Lady Agatha, die majestätische ältere Dame, groß, stattlich, mit Sicherheit
über das sechzigste Lebensjahr hinaus, sc...
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Lady Agatha, die majestätische ältere Dame, groß, stattlich, mit Sicherheit
über das sechzigste Lebensjahr hinaus, schluchzte erneut. Sie stand völlig
im Bann von Puccinis Oper »La Bohéme«, litt mit der Sterbenden und beugte
sich weit über die Brüstung, als Mimi sich nun endlich anschickte, den
letzten Hauch zu tun.
Butler Parker, alterslos, etwas über mittelgroß und fast schlank, sorgte sich
um das Wohlergehen der Lady, in deren Diensten er stand. Er fürchtete,
seine Herrin könnte sich vielleicht zu weit vorbeugen. Doch sie zuckte
zusammen, als Rudolf den endgültigen Tod seiner Mimi konstatierte und
den Schlußakt mit einem tragischen Aufschrei und einem Schluchzer been
dete. Mylady ließ sich zurückfallen und schneuzte sich erneut.
»Bedürfen Mylady vielleicht eines Kreislaufbeschleunigers?« erkundigte
sich Josuah Parker. Während er fragte, holte er bereits eine flache, lederum
spannte Flasche aus der rechten Innentasche seines schwarzen Zweirei
hers. Er schraubte den ovalen Verschluß ab, benutzte ihn als Becher und
füllte eine gehörige Portion Kognak ab.
»Sehr gut, Mr. Parker«, lobte die ältere Dame ihren Butler und nickte wohl
wollend, »genau das brauche ich jetzt. Starb sie nicht wunderbar?«
Sie wartete die Antwort ihres Butlers nicht ab, sondern griff nach dem
Becher und kippte den sogenannten Kreislaufbeschleuniger in einem Zug
hinunter.
»Mylady waren beeindruckt?« vermutete Parker in seiner bekannt höflichen
Art.
3
Die Hauptpersonen: Tonio Marcetti: Ein Stimmband-Artist, dem der Tod auf der Bühne droht.
Herbert Morgan: druckt dubiose Magazine.
Ben Gladster: schießt pikante Fotos.
Carlo Basoni: ein zu kleiner Tenor, der neidisch wird
Josuah Parker, Agatha Simpson, Kathy Porter und Mike Rander: das
unschlagbare Quartett, das den Mord im Theater verhindern will.
»Ich hätte mich in meiner Jugend ausbilden lassen sollen«, antwortete die theaterbegeisterte Dame, »ich hat te einen glockenhellen Sopran.« Diese Feststellung schien allerdings ein wenig übertrieben, denn Agatha Simpson verfügte jetzt über eine Stimmlage, die an eine Mischung aus Baß und Bariton erinnerte. »Mylady wären mit Sicherheit eine Primadonna geworden«, meinte Par ker. »Kann meine Wenigkeit davon ausgehen, daß Myladys Kreislauf sich wieder zu stabilisieren geruhte?« Sie antwortete nicht, sondern spen dete Beifall. Vor dem Vorhang er schienen die Solisten und nahmen den Dank des Publikums entgegen. Unter diesen Solisten befand sich selbstverständlich auch der ein wenig dickliche Tenor, der sich übrigens mehr als bescheiden gab, wie Parker fand. Der nicht gerade kleine Mann stand halb hinter seiner Mimi und wagte sich nicht weiter hervor. Und er war einer der ersten Solisten, der schleunigst wieder hinter dem Vor hang verschwand. Lady Agatha geizte nicht mit Beifall. Sie schlug ihre nicht gerade kleinen Hände in wildem Wirbel gegeneinan der und nickte freundlich nach unten. Sie und die übrigen Zuschauer hatten leichtes Spiel mit den Solisten, die nur zu gern erneut vor dem Vorhang er schienen und sich glücklich ver beugten. Parker fiel schon wieder auf, wie 4
verhalten der Tenor sich gab. Er war ein Künstler, der an der internationa len Börse der Oper hoch gehandelt wurde. Normalerweise war Tonio Mar cetti für seine Eitelkeit bekannt. An diesem Abend aber gab er sich überra schend, zurückhaltend. Erneut schien er sich hinter der Star-Sopranistin ver schanzen zu wollen, die dies allerdings als Bescheidenheit mißverstand und zur Seite trat. Genau in dem Augenblick, als Tonio Marcetti ohne jeden Schutz an der Rampe stand, fiel eindeutig ein Schuß, der den donnernden Applaus leicht übertönte. Tonio Marcetti fuhr zusammen, tau melte und fiel gegen den Vorhang. We nige Sekunden später war er ver schwunden. Die Falten des Vorhangs schienen ihn verschluckt zu haben.
»Es herrschte ein wundervolles Chaos«, berichtete Agatha Simpson noch im nachhinein, »es entstand so gar eine hübsche Panik.« Mike Rander und Kathy Porter, die sich zusammen mit Butler Parker in der großen Wohnhalle von Lady Simpsons Haus aufhielten, wechsel ten einen schnellen, amüsierten Blick. Sie kannten die Besitzerin und ihre Vorlieben. Als eine immens vermö gende und alleinstehende Dame der höchsten Gesellschaft Englands war es ihr Hobby, Kriminalfälle zu lösen.
Und erstaunlicherweise zog sie solche Sir, daß es sich um einen unscharfen Fälle an sich wie der Magnet die Ei Schreckschuß handelte«, beantworte senfeilspäne. Sie stolperte förmlich te Josuah Parker die Frage des An von einem Kriminalfall in den ande walts, »aber selbst ein Schreckschuß ren und konnte eindeutig Erfolge dürfte einige Fragen aufwerfen.« nachweisen. »Hatten wir nicht schon mal mit Diese gingen allerdings eher auf das Leuten von der Bühne zu tun, die be Konto von Butler Parker, der diskret schossen wurden?« wollte der Anwalt und beharrlich Regie führte. Ihm al wissen. lein war es zu verdanken, daß die pas »Natürlich, mein Junge«, gab die sionierte Detektivin bisher jede noch Detektivin zurück, »selbstverständ so lebensgefährliche Situation mit völ lich klärte ich seinerzeit auch diesen lig heiler Haut überstanden hatte. Fall. Es ging um gewisse Eifersüchte »Ein neuer Fall, Mylady?« erkundig leien und persönliche Differenzen.« te sich Kathy Porter. Sie war knapp »Meine Wenigkeit möchte darauf dreißig, groß, schlank und eine unge verweisen, daß Mr. Tonio Marcetti of mein attraktive Erscheinung. Offiziell fensichtlich von einer Bedrohung war sie die Gesellschafterin und Se wußte«, ließ der Butler sich verneh kretärin der älteren Dame, doch im men,« der Tenor suchte eindeutig Lauf der Zeit war sie von der Lady Schutz hinter seiner Partnerin.« quasi adoptiert worden. »Wahrscheinlich wird er bedroht«, »Ich habe mich natürlich sofort um sagte Kathy Porter, »ob er der Polizei diesen Tenor gekümmert«, antwortete gegenüber Angaben machen wird, Agatha Simpson, »er war völlig unver steht auf einem anderen Blatt.« letzt.« »Ich bin mal gespannt, ob der Kna »Und dürfte wahrscheinlich noch be mit den teuren Stimmbändern jetzt unter einem Schock stehen«, auch morgen singen wird«, meinte der schaltete Josuah Parker sich ein, »er Anwalt, »ich wette darauf, daß er we mußte ärztlich behandelt werden und gen Indisposition absagen wird.« ließ sich unter Polizeischutz in sein »Es besteht die vage Hoffnung, Sir, Hotel bringen.« daß Mr. Tonio Marcetti sich an Mylady »Ist denn nicht scharf geschossen wenden wird«, warf der Butler ein, worden?« wollte Mike Rander wissen. »nach dem Eklat in der Oper bot Myla Als Anwalt verwaltete er neben seiner dy dem Hausherrn des Theaters Hilfe Tätigkeit als Strafverteidiger das Ver an.« mögen der Lady, eine Aufgabe, die ihn »Ich kenne den Operndirektor«, sag fast völlig beschäftigte. Vor Jahren te die ältere Dame, »James Bingdale hatte Butler Parker in seinen Diensten bekam vor ein paar Jahren einen neu gestanden. Die beiden äußerlich so en Vorhang von mir für sein Haus. Er ungleichen Männer hatten viele Aben ist mir verpflichtet.« teuer hinter sich gebracht und waren »Sie haben für die Oper einen neuen durch Agatha Simpson wieder zusam Vorhang gestiftet?« staunte Mike Ran mengekommen. der, der die an Geiz grenzende Spar Mike Rander war etwa vierzig Jahre samkeit der Lady gut kannte. alt, groß, schlank und erinnerte in sei »Es war ein gebrauchter«, meinte nem Aussehen an einen bekannten sie, »ich bekam ihn von der Met in James-Bond-Darsteller. Rander war New York, die ihn ausmusterte. Es ein ungemein lässig wirkender Mann, war eine günstige Gelegenheit.« dem man keineswegs ansah, daß er »Was weiß man eigentlich von Mar sich blitzschnell in eine Kampfma cetti?« fragte Kathy Porter, »ich meine schine verwandeln konnte. jetzt nicht das, was man über ihn in »Man sollte wohl davon ausgehen, der Regenbogenpresse liest.« 5
»Marcetti gehört zu den fünf oder sechs besten Belcanto-Tenören der Welt«, erwiderte der Anwalt, »sein Rang ist unbestritten.« »Mr. Tonio Marcetti ist neunund vierzig Jahre alt, verheiratet, hat drei Kinder, die zusammen mit ihrer Mut ter in Italien leben und kümmert sich sehr intensiv um einen NachwuchsSopran«, zählte der Butler höflich auf, »er unterhält eine oberflächliche Freundschaft zu einigen Kollegen, so fern sie keine Tenöre sind.« »Neunundvierzig Jahre?« staunte Lady Agatha und schüttelte dann den Kopf, »in den Zeitungen steht doch, er sei gerade dreiundvierzig Jahre alt ge worden.« »Woher haben Sie denn ihr Wissen, Mr. Parker?« erkundigte sich Mike Rander lächelnd. »Von einem gewissen Mr. John De stron, Sir«, der Chefmaskenbildner an der Oper ist und gewisse Interna kennt.« »Wahrscheinlich haben Sie diesem Destron früher mal aus der Patsche geholfen, wie?« »Er ist meiner Wenigkeit in der Tat verpflichtet, Sir«, erwiderte Josuah Parker, »Mr. Destron wurde des schweren Diebstahls bezichtigt. Er sollte Schmuck und Bargeld aus di versen Garderoben gestohlen haben. Nach einer kurzen Ermittlung stellte sich heraus, daß ein Beleuchter der Täter war. Mr. Destron konnte voll rehabilitiert werden.« »Wo haben Sie nicht Ihre Leute, die Sie nach Bedarf anzapfen können?« gab der junge Anwalt amüsiert zu rück, »wahrscheinlich wird dieser Maskenbildner unserem Tenor vor schlagen, sich mit Lady Simpson in Verbindung zu setzen, wie?« Bevor Parker antworten konnte, läutete das Telefon. Präziser hätte ein akustisches Stichwort gar nicht sein können.
6
»Man will mich umbringen«, stöhn te Tonio Marcetti und wischte sich den Schweiß von der hohen Stirn. Ohne Toupet hatte er sogar fast eine Glatze. Der Star-Tenor trug einen weiten Hausmantel und machte einen klägli chen Eindruck. Er hatte angerufen und Mylady ge beten, zu ihm ins Hotel zu kommen. Aus reiner Neugier war die Detektivin auf diese Einladung eingegangen, denn normalerweise hatte man sich zu ihr zu verfügen, wenn man ihre Hilfe brauchte. »Nun reißen Sie sich gefälligst zu sammen, junger Mann«, fuhr die Lady den Mann an, der in einem Sessel saß und sich immer wieder den Angst schweiß von der Stirn tupfte, »so schnell stirbt man nicht.« »Darf man erfahren, Sir, wer Sie um zubringen gedenkt?« schaltete Josuah Parker sich ein. »Das eben weiß ich nicht«, erwider te Marcetti. Er sah ohne Schminke und Toupet aus wie ein fünfzigjähri ger müder Mann, »ich weiß nur, daß man mich töten will, mich, Tonio Mar cetti! Und dabei habe ich keine Fein de. Ich helfe doch jedem Menschen, der mich anspricht.« »Sie wurden in einer bestimmten Form bedroht, Sir?« »Per Telefon«, redete der Star-Tenor weiter, »seit gut zwei Wochen kom men diese Drohungen.« »Wie viele waren es insgesamt?« »Fünf... Nein, warten Sie, vier An rufe sind es gewesen. Der letzte kam heute nachmittag, kurz vor meiner Fahrt in die Oper. Man sagte mir, ich würde, im Schlußakt neben Mimi sterben.« »Ihre Disziplin ist bemerkenswert, Sir«, stellte der Butler gemessen fest, »erlauben Sie einem interessierten Laien diese Feststellung. Trotz dieser Drohung war Ihre Leistung tadellos.« »Ich habe mich eben zusammenge rissen«, lobte sich Tonio Marcetti, »aber ich habe Todesängste ausge standen. Glauben Sie wirklich, mir
helfen zu können? Mein Chefmasken bildner behauptet das wenigstens.« »Sie sind so gut wie gerettet, junger Mann«, prophezeite Lady Agatha, »na türlich werde ich dieses Subjekt fin den und ausschalten.« »Sie wollen darauf verzichten, die Polizei zu informieren?« fragte der Butler. »Wie soll die mir schon helfen?« To nio Marcetti war aufgestanden und wanderte unruhig in seinem großen Hotelzimmer auf und ab. »Wenn man mich ermorden will, schafft man das auch. Ich stehe zu oft auf der Bühne und bin eine ideale Zielscheibe.« »Das ist allerdings richtig«, meinte Agatha Simpson, »Sie könnten eine Kugelsichere Weste tragen.« »Dann bin ich ja noch dicker als oh nehin.« Marcetti lächelte flüchtig. »Hegen Sie möglicherweise einen bestimmten Verdacht, was Ihren potentiellen Mörder betrifft?« wollte Josuah Parker wissen. »Ich stehe vor einem Rätsel«, be hauptete der Tenor, »diese Anrufe ka men wie aus heiterem Himmel.« »Läßt es sich ermöglichen, für eine gewisse Zeit der Bühne fernzubleiben, Mr. Marcetti?« fragte Parker. »Das ist ausgeschlossen.« Der Tenor winkte ab. »Ich habe meine Verträge, die ich erfüllen muß. Zudem würde die Öffentlichkeit mir Feigheit vor werfen. Ich kann nicht anders, ich werde mich meinem Mörder stellen müssen.« »Die Medien, Sir, werden Ihre heroi sche Haltung zu würdigen wissen«, sagte der Butler höflich. Marcetti stutzte, blickte Parker an und wollte eindeutig scharf erwidern, doch dann hatte er sich bereits wieder unter Kon trolle und rang sich ein Lächeln ab. »Nein, Mr. Parker, ich brauche kei ne Reklame«, sagte er dann, »ich brau che keine Schlagzeilen, um meinen Ruf aufzupolieren. Ich bin bereits für die kommenden Jahre voll ausge bucht und mit Schallplattenverträgen zugedeckt.«
»Aber Sie müssen sich doch unbe liebt gemacht haben«, raunzte die älte re Dame den Tenor an, »ohne Grund will man Sie doch nicht umbringen.« »Noch einmal, Mylady, ich stehe vor einem Rätsel.« Marcetti breitete die Arme aus, eine Geste der Hilf- und Ratlosigkeit. »Auch ein begnadeter Künstler Ih res Formats wird das haben, was man gemeinhin ein Privatleben zu nennen pflegt«, tippte der Butler das nächste Thema an. »Mein Privatleben ist in Ordnung«, behauptete der Star-Tenor fast gereizt, »hören Sie, Mylady, es war wohl ein Fehler, daß ich mich an Sie und Ihren Butler gewandt habe. Ich werde mit meinem Problem schon allein fertig werden, denke ich.« »Sie sollten einen gewissen Aspekt dieser Drohungen nicht vergessen, Sir«, meinte der Butler, »es kann sich dabei auch durchaus um eine banale Erpressung handeln.« »Ob sie meine Hilfe wollen oder nicht, junger Mann, ich werde diesen Fall lösen«, erklärte Lady Agatha mit Nachdruck, »ob sie nun tot sein soll ten oder nicht. Für mich spielt das kei ne Rolle.« Als sie zusammen mit Parker zur Tür des Hotelzimmers ging, war plötz lich ein Knall zu hören. Der Butler wandte sich um und nahm zur Kennt nis, daß eine der beiden Panorama scheiben des Hotelzimmers von dem Geschoß durchgestanzt worden war. Tonio Marcetti lag auf dem Boden und rührte sich nicht.
