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PARKER setzt den „König“ matt Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Mylady dürfen versichert sein, daß meine bescheidene Wenigkeit in höchstem Maß bemüht ist, den Turnierpfeil schnellstens wieder zu beschaffen«, rief der Butler aus dem Unterholz. »Wenn Mylady sich inzwischen aus dem mitgeführten Picknickkorb stärken wollen?« Agatha Simpson stapfte mißmutig über die Lichtung. »Finden Sie erst mal meinen Pfeil, Mister Parker. Schlimm, daß Sie nicht wissen, wo er hingeflogen ist. ich bin eben gut auf lange Distanz…« Josuah Parker hörte Myladys verärgerte Stimme sehr gut, gab jedoch keine Antwort, denn er hatte Myladys Pfeil entdeckt. Es war ein Slazenger, und die Farbe stimmte auch. Allerdings steckte der Turnierpfeil nicht im Erdboden, sondern in der Brust eines Mannes, der Butler Parker völlig unbekannt war. Sollte Mylady ungewollt auf ihre kraftvolle Art einen heimlichen Beobachter ihrer Bogenschießübungen erlegt haben? Unausdenkbar wären die Folgen… Die Hauptpersonen: Norman King ist der abgefeimte Millionär, der um jeden Preis Meister im Bogenschießen werden will. Gwendolyn Barney mimt Kings Geliebte, die er als »Hausdame« ausgibt, was manche erschreckend finden. Lionel Hotchkiss betätigt sich als Butler im Hause King und gleichzeitig als Experte in gesetzwidrigen Machenschaften. Lady Agatha Simpson konkurriert mit Norman King um den Titel des britischen Meisters. Butler Parker mißbilligt die Methoden der Gegenseite und spielt den Lockvogel. »Wo bleiben Sie denn, Mister Parker? Servieren Sie endlich den Lunch!« »Sehr wohl, Mylady.« Parker ließ den Pfeil stecken, wo er war, und arbeitete sich durchs Unterholz zur Lichtung zurück. »Es ist
nicht ganz ausgeschlossen, daß die Polizei alarmiert werden muß, Mylady. Im Gebüsch liegt ein Toter.« »Was sagen Sie da? Ein Toter? Immer diese unangenehmen Zwischenfälle, wenn ich trainiere, Mister Parker. Ich beginne mit der geräucherten Lachsforelle und etwas Sahnemeerrettich. Dazu einen Schluck Hocks.« »Sehr wohl, Mylady. Der Hochheimer Riesling paßt ausgezeichnet. Die Flasche ist gut gekühlt.« »Haben Sie übrigens meinen Pfeil gefunden, Mister Parker?« Der Butler räusperte sich. »Möglicherweise ja, Mylady. In der Brust des Toten steckt ein grüner Slazenger von der gleichen Art und Beschaffenheit jenes Pfeiles, den Mylady zuletzt abgeschossen haben.« Die dunkel gekleidete Gestalt, die sich am Ende der Lichtung zeigte und zielstrebig den herrschaftlichen Picknickplatz ansteuerte, ließ Butler Parker seinen Gedankengang unterbrechen und sich auf die neue Situation einstellen. »Man bekommt Besuch, Mylady«, sagte er. Agatha Simpson lehnte es ab, ihre Körperfülle in die Richtung zu wenden, die Parker mit ausgestreckter Hand andeutete. »Wir ignorieren den Spaziergänger, Mister Parker.« Sie hielt ihr Glas hoch. »Wenn Sie bitte nachschenken wollen…« »Meine Wenigkeit bittet um Entschuldigung, Mylady.« Parker legte die gestärkte Stoffserviette um den Flaschenhals und füllte das Glas. »Zum Brathuhn nehme ich dann einen leichten Rose, Mister Parker.« Der Butler kam nicht mehr dazu, Mylady zuzustimmen. Der Fremde war stehengeblieben, stemmte breitbeinig die Fäuste in die Seiten und blickte auf das herrschaftliche Picknick. So jedenfalls schien es, Josuah Parker. »n’ Appetit…«, murmelte der schwarzgekleidete Störenfried. »Hoffentlich schmeckt’s.« »Sagen Sie diesem Subjekt, daß ich nicht gestört zu werden wünsche, Mister Parker«, verlangte die ältere Dame. »Unerträglich, bei einem so bescheidenen Imbiß belästigt zu werden.« Agatha Simpson richtete sich empört in ihrem Feldstuhl auf, einem faltbaren Etwas, das an einen Regiestuhl erinnerte. »Verschwinden Sie! Sie… Sie… Waldläufer…!« »Tja, das bin ich wirklich – ein Waldläufer«, erwiderte der Fremde
