsequenterweise vom streng mathematisch ausgelegten Informationsbegriff Shannons lösen, denn anderenfalls bräuchten wir dieser Frage gar nicht erst nachzugehen. Schon die Gleichsetzung eines technischen Signals – auch zu verstehen als technischer Impuls – mit einer „Information“ führt schnell in die Irre. In der Nachrichtentechnik ist ein Signal, vereinfacht gesprochen, zunächst nichts anderes als ein physikalisch beschreib- und messbarer Impuls, der unter Einsatz von Energie durch etwas ausgelöst wird und seinerseits etwas anderes auszulösen vermag. Das meinen wir jedoch nicht mit „Information“, wenn wir den Ausdruck im Zusammenhang zwischenmenschlicher Kommunikation verwenden. Uns geht es nicht um den akustischen Schall: Wir weisen diesem physikalisch beschreibbaren Ereignis eine Bedeutung zu und um diese soll es gehen. Diese Bedeutung jedoch allein an die Nachrichtenquelle und den Sender zu binden, verkennt fundamentale Abläufe im Verständigungsprozess, wie nachfolgend gezeigt wird. Rasch sei für die Zwecke dieses Buches eine terminologische Konvention eingeführt: Um gar nicht erst in die Nähe des für die Beschreibung zwischenmenschlicher Kommunikation ungeeigneten Sender-Empfänger-Modells zu geraten, benutze ich den Terminus „Sprecher“, um den zu bezeichnen, der etwas mündlich oder schriftlich oder anderweitig äußert, also ursprünglicher „Produzent“ einer Äußerung ist. Derjenige, der diese Äußerung mit Verstehensabsicht wahrnimmt, heiße „Hörer“ oder „Rezipient“ einer Äußerung (selbst dann, wenn er ein Leser oder Betrachter ist). Erinnern wir uns an die kleine Situation im Hochregallager: Die auf Türkisch getroffene Aussage war für den Hörer durchaus ein akustisch wahrnehmbares Signal, aber aufgrund mangelnder Türkischkenntnisse eben doch keine Information. Erst wenn es dem Lageristen gelänge, den neuen Kollegen zur Verwendung von ihm verständlichen Wörtern zu bewegen, durch Gebärden hinter den Sinn der Mitteilung zu kommen oder durch Heranziehen weiterer Kollegen, die vielleicht als Übersetzer fungieren können, entstünde für ihn die Information. Die sprachliche Äußerung „istiff arabasse bosuk“ ist nicht schon eine Information, sie muss
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II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen
durch den Hörer zu einer gemacht werden. Das gilt übrigens für jedwede sprachliche Äußerung – auch für den (deutschsprachigen) Satz: „Der Gabelstapler ist kaputt.“ „Information“, zu verstehen als Mitteilung über Sachverhalte, Eigenschaften, Ansichten oder Gefühle – kurz: über Wahrnehmungen und Beobachtungen, ist das Ergebnis eines Prozesses und nicht ein objekthafter Sachverhalt.
An dieser Stelle streift die Diskussion ein weiteres Problem, das bei der Rede von „Information“ immer wieder auftaucht: das der objektiven Nachprüfbarkeit, die erst eine „echte Information“ ausmache. Schon die beiden letztgenannten Informationsgegenstände der Ansichten und Gefühle gelten nicht jedem als relevanter Gegenstand von Information. Ansichten und Gefühle sind höchst subjektiv und alles andere als objektiv nachprüfbar, können also womöglich gar nicht als „echte Information“ angesehen werden. Andererseits kennen wir natürlich Gefühle und Wahrnehmungen, die nur uns unmittelbar zugänglich sind, und treffen durchaus Aussagen darüber, um andere zu informieren. Beispiele sind Aussagen wie „Ich bin unzufrieden mit Ihrer Leistung“ oder „Mein Bauch tut weh“. Auch wenn solche Aussagen nicht ohne Weiteres objektiv nachprüfbar sind, muss ihnen Informations-, besser: Mitteilungsabsicht zugesprochen werden. Die objektive Überprüfbarkeit einer Information scheidet damit als Kriterium aus. Ob nun subjektive oder (vermeintlich) objektive Sachverhalte zum Gegenstand von Informationsprozessen werden, erforderlich ist für uns mehr als das Auslösen von technischen – beim Menschen: neuronalen – Impulsen. Der entscheidende Aspekt, der eine Übertragung des nachrichtentechnischen Modells auf zwischenmenschliche Kommunikation fragwürdig macht, ist die Annahme, dass eine Information für beide am Kommunikationsprozess Beteiligten identisch sei. Das kann jedoch keineswegs als gesichert gelten. Denn wie gezeigt ist eine Information nicht automatisch und objektiv gegeben, Informationen müssen zuerst zu solchen gemacht werden. Am Beispiel gesprochener Informationsprozesse demonstriert: Derjenige, der die Information erhalten soll, muss seine auditive Wahrnehmung („oh, ich höre ein Geräusch“) überhaupt erst dem Handlungskomplex „Informieren – Information – Informiert werden“ zuordnen, bevor er weitere Verarbeitungsprozesse einleitet: „Jemand produziert Geräusche.“ „Die Geräusche entsprechen Elementen einer mir verständlichen Sprache.“ „Er richtet sich an mich und will mich über etwas informieren.“ Erst jetzt beginne ich, die Wörter zu deuten, aus ihnen Schlüsse zu ziehen, sie mit Stücken meines Wissens in Verbindung zu setzen, sie zu verknüpfen, zu überprüfen, zu ergänzen, zu verwerfen oder als Anlass für eigenes Tun aufzugreifen. Dies ist weniger als „Informationsverarbeitung“, sondern vielmehr als „Informationserarbeitung“ anzusehen – als ein Konstruktions- oder Produktionsprozess, der gerade nicht beim Sprecher, sondern beim Hörer stattfindet und der herzlich wenig mit den analogen Prozessen des Sprechers zu tun haben muss. Damit aber wollen wir uns dem zuwenden, der eigentlicher Adressat kommunikativer Äußerungen ist: dem Hörer.
Der Hörer als Schöpfer: Information entsteht durch Konstruktion
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Der Hörer als Schöpfer: Information entsteht durch Konstruktion
Jede Kommunikation zwischen Menschen setzt nicht nur die Produktion von Signalen voraus. Es bedarf als Nächstes (und nicht als Letztes) deren sinnlicher Wahrnehmung durch einen anderen. Dieser muss zuhören, wenn ich etwas zu ihm sage, bevor er daran gehen kann, meine Aussagen einzuordnen, zu deuten oder zu bewerten. Und erst durch diese Prozesse entsteht Information – seine Information. Angewandt auf unser oben bemühtes Beispiel der kleinen Episode innerhalb der Maier GmbH: Es ist uns Außenstehenden nicht ohne Weiteres möglich, die aufgeworfenen, das Gelingen des Informationsprozesses zwischen den Herren X und Y anzweifelnden Fragen zu beantworten. Allein das zeigt bereits, dass Informationen nicht einfach in Wörter hineingelegt werden, die der andere ebenso einfach wieder herausnimmt, denn sonst könnten wir unsere Deutungen als sicher betrachten. Was aber der Vorgesetzte (Herr Y) tatsächlich mit dem Kunden, der Müller GmbH, besprochen und vereinbart hat, und ob dem Anliegen des Mitarbeiters X entsprochen wurde, ist nicht ohne Weiteres feststellbar. Möglicherweise liegen wir mit unseren Zweifeln richtig, sicher ist das auf Grundlage der uns vorliegenden Daten nicht. Und was an anderen „Informationen“ in dem Kommunikationsbeispiel steckt, muss vollends offenbleiben, so etwa die angesprochene Möglichkeit, dass der Vorgesetzte durch seine Rückfrage „Wie bitte?“ (in 2) den Mitarbeiter informieren wollte, er spreche zu leise. Oder aber dass er mit seinem letzten Hinweis auf die anstehende Besprechung seine eigene Kritik an der Arbeitsleistung des Mitarbeiters ausdrücken wollte (in 9). Dem Mitarbeiter stehen immerhin noch situative Hilfen zur Verfügung, die seine Deutungen und Bewertungen erleichtern. Er erinnert sich vielleicht, dass sein Vorgesetzter schon mehrmals seine Art, leise zu reden, kritisierte und seit einiger Zeit durch vorgetäuschtes Missverstehen dieses Verhalten ändern will (Deutung zu 2). Im Gegensatz zu uns, die wir die Situation nicht vor Augen haben, sieht er in (7), auf welchen Vorgang der Vorgesetzte zeigt und kann Schlussfolgerungen anstellen. Aber alle situativen Deutungshilfen ändern nichts daran, ja, sie beweisen sogar, dass er als Konstrukteur aktiv werden muss. Da die Informationen nicht allein aus den Äußerungen seines Vorgesetzten eindeutig hervorgehen, zieht er weitere Indizien heran, um die für ihn relevanten Informationen herzustellen. Mit Ungeheuer können wir den Hörer als jemanden betrachten, der interpretieren, deuten, ergänzen muss, will er den Sinn der Sprecheräußerung nachvollziehen. Dabei greift der Hörer auf seine als Wissen vorgehaltenen Erfahrungen zurück. Grundlage seiner Interpretationen sind die Äußerungen des Sprechers, mit denen dieser den Hörer zu spezifischen und gewünschten Interpretationen führen will: „In diesem Sinne ist seine [das heißt des Sprechers] sprachliche Formulierung, ist jedes Sprachzeichen Plan und Anweisung an den Hörer, innere Erfahrungsakte zu vollziehen, von denen der Sprecher annimmt, sie hätten diejenigen Wissens-Inhalte zum Objekt, die er intendiert zu kommunizieren“ (Ungeheuer 1987b, S. 316).
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Ein Informationsprozess ist also stets ein Konstruktionsprozess, in dem der Adressat, also je nach Situation der Hörer, Leser, Betrachter etc., einer kommunikativen Handlung als dem Sprecher mindestens gleichrangiger Konstrukteur fungiert. Dies widerspricht durchaus den gängigen Vorstellungen, die das Konstruieren allein dem „Produzenten“ einer Äußerung, also dem Sprecher, zuschreiben und für den Hörer lediglich eine passive Rolle vorsehen. Etwa dergestalt, dass er die Informationen lediglich den Wörtern zu entnehmen brauche, die der Sprecher in diese hineingelegt hatte. Informationen können demnach nicht einfach als solche gelten, sondern werden erst durch den wahrnehmenden Zuhörer oder Zuschauer hergestellt, gewonnen, zu Informationen gemacht: Er, der Hörer, ist der Schöpfer der Information. Nebenbei folgt daraus auch, dass die ebenfalls nicht selten anzutreffende Annahme von Zuhören als Informationsverarbeitung ungenau, wenn nicht sogar unzutreffend ist. Wie bereits zum Ausdruck gebracht: Informationen werden nicht einfach „ver-arbeitet“, sie werden „er-arbeitet“, und zwar vom Hörer, der die Information durch seinen konstruierend-schöpferischen Prozess (mit Ungeheuer: durch „innere Erfahrungsakte“) entstehen lässt. Dies darf übrigens nicht als „Decodierungsprozess“ angesehen werden, denn des Sprechers innere Bilder, Vorstellungen, Gefühle usw., die er durch seine Äußerung ausdrücken möchte, können gar nicht identisch im kognitiven System des Hörers nachgebaut werden, selbst wenn ihm jedes geäußerte Wort bekannt und verständlich wäre: Er muss stets weitere Deutungshilfen ansetzen, muss vor dem Hintergrund der aktuellen Situation Ursachen und Absichten erschließen. Das ist substanziell etwas anderes als ein Transfer wahrgenommener Laute in innere Bilder, Vorstellungen, Gefühle usw. anhand einer Abbildungsvorschrift. Nichts anderes nämlich ist ein Code: eine Vorschrift zur Transformation von Zeichen in andere Zeichen; Decodieren bedeutet somit den Re-Transfer anhand derselben Abbildungsvorschrift (ein in diesem Zusammenhang oft bemühtes Beispiel ist der Morse-Code). Der Befund, dass der Hörer der Neu-Schöpfer der Mitteilung ist, kann noch weiter zugespitzt werden: und zwar für Fälle von sprecherseitig grammatisch unkorrekten Äußerungen oder auch für Äußerungen von Metaphern, die sich endgültig nicht mehr durch einen kruden Dekodierungsprozess erklären lassen.44 Wenn beispielsweise heutzutage ein Geschäftsführer seine Mitarbeiter als „Personalressourcen“ bezeichnet, so verwendet er ein Sprachbild, das in dieser Form noch vor wenigen Jahren nicht üblich war. Und dennoch ist es einem Hörer verständlich – weshalb? Mit Verweis auf den Sprachpsychologen Hans Hörmann ist von einer Sinnkonstanz zu sprechen, die Hörer ansetzen, wenn sie eine Äußerung aufnehmen: Selbst „wenn der Hörer nicht versteht, muss er doch die Situation im Prinzip für sinnvoll und damit für verstehbar halten“ (Hörmann 1976, S. 199). Mit Sinnkonstanz ist also ausgedrückt, dass wir stets dem Gesagten einen Sinn unterstellen – so wie wir es für jedes Handeln tun, das wir wahrnehmen. Nochmals Hörmann: „[W]er wahrnimmt (und Hören ist eine Form des Wahrnehmens), versteht etwas“ (ebd., S. 198). Wir halten als Hörer bereits Strukturen bereit, mit
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Kieser befasst sich in verschiedenen Publikationen mit der Bedeutung metaphorischen Sprachgebrauchs gerade im Hinblick auf organisatorischen Wandel, etwa in Kieser (1998, S. 56 ff.) oder ähnlich in Kieser/ Hegele/Klimmer (1998, S. 146 ff.).
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deren Hilfe wir auch solche Äußerungen verstehen können, die nach syntaktischen oder semantischen Regeln eigentlich nicht verständlich sind.45 Der Hörer als Konstrukteur und Schöpfer: Ich gebe zu, dass diese Sichtweise ungewöhnlich und nicht ohne Weiteres mit üblichen Ansätzen in Einklang zu bringen ist. Der Hörer gilt bei sonstigen kommunikationsbezogenen Betrachtungen als passive Figur, hier jedoch wird er zum den Kommunikationsprozess überhaupt erst konstituierenden Akteur. Dabei kann allerdings auf die durch den bereits mehrfach erwähnten Kommunikationswissenschaftler Gerold Ungeheuer begründete „Bonner Schule“ verwiesen werden, die schon in den 70er Jahren begann, den Kommunikationsprozess vom Hörer und eben nicht mehr vom Sprecher aus zu denken. Damit einher geht Ungeheuers Schwenk vom bis auf den heutigen Tag üblicherweise zugrunde gelegten „Ausdrucksmodell“ der Kommunikation hin zum „Eindrucksmodell“: Der Fokus kommunikativer ebenso wie kommunikationstheoretischer Bemühungen liegt nicht mehr auf den Ausdrucksformen des Sprechers, sondern auf dem Eindruck, der beim Hörer erzielt wird – und zwar ausgelöst und initiiert durch den Sprecher, aber zur Wirkung gebracht durch den Hörer. Mit diesem bewusst als Gegenmodell angesetzten, sich auf verschiedene Quellen von Platon bis Fritz Mauthner berufenden Schwenk wird der Hörer zum dem Sprecher gleichrangigen Teilnehmer der Kommunikation (Ungeheuer 1987b, S. 294 ff.). Ungeheuer gelangt zu der Grundannahme: „In kommunikativer Sozialhandlung sind Formulierungen und Teilformulierungen bis zu jedem Sprachzeichen Anweisungen und Pläne für den Hörer zum Vollzug von inneren Erfahrungsakten, von denen der Sprecher annimmt, ihnen würden Inhalte korrelieren, die er meint“ (ebd., S. 316).46
Der Essener Kommunikationswissenschaftler H. Walter Schmitz, selbst ein UngeheuerSchüler, weist darauf hin, in welch geringem Umfang die üblicherweise betriebene Kommunikationsforschung den Hörer und seine Rezeptionsaktivitäten berücksichtigt. Die lange Tradition der Auseinandersetzung mit dem Zuhören als eigentlich den Kommunikationsprozess erst zustande bringender Aktivität, die im europäischen Raum zur Verfügung steht, bleibt in aller Regel ausgeblendet. Ebenso unbeachtet ist die deutlich intensivere Auseinandersetzung mit dem Hören in US-amerikanischen Studien der 50er und 60er Jahre. Schmitz postuliert in einigen bewusst provokant formulierten Thesen, dass es der Hörer ist, der den Kommunikationsprozess überhaupt erst zustande kommen lässt: „Der Hörer eröffnet das Gespräch“ (Schmitz 1998, S. 62), das heißt: Erst wenn wir einen Hörer haben, macht es Sinn für uns zu sprechen. Dabei ist das Hören gar nicht allein auf den Hörer beschränkt, denn auch der Sprecher kontrolliert während seiner Äußerung als sein eigener Hörer permanent, was er sagt, wie er es sagt und wie es wirkt (vergleiche ebd., S. 66 et passim). 45
Ohne dass dies hier näher behandelt werden kann, sei darauf hingewiesen, dass die gegenseitige Unterstellung von „Relevanz“ für zwischenmenschliche Kommunikation ähnlich dem Prinzip der Sinnkonstanz wirkt: Als Hörer setzen wir voraus, dass ein Sprecher etwas Relevantes äußert. Einschlägig für relevanztheoretische Überlegungen sind insbesondere Grice (1975) sowie Wilson/Sperber (1981) und Sperber/ Wilson (19962). Eine nähere Auseinandersetzung mit Relevanztheorie findet sich in Wolf (2000, S. 129 ff.). 46 Zur Bedeutung des Hörens vergleiche auch Lucas (1995).
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II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen
Fast zwangsläufig stellt sich die Frage, ob es denn gar nicht auf den Sprecher ankomme? Wer den Kommunikationsprozess adäquat fassen will – und in diesen ist ein Informationsprozess eingebettet –, der muss beide Perspektiven, die des Sprechers wie des Hörers, betrachten. Wir haben uns mit dem Hörer besonders intensiv beschäftigt, weil dieser zumeist unter Wert gehandelt wird. Deshalb die vielleicht überstarke Betonung der Hörerfunktion. Die Aufwertung des Hörers zu einem gleichberechtigten Beteiligten am Kommunikationsgeschehen ändert jedoch nichts an der (temporären) Dominanz des Sprechers. Er gibt den kommunikativ wirksamen Impuls, er provoziert durch seine Äußerungen innere Handlungen des Hörers, die oben als sehr produktive Schlussfolgerungsprozesse markiert wurden. Er ist ohne Zweifel Initiator des Prozesses wie Initiant des Themas, zu dem der Hörer Informationen (re-)produziert. Der Sprecher als „Erstproduzent“ informiert übrigens mindestens noch eine weitere Person – nämlich sich selbst, denn er ist, wie oben schon angedeutet, sein eigener Hörer, der sein Reden kontrolliert und steuert. Hierzu nutzt der Sprecher als Beobachter der durch sein Sprechen erzielten Wirkungen die Hörerreaktionen, mit deren Hilfe er noch während seiner Äußerung festzustellen versucht, ob das Gesagte verstanden beziehungsweise überhaupt wahrgenommen wird. Um dieser Perspektive Rechnung tragen zu können und gleichzeitig nicht selbst den kritisierten Ansichten über Information als objekthaftes Gebilde, das durch die sprachliche Äußerung transportiert werde, auf den Leim zu gehen, werde ich von nun an den Sprachgebrauch „Informieren“ bevorzugen. Des Sprechers Handeln soll in solchen Kommunikationssituationen dann als „Informieren“ bezeichnet werden, wenn es seine Absicht ist, seine Beobachtungen als festgestellte äußere oder innere Sachverhalte beziehungsweise Zustände mitzuteilen.
Hinzuweisen ist auf die verbalisierende Ausdrucksweise, die nicht mehr von absolut gesetzter „Information“ fast im Sinne einer vergegenständlichten Einheit ausgeht, sondern „Informieren“ als ein Handeln begreift. Dieses Handeln zielt zwar auf Information, muss jedoch in Kauf nehmen, dass diese durch den Hörer neu konstruiert wird, wobei sein Konstruktionsprozess nicht völlig beliebig ausfallen kann. „Informieren“ löst die vermeintliche Objekthaftigkeit der „Information“ auf: Information existiert nicht ohne Weiteres, sie emergiert im Prozess des Informierens beim Sprecher wie auch beim Hörer, der informiert werden soll, und es kann sein, dass seine Information anders ausfällt als die Information, die der Sprecher konstruiert hat beziehungsweise bei ihm aufbauen möchte. Doch limitiert und prägt die informierende Äußerung des Sprechers den Konstruktionsprozess des Hörers, denn dieser wird nicht beliebig konstruieren, sondern ein mit dem Sprecher geteiltes Wissen und gemeinsame Situationsbezüge heranziehen, um „seine“ Information zu erschaffen. Und insofern kommt es eben auch auf den Sprecher an. Denn bei aller Vagheit ist die Konstruktion der Information durch den Hörer durch die kommunikative Handlung des Sprechers ausgelöst und ganz ohne Zweifel auch beeinflusst. Der Sprecher will ja etwas: Er will, wie wir jetzt festhalten können, dass der Hörer einen Wahrnehmungs- und Konstruktionsprozess ausführt, und zwar auf eine bestimmte Weise und mit
Kommunikation zielt auf Handlungssteuerung
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einem bestimmten Ergebnis. Wie gezeigt können wir mit Ungeheuer konstatieren, dass Sprecher dann, wenn sie jemanden über etwas informieren wollen, innere Handlungen beim Hörer – also Wahrnehmungs-, Kategorisierungs-, Deutungs-, Vervollständigungs- und Bewertungsprozesse, mithin Konstruktionsprozesse – auslösen, beeinflussen und steuern wollen.47
5.
Kommunikation zielt auf Handlungssteuerung
Damit begnügen wir uns als Sprecher meistens jedoch nicht. Zumeist wollen wir Sprecher mehr als „nur“ informieren. Der andere soll aufgrund der stattgefundenen Kommunikation etwas tun oder unterlassen, er soll eine Meinung übernehmen oder an etwas glauben. Vielleicht will ich meinen Vorgesetzten kommunikativ zu einem Ergebnis führen, das man als „Entscheidung“ bezeichnet, damit ich weiß, welche von mehreren Alternativen ich umsetzen soll. Andere alltägliche Beispiele sind etwa das Erweisen einer Gefälligkeit, das Befolgen einer ausgesprochenen Anweisung oder das Einlösen einer Zusage. Schon im 19. Jahrhundert kam Philipp Wegener zu dem Ergebnis: „Der Zweck unseres Sprechens ist stets der, den Willen oder die Erkenntnis einer Person so zu beeinflussen, wie es dem Sprechenden als wertvoll erscheint“ (Wegener 1991, S. 67). Wir können ergänzen: Auch der Umstand, dass Sprecher häufig in dieser Absicht aufgrund mangelnder Bereitschaft des Hörers scheitern, ändert nichts daran, dass Sprecher die Absicht der Steuerung innerer oder äußerer Handlungen des Hörers verfolgen. Auch Karl Bühler, von dem im Kapitel II.6 nochmals die Rede sein wird, begreift das Sprechen als einen „Kontakt höherer Ordnung, um die Steuerung […] zu ermöglichen“ (Bühler 2000, S. 61). Und er fährt fort: „Der sprechende Mensch appelliert an Vorstellungen und Begriffe seines Hörers“ (ebd.). In jedem Fall von Kommunikation will ich durch diese etwas erreichen. Selbst der Fall, in dem ich jemand anderen „nur“ über etwas informieren will (und das kann ich auch im Lichte der obigen Ausführungen durchaus wollen), ist kein Widerspruch, denn durch das Informieren will ich erreichen, dass eine innere oder äußere Folgehandlung stattfindet. Bereits oben war Kommunikation als absichtsvolles Tun markiert worden, was in gleicher Weise für Sprecher wie Hörer gilt. Verweigert der Hörer die Aufmerksamkeit, so ist die Kommunikation nicht zustande gekommen, eine Konsequenz, die sich zwangsläufig aus der hörerorientierten 47
Welch gelinde gesagt ungeordnete Vorstellungen der Parallelgebrauch von Kommunikation und Information nach sich ziehen kann, lässt sich am Beispiel von Ruud/Pfister demonstrieren, die „Information“ und „Kommunikation“ als „eng miteinander verbunden“ ansehen. Kaum haben sie auf Unterschiede zwischen den beiden Kategorien hingewiesen, fassen sie diese wieder zusammen (Ruud/Pfister 2007, S. 632 f.). Von da aus geht es weiter in Richtung des „Kommunikations-Controllings“, in dessen Zusammenhang persistent die Rede von „Informations- und Kommunikationsprozessen“ ist, die besagtem KommunikationsControlling zu unterziehen seien (ebd., S. 639 ff.). Immerhin differenzieren sie zwischen „Informieren“ und „sich informieren“ (wenn auch unter Verwendung des Sender-Empfänger-Modells; ebd., S. 633).
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II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen
Einstellung ergibt, wie sie in Kapitel II.4 erläutert wurde. Sehr verkürzt können wir postulieren: Ohne den Sprecher kann der Kommunikationsprozess erst gar nicht beginnen, aber ohne den handelnden Mitvollzug des Hörers kann er nicht als vollzogen gelten. Es bedarf eines ebenso absichtsvollen wie koordinierten Tuns beider. Diese Position kann sich zumindest in Teilen auch auf Niklas Luhmann berufen: „Man liest: Tabak, Alkohol, Butter, Gefrierfleisch usw. gefährde die Gesundheit, und man ist (als jemand, der das hätte wissen und beachten können) ein anderer – ob man’s glaubt oder nicht! Man kann es jetzt nicht mehr ignorieren, sondern nur noch glauben oder nicht glauben. Wie immer man entscheidet: Die Kommunikation legt einen Zustand des Empfängers fest, der ohne sie nicht bestehen würde, aber nur durch ihn selbst bestimmt werden kann“ (Luhmann 1987, S. 203 f.).