»Jetzt hat er genau das, was er woll te«, meinte Lady Agatha eine halbe Stunde später, »nämlich seine Schlag zeilen. Sie hätten nicht die Polizei ver ständigen sollen, Mr. Parker.« »Und den Arzt«, fügte Josuah Par ker hinzu, »Mr. Tonio Marcetti befand sich in einem Zustand, den man nur als desolat bezeichnen konnte.« 7
»Reine Schauspielerei«, urteilte die ältere Dame abfällig, »ich habe dieses Theater doch sofort durchschaut. Ich sage Ihnen, Mr. Parker, daß der Tenor den Schuß bestellt hat. Er ging doch völlig ungefährlich hoch in die Zim merdecke.« Josuah Parker war anderer Mei nung, doch er hütete sich, eine Dis kussion zu entfachen. Gegen die Lo gik der Lady kam kaum jemand an. Sie bog stets alles so zurecht, bis die Dinge in ihr Bild paßten. »Es wird nicht mehr lange dauern, bis unser guter McWarden bei mir auf taucht«, redete Agatha Simpson wei ter. Man ging auf den Fahrstuhl zu, um in die Empfangshalle hinunterzufah ren. Die Polizei befand sich noch in Marcettis Räumen, ebenfalls der Not arzt. Mylady wies mit ihrem Satz auf den Chief-Superintendent hin, der im Yard ein Sonderdezernat leitete, das sich mit der Bekämpfung von organi siertem Verbrechen befaßte. McWar den war dem Innenminister direkt un terstellt und genoß dort höchstes Ver trauen. Der Chief-Superintendent war mit Agatha Simpson gut bekannt, fast be freundet. Immer wieder, wenn er be rufliche Sorgen hatte, erschien er im altehrwürdigen Fachwerkhaus der äl teren Dame in Shepherd's Market und holte sich dort Rat. Dabei überhörte er die vielen Sticheleien, denn ihm kam es darauf an, Josuah Parker zu befra gen. McWarden hielt viel von den Fä higkeiten des Butlers und ging stets auf dessen Vorschläge ein. Agatha Simpson und der Butler mußten warten, bis der Fahrstuhl ihr Stockwerk erreicht hatte. Als sie ein stiegen, tauchten zwei Männer auf, die sich mit ihnen in den Fahrstuhl scho ben. Sie mochten etwa dreißig sein, waren gut gekleidet und machten ei nen durchaus zivilen Eindruck. Das Äußere täuschte allerdings, wie sich bald zeigte. Einer der beiden Fahrgäste drückte 8
auf den Knopf für das Kellergeschoß, der zweite hielt plötzlich eine Automa tik in der Hand, deren Lauf er auf den Butler richtete. »Keine Panik, Herrschaften«, sagte der Mann und grinste schurkisch wie in einschlägigen Filmen, »es passiert fast gar nichts, wenn ihr keine Dumm heiten macht.« »Darf man Sie darauf verweisen, daß Sie eine Dame bedrohen?« fragte der Butler gemessen und zuckte mit keiner Wimper, als der Mann ihm den Schalldämpfer der Waffe gegen die linke Hüfte drückte. »Schnauze«, fuhr ihn der Fahrgast an, »wir pfeifen auf die Dame, ist das klar? Wir werden nur ein paar Takte mit euch reden.« »Ihr Benehmen gefällt mir über haupt nicht«, grollte Agatha Simpson, »wollen Sie etwa meine Handtasche stehlen?« »Das fehlte noch, Lady«, erwiderte der Fahrgast, der den Knopf des Fahr stuhls gedrückt hatte, »mit Kleingeld geben wir uns nicht ab.« »Wir geben nur Ratschläge«, schal tete der andere Mann sich ein, »wir haben nämlich gehört, daß ihr auf Pri vatdetektiv macht.« »Ein Hobby Myladys«, gab Josuah Parker höflich zurück. »Ein Hobby, das sie sich abschmin ken wird«, verlangte der Mann, »falls sie auf stur macht, wird sie Ärger be kommen.« Man hatte das Kellergeschoß des Hotels erreicht. Einer der beiden Män ner drückte die Tür spaltbreit auf und blickte in einen Korridor, öffnete die Tür dann weit und forderte Lady Simpson und Parker durch ein Kopf nicken auf, den Fahrstuhl zu ver lassen. Der Butler nickte zurück, nahm sei nen altväterlich gebundenen Univer sal-Regenschirm in die linke Hand und benutzte ihn als Spazierstock. Da bei drückte sein Zeigefinger auf einen kleinen Knopf, der von den Schirmfal ten verdeckt wurde. Dann setzte Par
ker seinen Schirmstock auf und war tete auf ein ganz bestimmtes Ergebnis.
Es dauerte nicht lange. Neben der Schirmzwinge erschien eine nadelspitze Dolchklinge, die das Schuh-Oberleder des Gangsters durchbohrte, der die Automatik trug. Die Dolchspitze bohrte sich mit eini gem Nachdruck in die Fußwurzelkno chen des Mannes, der daraufhin einen spitzen Schrei ausstieß und völlig ver gaß, daß er eine Waffe trug. Mit grüßendem Liften der schwar zen Melone setzte der Butler den zwei ten Mann außer Gefecht. Die Wölbung der Kopfbedeckung, die durch zähes Stahlblech verstärkt war, reichte völ lig aus, die Nase des Kriminellen in Schieflage zu versetzen. Tränen schos sen aus den Augen des Betroffenen. Der Mann, der nach seiner Waffe in der Schulterhalfter greifen wollte, ver beugte sich tief vor Lady Agatha. Sie nutzte natürlich gnadenlos ihre Chance. Mylady trug am linken Handgelenk ihren perlenbestickten Pompadour, der völlig harmlos aussah. Doch genau das Gegenteil war der Fall. In diesem Handbeutel befand sich ihr sogenann ter Glücksbringer, nämlich ein echtes Pferdehufeisen. Aus dem Handgelenk beglückte sie den sich verbeugenden Mann und setzte das Hufeisen auf den Hinterkopf des Kriminellen, dem es förmlich die Beine unter dem Leib wegriß. Er landete bäuchlings auf den Steinfliesen des Korridors. Josuah Parker kümmerte sich um den Mann, der wegen seines schmer zenden Fußes Tränen vergoß. Der Butler hatte die Schußwaffe längst an sich genommen und in der linken Au ßentasche seines schwarzen Cover coats verschwinden lassen. »Man kann Ihnen versichern, daß Sie kein dauerndes Fußleiden davon tragen werden«, sagte Parker höflich,
»vorerst handelt es sich wirklich nur um eine oberflächliche Stichwunde, die natürlich der Desinfektion be darf.« »Wer hat Sie geschickt, Sie Lüm mel?« herrschte Lady Agatha den Mann an, der zu träumen glaubte. Eine Sprache, wie Parker sie verwandte, kannte er nicht. Er war handfestere Ausdrücke gewöhnt. »Nun, ich warte auf Ihre Antwort«, redete die ältere Dame weiter, »ich verliere sehr schnell die Geduld.« Während sie noch redete, ließ sie ih ren Pompadour kreisen. Der Mann starrte wie hypnotisiert auf den Kreis, den der Handbeutel beschrieb, riß sich dann von diesem Anblick los und hüstelte erst mal. »Ben Gladster hat uns losge schickt«, sagte der Mann da hastig, »wir sollten Ihnen aber nur 'nen klei nen Schreck einjagen.« »Und wo finde ich dieses Subjekt?« forschte die ältere Dame weiter nach, »wagen Sie es nicht, mich zu be lügen.« »Gladster hat in Soho sein Büro«,
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redete der Mann hastig weiter, »er macht da auf Pressefoto und so. Mehr wissen wir auch nicht.« »Die genaue Adresse fehlt noch«, erinnerte der Butler höflich. Er bekam sie umgehend von dem Mann, der in zwischen auf seinem gesunden Bein herumhüpfte und dabei den Anflug von tänzerischer Begabung erkennen ließ. »Würden Sie Ihre Aufmerksamkeit freundlicherweise auf meine rechte Hand lenken?« fragte Parker. Der An gesprochene lehnte sich gegen die Wand und blickte neugierig auf Par kers Hand. Er sah zwar nichts, hörte dafür aber ein feines Zischen. Unmit telbar darauf legte sich ein feiner Feuchtigkeitsfilm auf seine Haut. Der Mann zuckte unwillkürlich zusam men, schnappte nach Luft und sackte anschließend zu Boden. Josuah Parker verstaute die kleine Spraydose in eine der vielen Westenta schen seines schwarzen Zweireihers, nachdem er auch den anderen Mann entsprechend behandelt hatte. »Myladys Vorsprung dürfte gut und gern eine halbe Stunde betragen«, sagte er dann zu seiner Herrin, »wenn es genehm ist, könnte man die beiden Herren aber vorher noch ein wenig se parieren.« Natürlich hatte Agatha Simpson nichts dagegen. Während sie bei den inzwischen tief und fest schlafenden Männern zurückblieb, holte der Butler aus einer Gangnische einen Trans portkarren, auf den er die beiden Schläger lud. Anschließend karrte er seine Last in einen Nebenraum, in dem sich schmutzige Hotelwäsche sta pelte. Er lud die beiden Männer in die ser Wäsche ab, schob mit der Spitze seines Schirms Bettlaken und Hand tücher über sie und begab sich zurück zu seiner Herrin, die bereits ungedul dig wartete. »Und jetzt zu diesem Lümmel in Soho«, meinte sie unternehmungslustig, »ich hoffe doch sehr, daß es mich wei terbringen wird.« 10
»Man kann nur hoffen, Mylady«, sagte Parker und geleitete Agatha Simpson zum Fahrstuhl zurück. »Man wird diesen Mr. Gladster fra gen«, steigerte die ältere Dame, »ein sehr hübscher Abend, Mr. Parker. So stelle ich mir eine interessante Ab wechslung vor.« Sie ließ wieder ihren perlenbestick ten Pompadour kreisen und machte deutlich, daß Sie sich noch einiges vorgenommen zu haben schien.
Ben Gladster mochte etwa fünfzig sein. Er war mittelgroß, schlank und zeigte ein gedunsenes Gesicht. Er saß neben dem alten und verkratzten Schreibtisch in seinem winzigen Bü ro, das sich in der zweiten Etage eines schmalbrüstigen Hauses befand. Der Mann hatte gerade noch gelangweilt in einem Magazin geblättert und schaute hoch, als Parker eintrat und grüßend die schwarze Melone lüpfte. »Man erlaubt sich, einen recht guten Abend zu wünschen«, sagte der But ler, »mein Name ist Parker, Josuah Parker.« »Und ich bin Lady Simpson«, stellte die ältere Dame sich vor. Mit der Ener gie einer Straßenwalze betrat sie das Büro und musterte prüfend die durch aus schäbige Einrichtung. »Ja, was kann ich für Sie tun?« er kundigte sich Ben Gladster und sprang dienstbereit auf. »Sie machen Pressefotos und Schnappschüsse aller Art?« fragte der Butler weiter. »Schnappschüsse aller Art«, bestä tigte Gladster, der einen nervösen Ein druck machte, »wissen Sie, vor allen Dingen geht's um Schnappschüsse für Touristen hier in den Lokalen und Bars. Wenn man ordentlich getrunken hat und in Stimmung ist, läßt man sich gern ablichten.« »Manchmal sogar gegen seinen er klärten Willen, Mr. Gladster?« »Wie soll ich das verstehen?« Glad
ster bemühte sich um Empörung, was haben Sie diesen Namen nicht be ihm allerdings nicht so recht gelang. kommen, ist das klar?« »Nicht jeder, der einen Nachtclub »Den Namen, junger Mann! Und besucht, möchte fotografiert werden«, wagen Sie es nicht, einer Lady Simp redete der Butler weiter, »aber lassen son Bedingungen stellen zu wollen!« wir dieses Thema, das im Augenblick »Mike Olfield«, gab der Geohrfeigte nicht zur Debatte steht.« hastig zurück, »Mike Olfield ist das »Was . . . Was wollen Sie eigentlich gewesen. Ich hab' ihm nur einen Ge fallen getan, verstehen Sie? Ich hab' von mir«, fragte Gladster vorsichtig. »Sie haben mir da zwei Lümmel auf ihm nur zwei Männer geschickt. Wor den Hals geschickt, junger Mann, die um es geht, weiß ich nicht.« mich bedrohten«, ließ Lady Agatha »Und wo kann Mylady sich mit Mr. sich vernehmen, »woher wußten Sie Olfield ins Benehmen setzen?« denn eigentlich, daß ich und Mr. Par »Sie kennen Mike Olfield nicht?« ker in einem ganz bestimmten Hotel staunte der Fotograf. waren?« »Man wird sich beeilen, ihn ken »Ich sollte Ihnen zwei... nein, nenzulernen«, versprach der Butler, nein, das muß ein Mißverständnis »er residiert hier in Soho?« sein. Ich weiß nichts von zwei Män »In Soho«, bestätigte Ben Gladster, nern. Hören Sie, Lady, ich bin Foto »Olfield hat 'nen Briefmarkenladen graf und kein Gangster, und ich gleich um die Ecke.« habe...« »Und warum sollte und müßte man Mylady verabreichte ihm kurz und Mr. Olfield kennen?« lautete Parkers trocken eine ihrer gefürchteten Ohr nächste Frage. feigen. Der Mann nahm daraufhin »Der kontrolliert doch hier die um wieder Platz im Sessel und starrte die liegenden Straßen«, erwiderte Glad ältere Dame völlig entgeistert an. ster fast respektvoll. »Bitte, sagen Sie »Ich hasse Lügen«, schickte die De nicht, daß ich Sie zu ihm geschickt tektivin voraus, »ich betrachte sie als habe, ich könnte sonst einpacken.« persönliche Beleidigungen. Und »Vielleicht sollten Sie möglichst wenn ich beleidigt werde, setze ich umgehend eine Reise in die Provinz mich entsprechend zur Wehr.« antreten«, schlug Josuah Parker vor, »Die beiden Männer, die zur Dis »Mr. Olfield wird aus Myladys Er kussion stehen, werden Ihren Namen scheinen mit Sicherheit seine Schlüs nicht ohne Grund genannt haben«, se ziehen und Ihnen dann vielleicht ließ Parker sich vernehmen, »darf unangenehme Fragen stellen.« man also um eine Erklärung bitten?« »Das soll ein Wort sein«, seufzte »Ich .. . Ich rufe die Polizei. Was Sie Gladster und kroch vorsichtig aus dem Sessel, wobei er Agatha Simpson da machen, ist reine Verleumdung.« »Möchten Sie noch mal geohrfeigt nicht aus den Augen ließ, »ich hau' werden?« fragte Agatha Simpson ge sofort ab.« fährlich freundlich. »Sobald Sie Mylady und meine We »Hören Sie auf, machen Sie keinen nigkeit zum Briefmarkengeschäft des Quatsch!« Der Mann zog unwillkür Mr. Olfield geführt haben, steht Ihrer lich die Beine an und duckte sich. Reise nichts mehr im Weg«, meinte »Wer also beauftragte Sie, zwei Josuah Parker, »Sie könnten sonst Schläger in das bewußte Hotel zu ent womöglich auf den Gedanken kom senden, Mr. Gladster?« fragte Parker men, Londons Telefonnetz in An spruch zu nehmen.« noch mal. »Hören Sie, ich bin doch nicht »Sie waren wieder mal mehr als wahnsinnig und werde . . . Moment leichtsinnig, Mr. Parker«, tadelte die doch, ich rede ja schon, aber von mir Detektivin, als Gladster sich empfoh 11
len hatte. Man stand vor dem schma len Schaufenster eines Miniaturla dens. Hinter Glas waren folienver schweißte Kärtchen zu sehen, die mit Briefmarken der billigsten Sorte ge füllt waren. »Falls Mr. Gladster gelogen haben sollte, Mylady, wird man ihn früher oder später zur Rechenschaft ziehen«, gab Josuah Parker zurück, »darf man an Miß Porter und Mr. Rander erin nern, die sich wahrscheinlich in aller nächster Nähe aufhalten?« »Richtig, da sind ja noch die Kin der «...meinte sie und nickte freundlich, »sie werden sich doch hoffentlich an diesen Nachtclubfotografen hängen.« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady.« Parker öffnete die Ladentür, worauf ein miß gestimmtes Glockenspiel ertönte. Er ging mit Schritten, die entgegen sei ner sonstigen Gewohnheit sehr schnell waren, hinüber zu einem Vor hang und blieb seitlich neben der Tür öffnung stehen. Lady Agatha aber trat vor den winzig kleinen Tresen und wartete auf das Erscheinen des Brief markenhändlers, der nicht lange auf sich warten ließ. Der Vorhang wurde zur Seite geris sen. Ein mittelgroßer, rundlicher Mann von etwa fünfundvierzig Jahren betrat das Ladenlokal und schob da bei eine Lupenbrille hoch. Als er Lady Agatha sah, stutzte er und lächelte neutral. Dann wandte er sich um und rief zwei Vornamen in die Tiefe des Ladenlokals. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis ein Hale und ein Joel neben ihm erschienen. »Ich kann's immer noch nicht glau ben«, sagte Olfield dann, »aber ich wette, daß Sie die sagenhafte Lady Simpson sind.« »Sie haben schon von mir gehört?« fragte die ältere Dame geschmeichelt. »Märchen, nichts als Märchen«, re dete der Briefmarkenhändler amü siert weiter, »Sie sollen doch die ver rückte Kriminalistin sein.« »Ich befasse mich tatsächlich mit 12
kriminellen Elementen«, bestätigte Lady Agatha wohlwollend. »Und wo steckt Ihr Butler?« wollte Olfield munter wissen. Er hatte seine Frage gerade gestellt, als ein gewisses Mißtrauen deutlich in ihm keimte. Er schien sich zu erinnern, daß zu Agatha Simpson stets auch der Butler gehör te. Olfield drehte sich halb um und . . . holte tief Luft, als er den Butler aus machte. Die beiden jungen Männer Hale und Joel brauchten kein Ermunterung. Sie stürzten sich umgehend auf den But ler, doch sie kamen natürlich nicht weit. Parker benutzte noch mal die kleine Spraydose und sprühte die bei den Angreifer an, die augenblicklich jede Lust verloren, gewalttätig zu wer den. Sie wischten sich ihre Augen, nachdem sie orientierungslos gegen die Wand gelaufen waren und breite ten sich anschließend auf dem Boden aus. Olfield staunte nur noch. »Was war denn das?« fragte er schließlich. »Eine Art Schnupfenspray«, beant wortete Parker die Frage, »zu der An reicherung dieses Sprays mit gewis sen Chemikalien möchte meine We nigkeit sich allerdings nicht äußern.« »Sie kennen mich also, junger Mann«, stellte die Detektivin klar, »und Sie streiten hoffentlich ab, zwei Männer auf mich angesetzt zu haben.« »Ich soll das abstreiten?« wunderte sich Olfield. »Damit ich Sie ohrfeigen kann«, er widerte Lady Agatha hoffnungsfroh, »ich verspüre große Lust dazu.« »Mr. Gladster war so freundlich, Ih ren Narmen zu erwähnen«, redete der Butler nun weiter, »und Sie werden möglicherweise ebenso kooperativ sein wie Mr. Gladster.« »Ich soll was sein?« staunte Olfield und blickte auf seine Angestellten, die inzwischen laut schnarchten. »Bereit zu einer erfreulichen Zu sammenarbeit«, übersetzte Josuah Parker, »Sie schickten zwei Männer,
