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Wolfgang Steiner • Martin Schagerl Raumflugmechanik
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Wolfgang Steiner • Martin Schagerl
Raumflugmechanik Dynamik und Steuerung von Raumfahrzeugen
Mit 116 Abbildungen
Springer
Dr. Wolfgang Steiner Fachhochschule Wels Roseggerstr. 12 A-4600 Wels Univ.-Doz. Dr. Martin Schagerl Technische Universitat Wien Institut fur Mechanik Wiedner Hauptstr. 8-10 A-1040 Wien
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet iiber abrufbar.
ISBN 3-540-20761-9 Springer-Verlag Berlin Heidelberg NewYork Dieses Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder Vervielfaltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfaltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulassig. Sie ist grundsatzlich vergiitungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science + Business Media GmbH www. springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2004 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dafi solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Sollte in diesem Werk direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z.B. DIN, VDI, VDE) Bezug genommen oder aus ihnen zitiert worden sein, so kann der Verlag keine Gewahr fiir die Richtigkeit, Vollstandigkeit oder Aktualitat iibernehmen. Es empfiehlt sich, gegebenenfalls fiir die eigenen Arbeiten die vollstandigen Vorschriften oder Richtlinien in der jeweils giiltigen Fassung hinzuzuziehen. Einband-Entwurf: medio Technologies AG, Berlin Satz: Digitale Druckvorlage der Autoren Gedruckt auf saurefreiem Papier 7/3020Rw - 5 4 3 2 1 0
Vorwort
In dem 1968 von Stanley Kubrick verfilmten Sciencefiction-Klassiker 2001: A Space Odyssey benotigt das Raumschiff Discovery ganze fiinf Monate, um von der Erde zum Planeten Jupiter zu gelangen. Eine erstaunlich kurze Zeit fiir die fiinf Mann Besatzung und den eigenwilligen Bordcomputer HAL. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Die 1989 gestartete NASA-Sonde Galileo erreichte Jupiter erst nach sechs Jahren Flugzeit. Das kleine Raumfahrzeug musste sich dazu im Vorbeiflug einmal an der Venus und zweimal an der Erde Schwung holen. (In Kapitel 8 wird die Mechanik solcher „Fly-By"bzw. „Gravity-Assist"-Manover genau analysiert.) Erst nach diesen drei Sonnenumkreisungen, die drei Jahre in Anspruch nahmen, hatte Galileo genug Bewegungsenergie „getankt", um den Sprung zum Jupiter zu schaffen, eine Reise, die weitere drei Jahre dauerte. Warum stoBt die Menschheit in der Raumfahrt so rasch an ihre technologischen Grenzen? Dieses Buch soh dem Leser ein Gefiihl fiir die Antwort auf diese Frage vermitteln. Es richtet sich an Interessierte sowohl im universitaren als auch im industriellen Bereich, die die technische Problematik der Raumfahrt verstehen wollen. Freilich sind viele Wissenszweige mit der Raumfahrt verkniipft: Mechanik, Thermodynamik, Strahlungsphysik oder die Verbrennungschemie von Raketentriebwerken, um nur einige zu nennen. Wir konzentrieren uns hier auf den rein mechanischen Aspekt, der so grundlegende Bereiche wie Orbital- und Raketendynamik umfasst. Wenngleich theoretische Uberlegungen dabei im Vordergrund stehen, haben wir die Voraussetzungen in Mathematik und klassischer Mechanik bewusst gering gehalten. Fiir das Verstandnis sind lediglich Hochschulgrundvorlesungen erforderlich, die notwendigen Elemente der hoheren Mechanik werden ausfiihrlich erklart. Obwohl wir uns an Fragestellungen der modernen Raumfahrt orientieren, wird an vielen Stellen auch auf die kulturgeschichtliche Bedeutung der unserem Thema zugrunde liegenden naturwissenschaftlichen Theorien verwiesen. Hat nicht die hohe Prazision und ihr streng axiomatischer Aufbau die Himmelsmechanik zum MaB aller neuzeitlichen Naturwissenschaft werden lassen?
VI
Vorwort
Das vorliegende Buch entstammt einer Vorlesung, die wir seit 1997 regelmaBig am Institut fiir Mechanik der Technischen Universitat Wien halten. Unser Dank gilt Herrn Professor Hans Troger, der es uns ermoglichte, diese Lehrveranstaltung an seinem Institut anzubieten. Wir danken auch den Studentinnen und Studenten, die unsere Vorlesung so zahlreich besucht haben und die durch ihre Fragen und Bemerkungen einen wesentlichen Beitrag zu diesem Buch geleistet haben.
Friihjahr 2004
Wolfgang Steiner und Martin Schagerl
Inhaltsverzeichnis
Uber den Himmel 1.1 Gestalt und GroBe der Erde 1.2 Erdbezogene Beobachtung von Himmelsvorgangen 1.2.1 Beobachtungen erdnaher Objekte 1.2.2 Beobachtungen ferner Himmelsobjekte 1.2.3 Aquatoriale und ekliptikale Koordinaten 1.3 Erweiterte Betrachtung in solarem MaBstab 1.3.1 Geozentrische und hehozentrische Bezugssysteme 1.3.2 Zur Entstehung der Jahreszeiten 1.3.3 Ein „Beweis" fiir das hehozentrische Weltbild 1.4 Die Keplerschen Planetengesetze 1.4.1 Das erste Keplersche Gesetz 1.4.2 Das zweite Keplersche Gesetz (Flachensatz) 1.4.3 Das dritte Keplersche Gesetz 1.4.4 Anmerkungen zum Leben und Werk Keplers 1.5 Eine wirklich kurze Geschichte der Zeit 1.5.1 Was ist ein Tag? 1.5.2 Tropisches Jahr und Kalenderjahr 1.5.3 Verschiedene Zeitskalen
1 1 5 6 8 10 14 15 17 18 20 21 25 27 27 29 29 31 33
Newtonsche Mechanik 2.1 Die Bewegungsgleichung 2.2 Das Gravitationsgesetz 2.2.1 Die Herleitung des Gravitationsgesetzes aus den Keplerschen Gesetzen 2.2.2 Das Zusammenspiel von Gravitation und Fliehkraft.... 2.2.3 Gravitationskraft und Gravitationspotential 2.3 Systeme aus mehreren Massenpunkten 2.3.1 Der Schwerpunktsatz 2.3.2 Der Drehimpulssatz 2.4 Was ist ein Inertialsystem?
35 36 38 39 42 44 46 47 48 50
VIII 3
Inhaltsverzeichnis Das Zweikorperproblem 3.1 Bewegungsgleichung und ErhaltungsgroBen 3.1.1 Das Energieintegral 3.1.2 Erhaltung des Drehimpulses 3.1.3 Das Hamiltonsche Integral 3.1.4 Allgemeine Aussagen iiber die Orbitalgeometrie mit Hilfe der ErhaltungsgroBen 3.2 Elliptische Orbits 3.2.1 Bahngeometrie 3.2.2 Der Kreisorbit 3.2.3 Position als Funktion der Zeit 3.2.4 Rechenbeispiel: Molniya-Satelliten 3.3 Hyperbolische und parabolische Orbits 3.3.1 Allgemeine Uberlegungen zu offenen Orbits 3.3.2 Bahngeometrie 3.3.3 Position als Funktion der Zeit 3.4 Die allgemeine Losung des Zweikorperproblems 3.4.1 Die mathematische Struktur des Zweikorperproblems . . 3.4.2 Die klassischen Orbitalelemente 3.4.3 Die Bestimmung der klassischen Orbitalelemente aus den Anfangsbedingungen 3.4.4 Die Losung des Zweikorperproblems als Funktion der klassischen Orbitalelemente 3.4.5 Rechenbeispiel: Armageddon
4
M a t h e m a t i s c h e Grundlagen der Storungsrechnung 4.1 Historisches 4.2 Variation der Konstanten nach Lagrange 4.3 Reihenentwicklung 4.4 Ein sehr einfaches Beispiel 4.5 Periodische Probleme und Mittelwertsmethode 4.6 Die Lagrangeschen Planetengleichungen
5
Storungen auf erdnahen Umlaufbahnen 5.1 Uber die Herkunft der Storungen 5.2 Satellitenbahnen um nichtspharische Planeten 5.2.1 Das Gravitationsfeld eines beliebig geformten K o r p e r s . . 5.2.2 Die Js-Storung 5.2.3 Diskussion der sakularen Storbewegungen 5.3 Der Einfluss aerodynamischer Krafte 5.3.1 Mechanisches Modeh 5.3.2 Die E r d a t m o s p h a r e 5.3.3 Auswirkungen des Luftwiderstandes auf die Variation der Orbitalelemente 5.3.4 Zur Lebensdauer von Satelliten
55 56 58 59 60 61 64 64 66 68 72 77 77 79 81 82 82 83 86 87 88 93 93 96 98 100 104 106
117 117 119 119 123 128 131 132 133 136 140
Inhaltsverzeichnis 5.3.5 6
Das Geschwindigkeitsparadoxon
IX 140
Die Orbits kiinstlicher Erdsatelliten
145
6.1
Anzahl und Daten von Satelliten 6.1.1 Der USSPACECOM-Katalog 6.1.2 Two-Line-Elements Orbittypen, Bodenspuren, Uberwachungsbereiche Geostationare Orbits (GSO) Eklipsen und sonnensynchrone Orbits
145 145 146 150 155 156
7
Raketendynamik und impulsive Orbitalmanover 7.1 Das Prinzip Rakete 7.1.1 Die Raketengleichung 7.1.2 Bauarten und Treibstoffe fiir Raketentriebwerke 7.2 Vom Boden in den Orbit 7.2.1 Senkrechter Aufstieg einer Rakete 7.2.2 Stufenraketen 7.2.3 Abschussgeometrie 7.3 Impulsive Orbitalmanover 7.3.1 Hohmann-Transfers 7.3.2 Transversal schneidende Ubergangsorbits 7.3.3 Bi-elliptische Transfers 7.3.4 Wechsel der Orbitalebene
163 163 163 168 171 171 175 178 182 183 186 188 189
8
Interplanetare Flugbahnen 8.1 Mehrkorperprobleme 8.2 Einflussspharen 8.3 Zusammengesetzte konische Flugbahnen 8.4 Gravity-Assist-Manover 8.5 Hohmann-Transfers und synodische Perioden 8.6 Einmal zum Mars und retour 8.7 Das eingeschrankte Dreikorperproblem
195 196 199 204 209 210 213 216
9
D i e G r u n d g l e i c h u n g e n nicht p u n k t f o r m i g e r S a t e l l i t e n 9.1 Fern- und Nahfelddynamik 9.2 Beschreibung der Lagen starrer Korper im Orbit 9.2.1 Freiheitsgrade 9.2.2 Drehmatrizen 9.2.3 Tait-Bryant-Winkel 9.3 Bewegungen gegen das Inertialsystem 9.3.1 Raumfeste Koordinaten 9.3.2 Der Winkelgeschwindigkeitsvektor 9.3.3 Relativbewegungen 9.4 Die Eulerschen Gleichungen 9.5 Das Gravitationsmoment
225 225 227 227 228 231 233 233 234 237 238 240
6.2 6.3 6.4
X
Inhaltsverzeichnis
10
Lokale B e w e g u n g e n v o n S a t e l l i t e n s y s t e m e n 10.1 Spin-Stabilisierung momentenfreier Satelliten 10.1.1 Die Lagedynamik momentenfreier Korper 10.1.2 Stabilitat und „Energy-Sink"-Prinzip 10.1.3 Stabilitat eines Kreisels mit beweglichen Teilen 10.2 Stabilisierung durch den Gravitationsgradienten 10.2.1 Gleichgewichtslagen des starren Korpers im Orbit 10.2.2 Stabilitat der relativen Gleichgewichtslagen 10.3 Das Zusammenwirken von Spin und Gravitationsmoment
245 246 246 250 251 258 259 261 266
A
Hantelsatelliten und Weltraumseile
271
B
Navigation im Weltraum
281
Literatur
289
Glossar
291
Index
293
Uber den Himmel
Warum ein Lehrbuch iiber Raumfahrt mit einem Kapitel iiber Astronomie anfangt? Irgendwie scheinen doch die beiden Wissenschaften ganz gegensatzlich: Hier die Raumfahrt als vieheicht gewaltigste Manifestation menschhchen Handelns, dort die Astronomie als Verkorperung des rein passiven Schauens und Staunens. Und trotzdem ist eine Beziehung uniibersehbar. Tatsachhch war die Beschaftigung mit den Sternen nie eine rein passive Angelegenheit, sondern meist begleitet von aherlei rituehen Praktiken und Kulten. Viele bedeutende historische Bauwerke wurden fiir kultische Zwecke, die astronomische Hintergriinde vermuten lassen, errichtet. Man denke nur an die groBen Pyramiden in Agypten und Mexiko oder an die Steinkreise von Stonehenge. All die Anstrengungen, die zum Bau dieser Monumente erforderlich gewesen sein miissen, sind zu einem gut en Teil auf die Faszination zuriickzufiihren, die vom „bestirnten Himmel iiber uns" (Kant) ausgeht. Ob der fiir unsere Zeit und Kultur charakteristische Drang, Raumfahrt zu betreiben, wohl ahnlich zu erklaren ist? Die okonomische Vernunft scheint jedenfalls nicht immer fiir den Gegenstand unseres Interesses zu sprechen (wenn man etwa an das Apollo-Programm denkt). Dass aber gerade die Mondlandungen, deren unmittelbarer Nutzen sich auf ein paar hundert Kilogramm Gesteinsbrocken beschrankte, zwei Milliarden Menschen vor die Fernsehgerate gelockt haben, beweist: Raumfahrt ist eben schlicht faszinierend, wie es ein bekannter Raumfahrer mit spitzen Ohren auszudriicken pflegt.
1.1 Gestalt und Grofie der Erde Im Grunde ist es vielfach iibertrieben, von Raumfahrt zu sprechen, kreisen doch die meisten Satelliten in Hohen von nur einigen hundert Kilometern iiber der Erdoberflache. Nur wenige Flugkorper haben bisher das Gravitationsfeld der Erde verlassen. Fiir die heutige Raumfahrt ist ganz eindeutig die Erde der wichtigste Bezugskorper, den wir daher etwas naher beschreiben wollen.
2
1 Uber den Himmel
Natiirlich ist die Sache langst entschieden: Unsere Erde ist - zumindest mit guter Naherung - eine Kugel. Wahrscheinlich entwickelte sich die Vorstellung einer kugelformigen Erde im Zuge geistiger Stromungen, die von den griechischen Philosophen Pythagoras und Parmenides seit dem 6. Jahrhundert V. Chr. ausgingen und im Denken Platos (428-348 v. Chr.) einen Hohepunkt fanden. Zunachst eher spekulativ begriindet - fiir Plato ist die Kugel die vollkommenste Form - wurde die Vermutung aber schon bald auch empirisch untermauert. Zum Beispiel durch die Beobachtung, dass der Rand des Erdschattens bei Mondfinsternissen, bei denen sich die Erde zwischen Sonne und Mond schiebt und dadurch das Nachtgestirn verdunkelt, stets kreisformig erscheint. Der alexandrinische Gelehrte Eratosthenes (ca. 284-202 v. Chr.) zeigte, dass zur gleichen Zeit zwei Objekte an unterschiedlichen Orten verschieden lange Schatten werfen - eine Beobachtung, die sich auf einer flachen Erde nicht gut erklaren lasst. Mit genial einfachen Methoden konnte Eratosthenes sogar den Erdumfang bis auf wenige hundert Kilometer genau berechnen. Abbildung 1.1 zeigt das Prinzip seiner Uberlegung: Wahrend zu einem bestimmten Zeitpunkt des Jahres die Sonnenstrahlen genau senkrecht in einen tiefen Brunnen in Syene (Agypten) fallen, wirft ein Obelisk im weiter nordlich gelegenen Alexandria einen Schatten, aus dem sich ein Sonnen-Einfallswinkel von etwa 7,14 Grad (gemessen von der Vertikalen) ermessen lasst. Wie man leicht einsieht, entspricht dieser Winkel gerade dem Offnungswinkel des auf der Erdoberflache liegenden Kreisbogens, der Syene mit Alexandria verbindet. Deshalb muss sich die Entfernung zwischen den beiden Orten zum Erdumfang so verhalten, wie jene 7,14 Grad zum vollen Kreisumfangswinkel von 360 Grad. Nach der Messung eines von Eratosthenes angeheuerten sportlichen Mannes, der die Strecke zwischen Syene und Alexandria mit moglichst gleichmaBigen Schritten abgehen sollte, waren beide Orte etwa 5000 Stadien (1 Stadion = 157,5 Meter) voneinander entfernt. Daraus errechnete Eratosthenes den Erdumfang zu 5000 x 360/7,14 = 252000 Stadien oder 39690 Kilometer. Der heute verwendete Wert ist 40074 km, was einem Radius von RE = 6378 x 10^ m entspricht. Dieser geophysikalische Parameter spielt in der erdnahen Raumfahrt eine zentrale Rolle. Leider geriet die grandiose Erkenntnis des Eratosthenes schon bald in Vergessenheit - andere, falsche Abschatzungen des Erdumfangs hielten sich dagegen hartnackig iiber mehr als 1500 Jahre. Nach dem Untergang Roms im 5. Jahrhundert, durch den ein GroBteil des eindrucksvollen astronomischen Wissens der Antike verloren ging, wurde die Erde zeitweise sogar wieder als Scheibe angesehen. Einer der einflussreichsten Denker des Friihmittelalters, Isidor von Sevilla (560-636), stellte sich die Erde als ein vom Ozean umschlossenes Rad vor [9]. (Bevor man nun aber iiber die scheinbare Unwissenheit von Mannern wie Isidor zu schmunzeln beginnt, sollte man sich einmal umhoren, wie viele Menschen eigentlich sachlich begriinden konnen, dass die Erde eine
1.1 Gestalt und GroBe der Erde
Sonnenstrahlen (parallel einfallend)
Brunnen in Syene
Erdmittelpunkt Erdoberflache Abbildung 1.1. Bestimmung des Erdumfanges nach Eratosthenes.
Kugel ist. Der irische Schriftsteller G. B. Shaw hat die Vermutung geauBert, dass der Durchschnittsmensch dazu nicht in der Lage sei. An eine runde Erde wird unter Berufung auf Autoritaten einfach „geglaubt". Shaw wollte damit zeigen, dass der moderne, „aufgeklarte" Mensch nicht weniger leichtglaubig ist als der mittelalterliche. In seinem Buch „Die zweite Aufklarung" hat uns Neil Postman an diesen interessanten Gedanken Shaws erinnert. [N. Postman: Die zweite Aufklarung, S. 212, Berlin Verlag, 1999]) Das Beispiel des Amerika-Entdeckers Kolumbus zeigt, dass selbst am Beginn der Friihen Neuzeit Eratosthenes' Berechnung unbekannt war. Kolumbus, sicherlich kein ungebildeter Mann, hatte auf der Grundlage einer Weltkarte des Florentiner Mathematikers Paolo del Pozzo Toscanelli (1397-1482) den Erdumfang grob unterschatzt und wahnte sich deshalb in Indien statt auf einem neuen Kontinent. Erst nach der ersten Weltumsegelung durch den Portugiesen Fernao de Magellan (ca. 1480-1521) waren die Vorstellungen iiber Gestalt und GroBe der Erde wieder einigermaBen klar. Zur Beschreibung eines Standortes auf der Erdoberflache verwendete man schon zu Kolumbus' Zeiten zwei Winkel: Die geographische Breite (j) und die geographische Lange A (Abbildung 1.2), die seit dem Aufstieg Englands zur Weltmacht von einem Bezugsmeridian durch den Londoner Vorort Greenwich gemessen wird. Diese Koordinaten sind der Struktur einer Kugeloberflache angepasst. In der Mathematik werden sie deshalb oft als Kugelkoordinaten bezeichnet. Doch die Erde weicht von der Form einer Kugel ab, nichts ist eben ganz perfekt. Da unser Planet kein starrer Korper ist, wird er durch die von seiner
1 Uber den Himmel Lokaler Meridian
Nordpol / Greenwich-Meridian
Naherungsellipsoid Abbildung 1.2. Definition von Ldnge und Breite eines Beobachterstandortes B.
Eigendrehung herriihrenden Tragheitskrafte eiformig deformiert, so dass die Polarregionen etwas abgeplattet erscheinen. Dieser Effekt wurde schon von Isaac Newton (1643-1727) vermutet und spater von Pierre Maupertuis (16981759), einem franzosischen Mathematiker, der unter Friedrich dem GroBen das Amt des Prasidenten der PreuBischen Akademie der Wissenschaften bekleidete, bestatigt und auch quantitativ bestimmt. Nach modernen Messungen betragt die Differenz zwischen dem Aquatorialdurchmesser (ca. 12756 km) und dem Pol-Abstand (ca. 12713 km) immerhin etwa 43 Kilometer. Dieser Wert liegt in der GroBenordnung der Hohenschwankungen der Erdkruste. Zum Vergleich: Der Hohenunterschied zwischen der tiefste Stelle im Ozean (MarianenGraben im Pazifik) und dem hochsten Gipfel (Mount Everest) betragt etwa 20 Kilometer. Natiirlich erhebt sich die Frage, was eigentlich unter der „Form" der Erde zu verstehen ist. Tatsachlich ist ja die Erdkruste unendlich kompliziert - man konnte sagen: fraktal - zerkliiftet. Eine viel glattere Gestalt ergibt sich jedoch, wenn man statt der materiellen Ausdehnung der Erde ihre Aquipotentialflachen, also Flachen gleicher Schwerkraft, betrachtet. Da sich die in einem beliebigen Punkt vorherrschende Schwerkraft aus einer Integration iiber alle Massenteile der Erde ergibt (siehe Kapitel 5), wird der Einfluss lokaler Massekonzentrationen wie Berge gewissermaBen geglattet. Zur Veranschaulichung einer Aquipotentialflache denke man sich die Erde mit einer Fliissigkeit bedeckt. Die Oberflache dieser Fliissigkeit wird genau die Form einer Aquipotentialflache annehmen, wenn man die Wirkung der von der Erdrotation ausgehenden Fliehkrafte und Anziehungskrafte anderer Gestirne auBer Acht lasst. Nun gibt es auf der Erde bekanntlich eine groBe Menge an Fliissigkeit, namlich Meere und Ozeane, die - obwohl sie die Erde nicht vollstandig be-
1.2 Erdbezogene Beobachtung von Himmelsvorgangen
5
decken - eine Referenz-Aquipotentialflache festlegen, die man gemeinhin als Geoid bezeichnet. Da dieses Geoid von der Gestalt einer Kugel abweicht, existieren mehrere Definitionen der Breite eines Standortes (Abbildung 1.2): •
•
•
Geozentrische Breite: Darunter versteht man den Winkel (/> zwischen der Aquatorialebene und der Geraden durch Erdmittelpunkt und Standort. Unter dem Erdmittelpunkt ist dabei der Massenmittelpunkt der Erde zu verstehen. Geoddtische oder Geographische Breite: So bezeichnet man den Winkel (I)" zwischen dem Aquator und der Normalen auf ein fiktives Ellipsoid, das die Form des Geoids mit guter Naherung wiedergibt. Astronomische Breite: Dies ist der Winkel (j)', den ein Lot in Meereshohe mit der Aquatorialebene einschlieBt. Der Unterschied zur geodatischen Breite erklart sich ganz einfach aus lokalen Abweichungen des Geoids vom Naherungsellipsoid.
Da die Erde nicht vollkommen rotationssymmetrisch ist, lassen sich ahnliche Unterscheidungen auch fiir die Lange A einfiihren. Obwohl diese Abweichungen sehr gering sind, haben sie doch Auswirkungen auf die Stabilitat von geostationaren Satelliten (siehe Kapitel 6). Wie sich die Form der Erde im Allgemeinen auf die Bahnen von Satelliten auswirkt, wird freilich noch eingehend zu untersuchen sein. Wem die feine Differenzierung zwischen geozentrischer, geodatischer und astronomischer Breite haarspalterisch erscheint, der sei auf die Bedeutung der modernen Standortbestimmung mit Hilfe von GPS-Satelliten verwiesen. Das GPS-System (GPS = Global Positioning System) ermoglicht die Feststellung eines Standortes auf der Erdoberflache mit einer Genauigkeit von wenigen Metern. Um Nutzen aus der hohen Prazision dieser satellitengestiitzten Messungen ziehen zu konnen, muss man definieren, durch welche der verschiedenen Breiten ein Punkt angegeben werden soil. Dabei ist auch zu beriicksichtigen, dass in den verschiedenen Landern der Welt unterschiedliche Naherungsellipsoide fiir das Geoid verwendet werden. In jedem Fall miissen die gemessenen Standortkoordinaten mit dem Raster der zur Verfiigung stehenden Land- und Seekarten kompatibel sein, wenn man sich auf die Messgenauigkeit des GPSSystems verlassen will.
1.2 Erdbezogene Beobachtung von Himmelsvorgangen Zur Beschreibung von Objekten am Himmel aus der Sicht eines Beobachters auf der Erde verwenden Astronomen lokale Horizontalsysteme, die durch Tangentialebenen an die Erdkugel definiert werden. Abbildung 1.3 zeigt ein Beispiel: Die Nord-Siid- und die West-Ost-Richtung im Punkt B spannen ein solches Koordinatensystem auf. Darauf bezogen geben das Azimut a und die Hohe 77 die Richtung an, in der ein Objekt am
1 Uber den Himmel Objekt
Zenit
Abbildung 1.3. Horizontalsystem eines Beobachters im Punkt B. Die Richtung zu einem Objekt wird durch die Hohe rj und das Azimut a bestimmt.
Himmel zu finden ist. Beide Winkel konnen sehr leicht mit Kompass und Sextant gemessen werden. Das Azimut markiert die Himmelsrichtung, die Hohe den Abstand zum Horizont. Falls j] = 90°, so steht das Objekt im Zenit, d. h. direkt iiber dem Beobachter. Alle Objekte unterhalb der lokalen Tangentialebene in B werden von der Erde verdeckt und bleiben fiir den dort befindlichen Beobachter unsichtbar. Genau genommen wird der sichtbare Bereich des Himmels von einem Kegel begrenzt, dessen Spitze in Aughohe des Beobachters liegt und dessen Mantel die Erde tangential umschlieBt. Da aber die Aughohe im Vergleich zum Erdradius immer sehr klein ist, betragt der Offnungswinkel dieses Kegels beinahe 180°. (In der astronomischen Navigation muss dies allerdings beriicksichtigt werden.) 1.2.1 B e o b a c h t u n g e n e r d n a h e r O b j e k t e Fiir die Beschreibung der Bahn eines erdnahen Satelliten ist ein lokales Horizontalsystem wie in Abbildung 1.3 natiirlich wenig geeignet. Trotzdem stellt sich - nicht zuletzt im Hinblick auf eine Kommunikation mit Bodenstationen - die Frage, wo und wann ein Satellit am Horizont auftaucht und wo und wann er wieder hinter diesem verschwindet. Abbildung 1.4 zeigt drei kreisformige Umlaufbahnen 5o, Si und ^2 in gleicher, geringer Hohe h iiber der Erdoberflache. Bezeichnet RE den Erdradius, so ergeben sich ihre Bahnradien zu RE + h. Alle drei Orbits liegen auf der in Abbildung 1.4 dargestellten Orbitalkugel, welche die Horizontalebene des Beobachters B im Orbitalhorizont schneidet. Oberhalb dieser Horizontalebene sind die Satelliten fiir den Beobachter sichtbar. Die Tragerebene (Orbitalebene) von So soil nun gerade durch den Beobachterstandort B gehen. Weil jede Orbitalebene stets den Erdmittelpunkt
1.2 Erdbezogene Beobachtung von Himmelsvorgangen Orbit von 5*0 Orbit von 5*1 Orbit von 5*2
Orbitalhorizont L
Orbitalkugel Orbit von 5*0 Abbildung 1.4. Zur Sichtbarkeit von Satelliten. Dargestellt sind drei niedrige Umlaufbahnen So, Si und 5*2. Das rechte Bild zeigt den senkrechten Blick auf die Orbitalebene von So. Auf dem gepunkteten Bahnabschnitt bleibt der Satelliten fur den Beobachter B unsichtbar.
enthalt, steht diese Bahnebene senkrecht auf den Orbitalhorizont (siehe Abbildung 1.4). Da sich Satelliten auf kreisformigen Orbits mit konstanter Geschwindigkeit bewegen, betragt die Zeitspanne, in der So sichtbar ist, TQ2-00/360°, wenn TQ die Umlaufzeit bezeichnet. Nach Abbildung 1.4 ergibt sich der Winkel I/JQ aus der Betrachtung des Dreiecks MBL zu cos-00
RE
(1.1)
RE + h'
Wie m a n sieht, hangt der fiir die Sichtbarkeit entscheidende Winkel ipo von der Flughohe h ab. Auf niedrigen Umlaufbahnen kreisende Objekte sind kiirzer sichtbar. Fiir ein Space-Shuttle in 300 km Hohe betragt zum Beispiel die Umlaufzeit To = 5430 s, und der Sichtbarkeitswinkel errechnet sich aus Formel (1.1) zu ipo = 17,23°. Demnach kann das Shuttle wahrend eines Umlaufs nur acht Minuten und vierzig Sekunden von einem festen Ort aus beobachtet werden. Man muss also schon sehr gut informiert sein, wenn m a n einen kiinstlichen Satelliten auf niedriger Umlaufbahn zu Gesicht bekommen will. Dabei beschreibt das eben betrachtete Beispiel noch den giinstigsten Fall. Fiir den zweiten Satelliten Si auf einer um den Winkel (j) gegen So geneigten Bahn verkiirzt sich namlich der Sichtbarkeitszeitraum auf
360°
mit
cos ip
cos-00
(1.2)
COS(
und wenn die Bahnneigung (p gar groBer als ipo ist, so erscheint der Satellit iiberhaupt nie iiber dem Horizont, wie das Beispiel von Orbit ^2 zeigt.
8
1 Uber den Himmel
Natiirlich ware eine Flugiiberwachung erdnaher Satelliten mit nur einer Bodenstation wegen des beschrankten Sichtbarkeitsbereichs vollig unzureichend. Um einen kontinuierlichen Funkkontakt zu gewahrleisten, muss man entweder iiber ein Netz von Bodenstationen verfiigen oder iiber Satelliten in groBeren Hohen kommunizieren. 1.2.2 Beobachtungen ferner Himmelsobjekte Dem aufmerksamen Leser wird vielleicht nicht entgangen sein, dass wir fiir Gl. (1.2) die Erddrehung vernachlassigt haben. Sie spielt bei niedrigen Orbits auch keine besonders groBe Rolle, da die Umlaufzeiten erdnaher Satelliten etwa bei 90 Minuten liegen, wahrend eine Erddrehung 24 Stunden dauert. An der scheinbaren Bewegung weit entfernter Himmelskorper, die ihre Position im Raum wahrend eines Tages kaum andern, lasst sich die Erdrotation jedoch sehr deutlich erkennen. Wie hangt nun die Wahrnehmung dieser Rotation durch einen Beobachter mit seinem geographischen Standort zusammen? Dazu zunachst zwei fundamentale Feststellungen, die Abbildung 1.5 verdeutlichen soh: Erstens entspricht der Winkel zwischen der Erdachse und der lokalen Horizontalebene gerade der geographischen Breite des Beobachters. Zweitens: Da der Erdradius im Vergleich zur Entfernung des nachsten Fixsterns (Alpha Centauri, Entfernung von der Erde etwa 4,2 Lichtjahre) verschwindend klein ist, kann man sich fiir die Beschreibung der scheinbaren Bewegung der Sterne im Laufe eines Tages die lokale Horizontalebene des Beobachters, die den sichtbaren Bereich des Firmaments vom unsichtbaren trennt, in den Erdmittelpunkt versetzt denken. Nun rotiert die lokale Horizontalebene und mit ihr der Beobachter um die Erdachse. Fiir einen irdischen Beobachter sieht dies so aus, als ob sich alle Himmelskorper, die man sich auf die Oberflache einer gewaltigen, die Erde umschlieBenden Himmelskugel angeheftet denken kann, einmal in 24 Stunden um eine im Winkel der geographischen Breite geneigte Achse drehen (Abbildung 1.6). Der Pol dieser Achse heiBt Himmelspol und ist durch die Hohe rj = (j) und durch das Azimut a = 0° bestimmt. Zufallig ist in dieser Richtung auch ein heller und leicht zu identifizierender Stern zu finden. Dieser Polarstern ist der einzige Stern, der stets am selben Punkt verweilt. Friiher war er den Seefahrern eine wichtige Orientierungshilfe, da man mit ihm nicht nur die Nordrichtung, sondern eben auch die geographische Breite ohne komplizierte Berechnungen und Tabellenwerke abschatzen kann. Alle anderen Sterne beschreiben Kreisbahnen um den Polarstern. Abbildung 1.6 zeigt eine solche Bahn: Der Stern erscheint zuerst in einem Punkt (L) im Osten iiber dem Horizont, kreuzt danach den Meridian des Beobachters und geht schlieBlich in einem westlichen Punkt (V) wieder unter. Aus Abbildung 1.6 geht auch hervor, dass Sterne, die nahe beim Polarstern liegen, genauer gesagt, Sterne, deren Winkelabstand zum Polarstern kleiner
1.2 Erdbezogene Beobachtung von Himmelsvorgangen zum Polarstern
lokale Horizontalebene
unsichtbar
Abbildung 1.5. Zur Erkldrung der Wahrnehmung der Erddrehung. Wegen der ungeheuren Entfernung der Fixsterne kann man sich die lokale Horizontalebene in den Erdm^ittelpunkt versetzt denken.
als (j) ist, iiberhaupt nie hinter dem Horizont verschwinden. Solche Sterne heiBen zirkumpolar. Das bekannteste Beispiel dafiir bilden die Sterne des Grofien Wagens oder Grofien Bdren. Der romische Dichter Ovid verkniipfte dieses Sternbild mit der Geschichte der schonen Prinzessin Kallisto, die von Zeus verfiihrt und daraufhin von dessen eifersiichtiger Gattin Hera in eine Barin verwandelt wurde. Als sich Arkas, der aus dem Seitensprung hervorgegangene Sohn Kallistos, anschickte, seine eigene Mutter in Unkenntnis ihres Schicksals zu erlegen, griff der oberste Gott ein und verwandelte Kallisto in ein Sternbild. Hera aber war iiber die Ehre dieser Versternung (Katasterismos) zutiefst verargert und sann auf Rache. SchlieBlich gelang es ihr, den Ozean zu iiberreden, Kallisto nicht in sich aufzunehmen. Seither kreist die arme Kallisto als zirkumpolares Sternbild ruhelos um den Himmelspol, ohne jemals untergehen zu konnen. Ob ein Stern zirkumpolar ist, hangt allerdings vom Beobachterstandort ab. Am Nordpol {(j) = 90°) erscheinen alle Sterne zirkumpolar, am Aquator (^(j) = 0°) keiner. Das Sternbild des groBen Baren ist zum Beispiel nur in geographischen Breiten iiber 40 Grad zirkumpolar. Hatte Ovid also nur ein wenig weiter siidlich gelebt - seine Heimat Rom liegt etwa am 42. Breitengrad -, wir waren heute wohl um einen schonen Mythos armer.
10
1 Uber den Himmel
UJE
Meridian
Himmelskugel
^\ Himmelsachse ; Nadir Abbildung 1.6. Scheinbare tdgliche Bewegung der Sterne.
1.2.3 Aquatoriale und ekliptikale Koordinaten Der uns umgebende Fixsternhimmel bildet fiir astronomische Beobachtungen ein Bezugssystem, das sich iiber Jahrtausende hinweg praktisch nicht verandert. Auch wenn sich das gesamte Firmament in 24 Stunden um den Polar stern zu drehen scheint, nehmen die Sterne, die wir heute am Nacht himmel beobachten konnen, relativ zueinander dieselbe Position ein wie schon zu Zeiten antiker Naturforscher. Dariiber hinaus bleibt die Gestalt der Sternbilder auch beim Wechsel des Beobachtungsortes gleich. Die Unveranderlichkeit des Sternenhimmels erklart sich aus der extrem groBen Zeitskala, die der Sterndynamik zugrunde liegt, und aus der ungeheuren Entfernung der einzelnen Sterne. Selbst der der Erde am nachsten gelegene Stern ist 4,2 Lichtjahre oder 3,97 x 10^^ km entfernt (1 Lichtjahr = 9,46 X 10^^ km). Zum Vergleich: Der Abstand unserer Sonne betragt „nur" 1,496 X 10^ km, das entspricht dem 265610. Teil dieser Strecke. Zur beobachterunabhangigen Beschreibung der Lage eines Himmelskorpers ware es sinnvoll, ein astronomisches Koordinatensystem einzufiihren, dessen Achsen stets auf dieselben Punkte des Fixsternhimmels weisen. Im Grunde
1.2 Erdbezogene Beobachtung von Himmelsvorgangen
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ist die Wahl dieser Achsen beliebig, doch bieten sich gewisse Richtungen in natiirlicher Weise an. Da j a die Erdachse immer auf denselben Stern, eben den Polarstern, zu weisen scheint, liegt es auf der Hand, sie als z-Achse zu definieren. Fiir die Orientierung der x- bzw. ^-Achse ist dann noch ein P u n k t auf dem Himmelsaquator festzulegen. In Abbildung 1.7 ist ein solches dquatoriales Koordinatensystem dargestellt. Die x-Achse geht hier durch den P u n k t Y auf dem Himmelsaquator, den m a n als Fruhlingspunkt bezeichnet. Wir werden gleich sehen, wie er zu diesem Namen kommt. Die Position eines Sterns relativ zur Himmelskugel kann nun durch die Rektaszension Q und durch die Deklination S beschrieben werden. Diese Winkel kann m a n fiir alle moglichen Himmelskorper messen und in Sternkatalogen gesammelt aufzeichnen.
Himmelsachse Abbildung 1.7. Aquatoriale Koordinaten eines Himmelskorpers. Die Position nes Sterns relativ zur Himmelskugel wird durch die Rektaszension Q und durch i Deklination 5 beschrieben.
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1 Uber den Himmel
Sternkataloge wurden schon von antiken Astronomen erstellt. Am bekanntesten ist eine Liste iiber 850 Sterne von Hipparchos von Nikaa (ca. 190120 V. Chr.), dem groBten Astronomen des Altertums [7]. Allerdings ist es seit den Anfangen astronomischer Beobachtungen bekannt, dass sich ein paar Himmelskorper gegen den Sternenhimmel zu bewegen scheinen und somit keine festen Aquatorialkoordinaten haben. Mit freiem Auge kann man - abgesehen von Spezialerscheinungen wie Kometen, Sternschnuppen, etc. - im Wesentlichen sieben solche Korper zahlen: Sonne, Mond sowie die Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Die Erklarung der seltsamen Bewegungen dieser „ Wandelsterne" sollte Generationen von Naturforschern beschaftigen (siehe Abschnitt 1.4). Am wichtigsten ist natiirlich, wie die Sonne ihre Position gegeniiber dem Fixsternhimmel im Laufe eines Jahres verandert. Da sie am Tag alle Sterne iiberstrahlt, sehen wir als Folge dieser Wanderung am Nachthimmel im Winter andere Sterne als im Sommer. Die genaue Bahn der Sonne relativ zum Fixsternhimmel verdeutlicht Abbildung 1.8. Wie man sieht, bewegt sich die Sonne wahrend eines Jahres auf einem Kreis, genauer gesagt auf einem GroBkreis, rund um die Himmelskugel. Die Tragerebene dieses Kreises heiBt Ekliptik . Sie ist gegen den Himmelsaquator um einen Winkel von 23,5 Grad geneigt. Natiirlich wissen wir, dass es sich bei dieser Bewegung um eine „Tauschung" handelt, in Wirklichkeit dreht sich bekanntermaBen die Erde um die Sonne. Wir werden die wahren Zusammenhange im nachsten Abschnitt auch naher diskutieren. An dieser Stelle wollen wir uns aber auf die Wahrnehmungen auf der Erde konzentrieren. Deutlich zu erkennen ist (s. Abbildung 1.8), dass sich die unterschiedlichen Positionen der Sonne wahrend eines Jahres auf die Lange des Tages auswirken. Im Sommer, wenn die Sonne in der nordlichen Halfte der Himmelskugel steht, sind die Tage langer als im Winter, wo sie sich in der siidlichen Hemisphare aufhalt (vgl. tagliche Sonnenbahnen im Winter und Sommer in Abbildung 1.8). Wenn die Sonne hingegen im Punkt Y den Himmelsaquator kreuzt, dann sind Tag und Nacht genau gleich lang, da in diesem Fall die tagliche Sonnenbahn mit dem Aquator zusammenfallt. Den beiden Schnittpunkten zwischen Himmelsaquator und Ekliptik kommt also groBe Bedeutung zu, weshalb sie auch zur Festlegung der x-Achse des aquatorialen Koordinatensystems dienen. Nun wird auch die schon erwahnte Bezeichnung „Fruhlingspunkt" klar: Das Erscheinen der Sonne in diesem Punkt der Himmelskugel markiert das Ereignis der Tagundnachtgleiche zu Friihlingsbeginn am 21. Marz. Manchmal ist es einfacher, anstelle des aquatorialen Koordinatensystems ein ekliptikales Bezugssystem zu verwenden, wie es in Abbildung 1.9 dargestellt ist. Die z-Achse geht durch den Ekliptikpol, den Punkt senkrecht iiber dem Mittelpunkt der Ekliptik. Die x-Achse weist wieder zum Friihlingspunkt. Am einfachsten erhalt man das ekliptikale System durch Drehung des aquatorialen Systems um 23,5 Grad um die x-Achse. Durch Angabe der ekliptikalen Ldnge
1.2 Erdbezogene Beobachtung von Himmelsvorgangen
13
Ekliptik
Himmelsaquator VE
tagliche Sonnenbahn im Sommerhalbjahr tagliche Sonnenbahn im Winterhalbjahr
Himmelskugel
Abbildung 1.8. Jdhrliche Bewegung der Sonne relativ zum Fixsternhimmel. Die dicken Linien sind m^it der Him^m^elskugel fest verhunden, die in 24 Stunden um. den Beobachter zu rotieren scheint. Im Sommerhalbjahr ist die Sonne tdglich Idnger sichtbar als im. Winterhalbjahr. (Vgl. die Ldngen der Bogen Li- Vi und L2-V2.)
i?e und der ekliptikalen Breite Se kann m a n wieder die Position eines Sterns bestimmen. Ekliptikale Koordinaten konnen mit Hilfe folgender Formeln in aquatoriale umgerechnet werden: sin Se = — sin i? cos (5 sin e + cos s sin 5 cos i?e = cos i? cos S/ COS Se
(1.3)
sin i?e = (sin i? cos S cos e + sin e sin S) / cos Se Darin ist s = 23,5° der Winkel zwischen der Aquatorialebene und der Ekliptik. (Man beachte, dass zur Einordnung der Lange i?e in den richtigen Quadranten sowohl der Sinus als auch der Kosinus berechnet werden miissen.) Besonders einfach sind die ekliptikalen Koordinaten der Sonne. Ihre ekliptikale Breite ist stets null, wahrend die Lange i?e im Laufe eines Jahres alle Werte von null bis 360 Grad durchlauft. Der zum Sonnenmittelpunkt zeigende Einheitsvektor e^ - wir wollen ihn kurz Sonnenvektor nennen - hat daher im ekliptikalen Bezugssystem die kartesischen Koordinaten (cos i?e(^), sin i?e(^), 0), wobei i?e(^) die ekliptikale Lange zur Zeit t bezeichnet. Wie diese letztlich zu
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1 Uber den Himmel Ekliptik
ys Himmelsaquator VE
Abbildung 1.9. Ekliptikale Koordinaten eines Himmelskorpers. Die Position eines Sterns relativ zur Himmelskugel wird durch die ekliptikale Ldnge Qe und durch die ekliptikale Breite 5e beschrieben.
bestimmen ist, sollte nach dem Studium von Kapitel 3 dieses Buches verstandlich sein. (Nur so viel sei vorausgeschickt: f2e{t) entspricht der wahren Anomalie der Erde auf ihrer Bahn um die Sonne plus einer Konstanten, die den Winkel zwischen Perigeum und Friihlingspunkt beschreibt.)
1.3 Erweiterte Betrachtung von Himmelsvorgangen in solarem Mafistab Bei der Beschreibung eines Satellitenorbits ist natiirlich nicht nur die Richt u n g interessant, in der ein Raumfahrzeug am Himmel zu finden ist, sondern auch seine Entfernung vom Erdmittelpunkt. Dies ist ein Aspekt, den wir mit den bisher diskutierten aquatorialen, ekliptikalen und lokalen (horizontalen) Koordinaten nicht erfasst haben. AuBerdem ist es weitaus einfacher, die Bewegungsgleichungen eines Himmelskorpers (egal, ob natiirlicher oder kiinstlicher Herkunft) zunachst in kartesischen Koordinaten anzuschreiben. Wir werden uns daher von der Froschperspektive des irdischen Beobachters losen und uns nach geeigneten Koordinatensystemen fiir eine spatere Betrachtungsweise von Himmelsvorgangen auf der Basis der Newtonschen Mechanik umsehen miissen.
1.3 Erweiterte Betrachtung in solarem MaBstab
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Abgesehen von der Anfangsgeschwindigkeit beim Abheben vom Boden hat die Eigendrehnng der Erde im Prinzip keinen Einflnss anf die Dynamik von Ranmfahrzengen, da sich die Ranmfahrt anders als die Lnftfahrt im Wesentlichen anBerhalb der Atmosphare abspielt. (Eine geringfiigige Answirknng atmospharischer Krafte anf niedrig fliegende Satelliten werden wir allerdings in Kapitel 5 nntersnchen.) Daher ist es nahe liegend, zur Darstellung der Bahnen kiinstlicher Erdtrabanten ein geozentrisches, aher nichtrotierendes Bezugssystem kE zu verwenden. Zwar sitzt der Ursprung dieses Bezugssystems im Erdmittelpunkt, doch sind seine Achsen mit der Erde nicht fest verbunden, sondern weisen in raumfeste Richtungen. Wenn wir uns weiter von der Erde entfernen, so werden wir allerdings mit einem geozentrischen Bezugssystem Schwierigkeiten bekommen. Da die Dynamik eines interplanetaren Raumfahrzeuges iiber weite Strecken von der Sonne bestimmt wird, miissen wir auf ein heliozentrisches Bezugssystem ks, also auf ein Bezugssystem im Sonnenmittelpunkt, iibergehen. 1.3.1 Geozentrische und heliozentrische Bezugssysteme Den Ausgangspunkt fiir die Konstruktion eines heliozentrischen Bezugssystems bildet die Bahn, auf der die Erde um die Sonne kreist (Abbildung 1.10). Diese Bahn liegt in einer Ebene, die man als Ekliptik bezeichnet. Da sich ihre Lage im Raum mehr oder weniger nicht andert, kann man als z-Achse des heliozentrischen Systems die Normale auf die Ekliptik wahlen. Betrachten wir nun die Bewegung der Erde genauer. Abbildung 1.10 zeigt, dass die Erdachse gegen die zs'-Achse zwar geneigt ist, aber wahrend der jahrlichen Bewegung um die Sonne nur parallel verschoben wird und deshalb stets zum gleichen (weit entfernten) Stern weist. Dies deckt sich mit der Beobachtung, dass sich die Lage des Himmelspols relativ zum Fixsternhimmel nicht andert. Da der Abstand zum Polarstern im Vergleich zum Durchmesser der Erdbahn enorm groB ist, erscheint er praktisch immer genau im Himmelspol. Wegen der Schragstellung der Erdachse gegeniiber der Normalen auf die Ekliptik - der Winkel betragt etwa 23,5 Grad - schneiden sich die Aquatorialebene und die Ekliptik entlang einer Geraden, die wie die Erdachse im Zuge der jahrlichen Erdbewegung parallel verschoben wird. Die Richtung dieser Geraden kann zur Definition einer zweiten Achse des heliozentrischen Bezugssystems herangezogen werden, da sie natiirlich auch senkrecht auf die bereits festgelegte 2:5-Achse steht. In Abbildung 1.10 wurde diese Achse mit xs bezeichnet. Die verbleibende ^5-Achse ergibt sich einfach durch Vervollstandigung von ks zu einem rechtssinnigen Dreibein. In Abbildung 1.10 ist auch ein nichtrotierendes, geozentrisches Bezugssystem kE dargestellt. Man erhalt es einfach, indem man ks in den Erdmittelpunkt parallel verschiebt und anschlieBend um die x-Achse um 23,5 Grad dreht, so dass die z^;-Achse mit der Erdachse zusammenfallt. Obwohl sich sein Ursprung bewegt, bleibt die Orientierung dieses geozentrischen Systems gegen
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1 Uber den Himmel
Aquatorialebene VE
Abbildung 1.10. Heliozentrisches Bezugssystem ks und geozentrisches, nichtrotierendes Bezugssystem ks- Die Schnittgerade g zwischen Ekliptik und Aquatorialebene wird wie die Erdachse im Zuge der jdhrlichen Erdbewegung parallel verschoben.
ks erhalten. Die Erde rotiert darin um die 2:£;-Achse. Wie schon erwahnt, werden die Orbits von E r d t r a b a n t e n in einem solchen Bezugssystem beschrieben. Dem Leser wird vielleicht nicht entgangen sein, dass fiir die Bezeichnung der hier vorgestellten heliozentrischen und geozentrischen Koordinatensysteme dieselben Symbole wie fiir die im vorigen Abschnitt diskutierten ekhptikalen und aquatorialen Systeme verwendet wurden. Tatsachlich stimmen zumindest die raumlichen Orientierungen ihrer Achsen iiberein. Allerdings haben wir im vorigen Abschnitt alle Beobachtungen auf den Erdmittelpunkt bezogen, mit dem Argument, dass die Entfernung eines irdischen Beobachters vom Ermittelpunkt verschwindend klein ist im Vergleich zu den Entfernungen der Himmelskorper. Im Sinne einer heliozentrischen Betrachtungsweise miisste - wie wir eben gesehen haben - das ekliptikale Bezugssystem in den Sonnenmittelpunkt gesetzt werden. Fiir die Beschreibung von Fixsternpositionen ergabe sich dadurch aber nur ein unwesentlicher Unterschied. Hingegen vereinfacht die heliozentrische Betrachtungsweise die Beschreibung der Planetenbewegung erheblich.
1.3 Erweiterte Betrachtung in solarem MaBstab
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1.3.2 Zur E n t s t e h u n g d e r J a h r e s z e i t e n Die Parallelverschiebung der schragen Erdachse wahrend des Umlaufs um die Sonne ist auch fiir die Entstehung der Jahreszeiten ver ant wort hch. In unserem hehozentrischen Koordinatensystem aus Abbildung 1.10 markieren die Schnittpunkte zwischen den Koordinatenachsen und der E r d b a h n jeweils den Beginn einer neuen Jahreszeit.
Abbildung 1.11. Zur Entstehung der Jahreszeiten. Das Bild zeigt die TagNachtgrenze zu verschiedenen Zeitpunkten des Jahres. Zusdtzlich sind Ansichten dargestellt, in denen die Tag-Nachtgrenze senkrecht auf die Bildehene steht (kleinere Bilder der Erde). Am. 21. Mdrz und am. 23. Septem^ber sind Tag und Nacht uberall gleich lang (Aquinoktium). Auf der Nordhalbkugel ist der 21. Juni der Idngste Tag und der 22. Dezem^ber der kiirzeste. Um^gekehrtes gilt fiir die Sudhalbkugel.
Zu Herbstbeginn am 23. September erreicht die Erde den P u n k t ys = 0, Xg > 0. Mit ein wenig Phantasie kann m a n sich vorstehen, dass in dieser Stehung die Tag-Nachtgrenze, also die Grenzlinie zwischen dem beleuchteten und dem unbeleuchteten Teilen der Erde, genau durch die beiden Pole geht
18
1 Uber den Himmel
(s. Abbildung 1.11). Dies hat zur Folge, dass jeder Breitenkreis genau zur einen Halfte im Sonnenlicht und zur anderen Halfte im beschatteten Bereich liegt. Wenn wir uns nun die tagliche Rotation der Erde dazudenken, so wird klar, dass in dieser Konstellation jeder Punkt der Erde gleich lang im Licht wie im Schatten verweilt. Es herrscht Tagundnachtgleiche oder Aquinoktium. Doch die Erde verbleibt nicht ewig in diesem Punkt. Bis zum Winterbeginn am 22. Dezember bewegt sie sich an die Stelle xs = O^ys > 0. Nun geht die Tag-Nachtgrenze langst nicht mehr durch die beiden Pole; ein groBer Teil der Nordhalbkugel liegt jetzt im Dunkeln, dafiir wird die Siidhalbkugel besser beleuchtet. In Abbildung 1.11 soil dies durch die kleine Darstellung der Erde unter der Konstellation am 22. Dezember verdeutlicht werden. Darin erscheint die Tag-Nachtgrenze senkrecht zur Bildebene, so dass man erkennen kann, wie die Breitenkreise der Nordhalbkugel weniger Licht abbekommen als die der Siidhalbkugel. Die Regionen um den Nordpol bleiben wahrend der taglichen Drehung der Erde sogar immer im beschatteten Bereich. Dieses Phanomen ist als Polarnacht bekannt. Bis zu Friihjahrsbeginn am 21. Marz begibt sich die Erde jedoch weiter in den Punkt ^5 = 0, Xg < 0, wo wieder iiberall Tagundnachtgleiche herrscht. SchlieBlich steht die Erde am 21. Juni im Punkt x^ = 0, ^^ < 0, in dem die Nordhalbkugel mehr Licht abbekommt als die Siidhalbkugel. 1.3.3 Ein „Beweis" fur das heliozentrische Weltbild Das heliozentrische Weltbild ist keineswegs eine Erfindung der Neuzeit. Der griechische Gelehrte Aristarch von Samos (ca. 310-230 v. Chr.) vertrat bereits in der Antike die Ansicht, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Leider sind uns kaum Schriften von ihm iiberliefert, so dass wir auf die Zeugnisse seiner Zeitgenossen angewiesen sind, wenn wir etwas iiber seine Theorie erfahren wollen. Eine Schrift jedoch, Uber die Grofie und Entfernung der Sonne und des Mondes, ist erhalten geblieben und gibt uns wertvolle Hinweise, wie Aristarch seine Lehre begriindet haben konnte. Auch wenn sein Einfluss auf die nachfolgende Astronomic eher gering war, lohnt es sich, diese iiberaus klare und einleuchtende Darlegung nachzuvollziehen. Jeder, der sein Antlitz hin und wieder zum Himmel wendet, wird bestatigen konnen, dass man den Mond haufig auch am Tage sehr deutlich sehen kann. Giinstige Bedingungen fiir solche Beobachtungen finden sich besonders bei Halbmond. Aristarch war nun aufgefallen, dass der Winkel zwischen den Peilstrahlen zur Sonne und zum Halbmond beinahe ein rechter ist. Es ist ganz leicht, dies an einem klaren Tag zu iiberpriifen. Man visiere die beiden Himmelskorper mit ausgestreckten Armen an und betrachte den Winkel, den die beiden Arme dann einschlieBen. Man wird sehen: Es sind ungefahr 90 Grad. Daraus kann man Folgendes schlieBen: 1. Halbmond wird auf der Erde beobachtet, wenn der Winkel zwischen den Linien Erde-Mond und Mond-Sonne genau ein rechter ist. Abbildung 1.12
1.3 Erweiterte Betrachtung in solarem MaBstab
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soil dies verdeutlichen. Nun ist auch der Winkel 7 zwischen den Peilstrahlen Erde-Mond und Erde-Sonne beinahe ein rechter. Dies ist aber nur moglich, wenn der Mond sehr viel naher bei der Erde liegt als die Sonne. 2. Da Mond und Sonne aus unserer Perspektive fast gleich groB erscheinen, muss der viel weiter entfernte Korper, also die Sonne, in Wirklichkeit weitaus groBer sein als der nahere Mond. 3. Wenn nun die Sonne viel groBer als der Mond ist, dann wird sie auch die Erde an Umfang bei weitem iibertreffen. Denn wir wissen von Beobachtungen des Erdschattens bei Mondfinsternissen, dass der Erddurchmesser nur etwa das 2,5-fache des Monddurchmessers betragt. 4. Die Erde muss also viel kleiner als die Sonne sein. Ist es dann aber nicht nahe liegend, anzunehmen, dass sich das Kleinere um das GroBere dreht als umgekehrt? Aristarch gibt sogar konkrete numerische Werte fiir GroBen und Entfernungen von Mond und Sonne an. Allerdings scheitert eine genaue Berechnung am schleifenden Schnitt der Linien Erde-Sonne und Mond-Sonne fiir Winkel 7 nahe 90 Grad (siehe Abbildungl.l2). Ein geringer Messfehler bei der Bestimmung von 7 flihrt zu deutlich falschen Ergebnissen. Im Ubrigen wurde Aristarch von Samos wegen seiner astronomischen Theorie der Gottlosigkeit angeklagt. Nach der Uberlieferung Plutarchs von Chaironeia (1. Jhd. n. Chr.) hatte ihm ein stoischer Philosoph namens Kleanthes von Assos vorgeworfen, den Herd der Gottin Hestia verriickt zu haben [7]. Sonnenstrahlen
Sonne
Abbildung 1.12. Zur Herleitung der Entfernung von Sonne und Mond aus der Beobachtung des Winkels zwischen den Himmelskorpern bei Halbm^ond. Der Winkel 7 zwischen den Peilstrahlen zur Sonne und zum. Halbm^ond ist beinahe ein rechter, so dass ds ^ du -
Die Etablierung des heliozentrischen Weltbildes war ein historisch ziemliche komplexer Prozess, den in alien Details nachzuerzahlen hier unmoglich ist. Im Allgemeinen wird die Vorstellung, die Sonne stehe im Mittelpunkt des Universums, mit dem polnischen Astronomen und Humanisten Nikolaus Kopernikus (1473-1543) in Verbindung gebracht. Tatsachlich hatte Kopernikus in einer Zeit, als in der europaischen Gelehrtenwelt, vor allem im Umfeld
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1 Uber den Himmel
der Wiener Universitat, ein neues Interesse fiir Astronomie erwachte [7], eine heliozentrische Theorie entwickelt, die einige Probleme des alteren geozentrischen Weltmodells von Klaudios Ptolemaios (ca. 100-178) loste und dariiber hinaus auch relativ genaue Vorausberechnungen zulieB. Kopernikus Theorie wurde zunachst keineswegs als kulturelle Bedrohung empfunden. Sie wurde natiirlich wie jede neue wissenschaftliche Arbeit kritisiert, fand aber auch schon bald begeisterte Anhanger. Der groBe Streit um das heliozentrische Weltbild entziindete sich erst im Laufe der Gegenreformation, wahrend der sich in der katholischen Kirche fundamentalistische Tendenzen verstarkten. Eine der herausragenden intellektuellen Tiefpunkte dieser Zeit war die Edition des Index Ubrorum prohibitorum, einer Liste von der katholischen Orthodoxie verbotener Biicher, auf der auch Kopernikus' Hauptwerk De Revolutionibus orbium coelestium schon bald landete (und von der es erst im Jahr 1835 wieder gestrichen wurde). Anhanger der neuen Lehre wie Galileo Galilei (1564-1642) wurden zum Abschworen gezwungen und mit Publikationsverboten belegt. Besonders schlecht erging es dem Theologen und Mystiker Giordano Bruno (1548-1600), der wegen seines Eintretens fiir die kopernikanischen Theorien sogar auf dem Scheiterhaufen endete. Doch langfristig endete die Auseinandersetzung um den Heliozentrismus fiir die katholische Kirche mit einer katastrophalen geistigen Niederlage und dem Verlust jeglicher Autoritat in wissenschaftlichen Fragen. Die kulturgeschichtlichen Folgen dieses Niedergangs lassen sich kaum ermessen. Dass wissenschaftliche Forschung letztlich doch eines ethischen oder, wenn man will, religiosen Regulativs bedarf, wurde erst nach der schrecklichen Erfahrung der Atombombe wieder deutlich. Ob allerdings die verspatete Rehabilitierung Galileis durch Papst Johannes Paul II. am 31. Oktober 1992 dazu irgendetwas beigetragen hat, sei dahingestellt.
