PARKER zwingt den Boß zu Boden Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Josuah Parke...
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PARKER zwingt den Boß zu Boden Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Josuah Parker sah das Unheil direkt auf sich zukommen. Es manifestierte sich in der Gestalt eines Motorradfahrers, der auf einer schweren Honda saß, wie sich später herausstellte. Der ledergekleidete Mann mit dem Raumfahrersturzhelm hatte die Kurve, aus der er kam, ganz offensichtlich falsch berechnet. Ohne eine Reaktion zu zeigen, jagte er auf den Kühler von Parkers hochbeinigem Monstrum zu. Parker reagierte zwar mit traumhafter Sicherheit und riß den Wagen zur Seite, er konnte jedoch nicht verhindern, daß der Motorradfahrer das Heck des Wagens kitzelte und sich dann flach legte. Er trennte sich von seiner Maschine, die in direkter Linie auf die Steinbrüstung der Uferstraße schlidderte, während der Fahrer sich in eine Kugel verwandelte und über die Asphaltstraße rollte. Parker hielt sein hochbeiniges Monstrum an und stieg aus. Er trat an den hinteren Wagenschlag, dessen Fenster bereits heruntergelassen worden war. „Wenn Mylady mich einen Moment entschuldigen wollen“, sagte Parker, während er seine schwarze Melone lüftete. „Ich hoffe, Mylady sind nicht zu sehr erschreckt worden ...“ Agatha Simpson, die zusammen mit ihrer Gesellschafterin im Fond des Wagens saß, nickte huldvoll. Sie war eine etwa 60jährige Frau mit vollem Gesicht, einer ausgeprägten Adlernase und einem energischen Kinn. Während Parker auf den am Boden liegenden Motorradfahrer zuging, stieg auch Lady Agatha Simpson aus dem Wagen und marschierte mit stämmigen Beinen auf die Maschine zu. Sie schien sich mehr für das Motorrad als für den Fahrer zu interessieren. Parker untersuchte den jungen Mann, dem dank der Lederkleidung erstaunlich wenig passiert war. Er ließ sich von Parker auf die Beine helfen und sah an sich hinunter. Die Lederkombination war an einigen Stellen aufgerissen. „Darf ich höflichst fragen, wie Sie sich fühlen?“ erkundigte sich Josuah Parker und führte den jungen Mann zur Steinbrüstung der Uferstraße. Der Fahrer hinkte leicht, nahm seinen Raumfahrersturzhelm ab und rutschte plötzlich haltlos in sich zusammen.
Bei dieser Gelegenheit merkte der Butler erst, daß er es ganz eindeutig mit .einer jungen Frau zu tun hatte. Gewisse unverkennbare Anzeichen ließen einfach keinen anderen Schluß zu. „Kann ich helfen?“ fragte Kathy Porter, die Gesellschafterin von Mylady. Sie war mittelgroß, schlank und biegsam. Kathy Porter erinnerte normalerweise an ein ungemein scheues Reh, das sich in gewissen Situationen allerdings in eine wilde Pantherkatze verwandeln konnte. „Ich fürchte, Miß Porter, ich habe es mit einer jungen Frau zu tun“, erwiderte Parker dankbar, „vielleicht übernehmen Sie die erforderliche Erste Hilfe.“ Kathy Porter strich sich ihr kupferrotes, langes Haar aus der Stirn und kümmerte sich um die Ohnmächtige. Josuah Parker bemühte sich hinüber zu Lady Simson, die das Motorrad untersuchte. Agatha trug wie üblich ein viel zu weites Kostüm im Safari-Stil, das faltenreich an ihrem vollschlanken Körper herunterhing. Ihre sehr großen Füße befanden sich in bequemen, ausgetretenen Spangenschuhen. Mylady sah skurril aus, dennoch wirkte sie wie eine Dame. Ihre Sprache hingegen war kunstlos. „Ein netter Feuerstuhl, Parker“, stellte sie fest und nickte anerkennend. „4 Zylinder, obenliegende Nockenwellen ;.. So etwas sollten Sie sich mal anschaffen.“ „Ich fürchte, Myladys Interesse nicht teilen zu können“, gab der Butler würdevoll zurück. „Darf ich vermelden, daß es sich bei dem Fahrer um eine Frau handelt?“ „Natürlich. Das habe ich gleich gesehen.“ Mylady blickte nur kurz auf. „Männer haben schmalere Becken. Ist Ihr viel passiert?“ „Wenn, dann innere Verletzungen, Mylady. Man sollte die junge Dame schleunigst nach Nizza schaffen.“ „Worauf warten Sie noch, Parker?“ Agatha Simpson wandte sich wieder dem netten Feuerstuhl zu und benutzte ihre Lorgnette, um noch besser zu sehen. Parker bemühte sich zu Kathy Porter zurück. Im Näherkommen bemerkte er erleichtert daß die junge Motorradfahrerin wieder das Bewußtsein erlangte. Sie setzte sich hoch und faßte sich an ihren Kopf. „Wenn Sie erlauben, werden wir Sie nach Nizza bringen“, sagte der Butler zu ihr. „Haben Sie irgendwelche Schmerzen?“ „Nein, nein ... nichts“, erwiderte die junge Fahrerin. „Alles in Ordnung. Was ist mit meiner Maschine?“ „Sie sieht noch recht fahrtüchtig aus“, erklärte Parker. „Helfen Sie mir hoch.“ Sie zog sich an Parkers Arm hoch und stellte sich auf die Beine. Dann ging sie hinkend auf die Honda zu. Von Schritt zu Schritt wurde sie sicherer. „Sollten Sie die Absicht haben, weiterfahren zu wollen?“ fragte Parker besorgt. „Natürlich“, gab die junge Frau zurück, in deren blaßes Gesicht die Farbe zurückgekehrt war. Sie erinnerte an eine gut durchtrainierte Sportlerin. Ihre Gesichtszüge wirkten ein wenig hart.
„Ich möchte mir erlauben, davon dringend abzuraten“, sagte Parker unnachgiebig.“ „Unsinn, sowas wirft mich nicht um“. Sie hatte die Honda erreicht und wollte sie aufrichten. Erst als Parker half, gelang ihr das. Sie schwang sich sofort auf den schmalen Sitz und trat den Motor an. Satt und gesund war der Motor sofort da. Die Maschine zitterte vor Kraft und Energie. „Vielen Dank für Ihre Reaktion“, rief die junge Frau Parker zu und stülpte sich den Raumfahrerhelm über den Kopf, „ich hatte die Kurve unterschätzt ...“ Bevor Parker weitere Einwendungen machen konnte, gab sie Gas und schoß davon. Josuah Parker gestattete sich ein leichtes Erstaunen und sah der Honda nach. Die junge Fahrerin hatte es offensichtlich eilig. „Keine Sorge“, Parker, wir werden sie bald wiedersehen“, ließ Agatha Simpson sich vernehmen. „Wie meinen, Mylady?“ Parker drehte sich zu der älteren Dame um, in deren Diensten er seit einigen Wochen stand. Er hatte sich gegen seine Überzeugung von Anwalt Mike Rander an Mylady „ausleihen“ lassen. Mike Rander war beruflich derart in Anspruch genommen, daß er sich nicht mehr in der Lage sah, Aufträge außerhalb von London auszuführen. „Wir werden sie bald wiedersehen“, wiederholte Lady Simpson noch mal, „sie wird nämlich bald etwas vermissen,“ Parker durchfuhr es eiskalt. Kathy Porter duckte sich unwillkürlich. Parker und Kathy Porter hatten deutlich den triumphierenden Unterton in Myladys Stimme mitbekommen. Dieser Unterton deutete einwandfrei darauf hin, daß die resolute Frau gewisse zukünftige Komplikationen ankündigte. Lady Simpson, immens reich und mit dem britischen Hochadel verschwistert und verschwägert, war nämlich eine unternehmungslustige Person, die stets nach Taten dürstete. Parker und Kathy Porter hatten eigentlich immer alle Hände voll zu tun, diesen Tatendrang diskret zu bremsen. Was ihnen allerdings nur selten gelang. „Mylady kennen die junge Dame?“ erkundigt sich Parker also, vorsichtig und mißtrauisch zugleich. „Nicht die Bohne“, gab Lady Simpson burschikos zurück. „Aber das wird sich schnell ändern. Sehen Sie, was ich gefunden habe. Das sind doch Klunker, die sich wirklich gewaschen haben, oder?“ Sie präsentierte Parker und ihrer Gesellschafterin einen großen, ledernen Tabakbeutel, den sie aufschnürte und ausweitete. Dann schüttete sie den Teil des Inhalts auf ihre flache Hand. , „Brillanten“, sagte Parker beeindruckt. „Ab einem Karat aufwärts“,' fügte Agatha Simpson fachmännisch hinzu, „erstklassige Ware . .. Nun, wird sie zurückkommen?“
*** Josuah Parker fühlte sich nicht sehr wohl in seiner Haut. Inzwischen wußte er, woher Mylady den Tabakbeutel samt Inhalt hatte. Die junge Frau auf dem Motorrad mußte die Steine verloren haben. Der Lederbeutel hatte sich wahrscheinlich in der Werkzeugtasche des Motorrads befunden. Er mußte beim Sturz der Maschine herausgeschleudert worden sein. Äußerlich sah man dem Butler die Sorgen nicht an. Stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, saß er am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr in Richtung Nizza, der Stadt an der französischen Mittelmeerküste, aus der die junge Fahrerin gekommen war.. .. „Nun reden Sie schon endlich, Parker“, rief Mylady ihm durch die geöffnete Trennscheibe des Wagens zu. „Ich hätte den Beutel zurückgeben sollen, nicht wahr?“ „Ich würde mir nie erlauben, Mylady Vorschriften zu machen“, erklärte Parker, „doch es hätte sich wahrscheinlich empfohlen...“ „Zumindest war sie die Eigentümerin“, stellte Parker klar. „Höchstens unrechtmäßige Eigentümerin“, weitete Mylady aus. „Steine dieses Kalibers und in dieser Menge transportiert man nicht per Motorrad. Und dann diese unchristliche Eile. Nein, nein Parker, ich wittere Unheil!“ „Wie Mylady meinen.“ „Ich habe mir das Kennzeichen des Motorrads gemerkt, Parker.“ „Dessen bin ich mir sicher, Mylady.“ „Falls sie sich nicht innerhalb der nächsten zwei Stunden meldet, werden wir die Polizei verständigen.“ „Wie soll sie sich melden, Mylady?“ „Sie wird uns finden, Parker. Ihr unmöglicher Wagen fällt überall auf. Wir werden ein Hotel an der Hauptstraße nehmen. Wir wollen es ihr nicht zu schwer machen.“ „Wie Mylady befehlen.“ „Ich glaube, wir werden bereits verfolgt, Mylady“, meldete Kathy Porter in diesem Augenblick. „Seit etwa fünf Minuten ist ein weißer Peugeot hinter uns.“ „Ich weiß“, gab Lady Simpson zurück, „ich bin ja nicht blind, Kindchen. Nur Parker scheint es zu sein. Leiden Sie neuerdings unter Konditionsschwierigkeiten?“ Parker schluckte die Antwort hinunter. Wieder mal bedauerte er es, sich an Mylady übereignet zu haben. Das bisherige Leben zusammen mit Anwalt Mike Rander war durchaus erlebnisreich gewesen. Über mangelnde Abenteuer hatte er sich eigentlich nie zu beklagen gehabt. Das Leben mit Lady Simpson aber wuchs sich zu einer Art Dauerschock aus. Parker wußte nämlich seit einigen Wochen, daß er tatsächlich so etwas wie Nerven hatte, was ihm Mike Rander bisher völlig abgesprochen hatte.
„Wollen Sie sich überholen lassen?“ erkundigte sich Mylady bei Parker. „Der Peugeot will überholen. Der Beifahrer scheint kein Gentleman zu sein.“ Wie richtig Mylady diesen Beifahrer beurteilt hatte, sollte sich Sekunden später deutlich zeigen. Dieser Mensch steckte den Lauf einer Maschinenpistole durch das geöffnete Wagenfenster des Peugeot und visierte Parkers hochbeiniges Monstrum an. Parker reagierte prompt. Er wollte sich den schwarzen Lack seines Wagens nicht unnötig ruinieren lassen. *** Parkers Wagen bot einige Überraschungen, mit denen die beiden Insassen des weißen Peugeot sicher nicht gerechnet hatten. Der Butler nahm seine rechte Hand vom Steuer und ließ sie auf ein zusätzliches Armaturenbrett niederfallen, das sich rechts von seinem Sitz befand. Da das Lenkrad sich nach guter, alter Tradition der Insel auf der rechten Wagenseite befand, war dieses Armaturenbrett ungewöhnlich gut ausgestattet und breit. Eine knappe Sekunde später zeigte sich bereits die Reaktion auf Parkers Handbewegung. Aus einem Auspuffrohr, der mit dem Motor überhaupt nichts zu tun hatte, schoß eine rabenschwarze Rußwolke hervor, die die strahlende Mittelmeersonne total verfinsterte. Worunter auch der Fahrer des weißen Peugeot zu leiden hatte. Er sah sich außerstande, den weiteren Straßenverlauf zu beobachten und trat instinktiv auf das Bremspedal. Der Peugeot geriet ins Schlingern und stellte ,, sich quer. Der Beifahrer mit der schußbereiten Maschinenpistole riß ungewollt den Abzug durch und vergeudete seine Munition hinauf zum Himmel. Dann schlug er mit der Stirn gegen den Türpfosten und fühlte sich gar nicht mehr wohl. Der Peugeot schlidderte inzwischen weiter, stellte sich erneut quer und rutschte in den Straßengraben. Blech knirschte wenig schön, Glas splitterte, und die vordere Radaufhängung machte sich selbständig. Josuah Parker hatte inzwischen sein hochbeiniges Monstrum weich abgebremst und hielt. „Ich hoffe, in Myladys Sinne gehandelt zu haben“, sagte er dann in Richtung Agatha Simpson. „Ich bin soweit mit Ihnen zufrieden“, stellte Mylady fest und nickte nachdrücklich, „es wäre schön zu wissen, mit wem wir es zu tun hatten, Parker.“ „Ich erlaube mir, um etwas Geduld zu bitten, Mylady.“ Parker stieg aus und ging auf die schwarze Rußwolke zu, die sich bereits senkte. Als ein Windstoß vom Wasser her den Qualm zur Seite wehte, konnte Parker mehr sehen.
Er beeilte sich, zum Peugeot zu kommen und hoffte, daß den beiden Insassen nicht zu viel passiert war. Gewalt lag schließlich nie in seiner Absicht. Parker wehrte sich nur, wenn er angegriffen wurde. Der Beifahrer - sah ein wenig mitgenommen aus. Der Kolben seiner Maschinenpistole hatte sich auf seine Nase gedrückt und einige deutliche Spuren hinterlassen. Der Fahrer des Peugeot rührte sich gerade und wollte aussteigen. „Wenn ich Ihnen ein wenig behilflich sein darf?“ bot der Butler seine Unterstützung an. Er öffnete die eingebeulte Wagentür und zog den Mann nach draußen. Dabei enteignete Parker den Mann, was dessen Revolver anbetraf, der in seiner Schulterhalfter steckte. Parker konnte auch nicht widerstehen und ließ die Brieftasche des Mannes gleich mitgehen. Nicht etwa, um sich zu bereichern, nein, Parker wünschte nur Informationen zu erhalten. Der Mann merkte nichts. Er war noch recht benommen und setzte sich in das von der Sonne verbrannte Gras. Dann stierte er vor sich hin. Doch das war nur eine gekonnte Täuschung. Als Parker ihn verließ, um den Beifahrer aus dem Wagen zu holen, wurde der Fahrer wach und griff blitzschnell nach seinem Revolver. Sein Gesicht war eine einzige Überraschung, als er ihn nicht fand. „Sie werden entschuldigen, wenn ich die Waffe an mich nahm“, sagte Parker höflich, „wir wollen die Dinge doch nicht auf die Spitze treiben, Monsieur.“ Der Monsieur war kein feiner Herr. Er belegte den Butler mit einigen ausgesuchten Flüchen, die sich auf die Vorfahren Parkers bezogen. Parker reagierte nicht. Er langte mit dem bleigefütterten Griff seines Universal-Regenschirms zu, als der inzwischen aktiv werdende Beifahrer seine Maschinenpistole hochreißen wollte. „Ihre Manieren lassen sehr zu wünschen übrig“, stellte Parker mit tadelndem Unterton fest. „Sie befinden sich immerhin in der Nähe zweier Damen.“ Agatha Simpson und ihre Gesellschafterin Kathy Porter blätterten die beiden Brieftaschen durch, die Parker auf den Tisch des Hotelzimmers gelegt hatte. „Paul Marisse“, las Lady Agatha von der Identitätskarte ab, „der Mann ist von Beruf Hotelkellner.“ *** Diese beiden Damen sahen sich die Fundstücke, die Parker vor ihnen ausgebreitet hatte, sehr aufmerksam an. „Dabei handelt es sich um den Herrn mit der Maschinenpistole“, erläuterte der Butler. „Jean Manoire“, stellte Kathy Porter fest, die die Identitätskarte aus der zweiten Brieftasche geprüft hatte. „Hotelkoch. „
„Der Fahrer des Peugeot“, warf Parker diskret ein. „Zwei ausgemachte Strolche“, meinte Lady Agatha grimmig. „Sie dürften mit der jungen Astronautin unter einer Decke stecken. Was meinen Sie, Parker?“ „Ich erlaube mir, mich Myladys Ansicht anzuschließen“, erklärte der Butler. „Sie waren offensichtlich auf dem Weg, sich wieder in den Besitz der Brillanten zu bringen.“ „Warum finden Sie nicht heraus, wem sie gehören?“ wandte Lady Simpson sich unternehmenslustig an den Butler, „das riecht doch nach einem ganz netten Kriminalfall.“ „Die zuständigen Behörden, Mylady, werden für entsprechende Hinweise sehr dankbar sein“, sagte Parker mit einer gewissen Hoffnungslosigkeit in der Stimme. Er wußte inzwischen längst, daß Lady Simpson freiwillig nie solch einen Fall aus der Hand geben würde. Eine seltsame Umkehrung der Dinge hatte stattgefunden, seitdem er in Diensten von Mylady stand. Früher war es immer sein junger Herr gewesen, der die Polizei hatte bemühen wollen. Damals war es immer er, Josuah Parker, gewesen, der die Behörden hatte ausschalten wollen. Ironischerweise rief nun er nach der Polizei, während Mylady davon nie etwas wissen wollte. Lady Simpson ging keiner Möglichkeit aus dem Weg, sich als Amateurdetektiv zu betätigen. Parker wußte inzwischen davon ein Lied mit mehreren Strophen zu singen. Ganz zu schweigen von der leidgeprüften Kathy Porter, die bereits ihre nachdrücklichen Erfahrungen gemacht hatte-. Wie tief sie alle bereits in diesen Fall geschliddert waren, sollte sich bald zeigen. Die Tür zum Salon der Hotelsuite, die Agatha Simpson bewohnte, wurde jäh geöffnet. Im Türrahmen stand ein untersetzter, rundlich wirkender Mann, der allerdings nicht die Spur von Sympathie ausstrahlte, wie man sie dicken Menschen zuzuschreiben pflegt. Diese fehlende Ausstrahlung hing eindeutig mit dem schallgedämpften Revolver zusammen, den der Mann in der Hand hielt. *** „Mein Kompliment! Sie sind sehr schnell“, stellte Parker höflich fest. „Sollten Sie besondere Wünsche haben?“ „Sie müssen sich in der Zimmertür geirrt haben“, warf Mylady ein und schüttelte ärgerlich den Kopf. „Nehmen Sie wenigstens den Hut ab, wenn Sie sich Damen gegenübersehen.“ Der Mann zuckte unter dem tragenden Ton zusammen und riß sich schleunigst und devot die Baskenmütze vom Kopf. Erst dann merkte er, daß doch eigentlich er die Trumpfkarten in Händen hatte.
„Klappe...!“ schnauzte er und setzte sich die Mütze wieder auf. „Wo sind die Klunker?“ „Wie soll Mylady diesen Ausdruck verstehen?“ schaltete Parker sich ein. „Ich weiß, daß Sie die Steinchen haben“, präzisierte der Mann, der übrigens einen ausgeprägten, pechschwarzen Schnauzbart trug. „Tun Sie das schreckliche Ding weg“, bat Agatha und deutete mit ihrer Lorgnette auf die Schußwaffe. „Sie erschrecken eine alte Frau. Und zwar völlig unnötig.“ „Mylady“, bat Parker verzweifelt. Er wußte aus Erfahrung, daß Lady Simpson aktiv werden wollte. Wenn sie in einem leidenden, etwas ängstlichen Ton sprach, dann bestand höchste Alarmstufe. „Die Steine gehören uns ohnehin nicht“, redete Mylady weiter. „Ich kann nicht verstehen, warum ich mich dazu hinreißen ließ, sie behalten zu wollen.“ „Pleite, wie?“ Der schwarze Schnauzbart grinste verstehend. „Wie soll man bei diesen Preisen existieren?“ klagte Agatha Simpson und griff nach ihrem Pompadour, der auf einem kleinen Tisch neben dem Balkonfenster lag. Es handelte sich bei diesem Pompadour um ein mit Straß und Perlen besticktes Handbeutelchen, in dem Damen nützliche Utensilien wie Taschentuch, etwas Kleingeld, vielleicht einen Lippenstift und hin und wieder auch ein — Hufeisen zu verwahren pflegen. Das Hufeisen war wörtlich zu nehmen. In Myladys Pompadour versteckte sich tatsächlich ein solides Hufeisen, ihr Glücksbringer, wie sie den Gegenstand aus Eisen zu nennen pflegte. Von diesem Glücksbringer hatte der Mann mit der Baskenmütze natürlich keine Ahnung. Er sah nur das kleine Handbeutelchen und nickte auffordernd, als Lady Simpson es fragend in die Höhe hob. „Werfen Sie schon 'rüber, Mädchen“, sagte er in einem spöttischen Ton. „Bitte“, Lady Simpson schickte den Pompadour auf die Reise. Der Mann an der Tür wollte das bestickte Handbeutelchen mit der freien linken Hand auffangen. Schwer konnte der Pompadour ja auf keinen Fall sein. Er wurde bitter enttäuscht. Das im Handbeutelchen befindliche Hufeisen hatte erstaunlich viel Fahrt und war schwer. Der Mann riß zusätzlich seine rechte Hand hoch, um die Schwere und den Schwung abzubremsen. Dabei ergab es sich automatisch, daß die Mündung der Waffe nicht mehr auf das Trio gerichtet blieb. Parker sah sich gezwungen, Myladys Absichten zu vollenden. Ihm stand zwar kein Pompadour zur Verfügung, was aber auch nicht weiter wichtig war. Er bemühte eine Blumenvase, die in erreichbarer Nähe stand. Der Mann mit dem pechschwarzen Schnauzbart grunzte wie ein Wildschwein bei der Fütterung, als die Vase an seinem Kopf landete. Dann genoß er mit sich schließenden Augen die Frische des Blumenwassers und legte sich auf den Boden. Er wirkte sehr dekorativ.
Einige Blumen bekränzten sein Haupt und schmückten die schwarze Baskenmütze. Aus seinem linken Mundwinkel ragte eine etwas angebrochene Rose hervor, und in seinem linken Ohr machte sich etwas Ziergrün breit... *** „Eine ansehnliche Wildstrecke, wenn ich mir Mylady gegenüber diesen Ausdruck erlauben darf“, sagte Parker, nachdem er den Mann entwaffnet hatte. Parker präsentierte Agatha Simpson eine dritte Brieftasche, die sie huldvoll entgegennahm. „Claude Garoupe“, las die Detektivin von der Identitätskarte ab, die sich in der Brieftasche fand. „Sein Beruf ist der eines Hotelportiers ...“ „Es dürfte sich wohl um den Betriebsausflug eines Hotels handeln“, meinte der Butler. „Haben Mylady besondere Wünsche hinsichtlich dieses Individiums?“ „Entfernen Sie es“, erwiderte Agatha. „Lassen Sie sich irgend was einfallen!“ Parker verbeugte sich und verließ den Wohnraum der Hotelsuite. Er suchte auf dem Korridor nach einem geeigneten Gefährt, um den Mann wegzuschaffen. Parker entschied für einen kleinen, aber stabil aussehenden Teewagen. Er legte keine besondere Eile an den Tag, zumal am Gangende jetzt ein Zimmermädchen zu sehen war. Vielleicht hätte er sich etwas beeilt, wenn er gewußt hätte, daß sich in der Suite inzwischen einiges tat. *** Claude Garoupe war längst wieder zu sich gekommen. Er hatte bemerkt, daß der Butler den Wohnraum verließ. Garoupe witterte seine Chance, die Verhältnisse noch mal zu seinen Gunsten zu ändern. Schließlich hatte er es nur mit einer bereits angejahrten Dame zu tun. Und mit einer jungen Frau, die ängstlich wie ein scheues Reh aussah. Durch den Vorhang seiner Wimpern beobachtete er die beiden Frauen, die in der Nähe der Balkontür standen und in diversen Brieftaschen blätterten. Diesen Zeitvertreib wollte er ihnen so schnell wie möglich vermiesen. Vorsichtig stand er auf und griff nach einem schweren Aschenbecher, der auf einem kleinen Beistelltisch stand. Dann pirschte er sich auf leisen Sohlen an die beiden Frauen heran. „'raus mit der Waffe“, verlangte er und hob den Arm samt Aschenbecher. Er hätte es besser nicht versucht. Das scheue Reh mit dem langen, kupferroten Haar verwandelte sich ohne jeden Übergang in eine wilde Pantherkatze. Sie unterlief den hoch erhobenen Arm und schlug mit der Kante ihrer rechten Hand konzentriert und hart zu.