die man nur als Schläger bezeichnen kann, in ein bestimmtes Hotel in der Nähe von Hyde Park, nicht wahr? « »Hat Gladster das behauptet?« »Dies, Mr. Olfield, steht hier nicht zur Debatte«, mahnte der Butler, »für wen führten Sie diesen Auftrag aus?« »Ich weiß nichts von zwei Schlä gern«, behauptete der Briefmarken händler, »Gladster hat Sie nach Strich und Faden belogen. Aber diesen win digen Hund werd' ich mir noch kaufen, darauf kann er Gift nehmen.« »Ihre Entrüstung klingt nicht unbe dingt überzeugend, Mr. Olfield,« »Noch mal, ich weiß nichts von zwei Schlägern. Warum sollte ich so was ge tan haben? Ich hab' doch keinen Ärger mit Ihnen.« »Aber Sie werden ihn bekommen, junger Mann«, versprach Lady Agatha, »wer hat Sie für die beiden Subjekte bezahlt? Ich erwarte umgehend eine Antwort .« »Gehen Sie doch zum Teufel«, brau ste Olfield auf, »und danken Sie Gott, wenn ich Sie heil hier aus dem Viertel lasse! Sie haben wohl keine Ahnung, mit wem Sie's zu tun haben, wie?« »Mit einem kleinen und miesen Gau ner«, erwiderte die ältere Dame und trat Olfield gegen das linke Schien bein, »wagen Sie es nicht noch mal, mich anzugreifen und zu belästigen.«
Mit solch einer ungenierten Antwort hatte der Gangster keineswegs gerech net. Und da Agatha Simpson über eine beachtliche Schuhgröße verfügte, war ihr Fußtritt nicht gerade beiläufig aus gefallen. Der Briefmarkenhändler jaul te auf und zog das getroffene Bein hoch. Anschließend verlor er das Gleichgewicht und fiel gegen den klei nen Verkaufstresen. »Sie können froh sein, junger Mann, daß ich eine zurückhaltende und fried liche Frau bin«, stellte die Detektivin klar, »aber mit Drohungen dürfen Sie mir nicht kommen.«
»Dafür werden Sie noch bezahlen«, quetschte Olfield durch die Zähne und massierte sich das Schienbein, nach dem er sich wieder aufgerichtet hatte, »so ist mit mir noch keiner umge sprungen.« »Sie sollten zwei Amateuren in Sa chen Verbrechensaufklärung antwor ten«, erinnerte der Butler, »Mylady wünscht zu erfahren, für wen Sie die beiden Schläger ins Hotel schickten.« »Ich warte«, ließ Agatha Simpson sich vernehmen und setzte ihren Pom padour nachdrücklich auf die Platte des Tresen. Die an sich nicht gerade dünne Glasplatte barst explosionsartig auseinander, und Mike Olfield duckte sich. Anschließend sah er die Detekti vin entgeistert an. »Mylady wollte damit andeuten, daß man Sie keineswegs unter Druck zu setzen beabsichtigt«, meinte Josuah Parker höflich, »aber im Interesse ei ner freundlichen Grundstimmung sollten Sie nun doch endlich einen Na men nennen!.« »Ich könnte Sie auch zu mir nach Hause einladen«, warf Agatha Simp son ein, »dort haben wir dann Zeit ge nug, uns über Ihren Auftraggeber zu unterhalten. »Nur das nicht.« Olfield hob abweh rend beide Hände. »Ich spiel' ja schon mit. Halten Sie sich an Herb Morgan.« »Und wer sollte das sein? « verlangte Lady Agatha zu wissen. »Herb Morgan gibt ein Magazin her aus«, sagte Olfield fast widerstrebend, »mehr weiß ich auch nicht von ihm. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen und sage ich auch nicht.« »Wie genau lautete seine Bitte, was die beiden Schläger betraf?« schaltete Josuah Parker sich ein. »Hab' ich doch schon gesagt«, laute te die gereizte Antwort, »ich sollte zwei handfeste Leute ins Hotel schicken.« »Mylady wünscht eine wesentlich genauere Antwort, Mr. Olfield.« »Na ja, die beiden Jungens sollten die Lady und Sie mal kurz ins Gebet nehmen und Ihnen klarmachen, 13
wie . . . gefährlich das Leben ist, wenn man sich um Sachen kümmert, die ei nen nichts angehen. Warum Morgan das wollte, weiß ich wirklich nicht.« »Genügt mir diese Antwort, Mr. Parker?« erkundigte sich die Detekti vin bei ihrem Butler. »Vorerst bedürfen Mylady keiner weiteren Hinweise«, erwiderte der Butler höflich, »Mr. Olfield weiß na türlich, daß Sie zurückkehren wer den, falls man Mylady belogen hat.« »Und dann werden Sie sich wun dern, junger Mann«, prophezeite Aga tha Simpson gefährlich freundlich. »Noch mal werden Sie mich nicht auf 'nem falschen Fuß erwischen«, behauptete Olfield und massierte wie der sein Schienbein. »War das gerade eine Drohung oder eine Beleidigung?« wollte Lady Aga tha von Parker wissen. »Wenn, Mylady, dann nur andeu tungsweise«, wiegelte der Butler ab und lüftete in Richtung Mike Olfield seine schwarze Melone, »möge der Rest des Abends und der Nacht ganz in Ihrem Sinn verlaufen.« Mylady verließ nur zögernd das kleine Ladenlokal. Sie schien zu hof fen, daß Olfield noch mal munter wer den würde, doch sie sah sich darin ge täuscht. Der Gangster hatte auf einem Hocker Platz genommen und starrte trübselig auf seine Mitarbeiter, die sich nach wie vor nicht rührten. »Natürlich wird er diesen Lümmel vom Magazin benachrichtigen und warnen, Mr. Parker«, sagte die ältere Dame, als man zum Wagen zurück ging. »Sie hätten dieses Subjekt ir gendwo einschließen sollen.« »Mylady haben keineswegs die Ab sicht, Mr. Herb Morgan einen Besuch abzustatten«, entgegnete Parker. »Tatsächlich nicht?« wunderte sie sich umgehend. »Mylady lassen sich niemals das Gesetz des Handelns aufzwingen«, re dete der Butler gemessen weiter, »Mylady werden die entstandene Un ruhe in der Szene nun kochen lassen, 14
wenn man es so salopp ausdrücken darf.« »Aha. Man wartet auf mich, doch ich werde nicht kommen.« »Präziser, Mylady, kann man es gar nicht ausdrücken«, bemerkte der But ler, «Mylady sorgen für Ungewißheit, Zweifel und Irritation.« »Eine Spezialität von mir.« Sie hat te sich von Parker wieder mal über zeugen lassen, ohne es bemerkt zu ha ben.
Myladys zweistöckiges Fachwerk haus in Shepherd's Market war eine Oase des Friedens und der Stille. Ob wohl in der Nähe von Hyde Park und Green Park war hier von dem pulsie renden Verkehr der Weltstadt Lon don kaum etwas zu spüren. Um zum Haus zu gelangen, mußte man ein stets geöffnetes altes Eisentor durch fahren und befand sich dann auf ei nem gepflasterten Platz, der von wei teren Fachwerkbauten gesäumt wur de. In der Mitte dieses Platzes gab es ein Blumenbeet und einen kleinen Rasen, der von Sandsteinquadern umschlossen wurde. Das Haus der älteren Dame stand auf den Gewölben einer ehemaligen Abtei, deren verwinkelte Gewölbe man in den späteren Bau miteinbezo gen hatte. Das Fachwerkhaus mit ei nem säulengetragenen Vorbau strahl te Würde und Tradition aus. Die übri gen Fachwerkhäuser, die zum Ge samt-Ensemble gehörten, waren un bewohnt und Eigentum der Lady Agatha. Sie hatte sie absichtlich nicht vermietet, denn sie wollte etwaigen Mietern nicht zumuten, von Gang stern belästigt zu werden. Die Mauer aus Sandsteinquadern, die den stillen Platz zur nahen Durchgangsstraße hin abschloß, war im Grund leicht zu übersteigen, denn das kleine Ziergit ter darauf bildete kein ernsthaftes Hindernis. Doch es war natürlich elektronisch gesichert und meldete
jeden ungebetenen Besucher. Beim »Man wirft ihnen das Geld förmlich Um- und Ausbau des Hauses vor eini nach«, mäkelte Agatha Simpson. gen Jahren hatte Butler Parker für Si »Weil man sicher sein darf, Mylady, cherungen aller Art gesorgt, damit die daß diese Ausgaben mehr als einge Ruhe seiner Herrin nicht gestört wer spielt werden«, führte der Butler wei den konnte. ter aus, »ein Gangster könnte nun auf Sie ließ sich einen kleinen Imbiß den Gedanken gekommen sein, einen gewissen Prozentsatz dieser Gagen zu reichen. Parker servierte Sandwiches, einen verlangen. In der Vergangenheit gab leichten Rotwein und Gebäck. Nach es bereits schon mal solch einen Fall, dem Intermezzo in Soho befand man wie man erinnern darf.« sich wieder im Haus und wartete auf »Wer wird schon reden, wenn er er die Rückkehr von Kathy Porter und preßt wird, Mr. Parker? Ich bleibe üb Mike Rander. rigens bei meiner Meinung, die nur »Sie haben sich hoffentlich eben richtig sein kann: Marcetti dürfte in falls Gedanken darüber gemacht, Mr. eine private Eifersüchtelei verwickelt Parker, wie man den vorliegenden sein. Oder aber Kollegen von ihm Fall einschätzen muß«, sagte die De wollen ihn ausschalten. Aber auch in tektivin. Sie saß vor dem mächtigen solch einem Fall wird es sich um Ei Kamin in der großen Wohnhalle und fersucht handeln.« knabberte gerade Toast mit Seelachs. »Man wird Material über Mr. Tonio »Mr. Tonio Marcetti dürfte wohl in Marcetti "sammeln müssen, Mylady.« irgendeiner Form erpreßt werden«, »Das überlasse ich Ihnen, mein lie schickte der Butler voraus, »die Dro ber Mr. Parker«, gab sie ungemein hungen und die beiden Schüsse die freundlich zurück, »Sie haben für so nen nur dazu, den Tenor in die richti etwas eine wirklich glückliche Hand. ge innere Verfassung zu bringen.« Mich interessiert in erster Linie das »Ich tippe auf eine Eifersuchtsge Privatleben dieses Tenors, seine Ehe, schichte«, erwiderte die ältere Dame, seine möglichen Liebschaften, sein »Tenöre haben da einen gewissen Verhältnis zu seinen Kollegen und Ruf. Vielleicht will er auch nur seinen sonst noch alles, was wichtig ist.« Ruhm und Wert aufpolieren.« »Mylady können sich auf meine be »Mylady und meine Wenigkeit müs scheidene Wenigkeit verlassen«, ver sen im Hotel beobachtet worden sprach der Butler, »gedenken Mylady sein«, sagte Parker und wechselte das auf die Rückkehr von Miß Porter und Thema, »die beiden Schläger des Mr. Mr. Rander zu warten?« Ben Gladster wurden eindeutig auf »Selbstverständlich.« Sie nickte Mylady angesetzt.« und erhob sich. »Aber bis dahin wer »Was ein Fehler war«, freute sie de ich noch ein wenig meditieren, sich und nickte wohlwollend, »eine denke ich. Ich muß mir diesen Fall Lady Simpson darf man nicht gründlich durch den Kopf gehen lassen.« reizen.« »Man sollte sich fragen, Mylady, ob Sie wollte schlafen, aber das hätte nicht auch andere Künstler zu gewis sie nie zugegeben. sen Zahlungen gezwungen werden sollen.« »Daran dachte ich gerade auch«, be hauptete sie. »Wir sind draußen auf dem flachen »Künstler sind ausgesprochen sen Land, südlich von London«, sagte sible Personen«, meinte der Butler, Mike Rander, der angerufen hatte, »eine gewisse Elite verdient pro »Gladster hat sich wahrscheinlich bei einer Freundin verkrochen. Er hat Abend beachtliche Gagen.« 15
einige Umwege gemacht, bis er end lich vor Anker gegangen ist.« »Der Name dieser Freundin, Sir, ist Ihnen inzwischen bekannt?« fragte Josuah Parker. »Den haben wir samt Adresse«, be stätigte der Anwalt, »Miß Porter und ich werden jetzt den Rückweg antre ten. Von uns aus können Sie die Segel streichen, Parker. Wir werden bei mir in der Curzon Street bleiben.« »Man erlaubt sich, Sir, Ihnen und Miß Porter eine erfreuliche Rückfahrt zu wünschen«, erwiderte der Butler und legte auf. Die angesprochene Cur zon Street war nicht weit von Myladys Haus entfernt. Dort bewohnte der An walt ein Haus, in dem sich neben sei nen Privaträumen auch seine Praxis befand. Josuah Parker unternahm einen prüfenden Rundgang durch das Haus, kontrollierte aufmerksam die Sicher heitsvorkehrungen und begab sich schließlich ins Souterrain des Hauses, wo seine privaten Räume lagen. Er verfügte hier über einen großen Wohnraum, über ein Schlafzimmer, Bad und eine Art Labor, das mit allen Raffinessen eingerichtet war. In die sem Labor ersann und entwickelte der Butler mit technischem Geschick die vielen Überraschungen, die für seine Gegner stets so unangenehm waren. Er rechnete noch in den nächsten Stunden mit Besuchern. Parker konn te sich vorstellen, daß gewisse Perso nen aus Soho alles daransetzen wür den, die erlittene Scharte wieder aus zuwetzen. Sie waren nach Strich und Faden gedemütigt worden und san nen auf Rache. Zwei Amateure, näm lich Lady Simpson und Butler Parker, hatten das bisher gültige Weltbild die ser Kriminellen völlig erschüttert. Sie mochten sich wie kleine Götter vorge kommen sein und wußten jetzt, was Angst war. Es war ihnen nachdrück lich beigebracht worden. Das Flackern einer kleinen roten Si gnallampe erregte Parkers Aufmerk samkeit. Es zeigte an, daß versucht 16
wurde, die Mauer vorn an der Durch gangsstraße zu übersteigen. Er hatte sich also nicht getäuscht. Die Rächer waren bereits im Anmarsch und woll ten noch in dieser Nacht die Retour kutsche fahren. Josuah Parker begab sich wieder ins Erdgeschoß des Hauses und öffnete neben dem verglasten Vorflur einen Wandschrank. Er schaltete die Fern sehkamera unter dem Vorbau des Ein gangs ein, korrigierte die Feineinstel lung und sah dann auf dem Monitor zwei Gestalten, die die Mauer gerade überwunden hatten und sich vorsich tig dem Haupthaus näherten. Sie blie ben im Schutz der unbewohnten Sei tenhäuser und schienen sich völlig si cher zu fühlen. Sie ahnten ja schließ lich nicht, daß sie bereits angemeldet waren. Sie wollten sich ihre Arbeit sehr ein fach machen, wie sich bald darauf zeigte. Nachdem sie unter dem säulen getragenen Vorbau standen, beschäf tigte sich einer von ihnen mit dem Schloß der Haustür, die durchschnitt lich und regulär aussah. Daß diese Tür der des Panzergewölbes einer Bank glich, konnte er nicht wissen. Der Mann führte einen Dietrich ins Schloß und nickte dann seinem Part ner triumphierend zu. Parker konnte auf dem Monitor die Gesichter der Männer sehr gut erkennen. Es waren die von Hale und Joel, die im Laden des Briefmarkenhändlers Mike Olfield von einem plötzlichen Schlafbedürf nis erfaßt worden waren. Der Butler hatte nichts dagegen, daß die Tür nun vorsichtig aufge drückt wurde. Die beiden Männer stahlen sich in den völlig dunklen und verglasten Vorflur, und der erste be schäftigte sich mit dem Schloß der Glastür. Parker, an Gesprächen vorerst nicht interessiert, betätigte einen kleinen Kipphebel auf der Wandtafel unter dem Monitor und wußte, was danach passierte. Der Boden unter den Füßen der beiden Besucher klappte nach un
ten weg und ließ die Eindringlinge in eine Art Fallgrube stürzen, die aus Gründen der Humanität mit dicken Schaumstoffschnitzeln gefüllt war. Da mit der Betätigung des Hebels auch gleichzeitig ein Mikrofon einge schaltet worden war, hörte er den dop pelten Aufschrei der beiden Männer und einen dumpfen Aufschlag, dann einen Moment nichts und schließlich ein schauerliches Fluchen. Die nächtli chen Besucher hatten sich von ihrer Überraschung erholt und ließen Luft ab. » Und jetzt? « fragte Hale, nachdem sie sich beruhigt hatten. »Nichts wie raus«, erwiderte Joel, »los, Hale, steig auf meine Schulter. »Du mußt oben ran an die verdammte Falltür.« »Okay, steig auf, Joel« lautete die Antwort, »beeil dich doch, bevor die uns hier erwischen.« »Dieser Idiot von einem Olfield«, be schwerte sich Joel, »warum konnten wir uns die beiden Typen nicht morgen kaufen?« Parker schaltete eine zweite Fernseh kamera ein und hatte dann die beiden Parterre-Akrobaten groß im Bild. Sie mühten sich redlich ab, bis an die Fall tür zu kommen, doch sie rutschten im mer wieder ab, fielen um und fanden im weichen Untergrund der Schaumstof schnitzel einfach keinen festen Halt. Damit war für den Butler die Übertra gung schon beendet. Er schaltete alles ab und begab sich gemessen zurück in seine privaten Räume, um hier der Ru he zu pflegen. Er hatte überhaupt nichts dagegen, daß die beiden Männer in der Fallgrube sich abstrampelten, denn sie hatten nicht den Hauch einer Chance, sich zu befreien.