1.4 Die Keplerschen Planetengesetze Seit der Antike gait die Erklarung und Vorausberechnung der Bewegungen der „Wandelsterne" oder Planeten als eine der groBten astronomischen Herausforderungen. Aus irdischer Perspektive sieht es namlich so aus, als ob die Planeten relativ zum Fixsternhimmel auBerst seltsame Tanze ausfiihrten. Die unteren Planeten Merkur und Venus scheinen der jahrlichen Bewegung der Sonne zu folgen und dabei um diese hin und her zu pendeln, wahrend die oberen Planeten Mars, Jupiter und Saturn langsam iiber das Firmament dahinziehen, dabei aber immer wieder stehen bleiben, umkehren und eine Zeit lang riickwarts laufen, ehe sie erneut die Richtung andern. Mit den Theorien von Ptolemaios, der von einem geozentrischen Weltbild ausging, und Kopernikus, der einen Heliozentrismus vertrat, waren zwar schon brauchbare Vorausberechnungen dieser Bewegungen moglich, die aber doch Ungenauigkeiten aufwiesen, die in mit Instrumenten des 16. Jahrhunderts bereits messbaren Bereichen lagen. Zudem war der mathematische Aufwand die-
1.4 Die Keplerschen Planetengesetze
21
ser Theorien enorm. Im Wesentlichen wurde versucht, die Planetenbahnen aus Uberlagerungen von Kreisbewegungen, die als vollkommen angesehen wurden, zu erklaren. Auch das kopernikanische Welt system, das zwar eine gewisse Vereinfachung mit sich brachte, konnte die Zahl der Kreise nicht reduzieren, die zur „Rettung" der Erscheinungen erforderlich waren. Die katholische Kirche und mit ihr viele Gelehrte betrachteten die Frage, welche der Theorien die korrekte sei, fiir schlicht unbeantwortbar. Die „wahre Bewegung" der Planeten wiirde letztlich nicht erkennbar sein. Der deutsche Astronom und Mathematiker Johannes Kepler (1571-1630) vertrat jedoch eine andere Auffassung. Als iiberzeugter Kopernikaner stand fiir ihn die Wahrheit der heliozentrischen Lehre auBer Frage. Kepler gelang schlieBlich eine mathematische Beschreibung der Planetenbewegungen durch drei einfache Gesetze, die er aus Beobachtungen herleiteten konnte. Seine Vorausberechnungen, die er in den seinem Dienstherrn Kaiser Rudolph II. gewidmeten Rudolphinischen Tabellen zusammenfasste, zeichneten sich durch eine nie da gewesene Prazision aus, die iiber die Richtigkeit seiner Annahmen keinen Zweifel mehr zulieB. Die Keplerschen Planetengesetze, denen wir in der Orbitalmechanik immer wieder begegnen werden, bilden schlieBlich auch die Grundlage der Newtonschen Bewegungslehre, ohne die jede Weltraumtechnik undenkbar ware. Sie lauten: 1. Keplersches Gesetz: Die Planeten umlaufen die Sonne auf elliptischen Bahnen. In einem der Brennpunkte dieser Ellipsen hefindet sich die Sonne. 2. Keplersches Gesetz: Die Linie von der Sonne zu einem Planeten ilberstreicht in gleichen Zeiten gleiche Fldchen. 3. Keplersches Gesetz: Die Quadrate der Umlaufzeiten zweier Planeten verhalten sich zueinander so wie die Kuhen der grofien Halhachsen ihrer Bahnellipsen. Wegen ihrer iiberragenden Bedeutung fiir die Himmelsmechanik wollen wir den mathematischen Gehalt dieser Aussagen etwas naher betrachten. 1.4.1 Das erste Keplersche Gesetz Nach dem ersten Gesetz bewegen sich die Planeten auf elliptischen Bahnen um die Sonne. Kepler bricht darin mit dem zweitausend Jahre alten Paradigma, dass himmlische Korper aus Griinden der Vollkommenheit nur Kreisbewegungen ausfiihren konnen. (Dass sich Planeten auf ovalen Umlaufbahnen bewegen konnten, wurde allerdings schon vor Kepler behauptet. Der arabische Gelehrte Al-Zarkali (1029-1087) nahm bereits im 11. Jahrhundert einen ovalen Deferenten fiir den Planeten Merkur an, um dessen unregelmaBige Bewegungen zu erklaren. Durch den groBen Mathematiker und Astronomen Georg von Peuerbach (1423-1461) wurde diese Theorie auch im Abendland verbreitet. Auch Johannes Kepler war sie bekannt. Es ware jedoch iibertrieben, von einer direkten Beeinflussung Keplers durch Al-Zarkali auszugehen.)
22
1 Uber den Himmel
Wir miissen also zunachst die Geometrie von Ellipsen naher untersuchen. Als konstituierendes Merkmal dieser Kurven kommen mehrere geometrische Eigenschaft en in Frage: •
•
•
Die Menge aller Punkte, deren Abstande ri und r2 von zwei gegebenen Punkten Fi und F2 in Summe einen festen Wert annehmen, bilden eine Ellipse. Es gilt: r i + r 2 = 2a. Fi und F2 heiBen Brennpunkte, ihre Abstande vom Mittelpunkt der Ellipse wollen wir mit / bezeichnen (Abbildung 1.13). Eine Ellipse erhalt man auch, wenn man einen Kreis mit dem Radius a um einen konstanten Faktor h/a in einer Richtung staucht (Abbildung 1.13). Die Lange h heiBt kleine Halbachse, a groBe Halbachse . Bezeichnen y den Abstand eines beliebigen Ellipsenpunktes von der groBen Halbachse und y den Abstand des dariiber liegenden Punktes auf dem Hilfskreis mit Radius a, so gilt y/y = h/a. Schneidet man einen Kegel mit einer Ebene, die mit der Kegelachse einen Winkel a einschlieBt, der groBer als der Kegeloffnungswinkel e ist, so ergeben sich elliptische Schnittkurven (Abbildung 1.14). Die erste Erorterung iiber Kegelschnitte geht auf Apollonios von Perge (ca. 240-170 v. Chr.), einen Schiller Euklids, zuriick. Sein Hauptwerk Konika (= Schnitte) beeinflusste Isaac Newton sehr stark. Fiir die Astronomic war Apollonius im Ubrigen auch als Begriinder der - von Ptolemaios vollendeten - Epizykeltheorie, nach der sich die Bahnen der Planeten aus iiberlagerten Kreisbewegungen zusammensetzen, von groBer Bedeutung.
Wir wollen uns hier nicht mit Beweisen dieser Eigenschaften aufhalten. Wer SpaB daran findet, kann ja versuchen, jeweils eine der Eigenschaften vorzugeben und dann die ubrigen daraus abzuleiten. Neben den GroBen a, b und / sind auch noch die Exzentrizitat e = f/a und der Halbparameter p, der als Normalabstand des Ellipsenpunktes direkt unter dem Brennpunkt von der groBen Halbachse definiert ist, von Bedeutung. Aus Abbildung 1.13 folgt p = o? — iP' und daraus wiederum
P=-\A^^7^=-. a
(1.4)
a
Ferner sieht man, dass
.'=£--f^V. a2
(-)
Die zwischen 0 und 1 liegende Exzentrizitat e ist als MaB fiir die „Schlankheit" der Ellipse anzusehen. Fiir e = 0 erhalt man als Spezialfall den Kreis. Der Fall e = 1 tritt dagegen fiir 6 = 0 auf, wobei die Ellipse zu einer Strecke degeneriert. Nun fehlt uns noch eine Gleichung, also eine analytische Beschreibung der Punkte einer Ellipse. Wir wollen sie aus der Eigenschaft herleiten, nach der sich Ellipsen als ebene Kegelschnitte ergeben. Abbildung 1.14 zeigt einen Kegel, der durch eine Ebene, die gegen die Kegelachse um den Winkel a geneigt ist, geschnitten wird. Der Offnungswinkel
1.4 Die Keplerschen Planetengesetze
23
Hilfskreis
Abbildung 1.13. Die grundlegenden Eigenschaften der Ellipse
des Kegels sei s. Zur besseren Orientierung sind verschiedene Ansichten dargestellt. Dem Kegel konnen wir eine Kugel einschreiben, welche die Schnittebene in einem Punkt F und den Kegel entlang eines Breitenkreises tangential beriihrt. Aus Symmetriegriinden muss F auf der Symmetriegeraden der Schnittkurve liegen. Die Normale auf die Symmetriegerade durch F schneidet die Kegelschnittkurve im Punkt Q. P bezeichne ferner einen beliebigen Punkt der Kegelschnittkurve. Die Linie F—P ist gegen die Symmetriegeraden um einen Winkel 0 geneigt, der Abstand zwischen F und P sei r. Dariiber hinaus seien s und SQ die Abstande der Punkte P und Q vom Beriihrkreis der eingeschriebenen Kugel, gemessen entlang der Kegel-Mantellinien durch P und Q. Die GroBen r, 0 und s hangen vom Punkt P der Schnittkurve ab. Wenn wir auf der Schnittkurve entlangwandern, d. h. wenn wir den Winkel 0 verandern, dann andern sich auch r und s. Mathematisch interessiert vor allem die Funktion r = r(^), durch die die Geometrie der Kegelschnittkurve beschrieben wird.
24
1 Uber den Himmel
unverzerrte Schnittkurve Abbildung 1.14. Zur Herleitung der EUipsengleichung in Polarkoordinaten aus der konstituierenden Eigenschaft, nach der sich Ellipsen als ebene Kegelschnitte ergeben.
Aus den schattierten Dreiecken der linken oberen Ansicht, in der die Schnittebene projizierend erscheint, kann m a n zunachst folgende Beziehung ablesen: {SQ — s)co8s = rcosOcosa . (1.6) Weiters geht aus der perspektivischen Darstehung auf der rechten Bildhalfte hervor, dass Damit kann in (1.6) s durch r ersetzt und daraus folgender Zusammenhang zwischen r und 0 abgeleitet werden: ^0
^V^) ~
COS a
1+
COS 0
p 1 + e cos t
(1.7)
cose
Darin ist p = FQ = SQ und e = cos a / c o s e . Der P a r a m e t e r e entspricht der Exzentrizitat und p dem Halbparameter der ehiptischen Schnittkurve.
1.4 Die Keplerschen Planetengesetze
25
Dariiber hinaus zeigt sich, dass der Beriihrpunkt F im Brennpunkt der Schnittellipse liegt. Gl. (1.7) wird uns in den folgenden Kapiteln immer wieder begegnen. Diese Beziehung ist die mathematische Version des ersten Keplerschen Gesetzes, die auch auf hyperbohsche und parabohsche Kegelschnittkurven angewendet werden kann. Tatsachhch haben wir bei der Herleitung ja keine Einschrankungen fiir die Lage der Schnittebene genannt. Ehiptische Schnittkurven sind nur fiir e = cos a / c o s e < 1 oder a > s zu erwarten. Fiir e = 0 bzw. a = 90° ergeben sich als Spezialfall kreisformige Schnittkurven. 1.4.2 Das zweite Keplersche Gesetz (Flachensatz) Die Darstellung der Planetenbahnen durch Gl. (1.7) enthalt noch keine Aussage iiber die zeitliche Anderung von r und 0, die erst durch das zweite Keplersche Gesetz gegeben ist. Demnach iiberstreicht der „Fahrstrahl" vom Brennpunkt zu einem Ellipsenpunkt in gleichen Zeiten gleiche Flachen. Zur Berechnung der „uberstrichenen Flache" denke man sich den momentanen Ort eines Planeten in einem heliozentrischen Bezugssystem durch den Vektor r beschrieben. Wahrend eines kurzen Zeitintervalles dt wird sich der Planet in erster Naherung um die Strecke rdt verschieben (siehe Abbildung 1.15). Daher ist die innerhalb von dt iiberstrichene Flache
dA= i | | r x f | | ^ t + 0 ( ^ t ^ ) . Dividiert man durch dt und bildet den Grenziibergang dt ^ 0, so erhalt man den Differentialquotienten 2 - = ||rxr||. Das zweite Keplersche Gesetz besagt nun nichts anderes, als dass 2dA/dt eine Konstante ist, der wir den Buchstaben h zuordnen wollen. Denn wenn 2dA/dt = /i, dann ist 2AA = /iZ\t, und in gleichen Zeitintervallen At werden gleiche Flachen AA iiberstrichen. Dabei ist h eine jedem Planeten eigentiimliche Bewegungskonstante. Wie beim ersten Keplerschen Gesetz wollen wir auch zur mathematischen Formulierung des zweiten Gesetzes den Abstand r vom Brennpunkt und den Winkel 0 zwischen Fahrstrahl und groBer Halbachse verwenden. Abbildung 1.15 zeigt, wie diese Koordinaten zu interpretieren sind. Statt den Ort r des Planeten durch seine kartesischen Koordinaten x, y und z in einem heliozentrischen Bezugssystem darzustellen, konnte man auch ebenso gut r, 0 und z verwenden. Die Transformation zwischen diesen GroBen lautet dann x = rcos^,
^ = rsin^,
Diese Beziehungen lassen sich auch in der Form
z = z.
(1.8)
26
1 Uber den Himmel
P (Planet)
dA=
\ \\r X r\\dt
Abbildung 1.15. Erkldrung des zweiten Keplerschen Gesetzes und Berechnung der ,,vom Fahrstrahl F — P ilberstrichenen Fldche".
(1.9)
r = rCr + zCz
anschreiben, wenn m a n die Einheitsvektoren e^ = (cos^, sin^, 0) und e^ = (0,0,1) einfiihrt. Man beachte, dass e^ senkrecht auf e^ steht, da das innere P r o d u k t Cz ' Sr verschwindet. Durch Differentiation von (1.9) nach der Zeit erhalt m a n die Geschwindigkeit und die Beschleunigung r , die spater fiir die Newton-Gleichung benotigt wird, in zylindrischen Koordinaten. Dabei sind natiirlich r, 0 und z als zeitabhangige GroBen anzusehen, durch die der Orbit des Planeten beschrieben wird. Zunachst gilt rCr + rCr + ZCz = rCr + rOeo + i e ^ .
(1.10)
wobei e^ = 0{— sin^, cos^, 0) := OCQ. Der Einheitsvektor eg vervollstandigt e^ und e^ offensichtlich zu einem Dreibein, da er senkrecht auf beide Vektoren steht. Ferner gilt eg = —^e^, wie m a n durch Nachrechnen leicht priift. Nun konnen wir das zweite Keplersche Gesetz in Polarkoordinaten anschreiben. Da wir es nur mit ebenen Bewegungen zu t u n haben - wir reden j a iiber elliptische Bahnen - wollen wir die z-Achse senkrecht auf die Tragerebene der Bahnellipse wahlen, so dass z = 0. Man erhalt
dA 1„ 1 Wcr X {fcr + rOeo 1 = dt 2" " ~ 2 beziehungsweise r^O = h = corist.
rer X r9ef:
'Oe,
(1.11)
1.4 Die Keplerschen Planetengesetze
27
1.4.3 D a s d r i t t e K e p l e r s c h e G e s e t z Nach dem dritten Gesetz, auf das Kepler besonders stolz gewesen ist, stehen die Halbachsen ai und a2 und Umlaufzeiten Ti und T2 zweier Planeten in folgender Beziehung: rf2
3
Die Umlaufzeiten lassen sich leicht mit der Konstanten /i, die wir fiir die Formulierung des zweiten Gesetzes eingefiihrt haben, ausdriicken. Dazu setzen wir in der Beziehung 2AA = hAt fiir AA die gesamte Ellipsenflache, also A = abir, und dementsprechend fiir At die gesamte Umlaufzeit T. Fiir einen beliebigen Planeten gilt: 2ab7r = hT
oder
T = 27r^ . h
Mit Gl. (1.12) ergibt sich daraus Tf _ albl hi _ al Ti
albl hi
a
oder - unter Ausnutzung von Gl. (1-4) / i | ^ bl/a2 hi bl/a^
^ P2 pi
(1.13)
In dieser Form beschreibt das dritte Keplersche Gesetz einen Zusammenhang zwischen den Halbparametern p i , p2 und den Bewegungskonstanten /ii, /12 aus dem zweiten Gesetz. 1.4.4 A n m e r k u n g e n z u m L e b e n u n d W e r k K e p l e r s Im J a h r e 1600 versuchte Kepler sein Gliick in P r a g als Assistent des durch umfangreiche Beobachtungen der Planetenbewegungen weithin bekannten danischen Astronomen Tycho Brahe, der seit einem Zerwiirfnis mit seinem Konig im Dienste des auBerst aberglaubischen Habsburgers Rudolf II. stand. Zu dieser Zeit h a t t e Kepler mit seinem Mysterium Cosmographicum bereits eine bedeutende Publikation vorgelegt, in der er sich auf eine sehr spekulative Art mit den Entfernungen der einzelnen Planeten von der Sonne, die den Mittelpunkt des Universums bildet, auseinander setzte. Er stellte sich vor, dass die Radien der Planetenspharen so beschaffen sind, dass ihnen die fiinf regelmaBigen Polyeder, also Tetraeder, Wiirfel, Oktaeder, Ikosaeder und Dodekaeder nacheinander umschrieben werden konnen. Mit Hilfe von Tycho Brahes Beobachtungsergebnissen wollte Kepler in P r a g seine Theorie an der Wirklichkeit messen. Da sich jedoch bald herausstellte, dass der Dane seine Erkenntnisse nur auBerst unwillig herausriickte.
28
1 Uber den Himmel
Abbildung 1.16. Johannes Kepler (1571-1630).
konnte Kepler erst nach Brahes friihem Tod 1601 seine Untersuchungen vertiefen. Kepler erbte nicht nur Brahes Datenschatz, sondern auch dessen Stellung als Hofastronom Rudolfs II., der allerdings weniger an Spekulationen iiber Planetenbewegungen als an handfesten astrologischen Vorhersagen interessiert war. Obwohl er mit der Erstellung von Horoskopen sehr beschaftigt war und iiberdies sein Gehalt nur unregelmaBig erhielt, fand Kepler in Prag Gelegenheit, seine Fahigkeiten als Mathematiker und Astronom zu entfalten. Immer mehr deutete darauf hin, dass Keplers friihe Theorien aus dem Mysterium Cosmographicum nicht zu den Beobachtungen Brahes passten. Uberhaupt schien weder die alte geozentrische Lehre des Ptolemaios noch das heliozentrische Weltbild von Kopernikus in akzeptabler Ubereinstimmung mit diesen Aufzeichnungen. Insbesondere fiir die Marsbahn ermittelte Kepler eine Abweichung von etwa 8 Bogenminuten zwischen Theorie und Messung, ein Fehler, der etwa einem Zehntel des scheinbaren Monddurchmessers entspricht. Die kopernikanische Lehre schnitt dabei kaum besser ab als die ptolemaische. Nach zahem Ringen kam Kepler schlieBlich auf die Idee, von der Jahrtausende alten Annahme abzugehen, dass sich die Planeten auf Kreisbahnen bewegen. 1609 veroffentlichte Kepler sein bedeutendstes Werk, die Astronomia nova, aitologetos seu coelestis („Eine neue, ursachlich erklarte Astronomic oder Physik des Himmels"), in der er seine neuen Erkenntnisse zusammentrug. Die ersten beiden der drei beriihmten Planetengesetze sind darin enthalten. Kepler gelangte zu ihnen auf auBerst verworrenen Wegen und zum Teil von falschen Voraussetzungen ausgehend. Er diirfte das zweite Gesetz vor dem ersten gefunden haben, als er noch mit exzentrischen Kreisbahnen experimentierte. Im Jahre 1611 starben Keplers Frau und sein sechsjahriger Sohn. Als zudem die politische Lage in Prag am Vorabend des DreiBigjahrigen Krieges immer ungewisser wurde, iibersiedelte der Astronom nach Linz, was einen
1.5 Eine wirklich kurze Geschichte der Zeit
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nicht geringen beruflichen Abstieg fiir ihn bedeutete. Seine Schaffenskraft war damit jedoch noch nicht erloschen. In den 1619 veroffenthchten Harmonices mundi gehngt ihm die Entdeckung des dritten Planetengesetzes, das die Eigenschaften zweier behebiger Planeten miteinander in Verbindung bringt. Der sonst eher bescheidene und zuriickhaltende Kepler war ziemlich stolz auf diese Entdeckung und von ihrer Bedeutung fiir die zukiinftige Entwicklung der Astronomic fest iiberzeugt. Er schreibt: „Wohlan, ich werfe den Wiirfel und schreibe ein Buch fiir die Gegenwart und die Nachwelt. Mir ist es gleich. Es mag hundert Jahre seines Lesers harren, hat doch auch Gott sechstausend Jahre auf den Beschauer gewartet." (Zitiert nach [9].) Keplers „Beschauer" sollte schlieBlich Isaac Newton werden, der, obwohl er die Werke des Meisters niemals im Original gelesen hat, ausgehend von den drei Planetengesetzen das Gravitationsgesetz herleitete. Johannes Kepler, den man als groBten Astronomen der Neuzeit geriihmt hat, sollte dies freilich nicht mehr erleben. Er starb 1627, fiinfzehn Jahre vor Newtons Geburt.
1.5 Eine wirklich kurze Geschichte der Zeit Unser Zeitempfinden ist als Folge evolutionarer Anpassungen auf astronomische Vorgange abgestimmt. Im Wesentlichen sind es drei Periodizitaten, die unser Dasein bestimmen: 1. Die tagliche Rotation der Erde: Sie bewirkt den Tag-Nacht-Rhythmus. 2. Die jahrliche Bewegung der Erde um die Sonne: Diese ist fiir die Entstehung der Jahreszeiten ver ant wort lich. 3. Der monatliche Umlauf des Mondes um die Erde: Durch diese Bewegung entstehen die Mondphasen, also Vollmond, Halbmond und Neumond. 1.5.1 Was ist ein Tag? Der periodische Wechsel von Tag und Nacht ist jene Himmelserscheinung, die unseren Zeitbegriff am starksten pragt. Jeder, der einmal einen Langstreckenflug hinter sich gebracht hat, kennt die Probleme, die auftreten, wenn dieser Rhythmus gestort wird. Doch welcher Zeitspanne entspricht ein Tag genau? Da die Sonne mit ihrem Licht den Unterschied zwischen Tag und Nacht hervorruft, ist es nahe liegend, einen Tag als die Zeit zwischen zwei aufeinander folgenden Mittagen zu definieren, an denen die Sonne jeweils am hochsten iiber dem Horizont steht und der Schatten eines vertikalen Mastes am kiirzesten ist. Dieser wahre Sonnentag unterscheidet sich jedoch vom sogenannten siderischen Tag (Sterntag), jener Zeit, in der die Erde eine voile Drehung um die eigene Achse ausfiihrt. Die Erklarung hierfiir ist einfach: Da sich die Erde im Laufe eines Tages etwa um ein Grad auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne weiterbewegt, nimmt sie nach einer siderischen Periode nicht wieder genau dieselbe Position relativ zur Sonne ein.
30
1 Uber den Himmel
Erde zu einem Fixstern
Erdbahn
Abbildung 1.17. Im Laufe eines siderischen Tages dreht sich die Erde einmal um ihre Achse. Damit die Sonne fur einen Beobachter B wieder im Zenit Z steht, muss sich die Erde aber noch ein Stuck weiterdrehen.
Abbildung 1.17 verdeutlicht diese Situation, wobei die Neigung Erdachse gegen die Ekliptik auBer Acht gelassen und angenommen wurde, dass die Erde gleichformig um die Sonne kreist. Wenn sich die Erde im Zeitraum At um einen Winkel aE gegen den Fixsternhimmel dreht und dabei um as auf der Bahn um die Sonne vorriickt, dann ist der Winkel zwischen einem vertikalen Mast und der Sonne aMS = O^E — ots (kleines Bild links). Mit TE als Dauer eines siderischen Tages und Ts als Umlaufzeit der Erde um die Sonne ergibt sich daraus 360° ^ 360° ^ c^MS = aE - as = -7^^ At 7^^ At. J^E Is Ein Sonnentag At = TMS ist verstrichen, wenn aMS um 360° zugenommen hat. Damit erhalten wir fiir TMS die Beziehung
TMS
T^~T~s
(1.14)
Da jedoch die Erdachse nicht senkrecht auf die Ekliptik steht und sich die Erdbahn als leicht elliptisch erweist, schwankt die Dauer der wahren Sonnentage um den Wert TMS^ den m a n deshalb als mittleren Sonnentag bezeichnet. Wegen dieser Schwankungen ist der wahre Sonnentag als Zeiteinheit unbrauchbar. Man unterteilt stattdessen den mittleren Sonnentag in 24 Stunden. Fiir den siderischen Tag TE, der als jene Zeitspanne beobachtbar ist, die zwischen zwei
1.5 Eine wirklich kurze Geschichte der Zeit
31
aufeinander folgenden Durchgangen eines Sterns durch den Beobachtermeridian (s. Abbildung 1.6) vergeht (Lat.: sidus = Stern, Sternbild), folgt dann aus Gl. (1.14) -^ = - ^ + ;^ = - ^ + TE TMS TS ITag
i. 365Tage
Oder
T^ = 0,99727 (Sonnen-)Tage
Diese Periode ist fiir die Auslegung der Orbits geostationarer SatelHten, die mit der Winkelgeschwindigkeit der Erde gegen den Fixsternhimmel synchronisiert werden miissen, von groBer praktischer Bedeutung. Geostationare SatelHten umkreisen die Erde in 23 h 56' 4,1". 1.5.2 Tropisches Jahr und Kalenderjahr Der Zeitraum zwischen zwei aufeinander folgenden Fruhjahrs-Tagundnachtgleichen (Aquinoktien) wird als tropisches Jahr bezeichnet. Es entspricht im WesentHchen der Umlaufzeit Ts der Erde um die Sonne, wenn auch nicht ganz genau. Ein kleiner Unterschied ergibt sich als Folge der Prdzession der Erdachse. Da die Erde keine vollkommene Kugel ist, erzeugen die Gravitationskrafte der Sonne ein Drehmoment, das wie bei einem schweren Kreisel eine Prazessionsbewegung der Erdachse verursacht. Langfristig ist die Erdache deshalb nicht raumfest, wie wir dies bei der Erklarung der Jahreszeiten angenommen haben, sondern rotiert (prazessiert) um die Normale der Ekliptik im Laufe von 25700 Jahren („Platonisches Jahr"). Der astronomische Friihlingsbeginn riickt demnach jahrlich um etwa 50 Bogensekunden auf der Erdbahn nach vor, so dass das tropische Jahr etwas langer dauert als ein vollstandiger Umlauf der Erde um die Sonne. Dieser marginale Effekt wurde bereits von Hipparch im 2. Jahrhundert v. Chr. beobachtet. Wie nicht anders zu erwarten, enthalt das tropische Jahr keine ganzzahlige Anzahl von Tagen. Es umfasst ungefahr 365,2422 mittlere Sonnentage. Daraus ergeben sich Schwierigkeiten fiir die Definition eines Kalenderjahres, das nur eine ganzzahlige Anzahl von Tagen enthalten soil. Da die wichtigen astronomischen Ereignisse des Jahres wie der Friihlingsbeginn, oder die Winter- und Sommersonnenwenden immer moglichst auf dieselben Tage im Kalenderjahr fallen sollen, muss die Lange des Kalenderjahres variieren, um die iiberschiissigen 0,2422 Tage des Jahres iiber langere Zeitraume hinweg aufzuteilen. Ein Kalenderjahr enthalt daher 365 oder, falls die Jahreszahl durch vier teilbar ist, 366 Sonnentage. Davon ausgenommen zahlen Jahrhundertjahre (wie 1900), obwohl sie auch durch vier teilbar sind, nur 365 Tage. Und schlieBlich, als Ausnahme von der Ausnahme, sind alle durch 400 teilbaren Jahre doch wieder Schaltjahre mit 366 Tagen. Demnach umfasst das Jahr 1900 365 und das Jahr 2000 366 Tage. Man kann sich die aus obiger Regel resultierende mittlere Dauer eines Kalenderjahres iiber langere Zeit leicht ausrechnen. Zunachst ist zu bemerken, dass sich die Schaltjahresregel im Zeitraum von 400 Kalenderjahren wieder-
32
1 Uber den Himmel
holt. Nehmen wir etwa die Jahre von 1601 bis einschlieBlich 2000. Darin ist folgende Zahl von Tagen enthalten: • • • •
1 Jahr (2000), das durch 400 teilbar ist, zu 366 Tagen. 3 Jahre (1700, 1800, 1900), teilbar durch 100, nicht aber durch 400, zu 365 Tagen. 96 Jahre, die durch 4, nicht aber durch 100 teilbar sind, zu 366 Tagen. 300 Jahre, die durch 4 nicht teilbar sind, zu 365 Tagen. Damit errechnet sich die durchschnittliche Jahreslange iiber 400 Jahre zu 1 • 366 + 3 • 365 + 96 • 366 + 300 -365 ^^. ^ , ^ . ^ — = 365,2425 Tage.
Die Differenz zur wirklichen Lange des tropischen Jahres von 365,2422 Tagen betragt nur 0,0003 Tage. Erst in 3333 Jahren summiert sich dieser kleine Unterschied wieder zu einem ganzen Tag auf. Die Schaltjahresregeln sollen also verhindern, dass sich die wichtigen, mit den astronomischen Erscheinungen in Zusammenhang stehenden sakralen und profanen Termine innerhalb des Jahres verschieben, wie dies in der Geschichte mehrmals der Fall war. Im 1. Jahrhundert v. Chr. hatte sich beispielsweise im alteren romischen Kalender ein Verschiebung von 67 Tagen eingestellt. Die unter Julius Caesar deshalb vorgenommene Kalenderreform des Jahres 47 V. Chr. sollte diesen Fehler durch Umstellung auf das agyptische 365-TageJahr mit einem Schaltjahr alle vier Jahre wieder ausgleichen. Das erste Jahr nach der Kalenderreform enthielt zudem 432 Tage. Die oben geschilderten, verfeinerten Schaltjahresregeln gehen auf den 1582 von Papst Gregor XIII. eingefiihrten und bis heute giiltigen Gregorianischen Kalender zuriick. Der Fehler durch die einfache Vier-Jahresregel des Julianischen Kalenders hatte sich bis zum 16. Jahrhundert wieder zu einer 10-tagigen Abweichung addiert, die eine neuerliche Korrektur erforderlich machte. (Es ist iibrigens ein Ratsel, das gewisse Spekulationen nahrte, warum der Riickstand 1582 nicht groBer als 10 Tage war. Nach der einfachen Julianischen Schaltjahrregel dauert ein Kalenderjahr durchschnittlich 365,25 Tage, also 0,0078 Tage langer als das tropische Jahr. Ein zehntagiger Riickstand entsteht daher bereits nach 10/0,0087 = 1282 Jahren, wahrend die Geschichtswissenschaft zwischen der Gregorianischen und der Julianischen Kalenderreform 1629 Jahre zahlt. Woher stammen die iiberschiissigen 347 Jahre ...?) Der Gregorianische Kalender wurde zunachst nur in den katholischen Landern akzeptiert. Die protestantischen Staaten entschlossen sich erst um 1700 zur Ubernahme des neunen Kalenderjahres. Das orthodoxe Osteuropa zog gar erst im 20. Jahrhundert nach, was zu einiger Verwirrung bei der Datierung der russischen Oktoberrevolution, die eigentlich im November stattfand, gefiihrt hat. Natiirlich ist ein rein auf das Sonnenjahr ausgerichteter Kalender nicht der einzig mogliche. Der Islam verwendet beispielsweise einen reinen Mondkalender. Der jiidische Kalender vereinigt Sonnen- und Mondperioden in soge-
1.5 Eine wirklich kurze Geschichte der Zeit
33
nannten Lunisolarjahren. Fiir viele astronomische und historische Zwecke ist es aui3erdem sinnvoll, iiber eine durchgangige Tageszahlung zu verfiigen. Eine solche ist das 1583 von einem Franzosischen Gelehrten namens Joseph Scaliger eingefiihrte Julianische Datum, das einen Zeitpunkt durch die Dezimalzahl an Tagen, die seit dem 1. 1. 4713 v. Chr. (12 Uhr Weltzeit) vergangen sind, beschreibt. Das Julianische Datum hat iibrigens nichts mit dem (auf Julius Caesar zuriickgehenden) Julianischen Kalender zu tun, sondern wurde von Scaliger zu Ehren seines Vaters Julius so benannt. 1.5.3 Verschiedene Zeitskalen Wer in irgendeiner Form mit astronomischen Beobachtungen zu tun hat, muss Begriffe wie Weltzeit, Ortszeit, Zonenzeit, Sternzeit, Inertialzeit etc. unterscheiden konnen. Wir wollen daher diese Zeitskalen hier abschlieBend kurz definieren: Sternzeit: Die Sternzeit basiert auf der Periode des siderischen Tages. Man versteht darunter die seit dem letzten Durchgang des Friihlingspunktes durch den Beobachtermeridian (obere Kulmination) verstrichene Zeitspanne. Im Grunde handelt es sich dabei eher um einen Winkel denn um eine Zeit. Eine „Stunde" der Sternzeit entspricht einer absoluten Drehung der Erde um 15 Grad. Die Sternzeit ist abhangig vom Beobachterstandort. Ortszeit: Als gebrauchlichere Basis fiir unsere Tageseinteilung dient nicht der Sterntag, sondern der mittlere Sonnentag. Nun tritt aber das tagliche Ereignis des Mitt ages, an dem die Sonne am hochsten steht, an unterschiedlichen Orten der Erde zu unterschiedlichen Zeiten auf. Im Osten ist friiher Mittag, im Westen spater. Da ein mittlerer Sonnentag in 24 Stunden eingeteilt wird, verschiebt sich der Mittag um 24 Stunden/360° oder 4 Minuten pro Langengrad. Damit hat jeder Ort seine eigene Ortszeit, die von seiner geographischen Lange abhangt. „12 Uhr Ortszeit" meint den Zeitpunkt, an dem die Sonne am jeweiligen Ort am hochsten steht. Zonenzeit: Natiirlich wiirde eine strenge Ausrichtung von Zugfahrplanen nach der genauen Ortszeit des Bahnhofes in totalem Chaos enden. Man miisste ja die geographische Lange des Bahnhofes kennen und sich aus der Langendifferenz zu seinem Wohnhaus ausrechnen, wann man von zuhause aufbrechen muss, um seinen Zug zu erreichen. So viel Mathematik kann vom Durchschnittsbiirger gewiss nicht verlangt werden. Also hat man sich auf sogenannte Zeitzonen geeinigt, in denen alle Uhren dieselbe Zeit anzeigen. Die Mitteleuropdische Zeit (MEZ) ist beispielsweise so ausgerichtet, dass sie mit der Ortszeit fiir 15 Grad ostlicher Lange (was ziemlich genau der Lange der Stadt Wien entspricht) iibereinstimmt. Sie gilt fiir die meisten der west- und mitteleuropaischen Lander. Weltzeit: Die Westeuropdische Zonenzeit ist auf den Nullmeridian durch den Londoner Vorort Greenwich bezogen und um eine Stunde gegen die Mitteleuropaischen Zeit zuriickverschoben. Wegen der iiberragenden wirtschaftlichen und militarischen Bedeutung des Britischen Empires bis ins
34
1 Uber den Himmel
19. J a h r h u n d e r t wird die Westeuropaische Zeit auch als Weltzeit, englisch Universal Time (UT), bezeichnet. Viele astronomische Tabellen (Ephemeriden) sind auf U T bezogen. Dynamische Zeit und Inertialzeit: Samtliche Orts- und Zonenzeiten sind von astronomischen Beobachtungen hergeleitet, die von der Erddrehung abhangen. Auch wenn diese Drehung mit groBer GleichmaBigkeit ablauft, so treten doch geringfiigige Schwankungen auf, die bei der Ableitung einer absolut gleichformigen Zeitskala, eben einer Inertialzeit, aus astronomischen Erscheinungen hinderlich sind. Solche Schwankungen, die etwa durch jahresperiodische P h a n o m e n e wie Abschmelzvorgange an den Polen, durch Masseverlagerungen im Erdinneren oder durch die abbremsende Wirkung der Gezeitenreibung hervorgerufen wer den, konnen meist nur a posteriori, d. h. nach ihrer Beobachtung, bis zu einem gewissen Grad beriicksichtigt werden. Das so korrigierte ZeitmaB nennt m a n dynamische Zeit. Es kann als gute Annaherung an die Inertialzeit betrachtet werden. Die von Sendern ausgestrahlten Zeitsignale markieren die sogenannte koordinierte Weltzeit (UTC). Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass am 30. 6. und am 31. 12. Schaltsekunden zur Weltzeit addiert werden konnen, um angehaufte Fehler durch Schwankungen der Erddrehung auszugleichen. Letztlich ist m a n aber bei der Definition einer exakten Inertialzeit auf nicht-astronomische Konstanten angewiesen.
Literaturhinweise zu Kapitel 1: BiALAS [7]: Wer an der geschichtlichen Entwicklung der Astronomie von ihren Anfangen bis zur Gegenwart interessiert ist, sollte sich dieses ausgezeichnete Buch zu Gemiite fiihren. CROMBIE [9]: Das Standardwerk zur mittelalterlichen Wissenschaftsgeschichte, in dem selbstverstandlich auch die Astronomie nicht zu kurz kommt. Fiir das Verstandnis der alten astronomischer Theorien (Epizyklen, Aquanten etc.) sehr zu empfehlen. DTV-ATLAS ZUR ASTRONOMIE [15]: Gute Zusammenfassung astronomischer Zusammenhange, jedoch ohne mathematische Tiefe. Dieses Nachschlagwerk enthalt auch einen Sternatlas. ROY [28]: Sehr detaillierte Einfiihrung in die Astronomie und Astrodynamik. Die in diesem Kapitel diskutierten Koordinatensysteme werden sehr genau erklart.
Newtonsche Mechanik
Bis weit ins 17. Jahrhundert war die Ansicht, dass sich irdische und himmlische Korper nach unterschiedlichen Gesetzen bewegen, unumstritten. Und es hegt ja auch irgendwie auf der Hand: Zu der gleichformigen Bewegung der Himmelskorper steht die Dynamik eines einen Bergriicken hinabrollenden Steines, einer vom Wind gepeitschten Welle oder einer umherirrender Menschenmenge in auffalligem Gegensatz. Selbst Galileo Galilei, dem man die Entdeckung des Tragheitsgesetzes zuschreibt, war noch der Ansicht, dass die „naturliche Bewegung" irdischer Korper geradlinig, die der Himmelskorper hingegen kreisformig verlauft.
Abbildung 2.1. Sir Isaac Newton (1642-1727).
36
2 Newtonsche Mechanik
Sir Isaac Newton (1642-1727) war einer der Ersten, der diesen (auf Aristoteles zuriickgehenden) Dualismus iiberwand und eine Bewegungsgleichung fand, die fiir alle Korper anwendbar ist. Den entscheidenden Schritt tat er im Jahre 1684 in den Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (Mathematische Grundsatze der Naturphilosophie), einer der einflussreichsten wissenschaftlichen Abhandlungen, die je geschrieben wurden. Das Portrait Newtons aus Abbildung 2.1 stammt aus dem Jahre 1689 und zeigt ihn etwa in dem Alter, in dem er sein Hauptwerk veroffentlichte. Das Vertrauen in die universelle Giiltigkeit der Newtonsche Mechanik nahm im 18. und 19. Jahrhundert bisweilen fast religiose AusmaBe an und wurde erst durch die Relativitatstheorie Einsteins und durch die Quantenmechanik Bohrs und Heisenbergs erschiittert. (Wie dramatisch dieser Paradigmenwechsel in der Physik gewesen ist, zeigt sich daran, dass sich die Wissenschaftstheorie im 20. Jahrhundert zu einer zentralen Disziplin der akademischen Philosophic entwickelte.)
2.1 Die Bewegungsgleichung Die Kernaussage von Newtons Bewegungslehre ist in der Zustandsgleichung —- = /
mit
/ = mv
(2.1)
enthalten: Die zeitliche Anderung des Impulses / , des Produkts aus Masse m und Geschwindigkeit v, ist gleich der momentanen resultierenden Kraft / , die sich als vektorielle Summe aller auf m einwirkenden Krafte fi,...f^ ergibt: / = fi-\ \- fn- (Vektoren werden wir in der Folge stets durch fett gedruckte Buchstaben kennzeichnen.) Um also die „Bewegungsmenge" / zu andern, bedarf es einer wirkenden Kraft - entgegen der Vorstellung des Aristoteles, dass schon zur Aufrechterhaltung jeder Bewegung Krafte erforderlich sind. (Als eine wesentliche Neuerung der Newtonschen Bewegungslehre ist iibrigens die klare begriffliche Trennung zwischen dem Impuls als BewegungsgroBe einerseits und der wirkenden Kraft andererseits anzusehen.) Newtons Gleichung gilt zunachst fiir Korper ohne raumliche Ausdehnung, fiir sogenannte Punktmassen oder Massenpunkte, deren Lage im Raum sich vollstandig durch einen Ortsvektor r G M^ beschreiben lasst. Wenn sich ein Massenpunkt bewegt, dann ist seine Position r = r{t) eine Funktion der Zeit t und seine (vektorielle) Momentangeschwindigkeit v errechnet sich aus dem Differentialquotienten r(t + At)-r(t) dr v(t) := lim -^ -^ ^ = —. ^^ At^o At dt
,^ ^, (2.2) ^ ^
Ableitungen nach der Zeit werden wir iibrigens oft durch einen Punkt iiber der abgeleiteten GroBe andeuten, zum Beispiel r = dr /dt.
2.1 Die Bewegungsgleichung
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Wenn wir nun annehmen, dass die GroBe m eine invariante, also unveranderliche Eigenschaft des Massenpunktes ist, dann reduziert sich die Bewegungsgleichung (2.1) zusammen mit (2.2) auf die Aussage m -
= f
(2.3)
Oder „Masse mal Beschleunigung gleich Kraft". Dies ist eine Differentialgleichung zweiter Ordnung fiir die zeitlich veranderlichen Komponenten des Vektors r{t). Voraussetzung fiir die Bestimmung einer konkreten Losung ist die Vorgabe einer Anfangsbedingung zur Zeit to und des Kraftgesetzes / = fi'f^j'^jt). Im einfachsten Fall ist / = 0, und wir erhalten durch Integration von (2.3) das Tragheitsgesetz r = const.: Ein Korper, auf den keine Kraft einwirkt, bewegt sich gleichformig auf geradliniger Bahn. Dieses Gesetz gilt fiir irdische Massen und Himmelskorper gleichermaBen. (Es wurde so erstmals von Rene Descartes formuliert. ) Nun kann man in vielen Fallen ein erstes Integral von Gl. (2.3) angeben. Um dies zu sehen, bilden wir das Skalarprodukt mit f: d f ' r = mr - r = —- { —r ^ dt\2 ) Man erkennt, dass sich der Term mr • r als zeitliche Ableitung der GroBe mf^/2, die man als kinetische Energie bezeichnet, schreiben lasst. Wenn man dies auch fiir die andere Seite der obigen Gleichung erreichen konnte, dann lieBe sich tatsachlich ein Integral der Bewegungsgleichung anschreiben:
Oder
d fm / m .9\ « . dV .2\ !\ _p mr ' r = —- [ --r ] = f - r ~dt dt\2 J -^ /m ..O ^r\ ad fm r. ^ ^ • 2 T r i^ — ( —r + K 1 = 0, so dass —r -\- V = E = const.
Dazu muss jedoch offensichtlich eine Funktion V existieren, mit der Eigen. _
dV{r,r,t) _ dV ._dV_ .. _ dV_ dt dr dr dt (wobei uns das historisch bedingte negative Vorzeichen nicht zu storen braucht). Unter dem Ausdruck dV/dr ist der Vektor {dV/dx^dV/dy^dV/dz)^ also der Gradient der reinen Ortsfunktion V, zu verstehen, wenn x, y und z die Komponenten des Ortsvektors r bezeichnen. Die letzte Gleichung wird im Allgemeinen nur dann erfiillbar sein, wenn V und somit auch / nicht von r und t abhangen. Unter diesen Voraussetzungen ist , . T 'r ^ •' und folglich
dV(r) ^ dt
dV(r) . •r dr
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2 Newtonsche Mechanik
Krafte, die diese Eigenschaft aufweisen, heiBen konservativ, die zugehorige Funktion V{r) nennt man das Potential von / . Die Bewegungsgleichung fiir diesen wichtigen Spezialfall lautet
Die Grofie E(r,r) = mr'^/2 + V(r), die man als Gesamtenergie des Massenpunktes erkennt, bleibt dabei wahrend der Bewegung erhalten. Konservative Krafte spielen in der Himmelsmechanik eine zentrale Rolle, da sich dissipative Effekte wie Luftwiderstand und Reibung im Orbit hochstens als kleine Storungen bemerkbar machen. Oft ergibt sich die resultierende Kraft / als Summe konservativer Einzelkrafte Z ^ , . . . / ^ ; die Summenkraft ist dann ebenfalls konservativ, und ihr Potential ergibt sich einfach als Summe der Teilpotentiale:
mit y = Vi + V2 + \-Vn- Bei der Berechnung des Gravitationsfelds ausgedehnter Korper werden wir diese Eigenschaft ausnutzen.
2.2 Das Gravitationsgesetz Die Newtonsche Gravitationstheorie bildet die Grundlage der modernen Himmelsmechanik. Gravitationskrafte dominieren die Bewegungen der Himmelskorper, sie sind nahezu die einzigen in galaktischem MaBstab relevanten Krafte. Schon Johannes Kepler hatte eine Theorie entworfen, nach der die Planeten durch eine von der Sonne ausgehende „magnetische" Kraft, einer anima matrix^ auf ihren Bahnen gehalten werden. Der leicht esoterisch angehauchte Kepler stellte sich die Sonne als beseeltes Wesen vor, das fortwahrend eine „immaterielle Species" in den Raum verspritzt. Indem sie sich zugleich um ihre eigene Achse dreht, entstehen Verwirbelungen dieser „Species", durch die die Planeten mitgerissen werden (vgl. [9]). Im Grunde ist dieses Modell von der Newtonschen Gravitationstheorie, die ja auch von einer immateriellen Schwerkraft ausgeht, gar nicht so weit entfernt. Was Kepler von Newton unterscheidet, betrifft lediglich den Tragheitsbegriff. Fiir Kepler, der noch zu einem groBen Teil vom Aristotelismus gepragt ist, leisten Korper Widerstand gegen jede Art von Bewegung, nach Newton nur gegen beschleunigte Bewegungen. Keplers beriihmter Zeitgenosse Galileo Galilei hatte zwar eine modernere Vorstellung von Tragheit, hielt aber die Theorie einer immateriellen Fernwirkung fiir absurd. Keplers Gedanken seien, so Galilei, „so dunkel, dass der Autor anscheinend selbst nicht wusste, woriiber er redet" [9].
2.2 Das Gravitationsgesetz
39
2.2.1 Die Herleitung des Gravitationsgesetzes aus den Keplerschen Gesetzen Die Newtonsche Bewegungsgleichung kann fiir zweierlei Arten von Aufgaben verwendet werden: Zum einen kann man die Kraft / als gegeben betrachten und nach der Bewegung r{t) fragen. Es konnte aber auch umgekehrt die Beschreibung einer Bewegung vorliegen und das zugehorige Kraftgesetz gesucht sein. In den meisten Fallen wird freilich die Bahn eines Korpers unter bekannten Kraften zu bestimmen sein - ein groBer Teil der folgenden Kapitel behandelt die fiir die Dynamik von Raumfahrzeugen relevanten Differentialgleichungen. Historisch gesehen diirfte jedoch die Bewegungsgleichung von Newton zuerst zur Herleitung des Gravitationsgesetzes aus den Keplerschen Gesetzen benutzt worden sein. Da die Himmelsmechanik von Gravitationskraften dominiert wird, wollen wir an dieser Stelle versuchen, den Spuren Newtons zu folgen. In Kapitel 3 werden wir den umgekehrten Weg einschlagen und aus dem Gravitationsgesetz unter anderem die Keplerschen Gesetze ableiten. Fassen wir nochmals kurz die mathematischen Versionen der Keplerschen Gesetze, die wir im vorigen Kapitel untersucht haben, zusammen: 1. Keplersches Gesetz:
(2.6)
'^^^ = TT^^e
2. Keplersches Gesetz: PO = h = const. 3. Keplersches Gesetz:
(2.7)
hi _ P2 1.2
fil
(2.8)
pi
Dabei ist r der (veranderliche) Abstand eines Planeten von der Sonne und 0 der Winkel zwischen dem Fahrstrahl und der groBen Halbachse seiner Umlaufbahn (siehe Abbildung 1.13). Welters bezeichnen p, e und h Konstanten, die fiir jeden Planeten andere Werte annehmen. Mit diesen Ergebnissen wollen wir nun in die Newtonsche Bewegungsgleichung gehen und sehen, welches Kraftgesetz hinter den Keplerschen Gesetzen steckt. Nach Gl. (1.9) und (1.10) schreibt sich die zweite Ableitung von r - wir sparen uns die Zwischenrechnungen - fiir Polarkoordinaten in der Form r = fr - rO'^^ e^ + frO + 2rd^ ee + ze^. Damit nimmt die Bewegungsgleichung (2.3) folgende Gestalt an: m ( ( r - rO^^ Br + (rO + 2r^) ee + ze,^
= /.
Wir projizieren sie auf die zueinander orthogonalen Einheitsvektoren e^ und Cz'.
m (r-rOA
= f 'er = Fr
(2.9a)
(rO + 2rd) = f •e0 = F0
(2.9b)
mz = f-e,
(2.9c)
= F,.
40
2 Newtonsche Mechanik
Beginnen wir beim Einfacheren: Da Ellipsen ebene Kurven sind, ist 2: = 0 und nach (2.9c) auch F^ = 0. Es kann somit keine Kraft in z-Richtung, d. h. senkrecht auf die Bahnebene der Planeten, wirken. Dies hatten wir freilich auch noch, ohne viel Mathematik zu treiben, sehen konnen. Nicht mehr ganz so evident ist jedoch die nachste Schlussfolgerung, die wir aus (2.9b) ziehen wollen. Mit etwas Ubung erkennt das geschulte Auge, dass 1 d r at \
/
Durch Nachrechnen ist dies jedenfalls leicht einzusehen. Doch der Ausdruck r'^O ist ja nach dem zweiten Keplerschen Gesetz gerade konstant, so dass seine zeitliche Ableitung zweifellos verschwinden wird. Was bleibt, ist die Aussage
(rO + 2fe\
O = F0.
Auch die Komponente der gesuchten Kraft in Richtung von eg, senkrecht zum „Fahrstrahl", verschwindet also. Daher ist nur die Kraftkomponente in radialer Richtung von null verschieden, und wir konnen von einer stets zur Sonne gerichteten Zentralkraft sprechen. Doch rechnen wir noch weiter! Nach Gl. (2.6) und (2.7) ist die Geschwindigkeit eines Planeten in radialer Richtung r = 4 (^ -] = ^^-:^0sinO = rH- sinO = h- sinO. dt \1-\-ecos0 J (1 + ecos^)^ p p Fiir die Radialbeschleunigung ergibt sich daraus 6 •
6 h
r = h-0 cos 0 = — - cos 0 p p r"^ oder, wenn man cos^ mit Hilfe der Ellipsengleichung (2.6) durch r ausdriickt: .. _ eh? I (p p r^ e \r
.\ _h^ ) r^
h^IP
r^
Damit folgt aus der ersten der Bewegungsgleichungen (2.9) f-
A2\
fh^
hVp
h^\ hVp h^\ » = —m—-— ,
g2 _ wobei wir abermals das zweite Keplersche Gesetz (2.7) auf den Term rO^ h^/r'^ angewendet haben. Wir konnen nun bereits das beriihmte Gesetz erkennen, wonach die Schwerkraft umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes vom Kraftzentrum abnimmt. Ob es tatsachlich Newton entdeckt hat, wurde verschiedentlich bezweifelt. Allem Anschein nach war das Abstandsgesetz bereits Robert Hooke (1635-1703) bekannt, doch reklamierte Newton
2.2 Das Gravitationsgesetz
41
die Entdeckung fiir sich und setzte alles daran, die Spuren von Hookes Anteil zu verwischen [4]. Bei aller Genialitat diirfte Newton ein ziemlich unsympathischer und zudem humorloser Mensch gewesen sein, der einen groBen Teil seiner Zeit mit Prioritatsstreitigkeiten verschwendete. (Bekannt ist vor allem die Auseinandersetzung mit Gottfried Willhelm Leibniz (1646-1716) iiber die Erfindung der Infinitesimalrechnung, wo Newton ebenfalls sehr unruhmlich agierte.) In der letzten Gleichung fiir Fr ist noch die Konstante /i^/p enthalten, die fiir jeden Planeten unterschiedliche Werte annimmt. Wir konnen also noch nicht von einem universellen Gravitationsgesetz sprechen. Nun gilt aber nach unserer Fassung des dritten Keplerschen Gesetzes (1.13) fiir zwei beliebige Planeten
M=a=,. Pi
,..10,
P2
Deshalb ist die GroBe fi = h?/p eine Konstante, die fiir unser Sonnensystem eigentiimlich ist. Sie sollte nur von den Eigenschaften des Zentralkorpers (in unserem Fall die Sonne), nicht aber von jenen der Planeten abhangen. Damit ist die Kraft, welche von der Sonne ausgehend auf die Planeten wirkt, gegeben durch F. = - ^ . (2.11) Wir diirfen vermuten, dass dies auch fiir fremde Planetensysteme und fiir Systeme aus Monden, die einen Planeten umkreisen, gilt. Kennen wir die Masse m eines Satelliten und die Konstante /i des zugehorigen Zentralkorpers, so ist die Kraft auf den Satelliten vollkommen bestimmt. Eine Frage bleibt dabei jedoch noch offen: Wenn wir ein System aus zwei etwa gleich schweren Korpern betrachten - nehmen wir unsere Erde und ihren Mond -, welchen davon soil man als Zentralkorper ansehen? Nach einem sehr allgemeinen Prinzip der Mechanik entspricht jeder Einwirkung eines Korpers A auf einen anderen Korper B eine ebenso groBe Riickwirkung von B auf A. (Dieses Actio-Reactio-Gesetz erinnert ein wenig an das alttestamentarische „Aug um Aug - Zahn um Zahn", und es ist vielleicht kein Zufall, dass es gerade von dem als besonders bibelfest bekannten Newton zum allgemeinen Naturgesetz erhoben wurde.) Wendet man das ActioReactio-Gesetz auf unser Problem an, dann miisste der Kraft, die die Sonne auf einen Planeten ausiibt, eine gleich groBe Kraft vom Planeten auf die Sonne entsprechen, die nur in umgekehrter Richtung wirkt: I y-, I
l^^l ~
" ^ P l a n e t /^Sonne
:^
' ^ S o n n e /^Planet
~
:^
'
weshalb es gleichgiiltig ist, ob man den Planeten oder die Sonne als Zentralgestirn ansieht. Es gilt also: ^^Planet
/^Planet
^^Sonne
/^Sonne
42
2 Newtonsche Mechanik
und die Konstante fi wird proportional zur Masse des gewahlten Zentralgestirns sein: /^Planet =
Guipi^^.t
bzW.
/igonne =
Guisanne
Mit G haben wir eine wahrhaft universelle Konstante gefunden. Sie hat den Wert G = 0,667-10-^VV(s^kg), der mit Hilfe von Torsionswaagen schon im 18. Jahrhundert von dem englischen Lord Henry Cavendish annahernd bestimmt wurde. Das Gravitationsgesetz schreibt sich damit in folgender Form: ^r =
:^
.
(^.i^j
Fiir mpianet und nisanne konnten die Massen zweier beliebiger Korper stehen. Unsere Uberlegungen gelten zunachst jedoch nur fiir punktformige Objekte mit auBerst geringer raumlicher Ausdehnung im Vergleich zum Abstand r. Wie sich die Anziehungskraft fiir ausgedehnte Objekte berechnen lasst, wird noch zu untersuchen sein. 2.2.2 Das Zusammenspiel von Gravitation und Fliehkraft Durch Betrachtung der am Planeten einwirkenden Krafte lasst sich eine sehr anschauliche Erklarung fiir das Zustandekommen einer elliptischen Umlaufbahn geben. Kehren wir dazu nochmals zuriick zu Gl. (2.9a): Aus ihr ergibt sich mit (2.11) mr = mrO'^ -\-Fr = mvQ^ - m-^ = Fp - FQ,
(2.13)
wenn wir Fp = mrO^ als Fliehkraft und mit FQ = m/i/r'^ die Schwerkraft bezeichnen. Oft wird Fp auch Zentrifugalkraft genannt, da Fp den Planeten von der Sonne abzustoBen scheint (lat. fuga=Flucht). Dagegen wirkt FQ durch das vorstehende negative Vorzeichen als anziehende, den Abstand r zur Sonne verkleinernde Kraft. Mit Hilfe des zweiten und dritten Keplerschen Gesetzes in der Form (2.10) erhalt man fiir die Fliehkraft Fp = mrO = m^r =
m^r.
