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A. E. van Vogt
Planeten zu verkaufen
BASTEI LÜBBE
SCIENCEFICTION
BASTEI-LÜBBE-TASCH...
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A. E. van Vogt
Planeten zu verkaufen
BASTEI LÜBBE
SCIENCEFICTION
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Science Fiction Action Band 21 178 © Copyright 1953 by A. E. van Vogt/Edna Mayne-Hull All rights reserved Deutsche Lizenzausgabe 1984 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach Originaltitel: Planets for Sale Ins Deutsche übertragen von Barbara Heidkamp Titelillustration: D. B. Mattingly Umschlaggestaltung: Quadro-Grafik,Bensberg Druck und Verarbeitung: Elsnerdruck GmbH, Berlin Printed in Western Germany ISBN 3-404-21178-2 Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
1 Die vier Männer in dem wartenden Flugzeug beobachteten schweigend das Treiben um den Raumfrachter von der Erde. Die Ausschiffung war in vollem Gange. Mit Gepäck in den Händen drängten die Passagiere hinaus auf die Laderampen. Einer der Männer in der kleinen Maschine meinte verächtlich: »Diese Immigrantenfrachter erinnern mich jedes Mal an Sardinenbüchsen.« »Was meinst du, warum sie Frachter heißen«, erwiderte der große Mann. »Weil sie menschliche Fracht befördern.« »Sehen Sie mal, Mr. Delaney!« sagte ein dritter Mann aufgeregt. »Das Mädchen da. Wenn das kein Schuss ist.« Der große Mann schwieg. Seine eisgrauen Augen hatten sich verengt und ruhten auf dem Mädchen, das nicht weit von ihnen stehen geblieben war. Es hatte rotgoldenes Haar, ein schmales, aber entschlossenes Gesicht und einen festen, geschmeidigen Körper. Es hatte nur einen kleinen Koffer bei sich. »Es ist ganz ansehnlich«, gab er vorsichtig zu. Sein Blick folgte ihm, als es sich umdrehte und langsam auf den entfernten Ausgang zuging. Er nickte. »Es ist die Richtige. Sammelt sie auf und bringt sie in mein Apartment.« Er kletterte aus dem Flugzeug, sah ihm nach, wie es hinter dem Mädchen herglitt und stieg dann in einen Privatjet, der augenblicklich in den Himmel schoss.
Evana Travis folgte dem Fußgängerstreifen in Richtung Ausgang, ohne zu merken, dass sie verfolgt wurde. Ihr Körper zitterte von der aufregenden Landung, aber in Gedanken war sie noch bei der Reise, die nun zu Ende ging. Diese Gewaltigkeit hatte sie nicht erwartet, denn der Name 4
Ridge Stars klang irgendwie anheimelnd und behaglich. Das Bild, das sie von dem System hatte, war das einer eng zusammenhängenden Gruppe von Sonnen, die ihr blendendes Licht in den umliegenden Himmel ausstrahlten. Zahlen hatten ihr noch nie viel gesagt, und die Tatsache, dass sie in einer Welt aufgewachsen war, in der die Leute sagten: »Was sind denn schon tausend Lichtjahre!« - hatte den Weltraum in ihren Augen - wenn auch auf eine etwas andere Weise - so begrenzt wie die Erde werden lassen. Die Broschüren zu den Immigrationsanträgen waren nicht dazu geeignet, sie über die Realität aufzuklären. Der erste Schock hatte sie am zwölften Tag im Raum erwartet, als über den Lautsprecher verkündet wurde, dass das Ridge Stars System nun mit dem bloßen Auge zu erkennen sei. Es breitete sich in seinen ganzen zweihundert Lichtjahren quer über den Himmel aus und umfasste einhundertvierundneunzig Sonnen, von denen siebzig so groß oder größer als Sol waren - das erklärte jedenfalls der Sprecher. Evana sah nur winzige Lichtpunkte in einer Dunkelheit, die von dem Funkeln weiter entfernt gelegener Sterne schwach erhellt wurde. Es war ihr keine Zeit geblieben, sich das System länger anzusehen, denn der Sprecher war fortgefahren: »... in Kürze findet dann eine Abstimmung darüber statt, zu welchem Planeten welcher Sonne die Passagiere dieses Schiffes gebracht werden. Es entscheidet die Mehrheit, und alle müssen sich dieser Entscheidung fügen. Für den Augenblick verabschiede ich mich: Auf Wiedersehen.« Einen Moment lang hatte Evana wie erstarrt dagestanden, vor Überraschung und Entsetzen unfähig, sich zu rühren. Dann hatte sie sich einen Weg durch die überfüllten Korridore und Decks bis zur Kabine des Kapitäns gebahnt. Die Tür war noch nicht wieder hinter ihr zugeschlagen, als sie auch schon ihren Protest vorbrachte. »Was soll das Ganze?« wollte sie wissen. »Ich bin auf dem
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Weg zu meiner Schwester auf dem dritten Planeten der Doridora-Sonne. Für dieses Ziel habe ich meine Karte gekauft, und dorthin werde ich auch gehen, ganz gleich, wie die Abstimmung ausfallen wird.« Der junge Mann, der hinter dem großen Schreibtisch in einer Ecke des kleinen Raumes saß, sah sie gelassen an. »Sie sind wirklich naiv«, sagte er. Evana starrte ihn an. »Was meinen Sie damit?« Er grinste und musterte sie belustigt. Er hatte blaue Augen und ein raumgebräuntes Gesicht. Evana schätzte ihn auf ungefähr dreißig. »Sie befinden sich jetzt im Weltraum, meine Liebe, weit ab von den strengen Gesetzen der Erde«, gab er zurück. »Wo Sie jetzt hingehen, wird mit Atomtechnik ein von Unternehmen kontrolliertes Universum aufgebaut, werden jeden Tag Reichtümer gewonnen und verloren, sterben stündlich Menschen eines gewaltsamen Todes, und das Wort der großen Monopolisten ist das oberste Gesetz.« Er brach ab und betrachtete Evana zynisch. »Es ist ein Spiel, meine Schöne«, fuhr er fort. »Und Sie sind mit hineingeraten. Die ganzen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen auf der Erde in den letzten fünfzig Jahren dienten dem einen Zweck, eine Massenimmigration auf die neueren Planeten der Galaxie zu verhindern. Die Regierungen der Ridge Star Planeten und anderer Sternengruppen mussten sich etwas einfallen lassen, um Immigranten anzulocken. Dazu gehört unter anderem, dass der Reisepreis auf weniger als die Gesamtkosten reduziert wurde. Das erklärt, warum jede Ladung nur en masse abgesetzt werden kann. Zielort dieser Ladung zum Beispiel ist Delfi II.« »Aber es soll doch eine Abstimmung stattfinden, auf welchem Planeten wir landen«, wandte Evana ein. »Der Sprecher hat gesagt ...« Der junge Mann lachte. »Oh, ja, natürlich!« Der heitere Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht. »Und es wird auch alles ganz offen und fair dabei zugehen - Bilder von jedem
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Planeten, einige Informationen, eine Vorabstimmung nach jeweils vier gezeigten Planeten -, die Vorzüge werden die Wahl entschieden. Aber Delfi II wird gewählt werden, weil nämlich Delfi II an der Reihe ist, und so zeigen wir diesen Planeten von seinen besten Seiten, während die Passagiere bei den anderen Planeten diesmal vor allem die negativen Seiten zu sehen bekommen. Einfach, oder?« Als Evana, wie betäubt vor Verwirrung, den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Delfi ist ein prächtiger Ort. Seine Hauptstadt, Suderea, hat vier Millionen Einwohner und neunzig Gebäude von mehr als hundert Stockwerken, die alle von Unternehmern gebaut worden sind - Männer, deren Namen gleichbedeutend mit Geld und Macht sind; und der bedeutendste unter ihnen ist ein junger Englischnorweger namens Artur Blord. Er ist eine lebende Legende. Sie werden seinen Namen in jeder Stadt und jedem Dorf hören. In weniger als zehn Jahren hat er ein riesiges Vermögen gemacht, indem er sogar die hohen Tiere selbst ausgetrickst hat. Sie beuten die Leute aus, er beutet sie aus. Und ...» »Aber Sie verstehen nicht«, unterbrach ihn Evana verzweifelt. »Meine Schwester erwartet mich doch.« Er antwortete mit einem Achselzucken. »Sehen Sie, Lady, die Ridge Star Regierungen haben einen Preis für die Erfindung eines Interstellarantriebs ausgesetzt, der keins der bereits bestehenden Erdpatente verletzt; aber solange dieser Preis nicht gewonnen ist, können Sie von Delfi II höchstens wegkommen, wenn Sie sich mit jemandem gutstellen, der privat ein Raumschiff besitzt. Es gibt nämlich einfach keine öffentlichen Transportmittel.« Er erhob sich. »Und jetzt werden Sie wohl oder übel in meiner Kabine bleiben müssen, bis die Abstimmung vorbei ist. Ich halte es immer so, dass ich Passagieren gegenüber, die Beschwerden haben, ganz offen bin, aber das beinhaltet dann gewisse Beschränkungen für sie. Keine Sorge! Ich habe keine
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persönlichen Absichten Ihnen gegenüber, auch wenn Sie sich mit Sicherheit nicht wehren würden, wenn es so wäre. Aber ein Mann wie ich, mit siebzehn Frauen auf ebenso vielen Planeten, achtunddreißig Kindern und einem weichen Herz kann es sich nicht leisten, sich mit noch mehr Frauen einzulassen.« Er ging hinaus. Hinter ihm schnappte die Tür ein. Und jetzt, sieben Tage später, befand sie sich hier auf dem unerwünschten Planeten Delfi II. Evana blieb unsicher vor dem großen Tor des Landungsfeldes stehen. Als sie dort stand und auf die Stadt unter ihr und die blaue See dahinter starrte, überkamen sie plötzlich Zweifel und Furcht bei dem Gedanken an ihre Lage Hinter ihr war ein Geräusch. Raue Hände legten sich auf ihren Mund und packten ihre Arme. Sie wurde vom Boden hochgehoben und durch eine Tür in ein flügelloses Flugzeug gezogen, das sich sofort in die Luft schraubte wie Rauch, der aus einem Schornstein aufsteigt. Evana wand und drehte sich und kämpfte gegen die Umklammerung der maskierten Männer, die sie festhielten. Aber sie waren groß und schwer, und schon gegen ihr Gewicht allein war sie machtlos. Sie fühlte einen Ruck, als das Flugzeug zur Landung aufsetzte. Die Männer nahmen sie wieder hoch und trugen sie rasch eine Treppe hinunter. Dann fand sie sich in einem Zimmer wieder und fiel auf eine Couch. Die Ruhelage tat ihr gut. Der Schmerz der Erschöpfung wich, und der salzige Geschmack in ihrem Mund verschwand langsam. Allmählich konnte sie auch ihre Umgebung wieder erkennen. Sie sah, dass sie sich in einem prachtvoll ausgestatteten Raum befand. Ein paar Schritte von ihr entfernt stand ein kräftig aussehender Mann. Er hatte eine Maske übers Gesicht gestreift und starrte sie an. »Aha«, sagte er, »so langsam werden Sie wieder munter, was? Fein.« Der Schrei blieb ihr in der Kehle stecken, als sie erkannte, was es für eine Maske war, die der Fremde trug. Da war genau die