»Ich hatte zufällig hier in der Gegend zu tun«, schwindelte Chief-Super intendent McWarden und nickte Par ker grüßend zu, »ich störe doch hoffent lich nicht, oder?«
»Mylady haben noch nicht geruht, zum Frühstück herunterzukommen, Sir.« »Wie schön für Mylady und für mich«, meinte McWarden, ein unter setzter, bullig aussehender Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren, der wie eine leicht gereizte Bulldogge wirkte. »Darf man sich erlauben, Sir, Ihnen eine Tasse Tee anzubieten?« erkundig te sich Parker in seiner höflichen Art. »Nichts gegen einzuwenden, Mr. Par ker.« Der Chief-Superintendent nahm in einem der schweren, tiefen Sessel vor dem Kamin Platz und wartete, bis der Butler ihm den Tee serviert hatte. Er nippte am Getränk, stellte dann Un tertasse und Tasse ab und blickte Par ker eindringlich an. » Mylady und Sie waren in der vergan genen Nacht im >Maydon-HotelLie bestrank < also tausend Pfund, Sir?« erkundigte sich Parker höflich. »Kein Kommentar«, brauste Mar cetti auf und bedachte seinen Korre petitor mit wütendem Blick, »hast du etwa geredet, Carlo? Verdammt, ich habe große Lust, dich an die frische Luft zu setzen. Du gehst mir ohnehin auf die Nerven.« »Ich ... Ich habe wirklich nichts gesagt«, verteidigte sich Basoni, »ich schwöre, Tonio, ich schwöre, daß ich nichts gesagt habe.« »Wir unterhalten uns später«, droh te Marcetti und wandte sich ab, »ich weiß, daß du hinter meinem Rücken gegen mich intrigierst.« »Tatsächlich?« staunte die Detekti vin gekonnt. »Sollte der gute Mann derart undankbar sein?« »Ich traue ihm alles zu«, redete Marcetti zornig weiter, »er kann es ein fach nicht ertragen, daß ich besser bin als er in seinen erfolgreichsten Jahren. Dabei war er nur ein mittelmäßiger Tenor. Und das weiß der Gute auch.« Basoni blickte zu Boden; er glich einem geprügelten Hund, ballte und öffnete die Hände, schluckte und ver ließ plötzlich das Zimmer. »Seine materielle Lage kann nicht sonderlich glücklich sein«, ließ Josu ah Parker sich in Richtung Marcetti vernehmen. »Das stimmt«, räumte der Tenor ein, »aber wie sind Sie darauf gekom men, Mr. Parker?« »Nur aus Not duldet ein Mensch die Behandlung, die Sie Mr. Basoni ange deihen lassen«, erklärte der Butler höflich, »Sie scheinen es zu genießen, Mr. Basoni zu demütigen. Möge Ihnen der >Liebestrank< morgen be kommen!«
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»Sie erwähnen da fast ununterbro chen den >Liebestrank Liebestrank< ist eine Oper von Rossini, wie man weiß.« »Nicht von Donizetti, Mylady?« staunte Parker. »Sagte ich das nicht gerade?« wun derte sie sich umgehend, »aber wie auch immer, Mr. Parker, in dieser Oper geht es um, nun, wie soll ich mich ausdrücken, geht es um einen Barbier, der ...« »Mylady sprechen jetzt von Rossinis >Barbier von Sevilla?« »Selbstverständlich«, korrigierte sie sich schleunigst, »aber bitte, wenn Sie alles besser wissen wollen, dann ver lange ich jetzt von Ihnen, daß Sie sich zu diesem >Liebestrank< äußern.« »Wie Mylady zu wünschen belie ben.« Parker steuerte seinen hochbei nigen Wagen durch die City von Lon don und blickte immer wieder in den Rückspiegel. Er rechnete mit Verfol gern. »Sie müssen also erst nachdenken, wie?« freute sie sich, als der Butler nicht sofort weiterredete. »In der erwähnten Oper >Liebes trank< von Donizetti, Mylady, glaubt ein etwas einfältiger Landmann an die Wirkung eines sogenannten Liebes trankes, den ein angeblicher Doktor gegen hohes Geld verkauft. Dieser junge Landmann ist sterblich-un 32
sterblich in eine hübsche Pächterin verliebt, die sein Flehen nicht erhört und ihn abweist.« »Und wirkt nun dieser Liebes trank?« fragte die ältere Dame. »Der Liebestrank, Mylady, ist nichts anderes als Wein, der dennoch auf Umwegen Wirkung hervorruft.« »So ist es.« Sie nickte bestätigend, »ich habe die einzelnen Szenen genau im Kopf. Schließlich kenne ich mich in der Opernlandschaft mehr als nur gut aus. Ich werde mir die Aufführung mit Marcetti ansehen.« »Mylady dürften nicht entgangen sein, daß Mr. Marcettis Verhältnis zu seinem Korrepetitor nicht gerade als freundlich zu bezeichnen ist.« »Ich kann diesen Tenor nicht aus stehen«, erwiderte sie, »und ich bleibe dabei, daß er aus Reklamegründen den ganzen Wirbel ausgelöst hat.« »Darf man Mylady daran erinnern, daß noch andere Künstler erpreßt werden?« »Nichts als Ablenkungsmanöver«, erklärte Agatha Simpson, »man kennt doch diese Tricks, Mr. Parker. Mich wird man damit nicht düpieren.« »Einem Tenor wie Mr. Marcetti dürf te es schwerfallen, Kontakt zur Unter welt zu bekommen, Mylady.« »Papperlapapp, Mr. Parker.« Die Detektivin winkte ab. »Denken Sie doch an diesen Magazin-Lümmel. Die Querverbindung ist da sehr schnell hergestellt.« »Mylady verweisen auf Mr. Herbert Morgan?« »So heißt er wohl, nicht wahr? Ich werde diesem Subjekt noch mal auf die Füße treten müssen. Was habe ich überhaupt vor? Ich hatte Ihnen doch einige Vorschläge gemacht.« Das stimmte zwar nicht, doch Par ker ging darauf nicht ein. Lady Agatha wußte wieder mal nicht, wie sie weiter vorgehen sollte und überließ die Ent scheidung ihm allein. »Mylady erwähnten Mr. Herbert Morgan«, sagte Parker, »es steht ein deutig fest, daß er jene beiden Gang
ster auf Mylady ansetzte, die sich jetzt in einem speziellen Gästezim mer in Myladys Haus befinden.« »Dafür hätte ich mich ebenfalls entschieden«, schwindelte sie umge hend und nickte wohlwollend, »ich werde diesem Subjekt klarmachen, daß man mit dem Feuer spielt, wenn man mich verfolgen läßt.« »Erlauben Mylady eine Steigerung dieses Vergleiches?« erkundigte sich der Butler in seiner höflichen Art. »Aber selbstverständlich, Mr. Par ker.« Sie lächelte versonnen. »Man spielt mit Dynamit, falls man es sich erlaubt, Mylady inkommodie ren zu wollen«, sagte Parker. »Ein hübscher Vergleich«, räumte sie ein, »doch, sehr treffend, Mr. Par ker. Sie entwickeln immer mehr ein Gefühl für Realitäten.«
»Sie wissen doch, wie sehr ich Um wege hasse«, räsonierte Agatha Simpson eine halbe Stunde später. Sie folgte ihrem Butler, der mit ihr längst den Wagen verlassen hatte und seinerseits hinter einem kleinen schmalen Mann herging, der etwa sechzig Jahre zählte, und, was seine Figur betraf, an einen Jockey erin nerte. Dieser Mann führte Mylady und Parker durch ein wahres Labyrinth von Hinterhöfen und schien seinen Weg genau zu kennen. Er genierte sich auch nicht, in bisher zwei Fällen die beiden Besucher durch zwei Kel lerkorridore zu geleiten. Der Jockey war geradezu dankbar, Butler Parker endlich einen Gefallen erweisen zu können. Vor geraumer Zeit hatte Parker ihn mal aus den Fängen eines Kredit-Haies befreit, ei nes Gangsters, der mit seinen beiden Schlägern noch viele Jahre im Zucht haus abzusitzen hatte. »Die Redaktion des Magazin-Her ausgebers, Mylady, dürfte streng be wacht sein«, erinnerte der Butler
noch mal, »Mr. Morgan dürfte aus Myladys erstem Besuch seine Lehren gezogen haben, zumal er jetzt immer-; hin zwei seiner sogenannten Schläger vermißt .« »Kann ich mich auf diesen... Mann auch wirklich verlassen?« frag te die Detektivin skeptisch und nicht besonders leise. Der Mann, der wie ein Jockey aussah, blieb umgehend stehen und wandte sich zu Agatha Simpson um. »Sie sollten mich nicht beleidigen, Lady«, sagte er dann und blickte die ältere Dame wie ein verwundetes Tier an, »meine Freunde können sich fest auf mich verlassen. Ich stehe in Mr. Parkers Schuld und werde ...« »Nun, junger Mann, nicht gleich beleidigt sein«, unterbrach die sonst so resolute Dame erstaunlich fried lich. »Für meine Freunde gehe ich durchs Feuer.« »Sie sollen es nicht umsonst tun.« »Ich brauche Ihr Geld nicht, La dy«, meinte der kleine schmale Mann stolz, »Mr. Parker helfen zu können, ist ein Vergnügen.« »Man sollte keine Zeit verlieren«, schlug der Butler vor, der an einer längeren Diskussion nicht interes siert war, »ist es noch weit? Wo wird man ankommen?« »Im Hinterhof der Redaktion, Mr. Parker«, erwiderte der Mann, »von da aus können Sie dann rüber in die Druckerei und den Versand. Morgan hat dort einen kleinen Betrieb.« Der Fremdenführer setzte sich wie der in Bewegung und tauchte in den Keller eines abrißreifen Hauses. Lady Agatha schnaufte, als es über eine Betontreppe ging. Sie mußte über Schutt und Unrat steigen und ent deckte plötzlich eine mehr als nur neugierige Ratte, die auf einem Wandsims saß und sich geputzt hat te. Die schwarzen, klugen Augen des Nagetieres musterten die ältere Da me, die jedoch keineswegs zusam menzuckte. Im Gegenteil, Lady 33
Simpson blickte ihrerseits zurück und . . . ließ unmittelbar darauf aus dem Handgelenk ihren perlenbestick ten Pompadour fliegen. Die Ratte quietschte entsetzt, als das seltsame Geschoß anflog. Dann streckte der Nager sich und ergriff die Flucht. Lady Agatha unterdrückte ein Schimpfwort und ließ sich von dem Fremdenführer den Handbeutel wie der zurückgeben. »Eine Ratte«, sagte die Detektivin, als Parker sie fragend anschaute. »Donnerwetter«, wunderte sich der kleine Mann und musterte Lady Aga tha mit Hochachtung, »die meisten Frauen werden schon verrückt, wenn sie nur 'ne harmlose Maus sehen.« »Keine Schmeicheleien, junger Mann«, verbat sich Lady Simpson, »ich hoffe, daß ich bald am Ziel bin.« »Sind Sie sicher, daß dieser Zugang nicht überwacht wird? Er müßte den Mitarbeitern Mr. Morgans doch be kannt sein«, wollte Parker von dem Mann wissen. »Natürlich kennen sie ihn«, lautete die Antwort, »aber sie rechnen be stimmt nicht damit, daß Sie da auf kreuzen werden.« »Ist dieser Magazin-Lümmel eigent lich ein besonders großes Tier? « fragte die ältere Dame. »Der kontrolliert hier ganze Stra ßenzüge«, entgegnete der Fremden führer, »Morgan bestimmt, was ge schieht! Der hat 'nen direkten Zugang zu den großen Tieren der Stadt.« Der kleine Mann setzte sich wieder in Bewegung, wurde aber langsamer und vorsichtiger. »Ich peil' mal nach Wachen«, meinte er schließlich, »ich bin sofort wieder zurück.« Bevor Parker sich zu dieser Absicht äußern konnte, war der schmale Mann bereits hinter einer brüchigen Keller wand verschwunden. Lady Agatha verzog skeptisch den Mund. Sie schien dem Fremdenführer noch im mer nicht so recht zu trauen, als sie eine weitere Ratte ausmachte, 34
schnaubte sie agressiv und wollte tät lich werden, doch der Nager, wohl von seinem Artgenossen bereits ge warnt, verließ quietschend die Szene und verschwand. »Ich kann mir nicht helfen, Mr. Par ker«, flüsterte Lady Agatha ihrem Butler zu, »aber Sie sind einfach zu vertrauensselig.« »Wie Mylady zu meinen belieben«, lautete Parkers knappe Antwort.
»Ein Typ steht am Hinterausgang der Druckerei«, meldete der kleine Mann, als er zurückkehrte, »er macht einen ziemlich wachsamen Eindruck, Mr. Parker.« »Was veranlaßt Sie zu diesem Schluß?« fragte Josuah Parker. »Er spielt mit einer Kanone, die ei nen Schalldämpfer hat«, berichtete der kleine Mann weiter, »ich glaub' nicht, daß Sie an ihn rankommen.« »Man wird den Betreffenden dazu bringen, die Augen zu schließen«, meinte der Butler, »wenn Sie Mylady und meine Wenigkeit jetzt freundli cherweise an den Ausgang dieses Kel lersystems bringen könnten?« »Ich bleib' dann in der Nähe«, schlug der kleine Mann vor, »ich mei ne, falls Sie schleunigst abhauen müssen.« »Sie sollten sich zurückziehen und sich auf den Straßen zeigen«, antwor tete der Butler, »es sollte noch nicht mal der Hauch eines Verdachtes auf Sie fallen.« »Okay, aber Sie müssen verdammt vorsichtig sein, Mr. Parker. Morgan hat erstklassige Leute. Ich mein' auch die seines Betriebes.« »Verlassen Sie sich auf eine Lady Simpson«, schaltete die ältere Dame sich überraschend freundlich ein, »sie wird mit jeder Lage fertig. Ist es nicht so, Mr. Parker?« »Mylady pflegen keine Irritationen zu kennen«, antwortete der Butler,
während sie sich in Bewegung setzten. Der kleine Mann führte den Butler an eine Treppe heran, die in den Innen hof der Druckerei führte. Parker lang te in eine der Innentaschen seines schwarzen Covercoats und holte die Gabelschleuder hervor. Dabei handel te es sich um die Weiterentwicklung jener Schleudern oder auch Zwillen, wie sie von Jugendlichen immer wie der benutzt werden, um Kirschkerne zu verschießen. Parker hatte solch ei ne Y-förmige Schleuder als Geheim waffe stets bei sich. Mit ihr verschoß er kleine Tonmurmeln oder aber auch Schrotkügelchen. In der Handhabung dieser Schleuder war der Butler ein Meister. Er hatte den Mann am Hinteraus gang längst ausgemacht. Der Türste her langweilte sich keineswegs, schlenderte vor der Schlußwand einer kleinen Betriebshalle auf und ab und beobachtete immer wieder die nähere Umgebung. Seine Aufmerksamkeit richtete er vor allen Dingen auf das abbruchreife Haus, in dessen keller Mylady und Parker sich befanden. Der Butler entschied sich für eine hart gebrannte Tonmurmel, die er aus einer seiner vielen Westentaschen ge holt hatte. Er legte dieses harmlos aus sehende Geschoß in die Lederschlau fe seiner Schleuder, zog die beiden Gummistränge straff und visierte da bei die Wache an. Einen Augenblick später schwirrte die Tonmurmel be reits mit hoher Energie durch die Luft und landete zielsicher auf der etwas nieder ausgefallenen Stirn des Mannes. Er brach zusammen, als hätte man ihm die Beine unter dem Leib wegge zogen. Er fiel gegen die Wand und blieb knapp neben der Tür sitzen, die er bewachen sollte. Parker wartete noch einen Moment, er wollte nichts überstürzen. Immerhin war die Schußwaffe des Mannes zu Boden ge poltert und hatte dabei ein scharren des Geräusch verursacht. Es rührte sich nichts.
Josuah Parker stieg über die Treppe hinauf in den Hinterhof, dicht gefolgt von Lady Agatha, die vor Tatendrang förmlich vibrierte. Sie hatte ihren Pompadour in Schwingung versetzt und hoffte, ihn auch bald intensiv ver wenden zu können. Parker kümmerte sich kurz um den Mann, der ihn aus halb geöffneten Au gen anblickte, sich aber nicht rührte. Auf der Stirn des Mannes war eine kleine, erbsengroße Platzwunde zu se hen, die sich bereits zu einer Beule ausweitete. Nach Parkers Berechnung kam dieser Mann vor einer Viertel stunde nicht wieder zu sich. Um den Türsteher daran zu hindern,. sich später vielleicht störend bemerk bar machen zu können, verabreichte Parker ihm eine kleine Dosis aus einer Spraydose. Daraufhin entspannte sich der Mann noch ausgiebiger und wurde erst richtig schlaff, was seine Mus kelpartien betraf. »Mein Glücksbringer hätte voll und ganz ausgereicht, Mr. Parker«, mäkel te die ältere Dame. »Aber sicher ist sicher.« Sie holte mit ihrem Pompadour aus und wollte ihn auf den Kopf des Man nes fallen lassen, doch Parker deutete ablenkend zur Tür. »Man sollte vielleicht die Gunst der , sogenannten Stunde nutzen, Mylady«, schlug er vor und bewegte den Tür knauf. Als die Tür spaltbreit geöffnet war, konnten Mylady und er das Rau schen einer schnell arbeitenden Druckmaschine vernehmen. Dann entdeckte Parker zwei Mitarbeiter des Magazin-Herausgebers. Es handelte sich um die beiden Muskelmänner, mit denen sie es schon zu tun hatten. Sie standen vor einem Arbeitstisch und stapelten Magazine, die von ei nem kleinen Laufband purzelten. Wei tere Mitarbeiter konnte der Butler nicht ausmachen. Um jedes unnötige Risiko zu ver meiden, holte der Butler eine Pillen dose aus einer Westentasche und ent nahm ihr eine Plastikkapsel, die mehr 35
fach durchlöchert war. In dieser Kap sel befand sich eine Glasampulle, die Parker durch Zusammendrücken zersplittern ließ. Anschließend warf er die perforierte Kapsel hinüber zu den beiden Männern, die nach wie vor ah nungslos waren und nicht mitbeka men, daß der Plastikkapsel ein feiner, kaum wahrnehmbarer Schwaden ent stieg.
