PARKER treibt den Dämon aus Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Lady Agatha füh...
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PARKER treibt den Dämon aus Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Lady Agatha fühlte sich in ihrem Element. Sie saß am Steuer des kleinen Mini-Cooper, der ihrer Sekretärin und Gesellschafterin gehörte. Lady Agatha war ganz bei der Sache und merkte wohl gar nicht, daß Kathy Porter sicherheitshalber den Sicherheitsgurt noch fester anzog, daß sie mitbremste und sich in den Kurven krampfhaft festhielt. Die Reaktion der jungen, schlanken und langbeinigen Kathy Porter war durchaus verständlich, denn Lady Agatha bewegte den Wagen mit dem Temperament eines Geländefahrers, der wertvolle Zeit einholen will, um doch noch Sieger aller Klassen zu werden. Lady Agathas Fülle sprengte fast den kleinen Wagen. Sie war eine große, stämmige Dame, bereits in den Jahren und erinnerte an die Walküre aus einer älteren Wagner-Inszenierung. Agatha Simpson befand sich zusammen mit ihrer Sekretärin auf der Fahrt zu einer Bekannten, die angerufen und fast hysterisch um einen Besuch gebeten hatte. Bevor die Detektivin Fragen stellen konnte, war auf der Gegenseite bereits aufgelegt worden. Daher; die Eile der Lady, die nur zu gern half, selbst wenn man das nicht wünschte. „Die Straße ist ein wenig glatt“, stellte Kathy Porter mit neutraler Stimme fest, um Lady Agatha nicht unnötig herauszufordern. „Man muß eben fahren können“, erwiderte sie mit ihrer tiefen, baritonal gefärbten Stimme. „Sie haben doch nicht etwa Angst, Kindchen?“
„Natürlich nicht, Mylady“, gab Kathy Porter wider besseres Wissen zurück und zog den Sicherheitsgurt strammer. „Das möchte ich mir auch ausgebeten haben“, stellte Lady Simpson nachdrücklich fest, „ich bin ja schließlich keine Anfängerin.“ Was nur teilweise stimmte. Sie besaß schon seit vielen Jahren einen Führerschein, hatte sich aber in der vergangenen Zeit immer nur fahren lassen. Erst seit einigen Monaten war ihr sportlicher Ehrgeiz wieder geweckt worden. Leider sehr nachhaltig, wie Kathy Porter fand. Sie wußte, daß Lady Simpson sogar mit dem Gedanken spielte, sich ein Motorrad anzuschaffen. Das alles hing mit ihrem neuen Hobby zusammen, denn die Lady betrachtete sich als Schriftstellerin und war dabei, ihren ersten Kriminalroman zu verfassen. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, eine gewisse Agatha Christie in den Schatten zu stellen.
„Eine Kurve, Mylady“, erinnerte Kathy Porter mit einer Stimme, in der das ängstliche Beben kaum zu überhören war. „Alles eine Frage der Fahrtechnik“, antwortete Agatha Simpson leichthin. „Sie werden sehen, wie ich die harmlose Strecke meistere.“ Die Straße war tatsächlich glatt. Ein starker Wolkenbruch, der die Stadt mit Wasser förmlich überflutet hatte, war in ein leichtes Nieseln übergegangen. Hinzu kam die Tücke gerade dieser Kurve, vor der Kathy Porter gewarnt hatte. Sie begann zwar harmlos, zog sich aber sehr eng zusammen. Das aber wußte Lady Agatha nicht. Sie fuhr mit viel Dampf in die Kurve hinein, merkte viel zu spät, daß sie zu schnell war und trat voll aufs Bremspedal. Da sie ohnehin eine äußerst energische Frau war, fiel dieser Bremsvorgang sehr nachdrücklich aus. Der Mini-Cooper kam aus der Bahn, segelte wie ein Eisstock über die glatte Asphaltstraße und näherte sich unaufhaltsam dem Schaufenster eines Milchladens auf der gegenüberliegenden Seite. Kathy Porter schloß die Augen, als der Mini-Cooper krachend durch die berstende Scheibe flog. Glassplitter regneten auf das Dach des Mini-Coopers herunter. Blech kreischte, und Mylady fiel in den Sicherheitsgurt und wurde augenblicklich auf ihrem Sitz fixiert. Sie wußte sofort, daß ihr überhaupt nichts passiert war. „Mylady?“ erkundigte sich Kathy besorgt. „Alles in Ordnung, Kindchen“, antwortete Agatha Simpson mit ungebrochener Stimme. Auch sie war angeschnallt gewesen und hatte nichts abbe-
kommen. „Ich werde mich übrigens beschweren.“ „Worüber, Mylady?“ fragte Kathy erstaunt und sah sich um. Der Mini-Cooper stand vor der Theke und hatte den dort stehenden Milchtank leckgeschlagen. Ein weißer Strom ergoß sich über die eingedrückte Motorhaube, auf der Milchpackungen, Butter, Käse und Eier fast hübsch dekoriert waren. „Solche Kurven müßten verboten werden“, stellte Lady Agatha grimmig fest. „Überlegen Sie mal, Kindchen, was passiert wäre, wenn ich den Wagen nicht völlig beherrscht hätte!“ „Ich werde Ihnen sofort heraushelfen, Mylady.“ „Ich bin doch keine alte Frau“, raunzte Agatha Simpson ihre Gesellschafterin an. „Hoffentlich brauchen Sie nicht meine Hilfe, Kindchen.“ Lady Simpson wollte die Tür öffnen, doch die hatte sich verklemmt. Die stämmige Dame wußte jedoch Rat. Sie warf sich mit ihrem Oberkörper gegen die klemmende Tür, die daraufhin sofort mitsamt dem Schloß aufsprang und windschief in den Angeln hing. „Eine gräßliche Unordnung hier“, meinte sie dann mißbilligend. „Die Ladeninhaber scheinen sich sehr gehenzulassen.“ Kathy Porter verdrehte ergeben die Augen. Sie kannte Lady Simpson nur zu gut. Es war sinnlos, ihr mit Gegenargumenten zu kommen, sie hätte darauf nicht gehört. „Junger Mann“, raunzte sie bereits den Ladeninhaber an, der sich endlich in das Chaos hineintraute. „Kennen Sie sich hier in der Gegend aus?“
„Na ... natürlich“, stotterte der junge Mann, der einen weißen Verkaufskittel trug. „Sehr schön“, sagte Agatha Simpson, „bin ich auf dem richtigen Weg nach Crane Cottage?“ „Nein“, antwortete der junge Mann, der sich: von seiner Verblüffung erholt hatte, „fahren Sie noch durch mein Büro dann kommen Sie mit Sicherheit hin.“ * Die muntere Unterhaltung wurde jäh gestört, als ein junges Mädchen von etwa zwanzig Jahren im Chaos erschien. Sie war mittelgroß, schlank und hatte blondes Haar. Obwohl sie die Augen weit geöffnet hatte, schien sie das heillose Durcheinander im Ladenlokal überhaupt nicht zu sehen. Sie benahm sich wie eine Schlafwandlerin und schien in Trance zu sein. Sie stieg automatisch und dennoch geschickt über die Flaschentrümmer und Butterpackungen hinweg und strebte dem Ausgang zu. Dabei kam sie dicht an Agatha Simpson vorbei. „Stimmt irgend etwas nicht?“ fragte die Lady. „Gwen“, rief der Mann die junge blonde Frau an. „Gwen, wo willst du hin? Gwen, so antworte doch?“ Sie bekam seine dringenden, fast ängstlichen Fragen überhaupt nicht mit, ging weiter und schüttelte seine Hand wie ein lästiges Insekt ab. Eine Hand, die sich mahnend auf ihre rechte Schulter gelegt hatte. „Sollte ich sie derartig erschreckt haben?“ „Nein“, gab der junge Mann im weißen Kittel zurück. „Sie ist schon seit ein paar
Stunden so. Ich wollte schon den Arzt holen.“ „Tun Sie’s sicherheitshalber“, meinte die Detektivin und nickte ihrer Gesellschafterin und Sekretärin zu, die sich sofort an die Fersen der jungen Frau heftete. Gwen, wie der junge Mann sie genannt hatte, stand bereits auf dem Gehweg und schien unschlüssig zu sein, in welche Richtung sie sich wenden sollte. Sekunden später aber überschlugen sich bereits die Ereignisse und nahmen eine, schreckliche Wendung. Ein Sattelschlepper näherte sich der Kurve, minderte die Fahrt und wurde dann jäh und verzweifelt abgebremst. Gwen hatte sich eindeutig in voller Absicht vor den schweren Wagen geworfen, dessen Bremsen aufkreischten. Der Fahrer versuchte zwar noch, den Sattelschlepper herumzureißen, doch er schaffte es nicht mehr. Die junge Frau war plötzlich nicht mehr zu sehen. Der Fahrer des Sattelschleppers war kreidebleich, als er aus dem Wagen stieg. Er rannte nach vorn, bückte sich, suchte nach der jungen Frau, richtete sich wieder auf, hob ratlos die Schultern, bückte sich erneut, suchte, stand wieder auf und fuhr sich durchs Gesicht. „N... nichts“, stotterte er entgeistert „nichts! Das kann doch gar nicht sein. Ich hab’ sie doch deutlich gesehen. Aber da ist nichts! Keine Frau, nichts. Und ich hab’ sie doch deutlich gesehen!“ „Reißen Sie sich gefälligst zusammen, junger Mann“, raunzte die Lady den Fahrer an. „Kathy, ist da noch etwas zu machen?“ Kathy Porter, die einen Hosenanzug trug, richtete sich gerade auf. Auch sie hatte Ausschau nach dem Opfer gehalten.
Kathy Porters Gesicht hatte einen völlig verblüfften Ausdruck angenommen, als sie sich Lady Agatha zuwandte. „Nichts“, sagte auch sie ratlos, „auch ich habe sie doch deutlich gesehen.“ „Bin ich denn von Schwachköpfen umgeben?“ Agatha Simpson war in milden Zorn geraten. Sie stapfte auf ihren stämmigen Beinen nach vorn zum Wagenkühler und ließ sich auf ihre Knie nieder. Als sie sich aufrichtete, zeigte ihr Gesicht nichts als grenzenloses Erstaunen. „Tatsächlich“, murmelte sie, „nichts zu sehen. Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen. Hallo, Sie, junger Mann!“ Der junge Mann im weißen Kittel kam irgendwie ängstlich aus dem Ladenlokal, erinnerte an einen scheuen, oft geprügelten Hund Und sah Lady Simpson aus weit geöffneten, fragenden Augen an. „Sie haben diese Gwen doch ebenfalls gesehen, nicht wahr?“ wollte Lady Agatha wissen. „Bestimmt“, erwiderte der junge Mann. „Und . .. und sie ist nicht da?“ „Zu makabren Scherzen bin ich nicht aufgelegt“, fuhr die resolute Sechzigerin ihn an. „Wer ist Gwen? Ihre Frau?“ „Meine Schwester“, antwortete der junge Mann, „und sie liegt wirklich nicht unter dem Wagen?“. „Überzeugen Sie sich selbst“, ermunterte Lady Simpson ihn grimmig. „Könnte ja sein, daß wir uns nur getäuscht haben.“ „Nein, nein, ich kann so was nicht sehen“, wehrte der junge Mann ab. „Sehen Sie gefälligst nach, junger Mann“, dröhnte die Stimme der älteren Dame, die an die eines altgedienten Wachtmeisters erinnerte. „Wir treiben hier kein Gesellschaftsspielchen.“
Der junge Mann ging scheu und zögernd, nach vorn zum Sattelschlepper, bückte sich nun ebenfalls, warf einen kurzen Blick unter den Wagen und richtete sich hastig wieder auf. „Ich ... ich kann auch nichts sehen“, sagte er erleichtert und nachdenklich zugleich. „Gott sei Dank, daß ihr nichts passiert ist.“ „Wo haben Sie sie zuletzt gesehen?“ „Oben, in ihrem Zimmer.“ „Schauen wir dort nach“, meinte Lady Agatha grimmig, „dieses Rätsel verlangt nach einer Lösung.“ Nun, sie brauchten nicht nach der jungen, blonden Frau zu suchen. Sie stand plötzlich vor ihnen in der lädierten Tür des Milchgeschäftes, und beobachtete desinteressiert die ganze Aufregung. Sie war heil und unversehrt, lächelte jetzt andeutungsweise und .. ging zurück ins Geschäft. „Zwicken Sie mich gefälligst’„, bellte Lady Agatha ihre Gesellschafterin an. „Tun Sie endlich etwas, Kathy, bevor ich verrückt werde!“ * „Mylady wurden offensichtlich das Opfer einer Sinnestäuschung“, stellte Josuah Parker fest, nachdem seine Herrin ihre Geschichte erzählt hatte. Sie befand sich wieder in ihrer Stadtwohnung in Shepherd’s Market und stand noch sichtlich unter dem Eindruck dessen, was sie draußen am Stadtrand von London erlebt hatte. „Verschonen Sie mich gefälligst mit diesen Gemeinplätzen“, grollte Lady Agatha und deutete auf ihre Sekretärin. „Kathy hat jedes Detail so erlebt wie ich.“
„Hinzu kommen noch der Fahrer des Sattelschleppers und der junge Mann aus dem Milchladen“, fügte Kathy Porter hinzu. „Mister Parker, ich begreife das alles nicht.“ „Eine Art Massensuggestion.“ Mehr sagte der Butler nicht, der steif und gemessen im großen Wohnsalon der Stadtwohnung stand, das Urbild eines hochherrschaftlichen, englischen Butlers, wie ihn ein Film nicht besser liefern konnte. „Jetzt verstehen wir uns schon wesentlich besser“, sagte Lady Agatha zufrieden. „Die Frage ist jetzt, wer uns diese Massensuggestion bescherte und warum er es tat.“ „Könnte dieses Phänomen möglicherweise mit Myladys Fahrt nach Crane Cottage in Verbindung stehen?“ erkundigte sich Butler Parker in gewohnt vornehm-zurückhaltender Art, die ihn auszeichnete. „Sie glauben, daß man Kathy und mir etwas demonstrieren wollte, Mister Parker?“ „Es könnte sich durchaus um einen reinen Zufall gehandelt haben, Mylady.“ „Nein, das war kein Zufall! Oder doch?“ Lady Simpson sah ihre Gesellschafterin erwartungsvoll an. „So sagen Sie doch endlich etwas, Kindchen! Muß ich denn immer allein denken?“ „Mylady sollten Mister Parker vielleicht sagen, warum Sie nach Crane Cottage gefahren sind.“ „Das ist schnell erklärt.“ Agatha Simpson schmunzelte ein wenig ironisch. „Meine Freundin Glaters will Teufel und Dämonen gesehen haben, was natürlich reinster Humbug ist.“ „Dürfte ich darüber mehr erfahren, Mylady?“ ließ der Butler sich vernehmen.
„Das alte Mädchen ist ein wenig skurril“, schickte Agatha Simpson voraus, „in der vergangenen Nacht trieben sich auf der Wiese vor ihrem Schlafzimmer ein paar kleine Teufelchen herum. Das wenigstens behauptete sie nachdrücklich.“ „Erstaunlich“, meinte Parker zurückhaltend. „Sie sollen eine Art Satansreigen aufgeführt haben“, berichtete Agatha Simpson weiter. „Das gute, alte Mädchen wurde richtig rot, als sie von den Obszönitäten sprach, die sie gesehen haben will.“ „Wie denken Mylady darüber?“ fragte Parker. „Sie hätte heiraten sollen“, meinte die Detektivin forsch. „Jetzt geht die erotische Phantasie mit ihr durch.“ „Handelte es sich um mehrere Teufel und Dämonen, Mylady?“ „Sie nehmen diesen Humbug doch hoffentlich nicht ernst, Parker.“ Agatha Simpson sah ihren Butler streng an. „Bleiben wir lieber bei diesem Milchmädchen, das sich vor den Sattelschlepper warf und einige Minuten später unversehrt hinter uns auftauchte. Das ist etwas, was mich interessiert. Daraus könnte man eine tolle Geschichte machen, finden Sie nicht auch?“ „Durchaus, Mylady“, räumte Parker höflich ein. „Konnten Mylady einige Details über dieses junge Mädchen in Erfahrung bringen?“. „Sie heißt Gwen Perkins und ist die Schwester des Inhabers des bewußten Milchladens“, nannte Kathy Porter die Fakten, die sie sich hatte geben lassen. „Miß Perkins ist zweiundzwanzig Jahre alt, weder verheiratet noch verlobt und arbeitet „bei einem Anwalt Hawkins als Sekretärin.“
„Darf ich fragen, ob die Polizei sich eingeschaltet hat?“ wollte der Butler wissen. „Erfreulicherweise nicht“, erklärte die Lady. „Der Fahrer des Sattelschleppers war froh, daß er sofort weiterfahren konnte.“ „Und was geschah im Hinblick auf Myladys Umweg durch den Milchladen?“ „Ich habe mich mit dem jungen Mann privat arrangiert“, gab die ältere Dame zurück, „er verzichtet auf eine Anzeige.“ „Mylady hat den jungen Mann sehr großzügig abgefunden“, warf Kathy Porter ein. „Ich möchte annehmen, daß er froh ist, diesen Besuch im Milchladen bekommen zu haben.“ „Verlieren wir uns nicht in Einzelheiten“, raunzte Agatha Simpson dazwischen. „Wir werden diesem Rätsel natürlich auf den Grund gehen, das ist doch klar. Hier bahnt sich ein interessanter Fall an. Mit Teufeln und Dämonen wollte ich schon immer mal verkehren!“ * Ihr Wunsch sollte schnell in Erfüllung gehen. Agatha Simpson saß wieder mal in ihrem Arbeitszimmer vor der Schreibmaschine und versuchte, eine gewisse Agatha Christie auszustechen. Sie hatte sich selbstverständlich eine elektrische Schreibmaschine angeschafft und die notwendige Basis-Literatur. Ihr Arbeitszimmer glich einer öffentlichen Bibliothek, so zahlreich waren die Bücher, die sich mit Fragen und Erkenntnissen zur Kriminalistik befaßten. Lady Simpson konnte sich diesen Aufwand durchaus leisten, denn sie war eine mehr als reiche Frau. Schon seit vielen Jahren
Witwe und mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert, verfügte sie über ein immenses Vermögen. Im Grunde konnte sie sich jeden Spleen leisten und dabei immer noch großzügige Spenden an begabte junge Menschen vornehmen, denen die Mittel für ein Studium fehlten. Damit befaßte sich eine Art Stiftung, die Lady Simpson eingerichtet hatte. Sie war schon eine recht ungewöhnliche Frau, diese Lady Agatha Simpson. Sie war Amateur-Detektiv aus Leidenschaft und scheute weder Kosten noch Zeit oder Mühen, Gesetzesübertreter größeren Stils zu entlarven. Kleine Gauner interessierten sie nicht, denn sie war zusammen mit ihrem Butler und Kathy Porter hinter den Haien der Unterwelt her. Dabei entwickelte sie eine Zähigkeit und Energie, die schon fast beängstigend waren. Josuah Parker hatte stets alle Hände voll zu tun, um sie vor Schaden zu bewahren. Agatha Simpson saß also vor ihrer Schreibmaschine und starrte auf das eingespannte, immer noch leere und weiße Blatt. Sie rang mit dem ersten Satz ihres Kriminalromans, der ein Weltbestseller werden sollte. Sie schrieb an diesem Roman schon seit vielen Monaten und war glücklich über jede Störung. Eine noch so geringfügige Ablenkung war für sie Vorwand und Grund genug, schleunigst aufzustehen und echt aktiv zu werden. Lady Simpson schob sich plötzlich langsam zurück und ließ das unbeschriebene Blatt nicht aus den Augen, Es zeigte plötzlich vage Konturen, die sich langsam zu einem schmalen, ovalen Gesicht formten. Da waren der Mund, eine spitze, kräftige Nase und dann die
Augen. In diesen Augen waren spöttische Lichter zu sehen, die in blanken Hohn übergingen. Der schmallippige Mund öffnete sich und zeigte ein kräftiges Gebiß. Die langen Bartkoteletten gingen über in dichtes, schwarzes Haar, das weit über der hohen Stirn tief eingebuchtet war. Und jetzt sah die Detektivin es ganz deutlich: Aus diesem schwarzen Haar heraus schauten zwei kurze, kräftige Bockshörner. Agatha Simpson fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und spürte ein Stechen in ihren pochenden Schläfen. Sie stand hastig auf, aber sie kam nicht auf den Gedanken, nach ihrem Butler oder nach Kathy Porter zu rufen. Sie wußte mit letzter Gewißheit, daß diese Erscheinung dann sofort wieder verschwand. Das Gesicht war jetzt plastisch geworden, zeigte Tiefe und Bewegung. Ein Auge zwinkerte ihr zu, die Lippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln. Ein Zweifel war ausgeschlossen, dieses Gesicht war existent und lebte! Nein, Angst hatte Lady Simpson nicht. Eine grenzenlose Neugier und Erwartung machten sich in ihr breit. Sie blieb an der Wand ihres Arbeitszimmers stehen und hielt es für selbstverständlich, daß diese satanische Erscheinung weiter Form und Gestalt annahm. Sie wand sich aus der Schreibmaschine und war zuerst nur eine kleine Nebelsäule, die sich ausweitete und dann zu einer Gestalt wurde. Diese Erscheinung schien aus dem Mittelalter zu kommen. Sie trug spitze Schnabelschuhe, Strümpfe und Pluderhosen, die weit ausgebuchtet waren. Das Wams war bestickt und sah kostbar aus. Die Erscheinung trug einen langen Schleppdegen und einen schmalen Dolch am reich verzierten Gürtel.
Der Kratzfuß, den diese Erscheinung ausführte, war elegant und dennoch irgendwie herausfordernd - ironisch. „Da bin ich“, sagte die Gestalt, „Sie suchten Kontakt mit mir, ich konnte und wollte nicht widerstehen.“ „Wer ... wer sind Sie?“ fragte Lady Simpson, obwohl sie es bereits ahnte. „Ein Diener Satans“, erwiderte die Erscheinung, „er selbst kann natürlich nicht kommen, was Sie verstehen werden. Er hat einfach zuviel zu tun.“ „Woher kommen Sie?“ fragte Lady Simpson wie selbstverständlich. Angst hatte sie immer noch nicht. Ja, eigentlich fühlte sie sich wohl wie ein Mensch, dem sich neue Welten erschließen. „Aus meiner Welt“, sagte der Diener Satans. „Verfügen Sie über mich!“ Die Erscheinung löste sich blitzschnell auf, als angeklopft wurde und Parkers Stimme den Tee ankündigte. Agatha Simpson faßte sich an die Schläfen und sah ihren Butler aus weit geöffneten Augen an. „Der Tee, Mylady“, meldete Parker und stellte das Tablett auf dem kleinen Beistelltisch ab. Außer Tee hatte er selbstverständlich eine Kristallkaraffe mit dem von Lady Simpson so sehr geschätzten Kognak mitserviert. „Haben Mylady noch Wünsche?“ erkundigte er sich. „Scheren Sie sich raus!“ fuhr sie ihn wütend und enttäuscht an. „Gehen Sie doch endlich! Ich kann Sie nicht sehen! Sie stören doch, oder merken Sie das gar nicht?“ Butler Parker hatte den Raum verlassen und schritt gemessen hinüber zur Treppe. Seinem Gesicht war nichts anzusehen, doch seine Gedanken arbeiteten auf Höchsttouren. So wie vor ein paar
Sekunden hatte er Agatha Simpson noch nie erlebt. Gewiß, sie war eine recht eigenwillige Frau, aber sie hatte sonst ihre Manieren nie verloren. Sie konnte schimpfen und fluchen wie ein Stallknecht, doch dann wußte man stets, daß sie es im Grund gar nicht so meinte. Jetzt aber hatte sie es wirklich ernst gemeint! Wieso hatte er gestört, obwohl sie doch den Tee gewünscht hatte? Warum hatte sie ihn derart behandelt? Was mochte nur in die Frau gefahren sein? Parker hatte die Treppe erreicht, doch er zögerte, wieder nach unten zu gehen. Unwillkürlich dachte er an die Erzählung, die Agatha Simpson und Kathy Porter ihm geliefert hatten. Stand die Lady etwa wieder unter dem Einfluß einer Suggestion oder Hypnose? Was ging hier vor? Auf Zehenspitzen pirschte der Butler zur Tür zurück, doch er hatte die Rechnung ohne seine Herrin gemacht. Sie mußte auf seine heimliche Rückkehr spekuliert haben, denn sie riß vor seiner Nase die Tür auf. „Hinunter mit Ihnen!“ raunzte sie ihn an, daß man es bis auf die Straße hören konnte. „Gehen Sie doch endlich! Sie stören mich! Verlassen Sie das Haus! Ich kündige Ihnen, haben Sie mich verstanden? Ich will Sie nie wiedersehen.“ „Wie Mylady befehlen.“ Parker ließ sich nichts anmerken. Er deutete eine knappe Verbeugung an und ging zurück zur Treppe. Dabei fühlte er ihre wachsamen Blicke in seinem Rücken. Sie ließ ihn nicht aus den Augen und wartete oben an der Galerie, bis er tatsächlich das Haus verließ. Parker wußte inzwischen, daß sie unter einem fremden Zwang stand, sonst hätte
sie so etwas nie von ihm verlangt. Irgend etwas hatte Besitz von ihr ergriffen und steuerte sie. Parker hatte die Haustür hinter sich zugezogen und sah sich auf dem kleinen viereckigen Platz um, der mit altehrwürdigen Fachwerkhäusern umsäumt war. Inmitten der Metropole London war das hier eine Insel der Ruhe und Behaglichkeit. Die Häuser stammten ohne Ausnahme aus dem Mittelalter und waren natürlich entsprechend hergerichtet worden. Von der nahen Hauptstraße war hier kaum etwas zu hören, oder zu sehen. Parker konnte nichts Verdächtiges entdecken, dennoch fühlte er sich intensiv beobachtet. Für so etwas besaß er einen besonders fein ausgebildeten Instinkt, der ihm in der Vergangenheit schon oft das Leben gerettet hatte. Er ließ sich nichts anmerken, schritt voran und verließ die kleine Insel der Ruhe. Nachdem er die Hauptstraße erreicht hatte, schaute er sich nach einem Taxi um und hatte Glück. Wenig später saß er in einem Wagen und ließ sich in die eigentliche City fahren. Natürlich drehte er sich nicht um und hielt nicht derart plump Ausschau nach etwaigen Verfolgern, die sich ganz sicher an seine Fersen geheftet hatten. Parker zog einen kleinen Taschenspiegel aus einer seiner unergründlichen Westentaschen und klemmte ihn in die innere Wölbung seiner schwarzen, feierlich wirkenden Melone. Dann hob er die Kopfbedeckung wie unbewußt leicht an und schaute intensiv nach hinten. Der Stoßverkehr in der City hatte noch nicht eingesetzt, das Durcheinander auf den Straßen war noch überschaubar. Es ging langsam auf den späten Nachmittag zu.
Zuerst konnte der Butler nichts feststellen, doch dann erschien im Taschenspiegel erneut ein Motorradfahrer, der im Slalom durch den Verkehr schwang und offensichtlich daran interessiert war, das Taxi nicht aus den Augen zu verlieren. War das der Verfolger, mit dem Parker rechnete? Der Butler war gründlich. Er liebte es, den Dingen stets- auf den Grund zu gehen. Er ließ sich also vor einer Bank in der City absetzen und betrat die große Schalterhalle. Ein paar Minuten später wußte er mehr. Der Motorradfahrer erschien ebenfalls in der Halle und nahm seinen Jet-Schutzhelm ab. Parker konnte sich den jungen, drahtigen Mann gründlich ansehen. Er war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, hatte ein schmales Gesicht und Augen, die hungrig wirkten. Er bewegte sich mit selbstverständlicher Sicherheit durch die Schalterhalle und ließ sich vor einem Schreibpult nieder, um irgendein Formular auszufüllen. Er sah nicht mal zu Parker hinüber und schien ihn überhaupt nicht wahrgenommen zu haben. Parker schritt würdevoll zur Glastür, hinter der sich die Räume der Direktion befanden. Er wußte genau, wie er diesen aufdringlichen Jüngling abschütteln konnte. Die Bank besaß schließlich nicht nur einen einzigen Ein- und Ausgang. Nach ein paar Minuten stand Parker in einer schmalen Seitenstraße und war seinen Verfolger los. Als geschätzter Besucher der Bank hatte man ihn durch eine der vielen Hintertüren hinausgelassen und keine Fragen gestellt. Der Butler ging zurück zur Hauptstraße und suchte auf dem Parkplatz nach dem Motorrad des jungen Mannes. Es war nicht mehr zu sehen!
