Planet ohne Himmel Deutsche Erstveröffentlichung
Vor einer Minute war der Sonntag in den Montag hinübergewechselt. Der...
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Planet ohne Himmel Deutsche Erstveröffentlichung
Vor einer Minute war der Sonntag in den Montag hinübergewechselt. Der große Zeiger der elektrischen Wanduhr sprang unhörbar von der Zwölf weg. Über ein kompliziertes automatisches Steuersystem war er mit dem Raum abhörsystem verbunden, das im Rund von zehn Kilometern auf den Berg gipfeln montiert war. Mit dem Gang des Zeigers drehte sich das Raumab hörsystem um einen winzigen Grad weiter, um in einen neuen Sektor des Weltalls hineinzulauschen. Ein gigantisches Netz, von riesigen Spinnen gesponnen, in turmhohen Stahlrahmen eingehängt, drehte seine kolossale Anlage aus Elektronenströ men und Stahl, erfaßte die Millionen Radiowellen, die aus den tiefsten Tie fen des Raumes kamen. Jetzt in diesem Moment wurden sie von der Abhöran lage aufgenommen, festgehalten, regi striert und katalogisiert. Eine neue Minute brach an, ein Ruck des Zeigers, ein Schwenk der WeltallAbhöranlage — und ein neuer Ab schnitt des Raumes wurde belauscht. Die Uhr vor sich an der Wand, be obachtete ein Mann die huschenden Spuren auf den grünschimmernden Schirmen. Neben ihm summten die elektronischen Rechenanlagen und drehten viele Kilometer Papierstreifen mit Zahlen aus ihrem Inneren heraus. Eine andere Anlage übernahm die Zah
von Winfried Bauer
len und übermittelte sie einer Raum zeitkarte, auf der sie zu wandernden Punkten wurden, die dem Kenner einen Ausschnitt des Alls zeigten. Das trockene Zischen der Radiowel len wurde mit Hilfe dieser voluminösen Anlage mitten in den Bergen zu einem Einblick in die Welt des Unsichtbaren, in die Welt, die kein Teleskop mehr zu erreichen imstande war. Der Weltraum sang, und die Radioteleskope vom Mount Pilar setzten diesen Gesang in wertvolle Informationen um. Arthur Mellery hieß der Beherrscher dieser einmaligen Abhöranlage der Er de. Seit Jahren verbrachte er seine Ta ge und viele Nächte in dem schmalen Kommandoraum, hoch über den Trans formatorenstationen und Energiezent ren, im Mittelpunkt des größten Spin nennetzes. Er war ein Besessener des Raumes geworden, vor Jahren hatte ihn die Aufgabe gepackt und nicht mehr losgelassen. Die Aufgabe, den kende Wesen im Raum zu finden. Viele Jahre suchte Mellery auf dem 21-Zentimeter-Band, dem Strahlungs band des interstellaren Wasserstoffs, nach dem Richtstrahl der Unbekannten, die diesen von irgendeiner Welt abge schickt hatten, in der Hoffnung, daß er von denkenden Wesen empfangen würde. Arthur Mellery war einer der ersten Raumforscher der Erde und verfügte
über die größte Anlage. Das gab ihm Während Mellery müde und nicht einen Vorsprung gegenüber seinen Kol sehr aufmerksam auf die Papiere vor legen in anderen Ländern der Erde. Er sich schaute, vernahm sein geschultes war in der Lage, Raumerkundungsson Ohr einen hohen, feinen Ton aus dem den noch in Entfernungen zu verfol Lautsprecher, der anders war als der gen, die für normale Anlagen im Be normale Rauschpegel. reich der Phantasie lagen. Mellery hat Im Bruchteil einer Sekunde war er te eine einmalige Übersicht über sämt hellwach. Ein Griff am Drehknopf, das liche Sonden, die in den letzten zehn Rauschen erfüllte den kleinen Raum. Jahren zu den nächsten Planeten oder Ein Blick auf die Registrierstreifen, die in den Weltraum geschossen worden neue Radiowelle aus dem Weltraum waren, um das Sonnensystem zu ver wurde aufgenommen und im Moment lassen. Er registrierte regelmäßig jede der Aufnahme ausgewertet. Sendung der Sonden und ließ sie von Der helle Ton wurde dumpfer, stieg seinem Computer speichern. Das mach wieder an, veränderte seinen Rhyth te er allerdings auf eigene Initiative, mus, hackte ab, setzte wieder ein und und seine Vorgesetzten der Raumbe wiederholte jetzt in ganz regelmäßigen hörde hatten keine Ahnung davon. Die Abständen immer die gleiche Tonfolge. Vorgesetzten waren weit weg, und alle Fasziniert lauschte Mellery auf die Jahre einmal ließ sich eine Kommission ses Signal. Mit brennenden Augen m diesem unwegsamen Berggelände se starrte er auf den Datengeber. hen, um neugierig die Geräte, Schalt Er wußte, daß, bevor der Analogie tafeln und Rechenroboter zu bestaunen, rechner nicht den Übermittler des Sig sich Auskunft über dies und jenes ge nals beistimmt hatte, er nichts mit dem ben zu lassen und nach einem reich Zeichen anfangen konnte. Tausendmal lichen Mittagessen, erleichtert darüber saß er schon so angespannt vor seinen nicht in dieser Wüste aus Steinen und Apparaten und lauschte auf ein neues Stahl und elektrischen Strömen leben Signal, und sein Herz klopfte vor ge zu müssen, wieder mit dem Hubschrau spannter Erwartung, endlich „das Sig ber abzufliegen. nal” außerterrestrischer Wesen zu er Mit den Radioteleskopen der anderen leben. Aber tausendmal war seine Er Länder hatte Mellery regelmäßig Ver wartung enttäuscht worden. Irgendein bindung, wobei er es vor allen Dingen Sender auf der Erde war durch die war, der seinen Kollegen wichtige Tips Abschirmgeräte auf Mount Pilar ge und technische Hinweise geben konnte. drungen und hatte die Empfangsgeräte Die Kurven auf den Fluoreszenz genarrt. Ein rotes Licht flackerte auf. Der schirmen machten ihre regelmäßigen Zick-zack-Ausschläge, die Geräusche im Analogiecomputer tickte los. Mellery Lautsprecher blieben in einer bestimm war aufgesprungen. Beide Hände hielt ten Tonhöhe — kein Gerät benahm sich er jetzt unter den Schlitz, aus dem ein anders als in den vielen Tausenden von Lochstreifen herauslief. Nachtstunden. Heute, vier Minuten Er las: RS 105 — 138 — Zeichen. nach Zwölf, Montag. 2840 Megahertz, Peilstrahl nördlich Arthur Mellery stützte den Kopf in Sektion 17°, Übermittlung 3%. Mellery stürzte zu einem Schaltgerät die Handfläche und starrte auf eine Reihe von Rechenformeln, die er seit und drehte einen Knopf von links nach Tagen studierte. Ein Kollege aus Ita rechts. lien hatte sie entwickelt, um die In Das Geräusch wurde so laut, daß es terferenzerscheinungen in der Radio den Ohren weh tat. Aber Mellery emp astronomie besser fixieren zu können. fand das Rauschen und den rhythmi
schen hellen Ton dazwischen wie herr lichste Musik. Er lief wieder zum Analogierechner. Der Streifen mit den verschiedenen Angaben hing leise pendelnd aus dem Schlitz, das rote Licht war erloschen, der Apparat war stumm. Er hatte sei ne Aufgabe erfüllt, die ihm andere Geräte gestellt hatten. Mellery warf einen kontrollierenden Blick auf die automatische Steueran zeige. Großartig! Die Geräte funktionier ten, er brauchte nichts zu tun. Der Ana logiecomputer hatte die automatische Steuerung angehalten und die Ton steuerung umgeschaltet. Jetzt verfolg te die gigantische Abhöranlage auf Mount Pilar nur noch das eine Signal, das den einsamen Mann im Komman doraum so ungeheuer erregte. RS 105 war eine Sonde, die vor 138 Monaten in den Weltraum geschossen worden war. Über elf Jahre also war sie bereits unterwegs. Sie war eine der ersten Sonden, die mit einem Spe zialtriebmotor ausgerüstet war, der für die damalige Zeit die ungeheure Ge schwindigkeit von mehr als hunderttau send Kilometer pro Sekunde erreichen konnte. Die Sonde sendete auf dem verdoppelten Strahlungsband des Was serstoffes. Das war der Grund, weshalb die Signale so wenig gestört aufgenom men wurden. Mellery schaltete den automatischen Himmelsatlas ein. Er stellte auf die nördliche Himmelssphäre ein. Auf einem Wandschirm leuchteten unzäh lige helle Punkte auf. Ein getreues Ab bild des Sternenhimmels erschien. Mel lery drehte an den Einstellknöpfen, die Punktkarte veränderte sich. Es war, als stürzte der Betrachter in die Wei ten des Alls hinein. Sektion 17°! Das Sternbild des „gro ßen Hundes” glitzerte, Sirius leuchtete auf. Das war die Richtung, aus der die längst vergessene Sonde plötzlich Si gnale übermittelte.
Was hatte die Sonde RS 105 aufge fangen und weitergegeben? Mellery ging zum Analysator. Auf einer Sichttafel erschienen die regel mäßigen Tonschwankungen. Detail schwankungen, die innerhalb der Rhythmik auftauchten, wurden noch extra ausgewiesen, mehr jedoch konnte der Analysator nicht verdeutlichen. Mellery ließ von dem Nachrichtenbün del eine elektrische Leitkarte herstellen und steckte diese in den Auswerter. Der Automat tastete innerhalb der nächsten Minuten die Millionen Möglichkeiten ab, aus der Schwingung, Rhythmik, der Länge der wiederkehrenden Zeichen, der Zeichen selbst, eine Struktur zu
finden, die vergleichbar einem gei stigen Vorgang des Menschengehirns wäre. Mellery war der Auffassung, daß, wo auch immer im All sich Geist und In telligenz manifestiert haben, die Logik ein Bestandteil dieses Geistes sein mußte. Naturwissenschaft und Mathe matik wird jede denkende Rasse be treiben. Bis zu einem gewissen Grad muß man sich demzufolge mit einer solchen fremden Rasse verständigen können. Wie die Lebensbedingungen der fremden Wesen auch beschaffen sein mögen, die Naturgesetze haben im gesamten Universum ihre Gültigkeit. Ein außerterrestrisches Gehirn, das Geräte und Maschinen erfunden hat, um Nachrichten in den Weltraum zu senden, wird die Nachrichten auf na turwissenschaftlichen Grundlagen auf bauen. Davon war Mellery überzeugt. Der Gehirnautomat schwieg. Er hat te auf einer zweiten Karte drei Mög lichkeiten des Vergleichs ausgewiesen. Gewisse Analogien waren festzustellen. A — Die von der Sonde übermittelten Zeichen konnten eine mathematische Grundkonfiguration sein. Ein Lehrsatz vielleicht. Hierzu müßten die zur Zeit bekannten mathematischen Formeln damit verglichen werden. B — Die Signale sind verstümmelte Nachrichten, die zufällig aus einem Interplaneten verkehr aufgefangen worden waren. Nachrichten, die eventuell auch zwi schen Raumschiffen ausgetauscht wor den waren. Die Kode der Nachricht aber müßte extra untersucht werden. C — eine Sternkatastrophe war die Auslöserin der Schwingungen. Mellery war enttäuscht. Das Ergeb nis war recht dürftig. Zu diesen Über legungen hätte er keinen Gehirnauto maten benötigt. Mellery nahm die elektrische Leit karte heraus. Er betrachtete sie, dann tippte er sich gegen die Stirn. In der Eile hatte er vergessen, die Karte zu
programmieren. Ohne spezielle Vorga ben und ohne detaillierten Befehl ar beitete kein Robotsystem. Mellery ärgerte sich über seine Un aufmerksamkeit. Er war zerstreut und aufgeregt. Eine Regung, die der sonst so ruhige und ausgeglichene Mann nicht kannte. Er wollte eben die Karte, die er im mer noch gedankenverloren in der Hand hielt, in den Programmator ge ben, als ihn ein blaues Flackern ab lenkte. Es kam von der Kontrollzelle, die die wissenschaftlichen Standortson den auf den verschiedenen Sonnenpla neten überwachte. Die Marssonde MS 18 übermittelte eine Nachricht. Der Bildschirm flim merte bräunlich auf. Die Ubertragungs automatik der Sonde auf der südlichen Marshälfte war angeregt worden. Sie sendete außerhalb der normalen Übertragungszeit, die für jede Beob achtungssonde festgelegt war. Die MS 18 sollte erst wieder in sechs Stunden ihre gespeicherten Daten übermitteln. Es waren elektrische Meß werte, Temperaturangaben, Zonenein falldaten, Strahlungsdichten etc., die zur Planetenkontrolle dienten. Mellery legte die elektrische Leitkarte zur Seite. Er stellte sich vor den Bild schirm. Was geschah auf dem Mars? Warum begann die Sonde zu senden? Mellery lief zu seinem Schreibtisch und suchte nach einer Liste. Er blätter te sie hastig durch. Die Raumschiffs expedition R 110, die vor wenigen Wo chen zum Mars gestartet war, konnte erst in zwei Tagen auf dem Planeten eintreffen. Was also regte die Sonde an? Ein Meteorfall? Ein Magnetfeld? Mellery rückte sich seinen bewegli chen Stuhl vor den Bildschirm. Schwar zes Wallen zeigte sich auf dem Fluores zenzschirm. Es lichtete sich, Sterne blitzten auf. Ein klarer Himmel er schien. Ein heller Punkt am Rand des Schirms, der sich schnell vergrößerte.
Arthur Mellery starrte gebannt auf das Schauspiel, das sich ihm plötzlich darbot. Ein Drama, das sich siebzig Millionen Kilometer von ihm entfernt auf dem Mars abspielte. Der Wissenschaftler schrie auf. Er stürzte auf den Bildschirm, umklam merte das Gerät. Vor seinen Augen vollzog sich eine Katastrophe, die ihm Schauer des Ent setzens über den Rücken jagte. Und d a n n . . . Das Blut erstarrte ihm. Dort, wo soeben ein Raumfahrzeug — war es die von der Erde entsandte R 110? — zerfetzt wurde und taumelnd wie ein welkes Blatt auf den Mars stürzte, wölbte sich plötzlich ein ande rer riesiger Metallkörper gegen den schwarzen Marshimmel auf. * Der Peilstrahl näherte sich der grü nen Zahl. James Bunder verfolgte ge spannt das Vibrieren des blau leuch tenden Lichtfingers. Jetzt huschte der Elektronenzeiger über die Merkzahl. Bunder stieß mit dem Zeigefinger ge gen die Automatiktaste. Aus dem Lautsprecher kam eine Frage. James überflog seine automatische Steueranlage, bevor er antwortete. „Hö he 34, Strich 88, Zeit 25, anschnallen, in zehn Minuten zündet die erste Brennstufe. Zwanzig Minuten später Landungsboot ausfahren. Bob und Tom Schutzanzüge abdichten.” „Verstanden”, kam es aus dem Laut sprecher zurück. James Bunder legte sich zurück. Sei ne Linke ergriff einen Stapel Papiere. Er blätterte ihn bedächtig Blatt für Blatt durch. Es war der Marsbericht. Er kannte ihn fast Zeile für Zeile aus wendig. James Bunder atmete tief auf. In knapp dreißig Minuten war er am Ziel seiner jahrelangen Bemühungen. In we niger als dreißig Minuten würde das
erste Landungsboot aus dem Rumpf des Raumschiffes, dessen Kapitän er war, ausschwenken und weitere fünf unddreißig Minuten später auf dem Boden des Mars aufsetzen. Die ersten Menschen auf dem Mars! Sein und seiner vier Besatzungs freunde Start zur Eroberung des Mars war eine Sensation gewesen. Es gab keine Fernsehgesellschaft auf der Ei de, die ihre Kamerateams nicht rund um das Startgelände aufgebaut hätten. Seit Jahren war der Mars das Ziel unzähliger unbemannter Erkundungs boote, die mittels raffinierter Fernseh anlagen und technisch ausgefeilter Be obachtungsinstrumente Millionen von Meßdaten zur Erde funkten. Theore tisch war man über den dritten Plane ten der Sonne bestens informiert. Und man wußte, daß er alles andere als einladend die ersten Raumfahrer emp fangen würde. Über eineinhalb Mal so weit von der Sonne entfernt wie die Erde, steigen seine Temperaturen sel ten über den Gefrierpunkt. Die Mars atmosphäre ist äußerst dünn, der Sauerstoffgehalt so arm, daß er nicht mal zu einem Lagerfeuer reichen wür de. Ungehindert dringen die Ultravio lettstrahlen der Sonne zur Oberfläche des Planeten durch. Kein Ozon bietet Schutz gegen die gefährliche kosmische Strahlung. Nicht einmal ein Magnet feld wie die Erde besitzt dieser ungast liche Nachbar. James Bunders Augen flogen über die Zahlenreihen und Aufzeichnungen. Er wußte, was ihn erwartete. Und doch stieg von Minute zu Minute die Erre gung. Vor Überraschungen war man bei so einem Abenteuer nie sicher. James Bunder legte die Aufzeichnun gen beiseite. Der Zeigefinger ließ einen Schalter herunterschnellen. Auf dem Bildschirm über James’ Kopf erschienen Kurven und Zahlen, die sich wie regelmäßige Gittermuster über die Fernsehscheibe bewegten.
Er nickte zufrieden. Groß und trächtig lag der Mars un ter dem Fenster. Das Raumschiff schien über ihm zu stehen. James erinnerte sich der einmaligen Augenblicke, wie von Woche zu Woche der Planet mehr und mehr eine sicht bare Scheibe wurde. Das erste, was er und seine Kameraden dann mit bloßem Auge erkennen konnten, war eine weißfunkelnde Polarkappe. Später ka men dunkle Gebiete hinzu und form ten sich. Es waren die sogenannten Meere. Ein Planet erstand vor ihnen, und es war, als erlebten sie seine Ge burt. Ein Zittern durchlief den Leib des Raumschiffes. Jeder Quadratzentimeter schien sich aufzubäumen. James wur de in die Polster seines Sessels ge drückt. Das Bremsmanöver war eingeleitet worden. Nach wenigen Sekunden ließ der Druck nach. James betätigte die Sprechtaste. „Alles klar?” „Alles klar!” kam es zurück. Jeder seiner vier Kameraden war in einem anderen Teil des Raumschiffes und versah seine Spezialaufgabe. Die Geschwindigkeit verminderte sich zusehends. Die Steuerungsanlage funk tionierte einwandfrei. Das Schiff schwenkte ein und orientierte sich nach dem dunklen Vegetationsgürtel, der fast dem Marsäquator folgt. Das Lan dungsboot sollte hier niedergehen. Es war die südliche Hemisphäre des Planeten. Ein Blick aus dem Fenster. Es war grandios, was James sah. Das rot oxy dierte Gestein gleißte und blendete am Horizont. Direkt unter sich sah James grüne Felder. Intensives, dunkles Moos grün. Der Planet nahm jetzt fast die gan ze untere Hälfte des Gesichtsfeldes ein. Sie waren schon sehr tief gesunken. Scharfe Gebirge im nördlichen Teil warfen harte Schatten. Ein schriller Glockenton unterbrach das staunende Schauen.
„Fertigmachen zum Schwenkmanö ver.” Jetzt lief alles nach einem bis zur Sekunde festgelegten Plan ab. Unzäh lige Male geübt, jeder Handgriff konn te ohne zu denken ausgeführt werden. Drei Mann sollten mit dem kleinen Landungsboot das große Raumschiff verlassen. Das Schiff selbst blieb in einer Höhe von ca. 3000 Kilometer über dem Äquator und kreiste um den Mars. „Landungsboot fertig zum Aus schwenken!” kam es aus dem Lautspre cher. Es war die Stimme von Bob, dem Kommandanten des Landungsbootes. Ein schneller Blick auf die Instru mente. James gab das Signal. Ein feines Summen war zu hören. Riesige Greif arme stießen ins Freie. James beugte sich weit vor, seine Nase drückte sich an den Scheiben platt. Schräg unter ihm konnte er jetzt die Spitze des Landungsbootes sehen, die sich langsam aus dem Raumschiff hinausschob. „Großartig!” rief er über das Mikro phon. Er mußte etwas sagen, um seiner Unruhe Herr zu werden. Ob es seinen Kameraden auch so ging? Warum hörte er von ihnen nichts? Da! Was war das? Die Zeiger der Instrumente fingen wie verrückt zum Tanzen an. Das Schiff bockte und stieß. James klammerte sich an den Sessel. „Was ist los?” Er hörte die Stimme von Tom. Sie klang unsicher, erregt. James starrte gebannt auf den Mag netfeldanzeiger. Er vibrierte über die Gefahrenmarke hinaus. Das Raumschiff begann zu kreisen. Es fiel, neigte sich, drehte sich. Ein Magnetwirbel hatte es erfaßt. Ein Magnetfeld auf dem Mars? Ein elektrisches Feld dieser ungeheuren Stärke? Die Stahlplatten ächzten unter der Wucht, mit der das Schiff in die Kreis bewegung gezwungen wurde. Die An
triebsanlage fiel aus. Ein Ruck warf Ja mes aus dem Sessel und schleuderte ihn gegen die Instrumententafel. Der Lautsprecher plärrte. Flüche und Rufe drangen durch die Schiffsräume. James kroch zur Tür. Die immer schneller werdenden Wirbelbewegun gen machten es möglich, sich aufrecht fortzubewegen. James riß die Tür auf. Ein Schlag warf ihn durch den Gang. Tom hing plötzlich an ihm, faßte ihn an der Jacke und zerrte ihn zu einer Luke. Sie führte zum Landungsboot. Bob versuchte angestrengt, die Mecha nik, die das Landungsboot ganz aus dem Schiffskörper hinausschob, mit der Hand in Bewegung zu bringen. Es war die einzige Chance. „Vielleicht können wir ins B o o t . . . wegkatapultieren”, schrie Tom und machte unverständliche Handbewegun gen. Die Greifarme streckten sich, aber sie standen schief. Der ungeheure Druck bog sie nach rückwärts. Tom drehte am Handrad, um die Schleuse zu öffnen, die zum Landungs boot führte. James half mit. Der Schweiß rann ihm über das Gesicht. Bob klopfte James auf die Schulter. Er hielt sich an der Rampe fest und rotierte gerade über ihm. Bob deutete auf den Kopf und schrie etwas, was Ja mes nicht verstehen konnte. Ein ohren betäubendes Sausen erfüllte plötzlich das ganze Schiff. Es bog und verzerrte sich, Und die Männer hatten Angst, der Schiffskörper würde jeden Augenblick auseinanderbrechen. Bob schlug nach James. Was wollte er ihm denn sagen? Da öffnete sich die Schleuse. James schluckte. Um Himmels willen, er hat te den Kopfschutz mit dem Atem anschluß nicht übergestülpt. In der Eile hatte er ihn ganz vergessen. Das war es, was ihm Bob sagen wollte. Die Luft im Innern des Schiffes ent wich in Bruchteilen von Sekunden. Ja
mes konnte gerade noch die Kappe hochziehen, die am Raumanzug hing Es wurde ihm schwarz vor den Augen. Nur für einen Moment, dann zischte der Sauerstoff in den Anzug. Bob muß te die Anschlußdüse geöffnet haben. James machte einen tiefen Atemzug. Tom hielt sich am Rande der Schleu se fest und winkte. Die Männer zwängten sich durch den Spalt der Tür und sprangen in die Lu ke des Landungsbootes. Bob war der letzte. Er duckte sich und verschloß die Kammer. Sie war eng, eigentlich nur für drei Mann vorgesehen. James stell te einen Hebel um, Tom nickte, ver folgte den Zeiger des Luftdruckmessers und nahm nach ein paar Sekunden den Kopfschutz ab. Die anderen folgten seinem Beispiel. Jetzt öffnete Tom eine Tür, und die Männer krochen in den Pilotenraum des Landungsbootes. Niemand konnte aufrecht stehen. Die Drehbewegungen mußten sich in den letzten Minuten vervielfacht haben. Tom war der Pilot des Bootes. Die Männer starrten auf ihn und verfolg ten jede seiner Handbewegungen. Müh sam ertastete er die Schalter und He bel, die den Greifmechanismus der Fangarme lösen sollten. Würde die Mechanik funktionieren oder nicht? Das war die lebenswichtige und ent scheidende Frage. Tom drückte einen Schalter herunter. Er rutschte ab, fing sich wieder. Plötzlich hörte die Kreis bewegung auf. Ein Stoß, sie torkelten! Das Landungsboot war vom Raum schiff freigekommen. Die Greifarme hatten es losgelassen. Es stürzte im freien Fall auf die Mars oberfläche zu. Jetzt gab es nur noch eine Rettung. Die Flüssigkeitsraketen mußten zün den. Vielleicht kamen die Männer aus dem Magnetwirbel heraus und konnten den rasenden Fall noch rechtzeitig ab bremsen.
Ein hämmerndes Geräusch, das Boot wund sich. Die Raketen hatten gezündet. Bob umfaßte krampfhaft die festmontierte Stuhllehne. James blickte durch die Lukenfen ster. Schreck lähmte ihn. Träumte er? Unter sich sah er ein Raumschiff von riesigen Ausmaßen, hell und glänzend. Dann verschwand es aus dem Gesichts feld. Das Boot drehte sich, Sterne, Schwärze und wieder die heraufsprin gende Sandoberfläche des Planeten. Und mitten in diesem Wirbel ein ge waltiger Metalleib, bauchig, hochge wölbt, langgestreckt. * Es war die ereignisreichste und die selt samste Nacht, die Arthur Mellery erlebte. Was er in den letzten zwanzig Minu ten gesehen und gehört hatte, kam ihm wie ein Traum vor. Hätte er nicht die Bild- und Tonaulzeichnungen gehabt, er würde an seinem Verstand gezwei felt haben. Zweimal hintereinander ließ sich Mellery die Marsübertragung vorspie len, und zweimal erlebte er den Ab sturz des Raumschiffes, von dem er annahm, daß es das Expeditionsschiff der Erde war. Zweimal sah er dann den anderen hellglänzenden Raumschiffs körper, dessen Ausmaße riesig sein mußten. Und zweimal verschwand plötzlich dieser metallische Riesenleib. Nicht die Sendung der Beobachtungs station war ausgefallen, nein, es war, als hätte ein Zauberkünstler über die Bildfläche gewischt und das Raumschiff verschwinden lassen. Die Beobach tungssonde sendete weiter und zeigte das übliche und wohlbekannte Bild des Marsbodens und einen Teil des dunk len Himmels mit ruhig leuchtenden Sternen. Drei Minuten später endete die Sendung, der Mechanismus der Son de hatte sich wieder beruhigt. Mellery schaltete ab.