Sie fielen schlaff über den Arbeits tisch und rührten sich nicht mehr. Die Muskelmänner hatten eingeatmet und gaben sich intensivem Ruhebedürfnis hin. Wie nasse Säcke blieben sie über den Magazinen liegen und merkten nicht, daß Josuah Parker sich ihnen näherte. Er konnte dies relativ gefahrlos tun, denn die Schwaden hatten sich bereits verflüchtigt und waren von einem Ge bläse unter der Decke abgesogen wor den. Dennoch, Parker atmete nur flach und schützte Mund und Nase durch ein Tuch, das aus seiner Zier tuchtasche stammte. Es war chemisch präpariert und wirkte wie eine impro visierte Gasmaske. Parker beugte sich über die beiden Schlafenden und ent deckte dabei durch Zufall eine große Industrietube, in der sich Spezialkleb stoff befand. Augenblicklich nutzte Parker seine Improvisationsgabe. Er griff nach der Riesentube und drückte deren Inhalt auf zwei schwere Holzhocker. Mit einem Stück Pappe verstrich er den Klebstoff auf der Sitz fläche der Hocker und wuchtete an schließend die beiden Muskelmänner vom Arbeitstisch. Bei dieser Gelegen heit zeigte sich wieder mal, wie durch trainiert Parker war. Er handhabte die beiden Männer mit spielerischer Leichtigkeit, drückte sie auf die bei den Sitze und drehte sie ein wenig herum, damit der Klebstoff innigen Kontakt mit den Hosen und Gesäßen der Männer bekam. 36
»Genau das wollte ich Ihnen gerade vorschlagen, Mr. Parker«, behauptete die ältere Dame, die diese Szene aus sicherer Entfernung beobachtet hatte, »warten Sie, mir ist da gerade noch eine hübsche Idee gekommen.« Es hielt sie nicht länger auf ihrem Platz. Die Lady setzte ihre majestäti sche Fülle in Bewegung und mar schierte auf die beiden Männer zu. Dann griff sie nach der Tube, die Par ker fast ausgedrückt hatte, quetschte den Rest heraus und beschmierte da mit die Hände der Männer, die schlaff und teilnahmslos auf den Hockern sa ßen. Nachdem die ältere Dame die Handinnenflächen präpariert hatte, hob sie die Arme der Männer an und drückte die Handinnenflächen gegen die Wangen der Gangster. Der etwas angetrocknete Klebstoff wirkte sofort und fixierte die Hände an die Gesichter der beiden Kriminel len. Lady Agatha trat zurück und be trachtete wohlgefällig ihr Werk. »Sieht so aus, als hätten sie auf bei de Gesichtshälften Zahnschmerzen«, meinte sie. »Sehen Sie, Mr. Parker, so macht man das.« »Mylady sind und bleiben stets ein leuchtendes Vorbild«, lautete die Ant wort des Butlers. Während er dieses noch behauptete, dirigierte er seine Herrin weiter durch den kleinen Be trieb, übernahm dann wie zufällig die Führung und betrat einen Korridor, der nach vorn in die Redaktion des Magazins führte. Herbert Morgan, der Mann mit der quäkenden Stimme, fiel aus allen Wol ken, als Parker plötzlich in der Tür stand und seine schwarze Melone lüf tete. »Man wünscht einen ereignisrei chen Tag«, sagte der Butler, und man richtet Grüße von zwei Idividuen aus, die einer Einladung Myladys ge folgt sind.« »Pa . .. Pa . . . Parker?« stotterte Morgan. »Die Herren Dan und Will lassen sich entschuldigen«, redete Josuah
Parker gemessen und höflich weiter, »sie werden sich aber mit einiger Si cherheit wieder einfinden.« »Dan und Will?« Der Herausgeber des Magazins tat ahnungslos. »Oder wie immer sie auch heißen mögen«, antwortete der Butler, »man sollte sich an Tatsachen halten, Mr. Morgan. Sie haben diese beiden schießwilligen Männer auf Mylady an gesetzt, wie es in Ihren Kreisen wohl heißt.« »Das stimmt nicht, das ist gelogen, Parker. Die beiden Männer wollen mir nur was anhängen.« »Demnach haben Sie mit gewissen Erpressungen also nichts zu tun?« »Überhaupt nicht, ich gebe ein Ma gazin heraus, mehr nicht.« »Mit einer speziellen Beilage, nicht wahr?« »Verdammt, das wissen Sie doch.« »Gegen Zahlung gewisser Summen wird man von Ihnen in diesen Klatsch spalten aber nicht erwähnt, Mr. Morgan.« »Wie . . . Wie kommen Sie denn dar auf?« Herbert Morgan schien die Welt nicht mehr zu verstehen. »Mylady interessiert sich für gewisse Geschäftsunterlagen«, erklärte Josuah Parker, »und Mylady geht davon aus, daß diese Unterlagen nicht offen her umliegen.« »Mann, worauf wollen Sie eigentlich hinaus?« fragte Morgan. »Auf Ihre Kundenlisten, um es mal so auszudrücken«, meinte der Butler, »wenn Sie so freundlich sein wollen, sie Mylady zu präsentieren?« »Kundenlisten?« fragte die ältere Dame verblüfft. »Eine Liste jener Personen, Mylady, die regelmäßige Zahlungen an Mr. Morgan entrichten«, erklärte der But ler, »Zahlungen, die nicht gerade frei willig gemacht werden.«
Hale und Joel, die beiden Mitarbeiter des Briefmarkenhändlers Olfield, 38
blickten äußerst respektvoll auf Par ker, als er das Gästezimmer betrat. Sie erinnerten sich noch sehr genau an die Handkantenschläge, die der Butler ih nen serviert hatte. »Wie ist das allgemeine Befinden, wenn man fragen darf?« Josuah Par ker setzte ein Tablett ab und deutete auf den Imbiß, »die Herren haben sich inzwischen eingelebt?« »Wann kommt die Lady zurück?« wollte Joel wissen. »Man wird sich noch ein wenig ge dulden müssen«, gab der Butler zu rück, »falls Sie es wünschen, könnte ein Videorekorder installiert werden, damit Ihnen die Zeit nicht zu lang wird. Wünsche hinsichtlich bestimm ter Videofilme können Sie dann selbst verständlich äußern.« »Sie glauben doch wohl nicht im Traum daran, daß wir weich werden, oder?« schaltete Hale sich ein, »was wir Ihnen da von den Künstlern erzählt haben, waren nichts als Märchen. Vor Gericht werden wir alles abstreiten.« »Auch den versuchten Einbruch?« »Sie haben uns hier ins Haus ge lockt«, behauptete Hale wegwerfend, »und Sie halten uns hier gegen unseren Willen fest. Mann, Sie ahnen ja nicht, was da noch alles auf Sie zukommen wird.« »Im Haus befinden sich zusätzlich zu Ihnen noch zwei weitere Gäste«, schickte der Butler voraus, »es handelt sich um zwei Individuen namens Dan und Will, die in Diensten eines gewis sen Mr. Herbert Morgan stehen ...« Die Nennung der beiden Namen lö ste bei Joel und Hale echte Überra schung aus. Es war klar, daß sie Dan und Will kannten. »Haben Sie die auch in die Fallgrube gelockt?« wollte Joel schließlich wis sen und grinste wider Willen ein wenig schadenfroh. »Mylady luden die erwähnten bei den Personen in einer Tiefgarage zu sich ein. Sie kennen die beiden Männer?« »Nee, nie von behört«, log Hale ohne
jede Überzeugungskraft, »und wer soll Morgan sein?« »Der Herausgeber eines Magazins, für das Ihr Mr. Oldfield Fotos liefert.« »Ach so, der«, gab Hale jetzt ge dehnt zurück, »warum haben Sie das nicht gleich gesagt. Und warum hauen Sie uns diese Namen um die Ohren? Hat das 'nen bestimmten Zweck?« »Mr. Morgan war so entgegenkom mend, ein wenig von seinen Praktiken zu erzählen«, schickte der Butler vor aus, »darüber hinaus überreichte er Mylady eine Liste jener Personen, die regelmäßige Zahlungen an den klei nen Verlag leisten.« »Das is' 'ne Sache zwischen Morgan und unserem Boß Olfield«, warf Hale ein. Er war wie Joel unsicher ge worden. »Falls sie Wert auf Gesprächspart ner legen, könnte man die Herren Dan und Will in dieses Gästezimmer ver legen.« »Nichts gegen einzuwenden«, erwi derte Hale schnell, »aber glauben Sie nur ja nicht, Sie könnten unsere Ge spräche abhören. Da, gibt es nichts aufzuschnappen.« »Natürlich nicht.« Parker deutete ei ne knappe Verbeugung an. »Sie wür den sich ja doch nur über Dinge unter halten, die Mylady bereits bekannt sind.« »Ach ja? Und was sollte das sein?« erkundigte sich Joel. »Das Verfahren war mehr als ein fach«, begann der Butler, »Mr. Olfield besuchte Nachtclubs hier in Soho und fotografierte vor allen Dingen Ta gungsteilnehmer, die aus der soge nannten Provinz kamen und sich mehr oder weniger amüsierten.« »Und was soll daran so wichtig sein?« fragte Joel. »Man fotografierte die erwähnten Personen in verfänglichen Situatio nen, um es mal so auszudrücken. Und man schrieb die passenden Texte da zu, deren Veröffentlichung angedroht wurde. Nur gegen Zahlung gewisser Summen nahm man dann schließlich
großzügig Abstand davon. Ist es nötig, sich noch deutlicher auszudrücken?« »Das sind doch alles Hirngespin ste«, behauptete Hale da, »wir haben damit nichts zu tun.« »Darüber sollte letztendlich ein Richter entscheiden«, schlug Josuah Parker vor, »und falls Sie jetzt die Ab sicht haben sollten, sich noch mal auf meine Wenigkeit zu stürzen, so sind Sie hiermit freundlichst eingeladen, diesem Wunsch nachzukommen.« Die beiden Gangster nahmen die Einladung nicht an!
»Ich bleibe nur für ein paar Minu ten«, schickte Chief-Superintendent McWarden voraus, nachdem Parker ihn in den großen Wohnraum des alt ehrwürdigen Hauses der Lady Simp son geführt hatte, »aber ich könnte mir vorstellen, daß Sie an einer ver rückten Geschichte interessiert sind.« »Verrückte Geschichte, mein lieber Mc Warden?« ließ die Hausherrin sich vernehmen. Sie kam aus der Biblio thek und nickte wohlwollend. »Gute Geschichten höre ich immer gern.« »Meine Dienststelle wurde anonym angerufen«, berichtete der Chief-Su perintendent lächelnd, »man schlug mir vor, nach Soho in eine ganz be stimmte Druckerei zu fahren, in der so eine Art Wochenmagazin für Touri sten herausgegeben wird.« »So etwas gibt es?« wunderte sich die ältere Dame. »Sie kennen das Magazin nicht zu fällig?« fragte McWarden fast bei läufig. »Ich werde darüber nachdenken, mein lieber McWarden«, schlug die Lady süffisant vor, »was nun hat sich in dieser Druckerei abgespielt? Span nen Sie mich nicht auf die Folter ...« »Nichts«, erzählte der Chief-Super intendent weiter, »wir fanden in der Druckerei zwei Muskelprotze, die ge radezu jämmerlich aussahen.« »Waren sie etwa betrunken?« 39
»Angeklebt«, korrigierte der YardBeamte, »sie saßen auf Hockern und konnten sich nicht rühren. Man hatte sie auf einen speziellen Klebstoff ge drückt, der nicht gerade wasserlöslich war. Unsere Polizeiärzte sind noch im mer damit beschäftigt, die Hocker von den Kehrseiten der Kerle zu lösen.« »Sie drücken sich sehr gewählt aus, McWarden«, lobte die Detektivin ih ren Besucher. »Konnten die beiden erwähnten Personen Angaben darüber machen, Sir, wie es zu dieser für sie sicher pein lichen Lage kam?« erkundigte sich der Butler gemessen. »Sie verweigern jede Aussage und wollen nicht wissen, wie das alles pas siert ist«, meinte McWarden, »aber es kommt noch besser.« »Ist etwa noch mehr passiert?« fragt Agatha Simpson. »Der Herausgeber des Magazins, ein gewisser Herbert Morgan, Mylady, klebte in seinem Büro an der Wand«, erzählte der Chief-Superintendent ge nußvoll, »und zwar mit den Händen, mit der Stirn und mit dem Bauch. Er war wie festgeschmiedet.« »Auf was für Ideen die Menschen kommen«, wunderte sich Lady Aga tha freundlich. »Gut, Mylady, freiwillig dürften die drei Personen das nicht hingenom men haben, aber als Privatmann kann und darf ich mich ja wohl freuen. Mor gan ist für uns nämlich kein unbe schriebenes Blatt, verstehen Sie?« »Ich bin ahnungslos, mein Bester.« Agatha Simpson hob gespielt hilflos die nicht gerade unterentwickelten Schultern. »Morgan steht im Verdacht, als Er presser zu arbeiten«, meinte McWar den und wurde wieder ernst, »darüber hinaus ist er der Boß eines ganz be stimmten Viertels in Soho und kon trolliert dort alles, was mit der Umwelt zu tun hat.« »Und solch ein Mann konnte über rascht und überwältigt werden?« wunderte sich der Butler ausgiebig. 40
»Ihn können nur Leute reingelegt haben, Mr. Parker, die völlig unkon ventionell sind und dementsprechend auch arbeiten«, vermutete der YardBeamte, während er Lady Agatha und Parker lächelnd anschaute, »aber dar über werde ich nicht weiter speku lieren.« »Sie sprachen gerade sehr betont von Erpressungen, Sir«, schickte der Butler voraus, »könnte Mr. Morgan nicht derjenige sein, der sich mit gewis sen Stimmbändern befaßt?« »Und mit Dirigenten.« McWarden nickte. »Das halte ich für durchaus möglich, Mr. Parker, aber es fehlt eben an Beweisen. Ich gehe davon aus, daß er zusammen mit Mike Olfield und ei nem gewissen Ben Gladster zusam menarbeitet und sich an die Künstler herangemacht hat.« »Sie sind aber sehr offen zu mir, mein lieber McWarden«, gab die ältere Dame wohlwollend zurück, »Sie nen nen Namen. Das ist ungewöhnlich.« »Wissen Sie, Mylady, ich habe mir vorgenommen, mich in diesen Fall nicht unbedingt einzumischen. Ich bin der Ansicht, daß es da Personen gibt, die bereits viel weiter sind als ich.« »Mit solch einer Möglichkeit sollte man allerdings stets rechnen, Sir«, ließ Josuah Parker sich höflich ver nehmen, »vielleicht werden diese Per sonen im geeigneten Moment Unterla gen zuspielen, die es ermöglichen, Verhaftungen vorzunehmen.« »Davon gehe ich selbstverständlich aus, Mr. Parker.« McWarden nickte. »Sie lassen also andere für sich ar beiten?« fragte die leicht aggressive Detektivin. »Mit dem größten Vergnügen«, ge stand der Chief-Superintendent, »ich streite das überhaupt nicht ab. Ich ha be nicht die Möglichkeit wie die be wußten Personen, verstehen Sie? Könnte ein Chief-Superintendent zum Beispiel mit Klebstoff arbeiten?«
Der Dirigent hieß Sir George Cop per und war eine imponierende Er scheinung. Er mochte sechzig sein, hatte schlohweißes Haar, war schlank und verfügte über ein durchgeistigtes, markant geschnittenes Gesicht. Er stand auf dem Podium, verzichtete selbstverständlich auf eine Partitur und dirigierte aus dem Gedächtnis. Er zelebrierte eine Brahms-Sinfonie, war längst in Schweiß geraten und taktierte mit den Gesten eines Löwen bändigers. Er warf den Kopf weit in den Nacken, machte einen verklärten Eindruck, lächelte verträumt, runzelte dann plötzlich die Stirn, blickte das Orchester drohend an und nahm den Kopf herunter wie ein Preisboxer. Dann ließ er die linke Faust vorschnel len, bedrohte die Bläsergruppe des Or chesters, lockte einige Paukenschläge hervor, spitzte verzückt seinen Mund, als er zu den Celli hinüberblickte, und benutzte anschließend den Dirigen tenstab als Geigenbogen, den er über den linken Unterarm strich. Dabei schloß er kurz die Augen, schielte aber dennoch zu den ersten Geigen hin unter. Sir George Copper trat einen halben Schritt zurück, näherte sich mit den Absätzen seiner Lackschuhe der hin teren Kante des Podiums und weckte in einigen Zuhörern vielleicht die freudige Vorstellung, er würde wenige Sekunden später abstürzen. Dies war jedoch nicht der Fall. Der Star-Diri gent war sich seines Wertes wohl be wußt, trat wieder nach vorn und er munterte die Holzbläsergruppe, die sich auch sichtlich anstrengte. Man näherte sich, das war deutlich zu hö ren, dem Schluß der beeindruckenden Sinfonie. Das Orchester bäumte sich auf wie der Dirigent, der jetzt eine Art Bernstein-Sprung tat. Die Harmonien dröhnten durch den Konzertsaal, dann war auch dieser Schlußsatz be endet. Sir George Copper blieb wie erstarrt stehen, verteilte diverse Kußhände an das gesamte Orchester, schüttelte die
Hände einiger Geiger und Cellisten, wandte sich zum Publikum um und nahm den frenetischen Beifall und die Bravo-Rufe entgegen. Copper knickte förmlich in sich zusammen, war ganz Demut, lächelte erschöpft, müde und glücklich, richtete sich wieder auf und verbeugte sich erneut. Dann wandte er sich wieder um und ließ die Mitglie der des Orchesters aufstehen. An schließend empfahl er sich und streb te dem Seiteneingang des OrchesterPodiums zu. »Sehr bewegend«, äußerte Lady Agatha ihre Meinung. Zusammen mit Parker saß die Detektivin in einer Sei tenloge des Konzertsaals und zog sehr ungeniert kleine Wattepfropfen aus ih ren Ohren. »Sehr hübsch, Mr. Parker«, gab die ältere Dame zurück, »mir wird er Rede und Antwort stehen.« »Mylady kennen Sir George? « fragte Parker. »Ich subventioniere das Orchester«, erwiderte sie stolz, »er soll es wagen, mich nicht zu empfangen.« Sie stand auf und verließ die Loge, rauschte über den Umgang und fand zielsicher den Weg in die Tiefe des Hauses. Ein Logenschließer wollte ihr den Weg verwehren, doch als er von Myladys Blick auch nur andeutungs weise getroffen wurde, zuckte er zu sammen und gab widerstandslos den Weg frei. Es dauerte knapp sechs Mi nuten, bis die ältere Dame die Garde robe des Dirigenten erreichte. Sie klopfte an, nachdrücklich und nach Art einer Lady Agatha. Die soli de Türfüllung vibrierte beachtlich. Kurz danach wurde die Tür spaltbreit geöffnet. Der Sekretär des Dirigenten, ein schlanker, mittelgroßer, sehr ner vös wirkender Mann von etwa dreißig Jahren, blickte die Einlaß begehrende Lady in einer Mischung aus Fassungs losigkeit und Empörung an. »Keine Autogramme«, sagte er dann leise, aber sehr eindringlich, »der Mei ster ist erschöpft.« »Schnickschnack, guter Mann«, er widerte Agatha Simpson und drückte 41
die Tür mit ihrer majestätischen Fülle auf, »er hat ja schließlich keine Schwerarbeit geleistet.« Der Sekretär des Dirigenten hüstel te nervös, folgte Mylady dichtauf und rang die Hände. »Was soll denn das?« brüllte Sir George, der wie ausgepumpt im Ses sel gelegen hatte und sich nun wü tend hochsetzte. Er trug einen Bade mantel und zeigte darunter nackte Waden. Er hielt ein gefülltes Sektglas in der Hand und staunte die ältere Dame entgeistert an. »Sie... Sie wollen ein Auto gramm?« fragte er schließlich. »Unsinn«, erwiderte Lady Agatha barsch, »was soll ich damit? Ich will wissen, ob Sie erpreßt werden, nicht mehr und nicht weniger.« Daraufhin schnappte Sir George erst mal ausgiebig nach Luft. Solche direkten Fragen schien er nicht zu kennen.