Hatte der Verfolger seine Absicht aufgegeben? Hatte er eingesehen, daß er überlistet worden war? Parker war sich seiner Sache nicht ganz sicher. Er unterschätzte seine Gegner nie. Er sah sich nach allen Seiten um und hörte plötzlich irgendwo in seinem Kopf die berühmte Alarmklingel schrillen. Sein Nerv für Gefahr hatte angesprochen und warnte ihn. Irgend etwas braute sich über ihm zusammen, höchste Wachsamkeit war erforderlich. Stand irgendwo in der Nähe ein Schütze und fiel innerhalb der nächsten Sekunden ein Schuß? Die innere Alarmklingel meldete sich immer deutlicher und nachdrücklicher. Josuah Parker zog sich sicherheitshalber in die schmale Seitenstraße zurück und ... damit noch tiefer in die eigentliche Gefahrenzone. Er hörte plötzlich hinter sich das Aufheulen eines Motorrads, drehte sich blitzschnell um und... sah sich einem Autokühler gegenüber, der nur noch wenige Meter von ihm entfernt war. Er beobachtete das Gesicht des jungen Mannes, der am Steuer saß, registrierte das teuflische Grinsen der Augen und Lippen und hechtete dann überraschend elastisch und blitzschnell zur Seite. Parker erinnerte in diesem Augenblick an einen Stierkämpfer, der den tödlichen Hörnern des Vierbeiners elegant ausweicht. Parker hörte das häßliche Schrammen des Wagenblechs, als das tödliche Riesengeschoß um Haaresbreite an ihm vorbeipreschte. Der Fahrer hatte den Wagen im letzten Moment doch noch auf den Butler richten wollen und kam dabei mit der Hausecke des Bankgebäudes in Kollision. Sein Gegner bekam den Wagen nicht mehr unter Kontrolle, schnitt wie ein
Dolch in den hier dichten Verkehr der Hauptstraße und krachte mit einem Lastwagen zusammen. Parker schritt zur Unfallstelle und sah, wie der junge Mann benommen aus dem stark zerbeulten Wagen taumelte. Er knickte ein, riß sich offensichtlich sehr zusammen und ergriff dann die Flucht, hinkend und stolpernd. Er hielt auf einen Parkplatz zu, ohne sich um die Rufe der Zuschauer und Passanten zu kümmern. „Kommen Sie“, sagte Parker, der den jungen Mann abfing, „man scheint etwas gegen Sie zu haben:“. Der junge Mann erkannte sein Opfer. Wut und flammender Haß schossen in seine Augen. Er blieb wie angewurzelt stehen, beugte sich vor und hatte plötzlich ein Messer in der Hand. Ohne jede Vorwarnung und ohne Rücksicht auf seinen Zustand fiel er damit den Butler an. Er war wie von Sinnen, schien nur allein auf die Ermordung des Butlers programmiert worden zu sein und war nur noch Wille zur Vernichtung. Parker konnte diesen Angriff leicht abwehren. Er besorgte das mit seinem altväterlich gebundenen Regenschirm, den er als Degen benutzte. Er parierte den Stoß, schlug dem jungen Mann die Klinge aus der Hand und stieß ihm die untere Stahlzwinge hart gegen das Brustbein. Daraufhin keuchte der Rasende auf, schnappte nach Luft, fühlte sich elend und matt. Er taumelte zurück, stolperte, fiel zu Boden und verlor jetzt das Bewußtsein. Josuah Parker war leider nicht mehr in der Lage, den Angreifer aus dem Verkehr zu ziehen, denn die ersten Verfolger hatten sich bereits eingestellt und hoben den Besinnungslosen auf. Ein uniformierter Polizist erschien ebenfalls auf der Bildfläche und kümmerte sich um den
jungen Mann, der bereits wieder zu sich kam, den Butler knapp vor sich entdeckte und sofort wieder angreifen wollte. Er war tatsächlich nichts anderes als eine Mordmaschine und schien keinen eigenen Willen zu haben. „Ich stelle mich Ihnen selbstverständlich als Zeuge zur Verfügung“, sagte Parker zu dem Uniformierten. „Ich bin sicher, jedes Detail genau gesehen zu haben.“ Der Polizist nahm das überhaupt nicht dankbar zur Kenntnis. Ja, Josuah Parker schien sogar sein heftiges Mißfallen erregt zu haben. Der Uniformierte hielt plötzlich seinen Schlagstock in der Hand und wollte damit auf den Butler eindreschen. Wogegen Josuah Parker einiges einzuwenden hatte! Nun, den ersten Schlag mußte er allerdings hinnehmen. Der Schlagstock, mit viel Schwung und Nachdruck bewegt, landete auf seiner schwarzen Melone. Da sie allerdings mit Stahlblech ausgefüttert war, war das Ergebnis der Belästigung nicht sonderlich nachdrücklich. Nur die Melone wurde in Parkers Stirn getrieben. Als dann der zweite Schlag gelandet werden sollte, war der Butler bereits auf der Hut, wich ihm aus und benutzte seinen Universal-Regenschirm, um den Uniformierten zurückzutreiben. Der Mann handelte sich ein paar schmerzhafte „Stiche“ ein und brüllte. Doch damit immer noch nicht genug! Einige Neugierige schienen sich gegen den Butler verschworen zu haben, Männer und Frauen, die einen ordentlichen Eindruck machten und wirklich nicht nach Schlägern oder Gangstern aussahen. Sie machten gegen den Butler Front, und
zwar in einer Art und Weise, die man nur als Wille zum Mord deuten konnte. Diese Menschen, ordentlich gekleidet und normalerweise auch mit guten Manieren ausgestattet, wurden zu einem Rudel blutrünstiger Wölfe, die den Butler einkreisten und zerfleischen wollten. Ihre Gesichter waren ohne Ausnahme plötzlich haßverzerrt. Sie schlugen auf Parker ein, schlossen sich von Sekunde zu Sekunde immer dichter um ihn, geiferten, stießen wüste Drohungen aus und beschimpften ihn mit Ausdrücken, die aus der Gosse stammten. Josuah Parker war nur einen Moment lang irritiert, denn mit diesem Massenaufgebot von Gegnern hatte er nicht gerechnet Dann allerdings entwickelte er Aktivitäten und schritt zum Angriff über. Mit seinem herumwirbelnden Regenschirm verschaffte er sich erst mal etwas Luft, drängte die Angreifer zurück und fand endlich Zeit, nach einem seiner Patent-Kugelschreiber zu greifen. Sie sahen völlig normal und gebrauchsfähig aus, hatten es jedoch in sich. In seiner privaten Bastelstube hatte der Butler eine ganze Serie dieser Kugelschreiber „umgebaut“ und mit neuen Inhalten gefüllt. Sie gehörten somit zu seinem vielseitigen Waffenarsenal und hatten ihm in der Vergangenheit schon oft das Leben gerettet. Er schmetterte diesen Kugelschreiber auf den Betonboden des Parkplatzes und verschwand augenblicklich in einer blitzschnell hochschießenden dichten Nebelwolke. Diese Wolke breitete sich aus, wurde noch intensiver und brachte die wütende Masse durcheinander, die jetzt aufeinander eindrosch und sich abreagierte.
Josuah Parker hielt es für angezeigt, den ungastlichen Ort zu verlassen, bahnte sich geschickt einen Weg und verschwand zwischen den abgestellten Wagen. Dabei sah er sich nach etwaigen Verfolgern um. Doch die Meute der mordgierigen menschlichen Wölfe war hinreichend mit sich selbst beschäftigt und hatte den Butler im wahrsten Sinn des Wortes aus den Augen verloren. Josuah Parker spürte ein Stechen in den Schläfen. Dann wurde dieses Stechen zu kleinen, winzigen Nadelstichen, die seine Nerven rasend machten. Einen derartigen Schmerz hatte er noch nie verspürt. Er hatte das Gefühl, als würde sein Schädel angebohrt. Josuah Parker wurde von einer lähmenden Müdigkeit erfaßt, zu der sich Gleichgültigkeit gesellte. Er hatte das dringende Bedürfnis, sich sofort hinzulegen und die Augen zu schließen. Er merkte, daß er taumelte, als habe er zuviel getrunken, konnte dagegen aber nichts unternehmen. Er hielt sich an einem der parkenden Wagen fest und riß weit und schier verzweifelt die Augen auf. Instinktiv wußte er, daß er sich nicht niederlegen durfte, falls er nicht getötet werden wollte. Er schleppte sich also weiter, war nicht mehr Herr seiner Muskeln, taumelte erneut und fiel gegen einen der Wagen, raffte sich wieder auf, rieb sich die pochenden und schmerzenden Schläfen und keuchte. „Leg’ dich endlich nieder“, sagte die leise, aber eindringliche Stimme in seinem Hirn. „Es hat doch keinen Sinn mehr, du kannst dagegen nichts machen. Du bist müde und willst schlafen. Danach wirst du dich wunderbar fühlen.“ Diese Stimme wiederholte sich mit ihrer Forderung, wurde lauter und ein-
dringlicher. Parker konnte einfach nicht widerstehen. Er ließ sich fast dankbar auf dem Trittbrett eines kleinen Kastenlieferwagens nieder und fühlte sich grenzenlos leicht und zufrieden. Wohlige Wärme hüllte ihn ein. Jetzt brauchte er nur noch die bleischweren Lider zu schließen, um die ganze Harmonie in sich auszukosten. Bevor er sie schloß, sah Parker das Augenpaar, das völlig isoliert und ohne Gesicht vor ihm aus dem Nichts erschien. Es waren zwingende Augen, die keinem menschlichen Wesen gehörten. Es waren Augen, die unergründlich tief wie Brunnenschächte waren, die aus einer anderen Welt stammen mußten. Sie kamen immer näher und schienen ihn aufzusaugen. Parker war diesem Zwang hilflos ausgeliefert, er hatte ihm nichts mehr an Eigenwillen entgegenzusetzen. Er war bereit, in diese Brunnenschächte zu springen. „Mann, was ist denn?“ hörte er .eine erstaunte, biedere Stimme, die ihn sichtlich störte. „Etwa zuviel geladen, Junge?“ Nein, diese Stimme störte nur. Parker wollte sie nicht hören. Er hielt sich die Ohren zu, schüttelte irritiert den Kopf und spürte starke Hände, die ihn hochzogen. Er wehrte sich gegen diese Berührung, sah plötzlich die Augen nicht mehr, war grenzenlos enttäuscht, stöhnte ungläubig und merkte kaum, daß der Fahrer des Kastenlieferwagens ihn ins Fahrerhaus bugsierte. * „Geben Sie mir einen Kognak“, sagte Lady Simpson zu Kathy Porter und ließ sich unten im großen Wohnsalon er-
schöpft in einen der alten Ledersessel fallen, „ich fühle mich hundelend, Kindchen.“ „Vielleicht haben Sie sich überarbeitet, Mylady?“ Kathy holte den Kognak und bediente die ältere Dame, die tatsächlich einen ausgelaugten Eindruck machte. Dankbar nahm sie das Glas entgegen und trank in kleinen Schlucken. „Wo ist Parker?“ fragte Lady Agatha dann und richtete sich auf, als erinnere sie sich an irgend etwas. „Er hat das Haus verlassen, Mylady“, gab Kathy Porter zurück, „ich sah ihn drüben in der Nähe der Hauptstraße.“ „Ohne eine Nachricht zu hinterlassen?“ Lady Agatha massierte sich die Schläfen, die immer noch ein wenig schmerzten. „Ohne eine Nachricht zu hinterlassen, Mylady“, antwortete Kathy, „darüber habe ich mich auch gewundert.“ „War er vorher nicht oben bei mir?“ „Mr. Parker servierte den Nachmittagstee, Mylady.“ „Richtig, jetzt erinnere ich mich. Aber da war doch noch etwas, wenn ich mich recht besinne. Was war es noch gewesen?“ „Sie .. .Sie redeten in Ihrem Zimmer mit irgendeiner Person“, deutete Kathy vorsichtig an. „Schleichen Sie nicht wie eine Katze um den heißen Brei herum, Kindchen“, fuhr Lady Agatha ihre Gesellschafterin in gewohnt ruppiger Weise an. „Was war in meinem Zimmer? Mit wem soll ich geredet haben?“ „Ich weiß es wirklich nicht, Mylady“, sagte Kathy und zuckte die Achseln, „aber ich hörte deutlich Ihre Stimme.“ „In meinem Zimmer war außer mir kein Mensch!“
„Natürlich nicht, Mylady, ich hätte ihn sonst ja auch sehen müssen, als er hereinkam.“ „Und dennoch habe ich gesprochen?“ Lady Agatha schüttelte verwundert den Kopf, wirkte ratlos und nachdenklich zugleich. „Undeutlich nur, aber Sie haben gesprochen.“ „Warum sind Sie nicht in mein Zimmer gekommen, Kathy?“ „Sie hatten abgeschlossen, Mylady.“ „Das tue ich doch sonst nie.“ „Darum wunderte ich mich auch, Mylady.“ „Das verstehe wer will“, meinte Agatha Simpson und trank das Glas leer. „Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?“ „Nichts Mylady?“ „Da stimmt doch etwas nicht.“ Lady Agatha stand auf und wanderte auf ihren stämmigen Beinen vor dem großen Kamin auf und ab. „Sehen Sie mich an, Kindchen, mache ich einen geistesgestörten Eindruck?“ „Nein, Mylady, das ist sicher.“ „Ich hatte irgend etwas mit Parker“, erinnerte sich die Detektivin jetzt vage, „war es Krach mit ihm? Habe ich ihm irgend etwas an den Kopf geworfen?“ „Das hätte ich mit Sicherheit gehört, Mylady.“ „Im übertragenen Sinn, natürlich.“ Lady Agatha sah Kathy streng an. „Nehmen Sie gefälligst nicht alles so wörtlich. Wie war das mit Parker gewesen? Richtig, er servierte mir den Tee. Daran kann ich mich erinnern, aber dann reißt der Faden ab.“ „Haben Sie vielleicht telefoniert, Lady Agatha?“ „Ich kann mich nicht erinnern, Kindchen. Ich habe, ehrlich gesagt, Angst.“
„Wovor, Mylady?“ Kathy Porter sah die ältere Dame prüfend an. Sie spürte ebenfalls, daß da oben im Zimmer Dinge passiert waren, die außerhalb der Sinneskontrolle lagen. „Wovor ich Angst habe? Wenn ich das nur wüßte! Warum ist Parker nicht hier? Wenn man diesen Mann mal wirklich braucht, streunt er durch die Gegend. Er wird einige Wahrheiten zu hören bekommen, wenn er zurück ist.“ “Mr. Parker!“ stieß Kathy hoffnungsvoll aus, als sich das Telefon in diesem Moment meldete. Sie. lief förmlich hinüber zum Apparat und meldete sich. Sie hörte kurz zu, legte dann wieder auf und sah Lady Simpson an. „Da ist ein gewisser Mr. Pinks am Telefon gewesen“, erklärte sie, „er sagt, wir sollten uns unseren Butler abholen, bevor er unter die Räder kommt.“ „Adresse?“ Lady Agatha war ganz Ohr und wirkte sehr konzentriert. „Eine Straße in der Nähe der WaterlooStation“, antwortete Kathy, „wenn Sie sich nicht wohl fühlen, Mylady, werde ich allein fahren.“ „Und ob ich mich in Ordnung fühle, Kindchen“, sagte Lady Agatha grimmig. „Kommen Sie, verlieren wir keine Zeit! Ich bin gespannt, was Mr. Parker wieder angestellt hat. Diesen Mann kann man doch keinen Moment allein lassen.“ * Es gab wirklich einen Mr. Pinks. Er hatte tatsächlich angerufen und kam zurück in sein kleines Gemüselager, wohin er den seltsamen Fahrgast geschleppt hatte. Er wußte mit ihm nichts anzufangen und hatte -schon während der Fahrt mit dem Gedanken gespielt, ihn bei
der nächsten Polizeiwache oder im Spital abzuliefern. Dieser so korrekt gekleidete Mann hatte sich während der ganzen Fahrt nicht gerührt und kein Wort gesprochen. Er hatte auch dann noch keine Reaktion gezeigt, als Pinks ihm die Brieftasche aus dem schwarzen Zweireiher zog und nach einer etwaigen Adresse suchte. Nun, diese Adresse hatte den Ausschlag gegeben. Mr. Pinks betrieb einen kleinen Gemüseladen in der Nähe der WaterlooStation und witterte sofort ein Geschäft über seinen üblichen Rahmen hinaus. Sein Gast war Butler und gehörte augenscheinlich in ein vornehmes Haus. Daraus wollte Pinks bescheidenes Kapital schlagen. Er rechnete mit einer kleinen Unterstützung wegen erwiesener Hilfeleistung. Der gerade getätigte Anruf hatte ihm bewiesen, daß die Adresse stimmte. Er brauchte jetzt also nur zu warten und den Butler dann abliefern. Was mit ihm los war, wußte er nicht. Sein Gast machte einen leicht geistesverwirrten Eindruck, war nach wie vor nicht ansprechbar und schien sich in einer Art Trance zu befinden. Irgendwie wirkte das unheimlich auf ihn. Er war froh, daß dieser Mann nun abgeholt werden sollte, bevor irgend etwas passierte. Pinks verließ den kleinen Verschlag, der ihm als Büro diente und ging zurück in das Gemüselager, wo er den Butler auf einer umgestülpten Kiste zu finden hoffte. Doch die Kiste war leer, und Parker nicht zu sehen. Bestürzt sah Pinks sich um. Sein Gast konnte sich unmöglich so ohne weiteres empfohlen haben, denn er hatte die Tür abgeschlossen und vorn am Büro wäre er bestimmt vorbeigekommen. Wo also
mochte dieser verdammte Butler bloß stecken? „Hallo, Mr. Parker“, rief er leise, dann noch mal lauter. Die erwartete Antwort blieb jedoch aus. Der Mann schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Er konnte sich allerdings auch irgendwo hinter den aufeinandergestapelten Kisten verborgen halten. Pinks bekam es plötzlich mit der Angst zu tun. Sein Gefühl sagte ihm, daß er sich in Gefahr befand. Er hörte hinter sich ein Geräusch, drehte sich blitzschnell um und sah eine Apfelsine, die über den Zementfußboden kollerte. Das konnte nur dieser Butler gewesen sein, ein Zweifel war ausgeschlossen. Der Mann stand irgendwo hinter den aufeinandergetürmten Kisten und wollte ihn sicher hereinlegen. Pinks handelte instinktiv richtig, zog sich schleunigst in Richtung Büro zurück und verzichtete darauf, weiter nach seinem Gast zu suchen. Er wollte von ihm nicht plötzlich angefallen werden. Eine zweite Apfelsine! Sie zischte haarscharf an seinem Kopf vorbei und landete auseinanderplatzend an der Wand des kleinen Lagerschuppens. Der herumspritzende Saft zierte das Gesicht des Gemüsehändlers, der erstickt aufschrie und schleunigst die Flucht ergriff. Er rannte endgültig aus dem Lager, warf die Tür hinter sich zu und riegelte ab. Er legte sein Ohr gegen das dicke Holz der Tür und lauschte, hörte jetzt leise, fast schleichende Schritte im Lager und zuckte zusammen, als ein schwerer Körper sich gegen die Tür warf. Sekunden später zersplitterte eine Holzkiste an der Tür, dann eine zweite.
Ihm war klar, daß er es mit einem Verrückten zu tun hatte. War es nicht vielleicht besser, umgehend die Polizei zu verständigen? Der Mann gehörte doch in eine Zwangsjacke! Weitere Kisten zerschellten an der Tür, die allerdings keine Wirkung zeigte. Pinks schaute auf seine Armbanduhr und wartete nervös und ungeduldig auf das Erscheinen der Leute, die ihr Kommen angekündigt hatten. Warum ließen sie sich nur soviel Zeit? Pinks lief zur Rampe, sah ungeduldig zur nahen Straße hinüber und hörte plötzlich hinter sich ein scharrendes Geräusch. Bevor er reagieren und sich umwenden konnte, erhielt er einen fürchterlichen Schlag auf den Hinterkopf, der ihn sofort bewußtlos machte. Er fiel auf die Knie, rutschte dann zur Seite und blieb regungslos liegen. * „Du lieber Himmel, Kindchen, sehen Sie sich das an!“ Lady Agatha blieb betroffen stehen, nachdem sie aus dem Wagen gestiegen war. Im Licht der eingeschalteten Scheinwerfer — es wurde bereits dämmerig — war der auf der Rampe liegende Mann deutlich zu sehen. Er machte einen sehr stillen Eindruck. Aber was noch schlimmer war, Butler Parker stand steif und ungemein korrekt an der Außenwand des Lagerschuppens und hielt neben seinem UniversalRegenschirm noch eine kurze Brechstange in der Hand. Er reagierte überhaupt nicht auf das Licht, das ihn voll traf, stand nur da und erinnerte an ein Standbild.