Claude Garoupe stöhnte. Er hatte das Gefühl, von einer Axt getroffen worden zu sein. Er verlor den Aschenbecher und krümmte sich. Und damit bot er der jungen Pantherkatze seinen fleischigen Hals an. Kathy Porter konnte nicht widerstehen. Ihre linke Handkante schnellte vor und traf genau den richtigen Punkt im Nacken. Garoupe grunzte und fiel auf die Knie. Agatha Simpson hatte sich ohne sichtbare Zeichen von Erstaunen umgedreht und nickte ihrer Gesellschafterin freundlich zu. „Worauf warten Sie noch?“ fragte sie dann und sah auf den Mann hinunter. „Wie wäre es denn jetzt mit der Halspartie?“ „Lieber nicht, Mylady“, gab Kathy zurück und wirkte sofort wieder schüchtern und scheu, als sei überhaupt nichts passiert. „Ich glaube, er braucht keinen dritten Schlag ...“ „Seien Sie doch nicht so schrecklich zimperlich, Kindchen“, tadelte Lady Simpson vorwurfsvoll. „Wir haben es mit einem Gangster zu tun .. .“ Dann sah sie hoch und strahlte den hereinkommenden Butler an, der den Teewagen vor sich herschob. „Sie haben ein nettes Intermezzo verpaßt“, sagte sie zu ihm. „Miß Porter hat eine Trainingssekunde eingelegt. . .“ ..Die sehr intensiv ausgefallen zu sein -scheint“, stellte Parker fest, der den jungen Mann mit der Baskenmütze kurz untersuchte. „Ich werde ihn auf jeden Fall ohne Zwischenfälle wegschaffen können . ..“ Parker verfrachtete den Mann auf den Teewagen und warf eine Tischdecke über ihn. Dann rollte er die Fuhre aus dem Wohnraum vor die Tür eines Frachtenfahrstuhls. Parker, unten im Wirtschaftskeller angekommen, sah sich nach einem Gefährt um, weil er Claude Garoupes Weiterreise in die Wege leiten wollte. Er nickte zufrieden, als er einen Fleischerwagen entdeckte, dessen hintere Ladetür weit geöffnet war. Die beiden Fleischer verschwanden gerade mit Rindervierteln irgendwo in der Unterwelt des Hotels. . Als sie nach wenigen Minuten zurückkamen, taten sie genau das, worum Parker sie innerlich gebeten hatte. Sie warfen die beiden hinteren Türen zu und verschwanden vorn im Fahrerhaus. Wenig später setzte der Wagen sich in Bewegung und fuhr los. Parker war sicher, daß Mylady mit ihm zufrieden sein würde. Der Beginn dieses Falles hatte sich recht gut angelassen. Parker war sich aber vollkommen sicher, daß die echten Schwierigkeiten noch gar nicht begonnen hatten. Seiner bescheidenen Ansicht nach stellten die Steine im Tabaksbeutel einen Wert von etwa einer halben Million Dollar dar. Möglicherweise stand noch eine wesentlich höhere Summe zur Debatte.
Parker konnte sich leicht ausrechnen, daß die Vorbesitzer alles tun würden, um ihnen die Steine wieder abzujagen. Sie würden mit Sicherheit vor nichts zurückschrecken. *** Lady Simpson telefonierte. Sie befand sich in ihrem Zimmer und sprach mit einigen Leutchen, die sie hier in Nizza von früheren Gelegenheiten her kannte. Da Lady Simpson mit dem englischen Hochadel verschwistert und verschwägert war, kannte sie Leute, an die ein normal Sterblicher niemals herangekommen wäre. Parker und Kathy Porter befanden sich im Wohnraum und besichtigten noch mal die Brillanten. „Sie dürften aus Schmuckfassungen ausgebrochen worden sein“, stellte der Butler fachmännisch fest. „Sie stammen aus einem Diebstahl, nicht wahr?“ Kathy Porter ließ die Steine durch ihre Finger gleiten. „Mit einiger Sicherheit“, gab Parker zurück. „Und diesen Diebstahl dürften keine Amateure begangen haben. Wir haben es mit Profis zu tun, Miß Porter.“ „Ob man versuchen sollte, Mylady ...“ „Schon der Versuch wäre sinnlos, Mylady diesen Fall auszureden“, fiel der Butler ein. „Ich darf auf ähnliche Fehlstarts hinweisen.“ „Dann müssen wir es also wieder mal durchstehen, Mister Parker?“ Kathy Porter seufzte. „Mit diesmal letzter Sicherheit“, lautete Parkers Antwort. „Mylady ist sehr nachdrücklich in der Verfolgung ihrer Ziele.“ Bevor Kathy Porter antworten konnte, meldete sich das Telefon im Wohnraum. Der Butler hob ab und nannte seinen Namen. Als auf der Gegenseite nicht sofort geantwortet wurde, wußte er Bescheid. Die Gegenseite war in der Leitung. Parker schwieg also ebenfalls. Er dachte nicht im Traum daran, nervöse Fragen zu stellen oder gar ,Hallo' zu sagen. Seine Nerven waren stets intakt, wenn sich Ärger ankündigte. „Hallo?“ sagte endlich die Gegenseite, die das beharrliche Schweigen des Butlers nicht länger aushalten konnte. „Sind Sie noch an der Muschel?“ „Was kann ich für Sie tun?“ fragte Parker zurückhaltend. „Ich ruf für den Boß an“, sagte die etwas gequetscht klingende Stimme, „er will die Steinchen zurück haben.“ „Ein verständlicher Wunsch.“ „Der Boß versteht Spaß, aber er übertreibt's auch nicht.“ „Jeder Mensch hat sein persönliches Limit“, philosophierte der Butler höflich. „Der Boß hat ein Herz für Typen, die fast auf der Schnauze liegen.“ „Ein bemerkenswerter Mensch.“
„Der Boß hat Bargeld für euch bereit liegen“, sagte die gequetschte Stimme. „Ihr braucht es euch nur zu holen.“ „Ein Wohltäter!“ „Er erwartet natürlich, daß ihr die Steinchen mitbringt.“ „Wann und wo soll dieser mögliche Tausch stattfinden?“ „Das erfahrt ihr noch früh genug.“ „Meine Empfehlung an den Boß!“ Parker legte auf und wandte sich zu Kathy Porter um, die ihn abwartend anschaute. „Ein gewisser Boß will die Steine jetzt gegen eine Belohnung austauschen“, erklärte Parker gemessen. „Der Anrufer schien ein wenig verblüfft zu sein, daß sich nicht Claude Garoupe meldete.“ „Glauben Sie, daß das Angebot ernst gemeint war?“ „Es klang improvisiert“, antwortete der Butler, „mit weiteren Anrufen ist bestimmt noch zu rechnen.“ Parker wandte sich um zur Verbindungstür, durch die Agatha Simpson schritt. Die ältere Dame mit dem weißen Haar und den damenhaften Bewegungen glühte vor Eifer. „Der Diamantenraub geschah vor etwa vier Stunden in der Innenstadt von Nizza“, meldete sie. „Parker, ich brauche jetzt einen Sherry. Nein, besser einen Kognak. Ich fühle mich sehr angeregt.“ Parker und Kathy Porter tauschten einen schnellen Blick. Wenn Mylady sich angeregt fühlte, gab es kein Zurück mehr. Parker servierte Lady Simpson einen Kognak und trat dann erwartungsvoll zurück. „Noch einen Schluck, bitte“, sagte Agatha Simpson, nachdem sie getrunken und sich wohlig geschüttelt hatte. Parker servierte erneut. „Wollen Sie mich etwa austrocknen?“ raunzte die Detektivin den Butler vorwurfsvoll an, als Parker sich samt der Flasche zurückziehen wollte. „Ich brauche einen zweiten Kognak, aber nicht nur ein leicht angefeuchtetes Glas.“ Parker deutete eine Verbeugung an und füllte nach. Mylady schien sich in ungemein angeregter Stimmung zu befinden. *** „Diese Juwelendiebe haben ein im Grunde einfaches Verfahren gewählt“, begann Agatha genußvoll. „Die Abendzeitungen werden das ganz groß herausstellen. Ein alter Trick, wie er oft in Kriminalfilmen gezeigt wird.“ „Sehr wohl, Mylady“, sagte Parker und bemühte sich darum, nicht zu gespannt zu wirken. „Sie haben angeblich einen Film gedreht“, redete Agatha weiter, „natürlich nicht einen ganzen Spielfilm, nur eine Szene. Und die spielte sich genau vor den
Auslagen eines Juweliers ab, der hier an der ganzen Cote d' Azur bekannt und berühmt ist.“ „Monsieur Cartier“, warf Parker ein. „Richtig“, bestätigte Lady Simpson und nickte beifällig, „man hört wieder mal, Parker, daß Sie sich auskennen. Vor dem Hauptgeschäft von Monsieur Cartier wurde also die bewußte Spielszene gedreht. — Die Polizei sperrte ab. Zwei Motorradfahrer preschten heran und zerschlugen die Scheibe. Dann räumten sie ab und verschwanden blitzschnell. Das heißt, es waren nicht die beiden Motorradfahrer, sondern zwei Männer, die mit einem Sportwagen genau in der richtigen Sekunde zur Stelle waren.“ „Und dann?“ fragte Kathy Porter gespannt. „Stand man dumm herum. Bis Cartier aus seinem Geschäft kam und Alarm schlug. Denn so hatte er sich die Szene wahrscheinlich nicht vorgestellt.“ „Um welch einen Verlust handelt es sich, wenn ich Mylady fragen darf?“ Parker, war gespannt, welche Summe Agatha Simpson nennen würde. „Die Steine stellen einen Wert von fast einer dreiviertel Million Dollar dar“, antwortete Lady Simpson. „Ein Betrag, für den diese Inszenierung sich gelohnt haben dürfte.“ „Darf ich Mylady fragen, ob die Polizei bereits erste Hinweise auf die Täter fand?“ „Nicht direkt. Aber man spricht von einer Bande, die die Riviera seit Monaten unsicher macht. Sie hat sich auf Schmuck spezialisiert und plünderte bisher Villen und Jachten aus.“ „Es dürfte sich um Kenner handeln“, meinte Parker nachdenklich. „Sehr schön, Parker“, lobte Mylady freudig, „das meint auch die Polizei. Die Bande ist bisher in allen Fällen sehr fündig geworden. Jeder Einsatz hat sich gelohnt. Die Gesamtverluste gehen in die Millionen.“ „Wir hatten es bisher mit einem Hotelkellner, einem Hotelkoch und einem Hotelportier zu tun“, warf Kathy Porter etwas schüchtern ein. „Sie machen sich ja direkt, Kindchen“, lobte Agatha Simpson erneut. „Individuen, die durchaus in der Lage gewesen sind, gute Beute auszuspionieren.“ „Da die drei Namen bekannt sind, dürfte die Polizei ungemein dankbar sein“, schlug Parker schnell vor. „Der riesige und geschulte Polizeiapparat wird in der Lage sein, die drei Personen umgehend zu ermitteln und zu fassen.“ „Dann wird man auch die Motorradfahrerin fassen“, warf Kathy Porter noch schnell ein, Sie hatte die schüchterne Hoffnung, Mylady umstimmen zu können. „Erzürnen Sie mich nicht unnötig“, drohte Lady Simpson prompt und richtete sich dramatisch auf. „Man hat immerhin auf mich schießen wollen. Sogar mit einer Maschinenpistole. Eine Lady Simpson nimmt so etwas niemals hin. Eine Lady Simpson...“ Das Schrillen des Telefons unterbrach Agathas Worte. Parker ging ans Telefon und hob ab. Es handelte sich um die gequetschte Stimme,
„Schwingt euch mal umgehend auf eure Lauferchen“, befahl die Stimme. „Der Boß will tauschen. In einer Stunde in der Altstadt. Vor dem ,Blauen Löwen'. Klar?“ „Was darf Mylady an Gegenwert erwarten?“ erkundigte sich Parker sehr höflich. „Mylady? Daß ich nicht wiehere! Spiel bloß eine andere Melodie, mein Junge! Den Butler und die Mylady nehmen wir euch nicht ab. 10 000 Dollar! Mehr sitzt nicht drin.“ „Dann dürfte es sich um einen Tausch handeln, der sehr einseitig zu sein scheint.“ „Wir können euch ja auch in Bleihummeln bezahlen“, meinte die Quetschstimme ungerührt. „Ihr braucht nur zu wählen. Und noch etwas, mein Junge. „Versucht es erst gar nicht mit der kalten Tour! Von wegen Polizei oder so. Das zieht bei uns nicht.“ Bevor Parker antworten konnte, wurde auf der Gegenseite bereits wieder aufgelegt. Der Butler wandte sich zu Mylady um, die ihn sehr zufrieden anschaute. „Diese Individuen, nicht wahr?“ erkundigte sie sich dann. „Sehr wohl, Mylady“, gab der Butler zurück. „Diese Individuen sind übrigens der Ansicht, Mylady, Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit seien Hochstapler.“ „Ich fühle mich äußerst angeregt“, stellte Mylady prompt fest. „Wir werden ein paar recht abwechslungsreiche Tage vor uns haben. Freuen wir uns also und genießen wir sie.“ *** Josuah Parker war mit dem Plan, den Mylady entwickelt hatte, überhaupt nicht einverstanden. Agatha hatte nämlich keineswegs Absicht, im relativ sicheren Hotel zu bleiben. Sie wollte sich aktiv an dem verlangten Tausch beteiligen. Mylady und Kathy Porter hatten das Hotel bereits vor einer halben Stunde verlassen. Parker war allein zurückgeblieben, um erst jetzt mit dem Lift hinunter in die Halle zu fahren. Deutlich sichtbar für eventuelle Beobachter hielt er ein Aktenköfferchen in der Hand. Damit wollte er demonstrieren, daß er die Steine bei sich hatte. Er rechnete nämlich damit, daß man ihn nach dem Verlassen des Hotels beschatten würde. Er hatte es mit Profis 7u tun, mit Gangstern also, die sich auf kein unnötiges Risiko einließen. Parker konnte nur hoffen, daß sie Lady Simpson und Kathy Porter übersehen hatten. Um das zu erreichen, hatte der Butler Mylady einen Plan vorgeschlagen, auf den Lady Simpson nur zu gern eingegangen war. Die beiden Frauen hatten sich kostümiert aus dem Hotel gestohlen. Trotz aller Vorsicht aber hatte Parker die Gegner ein wenig unterschätzt. Sie waren näher am Ball, als er es sich gedacht hatte.
Er hatte gerade den Lift betreten, als plötzlich ein schlanker, junger Mann erschien und vor dem Zufahren der Tür im Lift neben ihm stand. Er richtete sofort einen kurzläufigen Revolver auf ihn und grinste aufmunternd. Der junge Mann sah keineswegs wie ein Gangster aus. Er war sympathisch und erinnerte an einen Sportlehrer, der sich dem Tennis verschrieben hatte. Worauf auch der Tennisschläger hindeutete, den er sich unter den linken Arm geklemmt hatte. Er lächelte den Butler jetzt breit an. „Wie wär's denn mit der Tasche?“ .'ragte er und deutete auf Parkers Köfferchen. „Soll der Tausch bereits hier stattfinden?“ wollte Parker wissen, der selbstverständlich unbeeindruckt schien. „Erraten!“ sagte der Sportler, „wir wollten nämlich unser Kleingeld sparen.“ „Bedienen Sie sich“, meinte der Butler und reichte dem Sportler das schmale Köfferchen. „Ich fürchte allerdings, daß Sie meine bescheidene Wenigkeit mitnehmen müssen.“ Dem jungen Mann traten die Augen leicht aus den Höhlen, als er die Bescherung sah. Das Köfferchen war mittels einer Handschelle an Parkers Handgelenk befestigt. „Was soll der Unsinn?“ fragte der junge, braungebrannte Sportler. „Wo haben Sie den Schlüssel? Los, Beeilung, wir sind gleich unten!“ „Der erwähnte Schlüssel zur Handschelle befindet sich in Myladys Gewahrsam“, verkündete Parker höflich. „Eine kleine Vorsichtsmaßnahme, wenn ich es so ausdrücken darf.“ „Verdammt!“ knurrte der junge Mann, wobei seine Stimme leicht gequetscht klang. „Das kann ins Auge gehen.“ „Eine treffende Bemerkung, falls Sie Ihre Situation damit umreißen wollen.“ „'raus mit dem Schlüssel“, forderte der junge Mann, „oder es knallt.“ „Eine Leiche läßt sich nur recht schwer durch die Hotelhalle transportieren“, warnte der Butler. „Sie ... Sie kommen mit!“ entschied der junge Mann, dessen Stimme wieder normal klang. „Das war der Sinn dieser Maßnahme“, rechtfertigte Parker sich gemessen. „Mylady wird genau zur richtigen Zeit vor dem „Blauen Löwen“ erscheinen und den Transfer vornehmen.“ „Das alte Mädchen scheint verdammt auf Draht zu sein“, stellte der Tennissportler wütend fest. Dann schaltete er um auf ein Lächeln und wartete, bis sich die Tür des Lifts öffnete. Zusammen mit Parker ging er durch die Hotelhalle zum Ausgang. Parker war froh, daß er sich diesen Bluff hatte einfallen lassen. Zwar existierte die Handschelle, die sein Gelenk mit dem Bügel des Köfferchens verband, doch da es sich dabei um eine Spezialanfertigung für den Butler handelte, war er in der Lage, diese Verbindung jederzeit blitzschnell wieder zu lösen.
Er hatte es auf jeden Fall erreicht, daß der Gangster ihn mitnehmen mußte. Und es fragte sich, ob diese Reise hinüber in die Altstadt führte. Dort warteten Lady Simpson und ihre Gesellschafterin Kathy Porter völlig umsonst auf einen Kontakt mit den übrigen Gangstern. Und das paßte Josuah Parker. *** Sie benutzten diesmal keinen weißen Peugeot, sondern einen schon recht rostanfälligen Citroen. Im Wagen saßen alte Bekannte. Es handelte sich um die Herren Paul Marisse und Jean Manoire, die ihren Zwangsaufenthalt im Straßengraben überwunden hatten. Die Nase von Paul Marisse zierte ein breites Pflaster. Jean Manoire hatte sich dagegen mit einem blauen Auge begnügt. Beide Gangster waren in nicht gerade bester Laune, als der junge Sportler zusammen mit dem Butler neben dem Citroen auftauchte. „Was soll denn das?“ fragte Hotelkellner Paul Marisse und deutete auf den Butler. „Er hat sich den Koffer angeflanscht“, meldete der junge Mann. „Los, einsteigen“, kommandierte Jean Manoire entschlossen. „Ich will hier nicht anwachsen.“ „Ich erlaube mir, Ihnen einen guten Tag zu wünschen“, ließ Parker sich vernehmen, als er durchaus gemessen in den Fond des Wagens stieg.“ Wie ich mit Freude feststellen kann, haben Sie den kleinen Unfall recht gut überstanden.“ Paul Marisse, der am Steuer des Wagens saß, fuhr an. Jean Manoire wandte sich zu Parker und dem jungen Mann um. Er deutete auf das Handköfferchen an Parkers Gelenk. „Uns reichen die Steine“, sagte er zu dem jungen Mann, „sperr das Dingsbums auf!“ „Davor möchte ich allerdings eindringlich warnen“, sagte Parker höflich. „Es handelt sich um das, was man in einschlägigen Kreisen einen Trickkoffer nennt.“ „Na, und?“ Manoire verstand nicht recht. „Beim Öffnen ohne den passenden Schlüssel wird eine Rauchbombe ausgelöst.“ „Bluff“, maulte Marisse vom Steuer her. „Lassen Sie es auf einen Versuch ankommen“, sagte Parker gelassen. „Finger weg“, schnauzte Manoire, als der junge Sportler neben Parker sich dennoch mit den Schlössern befassen wollte. „Wir sehen uns das Ding in aller Ruhe an. Nicht hier auf der Straße.“ Er hatte nicht ganz unrecht. Sie befanden sich auf der Strandpromenade. Das Zünden einer Rauchwolke hätte mit Sicherheit einiges Aufsehen erregt. Parker, der die ganze Zeit über gewußt hatte, daß sein Bluff Erfolg haben würde, entspannte sich ein wenig. Seine Rechnung schien aufzugehen.
Die drei Gangster brachten ihn wahrscheinlich in ihr Standquartier. Und genau das war es, was Parker sich erhoffte. Er durfte sicher sein, daß Agatha Simpson und Kathy Porter damit endgültig aus der Schußlinie geraten waren. *** Es handelte sich um eine nicht gerade breite Straße in der Altstadt, in der sich der Blaue Löwe befand. Ein ehemaliges Wohnhaus, schmalbrüstig und drei Stockwerke hoch, war in ein Restaurant umgewandelt worden. Kennern war bekannt, daß man hier vorzüglich speiste. Der Treffpunkt, den die Gangster per Telefon angeordnet hatten, war also recht geschickt gewählt. Vor dem Haus standen parkende Wagen, es herrschte reger Publikumsverkehr. Keiner der Flaneure oder Gäste achtete auf eine etwas abgetakelt wirkende Blumenfrau, die einen langen Rock und eine dunkle Bluse trug. Über dem linken Unterarm dieser Blumenfrau, die Übrigens Nelken anbot, hing ein geflochtener Korb, der mit Blumen gefüllt war. Verdeckt von diesem Korb aber war ein Handbeutel, der mit Straß und Perlen bestickt war. Diese Blumenfrau wanderte vor dem Lokal auf und ab und bot ihre Nelken an. Sie sprach ein nuscheliges Französisch, stilecht und ihrem Beruf .angepaßt. Auffallend nervös und erwartungsvoll hingegen war eine junge, rothaarige Frau, die sich in Höhe der parkenden Wagen aufgebaut hatte. Sie wanderte umher, sah die Straße hinunter und befragte immer wieder ihre Armbanduhr. s Kathy Porter bot sich als Lockvogel an und wartete darauf, daß die Gangster Kontakt aufnahmen. Der Zeitpunkt des vereinbarten Treffs war bereits leicht überschritten. Kathy Porter übersah selbstverständlich die armselig aussehende Blumenfrau, die gerade einen mittleren Abschluß tätigte und einem Pärchen ein halbes Dutzend Nelken verkaufte. Die Blumenfrau bedankte sich wortreich für ein kleines Trinkgeld und wollte dem Spender die Hand küssen, wogegen der Herr etwas hatte. In diesem Augenblick erschien neben Kathy Porter eine junge Frau. Sie war aus dem Blauen Löwen gekommen und hielt direkt auf sie zu. Kathy Porter wußte sofort Bescheid. Es handelte sich um die junge Motorradfahrerin, die sie jetzt auffordernd ansah und dann ruhig weiterging. War sie allein? Kathy Porter folgte zögernd. Die Honda-Reiterin hielt auf einen kleinen 2 CV zu, der etwa 50 Meter weiter unterhalb des Lokals hart neben der Wand eines Wohnhauses parkte. Die Honda-Fahrerin nahm am Steuer Platz und fuhr etwas an, damit die Tür zum Beifahrersitz frei wurde. Dann nickte sie Kathy Porter zu. „Steigen Sie ein“, sagte sie.