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Ausbuchtung am Mund, die sie so oft im Kino gesehen hatte, die Ausbuchtung, die der Apparat war, der die Stimme des Trägers tarnte. Der Anblick eines solchen Gerätes machte die ganze Situation plötzlich unwirklich für Evana, und sie begann zu lachen, brach aber ab, als ihr bewusst wurde, wie hysterisch es klang. »Ich will wissen, was das alles bedeutet«, schluckte sie, als sie ihre Stimme wieder gefunden hatte. »Ich bin sicher, dass hier eine Verwechslung vorliegt.« Der große Mann kam jetzt auf sie zu. »Es ist keine Verwechslung«, entgegnete er kalt. »Ich habe sie mitgenommen, weil Sie gut aussehen und intelligent zu sein scheinen. Sie werden sich tausend Stellors verdienen, und Sie werden sie sich verdienen, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Und jetzt hören Sie auf, ein Gesicht wie eine erschrockene Närrin zu machen.« Evana versuchte, etwas zu sagen, doch es gelang ihr nicht. Sie brauchte einen langen Moment, um zu begreifen, warum. Erleichterung! Eine Erleichterung, die so gewaltig war, dass sie tief unten wie ein Bissen schmerzte, an dem man sich verschluckt hat. Was immer sie hier erwartete, es war jedenfalls nicht der Tod. »Was wissen Sie über die Ridge Stars?« fragte der große Mann. Sie starrte ihn ausdruckslos an. »Nichts.« »Gut.« Er stand über ihr, offensichtlich befriedigt. »Welchen Beruf hatten Sie auf der Erde?« wollte er dann wissen. »Ich war Technikerin für mechanische Aktenablagesysteme.« »Ach so!« In seiner Stimme schwang Enttäuschung mit. »Nun, es ist ja eigentlich unwichtig«, sagte er schließlich. »Die Agentur für Arbeitsvermittlung wird sich um Sie kümmern und im Verlauf einer Stunde eine passable Privatsekretärin aus Ihnen machen.« Seine Worte hatten keine wirkliche Bedeutung für Evana, die
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nicht richtig begriff, was hier mit ihr passierte. Der Mann suchte in seiner Tasche und zog eine kleine weiße Karte heraus. »Hier ist der Name Ihres Hotels. Sobald Sie registriert sind, gehen Sie zur Fair Play Arbeitsvermittlung; wo man sich Ihrer annehmen wird. Ich habe die Adresse auf die Rückseite der Karte geschrieben.« Evana nahm die Karte ausdruckslos und steckte sie ungelesen in ihre Handtasche. Mit großen Augen sah sie zu, wie der Mann ein kleines Päckchen in die Hand nahm, das zwischen den Flaschen auf dem Tisch gelegen hatte. »Stecken Sie das auch in Ihre Tasche«, forderte er sie auf, nachdem sie es mit zitternden Fingern entgegengenommen hatte. »In dem Päckchen werden Sie einen Zettel finden, auf dem alles erklärt ist, was Sie wissen müssen. Und denken Sie daran: Sie können sich dabei tausend Stellors verdienen, wenn alles nach Wunsch verläuft.« Es konnte nicht möglich sein. Es war unlogisch. Der Mann konnte nicht ein solcher Narr sein, sie jetzt einfach so aus seinem Apartment in das schützende Labyrinth einer großen Stadt gehen zu lassen und ihr blind zu vertrauen, dass sie das tun würde, was er von ihr wollte. »Noch zwei Dinge«, sagte er leise, »und dann können Sie gehen. Zuerst, haben Sie schon einmal etwas von dem Siebentagegift gehört?« Er beugte sich vor, während er sprach, und in seinem ganzen Verhalten lag eine Intensität, die sie mehr noch als seine Worte frösteln ließ. »Es ist das Gift«, schluckte sie, »das vom Blut lebt; und am siebten Tag erfährt es eine chemische Veränderung, die . . .« In diesem Augenblick sah sie die Spritze in seiner Hand und sprang mit einem schwachen Aufschrei hoch. »Haltet sie fest!« rief der Mann. Sie hatte die anderen Männer vergessen, die sie jetzt festhielten, während die Spritze in ihr linkes Bein oberhalb des Knies eindrang. Dann wurde die Nadel wieder herausgezogen, und die Männer ließen sie los. Halb fallend sank sie zu Boden
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und begann zu schluchzen. »Das Schönste an diesem Gift ist die Tatsache«, erklärte der Mann, »dass es in vielen tausend kleinen Variationen hergestellt werden kann, doch das Gegenmittel muss als Grundbestandteil eine Dosis des Originalgiftes haben, das sich, wie Sie wissen müssen, in meinem Besitz befindet. Jetzt werden Sie nicht gleich hysterisch.« Sein Ton wurde brutal. »Ich werde das Gegengift zusammenstellen und dafür sorgen, dass es hier bereitsteht, wenn Sie Ihre Aufgabe erfüllt haben.« »Aber ich habe doch keine Ahnung, wo >hier< ist!« rief Evana verzweifelt. »Angenommen, es stößt Ihnen etwas zu . . .« »Punkt zwei ist eine weitere Vorsichtsmaßnahme«, unterbrach sie ihr Peiniger barsch. »Es ist möglich, dass ein paar Tage vergehen, bevor Sie die Gelegenheit bekommen, Ihren Auftrag zu erledigen, und dass der Mann, dessen Sekretärin Sie werden sollen, Sie in der Zwischenzeit zu seiner Geliebten machen will. Sie werden verstehen, dass wir für diesen Fall prüde Skrupel Ihrerseits von vornherein ausschalten möchten, also - Haltet Sie fest!« Die zweite Nadel senkte sich schmerzhaft in ihren Arm oberhalb des Ellbogens. »Okay«, sagte der Mann über ihr, »nehmt sie mit und setzt sie in der Nähe des Hotels ab!« Als sich die Tür hinter Evana geschlossen hatte, nahm Delaney langsam seine Maske ab. Dann stand er einen Augenblick grübelnd da, eine schwere, dunkle Gestalt. Allmählich verzog sich sein massiges Gesicht zu einem grimmigen Lächeln. Dann griff er nach einem Eldofon und sagte: »Verbinden Sie mich mit dem Präsidenten der J. H. Gorder Atomic Power Company auf Fasser IV. Sagen Sie ihm, Delaney wolle ihn sprechen.« »Einen Augenblick, Sir«, antwortete die Telefonistin. Es verging eine Minute, dann klickte es, und eine sehr klare, kräftige Stimme meldete sich. »Gorder hier. Was gibt's, Delaney?«
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»Die ersten Schritte gegen Artur Blord sind jetzt eingeleitet«, erwiderte Delaney. »Sagen Sie den anderen, dass sie ab morgen früh in der Skalburg eintreffen können. Und benachrichtigen Sie den Skal, dass wir kommen. Auf Wiedersehen.«
2 Evana saß in ihrem Hotelzimmer und las den Brief, der in dem Päckchen gewesen war, das Delaney ihr gegeben hatte: Wenn Sie dies lesen, werden Sie das Päckchen geöffnet haben, das ich Ihnen gegeben habe und bemerkt haben, dass es folgende Dinge enthält: 1. ein mit Zigaretten gefülltes Zigarettenetui; 2. eine Kette mit einem uhrähnlichen Anhänger; 3. ein Päckchen mit weißen Pillen; 4. ein Kupfer-V und 5. eine Spritze. Die Zigaretten enthalten ein Betäubungsmittel. Wenn die Umstände es erlauben, das heißt, wenn Sie mit ihm allein sind und er nicht misstrauisch ist, werden Sie versuchen, ihm eine von ihnen anzubieten. Das Etui wirft jedes Mal zwei Zigaretten gleichzeitig aus; die äußere ist immer behandelt, die innere nicht. Die weißen Pillen bieten eine zweite Angriffsmöglichkeit. Sie enthalten ebenfalls ein Betäubungsmittel und können Flüssigkeiten wie Wasser, Kaffee oder Alkohol beigegeben werden. Außerdem lassen sie sich leicht zerbröckeln und können zum Beispiel über Sandwiches gestreut werden, wobei sie wie Salz aussehen. Der Anhänger ist ein Sender. Sobald Artur Blord, Ihr künftiger Arbeitgeber, das Bewusstsein verloren hat, lösen Sie die Schraube im Boden und drücken auf die kleine Erhöhung in der Mitte. Auf diese Weise werden meine Männer informiert, dass Sie den ersten Schritt zur Erledigung unseres gemeinsamen Vorhabens unternommen haben. Das Kupfer-V ist zur Ausschaltung des Alarmsystems 12