„Vorsicht, Kathy“, mahnte Agatha Simpson, als ihre Sekretärin spontan zu Parker hinüberlaufen wollte. „Mister Parker macht einen sehr eigenartigen Eindruck.“ „Wie hypnotisiert“, stellte Kathy fest. „Das ist es, Kindchen“, pflichtete die streitbare Dame Kathy Porter bei, „er ist wie von Sinnen.“ „Mister Parker, Mister Parker?“ rief Kathy den Butler leise, aber eindringlich und beschwörend an. Parker reagierte augenblicklich, wenn auch zeitlupenhaft. Mit der freien, linken Hand nahm er korrekt seine schwarze Melone vom Kopf und grüßte in Richtung der beiden Frauen. „Mister Parker, wissen Sie, wer wir sind?“ fragte Kathy und stahl sich vorsichtig näher an den Butler heran. „Es ist meiner bescheidenen Wenigkeit eine Freude und Ehre, Sie begrüßen zu dürfen“, gab Parker monoton zurück. „Papperlapapp“, brauste Lady Agatha auf, „was soll dieser verdammte Unsinn, Mister Parker? Benehmen Sie sich gefälligst wie ein normaler Mensch, falls Sie das nicht vergessen haben!“ „Gott zum Gruß, Lady Agatha“, erwiderte Parker, der unter der Stimme seiner Herrin allerdings ein wenig zusammenzuckte. „Werfen Sie dieses gräßliche Ding weg, das Sie in der Hand haben!“ Lady Simpson sprach im Kommandoton eines Oberfeldwebels und hatte Erfolg damit. Parker warf die kurze Brechstange sofort zu Boden, wo sie klirrend aufprallte. „Kommen Sie her, Mister Parker!“ Lady Agatha fand unbewußt genau das Mittel, um ihren Butler zur Räson zu bringen. Die altvertraute Stimme drang durch den Nebel seines gestörten Bewußtseins. Josuah Parker kam mit den Bewegungen
eines Maschinenmenschen von der Rampe herunter, schaffte die steile Treppe ohne Schwierigkeiten und näherte sich Lady Simpson, die sich allerdings auf ihre sehr spezielle Art wappnete. Sie vergewisserte sich, daß ihr Pompadour mit dem darin befindlichen „Glücksbringer“ schwungbereit am rechten Handgelenk baumelte. Bei dem „Glücksbringer“ handelte es sich um ein echtes Pferdehufeisen, das in dünnes Schaumgummi gewickelt war. Eine verheerende Waffe in der Hand einer echten Könnerin! „Sehen Sie inzwischen nach dem Mann dort oben“, sagte Lady Simpson leise zu Kathy Porter, „kommen Sie, Parker, aber nur nicht zu nahe, der Mann scheint mir unberechenbar zu sein.“ „Das ist ja schrecklich, Lady Agatha“, sagte Kathy Porter betroffen, die den Butler in solch einer Situation noch nie erlebt hatte. „Tun Sie, was ich sage!“ Agatha Simpson musterte den näher kommenden Butler, von dem sie nur noch wenige Schritte trennten. Kathy Porter ging in weitem Bogen um den Butler herum und lief dann zur Rampe hinauf. „Erkennen Sie mich?“ raunzte die Detektivin ihren Butler scharf und sehr ungnädig an. „Gewiß doch“, gab der Butler zurück und — schlug mit seinem UniversalRegenschirm nach ihr. Doch genau damit hatte Lady Simpson .gerechnet. Geschickt wich sie diesem schnellen Schlag aus und setzte seinerseits ihren Pompadour ein. Normalerweise hätte sie Parker wohl nie getroffen, denn seine Reaktionsschnelligkeit war beachtlich. In diesem Fall aber waren Parkers Bewegungen nicht koordiniert. Er mußte den
„Glücksbringer“ voll nehmen, sackte wie von einem unsichtbaren Blitz getroffen in sich zusammen und landete zu Füßen seiner Herrin. „Na also“, sagte Lady Agatha zufrieden und grimmig. „Hatte ich es mir doch gleich gedacht. Dieser Mann muß krank sein.“ Sie beugte sich über Parker und nahm ihm sicherheitshalber erst mal den Universal-Regenschirm ab. Als sie die Schritte Kathys hörte, richtete sie sich auf und sah ihre Sekretärin fragend und unruhig an. „Der Mann oben auf der Rampe ist tot“, sagte Kathy, sich zur Ruhe zwingend. „Ich glaube, sein Hinterkopf ist mit einem schweren Gegenstand zertrümmert worden.“ „Die kurze Brechstange“, gab Lady Simpson grimmig zurück, „ich ahnte es bereits.“ „Aber Mister Parker kann das unmöglich getan haben, Lady Simpson!“ „Albernes Ding“, grollte die ältere Dame. „Natürlich hat er das nicht getan, aber beweisen Sie das mal der Polizei. Alles spricht doch gegen Mister Parker.“ „Was — was sollen wir jetzt tun, Mylady?“ Kathy war ratlos. „Zuerst werden wir Mister Parker wegschaffen“, antwortete Agatha Simpson energisch. „Los, Kindchen, fassen Sie mit an“ „verstauen wir Mister Parker im Wagen! Und dann nichts wie weg!“ „Müssen wir denn nicht die Polizei informieren?“ „Müssen schon, aber ich bin derart durcheinander, daß ich das vergessen habe“, erwiderte die ältere Dame. „Stehen Sie gefälligst nicht so dumm herum, helfen Sie endlich!“
Das Trio hatte gerade die Hauptstraße erreicht und nahm Richtung auf die Westminster Bridge, als bereits aus nächster Nähe das Signalhorn eines Polizeifahrzeuges zu hören war. „Das war in letzter Minute“, seufzte Agatha Simpson zufrieden und räkelte sich auf dem Beifahrersitz wie eine Glucke auf ihrem Gelege. „Ist Ihnen ein Licht aufgegangen, Kindchen? Unser Mister Parker sollte nach allen Regeln der Kunst verheizt werden. Aber diesen Strolchen werde ich einen dicken Strich durch die Rechnung machen.“ „Welchen Strolchen, Mylady?“ erkundigte sich Kathy, die konzentriert steuerte.’ „Das weiß ich doch nicht“, entrüstete sich die ältere Dame, „bin ich etwa eine Hellseherin?“ * „Sind Sie sicher, daß Sie wieder in Ordnung sind?“ fragte Lady Simpson und sah ihren Butler mehr als mißtrauisch an. Sie hielt ihren Pompadour einsatzbereit in der Hand und hätte ohne Gnade zugelangt, falls Josuah Parker sie erneut angriff. „Mylady dürfen versichert sein, daß ich inzwischen wieder Herr meiner Sinne bin“, erklärte der Butler steif und würdevoll. „Muß ich von der Annahme ausgehen, mich unmöglich und inkorrekt benommen zu haben?“ Lady Simpson und Parker befanden sich keineswegs in der Stadtwohnung der streitbaren Dame. Die Detektivin hatte ihren Butler an einen Ort entführt, der ihrer Ansicht nach sicher sein mußte. Es handelte sich um die Etage einer Bekannten, die zur Zeit an der Adria
weilte und deren Verwalter mit der Einquartierung selbstverständlich sofort einverstanden war. Kathy Porter war losgefahren, um ärztliche Spezialhilfe zu besorgen. „Sie sind etwas aus dem normalen Kurs gelaufen“, umschrieb Agatha Simpson die Handlungsweise ihres Butlers. „Sie haben natürlich keine Ahnung, was Sie angerichtet haben, nicht wahr?“ „Ich muß außerordentlich bedauern, Mylady.“ „Es hat den Anschein, als hätten Sie einen harmlosen Gemüsehändler umgebracht“, begann die Detektivin. „Sie hatten auf jeden Fall das Mordinstrument in der Hand. Anschließend wollten Sie auch mich ins Jenseits schicken. Mehr ist aber nicht passiert.“ „Mylady sehen mich zerknirscht.“ Parker griff nach seinen immer noch leicht pochenden Schläfen und machte einen sehr unglücklichen Eindruck. „Darum haben Kathy und ich Sie erst mal aus dem Verkehr gezogen“, redete die ältere Dame burschikos weiter. „Noch möchte ich Sie nicht bei der Polizei sehen.“ „Darf ich mir erlauben, Mylady noch mal zu versichern, daß ich von nichts weiß und mich an nichts zu erinnern vermag?“ „Strapazieren Sie mich nicht unnötig“, raunzte sie ihn an, „natürlich haben Sie den Mann nicht umgebracht, wenn Sie mich fragen, natürlich war es nicht Ihre eigene Absicht, mich niederzukämpfen.“„Ich möchte mich für das mir erwiesene Vertrauen bedanken, Mylady.“ „Erinnern Sie sich lieber, was wirklich passiert ist! Reißen Sie sich zusammen, Mister Parker!“
„Nachdem Mylady mich anherrschten, als ich den Tee servieren wollte, verließ ich das Haus“, begann Parker und richtete sich im Sessel noch steiler und senkrechter auf. „Warum? Das scheint mir wichtig zu sein.“ „Mylady machten einen etwas ungewöhnlichen Eindruck auf meine bescheidene Wenigkeit.“ „Schildern Sie das!“ Sie sah ihn unsicher an. Parker faßte sich relativ kurz und brauchte nur etwa fünf Minuten, bis er mit seinem Bericht zu Ende war. Agatha Simpson schüttelte ratlos und nachdenklich den Kopf. So unmöglich sollte sie sich wirklich benommen haben? „Sie haben doch niemals nur die beleidigte Leberwurst gespielt, oder?“ fragte sie dann, „warum, das frage ich also noch mal, warum haben Sie tatsächlich das Haus verlassen?“ „Ich hatte mir die Freiheit genommen, Mylady, gewisse Parallelen zu ziehen“, schickte der Butler voraus und war nun ganz wieder er selbst. „Darf ich Mylady an den Vorfall vor dem bewußten Milchladen erinnern? Dort wurden die Anwesenden wahrscheinlich die Opfer einer Massensuggestion oder Massenhypnose. Beim Servieren des bewußten Tees schienen Mylady erneut unter fremden Zwang zu stehen.“ „Sie suchten also nach diesem Subjekt, das mit mir experimentierte?“ „Sehr wohl, Mylady. Und ich schien auf der richtigen Fährte gewesen zu sein, wenn ich mich so ausdrücken darf. Man verfolgte das Taxi, in dem ich saß, doch wenig später muß auch ich in den Bann dieses Dämons geraten sein.“
„Das kann man wohl sagen, Mister Parker.“ Agatha Simpson nickte nachdrücklich, „und auch Sie können sich an Einzelheiten danach nicht mehr erinnern?“ „Ich sah nur noch zwei riesige, zwingende Augen, die gesichtslos zu sein schienen. Mit weiteren Auskünften vermag ich nicht zu dienen.“ „Und ich saß vor meiner Schreibmaschine und beobachtete eine Art Teufelsgesicht, das aus dem Manuskriptblatt hervorstieg“, sagte Lady Agatha. „Dann muß auch bei mir der Kurzschluß eingesetzt haben. Was halten Sie von diesen Dingen, Mister Parker?“ „Man scheint an Mylady interessiert zu sein.“ „Wie bitte? An mir? Aber das ist doch albern, Mister Parker! Wer sollte sich für mich, schon interessieren? Was habe ich denn groß zu bieten?“ „Geld, Mylady!“ antwortete der Butler lakonisch. „Sie glauben, daß man mich ausnehmen will?“ „Davon sollte man ausgehen, Mylady.“ „Und warum befaßte sich dieser Dämon oder Teufel dann auch mit Ihnen?“ „Man will meine bescheidene Wenigkeit offensichtlich aus dem Weg räumen, Mylady. Als Untersuchungsgefangener könnte ich Mylady unmöglich meine Hilfe anbieten.“ „Und warum hat dieser Dämon sich nicht mit Kathy befaßt?“ „Sie dürfte für ihn ein unbeschriebenes Blatt sein, Mylady, das man einfach nicht beachtet.“ „Der Dämon wird noch sein blaues Wunder erleben“, sagte Agatha Simpson und lächelte grimmig. „Halten wir aber fest, Parker, Sie und ich dürften für
Hypnose sehr zugänglich sein. Ein scheußlicher Gedanke, der mir nicht schmeckt. Ich lasse mir nur ungern einen fremden Willen aufzwingen.“ „Auch meine bescheidene Person hat dagegen erhebliche Einwände“, erwiderte der Butler, „ich möchte Mylady übrigens für die Geistesgegenwart danken, die es mir ermöglicht, nun hier zu sein.“ „Das schafft den toten Gemüsehändler Pinks natürlich nicht aus der Welt, Mister Parker.“ „Zumal der Dämon, um bei diesem Ausdruck zu bleiben, der Polizei mit Sicherheit wertvolle Hinweise liefern wird, die meine Person betreffen.“ „Was ist also zu tun, Mister Parker? Ich bestehe darauf, daß Sie einen Einfall haben!“ „Man sollte möglicherweise noch mal mit Crane Cottage beginnen“, antwortete Josuah Parker, der jetzt sehr konzentriert wirkte. „Mylady gerieten ja eigentlich nur per Zufall dorthin und kamen nicht absichtlich von der Straße ab. Ganz in der Nähe des Unfallorts muß der Dämon sein Domizil haben, dort muß er Mylady identifiziert haben, dort muß sein Plan gereift sein, sich mit Mylady und meiner bescheidenen Wenigkeit zu befassen.“ „Das klingt logisch“, meinte die ältere Dame, „aber was tun wir gegen die Hypnose, Mister Parker? Wenn wir da keine Sicherungen einbauen, werden wir uns noch gegenseitig umbringen.“ „Damit ist bestimmt zu rechnen, Mylady“, gab der Butler ernst und gemessen zurück, „und ich würde es ungemein bedauern, Myladys Mörder werden zu müssen!“ *
Dr. Herberts war ein skurril aussehendes Männchen von etwa sechzig Jahren. Er war klein, rundlich und strömte eine schon unheimlich zu nennende Ruhe aus. Auf der Weste seines grauen, zerknitterten Anzugs waren Aschflecke zu sehen. Ebenso war zu erkennen, daß er an einem der Vortage mit^ Sicherheit ein weiches Ei gegessen hatte. Die Spuren davon ließen sich auf der Krawatte entdecken. Er hatte sich die Geschichten von Lady Simpson und Butler Parker angehört und zündete sich eine Zigarre an, die zerknittert wie sein Anzug aussah. Sie verströmte einen Geruch, der an ein scharfes Desinfektionsmittel erinnerte. Auf seinen kurzen Beinen wanderte Herberts nachdenklich im Zimmer auf und ab und blieb plötzlich stehen. „Eindeutig, daß man sie hypnotisiert hat“, sagte er. „Sie haben sich beide in einem schweren Somnambulzustand befunden, die Umwelt existierte für Sie nicht mehr, sie waren nur noch dem Willen Ihres Hypnotiseurs ausgeliefert.“ „Warum ausgerechnet Mister Parker und ich?“ ärgerte sich die resolute Dame, „wir sind doch keine Ausnahmeerscheinungen, Dr. Herberts.“ „Ganz sicher nicht, Lady Simpson“, antwortete Herberts und hob zur Unterstreichung seiner Worte den nikotingelben rechten Zeigefinger. „Die einschlägige Wissenschaft geht davon aus, daß neun von zehn Menschen in einem mehr oder weniger leichten Grad der Hypnose zu versetzen sind.“ „Das hört sich ja schrecklich an“, meinte Lady Agatha und schüttelte sich angewidert. „Hingegen kann wohl jeder fünfte Mensch dieser angenommenen zehn
Menschen in jenen Zustand versetzt werden, den Sie durchmachen mußten: Somnambulzustand. Der Hypnotisierte nimmt seine Umwelt nicht mehr wahr, sondern gehorcht ausschließlich den Befehlen seines Hypnotiseurs, ohne nach dem Erwachen zu wissen, was er getan oder gesagt hat.“ „Könnte er in solch einem Zustand auch einen Mord begehen?“ erkundigte sich Parker aus gutem Grund. „Ausgeschlossen, falls solch ein Befehl gegen sein moralisches Prinzip verstoßen würde. Mord in Hypnose hält die Wissenschaft für ausgeschlossen, es gibt da Experimente, die das belegen.“ „Klingt ja sehr beruhigend“, meinte Agatha Simpson und warf ihrem Butler einen knappen Blick zu, um sich dann wieder Dr. Herberts zuzuwenden. „Sagen Sie mir endlich, was Hypnose eigentlich ist.“ „Sie ist eine Form des Schlafes“, dozierte Herberts und nahm seine Wanderung wieder auf, wobei er angeregt seine scheußlich stinkende Zigarre rauchte. „Sie ist auf keinen Fall eine Form der Bewußtlosigkeit oder Bewußtseinsunfähigkeit. Der Hypnotisierte ist durchaus in der Lage, jede Art von Sinneseindrücken wahrzunehmen, sie logisch zu verwerten und danach auch auszuführen. Die schwerste Form ist die eben genannte Vollhypnose, der sie wohl ausgesetzt waren.“ „Muß der Hypnotisierte den Hypnotiseur sehen, mit ihm engen Kontakt haben?“ fragte Parker, der an bestimmte Vorgänge dachte. „Ohne Kontakt geht es nicht“, erwiderte Dr. Herberts, „er braucht allerdings nicht gerade hautnah zu sein, er muß aber in engen, räumlichen Grenzen existieren.“
„Wie kann man sich gegen Hypnose schützen?“ Wenn es sein mußte, verzichtete Parker auf alle Sprachschnörkel. „Ich könnte sie blockieren“, antwortete Dr. Herberts, „ich könnte Ihnen den hypnotischen Befehl erteilen, sich nicht hypnotisieren zu lassen, verstehen Sie, was ich meine?“ „Kein Wort“, gestand Lady Agatha ruppig. „Nicht unbedingt“, sagte Parker, der sich höflich ausdrückte. „Ich müßte Sie hypnotisieren“, wiederholte Dr. Herberts noch mal geduldig, „ich müßte Ihr Unterbewußtsein blockieren, damit es sich gegen andere hypnotische Befehle zur Wehr setzt.“ „Und dann liefen Mister Parker und ich die ganze Zeit hypnotisiert herum?“ „Sie würden davon überhaupt nichts merken“, beruhigte Herberts die Detektivin, „mein hypnotischer Befehl wäre stärker als alle Versuche eines zweiten Hypnotiseurs. Sie wären immun gegen Zweithypnose, um es mal so auszudrücken.“ „Das klingt gut“, meinte Lady Simpson, „Ihnen würde ich nämlich trauen, Doktor.“ „Wieviel Zeit brauchen Sie für diese Art von Impfung?“ erkundigte sich Parker. „Nur wenige Minuten“, versicherte Dr. Herberts lächelnd,’ „wie ich aus Ihren Geschichten herausgehört habe, sprechen Sie ja auf Hypnose besonders schnell an.“ „Machen Sie eine Dauerimpfung daraus“, ermunterte Lady Simpson den Arzt, den sie schon seit Jahren kannte» „ich bin allerdings dagegen, daß fremde Menschen sich in mein Unterbewußtsein einschalten.“ „Gibt es technische Möglichkeiten, Sir, hypnotische Befehle senderartig zu
verstärken?“ stellte Parker die Frage, die ihn intensiv beschäftigte. „Könnten Mylady und meine bescheidene Person bereits einen posthypnotischen Befehl bekommen haben?“ „Sie fürchten, noch immer unter Fremdhypnose zu stehen?“ „Das ist meine ehrliche. Sorge“, pflichtete Parker dem Arzt bei. „Könnten Mylady und meine bescheidene Person nicht noch immer unter Fremdeinfluß stehen?“ „Das wird sich zeigen“, antwortete Dr. Herberts, „und was den ersten Teil Ihrer Frage betrifft, ob es technische Verstärkungen in Form von Sendern gibt, nun, daran wird tatsächlich gearbeitet, aber ich glaube kaum, daß man auf diesem Gebiet Erfolge haben wird. Falls das wirklich klappen sollte, wäre das eine Gefahr für die gesamte Menschheit!“ * Lady Glaters bewohnte einen hübschen, kleinen Landsitz in Kew Gardens, den man von der westlichen Ausfallstraße nicht einsehen konnte. Dichte und hohe Hecken, eine Mauer und alte Bäume umschlossen das alte Haus, das noch aus dem Mittelalter stammte. Lady Glaters war eine ältere Dame, etwa sechzig Jahre alt und noch recht rüstig. Sie empfing Agatha Simpson mit großer Herzlichkeit, doch Butler Parker merkte gleich, daß diese Frau von einer inneren Unruhe und Nervosität erfaßt war. Zudem wich sie den Blicken ihrer Freundin aus, tat sehr geschäftig und vollführte sinnlose Handreichungen. Diese Frau schien unter starkem, innerem Druck zu stehen.
Sie lächelte gespielt, als Lady Simpson sofort auf ihren ersten Besuch zurückkam und erneut dazu Fragen stellen wollte. „Genieren Sie sich nicht vor Mister Parker“, sagte Lady Agatha, „er ist nur äußerlich ein Butler, in Wirklichkeit spielt er die Rolle meines Vertrauten.“ „Sie waren schon immer etwas exzentrisch, meine Liebe“, gab Lady Glaters zurück und musterte den Butler, der keine Miene verzog. „Er ist mein Vertrauter“, korrigierte sich Lady Agatha grimmig, „verstehen Sie von mir aus darunter, was Sie wollen.“ „Darf ich mir die Freiheit nehmen, Mylady nach weiteren Erscheinungen zu fragen?“ schaltete sich der Butler hier ein, um dem bisherigen Gespräch die Spitze zu nehmen. „Vergessen Sie, was Lady Simpson Ihnen auch immer erzählt haben mag“, gab die weißhaarige Dame zurück, „ich weiß jetzt, daß ich nur schlecht geträumt habe.“ „Du streitest jetzt ab, diesen Teufelsreigen auf deiner Wiese gesehen zu haben?“ wunderte sich Lady Agatha sichtlich. „Ich habe sie geträumt, dessen bin ich mir jetzt sicher.“ „Gestern warst du aber ganz anderer Meinung, Ruth.“ „Heute ist eben ein neuer Tag“, entgegnete Lady Glaters leichthin, was ihr aber offensichtlich nicht leichtfiel, „vergiß diese ganze Geschichte, Agatha! Ich muß mich sehr dumm benommen haben.“ „Weiß Gott“, fuhr Lady Agatha sie an, „du hast mich dadurch in einen Milchladen gebracht, in den ich gar nicht wollte. Schon gar nicht mit dem Wagen meiner Sekretärin.“
„Wenn du darauf bestehst, werde ich dir den Schaden ersetzen.“ „Mylady haben große Angst, nicht wahr?“ fragte Parker sie ohne jede Vorwarnung, worauf Ruth Glaters kreidebleich wurde und die Lippen fest aufeinanderpreßte. „Werden Mylady möglicherweise unter Druck gesetzt, erpreßt oder bedroht?“ stellte der Butler seine nächste Frage. „Nichts, überhaupt nichts.“ Die Antwort fiel unnötig heftig aus. Ruth Glaters schüttelte fast wütend den Kopf. „Kümmern Sie sich gefälligst um Ihre eigenen Angelegenheiten, Mister Parker, ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig!“ „Gewiß nicht, Mylady, aber Lady Simpson und meine bescheidene Wenigkeit möchten Ihnen helfen.“ „Mir ist nicht mehr zu helfen, äh, ich meine...“ Sie war ratlos und wußte nicht, was sie sagen wollte. Sie senkte den Kopf, ließ sich in einen Sessel fallen und schluchzte trocken auf. „Ruth“, bat Lady Agatha mit überraschend sanfter Stimme, „hab’ doch Vertrauen zu uns, wir möchten dir wirklich helfen. Sag schon, was passiert ist!“ „In der vergangenen Nacht muß etwas passiert sein“, behauptete der Butler ebenfalls, „sollten die Teufel und Dämonen zu Ihnen ins Haus gekommen sein?“ „Nein, nein“, lautete die hastige, ängstliche Antwort, die eigentlich nur als ein Eingeständnis gewertet werden konnte, „wovon reden Sie eigentlich? Hier im Haus war kein Mensch.“ „Ich erlaube mir, mehr an Dämonen und Teufel zu denken“, gab der Butler höflich zurück.
„Ich fühle mich müde und habe Kopfschmerzen“, redete sich Ruth Glaters heraus und sah wirklich abgespannt aus. „Bitte, Agatha, komm’ zu irgendeinem späteren Zeitpunkt wieder! Ich werde mich telefonisch melden, aber laß mich jetzt allein! Ich muß mich hinlegen.“ In diesem Augenblick passierte es. Sie zuckte wie unter einem unsichtbaren Peitschenhieb zusammen und faßte automatisch nach ihren Schläfen. Sie wandte sich, krümmte sich, keuchte, und dann erschienen plötzlich auf ihren Wangen die Abdrücke einer Hand, die zugeschlagen hatte. Der Abdruck der fünf Finger war deutlich zu sehen. Ruth Glaters wimmerte, faßte nach den geröteten Stellen und stürzte aus dem Zimmer. , * „Ich begreife das einfach nicht“, wunderte sich Agatha Simpson, als sie wieder in Parkers hochbeinigem Monstrum saß. Sie hatten den Landsitz verlassen und fuhren über die breite Schnellstraße. Parkers Wagen, äußerlich ein normales Taxi, war eine Art Trickkiste auf Rädern und enthielt technische Finessen und Überraschungen, die der Butler sich ausgedacht hatte. Dieses Monstrum auf Rädern hatte schon manchen Sturm erlebt und war mitbeteiligt gewesen an der Lösung., verzwickter Kriminalfälle. „Lady Glaters muß einen hypnotischen Befehl erhalten haben“, stellte der Butler fest, „dieser Befehl war derart stark, daß sie die Ohrfeigen physisch fühlte.“ „Dr. Herberts scheint uns gut präpariert zu haben“, meinte Lady Simpson zufrieden, „oder haben Sie irgend etwas gemerkt, Mister Parker?“
„Nichts, Mylady. Darf ich mir erlauben, noch mal auf die Ohrfeigen zurückzukommen?“ „Darum möchte ich sogar gebeten haben!“ „Der Hypnotiseur hielt sich entweder in Lady Glaters Landsitz auf, oder aber er verfügt bereits tatsächlich über eine technische Einrichtung, seine hypnotischen Befehle über größere Strecken hinweg zu erteilen.“ „Und woran glauben Sie, Mister Parker?“ „Ich rechne mit beiden Möglichkeiten, Mylady.“ „Warum stellen wir nicht fest, wer sich außer Lady Glaters noch im Landsitz aufhält?“ „Das, Mylady, wird umgehend geschehen, sobald ich sicher bin, daß Mylady und meine bescheidene Person nicht verfolgt werden.“ „Ist man bereits hinter uns her?“ „Mein momentaner Verdacht richtet sich auf einen Motorradfahrer, Mylady.“ „Wurden Sie von solch einem Lümmel nicht schon mal verfolgt?“ „In der Tat, Mylady, als ich das Haus verließ und zur Bank fuhr.“ „Könnte der Motorradfahrer der Hypnotiseur sein?“ Agatha Simpson bezwang ihren Wunsch, sich umzudrehen und den Fahrer in Augenschein zu nehmen. „Damit dürfte kaum zu rechnen sein“, entschied der Butler, „dieser Motorradfahrer wird nur eine Art Vorreiter des Dämons sein.“ „Wieso nennen Sie diesen Verbrecher einen Dämon?“ Sie sah ihn erstaunt an. „In dieser Rolle, Mylady, scheint der Verbrecher sich zu gefallen.“
„Warum locken Sie den Lümmel nicht aufs Glatteis, Mister Parker? Ich möchte endlich sehen, mit wem ich es zu tun habe.“ Parker nickte und setzte seinen Plan in die Tat um. Er kurvte von der Schnellstraße hinunter und fuhr in Richtung Richmond Park, wo der Verkehr um diese Zeit nur gering war. Der Motorradfahrer folgte prompt und sorgte sich offensichtlich nicht, daß er entdeckt wurde. Er gab sogar etwas Gas und schloß noch dichter auf. Er trug einen orangefarbenen Overall und einen Jethelm, war also nicht zu identifizieren. „Das Dunkel lichtet sich „ein wenig“, meldete Parker nach einem Blick in den Rückspiegel, „hinter dem Motorradfahrer erscheint jetzt eine Limousine, es dürfte sich um einen Rover handeln.“ „Wie viele Personen sitzen in dem Rover, Parker? Ich bitte mir genauere Angaben aus, sonst drehe ich mich um!“ „Ich kann im Augenblick nur den Fahrer erkennen“, sagte der Butler, „ein jüngerer Mann, der eine Sonnenbrille trägt.“ „Und im Fond?“ - „Nichts zu sehen, Mylady. Aber bald dürfte mehr zu erkennen sein. Mein Wagen wird jetzt ein wenig Öl verlieren.“ Parker ließ seine rechte Hand über das Zusatzinstrumentenbrett gleiten und legte einen kleinen Kipphebel um. Augenblicklich ergoß sich eine gehörige Portion Autoöl auf die Straße und machte sie glatt wie Schmierseife. Mit diesem Trick hatte der Butler sich in der Vergangenheit schon häufig unliebsame Verfolger vom Hals gehalten. Der Motorradfahrer wurde völlig überrascht, sah sich plötzlich der Öllache gegenüber, wollte ausweichen und verlor die Kontrolle über seine Maschine. Er
schlitterte durch das hochspritzende Öl, drehte sich, wackelte bedenklich und — erklomm dann mitsamt seiner Maschine eine relativ steile Böschung. Oben angekommen, endete seine Fahrt auf dem Motorrad, doch der Fahrer selbst blieb in Bewegung. Er schoß kopfüber über den Lenker, segelte etwa vier Meter durch die Luft und landete anschließend in dichtem Strauchwerk, das ihn verschlang. Der Fahrer des Rover hatte inzwischen voll die Bremse betätigt und rechnete sich echte Chancen aus, dem Unheil zu entgehen. Doch er hatte sie nicht, drehte sich wie ein Brummkreisel und landete dann ebenfalls oben auf der Böschung. Dabei verbeulte sich die Karosserie ein wenig. „Ich kann wirklich nur hoffen, Mylady, daß es keine Unschuldigen getroffen hat“, bemerkte Parker gemessen, „ich müßte mir sonst immerhin -einige ernste Vorwürfe machen!“ * Sie hatten Kathy Porter, in dem kleinen Vorort zurückgelassen, bevor sie zu Ruth Glaters gefahren waren. Sicherheitshalber war Lady Simpsons langbeinige und hübsche Sekretärin weit vor dem Ort aus Parkers hochbeinigem Monstrum gestiegen und hatte den Rest mit einem normalen Linienbus zurückgelegt. Kathy Porter sollte in diesem Vorort auskundschaften, was von Interesse war. Sie trug einen einfachen Trenchcoat, knielange Stiefel und hatte sich eine Schultertasche umgehängt. Sie hoffte, hier in Kew Gardens nicht aufzufallen. Kathy Porter schlenderte auf die Kurve zu, wo ihr Mini-Cooper den Geist
aufgegeben hatte. Sie entdeckte den kleinen Milchladen, dessen Schaufenster und Eingang mit Brettern zugenagelt worden waren. Die großzügige Abfindung des Schadens hatte dem jungen Mr. Walt Perkins wohl jede Lust genommen, sich noch weiterhin mit Butter, Milch, Eiern und Käse zu befassen. In der Nähe des Milchladens fand Kathy eine Teestube, betrat sie und bestellte sich Tee und ein paar Kekse. Sie war allein in dem kleinen Raum und wurde von einer älteren Frau bedient, die gemütlich und schwatzhaft aussah. „Eine Bombe?“ fragte Kathy und deutete hinüber auf den Milchladen, „Terroristen, nicht wahr?“ „Bereden Sie’s nur nicht“, entsetzte sich die Frau, „nein, nein, das war ein Autounfall gestern.“ „Ach so“, sagte Kathy und tat enttäuscht. „Eine komische Geschichte“, redete die Frau prompt weiter, „Walt, das ist der Inhaber des Milchladens, war anschließend bei mir. Stellen Sie sich vor, er hat seine Schwester an zwei Stellen zugleich gesehen! Der Junge war noch völlig durcheinander.“ „Bilokation?“ fragte Kathy, um die Schwatzhaftigkeit der Frau weiter anzuheizen. „Biooo was?“ fragte die Frau irritiert. „Bilokation“, wiederholte Kathy noch mal, „ein und derselbe Mensch ist zur gleichen Zeit an zwei verschiedenen Stellen.“ „Das muß es genau gewesen sein“, sagte die Frau und ließ sich unaufgefordert auf einem Stuhl nieder, „er sah, daß seine Schwester vor einen Sattelschlepper lief und überfahren wurde, aber dann erschien sie’ ne Minute später hinter ihm und kam
runter aus ihrer Wohnung, da über dem Milchladen.“ „Er wird sich getäuscht haben“, winkte Kathy lächelnd und gespielt ungläubig ab. „Er sagt, daß auch andere Leute das mitbekommen haben“, berichtete die Frau weiter, „richtig unheimlich, nicht wahr?“ „Gespenster hier in Kew Gardens?“ Kathy lachte leise. „Sie leben hier ja nicht“, legte die Frau los, „hier ist in letzter Zeit eine Menge passiert. Richtig komische Geschichten. Leute spielen verrückt, sind überhaupt nicht mehr wiederzuerkennen, tun Dinge, die sie sonst nie getan haben und dann diese Geschichte mit den MosdaleMädchen.“ „Mosdale-Mädchen?“ Kathy gähnte gekonnt und tat weiterhin desinteressiert, obwohl sie sehr hellhörig war. „Richtig nette Dinger, diese Mosdales“, holte die Schwatzhafte weit aus und nickte nachdrücklich, „gut erzogen, keine Flittchen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Am vergangenen Wochenende war Tanz bei Will Hazers. Solide Sache, gehe ich sogar noch hin. Und wissen Sie, was die beiden- Mosdales getan haben? Sie werden es nie erraten! Ziehen diese jungen Dinger sich doch plötzlich splitternackt aus, was sagen Sie dazu?“ „Das muß ja eine Aufregung gegeben haben“, lächelte Kathy. „Worauf Sie sich verlassen können! Will dreht fast durch, denn er ist mit June schließlich verlobt.“ „Dann allerdings.“ Kathy ließ sich von diesem Thema kaum erwärmen, wenigstens tat sie so. „Kann ich noch eine Tasse Tee bekommen? Er ist sehr gut.“ „Die Verlobung ging am Abend noch in die Brüche“, redete die Frau von der
Kuchentheke her weiter, „und June wollte Selbstmord begehen.“ „Warum taten die beiden Mädchen das?“ fragte Kathy jetzt beiläufig, „handelte es sich um eine Wette?“ „Sie behaupten, von nichts gewußt zu haben, als man sie zur Rede stellte“, erzählte die Frau weiter, als sie den Tee brachte, „taten völlig ahnungslos und unschuldig. Aber ich bitte Sie, wer zieht sich schon nackt aus, wenn ein Lokal überfüllt ist?“ „Vielleicht eine geheimnisvolle Krankheit?“ tippte Kathy an. „Kann schon sein“, meinte die Frau, „aber dann hat’s auch Gwen Perkins erwischt.“ „Und wer ist das?“ fragte Kathy, obwohl sie es sehr genau wußte. „Walts Schwester, die da drüben aus dem Milchladen“, lautet die eifrige Auskunft, „seit gestern ist sie nämlich wie vom Erdboden verschwunden. Walt ist heute morgen schon zur Polizei gegangen. Er kann sich ihr Verschwinden nicht erklären.“ Kathy Porter konnte sich wirklich nicht beklagen. Die Auskünfte, die sie beiläufig erhalten hatte, konnten sich hören lassen. Sie unterstützten die Theorie Mr. Parkers, daß hier in Kew Gardens der Ausgangspunkt der seltsamen Erscheinungen war. Die schwatzhafte, gutmütige Frau setzte gerade an, um weitere Auskünfte zu geben, als sie sich plötzlich steil aufrichtete und nicht mehr rührte. Sie schien in sich hineinzuhorchen, öffnete ein wenig die Lippen und lächelte, als habe sie das Paradies erschaut. Dann stand sie auf und ging vom Tisch weg, ohne eine Erklärung abzugeben.