Es war eine gespenstische Übertra gung, und Mellery war sich über die Erscheinung noch nicht recht klar. Er grübelte. Bestand vielleicht ein Zusammenhang zwischen der Signal übertragung und dieser Sendung? Aber er verwarf den Gedanken immer wie der. Die Signale kamen von der Son de, die jetzt fast vier Lichtjahre ent fernt im Weltraum in Richtung des „Großen Hundes”, raste, und die Bild übertragung kam vom Mars. Also kein Zusammenhang! Mellery überlegte, ob er wohl der Einzige gewesen war, der die beiden Beobachtungen gemacht hatte. Den Ab sturz des Expeditionsschiffes mußten Dutzende von Stellen miterlebt haben, sicher alle die wissenschaftlichen und militärischen Anlagen, die ständig Kontakt mit dem Schiff hatten. Sie mußten allein durch die Unterbrechung des Kontaktes auf eine außergewöhn liche Situation aufmerksam gemacht worden sein. Mellery entschloß sich, einige seiner Bekannten auf den anderen Stationen anzurufen, um sich seine Beobachtun gen bestätigen zu lassen. Und jetzt erlebte er die dritte große Überraschung dieser Nacht. Niemand teilte seine außergewöhnlichen Beob achtungen. „Hör mal, Arthur, was ist los mit dir, bist du überarbeitet?” fragte ihn sein ehemaliger Studienkollege und jetzige Direktor der „Forschungsstelle Planeten” in San Diego. „Wenn ich dir sage, es ist alles in Ordnung, dann kannst du mir das abnehmen.” „Und du hast ständig Kontakt mit dem Expeditionsschiff R 110 gehabt? Du hast den Kontakt auch jetzt noch?” „Ja, ich kann von meinem Standplatz am Telefon aus die Kontaktkurve der automatischen Peilung mitverfolgen. Ich verstehe nicht, was du hast.” „Wie weit ist das Schiff vom Mars entfernt?” Durch das Telefon kam ein kurzes
Hüsteln. „Es muß in wenigen Stunden sein Landemanöver durchführen. Es ist zwei Tage früher dran, als wir dach ten. Die Fluggeschwindigkeit war et was höher, wie mir James Bunder noch vor wenigen Stunden meldete.” „Welche Meldungen erhältst du im Augenblick von der R 110?” „Die normalen Peilzeichen.” Mellery gab nicht auf. „Sei doch bit te mal so nett und laß dir den Ton streifen der letzten zwanzig Minuten vorspielen, und gib mir dann Bescheid, ob du etwas Ungewöhnliches feststel len kannst.” „Mach ich, alter Freund, mach ich. Aber was soll eigentlich das Ganze? Hast du Grund...?” Mellery unterbrach ihn. „Sag ich dir, wenn du mir Bescheid gibst, was in den letzten zwanzig Minuten los war.” Er hängte auf und blieb neben dem Telefon sitzen. Er wartete und zermar terte sein Hirn auf der Suche nach einer plausiblen Erklärung. Zwanzig Minuten später klingelte das Telefon. Nach dem ersten Läuten hatte Mellery schon den Hörer in der Hand. „Ja?” sagte er gespannt. „Hm”, kam es zögernd durch den Hörer. „Ich habe mir das Band ange hört. Da sind zwei Unterbrechungen drauf. Wenn ich zurückrechne, dann muß das um null Uhr sechsundzwanzig und null Uhr vierunddreißig gewesen sein.” „Wie lange sind die Unterbrechun gen?” „Das erste Mal fast eine Minute, das zweite Mal knapp dreißig Sekunden. Aber das kommt schon mal vor. In terferenzstörungen.” „Und das ist alles?” „Ja. Aber nun sag doch...” „Nichts! Dann haben meine Geräte einen Defekt, und ich kann ihn nicht er mitteln. Ich habe einen Ausfall von über zehn Minuten gehabt — das heißt, ei gentlich einen totalen Ausfall, denn ich
habe überhaupt keine Verbindung über die Marssonde.” Mellery mischte halbe Wahrheiten mit Erfundenem, um nicht die wirkli chen Beobachtungen zu verraten. Er bedankte sich schnell bei seinem Freund und legte den Hörer auf. Auch alle anderen Bekannten der verschiedene Stationen wußten nichts von einem totalen Ausfall, und jede Station hat im Moment des Anrufs Verbindung mit dem Raumschiff. Was hatte also Arthur Mellery gese hen? Was hatte sich auf seinem Bild schirm abgespielt? Er mußte Klarheit haben. Unabhängig von den festgelegten Übermittlungszeiten der Beobachtungs sonden, die automatisch gesteuert wur den, konnten die Sonden durch einen Befehl von der Erde aus zum Senden gebracht werden. Mellery löste die Plombe der Taste. Er drückte sie schnell und entschlossen mit einem kräftigen Fingerdruck nie der. Ein Summen ertönte, die Kontroll lämpchen glühten auf, der Bildschirm begann zu flimmern. Aus dem Durch einander von Linien und Kurven schäl ten sich Umrisse. Und wieder sah Mellery in dieser Nacht, was vor ihm noch nie ein Mensch gesehen hatte: ein außerterre strisches Raumschiff. Gleißende Helle, absolute Stille, hin und wieder ein Huschen. Ein Funke sprang über, ein Schalter betätigte sich, ein Kreislauf wurde geschlossen. Ein fernes Sirren. Mitten im Raum. Schwebend auf einer Schwerkraftliege ein Mann. Ein grotesker Anblick. Im Mund ein dicker Molekularschlauch, in den Armen Kanülen, durch die grün lich schimmernde Flüssigkeit tropfte. Elektromanschetten über der Brust und dem Rücken, Drähte, elektromagnetische Felder, Herzelektroden, Schrittmacher. Sein Herz war längst zerstört, und doch atmete die Lunge und kreiste das Blut mit normaler Geschwindigkeit.
Pumpen sättigten das Blut mit Sauer stoff, Elektroströme trieben es durch die Adern, der Rhythmus des Lebens pulsierte unvermindert in dem zer schmetterten Leib. Ein Schatten senkte sich über den Mann. Lichtpunkte flimmerten auf, ra sten hin und her. Ein Strahlenkranz umschloß den Kopf und konzentrierte seine Energie auf das Gehirn. Ein Zischen, ein Schneiden, ein Lö sen. Auf Elektronenfäden tauchte die graue Masse des Gehirns in ein schim merndes Gefäß, Konzentratlösung hielt es in der Schwebe. In den großen Arte rien und Venen der Hirnbasis steckten durchsichtige Schläuche, in denen Blut stoff kreiste. Quasaelektroden drückten sich zart auf die Oberfläche den Hirns, ein Oszilloskop zackte verworrene Kur ven über den Bildschirm. Das Gehirn lebte! Die gezackte Kurve wurde ruhiger, zerschmolz, wurde zum Punkt und wanderte von links nach rechts über den Schirm. Die Aktions kurve eines wachen Gehirns. Zwei Augen in einem starren Gesicht beobachteten forschend das Schauspiel des Erwachens. Der Arzt richtete sich auf. Ein triumphierendes Lächeln lief über sein Gesicht. Er hatte den Geist des Mannes erhalten, dessen Fleisch und Blut, dessen Leib nur noch eine An sammlung von unnütz gewordenen Mo lekülen war. Es war die fünfte Opera tion, die er durchführte. Die letzte Chance. Vier Gehirne waren zerstört gewesen, sie konnten durch die Kunst des Arztes nicht mehr gerettet werden. Aber dieses Gehirn war intakt. Die letzte Chance gewonnen. Der Sensor tickte, die Aktionskurve veränderte sich, die motorischen Be fehlszentren des einsamen Gehirns be gannen zu arbeiten. Elektronisch ge steuerte Prothesen übersetzten die Ge hirnströme in akustische Wellen. Das Gehirn dachte! Sek, der Arzt, justierte die Magnet optik. Dann ließ er den Gehirnströmen
freien Lauf. Ein Abtaster strukturierte den Schaltplan des Gehirns und mach te über Elektronennetze den Aufbau für den Beobachter sichtbar. Der Arzt nickte unmerklich. Die Ge hirnstruktur war ihm bekannt. Diese Entwicklungsstufe hatten die Deltaner auch mal durchlaufen. Vor rund einer Millionen Delta-Zeit-Einheiten. Der Grundplan des Universums ist in sich immer wieder gleich. Unterschiede sind nur Variationen eines Urplans. Sek konnte mit dem Gehirn in Ver bindung treten, wenn er der Struktur entsprechende Fragen stellte. Er ließ zuerst mathematische Grundbegriffe über die Abtastanlage laufen und er hielt fast ohne Verzögerung die ent sprechenden richtigen Antworten. Von den einfachen Begriffen ausgehend, stellte er immer weitergehende Fragen und erhielt so die Leistungskurve des von ihm präparierten Gehirns. Die Endstufe war relativ schnell erreicht. Der Arzt verband nun mit einem ra schen, geübten Griff die elektronisch strukturierte Gehirnabbildung mit dem Erinnerungszentram und ließ jeden milliardsten Teil eines Quadratmillime ters auf ein Kristallgitterfeld übertra gen. Damit tasteten die elektronischen Ströme zugleich das Gehirn in seinem Denkaufbau ab. Sek regulierte immer wieder seine Instrumente und beobachtete das Aus schlagen der Zeiger. Nach wenigen Minuten wußte Sek, wo die Zentren für Licht, Schall, Geruch, für Farben, Ortssinn, Sprache, für Be rührungsempfindung, Bewegung der Gliedmaßen und Orientierung waren. Immer wieder ließ er zur Kontrolle mit winzigen Stromstärken äußere Reize auf das Gehirn ausüben und verfolgte die antwortenden Impulse. Als Sek nach einer halben Stunde die Apparatur abschaltete, hatte er die Vergangenheit und die Gegenwart des Gehirns in einer originalgetreuen Elek tronenstruktur festgehalten. Damit hat
te er auch die Sprache fixiert, über die er mit dem Gehirn in Kontakt kommen konnte. Ein semantischer Umsetzer machte es ihm jetzt möglich, die Spra che dieses Gehirns zu verstehen und die ausgesandten elektrischen Impulse in die richtigen Buchstaben und Wortsym bole zu übertragen. Sek richtete sich erleichtert auf. Er hatte Glück gehabt, vor ihm lag ein technisch-mathematisch orientiertes und trainiertes Gehirn. Das erleichterte ihm die Kontaktaufnahme wesentlich. Ein Lautschreiber hielt die Äußerun gen des Gehirns auf einem Leuchtband fest. „Wer bist du?” „Pilot James Bunder von der R 110.” „Du kommst vom dritten Planeten der Sonne?” Unterbrechung! Zeit verging. Die Frage wiederholte sich, dann die Ant wort: „Von der Erde, ja.” „Erde?” „So nennen wir den Planeten.” „Und wie nennst du den Planeten, auf dem du landen wolltest?” „Landen...? Ich bin doch abge s t ü r z t . . . ich...!” „Erinnere dich!” „Wir flogen zum Mars. Mars, so heißt er.” „Welche Ausbildung hast du?” „Ich bin Physiker.” „Was ist das?” „Was das ist? .... Ich ...” Trennung! Die Übertragung stockte, dann ka men verwirrte Denkkurven, die Ant wort blieb aus. Sek ließ den Leuchtstreifen weiter laufen, auf dem wild gezackte Kurven das plötzlich konfuse Denken des Ge hirns anzeigten. Was hatte er getan? Der Arzt über prüfte den Impulsgeber. Eine Anzeige pendelte über dem roten Strich. Sek schaltete die Stromzufuhr ab. Die Denkkurven glichen sich in der selben Sekunde aus und verebbten.
Sek hatte nicht aufgepaßt. Das durfte ihm nicht wieder passieren. Er brauch te dieses Gehirn, auf das sie alle so lange gewartet hatten. Die Erin nerungspartie des Gehirns war stark gereizt worden. Längst verlorengegan gene Erinnerungen wurden plötzlich aktiviert. Sie tauchten plötzlich auf und rollten wie Filmszenen ab. Die Reizung war allerdings zu stark, so daß das Ge hirn die Erinnerungen nicht mehr zu ordnen vermochte. Es war, als würden sich die Wellen des Meeres am Ufer überschlagen. Sek ließ dem Gehirn Zeit, sich zu er holen, er wollte es jetzt auf keinen Fall überanstrengen, bevor er nicht die letzten Regungen erforscht hatte. Der Arzt prüfte nochmals den Schalt plan des Gehirns. Dann begann er wieder mit Fragen. * Arthur Mellery war zum Umfallen müde. Seit achtzehn Stunden war er ununterbrochen wach. Nicht einmal zu Mittag und am Abend hatte er sich Zeit gegönnt, etwas zu essen. Er hatte sich ein paar Brötchen und Unmengen von Kaffee in sein Büro bringen las sen. Die Augen waren rot unterlaufen, und er drückte die Faustballen gegen die brennenden Augäpfel. Er entspann te sich ein wenig. Noch einige Minu ten — und dann hatte er entweder die sensationellste Nachricht in Händen oder die größte Enttäuschung seines Lebens erlebt. Die Übertragungen der Beobach tungssonde vom Mars hatten Mellery die Signale der weit im Weltall postier ten Sonde vergessen lassen, bis er die elektrische Leitkarte wiederfand, die er auf einem Tisch abgelegt und nicht mehr beachtet hatte. Jetzt programmierte er die Daten für die Spezialauswertung und gab sie dem Analogiecomputer zur Abtastung.
Das Ergebnis brachte schon die erste Überraschung. Die Signale ließen sich in Hunderttausende von hochfrequen ten Teilsignalen auflösen, die wieder um und in einer bestimmten Reihen folge gebündelt, Kombinationen von geraden Vielfachen ergaben. Mellery war sich nicht klar darüber, ob das eine Zahlenübermittlung war oder ob es sich um bestimmte Zeichen handelte, die in ganz genau vorge schriebenen Multiplikationen neue Sy steme oder neue Variationen ergaben. Grundschema schien ein Neunersystem zu sein, denn die Bündelungen der Teil signale waren immer Vielfache von neun. Es gab keine kleinere Einheit als Neun, aber jedes Vielfache war durch neun teilbar. Mellery ließ die Signale, wie sie der Analogiecomputer geordnet hatte, durch ein Rechenhirn laufen, das die Signale und ihre Bündelungen auf Buchstaben oder Wortkombinationen untersuchen sollte. Kamen regelmäßig die gleichen Variationen oder Bünde lungen vor, so war anzunehmen, daß sie Begriffe darstellten. Mehr als eine Milliarde Möglichkei ten spielte der Rechenautomat durch, aber er konnte keine Rangreihe von Signalbündeln aufstellen, die sinnvoll gewesen wäre. Die Buchstaben oder besser die Sinn auswertung hatte also kein positives Ergebnis gebracht. Mellery versuchte es auf eine andere Weise. Er ließ prüfen, ob die Teilsig nale mathematische Begriffe, Formeln oder einfache Zahlen sein könnten, die aneinandergereiht eine bestimmte Nachricht ergaben. Interessant in diesem Zusammenhang fand Mellery, daß die Sendung an einem bestimmten Signalpunkt begann und an einem genau fixierten Punkt endete. Dann wiederholte sich die gan ze Reihe wieder. Die Übertragung lief ungefähr vier Stunden, dann wurden die Signale undeutlich und erstarben.
Wieder fütterte Mellery die gigan tische Rechenanlage mit den bisher er mittelten Werten und ließ sie auf Ge setzmäßigkeiten abtasten. Und jetzt erhielt der Forscher ein Ergebnis, das ihn in einen Taumel ver setzte. Er spürte, daß er diesmal ganz, ganz nahe daran war, das Ziel zu er reichen, nämlich den Nachweis zu er halten, daß es außerhalb der Erde noch andere Wesen gab. Mellery strich sich über die feuchte Stirn. Wie launisch spielte doch das Leben! Jahrelang suchten Dutzende von Wissenschaftlern in aller Welt mit den kompliziertesten Apparaten nach Zei chen von fremden Intelligenzen, kleine und große Abhöranlagen drangen in die Tiefen des Raums und analysierten jede Welle, jedes Geräusch. Und dann, eines Nachts, erlebt ein Wissenschaftler plötzlich gleich zweifach, daß es außer auf dieser Erde noch andere bewohnte Welten gibt. Und in diesem Augenblick, wo es sich bestätigt, wo sich diese un geheure Nachricht manifestiert, da ist das menschliche Gehirn nicht gewaltig genug, um den Umfang der Tatsache zu erfassen. Er nimmt die Realität als ge geben hin, als wirklich und unwider legen, zu analysieren, zu berechnen, zu fordern, mehr zu wissen, mehr zu er fahren. Sonderbare Gedanken huschten durch das Hirn Mellerys. Er schüttelte sie ab. Er befaßte sich wieder mit seinem Problem. Sein Puls pochte schneller, als er jetzt das letzte Ergebnis der Analogieabtastung be trachtete. Er schaltete den Elektronenschirm ein. Fünf Sekunden mußte er warten, bis die Röhren heiß geworden waren. Ein schwaches Leuchten zeigte ihm an, daß er die Übertragung aus dem Com puter vornehmen konnte. Arthur Mellery atmete tief ein, dann drückte er die blaue Taste. Fast zu gleicher Zeit sprang ein Bild auf den Elektronenschirm. Gleißende Helligkeit
stand über einer Stadt mit unüberseh bar vielen Turmbauten. Die ganze Stadt verschwand, eine weite Ebene — viel leicht auch viele Hügel oder Berge aus großer Höhe — sprangen ins Bild. Die Ebene schien zu wallen oder sich eigen artig zu bewegen. Es war, als liefen sanfte Wellen über das Land. Knapp über dem Horizont sah man eine große, helle Scheibe, die schnell versank. Es blieb jedoch hell. Ein Sprung im Bild, die helle Scheibe kam wieder über dem Horizont hoch. Wieder ein Sprung, zwei Kundtürme genau von oben. Sicher wa ren die Bänder dazwischen Straßen. Aber sie waren leer. Mellery sah nur nebelhaftes Wischen und wieder die laufenden Wellen, die sich durch die Straßen bewegten. Die Bilder zersprangen. Der Elektro nenschirm blieb dunkel. Mellery kniff sich in die Nase. War er da? War er wach? Was hatte er ge sehen? Ja! Ja doch, er hatte Bilder einer fremden Welt gesehen. Der Computer hatte die Signalbünde lungen in Zahlen umgewandelt und diese wieder in optische Punkte, in helle und dunkle Punkte, die, in der Folge gesehen und in der richtigen Fre quenz, eine Bildübertragung ergaben. Eine Fernsehübertragung von einer Welt, die Lichtjahre — zehn, hundert, tausend? — entfernt war. Was war das für eine Welt, welche Wesen lebten auf ihr? Wie war ihr Wis sensstand? Wie lange war diese Mit teilung schon unterwegs? Vielleicht existierte diese Welt schon gar nicht mehr? Fragen, Fragen, die das Gehirn ver wirrten. Waren die Signale ausgesandt, um Verbindung mit anderen Intelligenzen zu erhalten? Oder war es Zufall, daß die Erkundungssonde gerade diese Wel len auffing und weiterleitete. Sie hatte diese Signale vor fast vier Jahren er halten und zum Sonnensystem zurück
gestrahlt. Vier Jahre, die ein Nichts in der Unendlichkeit sind, für lebende Wesen aber sehr, sehr lang seih können. Es mußten auf alle Fälle hochintelli gente Wesen sein, die diese Nachricht in den Raum gesendet hatten. Sie be nützten das doppelte Strahlenband des Wasserstoffes sozusagen als Reiter, dem sie ihre Bildsignale in ungeheurer Dich te aufsetzten. Mellery schaltete die Anlage ab. Er konnte sich nicht mehr auf den Füßen halten. Er mußte schlafen. Die Augen fielen ihm zu. Auf der Liege in seinem Büro sank er hin und fiel augenblicklich in einen traumlosen, schweren Schlaf. * Sek und die Besatzung des DeltaSchiffes wußten endlich über den be wohnten Nachbarplaneten Bescheid. Mehr als hundertfünfzigtausend ErdenJahre hatten sie warten müssen, bis es soweit war. Als sie damals auf dem vierten unwirtlichen Planeten strande ten, konnten sie zwar feststellen, daß es auf dem dritten Planeten des Sonnensystems Leben gab, aber es be fand sich im Anfangsstadium, und nie mand konnte mit Sicherheit voraussa gen, ob es sich jemals zu einer tech nisch begabten Zivilisation entwickeln würde. Analogieschlüsse zu anderen Lebensentwicklungen, die den Delta nern bekannt waren, führten zu kei nem Ergebnis. Auf vielen Millionen Planeten beginnt sich Leben zu regen und stirbt nach wenigen hunderttau send Jahren wieder aus, ohne sich hö her entfaltet zu haben. Sek und die Delta-Mannschaft hatten also Glück gehabt. Sie verfolgten durch Tausende von Jahren die Fortschritte der Planetwesen, immer in der Hoff nung, ihr Forscherdrang und ihr Wis sen möchte es ihnen einmal gestatten, den engen Kreis ihrer Heimat zu ver lassen.
Ihre Freude war groß, als die ersten Flugkörper aufstiegen, und sie beobach teten mit zunehmendem Interesse die Versuche, Raketen in den Raum zu schießen. Und vor drei Jahren landete der erste Flugkörper auf dem Plane ten, den die Erdbewohner Mars nen nen. Die sonderbar geformte For schungssonde ging nicht weit vom Lan dungsplatz des Delta-Raumschiffes nie der. Die Deltaner überlegten sich da mals, ob sie sich über dieses Instrument bemerkbar machen sollten. Nach langen Beratungen beschlossen sie jedoch, ab zuwarten, bis diesen unbemannten For schungsfahrzeugen bemannte Raum schiffe folgen würden. Sie umgaben ihr Raumschiff mit einem Magnetfeld, so daß kein Instru ment sie entdecken konnte. Nur einmal mußten sie einen Flugkörper unschäd lich machen, da er direkt neben ihrem Raumschiff niederging. Sek, der Delta-Arzt hatte die Appa ratur abgeschaltet. „Was sollen wir tun?” fragte er. Aus dem Saal der Gehirne kam die Antwort. Seine Besatzungskameraden hatten im GROSSEN RAT beschlossen, die Verbindung zur Erde aufzunehmen. „Senke in sein Hirn das technische Wissen, das notwendig ist, damit un sere Wünsche verstanden werden kön nen.” Sek hörte die Gedanken, die ihm aus dem Saal der Gehirne zuflossen. Er zögerte, denn er war mit dieser Lö sung noch nicht einverstanden. Da kam ein weiteres Gedankenbündel an. „Du wirst diesen Menschen auf die Erde be gleiten und ihn überwachen. Die tech nischen Voraussetzungen, unseren Schwerkraftmotor wieder zu reparie ren, sind auf der Erde vorhanden. Ja mes Bunder wird uns die Atommaterie bringen.” „Mit diesem Wissen wird der Mensch James Bunder tausend Jahre techni scher Entwicklung überspringen. Wird sein Gehirn das fassen können?”
Die Erwiderung kam sofort. „Über das Fassungsvermögen des Ge hirns müßtest du als Arzt am besten unterrichtet sein.” Sek hörte den Vorwurf wohl heraus. Der Bau des Gehirns war im Grunde nicht anders als das Gehirn der Delta ner. Rund 10 Milliarden Neuronen, die miteinander und untereinander höchst kompliziert verbunden waren, sollten in der Lage sein, ein programmiertes Wissen aufzunehmen. Noch dazu, wo die Grundkenntnisse ja vorhanden wa ren. Der Arzt überlegte, warum er sich für einen Moment dagegen gewehrt hatte, das Wissen der Deltaner preiszu geben. Ganz kann man sich wohl nie von Ressentiments gegenüber einer fremden Rasse frei machen. Und wie viele Wesen hatte er schon kennenge lernt! Und gehörte er nicht einer der tausend Forschungsgruppen von Delta an, die einst ausgezogen waren, um den Raum, seine Welten und Wesen zu er kunden? Wissen, Erkenntnishunger, Forscherdrang und ein Auftrag des „Delta-Zentrums” hatten ihn und seine rund fünfzig Kameraden in die unbe kannten Weiten des Raumes getrieben. Sie alle wollten entdecken, Neues er kunden. Und was hatten sie nicht al les auf ihrer langen Fahrt gefunden? Die Archive des Raumschiffes lagen voll Material. Und dann stießen sie mit diesem verdammten Riesenmeteoriten zusammen, der ihre Atombrennkam mer zur Umsetzung der Raumenergie zerstörte. Fast manövrierunfähig, konn ten sie sich zum Glück in das nächstge legene Sonnensystem retten. Sie ließen sich von der Schwerkraft der Sonne an ziehen und bremsten den langen Fall beim erstbesten Planeten ab, auf dem sie sanft landeten. Sie selbst waren zwar gerettet, aber sie saßen fest. Da zeigte sich in nächster Nähe ein Hoffnungsschimmer, sie stellten Leben auf dem — wie sie jetzt wußten — Erd planeten fest.
Und jetzt war endlich die große Ge legenheit gekommen, auf die sie alle so sehnsüchtig gewartet hatten. Und in diesem Augenblick sollte Sek schwach werden? Wollte er das Delta-Wissen nicht weitergeben, die Aussicht, ihr Raumschiff wieder in Gang zu bringen und in die Heimat zurückzukehren, nicht ausnützen? Sek entschuldigte sich für sein mo mentanes Versagen. Der GROSSE RAT ging nicht darauf ein und befahl: „Be ginne und schließe das Gehirn an den Lernsensor an. James Bunder soll mor gen starten. Die technische Abteilung hat das Erden-Raumschiff wieder in Ordnung gebracht. Er wird damit zur Erde fliegen. Unser Vorgehen auf der Erde werden wir noch gemeinsam be raten.” Sek erwiderte nichts, er fügte sich. Sich dem GROSSEN RAT beugen oder ausgelöscht werden — es gab nur die se Alternative. Und es war recht so, denn wer im Raum bestehen will, muß sich dessen erbarmungslosen Gesetzen unterwerfen. * Sek schloß mit ein paar Handgriffen die Kristallgitterstruktur des Gehirns, das getreue Abbild des im Glasgefäß schwebenden Hirns, an das Lern-Sen sor-System. Nach einem Schema, das sich der Arzt aus dem Archiv auf einen Oszillographen überleuchten ließ, reg te er jetzt einzelne Partien an. Jedes Wissen war im Schema durch ein Muster festgehalten und übertrug sich nun auf die Windungen und Fal ten der Kristallgitterstruktur. Ein Ab tastverstärker regulierte die Intensität der angeregten Schwingungen. Ein Klicken, die Instrumentenzeiger fielen auf Null. Das Wissen über RaumMathematik, Kausalzusammenhänge, die umkehrbar waren, über die Theo rie der atomaren Materialauflösung durch Schwerkraftübergewichtung und
die praktische Anwendung entstabili sierter Kraftfelder, um die Schwerkraft aufzuheben, lag nun im Gehirnabbild fixiert. In weniger als einer tausendstel Se kunde wurden die Hirnsubstanzen ge prägt. Das Gehirn übernahm mit einem Schlag Kenntnisse und Fähigkeiten, zu deren Erwerb die Menschheit wahr scheinlich noch mehr als tausend Jahre benötigte. Sek drückte die Taste. Als sein Finger die Taste losließ, war es schon geschehen. Die Matrize hatte sich auf das Ge hirn übertragen und eingeprägt. * Grüne, rote, blaue, gelbe Funken sprühten und bildeten irisierende Rei hen. Dazwischen Zickzack-Blitze. Sto ßen, Rucken, Ringen nach Luft, der Kopf schien zu zerspringen. Weite, un endliche Weite und wieder sich reihen de Funken. Grüne, gelbe, blaue, rote. Eine Stimme! Was...? Was...? Ir gend jemand fragte etwas. Ein Heben, ein Heben. Ein Tragen, ein Tragen. Befreiung, Weite. Das Gehirn schien zu schwimmen. Ein Streicheln, ein Streicheln. Beruhigung, Stille, endlos, unbe grenzte, unermeßliche Ruhe. Schweigen, Gleichgewicht, Frieden. „Wer bist du?” „Pilot James Bunder von der R 110.” „Du kommst vom dritten Planeten der Sonne?” Da, wieder die Funken, irgend etwas klopfte gegen den Kopf. Irrsinn, Wahn sinn. Hatte er keinen Körper mehr? Zerschmettert! Aus vielen tausend Me tern auf den Mars gestürzt. Fallen, fal len und immer wieder fallen. Hört denn das nie auf. Nie? „Du kommst vom dritten Planeten der Sonne?”
Welch eine Frage? Wer fragt so? Wer? „Von der Erde, ja!” „Erde?” Die Frage? Erde? „So nennen wir den Planeten.” Warum hören die Fragen nicht auf. Antworten müssen, gezwungen, et was zu tun, was man nicht wollte. „Was ist das?” „Was i s t . . . ? Ich...” Sein Vater stand plötzlich bei ihm. Die Mutter hielt ihm die Hand. Mit der Schwester fuhr er über einen See. Es war stürmisch. Er schob den süßen Brei zurück, er freute sich, daß der Teller herunterfiel. Der Rektor übergab ihm die Zeugnisse, er war glücklich. Ein al tes Auto tuckerte durch die staubigen Straßen seines Heimatdorfes. Bilder, immer neue Bilder, sie ka men, traten hervor und verschwanden. Nichts war festzuhalten. Und er mußte denken, denken, sich erinnern. Mein Gott, nahm das nie ein Ende. Nie! Und wieder Fragen. „Welche Zeiteinteilung habt ihr auf der Erde?” Er gab Antwort. Mechanisch. Er dachte nur alles. Aber er hörte immer wieder diese tote, tonlose Stimme. Durchdringend! Tief, tief bohrte sie sich in ihn hinein. Fragen — Antworten!
Fragen — Antworten!
Müssen!