seufzend. »Man wandert und freut sich der Natur und des eigenen Lebens, und plötzlich hört man dann einen Schrei. Sie haben ihn doch auch gehört, nicht wahr, Lady Simpson?« »Woher kennen Sie meinen Namen?« »Wer kennt ihn nicht, den Namen der berühmten Bogenschützin, die hier anscheinend für die Britischen Meisterschaften trainiert. Ich sah ihren letzten grandiosen Schuß, Mylady. Meine Hochachtung! Mister King ist zwar genausogut, aber er ist ein Mann.« »Sie arbeiten für King, für Norman King?« »Dieses Individuum dient im Hause King als Butler, Mylady«, erläuterte Parker. »Zumindest wird die Tätigkeit so definiert. Es verwundert ein wenig, daß Mister Hotchkiss am hellen Tag von seiner Herrschaft nicht benötigt zu werden scheint.« »Machen Sie’s nicht so umständlich Parker. Heute ist mein freier Tag. Sie kriegen wohl nie frei, wie? Um auf den Schrei zurückzukommen…« »Es gab keinen Schrei, Mister Hotchkiss«, sagte Parker mit unbewegter Miene. »Sie müssen einer Sinnestäuschung erlegen sein.« »Blindtaub, wie? Ich habe genau gesehen, wie Ihre Herrin den Bogen spannte. Kraft hat sie, das muß ihr der Neid lassen. Und dann zischte der Pfeil ab. Tolle Distanz. Leider ging er weit daneben, und in derselben Sekunde gellte der Schrei durch den Wald.« »Meine bescheidene Wenigkeit ist bereit zu schwören, daß kein Schrei der erwähnten Art hörbar wurde, Mister Hotchkiss. Sie werden auf einen Eichelhäher hereingefallen sein.« »Unsinn! Wo ist denn der Pfeil, Parker? Sie haben doch danach gesucht. Bei dem bekannten Geiz Ihrer Herrin stellt ein Slazenger ja schon ein Vermögen dar. Hab ich recht?« »Sie mischen sich in Angelegenheiten ein, die Sie nicht betreffen dürften, Mister Hotchkiss. Mylady wünscht nicht länger Ihre Anwesenheit. Man möchte Sie an Ihrem freien Tag keineswegs aufhalten.« »Merken Sie was, Lady Simpson?« wandte sich Hotchkiss an Parkers Herrin. »Ihr Butler will mich loswerden. Sie schnüffeln doch in Kriminalfällen herum und halten sich für eine tolle Amateurdetektivin, Finden Sie nicht auch, daß Parker sich verdächtig benimmt? Nicht daß ich scharf bin auf ein Stück Huhn… Ich habe meinen Lunch schon eingenommen, gerade drüben im >Fox and FitchewFox and Fitchew< zurück und werde den Polizeichef der Grafschaft informieren. Zufällig ist Commissioner Harley ein guter Bekannter meiner Herrschaft.« »Tun Sie sich keinen Zwang an, Mister Hotchkiss. Wenn Sie einen Rat annehmen wollen: versprechen Sie sich nicht. Der Schrei dürfte nur in Ihrer Phantasie existieren.« »Von wegen Phantasie, Parker! Golightly liegt erschossen im Gebüsch und…« »Haben Sie den Fundort schon besichtigt? Oder woher wissen Sie den Namen des vermeintlich Getroffenen?« »Sparen Sie sich Ihre Spitzfindigkeiten, Parker. Diesmal winden Sie sich nicht heraus. Ich weiß, was ich gesehen und gehört habe. Ich bin Tatzeuge. Wir sehen uns wieder vor Gericht.« Lionel Hotchkiss machte sich davon. Er war kein Sportsmann, und sein beschleunigter Gang erinnerte an das berühmte Hasenpanier. * »Ein höchst unangenehmer Mensch«, bemerkte Lady Agatha, die an eine versäumte Ohrfeige dachte. »Ich kann nichts mehr essen und verzichte auch auf das Obst. Geben Sie mir nur einen Sherry, Mister Parker.« »Was den Toten da drüben im Gebüsch betrifft, Mylady…«