Durch Einbringen des ersten Keplerschen Gesetzes r = p / ( l — ecos^) folgt schlieBlich mr = FF -FG = miii(^
- — j = F K ( 1 + e cos i9)^e cos i9 .
(2.14)
Die GroBe FK = mii/p^ kann als Gravitation auf einem Kreisorbit mit Radius r = j9 interpretiert werden.
2.2 Das Gravitationsgesetz
43
Wir stellen fest, dass ein standiges Gleichgewicht zwischen Flieh- und Schwerkraft nur im Kreisorbit moglich ist. In diesem Fall ist wegen e = 0 stets r = 0. Im allgemeinen Fall verschwindet (2.14) aber nur fiir 0 = 7r/2 und 0 = 37r/2 (Abbildung 2.2). Daraus folgt, dass sich Fliehkraft und Gravitation nur das Gleichgewicht halten, wenn sich der Planet im P u n k t Q des in Abbildung 1.14 dargestellten Kegelschnitts befindet (oder genau gegeniiber auf der anderen Seite der Symmetriegeraden), wobei er dann in einer Entfernung r = p zur Sonne steht. Das Verschwinden der Radialbeschleunigung bedeutet zugleich, dass die Radialgeschwindigkeit Vr = r einen Extremwert annimmt, da sich j a r durch Ableitung aus r ergibt.
FF {^F
-
^G)
/^K
i\
1,0
'—^
^^
i^G
\ ^
I
J_\ 0,8 0,4 0,6 0,2 FF>
FG
\
0,0
/ FF>
6* 1
7r/2\
TT
FF
FG
/
,
~/37r/2
27r
FQ- Der Planet wird durch den „Uberschuss" an Fliehkraft nach auBen getrieben. Nach dem Passieren der Position 0 = 7r/2 ist FQ > Fpj die radiale Bewegung wird durch die iiberwiegende Gravitation verzogert, so dass er nach Durchlaufen des sonnenfernsten P u n k t e s schlieBlich zuriickkehrt. An der Stelle 0 = 37r/2 iibernimmt wieder die Fliehkraft die dominierende Rolle. Den Verlauf von {Fp — FQ)/FK als Funktion von 6 zeigt Abbildung 2.2. Im P u n k t ^ = 0 ist {FF—FG)/FK stets am groBten. Bemerkenswert ist aber, dass der groBte Gravitationsiiberschuss (im Bereich FQ > FF) fiir den dargestellten Fall nicht im sonnenfersten P u n k t (^ = TT), sondern an der Stelle
44
2 Newtonsche Mechanik cosr = - — 3e
auftritt, wie man durch Nullsetzen der Ableitung von (2.14) nach 6 leicht einsieht. Dieser Extremwert kann jedoch nur im Fall e > 1/3 eintreten, fiir e < 1/3 liegt das Minimum der Funktion an der Stelle 0 = TT. 2.2.3 Gravitationskraft und Gravitationspotential Nach dem Newtonschen Gravitationsgesetz verursacht eine Punktmasse nii folgenden Kidiftvektor auf eine andere Punktmasse 7712:
/ =-^FTPO = - ^ ^ ||r|r Ikll ^
(2.15)
Darin bezeichnet r den Verbindungsvektor von nii nach 7712. Zur hier verwendeten Notation: Vektoren werden stets durch Fettbuchstaben dargestellt. Fiir den Betrag eines Vektors r verwenden wir denselben Buchstaben im Normaldruck: ||r|| = r. Die Kraft / wirkt also entlang des Verbindungsvektors r, und ihr Betrag ist umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes r der beiden Massen. Wie sich zeigt, sind Gravitationskrafte konservativ, d. h. es existiert ein Potential V(r), aus dem / im Sinne von Gl. (2.4) durch Differentiation hervorgeht: f = -—mit V{r) = . (2.16) or r Dass dem so ist, erkennt man am unmittelbarsten durch Einsetzen der Kartesischen Komponenten x, y und z fiir den Vektor r, bzw. (x^ + 2/^ + 2:^)^/^ fiir seinen Betrag r: V{x,y,z)
=
Gmim2 V x^ + ^^ + 2:^
so dass dV I J ^ \ -— = dV/dy =- —
Gmim2
- ^
( \ ly\=
Gmim2 —— r.
Nun hat man es in der Satellitendynamik meist mit groBen, kugelformigen Zentralgestirnen zu tun, die von vergleichsweise winzigen, eben punktformigen Satelliten umkreist werden. Fiir die Aufstellung der Bewegungsgleichungen eines erdnahen Satelliten benotigen wir daher das Gravitationspotential einer Kugel. Abbildung 2.3 zeigt eine kleine, punktformige Prohemasse m im Abstand r vom Mittelpunkt eines kugelformigen Planeten P mit Radius R, dessen Dichte g{a) von der Entfernung a vom Mittelpunkt abhangen kann, wie dies
2.2 Das Gravitationsgesetz
45
bei der Erde tatsachlich der Fall ist. (Die Dichte im Erdkern betragt etwa 16000 kg/m^, im Erdmantel dagegen nur durchschnittlich 5515 kg/m^.) Die Gesamtmasse des Planeten sei M. Zur Aufstellung des Gravitationspotentials wollen wir den Planeten gedanklich in unendlich viele Punktmassen zerteilen, von denen jede einen additiven Beitrag zum Gesamtpotential leistet. Dabei kommt es jeweils nur auf den Abstand zwischen der Probemasse und den einzelnen Partikeln des Planeten an. Da der Abstand s aller Punkte des in Abbildung 2.3 skizzierten Ringes mit der Masse dM von der Probemasse m gleich ist, ist das Potential gegeben durch f dM f^ f^ 1 V = —Gm I = —Gm I I -2TTQ{a)a^ simj^ dij^ da. JM ^ Jo Jo ^ Ferner gilt nach dem Kosinussatz s^ = a^ + r^ — 2ar cos i/j. Geht man damit auf s G [r — a,r -\- a] als neue Integrations variable anstelle von i/j e [0, TT] iiber, so ergibt sich mit sds = ar sin i/j di/j pitR
nr+a nr^a
II,
V = -27rGm / / g{a)-ds da Jo Jr-a ^ Gm ^ • /f^ a^o Q{a) . . da . = GmM 47r / a'Q{a) da = . Jo r
(2.17)
cR
Dabei ist M = 47r/Q a^gda die Gesamtmasse des Planeten. Das Potential (2.17) entspricht dem Potential eines Partikels der Masse M im Kugelmittelpunkt O, wie man durch Vergleich mit Gl. (2.16) unmittelbar erkennt. AUgemein bezeichnet man einen Korper, dessen Gravitationsfeld dem einer Punktmasse entspricht, als zentrobaren Korper. Die Erkenntnis, dass homogene Kugeln wie Punktmassen behandelt werden konnen, erleichtert die Losung von Aufgaben der Satellitendynamik natiirlich ungemein. Wir werden allerdings spater auch Storungen des Gravitationsfeldes der Erde durch die Abweichungen von der Kugelgestalt diskutieren miissen, da erdnahe Satelliten davon betroffen sind. In der Nahe der Erdoberflache (r = RE + h mit RE als Erdradius) berechnet sich das Potential zu GmM
GmM
RE + h GmM ( RE
V
1
RE 1 + hi RE _ _h_\ _ GmM _ GmM RE
J
RE
^E
Da zur Ermittlung der Gravitationskraft V differenziert werden muss, kommt dem von der Lage unabhangigen Term —Gm^M/RE keine physikalische Bedeutung zu. Wir setzen daher
46
2 Newtonsche Mechanik
Kugeloberflache P (Planet)
dM = 27r^a sin ^ da dip
Abbildung 2.3. Zum Gravitationspotential
eines kugelformigen
Planeten.
wobei der P a r a m e t e r QE = GM/R\ den Wert 9,81 m / s ^ hat. Diese Vereinfachung des Gravitationspotentials wird den meisten irdischen Anwendungen gerecht. Die Gravitationskraft ergibt sich daraus zu | | / | | = dV/dh = mgE-
2.3 Systeme aus mehreren Massenpunkten Bislang haben wir uns nur mit der Bewegung eines einzelnen Massenpunktes (bzw. einer „Probemasse") unter dem Einfluss einer Kraft / beschaftigt. Wir wollen nun unsere Aufmerksamkeit auf Systeme aus beliebig vielen Partikeln lenken. Das Vorhandensein mehrerer Massen bedeutet zunachst, dass sich die Anzahl der die Dynamik beschreibenden Differentialgleichungen erhoht. Wenn diese Massen miteinander interagieren, wie dies nach dem Gravitationsgesetz etwa der Fall ist, dann werden die Differentialgleichungen miteinander verkoppeln, und eine Losung ist dementsprechend schwierig zu bestimmen. Dennoch lassen sich auch in diesem Fall zwei fundament ale Satze formulieren, mit denen Pauschalaussagen iiber das mechanische Verhalten eines MehrteilchenSystems moglich werden. Die Rede ist vom Schwerpunktsatz und vom Drehimpulssatz, die wir nun herleiten wollen.
2.3 Systeme aus mehreren Massenpunkten
47
Wir betrachten ein System aus n Teilchen mit den Massen m i , . . . m n . Das i—te Teilchen wird durch einen Ortsvektor ri(t), der auf ein Inertialsystem bezogen sein soil, lokalisiert. Es erfahrt einerseits Krafte /^, die von externen Quellen herriihren, und andererseits Krafte g^j, die von den iibrigen zum System gehorenden Massenpunkten ausgehen. g^j ist die Kraft, die das j - t e Teilchen auf das i-te Teilchen ausiibt. Damit konnen wir samtliche Bewegungsgleichungen sofort anschreiben: miri
= 5fi2 + fl'is + • • • 9in + / i
m2r2 = g21 + 923 + " ' 92n + / 2
:
(2.18)
T^n'^n — 9nl "^ 9n2 + • • • 9n,n-l
"^ Jn '
Neben der Unterscheidung zwischen inneren Krdften g^, und dufieren Krdften f^ ist auch die Abgrenzung eingeprdgter Krdfte von Zwangskrdften wichtig. Zwangskrafte schranken die geometrische Beweglichkeit des Systems ein. Beispielsweise konnten die Teilchen unseres Systems durch masselose, starre Stangen miteinander verbunden sein, so dass die geometrischen Nebenbedingungen Ikj ~ ''"ill = IkijII = ^ij — konstant und gegeben einzuhalten waren. In diesem Fall sind neben den Ortsvektoren ri{t) auch die inneren Krafte g^, unbekannt und ergeben sich erst aus den Bewegungsgleichungen zusammen mit den Nebenbedingungen. Eingepragte Krafte sind dagegen a priori bekannt und bringen keine zusatzlichen Gleichungen ins Spiel. Wenn etwa zwischen rrii und rrij Gravitationskrafte wirken, so sind die inneren Krafte unseres Mehrteilchensystems gegeben durch 9ij =
GmiTTij ~3 ^ij' ' ij
also dem Betrag nach umgekehrt proportional zu r?^- und in die Richtung von Vij = Vj—Vi wirkend. Dieser Zusammenhangkann direkt in (2.18) substituiert werden. Die Einteilungen von Kraften in Zwangs- und eingepragte Krafte einerseits sowie in innere und auBere Krafte andererseits sind vollkommen unabhangig. Es gibt innere und auBere Zwangskrafte (man denke etwa an Massenpunkte, die an eine Oberflache gebunden sind), und es gibt innere und auBere eingepragte Krafte. Die folgenden Satze sind unabhangig davon, ob die Krafte eingepragt sind oder sich aus Zwangsbedingungen ergeben. 2.3.1 Der Schwerpunktsatz Fiir die inneren Krafte eines Teilchensystems besagt das dritte Newtonsche Axiom, dass g^j = —gji (Actio-Reactio-Gesetz). Die Wirkung des j-ten Teilchens auf das i-te ist genau entgegengesetzt der Wirkung des i-ten Teilchens
48
2 Newtonsche Mechanik
auf das j-te. Wenn wir unter Beachtung dieser Einschrankung alle Bewegungsgleichungen (2.18) aufsummieren, dann ergibt sich n
n
n
"£ nxih = E i=l
n
9« + E / i = E / -
i,J = ^
i=l
(2.19)
i=l
da in der Summe iiber die inneren Krafte g^j und QJ^ immer paarweise vorkommen und sich aufheben. Nach Einfiihrung des Massenmittelpunktes -J
n
n
r, = —V^TTi^ri, m
mit
77i = V^77ii
1=1
(2.20)
1=1
folgt weiter mrrc^ = J2fi-
(2.21)
1=1
In Worten: Gesamtmasse mal Beschleunigung des Massenmittelpunktes ist gleich der Summe aller auBeren Krafte. Wirken keine auBeren Krafte, so bewegt sich der Massenmittelpunkt, der wohlgemerkt nur ein geometrisches Konstrukt ist - es muss sich kein Massenpunkt an dieser Stelle befinden -, geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit. 2.3.2 Der Drehimpulssatz Anders als der Schwerpunktsatz ergibt sich der Drehimpulssatz nicht als unmittelbare Folgerung aus dem Gleichungssystem (2.18) und dem ActioReactio-Prinzip. Eine weiteres Postulat tritt hinzu, dass namlich die inneren Krafte zwischen zwei Partikeln eines Systems nicht nur gegengleich sind, sondern auch entlang der Verbindungslinie der Partikeln wirken. Gravitationskrafte erfiillen diese Forderung ganz offensichtlich, ebenso wie die inneren Krafte eines starren Korpers. (In der Kontinuumsmechanik ist eine aquivalente Hypothese als Boltzmann-Axiom bekannt. ) Unter dem Drehimpuls eines Teilchens versteht man die GroBe r^ x rriiri (im Gegensatz zum linearen Impuls rriiri). Der Gesamtdrehimpuls eines Mehrteilchensystems wird durch Summation der Teildrehimpulse gebildet: n
h = ^riX
miVi.
(2.22)
Seine zeitliche Ableitung fiihrt auf n
h = ^{riX 1=1
n
miVi + fi x miVi) = ^ r i x miVi, 1=1
und wenn man die Bewegungsgleichungen (2.18) heranzieht, dann erhalt man
2.3 Systeme aus mehreren Massenpunkten n
I
/i = ^ r - i X
n
\
/, + ^ g , J
n
49
n
= ^ r i X /, + ^
ri X g,^..
Die erste Summe ist das Drehmoment aller auBeren Krafte. Die zweite Summe verdient noch eine eingehendere Betrachtung. Ordnet man die Summanden um, dann ergibt sich unter Ausnutzung des Actio-Reactio-Gesetzes n
j^i
n
3>i 3>i
n
= 1 ] (r-i X Qij - rj X Qi-) i,3 = l 3>i
n
i,3 = l 3>i
Dieser Ausdruck verschwindet, wenn die Kraft g^j zwischen den Massen rrii und rrij parallel ist zum Verbindungsvektor Vi — Vj von rrij nach m^. Dann vereinfacht sich der Drehimpulssatz zu n
h = Y,ri^fi.
(2.23)
In Worten: Die Anderung des Drehimpulses ist gleich dem resultierenden auBeren Moment. Diese Gleichung ist - wie bereits erwahnt - keine bloBe Umformung des Schwerpunktsatzes. Als eigenstandige, unabhangige Beziehung steht uns mit dem Drehimpulssatz (2.23) zusammen mit Gl.(2.21) ein Satz von 2 x 3 = 6 skalaren Differentialgleichungen zur Beschreibung der Bewegung eines Mehrteilchensystems zur Verfiigung. Fiir einen starren Korper reichen diese Gleichungen auch aus, um alles iiber sein Verhalten zu erfahren. Denn es sind genau sechs GroBen erforderlich, um die Lage eines starren Korpers zu spezifizieren. Dabei ist es allerdings besser, den Drehimpuls nicht auf den Koordinatenursprung eines Inertialsystems, sondern auf den Massenmittelpunkt des Systems zu beziehen. In der Technischen Mechanik wird diese GroBe als Drall um den Massenmittelpunkt bezeichnet. Wir setzen daher ri = Pi + Vc, wobei p^ den Vektor vom Massenmittelpunkt Vc zur Position Vi der Masse m^ im Inertialsystem bezeichnet. Damit schreibt sich der Drehimpulssatz in der Form
50
2 Newtonsche Mechanik
i=l n
1=1 n
n
= X^ Pi X ^iPi + X ^ ^ i P i X r^ + r-c X ^ m i ( p ^ + r j i=l n
i=l
i=l n
n
i=l
i=l
i=l
Nun folgt aus der Definition des Massenmittelpunktes n
n
^rriiPi i=l
n
= ^rriiri
-^rriirc
i=l
= 0,
i=l
und es gilt der Schwerpunktsatz ^mi{'f)^ + Vc) = J ^ / i , so dass sich einige der Terme in der obigen Gleichung herausheben. SchlieBlich bleibt nur n
n
Y,PiXmiPi = Y.PiXfi, i=l
(2.24)
1=1
wobei der Ausdruck ^ p ^ X ruiPi = 31 Z l P i X ^i'Pi \i=i
1=1
= -JT
(2-25)
J
als Ableitung des Dralls um den Massenmittelpunkt interpretiert werden darf. Gl. (2.24) lautet dann: Die zeitliche Anderung des Dralls (oder RelativDrehimpulses) um den Massenmittelpunkt ist gleich dem resultierenden auBeren Moment um den Massenmittelpunkt, n
he = ^^^Pi X fi
n
mit
he = ^^^Pi X rriip^.
1=1
(2.26)
1=1
Man beachte, dass in dieser Aussage, die wir als Drallsatz bezeichnen, der Ausdruck „Massenmittelpunkt" nicht durch einen beliebigen anderen Punkt ersetzt werden darf.
2.4 Was ist ein Inertialsystem? Obwohl die Newtonsche Mechanik so anschaulich und im Grunde leicht verstandlich ist, wird sie einer elementaren Tatsache nicht gerecht, namlich der Relativitat jeder Bewegung: Was einem Beobachter als bewegt erscheint, kann ein anderer als ruhend empfinden. Nun ist Gl. (2.3) zwar invariant gegeniiber dem Wechsel zwischen gleichformig bewegten Bezugssystemen, beim Ubergang auf ein beschleunigtes Bezugssystem andert sich aber ihre Gestalt. Im Allgemeinen wird ein solcher
2.4 Was ist ein Inertialsystem?
51
Ubergang von einem Bezugssystem K in ein anderes Bezugssystem K' in jedem Augenblick t durch eine lineare Transformation der Komponenten x, y, z des Ortsvektors r auf Komponenten x', y', z' eines Ortsvektors r' beschrieben (Abbildung 2.4): r = B{t)r' ^u{t). (2.27) Hierin ist B(t) eine zeitabhangige Matrix, u{t) bezeichnet den ebenfalls zeitabhangigen Ortsvektor zum Ursprung von K'. B beschreibt die Drehung und u die translatorische Bewegung von K' gegen K. Die Drehmatrix B muss so beschaffen sein, dass sich der Abstand zweier Punkte in beiden Bezugssystemen gleich errechnet. Solche Matrizen nennt man orthogonal. Sie zeichnen sich durch die Eigenschaft B~^ = B ^ aus, also durch die Identitat der Inversen und der Transponierten. Deshalb sind auch nur drei der insgesamt 3 x 3 = 9 Komponenten von B frei wahlbar. Eine Parametrisierung der Drehmatrix B kann beispielsweise durch die Eulerschen Winkel erfolgen. Wir gehen an dieser Stelle jedoch nicht naher auf darauf ein, sondern verweisen auf entsprechende Literatur (z. B. [12] oder [3]) und auf eine eingehendere Diskussion in Kapitel 9.
•
K
Abbildung 2.4. Die Position eines Massenpunktes m, bezogen auf zwei verschiedene Koordinatensysteme K und K'. Den Koordinaten r' = (x'^y'^z') von m in K' entsprechen die Koordinaten r = {x,y,z) in K. Die Umrechnung ergibt sich aus Uberlagerung einer Translation mit einer Rotation.
Analog zum Ortsvektor andert sich natiirlich auch der Kraftvektor / beim Wechsel von K nach K'. Die Komponenten von / transformieren wie die Komponenten eines Verbindungsvektors zweier Raumpunkte:
/ = B{t)f'.
(2.28)
Substituiert man nun die Transformationsvorschriften (2.27) und (2.28) in die Newton-Gleichung (2.3), so erhalt man die Bewegungsgleichung in K': m
(BV
+ B r ' + 2Bf' + u) = Bf
oder - nach Multiplikation mit B~^ = B ^ von links -
52
2 Newtonsche Mechanik m (r' + B^Br'
+ 2B^Br'
+ B^u)
= f .
(2.29)
Diese Gleichung hat im Allgemeinen nicht mehr die Form der NewtonGleichung: mr' ^ f', auBer es ist B = const,
und
u = at -\- b
mit a und b als Konstante. Die Giiltigkeit der Newtonschen Bewegungsgleichung (2.3) beschrankt sich also auf eine Klasse von Systemen, die sich alle relativ zueinander gleichformig und rein translatorisch bewegen. Man nennt diese Bezugssysteme Inertialsysteme. Doch damit erhebt sich eine sehr unangenehme Frage: Wie kann m a n iiberhaupt sicher sein, dass m a n sich in einem Inertialsystem befindet und die Bewegungsgleichung in der Form (2.3) anschreiben darf ? Newton selbst hat sich dazu ein beriihmtes Experiment einfallen lassen, das auf folgender Uberlegung beruht: Wenn m a n einen Eimer voll Wasser in Drehung versetzt, dann steigt die Wasseroberflache infolge der Fliehkraft an der Eimerwand etwas hoch, wahrend sie in der Mitte ein wenig absinkt (siehe Abbildung 2.5). Die Drehung des Elmers wird dabei durch Reibungskrafte an der Wand auf das Wasser iibertragen. Nun konnte die GroBe der sich einstellenden Kriimmung der Wasseroberflache im Prinzip als MaB fiir die Winkelgeschwindigkeit, mit der der Eimer rotiert, dienen. Rotiert er nicht, so miisste eine vollkommen ebene Oberflache beobachtet werden. Auf diese Weise konnte m a n entscheiden, ob sich der Eimer gegeniiber der Klasse der Inertialsysteme dreht.
Abbildung 2.5. Das heruhmte Eimerexperiment von Newton soil dazu dienen, zu entscheiden, oh eine Drehung gegen den „absoluten Raum" vorliegt. Durch eine Drehung des Eimers wird die Wasseroberflache parabelformig deformiert, und die Grofie dieser Deformation ist ein Mafi fiir die Winkelgeschwindigkeit. (Wer das Experim^ent selbst durchfiihren will, sollte im. Freien oder im. Badezim.m.er tun.)
Doch die Aussagekraft dieses Experiments kann in Frage gestellt werden: Es ware j a auch durchaus denkbar, dass die Deformationen der Wasserober-
2.4 Was ist ein Inertialsystem?
53
flache in einigen Fallen von Gravitationskraften ferner Sterne oder Galaxien herriihrt. Dies klingt zwar sehr unwahrscheinlich, kann aber a priori nicht vollkommen ausgeschlossen werden. Um es tatsachlich ausschlieBen zu konnen, miissten wir als redliche Naturforscher iiber alle Krafte im Universum Bescheid wissen. Bis dahin konnen wir nicht sicher sein, ob uns der Ausgang des Eimerexperiments nicht tauscht. Dieser Einwand gegen den Eimerversuch, der vom Wiener Physiker und Erkenntnistheoretiker Ernst Mach erhoben wurde, zielt auf folgende Schwache der klassischen Mechanik: Die Newtonsche Theorie enthalt keine geometrischkinematische Methode, mit der man entscheiden konnte, ob ein Inertialsystem vorliegt oder nicht. Damit ist es aber auch unmoglich, das Newtonsche Bewegungsgesetz empirisch zu iiberpriifen, ohne alle Krafte im Universum zu kennen, denn jedem Falsifikationsversuch des Bewegungsgesetzes konnte immer mit dem Argument begegnet werden, dass wir uns in keinem Inertialsystem befanden und Gl. (2.5) daher nicht giiltig sei. Kein sicherer wissenschaftlicher Boden fiir die Mechanik also? Man sieht jedenfalls, dass die Newtonsche Physik doch nicht so klar ist, wie es zunachst den Anschein hatte. Wer sich ein Inertialsystem nicht so recht vorstellen kann, der braucht sich nicht zu genieren. Der Grund fiir unsere Verwirrungen liegt vielleicht in einer halbherzigen Trennung von Raum und Materie. Gedanklich konnen wir den Raum zwar als etwas unabhangig von der Materie Existierendes betrachten, erfahrbar wird Raum aber nur als Lagebeziehung zwischen den Korpern. Wir wollen hier einen von Ernst Mach vorgeschlagenen Ausweg aus unserem Dilemma erwahnen. Demnach gilt in einem System, in dem sich die gesamte im Universum vorhandene Materie im Mittel nicht bewegt, das Newtonsche Gesetz (2.3) exakt^ und damit bildet dieses System ein Inertialsystem. Diesen Standpunkt kann man als physikalischen Befund betrachten. Wie sich die Materie im Mittel bewegt, ist namlich zumindest im Prinzip empirisch nachpriifbar, und man kann daraus Rotation u{t) und Translation B(t) seines Bezugssystems errechnen. Ob dieses Machsche Prinzip die Mechanik rettet, darf allerdings bezweifelt werden. Dass wir zuerst die Orte und Bewegungen samtlicher Massen im Kosmos kennen miissen, um iiberhaupt Mechanik betreiben zu konnen, macht ja die Mechanik als Bewegungslehre letztlich iiberflussig. Um uns nicht zu sehr in philosophische Spekulationen zu verlieren, miissen wir uns auf einen pragmatischeren Standpunkt zuriickziehen. Wir konnen nur die Tatsache akzeptieren, dass es kein sicheres und praktisch durchfiihrbares Experiment gibt, um ein Inertialsystem festzulegen. Es bleibt nichts anderes iibrig, als anzunehmen, dass wir in den Himmelskorpern eine Folge immer hesserer Anndherungen an ein Inertialsystem finden. Uber die Giite dieser verschiedenen Naherungen entscheidet das Verhaltnis der Zeitskalen, auf denen die beobachtete Bewegung und die Bewegung des Bezugssystems ablaufen. Da sich die Erde nur sehr langsam bewegt, kann fiir die meisten technischen Prozesse, die vergleichsweise schnell ablaufen, unser Heimatplanet als Inertialsystem betrachtet werden. In der Raumfahrt, fiir die ja in mancher Hinsicht
54
2 Newtonsche Mechanik
extreme Bedingungen gelten, muss diese Annahme jedoch hinterfragt werden. Die Umlaufdauer eines Satelliten in einer Hohe von 1000 Kilometern betragt beispielsweise 1,86 Stunden und entspricht damit fast 8% der Dauer eines Tages, jedoch nur 0,02% eines Jahres. Daher muss m a n in der erdnahen Raumfahrt die Drehung der Erde beriicksichtigen, und m a n wird den Orbit eines Satelliten in einem Bezugssystem beschreiben, das diese Drehung nicht mitmacht, wohl aber die Bewegung des Erdmittelpunktes um die Sonne. Fiir interplanetare Raumfliige ware aber auch dieses Bezugssystem ungeeignet, da wir dabei mit Flugzeiten von mehreren J a h r e n zu t u n haben. In diesem Fall wird eine noch bessere Naherung an die Klasse der Inertialsysteme erforderlich. Man verwendet dazu das in Kapitel 1 eingefiihrte heliozentrische Bezugssystem, das im Laufe eines Platonischen Jahres (26000 Jahre) nur eine Drehung ausfiihrt.
Literaturhinweise zu Kapitel 2: ARNOLD [3]: Diese mathematisch fundierte Einfiihrung bietet auch fiir erfahrene Mechaniker neue Perspektiven ihrer Wissenschaft. Fiir Mathematiker ist das Werk wegen seiner Exaktheit besonders empfehlenswert. GOLDSTEIN [12]: Dieses Buch iiber Klassische Mechanik ist selbst schon ein Klassiker. Fiir Ingenieure, Physiker und Mathematiker gleichermaBen zu empfehlen.
Das Zweikorperproblem
Die Dynamik der Himmelskorper und Satelliten wird von Gravitationskraften dominiert. Im Prinzip gehen Schwerkrafte von alien Sternen, Planeten und Monden im Universum aus, so dass die Kraft, die ein Korper im Weltraum erfahrt, eigentlich von der Lage samtlicher Massen im Universum abhangig ist. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es aussichtslos, an eine Berechnung der Dynamik von Raumfahrzeugen zu denken. Bereits das einfache Beispiel dreier Massen, die sich unter der Wirkung ihrer Gravitationsfelder bewegen, ist analytisch unlosbar; geschlossene Losungsformeln existieren nur fiir den als Zweikorperproblem bezeichneten - Fall zweier Massen. Doch zum Gliick kann die Dynamik der meisten Himmelskorper mit guter Naherung als Zweikorperproblem beschrieben werden: Die Bahn der Erde um die Sonne, der Umlauf des Mondes um die Erde oder der Orbit eines kiinstlichen, erdnahen Satelliten. Diese Feststellung ist alles andere als trivial. So erfahrt der Mond eine Anziehungskraft von 3,25 x 10^^ N durch die Erde deutlich weniger als durch die Sonne, die eine Kraft von 4,33 x 10^^ N auf ihn ausiibt. Warum man dennoch behaupten kann, der Mond kreise um die Erde, werden wir in Kapitel 8 mathematisch begriinden. Anschaulich lasst sich argumentieren, dass sich die Anziehung durch die Sonne und die „Fliehkrafte" ausgleichen, die beim Umlauf der Erde entstehen und natiirlich auch auf den Mond einwirken. Dieser Krafteausgleich ist zwar nur im Erdmittelpunkt perfekt, im Bereich der Mondbahn aber immer noch mit guter Naherung gegeben. Die Situation hat Ahnlichkeit mit der scheinharen oder dynamischen Schwerelosigkeit in einem um die Erde kreisenden Raumschiff, in dem ja auch die Gravitationskrafte, die auf niedrigen Orbits nicht viel geringer als auf der Erdoberflache sind, durch Fliehkrafte kompensiert werden, so dass sich die Raumfahrer schwerelos fiihlen. Nach einem sehr allgemeinen physikalischen Prinzip konnen Fliehkrafte nicht von Schwerkraften unterschieden werden.
56
3 Das Zweikorperproblem
3.1 Bewegungsgleichung und Erhaltungsgrofien Das Modell zweier Massen, die sich unter der Wirkung ihrer gegenseitigen Gravitationsanziehung bewegen, beschreibt also das Verhalten der Himmelskorper und Satelliten in den meisten Fallen sehr gut. Unsere Aufgabe besteht daher zunachst darin, die Bewegungsgleichungen fiir das Zweikorperproblem, dessen erste vollstandige Erorterung iibrigens von dem bedeutenden Schweizer Mathematiker Leonhard Euler (1707-1783) stammt, aufzustellen und nach Losungen bzw. ErhaltungsgroBen zu suchen.
mi
1712
Abbildung 3.1. Zur Bewegung zweier kugelformiger Korper unter dem Einfluss ihrer gegenseitigen Anziehung.
Inertialsystem
Wir betrachten zwei homogene Kugeln mit den Massen m i und m2, deren Positionen durch die Ortsvektoren r i und r2 zu ihren Massenmittelpunkten beschrieben werden (Abbildung 3.1). Um die Newton-Gleichung in der Form (2.3) anwenden zu konnen, miissen diese Vektoren in einem Inertialsystem zerlegt werden. Mit r = r2 — r i als Verbindungsvektor von nii nach 7712 ergeben sich die Bewegungsgleichungen unmittelbar aus dem Schwerpunktsatz und dem Gravitationsgesetz zu (Pri
Gmim2
f
^
(i^r2
(3.1)
Gmim2
' ^ ' ^ = — ^ ^ " Da die Schwerkraft dem Actio-Reactio Prinzip gehorcht, loschen sich die rechten Seiten bei Addition beider Gleichungen aus, und wir erhalten die Aussage miri+m2r2=0
oder
(mi + m 2 ) r M = 0,
(3.2)
wenn m a n den Massenmittelpunkt VM
=
miri+m2r2 • m i + m2
.^ ^. (3.3)
3.1 Bewegungsgleichung und ErhaltungsgroBen
57
einfiihrt. Dies bedeutet, dass sich der Massenmittelpunkt gegeniiber dem Inertialsystem gleichformig, auf geradliniger Bahn bewegt, wahrend die beiden Korper um ihn herumwandern. Man kann die Lagen der Massen statt durch r i und r2 auch durch VM und r beschreiben. Aus (3.3) und r = r2 — r i ergibt sich namlich unmittelbar Ti =
VM
7712
m i +7712
1
T und
r2 =
VM H
^^1
7711 + ^ 2
T
.
/o
A\
(3.4)
Daraus sieht man auch, dass r i , r2 und VM auf einer Geraden liegen (Abbildung 3.1). Da in den meisten Fallen eine der beiden Massen dominant ist, wie bei der Sonne und der Erde oder bei der Erde und einem Satelliten, befindet sich der Punkt VM oft in der Nahe des schwereren Korpers. Selbst der Massenmittelpunkt des Systems Erde - Mond liegt innerhalb der Erdoberflache. Um zu einer Gleichung fiir den Verbindungsvektor r zu gelangen, subtrahieren wir die beiden Bewegungsgleichungen (3.1) nach Division durch 7711 bzw. 7712- Dabei entsteht V r2-ri=r
= -G{mi
+ 7712) —
oder 72
—^ + 4 - ^ = 0 mit /i := G(77ii + 7712). (3.5) Diese nichtlineare Differentialgleichung bezeichnet man als Zweikorperproblem, dessen Losung uns im Weiteren beschaftigen wird. Damit wird die Relativbewegung r{t) von 7712 gegen 7711 vollstandig beschrieben, denn die Vektoren r i und r2 kommen in Gl. (3.5) nicht mehr vor. Man beachte, dass die Konstante /i von der Masse beider Korper abhangt. Betrachtet man etwa die Planeten eines Sonnensystems, so ergeben sich unterschiedliche Werte fi fiir die Wechselwirkungen zwischen dem Zentralgestirn und den einzelnen Planeten. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass sich eine andere Gleichung anstelle von (3.5) ergibt, wenn man eine Masse, etwa 7711, als inertialfest ansieht. In diesem Fall ware r der Ortsvektor zu 7712 im Inertialsystem und wir erhielten (fr Gmim2 , dPr Gmi ^ ^ ^ = ^ ^ ^ Oder _ + _ ^ r = 0 als Bewegungsgleichung der Masse 7712. Vergleicht man dies mit Gl. (3.5), so fallt auf, dass der Parameter /i darin anders definiert ist. Nur wenn 7711 ^7712, dann ist /i = G{mi + 7712) ^ G7711. Bei der Losung von nichtlinearen Differentialgleichungen kommt ErhaltungsgroBen, also GroBen, die sich im Lauf der Zeit nicht andern, eine groBe Bedeutung zu. Fiir das Zweikorperproblem (3.5) konnen drei erste Integrale formuliert werden: Energie, Drehimpuls und das sogenannte Hamiltonsche Integral. Wir wollen sie nun herleiten und diskutieren.
58
3 Das Zweikorperproblem
3.1.1 D a s Energieintegral Das Energieintegral erhalt man, wenn m a n Gl. (3.5) mit r skalar multipliziert =
r • r -\- 1—— f
U
und beachtet, dass
r'
^ = jt ( r ' ) = Jt (^"')
r'
^ = Jt (rO dt \2
J
. J.J,
Daher ist
d
'di
(H^^^
_ d rv^ ~ dt\2
fi\ = ( r)
oder v'^
11
2
,
- C = const.
P'*'
Die GroBe C ist somit zeitlich konstant. Sie ist zwar ein reprasentativer Energieausdruck, stellt aber im physikalischen Sinn nur einen Teil der Energie des Zweikorperproblems dar. Die Gesamtenergie ist ^
..
i;? 2
v^ 2
Gmim2 r
Ersetzt m a n in i;J = r^ .r^ und ^'| = r2 • ^2 die Vektoren ri und r2 durch die Beziehungen (3.4), so folgt nach Umformung
nil + ni2 \ 2
r
J
2
wobei v\^ = r\^. Der Term {mi -\-1712) v\^/2 ist die Energie der geradlinige Bewegung des Massenmittelpunktes, die wegen (3.2) zeitlich konstant ist. Wir identifizieren daher die GroBe C aus (3.6) als spezifische Energie der Relativbewegung zwischen mi und 7712, bezogen auf die reduzierte Masse 77117712/ (7711 + 7712). 1st eine der Massen dominant, so ist die reduzierte Masse ungefahr gleich der anderen Masse. Betrachten wir einen kiinstlichen Erdsatelliten, so ware also C als seine (mechanische) Energie pro Kilogramm Satellitenmasse zu deuten. Man bezeichnet dariiber hinaus den Ausdruck i;^/2 als spezifische kinetische und —/i/r als spezifische potentielle Energie. Vom Energieintegral (3.6) werden wir insbesondere bei der Auslegung von Orbitalmanovern oft Gebrauch machen (siehe Kapitel 7).
3.1 Bewegungsgleichung und ErhaltungsgroBen
59
3.1.2 E r h a l t u n g des D r e h i m p u l s e s Bildet man auf beiden Seiten von Gl. (3.5) das Kreuzprodukt mit r, so ergibt sich d r .X r X r = —-(r X r] = 0 dt und nach Integration r X r = h = const. (3.7) Auch der Drehimpuls h bleibt also erhalten. Dies bedeutet aber, dass der Verbindungsvektor r stets normal auf h steht (denn /i ist ja als Kreuzprodukt aus r und r definiert). Nun kann man r als Ortsvektor in einem in nii mitgefiihrten, gegen das Inertialsystem aber nichtrotierenden Bezugssystem ko auffassen (Abbildung 3.2). Die Zo-Achse dieses Orbitsystems soil mit der Richtung von h iibereinstimmen, die Orientierung der beiden anderen Achsen ist vorerst beliebig, aber ebenfalls raumfest. Die Relativbahn von 7712 gegen mi liegt damit in der (xo,^o)-Ebene von ko, die man deshalb auch Orbitalebene nennt. Man beachte, dass der ganzen in Abbildung 3.2 dargestellten Anordnung noch eine rein translatorische Bewegung gegen das Inertialsystem iiberlagert ist, die uns hier jedoch nicht weiter zu interessieren braucht. Der Drehimpuls h kann sehr anschaulich interpretiert werden. Mit e^ als Einheitsvektor entlang der z^-Achse folgt fiir ein kleines Zeitintervall dt hdt = heldt = r x rdt = 2dAel, wobei dA der halben Flache des von r und rdt aufgespannten Parallelogramms entspricht (Abbildung 3.2). Da dann dA aber die in dt vom Vektor r iiberstrichene Flache ist, konnen wir nach Division durch dt das zweite Keplersche Gesetz erkennen: 2A = h = const.
Oder
AA = -At.
(3.8)
In gleichen Zeiten werden gleiche Flachen iiberstrichen. Fiir die weitere Behandlung des zweiten Keplerschen Gesetzes ist die Einfiihrung von Polarkoordinaten sehr niitzlich. Zunachst gilt r = re^, wobei e^ = (cos ^, sin ^,0). 0 ist der Winkel zwischen r und der vorerst beliebigen Xo-Achse. Ferner ergibt sich r = re^ -\-rOe0 mit eg = (— sin^, cos^, 0). Damit schreibt sich der Drehimpuls nach Gl. (3.7) in der Form h = (rer) X {rer + rOee) = r'^Oe''^,
(3.9)
denn e^ x 651 = (0,0,1)-^^ = e^. e; Der Betrag des Drehimpulses ist daher in Polarkoordinaten durch h = r'^O {= const.) gegeben.
60
3 Das Zweikorperproblem
M h
Abbildung 3.2. Die Relativbahn der Masse 1712 um mi liegt in einer Ehene, die normal auf den Drehimpulsvektor h steht. Mit h und dem Hamiltonschen Integral q konnen die Achsen eines nichtrotierenden Orbitsystems definiert werden (Einheitsvektoren e^, By und e^), in dem die Relativbahn sehr einfach darstellbar ist.
3.1.3 D a s Hamiltonsche Integral Energie und Drehimpuls bleiben bei jeder Zentralbewegung, d. h. bei jedem Kraftgesetz der Form / = f{r)er erhalten. Fiir das 1/r^ - Gesetz kann jedoch noch eine weitere ErhaltungsgroBe hergeleitet werden, die eine analytische Beschreibung der Bahngeometrie ermoglicht. Wir bilden dazu das Kreuzprodukt der Bewegungsgleichung (3.5) mit dem Drehimpuls h. Dabei entsteht 0 = r X Ai + —r X h
=
i{rxh)+-^{re,)x{r'0e^.)
= ^ (r- X / i ) - fiOee
= ^ ( r - X h-
iiCr).
Der letzte Schritt begriindet sich aus dem Zusammenhang e^ = Oeo. Nach Integration folgt r X h — fiCr = q (3.10)
3.1 Bewegungsgleichung und ErhaltungsgroBen
61
mit q als einer weiteren Integrationskonstanten, die man als Hamiltonsches Integral bezeichnet. Wie man sieht, ist die Integration nur deshalb gegliickt, well sich im zweiten Term der Abstand r als Folge des 1/r^ - Gesetzes herausgekiirzt hat. Nur der spezifischen Form des Gravitationsgesetzes ist es zu verdanken, dass wir iiberhaupt ein tieferes Verstandnis der Dynamik von Himmelskorpern entwickeln konnen. 3.1.4 Allgemeine Aussagen iiber die Orbitalgeometrie mit Hilfe der ErhaltungsgroBen Die Vektoren h und q konnen, da sie ja konstant bleiben, schon aus dem Anfangszustand r(0) = VQ und f(0) = VQ berechnet werden: h = To X VQ,
q = VQ X h — fi—.
(3.11)
Was ergibt sich daraus nun fiir die Geometrie der Orbits? Es fallt auf, dass der Vektor q in der Orbitalebene liegt, denn aus Gl. (3.10) folgt q ' h = 0. Da wir die Lage der x-Achse unseres Orbitsystems in Abbildung 3.2 bis jetzt noch nicht naher spezifiziert haben, konnen wir hierfiir die Richtung von q verwenden: e^ := q/q. Dann ist der Winkel 0 zwischen dem Relativvektor r und der x-Achse definiert durch cos0 = ^
= !lliil^i-?il^i^. (3.12) qr qr Die in der Himmelsmechanik iibliche Bezeichnung fiir 0 ist wahre Anomalie. Wegen der zyklischen Vertauschbarkeit des Spatproduktes gilt r - {r x h) = h ' {r X r) = h ' h = h^, womit sich (3.12) weiter umformen lasst: h^ cos6> = — - ^^ qr q mit den Abkiirzungen
oder Oder
r(0) = ^ ^ l + ecosP
(3.13) ^ ^
(3.14) und e = - . /^ Da q den Betrag eines Vektors bezeichnet und somit positiv ist, ist e > 0. Gl. (3.13) ist zwar nicht die vollstandige Losung des Zweikorperproblems, beschreibt aber die Geometrie der Bahn bzw. des Orbits von 7712 aus der Sicht eines Beobachters auf mi durch Angabe des Abstandes der beiden Korper als Funktion der wahren Anomalie. Die Bestimmung der noch unbekannten Zeitfunktion 0{t) werden wir spater diskutieren. Zunachst halten wir fest, dass der Nenner in Gl. (3.13) keine Singularitaten hat, wenn e kleiner als eins ist. Die Bahn ist dann geschlossen. Falls jedoch e > 1, geht r fiir ^ = arccos(—1/e) gegen unendlich, und die beiden Massen entfernen sich immer weiter voneinander. Wie man durch Vergleich mit Gl. (1.7) sieht, sind die durch Gl. (3.13) beschriebenen Bahnen Kegelschnitte mit der x^-Achse als Hauptachse und der Position von mi als Brennpunkt. Insbesondere erhalt man fiir P--
62 • • • •
3 Das Zweikorperproblem e e e e
= < = >
0: 1: 1: 1:
Kreisformige Orbits {a = 90° in Abbildung 1.14) Elliptische Orbits {a > s in Abbildung 1.14) Parabolische Orbits {a = s in Abbildung 1.14) Hyperbolische Orbits {a < s in Abbildung 1.14).
Welcher Typ von Losung sich fiir gegebene Anfangswerte einstellt, kann sofort entschieden werden: Mit Hilfe von Gl. (3.11) berechnet man h und q und daraus e bzw. p. Auch wenn wir die Zeitfunktion 0{t) noch nicht kennen, ist es moglich, mit dem zweiten Keplerschen Gesetz die Geschwindigkeit r in einem beliebigen Punkt der Kurve (3.13) als Funktion der wahren Anomalie darzustellen. Durch Differentiation der Beziehung r = rCr erhalt man dv • V = r = fcr + rCr = rCr + rOeo = -^Ocr + rOee dO dr h h h , ^ h ,_^ _, = ^TT^rCr + -ee = -esmt^e^ + - ( 1 + ecost^je^, du r"^ r p p wobei wir den Zusammenhang PO = h und Gl. (3.13) verwendet haben. Mit h = y^pjl nach Gl. (3.14) folgt schlieBlich i;^ = —esin^ = w —esin^ P yP
(3.15)
V0 = - ( 1 + e cos i9) = . / ^ ( l + e cos i9) p y p
(3.16)
V = y^^2~7^ =
/ ^ ( i + 2e cos i9 + e^)*.
(3.17)
Diese Zerlegung der Geschwindigkeit in Richtung von e^ und eg ist in Abbildung 3.3 dargestellt. Fiir die Praxis bedeutend ist auch der Flugwinkel 7 zwischen dem Geschwindigkeitsvektor v und CQ. Er kann durch die Beziehungen sm7 = — und cos 7 = — (3.18) V
V
errechnet werden. Die Geschwindigkeit v erreicht fiir ^ = 0 ihr Maximum, wenn der Abstand r am kleinsten ist. Da Vr nach Gl. (3.15) fiir ^ = 0 verschwindet, steht in dieser Position der Geschwindigkeitsvektor r senkrecht auf den Lagevektor r. Dies folgt auch aus der Symmetric der Flugbahn: r{0) = r{—0). Man nennt ^ 1+e
(3.19)
den Perigeums ah stand und Vry^V
= J ^ ( l + e)
(3.20)
3.1 Bewegungsgleichung und ErhaltungsgroBen
63
Orbi
Abbildung 3.3. Zerlegung des Geschwindigkeitsvektors in Richtung der Einheitsvektoren Br und BQ. Im Perigeum, dem Punkt, in dem. sich die beiden Massen am. ndchsten kommen, verschwindet die Radialgeschwindigkeit Vr.
Perigeum
die Perigeumsgeschwindigkeit Die Bezeichnung Perigeum unterstellt eine geozentrische Betrachtungsweise wie sie fiir Satelliten zumeist gerechtfertigt ist. Die Silbe „geo" leitet sich aus dem griechischen Namen der Erdgottin Gaia her. Betrachtet m a n Orbits um die Sonne, so spricht m a n statt dessen vom Perihel , wegen Helios, dem griechischen Sonnengott. Eliminiert m a n aus den Formeln (3.19) und (3.20) den P a r a m e t e r p, so erhalt m a n einen sehr niitzlichen Zusammenhang zwischen dem iiber den Bahntyp entscheidenden Orbitalparameter e, dem Perigeumsabstand und der Perigeumsgeschwindigkeit: TpVp = /i(l + e)
oder
(3.21)
e =
Daraus ist zum Beispiel ersichtlich, welche Perigeumsgeschwindigkeit zum Entweichen aus dem Erdschwerefeld erforderlich ist. Setzt m a n e = 1, so ergibt sich die dementsprechende Geschwindigkeit Vp zu y 2 / i / r p . Dagegen ist die fiir einen Kreisorbit (e = 0) benotigte Geschwindigkeit nur Vp = y^fi/vp. Mit Vp und Vp kann m a n schlieBlich auch die spezifische Energie eines Orbits darstellen. Aufgrund des Energiesatzes (3.6) gilt namlich
C =
2
Vp
2p ^
1).
(3.22)
Man erkennt, dass (7 < 0 fiir elliptische Orbits (da e < 1) und C > 0 auf hyperbolischen Orbits (e > 1). Im parabolischen Grenzfall (e = 1) ist (7 = 0.
64
3 Das Zweikorperproblem
3.2 Elliptische Orbits Wenn der Parameter e aus Gl. (3.13) kleiner als eins ist, dann entstehen geschlossene, elliptische Orbits. In diesem Fall bezeichnet man e als Exzentrizitdt. Der Zustand, in dem sich die beiden Massen mi und m2 am weitesten voneinander entfernen, wird fiir ^ = TT erreicht und bei geozentrischen Orbits als Apogeum, bei heliozentrischen Bahnen als Aphel bezeichnet. Nach Gl. (3.17) nimmt dabei die Geschwindigkeit ein Minimum an. Ein Satellit bewegt sich also im Perigeum am schnellsten und im Apogeum am langsamsten. Bei hyperbolischen und parabolischen Orbits, auf die wir weiter unten zu sprechen kommen, iiberschreitet dagegen der Abstand zwischen den Korpern im Lauf der Zeit jede Schranke, wahrend sich die Geschwindigkeit einem Grenzwert nahert. In der erdnahen Raumfahrt kommt den elliptischen und als wichtigem Spezialfall den kreisformigen Orbits natiirlich besondere Bedeutung zu. Wir diskutieren daher die Eigenschaften dieses Bahntyps am ausfiihrlichsten. 3.2.1 Bahngeometrie Die Form einer Ellipse ist durch zwei Parameter definiert, etwa durch den Abstand der Brennpunkte und die groBe Halbachse. (Dazu kommen freilich noch Angaben iiber die Lage der Umlaufbahn im Raum, die wir aber weiter unten betrachten wollen.) In Gl. (3.13) sind es die Exzentrizitat e und der Halbparameter p, durch die der Orbit beschrieben wird. Die iibrigen KenngroBen wie die groBe Halbachse, die kleine Halbachse, die Brennweite etc. konnen daraus leicht hergeleitet werden. Tabelle 3.1 enthalt eine Zusammenstellung niitzlicher Formeln zur Berechnung dieser und anderer geometrischer Parameter sowie der ErhaltungsgroBen (7, h und q aus den GroBen e und p (siehe auch Abbildung 3.4). Meist ist es jedoch anschaulicher, anstelle des Halbparameters p die groBe Halbachse a als unabhangigen Parameter neben der Exzentrizitat e zu verwenden. Dazu muss in den Beziehungen aus Tabelle 3.1 nur p mit Hilfe der dritten Formel durch p = a(l — e^) ersetzt werden. Man erhalt: p = a(l —e^),
rp = a(l —e), (7 = - £ ,
ra = a(l + e),
f = ae,
/i= V/ia(l-e2),
q = ^e.
h = ayl
— e^ (3.23) (3.24)
Interessant ist, dass die Energie C eines elliptischen Orbits nur von der groBen Halbachse a, nicht aber von der Exzentrizitat e abhangt. Das Hamiltonsche Integral q ist hingegen eine reine Funktion von e.
3.2 Elliptische Orbits
65
Tabelle 3.1. Herleitung der Bahnparameter eUiptischer Umlaufbahnen Grofie
Formel P
Perigeumsabstand
Apogeumsabstand
GroBe Halbachse
1—e
a ^ ^ " 1 - e2
Begriindung
Mit rp = r{e = 0) a u s (3.13).
Mit ra = r{e = TT) a u s (3.13).
Aus A b b . 3.4 folgt u n m i t t e l b a r r a + r p _ l / p
p
2 Vl + e
2
\
'
l-ej
D u r c h U m f o r m u n g ergibt sich d a r a u s die n e b e n s t e h e n d e Formel.
Brennweite
^
pe l-e2
f - n
^ " ""
r
-
P
"^^ " 1 - e2
P
-
P^
1 + e " 1 - e2 •
Allgemein gilt fiir Ellipsen
Kleine Halbachse
b=
^0? - p .
Mit obigen Formeln fiir a u n d / lasst sich d a m i t h durch e u n d p darstellen.
Energie
Drehimpuls
Hamilton-Integral
^ = |;(^^-^)
Siehe Gl. (3.22).
h = ^/JIp
Siehe Gl. (3.14).
q = /le
Siehe Gl. (3.14).
66
3 Das Zweikorperproblem
Apogeum
Perigeum
Abbildung 3.4. Die geometrischen Param^eter einer Bahnellipse. Dargestellt ist eine Ellipse mit der Exzentrizitdt e = 0,5. Dies entspricht dem Achsenverhdltnis hi a = A / 3 / 2 .
3.2.2 Der Kreisorbit Ein bedeutender Spezialfall unter den elliptischen Orbits ergibt sich fiir e = 0. In diesem Fall ist r{0) = p = a; die Masse m2 bewegt sich also auf einer Kreisbahn um m i , da der Abstand der beiden Korper konstant bleibt. Dabei ist natiirlich auch die Geschwindigkeit konstant. Aus Gl. (3.17) folgt fiir e = 0 und p = a VK
— = const. a
(3.25)
Dieses Gesetz kann iibrigens naherungsweise auch ganz leicht ohne Riickgriff auf den Formelapparat des Zweikorperproblems hergeleitet werden, wenn m a n die Masse nii als inertialfest ansieht. Auf einem Kreisorbit ist namlich einerseits die zum Mittelpunkt (also zu nii) gerichtete Schwerkraft und andererseits die nach auBen wirkende Fliehkraft konstant. Beide Krafte befinden sich im Gleichgewicht, wenn sich der radiale Abstand der Masse m2 vom Zentralkorper nii nicht andert. Mit n = VK/ct als Orbitalwinkelgeschwindigkeit gilt Gmim2
2 7712 a n
'^1' 7712—^ a
1 oder
VK
Gmi
3.2 Elliptische Orbits
67
Der Vergleich mit Gl. (3.25) zeigt allerdings, dass der Faktor fi = G{mi +7712) dabei nicht richtig herauskommt. Nur wenn mi ^7712, gilt fi « Gmi. Fiir die Raumfahrt ist diese Naherung natiirhch absolut ausreichend, da die Massen unserer Satelliten (etwa 10^ kg) im Vergleich zur Erdmasse (me = 5,9741 x 10^^ kg) verschwindend klein sind. Daher wird in der Satellitendynamik mit dem Wert ^ ^ Grrie = 3,986 x 10^^ m ^ s ^ (3.26) gerechnet. Nach Gl. (3.25) betragt die (theoretische) Kreisbahngeschwindigkeit eines Satelliten auf der Erdoberflache etwa 7900 m/s (mit a = RE = 6378 km). Dies entspricht immerhin der 24-fachen Schallgeschwindigkeit auf Meeresniveau. Oft wird dieser Wert als erste kosmische Geschwindigkeit bezeichnet. Je hoher der Orbit, umso kleiner die Geschwindigkeit: Fiir geostationare Satelliten (a = 42164 km) betragt sie nur mehr 3075 m/s. Trotzdem ist die (spezifische) Gesamtenergie eines Satelliten in einem hohen Orbit groBer. Diese folgt sofort aus der ersten Beziehung (3.24). Es ist interessant, die Energien verschiedener Zustande eines erdnahen Raumfahrzeuges zu vergleichen. Nehmen wir wieder folgende Beispiele: 1. Niedriger Erdorbit (LEO=Low Earth Orbit), a ^ RE = 6,378 x 10^ m: CLEO = - ^ = -3,12 X 10^ Ws/kg = -8,68 kWh/kg 2. Geostationarer Orbit, a = 4,2164 x 10^ m: CGEO = - £ = -4,73 X 10^ Ws/kg = - l , 3 1 k W h / k g Um diese Werte zu veranschaulichen, wollen wir sie mit der spezifischen Energie Co einer auf der Erdoberflache ruhenden Masse vergleichen. Eine solche Masse beflndet sich im Abstand RE vom Erdmittelpunkt und hat demnach die potentielle Energie —/I/RE- Dazu kommt noch ein kleiner Anteil an kinetischer Energie v'^/2, der von der Eigendrehung der Erde herriihrt. Am Aquator ergibt sich mit TE = 24 Stunden VE =
REOOE
=
RE^TT/TE
= 463,8 m / s .
Daraus errechnet sich die Referenz-Energie auf der Erdoberflache zu 2
Co = ^ - - 7 - = (1,0757 X lO'^ - 6,2496 x 10^) Ws/kg = -17,33 kWh/kg. 2 RE Damit konnen wir die oben ermittelten Energien fiir einen niedrigen und einen geostationaren Orbit besser deuten: ACLEO ACGEO
= =
CLEO CGEO
-
CO CO
= 8,65 kWh/kg = 16,02 kWh/kg.
68
3 Das Zweikorperproblem
Um ein Raumschiff vom Boden in eine niedrige Erdumlaufbahn zu befordern, ist also unter giinstigsten Umstanden (d. h. bei Start am Aquator in Richt u n g der Erddrehung) ein theoretischer Energieaufwand von 8,65 Kilowattstunden pro Kilogramm erforderlich. Diese Zahl erscheint erstaunlich klein. Zum Vergleich: Ein Haarfohn mit einer Leistung von 1000 W a t t verbraucht in 8,65 Stunden die gleiche Menge an Energie. Dass m a n fiir einen Raketenstart dennoch groBere Leistungen als zum Trocknen von Haaren benotigt, zeigt, wie schlecht die Wirkungsgrade der iiblichen Brennstoffraketen eigentlich sind. Natiirlich sind aber auch die Verluste durch Reibung in der Atmosphare enorm. Zum Erreichen eines geostationaren Orbits bedarf es (theoretisch) einer Energie von 16,02 Kilowattstunden pro Kilogramm, also etwa doppelt so viel wie zum Einschwenken in einen niederen Erdorbit. 3 . 2 . 3 P o s i t i o n als F u n k t i o n d e r Zeit Wir haben bisher das Zweikorperproblem nur insofern gelost, als wir mit der Bahngleichung (3.13), dem ersten Keplerschen Gesetz, einen Ausdruck fiir die Abhangigkeit des Abstandes r von der wahren Anomalie 0 gefunden haben. Darin kommt allerdings die Zeit, die m a n zur Darstellung der Losung der Differentialgleichung (3.5) benotigt, nicht vor. Was uns noch fehlt, ist die Funktion ^(t), aus der m a n den Vektor r von mi nach 7712 fur einen gegebenen Zeitpunkt errechnen kann. Die Berechnung der wahren Anomalie als Funktion der Zeit ist ein klassisches Problem der mathematischen Physik, mit dem sich schon Kepler auseinander setzte. Es ist nahe liegend, dass m a n diese historische Aufgabe als Kepler-Problem, bezeichnet hat. Bevor wir uns jedoch seiner Losung zuwenden, wollen wir noch eine andere Frage beantworten, die schon eng mit dem Kepler-Problem zusammenhangt, namlich wie viel Zeit T fiir einen vollen Umlauf benotigt wird. Die Umlaufzeit kann unter Beachtung des zweiten Keplerschen Gesetzes leicht errechnet werden. Nach (3.8) ist die vom „Fahrstrahl" iiberstrichene Flache AA proportional zur verstrichenen Zeit At. Der Proportionalitatsfaktor ist gleich dem halben Betrag des Drehimpulses h. Setzt m a n nun fiir AA die gesamte Ellipsenflache ahi: ein, so entspricht das Zeitintervall At der Umlaufzeit T. Wir erhalten ^^ ab7r=-T 2
, oder
r^ 2a67r T = ——. h
Unter Ausnutzung der in Gl. (3.23) und (3.24) angefiihrten Zusammenhange h = ^y^~La{l^^e^ und b = ay/l — e^ ergibt sich daraus die folgende wichtige Formel: r = 27rW—.