bestimmt, das Mr. Blord im obersten Stockwerk seines Hauptsitzes in der 686 Financial Avenue hat installieren lassen. Um dieses Gerät richtig anwenden zu können, müssen Sie über die Räumlichkeiten in Mr. Blords Penthaus im Bilde sein. Das Penthaus ist in vier Hauptsektionen unterteilt: Das Büro, zwei Apartments und ein Dachgarten. Das Büro besteht aus drei Räumen, einem Vorzimmer, dem Büro der Sekretärin und Mr. Blords Privatbüro. Von Mr. Blords Büro aus führt eine Tür in sein Achtzimmerapartment. Vom Büro der Sekretärin führt eine Tür in das zweite Apartment, eine kleine Vierzimmerwohnung. Hier werden Sie wohnen, und der intime Grund für eine solche Anordnung der Räumlichkeiten ist unschwer zu erraten. Die Anreize zu einer möglichst baldigen, erfolgreichen Erfüllung Ihrer Mission, für die wir gesorgt haben, werden jeden Widerwillen beseitigen, den Sie in dieser Hinsicht vielleicht empfinden werden. Der Gedanke an das Gift sollte Sie von unbesonnenen Aktionen abhalten. Beide Wohnungen haben Glastüren, die auf den Dachgarten hinausführen. Neben der Glastür von Mr. Blords Apartment werden Sie eine verzierte Metallapparatur mit einem Schlitz finden. Stecken Sie das Kupfer-V mit der Spitze zuerst in diesen Schlitz, bis die beiden durchsichtigen Enden des Vs aufleuchten. Jetzt drücken Sie wieder auf die Erhöhung Ihres Anhängers. Meine Männer werden dann innerhalb weniger Minuten eintreffen. Sie müssen sich ihnen anschließen, wenn Sie das Gegenmittel und Ihre Belohnung bekommen wollen. Danach werde ich Sie auf einen Ridge Star Ihrer Wahl, oder wohin auch immer Sie wollen, bringen lassen. Sie werden natürlich verstehen, dass Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit nicht auf Delfi II bleiben können. Objekt Nr. 5 in dem Päckchen, die Spritze, enthält Nonchalant. Eine Dosis dieses Mittels, das Sie sich morgens verabreichen sollten, stärkt Ihre Nerven und gibt Ihrem Gesicht Farbe, ganz gleich, wie groß Ihre innere Nervosität auch sein
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mag. Ich rate Ihnen, es jeden Morgen zu nehmen, bis Sie Ihre Aufgabe erfüllt haben. Wenn Sie diesen Brief gelesen haben, gehen Sie zur Fair Play Arbeitsvermittlung, deren Adresse auf der Karte steht, die ich Ihnen gegeben habe. Ich warne Sie dringendst davor, Zeit zu verschwenden. Morgen werden es nur noch sechs Tage sein, bis das Siebentage-Gift zu wirken beginnt. Evana faltete langsam den Brief zusammen und legte ihn in die Schublade des kleinen Tisches neben ihrem Stuhl. Einen Augenblick saß sie ganz still und konzentriert da, dann stand sie auf, nahm ihre Handtasche und die weiße Karte, die ihr der Mann gegeben hatte, und verließ das Zimmer. Als sie auf der Straße stand, sah sie keinen Häuserblock von ihr entfernt das weiße Neonschild: Fair Play Arbeitsvermittlung Noch immer wagte sie nicht, zu denken. Evana ging rasch den Gehweg entlang bis zu der großen Eingangstür mit den wuchtigen Goldbuchstaben und stieß sie ohne zu zögern auf. Sie fand sich in dem riesigen, mit Schreibtischen übersäten Büro der Arbeitsvermittlung wieder, und es dauerte nicht lange, bis sie damit beschäftigt war, ihren Bewerbungsbogen auszufüllen. Sie schlief schlecht in dieser ersten Nacht, und sie vergaß am nächsten Morgen nicht, sich eine Dosis Nonchalant in den Oberarm zu injizieren. Aber über allem, was sie tat und dachte, beherrschte ein einziger, schrecklicher Gedanke ihr Bewusstsein: Sie musste mit äußerster Zielstrebigkeit das tun, was der maskierte Mann von ihr verlangte. Es gab keine Alternative. Die morgendlichen Straßen waren überfüllt, lange, breite Ströme hastender Menschenmassen. Über ihr wimmelte es von unzähligen Gleitern. Nummer 686 Financial Avenue war ein Gebäude, das an eine glänzende Metallsäule erinnerte. Unten breitete es sich über neun Blocks im Quadrat aus, während es sich nach oben hin verjüngte. Große Straßen bahnten sich ihren Weg durch seine Basis, und Plansäulen liefen kreuz und quer
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durch die oberen Stockwerke. Ungefähr im vierzigsten Stock leuchtete ein Schild in der Sonne: Artur Blord Holding Co., Limited Flüchtig kam Evana der Gedanke, dass ein Mann, der Tausende von Angestellten hatte, die sich um eine so bedeutende Position rissen, sicher nicht ausgerechnet sie als Sekretärin aussuchen würde. Doch das Mädchen am Empfang hinter dem ersten Haupteingang sah nur neidisch auf ihre Karte von der Agentur und meinte dann: »Fahren Sie gleich in den hundertneunzigsten Stock hinauf. Ich werde Mr. Magrusson oben benachrichtigen.« Im hundertneunzigsten Stock wurde Evana von einem dicken Mann mittleren Alters vor dem Aufzug erwartet. »Ich bin Mr. Magrusson«, stellte er sich vor. »Der Generaldirektor der Artur Blord Holding Company.« Er musterte sie aus wässrigen Augen und lächelte. »Obwohl wir uns hinsichtlich der Auswahl einer Sekretärin, die Mr. Blords Vorstellungen entspricht, ganz auf die Fair Play Agentur verlassen, muss ich mich doch zweier Dinge vergewissern: Sie sind gestern mit dem Frachter von der Erde eingetroffen? Und das hier ist Ihre erste Beschäftigung auf einem Planeten, einschließlich Delfi, abgesehen von der Erde?« Es war also die Tatsache, dass sie von der Erde stammte, die ihr zu dieser überraschenden Bevorzugung verhalf. Evana holte tief Luft. »Ich schwöre!« antwortete sie. Magrusson nickte zufrieden. »Fein. Wir werden das natürlich genau nachprüfen. Aber jetzt werde ich Sie zuerst zum Penthaus hinaufbringen. Dort oben befinden sich Ihre Wohnung und auch die Büroräume. Mr. Blord wird in Kürze erwartet. In der Zwischenzeit können Sie sich ja mit den Räumlichkeiten Ihres neuen Wohn- und Arbeitsplatzes vertraut machen. Hier entlang.« Evana folgte ihm über den Korridor zu einem anderen Aufzug, der sie zum Penthaus hinaufbrachte. Sie kamen an einer Tür vorbei, auf der Privat stand; dann öffnete Magrusson eine zweite Tür. Er trat zurück, um sie eintreten zu lassen. »Von diesem
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Augenblick an unterliegt alles auf dieser Etage Ihrer Obhut und Verantwortung. Sie können sich alles ansehen, was Sie möchten, wenn es nicht verschlossen ist. Sollten Sie irgendwelche Informationen wünschen, dann rufen Sie mich an. Viel Glück, Miss Travis. Wir hoffen, dass Ihnen die Arbeit bei uns Spaß machen wird.« Er lächelte, nickte ihr zu und verschwand dann den Korridor hinunter. Auch als sie jetzt allein war, wurde Evana nicht ruhiger. Die bedrückenden Gedanken, die sie erfüllten, erlaubten weder eine Ablenkung noch die Erleichterung der Hoffnung. Jede normale Reaktion wurde von den drohenden Worten überschattet, die Magrusson gesagt hatte. »Mr. Blord wird in Kürze erwartet.« Die nervliche Belastung, die dieser Satz für sie bedeutete, ließ sich mit nichts vergleichen, was sie bisher mitgemacht hatte. Die Erforschung ihrer Umgebung bescherte ihr eine kurze Ablenkung, aber selbst dabei kompensierte ihr Wissen um die Anordnung der Räumlichkeiten den vollen Effekt. Die Beschreibung in dem Brief war nämlich ganz genau gewesen, und die Räume mit eigenen Augen zu sehen, vervollständigte lediglich die Details. Ihr Büro war ein großer Raum mit Büchern, einem Ablagesystem und einem Schreibtisch, der mit Automatikrekordern ausgestattet war. Entlang der Wände befanden sich verschiedene mechanische Apparaturen, auf die sie jedoch kaum einen Blick verschwendete. Das Privatbüro dahinter war eine größere Ausgabe des Büros der Sekretärin. Allerdings fehlte hier das Ablagesystem. Evana vermied es, das Achtzimmerapartment von Artur Blord zu betreten und blickte gerade lange genug hinein, um durch die Fenster des Wohnzimmer das grüne Laub des Dachgartens zu sehen. Eigentlich sollte sie sich vergewissern, dachte sie, dass es dort wirklich eine Energievorrichtung gab, über die sie das Alarmsystem ausschalten konnte, wie es in dem Brief gestanden hatte. Aber Mr. Blord wird in Kürze erwartet.
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Evana zog sich in das Büro der Sekretärin zurück. Langsam kehrte ihr Mut zurück, aber sie unternahm keinen neuen Versuch, die Räume zu erforschen. Statt dessen beschäftigte sie sich ausgiebig mit dem mechanischen Ablagesystem. Es lieferte nichts außer detaillierten Informationen über die geographische Beschaffenheit von Hunderten von Planeten. Stirnrunzelnd betrachtete sie die umfangreichen, detaillierten Informationen über Metalle, Wälder, Edelsteine, nützlichen Grund und Boden und die Werttaxierungen, die keine Beziehung zu den Geldtaxierungen zu haben schienen, die ebenfalls angegeben waren. Da gab es ein Chromvorkommen auf dem Planeten Tanchion IV, Wert Nr. 1: »einhundert Milliarden Stellors«; Wert Nr. 2: »eine ausgesprochene Schinderei. Soll es doch jemand anders machen.« Das Zweiwert-System erstreckte sich auf alle Bereiche. Für einen Wald auf Tragona VII lautete der erste Wert: »Alles wertvolle Hölzer; unschätzbar. Der zweite Wert lautete: »Dennis Kray Leiter. Tüchtig, brillanter Kopf. Im Auge behalten.« Schließlich wurde sie hungrig und sah zu ihrer Überraschung, dass es bereits zwei Uhr war. Im selben Augenblick wurde sie sich der Abneigung bewusst, das Apartment zu betreten - die Wohnung, die jetzt die ihre war. Evana fühlte aufsteigenden Ärger über sich selbst. Sie war einfach albern, denn in ihrer Situation konnte sie sich keine - wie hatte der Mann es noch gleich genannt? - prüde Skrupel erlauben. Das Wohnzimmer, das sie empfing, war ebenso wie das Schlafzimmer betont weiblich eingerichtet. Pastelltöne ergaben ein prächtiges und gleichzeitig weiches Bild. Überall stieß sie auf Nippsachen, Krimskrams und kleine Extras, die aus Warenhausabteilungen stammten, in denen man nie einen Mann finden würde. Die feminine Ausstrahlung der Wohnung würde eine ständige Erinnerung an ihre vorige Bewohnerin sein - die letzte Sekretärin, respektive Geliebte, die jetzt aus irgendeinem ihr unbekannten Grund ausrangiert worden war.