* Endlich Ruhe! Rast, Stillstand, Schweigen! Ein unendliches Gefühl. Jetzt waren keine Funken mehr. Et was Technisches war um ihn, eine Ma schine, Ströme, Elektrizität. Ein eigenartiges Gefühl, kein körper liches. Aber das Ich war bewußt. Ich bin James Bunder, geboren in San Diego, Kalifornien. Kein Geräusch, kein Atem. Atem? War das nur ein Wort, eine Erinne
rung? Keine Tätigkeit mehr, kein Ein und Aus mehr? Nicht mal Angst. Ich bin James Bunder... Ich! Ich! Ich! Aber ich spreche nicht, ich atme nicht, ich habe keine Angst! Was habe ich noch alles nicht? Kein Lächeln, kei ne Tränen? Warum denke ich? Wer denkt, muß auch atmen. Warum ich nicht? Irgend etwas war nicht so, wie es sein sollte. Irgendeine Verbindung mit dem Körper war nicht mehr da, unterbrochen, zerstört. Bewegung? Die Arme, die Beine, der Kopf, die Augen. Bewegung? Oder nur Gedanken? Keine wirklichen Bewegungen! Da umfaßte ihn ein Druck. Blitz schnell, kaum wahrnehmbar, aber un endlich tief. Unendlich tief. Ein peinigender Schmerz. Ein Schrei! Das Gehirn schrie auf, schrie und schrie, und millionenfach schrie es aus Millionen Windungen und Zellen zurück. Welten waren über ihn gestürzt. * Licht stach ihm in die Augen. James Bunder richtete sich auf. Er tastete nach der Liege, er fühlte Widerstand, aber er sah nicht, worauf er lag. James Bunder war hellwach. Er stell te sich auf die Beine. Er fühlte sich kräftig, wie nach einem langen, gesun den Schlaf. Er sah sich um. Er war allein, in einem kleinen, hochgewölbten, weiß glänzenden Raum. Der Raum hatte kei ne Fenster, keine Lampen, und doch war er in strahlendes Licht getaucht. Der Pilot Bunder machte ein paar Schritte. Er versuchte sich zu erinnern. Was war alles geschehen? Wo war er hier? Er betrachtete sich, sah an sich her unter. Er befühlte die Kleidung, die er trug. Sie war grau, schimmernd
und weich. Ein Stoff, den er noch nie gesehen hatte. Er versuchte sich zu entsinnen. Da war der grauenvolle Absturz! Ja, rich tig, er war mit dem kleinen Landungs boot abgestürzt. Und hatte er, bevor er auf den Mars fiel, nicht die Vision eines Raumschif fes gehabt? Die Wände des Zimmers waren glatt und weiß. An verschiedenen Stellen waren Tafeln eingelassen, Instrumente und Schalter in bunten Farben. Ihm ge genüber hing eine Metallplatte. Sie spie gelte mattes Licht in das Zimmer. Spiegel! James Bunder wußte nicht, wie ihm geschah. Er wußte zwar, wenn er sich bewegte, sich umsah, seine Hände an sah, seine Figur, daß er es war. Und doch! Er hatte das Gefühl, ein anderer zu sein. Er konnte sich diesen Zwie spalt nicht erklären. Langsam ging er auf den Metallspie gel zu. Es flimmerte, und Bunder be merkte, daß der Spiegel keine feste Masse war, sondern nur eine Verdich tung von Strahlen, die man sichtbar gemacht hatte. Aber er konnte sich darin in jeder Einzelheit sehen und erkennen. Er betrachtete sein Gesicht, seinen Gesichtsausdruck, das leicht ge bogene Nasenbein mit der Narbe über der Nasenwurzel. Als kleiner Junge war er einmal von einem Holzstoß ge stürzt. Die Wangen waren voll, der Mund war schmal. James beugte sich ein wenig vor. Er fixierte seine Augen. Seine Augenfarbe war braun gewesen. Gewesen! Die Au gen, die ihn jetzt ansahen, waren ohne Farbe, hell, fast durchsichtig. Der Blick war stechend, und es schien, als schwämmen in der Regenbogenhaut tausend winzige Lichtpunkte. Was hatten diese Augen gesehen, an das sich das Gehirn nicht mehr erin nerte, nicht mehr erinnern mochte? Was hatten sie gesehen, das sie so ver änderte?
Blickte ihn hier wirklich der James Bunder an, der einst aufgebrochen war, um den Mars zu erforschen? Wann war das? Wie lange mochte das her sein? Was war inzwischen ge schehen? Und — er war nicht allein von der Erde weggeflogen. Wo waren seine Kameraden? Fragen über Fragen, die ihn über fluteten, und auf die er keine Antwort wußte. James Bunder riß sich von seinem Spiegelbild los. Es gab ihm keinen Be scheid. Er drehte sich um und stand einem hochgewachsenen Mann gegenüber. Ja mes erschrak nicht, ja, er war nicht einmal erstaunt. Blitzartig kam es wie eine ferne Erinnerung über ihn. Den Mann hatte er schon irgendwo kennen gelernt. Der Mann machte eine leichte Ver beugung. Er trug die gleiche Kleidung wie James. „Willkommen bei den Deltanern, Er denmensch James Bunder. Mein Name ist Sek, ich bin Arzt des Deltaschiffes.” James war sich nicht klar darüber, ob er die Worte aus dem Munde sei nes Gegenübers hörte, oder ob er sie nur gedanklich aufnahm. Der Mann nannte ihn beim Namen. Er kannte ihn? „Du warst lange ohne Bewußtsein. Im Dämmern deiner Gedanken hast du uns dein Leben erzählt, daher wissen wir über dich und dein Leben Bescheid. Du wirst von mir über alles aufgeklärt werden, was dir jetzt noch nicht klar und neu ist. Damit du weißt, wo du dich befindest, nur soviel: Du bist, nach deiner Zeitrechnung, vor drei Erden tagen mit einem Landungsschiff ver unglückt. Deine vier Kameraden waren nicht mehr zu retten, ihre Leiber und Gehirne waren so stark zerstört, daß selbst wir sie nicht mehr am Leben er halten konnten.” Sek, der Arzt, war bei diesen Wor ten — oder waren es nur seine Gedan
ken? — zu einem Schalter an der Wand gegangen. Ein zarter Druck, und vor James wurde die Wand durchsichtig wie Glas. Vor ihm breitete sich eine eintönige, steinige, felsige Landschaft aus, die rötlich gleißte. Was seine Augen sofort erfaßten, war das Raumschiff, das grau und schlank auf einem mattglänzenden Podest ruhte. Es war die R 110, es war sein Raumschiff. Die Wand wurde wieder undurch sichtig. Sek machte eine einladende Handbe wegung. Er setzte sich und schwebte im Raum, obwohl James nicht erken nen konnte, worauf er saß. Eine weite re Handbewegung lud James ein, sich ebenfalls zu setzen. Vorsichtig beugte James die Knie. Er spürte Widerstand, der nachgiebig und unangenehm weich war. James ließ sei nen Körper fallen, ein unsichtbarer Sessel fing ihn auf und umschloß ihn. Zum ersten Mal öffnete James den Mund. Er spürte, wie sich seine Bak kenknochen bewegten, seine Kiefer sich spannten. „Ist unser Schiff zerschmettert wor den? Es fiel doch steuerlos auf die Marsoberfläche.” James Bunder lauschte seiner Stim me nach. Sie schwang wie ein feines Instrument im Raum. Sie klang ein wenig dunkler, als James sie in Erin nerung hatte. Sek legte sich weit zurück. „Es fiel, und es war steuerlos, das stimmt, aber wir kontrollierten seinen Fall. Leider konnten wir nicht verhindern, daß Sie sich mit Ihrem kleinen Landungsboot wegkatapultierten. Wir wußten nicht, daß Sie noch kleine Boote mit an Bord führten.” James richtete sich auf. Er wunderte sich, wie ruhig und gelassen er das al les hinnahm. Er wollte ärgerlich sein, wütend aufspringen, aber er blieb be herrscht. Leidenschaftslos hörte er an, wie ihm dieser Mann sagte, er habe
bewußt das Raumschiff aus dem Kurs gebracht, um es auf die Oberfläche zu zwingen. Er habe ihn und seine Ka meraden abstürzen lassen, ohne zu ver suchen, ihnen zu helfen. Nur er hatte Glück gehabt! Glück? Wer wollte das ermessen, ob es ein Glück für ihn war? Und wie hatten ihn die Deltaner ge rettet? Soweit er feststellen konnte, war er unversehrt, er konnte sich be wegen, er konnte denken. Sek hatte James’ Überlegungen mit verfolgt. Sein Gesicht blieb unverän dert, nur die Augen irisierten stärker. „Du sollst alles erfahren”, meinte er. „Du befindest dich zur Zeit in einem Raumschiff des Planeten Delta in der Andromeda. Unser Planet ist ungefähr so groß wie deine Erde, und unser Volk besteht aus zwölf Milliarden Gehirnen. Wir sind ein altes Volk und blicken auf eine geschichtliche Überlieferung von einer Million Delta-Einheiten zurück, was ungefähr soviel wie eineinhalb Millionen Erdenjahre sein dürften. Un sere Technik ist hochentwickelt, und es gibt nur noch wenige Naturgeheim nisse, die wir bis jetzt nicht enträtselt haben.” Sek unterbrach sich und räusperte. „Das heißt, zu der Zeit, als wir Delta verließen. Vor ungefähr dreihunderttausend Delta-Einheiten haben wir unseren Körper aufgegeben, wir leben nur durch unsere Gehirne. Alter und Tod ist in unserer Welt berechenbar gewor den. Wir haben den Leib aus Fleisch und Blut, der im Laufe der Zeit biolo gisch verfällt, ersetzt. Unsere Gehirne, die bei richtiger Behandlung mehrere tausend Jahre alt werden können, sind über Elektronenströme mit wartungs freien, technischen Organen verbunden, die sich überall in unserer Andromeda welt befinden. Jedes Gehirn kann bei uns an jedem Erlebnis, real oder vor gestellt, auf Delta oder im Weltraum, in der Tiefsee oder im Berginnern, teilnehmen. Unsere Lebensform ist un
endlich reich. Außer der gegenwärtigen Lebensform können sich die Gehirne unserer Welt mit dem Erinnerungszent rum verbinden und sich alles, was je von irgendeinem Gehirn erlebt oder gedacht wurde, eingeben lassen. So kann man jahrelang, wenn man will, in der Vergangenheit leben, und sie ist genauso real und plastisch wie die Ge genwart. Uns wird jede Zeit zur Ge genwart, das heißt, wir kennen die Zeit nicht mehr. Nur die Wissenschaftler arbeiten noch mit ihrer Einteilung und Berechnung.” James Bunder wunderte sich nicht. Er nahm alles auf und registrierte das Gehörte wie auf einem Tonband. War um sollte es im Raum nicht Wesen ge ben, die so weit in ihrer Entwicklung fortgeschritten waren? Warum sollten sie nicht so weit gekommen sein, den Körper, dieses lästige, innerhalb kur zer Lebensjahre verfallende Molekular gebilde, zu verlassen? Nur — und das war James nicht klar —, wieso saß die ser Arzt mit einem Leib vor ihm? James wollte eben die Frage an Sek richten, da kam schon dessen Antwort. „Für bestimmte Aufgaben benötigen wir natürlich trotzdem unseren Kör per, oder besser gesagt, einen Körper. Besonders wir von den Forschungs raumschiffen haben den Körper not wendig, wenn wir mit anderen Raum rassen zusammenkommen. Nun, auch das Problem haben vor. vielen Tausen den von Delta-Einheiten unsere Inge nieure und Raurnformations-Mathema tiker gelöst. Jeder Körper befindet sich ununterbrochen im Zustand des Strö mens. Atome treiben durch unseren Körper, bauen auf, verfallen, werden ersetzt und bilden die immerwähren den Gezeiten der Lebensmaterie. Doch jedes der Milliarden Atome reagiert nach einem ganz bestimmten biologi schen Muster. Dieses Muster zu finden, gelang eines Tages unseren Inge nieuren. Durch Zeichen auf der Basis atomarer Strukturen wurde das kör
perliche Leben fixiert, Die Grundla ge — das wußten wir — ist immateriell, es kam nur auf das Muster an. In dem Augenblick, wo wir das Grundmuster des Lebens besaßen, wa ren wir imstande, Personen, das heißt, deren Körper und Fähigkeiten, zu ver vielfachen. Geniale Deltaner, die im technisch-wissenschaftlichen Bereich Einzigartiges leisteten, wurden zu einem wissenschaftlichen Bat zusam mengefaßt und unter Kontrolle des Delta-Rates gestellt. Die ungeheure Menge von Informationen, die zur De finition einer Person gehören, wurden in einem eigenen Strukturbild-Archiv gesammelt. Jeder Deltaner kann, wenn er will, sich vom Zentral-Archiv einen Körper geben lassen und damit leben, solange er Lust hat. Doch das tut kaum jemand, es sei denn, er ist durch beson dere Umstände dazu gezwungen. Wie ich zum Beispiel.” Über Seks Gesicht huschte ein Hauch von Lächeln. James Bunder erfaßte schnell die Ungeheuerlichkeit der Kenntnisse die ses Volkes. Welch eine Ebene des ver feinerten Lebens hatten sie erreicht und wie gebunden, gefesselt, gefangen waren er und die Menschen der Erde noch. Sek fuhr fort. „Leiden, Gebrechen und Tod sind für uns keine notwendig mit dem Leben verbundenen Funktio nen mehr. Unser Sterben gilt daher seit vielen Delta-Einheiten der Erfor schung von Leben ohne Materie. Das klingt paradox, aber wir wissen, daß alles, was existiert, in einem Grund muster festgelegt ist, der Körper, die Materie, aber auch der Geist, die In telligenz. Fände man deren Basismu ster, so ließen sich Geist und Intelli genz ganz auf energetischem Wege durch Strahlen oder Raumelektrizität auf bauen. Der Weltraum hat eine funda mentale Struktur, und in ihr ist auch die letzte Information aufbewahrt, diu wir suchen. Eine neue Art des Existie
rens, des Erkennens, des Erfassens wird dann anbrechen, wenn wir einst die Materie ablegen können, die uns so lange als Träger unseres Lebens ge dient hat.” Jetzt sprühten Blitze in den beweg lichen Augen des Arztes. James sah ihn bewundernd und furchtsam an. Sek erhob sich. Auch James stand auf. Unauffällig betastete er seinen Körper. Als er den Druck seiner Fin ger verspürte, war er erleichtert. „Ich werde dir jetzt unser Schicksal erzählen und wieso wir in dieses Son nensystem gekommen sind. Wir brau chen deine Hilfe. Du wirst wieder zur Erde zurückkehren und uns die Atom materie bringen, die wir für unser Raumschiff benötigen.” Sek schritt auf eine Wand zu. Sie floß vor ihm auseinander oder löste sich auf. James konnte das nicht genau erkennen. Er hielt sich dicht hinter Sek. Sie kamen in einen langen, brei ten Gang. Ein beweglicher Boden roll te sie an vielen Türen vorbei. „Ein unglücklicher Zusammenstoß mit einem Meteoritenschwarm hat in der Nähe dieses Sonnensystems unsere Energiekammern zerstört, so daß wir nicht mehr in der Lage waren, die Raumkraftfelder zu konzentrieren und den Schwerkraftmotor in Betrieb zu halten.” Sek ließ das Rollband anhalten. Er wandte sich an seinen Erdenbegleiter. „Das ist einer der Fälle, wo die Mate rie trotz aller Kenntnisse stärker ist. Was nützt das Grundmuster der Raum kraftverwertung, wenn die Mechanik defekt ist, die die Raumkraftfelder in Bewegung umzusetzen hat?” James Bunder nickte verständnisvoll. Er stellte einige technische Fragen nach der Feldstärke, den Verwindungs zahlen und der Kraftspeicherzahl. Ein mal stockte er und hielt inne. Er fixier te den Arzt mißtrauisch, aber der gab in ruhigem Ton Auskunft und schien von den Fragen nicht überrascht zu
sein. Erstaunt war nur James Bunder. Wieso fand er sich in einem Raum schiff, das mit Methoden arbeitete, die man auf der Erde noch ins Reich der Phantasie schob, so gut zurecht? Wie so konnte er Fragen über Dinge stel len, die er auf der Erde noch nie ge hört hatte? Aber es war nicht zu leug nen, er wußte Bescheid; die Arbeits weise des Schwerkraftmotors war ihm so geläufig wie die Aufgabe eines simp len Otto-Verbrennungsmotors. Die bei den Männer betraten den Motorraum, das Kraftzentrum des Schiffes. Meßinstrumente, Schalttafeln und blitzende Sauberkeit, ein Kraftzentrum, wie James Bunder es auch von der Er de her kannte. Sek ließ eine Schalt wand auseinandergleiten. Im Raum da hinter sah James hohlkugelartige Ge bilde, die einen eigenartigen, unwirk lichen Schimmer ausstrahlten. Sek be tätigte einen Schalter, Licht flutete im Raum auf. Jetzt erkannte James die Zerstörung. Eine Wand war zerfetzt, die Hohlgebilde lagen verbogen wild durcheinander. „Das war unser Raumfeld-Umsetzer, der die Energien zur Verwirklichung der Raumstrukturmuster lieferte. Er entwickelte auch die Energien für un seren Schwerkraftmotor. Ein Riesen meteor durchschlug — ich sagte es schon — unseren elektrischen Abwehr schirm und zerstörte die Mechanik. Es gelang uns noch, die Geschwindigkeit zu bremsen und uns auf diesen Plane ten zu retten. Glücklicherweise fanden wir einen guten Landeplatz, auf dem wir das Schiff verankern konnten.” Sek ließ das Licht verlöschen und schloß den Motorraum. Er ging mit James wieder auf das Transportband und fuhr den Gang wei ter, ließ sich in den zweiten Stock hoch heben und glitt durch das riesige In nere des Schiffes, bis er vor dem Zentralraum anhielt. Sek durchschritt mit James die Wand vor ihm, die sich wieder wie ein un
sichtbarer, weicher Glasvorhang teilte und lautlos schloß. James Bunder blieb stehen. Er hatte das Gefühl, von einer Menge Leute angestarrt zu werden. Ein Raunen und Wispern war um ihn, in seinem Gehirn schienen sich tausend Fragen auf einmal zu treffen. „Du bist im Saal der Gehirne, du stehst vor dem GROSSEN RAT unse res Raumschiffes”, übermittelte ihm Sek. James sah sich um. Er fragte sich, wo denn der GROSSE RAT sei, da durchzuckte ein schneidender Gedanke sein Gehirn. Ein ETWAS zwang ihn, in eine Richtung zu sehen. Auf einem metallglänzenden Bord standen hell funkelnde Gefäße in langer Reihe ne beneinander. Sein Blick glitt an den schimmernden Behältern entlang. Er stand den Herren dieses Schiffes ge genüber. Er machte eine leichte Ver beugung, und sie erschienen ihm lä cherlich., Er überlegte, wer wohl der Kommandant der Besatzung sei. Da ergriff ihn ein Gedankenstrahl, James starrte auf einen kristallähnlichen Be hälter und fühlte, wie von dort her Antwort auf seine Frage kam. „Du wirst uns helfen.”
James Bunder dachte „ja”.
„Dein Schiff ist in Ordnung. Du wirst
morgen starten, und Sek, unser Arzt, wird dich begleiten.” Da erinnerte er sich seiner Kamera den. Wo waren ihre Körper geblieben? Hatte man sie geborgen, oder lagen sie noch in der mörderischen Kälte des Marstages? ,Darf ich meine Kameraden sehen?’ Es kam zurück: ,Sie sind geborgen. Sie liegen im Vorraum.’ Kann ich sie zur Erde mitnehmen? Antwort: ,Der GROSSE RAT hat nichts dagegen!’ * Obwohl er Raumforscher war und theoretisch mit allen technischen, phy
sikalischen und lebensmäßigen Mög lichkeiten, die im Universum vorkom men konnten, vertraut war, überstieg das, was Mellery in den letzten Tagen erlebt hatte, manchmal sein Vorstel lungsvermögen. Oft mußte er sich die Bild- und Tonbänder nochmals vorspie len, um die Einzelheiten auch wirklich glauben zu können. Arthur Mellery kam tagelang nicht mehr aus seinem Büro heraus. Die we nigen Mitarbeiter, die mit ihm auf der Station arbeiteten, sahen ihn nur noch ab und zu beim Essen in der Kantine. Er schlang seine Mahlzeiten hastig hin unter, sprach mit keinem und ver schwand wieder. Kaffee und andere an regende Getränke ließ er sich kannen weise ins Büro bringen. Er stellte die eigenartigsten Wunschlisten auf und verlangte, daß man die Dinge von heu te auf morgen beschaffen sollte. So forderte er plötzlich eine Kopie der Fernsehübertragung anläßlich des Starts der R 110 an. Die betrachtete er sich immer und immer wieder und studierte eingehend jede Einzelheit des Raumschiffes. Gestern war eine offizielle Anfrage der Raumbehörde eingetroffen, die Mellery noch nicht beantwortet hatte, obwohl sie als dringend gekennzeich net war. Die Funkstationen hatten zwar die Peilverbindung mit dem Expeditionsschiff R 110, aber auf An fragen gab das Schiff keine Antwort. Längst hätte die Besatzung schon ihr Landemanöver auf dem Mars durch führen müssen, aber nichts war ge schehen. Nun rätselten die Wissen schaftler und Funkexperten, was wohl die Ursache dieses Schweigens sein könnte. Was war an Bord des Schiffes geschehen? Lebte die Besatzung noch? Warum gab sie keine Antwort? War nur die Funkanlage ausgefallen? Die Funkanlage, soweit sie von Hand be tätigt werden konnte, die Automa tik strahlte unvermindert ihre Peil kennzeichen aus. Mellery war gebeten
worden, seine Riesenanlage auf die R 110 einzustellen. Er sollte versuchen, Verbindung mit dem Schiff aufzuneh men. Nach über zwanzig Stunden ließ Mel lery der Raumbehörde die Nachricht übermitteln, daß er trotz intensiver Be mühungen nichts anderes als eine Peil verbindung mit der R 110 herstellen könne. Als der Assistent von Mellery die Meldung über den Hellschreiber laufen ließ, wunderte er sich, warum er kei nen Auftrag seines Chefs erhalten hat te, die Kontrollverbindung mit dem schweigsamen Schiff aufzunehmen. Sollte das Mellery selbst getan haben? Das wäre das erste Mal gewesen, seit der Assistent auf Mount Pilar Dienst tat, daß sein Chef solche Arbeiten eigenhändig verrichtete. Aber da die Meldung an die Raum behörde von Mellery kam, würde es schon stimmen, meinte der Assistent und gab die Meldung so, wie er sie empfangen hatte, weiter. Die Große Rechenanlage lief seit Stunden nur für Berechnungen, die Arthur Mellery persönlich überwachte. Er stellte die Aufgaben und program mierte die Grunddaten. Die weiteren Stufen der Programme durften die zu ständigen Mitarbeiter beaufsichtigen. Die Ergebnisse jedoch holte sich der Chef wieder ab und hielt sie streng verschlossen in seinem Panzerschrank. * Die Raumschiff-Station V war seit einer halben Stunde außer Rand und Band. Schrille Sirenen heulten über das Gelände. Das bedeutete höchste Alarm stufe. Löschzüge rückten aus und po stierten sich an den vorgeschriebenen Plätzen. Wacheinheiten besetzten die Unterstände, sämtliche anfliegenden Raumschiffe und Flugzeuge wurden an gewiesen, Ausweichflughäfen anzu steuern.
Vor einer halben Stunde waren die Kodezeichen der R 110 in den Empfän gern der Raumstation eingetroffen. Die Erkennungszeichen gaben eine Entfer nung von nur noch wenigen zigtausend Kilometern an. „Landung in zwei Stunden zehn Minuten. Geben Sie Po sition an. An Bord alles in Ordnung. James Bunder führt die R 110. Die Be satzung ist tot.” Es dauerte fast zwei Minuten, bis der Peilfunker sich von seinem Schreck erholt hatte. Er gab die sonderbare Meldung an seinen Chef in die Zentra le weiter, der daraufhin sofort den Alarm auslöste. Nach Meinung des Chefs der Peil station konnte das nur zu einer Kata strophe führen. Denn irgend etwas stimmte hier nicht. Ein Raumschiff, das von vier Mann bedient werden mußte, konnte nicht von einem einzigen Mann geführt werden. Der Peilfunker tippte die Antwort auf den elektrischen Geber. „Wir geben Leitstrahlposition und Koordinationsan gaben. Wie können wir Ihnen helfen? Sollen wir ein Raumboot schicken? Können Sie die R 110 wirklich lan den?” Was der Peilfunker an das heranna hende Raumschiff durchgab, entsprach zwar nicht den Vorschriften, aber es war in der Situation verständlich, die se Fragen zu stellen. Die Antwort lief ein: „Brauche keine Hilfe. R 110 landet in zwei Stunden drei Minuten. Geben Sie Landefre quenz.” Der Pilot mußte vom Wahnsinn be fallen worden sein. So eine Antwort konnte nur ein Kranker durchgeben. Der Kommandant befahl nun die Evakuierung der Landestation, alle wichtigen Posten wurden in die tief unter der Erde liegenden Bunker be ordert. Einige Abwehrleute der Landestation machten den Vorschlag, das heranna hende Raumschiff abzuschießen, bevor
es wie eine Bombe auf den Flugplatz stürzen und ungeheure Zerstörungen anrichten würde. * Mit starren Augen hockte Mellery vor dem Abhörgerät. Er hatte die ge samte wissenschaftliche Riesenspinne für sich zweckentfremdet. Sie war auf seinen Befehl hin auf eine bestimmte Frequenz abgestimmt worden, deren Zahl er angegeben hatte. Mellery stierte vornübergebeugt auf den Zeichengeber und verfolgte ge spannt das Herannahen des Raumschif fes R 110. Jedes Funkzeichen registrier te er, jede Regung an Bord verfolgte er mit seinen elektromagnetischen Weit horchanlagen. Ein Lächeln umspielte seinen Mund. War er doch der einzige auf der Erde, der im Moment wußte, was im Raum schiff R 110 vor sich ging. Sein Lächeln galt deshalb den hastigen Abwehrvor bereitungen auf dem Landeplatz. * Es war soweit. Tief unter der Erde war der Flugplatzkommandant im Bun ker und beobachtete den rasenden Fall des Raumschiffes durch ein Periskop. „Der ist verrückt. Er müßte längst die Bremsdüsen voll aufgedreht haben. Der stürzt ab und haut alles zu Klein holz”, murmelte er, und keiner seiner Mitarbeiter, die mit ihm das Nahen des Raumschiffes beobachteten, hatte eine andere Meinung. B i s . . . ja, bis der wuchtige Flugkör per mit einem hell aufblitzenden Licht schein seine Bremsaggregate auslöste, ein Bremsen und Donnern über das Flugfeld hinzog und drei Sekunden später der Metalleib mit einem wei chen, fast unmerklichen Federn auf der Landeplatte aufsetzte. Die Greif stützen fuhren aus und hakten in der Verankerung ein.