Kathy Porter wußte sofort, was das zu bedeuten hatte. Sie hatte sich mit Agatha Simpson und Butler Parker ausgiebig über das Phänomen der Massenhypnose unterhalten und wußte, welch starke Kraft hier am Werk war. Nach Parkers Ansicht hatte man es nicht mit einem Amateur zu tun, auch nicht mit einem normalen Könner, dieser Hypnotiseur mußte über mächtige innere Kräfte verfügen, die er dazu noch gezielt auf Einzelpersonen oder Menschengruppen richten konnte. Kathy fürchtete sich ein wenig, als sie allein am Tisch saß. Sie ahnte, daß auch sie bereits belauert wurde, daß starke, unsichtbare Kräfte sie umgaben und ihren schwachen Punkt suchten. Darauf deutete schon das jetzt deutlich zu spürende Pochen und Klopfen in ihren Schläfen hin. Der Dämon pirschte sich mittels seiner Gedankenkraft bereits an sie heran, hatte sie zum Ziel auserkoren. War die junge Frau tatsächlich immun gegen die Fernhypnose oder geriet sie bereits innerhalb der nächsten Sekunden und Minuten in den Bann des unheimlichen Dämons? Das Pochen und Klopfen in ihren Schläfen ließ nach, ebbte ab und war schließlich nicht mehr zu spüren. Eine schwebende Leichtigkeit breitete sich in Kathy aus, sie hätte am liebsten laut gelacht und irgendeine verrückte Dummheit begangen. Dann wechselte die Stimmung allerdings schlagartig. Kathy fühlte sieb traurig und müde. Nun stand auch sie auf, verließ die Teestube und stellte sich an den Straßenrand. Sie wußte genau, daß sie auf irgendein Auto wartete, um sich vor dessen Räder zu werfen. Sie war maßlos gespannt, wie das
Experiment ausgehen würde, wußte aber, daß sie im Grund unsterblich war. Kühl und interessiert beobachtete sie einen näher kommenden Wagen, der genau richtig für ihr Experiment zu sein schein. Sie machte sich bereit, vor diesen Wagen zu springen und kicherte übergangslos. Wie würde wohl der Fahrer reagieren? * Josuah Parker hatte sich an das dichte Gesträuch herangepirscht und beobachtete den jungen Motorradfahrer, der gerade fluchend und hinkend auf seine Maschine zuging, die ein wenig zerbeult und mitgenommen aussah. Parker prägte sich das Kennzeichen ein und harrte der Dinge, die seiner Ansicht nach mit Sicherheit kommen mußten. Seine Erfahrung sagte ihm, daß er keine Unschuldigen von der Straße gebracht hatte. Dieser junge Mann zumindest gehörte mit zum Kreis jener, die ihr hypnotisches Netz webten. Der junge Mann hinkte weiter, ohne sich näher um sein Motorrad zu kümmern. Sein Ziel war der Rover, der etwa dreißig Meter hinter ihm auf der Böschung gelandet war. Er schien den Fahrer des Luxuswagens also zumindest zu kennen. Der Butler blieb in Deckung, folgte vorsichtig dem jungen Mann und baute sich hinter einem Brombeerstrauch auf. Er sah den Mann mit der Sonnenbrille, der neben dem Rover stand und dem Motorradfahrer zunickte. Hinter dem gestrandeten Rover erschien jetzt ein dritter Mann. Er war etwas über mittelgroß, schlank und trug einen teuren Kamelhaarmantel. Er hatte ein schmales,
ovales Gesicht, eine kräftige Nase und schütteres, graues Haar. Er mochte etwa fünfzig Jahre alt sein. Parker prägte sich auch das Kennzeichen des Rover ein, kam aber zu seinem Leidwesen nicht näher an die drei Männer heran, da die Deckung nicht ausreichte. Er hörte also nicht, was sie miteinander redeten, sah aber deutlich, daß sie sich kollektiv ärgerten. Anschließend versuchten sie, den Rover wieder auf die Straße zu bringen, was gar nicht so einfach war. Mit der Hinterachse schien einiges nicht zu stimmen, sie mußte beim Erklimmen der Böschung Beschädigungen erlitten haben. Josuah Parker bemühte sich um Objektivität. Nach Gangstern sahen diese drei Männer nicht aus, selbst dann immer noch nicht, wenn der Butler seine Phantasie besonders anstrengte. Sollte er vielleicht doch die falschen Mitbürger ins Schleudern gebracht haben? War es an der Zeit, sich Vorwürfe zu machen? Parker brauchte Gewißheit. Er trat aus seinem Versteck hervor, hüstelte diskret und lüftete grüßend seine schwarze Melone. Die drei Männer entdeckten ihn sofort und starrten ihn an. Parker setzte die schwarze Melone wieder auf, rührte sich aber nicht von der Stelle. Er wartete auf eine Reaktion der drei Männer und daß die Energie eines fremden Willens versuchte, von ihm Besitz zu ergreifen. Der schlanke Mann im Kamelhaarmantel starrte den Butler an, während die beiden anderen, jüngeren Männer sich zur Seite schoben und eine Art Zangenbewegung ausführten. Wahr-
scheinlich beabsichtigten sie, den Butler später abzufangen. Und da war es auch prompt wieder! Der Butler spürte deutlich, daß sich ein fremder Wille in sein Hirn einschleichen wollte. Seine Schläfen pochten und zuckten, , eine lähmende Müdigkeit breitete sich in ihm aus, doch sie hielt nicht lange vor. Die Blockade des Doktor Herberts machte sich bemerkbar und zahlte sich aus. Sie verhinderte die Inbesitznahme des Butlers durch einen fremden Menschen, stoppte diesen starken Fremdwillen und ließ ihn gegen eine unsichtbare Strahlenschutzwand prallen. Das Pochen in den Schläfen verlor sich, die Müdigkeit verschwand. Parker wußte genau, daß er er selbst geblieben war, daß er nicht zu gehorchen brauchte. Doch er ließ sich nichts anmerken. Er griff absichtlich nach den Schläfen und weitete seinen Blick, als sähe er geheimnisvolle Dinge einer anderen Welt. „Warum kommen Sie nicht näher?“ rief der Mann ihm mit wohlklingender Baritonstimme zu, die freundlich und ermunternd klang. „Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten.“ Wußte dieser Mann, daß sein Wille den Butler nicht erreicht hatte? War ihm klar, daß der Butler nur spielte? Josuah Parker bemühte sich um einen steifen, mechanisch wirkenden Gang, als er auf den Mann zuschritt, gemessen und feierlich, als befinde er sich bereits in einer anderen Welt. Die beiden jungen Männer ließen den Butler passieren und schienen inzwischen überzeugt zu sein, daß er keine Gefahr mehr darstellte. Sie schlossen auf und ließen ihn nicht aus den Augen.
„Wo befindet sich Lady Simpson?“ fragte der Mann freundlich, als Parker ihn erreicht hatte. „Mylady warten im Wagen auf meine Rückkehr“, erwiderte der Butler. Da er an sich stets ein wenig gespreizt redete und eine barocke Ausdrucksweise bevorzugte, hörten seine Worte sich an, als kämen sie aus seinem Unterbewußtsein. „Wo waren Lady Simpson und Sie? Ich hatte Sie aus den Augen verloren“, fragte der Mann weiter. Parker wußte sofort, worauf dieser Hypnotiseur anspielte. Er hatte sie tatsächlich aus den Augen verloren, als sie sich in der Wohnung von Myladys Freundin aufgehalten hatten. Dort hatten sie aus Gründen der Sicherheit auch die Nacht verbracht. Der Mann vor ihm wollte nun wissen, wieso seine Opfer sich seinem Einfluß entziehen konnten. „Miß Porter verschafften Mylady und meiner bescheidenen Person eine Art Notunterkunft“, erwiderte der Butler und nannte die richtige Adresse, unter der sie gewohnt hatten. Er ging davon aus, daß der Mann diese Angabe nachprüfen ließ. „Sie haben starke Kopfschmerzen, nicht wahr? Wie Lady Simpson!“ „Sehr starke“, erwiderte Parker und griff an die Schläfe, denn das erwartete der Mann wohl von ihm. Sein sonst undurchdringlich wirkendes Pokergesicht verzog sich schmerzhaft und gequält. Parker sah in Sekundenbruchteilen äußerst leidend aus. „Dagegen habe ich ein schnell wirksames Mittel“, kündete der Mahn an und lächelte beruhigend, „hier, Mr. Parker, wenn Sie nachher den Tee reichen, so geben Sie Lady Simpson zehn Tropfen davon. Sie selbst werden zwanzig Tropfen
nehmen. Haben Sie mich richtig verstanden?“ „Zehn Tropfen für Lady Simpson, zwanzig Tropfen für meine bescheidene Wenigkeit“, gab der Butler akzentuiert zurück, als sei er eine Sprechmaschine. „Aber Sie werden Lady Simpson von den Tropfen nichts sagen. Haben wir uns verstanden?“ „Sehr wohl, Sir.“ „Sie können jetzt gehen, Mr. Parker. Wohin wollen Sie fahren?“ „Zurück zu Lady „Glaters“, sagte der Butler, „Lady Glaters benahm sich recht eigenartig.“ „Darüber will ich mehr hören, Mister Parker.“ „Lady Glaters will Dämonen und Teufel gesehen haben“, erklärte der Butler gemessen, „das war bei Myladys erstem Besuch. Jetzt aber leugnet Lady Glaters diese Erscheinungen ab, wie sie vor etwa einer halben Stunde darlegte.“ „Sie waren also neugierig geworden?“ „Sehr, Sir.“ „Sie sind ab sofort nicht mehr, Mister Parker! Sie werden die Dinge so nehmen, wie sie sind. Sie werden keine Fragen stellen und alle Nachforschungen aufgeben. Das ist ein Befehl!“ „Sehr wohl, Sir!“ „So, nun können Sie gehen“, meinte der Mann lächelnd, „ich bin sehr mit Ihnen zufrieden, Mister Parker.“ „Wieso lassen Sie ihn gehen, Chef?“ wunderte sich der Motorradfahrer sichtlich. Er stand seitlich hinter Parker. „Der Mann ist gefährlich Wie ganz Scotland Yard zusammen“, behauptete der Fahrer des Rover, der schräg vor dem Butler Aufstellung genommen hatte.
„Wir sind allein auf weiter Flur“, stellte der Motorradfahrer fest, „warum bringen wir die Type nicht gleich hier um, Chef?“ . „Er ist keine Gefahr mehr für uns“, antwortete der Mann im ,KamelhaarMantel selbstsicher. „Ich habe ihn völlig im Griff. Er ist so sanft wie ein Lamm.“ „Wenn wir uns nur nicht in den Finger schneiden“, warnte der Fahrer des Rover mißtrauisch. „Er ist willenlos“, erklärte der schlanke Mann lächelnd, „mit einem toten Butler Parker können wir nichts anfangen. Ich brauche ihn noch für einige Leichen!“ * Kathys Sprung vor den Wagen war nur noch eine Frage von Zehntelsekunden. Sie spannte ihre Muskeln und... erstarrte dann förmlich. Etwas in ihr war stärker als der Wunsch, sich vor den Wagen zu werfen. Sie sah plötzlich klar, ihre Gedanken arbeiteten wieder normal. Sie warf sich zurück, stolperte und fing sich an der Hauswand ab. Schweiß brach aus und bedeckte ihre Stirn und Oberlippe. Der Wagen fuhr dicht an ihr vorüber und verschwand in der Kurve. Kathy atmete tief durch, schaute sich verstohlen um und wurde sich bewußt, in welcher Todesgefahr sie sich befunden hatte. Ihr wurde klar, daß sie einen Moment lang unter einem fremden Zwang gestanden, unter einem Willen, der ihr normales Bewußtsein ausradiert hatte. Wie stark mußte dieser Wille sein! Er hätte sie um ein Haar in den Selbstmord getrieben. „Ist Ihnen nicht gut, Miß?“ fragte eine Frauenstimme dicht neben ihr. Kathy schüttelte automatisch den Kopf, drückte sich von der Hauswand ab und ging staksig am Eingang der Teestube vorbei,
wo die Serviererin erschien und ihr automatisch zulächelte, als hätten sie sich nie unterhalten und nie gesehen. Kathy fühlte sich bereits wieder in Ordnung. Ihre Gedanken arbeiteten wieder frei. Sie fragte sich, wo der Hypnotiseur sich wohl aufgehalten haben mochte. Er mußte doch ganz in der Nähe gewesen sein, sonst hätte er nie seine Gedanken so nachdrücklich auf sie konzentrieren können. Oder wurde hier wirklich mit einem „Verstärker“ gearbeitet, wie Butler Parker es vermutete? Kathy sah sich die Häuser in der Nähe des Milchladens genau an, konnte aber nichts Verdächtiges feststellen. Es handelte sich um hübsche Einzelhäuser, die durchweg einen winzig kleinen Vorgarten hatten, die alle sehr gepflegt aussahen. Wo war der unheimliche Dämon, der seine Gegner auf eine völlig neuartige Weise in seinen Bann schlagen und vernichten wollte? Erfreulicherweise vermochte Kathy sich noch an alle Einzelheiten ihrer Unterhaltung mit der Serviererin in der Teestube zu erinnern. Ihr Interesse galt jetzt den beiden Mosdale-Mädchen, wie die Frau in der Teestube sie genannt hatte. Dort war es zu diesen ungewöhnlichen, peinlichen Auftritt gekommen. Sie hatte die Absicht, sich mit Will Hazers zu unterhalten, um weitere Informationen zu bekommen. Vielleicht konnte der Besitzer des Gasthauses ihr mit neuen Details dienen. Lange brauchte Kathy nach diesem Gasthaus nicht zu suchen. An der Front eines alten Fachwerkhauses befand sich eine grelle Reklame, die so gar nicht zu diesem hübschen Haus paßte. Neonbuchstaben versprachen Tanz, Musik und Unterhaltung. Als Kathy auf
dieses Gasthaus zuging, fühlte sie sich beobachtet. Sie wußte mit letzter Sicherheit, daß man sie heimlich belauerte. Irgendwo ganz in der Nähe mußte sich dieser Beobachter befinden. Die Frage war jetzt, ob dieser Mann zu anderen Mitteln griff, um sie an weiteren Nachforschungen zu hindern. Der Schuß aus einer schallgedämpften Waffe hätte diese Probleme leicht gelöst. Der Hypnotiseur mußte ja inzwischen wissen, daß sie für seine Beeinflussung nicht zugänglich war. Würde er solch einen heimtückischen Schuß riskieren? Kathy stutzte einen Moment, als sie den Gasthof erreicht hatte. Die Tür war weit geöffnet und lud förmlich zum Nähertreten ein, obwohl die offizielle Öffnungszeit noch nicht angebrochen war. Erwartete man sie etwa bereits? Lief sie in eine Falle, die ihren Tod bedeutete? Der Eindruck der Gefahr verstärkte sich in ihr, und am liebsten hätte sie sich auf dem Absatz umgedreht und wäre schleunigst wieder zurückgegangen. „Ich hab’ noch nicht geöffnet“, sagte ein junger Mann, der etwa dreißig Jahre alt, mittelgroß und schlank war. „Tut mir leid, Miß.“ “Sind Sie Will Hazers?“ fragte Kathy. „Will Hazers“, stellte der Mann sich vor und stützte sich auf den Besenstiel auf. „Kennen wir uns, Miß?“ „Kann ich Sie einen Moment sprechen?“ fragte Kathy beruhigter weiter. „Es handelt sich, das sage ich Ihnen gleich, um die Mosdale-Schwestern. Ich nehm’s Ihnen nicht übel, wenn Sie darüber nicht sprechen wollen,“ „Kommen Sie rein“, meinte Will Hazers, nachdem er Kathy einen Moment lang prüfend angesehen hatte. „Sie sind nicht von der Zeitung?“
„Ich komme privat“, erklärte Kathy. „Kommen Sie rein“, wiederholte Will Hazers, „wissen Sie vielleicht, was da wirklich passiert ist?“ „Vielleicht kann ich Ihnen mit einer Erklärung helfen“, antwortete Kathy und folgte dem Mann, obwohl sie wirklich nicht genau wußte, mit wem sie es eigentlich zu tun hatte. Es mußte nicht der Mann sein, den sie besuchen wollte! * „Wie kann man sich nur solch eine Gelegenheit entgehen lassen“, wunderte sich Lady Simpson gereizt, „mit diesen drei Subjekten hätten Sie doch leicht fertig werden können, Mister Parker. Ich hätte dabeisein sollen!“ „Wenn Mylady gestatten, kann ich mit einer Erklärung dienen.“ Parker saß wieder am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr zurück zum Landsitz der Ruth Glaters. Er hatte seiner kriegerischen Herrin gerade von seiner interessanten Begegnung berichtet und sich prompt den Unwillen der Lady zugezogen. „Sie wollen mich doch nur wieder einwickeln“, schickte Agatha Simpson voraus, „aber gut, versuchen Sie’s immerhin.“ „Hätte ich mir die Freiheit genommen, Mylady, aktiv zu werden, wüßte die Gegenseite inzwischen, daß Mylady und meine bescheidene Person durch Hypnose nicht mehr zu beeinflussen sind.“ „Dafür hätten wir aber diese drei Subjekte in unserer Gewalt.“ „Drei Mitglieder einer offensichtlich gut organisierten Bande, nicht mehr und nicht weniger, Mylady, wenn ich so kühn sein darf, darauf zu verweisen.“
„Sie glauben nicht, daß dieser Lümmel im Kamelhaarmantel der Dämon ist?“ „Dem möchte ich entschieden widersprechen, Mylady.“ „Ihr Selbstvertrauen möchte ich haben, Mister Parker. Woher nehmen Sie Ihre Sicherheit?“ „Ich erlaubte mir, mich auf mein Gefühl zu verlassen, Mylady. Dieser Mann war nicht aus jenem Holz geschnitzt, aus dem man Verbrecher macht.“ „Ich werde Sie eines Tages an Ihre Prognose erinnern“, versprach die ältere Dame grimmig, „hoffentlich ist es dann nicht bereits zu spät, Mister Parker. Was machen wir jetzt mit den Tropfen?“ „Sie dürften ein böses Gift enthalten, Mylady.“ „Natürlich, dieser Flegel wird Ihnen schließlich kein Hustenmittel gegeben haben. Tun wir so, als hätten wir die Giftdosis geschluckt?“ „Diese Handlungsweise wäre angebracht, Mylady.“ „Und was erwarten Sie davon?“ „Weitere Aufschlüsse, Mylady. Die drei Männer dürften sich innerhalb der nächsten Stunde bei Lady Glaters einfinden, wenn mich nicht alles täuscht.“ „Und was hoffen Sie zu sehen?“ „Eine Lady Simpson, die nicht ansprechbar ist und einen Mister Parker, der das gesegnet hat, was man gemeinhin das Zeitliche nennt.“ „Sie glauben, daß man Sie ermorden will, Mister Parker?“ Agatha Simpson machte nun doch einen besorgten Eindruck. „In der Tat, Mylady. Darf ich daran erinnern, daß der Mann im KamelhaarMantel mir auftrug, zwanzig Tropfen zu nehmen. Das dürfte die Dosis für einen erwachsenen Menschen sein.“
„Und warum will man mir nicht auch ans Fell? Diese Subjekte erfrechen sich, mich nicht für voll zu nehmen?“ „Mylady werden offensichtlich noch als Opfer gebraucht“, sagte der Butler würdevoll. „Ich darf daran erinnern, daß Mylady nicht gerade das sind, was man im Volksmund minderbemittelt , nennt.“ „Damit kommen wir zum Kern des Falls“, entschied die Detektivin und nickte grimmig. „Es geht also um Geld!“ „Eindeutig, Mylady. Der Dämon der Hypnose benutzt seine einmaligen Fähigkeiten dazu, sich in den Besitz von Geld zu bringen, das ihm nicht gehört.“ „Darum ist er also auch hinter Lady Glaters her und gaukelt ihr kleine Teufelchen vor, nicht wahr?“ „Gewiß, Mylady. Ganz zu schweigen von Personen, von deren Existenz wir nichts wissen. Dieser Dämon hat eine völlig neue Art des Verbrechens erfunden, wenn ich es so banal ausdrücken darf. Raub durch die Kraft des Geistes, in dieser Form’ neu Und ungewöhnlich. Dieser Fall wird meiner bescheidenen Ansicht nach in die Annalen der Kriminalgeschichte eingehen.“ „Mein neues Thema“, verkündete Agatha Simpson fast andächtig, „endlich habe ich es gefunden, Mister Parker. Ich weiß, daß ich darüber schreiben werde, ja, ich muß! Wie finden Sie meine Idee?“ „Das harte und rauhe Leben, Mylady schreibt stets die besten Romane“, gab der Butler ergeben zurück, denn er wußte bereits aus Erfahrung, daß Agatha Simpson pro Woche das Thema ihres Lebens neu fand. *
„Na, bitte“, sagte der Mann im Kamelhaarmantel und deutete auf den Butler, der neben dem Kamin in verkrümmter Haltung auf dem Teppich lag, „wie ich’s gesagt habe, zwanzig Tropfen reichten vollkommen.“ „Vorsicht ist besser als Nachsicht“, meinte der junge Motorradfahrer und ging zu Parker hinüber. Er beugte sich über ihn, untersuchte ihn flüchtig und nahm angewidert den Kopf zurück, als er den weißen Schaum vor Parkers Mund sah. Er drehte den Butler mit einem derben Fußtritt zur Seite und kümmerte sich ab sofort nicht weiter um ihn. Für ihn war Parker tot. Zweifel kamen nicht auf. Daß Josuah Parker diesen weißen Schaum, der nach Gift aussah, mittels Tafelkreide imitiert hatte, wußten die drei Männer nicht, die in Lady Glaters Haus eingedrungen waren. Sie waren ‘sich ihrer Sache vollkommen sicher. Agatha Simpson machte einen geistesabwesenden Eindruck. Sie saß zusammengesunken in einem hochlehnigen Ledersessel und starrte aus weit geöffneten Augen auf die Wand. Sie hatte das Kommen der drei ungebetenen Besucher überhaupt nicht registriert. Sie war eine erstklassige Schauspielerin, man nahm ihr diese Geistesabwesenheit ohne jedes Mißtrauen ab. Ruth Glaters schien sich ebenfalls in einer anderen Welt zu befinden. Auch sie starrte aus weiten Augen auf ein imaginäres Ziel irgendwo jenseits der Zimmerwand. Sie befand sich allerdings wirklich unter hypnotischem Einfluß, da sie nicht wie Lady Agatha und Parker „geimpft“ worden war. Sie spielte also mit, ohne von ihrer Rolle zu wissen. Aus Gründen der Sicherheit war sie weder von ihrer Freundin noch von Parker
eingeweiht worden. Unter Hypnose stehend, hätte sie möglicherweise den ganzen Plan ausplaudern können. „Und was machen wir jetzt?“ fragte der dritte Mann, der den Rover gesteuert hatte. Auch er warf einen kurzen Blick auf den Butler, um sich dann wieder dem Mann im Kamelhaarmantel zuzuwenden. „Jetzt schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe“, gab der Angesprochene zurück, „die beiden späten Mädchen werden nach dem Aufwachen mit Schuldkomplexen beladen sein und zahlen, bis sie schwarz werden.“ „Sollen wir den Butler wegschaffen?“ fragte der Motorradfahrer. „Seid ihr verrückt?“ Der Mann im Kamelhaarmantel schüttelte den Kopf, „der wird noch gebraucht. Die beiden Alten sollen doch später glauben, daß sie den Butler umgebracht haben. Besser kann man doch keine Geldquelle anbohren.“ Parker ließ sich selbstverständlich nichts anmerken. Er blieb regungslos liegen und registrierte jedes Wort, das, die drei Männer miteinander redeten. Er hatte sich also nicht getäuscht. Die Hypnose diente nur dazu, um auf verbrecherische Art und Weise an Geld zu kommen. Deutlicher hätte es der Mann im Kamelhaarmantel gar nicht ausdrücken können. Wie er und seine beiden Begleiter hießen, war im Augenblick für den Butler unerheblich. Er wußte aber bereits schon jetzt, daß es sich nur um Handlanger jener Erscheinung handelte, die er als Dämon bezeichnet hatte. Um diesen Mann allein aber ging es. Er stellte die wirkliche Gefahr dar, und an ihn wollte Parker
möglichst schnell herankommen. Die drei Männer sollten ihm dabei als Pfadfinder dienen. Irgendwann mußten sie ja Kontakt mit ihrem wahren Herrn und Meister aufnehmen. Der Mann im Kamelhaarmantel hatte sich inzwischen knapp vor Lady Agatha aufgebaut und streckte beschwörend seine Hände nach ihr aus. Die Detektivin, die ihn unbedingt sehen mußte, bezwang ihre gewohnte Aktivität und verzichtete darauf, ihm ihren Pompadour samt „Glücksbringer“ aufs Gesicht zu drücken. Sie hielt sich haargenau an Parkers Taktik, auch wenn es ihr noch so schwerfiel. , . „Sie haben große Schuld auf sich geladen“, ertönte jetzt die Stimme des Mantelträgers, monoton, beschwörend und eindringlich. „Sie haben Ihren Butler in den Tod getrieben und werden dafür bezahlen müssen. Tilgen Sie diese schreckliche Tat, Lady Simpson, sühnen Sie! Opfern Sie alles, was Sie besitzen und helfen Sie so, Ihr Gewissen zu erleichtern. Verzweifelte Menschen warten auf Ihre Hilfe. Prägen Sie sich die Nummer Fünf-acht-drei-eins-acht ein! Zahlen Sie Ihr Sühnegeld an die SussexBank unter dieser Kontonummer! Kleinigkeit wird Ihr Gewissen nicht erleichtern, trennen Sie sich von dem, was Sie entbehren können, nur so werden Sie ohne Schuld weiterleben können.“ „Und das klappt?“ fragte der Motorradfahrer leise und bewundernd zugleich. „Und ob das klappt“, gab der Mann im Kamelhaarmantel zurück, „die alte Schachtel wird sich darum reißen, Einzahlungen zu machen. Das kennen wir bereits aus Erfahrung.“
„Sagenhaft“, meinte der Fahrer des Rover andächtig, „so leicht bin ich noch nie an das große Geld gekommen.“ „Grips ist eben wichtiger als ein Schweißbrenner“, sagte der Hypnotiseur, „mit der Masche werden wir ein Vermögen machen!“ * „Sie können mir wirklich helfen?“ fragte Will Hazers, der die Tür zur Gaststätte hinter Kathy schloß. Er sah sie neugierig und erwartungsvoll an. „Vielleicht“, erwiderte Kathy Porter, „darf ich erst mal erfahren, wie es den beiden Mosdale-Schwestern geht?“ „Sie sind immer noch völlig durcheinander und getrauen sich nicht raus auf die Straße.“ „Das ist nicht weiter verwunderlich“, sagte Kathy-mitleidig, „man hat ihnen ja auch gemein mitgespielt.“ „Mitgespielt, Miß .. .?“ „Ich heiße Kathy Porter und bin die Assistentin von zwei Privatdetektiven“, stellte sie sich vor und verzichtete auf weitere Einzelheiten um die Dinge nicht unnötig zu komplizieren. „Privatdetektive? Ich glaube kaum, daß ich Sie bezahlen kann.“ „Es wird Sie keinen einzigen Penny kosten“, beruhigte Kathy den besorgten Mann, „meine Chefs werden schon von anderer Seite bezahlt.“ „Sie glauben also, daß Lana und June hereingelegt worden sind, Miß Porter?“ „Aber eindeutig“, versicherte Kathy dem Mann, „Sie wissen doch, was Hypnose ist, nicht wahr?“ „Natürlich, alle Welt weiß das.“ „Lana und June Mosdale sind hypnotisiert worden“, versicherte Kathy ernst,
„ich würde mich gern mal mit ihnen unterhalten. Läßt sich das einrichten?“ „Aber natürlich“, erwiderte Will Hazers ohne Zögern, „wenn Lana und June das erfahren, werden sie sich besser fühlen. Sie rätseln immer noch daran herum, wieso sie sich so benehmen konnten. Sie halten sich, glaube ich, fast für verrückt.“ „Das ist nur zu gut zu verstehen“, entgegnete Kathy mitfühlend, „wie war das denn an jenem Abend?“ „Es war vor zwei Samstagen“, berichtete Will Hazers und zündete sich eine Zigarette an, „ich hatte hier wieder mal eine Beatgruppe, und es wurde getanzt. Kurz vor Mitternacht, der kleine Saal hinter der Gaststätte war gerammelt voll, erschienen Lana und June auf der Tanzfläche und begannen mit ihrem Strip.“ „Könnten Sie noch etwas mehr in Einzelheiten gehen?“ bat Kathy. „Ich komme jetzt dazu“, redete Will Hazers weiter, „June und Lana erschienen also auf der Tanzfläche und zerrten sich die Kleider vom Leib. Anschließend führten sie einen Tanz auf, der, verdammt noch mal, es in sich hatte: Die legten los wie Professionals in Soho, wenn Sie wissen, was ich meine. Es war plötzlich still im Saal, bis natürlich auf die Beatgruppe, die weiterspielte, aber viel leiser und sinnlicher. Lana und June legten sich dann flach und benahmen sich wie Lesbierinnen, entschuldigen Sie den Ausdruck, Miß, aber anders kann ich’s nicht ausdrücken. Sie gingen auf hautnahen Kontakt.“ „Konnten Sie nicht einschreiten?“ „Zuerst hab’ ich nichts mitbekommen, denn ich stand hinter der Bar in der Gaststätte. Als ich dann von irgendeinem Bekannten alarmiert wurde, war’s
bereits passiert. Lana und June turtelten wie ein Liebespaar und waren kaum zu trennen, als ich auf die Tanzfläche rannte. Die beiden wehrten sich, als ich sie hochriß, und traten nach mir. Sie reagierten wie Furien.“ „Daraufhin lösten Sie Ihre Verlobung mit June?“ „Kann man mir das verdenken?“ brauste Will Hazers auf, „ich bin ja zum Gespött der Leute geworden.“ „June wollte später Selbstmord begehen?“ „Sie haben sich bereits umgehört“, schickte Will Hazers voraus und nickte, „natürlich hab’ ich ihr meinen Ring vor die Füße geknallt. Mit ‘nem Flittchen will ich nichts zu tun haben. Daraufhin wollte June sich das Leben nehmen, wie ich später erfuhr, sie wollte sich die Pulsadern aufschneiden.“ „Und was ist jetzt mit den Schwestern?“ „Sie haben sich beruhigt und behaupten nach wie vor, sie hätten keine Ahnung, was sie auf der Tanzfläche getrieben haben. Soll ich’s glauben oder nicht?“ „Es entspricht den Tatsachen“, klärte Kathy den Mann auf, „die beiden Schwestern standen unter Hypnose.“ „Das sagen Sie so leicht, Miß“, gab Will Hazers mißtrauisch zurück, „aber warum, so frage ich mich dann, warum sind Lana und June hypnotisiert worden, warum ausgerechnet sie? Das begreife ich einfach nicht! Sie waren doch nicht die einzigen Frauen im Saal. Warum sind ausgerechnet June und Lana hypnotisiert worden? Da muß doch ein bestimmter Grund hinterstecken!“ „Ich glaube, daß der Hypnotiseur die beiden Schwestern kennt und wußte, wie leicht er sie unter seinen Willenseinfluß bringen konnte.“
„Dann muß dieses Schwein doch hier in Kew Gardens leben, nicht wahr?“ „Das könnte schon sein. Um aber die letzte Sicherheit zu haben, möchte ich mit den beiden Schwestern reden. Sie können mir vielleicht den letzten Tip geben, den meine beiden Chefs noch brauchen.“ „Wer hier in Kew Gardens könnte das sein?“ Will Hazers sah Kathy eindringlich an, „wer könnte dieses Miststück sein? Haben Sie bereits einen bestimmten Verdacht?“ „Ich... weiß... es nicht!“ Quälend und stockend kamen die Worte über Kathys Lippen. Sie spürte plötzlich stechende Schmerzen in den Schläfen, spürte den Eisenreif, der sich um ihren Kopf spannte. Sie wußte jetzt, daß sie diesem „Miststück“ gegenüberstand! * Er sah sie gespannt an und wartete auf ihre Reaktion. Kathy hatte inzwischen begriffen, daß sie auf keinen Fall diesem Will Hazers gegenüberstand. Sie war einem der Bandenmitglieder in die Arme gelaufen und hatte sich von ihm täuschen lassen. Doch sie bedauerte es nicht, ja, genau das Gegenteil war der Fall. Schneller als erwartet, hatte sie endlich den so wichtigen Kontakt mit dem „Dämon“ bekommen. „Wer hat dich geschickt?“ fragte der angebliche Will Hazers mit sanfter, aber eindringlicher Stimme. „Lady Simpson und Mister Parker“, erwiderte Kathy wahrheitsgemäß und bemühte sich um ein Wenig Monotonie in ihrer Stimme. Der pochende Schmerz in den Schläfen war bereits wieder vergangen, der Eisenreif nicht mehr vorhanden. Die Hypnose war von ihr ab-
geprallt, sie war völlig Herr ihrer Gedanken und ihres Willens. „Ich fühle mich jetzt wohl“, redete sie weiter und lächelte mechanisch und wie geistesabwesend. „Du wirst jetzt mit mir kommen“, befahl ihr der Mann weiter, „ich werde dir Dinge zeigen, wie du sie noch nie in deinem Leben gesehen hast.“ „Ich freue mich“, erwiderte Kathy, „warum gehen wir nicht endlich?“ „Hast du keine Angst?“ „Überhaupt nicht“, sagte Kathy und mußte sich unendlich zusammenreißen, als er plötzlich ein Stilett in der rechten Hand hielt, dessen Spitze er auf ihre Brust vorschnellen ließ. Doch sie hatte sich fest unter Kontrolle und mit solch einem Test gerechnet. Sie rührte sich nicht, lächelte und zuckte auch dann noch mit keiner Wimper, als die Spitze des Stiletts sich durch den Stoff der Bluse bis auf ihre Haut bohrte. Wenn sie jetzt versagte, wußte der Mann, daß sie nicht unter Hypnose stand, dann war alles verdorben, dann gab es keinen Kontakt zu dem Chef dieser widerlichen Gangsterbande, die mit Hypnose arbeitete. „Komm jetzt“, sagte er, „mein Wagen wartet draußen im Hof.“ Sie wußte, daß sie den Test bestanden hatte. Kathy ging voraus und hörte hinter sich seine Schritte. Sie kamen durch einen Vorratsraum, auf dessen Boden ein junger Mann lag, der offensichtlich bewußtlos war. Das mußte Will Hazers sein! Hoffentlich ist er nicht ermordet worden, dachte Kathy. Sie hatte leider keine Möglichkeit, sich um diesen Mann zu kümmern, denn gemäß ihrer Rolle war er für sie nicht vorhanden. Sie stieg also
über ihn hinweg, als handele es sich um ein nichtssagendes Hindernis. Im Hof der Gaststätte stand neben einer offenen Remise ein Morris. Kathy blieb abwartend neben dem Wagen stehen, wartete auf weitere Anweisungen. Auch sie hatte sich von Dr. Herberts genau einweisen lassen. Da sie für Hypnose nicht zugänglich war, hatte sie schließlich wissen müssen, wie man sich als Hypnotisierter benahm. „Steig ein, Kathy“, sagte der junge Mann, „weit haben wir es nicht.“ Sie nahm auf dem Beifahrersitz Platz und starrte durch die Windschutzscheibe. Der junge Mann setzte sich hinter das Steuer und fuhr sofort los. Er benutzte einen schmalen Wiesenweg, um das Grundstück zu verlassen. Dann steuerte er den Morris in einen Feldweg und näherte sich einem kleinen Wäldchen, dessen Unterholz wie eine dichte, grüne Mauer wirkte. Kathy fragte sich, ob sie jetzt direkt zu dem Mann fuhren, um den sich alles drehte. Der junge Fahrer neben ihr am Steuer konnte nicht der gesuchte „Dämon“ sein, das war ihr klar. Es mußte sich um einen seiner Handlanger handeln, nicht mehr und nicht weniger. Kathy wurde nun doch etwas unruhig, ohne es allerdings nach außen hin zu zeigen. Was hatte der Mann neben ihr vor? Warum wollte er mit ihr dort hinüber in das dichte Waldstück? Sollte sie doch aus dem Weg geräumt werden? Hatte der Mann sie längst durchschaut? Sie mußte es durchstehen! Er dirigierte den kleinen Morris auf einen versteckten Waldweg und hielt plötzlich jäh an, wandte sich ihr zu und sah sie eindringlich an.