»Ich will nichts mehr davon hören«, unterbrach die ältere Dame ihn. »Was geht mich eine fremde Leiche an! Wir brechen auf, damit wir nicht den lästigen Fragen der Landpolizei ausgesetzt sind, Mister Parker.« »Mit Verlaub, Mylady, diese Handlungsweise könnte als unbesonnen gelten. Ein solch strategischer Rückzug würde zweifelsohne als Flucht ausgelegt. Und Flucht bedeutet soviel wie ein Eingeständnis der Schuld. Mylady sollten nicht vergessen, daß ein Turnierpfeil im Körper des Getöteten steckt.« »Unsinn! Ich habe den Mann gar nicht gesehen. Wie soll ich ihn dann getroffen haben?« »Mylady belieben den kritischen Punkt anzusprechen. Nach meinem bescheidenen Dafürhalten konnte Myladys Pfeil nicht mehr die erforderliche Kraft haben, einen Menschen nach dem Auftreffen zu töten. Zweifelsohne wird man eine Rekonstruktion des Herganges durchführen. In diesem Fall sollten Mylady nicht ihre berühmte Kraft am Bogen voll einsetzen.« »Was werde ich also unternehmen, Mister Parker?« »Mylady geruhen, meiner Wenigkeit unverzüglich den Auftrag zu erteilen, über Funk Verbindung mit Mister McWarden in Scotland Yard aufzunehmen. Er wird als Myladys wohlmeinender Freund die Verhöre der Grafschaftspolizei abzuwenden wissen.« »Beeilen Sie sich, Mister Parker. McWarden soll sofort herkommen.« »Mister McWardens sofortiges Erscheinen wird durch die Entfernung erschwert, die Mylady zwischen London und dieser Übungsstätte hinter sich gebracht haben. Es ist jedoch angeraten, dem ehrenwerten Chief-Superintendent zu empfehlen, fernmündlich Einfluß auf die Grafschaftspolizei zu nehmen, so daß Mylady bis zum Eintreffen Mister McWardens von unangenehmen Fragen verschont bleiben.« Lady Agatha schenkte sich gedankenvoll nach, und Josuah Parker stellte die Funkverbindung zu Scotland Yard her. McWarden war erreichbar und versprach, unverzüglich aufzubrechen. »Es handelt sich um einen Freundschaftsdienst, Sir«, erwiderte Parker gemessen. »Man wird amtlich feststellen, daß der angebliche Treffer weder auf eine Absicht noch auf ein Versehen zurückgeführt werden kann. Die perfide Tat dürfte nur den Zweck haben, Mylady an der Teilnahme zur Meisterschaft im Bogenschie-
ßen zu hindern.« »Es ist gut, Mister Parker. Wir reden später darüber weiter. Ich bin schon unterwegs, sagen Sie das Mylady.« Der Butler richtete es wörtlich und unverzüglich aus. »Haben Sie McWarden etwa von dem Picknick erzählt, und daß noch etwas übrig ist? Ich weiß doch, daß er nur deshalb herkommt, Mister Parker. Nun denn, ich habe jetzt die Kraft, den Leichnam in Augenschein zu nehmen. Führen Sie mich zum Gebüsch.« »Dem möchte meine Wenigkeit abraten, Mylady. Man sollte den vorhandenen keine zusätzlichen Spuren hinzufügen.« »Was für Spuren?« »Die Spuren des Mörders, Mylady. Meiner bescheidenen Person stellt sich der Tathergang absolut klar dar. Man wird nach Eintreffen der Grafschaftspolizei und der Herren von Scotland Yard diesbezügliche Angaben machen. Mylady wäre zu empfehlen, in diesem speziellen Fall nicht selbst zu ermitteln, da Befangenheit unterstellt werden könnte.« »Ziehen Sie wenigstens den Pfeil heraus, damit mein Dutzend wieder komplett ist, Mister Parker.« Der Butler hob die Brauen. »Dies zu vollziehen, wäre ein so sicheres Eingeständnis wie Flucht, Mylady. Der Pfeil in der Brust des Toten, dessen Namen Mister Hotchkiss mit Golightly angab – obwohl er ihn noch gar nicht gesehen hatte –, dieser Pfeil beweist Myladys Unschuld, solange er an Ort und Stelle steckenbleibt.« »Wie soll ich das verstehen, Mister Parker?« »Man sprach bereits andeutungsweise mit Mister McWarden darüber, Mylady. Es ist nach physikalischen Gesetzen völlig ausgeschlossen, daß Mylady den Tod des Zaungastes oder heimlichen Beobachters verschuldet haben.« »Und warum nicht?« »Weil der fragliche Pfeil in einem Winkel zwischen fünfundvierzig und fünfzig Grad auftraf, betrachtet in Richtung des Kopfes des Toten. Ausgehend von der größten Wahrscheinlichkeit, nämlich daß die Gestalt aufrecht stand, als der Pfeil angeblich traf, hätte sich als ballistische Kurve eine Parabel ergeben müssen. Mit anderen Worten, Mylady hätten, um jenen Menschen zu treffen, steil in den Himmel schießen müssen, um zu erreichen, daß der Pfeil nach Passieren des Scheitelpunktes ebenso steil aufgetroffen wäre.«