„Wieso? Ich warte noch auf Mister Parker. Er hat die Steine.“ „Und wir haben den Butler“, sagte die junge Frau lakonisch, „wo steht denn Ihre angebliche Lady?“ „Mylady wartet drüben in einem Cafe. Sie fühlt sich nicht wohl.“ „Soll sie warten. Steigen Sie endlich ein. Oder soll Ihrem Partner was passieren?“ Kathy Porter stieg in den 2 CV und vermied es, sich nach der alten Blumenfrau umzusehen. *** Der Citroen befand sich inmitten weiter Nelkenfelder, die auf den Berghängen angelegt waren. Ein wahrer Rausch von Farben blendete dem Butler entgegen. Der schmale, aber gut gepflegte Weg führte durch die Nelkenhänge, schlängelte sich durch ein Seitental und führte dann hinauf zu einem alten Gemäuer, das in einem anderen Jahrhundert vielleicht mal eine Burg gewesen war. Die Gangster schienen sich ein recht sicheres Standquartier ausgesucht zu haben. Der Citroen passierte dieses Gemäuer, das auf einem Plateau stand. Wenige hundert Meter dahinter stand ein weiß gekalktes Landhaus, das von den Nelkenhängen aus nicht eingesehen werden konnte. Es wurde von alten Ölbäumen und Pinien eingegrenzt und machte einen beschaulichen und friedlichen Eindruck. Vor dem Haus stand ein Jeep, neben dem zwei Dobermänner lagen, die langsam aufstanden und zu dem näherkommenden Citroen schritten. „Welch eine Idylle“, stellte Parker fest, als er ausstieg. Er achtete nicht weiter auf die Hunde, die ihn anknurrten und beschnüffelten. „Die sind scharf wie Panther“, warnte Marisse den Butler. „Machen Sie bloß keine schnellen Bewegungen, sonst werden Sie Ärger bekommen.“ „Reizende Tiere“, behauptete Parker, „hier also haben Sie sich niedergelassen?“ Marisse antwortete nicht, sondern ging voraus. Parker folgte dem Mann, hinter sich hörte er die Schritte von Manoire und dem jungen Sportler. Schneller als je erwartet, befand der Butler sich damit im Versteck der Juwelendiebe. Ob es sich um ein Festquartier handelte, war allerdings ein wenig fraglich. Die beiden Dobermänner umkreisten die Gruppe und knurrten weiter herum. Man sah es ihnen deutlich an, daß sie nur zu gern mal mit ihren Fängen zugelangt hätten. Sie erreichten die große, kühle Wohnhalle des Landsitzes, die nur sparsam eingerichtet war. Vor einem offenen Kamin, in dem sich Reisig und Holz stapelten, stand eine Sitzgruppe. „Hauen Sie sich hin, Parker“, sagte der junge Sportler, „der Boß wird gleich kommen.“
Er zog seine Schußwaffe und baute sich neben dem niedersetzenden Butler auf, der seine Hände brav über dem Bambusgriff seines Regenschirms kreuzte. Marisse und Manoire verschwanden hinter einer dicken Holztür. Die beiden Dobermänner, die mitgekommen waren, ließen sich auf einem Teppich in Türnähe nieder und sahen den Butler unentwegt und auch ein wenig gierig an. Wenn sie hin und wieder ihre langen, schmalen, fast rattenartig aussehenden Köpfe zusammensteckten, schienen sie sich darüber zu einigen, wie man Parker später auseinandernahm. „Wer, wenn man höflichst fragen darf, ist Ihr Boß?“ erkundigte sich Parker in die Stille hinein. „Ich!“ ertönte es in diesem Moment hinter dem Butler. Als Parker sich umwandte, standen die beiden Dobermänner sofort auf und trotteten auf leisen Pfoten heran. Parker sah sich einem Mann gegenüber, der etwa 50 oder 55 Jahre alt war. Er war groß, schlank und hatte graue Schläfen. Sein Gesicht war gut geschnitten, braun gebrannt und erinnerte an das eines alternden Heldendarstellers vom Film. Der Mann trug gut geschnittene, helle Flanellhosen, ein dunkles Hemd und darüber eine Art Lumberjacke. Er rauchte seine Zigarette aus einer Spitze und wirkte tatsächlich — das mußte Parker einräumen — überlegen. „Parker — Josuah Parker“, stellte der Butler sich vor und lüftete seine schwarze Melone. „Butler, nicht wahr?“ Der Herr mit den grauen Schläfen schmunzelte amüsiert. „In der Tat, mein Herr!“ „Erstklassige Rolle, die Sie sich da zugelegt haben“, stellte der Herr mit den grauen Schläfen fest, „überzeugend. Sie haben Talent, mein Lieber !“ „Vielen Dank, Sir!“ Parker deutete eine knappe Verbeugung an. „Sie haben aber nicht nur Talent, sondern auch gewisse Steine, die mir gehören“, redete der Grandseigneur weiter. „Dem, Sir, möchte ich nicht widersprechen.“ Parker traf genau den Ton, den dieser Mann wohl hören wollte. Es schmeichelte dem Herrn mit den Schläfen, daß er in dieser respektvollen Art angesprochen wurde. „Dann zieren Sie sich nicht lange, mein Lieber.“ Der Boß der Bande deutete auf das schmale Köfferchen. Er war inzwischen wohl von Marisse und Manoire informiert worden. „Darf ich daran erinnern, Sir, daß Sie einen gewissen Tausch vorgeschlagen hatten?“ „Den wollen wir wohl streichen“, lautete die Antwort. „Sie können von Glück sagen, wenn wir Sie laufen lassen.“ „Ist dies, Sir, Ihrer würdig?“ „Sie treffen genau den Ton. Ausgezeichnet! Das ist schon nicht mehr Talent, sondern Perfektion.“ „Vielen Dank, Sir!“
„Aus Ihnen könnte man etwas machen“, sagte der Herr mit den grauen Schläfen und schätzte den Butler mit seinen prüfenden Blicken ab. „Aber jetzt zuerst mal die Steine!“ „Bitte, Sir.“ Parker trennte sich mittels leichten Rucks von dem Köfferchen. Die Handschelle schnappte sofort auf und gab sein Gelenk frei. „Sie Dummkopf!“ sagte der Herr mit den grauen Schläfen zu dem jungen Sportler. „Das haben Sie wohl erst gar nicht versucht, wie?“ Während er noch redete, nahm er das Köfferchen entgegen und wog es auf der flachen Hand. „Die Rauchbombe darin ist natürlich auch ein Bluff, oder?“ wollte er dann von Parker wissen. „In der Tat, Sir“, erklärte Parker und deutete eine knappe Verbeugung an. „Rauchbomben sind im freien Handel relativ schwer zu bekommen, wie ich versichern darf.“ Der Herr mit den grauen Schläfen schmunzelte amüsiert und stellte das Köfferchen auf dem schmalen Rauchtisch ab. Dann beschäftigte er sich mit den beiden Schnappschlössern. Was er vielleicht besser nicht getan hätte. *** Mylady war eine Frau, die sich nicht so leicht verblüffen ließ. Sie hatte registriert, daß ihre junge Gesellschafterin in den 2 CV gestiegen war. Es wurde also höchste Zeit, die Verfolgung einzuleiten. Mylady wollte sich auf keinen Fall abhängen lassen. So etwas hätte sie sich nie verziehen. Agatha Simpson, mit dem englischen Hochadel verschwägert und verschwistert, war Witwe. Und das schon' seit vielen Jahren. Sie war reich und konnte sich sämtliche Steckenpferde leisten, die geritten wurden. Schon vor vielen Jahren hatte sie ihre Anteile an Fabriken und Brauereien in eine Stiftung verwandelt, deren Ertrag zur Ausbildung von begabten Jugendlichen verwendet wurde. Mylady hatte sich daraufhin in eine echte Globetrotterin verwandelt und bereiste die Welt. Bisher war sie von ihrer Gesellschafterin Kathy Porter begleitet worden. Aber seit einigen Wochen stand ein gewisser Josuah Parker fest in ihren Diensten. Und damit hatte für Mylady ein neues Leben begonnen. Sie konnte endlich ihrer Lust frönen, Kriminalfälle zu lösen. In Parker hatte sie einen mehr als idealen Partner gefunden. Insgeheim bewunderte sie diesen Butler, der in ihren Augen eine echte Persönlichkeit war. Sie hatte um Parker kämpfen müssen. Der Butler hatte es zuerst strikt abgelehnt, in ihre Dienste zu treten. Zu sehr hatte Parker sich an Mike Rander gewöhnt, jenen jungen Anwalt, mit dem er über Jahre hinaus gegen die Unterwelt gestritten hatte. Parker war nicht bereit gewesen, sich einer Frau anzupassen.
Mike Randers Beruf hatte schließlich den Ausschlag gegeben. Der junge Anwalt wurde mehr als dringend in seiner Anwaltfirma benötigt und sah sich außerstande, für die nächsten Monate noch mal auf Reisen zu gehen. Parker hatte sich schließlich ausleihen lassen, wie die Formel genannt wurde. Er hatte sich das Recht vorbehalten, jederzeit gehen zu können. Mylady, an die er sich ausgeliehen hatte, saß inzwischen am Steuer eines Wagens, der ihr nicht gehörte. Mylady hatte den Blumenkorb kurz entschlossen weggeworfen und einen parkenden Wagen geentert. Es handelte sich um einen Simca, der ihr passend erschienen war. Es war schon ein recht seltsamer Anblick, als die alte, leidgeprüft aussehende Blumenfrau in einem Simca durch die Neustadt von Nizza brauste, und einen kleinen 2 CV nicht aus den Augen ließ. Ein Verkehrspolizist an einer Straßenkreuzung bekam Stielaugen. Er sah dem Simca verblüfft nach und vergaß darüber, sich das Kennzeichen zu merken. Eine Blumenfrau in einem Simca war noch nie über die Kreuzung gekommen. *** Der Herr mit den grauen Schläfen hatte das erste Schloß bereits geöffnet und beschäftigte sich jetzt mit dem zweiten Verschluß. Er war äußert guter Dinge. Er ging wohl von der Voraussetzung aus, daß der Koffer keine Rauchbombe enthalten konnte. Die Handschelle hatte sich ja schließlich schon als Bluff herausgestellt. Der junge Sportler war näher getreten. Mit dem linken Auge schielte er neugierig auf den Koffer, mit dem rechten auf Parker. Sein Gesichtsausdruck erhielt dadurch eine pikante Note. Parker hatte seine schwarze Melone vom Kopf genommen und hielt sie mit beiden, schwarz behandschuhten Händen vor der Brust. Er wußte schließlich sehr genau, was innerhalb der nächsten Sekunden passieren würde. Der zweite Verschluß klickte auf. Der Mann mit den grauen Schläfen klappte sorglos den Deckel des flachen Köfferchens auf und beugte sich neugierig über den Inhalt. Er strahlte! Er sah vor sich den bewußten ledernen Beutel. Und damit glaubte er sich bereits im Besitz der Steine. Er fand noch nicht mal die Zeit, sich triumphierend an den Butler zu wenden, denn in diesem Moment geschah es, worauf der Butler gewartet hatte. Das flache Köfferchen geriet nämlich aus den Fugen und spuckte gleichzeitig eine pechschwarze Rauchwolke aus, die unter Preßluft zu stehen schien. Der Herr mit den grauen Schläfen und der junge Sportler hatten schlagartig das Gefühl, sich in einem endlos finsteren Tunnel zu befinden. Sie sahen nicht mehr
die Hand vor ihren Augen. Aber dafür hörten sie sich ausgiebig husten. Was mit dem Reizstoff zusammenhing, den Parker der Rußmischung beigegeben hatte. Der Butler war schadlos geblieben. Er hatte sich blitzschnell die Melone vor das Gesicht geschoben und zog sich bereits zurück. Doch er hatte nicht an die beiden Dobermänner gedacht. Die lieben Tierchen waren etwas konsterniert, als ihr Herrchen plötzlich in einer dunklen Rauchwolke verschwand. Sie jaulten und bellten, um dann in die Rauchwolke einzudringen 'um nach Herrchen zu suchen. Herrchen hustete ihnen ein Befehl in die Lauscher, worauf sie sich animiert fühlten, Parker in diverse Stücke zu reißen. Doch der Butler hatte so etwas bereits vorausberechnet, deshalb hielt er seinen Universal-Regenschirm verkehrt in der Hand. Er benutzte den bleigefütterten Bambusgriff als eine Art Golfschläger und die beiden Dobermänner als die zu diesem Spiel nun mal gehörenden Bälle. Der erste Dobermann wurde voll erwischt und verdrehte die Augen. Dann kroch er fast auf dem Bauch in die schützende Nähe seines Herrchens. Der zweite Dobermann wich dem ihm zugedachten Schlag aus und wollte sich mit Parkers linker Wade befassen. Der Butler hatte das nicht besonders gern und trat dem Dobermann auf die linke Pfote. Der Hund quittierte das mit einem Heuler und fuhr zurück. Bevor er sich erneut aufsperren konnte, langte Parker schnell zu. Der Dobermann war nach diesem Schlag derart irritiert und aus dem Konzept, daß er den jungen Sportler anfiel, der aus der dunklen Wolke hervorkam. Parker dachte nicht daran die Unterhaltung zwischen dem Gangster und dem Dobermann zu stören. Diskret, wie es seiner Art entsprach, setzte er sich möglichst geräuschlos ab. Immerhin befanden sich noch die Herren Marisse und Manoire im Haus. Aus diesem Grund verzichtete Parker auch darauf, die Tür zu gewinnen. Aus taktischen Gründen zog er sich in dem großen Kamin zurück, vor dem sich ein Teil der Dunkelwolke aufgebaut hatte. Dann waren auch schon Marisse und Manoire zur Stelle. Die Stimme des Herrn mit den grauen Schläfen klang nicht mehr amüsiert oder freundlich. Die Stimmbänder vibrierten wütend. Der Herr mit den grauen Schläfen verlangte die vollständige Liquidierung des Butlers. Worauf Marisse und Manoire ihre Schußwaffen zogen und sich an die Verfolgung machten. Selbstverständlich rannten sie zur Tür. Die Logik sagte ihnen, daß ein Verfolgter versuchen würde, das Weite zu gewinnen. Der junge Sportler humpelte ihnen nach. Seine Wade mußte in der Unterhaltung mit dem Dobermann gelitten haben.
Der Herr mit den grauen Schläfen, der jetzt nicht mehr sonderlich gepflegt oder seriös aussah, ließ sich in einen Sessel sinken und starrte dumpf auf den kleinen, flachen Koffer, der so gar nicht seine Wünsche und Vorstellungen erfüllt hatte. *** Agatha sah deutlich, wie der 2 CV hinter dem alten Gemäuer verschwand. Sie hatte den Abstand zwischen dem Simca und dem 2 CV größer werden lassen. Die Detektivin wartete, bis der Weg vollends leer war, um dann vorsichtig weiterzufahren. Am alten Gemäuer angelangt, hielt sie, stellte den Motor ab und stieg aus. Sie konnte nicht wissen, was sich außerhalb ihrer Sicht inzwischen getan hatte. Selbstverständlich war sie von der jungen Honda-Reiterin bemerkt worden. Als die junge Fahrerin des 2 CV hinunter zum Landhaus fuhr, kamen ihr Marisse und Manoire entgegen. Sie waren sehr aufgeregt und ließen sich von ihrer Partnerin nur mühsam stoppen. Als sie von der Frau im Simca hörten, änderten sie sofort ihre Pläne und pirschten sich noch vor Mylady an das Gemäuer heran. Kathy Porter hatte überlegt, ob es schon jetzt an der Zeit war, etwas für Agatha Simpson zu tun. Sie entschied sich, noch etwas zu warten. Sie war schon seit geraumer Zeit mit Mylady zusammen und wußte nur zu gut, welch eine patente Zehnkämpferin die alte Dame war. Was Marisse und Manoire bald am eigenen Leib erfahren sollten. Sie sprangen hinter einer verfallenen Mauer hervor, als Mylady energiegeladen einen Punkt ansteuerte, von dem aus man hinunter auf das Landhaus sehen konnte. Agatha blieb sofort stehen und hob die Hände hoch über den Kopf. So bot sie das Bild einer ängstlichen, alten Frau, die sich nicht zu helfen weiß. Sie starrte entsetzt auf die Waffen, die die beiden Männer ihr präsentierten. „Seid ihr verrückt?“ fauchte die Marisse und Manoire dann in einem scheußlichen Slang an. „Um'n Haar wär' ich ja glatt tot umgefallen ...“ „Klappe“, kommandierte Marisse und trat vor sie. Er geriet damit ungewollt in den Bereich eines gewissen Pompadours, der an Myladys rechtem Handgelenk baumelte. Lady Simpson fackelte nicht lange. Ihre Hand schwenkte blitzschnell zur Seite und hinunter. Der Pompadour knallte gegen die Schläfe von Marisse. Und der Glücksbringer im Pompadour?-» das Hufeisen nämlich, beendete jede weitere Unterhaltung. Manoire, der noch in der Nähe der Mauer stand, verzichtete auf einen Angriff. Er wollte sich erst mal zurückziehen und die Lage näher beurteilen. Er hatte nicht ganz mitbekommen, warum Marisse plötzlich weich in den Knien geworden war. Auf Mylady konnte er ohnehin nicht schießen. Sie hatte den in sich zusammenrutschenden Marisse mit erstaunlich starken Armen aufgefangen und benutzte ihn als Schutzschild.
Manoire wollte sich also absetzen. Was ihm fast gelang. Doch Mylady reagierte wunderbar. Sie holte weit aus und warf den Pompadour in Richtung Manoire. Der Glücksbringer zischte durch die warme Luft und — landete krachend auf dem Hinterkopf von Manoire. Mylady hatte mit diesem Wurf immerhin eine Entfernung von fast 20 Metern überbrückt, was man als eine olympische Leistung bezeichnen mußte. Manoire hatte das Gefühl, von einem auskeilenden Pferd getroffen worden zu sein. Er absolvierte einen halben Salto und schrammte dann mit seiner Heldenbrust über den rauhen Boden. Bevor er Schmerz empfand, war er bereits ohnmächtig. Mylady sammelte die beiden Schußwaffen ein, brachte sich wieder in den Besitz ihres Pompadours und marschierte dann auf stämmigen, energisch ausschreitenden Beinen auf die verfallene Mauer zu. Sie entdeckte den 2 CV vor einem weiß gestrichenen Landhaus, doch von der Honda-Fahrerin und ihrer Gesellschafterin war nichts mehr zu sehen. Sie mußten sich bereits im Landhaus befinden. Mylady fühlte sich in Anbetracht der Strecke, die sie bereits zurückgelegt hatte, sehr angeregt. Abenteuer und Zwischenfälle dieser Art liebte sie besonders. Sie war fest entschlossen, sich nicht um die Krönung der Verfolgung bringen zu lassen. Um die beiden Männer, die sie im alten Gemäuer zurückgelassen hatte, brauchte Lady Simpson sich nicht weiter zu kümmern. Ihr war die Wirkung ihres persönlichen Glücksbringers wohlbekannt. Mit einem Tiefschlag von etwa 20 Minuten war mit Sicherheit zu rechnen. Mylady verzichtete darauf, sich etwa an das Landhaus heranzupirschen. Das wäre ihr höchstalbern vorgekommen. Sie war schließlich eine Dame, die nicht Indianer spielen konnte. Also marschierte sie weiter auf das Landhaus zu und schwang ihren Pompadour unternehmungslustig. *** „Was ist passiert, Monsieur Agarde?“ erkundigte sich die junge Honda-Fahrerin, nachdem sie zusammen mit Kathy Porter den großen Wohnraum betreten hatte. Agarde, der Herr mit den jetzt rußgeschwärzten Schläfen, hatte immer noch nicht zu seiner alten Verbindlichkeit und Fröhlichkeit zurückgefunden. „Haben Sie Marisse und Manoire gesehen?“ herrschte er die junge Frau an. Kathy Porter maß er nur mit einem gereizten Blick. „Sie sind hinter einer alten Frau her, die mich verfolgt hat. Sie müssen gleich hier sein.“
„Eine alte Frau? Die Sie verfolgt hat, Claudette!? Seid ihr denn alle wahnsinnig geworden? Ihr laßt euch verfolgen und zieht mir die Konkurrenz ungeniert auf den Hals? Habe ich es denn mit Idioten zu tun?“ „Ich glaube, daß die alte Frau in Wirklichkeit die angebliche Lady ist, Monsieur.“ „Sind wir hier ein Versammlungslokal?“ „Ich dachte ...“ Die junge Frau brach ihren Satz ab und senkte betreten den Kopf. „Sind Sie der Boß, der mit Lady Simpson das Tauschgeschäft verabredet hat?“ schaltete Kathy Porter sich in die Unterhaltung ein. „Wer sind Sie?“ „Die Gesellschafterin von Mylady, Monsieur Agarde.“ „Hört- mir bloß mit dem verdammten Theater auf, sagte Agarde scharf. „Miese Hochstapler seid ihr! Hochstapler, die sich die Finger verbrennen werden. Ihr glaubt doch nicht ernsthaft daran, daß ich euch beteiligen werde.“ „Dann wird Butler Parker wohl nicht die Steine herausrücken“, erwiderte Kathy Porter. „Ihr wollt Bedingungen stellen?“ Der Mann mit den rußgeschwärzten Schläfen plusterte sich auf. „Wenn ihr mit heilen Knochen aus dieser Geschichte herauskommt, könnt ihr von Glück sagen.“ „Umgekehrt wird auch ein Schuh daraus, wie der Volksmund es so treffend auszudrücken beliebt“, ließ Josuah Parker sich in diesem Moment vernehmen und trat aus dem großen, offenen Kamin. Monsieur Agarde wandte sich um und starrte den Butler fassungslos an. „Sie?“ fragte er dann sinnloserweise. „Ich hasse unnötige Bewegung“, entschuldigte sich Parker und lüftete seine schwarze Melone. „Sollte man nicht endlich zu einer Einigung kommen, Monsieur?“ Agarde sah nicht, was Parker sah. Die junge Honda-Fahrerin hatte mitbekommen, daß ihr Boß waffenlos war. Und um das zu ändern, wollte sie eine kleine handliche Pistole ziehen. Doch damit war Kathy Porter nun gar nicht einverstanden. Die junge Motorradfahrerin Claudette schrie überrascht auf, als Kathy Porters rechte Handkante auf ihrem Handgelenk landete. Die Pistole landete polternd auf dem Boden. Und Monsieur Agarde fühlte sich veranlaßt, den Butler anzugreifen. Er witterte eine Möglichkeit, die Hochstapler, wie er sie nannte, doch noch in seinen Griff bekommen zu können. *** Monsieur Agarde verließ sich auf seine sportlichen Fähigkeiten. Seine geballte, rechte Faust schnellte profihaft vor. Er wollte eine klassische rechte Gerade
anbringen. Und hätte damit auch sicher Erfolg gehabt, wenn Parker dieser Absicht keinen Riegel vorgeschoben hätte. Dieser Parker-Riegel bestand in seiner schwarzen Melone, die listigerweise mit solidem Stahlblech gefüttert war. Parker dachte überhaupt nicht daran, etwa zur Seite zu weichen, um den Schlag auszupendeln. Er blieb wie ein Fels in der Brandung stehen, aber er schob die Wölbung seiner Kopfbedeckung vor seine Magenpartie, die Monsieur Agarde sich als Zielpunkt ausgesucht hatte. Die Berührung zwischen Faust und Melonenwölbung erwies sich für die Faust als verheerend. Es krachte dumpf, als das Stahlblech in der Melone den Schlag aufnahm. Und es knackte bedenklich in den Knöcheln der Hand, als die kinetische Energie absorbiert wurde. Monsieur Agarde gab einen Kickser von sich und wurde weiß um die Nasenspitze. Dann erst ging ein Ruck durch seinen Körper. Er nahm mühsam die rechte Hand hoch und studierte sie eingehend. Dann wurde ihm äußerst schlecht, und er setzte sich leidend zurück in seinen Sessel. „Auuu!“ stieß er mit einiger Verspätung hervor. „Es gibt bemerkenswert gute Ärzte“, tröstete Parker den Boß der Juwelenbande. „Vielleicht handelt es sich auch nur um eine unangenehme Verstauchung.“ „Auuu!“ sagte Agarde noch einmal und hielt sich seine gefühllose Hand. „Sie wiederholen sich, Monsieur“, tadelte Parker. „Diese Entwicklung lag keineswegs in meiner Absicht, wie ich betonen möchte.“ Dann widmete Parker sich den beiden jungen Damen, die ihre ganz persönliche Hackordnung noch nicht zufriedenstellend geregelt hatten. Was daran lag, daß beide Damen sich in der Kunst des Judo und des Karate recht gut auskannten. Die Honda-Reiterin stand mit typisch abgewinkelten Armen und Händen schlagbereit vor Kathy Porter, die sich allerdings wesentlich ziviler gab. Sie ließ die Angreiferin kommen und wollte sich wohl erst dann entscheiden, wie sie diesen gedachten Hieb abwehrte. Parker nahm in einem zweiten Sessel -Platz, um diesem Zweikampf in aller Ruhe zusehen zu können. Um Monsieur Agarde brauchte er sich im Augenblick nicht weiter zu kümmern. Er hatte genug mit den Knöcheln seiner Hand zu tun. Parker ließ sich auch nicht von dem Gemurmel seines Gastgebers ablenken, der stereotyp behauptete, seine Finger seien gebrochen. Claudette, die Honda-Fahrerin mit dem etwas harten Gesicht griff plötzlich mit kurzen Trippelschritten an und hieb mit ihrer linken Handkante zu. Die Luft zischte, die sie durchschnitt. Kathy Porter war leichtfüßig zur rückgewichen und erinnerte nun keineswegs mehr an ein scheues Reh. Sie war verständlicherweise voll bei der Sache und gab sich keine Blöße. Sie hatte wie Parker längst erkannt, daß sie es mit einer Könnerin zu tun hatte. Claudette ließ sich nicht entmutigen.