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Nachdem sie ihren Hunger gestillt hatte, saß Evana stirnrunzelnd in ihrem neuen Zuhause. Die Nippsachen würden auf jedenfalls aus dem Wohnzimmer verschwinden müssen, dachte sie kritisch. Ein Wohnzimmer sollte hübsch und gemütlich sein, nicht bis zum Rand mit Krimskrams voll gestopft. Die Weiblichkeit sollte sich nur im Schlafzimmer zeigen. Sie hatte schon immer davon geträumt, ein wirklich luxuriöses Himmelbett zu haben, und ... Entsetzt riss sie sich von solchen Überlegungen los. Das ist wirklich unglaublich, dachte sie. Wie kann ich überhaupt nur daran denken, das alles anzunehmen? Sie stand auf, und ihr Blick fiel auf eine Fotografie, die sie vorher nicht bemerkt hatte Sie stand auf dem Kaminsims, und Evana wusste augenblicklich, dass der Mann darauf Artur Blord sein musste. Das Bild zeigte die sensiblen Züge eines Mannes Anfang dreißig. Das Gesicht war schmal, mit einer aristokratischen Nase, einem energischen und entschlossenen Kinn und wohlgeformten Lippen. Seine Erscheinung beunruhigte sie. Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte; sie musste ihren Auftrag ausführen. Einen Augenblick fühlte sie sich schwindlig, als sie daran dachte. Sie sank auf sein Sofa und schlug die Hände vor das Gesicht. Als der Schwindelanfall vorüber war, betrachtete sie noch einmal das Foto, und ihre Gedanken wanderten zurück zu dem, was der Kapitän des Raumfrachters über die großen Finanz- und Industrieunternehmer in diesem Teil der Galaxie gesagt hatte. Seltsam, wenn man sich überlegte, dass er sogar Artur Blord als den größten unter ihnen bezeichnet hatte - wie hatte der Kommandant es noch gleich ausgedrückt? - die anderen beuteten die Leute aus, und Artur Blord beutete sie aus. Flüchtig fragte sie sich, in welcher Beziehung er die Männer ausgebeutet hatte, die sie jetzt offensichtlich als Werkzeug ihrer Rache benutzten. Oder vielleicht hatte man sie auch im Zuge eines Plans entführt, mit dem man eine derartige Situation von
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vornherein verhindern wollte. Als sie sich so das Bild von Artur Blord ansah, versuchte sie, es mit ihrer Erinnerung an die Männer zu vergleichen, die ihr das Siebentage-Gift injiziert hatten - die Männer, die im wahrsten Sinne des Wortes ihr Leben in den Händen hielten. Sie musste eingenickt sein, denn als sie plötzlich wieder erwachte, war es dunkel. Sie erlebte einen kurzen Moment der Panik, der aber wieder verging, als sie durch das riesige Fenster einen großen Mond hinter einer dunklen Wolke auftauchen sah. Sein Schein fiel durch das Fenster und tauchte den Raum in ein blasses Licht. Evana ging hinüber zum Fenster und sah zu ihm hinauf, eine leuchtende Kugel, die zehnmal so groß war wie der Erdenmond. Bei den Informationsgesprächen auf dem Raumfrachter, erinnerte sie sich, waren sie darüber aufgeklärt worden, dass es sich in Wirklichkeit nicht um einen Mond, sondern um einen toten Begleitplaneten von der Größe des Delfi II handelte. Dort hatte es einmal Leben gegeben, lange bevor der Mensch hierher gekommen war. Evanas Gedanken kehrten zu ihrer eigenen Situation zurück. Seltsam, wie ruckartig sie erwacht war. Als ob ... Ein summendes Geräusch ließ sie auffahren. Und dann stand sie stocksteif da, als eine kräftige, klare Männerstimme aus einem Wandlautsprecher ertönte: »Hier ist Artur Blord, Miss Travis. Würden Sie bitte sofort in mein Büro kommen.«
3 »Ich«, sagte Artur Blord eine Stunde später, »mag neue Städte und neue Planeten. Sie sind seelenlos. Sie haben keine Kultur, keine Institutionen mit Arterienverkalkung, und niemand schreit danach, dass dies und das verboten wird. Wenn ein Mensch einen Glauben hat - und wer hat das nicht? - dann soll er ihn nicht anderen aufzwingen. Einen Augenblick, da fällt mir etwas 19
ein! Nehmen Sie sich Ihren Rekorder! Das ist zu Ihrer privaten Information.« Evana griff nach dem Gerät. Seit einer Stunde kam sie sich vor wie das Zentrum eines Zyklons. Ein Dutzend Mal hatte sie schon fieberhaft ihren Rekorder betätigt, um das Diktat aufzunehmen, das er mit atemberaubendem Tempo sprach. Ihr neuer Arbeitgeber diktierte wie er redete, ganz offensichtlich ohne nachzudenken, oder, bemerkte sie in Gedanken, ohne Rücksicht auf Diskretion. Minutenlang hatte er ohne Pause über umfangreiche Projekte erzählt, mit denen er im Augenblick beschäftigt war, wobei er mit verblüffender Geschwindigkeit von einem Geschäft zum anderen übergewechselt war; und immer war die einzige Einschränkung: »Das ist zu Ihrer privaten Information!« »Es ist diesmal nur eine kleine Notiz«, sagte er jetzt. »Schreiben Sie den Namen unserer Gesellschaft immer in kleinen Buchstaben, nur das Wort >limited< setzen Sie in Großbuchstaben. Auf den Ridge Star Planeten hat es ein paar verdammt komische Gerichtsentscheidungen zu dieser limited Sache gegeben. Einmal zum Beispiel wurde entschieden, dass >limited< in kleinen Buchstaben das Wort unbedeutend erscheinen lässt, wenn es neben einem wirklich gewichtig klingenden Firmennamen steht. Wenn Sie es abkürzen, sind Sie so schnell aus dem Geschäft, dass Sie noch nicht einmal merken, was mit Ihrem Bankkonto passiert ist. Es gibt Leute, die werden Ihnen sagen, dass wir in einem Zeitalter der wissenschaftlichen Erkenntnisse leben, aber darin irren sie sich ...« Evana brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er das Thema gewechselt hatte. Sie blinzelte und stellte sich dann wieder auf das Tempo ein, mit dem Blord weiterredete. »Sie irren sich, weil die bedeutenden Entwicklungen unserer Zeit nicht in den wissenschaftlichen Erkenntnissen liegen, sondern in der Anwendung der bereits entdeckten Erkenntnisse. Ich begegne immer wieder Leuten, die erstaunt darüber sind, dass
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ich keinen wissenschaftlichen Abschluss besitze, aber damit bin ich im Grunde ganz glücklich dran. Ich könnte Ihnen von höchstens einem halben Dutzend Atome ihre Elektronenkonfiguration oder von höchstens einem halben Dutzend chemischer Verbindungen ihre Zusammensetzung nennen. Aber ich weiß etwas, das viel besser ist, und das ist, was diese Dinge bewirken und in welcher Beziehung sie zum Menschen und dem Fortschritt der Menschheit stehen. Ich betrachte mich als eine Art Oberkoordinator.« Es war seine Prahlerei, die all ihren Befürchtungen ein Ende machte. Es bestand natürlich die Möglichkeit, dass er auf eine objektive Weise über sich selbst und seine Verdienste sprach, und es erschien sogar möglich, dass er trotz seiner Selbstgefälligkeit sehr nett sein würde, wenn sie ihn je näher kennen lernen sollte. Aber der Druck der Angst, der auf ihr lastete, ließ im Augenblick keinen Platz für Interesse an irgendeinem Mann. Sie hatte im Augenblick nur ein Ziel. Gleich würde sie ihre Zigaretten hervorziehen und - was sagte er da gerade? Zigaretten! Ob er ihr eine Zigarette anbieten könnte? Evana fühlte, wie sie kurz zusammenzuckte. »Danke, aber ich habe meine eigenen«, entgegnete sie dann. Auf Blords Schreibtisch schnellte die Nadel, die mit dem Stuhl verbunden war, auf dem das Mädchen saß, wie wild in die Höhe. Vergiftete Zigaretten, dachte er zynisch. Wenn man sich überlegte, dass er jetzt fast eine Stunde mit der Suche nach etwas entschieden Subtilerem zugebracht hatte. Von dem Augenblick an, als das Mädchen sein Büro betreten hatte, hatte er gewusst, dass irgend etwas nicht stimmte. AH die Tausende von Stunden, die er aufgewendet hatte, durch Übung aus sich den zu machen, der er heute war, konzentrierten sich in dem ersten Blick, mit dem er das Mädchen gemustert und der ihm gezeigt hatte, dass sie innerlich nervös war, ohne dass man es ihr äußerlich ansah. Das bedeutete eine Dosis Nonchalant zu hundert Stellors das Gramm. Verfügte ein Immigrant über die Art Zahlungsmittel?
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Normalerweise nicht. Und dann galt es nur noch herauszufinden, wer hinter ihr stand. Allerdings hatte sich die Nadel bisher bei keinem der Namen, die er erwähnt hatte, groß bewegt. Entweder sie kannte die Hintermänner nicht, oder die Zeit war reif für eine direktere Aktion. »Zigaretten von der Erde!« sagte er begeistert. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mir eine nehme? Manchmal sehne ich mich direkt nach einer.« Er ging um den Schreibtisch herum zu dem Mädchen. Sie drückte auf den Auswerfer, worauf zwei Zigaretten erschienen. Sie selbst nahm die innere, während sie ihm die andere hinhielt. Er nahm sie wortlos. Sie ließ sich von ihm Feuer geben, worauf er zu seinem Stuhl zurückging und seine eigene Zigarette achtlos zwischen den Fingern hielt, als hätte er sie völlig vergessen. Die Nadel schlug, wie er düster beobachtete, bis zum höchsten Wert aus. Schließlich lächelte er, steckte die Zigarette zwischen die Lippen, nahm das Feuerzeug und starrte einen Augenblick auf die Flamme - und dann betätigte er mit dem Fuß den Hebel, der die Energie in dem Stuhl aktivierte, auf dem das Mädchen saß. Sie sackte in sich zusammen wie ein Kind, das eingeschlafen war. »... hören Sie, Doc«, sagte er ein paar Minuten später in sein Eldofon, »ich weiß, dass es nach zwei ist, aber ich brauche Sie sofort hier oben. Ich habe hier ein Mädchen, das ich physisch und psychisch untersucht haben will - wenn nötig die volle hypnotische Behandlung. Ich will sie in einem so stimulierten Zustand, dass sie in der Lage ist, sich alle Bildaufzeichnungen der großen Unternehmer, mit denen ich im letzten Jahr etwas zu tun gehabt habe, anzusehen und sie zu identifizieren, auch wenn sie sie bisher nur mit Masken gesehen hat. Ich muss unbedingt herausfinden, wer es auf mich abgesehen hat.« Die Tests nahmen ungefähr eine Stunde in Anspruch, und als sie vorbei waren, hatte er die gewünschten Informationen. Doc
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Gregg verdunkelte die starken Lichter, die so lange den Körper des bewusstlosen Mädchens angestrahlt hatten. Und Blord, der schweigend und aufgewühlt auf sie hinunter starrte, dachte bei sich: »Die Männer, die so etwas mit einem unschuldigen jungen Mädchen machen, verdienen den schlimmsten aller Tode.« Schließlich stieß er ein freudloses Lächeln aus. »Es ist völlig sinnlos, wenn ich mich darüber aufrege«, sagte er dann laut. »Ich kenne keine Möglichkeit, wie man den Gebrauch von Sexdrogen und dem Siebentage-Gift stoppen könnte. Sie passen zu perfekt zu den Begierden der Menschen. Und wer kann schon in einem Universum mit einer Milliarde Planeten die geheimen Fabriken finden, in denen dieses verdammte Zeug hergestellt wird?« Der alte Mann sah ihn nachdenklich an. »Warum versuchen Sie es nicht einmal damit, einen Mann für diesen Posten auszusuchen?« meinte er dann. Blord schüttelte den Kopf. »Männer, die zu den Ridge Stars kommen, sind viel zu ehrgeizig, als dass sie gute Angestellte wären. Ich habe es zweimal versucht. Das eine Mal war es ein Mann namens Ganelson, der Informationen über meine Geschäfte an die Montanleute von Munar I verkaufte und damit genug Geld machte, um sich als Unternehmer auf einem der Gildal Planeten niederzulassen. Der andere wurde nicht fertig mit der Vorstellung von all dem Geld, das ich verdiente und versuchte, mich zu erschießen. Sie sehen«, fuhr er stirnrunzelnd fort, »Männer betrachten sich als meine Konkurrenten, was bei Frauen nicht der Fall ist. Ich habe es erlebt, dass Frauen böse auf mich waren, weil ich sie nicht heiraten wollte, aber nicht ein einziges Mal hat eine von ihnen versucht, mir irgend etwas anzutun. Es mag vielleicht eine etwas gefühllose Art und Weise sein, die Dinge zu betrachten, aber es ist nun einmal die Wahrheit.« Sein düsterer Blick wanderte über die reglose Gestalt Evanas. »Das ist das erste Mal, dass mir ein Mädchen mit einer