»Aber ich habe doch auf die Scheibe gezielt, Mister Parker. Mein Pfeil war nie höher als fünf Fuß über dem Erdboden.« »So ist es, Mylady.« »Wie ist dann der Mensch umgekommen?« »Golightly wurde allem Anschein nach ermordet, Mylady. Man warf sich auf ihn, so daß er stürzte und auf dem Rücken liegenblieb. Daraufhin ergriff man jenen Pfeil, der noch immer steckt, und stach dem Bedauernswerten ins Herz. Beachten Mylady, daß auch Messerstiche bei einem liegenden Opfer in besagtem Eintrittswinkel ausfallen.« »Ich brauche das nicht zu beachten. Ich weiß es längst, Mister Parker. Was Sie da erzählt haben, ist mir von vornherein klar gewesen. Ich habe deshalb ruhig mein Diätfrühstück beendet. Selbstverständlich werde ich den Domestiken dieses Norman King belangen. Er hat mich beleidigt und mir den Appetit aufs Dessert genommen. Bringen Sie mich jetzt zum Wagen, Mister Parker. Ich möchte noch etwas ausruhen, bis die Polizei eintrifft.« * Lionel Hotchkiss war nicht mitgekommen, obwohl es vom »Fox and Fitchew« bis zur Waldlichtung nicht weit war. Zuerst traf eine Motorradstreife ein. Der Polizist mit Schutzhelm, in Stiefeln und Breeches faßte Josuah Parker ins Auge. »Führen Sie mich zur Leiche, Mister.« »Mein Name ist Parker, Josuah Parker, Constable. Meine Wenigkeit steht dem Haushalt Lady Simpsons als Butler vor. Mylady ruht sich augenblicklich im Fond jenes schwarzen Fahrzeuges aus. Sie sollten Ihre Ermittlungen nicht zu laut werden lassen, damit Mylady nicht gestört wird.« Der Polizist sah sich das hochbeinige Monstrum an, denn um kein anderes Fahrzeug handelte es sich, in dem sich Agatha Simpson erholte. »Ihre Herrin schnarcht wie ein Holzfäller, Mister Parker.« »Sir!« Josuah Parker legte seine ganze Mißbilligung in dieses Wort. »Eine Lady schnarcht nie – eine Lady ruht. Es kann sein, daß das Gaumensegel Geräusche verursacht, doch sie sind der Garant für Myladys friedvollen Mittagsschlaf.« Der Constable schien sich nur ungern von dem hochbeinigen
Monstrum zu trennen, in dem Lady Agatha halb sitzend, halb liegend der Ruhe frönte. »Ich kann mir nicht helfen, Mister Parker: hier riecht es nach Brandy. Dabei sind die Türen doch zu.« »Sind Sie gekommen, um diesem Phänomen nachzugehen, Constable, oder erhielten Sie den Auftrag, sich um einen unbekannten Toten zu kümmern?« »Ich bin nur die Vorhut, Mister Parker. Ich habe Zeugen und Beteiligte daran zu hindern, sich vom Tatort zu entfernen. Außerdem ist der Tote nicht unbekannt. Der Meldung zufolge wurde Freddy Golightly Opfer des bedauerlichen Unfalls.« »Vom wem stammt diese Meldung, Constable? Verstößt es gegen das Dienstgeheimnis, wenn Sie zugeben, daß es Mister Hotchkiss war, der die Meldung erstattet hat?« »Hotchkiss? Doch nicht Hotchkiss… Der sehr ehrenwerte Mister King rief persönlich an. Commissioner Harley ist sofort vom häuslichen Mittagstisch aufgebrochen. Ich rechne jeden Moment mit seinem Eintreffen.