Sie griff weiter an. Und ihre Arme wirbelten blitzschnell durch die Luft. Kathy Porter ließ sich treiben und wich immer weiter zurück. Sie geriet in die Nähe der Tür, ohne bisher ihrerseits mal zugeschlagen zu haben. „Bleib doch endlich stehen und wehr dich“, fauchte sie Kathy Porter wütend an. Dann schien sie plötzlich etwas gesehen zu haben. Sie warf sich zurück und riß gleichzeitig schützend ihre beiden Hände vors Gesicht. Doch so schnell wie ein gewisser Glücksbringer war sie einfach nicht. Der Pompadour Agatha Simpsons landete klatschend auf ihrer Kehrseite. Instinktiv wollte sie noch mal hoch, dann reichten die Kräfte aber nicht mehr aus. Sie fiel zurück und blieb entspannt auf dem Steinboden der Wohnhalle liegen. „Tut mir leid, Kindchen“, entschuldigte sich die alte Blumenfrau, die jetzt die Wohnhalle betrat. „Aber wir wollen unsere Zeit doch nicht mit nutzlosen Klinkenputzen vergeuden. Sie können das Turnier später nachholen.“ „Wie Mylady meinen“, erwiderte Kathy Porter und verwandelte sich augenblicklich zurück in das übliche, scheue Reh. „Draußen sind zwei Individuen, die geborgen werden müßten“, sagte Lady Simpson, sich an den Butler wendend, der bereits höflich und erwartungsvoll aufgestanden war. „Inzwischen kann ich mich ja mit dem Herrn dort unterhalten. Er scheint Konditionsschwierigkeiten zu haben, wie?“ *** Sie wurden fast gleichzeitig wach und wunderten sich ein wenig, daß sie im 2 CV saßen. Es handelte sich um die Herren Marisse und Manoire, . die über mittelschwere Kopfschmerzen klagten. Und über ihre eingeschränkte Bewegungsfreiheit. Sie hing ursprünglich mit zwei Handschellen zusammen, die ihre Handgelenke schmückten. Beide Handschellen verbanden ihre Arme über Kreuz. Hinderlich war allerdings, daß sich senkrecht zu dieser Kreuzbindung der Türpfosten des Wagens befand. Marisse und Manoire waren nicht in der Lage, das Gefährt zu verlassen. Parker hatte sich eine einfache, aber ungemein praktische Methode einfallen lassen, die beiden Gangster außer Gefecht zu setzen. Die Stimmung der beiden Männer war nicht besonders gut. Sie dachten nämlich fast gleichzeitig an die alte Blumenfrau, von der sie nachdrücklich außer Gefecht gesetzt worden waren. Die Tür zur Wohnhalle des Landhauses war leider geschlossen. Sie wußten nicht, was sich im Haus abspielte. Sie beschlossen nach kurzem Kriegsrat, laut und vernehmlich um Hilfe zu rufen. Was sie dann auch lautstark taten, mit dem Erfolg, daß die beiden irritierten Dobermänner auf der Bildfläche erschienen und sie beschnüffelten. Mehr taten die beiden Tiere nicht. Sie machten einen konsternierten Eindruck, was wohl damit zusammenhing, daß ein gewisser Josuah Parker sie als Golfbälle verwendet hatte.
Dann öffnete sich die Tür. Josuah Parker trat heraus und schüttelte verweisend den Kopf. ,.Aber meine Herren“, tadelte er Marisse und Manoire. „Stören Sie doch nicht unnötig dringende Verhandlungen. An Sie wird mit Sicherheit noch gedacht werden.“ *** Der junge Sportler mit der angenagten Wade hielt sich in einem nahen Nelkenfeld auf und beobachtete das Landhaus. Er hatte eine Menge bemerkt. Optisch, um genau zu sein. Er hatte gesehen, wie man seine Partner Marisse und Manoire im 2 CV abmontiert hatte, aber er hatte nicht eingegriffen. Er betrachtete sich als stille und letzte Eingreifreserve, deren Zeit noch nicht gekommen war. Er hielt sein Pulver noch trocken. Der junge Mann, der an einen Tennislehrer erinnerte, hieß Eric Jouvet und war nicht gerade ein Held. Er war ziemlich spät zur Bande gestoßen und eigentlich nie richtig für voll genommen worden. Jetzt lag es an ihm, das Blatt vielleicht noch mal zu wenden. Er brauchte nur den richtigen Zeitpunkt abzuwarten. Marisse und Manoire gönnte er die Blamage. Sie hatten ihn unentwegt aufgezogen und sich als Profi-Gangster aufgespielt. In ihm hatten sie stets nur einen gut aussehenden, aber dummen Playboy gesehen, den man nur auf Frauen ansetzen konnte. Eric Jouvet fragte sich, ob er nicht aussteigen sollte. Die Gelegenheit war günstig. Seine bisherigen Partner steckten sichtlich in der Klemme und hatten im Moment nichts zu bestellen. Noch war es an der Zeit, die Kurve zu nehmen. Bis auf den Überfall in Nizza hatte er sich kaum etwas vorzuwerfen. Aber da waren die Steine, die die Bande bisher erbeutet hatte. Da war das viele Bargeld, das lockend auf einen neuen Besitzer wartete. Agarde war schon seit vielen Monaten tätig und hatte sich ein Vermögen erbeutet. Eric Jouvet dachte an das Geld und an die Steine. Und damit stand sein Entschluß eigentlich schon fest. Er wollte Agarde beerben. Oder dieses komische Trio, das auf dem Plan erschienen war. Mochten es ruhig Hochstapler sein, das störte ihn nicht. Hauptsache, sie bekamen heraus, wo Agarde die gesamte Beute verborgen hielt. Das war nämlich das große Geheimnis des Bandenbosses. Das Versteck der Beute wußte nur er allein. Eric Jouvet, der sich im Gelände auskannte, zog sich tiefer in das Nelkenfeld zurück, beschrieb einen weiten Bogen und erreichte nach etwa zwanzig Minuten jene Stelle, an der der Weg zum Landhaus auf die Hauptstraße traf. Hier wollte er sich aufbauen und die Rückkehr des Trios abwarten. Schaffte das Trio es nicht, konnte er immer noch zurückkehren und irgendeine glaubhafte Geschichte erzählen. Er fühlte aber, daß dieser Butler, die angebliche Lady und deren Gesellschafterin sehr clever waren.
*** „Nun reißen Sie sich endlich ein wenig zusammen, Monsieur“, herrschte Lady Simpson den greinenden Agarde an. „Noch braucht Ihre Hand ja nicht amputiert zu werden.“ „Ich habe wahnsinnige Schmerzen“, sagte Agarde entmutigt. Er sah zu Claudette hinüber, die scheinbar gelassen auf einem Stuhl saß, auf den Kathy Porter sie festgebunden hatte. „Das wird sich mit der Zeit geben“, tröstete Mylady den Bandenboß. „Kommen wir zurück zum eigentlichen Thema. Sie müssen bisher ja erstaunliche Beute gemacht haben.“ „Reichlich übertrieben“, stöhnte Agarde. „Die Polizei schiebt uns alles in die Schuhe, was sie nicht aufklären kann. Die Sache in Nizza war unser erster Coup.“ „Den Sie aber sehr routiniert ausgeführt haben.“ „Ich hatte vorher alles genau berechnet“, gestand Agarde mit einem gewissen Stolz. „Nur nicht die Kurventechnik Ihrer Mitarbeiterin“, schränkte Lady Simpson ein. „Pech!“ Agarde warf Claudette einen wütenden Blick zu. „Wenn man nicht alles allein macht.“ „Personalmangel, wohin man sieht“, seufzte Agatha Simpson, „wem sagen Sie das, Monsieur.“ „Warum tun wir uns nicht zusammen?“ fragte Agarde und vergaß für einen Moment seine schmerzende Hand, „wir könnten die gesamte Küste abgrasen. Ihre Tarnung ist perfekt.“ „Was haben Sie uns zu bieten?“ wollte Mylady profimäßig wissen. Sie hatte sich auf ihre Rolle wunderbar eingestellt. „Ich habe noch ein paar tolle Coups auf Lager“, erklärte Agarde. „Wir können noch eine glatte Million bekommen.“ „Und wie sieht die Verteilung aus?“ Lady Simpson hatte die Verhandlung übernommen. Josuah Parker hielt sich vollkommen zurück, da das Gespräch genau jene Wendung nahm, die er seinerseits auch provoziert hätte. „Sie und ich Je 25 Prozent“, schlug Agarde eifrig vor».'„Der Rest geht an die Mitarbeiter.“ „An welche, Monsieur?“ „Nun, an Marisse, Manoire, Claudette und Eric Jouvet ... Garoupe nicht zu vergessen. Und dann Ihr Butler und Ihre Gesellschafterin.“ »Wie denken Sie darüber, Mister Parker?“ Agatha Simpson wandte sich dem Butler zu. „Ich muß gestehen, Mylady, daß ich nicht gerade begeistert bin“, stellte Parker fest. „Warum sollen Miß Porter und meine Wenigkeit mit Leuten teilen, die ihre Unfähigkeit hinlänglich 'bewiesen haben.“
„Sie verlangen, daß ich mich von meinen Leuten trenne? Ausgeschlossen!“ Agarde schien ehrlich empört zu sein. „Was hindert Sie daran?“ fragte Lady Simpson. „Sie kennen mich schließlich und würden mich bestimmt an die Polizei verraten.“ „Welche Rolle spielen Sie in der Öffentlichkeit?“ „Ich bin Nelken- und Rosenzüchter.“ „Tatsächlich!?“ „Mein Betrieb arbeitet. Ich zahle Steuern. Ich bin wohlbekannt, Lady Simpson.“ „Das ist also Ihre Tarnung, nicht wahr?“ „Sie hat sich bisher bewährt. Und diese Tarnung will ich nicht aufgeben.“ „Der vorgeschlagenen Aufschlüsselung könnte man unter Umständen zustimmen“, ließ Parker sich vernehmen und sah Mylady eindringlich an. „Allerdings unter der Voraussetzung, daß nicht nur die Beute aus Nizza darunter fällt, sondern die Gesamtbeute.“ „Es existiert nur die aus Nizza. Und diese Steine haben Sie ja schließlich.“ „Dann möchte ich Mylady vorschlagen, auf eine Fusion zu verzichten“, sagte Parker höflich und deutete in Richtung Agatha Simpson eine knappe Verbeugung an. ..Mit dem Erlös dieser Steine dürfte sich ein besseres Geschäft ergeben.“ Parker stand auf und griff nach Melone und Universal-Regenschirm. Er hoffte, daß Lady Simpson verstand und sich seinem Aufbruch anschloß. Sie reagierte richtig. „Verlieren wir keine weitere Zeit“, sagte Lady Simpson abfällig. „Gegenseitig sollten wir uns in Zukunft nichts vorwerfen. Verpfeifen Sie uns, wird daraus eine Retourkutsche, Monsieur Agarde. Viel Glück bei Ihrem nächsten Coup. Wir werden nicht mehr stören.“ „Falls uns Mademoiselle Claudette nicht wieder mit einer Honda touchiert“, warf Parker höflich ein. „Und was die Handschellen anbetrifft, so empfiehlt sich ein Schweißgerät. Der Stahl ist einer handelsüblichen und normalen Eisensäge gegenüber ungemein widerstandsfähig.“ *** „Hoffentlich haben wir unsere Chance nicht verspielt, Parker“, sagte Lady Simpson, als sie im Simca zurück zur Küste und damit in Richtung Nizza fuhren. Sie hatten die weiten Nelkenfelder längst hinter sich gelassen. Von der Straße aus konnten sie weit über das Mittelmeer sehen. „Monsieur Agarde wird auf die Steine nie verzichten“, gab der Butler zurück. „Er wird Mylady mit weiteren Angeboten und Vorschlägen überhäufen.“ „Sie wollen erreichen, daß er sein Versteck preisgibt oder die bisher erbeuteten Juwelen zur Teilung auf den Tisch legt? Haben wir uns da nicht etwas zu viel vorgenommen?“ „Dieses Verfahren beinhaltet selbstverständlich Risiken, Mylady.“ „Die regen mich höchstens nur an. Sie rechnen mit Gewalt?“
„Sie ist nicht auszuschließen, Mylady. Wir haben es, mit Gangstern zu tun, die durchaus eine härtere Gangart anschlagen können. Mylady dürfen sich durch den heutigen Tag nicht täuschen lassen.“ „Na, hören Sie mal, Parker!“ Lady Simpson runzelte die Stirn. „Ich kann mich noch verdammt gut daran erinnern, daß man mit einer Maschinenpistole auf uns schießen wollte. Gibt es noch härtere Gangarten?“ „Möglicherweise, Mylady.“ „Dann will ich mich gern überraschen lassen, Parker. Wir werden dann eben entsprechend reagieren.“ Davon war Josuah Parker überzeugt. Eine Lady Simpson ließ sich nicht ins Bockshorn jagen. Die streitbare Lady wartete im Grund ja nur darauf, noch aktiver zu werden. „Darf ich mir erlauben, Mylady vorzuschlagen, ein anderes Domizil zu wählen?“ „Was schwebt Ihnen denn vor?“ „Ein kleines Landhaus vielleicht irgendwo an der Küste. Man sollte tunlichst vermeiden, unschuldige Mitmenschen in Gefahr zu bringen.“ „Sie haben völlig freie Hand, Parker. Leiten Sie alles in die Wege!“ „Mylady bestehen nach wie vor darauf, die Polizei aus dem Spiel zu lassen?“ „Selbstverständlich. Anders kommen wir an die Gesamtbeute der Gangster überhaupt nicht dran. Und das wissen Sie sehr genau, Parker. Der Polizei gegenüber würde Agarde doch alles abstreiten. Oder etwa nicht?“ „Ich fürchte in der Tat, daß dies der Fall sein wird, Mylady.“ „Na also! Wir setzen uns mit den Behörden erst dann in Verbindung, wenn wir den Fall gelöst haben.“ Parker war die ganze Zeit über nicht entgangen, daß sie schon wieder verfolgt wurden. Hinter dem Simca befand sich ein kleiner Renault mit einem Kastenaufbau, dessen Fahrer er nicht ausmachen konnte, doch Parker sagte sich, daß es sich nur um den Sportler mit der angeknabberten Wade handeln konnte. Der Mann aus dem Hotel, den er in den Fleischwagen gesteckt hatte, war bisher noch nicht aufgetaucht. Er befand sich also wahrscheinlich noch auf Tour. Aber der Sportler konnte sich durchaus an die Verfolgung gemacht haben. Parker, an einem weiteren Kontakt mit Monsieur Agarde interessiert, sorgte dafür, daß der Sportler nicht den Anschluß verlor. Der Herr mit den grauen Schläfen wollte stets wissen, wo er seine potentiellen Partner fand. Der Kontakt zu dem Gangsterboß durfte nicht abreißen. Butler Parker konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, daß der junge Mann, der wie ein Tennislehrer aussah, sich selbständig gemacht hatte. Eric Jouvet war inzwischen fest entschlossen sein Glück in die eigenen Hände zu nehmen. Im Besitz dieses Wissens hätte Parker dem Simca wahrscheinlich die Sporen gegeben und seine Spuren nachdrücklich verwischt. ***
„Es ist serviert“, meldete Parker höflich. Er hatte auf der Terrasse des frisch gemieteten Landhauses den Frühstückstisch bereitet und stand im Wohnraum des Hauses. Mylady telefonierte gerade wieder mal. „Sofort, sofort“, gab Lady Simpson zurück. Sie verabschiedete sich von ihrer Gesprächspartnerin und folgte dem Butler hinaus auf die Terrasse. Parker hatte ein wirklich reizendes Haus ausgesucht, das sich hoch über den steilen Klippen der Küste befand. Eine in den Felsen gehauene Treppe führte hinunter zu dem handtuchbreiten Strand. Dort gab es eine Bootsanlegestelle und ein dazu passendes Motorboot mit einem. Außenborder. Zur Zufahrtstraße hin war das flachgedeckte Landhaus gut abgesichert. Es gab einen Drahtzaun, der gut und gern 2 Meter hoch war. Das Haus selbst war durch den dichten Bewuchs kaum zu sehen. „Darf ich mir erlauben, Mylady auf den herrlichen Morgen hinzuweisen?“ „Zum Teufel mit dem herrlichen Morgen! Ich langweile mich.“ Parker schob Mylady respektvoll den Stuhl unter und goß Tee ein. „Die Morgenzeitungen Mylady.“ Parker legte Agatha Simpson einige Blätter vor. „Irgend etwas drin, was mich anregen könnte?“ Lady Simpson strich sich lustig knackfrisches Brötchen. „Die Polizei erklärt in ihrer Verlautbarung, sie sei auf verheißungsvolle Spuren im Falle der Juwelenbande gestoßen.“ „Reiner Unsinn!“ behauptete Lady Simpson grimmig. „Nichts als dummes Zeug. Sie haben nicht die geringste Ahnung, wo sie die Täter suchen sollen.“ „Wie Mylady meinen.“ „Und wir sind aufgelaufen“, stellte Agatha Simpson fest. „Seit vier Tagen hocken wir hier herum und warten darauf, daß Agarde sich in irgendeiner Form meldet. Wissen Sie was, Parker?“ „Mylady?“ „Er wird uns was husten, Parker. Er denkt nicht daran, sich die Finger zu verbrennen. Er verzichtete lieber auf die Steine, die wir im Besitz haben.“ „Dem möchte ich widersprechen, Mylady. Ein Gangster wird nie freiwillig auf seine Beute verzichten. Ich darf auf den geschätzten Wert der Beute verweisen.“ „Er hat kalte Füße bekommen und traut sich nicht an uns heran.“ „Es könnte sich um die oft zitierte Ruhe vor dem Sturm handeln, Mylady.“ „Versprechungen. Nichts als Versprechungen — Agarde ist noch nicht mal untergetaucht. Ich habe gerade mit einer guten, alten Bekannten gesprochen, die seit Jahren in Nizza lebt. Sie hat Agarde erst gestern noch auf einer Party gesehen. Agarde spielt weiterhin den Ehrenmann.“ „Diese Taktik, Mylady, hatte ich erwartet.“ „Warum kitzeln wir diesen Ehrenmann nicht ein wenig hoch?“ wollte Mylady wissen. „Machen wir ihn doch nervös! Scheuchen wir ihn aus seiner Ruhe auf!“
„Darauf würde Monsieur Agarde nur warten, Mylady. Es kommt darauf an, wer die stärkeren Nerven hat. Vielleicht weiß Monsieur inzwischen auch,, daß Mylady eine wirkliche Lady ist.“ „Na, und? Was ändert das?“ „Er würde...“ Parker kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden. Was mit einem scharfen „Plopp“ zusammenhing, dem typischen Geräusch dafür, daß mit einer schallgedämpfte« Schußwaffe geschossen wurde. Es zeigte sich in Sekundenbruchteilen, daß der wirklich geschmackvoll gedeckte Frühstückstisch das Ziel dieses Schusses gewesen war. Die Teekanne vor Myladys Teller zersprang in etwa 16 Teile. Mylady blieb starr und steif sitzen. Sie war von dem Schuß völlig überrascht worden. Parker hingegen handelte schnell. Da er hinter Mylady stand, brauchte er nur nach der Lehne des Stuhls zu greifen. Mylady schnappte nach Luft, als der Butler sie mitsamt dem Stuhl nach hinten wegkippte und sie aus der Schußlinie brachte. „Sind Sie verrückt?“ schnaufte Agatha, die Detektivin, empört, als sie sich auf dem Boden in Deckung des Tisches fand. „Was soll denn das?“ „Nur eine Vorsichtsmaßnahme gegen den nächsten Schuß“, erläuterte Parker. Wie richtig er gehandelt hatte, sollte sich fast umgehend zeigen. Der nächste Schuß war bereits abgefeuert worden. Er schlug in die Tischplatte und wirbelte das frisch gestrichene Brötchen hoch. Agatha Simpson faßte automatisch zu, als es auf ihrem Schoß landete. „Mylady fühlen sich angeregt?“ erkundigte sich Parker. „Ich bin empört“, gestand die Lady. „Tun Sie doch endlich etwas, Parker!“ „Wie Mylady befehlen“, gab der Butler zurück und griff in seine Westentasche. Er holte einen seiner Patentkugelschreiber hervor und warf ihn nachdrücklich zu Boden. Eine Nebelwand, die augenblicklich hochschoß, nahm dem Schützen erst mal die Sicht. „Darf ich mir gestatten, Mylady ins Haus zu geleiten?“ bot sich Parker dann höflich und gemessen an. „Wenn Sie erlauben, werde ich in der Wohnhalle nachservieren.“ *** Agarde zuckte mit keiner Wimper, als er sich Lady Simpson gegenüber sah. Parker hatte diese Begegnung arrangiert. Sie fand, ohne daß Agarde davon gewußt hätte, auf einer Party statt, zu der Mylady sich eingeladen hatte. Dank ihrer wirklich einmaligen, gesellschaftlichen Beziehungen war das für sie eine Kleinigkeit gewesen.
Der Gastgeber, ein Mann der Geldaristokratie, hatte eingeladen, um die Übernahme seiner neuen Jacht zu feiern. Viel Volk hatte sich an Bord dieser ansehnlichen Jacht versammelt. Auf dem Heck wurden Erfrischungen aller Art serviert, vom Champagner bis zum Kaviar. Bunte Lampions sorgten für stimmungsvolle Beleuchtung. Die Party lief auf vollen Touren. Es wurde tanzt, getratscht, gelacht und gestichelt. Wie es auf Partys nun mal üblich ist. Parker stand seitlich hinter Agatha Simpson. „Mylady, ich bin erfreut“, behauptete Agarde lächelnd. „Sie werden verzeihen, daß ich Sie für eine Hochstaplerin hielt.“ „Dafür wußte ich von der erster Minute an, daß Sie ein Gangster sind“, erwiderte die Detektivin freundlich. „Was erst noch zu beweisen wäre.“ „Dieser Zeitpunkt wird kommen, Agarde!“ „Viel Glück, Mylady.“ Agarde, der Herr mit den jetzt wieder gepflegten, grauen Schläfen schmunzelte ironisch. „Sie werden sich Ihre hoffentlich noch echten Zähne daran ausbeißen.“ „Darf ich für einen Moment bitten, Monsieur.“ Mylady streckte ihre rechte Hand aus und griff nach Agardes linker Hand. Agarde wurde völlig überrumpelt und war tatsächlich so leichtsinnig, -Mylady die Hand zu überlassen. Er stöhnte auf, als Mylady die Hand des Mannes hochnahm und kräftig zubiß. Agarde wurde weiß. „Sind Sie jetzt davon überzeugt, daß ein Zahnarzt an mir noch nicht verdient hat?“ fragte sie dann freundlich. Agarde hustend, fühlte sich flau im Magen und schielte betreten auf seinen Handrücken. Die Zähne von Mylady waren deutlich zu sehen. „Sind Sie wahnsinnig!“ fauchte Agarde dann und rieb sich die schmerzende Hand. „Sie sind ja tollwütig!“ „Dann lassen Sie sich besser das entsprechende Serum spritzen“, empfahl Mylady. „Dieser Biß ist übrigens für den Morgengruß, Monsieur. Sorgen Sie dafür, daß ich während meines Frühstücks nicht mehr gestört werde.“ „Störung, Morgenfrühstück?“ „Man schoß auf Mylady“, schaltete sich Parker erklärend ein. „Schallgedämpft, wie ich hinzufügen möchte. Mylady liebt das nicht besonders.“ „Wir haben nicht geschossen.“ Agarde starrte die Dame ungläubig und nachdenklich zugleich an. „Wer dann?“ „Vielleicht Jouvet.“ „ „,;Das ist der junge Sportler aus Ihrem Team, Monsieur?“ Lady Simpson sah den Nelken- und Rosenzüchter forschend an. „Er hat sich abgesetzt“, sagte Agarde automatisch. „Er will wohl seine eigene Suppe kochen. Hören Sie, Mylady? Mit Ihnen will ich nichts zu tun haben, verstehen Sie? Von mir aus können Sie die Steine behalten. Sie interessieren mich
nicht mehr. Reichen Sie sie von mir aus 'an die Polizei weiter. Ich kann auch Verluste ertragen, wenn Sie's genau wissen wollen.“ „Sie scheuen eine Auseinandersetzung, Agarde?“ „Ich bin kein Selbstmörder.“ „Wie enttäuschend, daß Sie nicht mehr mitmachen wollen.“ „Man muß eben wissen, wann man aufzuhören hat.“ „Sie wollen sich wieder ausschließlich Ihren Blumen widmen?“ „Worauf Sie sich verlassen können, Lady Simpson. Ich habe meinen Schnitt gemacht. Und man kann mir nichts nachweisen. Gerüchte können mich nicht mehr nervös machen.“ „Werden Ihre Mitarbeiter sich denn nicht langweilen?“ Lady Simpson gab sich freundlich und verbindlich, während Agarde noch immer mit seiner angebissenen Hand beschäftigt war. „Die haben eingesehen, daß mein Vorschlag richtig ist. Wir alle können uns zur Ruhe setzen.“ „Hoffentlich werden Sie daran nicht gehindert, Monsieur.“ „Wer sollte denn das,, schon riskieren?“ Statt zu antworten, griff Lady Simpson nach einem Kaviarbrötchen und servierte es ihm. Und zwar mitten ins Gesicht. Agarde war verständlicherweise ein wenig schockiert, denn mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet. Auch Parker war konsterniert. In seinen Augen schickte sich das nicht für eine Lady. Wenigstens nicht in aller Öffentlichkeit. „Sie sind ein Ferkel“, sagte Lady Simpson laut und vernehmlich. „Wie können Sie es wagen, einer Dame solch einen anzüglichen Witz zu erzählen „ Zur Bekräftigung ihrer Worte garnierte sie Agarde zusätzlich zum Kaviar mit einem Lachsbrötchen und dann mit einer Delikateßgurke. Agarde schnappte nach Luft, öffnete den Mund und wußte Sekunden später, daß er das besser nicht getan hätte. Mylady nutzte die günstige Gelegenheit, Agarde jetzt im wahrsten Sinne des Wortes den Mund zu stopfen. „Pfui! Sie Schwein!“ sagte sie empört und stieß ihm einen Brocken Fasanenbrot in die Mundhöhle. Das kam derart überraschend, daß Agarde nach Luft schnappte. Er wurde mit dieser Delikatesse nicht auf Anhieb fertig. Um diese Fütterung abzurunden, verabreichte Agatha dem Gangsterboß noch eine derart saftige Ohrfeige, daß Agarde zurücktaumelte, und sich prompt in eine Eistorte setzte. Von der durchdringenden Kälte angestachelt, sprang Agarde entsetzt hoch und fiel in eine zweite Ohrfeige, die Mylady ihm servierte. Blind vom Kaviar taumelte der Gangsterboß wieder zurück und wärmte sein Gesäß nachdrücklich auf.