„Siehst du den kleinen See?“ fragte sr dann. Kathy nickte, obwohl sie natürlich überhaupt nichts sah. „Du wirst jetzt baden“, sagte er lächelnd, „du bist völlig allein. Zieh dich aus, Kathy! Du willst baden, du bist völlig unbeobachtet, weit und breit ist kein Mensch zu sehen.“ „Ich ... will... baden“, wiederholte Kathy monoton und... stieg prompt aus. Dann knöpfte sie sich wie selbstverständlich ihre leichte Bluse auf, gierig beobachtet von diesem Handlanger des „Dämons“, der sich ein kleines Privatvergnügen leisten wollte. * „Laßt den Butler jetzt verschwinden“, sagte der Mann im Kamelhaarmantel zu seinen beiden Begleitern. „Und wie?“ wollte der Motorradfahrer wissen. „Ganz in der Nähe ist die Bahnlinie nach Windsor“, antwortete der Chef der beiden Männer, „sucht euch den richtigen Zug aus und legt ihn auf die Schienen! Man braucht die Type erst nach Tagen zu finden. Die Polizei soll auch was zu tun haben!“ Der Motorradfahrer und der Fahrer des Rover schleppten den Butler aus dem Wohnsalon der Lady Glaters, ohne irgendwelche Einwände zu machen. Mord schien für sie eine Selbstverständlichkeit zu sein. Josuah Parker war eine perfekte Leiche! Er rührte sich nicht, ließ sich zum Rover tragen, den die Gangster doch noch fahrbereit bekommen hatten, ließ sich im Kofferraum dieses Wagens verstauen und
dabei wie ein Sack behandeln oder sonst ein toter Gegenstand. Während der Fahrt hatte der Butler ausreichend Zeit, sich mit den gehörten Vorgängen zu beschäftigen. Innerhalb der vergangenen Stunde hatte er sehr viel erfahren und wußte jetzt, wie die Gangster arbeiteten. Sie benutzten also die Hypnose, um an das große Geld zu kommen, ohne sich dabei anstrengen zu müssen. Das Verfahren war genial einfach. Sie versetzten zahlungskräftige Personen in Hypnose, suggerierten ihnen Schuldkomplexe und nannten diesen Opfern dann anschließend schlicht eine Kontonummer und eine Bank, wo sie ihr Sühnegeld einzahlen konnten. Wie oft das in der Vergangenheit bereits geklappt hatte, wußte Parker natürlich nicht, doch er hatte den Eindruck, daß die HypnoseGangster erst am Beginn ihrer Tätigkeit standen. Wahrscheinlich wollten sie jetzt im großen Stil loslegen. Die beiden alten Damen waren wirklich lohnende Opfer. Warum man ihn, Josuah Parker, aus dem Weg geräumt hatte, ließ Rückschlüsse zu! Die Gangster waren der festen Ansicht, ihn bereits getötet zu haben. Es gab nur einen plausiblen Grund, einen Mord zu begehen: Die Gangster kannten ihn Josuah Parker, und wußten, welch eine Gefahr er für sie bedeutete. Das ließ darauf schließen, daß die Gangster keine Amateure waren. Sie kannten sich mit Sicherheit in der Unterwelt aus, in der er ja kein Unbekannter war. Sie hatten, jedes mögliche Risiko von vornherein ausschließen wollen, ob ‘er nun zu hypnotisieren war oder nicht. Man traute ihm, Josuah Parker, einfach nicht über den Weg.
Bei Lady Simpson war das schon eine andere Sache. Man sah in ihr wohl die alte, geldschwere und skurrile Frau, die man wie eine Weihnachtsgans ausnehmen wollte und konnte. Sie hielten Lady Agatha für relativ ungefährlich. Butler Parker wurde während der Fahrt gehörig durchgeschüttelt. Der Rover befand sich wahrscheinlich auf einem holprigen Feldweg, der vor dem Bahndamm endete. Die beiden Fahrer vorn nahmen herzlich wenig Rücksicht auf die Wagenfedern und auf ihren „toten“ Passagier. Ohne von Kathy Porters Gedankengängen zu wissen, glaubte auch Parker zu ahnen, daß der Sitz dieses raffinierten „Dämons“ Kew Gardens sein mußte, dieser freundliche Vorort von GroßLondon. Hier mußte der „Dämon“ mit seinen Versuchen begonnen haben. Parker war gespannt, welche Informationen Kathy Porter zusammentragen würde. Er wußte, daß er sich auf das langbeinige und hübsche Mädchen fest verlassen konnte. Kathy war geschickt und vor allen Dingen immer gefährlich, wenn sie ängstlich wie ein scheues Reh wirkte. Gerade dann konnte sie in Sekundenbruchteilen zu einer Pantherkatze werden, die sich vor nichts fürchtete. Was seine Herrin anbetraf, so hatte Parker allerdings Bedenken. Lady Simpson neigte schnell zu Temperamentsausbrüchen, wenn man sie reizte. Dann pfiff die streitbare Dame auf alle Taktik und ließ ihren Pompadour wirbeln. Sie war sehr sportlich, was man ihr kaum ansah, und konnte nachdrücklich sein. In solchen Situationen erinnerte Lady Simpson an eine gereizte
Elefantendame, für die es so gut wie kein Hindernis gab. Parker hob leicht den Kopf an, als die Fahrt endete. Die Bremsen quietschten, dann stand der Wagen. Er hörte das Öffnen der beiden vorderen Wagentüren, dann Schritte — und blieb regungslos liegen, als der Kofferraum geöffnet wurde. „In zehn Minuten muß der Schnellzug kommen“, hörte er die Stimme des ehemaligen Motorradfahrers. „Wir stellen ihn drüben gegen das Signalhäuschen“, meinte der Roverfahrer. „Wir werden dann nicht gesehen. Sobald der Zug nahe genug ran ist, kippen wir die Type vor die Lok. Und dann ab durch die Mitte! Alles klar?“ „Alles klar“, sagte der Motorradfahrer und kicherte amüsiert. „Von dem hier bleibt nichts mehr übrig.“ * „Sie werden verstehen, daß ich gegen dieses Verfahren einige Einwände erhe1ben werde“, sagte Josuah Parker höflich. Die beiden Gangster hatten ihn nahe an den Bahndamm herangeschleppt und ihn für einen kurzen Moment „abgesetzt“, ihm den Rücken zugewendet. Sie wirbelten nach einer Schrecksekunde herum und stierten den Butler wie die Erscheinung aus einer anderen Welt an. „Hoffentlich habe ich Sie nicht zu sehr erschreckt“, sagte Parker weiter und lüftete höflich seine schwarze Melone, „finden Sie sich damit ab, daß ich zu Ihrem Leidwesen noch lebe.“ Dann schlug der Butler aber auch schon zu, denn er wollte kein Risiko eingehen. Er benutzte dazu jene Melone, die er gerade höflich gelüftet hatte,
denn sein Universal-Regenschirm lag noch im Kofferraum des Rover. Diese Verteidigungswaffe war aber immer noch dynamisch genug. Sie besaß unter dem schwarzen Stoff und der Wölbung eine starke Ausfütterung in Form eines zähen Stahlbleches. Der Motorradfahrer, dessen Nasenwurzel nachhaltig getroffen worden war, fiel auf die Knie und weinte bitterlich. Er hatte derart viel Tränen in den Augen, daß er nichts mehr sah. Für den ersten Moment war er völlig außer Gefecht gesetzt worden. Der Fahrer des Rover fühlte sich ebenfalls nicht gut, was auch seinen Grund hatte. Parkers Melone hatte nämlich auch seine Nase getroffen, allerdings mehr vorn an der Spitze. Auch dieser Gegner weinte wie ein Schoßkind und fühlte sich außerstande, irgend etwas gegen den Butler zu unternehmen. Er nahm übel und gönnte Josuah Parker nicht einen einzigen Blick. Butler Parker war auch für Situationen dieser Art gut gerüstet. Wenn er unterwegs war, führte er stets ein ganzes Arsenal von diversen Hilfsmitteln mit sich, die es alle ohne Ausnahme in sich hatten. Sie waren durchweg sorgsam präpariert und hatten bereits in der Vergangenheit ihre Durchschlagskraft bewiesen. Zu diesen Hilfsmitteln gehörten die vielen Kugelschreiber, die durchschnittlich und harmlos aussahen und die Taschen seiner Weste zierten. Sie waren allerdings mehr als nur Kugelschreiber, was von Gangstern immer wieder übersehen wurde. Parker nahm einen dieser harmlos aussehenden Kugelschreiber in die Hand und verdrehte die beiden Hälften
gegeneinander. Dann setzte er die Spitze dieses Schreibgerätes auf den Oberschenkel des Roverfahrers und drückte auf den Halteclip. Der Mann merkte kaum etwas und zuckte nur leicht zusammen, als sei er von einer aufdringlichen Mücke gestochen worden. Er wußte nicht, daß sich eine feine Kanüle in seine Haut gebohrt hatte, und ahnte nicht, daß damit gleichzeitig die Dosis eines Tiefschlafmittels in seinen Blutkreislauf befördert wurde. Anschließend kam der junge Motorradfahrer an die Reihe und wurde von Josuah Parker gleichfalls präpariert. Der Butler trat zurück, betrachtete wohlgefällig sein Werk und brachte den vermeintlichen Kugelschreiber wieder in Ordnung. Dann wartete er darauf, daß die beiden Gangster in den verabreichten Tief schlaf fielen. Währenddessen rauschte der Schnellzug heran und passierte jene Stelle, wo der Butler zermalmt werden sollte. Der Zug donnerte vorüber, während die beiden Männer jetzt nicht mehr weinten, sondern am Boden saßen und dem davonjagenden Expreß teilnahmslos nachschauten. Sie waren an ihrer Umwelt nicht mehr weiter interessiert, schlössen die Augen und begannen kurz darauf ein Duett der Schnarcher. Parker hatte die Kerle nachhaltig außer Gefecht gesetzt und brauchte sie nicht mehr zu fürchten. Da mit Störungen nicht zu rechnen war, untersuchte der Butler die Taschen der beiden Gangster und nahm interessiert zur Kenntnis, daß sie offensichtlich im Bereich von Kew Gardens lebten oder zumindest kurzfristig wohnten. Streichholzbriefchen von Gaststätten und Rechnungen von Geschäften, Quittungen und Kassenbons wiesen eindeutig darauf
hin. Sein Verdacht verstärkte sich noch mehr. Der „Dämon“, um den es ging, mußte im Bereich dieses reizenden Vorortes leben. Und hier mußte sich auch das Hauptquartier und die Unterkunft der übrigen Handlanger und Gangster befinden. Für Parker stellte sich jetzt die Frage, wie an diesen Mann heranzukommen war, der diese Gangster dirigierte und einsetzte. Konnten die beiden Männer, die er gerade in einen Tiefschlaf versetzt hatte,, ihm dabei helfen? Würden Sie aussagen, wenn sie wieder zu sich kamen? Oder war ihre Angst vor dem „Dämon“ größer als alle Versuche? Butler Parker kam zu dem Entschluß, diese beiden jungen Männer erst mal aus dem Verkehr zu ziehen. Die Gegenseite mußte vermissen, sich Fragen stellen und unsicher werden. Nur- so konnte er den „Dämon“ aus seiner Reserve locken. Josuah Parker ging zum Rover hinunter und fuhr ihn bis knapp an den Bahndamm heran. Dann rollte er die beiden Gangster den Hang hinunter und verlud sie im Kofferraum, nachdem er ihnen eine seiner Handschellen gespendet hatte. Er wollte während der Fahrt und danach nicht überrascht und erneut herausgefordert werden. Er machte sich Gedanken darüber, wo er die beiden Männer unterbringen konnte. Als human eingestellter Mensch wollte er ihnen nicht unnötig Böses zufügen. Während der Fahrt über den schmalen holprigen Feldweg kam dem Butler die Erleuchtung. Er war im vorhinein fest davon überzeugt, daß die beiden Gangster sich sehr wohl fühlen würden. Parker, der sich in der Gegend nicht auskannte, verfuhr sich ein wenig und passierte ein kleines dichtes Wäldchen. Er
ahnte nicht, wie nahe er einer gewissen Kathy Porter war, die sich ihrerseits in ganz netten Schwierigkeiten befand. * Lady Agathas Gesellschafterin trug nur noch ein leichtes Höschen und einen entsprechenden Büstenhalter. Kathy Porter mimte nach wie vor die Somnambule und tat so, als wisse sie von nichts. Sie wußte natürlich, daß der angebliche Will Hazers sie beobachtete. Er hatte ihr suggeriert, der See lade zum Bade. Und ihr blieb gemäß ihrer Rolle nichts anderes übrig, als darauf einzugehen, sonst hätte der Mann mit Sicherheit Verdacht geschöpft; Irgendwie ärgerte sich Kathy. Sie war sicher nicht prüde. Es machte ihr nichts aus, hin und wieder auch ihren sportlich durchtrainierten Körper als Waffe einzusetzen. Das diese selbstgewählte Rolle ihr aber aufzwang, sich nach den Wünschen dieses Lüstlings zu richten, gefiel ihr keineswegs. Sie suchte nach einer Gelegenheit, es ihm zu geben, ohne dabei im wahrsten Sinn des Wortes aus der Rolle fallen zu müssen. „Zieh’ dich ganz aus, Kathy“, hörte sie die Stimme des angeblichen Will Hazers eindringlich. „Du bist völlig allein, kein Mensch kann dich sehen oder beobachten. Zieh’ dich aus!“ Das hatte er sich so gedacht! Kathy streckte den linken Fuß vor und tauchte ihren großen Zeh in den imaginären See, den der Mann ihr suggeriert- hatte. Sie zog ihn überrascht zurück, als sei das Wasser viel zu kalt, trat einen halben Schritt zurück und zögerte. „Das Wasser ist fast lauwarm“, hörte sie wieder die Stimme des Mannes, „leg’
dich auf die Wellen, aber zieh’ dich vorher noch ganz aus!“ Jetzt wußte Kathy, was sie zu tun hatte. Sie streifte sich tatsächlich den knappen Slip ab, wandte dem Kerl jedoch den Rücken zu, löste den Büstenhalter und legte sich auf die imaginären Wellen des Sees, stand wieder auf und planschte vergnügt und ausgelassen wie ein Kind. Mit beiden Händen langte sie in das lauwarme, nicht existierende Wasser und spritzte damit herum. Da dieses Wasser aber nicht vorhanden war, hatten ihre Händen in den weichen, etwas feuchten Waldboden gegriffen und zwei gehörige Portionen genommen. Die warf sie dem Hypnotiseur jetzt voll ins Gesicht und aufs Vorhemd. Sie landete zwei Volltreffer! Der Mann reagierte überrascht, als feuchter Waldboden gegen seine Gesichtshaut klatschte. Er ächzte, als ein Stein mittlerer Größe seine Magenpartie traf. Er hörte das Jauchzen der unbekleideten Badenixe, die weiterhin im nicht vorhandenen Wasser planschte und erneut mit dem nicht vorhandenen Naß werfen wollte. „Komm’ sofort heraus“, krächzte der falsche Will Hazers befehlend und wischte sich einige Dreckklumpen aus den Augenwinkeln. „Das Wasser ist eisig kalt, du wirst dir den Tod holen.“ Kathy verbiß sich ein Schmunzeln, als sie den Hypnotiseur richtig sah. Der Mann hatte beide Ladungen voll gekriegt und sah hinreißend dreckig aus. Er schien ein paar Meter über den leicht schlammigen Waldboden gerobbt zu sein. Kathy tat allerdings sofort so, als friere sie, und kreuzte die Arme vor der Brust, um dann schnell zu ihren Kleidern hinüber zu laufen und sich anzuziehen.
Der Mann kam überhaupt nicht auf seine Kosten, was ihre Nacktheit betraf. Als er sich die letzten Tannennadeln aus den Augen wischte, war Kathy bereits wieder angekleidet und stand ein wenig verloren und abwartend herum. „Komm’ jetzt in. den Wagen“, befahl ihr der Mann ärgerlich, „wir dürfen keine weitere Zeit verlieren.“ Gehorsam nahm sie wieder auf dem Beifahrersitz Platz und lehnte sich entspannt zurück. Sie hoffte, daß sie den „Dämon“ bald zu sehen bekam. Weit konnte es bis zu seinem Sitz nicht mehr sein. Sie hatte das sichere Gefühl, daß das Wäldchen ein Geheimnis besonderer Art bot. Ihre Rechnung ging auf! Nach knapp fünf Minuten bog der Morris auf eine schmale, asphaltierte Straße ein, die quer durch das Waldstück verlief. Vor einem hohen, altertümlichen Parktor hielt der Wagen kurz an. Der Fahrer stieg aus und betätigte die Gegensprechanlage, die in einem der beiden Torpfosten eingebaut war. Sekunden später öffnete sich das hohe Tor wie von Zauberhand, um sich kurz nach Passieren des Morris selbsttätig wieder zu schließen. Der Park war geschickt angelegt und gestattete keinen Einblick in die Tiefe. Der immer noch asphaltierte Zufahrtweg schlängelte sich in engen Kurven an hohen Taxushecken vorbei, machte dann einen scharfen Knick und endete plötzlich vor einem Holztor, das in eine meterhohe Umfassungsmauer eingelassen war. Auch dieses Tor öffnete sich automatisch. Der Morris rollte über eine schmale Bohlenbrücke, die einen wasserlosen Graben überspannte, und hielt plötzlich in
einem engen, mittelalterlich wirkenden Innenhof, von dem aus man auf einen schloßähnlichen Herrensitz im Hintergrund sah. Kathy war fest davon überzeugt, daß sie das Quartier des „Dämon“ erreicht hatte. Nun mußte sie noch, geschickter improvisieren. Sie befand sich schließlich in der Höhle des Löwen und mußte mit Überraschungen rechnen. * „Miß Perkins, erkennen Sie mich?“ flüsterte Kathy und brachte ihren Mund ganz nahe an das Ohr der mittelgroßen, schlanken Frau, die entspannt auf ihrem Bett lag. Kathy hatte sie sofort wiedererkannt. Es handelte sich um die Schwester des Milchhändlers, in dessen Ladenlokal Agatha Simpson eine kurze Rast mitsamt ihrem Wagen eingelegt hatte. Gwen Perkins reagierte überhaupt nicht. Ihre Lippen umspielte ein träumerisches Lächeln, ihre weit geöffneten Augen starrten hinauf zur Zimmerdecke. Gwen Perkins trug nur einen bis zu den Knöcheln reichenden Bademantel, der sich über ihren Oberschenkeln bereits verschoben und geöffnet hatte. Zu Kathys Entsetzen zeigten die Beine Spuren von Peitschenhieben, die unbedingt schmerzen mußten. Doch sie schien sie überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen. Kathy Porter war vor etwa einer Viertelstunde hierher ins Zimmer gebracht worden. Es befand sich in dem schloßähnlichen Herrenhaus und war fraulich-verspielt eingerichtet, erinnerte überhaupt nicht an ein Gefängnis. Daß die Türklinke fehlte, war im Grund der einzige Schönheitsfehler.