« Josuah Parker behielt seine unbewegte Pokermiene bei. Diese Leute machten Fehler über Fehler. Wie konnte Norman King persönlich den Unfall melden und sogar den Namen des Opfers nennen, wenn er nicht in der Nähe war? Hatte Hotchkiss ihn zuvor verständigt? Oder war das Ganze von Anfang an eine abgekartete Sache? Jenseits der Lichtung, wo die Fahrspur durch den Wald endete, dröhnten starke Motoren auf. In niederem Gang schlingerten zwei schwarze Jaguar-Dienstfahrzeuge durch die Schneise. Der Mann im vorderen Wagen neben dem Fahrer war von kleinem Wuchs, glatzköpfig und rotgesichtig. Der Constable nahm sofort Haltung an, »Commissioner Harley, Mister Parker. Der Chef wird üble Laune mitbringen. Er läßt sich in der Mittagszeit nicht gern stören. Seit über einem Jahr ist in unserem Dienstbereich kein Mensch mehr eines unnatürlichen Todes gestorben, müssen Sie wissen!« Der Butler nickte interessiert. »Meine Wenigkeit hat es vernommen, Constable.« Der Uniformierte zog den Hals ein. »Eigentlich bin ich noch Constable auf Probe, Sir. Ich gehöre zur Motorradstaffel. Wir sind vier Männer und begleiten seine Hoheit, den Herzog, zu Jagdausflügen. Zwei Männer vorneweg, zwei auf den Maschinen hinter-
her. Nennen Sie mich, wenn Sie mit dem Chef reden, bitte nicht Constable.« »Man dankt für diesen Hinweis.« Josuah Parker trat dem Commissioner gemessenen Schrittes entgegen und lüftete leicht ergeben die steife Melone. »Die Angelegenheit, die Sie dem Kreis Ihrer Familie und Ihrer verdienten Mittagsruhe entriß, mag in hohem Maß bedauerlich sein, Sir, doch dürfen Sie gewiß sein, daß man Sie aus eigenem Antrieb nicht bemüht hätte.« »Was soll das heißen?« ereiferte sich Harley. »Ich will wissen, was hier vorgeht, zum Teufel! Mein Freund Norman ruft mich an und erzählt mir, hier läge eine Leiche im Busch. Angeblich Freddy Golightly, dieser Windhund.« »Sie kannten das Opfer, Sir?« »Golightly – wenn er’s ist – den kannte doch jeder: ein arbeitsscheuer Trunkenbold und Weiberheld. Ein Spieler, er setzte auf Pferde, abscheulich. Ich ziehe Hunderennen vor, Mister…« »Parker, Josuah Parker, Sir. In Diensten der Lady Agatha Simpson in Shepherd’s Market, London.« »Ja, ja, schon gut, Parker. Was sind Sie bei der Lady?« »Man hat die Ehre und das Vergnügen, Mylady als Butler dienen zu dürfen.« »Und wo steckt Ihre Herrin? Norman erwähnte, daß sie es war, die Golightly mit Pfeil und Bogen erlegt hat.« »Dies, Sir, grenzt an Übertreibung. Mylady war keineswegs auf der Jagd. Mylady trainierte in der Einsamkeit dieser Waldlichtung für die Meisterschaften im Bogenschießen. Meine bescheidene Wenigkeit war zu jeder Sekunde anwesend, so daß behauptet werden darf, daß Mylady nur auf die mitgebrachte Scheibe zielte. Lediglich ein Pfeil wurde von einer Windbö davongetragen. Man begab sich auf die Suche und entdeckte im Unterholz eine Person männlichen Geschlechts, die sich reglos verhielt. Ein Pfeil von der Beschaffenheit jener Übungsgeräte, die auch Mylady bevorzugt, fand sich in der Brust dieses Mannes.« »Wo ist nun die Lady?« »Mylady bedurfte der Ruhe und hält sich zur Bequemlichkeit in jenem Fahrzeug dort auf, das zu lenken meine Wenigkeit die Ehre hat.« »Holen Sie Ihre Herrin her. Ich will sie verhören.« »Sir, wäre es nicht angebracht, zuvor das Opfer in Augenschein
zu nehmen? Informativ muß Ihnen mitgeteilt werden, daß Scotland Yard bereits verständigt wurde.« »Aha, McWarden vermutlich…« Harley kniff die ohnehin dünnen Lippen zusammen. Sein Schädel rötete sich noch mehr. »Wie kommen Sie auf die Idee, daß dieser Unfall den Yard betrifft, Parker?« »Gewisse Umstände führten meine Person zu dem Entschluß, Mylady anzuraten, Scotland Yard hinzuzuziehen. Man sollte dies nicht auf freiem Feld oder in einer Waldlichtung erörtern, Sir.« »Wollen Sie mir Vorschriften machen, Parker?« »Mitnichten, Sir. In der Position des Butlers ist man gelegentlich mit Kriminalfällen konfrontiert, besonders im hochherrschaftlichen Haus in Shepherd’s Market. Mylady genießt den Ruf einer hervorragenden Kriminalistin. In dem Zusammenhang dürfte darauf hinzuweisen sein, daß Mister Golightly nicht von einem Pfeil Myladys getroffen und verletzt wurde, sondern daß der Pfeil von fremder Hand stammen muß. Er wurde benutzt wie ein Dolch, Sir.