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kriminellen Absicht untergeschoben wird. Aber es beweist nur, dass meine Gewohnheit, nur Sekretärinnen einzustellen, die direkt von der Erde kommen, und zwar wegen ihres ausgeprägten Loyalitätsgefühls, bekannt geworden ist, und dass ich mich um die eigentlichen Drahtzieher hinter der Fair Play Agentur kümmern sollte.« Er brach ab und lächelte düster. »Also Delaney, Gorder, Dallans, Cansy, Neek und zweifellos der Rest der vierundneunzig Mitkonkurrenten um den Preis für den neuen Raumantrieb hinter dieser Sache. Ich habe gewusst, dass es ihnen einen ganz schönen Schock versetzen würde, als ich vor zwei Wochen in den Wettbewerb eingetreten bin. Da haben sie so viel Geld in die Forschungsarbeiten gesteckt, und dann mischt plötzlich jemand mit, der in dem Ruf steht, nie zu verlieren aber diesmal kann ich ehrlich von mir behaupten, dass ich ein reines Gewissen habe. Ich tue es ausschließlich zum Nutzen und zum Wohl der Ridge Stars.« Er lächelte schief. »Fast ausschließlich.« »Sagen Sie, wie gehen Sie jetzt eigentlich bei diesem Projekt vor?« wollte Doc Gregg wissen. »Ganz einfach nach meiner altbewährten Methode«, lachte Blord. »Ich habe auf den menschlichen Genius vertraut und beziehe mich auf die menschliche Natur. Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber meine Forschungslaboratorien haben erst vor ungefähr einem Monat mit der Arbeit an dem neuen Antrieb begonnen. Und trotzdem haben wir schon den Antrieb, der den Preis gewinnen wird.« Der alte Mann musterte Blord aus klugen grauen Augen. »Ich will nicht wissen, was Sie vorhaben, junger Mann, aber es sieht ganz so aus, als hätten sie da in ein Wespennest gestochen. Glauben Sie, dass sie dem Mädchen das Gegenmittel geben, auch wenn es ihr nicht gelingt, ihren Auftrag zu erledigen?« »Ich glaube, sie würden es ihr auch dann nicht geben, wenn es ihr gelingen würde«, erwiderte Blord knapp. Seine Miene verfinsterte sich. »Verdammt, ich kann doch nicht die Welt auf
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meinen Schultern tragen. Sie tut mir leid, aber meiner Meinung nach hat sie nur dann eine Chance, wenn sie mich wie geplant in die Hände bekommen. Das Schlimmste an der Sache ist, dass sie in der Skalburg auf Delfi I warten werden. Es ist der einzige Ort, an dem sich eine solche Gruppe treffen kann. Einander können sie nicht trauen, aber sie können alle dem Skal trauen, solange sie nur seinen Kodex nicht verletzen. Wenn ich schon sicher sein könnte, dass die Chancen auch nur eins zu fünf stehen, würde ich es vielleicht riskieren und Gast des Skal werden, aber nicht ...« Er brach ab. Seine Augen verengten sich, als ihm plötzlich ein Gedanke kam. Schließlich merkte er, dass der alte Doktor ihn grinsend beobachtete. »Was soll ich tun, mein Sohn?« fragte Doc Gregg leise »Alles wieder in den ursprünglichen Zustand bringen?« »Ja«, antwortete Blord langsam, »ja. Es ist meine verfluchte Vorliebe für das Spiel mit dem Feuer. Aber zunächst müssen wir ein paar Vorbereitungen treffen.« Evana spürte ein Gefühl der Schwäche, mehr nicht. Sie setzte sich auf; und noch immer saß Artur Blord vor ihr und zündete sich gerade seine Zigarette an. Fasziniert sah sie zu, wie er mit offensichtlichem Genuss tief inhalierte. Plötzlich trat ein überraschter Ausdruck in seine Augen, und Evana merkte, wie sich ihr Inneres zusammenzog. Halb rutschend fiel er zu Boden, auf dem er mit dem Gesicht nach oben liegen blieb. Das Deckenlicht fiel auf seine geschlossenen Augen. In diesem Zustand der Ruhe kamen ihr die edlen Züge seines Gesichts noch betonter vor. Alle seine negativeren Züge, die Redseligkeit, die grenzenlosen und beiläufigen Indiskretionen, die Prahlerei verblichen, verloren sich in jener physischen Entspannung. Er erinnerte sie an Adonis, der vom Mördereber niedergestreckt worden war, wie ein Mann, der schon tot war und der nur noch auf einen Sarg wartete, in dem er für alle Ewigkeit vom Leben ausgeschlossen
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sein würde. Es war seltsam, dachte Evana bebend, als sie auf ihn hinuntersah. Im Grunde hatte sie die ganze Zeit über schon gewusst, dass sie nicht fähig war, jemanden zu opfern, um sich selbst zu retten. Und es war seltsam, dass sie tief in ihrem Innern auch gewusst hatte, dass sie in diesem Augenblick mit der Realität konfrontiert werden würde. Wie betäubt sank sie in ihrem Stuhl zusammen und begrub ihr Gesicht in den Händen. Nach ein paar Minuten stand Artur Blord auf und sagte freundlich: »Danke, Miss Travis. Angesichts Ihres Verhaltens in einer kritischen Situation bin ich froh, dass ich mich entschlossen habe, Sie zu retten. Aber jetzt müssen Sie die Sache erst einmal durchstehen. Passen Sie auf ...« Er sprach noch immer, als sieben Minuten später der Alarmsummer ertönte. Zu dem Zeitpunkt, als Delaneys Männer das Zimmer betraten, befand er sich wieder in einem Zustand tiefer Trance. Drei von ihnen trugen Blord an Bord des Raumschiffes, das auf dem Dach des Hochhauses gelandet war. Evana folgte ihnen schweigend und nahm kaum den festen Griff wahr, mit dem der vierte Mann ihren Arm umklammert hielt. Blord, der auf einer schmalen Koje lag, fühlte die kurze Belastung, als das Schiff in Richtung Delfi I startete.
4 Die Burg des Skal stand auf einem Berggipfel des toten Mondes, der der Begleitplanet von Delfi II war. Sie war ein Überbleibsel einer vergessenen Zivilisation, und ihre vielen Türme ragten wie gigantische Schwerter hinauf in den Himmel. Kein Mensch war je in all ihre labyrinthischen Tiefen vorgedrungen, denn man betrat diesen uralten Ort nur mit Erlaubnis des einzig lebenden Zeugen seiner seit langem gestorbenen Erbauer: mit der Erlaubnis des Skal. 26
Und das ganz sicher nicht aus lauter Höflichkeit seitens der Menschen, dachte Blord grimmig. Schon mehrere Male hatten die Regierungen der Ridge Stars versucht, das Bauwerk zu zerstören und damit einer besonders abscheulichen Form des weißen Sklavenhandels ein Ende zu machen. Aber Atomenergie flutete von den fremdartigen Türmen wie Wasser, das sich über Stahl ergießt. Selbst Energiestöße von einer Milliarde Einheiten hatten den großen Toren nichts anhaben können. Regelmäßig verschwanden Patrouillenboote, die mit dem Auftrag unterwegs waren, Vergnügungssuchende am Betreten der Burg zu hindern. Nie wieder wurde etwas von ihnen gehört oder gesehen. Und vor langer Zeit hatte der Skal publik werden lassen, dass Männer, die es anders nicht wagen konnten, zusammenzukommen, gegen Bezahlung in der Burg einen sicheren Versammlungsort fanden. Das Schiff wurde langsamer. Blord straffte sich, als er irgendwo draußen vor ihnen ein metallenes Geräusch vernahm, ein dumpfes Dröhnen, das so abrupt endete wie es begonnen hatte. Das Schiff bewegte sich vorwärts und stoppte dann. Wieder hörte er das vibrierende, metallene Geräusch, diesmal hinter dem Schiff. Sie befanden sich im Innern der Burg, dachte Blord angespannt, und jetzt gab es kein Zurück mehr. Er lag da, die Augen noch immer dicht geschlossen, aber sein Körper bebte nun. Er musste nicht lange warten. Irgend etwas, ein fremdes, unzuträgliches Etwas berührte seinen Geist. Er hatte es erwartet. Die Geschichten, die er gehört hatte, hatten sogar genau beschrieben, wie es war, wenn der Skal Gedanken las, aber die Wirklichkeit war doch überwältigend. Blord bemühte sich, sein Entsetzen zu unterdrücken und ganz ruhig zu bleiben, als der Skal ein Bild auf seinen Geist zu projizieren begann, das Bild eines langen, schuppigen Reptilkörpers, der irgendwo in dunklen Tiefen kauerte und mit einer Belustigung in sein Hirn spähte, die man mit keiner menschlichen Regung vergleichen konnte. Der Skal vermittelte ihm ein Bild seiner eigenen Gestalt. Und das Bild blieb haften.
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Der Reptilgeist studierte ihn und schickte ihm schließlich einen schmeichelnden, stahlharten Gedanken: »Du verwirrst mich, Artur Blord, denn du bist nicht bewusstlos, wie du vorgibst. Und doch bist du zu meinem alten Wohnsitz gekommen, aus dem es für niemanden ein Entrinnen gibt, es sei denn, meine Kunden wollen es so. Ich werde deinen Plan in deinem Geist verfolgen, und ich werde ihn nicht verraten. Aber es darf keine Gewaltanwendung deinerseits vorkommen, weder aus dem Impuls der Todesangst des Augenblicks, noch aus fest verwurzeltem Willen heraus.« Blord bemühte sich um Konzentration und schickte einen Gedanken genau zu dem Bild des Reptils. »Ich bezahle dir das Doppelte, sogar das Dreifache der Summe, die sie dir geben.« Blord hatte den Eindruck, dass ein lautloses Lachen in seinen Geist drang; und schließlich erreichte ihn ein spöttischer Gedanke: »Willst du die Ehre meines Hauses antasten? Dann wisse, dass meine Loyalität und mein Schutz heute und immer denen gilt, die in meiner Burg gastieren. So lautet mein Kodex.« Wieder erreichte Blord das lautlose Lachen. »So soll es sein, und zwar für immer - oder jedenfalls solange, bis ich keinen Gefallen mehr an den Possen derer finde, die die Sicherheit suchen, die dieser Ort bietet.« »Dann scher dich doch zum Teufel, du verfluchtes Ding«, fauchte Blord in Gedanken. Fast hätte er es laut ausgesprochen. Doch schon zog sich der Geist, das Bild zurück, wobei er noch immer seinem unnatürlichen Gelächter freien Lauf ließ. Gleichzeitig - und das war auch der Grund, warum Blord den Satz nicht aussprach - zerrten ihn Hände aus der Koje. »Legt ihn auf das Gravitorband«, sagte eine Stimme. »Haltet die Travis an Bord fest. Der Boss wird sich später um sie kümmern.« Ein Zischen verriet das Öffnen von Luftschleusen, und dann setzte sich der Gravitor in Bewegung. Es war, als rollte man über