Nein, Kathy Porter hatte den „Dämon“ noch nicht zu Gesicht bekommen. Ihr Begleiter hatte sie an eine derbe, untersetzte und stark aussehende Frau weitergereicht, die sie jetzt eben hier eingeschlossen hatte. Bisher war alles sehr undramatisch verlaufen. Die Sekretärin der Lady Simpson sah angestrengt zu Gwen Perkins hinüber und hätte sie am liebsten erneut angeredet oder versucht, sie wieder in die Realität zurückzurufen, doch Kathy getraute sich nicht. Vielleicht hatte ihre erste Frage schon auf der Gegenseite Mißtrauen ausgelöst. Kathy rechnete nämlich damit, daß dieser Raum mit „Wanzen“ vollgestopft war, mit jenen winzigen, elektronischen Abhörgeräten, die man ohne technische Hilfsmittel einfach nicht aufspüren kann. Zudem mußte sie noch mit der Überwachung durch versteckt angebrachte Kameras rechnen. Sie traute ihren Gegnern alles zu. Kathy warf sich auf ihr Bett und schloß die Augen. Sie durfte zufrieden sein. Sie hatte geschafft, was Lady Agatha und Josuah Parker nicht gelungen war, sie befand sich im Hauptquartier des „Dämon“ und hatte alle Aussichten, diesem geheimnisvollen Mann bald gegenüberzustehen. Wichtig war allerdings, in ihrer Rolle als Hypnotisierte zu bleiben. Und da begannen bereits die echten Schwierigkeiten. Sie war immun gegen Fremdbeeinflussung und wußte also nicht, was diese fremden, auf sie einwirkenden Willensäußerungen von ihr wollten. Sie war auf reine Vermutungen angewiesen und mußte improvisieren. Es war schon gut, daß sie wenigstens dieses Pochen in den Schläfen spürte, wenn ein Fremdwille Besitz von ihr ergreifen wollte. Erhielt sie dieses Signal, wußte sie
wenigstens, daß sie irgend etwas tun mußte. Sie hatte sich fest unter Kontrolle, als die Tür geöffnet wurde. Die stämmige Wärterin betrat das Schlafzimmer, ignorierte Gwen Perkins und winkte Kathy zu sich heran. Sollte sie jetzt aufstehen und diesem Wink folgen? Wie verhielt eine hypnotisierte Person sich in solch einer Situation? „Komm schon, Kindchen“, rief die Stämmige ihr ungeniert und auch ein wenig ungeduldig zu, „der Herr erwartet dich.“ Also der „Dämon“? Kathy erhob sich vom Bett und ging mit etwas eckigen Schritten auf die Stämmige zu, blieb abwartend-gehorsam vor ihr stehen und sah sie demütig und ergeben an. „Ich werde dich vorher noch ein wenig herrichten“, sagte die Stämmige und musterte sie sachlich, „der Herr hat seine besonderen Vorlieben, Kindchen. Komm’ jetzt, wir dürfen ihn nicht warten lassen! Er hat dir eine wichtige Mitteilung zu machen. Ich glaube, er wird dich zur nächsten Teufelsmesse einladen!“ * „Das gute, alte Mädchen ist oben in ihrem Zimmer“, sagte Lady Agatha zu Josuah Parker, „ich denke, wir brauchen uns vorerst nicht weiter um sie zu kümmern.“ „Gibt es Personal im Haus, Mylady?“ wollte der Butler wissen. Er war mit dem Rover gerade eingetroffen und hatte den eleganten Wagen in eine der Garagen gefahren und das Tor geschlossen. Die beiden Insassen im Kofferraum hatten
noch Zeit und konnten vorerst nicht stören. „Lady Ruth hat ihr gesamtes Personal in Urlaub geschickt“, erklärte die Detektivin, „was sagen Sie zu diesen Gangstermethoden, Mr. Parker? Ist uns so etwas schon mal passiert? Ich muß Ihnen sagen, daß ich ziemlich empört bin.“ „Darf man erfahren, Mylady, was sich während meiner Abwesenheit ereignet hat?“ „Dieser Frechling hat uns noch ein paar Mal die Kontonummer eingehämmert“, berichtete die streitbare Dame, „aber er wird sich in den Finger schneiden, nicht’ einen einzigen Penny wird er erhalten.“ „Darf ich es wagen, ein wenig zu widersprechen und anderer Meinung zu sein?“ „Sie wollen das Geld mit vollen Händen ausgeben?“ Agathe Simpson sah ihn empört an. „Dieses Geld wird auf keinen Fall verloren sein“, beruhigte Parker seine Herrin, „aber eine Einzahlung dürfte das letzte Mißtrauen der Dämonenanhänger einschläfern.“ „Nun gut, ich bin ja zu überzeugen“, räumte die ältere Dame ein, „ist das nicht ein herrlicher Kriminalstoff? Sobald wir das hier hinter uns haben, Mr. Parker, werde ich in Klausur gehen und mit der Arbeit beginnen. Das erste Kapitel habe ich bereits konzipiert und fest im Kopf. Ich werde damit beginnen, daß eine Dame der Gesellschaft vor einem Bankschalter erscheint und eine beträchtliche Einzahlung vornimmt. Später stellt sich heraus; daß man sie erpreßt hat, weil sie gegen ihren Willen an irgendeiner schwarzen Messe teilgenommen hat. Wie finden Sie das?“
„Dieser Hinweis dürfte des Nachdenkens wert sein, Mylady“, antwortete Josuah Parker ernst, „Teufels- oder Satansmessen sind augenblicklich auch das, was man im Schwange nennt.“ „Was wären Sie ohne mich, Mr. Parker?“ gab Lady Agatha zufrieden zurück, „Was Ihnen fehlt, ist eben die Phantasie.“ „Wie Mylady meinen.“ „Macht ja nichts, Mr. Parker“, tröstete die Detektivin ihn, „schweifen wir aber nicht vom Thema ab. Sie glauben, daß wir es mit Teufels- oder Satansmessen zu tun haben?“ „Das könnte durchaus sein, Mylady. Man müßte überlegen, wo solche Dinge praktiziert werden. Meiner bescheidenen Ansicht nach braucht der ,Dämon’ ein Domizil, zu dem die Außenwelt keinen Zutritt hat.“ „Ein versteckter Landsitz, Mr. Parker. So wird es wenigstens in meinem Bestseller sein.“ „Ein Landsitz“, wiederholte der Butler nachdenklich, „ein Landsitz in der engeren Umgebung von Kew Gardens.“ „Wo denn sonst?“ Lady Agatha sah ihn überlegen an, „und es muß sich um ein Gebäude handeln, das erst vor kurzer Zeit seinen Besitzer gewechselt hat.“ „Das, Mylady, ließe sich feststellen.“ „Dafür sind Sie zuständig, Mr. Parker“, sagte Lady Simpson, „mit solchen Kleinigkeiten und Nebensächlichkeiten gebe ich mich nicht gern ab. Nehmen Sie das in die Hand!“ „Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit fest verlassen“, versicherte Josuah Parker gemessen, „dazu müßte ich allerdings Lady Glaters Sitz hier verlassen.“ „Worauf warten Sie noch?“
„Mylady müssen jederzeit mit der Rückkehr der Gangster rechnen.“ „Das wird mich nicht stören“, erklärte die Dame grimmig. „Mylady dürfen nicht vergessen, daß Mylady stets unter Hypnose stehen.“ „Wenn diese Lümmel erscheinen, werde ich zur Bank fahren“, schlug Agatha Simpson vor, „verlassen Sie sich darauf, sie werden mich an solch einer Fahrt bestimmt nicht hindern! Und wohin werden Sie gehen?“ „Zu einem Makler oder Anwalt in Kew Gardens“, antwortete Parker, „dort wird man Einzelheiten über den Verkauf eines Landsitzes wissen. Zudem wird es an der Zeit, Kontakt mit Miß Porter aufzunehmen.“ „Wo wollten Sie sich mit ihr treffen?“ „Miß Porter wird eine Nachricht auf der Post hinterlassen haben, Mylady.“ „Hoffentlich hat sie keine Dummheiten gemacht“, sagte Lady Simpson, die Kathy Porter stets wie eine leibliche Tochter behandelte. „Kathy neigt ein wenig zum Leichtsinn, ganz im Gegensatz zu mir.“ Parker verkniff sich darauf eine Antwort, denn er war erheblich anderer Meinung. Wenn einer zum Leichtsinn neigte, dann gewiß seine Herrin, die für ihr Alter erstaunlich dynamisch und unternehmungslustig war. „Wenn Mylady gestatten, werde ich jetzt ein wenig Maske machen“, entschuldigte sich Parker, eine knappe Verbeugung andeutend, „man soll möglichst annehmen, daß ich zermalmt auf dem Schienenstrang liege.“ „Schaffen Sie aber vorher noch die beiden Frechlinge aus dem Kofferraum“, schloß Lady Simpson, „und sputen Sie sich endlich! Sie sind wieder mal langsam wie eine Schnecke, Mr. Parker!“
* Knapp fünfzehn Minuten später verließ ein älterer Herr den Landsitz der Lady Glaters. Er trug Flanellhosen, eine derbe Tweedjacke und ein kleines Hütchen, sah aus wie ein Landbaron und wirkte sehr seriös. Es handelte sich um Josuah Parker, der froh war, endlich wieder mal in Maske agieren zu können. Er liebte im Grund seines Herzens die Verkleidung und hatte zu seinem Leidwesen viel zu wenig Gelegenheit, seine einmalige Kunst auf diesem Gebiet zu beweisen. Selbst Lady Simpson hatte ihn zuerst nicht erkannt, nachdem er bei ihr im Wohnraum des Landsitzes erschienen war. Die Requisiten für seine Verwandlungskünste befanden sich in einem Spezialkoffer, der stets einsatz- und griffbereit im Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums lag. Parker benutzte für seine Fahrt nach Kew Gardens einen Wagen der Lady Glaters und beeilte sich, hinüber zum Postamt zu kommen. Auch er sorgte sich um Kathy Porter. Er hatte keine Ahnung, daß er die ganze Zeit über beobachtet worden war. Parker hatte, was äußerst selten war, seine Gegner tatsächlich unterschätzt. Hinter einer Hecke neben den Wirtschaftsgebäuden stand ein gut gekleideter Mann, der jetzt seine Lippen zu einem ironischen, aber auch anerkennenden Lächeln verzog. Dieser Mann bewunderte ebenfalls die Verkleidungskünste des Butlers. Sie sagten ihm, daß sein Mißtrauen berechtigt gewesen war. Er wußte von London her, wer dieser Butler war und daß man diesen
bemerkenswerten Mann nie aus den Augen lassen durfte. Nachdem der Wagen mit Parker auf dem Zufahrtweg verschwunden war, verließ der heimliche Beobachter sein Versteck und ging zu seinem Wagen zurück, der hinter einer nahen Buschgruppe stand. Er setzte sich hinter das Steuer und lenkte den Ford hinüber zur Zufahrtstraße, bog dann nach rechts ab und näherte sich ganz offiziell dem Landsitz der Lady Glaters. „Peter Hawkins“, stellte er sich Agatha Simpson vor, die ihm die Tür geöffnet hatte, „ich bin Anwalt und möchte Lady Glaters sprechen.“ „Sie sind Anwalt?“ Agatha Simpsons Augen funkelten erwartungsvoll. „In Kew Gardens“, erwiderte der Besucher und nickte bestätigend. Er sah sehr vertrauenerweckend aus in seinem dunkelgrauen Anzug, der dezent gestreiften Krawatte und dem weißen Hemd. Anwalt Peter Hawkins hielt zudem noch eine schwarze Collegmappe in der Hand und wirkte sehr offiziell und dienstlich. „Praktizieren Sie schon lange in Kew Gardens?“ wollte Lady Simpson wissen. „Seit einigen Jahren“, gestand Peter Hawkins lächelnd, „Sie sind Gast Lady Glaters?“ „Eine Freundin von ihr“, antwortete die Detektivin freundlich. „Sie fühlt sich im Augenblick ein wenig müde, aber ich werde sie verständigen, Mr. Hawkins.“ „Es eilt nicht. Ich werde später noch mal vorbeischauen, Mylady.“ „Sie kennen mich?“ Lady Simpson prüfte den Mann sofort mißtrauisch. „Ich muß bedauern, Mylady“, antwortete Anwalt Hawkins lächelnd, „aber Sie sollten sich nicht wundern, daß ich Sie mit ,Mylady’ anrede. Daß Sie Anspruch
auf diesen Titel haben, sieht man doch sofort.“ „Sie Schmeichler“, entgegnete die ältere Dame, „hören Sie, Sie könnten mir einen Gefallen tun.“ „Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Mylady.“ „Gibt es hier in der Nähe von Kew Gardens einen stillen, vielleicht auch verschwiegenen Landsitz, der seinen Besitzer gewechselt hat?“ Agatha Simpson wußte mal wieder mit letzter Sicherheit, daß sie diesem seriösen Mann trauen durfte. Er konnte mit den Teufeln und Dämonen unmöglich etwas zu tun haben, dessen war sie gewiß. Lady Simpson hielt sich wieder mal an Äußerlichkeiten, was ihr nicht gut bekommen sollte. „Lassen Sie mich nachdenken“, erwiderte Anwalt Hawkins, „Sie suchen nach einem Landsitz, der verkauft oder vermietet worden ist? Da ist tatsächlich etwas gewesen, das weiß ich ganz genau. Richtig! Sie meinen sicher das LopdaleAnwesen. Doch Was heißt hier Anwesen, es ist eine frühere Wasserburg, ein ziemlich düsteres Gemäuer.“ „Genau das meine ich“, gab die alte Lady sofort zu, „und wer hat es gekauft?“ „Da bin ich überfragt, Mylady, oder, warten Sie, ja, richtig, es wurde von einem Privatgelehrten aufgekauft, einem gewissen Arthur Malpert, aber was der Mann treibt, kann ich beim besten Willen nicht sagen.“ „Bekommt er in letzter Zeit häufiger Besuch, Mr. Hawkins?“ Agatha Simpson hatte Parkers Warnung längst vergessen und stellte derart direkt ihre Fragen, daß von einem hypnotisierten Zustand keine Rede mehr sein konnte. „Diese Frage kann ich nicht beantworten“, entschuldigte sich Anwalt
Hawkins bedauernd, „ich weiß nur, daß das Lopdale-Anwesen in einem reichlich verwilderten Park liegt und von außen überhaupt nicht eingesehen werden kann. Was halten Sie davon, wenn wir uns diese alte Wasserburg mal aus nächster Nähe ansehen?“ Agatha Simpson war sofort einverstanden, da sie gleichzeitig in die drohende Mündung einer Schußwaffe schaute. Sie brauchte nicht länger überredet zu werden. Ihr war klar, daß sie im übertragenen Sinn ins offene Messer gelaufen war. * Josuah Parker erkundigte sich in wohlgesetzten Worten nach Post für seine bescheidene Person, erhielt aber nur ein Kopfschütteln. Kathy Porter hatte demnach kein Lebenszeichen von sich gegeben. Dafür boten sich nur zwei Erklärungen an: entweder war sie derart beschäftigt, daß sie noch nicht schreiben konnte, oder aber sie konnte nicht schreiben, weil man sie nicht ließ. „Kommen Sie ganz normal mit nach draußen“, sagte eine Stimme hinter ihm eindringlich, „wir scheuen uns nicht, Sie einfach niederzuschießen, wenn Sie Dummheiten machen, Mr. Parker!“ Parker blieb nach außen hin völlig gelassen und ließ sich keine Überraschung anmerken, obwohl er wußte, daß die Abgesandten des „Dämon“ ihn erwischt und seine Maskerade durchschaut hatten. Da sie ihn hier auf dem Postamt erwartet hatten, mußte seine Unterhaltung mit Lady Simpson also abgehört worden sein. So etwas ließ sich leider mittels elektronischer „Wanzen“ leicht bewerkstelligen. Damit stand für
den Butler auch fest, daß Agatha Simpson eingefangen worden sein mußte. Er erhielt umgehend die Bestätigung dafür. „Denken Sie an Lady Simpson“, sagte die Stimme hinter dem Butler sanft, aber dennoch sehr nachdrücklich, „sie möchte Sie wiedersehen.“ „Sie haben meine bescheidene Wenigkeit bereits vollkommen überzeugt“, gab Parker gemessen zurück, „es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen folgen zu dürfen.“ „Treiben Sie Ihr Vergnügen auf die Spitze, Mr. Parker, sagen Sie mir, wo die beiden Idioten sind, die Sie zum Bahndamm bringen sollten.“ „Stets zu Ihren Diensten“, versprach Parker, „soviel Höflichkeit vermag ich nicht zu widerstehen. Sie werden die beiden jungen Herren im Landhaus der Lady Glaters finden. Ich hoffe sehr, Ihnen damit ein wenig gedient zu haben.“ Während dieser ungemein höflichen Unterhaltung hatten sie bereits die Poststation verlassen und gingen hinüber zu einem parkenden Wagen, der nur wenige Meter vom Amtsgebäude entfernt am Straßenrand stand. „Übernehmen Sie das Steuer“, bat der Mann hinter Parker, „ich möchte kein unnötiges Risiko mit Ihnen eingehen!“ „Sie haben es mit einem müden, alten und relativ verbrauchten Mann zu tun“, erklärte Parker. „Mit einem raffinierten Schlitzohr“, . korrigierte ihn die Stimme, „uns machen Sie nichts vor, Mr. Parker! Ihr Ruf hat sich bereits bis zu uns herumgesprochen.“ „Sie sind ein ungemein höflicher Mensch.“ „Der sich keinen Sand in die Augen streuen läßt“, warnte ihn der Mann und baute sich endlich neben dem Butler auf,
der jetzt die Wagentür öffnete und ungemein umständlich Platz nahm. Dabei hatte Parker endlich Gelegenheit, sich den Mann aus nächster Nähe anzusehen. Er hatte ihn noch nie gesehen, erkannte aber sofort, daß dieser Mahn gefährlich war. Er war von durchschnittlicher Größe, etwa dreißig Jahre alt, besaß ein glattes, fast ausdrucksloses Gesicht und kalte Augen. Parker, der sich auskannte, wußte sofort, daß er es mit einem Vollprofi zu tun hatte, der sein Handwerk verstand. Ihn überlisten zu wollen, war schwer und kam unter Umständen einem Selbstmord gleich. Nun, der Butler hatte im Augenblick nicht die Absicht, sich auf diesem Gebiet zu betätigen, zumal er fest daran glaubte, daß Lady Simpson sich in der Gewalt des „Dämon“ befand. Man hatte seine eigene Maskerade durchschaut, mußte also auch das Landhaus der Lady Glaters beobachtet haben. Das bedeutete, daß man Lady Simpson inzwischen geschnappt hatte. Es war angebracht, erst mal mitzukommen, um die allgemeine Lage korrekt beurteilen zu können. Der Vollprofi nahm neben ihm Platz und legte seinen Hut über die Schußwaffe, die er gezogen hatte. Die Mündung zeigte auf den Leib des Butlers und war eine einzige Bedrohung. Ein zweiter Mann tauchte plötzlich neben dem Wagen auf und setzte sich in den Fond. Er war ein Schläger, wie der Butler im Rückspiegel feststellte, ein Mann, der wie ein Roboter zuschlug, falls das richtige Kommando kam. „Ist es erlaubt, eine Frage an Sie zu richten?“ erkundigte Parker sich bei dem Vollprofi.
„Aber natürlich.“ Der Mann gab sich gut erzogen. „Werde ich auch eine gewisse Miß Kathy Porter zu sehen bekommen?“ „Natürlich, Mr. Parker. Auch sie ist bereits Gast unseres Hauses.“ „Das ich jetzt ansteuern sollte, wenn ich nicht sehr irre? Oder besteht noch immer die Absicht, meine bescheidene Person einer Schnellzuglokomotive zu überantworten? „ „Im Augenblick nicht’, Mr. Parker. Wir haben eine bessere Verwendung für Sie. Wir brauchen Sie für gewisse Experimente.“ „Sie erschrecken mich, wie ich gestehen muß.“ „Das wird sich geben, Mr. Parker.“ „Und um welche Experimente wird es sich handeln, falls auch diese Zusatzfrage noch gestattet ist?“ „Wir möchten herausfinden, wieso Sie und Lady Simpson plötzlich immun gegen Hypnose geworden sind.“ „Sie verschweigen in diesem Zusammenhang absichtlich den Namen Von Miß Porter?“ Parker hatte den Wagen längst in Bewegung gebracht und lenkte ihn durch die Hauptstraße von Kew Gardens. Er richtete sich nach den kurzen Fingerzeichen, die der Mann ihm gab. „Miß Porter ist von Natur aus nicht zu hypnotisieren“, beantwortete der Mann Parkers Frage, „aber das dürften Sie ja inzwischen längst wissen.“ „Sind Sie möglicherweise jener Mann, den ich insgeheim und für den eigenen Sprachgebrauch den ,Dämon’ nenne?“ „Ein hübscher und fast passender Ausdruck“, stellte der Vollprofi leise lächelnd fest, „nein, ich bin nicht der
,Dämon’, um genau zu sein. Ich bin nur seine rechte Hand.“ „Eine starke Hand.“ „Schon gut möglich.“ „Die sich eines Tages vielleicht selbständig machen könnte?“ tippte der Butler geschickt an, denn er schätzte auch gewisse Methoden der psychologischen Kriegsführung. Wie richtig er getippt hatte, zeigte sich sofort an der Reaktion des Mannes, die barsch und ausgesprochen unhöflich ausfiel. „Halten Sie endlich das verdammte Lästermaul“, wurde Parker angeherrscht, „Sie haben genug gequasselt.“ Parker wußte damit, daß er auf dem richtigen Weg war. Dieser Mann war ungeheuer machthungrig und ehrgeizig. Ob der „Dämon“ das ahnte oder sogar bereits wußte? Falls nicht, mußte man ihm schleunigst ein Licht aufstecken! * Kathy Porter war froh, daß sie die Prozedur hinter sich hatte. Sie war von der stämmigen Wärterin unter die Dusche getrieben worden und hatte sich ausgiebig pflegen müssen. Jetzt saß sie, in ein großes Badelaken gehüllt, auf einem Hocker und ließ sich das Haar fönen und herrichten. Noch hatte Kathy die Chance, etwas zu ihrer Befreiung zu unternehmen. Sie schielte hinüber zu dem knöchellangen Bademantel, den sie sich später anziehen sollte. Diese Art Von Bademäntel schien die Haustracht der Frauen hier zu sein. Kathy wartete den günstigsten Moment ab. Dann, als die Stämmige die Haarbürste aus der Hand legte und ihre Hände ihr Haar freigab, stieß Kathy ihren
linken Ellenbogen wie eine Dampframme nach hinten. Die Stämmige war daraufhin sichtlich konsterniert und schnappte nach Luft, während sie automatisch eine tiefe Verbeugung vor Kathy ausführte. Lady Simpsons Sekretärin nickte nicht etwa geschmeichelt oder huldvoll, sondern sie baute ihre Chance weiter aus und benutzte dazu ihre rechte Handkante. In solchen Dingen war sie erstaunlich gut geschult. Die Stämmige weitete ihre Verbeugung zu einem Kniefall aus. Kathy Porter sah, wie sehr die Wärterin sich anstrengte und verschaffte ihr durch einen weiteren harten und trockenen Schlag ein wenig Ruhe und Entspannung. Daraufhin streckte die Stämmige sich auf den Bodenkacheln aus und gab sich der Erholung hin. Sie schloß die Augen und achtete nicht weiter auf ihre hübsche Gefangene. Kathy kannte ihre Handkantenschläge und wußte, daß die ‘stämmige Frau vorerst nicht erwachen würde. Sie hatte also Zeit, sich im Haus umzusehen und vielleicht auch den richtigen Ausgang zu finden. Kathy wollte nämlich nicht länger bleiben, da sie jetzt wußte, wo der „Dämon“ residierte: Um ein Haar hätte sie vergessen, sich den Bademantel überzuziehen und wäre nackt losgelaufen. Sie eilte noch mal zurück, schlüpfte in den Mantel, band sich den Gürtel um und öffnete dann vorsichtig die Tür. Der Korridor war leer. Kathy, die sich im Obergeschoß des Haupthauses befand, lief zur Treppe hinüber, sah in die große, etwas düstere Halle und stahl sich dann leise nach unten. Als sie die Haupttür erreicht hatte, erlebte sie eine böse Überraschung. Sie
war fest verschlossen und ließ sich auf keinen Fall mit der Schulter öffnen. Kathy mußte also weiter und einen anderen Durchschlupf suchen. , Sie hörte Stimmen, Schritte, lief zurück zur Treppe und baute sich hinter einer dort stehenden, schon ziemlich vertrockneten Zimmerpalme auf. Sie sah den falschen Will Hazers, der zusammen mit einer jungen, gut aussehenden und blonden Frau erschien, die sich wie aufgezogen bewegte. Erst im Näherkommen erkannte Kathy diese junge Frau. Es handelte sich um die Schwester des Milchhändlers,- um Gwen Perkins. Also hatte man auch sie hierhergebracht. Wozu das gut sein sollte, wußte Kathy sich nicht zu erklären. In der ersten Aufwallung wollte Kathy Porter den falschen Will Hazers anfallen, es wäre für sie eine Kleinigkeit gewesen. Doch dann änderte sie ihren Plan. Sie konnte nicht daran interessiert sein, das Haus in Alarmzustand zu versetzen, zudem war Gwen Perkins offensichtlich nicht frei in ihren Aktionen. Es sah so aus, als stünde sie unter schwerer Hypnose. Im Moment konnte Kathy also für Gwen überhaupt nichts tun. Wichtig war es, diesen düsteren Landsitz so schnell wie möglich zu verlassen und Mr. Parker zu informieren. Der falsche Hazers und Gwen Perkins verschwanden hinter einer Tür unten in der Halle, Kathy war wieder allein. Sie verzichtete darauf, .hastig einen Raum nach dem anderen abzusuchen. Sie entschied sich für den Keller. Erfahrungsgemäß fanden sich dort immer bequeme Durchschlüpfe, um ungesehen und heimlich zu türmend Sie fand die Tür, die hinunter in die Keller führte, brauchte zu ihrer Über-
raschung kein Licht einzuschalten, denn die breite, allerdings auch steile Treppe war festlich hell erleuchtet. Kathy zögerte keinen Moment, sie zu benutzen. Niedrige Gewölbe nahmen sie auf, Gewölbe, die drohend und lastend wirkten. Das Licht wurde spärlicher und führte sie auf eine schwere, eisenbeschlagene Bohlentür zu, die nur angelehnt war. Kathy öffnete sie vorsichtig und sah in eine Art Kapelle, worauf allein schon der steinerne Altar hindeutete. Dieser Altar stand vor einem umgekehrt von der Decke herabhängenden Kreuz, um das sich Schlangen wanden. Kathy Porter zuckte zurück und fühlte die unheimliche Bedrohung, die sie plötzlich umgab. Sie merkte zwar schnell, daß die Schlangen aus Kunststoff waren oder daß man sie zumindest ausgestopft hatte, doch das Gefühl der Angst wollte nicht von ihr weichen. Statt der Betbänke entdeckte Kathy auf dem mit schweren, roten Teppichen ausgelegten Steinboden breite, ebenfalls dunkelrote Sitzpolster und niedrige Tische. Es roch aufdringlich nach Weihrauch, Räucherstäbchen und Moschus. Rechts vom Steinaltar kräuselte sich eine feine Rauchspirale hoch zur Decke. Und dann sah sie den „Dämon“! Er stand plötzlich neben dem Altar und war eine Spottgeburt aus Mensch und Tier. Kathy hörte sich überrascht aufschreien, bevor sich eine harte Hand um ihren Hals legte und ihr die Luft abschnürte ... * „Sie hätte ich auch für klüger gehalten“, räsonierte die streitbare Dame, als man
Josuah Parker in ihr zellenartiges Zimmer führte, „wie kann man sich nur derart dumm erwischen lassen, Mr. Parker!“ Der Butler verzichtete auf eine Gegenfrage, die sich ihm Unwillkürlich aufdrängte und begnügte sich mit einer knappen, höflichen Verbeugung. „Ich nehme mit Freude zur Kenntnis, daß Mylady sich wohl fühlen“, sagte er gemessen. „Umstände, die sich meinem bescheidenen Einfluß entzogen, brachten mich hierher.“ „Und damit sitzen wir hoffnungslos in der Falle.“ „Darf ich mich nach dem werten Befinden von Mylady erkundigen?“ „Ich rase innerlich vor Zorn“, antwortete die ältere Dame. „Was haben wir jetzt erreicht? Nun sitzen wir beide fest.“ „Man weiß immerhin, wo sich der Sitz des ,Dämon’ befindet.“ „Mit diesem Wissen werden wir herzlich wenig anfangen können! Sie glauben doch wohl nicht, daß wir noch mal freikommen, oder?“ „Der Schoß der Zukunft ist dunkel, Mylady.“ „Ich verbitte mir Ihre Gemeinplätze“, raunzte sie gereizt, „lassen Sie sich besser etwas einfallen, Mr. Parker, dazu sind Sie ja schließlich da!“ „Haben Mylady bereits Kontakt mit Miß Porter aufnehmen können?“ „Ist sie etwa ebenfalls hier?“ „Damit ist leider zu rechnen, Mylady.“ „Dann sind wir geliefert“, stellte die ältere Dame sachlich fest. „Man weiß hier, daß weder Sie noch ich zu hypnotisieren sind. Man hat uns bereits im Landhaus meiner Freundin Glaters abgehört, wissen Sie das?“ „Inzwischen, ja, Mylady.“
„Damit hätten Sie rechnen müssen. Sie sind einfach zu vertrauensselig, Mr. Parker.“ „Mylady sehen mich zerknirscht.“ „Was soll jetzt werden?“ „Früher oder später wird man Mylady und meine bescheidene Person dem ,Dämon’ vorführen, wenn mich nicht alles täuscht.“ „Halten Sie ihn für so neugierig?“ „Er muß es sein, Mylady, denn er wird wissen wollen, wieso Mylady und meine bescheidene Person gegen Hypnose immunisiert werden konnten. Diesen Vorgang muß der ,Dämon’ in Erfahrung bringen, denn es könnte seine weiteren Pläne empfindlich stören.“ Lady Simpson wollte ihren Butler zuerst anfauchen, denn er zwinkerte ihr ein wenig zu kokett zu, doch dann begriff die ältere Dame. Natürlich, auch hier waren sicher elektronische „Wanzen“ installiert worden, die diese Unterhaltung weiterleiteten. Es war damit zu rechnen, daß der „Dämon“ selbst zuhörte. Seine Neugierde mußte jetzt geweckt worden sein. „Dieses Verfahren dürfen wir nie verraten“, sagte Lady Simpson eindringlich. „In der Tat, Mylady.“ „Der ,Dämon’ darf auch nicht erfahren, was wir an schriftlichen Unterlagen hinterlegt haben“, redete die Detektivin weiter und dachte an einen Kriminalroman, den sie gelesen und der ihr recht gut gefallen hatte. Dort hatten die Helden von Unterlagen gesprochen, die nicht existierten. Damit war es ihnen gelungen, wertvolle Zeit für sich herauszuschinden. „Über meine bescheidenen Lippen wird kein Wort kommen, Mylady“, versprach
der Butler, der mit diesem zusätzlichen Trick der Agatha Simpson einverstanden war. „Auch ich werde schweigen wie ein Grab“, behauptete die ältere Dame nachdrücklich. „Sagen Sie, Mr. Parker, kennen Sie einen Anwalt Peter Hawkins?“ „Wenn Sie gestatten, werde ich nachdenken, Mylady.“ „Dieser Lümmel hat mich nämlich gekidnappt.“ „Peter Hawkins, Peter Hawkins“, wiederholte Parker halblaut. „Das ist der Mann, bei dem Gwen Perkins als Sekretärin beschäftigt ist“, erinnerte die Detektivin, „sie ist die Schwester des Milchhändlers, wissen sie?“ „Ich glaube, Mylady bereits mit einer Erklärung dienen zu können.“ „Sie kennen ihn also?“ „Ich kenne einen Peter Hawkins, Mylady, der so etwas wie der Spezialanwalt der Unterwelt von London war“, berichtete Parker, „sein Ruf war nicht gerade der beste, wenn ich es so ausdrücken darf. Er soll in seiner Eigenschaft als Anwalt Kassiber aus Zuchthäusern und Gefängnissen herausgeschmuggelt haben, was man ihm allerdings nie beweisen konnte.“ , „Und was Ist aus ihm geworden?“ „Er verließ eines Tages — es mag zwei Jahre zurückliegen — London, Mylady, und wurde nicht mehr gesehen. Könnten Sie mir besagten Peter Hawkins beschreiben?“ Nachdem Lady Simpson diese verlangte Beschreibung geliefert hatte, nickte Parker. „Das müßte er sein, Mylady“, sagte er, „und ich traue ihm die Rolle des ,Dämon’
durchaus zu, denn er verfügt über erstaunliche Intelligenz.“ „Sind Sie sicher?“ „Mit einer Einschränkung allerdings, Mylady, er dürfte sich für zu intelligent halten. Mit anderen Worten, er dürfte sich für unübertroffen halten und weiß nicht, daß möglicherweise bereits menschliche Ratten an seinem Thron nagen, ehrgeizige Mitarbeiter, die ihrerseits vielleicht die Rolle des ,Dämon’ übernehmen wollen. Es gibt dafür bereits gewisse Anhaltspunkte.“ Agatha Simpson hatte verstanden und zwinkerte jetzt ihrerseits dem Butler zu. „Ich kenne den Mann nicht, der meine bescheidene Person im Postamt stellte“, redete der Butler weiter, „aber ich kann diesem Mann eine überragende Intelligenz ebenfalls nicht absprechen. Er dürfte, wenn es darauf ankommt, härter sein als Mr. Hawkins.“ „Möge er Hawkins so schnell wie möglich umbringen“, seufzte Lady Simpson, „ich hätte - überhaupt nichts dagegen.“ „Ich möchte mir erlauben, mich dem frommen Wunsch Myladys anzuschließen“, sagte Parker höflich. „Es wird beim frommen Wunsch bleiben“, gab Lady Simpson zurück, „legen Sie mir Ihr Jackett um, Mr. Parker, mir wird kalt!“ Parker wunderte sich zwar ein wenig über diesen Wunsch, kam ihm aber selbstverständlich sofort nach. Im Gegensatz zu Mylady hatte er das Gefühl, daß es hier in dem zellenartigen, kleinen Wohnraum recht warm, wenn nicht sogar heiß war. Er legte sein Jackett ab und verstand erst jetzt, was seine Herrin damit bezweckte.