« »Woher wollen Sie das wissen?« »Es ergab sich die Gelegenheit, den Stichwinkel und den Verlauf des Wundkanals zu begutachten, Sir. Demnach muß jener Pfeil auf den stehenden Mister Golightly mit Durchschlagskraft vom Himmel gefallen sein – oder Mister Golightly starb in liegender Stellung durch die frevelhafte Hand eines gedungenen Mörders. Euer Ehren mögen dem entnehmen, daß Mylady nicht für Mister Golightlys Ableben verantwortlich gemacht werden kann.« »Zeigen Sie mir endlich den Toten. Ich mag Leichen nicht, besonders nach einem opulenten Mittagsmahl, doch Dienst ist Dienst.« »Sehr wohl, Sir.« Josuah Parker ging mit steifen Schritten voraus, gefolgt von dem Commissioner, dem Constable und weiteren zwei Männern der Grafschaftspolizei. Er bahnte sich seinen Weg, hielt Zweige beiseite und erreichte die Stelle, wo er vor etwa einer halben Stunde die männliche Leiche entdeckt hatte. An dieser Stelle war nichts mehr außer niedergedrücktem Waldgras zu sehen. »Wenn ich zum Narren gehalten werde…« tobte Harley los und beäugte Josuah Parker, doch der Butler war vorausgegangen. »Das wird Folgen haben«, drohte der Commissioner. »Ist es noch weit bis zu dem toten Golightly, Parker?« »Man ist schon da, Sir. Leider ist aber Mister Golightly nicht mehr
da. Er muß aufgestanden und gegangen sein. Schleifspuren sind nicht zu finden.« »Gegangen? Ein Toter ist gegangen, Parker?« »Vielleicht war Freddy doch nicht so verkommen, wie allgemein behauptet wurde, Sir«, wagte der Mann namens Coverdale zu äußern. »Wenn Mister King durchgibt, Freddy hätte tot hier gelegen, dann hat Freddy auch tot hier gelegen. Vielleicht ist er weggeflogen. Engel verstehen sich aufs Fliegen, Sir…« Harley griff sich entgeistert an den Kopf. Coverdales Bemerkung erfuhr ungeahnte Aktualität, weil ein Helikopter dicht über den Baumwipfeln einschwebte und auf die Waldlichtung niederging. An der Unterseite der Maschine, zwischen den Kufen, stand in breiten Großbuchstaben zu lesen: POLICE. »Das dürfte Chief-Superintendent McWarden sein, Sir«, äußerte Josuah Parker. »Gestatten Sie, daß man ihm entgegengeht und ihn willkommen heißt, Sir? Es wäre auch angemessen, Mylady über die erfolgte Ankunft in Kenntnis zu setzen. Mylady ist mit Mister McWarden durch langjährige Bekanntschaft verbunden.« »Gehen Sie zum Teufel, Parker! Und kommen Sie mir nie wieder unter die Augen… Abrücken, Männer! Die Eintragung ins Wachbuch nehme ich selbst vor.« * Als Josuah Parker die Lichtung erreichte, war der Helikopter bereits gelandet. Die Rotorflügel schwangen aus. Mylady schien aufgewacht zu sein, denn sie zeigte Bein, als sie sich aus dem Fond des hochbeinigen Monstrums nach draußen zwängte. Parker blickte dezent zur Seite. »Mister Parker, helfen Sie mir! Die Tür scheint mir so schmal, daß nicht mal ein indischer Gaukler hindurchkäme.« Der Butler kannte Fakire aus eigenem Erleben. Nach seiner Schätzung fanden drei bis vier von ihnen hier genügend Platz. Er wandte einen gekonnten und galanten Griff an – und Parkers Herrin war draußen, um sich im Gras auszubalancieren. »Was hat dieser Helikopter zu bedeuten, Mister Parker? Eine Unverschämtheit ist es, meinen besten Schlaf zu stören.« »Dies lag gewiß nicht in der Absicht des Chief-Superintendenten,