Die Stille, die jetzt folgte, war be ängstigend. Der Kommandant schrie ins Mikro phon. Er befahl, den Landekran an das Raumschiff heranzufahren. Dann hastete er in den Aufzug und ließ sich nach oben bringen. Dem Fahrer des Wagens rief er ungeduldig zu, so schnell wie möglich zum Raumschiff zu fahren. Als er ankam, strömten schon von allen Seiten die Fahrzeuge heran. Krankenwagen waren darunter. Der Kommandant und noch ein paar Männer hetzten die Stufen hoch. Dann schwang die massive, unsichtbar in den Flugkörper eingepaßte Einstieglu ke auf. Die Männer traten zurück. Er wartungsvoll schauten sie auf die dunk le Öffnung, in der jetzt James Bunder erscheinen mußte. Aber nichts geschah. Niemand trat in die Öffnung, alles blieb still und stumm. Die Männer auf der Plattform sa hen sich betreten an. Sie zögerten. Da machte sich der Arzt Platz. Er schob die Nächststehenden zur Seite und trat entschlossen durch die Lukenöffnung in das Raumschiff. Die anderen dräng ten nach. Das Innere war hell erleuch tet. In der Pilotenkanzel war niemand zu sehen. Der Arzt ging durch den Raum und machte die Tür zum Labor auf. Auch hier niemand. Schnell lief der Arzt durch die übrigen Räume. Aber nirgends konnte er einen Menschen er blicken. Kein James Bunder war da, niemand sonst von der Besatzung. Im Kühlraum lagen vier in rotes Plastikmaterial eingehüllte Gestalten. Die Männer starrten sich an. Sie wi chen gegenseitig den Blicken aus. Kei ner sprach. Sie waren fahl im Gesicht, und mancher konnte ein Zittern nicht unterdrücken. Das Raumschiff war leer. *
James Bunder ging aus dem Raum schiff, an den Männern vorbei, die er kannte, an vielen Neugierigen, die sich auf der Plattform versammelt hat ten — und sie alle sahen ihn nicht. Sek schritt hinter ihm, und neben den bei den Männern schwebte der Kugelrobo ter. Es war ein von den Deltanern ent wickeltes Wesen, dessen Fähigkeiten fast unbegrenzt schienen. Sein Positro nengehirn konnte mehr als 3 Millionen programmierte Pläne aufnehmen und zur rechten Zeit anwenden. Das Erdenraumschiff in all seinen Funktionen zu übernehmen, es vom Mars zu starten und zur Erde zu brin gen, war für den Roboter deshalb eine simple Aufgabe. James konnte sich mit dem Robo ter — er nannte ihn Robby — in seiner eigenen Sprache unterhalten. Robby hatte sich nur einmal das Alphabet und die Laute der Buchstaben vorsagen lassen, dann war er in der Lage, die Kombinationen der Buchstaben zu Worten und die Worte miteinander sinnreich zu verbinden. James war anfangs überrascht, wie reibungslos sich die Maschine seine Denkweise angeeignet hatte. Er wußte allerdings nicht, daß Robby kurz vor der Abfahrt von Sek die Gehirnstruk tur von James einprogrammiert be kommen hatte. Er war damit mit einem voll funktionierenden menschlichen Ge hirn ausgestattet und jederzeit in der Lage, sein Wissen auf menschliche Denkweise abgestimmt, zu produzie ren. Robby hatte, kurz bevor die Tür des Raumschiffes aufschwenkte, ein ge richtetes Energiebündel ausgeschickt. Es war für die Gehirne der draußen Wartenden bestimmt und sollte einen Teil ihres Denkzentrums ausschalten. Die Männer auf der Plattform waren danach nicht mehr fähig, James Bunder und seine beiden Begleiter zu sehen. Der Energiestrahl wirkte wie eine Suggestion auf das Gehirn und befahl,
die Raumschiffsbesatzung nicht wahr zunehmen. Diese psychologische Unsichtbarkeit war verblüffend. James meinte, jeder der Herumstehenden müßte ihn jetzt ansprechen, ihn aufhalten, ihm den Weg versperren. Aber nichts derglei chen geschah. Sek und James gingen auf den Lift zu. Sie betraten die Kabine, die Schie betüren schlossen sich, und sie fuhren abwärts. Unten angekommen, gingen die beiden Männer mit ihrem Kugelbe gleiter unangefochten zu einem Wagen. Robby ließ sich auf den Vordersitz nie der, und wie von Geisterhand bewegt fuhr der Wagen an und raste über das weite Betonfeld dem Ausgang zu. „Wohin fahren wir?” fragte James. „Das wirst du uns sagen”, antworte te Sek. Und es war, als lächelte sein starres Gesicht. „Ich?” James war überrascht. Er schaute Sek fragend an. „Wo werden eure Raummotoren ge baut?” „In Spring of Lake. Der größte Teil...” „Ist das die größte Werft, die ihr habt?” James nickte. Vor einem halben Jahr war er für zwei Monate nach dort ab kommandiert gewesen, um die neue sten Triebwerke während der Herstel lung studieren zu können. Raumpiloten mußten stets mit dem letzten Stand der Technik vertraut sein. Sek lehnte sich in die Polster zurück. „Dann fahren wir nach Spring of Lake.” * Der Hubschrauber war aus dem un terirdischen Hangar automatisch auf einer Stahlplatte hochgefahren worden. Arthur Mellery legte den Hebel um, die Stahlplatte drehte sich geräuschlos um ihre Mittelachse. Dann blieb sie ste hen, und der Hubschrauber setzte sich auf zwei Schienen in Bewegung.
Mit pochendem Herzen verfolgte Mellery die Fahrt des zweisitzigen Flugzeugs. Er war ungeduldig. Es dauerte ihm alles zu lange. Immer wie der schaute er ängstlich nach rückwärts zu den hell erleuchteten Fenstern, die wie funkelnde Zielscheiben über der Felswand zu hängen schienen. Es war zehn. Uhr, die Nacht war schnell und mondlos über das Tal gekommen. Das war günstig. Niemand hatte bis her bemerkt, daß der Chef der Station die Wohngebäude verlassen hatte. Selbst durch die elektrische Sperrzone war er ohne aufzufallen hindurchge kommen. Der Hubschrauber war am Ende der Schiene angelangt, drehte sich um zwanzig Grad nach Ost und stand als ein kleines Ungetüm gegen den blau schwarzen Himmel. Bisher lief alles gut. Mellery packte seine Tasche, die sehr schwer war, und keuchte los. Er lief über die Startbahn, und nach rund hundert Metern hielt er neben der Einstiegtreppe des Hubschraubers. Mellery kletterte hoch, zog die Ta sche hinter sich her, stieß sie in die Ka bine, zog die Türen zu und ließ sich auf dem Pilotensitz nieder. Ein Scheinwerfer flammte auf, zog einen Halbkreis und erlosch dann wie der. Es wurde höchste Zeit! Mellery trat mit dem Fuß gegen einen Schalter. Das Triebwerk lief an, die Schraubenblätter begannen zu kreisen. Es dröhnte über laut in der Stille der Bergnacht. Mellery drückte den Knopf für die Schubkraft mit der Faust hinein. Ein Aufheulen! Mellery riß den Starthebel herum, und der Hubschrauber schoß senkrecht in die Luft. Die beleuchteten Fenster glitten an ihm vorüber. Schon war er darüber, und in einer gewagten, sehr schrägen Linkskurve zog der Hubschrauber jetzt aus dem Talkessel hinaus und ge wann zugleich stark an Höhe.
Von Mellery war jetzt jede Nervosi tät abgefallen. Ruhig und sicher saß er im Pilotensitz. Er beugte sich weit nach rechts und sah ein paar winzige Lichtpunkte unter sich im Schwarz der Gipfel versinken. Am nächsten Morgen wunderte sich der kleine blonde Assistent Mellerys, als er seinen Chef nirgends finden konnte. Erst als man das Fehlen des Hubschraubers feststellte, machte man an die nächstübergeordnete Behörde Meldung von dem Verschwinden des Leiters der Station. Das war gegen vier Uhr nachmittags. Da um halb fünf Uhr Dienstschluß in der Raumbe hörde war, wurde die als nicht drin gend deklarierte Meldung liegengelas sen und erst am nächsten Tag weiter geleitet. * Grau im Gesicht, mit zitternden Knien, stand der Chefkontroller am Fenster seines Büros und betrachtete das unheimliche Schauspiel, das sich seinen Augen darbot. Gegen acht Uhr waren wie an jedem Tag die Meldungen der über zweihun dert Kontrollerdienste, die nach Feier abend das riesige Stahlwerk überwach ten, eingegangen. Der Chefkontroller ließ das Kontrollband des Fernschrei bers durch die Finger gleiten und prüf te die Meldungen. „Keine besonderen Vorkommnis se” — „Tor dreiundzwanzig abgeschlos sen” — „Abteilung 5 B Arbeit beendet, erster Rundgang ohne Besonderhei ten” — und so fort, über zweihundert Meldungen. Der Chefkontroller schau te schon gar nicht mehr auf den Loch streifen, denn solange alles in Ordnung war, lief das Gerät ruhig. Eine Extra meldung wurde durch ein flackerndes Licht und einen Summton gekennzeich net. Genau drei Minuten nach acht Uhr ging es dann los! Zuerst eine Extra meldung, dann fünf, zehn, dreißig. Der
Fernschreiber schien zu platzen. Er konnte die Extrameldungen nicht mehr verkraften und streikte. Er erlosch. Dafür ging vor den Fenstern die Höl le los. Der langgestreckte Werkskomplex genau gegenüber dem Gebäude, in dem der Chefkontroller seinen Büroraum hatte, schien aus allen Fugen zu gera ten. Von einer Sekunde zur anderen leuchteten Tausende von Lampen auf. Die riesigen Werkshallen erstrahlten in hellstem Licht. Zugleich begannen die Maschinen zu laufen, Schwungrä der setzten sich in schwerfällige Bewe gung. Der Chefkontroller starrte und starr te, bis ihm die Augen wehtaten. Er konnte trotz der Helle in den Werks hallen niemand sehen. Es war gespen stisch. Über das Werksgelände heulten jetzt die Alarmsirenen. Einsatzkommandos sprangen in ihre Wagen und rasten zur Montagehalle. Dem Chefkontroller schwindelte. Krampfhaft hielt er sich am Fenster sims fest. Unter ihm, keine fünfzig Meter ent fernt, zerbarst ein vollbesetzter Last wagen mitten in rasender Fahrt. Es war, als bremste ihn eine unsichtbare Wand. Menschen schrien und flogen durch die Luft, Feuer sprang auf, Pa nik. In wenigen Sekunden waren es zehn Wagen, die mit eingedrückten Kühlern, umgedreht, verbogen, kaputt, ineinandergeschoben vor der Montage halle lagen. Der Chefkontroller sah Menschen, die im Lauf angehalten wurden und zu Boden sanken, die mit angstverzerrten Gesichtern davonliefen und ihre Angst in die Luft schrien. Einige der Wachmannschaften rissen die Maschinenpistolen von der Schul ter und feuerten völlig sinnlos ihr Ma gazin leer. Nicht eine Kugel traf die fünf Meter entfernten Fensterscheiben der Workshalle. Es war, als verschlucke
ein unsichtbarer dicker Wattevorhang jede Kugel. Die Menschen waren verstört, ratlos. Sie konnten sich das Phänomen nicht erklären. Die Luft hatte plötzlich Balken be kommen! Eine Wand, die man nicht sehen konnte, versperrte den Weg zur Montagehalle, in der hart gearbeitet wurde, obwohl nicht ein Mensch zu se hen war. Das war nicht mehr zu begreifen. Der Chefkontroller, ein Mann, der in vielen Dienstjahren ergraut war, sank ganz langsam um. Er war ohn mächtig geworden. * Funken stoben auf, der glühende Stahlbrei ergoß sich in die Form. Ja mes Bunder verfolgte den Lauf des glühenden Bandes. Der Kugelroboter schwebte über dem riesigen Schaltpult. Tasten wurden gedrückt, Schaltungen sprangen um, Lampen flackerten auf, Relais gaben Wege für den elektrischen Strom frei und versperrten andere Bahnen. Nach einem präzisen Plan ge zwungen, arbeiteten die hundert Ma schinen, drehten, gossen, schliffen, schraubten und schalteten und ließen ein Werkteil entstehen, wie es die Hal le noch nicht gesehen hatte. Nach den Vorgaben außerirdischer Wesen ent stand in wenigen Stunden das Gehäuse eines Raumbrenners. * Im Sicherheitshauptamt stapelten sich die Meldungen. Niemand war mehr in der Lage, die kuriosen Nachrichten, die einliefen, auszuwerten, geschweige denn, ihnen nachzugehen und sie zu überprüfen. Der Chef vom Dienst sah sich einer Flut von Verrückten gegenüber — wie er meinte. Die tollste Nachricht lief gegen sechs
Uhr morgens ein. Sie kam vom Atom versuchsfeld III. Sie lautete: Sperrzonen ausgefallen, zwei Mannschaften von unbekannten Tätern betäubt, der gesamte Vorrat an Uran und Plutonium gestohlen. Der Chef vom Dienst war einem Tobsuchtsanfall nahe. Das war der Gip fel der Blödsinnigkeit. Als wenn je mand in der Lage wäre, das bestbewach te Gelände der Welt so ohne weite res zu betreten und die Uranvorräte an sich zu nehmen! Keine zehn Divisionen würden auch nur durch die ersten zwei Sperren kommen. Und fünf raffinierte Sperren sicherten das Gelände ab. Eine Stunde später bewegte sich auch der Chef vom Dienst am Rande einer Ohnmacht. Die Uran- und Plutonium vorräte waren tatsächlich verschwun den, sämtliche Sperren blockiert, und über hundert Mann der Wachen lagen schlafend in ihren Unterkünften und Wachstationen. Es war ein Rätsel, wie das passieren konnte! Es war unheim lich. *
Dem Soldaten, der eben noch die in den Himmel ragende R 110 fixiert hat te, fiel fast das Fernglas aus der Hand. Er brachte einen gurgelnden Laut her vor und blieb wie angewurzelt am Ausguck stehen. Sein Kamerad wollte eben den Kaf fee in die Tassen gießen. Ihm kippte das heiße Getränk um. Er schrie auf. Im selben Moment rasselten die Alarm glocken. Vor den Augen der beiden Soldaten erhob sich langsam und dann immer schneller und schneller das Raumschiff R 110. Zuerst meinten die Männer einer Sinnestäuschung zu erliegen. Die Sonne stand fast genau hinter dem Raumschiff und kam über die Berge am Horizont. Aber es war keine Täuschung. Die R 110 war gestartet. Nach einer Minute war nichts mehr von dem Raumer zu sehen. Er war fort, wie weggeblasen, als hätte er nie auf der Rampe siebzehn gestanden.
Die Serie der mysteriösen Vorgänge war noch nicht abgeschlossen. Unbe greifliches ereignete sich fast in jeder Stunde, und die Raumbehörde war im Moment nur daran interessiert, daß die Presse nichts davon erfuhr, um die Be völkerung nicht in Angst und Schrek ken zu versetzen. Am Rande des Startfeldes stand ein Wachhaus, das in den Morgenstunden von zwei Soldaten besetzt war. Wäh rend der eine eben auf dem kleinen Ofen Kaffee heiß machte, beobachtete der andere mit dem Fernglas die Start rampen der Raumschiffe. Besonderes Augenmerk war auf die Rampe sieb zehn zu legen, hatte es im Tagesbefehl geheißen. Auf Rampe siebzehn stand die R 110, die vor knapp vierundzwanzig Stunden vom Mars zurückgekehrt war. Man munkelte, daß niemand zu finden war, außer vier toten Piloten.
Die Erregung auf dem Raumschiff hafen war groß. Und sie wurde total, als man vier Piloten vermißte, die sich zu einem Routineflug fertig gemacht hat ten, von ihrer Unterkunft losgefahren waren, aber nie bei ihrem Raumschiff eintrafen. Es waren zuverlässige, hoch qualifizierte Männer, die sich nie eine Unregelmäßigkeit hätten zuschulden kommen lassen. Nun waren sie verschwunden! Hatten die Piloten die R 110...? „Das ist unmöglich”, brüllte der Chef vom Dienst, als jemand diese Vermutung äußerte. „Die R 110 war überhaupt nicht getankt. Sie kann gar nicht starten. Sie kann nicht...”, schrie er und wurde ganz rot im Gesicht.
*
* Noch einmal wurde die R 110 ge sehen, bevor sie für viele Wochen ganz
aus dem Gesichtskreis der Erde ver schwand. Die Sonne war eben hochgestiegen, noch dampften die Wiesen im Tau, als sich der riesige Metalleib des Raum schiffes weich wie eine Feder auf dem Vorplatz des Stahlwerkes, genau vor der größten Montagehalle, niederließ. Das Schiff blieb stehen — ohne Veran kerung — es stieß keine Gas- und Feuerwolken aus, wie man das bei Raumschiffen gewohnt war. Ein Ungetüm von einer Maschine schwebte aus der Montagehalle, verband sich mit dem Raumschiff, und leise, wie ein elektromotorgetriebenes Fahr zeug, hob sich das Raumschiff wieder in die Höhe und schoß in den blauen Himmel hinein. Mehr als zweitausend Männer des Stahlwerkes hatten alles genau beobach tet — fünf Minuten lang, dann war der Spuk vorbei. Und diese Massenbeobachtung konn te nicht mehr geheimgehalten werden. Presse, Funk und Fernsehen beschäf tigten sich damit — die Erde hatte für viele Wochen eine Sensation, und so viele Gehirne sich damit beschäftigten, so viele Erklärungen gab es auch. Ei nes allerdings war allen klar: Die Er de war von außerirdischen Wesen be sucht worden! * Die Schmerzen waren kaum noch zu ertragen. Sie zogen sich vom Kopf über die Schultern bis zu den Beinen. Arthur Mellery litt unsagbare Qualen. Nach dem dritten Schnellschub brach Mellery zusammen. Er war am Ende seiner Kräfte. Es wurde ihm schwarz vor den Augen, der Laborraum, in dem er sich versteckthielt, begann vor sei nen Augen zu zerfließen und sich auf zulösen. Mellery, der Raumforscher, wußte zwar, daß nur kräftige und trainierte Männer die Schubkraftleistung der
Raumschiffe ohne Elektrodämpfung gut überstehen, aber daß es so schlimm sein würde, hatte er nicht gedacht. Arthur Mellery war gegen Morgen am Rande des Raumschiffhafens, aber schon innerhalb der abschirmenden Sperrzonen, gelandet. Den Hubschrau ber ließ er in einem Waldstück zurück und schlich sich an den Baracken und Unterständen der Mannschaften vorbei zum Feld der Startrampen. Er hatte Glück. Ohne angehalten zu werden, kam er bis zum Startfeld. Wer sich in nerhalb der Sperrzonen aufhielt, wurde kaum mehr kontrolliert, da er sich ganz bestimmt hier aufhalten durfte — wie hätte man ihn sonst durch die drei Kon trollen vorher passieren lassen? Da Mellery nicht wußte, wo das Raumschiff stand, das er suchte, muß te er alles auf eine Karte setzen. Mit festen Schritten ging er auf einen der Rampenposten zu und fragte ihn nach der R 110. Er stellte sich dabei als Pro fessor vor und vertraute auf sein Auf treten. Die R 110 lag als nächstes Raum schiff auf ihrer Rampe. Der Posten hol te sogar noch einen Elektrowagen und ließ Mellery zur Rampe fahren. Das Glück blieb Mellery auch weiter treu. Das Raumschiff selbst wurde nicht bewacht. Man hatte den Kran und den Aufzug neben dem Flugkörper ge lassen. Nur die Schwenktür zum Raum schiff selbst war versiegelt. Leichtgläubige Menschen! Das Siegel war schnell erbrochen, nur einen Spalt schob Mellery die Tür auf, drückte sich hindurch und zog die Tür wieder hinter sich zu. Er tastete sich durch die Räume, mit der Taschenlampe suchte er den geeig netsten Raum aus, um sich hier bis zum Start zu verstecken. Das Labor schien ihm am richtigsten. Er räumte den großen Schrank aus und richtete sich eine Ecke ein, wo er während des Startandrucks liegen konnte und der ersten Belastung nicht zu stark ausge setzt war.
Mellery kam wieder zu sich. Der Schubfahrt abgebrochen haben. Hätten Gliederschmerz riß ihn aus seiner Ohn wir sie fortgesetzt, wären Sie jetzt tot.” James hatte sehr ruhig gesprochen. macht. Er versuchte sich zu bewegen, aber er war zu matt. Er war nicht in Mellery schaute auf Sek. Er wußte der Lage, sich bemerkbar zu machen. über die beiden Männer Bescheid. Er Zu dem körperlichen Schmerz kam hatte sie ja auf ihrem Flug zur Erde jetzt auch noch ein psychischer hinzu. belauscht und war über ihr Vorhaben Ein schreckliches Angstgefühl überfiel gut unterrichtet. ihn. „Wußten Sie denn, daß ich an Bord bin?” Jede Sekunde wurde zur Ewigkeit. „Robby hat Sie vor wenigen Minu Und dann ließen plötzlich die Mus kelspannungen nach. Der wahnsinnige ten geortet. Ihm verdanken Sie Ihr Le Schub hatte aufgehört. Die Endge ben.” Wieder glaubte sich Mellery von schwindigkeit schien erreicht zu sein. Die Kopfschmerzen hörten fast schlag Tausenden von Augen beobachtet. artig auf. „Warum haben Sie sich in dieses Mellery atmete tief durch. Der unge Raumschiff geschlichen?” Mellery setzte sich in den nächstste heure Druck war von ihm genommen. Der Raumwissenschaftler überlegte henden Sessel. Er konnte sich kaum eben, was er nun tun sollte, ob er in noch auf den Füßen halten. „Weil ich seinem Versteck oder sich herauswagen der einzige Mensch bin, der weiß, was sollte, da wurde die Tür zum Schrank auf dem Mars geschehen ist”, sagte er und genoß die Überraschung, die sich aufgerissen. Mellery erstarrte. Vor ihm schwebte in den Mienen von James widerspie eine Metallkugel, und er hatte das Ge gelte. Sek konnte er nicht sehen, der fühl, daß ihn hunderttausend Augen stand seitlich von ihm. anstarrten. „Ich will mit Ihnen fahren und das Er war entdeckt! Er konnte nicht Raumschiff kennenlernen, das auf dem sprechen, die Zunge klebte am Gau Mars liegt.” Er machte eine kleine Pause und schaute sich nach Sek um. men. Da zog ihn eine unsichtbare Kraft „Ich möchte Ihnen außerdem einen hoch. Er konnte sich nicht dagegen Vorschlag machen, da ich Kenntnis von einer Welt habe, die wir Menschen in wehren. den nächsten tausend Jahren sicher „Komm mit, Erdenmensch.” Mellery bewegte sich wie eine steife nicht erreichen werden. Unsere Technik ist noch nicht so weit, Raumschiffe zu Gliederpuppe. Wenige Sekunden später stand Mel bauen, die viele hundert Lichtjahre lery zwei Männern gegenüber: dem überbrücken können. Ich weiß aber, Deltaner Sek und dem Menschen Ja daß das Raumschiff auf dem Mars die se Entfernung überwinden kann.” mes Bunder. „Sie haben Glück gehabt, daß Sie James Bunder hatte sich auf die nicht zerquetscht worden sind. Wie Lehne eines Sessels gesetzt. Er schlen können Sie nur so leichtsinnig sein, kerte sein rechtes Bein hin und her. eine Schubleistung ohne Elektrowiege Belustigt fixierte er den Raumwissen überstehen zu wollen?” schaftler. „Wie wäre es, wenn Sie sich Mellery fand langsam wieder zu sich mal vorstellen würden? Wer sind Sie? selbst zurück. Er versuchte sogar ein Wie kommen Sie zu den Kenntnissen, halbes Lächeln. „Sie sehen, ich habe die Sie anscheinend wirklich besitzen?” es überstanden.” „Oh”, sagte Mellery und stand auf. James Bunder nickte. „Weil wir die Er machte eine kleine Verbeugung und
nannte seinen Namen. Dann berichtete Robby unterbrach das Gespräch. Er er, welchen Beruf er hatte, was er auf wollte den unterbrochenen Schub nun der Erde tat, und wie er über die Pla fortsetzen. Die drei Männer schnallten netensonden von dem Raumschiff der sich auf den Liegen fest, und der Ro Deltaner erfuhr, dann das Raumschiff boter übernahm erneut die Führung R 110 mit seiner Abhöranlage beobach des Raumschiffes. tete, und wie er auf den Gedanken * kam, sich im Raumschiff zu verstek ken, um als blinder Passagier auf den Hundertfünfzigtausend Jahre mußten Mars zu kommen. die Deltaner warten, um ihre Raum Sek, der sich den Bericht schweigend angehört hatte, machte ein sehr abwei brennkammer zu ersetzen und neuen sendes Gesicht. Er wurde erst interes Materiestoff zu bekommen — und in sierter, als Mellery von seiner zweiten weniger als drei Stunden waren der Beobachtung erzählte. Intelligente We Raumbrenner eingebaut, die Materie sen im Raum zu finden, das gehörte zu kammer gefüllt und der Umwandler den Aufgaben, weswegen er und seine bereit, die ersten Energietransforma Kameraden von Delta vor vielen Tau tionen vorzunehmen. James Bunder und Mellery — dessen senden von Jahren aufgebrochen wa ren. Die Raumsektion, die der Mensch Begleitung der GROSSE RAT akzep Mellery mit dem Namen „Großer tiert hatte — standen auf dem Lauf Hund” bezeichnete, war noch dazu ein steg in dem riesigen Rund des Feld Teil des Raumabschnittes, den das Del umwandlermotors. Die Deltaner waren schon seit lan ta-Raumschiff zur Erkundung zugewie sen bekommen hatte. — Da sie aber gem in der Lage, die vollständige Um die Havarie hatten, war es natürlich wandlung der Materie durchzuführen. möglich, daß in der Zwischenzeit ein Sie erzeugten sogenannte Antimaterie anderes Raumschiff von Delta dieses mit verschobener Drehachse, die beim Raumsegment zur Erforschung über Zusammentreffen mit normaler Atom materie völlig vernichtet und total in nommen hatte. Mellery entging nicht, daß der Energie umgesetzt wurde. Diesen un schweigsame Deltaner interessierter geheuren Vorgang steuerten sie mit einem katalysierenden Feldwandler, wurde. Auf eine direkte Frage wich Sek je der jeweils nur die eben benötigte Ma doch aus. „Das kann nur der GROSSE teriemenge zur Umwandlung freigab. RAT entscheiden.” Die Deltabesatzung war vollständig „Aber Sie würden damit einverstan in ihre Körper geschlüpft, und alle Mann hatten ihre Posten besetzt. Für den sein?” „Der Raumabschnitt, den Sie mit James und Mellery war es schwer, die ,Großer Hund’ bezeichnen, liegt auf einzelnen Besatzungsmitglieder vonein dem Weg nach unserer Heimat. Wir ander zu unterscheiden. Sie hatten — könnten ihn auf alle Fälle auf unserer wie es schien — alles das gleiche Aus Rückfahrt aufsuchen. Ich weiß aber sehen, und ob nun Sek, der Arzt, den nicht, ob der GROSSE RAT einverstan sie kannten, mit ihnen sprach oder Far den ist, einen Erdenmensehen dahin ma, der Kapitän des Schiffes, oder Re mitzunehmen. Unsere Aufgabe ist es, to, der Raumingenieur, das war schwie den Raum und seine Wesenheiten zu rig, auseinanderzuhalten. erkunden, nicht aber fremde Rassen Über eine Gedankenwellen-Bordan aufzunehmen. Unsere Lebensbedingun lage ließ der Kapitän des Schiffes sei gen sind anders als die Ihren.” ne Gedanken ausstrahlen und gab letz
te Anweisungen an die Besatzung. „Achtung, wir werden in wenigen Se kunden Energieverbindung mit dem Sonnengestirn aufnehmen. Die Umfor mer brauchen knapp zehn Minuten, um das Schiff startklar zu machen. Alle Mann auf Posten, erste Startphase c-zehntel. Mit dieser Geschwindigkeit werden wir das Planetensystem ver lassen. Erst außerhalb beginnen wir dann mit der ersten Raumtorsion. Extrabefehl wird noch gegeben.” Reto, der Chefingenieur, stand neben den beiden Menschen und verfolgte auf einer kleinen Schalttafel die Vor gänge. Sein Gesicht war angespannt. Unter den drei Männern begann es jetzt zu dröhnen. Der Boden vibrierte. Das war die Umformerbank, die die ersten freiwerdenden Energiekräfte in die Relaisstation schickte. Der Feldumwandler konnte nur durch so ungeheure Energien angeregt werden, wie sie die Sonnen erzeugten. Es mußte deshalb zuerst eine Energie verbindung zur Sonne hergestellt wer den. Das war Aufgabe der Umformer bank. Reto deutete auf den Bildschirm, der im oberen Teil des Raumes hing. In seiner Mitte schwebte ein gleißender Ball — die Sonne. Die Umformer im Raumschiff heulten, das ganze Schiff durchzog ein Beben, und dann schoß aus der Sonne ein unendlich heller Blitz. Gleichzeitig schien der Maschi nensaal zu bersten. Die Energieverbin dung zur Sonne war hergestellt, die Feldfilter bündelten die Energie zu unvorstellbaren Kräften, zerschossen damit die Atomverbände und zwangen ihre Drehachsen zu anderer Anord nung. Das Dröhnen wurde immer stärker. Reto verfolgte seine Instrumente. Jetzt kam es auf Bruchteile von Sekun den an. In dem Augenblick, wo die er ste Umwandlung im Raumbrenner er folgte, mußte der Energiestrahl zur Sonne unterbrochen werden.