(3.27)
3.2 Elliptische Orbits
69
Interessanterweise hangt T nicht von der Exzentrizitat e ab. Dazu ein kurzes Rechenbeispiel: Fiir eine erdnahe Umlaufbahn (a « RE = 6378 km) ergibt sich mit mit /i aus Gl. (3.26) eine Umlaufzeit von 84,5 Minuten. Gl. (3.27) ist das dritte Keplersche Gesetz: Das Quadrat der Umlaufzeit ist proportional zum Kubus der groBen Halbachse. Fiir zwei um die Sonne (Masse m^) kreisende Planeten (Massen mi und 7712) gilt: Tf _ /i2 a? _ G{m2 + nis) a? 3' T2 /ii a^ G{mi + 771s) ci' wenn man die Storung durch die gegenseitige Anziehung der Planeten vernachlassigt. Eigentlich - so zeigt diese Herleitung - verhalten sich die Quadrate der Umlaufzeiten nicht genau wie die Kuben der groBen Halbachsen. Nur well die Masse der Sonne viel groBer als die der Planeten ist, konnen die Konstanten /ii und /i2 der beiden Zweikorperprobleme ungefahr gleich Grris gesetzt werden, so dass sie sich in obiger Beziehung herauskiirzen. Wir kommen nun zur Losung des Kepler-Problems, also zur Bestimmung der wahren Anomalie 0 als Funktion der Zeit t. Wir wollen die Aufgabe mit Hilfe des zweiten Keplerschen Gesetzes geometrisch losen und betrachten dazu Abbildung 3.5. Nach Gl. (3.8) ist die Flache MPB proportional zur Zeit tp^B^ die die Masse 7712 benotigt, um vom Perigeum P in einen beliebigen Punkt B zu gelangen: Flache MPB - tp^B = t - tp. Darin sind t und tp die Zeitpunkte der Durchgange durch B und P. Bezogen auf die gesamte Ellipsenflache abir und die Umlaufzeit T gilt: Flache MPB
t-U
Dies ist eigentlich schon fast die Losung des Kepler-Problems. Unsere Aufgabe besteht nur noch darin, die Flache MPB durch die wahre Anomalie 0 auszudriicken. Dann kann mit Gl. (3.28) fiir einen gegebenen Zeitpunkt t der passende Wert fiir 0 ermittelt werden. Wie soil man aber die teilweise elliptisch begrenzte Flache MPB berechnen? Leicht fallt die Bestimmung der in Abbildung 3.5 grau schraffierten Flache OPB, die sich von der Flache MPB nur um das Dreieck 0MB unterscheidet und sich einfach durch Stauchung der Kreisflache OPB' um den Faktor h/a ergibt. Der Punkt B' liegt dabei direkt iiber B auf einem Hilfskreis mit der groBen Halbachse a als Radius. Zur Beschreibung der Kreisflache OPB' miissen wir zwar zunachst den Winkel E zwischen der groBen Halbachse und der Linie OB' einfiihren. Diese sogenannte exzentrische Anomalie liegt aber durch 0 eindeutig fest. Es gilt also:
70
3 Das Zweikorperproblem
Hilfskreis
Abbildung 3.5. Zur Herleitung der Keplerschen Gleichung. Die schraffierte Fldche OPB kann zum einen aus der Ellipsenfldche MPB und aus dem Dreieck 0MB, zum anderen durch Stauchung des Kreissegments OPB^ um den Faktor b/a ermittelt werden.
Flache M P B = Flache O P B - Flache 0 M B = -Flache OPB' - - / R B a 2 b ^ E 1 b—= -a TT-ae-ixB a ZTT 2 a E 1 ab eba sin E (E-esinE) ab
.
Damit wird aus Gl. (3.28) E-esinE
T
= 27r-
ir,
(3.29)
Diese transzendente Beziehung zwischen t und E wird in der Literatur als Keplersche Gleichung bezeichnet. Fiir einen gegebenen Zeitpunkt t kann m a n daraus die exzentrische Anomalie E ermitteln. Die GroBe r kann m a n sich als ein auf die Umlaufzeit bezogenes ZeitmaB oder als Winkel (im BogenmaB) zwischen der groBen Halbachse und einem mit konstanter Winkelgeschwindigkeit 27r/T auf dem Hilfskreis umlaufenden P u n k t vorstellen. Da die Bewegung
3.2 Elliptische Orbits
71
eines solchen Punktes mit der Umlaufdauer T synchronisiert ist, nennt man T auch mittlere Anomalie. Was uns jetzt noch fehlt, ist eine Beziehung zwischen der exzentrischen Anomalie E und der wahren Anomalie 0, die zusammen mit Gl. (3.29) die Losung des Kepler-Problems bildet. Aus Abbildung 3.5 liest man den geometrischen Zusammenhang a cos E = f -\- r cos 0 = ae-\- r cos 0 ab. Mit r = p/{l + e cosl9) aus (3.13) und p = a{l - e^) aus Gl. (3.23) ergibt sich nach einer kleinen Umformung ^ e + cos^ cos E = . 1 + e cos l9
(3.30) ^ ^
Dies kann unter Ausnutzung der trigonometrischen Beziehung tan^
(f)
1 — cos X 1 + cos X
in eine etwas elegant ere Form gebracht werden: 2 (^\ _ 1 - cosE _ (1 - e)(l - C0SI9) _ 1 - e ^ tan I --- I — — " ~~ -"" — tan \2 J 1 + cosE ( 1 + e)(l +cos i9) 1+ e Zieht man noch die Wurzel, so folgt
Damit ist unser Formelsatz zur Losung des Kepler-Problems endlich komplett. Fassen wir den Rechengang zur Bestimmung von 0 aus t graphisch zusammen: t
>0
T
> E T=E—e sin E
Aus der Zeit t bestimmt man zunachst die mittlere Anomalie r, sodann die exzentrische Anomalie E und schlieBlich die wahre Anomalie 0. Den Knackpunkt bildet dabei die Beziehung zwischen E und r, eben die Keplersche Gleichung, die, wenn r gegeben und E gesucht ist, nur numerisch gelost werden kann. Dazu bietet sich etwa das bekannte Newtonsche Naherungsverfahren an. Der Losung E eines Nullstellenproblems g{E) = 0 nahert man sich damit durch die rekursive Folge: F
-F
9{Ei)
72
3 Das Zweikorperproblem
In unserem Fall ist g{E) = E — esinE — r bzw. g'{E) = 1 — e c o s E . Mit dem Anfangswert Ei = r liegt m a n meist schon recht nahe beim tatsachlichen Wert von E, denn wenn die Bahn nicht zu elliptisch ist, so werden sich r und E nicht gravierend unterschieden. Einfacher ist die Anwendung der Keplerschen Gleichung in umgekehrter Richtung, wenn 0 gegeben ist und der zugehorige Zeitpunkt t gesucht wird. Diese Aufgabe stellt sich zum Beispiel bei der Berechnung des fiir die mittlere Anomalie benotigten Perigeumsdurchgangs tp aus den Anfangsbedingungen zur Zeit to- Dabei geht m a n folgendermaBen vor: Sind r{to) und v{to) gegeben, so kann m a n mit Hilfe des Hamiltonschen Integrals (3.10) und der Definition der wahren Anomalie (3.12) sofort 0{to) ermitteln. Daraus ergibt sich dann mit (3.31) die zugehorige exzentrische Anomalie E{to) und schlieBlich die mittlere Anomalie to — tp r(to) = E{to) - e s i n E ( t o ) = 27rT ' aus der m a n leicht auf tp riickschlieBen kann, da j a der Anfangszeitpunkt to gegeben ist. (Voraussetzung ist natiirlich die Kenntnis der Umlaufzeit T und der Exzentrizitat e, die aber mit dem bereits bekannten Formel-Apparat ebenfalls leicht aus den Anfangsbedingungen zu gewinnen sind. Wir gehen darauf am Ende dieses Kapitels nochmals ein.) 3.2.4 Rechenbeispiel: Molniya-Satelliten Die russischen Molniya-SditeWiten sind fiir den Orbitalmechaniker wegen ihrer groBen Exzentrizitat und ihrer Bahnneigung von mehr als 60 Grad gegen die Aquatorialebene - genauer: 63,4 Grad - besonders interessant. Ihr Perigeum liegt in geringer Hohe iiber der Siidhalbkugel, wahrend sie sich im Apogeum rund 40000 Kilometer von der Erde entfernen. Dabei wird die nach dem zweiten Keplerschen Gesetz zu erwartende Verlangsamung der Bewegung im Apogeum genutzt, um Aufgaben iiber der strategisch interessanteren, da dichter besiedelten Nordhalbkugel zu erledigen. AuBerdem ist die Umlaufzeit der Molniya-Sditelliten mit der Erddrehung synchronisiert; sie umkreisen die Erde einmal in 12 (siderischen) Stunden. Damit nehmen sie nach zwei Umlaufen wieder die gleiche Position relativ zur Erdoberfiache ein. M olniya-S diteWiten befinden sich in acht verschiedenen Bahnebenen, die jeweils um 45 Grad gegeneinander verdreht sind. Sie dienen als Telekommunikations- und Fernsehsat ellit en. Die Satelliten der Molniya-2 Serie unterstiitzten wahrend des Kalten Krieges die direkte Telefon-Leitung zwischen dem Kreml und dem WeiBen Haus. Molniya ist iibrigens der Name eines groBen russischen Raumfahrtunternehmens, es bedeutet etwa soviel wie Blitz oder Blitzstrahl. Wir wollen die Dynamik dieser Raumfahrzeuge nun etwas naher untersuchen. Gegeben sei ein Molniya-Sditellit mit der Umlaufzeit eines halben siderischen Tages und einer Perigeumshohe von hp = 1600 km. Die groBe Halbachse der Bahnellipse stehe senkrecht auf die Schnittgerade zwischen Aquatorial-
3.2 Elliptische Orbits
73
und Orbitalebene (siehe Abbildung 3.6). Der Gravitationsparameter der Erde betragt fi = 3,986 x lO^^m^/s^ (die Satellitenmasse kann dabei vernachlassigt werden), der Erdradius werde mit RE = 6378 km angenommen. Gefragt wird: 1. Wie lauten die iibrigen Bahnparameter dieses Satelliten, die groBe Halbachse a, die Exzentrizitat e, der Halbparameter p, die kleine Halbachse b und der Apogeumsabstand r^ ? 2. In welcher Hohe befindet sich der Satellit nach einem Viertel der Umlaufzeit nach Erreichen des Apogeums? 3. Wie lange befindet sich der Satellit iiber der Nordhalbkugel? 4. Wie weit konnte die Verweildauer iiber der Nordhalbkugel gesteigert werden, ohne einen Absturz des Satelliten zu riskieren. Die Umlaufzeit von 12 Stunden darf sich dabei aber nicht andern! Zur Losung der Aufgabe betrachten wir Abbildung 3.6, die den Orbit des Satelliten einmal unverzerrt in der Draufsicht (oben) und einmal projizierend (unten) als Linie PA zeigt. Wir gehen die obigen Fragen der Reihe nach durch. 1. Bestimmung der Bahnparameter: Zwei Parameter der Ellipse sind gegeben: Die Umlaufzeit T und der Perigeumsabstand r^. T entspricht einem halben siderischen Tag (siehe Abschnitt 1.5.1). Vp muss natiirlich auf das Gravitationszentrum bezogen werden. Es ist T = ]-TE = 11,967 h = 43082,05 s rp = RE + hp = 6378 + 1600 km = 7,978 x 10^ m . Aus der Umlaufzeit folgt mit Gl. (3.27) direkt die groBe Halbachse zu T \^ = 2,656176 X 10'^ m = 26561,75km. Damit ergeben sich die iibrigen Parameter direkt aus den Formeln (3.23): e = 1 - ^ = 0,69964 a p = a{l- e^) = 13559,75 km = 1,355975 x lO'^ m h = a^l - e2 = 18978,25 km = 1,897825 x lO'^ m r^ = a(l + e) = 45145,41 km = 4,514541 x lO'^ m . Die Apogeumshohe betragt demnach ha = ra — RE = 38767 km.
74
3 Das Zweikorperproblem t = 3/4T
t = T/2
t = 0
Apogeum O A
Abbildung 3.6. Zur Losung der Fragen zum Molniya-Satelliten. Das obere Bild zeigt den Orbit unverzerrt in der Draufsicht. In der unteren Darstellung erscheint die Orbitalebene projizierend. Die grofie Halbachse PA steht senkrecht auf die Schnittgerade zwischen Aquatorial- und Orbitalebene (Linie CC). Die Skizze ist nicht mafistabsgetreu!
2. H o h e zur Zeit T / 4 n a c h E r r e i c h e n d e s A p o g e u m s Fiir die Losung dieser Aufgabe benotigen wir die Keplersche Gleichung. Wir setzen zunachst tp = 0, zahlen also die Zeit vom Perigeumsdurchgang weg. Zur Zeit t = T / 2 erreicht der Satellit dann das Apogeum (siehe Abbildung 3.6). Gefragt ist die Position zur Zeit t = ts = ST/4. Dazu gehen wir das Diagramm (3.32) fiir den Zustand B gegen den Uhrzeigersinn durch. Zunachst ist 27r,
27r3 tp) =
T =
37r
= 4,71239 rad.
Man beachte, dass samtliche Winkel im BogenmaB einzusetzen sind. Nun die Keplersche Gleichung fiir den Zustand im P u n k t B: EB -e sin EB = TB
bzw.
EB - 0,69964 sin EB = 4,71239
EB'
3.2 Elliptische Orbits
75
Wir miissen sie iterativ mit Hilfe des Newton-Verfahrens losen. Dazu benotigen wir die Funktion g{EB) = EB-0, 69964 sinE^ - 4,71239 und ihre Ableitung nach EBJ also g'{EB) = 1 — 0,69964cos£^^. Ausgehend vom Startwert EB = TB erhalten wir durch sukzessive Verbesserung von EB um den Wert AEB = —g{EB)/g'{EB) eine Naherung fiir die Losung. In der folgenden Tabelle ist am Ende jeder Iteration jeweils EB -^ EB + AEB ZU setzen und damit in die nachste Zeile zu gehen: Iteration 1 2 3 4
EB
9{EB)
4,71239 4,01275 4,12606 4,12862
0,69964 0,16436 -0,00354 -0,00000
9'{EB)
AEB
0,99999 -0,69964 1,45053 0,11331 1,38711 0,00255 1,38562 0,00000
SchlieBlich ist die Losung bis auf die 5. Stelle hinter dem Komma bestimmt: EB = 4,12862. Nun fehlt noch die wahre Anomalie: 1-e^
EB
[OB
OB = -2,69682 rad -— 1+ e V2 oder, wenn man 27r hinzuzahlt, OB = 3,5837 rad. Mit der Ellipsengleichung (3.13) lasst sich daraus unmittelbar der Abstand des Satelliten vom Gravitationszentrum ermitteln: tan
tan
hB=r{OB)-RE
P 1 + e cos OB
RE = 30426,21 km.
Der Satellit hat also nach einem Viertel der Umlaufzeit erst etwa 8300 Kilometer der Apogeumshohe (38767 km) verloren. Im nachsten Viertel verringert sich die Hohe dagegen um 28826 Kilometer auf die Perigeumshohe von 1600 Kilometer. 3. Aufenthaltszeit iiber der Nordhalbkugel Da die Knotenlinie des Orbits, d. h. die Schnittgerade zwischen Aquatorialund Orbitalebene, senkrecht auf die groBe Halbachse steht, befindet sich der Satellit fiir 7r/2 < 0 < 37r/2 iiber der Nordhalbkugel (siehe Abbildung 3.6). Wir miissen also die Zeitspanne zwischen diesen Werten der wahren Anomalie berechnen. Da alle Formeln auf das Perigeum bezogen sind, ist es einfacher, die Zeit tc zwischen dem Perigeumsdurchgang und dem Erreichen der Position 0 = Oc = 7r/2 zu betrachten (Zustand C in Abbildung 3.6). Dann gilt t.
= T - 2tc
bzw.
tsuD = 2tc .
Wir berechnen tc wieder mit dem Diagramm (3.32). Wegen Oc = 7r/2 bietet sich hier zur Bestimmung von Ec Gl. (3.30) anstelle von (3.31) an. Es gilt daher cos Ec = e und damit
76
3 Das Zweikorperproblem Tc = Ec — e sin Ec = arccos e — e v 1 — e^ .
Nun ist anderseits
^c = Y ^^^ ~^^^ Y \
2
) ^^
T
'
(Dabei wurde wieder tp = 0 als zeitlicher Nullpunkt festgesetzt.) Damit ergibt sich ein Zusammenhang zwischen tNORD und der Exzentrizitat e: T-t, /Z ^ -L arccos — e"^ e^ == rTC e == TITT arccos ee — — ee V y 1i —
^NORD
—
oder
U
1
T
( arccos e — e v 1 — e^ 1 .
Fiir e = 0,69964 erhalt m a n - = 0,90577. 1
Der Satellit verweilt also etwa neun Zehntel seiner Umlaufzeit iiber der Nordhalbkugel. 4. M a x i m a l e A u f e n t h a l t s z e i t iiber d e r N o r d h a l b k u g e l Man konnte auf die Idee kommen, durch eine weitere VergroBerung der Exzentrizitat das Verhaltnis von t^oRD zu T noch weiter anzuheben, ohne dass dabei die fiir die Funktionalitat des Satelliten entscheidende Umlaufzeit von 12 Stunden verandert wiirde. Da die Umlaufzeit nur von a abhangt, andert sich j a ihr Wert durch eine andere Wahl von e nicht. Wenn wir nun a konstant lassen und e verandern, dann ergibt sich aber ein neuer Wert fiir den Perigeumsabstand, namlich aus der Beziehung Vp = a ( l — e). Diese GroBe darf natiirlich nicht beliebig klein werden, da der Satellit sonst abstiirzen wiirde. Es muss vielmehr gelten Vp > RE, SO dass sich als maximale Exzentrizitat der Molniya-Sditelliten folgender Wert errechnet: e = 1 _ !> < 1 _ : ^ « 0,75, a a wobei natiirlich auch noch ein kleiner Spielraum von 200 bis 300 Kilometern Mindestflughohe eingerechnet werden miisste. Fiir e = 0, 75 ergabe sich h l ^
= 1 - i f arccos e - ey^l^^]
= 0,93562
als maximale (theoretische) Verweildauer iiber der Nordhalbkugel.
3.3 Hyperbolische und parabolische Orbits
77
3.3 Hyperbolische und parabolische Orbits Das Zweikorperproblem besitzt nicht nur elliptische, sondern auch offene, hyperbolische Orbits als Losung. Der iiber den Bahntyp entscheidende P a r a m e ter ist die dimensionslose GroBe e = q/fi aus Gl. (3.13), die aus den Anfangsbedingungen leicht errechnet werden kann. Fiir e < 1 entstehen geschlossene, fiir e > 1 offene Orbits. Dazwischen ergeben sich parabolische Orbits als Grenzfall fiir e = 1. Mathematisch gesehen kann der erarbeitete Formalismus fiir die Beschreibung elliptischer Bahnen nicht ohne weiteres auf Hyperbeln ausgedehnt werden. Selbst der parabolische Grenzfall fiihrt damit nur auf singulare oder unendliche GroBen. Die fiir die Positionsbestimmung mit dem Diagramm (3.32) erforderliche Umlaufzeit T kann schon allein mangels eines verniinftigen Wertes fiir a nicht angegeben werden. Denn fiir e > 1 ergabe sich ein negativer Wert fiir a aus der Beziehung a = p / ( l — e^) und a = oo fiir e = 1. Aus Gl. (3.27) konnte daraus nur eine imaginare oder verschwindende Umlaufzeit errechnet werden. Hyperbolische und parabolische Orbits verdienen deshalb eine gesonderte Betrachtung. Allerdings werden wir uns in der folgenden Diskussion dieser Bahntypen nicht so sehr auf die Beweise der angegebenen Formeln konzentrieren. Offene Orbits sind fiir die Raumfahrt, die sich zum iiberwiegenden Teil in der Nahe der Erde abspielt, weniger bedeutsam als geschlossene. Fiir die Beherrschung interplanetarer Flugbahnen ist das Verstandnis ihrer Natur jedoch Voraussetzung. 3 . 3 . 1 A l l g e m e i n e U b e r l e g u n g e n z u ofFenen O r b i t s Im Gegensatz zu elliptischen Umlaufbahnen kann die wahre Anomalie 6 nicht von 0 bis 360 Grad variieren, wenn der P a r a m e t e r e aus der Bahngleichung
groBer als eins ist, da der Nenner 1 + e c o s ^ fiir 0 = OoQ = arccos I — J = TT — arccos I - J
(3.33)
singular und der Abstand r der Masse m2 von m i unendlich groB wird. Aus dem zweiten Keplerschen Gesetz folgt, dass 0 = /i/r^ in diesem Fall gegen null geht. Die wahre Anomalie nimmt auf hyperbolischen oder parabolischen Orbits zwar stetig zu, andert sich aber mit fortschreitender Zeit immer weniger und nahert sich schlieBlich dem in (3.33) angegebenen Grenzwert, der nicht iiberschritten werden kann. Es gibt also kein Apogeum. Wenn nun aber der Abstand r gegen unendlich geht, so strebt auch die Bahngeschwindigkeit gegen den Grenzwert
78
3 Das Zweikorperproblem v^ = / ^ ( l + 2ecos^oo + e 2 ) ^ = . / ^ V e ^ - 1, yp y p
(3.34)
der sich mit (3.17) fiir 0 = 0^ aus Gl. (3.33) leicht herleiten lasst. Diese Geschwindigkeit im „Unendlichen" ist natiirlich fiir interplanetare Raumfliige wichtig, bei denen Raumsonden das Gravitationsfeld der Erde verlassen. Mit Hilfe des Energiesatzes (3.6) lassen sich einige interessante Aussagen iiber v^o ableiten. Da der Abstand r iiber alle Schranken wachst, gilt
Dabei bezeichnen Vp den Perigeumsabstand und Vp die Perigeumsgeschwindigkeit. Es folgt (3.35) Um das Gravitationsfeld der Erde verlassen zu konnen, muss demnach die Bedingung v'^ > 2fi/rp erfiillt sein. Andernfalls ist kein reeller Wert von v^o definiert, und ein geschlossener elliptischer Orbit entsteht. Die fiir das Entweichen eines Flugkorpers zumindest erforderliche Perigeumsgeschwindigkeit heiBt Fluchtgeschwindigkeit und ist durch die Formel (3.36) gegeben. In diesem Fall wird ijo^ = 0 und nach Gl. (3.34) e = 1. Ein Flugkorper entweicht also auf einer Parabel, wenn er mit v^^^ abgeschossen wird. Es ist interessant, die Fluchtgeschwindigkeit mit der Geschwindigkeit einer kreisformigen Umlaufbahn mit dem Radius Vp zu vergleichen, die sich nach Gl. (3.25) zu VK = y^l^/rp berechnet. Man sieht, dass v^^^ = V2vK.
(3.37)
Zum Abschuss eines interplanetaren Raumfahrzeuges aus einem erdnahen, kreisformigen Parkorbit (siehe Abbildung 3.7) muss also die Geschwindigkeit der Sonde mindestens auf das v^-fache der Kreisbahngeschwindigkeit erhoht werden. Ein zu geringer Schub fiihrt zu elliptischen Bahnen (Abbildung 3.7) und damit zur Riickkehr des Raumfahrzeuges nach einiger Zeit. Mit Vp « RE = 6378 km ergibt sich aus (3.36) fiir die Erde eine Fluchtgeschwindigkeit von 11,2 Kilometern pro Sekunde (zweite kosmische Geschwindigkeit). Dies gilt iibrigens theoretisch auch fiir einen vertikalen Abschuss direkt vom Boden. In diesem Fall wiirde sich ein degenerierter, geradliniger Orbit einstellen. Die Exzentrizitat der durch einen tangentialen Schub entstehenden Bahn kann mit Gl. (3.21) sofort berechnet werden. Setzt man fiir Vp die Fluchtgeschwindigkeit (3.36) ein, so kommt man wieder auf e = 1.
3.3 Hyperbolische und parabolische Orbits
79
Fluchtparabel A/2IVk
Vesc
^^ "" " ^^ / / 1
^^
\ . " ^ • \ Parkorbit y^ / 0 1
\
Abbildung 3.7. Beschleunigung auf Fluchtgeschwindigkeit aus einem kreisformigen Parkorbit nach einem tangentialen Schub. Die zum Entweichen auf einem parabolischen Orbit erforderliche Geschwindigkeit errechnet sich als das ^/2-fache der Kreisbahngeschwindigkeit VK- Ein zu geringer Schub wurde zu elliptischen Orbits fiihren, auf denen die Sonde nach einiger Zeit wieder zum Ausgangspunkt zuriickkehrt.
i, i^K ^ p
y - 'V
3.3.2 B a h n g e o m e t r i e Alle KenngroBen einer Hyperbel konnen wie bei einer Ellipse aus zwei P a r a m e tern abgeleitet werden. Aus der Anfangslage und der Anfangsgeschwindigkeit sind e = q//i und p = /i^//i gegeben. Daraus kann zunachst die Hauptachsenlange errechnet werden. Hyperbel:
(3.38)
a
Mit a und e folgen dann der Perigeumsabstand, die Brennweite, die Nebenachsenlange und die Asymptotensteigung: Vp = a{e — 1),
/ = ae,
b = ay e^ — 1,
i\) — a r c c o s ( l / e )
(3.39)
SchlieBlich ergeben sich die Bewegungskonstanten zu
(7 = £ ,
/i = ^ / M ^
1)),
^ = e/i.
(3.40)
Wie die geometrischen GroBen zu interpretieren sind, wird in Abbildung 3.8 (a) erlautert. Die Neigung der Asymptote -0 entspricht gerade dem Wert TT — ^oo, da sich der „Fahrstrahl" einer Parallelen zur Asymptote nahert, wenn m a n sich vom Zentrum entfernt. Die Asymptote schneidet die Hyperbelhauptachse in der Entfernung / vom Brennpunkt. Anders als Ellipsen und Hyperbeln sind Parabelbahnen nur durch einen P a r a m e t e r bestimmt. Es gilt j a e = 1, so dass nur p = h^/fi als KenngroBe vorliegt. Damit degeneriert die Bahngleichung zu r(^) =
P 1 + cos l9
80
3 Das Zweikorperproblem
(a) Hyperbel
(b) Parabel
Abbildung 3.8. Die Geometrien der nichtgeschlossenen Orbits.
Der Perigeumsabstand betragt demnach Vp = r(0) = p/2. Parabeln haben keine Asymptoten. Zwar nahert sich die Neigung der Bahntangente gegen die Symmetrieachse dem Wert Null, doch der Abstand von der Symmetrieachse wachst iiber alle Schranken. Somit existiert keine Gerade, der sich die Parabel im Unendlichen annahert. Eine bekannte Eigenschaft der Parabel lasst sich aus Abbildung 3.8 (b) unmittelbar herleiten: Der Normalabstand d eines Parabelpunktes von der Lotrechten zur Symmetrieachse durch O (OF = p) ist gleich dem Abstand r vom Brennpunkt. Denn es gilt pcosO
P d = p — r cos 0 = p — 1 + cos 0 1 + cos 0 SchlieBlich wollen wir noch die Bewegungskonstanten betrachten. Sie nehmen auf parabolischen Orbits folgende Werte an: (7 = 0,
h = yr]^,
q = fi.
(3.41)
3.3 Hyperbolische und parabolische Orbits
81
3.3.3 Position als Funktion der Zeit Genau wie bei elliptischen Orbits kann auch fiir hyperbolische und parabolische Orbits eine Ort-Zeit-Beziehung aus dem zweiten Keplerschen Gesetz hergeleitet werden. Die Aufgabe besteht nur darin, die Flache zwischen dem Fahrstrahl und der Symmetrieachse - die ja proportional zu der seit dem Perigeumsdurchgang verstrichenen Zeit ist - als Funktion von 0 darzustellen. Fiir Hyperbeln ergibt sich folgendes Losungsschema: t |tanh(f) = y ^ t a n ( f )
(3.42)
-^ F T=e sinh F — F
Die HilfsgroBe F bezeichnet die vom Strahl OB in Abbildung 3.8a iiberstrichene Flache. Der parabolische Grenzfall erfordert auch beim Problem der Ort-ZeitBeziehung eine gesonderte Behandlung. Wir wollen anhand dieses Falles demonstrieren, dass man die Losung auch ganz abstrakt auf die Bestimmung eines Integrals zuriickfiihren kann. Die Gleichung einer Parabel ist wegen e = 1 zunachst in der Form r = p / ( l + cos^) gegeben. Eliminiert man mit Hilfe des zweiten Keplerschen Gesetzes OP = h = y/JIp den Abstand r, so ergibt sich fiir 0 die Differentialgleichung . f c = (l + cose)2, die nach Trennung der Variablen auf ein relativ einfaches Integral fiihrt. Es folgt
V ^ ^ ' - ''> - ^
(l + cos^)^ - 4 X, ^^^H0j2)'
^
'
unter Ausnutzung der trigonometrischen Beziehung 1 + cos^ = 2cos^(^/2). Das Integral auf der rechten Seite kann durch die Substitution u := tan(^/2) gelost werden. Man erhalt
1 f^
dO
r ( 2
,\^
^'
^0
UQ.
Wahlt man to = tp, dann ist ^o = 0 und u^ = tan(^o/2) = 0, und aus Gl. (3.43) entsteht / //
7/
2M{t-t,) = -+u. Vp o
(3.44)
Diese Beziehung wird als Barkersche Gleichung bezeichnet. Fiir einen gegebenen Zeitpunkt t kann aus ihr zunachst u und damit die wahre Anomalie
82
3 Das Zweikorperproblem
0 = 2 arctan u berechnet werden. Da fiir kubische Gleichungen Losungsformeln existieren, ist der Ort auf einem parabolischen Orbit ohne numerische Methoden als Funktion der Zeit bestimmbar. Die hier beschriebene Herleitung einer Orts-Zeit-Beziehung fiir parabolische Orbits kann natiirlich auch fiir e ^ 1 angewandt werden, allerdings ist das nach Trennung der Variablen auftretende Integral nicht so leicht zu berechnen. Eine geometrische Argumentation, wie wir sie bei der Herleitung der Keplerschen Gleichung aus Flachenberechnungen benutzt haben, ist in diesem Fall anschaulicher.
3.4 Die allgemeine Losung des Zweikorperproblems Die Diskussion des Zweikorperproblems ist mit der Analyse der drei Bahntypen - Ellipsen, Hyperbeln und Parabeln - fast abgeschlossen. Aber damit sind noch nicht alle Fragen beantwortet. Es bleibt noch zu untersuchen, wie sich die Lage eines Orbits im Raum beschreiben lasst. 3.4.1 Die raathematische Struktur des Zweikorperproblems Mathematisch gesehen besteht das Zweikorperproblem (3.5) aus einem Satz dreier gewohnlicher, autonomer, d. h. nicht explizit von der Zeit abhangiger Differentialgleichungen zweiter Ordnung. Aus der Theorie der gewohnlichen Differentialgleichungen ist bekannt, dass zur Formulierung einer allgemeinen Losung cp eines solchen Problems 2 x 3 = 6 Konstanten ci,...C6 benotigt werden. Es sei also d T
r = (p(ci,... C6, t)
die allgemeine Losung von
Li
——r -\—-r = 0 .
Die Konstanten dienen zur Anpassung von (f an gegebene Anfangs- oder Randbedingungen, die bei Bewegungsgleichungen wie dem Zweikorperproblem meist durch Position und Geschwindigkeit zu einem Zeitpunkt to gegeben sind. Daraus konnen c i , . . . ce leicht berechnet und damit ein konkreter Orbit r(t) beschrieben werden. Es muss dazu nur das algebraisches Gleichungssystem a(p(ci,...C6,t = to) ro = (p(ci,...C6,t = to), VQ = nach den gesuchten Konstanten c i , . . . ce gelost werden. Der Aufenthaltsort r eines Raumfahrzeuges oder Himmelskorpers lasst sich danach fiir einen beliebigen Zeitpunkt in der Zukunft vorausberechnen (oder in die Vergangenheit zuriickrechnen). Natiirlich konnte man die GroBen c i , . . . ce durch andere GroBen di,.. .dQ ersetzen, wenn ein umkehrbar eindeutiger Zusammenhang zwischen ihnen besteht. Wenn man sich auf einen festen Bezugszeitpunkt einigt, etwa to = 0,
3.4 Die allgemeine Losung des Zweikorperproblems
83
dann konnte m a n beispielsweise mit VQ und VQ die allgemeine Losung so darstellen: r = cp{ro,vo,t). Es ware aber auch denkbar, hierzu andere GroBen wie die Bewegungsintegrale q, h oder die Energie C zu verwenden. Gemeinsam ist all diesen Darstellungen nur die Anzahl von eben sechs Konstanten und die Tatsache, dass es sich dabei um zeitunahhdngige Gr6fieri handelt. Einen speziellen Satz solcher Bahnparameter oder Elemente, wie die Konstanten CI,...CQ auch genannt werden, wollen wir im nachsten Abschnitt diskutieren. 3.4.2 Die klassischen Orbitalelemente Von den insgesamt sechs, zur vollstandigen Beschreibung eines Orbits erforderlichen GroBen, die in der klassischen Himmelsmechanik verwendet werden, haben wir zwei schon sehr genau kennen gelernt. Die Rede ist von den Parametern e und p aus Gl. (3.13), die iiber Bahntyp, Form und Abmessungen des Orbits entscheiden. Was noch fehlt, ist die Festlegung der Lage des Orbits im Raum. Da wir uns auf Anwendungen in der erdnahen Raumfahrt konzentrieren wollen, betrachten wir zunachst nur geozentrische Bahnen. Dann konnen wir uns auf das nichtrotierende, geozentrische Bezugssystem, das wir in Kapitel 1 eingefiihrt haben, beziehen. Dieses System war folgendermaBen definiert: Die 2:£;-Achse weist vom Slid- zum Nordpol, die XE- und die ^£;-Achse spannen die Aquatorialebene auf (siehe Abbildung 1.10). Wichtig ist, dass die Achsen raumfest orientiert sind, auch wenn sich der Ursprung des Systems, das wir mit kE bezeichnet haben, mit der Erde um die Sonne dreht. Die tagliche Rotation der Erde wird daher von RE nicht mitgemacht, die X£;-Achse weist stets in die gleiche Richtung zum Friihlingspunkt. Zur Beschreibung der Lage der Orbitalebene in RE benotigen wir zwei Parameter: Zum einen die Neigung i der Orbitalebene gegen die Aquatorialebene, zum anderen den Winkel i? zwischen der X£;-Achse und der Schnittgeraden zwischen Aquatorial- und Orbitalebene, der sogenannten Knotenlinie. Beide Winkel sind in Abbildung 3.9 dargestellt. Fiir i? hat sich die etwas umstandliche Bezeichnung „Lange des aufsteigenden Knotens" eingebiirgert. Sie wird namlich von der X£;-Achse zu jenem P u n k t der Knotenlinie gemessen, in dem der Flugkorper die Aquatorialebene von Siiden kommend durchstoBt. Dieser P u n k t heiBt „aufsteigender Knoten". Falls i? = 0, so liegt er genau auf dem positiven Abschnitt der X£;-Achse. Gilt hingegen i? = 180°, dann befindet sich der aufsteigende Knoten auf dem negativen Teil der X£;-Achse. W a h r e n d i? alle Werte zwischen 0 und 360 Grad annehmen kann, variiert m a n die Neigung i in sinnvoller Weise nur zwischen 0 und 180 Grad, denn das P a r a m e t e r - P a a r (i + 180°, i?) wiirde dieselbe Bahnorientierung wie (i, i? + 180°) beschreiben. In der Raumfahrt ist die Neigung neben der Halbachse der
84
3 Das Zweikorperproblem
wichtigste Parameter zur Charakterisierung eines Satelliten-Orbits. Man kann die Umlaufbahnen nach ihren Neigungen folgendermaBen einteilen: • •
• •
•
i = 0°: Aquatorialer Orbit Das wichtigste Beispiel bilden die geostationaren Satelliten. 0 < i < 90°: Prograder Orbit Wenn die Neigung weniger als 90 Grad betragt, dann rotiert der Satellit so wie die Erde von West nach Ost. Beim Abschuss in einen prograden Orbit kann die Geschwindigkeit aus der Eigendrehung der Erde ausgenutzt werden, weshalb auch ein GroBteil aher Satehiten auf solchen Umlaufbahnen kreist. i = 90°: Polarer Orbit In diesem Fah iiberfliegt der Satehit die beiden Pole der Erde. i > 90°: Retrograder Orbit Der Satellit wandert von Ost nach West, also entgegen der Erddrehung. Solche Orbits sind nur unter groBem Energieaufwand zu erreichen, da die Geschwindigkeit aus der Eigendrehung der Erde beim Start zusatzlich iiberwunden werden muss. Je groBer die Neigung, desto mehr Energie ist dazu erforderlich. i = 180°: Retrograder aquatorialer Orbit Fiir diesen Orbit-Typ wird die meiste Energie benotigt.
Mit der Lange des aufsteigenden Knotens i? und der Neigung i ist die Lage der Orbitalebene im Raum definiert. Nun muss noch die Orientierung der Bahn-Hauptachse beschrieben werden. Dazu verwendet man in der Himmelsmechanik den Winkel u zwischen der Knotenlinie und der zum Perigeum weisenden e^-Achse (siehe wieder Abbildung 3.9). Dieser Winkel kann wie die Lange des aufsteigenden Knotens alle Werte zwischen 0 und 360 Grad annehmen. „Argument des Perigeums" oder „Abstand des Perigeums vom aufsteigenden Knoten" wird oj in der Literatur meist genannt. In der Himmelsmechanik werden Winkel iibrigens oft als Argument oder Anomalie bezeichnet. Nun haben wir schon fiinf der sechs klassischen Orbitalelemente definiert: p, e, i?, i und oj. Um den Aufenthaltsort eines Satelliten zur Zeit t vorausberechnen zu konnen, benotigen wir nur mehr seine Position auf dem Orbit zu einem ausgewahlten Zeitpunkt to. Wie beschreibt man diese Position? Es gibt mehrere Moglichkeiten: •
•
Nahe liegend ware es, einfach die wahre Anomalie ^o zur Zeit to heranzuziehen. In diesem Fall ware ^o (natiirlich unter der zusatzlichen Angabe des Zeitpunktes to) der 6. Orbitalparameter. Bei elliptischen Orbits konnte anstelle der wahren Anomalie aber auch die exzentrische oder die mittlere Anomalie TQ zur Zeit to als 6. Orbitalparameter fungieren. In der Praxis wird die mittlere Anomalie bevorzugt. Mit to als Bezugszeitpunkt ergibt sich aus Gl. (3.29) ro=2n*-^:=X.
(3.45)
3.4 Die allgemeine Losung des Zweikorperproblems
A
85
ZE (Nord)
Orbit (nordlicher Abschnitt) Aquatorialebene
Raumfahrzeug
XE (zum Friihlingspunkt) Abbildung 3.9. Die klassischen Orbitalelemente Q, uj und i, durch die die Orientierung eines Orbits im Raum festgelegt wird. Zusammen mit den Form- und Grofienparam^etern e und p sowie m^it der wahren oder m^ittleren Anom^alie zur Zeit to beschreiben sie die allgemeine Losung des Zweikorperproblems.
•
SchlieBlich konnte aber auch der Zeitpunkt des Perigeumsdurchganges tp als Orbitalparameter verwendet werden.
Die Festlegung des 6. Orbitalparamters ist in der Literatur jedenfalls nicht ganz eindeutig. Wir wollen uns - da wir fast ausschlieBlich mit elliptischen Orbits zu t u n haben - auf die mittlere Anomalie zur Zeit to einigen und sie fort an mit x bezeichnen. Ein elliptischer Orbit ist damit durch die P a r a m e t e r
festgelegt. Meist wird noch der erste P a r a m e t e r p durch die groBe Halbachse a = j9/(l — e^), manchmal auch durch die Umlaufzeit T = 27rya^7/^ ersetzt, da diese GroBen anschaulicher sind. Wir haben unsere Darstellung der klassischen Orbitalelemente auf geozentrische Umlaufbahnen bezogen. Die Elemente eines heliozentrischen Orbits werden in analoger Weise definiert. In diesem Fall dient nicht die Aquatorialebene, sondern die Ekliptik als Bezugsebene. Die Neigung i einer solaren
86
3 Das Zweikorperproblem
Umlaufbahn ist einfach jener Winkel, den die Orbitalebene mit der Ekliptik einschlieBt. Fiir die E r d b a h n gilt demnach i = 0. Die Lange des aufsteigenden Knotens i? wird wie bei Erdumlaufbahnen als Winkel zwischen der Knotenlinie, die natiirlich nun auch in der Ekliptik liegt, und der Richtung zum Friihlingspunkt (xg-Achse in Abbildung 1.10) gemessen. Das Perigeumsargument u kennzeichnet schlieBlich den Winkel zwischen der Knotenlinie und der Verbindungsgeraden durch Perigeum und Sonnenmittelpunkt. Die iibrigen Bahnparameter, Exzentrizitat e, Halbachse a und mittlere Anomalie x zur Zeit to sind fiir heliozentrische Orbits genauso definiert wie fiir geozentrische. Eine Liste mit einigen dieser B a h n d a t e n zu den Planeten unseres Sonnensystems findet m a n am Beginn von Kapitel 8. 3.4.3 D i e B e s t i m m u n g der klassischen Orbitalelemente aus d e n Anfangsbedingungen Die Anfangsposition eines Raumfahrzeuges konnte zum Beispiel durch seine geographische Lange und Breite sowie durch seine Hohe unmittelbar nach Brennschluss der Tragerrakete gegeben sein. In erster Naherung wird sich diese Position vom Abschussort, von dem sich der Flugkorper wegen der relativ kurzen Brenndauer (meist nur ein paar Minuten) noch nicht weit entfernt haben wird, nur wenig unterscheiden. Die Anfangsgeschwindigkeit bei Brennschluss wird zum Beispiel durch ihren Betrag, den Flugwinkel 7 und durch das Azimut der Abschussrichtung beschrieben. Wir fragen uns nun, wie m a n die klassischen Orbitalelemente aus den Anfangsbedingungen r ( t o ) = To bzw. r{to) = VQ ermitteln kann. Nehmen wir an, Anfangslage und Anfangsgeschwindigkeit seien schon in kartesischen Koordinaten beziiglich RE gegeben: ro = ro,xe^ + ^o,^^^ + ^o,^ef,
VQ = ^o,a^ef + vo,yey + ^o,^ef.
( e f , e^ und ef bezeichnen die Einheitsvektoren entlang der Achsen von RE-) Die Berechnung der Bahnelemente umfasst folgende Schritte: 1. Ermittle mit Hilfe von Gl. (3.11) die Vektoren h und q sowie deren Betrage h und q. 2. Verwende Gl. (3.14) zur Bestimmung der Exzentrizitat e und des Halbparameters p. Daraus konnen je nach Losungstyp, iiber den e entscheidet, die weiteren B a h n - P a r a m e t e r wie Halbachse, Perigeumsabstand, Umlaufzeit etc. unmittelbar hergeleitet werden. Die entsprechenden Formeln sind in den Gleichungen (3.23) fiir elliptische und in (3.39) fiir hyperbolische Losungen zusammengefasst. 3. Man berechne nun die Einheitsvektoren e . " - -^ ,
e " - ^^ , e^
eey^ - e e- ,' xxee^, "
n
| |^g ^i j ^"^g ^° o||>
e,
- ^^. ^
3.4 Die allgemeine Losung des Zweikorperproblems
87
4. Die Neigung i des Orbits ergibt sich als Winkel zwischen der 2:£;-Achse und der Bahnnormalen e^: o
E
cosz = e^ • e^ . 5. i? entspricht dem Winkel zwischen der Knotenlinie und der X£;-Achse: cosi? = n - e f
bzw.
sini? = n - e ^ .
(Man beachte, dass zur Bestimmung des richtigen Quadranten die Kenntnis des Kosinus allein nicht ausreicht, da i? von 0 bis 360 Grad variiert.) 6. Fiir das Perigeumsargument uj folgt welters cosa; = n - e ^
bzw.
sina; = n - e ^ .
7. Berechne nun die wahre Anomalie ^o des Anfangszustandes als Winkel zwischen e^ und e^: cos ^0 = 6 ^ - 6 ^
bzw.
SIIVOQ = Br • e^y.
8. Bestimme aus der wahren Anomalie ^o den Zeitpunkt des Perigeumsdurchgangs. Verwende dazu je nach Losungstyp entweder das Losungsschema (3.32) im elliptischen, (3.42) im hyperbolischen oder die Barkersche Gleichung (3.43) im parabolischen Fall. Fiir den Anfangszeitpunkt to rechne von ^o zuriick auf die mittlere Anomalie TQ. Da to gegeben ist, kann auf tp geschlossen werden. Im elliptischen Fall gilt nach Gl. (3.45): T-QT
wobei fiir T die Umlaufzeit nach Gl. (3.27) einzusetzen ist. Damit sind die Orbitalelemente p (oder a), e, i, i7, u und tp (oder ;^ = TQ) bestimmt. 3 . 4 . 4 D i e L o s u n g d e s Z w e i k o r p e r p r o b l e m s als F u n k t i o n d e r klassischen Orbitalelemente Wie sieht nun die allgemeine Losung des Zweikorperproblems, ausgedriickt durch die klassischen Orbitalparameter, konkret aus? Allgemein gilt: cos 6> e J + sin 0 eZ r = rcosi9e^+rsini9e^ = p -^ —-^. 3.46 "^ y l + ecosl9 ^ ^ Darin kann einerseits die wahre Anomalie 6 iiber (3.32) oder (3.42) mit der Zeit t verkniipft werden. Andererseits konnen die Einheitsvektoren e% und e^y des (nichtrotierenden) Orbitsystems durch die B a h n p a r a m e t e r i?, uj und i ausgedriickt werden. Aus element aren geometrischen Uberlegungen kann m a n
88
3 Das Zweikorperproblem
mit Hilfe von Abbildung 3.9 zeigen, dass diese Einheitsvektoren im /i:£;-System folgende Komponenten haben: ' cos (jj cos i? — sin cj sin i? cos i \ el = I cos cj sin i? + sin cj cos i? cos i sin cj sin i J ey=
(3.47)
• sin u cos i? — cos u sin i? cos i' I — sin cj sin i? + COS cj COS i? COS i | cos CO sin i
(3.48)
Damit ergibt sich unter Ausnutzung der Summensatze fiir den Sinus und den Kosinus folgende Darstellung der Losung des Zweikorperproblems:
(
cos(a; + 0) cos i? — sin(a; + 0) sin i? cos i \ cosfcj + ^) sini? + sinfcj + ^) cosi?cosi ,
(3.49)
8in{uj + U)8im I wobei noch immer Q aus (3.32) als Funktion von t, e, T und t^ auszudriicken ware (hier exemplarisch fiir den elliptischen Fall). Da die Keplergleichung (3.29) nicht nach der exzentrischen Anomalie E aufgelost werden kann, ist es jedoch nicht moglich, die allgemeine Losung des Zweikorperproblems explizit als Funktion der Zeit anzuschreiben. Im Prinzip konnen wir aber das Zweikorperproblem als vollstandig gelost ansehen, da es auf ein algebraisches Problem zuriickgefiihrt wurde. 3.4.5 Rechenbeispiel: Armageddon Um die Ermittlung der Orbitalparameter und der Bahnbeschreibung (3.49) aus einer allgemeinen Anfangsbedingung zu demonstrieren, soil ein - hoffentlich wenig realitatsnahes - Beispiel betrachtet werden. Das Problem lautet: Ein Asteroid rast auf die Erde zu. Sind wir in Gefahr? Wo wird der Asteroid einschlagen? Wie viel Zeit bleibt noch, falls Bruce Willis nicht rechtzeitig eingreift? Beobachtungen mit Teleskopen haben fiir die aktuelle Position und Geschwindigkeit des Asteroiden ro = -37000 km e f + 45000 km e f + 38500 km e f vo =
und
3150 m/s e f - 4830 m/s e f - 2860 m/s e f
ergeben. Die Vektoren wurden bereits im nicht rot ierenden, geozentrischen Bezugssystem kE gemessen. Die Masse des Asteroiden kann gegen die Erdmasse ME vernachlassigt werden, so dass /i = GME = 3,986 x lO^^m^/s^ gesetzt werden darf. Ferner werde der Erdradius mit RE = 6378 km angenommen. Gefragt wird: 1. Von welchem Typ ist die Umlaufbahn des Asteroiden um die Erde? Wie ist die Lage des Orbits im geozentrischen Bezugssystem kE^
3.4 Die allgemeine Losung des Zweikorperproblems
89
2. Wie groB ist der Unterschied zwischen der Energie des Asteroiden und der Energie eines (von Menschenhand gefertigten) Satelliten gleicher Masse, der in einen niederen Erdorbit gebracht wurde? 3. Auf welchem Breitengrad (/>*, mit welcher Geschwindigkeit v* und unter welchem Flugwinkel 7* wird der Asteroid die Erde treffen? 4. Wie viel Zeit At vergeht noch bis zum Einschlag? 1. Bestimmung der Umlaufbahn Zunachst ist festzuhalten, dass der Geschwindigkeitsvektor VQ (und damit die aktuelle Bewegungsrichtung) des Asteroiden (noch) an der Erdoberflache vorbeizeigt. Doch der Asteroid befindet sich bereits in einer Umlaufbahn um den Erdmittelpunkt. Wahrend dieser Bewegung bleiben Drall h und Hamiltonsches Integral q konstant. Daher ist deren Wert bereits durch die Anfangsbedingungen bestimmt. Mit (3.11) erhalt man h = roXVo= q = VQxh-/i—
(5,726ef+ 1,546 e f +3,696 e f ) 10^° mVs , = (0,769ef - 5,370 e f - 1 , 0 5 5 e f ) 10^^ m V s ^
woraus mit (3.14) die Bahnparameter P
h? — = 1,225 X 10'^ m 11
und
a e = 11 - = 1,387
bestimmt werden konnen. Da e > 1, befindet sich der Asteroid auf einer hyperbolischen Umlaufbahn. Mit dem Formelsatz (3.39) sind wir nun in der Lage, weitere Hyperbelparameter anzugeben. So folgt etwa fiir die groBe Halbachse a = p / (e^ - 1) = 1,328 x lO'^ m, fiir die Brennweite f = ae = 1,841 x lO'^ m und fiir die Asymptotensteigung ip = arccos(l/e) = 0,765 = 43,8°. Da wir vereinbart haben, dass h und q die z— und x—Richtung des (nichtrotierenden) Orbit systems festlegen, folgt fiir dessen Einheitsvektoren entlang der Koordinatenachsen h e^ = - = 0,819 ef' + 0,221 e^ + 0,529 e^ el = - = 0 , 1 3 9 e f - 0 , 9 7 1 e f +0,191 e f , e^ = e^ X e^ = 0,556ef - 0,083ef - 0,827ef . Die Lage des Orbits im nichtrotierenden, geozentrischen Bezugssystem kE wird durch die Bahnelemente i, i? und uj festgelegt. Wir bestimmen sie gemaB Abbildung 3.9, die fiir hyperbolische und elliptische Orbits gleichermaBen giiltig ist. Die Neigung des Orbits ergibt sich als Winkel zwischen der ZEAchse und der Bahnnormalen e^. i = arccos (ef • e^) = 1,013 = 58°
90
3 Das Zweikorperproblem
Zur Berechnung der Elemente i? und uj benotigen wir die Richtung der Knotenlinie. Sie wird durch den Einheitsvektor e f X e" c\at: ^E n = - 4 ^ = -0,261 e^E +I n0,965 e festgelegt. Die Lange des aufsteigenden Knotens ist der Winkel zwischen der X£;-Achse und der Knotenlinie i? = arccos (ef • n) = 1,834 = 105,1° , wahrend der Winkel zwischen der Knotenlinie und der zum Perigeum weisenden Achse das Argument des Perigeums festlegt, uj = arccos (n • el) = 2,915 = 167° . Mit diesen Daten ist die Umlaufbahn im geozentrischen Bezugssystem festgelegt, die Bahnkurve r{6) kann aus Gl. (3.49) berechnet werden. Abbildung 3.10 zeigt zusammenfassend die Geometric des Orbits. 2. Vergleich spezifischer Energien Die spezifische Gesamtenergie des Asteroiden folgt unmittelbar aus (3.40), CAST = ^
= l^^Ol x 10^ Ws/kg = 4,169 kWh/kg ,
die wir, entsprechend dem Beispiel in Abschnitt 3.2.2, auf die Energie eines Korpers auf der Erdoberflache beziehen, AC AST = CAST - CQ = 21,499 kWh/kg . Im Vergleich mit dem Ergebnis von Abschnitt 3.2.2 folgt also, dass die Energie der Asteroidenbewegung etwa um das Zweieinhalbfache groBer ist als der Energieaufwand, um einen Satelliten gleicher Masse in eine erdnahe Umlaufbahn zu bringen. 3. Aufpralldaten Aus (3.39) folgt, dass der Perigeumsabstand r^ = a (e — 1) = 5133 km kleiner als der Erdradius ist und ein ZusammenstoB damit unausweichlich bleibt. Der Aufprall findet statt, wenn r = RE, d. h. wenn die wahre Anomalie jenen Wert 6>* erreicht, fiir den r{0'') = p / ( l + ecos6>*) = RE oder 0* = - arccos (- ( ^ - l \ ]
= -0,845 rad = -48,4° .
(3.50)
Nach Gl. (3.49) ist der Abstand des Einschlagortes von der Aquatorialebene (d. h. die Komponente des Ortsvektors in Richtung der Erdachse)
3.4 Die allgemeine Losung des Zweikorperproblems ^
= ,(^*) . ,E ^ p s i n ( ^ + r ) s i n z ^ ^ > ^ l + ecosi9*
91
^^
Damit reduziert sich die Moglichkeit eines Aufschlags auf Orte, die sich auf dem Breitengrad (/)* = a r c s i n ( ^ j =48,2° befinden - wozu unter anderem die Stadt Wien zahlt. Um den Langengrad des Einschlagspunktes zu berechnen, miisste in weiterer Folge die Eigendrehung der Erde in die Rechnung mit einbezogen werden. Die Geschwindigkeit, mit der der Asteroid die Erde trifft, ist nach Gl. (3.17) V* = f^h-
2 e c o s r + e^) = 12450,2 m/s = 44820,6 km/h ,
(3.51)
y p und der Flugwinkel betragt nach Gl. (3.18) • ^ • -^913,4 J = arcsm - = arcsm ^ ^ ^ ^ = -28,4 . (3.52) Kurz vor dem Einschlag erscheint der Asteroid somit auf einer Hohe von - 7 * = 28,4° iiber dem Horizont (Abbildung 3.10). 4. Einschlagszeitpunkt Zur Berechnung des Einschlagszeitpunktes verwenden wir das Losungsschema (3.42). Zum Zeitpunkt des Aufpralls folgt mit (3.50) im BogenmaB F* = 2Artanh f J-—^
tan ( — j j = -0,366
r* = e sinh F"" - F"" = -0,153.
(3.53)
Andererseits ist die wahre Anomalie im Anfangszeitpunkt i9o = - arccos (—• el\
= -126,5°
und damit wiederum im BogenmaB Fo = 2Artanh [ J-—-
tan ( y j j = -2,188 rad
To = e sinh FQ - FQ = -3,915 rad.
(3.54)
Aus der Differenz von (3.53) und (3.54) erhalten wir schlieBlich als verbleibende Zeit bis zum Einschlag At = W — (r* - To) = 9119,77 s = 2 h32 min.
92
3 Das Zweikorperproblem
Abbildung 3.10. Ein Asteroid rast auf die Erde zu. Unter den gegebenen Bedingungen wird er in 2h32min am 4S. Breitengrad einschlagen.
Literaturhinweise zu Kapitel 3: CHOBOTOV [10]: Deckt das ganze Kapitel relativ gut ab. Leider fehlen oft wichtige Herleitungen. ESCOBAL [11]: Eine sehr ausfiihrliche Darstellung des Zweikorperproblems. GROSSMAN [13]: Eine weitere Einfiihrung in das Zweikorperproblem. Sehr theoretisch orientiert. Die klassischen Orbitalelemente werden nicht erklart. ROY [28]: Das Zweikorperproblem wird sehr genau diskutiert, inklusive aller Herleitungen.
Mathematische Grundlagen der Storungsrechnung
Jedes mathematische Modell stellt natiirlich nur eine gewisse Idealisierung der Wirklichkeit dar. Auch das im vorigen Kapitel ausfiihrlich diskutierte Zweikorperproblem beschreibt die Dynamik eines um die Erde kreisenden Raumfahrzeuges nur naherungsweise. Tatsachlich reichen diese einfachen Bahnberechnungen in der Praxis nicht aus, um befriedigende Vorhersagen der Positionen eines erdnahen Satelliten zu gewahrleisten. Es ist daher notwendig, dass wir uns mit den fiir die Raumfahrt relevanten Storungen der Keplerschen Orbits naher auseinander setzen. Da die mathematischen Anforderungen der Storungstheorie auf beriichtigt hohem Niveau stehen, ein tieferes Wissen dariiber aber nicht vorausgesetzt werden soil, wollen wir in diesem Kapitel die benotigten Rechentechniken zunachst sorgfaltig entwickeln. Die Anwendung der Storungsrechnung auf die Satellitendynamik erfolgt dann in Kapitel 5.