Er setzte sich diesmal nämlich zur Abwechslung in eine große Kupferpfanne, in der ein Koch gerade ein Pfeffersteak flambierte. Aber auch das schien Agarde nicht sonderlich zu genießen. Er stieß einen mittellauten Brüller aus und trabte davon. „Entfernen Sie das Individuum“, sagte Lady Simpson, sich an ihren Butler wendend, der diskret nach Luft schnappte. Mylady, so fand Parker, hatte die Dinge um die Juwelengangster sehr gekonnt angeheizt. Sie machte übrigens einen angeregten Eindruck und beantwortete jetzt die Fragen der auf sie zueilenden Gäste, die selbstverständlich auf ihrer Seite standen. Parker ging Agarde nach, der mittschiffs an der Reling stand und sich das angesengte Gesäß rieb und stöhnte. „Können Sie schwimmen, Monsieur?“ erkundigte sich Parker. „Ja, natürlich. Warum?“ »Ich habe den Auftrag von Mylady, Sie von Bord zu entfernen“, sagte Parker und warf den Gangsterboß in das leicht trübe Wasser des Jachthafens. Dann schritt Parker gemessen zurück zu Lady Simpson, um den Vollzug seines Auftrags zu melden. *** „Ihr habt euch verdammt viel Zeit gelassen“, sagte Agarde, der Herr mit den grauen Schläfen und dem leicht versengten Gesäß, als Marisse und Manoir , endlich vor ihm auf dem Kai erschienen. „Ist was passiert?“ wollte Manoir«-wissen. „Hat's Feuer an Bord gegeben“, fragte Marisse und schnupperte. „Wieso?“ Agardes Gegenfrage klang gereizt. „Hier riecht's so verbrannt“, stellte Marisse fest. „Das ist meine Hose. Ich habe — zum Teufel, davon später mehr! Wir werden uns die alte Lady und den Butler kaufen.“ „Lady Simpson und Parker?“ Marisse und Manoire hatten fast gleichzeitig gesprochen und wirkten nicht gerade begeistert. Sie hatten inzwischen einige Erfahrungen gesammelt. „Lady Simpson und Parker“, bestätigte Agarde wütend. „Sie wollen den Kampf. Also werden sie ihn bekommen !“ „Wir wollten doch untertauchen, Boß?“ erinnerte Marisse vorsichtig. „Das war einmal! Jetzt kenne ich keine Rücksichten mehr. Und jetzt will ich auch die Steine zurückhaben. Wo ist Claudette?“ „Unauffindbar“, meldete Manoire achselzuckend. „Wenn Sie mich fragen, Boß, so hat sie sich abgesetzt.“ „Hatte ich fast erwartet“, sagte Agarde nachdenklich. „Sie wird sich mit Eric zusammentun. Ist doch ganz klar. Aber das macht nichts. Wir werden auch allein zurechtkommen.“ „Und was sollen wir tun, Boß?“ wollte Marisse wissen.
Agarde sah sich verstohlen nach allen Seiten um und setzte seinen beiden Vertrauten den Plan auseinander. Es war ein guter Plan, wie seine beiden Mitarbeiter fanden. Er zeichnete sich durch Härte und Einfachheit aus. In ihren Augen hatten Lady Simpson und Butler Parker eigentlich keine Chancen mehr. Sie waren schon so gut wie tot. Kathy Porter war im gemieteten Landhaus zurückgeblieben. Sie hatte von Josuah Parker genaue Order bekommen. Sie sollte nur beobachten, mehr nicht. Sie sollte auf keinen Fall eingreifen oder sich sehen lassen. Kathy Porter hatte die Anregungen des Butlers dankbar aufgenommen. Sie war zwar zusammen mit Lady Simpson und Parker in das hochbeinige Monstrum des Butlers eingestiegen, doch sofort wieder auf der anderen Wagenseite ins Freie gewischt. Anschließend hatte sie sich im dichten Busch- und Strauchwerk des Parks verborgen und war dann zurück zum Landhaus gegangen. Kathy Porter lag auf den Ziegeln des Flachdachs und ließ sich von der warmen Nachtluft umspielen. Sie trug einen praktischen Hosenanzug und verschmolz mit dem Dach. Selbst eine Eule hätte ihre Pupillen anstrengen müssen, um sie zu entdecken. Parker rechnete mit einem nächtlichen Besuch des leerstehenden Hauses. Von Natur aus mißtrauisch, wußte er sehr gut, wie Gangster zu arbeiten pflegen. In diesem Fall glaubte Parker fest daran, daß die Juwelengangster die Gelegenheit nutzen werden, im Landhaus nach den Steinen zu suchen. Vielleicht kamen sie auch auf den Gedanken, irgendwelche lieben Geschenke zurückzulassen. Kathy Porters Geduld wurde auf eine recht lange Probe gestellt, bis sich im Park endlich etwas rührte. Sie machte einen vagen Schatten aus, der sich beim Näherkommen als ein junger Mann entpuppte. Dieser junge Mann schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein. Er mußte das Landhaus die ganze Zeit über beobachtet haben und es für leer halten. Er kam über die rückwärtige Rasenfläche zur Terrasse hinüber und brauchte nur eine knappe Minute, bis er die Tür geöffnet hatte. Er verschwand im Innern des Hauses. Kathy Porter wartete noch einen Moment, um dann an der Regenrinne hinunter auf den Boden zu steigen. Sie erledigte das geschmeidig wie eine Katze. Sie arbeitete und bewegte sich völlig geräuschlos. Sie war keineswegs mehr das scheue Reh, sondern eine Wildkatze, die auf Beute ausging. Kathy beobachtete den jungen Mann, der nur Eric Jouvet sein konnte. Er sah wie ein Tennislehrer aus und verlor keine Zeit damit, etwa nach Steinen zu suchen. Er betätigte sich als Installateur und montierte einen Kleinstsender hinter einem Heizungskörper. Er brauchte nur fünf Minuten, bis er alles zu seiner Zufriedenheit erledigt hatte. Seine Absicht war klar. Er ging von der Voraussetzung aus, daß sich die Brillanten nicht im Landhaus befanden.
Um aber herauszubekommen, wo sie versteckt wurden, brauchte er Informationen aus erster Hand. Und die sollte ihm die „Wanze“ liefern, jenes kleine Sendegerät, das nicht größer war als eine Olive. Er ging weiter von der Voraussetzung aus, daß die Bewohner des Hauses sich früher oder später mit dem Brillanten-Thema befassen mußten. Dabei mußten Angaben über das Versteck fallen. Nach seiner geschickten Manipulation am Heizungskörper stahl Eric Jouvet sich wieder aus dem Haus, verschloß sorgfältig die Tür und verschwand im Buschwerk. Kathy Porter blieb in ihrem neuen Versteck seitlich am Haus und wartete auf die Rückkehr von Agathe Simpson und Josuah Parker. Ihr war natürlich bekannt, daß man eine scheinbar unbeabsichtigte Zusammenkunft mit Agarde arrangiert hatte. Kathy Porter, die an Mylady hing, war froh darüber, daß Parker Lady Simpson begleitete. Allein und ohne fachmännische Beratung durch den Butler bestand die Gefahr, daß die ältere Dame sich etwas zu exzentrisch benahm. Kathy Porter wurde völlig überrascht, als sie plötzlich von einem Handkantenschlag getroffen wurde. Lautlos sackte sie in sich zusammen und blieb regungslos auf dem Boden liegen. Sie sah nichts mehr von der in einem schwarzen Trikot befindlichen, geschmeidigen Gestalt, die diesen Schlag ausgeführt hatte. *** Die Gäste der Jacht verließen in kleinen Gruppen das Deck, gingen über die Gangway hinüber auf den Kai und setzten sich in ihre Wagen, um dann mit viel Lärm und fröhlichem Gehupe davonzufahren. „Sie müssen gleich aufkreuzen“, sagte Agarde, der Herr mit den grauen Schläfen. Er meinte selbstverständlich Lady Simpson und Josuah Parker. Das hochbeinige Monstrum des Butlers stand ziemlich vorn an der Straße und war leicht unter Sichtkontrolle zu halten. Agarde, Marisse und Manoire warteten hinter einer Reklamesäule auf ihre Opfer. Der Plan Agardes war sehr einfach. Mit vorgehaltenen Waffen wollte er Mylady und Parker zwingen, sich einer kleinen Ausfahrt zu beteiligen. Dann sollte Mylady unter Druck gesetzt werden. Nachdrücklich und ohne jede Rücksicht oder Hemmung. Wenn es sein mußte, wollte Agarde ihr sogar den „Dritten Grad“ verpassen. Parker als Mann würde dem nicht lange zusehen können. Unter dem Druck der Ereignisse würde er dann schon damit herausrücken, wo die Steine sich befanden. Hatte man sie einkassiert, konnten Mylady und Parker verschwinden. Das Mittelmeer war schließlich groß genug, um zwei Leichen aufzunehmen. „Wo bleiben die denn?“ sagte Manoire nervös, als Lady Simpson und Josuah Parker sich nicht blicken ließen.
„Gleich, gleich!“ Agarde nagte an seiner Unterlippe und unterdrückte nur mühsam seine Erregung. „Das Deck ist schon leer. Und die Lampions werden abgehängt“, meldete Marisse, der zur Jacht hinübergesehen. hatte. „Die werden sich doch nicht in Hängematten packen und bleiben?“ „Unsinn“, erwiderte Agarde ein wenig gereizt und nieste diskret. Das kühle Bad im trüben Hafenwasser hatte seine Nasenschleimhäute etwas animiert. Ihn fröstelte, denn er hatte die nasse Kleidung noch nicht auswechseln können. „Sense“, meldete jetzt Manoire. „Die Lichter an Deck werden gelöscht. Wir haben mit Zitronen gehandelt, Boß.“ Jetzt existierte nur noch das Licht der vielen Hafenlokale. Es spiegelte sich im Lack von Parkers hochbeinigem Monstrum. „Monsieur Agarde, Monsieur Agarde!“ war in diesem Augenblick der Ruf eines Mannes zu hören, laut und deutlich. „Der meint Sie, Boß“, stellte Manoire treffsicher fest. „Sehen Sie doch“, fügte Marisse hinzu und deutete auf einen Kellner, der gerade den überdachten Vorplatz eines Lokals verlassen hatte. „Hier“, meldete sich Agarde und trat hinter der Reklamesäule hervor. Der Kellner gab sich völlig gleichgültig. .Sie werden am Telefon verlangt“, sagte er achselzuckend. „Komische Art, auf 'nen Anruf zu warten. Warum kommen Sie nicht ins Lokal?“ Agarde nickte Marisse und Manoire zu. Er deutete ihnen damit an, daß sie bleiben sollten. Agarde gab noch immer nicht die Hoffnung auf, daß Lady Simpson und Butler Parker erschienen. „Wer will mich denn sprechen?“ fragte er den Kellner, als sie die Straße überquerten und auf das Lokal zuhielten. „Keine Ahnung. Doch, jetzt fällt's mir wieder ein, ein gewisser Jouvet.“ Agarde beeilte sich, in die Sprechzelle zu kommen, nahm den Hörer vom Wandhaken und meldete sich. „Sie werden gewiß verzeihen, Monsieur, daß ich einen falschen Namen genannt habe“, ließ sich eine wohlvertraute Stimme vernehmen. „Aus einer gewissen Besorgnis heraus möchte ich Ihnen einen guten Rat erteilen.“ „Parker!“ schnaufte Agarde gereizt. Er kam sich erneut blamiert vor. „Gewiß, Parker, Josuah Parker. Aus Gründen der Menschlichkeit möchte ich Ihnen mitteilen, daß Mylady und meine bescheidene Person uns bereits außerhalb der Stadt befinden. Und was eine mögliche Erkältung nach dem kalten Bad angeht, so empfiehlt sich entweder ein heißer Tee mit Zitrone, oder, falls Ihnen das besser zusagt, heißer Rum. Im Ernstfall hingegen sollten Sie jedoch einen Arzt aufsuchen.“ Als es in der Leitung klickte, wußte Agarde, daß er von Josuah Parker nach allen Regeln der Kunst aufgezogen und veralbert worden war. Aber da war ja noch Parkers Wagen!
Entschlossen, sich irgendwie umgehend zu rächen, stürmte der Herr mit den grauen Schläfen aus dem Lokal und steuerte seine beiden Mitarbeiter Marisse und Manoire an. *** Der hochbeinige Wagen des Butlers bot sich für einen Anschlag förmlich an. Er stand jetzt allein auf weiter Flur und wirkte in seiner altmodisch, eckigen Form anfällig und leidend. „Nehmt die Karre auseinander“, herrschte Agarde seine beiden Partner gereizt an. „Parker soll wissen, daß er mit mir nicht machen kann, was er will.“ „Was ist denn passiert?“ fragte Marisse. „Später. Später ... Los! Worauf wartet ihr noch?“ Marisse und Manoire marschierten also auf den Wagen zu und wollten ihn in seine Einzelbestandteile zerlegen. Marisse griff nach der Klinke der Fahrertür und schrie auf. Dann ging ein seltsames Zittern durch seinen Körper, als habe er sich an eine Stromleitung angeschlossen. Wenig später rutschte er in sich zusammen und blieb zappelnd am Boden liegen. „Marisse... Marisse...“ fragte Manoire besorgt. „Was hast du denn?“ „Die Klinke ... Strom ...“ keuchte Marisse und erhob sich mühevoll. „Das verdammte Ding steht unter Strom.“ „Ausgeschlossen“, behauptete Agarde und sah Manoire auffordernd an. „Aber wenn er's doch sagt“, verteidigte sich Manoire, bevor der Herr mit den grauen Schläfen etwas sagen konnte. „Tür auf!“ verlangte Agarde. „Vielleicht versuchen Sie's mal, Boß.“ Manoire trat einladend zur Seite. Agarde war in die Enge getrieben. Wenn er sein Gesicht nicht verlieren wollte, mußte er sich mit der Türklinke befassen. Was er dann auch zögernd versuchte. „Na, bitte!“ sagte er wenig später triumphierend, als die Türklinke sich ohne jeden Zwischenfall herunterdrücken ließ. „Alles in bester Ordnung.“ „Es war Strom“, sagte Marisse wütend. „Ich leide doch nicht unter Einbildung.“ „Jetzt steht sie auf jeden Fall nicht unter Strom“, sagte Agarde verächtlich. „Ihr seid auch nicht mehr das, war ihr mal wart.“ Während er munter redete, zog er die Tür auf und wollte sich auf den Fahrersitz schieben. Er wäre besser draußen geblieben, denn ohne Vorwarnung zischte ihm ein schwarzer Rußstrahl ins Gesicht, der ihm jede Sicht nahm. Agarde schnappte nach Luft, taumelte zurück und fuchtelte mit den Armen hilfesuchend in der Luft herum. Marisse vergaß die Nachwirkungen des Stromstoßes und erlitt einen mittelschweren Lachanfall.
Manoire krümmte sich bereits und keuchte vor Lachen. Genau so etwas hatte er seinem Boß gegönnt. Agarde landete währenddessen krachend vor der Reklamesäule. Und zwar mit dem Hinterkopf. Worauf Agarde weich und nachgiebig wurde und sich niedersetzte. „Ich bring' ihn noch um!“ schwor er dann weinerlich. „Ich werde ihn noch umbringen.“ *** „Wenn ich Mylady zum Wagen bitten darf?“ Josuah Parker hatte von einem nahen Cafe aus die Szene an seinem Privatwagen beobachtet. Von hier hatte er nämlich angerufen und dann sein Monstrum, wie Mike Rander den Wagen getauft hatte, nicht aus den Augen gelassen. Im Fall einer ernsthaften Gefahr hätte der Butler nämlich eingegriffen. Die drei Juwelengangster hatten inzwischen das Feld geräumt und darauf verzichtet, sich noch weiter mit den Geheimnissen des hochbeinigen Monstrums zu befassen. Der Weg war also frei für Lady Simpson. „Ein wirklich anregender Abend“, stellte Agathe fest, nachdem sie im Fond Platz genommen hatte. „Warum sorgen wir nicht häufiger dafür, Parker?“ „Nicht jeder Gegenspieler ist dafür geeignet, Mylady.“ „Leider“, seufzte Lady Simpson auf. „Die Menschen haben so gar keinen Humor. Glauben Sie, daß wir Agarde jetzt aus seiner Reserve gelockt haben?“ „Mit letzter Sicherheit, Mylady.“ „Was wird sein nächster Schritt sein, Parker? Sie kennen sich mit diesen Individuen besser aus als ich. Ich muß noch einiges dazu lernen.“ „Mylady waren hinreißend“, stellte Parker gemessen fest. „Die Eskalation der Beleidigungen waren profimäßig.“ „Vielen Dank, Parker!“ Lady Simpson freute sich. „Was die Herren Agarde, Marisse und Manoire anbetrifft, Mylady, so sollte man auf keinen Fall sich dem Leichtsinn hingeben, wenn ich diesen Hinweis wagen darf.“ „ „Werden sie jetzt scharf schießen?“ „Es wird vorerst nicht zu einem Mord kommen“, schränkte der Butler ein. „Es geht nach wie vor um die Brillanten. Man wird versuchen, Mylady und ihre Mitarbeiter einzufangen, um sie dann mittels der Folter dazu zu bringen, das Versteck der Steine preiszugeben.“ „Klingt ja sehr anregend, Parker.“ „Mylady haben es mit echten Gangstern zu tun“, warnte der Butler erneut. „Das heitere Intermezzo im Landhaus Monsieur Agardes darf darüber nicht hinwegtäuschen.“ „Schon verstanden, Parker.“
„Zudem dürfte sich der junge Mann selbständig gemacht haben. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die beiden Schüsse, die Myladys Frühstück so jäh störten.“ „Eric Jouvet...“ „Gewiß, Mylady. Auch er wird hinter den Brillanten her sein.“ „Also eine Art Zweifrontenkrieg?“ „Durchaus, Mylady.“ . „Was werden wir tun? Haben Sie sich bereits etwas einfallen lassen?“ Parker, der sein hochbeiniges Monstrum durch Nizza steuerte, nickte. „Monsieur Agarde muß einer andauernden Beschäftigung Unterzogen werden, wenn ich diesen Vorschlag machen darf. Man sollte ihn vielleicht ein wenig zusätzlich reizen, damit er sich noch intensiver engagiert. Ich fürchte, Mylady, er könnte sonst das Weite suchen. Und zwar mit der bisherigen Beute, die ja beträchtlich sein soll.“ „Sie soll in die Millionen gehen.“ „Es wäre sehr bedauerlich, wenn Monsieur Agarde mit diesen Millionen verschwinden würde.“ „Beschäftigen wir ihn also, Parker. Ich verlasse mich da voll und ganz auf Sie.“ „Sehr wohl, Mylady.“ „Ob er noch in seinem Landhaus wohnt?“ „Sehr wahrscheinlich, Mylady. Monsieur Agarde tritt nach außen hin als Blumenzüchter auf. Er hatte keine Veranlassung, diese Tarnung preiszugeben. Ja, sie schützt ihn sogar vor Gerüchten oder Vermutungen. Dort dürfe man ihn jederzeit erreichen können.“ Die Fahrt zurück zum gemieteten Landhaus brachte keine Probleme, wie sich herausstellte. Verfolgungen irgendwelcher Art fanden nicht statt. Die Gegenseite schien eine Ruhepause eingelegt zu haben. Die heitere Grundstimmung von Mylady schlug allerdings ins Gegenteil um, als man Kathy Porter vermißte und Parker deutliche Spuren eines Kampfes in Hausnähe feststellte. „Schaffen Sie mir Kathy herbei“, sagte Lady Simpson, als Parker diese bedauerliche Tatsache meldete. „Ich werde Ihnen dabei helfen, Parker!“ *** Kathy Porter rieb sich den schmerzenden Hals, während sie sich in dem feuchten Kellerraum umsah, in dem si« sich befand. Sie war hier aus ihrer Ohnmacht aufgewacht und erinnerte sich nur dunkel daran, wie man sie überlistet hatte. Sie hatte auf Eric Jouvet geachtet und darüber vergessen, daß er vielleicht nicht allein zum Landhaus gekommen war. Diese Unachtsamkeit hatte sich bitter gerächt. Kathy Porter ärgerte sich schrecklich über diesen Fehler. Aus eigener Kraft konnte sie sich aus diesem niedrigen und feuchten Keller sicher nicht befreien. Die Tür bestand aus dicken, soliden Holzbohlen. Es gab ein kleines Fenster, doch das war stark vergittert und nur über einen schmalen Schacht
zu erreichen, der den Keller lüftete. Der Durchmesser dieses Lichtschachts war zu gering, um einen noch so schmalen, menschlichen Körper durchzulassen. Kathy hörte hinter der dicken Bohlentür Geräusche und entschloß sich, das leidende Wesen zu spielen. Immerhin war ihr Körper völlig intakt, und die Muskeln gehorchten ihr aufs Wort. Sie huschte also in eine Ecke des Kellers und ließ sich dort auf dem Boden nieder. Im Licht der schwachkerzigen Glühlampe sah sie mitleiderregend hilflos aus. Sie war ein scheues Reh, das man am liebsten spontan gestreichelt hätte. Claudette aber ließ sich überhaupt nicht beeindrucken. Sie kam zusammen mit Eric Jouvet in den Keller und lächelte mokant. „Lassen Sie das Theater, Miß Porter“, sagte sie. „Ich weiß sehr genau, was in Ihnen steckt. Die Mitleidstour zieht bei uns nicht.“ „Wohin haben Sie mich gebracht?“ fragte Kathy schüchtern. Sie blieb bei ihrer Rolle. Es ging nicht um diese Frau mit dem hart geschnittenen Gesicht, es ging um Eric Jouvet, den jungen Mann, der wie ein Tennislehrer aussah. Ihn allein wollte sie beeindrucken. „Ihnen wird kein Haar gekrümmt, wenn Ihre Leute mitspielen“, schaltete sich Eric Jouvet ein. „Wir wollen nichts als die Steine. Sobald wir sie haben, sind Sie frei, Miß Porter .. „ „Ich weiß wirklich nicht, wo sie sind“, gestand Kathy scheu. „Mylady hat mich nicht eingeweiht. Ich bin ja nur ihre Gesellschafterin.“ „Ein raffiniertes Luder sind Sie“, fuhr Claudette sie an. „Ich sagte Ihnen doch schon, die Mitleidstour zieht bei uns nicht.“ Kathy Porter drückte einige Tränen hervor und wirkte noch hilfloser und zerbrechlicher. Eric Jouvet räusperte sich betreten. Er kam sich wie ein Schuft vor. „Lange werden Sie ja nicht im Keller bleiben“, tröstete er sie dann. „Solange, bis wir die Brillanten ha...ben“, fuhr Claudette ihn an. „Laß dich bloß nicht einwickeln!“ „Ich weiß, daß Sie mich nicht mögen“, schluchzte Kathy Porter auf. „Warum legen Sie sich nicht mit Mister Parker an? Oder mit Mylady? Ich bin doch nur eine kleine Angestellte.“ „Hör' dir doch das raffinierte Biest an“, sagte Claudette fast anerkennend zu Jouvet. „Macht sie das nicht erstklassig? Da können einem ja glatt die Tränen kommen.“ „Mylady wird die Steine nie herausgeben“, sagte Kathy und wischte sich mit ihrem rechten Handrücken die Tränen aus den Augen. „Ich kenne sie doch. Sie ist habgierig, herzlos und kalt.“ „Dann ist das Ihr Pech. Kleines“, stellte Claudette kühl fest. „Wohin sind Lady Simpson und Parker gefahren? Warum hat man sie allein zurückgelassen? Was hatten Sie auf dem Dach zu suchen?“
„Ich sollte das Haus bewachen“, erklärte Kathy. „Mister Parker rechnete mit einem nächtlichen Besuch. Sie fuhren zu einer Party, die auch' Monsieur Agarde besuchen wollte. Warum, weiß ich natürlich nicht. Mir sagt man ja nichts...“ „Ob sie sich mit Agarde einigen wollen?“ fragte Jouvet in Richtung Claudette. „Dann wird's aber Zeit für uns“, gab Claudette zurück. „Sonst haben wir auf das falsche Pferd gesetzt. Komm, das müssen wir feststellen!“ Kathy Porter setzte alles auf eine Karte. Sie stieß einen halbirren Schrei des Entsetzens aus und behauptete dann mit schriller Stimme, eine fette Ratte treibe ihr Unwesen. Ihr psychologischer Trick wirkte. Claudette, mochte sie auch noch so sportlich und hart sein, war schließlich eine Frau. Und die Aussicht, es mit einer Ratte zu tun zu haben, löste in ihr eine typisch weibliche Kettenreaktion aus. Sie schrie ebenfalls auf und klammerte sich an Jouvet fest. Dabei schnürte sie ausgerechnet den Arm ein, in dessen Hand sich die Schußwaffe des jungen Sportlers befand. Kathy Porter drückte sich von der Wand hoch und hechtete sich auf die Tür zu. Sie ging in eine geschmeidige Rolle über und hörte gleichzeitig einen Schuß. Aber sie war schon draußen vor der Tür, die sie verständlicherweise ins Schloß drückte. Auf der anderen Seite warfen sich Claudette und Jouvet gegen das Türblatt Um ein Haar hätten sie es geschafft, die Tür noch aufzudrücken, doch Kathy setzte ihre letzten Energien ein und hielt die Tür im Rahmen fest. Dann drehte sie den Schlüssel um und blieb erst mal keuchend und erleichtert stehen. Die starken Bohlen der Tür dröhnten, als Jouvet in sinnloser Wut einige Schüsse gegen sie abfeuerte. Sie wankte natürlich nicht, die Geschosse blieben sogar im Holz stecken. Kathy Porter folgte den Lampen unter der niedrigen Decke des Kellerganges und erreichte eine Treppe. Sie stieg vorsichtig nach oben und stand in einem kleinen Flur, von dem aus sie den Wohnraum eines kleinen Hauses erreichte. Der Weg war frei. Was sich leider nicht als ganz richtig erwies. Kathy Porter blieb wie erstarrt stehen, als sich ein harter Gegenstand gegen ihr Rückgrat preßte. Sie wußte natürlich sofort, was das zu bedeuten hatte. „Umdrehen! Aber ganz langsam ...“ sagte eine Stimme, mit der sie im Moment nichts anzufangen wußte. Sie kam diesem Befehl sehr gehorsam nach und hütete sich, eine falsche Bewegung zu machen. Doch dann wußte sie Bescheid. Garoupe hatte sich ins Spiel gebracht, jener Mann, den Parker in einem Fleischwagen auf die Reise geschickt hatte. Es war jener Garoupe, den Kathy Porter mit einem Handkantenschlag außer Gefecht gesetzt hatte. „So sieht man sich wieder“, meinte Garoupe mit neutraler Stimme. „Leg dich auf den Boden! Gesicht nach unten! Von Karate habe ich die Nase voll.“
*** Bis zu dem von Parker erwarteten Anruf verstrichen etwa zwanzig Minuten. Als das Telefon sich endlich meldete, verzichtete der Butler auf seine sonst gezeigte Würde. Er beeilte sich, an den Apparat zu kommen und meldete sich. „Jouvet hier“ ,hörte er die Stimme des jungen Mannes, der wie ein Tennislehrer aussah. „Wir haben einen netten Fang gemacht, Parker.“ „Dies ist mir bekannt.“ „Sie wollen Miß Porter heil wiedersehen?“ „Das ist die erklärte Absicht von Mylady.“ „Sie wissen, wogegen Sie Miß Porter eintauschen können?“ „Ich hege gewisse Erwartungen.“ „Wenn die sich um Brillanten drehen, dann liegen Sie richtig. Viel Zeit haben Sie aber nicht, Parker. Wir sind ziemlich ungeduldig.“ „Ich darf unterstellen, daß Sie auch von Mademoiselle Claudette reden?“ „Genau! Wir sind das neue Team.“ „Wann und wo soll der gedachte Austausch stattfinden?“ „Kennen Sie das Freilichttheater im Park Albert I?“ „Natürlich.“ „Dort erwarten wir Sie, Parker. Aber, schon im Interesse von Miß Porter, bitte keine faulen Tricks.“ „Sie werden prompt bedient werden“, versprach Parker. „Wann sollen Mylady und meine bescheidene Wenigkeit im Freilichttheater erscheinen?“ „In genau einer Stunde!“ Nachdem Jouvet nach dieser Auskunft aufgelegt hatte, ließ Parker den Hörer in die Gabel fallen und informierte Agatha Simpson. Sie sah ihn entschlossen an. „Also halten wir uns daran. Keine faulen Tricks! Ich bin sicher, -daß -die Gangster nicht bluffen.“ „Ich möchte mir erlauben, mich Myladys Ansicht anzuschließen.“ „Dann holen Sie die Steine aus dem Versteck! Kathys Leben ist mir wichtiger als ein paar Glitzersteine, Parker.“ „Erneut möchte ich Mylady beipflichten.“ Parker war innerlich froh, daß Lady Simpson so entschieden hatte. Natürlich hatte er diese Reaktion erwartet, aber es war doch recht schön, daß sie ihre Ansicht so präzise und laut geäußert hatte. Parker — und das war sein Geheimnis gegenüber Lady Simpson — wußte nämlich von der „Wanze“, die Jouvet installiert hatte. Parker hatte gewisse Schlußfolgerungen aus der Tatsache gezogen, daß Kathy Porter das Flachdach des Bungalows verlassen hatte. Sie mußte also etwas beobachtet haben, was sich vom Dach nicht hatte ermöglichen lassen.