Die Kommunikation – ich paraphrasiere: die Aktivität des Sprechers – stellt einen Impuls, eine Störung des Hörers dar (Luhmann verwendet bedauerlicherweise die Termini der Sender-Empfänger-Metapher, obwohl er das Modell nur wenige Seiten vorher ablehnt, siehe ebd., S. 193 ff.), die jedoch erst durch seine (innere) Aktivität zur Wirkung gebracht wird. Unter Bezug auf eingeführtes Vokabular könnte ich auch formulieren: Aus dem Impuls des Sprechers und den inneren Handlungen des Hörers emergiert ein Grad von Verständigung, der zumindest den Anspruch hat, für gesetzte (alltägliche) Zwecke ausreichend zu sein. Der Hörer hat, darauf weist Luhmann ausdrücklich hin, mit seiner die Kommunikation eigentlich erst vollendenden Anschlusshandlung jedoch keineswegs den mitgeteilten Sachverhalt akzeptiert oder abgelehnt. Dies wäre durch einen weiteren kommunikativen Akt zu überprüfen: „Wenn auf eine kommunikative Handlung eine weitere folgt, wird jeweils mitgeprüft, ob die vorausgegangene Kommunikation verstanden worden ist“ (ebd., S. 198). Ich setze dies parallel zu der Auffassung, dass es sich bei Kommunikation primär um einen Steuerungsprozess handelt, sowohl bezogen auf innere (Anschluss-)Handlungen als auch auf die durch Kommunikation herbeigeführten nicht-kommunikativen Handlungen (zum Beispiel wenn mir jemand auf meine Bitte hin ein Glas Wasser einschenkt). Die hier vertretene kommunikationstheoretische Position findet im Übrigen Bestätigung beim bereits erwähnten Hans Hörmann. Auch dieser geht davon aus, dass erst durch den Beweis, den der Hörer erbringen muss, ein Verstehen durch den Sprecher bestätigt werden kann. Dieser Beweis kann in verschiedener Form erfolgen: als „paraphrasierender Satz, eine Handlung, ein Schweigen“ (Hörmann 1976, S. 206). Gerade die Äußerung des Hörers, die der Sprecher „als Paraphrase seiner eigenen Mitteilung akzeptiert: ja so habe ich es gemeint“ (ebd.), vermag also den Kommunikationserfolg zu belegen. Diese Position findet sich in jüngerer Zeit auch bei Galliker/Weimer, die unter Verweis auf andere Autoren eine Sequenz von drei aufeinanderfolgenden Schritten als „Grundeinheit des kommunikativen Austausches“ (Galliker/Weimer 2006, S. 33) ansehen. Es sind die Schritte 1. „Interpretandum“: die erste Äußerung eines Sprechers; 2. „Interpretation“: die paraphrasierende Wiedergabe des hörerseitig verstandenen Interpretandums;
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3. „Qualifikation“: die sprecherseitige Annahme oder Zurückweisung der Hörerinterpretation. Für Kommunikation, die in Handlungsvollzüge eingebettet ist, kann der Schritt 2 durch das Handeln des Hörers ersetzt werden, wie wir ansetzen wollen. Ein Beispiel: Erklärt ein Schichtführer einem Schichtmitarbeiter, wie ein Werkstück korrekt in eine Drehmaschine eingespannt werden muss, und erledigt der Schichtarbeiter dies wie vorgesehen, ohne ein Wort zu sagen, dann ist sein Tun als analog zur „paraphrasierenden Wiedergabe“ des von Galliker/Weimer vorgelegten Verständigungsmodells anzusehen. Der Schritt 3 könnte in der (womöglich nur kurz) zum Ausdruck gebrachten Bestätigung durch den operativ Vorgesetzten oder durch das Ausbleiben einer erneuten Korrektur bestehen. Deutlich wird, dass kommunikative Verständigung nicht einem einzelnen Kommunikationszug und schon gar nicht allein einem „Sender“ zuzuschreiben ist. Vielmehr muss Kommunikation als Gemeinschaftshandlung aufgefasst werden, deren Erfolg nicht ohne Weiteres gegeben ist.48 Es sei in gebotener Kürze auf einen durchaus fundamentalen Dissens in der Verwendung des Terminus „Verstehen“ hingewiesen. Für Luhmann und offenbar auch für Hörmann ist es geradezu selbstverständlich, dass durch Kommunikation ein Verstehen erreicht wird. Diese Auffassung wird allerdings energisch durch Juchem bestritten, für den ein Verstehensprozess eine Identität der inneren Handlungen der kommunikativ Handelnden voraussetzt. Innere Handlungen sind etwa die je individuellen Konzepte, Gefühle, Funktionszuschreibungen und weiteren Merkmale, die ein Individuum mit einer Mitteilung verbindet, und diese können niemals identisch sein, wie konzediert werden muss (vergleiche Juchem 1987, passim). In diesem Maximalsinn schließt selbst Luhmann ein gegenseitiges Verstehen aus, da auch für ihn ein kommunikativ hergestellter „Konsens im Vollsinne einer vollständigen Übereinstimmung unerreichbar ist“ (Luhmann 1998, S. 82). Den impliziten Widerspruch zu seiner eigenen Position löst Luhmann allerdings nicht auf. Evident wird, dass es erhebliche Differenzen in der Deutung von „Verstehen“ gibt, insbesondere hinsichtlich der Inklusionen dessen, was mit Verstehen gemeint ist: vollständige Identität aller inneren Handlungen beziehungsweise Zustände bezüglich eines kommunizierten Sachverhalts – unter Berufung auf Juchem, aber auch auf Luhmann unmöglich zu erreichen – oder lediglich Verstehen im Sinne eines Alltagskonsens. Dieser „schwache Verstehensbegriff“ wird im vorliegenden Buch analog der Kategorie „Verständigung“ gesetzt. Da es keinen „echten“, „vollständigen“ Verstehensprozess geben kann, bleibt uns nur die Verständigung im Kontext gegenseitiger Steuerung durch Kommunikation und anderes Handeln. Wir können also den Kommunikationsprozess auffassen als ein Geschehen, in dem sich die Handelnden permanent gegenseitig zu steuern suchen. Sie äußern sich unter Verwendung eines als dem anderen geläufig unterstellten Zeicheninventars – zum Beispiel unter Verwendung einer beiden Seiten verfügbaren Sprache – und geben einander Deutungshilfen durch entsprechenden Sprach- und Zeichengebrauch.49 Auf diese Weise verständigen sie sich auf 48
Mit Blick auf die oben angestellten emergenztheoretischen Überlegungen kann reformuliert werden, dass Kommunikation als etwas Gemeinschaftliches aus mehreren Teilakten emergiert. 49 Zu „Zeicheninventar“ und „Sprache“ siehe Juchem (1989a).
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II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen
das, was danach kommt – oder nicht, denn Ablehnung beziehungsweise Verweigerung ist stets einzukalkulieren. Dabei muss unterstellt werden, dass keine Äußerung in zwischenmenschlicher Kommunikation jemals vollständig ausfallen kann. Vollständigkeit hieße, dass wir alle Hinweise auf die von uns als Sprecher verfolgte Mitteilungsabsicht in unserer Äußerung unterbringen würden, mit allen persönlichen oder geteilten Erlebnissen, Erfahrungen, Wissensbeständen und Gefühlen. Das aber ist ein Prozess ad infinitum: Wir würden immer nur Wörter benutzen können, um andere Wörter zu erklären, zu illustrieren, zu disambiguieren. Dennoch gäbe es kein Entrinnen, denn wie sollte ausgeschlossen sein, dass ein als Erläuterung gesetzter Ausdruck nicht plötzlich ein (scheinbar) gewonnenes Einvernehmen ins Wanken brächte? Es bleibt dabei: Wir brechen den Kommunikationsprozess ganz einfach ab, sobald wir zu der Auffassung gelangen, dass wir unsere Ziele erreicht haben. Die „Zielerreichung“ allerdings bedarf weiterer Differenzierungen. Damit ich durch die Kommunikation etwas erreichen kann, muss ich zunächst in der Kommunikation etwas erreichen, ja, ich muss zuerst den Kommunikationspartner erreichen. Das bedeutet erstens, dass dieser überhaupt wahrnimmt, dass ich ihn mit kommunikativer Absicht kontaktiere. Und das bedeutet zweitens, dass ich als Sprecher eine inhaltliche Verständigung aufbauen muss, bevor darüber hinaus Ziele in der und durch die Kommunikation erreichbar werden. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass eigentlich erst am durch die Kommunikation ausgelösten Handeln feststellbar wird, ob zuvor ein ausreichender Verständigungsprozess stattgefunden hat. Der Kognitionswissenschaftler Wolfram Köck drückt es folgendermaßen aus: „Jede [kommunikative] Äußerung ist wie ein Scheck durch das gewünschte Handeln gedeckt oder nicht. Erst unser Handeln bestätigt und validiert semiotisch projizierte Bedeutungen und Geltungen, macht sie sinnvoll und produktiv“ (Köck 2003, S. 141). Kommunikation kann als erfolgreich nur gelten, wenn erstens das Kommunikationsziel „Verständigung“ erreicht wird und zweitens ein durch Kommunikation bezwecktes Tun, Unterlassen oder Dulden eintritt.
Paraphrasiert: Wir müssen zunächst in der Kommunikation das Verständigungsziel erreichen, bevor wir durch die Kommunikation unsere Zwecke erreichen können. Prinzipiell liegen diese Zwecke außerhalb der kommunikativen Sequenz, so dass ich auch von „extrakommunikativen Zwecken“ spreche. Grafisch illustriert:
Kommunikation zielt auf Handlungssteuerung
der Kommunikation vorgelagerte Handlungen
Kommunikationsprozess
Kommunikationsauslöser
Abbildung 4:
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extrakommunikative Folge-/ Anschlusshandlung
…
Kommunikationsziel
Kommunikationszweck
• Verständigung • z.B. Entscheidung zum Ende einer Besprechung
• Handlungsvollzug (inneres oder äußeres Handeln) • z.B. Entscheidung umsetzen
Kommunikationsziel und Kommunikationszweck
Damit etwas in der Kommunikation sowie durch die Kommunikation erreicht werden kann, muss eine (im persönlichen Kontakt hergestellte oder technisch gestützte) Verständigungsbasis aufgebaut sein. Sprecher und Hörer müssen einander wahrnehmen können, sie müssen zumindest grundsätzlich Wörter derselben Sprache verwenden und interpretieren können. Der Hörer muss die Sprecheräußerungen als mit kommunikativer Absicht an ihn adressiert deuten und die Äußerungen thematisch-inhaltlich nachvollziehen („Was will er mir sagen?“). Wohl bemerkt und mit Verweis auf Luhmann: Nachvollziehen heißt noch nicht zustimmen. Das Kommunikationsziel „Verständigung“ ist damit eine notwendige Bedingung für Kommunikationserfolg, jedoch keineswegs hinreichend. In aller Regel wollen Sprecher, dass ihre Hörer die geäußerten Mitteilungen abwägen, dass sie sie beurteilen und dass sie die Sichtweise des Sprechers übernehmen. Der Hörer soll also durch Kommunikation ausgelöste, innere Handlungen vollziehen, die möglichst weitgehend unseren Vorstellungen entsprechen. Es kann diese innere Handlung, also die hörerseitige Übernahme der Auffassung des Sprechers, bereits der Zweck der Kommunikation sein. Dies ist insbesondere in „persuasiver Kommunikation“ (Ungeheuer 1983) der Fall, die gerade im Rahmen unternehmensinterner Prozesskommunikation sehr verbreitet ist. Wobei ich nicht behaupten möchte, dass es in der Prozesskommunikation nicht auch andere Formen von Kommunikation jenseits der persuasiven Kommunikation geben kann. Beispiele sind Fragen, Berichte oder auch Erzählungen, die nicht unmittelbar argumentative
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II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen
Funktion haben.50 Häufig jedoch wollen wir Meinungen durchsetzen, jemanden zu etwas bewegen oder zu einer uns geeignet erscheinenden Entscheidung motivieren. Besteht der Zweck einer Kommunikation in einer inneren Handlung des Hörers, so stellt sich die Frage nach der Überprüfbarkeit des Kommunikationserfolgs. Zu prüfen, ob dieser erreicht wurde, gelingt nur über weitere Kommunikation, zum Beispiel durch verständnissichernde Manöver wie die Aufforderung an den Hörer, das Verstandene mit eigenen Worten zu formulieren. Aber auch dieser Kommunikationsakt unterliegt den genannten Bedingungen, wir gelangen nicht über die Kommunikation hinaus.51 Wenn wir beispielsweise anstreben, dass unser Gesprächspartner unsere Meinung übernimmt, dann können wir uns des Vollzugs dieser Absicht keineswegs sicher sein. Wir benötigen ein äußeres Handeln, etwa eine Äußerung wie: „Ja, Sie haben mich überzeugt.“ Allerdings könnte das auch die Unwahrheit sein – der Gesprächspartner möchte womöglich die Situation beenden und seine Ruhe haben. Deshalb hilft es uns sehr viel mehr, wenn wir unseren Kommunikationserfolg an wahrnehmbaren Handlungsvollzügen und ihren Resultaten, etwa in Form von Kennzahlen und anderen „Zweckerreichungsindikatoren“ ablesen können. Ich lasse die Frage undiskutiert, ob es überhaupt ziel- und zwecklose Kommunikation geben kann: wohl nicht, wenn wir Kommunikation zuvor bereits als absichtsvoll definiert haben. Für die hier interessierende organisationsinterne Kommunikation ist jedoch festzuhalten, dass die Ziele und Zwecke von Kommunikation explizit bestimmt sein müssen, soll mehr als (sinnfreier) Smalltalk erreicht werden. Wird also in alltäglicher Redeweise Kommunikation als ein Werkzeug aufgefasst, das wir einsetzen, um damit Ziele zu erreichen, so können wir für den Fall interner Unternehmenskommunikation deutlich präziser sagen, dass es sowohl definierter Ziele als auch definierter Zwecke bedarf. Diese stehen in Abhängigkeit zueinander: Wird nämlich das Verständigungsziel erst gar nicht erreicht (zum Beispiel aufgrund fremdsprachlicher Äußerungen; man erinnere sich an das mehrfach bemühte Beispiel vom Lageristen und seinem Türkisch sprechenden Kollegen), dann kann es nicht gelingen, dass anschließend wie gewünscht gehandelt wird – und damit wird der Zweck der Kommunikation nicht erreicht. Zugespitzt formuliert: Ziellose Kommunikation ist zwecklos: Es bedarf definierter Ziele und Zwecke, soll Kommunikation als erfolgreich oder nicht erfolgreich bewertbar werden.
Ein Beispiel aus der Praxis: Im Rahmen eines größeren Projekts zur Organisationsentwicklung in einem Telekommunikationsunternehmen äußerte der Geschäftsführer im Rahmen eines persönlichen Gesprächs mir gegenüber: „Als ich vergangene Woche Ihre Präsentation im Rahmen der Startveranstaltung für unsere Mitarbeiter hörte, war ich irritiert darüber, dass Sie so viel Wert auf die Einbindung der Führungskräfte legten. Schließlich haben wir alle 50
Kieser weist den Erzählungen eine besondere Bedeutung gerade im Zusammenhang des organisatorischen Wandels zu. Vergleiche Kieser (1998, S. 61 ff.) sowie Kieser/Hegele/Klimmer (1998, S. 151 ff.). Seit einigen Jahren wird im Rahmen von Veränderungsprojekten in Unternehmen das „Storytelling“ eingesetzt. Vergleiche hierzu unter anderem Bonsen (2000) sowie Frenzel/Müller/Sottong (2006). 51 Dies limitiert auch den Aussagewert des vorgestellten Verständigungsmodells nach Galliker/Weimer (2006).
Kommunikation zielt auf Handlungssteuerung
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sehr wenig Zeit.“ Ich antwortete, dass an der Einbindung der Führungskräfte nicht zu sparen sei, solle das Projekt nachhaltigen Erfolg haben. Die Diskussion war für den Moment beendet (sie wurde in der Folgezeit allerdings noch manches Mal geführt). Was war passiert? Unter Anwendung der soeben eingeführten Kategorien lässt sich herausarbeiten: Der Geschäftsführer äußert sich zu einer gemeinsamen Erfahrung. Ich muss zunächst nachvollziehen, dass er mich meint und was er meint. Nachdem ich seine Hinweise (vergangene Woche; Präsentation im Rahmen der Startveranstaltung; Äußerung zur Einbindung der Führungskräfte) gedeutet habe, muss er die Situation nicht mehr weiter schildern. Er appelliert an mich, meine Erinnerungen aufzurufen und meine eigenen Äußerungen rückblickend zu beurteilen. Er beeinflusst also meine inneren Handlungen – und er erreicht sein Kommunikationsziel, sich verständlich zu machen. Doch das ist nicht alles, was er will. Zusätzlich äußert der Geschäftsführer seine eigene Beurteilung als „Irritation“ hinsichtlich meiner Vorstellungen zur Einbindung der Führungskräfte. Meine Position entspricht nicht seiner Auffassung, wie er deutlich macht. Und ohne Zweifel ist es seine Absicht, dass ich meine Meinung hinsichtlich der Einbindung der Führungskräfte revidiere und mich seiner Auffassung anschließe: Hier haben wir einen ersten Teil seines Kommunikationszwecks. Wäre er hierin erfolgreich, dann wäre es sicherlich an mir, entsprechend zu handeln, zum Beispiel die Führungskräfte in der Projektplanung nur noch eingeschränkt zu berücksichtigen oder Ähnliches. Damit wären seine Zwecke vollständig erreicht, wie wir unterstellen können. Immerhin fand also eine Verständigung statt: Wir konnten uns hinreichend auf gemeinsames Wissen beziehen bezüglich der gemeinsam erlebten Startveranstaltung für das fragliche Projekt, bezüglich dessen, was Führungskräfte sind, was zeitliche Beanspruchung bedeutet usw. Ich vermochte nachzuvollziehen, auf welche meiner Äußerungen er sich bezog, und ich verstand, dass er eine abweichende Auffassung vertrat. Ausgelöst durch die Äußerung des Geschäftsführers rekonstruierte ich also die Situation und entwickelte eine Vorstellung seiner Meinungen und Absichten: Der Geschäftsführer und ich erreichten das Kommunikationsziel der Verständigung. Das Bezweckte erreichte jener Geschäftsführer jedoch nicht. Insofern kann man nur eingeschränkt davon sprechen, dass die Kommunikation ein Erfolg für den Geschäftsführer war. Allerdings dürfen diese Deutungen seiner Ziele und Zwecke nicht ohne Weiteres absolut gesetzt werden. Womöglich verfolgte der Geschäftsführer neben dem Verständigungsziel tatsächlich nur den Zweck, mir seine Irritation über meine Aussagen zu vermitteln, er wollte darüber hinaus gar nicht, dass ich seine Meinung übernehme, und an ein Handeln meinerseits, wie oben unterstellt, hat er gar nicht gedacht. In diesem Fall hätte der Geschäftsführer Ziel und Zweck kommunikativ erreicht.
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II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen
Es ist eine nicht leicht zu beantwortende Frage, ob die Zielzuschreibung für kommunikative Äußerungen aus Sicht des Sprechers (Was wollte er?), aus Sicht des Hörers (Welche Ziele unterstellt dieser dem Sprecher?) oder aus der Sicht eines externen Beobachters zu treffen ist. Fest steht jedoch, dass Kommunikation aus Sicht des Sprechers wie des Hörers als ziel- und zweckgerichtetes Handeln aufzufassen ist. Bleiben wir für einen Moment bei der Perspektive des Sprechers: Als solcher muss ich wissen, was ich will, und ich sollte zumindest näherungsweise Vorstellungen haben, an welchen beobachtbaren Indikatoren ich feststellen kann, ob ich meine Ziele und Zwecke erreicht habe. Ohne diese Indikatoren ist es reiner Zufall, worauf ich meine Aufmerksamkeit im Zusammenhang meiner Beobachtungen richte. Vielleicht bin ich aus irgendeinem Grund darauf aus, nur auf nonverbale Zeichen oder Anzeichen für Zustimmung zu achten. Bleiben diese aus, urteile ich: kommunikativer Misserfolg! Doch möglicherweise ist der persönliche Stil meines Gegenübers derart, dass hier jemand in nur geringem Maße nonverbale Reaktionen einsetzt, oder es sind andere nonverbale Reaktionen, als ich sie erwarte, so dass mir Zustimmung anzeigende Signale entgehen. Festzuhalten ist: Sobald für unternehmensinterne Kommunikation Ziele und Zwecke definiert sind, lassen sich aus diesen spezifische Indikatoren ableiten, anhand derer der Kommunikationserfolg beurteilt werden kann. Dies gilt prinzipiell auch für alle anderen Kontexte von Kommunikation.
Selbstverständlich widerstrebt uns in vielen Kommunikationssituationen eine derart analytische Vorgehensweise. Wir operieren intuitiv und sind dabei sehr viel häufiger unbewussten Wahrnehmungsrastern und Deutungsmustern ausgeliefert, als wir es für möglich halten. Das lässt sich schon daran ablesen, dass wir häufig nicht ohne Weiteres erklären können, weshalb wir etwas auf diese spezifische Art geäußert oder in eine Äußerung anderer hineininterpretiert haben. In alltäglichen und informellen Situationen arbeiten wir in der Regel mit Wahrnehmungsroutinen – und gar nicht selten fahren wir gut damit. Doch wenn Kommunikation als Managementaufgabe aufgefasst wird, wie es hier vertreten wird, dann sollten wir unbewusste Intuition jedenfalls nicht zum favorisierten oder gar alleinigen Prinzip werden lassen. Auch in anderen Handlungskontexten, in denen es um etwas geht, erwarten wir mehr als unbewusstes Abrufen von Routinen. Man denke nur an operative Eingriffe von Ärzten, das Steuern einer technischen Anlage in der chemischen Industrie oder einen Landevorgang im Luftverkehr bei ungewohnten Witterungsbedingungen. Positive Erfahrungen mit intuitiven Deutungsmustern entstehen in der Regel in face-to-faceSituationen, also solchen, in denen mir sehr viel mehr Beobachtungsmaterial als Deutungsund Interpretationshilfe zur Verfügung steht als etwa bei Telefonaten oder in der Korrespondenz via E-Mail beziehungsweise Brief. Nicht selten sind unsere face-to-faceKommunikationen geprägt vom informellen Modus. Soll es jedoch verbindlich werden, dann wünschen wir es meistens handfester und wollen es schriftlich. Geronnene, also verschriftlichte Verständigung sichert, dass unser Kommunikationsziel erreicht wird, wie wir in der Regel annehmen. Dass wir uns selbst dann noch der kommunikativen Zielerreichung nicht sicher sein können, ist der Grund für die steigenden Umsätze der Rechtsanwaltskanzleien.
Kommunikation ist zeichenbasiert
6.
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Kommunikation ist zeichenbasiert
Es bedarf noch eines letzten Bausteins, um die hier eingenommene kommunikationstheoretische Position zu plausibilisieren: Es geht um „Zeichen“. Bereits in der Einleitung zu Kapitel II. wurde Kommunikation als „zeichengebunden“ kategorisiert. Der Zeichengebrauch unterscheidet kommunikatives Handeln von anderen Formen sozialer Interaktion. Insofern sind Erläuterungen erforderlich. Die Zeichentheorie beziehungsweise Semiotik ist eine rund 2.500 Jahre alte Disziplin, die ihre Ursprünge in der griechischen Philosophie findet. Wir setzen jedoch bei neuzeitlichen semiotischen Ansätzen an und beginnen bei dem großen Vertreter der deutschsprachigen Ausdruckspsychologie: bei Karl Bühler. Bühler legt in seinem 1934 erstmals veröffentlichten Werk „Sprachtheorie“ (ich verwende die Neuveröffentlichung aus dem Jahr 1982) ein zeichentheoretisches Konzept vor, das auch heute noch Bestandteil kommunikationstheoretisch motivierter Begründungsversuche ist, auch wenn Bühlers Modell nicht immer zutreffend verwendet wird. Dieses durch Bühler als „Organon-Modell“52 titulierte Konzept stellt das Zeichen in eine „tri-relationale Funktion“ (Juchem), die sich ausdrücken lässt in der Formel „einer – dem andern – über die Dinge“ (Bühler 1982, S. 24): 1. Bezogen auf den Sender ist das Zeichen Ausdruck seiner Erlebnisse oder auch Symptom, da es seine „Innerlichkeit“ (Bühler) ausdrückt; 2. bezogen auf den Empfänger ist das Zeichen Appell oder Signal, weil mit dem Zeichen sein inneres oder äußeres Verhalten gesteuert werden soll; 3. bezogen auf den bezeichneten Sachverhalt ist das Zeichen Symbol, weil es in einer Darstellungsfunktion zu den bezeichneten Sachverhalten und Gegenständen steht (ebd., S. 28). Grafisch drückt Bühler sein Organon-Modell wie folgt aus (vergleiche ebd.):
Gegenstände und Sachverhalte Darstellung Ausdruck
Appell
Z Sender
Abbildung 5: 52
Empfänger
Das Organon-Modell Bühlers (Grafik nachgezeichnet)
Den Term „Organon“ übernimmt Bühler aus dem Kratylos-Dialog von Platon. Vergleiche Bühler (1982, S. 24).
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II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen
Das Zeichen (Z) steht in einem Dreieck und in einem Kreis. So will Bühler auf Folgendes hinweisen: Indem das Dreieck weniger als der Kreis umschließt, soll das „Prinzip der abstraktiven Relevanz“ angedeutet werden. Dieses Prinzip besagt laut Bühler, dass ein wahrnehmbares Zeichen „nicht mit der ganzen Fülle seiner konkreten Eigenschaften in die semantische Funktion eingehen muss. Vielmehr kann es sein, dass nur dies oder jenes abstrakte Moment für seinen Beruf, als Zeichen zu dienen“, relevant wird (ebd., S. 44). Ein Beispiel sind die unterschiedlichen handschriftlichen Realisationen eines Buchstabens: Auch eine nicht allzu sorgfältige Handschrift bleibt lesbar, wenn bestimmte Merkmale noch zu erkennen sind. In anderer Hinsicht umschließt das Dreieck in Bühlers Organon-Modell mehr als der Kreis: Das Zeichen erfährt stets eine „apperzeptive Ergänzung“ (ebd.), also bewusste Vervollständigungen im wahrnehmenden Bewusstsein – sowohl beim Hörer als auch beim sich selbst hörenden Sprecher. Hier zeigt sich, dass die schon kritisierte einseitige Fokussierung auf den Sprecher auch aus semiotischer Sicht zurückzuweisen ist. Die Bühler’schen Prinzipien der abstraktiven Relevanz sowie der apperzeptiven Ergänzung fungieren als sinnstiftende Reparatur-, Ergänzungs- oder auch Deutungswerkzeuge, die wir als Hörer ansetzen, um Zeichengebrauch des Sprechers interpretieren zu können. Es sei auf das oben erläuterte, auf Hörmann zurückgehende Prinzip der Sinnkonstanz hingewiesen, das auf dieselben Leistungen abstellt, die interpretierende Hörer prozessieren müssen, um vermittelten Sinn nachvollziehen zu können. Auch bei grammatisch nicht korrekter Formulierung oder der sprecherseitigen Verwendung von sinnverschiebenden Sprachbildern, etwa durch Metaphern, können wir als Hörer Leerstellen, Unschärfen oder Verworrenheit (zumindest im ersten Eindruck) „Sinn-voll“ ergänzen oder, wie auch formuliert werden kann, mit Sinn anfüllen. Prämisse ist, dass wir Grund für die Annahme haben, dass der Sprecher etwas Sinnvolles sagen wollte – und genau das können wir nur bei absichtsvollem Tun annehmen.53 Als Zwischenbilanz der Bühler’schen Zeichentheorie (und nicht nur seiner) können wir festhalten, dass es keine Kommunikation ohne Zeichen und keine Zeichen ohne Kommunikation geben kann. Es ist gerade vor dem Hintergrund der oben angestellten kritischen Auseinandersetzung mit dem Rückgriff auf das Sender-Empfänger-Modell zur Beschreibung zwischenmenschlicher Kommunikation zu bedauern, dass Bühler auf die zu seiner Zeit gebräuchlichen, beinahe naturwissenschaftlich motivierten Termini „Sender“ und Empfänger“, aber auch auf weitere, eigentlich nachrichtentechnisch belegte Ausdrücke wie „Signal“ zurückgreift. Getrost kann aber davon ausgegangen werden, dass Bühler mit Sender und Empfänger nichts anderes meint als Sprecher und Hörer, wie sie im vorliegenden Buch Verwendung finden. Dies zeigen genauere Blicke in seine Darlegungen, etwa wenn er den „Sprechpartner“ nennt (ebd., S. 28). Bühlers Modell wurde immer wieder aufgegriffen – und dabei nicht immer zutreffend verwendet. Ein Beispiel für den inadäquaten Umgang mit dem Organon-Modell liefert der Psychologe Friedemann Schulz von Thun, das ähnlich wie die oben attackierte Axiomatik nach 53
Womit wir ein weiteres Mal bei der Zurückweisung des ersten Axioms von Watzlawick/Beavin/Jackson gelandet sind.