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einen spiegelglatten Boden. Der Lichtdruck auf Blords Lidern ließ merklich nach, und zum ersten Mal öffnete er sie sehr vorsichtig einen Spalt breit. Er befand sich in einem dämmrigen Tunnel und glitt schneller vorwärts, als er angenommen hatte. Der Tunnel schien keine Eigenbeleuchtung zu haben, sondern durch eine entferntere Lichtquelle erhellt zu werden, die von seinem Dach reflektiert wurde. Übergangslos wurde er breiter und öffnete sich in einen großen, runden Raum. Blord hatte den flüchtigen Eindruck von menschlichen Gestalten im Halbdunkel. Im nächsten Augenblick wurde der Gravitor langsamer. Als er dann zum Stillstand kam, vernahm Blord von irgendwo aus der Dunkelheit eine Männerstimme. »Ah, unser Gast ist eingetroffen. Weckt ihn auf!« Blord setzte sich auf. Er verspürte nicht die geringste Lust, sich ein Weckmittel injizieren zu lassen. Solche mit einem Narkotikum behandelten Zigaretten hatten gewöhnlich keine langdauernde Wirkung, also würde sein Erwachen kaum einen Verdacht erregen. Ein paar Zweifel konnten allerdings nie schaden. Er blickte um sich und sagte dann: »Guter Gott!« Er durfte seine Überraschung nicht übertreiben, dachte er, aber es war sicher nicht fehl am Platze, wenn er ganz offen ein gewisses Erstaunen zeigte. Er entdeckte eine Radiumlampe, die in der Mitte des Fußbodens lag oder aus ihm heraustrat und die jetzt unendlich langsam herumgedreht wurde. Ein geisterhaftes Leuchten ging von ihr aus, und in ihrem Schein waren die Umrisse von Männern erkennbar. Die Masken, die diese Männer trugen, verliehen dem Ganzen etwas Unwirkliches, ein Eindruck, der jedoch sofort wieder verschwand, als die Gestalt, die eben schon gesprochen hatte, jetzt fortfuhr. «Ich glaube nicht, dass wir uns mit langen Vorreden aufhalten müssen«, sagte der Mann. »Wir sind alle sehr beschäftigte Leute, und wir wissen alle, warum wir uns hier versammelt haben.« In seiner Stimme lag ein spöttischer Unterton, als er schloss: »Ich bin sicher, dass sogar
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Mr. Blord genau weiß, worum es geht.« Blord schüttelte den Kopf. »Woher denn, in Gottes Namen«, entgegnete er tonlos. Dann wurde seine Stimme energischer. »Aber ich glaube, ich habe ein Recht darauf ...« Der maskierte Mann unterbrach ihn kalt. »Ein Mann, der nur noch kurze Zeit zu leben hat, hat keine Rechte mehr. Sie haben sich die längste Zeit in die Angelegenheit anderer eingemischt, Mr. Blord. Wir haben Ihre superschlauen Tricks satt, und wir sind es leid, dass Sie die Profite ehrlicher Männer schmälern. Aber genug davon. Wie ich schon sagte, wir wissen alle, warum wir hier sind, aber lassen Sie mich für unseren Gast also noch einmal kurz rekapitulieren. Wie Ihnen allen bekannt ist, verkündeten unsere Regierungen einen offenen Wettkampf, als Interstellar, Tochtergesellschaft der Galactic Company, im Glauben, durch ihre Raumantriebspatente eine unanfechtbare Position zu haben, Schutzgebühren und unmögliche Vorauszahlungen zur Einrichtung eines organisierten Dienstes zum Personen- und Gütertransport verlangten. Sie hatten die Lokalrechte für einen Antrieb erworben, der dem Galaktikantrieb weit unterlegen war und Konkurrenten gebeten, ihre Forschungsteams damit zu beauftragen, diesen Antrieb zu verbessern. Man garantierte den Gesellschaften, die sie entwickelt hatten, alle Verbesserungen, und für den Fall einer Duplizität versprach man eine gerechte Anspruchsregelung.« »Entschuldigung«, unterbrach ihn Blord. »Aber hat irgend jemand einen Antrieb entwickelt, der auch nur ein Viertel so schnell ist wie der Galaktische? Wenn nicht, dann werden sich alle, die hier versammelt sind, selbst finanziell ruinieren.« »Was wollen Sie damit sagen?« fragte eine Stimme. »Es ist doch völlig egal, was er damit sagen will«, dröhnte der Mann, der stand. »Merkt ihr denn nicht, dass er uns nur gegeneinander aufbringen will?« »Ich will damit sagen«, fiel Blord rasch ein, »dass sich Besitz
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danach rentiert, wie schnell produzierte Güter auf den Markt gelangen. Der einzige Grund, warum ich in diesen Wettbewerb eingetreten bin, ist der, dass ich von lächerlich niedrigen Geschwindigkeiten gehört habe, die ...« »Halten Sie den Mund!« Blord zuckte die Achseln. Er hatte sein erstes Argument an den Mann gebracht. Es war ein Argument, das ihnen allen zweifellos schon einmal in den Sinn gekommen war, das aber einiger Belastung standhalten konnte. »Vor zwei Wochen«, fuhr der Sprecher fort, »trat mit einem großen Tusch und viel öffentlichem Tamtam Artur Blord in den Wettkampf ein. Was bis dahin ein ernstes und kostspieliges Unternehmen gewesen war, wurde plötzlich zum Zirkus.« Bitterkeit schwang in der Stimme des Mannes mit. »Und der phantastische Ruf dieses Mannes sorgte dafür, dass die vierundneunzig Gesellschaften, die Milliarden Stellors in die Forschungsarbeiten gesteckt hatten, augenblicklich zum Gespött der Leute und von der Presse bemitleidet wurden. Sie wurden zur Zielscheibe für Satiriker, Komiker und Komödianten. Und es besteht natürlich auch kein Zweifel daran, dass Blord wusste, was er seinem Ruf schuldig war. Er konnte sich keinen Fehlschlag leisten. Wir nahmen also an, dass er den Antrieb besaß, der den Preis gewinnen würde, und über den Skal ließ jemand eine erste Versammlung einberufen, auf der man sich auf einen Plan einigte, Mr. Blord hierher zu holen. Ich wurde durch das Los bestimmt, ihn durchzuführen. Unsere Absicht ist es, von Mr. Blord das Geheimnis seines Antriebs zu erfahren und ihn zu zwingen, uns alle Rechte an seinem Schiff abzutreten.« »Ist es möglich«, mischte sich Blord ein, »dass sich die großen Einzelunternehmer der Ridge Stars doch endlich einmal zur Kooperation entschlossen haben, auch wenn es nur um die Verteidigung der Beute geht? Aber ich muss Sie alle enttäuschen. Sie kommen leider zu spät.«
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»Was soll das heißen?« »Ich habe die Rechte bereits überschrieben und zwar an die Regierung von Delfi. Der Kontrakt tritt in Kraft für den Fall, dass ich bei der Endausscheidung nicht dabei bin, mit der Klausel, dass dann ein gemeinwirtschaftlicher Nutzungsbetrieb eingerichtet wird. Und was Ihre andere Absicht betrifft, mir das Geheimnis des Antriebs zu entlocken, so muss ich Sie leider ebenfalls enttäuschen. Zufällig habe ich mich heute morgen einer Gegenhypnose unterzogen, und wie es der Zufall will, genau in dieser Angelegenheit.« »Was?« Dem Ausruf folgte Totenstille, die sich in das Rascheln rastloser Körper wandelte. Schließlich sagte eine Stimme leise: »Wenigstens können wir ihn immer noch umbringen und dafür sorgen, dass er uns in Zukunft nicht mehr in unsere Geschäfte pfuscht.«
5 Blord stieg vorsichtig vom Gravitor herunter. Als seine Füße den harten Boden berührten, wurde ihm zum ersten Mal bewusst, dass er nicht der mutige Mann war, für den er sich immer gehalten hatte. Seine Knie waren wacklig, und er fühlte sich schwach und unsicher. Und als er jetzt sprach, hatte er Mühe, ein Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. »Wie es aussieht, haben Sie mich in der Hand, meine Herrn«, sagte er. »Aber ich würde Ihnen empfehlen, es sich sehr gut zu überlegen, bevor Sie mich umbringen. Wenn ich in solche Fallen wie diese gerate, bin ich gewöhnlich zu einem Handel bereit.« »Der Hund fängt zu winseln an«, ertönte eine verächtliche Stimme aus der Dunkelheit. Blord zuckte die Achseln. Die Furcht in ihm war jetzt verschwunden. »Wenn ich recht verstehe«, erwiderte er gelassen, »lauten die beiden Hauptanklagepunkte gegen mich, 32
dass ich erstens Forschungsinvestitionen in Gefahr gebracht und Sie alle zweitens zum öffentlichen Gespött gemacht habe. Sollte die Investition eines jeden von Ihnen sichergestellt sein und ich letztendlich als der Dumme dastehen, so nehme ich an, dass Sie doch ...« »Ist das noch der große Artur Blord, der da spricht, oder ein jämmerlicher Waschlappen?« explodierte eine Stimme in der Dunkelheit. Blord hörte das Murmeln allgemeiner Entrüstung. Die Heftigkeit ihrer plötzlichen Verachtung ließ ihn gegen seinen Willen erröten. Er kannte den Kodex, der diese weit ausgedehnten Grenzen des Weltraums regierte, und er konnte sich lebhaft vorstellen, wie seine Worte später zu seiner eigenen Demütigung über die Medien ausgestrahlt werden würden. Der Gedanke daran verlieh seiner Stimme einen scharfen Unterton. »Hören Sie sich trotzdem meinen Vorschlag an«, entgegnete er knapp. »Es ist zu Ihrem eigenen Vorteil.« »Ja, warum nicht«, erklang eine ätzende Stimme. »Hören wir uns seinen Vorschlag an, nachdem der Schock jetzt vorbei ist.« Blord fühlte unbändigen Zorn auf diese Männer in sich aufsteigen, die gewissenlos unschuldige Frauen mit Sexdrogen gefügig machten und Siebentage-Gift, Mord und offenen Raub als Instrumente ihres Willens benutzten, und die sich dann so erregen konnten, wenn jemand physische Feigheit zeigte. Es kostete ihn Anstrengung, seinen Ärger zu unterdrücken. Der Kodex war da. Er existierte. Er hatte ihn eigentlich in einen Plan miteinbezogen, aber gerade die Heftigkeit ihrer Gefühle in diesem Punkt machte alles einfacher. »Mein Schiff«, begann er, »wird das Rennen machen. Es erreicht eine Geschwindigkeit von fast einundachtzig Prozent von der eines Galaktikschiffes. Wenn irgend jemand diese Geschwindigkeit übertreffen kann, dann soll er es sagen, und ich werde ohne ein weiteres Wort zur Schlachtbank gehen. Nun?« Er schwieg und fuhr dann spöttisch fort: »Ich bin bereit, Ihnen
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folgendes Angebot zur sofortigen schriftlichen Fixierung, Unterzeichnung und Siegelung zu machen: Es wird eine gemeinsame Aktiengesellschaft mit einer Aktienausgabe von zweihundert Stück gegründet, von denen ich fünfzig und dreiundneunzig der vierundneunzig Gesellschaften jeweils eine erhalten. Bedingung ist, dass sie ihre sämtlichen Patentrechte an die neue Firma abtreten. Die restlichen siebenundfünfzig Anteile erhält Seldon Delaney, der die Gesellschaft nach den Kallear-Satzungen leiten wird. Ich werde sofort nach der Unterzeichnung wieder auf freien Fuß gesetzt. Evana Travis bekommt das Gegenmittel und wird mir sofort anschließend unverletzt übergeben. Jeder kann soviel Spottpropaganda gegen mich betreiben wie er möchte. Das gesamte Abkommen wird nichtig, wenn ich zur Zeit des Wettbewerbs nicht mehr am Leben bin, und es wird nur dann wirksam, wenn mein Schiff tatsächlich den Preis gewinnt.« »Das wird Sie ruinieren, Blord«, rief ein Mann. »Selbst der unterste Pöbel wird Sie verachten, wenn wir erst der Öffentlichkeit mitgeteilt haben, wie sehr Sie sich gedemütigt haben.« Artur Blord zuckte die Achseln, sagte aber nichts. Er wartete nur lange genug, um sicher zu sein, dass der Vertrag tatsächlich aufgesetzt wurde; anschließend verließ er den Raum und spazierte durch schwach erhellte Tunnel. Nachdem er ein Stück gegangen war, fand er ein Standardeldofon, von dem aus er eines seiner Schiffe benachrichtigte, das ihn abholen sollte. Dann schlenderte er eine Weile durch die feuchten Gänge der Skalburg. Er befand sich zum ersten Mal in diesen uralten Gewölben und war entsprechend neugierig. Der Skal würde ihn schon daran hindern, in Teile des Innern vorzudringen, die nicht für seine Augen bestimmt waren.