Als sie nämlich seine Weste sah und die darin befindlichen Kugelschreiber, nickte sie fast wohlwollend. Sie hatte sich nur vergewissern wollen, ob Parker seine kleinen Hilfsmittel bei sich hatte. Vielleicht wollte sie dem Lauscher, mit dem sie wie Parker rechnete, auch nur vorgaukeln, wie alt, gebrechlich und schwach sie in Wirklichkeit sei. Ihre gespielte Hilflosigkeit hatte in der Vergangenheit schon manchen Gangster aufs Glatteis geführt. * Als sie wieder zu sich kam und atmen konnte, hatte Kathy Porter bereits ihre Chance verspielt. Sie lag auf den Teppichen und spürte sofort, daß man ihr die Hände auf dem Rücken mittels einer modernen Handschelle zusammengefügt hatte. Sie war hilflos dem Mann ausgeliefert, dessen Hosenbeine sie zuerst nur sah. Als sie dann den Kopf hob, erkannte sie den falschen Will Hazers, der sie angrinste. „Pech gehabt“, sagte er schadenfroh, „gut, daß Sie dem ,Dämon’ in die Arme gelaufen sind.“ „Er sah aus wie der Teufel“, erinnerte sich Kathy und schloß für einen Moment gequält die Augen. Natürlich war sie aufgeklärt genug, nicht an solch einen Teufel zu glauben, wie er sich ihr. präsentiert hatte. Es mußte sich um eine äußerst wirkungsvolle und geschickte Maskerade gehandelt haben. „Ob ,Dämon’ oder Teufel, es bleibt sich gleich“, meinte der falsche Will Hazers und grinste erneut, „er ist übrigens überrascht, wie gut Sie aussehen, Kathy.“ „Wieso?“ Kathy Porter begriff zuerst nicht, doch dann sah sie ihre bis weit zu
den Oberschenkeln entblößten Beine und die fast entblößte Brust. Man mußte sie absichtlich aufgedeckt haben. Sie kam sich noch nachträglich wie eine Ware vor, die man aus nächster Nähe begutachtet hatte. „Bekommen Sie bloß keine Stielaugen“, sagte sie ärgerlich zu dem Mann, „oder haben Sie noch nie eine Frau gesehen?“ „Sie sehen verdammt gut aus, Kathy.“ „Scheren Sie sich zum Teufel!“ „Dafür sind Sie vorgesehen, Kathy.“ „Wie soll ich das verstehen?“ Kathy stand geschmeidig auf, obwohl sie dazu ihre Arme und Hände nicht benutzen konnte. Sie sorgte aber geschickt dafür, daß der Bademantel über ihrer Brust weiter auseinanderfiel. Sie hatte das dumpfe Gefühl, diesen falschen Hazers an der Nase herumführen zu können. Er schien auf sie voll anzusprechen, und daraus ließ sich sicher etwas machen. „Sie werden an der nächsten Teufelsmesse teilnehmen“, redete der Mann weiter, „wahrscheinlich haben Sie sogar das Glück, als Opferbraut zu dienen, sicher ist das aber noch nicht.“ „Der ,Dämon’ interessiert sich wohl auch noch für Gwen Perkins, nicht wahr?“ „Sie haben Sie gesehen?“ „Bevor ich hier hinunter in den Keller ging“, antwortete Kathy und nickte, „aber was soll der Unsinn mit der Teufelsmesse? Glauben Sie etwa an solch einen Quatsch?“ „Es geht nicht um mich, Kathy!“ „Es geht um Gimpel, die man ausnehmen will, nicht wahr?“ „Um Interessenten“, verbesserte der falsche Hazers sie lächelnd. „Satans- und Teufelsmessen sind sehr beliebt. Man
kann sich die Teilnehmer an solchen Veranstaltungen in aller Ruhe suchen.“ „Und wählt die, die Geld haben!“ „Natürlich. Ich höre schon, daß Sie das Prinzip erkannt haben, Kathy.“ „Und solch eine Teufelsmesse endet in einer Massenorgie, oder sollte ich mich irren? Etwas Ähnliches habe ich schon gehört.“ „Sie ist der Zweck (solch einer Satansmesse“, räumte der falsche Hazers gelassen ein, „aber das werden Sie alles am eigenen Leib erleben.“ „Welche Rolle spielt denn die Opferbraut?“ Kathy wußte es, aber sie tat ahnungslos. „Sie wird sich mit dem Satan auf dem Altar vermählen. Das ist dann das Zeichen für alle Beteiligten, sich ihrem Vergnügen hinzugeben. Und wenn der Satan gnädig gestimmt ist, reicht er seine Braut an die Gläubigen weiter.“ „Was da getrieben wird, ist doch reine Blasphemie, Mr ... Wie hießen Sie eigentlich?“ „Clem Blasert“, kam prompt die Antwort des falschen Will Hazers, „aber was wollen Sie mit meinem wirklichen Namen anfangen?“ „Ich weiß es nicht“, erwiderte Kathy, „aber ich habe Vertrauen zu Ihnen, Mr. Blasert.“ „Worauf wollen Sie hinaus, Kathy? Glauben Sie etwa, ich könnte Ihnen helfen?“ „Ich habe etwas dagegen, als Gemeinschaftsopfer herumgereicht zu werden“, erwiderte Kathy und sah ihn aus ihren eindrucksvollen Augen intensiv an, „wenn schon, dann möchte ich es nur mit einem einzigen Mann zu tun haben.“ „Kommen Sie jetzt“, sagte Clem Blasert gespielt ruppig, „ich werde mich hüten,
auch nur eine Hand für Sie zu rühren. Sie haben ja keine Ahnung, wie gefährlich der Satan ist.“ „Hat er den richtigen Will Hazers bereits umgebracht?“ „Nein, der wurde nur für ‘ne halbe Stunde außer Gefecht gesetzt, Kathy, machen Sie sich deswegen keine Sorgen!“ Kathy ging los, strauchelte prompt und fiel. Clem Blasert griff blitzschnell zu und fing Kathy auf. Sie blieb dicht vor seiner Brust stehen,’ atmete heftig und machte ganz den Eindruck, als sei sie seinem Charme erlegen. Clem Baiser konnte nicht widerstehen. Er sah den über der Brust weit geöffneten Bademantel, beugte sich hastig vor und küßte gierig ihren Hals. Er war auf dem besten Weg, Kathy ins Garn zu gehen. Sie verfolgte eine ganz bestimmte Taktik und war bereit, sie konsequent anzuwenden. * Nach der raffinierten Unterhaltung zwischen Agatha Simpson und Butler Parker dauerte es nur knapp zehn Minuten, bis sich die Tür zu dem zellenartigen Wohnraum öffnete. Anwalt Peter Hawkins erschien auf der Bildfläche- und hielt einen kurzläufigen Revolver schußbereit in der linken Hand. Er wartete, bis die Tür hinter ihm geschlossen wurde, lehnte sich dann mit dem Rücken gegen die Wand und maß seine beiden Gefangenen mit mißtrauischen Blicken. „Mr. Hawkins“, sagte Parker, der den Anwalt sofort wiedererkannt hatte, „Sie scheinen offensichtlich ihr Metier gewechselt zu haben.“ „Ein Anwalt mit meiner Vergangenheit kommt nie an das große Geld, Parker.“
„Glauben Sie wirklich und wahrhaftig, Mr. Hawkins, auf die Dauer große Beute machen zu können?“ „Ich lasse es darauf ankommen“, erwiderte der Anwalt, „in der Vergangenheit habe ich Gelegenheit gehabt, so gut wie alle Methoden zu studieren. Sie wissen doch, ich war Anwalt der Unterwelt. Da lernt man sehr viel.“ „Zum Teufel mit den Höflichkeiten“, schaltete sich Agatha Simpson in diesem Augenblick gereizt ein, „ich will wissen, Mr. Hawkins, was Sie mit uns vorhaben!“ „Darüber wird der Satan entscheiden. Oder der ,Dämon’, wie Sie ihn nennen.“ „Papperlapapp, junger Mann“, raunzte die Detektivin streitlustig weiter, „uns brauchen Sie doch’ nichts vorzumachen. Sie selbst sind dieser Satan oder ,Dämon’, daran gibt es für mich keinen Zweifel.“ „Vielen Dank für das Kompliment, Mylady.“ Hawkins deutete eine ironische Verbeugung an. „Sie können Ihre Lage übrigens entscheidend verbessern, wenn Sie mir einige Auskünfte geben.“ „Die möchte ich gerade von Ihnen haben“, grollte die ältere Dame. „Zuerst bin ich an der Reihe!“ Hawkins blieb höflich und lächelte. „Wieso haben Sie es geschafft, sich der Hypnose zu entziehen? Welchen Trick haben Sie dazu benutzt?“ Er hatte das Gespräch zwischen Agatha Simpson und Butler Parker tatsächlich abgehört, sonst wären diese Fragen nicht möglich gewesen. Er hatte den Köder angenommen und verriet dadurch bereits eine gewisse Unsicherheit. „Wenn Sie gestatten, werde ich einige Erläuterungen geben“, sagte Parker gemessen, wie es seiner Art entsprach, „darf ich davon ausgehen, Mr. Hawkins, daß
Sie mit einem erstklassigen Hypnotiseur zusammenarbeite.. „Der Mann ist Spitzenklasse.“ „Ein gewisser Arthur Malpert nicht wahr?“ „Arthur Malpert“, gab Hawkins ohne Umschweife zu, „er beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit übersinnlichen Dingen. Sie wissen wahrscheinlich inzwischen oder ahnen es zumindest, daß er hier in der alten Wasserburg Experimente durchführt.“ „Die Sie aufmerksam gemacht haben, oder sollte ich mich irren?“ „Nein, nein, Parker, Sie liegen schon vollkommen richtig. Der Mann hat mich sofort fasziniert, als er sich hier einkaufte. Ich witterte das große Geschäft.“ „Wovon Mr. Malpert nach wie vor keine Ahnung hat?“ „Malpert ist ein ahnungsloser Trottel“, sagte Hawkins kühl, „inzwischen haben wir so viel von ihm gelernt, daß wir ihn wohl bald nicht mehr brauchen.“ „Er hat Sie in der Anwendung der Hypnose unterrichtet?“ „Nicht nur das, Parker, weil Sie’s ja genau wissen wollen. Wir können auch seine Erfindung bedienen und nutzen.“ „Eine Art Richtstrahler für Fernhypnose, oder sollte ich mich sehr irren?“ „Woher wissen Sie das?“ Hawkins sah den Butler verblüfft an. „Ich habe mir die Freiheit genommen, Mr. Hawkins, gewisse Erscheinungen auf einen Nenner zu bringen, antwortete der Butler höflich. „Mr. Malpert scheint eine Möglichkeit gefunden, zu haben, seine hypnotischen Befehle über weitere Strecken zu senden, wenn ich es so ausdrücken darf.“ „Die Sache klappt ausgezeichnet“, meinte Hawkins und nickte. „Respekt,
Parker, Sie haben das Prinzip schnell erkannt.“ „Sollte meine bescheidene Wenigkeit daher von einer Schnellzug-Lok zerstört werden?“ „Das liegt doch auf der Hand, Parker. Als Lady Simpson mit ihrer Sekretärin in Kew Gardens auftauchte, wußte ich, Was die Glocke geschlagen hatte. Lady Simpson, das bedeutete, daß Sie nicht weit sein konnten! Darum wollte ich Sie sicherheitshalber aus dem Weg räumen lassen.“ „Zuerst in London, dann hier in Kew Gardens.“ „In London hätte ich es beinahe geschafft“, redete der Gangster munter weiter. „Sie waren bereits ganz unter meiner Willenskontrolle.“ „Sie hatten die Absicht, mich als den Mörder des armen und bedauernswerten Mr. Pink festnehmen zu lassen, nicht wahr?“ „Der Idiot, der Sie unbewußt aus der Gefahrenzone herausschaffte“, antwortete Hawkins. „Sagen Sie, Lady Simpson, war es nur dieses alte Mädchen. Glaters, weswegen Sie nach Kew Gardens kamen?“ „Wenn man mich braucht, bin ich stets sofort zur Stelle“, entgegnete Agatha Simpson und nickte streitbar. „Ruth hatte kleine Teufelchen auf ihrer Parkwiese gesehen. Das interessierte mich.“ „Sie zahlt bereits sehr gut“, meinte Hawkins, „sie und auch schon einige andere Leute. Das Geld strömt herein.“ „Einzahlungen auf verschiedene Bankkonten, das ist doch Ihre Masche, oder?“ Agatha Simpson überlegte, wann sie diesen Flegel ohrfeigen sollte. „Das Prinzip ist denkbar einfach“, pflichtete Hawkins ihr bei, „sobald ich ein
Opfer unter Kontrolle habe, zahlt es fast freiwillig.“ „Und wozu dann dieser Personalaufwand?“ schaltete der Butler sich ein. Er nutzte die Gelegenheit, Informationen aus erster Hand zu bekommen. „Zur Kontrolle“, kam die von Parker fast schon erwartete Erklärung, „ich lasse meine Kunden stets überwachen, damit keine Panne eintritt. Später kann ich das natürlich einschränken.“ „Falls man nicht vorher Ihre Person einschränkt“, tippte der Butler höflich, aber bösartig an. „Gelegenheit soll bekanntlich Diebe machen, wenn man der Spruch Weisheit trauen darf.“ „Keine Sorge, ich werde schon aufpassen.“ Als Hawkins das sagte, lächelte er nicht überlegen, sondern wurde sehr ernst. „Warum, Mr. Hawkins, haben Sie die Schwester des Milchhändlers Perkins während Myladys Anwesenheit und Gegenwart unter Hypnose gestellt? War das nicht leichtsinnig? Ich bedaure unendlich, aber darauf kann ich mir keinen Vers machen.“ „Ich hatte keine Ahnung, daß sie bereits oder überhaupt in Kew Gardens waren“, sagte Hawkins, „ich experimentierte mit dem Gedankensender von Malpert.“ „Ist er in einer Aktentasche zu transportieren?“ wollt Parker wissen. „Daran wird noch gearbeitet“, kam die Antwort, die der Butler für sehr aufschlußreich hielt. „Im Augenblick ist das Gerät noch verdammt unhandlich.“ „Wie sieht dieses schreckliche Ding denn eigentlich aus?“ erkundigte sich Agatha Simpson neugierig. „Sie werden es noch heute kennenlernen“, entgegnete Hawkins, „ich habe nämlich die Absicht, Ihre Blockade bre-
chen zu lassen, Mylady. Das gilt auch für Ihren Butler. In einer Stunde habe ich Sie wieder fest im Griff, darauf können Sie sich verlassen. Dann tanzen Sie wieder nach meiner Pfeife.“ „Sie ungehobelter Flegel“, stellte Lady Simpson klar. „In ein paar Stunden werden Sie mir noch mit Freude die Füße küssen, Lady Simpson.“ Hawkins grinste teuflisch. „Sobald ich Sie wieder unter Kontrolle habe, dürfen Sie an der Satansmesse teilnehmen. Sie werden dieses Erlebnis nie wieder vergessen, das kann ich Ihnen schon jetzt prophezeien.“ Nun, die Detektivin war tatsächlich temperamentvoll. Sie hatte sich bereits geärgert, doch jetzt brannten ihre inneren Sicherungen durch. Bevor Josuah Parker es verhindern konnte, hatte sie ihren Pompadour bereits auf die Luftreise geschickt. Hawkins zeigte eine schlechte Reaktion, als der Handbeutel auf ihn zuzischte. Es gab ein häßliches Geräusch, als der „Glücksbringer“ im Pompadour seine Nase lädierte. Das Hufeisen tat seine Schuldigkeit. Hawkins heulte auf, griff nach seiner sofort blutenden Nase und vergaß darüber seine Schußwaffe. Als er sich an sie erinnerte, besaß er sie längst nicht mehr. Josuah Parker war so frei gewesen, sie ihm aus der Hand zu schlagen. „Alarm“, krächzte Hawkins mit erstickter Stimme und hämmerte mit der linken Faust gegen die Tür. „Aufmachen, Alarm!“ Die Tür wurde tatsächlich geöffnet. Der Vollprofi erschien und hielt eine Maschinenpistole in Händen. Hinter ihm war die Schlägertype zu sehen, die sich gleichfalls aufgerüstet hatte.
„Macht sie fertig“, kreischte Hawkins und deutete auf Lady Simpson und Butler Parker. „Legt sie um, diese Schweine!“ „Wieso denn?“ .fragte der Vollprofi und schüttelte erstaunt den Kopf. „Die werden doch noch gebraucht,. Hawkins, das komische Duo bedeutet doch Bargeld. Und Sie ebenfalls!“ „Was ... was soll das heißen?“ „Mann, kapieren Sie aber langsam“, wunderte sich der Vollprofi. „Was soll das heißen, Snoop? Carnon, was soll das?“ Parker hatte längst begriffen. Er konnte mit der erbeuteten Schußwaffe natürlich nichts anfangen. Sein erster Schuß hätte mit Sicherheit eine Massenschlächterei ausgelöst. „Kommandowechsel, Hawkins“, antwortete Snoop, der Vollprofi und zwinkerte seinem bisherigen Boß zu, „ab sofort übernehme ich das Geschäft!“ „Das ... das ist Verrat!“ heulte Hawkins auf und vergaß darüber seine immer noch blutende Nase. „Möglich, daß es Verrat ist“, sagte Snoop, der Vollprofi, „finden Sie sich damit ab! Sie haben die Idee gehabt und den ganzen Laden organisiert. Schön und gut, aber jetzt sind Sie überflüssig geworden! Was jetzt kommt, schaffen Carnon und ich allein.“ * Arthur Malpert war ein Gelehrter wie aus einer Anekdote. Er mochte etwa sechzig sein, war mittelgroß, fast mager, trug eine Eulenbrille, hatte schlohweißes Haar und einen ungemein milden, nachdenklichen Gesichtsausdruck. Er trug einen weißen Kittel über seinem grauen
Anzug und sah den Butler wohlgefällig an. Parker war von dem Vollprofi Snoop in das Labor des Wissenschaftlers gebracht worden, nachdem man ihn natürlich vorher entwaffnet hatte. Seine Kugelschreiber hatte man ihm leichtsinnigerweise belassen, worüber Parker stille und ehrliche Freude empfand. „Sie sind also blockiert worden“, stellte Arthur Malpert fest und nickte nachdenklich, „man hat Sie unter einen hypnotischen Befehl gestellt, der zusätzliche Hypnosen ausschließt.“ „Ich weiß es nicht“, erwiderte Parker, der von der Schlägertype Carnon nicht aus den Augen gelassen wurde. Vollprofi Snoop stand hinter einem Stuhl und sah wachsam zu. „Versuchen Sie erst gar nicht, Mr. Malpert zu täuschen“, schaltete er sich sofort ein. „Denken Sie an Lady Simpson! Nur wenn Sie wirklich mitarbeiten, wird ihr nichts passieren.“ „Was soll das’ heißen?“ Arthur Malpert war aufmerksam geworden. Er sah Snoop betont an. „Wo ist Mr. Hawkins? Ich möchte ihn sprechen. Sofort!“ „Nun hören Sie mal genau zu, Malpert“, begann Snoop lässig, „ab sofort weht hier ein anderer Wind, haben wir uns verstanden? Hawkins ist ausgestiegen, der Geldgeber für Ihre Experimente bin jetzt ich, klar?“ „Ich ... ich begreife nicht, was das alles soll?“ Arthur Malpert sah verlegen und irritiert aus. „Wollen Sie weiterforschen oder nicht, Malpert?“ erkundigte sich Snoop. „Sie müssen sich sofort entscheiden. Entweder packen Sie Ihre Sachen und verschwinden, oder aber Sie nehmen zur
Kenntnis, daß ich jetzt der Geldgeber bin!“ „Nun, wenn Sie mich so fragen? Ich stehe dicht vor der Miniaturisierung meiner Sendeanlage,, ich kann meine Arbeit jetzt unmöglich aufgeben.“ „Dann dürften wir uns ja verstanden haben, Malpert. Und jetzt ran an die Arbeit, brechen Sie die HypnoseBlockade dieses Mannes! Falls Sie es überhaupt schaffen.“ „Das braucht seine Zeit. Ich müßte vorher wissen, von wem er blockiert worden ist.“ „Parker, sagen Sie es ihm!“ Snoop war völlig Herr der Situation und hielt alle Trümpfe in der Hand. Er wußte es, und dementsprechend benahm er sich auch. „Kennen Sie Doktor Herberts?“ fragte Parker, sich an den Wissenschaftler wendend. „Eine Kapazität auf dem Gebiet der Hypnose“, bestätigte Malpert sofort. „Brauchen Sie die Type, Malpert?“ wollte Snoop von dem Wissenschaftler sofort wissen. „Nein, nein, das ist überhaupt nicht notwendig“, gab Malpert hastig zurück. Zu hastig, wie Parker sofort heraushörte. „Wie lange brauchen Sie?“ ließ Snoop sich wieder vernehmen und sah auf seine Uhr. „Bis zur Satansmesse muß Parker unter meinem Willen stehen.“ „Satansmesse?“ Arthur Malpert fiel förmlich aus allen Wolken. Seine bisherige Traumwelt war plötzlich zerstört worden, die Realität hatte ihn fest im Griff. Vielleicht begriff der Wissenschaftler in diesem Augenblick, daß er mißbraucht worden und nichts als ein williger Handlanger von Gangstern gewesen war.