Kommunikation ist zeichenbasiert
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Watzlawick/Beavin/Jackson als kommunikationstheoretisch insuffizient zurückzuweisen ist. Dies soll in aller Kürze aufgezeigt werden. Schulz von Thun geht von „vier Seiten einer Botschaft“ aus und nimmt in Anspruch, „die Sichtweisen von Watzlawick und Bühler“ zu kombinieren (Schulz von Thun 1997, S. 14). Er ergänzt Bühlers tri-relationale Funktion des Zeichens um die Beziehung zwischen den Kommunikatoren und versucht so, die Unterscheidung von Sach- und Beziehungsebene, wie sie in der Axiomatik bei Watzlawick/Beavin/Jackson vorgeschlagen wird, in das Modell Bühlers zu integrieren. Dabei ist jedoch einerseits zu kritisieren, dass bei Bühler der Beziehungsaspekt ohnehin mitgedacht ist, wie eine genauere Lektüre seiner „Sprachtheorie“ zeigt.54 Andererseits müssten, wäre bei Bühler der Beziehungsaspekt nicht impliziert, im Modell Schulz von Thuns dann auch konsequenterweise die Relation des Sprechers zur bezeichneten Sache sowie die Relation des Hörers zu dieser berücksichtigt werden, so dass Schulz von Thun von sechs Seiten einer Botschaft auszugehen hätte. Seine Darlegungen laufen letztlich auf die Aussage zu, dass unser Sprechen auf unterschiedliche Weise „gehört“, also interpretiert werden kann. Das allerdings trifft vollkommen zu – auch dann, wenn man nicht zeichentheoretische Modelle heranzieht, um diese anschließend unvollständig beziehungsweise inkonsistent zu verwenden.55 Bereits oben wurde im Zusammenhang der informationstheoretischen Diskussion aufgezeigt, in welcher Weise „Informationen“ von Hörern konstruiert werden, welche Deutungshilfen sie verwenden und wie sehr sich das Ergebnis ihrer (Re-)Konstruktionen vom sprecherseits Gemeinten unterscheiden kann. Diese Probleme haben jedoch nichts an der Popularität des im Übrigen stark nachrichtentheoretisch geprägten Modells von Schulz von Thun geändert. Die konstituierende Funktion der Zeichen für den Kommunikationsprozess unterstreicht auch Juchem: „Zeichen sind nur denkbar als Mittel im Kommunikationsprozess. Ohne Kommunikationsrahmen gäbe es keine Zeichen, da es keine Zeichen an sich gibt, sondern nur Gegenstände oder Merkmale von Gegenständen, die als Zeichen interpretiert werden. 54
So spricht Bühler (1982, S. 25) von „drei Relationsfundamenten“ oder auch von „Zuordnungsrelationen“ (1982, S. 30; weitere Fundstellen passim). In einem deskriptiven Sinn stellt Bühlers Organon-Modell also nichts anderes dar als ein Beziehungsmodell, was Schulz von Thun vollständig verkennt. Zudem verkennt er die Stoßrichtung im zweiten Axiom von Watzlawick/Beavin/Jackson, die den „relationship aspect“ als Information über die Information, also als „metacommunication“, ansetzen – mitnichten aber auf den Ausdruck der persönlichen Beziehung zwischen den Kommunizierenden reduzieren. Vergleiche Watzlawick/ Beavin/Jackson (1967, S. 51 ff.), die allerdings auf Seite 52 selbst zu dieser verkürzten Deutung beitragen, was in den Ausführungen wenig später jedoch korrigiert wird. 55 Es ist zu bedauern, dass Schulz von Thun es bei einer „ferne[n] Erinnerung“ (Schulz von Thun 1997, S. 14) an Bühler belassen hat und eine gründlichere Auseinandersetzung mit Bühlers Modell unterließ. Dass Berater oder Trainer von den aufgezeigten theoretischen Defiziten vollkommen unbefangen weiterhin das Modell der „4 Ohren“ verwenden, begründen sie mit seiner Anschaulichkeit. Ich pflege darauf zu antworten, dass es zwar anschaulich sein mag, dafür aber inadäquat. Es erinnert mich an die gelegentlich bemühte Anekdote, in der ein Mann spät abends einen anderen im Schein einer Straßenlaterne suchend auf dem Bürgersteig antrifft. Er suche seinen Geldbeutel, sagt der Sucher. Wo er ihn denn zuletzt gesehen oder gehabt habe, fragt der andere, und erhält zur Antwort, dass der Geldbeutel auf einer etwa einen Kilometer entfernt gelegenen Wiese verloren ging. Doch suche er hier, weil es unter der Laterne viel heller sei (sinngemäß wiedergegeben nach Hörmann 1976, S. 199).
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II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen
Zeichen gehen aus diesem Prozess hervor und Zeichen beeinflussen ihn ihrerseits. Der Kommunikationsprozess bildet also die Basis aller Bedingungen der Zeichensituation“ (Juchem 1985, S. 52).
Ein weiterer Baustein semiotischer Theorien soll in diesem Zusammenhang nutzbar gemacht werden: die Unterscheidung zwischen Zeichen und Anzeichen, wie sie der Philosoph und Begründer der Phänomenologie Edmund Husserl vorgeschlagen hat (meine Ausführungen basieren auf der gerafften Darstellung bei Alfred Schütz 19812, S. 165 ff.). Husserl unterscheidet in seinen „Logischen Untersuchungen“ die „Zeichen“ oder „Symbole“ von den „Anzeichen“ oder „Symptomen“ wie folgt: Zeichen beziehungsweise Symbole repräsentieren etwas Anderes, auf das sie verweisen, ganz im Sinne von Augustinus: „Aliquid stat pro aliquo“ (sinngemäß: etwas steht für etwas anderes). Sie stehen für eine Bedeutung, mindestens aber für ein Bedeutungsspektrum, wobei wir keineswegs von Eindeutigkeit ausgehen dürfen: Man denke nur an die endlosen Auseinandersetzungen, die wir über Ausdrücke wie „Erfolg“, „Qualität“ oder auch „Liebe“ oder „Glück“ führen. Demgegenüber stehen Anzeichen beziehungsweise Symptome nicht für ein umgrenztes Bedeutungsspektrum, auf das mit Hinweis- oder besser gesagt Verständigungsabsicht verwiesen werden soll. Anzeichen resultieren lediglich aus Interpretationen eines Beobachters (zum Beispiel des Hörers), die nicht unmittelbar wahrnehmbare Sachverhalte oder Prozesse unterstellen, die jedoch durch den Symptomträger nicht absichtsvoll präsentiert werden. Ein Schweißausbruch des Redners könnte also eine Lüge anzeigen – es könnte sich jedoch auch um eine fiebrige Erkältung handeln. Mit dem Charakter von Zeichen beschäftigt sich auch die amerikanische Philosophin Susanne Katharina Langer. In ihrer Analyse sprachlicher Symbole stellt Langer heraus, dass die Sprache, wie wir sie in der Wissenschaft oder im Alltag verwenden, Allgemeinheitscharakter hat. Die gleichbleibenden Bedeutungseinheiten wie zum Beispiel Wörter, die zu größeren Einheiten, etwa zu Sätzen, verbunden werden, haben „festgelegte Äquivalenzen, die Definitionen und Übersetzungen möglich machen; ihre Konnotationen sind allgemein […] Die durch Sprache übertragenen Bedeutungen werden nacheinander verstanden“ (Langer 1965, S. 103). Auch wenn Langers Optimismus eingedenk der oben unternommenen Darlegungen zur nichtidentischen Bedeutung von Wörtern zwischen kommunizierenden Personen zu relativieren ist, soll eine begriffliche Differenzierung übernommen werden, die ebenfalls später aufzugreifen sein wird. Langer bezeichnet den sprachlichen Symbolismus wegen seines Merkmals, nacheinander abzulaufen, als „diskursiv“. Vom diskursiven Symbolismus unterscheidet sie den „präsentativen Symbolismus“. Hier sind, wie etwa bei einem Gemälde, alle Zeichen beziehungsweise Symbole auf einmal präsent. Die einzelnen Elemente – bei einem Gemälde zum Beispiel die Linien, Punkte oder Farben – sind nicht übersetzbar, sie können nur in ihrem Zusammenhang als Ganzheit rezipiert werden: Präsentative Symbole sprechen „unmittelbar zu den Sinnen“ (ebd., S. 102). Daraus ergibt sich eine Erklärung, weshalb wir manchmal in Situationen das
Kommunikation ist zeichenbasiert
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Empfinden vollständigen Verstehens haben – und es dann nicht in Worte kleiden können. Das mag in der Begegnung mit künstlerischen Darstellungen auftreten, doch auch in unternehmensinterner kommunikativer Begegnung erleben wir dieses Phänomen: Der Eindruck einer vollkommenen Verständigung emergiert. Und das rührt daher, wie ich spekuliere, dass wir die Empfindung kongruenter Stimmigkeit haben, wenn wir uns an kommunikativ und in hohem Konsens definierten Zielen und Zwecken ausrichten, darüber sprechen und Maßnahmen vereinbaren, wie diese Ziele und Zwecke zu erreichen sind; wenn dies in einer von allen Beteiligten als „angenehm und konstruktiv“ erlebten Atmosphäre geschieht, die uns vielleicht sogar überrascht; und wenn der erreichte Konsens mit unseren persönlichen Zielen und Zwecken übereinstimmt. Ein letzter Aspekt aus den zeichentheoretischen Überlegungen Bühlers soll hier erschlossen werden. Zeichen werden erst zu solchen durch eine Aktivität des wahrnehmenden Subjekts, müssen sie doch einerseits überhaupt erst als Zeichen vereinbart werden, andererseits aber handelnd erzeugt und wahrnehmend als eben dieses Zeichen identifiziert werden. Daraus folgt aber auch, dass Zeichengebrauch und -deutung stets in Situationen eingebunden sind. Bühler greift diesen Umstand auf, indem er vom „Umfeld“ spricht. Drei Arten von Umfeld lassen sich mit Bühler unterscheiden: 1. das „symphysische Umfeld“. Werden Zeichen „dingfest angeheftet an das durch sie Benannte“ (Bühler 1982, S. 159), dann spricht Bühler vom symphysischen Umfeld. Beispiele sind etwa Markennamen, die auf Waren aufgedruckt sind, oder Ortsnamen auf Wegweisern. Das Zeichen erhält seine Bedeutung durch seine stoffliche Verbindung mit einem anderen Gegenstand. 2. das „sympraktische“ oder auch „empraktische Umfeld“. Zeichen werden in spezifischen Situationen geäußert, deren Merkmale uns als Deutungsschemata bei der Sinnver- beziehungsweise Sinnermittlung helfen. Am Ende eines Geschäftsessens etwa, nachdem bereits die beiden Gesprächspartner ihren Kaffee geleert haben, ist es ohne Weiteres für einen Kellner verständlich, wenn einer der beiden Gäste sagt: „Noch zwei, bitte.“ Vielleicht würde es sogar genügen, durch Herstellen von Blickkontakt und das Heben zweier Finger den Wunsch verständlich zu vermitteln. Gerade durch diese deutungsunterstützende Funktion des sympraktischen Umfelds kann unser stets und notwendig elliptisch, also unvollständig bleibender Zeichengebrauch dennoch die für einen Alltagskonsens ausreichende Verständigung gewährleisten. Wesentlich ist also, dass im empraktischen Umfeld der handelnd erzeugte Zeichengebrauch in eine gemeinsame Wahrnehmungs- oder Vorstellungssituation eingebettet ist. 3. das „synsemantische Umfeld“. Hier ist der Kontext von Zeichen angesprochen, in den das jeweilige Zeichen eingebunden ist. Ein Beispiel ist etwa eine Methode zum Kommunikationsmanagement, die im Rahmen eines längeren Textes entwickelt wird. Hier müssen für eine adäquate Deutung nicht mehr notwendig faktisch und dinglich vorhandene, in gemeinsamer Wahrnehmungssituation gegebene Objekte benutzt werden. Stattdessen wird ein Zeichen anhand der Bedeutung der umgebenden Zeichen disambiguiert.
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II. Annäherungen: ein kommunikationstheoretischer Rahmen
Das Zusammenwirken dieser drei Umfelder generiert die „Kommunikationssituation“ oder den „kommunikativen Kontext“, wie ich es von nun bezeichnen werde.56 Kommunikativer Zeichengebrauch ist in Situationen beziehungsweise Kontexte eingebettet, die zur Verständigung unter den kommunikativ Handelnden beitragen.
Mit diesen Ausführungen sei die Entfaltung kommunikationstheoretischer Grundlagen, wie sie für die weiteren Darlegungszwecke erforderlich ist, abgeschlossen.57 Ich wende mich nunmehr dem Management von Kommunikation in Unternehmen und anderen Organisationen zu. Anders als bei der Auseinandersetzung mit kommunikationstheoretischen Fundamentalkonzepten werde ich um einiges weniger quellennah als bisher operieren. Die Hauptursache für dieses von manchem vielleicht als diskussionswürdig empfundene Vorgehen ist in der bereits mehrfach benannten Schwemme an Literatur zu suchen. Es ist unvermeidlich, dass selbst bei noch so gründlicher und präziser Recherche ein Anspruch von Vollständigkeit nicht einzulösen ist – zu vielfältig die Ansätze, zu verstreut die Publikationen. Und gelegentlich auch: zu ausgeprägt der Akquisitionsverdacht. Zum anderen bedeutet es einen Unterschied, den theoretischen Referenzrahmen aufzubauen oder ihn auf alltägliche Problemstellungen anzuwenden – und genau solche stehen im Mittelpunkt, wenn es an das Management unternehmensinterner Kommunikation gehen soll.
56
Die Kontextgebundenheit von Kommunikation wurde im Übrigen häufig herausgestellt, nicht zuletzt von Luhmann, der Kommunikation als „historisch-konkret ablaufendes, also kontextabhängiges Geschehen“ (Luhmann 1998, S. 70) auffasst. Auch Backhausen/Thommen (2007) sehen Kontext als ein wesentliches Element für das „Management 2. Ordnung“ (Buchtitel) an, also ein Management, das nicht von der Idee trivialer Mechanik getragen ist. 57 Viele Aspekte und Theoriestränge blieben wie geäußert notwendigerweise vernachlässigt, wobei die Anmerkungen eine weiterführende Auseinandersetzung ermöglichen sollen. Eine interessante Ergänzung aus dem angelsächsischen Raum stellt die Sichtung kommunikationstheoretischer Ansätze dar, die Craig vorschlägt. Vergleiche Craig (2007, S. 63-98 mit weiterer Literatur).
Kommunikation ist zeichenbasiert
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III. Kommunikationsmanagement
Die oben unternommenen terminologischen Vorbereitungen von wesentlichen Bausteinen des Business Discourse sowie der aufgespannte kommunikationstheoretische Rahmen dienen als Referenz der weiteren Darlegungen. Im Sinne einer Zwischenbilanz seien die bisherigen Ausführungen wie folgt gebündelt: Nicht alles ist Kommunikation, nicht jeder kommuniziert jederzeit, und man kann durchaus nicht-kommunizieren. Kommunikation ist auch dann nicht notwendig automatisch gegeben, wenn sich Menschen in einer geteilten sozialen Situation befinden. Kommunikation ist ein handelnd hervorgebrachter Prozess, der absichtsvoll Ziele und Zwecke zu erreichen sucht. Kommunikation ist handlungsinitiierend, kann also Handeln auslösen. Kommunikation ist handlungsbeeinflussend und -begleitend, indem sie Verlauf, Art und Ergebnisse von Handlungen prägt beziehungsweise unterstützt. Ich habe schon mehrfach den Terminus der Prozesskommunikation bemüht, der nichts anderes als das Pendant zu solchen Kommunikationsprozessen darstellt, die in den Kontext unternehmensbezogener Aufgabenerledigung gestellt sind. Eine gründlichere Auseinandersetzung mit diesem Phänomenbereich erfolgt im Kapitel III.5. Kommunikation ist handlungsevaluativ, weil wir Handlungen bewerten – unter Einsatz von Kommunikation. Gleichzeitig kann Kommunikation ihrerseits auf Ziel- und Zweckerreichung bewertet werden, so diese ausdrücklich bestimmt und anhand von Indikatoren beurteilbar sind. Kommunikativ ist situiert, denn sie ist stets in Produktions- wie Rezeptionskontexte sowie in vor- wie nachgelagerte Handlungsketten eingebettet. Unschwer dürfte zu erkennen sein, dass bereits mit der Erwähnung von Kontext, Zielen, Zwecken oder Bewertbarkeit erste Spuren in Richtung eines spezifisch interpretierten Managements der internen Kommunikation gelegt sind. Wie aber steht es um diese Disziplin?
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1.
III. Kommunikationsmanagement
Entwicklungslinien und Reifegrade im Kommunikationsmanagement
Das Management interner Kommunikation hat sich in den zurückliegenden Jahren durchaus zu einem professionalisierten Aufgabenfeld innerhalb der Führungsprozesse von Unternehmen und Organisationen entwickelt. Das Attest der „Professionalität“ ist festzumachen an Merkmalen wie diesen: Die Unternehmenskommunikation ist zu einem beachteten und geschätzten Faktor der Unternehmensstrategie geworden, jedenfalls auf den ersten Blick. Sowohl die kommunikative Vermittlung strategischer Ausrichtung als auch der genuin kommunikative Prozess, der überhaupt erst zur ausformulierten Strategie führt, werden durchweg planvoll und mit Sorgfalt angegangen. An Universitäten, Fachhochschulen und anderen Ausbildungseinrichtungen existiert mittlerweile ein differenziertes Angebot an Ausbildungsgängen auf verschiedenen Niveaus, die von klassisch gewordenen Ausbildungsberufen wie beispielsweise dem „Kommunikationswirt“ bis hin zu Bachelor- oder Masterstudiengängen an den Universitäten reichen – nicht zu vergessen, dass es auch den Abschluss des Magister Artiums, das Diplom sowie die Promotion gab (und teilweise noch gibt). Fachbezeichnungen beziehungsweise Abschlüsse wie „Kommunikationswissenschaftler“ oder „Medienwissenschaftler“ sind nur zwei Beispiele. Deutlich zugenommen hat auch die Wertschätzung für persönliche Kommunikationsfähigkeiten, was keineswegs nur für Führungskräfte gilt. Die Unternehmen haben erkannt, dass es gerade im Außenkontakt mit Kunden, Lieferanten, Medienvertretern, Investoren und Analysten auf überzeugendes kommunikatives Auftreten ankommt. Als Konsequenz hat der gezielte Einsatz von Trainings- und anderen Qualifizierungsmaßnahmen durch die Personalbereiche strategische Bedeutung erlangt. Insofern wird die Befähigung zur Wahrnehmung kommunikativer Aufgaben seit langem mit zunehmender Professionalität betrieben. Mit den Personalabteilungen oder auch Personalentwicklungsbereichen – wo es modern und international zugeht, finden sich auch Bezeichnungen wie „Human Resources“, „Personnel Development“ etc. – sind hierzu ganz andere als die genannten „eigentlichen“ Kommunikationsbereiche federführend. Deshalb hat auch im Personalbereich die Professionalisierung in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Absolventen von Ausbildungsgängen mit Schwerpunkten in der Personalwirtschaft, unabhängig davon, ob es sich um kaufmännische, juristische oder geistes- beziehungsweise sozialwissenschaftliche Disziplinen wie etwa Psychologie, Pädagogik und andere handelt, bestimmen seit geraumer Zeit das Bild – und das nicht mehr nur in Großunternehmen und Konzernen, sondern längst auch in mittleren und kleinen Un-
Entwicklungslinien und Reifegrade im Kommunikationsmanagement
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ternehmen. Lange vorbei die Zeiten, in denen Personalentwicklung „nebenbei“ abgewickelt wurde. Der jeweilige Aufgabenbereich, ob Kommunikation oder Personalentwicklung, ist als solcher explizit in den Funktionsplänen und Organigrammen ausgewiesen – zumindest in größeren Unternehmen. Auch das mag als Indikator für die gewonnene Akzeptanz und Professionalität herangezogen werden. Zwar ist der Grad der so bestimmten Professionalität zwischen der externen und der internen Kommunikation ungleich verteilt, wie mehrfach hervorgehoben wurde,58 aber prinzipiell ist ein Fortschritt nicht zu leugnen. Was jedoch irritiert ist die Beobachtung, dass die beiden Bereiche – hier Personal-, dort Kommunikationsbereiche – weitgehend parallel und unkoordiniert arbeiten. So läge es eigentlich nahe, dass etwa ein Kommunikationsbereich anlässlich schlechter Resonanz auf Presseauftritte von Führungskräften hierzu qualifizierte Trainingsmaßnahmen bei der Personalentwicklung veranlasst. Ebenso könnte vermutet werden, dass die Resultate einer unternehmensweiten Mitarbeiterbefragung, die auf Kommunikationsdefizite von Führungskräften im persönlichen Gespräch hinweisen, systematisch aufgegriffen und für eine umfassende Entwicklungsmaßnahme genutzt werden. Doch die Unternehmensrealität zeigt etwas anderes: Da wird nebeneinander und unabhängig voneinander das eigene Aufgabengebiet betreut, weitgehend ohne kommunikativen Austausch, ja: sogar ohne dass überhaupt ein Bedarf erkannt würde. Hinterfragt man diesen Befund auf seine Ursachen, dann stößt man bald auf eine vernachlässigte Perspektive, deren Berücksichtigung für Kommunikations- und Personalbereiche nach wie vor eher ungewöhnlich ist: auf die Perspektive eines durchgängigen Prozessmanagements. Diese Managementdisziplin wurde bereits im Kapitel I.6 näher vorgestellt. Schon eine durchgängige Definition von Prozessen zur Ermittlung und Deckung von Qualifizierungsbedarf mit Fokus auf kommunikative Fähigkeiten würde helfen, das Abteilungsdenken zu überwinden. Doch wie lange wird es wohl dauern, bis nicht nur in Ausnahmefällen Unternehmen von ähnlich gravierenden Verbesserungen berichten können, wie sie anhand der Beispiele der IBM-Credit-Corporation oder Siemens Medical Solutions belegt werden konnten? Im Kontext der Ausführungen zum Prozessmanagement wurde im selben Kapitel I.6 das Instrument der Reifegradmodelle vorgestellt. Dies soll nun aufgegriffen werden, um zwei Anliegen nachzukommen: Dem Leser soll eine erste Einordnung des erreichten Status zum Kommunikationsmanagement in der eigenen Organisation möglich sein. Dazu werden orientierende Kriterien genannt.
58
Zu diesem Befund kommt auch Bruhn, der eine „Vernachlässigung der Mitarbeiterkommunikation“ attestiert mit der Konsequenz „unsystematischer interner Kommunikationsmuster mit einer Vielzahl von Kommunikationssubkulturen“ (Bruhn 2005, S. 1208 f.).
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III. Kommunikationsmanagement
Dies wird verknüpft mit einer kurzen Rückschau auf Entwicklungen im Kommunikationsmanagement, die insbesondere aufzeigt, inwiefern Entwicklungen im wirtschaftlichen Umfeld sowie allgemeine und ursprünglich nicht auf Kommunikation fokussierte Managementansätze das Kommunikationsmanagement beeinflusst haben und weiterhin beeinflussen.59 Ergänzend finden sich Hinweise auf Entwicklungen im Personalbereich. Die Erläuterungen bereiten zugleich eine Auseinandersetzung mit einzelnen Aspekten des Kommunikationsmanagements vor, die für die weitere Entfaltung des Business Discourse als wesentlich erscheinen.
Stufe 1/Basisstufe: „Kommunikation ist Chefsache“ Kommunikative Aktivitäten erfolgen überwiegend reaktiv, spontan und episodisch. Die Kommunikation des Unternehmens, die Kommunikation im Unternehmen wie auch die Fortbildung der Führungskräfte und Mitarbeiter zu Fragestellungen der Kommunikation sind weitgehend unproblematisiert; Alltagskonzepte herrschen vor. Planvolles Handeln oder (kommunikations-)strategische Ansätze spielen (fast) keine Rolle. Seit jeher wird in vielen Unternehmen die Kommunikation gerade mit externen Interessengruppen – allen voran mit den Medien – bis weit in die 90er Jahre und zuweilen bis auf den heutigen Tag als ausschließliche Angelegenheit der Vorstände und Geschäftsführungen betrachtet. Sekretariate oder auch Vorstands- beziehungsweise Geschäftsführungsassistenten schreiben Reden oder verfassen Presseerklärungen. Ansonsten obliegt das solcherart wahrgenommene kommunikative Routinegeschäft, also die Öffentlichkeitsarbeit in einem weiten Sinn, nicht selten den Vorständen, Geschäftsführungen oder den Marketingabteilungen, eine Praxis, die dort durchaus begrüßt wird. Andere übertragen den operativen Teil der Aufgaben an die Personal- oder Rechtsabteilung – gelegentlich auch deshalb, weil im jeweiligen Bereich jemand die Kommunikationsaufgaben aufgrund eigener Vorlieben (nicht unbedingt immer aufgrund eigener Qualifikation) für sich beansprucht. Entsprechend fielen (und fallen gelegentlich bis heute) die Resultate aus: geringe Professionalität und keine erkennbare Linie in den verschiedenen Kommunikationsmaßnahmen. Kaum einmal finden sich definierte Kommunikationsziele. Entscheidungen für oder gegen den kommunikativen Auftritt werden überwiegend aus irrationalen Motiven wie Tagesform beziehungsweise -laune, Zu- beziehungsweise Abneigung gegenüber dem Repräsentanten des 59
Auch andere Autoren haben Entwicklungslinien der Unternehmenskommunikation nachgezeichnet, ebenso wie hier geprägt durch das spezifische Erkenntnisinteresse. Beispielhaft sei auf den kurzen Abriss der „Entwicklungsphasen der Unternehmenskommunikation“ in Mast (20062, S. 23 ff.) verwiesen, die sich jedoch weitgehend auf die Entwicklung der Unternehmenskommunikation gegenüber externen Interessengruppen konzentriert. Bruhn (2005, S. 71 ff.) legt eine Übersicht der verschiedenen Entwicklungsphasen unternehmerischer Kommunikation vor, die ebenso (implizit) auf die externe Kommunikation fokussiert ist. Eine Übersicht zu Stufenmodellen der Integrierten Kommunikation findet sich bei Stumpf (2005, S. 45 ff.).