Das zu beobachtende Objekt mußte sich also logischerweise im Haus befunden haben. Das bedeutete, daß man sich Zutritt verschafft hatte. Vielleicht, um nach den Brillanten zu suchen, vielleicht aber auch, um einen Minisender zu installieren. Parker hatte sich also daran gemacht, nach diesem Sender zu suchen. Er hatte nicht lange gebraucht, um die „Wanze“ zu finden. Aus eigener Erfahrung war ihm bekannt, wo man solche Sendeoliven mit Vorliebe befestigte. Er hatte die „Wanze“ natürlich an Ort und Stelle belassen und war froh darüber, daß seine Unterhaltung mit Mylady prompt weitergesendet wurde. Die Gangster um Jouvet wußten also jetzt, daß kein Bluff geplant war. Sie konnten von der Voraussetzung ausgehen, daß man die Brillanten aus ihrem Versteck holen würde. Würden Jouvet und Claudette, falls sie zusammenarbeiteten, auf die Übergabe im Freilichttheater warten? Oder wollten sie den Dingen vorgreifen und den Tausch bereits innerhalb' der nächsten Minuten vornehmen? Hatten sie aus der Nähe des Landhauses angerufen? Befanden sie sich bereits in nächster Nähe? Parker mußte wieder mal schlau und listig sein. Er ging hinaus in die Dunkelheit des Parks und blieb neben seinem hochbeinigen Monstrum stehen. Dann ging er in die Knie und schob seinen Arm unter das Heck des Wagens. Es sah geheimnisvoll aus, als er einen rechteckigen, etwa zwanzig Zentimeter hohen Blechkasten abklappte. Da er eine Taschenlampe benutzte, wirkte das alles sehr echt und überzeugend. Heimliche Beobachter mußten annehmen, er habe das Versteck der Steine geöffnet. Parker steckte scheinbar etwas in seine Tasche, klappte den Blechbehälter wieder hoch und schritt würdevoll zurück zum Haus. Die Gangster — falls sie beobachteten — konnten natürlich nicht wissen, daß sich in diesem Blechbehälter nur sogenannte „Krähenfüße“ befanden, über Kreuz zusammengeschweißte Stahlhaken, die in der Lage waren, jeden Wagenreifen zu durchlöchern. Diese „Krähenfüße“ gehörten zu den Abwehrmitteln, die Parker bei „möglichen Verfolgungen durch Gangster einzusetzen beliebte. Der erwartete Überfall blieb aus, der Überfall, mit dem Parker eigentlich fest gerechnet hatte. Sollte der Tausch tatsächlich im Freilichttheater über die Bühne gehen? „Alles fertig?“ erkündigte sich Agatha Simpson ahnungslos. Sie hatte sich umgezogen und sah in ihrem Kostüm, das faltenreich an ihr herunterhing, sehr skurril aus. Sie mußte der Ansicht sein, daß Parker inzwischen die Steine besaß. „Der Wagen wartet, Mylady“, erwiderte Parker höflich. „Dann los“, entschied die resolute Dame besorgt. „Wir wollen das arme Kind nicht unnötig warten lassen.“ *** Claude Garoupe hatte alles genau mitbekommen.
Er befand sich in dem großen, parkähnlichen Garten, der zu dem gemieteten Landhaus gehörte und hatte alle Bewegungen des Butlers am Wagen genau verfolgt. Garoupe hatte den festen Eindruck, daß Parker irgend etwas am Wagenheck befestigt hatte. Er griff zum Funksprechgerät, das Jouvet ihm mitgegeben hatte, und rief die Gegenstelle an. Es dauerte nur eine Sekunde, bis die Stimme des jungen Sportlers zu hören war. „Sie kommen gerade aus dem Haus und gehen auf den komischen Schlitten zu“, berichtete Garoupe. „Sie tragen nichts bei sich. Sie haben's verdammt eilig.“ „Was ist innerhalb der letzten zehn Minuten passiert?“ wollte Jouvet wissen. Die Verständigung war ausgezeichnet Eine Telefonleitung hätte das Gespräch nicht besser vermitteln können. „Parker war draußen am Wagen. Er hat unterhalb vom Kofferraum herumgefummelt. Er scheint was 'rausgenommen zu haben.“ „Genauer“, verlangte Jouvet. „Er kam 'raus. Und dann hat er 'ne Taschenlampe eingeschaltet. Was er genau am Wagen getan hat, konnte ich nicht mitbekommen. Dann ist er wieder 'reingegangen. Und jetzt ist er zusammen mit der Lady am Wagen. Nein, sie fahren schon los. Soll ich jetzt ins Haus gehen?“ „Nicht mehr nötig.“ „Aber die Steine, Eric.“ „Sind bereits unterwegs“, antwortete Jouvet, dessen Stimme triumphierend klang. „Alles bestens, Garoupe! Du kannst kommen. Dein Auftrag ist erledigt.“ *** „Die Steine müssen unter dem Wagen gewesen sein“, sagte Jouvet zu Claudette, die ins Zimmer kam. Jouvet wirkte wie elektrisiert. Die Würfel waren gefallen. Noch eine knappe Stunde, und sie waren reich und unabhängig. Und zwar ohne ihren früheren Boß Agarde. „Die ,Wanze' hat sich also gelohnt, wie?“ Claudette lächelte. ; „Erstklassig funktioniert.“. Jouvet nickte und nahm den kleinen Transistorapparat hoch, der die Sendung der „Wanze“ aus dem Landhaus vermittelt hatte. Jouvet und Claudette hatten Garoupe nicht eingeweiht. Er wußte nicht, was wirklich gespielt wurde. Sie trauten ihm nicht über den Weg. Garoupe war im Gegensatz zu ihnen ein echter Profi, den sie erst bei Agarde kennengelernt hatten. Sie hielten den Mann mit der Baskenmütze und dem schwarzen Schnauzbart für einen harten, rücksichtslosen Mann, von dem sie sich so schnell wie möglich wieder trennen wollten. Gewiß, er hatte behauptet, sich von Agarde getrennt zu haben. Er war plötzlich in dem Haus erschienen, in dem Jouvet und Claudette sich verborgen hielten. Und genau das war zuerst ein Schock für Jouvet und Claudette gewesen. Sie waren der Ansicht, außer ihnen würde keiner dieses Privatversteck kennen.
Garoupe hatte nur gelächelt und ihnen etwas, ironisch gesagt, er habe das sehr schnell herausgefunden und wisse davon schon seit einigen Wochen. Er hatte weiter versichert, er wolle nicht mehr mit Agarde arbeiten. Garoupe hatte vorgeschlagen, sie sollten zu dritt eine neue Arbeitsgruppe bilden auf eigene Rechnung. Jouvet und Claudette waren darauf eingegangen. Einmal, um Garoupe nicht zu vergraulen, zum anderen, um eventuell Agarde an der Nase herumzuführen. „Wir können“, sagte Jouvet und sah auf seine Uhr. „Garoupe wird in zehn Minuten längstens hier sein.“ Claudette und Jouvet verließen das kleine Haus oberhalb der Küstenstraße, das sich gar nicht weit von 'Myladys gemietetem Haus befand, übrigens ein glücklicher Umstand, von dem sie vorher natürlich nichts ahnen konnten. Sie setzten sich in einen kleinen Renault und fuhren los. Damit brachen sie ihre Zelte ab, auch ihre Verbindung zu Garoupe. Er hatte seine Dienste getan, sie wurden nicht mehr weiter benötigt. „Soll er sich mit Kathy Porter trösten“, meinte Claudette ironisch, als sie die Landstraße erreicht hatten. „Für kleine Mädchen hat er ja schon immer etwas übrig gehabt.“ Der Renault verschwand in der Dunkelheit der Küstenstraße in Richtung Nizza. Ziel war natürlich das Freilufttheater, wo man reich zu werden hoffte. An einen ehrlichen Austausch — Steine gegen Kathy Porter — dachten beide nicht. Davon zeugte ein Gewehr, das auf dem Rücksitz des Wagens lag. *** Garoupe brauchte etwas weniger als zehn Minuten, um das kleine, schäbig wirkende Haus oberhalb der Straße zu erreichen. Auch er hatte sich natürlich so seine Gedanken gemacht. Sie liefen darauf hinaus, Jouvet und Claudette übers Ohr zu hauen. Der Profi, der er nun mal war, dachte nicht im Traum daran, ehrlich zu teilen. Um an die Steine zu kommen, war er sogar bereit, einen Mord zu begehen. Er blieb überraschend ruhig, als er den Renault vor dem Haus vermißte. Und er fluchte auch nicht sinnlos herum, als er das Haus leer fand. Jouvet und Claudette hatten sich abgesetzt. Sie wollten das Geschäft allein machen. Garoupe, der vor vielen Monaten Paris verlassen hatte, weil ihm dort der Boden unter den Füßen zu heiß geworden war, zündete sich eine Zigarette an und warf sich in einen Strohsessel. Dann dachte er angestrengt nach. Wieso fragte er sich, wie kann ich diese beiden miesen Gauner doch noch erwischen. Sie haben mehr gewußt, als sie mir gesagt haben. Sie sind auf dem Weg, um die Kleine unten im Keller gegen die Steine auszutauschen. Die Kleine! Garoupe stand auf und ging hinüber in den Flur. Dann stieg er über die Treppe hinunter in den Keller und blieb vor der schweren Bohlentür stehen.
Ob das Mädchen ihm weiterhelfen konnte? Wußte es vielleicht, wo der Tausch hatte stattfinden sollen? Das war unwahrscheinlich. Solch ein Risiko wären Jouvet und Claudette wohl nie eingegangen. War die Kleine hinter der Bohlentür deshalb schon wertlos geworden? Ganz abgesehen davon, daß sie hübsch aussah und einen erstklassigen Körper besaß, ganz davon abgesehen konnte sie noch zu einem wertvollen ' Faustpfand werden. Vorsichtig öffnete er die schwere Tür. Seine Wachsamkeit ließ erst nach, als er deutlich sah, wie hilflos die Gefangene noch immer war. Er selbst hatte sie an Händen und Füßen gefesselt. Nachdrücklich und hart. Aus eigener Kraft hätte sie sich nie befreien können. Sie sah ihn ängstlich und scheu an. „Komm schon hoch, Kleine“, sagte er und stellte sie auf ihre Beine. „Wir machen 'ne kleine Reise.“ „Werde ich jetzt ausgetauscht?“ fragte Kathy Porter, die wirklich hilflos war. Trotz aller Geschicklichkeit hatte sie sich nicht befreien können. „Das schreib dir mal ruhig in den Rauch“, erwiderte Garoupe. „Wir beide sollen 'reingelegt werden.“ „Ich — Ich verstehe nicht.“ Scheuer und ängstlicher konnte kein Reh sein. „Die wollen doch nur die Steine. Hast du das immer noch nicht kapiert?“ „Dann wollen Sie Lady Simpson und Butler Parker betrügen!“ „Hoffentlich wird umgekehrt auch ein Schuh daraus“, meinte Garoupe hoffnungsfroh. „Dann bist du nämlich dein Gewicht in Gold wert, Kleine.“ *** Sie ließen das hochbeinige Monstrum am Museum Massena zurück und gingen zu Fuß hinüber zum nahen Albert-Park. „Ich habe ein ungutes Gefühl, Parker“, ließ Agathe Simpson sich vernehmen. „Ich bin so frei, Mylady beizupflichten.“ Parker schritt stocksteif neben ihr her. „Haben Sie Gemeinheiten einberechnet?“ „Sehr wohl, Mylady.“ „Werden wir Kathy Porter überhaupt sehen?“ „Kaum zu glauben, Mylady.“ „Haben Sie wenigstens die Steine mit?“ „Durchaus, Mylady.“ „Ich traue Ihnen nicht, Parker. Lassen Sie sehen!“ Parker griff in die linke Tasche seines schwarzen Zweireihers und holte den bewußten Tabaksbeutel hervor. Zu seiner Freude begnügte sich Lady Simpson damit, nur nach den Steinen zu fühlen. Sie gab ihm den Lederbeutel beruhigt wieder zurück. „Man wird also versuchen, uns zu ermorden, nicht wahr?“
„Nicht, bevor man die Steine besitzt“, antwortete der Butler gemessen. „Es dürfte sinnlos sein, Mylady zu bitten, sich an diesem nächtlichen Tausch nicht zu beteiligen?“ „Es wäre sinnlos“, gab sie energisch zurück. „Vielleicht brauchen Sie mich sogar dringend. Man kann nie wissen, Parker.“ Sie sahen nicht viel von den Schönheiten dieses Parks, der mit seinen Palmen und exotischen Gewächsen ein Genuß für die Augen war. Es war dunkel, und nur ein paar Laternen brannten. Dafür war der Duft der Blumen und Blüten geradezu berauschend. „Das Freilichttheater, Mylady“, meldete Parker. „Es interessiert Mylady wohl kaum, daß es etwa 5 000 Zuschauer faßt.“ „Nicht die Spur“, gab sie zurück. „Ihre Sorgen möchte ich haben, Parker. Tun Sie nur so abgebrüht, oder sind Sie es wirklich?“ „Selbstkontrolle ist eine Tugend, um die man sich stets bemühen muß“, gab der Butler würdevoll zurück. „Darf ich Mylady jetzt in meinen bescheidenen Plan einweihen?“ Sie blieben in einer Nische stehen, die aus Taxushecken gebildet wurde. Dann weihte Parker Agathe Simpson in seine Absichten ein. Er brauchte nur eine Minute dazu. „Das kann aber sehr böse für Sie ausgehen“, stellte Lady Simpson fest, als Parker seine Ausführungen beendet hatte. „Die Erfahrung spricht dafür, daß mit gefährlichen Komplikationen zu rechnen ist“, beruhigte Parker die Frau. „Darf ich noch mal darauf verweisen, daß Mylady dicht hinter mir gehen sollte. Den Zeitpunkt einer wohltätigen Ohnmacht überlasse ich Mylady. Er ergibt sich aus der Situation, wenn ich es so ausdrücken darf.“ *** „Sie kommen“, flüsterte Jouvet, der durch ein lichtstarkes Nachtglas die Zuschauerreihen beobachtete. Dann deutete er mit ausgestrecktem Arm hinauf auf einen Treppengang, über den man die Sitzreihen des Theaters erreichen konnte. Claudette neben ihm sog scharf die Luft ein. Jetzt kam es darauf an. Ein glücklicher Schuß, und schon waren sie immens reiche Leute. Jouvet nahm das Gewehr hoch und entsicherte es. Er hatte das Zielfernrohr längst aufgesetzt. Im Fadenkreuz waren die Umrisse der beiden Personen nicht sehr deutlich zu erkennen. „Verdammt schlechtes Licht“, beschwerte sich Jouvet, der zusammen mit Claudette links von der Bühne hinter „„einem Bretterstapel stand. „Wirst du es schaffen?“ „Natürlich. Ich laß sie noch etwas näher kommen. Gleich ist es soweit.“ Er setzte das Gewehr nicht mehr ab.
Mit dem Fadenkreuz verfolgte er die Figur des Butlers, die jetzt etwas deutlicher wurde. Er korrigierte den Lauf und visierte dann Parkers Brust an. Wegen der schlechten Lichtverhältnisse wagte er es nicht, auf den Kopf zu zielen. Der erste Schuß mußte sitzen, sonst war dieses Spiel verloren. Der aufgeschraubte Schalldämpfer verschluckte den Schuß bis auf ein erträgliches Minimum. Durch das Zielfernrohr sah Jouvet, wie Parker stehen blieb. Er dachte schon, er habe sein Ziel verfehlt, doch dann fiel der Butler in sich zusammen und verschwand hinter einer Sitzreihe, Die hochgewachsene, vollschlanke Frau neben ihm schien völlig konsterniert. Sie sah hinunter, schaute sich hilflos nach allen Seiten um und griff sich dann ans Herz. Im Zielfernrohr war das alles recht gut zu erkennen. „Die macht schlapp“, kommentierte Jouvet. „Sie ist ohnmächtig geworden“, stellte Claudette fest, die durch das Nachtglas die Szene mitbeobachtet hatte. „Die nehmen wir uns dann gleich vor, Eric. Komm jetzt! Die Steine warten auf uns.“ *** Sie hatten sich die Sitzreihe genau gemerkt. Sportlich schnell jagten Jouvet und Claudette von der Bühne hinauf und hinüber zu dem Platz, wo die beiden Opfer liefen mußten. In ihrem Triumphgefühl vergaßen sie darüber jede Vorsicht. Für sie war der Fall bereits gelaufen. „Dort ist es“, sagte Jouvet und deutete auf die übernächste Sitzreihe. Nun hob er doch das Gewehr an und wurde etwas langsamer. Er pirschte sich an seine Opfer heran wie ein Jäger an sein Wild. „Nichts“, stieß Claudette nervös hervor. Sie stand neben Jouvet und blickte in die Sitzreihe hinein. „Die nächste Reihe.“ Jouvet rannte voraus und suchte in der nächsten Sitzreihe nach Parker und Lady Simpson. „Nichts!“ Claudettes Stimme klang bereits etwas schrill. „Die nächste Reihe“, entschied Jouvet und nahm sich weitere Sitzplätze vor. „Nichts“, Claudettes Stimme produzierte hysterische Untertöne. „Das kann doch nicht wahr sein“, beschwerte sich Jouvet nervös. „Ich hab den Treffer doch genau mitbekommen. Haargenau in der Brust.“ „Nichts.. .!“ Claudette hatte sich bereits die nächste Sitzreihe vorgenommen. Ihre Stimme wurde von einem nervösen Schluchzen überlagert. „Auuu!“ rief Jouvet in diesem Moment und faßte nach seiner linken Schulter. „Was ist passiert?“ Claudette wirbelte zu Jouvet herum und sah ihn aufmerksam an. „Irgendwas in der Schulter. Sieh doch mal nach. Schnell! Das brennt wie Feuer.“
Er wandte ihr seinen Rücken zu und präsentierte ihr einen Blasrohrpfeil, wie er von den Indianern des Amazonenbeckens mit Vorliebe benutzt wird. „Mach doch“, stöhnte Jouvet, „das brennt ja höllisch.“ „Ein... Ein Pfeil!“ sagte Claudette und wich zurück. „Ein Pfeil?“ Jouvet drehte sich entsetzt zu Claudette um. „Was soll das heißen?“ „Wie aus einem Blasrohr“, sagte Claudette. „Reiß ihn 'raus. Ich komm nicht dran. So mach doch endlich, Claudette. Ich halte das nicht mehr aus,“ Vor seinen Augen verschwamm das Gesicht seiner Freundin. Ihm wurde heiß in, den Adern. Er atmete schwer und schnell. Eine seltsame Schwäche lähmte seine Glieder. „Ich — ich bin vergiftet“, stöhnte er, sackte auf die Knie und rollte dann auf die Stufen der langen Treppe. Claudette wich noch weiter zurück. Sie sah sich wie ein gehetztes Tier nach allen Seiten um. Dann ergriff sie schreiend die Flucht. Sie sah deshalb auch nicht, was sich hinter ihr tat. Ein dunkler Gegenstand, der an ein Handbeutelchen erinnerte, sauste direkt auf ihren Hinterkopf. Bruchteile von Sekunden später kam es zu einem Zusammenprall beider Körper. Der „Glücksbringer“ im Pompadour von Agatha Simpson erwies sich als härter und überzeugender. Claudette tat einen schnellen Sprung nach vorn, verlor das Gleichgewicht und landete dann auf den Stufen des langen Treppengangs. *** „Myladys Treffsicherheit ist bemerkenswert“, stellte der Butler fest, nachdem er Claudette untersucht hatte. Er richtete sich auf und reichte Agatha Simpson mit einer Verbeugung den Pompadour zurück. „So haben wir wenigstens eine Person, die wir befragen können“, sagte Lady Simpson zufrieden. „Jouvet wird wie lange schlafen?“ „Wenigstens eine Stunde, Mylady.“ „Verhören wir sie hier im Theater?“ „Davon möchte ich Mylady abraten. Es könnten Störenfriede erscheinen, die den Gang der Unterhaltung bremsen würden.“ „Dann schaffen Sie den Wagen her“, entschied Agatha Simpson energisch. „Ich werde hier Wache halten.“ Parker beeilte sich, zurück zum hochbeinigen Monstrum zu kommen und brachte es dann in die Nähe der Zuschauersitze. Den Transport zum Wagen übernahm er ebenfalls. Agatha Simpson hielt derweil Wache. Und die etwas angejahrte alte Dame wirkte dabei sehr energisch und entschlossen. Sie war bereit, jeden Störenfried nachdrücklich in die Flucht zu schlagen.