Mylady. Mister McWarden wählte das schnellste Beförderungsmittel, das dem Yard zur Verfügung steht, um Mylady zu Hilfe zu eilen.« »Meinen Sie wirklich? Sitzt McWarden drin?« »In der Tat, Mylady. Man sieht ihn gerade aussteigen. Der ChiefSuperintendent hat Mylady bereits wahrgenommen. Haben Mylady in der Kürze der Zeit wohl geruht?« »Ich habe kein Auge zugetan, Mister Parker. Der Sherry war nicht gut. Die Flasche hatte das falsche Etikett. Ich möchte nichts mehr davon, Mister Parker.« »Sehr wohl, Mylady. Eine bedauerliche Verwechslung der Behältnisse. Mylady sollten Abstand davon nehmen, sich selbst zu bedienen. Möchten Mylady Mister McWarden gegenübertreten?« »Ja, jetzt sofort, Mister Parker. Schicken Sie den Superintendenten zu mir. Die Polizei der Grafschaft scheint zu schlafen.« »Mit Verlaub, Mylady, Commissioner Harley war bereits hier und ist mit seinen Leuten erfolglos abgezogen, weil die Leiche nicht mehr da war.« »Der Tote war nicht mehr da…?« »In der Tat, Mylady! Mister Golightly, wie Mister Hotchkiss das Opfer bezeichnete, glänzt zur Zeit durch Abwesenheit. Da er kaum von den Toten auferstanden sein kann, muß Mister Golightlys Leiche von dritter Seite entfernt worden sein. Spuren von Kraftfahrzeugen oder Reifen waren nicht festzustellen. Demzufolge muß Mister Golightly von zwei Leuten weggetragen worden sein. Einer dieser beiden kann Mister Hotchkiss gewesen sein, da er überraschend gut informiert war. Er mag der Weisung seines Herrn, hm… Mister King gefolgt sein, der wiederum an Mister Hotchkiss’ Stelle die Polizei verständigte.« »Das ist mir alles zuviel, Mister Parker. Ich fühle mich nicht gut. Gehen Sie McWarden entgegen und bitten Sie ihn zu mir. Dann gebe ich Ihnen für eine Viertelstunde frei. Wir fahren anschließend nach Shepherd’s Market zurück.« »Sehr wohl! Wie Mylady belieben…« Josuah Parker schritt dem Yard-Mann entgegen. »Man wünscht einen guten Tag, Sir, und möchte dies verbinden mit ‘dem Ausdruck vorzüglichen Dankes für Ihren persönlichen Einsatz, Sir.« »Schon gut, Mister Parker. Mylady macht keinen frischen Eindruck. Haben die Ereignisse die Gute so stark mitgenommen?« »Es dürfte sich weniger um die Ereignisse handeln, Sir, als um die
Früchte zum Dessert, die Mylady ausgeschlagen hat. Mylady begnügte sich mit etwas vermeintlichem Sherry. Bedauerlicherweise verwechselte Mylady die Flasche…« »Was hat sie denn geschluckt, die Ärmste?« Parker schüttelte würdevoll das Haupt. »Das Picknick anläßlich Myladys Training beschränkte sich auf kalte Speisen und Getränke, Sir. Sollten Sie weiterer Auskünfte dieserhalb bedürfen, ist es angeraten, mit Mylady selbst zu sprechen. Meine bescheidene Wenigkeit schätzt sich glücklich, Sie zu Mylady begleiten zu dürfen, Sir.« Offensichtlich hatte die frische Luft Agatha Simpson gutgetan. Ihre robuste Natur hatte die Oberhand gewonnen. McWarden ging fast in die Knie, als Parkers Herrin ihm jovial auf die Schulter schlug. »Nett, daß Sie so schnell gekommen sind, McWarden. Ich hörte von Mister Parker, daß sich die Sache erledigt hat. Die Leiche ist nicht mehr da. Und ohne Leiche kein Kriminalfall. Ich muß zugeben, daß mich die Sache aber immer noch interessiert, denn wenn auch die Leiche gestohlen worden ist, bleibt mit kriminalistischem Instinkt zu ermitteln, wie es überhaupt zu der Leiche kam.« McWarden wirkte verwirrt. »Ich meine, wer den Mann getötet hat – oder richtiger gesagt, ermordet! Mister Parker hat eine Theorie entwickelt, die mir zwar nicht einleuchtet, die aber eine Arbeitsgrundlage sein könnte. Erzählen Sie McWarden davon, Mister Parker.« Der Butler verbeugte sich. »Es handelt sich um den Auftreffwinkel, beziehungsweise um den Wundkanal, den der fragliche Pfeil verursacht hat…« Parker führte noch mal sachlich und mit Begründung aus, was er bereits seiner Herrin vorgetragen hatte. »Hinzu kommt, Sir, daß der Pfeil den Brustkorb des Opfers durchbohrt hat und tief ins Herz vorgestoßen ist. Auf die Distanz zu Myladys Abschußposition hätte ein Dreiunzenpfeil allenfalls in einer Schießscheibe aus Stroh steckenbleiben können.« »Was ist daraus zu schließen, Mister Parker?« »Der besagte Pfeil wurde nicht von Sehne und Bogen abgeschossen, Sir, sondern von meuchlerischer Hand und mit großer Wucht wie ein Speer geführt. Der Tod des Opfers muß sofort eingetreten sein.« »Sind Sie sicher, daß der Mann wirklich tot war? Haben Sie ihn