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Vorschlags (nicht etwa gegenüber dem Vorschlag selbst) oder ganz einfach aus Kostenerwägungen, die sich eher an kurzfristigen Zeitansätzen orientieren, getroffen. Ob mit oder ohne Unterstützung von Agenturen, hier werden Kommunikationsmaßnahmen mal mehr, meistens eher weniger sorgfältig geplant, realisiert und ausgewertet (Auswertungen im Sinne einer Evaluation stellen allerdings eine exotische Ausnahme auf dieser Basisstufe dar). Kaum einmal, dass auf einheitliches Auftreten, auf wiederkehrende Gestaltungselemente oder inhaltliche Nähe zum eigenen Geschäft geachtet wird. Und nahezu alle Kommunikationsmaßnahmen, die überhaupt nur explizit geplant und entsprechend gestaltet werden, sind der Kommunikation mit externen Zielgruppen zuzuordnen – also der externen Kommunikation. Es kann nicht verwundern, dass in Unternehmen auf dieser basalen Reifegradstufe die interne Kommunikation kaum als professionelle Aufgabe betrachtet wird – sie steht im Schatten der ihrerseits nur mäßig und wie skizziert eher episodisch betreuten externen Kommunikation. Ebenso naheliegend ist, dass wie immer geartete Kommunikationstrainings keinen hohen Stellenwert haben. Um das oben aufgebrachte Etikett aufzugreifen und zu verlängern: Auf dieser Reifegradstufe ist Kommunikation Chefsache, erfolgreiche Kommunikation wird zur Glückssache. Die interne Kommunikation vollzieht sich urwüchsig und vollkommen unproblematisiert. Glaubenssätze wie „Kommunizieren kann man – oder nicht“ beherrschen die Diskussionen, allenfalls werden sporadisch Kommunikationstrainings zu Themen wie Verhandlungsführung, Präsentation, Moderation oder Konfliktgespräch genehmigt: Wenn überhaupt, dann wird erfolgreiches Kommunizieren als ein Problem des Einzelnen angesehen. Das vielfältige kommunikative Geschehen innerhalb des Unternehmens aber, das sich im Zuge der alltäglichen Erledigung von Aufgaben im Rahmen der internen Prozesse und Strukturen abspielt, wird überhaupt nicht als kommunikative Aufgabe erkannt.
Stufe 2/Aufbaustufe: „Kommunikation macht die Kommunikationsabteilung“ Kommunikation ist eine Notwendigkeit im Auftritt nach außen. Die Bedeutung einer positiven Wahrnehmung des Unternehmens wird erkannt („positives Image“). Interne Kommunikation bleibt überwiegend unproblematisiert; hier herrschen weiterhin Alltags- oder journalistisch ausgerichtete Konzepte vor. Spätestens zur Mitte der 90er Jahre beginnen die meisten Konzerne und Großunternehmen mit der Professionalisierung ihrer Kommunikationsarbeit. Es ist die Zeit der Etablierung von Kommunikation als relevantem Faktor der Wertschöpfung – vorzugsweise der externen Kommunikation, trotz aller gegenteiliger Beteuerungen. Denn schon ein Vergleich der Budgets externer zu interner Kommunikation zeigt die unterschiedliche Wertigkeit, die den beiden Zielgruppen wie -richtungen beigemessen wird. Interessant ist die Lektüre von wissenschaftlich motivierten Arbeiten aus dieser Zeit wie etwa Armbrecht (1992), in dessen Dissertation
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III. Kommunikationsmanagement
über „Innerbetriebliche Public Relations“ (Buchtitel) es noch als Ausweis von „Excellence“ gilt, wenn ein Beitrag der Kommunikation zum Organisationserfolg demonstriert werden kann.60 Ursächlich für diesen Entwicklungsschritt ist die Entdeckung, dass auch ein Unternehmen so etwas wie eine „Marke“ darstellen sollte und nicht nur seine Produkte als Marke zu etablieren sind. Spätestens jetzt beginnt man, sich mit Themen wie „Corporate Identity“, „Corporate Design“, „Corporate Culture“ oder „Corporate Communications“ auseinanderzusetzen. Die Drohkulisse des immer wieder ausgerufenen „war for talents“, der allerdings eigentlich erst zur Jahrtausendwende einsetzte und das auch nur branchen- beziehungsweise fachspezifisch, dürfte ihren Teil dazu beigetragen haben. Denn, so die Annahme, nur ein positiv wahrgenommenes Unternehmen kann exzellente Arbeitskräfte rekrutieren und langfristig binden. Wo noch nicht geschehen, richtet man Pressesprecher mit kleinen Stabsabteilungen unter Bezeichnungen wie „Presse“, „Öffentlichkeitsarbeit“, „Corporate Communications“ oder auch schlicht „Unternehmenskommunikation“ ein, die versuchen, die vielfältigen Kommunikationsaktivitäten ihres Unternehmens zu koordinieren. Was im Übrigen oftmals kein einfaches Unterfangen ist, denn abhängig von der Diversifizierung der jeweiligen Organisation beanspruchen Bereiche, die mindestens für ihre jeweilige Produktgruppe das Marketing und die damit verbundenen Kommunikationsaktivitäten seit jeher eigenständig gestaltet hatten, auch weiterhin die „Lufthoheit“ bezüglich „ihrer“ Kommunikation. Die salomonische Lösung ist nicht selten, dass die produkt- beziehungsweise fachspezifische Kommunikationsverantwortung bei den Fachbereichen verbleibt, die unternehmensbezogenen Kommunikationsaktivitäten allerdings von den Kommunikationsabteilungen (unter welchem Emblem auch immer) übernommen und fortan betreut werden. Diese konzentrieren sich folgerichtig auf Publikationen wie den Geschäftsbericht, die Unternehmensbroschüre, den Internetauftritt oder die Ausgestaltung des Corporate Designs. Fortan rieben (und reiben) sich die Kommunikationsabteilungen im Kleinkrieg mit Marketingbereichen um die Durchsetzung von Gestaltungskriterien wie einem einheitlichen Layout, einem durchgängigen grafischen wie textlichen Stil oder einer zum Unternehmen und seinen Märkten passenden Bildersprache mit Wiedererkennungswert auf.61 Dabei war (und ist) durchaus anerkannt, dass eine „Corporate Identity“ nicht nur nach außen, sondern auch gegenüber den eigenen Mitarbeitern wirksam ist. Schon das oben erwähnte, in den frühen 80er Jahren erschienene Buch „Auf der Suche nach Spitzenleistungen“ von Peters/Waterman weist an verschiedenen Stellen darauf hin, dass „Produktivität durch Menschen“ (Kapitelüberschrift in Peters/Waterman 20039, S. 273) geschaffen wird und dass es auch die Kreativität und das Engagement der Mitarbeiter sind, die zu exzellenten Ergebnissen führen: „Die Intensität der Kommunikation ist in den erfolgreichen Unternehmen nicht zu 60
Vergleiche Armbrecht (1992, S. 240 ff.). Auf die Notwendigkeit, den betriebswirtschaftlichen Nutzen von Kommunikationsarbeit nachweisen zu können, wird im Zuge der Erörterungen zu den Stufen 3 und 4 zurückgekommen. 61 Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Prinzipien wie Einheitlichkeit, Wiedererkennbarkeit etc., die als Voraussetzungen erfolgreicher Kommunikationsarbeit gelten, wird hier nicht unternommen. Näheren Aufschluss hierzu bietet Mast (20062, S. 49 ff.).
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übersehen“ (ebd., S. 152). In allen ernst zu nehmenden Managementansätzen und eben nicht nur in den explizit auf Führung und (interne) Kommunikation bezogenen Werken wird auf die eminente Bedeutung einer funktionierenden Kommunikation hingewiesen. Trotzdem bleibt das vielfältige kommunikative Geschehen innerhalb des Unternehmens, das sich mit der alltäglichen Erledigung von Aufgaben im Rahmen interner Prozesse und Strukturen vollzieht, jenseits der betrachteten „Kommunikationswelt“ – es wird praktisch nicht als kommunikative Aufgabe erkannt. Im Zuge dieser zweiten Reifestufe übernehmen die Kommunikationsabteilungen auch die Verantwortung für die Gestaltung und Herausgabe von Mitarbeiterzeitungen, Intranet etc. und damit für die als wesentlich erachteten (Massen-)Medien interner Kommunikation. Dies liegt allein schon deshalb nahe, weil sehr oft der größte Teil der für die Kommunikationsarbeit rekrutierten Personen seine fachlichen und beruflichen Wurzeln in journalistischer Arbeit beziehungsweise im Zusammenhang mit der Arbeit von Kommunikationsagenturen hat. Doch ob es um die finanzielle Ausstattung, um Zielkonflikte aufgrund zeitlicher Ballungen oder um die Einschaltung von professionalisierten „Kommunikationsmachern“ geht – grundsätzlich spielt (bei nicht zu leugnenden Schwankungen) die interne Kommunikation eine deutlich geringere Rolle als die externe. Noch auf dieser zweiten Reifegradstufe wird sie eher nebenbei erledigt. In Fällen, in denen diese Reifegradstufe bereits in den 90er Jahren erreicht wurde, stand dennoch die eigentliche Herausforderung bevor, die mit dem Aufkommen der „Neuen Medien“ und allen voran durch das Internet verbunden war (und ist). Dies betrifft insbesondere die externe Kommunikation. Rückblickend erscheinen die Zeiten vor dem Internet, in denen unter beinahe rührend anmutenden Zeitansätzen Pressekonferenzen manchmal wochen- oder gar monatelang geplant werden konnten, als so etwas wie eine weit zurückliegende Romantik der Unternehmenskommunikation.
Stufe 3/Konsolidierungsstufe: „Viel hilft viel“ Externe Kommunikation ist als Wertschöpfungsfaktor mit hoher Professionalisierung und Spezialisierung anerkannt. Kommunikationsbereiche müssen sich betriebswirtschaftlichen Bewertungskriterien stellen. Interne Kommunikation wird in ihren massenmedialen Erscheinungsformen ebenfalls Gegenstand der Kommunikationsprofis. Zwei einschneidende Entwicklungen der späten 90er Jahre erzeugen für die Kommunikationsabteilungen einen entscheidenden Bedeutungsschub, zumindest in Deutschland: das untrennbar mit dem Börsengang der Deutschen Telekom AG verbundene Interesse einer breiten Öffentlichkeit an Aktienengagements sowie das Aufkommen der sogenannten „Neuen Medien“, allen voran natürlich des Internets.
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III. Kommunikationsmanagement
Die Börsenbegeisterung von Bevölkerungsgruppen, die sich gerade in Deutschland bislang weitgehend uninteressiert gezeigt hatten, provoziert einen ungeheuren Boom der Unternehmenskommunikation gegenüber unternehmensexternen Interessengruppen, die beispielsweise als direkte Investoren (kommunikativ bedient durch Bereiche wie Investor Relations), als Journaille (insbesondere Wirtschafts- und Finanzredaktionen, Anlegerzeitschriften oder webbasierte Infodienste; kommunikativ bedient durch die Pressesprecher) oder als interessierte Öffentlichkeit mit potenziellem Anlegerinteresse wahrgenommen werden. Geschäftsberichte werden erheblich attraktiver gestaltet, bald kommen Umwelt-, Sozial und neuerdings Nachhaltigkeitsberichte hinzu (einige Pioniere begannen damit allerdings bereits weitaus früher). Aktionärsversammlungen großer Unternehmen werden als Event inszeniert und auch Kommunikationsformen wie Analystenkonferenzen, Medienauftritte von Vorständen beziehungsweise Geschäftsführern, gezielte Lobbyarbeit und insbesondere den Internetauftritt gilt es, professionell zu gestalten. In einem geradezu irrwitzigen Tempo entwickelt sich eine Kommunikationsindustrie zur Deckung dieser Bedarfe, deren Spektrum von klassischen Werbeund PR-Agenturen bis hin zu Internet-, Event-, Lobby- und Imageagenturen reicht. Analog wird in der Unternehmenskommunikation das Spezialistentum aufgebaut: Neben den klassischen Ausrichtungen auf tradierte Medien, die überwiegend von Unternehmensvertretern mit journalistischem Hintergrund betreut werden, finden sich in den Kommunikationsabteilungen der Konzerne und Großunternehmen zunehmend spezialisierte Internetredakteure, Eventspezialisten, Lobbyisten, Experten für Investor Relations und so fort. Wobei noch während der Phase dieses Ausbaus an Professionalität die ob ihrer Größe und strategischen Bedeutung nicht mehr zu übersehenden Kommunikationsbereiche zunehmend in das Blickfeld betriebswirtschaftlicher Analysen geraten. Damit sind Fragen zu beantworten wie solche nach dem Nutzen der Kommunikationsarbeit bezogen auf den erbrachten Beitrag zur Wertschöpfung des Unternehmens und damit nach Effizienz und Effektivität der Unternehmenskommunikation. Kurz gesagt wird Unternehmenskommunikation spätestens auf dieser Reifegradstufe zu einem „normalen“ Bereich, der sich wie jedes andere Cost-Center zu rechtfertigen hat, der um Budgets ringen muss und der, obwohl gerade erst konsolidiert und zu gewisser Komplexität aufgebaut, sich der „Make-or-Buy-Frage“ zu stellen hat. Insbesondere große Konzerne, die der Globalisierung ihres Geschäfts einen intensiven Ausbau der eigenen Strukturen in Richtung Internationalisierung zur Seite stellen, werden zu allgegenwärtigen Akteuren auf praktisch allen Feldern der Kommunikation. Fast hat es den Anschein, als folge man in seinem Kommunikationsgebaren nicht eigenen Zielen oder strategischen Überlegungen, sondern hetze beinahe atemlos dem rasanten Innovationstempo hinterher, das ständig neue Anwendungsformen und Techniken gerade im Zuge der OnlineMedien hervorbringt. Omnipräsenz scheint das Prinzip, begrenzt nur noch durch die irgendwann ausgeschöpften Budgets.62 Im Feuerwerk der externen Kommunikation entwickelt sich auch die unternehmensinterne Kommunikation weiter. Endlich werden die Mitarbeiter zu einer relevanten Zielgruppe, durch 62
Ich schreibe diese Zeilen im Sommer 2009 unter dem Eindruck der aktuellen Wirtschaftskrise, die sich auch auf die Kommunikationsaktivitäten der Unternehmen auswirkt.
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deutlich professionalisierte interne Medienarbeit immer „besser“ bedient. Die Mitarbeiterzeitung und andere „traditionelle“ Medien finden Ergänzung durch spezifische Intranetplattformen, Business-TV, Corporate Radio (auch: Corporate Broadcasting), Newsletter sowie durch immer anspruchsvoller angelegte Corporate Events. Planvolles und systematisches Vorgehen halten endlich auch in den Bereichen Einzug, die für die interne Kommunikation Verantwortung tragen. Doch auch hier bedarf es zunehmend der Spezialisierung, die zumeist den eingesetzten Medien folgt: Online-Redakteure gestalten das Intranet, Experten für Corporate Events kümmern sich um Veranstaltungen für Mitarbeiter und Führungskräfte, PrintRedaktionen geben die Mitarbeiterzeitung heraus. Nicht selten geht die Diversifizierung mit unkoordiniertem Vorgehen und uneinheitlichen Positionierungen einher. Diese Effekte führen dazu, dass Mitarbeiter manches Mal zur Kenntnis nehmen müssen, dass in der Öffentlichkeit zeitlich früher über bevorstehende Strategiewechsel oder Restrukturierungen berichtet wird, als es im eigenen Unternehmen der Fall ist. Resignierte Aussagen wie: „Über die Entwicklungen in meinem Unternehmen erfahre ich zuerst aus der Zeitung“ sind die Folge – und produzieren einen erheblichen Vertrauensverlust gegenüber der Kommunikation des eigenen Unternehmens. Früher oder später führt das zu der Erkenntnis, dass externe wie interne Kommunikationsaktivitäten aus einem integrierten Ansatz gestaltet werden sollten. Doch weiterhin bleibt ein großer blinder Fleck, denn die von jedem jederzeit realisierte Kommunikation im Rahmen der Erledigung interner Prozesse wird praktisch nicht als kommunikative Aufgabe erkannt. Die unternehmensinterne Kommunikation mag akzeptierter Bereich von Management geworden sein – im Blickfeld steht jedoch nur die zentralseitig geplante und inszenierte Mitarbeiterkommunikation.
Stufe 4/Ausbaustufe: „Integrierte Kommunikation“ Externe wie interne Kommunikationsaktivitäten sind koordiniert und nach einheitlichen Kriterien gestaltet. Elaborierte Management- und Controllingprinzipien werden zunehmend auf das Kommunikationsmanagement übertragen. Kommunikationsmanagement bleibt auf zentrale Kommunikationsaktivitäten konzentriert. Mit der Feststellung von Ermüdungserscheinungen oder gar Abwendung der Zielgruppen ob der kommunikativen Inflation setzt sich bald die Erkenntnis durch, dass kommunikative Wirkung nicht durch noch mehr Kommunikation, sondern durch eine verbesserte Einheitlichkeit im Auftritt erzielt werden kann. Denn wenn auch bislang in den bisherigen Ausführungen zu den Reifegradstufen implizit eher auf Öffentlichkeitsarbeit der Unternehmen und weniger auf Marketingkommunikation abgestellt wurde: Die Konsumentenwahrnehmung von Kommunikationsaktivitäten eines Unternehmens dürfte primär durch produktbezogene Marketingkommunikation geprägt sein. Wenn jedoch weitere „Kommunikationsstimmen“ eines Unternehmens vernehmlich hinzukommen, erhöht sich sofort die Notwendigkeit zur Siche-
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III. Kommunikationsmanagement
rung thematischer wie gestalterischer Kohärenz. Wo dies unterbleibt, kann die Diversifizierung der kommunikativen Aktivitäten des Unternehmens zu uneinheitlichem und wenig koordiniertem Vorgehen führen. Irritationen bei den Rezipienten und gerade nicht die gewünschten gegenseitigen Verstärkungseffekte sind die Konsequenz. Dies wirkt sich umso nachteiliger aus, als Kunden wie auch Öffentlichkeit aufgrund der erheblich verbesserten Zugriffsmöglichkeiten auf Informationen und Daten sehr schnell bemerken, wenn beispielsweise ein Markenauftritt in der Produktwerbung und die vom herstellenden Unternehmen via Öffentlichkeitsarbeit platzierten Themen unterschiedliche Akzente setzen oder anderweitig nicht zusammenpassen. Es liegt also nahe, in einem ganzheitlichen Vorgehen alle Kommunikationsaktivitäten des Unternehmens, seien sie im Rahmen von Marketing-, PR- oder anderen Maßnahmen vorgesehen, nach einheitlicher Systematik und unter maximaler Koordination der Ziele, Themen, Erscheinungsformen, Symbole, Vorgehensweisen und Evaluationsmethoden zu gestalten. Etwa zur Jahrzehntwende hat sich als Bezeichnung für ein solcherart vernetztes Vorgehen der Terminus „Integrierte Kommunikation“63 durchgesetzt. Das Ideal der Integrierten Kommunikation ist ein vollständig abgestimmtes Vorgehen über alle Kommunikationsinstrumente, die ein Unternehmen einzusetzen vermag – und zwar gegenüber allen Interessen- beziehungsweise Zielgruppen unter Einbeziehung der eigenen Mitarbeiter. Spätestens in der Ausbaustufe der Unternehmenskommunikation sehen sich die Kommunikationsbereiche den prinzipiell gültigen Anforderungen nach einem nachweisbaren Beitrag zu ökonomischer Effizienz und Effektivität ausgesetzt. Damit entsteht die Notwendigkeit, die eigenen Kommunikationsaktivitäten zu messen und zu evaluieren. Und so wurde gerade in den letzten Jahren eine Reihe von Methoden ersonnen, die häufig auf bewährte, betriebswirtschaftlich ausgelegte Methoden oder Instrumente der Unternehmensführung – zumeist in Controllingbereichen angewandt – zurückgreifen. Ansätze wie der „Return on Event“ (Sandt 2007), der „Return on Communication“ (zum Beispiel Wünsch 2007) und die „Communication Scorecard“ (Schuppener 2005) – die sich wesentlich an der seit Mitte der 90er Jahre etablierten „Balanced Scorecard“ (Kaplan/Norton 1997) orientiert – sind nur einige Beispiele.64 Überwiegend handelt es sich um quantitative Messverfahren, die anhand von Kennzahlen versuchen, die Wirkungen von Kommunikationsmaßnahmen zu erfassen. Ganz im Sinne der Integrierten Kommunikation deutet sich in jüngster Zeit ein Trend zu „integrierten Evaluationsmodellen“ (Zerfaß/Pfannenberg 2005, S. 19) an. Der Notwendigkeit einer Evaluation 63
Die Grundidee der Integrierten Kommunikation hat ihre Wurzeln im Marketing und entstand deutlich früher. Einen Abriss der Entwicklung bietet Stumpf (2005, S. 1 ff.). Obwohl sicherlich nicht der einzige Vertreter eines Integrierten Ansatzes zur Unternehmenskommunikation, ist Bruhn hervorzuheben, da er seit den 90er Jahren maßgeblichen Anteil an der Ausarbeitung und Weiterentwicklung des Konzepts hat. Grundlegend Bruhn (2005), eine prägnante Übersicht bei Mast (20062, S. 48 ff.). 64 Einen instruktiven Überblick über die verschiedenen Methoden einer so verstandenen Evaluation oder Modellvorschläge bieten unter anderem Porák/Fieseler/Hoffmann (2007), Rolke (2005) sowie Rolke (2007). Weitere Ansätze und Beispiele finden sich unter anderem bei Schick (20073, insbesondere S. 19 ff.), Mast (20062, insbesondere S. 153 ff.), Pfannenberg/Zerfaß (2005; dort verschiedene Aufsätze mit Lösungsmodellen), Leipziger (2004), Pfannenberg (2003, insbesondere S. 106 ff.), Karst/Segler/Gruber (2000) oder, fokussiert auf den Bereich der Event-Kommunikation, bei Wünsch (2007) oder Sandt (2007). Zur Balanced Scorecard im Klinikbereich vgl. Böckelmann/Wolf (2003).
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sehen sich Personalbereiche übrigens schon seit längerem ausgesetzt. Auch hier werden längst elaborierte Methoden angeboten und eingesetzt, um den Schulungserfolg valide ermitteln zu können.65 Eine methodische Abstimmung der Evaluationsmethoden zwischen Kommunikations- und Personalbereichen habe ich persönlich allerdings noch nirgends antreffen können. Die Messung von kommunikativ erzielter Wirkung stellt jedoch durchaus eine Herausforderung dar, bei der mindestens gefragt werden kann, ob der Erfolg einer Kommunikationsmaßnahme tatsächlich anhand objektiver und unmittelbar einleuchtender Kriterien quantitativ zu erheben ist.66 Ich sehe hier jedoch von einer methodenkritischen Auseinandersetzung mit den einzelnen Instrumenten ab. Ebenso bleibt eine im Grundsatz methodologische Erörterung aus, die unter anderem zu prüfen hätte, welche Prämissen bewusst oder unbewusst angesetzt werden müssen, um objektive, reliable und valide Daten zur Evaluation von kommunikativer Wirkung zu ermitteln. Vielmehr sei einem Methodenpluralismus das Wort geredet, der eingesetzte quantitative Messungen durch geeignete qualitative Erhebungsmethoden ergänzt. Dazu wird im Kapitel IV.4 die Methode der Auditierung, die bereits im Zusammenhang des Prozess- und Qualitätsmanagements zur Sprache kam, aufgegriffen und für die Zwecke des Managements interner Kommunikation und seiner Evaluation weiterentwickelt. Obwohl die interne Unternehmenskommunikation in den Ansätzen zur Integrierten Kommunikation durchgängig zur Sprache kommt (Bruhn beispielsweise widmet ihr ein längeres Kapitel; vergleiche Bruhn 2005, S. 1202 ff.), ist die priorisierte Ausrichtung auf unternehmensexterne Zielgruppen nicht zu übersehen. Schon die Identifizierung der Kommunikation als Wertschöpfungsfaktor lenkt das Augenmerk auf Marketing und Vertrieb und damit auf externe Zielgruppen. Interne Kommunikation, so der Eindruck, wird in deren Kielwasser „mitgezogen“ – was nicht nur Nachteile hat. Denn mit dem Konzept der Integrierten Kommunikation werden die entsprechenden Maßnahmen gegenüber internen Zielgruppen systematischer und planvoller angegangen, erst recht dann, wenn bemerkt wird, dass die Mitarbeiter für die externe Kommunikation eine „Second Audience“ (ebd., S. 1203) darstellen. Dann ist es nicht mehr weit bis zu der Erkenntnis, dass Mitarbeiter immer auch als Botschafter des Unternehmens und seiner Marken wirken (ebd., S. 1202). Was jedoch auch in der Integrierten Kommunikation weitgehend unberücksichtigt bleibt, ist die alltägliche Kommunikation, die jede Führungskraft und jeder Mitarbeiter an jedem Tag auszuführen hat. Integrierte Kommunikation – und das ist als Verdienst anzusehen! – führt zwar alle explizit mit Kommunikationsaufgaben betrauten Bereiche zusammen. Sie blendet jedoch zumindest mit Blick auf interne Kommunikationsprozesse ein sehr großes Volumen kommunikativer Vorgänge aus, die im Rahmen von Prozessvollzügen stattfinden – unabhängig und vermutlich weitgehend unbeeinflusst von den Verlautbarungen der Marketing- oder Kommunikationsabteilungen. Infolgedessen muss festgestellt werden, dass die Integrierte 65
Zur Evaluation von Seminaren findet sich ein mehrperspektivischer Vorschlag mit Bezug auf Kirkpatrick (19982) bei Wolf (2006). 66 In eine ähnliche Richtung deutet Mast Skepsis an, indem sie fragt, ob eine exakte Zuordnung kommunikativer Stimuli und erzielter Wirkungen überhaupt möglich ist. Vergleiche Mast (20062, S. 153 ff.).
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III. Kommunikationsmanagement
Kommunikation derzeitigen Zuschnitts nur als „Teilintegration“ aufzufassen ist. Deshalb kann bei dem Konzept der „Integrierten Kommunikation“ entgegen der Position von Bruhn/Stumpf (2008) der Anspruch von „Communication Excellence“ (Teil des Aufsatztitels) nicht als eingelöst gelten, wenn damit der Anspruch einer umfassenden Abdeckung kommunikativer Vorgänge ausgedrückt wird: zu viel Kommunikation bleibt unberücksichtigt. Dieses Desiderat muss angegangen werden, bevor mit Recht von „ganzheitlicher“ oder „Integrierter Kommunikation“ in einem umfassenden Sinn gesprochen werden kann. Aus der hier eingenommenen Perspektive lässt sich für das Kommunikationsmanagement bilanzieren, dass in den vergangenen Jahren erhebliche Verbesserungen in Richtung Effizienz und Effektivität erzielt werden konnten. Die Professionalisierung der Kommunikationsbereiche hat zu hohen Reifegraden verholfen. Dennoch bleiben Desiderata, die für eine mit Recht reklamierte Excellence-Ausprägung des Kommunikationsmanagements anzugehen sind.
2.
Perspektiven erweitern: Einschätzungen zum Management interner Kommunikation
Angesichts der konzeptionellen Reife stellt sich die Frage, weshalb allerorten die interne Kommunikation in den Augen der Mitarbeiter derart schlecht bewertet wird. Ich identifiziere eine sich weiter öffnende Kluft zwischen zwei Gruppen. Als die erste Gruppe begreife ich die Kommunikationsmacher im engen Sinn. Gemeint sind die Verantwortlichen für interne Kommunikation, die bei zunehmender Professionalisierung grundsätzlich auf ein wie gezeigt großes Angebot an Konzepten und Lösungsansätzen zurückgreifen können. Ihnen stehen die Führungskräfte und Mitarbeiter des Unternehmens als zweite Gruppe gegenüber. Diese sehen sich in vielen Fällen durch die Kommunikationsbereiche weder unterstützt noch angemessen informiert. Fast scheint es, als provoziere eine Steigerung der Professionalität die Skepsis gegenüber der von zentralen Stellen realisierten Kommunikation. Diese Kluft sei anhand einiger Beobachtungen67 näher beschrieben, die immer wieder in Unternehmen und vergleichbaren Organisationen zu machen sind und die teilweise unten nochmals aufgegriffen werden: 67
Diese „Beobachtungen“ sind in realer Beratungstätigkeit gewonnen, nicht jedoch auf zitierfähige Weise, etwa in Form empirischer Studien. Aufgrund der gebotenen Diskretion ist es zudem nicht möglich, die Unternehmen namentlich zu nennen. Damit entfällt die Möglichkeit der Überprüfung meiner Aussagen. Allerdings ziehe ich ausgewählte Literaturstellen wie auch Studien anderer Unternehmensberatungen heran, um eine ausreichende Evidenz sicherzustellen. Und schließlich weiß ich aus vielen Gesprächen mit Klienten sowie Kollegen, dass meine Beobachtungen keineswegs singulär sind.