„Wenn Mylady mich jetzt einen Moment entschuldigen wollen“,, sagte Parker nach dem Verladen der beiden Individuen, wie Mylady sie genannt hatte. „Ich möchte meine Garderobe in Ordnung bringen.“ „Zieren Sie sich bloß nicht unnötig“, meinte die Detektivin wegwerfend. Dennoch zierte sich Parker. Er verschwand im Dunkel und streifte sich seinen schwarzen Zweireiher ab. Dann konnte er sich die beiden kugelsicheren Westen abbinden, die ihn in seiner Bewegungsfreiheit ein wenig gestört hatten. Die beiden Westen hatten den Gewehrschuß ohne weiteres geschluckt. Bis auf einen harten Schlag hatte der Butler davon nichts gespürt. „Wo soll das Verhör stattfinden?“ fragte Lady Simpson, als sie im Wagen saßen und das Museum Massena passierten. Sie schien sich in sehr angeregter Stimmung zu befinden. „Haben Mylady besondere Wünsche?“ „Gibt es hier in Nizza irgendeine alte Folterkammer aus dem Mittelalter?“ erkundigte sich Agatha Simpson grimmig. „Ich möchte diese beiden Individuen nämlich besonders verwöhnen!“ *** Eine Folterkammer wurde erfreulicherweise nicht gebraucht. _ Als Claudette wieder zu sich kam, stand sie unter einem schweren Schock. Der Blasrohrpfeil schien ihr Inneres ungemein aufgewühlt zu haben. Sie schien gegen diesen Gegenstand allergisch zu sein. Verständlicherweise vermißte sie ihren Partner Jouvet, den Parker im Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums untergebracht hatte. Claudette, das Mädchen mit dem strengen und hart geschnittenen Gesicht dachte wohl, Jouvet habe das Zeitliche gesegnet. Sie schüttelte sich, als Parker ihr den Blasrohrpfeil präsentierte. Der Butler hatte den Wagen hinaus auf die Küstenstraße gelenkt. Sie standen jetzt in einer Parktasche und konnten sich ungestört unterhalten. Der Verkehr war um diese Zeit fast völlig eingeschlafen. „Tun Sie das schreckliche Ding weg“, sagte Claudette und schüttelte sich. „Eine wirksame Waffe, wie Sie wohl festgestellt haben dürfen.“ „Ist... Ist er tot?“ „Gehen wir auf dieses Thema besser nicht ein“, meinte der Butler ausweichend. Er hatte im Fond des Wagens neben Claudette Platz genommen, während Mylady vorn auf dem Fahrersitz saß. „Sie müssen aber zugeben, daß Ihr Partner es nicht anders gewollt hat.“ „Ich... Ich hatte es ihm gleich gesagt.“ „Davon später mehr“, unterbrach Parker sie und drehte den Blasrohrpfeil zwischen seinen Fingern. „Bleiben wir beim Thema. Wo befindet sich Miß Porter?“ „Ihr ist nichts passiert! Wirklich.“
„Davon möchten Mylady und meine Wenigkeit uns eben überzeugen.“ „Lassen Sie mich laufen, wenn ich Ihnen das Versteck verrate?“ „Dieses Thema werden wir zu einem späteren Zeitpunkt näher erörtern. Jetzt möchte ich erst mal die Adresse haben.“ Sie zierte sich nicht lange, worüber Lady Simpson sich fast ärgerte. Sie hatte sich nämlich damit befreundet, die Wahrheit aus ihr herauszuprügeln, und zwar mit gekonnten Ohrfeigen. Mylady nahm noch immer übel. Sie hatte es gar nicht gern, daß man auf sie geschossen hatte. „Hoffentlich haben Sie die Wahrheit gesagt“, sagte Parker, als er mit Agatha Simpson den Platz gewechselt hatte. „Sie dürften ja aus nächster Nähe mitbekommen haben, wie dieser Blasrohrpfeil wirkt.“ Worauf Claudette sich noch tiefer in die Wagenecke drückte. Aus vor Entsetzen weit geöffneten Augen maß sie den Blasrohrpfeil, den jetzt die Detektivin übernahm. *** Es war Tag geworden. Agarde wanderte im Wohnraum seines Landsitzes auf und ab. Seine Stimmung war nicht gerade rosig. Er überlegte, wie er sich weiter verhalten sollte. Hatte es überhaupt noch einen Sinn, den Brillanten aus Nizza nachzujagen? War es vielleicht doch besser, allen Groll zu vergessen und sich abzusetzen? Parker und diese alte Lady hatten sich als Gegner erwiesen, gegen die kaum ein Kraut gewachsen war. Darüber hinaus hatte er es eindeutig mit einer neuen Konkurrenz zu tun. Claudette und Eric Jouvet hatten sich selbständig gemacht. Sie wollten den Steinen auf eigene Rechnung nachjagen. Ganz zu schweigen von Garoupe, der sich erstaunlicherweise bisher nicht hatte sehen lassen. Agarde kannte Garoupe. Der Mann mit dem schwarzen Schnauzbart, der so gar nicht wie ein Gangster aussah, dieser Garoupe war ein Mann, der über Leichen ging, wenn es sein mußte. Konnte er sich überhaupt noch auf Marisse und Manoire verlassen? Sie waren Einbruchspezialisten, die eine rauhe Gangart kaum vertrugen. Marisse und Manoire blieben wohl nur noch aus dem einen Grund in seiner Nähe, um ihren Beuteanteil nicht zu verlieren. Wann würden sie sich gegen ihn stellen? Agarde wirkte nervös, als die beiden Mitarbeiter den Wohnraum betraten. Sie wirkten zuerst etwas verlegen, bis Manoire plötzlich eine Schußwaffe zeigte. „Wir setzen uns ab“, sagte er dazu. „Zahlen Sie uns aus, Boß! Dann trennen sich unsere Wege.“ „Genau das hatte ich erwartet.“ Agarde wurde nun ruhig, sehr ruhig sogar. Jetzt, wo die Karte ausgespielt wurde, fand er zu seiner gewohnten Kaltblütigkeit zurück. „Dann wird's Ihnen ja auch nicht schwerfallen.“ Marisse hatte das Wort „übernommen.
„Ich habe die Beute natürlich nicht hier im Haus.“ „Klar! Aber wir werden sie gemeinsam holen, Boß“, sagte Manoire, der von Wort zu Wort immer sicherer wurde. „Machen Sie aber keinen Blödsinn! Ich müßte sonst schießen.“ „Warum wollt ihr aussteigen?“ erkundigte sich Agarde. „Garoupe“, sagte Marisse. „Parker und die alte Lady“, fügte Manoire hinzu. „Die Sache wird zu gefährlich. Das ist schon nicht mehr unsere Schuhgröße, Boß.“ „Warum setzen wir uns nicht gemeinsam ab,“ „Lohnt sich nicht mehr. Also, wohin müssen wir fahren, Boß?“ „Hat wohl keinen Sinn, wenn ich mich weigere?“ „Nein“, erklärte Marisse. „Wir müßten sonst die Wahrheit Stück für Stück aus Ihnen herausschießen. Zwingen Sie uns nicht dazu!“ „Gehen wir!“ Agarde hatte seinen Entschluß gefaßt. Es gab keinen anderen Weg mehr. Marisse und Manoire hatten es so gewollt. Sie mußten jetzt das volle Risiko tragen. „Halt!“ Wohin?“ Manoire war mißtrauisch. „Zum Versteck“, antwortete Agarde und rang sich ein Lächeln ab. „Oder bekommt ihr plötzlich doch noch kalte Füße?“ Er ging voraus, als ihm nicht geantwortet wurde. Dann kostete es ihn sehr viel Kraft, nicht zusammenzuzucken, neben der Tür stand eine Gestalt, mit deren Auftauchen er früher oder später gerechnet hatte. Diese Gestalt legte ihren Zeigefinger vor die Lippen und bat damit um Diskretion. Agarde witterte Morgenluft. *** „Darf ich mir erlauben, Mylady einen relativ guten Morgen zu wünschen?“ Parker stand neben der Liege, auf der Agatha es sich bequem gemacht hatte. Sie öffnete sofort die Augen und richtete sich auf. „Nichts?“ fragte sie. „Bedauerlicherweise, Mylady.“ Agatha Simpson und Josuah Parker hielten sich in dem kleinen Landhaus auf, das Claudette ihnen genannt hatte. Sie hatten den feuchten Keller gefunden, in dem Kathy Porter festgehalten worden war. Sie hatte den Transistorapparat gefunden, der über eine Wanze mit Informationen beliefert werden konnte, und sie kannten jetzt auch längst die beiden Funksprechgeräte. Claudette hatte nicht gelogen. Dieses kleine Haus war der Schlupfwinkel gewesen, aber Kathy Porter war nicht mehr gefunden worden. In der nur vagen Hoffnung, Garoupe und Kathy Porter könnten doch noch mal zurückkehren, waren Parker und die Frau geblieben. Der Aufenthalt hatte sich bisher nicht gelohnt.
„Darf ich Mylady etwas Tee reichen?“ erkundigte sich der Butler. „Keinen Schluck könnte ich trinken, Parker. Was machen wir jetzt? Wie kommen wir an Garoupe heran?“ „Auch er dürfte sich bald melden, Mylady. Die Steine sind zu verlockend.“ „Wann wird er sich melden?“ Die Ungeduld in ihrer Stimme war unverkennbar. „Sobald Garoupe weiß, daß der Coup von Monsieur Jouvet nicht gelungen ist.“ „Und wie wird er das erfahren?“ „Die Morgenzeitungen werden es ihm sagen, Mylady. Er braucht nur auf die Schlagzeilen zu achten. Falls nicht von einem Mord an Mylady oder an meiner bescheidenen Person berichtet wird, kann sich Monsieur Garoupe alles weitere leicht ausrechnen. Dann weiß er, daß Jouvet das Klassenziel, wenn ich es so ausdrücken darf, nicht erreicht hat.“ „Dann sollten wir gehen, Parker.“ „In der Tat, Mylady.“ „Lassen wir Jouvet und Claudette hier im Keller zurück?“ „Dies bietet sich an.“ „Dann sorgen Sie dafür, daß sie hinreichend belastet werden. Die Polizei könnte sie ja früher oder später abholen.“ „Ich werde mir erlauben, Myladys Anregung sofort in die Tat umzusetzen.“ Josuah Parker brauchte sich wirklich nicht sonderlich anzustrengen, um der später erscheinenden Polizei belastende Hinweise zu liefern. Da war das Gewehr, da waren die Funkgeräte und da war vor allen Dingen eine der Honda-Maschinen, die in einem ans Haus grenzenden Schuppen stand. Um das alles noch abzurunden, opferte Parker eine Stadtkarte von Nizza. Er kreiste das Viertel mit Rotstift ein, in dem sich der ausgeraubte Juwelenladen befand. Jetzt mußte selbst ein Anfänger erkennen, mit wem er es unter Umständen zu tun hatte.. „Der Wagen steht bereit, Mylady“, meldete Parker dann würdevoll und lüftete seine schwarze Melone. „Machen wir einen kleinen Umweg“, schlug Mylady vor. „Ich muß etwas tun, sonst platze ich vor Nervosität.“ „Mylady denken an Monsieurs Landhaus?“ „Richtig“, bestätigte Lady Simpson. „Es könnte ja sein, daß wir Kathy dort finden.“ *** „Trauen Sie Agarde so etwas zu?“ Agatha Simpson sah auf die beiden Individuen, die auf dem Boden der Wohnhalle lagen. Es handelte sich um Marisse und Manoire, die nicht sonderlich gut aussahen. Sie waren sehr nachdrücklich zu Boden geschickt worden. Dann hatte man sie brutal
verschnürt und geknebelt. Sie schnappten nach Luft, als Parker diese Knebel entfernt hatte. „Die Herren werden wahrscheinlich selbst Antwort geben können.“ Nun, Lady Simpson mußte sich in Geduld fassen, bis die beiden Gangster endlich reden konnten. Sie ergingen sich in weitschweifigen Beleidigungen, die sich auf ihren Boß Agarde bezogen. Dann wurden sie bedeutend präziser und belegten Garoupe mit ausgesuchten Schimpfwörtern. Schließlich beteuerten sie ihre reine Ungeduld. Nachdem sie sich etwas abgeregt hatten, berichteten sie von ihrem Pech. Beim Verlassen des Hauses waren sie von Garoupe überrascht worden. Er hatte sie brutal zusammengeschlagen und dann außer Gefecht gesetzt. „Auf welcher Seite steht Garoupe?“ wollte Parker wissen. „Nur auf seiner eigenen“, erwiderte Marisse gereizt. „Wir hätten diesem Schwein niemals trauen sollen.“ „Ist er zusammen mit Agarde weggefahren?“ „Das haben wir schon nicht mehr mitbekommen“, sagte Manoire elegisch. „Aber wenn, dann ist Agarde an der Reihe. Garoupe ist genau die Type, die alles will.“ *** Agarde hatte die günstige Gelegenheit genutzt. Nachdem er Garoupe neben der Tür passiert hatte, hatte er sich schleunigst abgesetzt. Agarde war in den nahen Nelkenfeldern verschwunden und hatte aus sicherer Entfernung zugesehen, wie Garoupe nach ihm gesucht hatte. Später war sein früherer Mitarbeiter dann verschwunden. Agarde wußte, was er von Garoupe zu erwarten hatte. Sollte er sich absetzen und warten, bis sich die Lage wieder normalisiert hatte? Oder war es richtiger, sofort zum Gegenangriff überzugehen und Garoupe zu erledigen? Solange dieser Mann lebte, mußte er mit ihm rechnen. Garoupe würde nicht eher ruhen, bis er die Beute in seinen Besitz gebracht hatte. Ein lebender Garoupe machte das weitere Leben zu einer einzigen Hetzjagd. ; Agarde sah ein, daß der Angriff in diesem Fall die beste Art der Verteidigung war. Er nahm sich also vor, reinen Tisch zu machen. Garoupe mußte auf der Strecke bleiben. Sein Vorteil war es, daß er die Küste genau kannte. Er bewegte sich auf vertrautem Terrain. Garoupe hingegen war fremd hier, er hatte keine Freunde. Er war ganz allein auf sich gestellt. Agarde beschloß also, seine Beute im Versteck zu belassen. Jetzt war erst Garoupe an der Reihe.
*** Garoupe grinste in sich hinein. Durch einen Feldstecher beobachtete er das Verladen seiner vier früheren Partner. Der Gangster aus Paris lag zwischen Sträuchern und Büschen oberhalb des kleinen Hauses. Durch das Glas konnte er jede Einzelheit mitbekommen. Zuerst wurden Jouvet und Claudette in den Transportwagen der Polizei geschafft. Sie machten keinen sehr glücklichen Eindruck. Dann folgten Marisse und Manoire. Sie waren sehr unsicher auf ihren Beinen. Sie litten noch offensichtlich unter der Behandlung, die er ihnen hatte angedeihen lassen. Garoupe durfte zufrieden sein. Butler Parker und die alte Lady hatten genau das getan, was er sich insgeheim erhofft hatte. Sie hatten also Jouvet und Claudette überlistet. Und dann hatten sie ihm noch die Arbeit abgenommen, für die Ausschaltung von Manoire und Marisse zu sorgen. Sie hatten die beiden Männer vom Landhaus hinunter in das frühere Versteck geschafft. Vier Personen spielten nicht mehr weiter mit, was wollte man mehr. Garoupe hatte es jetzt nur noch mit Agarde und mit Parker samt Lady zu tun. Das war überschaubar. Und beide Gruppen bedeuteten ein Riesen vermögen. Besser hätte er die Figuren auf seinem imaginären Schachbrett gar nicht stellen können. Garoupe blieb zufrieden im Gras liegen, als der Transportwagen der Polizei abfuhr. Zurück blieben einige Kriminalbeamte, die das kleine Haus oberhalb der Straße nach weiteren Spuren absuchten. Ein frühzeitiges Geständnis der vier verhafteten Personen brauchte er nicht zu befürchten. Weder Jouvet und Claudette noch Marisse und Manoire würden sich selbst belasten. Es war damit zu rechnen, daß sie sich für die nächsten Tage erst mal vollkommen ausschwiegen. Garoupe dachte an die rothaarige, junge Frau, die sich in seiner Gewalt befand. Sie war nicht nur ein wertvolles Faustpfand, sondern vielleicht sogar eine nette Gespielin, um ihm die Zeit zu vertreiben. Garoupe stand auf und stahl sich auf einem weiten Umweg zurück zu seinem Wagen. Es wurde Zeit, daß er die Kleine fütterte. *** „Eine erfreuliche Reduzierung der Gegner“, stellte Josuah Parker etwa um die gleiche Zeit fest. „Mylady haben es jetzt nur noch mit Monsieur Agarde und Garoupe zu tun ...“ Parker hatte die Polizei verständigt, nachdem Marisse und Manoire in das kleine Haus geschafft worden waren. Auch er und Lady Simpson hatten aus gebührender Entfernung den Abtransport der vier Gangster mitverfolgt.
„Ruhen Sie sich nur nicht auf Ihren Lorbeeren aus“, sagte Lady Simpson. „Denken Sie an Kathy Porter! Ich bin in großer Sorge...“ „Monsieur Garoupe wird sich bald melden.“ „Und einen neuen Tausch vorschlagen?“ „Damit ist zu rechnen.“ „Dann also zurück in unser Haus,“ entschied Mylady. „Agarde werden wir wohl abschreiben müssen.“ „Nur in etwa, wenn ich es so ausdrücken darf.“ „An seiner Stelle würde ich die Küste hier verlassen.“ „Monsieur Agarde muß damit rechnen, daß Garoupe ihm auf den Fersen bleibt.“ „Das könnte ich mir allerdings vorstellen.“ Agatha Simpson saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und unterhielt sich mit Parker durch die heruntergelassene Scheibe, die den Fahrersitz vom Fond trennte. „Aus diesem Grund möchte ich Monsieur Agarde unterstellen, daß er bleibt und den Kampf mit Garoupe aufnimmt.“ „Soll er doch von mir aus. Hauptsache, wir bekommen Kathy heil zurück. Können wir nicht irgendwo und irgendwie den Hebel ansetzen, Parker? Sie sind doch sonst so erfinderisch. Oder sollten Sie nachlassen?“ „Ich werde mich bemühen, Mylady nicht zu enttäuschen“, gab Parker gemessen zurück. „In diesem Zusammenhang möchte ich allerdings darauf verweisen, daß Miß Porter keineswegs eine hilflose, junge Dame ist!“ *** Hier irrte Parker. Kathy Porter befand sich nämlich in einer verzweifelten Situation. Garoupe hatte sie nämlich verschnürt zurückgelassen. Kathy Porter lag auf einem Bett, an das der Gangster sie zusätzlich festgebunden hatte. Dieses Bett wiederum stand in einem Bootshaus, das in einer kleinen Bucht errichtet worden war. Garoupe hatte dieses Versteck gefunden, wo mit einer Entdeckung nicht zu rechnen war. Ein kleines Thekengespräch hatte ihm gezeigt, daß der Besitzer dieses Bootshauses gerade zurück nach Marseille gefahren war. Die Rückkehr dieses Mannes war vor einer Woche nicht zu erwarten. Kathy sah den eintretenden Garoupe aus halb geschlossenen Augen an. „Ich hab' 'nen kleinen Happen für uns mitgebracht“, sagte Garoupe lässig. „Alles in Ordnung?“ „Keineswegs“, erwiderte Kathy Porter. „Was ist los?“ „Können Sie sich das nicht vorstellen?“ Sie gab sich prompt wieder schüchtern. „Ich muß ... Ich habe ... Verstehen Sie denn nicht?“ „Keine Ahnung!“ „Ich müßte mal.“
„Ach so!“ Garoupe grinste. „Hab ich überhaupt nicht dran gedacht. Was machen wir denn da?“ „Drüben ist die Toilette“, stellte Kathy fest. ,Ich weiß nicht“, überlegte Garoupe laut. „Ich trau' dir nicht über'n Weg, Kleine.“ „Sie haben Angst vor mir, nicht wahr?“ „Ich weiß, wie hart Sie zulangen können.“ „Bitte.“ Kathy Porters Stimme klang beschwörend. „Ich halte es nicht mehr aus.“ „Also gut.“ Garoupe öffnete die Tür zum Badezimmer und sah sich um. Eigentlich konnte nichts passieren. Das Oberlicht war zu schmal, um einen menschlichen Körper durchzulassen. Er kam zurück und schnürte die Fußfesseln auf. Kathy Porter stöhnte vor Erleichterung. Dann richtete sie sich auf und streckte ihm ihre festverschnürten Hände entgegen. „Das geht zu weit“, entschied Garoupe. „Sieh' zu, wie du klar kommst, Kleine! Das ist dein Bier ...“ Auf unsicheren Beinen ging Kathy ins Badezimmer und schloß hinter sich die Tür. Sekunden später hörte Garoupe einen dumpfen Fall, dann das Klirren von Porzellan, das auf dem Steinboden zerbrochen sein mußte. Er rannte zur Tür, stieß sie auf und fand Kathy Porter am Boden. Sie mußte mit dem Kopf auf den Rand der Wanne aufgeschlagen sein. Ihr Hals lag in einer fast abenteuerlichen Verrenkung auf der linken Schulter. Garoupe rannte auf sie zu und beugte sich über sie. In diesem Moment wurde Kathy Porter hellwach. Ihre gefesselten Hände schossen wie ein Rammbock nach vorn und trafen die Magengrube des Gangsters. Gleichzeitig riß sie die angewinkelten Beine hoch und erwischte Garoupes Unterleib. Der Franzose wurde hochgeschleudert und landete kopfüber in der Wanne. Er blieb mit dem Gesicht nach unten regungslos liegen. Kathy erhob sich überraschend leichtfüßig und rannte aus dem Badezimmer. Sie schloß die Tür hinter sich und drehte den Schlüssel herum. Dann suchte sie nach einem geeigneten Gegenstand, um die hinderlichen Stricke an den Handgelenken loszuwerden. Sie entschied sich für ein Küchenmesser, das sie in der Pantry fand. Sie hatte die Stricke noch nicht ganz los, als der erste Schuß fiel. Zu ihrem Entsetzen wurde Kathy sich ihres Fehlers klar. Sie hatte es versäumt, Garoupe die Waffe wegzunehmen. Der zweite Schuß... Das Türschloß bewegte sich bereits im splitternden Holz. Kathy Porter ergriff hastig die Flucht. Sie rannte aus dem Bootshaus und entschied sich für die Wasserseite. Als sie auf dem Steg stand, erschien Garoupe bereits in der Tür des Bootshauses. Er hob den Arm und visierte Kathy an.