»Und wie reagierte Copper darauf?« fragte Mike Rander, als Myladys Schilderung diesen Punkt erreicht hatte. Der junge Anwalt, Kathy Porter und Mylady saßen vor dem großen Kamin in der Wohnhalle und ließen sich von Butler Parker einen nächtli chen Imbiß servieren. »Er lachte«, antwortete die Haus herrin, »er verschluckte sich fast.« »Lachte er etwa aus Verlegenheit, Mylady?« fragte Kathy Porter. »Überhaupt nicht, Kindchen«, erwi derte Agatha Simpson, »er gab frei und offen zu, daß er erpreßt wird und zahlt. Wie dieser Tenor, dessen Name mir entfallen ist.« »Tonio Marcetti«, half der Butler aus, »er wird von dem ehemaligen Te nor Carlo Basoni betreut, wenn man das noch hinzufügen darf.« »Und Sir George hat einen Sekretär um sich, der vor lauter Nervosität fast Gesichtszucken hat«, mokierte sich die ältere Dame, »diese Stars von 42
Oper und Konzertsaal scheinen Lau nen zu haben.« »Sie dürften unter Dauerstreß ste hen, wie ihre engsten Mitarbeiter«, vermutete Kathy Porter. »Und was muß Sir George pro Vor stellung zahlen?« erkundigte sich Mike Rander. »Ebenfalls tausend Pfund, Sir, wie im Fall Tonio Marcetti«, schaltete der Butler sich ein, »bei diesen tausend Pfund scheint es sich nach Lage der Dinge um einen Einheitstarif zu han deln, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Die Erpresser langen ganz schön zu«, sagte der Anwalt, »und sie ken nen sich bestens aus. Sie wissen sehr genau, wie hoch sie mit ihren Forde rungen gehen können.« »Ist dieser Magazin-Herausgeber nun der eigentliche Erpresser?« frag te Kathy Porter. »Natürlich«, ließ Lady Agatha sich vernehmen, »natürlich weiß man das nicht so genau, aber ich habe da so meine Theorie.« »Also, suchen wir weiter nach der Person, die das ganze Theater aufge zogen hat und kassiert«, meinte der Anwalt, »wir brauchen einen Insider, der die Gagen kennt und auch weiß, wie man Künstler packen kann.« »Ich habe da so meine Theorie«, ließ die Lady sich erneut vernehmen. »Sie spannen uns auf die Folter, Mylady«, warf Kathy Porter ein. »Es ist der Tenor, der jetzt so eine Art Kammerdiener bei Marcetti ist«, erklärte Agatha Simpson, die den Na men plötzlich parat hatte, »Sie wissen ja, Kindchen, daß ich mich mit Psy chologie befasse, nicht wahr? Und ich glaube, daß ich darin sehr gut bin.« »Man kann von Ihnen wirklich viel lernen«, sagte Kathy Porter. »Wie wahr, mein Kind, wie wahr!« Sie nickte ihrer Gesellschafterin wohlwollend zu. »Nun gut, ich werde diesen Fall psychologisch lösen.« »Jetzt achte ich aber auf jedes Wort«, meinte der junge Anwalt und
unterdrückte ein aufsteigendes Lä cheln. »Dieser ehemalige Tenor steht na türlich im Schatten seines großen Ar beitgebers, der ihn dazu noch schlecht behandelt. Eifersucht muß in dem ar men Teufel aufsteigen. Wahrschein lich glaubt er sogar, daß er seinerzeit besser war als der jetzige Star. Er fühlt sich um seine Karriere betrogen, wird mit einem Taschengeld abgespeist und beschließt, Vergeltung zu üben. Also inszeniert er die Erpressung und kassiert. Was sagen Sie jetzt, Mr. Parker? « »Eine Theorie, Mylady, die nur als bestechend zu bezeichnen ist«, ent gegnete Josuah Parker, »in diesem Zusammenhang sollte man vielleicht auch auf den Sekretär des Dirigenten verweisen, der ein ähnliches Motiv ha ben könnte.« »Wieso denn das?« wollte Agatha Simpson ungnädig wissen, »das sind doch wohl zwei verschiedene Schuhe, oder?« »Nur auf den ersten Blick, Mylady«, redete Parker in seiner höflichen Art weiter, »der erwähnte Sekretär ist fi nanziell völlig abhängig von Sir George Copper, obwohl er vor einer großen Karriere stand.« »Und wieso wurde nichts daraus?« fragte Mike Rander. »Dieser inzwischen nicht mehr jun ge Mann, Sir, rutschte vor Jahren in die Drogenszene ab und wurde dann von Sir George quasi aufgefangen. Er hofft jetzt darauf, daß Sir George ihm bei einem Neueinstieg ins Konzertle ben eine gewisse Hilfestellung gibt.« »Zwei Abhängige, die sich vielleicht freistrampeln wollen«, äußerte Kathy Porter nachdenklich, »das klingt nicht schlecht.« »Dann wäre da noch der Sekretär des Theateragenten Bergman«, erin nerte der Butler weiter, »Vince Walker ist ein sehr bemühter und offensicht lich auch ehrgeiziger junger Mann.« »Ganz zu schweigen von Marcettis Familie«, zählte Mike Rander weiter
auf und lächelte, »sie ist hier in Lon don, wie Kathy und ich herausgefun den haben. Übrigens eine sehr interes sante Familie, wie wir inzwischen wis sen. Da gibt es eine Ehefrau, die mit einem Vulkan zu vergleichen ist.« »Sie komplizieren alles unnötig«, raunzte Agatha Simpson dazwischen und schüttelte dann tadelnd den Kopf, »dieser Korrepetitor ist der eigentli che Täter. Es wird sich erweisen, daß meine Vermutung richtig ist. Psycho logie ist alles.«
»Sie scheinen sich hinter meinem Rücken informiert zu haben, Mr. Par ker«, stellte die Detektivin leicht ge reizt fest. Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Wagen und ließ sich in den Stadtteil Pimlico chauffieren, mit der Absicht, den gewissen Vulkan aus nächster Nähe zu besichtigen. »Mr. Destron war so freundlich, mei ner Wenigkeit einige Informationen aus erster Hand zuzuspielen.« »Wer, zum Teufel, ist Mr. Destron?« fragte die ältere Dame verdutzt. »Der Chefmaskenbildner der Oper, Mylady, der sich meiner Wenigkeit ge genüber verpflichtet fühlt.« »Richtig, diesen Mann haben Sie schon mal erwähnt«, behauptete sie, obwohl sie sich überhaupt nicht zu erinnern vermochte, »dieser Mann scheint sich sehr gut auszukennen, nicht wahr? « »Er dürfte über die privatesten Din ge der großen Stars Bescheid wissen, Mylady. Einem Mann wie ihm vertraut man sich gern an. Große Künstler sind vor ihren Auftritten sehr allein, wie es heißt.« »Könnte dieser Chefmaskenbildner nicht der gesuchte Drahtzieher sein?« tippte die Detektivin umgehend an. Sie witterte eine neue Möglichkeit, an den eigentlichen Täter heranzu kommen. »Mr. Destron, Mylady, arbeitet schon seit vielen Jahren als Masken 43
bildner, ist Junggeselle und geht in seinem Beruf förmlich auf.« »Und könnte ein neues Leben be ginnen wollen. Schneller kann er doch gar nicht an das große Geld heran kommen, Mr. Parker.« »Nun, Mylady, rein theoretisch kommt natürlich auch ein Mr. Destron als der eigentliche Erpresser in Be tracht«, räumte Josuah Parker ein. »Er ist es«, frohlockte sie sofort, »ich spüre es in den Fingerspitzen, Mr. Par ker, aber diese Sensibilität besitzen Sie natürlich nicht.« »Durchaus nicht, Mylady.« Parkers Tonfall blieb höflich und gemessen wie stets. Er war durch nichts zu er schüttern, wie sich auch jetzt zeigte. Er war in der Lage, seine Lachlust un ter Kontrolle zu halten. Die Fahrt nach Pimlico dauerte nur kurze Zeit. Parker steuerte eine Sei tenstraße an und bog dann noch mal in eine schmale, gepflasterte Gasse, die von kleinen, ehemaligen Kutscher häusern gesäumt wurde. Hier wohn ten jetzt mehr oder weniger erfolgrei che Künstler aller Schattierungen. Am Ende der Gasse gab es einen Pub, des sen Gäste im Freien standen und ihr Bier tranken. Es herrschte eine fast südländische Atmosphäre. »Eigentlich brauche ich Mrs. Mar cetti nicht mehr zu besuchen«, fand Lady Simpson, »aber ich werde Ihnen den Gefallen erweisen, Mr. Parker.« Der Butler hielt, wendete den Wa gen und half erst dann seiner Herrin aus dem Fond des Wagens. Sie schau te sich um, fand Gefallen an der Um gebung und steuerte erst mal zielsi cher den Pub an. Im Näherkommen hörte man plötzlich das Klirren von zerbrechlichen Gläsern, Rufe, erstick te Schreie und sah dann eine junge,. aber recht korpulente Frau, die von zwei Männern aus dem Pub geführt wurde. Sie wehrte sich wie eine Wild katze, kratzte, trat um sich und schrie nun auch noch gellend. »Worauf warten Sie denn noch?« Lady Agatha blickte ihren Butler fast 44
empört an und setzte ihre Fülle in Be wegung. Sie verwandelte sich augen blicklich in einen Panzer, der durch nichts mehr aufzuhalten war. Bevor Parker der älteren Dame einen Hin weis geben konnte, hatte Agatha Simpson bereits die Gruppe erreicht. Die Gäste vor dem Pub waren zur Seite getreten und bildeten eine Art Halbkreis. Aus dem Lokal kamen wei tere Zuschauer, die sich eindeutig amüsierten. »Lassen Sie sofort die kleine und hilflose Frau los«, donnerte die ältere Dame die beiden jungen Männer an, »Sie wollen doch hoffentlich nicht, daß ich ärgerlich werde, wie?« Lady Agatha, temperamentvoll wie immer, wartete eine Antwort gar nicht ab, sondern langte ausgesprochen herzhaft mit ihrem perlenbestickten Pompadour zu. Der erste junge Mann wurde an der Brust getroffen und flog zurück, als hätte ihn ein auskeilendes Pferd getroffen. Er wurde von einigen Gästen aufgefangen und in die Ring mitte gedrückt. Lady Agatha befaßte sich bereits mit dem zweiten jungen Mann, hob ih re linke Hand, machte klar, daß sie da mit eine Ohrfeige anzubringen ge dachte, wartete, bis der junge Mann eine entsprechende Ausweichbewe gung einleitete, und schlug dann sehr listig mit der rechten Hand zu. Es war eine saftige Ohrfeige. Der Getroffene keuchte verblüfft, ging in die Knie und starrte die ältere Dame völlig entgeistert an. Der erste junge Mann starrte nicht weniger und hob blitzschnell die Arme zur Doppel deckung hoch, als Mylady zu einer zweiten Ohrfeige ansetzte. »Schämen Sie sich nicht, sich an ei ner wehrlosen jungen Frau zu vergrei fen?« raunzte sie die Entgeisterten an. »Wehrlos ist gut«, sagte einer der amüsierten Gäste, »sie hat gerade im Pub abgeräumt. Ein Wirbelwind ist ein laues Frühlingslüftchen dagegen.''
Sie hieß, wie sich bald heraustellte, den?« fragte Parker weiter. Man hatte Gina Marcetti und war die Frau des ein schmales, ehemaliges Kutscher Star-Tenors. Sie war betrunken und haus erreicht, in dem im Erdgeschoß gab sich agressiv. Unbedingt wollte sie eine Doppelgarage untergebracht war. in den Pub zurück und sich dort noch »Die Kinder sind in Italien. Und nur mal austoben. Die beiden jungen Män ich allein weiß, wo«, plapperte Gina ner, die sie aus dem Lokal gebracht Marcetti weiter und lachte unvermit hatten, saßen noch zutiefst beein telt, »Tonio wird sie erst sehen, wenn er druckt und leicht benommen auf einer sich von seinem Flittchen getrennt hat. Bank rechts vom Eingang und kämpf Ich bin seine Frau, Gina Marcetti. Und ten noch mit leichten Schwindelge ich werde es auch bleiben. Und wenn er fühlen. sich von mir scheiden lassen will, ko Gina Marcetti nahm gerade Maß und stet ihn das die Kinder und ein Vermö wollte sich mit Josuah Parker anlegen, gen dazu!« der höflich die schwarze Melone gelüf Sie hatte plötzlich den Haustür tet hatte. Bevor Gina aber auf den But schlüssel in der Hand, sperrte auf und ler losgehen konnte, schob die ältere ließ sich in ein recht geräumiges Apart Dame sich dazwischen und funkelte ment dirigieren. Hier angekommen, die temperamentvolle Italienerin aus fiel sie in einen Sessel, streckte die Bei ihren graugrünen Augen an. ne von sich und fuhr sich durch das »Etwas mehr Haltung, meine Lie zerzauste, rabenschwarze Haar. Dann be«, tadelte die Detektivin und ... setz lachte sie wieder unvermittelt. te ihren großen rechten Schuh auf den »Wer sind Sie eigentlich?« wollte sie Pumps der Frau, die daraufhin sicht wissen. »Hat Tonio Sie geschickt? Oder lich an Gesichtsfarbe verlor. Sie hechel sind Sie von der Presse? Hören Sie te nach Luft und wurde überraschend genau zu: Ich kann Ihnen eine Menge friedlich. über diesen Mistkerl Tonio sagen.« »Ich werde Sie jetzt nach Hause brin »Sie haben den Vorzug, sich mit La gen«, schlug Agatha Simpson vor, »und dy Simpson unterhalten zu können«, falls Sie mir Ärger bereiten, meine Gu beantwortete der Butler die Frage, te, werden Sie mich kennenlernen.« »mein Name ist Parker, Josuah Parker. Gina Marcetti nickte und ließ sich Ich habe die Ehre, Mylady als Butler von Mylady abführen. Sie schien be dienen zu dürfen.« griffen zu haben, daß sie gegen diese »Sie sind ein richtiger Butler?« majestätische Erscheinung keine »Halbwegs«, warf die ältere Dame Chance hatte. prompt ein, bevor Parker antworten »Hauptsache, ich bin fotografiert konnte. Dann wandte sie sich betont an worden«, meinte sie nach einigen Gina Marcetti, »Ihr Mann will Sie ver Schritten und wandte sich um, »das lassen, meine Liebe?« wird Tonio eine Lehre sein. Wenn er »Er hat ein Verhältnis mit einer So Skandal haben will, kann er ihn be pranisitin«, gab sie aufgebracht zurück kommen.« und wollte wieder aufstehen, doch Aga »Sie sprechen von Mr. Tonio Marcet tha Simpson drückte sie an der Schul ter wieder nachdrücklich in den Sessel. ti?« erkundigte sich Parker. »Von meinem Mann, diesem Mist »Er will sich scheiden lassen?« bohr stück«, erwiderte sie in einem halb te die Detektivin weiter. wegs guten Englisch, »ich krieche nicht »Das soll er nur riskieren.« Gina Mar länger zu Kreuze, ich nicht, ich bin cetti lächelte nun erstaunlicherweise schließlich die Mutter seiner drei versonnen. »Dann werde ich ihn ruinie Kinder.« ren, dann komme ich endlich an das »Die sich auch hier in London befin Geld, das mir gehört.« 46
»Ich verstehe kein Wort«, meinte Lady Agatha, »aber von Frau zu Frau werden Sie mir das gewiß näher er klären.« »Dieser Stimmband-Akrobat hat doch mit meinem Geld studiert«, brach es aus Gina Marcetti hervor, »ohne mein Geld wäre er doch nicht das, was er jetzt ist. Aber seitdem er dieses Flittchen hat, ist er geizig wie ein...« » . . . Schotte, nicht wahr?« stellte die ältere Dame fest. »Richtig«, bestätigte Gina, »er zahlt gerade für den monatlichen Unterhalt, mehr nicht, aber für seine Geliebte gibt er ein Vermögen aus. Nun, damit ist es jetzt vorbei. Ich sorge für Skan dale, bis er zurückkommt. Und bis da hin weiß ich schon, wie ich an mein Geld komme, ich meine, wie ich ihn weich mache. Mit einer Gina Marcetti kann man nicht spielen.« »Sie haben sich eine bestimmte Tak tik ausgedacht?« fragte Lady Agatha. »Ich . . . Ich werde eine Artikelserie über ihn schreiben und verkaufen«, meinte sie boshaft, »und dann kann er sich nur noch wundern.« Parker, der an der Tür stand, hatte inzwischen längst Schritte auf der Treppe gehört. Er trat zur Seite und machte Mylady ein Zeichen, die er staunlicherweise sofort reagierte und Gina Marcetti ungeniert den Mund zu hielt. Sie strampelte und wehrte sich, doch sie schaffte es nicht, auch nur einen Laut von sich zu geben. Wenige Augenblicke später wurde die Tür vorsichtig aufgedrückt.