Perspektiven erweitern: Einschätzungen zum Management interner Kommunikation
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Interne Kommunikation ist ein komplexes, heterogenes und widersprüchliches Handlungsfeld. Darin sind sich vermutlich alle einig. Aber wer sind eigentlich die Handelnden? Sind es nur die „Sender“? Was ist mit denen, die wir kommunikativ erreichen wollen, was ist mit dem, das sie anschließend tun oder unterlassen sollen? Trotz anderslautender Beteuerungen stelle ich immer wieder fest, dass Kommunikationsmacher eher solchen Zielen und Gestaltungsprinzipien folgen, die ihrer eigenen Profession entsprechen und dort anerkannter „State of the Art“ sind. Deutlich weniger orientieren sie sich an dem, was interne Zielgruppen hinsichtlich der Kommunikation wünschen. So habe ich nicht nur einmal erlebt, dass eine unter Anwendung von allgemein anerkannten Layoutprinzipien als laienhaft einzuschätzende Mitarbeiterzeitung dennoch hohes Ansehen und hohe Glaubwürdigkeit genoss – bis die Mitarbeiterzeitung in professionelle Hände gelegt wurde. Danach sah sie zwar sehr gut aus, aber Glaubwürdigkeit und der Charme des Selbstgemachten waren dahin. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich vertrete nicht die Auffassung, dass interne Kommunikationsmedien dilettantisch gestaltet werden sollen. Ich weise vielmehr darauf hin, dass eine Betonung von Professionalität den Verlust von Akzeptanz der Zielgruppe riskieren kann. Wie steht es um die Ziele und Zwecke von interner Kommunikation? Man frage verschiedene Repräsentanten aus Kommunikationsbereichen sowie aus anderen Bereichen der Organisation – es dürfte nicht selten zu disparaten Antworten kommen. Werden also Kommunikationsziele gar nicht klar formuliert? Und wenn sie formuliert werden: Sind diese Ziele ihrerseits ausreichend kommuniziert? Diese Kritik findet auch in der Literatur ihre Bestätigung. Zerfaß/Piwinger betonen in der Einleitung des von ihnen herausgegebenen „Handbuchs Unternehmenskommunikation“: „Erfolgsmessung erfordert eine klare Definition des Zieles und eine entsprechende Auswahl und Ausrichtung der Erhebungsmethoden. In Zukunft wird es mehr denn je darauf ankommen, mehr in die Kommunikationsplanung zu investieren und weniger in die Evaluation ex post“ (Zerfaß/Piwinger 2007, S. 7). In aller Regel wird die interne Kommunikation einer Organisation auf die Aktivitäten der Kommunikationsabteilungen reduziert, die die Mitarbeiterzeitung herausgeben, das Intranet gestalten und ansonsten als strenge Hüter des Corporate Designs auftreten. Sie verstehen sich als „Gestalter kommunikativer Oberflächen“, wie mir ein Kommunikationsverantwortlicher in einem Projekt sagte. Da kann es nicht wundern, wenn die Zielgruppen lakonisch urteilen: „Unglaubwürdig und oberflächlich!“ Die unternehmensseitig gesteuerte interne Massenkommunikation wird als dysfunktional erlebt und eben überwiegend nicht als synchronisiertes Glied einer größeren Handlungskette. Selbst gelungene Kommunikationsmaßnahmen bleiben Episode. Motto: Das Sommerfest ist gelaufen, die Mitarbeiterzeitung ist erschienen – fertig und zurück in den tristen kommunikativen Alltag. Unterdessen wenden sich die Kommunikationsmacher bereits der nächsten Ausgabe zu. Und empfinden den Rest des Unternehmens womöglich gar als undankbar, hat man sich doch solche Mühe gegeben. Fast im Sinne eines spirituellen Korrektivs ist eine gegenläufige Tendenz zu beobachten, die auf vollkommen anders ausgerichtete, stark partizipative Inszenierungen von interner
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III. Kommunikationsmanagement
Unternehmenskommunikation setzt. In einer Art kontrafaktischem Freiraum werden durch gezielt eingesetzte Großgruppeninterventionen bestehende (Kommunikations-)Regeln außer Kraft gesetzt, um neue Lösungen für anstehende Herausforderungen zu finden. Solche Inszenierungen erweisen sich gerade in Organisationen als lösend, in denen die Kommunikationslinien besonders deutlich von hierarchischen Verbindungen abhängen. Gleichwohl bleiben auch diese „anderen“ Kommunikationssituationen folgenlose Episode, wenn sie abgekoppelt von der alltäglichen Wirklichkeit stattfinden und keine sichtbaren Auswirkungen zeitigen. Kapitel V.2 wird aufzeigen, in welcher Weise Großgruppeninterventionen als gesteuerte Offenheit in das Kommunikationsgeschehen integriert sein sollten, um nachhaltige Wirkung zu erzielen. Vorläufig ist jedoch zu fragen, ob die Kommunikationsabteilungen über ausreichende Methodenkompetenz verfügen, um diese Instrumente angemessen einzusetzen. Interne Kommunikation bedarf heutzutage vielfältiger technologischer Ausstattung. Damit rücken Planung und Konfiguration technischer Kommunikationsmedien wie zum Beispiel Telefon, Fax, E-Mail oder Videokonferenzsysteme in den Blick. Deren Installation und Ausrichtung obliegen häufig nicht mehr den Kommunikations-, sondern technischen Bereichen wie etwa einer IT-Abteilung. Jedoch dürfte es bereits eine Ausnahme darstellen, wenn Kommunikationsbereiche in die Planung und Gestaltung der (elektronischen) Medien eingebunden werden. Angesichts der Faszination, die von den Möglichkeiten neuer und neuester Medien wie Blogs, Video-on-Demand, Podcasting, Web 2.0, Wikis, Twitter etc. ausgeht, nimmt das Risiko zu, dass die eigentlichen (und oft ausgesprochen simplen) Ziele aus dem Blick geraten und das Medium nicht mehr Werkzeug, sondern Ziel ist. Interne Kommunikation umfasst aber auch: Besprechungen (offizielle wie informelle), Betriebsversammlungen, Workshops zur Strategiedefinition, Projektpräsentationen und zahllose weitere Beispiele für unternehmensseitig initiierte sowie prozessintegrierte Kommunikationssituationen. Wie steht es um die professionelle Planung, Durchführung und Nachbereitung solcher interpersonaler Kommunikation? Wie ist sie koordiniert und in welcher Weise werden diese kommunikativen Handlungen in den internen Medien berücksichtigt? Wie ist das gesamte Kommunikationsgeschehen mit seinen Zielen und Zwecken sowie in seiner Ausrichtung inhaltlich, personell und zeitlich vertaktet, wie werden Kommunikationsergebnisse nachgehalten, ausgewertet und für gezielte Verbesserungen im Kommunikationsmanagement genutzt? Was also taugt die interne Kommunikation in Unternehmen und anderen Organisationen? Fragt man ihre Insassen, dann lautet die Antwort in der Regel: „Wenig bis gar nichts!“ Denn ihre kommunikative Wirklichkeit bleibt von der zentralseitig angebotenen Kommunikation praktisch unberührt! Es ist eine zentrale These dieses Buchs, dass aufgrund der Fixierung des zugrunde gelegten Verständnisses von internem Kommunikationsmanagement auf Medien und Massenkommunikation basale Probleme sowie kommunikative Bedürfnisse der Führungskräfte und Mitarbeiter überhaupt nicht getroffen werden. Und selbst dieser Umstand wird nicht zur Kenntnis genommen.
Perspektiven erweitern: Einschätzungen zum Management interner Kommunikation
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Da hilft auch nicht weiter, dass ein immer weiter differenziertes Ensemble von Evaluationsmethoden bereitgestellt wird, um den Nutzen beziehungsweise den geleisteten Beitrag zur Wertschöpfung belegen zu können. Nachweisbar kostenbewusstes Handeln, ob in der internen Massenkommunikation oder bei den Trainings zur Verbesserung persönlicher Kommunikationsfähigkeiten, hilft gegenüber den Controllingbereichen, aber nicht notwendig bei der internen Akzeptanz.68 Es ist nicht zu bezweifeln, dass unternehmensinterne Kommunikation noch umfassender als bisher zum Objekt von Managementmethoden werden muss. Dazu muss jedoch akzeptiert werden, dass die zentralseitig betreute Kommunikation den kleinsten Teil der Kommunikationen innerhalb einer Organisation darstellt. Plakativ gesagt sind alle in diesem Buch angestellten Überlegungen durch mein Anliegen motiviert, das Management der internen Kommunikation vom Kopf auf die Füße zu stellen. Genau das ist die pragmatische Wende, auf die der Business Discourse zusteuert. Bevor diese Überlegungen fortgeführt werden, seien möglicherweise vorhandene Bedenken diskutiert. Ich stelle mir vor, dass manche Leser das hier angesetzte Verständnis vom Management zwischenmenschlicher Kommunikation als kalkulierte und leblose Sozialtechnologie wahrnehmen. Gerade vor dem Hintergrund der oben diskutierten Unwägbarkeit und Nichtkalkulierbarkeit von Kommunikation könnte in Frage gestellt werden, ob sich Kommunikation überhaupt managen lässt. Managen impliziert immer auch beherrschen, im Griff haben, um mit bewusst platzierten Eingriffen gewünschte Resultate zu erzeugen. So funktioniert effektives und effizientes Management – oder etwa nicht? Ich setze an den bereits angestellten Reflexionen zum Managementbegriff an, um diesen weiter nutzbar zu machen. Dass Management im Allgemeinen tatsächlich auf die skizzierte mechanistische Weise funktioniert, darf bezweifelt werden, unabhängig davon, ob es sich um das Management interner Kommunikationsprozesse oder andere Managementfelder handelt. An die Stelle der an krude Reiz-Reaktions-Schemata erinnernden Auffassung von Management setze ich das mit Kapitel I.4 eingeführte Prinzip der Emergenz: Manager können Anstöße geben, sie können ein Umfeld zur Verfügung stellen und damit wichtige Voraussetzungen für (Kommunikations-)Erfolg schaffen – sie können diesen jedoch nicht vorhersagbar erzwingen. Unter Bezug auf die angestellten emergenztheoretischen Überlegungen will ich die Kategorien „Impuls“ sowie „Emergenz“ im Kontext von Kommunikationsmanagement wie folgt verstanden wissen: Wer Kommunikation erfolgreich managen will, kann durch geeignete Kontexte und angemessen platzierte Impulse die Wahrscheinlichkeit emergenter Effekte in gewünschter Art wahrscheinlicher machen.
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Hinzu kommt eine Tendenz, die zumindest vereinzelt zu beobachten ist und die durch einen überbetonten Fokus auf quantitative Mess- beziehungsweise Evaluationsverfahren provoziert wird. Sie lässt sich auf die Formel bringen: „Was nicht gemessen werden kann, lassen wir sein“ und führt dazu, dass für sinnvoll gehaltene Maßnahmen, deren Erfolg nicht ohne Weiteres durch Kennzahlen ermittelbar ist, unterbleiben.
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III. Kommunikationsmanagement
Emergenz wird zum dritten Weg neben einem zu trivialen, weil linear-kausal gedachten Managementverständnis und einem resignativen Untätigbleiben, das sich so ausdrücken könnte: „Man kann also gar nichts bewirken – dann lassen wir es eben.“ Auf Emergenz zu setzen heißt, ein förderliches Umfeld für die interne Kommunikation unter Anwendung und im Sinne des Business Discourse zu schaffen. Daraus folgt als zentrale Ausgangsthese der weiteren Erörterungen: Kommunikation kann man managen. Wie jedoch zu zeigen sein wird und bereits jetzt mit Blick auf die zugrunde gelegte Emergenz nicht oft genug betont werden kann: Zwischenmenschliche Kommunikation, zustande gebracht im Kontext der unternehmensinternen Diskurse (die ich unter „Business Discourse“ rubriziere), lässt sich auch bei noch so ganzheitlicher Vorgehensweise nicht vollständig beherrschen und in ihren Ergebnissen zwingend vorhersagen. Implizierte „Managen“ eine entsprechende Ergebnissicherheit, dann wäre zwischenmenschliche Kommunikation in einem solchen Sinn nicht zu managen – und ich bin froh darüber. Denn unser Kommunizieren funktioniert in keiner Weise nach einer Input-Output-Mechanik, wie sie für triviale Maschinen gilt.
Exkurs: Triviale Maschinen „Triviale Maschinen“, so der Kybernetiker und Systemtheoretiker Heinz von Foerster, „sind Maschinen, die immer wieder auf dieselbe Eingabe dieselbe Ausgabe geben“ (Foerster 2001, Vorspann; siehe auch Foerster 2001a, S. 163 ff., sowie Foerster 1992, S. 60 ff.). Solche „Maschinen“ werden stets auf die Eingabe „2 x 2“ mit der Ausgabe „4“ reagieren. Oder, um ein anderes Beispiel zu bemühen: Wenn ich meinen Computer einschalte, startet dieser das Betriebssystem und nach kurzer Zeit ist das Gerät einsatzbereit. Triviale Maschinen sind demnach zu verstehen als Operationen, die nach einfachen, automatisierten, stabilen und vorhersagbaren Ursache-Wirkungsketten funktionieren. Mit Blick auf die vorgestellten Prinzipien des Prozessmanagements lässt sich folgern, dass dort ein triviales Wirkungsmuster zugrunde gelegt ist. Denn angestrebt wird, dass jeder Prozessvollzug vorhersagbar zum gewünschten Ergebnis führt. Nun kann es natürlich sein, dass eine triviale Maschine auf eine Eingabe nicht mit der erwarteten Ausgabe reagiert, was manchmal gerade für Computer gilt. In diesem Fall braucht es einen „Trivialisateur“, der durch technische Maßnahmen den trivialen Zustand der Maschine wieder herbeiführt: Mein Computer wird anhand bestimmter Prozeduren geprüft, vielleicht wird eine defekte Steuerungsdatei ersetzt oder eine Hardwarekomponente. Schon bald reagiert mein Computer wieder auf triviale Weise und damit so, wie es sich für einen Computer gehört. Unser Leben ist derart durchsetzt mit (scheinbar) automatisierten Prozessen, dass wir ohne weitere Reflexion jene Trivialmechanik permanent als universellen Wirkungsmechanismus unterstellen. Ein Beispiel aus dem Unternehmensalltag: Ein Vorgesetzter fragt sich, warum ein leistungsfähiger und belastbarer Mitarbeiter plötzlich Schwierigkeiten bei der Er-
Kommunikation im Unternehmen – trivial?
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ledigung einfacher Routinetätigkeiten hat. Seine Lösung ist, so wollen wir annehmen, dass der Mitarbeiter innere Blockaden aufgebaut hat, die auflösbar sind. Statt nun aber das seiner Analyse zugrunde liegende Ursachenkonstrukt in Frage zu stellen und damit den Mitarbeiter zu „enttrivialisieren“, ergreift der Vorgesetzte Maßnahmen vergleichbar dem Fall eines defekten Computers. Es wird vielleicht ein intensives Coaching für den Mitarbeiter angesetzt und siehe da: Nach gewisser Zeit reduzieren sich die Schwierigkeiten, wie wir für die Zwecke dieses Buches annehmen wollen. Diese Erfahrung stabilisiert die nicht hinterfragte Voraussetzung des Vorgesetzten, dass plötzliche Einbrüche in der persönlichen Leistungsfähigkeit eines Mitarbeiters Ursachen haben, die in seiner Person begründet sind und dort „geheilt“ werden können. Schließlich „funktioniert“ der Mitarbeiter nach abgeschlossener Coachingmaßnahme wieder. Dabei mögen seine Schwierigkeiten vielleicht gar nichts mit ihm selbst zu tun haben, sondern mit dem organisatorischen Umfeld. Womöglich wurde der Mitarbeiter durch einen Kollegen, mit dem er seit kurzem ein Büro zu teilen hatte, dauernd abgelenkt, doch nun hat dieser Kollege erneut seine Stelle gewechselt. Vielleicht lag es an technischen Problemen, die eine schnelle Aufgabenerledigung unmöglich machten und für unbefriedigende Resultate sorgten. Vielleicht war es auch ein Zusammenspiel verschiedener Ursachen. Derartige Überlegungen kommen dem Vorgesetzten jedoch gar nicht in den Sinn, wenn der Mitarbeiter – wie er unterstellt: aufgrund der Coachingmaßnahme – wieder zu funktionieren beginnt. Der Fehlschluss besteht darin, dass die zeitliche Nähe zwischen Coaching und verbesserter Leistung als Ursache-Wirkungs-Beziehung missdeutet wird – und der Mitarbeiter als triviale Maschine. Welche Kategorienfehler aus solchen Schlussfolgerungen resultieren können, sei nochmals zugespitzt an diesem Exempel illustriert: Da sich Dinge bei Wärme ausdehnen, sind die Tage im Sommer länger (Beispiel dem humorigen Werk entlehnt „Denken Sie selbst“, Ebert 2008, S. 18).
3.
Kommunikation im Unternehmen – trivial?
Das aber stellen wir mit der Kommunikation im Unternehmen (und nicht nur mit dieser) an: Wir trivialisieren. Wieder ein Beispiel: Allerorten ist zu hören und zu lesen, dass informierte Mitarbeiter motivierte Mitarbeiter sind. Zahlreiche Erfahrungsberichte scheinen dies zu bestätigen. Hier ein anonymisierter Erfahrungsbericht: Ein börsennotiertes, großes mittelständisches Unternehmen der Textilindustrie geriet in Schwierigkeiten und vermochte sich nicht durch übliche Maßnahmen zu befreien. Guter Rat war teuer (im wahrsten Sinne des Wortes), aber schließlich gelangte man zu einer Lösung. Woran auch immer festgemacht, diagnostizierte ein Beraterteam nachlassende Moti-
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III. Kommunikationsmanagement
vation bei den Mitarbeitern und schon galt: Information ist der Schlüssel. Ab sofort wurden die Mitarbeiter erbarmungslos informiert: über neue Kunden, über die Umsatzentwicklung des Unternehmens, über die Aktivitäten des Wettbewerbs, über den gesunkenen Börsenwert und warum dies alles dennoch kein Anlass für Sorgen ist. Doch was stellte man nach einiger Zeit fest? Trotz umfangreicher Informationen war kaum jemand zu irgendetwas motiviert, eher das Gegenteil war erreicht: Jetzt hatte überhaupt keiner mehr Lust. Entsetzt fragte die Leitung, wie das sein könne: „Wir haben doch informiert?“ Ohne jetzt noch Zeit für bessere Antworten zu haben, driftete das Unternehmen schließlich in die Insolvenz. Es ging nicht um ein größeres Informationsvolumen, es ging im besagten Fall darum, dass der Vorstand in der Vergangenheit eine Vielzahl schlechter Entscheidungen getroffen hatte, die überhaupt erst jene Schieflage herbeigeführt hatten. Darüber wurde zwar ansatzweise geschrieben (beraten durch eine PR-Agentur setzte man im diskutierten Fall auf Instrumente der internen Massenkommunikation), aber glaubwürdige Selbstkritik war nicht erkennbar. Die persönliche Integrität der Verantwortlichen ging in den Augen der Mitarbeiter gegen den Nullpunkt und machte jede Information verdächtig: „Was will man uns denn jetzt schon wieder einreden?“ In einer solchen Situation bedarf es gerade der persönlichen Kommunikation, um persönliche Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Info-Briefe, motivierende Plakate und noch so schmissig verfasste Beiträge in Mitarbeiterzeitungen helfen eben nicht automatisch. In vielen Beratungsprojekten habe ich meinen Gesprächspartnern die Frage gestellt: „Was ist aus Ihrer Sicht das größte Problem in dieser Organisation?“ Und ich habe fast immer die Antwort bekommen: „Das größte Problem ist, dass wir unzureichend informiert werden!“ Also doch zu wenig Information? Man muss schon ganz genau hinhören und manchmal auch nachhaken: „Unzureichend“ heißt nicht automatisch, dass zu wenig informiert würde. Genauere Betrachtungen ergeben ein differenzierteres Bild: Die meisten Mitarbeiter fühlen sich überinformiert. Und zwar insbesondere zu solchen Aspekten, die sie besonders wenig interessieren. Viele Informationen, die eigentlich zur Verfügung stehen, werden nicht beachtet, weil sie – zu Recht oder zu Unrecht – als unglaubwürdig angesehen werden. „Hochglanzinformation“ heißt es lapidar zu der neuen Mitarbeiterzeitung, „Hofberichterstattung“ ist das ungnädige (aber leider oft zutreffende) Urteil zur Intranet-Reportage über die letzte Betriebsversammlung, als „schönfärberisch“ wird die Rede des Vorstandsvorsitzenden zur Lage des Unternehmens empfunden. Relevante Informationen, die zur erfolgreichen Bewältigung der betrieblichen Praxis, zur Lösung der akuten Probleme oder zur eigenen Orientierung im unvorhergesehenen Konflikt mit dem Kunden benötigt werden, liegen entweder nicht vor oder sind im „information overload“ untergegangen.69
69
Zu ähnlichen Ergebnissen gelangenFrenzel/Müller/Sottong (2008) in einer Studie, auf die im Folgenden zurückzukommen ist.
Kommunikation im Unternehmen – trivial?
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So einfach geht es also schon mal nicht mit dem Informieren: Viel hilft nicht immer viel. Und dass kräftiges Drauflosinformieren nichts fruchtet, liegt nicht allein daran, dass auf das falsche Pferd „Information“ gesetzt wurde. Claudia Mast spricht gar von einem „Trugbild des schlecht informierten Mitarbeiters“ (Kapitelüberschrift in Mast 2007, S. 761). Mit Bezug auf leider nicht näher ausgewiesene Untersuchungen weist sie darauf hin, dass es vielmehr um „die mangelnde Beachtung und Mitwirkung des Personals, die fehlende Bewertung und Übersetzung der Fakten auf die besondere Situation des jeweiligen Mitarbeiters sowie das Fehlen einer persönlichen Adressierung und Ansprache der Mitarbeiter“ (ebd.) gehe. Und dennoch wird überwiegend mit mehr vom Selben reagiert, wird der vielleicht auch ungenau artikulierte Ruf nach Information falsch gedeutet und informiert, was das Zeug hält: Sonderausgaben der Mitarbeiterzeitung, neue Rubriken oder ein News-Ticker im Intranet, Plakataktionen, persönliche Briefe, Info-Runden. Frustriert aber muss allzu oft bilanziert werden: Eigentlich hat sich nichts verbessert. Die tiefere Ursache unseres Scheiterns ist aber, dass wir trivialisieren, was nicht trivial ist: Kommunikation. Warum wir das tun? Vielleicht auch deshalb, weil wir in unserem Alltag vollkommen selbstverständlich Ursache-Wirkungsketten voraussetzen – und sehr häufig damit gut zurechtkommen. Vielleicht ist die Sehnsucht nach totaler Beherrschung der Prozesse in der Organisation – die mit totaler Trivialisierung gleichzusetzen ist – ausschlaggebendes Motiv. Tatsache ist, dass schon die Prämisse der monokausalen Verkettung von Ursachen und Wirkungen konstituierender Teil des Problems ist. Es ist nicht zu ändern: Kommunikation lässt sich nicht beherrschen, wenn wir den Kommunikationsprozess nicht beschneiden wollen. Spätestens wenn wir den Hörer unseres Sprechens und seine Verarbeitung des Gehörten dem Kommunikationsprozess zurechnen (und das sollten wir, wie gezeigt, unbedingt tun), endet die Trivialität, und es beginnen die Ungewissheiten. Wir können unsere kommunikativen Äußerungen planen, aber wir können ihre Wirkungen nie absolut sicher vorhersagen und uns des Kommunikationserfolgs gewiss sein. Kommunikation ist nun einmal stets in Situationen eingebunden, die von Menschen getragen werden. Und Menschen sind, wie schon Heinz von Foerster zeigt, keine trivialen Maschinen (auch jener Mitarbeiter nicht, dessen Leistungen nachgelassen hatten und der vermeintlich durch Coaching wieder effizient arbeiten konnte). Damit können wir unter Nutzung eingeführten Vokabulars festhalten: Kommunikationserfolg emergiert – je mehr wir an den Rahmenbedingungen der Kommunikation arbeiten, umso höher wird die Wahrscheinlichkeit. Eine prinzipielle Erfolgsgarantie kann jedoch nicht ausgestellt werden. Verzweifelt wird mancher fragen: Ist denn alles doch nur Zufall – siehe Emergenz? Können wir denn gar nichts ausrichten? Sollen wir es lieber gleich lassen und das Geld einfach sparen? Gibt es keine Chance, etwas mit Aussicht auf Erfolg in Sachen innerorganisationaler Kommunikation zu erreichen? Die Lösung liegt im Perspektivenwechsel: Im Konzept des Business Discourse richten wir den analytischen Blick nicht zuerst auf die unmittelbare Kommunikationshandlung. Das Konzept setzt an den Bedingungen und Voraussetzungen für interne Kommunikation an, die wir planen, steuern, bewerten und verbessern können.
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III. Kommunikationsmanagement
Wenn wir diese Bedingungen und Voraussetzungen systematisch in den Blick nehmen und zum Gegenstand unserer Management-Aktivitäten machen, dann schaffen wir ein fruchtbares Umfeld, das geeignet ist, erfolgreiche Kommunikation hervorzubringen – nicht automatisch, zwangsläufig und jederzeit, aber mit deutlich größerer Wahrscheinlichkeit. Genau dies sei unter dem Term „Kommunikationsmanagement“ zusammengefasst und genau dies meint der Bezug auf das oben vorgestellte Konstrukt der Emergenz.70 Natürlich zielt Kommunikationsmanagement letztlich auf den eigentlichen Kommunikationsprozess und seinen Erfolg. Aber, und das ist der Unterschied zu den meisten technischen Prozessen und Systemen: Bei aller Professionalität der Planung und Steuerung zwischenmenschlicher Kommunikation haben wir keine finale Gewissheit über das Ergebnis, das wir darüber hinaus oftmals gar nicht hinreichend bestimmt haben. Nicht allein aufgrund dieser Alltagsunschärfe ist Kommunikation ein Prozess, der in letzter Konsequenz unvorhersagbar bleiben wird, was uns jedoch nicht davon abhalten darf, Kommunikation zu planen, zu steuern und zu bewerten – mit anderen Worten: Kommunikation in ihren vielfältigen Erscheinungs- und Anwendungsformen zu einem ernsthaften Gegenstand von Management zu machen. Hier liegen die fundamentalen Potenziale zur Verbesserung der innerorganisationalen Kommunikation. Denn, und das darf nicht aus dem Blick geraten: Kommunikationsmanagement ist seinerseits ein kommunikativ erzeugtes Set von Planungs-, Handlungs- und Bewertungsrastern.
4.