4.1 Historisches Die Technik der Storungsrechnung wurde von den franzosischen Mathematikern Joseph Louis Lagrange (1736-1813) und Pierre Simon Laplace (17491827) entwickelt. In seinem beriihmten, fiinfbandigen Hauptwerk Traite de Mecanique celeste („Abhandlung iiber Himmelsmechanik"), das in den Jahren 1799-1825 entstand, versuchte Laplace, die Abweichungen der Planetenbahnen von Ellipsen durch die gegenseitige Anziehung der Planeten mathematisch streng zu begriinden. Zwei Fragestellungen gaben dazu Anlass: 1. Die drei Keplerschen Gesetze passten noch immer nicht ganz zu den tatsachlich beobachteten Bewegungen der Himmelskorper. Eine wirklich befriedigende Theorie der Planetenbewegung stand also auch nach Kepler noch aus. Das Newtonsche Gravitationsgesetz lieB jedoch erkennen, dass die Planeten nicht nur durch die Sonne angezogen werden, sondern
94
4 Mathematische Grundlagen der Storungsrechnung
auch selbst Krafte aufeinander ausiiben. Die wahre Dynamik der Planeten schien also komplizierter zu sein, als es das reine Zweikorperproblem vermuten lieB. 2. Die gegenseitige Anziehung der Planeten wirft aber sogleich eine schwerwiegende Frage von geradezu philosophischer Dimension auf: 1st das Sonnensystem, bestehend aus Sonne, Planeten und Monden, eigentlich stabil, oder wird es vielleicht eines Tages in sich zusammenstiirzen? Zur Losung dieser Fragen erfanden Lagrange und Laplace die Storungsrechnung. Sie untersuchten dabei nicht die absolute Bewegung der Planeten in kartesischen Koordinaten, sondern die Abweichung der Umlaufbahnen von der Keplerschen Idealform. Diese Abweichung lasst sich, und das ist der Clou dabei, mathematisch als zeitliche Fluktuation der sechs Bahnelemente jedes Planeten beschreiben. GewissermaBen ermittelt man zu jedem Zeitpunkt einen eigenen Keplerschen Orbit, der zum gerade aktuellen Zustand des Systems „passt".
Joseph Louis Lagrange (1736-1813)
Pierre Simon Laplace (1749-1827)
Abbildung 4.1. Die beiden Begrilnder der Storungstheorie.
Da man davon ausgehen kann, dass die Storungen der Zweikorperdynamik nur schwach sind, werden die Fluktuationen der Orbit alelemente so klein sein, dass ein Reihenansatz fiir sie sinnvoll erscheint. Die Entwicklung wird dabei nach Potenzen numerisch kleiner Storparameter, die sich etwa fiir die Aufgabenstellung von Laplace und Lagrange in natiirlicher Weise als Massenverhaltnisse zwischen Sonne und Planeten ergeben, erfolgen.
4.1 Historisches
95
Im Prinzip kann solch eine Reihenentwicklung bis zu jeder gewiinschten Ordnung vorgenommen werden. Laplace schien so die Bewegungen der Planeten mit beliebiger Genauigkeit vorhersagen zu konnen, wenn man ihn nur lange genug rechnen lieB. Unter seinen Zeitgenossen fand sich kaum einer, der sich mit ihm in Mathematik messen konnte. Dementsprechend entwickelte Laplace schon in jungen Jahren ein auBerst „gesundes" Selbstbewusstsein, mit dem er bei seinen Kollegen naturgemaB nicht immer gut ankam. Es wird berichtet, dass er sich in der Academic des Sciences, in die er 1773, nach einem vergeblichen Anlauf zwei Jahre zuvor, gewahlt wurde, nahezu in jede wissenschaftliche Frage einmischte. Laplaces Arbeiten erhohten das mathematische Niveau der Newtonschen Physik so sehr, dass der Kreis derer, die den Diskussionen iiber den aktuellen Stand der Mechanik noch folgen konnten, stark schrumpfte. Es ist im Ubrigen interessant, dass die Ausarbeitung und Vervollkommnung der Mechanik nicht in England, das ja mit Newton den modernen Begriinder dieser Wissenschaft stelite, sondern in Frankreich, wo sich die Lehre Newtons erst miihsam gegen die Philosophie Descartes durchsetzen musste, erfolgte. Das britische Empire hatte im 18. Jahrhundert die Forschung ganz dem wirtschaftlichen und machtpolitischen Nutzen untergeordnet, wahrend die geistige Grundhaltung des franzosische Rationalismus, dem eine Freude am Spekulativen, ja ein Hang zum Spielerischen innewohnt, den zum Teil abgehobenen theoretischen Fragen der Himmelsmechanik sehr entgegenkommt. Laplace wurde schlieBlich sogar zur Leitfigur eines die Erfolge der Himmelsmechanik verallgemeinernden Materialismus, der behauptet, alle Vorgange in der Welt aus der Newtonschen Mechanik erklaren zu konnen. Kaiser Napoleon, dem der Mathematiker im Jahre 1799 ganze sechs Wochen lang als Innenminister diente, soil ihn einmal gefragt haben, wo denn in seinem Universum iiberhaupt noch Platz fiir Gott ware, worauf Laplace angeblich geantwortet hatte: „Ich hatte diese Hypothese nicht notwendig. Sire." Aber auch ein Laplace konnte nicht alle Fragen der Himmelmechanik losen. Ob das Sonnensystem stabil ist, blieb letztlich ungeklart, da Laplace ein allgemeiner Konvergenzbeweis fiir die von ihm verwendeten Reihenentwicklungen nicht gelang, so dass wirklich langfristige Aussagen iiber das Verhalten des Planetensystems auf sehr unsicherem Boden stehen. Laplace hatte mit seiner Bemerkung zu Napoleon, wenn sie denn wirklich so gefallen ist, den Mund vermutlich doch etwas zu voll genommen. Doch war dies nicht die Ursache fiir seine vorzeitige Entlassung als Innenminister. Warum er den Mathematiker schon nach sechs Wochen wieder von den Staatsgeschaften entfernte, beschrieb der Kaiser der Franzosen in seinen Memoiren: „ ... well er den Geist des unendlich Kleinen in die Regierung brachte".
96
4 Mathematische Grundlagen der Storungsrechnung
4.2 Variation der K o n s t a n t e n nach Lagrange Die Storungsrechnung baut auf der Methode der Variation der Konstanten von Lagrange auf. Dieses Verfahren ist auch aus der Theorie der linearen Differentialgleichungen bekannt, wo es dazu benutzt wird, eine Partikularlosung einer inhomogenen, linearen Differentialgleichung aus der allgemeinen Losung der zugehorigen homogenen Differentialgleichung zu bestimmen. Wir betrachten ein System von n autonomen, linearen oder nichtlinearen Differentialgleichungen erster Ordnung: Xi = fi{xi,...Xn),
i = l,...n.
(4.1)
Seine allgemeine Losung sei bekannt und durch die Kurvenscharen Xi =
(pi{ci,...Cnjt)
gegeben. Mit den Integrationskonstanten (Elementen) c i , . . .c^ kann die allgemeine Losung sofort an eine gegebene Anfangsbedingung (etwa zur Zeit t = 0) angepasst werden. Dazu miissen die Funktionen (pi natiirlich unsere Differentialgleichungen erfiillen, so dass Xi = - ^
= /i(^l,...^n).
(4.2)
Soweit der ungestorte Fall. Nun wollen wir zu der Differentialgleichung (4.1) einen Storterm addieren: Xi = fi{xi,...Xn)
-\-sg{xi,...Xn),
i = l,...n.
(4.3)
Die hinzugefiigte Storung soil aber nur klein sein. Wir fordern deshalb, dass sich der Parameter s nur wenig von null unterscheiden darf. Fiir s = 0 geht Gl. (4.3) in (4.1) iiber. Damit driicken wir aus, dass ein fast integrables System vorliegt. Grundsatzlich konnte natiirlich jede Differentialgleichung x = f{x) in der Form (4.3) aus einem integrablen und einem nicht integrablen Teil „zusammengesetzt" werden. Aber damit ist noch nichts gewonnen. Erst wenn es gelingt, zu zeigen, dass ein fast integrables System gegeben ist, konnen Schliisse auf die Struktur der Losung gezogen werden. Wir wollen s als Storparameter bezeichnen. Nun wird freilich die allgemeine Losung der Differentialgleichung (4.3) unbekannt sein. Aber: Fiir die durch den Punkt xi,...Xn gehende spezielle Losung kann man als erste Naherung einfach die durch diese Konfiguration definierte spezielle Losung der ungestorten Differentialgleichung (4.1) ansetzen, die man unmittelbar durch Anpassung der Elemente c i , . . . c^ erhalt. Auf diese Weise konnen zu den einzelnen Punkten des gestorten Orbits entsprechende ungestorte „Referenzorbits" angegeben werden, von denen jeder durch eigene Werte der Elemente charakterisiert ist. Mathematisch bedeutet dies, dass die Elemente beim gestorten Problem als Funktionen der Zeit angesehen werden. Dabei setzt man
4.2 Variation der Konstanten nach Lagrange Xi(t)=(pi(ci(t),...Cn(t),t).
97 (4.4)
Dieser auf Lagrange zuriickgehende Ansatz heii3t Variation der Konstanten und ist nichts anderes als eine Transformation der Groi3en x i , . . . x^ auf die neuen Variablen ci,...Cn, mit denen das gestorte Problem (4.3) weitaus besser charakterisiert wird. Denn die Fluktuationen der Elemente werden nur schwach sein, wenn die Storung klein bleibt. Die schnell variierenden Grofien oder schnellen Variablen Xi werden also durch die langsam variierenden Groften oder langsamen Variablen Ci ersetzt. Nach Differentiation von (4.4) nach der Zeit folgt
a^^i + ^
= } ^ ^ c , + /,(v.i,...^„)
(4.5)
unter Ausnutzung von (4.2). Substituiert man nun (4.4) und (4.5) in die Differentialgleichung (4.3), so ergibt sich Xi = ^-Q-^Cj
-\- fi{(pi,...(Pn)
= fi{(pi,...(Pn)
-\-Sgi{(pi,...(Pn)
oder n
^-K-^Cj
dc,
3= 1
=egi{ifi,...ifri),
i = l...n.
(4.6)
'
Da die (bekannten) Funktionen ifi^.. .ifn nicht nur von den Cj, sondern auch explizit von der Zeit abhangen, stellt Gl. (4.6) ein System nichtautonomer Differentialgleichungen fiir c i , . . . c^ dar. Wenn man noch nach den Geschwindigkeiten Q auflost, dann erhalt man Ci = e^A';^^gj{Lpi,..
.Lpn) :=shi{ci,...Cn,t)
mit
Aij = —^ .
(4.7)
(Voraussetzung fiir diese Umformung ist natiirlich, dass die Matrix Aij nicht singular ist.) Fasst man ci,...Cn als Komponenten eines Vektors c auf, so konnen diese Beziehungen auch in der kompakten Vektor-Form c = sh{c,t)
(4.8)
geschrieben werden. Wir erinnern nochmals daran, dass aus der Losung dieser Storungsgleichung - wenn sie bekannt ware - mit Hilfe der Transformation (4.4) sofort die Losung des gestorten Problems (4.3) folgen wiirde. Doch zunachst erscheint der Ubergang auf die neue Variable c auf den ersten Blick widersinnig, da die Gleichung (4.8) noch komplizierter als unser Ausgangsproblem (4.3) sein wird und zudem die Zeit explizit enthalt. Man sieht aber auch, dass wegen e ^ 1 die Anderungsrate c sehr klein ist. Damit
98
4 Mathematische Grundlagen der Storungsrechnung
ist die Bezeichnung als langsame Variahlen auch mathematisch gerechtfertigt. Wenn wir numerische Hilfsmittel zur Integration des gestorten Problems verwenden wiirden, dann ware es weitaus giinstiger, von (4.8) auszugehen, da die Integrationsschrittweite viel groBer gewahlt werden konnte. Andernfalls miisste die Schrittweite den groBeren Anderungsraten der schnellen Variablen Xi angepasst werden, wodurch bei Langzeitsimulationen sehr lange Rechenzeiten in Kauf zu nehmen waren. Wir wollen aber hier nicht naher auf solche numerischen Verfahren eingehen, sondern uns analytischen Methoden, fiir die sich die Transformation auf langsame Variablen als ebenso vorteilhaft erweist, zuwenden.
4.3 Reihenentwicklung Ausgehend von der Kleinheit des Storparameters s konnte eine (spezielle) Losung der Differentialgleichung (4.8) in folgender Weise als unendliche Reihe konstruiert werden: 3^(3)/ .(0)/ (1) r c{t) = c^^^ (t) + .ec^'^ (t) +2^(2) e'c^'^ (t) . + e'c^'^ (t) +
(4.9)
Daran ist zunachst gar nicht viel zu verstehen. Es handelt sich einfach um einen Losungsansatz, in dem die Koeffizienten c^^\ in denen die Zeitabhangigkeit der Losung enthalten ist, noch zu bestimmen sind. Die Substitution des Reihenansatzes in Gl. (4.8) fiihrt auf c = c(o) + ec(i) + e2c(2) +...=sh
(c^") + sc^'^ + s^c^^^ +...;t):=
sp{e).
(4.10) Fasst man h{c) auf der rechten Seite als Funktion p{s) des Storparameters auf, so kann dafiir eine Taylor-Reihe angeschrieben werden:
Pie) = p(0) +
dp de
1 £-p
e=0
e + 2 di2"
e^ + e=0
Damit erhalten wir aus Gl. (4.10) .(0) + ^e(i) + e2c(2) + £3^(3) + .. _ p(o)^ ^ dp de
e=0
, 2 , 1 ^ 2 d£2
e^ + e=0
Es erscheint sinnvoll, zu fordern, dass alle Koeffizienten gleicher Ordnung auf der linken Seite mit jenen der rechten Seite iibereinstimmen sollen, denn dann ist die Differentialgleichung (4.8) fiir alle e befriedigt. Diese Vorgangsweise fiihrt auf folgende Bestimmungsgleichungen fiir die c^^^: c(o)=o,
c(^)=p(0),
,(2) ^ dfp_ c' de e=0
1 d^p 2 de^
•M = t
(4.11) e=0
4.3 Reihenentwicklung
99
Ob damit etwas anzufangen ist, wird aber erst die nahere Betrachtung der Funktion 2^(2) .(1) p{s) = h[(i ,(0) + sc^'^ +s'c^'^ + ... :t zeigen, die wir eben noch so salopp hingeschrieben haben. Fiir die zweite Gleichung (4.11) benotigen wir den Ausdruck p ( 0 ) , der sich unmittelbar zu (4.12)
p(0) = /i(c(o);i)
ergibt. Auch die rechte Seite der dritten Gleichung (4.11) kann noch leicht berechnet werden: dp
dh dc
de
dc de
e=0
E
e=0
dh
.(1)
(4.13)
(c(°);i)
Ab der vierten Gleichung von (4.11) wird es jedoch ein wenig komplizierter:
d ds^ s=o
fdhdc\
^^ \dc
da II Y ^ ^ ^'f' dh dcj ^^j
ds J ^^Q
ds 1 ^
dcj de e=0
d'^h
= E dcjdck n
=E
dck dcj
dh d'^Cj
ds
dcj ds'^
d^h
ds
e=0
dh_
dcjdck
2c'(2)
(4.14)
(c(°);i)
In gleicher Weise konnen auch die hoheren Ableitungen nach dem Storparameter gebildet werden. Wir wollen uns aber nicht iiber Gebiihr abmiihen und an dieser Stelle die Berechnung unserer Reihe abbrechen. Die in den Gleichungen (4.12) bis (4.14) zusammengetragenen Ergebnisse konnen nun in (4.11) eingesetzt werden. Dadurch ergibt sich
c(°) = 0 C^ 1^)^ ^ = / l ( c W ; i )
^2) _ V
„(i)
—
(c(°);i) 1 ^ 3 ) = :!:
j,k=l
dcjdck
ic^'^;t) '"" ""i + dc, ic^'^;t)
2cf)
100
4 Mathematische Grundlagen der Storungsrechnung
Dieses Differentialgleichungssystem fiir die Koeffizienten c^^^ (t) kann ganz einfach rekursiv gelost werden, da auf der rechten Seite der k-ten Gleichung nur die schon bestimmten Koeffizienten c^^\ . . . c^^~^^ vorkommen und iiberdies die erste Gleichung trivial ist. Man erhalt: c(o)(t) = c(to)
(4.15)
c(i)(t) = /
(4.16)
h{c^''^;T)dT
Jta
,n.
4\r)dT
(4.17)
2
,(3)
it)
~dck
(c(0);r) ^ ^^'
^^^dc,
[Ci, Cj\
da,
dtp dci
dv p
dtp dVp
dtn dVn dvp
+ dcj
\dCj
dVn
dtn
dCj
dCj
dcj dcj dvr) dvp dvp dVry dVr dci
dcj
dci dcj
dtp
dvp
+ dcj
' dci
+
dVp dvp
+ dvp
dtp dci
dci
dvp ^ dcj
dVp dvp dvr) dcj
An dieser Stelle fallt ein bemerkenswerter Zusammenhang auf. Die beiden letzten Klammern sind offensichtlich genau die Ableitungen der Energie C = v'^^/2 + Vp{rp) nach den Orbitalparametern Q bzw. Cj. Wenn wir dies beriicksichtigen, so schreibt sich die Lagrange-Klammer in der kompakten Form dvp dvp [(^u(^j]
dci
dcj
dvp dvp dci
dcj
dC dtp
+
dci dcj
dtpdC dci dcj
(4.47)
Die Lagrange-Klammer setzt sich also aus einer Art Orts-Geschwindigkeitsklammer und aus einer Energie-Zeitklammer zusammen. Beide Klammern haben die Eigenschaften (4.41). Welters fallt auf: Wenn wir C und tp selbst zu den Orbitalparameter zahlen, so verschwinden die Energie-Zeitklammern. Bilden hingegen Vp und Vp den Satz der sechs Orbitalparameter, so sind alle Orts-Geschwindigkeitsklammern gleich null. Mit (4.47) ist Berechnung der Lagrange-Klammer fiir eine konkrete Wahl der Ci ein Kinderspiel. Im Fall der klassischen Orbitalparameter a, e, i, i7, CJ, X konnen wir auf schon bekannte Zusammenhange zuriickgreifen. Zunachst ist die Perigeumsposition Vp durch Gl. (3.49) mit Vp = a ( l — e) gegeben: cos u cos i? — sin CJ sin i? cos i , p _ VpC^ (i, i7, u) = a ( l — e) I cos oo sin i? + sin oo cos i? cos i sin 00 sin i
(4.48)
112
4 Mathematische Grundlagen der Storungsrechnung
Auch die Perigeumsgeschwindigkeit Vp = ip{t = tp) kann ohne Schwierigkeiten angegeben werden. Dazu muss man sich nur daran erinnern, dass Vp senkrecht auf Vp steht (also entlang des Orbital-Einheitsvektors e^ weist) und nach (3.20) folgenden Betrag hat: Vp = . p ( l + e) = J
. ^
^ , ( l + e) = na ]^^
Vl^
^
mit
2
n = J^.
(4.49)
Die hier eingefiihrte Abkiirzung n entspricht nach (3.27) der mittleren Orbitalwinkelgeschwindigkeit 27r/T. Sie wird uns in den folgenden Gleichungen immer wieder begegnen. Wir merken uns, dass n eine Funktion des Orbitalelements a ist. Damit lautet die Perigeumsgeschwindigkeit: -J Vp = Vpey{i, f2,uj) = na ^
/ — sin cj cos i? — cos uj sin i? cos i ^ — sincj sin i? + coscj cos i? cosi | (4.50) y cos oj sin i
SchlieBlich benotigen wir noch die Energie C und den Zeitpunkt des Perigeumsdurchgangs als Funktionen der klassischen Orbitalparameter. Einerseits gilt nach Gl. (3.24): C = - A (4.51) andererseits errechnet sich tp sich aus Gl. (3.45): [a^
27r X=Y'^^O~^^)
^^^^
tp(^^x) =to-
\ —X'
(4.52)
Der sechste Orbitalparameter x tritt also nur im Ausdruck fiir tp in Erscheinung. Mit den Gleichungen (4.48) - (4.52) konnen die Lagrange-Klammern (4.47) ohne Schwierigkeiten angeschrieben werden. Da die Energie C nur von a und tp nur von a und x abhangt, verschwinden alle Energie-Zeitklammern auBer [cijX]{c,tp)- Andererseits kommt x ^^ der Perigeumslage Vp und in der Perigeumsgeschwindigkeit Vp gar nicht vor, weshalb alle Orts-Geschwindigkeitsklammern mit diesem Orbitalparameter null sind. Somit erhalt man: [cfc,x]=0,
auBer
[a,x] =
dC dt^ Lp da dx
dt^ dC da dx
KJVp
1 2 na.
Zur Berechnung der iibrigen Klammern werden die Einheitsvektoren e% und e^y sowie deren Ableitungen nach den drei Winkel-Argumenten i?, cj, i benotigt. Es ist hilfreich, sich zuvor die folgenden Beziehungen zu iiberlegen: eZ-eZ = I XX
• el _= U
=^
eZ' ^ r ^ = 0,
=^
e ; •^ll£ - r ^ ^= _ -eo
"" dck
analog fiir e?. ^
£ ^
y
4.6 Die Lagrangeschen Planetengleichungen
113
Darin bezeichnet Ck eines der Argumente i,i? oder oj. Weiters ergibt sich durch einfaches Nachrechnen pO ,
e.
y_ _
Q
Q. - U ,
y_ — ^^^j
pO .
e,
^^
y_ _
pO .
-cosz,
e,
_ i
^^ -
1
de^de^_de^de^^^^de^de^_de^de^^ ^ ^ _ ^ ^ ^ _ ^ . ^ . ^ di duj duj di duj dQ dQ duj ' di dQ dQ di Damit konnen schon die Lagrangeklammern zwischen i7, u und i errechnet werden: ..
.
dvpdvp di duj
dvpdvp
du di ^) d_e^d_e^ _de^d_e£
dvp dvp duj
on
dvp dvp
^'
J"
_d_^d_e£
de^de^ di duj
di dQ
di dQ ~
""
duj J )
-
duj df2
df2
del del di dn
de%del^ dn di ,) na^ yl
-- e^ sini.
Fiir die Klammern der Ellipsenparameter a und e mit den Argumenten Ck = il,ui,i gilt unter Beachtung der Zusammenhange zwischen e° und e°
9a 9cfc
da dck
9a
^ ^ Sc^
da
^ ^ dcu
und analog ^
(
dvp de
dvp\ "" de J
^del "^ dck
Damit erhalt man a,i]=0,
1 r. r . [a, i?] = — - n a y 1 — e^ cos i,
[e,i] = 0,
[e, i?] =
o?ne
. cos i,
,
, 1 [a,a;] = - n a y l
, ^, [e, i?]
o?ne
SchlieBlich fehlt noch die Klammer [a,e]: ^' ^
_ arv a i ^ _ a ^ ^ a r v _ dr^dv^ aa ae aa ^e da de
on _ dv^dr^nn _ ^ "^ ^ da de ^ "^ '
da e% und e^ aufeinander senkrecht stehen. Die Liste der Lagrange-Klammern ist damit komplett, und wir konnen die Storungsgleichungen (4.40) fiir die klassischen Orbitalelemente anschreiben. AUgemein gilt
114
4 Mathematische Grundlagen der Storungsrechnung /
0 [e,a] [i,a] [i?,a] [uj,a\ V [X, «]
[a, e] 0 [i,e] [i?,e] [uj,e\ [X, e]
[a, i] [e,i] 0 [i?,i] [uj,i] [x, ^]
[a, i7] [e, i?] [i, i?] 0 [cj, i?] [X, ^ ]
[a, u «, X\\ f da/dt \ [e,uj] [e,x] de/dt [i,a;] [i,x] di/dt dQ/dt [n,uj][n,x\ du/dt 0 [uj,x\ [X, ^] 0 ) \dxldt)
( dW*/da dW*/de dW*/di dW*ldf} dW*/duj
\
\dW*/dxJ
mit folgender Matrix aus den Lagrange-Klammern:
1\ 2 ae
2 ae
2
0
^/^
iV^
^/^ ^/^
0 0
0
\
0
Die Lagrangeschen Planetengleichungen ergeben sich durch Auflosen nach den dck/dt:
2 dW* na dx 1 - e^ dW Vl - e2 dW na^e dx na^e du cot i dW 1 di dW \ dt no?\/l — e^ duj no?\/l — e^ sini dU 1 dW dQ _ dt na^\/l — e^ sini di ^/Y^^ dW cot i dW du dt nd^e de no?\/l - e^ di 2 dW dx _ l-e^dW dt ~ na^e de na da da 'dt ~ de
(4.53)
An dieser Stehe sei nochmals darauf hingewiesen, dass diese Gleichungen streng gelten. Sie wurden erstmals von Joseph Louis Lagrange zur Berechnung der Storbewegungen unseres Planetensystems aufgestellt. Die Lagrangeschen Planetengleichungen sind aber auch fiir die Satellitendynamik interessant. Eine wichtige Anwendung findet sich fiir die Analyse von Orbitalstorungen, die von der E r d a b p l a t t u n g ausgehen. Diese werden im folgenden Kapitel behandelt.
4.6 Die Lagrangeschen Planetengleichungen
115
Literaturhinweise zu Kapitel 4: NAYFEH [24]: Rein mathematisches Werk. Hilft aber beim Verstandnis der Storungstheorie. STERNE [33]: Enthalt die Herleitung der Lagrangeschen Planetengleichungen mit Methoden der analytischen Mechanik. Alle dafiir erforderlichen Hilfsmittel werden genau erklart.
Storungen der Zweikorperdynamik auf erdnahen Umlaufbahnen
5.1 Uber die Herkunft der Storungen Wenn im Weiteren von „Storungen" erdnaher Satelliten die Rede ist, so sind damit Krafte gemeint, die auf die Orbital-Dynamik Einfluss nehmen und nicht aus dem Gravitationsgesetz fiir eine vollkommen kugelsymmetrisch gedachte Erde zu erklaren sind. Die starksten Storungen entstehen einerseits aus der Erdabplattung und der damit verbundenen Veranderung des Erdschwerefeldes gegeniiber dem kugelsymmetrischen Fall und andererseits - bei besonders niedrigen Umlaufbahnen - aus aerodynamischen Kraften, die in den obersten Schichten der Erdatmosphare hervorgerufen werden. Dariiber hinaus wird die Dynamik eines Satelliten aber auch durch die Anziehungskrafte der Sonne, des Mondes und naher Planeten, durch den Strahlungsdruck des Sonnenwindes und, wenn auch nur sehr schwach, durch relativistische Effekte beeinflusst. Wir wollen zunachst all diese Storungen anhand der Beschleunigungen, die sie - gemittelt iiber eine Umlaufperiode - am Satelliten hervorrufen, quantitativ miteinander vergleichen. Die Storungen hangen von Lage und Form des Orbits, in besonderem MaBe aber von der Flughohe ab. Wir betrachten deshalb vier typische Satelliten auf kreisformigen Umlaufbahnen mit Orbitalradien von 42160 km (geostationare Umlaufbahn), 12270 km, 7300 km und 7100 km. Die zugehorigen StorungsgroBen sind in Tabelle 5.1 zusammengefasst. Zur Abschatzung der absoluten Bedeutung der angefiihrten Storungen ist auch die Beschleunigung durch den kugelsymmetrischen Anteil des Erdschwerefeldes angegeben, der fiir die Dynamik des reinen Zweikorperproblems verantwortlich ist. Dieser in der Tabelle als „Hauptanteil der Erde" bezeichnete Wert wiirde auf Meereshohe 981 cm/s^ betragen. Der Vergleich zeigt, dass in fast alien Fallen die Storung durch die Erdabplattung dominiert. Beim Satelliten SEASET betragt sie etwas mehr als ein Tausendstel des Hauptanteils der Erde. Dies reicht aus, um die Dynamik eines erdnahen Raumfahrzeuges relativ deutlich zu beeinflussen. Alle anderen Storungen sind zumindest drei Zehnerpotenzen kleiner. Bemerkenswert ist aber der dramatische Anstieg des Luftwiderstandes mit ab-
118
5 Storungen auf erdnahen Umlaufbahnen
Tabelle 5.1. Beschleunigungen in cm/s^ von vier SateUiten durch verschiedene Storungsquellen. Quelle: A. Milani, A. M. Nobili und P. Farinella. Ursache Erdabplattung Luftwiderstand Storung durch Mond Storung durch Sonne Storung durch Venus Sonnenwind Relativistische Effekte Hauptanteil der Erde
Geostationar (42160 km)
LAGEOS
STARLETTE
SEASET
(12270 km)
(7300 km)
(7100 km)
7,4 X 10"^ 0(?) 7,3 X 10-^ 3,3 X 10-^ 4,3 X 10"^ 4,6 X 10"^ 2,3 X 10"^ 2,2 X 10^
1,0 3,0 2,1 9,6 1,3 3,2 9,5 2,8
8,3 7,0 1,3 5,7 7,5 4,6 4,5 7,5
9,3 2,0 1,3 5,6 7,3 9,2 4,9 7,9
X 10"^ X 10"^° X 10"^ X 10"^ X 10"^ X 10"^ X 10-^ X 10^
X 10-^ X 10"^ X 10-^ X 10-^ X 10"^ X 10-^ X 10-^ X 10^
X 10-^ X 10"^ X 10"^ X 10-^ X 10"^ X 10"^ X 10"'^ X 10^
nehmender Flughohe (Flughohe = Orbitalradius minus Erdradius). Bei sehr geringen Flughohen (der Orbitalradius des Shuttles betragt nur etwa 6700 km) iibertrifft die Storung durch aerodynamische Krafte schlieBlich sogar die Storung durch die E r d a b p l a t t u n g . Dies ist der Grund, warum Satelliten auf niedrigen Umlaufbahnen rasch an Hohe verlieren und ohne Korrekturmanover meist schon nach wenigen Wochen oder Tagen in der Atmosphare vergliihen. Halten wir fest: Die E r d a b p l a t t u n g und die atmospharischen Krafte sind eindeutig jene Storungsquellen, die in der erdnahen Raumfahrt besonders zu beachten sind. Wir wollen daher die daraus resultierenden Modifikationen der Dynamik des Zweikorperproblems im weiteren Verlauf dieses Kapitels eingehend diskutieren. Der in der Tabelle 5.1 untersuchte Satellit L A G E O S I (Abbildung 5.1) wurde im Ubrigen speziell zur experimentellen Ermittlung von Bahnabweichungen entwickelt. Seine spharische Oberflache ist mit 426 konischen „Dellen" iibersat, die zur Reflexion von Lasersignalen aus Bodenstationen dienen. Damit kann der Orbit des Satelliten, dessen einzige Bestimmung ist, beobachtet zu werden, mit hoher Prazision ermittelt werden.
Abbildung 5.1. Der Satellit LAGEOS I wurde im Jahre 1976 auf seine Erdumlaufbahn gebracht. Er misst 60 cm im. Durchmesser und wiegt 411 kg. Mit seiner Hilfe sollen die fur Satelliten relevanten Storparam^eter experim^entell erm^ittelt werden. Da man aufgrund theoretischer Uberlegungen weifi, wie sich Storeffekte im. Orbit qualitativ auswirken, kann aus Vergleich der Rechenm^odelle und der beobachteten Bahn des Satelliten auf die Werte der Storparameter rilckgeschlossen werden.
5.2 Satellitenbahnen um nichtspharische Planeten
119
5.2 Satellitenbahnen u m nichtspharische P l a n e t e n Wie eingangs gezeigt wurde, ist die Storung durch die Erdabplattung fiir die erdnahe Raumfahrt von groBter Bedeutung. Um die daraus resultierende Modifikation der einfachen Kepler-Dynamik zu analysieren, sind drei Schritte erforderlich: Erstens muss ein Ausdruck fiir die Storkraft bzw. fiir das Storpotential - es handelt sich um eine konservative Beeinflussung des Zweikorperproblems - gefunden werden. Zweitens ist mit Hilfe der Lagrangeschen Planetengleichungen die Transformation vom Lage- und Geschwindigkeitsvektor auf die langsam variierenden Orbitalelemente auszufiihren. Und drittens muss eine Reihenentwicklung oder - unter Anwendung der Mittelwertsmethode das gemittelte gestorte Differentialgleichungssystem fiir die Orbitalelemente diskutiert werden. 5.2.1 Das Gravitationsfeld eines beliebig geformten Korpers Wir betrachten eine Punktmasse m im Gravitationsfeld eines beliebig geformten Korpers B der Masse M (Abbildung 5.2). Bezeichnet s den Abstand der Punktmasse von einem Massenelement dM von B, so ist damit das auf m bezogene Gravitationspotential gegeben durch V = -G / JM
,
wobei
s^ = r^ + a^ - 2ar cos?/^.
^
Hierbei sind r und a die Distanzen zwischen m und dM und dem Koordinatenursprung O (Abbildung 5.2). Ferner ist ip der Winkel zwischen den Ortsvektoren zu dM und m. Mit den Abkiirzungen q := cosip
und
s := a/r,
die von der Lage des betrachteten Massenelement dM abhangen, folgt s^ = r^(l + £^ -2qs) und V = -G
r dM _ JM r{l + e^ _ 2^e)i/2 "
G r dM ^ / ^ (i + ^2 _ 2^^) V2 '
^ '^
Dieses Integral wird im Allgemeinen nicht durch analytische Funktionen beschreibbar sein. Da wir aber nur Punktmassen in einiger Entfernung von B betrachten, ist r > a und e < 1. Es bietet sich daher an, den Integranden in eine Potenzreihe in s zu entwickeln. Wir erhalten (1 + e^ - 2ge)-i/2 = p^(q) + p^{q)e + p^{q)e' + ... mit Po = l,
Pi=q,
P2 = J ( 3 g 2 - l ) ,
Pg = 1 (5g3 _ 3g) ,
...
120
5 Storungen auf erdnahen Umlaufbahnen
Dabei zeigt sich, dass die Koeffizienten Pi{q) Legendresche Polynome sind. Unser Potential schreibt sich damit in der Form V = - - ( f
^ \JM
PodM+
f JM
PisdM+
f JM
P2S^dM + ...)
J
= ^ 0 + ^1+^2 + . . . (5.2)
Die Teilintegrale Vb, Vi, V2, • • • sollen nun einzeln untersucht werden.
Abbildung 5.2. Probemasse im Gravitationsfeld eines beliebig geformten Korpers.
Zunachst ist es wenig iiberraschend, dass sich fiir e = 0 oder r ^ a das Potential V auf r JM r reduziert. Dies entspricht genau dem Gravitationsfeld einer Punktmasse bzw. einer homogenen Kugel. In der Tat verschwinden fiir kugelformige Korper alle iibrigen Ausdriicke Vi, V2,... Der Anteil Vi verschwindet sogar fiir jeden Korper, wenn man - ohne Einschrankung der Allgemeinheit - das Koordinatensystem aus Abbildung 5.2 in den Massenmittelpunkt von B legt. Es folgt Vi = - - f PisdM = - - [ qedM ^ JM ^ JM G f G f G f =-— arcosi/jdM =-— r adM =-—r adM = 0, r^ JM r^ JM r^ JM wobei a und r die Vektoren OQ und OP bezeichnen. Da das Integral / ^ a dM gleich null ist, wenn man fiir O den Massenmittelpunkt wahlt, ist die Behauptung bewiesen. Wenden wir uns nun der Berechnung des Anteils V2 zu. Hier gilt:
5.2 Satellitenbahnen um nichtspharische Planeten V, = - - f P,s'dM ^ JM = --— 2^
f
= - l - f ^ ^ JM
121
{3q'-l)s'dM
{3co8^^p-l)a^dM.
JM
Nach Abbildung 5.2 ist jedoch a^ cos^-0 = o? — d^^ wobei mit d der Normalabstand des Massenelements dM von der Achse OP eingefiihrt wurde, so dass
^^ = -§ijj'^^'-^d^)dM. Bezeichnen ^, /y, C, die kartesischen Koordinaten des Vektors a = OQ im Koordinatensystem aus Abbildung 5.2, so gilt o? = (^^ -\-j]^ -\-(^. Damit lasst sich V2 iu folgender Form schreiben: G Ix -\- ly -\- Iz — 3/r V2 =
T
,
::
wobei Ix, ly, Iz und /^ die Tragheitsmomente der Massenverteilung um die Koordinatenachsen sowie um die Achse OP darstellen:
4= / {v'+e)dM, iy= [ ie+e) JM
JM
h= [ ie+v') dM, Ir= [ d '^dM. JM IM
JM ~ ' JM Fiir Kugeln gilt Ix = ly = Iz = Ir, so dass V2 wie zu erwarten verschwindet. Aus der Massengeometrie ist nun bekannt, dass sich das Tragheitsmoment /^ um eine beliebige Achse durch die Haupttragheitsmomente ausdriicken lasst. Wenn wir annehmen, dass die Koordinatenachsen mit den Tragheitshauptachsen von B iibereinstimmen und x, y und z die kartesischen Koordinaten des Ortsvektors r = OP zur Punktmasse m bezeichnen, dann gilt
"^ \0
0 ij
"^
"^
Somit ist Ir und damit auch V2 durch die fiir die Masseverteilung charakteristischen Parameter Ix, ly, h und durch die Position x, y, z der Probemasse m gegeben: V4 =
- ^
1 2
3a;2\ /I 2 r2 ; + ^ M 2
32/2\ /i 2 r2 j + ^M 2
3^2 2r^
(5.3)
Fiir die weitere Diskussion und Spezialisierung von V2 ist es vorteilhaft, zur Beschreibung des Ortes der Probemasse m von den kartesischen Koordinaten X, y und z auf Kugelkoordinaten r, (j) und A iiberzugehen. Dabei gelten die einfachen Transformationsregeln (siehe auch Abbildung 5.4)
122
5 Storungen auf erdnahen Umlaufbahnen X = r cos A cos (/>,
^ = r sin A cos (/>,
2: = r sin (/>,
wobei A und (/> Lange und Breite des Ortes der Probemasse sowie r = |r| den Abstand vom Koordinatenursprung bezeichnen. Damit schreibt sich Gl. (5.3) in folgender Form: I.+Ij,\
f l S
g.^2 ^ _ ^ ( 4 _ ly) cos^ ,/.cos2A
(5.4) 1st der Korper rotationssymmetrisch, etwa um die 2-Achse, so gilt I^ = ly, und V2 vereinfacht sich zu V2 = - ^ ( / . - 4 ) ( - - - s m ^ ^ j = — ^ ^ ( ^ - j
P2(sm^).
(5.5)
Hierbei wurde noch um den Aquatorialradius R, d. h. den Radius des groBten Breitenkreises, und um die Gesamtmasse M des Korpers erweitert. Interessanterweise tritt in (5.5) wieder das Legendresche Polynom P2 auf, nun aber als Funktion von sin (j). Der dimensionslose Koeffizient
nimmt im Falle der Erde den Wert J2 « 1,08263 x 10~^ an. In der Satellitendynamik spielt dieser Parameter eine sehr zentrale Rolle, wie wir gleich sehen werden. Es zeigt sich, dass die Annahme einer um die Nord-Siid-Achse rotationssymmetrischen Erde mit guter Naherung zutrifft. Ahgemein kann das Gravitationspotential eines rotationssymmetrischen Korpers - in Erweiterung von Gl. (5.5) - durch folgende unendliche Reihe dargestellt werden: (5.7) n=2
^
^
P2, ^3, • • • sind wieder Legendresche Polynome. Wie die Beitrage der einzelnen Summanden zum Gesamtpotential geometrisch zu interpretieren sind, zeigt Abbildung 5.3. Die punktierten Linien stellen Meridiankurven der (rotationssymmetrischen) Aquipotentialfldchen VQ + Vn{r,(l)) = const, fiir n = 2,3,4,5 dar. Die Abweichungen dieser Flachen vom kugelsymmetrischen Anteil VQ, der in Abbildung 5.3 durch durchgehende Kreislinien angedeutet wird, iiberlagern sich und bilden so das Gesamtpotential im Punkt r. Wie stark jedes Teilpotential zum Gesamtpotential beitragt, hangt von der GroBe der Koeffizienten Jn ab. In diesen als Jeffrey-Konstanten bezeichneten dimensionslosen Koeffizienten steckt die gesamte Information iiber die Masseverteilung in einem rotationssymmetrischen Korper. Es ist nicht gesagt, dass die Folge der JeffreyKonstanten Jn immer konvergiert, weshalb sich fiir kleinere Werte von r, fiir
5.2 Satellitenbahnen um nichtspharische Planeten
JA
123
J5
Abbildung 5.3. Aquipotentialfldchen Vb(r) + 14(r, 0) = const, der Storungen zu den Koeffizienten J2, J3, JA und J5. Die Kreise stellen die zugehorige Fldche Vo{r) = —GM/r = const, dar.
die der Faktor R'^/r^ nicht rasch genug abklingt, ein sehr schlechtes Konvergenzverhalten der Reihe (5.7) einstellen kann. Im Fall der Erde dominiert jedoch J2, wie m a n aus der Auflistung der Jeffrey-Konstanten J2 bis Jg in Tabelle 5.2 ersieht. Der Betrag von J2 ist etwa 400-mal groBer als der Betrag des nachstgroBten Koeffizienten J3, den m a n daher meist bereits vernachlassigen kann. Die Werte der Jeffrey-Konstanten miissen letztendlich experimentell bestimmt werden. Da m a n aufgrund theoretischer Uberlegungen sehr genau weiB, wie die einzelnen Potentialanteile den Orbit eines Satelliten verandern, kann aus prazisen Bahnvermessungen auf die numerischen Werte der J^ geschlossen werden. Die GroBe J2 ist im Ubrigen eine der am genauesten vermessenen geophysikalischen Konstanten.
Tabelle 5.2. Die Konstanten Jn fiir die Erde. J2
Js JA
J5
Je Jr Js J9
+ 1082,63 2,51 1,60 0,13 0,50 + 0,36 0,12 0,10 -
± ± ± ± ± ± ± ±
0,01 0,01 0,01 0,01 0,01 0,01 0,02 0,02
X 10-^ X 10"^ X 10"^ X 10-^ X 10"^ X 10"^ X 10-^ X 10"^
5.2.2 D i e J 2 - S t o r u n g In der Fachsprache der Himmelsmechaniker ist der Ausdruck „J2-Storung" ein sehr haufig verwendeter Begriff. Darunter versteht m a n die Storung eines Satellitenorbits, die durch den oben hergeleiteten Anteil V2 des Gravitationspotentials der Erde verursacht wird. Dass m a n die ubrigen Anteile V3, V 4 , . . .
124
5 Storungen auf erdnahen Umlaufbahnen
des Potentials vernachlassigen darf, ist letzthch empirisch begriindet. Die Tabehe 5.2 soh dies verdeuthchen. Nach Gl. (5.7) wird die J2-Storung durch das Potential W = V,{r,) = -^J,
( ^ y
Q - ^sin^ to, falls e(to) = 0. Jeder momentane Referenzorbit ist daher kreisformig, und seine Geschwindigkeit ist gegeben durch Gl. (3.25). Man kann sogar eine relativ einfache Differentialgleichung fiir die sakulare Variation der Orbitalgeschwindigkeit v{t) herleiten. Dazu muss nur (3.25) differenziert und die Storungsgleichung (5.23) fiir a eingesetzt werden:
5.3 Der Einfluss aerodynamischer Krafte 1000 900 800 700 600 500 400
141
1
D = 0,02 mVkg
11
:LD = 0,04mVkg l—r f /
300
"lD = 0,lmVkg
200
\D = 0,2mVkg 100 90 80 70 60 50
-\D = 0,4mVkg
40
- u fiir nif/mo -^ 0. Wle 1st dleser Unterschled zur Tslolkovskl-Glelchung (7.5) zu erklaren? Dazu machen wlr folgendes Gedankenexperlment: Wlr tellen den vorhandenen Trelbstoff und stoBen die zwel glelchen Telle (mo — m/) /2 kurz hlnterelnander ab. Der Implus mov tellt slch nach der ersten AbstoBung zu / mov = I mo
mo — m f \ . . . mo — rrif, . . — - I [V + Avi) -\ — - [v + Avi - u),
womlt Avi = u {mo — rrif) / {2mo) folgt. Fiir den nachfolgenden zwelten AbstoB llefert die Impulsbllanz ^ ^ _ mo - m/ \ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ rrif [V + Avi + Av2) H
— - [v + Avi + Av2 — u)
und damlt Av2 = u (mo — rrif) / (mo + ^ / ) - In Summe erhalten wlr fiir das separate Absprengen zweier Treibstoffblocke elnen Geschwindigkeitszuwachs von mo - rrif fl mo Av = Avi -\-Av2=u —^ ^ - + — mo \2 rrif + mo Fiir gerlnge Massenverhaltnlsse kann dleser Wert schon iiber der Ausstromgeschwlndlgkelt u llegen. Im Grenzfall rrif/mo -^ 0 erhalten wlr sogar Av -^ 3u/2. In Verallgemelnerung dleser Idee tellen wlr nun den vorhandenen Trelbstoff In N gleiche Telle (Abblldung 7.3). Bezelchnen wlr die aktuelle Masse nach dem i-ten Masseverlust Am = — {mo — rrif) /N mlt rrii = mo + lAm^ so llefert der Impulssatz fiir elnen TellabstoB Avi-^i = u (m^ — m^+i) /m^ = —uAm/rrii, wobel i = 0 , . . . A^ — 1. In Summe erhalten wlr somlt elnen Geschwindigkeitszuwachs von A
N V^
A
N-1 V^
Av = > Avi = —u > ^ ' ^
. ^ ^
. mi
168
7 Raketendynamik und impulsive Orbitalmanover
Fiir A^ ^ 00 ist diese Summe das bestimmte Riemannintegral mit dem Wert von GL (7.5) . Tatsachlich gleicht also das fiir Raketen charakteristische kontinuierliche Ausstromen von Brenngasen nicht dem einmaligen Absprengen einer endlichen Masse. Jedes Massenelement des Treibstoffs wird erst abgestoBen, nachdem das vorangegangene Massenelement abgestoBen worden ist. Damit wird die Rakete von Mai zu Mai leichter, unabhangig davon, wie rasch die Verbrennung und AbstoBung der einzelnen Massenelemente erfolgt.
N = oo
(mo - nif)
/N
N i I •| 2 E 1 I I
I I
m/
mo 1 2
Abbildung eine Rakete schwindigkeit (N = 1) nur
3
4
5
6
7
9
10
ruf
7.3. Effizenz des Raketenprinzips gegenuher einer Kanone. Wdhrend (N = oo^ Geschwindigkeitszuwdchse Av weit iiher der Ausstromgeu des Treibmittels erreichen kann, erlauht das einmalige Absprengen Geschwindigkeiten bis zur Expansionsgeschwindigkeit des Brennstoffes.
7.1.2 B a u a r t e n u n d TreibstofFe fiir R a k e t e n t r i e b w e r k e Raketentriebwerke fiir Raumfahrzeuge sind technisch hochkomplexe Maschinen, die wir hier nicht im Detail diskutieren wollen. Einige grundlegende Informationen sollen aber trotzdem nicht fehlen. Einen einfachen Raketenmotor erhalt man, wenn m a n ein unter Druck stehendes Gas (oder eine Fliissigkeit) durch ein Ventil ausstromen lasst. Solche physikalischen Triebwerke sind allerdings wenig leistungsstark und eher fiir Spielzeugraketen als fiir Raumfahrzeuge geeignet. In der Raumfahrt kommen gegenwartig drei Triebwerkstypen zur Anwendung: chemische Antriebe, die am verbreitetsten sind, thermisch-nukleare Antriebe und lonenantriebe. Chemische Antriebe Bei diesem Triebwerkstyp werden durch Verbrennung eines Treibstoffes heiBe Abgase produziert, die iiber eine Diise ausgestoBen werden und so den
7.1 Das Prinzip Rakete
169
erwiinschten Schub erzeugen. Die erreichbaren Ausstromgeschwindigkeiten hangen vom Brennstoff ab und liegen zwischen 1000 und 4500 m/s. Damit ein Verbrennungsvorgang iiberhaupt ablaufen kann, bedarf es eines Oxidators. Wasserstoff verbrennt beispielsweise unter Zufiihrung des Oxidators Sauerstoff zu Wasser. Dabei wird thermische Energie freigesetzt. Wahrend Flugzeugtriebwerke den Oxidator der Atmosphare entnehmen konnen, muss dieser in Raumfahrzeugen zusatzhch zum Brennstoff mitgefiihrt werden. Dies wirkt sich natiirhch auf das Verhaltnis zwischen Treibstoffmasse und Nutzlast negativ aus. Zwar wurden schon sehr bald Raumtransporter entworfen, die mit luftatmenden Triebwerken starten und erst ab einer gewissen Flughohe auf den mitgefiihrten Oxidator umschalten sohten, doch die meisten derartigen Projekte mussten wegen groBer technischer Probleme (Staustrahltriebwerke mit Uberschallverbrennung) wieder eingestellt werden. Je nachdem, ob Brennstoff in fliissiger oder fester Form verwendet wird, unterscheidet man zwischen Fliissigkeits- und Feststoffraketen. Feststoffraketen kommen zwar in der Entwicklung billig, haben jedoch den Nachteil, dass der Abbrennvorgang nicht beeinflusst werden kann. Einmal geziindet, konnen Feststoffraketen kaum mehr abgeschaltet werden. Ihr Einsatz ist daher nicht ungefahrlich und erfordert besondere Sicherheitsvorkehrungen. (Der Vater des US-Apollo-Programms Wernher von Braun lehnte aus diesem Grund den Einsatz von Feststoffraketen in der bemannten Raumfahrt strikt ab.) Friihe Feststoffraketen, etwa die, welche die Chinesen gegen die Mongolen einsetzten, wurden mit Schwarzpulver betrieben. Damit konnten Ausstromgeschwindigkeiten von 1000 m/s erreicht werden. Die beiden Feststoffbooster des US Space-Shuttles werden mit einem Komposittreibstoff aus Aluminiumpulver (68% Masseanteil) und Ammoniumperchlorat (16% Masseanteil) als Oxidator befiillt. Polybutadien und Additive (16%) dienen zur Bindung der Treibstoffmischung, die in fliissigem Zustand in die Hiillen der in vier zylindrische Segmente zerteilten Booster gegossen werden. Nach dem Ausharten des Treibstoffs konnen die Segmente zusammengesetzt werden. Beim Flug brennt der Treibstoff im Booster radial von innen nach auBen ab. Die dabei entstehenden Brenngase werden iiber eine Diise am unteren Ende des Boosters ausgestoBen. Die Feststoffbooster des Space-Shuttles konnen sogar mehrmals wiederbefiillt werden. Nachdem sie ausgebrannt sind, werden sie vom Raumtransporter abgetrennt und an Fallschirmen zur Erde zuriickgeleitet. Der Aufwand, diese 45 Meter langen Ungetiime aus dem Meer zu fischen, zu zerlegen und zu reinigen, ist allerdings kaum rentabel und diente eher zur Imagepflege der NASA, die dem amerikanischen Steuerzahler nach den teuren Einweg-Mondraketen weitere Raumfahrt pro jekte durch einen nahezu vollstandig wiederverwendbaren Raumtransporter schmackhaft machen wollte. Flussigkeitsraketen verbrennen fliissige Treibstoffe wie Kerosin oder fliissigen Wasserstoff. Damit konnen sehr groBe und dosierbare Leistungen erreicht werden. Jedoch erfordern Flussigkeitsraketen weitaus kompliziertere Technologien als Feststoffraketen. Mit einer Treibstoffkombination aus fliissigem Was-
170
7 Raketendynamik und impulsive Orbitalmanover
serstoff (LOH) und fliissigem Sauerstoff (LOX) konnen Ausstromgeschwindigkeiten von 4500 m / s erzielt werden - die hochsten, die mit chemischen Raketen iiberhaupt moglich sind. Allerdings ist die Verfliissigung von Wasserstoff mit groBem Aufwand verbunden. Wasserstoff/Sauerstoff-Raketen werden zum Beispiel im Haupttriebwerk des Space-Shuttles und in der europaischen Ariane l^verwendet. Es stehen aber auch andere Fliissigtreibstoffe zur Verfiigung. Die erste Stufe der beriihmten Mondrakete Saturn V wurde etwa mit Kerosin {u = 3600 m / s ) , die Ariane IV - das Vorgangermodell der Ariane V mit Athylalkohol betrieben. Mit Hydrazin und Stickstofftetroxyd als Oxidator b e t a n k t e Triebwerke dienen dariiber hinaus zur Lageregelung und zum Manovrieren von Raumschiffen oder Satelliten im Orbit. Das Beispiel des Space-Shuttles zeigt, wie verschiedene Antriebssysteme in einem R a u m t r a n s p o r t e r kombiniert werden. Die beiden Feststoffbooster liefern einen Startschub von je 1200 Tonnen, das regelbare Haupttriebwerk ( L O H / L O X ) maximal 3 x 232 Tonnen. Das Orbitalmanover-Triebwerk, mit dem der Schub fiir Bahnkorrekturen und die Bremsung zum Wiedereintritt eingeleitet werden, wird mit Hydrazin/Stickstofftetroxyd betrieben. SchlieBlich dienen kleinere Triebwerke, die ebenfalls Hydrazin verwenden, zum Drehen des Shuttles im Orbit. Thermisch-nukleare Raketentriebwerke Das Prinzip dieses Antriebes ist leicht erklart: Fliissiger Wasserstoff wird in einem Reaktor auf mehr als 2500 Grad Celsius erhitzt und anschlieBend mit Geschwindigkeiten von etwa 9000 m / s ausgestoBen. Im Hinblick auf das Masseverhaltnis zwischen Treibstoff und Nutzlast ergeben sich damit wesentlich bessere Wirkungsgrade als bei chemischen Triebwerken, mit denen nur etwa halb so groBe Ausstromgeschwindigkeiten erzielt werden konnen. Nach der Tsiolkovski-Gleichung (7.5) kann j a ein gegebenes Geschwindigkeitsinkrement Av entweder durch Erhohung von u oder durch Steigerung des Masseverhaltnisses mo/rrif erreicht werden. Der Nachteil thermisch-nuklearer Antriebe liegt allerdings auf der Hand: Die Gefahr einer radioaktiven Verstrahlung lasst den Einsatz solcher Triebwerke in R a u m t r a n s p o r t e r n kaum zu. Immerhin werden thermisch-nukleare Raketen aber fernab von der Erde auf interplanetaren Raumfliigen verwendet. Doch selbst wenn das Nukleartriebwerk einer interplanetaren Sonde beim Start noch nicht eingeschaltet ist, bleibt ein gewisses Restrisiko bestehen. lonenantriebe lonentriebwerke beschleunigen Masse nicht durch Verbrennung oder Zufiihrung nuklear-thermischer Energie, sondern durch elektromagnetische Felder. Die ersten derartigen Antriebssysteme wurden bereits in den fiinfziger J a h r e n des 20. J a h r h u n d e r t s entwickelt. Das klassische lonentriebwerk funktioniert folgendermaBen: Ein gasformiger Treibstoff, meist Casium oder Xenon, wird
7.2 Vom Boden in den Orbit
171
zunachst mit Hilfe einer Elektronenkanone ionisiert. Durch Anlegen einer Spannung an ein Metallgitter-Paar werden die positiv geladenen Treibstofflonen beschleunigt und ausgestoi3en. Damit sich das Raumschiff dabei nicht elektrisch aufladt, werden dem lonenstrahl Elektronen zugefiihrt. Klassische lonentriebwerke erreichen zwar Ausstromgeschwindigkeiten von 30000 m/s, allerdings ist ihre Leistung noch sehr beschrankt. Als Tragerraketen kommen sie deshalb nicht in Frage. AuBerdem werden zur lonisierung und Spannungserzeugung wieder Kernreaktoren benotigt, da die Energie aus Solarzellen dafiir meist nicht ausreicht. Dennoch wurden bereits interplanetare Sonden mit lonentriebwerken ausgeriistet.
7.2 Vom Boden in den Orbit Um ein Raumfahrzeug in einen erdnahen Orbit zu befordern, benotigt man Tragerraketen oder Raumtransportsysteme wie das US Space-Shuttle. Der Start solcher Systeme ist eine brachiale Angelegenheit. Die groBte jemals von Menschen gebaute Rakete, die Saturn V, verbrannte beim Start 13,5 Tonnen Treibstoff pro Sekunde. Nach nur 150 Sekunden war der Spuk wieder vorbei und die mit Kerosin und fliissigem Sauerstoff betriebene erste Stufe ausgebrannt. Von den 2750 Tonnen Anfangsgewicht der Rakete (ohne Nutzlast) fielen 2200 Tonnen auf diese erste Stufe. Es war ratsam, den Start der Saturn V nur aus gesicherter Entfernung zu beobachten. Der Anteil der Nutzlast (Satellit) an der Startmasse ist bei Tragerraketen erschreckend klein und betragt kaum mehr als fiinf Prozent. Wiederverwendbare Systeme wie das Space-Shuttle, eigentlich Space Transportation System (STS), schneiden in dieser Hinsicht sogar noch schlechter ab, auBer man zahlt den Raumtransporter (das eigentliche Shuttle) auch zur Nutzlast. Wie sind nun diese schlechten Wirkungsgrade zu erklaren? 7.2.1 Senkrechter Aufstieg einer Rakete Schon die einfache Tsiolkovski-Gleichung lasst erahnen, dass die Masseverhaltnisse von raketengetriebenen Raumtransportern auBerst ungiinstig ausfallen werden. Fiir einen erdnahen Orbit ist eine Geschwindigkeit von Av = 7900m/s erforderlich (1. Kosmische Geschwindigkeit). Die leistungsstarksten chemischen Raketen, die mit fliissigem Wasserstoff und Sauerstoff betrieben werden und Ausstromgeschwindigkeiten von u = 4500 m/s erreichen, benotigen dafiir nach Gl. (7.5) ungefahr folgende Brennstoffmasse: mo Av 7900 ^_ = exp — = exp - — - = 5,79, rrif u 4500 d. h. die Startmasse mo ist zumindest 5,79 mal groBer als die Masse nif nach Brennschluss. Dies entspricht einem Treibstoff ant eil von 83%, bezogen auf
172
7 Raketendynamik und impulsive Orbitalmanover
die Startmasse. Fiir eine Beschleunigung auf Fluchtgeschwindigkeit {Av = 11000 m / s ) waren gar 9 1 % Treibstoff erforderlich. W a h r e n d der Startphase einer Rakete ist jedoch die Vernachlassigung des Integrals in (7.3), wie wir es bei der Herleitung der Tsiolkovski-Gleichung get a n haben, nicht immer gerechtfertigt. Steigt die Rakete senkrecht auf, so kann aber die Raketengleichung trotzdem gelost werden, wenn wir annehmen, dass die Erdbeschleunigung QE wahrend der Brenndauer des Triebwerks konstant bleibt. Bezeichnet m a n mit e^ den senkrecht nach oben weisenden Einheitsvektor und setzt v = vCr, u = —uCr sowie F = —mgE^r^ so liefert Gl. (7.3) in Richtung von e^ v{t)
-u\n
'm{ty
(7.6)
9Et,
mo
wobei to = 0 und v{to) = 0 gesetzt wurde. Wenn die Raketenmasse linear abnimmt, so kann auch die Flughohe h zur Zeit t errechnet werden. In diesem Fall ist m(t) = mo + m t mit m = const. < 0. Damit fiihrt die Integration von (7.6) auf h{t)
-u / Jo mo
\iiil^—t\dt-gErno J 2
\
m. \ , f, m 1 + — t In 1 + — t mo J \ mo
m mo
9E-
Bei Brennschluss zur Zeit t = tf hat die Rakete die Geschwindigkeit Av
(7.7)
9Etf
mo
und die Steighohe Ah =
i
mo — m
771
\ ,
/ .
m.