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... höhlenähnliche Gänge, in denen Dämmerlicht herrschte, Räume, die offensichtlich speziell für den Menschen umgeändert worden waren, Schlafzimmer, Unterkünfte, ein Restaurant, Leute ... Er schüttelte den Kopf, sprach aber niemanden an. Ein paar Mal stieß er auf nackte Wände, die so aussahen, als seien sie erst vor kurzem errichtet worden. Inmitten all der dumpfen und dämmrigen Umgebung gab es keine Spur des Skal selbst. Schließlich kehrte Blord zum »Konferenzraum« zurück und setzte seine Unterschrift auf sämtliche Kopien, nachdem er jede kurz überflogen hatte. Drei Stunden später traf das Raumschiff ein, das ihn abholten sollte. Als er aus einem der düsteren Tunnel der Burg in das hell erleuchtete Innere der Maschine trat, spürte er wieder jene unangenehme Berührung in seinem Geist, die er als Gedanken des Skal identifizierte. »Gut gemacht, Artur Blord. Sie werden vor Wut heulen, wenn sie merken, dass letztendlich doch sie es sind, die zum Gespött werden. Deine Genialität hat meinen Nerven einen unerwarteten Kitzel verschafft. Um dir meine Dankbarkeit über einen solchen intellektuellen Leckerbissen zu beweisen, gewähre ich dir einen Gefallen, um den du mich bitten kannst, wann immer du willst. Viel Glück.« »Und wie siehst Ihr Plan jetzt aus?« fragte Evana verständnislos, als das Schiff durch den Raum schoss. »Sie haben gesagt, Sie hätten einen. Aber alles, was ich bis jetzt verstanden habe, ist, dass Sie Ihren guten Ruf und Ihr Ansehen verlieren werden, und dass Sie fünfundsiebzig Prozent Ihrer Rechte an dem Antrieb an die Konkurrenz weggegeben haben.« Sie sah wirklich verwirrt aus. Blord betrachtete sie nachdenklich, dann warf er den Kopf zurück und lachte »Vergessen Sie nicht, bis vor drei Wochen hatte ich noch nicht einmal einen Raumantrieb«, sagte er. »Und es geht mir in erster Linie darum, dass die Ridge Stars ein schnelles Transportsystem bekommen. Aber nachdem mir dann die Idee Bekommen war,
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fand ich die Vorstellung zu reizvoll, um sie nicht in die Tat umzusetzen.« »Und was war das für eine Idee?« erkundigte sich Evana hartnäckig. »Ganz einfach. Ich war überzeugt, dass nach dem Wettbewerb die besten Ideen aus den vorgestellten Raumantrieben zusammengefasst werden würden. Dem habe ich vorgegriffen, das ist alles. Es hat mich große Summen an Bestechungsgeldern gekostet, die Forschungsergebnisse aller beteiligten Firmen zu kaufen. Meine Techniker haben dann die besten Resultate kombiniert. Sehen Sie«, schloss er, »wenn sie merken, dass sie ihre eigenen Patentrechte abgetreten haben und dass sie im Grunde den Antrieb geliefert haben, wird ihnen das Lachen schon vergehen.« »Aber dieser schreckliche Mr. Delaney!« wandte Evana ein. »Warum haben Sie ausgerechnet ihn ...« Blord fiel ihr ins Wort. »Vergessen Sie nicht: Er hatte Sie, und er hatte das Gegenmittel zu dem Gift. Ich hatte keine andere Wahl. Und denken Sie nicht, dass er das nicht wusste. Ich musste ihm die Aufsicht über den neuen Interstellarantrieb überlassen, also musste er zwangsläufig zum Vorsitzenden der Gesellschaft ernannt werden, die ihn verwenden wird.« Es folgte ein langes Schweigen. »Und was passiert jetzt mit mir?« fragte Evana dann leise. Blord sah sie seltsam an; dann lächelte er. »Ich brauche wirklich eine Sekretärin. Glauben Sie, dass Ihnen der Job gefallen könnte?«
6 Es war ein ganz normaler Tag für die große Stadt Suderea, nicht zu warm, nicht zu kalt. Die Gebäude leuchteten im Sonnenlicht. Evana, die inzwischen seit sechs Monaten für Artur Blord arbeitete, schlenderte in ihrer Mittagspause über die Financial 36
Avenue, sah in jedes der spiegelnden Schaufenster und überließ sich ganz dem Gefühl der Erregung, das in der Luft lag. Menschen hasteten an ihr vorbei, als ob sie in irgendeinem erfreulichen Auftrag unterwegs wären. Das war das Wundervolle an den Planeten der Sterne, die die seltsame Deformation im Weltraum bildeten, die unter dem Namen Ridge Stars bekannt war. Sie infizierten die Menschen mit dem Bazillus des Eifers und der Erwartung. Dann erfüllten sie ihre größten Hoffnungen. So kam es Evana zumindest vor. Sie fühlte sich beschwingt und gelöst, als sie durch die gewaltigen Doppeltüren des Blord-Gebäudes trat. Die beiden Männer in ihren eleganten Uniformen, die für sie die Türen geöffnet hatten, grinsten ihr freundlich zu, was noch zu ihrem Wohlbehagen beitrug. Sie lächelte zurück, als sie raschen Schrittes auf die Aufzüge zuging. Als sie die Penthausetage erreichte, merkte sie, dass sie vor Erregung zitterte. Es war ein Gefühl, das sie in diesen vergangenen drei Wochen oft verspürt hatte - die Spannung, ob Artur Blord heute zurückkehren würde, vielleicht jetzt in diesem Augenblick bereits in seinem Büro war. Der Gedanke beschleunigte ihren Schritt, als sie den Korridor entlang eilte. Erwartungsvoll riss sie die Tür zu ihrem Apartment auf und sog prüfend die Luft ein. Doch sie konnte keine Spur jenes verräterischen Dufts der speziellen Zigarettenmarke wahrnehmen, der immer ein sicheres Zeichen für seine Anwesenheit war. Weniger ungestüm ging sie dann hinüber zu der Tür, die zu den Büroräumen führte. Auch hier war niemand. Sie wollte gerade in ihre Wohnung zurückkehren, als das Eldofon an der Wand über ihrem Schreibtisch laut läutete. Und diesmal wurde sie nicht enttäuscht. »Ich versuche schon eine ganze Weile, Sie zu erreichen«, meldete sich Artur Blord. »Ich habe heute in der Stadt etwas zu Mittag gegessen«,
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erklärte Evana. »Und einen kleinen Spaziergang gemacht.« »Einen Moment, Evana«, unterbrach Blord sie. »Da kommen gerade Alarmsignale herein. Ich rufe Sie nachher noch einmal an.« Er wartete, bis Evanas Gesicht von der Platte verschwunden war, dann wandte er sich dem Kontrollpult zu. Metall! flackerte es im automatischen Alarmsystem auf dem Kontrollpult des Raumschiffes auf. Metall! Metall! Artur Blord spähte stirnrunzelnd in die Sichtplatten, aber in der Richtung, in die die Anzeiger wiesen, war nichts außer Dunkelheit, Dunkelheit und ein schwaches Funkeln von Sternen. Ein flüchtiger Blick auf den Taxator zeigte ihm, dass er drei Lichtjahre von der Zand-Sonne und acht von dem Doppelstern Carox A und B entfernt war, der nächsten der Ridge Star Sonnen. Es konnte ein Eisenmeteorit sein, überlegte er. Allerdings war es höchst unwahrscheinlich, so weit hier draußen. Außerdem gehörten seine Schiffssysteme zu dem modernen Rejektortyp. Sie konnten jede einfach Struktur, wie zum Beispiel einen Meteoriten, untersuchen, sich auf seinen Kurs einstellen und mit Höchstgeschwindigkeit weiterfliegen, ohne Alarm zu geben. Ein Schiff also? Blord warf einen flüchtigen Blick auf den Energierekorder, aber das Instrument zeigte keine Funktion. Was immer da draußen sein mochte, erzeugte jedenfalls nicht genug Energie, um einen Radiator zu erwärmen, geschweige denn eine Spule in Betrieb zu setzen. Neugierig bist du überhaupt nicht, dachte er sarkastisch. Aber er wusste, dass es mehr war. Gerade diese Eigenschaft seines Charakters, die ihn auf alles und jedes neugierig machte, die Eigenschaft, die es ihm ermöglichte, seine ganze Aufmerksamkeit von einem wichtigen Geschäft abzuwenden und sich in etwas scheinbar völlig Unwichtiges und Belangloses zu vertiefen, brachte seine Mitarbeiter immer wieder zur Verzweiflung und versetzte seine Feinde in Erstaunen.
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Mit einer schnellen Handbewegung berührte er den Knopf, der seine Teleskopkameras mit den leuchtenden Anzeigern synchronisierte und drückte auf den Taster. Die gelben Sucher erschienen auf der Sichtplatte. Obwohl sie langsamer als das Licht waren, erreichten sie es fast augenblicklich. Die Bilder zeigten ein Raumschiff von rund einer Fünftelmeile Länge, das offensichtlich einem Kurs folgte, der annähernd parallel zu seinem eigenen lag, denn sonst wäre es bei der Geschwindigkeit, mit der er sich fortbewegte, nicht immer noch in Reichweite. Bei dem ständig ansteigenden Raumverkehr war so etwas durchaus möglich. Blord schaltete sein Eldofon ein. «Sichtruf!« rief er in die Sprechmuschel. »Sichtruf!« Aber er bekam keine Antwort von dem fremden Schiff. Ein Wrack, dachte er und überflog in Gedanken die Liste der Raumschiffunfälle, die seit seiner eigenen Ankunft vor fünfzehn Jahren in den Ridge Stars passiert waren. Es waren nicht viele, wenn man von denen in der Todeszone der Lorelei-Sonne absah, und alle diese Schiffe waren geborgen worden. Er konnte sich an keinen Fall erinnern, bei dem es irgendwelche Zweifel über die Ursache des Unglücks gegeben hätte. Und das Bild war immer das gleiche gewesen: alle Männer tot, alle Frauen verschwunden. Mit düsterer Miene nahm er Kurs auf das Schiff. Wie er erwartet hatte, standen die Schleusen offen; das Thermometer seines Raumanzugs zeigte eine Temperatur von vierzig Grad minus an, als er sich von seiner Einstiegsstelle aus den Korridor entlangbewegte, wobei er die Dunkelheit mit seinem Helmlicht durchschnitt. Circa zwei Stunden, überlegte er, würde es dauern, bis sich das Innere des Schliffes auf diese Temperatur abgekühlt hatte. Blord stieß auf den ersten Toten, ein gepflegt aussehender Mann, dessen linke Brusthälfte von einer Waffe zerstört worden war, die der Größe der Wunde nach ein halbmobiler Blaster gewesen sein musste. Er fand noch mehrere Tote, als er weiterhastete, alles Männer, die von der vernichtenden Energie,