Reduktionistische Perspektiven auf Kommunikation und Kommunikationsmanagement
Im Mai 2000 fand in Essen eine Konferenz statt, die unter Einbindung verschiedener naturwie sozialwissenschaftlicher Disziplinen eine Bestandsaufnahme hinsichtlich der jeweiligen Kommunikationsbegriffe versuchte. Eine homogenisierte Auffassung von Kommunikation mit einem damit verbundenen Universalitätsanspruch wurde nicht erreicht, war aber auch nicht angestrebt; immerhin wurden die Akzente der spezifischen Verständnisse von Kommunikation deutlich im Sinne der Erkenntnis, „dass die Vielfalt der Positionen eine geordnete […] ist und bleiben wird“ (Richter/Schmitz 2003, S. 18). Pluralität der Auffassungen also auch zu Kommunikation, vergleichbar den oben diskutierten Kernbegriffen „Diskurs“ oder „Emergenz“. 70
Ganz ähnlich versteht Zerfaß den Terminus „Kommunikationsmanagement“, wenn auch ohne Bezug auf Emergenz: „Als Kommunikationsmanagement bezeichnet man den Prozess der Planung, Organisation und Kontrolle der Unternehmenskommunikation“ (Zerfaß 2007, S. 56). Als unterrepräsentiert erscheint bei Zerfaß allerdings das Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung, das im Kontext von Qualitätsmanagement und „Business Excellence“ seit den frühen 90er Jahren zentraler Orientierungspunkt geworden ist. Vergleiche hierzu die bereits diskutierten Strategieansätze der Managementliteratur, etwa bei Hammer/Champy (20037), sowie die Ausführungen zu Business Excellence.
Reduktionistische Perspektiven auf Kommunikation und Kommunikationsmanagement
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Ein wichtiger Aspekt spielte in der Konferenz keine wesentliche Rolle, findet jedoch in der Einleitung zum Konferenzband Erwähnung: Es ist das Schisma zwischen fundamentalen Begriffsdeutungen zu Kommunikation, das sich innerhalb der „Kommunikationswissenschaft“ in scharfer Opposition am Stellenwert der „interpersonalen Kommunikation“ festmachen lässt. Deren Herabstufung im wissenschaftlichen Programm der auf Massenkommunikation gerichteten Kommunikationsforschung wird von „der anderen“ Kommunikationswissenschaft entschieden zurückgewiesen, nicht zuletzt unter Verweis auf die längst gegenläufige Entwicklung in den USA (vergleiche ebd., S. 15 f.). Interpersonale Kommunikation, also die Kommunikation zwischen Personen sowie innerhalb beziehungsweise zwischen Gruppen nicht nur zum Gegenstand der (wissenschaftlichen) Bemühungen, sondern sogar als prioritäres Phänomen zum Ausgangspunkt aller Überlegungen zu machen, ist eine fundamentale Position der Kommunikationswissenschaft, wie auch ich sie zugrunde lege. Ich halte damit ganz entschieden an der Opposition gegenüber einer auf Massenkommunikation verengten und dennoch sich für allzuständig erklärenden Kommunikationswissenschaft fest, wie sie sich dem aktuellen „Selbstverständnispapier Kommunikation und Medien in der Gesellschaft“ der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) entnehmen lässt. Diese Organisation erhebt einen universellen Vertretungsanspruch für „die Kommunikationswissenschaft“, der aufgrund der zum Ausdruck gebrachten Fokussierung auf massenmedial getragene Kommunikation zurückzuweisen ist, wenn es darum gehen soll, eine wirklich ganzheitliche Sicht auf Kommunikationsphänomene in Unternehmen und vergleichbaren Organisationen einzunehmen. Werden nämlich in jenem Selbstverständnispapier zunächst noch die „sozialen Bedingungen, Folgen und Bedeutungen von medialer, öffentlicher und interpersonaler Kommunikation“ als Gegenstand der „Kommunikations- und Medienwissenschaft“ bestimmt (DGPuK 2008, S. 2; Hervorhebung G.W.), so wird wenige Zeilen später die interpersonale Kommunikation auf die „medial vermittelte“ reduziert (ebd., S. 3). Persönliche, also nicht medial getragene Kommunikation, ist damit aus Sicht der DGPuK kein Gegenstand „der“ Kommunikations- und Medienwissenschaft. Das aber führt zu den von mir durchgängig als reduktionistisch attackierten Ansätzen und Konzepten, die für die Gestaltung organisationsinterner Kommunikation in bedauerlich verabsolutierender Form unkritisch herangezogen und praktiziert werden. Um die Richtung meiner Kritik zu verdeutlichen: Nicht geht es um Herabsetzung einer Forschung, die um die Bedingungen, Merkmale und Wirkprinzipien von Massenkommunikation bemüht ist, ob in Unternehmen oder in anderen (gesellschaftlichen) Kontexten. Es geht mir ausschließlich darum, die Verengung systematischer Betrachtungen – seien sie wissenschaftlich oder auf andere Weise motiviert – auf Massenkommunikation zu überwinden. Und dies gerade auch mit Blick auf die alltäglich erlebbare Praxis in jedem Unternehmen und in jeder Organisation, die ganz einfach dieser Verengung der DGPuK widerspricht. Auch Mast warnt vor zu großen Hoffnungen, die sich allein auf die Medienlandschaft eines Unternehmens beziehen: „Zu glauben, dass die Etablierung eines leistungsfähigen Mediensystems allein bereits die Probleme löse, hat sich schon in der Vergangenheit als Irrtum erwiesen“ (Mast 2007, S. 760). Sie identifiziert die persönliche Kommunikation als einen von insgesamt drei
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III. Kommunikationsmanagement
„Kernbereichen der internen Unternehmenskommunikation“: „Das persönliche Gespräch […] ist – wenn es richtig eingesetzt und praktiziert wird – die wirksamste und effizienteste Form der Kommunikation“ (ebd., S. 768 f.). Dem ist nichts hinzuzufügen.71 Zusätzliche Bestätigung für die hier eingenommene kritische Position gegenüber der Ausschließlichkeit jener Positionierung der DGPuK findet sich auch von anderer Seite. Im Jahr 2007 wurde von der Münchener Unternehmensberatung System + Kommunikation eine Studie zur internen Kommunikation in großen und mittelständischen Unternehmen durchgeführt, deren Ergebnisse man im Jahr 2008 in Auszügen publizierte (Frenzel/Müller/Sottong 2008).72 Durch Anwendung der sogenannten „Storytelling-Methode“ (Frenzel/Müller/Sottong 2006) wurden zwölf Verantwortungsträger für interne Kommunikation aus deutschen Großunternehmen über ihr Selbstverständnis und ihre Auffassungen zum inhaltlichen Verantwortungsbereich befragt.73 Den Autoren geht es um die Ermittlung von Theorien, die die Verantwortlichen für interne Kommunikation zugrunde legen und die sich konzentrieren auf die „institutionalisierte Form der (meist medial vermittelten) Äußerung im Unternehmen, die schwerpunktmäßig über Entscheidungen, potenzielle Entscheidungen, Entscheidungshintergründe […] offiziell – und das heißt letztlich, im Namen der Leitung – getätigt und gezielt verbreitet werden“ (Frenzel/Müller/Sottong 2008, S. 6). Im Ergebnis stellte sich heraus, dass die interviewten Praktiker gerade die durch die Grundposition der DGPuK faktisch ausgeblendete interpersonelle Kommunikation als wertvollste, weil glaubwürdigste Informationsquelle ansehen. Als weitere Problemherde der internen Kommunikation werden neben der mangelhaften Glaubwürdigkeit interner Kommunikationsarbeit herausgestellt: der „,Information Overload‘ als Folge informationslogistischer Erfolge und des Strebens, alle möglichst zeitnah über möglichst alle (relevanten?) Themen des Unternehmens verständlich zu informieren“ und das „Rezipientenparadox“. Dieses besagt, dass sich die adressierten Mitarbeiter „über die Informationsflut [beklagen] und […] gleichzeitig ein Mehr an zeitnaher Information und umfassender Erläuterung“ einfordern (ebd., S. 75).
71
Auch Bruhn gesteht der persönlichen Kommunikation erhebliche Bedeutung zu, gerade unter dem Zwang zur Intensivierung von Kundenbeziehungen und -bindung (Bruhn 2005, S. 892 ff.). Er konzentriert sich allerdings auf persönliche Kommunikation, die im Kontext der Produktvermarktung eingesetzt wird. 72 Mir liegen sowohl ein Auszug der Studie, die sogenannte „Leseprobe“, als auch die Studie selbst vor, die mir dankenswerter Weise durch System + Kommunikation zur Verfügung gestellt wurde. 73 Die gering scheinende Grundgesamtheit mag für manchen Anlass sein, die Brauchbarkeit der Resultate prinzipiell in Zweifel zu ziehen. Methodologisch ist dem entgegenzuhalten, dass qualitative Forschung anders ausgerichtet ist als eine szientistisch orientierte, quantitative Untersuchung – beide Erhebungsmethoden haben ihre Potenziale (vergleiche hierzu grundlegend die Ausführungen in Wilson 1982). Dies lasse ich hier jedoch undiskutiert, zumal diese Studie keineswegs als zentrale Stütze meiner Argumentation fungiert, sondern zwecks ergänzender Plausibilisierung herangezogen wird. Zudem decken sich die Resultate auch mit anderen Untersuchungsergebnissen, wie sie unter anderem bei Mast (2007, S. 758 et passim) zitiert werden. Zu qualitativen Forschungsmethoden siehe auch Stumpf (2005, S. 86 ff.).
Prozesskommunikation
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Während also schon Verantwortungsträger aus dem Bereich der internen Kommunikation die face-to-face-basierte, interpersonale Kommunikation deutlich höher schätzen, als es die DGPuK vornimmt, muss weitere Kritik angemeldet werden. Neben der Kommunikation, die durch zentrale Bereiche betreut wird, existiert in jedem Unternehmen ein ungeheuer vielfältiges und umfangreiches Kommunikationsaufkommen im Kontext der Aufgabenerledigung. Diese Kommunikation, ausgeübt von Führungskräften wie Mitarbeitern eines jeden Unternehmens, hat deutlich höhere Relevanz, als es jede institutionalisierte, zentral gesteuerte Kommunikation haben kann. Ich spreche von prozessintegrierter Kommunikation oder, verdichtet, von „Prozesskommunikation“. Nachdem dieser Phänomenbereich schon mehrfach angeschnitten wurde, ist es nun an der Zeit, die „Prozesskommunikation“ gründlicher zu betrachten.
5.
Prozesskommunikation
Prozesskommunikation beschreibt eine Allgegenwart von Kommunikation, Kommunikationsverläufen und -ergebnissen, wie sie permanent in jeder Organisation von jedem Angehörigen ausgeübt werden. Diese Prozesskommunikation entscheidet über das Zustandekommen und Gelingen von Abläufen, die in jedem Aufgabenbereich ständig zu bewältigen sind. Ob also Warenbestellungen ausgelöst, neue Lieferanten ausgewählt oder logistische Anforderungen weitergegeben werden, ob die Produktionsplanung für die nächste Woche festgelegt, mitgeteilt oder gegebenenfalls modifiziert wird, ob neue Dienstleistungsangebote konzipiert, geprüft und entwickelt werden oder Kundenreklamationen auszuwerten sind: In jeder Organisation sind alle Prozesse kommunikativer Natur, zumindest aber sind sie kommunikativ durchsetzt.74 Genau diese prozessintegrierte Kommunikation aber wird – so weit ich blicken kann – kaum bis gar nicht in den Konzepten und Ansätzen zum Management interner Kommunikation betrachtet. Was im Übrigen dann nicht verwundert, wenn das Selbstverständnis der DGPuK zugrunde liegt: Prozesskommunikation kann nicht sehen, wer sich auf medienvermittelte Kommunikation konzentriert, denn Prozesskommunikation tritt überwiegend in face-to-face-Situationen auf – und sie obliegt keineswegs den Kommunikationsabteilungen. Die Bedeutung der Prozesskommunikation wird in der Praxis immer wieder evident, etwa im Zuge von systematischen Mitarbeiterbefragungen, wenn diese ausweisen, dass Mitarbeiter die „Kommunikation am Arbeitsplatz“ als unzulänglich bewerten. Aber auch internationale 74
Auch Kieser/Hegele/Klimmer weisen in Richtung dieser prozessbegleitenden Kommunikation, indem sie am Beispiel notwendiger Abstimmung bei der Bearbeitung von Investitionsanträgen auf die Bedeutung der Kommunikation zur Angleichung von Interpretationen unter den Beteiligten hinweisen. Vergleiche Kieser/ Hegele/Klimmer (1998, S. 139). Aufgrund eines anders gelagerten Erkenntnisinteresses – es geht den Autoren vor allem um die soziale Konstruktionsbedingtheit von Organisation – bleibt die Bedeutung der Prozesskommunikation im hier definierten Sinn jedoch undiskutiert.
110
III. Kommunikationsmanagement
Studien, die sich auf Aussagen von Praktikern höherer Managementebenen berufen, zeigen die produktivitätsdeterminierende Funktion der Prozesskommunikation. Hervorgehoben sei die jährlich durchgeführte Produktivitätsstudie, die die Unternehmensberatung Proudfoot Consulting veröffentlicht. Einige Auszüge aus jüngerer Vergangenheit: Die Proudfoot-Studie aus dem Jahr 2005 ergab, dass weniger als ein Drittel (27 Prozent) der Teilnehmer interner Besprechungen vorbereitet erschien. Gerade einmal zwölf Prozent von mehr als 150 Meetings in 50 untersuchten Unternehmen endeten mit klaren Festlegungen der nächsten Schritte. Bei fast 50 Prozent der Meetings fanden sich falsche Eingeladene am falschen Ort zur falschen Zeit ein (Proudfoot Consulting 2005, S. 6 und 13).
Schlechte Kommunikation ist teuer: Ein Rechenexempel Nehmen wir an, in einem Konzern gäbe es 1.000 Führungskräfte. Und legen wir getreu der verbreiteten (und vermutlich zutreffenden) Annahme fest, dass Führungskräfte 90 Prozent ihrer Zeit kommunizierend verbringen und diese Kommunikation zum überwiegenden Teil in Besprechungen stattfindet. Dann lässt sich anhand der Proudfoot-Erhebung rechnen: Führungskräfte sind (gemäß Proudfoot-Studie) zu etwa 50 Prozent ihrer Zeit in unproduktive Kommunikation eingebunden. Bei 1.000 Führungskräften mit einem Achtstundentag ergeben sich bei abgerundet täglich drei Stunden unproduktiver Besprechungszeit insgesamt pro Tag 3.000 Stunden an vergeudeten Ressourcen. Bei einem angenommenen Stundensatz von 100,-- Euro pro Führungskraft entspricht dies einem Kostenblock von 300.000,-- Euro – wohl bemerkt: nur an vergeudeten Ressourcen pro Tag. Bei abermals abgerundeten 200 Arbeitstagen pro Jahr addiert sich die Vergeudung in dieser beispielhaften Rechnung auf 60.000.000,-- Euro pro Jahr aufgrund mangelhafter Prozesskommunikation – nur bezogen auf Besprechungen. Dabei sind die zusätzlich vergeudeten, unzähligen Stunden der Mitarbeiter noch gar nicht berücksichtigt, die aufgrund unnötiger Vor- oder Nachbereitungsarbeiten für ineffiziente Besprechungen oder anderer sinnloser Aktivitäten eingesetzt werden. Ebenso unberücksichtigt sind die Folgekosten kommunikativer Ineffizienz aufgrund mangelhafter Kommunikationsprozesse und -ergebnisse, die sich als Fehler, Doppelarbeit, Unzufriedenheit, Konflikt, innere Kündigung, Kundenreklamationen etc. auswirken und zusätzlich zu Buche schlagen.
Auch die jüngeren Proudfoot-Studien weisen in diese Richtung: Als die beiden wichtigsten Barrieren der Produktivität identifiziert die Proudfoot-Studie aus dem Jahr 2007 die ungeeignete Qualifikation von Mitarbeitern sowie die interne Kommunikation (Proudfoot Consulting 2007, S. 11).
Prozesskommunikation
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Die interne Kommunikation gehört auch in der jüngsten Proudfoot-Studie zu den beiden wichtigsten Produktivitätsbarrieren, wobei der Einfluss mangelhafter interner Kommunikation auf die Produktivität von 2006 zu 2007 nochmals leicht zugenommen hat (Proudfoot Consulting 2008, S. 25). In einigen Branchen (Energie und Produktion) wird der internen Kommunikation sogar die größte Bedeutung als Produktivitätshemmnis zugesprochen (ebd., S. 24). Besonders bemerkenswert ist der Hinweis dieser Studie, dass der externen Kommunikation eine etwa halb so hohe Bedeutung für die Produktivität zugestanden wird wie der internen Kommunikation. Und dabei ist offenbar die Kommunikation mit Lieferanten und anderen externen Schnittstellenpartnern eingeschlossen, die beide der Prozesskommunikation und eben nicht der Zentralkommunikation zuzuschlagen sind.75 Es zeigt sich, dass mindestens unter Ansetzen von Produktivitätskriterien der internen Prozesskommunikation eine erhebliche Bedeutung beizumessen ist – und exakt diese Prozesskommunikation wird durch die Kommunikationsexperten nahezu vollständig ausgeblendet.76 Auf den ersten Blick scheint es, als würde Claudia Mast denselben Aspekt herausstellen, wenn sie fordert, dass angesichts neuer und dramatischer Anforderungen an die interne Kommunikation „die Binnenabläufe eines Unternehmens in den Mittelpunkt der Betrachtung“ rückten (Mast 2007, S. 758). Mit Recht weist sie darauf hin, dass defizitäre Kommunikation erhebliche Kosten produziert: „z. B. Doppelarbeit, mangelnde Akzeptanz für Entscheidungen oder gescheiterte Projekte“ (ebd., S. 760). Doch zeigt die weitere Lektüre, dass Mast auf die zentral gesteuerte Kommunikation fokussiert bleibt. Auch wenn es ihr nicht nur um die „Abwärtskommunikation“, sondern auch um die „Aufwärtskommunikation“ und die „horizontale Kommunikation“ (ebd., S. 771) geht: Die gemeinten Kommunikationsprozesse sind und bleiben solche, die allein von zentraler Stelle inszeniert, in Gang gesetzt und gesteuert werden. Die „Prozesskommunikation“ aber, die im Zuge der Produktions- oder Unterstützungsprozesse ausgeführt wird, bleibt doch nur gestreift. Derselbe Befund gilt für Siegfried Schick, der sich auf die Gestaltung interner Kommunikation aus zentraler Funktion konzentriert, die es vom früher eher geduldeten Aufgabenbereich mittlerweile „zum strategischen Führungsinstrument“ gebracht habe (Schick 20073, S. 1). So sehr dem beizupflichten ist – auch Schick blendet den Bereich der Prozesskommunikation aus. Mit der Konzentration der Ansätze auf die „Kommunikations-Macher“ in den Zentralfunktionen, heißen sie „Unternehmenskommunikation“, „Interne Kommunikation“, „Corporate Communications“ oder anders, bleiben die „anderen Zuständigen“ sich selbst überlassen: die Akteure im Kontext der Prozesskommunikation, also die Führungskräfte und Mitarbeiter. Auch Bruhn/Ahlers die sich mit der „Organisation der Kommunikationsfunktion“ (Teil der Überschrift ihres Beitrags) befassen (Bruhn/Ahlers 2007, S. 661), legen eine auf die „klassi75
Die Kommunikation mit Lieferanten und anderen externen Schnittstellenpartnern bleibt hier jedoch ausgeblendet, weil sie nicht unter die Rubrik interner Kommunikation fällt. 76 Wobei offen bleibt, ob Proudfoot auch Vertreter von Kommunikationsbereichen in die Befragung eingebunden hat. Ich vermute, dass das nicht der Fall ist (die Studien geben keine nähere Auskunft). Das ändert aber nichts an dem Befund, dass interne Kommunikation eine wichtige Produktivitätsbarriere darstellt.
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III. Kommunikationsmanagement
schen“ Kommunikationsfunktionen reduzierte Sicht zugrunde. In ihrer Diskussion verschiedener aufbauorganisatorischer Lösungsformen für die „Organisation der Kommunikationsfunktionen“ (ebd., S. 663) zeigen bereits die Abbildungen, dass sie solchen Organisationsbereichen wie Forschung und Entwicklung, Produktion und sogar der Geschäftsleitung eines Unternehmens keine Kommunikationsaufgaben zuweisen (ebd. sowie S. 665). Zwar muss berücksichtigt werden, dass die Aussageabsicht der Autoren in eine andere Richtung zielt: Sie plädieren für eine teamorientierte Koordination zwischen den „Kommunikationsfachabteilungen“. Aber die Gleichsetzung von „Kommunikationsarbeit“ mit jenen Aktivitäten, die von explizit mit Kommunikationsaufgaben betrauten Fachfunktionen ausgeführt werden, zeigt den Fokus üblicher Untersuchungen – die in jedem Unternehmen und in jedem Organisationsbereich auftretende Prozesskommunikation wird nicht berücksichtigt. Die Ausführungen von Ansgar Zerfaß weisen über die auf Massenkommunikation verengten Perspektiven hinaus – ja, er wendet sich sogar explizit gegen eine undifferenzierte Gleichsetzung von Unternehmenskommunikation mit Public Relations wie auch gegen die Verengung der Unternehmenskommunikation auf eine externe und interne Öffentlichkeitsarbeit. Dies führe zu „offenkundigen Aporien“ (Zerfaß 2007, S. 41). Damit schließt Zerfaß durchaus die hier unter Prozesskommunikation rubrizierten, wie gezeigt allgegenwärtigen Kommunikationssituationen in seine Betrachtungen ein. Und auch seine Definition von Unternehmenskommunikation deutet darauf hin, wenn er „alle Kommunikationsprozesse, mit denen ein Beitrag zur Aufgabendefinition und -erfüllung in gewinnorientierten Wirtschaftseinheiten geleistet wird und die insbesondere zur internen und externen Handlungskoordination sowie Interessenklärung zwischen Unternehmen und ihren Bezugsgruppen (Stakeholdern) beitragen“ (ebd., S. 23), als Unternehmenskommunikation versteht. „Interne Kommunikation, Marktkommunikation und Public Relations“ seien als „Teilbereiche der Unternehmenskommunikation“ systematisch zu unterscheiden (ebd.). Doch nur wenige Zeilen später und noch im Zusammenhang seiner Definition von Unternehmenskommunikation verengt Zerfaß seinen Blick auf Kommunikationsaktivitäten, „die von Organisationsmitgliedern (Führungskräften, Kommunikationsverantwortlichen) oder ihren Beauftragten (Agenturen) initiiert werden“ (ebd., Hervorhebung G.W.). Zerfaß’ Darlegungen deuten zwar immer wieder in Richtung der Prozesskommunikation, so zum Beispiel, wenn er auf die „situativen Leistungen“ von Kommunikationsprozessen hinweist, „weil allgemeine Abstimmungsmechanismen in unterschiedlicher Weise auf Kommunikation angewiesen bleiben“ (ebd., S. 33); oder noch prägnanter etwas später, wo er anhand einer beispielhaften Aufreihung von kommunikativ getragenen Handlungen wie „Plandiskussionen“ oder „Arbeitsanweisungen“ auf seine Definition von Unternehmenskommunikation zurückkommt (ebd., S. 40). Jedoch zeigt sich, dass Zerfaß im Kern das kommunikativ getragene Handeln der Führungskräfte meint: „Dieses Managementhandeln ist weitgehend kommunikativer Art: Im Rahmen der Planung und Kontrolle werden Informationen gesammelt und aufbereitet“ (ebd., S. 43). Die alltäglichen Kommunikationsaktivitäten, die im Zuge jeder Aufgabenerledigung anfallen und nicht allein und unmittelbar auf die Etablierung oder Stabilisierung autoritäts- und machtbasierter Beziehungen zwischen den Kommunizierenden zielen, lässt auch Zerfaß unberücksichtigt.
Prozesskommunikation
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Zu ähnlichen Ergebnissen führen Blicke in die angelsächsische Literatur zum Kommunikationsmanagement. Dozier/Grunig/Grunig, die umfangreiche Studien zu Communication Excellence vornahmen, konzentrieren sich auf das Managementhandeln der Kommunikationsbereiche sowie der obersten Führungskräfte. Selbst in Situationen kulturellen oder organisatorischen Wandels bleiben die Kommunikationsabteilungen im Mittelpunkt ihrer Analysen, prozessbegleitende Kommunikation wird höchstens gestreift und jedenfalls nicht in ihren Auswirkungen diskutiert (Dozier/Grunig/Grunig 1995, passim, insbesondere S. 183 ff.). Ebenso verhält es sich mit den zahlreichen Fallstudien, die in den beiden von Davenport Sypher (1990; 1997) herausgegebenen Bänden über Organisationskommunikation zu finden sind. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen mit dem Management interner Kommunikation, so lässt sich bündeln, steht die zentralseitig inszenierte Kommunikation insbesondere in Form interner Massenkommunikation. Die angebotenen Konzepte interessieren sich für Kommunikationsmaßnahmen, die von „den Wenigen“ – gemeint: die Kommunikationsfachabteilungen unter dem Mandat der Unternehmensleitung – an „alle anderen“ – also alle Mitarbeiter des Unternehmens – gerichtet sind. Damit fallen unzählige und vielfältige Kommunikationshandlungen aus der Betrachtung heraus, die in jedem Unternehmen jederzeit stattfinden und die schon mit Blick auf Produktivitätsreserven berücksichtigt werden sollten. Parallel dazu und bedauerlicherweise allzu oft unkoordiniert kümmern sich die Personalbereiche um die individuelle Weiterentwicklung kommunikativer Fähigkeiten, mal bezogen auf face-to-faceKommunikation, mal bezogen auf Präsentations- oder vergleichbare Vortragsformen. Beide, also die für Massenkommunikation sowie die für Individualkommunikation zuständigen Bereiche, werden von unterschiedlichen Professionen – fast bin ich versucht zu schreiben: Lagern – konzeptionell versorgt. Daneben aber existiert jener Bereich, der kommunikativ weitgehend sich selbst überlassen bleibt und deshalb in aller Regel ausgeblendet bleibt: der durch die Prozessverantwortlichen betreute Arbeitsalltag. Jede dieser drei Perspektiven bedeutet also eine spezifische Ausrichtung auf Kommunikation – und jede Perspektive impliziert damit ihre spezifische Verengung. Ausgehend von den fundamentalen Merkmalen zwischenmenschlicher Kommunikation sowie den alltäglichen Kommunikationsbedürfnissen der Unternehmenspraxis führt das Konzept des Business Discourse die verschiedenen Perspektiven auf organisationsinterne Kommunikation zusammen. Der Business Discourse stellt ein Modell für ein ganzheitliches Vorgehen im Management der unternehmensinternen Kommunikation bereit.