\
m.
(7.;
9E 1 + —tf In 1 + — t f tf mo ' J V mo ' J mo gewonnen. Anders als bei der Tsiolkovski-Gleichung nimmt nun auch die Brenndauer tf Einfluss auf den Geschwindigkeitszuwachs und auf die Steighohe. Je kleiner die Brenndauer, umso groBer Av. Im Extremfall tf = 0 reduziert sich (7.7) auf die Tsiolkovski-Gleichung. Die Verbrennung des Treibstoffs in einer endlichen Zeitspanne bewirkt dagegen einen Verlust an Geschwindigkeit - einen Gravitationsverlust - , der sich zu Avgrav = —QEtf errechnet. Damit die Rakete iiberhaupt vom Boden abhebt, muss der Schub S = —um groBer als das Startgewicht Go = m^oQE sein. Wir fiihren deshalb das Schubverhdltnis A ein: Go _ moQE < 1.
Wegen m
mf -mo
*/
_
_^^ const,
.^^ gilt
^ _ _, QE A = —tf-
mo m.f — TTlo
7.2 Vom Boden in den Orbit
173
Umgekehrt konnen mit A die Brenndauer tf und der Massenstrom rfi ausgedriickt werden: mo — rrif u mo
QE
7715 u
m
rno QE'
rrio
mo — m.f 1 mo
^ 9E
tf
X u '
wobei m^ = mo—m/ die Brennstoffmasse bezeichnet. Geht m a n mit diesen Beziehungen in Gl. (7.7) und (7.8), dann gelangt m a n zu den Zusammenhangen
^
u
= _ In f ! ! ^ ) - A ! ^ = - In f 1 - ^ " l - A ^ \moJ
mo
\
moj
(7.9)
mo
und 9E^h
rrib_
= A
mo
In
mb_
rrib_
1
+ mo
mo
1
fm^
2
\mo
X'
(7.10)
Wir fragen uns, wie das Schubverhaltnis A zu wahlen ist, damit die mechanische Gesamtenergie der Rakete bei Brennschluss moglichst groB wird. Die Gesamtenergie errechnet sich zu Av Ef = ^ / ^ - + mfQE^h
=
-mfu
(9EAh\
+2 \
u
u^
bzw. mit (7.9) und (7.10) nach Umformung zu 2Ef m^fU^
I n l l - ^ mo
+ 2A ^ + l n
mo
V
1 - ^
(7.11)
™o
Nun ist aber der zweite Term dieses Ausdrucks fiir den Bereich des Treibstoffverhaltnisses 0 < m ^ / m o < 1 negativ, so dass der groBte Energiegewinn fiir A = 0 erzielt wird. Dies bedeutet, dass die Brenndauer moglichst klein zu wahlen, der gesamten Treibstoff also durch groBe Diisenquerschnitte moglichst rasch auszustoBen ist. Doch die Sache hat einen kleinen Haken. Die Belastung, die beim Start auf die Nutzlast einwirkt, ist namlich umgekehrt proportional zum Schubverhaltnis, wie m a n aus der Anfangsbeschleunigung ao, mit der die Rakete abhebt, ersieht. Nach der Raketengleichung gilt fiir die gesamte Rakete: moao = 5 — Go
oder
S-Go ao = QE moQE
S-Go 9E-
9E
Go
1-
Die in der Rakete mitgefiihrte Nutzlast (oder der Raumfahrer) erfahrt den Schub als Kraft F^/, die von der Befestigungsplattform (oder vom Sitz) auf die Nutzlast (Raumfahrer) iibertragen wird. Fiir die Nutzlast 771 AT, die natiirlich ebenfalls mit ao beschleunigt, gilt daher die Bewegungsgleichung mNao
m^NQE
oder
mN
cio +
9E
= 9EJ
.
174
7 Raketendynamik und impulsive Orbitalmanover
Man sieht also: Je kleiner A gewahlt wird, umso groBer die Kraft, die die Befestigungsvorrichtung auf die Nutzlast ausiibt. Dies erfordert vor allem in der bemannten Raumfahrt starke Einschrankungen des Schubverhaltnisses. An einem guten Tag konnte ein Spitzenathlet vielleicht eine Anfangsbelastung von 10 g, also ein Schubverhaltnis von 0,1, gerade noch iiberleben. Es ware allerdings sinnlos und inhuman, Astronauten unter solchen Bedingungen in den Weltraum zu befordern. Das US Space-Shuttle startet etwa mit einem Schub von 3100 Tonnen bei einem Anfangsgewicht von 2000 Tonnen. Damit betragt das Schubverhaltnis 0,65, wodurch die Astronauten mit dem 1,5-fachen ihres Korpergewichts belastet werden. Etwas weniger bequem hatten es in dieser Hinsicht die Mondfahrer in der Saturn V, die mit einem Schubverhaltnis von 0,56 abhob. In der unbemannten Raumfahrt konnen dagegen wesentlich kleinere Schubverhaltnisse gewahlt werden.
mt/mo
mt/mo
Abbildung 7.4. Bezogener Geschwindigkeitszuwachs Av/u und Energiezuwachs 2E/{mfU^) als Funktion des Brennstoffverhdltnisses mb/mo und des Schubverhaltnisses A nach GL (7.9) und (7.10).
Abbildung 7.4 zeigt Av/u nach Gl. (7.9) als Funktion des Brennstoffverhaltnisses rrib/mo fiir vier verschiedene Werte von A. Man sieht, dass hohe Geschwindigkeiten nur mit groBen Brennstoffverhaltnissen zu erzielen sind. Dazu ein Beispiel: Um die Fluchtgeschwindigkeit zu erreichen, muss ein Raumfahrzeug von null auf etwa 11 km/s beschleunigt werden. Wird die Rakete mit fliissigem Wasserstoff betrieben, so ist u « 4500 m/s und deshalb Av/u = 2,4. Aus Abbildung 7.4 ergibt sich damit ein Wert von etwa 0,94 fiir m^/mo, wenn man mit A = 0,5 ein fiir bemannte Fliige noch realistisches Schubverhaltnis wahlt {2g Belastung). Der Treibstoff beansprucht demnach 94% der Start-
7.2 Vom Boden in den Orbit
175
masse, also noch drei Prozent mehr als nach der reinen Tsiolkovski-Gleichung ohne Gravitationsverlust. 7.2.2
Stufenraketen
Die nach Brennschluss noch vorhandene Raketenmasse ist also im Vergleich zur verbrauchten Brennstoffmasse bei den heute verwendeten chemischen Raketen auBerst gering. Da nun aber groBe Treibstoffmengen auch groBe und damit schwere Behalter, die nicht als Nutzlast gewertet werden konnen, erfordern, steigt die Ineffizienz zusatzlich. Es konnte sogar die Situation eintreten, dass die fiir eine gewisse Brennstoffmenge erforderliche strukturelle Masse, wie m a n die Tanks und die Triebwerke bezeichnet, einfach zu groB ist, um eine gegebene Endgeschwindigkeit zu erreichen. Ein R a u m t r a n s p o r t e r mit Nutzlast, der beim Start zu 94% aus Treibstoff besteht und trotzdem massiv genug ist, u m den Belastungen beim Start zu widerstehen, kann im Allgemeinen nicht hergestellt werden. Man lost dieses Problem durch Unterteilung der Rakete in mehrere Stufen. Jede Stufe besteht aus eigenen Tanks und Triebwerken, die nach dem vollstandigen Abbrennen der darin vorhandenen Brennstoffmasse von der Rakete abgetrennt werden. Danach erst ziindet die nachste Stufe, so dass die nun wertlose strukturelle Masse der ausgebrannten Stufe nicht weiter beschleunigt werden muss. Dieses Vorgehen bedingt zwar letztlich den Verlust der Rakete, das Verhaltnis von Startmasse mo zu Nutzlast P wird jedoch erhoht. Wir fragen uns, wie m a n die Startmasse in Stufen aufteilen soil, damit der Quotient mo/P moglichst klein wird, wobei aber eine vorgegebene Endgeschwindigkeit v* nach dem Brennschluss der letzten Stufe erreicht werden muss. Dazu bezeichne moi die Masse der Rakete zum Zeitpunkt des Ziindens der i-ten Stufe (moi = mo). Ferner sei nibi die in der i-ten Stufe verbrannte Treibstoffmenge und nisi die nach Brennschluss abgetrennte strukturelle Masse der i-ten Stufe. Damit beschreibt zum Beispiel 77102 = ^'Oi — ^'61 — ^ ' s i die Raketenmasse beim Ziinden der zweiten Stufe und - bei insgesamt N Raketenstufen - P = moN — '^hN — '^SN die Nutzlast, die nach dem Abtrennen der letzten Stufe noch iibrig ist. Nun soil das Verhaltnis moi/P moglichst groB werden. Dazu setzen wir: rriQi moi mo2 mpN (7 ^2) P moi - mti - msi mo2 - nib2 - nis2 moN - mm - nisN ' wobei sich auf der rechten Seite jeder Nenner mit dem darauffolgenden Zahler herauskiirzt {moi — m^i — nisi = ^'Oi+i) und der letzte Nenner eben der Nutzlast P entspricht. Wir fiihren folgende dimensionslose Massenverhaltnisse ein: ai = und Pi = . ('-l^) moi - mti mti + msi ai beschreibt das Treibstoffverhaltnis, f3i den Anteil struktureller Masse an der Gesamtmasse der i-ten Stufe. Damit konnen - wie m a n leicht nachpriift die einzelnen Quotienten von Gl. (7.12) in folgender Form geschrieben werden:
176
7 Raketendynamik und impulsive Orbitalmanover mpi _ ai{l -Pi) m^i - mu - rrisi 1 - aiPi
Natiirlich ist es wiinschenswert, die strukturellen Parameter Pi so klein wie moglich zu gestalten. Man will viel Treibstoff in leichten Tanks unterbringen - ein typisches Leichtbau-Problem also. Doch in der Praxis kann Pi nur wenig verandert werden, da groBere Treibstoffmengen stets auch mehr strukturelle Masse m^ erfordern. Gl. (7.12) lautet jetzt mpi _ ai{l - Pi) 0^2(1 - P2) P 1 — aiPi 1 — 0^2/^2
Q^Ar(l - PN) 1 — OLNPN
(7 IA\
Dieser Ausdruck ist zu minimieren, wobei wir die Treibstoffverhaltnisse ai variieren, die Strukturparameter Pi hingegen als vorgegeben betrachten wollen. Wenn nun aber m^i/P ein Minimum annimmt, dann auch
1 ^ ^ ) = I ^ ^ 4 T ^ r ^ l =E[i""*+i"(i-/^^)-i^(i-"^/^^)]' (7-15) denn die Ableitung des Logarithmus ist an keiner Stelle null. (Wenn wir von einer Funktion f{x) einen Extremwert x* bestimmen, so losen wir die Gleichung /'(x*) = 0. Die Bestimmung der Extremwerte der Funktion F{x) = l n / ( x ) fiihrt wegen F'{x*) = f'{x*)/f{x*) = 0 auf dieselbe Bestimmungsgleichung fiir X*, wenn /(x*) ^ 0.) Doch unsere Aufgabe ist damit noch nicht vollstandig formuliert. Wir diirfen die Treibstoffverhaltnisse ai nicht beliebig verandern, da die vorgeschriebene Endgeschwindigkeit v* der Rakete unter alien Umstanden erreicht werden muss. Diese berechnet sich aus der Tsiolkovski-Gleichung (7.4) - wir vernachlassigen hier die Gravitationsverluste: A^
N
V* = y^Avi = y^Ui\n[
.
\
^
I = y^Uilnai.
(7.16)
Die Ausstromgeschwindigkeiten Ui konnten im Ubrigen unterschiedlich sein, wenn verschiedene Brennstoffe in den einzelnen Stufen verwendet werden. Natiirlich sind aber moglichst groBe Ausstromgeschwindigkeiten anzustreben, um das Masseverhaltnis moi/P klein zu halten. Unsere Aufgabe ist es nun, den Ausdruck (7.15) bei Einhaltung der Nebenbedingung (7.16) zu minimieren - ein schones Anwendungsbeispiel fiir die Methode der Lagrangeschen MultipUkatoren, die man in jedem Einfiihrungslehrbuch iiber Differentialrechnung beschrieben findet. Dazu muss zunachst die Funktion (7.15) auf folgende Weise um die Nebenbedingung erweitert werden: N
J^{ai,...aN,0
= ^ | l n a i + l n ( l - ^ i ) - l n ( l - a i ^ i ) | + ^ y] Ui In ( i=l
.i=l
7.2 Vom Boden in den Orbit
177
^ ist der Lagrangsche Multiplikator. Die gesuchten Extremwerte ergeben sich aus den Gleichungen dT oai
1 ai
Bi 1 — aiPi
^Ui ai
^
, _,
zu
Um damit etwas anfangen zu konnen, muss noch der Wert des Lagrangeschen Multiplikators bestimmt werden. Man erhalt ihn einfach, wenn man die optimalen Werte (7.17) fiir die ai wieder in die Nebenbedingung (7.16) substituiert:
Diese Beziehung kann leicht nach ^ gelost werden, wenn die (moglichst groBen) Ausstromgeschwindigkeiten und die (moglichst kleinen) strukturellen Parameter in alien Stufen gleich sind. Dann namlich folgt mit Ui = u bzw. Pi = /3
Nu
""V ^up J
^^'
^
u{pexp{v^/Nu)-l)'
und wir erhalten damit aus (7.17) folgende optimalen Werte der Treibstoffverhaltnisse: ai = a = expi—j.
(7.19)
Die Rechnung zeigt also, dass unter den Annahmen m = u und /3i = /3 eine gleichmaBige Aufteilung ai = a der gesamten Treibstoffmenge am giinstigsten ist. Das kleinste unter diesen Umstanden erreichbare Verhaltnis moi/P betragt dann nach (7.14)
moi _ f{l-p)exp{v*/Nu)\^ P \ 1 - Pexp{v*/Nu) Jede andere - die Nebenbedingung erfiillende - Wahl fiir die Treibstoffverhaltnisse der Stufen ai fiihrt zu ungiinstigeren Verhaltnissen m^i/P . Bei einstufigen Raketen (A^ = 1) liegt a im Ubrigen bereits durch die Nebenbedingung eindeutig fest. Wir wollen nun das optimierte Masseverhaltnis moi/P fiir verschiedene Werte von N und v'^/u naher untersuchen. Fiir (3 = 0,2 wurde dazu Gl. (7.20) in Tabelle 7.1 ausgewertet. Fiir A^ = 1 und groBere Werte von v* /u liefert die Rechnung negative Masseverhaltnisse m o / P , die in der Tabelle als durchgestrichene Felder gekennzeichnet sind. In solchen Fallen konnten nur Nutzlasten mit negativen Massen, die es natiirlich nicht gibt, die Endgeschwindigkeit erreichen. Tatsachlich ist
178
7 Raketendynamik und impulsive Orbitalmanover
Tabelle 7.1. Maximales Nutzlastverhaltnis moi/P fiir verschiedene A^ und v* /u N\
1 2 3 4 5
\vyu = 1,0 V* /u = 1,5 vyu = 2fi vyu = 2,5 V* /u = 3,0 34,59 4,77 3,87 3,72 3,65 3,61
8,63 7,62 7,26 7,08
22,71 16,63 15,00 14,24
85,53 39,65 32,42 29,51
1196,25 108,21 74,43 63,46
die hochste Geschwindigkeit, die mit einer einstufigen Rakete erreicht werden kann, nach Gl. (7.20) durch die Bedingung 1 — Pexp{v*/Nu) = 0 oder (mit N = 1) In gegeben. Dabei kann allerdings keine Nutzlast mehr mitgefiihrt werden - die Rakete besteht nur aus Treibstoff und struktureller Masse. Mit ^^ = 0,2 ergibt sich v^^^ « Ifiu, ein Wert der bei den heute eingesetzten chemischen Brennstoffen nicht ausreicht, um eine Nutzlast auf die Orbitalgeschwindigkeit von 7, 9 km/s zu beschleunigen. Man kommt daher gar nicht umhin, mehrstufige Raketen zu bauen. Doch wie viele Stufen soil man nun verwenden? Tabelle 7.1 gibt die Antwort: Wie zu erwarten nimmt das Verhaltnis m^i/P ab, je mehr Stufen die Rakete enthalt, doch zeigt sich, dass der Unterschied zwischen zwei- und dreistufigen Konstruktionen besonders groB ist. Dagegen fiihren vier oder gar fiinf Stufen zu keiner signifikanten Verbesserung der Rakete. Da mit der Anzahl der Stufen natiirlich auch Komplexitat und Fehleranfalligkeit eines Raumtransporters steigen, erweisen sich dreistufige Ausfiihrungen zumeist als giinstige Wahl. Dies ist jedenfalls der Grund, warum man im Allgemeinen keine Raketen mit mehr als drei Stufen antrifft. 7.2.3 Abschussgeometrie Alle gegenwartig eingesetzten Tragerraketen und Raumtransport-Systeme heben senkrecht vom Erdboden ab, obwohl ihre Flugrichtung beim Erreichen des Bestimmungsorbits - meist ein kreisformiger erdnaher Orbit - horizontal sein muss. Dies hat natiirlich einen guten Grund. Es ware wenig sinnvoll, schon in geringen Hohen, wo die Luftdichte und damit die Reibungswiderstande groB sind, die Rakete in die Horizontale zu schwenken. Da der Luftwiderstand mit dem Quadrat der Geschwindigkeit zunimmt, ist es verniinftiger, die dichten Schichten der unteren Atmosphare bei noch geringer Geschwindigkeit moglichst direkt zu durchqueren. Zwar wurden auch luftatmende Raumtransporter entworfen, die bequemere, horizontale Starts wie in einem Flugzeug erlauben, doch auch in diesem Fall erfolgt der entscheidende Horizontalschub erst in groBeren Hohen.
7.2 Vom Boden in den Orbit
179
Bei senkrechten Starts andern sich die geographische Lange und Breite des Raumtransporters zunachst kaum. Gemessen am Durchmesser des Orbits ist die Ortsveranderung wahrend der Aufstiegsphase iiberhaupt sehr klein, denn die Triebwerke arbeiten meist nur wenige Minuten. In erster Naherung kann man daher den Ort der Rakete bei Brennschluss mit dem Abschussort gleichsetzen. Den Winkel, den der Geschwindigkeitsvektor VQ unmittelbar nach Brennschluss mit der lokalen Nordrichtung einschlieBt, nennt man Ahschuss-Azimut Wir fragen uns, wie das Abschuss-Azimut und der Abschussort die Bahnneigung des Orbits bestimmen. Abbildung 7.5 zeigt die geometrischen Zusammenhange. Durch den Abschussort und den nach dem Abschalten der Triebwerke erreichten Geschwindigkeitsvektor VQ = vos^ liegt die Orbitalebene eindeutig fest. Sie wird durch die Einheitsvektoren e^ und e^, den Normal vektor zur Erdoberflache im Abschussort, aufgespannt. Da e^ bei kreisformigen Orbits, auf die wir uns hier konzentrieren wollen, senkrecht auf Cy steht, ergibt sich der Einheitsvektor entlang der Bahnnormalen zu e^ = Cr x Cy. Fiir die Neigung i gilt dann nach Abbildung 7.5 cos i = el • ef = {cr X Cy) • ef = = COS (j)o ex • Cy = cos (j)o sin ao, wobei (po die geographische Breite des Abschussortes und ao das AbschussAzimut bezeichnet. Um also eine kreisformige Umlaufbahn mit der Neigung i zu erreichen, muss man das Abschuss-Azimut aus der Beziehung cos i /^ ^.x — (7.21) cos 00 berechnen. Allerdings kann bei gegebener Breite (po des Abschussortes nicht jede beliebige Orbitalneigung erreicht werden. Wie man sieht, muss cos i < cos(/)o bzw. i > (po sein, damit sich ein entsprechendes Abschuss-Azimut bestimmen lasst. Je weiter nordlich ein Raketen-Startplatz gelegen ist, umso beschrankter ist also die Zahl der direkt erreichbaren Orbits. Ein Start in exakt ostlicher Richtung {ao = 90°) fiihrt die Rakete auf die kleinstmogliche Bahnneigung i = (pQ. Zwar kann die Orbitalneigung durch nachtragliche Manover korrigiert werden, doch dies erfordert einen hohen Energieaufwand. (Wir werden darauf im nachsten Abschnitt naher eingehen.) Daher sind Staaten wie Russland, deren Territorium nur hohe Breiten umfasst, bei der Wahl eines giinstigen Startplatzes fiir Weltraumfliige benachteiligt. Zu allem Ubel sind die moglichen Abschussrichtungen einer Weltraumrakete auch noch durch geographische Gegebenheiten stark eingeschrankt. So sollte die Flugrichtung wegen der Absturzgefahr wahrend der Startphase nicht iiber bewohnte Gebiete ausgelegt werden. Am sichersten ist daher ein Abschuss Richtung Meer. Starts am NASA-Stiitzpunkt in Cape Canaveral an der Ostkiiste der USA {(po « 28°) erlauben beispielsweise nur Abschuss-Azimuts smao =
180
7 Raketendynamik und impulsive Orbitalmanover
Abbildung 7.5. Beziehung zwischen Abschuss-Azimut ao und Bahnneigung i.
zwischen 45° und 115°. Damit konnen prograde Orbits mit Neigungen zwischen 28° und 51° erreicht werden. Retrograde und polare Orbits konnen die Amerikaner von ihrem Luftwaffenstiitzpunkt Edwards in Kalifornien ansteuern, wo Abschuss-Azimuts zwischen 172° und 309° erlaubt sind. Anzumerken bleibt noch, dass das in Gl. (7.21) verwendete AbschussAzimut Q^o nicht ganz genau der Flugrichtung der Rakete relativ zur Erdoberflache entspricht. Die Abschussgeschwindigkeit VQ = voCy gegen ein nichtrotierendes, geozentrisches Bezugssystem, wie wir es in der Orbitaldynamik verwenden miissen, setzt sich namlich aus einem relativ zum Boden gemessenen, durch die Raketentriebwerke erzeugten Anteil AVR und aus einem von der Erddrehung herriihrenden Anteil VE zusammen (Abbildung 7.6). Letzterer macht sich in niederen Breiten deutlicher bemerkbar, da die Geschwindigkeit eines Punktes auf der Erdoberflache mit dem Kosinus seiner geographischen Breite abnimmt und an den Polen schlieBlich ganz verschwindet. Mit TE als Lange eines siderischen Tages und RE als Erdradius errechnet sich die Inertialgeschwindigkeit eines Raumfahrzeuges nach dem Abschalten der Triebwerke zu voCy = AVR + T^RE COS (j)o ex, wobei
• Cd) =: cosao-
Nach Abbildung 7.6 ist ao etwas groBer als der relative Abschusswinkel aQ zwischen AVR und der durch e^ symbolisierten Nordrichtung. Aus diesem Grund ist auch das durch die Rakete aufzubringende Geschwindigkeitsinkre-
7.2 Vom Boden in den Orbit
181
ment AVR bei prograden Orbits (i < 90° bzw. ao > 0) kleiner als die Orbitalgeschwindigkeit. Bei retrograden Orbits (i > 90° bzw. ao < 0) ist es hingegen etwas groBer. Den groBten Nutzen aus der Erddrehung erzielt m a n bei Starts nach Osten aus aquatorialen Regionen. Dann namlich ist ao = a^ = 90° und (j)Q = 0, so dass Avr = vo - 2T:RE/TE. Der Anteil 2T:RE/TE = 0,464 k m / s ist gewissermaBen gratis.
Abbildung 7.6. Einfluss der Erdrehung auf die Start geschwindigkeit. Der Nutzen aus der Erdrehung wird bei Starts in Richtung Osten (ao = a'o = 90°^ am grofiten.
Fiir groBere Werte von (j)o ist die Ersparnis durch die Erddrehung geringer. Zum Erreichen der theoretischen Kreisbahngeschwindigkeit von 7,9 k m / s auf der Erdoberflache miissen in Cape Canaveral {(j)o = 28°) beispielsweise 7,5 k m / s aufgebracht werden, wenn der Start in Richtung Osten erfolgt (Q/Q = 90°). Ein Abschuss in westliche Richtung (etwa vom Luftwaffenstiitzpunkt Edwards) erfordert dagegen 8,3 k m / s . und ware nur unter hohem Aufwand moglich. Da die einzige Moglichkeit, hohere Geschwindigkeiten aus einem gegebenen R a u m t r a n s p o r t e r herauszuholen, darin besteht, die Nutzlast, die bekanntlich nur einen sehr kleinen Teil der Startmasse ausmacht, zu verringern, ist die Ladekapazitat stark von der Neigung des angesteuerten Orbits abhangig. Zusammenfassend kann m a n sagen, dass ein giinstiger Standort fiir Raketenstarts zwei Eigenschaften aufweisen sollte: •
•
Freier Seeraum oder unhewohnte Gehiete (Wusten) im Osten, um Starts in prograde Orbits durchfiihren zu konnen, ohne Katastrophen im Falle eines Absturzes wahrend der Startphase zu riskieren. Ndhe zum Aquator (geringe geographische Breite), um groBen Nutzen aus der Erddrehung ziehen und moglichst alle Orbitalneigungen ansteuern zu konnen.
182
7 Raketendynamik und impulsive Orbitalmanover
Lander, die diese Forderungen nicht erfiillen konnen, sind in der Raumfahrt von Natur aus benachteiligt. Die USA, die im Westen und Osten an Ozeane grenzen, haben dagegen fast ideale Voraussetzungen fiir Raketenstartplatze. Wegen der in dieser Hinsicht schlechten Voraussetzungen in E u r o p a musste die Europaische Weltraumbehorde (ESA) bei der Wahl ihres Weltraumbahnhofes auf das im Osten Siidamerikas gelegene Frz. Guayana ausweichen.
7.3 Impulsive Orbitalmanover R a u m t r a n s p o r t e r wie das US Space-Shuttle konnen Satelliten im Allgemeinen nur auf sehr niedrigen Umlaufbahnen (in 300 bis 400 Kilometern) aussetzen. Der Einsatzbereich vieler Satelliten liegt jedoch erheblich hoher. Dazu kommt, dass von einem gegebenen Weltraumbahnhof nicht jede Orbitalneigung direkt realisiert werden kann (siehe voriger Abschnitt). Um seinen endgiiltigen Einsatzorbit (etwa einen geostationaren Orbit) zu erreichen, muss ein Satellit daher meist iiber eigene Raketentriebwerke verfiigen, die einen Wechsel der Umlaufbahn ermoglichen. Bei solchen Orbitalmanovern werden die Brenngase normalerweise in sehr kurzer Zeit ausgestoBen. Dabei andert sich die Position des Raumfahrzeuges im Inertialsystem kaum, wohl aber seine Geschwindigkeit. Ein Beispiel ist in Abbildung 7.7 dargestellt. Durch Ziinden einer Rakete andert sich der Geschwindigkeitsvektor eines Raumfahrzeuges im P u n k t B mehr oder weniger schlagartig von Vi auf V2 = '^i + Av. Damit gelangt es vom Orbit 1, der durch VB und Vi definiert ist, auf den durch VB und V2 festliegenden Orbit 2. Je nach der Richtung von Av kann dabei auch die Orbitalebene gewechselt werden.
Orbit 2
Orbit 1
Abbildung 7.7. Ein impulsives Orbitalmanover. Durch Anderung des Geschwindigkeitsvektors um Av gelangt der Satellit von Orbit 1 auf Orbit 2. Seine Position VB bleibt dabei im Wesentlichen unverdndert, wenn der Brennstoff sehr rasch ausgestofien wird.
Wenn sich Ausgangs- und Zielorbit nicht schneiden, so sind mindestens zwei impulsive Manover notwendig, um die gewiinschte Bahnkorrektur ein-
7.3 Impulsive Orbitalmanover
183
zuleiten. Diese Aufgabe stellt sich etwa beim Transfer eines Satelliten von einem niedrigen Kreisorbit auf einen hoheren. Der Satellit bewegt sich dabei zwischendurch auf einem Ubergangs- oder Transferorbit^ der natiirlich den Ausgangs- und den Bestimmungsorbit schneiden oder zumindest beriihren muss. Solche Ubergangsorbits liegen jedoch nicht eindeutig fest, und es erhebt sich die Frage nach einem energetisch oder zeithch optimierten Transfer. Unter Umstanden kann es sogar vorteilhaft sein, eine neue Umlaufbahn iiber mehr als zwei Ubergangsorbits anzusteuern. Wir wohen diese Fragen fiir einfache Spezialfahe im Folgenden diskutieren. Fiir ein impulsives Manover kann der durch Ziinden einer Rakete erzeugte Geschwindigkeitszuwachs Av des Raumfahrzeuges unmittelbar aus der Tsiolkovski-Gleichung (7.4) bestimmt werden, wenn das Treibstoffverhaltnis mo/rrif sowie die Ausstromgeschwindigkeit u bekannt sind. (Die in der Praxis doch endhche Brenndauer der Triebwerke fiihrt im Allgemeinen zu einem Gravitationsverlust.) Umgekehrt kann man sich den fiir ein ganz bestimmtes Manover erforderlichen Treibstoffbedarf ausrechnen. Fiir Raumfahrtingenieure ist daher eher der Geschwindigkeitsbedarf und weniger der Leistungsbedarf fiir die Auslegung eines Raketenmotors von Interesse. 7.3.1 Hohmann-Transfers Eine sehr grundlegende Aufgabe der Satellitendynamik besteht darin, ein Raumfahrzeug von einem niederen Kreisorbit in einen hoheren, zum Beispiel einen geostationaren Orbit zu befordern, wobei angenommen werden soil, dass beide Umlaufbahnen in derselben Ebene liegen. Wie soil man dabei vorgehen? Die Antwort fand ein deutscher Stadtbaurat namens Walter Hohmann (1880-1945), der sich in seiner Freizeit mit Himmelsmechanik beschaftigte. Hohmann verlebte seine Kindheit in seiner Geburtsstadt Hardheim (Odenwald) und in Port Elizabeth in Siidafrika. Er studierte an der Technischen Hochschule Miinchen Bauingenieurwesen, war anschlieBend als Priifingenieur fiir Baustatik in Wien, Berlin, Hannover und Breslau tatig und bekleidete schlieBlich das Amt des Leiters der Statischen Abteilung der Baubehorde und der Materialpriifstelle in Essen. Die Beschaftigung mit Raumfahrt war zu Hohmanns Zeiten durchaus ein schones Hobby fiir einen begabten Beamten, bei dem man auch hoffen konnte, einige grundlegende Entdeckungen zu machen. Hohmanns Thema war zwar nicht der Transfer zu einem geostationaren Orbit, sondern die Frage, wie man mit einem Raumschiff unter moglichst geringem Aufwand an Energie die Planeten unseres Sonnensystems erreichen kann. (Wir werden darauf im nachsten Kapitel zu sprechen kommen.) Doch die in seinem Hauptwerk Die Erreichbarkeit der Himmelskorper aus dem Jahr 1915 entwickelten Ideen sind auch auf Transfers zwischen geozentrischen Orbits anwendbar und bilden eine wichtige Grundlage der modernen Raumfahrt. Hohmann schlug vor, zwei Kreisorbits durch einen elliptischen Ubergangsorbit zu verbinden, der diese im Apogeum und im Perigeum gerade beriihrt
184
7 Raketendynamik und impulsive Orbitalmanover
AV2
Orbit 2 Abbildung 7.8. Hohmann-Transfer
zwischen zwei koplanaren
Kreisorbits.
(Abbildung 7.8). Dazu sind zwei impulsive Manover notwendig: ein erstes, um von der Kreisbahngeschwindigkeit vi des niedrigeren Orbits auf die Perigeumsgeschwindigkeit der Transferellipse zu beschleunigen, und ein zweites, um die Geschwindigkeit im Apogeum auf die Kreisbahngeschwindigkeit V2 des hoheren Orbits anzuheben. Beide Schiibe erfolgen tangential an die momentane Flugbahn. Die Geschwindigkeitsinkremente Avi und Av2 fiir ein Hohmann-Manover konnen leicht berechnet werden, wenn m a n den Energiesatz (3.6) auf den Ubergangsorbit anwendet. Dessen groBe Halbachse misst nach Abbildung 7.8 gerade an = {cti +
q
^ ^ = 5,88
^ = 15,58 ai
\n
1
1
1
'
a2/ai
1 1
10
50
Abbildung 7.9. Geschwindigkeitsinkremente Avi/vi, Av2/vi und AVH/VI Hohmann-Transfers als Funktionen des Orbitalradien-Verhdltnisses a2/ai.
fiir
Abbildung 7.9 zeigt die erforderlichen, auf die Kreisbahngeschwindigkeit des inneren Orbits bezogenen Geschwindigkeitsinkremente Avi/vi, AV2/V1 und AVH/VI als Funktionen des Verhaltnisses der Kreisbahnradien 0 2 / a i . Erstaunlicherweise h a t die Kurve AVH/VI einen Hochpunkt bei 0 2 / a i = 15,58. Fiir a2/ai -^ 00 konvergiert sie gegen den Wert v^— 1. Dies bedeutet, dass fiir bestimmte (groBe) Verhaltnisse der Orbitalradien Hohmann-Transfers mehr Energie benotigt wird als fiir eine Beschleunigung auf Fluchgeschwindigkeit aus dem niedrigeren Orbit. (Diese ist j a nach Gl. (3.37) gerade A/2I;I.)
186
7 Raketendynamik und impulsive Orbitalmanover
Zum Beispiel ist der Radius eines geostationaren Orbits 6,6-mal so groB wie der eines erdnahen Orbits. Fiir diesen Fall (a^jax = 6,6) ergibt sich AVH ^ 0,5i;i = 4010 m/s, wenn v\ = 7900 m/s. Mit einer FliissigwasserstoffRakete (Ausstromgeschwindigkeit: u — 4500 m/s) benotigt man dafiir die Treibstoffmenge mo/m/ = exp(Z\'i;/ix) = 2,49. Das heiBt, ein Satellit mit 500 kg Leergewicht muss mit 743 kg Treibstoff betankt werden, um mit einem Hohmann-Transfer einen geostationaren Orbit zu erreichen. In diesen 500 kg sind auch noch die Massen der fiir den Transfer erforderlichen Triebwerksteile enthalten. Manche Raumtransportsysteme konnen allerdings den Perigeumsschub noch zur Verfiigung stellen (zumeist durch die dritte Stufe). Der Satellit benotigt dann nur ein Apogeumstriebwerk, um den hoheren Orbit zu erreichen. 7.3.2 Transversal schneidende U b e r g a n g s o r b i t s Ein Hohmann-Transfer ist die energetisch optimale Losung der Aufgabe, zwei koplanare Kreisorbits durch einen einzigen Ubergangsorbit miteinander zu verbinden. Die Dauer Ata eines solchen Transfers kann unmittelbar aus Gl. (3.27) ermittelt werden, da vom Raumfahrzeug exakt die halbe Transferellipse durchmessen wird. Somit ergibt sich
'(ai + a^f _ 2^ 23/i
25/2 y j^ y
M_(i^^y=J^(i^^ ^J
25/2 \^
^^ (7.24) wenn Ti die Umlaufzeit des inneren Orbits bezeichnet. Ungliicklicherweise kann Atn groB werden, da sich die Bewegung in der Nahe des Apogeums A stark verlangsamt. Um die Transferdauer herabzusetzen, konnte man den Geschwindigkeitsimpuls Avi etwas erhohen, so dass die Transferellipse den auBeren Orbit transversal schneidet (Abbildung 7.10), obwohl auf diese Weise mehr Treibstoff benotigt wird. Die Transferdauer Atr fiir den in Abbildung 7.10 dargestellten Ubergangsorbit kann mit Hilfe der in Kapitel 3 hergeleiteten Zusammenhange als Funktion des Geschwindigkeitsimpulses Avi im Perigeum P berechnet werden. Ferner kann auch der im Punkt S erforderliche zweite Schub Av2 ermittelt werden, der schlieBlich die Raumkapsel auf ihren Bestimmungsorbit bringt und nunmehr nicht tangential erfolgt. Das Ergebnis dieser Rechnungen fiir ai = 6700 km und a2 = 42164 km (geostationare Umlaufbahn) zeigt Abbildung 7.11. Der kleinste fiir einen Transfer ausreichende Impuls Avi = 0,31 i;i = 2419,5 m/s bringt die Raumkapsel gerade auf eine Hohmann-Ellipse. Die Transferdauer betragt dabei nach Gl. (7.24) Atr = Atn = 3,48 Ti = 5,28 h. Kleinere Werte fiir Avi liefern Bahnen, die den Bestimmungsorbit nicht schneiden. Gleichwohl verkiirzt sich nach Abbildung 7.11 die Transferdauer erheblich, wenn man Avi nur geringfiigig erhoht, bei lediglich maBigem Anstieg des gesamten erforderlichen Schubs AVT = Avi + Av2.
7.3 Impulsive Orbitalmanover
187
AV2
Abbildung 7.10.
Transversal schneidender
Uhergangsorbit.
12000
3500
4000
Avi [m/s] Abbildung 7.11. Transferdauer und totaler Geschwindigkeitszuwachs fur den Uhergangs orbit aus Abbildung 7.10 als Funktion des Anfangsimpulses Avi.
So kann es also durchaus zielfiihrend sein, von einem idealen HohmannTransfer leicht abzuweichen und einen erhohten Treibstoffverbrauch in Kauf zu nehmen, wenn die Transferdauer eine Rolle spielt. Besonders interessant konnte diese Uberlegung im Zusammenhang mit bemannten interplanetaren Fliigen werden, bei denen es j a auch d a r u m geht, von einer niedrigen solaren Umlaufbahn auf eine hohere zu gelangen (siehe Kapitel 8).
188
7 Raketendynamik und impulsive Orbitalmanover
7.3.3 Bi-elliptische Transfers Die Beobachtung, dass das erforderliche Geschwindigkeitsinkrement bei Hohmann-Transfers fiir groi3e Verhaltnisse der Orbitalradien a2 und ai wieder abnimmt (siehe Abbildung 7.9), lasst vermuten, dass man unter gewissen Umstanden den Zielorbit giinstiger erreichen kann, wenn man zunachst iiber diesen hinausschieBt und anschlieBend in einem zweiten Manover die Hohe wieder verringert. Abbildung 7.12 zeigt den Ablauf eines solchen hi-elliptischen Transfers: Zunachst bringt der erste Schub Avi das Raumfahrzeug auf eine elliptische Bahn, deren Apogeum A iiber den Bestimmungsorbit hinausreicht (a* > 02). Ein zweiter Impuls Av* in A erhoht dann die Geschwindigkeit nochmals so weit, dass eine zweite Transferellipse entsteht, die in ihrem erdnachsten Punkt (P) den kreisformigen Bestimmungsorbit (Orbit 2) gerade beriihrt. SchlieBlich ist ein dritter Impuls Av2 erforderlich, um die nun zu groBe Perigeumsgeschwindigkeit auf die Kreisbahngeschwindigkeit V2 zu reduzieren. Alle Impulse erfolgen wie bei Hohmann-Transfers in Richtung des momentanen Geschwindigkeitsvektors, nur der letzte Schub wirkt gegen die Flugrichtung. Die fiir einen bi-elliptischen Transfer erforderlichen Geschwindigkeitsinkremente Avi, Av* und Av2 konnen wie bei Hohmann-Transfers ohne groBere Schwierigkeiten aus dem Energiesatz berechnet werden. Sie sollen hier ohne Herleitung angegeben werden: Avi vi
/ 2a*/ai y a*/ai + 1 Av* vi
'
fa^ I /
Av2 vi
foi I / 2a* /ai V ^2 \ V a*/ai + 02/^1
2a2/ai
V ^* V V ^*/^i + Ci2/cii
V a*/cii + 1
Wahrend das Verhaltnis der Orbitalradien von Ausgangs- und Bestimmungsorbit 02/^1 vorgegeben ist, kann der Apogeumsabstand a* (bzw. a*/ai) frei gewahlt werden. Abbildung 7.13 zeigt den auf i;i bezogenen gesamten Geschwindigkeitsbedarf AVB = \Avi\ + \Av*\ + \Av2\ fiir ein bi-elliptisches Transfermanover als Funktion von 02/ai und a* /ai. Man sieht, dass die Flache fiir groBe Hohenunterschiede 02 ^ ai abfallt. Uberraschend ist auch, dass der Geschwindigkeitsbedarf fiir groBe Werte von a* (nach Uberschreiten eines Maximums) sinkt. Tatsachlich ware die Wahl a* = 00 optimal, was aus praktischen Griinden natiirlich nicht moglich ist. Gibt es nun Falle, bei denen man ein bi-elliptisches Manover einem Hohmann-Transfer vorziehen sollte? Zur Beantwortung dieser Frage zeigt Abbildung 7.14 die Differenz der erforderlichen Geschwindigkeitsinkremente AVH/VI und AVB/VI fiir Hohmann- bzw. bi-elliptische Transfers in Abhangigkeit des Verhaltnisses der Kreisbahnradien 02/ai und des wahlbaren Verhaltnisses a*/ai. Im grauen Bereich ist AVH/VI > AVB/VI. Dort erweisen sich
7.3 Impulsive Orbitalmanover
189
Orbit 2
Abbildung 7.12. Bi-elliptischer
Transfer durch drei impulsive
Manover.
bi-elliptische Transfers als okonomischer. Fiir kleine Werte von a2/ai sind jedoch Hohmann-Transfers stets besser. Die Abbildungen 7.13 und 7.14 konnen im Ubrigen unmittelbar auf solare Umlaufbahnen iibertragen werden, denn in die zugrunde liegenden Formeln gehen keine geophysikalischen Konstanten ein. Dabei muss allerdings beriicksichtigt werden, dass bi-elliptische Transfers mehr Zeit in Anspruch nehmen als Hohmann-Transfers. 7.3.4 W e c h s e l d e r O r b i t a l e b e n e Wir haben bereits gesehen, dass nicht jede Orbitalneigung von einem gegebenen Raketenstartplatz direkt erreichbar ist. Neben der VergroBerung des Bahnradius ist daher die Anderung der Orbitalneigung eine weitere wichtige Aufgabe fiir die Steuerung von Raumfahrzeugen. Abbildung 7.15 zeigt den erforderlichen Impuls fiir einen Wechsel der Orbitalebene mit nur einem Manover. Sind beide Orbits kreisformig, ihre Tragerebenen jedoch um den Winkel i/j gegeneinander geneigt, so ist iji = 172 = Vk und Av = 2vkSm{ilj/2). Da nun aber die Kreisbahngeschwindigkeit sehr groB ist, miissen bereits fiir kleine Winkel ip gewaltige Geschwindigkeitsinkremente Av aufgebracht werden. Fiir die theoretische Kreisbahngeschwindigkeit auf der Erdoberflache Vk = 7,9 k m / s benotigt m a n etwa einen Impuls von Av = 1,38 k m / s , wenn
190
7 Raketendynamik und impulsive Orbitalmanover
Abbildung 7.13. Geschwindigkeitsbedarf AVB/VI fur bi-elliptische Transfers in Abhdngigkeit von a2/ai und a*/ai.
uu I bi-elliptische Transfers besser 80
\
60
AVH
>
AVB
-
40 AVH
0
(8.23)
oder U(e,7?,C) weiterdrehen. Dadurch transformiert das Zahlentripel R' in ein Zahlentripel R": R' = Bj{cf>)R",
J G {1,2,3}.
(9.6)
SchlieBlich wollen wir das aus dieser zweiten Drehung hervorgegangene Koordinatensystem durch eine dritte Elementardrehung um die Achse k und um den Winkel i/j in seine endgiiltige, allgemeine Lage drehen. Dadurch gelangt man vom Zahlentripel R" zum Zahlentripel R mit den Koordinaten von P im korperfesten Bezugssystem: R'' = Bk{^)R,
A: G {1,2,3}.
(9.7)
Die drei Transformationen konnen zu einer einzigen zusammengefasst werden, wenn man die Vektoren R' und R'' aus Gl. (9.5) - (9.7) eliminiert. Dabei ergibt sich: r = Bi{0)Bj{cl))Bk{^)R = B,(^, (/>, V^)i^. (9.8) Wichtig ist die Tatsache, dass die Transformationsreihenfolge nicht vertauschbar (nicht-kommutativ) ist. So ist im Allgemeinen Bi(e)B,(0)#B,(0)Bi(e). Grundsatzlich kann man durch eine Folge {i,j,k) von drei Elementardrehungen jede beliebige Drehlage des Koordinatensystems erzeugen. Allerdings miissen sich dabei zwei aufeinander folgende Achsen-Indizes unterscheiden, da man die zugehorigen Drehungen sonst zu einer einzigen zusammenfassen konnte: Bi{0)Bi{cl))=Bi{0 + cl)). Es gibt insgesamt 12 Reihenfolgen der Elementardrehungen, die diese Bedingung nicht verletzen. Die bekannteste stammt von Leonhard Euler und lautet
232
9 Die Grundgleichungen nicht punktformiger Satelliten
Dabei wird also das Orbitalsystem in drei Schritten zunachst um die 2:-, dann um die neu entstandene x- und schlieBlich um die wiederum neu entstandene z-Achse ins korperfeste System gedreht. Doch diese Drehfolge hat einen PferdefuB: Fiir fiir (j) = 0 wird die zweite Drehung zur identischen Transformation. Die erste und dritte Drehung erfolgen dann um dieselbe Achse (die z-Achse), was zur Folge hat, dass die Werte von 0 und i/j in diesem Fall nicht eindeutig sind. Fiir eine reine Drehung um die z-Achse ware daher nur die Summe 0 -\- ip definiert, nicht aber die einzelnen Werte dieser Winkel. Man sagt, die Eulerschen Winkel haben eine Singularitat bei (j) = 0. Nun kann man zwar zeigen, dass alle 12 Elementardrehungsfolgen irgendwo eine ahnliche Singularitat haben. Insofern ist es ohne Belang, fiir welche Folge man sich entscheidet. Rechentechnisch gesehen ware es aber sicherlich von Vorteil, wenn diese Singularitat nicht gerade dann eintritt, wenn ein Winkel gleich null ist, denn dann konnten die Bewegungsgleichungen an dieser Stelle nicht linearisiert werden. In der Satellitendynamik verwendet man daher die Drehfolge Bo(e,(l,,iP) = Bi(0)B2(,-0), die sich als ziemlich kompliziert erweist. Wir verzichten darauf, sie anzuschreiben. Auch Bo(^,(/),-0) ist wie die Elementardrehmatrizen B i , B2 und B3 orthogonal, d. h. B J = B~^, denn der Abstand eines Punktes P vom Koordinatenursprung bleibt bei jeder Elementardrehung erhalten. Das inverse Transformationsgesetz zwischen dem Orbitalsystem und dem korperfesten System lautet also: R = B^r mit Bj{e,)Bl{e). (9.10) Fiir Heine Werte von 0, (j) und ip kann man die Naherungen (9.2) bzw. (9.4) verwenden. Beschrankt man sich nur auf lineare Terme in 0, (p und -0, dann folgt B , « ( l + ^ e i ) ( l + (/)e2)(l + V^e3) « 1 + 6>€i + (/)€2 + V^es. Bemerkenswerterweise ist die Reihenfolge kleiner Elementardrehungen egal, ganz im Gegensatz zu groBen Drehungen. Schreibt man die antisymmetrischen Matrizen €i, €2 und €3 aus, so erhalt man
9.3 Bewegungen gegen das Inertialsystem
233
i ex Orbitalsystem
Abbildung 9.3. Tait-Bryant-Wink el zur Beschreibung der Uherfuhrung des Orbitalsystems (1) in das korperfeste Bezugssystem eines Satelliten. Die Transformation erfolgt in drei Schritten. Zundchst wird um die x-Achse gedreht (2), dann um die y-Achse (3) und schliefilich um die z-Achse (4)-
B.
1 +
0 ip
-ip 0 0 0
(9.11)
Fiir kleine Drehungen um die Nulllage setzt sich B ^ also aus der Einheitsmatrix und einer antisymmetrischen Matrix zusammen. So kompliziert die Struktur von B ^ im Allgemeinen ist, so einfach erscheint sie fiir kleine Drehwinkel.
9.3 Bewegungen gegen das Inertialsystem 9.3.1 R a u m f e s t e K o o r d i n a t e n Bisher haben wir nur die geometrische Beschreibung der Lagen von starren Korpern untersucht. Unsere Aufgabe wird im Weiteren darin bestehen, fiir die Tait-Bryant-Wink el, die j a durch Gl. (9.9) zu jedem Zeitpunkt die Transformationsmatrix zwischen dem lokalen Orbitalsystem und einem korperfesten System im Massenmittelpunkt festlegen, entsprechende Differentialgleichungen aufzustellen. Dabei miissen wir uns allerdings auf ein nichtrotierendes
234
9 Die Grundgleichungen nicht punktformiger Satelliten
Koordinatensystem beziehen. Die Achsen unseres Orbitalsystems aus Abbildung 9.1 sind jedoch nicht raumfest, sondern drehen sich gegen das nichtrotierende geozentrische Bezugssystem mit der mittleren Winkelgeschwindigkeit n = ^y^ii/a^ um die x-Achse. Wir wollen daher nun den Verbindungsvektor vom Massenmittelpunkt zu einem Korperpunkt aus dem Orbitalsystem in das nichtrotierende Bezugssystem transformieren. Dabei geht das Zahlentripel r = (x^y^z) iiber in seine „raumfeste" Darstellung p = (^,/y,C)- Wenn wir uns auf kreisformige Orbits, bei denen die Drehung des Orbitalsystems gleichformig erfolgt, beschranken, dann gilt 1 0 0 Ocosnt—sinnt | | 2/ | 0 sinnt cos nt
oder
p = Bi(nt)r.
(9.12)
Benutzt man (9.8), um r zu eliminieren, so erhalt man einen Zusammenhang zwischen p und den korperfesten Koordinaten R eines Punktes: p = Bl(nt)Bl(l9)B2((/))B3(V^)i^ := BR.
(9.13)
Darin konnen die beiden ersten Drehungen zusammengefasst werden, da sie um dieselbe Achse erfolgen: B = Bi(nt + 0)B2{(I))B3{^).
(9.14)
Natiirlich andert das Voranschalten der zusatzlichen Element ardrehung Bi (nt) vor die Drehung Bo(^, (/>, i/j) zwischen Orbitalsystem und korperfestem System nichts an der Orthogonalitat der Transformationsmatrix. Es gilt B-^ = B~^. 9.3.2 Der Winkelgeschwindigkeitsvektor Die Orthogonalitat der Drehmatrix B fiihrt auf einen sehr bemerkenswerten Zusammenhang. Aus B-^B = 1 folgt durch Differentiation nach der Zeit: B^B + B^B = 0 = ( B ^ B ^
+ B ^ B = n^ + n.
Daher muss die Matrix ft = B-^B antisymmetrisch sein, d. h. 11 = —^^. Ihre Elemente ober- und unterhalb der Hauptdiagonale unterscheiden sich nur durch das Vorzeichen, und in der Hauptdiagonale selbst konnen nur Nullen stehen. H hat deshalb folgende Gestalt: 0
-Os r?2 0 -r?! -r? I. -r?2 ^1 0
n = B^B = I i?3
(9.15)
Die Matrix H tritt im Zusammenhang mit dem korperfesten Geschwindigkeitsvektor auf. So wie dem raumfesten Verbindungsvektor p ein korperfester
9.3 Bewegungen gegen das Inertialsystem
235
Verbindungsvektor R = B ^ p entspricht, so entspricht der Inertialgeschwindigkeit p =: u ein korperfestes Zahlentripel V = B ^ ^ ' . Wegen iy = p=
4 ( B i ^ ) = B i ^ = BB^BR
= BQR
=: BV
- die korperfesten Koordinaten R sind j a konstant - erkennt m a n den Zusammenhang V = (IR. Man kann sich leicht davon iiberzeugen, dass ganz allgemein eine Multiplikation einer antisymmetrischen Matrix mit einem Vektor der Bildung eines Vektorproduktes entspricht:
0 -r^s ^2 \ (x\
(n^z-n^Y
i? X i^,
(9.16)
wenn der Matrix Q der Vektor i? = (i?i, i?2, ^3)"^ zugeordnet wird. Zusammengefasst errechnet sich die Geschwindigkeit im korperfesten System zu V = nR
= f2 X R,
wobei
p =
BV.
(9.17)
Wie aber ist der Vektor i? geometrisch zu interpretieren? Denken wir uns dazu einen starren Korper, der um eine feste, durch den Koordinatenursprung gehende Achse, beschrieben durch den Einheitsvektor E, mit definierter Winkelgeschwindigkeit i? rotiert. Ahe P u n k t e des Korpers werden sich dabei auf Kreisen um E bewegen. Der Geschwindigkeitsvektor V eines behebigen Punktes R des Korpers steht daher senkrecht auf die von E und R aufgespannte Ebene und sein Betrag ist proportional zum Normalabstand s des P u n k t e s von der Drehachse. Mathematisch bedeutet dies, dass V = f2E x R, was exakt die Form von (9.17) hat, wenn i? = QE. Es macht also Sinn, i? als Winkelgeschwindigkeitsvektor aufzufassen, der die momentane Drehung des Korpers beschreibt.
k QE = n
Abbildung 9.4. Zur Interpretation des Vektors 17 als momentaner Winkelgeschwindigkeitsvektor. Der Geschwindigkeitsvektor V im Punkt P steht senkrecht auf R und f2 und hat den Betrag V = f2s.
236
9 Die Grundgleichungen nicht punktformiger Satelliten
Damit ist zwar klar, was wir uns unter i? und unter der Matrix H vorzustellen haben. Offen bleibt aber noch die Frage, wie die Winkelgeschwindigkeit durch die Tait-Bryant-Winkel ausgedriickt werden kann. Im Prinzip lasst sich die Frage sofort beantworten: Man schreibe einfach B aus (9.13) explizit als Funktion von 0, (j) und i/j an und bilde daraus 11 = B-^B. Damit ist aber ein erheblicher Rechenaufwand verbunden, der sich vermeiden lasst, wenn man noch ein Stiick symbolisch weiterrechnet. Mit Gl. (9.14) erhalt man namlich, wenn man der Einfachheit halber auf das Anschreiben der Funktionsargumenie nt -\- 0^ (j) und -0 verzichtet: B B — B3 B2 B]^ ( B1B2B3 + B1B2B3 + B1B2B 33) = ^3 ^2 ^1 B1B2B3 + B3 B2 B2B3 + B3 B3.
(9.18)
In diesem Ausdruck treten die Winkelgeschwindigkeiten B f B^ fiir die Element ardrehmatrizen auf, die sehr einfach zu berechnen sind. Betrachten wir zum Beispiel B3('0) aus Gl. (9.1): cosijj sin?/^ 0 \ /—'0sin'0 —T/^COS?/^ 0 \ /O—-0 0' B ^ B 3 = I -sinV^ cosV^ 0 i^co^ijj -?/^sin^^ 0 = ^/^ 0 0 0 0 1/ V 0 0 0/ \ 0 0 0.
^ # 3
Analog erhalt man fiir Bi(nt + 0) und fiir B2((/>) B f Bi = (n + e)ei
und
B^B2 = (j)e2 .
Damit schreibt sich (9.18) in der Form B ^ B = (n + i9)Bf B^eiB2B3 + (/)Bf 62B3 + ^€3.
(9.19)
Nun wollen wir uns aber die Berechnung der kompletten antisymmetrischen Matrix Q. = B-^B ersparen, denn sie besitzt ja nur drei unabhangige Komponenten. Vielmehr wird uns der zugehorige Winkelgeschwindigkeitsvektor i7 interessieren. Dazu halten wir zunachst fest, dass natiirlich auch den antisymmetrischen Elementarmatrizen €1, €2 und €3 analog zu (9.16) Vektoren e^ zugeordnet werden mit der Eigenschaft 1,2,3.
ei{ ) = e i X ( ),
Diese sind gerade die Einheitsvektoren entlang der Koordinatenachsen, €1 = (1,0,0)^, €2 = (0,1,0)^, €3 = (0,0,1)^. Damit folgt f2 X R = B^BR
= (n + 0)BjB^eiB2B3R
= (n + ^)B3^B2^ €1 X
= ((n + 0)B^B^ei
B2B3R
+ ^Bje2B3R
+ 0B
62 X
+ (/)Bf €2 + ^63) x R.
+ ipesR
B3R + ^€3 X R
9.3 Bewegungen gegen das Inertialsystem
237
Daraus identifiziert man f2 = {n + i9)Bf B^ei + (/)Bf €2 + ^63 .
(9.20)
Mit den Elementardrehmatrizen B2 (fiir den Winkel (p) und B3 (fiir den Winkel ip) aus Gl. (9.3) kommt man ohne groBere Schwierigkeiten auf
(
{0 + n) cos (/) cos -0 + (/) sin -0 \ - (l9+ n) cos (/) sin V^+ (/) cos V^ .
(9.21)
(l9 + n) sin (/) + ?/^ / Wie man sieht, geht der Drehwinkel 0 -\-nt nicht direkt in i7 ein, sondern nur zeithch differenziert. Deshalb weist der Winkelgeschwindigkeitsvektor keine exphzite Zeitabhangigkeit auf. Dies gilt allerdings nur fiir Kreisorbits, die wir hier vorausgesetzt haben. Zum Abschluss wollen wir noch den Winkelgeschwindigkeitsvektor fiir kleine Tait-Bryant-Winkel ermitteln. Dieser kann direkt aus Gl. (9.21) fiir siiKJ) « (j), coscj) « 1, sin?/^ « -0 und cos?/^ « 1 oder aus (9.20) mit (9.2) gewonnen werden: f? ?^ (n + l9) (1 + i/je^^ (1 + (/)e^) ei + (/> ( l + i/je^^ €2 + ^63 ^ {n-\-0) (ei - ipes x €1 - (/)€2 x €1) + (/)€2 + ^€3 « (n + 0)ei + ((/>- nV^)€2 + (^ + n(/))€3 . Oder in Komponentenschreibweise: f2= I ^ - m / j] .