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die sie getroffen hatte, zum Teil entsetzlich verstümmelt waren. Wilder Zorn stieg in ihm auf, der ihn, wie immer, nicht unvorsichtig, sondern ganz im Gegenteil noch wachsamer werden lief?; und diese Wachsamkeit war es, die ihm das Leben rettete. Er hatte eine fest geschlossene Tür geöffnet. Luft strömte ihm entgegen. Als er gerade in die vor ihm herrschende Dunkelheit spähte, sprang eine Bewegung in den Winkel seines linken Auges, eine Bewegung, in der so viel Gefahr lag, dass er sich augenblicklich zu Boden warf. Über ihn hinweg zischte der Strahl eines Handblasters durch die Luft. Im selben Augenblick war Blord auf den Füßen und umklammerte auch schon den Arm, der die Waffe hielt. Blitzschnell zog er den Angreifer so rückwärts über sein Knie, dass dieser sich nicht mehr wehren konnte. Als er auf seinen Feind hinuntersah, erkannte er, dass er eine Frau vor sich hatte. Ihr Gesicht war nass von Tränen des Entsetzens und von der Kälte schon blau angelaufen. Keuchend schnappte sie nach Luft. Sie erholte sich rasch in der Wärme von Blords Schiff. Die Angst, die ihre Züge beherrscht hatte und fester Bestandteil ihres Gesichtsausdrucks zu sein schien, blätterte ab wie eine Horrormaske, die man abnimmt. Darunter kamen ein ausdrucksvolles Gesicht und eine Persönlichkeit zum Vorschein, sie schien sich schnell von den schrecklichen Schlägen zu erholen, die sie hatte einstecken müssen. Mit leuchtende blauen Augen musterte die Frau ihre Umgebung. »Ist das hier eine private Raumyacht?« wollte sie wissen. Blord nickte. Aber er nahm den Blick nicht von ihr. Er war verwirrt. Bei dem Frachter hatte es sich um ein Raumschiff von der Erde gehandelt, das menschliche Fracht zu den Ridge Stars bringen sollte. Gewöhnlich waren die Mädchen und Frauen, die sich an Bord solcher Schiffe befanden, relativ naiv und ahnungslos - die großen Augen von Neugier erfüllt -, Produkte eines Planeten, auf dem man keine Verbrechen kannte. Diese
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Frau hier passte nicht ganz in dieses Bild. Sie hatte ein hübsches, fast mädchenhaftes Gesicht und sah noch sehr jung aus; aber nachdem er sie einen Augenblick betrachtet hatte, war Blord überzeugt, dass sie die Dreißig erreicht haben musste. Sie wurde es schnell leid, sich ihre Umgebung anzusehen. Die Erregung über ihre Rettung ließ nach, und in ihren Augen und ihrer Stimme lag Erschöpfung. »Ich heiße Ellen Reith. Sie wollen wahrscheinlich wissen, was passiert ist.« Blord schüttelte den Kopf. »Ich weiß, was passiert ist«, entgegnete er. »Wir werden uns später darüber unterhalten. Ich glaube, dass Sie zuerst einmal Ruhe brauchen.« »Sie wissen, was passiert ist!« Ihre blauen Augen wurden groß. »Dann wissen Sie auch, wer dafür verantwortlich ist und wohin die anderen Frauen gebracht worden sind.« Blord nickte. Ellen Reith starrte ihn an. »Wohin?« Blord seufzte. Er konnte sich sehr gut vorstellen, was sie empfinden würde, wenn sie erfuhr, welchem Schicksal sie entronnen war. Als er es ihr erzahlt hatte, lag sie ganz still da. Ihr Körper schien sich unter der Decke, die Blord über sie gebreitet hatte, verkrampft zu sein. »Sie meinen, es gibt wirklich Menschen, die so etwas tun«, flüsterte sie schließlich und fuhr mit der Hand durch die Luft, als wolle sie auf den verwüsteten Raumfrachter zeigen, »und alle männlichen Passagiere ermorden, nur um Frauen für die Skalburg zu bekommen? Warum unternimmt denn die Raumpatrouille nichts dagegen?« Ihre Stimme wurde erregter. »Sie haben doch sicher schon Meldung gemacht, was hier passiert ist, oder?« »Nun, nein«, erwiderte Blord langsam. »Eigentlich nicht. Noch nicht.« »Aber vielleicht sind noch andere Überlebende an Bord« wandte sie atemlos ein. »Und vielleicht kann man das Schiff mit den Frauen noch stoppen. Sie ...« Sie schien zu begreifen, dass ihre Worte ihn kaum berührten. Mit einem Ruck löste sie sich
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aus ihrer Hysterie und fragte scharf-»Warum unternehmen Sie nichts? Warum versuchen Sie nicht, andere an Bord zu retten?« »Schlafen Sie jetzt!« gab Blord zurück. Er stand auf und verließ den kleinen Raum, um sich zu seinem Kontrollpult zurückzubegeben. Er war überzeugt, dass es keine Überlebenden mehr auf dem Frachter gab, denn er hatte ihn äußerst gründlich untersucht. Dabei hatte er darauf geachtet, alles genau so zurückzulassen, wie er es vorgefunden hatte: die Positionen der Toten, die lang ausgestreckt auf dem Boden lagen, die weit geöffneten Luftschleusen. Zweifellos waren an dem Überfall auch Männer beteiligt gewesen, die als Passagiere von der Erde aus in dem Frachter mitgefahren waren und die dafür gesorgt hatten, dass der Angriff mit äußerster Präzision zu einem genau festgelegten Zeitpunkt von ihren Komplizen durchgeführt werden konnte. Diese Banden setzten sich aus dem Abschaum der Menschheit zusammen, die von der Burg des Skal, jenes sardonischen und uralten Tieres, aus ihr Unwesen trieben. Vor sechs Monaten hatte der Skal ihm einen Gefallen versprochen. Doch Blord wusste genau, dass das Tier nie einen Gefallen gewähren würde, der die Männer gefährdete, die sein Heim benutzten. Und diese Männer waren jetzt in Gefahr. Wegen der physischen Untersuchungen der Leute, die zu den Sternen emigrierten, konnten sie nur unmaskiert an Bord gewesen sein. Inzwischen hatten sie zweifellos herausgefunden, dass ihnen eine Frau entkommen war, eine Frau, die einige Mitglieder der Bande an Bord des Frachters gesehen haben musste. Diese Frau würde mit Sicherheit beseitigt werden, wenn er nicht jede nur denkbare Gegenmaßnahme traf. Er stellte seine Anrufe durch, aber es dauerte zwei Stunden, bis sein Eldofon leise zu brummen begann. Der erste Rückruf kam von seinem Direktor, Magrusson. Der dickt Mann sprach leise, als ob die Angelegenheit, um die e; ging, eine dämpfende Wirkung auf ihn hätte. »Das unsichtbare Schiff wird Sie in fünf Stunden treffen Der
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Pilot ist Nicer. Er wird den Austausch über de: Dschungelinsel von Carox All durchführen und dann hier hin zurückfliegen, um entsprechend behandelt zu werden so dass er glaubt, er sei es gewesen, der in Wirklichkeit mit Ihrem Schiff von Zand aus gestartet ist.« »Ich schätze, das ist das Beste, was wir tun können«, entgegnete Blord zweifelnd. »Ich weiß nur nicht, ob diese Behandlung auch einer Konfrontation mit dem Skal standhalten kann. Wenn ich von meiner eigenen Erfahrung mit ihm ausgehe, bin ich mir ziemlich sicher, dass er tiefer in einen Geist eindringen kann als wir es mit unseren Behandlungen können. Allerdings sollte man auch die Möglichkeit nicht außer acht lassen, dass er sich vielleicht überhaupt nicht in die Sache einmischt. Wahrscheinlich hält er sich im Hintergrund und verfolgte das Ganze nur als unbeteiligter Beobachter. Ich möchte aber keine unnötigen Risiken eingehen. Wenn Ihnen noch irgendwelche weiteren Vorsichtsmaßnahmen einfallen, dann lassen Sie mich es wissen.« Der zweite Rückruf kam ein paar Minuten später. Evanas Gesicht erschien auf der Platte. »Mr. Blord«, begann sie rasch, »ich habe mit dem Chef der Geheimpolizei der Patrouille gesprochen, wie Sie es mir aufgetragen haben. Natürlich habe ich ihm nicht verraten, warum ich die Informationen brauche. Ich habe ihm einfach erzählt, dass ich zufällig gerade etwas darüber gelesen hätte, und dass es mich interessiere. Er war sehr zugänglich.« »Gut gemacht!« Evana freute sich über das Lob und lächelte, wurde dann aber sofort wieder ernst. »Ich glaube kaum, dass Sie Glück haben werden, wenn Sie wirklich beabsichtigen, sich mit dem Skal anzulegen, es sei denn, Sie können ihn überreden, dass er sich Ihnen und Delfi II zu Gefallen selbst umbringt.« »Gar keine schlechte Idee«, Blord lachte leise. »Er schuldet mir ja noch einen Gefallen. Aber reden Sie weiter. Gibt es denn
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schlechte Nachrichten?« »Nur! Sie wollten doch Informationen über die verschiedenen Angriffe der Ridge Star-Regierungen auf die Skalburg. Ich bin also ins Laboratorium gegangen und habe Marian Clark danach gefragt. Sie konnte mir Details nennen; also passen Sie auf: Die Burg besteht aus einem Metall, das noch nicht einmal zu schmelzen beginnt, wenn man es mit Atomenergie angreift. Wie Sie wissen, hat es auf Delfi 1 noch andere Gebäude aus früheren Zeiten gegeben -Überreste einer lange ausgestorbenen SkalZivilisation Sie wurden alle ziemlich plötzlich zerstört, bald nachdem die ersten Menschen nach Delfi II kamen. Allerdings konnten vorher noch einige lose Stücke zu Studienzwecken zur Erde gebracht werden. Niemand weiß, um welches Metall es sich handelt. Es ist das alte Problem: Aushärtung von Legierungen unter Benutzung von Katalysatoren. Wenn Sie nicht das katalytische Agens sowie die äußeren Bedingungen, die Methode und die Härtungszeit kennen, dann können Sie das fertige Metall untersuchen, bis Ihnen der Kopf qualmt, ohne dass Sie sein Geheimnis herausfinden werden. Das Elektronenmuster des Metalls ist bekannt; Marian wird Ihnen die Formel schicken. Und das wäre zu diesem Punkt auch schon alles. Aber jetzt habe ich noch etwas ganz Besonderes für Sie, eine sehr vertrauliche Information: Bei den drei Angriffen gegen die Skalburg sind sechsundneunzig Polizeikriegsschiffe zerstört worden, eine Tatsache, die allerdings nie an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Sie wurden durch einen leuchtenden grünen Strahl zerstört, dessen Elektronenaufbau bis ins kleinste Detail mit dem des unbekannten Metalls übereinstimmt. Sehen Sie zu, was Sie damit anfangen können - sagt Marian. Und nun zum Schluss zu Ihrer Frage nach den anderen Verstecken der Männer, die die Skalburg benutzen: Es gibt so viele Sonnen, so viele unerforschte Planeten, dass die Suche nach eventuellen Verstecken völlig hoffnungslos erscheint. Aber
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es liegt auf der Hand, dass sie Nachschubbasen in großen Städten haben müssen. Im Augenblick stehen zwei unter Verdacht: die eine ist der Midnight Club in der Stadt Negor auf Fasser III; die andere ...« »Augenblick«, unterbrach Blord sie. »Ich lasse die Namen aufzeichnen.« Nachdem Evana sie durchgegeben hatte, fragte er in verändertem Ton: »Und wie geht es Ihnen, Evana?« Sie warf ihm ein strahlendes Lächeln zu. »Einfach glänzend, Mr. Blord. Aber ich wünschte, Sie wären nicht so oft fort. Mr. Magrusson hat ganze Stapel von Unterlagen für Sie hier liegen, die von Ihnen unterschrieben werden müssen.« Blord lachte. »Der arme Magrusson. Aber unter uns: Ich glaube, wenn er diese >Stapel von UnterlagenDie Ridge Star Regierung hat die Beschlagnahmung der Artur Blord Holdinggesellschaft am Mittag des heutigen Tages erklärt. Diese Maßnahme wird notwendig, da Blord sich willkürlich weigert, am Kampf der Patrouille gegen die Piraterie teilzunehmen, die inzwischen zu einer bedeutenden Gefahr für den gesamten Raumverkehr geworden ist. Das Leben von Tausenden von Menschen wird durch das autokratische Verhalten dieses einen Unternehmers gefährdet, und deshalb werden seine Geschäfte vorläufig im öffentlichen Interesse von der Patrouille geführt, bis die Raumwege wieder relativ sicher sind. Um zu garantieren, dass die Interessen des Besitzers gewahrt werden, bestimmt die Patrouille Blords einzig lebenden Verwandten, Frederick Gantley, zum Verwalter des Vermögens.