Da — Reto riß einen Hebel herunter. Die gleißende Helle auf dem Bildschirm verschwand, das helle Dröhnen im Raumschiff ging in ein dumpfes Brum men über. Reto gab seine Befehle. Das Schiff stand jetzt unter seinem Kommando. Der Start begann, der Start nach so langer, langer Zeit. Mellery und James lauschten und schauten auf Reto. Ein tiefes Brummen lief durch den riesigen Leib des Raum schiffes. Die Mammutmaschinen er wachten zum Leben. Reto deutete auf den Bildschirm. Es war, als hätte sich die Wand nach drau ßen geöffnet. Die beiden Menschen sa hen den heißen Sandboden, gleißendes Gestein, weiter ab die scharfen Zak ken der Berge. Jetzt erzitterte der Boden unter den Füßen, Staub und Gesteinsfontänen schossen draußen hoch. Die drei Män ner im Kommandoraum hatten sich auf den Startliegen festgeschnallt. Die Elektromagnetliegen dämpften den An druckschub fast bis auf Null. Man fühl te sich wohlig eingehüllt und spürte nichts von der ungeheuren Beschleuni gung, mit der das Raumschiff den An kerplatz verließ. James Bunder sah, wie die Land schaft unter ihnen wegsackte. Eine knappe Drehung, etwas Helles blitzte auf, dann war es verschwunden. „Was war das? Unser Raumschiff?” fragte James den Deltaner. Dieser nick te. Er hatte jetzt ein wenig Zeit, da er die Kursautomatik eingestellt hatte. Mit der Hand stellte er den Sichtschirm ein paar Grad steiler. Das Erdenraum schiff füllte den Bildschirm. „In etwa zwei Stunden nach eurer Zeitrechnung werden die vier Mann aufwachen und dann das Schiff zur Er de zurückbringen.” „Aber sie wissen doch gar nicht, was mit ihnen passiert ist. Sie wurden in ihren Unterkünften auf der Erde eines Morgens betäubt und wachen nun sieb
zig Millionen Kilometer entfernt auf einem anderen Planeten wieder auf.” Reto zwinkerte mit den Augen. „Glaubst du, daß wir nicht auch daran gedacht haben? Wenn sie erwachen, wird ein Tonband zu laufen beginnen und ihnen in ihrer Sprache alles er klären. Zufrieden?” James bewegte stumm den Kopf. Er ärgerte sich. Reto erhob sich und schloß die Bord gedankenwellen-Übertragung an sein Hirn an. „Achtung, Chefingenieur an alle! Alle Mann begeben sich auf ihre Elek troliegen, Abschwächungsfaktor zwölf einstellen, wir werden in fünf Delta einheiten den ersten Torsionssprung machen. Da wir noch die Sonnenener gie ausnützen können, werden wir im höchsten Torsionsgrad springen. Mög lich, daß uns dies ein paar Lichtjahre zu weit schleudert, aber so günstige Energieverhältnisse finden wir nicht mehr. Ich frage den GROSSEN RAT, ob er mit dieser Maßnahme einverstan den ist?” Es dauerte keine drei Sekunden, da kam die Antwort. „Einverstanden, be ginnen Sie mit der Gravitationsfeld drehung.” James Bunder lag lang ausgestreckt und verstand alles sofort, was gedacht wurde. Nur Mellery hatte Schwierig keiten. Er war zwar auch dem Zentral gehirn des Raumschiffes angeschlossen worden, aber er konnte sich nur schwer auf die feinen Ströme konzentrieren, die ihm da zuflossen. Er verlor immer wieder den Gedankenstrom und schweifte mit seinen eigenen Gedanken ab. Er mußte James fragen, was ge dacht worden war, und James sagte es ihm in der Lautsprache. Mellery machte ein nachdenkliches Gesicht. „Torsionssprung? Nun sagen Sie bloß, die können die Raumkrüm mung verändern.” James Bunder, dessen Gehirn mit dem Deltawissen ausgestattet worden
war, lächelte ein wenig überlegen. Ihm war es im Moment unverständlich, daß man die Grundregeln der höheren Raumfeldtheorie nicht kennen konnte. „Die Geometrie des Euklid gilt im Raum nicht mehr, denn die Geometrie des Raumes ist variabel. Der Raum läßt sich ändern, sozusagen drehen, wie eine Spirale. Man hat festgestellt, daß die Krümmung des Raumes nichts End gültiges ist, sondern durch die soge nannten Gravitationsfelder veränder lich wird. Gravitation ist nicht die Ur sache der Raumkrümmung — wie man bisher auf unserer Erde immer ver mutete —, sondern das Ergebnis. Ände re ich nun die Gravitation, so ändere ich auch die Krümmung des Raumes. Das leuchtet doch ein, nicht?” Mellery war zwar als Wissenschaft ler an logisches Denken gewohnt, aber diese neuartige und den bisherigen Lehrsätzen der Mathematik völlig wi dersprechende Theorie mußte er erst durchdenken, um sie ganz zu verstehen. James ließ ihm keine Zeit zum Nach denken. Er fuhr fort. Er war von der Raumlehre begeistert. „Mit Hilfe der Sonnenenergie, die von der Raum schiff-Umformerbank angezapft wird, verändern wir die Gravitationsfelder, wir verbiegen den Raum und finden sozusagen eine Lücke, durch die wir schlüpfen können. Wenn wir dann wie der auf die alte Gravitationsebene zu rückkehren, haben wir riesige Entfer nungen in Sekundenschnelle überwun den.” Mellery schwindelte es. „Und das wird jetzt geschehen?” Er fühlte sein Herz überlaut pochen. Ein eigenartiges Gefühl beschlich ihn und ließ ihn schneller atmen. Er hatte Angst. In was für eine Sache hatte er sich da eingelassen? Vielleicht wäre es doch besser gewesen, auf der Erde zu bleiben. Es überstieg die Kraft eines Menschen, mit Wesen zusammenzukom men, die in ihrer Entwicklung Tausen de von Jahren weiter waren.
Der Sichtschirm zeigte eine kleine Kugel. Es war der Mars. Wie weit wa ren sie schon von ihm entfernt? Da kam wieder der Gedankenstrom von Reto. „Fertigmachen, in einer Del taeinheit springen wir.” James und Mellery überprüften noch mals ihre Elektrowiegen. Es war alles in Ordnung. Das Raumschiff glitt mit vielen hun derttausend Kilometern in der Stunde aus dem Bereich des Sonnensystems. Der Feuerball der Sonne funkelte auf dem Bildschirm. Aber ihre gelbe Glut war schon um ein merkliches Maß klei ner geworden. Alle Mann an Bord warteten auf ih ren Posten, es gab keine Befehle mehr, keine Fragen, jeder starrte auf seine Instrumente, die er zu überwachen hatte. Da — eine Lampe flackerte auf, Se kunden, jetzt schoß wieder der Ener giestrahl von der Sonne zum Schiff. Das Licht erlosch, ein Surren im Raumschiff, die Hyperwellenenergie traf auf die Umformerbank. Mellery blickte auf den Bildschirm. Der Vergrößerungsfaktor war einwand frei, der Oberflächenausschnitt des Himmelssegments war scharf zu sehen. Ein Stöhnen lief durch das Schiff, die Gravitationsfelder sprangen auf, in Bruchteilen von Sekunden entschwand das Raumschiff aus der Einsteinschen Raumwelt. James und Mellery waren stumm. Das Bild auf dem Bildschirm hatte sich völlig gewandelt. Sonne und Sterne versanken in einem Nebel, ein Farb spiel rauschte auf der Projektionsfläche vorbei. Das Raumschiff sackte durch den auf gebogenen Raum, es fiel in zeitloser Einheit durch unendliche Strecken. Die beiden Menschen spürten es in den Fingern, in den Armen, bis in die Nackenwirbel, wie etwas Unheimliches, nicht Faßbares am Leib des Schiffes vorbeiglitt, es preßte und zog.
Die Menschen verstanden nicht, was sich hier abspielte. James sah zu Reto hinüber. Sein Ge sicht spiegelte Triumph. Den Triumph, den ein denkendes Wesen fühlt, das die Gesetze des Seins beherrscht und sich zu eigen macht. Wie lange der sonderbare Zustand gedauert hatte, konnten James und Mellery nicht sagen. Sie hatten jeden Sinn für einen Zeitablauf verloren. Auf dem Bildschirm dräuten wallen de Nebel, wieder liefen Farben über die Szene, und dann leuchteten zwei helle Sonnen auf. Riesige Sonnen, die alle Sterne der näheren und weiteren Umgebung überstrahlten. Die eine der Sonne glitzerte wie ein leuchtkräftiger Saphir, die andere wie ein blasser Ru bin. Die Gedanken Retos drangen jetzt in die Gehirne der Mannschaft. „Sprung ins Zielgebiet gelungen, Pei ler gibt ein halbes Lichtjahr Sirius-Ab stand an.” „Ausgezeichnet”, lobte der Kapitän, „Kraftstationen und Triebwerke still legen. Ein Kleinboot geht mit drei Mann auf Erkundungsnähe an das Sy stem heran. Wir bleiben vorerst hier liegen.” Es war zu riskant, sich mit dem Raumschiff ohne genaue Kenntnis des fremden Sonnensystems in dessen Ein flußbereich zu begeben. Man wußte nie, ob man friedlich empfangen wür de oder ob Hunderte von Schlachtraum schiffen aufbrachen, um den vermeint lich böswilligen Eindringling zu ver nichten. Die Mannschaft hatte sich von ihren Elektroliegen gelöst. Ebenso Arthur Mellery und James Bunder. Sie schau ten durch die großen Projektionsflä chen, die man ausgefahren hatte, au£ das fremde Sonnensystem. Mellery war stumm vor Ergriffen heit und wehrte sich auch nicht gegen seine sentimentale Stimmung. Es war zu überwältigend, was er in den letz
ten Tagen erlebt hatte. Noch vor we nigen Stunden — so nahm Mellery we nigstens an — war er im heimatlichen Sonnensystem, und jetzt befand er sich vor dem System von Sirius und Si rius B. Nicht mehr lange würde es jetzt dauern, und er würde Gewißheit bekommen, ob seine aufgefangenen Signale aus diesem Sternbereich ge kommen waren. Und wenn — dann stand er wahrscheinlich in Kürze einer anderen denkenden Rasse gegenüber, er, der Mensch Arthur Mellery, der Kunde von dieser Rasse über eine Son de erhalten hatte, die seit über elf Jahren unterwegs war und noch nicht den hundertsten Teil der Strecke zu rückgelegt hatte, die er in dem Raum schiff der Deltaner in einem Nu über wand. In der Werft wurde eines der zehn Raumkleinboote überholt, betankt und raumklar gemacht. Die Kleinraumschiffe waren in der Lage, mit annähernd Lichtgeschwindigkeit zu fliegen. Mit der Kraftstation des Mutterschiffes konnten sie sogar einen Raumtorsionssprung von maximal fünf Lichtjahren machen. Sie waren äußerst beweglich in ihrem Wir kungsbereich und als Erkundungsboote mit den raffiniertesten Spezialgeräten ausgestattet. Trotz aller Hilfe seitens des Mutter schiffes war jede Fahrt immer noch ein Abenteuer, und es erforderte schon Mut, mit diesen winzigen Raumbooten ein unbekanntes System anzufliegen, um es zu erkunden. Da packte James ein Gedanke. Er trat schnell neben Reto, nahm ihm das Hand gerät weg, mit dem er sich im Raum schiff verständigen konnte, und richtete eine Frage an den Kapitän. „Ich bitte um die Erlaubnis, mit dem Raumboot fahren zu dürfen.” Reto schaute überrascht auf James. Die Antwort des Kapitäns kam ihm zu vor. „Wenn Sie eine Funktion überneh men können — das Boot benötigt drei Mann Besatzung. Die Fahrt kann ge
fährlich werden, und die Sicherungs maßnahmen, die unser Raumschiff bie tet, sind auf den kleinen Booten nur ge ring.” James räusperte sich. Mit ruhigen Ge danken erwiderte er: „Kapitän, ich bit te nochmals um die Erlaubnis, teilneh men zu dürfen.” Reto nickte und befürwortete die Bit te. James hörte, daß auch Sek seine Bitte unterstützte. Der Kapitän sagte zu. Ja mes wandte sich an Mellery. „Sind Sie mir nicht böse, wenn ich zuerst...?” Mellery hob beide Hände hoch. „Aber nein! Ich ziehe es vor, in diesem Raum schiff zu bleiben, wenngleich ich Sie be neide, daß Sie vor mir die neue Welt kennenlernen. Aber ehrlich gesagt, so mutig bin ich doch nicht...” Er versuch te ein Lächeln, es wirkte recht erzwun gen. James trat auf das Laufband, das ihn durch das Schiff zur Werft führte. Zwei Deltaner begrüßten ihn, einer winkte ihn zu sich heran. James ging mit ihm um die Maschine, die man schon an die Luftschleuse herangerollt hatte; der Del taner erläuterte ihm die Arbeitsweise der Feldmotoren und instruierte ihn in Kürze über die Arbeitsweise des Bootes. Die technische Zentrale meldete das Boot raumklar. Eine kleine Plattform hob die drei Männer zur Tür hoch. Der Eingang war schmal, es konnte sich nur immer ein Mann nach dem anderen hin durchzwängen. Man wies James den Platz des Peilers an. Die Instrumentie rung war verwirrend. Hexa, der Pilot des Raumbootes, stellte sich neben Ja mes und erklärte ihm die Ortungsinstru mente. Jeweils hundert Funktionen wa ren nach Schaltgruppen zusammengefaßt und mit Hilfe eines Robotgerätes zu be dienen. Die Deltaprogrammierung von James’ Gehirn half ihm, den Sinn und die Be dienung der Instrumente sehr schnell zu erfassen. Wenn man die Arbeitsweise einmal durchschaut hatte, war die Be dienung kinderleicht, man mußte nur
verstehen, die Robotgruppen richtig mit einander zu koppeln, so daß Aufnahme und Bewertung der Daten eines anzu fliegenden Systems schnell ausgewertet werden konnten und dem Piloten zur Kurssteuerung dienlich wurden. Der letzte Mann der Besatzung war eingestiegen. Die Tür schwenkte zu und verschloß sich luftdicht. James nahm wie die anderen in seinem elektrischen Pneumositz Platz. Der Pilot, der zu gleich Kapitän des Raumbootes war, überprüfte die Drucke der Zentralbeat mung, dann zog er den Hebel, der die Luftschleuse des Raumschiffes automa tisch öffnete und zugleich die Kraftfel der der Abstoßvorrichtung auflud. Die Maschine wurde in den Schleusenraum geschoben, hinter ihr schlossen sich die Tore zur Werft. Exhauster saugten in Sekundenschnelle die Luft ab und schu fen das Vakuum des Raumes. Dann öff neten sich vor ihnen die Tore zum Welt raum. James schaute auf einen kleinen Aus schnitt. Das Mutterschiff hatte sich so gedreht, daß sie direkt das Doppelson nensystem des Sirius vor sich hatten. Noch wurde das Raumboot auf der Magnetschiene festgehalten. Eine letzte Endkontrolle. Die Signalleuchte blinkte auf, alles in Ordnung, in die Feldmoto ren schoß die Verwandlungsenergie, und das Raumboot jagte wie ein Blitz aus der Schleuse. Nur ein leises Vibrieren ließ James spüren, daß Urgewalten ihn in den Raum gerissen hatten. Das Mutterschiff sah er nur noch als einen winzigen Punkt auf dem Bildschirm, nach weni gen Sekunden war es ganz verschwun den. Um nicht geortet werden zu können, gab das Mutterschiff keine Leitstrahl position an. Das Raumboot mußte mit eigener Peilung fliegen. James stellte das Ortungsgerät auf die Hyperwellen von Sirius B ein. Auf dem Kennzeichen schirm erschien ein achteckiges Gebilde. Es war die Sirius-Sonne, die sich in der
Hyperoptik so manifestierte. Man be nützte bei Erkundungsfahrten gerne die se Überwellen, die jede Sonne ausstrahl te, da sie normalerweise nicht von Kraftfeldern künstlicher Natur beein flußt werden konnten. Der Pilot überließ nach wenigen Mi nuten die Flugsteuerung den Instrumen ten. Er rückte seinen beweglichen Ses sel neben James. „Wollen doch mal se hen, ob wir schon etwas erkennen kön nen”, murmelte er. Er ließ den Sichtschirm mit verschie denen Vergrößerungsfaktoren laufen. Bei einunddreißig hielt er an. Auf dem Schirm wölbte sich ein grünlich leuch tender Planet. War es der Pla net, von dem aus die Signale in den Raum gerichtet wurden, die Mellery auf der Erde eingefangen hatte? „Versuchen wir eine Zustandsbestim mung. Sie müßte schon möglich sein.” Der dritte Deltaner machte sich jetzt an seinen Positronikgeräten zu schaffen. Gleichzeitig ließ er die Filmschleife lau fen, die den Planeten auf Infrarotbasis aufnahm. Der Film wurde sofort ausge wertet und die Daten dem Analogierech ner eingegeben. Wenig später las Hexa von einem ent schlüsselten Datenband folgendes ab: „Objekt besteht aus festem Gestein, mittlere Temperatur ist plus 30 Grad, die Luftfeuchtigkeit liegt bei 60 bis 70 Grad, die Schwerkraftzahl dürfte sich bei 1,1 halten. Der Äquatorialdurchmes ser beläuft sich auf 14 701 Kilometer. Sonnenabstand zur bläulichen Sonne 501 Millionen Kilometer, zur rötlichen Sonne 485 Millionen Kilometer, die Ro tation um die Planetenachse beträgt 31,3 Deltaeinheiten — mit einem Seitenblick auf James — oder 37,8 Stunden. Es scheint keinen Tag- und Nachtwechsel zu geben, da die Planetenbahn diagonal zu den beiden Sonnen verläuft und der Planet damit ständig im Licht einer der beiden Sonnen liegt.” *
Eine fremde Welt breitete sich unter noch nicht, aus welchen Aminosäuren ihnen aus. Tiefes, weites Land in grün, die Proteine aufgebaut sind. Eine äu weiß und gelb. Dazwischen regelmäßig ßerst wichtige Frage, wenn man daran geformte Gebilde, die Siedlungen dieser denkt, die Nahrungsmittel einer unbe kannten Welt zu verwenden. „d”-Ami Welt. Das Raumboot hatte sich sehr vorsich nosäuren würden Sie zum Beispiel töten, tig an den Planeten herangetastet. Der während Sie sicher eine Menge unter Molekularabwehrschirm war kaum rot schiedlich gelagerter „l”-Aminoproteine glühend geworden, so flach hatten sie verdauen können, ohne daß sie Ihnen schaden. Wichtig ist auch, welche Fette ihre Bahn gezogen. Ihre Meßdaten hatten ihnen schon und Kohlehydrate sich auf der fremden eine reiche Kenntnis über Aufbau und Welt befinden. Zustand dieser Welt vermittelt, bevor Sie sehen, es ist für eine Rasse, die sie mit eigenen Augen die Planetenober noch ihren lebendigen Körper zum Le fläche sehen konnten. ben braucht, schwer, sich im Weltraum Hexa, der Mann, der schon viele hun zu behaupten. Daher haben wir Deltaner dert Welten angeflogen hatte, zeigte sich erst den Raum zu erforschen gelernt, als erfreut. „Eine der großen Seltenheiten”, wir unabhängig von unserem Körper sagte er zu James, nachdem er die phy wurden.” sikalischen und biologischen Werte über James drehte die höchste Vergröße prüft hatte. „Dieser Planet ist fast ein rungsstufe des Sichtschirms ein. Er Gegenstück zu Ihrer Erde. Umfang und konnte Felsbrocken, Bäume und Was Größe entsprechen ihr. Soweit ersicht serläufe sehen, klar und deutlich. Er er lich scheint das Verhältnis von trockenem blickte auch lang geformte oder hoch Festland zur Fläche des Wassers zugun aufragende Gebäude, rund oder eckig, sten des Landes zu sein. Das mag daran alle in weißlichem Grau, er entdeckte liegen, daß auf diesem Planeten ewiger Straßen, weite Ebenen, die so glatt wa Tag herrscht. Die Zusammensetzung der ren, daß sie sicher künstlich angelegt Oberfläche zeigt keine ungewöhnlichen worden waren, aber er konnte nichts Werte, nur das Magnetfeld erscheint mir Lebendes sehen. ein wenig hoch. Ein Funkverkehr über Hexa gab Befehl, noch tiefer zu gehen. weite Strecken wird schlecht möglich Bisher war keine Reaktion auf ihr Auf sein. Der Aufbau der Atmosphäre zeigt tauchen zu bemerken gewesen. Es sei die Verhältnisse, wie sie ein Lungen denn, daß das völlige Fehlen irgendeiner atmer wohl tolerieren kann. Sauerstoff, Kreatur eine Reaktion war. Vielleicht Wasserdampf und Stickstoff, sowie Koh hatte man eine Warnung ausgerufen, lendioxyd in sehr, sehr geringen Men vielleicht durfte sich niemand außerhalb gen. der Gebäude sehen lassen? Hexa blickte in das enttäuschte Ge Alles in allem eine erdähnliche Welt. Es erscheint mir daher fast unvermeid sicht von James. Er lächelte und deute lich, daß sie die gleichen Anfänge orga te auf seine Instrumente. „Das geht je nischen Lebens hervorgebracht hat, wie dem von uns so und jedesmal von neuem, obwohl wir schon so viele, viele auf Ihrer Welt, James Bunder.” „Sie glauben, daß wir uns auf diesem Male fremde Welten angeflogen haben. Planeten ohne Schutz bewegen können?” Man will am liebsten immer gleich alles Hexa, der Deltaner, überlegte einen wissen, was sich auf dieser neuen Welt kurzen Augenblick. Dann zuckte er mit begibt, und man fiebert nervös dem Mo den Achseln. „Ob wir uns ganz frei be ment entgegen, wo man dem ersten wegen können, das werden wir feststel Wesen gegenübertritt. Und, glauben Sie len müssen. Wir wissen zum Beispiel mir, man ist — wenn es dann soweit ist
— ein wenig enttäuscht. Ja, enttäuscht, weil man sich stets ein ganz anderes Ge schöpf vorgestellt hat. Unsere Phantasie spielt uns da immer wieder einen schlechten Streich. Wir erleben immer wieder nur uns ähnliche Wesen, normal in ihrem Aufbau und ihrer Welt so praktisch angepaßt wie möglich.” Hexa drehte sich zu James um. „Wir sind enttäuscht, wenn wir bemerken, daß wir einem Wesen gegenüberstehen, das nur unwesentlich von uns verschie den ist. Daß das Wesen, sofern es intel ligent ist, aufrecht geht, die wichtigsten Sinnesorgane im Vorderteil des Körpers trägt, Arme und Beine besitzt, um sich fortzubewegen, mit Hilfe einer Lunge at met und ein inneres Knochengerüst be sitzt, mit Augen, Ohren und Mund aus gestattet ist — das läßt uns eben immer wieder erkennen, daß der Aufbau unse res Weltalls überall gleich ist.” James fragte zurück. „Und Sie haben noch nie Welten angetroffen, wo die Lebewesen wirklich anders waren?” Der Pilot winkte ab. „Das habe ich nicht gesagt. Ich sprach von intelligen ten Wesen.” Er deutete auf seinen Kol legen, der eben eine Filmauswertung des überflogenen Terrains vornahm. „Mek, unser Biologe, kann Ihnen da mehr be richten. Sicher, wir haben schon die ver rücktesten Lebensformen erlebt, Wesen, die so groß wie Elefanten waren, mit ungeheuren Flügeln, Gestalten, die durch heftiges Ausstoßen der Luft sich vor wärtsbewegten, Geschöpfe mit sechs Au gen rund um den Kopf angeordnet und dergleichen mehr. Aber Intelligenz be saßen diese Wesen nicht, sie bewohnten ihre Welten, aber sie bearbeiteten sie nicht.” James deutete auf eine Ansammlung von vielen hundert runder Bauwerke, die sie eben überflogen. „Da, sehen Sie, das ist die Stadt, die Arthur Mellery festgehalten hat, die ihm in den Signa len übermittelt wurde.” James war aufgeregt. „Sie ist es. Hier sollten wir landen. Sicher finden wir
auch dann die Bewohner. Vielleicht ver stecken sie sich vor uns.” Hexa, der Pilot, schüttelte den Kopf. „Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir keh ren zurück. Unser Auftrag ist erfüllt.” „Aber w i r . . . ” Doch Hexa hörte schon nicht mehr auf James. Er ließ ein Leitstrahlsignal an das Mutterschiff geben und bat um Rückholung. Er glaubte es wagen zu können, offen die Verbindung zum Raumschiff aufzunehmen. James warf einen fast wehmütigen Blick auf die Welt unter ihm. Da kam das Kommando. „Anschnallen, Elektro pneumaliegen auf zwanzig stellen, wir springen in der Torsion zum Raumschiff zurück.” Die Energieverbindung mit dem Mut terschiff war hergestellt. Der Peiler pro grammierte das Manöver. Eben noch hatte James den Planeten auf dem Sichtschirm gehabt, da wischte etwas über die Fläche, und im nächsten Augenblick lag still und ruhig das DeltaRaumschiff vor ihm. Hexa stellte die automatische Geschwindigkeitsanglei chung ein, dann faßten Magnetarme das Raumboot und zogen es in die Vor schleuse. Die schweren Tore schlossen sich, Luft zischte in das Vakuum — sie waren wieder daheim.
Mellery stand unruhig am Rand der Plattform und schaute auf James, der ihm schon von weitem zurief. „Wir ha ben Ihre Stadt gefunden.” * Trotz aller Meldungen über die Unge fährlichkeit des Planeten, blieb der Ka pitän vorsichtig und zog erst mal in gro ßer Höhe eine Runde um den Planeten. Und was die Beobachter sahen, waren die Zeichen einer Kulturrasse: angelegte riesige Gärten, Felderwirtschaft, bebau te Flächen, Häuser und regelmäßig ge baute Städte. Nur — niemand gelang es, ein lebendes Wesen zu erblicken. Fern rohre mit der größten Auflösung waren nicht in der Lage, etwas Gehendes, Krie chendes oder Fliegendes zu beobachten. „Eigenartig! Es ist, als wären die Be wohner eines ganzen Planeten evakuiert worden oder unter die Erde verschwun den”, murmelte Mellery. James Bunder, der neben ihm den Vergrößerungsfaktor des Fernrohres bis zum Anschlag drehte, hatte auch keine Erklärung für dieses Phänomen. In der Bugkanzel des Delta-Raum schiffes hatten sich die leitenden Män ner der Expedition versammelt. Sek, der Arzt, riet, sich zur Landung zu entschlie ßen. Reto, der Ingenieur unterstützte ihn. Der Kapitän befahl, die Strahlkano nen schußbereit zu halten und den ma gnetischen Abwehrschirm um das Raum schiff aufzubauen. Nachdem ihm die Durchführung der Befehle gemeldet worden war, gab er das Zeichen zur Landung. Reto steuerte die Turmstadt an, die er schon von seinem Erkundungsflug her kannte, und suchte sich in relativer Nä he ein flaches und weites Feld aus,wo er das Raumschiff niedergehen ließ. Von hier aus war die nähere und weitere Umgebung sehr genau einzusehen, und niemand konnte sich dem Raumschiff nähern, ohne bemerkt zu werden.
Weich setzte das riesige Schiff auf, sank etwas im Boden ein, blieb aber auf den ausgefahrenen Haltestützen si cher und fest stehen. Mellery starrte und starrte. Er beweg te die Lippen, aber kein Ton kam aus seinem Mund. Er war überwältigt. Er war der erste, der allererste Mensch der Erde, der jetzt in wenigen Minuten eine fremde Welt betreten würde! James tippte Mellery auf die Schulter. Mellery riß sich aus seinen Gedanken. Er sah in ein lächelndes Gesicht. „Was ist, kommen Sie mit? Eine erste Expedition will das Schiff verlassen.” Mellery nickte. „Klar komme ich mit. Jetzt habe ich keine Angst mehr”, setzte er vergnügt mit den Augen zwinkernd hinzu. Reto befahl den beiden Menschen, Raumanzüge mit Sauerstoffatmung an zuziehen. „Wir wissen nicht, ob die Luft tatsäch lich für Ihre Lungen genießbar ist. Die ersten oberflächlichen Analysen scheinen das zwar zu bestätigen, aber man kann nie wissen. Wir wollen erst genaue Kon trollen durchführen.” James und Mellery schlüpften in die leichten, silberglänzenden Kunststoff anzüge, schlossen die Helme, öffneten die Sauerstoffdüse und gesellten sich zu den anderen Besatzungsmitgliedern, die vor der Öffnungsschleuse standen. Hin ter ihnen schloß sich ein Dichtungsschott. Auch das war eine Sicherungsmaßnah me des Kapitäns. Mellery staunte über die Umsicht. Vor ihnen schwenkte jetzt eine Tür auf. Mellery schien es allerdings, als würde die Wand plötzlich durchsichtig. Eine Treppe schwenkte aus. Der erste Deltaner stieg die Stufen hinunter, ihm folgten andere, dann ka men James und Mellery. Eine heiße Sonne schien ihnen auf den Raumanzug. James machte ein paar Schritte auf dem weichen Grasboden. Er beugte sich nieder und griff in das Grün, er riß ein paar Büschel aus und
hob sie hoch. Es waren Gras, Halme und Blumen, wie er sie von der Erde her kannte. Die Deltaner hatten einige Kisten mit Instrumenten ausgeladen. Nach wenigen Minuten meldete sieh der Chemiker und sagte, daß Mellery und James ihre Raumanzüge ablegen könnten, das Gas gemisch sei absolut für Lungenatmer geeignet. Die beiden Menschen entledigten sich ihrer Hüllen. Tief sogen sie die Luft ein. Sie war würzig, duftig und hatte einen leicht süßlichen Geruch. Das mochte von den unzähligen Blumen kommen, die auf der Wiese standen und die bereits einer ersten Überprüfung durch den Biologen unterzogen wurden. Fast senk recht über dem Raumschiff und der Lichtung gleißte die rötliche Sonne. Sie war etwas dunkler als die heimatliche Sonne. So schien es zumindest James, und Mellery bestätigte es. „Diese Sonne ist in ihrem Schrump fungsprozeß weiter als die unseres Son nensystems. Sie ist älter. Erstaunlich ist jedoch ihre intensive Hitze. Wahrschein lich ist das aber nicht allein auf die ro te Sonne zurückzuführen, sondern dem Umstand zu verdanken, daß die zweite Sonne bereits im Aufgehen ist. Wir be finden uns auf einem Planeten, der den ewigen Tag hat. Versinkt die eine Son ne, so steigt die andere bereits voll über dem Horizont hoch. Seit Jahrmillionen wird so dieser Planet von seinen beiden Sonnen durchheizt. Der Feuchtigkeits haushalt auf diesem Planeten muß inter essant sein. Woher beziehen zum Bei spiel die Pflanzen ihren notwendigen Wasserbedarf, der auf unserer Erde durch den Tau befriedigt wird?” James lachte. „Das mag ja alles recht interessant sein, aber davon verstehe ich weniger. Ich bin Techniker, Physiker, und mich interessieren viel mehr die technischen Gegebenheiten dieser Wesen — und die Wesen selbst. Ich möchte end lich einem dieser Planetenbewohner ge genüberstehen.”