Die folgende Abbildung stellt die Perspektiven schematisiert gegenüber und zeigt deren Zusammenführung im Business Discourse an:
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III. Kommunikationsmanagement
Massenkommunikation
Prozessmanagement
Personalentwicklung
Prozessmanager
PEAbteilung
„Einer nach dem Anderen“: Systematisierte Interaktion
„Einzelne mit Einzelnen oder Mehreren“
Unternehmensführung
Kommunikationsbereiche
„Wenige mit Allen“
Zusammenführung der Perspektiven im Business Discourse
Abbildung 6:
Organisationsinterne Kommunikation aus der spezifischen Perspektive und deren Zusammenführung im Business Discourse (die Pfeilverbindungen deuten kommunikative Verbindungen an)
Gerade aufgrund der weitgehend anzutreffenden und überwiegend unproblematisierten Reduktion von Unternehmenskommunikation auf Zentral-, Marken-, Führungs- oder Massenkommunikation bedarf es eines spezifischen Ausdrucks: „Prozesskommunikation“. Dieser bislang in kommunikationsbezogenen Ansätzen nicht gebräuchliche Terminus ist zuweilen in informationstheoretischen Zusammenhängen anzutreffen und beschreibt die Konfiguration und Vernetzung automatisierter Abläufe unter Nutzung verschiedener IT-Systeme im Sinne des Workflow-Managements. Ich möchte den Terminus wie folgt verstehen: „Prozesskommunikation“ bezeichnet solche kommunikativen Handlungen, die zur Realisierung von Prozessen im Rahmen der Aufgabenerledigung durch Unternehmensangehörige jeder Hierarchieebene ausgeführt werden. Dabei kann es sich um mündliche, schriftliche oder andere Kommunikationsformen handeln, die im Zusammenhang der Planung, Ausführung oder Bewertung von Abläufen beziehungsweise Prozessen ausgeführt werden und die in aller Regel als interpersonale Koordination von Handlungen im Kontext der jeweiligen Aufgabenwahrnehmung anzusehen sind.
Prozesskommunikation
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Auch wenn hierzu noch keine empirischen Studien vorliegen, ist davon auszugehen, dass die Prozesskommunikation einen signifikant höheren Anteil an den Kommunikationserlebnissen eines Unternehmensangehörigen hat, als es die internen Massenmedien je haben können. Diese stehen sicherlich im Mittelpunkt der „Medienmacher“ – nicht jedoch in gleicher Weise für alle anderen Unternehmensangehörigen. Wobei keineswegs gesagt ist, dass die beiden Kommunikationsfelder unabhängig voneinander existierten: (Kommunikations-)Erfahrungen in dem einen werden durchaus im anderen Feld aufgegriffen und thematisiert. Im besten Fall der durch Führungskräfte und Mitarbeiter als erfolgreich beurteilten Kommunikationen auf beiden Feldern bildet sich eine funktionale, als effizient und effektiv erlebte und als glaubwürdig und lebendig beschreibbare Kommunikationskultur heraus – die ich als „Business Discourse“ bezeichne. Wie bereits im Rahmen der diskurstheoretischen Erörterungen zum Ausdruck gebracht, ist der hier spezifische Diskurs sowohl Bedingung wie Ergebnis des kommunikativen Handelns in der Organisation. Angesichts der konsistenten Ausblendung der Prozesskommunikation durch die Kommunikationswissenschaftler wundert es nicht, dass Kommunikation bei den an Prozessorganisation und -management interessierten Betriebswirtschaftlern durchaus Beachtung findet.77 Im Anschluss an Kieser weist Gaitanides darauf hin, dass eine Prozessorganisation – zu verstehen als geordnetes und koordiniertes Geflecht von Abläufen – Ergebnis von Kommunikation ist: „Prozessorganisation ist […] eine kollektiv erzeugte und mithin sozial konstruierte Realität“ (Gaitanides 20072, S. 102). Damit stellt Gaitanides auf die kommunikativ getragene Konstruktionsbedingtheit ab, die den Prozessen innerhalb eines Unternehmens eignet. Verkürzt lässt sich sagen: Prozesse werden kommunizierend erzeugt, denn sie resultieren aus „Interpretationen, Bedeutungszuweisungen und geistigen Konstrukten“ (ebd.), mit Kieser: Sie „verfertigen“ sich beim Reden (Kieser 1998, Aufsatztitel) und gerinnen zu handlungsleitenden Vorgaben beziehungsweise zu (unternehmensinternen) Standards, wie wir ergänzen können.78 Diese Perspektive wurde bereits erschlossen, als im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem institutionellen Organisationsbegriff die kommunikative Fundierung von Organisation aufgezeigt wurde (vergleiche Kapitel I.). Im Sinne der oben angestellten diskurstheoretischen Erörterungen kann postuliert werden: Organisation wird im Diskurs hervorgebracht. Von der Prozesskommunikation ist die „Zentralkommunikation“ zu unterscheiden. Letztere sei verstanden als die Gesamtheit kommunikativer Handlungen, die von einer zentralen Stelle inszeniert und betreut werden, insofern sie an organisationsinterne Adressaten gerichtet sind. Thematisch geht es in der Regel um die Kommunikation von Werten, Zielen, Strategien, Einstellungen, Mitteilungen oder anderen Inhalten mit Relevanz für das Unternehmen als Ganzes und aus der Sicht des Unternehmens. Unabhängig von Kommunikationsstilen oder medien ist diesen Kommunikationshandlungen gemeinsam, dass sie dezidiert und erkennbar im Interesse der Unternehmensführung betrieben werden. Mit „Unternehmenskommunikati-
77 78
Zu Prozessmanagement beziehungsweise Prozessorganisation vergleiche oben, Kapitel I.6. Was jedoch den „Prozesstheoretikern“ weitgehend verschlossen bleibt, sind fundamentale Eigenarten zwischenmenschlicher Kommunikation. Hierzu könnten entsprechend geschulte Kommunikationswissenschaftler Beiträge leisten.
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III. Kommunikationsmanagement
on“ ist üblicherweise „Kommunikation des Unternehmens“ gemeint.79 Die von Personalbereichen gesteuerten „Kommunikationstrainings“ oder vergleichbare Weiterentwicklungsmaßnahmen stellen zwar ebenfalls eine Form zentral inszenierter Kommunikation dar, sind aber anders ausgerichtet, da es um Befähigung der Mitarbeiter und Führungskräfte zur Wahrnehmung ihrer Kommunikationsaufgaben im Unternehmen geht. Deshalb werden „Kommunikationstrainings“ als Sonderfall der Zentralkommunikation betrachtet. Diese Redeweise ist jedoch ein metaphorischer Sprachgebrauch. Denn „Unternehmen“ steht zumeist für die Unternehmensführung und nicht unbedingt für die Organisation mitsamt allen Mitarbeitern, die wiederum in interne Interessengruppen zu differenzieren wären.80 Der Terminus „Mitarbeiterkommunikation“, den Bruhn vorschlägt, erscheint als nicht ausreichend präzise, könnte doch die Kommunikation einer zentralen Stelle in Richtung der Mitarbeiter gemeint sein (so Bruhn) wie auch die Kommunikation zwischen Mitarbeitern (die Bruhn als „Interne Kommunikation“ führt).81 Da auch „Unternehmenskommunikation“ sowohl Bezeichnung für eine Organisationseinheit als auch für die spezifische Art von Kommunikation (beispielsweise im Gegensatz zur privaten Kommunikation) sein kann, und da „Unternehmenskommunikation“ die Gesamtheit aller Kommunikationen des Unternehmens bezeichnen sollte, verwende ich den Ausdruck „Zentralkommunikation“, um diese von der soeben eingeführten Prozesskommunikation zu unterscheiden. Alle drei Erscheinungsformen, also die Zentralkommunikation, die Prozesskommunikation sowie der Sonderfall der Kommunikationstrainings, konkretisieren interne Unternehmenskommunikation, wie hier illustriert:
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Zerfaß stellt in wünschenswerter Deutlichkeit fest: „Unternehmenskommunikation ist stets Auftragskommunikation, die ihre Sinnstiftung aus der Organisation ableitet, in der sie verankert ist“ (Zerfaß 2007, S. 22). Bruhn (2005, S. 1203) vertritt hinsichtlich der „Mitarbeiterkommunikation“ eine ähnliche Auffassung. 80 Wie zum Beispiel Führungskräfte, mittleres Management, Mitarbeiter auf verschiedenen Hierarchieebenen, Personalvertretungen, gesetzlich geforderte Unternehmensbeauftragte etc. 81 Bruhn unterscheidet die interne von der Mitarbeiterkommunikation, wobei letztere der hier eingeführten „Zentralkommunikation“ entspricht. Unter „Interne Kommunikation“ fasst er „alle Aktivitäten der Botschaftsübermittlung zwischen […] Mitgliedern einer Organisation auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen“ (Bruhn 2005, S. 1203). Bruhn konzentriert sich im Weiteren auf die davon abgeleitete Mitarbeiterkommunikation „im Kontext der Betrachtung primär extern ausgerichteter Instrumente der Kommunikation“ (ebd.).
Prozesskommunikation
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Interne Unternehmenskommunikation jede geplante und an organisationsinterne Adressaten gerichtete Kommunikation innerhalb eines Unternehmens
Zentralkommunikation • Medial oder durch Faceto-face-Kontakt getragene Kommunikation, die von zentraler Stelle geplant, inszeniert und bewertet wird
Abbildung 7:
Prozesskommunikation • Medial oder durch Faceto-face-Kontakt getragene Kommunikation, die von jedem Mitarbeiter und jeder Führungskraft im Rahmen alltäglicher Abläufe geplant, inszeniert und bewertet wird
Kommunikationstrainings • Personalentwicklungsmaßnahmen, die von PE-Bereichen veranlasst und koordiniert werden und das individuelle Kommunikationsverhalten betreffen
Interne Unternehmenskommunikation als konzeptioneller Oberbegriff für Zentralkommunikation, Prozesskommunikation sowie Kommunikation im Zusammenhang von PE-Maßnahmen
Ausdrücklich sei darauf hingewiesen, dass die bei Zerfaß herausgestellte Kommunikation durch das Management unter Prozesskommunikation fällt, sobald sie handlungsorganisierend oder -koordinierend wirkt (vergleiche Zerfaß 2007, insbesondere S. 42 ff.). Es ließe sich fragen, weshalb nicht Anschluss zur „Integrierten (Unternehmens-)Kommunikation“82 gesucht wird, die seit einigen Jahren intensiv diskutiert wird. Das Konzept der Integrierten Kommunikation zielt darauf ab, „in den Köpfen der Kunden, aber auch anderer Bezugsgruppen eine möglichst positive Vorstellung vom Unternehmen und seinen Produkten zu erzeugen“ (Mast 20062, S. 49). Dies soll erreicht werden, indem mittels Integrierter Kommunikation die zu vermittelnden Inhalte systematisch so gestaltet werden, dass ein vorab definiertes, den Unternehmenszielen entsprechendes, einheitliches und positives Erscheinungsbild etabliert wird – ein legitimes und sinnvolles Unterfangen. Und doch macht schon dieser kurze Abriss deutlich, dass die „Integrierte Unternehmenskommunikation“ einerseits einen deutlichen Schwerpunkt in Richtung unternehmensexterner Zielgruppen im Sinne von Marketingkommunikation83 oder Public Relations hat und andererseits im Wesentlichen unter die Kategorie der „Zentralkommunikation“ fällt. Eine Bezugnahme auf alltägliche Kommunikation, wie sie mit dem mannigfaltigen und umfangreichen Kommunikationsfeld der Prozesskommunikation gefasst wird, ist nicht anzutreffen. Mag die „Integrierte Kommunikation“ ihren ganzheitlichen Anspruch bezogen auf Zentralkommunikation auch zu Recht erheben, angesichts der Fokussierung auf eine Integration von Marketingkommunikation und Public 82
Umfassend zu Integrierter Kommunikation Bruhn (2005), für einen Überblick Mast (20062, S. 48 ff.). Instruktiv zur historischen Entwicklung des Konzepts Stumpf (2005, S. 4 ff.). Integrierte Kommunikation im Kontext von Communication Excellence diskutieren Bruhn/Stumpf (2008), dazu mehr in Kapitel IV.2. 83 Siehe auch Bruhn/Stumpf, die „Marketingforschung“ und „Integrierte Kommunikation“ wie selbstverständlich verknüpfen (Bruhn/Stumpf 2008, S. 14). Grundlegend zum Thema ist das von Bruhn vorgelegte Handbuch zur Integrierten Kommunikation, das die Prozesskommunikation jedoch unberücksichtigt lässt.
118
III. Kommunikationsmanagement
Relations unter Herabstufung der internen Kommunikation und erst recht angesichts der Vernachlässigung der Prozesskommunikation muss gefragt werden, wie integriert (im Sinne von umfassend vernetzt84) sie tatsächlich ist. Aufgrund dieser Engführung der Integrierten Kommunikation sehe ich davon ab, meine Überlegungen mit diesem Terminus zu belegen. Der Fokus dieses Buches ist und bleibt die unternehmensinterne Kommunikation – und gerade hier bedarf es zunächst wesentlicher Ergänzungen der betrachteten Kommunikationsprozesse, bevor daran zu gehen wäre, ein zwar in Diskussion befindliches, aber prinzipiell etabliertes Modell wie das der Integrierten Kommunikation aufzugreifen und zu erweitern. Als Perspektive erscheint ein solches Vorhaben jedoch als sinnvoll, schon allein, um einen durchgängig integrativen Gestaltungsansatz durchzusetzen. Der hier eingeschlagene Weg setzt deshalb den Business Discourse als integratives Konzept für die Gestaltung interner Unternehmenskommunikation an unter Einschluss der Massenkommunikation, der Prozesskommunikation sowie der (kommunikativen) Qualifizierungsmaßnahmen zur Weiterentwicklung der Individualkommunikation. Letztere fungieren als „Zulieferer“ für Zentral- wie Prozesskommunikation, weshalb diese Personalentwicklungsmaßnahmen eigentlich anders orientiert sind. Ich berücksichtige sie deshalb, weil kommunikative Kompetenz eine wesentliche Voraussetzung im Business Discourse darstellt, wie nachfolgend gezeigt wird. Für die Handlungsfelder der internen Unternehmenskommunikation, also die Zentral- sowie die Prozesskommunikation, kann und soll das Konzept des Business Discourse angewandt werden. Damit werden Ziel- und Zweckgerichtetheit sowie Auswahl und Koordination von zentraler wie Prozesskommunikation anhand gleichförmig anwendbarer Prinzipien möglich.
Mit diesem Kernsatz ist eine wesentliche Position des vorliegenden Buches zum Ausdruck gebracht, auch wenn noch weitere Klärungen vorzunehmen sind. Zurück zu den kritisierten Verengungen üblicher Ansätze auf Massen- beziehungsweise Medienkommunikation. Zumindest ansatzweise erkennen auch Autoren, die sich mit Unternehmenskommunikation befassen, das Dilemma, das sich aus einer allzu starken Konzentration auf die (interne) Massenkommunikation ergibt. Aus jüngerer Zeit bietet das umfangreiche „Handbuch Unternehmenskommunikation“ (Piwinger/ Zerfaß 2007) mit zahlreichen Einzelaufsätzen, die teilweise bereits diskutiert wurden, einen Überblick über das gesamte Spek-trum von Ansätzen zur und Perspektiven auf Unternehmenskommunikation. Für eine kondensierte Darstellung der verschiedenen Ansätze sei auf Mast verwiesen, die in gebotener Kürze einen Abriss der terminologischen Diskussion unternimmt (Mast 20062, S. 10 ff.). Umso bedauerlicher ist es, dass sie der Notwendigkeit ausweicht, eine allgemeine Kommunikationsdefinition für ihre Darlegungen zu installieren, die als Referenz der eigenen kommunikationstheoretischen Perspektive diente. Stattdessen beschränkt sie sich auf eine Positionierung unter dem Emblem der „Unternehmenskommunikation“, die nicht nur in ihrer begrifflichen Bestimmung anzeigt, dass 84
Vergleiche Mast: „Alternativ zum Begriff ‚integrierte Kommunikation‘ werden auch die Bezeichnungen ‚ganzheitlich‘ oder ‚vernetzte Kommunikation‘ verwendet“ (Mast 20062, S. 49).
Prozesskommunikation
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ihr entgegen allen Beteuerungen eine informationstheoretisch ausgelegte, an Konzepten der Massen- beziehungsweise Medienkommunikation orientierte Sicht auf Kommunikation zugrunde liegt. Damit befindet sie sich in dem Kanon, der für die allermeisten Ansätze gilt und nicht zuletzt auf Linie der oben attackierten Auffassung der DGPuK ist. Dieser Perspektive aber bleiben die gerade nicht mit den Konzepten der Massenkommunikation angemessen beschreib- und erklärbaren Phänomene zwischenmenschlicher Kommunikation im unmittelbaren „face-to-face“-Kontakt verschlossen – und damit vermutlich der überwältigende Anteil des organisationsinternen Kommunikationsgeschehens. Denn wie schon gezeigt: Bei allen Intranetauftritten, Mitarbeiterzeitschriften oder Corporate Events spielen sich innerhalb einer Organisation permanent unzählige Kommunikationen ab, die nichts oder nur wenig mit der internen Zentralkommunikation zu tun haben. Gerade die prozessimmanent stattfindende Kommunikation sichert (hoffentlich) den Fortbestand der Organisation, weil sie Stütze und Motor der wertschöpfenden Prozesse eines Unternehmens ist. Allein deshalb sollte sie, wenn schon nicht im Mittelpunkt der Betrachtungen, so dann wenigstens nicht vollständig sich selbst (oder wem oder was auch immer) überlassen sein. Wer dieses mannigfaltige Kommunikationsgeschehen schon in seiner Begriffsbestimmung ausblendet, verbleibt im Spektrum der Phänomene, mit denen sich Forschungsrichtungen wie Massenkommunikation, Medienkommunikation, Publizistik oder Journalismus und die daraus abgeleiteten Praxeologien wie Marketing oder Public Relations befassen. Und er ist gebunden an die impliziten Grundannahmen sowie Methoden, die hieraus resultieren – womöglich ohne es zu bemerken. Was er nicht mehr behandelt, sind die Aufgaben und Probleme, die alle Unternehmensangehörigen täglich kommunikativ zu bewältigen haben und für die eine Mitarbeiterzeitung, der Intranetauftritt oder ein Corporate Event kaum Hilfestellung bieten können. Was im Übrigen auch nicht deren Aufgabe ist. Auf den zweiten Blick wundert diese reduktionistische Sicht schon nicht mehr. Prinzipiell ist festzustellen, dass spätestens seit Mitte der 90er Jahre eine enorme Differenzierung der Ansätze stattgefunden hat, in der genuin kommunikationstheoretische Sichtweisen in der Tradition sozial- wie geisteswissenschaftlicher Arbeiten kaum noch eine Rolle spielen: Sie werden ganz einfach nicht zur Kenntnis genommen. Die Szene wird vielmehr bestimmt durch Akteure, deren fachliche Herkunft in der Regel entweder im Bereich der Massenkommunikation, der Medienkommunikation oder auch der Betriebswirtschaft liegt. Damit scheint ein ausreichender Bezug auf Empirie und praktische Anwendbarkeit gesichert, was durch den Umstand verstärkt wird, dass diverse Vertreter nicht nur Lehrstuhlinhaber an Universitäten oder Fachhochschulen sind, sondern ihre Erkenntnisse auch als Organisations- beziehungsweise Unternehmensberater anbieten. Es ist aber auch evident, dass ob der fachlichen Ausrichtungen und Schwerpunkte, wie sie soeben aufgezeigt wurden (vergleiche beispielsweise das zitierte Selbstverständnis der DGPuK in Kapitel III.4), gerade die interpersonale Kommunikation trotz gegenteiliger Beteuerungen eine deutlich nachgeordnete Rolle spielt. Daraus folgt wiederum, dass wesentliche kommunikationstheoretische Grundlagen weitgehend unberücksichtigt bleiben – in den Konzepten und Ansätzen und damit eben auch in der Praxis realen Kommunikationsmanagements beziehungsweise kommunikativen Handelns in Organisationen.
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6.
III. Kommunikationsmanagement
Informelle Kommunikation
Parallel zu geplanten und gesteuerten, gleichsam institutionalisierten Kommunikationssituationen weisen Organisationen stets ein breites Spektrum vielfältiger informeller Kommunikation auf. Dieses „Kommunikationsmilieu“ – Luhmann würde vielleicht von einem „Medium“ sprechen, in dem die „offizielle“, geplante und gesteuerte Unternehmenskommunikation als „Form“ emergiert – dürfte ein sehr viel größeres Volumen mit sehr viel weiterreichenden Wirkungen aufweisen, als es der offiziellen Kommunikation in der Regel möglich ist. Informelle Kommunikation kann vielfältige Formen annehmen wie etwa der rasche Telefonanruf zur Problemklärung „auf dem kleinen Dienstweg“, das Gespräch in der Kantine, beim Kaffee oder auf dem Flur über ein gemeinsames Projekt, die Diskussion während der Aufzugsfahrt oder auf dem Weg zum Parkplatz über eine anstehende Besprechung: nur wenige Beispiele für informelle Kommunikation, die im Zusammenhang der Aufgabenerledigung und Koordination stattfindet. Insofern fungiert die informelle Kommunikation nicht selten als heilsame, weil effiziente Alternative, mindestens aber als Ergänzung zum offiziellen Weg. Schick sieht in der informellen Kommunikation „ein notwendiges Schmiermittel für das Räderwerk des Unternehmens“ und hält sie für „geradezu überlebenswichtig“ (Schick 20073, S. 167). Er regt deshalb an, dass die für interne Kommunikation verantwortlichen Bereiche Möglichkeiten für informelle Kommunikation schaffen, indem sie „Kommunikationsplattformen zur Verfügung“ (ebd.) stellen.85 Informelle Kommunikation entspringt also durchaus konkretem Handlungsbedarf und vermag unmittelbar zum Handlungserfolg auch im Zuge der Prozesskommunikation beizutragen. Häufig werden elementare Fragen ebenso rasch wie effizient gelöst, hier werden Stimmungen geprägt und Einstellungen geschaffen – hier wird Sinn produziert. In jeder Organisation treffen wir auf jeder Hierarchieebene informelle Kommunikationsstile an, wobei informeller Kommunikationsstil keineswegs das Privileg von Mitarbeitern unterhalb der Führungsebenen ist: Allerorten findet informelle Kommunikation statt. Auch Zerfaß erwähnt die „informelle(n) Kommunikationsnetzwerke zwischen Managern“ (Zerfaß 2007, S. 45). Denn rasche Klärungen, Rückfragen, Kommentierungen, beziehungsstabilisierende oder -terminierende Äußerungen – die Aufzählung von Beispielen ließe sich fortsetzen – sind allerorten notwendig.86 Informelle Kommunikation kann jedoch auch einen eher privaten Akzent haben wie beispielsweise im Rahmen der improvisierten Geburtstagsfeiern oder Jubiläen im Büro des Betroffenen. Weil aber selbst solche eher persönlich motivierten, zuweilen durchaus konspi-
85
Hierzu nennt Schick einige Beispiele wie etwa ein gemeinsames Essen im Vorfeld einer offiziellen Tagung, großzügig bemessene Pausen während der offiziellen Tagung oder auch Freizeitaktivitäten. Siehe Schick (20073, S. 167 ff.). 86 Spranz-Fogasy demonstriert anhand des realen Beispiels einer Führungskraft die kommunikativen Herausforderungen, die sich allein innerhalb von rund 90 Minuten ergeben. Aus dem Beispiel lässt sich ableiten, dass dabei stets auch informelle Kommunikationsstile zum Tragen kommen. Vergleiche Spranz-Fogasy (2003, S. 223 ff.).
Informelle Kommunikation
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rativen Situationen überwiegend ihren Bezug zum Unternehmen behalten, kann es sogar kontraproduktiv wirken, wenn derartige Privatfeiern unterbunden werden – von den negativen Auswirkungen auf die Arbeitsatmosphäre ganz abgesehen. Was jedoch dagegen spricht, einen informellen Kommunikationsstil grundsätzlich als orientierendes Ideal anzusehen87, sind die in informellen Kommunikationssituationen durchweg praktizierten und allgemein tolerierten Äußerungen und Verlaufsmuster. Informelle Kommunikationssituationen erlauben es uns, unscharf, unverbindlich und unpräzise zu bleiben. Wir operieren mit Andeutungen und können auf Gerüchte, Hörensagen und andere nicht unbedingt seriöse Quellen verweisen, ohne dass wir nachprüfbare und gesicherte Erkenntnisse vorzuweisen hätten. Als geschickte Akteure im informellen Modus der Kommunikation setzen wir Formulierungen ein, die uns nicht endgültig festlegen, testen polarisierende Ansichten und entwickeln aufgrund unmittelbar wahrgenommener Resonanz kollektive Bewertungskategorien und Verhaltensweisen. Rückblickend lässt sich in der Regel nicht feststellen, wer Urheber eines Gerüchts, eines Verdachts oder einer Stimmung war. Durch informellen Kommunikationsstil halten wir uns „ein Hintertürchen offen“, denn „so“ haben wir es nicht gesagt und auch nicht gemeint. Genau ein solcher Kommunikationsstil aber, ausgeübt in prozessbezogener Kommunikation, vereitelt deren Erfolg und sorgt für schlechtes Image: „Unsere Meetings sind eigentlich nur ein Kaffeeklatsch.“ Vermutlich keine seltene Aussage in der Unternehmenslandschaft – und vermutlich oftmals sehr berechtigt. Man könnte versucht sein, von „kommunikativer Schwarzarbeit“ zu sprechen: Informelle Kommunikation als Substitut einer (vermeintlich) als zu aufwendig und anstrengend empfundenen, dafür aber argumentativ ausgerichteten und verbindlichen Kommunikation. Es muss davon ausgegangen werden, dass ein informeller Kommunikationsstil durchaus infizierende Wirkung auf die Zentral- sowie Prozesskommunikation hat. Dass informelle Kommunikation darüber hinaus der Ort für Klatsch, Meinungsmache oder gar Mobbing ist, darf nicht unerwähnt bleiben. Doch all das ändert nicht nur nichts an der Bedeutung der informellen Kommunikation, es unterstreicht diese sogar. Es ist wesentlich darauf hinzuweisen, dass die informelle Kommunikation nicht unmittelbar und direkt Gegenstand von Managementaktivitäten sein kann und deshalb nicht unter den „Business Discourse“ fällt. Sie hat jedoch zweifellos prägende Auswirkungen auf den intendierten Business Discourse, seine Themen, seinen Stil, seinen Verlauf, seine unmittelbaren (Kommunikations-)Ergebnisse und seine Auswirkungen. Und vice versa: Eine essenziell verbesserte interne Kommunikation wird sich positiv auf die informelle Kommunikation auswirken. Mindestens kann nicht mehr ohne Weiteres durch die Flure geraunt werden, dass „ohnehin nichts rauskommt“. Insofern wäre es aufschlussreich, sich in empirischen Studien näher mit dem Phänomen zu befassen. Eine wichtige Aufgabe bestünde darin, den Terminus der „informellen Kommunikation“ überhaupt erst präzise zu fassen – eine Aufgabe, der ich
87
Zuweilen wurde ich im Zuge von Beratungsprojekten sogar mit romantischer Verklärung konfrontiert, welche die informelle Kommunikation beinahe im Duktus post-anarchischer Emanzipation als Moment individueller Selbstbestimmtheit ausdrücklich befürwortete und zu fördern trachtete.