(9.22)
Die Rotation des Orbitalsystems mit der Rate n geht also in alle drei Komponenten der Winkelgeschwindigkeit ein. Trotzdem halt sich der Aufwand, den wir mit der Verwendung eines rotierenden Bezugssystems zur Beschreibung der Nahfelddynamik eingegangen sind, in Grenzen. Die Winkelgeschwindigkeit ist nicht viel komplizierter als fiir ein nichtrotierendes Bezugssystem (n = 0). 9.3.3 R e l a t i v b e w e g u n g e n Bei der Herleitung der Inertialgeschwindigkeit p sind wir davon ausgegangen, dass R eine konstante GroBe ist. Das stimmt zweifellos fiir einen vollkommen starren Korper. Wenn sich aber Telle des Satelliten relativ zur Plattform, die das korperfesten System definiert, bewegen konnen, so ist R fiir gewisse Massepunkte zeitlich veranderlich. Wir wollen die Geschwindigkeit und Beschleunigung berechnen, die ein solcher verschiebbarer Massepunkt erfahrt. Zunachst folgt aus Differentiation von p = Bi^:
238
9 Die Grundgleichungen nicht punktformiger Satelliten p = BR + BR = B
(B^BR
+
R\
.
Wenn wir darauf die Regel (9.15) und (9.16) anwenden, so konnen wir auch schreiben: p = B(f2x R + R] :=BV . (9.23) Die Inertialgeschwindigkeit V setzt sich in diesem Fall aus einer „Fuhrungsgeschwindigkeit" f2 x R und aus einer „Relativgeschwindigkeit" R zusammen. Gl. (9.23) ist die Verallgemeinerung von Gl. (9.17). Um die Beschleunigung zu erhalten, miissen wir (9.23) ein weiteres Mai differenzieren: p = B(f2
X R + R \ +B(f2
X R+f2
XR + R \
= B (B^B{f2 X i^) + B^BR +f2xR+f2xR
+ R\ .
Nach wiederholter Anwendung von (9.15) bzw. (9.16) ergibt sich: p = B(f2x{f2xR)-\-2f2xR-\-f2xR-\-R\
:=BA.
(9.24)
Dabei treten die Zentrifugalbeschleunigung f2 x {f2 x R) und die Coriolisheschleunigung 2 f2 x R in Erscheinung. Letztere verschwindet, wenn der Punkt R korperfest ist.
9.4 Die Eulerschen Gleichungen Um ein dynamisches Gesetz zur Berechnung der Tait-Bryant- Winkel als Funktion der Zeit herzuleiten, miissen wir auf den in Kapitel 2 entwickelten Drallsatz zuriickgreifen. Gl. (2.26) nimmt folgende Gestalt an, wenn man die Summen iiber die einzelnen Massenpunkte durch Integrale iiber die Massenverteilung ersetzt: —
=m..
(9.25)
Darin ist he der Drall (Relativ-Drehimpuls) um den Massenmittelpunkt: he =
pxpdm
(9.26)
Jm
und rric das Moment aller auBeren Krafte um den Massenmittelpunkt: mc=
f pxdf.
(9.27)
Jm
Betrachten wir zunachst den Drall etwas genauer. Mit (9.13) und (9.17) erhalt man
9.4 Die Eulerschen Gleichungen hc=
BR X BnRdm
= B / Rx {f2 x R) dm = -B
J 171
J 171
239
Rx{Rxf2)dm J171
Die Zuordnungsregel (9.16) zwischen Vektoren und antisymmetrischen Matrizen konnen wir hier auch auf den Ortsvektor R = (X, F, Z) anwenden. Dann ist f 0 -Z Y i^ X ( ) = R( ) = Z 0 -X I I I, (9.28) \-Y X 0 und der Drall lautet he = - -B / KKf2dm
= - B ( / R R ^ m j 17.
J171
/
\J 171
Darin ist Hc-.^-ij
B? dm\
i?
(9.29)
als korperfeste Darstellung des Drallvektors zu interpretieren, denn he = BH,.
(9.30)
Das Zahlentripel He ergibt sich sehr einfach aus Multiphkation des Winkelgeschwindigkeitsvektors mit der zeithch konstanten, symmetrischen Matrix I. := - I B? dm
-I J 171
'Y^^Z^ -YX -ZX
(9.31) -XY -XZ \ Z^ + X2 -YZ \dm= -ZY X^ + Y^l
( Ixx I -IYX \-Izx
-IxY-Ixz\ WY
-IzY
-IYZ
Izz
I
denn die korperfesten Koordinaten X, Y und Z andern sich nicht wahrend der Bewegung. Mit der Definition (9.31) schreibt sich der Drah in der Form H, = l,f2.
(9.32)
Man nennt Ic den Trdgheitstensor des Korpers. Seine Gestalt hangt von der Orientierung der korperfesten Koordinatenachsen gegeniiber dem starren Korper ab. Es lasst sich zeigen, dass man das korperfeste System stets so wahlen kann, dass der Tragheitstensor nur in der Hauptdiagonale besetzt ist: (9.33) In diesem Fall heiBen die Achsen des korperfesten Systems Hauptachsen und die GroBen / i , I2 und Is Haupttrdgheitsmomente. Besitzt der Korper Symmetrien, so sind die Symmetrieachsen stets auch Hauptachsen. Es gibt 24 rechtssinnige korperfeste Systeme, fiir die der Tragheitstensor die Gestalt (9.33)
240
9 Die Grundgleichungen nicht punktformiger Satelliten
annimmt, denn die Hauptachsen konnen untereinander permutiert und invertiert werden. Doch zuriick zum Drallsatz (9.25). Setzen wir darin die in Gl. (9.30) und (9.32) gewonnene Form des Dralls ein, so erhalten wir ^ = 4 ( B I c ^ ) = BIcf2 + BIcf2 = rric. dt dt^ ^ Wenn wir diese Gleichung von links mit B-^ multiplizieren, dann ergibt sich Ic/? + B^BIci? = B ^ m c . Mit (9.15) folgt welters
oder Ic/? + i? X Ici? = B^rric =: M^.
(9.34)
Dies ist die gesuchte Bewegungsgleichung fiir die Nahfelddynamik eines starren Korpers. Substituiert man darin i7 durch den Ausdruck (9.21), so ergeben sich drei nichtlineare Differentialgleichungen fiir die Tait-Bryant- Winkel, wenn die rechte Seite B^rric := Mc bekannt ist. Diese enthalt das Zahlentripel mit den Komponenten des Momentenvektors im korperfesten Bezugssystem. Nach (9.27) ist M , = B^ f pxdf Jm
= f B ^ p X B^df Jm
= f RxdF,
(9.35)
Jm
wenn dF = B^df den Kraftvektor auf ein infinitesimales Massenelement im korperfesten System bezeichnet. Mit dem Integral (9.35) werden wir uns nun naher auseinander setzen miissen.
9.5 Das Gravitationsmoment Im einfachsten Fall konnten wir alle auf ein Raumfahrzeug einwirkenden Schwerkrafte als parallel und gleich groB annehmen. Tatsachlich sind ja die Abmessungen unserer Raumfahrzeuge so klein, dass die Schwerkraftvektoren dF, die auf die einzelnen (differentiellen) Massenteile einwirken, iiber das Korpervolumen kaum variieren werden. (Allerdings werden sich die Richtung und auf elliptischen Orbits auch der Betrag der Schwerkraft im Lauf der Zeit betrachtlich andern.) Fiihrt man mit E^ den im korperfesten System zerlegten Einheitsvektor entlang der lokalen Vertikalen ein, dann ware dF = QEE^ dm, wobei QE die lokale Schwerebeschleunigung und dm ein Massenelement des Satelliten bezeichnen. Das resultierende auBere Moment errechnet sich damit nach (9.35) zu
9.5 Das Gravitationsmoment Mc =
Rx
dF =
J 171
Rx
QEEZ dm = -QEE^
J 171
X /
Rdm
241
= 0,
J171
denn wir haben ja festgesetzt, dass der Ursprung des korperfesten Bezugssystems im Massenmittelpunkt liegen soil, d. h. es gilt J^Rdm = 0. In homogenen Schwerefeldern verschwindet also das resultierende Gravitationsmoment um den Massenmittelpunkt. Anders ausgedriickt: Massenmittelpunkt und Kraftemittelpunkt fallen zusammen. Genau genommen ist aber das Schwerefeld der Erde kein homogenes Feld, sondern - mit guter Naherung - ein Zentralfeld. Daher wirken in jedem Massenpunkt eines Korpers geringfiigig andere Krafte, und das Integral (9.35) wird nicht vollig verschwinden. Jeder ausgedehnte Korper erfahrt daher ein Gravitationsmoment um seinen Massenmittelpunkt. Absolut gesehen ist dieses Moment zwar sehr klein, aber unter alien anderen auf erdnahe Raumfahrzeuge einwirkenden Moment en erweist es sich meist als das groBte. (Welche der auf einen Satelliten wirkenden Momente am groBten sind, hangt in erster Linie von der Flughohe ab.) Es kann die Dynamik eines Satelliten langfristig sehr wesentlich beeinflussen. Wir wollen deshalb das Gravitationsmoment auf einen Satelliten im kugelsymmetrischen Schwerefeld der Erde berechnen (Abbildung 9.5). Da wir fiir (9.34) den Momentenvektor im korperfesten System benotigen, werden wir alle Vektoren darin zerlegen und daher entsprechend unserer Konvention in GroBbuchstaben notieren. Auf ein beliebiges Massenelement dm an der Stelle P wirkt die Kraft dF = — ^ ^ P ' wenn Rp den (im korperfesten System zerlegten) Vektor vom Erdmittelpunkt O zu P bezeichnet. Die Kraft dF bewirkt ein Moment um den Massenmittelpunkt C, dessen Lage durch den Vektor Re = —RcEz beschrieben wird. Das resultierende Gravitationsmoment um C ergibt sich aus Integration iiber den gesamten Korper: f ^
.^
fRxR^^
f
RxRc
,
,^^^,
Hierin wurde der Zusammenhang Rp = R -\- R^ benutzt (Abbildung 9.5). R bezeichnet wieder die zeitlich konstanten, korperfesten Koordinaten des Punktes P. Nun wird man mit Gl. (9.36) in der Praxis wenig anfangen konnen, da das Integral im Allgemeinen Schwierigkeiten bereiten wird. Zudem ist Mc natiirlich von der Lage des Satelliten im Raum abhangig und miisste daher im Lauf der Bewegung standig neu berechnet werden. Es ist jedoch gar nicht erforderlich, das wahre Gravitationsmoment bis auf die letzte Kommastelle genau auszurechnen. Allein der dominierende Anteil dieses Moments wird uns interessieren, denn er wird die Nahfelddynamik letztlich bestimmen. Da die Abmessungen unserer Raumfahrzeuge so klein
242
9 Die Grundgleichungen nicht punktformiger Satelliten
Satellit
Abbildung 9.5. Zur Berechnung des Gravitationsmoments auf einen ausgedehnten Korper, das durch die Inhomogenitdt des Schwerefeldes zustande kommt.
O (Gravitationszentrum)
sind, dass R ^ R^ konnen wir den Nenner des Integranden in (9.36) in eine Reihe entwickeln: \R + Rc\\-^
=
\\RER-ReE, -3/2
R^
1
Uc J
l +
:=
-tic
G{R/Rc
3^)+0{{R/R,f).
Wenn wir die quadratischen Terme in R/Rc vernachlassigen, so ergibt sich fiir Mc nach Gl. (9.36) folgender vereinfachte Ausdruck: Mr.
JL Rl
a
1 + 3 ^ ; ^ — I R X RcE^ Re
-i--
R,
dm
Rdm-\-3+ 3 // {E^ / Rdm Jm J rr
•R)Rdm
Darin verschwindet das erste Integral, well j a C definitionsgemaB Massenmittelpunkt sein soil. Damit folgt Mr = -^-^^z
X I {E,-
R)Rdm.
(9.37)
Den Integranden dieses Ausdrucks kann m a n mit Hilfe eines doppelten Vektorprodukts umschreiben. Fiir beliebige Vektoren a, 6, c gilt: (c • a)h = a X {b X c) + {b ' a)c.
9.5 Das Gravitationsmoment
243
Mit a = b = R und c = Ez folgt speziell: {Ez ' R)R
= Rx{Rx
Ez) + {R' R)Ez
= 11^ E^ +
R^E^.
Damit wird aus dem Gravitationsmoment (9.37) Mr,
-3-3^. X
(I*'*')
E..
(9.38)
Anstelle des hierin auftretenden Integrals kann der in Gl. (9.31) definierte Tragheitstensor des Korpers geschrieben werden. Dann lautet das vereinfachte Gravitationsmoment (9.39)
Ri
dessen Berechnung wir damit auf einfache algebraische Operationen reduziert haben. Man erkennt: Mc ist auf niedrigen Umlaufbahnen groBer. Im Fall elliptischer Orbits ware der Faktor /i/i^^ zeitabhangig. Bei kreisformigen Orbits, auf die wir uns hier konzentrieren wollen, ist jedoch Re = a konstant. Der Faktor /i/a^ = n^ entspricht dann dem Q u a d r a t der Orbitalwinkelgeschwindigkeit.
Orbit korperfestes System Lokale Vertikale
Abbildung 9.6. Zur Berechnung des Gravitationsmoments auf einen Hantelsatelliten. Fur 6 = 45° ergibt sich das grofite Moment, fur 6 = 0° und fur 6 = 90° verschwindet es.
Um fiir die GroBenordnungen der Gravitationsmomente ein Gefiihl zu entwickeln, betrachten wir ein einfaches Beispiel. Ein Hantelsatellit, bestehend aus einer masselosen Stange der Lange L mit zwei gleichschweren P u n k t m a s sen m an den Enden, sei gegen die lokale Vertikale um einen Winkel 0 geneigt. Welches Gravitationsmoment erfahrt der Satellit? In Abbildung 9.6 ist ein korperfestes Bezugssystem im Massenmittelpunkt C dargestellt, in dem wir den Einheitsvektor entlang der lokalen Vertikalen sehr einfach zerlegen konnen: E^ = (cos^, sin^, 0). Der Tragheitstensor bezogen auf dieses Koordinatensystem lautet:
244
9 Die Grundgleichungen nicht punktformiger Satelliten
Ic =
/O 0 0 mL^/2 \0 0
0 0 mL^/2^
Damit ist nach (9.39) / ^^
0
^ ^ V ^ ^ V 2 cos i9 sin i9^
Mc dreht also um die z-Achse und hat den Betrag 3 /i mL'^ 2i?3 2
, ^^
Das Gravitationsmoment verschwindet bei ^ = 0 (die Hantel steht senkrecht auf den Orbit) und bei 0 = 7r/2 (die Hantel steht tangential an den Orbit). Bei 0 = 7r/4 erreicht es sein Maximum. In Zahlen: Fiir Re = 6678 km (Flughohe 300 Kilometer), m = 100kg und L = 1 0 m errechnet sich das Moment auf die um 45 Grad geneigte Hantel zu Mc = 0,01 Nm (mit /i = 3,896 x l O ^ ^ m ^ s ^ ) .
Literaturhinweise zu Kapitel 9: ARGYRIS [2]: Ein sehr interessanter Artikel zur Kinematik des starren Korpers. Nicht zuletzt wegen seines iiberaus amiisanten Stils sehr zu empfehlen. ARNOLD [3]: Enthalt eine ausgezeichnete allgemeine Darstellung der Kinematik und Dynamik von starren Korpern. Sehr empfehlenswert! KANE [17]: Ein Standardwerk iiber Attitude-Dynamik. Besonders interessant wegen der detaillierten Ausfiihrungen iiber Gravitationskrafte und Gravitationsmomente auf beliebige Korper. WiTTENBURG [37]: Ausfiihrliche Darstellung der Bryant-Wmkel und der EulerWinkel.
10 Lokale Bewegungen von Satellitensystemen
Aufbauend auf den Erkenntnissen das vorigen Kapitels wollen wir nun die lokalen Bewegungen ausgedehnter Satellitensysteme etwas genauer studieren. Zwei wichtige Beispiele werden uns dabei beschaftigen: Spin-stabilisierte Satelliten und das Verhalten von Satelliten unter der Wirkung von Gravitationsmomenten. Spin-stabilisierte Satelliten funktionieren nach dem Prinzip des Richtungskreisels: Wenn man einen starren Korper in Drehung um seine groBte oder kleinste Tragheitshauptachse versetzt, so weist die Drehachse bei Abwesenheit auBerer Momente in eine raumfeste Richtung. Dieser Effekt ist wohl bekannt und wird beispielsweise dazu genutzt, um das Taumeln eines Projektils zu verhindern. Dieses wird beim Abschuss im Lauf des Geschiitzes durch eine schraublinienformige Fiihrung in Drehung versetzt. Auch das Gravitationsmoment kann man zur Lage-Stabilisierung eines Satelliten ausnutzen. Wir werden sehen, dass sich ein starrer Korper, dessen kleinste Tragheitshauptachse entlang der lokalen Vertikalen ausgerichtet ist, in einem stabilen, relativen Gleichgewichtszustand befindet. Spin- und Graviationsmomenten-Stabilisierung sind Formen passiver Stahilisierung, da hierbei keine Energie aufgewendet wird. Nicht beschaftigen wollen wir uns mit aktiven Stahiliserungstechniken, bei denen die Lageregelung durch kleine Raketentriebwerke oder durch Kreiselgerate erfolgt. Um iiber die Stabilitat eines Satelliten zu urteilen, werden wir uns haufig der Standardmethode bedienen, bei der die Bewegungsgleichungen um die Gleichgewichtslage linearisiert werden und auf das Auftreten von Eigenwerten mit positivem Realteil geachtet wird, auch wenn diese Methode bei Hamiltonschen (d. h. ungedampften) Systemen zu nicht hinreichenden Stabilitatsbedingungen fiihren kann. Asymptotische Stabilitat, d. h. eine asymptotische Annaherung an die Gleichgewichtlage nach einer Anfangsstorung, ist im Allgemeinen nur in dissipativen (d. h. gedampften) Systemen moglich.
246
10 Lokale Bewegungen von Satellitensystemen
10.1 Spin-Stabilisierung momentenfreier Satelliten Wenn man einen Satelliten als momentenfreien Korper betrachtet, so konnte man den Richtungskreisel-Effekt dazu benutzen, um seine groBte oder kleinste Tragheitshauptachse raumfest zu orientieren. Dabei rotiert der Korper stabil um eine dieser Achsen. Die Idee, Raumfahrzeuge auf diese Weise zu stabilisieren, ist mindestens so alt wie die Raumfahrt selbst, wie die Geschichte von EXPLORER I, dem ersten amerikanischen Satelliten, der einen Raketenstart heil iiberstand, zeigt. Explorer I erreichte seine Umlaufbahn am 31. Janner 1958 und bewies die Existenz eines die Erde umgebenden Strahlungsgiirtels, den man zu Ehren von Professor James A. Van Allen, der an der Entwicklung der bei der Mission verwendeten Messinstrumente maBgeblich beteiligt war, spater Van Allen Gilrtel nannte. In den Werbebroschiiren und Internet-Seiten der NASA wird das ExplorerProgramm heute zwar als durchschlagender Erfolg dargestellt, doch die Wirklichkeit sieht nicht ganz so glorreich aus. Vorgesehen war. Explorer I entsprechend der Theorie des starren Korpers durch Drehung um seine Langsachse, d. h. um seine kleinste Tragheitshauptachse, zu stabilisieren. Doch bereits nach der ersten Erdumkreisung begann das Gerat um seinen Schwerpunkt zu taumeln. SchlieBlich rotierte es mit geanderter Winkelgeschwindigkeit um seine grofite Tragheitshauptachse, was sich durch Anomalien der empfangenen Datensignale deutlich bemerkbar machte. Welches seltsame Phanomen hatte da den Amerikanern einen Streich gespielt? Um die Lehren aus der ExplorerGeschichte ziehen zu konnen, miissen wir zunachst den Stabilisierungs-Effekt des Richtungskreisels besser verstehen. 10.1.1 Die Lagedynamik momentenfreier Korper Der momentenfreie starre Korper ist ein Standardbeispiel der klassischen Mechanik, das man seit dem 18. Jahrhundert gut zu verstehen glaubte. Es wird in vielen Mechanik-Lehrbiichern eingehend behandelt. Die Theorie des momentenfreien Korpers benutzt die interessante Struktur der Eulerschen Gleichungen (9.34). Wenn man darin alle Momente gleich null setzt, so bilden sie ein System dreier Differentialgleichungen fiir die korperfesten Komponenten des Winkelgeschwindigkeitsvektors 17, das gelost werden kann, ohne auf die Parameter der Drehmatrix B einzugehen. Fiir Mc = 0 reduziert sich Gl. (9.34) auf I^/? + i7 x I^i? = 0. In Komponentenschreibweise ergibt sich daraus fiir das Hauptachsensystem:
hf},-{l2-h)02f2s
=0
/2^2-(/3-/l)^3^1 =0 h^s - {h - h) f^lf^2 = 0 .
(10.1)
Dies ist ein nichtlineares Gleichungssystem fiir i?i(t), i?2(^) und i?3(t), das bei gegebenen Haupttragheitsmomenten / i , I2 und I3 gelost werden kann.
10.1 Spin-Stabilisierung momentenfreier Satelliten
247
Abbildung 10.1. Model! des ersten amerikanischen Satelliten EXPLORER I. Seine Idngliche Form wurde gewdhlt, weil er so gut in einer Rakete verstaut werden konnte. Er war etwa 2 Meter lang, hatte einen Durchmesser von nur 15 cm und wog 13,9 Kilogram^m.. Der Satellit zeichnete sich durch lange, radial auskragende elastische Antennen aus, die in der Abbildung deutlich zu erkennen sind. Der Versuch, Explorer I durch Drehung um seine Symmetrieachse zu stabilisieren, misslang.
Natiirlich ist dies nicht ganz einfach. Dennoch lassen sich sofort zwei Integrale angeben, mit denen das Verhalten des momentenfreien starren Korpers sehr anschaulich dargestellt werden kann. Das erste Integral erhalt man, indem m a n die erste der Gleichungen (10.1) mit i?i, die zweite mit i?2 und die dritte i?3 multipliziert und die Ergebnisse anschlieBend summiert: hQlQl
+ / 2 ^ 2 ^ 2 + / s ^ s i ^ S - r?ii?2^3(/2 - h ^ h - h ^ h - h) = ^ •
Wie m a n sieht, heben sich die Tragheitsmomente in der Klammer auf, und wir erhalten
hQiQi oder
^ 12^2^2 ^ h^z^z
h
^2 (92 , ^3 ri2
= 4 f ^ ^ ? + 17^2 + 17^3 dt\2
T = -j-nt + y i?| + -j-ni = const.
(10.2)
T ist die (kinetische) Energie des Korpers. Das zweite Integral der Gleichungen (10.1) ergibt sich aus folgender Uberlegung: Wenn keine auBeren Momente auf den Korper einwirken, dann folgt aus der raumfesten Darstellung des Drallsatzes (9.25) he = const. Die raumfesten Koordinaten des Drallvektors bleiben also erhalten. Die korperfesten Koordinaten des Dralls, die sich aus (9.30) errechnen, werden sich allerdings sehr wohl andern, jedoch mit einer kleinen Einschrankung: Wegen der Orthogonalitat der Drehmatrix B muss der Betrag des Dralls auch im korperfesten System erhalten bleiben, d. h.
248
10 Lokale Bewegungen von Satellitensystemen H^ = [hf}^f
+ (/2^2)' + ( / s ^ s ) ' = const.
(10.3)
(Ganz formal erhalt man dieses Ergebnis iibrigens auch direkt aus (10.1), indem man die Gleichungen mit /ii7i, l2^2 und /si^s multipliziert und anschlieBend addiert.) Was bedeuten nun die Integrale (10.2) und (10.3) geometrisch, wenn wir die Bewegung der Spitze des Winkelgeschwindigkeitsvektors in einem durch i?!, Q2 und i73 aufgespannten Raum darstellen? Durch die beiden Integrale wird die „Bahn" i7(t) auf die gemeinsame Schnittkurve zweier Ellipsoide eingeschrankt. Nur die Parametrisierung dieser Kurve mit dem physikalischen ZeitmaB bleibt dabei unbekannt. Um die geometrischen Zusammenhange besser zu verstehen, ist es ratsam, anstelle von i7(t) die Bewegung des Drallvektors Hc{t) = lc^{t) im Raum der Drallkomponenten Hi, H2, H^ zu studieren, was mathematisch der einfachen Linearabbildung i?i = i ? i / / i , i?2 = H2/I2 und i?3 = Hs/Is gleichkommt. Dann namlich lautet das zweite Integral: H^ = Hf + H^ + Hi = const.
(10.4)
Die dadurch beschriebene Kugel mit dem Radius H muss mit dem Energieellipsoid geschnitten werden, das im Drall-Raum folgende Gestalt annimmt: TT2
TT2
TT2
Die Hauptachsen dieses Ellipsoids errechnen sich zu \/2TI\, v^2T/2 und \/2TI^, wie man durch Nullsetzen von jeweils zwei Drallkomponenten unmittelbar ersieht. Wir wollen hier - ohne Einschrankung der Allgemeinheit voraussetzen, dass Ii < I2 < hj so dass sich die langste Seite des Energieellipsoids entlang der il^s-Achse und die kiirzeste entlang der i!f"i-Achse erstreckt. Eine spezielle Schnittkurve einer Kugel (10.4) und eines Ellipsoids (10.5) ist im linken Teil von Abbildung 10.2 dargestellt. Weitere Schnittkurven, die sich bei Variation von T ergeben, werden im rechten Bild gezeigt. Natiirlich muss die groBte Achse des Energieellipsoids (also ^J2J%) mindestens so groB wie der Kugelradius H sein, damit sich die beiden Flachen iiberhaupt schneiden. Aus dem gleichen Grund darf die kleinste Achse des Ellipsoids (also \J2TI\) nicht groBer als H sein. Dies fiihrt auf die Bedingung -L rain \ -t \ -L max
mit
-L min — c\ T "> -^ max — r* T '
In beiden Grenzfallen entarten die Schnittkurven zu Punkte-Paaren. Ansonsten ergeben sich Schnittkurven, die entweder die i!f"i-Achse oder die il^s-Achse umkreisen. Der Wechsel der umkreisten Achse stellt sich ein bei T-T
-
—
10.1 Spin-Stabilisierung momentenfreier Satelliten
249
Hz
H = const.
T ^T
Abbildung 10.2. Schnitt zwischen Drallkugel (H = const.) und Energieellipsoid (T = const.) im Raum der Drallkomponenten Hi, H2, Hs. Das rechte Bild zeigt die entstehenden Schnittkurven fiir verschiedene Werte der Energie T.
Die Schnittkurven bei diesem Energieniveau heiBen deshalb Separatrizen. Fiir T = Tmin und T = Tmax erhalten wir also die Losungen H^ = const., Hi = H2 = 0 und Hi = const., H2 = Hs = 0. AuBerdem entstehen fiir T = Tsep in der Bahn Hc{t) Knicke an der Stelle Hi = Hs = 0, die sich aus Stetigkeitsgriinden nicht mit endlicher Geschwindigkeit durchmessen lassen; in diesen Knickstellen ist dHc/dt = 0. Daher wird auch H2 = const.. Hi = H^ = 0 eine spezielle Losung sein. Im R a u m des Winkelgeschwindigkeitsvektors entspricht all dies folgenden Losungen von (10.1): 1. Losung
i?i = const.,
i72 = ^ 3 = 0
2. Losung
i?2 = const.,
i73 = i?! = 0
3. Losung
i?3 = const.,
i?! = i72 = 0 .
Welche physikalische Bewegung wird damit beschrieben? Offenbar ist der korperfeste Winkelgeschwindigkeitsvektor in alien drei Fallen konstant. Erinnern wir uns, dass sich die Inertialgeschwindigkeit eines P u n k t e s R zu V = f2 X R ergibt. Wenn sich nun i? nicht andert, so bedeutet dies, dass die P u n k t e auf der Geraden R{X) = Ai7 konstante korperfeste Koordinaten haben. Fiir alle P u n k t e dieser Achse gilt aber dauerhaft V = 0, so dass sie eine raumfeste Achse definieren. Der Korper rotiert also in den oben angefiihrten drei Zustanden um jeweils eine seiner Tragheitshauptachsen, die dabei in eine raumfeste Richtung weist.
250
10 Lokale Bewegungen von Satellitensystemen
Die (konstanten) Drehgeschwindigkeiten i?i bzw. i?2 und i?3 nennt man Spins. Mit Hilfe von Abbildung 10.2 sind wir sofort in der Lage, ein erstes Urteil iiber die Stabilitat dieser Rotationen zu fallen. Wenn wir die Zustande fiir T = Tj^in und T = Tmax nur geringfiigig storen, so wird die Reaktion auf die Storung sehr beschrankt bleiben. Hingegen wird der Drallvektor bereits durch kleine Storungen des Zustandes T = Tgep auf Bahnen gelangen, die sich sehr weit von der Gleichgewichtslosung entfernen. Daher sind die Rotationen um die kleinste und groBte Hauptachse (also um /i und Is) stabil und jene um die mittlere Hauptachse {I2) instabil. Dieses bekannte, schon von Euler entdeckte Gesetz kann man im Ubrigen leicht selbst experimentell nachpriifen. Dazu nehme man ein Buch mit zugeklebten Seiten und versetze es in Rotationen um seine Symmetrieachsen, wahrend man es hochwirft. Dabei wird man feststellen, dass sich das Buch stabil um seine kleinste und groBte Tragheitsachse dreht. Wenn man das Buch aber um die mittlere Tragheitshauptachse rotieren lasst, dann kann man beobachten, dass es sehr bald zu taumeln beginnt. 10.1.2 Stabilitat und „Energy-Sink"-Prinzip Nach unseren bisherigen Erkenntnissen erscheint der Stabilitatsverlust von Explorer I vollig mysteries. Sollte nicht eine Rotation um die kleinste Tragheitshauptachse ebenso stabil sein wie eine Rotation um die groBte Achse? Streng genommen sind die obigen Stabilitatsaussagen fiir den Richtungskreisel aber unbefriedigend. Da wir es mit einem ungedampften System zu tun haben, konnen wir keine asymptotische Stabilitat erwarten. Kleine Storungen der stabilen Rotationen um die groBte und kleinste Tragheitshauptachse bleiben zwar beschrankt, klingen aber auch nicht ab. In diesem Sinn befindet sich unser System an der Stabilitatsgrenze, es hat keinerlei Stabilitatsreserve. Was mit der Struktur der Bewegungsgleichungen passiert, wenn wir dem Satelliten nicht-starre Elemente wie Antennen oder dergleichen hinzufiigen, bleibt nach den bisherigen Betrachtungen offen. Das Verhalten des starren Korpers scheint also doch nicht so gut verstanden worden zu sein. Die Geschichte von Explorer I lasst dies jedenfalls erahnen. Natiirlich wurde der Stabilitatsverlust des ersten amerikanischen Satelliten in der Gelehrtenwelt sofort intensiv diskutiert. Zahlreiche Publikationen in Fachzeitschriften erschienen zu diesem Thema. Dabei kristallisierte sich eine relativ einfache Erklarung des Phanomens heraus, die als Energy-Sink-Prinzip bekannt wurde. Es besagt etwa Folgendes: Von den beiden Bewegungsintegralen des starren Korpers wird unter Hinzufiigung elastischer Komponenten mit dissipativen Eigenschaften nur der Drall mangels auBerer Momente konstant bleiben, wahrend die Energie stetig abnehmen wird. Genau genommen sollte der Betrag des Dralls des starren Grundkorpers geringfiigig um einen konstanten Wert H schwanken und seine Energie auf den zu H passenden Mindestwert Tj^in = H/2Is zustreben. Anders ausgedriickt: Durch die Energie vernichtenden Mechanismen schrumpft
10.1 Spin-Stabilisierung momentenfreier Satelliten
251
das Energieellipsoid so lange, bis es die Drallsphare nur mehr in zwei Punkten seiner langsten Achse beriihrt. Der angesteuerte Zustand entspricht einer Rotation um die groBte Tragheitshauptachse. Nach dem Energy-Sink-Prinzip miissen wir also das Stabilitatsgesetz des starren Korpers so erweitern: Von den Rotationen um die drei Tragheitshauptachsen ist unter Hinzufiigung innerer dissipativer Storungen nur jene um die grofite Achse tatsachlich stabil. Damit scheint der Stabilitatsverlust von Explorer I geklart. Dieser Satellit rotierte urspriinglich um seine kleinste Tragheitshaupt achse. Die Schwingungen seiner seitlich angebrachten elastischen Antennen fiihrten zur internen Energiedissipation und damit zum Verlust der Stabilitat. 10.1.3 Stabilitat eines Kreisels mit beweglichen Teilen So einfach und bestechend das Energy-Sink-Prinzip auch anmutet, ihm haftet ein erheblicher Makel an. Dass namlich der Drall des Grundkorpers nur geringfiigig schwanken soil, ist nicht einzusehen, ohne auf die Struktur der gekoppelten Bewegungsgleichungen von starrem Grundkorper und elastischen Anbauteilen naher einzugehen. Letztlich ist das Energy-Sink-Prinzip nur eine ad hoc Hypothese zur Erklarung eines schwer verstandlichen Phanomens [8]. Um einen fundierteren Einblick in die Dynamik rotierender Satelliten mit beweglichen Anbauteilen zu erlangen, wollen wir daher ein konkretes Beispiel analysieren. Betrachten wir einen starren Grundkorper mit den Tragheitshauptachsen / i , I2 und /s, in dessen Inneren eine punktformige Masse m durch ein Feder-Dampfer-System angebracht ist. Die Masse soil sich in einer zylindrischen Fiihrung, deren Achse parallel zur /s-Achse im Abstand b vom Massenmittelpunkt auf der /2-Achse des Grundkorpers liegt, hin und her bewegen (Abbildung 10.3). Wenn ^ die Auslenkung der Feder aus dem entspannten Zustand (der ebenfalls auf der /2-Achse liegen soil) bezeichnet, dann lauten die Koordinaten der Punktmasse im korperfesten System des Grundkorpers
i^^ = (0,6,0^. Wir wollen zunachst die Bewegungsgleichungen des Gesamtsystems aufstellen, diese dann um den Zustand konstanten Spins um die /3-Achse linearisieren und schlieBlich die Eigenwerte der linearisierten Gleichungen beobachten. Zum Aufstellen der Bewegungsgleichungen schneiden wir m zunachst aus dem Gesamt system heraus. Die Schnittkraft Fm setzt sich dabei zusammen aus einer Zwangskraft F:j^ senkrecht auf die Achse des Fiihrungszylinders und aus der dazu normalen Komponente F^j^, die durch die Auslenkung von Feder und durch die Dampfung bestimmt ist. Mit k als Federrate und d als Dampfungsparameter setzen wir Fi
= -{k^ + di)E3, Fl-Fi
= 0.
(10.6)
252
10 Lokale Bewegungen von Satellitensystemen Inertialsystem
Abbildung 10.3. Starrer Grundkorper (geschnitten dargestellt) mit schwingendem Massenpunkt, dessen Lage durch die Koordinate ^ beschrieben wird. Das eingezeichnete korperfeste Koordinatensystem gehe durch den Massenmittelpunkt des Grundkorpers und sei dessen Hauptachsensystem. Zwischen Grundkorper (M) und Massenpunkt (m) werden Federund Ddmpferkrdfte F^ sowie die Fiihrungskraft F^ senkrecht zur Fuhrungsachse iibertragen.
Wir schreiben ferner F^ = F^^ + F^ fiir die Gesamtkraft, die vom Grundkorper auf m iibertragen wird. Dann ist umgekehrt —Fm die Kraft, die m auf den Grundkorper ausiibt. Wenn keine anderen auBeren Momente auf diesen einwirken, dann lauten die Eulerschen Gleichungen (9.34) Icf2 + f2 X I,f2 = -Rm
X F^.
(10.7)
Um damit etwas anfangen zu konnen, benotigt m a n eine Gleichung fiir R^ bzw. fiir ^. Im Inertialsystem lautet der Impulssatz fiir die P u n k t m a s s e mcLm = fm + '^QE^ ™^ ^m cils Absolutbeschleuniguug und g^ als (lokaler) Erdbeschleunigung. Doch wir benotigen diese Gleichung im korperfesten System des Grundkorpers, das durch die Einheitsvektoren entlang der Hauptachsen ^ i , E2 und E^ aufgespannt wird. Wenn r^ den Vektor zum Ursprung dieses Systems bezeichnet, dann gilt mit Gl. (9.24) am = ro + P = ro + B (|i7 X (i? X Rm) + 2i7 x i ^ ^ + /? x i ^ ^ + Rm^ . Daraus ergibt sich die gesuchte Bewegungsgleichung zu m r o + ^ B (n
X {n X Rm) + 2i7 x i ^ ^ + 17 x i ^ ^ + Rm\ = fm +
bzw. nach Multiplikation von links mit B-^:
^9E
=
= B F ^ + mQE
10.1 Spin-Stabilisierung momentenfreier Satelliten m B ^ (ro -gE)+rn(^f2
253
i^^) + 2i7 x i^^ + /? x i^^ + Rm^ = F^ • (10.8) Darin scheint noch die Nullpunktsbeschleunigung ro ciuf. Um sie zu berechnen, benotigen wir noch den Impulssatz fiir den Grundkorper. Wenn M dessen Masse bezeichnet, dann gilt Mro = -fm
x{f2x
+ MgE
oder
MB^ {ro - 9E) =-F^,
(10.9)
wobei wir davon ausgehen, dass auBer der Erdanziehungskraft keine sonstigen auBeren Krafte vorhanden sind. Mit dieser Beziehung kann man in Gl. (10.8) ohne Miihe den Term B-^(ro — 9E) eliminieren. Dadurch erhalt man: mM (|i7 X (i? X Rm) + 2f2 X Rm + f2 X Rm + Rm) =: m*A^ m^ M (10.10) m* = mM/{m + M) heiBt reduzierte Masse. Mit Rm = (0,6,^(t))^ und 17 = (i?i(t), i?2(^), ^3{t))^ berechnen sich die Komponenten des Beschleunigungsvektors Am zu J^ m, —
' r?i(6i?2 + ^^3) + i^2 + ^^2 - bOs + | \ ^i?2^3 - b{f2f + i?|) - ^i?i -^f2i . 6i?2^3 - ^{^l + i^l) + ^i^l /
(10.11)
Die Beziehungen (10.7) und (10.10) bilden zusammen mit (10.6) ein Gleichungssystem fiir i7, ^ und Fm- Um daraus die Normalkomponente der Schnittkraft F^ zu eliminieren, projizieren wir (10.10) zunachst in die Richtung von Es, d. h. wir rechnen m*A^ -Es^Fm-Es^
-{k^ + di).
Mit (10.11) ergibt sich daraus I + — ^ + — ^ + &r?2^3 - ^(^? + ^2) + bf}i=0. (10.12) m* m* Welters konnen wir die Schnittkraft aus der Eulerschen Gleichung (10.7) entfernen, indem wir gemaB (10.10) Fm durch m*Am ersetzen. Dabei ergibt sich X Am, oder in Komponentenschreibweise: 'hill
- (I2
-13)^203'
hfi2 - {h - ii) n^f^i Js^s - {h - h) ^1^2 , 'bi+ba^i - ni) + /22^3(&' - e)+2^^^! = -m* \
+ {IP+e)^i'
b^Hi O2 + e' ^1 ila + 2^i02 + ^^ 4 - b^Ha -b'^QiQ2
- b^QiOz - 2biQ2 - &^^2 + 6^^3
(10.13)
254
10 Lokale Bewegungen von Satellitensystemen
Mit (10.12) und (10.13) haben wir ein System von vier Gleichungen fiir die vier dynamischen GroBen i?i, i?2, ^3 und ^ gefunden. Seine Struktur ist naturgemaB auBerst kompliziert, und wir diirfen nicht hoffen, seine ahgemeine Losung zu finden. Was uns hier interessiert, sind statische Losungen, insbesondere die Losung i?^ = 0 ,
i?2 = 0,
i?3 = const. = a^
^ = 0,
die offenbar (10.12) und (10.13) erfiiht. In diesem Zustand rotiert das gesamte System mit konstanter Winkelgeschwindigkeit a um die /3-Achse des Grundkorpers. Wir legen noch nicht fest, ob es sich dabei um die groBte, die mittlere oder die kleinste Tragheitshauptachse handelt. Die GroBe a wohen wir als Spin bezeichnen. Wir untersuchen nun die Stabihtat unserer statischen Losung. Dazu betrachten wir kleine Abweichungen von der Gleichgewichtslage und setzen i?l=Z\i?l,
i?2 = ^ ^ 3 ,
i?3 = cr + Z\i?3,
^ = /\^.
Wir wohen Z\i?i, Z\i?2, ^ ^ 3 und A^ als kleine GroBen ansehen und die Bewegungsgleichungen linearisieren. Zunachst folgt unter Vernachlassigung aller quadratischen Terme in (10.12) A'i + —Ai + —Ai + hAf}2(J + hAQi = 0. m* m* Welters ergibt die Linearisierung von (10.13) hAQi
(10.14)
- [h - h) (TAQ2 = - m * (bA^ + ba'^A^ + 6VZ\i?2 + b'^AnA
hAf}2-{h-h)(jAQi
=0
/3Z\i?3
= -m*6Mi?3 .
In der ersten und letzten Beziehung konnen einige Terme zusammengefasst werden. Fiihrt man die erweiterten Tragheitsmomente h=h+
m*6^
/2 = /2,
/3 = /3 + m%^
ein und dividiert die drei rotatorischen Bewegungsgleichungen durch diese GroBen, so erhalt man Af}, - hjzIl^AQ2 Z\i?2 - ^^ 7 ^ V z \ J ? i h Z\i?3
+ ^
{A'i + a'Ai)
= 0
(10.15)
= 0
(10.16)
=0.
(10.17)
10.1 Spin-Stabilisierung momentenfreier Satelliten
255
Wie man sieht, entkoppelt die letzte Gleichung von den iibrigen. Demnach bleibt die Winkelgeschwindigkeit um die Spinachse in erster Naherung erhalten. Unser Problem reduziert sich damit um eine Differentialgleichung, denn i73 tritt in den anderen linearisierten Bewegungsgleichungen nicht in Erscheinung. Es ist vorteilhaft, die Bewegungsgleichungen (10.14) - (10.16) noch zu normieren. Dazu gehen wir iiber auf die dimensionslose Zeit T = at
mit
4 = (')=^-r-=^( at dr
y
™cl
{")=a\
)".
Welters setzen wir A^ = bA^
und
Af2i = aAQi
und fiihren folgende dimensionslose Abkiirzungen ein: ki = — ^
,
o k ^ =^r^.
k2 = — 7
^ d (5=^^,
,
m*b s = ^ ,
_^ _. 10.18
Damit schreiben sich die linearisierten Bewegungsgleichungen (10.14) - (10.16) in der Form AC + SA^' + ly^A^ + Z\i72 + An[ = 0
(10.19)
An[ - kiAQ2 + e [A£," + Z\f) = 0 Z\i?2 -k2AQi = 0 .
(10.20) (10.21)
Wichtig ist, dass die Parameter ki und k2 nicht groBer als +1 und nicht kleiner als —1 sein konnen. Dies sieht man aus der Definition der Tragheitsmomente. Da /i = / ( F 2 + z^)dM + m*6^ JM
/2 = / {Z^ + X^)dM, JM
/ 3 = f {X^ + Y^)dM + m*b\ JM
ist Ii -\-12 > I3, also \k2\ < 1 und /i + /s > I2, also \ki\ < 1. Der Losungsansatz Z\f = Ae^^, Z\i?i = Be^^ und Z\i?2 = Ce^^ fiihrt in Gl. (10.19) - (10.21) auf folgendes algebraische Gleichungssystem fiir die Koeffizienten A, B und C: ' A 2 + ( 5 A + Z/2
£(A2 + 1) 0
A
1
A -A:i I I 5 I = H Q = 0 . -k2
A^
Es besitzt nur dann nichttriviale Losungen, wenn die Determinante der Matrix H auf der linken Seite verschwindet. Wir miissen also jene Werte von
256
10 Lokale Bewegungen von Satellitensystemen
A bestimmen, fiir die dies eintritt. Daraus ergibt sich eine charakteristische Gleichung vierter Ordnung. Sie hat folgende Gestalt: det|H| = ao + aiA + a2A^ + asX^ + a^X"^ = 0. Die Koeffizienten dieses Polynoms errechnen sich zu a4 = 1 — £,
as = S,
ai = -Skik2,
a^ — y^—e
— ek^ — kik2,
ao = -{s + kiv'^)k2.
(10.22)
Das System ist stabil, wenn alle Losungen A der charakteristischen Gleichung negative Realteile haben. Um dies zu iiberpriifen, benotigen wir ein Kriterium fiir die Koeffizienten a^. Am besten eignet sich das Hurwitz-Kriterium, bei dem einfache algebraische Kombinationen aus den a^ gebildet werden, die alle positive Vorzeichen aufweisen miissen. Speziell fiir ein Polynom vierter Ordnung fordert das Hurwitz-Kriterium, dass H I : alle a^ > 0 (wobei das Polynom mit — 1 zu multiplizieren ist, wenn alle ai negativ sind), H2: asa2 — a^ai > 0, H3: 0302^1 — a4al — a o a | > 0, wenn alle Eigenwerte in der linken Halbebene liegen sollen. Setzt m a n die Koeffizienten (10.22) in diese Stabilitatsbedingungen ein, so ergibt sich zunachst aus Bedingung H I : 0 < l - £
(10.23)
0<S
(10.24)
0 < z/^ -s-sk2-kik2
(10.25)
0 < -5kik2
(10.26)
0 < -{s + kiiy^)k2.
(10.27)
Davon ist die erste Ungleichung automatisch erfiillt, wie ein Blick auf die Definition von s : = m * 6 ^ / / i = m * 6 ^ / ( / i + m*6^) zeigt. Die zweite besagt, dass der Dampfungsparameter wie zu erwarten positiv sein muss. Mit diesem Resultat folgt aus der vierten Bedingung, dass —kik2 > 0. Dies ist die Hauptachsenregel des starren Korpers, denn
ist nur erfiillt, wenn die Rotationsachse I3 entweder die groBte oder die kleinste Tragheitshauptachse ist. Die beiden iibrigen Stabilitatsregeln (10.25) und (10.27) sind zunachst nicht so einfach zu durchschauen. Man kann aber festhalten, dass sie fiir kleine Massen m 0,
A:i0.
(10.30)
Dies modifiziert unsere Hauptachsenregel betrachtlich. Nach den Definitionen (10.18) ist Stabilitat nur moglich, falls /s > h > h, die Drehachse also die groBte Tragheitshauptachse ist. Dieses Result at ist unabhangig davon, wie klein s ist. Wir konnen nun verstehen, warum Explorer I instabil wurde, ohne uns auf halbspekulative Argumente wie das Energy-Sink-Prinzip stiitzen zu miissen. Tragt m a n die Bedingungen (10.30) in ein P a r a m e t e r d i a g r a m m fiir ki und k2 ein, so ist Stabilitat nur im Quadranten (1 > /i:2 > 0, — 1 < /i:i < 0) moglich (Abbildung 10.4). Die Bedingungen (10.30) sind allerdings nicht hinreichend, denn die Ungleichung (10.27) schrankt den Stabilitatsbereich zusatzlich ein. Unter Ausnutzung von (10.30) kann (10.27) in folgender Form geschrieben werden:
ki < - 4 : = - « .
(10.31)
Diese Bedingung reduziert den linken oberen Quadranten auf das Rechteck {—\ k2 > 0), das in Abbildung 10.4 schraffiert dargestellt ist. Wenn a = e/z/^ > 1, so existiert iiberhaupt kein stabiler Bereich. In diesem Fall ist die Masse m groB und die Eigenfrequenz y^k/m* der Feder klein im Vergleich zum Spin a. Betrachten wir noch die verbleibenden Stabilitatsbedingungen (10.25) und (10.28). Davon ist die erste immer erfiillt, wenn die zweite erfiillt ist, da £ = m * 6 ^ / ( / i + m*6^) < 1 und im stabilen Bereich kik2 < 0 gelten muss. Wir miissen also nur die Bedingung (10.28) untersuchen. Diese lautet etwas umgeformt z/2 1 k2{l + ki) < 1=- - 1 . £ a Die Grenzkurve im Stabilitatsdiagramm ist die Hyperbel k2 = ( 1 / a — 1 ) / ( 1 + ki), die die /i:2-Achse an der Stelle k2 = 1/a — 1 und die Gerade /i:2 = 1 an
258
10 Lokale Bewegungen von Satellitensystemen A k2
I//////I
stabiler Bereich
Abbildung 10.4. VoUstdndiges Stabilitdtsdiagramm fur das in Abbildung 10.3 dargestellte System. Stabilitdt ist nur im schraffierten Rechteck (—l k2 > 0) m^oglich. Der Grundkorper rotiert dabei um. seine grofite Trdgheitshauptachse.
der Stehe ki = 1/a — 2 schneidet. Sie kann das in Abbildung 10.4 schraffierte Rechteck nicht erreichen und fiihrt somit zu keiner zusatzhchen Einschrankung des Stabihtatsbereiches. Die Abbildung zeigt also die vollstandige Stabilitatskarte unseres Systems. Obwohl elastische und dissipative Elemente zu einer Verkleinerung des Stabihtatsbereiches fiihren, kann m a n sie auch nutzbringend einsetzen. Der in Abbildung 10.4 schraffierte Bereich ist namlich asymptotisch richtungsstabil. Dies bedeutet, dass sich die Rotationsachse asymptotisch in die Ausgangslage zuriickbewegen wird, wenn m a n ihr eine kleine Anfangsstorung aufpragt. Der einfache starre Korper hat diese Eigenschaft nicht; bei ihm bleiben die Reaktionen auf kleine Anfangsstorungen zwar beschrankt, klingen aber nicht ab. Eine kleine schwingende Masse im Inneren des Grundkorpers geniigt jedoch, um die Rotationsachse eines Spin-stabilisierten Satelliten asymptotisch stabil auszulegen.
10.2 Stabilisierung durch den Gravitationsgradienten Es ist wichtig, einzusehen, dass die Annahme, Satelliten seien momentenfreie Korper nicht ganz unproblematisch ist. Da die Drallanderung proportional
10.2 Stabilisierung durch den Gravitationsgradienten
259
zum einwirkenden Moment ist, konnen selbst kleine Momente nach hinreichend langer Zeit betrachtliche Anderungen des Drallvektors bewirken. Fiir eine korrekte Analyse der Dynamik iiber langere Zeitraume ist es daher notwendig, die dominierenden Momente zu beriicksichtigen. Welche der auf einen Satelliten wirkenden Momente am groBten sind, hangt in erster Linie von der Flughohe ab. Wie sich zeigt, ist auf erdnahen Orbits meist das aus dem Schwerefeld resultierende Gravitationsmoment am groBten. Der folgende Abschnitt behandelt daher die Dynamik eines der Wirkung von Gravitationsmomenten ausgesetzten starren Satelliten. Andere Momente werden vernachlassigt. Dabei soil jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass diese Betrachtung immer geniigt. So konnen auf hohen geostationaren Orbits durchaus andere Momente, die zum Beispiel vom Strahlungsdruck auf Solarpanele ausgehen, dominieren. Auf sehr niedrigen Umlaufbahnen konnten hingegen aerodynamische Momente auftreten, deren GroBenordnung im Bereich der Gravitationsmomente liegt. In vielen Fallen aber ist das Gravitationsmoment die wichtigste externe EinflussgroBe auf die Nahfelddynamik, die man auch technisch sehr effizient nutzen kann. 10.2.1 Gleichgewichtslagen des starren Korpers im Orbit Wenn wir die momentenfreie Betrachtung von Satelliten aufgeben, so miissen wir uns auch von der Beschreibung der Dynamik durch die Winkelgeschwindigkeitskomponenten i?i, i?2, ^3 verabschieden, denn das Gravitationsmoment ist keine Funktion der Winkelgeschwindigkeit, sondern der Winkellage. Mit den Euler-Gleichungen (9.34) und dem Gravitationsmoment (9.39) lautet die Grundgleichung der Nahfelddynamik eines starren Satelliten auf kreisformigem Orbit {fi/Rl = n^): Icf2 + f2 X Icf2 = 3n^E^ x IcE^.
(10.32)
Dabei ist der Winkelgeschwindigkeitsvektor i? durch (9.21) mit den TaitBryant-Winkeln verkniipft. Der im korperfesten System zerlegte Einheitsvektor Ez entlang der lokalen Vertikalen muss allerdings erst noch durch 0, cj) und -0 ausgedriickt werden. Dazu brauchen wir uns nur daran zu erinnern, dass die lokale Vertikale die z-Achse des Orbitalsystems aus Abbildung 9.1 bildet. Somit hat die lokale Vertikale im Orbit alsy stem die Koordinaten (0, 0,1). Uber die Transformation (9.10) konnen die Komponenten dieses Vektors im korperfesten System bestimmt werden:
(
0\ / — sin (/) cos 0 cos -0 + sin -0 sin 0 ^ 0 = sin (/) cos ^ sin -0 + cos -0 sin 6 1)
\
cos (j) COS 6
(10.33) Damit konnen wir aus (10.32) drei nichtlineare Differentialgleichungen fiir 6^ (j) und -0 gewinnen.
260
10 Lokale Bewegungen von Satellitensystemen
Die allgemeine Bewegung eines starren Korpers unter der Wirkung von Gravitationsmomenten ist sehr kompliziert. Unabhangig davon konnen wir uns aber auf die Suche nach speziellen Losungen machen. Wir wollen uns zum Beispiel die nahe liegende Frage stellen, ob die Bewegungsgleichungen (10.32) zeitlich konstante Losungen 0 = Og^ (j) = (pg^ ip = ipg besitzen. In diesem Fall wiirde sich die Drehlage des korperfesten Bezugssystems gegeniiber dem Orbitalsystem nicht andern und der Satellit immer dieselbe Position relativ zur lokalen Vertikalen einnehmen. Man spricht daher von relativ en Gleichgewichtslagen. Da die Bewegungsgleichung (10.32) fiir Kreisorbits keine explizite Zeitabhangigkeit enthalt, ist zu erwarten, dass solche Equilibria tatsachlich existieren. Nun haben wir aber das korperfeste Bezugssystem, abgesehen von der Forderung, dass sein Ursprung in den Massenmittelpunkt fallen soil, noch nicht naher spezifiziert. Daher konnten wir ohne Einschrankung der Allgemeinheit festlegen, dass seine Achsen in einer der relativen Gleichgewichtslagen mit den Achsen des Orbitalsystems gerade iibereinstimmen sollen. Anders ausgedriickt: Wir fordern, dass die statische Losung von Gl. (10.32) fiir Og = 0, (/)s = 0, -05 = 0 eintritt (denn in diesem Fall ist ja die Transformationsmatrix Bo gerade die Einheitsmatrix). Dann ware zu klaren, wie die Masseverteilung bezogen auf ein solchermaBen definiertes korperfestes Bezugssystem aussieht, konkret welche Form der Tragheitstensor dabei annimmt. Setzen wir also (/> = 0, -0 = 0 und ^ = 0 und sehen, was damit aus der Bewegungsgleichung (10.32) folgt! Zunachst spezialisiert sich in diesem Fall die Winkelgeschwindigkeit nach Gl. (9.21) zu i? = (n,0,0)-^. Daraus ergeben sich die Ausdriicke der linken Seite von (10.32) zu
Ixx Icf2 = 0,
Icf2 =
\ ,
-IYX
-Izxl
1' 0 f? X Icf? = n M Izx \\-IYX
Welters gilt fiir (/> = 0, V^ = 0 und i9 = 0 nach Gl. (10.33) und (9.39)
(
-Ixz\ -IYZ
f ,
M , = ?>n'E,xl,E,
Izz J
= 3n^
IYZ
-Ixz
\ 0
Damit liefert der Drallsatz (10.32) die Aussage
Diese Beziehungen sind nur dann erfiillt, wenn die Deviationsmomente Iyx, Izx{= Ixz) und IYZ verschwinden, der Tragheitstensor also die Diagonalgestalt (9.33) annimmt. Dies ist die Folgerung unserer Festlegung, dass das korperfeste Bezugssystem im relativen Gleichgewicht mit dem Orbitalsystem
10.2 Stabilisierung durch den Gravitationsgradienten
261
iibereinstimmen soil. Umgekehrt konnen wir daher schlieBen, dass sich ein Satellit im Zustand des relativen Gleichgewichts befindet, wenn seine Hauptachsen entlang der Achsen des Orbitalsystems ausgerichtet sind. Dafiir gibt es 24 Moglichkeiten: Wahlen wir eine der drei Haupt achsen aus, so kann sie in die positive oder negative x-, y- oder z-Achse des Orbitalsystems weisen. Dies macht zunachst sechs Moglichkeiten fiir die erste Haupt achse. Nun wahlen wir eine zweite Haupt achse aus. Sie kann im relativen Gleichgewicht nur mehr parallel zu einer der verbleibenden zwei Achsen des Orbitalsystems festgelegt werden, wiederum jeweils entlang der positiven oder negativen Richtung. Wir haben also vier Moglichkeiten fiir die zweite Haupt achse. Fiir die dritte Hauptachse bleibt dann keine Wahl mehr, ohne die anderen wieder zu verandern. Insgesamt existieren daher 6 x 4 = 24 Konfigurationen, in denen die Hauptachsen parallel zu den Achsen des Orbitalsystems sind. 10.2.2 Stabilitat der relativen Gleichgewichtslagen Fassen wir die Ergebnisse des vorigen Abschnitt nochmals zusammen: Fiir 0 = 0^ (j) = 0 und -0 = 0, wodurch ein relatives Gleichgewicht beschrieben werden soil, weist die X-Achse des korperfesten Systems in die Richtung der Orbitnormalen, die F-Achse in die Richtung der Bahntangente und die ZAchse in die Richtung der lokalen Vertikalen. Dabei nimmt der Tragheitstensor die Form (9.33) an, und es bezeichnen / i , I2 und Is die Tragheitsmomente um die Bahnnormale, um die Bahntangente und um die lokale Vertikale. Um die Stabilitat dieses Gleichgewichts zu analysieren, miissen wir die Bewegungsgleichungen (10.32) um die Lage ^ = 0, (/) = 0, -0 = 0 linearisieren. Fiir kleine Auslenkungen folgt zunachst aus (9.11) bzw. direkt aus (9.11) E,=B
T^
1+
SO dass wir fiir das Gravitationsmoment folgende Naherung erhalten: Mc = Sn'^E, X IcE, ?^ 3nM
/_0\ 0
x
/-/i0\ hO
([h-h)0\ ?^ 3nM {I3 - h)^ ,
(10.34) wenn man sich nur auf lineare Terme beschrankt. Betrachten wir nun die Terme der linken Seite der Bewegungsgleichung (10.32). Fiir kleine Tait-BryantWinkel erhalt man unter Ausnutzung von (9.22)
•
Ic^K
• ' ' '
(
\
I2{<j)_-n4>) .