James ging zu einer Gruppe von Del tanern, um sich deren Erd- und Ge steinsprobenanalysen anzusehen. Arthur Mellery wanderte um das Raumschiff herum. Der Boden war weich und feuchtwarm. Es war ein fruchtbarer Boden. Mellery hatte sich etwas vom Raum schiff entfernt. Auf halben Abstand zwi schen ihm und einem kleinen Baum bestand bemerkte er plötzlich ein Haus. Er kniff die Augen zusammen und öff nete sie wieder. Er konnte sich nicht er innern, noch vor einer Minute hier ein Haus gesehen zu haben. Als sie lande ten, hatte auf dieser Wiesenfläche kein Gebäude gestanden. Das Haus war oval, langgestreckt und etwa sieben bis acht Meter hoch, wie Mellery schätzte. Er blieb stehen. Er schaute zum Raumschiff zurück. Er hatte keine Waffe bei sich, auch keine Senderkapsel, um sich mit den Deltanern zu verständigen. Sollte er zurücklaufen? Rufen? Ob sie ihn hören würden? — Doch die Neugier siegte. Mellery ging vorsichtig auf das Haus zu. Es hatte Fenster in drei Stock werken. Daraus ließ sich schließen, daß die Bewohner keine Riesen sein konn ten. Sie mußten die ungefähre Länge der Erdenmenschen haben. Mellery stand vor dem Haus. Die Sonne blendete in den Fenstern, die bräunlich glitzerten. Nichts war zu hö ren, niemand zu sehen. Mellery rief. Er erschrak über den Laut seiner eigenen Stimme. Da erst be merkte er, wie ungeheuer still es um ihn war, und das war der Unterschied zu einer Wiese auf der Erde. Dort summte und brummte es, zwitscherten Vögel, raschelten Tiere — diese Wiese aber war stumm. Mellery ging um das Haus herum. Auf der Schmalseite befand sich eine Tür. Zaghaft trat der Mann darauf zu. Vor ihm glitten zwei schmale Flügel auseinander, ein weiter Vorraum wurde sichtbar. Mellery blieb unter dem Tür rahmen stehen. Er rief: „Hallo!” Sein
Ruf verhallte, nichts rührte sich. Er beugte sich vor und streckte seinen Kopf in den Vorraum. Er hatte jetzt das Gefühl, daß irgend etwas um ihn war. Ein Knarren, oder ein leises Brausen, ein Wischen war zu spüren oder zu hö ren. Ein Schleier berührte ihn, er zuck te zurück. Seine Augen starrten. Er hat te für einen Augenblick geglaubt, eine Trübung vor einer Wand bemerkt zu haben, dann aber war die Erscheinung schon wieder weg. An der Wand hingen runde, metallische Gegenstände. Mellerys Herz klopfte bis zum Hals herauf. Wieder kam ihm der Gedanke, zum Raumschiff zurückzulaufen, um die anderen zu verständigen. Zugleich aber reizte es ihn, der erste von allen zu sein, der mit diesen fremden Wesen zusam menkam. Beherzt machte er zwei Schritte und stand in einem Raum, der etwa fünf mal sechs Meter groß und zwei Meter hoch sein mochte, und dessen Wände wie ge sponnenes Nylon aussahen. Ein feines Klicken, hinter ihm hatte sich die Eingangstür geschlossen. Es war jedoch taghell im Zimmer. Mellery war nicht sehr wohl zumute, sein Atem ging schnell, seine Augen irr ten unruhig hin und her. Er hatte Angst. Aber er redete sich Mut zu. Nun, da er sich im Innern des Hauses befand, wollte er es auch durchsuchen. Er schaute nach oben. Die Decke, die wie die Wände aus sah, hatte an einer Stelle eine Ausspa rung. Man konnte also in den darüber liegenden Raum sehen. Mellery trat unter die Öffnung. Im selben Moment zog ihn eine sanfte Ge walt nach oben. Ein Nichts hob ihn hoch, er fuhr durch die Deckenöffnung, er machte einen weiten Schritt und stand im Zimmer. So weit war die Technik der Bewoh ner entwickelt, dachte Mellery, als er sich von seinem Schreck erholt hatte. Sie benutzten Antigravitationsaufzüge. Der Mann von der Erde sah sich um. Er schien hier in einem Wohnzimmer zu
sein. Schränke, wie er sie auch von der Erde kannte, Vitrinen mit Blättern. Wahrscheinlich eine Art Bücherschrank. Während er durch das Zimmer ging und sich die einzelnen Gegenstände be trachtete, hatte er abermals das Gefühl, nicht allein zu sein. Ein Tisch vor den Fenstern, Sitzflä chen auf einem Bein davor. Die Bewoh ner mußten tatsächlich die Größe von Menschen haben. Aber wo waren sie? Warum ließen sie sich nicht blicken? Mellery lief an den Zimmerwänden entlang. An einer Stelle glitten plötzlich zwei schmale Flügel auseinander, und er konnte in das nächste Zimmer gehen. Es war ein Schlafzimmer. Liegeähnliche Möbel schienen zumindest darauf hin zudeuten. Der Mann durchsuchte das ganze Haus. Mit jedem Schritt wurde er mutiger, das Herzklopfen ebbte ab. Er ließ sich wieder durch den Schacht hinunter, nachdem er sehr vorsichtig festgestellt hatte, daß er nur seinen Fuß über den Schacht halten mußte, um sanft umfangen zu werden und nach unten zu gleiten. Wo die Umkehrtechnik lag, die einen jeweils nach oben oder unten glei ten ließ, konnte Mellery nicht ausma chen. Im Untergeschoß angekommen, ver suchte er, auch hier die Räume zu inspi zieren. Irgendeine Stelle an der Wand ließ ihn jeweils ins nächste Zimmer tre ten. Im letzten Raum sah er einen techni schen Apparat, der einem Fernsehemp fänger oder einem Rundfunkgerät ähn lich war. Richtig! Fernsehen mußten die se Wesen ja haben, denn es war eine Bildsendung, die die Sonde von dieser Welt aus weitergeleitet hatte, und die die erste Nachricht von diesem Planeten gab. Verschiedenfarbige Einlassungen waren an dem Apparat zu erkennen. Mellery drückte wahllos gegen eine Far be. Nichts geschah. Er probierte es mit der nächsten. Nichts. Mit der dritten. Da flimmerte vor ihm ein helles Viereck auf. Aber es war nichts zu erkennen,
keine Formen, keine Konturen. Mellery erinnerte sich, daß er dieses sonderbare Wallen auch auf seinem Filmstreifen be merkt hatte, das ihm seine Geräte auf der Erde von dieser Welt aufgezeichnet hatten. Er drückte noch mehrmals ge gen die Farbfelder auf dem Apparat, aber keine erkennbaren Bilder erschie nen. Mellery schaute auf seine Armband uhr. Er war schon fast eine Stunde im Haus. Die Deltaleute würden ihn sicher vermissen. Eigenartig nur, daß sie noch nicht hier waren. Sie mußten das Haus doch längst entdeckt haben. Mellery ging zur Eingangstür zurück. Sie glitt auseinander, und als er ins Freie trat, blickte er auf eine weite, glänzende Wasserfläche. Seine Füße san ken tief im lockeren Sand des Strandes ein. * Ein Deltaner der Besatzung hatte es dem Kapitän gemeldet. Von seinem Beobachtungsposten aus hatte er mit einemmal ein Haus in westlicher Rich tung im Gesichtsfeld. Eine genaue Über prüfung ergab, daß es leer sein mußte, ohne Bewohner, wie anscheinend der ganze Planet. Ein paar Leute der Besatzung sollten sich das Haus eingehender ansehen. Sie waren auf halbem Weg, als sie verblüfft stehenblieben. Das Haus hob sich plötzlich vor ihren Augen in die Luft und schwebte mit großer Geschwin digkeit schräg an ihnen vorbei. Nach wenigen Minuten war es den Blicken der Deltaner entschwunden. Retos Assistent hatte den Flug des Hauses vom Raumschiff aus beobachtet. Kr schaltete sofort auf Infrabeobachtung um. Nach rund hundert Kilometern ent schwand es. Diese Entfernung hatte es in nur wenigen Minuten hinter sich ge bracht. Als der Kapitän seinen Chefingenieur und den Arzt zu sich bat, ebenso den Kybernetiker und den Raumfeldtheore
tiker, wollte auch James Bunder zum Raumschiff zurück. Da fiel ihm auf, daß Arthur Mellery nirgends zu sehen war. Er ging rund um das Raumschiff, rief seinen Namen, aber sein Kollege war nicht zu finden. Die automatische Rundsichtkontrolle, die jedes Detail in einem Umkreis von rund fünfzig Kilometern auf einem Filmstreifen festhielt, löste dann sehr schnell das Rätsel um die Abwesenheit Mellerys. Auf dem Film sah man auch das Auftauchen des Hauses. Es erschien jedoch nicht langsam, sondern es war von einem Moment zum anderen vor handen. Reto, der Ingenieur, ließ den Film abschnitt nochmals zurückdrehen. Aber es änderte nichts an der Tatsache, daß in nerhalb einer zehntel Sekunde auf einem Platz, wo vorher flaches Wiesen gelände war, plötzlich ein Haus stand. Der Film zeigte auch Mellery, wie er auf das Haus zuging, wie sich die Tür öff nete und er in das Haus eintrat. „Mellery ist mit dem Haus davonge flogen”, sagte James fassungslos, „Die Planetenbewohner dieser Dop pelsonne müssen technisch sehr weit fortgeschritten sein”, meinte Reto. „Sie beherrschen die Degravitation so per fekt, daß sie anscheinend jeden Gegen stand zu transportieren in der Lage sind.” „Eine Entwicklungsstufe, die wir auch mal durchschritten haben”, warf Sek ein. „Vor rund fünf- oder sechshundert tausend Deltaeinheiten”, ergänzte er. „Also eine hohe Nomadenkultur”, sin nierte der Kapitän. Er bemerkte die er staunte Miene von James. „Jedes intelli gente Lebewesen beginnt seinen Weg durch die Geschichte als Nomade, erst in einer späteren Entwicklungsstufe wird der Mensch oder werden menschenähn liche Wesen seßhaft. Solange, bis die technische Intelligenz die Gravitation beherrschen lernt. Die Aufhebung der Schwerkraft bringt dann unendliche Freiheit. Der Mensch wird wieder No
made. Kein Erdwagen, keine Schienen wagen, keine Flugzeuge benötigt er mehr zur Fortbewegung. Niemand ist mehr an eine bestimmte Stelle gebun den, der Mensch wird beweglich, er hat jede Freiheit, über Land und Wasser zu reisen, von Erdteil zu Erdteil, von Klimazonen zu Klimazonen.” Der Kybernetiker, dessen Namen Ja mes nicht kannte, nickte zustimmend. „Wenn also die Bewohner dieses Plane ten die technische Nomadenkultur er reicht haben, und daran scheint kein Zweifel zu sein, dann muß es auch ein Zentralgehirn geben, das den Lebens lauf steuert und die nötige Energie über Leitsysteme liefert, mit deren Hilfe je der Bewohner sein Haus über den Pla neten hinweg versetzen kann. Anders ausgedrückt, das Zentralgehirn scheint zu funktionieren, sonst hätte das Haus nicht fliegen können. Wenn aber das Zentralgehirn funktioniert, dann müs sen auch die Bewohner vorhanden sein. Kein Haus fliegt von allein.” „Dann hat also mein Freund Mellery Kontakt mit den Bewohnern dieser Erde?” fragte James. „Warum aber ha ben sie ihn mitgenommen und sind nicht mit ihm zu uns gekommen? Muß man aus diesem Verhalten nicht schließen, daß sie uns feindlich gesonnen sind?” „Das muß nicht unbedingt der Fall sein”, warf Sek ein. „Vielleicht wollen sie ihn erst an einem neutralen Ort auf seine Gesinnung prüfen, ihn ausfragen, woher er kommt, warum und weshalb er ihren Planeten aufgesucht h a t . . . ” Der Raumfeldtheoretiker, ein hochge wachsener Mann mit überbreiter Stirn und hart blickenden Augen, stand jetzt auf. Er machte zwei, drei Schritte um den Tisch, dann drehte er sich seinen Kameraden zu. Ein fast spöttisch zu nennender Zug grub sich um seinen Mund. „Unser Erscheinen muß für die Bewohner hier ein ungeheurer Schock sein, denn in ihrer Vorstellung darf es uns überhaupt nicht geben, ja, kann es uns gar nicht geben.”
Der Raumfeldtheoretiker genoß einen Moment die Verblüffung, die seine Wor te ausgelöst hatten. Dann fuhr er fort: „Überlegen Sie doch mal. Der Planet wird von zwei Sonnen beschienen, auf ihm ist ununterbrochen Tag, also stän dig heller, blauer Himmel, nur ab und zu Wolken. Wer auf einer Erhebung, genau auf dem Äquator, steht, kann so gar das grandiose Schauspiel erleben und zwei Sonnen sehen, eine die unter geht und eine die aufgeht. Noch kein Auge auf diesem Planeten hat je den schwarzen Weltraum, die Nacht und die Sterne oder andere Sonnen gesehen. Für einen Bewohner dieser Erde gibt es nur diese, seine Erde. Nur was er sieht, das existiert, außer ihm existiert aber keine Welt. Er hat noch nie eine gesehen, also gibt es auch keine. Nebenbei gesagt, die Bewohner dieser Erde werden aller Wahrscheinlichkeit nach eine Sonnen gott-Religion haben.” Er machte einen Augenblick Pause. Dann: „Nun erscheinen plötzlich wir, andere Wesen. Welche Möglichkeiten gibt es n u n ? Entweder wir kommen von einer der beiden Sonnen, dann sind wir Abgesandte ihrer Götter oder ihres Got tes. Sollte es ihnen aber klar sein, daß die Sonne kein Lebewesen hervorbringt, dann sind wir Wesen, die es nicht geben kann, weil es sie nicht geben darf. Wür de unsere Ankunft allen Bewohnern be kannt, könnte es zu einem Aufstand, zu einer Panik kommen.” „Und was bedeutet das für uns?” fragte James. „Das bedeutet, daß sich das Zentral gehirn einen von uns — in diesem Fall ist es Ihr Freund Mellery — geholt hat, um ihn zu testen. Das Zentralgehirn muß wissen, wie es sich nach unserer Ankunft zu verhalten hat und welche Maßnahmen es für den reibungslosen Ablauf des Lebens seiner Bewohner treffen muß.” „Müssen wir dann das Zentralgehirn suchen?” meinte Reto. „Wenn die Theorie von Fram stimmt
und überhaupt eines vorhanden ist”, er klärte Sek. „Das läßt sich feststellen. Wir versu chen die Struktur über unsere Zentral schaltung im Raumschiff zu erfassen. Vielleicht kommen wir auf diese Weise sogar mit dem Gehirn in einen Gedan kenaustausch.” Der Chefingenieur sah fragend auf den Kapitän. Der war in Gedanken ver sunken, er war mit dem Zentralcompu ter verbunden. In wenigen Sekunden hatte dieser alle Kombinationen des Für und Wider erwogen und gab nun die Antwort an den Kapitän weiter. Alle Anwesenden waren an diesen Gedan kenaustausch angeschlossen und hörten gleichzeitig die Antwort. „Bereiten Sie alles vor, wir wollen versuchen, mit dem Zentralgehirn dieses Planeten in Verbindung zu treten”, wies der Kapitän seinen Chefingenieur an. „Und was wird mit Arthur Mellery?” fragte James. Er war enttäuscht und är gerlich, daß man nicht nach ihm suchen wollte. „Wir werden alles tun, um über das Zentralgehirn etwas in Erfahrung zu bringen. Das ist der schnellste Weg, von ihm zu hören. Wo sonst sollten wir ihn suchen?” James mußte Sek recht geben. Er konnte seinen Freund nicht begreifen, daß er sich allein vom Raumschiff weg begeben hatte und in ein fremdes Haus hineingegangen war. * Die Kybernetiker und Mathematiker waren nun an der Reihe; die leitenden Männer des Raumschiffes ließen sich auf dem Transportband zum Zentrum der riesigen Maschine bringen. Hier stand der Zentralcomputer, das Hirn und Herz des mächtigen Raumfahrzeugs. Reto und zwei seiner Ingenieure setz ten sich an den mächtigen Rundtisch und begannen die ersten Richtstrahlbündel auszusenden. Es waren Tests. Sie hoff
ten, eine Frequenz zu finden, auf der die Nachrichten des Zentralgehirns modu liert waren, und die sie anzapfen konn ten. Mehrmals rauschte es laut auf, die Anzeigeninstrumente schlugen aus und bewiesen, daß hier ein Übertragungs kanal abgetastet worden war. Aber die vermutlichen Botschaften konnten nicht entziffert werden. Da — ein heller Schein flammte auf, ein Einschlag folgte. Die Männer zuck ten zurück. Retos Stimme beruhigte. „Wir haben eine ihrer Energieleitungen erwischt. Wahrscheinlich sogar ihre Umformener gie zur Schwerkraftverwandlung.” „Kein Wunder, wenn sie auch das Energieanzapfen ihrer Sonnen beherr schen”, fügte ein Ingenieur hinzu. Auf dem Oszillographen erschienen jetzt Zacken und Wellen, die einen be stimmten Rhythmus aufwiesen. Reto schaltete den Entzerrungsfaktor ein und ließ gleichzeitig die aufgefangenen Ener giebündel über den Verschlüsselungs computer laufen. Die Männer starrten auf die Instrumente. Und sie waren ent täuscht, als die Maschine nur unver ständliches Rauschen, unterbrochen von hohen und tiefen Tönen, von sich gab. „Das ist eine Übertragungswelle, da für stehe ich ein. Sie arbeitet mit ziem lich hoher Energie, was bedeutet, daß sie eine Zentralleitung sein muß, die um den ganzen Planeten geschickt wird. Ob sie vom Zentralgehirn kommt, weiß ich allerdings nicht. Die Verzerrung ist nur sehr eigenartig.” Sek, der Arzt, mit Gehirnwellen be stens vertraut, trat vor und ließ sich die Aufzeichnung der Wellen geben. Er stu dierte eine Zeitlang. Dann meinte er: „Die Übertragung erinnert mich an eine ähnliche Energieaussendung. Entsinnen Sie sich an unseren Aufenthalt auf Al bor, dem Planeten im Perseusbereich?” Der Kapitän beugte sich jetzt inter essiert über den Aufzeichnungsstreifen. „Sie meinen eine Zeitverschiebung?”
„Genau das.” Reto hatte das kurze Gespräch ver folgt. Er gehörte damals noch nicht der Besatzung von Kapitän Fram an, so daß er nicht wußte, wovon hier gesprochen wurde. Sek gab ihm eine knappe Er klärung. „Wir hatten damals einen Pla neten angeflogen, dessen Bewohner uns sehr freundlich aufnahmen und bereit waren, uns alles zu zeigen und zu er klären. Es gab anfangs nur ein Hinder nis, das war die Verständigung. Sie wollte und wollte nicht funktionieren. Die Alboraner benutzten eine telepathi sche Sprachübermittlung, deren Fre quenz wir zwar aufnehmen, aber nicht entschlüsseln konnten. Bis wir durch einen Zufall dahinterkamen, daß deren Gedanken-Nachrichtenübermittlung zeit verschoben war, das heißt, sie bewegte sich in einer anderen Zeiteinheit. Nach dem wir den entsprechenden Verzöge rungsfaktor herausgefunden hatten, war die Verständigung ein Kinderspiel.” „Und jetzt glauben Sie, daß es dies mal genauso sein könnte?” fragte Reto und stand auf. Sek nickte. „Ich glaube sogar noch viel mehr. Ich glaube zum Beispiel zu wissen, weshalb wir bisher noch keinen Bewohner, ja überhaupt nichts Leben diges gesehen haben.” „Da bin ich aber sehr neugierig”, ant wortete Reto ein wenig verärgert. Schließlich war er Ingenieur, der sich von einem Arzt nicht gern in seine Kom petenzen hineinreden ließ. „Ich meine, daß wir es hier auf die sem Planeten — aus welchen Gründen auch immer — mit einer totalen Zeit verschiebung zu tun haben. Dieser Pla net lebt in einer anderen Zeitabfolge, die für uns so schnell ist, daß wir nichts wahrnehmen können. Unsere Sinnes wahrnehmungen sind zu träge gegen über dem Zeitablauf, mit dem auf die sem Planeten die Dinge passieren.” Der Kapitän wiegte seinen Kopf. „Das könnte eine Möglichkeit sein.” Reto drehte sich unwirsch um und
setzte sich wieder auf seinen Sessel am Schaltpult. „Ich werde Ihnen sehr schnell nachweisen, ob Ihre Theorie stimmt oder nicht”, sagte er spöttisch. Seine Hand glitt über die Schaltknöpfe. Er programmierte den Zentralcomputer und ließ die erhaltenen Energiewellen durch einen Verzögerungsfaktor dehnen. Der Faktor wurde laufend um einige Grade nachreguliert. In den ersten Minuten passierte gar nichts. Das Rauschen und die unver ständlichen Töne blieben. Im Gegenteil, sie verstärkten sich noch. Reto schaltete die Bildübertragung ein, damit alle An wesenden die Auflösung der Wellen se hen konnten. „Wir haben schon eine Verzögerung von fünfhundert”, sagte Reto. „Machen Sie weiter”, erwiderte Sek erregt. Er starrte auf den Bildschirm, dessen Hell- und Dunkelwerte jetzt we sentlich deutlicher geworden waren als vorher. „Genau wie auf Albor”, murmelte er. Er trat einen Schritt vor und stellte sich neben Reto. „Darf ich?” sagte er und griff nach dem Schalter, der durch Hand den Verzerrungsfaktor steuern konnte. Er drehte ihn kurz entschlossen um eine halbe Drehung weiter und vergrößerte den Faktor auf Tausend. Reto wollte ihm die Hand wegreißen und ihn wegen seiner Eigenmächtigkeit zurechtweisen, aber ein allgemeiner Ausruf des Erstaunens ließ ihn auf den Bildübertrager sehen. Die belebte Straße einer Stadt war auf dem Schirm zu erkennen. Menschen ähnliche Wesen in weiten Gewändern schwebten über dem Boden. Ein Ge sicht erschien bildfüllend. Das auffal lende daran waren zwei strahlend gro ße Augen. Ein drittes Auge, das bunt schillernd war und sich ständig in den Farben veränderte, befand sich über der Nasenwurzel. Der Schädel war schmal und hochstirnig; wallende Haare, Nase und Mund wie bei einem Menschen. Überhaupt schienen diese Wesen sehr
menschlich zu sein. Das Gesicht schaute gerade aus dem Bildschirm, der Mund blieb geschlossen, nur das Farbauge auf der Stirnmitte spiegelte und veränderte sich ununterbrochen. Sek konnte den Triumph in seinen Gedanken nicht ganz unterdrücken. „Was ich vermutet habe, ist eingetrof fen. Dieser Planet hat einen Zeitablauf, der tausendmal schneller ist als unser eigener. Wer sich so schnell bewegt, den können wir nicht sehen.” Auf dem Bildschirm war jetzt das Ge sicht verschwunden. An seiner Stelle zo gen Bänder in den schillerndsten Far ben vorbei, sie überschnitten sich, dreh ten sich, bildeten Schleifen und streck ten sich wieder. Manchmal schrumpften sie zusammen, manchmal liefen mehrere sich drehende Bänder nebeneinander. „Die Sprache der Bewohner ist eine Farbensprache. Der ewige Tag gibt ih nen die Möglichkeit, sich mittels Farb zeichen zu verständigen. Das farbige Auge auf der Stirn ist ihr Kommunika tionsmittel, über das sie sich miteinan der unterhalten. Alle Nachrichten, die über Wellen übertragen werden, sind Farbwertwandlungen. Anscheinend kön nen diese Menschen aber auch die Wel len direkt empfangen. Wahrscheinlich ist ihr drittes Auge sowohl für direkten Kontakt mittels Farbspiel als auch zur Aufnahme von Sendewellen, die sich in Farbwerte umsetzen, eingerichtet.” Diese Art von Sprachübertragung in teressierte natürlich den Kybernetiker. Er machte sich sofort an die Entschlüsse lung der Farbnuancen. Er schickte die empfangenen Wellen durch den Analo gieauswerter und ließ die Intensitäts werte abtasten. Auf diese Weise hoffte er Wiederholungen zu erhalten, die es ihm ermöglichen würden, eine Art Farb alphabet aufzustellen. James Bunder hatte bisher an einer der Schalttafeln gelehnt und das Tun der Experten beobachtet Jetzt trat er neben den Kapitän. „Wir müssen Arthur Mellery so schnell wie möglich finden.”