„Das geht Sie nichts an, Malpert“, fuhr Snoop den alten Mann an. „Beeilen Sie sich, bringen Sie den Butler wieder unter Kontrolle! In einer Stunde lasse ich mich wieder sehen. Carnon, du bleibst hier und wirst aufpassen. Sobald sich Ärger abzeichnet, langst du zu, ist das klar?“ „Sonnenklar!“ sagte Carnon und grinste einfältig. Zur Unterstreichung seiner Worte nahm er seine Schußwaffe ruckartig hoch und richtete die Mündung auf den Butler. Snoop lächelte und verließ das Labor des Wissenschaftlers. Der Butler hatte sich inzwischen umgesehen. . . Das Labor befand sich in den Gewölben eines Kellers und glich einer modern eingerichteten Elektrowerkstatt. Überall standen Meßgeräte auf langen Arbeitstischen, dicke Bündel und Stränge von Elektrokabeln schlängelten sich von Instrument zu Instrument. Im Mittelpunkt dieser ganzen Einrichtung aber stand eine Art Zahnarztstuhl, über dem eine Art Trockenhaube angebracht war, von der viele kleine und dünne, vielfarbene Kabel herabhingen. Es mußte sich um einen Enzephalographen handeln, um ein Gerät zur Messung von Hirnströmen. „Nehmen Sie auf dem Stuhl Platz“, sagte Malpert zu Parker. Sein Ton war höflich und verbindlich. „Ich werde zuerst mal Ihre Hirnströme testen.“ „Dürfte es sich gleichzeitig um den Hypnose-Sender handeln?“ erkundigte sich Parker, während er Platz nahm. „Im Prinzip ja“, gab Malpert zurück, „er ist allerdings schon wesentlich kleiner. „Der Hypnotiseur kann seinen Willen also über eine gewisse Distanz fernrichten?“
„Das ist meine Erfindung“, erwiderte Malpert, „seine Gedanken werden verstärkt und haben so wesentlich größere Wirkkraft.“ „Dazu muß man aber das Ziel kennen, nicht wahr?“ „Natürlich, Mister Parker, sonst könnten Unschuldige betroffen werden.“ „Wie ist denn die Streuung Ihres Hypnosesenders“ stellte der Butler seine nächste Frage. „Leider ist sie noch recht breit“, räumte Arthur Malpert ein, „aber an der Verbesserung arbeite ich ja gerade.“ „Und wozu das alles?“ stellte der Butler die entscheidende Frage, -“wem ist mit solch einem Hypnosesender gedient, Sir?“ „Sobald meine Erfindung ausgereift ist, werde ich sie dem Kriegsministerium zur Verfügung stellen.“ Jetzt kam ein leicht irrer Glanz in die Augen des Mannes. „Stellen Sie sich vor, wenn man Heerführer auf diese Art und Weise manipulieren kann? Oder Politiker? Es wird dann keine Kriege mehr geben, weil man die kriegslüsternen Herrscher unter Kontrolle zu halten in der Lage ist.“ „Eine wunderschöne Vorstellung, Mister Malpert“, sagte Parker höflich und wußte jetzt mit letzter Sicherheit, daß dieser Mann einem Traum nachjagte. Es war sinnlos, mit ihm darüber zu diskutieren. Er lebte in seiner eigenen Welt und glaubte an das Gute seiner Erfindung, die gefährlicher war als eine Atombombe. Dieser Mann war von tragischer Gestalt wie viele andere Wissenschaftler, die ihre Forschungsarbeit und deren Ergebnisse nicht bis zur letzten Konsequenz durchdachten. „Kommt jetzt endlich zu Stuhle“, ließ der Schläger Carnon sich ärgerlich ver-
nehmen. „Quasselt nicht länger herum, Leute, der Boß will nachher was sehen.“ „Dieser Mann’ stört offensichtlich“, flüsterte Parker dem Wissenschaftler zu, als er auf dem Stuhl Platz nahm. Arthur Malpert nickte und blieb dicht vor dem Butler stehen. Dann schien der alte Mann in sich hineinzuhorchen und schloß für einen Moment die Augen. Parker merkte sofort, daß seine Schläfen pochten. Mehr passierte nicht. Als Malpert zur Seite trat, konnte Parker das Resultat der Hypnose mit eigenen Augen sehen. Die Schlägertype stand wie versteinert an ihrem Platz, bewegte sich nicht und machte einen maßlos dummen Eindruck. Parker verließ den Stuhl und nahm dem Mann die Schußwaffe aus der Hand, die er gelassen entlud, um sie ihm dann wieder in die Hand zu drücken. „Nun wollen wir aber wirklich mit der Arbeit beginnen“, sagte Malpert. „Ich möchte meine Gäste nicht verärgern.“ „Einen Moment noch, Mister Malpert, Sie sind doch der Besitzer dieses wunderschönen Landsitzes, nicht wahr?“ „Nur auf dem Papier“, bekannte Malpert, „ich trat nur als Strohmann auf, der Landsitz gehört Mister Hawkins, der mich auch gefördert hat.“ „Er befindet sich in der Gewalt dieser Gangster“, sagte der Butler und deutete auf den Schläger, „wollen Sie nichts gegen diese Individuen tun? Sie haben dazu doch alle Möglichkeiten.“ „Mister Snoop ist für die Hypnose leider nicht zugänglich“, sagte Arthur Malpert fast traurig, „glauben Sie mir, sonst hätte ich ihn mir längst vom Hals geschafft. Dieser Mann widert mich an.“ „Schafft es auch Ihr Sender nicht?“
„Nein, unmöglich, er beeinflußt nur Personen, die aufnahmefähig sind. Mister Snoop gehört nicht dazu.“ „Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen“, sagte Parker. „Ich darf Ihnen gleich im vorhinein versichern, daß er Ihre weitere Arbeit an dem Hypnosesender nicht tangieren wird.“ * Gwen Perkins, die Schwester des Milchhändlers, reagierte kaum, als Kathy zurück in die gemeinsame Zelle kam. Das blonde Mädchen saß mit gekreuzten Beinen auf seinem Bett und wiegte den Oberkörper langsam hin und her. Sie befand sich in einem tiefen, somnambulen Zustand und war wahrscheinlich überhaupt nicht ansprechbar. „Was haben Sie mit ihr gemacht?“ fragte Kathy, sich an Clem Blasert wendend. „Sie steht voll unter Hypnose“, erwiderte Clem, der überraschenderweise ein wenig verlegen wirkte. „Hawkins hat das getan. Sie war für die Satansmesse heute vorgesehen.“ „Wer ist der Satan oder ,Dämon’ nun?“ fragte Kathy ihn rundheraus. „Hawkins“, erwiderte Clem Blasert ohne Zögern. „Damit verrate ich ja wohl kein Geheimnis mehr.“_ „Und ihm soll ich heute abend geopfert Werden? Herrliche Aussichten, finden Sie nicht auch, Clem?“ „Ich darf daran gar nicht denken, Kathy.“ „Dann würde ich an Ihrer Stelle etwas dagegen tun, aber damit ist ja wohl nicht zu rechnen. Freiwillig wird er mich auf keinen Fall bekommen, das sage ich Ihnen schon jetzt.“
„Man wird Sie hypnotisieren. Und wenn das nicht klappt, unter Drogen setzen“, meinte Clem Blasert, die Katze aus dem Sack lassend. „Hawkins will das so!“ „Hawkins hat überhaupt nichts mehr zu wollen“, war in diesem Moment eine ironisch klingende Stimme zu hören. „Hawkins ist nicht mehr akut, Clem.“ „Nicht mehr akut?“ Blasert wandte sich überrascht herum und starrte den Vollprofi Snoop an, schluckte und wußte nicht, was er von dem Gesagten halten sollte. „Haben Sie Hawkins ..,.?“ Clem Blasert wagte nicht, den Satz zu beenden. Was er meinte, war jedoch deutlich herauszuhören. „Noch lebt er“, sagte Snoop, „aber so was kann sich ja bekanntlich sehr schnell ändern.“ „Werden wir es auch ohne ihn schaffen?“ wollte Clem Blasert wissen. „Ich denke schon“, erwiderte Snoop. „Sie machen also weiter mit?“ „Das ist doch klar, Snoop.“ Clem Blasert nickte wie selbstverständlich und deutete dann zu Kathy Porter hinüber, „dann wird sie es also mit Ihnen zu tun bekommen?“ „Ich übernehme ab sofort die Rolle des Satans“, sagte Snoop und sah zu Kathy hinüber. „Ich freu’ mich schon jetzt auf diese Rolle, wir werden unseren Spaß haben.“ Clem Blasert setzte alles auf eine Karte und griff blitzschnell nach seiner Waffe. Er war schnell, doch nicht schnell genug. Snoop war eben doch Vollprofi. Der Gangster schoß derart schnell, daß Blasert seine Waffe noch nicht mal aus der Schulterhalfter herausbekam. Der Schuß dröhnte wie ein Kanonenschlag in der kleinen Zelle wider, Clem Blasert wurde
von einer unsichtbaren Riesenfaust zurückgeworfen, fiel gegen die Wand und sackte dann langsam an ihr zu Boden. Keuchend und stöhnend blieb er liegen, hatte aber bereits die Augen geschlossen. „Du Anfänger“, höhnte Snoop verächtlich, „hatte ich doch gleich geahnt, daß du Schwierigkeiten machen würdest, dafür hab’ ich dich zu gut gekannt.“ „Sie Mörder!“ Kathy Porter sah den Schützen wütend und verächtlich zugleich an. „Reg’ dich wieder ab, Schätzchen“, meinte Snoop lässig, „bereite dich lieber auf die Satansmesse vor. Wir werden eine Menge Spaß haben.“ „Irgendwann wird es auch Sie erwischen!“ Kathy kniete neben Clem Blasert und untersuchte ihn flüchtig. Der Mann, der sie in der Rolle Will Hazers hereingelegt und entführt hatte, öffnete jetzt die Augen und stöhnte. Kathy sah, daß diesem Mann nicht mehr zu helfen war. Der Schuß hatte ihn in der Herzgegend getroffen, der Blutverlust war bereits jetzt kaum noch wettzumachen, selbst wenn ein Arzt zur Stelle gewesen wäre. Angelockt durch den Schuß, erschienen in der Tür weitere Männer, die sich um Blasert kümmerten, das heißt, die ihn roh und brutal aus dem Raum hinauszerrten, obwohl sie es mit einem Sterbenden zu tun hatten. „Ich denke, sie wird eine gute Figur machen“, sagte Snoop, der Clem Blasert keinen einzigen Blick gönnte. Er deutete auf Kathy und grinste anzüglich. „Der Bademantel verdeckt leider ‘ne Menge, Snoop“, sagte der zurückgebliebene Mann anzüglich. Er war etwa fünfzig Jahre alt, mittelgroß und schlank.
„Sehen wir sie uns doch mal aus der Nähe an, Herb“, schlug Snoop vor, „vielleicht ist sie gar nicht so gut gebaut, wie es den Anschein hat.“ Sie kamen auf Kathy zu, die langsam zurückwich, bis ihre Kniekehlen gegen die Bettkante stießen. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel nach hinten. Gierige Hände streckten sich nach ihr aus... * „Nun, wie sieht’s aus, Malpert?“ fragte Snoop eine halbe Stunde später. Er war nicht allein ins Labor gekommen. In seiner Begleitung befanden sich der Fünfzigjährige, den der Butler sofort wiedererkannte. Es handelte sich um den Mann, der den Kamelhaarmantel getragen hatte. Hinter ihm erschienen der junge Motorradfahrer und der Fahrer des Rover. „Ich habe seine Blockade gebrochen“, sagte Arthur Malpert dienstbereit wie gewöhnlich, „es war keine leichte Arbeit.“ „In welchem Zustand befindet Parker sich jetzt?“ „Er steht unter leichter Hypnose und ist ansprechbar“, erklärte der Wissenschaftler. „Soll ich ihn ins normale Bewußtsein zurückholen?“ „Nicht nötig, wir werden Ihnen gleich noch die alte Dame bringen, das heißt, vielleicht. Ich bin eigentlich mehr dafür, daß wir sie auf andere Art und Weise zahlungswillig machen, was meinst du, Herb?“ „Sie sind der Boß, Snoop“, sagte der Mann, der den Kamelhaarmantel getragen hatte. „Ein paar Fotos von der Alten müßten dicke reichen“, sagte Snoop und grinste.
„Sie wird danach mit Vergnügen zahlen. Falls sie dann immer noch nicht spurt, kann sie ja von Malpert behandelt werden.“ Sie brachten Butler Parker, der einen geistesabwesenden Eindruck machte, zurück zu Lady Simpson, und die streitbare Dame kaum zu erkennen schien. Agatha Simpson war augenblicklich sehr aufgebracht. „Was haben Sie mit Mister Parker gemacht?“ fauchte sie Snoop an. „Gnade Ihnen Gott Sie Lümmel, falls ihm etwas passiert ist.“ „Regen Sie sich wieder ab, altes Mädchen“, meinte Snoop abwinkend. „Spucken Sie bloß keine großen Töne! Herb, die Spritze!“ Der Mann, der den Kamelhaarmantel bevorzugte, hatte sie bereits in der Hand. Sie stammte aus dem Labor Arthur Malperts und sah bedrohlich aus. Agatha Simpson wich zurück zur Wand und sah ein wenig ängstlich auf Herbs Hand. „Was ist da drin?“ fragte sie dennoch grimmig. „Nur ‘n leichtes Beruhigungsmittel“, versicherte Herb ihr und zwinkerte Snoop zu. „Sie werden sich danach ganz friedlich fühlen.“ „Kommen Sie mir bloß nicht zu nahe“, warnte Lady Simpson und griff nach ihrem Pompadour, doch gegen die Übermacht der Männer hatte sie überhaupt keine Chance. Die beiden jungen Kerle stürzten sich auf sie und hielten sie eisern fest. Während Snoop genüßlich zuschaute, jagte Herb der Dame die Spritze in den Oberschenkel. Anschließend wurde Agatha Simpson achtlos auf ihr Bett geworfen, wo sie keuchend liegen blieb und heftig atmete.
„Und jetzt zu dir, Hawkins“, sagte Snoop, sich an den Anwalt wendend. „Clem Blasert will Sie unbedingt sprechen. Kommen Sie mit!“ Der Anwalt war ein anderer Mensch geworden. Entmachtet, glich er nur noch einem Häuflein Elend, das vor Angst zitterte. Er leistete keinen Widerstand, erhob sich aus der Ecke, in die er sich gedrückt hatte, sah Snoop ängstlich an und beeilte sich dann, schnell zur Tür zu kommen. „Der will doch glatt türmen“, sagte Snoop und hatte plötzlich seine Schußwaffe in der Hand. Hawkins hatte die Worte des Vollprofi gehört, blieb sofort stehen und hob sogar sicherheitshalber seine Arme, doch Snoop schoß einfach. Hawkins wurde zu Boden geworfen, brüllte auf, wälzte sich herum, wollte wegkriechen und verschwand seitlich im Korridor. Die Gangster lachten amüsiert, als sie ihm folgten. „Schrecklich“, murmelte Agatha Simpson und richtete sich auf. Sie hatte sich bereits von ihrem leichten Schock erholt und widmete sich dem Butler. „Mister Parker, können Sie mich verstehen? Hier ist Lady Simpson, Ihre Freundin. Hören Sie mich? Hier ist Ihre Freundin Lady Agatha. Warum sagen Sie denn nichts?“ „Ich wollte Mylady nicht unnötig unterbrechen“, gab der Butler zurück und nahm den Kopf hoch. Er ließ sich seine ehrliche Überraschung und Verwunderung nicht anmerken. Mit solchen Worten hatte er nie gerechnet. „Sie schrecklicher Mensch“, beschwerte sich Agatha Simpson erleichtert Und fuhr zurück. „Mußten Sie mich erst zu diesen
Worten zwingen, die ich natürlich nie ernst gemeint habe.“ „Natürlich nicht, Mylady“, antwortete der Butler gemessen. „Darf ich mich nach dem werten Befinden erkundigen?“ „Sind Sie völlig in Ordnung, nicht hypnotisiert?“ „Völlig in Ordnung, Mylady. Ich darf übrigens versichern, daß die Spritze harmlos war. Mylady werden Herrin ihres Willens bleiben, wenn es zur Satansmesse geht.“ „Sie glauben an diese Ungeheuerlichkeit?“ „Mit letzter Sicherheit, Mylady! Mister Snoop wird bei dieser Gelegenheit seine Netze auswerfen und seine Massenerpressung beginnen. Ich darf Mylady schon jetzt versichern, daß es ein hochinteressanter Abend zu werden verspricht.“ * Kathy Porter trug einen blutroten, weit geschnittenen Mantel, unter dem sie nackt war. Die beiden jungen Gangster zerrten sie zu dem schwarzen Sarg, drückten sie auf ihn und zurrten sie darauf fest. Mit gespreizten Armen und Beinen blieb sie so hilflos liegen. Sie hatte bisher keine Möglichkeit der Gegenwehr gehabt und ahnte, daß sie diese Satansmesse durchstehen mußte. Der schwarze Sarg stand seinerseits in einem Gestell, das liftartig nach oben gekurbelt werden konnte. Dabei öffnete sich oben in der Kapelle der Steinaltar, klappte auseinander und ließ den Sarg wie durch Zauberhand hervorkommen. Snoop, bis zum Gürtel nackt, cremte sich mit einem Öl ein, das seine Haut
sofort dunkel werden ließ. Neben ihm auf einem Stuhl lag eine kunstvoll geschnitzte Teufelsmaske und ein Umhang. Der Vollprofi machte sich bereit, später den Satan zu spielen. Herb half ihm beim Ankleiden und grinste. „Das wird eine Supershow werden“, prophezeite er, „der Laden ist gerammelt voll, keiner hat sich gedrückt.“ „Hawkins hat wirklich gute Vorarbeit geleistet“, stellte Snoop fest, „er wird uns hoffentlich nicht eines Tages fehlen.“ „Die Adressen von zahlungskräftigen Kunden bekommen wir auch ohne ihn“, meinte Herb abfällig. „Es gibt ja erfreulicherweise genug Dumme, die sich solche schwarze Messen nur zu gern andrehen lassen.“ „Sind die Infra-Kameras in Ordnung?“ vergewisserte sich Snoop. „Sobald die Massenorgie einsetzt, beginnt ihr mit den Aufnahmen.“ „Die Jungens wissen Bescheid.“ Herb sah in Richtung der beiden Gangster, die Kathy inzwischen präpariert hatten. „Dann wollen wir die Kleine mal in Hochstimmung bringen“, meinte Snoop. „Gib’ mir die Spritze, Herb! Malpert muß da einen tollen Stoff zusammengemixt haben. Er sagt, die Kleine würde danach schreien, um vernascht zu werden.“ Kathy schloß ergeben die Augen, denn eine Gegenwehr schien ausgeschlossen. Sie zuckte leicht zusammen, als Snoop ihr die Spritze verabreichte. Sie wußte nicht, was sie enthielt, konnte sich aber leicht ausrechnen, daß sie ein starkes Aphrodisiakum enthielt, das ihre Sinne aufpeitschte. „Bis gleich, Süße“, sagte Snoop zu ihr und tätschelte ihre nackte Hüfte. „In ein paar Minuten sehen wir uns wieder.
Streng’ dich an, damit die Gäste auf ihre Kosten kommen!“ Herb und die beiden jungen Gangster verließen den kleinen Raum unter dem Altar. Kathy hatte mitbekommen, welche Aufgaben sie übernommen hatten. Das Stichwort Infra-Kameras hatte ihr bereits genügt. Während der Massenorgie sollten von den Gästen Aufnahmen gemacht werden. Mit diesen eindeutigen Bildern sollten die Leute dann später erpreßt werden. Einfacher war an das große Geld nicht zu kommen. Kathy horchte in sich hinein und wartete auf die Wirkung der Spritze. Sie spürte deutlich ein aufsteigendes Wärmegefühl in ihren Adern und sah Snoop groß an, der sich jetzt dicht über sie beugte, sehr dicht sogar. Kathy handelte impulsiv. Sie war derart wütend und angewidert, daß sie blitzschnell ihre Stirn hochschnellen ließ. Snoop brüllte auf und fuhr zurück. Sie hatte genau seine Nase getroffen. Blut stürzte hervor, Snoop stöhnte und wimmerte, ballte die Fäuste und wollte auf Kathy einschlagen. „Später“, sagte er, sich dann aber doch zurückhaltend, „dafür wirst du mir noch büßen, verdammtes Stück, dafür zerreiße ich dich in der Luft!“ „Sie Schwein!“ fauchte Kathy. „Hast du ein Glück, daß ich jetzt raus muß“, sagte Snoop, sich die blutende Nase haltend. „Dafür reiche ich dich oben an jeden weiter, der dich haben will.“ Er nahm ein Tuch, wischte sich die Nase, befingerte sie vorsichtig und stülpte sich dann die Maske über. In Sekundenbruchteilen verwandelte er sich. Er wurde zu jenem Satan, den Kathy bereits gesehen hatte. Diese Verwandlung
war fast vollkommen. Bei richtiger Beleuchtung wirkte Snoop wie eine Erscheinung aus der tiefsten Hölle. Es dauerte nicht lange, bis der kleine Lift sich in Bewegung setzte. Kathy schwebte, auf dem Sarg liegend, nach Oben, sah, wie der Altar sich öffnete, hörte eine unheimliche Musik, die nur aus einem Synthesizer stammen konnte, und schloß dann geblendet die Augen, als das Licht eines starken Scheinwerfers sie traf. Satans Opfer lag auf dem Altar... * Andächtiges Raunen war zu vernehmen. Etwa zwanzig geladene Gäste standen ganz unter dem Eindruck dessen, was sich ihren erstaunten Augen bot. Die Frauen und Männer waren vorher bereits durch berauschende Getränke angeheizt worden. Für sie war es Wirklichkeit, was sich dort oben auf dem Altar abspielte. Unter diesen Gästen befanden sich auch Lady Simpson, die vorn auf einem Sitzpolster Platz genommen hatte und in Trance zu sein schien. Wie übrigens auch ihr Butler, der die Hände hochhob und Satan grüßte. Kathy Porter lag regungslos auf dem Sarg, hatte die Augen weit geöffnet und vermochte sich nicht zu wehren, als der Satan an sie herantrat und mit einer weitausholenden Bewegung den blutroten Mantel von ihrem schweißnassen Körper zog. Nackt und hilflos lag sie vor der Menge und schien darauf zu warten, sich mit dem Satan vermählen zu können. „Lassen Sie diesen verdammten Unsinn“, war plötzlich Myladys Stimme zu hören, grollend und verärgert. „Was soll dieser Mummenschanz?“
Snoop fuhr blitzartig herum und geriet offensichtlich aus der Fassung, denn er hatte mit dieser Entwicklung bestimmt nicht gerechnet. Gleichzeitig aber zuckte er zusammen, denn Josuah Parker hatte einen seiner Spezial-Kugelschreiber auf ihn abgeschossen. Ein winziger Pfeil, der in der Größe an eine Nadel erinnerte, war aus der Spitze dieses Kugelschreibers hervorgezischt und hatte sich in die Brust des Satans gebohrt. Dieser Miniaturpfeil hatte es natürlich in sich, wie man sich denken kann. Die Nadelspitze war präpariert und enthielt ein leichtes Lähmungsgift nach Art der Amazonas-Indianer. Es war nicht tödlich, aber es wirkte. Vielleicht noch schneller und nachhaltiger als Curare. Bevor Snoop sich diesen lästigen und giftigen Pfeil aus der Brust zerren konnte, betätigte Mylady sich bereits sportlich. Sie schmetterte ihm ihr Sitzkissen auf die Maske, die dadurch leicht ins Rutschen kam und Snoop die Sicht nahm. Als er sie endlich wieder hatte, stand Parker neben dem Vollprofi und rammte ihm seine Krawattennadel tief ins Gesäß. Worauf Satan aufschrie, die restliche Fassung verlor und fluchtartig den Altar verließ. Doch er kam nicht weit, denn das Lähmungsgift tat bereits seine Wirkung. Zu Füßen der geladenen Gäste sackte Snoop zusammen und streckte sich auf den Teppichen geruhsam aus. Er verlor dabei seine furchterregende Teufelsmaske und sah eigentlich nur noch jämmerlich aus. Satan war demaskiert worden! „Ich darf um Ruhe bitten, die Herrschaften“, ließ Parker sich mit tragender, gemessener Stimme vernehmen. „Sie wurden gerade Zeugen eines albernen
Mummenschanzes, der den Zweck hatte, Sie später zu erpressen. Auf welche Art und Weise das geschehen sollte, werde ich Ihnen jetzt zeigen.“ Tödliche Stille! Vielleicht begriffen die Gäste in diesem Augenblick, auf was sie sich in ihrer Einfalt oder Sensationslust eingelassen hatten. Parker winkte nach hinten zur Tür, die sich jetzt öffnete. Die beiden jungen Gangster samt Herb erschienen auf der Bildfläche und gingen staksig und mechanisch wie Roboter. Jeder von ihnen trug eine Handkamera, die mit einem Infrarot-Zusatzgerät versehen war. Sie kamen nach vorn zum Altar und legten hier ihre Kameras gehorsam ab. Dann setzten sie sich um ihren Satan und senkten ergeben die Köpfe. „Vielen Dank, Mister Malpert“, wandte sich Parker an den alten Mann, der einen weißen Kittel trug- und auf der Szene erschien. Malpert wirkte bestürzt und unsicher, als er sich den vielen Menschen gegenübersah. „Diesem Mann gebührt Dank“, erklärte der Butler, „nur mittels seiner genialen Fähigkeiten konnte diese Straftat vermieden werden.“ Beifall klang natürlich nicht auf. Die geladenen Gäste waren ohne Ausnahme tief beschämt und völlig verunsichert, sie wußten nicht, was sie tun sollten. „Sie können jetzt gehen“, rief. Parker ihnen zu. „Beeilen Sie sich, denn die Polizei wird in der nächsten halben Stunde hier erscheinen, um einige Mordtaten aufzuklären! Vielleicht meiden Sie in Zukunft Satansmessen, die ich nur als ausgemachten Humbug bezeichnen kann um es mal drastisch auszudrücken.
Darf ich mir erlauben, Ihnen abschließend noch eine gute Heimfahrt zu wünschen?“ Man ging schweigend, zuerst langsam, dann immer schneller. Es dauerte ‘nur wenige Minuten, bis die Gäste die Kapelle geräumt hatten. „Ich bin sicher, Mylady“, sagte Parker, sich an Lady Simpson wendend, „daß diese Herrschaften schon jetzt auf den nächsten Nervenkitzel warten.“ „Hoffentlich fallen diese Dummen dann gehörig herein“, wünschte die ältere Dame grimmig. „Sie haben es dann eben nicht besser verdient.“ „Vergessen Sie mich bitte nicht“, war Kathy zu vernehmen. Ihre Stimme klang unglücklich und erleichtert zugleich. Sie schluchzte, als Parker sie losschnitt und lächelte bereits wieder, als Agatha Simpson den Butler vorwurfsvoll ansah. „Konnten Sie Kathy nicht wenigstens vorher zudecken?“ fragte die Detektivin, „ich will doch nicht hoffen, Mister Parker, daß Sie ein Lüstling sind.“ „Ich muß das völlig übersehen haben“, entschuldigte sich Butler Parker. „Ich nehme an, das Licht hat mich ein wenig geblendet. Fühlen Sie sich in Ordnung, Miß Kathy?“ „Ich könnte Sie küssen, Mister Parker.“ „Keine Orgien, wenn ich bitten darf“, sagte Agatha Simpson streng, „wir wollen doch sauber bleiben, Mister Parker.“ * „Ich werde ihn in mein Institut nehmen“, versprach Doktor Herberts am anderen Tag und nickte Arthur Malpert beruhigend und lächelnd zu, „ich brauche Mitarbeiter seines Formats.“
„Ich kann weiter an meiner Erfindung arbeiten?“ fragte Malpert, der sehr verwirrt wirkte. „Woran Sie wollen, Herr Kollege“, gab Herberts zurück und nickte dem Krankenpfleger zu, der den Erfinder dann aus dem Raum führte. „Er hat mit all den schrecklichen Dingen nichts zu tun“, sagte Lady Simpson, „darum haben wir ihn der Polizei unterschlagen.“ „Der Mann ist krank und muß erst wieder gesund werden“, gab Doktor Herberts zurück, „wie lange das aber dauern wird, weiß ich nicht. Er wird es hier in meinem Haus guthaben.“ „Darum haben wir ihn auch zu Ihnen gebracht, Doktor“, erwiderte die ältere Dame beruhigt, „damit ist der ganze Satansspuk vorüber.“ „Die Gangster sind festgenommen worden?“ „Ohne Ausnahme“, schaltete sich der Butler gemessen ein, „man darf mit dem Ergebnis zufrieden sein. Eine große Gefahr ist gebannt worden, bevor sie recht wirksam werden konnte.“
„Sie wird immer wieder neu entstehen“, meinte Dr. Herberts versonnen, „die Menschen sind sehr empfänglich für scheinbar übersinnliche Dinge.“ „Malen Sie nicht den Teufel an die Wand“, entsetzte sich Lady Simpson gespielt. „Gibt es überhaupt außersinnliche Dinge, Doktor?“ „Vampire oder Geister?“ erkundigte sich auch Parker. „Wer weiß, wer weiß“, meinte Dr. Herberts und lächelte nachdenklich, „aber wie ich Sie kenne, wie ich Sie einschätze ‚werden’ Sie schon bald mit solchen Dingen zu tun bekommen.“ „Das hört sich gut an“, freute sich Lady Simpson. „Mister Parker, ich verlasse mich da ganz auf Sie! Ich brauche bald wieder einen neuen Stoff für meinen Kriminalroman.“ „Mylady können fest mit meiner bescheidenen Wenigkeit rechnen“, versprach Josuah Parker. „Ich werde mich nach besten Kräften bemühen!“
ENDE
scan: crazy2001 @ 07/2011 corrected: santos22
Red. Hinweis: Der heutigen, in der Schweiz verbreiteten Auflage, ist ein interessanter Prospekt des Instituts Mössinger. Fernschule in Zürich, beigelegt, den wir der Aufmerksamkeit unserer Leser empfehlen.
Günter Dönges schrieb für Sie den nächsten
Nr. 143
Der Vampir mit den blonden Locken Sie drehten einen Film in London, in dem Vampire und andere Horrorgestalten ihr Unwesen trieben. Sie hatten Spezialisten für alle Rollen, bewährte Schauspieler, die selbst ohne Schminke und Make-up an Spukys erinnerten. Die Produktionsgesellschaft erwartete einen neuen Kassenschlager, aber sie hatte gewiß nicht mit echtem Blut gerechnet Zwei Darsteller starben durch den Biß eines unheimlichen Vampirs. Er löste eine Panik aus, und es schien, als könne der Film nicht abgedreht werden. Termine platzten und Schauspieler verbarrikadierten sich in ihren Häusern und Wohnungen. Lady Agatha Simpson, an Vampiren und Spuk schon immer interessiert, hatte allerdings keine Mühe, ihren Butler in Schwung zu bringen. Parker glaubte nicht an solche Gespenster, bis dann plötzlich sein Schützling angefallen wurde. Kathy Porter, die langbeinige und attraktive Sekretärin der Agathe Simpson, arbeitete nämlich als Darstellerin im Filmstudio. Als es schließlich um Kathys Leben ging, wurde Josuah Parker mehr als aktiv und schaltete sich in den Angriff ein, daß kein Auge trocken blieb und der Vampir Luftschwierigkeiten bekam... Ein neuer PARKER-Krimi mit Horror, Grauen und befreiendem Humor für alle Leser, die den ungewöhnlichen Krimi bevorzugen.
In unserer Neuauflage erscheint als Butler Parker Nr. 111
PARKER läßt den Boß rotieren ebenfalls von Günter Dönges.
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