Ferner ergibt sich durch Linearisierung
(10.35)
262
10 Lokale Bewegungen von Satellitensystemen
f 0+n \
/ h{0 + n) \
V^ + n^l
\ / 3 ( ^ + n^) I
I
0 h){n^ - n"^) ^
\{h-
(10.36) Mit (10.34), (10.35) und (10.36) folgt schlieBlich aus (10.32) h'e + 3n^(/2 - h)0 = 0
(10.37)
h'(j) - n{h + /s - / i ) ^ + 4n2(/i - h)^ = 0
(10.38)
h^ + n(/2 + /s - /i)(/) + n ' ( / i - /2)V^ = 0 .
(10.39)
Die Eigenschaften dieses auf Lagrange zuriickgehenden linearen Differentialgleichungssystems gilt es nun zu studieren. Zunachst fallt auf, dass die erste Gleichung von den beiden iibrigen entkoppelt ist und daher gesondert behandelt werden kann. Bringt man (10.37) in die Form e + ?>n^kie = 0,
wobei
ki := ^ ^ 2 ^ ^ ,
(10.40)
h so erkennt man, dass die Losung 0{t) nur dann beschrankt bleibt, wenn ki>^
Oder
/2>/3.
(10.41)
Wir schlieBen also, dass das Tragheitsmoment /s um die lokale Vertikale kleiner sein muss als das Tragheitsmoment I2 um die Bahntangente, wenn die Gleichgewichtslage stabil sein soil (Abbildung 10.5). Die Frequenz einer kleinen Schwingung 0 um die stabile Gleichgewichtslage kann unmittelbar aus Gl. (10.40) abgelesen werden. Sie betragt ^ / 3 ^ n . (Man beachte, dass der Winkel 6 nach Abbildung 9.3 in der Orbitalebene gemessen wird.) Die Schwingungsdauer errechnet sich damit zu
n\/Wki
\/?iki'
wenn T die Umlaufzeit des Massenmittelpunktes bezeichnet. Fiir einen diinnen Stab erhalt man beispielsweise mit 73 = 0, /2 = /i und ki = 1 eine Schwingungsperiode von r / A / 3 ? ^ o , 5 8 r . Als Nachstes wollen wir die Losungen von Gl. (10.38) und (10.39) auf Stabilitat untersuchen. Dazu bringen wir sie vorerst in die Form . V^ + ( l - f e ) n ( / ) +
7 k3n^^p = 0,
(10.42)
unter Verwendung der Abkiirzungen
h-h
,
^3
-
h-h
(10.43)
10.2 Stabilisierung durch den Gravitationsgradienten
263
Abbildung 10.5. Stabile und instabile relative Gleichgewichtslagen eines starren Korpers in einem Kreisorhit nach Gl. (10.41)Stabilitdt ist nur moglich, wenn die kleinste Trdgheitshauptachse zum Erdmittelpunkt weist.
Orbit
Wir merken an, dass k2 und k^ und die schon friiher eingefiihrte GroBe ki nur Werte zwischen —1 und 1 annehmen konnen. Dies ist eine Folge der Tatsache, dass die Summe zweier Haupttragheitsmomente stets groBer oder gleich dem dritten Haupttragheitsmoment ist. Da es sich nun bei (10.42) um ein System hnearer Differentialgleichungen handelt, setzen wir (/) = (/)oe^"^ ^ = ^^e^^\ (10.44) wobei A, (j)^ und -00 noch zu bestimmende Konstanten sind. Dieser Ansatz fiihrt nach Substitution in (10.42) auf A2(/)O-(1-A:2)AV^O+4A:2(/)O = 0
A^V^o + (1 - fe)A(/)o + feV^o = 0. Dazu wurde bereits jede Gleichung durch n^e^^^ dividiert. In Matrixform gebracht, nehmen diese Beziehungen folgende Gestalt an: A2+4A:2
-(1-A:2)A
(l-fe)A
A^ + fe
H Q = 0.
Nichttriviale Losungen dieses Gleichungssystems fiir Q = ((/)o,'0o) existieren nur, wenn die Determinante der Matrix H verschwindet. Wir erhalten somit die charakteristische Gleichung aus der Forderung det H = 0 = A^ + aA^ + 6
mit
a = 1 + 3k2 + A:2fe,
b = 4A:2fe.
Stabilitat ist nur dann moglich, wenn keine Losungen A mit positivem Realteil existieren. Da aber die Wurzeln der charakteristischen Gleichung ein beziiglich
264
10 Lokale Bewegungen von Satellitensystemen
der imaginaren Achse symmetrisches Spektrum bilden, miissen alle Eigenwerte A rein imaginar sein, wenn unser System stabil sein soil. Stab Scheibe
Stab
Abbildung 10.6. Stabilitdtskarte fur den starren Korper im Orbit. Die Param^eter k2 und ks konnen nur Werte zwischen + 1 und —1 annehmen; fur sechs ausgewdhlte Punkte sind die Form^en der entsprechenden Korper dargestellt. Die grauen Bereiche des Diagram^m^s bezeichnen die instabilen Param^eterkonfigurationen des System^s (10.37)-(10.39). Technisch bedeutsam ist nur der stabile Lagrange-Bereich im rechten oberen Quadranten.
Nun sind die Losungen der charakteristischen Gleichung genau dann rein imaginar, wenn b > 0 und a > 2^/b oder k2k3 > 0
und
1-\-3k2-\-
/i:2fe >
^Vhh.
(10.45)
10.2 Stabilisierung durch den Gravitationsgradienten
265
Zusammen mit (10.41) beschreiben diese Ungleichungen die Stabilitatsbedingungen des Systems (10.37)-(10.39). Es ist vorteilhaft, (10.41) auch mit den GroBen k2 und ks darzustellen. Es gilt namlich, wie man leicht nachpriift, ki =
k2 - ks 1 - k2k3 '
und da l — k2ks > 0, kann man anstelle von (10.41) auch k2 > fe schreiben. In Abbildung 10.6 beschreiben deshalb alle Punkte oberhalb der Geraden k2 = fe instabile Konfigurationen. Zusatzlich schrankt (10.45) den Stabilitatsbereich folgendermaBen ein: Wegen der Bedingung k2k3 > 0 liegen zunachst auch alle Punkte des rechten unteren Quadranten im instabilen Bereich. SchlieBlich sind wegen der zweiten Bedingung (10.45) auch fast alle Punkte des linken unteren Quadranten instabil. Abbildung 10.6 zeigt, dass Stabilitat nur im sogenannten Lagrange-Bereich und in einem schmalen Streifen namens DeBra-Bereich moglich ist. Dabei ist anzumerken, dass die Stabilitat des DeBra-Bereichs von Kreiseleffekten herriihrt, wie sie auch beim Spielzeugkreisel auftreten. Die schwache Rotation des Satelliten um den Erdmittelpunkt reicht hier aus, um eine statische Instabilitat zu kompensieren. Wie beim Spielzeugkreisel fiihren jedoch bereits geringste Reibungseffekte zum Verlust der Stabilitat nach einiger Zeit. Die Stabilitat im DeBra-Bereich ist deshalb technisch ohne Bedeutung.
Abbildung 10.7. Darstellung der russischen Raumstation SALYUT 6. Nachdem sie am 29. September 1977 von einer Proton-Rakete in eine kreisformige Erdumlaufbahn gebracht worden war, verbrachte sie einen Grofiteil ihrer filnfjdhrigen Einsatzdauer in einer durch den Gravitationsgradienten stabilisierten Lage. Bei einer Gesamtldnge von 14 Metern wog die Station etwa 20 Tonnen.
Wesentlich interessanter ist der dreiecksformige Lagrange-Bereich im oberen rechten Quadranten. Er wird durch die Bedingungen k2 > k^ > 0 bzw.
266
10 Lokale Bewegungen von Satellitensystemen
h > h > h definiert, was bedeutet, dass die Achse mit dem kleinsten Tragheitsmoment parallel zur lokalen Vertikalen ausgerichtet ist und die Achse mit dem groBten Tragheitsmoment normal auf den Orbit des Massenmittelpunktes steht. Nur diese relative Ruhelage ist echt stabil. Die Stabilitat des Lagrange-Bereichs wird meist als Gravitations gradient enStahilisierung bezeichnet, da das Gravitationsmoment, das diesen Effekt bewirkt, durch die raumliche Variation der Gravitationskraft zustande kommt. Sie wird in der Raumfahrt ausgenutzt, etwa um eine Antenne entlang der lokalen Vertikalen auszurichten. Ein Anwendungsbeispiel aus dem Bereich der Raumstationen zeigt Abbildung 10.7. SALYUT 6, eine der Vorgangerinnen der beriihmten russischen Raumstation MIR, hatte eine stark langliche Form, die dazu genutzt wurde, um ihre Achse in der lokalen Vertikalen zu positionieren. Auf diese Weise stabilisiert umkreiste sie die Erde fiinf Jahre lang. Die Gravitationsgradienten-Stabilisierung wird aber auch durch die Natur eindrucksvoll bestatigt. Da der Mond - wie die Erde - nicht ganz kugelformig ist, hat er im Lauf der Zeit eine stabile relative Gleichgewichtslage im Lagrange-Bereich eingenommen. Die Folge ist, dass seine kleinste Tragheitshauptachse stets zum Erdmittelpunkt zeigt. Daher wendet uns das Nachtgestirn immer dieselbe Seite zu.
10.3 Das Zusammenwirken von Spin und Gravitationsmoment Bis jetzt haben wir die Dynamik momentenfreier, rotierender Satelliten und die Dynamik bei Anwesenheit eines Gravitationsmomentes nur isoliert betrachtet. Natiirlich erhebt sich die Frage, wie beide Mechanismen zusammenwirken. Grundsatzlich bewirkt das Gravitationsmoment eine langsame Drift der Drehachse, die iiber langere Zeitraume zu betrachtlichen Abweichungen von der urspriinglichen Lage fiihren kann. Daher miissen wir uns fragen: Kann die Spinachse eines Satelliten auch langfristig richtungsstabil gehalten werden? Wir wollen diese Frage am Beispiel rotationssymmetrischer Satelliten diskutieren. Rotationssymmetrische Satelliten sind durch zwei identische Haupttragheitsmomente, sagen wir I2 und /s, charakterisiert. Unter diesen Umstanden ist die verbleibende erste Achse die Symmetrieachse. Der Tragheitstensor bezogen auf das Hauptachsensystem nimmt dabei folgende Form an:
Wir iiberzeugen uns zunachst, dass das Gravitationsmoment um die Symmetrieachse verschwindet. Setzt man namlich Ez = (£^2,1, £^2,2, ^2,3)"^, so folgt aus Gl. (9.39) unmittelbar
10.3 Das Zusammenwirken von Spin und Gravitationsmoment
Mc = 3n2
E,,2
X
\^,,3 /
ItE,,2
=
(/„ - It)E,^zE,,i
V ItE,,3 J
\{h-
.
267
(10.46)
Ia)E,,2E,,i J
Ez^i, Ez^2 und Ez^2 sind - wir erinnern uns - die Komponenten des Einheitsvektors entlang der lokalen Vertikalen im korperfesten Bezugssystem. Damit vereinfachen sich auch die Bewegungsgleichungen (10.32). Geht m a n mit i? = ( i ? i , i ? 2 , ^ 3 ) auf Komponentenschreibweise iiber, dann liefert der Drallsatz (10.32) folgende Zusammenhange: 4^1=0 It^2 + {la - / t ) 4 ^ 1 = ^n\la
-
It)E,,3E,,i
ItOs + {It - 4 ) ^ 2 ^ 1 = 3n\lt
-
Ia)E,,2E,,i.
Aus der ersten Beziehung ergibt sich sofort i?i = const. := ly,
(10.47)
so dass sich die beiden iibrigen auf i?2 + hi^^s
=
^n^hEz.zE^^i
i?3 - hi^^2
=
-Sn'^hEz,2Ez^i
(10.48)
reduzieren, wenn m a n die Abkiirzung
h
It
einfiihrt. iy bezeichnen wir als Spin des Satelliten. Eine spezielle Losung von (10.48) ist leicht zu erraten. Setzt m a n (/> = 0 und -0 = 0, dann ergibt sich aus (9.21) i?2 = 0, i?3 = 0 sowie aus (10.33) Ez^i = 0, sodass die Bewegungsgleichungen (10.48) identisch erfiillt sind. Der Satellit rotiert in diesem Fall nur um seine Symmetrieachse, die senkrecht auf die Orbitalebene steht (Abbildung 10.8). In der Literatur wird dieser Zustand auch als Thomson-Gleichgewicht bezeichnet. Nun zeigt sich, dass m a n durch entsprechend schnelle Rotationen auch Lagen stabilisieren kann, die auBerhalb des Lagrange-Bereichs liegen. Fiir die Stabilitatsanalyse des Thorns on-Gleichgewichts linearisieren wir die Bewegungsgleichungen um Werte von (j) und ip nahe null. Zu beachten ist allerdings, dass der Winkel 0 keineswegs klein ist, da j a nun der Satellit um die j:-Achse gegen des Orbitalsystem rotiert. Mit cos(/) « 1, sin(/) « (/>, cosi/j « 1 und sin?/^ « -0 vereinfachen sich (9.21) und (10.33) zu 0-\-n \ i ? ? ^ I -(i9 + n)V^ + (/) , {d + n)(l) + ij J
E^^i
/-(/)Cos6> +'0sin6>' sini9 \ cosO
268
10 Lokale Bewegungen von Satellitensystemen
Orbit
Satellit Abbildung 10.8. Thomson-Gleichgewicht
eines symmetrischen
Satelliten.
Damit liefert (10.47) i?i = 0 -\-n = jy oder
0 = jy — n.
(10.49)
9 ist also in erster Naherung so wie i7i konstant. Unter Beachtung dieses Resultats fiihren die beiden verbleibenden Bewegungsgleichungen (10.48) nach Einsetzen von f2 und Ez auf (j) -\- {kt — l)iyip + hiy^cj) = 3n^kt {—(j) cos 0 -\- ipsin 0) cos 0
(10.50)
i/j — {kt — l)iy<j) + hiy^i/j = Sn^kt {(j) cos ^ — -0 sin 0) sin 0. Nun ergibt sich aber aufgrund von (10.49) ^ = ^o + (^ + ^)^, so dass die Gleichungen (10.50), auch wenn sie linear sind, zeitabhangige Koeffizienten enthalten. Ihre Losung bereitet deshalb Schwierigkeiten. Durch die lineare Transformation a c o s ^ + ;^sin^,
IIJ
=—asm.0-\-PcosO
(10.51)
ergeben sich jedoch autonome Gleichungen fiir die neuen Variablen a{t) und P{t). Die Substitution von (10.51) in (10.50) liefert nach etwas miihsamer Rechnung a + [(1 + k)v - 2n] ^ + [(1 + k)nv + n^{?>k - 1)] a = 0 /? - [(1 + k)v - 2n] d + [(1 + k)nv - n^] ^ = 0. Diese Gleichungen konnen wieder durch einen Exponentialansatz wie (10.44) gelost werden. Damit kommt m a n auf eine charakteristische Gleichung der Form A^ + a\^ + 6 = 0 , wobei sich die Koeffizienten a und h unter Verwendung des Winkelgeschwindigkeitsverhaltnisses v = v/n zu a = 2 + 3A:t - 2(1 + kt)V + (1 +
hfv'^,
b = bib2 = [kt{S +17) - 1 +17] [ktV - 1 + 1 7 ]
10.3 Das Zusammenwirken von Spin und Gravitationsmoment
269
Abbildung 10.9. Stabilitdtsdiagramm filr das Thomson-Gleichgewicht.
ergeben. Fiir die Stabilitat ist es erforderlich, dass alle Losungen der charakteristischen Gleichung rein imaginar sind. Dies fiihrt auf die Stabilitatsbedingungen b>0 und A:=a2\fh > 0, die in Abbildung 10.9 dargestellt sind. Man erkennt, dass der stabilen Bereich in zwei Teile zerfallt, von denen nur der statisch stabile gegeniiber kleinen Dampfungen unempfindlich ist. Eine nahere Analyse zeigt, dass der Einfluss dissipativer Terme im gyroskopischen stabilen Bereich nach einiger Zeit zum Stabilitatsverlust fiihrt. Nach Abbildung 10.9 kann durch einen entsprechend hohen Spin u = nV sowohl der Fall la > It oder kt > 0 als auch la < It oder kt < 0 stabilisiert werden. Grundsatzlich gilt: Je kleiner der Parameter kt, umso groBer muss der Spin gewahlt werden. Anzumerken ist auch, dass Spin und Orbitalwinkelgeschwindigkeit gleichsinnig orientiert sein miissen (17 > 0), um statische, d. h. gegeniiber dissipativen Storungen unempfindliche Stabilitat zu erhalten. Das Thorns on-Gleichgewicht war vor allem bei alteren Satelliten von groBer Bedeutung. Ein Beispiel ist in Abbildung 10.10 dargestellt. Natiirlich haben rotierende Satelliten die unangenehme Eigenschaft, dass sich ihre Orientierung relativ zur Erde standig andert und nur die Drehachse raumfest ist. Eigentlich ist das Thomson-Gleichgewicht daher keine relative Ruhelage. Um sich dieses Nachteils zu entledigen, wurden Satelliten konstruiert, die aus einer relativ zum Orbitalsystem ruhenden Hiille und einem intern rotierenden Kreisel bestehen. Bei einem anderen Konzept besteht der Satellit aus zwei gleich groBen, gegeneinander um eine Achse drehbar gelagerten Teilen, von denen einer den Spin tragt {Dual-Spinner).
270
10 Lokale Bewegungen von Satellitensystemen
Abbildung 10.10. Beispiel eines Spinstabilisierten Satelliten. Das Bild zeigt den ersten geosynchronen Kommunikationssatelliten SYNCOM aus dem Jahr 1963. Er rotierte um seine Symmetrieachse, die mit der Orbitalebene einen rechten Winkel einschloss.
Literaturhinweise zu Kapitel 10: HUGHES [16]: Standardwerk iiber Attitude-Dynamik. Enthalt neben der sorgfaltigen Diskussion theoretischer Grundlagen auch zahlreiche praktische Beispiele. KAPLAN [18]: Erklarung der Gravitationsgradienten-Stabilisierung, aber weniger ausfiihrlich als [16]. MAGNUS [20]: Kurze Diskussion der Dynamik starrer Korper im kugelsymmetrischen Schwerefeld.
Hantelsatelliten und Weltraumseile
Die Wirkungsweise der Gravitationsgradienten-Stabilisierung kann m a n am Modell eines Hantelsatelliten gut veranschaulichen. Denken wir uns eine lange, starre Stange, an deren Enden zwei Massenpunkte befestigt sind. Die Stange selbst wollen wir der Einfachheit halber als masselos ansehen. In der stabilen Gleichgewichtslage wird sich der Hantelsatellit entlang der lokalen Vertikalen ausrichten und die Erde mit konstanter Winkelgeschwindigkeit umkreisen. Dabei kompensieren sich die nach oben hin zunehmenden Fliehkrafte und die nach unten hin anwachsenden Schwerkrafte in irgendeinem zwischen rrii und 7712 liegenden P u n k t der Hantel. Am untersten Ende der Stange iiberwiegen die zum Erdmittelpunkt gerichteten Schwerkrafte, am obersten Ende dominieren dagegen die nach auBen wirkenden Fliehkrafte. Die Stange wird daher auf Zug beansprucht.
Orbit
Lokale Vertikale
Abbildung A . l . Zur Erkldrung der Gravitations gradient en-St abilisierung. Am unteren Satelliten dominiert die Schwerkraft Fi uher die Zentrifugalkraft Z\. Dadurch entsteht eine Nettokraft zum Erdmittelpunkt. Umgekehrtes ist am oberen Ende der Hantel der Fall. Dort entsteht eine Nettokraft vom. Erdm^ittelpunkt weg. Das dadurch hervorgerufene Moment um. den Massenm^ittelpunkt versucht den Hantelsatelliten wieder entlang der lokalen Vertikalen auszurichten.
272
A Hantelsatelliten und Weltraumseile
Lenkt man den Hantelsatelliten aus der lokalen Vertikalen aus, so bewirken die iiberschiissigen Krafte an den Enden ein Moment um den Massenmittelpunkt, das die Stange in die lokale Vertikale zuriickzudrehen versucht (Abbildung A.l). Dies veranschaulicht, dass die Gleichgewichtslage stabil sein wird. Eine interessante Anwendung dieses Effekts sind sogenannte Tethered Satellite Systems („verkabelte Satellitensysteme"). Wegen der herrschenden Zugbeanspruchung ist es moglich, die Hantelstange durch ein Sell zu ersetzen. Die Ideengeschichte der Weltraumseile mutet zum Teil wie Sciencefiction in Reinkultur an. Sie nachzuerzahlen erweist sich als iiberaus reizvoll und nicht zuletzt auch als lehrreich, da sich alle Utopien mit den physikalischen Gegebenheiten in irgendeiner Form auseinander setzen. Beginnen wir im Jahr 1895. Konstantin Tsiolkovski, dem Mathematikprofessor, der sich in seiner Freizeit mit Raketengleichungen und Marsreisen beschaftigte, war die Idee gekommen, am Aquator einen schmalen, hohen Turm zu errichten, der bis iiber den geostationaren Orbit hinausreichen sollte. Da am oberen Ende des Turmes die Fliehkrafte aus der Erddrehung groBer als die Gewichtskrafte waren, wiirde das Bauwerk auf Zug beansprucht, so dass die Gefahr eines Einsturzes nicht mehr bestiinde. Natiirlich ware es unmoglich, Tsiolkovsiks Turm vom Boden her aufzubauen, da er sich wahrend der Bauphase in hochst instabilem Gleichgewicht befinden wiirde. Der Stabilisierungseffekt wird vielmehr erst eintreten, wenn das Bauwerk eine Hohe jenseits des geostationaren Orbits erreicht hat. Kliiger ware es, mit dem Bau direkt im geostationaren Orbit zu beginnen. Aufbauend auf dieser Uberlegung schlug der russische Ingenieur Y. N. Artsutanov im Jahr 1960 vor, aus einem geostationaren Satelliten zwei Seile abzuwickeln, von denen das eine zum Erdmittelpunkt und das andere radial nach auBen in den Weltraum weist. Das auBere Sell dient dabei lediglich dazu, den Massenmittelpunkt im geostationaren Orbit zu halten, so dass sich die Orbitalgeschwindigkeit des Gesamtsystems nicht andert. Prinzipiell ware es denkbar, das untere Sell bis an die Erdoberfiache reichen zu lassen, wenn man nur ein entsprechend langes Gegenseil nach auBen abspult. (Durch ein zusatzliches Gegengewicht konnte die Lange des Gegenseiles verkiirzt werden.) Mit Artsutanovs Konstruktion stiinde eine Art „Weltraumaufzug" zur Verfiigung, an dem man ohne aufwendige Raketenstarts in einen geostationaren Orbit „hochklettern" konnte (Abbildung A.2). Artsutanovs Landsmann G. Polyakow verfolgte diese Idee weiter und entwickelte die Vorstellung mehrerer solcher ringformig um den Aquator angeordneter Weltraumaufziige. Zudem wollte Polyakow die geostationaren Satelliten, von denen die Seile abgespult werden, noch untereinander durch Seile verbinden. Doch so bestechend einfach Artsutanovs Weltraumaufzug auch scheint, seiner Realisierung sind leider Grenzen gesetzt. Das Eigengewicht der Seile wiirde Zugspannungen bewirken, die ganze zwei Zehnerpotenzen iiber den Festigkeitswerten herkommlicher Werkstoffe liegen. Dies kann man sehr leicht nachrechnen: Es sei r der Abstand eines beliebigen Punktes eines undehnbaren Seiles vom Erdmittelpunkt. Wir betrachten ein kleines Segment des Seiles
A Hantelsatelliten und Weltraumseile ..
273
geostationarer Orbit
X
Gegengewicht
^T{r-\-dr) Seilelement Abbildung A . 2 . Der Weltraum^aufzug nach Y. N. Artsutanov. Das Seilstuck auflerhalb des geostationdren Orbits dient mit dem Gegengewicht dazu, das Gesamtsystem. zu stabilisieren. Am. unteren Seilstuck konnte m^an zum. geostationdren Orbit „ em^porklettern ".
der Lange dr. Auf dieses Segment wirken folgende Krafte: Die Schnittkrafte T{r) und T{r-\-dr) (siehe Abb A.2), die Gravitationskraft figdrA/r'^ und die Fliehkraft gAdrri^r. Dabei sei g die Dichte und A die Querschnittsflache des Seiles. Die Orbitalrate n ist durch die Erddrehung vorgeschrieben: n = 2TT/TE' Da das Seilelement im Gleichgewicht ist, gilt T(r + dr) — T(r) + gAdrri^r — jigAdr/r'^ = 0 oder ,. T{r + dr) -T{r) dT /agA hm ^ -^ ^—^ = - - = ^ dr^o dr dr r^
^ ^ gAn^r.
Dies ist eine einfache Differentialgleichung fiir die Schnittkraft T{r). Fiir die Spannung a = T/A gilt 1 da a 9 g dr
r^
mit der Randbedingung a{r = RE) = 0 fiir das freie Seilende, das j a bis zur Erdoberflache (r = RE) reichen soil. Nach Integration ergibt sich
£ = £(ii-.v)* = .(J--l)4(.^-.y. Die Funktion a{r) erreicht ihr Maximum fiir r = r'^ = y^JtJnP, also gerade im geostationaren P u n k t , und dabei ist a{r'^)/g = 4,8 x 10^ N m / k g . Fiir Stahl (^ = 7850 kg/m^) entsprache dies einer Spannung von ca. 380000 N / m m ^ , etwa hundertmal mehr als zulassig. Doch es gibt auch andere, weniger utopische Anwendungsmoglichkeiten fiir seilartige Strukturen im Welt all. Zum Beispiel die folgende: Wenn sich ein Kabel mit metallischem Kern im Orbit bewegt und dabei die Magnetfeldlinien der Erde transversal schneidet, so wird in ihm eine elektrische Spannung induziert. Diese Spannung konnte m a n nutzbar machen, wenn es gelingt, einen
274
A Hantelsatelliten und Weltraumseile
Stromfluss zu erzeugen. Nun gibt es in groBen Hohen ein mit Elektronen angereichertes Plasma, das durch Absorption von Rontgen- und Ultraviolettstrahlung der Sonne entsteht. Ein ElektronenkoUektor konnte daher an einem Ende des Kabels freie Elektronen dieser lonosphdre aufsammeln, wahrend ein Elektronenemitter am anderen Ende Elektronen wieder an die Atmosphare abgibt. Natiirlich ware ein solches System kein P e r p e t u u m mobile, da durch den erzeugten Strom Lorenzkrafte hervorgerufen werden, die der Flugrichtung entgegenwirken. Deshalb verringert sich die Flughohe des Kabels.
Abbildung A . 3 . Das elektrodynamische Kabel der TSSl-Missionen. Bei der ersten Mission von 1992 (TSSl, US-Shuttle Atlantis) wurde mit einem. 256 Meter langen Kabel eine Spannung von 40 Volt und ein Strom, von 15 Milliam^pere erzeugt. (Dies entspricht einer Leistung von 0,6 Watt.) Bei der zweiten Mission von 1996 (TSSIR, US-Shuttle Colum^bia) konnte die voile Kabelldnge von 20 Kilom^etern genutzt werden. Dammit wurden 5000 Volt und 0,5 Am^pere (entspricht 2500 Watt Leistung) erzeugt.
A Hantelsatelliten und Weltraumseile
275
Experimente mit elektrodynamischen Kabeln wurden in den Jahren 1992 und 1996 von der NASA in Zusammenarbeit mit der italienischen Raumfahrtbehorde AST durchgefiihrt. Dabei sollten 20 Kilometer lange Kabel von SpaceShuttles abgespult werden (Abbildung A.3). Beide Male konnte der theoretisch vorhergesagte Effekt tatsachlich beobachtet werden. Trotzdem miissen die Missionen als Fehlschlage gewertet werden. Beim ersten Versuch konnte aufgrund eines technischen Defekts der Winde lediglich 200 Meter des Kabels abgewickelt werden. Beim zweiten Versuch fiihrte eine schadhafte Isolation des Kabels gar zum Durchbrennen und zum Verlust des teuren Elektronenkollektors. AuBer elektrodynamischen Experimenten gibt es noch eine Reihe anderer spannender Anwendungsmoglichkeiten fiir Tethered Satellite Systems (Abbildung A.4). Da die Lebensdauer von Satelliten unter 200 Kilometer Hohe wegen des groBen Luftwiderstandes sehr beschrankt ist und andererseits Ballone nicht allzu hoch aufsteigen konnen, ist es schwierig, Messungen in gewissen Schichten der Atmosphare vorzunehmen. Eine Moglichkeit, sich dort dennoch langer aufzuhalten, besteht darin, einen Satelliten an einem langen Kabel von einem hoher fliegenden Shuttle auszusetzen und in die oberen Atmospharenzonen eintauchen zu lassen. Wenn die Masse des Satelliten im Vergleich zum Shuttle klein ist, werden sich die Reibungskrafte nur geringfiigig auf das Shuttle iibertragen. Es gibt Plane, fiir dieses Experiment bis zu hundert Kilometer lange Kabel zu verwenden. Will man eine Raumstation verlassen und zur Erde zuriickkehren, so miissen in der Wiedereintrittskapsel normalerweise Bremsraketen geziindet werden, um auf eine elliptischen Absturzbahn zu gelangen, die irgendwo die Erdoberflache durchstoBt. Mit Seilen kann man das Gleiche ohne Raketen erreichen. Dazu muss die Raumkapsel an einem Sell befestigt werden, das von der Raumstation in Richtung Erde abgespult wird. Da die Kapsel noch mit der Raumstation verbunden ist, hat sie nach dem Abspulen des Seiles eine zu geringe Orbitalrate gemessen an ihrer Flughohe, die ja geringer als die der Raumkapsel ist. Kappt man nun das Sell, so wird die Kapsel auf eine elliptische Bahn einschwenken. Durch geschickte Wahl der Seillange kann man die Bahnparameter dieser Ellipse so beeinflussen, dass die Kapsel den Boden erreicht. Der Effekt kann sogar noch verstarkt werden, wenn man das Sell pendeln lasst und es beim Zuriickschwingen durchtrennt. Eine faszinierende Anwendung von Seilen besteht in der Erzeugung kiinstlicher Gravitation. Dazu versetzt man ein System aus Raumkapsel, Kabel und „Gegenmasse" in Drehung um den gemeinsamen Massenmittelpunkt. Die entstehenden Fliehkrafte ersetzen in der Raumkapsel die fehlenden Schwerkrafte. Leider spiirt ein Raumfahrer jedoch auch Corioliskrafte, wenn er sich in seiner Raumkapsel bewegt. Das Modell des Hantelsatelliten stellt einen ersten Zugang zu der iiberaus komplexen Dynamik von Weltraumseilen dar. Wir wollen das relative Equilibrium, bei dem sich jeder Punkt der Hantel auf einem kreisformigen Orbit mit
276
A Hantelsatelliten und Weltraumseile Shuttle Orbit Orbit Seil Absturzbahn Satellit
-A A Raumstation
Atmosphare
1.) Messsatellit in Atmosphare
2.) Riickkehr zur Erde von Raumstation
Raumkapsel
Gegenmasse
3.) Erzeugung kiinsthcher Schwerkraft Abbildung A.4. Einige Anwendungen fiir
Weltraumseile.
konstanter Winkelgeschwindigkeit n um den Erdmittelpunkt bewegt, naher untersuchen (Abbildung A.5). Damit das System in dieser Konfiguration verharrt, miissen sich die Stangenkraft, die Zentrifugalkraft und die Schwerkraft an beiden Satelliten im Gleichgewicht befinden. Es seien vi und r2 die Bahnradien der beiden Endmassen mi und 7712. Da sie mit konstanter Winkelgeschwindigkeit kreisen, erfahren sie nur Beschleunigungen in radialer Richtung mit den Betragen viii? bzw. r2n^. Setzt m a n fiir m i und 7712 die radiale Komponente des Schwerpunktsatz an, so erhalt m a n damit -miTin
jdmi
+T (A.l)
-m2r2n
T,
wenn T die Stangenkraft in der Hantel bezeichnet. Krafte und Beschleunigungen sind darin positiv, wenn sie radial nach auBen wirken. Wir nehmen an, dass vi > r2, ohne aber vorzuschreiben, welche der beiden Massen die groBere ist. Aus (A.l) folgen unmittelbar die Winkelgeschwindigkeit n und die Stangenkraft T, wenn m a n die Abstande vi und r2 = r i + L vorschreibt - L sei die Lange der Hantel. Zunachst erhalt m a n nach Elimination von T
A Hantelsatelliten und Weltraumseile ( m i n + m2r2W
= ^
+ ^ ,
277 (A.2)
woraus man n berechnet. Nach Riicksubstitution von n in eine der Beziehungen (A.l) ergibt sich dann die Stangenkraft, die, wie sich zeigt, stets positiv ist. Die Hantel wird auf Zug beansprucht. Wie schon erwahnt, bewegen sich im relativen Equihbrium ahe Punkte der Hantel auf konzentrischen Kreisen um den Erdmittelpunkt. Drei Punkte verdienen besondere Aufmerksamkeit: Massenmittelpunkt TM'- Dieser Punkt ist durch folgende, rein geometrische Beziehung definiert: m i r i +m2r2 . . ^. =
TM
• m i +7712
.
(A.3)
Damit kann man die linken Seite von (A.2) in der Form in?{mi + m2)rM schreiben. Kraftemittelpunkt r ^ : Zwischen den beiden Enden der Hantel existiert ein Punkt, in dem die Gesamtmasse mi + m2 dieselbe Gravitationskraft erfahren wiirde wie die beiden voneinander getrennten Massen zusammen. Dieser Kraftemittelpunkt berechnet sich demnach aus /i(mi + m2) _ fimi i2
-
"K
-^2'1
^ /im2 + -^2-' '2
.
. y^'^)
Nach Kiirzen durch /i und Umformung erhalt man ^2
^
^
^7712
mi
mi/rl+m2/rl
Gravitationsmittelpunkt r^: Wahrend die Gravitationskraft F{r) umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes vom Erdmittelpunkt abnimmt, wachst die Zentrifugalkraft Z{r) entlang der Hantel von unten nach oben linear an. Jenen Punkt, in dem sich F(r) und Z{r) gerade kompensieren, nennt man Gravitationsmittelpunkt oder auch „andrucklosen Punkt", da an dieser Stelle vollige (dynamische) Schwerelosigkeit herrscht. In jedem anderen Punkt der Hantel muss sich ein Astronaut festhalten, um nicht wegzudriften. Es gilt ^ ( r ^ ) = F{rG) oder ror? = 4 "
Oder
VQ = \ -^ •
(A.6)
Mit den Definitionen (A.3) und (A.4) schreibt sich die Bewegungsgleichung (A.2) in der Form n (mi +m2)rM =
/i(mi + m 2 ) J.2 ' K
SO dass sich fiir die Winkelgeschwindigkeit n folgende einfache Formel ergibt
278
A Hantelsatelliten und Weltraumseile
F{r)
Abbildung A.5. Hantelsatellit in relativer (umlaufender) Gleichgewichtslage.
n2 =
M
(A.7)
r^rM Nach Elimination von n mit Hilfe von (A.6) erhalt man eine Beziehung zwischen den drei Punkten: (A.8) r e = - ^ = rKTMAus (A.3) und (A.5) folgt, dass der Kraftemittelpunkt stets unterhalb des Massenmittelpunktes liegt, d. h. VK < TM- Dies erklart auf andere Weise die Stabilisierung durch den Gravitationsgradienten: Im Massenmittelpunkt greift die resultierende Fliehkraft (Massenkraft) an, im Kraftemittelpunkt die resultierende Schwerkraft. Da erstere nach auBen und letztere nach innen gerichtet ist, wird sich die Hantel strecken und entlang der lokalen Vertikalen stabilisieren, wie ein Stab, der in zwei Punkten durch gegengleiche Krafte belastet wird. Zeigen diese Krafte voneinander weg, so ist das Gleichgewicht stabil, zeigen sie aufeinander zu, so ist es instabil. Ein vollstandiger Stabilitatsbeweis ist dies allerdings nicht, denn er lasst die Koppelung zwischen Fern- und Nahfelddynamik auBer Betracht. Tatsachlich zeigt sich ab einer gewissen Stangenlange eine Umkehrung des Stabilitatsverhaltens. Fiir sehr groBe Stangenlangen im Bereich des Orbitalradius wird die radiale relative Gleichgewichtslage instabil. In der gegenwartigen Praxis ist dies freilich kaum von Belang; fiir Tsiolkovskis Weltraumaufzug konnte jedoch dieser Sachverhalt neben der statischen Beanspruchung ein weiteres Problem darstellen.
A Hantelsatelliten und Weltraumseile
279
Man kann zeigen, dass der andrucklose P u n k t VQ immer zwischen VK und VM liegen muss. Damit ergibt sich folgende Reihenfolge der Hantelpunkte: ri cos0 - ^OsinO) + {I^ - 1)04)^mO = M2 + H^O -/3^((^sini9 + (/)i9cosi9) + {h - Ii)0^cosO = M3.
{B.
(B.9) (B.IO)
Dies sind jedoch erst drei Gleichungen fiir vier Unbekannte, namlich (j), 0, M2 und M3. Es fehlt noch ein Zusammenhang zwischen M2, M3 und dem Moment M = MQ + Ms auf die Plattform. Dazu verwenden wir den Drallsatz der vom Rahmen freigeschnittenen Plattform. Es gilt nach Abbildung B.4
286
B Navigation im Weltraum
Motor
"X Ip
Plattform
Abbildung B.4. Seitenansicht der vom Rahmen freigeschnittenen Plattform. M2 und Ms sind hier die nach dem Actio-Reactio-Gesetz vom Rahmen auf die Plattform ausgeuhten Mom^ente.
M + M3 sin 1 9 - M 2 COS l9,
(B.ll)
wenn Ip das Tragheitsmoment der Plattform um ihre Drehachse bezeichnet. Damit ist der Satz von Bewegungsgleichungen komplett. Man kann noch die Schnittmomente M2 und M3 eliminieren, indem m a n (B.9) mit — cos^ und (B.IO) mit sin^ multipliziert, addiert und das Ergebnis von ( B . l l ) wieder subtrahiert. Dann verbleiben zwei Gleichungen fiir (j) und 0: hO + ih
-/3^)(/)^ cos i9 sin i9 =
-HQ^COSO
{h cos^ 6 + I^ sin^ 6> + /p)(^ + {I^ - l2)^0 sin 2i9 = M + H^O cos 6. Fiir M = 0 existiert die Losung (;i) = 0, ^ = 0. Wir fragen nun nach den Abweichungen von dieser Losung, falls ein kleines Moment M vorhanden ist, und linearisieren dazu die Bewegungsgleichungen. Mit cos^ « 1 und sinO ^ 0 erhalten wir nach Vernachlassigung aller Terme, in denen (p und 0 sowie deren Ableitungen mehr als einmal vorkommen. hO = -Ho^,
{h + Ip)'(i> = M + H^e.
(B.12)
Eliminiert m a n daraus (j) durch Differentiation der ersten Beziehung nach der Zeit, so erhalt m a n folgenden (linearen) Zusammenhang zwischen M und 6
Ho
df-
°dt
-M.
(B.13)
Ein bestimmtes „Eingangssignal" M{t) bewirkt demnach ein entsprechendes „Ausgangssignal" 0(t).
B Navigation im Weltraum
287
Mit Hilfe eines Servomotors kann m a n nun versuchen, zusatzlich zum unvermeidbaren Stormoment Ms ein Antriebsmoment MQ SO anzubringen, dass 0 auf dem Wert Null gehalten wird, well dann nach (B.13) das resultierende Moment M = Ms + MQ gerade verschwindet. Unser Ziel, eine momentenfreie Lagerung zu erreichen, ist damit auf die regelungstechnische Aufgabe, 0 dem Sollwert ^s = 0 anzupassen, zuriickgefuhrt. Abbildung B.5 zeigt ein Blockschaltbild eines geschlossenen Regelkreises. Der Regler hat die Aufgabe, aus Werten fiir 0 und 0 ein Motormoment MQ ZU errechnen. Als einfache Losung bietet sich ein lineares Regelgesetz der Form Mo
-KiO
- K26
an. Fiir die Wahl der beiden P a r a m e t e r Ki und K2 ist neben der Stabilitat des Regelkreises auch die Geschwindigkeit, mit der eine Storung erfasst und korrigiert wird, entscheidend. Wir gehen auf diese Fragen nicht weiter ein, merken jedoch an, dass der Term —K2O als dissipatives Element fiir asymptotische Stabilitat unbedingt erforderlich ist.
Ms
= 0
l-
Regler
t Mo
Abbildung B.5. Regler zur momentenfreien Piatt form.
M
Gl. (B.13)
m
Lagerung einer einachsig drehbaren
Die dreiachsige Tragheitsplattform nach Abbildung B.2 kann nun als eine Kombination dreier einachsiger Plattformen betrachtet werden. Die Bewegungsgleichungen fiir diese Anordnung sind jedoch ungleich komplizierter als fiir den eben diskutierten Fall, da auch Koppelungen zwischen den Rotationen um die einzelnen Achsen zu erwarten sind. Eine dreiachsige Tragheitsplattform mit drei zueinander orthogonalen Beschleunigungsmessern stellt ein vollstandiges Tragheits-Navigationssystem dar. Man kann sich vorstellen, dass hochste Genauigkeit der Messgerate die Voraussetzung fiir eine brauchbare Ortsbestimmung ist. Ein konstanter Fehler in der Beschleunigungsmessung wiirde etwa nach zweimaliger Integration mit der Zeit quadratisch anwachsen, so dass die Ergebnisse bald unbrauchbar waren. Durch geeignete Abstimmung der Plattform ist es jedoch moglich, das Anwachsen von Fehlern in Grenzen zu halt en.
288
B Navigation im Weltraum
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Glossar
Dieses Buches enthalt iiberwiegend deutsche Fachbegriffe. Um es dem Leser leichter zu machen, sich in der englischsprachigen Liter at ur zurechtzufinden, ist hier ein deutsch-englisches Glossar mit den wichtigsten Begriffen angefiigt. Abschuss-Azimut a Aquatoriale Orbits Aquipotentialfiache Apogeum (erdfernster Punkt) Argument des Perigeums u Aufsteigender Knoten Azimut (Winkel zur Nordrichtung) Bodenspur eines Satelliten Breite (geographische) (j) Deklination S (eines Gestirns) Drall he J He Drehimpuls Drehmatrix B Drehmoment rric, Mc Einfiusssphare Eklipse (Verfinsterung) Ekliptik (Erdbahnebene) Erdnaher Orbit Exzentrische Anomalie E Exzentrizitat e Feststoffraketen Fluchtgeschwindigkeit Vesc Fliissigkeitsraketen Flugwinkel 7 Friihlingspunkt Geostationare Satelliten Geosynchrone Orbits
launch azimut equatorial orbits equipotential surface apogee argument of perigee ascending node azimut ground track latitude declination (relative) angular momentum angular momentum rotation matrix torque sphere of infiuence eclipse ecliptic low earth orbit (LEO) eccentric anomaly eccentricity solid rockets escape velocity liquid rockets fiight angle vernal point geostationary satellites geosynchronous orbits
292
Glossar
Gravitationsgradient Gravitationsmoment rricj Mc GroBe Halbachse a Hantelsatelliten Inertialsystem Kegelschnitte Klassische Orbitalelemente Knotenlinie Kosmische Geschwindigkeit Kreisorbit Lange (geographische) A Lange des aufsteigenden Knotens i? Lagedynamik Lokale Vertikale Luftwiderstand Massenmittelpunkt Mittelwertsmethode Mittlere Anomalie r, x Neigung eines Orbits i Orbitalebene Orbitalwinkelgeschwindigkeit n Ortszeit Perigeum (erdnachster Punkt) Perigeumsdurchgang Raketen-Ausstromgeschwindigkeit Raketengleichung Raketenschub S Rektaszension i? Sakulare Storung Schubverhaltnis A Siderischer Tag (Sterntag) Sonnensynchrone Orbits Sonnentag Spezifischer Impuls Igp Sternzeit Tagundnachtgleiche Tragheitsmoment / Umlaufzeit T Verkabelte Satelliten Wahre Anomalie 0 Weltraumschrott Weltzeit Winkelgeschwindigkeit a;, i?
gravity gradient gravitational moment semimajor axis dumbbell satellites inertial system conic section classical orbital elements line of nodes cosmic velocity circular orbit longitude right ascension of ascending node attitude dynamics local vertical drag center of mass averaging method mean anomaly orbit inclination orbital plane orbital rate local apparent time perigee epoch of perigee exhaust velocity rocket equation rocket thrust force right ascension secular perturbation thrust-to-weight ratio sidereal day sun-synchronous orbits solar day specific impulse sidereal time equinox moment of inertia orbital period tethered satellites true anomaly space debris universal time angular velocity
Index
Abschuss-Azimut, 179 Actio-Reactio-Gesetz, 41,47,49 Aquatoriale Koordinaten, 10, 16 Aquatoriale Orbits, 84 Aquatorialebene, 5, 13,15, 83 Aquinoktium, siehe Tagundnachtgleiche Aquipotentialflache, 4 rotationssymmetrischer Korper 122 Aerodynamische Storkrafte, 131 Aerodynamischer Koeffizient, 133, 140 Al-ZarkaU, 21 AnomaUe exzentrische 69 mittlere 71,84 wahre 61,69 Aphel, 64 Apogeum, 64 Apogeumstriebwerk, 186 Apollonios von Perge, 22 Argument des Perigeums, 84 Ariane-Raketen, 170 Aristarch von Samos, 18 Aristoteles, 36 Artsutanov, Y. N., 272 Asymptotensteigung (Hyperbel), 79 Atmosphare der Erde, 133 Dichte 135 Attitude Dynamics, siehe Nahfelddynamik Aufsteigender Knoten, 83 Azimut, 5, 6 BaUistik, 163 Barkersche Gleichung, 81
Beschleunigungsmesser, 281 Bewegungsgleichung von Newton, 36 Bi-eUiptische Transfers, 188 Bodenspur, 151 Boltzmann-Axiom, 48 Brahe, Tycho, 27 Braun, Wernher von, 169 Breite astronomische 5 geodatische 5 geographische 3,5 geozentrische 5 Brennpunkt, 22, 61 Brennweite, 64, 79 Bruno, Giordano, 20 Caesar, JuUus, 32 Cape Canaveral, 179 Cardan-Winkel, siehe Tait-BryantWinkel Cavendish, Henry, 42 Chemische Triebwerke, 168 Coriolisbeschleunigung, 238 DeBra-Bereich, 265 Deklination, 11 Descartes, Rene, 37, 95 Drall, 49 Drallkugel, 249 Drallsatz, 50, 238, 283 Drehimpulserhaltung, 59 Drehimpulssatz, 48 Drehmatrix, 51,228 Drehmoment, 49
294
Index
Dreikorperproblem, 216 Dual-Spinner, 269 Edwards, Luftwaffenstiitzpunkt, 180 Eimerexperiment von Newton, 52 Einflussspharen, 199 Eklipsen, 157 Ekliptik, 12,13, 15 Ekliptikale Koordinaten, 12, 16 Ekliptikpol, 12 Elemente (Integrationskonstanten), 96 Ellipseneigenschaften, 22 Ellipsengleichung, 25 Elliptische Orbits, 64 Energieellipsoid, 248 Energieintegral, 38, 58 Energy-Sink-Prinzip, 250 Epizykeltheorie, 22 Eratosthenes, 2 Erdachse Prazession 31 Schragstellung 15 Erddrehung, 8, 29, 54, 180 Erde Form 2,3 Naherungsellipsoid 5 Polabstand 4 Radius, Umfang 2 Erderkundungssatelliten, 158 Erdnahe Orbits (LEO), 150 Erdschatten, 156 Euklid, 22 Euler, Leonhard, 56 Eulersche Gleichungen, 238 Eulersche Winkel, 51, 231 Exosphare, 134 Explorer I (Satellit), 246 Exzentrizitat, 22, 64 Fahrstrahl, 25, 68 Fernfelddynamik, 225 Feststoffraketen, 169 Fliehkraft, siehe Zentrifugalkraft Fluchtgeschwindigkeit, 78 Fliissigkeitsraketen, 169 Flugwinkel, 62 Flyby-Manver, siehe Gravity-AssistManover Friihlingspunkt, 11, 33, 83
Galilei, Galileo, 20, 35, 38 Galileo, Raumsonde, 210 Geoid, 5 Geostationare Satelliten, 31, 67, 150,155 Geosynchrone Orbits, 150 Geozentrisches Bezugssystem (nichtrotierend), 15, 83 Geschwindigkeitsparadoxon, 140 Gezeitenreibung, 142 Globalstar-Satelliten, 151 GPS-Satelliten, 5,150 Gravitationsgesetz, 29, 38, 44 Gravitationsgradient-Stabilisierung, 150,258,271 Gravitationsmoment, 240 Gravitationsparameter //, 57, 67 Gravitationspotential einer Kugel 44 einer Punktmasse 44 eines beliebigen Korpers 119 eines symmetrischen Korpers 122 Gravitationsverlust, 172 Gravity-Assist-Manover, 209 Gregor XIIL, 32 Ground Track, siehe Bodenspur Halbachse, 22, 64 Halbparameter, 22, 27, 64 HALO-Orbit, 223 Hamiltonsches Integral, 60 Hantelsatelliten, 271 Gravitationsmittelpunkt 277 Kraftemittelpunkt 277 Massenmittelpunkt 277 Haupttragheitsmomente, 239 Heliozentrisches Bezugssystem, 15, 54 Heliozentrisches Weltbild, 19, 21, 28 Himmelskugel, 8 Himmelspol, 8, 15 Hipparchos von Nikaa, 12, 31 Hohenwinkel (Hohe), 5,6 Hohmann, Walter, 183 Hohmann-Transfers, 183, 210 Homosphare, 134 Hooke, Robert, 40 Horizontalsystem, 5 Hurwitz-Kriterium, 256 Hyperbolische Orbits, 77, 79
Index Inertialsystem, 50 Inertialzeit, 34 Interplanetare Raumfahrt, 195 Zusammengesetzte Flugbahnen lonentriebwerke, 170 ISS, Raumstation, 225
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J2-Koeffizient, 122 J2-Storung, 123, 159 Jacobisches Integral, 220 Jahreszeiten, 17, 29 Jeffrey-Konstanten, 122 Johannes Paul 11., 20 Julianisches Datum, 33 Kalender Gregorianischer 32 Jiidischer 32 Julianischer 32 Kalenderjahr, 31 Kegelschnitte, 22, 61 Kepler, Johannes, 21, 27, 38 Kepler-Problem, 68 Keplersche Gesetze, 21,39 1. Gesetz 21,68 2. Gesetz 25, 59, 68 3. Gesetz 27, 69 Klassische Orbitalelemente, 83, 86, 87, 106 Kleanthes von Assos, 19 Knotenlinie, 83 Prazession 129 Korperfeste Bezugssysteme, 228 Kolumbus, Christoph, 3 Kommunikation mit Satelliten, 150 Kopernikus, Nikolaus, 19 Kosmische Geschwindigkeit erste 67 zweite 78 Kreisorbit, 66 Lange des aufsteigenden Knotens 83 geographische 3 Lagedynamik, siehe Nahfelddynamik Lageos-Satellit, 118 Lagrange, Joseph Louis, 93 Lagrange-Bereich, 265 Lagrange-Klammern, 109
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Lagrangesche Punkte, 221 Lagrangsche Planetengleichungen, 106 Langsame Variable, 97 Laplace, Pierre Simon, 93 Lebensdauer von Satelliten, 140 Legendresche Polynome, 119 Leibniz, Gottfried Wilhelm, 41 LEO (Low Earth Orbit), siehe Erdnahe Orbits Lokale Vertikale, 226 Luftwiderstandskoeffizient, 132 Luftwiderstandsmodell, 132 Lunisolarjahr, 33 Mach, Ernst, 53 Magellan, Fernao de, 3 Marsreisen, 213 Massenmittelpunkt, 48, 56 Maupertuis, Pierre, 4 Meridian von Greenwich, 3, 33 Mesosphare, 134 Mikrometeoriten, 146 MIR, Raumstation, 147 Mittelwertsmethode, 104 Molniya-Satelliten, 72, 152 Momentenfreie Satelliten, 246 Monddrift, 142 Mondphasen, 29 Nahfelddynamik, 225 Napoleon, 95 Navigation im Weltraum, 281 Neigung eines Orbits, 83 Newton, Isaac, 4, 22, 36, 38-40 Newtonsches Naherungsverfahren, 71 NORAD, 147 Orbitalebene, 59, 83 Orbitalelemente, siehe Klassische Orbitalelemente Orbitalhorizont, 6, 7 Orbitalmanover, 182 Orbitalrate, siehe Orbitalwinkelgeschwindigkeit Orbitalsystem (lokal), 226 Orbit alwinkelgeschwindigkeit ,112 Orbitsystem (nichtrotierend), 59,61,87 Orthogonalitat von Drehmatrizen, 230 Ortszeit, 33 Ovid, 9
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Index
Oxidator (Raketentreibstoffe), 169 Parabolische Orbits, 77, 79 Parkorbit, 78 Parmenides, 2 Perigeum, 63 Perigeumsabstand, 62 Perigeumsgeschwindigkeit, 63 Perihel, 63 Peuerbach, Georg von, 21 Physikalische Raketen, 168 Planetendaten, 195 Plato, 2 Platonisches Jahr, 31, 54 Plutarch von Chaironeia, 19 Polare Orbits, 84 Polarnacht, 18 Polarstern, 8, 15 Polyakow, G., 272 Potential Definition 38 der Gravitationskraft siehe Gravitationspotential Prograde Orbits, 84 Ptolemaios, Klaudios, 20, 22 Pythagoras, 2 Raketen Abschussgeometrie 178 Aufstieg vom Boden 171 Ausstromgeschwindigkeit 164 Bauarten 168 Belastung der Nutzlast 173 Raketengleichung 163 Schub 165 Startplatze 179 Unterschied zur Kanone 167 Raumtransporter, 171 Reduzierte Masse, 58 Rektaszension, 11 Relativbewegungen, 237 Retrograde Orbits, 84 Richtungskreisel, 246 Richtungsstabilitat, asymptotisch, 258 Rudolph IL, 21,27,28 Rudolphinische Tabellen, 21 Sakulare Storungen, 105 von Satelliten 128
Salyut 6, Raumstation, 265 Saturn V, Mondrakete, 170, 171 Scaliger, Joseph, 33 Schaltjahresregel, 31 Schnelle Variable, 97 Schubverhaltnis, 172 Schwerpunktsatz, 47 Separatrizen, 249 Sichtbarkeit von Satelliten, 6 Siderischer Tag, 29, 33 Skalierungshohe, 135 Skylab (Raumstation), 136 SOHO, Raumsonde, 223 Sonnenaktivitat, 136 Sonnenbahn (scheinbare), 12 Sonnensynchrone Orbits, 159 Sonnensystem, 94, 195 Sonnentag mittlerer 30,33 wahrer 29 Sonnenvektor, 13, 158 Space Shuttle, 169, 174 Spezifischer Impuls, 164 Spin, 250 Spin-Stabilisierung, 246 Stabilitat Korper mit Gravitationsmoment 261 Richtungskreisel 250 Richtungskreisel mit beweglichen Teilen 251 Richtungskreisel mit Gravitationsmoment 267 Starrer Korper, 227 Gleichgewichtslagen im Orbit 259 Lageparameter 227 mit beweglichen Teilen 251 Staustrahltriebwerke, 169 Sterntag, siehe Siderischer Tag Sternzeit, 33 Storeffekte bei Satelliten, 117 Storparameter, 96 Storungsgleichung, 97 Storungsrechnung, 93 Mittelwertsmethode siehe Mittelwertsmethode Reihenentwicklung 98 Store-and-Forward-Kommunikation, 151
Index Stratosphare, 134 Strukturelle Masse, 175 Stufenraketen, 175 Syncom-Satellit, 270 Synodischen Periode, 213 Tageslange, 12 Tagundnachtgleiche, 12, 18, 31 Tait-Bryant-Winkel, 231 Tethered Satellites, 227, 272 Atmospharenerkundung 275 Elektromagnetische Kabel 273 Erzeugung kiinstl. Gravitation 275 Wiedereintrittssysteme 275 Thermisch-nukleare Triebwerke, 170 Thermosphare, 134 Thomson-Gleichgewicht, 267 Tisserand-Kriterium, 203 Toscanelli, Paolo del Pozzo, 3 Tragheitsgesetz, 35, 37 Tragheitsnavigation, 281 Tragheitsplattform, 282 Tragheitstensor, 239 Transferorbit, 150, 183 Trojanische Asteroiden, 223 Tropisches Jahr, 31 Troposphare, 134 Tsiolkovski, Konstantin E., 166, 272 Tsiolkovski-Gleichung, 166 Two-Line-Elements, 146
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Umlaufzeit, 27, 68 mit J2 Storung 129 USSPACECOM-Katalog, 145 Van Allen Giirtel, 155, 246 Van Allen, James A., 246 Variation der Konstanten, 96 Verkabelte Satelliten, siehe Tethered Satellites Weltraumaufzug (Space Elevator), 272 Weltraumschrott, 145 Weltraumseile, siehe Tethered Satellites Weltzeit, 33 koordinierte 34 Winkelgeschwindigkeitsvektor, 234 Zeitskalen, 29 Zeitzonen, 33 Zenit, 6 Zentrifugalbeschleunigung, 238 Zentrifugalkraft, 42 Zentrobare Korper, 45 Zikumpolarsterne, 9 Zonenzeit, 33 Zweikorperproblem, 55 allgemeine Losung 82 Geschwindigkeit 62 Orbitalgeometrie (allg.) 61 Orbittypen 61 Position als Zeitfunktion 68, 81