122
III. Kommunikationsmanagement
mich entzogen habe.88 Die Zusammenhänge zwischen der internen Unternehmenskommunikation mit ihren Kommunikationsfeldern und der weitaus umfangreicheren informellen Kommunikation sind in Abbildung 8 ersichtlich:
Informelle Kommunikation wirkt auf Informelle Kommunikation
prägt
wirkt auf
prägt
Interne Unternehmenskommunikation als Business Discourse
prägt
wirkt auf
Zentralkom- Prozesskom- Kommunikamunikation munikation tionstrainings
wirkt auf
wirkt auf
prägt
Informelle Kommunikation
wirkt auf
Informelle Kommunikation
Abbildung 8:
Verhältnis informeller Kommunikation und interner Unternehmenskommunikation
Bezogen auf die Prioritäten, die die Akteure in ihrer Kommunikationsarbeit zugrunde legen, bleibt es bei meiner These: Interne Kommunikation, ob formell oder informell, ist die Stiefschwester der externen Kommunikation. Mit deutlich größeren Budgets ausgestattet, wird die zumeist marketinggetriebene, an unternehmensexterne Zielgruppen gerichtete Kommunikation sehr viel professioneller praktiziert als interne Kommunikation. Wer ein Projekt zur Verbesserung der internen Kommunikation beantragen möchte, befindet sich sogleich in der Defensive. Denn Nutzen und Wert interner Kommunikation sind nicht leicht und schon gar nicht eineindeutig zu quantifizieren – was zwar ebenso für die externe Kommunikation gilt, dort jedoch weitaus großzügiger ausgelegt wird. Innerhalb der internen Kommunikation wiederum konzentrieren sich die meisten Ansätze, die unter „Kommunikationsmanagement“ firmieren, auf den Bereich, den ich „Zentralkommunikation“ genannt habe: solche Kommunikationshandlungen, die von zentraler Stelle im Auf88
Insofern muss meine Auseinandersetzung mit informeller Kommunikation noch als vortheoretisch gelten. Eine weiterführende Betrachtungsperspektive sei immerhin angerissen: Ohne Zweifel wäre es aufschlussreich, informelle Kommunikation als emergentes Phänomen zu analysieren, das notwendig aus Organisation entsteht. Damit ließen sich möglicherweise Einsichten darüber gewinnen, welche Organisationsformen zu welchen Ausprägungen informeller Kommunikation beitragen, damit letztere emergieren. So weit ich blicken kann, ist die informelle Kommunikation in Unternehmen bislang weitgehend unerforscht geblieben. Vermutlich wären ethnografische Untersuchungsdesigns ein vielversprechender Weg. Vergleiche hierzu Hinweise bei Neubauer (2003, insbesondere S. 80 ff., dort weiterführende Literatur).
Informelle Kommunikation
123
trag der Unternehmensleitung ausgeführt werden. Auch wenn an einer Auseinandersetzung mit diesem Handlungsfeld nichts auszusetzen ist, so bleibt doch die weitaus größere Zahl kommunikativer Handlungen innerhalb eines Unternehmens außerhalb der Betrachtung. Und das, obwohl gerade hier erhebliche Effizienz- und Produktivitätspotenziale zu erschließen sind. Genau dieses Desiderat geht das Konzept „Business Discourse“ an.
Informelle Kommunikation
125
IV. Mit Business Discourse zu Communication Excellence
Es wurde bereits zum Ausdruck gebracht, was hier unter Kommunikationsmanagement verstanden wird. Den weiteren Darlegungen sei diese noch sehr allgemeine Begriffsdefinition von Kommunikationsmanagement vorangestellt: Kommunikationsmanagement umfasst alle Tätigkeiten, die als ziel- und zweckorientiertes, systematisches Planen, Befähigen, Steuern, Bewerten und Verbessern auf die Kommunikationsprozesse gegenüber internen oder externen Adressaten gerichtet sind.
Kommunikationsmanagement stellt also die Bedingungen, Voraussetzungen und Standards in den Mittelpunkt und schafft so ein fruchtbares Umfeld, in dem erfolgreiche Kommunikation emergieren kann. Bewusst sind hier noch die interne wie externe Kommunikation eines Unternehmens eingeschlossen. Denn beide Perspektiven können vollkommen zu Recht in Anspruch nehmen, die in der Begriffskonzeption genannten Merkmale zu erfüllen. Zudem muss nochmals betont werden, dass eine strenge Abgrenzung interner von externer Unternehmenskommunikation für die Zwecke einer systematischen und theoriegeleiteten Auseinandersetzung wie der vorliegenden notwendig ist, in alltäglicher Unternehmenspraxis jedoch aufgrund kaum aufhebbarer Überschneidungen im Erfahrungsfeld der Kommunikationsbeteiligten nicht ebenso streng durchgehalten werden kann: Weder lässt sich der Fall ausschließen, dass Unternehmensangehörige als Adressaten der externen Kommunikation des Unternehmens fungieren, noch der andere Fall einer Beteiligung externer Adressaten an unternehmensinterner Kommunikation. Und spätestens bei Mischformen wie etwa einer großen Strategiekonferenz mit Teilnehmern aus der Mitarbeiterschaft, aus dem Lieferantenstamm, aus Kundenkreisen sowie Anteilseignern eines Unternehmens lösen sich die hier trotz allem im Spiel gehaltenen Grenzen zwischen interner und externer Kommunikation auf. Ungeachtet dieser Überschneidungsbereiche bleibt es jedoch dabei: In diesem Buch soll das Management der organisationsinternen Kommunikation im Mittelpunkt stehen. Im Sinne der obigen Begriffsbestimmung lässt sich internes Kommunikationsmanagement als ein systematisches Vorgehen beschreiben, das die oben genannten Merkmale aufweist. Sobald sich die Handelnden entscheiden, Kommunikation als Gegenstand systematischer Managementaktivitäten zu begreifen, öffnet sich die Möglichkeit für den Business Discourse. Dieses Modell stellt einen praxisbewährten und theoretisch fundierten Ansatz für das Management der internen Kommunikation bereit. Business Discourse kann deshalb auch als spezifisches Kommunikationsmanagementsystem interpretiert werden. Wir können postulieren:
126
IV. Mit Business Discourse zu Communication Excellence
Systematisches Management interner Kommunikation schafft die Voraussetzungen dafür, dass der Business Discourse emergieren kann.
Worin also liegen die Spezifika des Modells Business Discourse?
1.
Das Modell „Business Discourse“
Da für die weiteren Darlegungen fundamental, sei die im Zusammenhang der diskurstheoretischen Überlegungen vorgestellte (erste) Definition von „Business Discourse“ hier wiederholt: „Business Discourse“ ist jede mit Unternehmensbezug geplante und realisierte, in ZielZweck-Relationen eingepasste Kommunikationssequenz zwischen Organisationsmitgliedern. Im Verlauf dieser Kommunikationssequenz schaffen die Handelnden durch ihre Entscheidungen, Beschlüsse, Anweisungen, Absprachen sowie durch weitere kommunikative Resultate die Voraussetzungen für den Erhalt ihrer Organisation und die dort stattfindende Kommunikation.
Business Discourse ist eine spezifische Form von Kommunikation innerhalb einer Organisation, die ihrerseits auf innerorganisationale Kommunikationsprozesse bezogen ist. Damit wird der Business Discourse zu einem Zielmodell in zweifacher Hinsicht: für das Kommunikationsmanagement sowie für Kommunikationsprozesse – unabhängig davon, ob diese Kommunikationsprozesse der Zentral- oder der Prozesskommunikation zuzurechnen sind.89 Dabei ist einzuräumen, dass das Konzept sowohl deskriptiv als auch normativ angesetzt wird, indem es einerseits eine Beschreibung und andererseits eine Bewertung impliziert. Dies ist allerdings keineswegs ungewöhnlich, denn auch in anderen Themenfeldern innerhalb eines Unternehmens bergen Zentralbegriffe sowohl beschreibende wie bewertende Potenziale. Es sei nur auf den Begriff „Qualität“ verwiesen, der beschreibt, wenn tatsächliche Merkmale eines Produkts, einer Dienstleistung oder eines Prozesses die zuvor definierten Anforderungen erfüllen.90 Gleichzeitig aber wissen wir sehr wohl zwischen „guter und schlechter Qualität“ zu unterscheiden. Ähnlich verhält es sich mit dem Business Discourse: Erst wenn die unternehmensinterne Kommunikation bestimmte Merkmale aufweist, kann sie als „Business Discourse“ bezeichnet werden. Und parallel lässt sich Kommunikation in ihrer tatsächlichen Ausprägung auf ihren Erfüllungsgrad der mit dem Business Discourse verbundenen Ansprüche bewerten. 89 90
Sie sind, um dies nochmals zu betonen, jedoch nicht der informellen Kommunikation zuzurechnen. Vergleiche hierzu die einschlägige Definition von „Qualität“, die im weltweit gültigen Standard ISO 9000 zu finden ist. Qualität wird bestimmt als „Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale […] Anforderungen […] erfüllt“ (DIN Deutsches Institut für Normung 2005, S. 18).
Das Modell „Business Discourse“
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Angesetzt wird also, dass das zu erreichende Qualitätsniveau der unternehmensinternen Kommunikation maßgeblich aus dem kommunikativen „Umfeld“ (Bühler) beziehungsweise dem etablierten Kontext emergiert. Diesen Kontext kommunikativ herzustellen, aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln ist die wesentliche Funktion des „Business Discourse“. Wir können daher diese Funktion von Business Discourse auch als meta-kommunikativ apostrophieren, denn es handelt sich um Kommunikation, damit eine gewünschte Form von Kommunikation emergieren kann. Anders gewendet: Mit Business Discourse ist nichts anderes als ein „Communication Management System“ beschrieben, also eine Systematik, die unternehmensinterne Kommunikation ziel- und zweckgerichtet, planvoll und methodisch angeht – ohne einer Trivialisierung eines wie aufgezeigt zutiefst komplexen und in letzter Konsequenz eben nicht vollständig kalkulierbaren Handelns das Wort reden zu wollen. Vor dem Hintergrund der oben geführten Auseinandersetzung mit wesentlichen Perspektiven von Kommunikation, Organisation und Management ist also abzuleiten, dass der Business Discourse nicht nur Ziel, sondern auch Mittel zu diesem Ziel ist. Denn Business Discourse wurde bereits als spezifische Form von Kommunikationsmanagement bestimmt und gleichzeitig als Orientierung stiftendes Idealmodell für kommunikative Handlungsvollzüge. Weil Business Discourse jedoch seinerseits diskursiv – synonym: kommunikativ – hervorgebracht wird, ergibt sich ein Konstrukt, das auf den ersten Blick ebenso zirkulär wie paradox anmuten könnte und das sich unter Verwendung des Terminus „Emergenz“ so verdichten lässt: „Business Discourse” emergiert aus „Business Discourse“, damit „Communication Excellence“ emergiert.91
Weniger irritierend wäre vielleicht die Formulierung, dass die Prinzipien und Merkmale der durchaus als anspruchsvoll anzusehenden Kommunikationsform „Business Discourse“ bereits während der Hervorbringung durch Managementaktivitäten zu berücksichtigen sind. Ich greife etwas vor, denn „Communication Excellence“ ist noch näher zu bestimmen: Business Discourse führt zu exzellenter Kommunikation, die ihre Ziele und Zwecke zu erreichen vermag und selbstreferentiell aus der Beachtung von Exzellenzkriterien für interne Unternehmenskommunikation emergiert.92 Eine solche Verbindung zwischen Kommunikationsmanagement und dem Modell zu Business Excellence haben bereits Stumpf (2005) sowie Bruhn/Stumpf (2008) hergestellt. Mit der Absicht, zur weiteren Fundierung des Konzepts der „Integrierten Kommunikation“ beizutragen, führte Stumpf eine methodisch anspruchsvolle, qualitative Untersuchung zur Ermittlung des Integrationsgrads der Kommunikation in verschiedenen Schweizer Unternehmen durch. Ergebnis ist eine Adaption des Business Excellence Modells, das die Ermittlung des Excellence-Grads Integrierter Kommunikation zulässt. Allerdings bleibt auch diese Studie und 91
Mit Blick auf Luhmann könnten wir auch formulieren: Business Discourse ist selbstreferentiell (vergleiche oben, Kapitel I. und II.). 92 Vereinzelt finden sich in der Literatur Hinweise, die Emergenz in ähnlicher Form als Beschreibungs- und Erklärungsprinzip verwenden. Siehe Krikorian/Seibold/Goode (1997, S. 131), die von „emergent networks“ im Zuge eines Reengineering-Projekts gemäß Hammer/Champy sprechen (Hinweise zu Business Reengineering im Exkurs zur gängigen Managementliteratur, siehe Kapitel I.).
128
IV. Mit Business Discourse zu Communication Excellence
damit die weitere Beschäftigung in Bruhn/Stumpf (2008) auf die hier eingeführte „Zentralkommunikation“ konzentriert. Beide Publikationen stellen das Modell der „Integrierten Kommunikation“ in den Mittelpunkt, das oben näher diskutiert und ob seiner Ausrichtung auf die Zentralkommunikation kritisiert wurde.93 Nicht anders verhält es sich in der fraglichen Studie, was sich schon bei der Auswahl der Interviewpartner bestätigt. Es wurde nämlich angestrebt, „den in der Unternehmenshierarchie höchstrangigen Praktiker, der für mehrere Kommunikationsfunktionen verantwortlich ist […], zu interviewen“ (Bruhn/Stumpf 2008, S. 16). Bereits daraus wird ersichtlich, dass es um Kommunikation geht, die hier als „Zentralkommunikation“ geführt wird. Aus den Interviews konnten „Erfolgsfaktoren“ identifiziert werden, die Stumpf beziehungsweise Bruhn/Stumpf anhand eines aus dem Modell für Business Excellence abgeleiteten Modells zu „Communication Excellence“ gliedern. Sie unterscheiden neun Dimensionen, die mit unterschiedlicher Wertigkeit für Communication Excellence angesetzt sind und für eine „systematische Analyse der Stärken und Verbesserungspotenziale im Unternehmen“ (ebd., S. 17) herangezogen werden können.94 Diesen vielversprechenden Ansatz beziehen sie letzten Endes jedoch auf die Unternehmenskommunikation, die als interne oder externe Kommunikationsarbeit durch zentrale Stellen geplant, ausgeführt und eben bewertet wird. Daraus dürfte erneut plausibel werden, weshalb ich davon absehe, das Modell der „Integrierten Kommunikation“ aufzugreifen sowie mich an das hierauf bezogene, spezifisch ausgelegte Modell zu Communication Excellence anzuschließen. Bruhn/Stumpf legen ein Verständnis „Integrierter Kommunikation“ zugrunde, das bereits oben als unvollständig herausgearbeitet wurde. So sinnvoll der integrativ-ganzheitliche Ansatz für die PR- wie marketinggetriebene Unternehmenskommunikation sein mag, mindestens bezüglich der internen Kommunikationsprozesse, wie sie in jeder Organisation anfallen, bleiben wesentliche Erscheinungsformen ausgeblendet. Nicht einmal die in Stumpf ursprünglich als „IK-fähige Strukturen und Prozesse“95 bezeichnete Dimension 5 weist über den engen Fokus der Zentralkommunikation hinaus (vergleiche Stumpf 2005, S. 198 f.).
93
Bemerkt sei, dass bei Stumpf eine deutlich über das Übliche hinausgehende methodologische Sorgfalt gerade auch im Hinblick auf gesprächsanalytische Vorgehensweisen anzutreffen ist. Exemplarisch sei auf seine Berücksichtigung von Transkriptionsmethoden hingewiesen (ebd., S. 132 f.). Ähnlich gründlich seine Auseinandersetzung mit dem Modell zu Business Excellence (ebd., S. 31 ff. und 186 ff.). 94 Die neun Dimensionen sind Führung, Mitarbeitende, Strategisches Konzept, Partnerschaften und Ressourcen, Strukturen und Prozesse, Wirkungen bei den Mitarbeitern, Wirkungen bei den Konsumenten, Wirkungen beim Unternehmen sowie Schlüsselergebnisse des Unternehmens (Bruhn/Stumpf 2008, S. 17, Abbildung 2). Diese Dimensionen modifizieren in Teilen die ursprüngliche Struktur, die Stumpf vorgeschlagen hat und die er weiter in „Erfolgsfaktoren“ und „Ansatzpunkte“ auffächert (Stumpf 2005, S. 189 ff.). Mit der Modifizierung sowie dem Aufbringen des sehr griffigen Labels „Communication Excellence“ – dessen Reiz auch ich erlegen bin – ergibt sich der wesentliche Unterschied zwischen den beiden diskutierten Veröffentlichungen. Da Bruhn/Stumpf in einer Zeitschrift publizierten, dürfte kaum ausreichend Raum für eine weitere Entfaltung bestanden haben. Ich vermute daher, dass bald eine Monografie folgen wird, denn schon das Label darf als durchaus innovativ gelten. 95 Stumpfs Bezeichnung „IK-fähig“ ist als Aussage über den Grad der Integriertheit der Unternehmenskommunikation zu verstehen, will er doch ein „Bewertungsinstrumentarium zur Bestimmung des Integrationsgrades der Kommunikation“ (Stumpf 2005, S. 186) vorlegen.
Das Modell „Business Discourse“
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Ebenso ist die empirische Basis in Frage zu stellen, wenn es um eine ihren Anspruch zu Recht erhebende ganzheitliche Konzeption geht. Wie gezeigt basiert die Datenbasis in Stumpf (2005) beziehungsweise bei Bruhn, Manfred/Stumpf (2008) auf Interviews mit Verantwortlichen für Zentralkommunikation. Doch dürften die für zentrale Unternehmenskommunikation Verantwortlichen nur in Ausnahmefällen den Phänomenbereich der Prozesskommunikation in Betracht ziehen. Damit liegt dem Modell zu „Communication Excellence“, das Bruhn/Stumpf unter diesem Label präsentieren, eine unvollständige Empirie zugrunde. Was hätten die Autoren wohl ermittelt und zu welchem Modell von Communication Excellence wären sie gelangt, wenn sie auch den Personenkreis eingebunden hätten, den die ProudfootProduktivitätsstudien befragen? Und schließlich zeigt die nähere Auseinandersetzung mit den Dimensionen, Erfolgsfaktoren und Unterkriterien beziehungsweise Ansatzpunkten, dass Stumpf bemüht ist, seine Adaption des Modells zu Business Excellence möglichst nahe am Modell der EFQM zu halten. Damit verspielt er die Chance, dass kommunikationsspezifische Kriterien und Teilkriterien adressiert werden, die durch eine stärkere Emanzipierung vom ursprünglichen Modell präziser erfasst würden. Deshalb lege ich ein Verständnis von „Communication Excellence“ zugrunde, das zwar ebenfalls am Modell zu Business Excellence orientiert ist, dabei allerdings deutlich ausgeprägter die Belange organisationsinterner Kommunikation berücksichtigt. Anders als Stumpf konzentriere ich mich auf die unternehmensinterne Kommunikation. Insofern büßt das nun auszuführende Modell einen Teil der Ganzheitlichkeit ein, die aus der Berücksichtigung von interner wie externer Kommunikation erwüchse. Aufgrund meines anders gelagerten Erkenntnisinteresses, das die externe Kommunikation – sei sie als Markting- oder PRKommunikation angesetzt – weitgehend ausblendet, mag dies gerechtfertigt erscheinen. Für eine „Integration der Integration“ wären also in weiterführenden Arbeiten die Integration der nach innen und außen gerichteten Zentralkommunikation (das ist der Fokus von Stumpf, Bruhn/ Stumpf und anderen Autoren) sowie die Integration der nach innen gerichteten Zentralkommunikation und der Prozesskommunikation (das ist mein Fokus) in einem Modell zusammenzuführen. Es ist auf einen weiteren Unterschied zur Adaption des EFQM-Modells für Excellence durch Stumpf hinzuweisen. Stumpf greift die oben vorgestellte Methodik „RADAR“ auf und weist seinen neun Dimensionen eine „Wertigkeit“ (Stumpf 2005, S. 189) zu, ausgedrückt als Prozentzahl.96 Im Zuge einer Selbstbewertung können nun die Ausprägungsgrade quantifiziert und zu einer Gesamtbewertung aggregiert werden. Analog dem EFQM-Modell für Excellence gelangt Stumpf zur Möglichkeit eines unternehmensübergreifenden Benchmarkings. Obwohl dies durchaus reizvoll ist, sieht das Modell des Business Discourse davon ab, die einzelnen Elemente gegeneinander zu gewichten. Denn dies implizierte, das Modell Business Discourse stets in identischer und eben nicht individuell angepasster Form einzusetzen. Immerhin kann eine Gewichtung von nachgeordneten Kriterien vorgenommen werden, wie im Kapitel IV.3 gezeigt wird.
96
Diese Wertigkeit leitet Stumpf aus der Häufigkeit der Nennungen seiner Versuchspersonen ab. Vergleiche Stumpf (2005, S. 189).
130
2.
IV. Mit Business Discourse zu Communication Excellence
Communication Excellence in der internen Kommunikation
„Communication Excellence“ ist auf dem besten Wege, zu einem weiteren Beispiel für aufmerksamkeitsheischende Etiketten von Trainings- beziehungsweise Beratungsanbietern zu werden. Dabei ist der Ausdruck keineswegs eine Neukreation aus jüngster Zeit. Zumeist wird der Terminus verwendet, um in werbender Absicht Kommunikationstrainings und andere Offerten zur Verbesserung des persönlichen Kommunikationserfolgs zu belegen.97 Bereits in den 90er Jahren finden sich Studien zumindest im angelsächsischen Raum, die in umfangreichen Erhebungen die Merkmale und Voraussetzungen exzellenter Kommunikation zu ermitteln suchen. Die Autoren der schon einmal erwähnten Veröffentlichung „Manager’s Guide to Excellence in Public Relations and Communication Management“ (Buchtitel) leiten ihre Darlegungen mit der zentralen Frage ein: „What is Communication Excellence?“ (Dozier/Grunig/Grunig 1995, S. 1). Allerdings bleiben die Autoren unisono auf Massenkommunikation ausgerichtet.98 Trotz dieser Belastungen möchte ich den Terminus aufgreifen und als orientierendes Prinzip für das Modell des Business Discourse ansetzen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung sind der terminologische und konzeptionelle Anschluss an das oben (siehe Kapitel I.6) vorgestellte EFQM-Modell für Excellence, das sich nachweislich in der Praxis bewährt hat und mittlerweile weltweit Anerkennung findet. Im Anschluss an die Definition der EFQM sei Excellence verstanden als normative Kategorie für „überragende Praktiken in der Führung der Organisation und beim Erzielen von Ergebnissen“ (EFQM 2003b, S. 32). Bezogen auf Kommunikation konkretisiert sich dies wie folgt: Communication Excellence ist das Ideal einer überragenden Managementpraxis hinsichtlich interner Kommunikation sowie der hierdurch erzielten Kommunikationsergebnisse. Als handlungsleitendes und übergeordnetes Prinzip bietet Communication Excellence Orientierung für die Gestaltung der unternehmensinternen Kommunikation. Diese ist mit maximaler Effektivität und Effizienz als integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie und steuerung konzipiert, verwirklicht und auf Basis ermittelter Daten und Erkenntnisse Gegenstand kontinuierlicher Verbesserung. Im Sinne einer Vision fungiert Communication Excellence damit als kategorialer Maßstab für das Kommunikationsmanagement, das sich auf Grundlage intern oder extern ermittelter Verbesserungspotenziale dynamisch weiterentwickelt. 97
Eine Google-Suche, durchgeführt am 13.04.2009, ergab rund 31 Millionen Fundstellen. Einige zufällig ausgewählte Seiten zeigten entweder die hier bereits diskutierten Veröffentlichungen von Stumpf beziehungsweise Bruhn/Stumpf oder – und das war die übergroße Mehrzahl – Angebote von Trainings- oder Beratungsunternehmen zur Weiterentwicklung persönlicher Kommunikationsfähigkeiten. 98 Zudem ergab die Google-Recherche, dass außer bei Stumpf beziehungsweise Bruhn/Stumpf kein expliziter Anschluss an das Modell zu Business Excellence der EFQM hergestellt wird. Ebenso unterbleiben in aller Regel plausible Kriterien, Unterkriterien oder Ansatzpunkte, wie sie Stumpf vorlegt.
Communication Excellence in der internen Kommunikation
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Dies seien die Merkmale kommunikativer Exzellenz: Anhand etablierter und nachweisbar als Orientierung herangezogener Werte und Leitbilder werden Ziele und Zwecke der Kommunikation abgeleitet und in Strategien, Planungen und Maßnahmen konkretisiert. Diese sind durchgängig mit den übrigen Zielen, Strategien und Planungen der Organisation koordiniert und werden unter Einbindung der Mitarbeiter entwickelt sowie fortgeschrieben. Die persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Führungskräfte und Mitarbeiter hinsichtlich ihrer kommunikativen Kompetenz, einschließlich der Befähigung zur Nutzung bereitgestellter Kommunikationsmedien, werden systematisch bewertet sowie gezielt weiterentwickelt und gefördert. Interne Kommunikationsmedien stehen in angemessener Weise zur Verfügung und richten sich in ihrer technischen Auslegung, ihren Funktionalitäten sowie der Nutzeroberfläche nach den Zielen, Strukturen, Prozessen und Bedürfnissen der Organisation sowie ihrer Mitglieder. Besprechungen werden gezielt angesetzt und sind untereinander koordiniert. Besprechungsergebnisse werden dokumentiert und hinsichtlich ihrer praktischen Umsetzung nachverfolgt. Kommunikatives Handeln erfolgt in allen Feldern planvoll, effizient und effektiv und ist orientiert an den Werten und Zielen des Unternehmens. Dabei obliegt die Verantwortung für den kommunikativen Erfolg den kommunikativ Handelnden, die in angemessener Weise durch die Leitung der Organisation befugt werden. Die Ergebnisse kommunikativen Handelns werden anhand geeigneter Indikatoren und durch erprobte Methoden systematisch gemessen und bewertet. Anhand der Resultate werden Lernprozesse der Organisation ausgelöst, die zu systematischer Verbesserung des Ansatzes zum Management der internen Kommunikation führen. Auswertungen zum Kommunikationserfolg sind integraler Bestandteil der Organisationssteuerung auf allen Ebenen. Alle Maßnahmen sind in einem ganzheitlichen, koordinierten und dem kontinuierlichen Verbesserungsprozess ausgesetzten Managementansatz zusammengefasst. Dieser Managementansatz ist unternehmensweit etabliert und integraler Bestandteil alltäglichen Handelns. „Communication Excellence“ ist also anhand des Ausprägungsgrads spezifischer Merkmale zu erfassen, die aus dem Konzept des Business Discourse abgeleitet sind. Damit emergiert Communication Excellence aus Business Discourse beziehungsweise, präziser ausgedrückt, aus einer konsequenten Anwendung der Kriterien und Merkmale des Business Discourse in der Praxis. Um welche Merkmale handelt es sich?
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3.
IV. Mit Business Discourse zu Communication Excellence
Kategorien, Elemente und Kriterien des Business Discourse
Der Aufbau des Business Discourse leitet sich aus den oben diskutierten, kommunikationstheoretisch abgeleiteten Theoremen ab (siehe Kapitel II.). Diesen gestehe ich Priorität zu – und nicht dem bewusst branchenübergreifend und generisch gehaltenen EFQM-Modell für Excellence. Deshalb weiche ich von den dort verwendeten Strukturen, dem Aufbau und der Diktion ab, wenn es mir sinnvoll scheint. Im Modell zum Business Discourse sind zunächst die folgenden Ebenen zu unterscheiden: Kategorien, Elemente und Kriterien. Auszugehen ist von den Kategorien, derer drei das Modell des Business Discourse strukturieren. Sie konkretisieren sich in insgesamt neun Elementen und verteilen sich wie folgt: Kategorie a.: Voraussetzungen; vier Elemente Kategorie b.: Handlungsfelder; vier Elemente Kategorie c.: Ergebnisse; ein Element. Grafisch stellt sich das Modell zum Business Discourse wie folgt dar:
2. Kompetenz
3. Medien
4. Besprechungssystematik
b. Handlungsfelder
c. Ergebnisse
5. Informieren und Wissen 6. Vereinbaren und Entscheiden 7. Leiten und Führen 8. Bewegen und Begeistern