Mit einem eleganten Hechtsprung löste sie sich vom Steg und verschwand im Wasser. Sie blieb unter der Oberfläche und beeilte sich, auf Distanz zu gehen. Als sie auftauchte, sah sie Garoupe, der gerade hastig damit beschäftigt war, ein festgezurrtes Boot loszubinden. Ein Ruderboot übrigens, daß sie kaum zu fürchten brauchte. Kathy tauchte wieder unter und schwamm auf eine nahe Felsspitze zu. Sie wußte zu diesem Zeitpunkt bereits, daß sie gewonnen hatte. Garoupe konnte sie nicht mehr erreichen. *** „Kindchen!“ Lady Simpson geriet etwas aus der Fassung, als Kathy Porter vor ihr erschien. Sie drückte das scheue Reh an sich und blinzelte wenig später in die Sonne. So schaffte sie sich einen Vorwand dafür, daß ihre Augen ein wenig feucht wurden. „Jetzt fühle ich mich wieder sehr angeregt“, stellte Agatha dann fest. „Wir sollten etwas unternehmen, Parker. Haben Sie mir Vorschläge zu machen?“ „Es ist damit zu rechnen, Mylady, daß Garoupe sich bald einfinden wird. Ein zu allem entschlossener Garoupe, wie ich warnend hinzufügen möchte.“ „Er ist brutal“, stellte Kathy Porter fest. „Ich glaube, daß er rücksichtslos schießen wird.“ „Man könnte vielleicht einen kleinen Ausflug unternehmen“, schlug der Butler vor. „In der Hoffnung, daß er sich an uns hängt?“ Lady Simpson nickte animiert. „Damit könnte man rechnen.“ „Spannen Sie Ihre Kutsche an, Parker! Und Sie, Kindchen, ziehen sich um! Sind Sie überhaupt in der Lage, sich die Gegend anzusehen?“ „Bestimmt.“ Kathy Porter sah man die Anstrengungen der vergangenen Stunden nicht an. Sie wirkte fit und unternehmungslustig wie Agatha Simpson. Josuah Parker brauchte keine langen Vorbereitungen zu treffen. Sein hochbeiniges Monstrum war stets bereit. Und gut für jede Überraschung. Nach etwa zwanzig Minuten rauschte der Wagen durch das Parktor hinauf zur Straße und nahm langsam Fahrt auf. Parker fuhr in Richtung Nizza. Er sah immer wieder in den Rückspiegel und wartete auf den Verfolger. Hatte Garoupe Zeit genug, sich einen Wagen zu beschaffen? Würde der schlaue Fuchs überhaupt das Risiko eingehen, eine Verfolgung zu wagen? Als sie den Stadtrand erreicht hatten, wußte Parker Bescheid. Garoupe, falls er überhaupt in der Nähe des gemieteten Landhauses herumstrolchte, war das Risiko nicht eingegangen. Er wartete wohl auf eine bessere Gelegenheit, sich in den Besitz der Juwelen zu bringen ...“ ***
Garoupe hatte sich in der Nähe des Landhauses befunden und die Abfahrt des Trios beobachtet. Das hatte ihn nicht weiter gestört. Sein Plan war einfach. Er wollte auf die Rückkehr von Parker, Agatha Simpson und Kathy Porter warten. Da sie ohne jedes Gepäck losgefahren waren, müßten sie irgendwann wieder zurückkommen. Und dann schlug seine Stunde! Er überquerte den Rasen und ging auf das Landhaus zu. Im Haus selbst wollte er auf die Rückkehr der Bewohner warten, um sie dann blitzschnell zu überfallen und auszuschalten. Bis auf eine Person. Parker sollte diese Person sein und ihm dann endlich sagen, wo sich die Steine befanden. Er hatte das Haus fast erreicht, als ein schallgedämpfter Schuß fiel. Garoupe erhielt einen harten Schlag an der linken Schulter und stürzte zu Boden. Obwohl er schreckliche Schmerzen hatte, blieb er instinktiv regungslos liegen. Er wollte auf keinen Fall einen zweiten Schuß provozieren. Er wollte warten, bis der Schütze aus seinem Versteck erschien. Und dieser Schütze konnte nur Agarde sein ... *** Agarde hatte tatsächlich den Schuß abgefeuert. Er befand sich auf dem benachbarten, unbewohnten Grundstück und rührte sich nicht aus seinem Versteck. Er wußte um die Gefährlichkeit Garoupes und traute ihm nicht über den Weg. Am liebsten hätte er noch einen zweiten Schuß abgefeuert. Sicherheitshalber. Doch er fürchtete, damit zuviel Lärm zu machen. Trotz des verwendeten Schalldämpfers. Agarde hielt das Haus schon seit längerer Zeit unter Sichtkontrolle. Nachdem er sich aus den Nelkenfeldern gestohlen hatte, war er sofort zum Landhaus des Trios hinuntergefahren und hatte hier Posten bezogen. Es ging ihm dabei nicht um Parker, Lady Simpson oder deren Gesellschafterin. Es ging ihm einzig und allein um Garoupe. Schlau und gerissen wie er war, hatte er sich leicht ausrechnen können, daß Garoupe hier ebenfalls erscheinen würde. Garoupe war gierig, so schnell wie möglich die Beute an sich zu bringen. Jetzt lag der Mann knapp vor der Terrassentür und rührte sich nicht. Ein Trick? Agarde hatte Zeit, sehr viel Zeit. Durch ein Fernglas beobachtete er Garoupe, der nach wie vor regungslos auf den Steinplatten der Terrasse lag. War der Mann tot? Oder wollte er ihn nur täuschen? *** Garoupe fühlte, daß er stark blutete. Immer wieder mußte er den Impuls unterdrücken aufzuspringen und sich hinter das Haus zu flüchten. Er wußte, daß er
damit den nächsten und vielleicht tödlichen Schuß auslöste. Er zwang sich dazu, regungslos liegen zu bleiben. Es war eine Frage der Nerven. Wer sie zuerst verlor, hatte verspielt. Garoupe hatte starke Schmerzen und fühlte, daß er von Sekunde zu Sekunde schwächer wurde. Wenn es noch lange dauerte, dann hatte er nicht mehr die Kraft, Agarde anzuspringen. Plötzlich hörte er das Knirschen von Kies. Agarde! Der Bandenboß pirschte sich also heran. Er hatte die erste Runde dieser Nervenschlacht verloren. Er wollte nicht mehr länger warten und sich vergewissern, ob er getroffen hatte. Garoupe wurde kalt und wachsam. Er fühlte sich wieder stark. Das Knirschen des Kieses war nicht mehr zu hören. Agarde mußte . die Steinplatten der Terrasse bereits erreicht haben. Der Wunsch in Garoupe, den Kopf wenigstens ganz leicht zu wenden, wurde übergroß. Durch den Vorhang seiner Wimpern sah er dann Schuhe und Hosenbeine. Noch ein paar Sekunden, dann konnte er aufspringen und sich mit dem Boß befassen. Nur noch ein paar Sekunden! Agarde mußte noch etwas näher herankommen und die Distanz verkürzen. Jetzt... Garoupe schnellte hoch und merkte im gleichen Moment, daß er seine Kräfte falsch beurteilt hatte. Er bekam kaum seinen Oberkörper hoch. Ihm blieb keine Zeit mehr, sich deswegen Vorwürfe zu machen. Er spürte einen harten Schlag, der seinen Hinterkopf traf. Dann fiel er in einen dunklen Schacht, aus dem es für ihn kein Entrinnen mehr gab. *** Parker schritt gemessen über die Terrasse und blieb plötzlich stehen. Er, Mylady und Kathy Porter waren vom Ausflug zurückgekehrt. Zu ihrer Enttäuschung hatte sich nichts getan. Die Gegenseite schien eine schöpferische Pause eingelegt zu haben. Parker sah auf die Steinplatten der Terrasse und merkte jetzt, was sein Unterbewußtsein abgeregt hatte. Einige Platten wirkten besonders sauber. Sie schienen förmlich geschrubbt worden zu sein. „Was ist denn, Parker?“ mahnte Lady Simpson, die sich im Wohnraum befand. „Ich hege einen bestimmten Verdacht“, sagte der Butler. „Wenn Mylady mich einen Moment entschuldigen wollen ...“ Er holte den schwarzen Spezialkoffer aus seinem Zimmer und öffnete ihn.
Wenn er ihn in der Mitte auseinanderzog, wurde eine Vielzahl von Fächern sichtbar, die mit Spezialgeräten aller Art gefüllt waren. Parker holte sein kleines, chemisches Besteck hervor und kam zurück auf die Terrasse. Er kniete nieder und befaßte sich mit den Ritzen der Plattenstöße. Agatha Simpson und Kathy Porter waren neugierig näher gekommen und sahen interessiert zu. Parker hantierte mit Pinzette, mit Gläsern, mit Lösungsmitteln und mit Reagenzien. „Blut“, stellte er nach wenigen Minuten fest und richtete sich auf. „Blut?“ Agatha Simpson war leicht konsterniert. „Wahrscheinlich Menschenblut“, redete der Butler weiter, „ich möchte von der Tatsache ausgehen, Mylady, daß hier auf der Terrasse ein Mensch verletzt oder getötet wurde.“ „Garoupe? Agarde?“ „Dies, Mylady, ließ sich leider nicht feststellen.“ „Demnach haben wir es jetzt nur noch mit einer Person zu tun“, meinte Lady Simpson. „Mit einem zu allem entschlossenen Mann!“ „Dies ist anzunehmen, Mylady.“ „Ich möchte mir die Freiheit nehmen, Myladys Worte zu unterstreichen!“ „Dann geht's also in die Endrunde, Parker, oder?“ „Dem ist nichts hinzuzufügen.“ „Und wo ist die Leiche?“ wollte Lady Simpson wissen. „Falls es natürlich eine gibt...?“ „Ich werde mich sofort darum kümmern, Mylady.“ *** Zwei Tage verstrichen, ohne daß sich etwas getan hätte. Die Gegenseite verhielt sich ruhig. Ganz abgesehen davon, daß Parker keine Leiche gefunden hatte. Auch die Zeitungen berichteten nichts vom Fund eines Toten. „Eine neue Taktik?“ erkundigte sich Lady Simpson am Abend des zweiten Tages. „Will man uns nervös machen?“ „Dies, Mylady, oder zu sicher.“ „Ob Agarde sich abgesetzt hat?“ , „Dies, Mylady möchte ich bezweifeln.“ „Ich glaube, daß Garoupe draufgezahlt hat“, redete Lady Simpson weiter. Sie, Parker und Kathy Porter befanden sich im Wohnraum des Landhauses. Licht war nicht eingeschaltet. „Das möchte ich auch annehmen“, ließ Kathy Porter sich schüchtern vernehmen. „Ein Garoupe hätte nie so lange gewartet...“
„Also Agarde! Gehen wir mal von dieser Voraussetzung aus. Entweder verzichtet er auf unsere Steine und hat sich abgesetzt, oder aber er wartet auf eine ganz bestimmte Gelegenheit.“ „Sehr wohl, Mylady“, gab der Butler zurück. „Er will uns vielleicht glauben machen, er habe die Küste verlassen.“ „Dies liegt durchaus im Bereich der Möglichkeit, Mylady.“ „Er muß inzwischen wissen, daß wir die Polizei noch immer nicht informiert haben.“ „Mit Sicherheit, Mylady.“ „Er muß annehmen, daß wir die Steine aus irgend welchen Gründen für uns behalten wollen.“ „Dies könnte möglich sein, Mylady.“ „Vielleicht liefern auch Sie endlich mal einen Diskussionsbeitrag“, raunzte Mylady jetzt den Butler an. „Wollen wir bis in die Puppen warten?“ „Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, so möchte ich Mylady raten, die Küste zu verlassen. Mit allem Gepäck. Monsieur Agarde soll annehmen, daß Mylady andere Gefilde aufzusuchen gedenkt.“ „Na, endlich! Das ist doch was.“ Agatha Simpson stand sofort auf. „Locken wir den Fuchs aus seinem Bau.“ *** Die Panne auf der Straße Nr. 204 war natürlich fest eingeplant. Sie waren mit dem hochbeinigen Monstrum etwa eine Stunde unterwegs, als der Kühler diskret kochte. Parker hielt seinen Wagen an und stieg aus. Dabei sah er die serpentinenreiche Straße hinunter, die in anderer Richtung hoch hinauf in die Seealpen führte. Ob sie verfolgt wurden, hatte sich nicht feststellen lassen. Autoscheinwerfer waren auf jeden Fall nicht auszumachen gewesen. Agarde, falls er überhaupt folgte, war sehr vorsichtig und ließ sich auf kein Risiko ein. Parker bastelte am Motor herum und nahm schließlich eine Thermosflasche, um seitlich im Gelände nach Wasser zu suchen. Diesen Eindruck wenigstens sollte ein Beobachter haben. Lady Simpson und Kathy Porter blieben am Wagen zurück. Es war inzwischen fast zweiundzwanzig Uhr geworden, doch richtig dunkel war es nicht. Der Mond stand prall am Himmel und lieferte gutes Büchsenlicht. Agatha Simpson und Kathy Porter waren deswegen sicherheitshalber im Wagen zurückgeblieben. Das schußsichere Glas des hochbeinigen Monstrums bot da guten Schutz. Agatha Simpson und Kathy Porter wurden völlig überrascht, als plötzlich ein Motorradfahrer heranjagte und knapp neben dem Wagen hielt. Der Fahrer, in schwarzer Lederkleidung und mit Stratosturzhelm, richtete eine Pistole auf Lady Simpson. „Die Steine“, rief er, „oder es knallt!“
Parker, Agatha Simpson und Kathy Porter hatten vor Antritt der Fahrt möglichst alle Eventualitäten durchgesprochen. Lady Simpson wußte also, wie sie sich zu verhalten hatte. Obwohl die Panzerscheibe einen Schuß abgewehrt hätte, gab sie sich ängstlich und hob sofort die Arme. Kathy Porter folgte diesem Beispiel und war noch scheuer und ängstlicher als sonst. „Die Steine!“ forderte der Motorradfahrer erneut. Sein Gesicht war nicht zu erkennen. Er hatte das getönte Schutzschild des Helms heruntergeklappt. Er schien geradewegs aus dem Weltraum gekommen zu sein. Lady Simpson öffnete ihre Reisetasche, die vor ihr auf dem Wagenboden stand und holte ein Ledersäckchen hervor. Dann kurbelte sie das Fenster ein wenig herunter und warf dem Fahrer das Säckchen zu. Er begnügte sich nicht damit, nur nach den Steinen zu tasten. Er schnürte das Säckchen auf und warf einen schnellen Blick über den Inhalt. Und schon schob er den Gang ins Getriebe, ließ die Kupplung kommen und preschte zurück in Richtung Nizza. „Puhhh“, stöhnte Lady Simpson auf, als der Fahrer außer Sicht war. „Das sah ja direkt unheimlich aus. Mit wem hatten wir es zu tun, Kindchen?“ „Eindeutig mit Monsieur Agarde“, gab Kathy Porter zurück. „Garoupe ist kleiner und untersetzter.“ „In der Tat“, ließ Parker sich in diesem Moment vernehmen. Durch sein lautloses Auftauchen auf der anderen Wagenseite sorgte er dafür, daß Agatha erneut zusammenschrak. „Garoupe sollte man tunlichst abschreiben. Er dürfte sein Klassenziel nicht erreicht haben.“ „Die Steine wären wir los“, sagte Lady Simpson bedauernd. „Nur kurzfristig, Mylady“, gab der Butler zurück und setzte sich ans Steuer. „Monsieur Agarde wird noch seine Überraschungen erleben, wie ich versichern darf.“ Parker wendete sein hochbeiniges Monstrum, dessen Motor plötzlich nicht mehr kochte. Durch das Umlegen eines Kipphebels hatte Parker die weitere Zufuhr von Wasserdampf beendet. „Ich bitte sich anschnallen zu wollen“., sagte Parker, während er sich anschickte, zurück nach Nizza zu fahren. „In Anbetracht der Eile, die geboten ist, werde ich wohl ein wenig schneller fahren müssen ...“ *** Agarde stieg von der Honda „und wog s Ledersäckchen genußvoll in der and. Es war geschafft! Er hatte sich die Beute, die er in Nizza gemacht hatte, endlich wieder zurückholen können. Die Panne war damit ausgebügelt worden. Eine Panne übrigens, die im Endeffekt nichts als Vorteile erbracht hatte. Er war nämlich seine Mitarbeiter losgeworden.
Garoupe war tot! Er trieb irgendwo im Meer. Ob man ihn bald oder nie fand, war ihm völlig gleichgültig. Marisse, Manoire, Claudette und Jouvet logierten bei der Polizei. Ob sie nun aussagten oder nicht, war ihm gleichgültig. Er verfügte jetzt über ein Vermögen, um drüben in Südamerika völlig neu beginnen zu können. Agarde hatte seinen Beruf nicht ohne Grund gewechselt. Als Blumenzüchter war er nicht gerade erfolgreich gewesen. Ja, im Grund hatte er sogar die völlige Pleite angesteuert. Darum hatte er umgeschaltet und sich auf das Ausrauben von Villen und Jachten spezialisiert. Die passenden Mitarbeiter hatten sich schnell finden lassen. Marseille war schließlich nicht weit, und in dieser Stadt konnte man alles anheuern, was man gerade brauchte. Sein Trick war sehr einfach gewesen. Agarde hatte sich für Kriminelle interessiert, die aus der Hotelbranche kamen. Dank seiner vielen Bekanntschaften hatte er seine Mitarbeiter dann in hochherrschaftliche Häuser eingeschmuggelt, wo sie die günstigen Gelegenheiten ausbaldowert hatten. Agarde hatte wirklich ausgesorgt. Zusammen mit der Beute aus den bisherigen Einbrüchen verfügte er über Schmuck und Brillanten im Wert von über zwei Millionen. Wenn er diese Stücke schön vorsichtig in den Verkehr schleuste, konnte ihm gar nichts passieren. Über einen Hehler wollte er die Steine auf keinen Fall verkaufen. Er wollte sich seinen Reingewinn dadurch nicht schmälern lassen. Agarde schob die Honda in den Bretterverschlag und sperrte die Tür zu dem kleinen Haus in der Altstadt auf. Diese Zweitwohnung hatte er geheimgehalten. In dieser Wohnung befanden sich seine neuen Papiere und einige Utensilien, um sein Aussehen zu verändern, Er hatte vor, noch in dieser Nacht als Monsieur Mogave Nizza zu verlassen. Von Marseille aus wollte er dann seinen Flug nach Südamerika antreten. Trotz aller Vorsicht war keine Zeit zu verlieren. Agarde hatte inzwischen erfahren, wie gefährlich ein Josuah Parker und eine Lady Simpson als Gegner waren. In seiner kleinen Wohnung angekommen, schnürte er das Ledersäckchen wieder auf und goß die Brillanten auf den Tisch des kleinen Wohnzimmers. Er grunzte förmlich vor Behagen, als er die Steine flüchtig sortierte. Sie waren wunderbar. Sie waren die beste Beute, die er bisher gemacht hatte. Agarde achtete vor allen Dingen darauf, daß Parker ihm kein Kuckucksei zwischen die Steine geschmuggelt hatte. Er traute dem Butler durchaus zu, einen Minisender eingepackt zu haben. Nun, dies war nicht der Fall. Der Inhalt des Ledersäckchens war sauber. Alle Spuren waren verwischt. Das neue Leben in Luxus und Reichtum konnte beginnen. »Erstaunlich schöne Steine“, sagte in diesem Augenblick eine ihm bekannte Stimme. Agarde wirbelte herum und starrte den Butler fassungslos an. „Sie?“ fragte er dann gedehnt.
„In der Tat“, erwiderte Parker. „Sie werden verstehen, daß ich Ihr Spiel beenden möchte.“ „Wie ... Wie haben Sie mich gefunden?“ stotterte Agarde fassungslos. „Ein Minisender wies mir den Weg!“ „Minisender? Wieso? Die Steine sind doch völlig in Ordnung. Ich ... Ich begreife das nicht!“ „Sie übersahen den Kleinstsender am hinteren Schutzblech Ihrer Honda“, erläuterte der Butler höflich. „Wenn Sie Einzelheiten hören möchten, stehe ich gern zur Verfügung!“ „Eine ,Wanze' am hinteren Schutzblech?“ „Selbstverständlich bemühte ich mich keineswegs um frisches Kühlwasser“, gestand Parker. „Ich wartete in unmittelbarer Nähe des Wagens. Für den Fall nämlich, daß Sie auf die Damen schießen würden. Als Sie sich verabschiedeten und das Motorrad wendeten, war ich so frei, den Kleinstsender anzubringen.“ „Aber wie denn?“ Agarde schien nur an dieser Frage interessiert zu sein. „Mittels dieser kleinen Spielzeugpistole.“ Parker präsentierte den fassungslosen Boß eine Federzugpistole, wie man sie leider immer noch für Kleinkinder anzubieten pflegt. „Am Ende des Gummistöpsels befand sich der Kleinstsender“, sagte Parker dazu freundlich. „Eine zugegebenermaßen primitive Methode, die aber ihren Zweck erfüllte ...“ Agarde reagierte wenig fein. Er brachte es nicht über sich, Parker seine Anerkennung auszusprechen. Nein, er wollte ihn unbedingt niederschießen. Und dazu griff er blitzschnell in die Tasche seiner Kombination, die er noch trug. Da diese Lederkleidung aber sehr eng anlag, brachte er die Schußwaffe nicht schnell genug hervor. Agatha, die jetzt hinter Parker erschien, löste das Problem auf ihre Art, wobei sie ihren „Glücksbringer“ fast vernichtend einsetzte. Vom Hufeisen im Pompadour an der Schläfe getroffen, fiel Agarde mit dem Oberkörper über den Tisch und bedeckte damit die Brillanten, für die er sogar einen Mord begangen hatte ... *** „Die Herren waren einfach reizend zu mir“, berichtete Agatha Simpson, als sie. zum Wagen zurückkehrte, in dem Parker und Kathy Porter gewartet hatten. Mit den Herren meinte Mylady die Beamten der Kriminalpolizei, denen sie die Gesamtbeute übergeben hatte. Mit einem beigefügten Bericht über die näheren Einzelheiten und Umstände. „Man war Mylady nicht gram wegen gewisser Eigenmächtigkeiten?“ fragte Parker, der selbstverständlich ausgestiegen war und Lady Simpson den hinteren Wagenschlag öffnete.
„Man wollte“, gab die ältere Dame zurück. „Doch als ich ein wenig unwirsch wurde, bequemten sich die Herren zur Höflichkeit.“ Parker verbiß ein Lächeln, Er konnte sich Agatha Simpson in der geschilderten Situation sehr gut vorstellen. Sie konnte, wenn sie wollte, die große Dame mit den herzoglichen Gesten sein. Sie wirkte dann kühl wie ein Gletscher am Südpol. Parker dachte auch an die Beute, die Mylady abgeliefert hatte. Normalerweise wäre die Polizei nie in ihren Besitz gekommen. Ganz abgesehen davon, daß Agarde sie mitgenommen hätte, waren die Schmuckstücke und Brillanten in einem recht raffinierten Versteck gewesen. Und dazu noch in einer Wohnung, die den Behörden unbekannt gewesen war. Die Kriminalpolizei hatte sich also gehütet, Agatha Simpson Vorwürfe zu machen. Parker war absichtlich nicht in Erscheinung getreten. Für die Behörden war Mylady zuständig. Sie schaffte es immer wieder, aufgebrachte Beamten zur Ruhe zu bringen. Entweder mit zauberhaftem Charme, oder aber mit dem Grollen eines aufziehenden Gewitters. Das Aufspüren der übrigen Beute in Agardes Zweitwohnung war nicht schwer gewesen. Agarde hatte nicht viel Phantasie entwickelt und sich mit dem Hohlraum unter einer losen Diele begnügt. „Worauf warten Sie noch, Parker?“ erkundigte sich Lady Simpson, den Butler aus seinen Gedanken hochschreckend. „Haben Mylady besondere Wünsche?“ „Was kann man in dieser späten Stunde noch erleben?“ erkundigte sich Agatha. „Ich bin in aufgekratzter Stimmung. Ich weiß, wir werden irgendwo eine Flasche Sekt trinken.“ Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum durch die immer noch recht belebte Stadt, erreichte das Hafenviertel und wollte gerade bremsen, als Mylady sich aufrichtete. „Was ist das für ein Licht?“ fragte sie und deutete nach vorn. „Ich möchte unterstellen, daß es sich um Scheinwerfer handelt.“ „Etwa Nachtaufnahmen für einen Film?“ „Möglicherweise, Mylady.“ „Fahren Sie sofort dorthin“, entschied Agatha Simpson. „Das möchte ich mir nicht entgehen lassen.“ Parker kam ihrem Wunsch nach und erreichte nach kurzer Zeit tatsächlich eine schmale Straße, in der Nachtaufnahmen für einen Film gedreht wurden, und zwar vor den Auslagen eines Juweliergeschäftes. „Ich fühle mich sehr angeregt“, stellte Lady Simpson fest, stieg bereits aus, bevor Parker den Wagenschlag öffnen konnte. Vor dem Geschäft herrschte hektisches Treiben, wie es beim Film so üblich ist. Das Licht war bereits eingerichtet worden, der Regisseur, ein rundlicher Mann mit
Stirnglatze, erklärte seinen Akteuren die Szene, die Kamera fuhr ihre Positionen probeweise ab, und der Ton wurde noch mal korrigiert. Dann war es soweit... Agatha Simpsons Augen öffneten sich, als ein Motorradfahrer auf einer Yamaha heranpreschte und kurz vor einem Schaufenster hart bremste. Er hatte plötzlich einen Ziegelstein in der Hand und warf die Scheibe ein. Die Kamera fuhr nahe an diese Szene heran, es herrschte atemlose Stille, die jetzt durch das Klirren und Zerbrechen der Scheibe unterbrochen wurde. Dann passierte es ... Als der Fahrer wieder lospreschen wollte, handelte Agatha sehr instinktiv, schnell und gekonnt. Der Pompadour mit dem „Glücksbringer“ segelte durch die Luft und erwischte den Fahrer, der, weil er als Star später von den Zuschauern erkannt werden mußte, keinen Sturzhelm trug. Sekunden später lag der Star neben seinem Motorrad und nahm übel. In der allgemeinen Verwirrung, die verständlicherweise entstand, barg Parker den, Pompadour von Mylady und brachte ihn zurück. „Das habe ich nicht gewollt“, entschuldigte sich die Detektivin. „Ich muß völlig instinktiv reagiert haben. Was machen wir jetzt, Parker?“ „Ich möchte Mylady vorschlagen, den Schauplatz der Handlung still und heimlich zu verlassen“, meinte der Butler. „Es könnte durchaus sein, daß man Myladys Eingreifen mißversteht...“ ENDE
Scan: crazy2001 @ 01/2011
Butler Parker wird fortgesetzt mit Band 127 Günter Dönges schrieb für Sie: PARKER klopft dem „Paten“ auf die Finger Lady Agatha Simpson trat dem Mafia-Vertreter von Rom sehr nachdrücklich auf die Füße, und Josuah Parker ahnte bereits im voraus, was kommen würde. Die streitbare alte Dame aus England dachte nicht im Traum daran, Vernunft anzunehmen und konzentrierte sich auf den „Paten“, den großen! Mann im Hintergrund, der die Mafia in der italienischen Metropole beherrschte. Butler Parker hatte alle Mühe, die Engländerin aus der Gefahrenzone herauszuhalten, und wieder mal mußte er sich mit Kathy Porter verbinden, Lady Agathas Gesellschafterin. Mit den Waffen einer Frau sorgte sie dafür, daß auch dieser Fall für Parker zu einem glänzenden Finish führte. Er kostete einige Nerven, und Parker sehnte sich wieder nach ruhigen Tagen, wie er sie so oft mit seinem jungen Herrn, Mike Rander, verbracht hatte ... Günter Dönges schrieb einen neuen PARKERKrimi, in dem es noch skurriler] zugeht als in früheren Stories. Hochspannung, Aktualität und Witz garantieren erneut eine explosive Mischung! Lesen Sie diesen PARKER mit seiner] turbulenten Atmosphäre — unnachahmlich dieser neue Kurs, mit dem Autor] Günter Dönges seine zahlreichen Leser überrascht.
In unserer Neuauflage erscheint als Butler Parker Nr. 95: PARKER und die Dame ohne Unterleib ebenfalls von Günter Dönges.