„Wir werden alles tun”, beschwichtig te der Kapitän. „Zuerst aber müssen wir versuchen, Kontakt mit den Bewoh nern aufzunehmen.” James atmete tief ein. „Bis es soweit ist, kann es für Mellery zu spät sein. Bei einer Zeitverschiebung von eins zu tau send bedeutet jede Stunde auf diesem Planeten für den menschlichen Körper einen Ablauf von rund vierzig Tagen. Oder anders ausgedrückt: Ein Tag sind zweieinhalb Jahre. Wenn wir Mellery nicht sehr schnell finden, werden wir nur noch einen Greis sehen oder einen Toten.” Der Kapitän schüttelte energisch den Kopf. „Solange Mellery nicht in das Zeit system geholt wird, lebt er in seiner eigenen Zeit, wo eine Stunde eine Stun de für seinen Körper ist. Ich sehe ja ein, daß Sie sich um Ihren Freund sor gen, aber wir können seinetwegen nicht unsere eigene Sicherheit aufs Spiel set zen. Schließlich war er es, der sich vom Schiff entfernt h a t . . . ” James preßte die Lippen aufeinander und gab keine Antwort. Er war Gast auf diesem Schiff und hatte sich den Anord nungen zu fügen. Der Kapitän hörte über die Gedan kenverbindung, was James dachte. Er sagte: „Wenn es Sie beruhigt, gebe ich Ihnen einen Kleinaufklärer und einen unserer Roboter. Mit dem Aufklärer können Sie den Planeten umfliegen, der Robot wird auf die Gehirnwellenstruk tur Ihres Freundes programmiert. Wenn Arthur Mellery sich noch in unserer Zeit befindet, spürt ihn der Robot bestimmt auf. Einverstanden?” James bedankte sich. Es war schwer, die Denkweise fremder Intelligenzen zu verstehen, selbst wenn man ihnen so eng verbunden war wie James. Er hielt sich jedoch nicht lange mit theoretischen Überlegungen auf, weshalb der Kapitän plötzlich seine Meinung geändert hatte. Er ließ sich sofort in die Werft hinunter fahren, wo er einen der Miniraumer aus
suchte und von der technischen Abtei lung überprüfen ließ. Als Begleiter hol te er sich Robby, den Roboter, den er und Sek schon auf der Erde mit dabei hatten. Nach zehn Minuten meldete die Kon trollstation den Aufklärer startklar. * Als Mellery sich umdrehte, erlebte er den zweiten tiefen Schreck. Das drei stöckige Haus, aus dem er soeben ge treten war, hob sich vom Boden ab und zog in einer weiten Schleife landein wärts davon. Einen Augenblick durchzuckte ihn der Gedanke, daß er träume. Der Wind, der ihm die Haare zer zauste, das Wasser, das gegen seine Schuhe leckte, waren aber kein Traum. Die Wasserwüste vor ihm und der ein same, leere Strand waren Wirklichkeit, harte, bittere Wirklichkeit. Wo befand er sich? Müßige Frage, sagte er sich, deren Beantwortung völ lig egal war. Ob er in irgendeine Rich tung ging oder sich hinlegen und warten würden — das kam alles auf das gleiche heraus. Aber dann siegte doch der Wille zum Leben, zum Überleben. Und der Wissen schaftler schüttelte die lähmende Angst ab und begann nach reiflicher Überle gung landeinwärts zu gehen. Die röt liche Sonne hing noch am Himmel, wenn auch wesentlich tiefer als dort, wo das Raumschiff gelandet war. Mellery sah auf die Uhr. Seit seinem Eintritt in das sonderbare Haus waren knapp zwei Stunden vergangen. Wenn die rote Son ne jetzt so tief stand, dann mußte er von ihr weggebracht worden sein, das heißt, er mußte in Richtung ihres Untergangs gehen, um irgendwann wieder auf das Raumschiff zu treffen. Er stieg eine sanfte Hügelkette hoch. Der Boden war fest und ließ den Wan derer gut vorankommen. Die Luft, die vom Meer her wehte, war frisch und
belebend. Das war angenehm und ließ die Müdigkeit vergessen. Von einem erhöhten Punkt aus konnte Mellery in eine weite Ebene blicken. Hier mußten Bewohner sein, denn die Ebene war bebaut, die Felder waren in genau geometrische Formen eingeteilt. Alles war still, unheimlich still. Wieder beschlich Mellery das grauenhafte Gefühl der Einsamkeit. Nie war ein Mensch so einsam, dachte er. Er stapfte weiter, getrieben vom Mo tor des Lebens, der nicht zwischen sinn vollen und sinnlosen Handlungen unter schied. Nach rund drei. Kilometern ver schnaufte Mellery unter einer Baum gruppe. Tief atmend lehnte er am Stamm eines Baumes mit leuchtend gel ben Früchten. Und wie er so auf die Felder schaute, vermeinte er plötzlich wieder diese sonderbare Trübung zu bemerken, die ihm schon einige Male vorher im Haus aufgefallen war. Ab surder Gedanke! Sollten die Bewohner dieses Planeten Geister sein? Phantome, aus unendlich feiner Materie gemacht? Mellery verwarf den Gedanken. Die Trübung, die er gesehen hatte, war wie der verschwunden. Aber neben einem der Bäume stand auf einmal ein Gerät, das er bisher noch nicht bemerkt hatte. Es war eine Platt form, ein Meter im Quadrat, ein Ge länder darum und an einer Stange vier Knöpfe in sehr bunten Farben. Mellery überlegte. Er war hier auf einer Welt, dessen Bewohner sich mit Hilfe der aufgehobenen Schwerkraft fortbewegten. Fahrzeuge jeder Art wa ren also überflüssige Verkehrsmittel. Wie aber mochten die Fortbewegungs mittel aussehen? Klar! Sie konnten so aussehen wie diese Plattform, die da vor ihm stand. Mellery griff nach einem der Knöpfe und drückte ihn. Die Plattform machte einen Sprung. Er griff wieder über das Geländer und drückte vorsichtig den nächsten Knopf. Die Plattform drückte sich tiefer in den Boden.
Eine großartige Gelegenheit. Mellery bezwang seine Furcht. Mit einem be herzten Schritt stellte er sich auf die Plattform. Er umfaßte die Metallstange. Sie war beweglich und ließ, wenn man sie oben faßte, die Knöpfe zur Bedie nung frei. Arthur Mellery drückte ganz leicht auf den ersten Knopf. Im gleichen Mo ment hob sich die Plattform hoch. Lang sam aber zügig zog sie nach oben. Die Knöpfe hatten Rasterstellen. Mellery drückte den Knopf weiter hinein. Die Geschwindigkeit nahm zu. Er probierte nun den zweiten Knopf. Der Sog nach oben wurde augenblicklich in ein Sinken umgewandelt. Der dritte Knopf. Die Plattform flog waagrecht nach vorn. In wenigen Minuten war das Un sicherheitsgefühl verschwunden. Mellery begann Spaß an dieser Art Fortbewe gung zu haben. Er schwebte in mäßigem Tempo baumhoch über den Feldern in Richtung der rötlichen Sonne. Ein Wald mit sehr hohen Bäumen kam auf ihn zu. Mellery stieg höher und glitt lautlos über ihn hinweg. An der Kuppe der Metallstange blink te ein winziges Licht auf. Die Plattform schlingerte, hielt jedoch die eingestellte Höhe ein. Mellery schaute sich um. Un ter sich die endlosen Felder, unterbro chen von kurzen Waldstücken, vor ihm die rötliche Sonne, sonst war nichts zu bemerken. Das Licht blinkte weiter, und die Plattform schaukelte, als würde sie ein starker Sturm hin- und hertreiben. Die Luft aber war ruhig und ohne Be wegung. Elektrische Impulse? Schwerkraft impulse? Sekundenlang hielt sich Mellery krampfhaft am Geländer der Plattform fest. Wurde er verfolgt? Hatte der Besitzer des Gerätes den Verlust bemerkt? Wer verfolgte ihn? Woher kamen die Im pulse? Unsinnigerweise begann Mellery mit den Armen zu rudern, um die Balance
zu halten. Die Augen brannten plötzlich. Schweiß rann ihm von der Stirn. Das Schaukeln verstärkte sich. Mel lery versuchte höher zu steigen, er drückte den ersten Knopf bis zum An schlag durch. Die Plattform stieg nicht höher. Eine stärkere Kraft hielt sie fest. Das Gehirn Mellerys arbeitete sehr logisch und nüchtern. Er versuchte zu sinken. Die Plattform reagierte nicht. Die Vorwärtsgeschwindigkeit wurde je doch zusehends höher. Mellerys Nerven system arbeitete ruhig. Er hatte keine Angst. Das Schlingern hatte aufgehört. Seiner Kontrolle entzogen, sauste das Gefährt einem unbekannten Ziel ent gegen. Er wurde dirigiert. Eine Stadt tauchte am Horizont auf. Mellerys Augen wurden groß. Die Turmstadt. Die Stadt, die er mit seinen Geräten eingefangen hatte? Über einem Randgebäude stoppte die Plattform und senkte sich auf eine Art Dachgarten. Mellery starrte auf die Häuser, in die Straßen hinunter. Er konnte niemand sehen. Eine leere, geisterhafte Welt! Ein Ruck, die Plattform war gelandet. Mellery wollte eben das Fluggerät ver lassen, als ein schmerzhafter Stoß durch seinen Körper zuckte. Schreiend krümm te er sich zusammen. Angstschweiß trat ihm auf die Stirn. Er spürte die Nerven lähmung und versuchte sich dagegen zu wehren. Starke Stromstöße schlugen ihn in Bann. „Zu Ende”, murmelte Mellery noch, dann versank alles um ihn. * Der Sucher in der Front des Gesichts feldes von James Bunder zeigte nichts als Felder, leicht gewellte Hügel und Wälder. Vereinzelt tauchten größere und kleinere Häuseransammlungen auf und dreimal eine dieser Turmstädte. Der Miniraumer der Deltaner raste in knapp zweitausend Meter Höhe über die Land schaft des Doppelsonnenplaneten.
In regelmäßigen Abständen gab Rob by seine Beobachtungen an James wei ter. Nach jeder Planetenumrundung kor rigierte er den Kurs des Aufklärungs flugzeuges um einige Grad. Mit der ihm angelernten Taktik eines Raumpiloten umrundete James den Planeten nach einem genau festgelegten Koordinaten schema, so daß er nach siebenundzwan zig Umflügen die gesamte Fläche des Planeten kontrolliert hatte. James warf einen Blick auf die Bord uhr. Sie rechnete nach Deltaeinheiten und zeigte 15.35 Uhr an. Das war nach Erdzeit fast genau 16 Uhr und im Sinn des Planeten, dessen Luftraum sie im Moment durchrasten, 14 Uhr. Seine Um laufzeit betrug etwas mehr als dreißig Stunden. „Blödsinn”, murmelte James vor sich hin, als er sich ertappte, wie er die ver schiedenen Zeiten zu berechnen suchte. Robby meldete: „Keine Gehirnwel len aufgefaßt.” James hieb mit der flachen Hand ge gen die Bordarmaturen. „Zum Teufel auch, nach der Theorie der Wahrschein lichkeitsberechnung müßten wir Melle ry eigentlich schon gefunden haben. Wir fliegen jetzt die achtzehnte Runde, mehr als fünfzig Prozent der Fläche haben wir hinter uns.” Er schimpfte und brummte. Robby gab keine Antwort. Er hatte sich mit dem Bordfunkgerät gekoppelt und such te je hundert Kilometer links und rechts der Fluglinie nach den Gedankenwellen Mellerys. „Wenn sie ihn geschnappt und in ihre eigene Zeit transportiert haben, ist alles umsonst”, schimpfte James weiter. Er trat das Kraftschubpedal bis zum An schlag durch. Die Maschine zog noch mals um einige Grade schneller an und Wischte über die Landschaft. „Noch nichts?” fragte James. Robby gab Antwort. Aus dem Bord lautsprecher klang seine unbeteiligte Stimme: „Denkkurven siebzig Grad West. Schwach, unregelmäßig.”
James war jetzt wie elektrisiert. Er drückte den Miniraumer in eine gefähr lich enge Kurve. Die Tragflächen bogen sich, der Rumpf ächzte. „Peilen”, rief er. „Um Himmels wil len nicht mehr verlieren! Hast du ihn noch? Werden die Zeichen stärker?” Das Aufklärungsflugzeug schoß auf Kurs siebzig West über eine Wasser fläche. „Gedankenwellen sehr schwach. Pei lung stimmt. Gehirn arbeitet nicht nor mal.” „Was ist mit ihm? Sind es auch wirk lich Mellerys Gedanken?” „Es ist sein Schema. Jedes denkende Lebewesen hat eine kennzeichnende Denkleitkurve. Sie ist nicht nachzuah men”, leierte Robby seine Belehrung herunter. „Behalte deine Weisheit für dich”, brüllte James nervös. „Und sage mir, ob die Richtung noch stimmt.” „Peilung in Ordnung.” Am Horizont tauchten jetzt wieder Land und eine der Turmstädte auf. Ja mes schaute von seinem Sichtgerät weg und versuchte etwas durch die Glaskan zel zu erkennen. „Gedanken kommen aus der Stadt. Sie werden immer schwächer. Der Mann denkt nicht mehr bewußt.” „Dann haben sie ihn also.” Wenige Sekunden später ließ James auf Anordnung von Robby den Mini raumer mit höchsten Werten abbremsen. Die Stadt schien in den Sichtschirm zu stürzen, James zog eine steile Kurve nach oben und kreiste jetzt mit geringer Geschwindigkeit über dem Häusermeer. Diese Stadt war wesentlich größer als die drei, die sie schon überflogen hatten. Robby hatte die elektronische Verstär kung voll aufgedreht. Die Gedanken impulse waren aber so schwach, daß es kaum mehr möglich war, sie aus den Millionen anderer elektrischer Wellen herauszufiltern. „Auf fünfzig Meter gehen”, befahl Robby.
Dann: „Auf dem Dach des Hauses un ter uns landen! In diesem Haus ist Mel lery. Vor zwei Sekunden sind seine Im pulse auf Null gesunken.” James drehte die Antriebsaggregate nach unten und sank langsam auf das flache Dach. Kurz darauf landete er. Ein Schlag Robbys gegen die Alarmtaste er schreckte ihn. Im Nu baute sich um das Flugzeug ein Elektroschutzschirm auf. James lachte. „Hast recht, man kann nie wissen. Hoffentlich lebt Mellery noch.” „Die Gedankenkurve läßt auf Läh mung des Denkzentrums schließen”, sag te Robby. „Dann haben wir keine Zeit mehr zu verlieren. Verständige sofort den Kapi tän, er soll einige Leute schicken. Und frage an, ob sie schon mit der Ent schlüsselung der Farbsprache weiterge kommen sind. Ich steige aus und sehe mir das Haus mal von innen an, bleibe aber mit mir in Gedankenverbindung.” James schaltete das Anzug-Schirmfeld ein, steckte sich eine zweite Elektro pistole in die Tasche und öffnete die Kabinentür. Er sprang auf das Dach und suchte nach einer Öffnung, durch die er in das Haus gelangen konnte. * Weitverzweigtes Geäst ausgedehnter Streben. Bizarre Formen, hochgewölbt, langgestreckt, in Rollen und Kreisen auseinanderlaufend und wieder ver schmelzend. Arthur Mellery lag auf einem Sockel aus Metall. Vor ihm bauchte sich ein Hohlraum, darüber liefen Millionen von Fäden, gleißend und glitzernd. Mellery richtete sich auf. Interessiert betrachtete er seine eigenartige Umge bung. Er konnte nicht herausfinden, wo er war. Er schüttelte sich, er erinnerte sich. Ein Stromstoß hatte ihm die Be sinnung genommen. Jetzt aber glaubte er sich wach. Er suchte die Erklärung für die Umgebung, in der er sich befand. Er stand auf.
Die Umgebung veränderte sieh. Die Fäden über ihm zerstoben, die Streben, die vor ihm ins Weite liefen, verengten sich und bogen sich zu ihm nieder. Der Metallsockel war ein Fahrzeug, die Streben waren Schienen, auf denen das Fahrzeug lautlos dahinglitt. Neben und über ihm rasten Lichtpunkte wie Perlenschnüre an ihm vorbei. Stück für Stück mußte er sich seine Welt erbauen, sein Wachsein erkämp fen. Es schien ihm, als änderte sich die Umgebung — seinen Gedanken entspre chend. Nicht ein Punkt war fest in diesem Gewirr. Mellery versuchte sich zu orien tieren, aber die Gedanken zerfielen im mer wieder. Es war so unendlich schwer, sich zu konzentrieren. Mellery dachte an James und das Raumschiff der Deltaner. James. Wie kam er hierher? Er stand neben Melle ry und starrte ihn an. Dahinter wölbte sich das Raumschiff. Er sprach nicht. Mellery griff nach den Streben. Sie wichen zurück. Auf einem Bodenstück lag die Pistole. Er bückte sich, um sie aufzuheben. Er faßte ins Leere. Hatte er nicht eben Pistole gedacht? James! Wo war er? Da stand er neben ihm, aber er langte durch ihn hindurch. Eine unheimliche Welt, die realisierte, was er sich dachte, die aufbaute, was er sich wünschte. Und dann durchfuhr ihn die Erkennt nis, was das für ein Ort war, an dem er sich aufhielt. Er selbst baute diesen Platz. Seine Gedanken waren es, die sich zu dieser Scheinwelt manifestierten. Mellery tastete um sich, er stellte sein Denken auf etwas ganz Neutrales ein. Er dachte an das kleine Haus mit dem Garten, den Rosenbeeten und Apfelbäu men. Das Haus, in dem er seine Jugend verbrachte. Die technische Welt versank, Grünes und Helles umgab ihn. Aber schon schweifte sein Denken wieder ab.
Jeder Gedanke spiegelte sich riesig. Wo hatte man ihn nur hingebracht? Man wollte ihm sein Wissen entreißen. Man brauchte ihn nur zu beobachten. Sein Inneres lag so klar ausgebreitet. Ein schreckliches Gefängnis, das die Bewoh ner dieser Welt sich da ersonnen hatten. Das Gefängnis der eigenen Gedanken. Mellery versuchte nicht an James und die Deltaner zu denken. Und schon stan den die Deltaner neben ihm. Mellery dachte: Wer seid ihr? Mit An strengung dachte er: Ich kenne euch nicht! Aber das Bild der Deltaner blieb. Die Maschine ließ sich nicht belügen. Wie sollte man sie auch belügen können, war sie doch nur das Spiegelbild des eigenen Ichs. Etwas Fremdes konnte es in dieser Welt nicht geben, was man sah, mußte man auch kennen. Jetzt erstand plötzlich das Raumschiff vor ihm. Mein Gott, was dachte er? Gab er denn alles preis? Wie schwer war es, sich auf etwas Harmloses zu konzentrieren, wie unend lich schwer, das Haus mit dem Garten im Sinn zu behalten. Kaum war es da, zerfloß es schon wieder, denn die Fra gen nach dem gegenwärtigen Zustand waren stärker. Mellery dachte nur an das Haus und den Garten. Das Raumschiff, die Delta ner, sie waren verschwunden. Er bewegte sich langsam Schritt für Schritt vorwärts. Er tastete. Da stieß er mit der Hand gegen eine Wand. Sie war glatt und senkrecht. Der Garten zerfloß, und eine unendliche Reihe von Türen öffneten und schlossen sich vor Mellery. Verdammt, er war mit seinen Gedan ken schon wieder vom Haus mit dem Garten abgekommen. Seine Hände glitten über die Wand. Sie reichte höher hinauf, als er greifen konnte. Er ging an der Wand entlang. Das Gehäuse, in dem er sich befand, war rund, glatt und hoch. *
James Bunder fand eine Luke, die eine breite Treppe freigab und zu einer Art Aussichtsraum führte. Rundum wa ren die Wände durchsichtig. Sie gaben einen herrlichen Blick auf die Stadt und die weitere Umgebung frei. James be merkte, daß das Material der Wände als Vergrößerungsglas wirkte und daher diese brillante Wiedergabe der Land schaft bot. Als er durch den Aussichtsraum ging, meinte er, durch dünne Vorhänge zu streifen. Ständig fühlte er einen leich ten Widerstand. Er griff einigemale in die Luft, aber er konnte nichts fassen. Nur auf der Handfläche war das leichte, stoffliche Gefühl. James hielt sich mit diesem Phäno men nicht lange auf. Er rief Robby an, der auf der Lande plattform im Aufklärungsflugzeug ge blieben war. „Ich drehe den Schutz schirm ab. Schalte dich an meinen Über trager an und sage mir, wenn du Impul se bemerkst, die eventuell von Mellery stammen könnten. Ich sehe keine andere Möglichkeit, dieses Riesenhaus zu durch suchen.” Die Antwort Robbys ließ nicht lange auf sich warten. „Schutzschirm nicht aufgeben, zu gefährlich.” James wurde ärgerlich. „Soll ich viel leicht zehntausend Räume inspizieren, um Mellery zu finden?” „Nicht nötig, ich bin mit deinem Ge hirn verbunden”, erwiderte Robby. Ein unheimliches Gefühl beschlich Ja mes, und wie schon so oft in den letzten Wochen, überfiel ihn plötzlich eine Un sicherheit, die er sich nicht erklären konnte. Er kam sich in diesem Zustand so unwirklich vor, so, als wäre er gar nicht er. Er schob den Gedanken zwar immer wieder als lächerlich von sich, aber gegen Regungen, die aus dem Ur grund des Wesens kamen, konnte man sich schlecht wehren. James gab keine Antwort mehr und wandte sich jetzt der Glastür zu. Dahin ter gähnte ein Abgrund, ein Schacht im
Geviert. James starrte unentschlossen in diesen Schacht. Sicher war dies der Auf zugsschacht, der durch Antigravkräfte gesteuert wurde. Aber wie wurde er gesteuert? James beschloß, seinen eigenen Degra vitator, den er aus dem Deltaschiff mit genommen hatte, anzuwenden. Er schal tete ihn ein und ließ sich ein Stockwerk tiefer sinken. Ein kurzer Blick genügte. Dieses Stockwerk schien ein Restaurant zu sein. Tische, Stühle, Sessel, Anrichten, aber nirgends ein Lebewesen. Aber auch hier dasselbe Phänomen des Seidigen, des Getrübten in der Luft. James hielt in jedem Stockwerk. Meist war schon gleich am Eingang zu erken nen, welchen Zwecken die einzelnen Stockwerke dienten. Im dreißigsten Stockwerk schien es interessanter zu werden. James sah hin ter einer langen Glaswand eine Reihe von blitzenden Maschinen. Sie waren allerdings so verwirrend in ihrem Auf bau, daß es schwer war, auf den ersten Blick festzustellen, welchen Zweck sie dienten. James vermutete Kraftspeicher oder Energieumwandler. Er lief an der Glasfront entlang, aber sie führte rund um, und nach wenigen Minuten stand er wieder am Aufzugschacht. Ein Stockwerk darunter befand sich ein riesiger Saal mit nach oben gewölb ter Decke. In der Mitte stand eine ge waltige Maschinenanlage. James’ Blick wanderte durch den Saal. An der einen Längswand bemerkte er einen Metallzylinder, der sein Interesse fesselte. Rund um diesen Zylinder, der etwa fünf Meter Durchmesser hatte und rund sieben, acht Meter hoch war, war ein roter Kreis gezogen. James ging durch den Saal auf den Zylinder zu. Da leuchtete plötzlich ein hellgelber Schein auf. James zuckte zurück. Der Schein er losch. Sein Puls schien schneller zu schlagen. Hätte er seinen Schutzschirm nicht gehabt, wäre er jetzt sicher ein verkohltes Häufchen, und nichts sonst
würde mehr an ihn erinnern. Ein dank barer Gedanke wallte in ihm auf. Robby registrierte ihn und dachte zurück. „Be wege dich vorsichtig, der Schutzschirm der Anlage ist sehr stark. Halt! Bleibe stehen, drehe dich ganz langsam. Zum Energiespeicher. Nein, weiter. Halt! Ich erkenne Wellen, Gehirnwellen, sie sind unendlich schwach, sie kommen von links, sie kommen aus dem Hohlzylin der. Mellery!” Robby war mit James’ Gehirn zusam mengeschlossen. Was James dachte, er fuhr Robby, was Robby auswertete, dachte James. Mellery — in dem zylinderförmigen Gehäuse? „Was soll ich tun?” „Du stehst wahrscheinlich im Saal der Zentralumformerbank. Wenn die Ma schine vor dir das Zentralgehirn ist, dann bist zu schon registriert worden. Jeder deiner Schritte wird beobachtet. Erhöhe die Leistung deines Schutzschir mes und versuche mit einem Sprung bis zur Maschine zu kommen, dann bricht das Schutzschirmfeld zusammen.” James Bunder fühlte sich nicht sehr wohl. Die Leistung seines Schutzschir mes erhöhen, hieß die Dauer der Lei stung verkürzen. Gelang das Experi ment nicht, mußte er sehen, daß er so schnell wie möglich aus dem Gebäude kam, da er sonst ungeschützt einem möglichen Magnetangriff oder einem Elektroschock ausgesetzt war. Er wußte zwar, daß der Schutzschirm um eine Energie-Umformerbank naturgemäß in einem bestimmten Abstand von der Bank sein mußte, damit die Vorgänge im Innern der Maschine nicht vom Elektroschirm außerhalb beeinflußt wer den konnten. Gelänge der Einbruch in den Elektrowall mit einer höheren Lei stung, so würde die Kreisbahn des Ma terialisierungsfeldes unterbrochen wer den, und die Energie sänke auf Null. James drehte den Energieschalter an seinem Anzug bis zum Anschlag. Die Energie einer Stunde verbrauchte sich
jetzt innerhalb von wenigen Minuten. Ein feines Glimmen war um James, denn bei dieser Energietransformation begannen sich bereits die Luftmoleküle zu erwärmen, schnell erhitzbare Luft bestandteile fingen zu glühen an. James fixierte einen Teil der Maschi ne. Es war eine Schalttafel, die schräg aus der glatten Metallwand herausragte. Mit vorsichtigen Schritten näherte er sich jetzt der Umformerbank. Als er das erste leichte Aufleuchten bemerkte, warf er sich mit aller Kraft nach vorn. Im Bruchteil einer Sekunde umlohte ihn ein ungeheuer gleißender Feuerschein, ein ohrenbetäubender Knall erfolgte fast gleichzeitig, eine Riesenfaust packte ihn im Rücken und schleuderte ihn ge gen die spiegelnde Maschinenwand. Etwas benommen rappelte sich James hoch. Er konnte sich bewegen, er hatte sich nicht verletzt. Da drang die Stimme Robbys an sein Ohr. Sie war laut. „Ro ter Knopf auf der Schalttafel. Schnell, bevor sich der neue Energieschirm auf baut, sonst bist du gefangen.” James stützte sich gegen das Arma turenbrett. In der Unzahl der Lichter und Knöpfe suchte er nach dem roten Knopf. Während seine Augen über die Armaturen glitten, merkte er in seinem Körper ein leichtes Kribbeln. Die Ma schine baute ein neues Energiefeld auf. Hastig blickte James auf das Anzeige instrument seines Schutzschirmes. Es stand auf 0,5. Sein Energielader war also am Ende. Wenn er den roten Knopf nicht fand, war alles umsonst. Der erste schwache Elektroschock traf James. Er krümmte sich, der Schmerz verflog schnell wieder. Die Energie war noch zu gering, um eine Lähmung her vorrufen zu können. „Der rote Knopf ist unter dem Arma turenbrett”, hörte James jetzt Robbys Stimme. Sie kam schon leicht verzerrt bei ihm an. James sah jetzt den roten Knopf und stieß mit der Faust dagegen, aber der Knopf bewegte sich nicht. James hieb
verzweifelt auf den Knopf ein, aber sei ne Hand blieb genau fünf Zentimeter darüber. Eine unsichtbare Schranke schützte den Knopf. Ein zweiter Elektroschock traf James. Sein Körper bog sich wie ein Halm im Sturm. Er spürte die betäubende Wir kung im Gehirn. Der nächste Schock lähmte ihn bestimmt. „Robby”, rief James. Der Robot hatte alle Nachrichten er wogen, miteinander verglichen und kom biniert, die er in den letzten Minuten durch das Gehirn von James erhalten hatte. Die Verbindung zu Robby wurde im mer schwächer. James hörte, daß Robby ihm etwas „zudachte”, ihm Instruktio nen geben wollte, aber James konnte sie nicht mehr verstehen. Sie waren ver zerrt, ohne Sinn. Der Energieschirm wurde stärker und stärker. James versuchte jetzt in seiner Ver zweiflung alles. Er drückte wahllos auf die Knöpfe, zog sämtliche Hebelgriffe und drehte jeden Schalter. Da — es war, als liefe durch den Rie senkörper der Maschine ein Stöhnen. Die Umformbank schien in ihren Grund festen zu erzittern. Dann war es plötz lich ganz still. James drehte sich um. Er lehnte er schöpft an der kühlen Wand neben dem Schaltbrett. Eine Bewegung ließ ihn in Richtung des Zylinders sehen. Genau ihm gegen über öffnete sich eine Tür. Heraus wankte ein Mann und hielt sich er schöpft an der pendelnden Tür fest. „Mellery!” schrie James auf. Mit drei großen Schritten stürzte er auf seinen Kameraden zu. Als er einen Meter von Mellery entfernt war, die Hände ausstreckte, um ihn zu stützen, da war sein Freund verschwunden. Er war weg. Fort! Wie weggeblasen. Verwirrt blieb James stehen. Die Tür pendelte immer noch hin und her. Er drehte sich um, er rief, er schrie, aber von Mellery war nichts zu sehen.