»Seien Sie herzlichst gegrüßt«, sagte Josuah Parker, als der Mann wie ange wurzelt stehenblieb und auf Lady Agatha blickte, die mit Gina Marcetti im Clinch lag. Die Frau des Star-Te nors hatte aber keine Chance, sich von der älteren Dame zu befreien. Agatha Simpson war einfach zu erdrückend
und zwar im wahrsten Sinn des Wortes. »Mr. Parker?« fragte der Besucher unnötigerweise, denn der Butler lüfte te bereits die schwarze Melone und war in voller Größe zu sehen. »Sie kommen im Auftrag Mr. Mar cettis, Mr. Basoni?« erkundigte sich der Butler bei dem Korrepetitor. »Nein, nein, er weiß ja gar nicht, daß ich hier bin, ich meine, daß seine Frau nach London gekommen ist«, antwor tete der ehemalige Tenor hastig, »und er darf nie erfahren, daß ich hiergewe sen bin.« »Sie würden sonst das bekommen, was man gemeinhin Ärger zu nennen pflegt, nicht wahr?« »Marcetti würde mich glatt raus schmeißen«, antwortete Carlo Basoni. »Ginge es dir dann schlechter als jetzt?« fuhr Gina Marcetti den Korre petitor an. »Warum hast du nicht den Mut, ihm die Zähne zu zeigen? Er führt dich doch nur an der Nase herum.« »Wie darf man das verstehen?« frag te Parker. Lady Agatha hatte Gina Marcetti losgelassen und nickte Baso ni aufmunternd zu. »Marcetti zahlt meine Schulden«, bekannte der Korrepetitor und senkte den Kopf, »damals, als ich noch glaub te, große Karriere machen zu können, habe ich mich finanziell über nommen.« »Und Tonio kaufte dir das Landgut am See für einen Spottpreis ab«, be richtete Gina, »du hast dich doch von ihm übers Ohr hauen lassen, Carlo, aber das willst du doch nicht ein sehen.« »Mr. Marcetti dürfte immer sehr ge nau wissen, was er will«, stellte der Butler fest. »Er ist eine Rechenmaschine mit ei ner wunderschönen Stimme«, antwor tete Carlo Basoni, »vielleicht gibt er mir aber doch noch eine Chance, wenn er eine eigene Schallplattenpro duktion aufgenommen hat, er hat es mir jedenfalls fest versprochen.« 47
»Tonio läßt keine andere Stimme neben sich gelten«, fuhr Gina Marcetti den Korrepetitor an, »er wird dich hin halten und behandeln wie einen Hund.« »Mylady würde gern wissen, warum Sie sich hier eingefunden haben«, fragte Josuah Parker das Thema wechselnd. »Warum ich hier bin?« wiederholte Basoni. »So fragte meine Wenigkeit«, bestä tigte der Butler. »Ich erwarte eine Erklärung«, fügte die ältere Dame grimmig hinzu. »Nun, ich wollte Mrs. Marcetti besu chen. Sie rief mich an und sagte mir, sie wäre hier in London.« »Sie sind nicht zufällig der Liebha ber von Mrs. Marcetti?« erkundigte sich Lady Simpson ungeniert. »Das fehlte noch.« Gina Marcetti lachte ironisch. »Ich werde Tonio doch keinen Grund liefern, sich von mir scheiden zu lassen. So dumm bin ich nicht.« »Aber Sie erpressen Marcetti, nicht wahr?« sagte die Detektivin weiter und blickte Basoni aufmunternd an. »Ich soll den Maestro erpressen?« Carlo Basoni schien die Welt nicht mehr zu verstehen und lachte schließ lich gequält. »Ich wüßte noch nicht mal, wie man so etwas macht, My lady.« »Tonio wird erpreßt?« freute sich Gina sichtlich. »Das höre ich aber sehr gern. Womit setzt man ihn denn unter Druck?« »Man will ihn auf der Bühne er schießen, falls er nicht regelmäßig zahlt«, sagte Carlo Basoni, »das alles konnte ich Ihnen am Telefon nicht sa gen, deshalb wollte ich ja auch kommen.« »Und wieviel zahlt er?« Gina Mar cetti beugte sich interessiert vor. Ihre Augen glänzten. Sie war längst nicht mehr betrunken, wie der Butler deut lich sah. Sie war voll bei der Sache. »Tausend Pfund pro Vorstellung«, beantwortete Carlo Basoni die Frage. 48
»Das schafft ihn«, wußte sie und lä chelte wieder versonnen, »nur in Geldsachen ist er zu treffen. Das gön ne ich ihm. Man will ihn also auf offe ner Bühne erschießen, falls er nicht zahlt?« »So habe ich es wenigstens verstan den«, sagte Carlo Basoni und nickte. »Sind Sie wegen dieser Erpressung zu mir gekommen?« Gina Marcetti wandte sich an Lady Agatha und den Butler. »In der Tat, Madam«, bestätigte der Butler, »aber Sie dürften mit dieser Drohung und Erpressung ja wohl kaum etwas zu tun haben, nicht wahr?« »Finden Sie's doch heraus«, schlug sie spitz vor. »Tausend Pfund pro Vor stellung, das ist happig, das hört sich wirklich sehr gut an. Wer mag sich das ausgedacht haben?« Sie blickte den Korrepetitor an und lächelte wieder versonnen.
Parker stand vor dem kleinen Wand tisch in der großen Wohnhalle des alt ehrwürdigen Hauses und ließ das Band des Telefonbeantworters abspie len. Es gab da einige unwichtige Anru fe, die mit dem anstehenden Fall nichts zu tun hatten. Dann aber war plötzlich die Stimme des MagazinHerausgebers Herbert Morgan zu hören. Er bat schlicht und einfach um ei nen Rückruf. »Will dieses Subjekt mir etwa ein Friedensangebot machen?« fragte die Detektivin. »Falls Mylady einverstanden sind, könnte man Mr. Morgan umgehend anrufen«, sagte der Butler, wartete die Zustimmung natürlich nicht ab und wählte die Nummer, die Morgan auf Band hinterlassen hatte. Auf der Ge genseite wurde augenblicklich abge hoben. Morgan meldete sich. »Mylady ist leider momentan ver hindert«, schickte Parker voraus,
»aber vielleicht wollen und können Sie mit meiner Wenigkeit vorlieb nehmen.« »Da sind Sie ja endlich«, erwiderte der Magazin-Herausgeber, »also wis sen Sie, Parker, Sie haben mir einen verrückten Streich gespielt.« »Kann man davon ausgehen, daß es Ihnen gefallen hat, Mr. Morgan?« fragte Josuah Parker. »Schwamm drüber, Parker, aber das mit meinen Listen ist schon ziem lich hart. « »Sie meinen jetzt jene Listen, die Sie Mylady und meiner Wenigkeit zur Verfügung stellten und aus denen hervorgeht, welche Gönner Sie be zahlen?« »Gönner ist genau das richtige Wort«, erwiderte Morgan, »ich wie derhole noch mal, Parker, ich habe diese Leute auf den Listen nie er preßt, die zahlen freiwillig an meinen Verlag, damit wir über die Runden kommen.« »Und dafür verzichten Sie darauf, gewisse Fotos und Artikel zu veröf fentlichen, nicht wahr? « »Mann, Sie konstruieren Zusam menhänge, die's gar nicht gibt«, be hauptete der Magazin-Herausgeber, »aber weshalb ich anrufe, Parker: Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu ma chen.« »Sie möchten wieder in den Besitz der erwähnten Listen kommen, wie zu vermuten ist.« »Volltreffer, Parker. Sie geben mir die Listen zurück, dafür sage ich Ih nen, wer diese Masche mit den Künst lern strickt. Ist das ein Angebot oder nicht? Eine Hand wäscht die andere.« »Sie wollen sich selbst ans Messer liefern, um solch einen Vergleich mal zu verwenden?« »Ans Messer liefern?« staunte Mor gan am anderen Ende der Leitung. »Nach Lage der Dinge dürften Sie die Person sein, die die Künstler er preßt.« »Das ist aber 'ne verdammt kühne Behauptung«, entgegnete Herbert
Morgan, »damit habe ich überhaupt nichts zu tun. Aber ich habe da so 'ne gewisse Vermutung, nein, noch mehr, ich weiß, wer dieser Abstauber ist.« »Man wird Ihr Angebot Mylady un terbreiten.« »Jetzt sofort oder nie«, erklärte Morgan, »ich erwarte Sie in einer hal ben Stunde mit den Listen bei mir in Soho.« »Sie werden sicher verstehen, daß meine Wenigkeit an eine Falle denkt, Mr. Morgan.« »Dieses Risiko müssen Sie schon eingehen, Parker. In einer halben Stunde also ...« Bevor Parker ant worten konnte, wurde auf der Gegen seite aufgelegt. Parker tat es nun ebenfalls und wandte sich Lady Aga tha zu, die über den eingeschalteten Raumverstärker mitgehört hatte. »Natürlich ist das eine Falle«, mein te sie, »aber das wird mich nicht da von abhalten, diesem Subjekt eine Lektion zu erteilen.« »Vielleicht könnte man Mr. Morgan ein wenig auf die Folter spannen«, schlug Josuah Parker vor, »während der so gewonnenen Zeit ließen sich Myladys Gäste aus dem Haus schaffen.« »Brauche ich die Halsabschneider überhaupt noch?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Keineswegs und mitnichten, Myla dy«, versicherte Parker seiner Herrin, »sie sind inzwischen das, was man ge meinhin als unnütze Kostgänger zu bezeichnen pflegt.« »Dann setzen Sie die Kerle an die frische Luft«, sagte die Detektivin, »ich muß schließlich mit jedem Pen ny haushalten. Sagen Sie mir recht zeitig Bescheid, wann ich losfahren werde, bis dahin werde ich noch ein wenig meditieren.« Sie setzte ihre Fülle in Bewegung und strebte der Treppe zu, die ins Obergeschoß des Hauses führte. So bald Agatha Simpson oben auf der Galerie war, machte Parker sich dar an, einige Vorbereitungen für diesen 49
gefährlichen nächtlichen Besuch zu treffen.
»Sind Sie nicht etwas leichtsinnig?« fragte Lady Agatha, als Parker eine Stunde später in die schmale Gasse einbog, an deren Ende sich Herbert Morgans Haus befand. Obwohl längst Nacht, war Soho hell und schreiend bunt erleuchtet. Zuk kende Reklamen schossen ihre Licht kaskaden ab, aus den vielen Nacht clubs und Lokalen drang Musik auf Straßen und Gassen, wo viele Men schen nach Mitternacht noch Ent spannung und Abenteuer suchten. Ein Stadtteil wie Soho war durchge hend geöffnet. Die sogenannte Unmo ral hielt sich allerdings in Grenzen und Verruchtheit war nur andeu tungsweise auszumachen. »Haben Sie denn keine Sorge, daß ich hier abgefangen werden könnte?« wunderte sich Lady Agatha weiter, blickte sich um und spähte in Türni schen und Toreinfahrten. »Falls meine bescheidene Rech nung aufgegangen sein sollte, Mylady, dürfte mit Überraschungen nicht zu rechnen sein«, gab der Butler zurück, »ich war so frei, auf die menschliche Neugier zu setzen.« »Und was stelle ich mir darunter vor?« wollte Agatha Simpson umge hend wissen. »Vor etwa einer Viertelstunde wur den in der Redaktion des Magazins zwei Eilpäckchen abgeliefert«, beant wortete Parker die Frage, »man dürfte als sicher unterstellen können, daß beide Päckchen inzwischen geöffnet wurden.« »Sie haben diese Päckchen abge schickt, Mr. Parker.« »Nicht unter dem Namen meiner Wenigkeit, Mylady«, führte Josuah Parker weiter aus, »Mr. Morgan als Empfänger dürfte die Namen Sir George Coppers und Mr. Tonio Mar cettis gelesen haben.« 50
»Und was war in den beiden Päck chen?« Agatha Simpson hatte mit Par ker inzwischen den Eingang zur Re daktion erreicht und wunderte sich, keinen Türsteher zu sehen. »In den erwähnten Päckchen, Myla dy, befand sich zurechtgeschnittenes Zeitungspapier«, beantwortete Parker die Frage seiner Herrin, »und diese so genannte Makulatur wird man durch geblättert haben.« »Sie haben Zeitungspapier präpa riert?« »In der Tat, Mylady«, redete Parker weiter, »beim Kontakt der Finger mit der Makulatur wurde dieses Präparat auf den gesamten Organismus des Be treffenden übertragen.« »Das kommt mir alles sehr bekannt vor, Mr. Parker.« Sie nickte wohlwol lend. »Ein Verfahren, Mylady, das Ge heimdienste immer wieder anwen den«, sagte der Butler, »es ist als äu ßerst wirkungsvoll zu bezeichnen.« »Nun gut, ich lasse mich überra schen.« Sie wartete, bis Parker die Tür mit der Spitze seines Universal-Re genschirms aufgedrückt hatte. Dann schob sie ihre Fülle energisch in die Redaktionsräume und blieb an der Tür zum Büro von Herbert Morgan jäh stehen. »Sie haben sie alle umgebracht?« fragte sie dann und wandte sich zu Parker um. »Soweit wollte meine Wenigkeit selbstverständlich nicht gehen«, ent gegnete Parker gemessen, »die betrof fenen Herren werden allerdings vor einigen Stunden nicht erwachen.« Herbert Morgan lag neben einem Sessel und schnarchte intensiv. Knapp hinter der Tür lagen die beiden Muskelmänner, die sich ebenfalls der Ruhe hingaben. Hinzu kam noch ein weiterer Mann, den Parker nicht kannte. Und überall im Büro verstreut lagen zurechtgeschnittene Zeitungs bögen. Zwei Päckchen waren geöffnet worden und lagerten auf dem Schreib tisch.
»Das sieht aber wirklich gut aus«, fand die ältere Dame, »das wird mir dieser Lümmel nie vergessen.« Sie hatte sich neben dem Magazin-
Herausgeber aufgebaut und lächelte
boshaft.
»Mylady haben nichts dagegen, Mr. Morgan nochmals in gewisse Schwierig keiten zu bringen?« »Die können gar nicht groß genug sein «, antwortete Lady Agatha, »ich las se Ihnen da völlig freie Hand.« »Nicht zu glauben, wie solche Papier schnitzel wirken«, meinte sie amüsiert und griff leichtsinnigerweise nach eini gen zurechtgeschnittenen Stücken, hob sie an und lächelte ungläubig. »Mylady sehen meine Wenigkeit ent setzt«, ließ Josuah Parker sich verneh men. Er hatte keine Zeit gefunden, sie daran zu hindern, das Papier in die ungeschützte Hand zu nehmen. »Warum sind Sie entsetzt?« wunder te sich Agatha Simpson. »Mylady dürften sich in übertrage nem Sinn gerade infiziert haben«, stell te der Butler fest, »keiner bedauert das mehr als meine Wenigkeit, wie man versichern darf.«
»Ich komme nicht zufällig vorbei, sondern sehr gezielt«, sagte Chief-Su perintendent McWarden am anderen Morgen, nachdem Parker ihm die Tür des Hauses geöffnet hatte. McWarden, sonst stets ein wenig gereizt und übel gelaunt, wirkte ausgesprochen heiter. »Mylady ist leider noch nicht in der Lage, Sie zu empfangen«, bedauerte der Butler, »Mylady pflegt noch der Ruhe.« »Aber das macht doch nichts«, ant wortete McWarden und winkte ab, »Sie können Mylady ja später sagen, wes halb ich gekommen bin.« »Ein bestimmter Grund führt Sie hierher ins Haus, Sir?« »Gute Nachrichten«, meinte McWar den, »ich habe Herbert Morgan festge nommen.
»Sie konnten Beweise gegen ihn ins Feld führen, Sir?« »Listenweise sogar«, redete der Chief-Superintendent weiter und nick te kurz, als Parker ihm einen Sessel vor dem mächtigen Kamin anbot, »Morgan dürfte uns diesmal nicht wieder durch die Lappen gehen, Mr. Parker. Wir fan den bei ihm eine Liste von Personen, die er erpreßt hat. Mit diesen Leuten haben wir bereits erste Kontakte aufge nommen. In einigen Fällen wurde un ser Verdacht bestätigt.« »Mr. Herbert Morgan wird Ihnen die se Listen wohl kaum freiwillig überge ben haben, Sir.« »Darauf können Sie sich verlassen.« McWarden nickte. »Diese Listen kleb ten an der Wand seines Privatbüros. Wie er übrigens auch.« »Sie sehen meine Wenigkeit irritiert, Sir«, behauptete der Butler, »Mr. Mor gan klebte wieder mal an der Wand?« »Diesmal mit dem Rücken und dem Gesäß«, berichtete McWarden genuß voll weiter, »einige von seinen Leuten leisteten ihm dabei übrigens Gesell schaft. Dieser Klebstoff ist sagenhaft.« »Die chemische Industrie leistet auf diesem speziellen Gebiet Erstaunli ches, Sir. Darf man Ihnen übrigens ei nen Sherry anbieten?« »Aber gern, Mr. Parker.« McWarden erhob sich und wanderte vor dem Ka min auf und ab. »Morgan schäumte vor Wut, als er förmlich samt Putz von der Wand abgekratzt wurde. Und dazu noch diese Listen. Er dürfte die näch sten Jahre hinter Gittern verbringen, daran besteht kein Zweifel.« »Möglicherweise wird Mr. Herbert Morgan sich auch zu möglichen Mittä tern äußern, Sir.« »Davon gehe ich aus, Mr. Parker. Er wird seine Komplizen in die Pfanne hauen.« »Denken Sie in diesem Zusammen hang an bestimmte Personen, Sir?« Parker servierte das gefüllte Sherry glas auf einem kleinen Silbertablett. »Ich denke an Ben Gladster, der für ihn diese indiskreten Schnappschüsse 51
lieferte, ich denke aber auch an Mike Olfield.« »Ben Gladster und Mike Olfield, Sir?« Parker schien die Namen noch nie in seinem Leben gehört zu haben. »Zwei Kriminelle, die im Schatten von Morgan stehen«? meinte der Chief-Superintendent, »wie gesagt, Gladster lieferte die peinlichen Fotos, Olfield sorgte von Fall zu Fall für Schläger, um die bewußten Personen auch physisch unter Druck zu setzen. Jetzt kommt das große Aufräumen.« »Gehen Sie davon aus, Sir, daß ab sofort auch gewisse Künstler keine Schwierigkeiten mehr haben werden?« »Das möchte ich doch annehmen«, erwiderte McWarden, »die sind von Morgan ausgenommen worden. Oder haben Sie eine andere Theorie?« Während der Chief-Superintendent an seinem Sherry nippte, blickte er den Butler über den Rand des Glases an. »Man wird die nächsten Aufführun gen abwarten müssen, Sir«, lautete Parkers ausweichende Antwort. »Sie glauben also nicht, daß Morgan die Künstler erpreßt hat?« »Dies, Sir, vermag nur die Zukunft lehren«, gab der Butler zurück, »darf man erfahren, wie Sie zu Mr. Morgan in die Redaktion gelangten?« »Sie weichen mir also aus.« McWar den nickte und lächelte. »Okay, ich werde in dieser Sache vorerst keine weiteren Fragen stellen. Wie wir zu Morgan kamen, wollen Sie wissen? Da war wieder mal ein anonymer Anruf. Wie im Fall der vier Typen, die wir im Hyde Park fanden.« »Vier Typen, Sir, um Ihre Worte zu gebrauchen?« »Zwei Schläger von Olfield, zwei von Morgan«, zählte der Chief-Super intendent weiter auf, »und verrückter weise waren auch die mit diesem Klebstoff behandelt worden.« »Sie versetzen meine Wenigkeit in Erstaunen, Sir, wie ich bekennen muß.« 52
»Handfläche an Handfläche«, er zählte McWarden und lachte unverho len, »sie saßen im Kreis um einen La ternenmast und kamen nicht mehr voneinander los.« »Sie erlauben, Sir, daß meine We nigkeit sich ein wenig wundert?« bat der Butler in seiner höflichen Art. »Und ob ich das erlaube, Mr. Par ker.« McWarden grinste schadenfroh. »Es muß ein Bild für die Götter gewe sen sein. Ich werde Ihnen bei Gelegen heit Polizeifotos zuschicken oder auch vorbeibringen, das heißt, in den Mor genzeitungen müßten diese Aufnah men bereits zu sehen sein.« »Sie erwähnten die Namen Olfield und Gladster«, erinnerte der Butler, »darf man erfahren, ob die beiden Per sonen bereits inhaftiert wurden?« »Olfield steht unter Überwachung«, informierte der Chief-Superintendent, »wo aber Gladster steckt, wissen wir nicht. Er ist wie vom Erdboden ver schwunden. Nun ja, vielleicht hilft der Unbekannte noch mal aus, der uns zu Morgan gerufen hat. Man kann ja nie wissen.« »Man sollte die Hoffnung in der Tat niemals aufgeben, Sir«, erwiderte Jo suah Parker gemessen.
»Sie haben mich natürlich absicht lich nicht gewarnt, als ich nach diesem Papier griff«, grollte die ältere Dame gegen Mittag, als sie aus dem Oberge schoß des Hauses in die Wohnhalle zu rückkam. »Mylady waren einfach zu schnell für meine bescheidenen Reflexe«, gab Josuah Parker zurück. »Was war denn passiert?« fragte Mike Rander, der sich mit Kathy Por ter im Haus der Lady eingefunden hat te. Er wußte längst Bescheid, war von Parker informiert worden, doch er wollte es noch mal aus dem Mund der Dame selbst hören. Die Detektivin schilderte den Vor fall aus ihrer Sicht und dramatisierte
ihn entsprechend. Danach wiederhol te sie noch mal ihren Vorwurf. Dabei bedachte sie den Butler mit einem ge radezu vernichtenden Blick. »Und Sie schliefen ein, Mylady?« wollte Kathy Porter wissen. Sie gab sich sehr mitfühlend, obwohl sie Mü he hatte, sich ein Lachen zu ver beißen. »Ich habe natürlich gegen die Mü digkeit angekämpft«, meinte Lady Agatha und nickte, »Mr. Parker war wohl sehr überrascht, wie lange ich dem Schlaf widerstehen konnte.« »Etwa viereinhalb Minuten«, warf Josuah Parker schlicht und wahr heitsgemäß ein, »erst danach traf mei ne Wenigkeit mit dem herbeigeholten Wagen vor der Redaktion ein.« »Und wie haben Sie Mylady in den Wagen geschafft?« Mike Rander tat sehr interessiert. »Es ergaben sich gewisse Schwierig keiten«, schickte Parker voraus, »man sollte vielleicht auf die Schilderung von Details verzichten, Sir.« »Sie haben mich über Ihre Schulter gelegt und abtransportiert wie einen Mehlsack«, empörte sich die ältere Da me, »das haben Sie mir gegenüber of fen gestanden.« »Meine Wenigkeit sah keine andere Möglichkeit, Mylady in der zur Verfü gung stehenden Zeit standesgemäß in den Wagen zu verbringen«, bedauerte Parker, »aber man darf an dieser Stel le noch mal betonen, daß Mylady mit gebotenem Zartgefühl und mit Re spekt behandelt wurden.« Kathy Porter und Mike Rander wandten sich ab und hüteten sich vor wechselseitigen Blicken. Durch ihr Lachen wollten sie den Groll der älte ren Dame nicht noch mal anheizen. »Wie sieht's denn jetzt aus?« fragte der junge Anwalt schließlich, »können wir diesen Fall zu den Akten legen?« »Selbstverständlich, mein Junge«, erwiderte Agatha Simpson, »diese Subjekte sind von McWarden verein nahmt worden. Der Fall ist gelöst.« »So gut wie, Mylady«, wandte der 54
Butler ein, »die letzte und endgültige Bestätigung steht noch aus, wenn man so sagen darf. Mylady haben selbstver ständlich noch einen Rest an Zwei feln.« »Tatsächlich?« staunte sie. »Es fehlt das Geständnis des Mr. Herbert Morgan«, erinnerte der But ler, »er muß sich noch zu den Erpres sungen diverser Künstler äußern.« »Das ist wohl nur noch eine reine Formsache«, erklärte Agatha Simpson wegwerfend, »wer sonst als dieses Subjekt sollte die Künstler erpreßt ha ben, Mr. Parker?« »Mylady denken sicher noch betont an einige Personen, die ein Motiv ha ben könnten.« »An so etwas denke ich ununterbro chen«, behauptete sie umgehend, »ei ne geborene Kriminalistin wie ich rechnet stets mit allen Möglichkeiten. Und an wen denke ich da sonst noch, Mr. Parker? Ich bin doch sehr ge spannt, ob Sie noch den Gesamtüber blick haben.« »Mylady denken in erster Linie si cher an den Tenor Tonio Marcetti«, erinnerte der Butler, »er könnte ja laut Mylady sehr persönliche Ziele verfol gen und an eine gewisse Eigenrekla me denken.« »Richtig«, sagte sie, »und er erpreßt seine Kollegen, um nicht aufzufallen. Aber weiter, Mr. Parker! Sie sind fast auf dem richtigen Weg ...« »Mylady denken ferner an den Kor repetitor des Tenors, an Mr. Carlo Ba soni«, zählte der Butler weiter auf, »dann an den Sekretär des Dirigenten Sir George Copper und an den Sekre tär des Theateragenten.« »Eine sehr hübsche Auswahl«, warfKathy Porter ein. »Die noch nicht vollständig ist, Miß Porter«, fügte der Butler hinzu, »da wäre noch Mrs. Gina Marcetti, eine be merkenswert temperamentvolle Da me, wenn man so sagen darf.« »All diese Personen können Sie ver gessen«, behauptete Agatha Simpson mit erhobener Stimme, »ich habe mei
ne Erpresser, alle weiteren Personen sind nur unwichtige Randfiguren. Ich weiß, was ich sage!«
»Man wird Sie immer wieder bedro hen, Maestro«, redete Basoni fast ge nußvoll weiter, »wollen Sie jede Auf führung streichen?« »Carlo, sag mir, was ich tun soll«, beschwor Marcetti plötzlich seinen mu »Man will mich umbringen«, ereifer sikalischen Gehilfen und rang drama te sich Tonio Marcetti und wischte den tisch die Hände. Sein Ton war bittend Schweiß von der Stirn, »eben habe ich und weinerlich geworden. den Anruf erhalten.« »Sie müssen auftreten, Maestro«, »Könnten Sie sich möglicherweise in wiederholte Basoni noch mal. Bevor Details ergehen, Sir?« fragte Josuah aber Marcetti antworten konnte, läute te das Telefon. Basoni ging an den Ap Parker. »Worin soll ich mich ergehen? Ach so, parat und hob ab. Schon nach wenigen in Details. Okay, aber viel ist da nicht zu Augenblicken winkte er den Butler zu sagen, Mr. Parker. Ich bekam einen sich heran, während Marcetti zurück Anruf, und eine kaum verständliche wich. Stimme sagte mir, ich würde umge Parker legte sein Ohr gegen die Au bracht, noch heute während der ßenwölbung des Hörers. Eine undeutli Probe.« che Stimme trug dem Korrepetitor ge »Sie proben für den >LiebestrankLohengrin< gegeben. Ein Gast-Star vom Kontinent war angekündigt wor den. Man versprach sich von dieser Wagner-Inszenierung, wie es in einer Vorausschau hieß, eine Sensation. »Ausgeschlossen, Mr. Parker«, sagte Lady Agatha grollend, als Parker von dieser Aufführung berichtete, »ich werde mir diese Oper nicht ansehen.« »Obwohl Mylady Gelegenheit haben werden, den Erpresser zu stellen?« er kundigte sich Parker. »Eine schwere Entscheidung, Mr. Parker«, bekannte die ältere Dame, »Sie rechnen damit, daß er sich zeigen wird?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahr scheinlichkeit, Mylady. Er wird seinen Druck auf die Künstler verstärken wollen.« »Besorgen Sie mir einen diskreten Gehörschutz«, verlangte Agatha Simp son nachdrücklich, »sonst bekommen mich keine zehn Pferde in die Vorstel lung.« Parker sicherte Mylady solch einen Intensivschutz zu, verließ ihr Studio und begab sich ins Erdgeschoß des Hauses. Noch auf der Treppe hörte er das Telefon. Chief-Superintendent McWarden war in der Leitung und hat te gute Nachrichten. »Marcetti und Basoni sind eben er wischt worden«, sagte er, »Marcetti wollte mit einer kleinen Charterma schine rüber auf den Kontinent.« »Sie befragten ihn und Mr. Basoni nach den sogenannten StimmbandKillern, Sir?« »Vor allen Dingen Basoni«, gab Mc Warden zurück, »aber er streitet al les ab und will mit der Sache nichts zu tun haben.« »Möglicherweise ist er wirklich un schuldig, Sir«, antwortete der Butler höflich, »es bieten sich noch andere Personen als Täter an. Vielleicht weiß man in einigen Stunden mehr.« »Sie haben also einen bestimmten Verdacht, wie?« »In der Tat, Sir, die Erfahrung lehrt nämlich, daß meistens diejenige Per 62
son der Täter ist, die am wenigsten in Erscheinung tritt.
Myladys Interese war geweckt worden. Mit Anteilnahme und auch mit einer gewissen Sensationslust nahm sie zur Kenntnis, daß ein Schwan in der Lage war, einen veritablen Nachen oder Kahn zu ziehen. Diesem Kahn war ein strahlend aussehender Ritter entstie gen, der einen imponierenden Flügel helm trug, ein Schwert in der Hand hielt und sich bei dem großen, weißen Vogel äußerst herzlich für den Trans port bedankte. Viel Volk im Hintergrund der Bühne verfolgte diese Szene und gab sich nicht weniger verblüfft als Lady Aga tha. Der Ritter, der sich Lohengrin nannte, versicherte einer gewissen El sa, die sich ebenfalls auf der Bühne befand, er würde seine Hand für sie rühren. Der Chor quittierte diese Ver sicherung mit Gemurmel und dann mit Beifall. Ein Finsterling auf der Bühne war weniger begeistert und er ging sich in Schmähungen. Als der Chor auf der Bühne lautstark versi cherte, man habe gegen einen Zwei kampf nichts einzuwenden, wurde die Tür zur Loge vorsichtig aufgedrückt. Und dann schlüpfte ein schlanker Mann herein, der etwa fünfzig Jahre zählen mochte. »Da sind Sie ja, Mr. Gladster«, sagte Josuah Parker leise und übersah die schallgedämpfte Waffe in der Hand des Fotografen. »Und ich werde reinen Tisch ma chen«, versprach Ben Gladster, »Sie sind also auf meine Freundin reinge fallen.« »Die Mr. Rander gegenüber ein we nig zu freimütig erklärte, daß Sie einen Opernbesuch planten«, meinte der Butler, »dieser Hinweis war zu offen sichtlich, Mr. Gladster.« »Sie haben schon die ganze Zeit über gewußt, daß ich Ihr Mann bin, wie?«
»Von Beginn an«, versicherte Josu ah Parker, »man darf auf Ihre beiden Mitarbeiter verweisen, als man das Hotel des Tenor Marcetti verließ. Die se beiden Herren im Fahrstuhl nann ten nicht gerade freiwillig Ihren Namen.« »Pssst«, schaltete die Lady sich un gnädig ein. Sie fühlte sich ein wenig gestört, wandte sich aber nicht um. »Darf man fragen, woher Sie von Myladys und meinem Besuch bei Mr. Marcetti wußten?« fragte der Butler leise. »Coppers Sekretär schnappte das auf, also handelte ich sofort«, erwider te der Fotograf. »Sir George Coppers Sekretär ist al so Ihr eigentlicher Partner?« »Natürlich, wer sonst? Der Junge kennt sich schließlich in meiner Bran che aus, er hatte mal mit Drogen zu tun. Damals lernten wir uns in Soho kennen,« »Sie wissen inzwischen, daß Ihre Freunde Olfield und Morgan von der Polizei festgenommen wurden?« »Alles bekannt«, antwortete Glad ster und lächelte dünn, »aber die wer den mir nichts anhaben können, ich habe mich abgesichert.« »Pssst«, ließ die ältere Dame sich wieder vernehmen, »was soll denn das?« »Sie wird gleich ihre Ruhe für im mer haben«, kündigte Gladster an, der die Waffe hob, »sobald Sie hier erle digt sind, wird mein Partner unten im Parkett diesen Lohengrin anschießen. Das sichert dann weitere Verträge mit diesen Stimmband-Artisten.« »Meine Wenigkeit nahm den er wähnten Herrn im Parkett bereits wahr«, antwortete Parker, »er macht einen sehr nervösen Eindruck.« »Pssst«, zischte Agatha Simpson er neut und . . . ließ dann ihren perlenbe stickten Pompadour herumschnellen. Der darin befindliche Glücksbringer setzte sich haargenau auf die Hand des völlig verdutzten Gangsters. Die schallgedämpfte Waffe flog aus Glad
sters Hand und landete auf einem ge polsteren Stuhl. Bevor Gladster nach ihr greifen konnte, legte der Butler die Wölbung seiner schwarzen Kopfbedeckung auf die Stirn des Mannes. Gladster stieß einen Seufzer aus und kippte über die Brüstung der Loge. Er konnte von Parker gerade noch festgehalten wer den und lag dann wie ein nasser Lap pen über dem Logenrand. »Was wären Sie ohne mich, Mr. Par ker«, stellte die ältere Dame klar und nickte dann aufmunternd, als Parker mit einer Gabelschleuder nach unten ins Parkett zielte. Einen winzigen Au genblick später zischte eine der hart gebrannten Tonmurmeln nach unten und erwischte den Sekretär des Diri genten, der aufmerksam geworden war und nach oben geblickt hatte. Auf der Bühne klirrten inzwischen die Schwerter. Und Agatha Simpson widmete sich wieder mit ungeteilter Aufmerksamkeit dem spannenden Geschehen. Sie hatte den Eindruck, daß der Finsterling besser war als der strahlende Held, doch dieser Ein druck täuschte, wie sich herausteilte. Laut Libretto hatte der Held schließ lich zu siegen.
»Ich bin mit mir sehr zufrieden, mein lieber McWarden«, stellte Lady Agatha gegen Mitternacht fest. Sie be fand sich in ihrem Haus in Shepherd's Market und prostete dem Chief-Supe rintendent, Mike Rander und Kathy Porter zu. Butler Parker stand seitlich hinter seiner Herrin und hielt eine Ka raffe in der Hand, die mit altem Sherry gefüllt war. »Der Fall dieser Stimmband-Killer ist damit erledigt«, meinte McWarden und nickte, »die diversen Geständnis se sind nur noch reine Formsache. Fest steht aber, daß dieser Sekretär die Idee hatte, Künstler zu erpressen.« »Habe ich das nicht von Anfang an gesagt und gewußt?« fragte Agatha 63
Simpson und wandte sich zu Parker rin, »aber es ist richtig, was Sie da ge um. rade gesagt haben.« »Was immer Mylady auch zu sagen Mike Rander und Kathy Porter tran geruhen, Mylady pflegen stets das ken schleunigst, damit man ihr LäZentrum eines noch so komplizierten cheln nicht sehen konnte, McWarden Problems zu treffen«, lautete die Ant- erlitt einen kleinen Hustenanfall und wort des Butlers, »man kann nur voll wandte sich ab. Josuah Parker aber demütiger Bewunderung sein.« bot wieder mal das Bild eines hoch »Nun übertreiben Sie nicht gleich, herrschaftlichen Butlers, den nichts Mr. Parker«, entgegnete die Hausher- zu erschüttern vermochte. ENDE In 14 Tagen erscheint
Butler Parker Band 280
Günter Dönges
PARKER
läßt den Vielfraß springen
Lady Agatha fühlt sich herausgefordert, als man ihr nicht abnimmt, eine einmalige Skiläuferin zu sein. Auch Butler Parker kann ihr diesen Aus flug auf Pisten und Loipen nicht ausreden. Die ältere Dame schnallt sich Bretter unter und wird zur Gefahr für eine ganze Urlaubsregion in den Alpen. Parker nimmt zur Kenntnis, daß man sich aus bestimmten Grün den für Mylady interessiert. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Vielfraß, der eine Gang um sich schart und schnelle und fette Beute machen will. Tief muß Josuah Parker in seine Trickkiste greifen, um Lady Agatha vor Schaden zu bewahren. Günter Dönges präsentiert einen neuen PARKER-Krimi, in dem selbst verständlich wieder gelacht werden darf, ohne aber auf prickelnde Hoch spannung verzichten zu müssen. Freunde gagreicher Krimis werden hier bestens bedient.
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