„Robby, hast du Mellery gesehen?” „Dein Freund wurde in die Zeit der Plexaner versetzt”, sagte Robby. Jamer fuhr sich über die Stirn. „Ple xaner?” fragte er. „Was ist das?” Robbys Stimme kam sofort. „Der Pla net wird von seinen Bewohnern Plexa genannt. Unsere Sprachwissenschaftler haben die Farbsprache der Einwohner entziffert, daher wissen sie, wie der Planet heißt.” „Haben sie Kontakt mit den Plexa nern aufgenommen?” „Nein, wir sind nicht in der Lage, un sere Nachrichten so zu modulieren, daß sie noch verständlich wären, wenn wir sie um den Faktor Tausend hochtrans portieren. Wir können zwar die Sendun gen der Plexaner entziffern, uns selbst aber nicht verständlich machen.” James lief auf die Tür des großen Saales zu. „Und was wird aus Mellery? Wir müssen ihm helfen. Denke doch daran, daß er sich jetzt in einer tau sendmal schneller ablaufenden Zeit be findet. Mellery wird in einer PlexaStunde um vierzig Erdentage älter. Wenn wir ihn nicht bald befreien...” „Schnell zurück, das Energiefeld be ginnt sich wieder zu manifestieren”, un terbrach ihn Robby. James trat in die Öffnung des Schach tes. Sofort fühlte er den bekannten Zug des Kraftfeldes, das ihn im Nu die drei ßig oder vierzig Stockwerke hochtrug. Wenige Minuten später kletterte er in den Miniraumer und startete. Über Te lespruch nahm er die Verbindung zum Raumschiff auf. * Wie lange er in diesem schrecklichen Käfig, der die eigenen Gedanken in Phantombilder übersetzte, gefangen war, wußte Arthur Mellery nicht. Er meinte, es müßten Stunden gewesen sein, die er sich an der glatten Wand entlanggetastet hatte. Immer war er da bei bemüht gewesen, an harmlose Dinge
zu denken, um nichts zu verraten. Er wußte ja nicht, was die Wesen, die ihn gefangenhielten, mit ihm und seinen Kameraden aus dem Raumschiff vorhat ten, wenn sie erfuhren, wer sie waren. Bei seinem ständigen Abtasten fühlte Mellery plötzlich eine Fuge. Er blieb mit den Fingerkuppen darauf, um sie nicht wieder zu verlieren, und fühlte vorsich tig nach oben und unten. Kein Zweifel, das schien der Spalt einer Tür zu sein, den er da ganz fein spürte. Mellery streckte sich, um zu ertasten, wie hoch sich der Spalt verfolgen ließ, da gab die Wand nach. Er fiel mit der Wand nach außen in die Helligkeit eines riesengroßen Raumes. Müde und erschöpft klammerte sich Mellery an die ausschwenkende Tür. Als er sich umschaute, erblickte er nicht weit von ihm entfernt James. James rief seinen Namen. Er wollte antworten, doch da war James ver schwunden, wie weggefegt. Etwas Ungewöhnliches erfaßte ihn plötzlich, hüllte ihn ein und ließ die Umgebung vor seinen Augen verblas sen. In den Ohren erklang ein Dröhnen, das schmerzte. Es war ein Rumoren, Knirschen und Donnern, als würden zehn Gewitter auf einmal aufeinander prallen. Mellery schrie auf, aber er hörte den Klang seiner Stimme nicht. Vor seinen Augen spielte sich ein furchtbares Geschehen ab. Es war wie ein überschnell vorbeiziehender Film, Szene reihte sich an Szene, keine war genau zu erfassen, aber alle schienen doch irgendwie miteinander zu tun zu haben. Und dann stand er plötzlich in einem freundlichen, hellen Zimmer, inmitten von Menschen mit weiten Burnussen, die ihn aus unergründlichen Augen for schend betrachteten. Die Menschen wa ren ein wenig kleiner als Mellery, und das Auffallendste an ihnen war ein far biges Auge in der Mitte der Stirn. Die
Menschen, oder besser, diese menschen ähnlichen Wesen waren stumm. Kein Laut war zu hören, und doch hatte Mel lery das unbestimmte Gefühl, daß sich diese Leute recht angeregt unterhielten. Er schloß das aus ihren lebhaften Be wegungen und ihrem ausdrucksvollen Mienenspiel. Sie hielten einen Abstand von gut drei Metern zu ihm ein und schauten schwei gend auf ihn. Mellery bemerkte nur, daß sich die Farben im Auge der Stirn ununterbrochen veränderten. War das die Sprache, mit der sie sich untereinan der unterhielten? Konnte man zu dieser Art Informationsübermittlung über haupt Sprache sagen? Mellery blickte um sich. Die Gegen stände, die er sehen konnte, glichen sehr der Einrichtung eines normalen wissen schaftlichen Büros auf der Erde. Waren die Menschen Wissenschaftler? Wenn ja, dann müßte man auf wissen schaftliche Weise einen Weg finden, um sich verständigen zu können. Mellery wollte es versuchen. Er holte aus seiner Jackentasche einen Block und einen Kugelschreiber. Er klappte den Block auf und zeichnete ein Dreieck auf das Papier. Daneben schrieb er den Pythagoräischen Lehrsatz. Er hielt das Papier dem Nächststehenden hin. Der warf einen Blick darauf, andere schauten über dessen Schulter und nick ten eifrig. Der Mann, dem Mellery das Papier hingehalten hatte, streckte jetzt die Hand aus. Mellery gab ihm den Block und den Schreibstift. Der Wissen schaftler zeichnete nun ein Viereck auf und schrieb einige kleine und große Zei chen daneben. Dann schrieb er noch ei nige seiner Zeichen neben das Dreieck. Die Männer teilten sich nun und machten durch Zeichen deutlich, daß sich Mellery zu ihnen setzen sollte. Sie nah men alle an einem langen Tisch Platz. Mellery hatte den Eindruck, daß die Leute ihm nicht unfreundlich entgegen kamen, wenn auch distanziert und ab schätzend. Der Block ging rundum, und
jeder der Männer zeichnete eine geo metrische Figur oder eine mathemati sche Gleichung auf. Der erste Kontakt zwischen zwei auf verschiedenen Planeten entwickelten In telligenzen des Universums hatte be gonnen. * James Bunder berichtete dem „GROS SEN RAT” der Deltaner von seinen Er lebnissen. „Welche Möglichkeit haben wir, uns mit den Plexanern zu verständigen?” fragte James. Reto sprach aus, was alle wußten. „Wenn uns die Bewohner dieser Welt keinen Hinweis geben, wie wir mit ih nen in Verbindung kommen können... Von uns aus ist es nicht möglich.” Das klang sehr resignierend. James verstand das nicht. Er wandte sich an Sek und an den Kapitän. „Aber es muß doch einen Weg geben. Wenn ihn die Plexaner beschreiten können, dann muß Ihnen das auch gelingen. Ihre technischen Kenntnisse sind so groß, daß...” Der Kapitän hob die Hand. James stockte unwillkürlich. „Ihre Meinung von unserem Können ehrt uns ja, aber das Schwierigste, was es in unserem Universum gibt, ist die Verschiebung eines Projektes auf der Zeitebene. Wir haben schon vor langer Zeit begonnen, Versuche in dieser Richtung durchzufüh ren, und wir mußten Fehlschläge hin nehmen.” Reto lächelte ein wenig spöttisch. „Be vor Sie die Zeitachse verschieben kön nen, müssen Sie in den Zeroraum. Da sich im Zeroraum jedes Atomgefüge ge gensätzlich zu seinem normalen Bestand verhält, muß gewährleistet werden, daß zum Beispiel ein Mensch wie Sie beim Eintritt in den Zeroraum sich nicht auf löst. Nur ein Linearschutzschirm kann die Auflösung verhindern und die Ma terie vor dem totalen Verschwinden be wahren. Wir kennen den Vorgang als
solchen theoretisch recht gut, nur in der Praxis haben sich bisher aus noch nicht ganz durchschaubaren Gründen Fehler ergeben, die wir erst genauer unter suchen müssen.” James schaute jedem in die Augen, sein Blick glitt von einem zum anderen. „Wenn ich Sie recht verstehe, heißt das, daß wir warten müssen, ob und wann es den Plexanern beliebt, Arthur Mel lery wieder freizugeben. Wir können nichts tun.” Er machte ein paar Schritte durch das Zimmer. „Wir müssen es hin nehmen, daß sich ein ganzer Planet vor uns versteckt und wir unverrichteter Dinge wieder abziehen sollen. Das kann ich nicht einsehen.” Sek zuckte mit den Schultern. „James, Sie haben gehört, was Reto gesagt hat. Es ist ein Experiment auf Leben und Tod, wenn wir mit unseren geringen Kenntnissen auf diesem Gebiet einen Mann zeitversetzen sollen. Dafür wird sich wohl niemand hergeben.” „Wieviel Chancen bestehen, daß das Experiment gelingt?” bohrte James wei ter. Reto ließ sich Zeit mit einer Antwort. Dann sagte er bedächtig: „Vielleicht vierzig bis fünfzig Prozent.” „Ich wage es. Machen Sie mit mir das Experiment, ich stelle mich zur Verfü gung.” „Sie sind verrückt”, warf Sek ein. „Warum denn? So können Sie Ihrem Freund auch nicht helfen. Wie wollen Sie denn wieder zurückkommen?” James winkte ab. „Gelingt es, werden die Plexaner ziemlich beeindruckt sein. Sie merken dann, daß es ihnen nichts nützt, sich hinter ihrer Zeitbarriere zu verstecken. Ich kann mit ihnen verhan deln, und ich bin sicher, daß sie mich und Mellery auch wieder zurückschik ken.” „Das ist Wahnsinn”, ereiferte sich jetzt Reto. „Sic kennen das Risiko nicht, das Sie du auf sich nehmen wollen,” James sah sich in der Runde um. „Auflösung des Atomverbundes, Zer
strahlung des Körpers, psychischer Schock und was es noch alles gibt”, haspelte er trocken herunter. „Vielleicht gehe ich dabei drauf, vielleicht wird da durch sogar noch mehr vernichtet, wenn der Zeroraum erreicht wird und nicht begrenzt werden kann. Alles möglich. Aber wenn wir hier aufgeben, dann ha ben Sie einen großen Teil Ihres For schungsprogrammes — zu dem Sie von Delta ausgeschickt worden sind — nicht erfüllt. Wollen Sie nach so langer Zeit heimkommen mit dem Bewußtsein, eine Aufgabe nicht erfüllt, ein Rätsel nicht gelöst zu haben? Deswegen, meine Her ren vom GROSSEN RAT, hätten Sie nicht hunderfünfzigtausend Jahre auf dem Mars warten müssen, um mit un serer Hilfe wieder flott zu werden.” James hatte sich in Eifer geredet. Er packte die Deltaner bei der Ehre. Und wie bei jedem intelligenten Lebewesen dieses Universums erreichte die Anspra che genau den von James gewünschten Effekt. Reto sprang auf. „Wenn sich niemand zur Verfügung stellt, bin ich bereit, es zu tun. James Bunder hat recht. Es ist eine Schande für uns: Ein Mensch muß uns Deltanern klarmachen, wie wir un sere Aufgabe zu erfüllen haben.” Er streckte James die Hand hin. Der Kapitän und Sek und die übrigen Delta ner murmelten beifällig. Der Kapitän wandte sich an Reto. „Ein Deltaner wird sich für das Experi ment zur Verfügung stellen.” James protestierte, denn so hatte er sich den Ausgang nicht gedacht. Aber sein Protest nützte ihm nichts, allgemein wurde Sek dazu bestimmt, die Zeitver setzung mit sich vornehmen zu lassen. Sek wurde gebeten im Energiefeld raum auf einem bequemen Sessel Platz zu nehmen. Die übrigen Deltaner ver ließen den Raum, schlossen ihn sorg fältig ab und konnten jetzt ihren Kame raden nur noch durch die großen Sicht felder beobachten. Retos Stimme klang belegt über die
Lautsprecheranlage. „Achtung! Feld verformung in einer Minute,” Der Zählrobot lief, und jeder der Männer verharrte unbeweglich und schweigend. Der Energieanzeiger schob sich auf der Skala höher und höher. Die Raumverformung begann mit der bekannten Trübung des Gesichtsfeldes und einem hohen, spitzen Ton. Die Robotstimme zählte. Sek saß ruhig im Sessel. Die Augen hatte er geschlossen, so als wollte er einer fernen Melodie lauschen. Die Robotstimme sprach. „Noch zwan zig bis zum Eintritt in den Zeroraum — noch zehn — acht — fünf — drei —” Retos Hand faßte den Aktionsschalter des Zeitkonverters „Zwei — eins — null —” Die Hand ruckte, der Schalter schlug um, die Zeiger auf den Instrumenten tanzten auf die Gefahrenmarken zu. Um Sek sah man plötzlich einen hellglän zenden Schein, der in Sekundenschnelle alle Regenbogenfarben durchlief. Und dann war Sek verschwunden. Der Ses sel war leer. James blickte unruhig auf Reto. „Und? Hat es geklappt?” Reto zuckte die Schultern. „Das wis sen wir nicht. Ich kann nicht prüfen, ob Sek zeitversetzt wurde oder sich aufge löst hat. Da keine zusätzliche Energie im Feldraum aufgetreten ist, nehme ich wohl an, daß Sek sich jetzt auf der Zeit ebene der Plexaner befindet.” Den Deltanern war nicht sehr wohl zumute, und James fühlte eine Erre gung, die häufig als Nachfolgeerschei nung des Entsetzens auftritt. * Sek meinte, sein Gehirn dehne sich wie eine Ballonhülle aus. Gleichzeitig fühlte er sich wie von einer Presse zu sammengedrückt. Er spürte ein furcht bares Ziehen und Zerren im Körper. Und dann stand er plötzlich auf einer langgezogenen Straße, die in leichten
Schwingungen das Ufer eines Sees säumte. Hohe Häuser mit buntfarbigen Fassaden zogen sich rechts der Straße hin. Der Brand der Sonne lag schwer über der Stadt. Sek stand im Eingang eines Hauses und betrachtete neugierig den regen Verkehr. Hunderte von Plexanern — alle in bunte weite Kleider gehüllt — schwebten an ihm vorüber. Niemand achtete auf ihn — bis er aus dem Haus eingang auf die Straße trat. In diesem Moment war er Mittelpunkt einer im mer größer werdenden Menge Neugie riger, die ihn umringten. Sek konnte sich bald nicht mehr bewegen. Die Einwoh ner waren ihm bis auf wenige Zenti meter nahe gerückt. Niemand sprach oder gab einen Laut von sich. Aber Sek konnte beobachten, daß die Farben im dritten Stirnauge un heimlich intensiv zu leuchten begannen und sich ununterbrochen in ihren Farb spielen abwechselten. Da wich plötzlich die Menge, die ihn beengte, zurück. Zwei in besonders wei te und prächtige Gewänder gehüllte Be wohner bahnten sich einen Weg durch die Masse, die ehrerbietig Platz machte. Einer der beiden hob seine Hand, und Sek glaubte, er grüße ihn. Aber er sah eben noch, wie ein Funke aus einem länglichen Gegenstand zuckte — dann sank er vornüber in die Arme der bei den Plexaner. * Arthur Mellerys Block war ver braucht. Die Menschen, mit denen er am Tisch saß, waren Chemiker, Physiker, Mathematiker, Raumtheoretiker und Biologen. Mellery und die Wissenschaftler hat ten sehr bald eine primitive Art gefun den, sich zu verständigen. Eine der Generalfragen der Wissen schaftler lautete, woher er und seine Kameraden kämen. Ob sie Geschöpfe der Wasserwelt seien? Nach vielem Hin und Her begriff
Mellery, daß es auf diesem Planeten ein Gebiet geben mußte, das sumpfiges Land war, mit giftigen Gasen versetzt. Ein Gebiet, das von den Bewohnern seit ewigen Zeiten gemieden wurde und als tabu galt. Als Mellery diese Frage verneinte und klarmachte, daß er und seine Kamera den von einem anderen Sternsystem kä men, erntete er großen Beifall. Ihre Mie nen verzogen sich zu einem Lachen, und die Farbaugen rotierten die Regenbogen farben in höchster Geschwindigkeit. Mellery bekam nach und nach heraus, daß sie ihm nicht glaubten, weil sie meinten, außer ihrer Welt und den zwei Sonnen gäbe es nichts. Diesen Denkvorgang begriff Mellery. Bei einem ständig sonnenbeschienenen Himmel war niemand in der Lage, Ster ne zu sehen. Ein Art Radioastronomie gab es nicht. Das Weltraumrauschen, das auch die Techniker dieser Welt mit ih ren Funkgeräten einfingen, hielten sie für das Rauschen der beiden Sonnen. Mellery versuchte der kleinen Ver sammlung klarzumachen, daß es außer dieser ihrer Welt noch Milliarden mal Milliarden mehr Welten gäbe und daß er von einem System komme, das viele, viele Jahresreisen von hier entfernt sei. Nachdem Mellery das aufgezeichnet und deutlich gemacht hatte, schlug die bisher abwartend freundliche Stimmung plötzlich in das Gegenteil um. Einer aus der Gruppe schien den an deren einen kurze und eindringliche An sprache zu halten, dann gab er Mellery zu verstehen, daß sie ihm nicht glaub ten und daß es keine anderen Welten gäbe. Sie wüßten zwar nicht, woher die Fremden so plötzlich gekommen seien. Ihr plötzliches Auftauchen würde gegen jedes Naturgesetz verstoßen, so daß sie vor einem biologischen und physikali schen Rätsel stünden. Einer der Wissenschaftler hatte sich hinter Mellery geschlichen und eine Art Feuerzeug mit großer Flamme gegen
seine Handfläche gehalten. Mellery war mit einem Aufschrei zurückgefahren. Die Wissenschaftler schienen von dem Experiment sehr befriedigt. Sie verdeut lichten dem Menschen, daß sie damit wüßten, daß er nicht von einer der bei den Sonnen kommen konnte.
Mellery schaute aus dem Fenster und bemerkte, daß sich das Licht plötzlich geändert hatte. Das bisher rötlich-gel be Tageslicht war nun einer bläulichen Helligkeit gewichen. Die eine Sonne war untergegangen, die andere stieg hoch. Das war anscheinend das Ge heimnis des Zeitbegriffs auf dieser Welt. Der Wechsel des verschiedenfar bigen Lichtes, der in ganz bestimmten, kurzen Abständen erfolgte, war es, der in den Bewohnern der Doppelsonnen welt den Zeitbegriff entwickelte. Eine interessante Welt, die Mellery hier kennenlernte. Er nahm sich vor, sie lange und gründlich zu erforschen. Die Wissenschaftler hatten sich eini ge Zeit allein besprochen. Einer über nahm es dann, Mellery zu informieren, was sie beschlossen hatten. Und für Mellery ergab sich somit folgende Situation: Die Religion dieser Weltenbewohner besagte, daß die Welt und ihre Bewoh ner von zwei Göttern erschaffen wor den waren. Die beiden Götter — es sind die zwei Sonnen — wärmen und nähren ihre Welt, wofür sich die Be wohner dankbar zu erweisen haben. Seit Bestehen der Welt kennen es die Einwohner nicht anders, und sie sind stolz darauf, Auserwählte zu sein und zu wissen, daß es außer ihnen nichts mehr gibt. Der Glaube von Tausenden von Ge nerationen würde zerstört werden, wenn sich plötzlich erwies, daß es noch andere Welten gab. Panik, Aufstand,
ja der Zusammenbruch der gesamten Kultur und Wissenschaft würde das Er gebnis sein. Niemand von den PlexaEinwohnern — zum ersten Mal hörte Mellery den Namen dieser Erde — dürfte daher die Fremden zu Gesicht bekommen. Die Fremden darf es nicht geben, weil es sie nicht geben kann. Mellery und seine Kameraden sollten daher Plexa sofort verlassen, wenn nicht, müßten die Wissenschaftler das Raumfahrzeug und seine Besatzung vernichten. Einerseits verstand Mellery den Standpunkt der Wissenschaftler, ande rerseits wollte er nicht einsehen, war um sie nicht noch einige Zeit bleiben konnten. Er wollte eben anfangen, seine Ge danken zu verdolmetschen, als er eine große Aufregung bei seinen Partnern spürte. Irgendeine Nachricht, von de ren Eintreffen Mellery nichts bemerkt hatte, mußte sie beunruhigt haben. Zwei Männer verließen eilig den Raum, die anderen schauten bestürzt auf den Menschen. Sie waren auf ein mal nicht mehr bereit, sich mit ihm zu unterhalten. Sie zogen sich in eine Ecke des Raumes zurück und kümmer ten sich nicht mehr um ihn, der sich das sonderbare Benehmen nicht erklä ren konnte. Nach zehn Minuten allerdings war ihm die Unruhe verständlich, in dem Augenblick nämlich, als sich die Tür öffnete und Sek den Raum betrat. * James Bunder war nervös. Seit dem Verschwinden von Sek waren fast zehn Stunden vergangen. Niemand wußte, ob der Arzt in der anderen Zeiteinheit angekommen war, oder ob er sich auf gelöst hatte. Für die eine wie die an dere Möglichkeit bestanden fünfzig Prozent Chancen. Reto hatte in den letzten Stunden wohl alle Tricks technischer Raffinesse
angewandt, um einen Weg zu finden, Nachrichten an die Bewohner von Plexa zu senden. Aber es nützte nichts. So bald eine Mitteilung in die Farbwerte der Plexaner übertragen worden war und dann hochtransformiert wurde, veränderten sich die Farbwerte, ver schwanden zum Teil sogar völlig, und was herauskam, war ein sinnloser Wel lensalat. Vergebens überwachten die Delta ner alle Sendekanäle der Plexaner. Sie waren eifrig damit beschäftigt, die Sendungen zu entschlüsseln. So sehr die Auswertung für die Geschichts- und Sprachforscher, für die Deltaner, die sich mit der Kultur der von ihnen an geflogenen Planeten befaßten, interes siert war, so wenig ergaben die Aus wertungen auch nur den kleinsten Hin weis auf Sek oder Mellery. Die reich lich gesendeten Nachrichten der PlexaSender brachten keinerlei Auskunft über die Fremden, die vor fast zwei Tagen gelandet waren. „Das ist Absicht”, brummte Reto. „Die wollen mit uns nicht in Kontakt kommen.” „Diese Art ist mal neu”, meinte Hexa, einer der Piloten des Raumschiffes. „Jede Form von Empfang wurde uns schon zuteil, offene, herzliche Aufnah me und harte, verbissene Abwehr. Aber daß sich ein ganzer Planet versteckt, einfach nicht zu sprechen ist, das ist bisher einmalig.” „Und das Schlimmste ist, daß wir nichts, aber auch gar nichts tun kön nen.” James lag ausgestreckt in einem Ses sel und starrte zur Decke. „Mellery ist in der Zwischenzeit fünf Jahre älter geworden”, sinnierte er laut. „Er ist seit zwei Tagen verschwunden.” „Wenn er noch lebt”, setzte Reto trocken hinzu. „Aber das macht nichts, sein Gehirn ist ja in der Lage, viele Tausende von Jahren alt zu werden.” James richtete sich auf. „Nur sein
Körper hält das nicht aus, der ist näm
lich auf höchstens achtzig bis neunzig Jahre eingerichtet.” Reto drehte spielerisch an den Knöp fen der Beobachtungsinstrumente. „Wenn Mellery zurückkommt und wei ter mit uns fährt, wird er sowieso sei nen Körper aufgeben müssen. Genauso wie...” Reto hielt plötzlich inne und schaute zum Kapitän hinüber, der sich den entschlüsselten Sendungen der Plexa ner widmete. James erhob sich und stellte sich neben Reto. „Wie? Wie er?” fragte er. „Weshalb schweigen Sie auf einmal?” Reto wandte sich ärgerlich um. Er starrte James in die Augen. „Ist das so schwer zu erraten? Schauen Sie mir mal genau in die Augen. Was sehen Sie da? Eine Unzahl flimmernder Punkte, Tausende, Millionen. Ein Au ge, das sieht, das lebt und doch künst lich ist.” Reto zog einen Schalter. An der Wand bildete sich ein superbrillanter Elektrospiegel. „Und nun schauen Sie sich selbst einmal in die Augen.” James ging langsam auf den Spie gel zu. Fram, der Kapitän, machte eine Bemerkung zu Reto, die James nicht registrierte. Und dann schaute er sich an, und er blickte in Tausende von irisierenden Pünktchen. „Das heißt?”
Reto machte einen weiten Schritt auf ihn zu und faßte ihn am Oberarm. „Ja wohl, Sie sind wie wir. Künstlich, wenn Sie so wollen, aber lebensfähig für gut zweihunderttausend Jahre nach Ihrer Zeitrechnung.” James starrte ihn an. „Sie müssen es ja doch einmal er fahren. Was in Ihnen denkt, das ist James Bunder, was sich aber bewegt, geht, sitzt, schläft, das ist ein Körper, der dem Ihren bis in die Atomstruk tur ähnlich ist.” „Ähnlich?” James glaubte zu träu men. Reto berührte das Ellbogengelenk. Der biometrische Magnetismus wurde an dieser Stelle getrennt, der Arm teilte sich bis zu den Fingern ausein ander. Die menschenähnliche Haut hing jetzt als ein Stück dünnes, fleisch farbenes Gewebe über dem schim mernden Gestänge. Der Biomagnetis mus, der in seinem Kreislauf unterbro chen worden war, schaltete auch die Reizwirkungen aus, mit denen das Gehirn sonst beliefert wurde. James fühlte kein Erschrecken, kein Erstaunen, ihn beherrschte nur nüch ternes Betrachten, logisches Überlegen, rationelles Denken. Roboter, ging es ihm durch den Sinn. Er war also ein Roboter. „Wir konnten damals nur noch Ihr Gehirn retten, und Sek präparierte es
nach unseren Kenntnissen. Sie leben wie ein Deltaner.” Reto hatte wieder das Ellbogengelenk berührt. Mit einem Klicken schnappten die beiden Armhälften zusammen, die Stoffhaut straffte sich. Jetzt wußte James, weshalb er sich so oft fragte, ob er wirklich er selbst war. Er fühlte sich wie von einer Last befreit. Er hatte auf einmal ganz stark die Empfindung, ein Teil der Natur zu sein, ein Teil einer Unendlichkeit. Er war Reto dankbar, daß er ihm seinen wahren Zustand gezeigt hatte. Aber er hatte noch einige Fragen, die er be antwortet haben wollte. Doch dazu kam er nicht mehr. Reto beugte sich eben über die Rund sichtscheibe und stieß einen Ausruf der Überraschung aus. Durch das Raumschiff tönte eine Alarmglocke. Wenige Meter vor dem Raumschiff standen Mellery und Sek, so plötzlich, als wären sie aus dem Boden geschos sen. Bevor Reto seinen Platz verließ, um auf die Grundfläche hinunterzufahren, schaute er noch schnell auf seine In strumente. Er erschrak. Die Feldener gie war in den letzten Minuten um fast hundert stärker geworden. Ein Magnetfeld, das bei weiterer Erhöhung die Maschinen des Raumschiffes beein flussen konnte. Außerhalb ihres eige nen Schutzschirms mußte die Magnet energie ungeheure Werte erreicht ha ben. Reto gab der Umformerbank Anwei sung, den Schutzschirm zu verstärken. Dann ließ er sich die zehn Stockwerke tiefer in die Schleusenkammer brin gen. Sek und Mellery waren von einer Reihe neugieriger Besatzungsmitglie der umringt. „Was ist los?” fragte Reto. James drängte Mellery ungeduldig, er solle von den Plexanern erzählen. Sek deutete auf einen Zeitmesser, der in der Wand eingelassen war. „Wir
haben nicht mehr lange Zeit. Wir müs sen starten.” „Starten? Müssen?” fragten die Del taner. „Die Plexaner geben uns eine Stun de Zeit, sie wollen nicht, daß wir noch bleiben. Reto, achten Sie auf die Mag netfeldstärke. Die Plexaner haben uns gedroht, die Magnetstärke zu erhöhen, daß wir nicht mehr starten können.” „Das wäre nicht das Schlimmste”, meinte Reto. „Wenn jedoch das Mag netfeld den Grenzwert überschreitet, dann bewirkt es eine Umkehrung un serer eigenen Energieumformung und führt zu einer Konverterexplosion. Das haben sich die Plexaner sehr raffiniert ausgedacht. Alle Achtung.” James verstand das alles nicht. „War um müssen wir fort? Was haben die Bewohner gegen uns? Weshalb ver stecken sie sich? Wir kommen doch in friedlicher Absicht.” Mellery lächelte etwas säuerlich. „Die Absichten nützen nichts, wenn die Bewohner gegen eine Weltanschauung stehen.” Sek und Mellery berichteten von den Gesprächen mit den Wissenschaftlern von Plexa. Am Schluß des Berichtes meinte der Kapitän: „Wir starten sofort. Reto, lassen Sie die Schleusen schließen, alle Mann auf ihre Posten.” Er blickte in viele erstaunte Gesich ter. „Unsere Aufgabe ist es, die Intel ligenzen des Universums zu erforschen. Forschen heißt beobachten, ohne die Gegebenheiten des Forschungsobjektes zu verändern oder gar in seinen Ablauf einzugreifen. Wir müssen die Lebens form dieses Planeten und seiner Be wohner achten. Würden wir hierblei ben, könnte das zu Veränderungen füh ren, die weder uns noch den Plexanern nützen würden. Aus diesem Grunde werden wir Plexa verlassen. Wir haben diese Welt registriert, kartographiert, unsere Analysen gemacht, eine neue Sprachform kennengelernt, damit sei
es genug. Vielleicht werden in vieroder fünfhunderttausend Jahren ein mal wieder unsere Leute hier vorbei sehen und es könnte sein, daß sich bis dahin die Erkenntnis der Bewohner er weitert hat. Wer weiß?” Reto nickte. Über die Gedankenan lage befahl er der Besatzung, sich in die Pneumoliegen zu begeben, dann fuhr er in den Kommandostand hinauf und bereitete den Start vor. Als sich zwanzig Minuten später das Raumschiff vom Boden abhob, be merkte Reto, daß augenblicklich die
Feldstärke des Magnetfeldes auf Null sank. „Die müssen ein gut funktionierendes Beobachtungsnetz besitzen”, murmelte er vor sich hin. James und Mellery starrten auf den Sichtschirm und verfolgten das Klei nerwerden des Planeten, der keinen Himmel kannte, und für dessen Millio nen Bewohner sie gar nicht existierten. Die beiden Menschen sprachen nichts. Jeder fühlte eine Traurigkeit, die einen überkommt, wenn man Abschied nimmt.
ENDE
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