angefaßt, Parker?« »Mitnichten, Sir. In der Annahme, daß das Opfer unverändert liegenbleiben werde, informierte meine bescheidene Wenigkeit zunächst Mylady. Immerhin handelte es sich bei dem Pfeil um einen jener Slazenger, die Mylady für ihr Training benutzte.« »Interessant! Fahren Sie fort, Mister Parker!« »Es gibt nicht mehr viel zu sagen, Sir.« Der Butler berichtete von dem unverhofften Auftauchen Lionel Hotchkiss’. Er sprach von Kings Butler mit spürbarer Distanziertheit. McWarden schien zufrieden. »Damit haben wir den Mörder. Klarer Fall. Dieser Hotchkiss wußte Bescheid, obwohl er direkt aus diesem Gasthof gekommen sein wollte, diesem…« »Fox and Fitchew, Sir.« »Richtig, Parker. Er hat Ihnen mit der Polizei gedroht, aber der Alarmruf kam nicht von ihm, sondern von seinem Herrn, diesem Mister King, nicht wahr?« »So äußerte sich einer der Beamten, Sir.« Der Chief-Superintendent wurde immer zufriedener. »Ich werde mit Harley ein ernstes Wort reden müssen. Zufällig kenne ich den Commissioner. Er hat sich vor Jahren aufs Land zurückgezogen, nachdem ihm in London einige schlimme Pannen passiert sind.« »In der Tat, Sir?« Parker warf verstohlen einen Blick auf die ältere Dame. Mylady schien im Stehen eingenickt zu sein. Es war ohnehin auffällig, daß Mylady so wenig zu dem Gespräch beigetragen hatte. McWarden fiel es auch auf. »Ist Ihnen nicht wohl, Lady Simpson?« Sie zuckte zusammen. »Wie…? Was ist mit dem Pfeil?« »Mit welchem Pfeil? Wir sprachen über Commissioner Harley.« »Kenne ich nicht. Was geht mich Commissioner Harley an. Ich habe nachgedacht, McWarden. Sie nahmen natürlich an, ich wäre eingeschlafen. Typisch. Konzentriertes Nachdenken und die Fähigkeit, logische Schlußfolgerungen zu ziehen, ist das Geheimnis des Erfolgs einer Kriminalistin. Ich wiederhole: Was ist mit dem Pfeil?« »Mit welchem Pfeil, Mylady?« »Ich spreche von dem Pfeil, den ich abschoß, und den Mister Parker suchen sollte, McWarden. Ein plötzlicher Windstoß fegte den Pfeil ins Unterholz. Da Mister Parker ihn nicht finden konnte, muß er also noch da sein.«
»Was beweist das?« »Immerhin, daß ein mörderisches Komplott gegen mich im Gange ist. Dieser King scheut nicht mal davor zurück, einen Menschen zu töten – nur um mich in Schwierigkeiten zu bringen. Er hat mich beobachten lassen, Mister McWarden. Er weiß, welche Art Pfeile ich beim Training bevorzuge. Er schickte den Mörder mit einem Slazenger los, Glasfaserkörper, Alu-Spitze und Naturfedern am Ende…« Die passionierte Detektivin begeisterte sich immer mehr für ihre spontane Theorie. »Schicken Sie den Helikopter weg, McWarden. Sie fahren mit mir nach London zurück, nachdem Sie den Mörder und den Anstifter festgenommen haben. Ich schenke Ihnen einen restlos aufgeklärten Fall. Sie brauchen nur noch die Verhaftungen vorzunehmen. Natürlich erwarte ich, daß ich in der Berichterstattung der Presse gebührend erwähnt werde. Schließlich bin ich dann die Kriminalistin, die den Fall Golightly gelöst hat!« »Verehrte Lady«, ächzte McWarden. »Wir sind noch weit davon entfernt, Festnahmen vorzunehmen. Wenn ich eben zu Parker sagte, wir hätten den Mörder, dann war es so gemeint, daß der Kreis der Tatverdächtigten eingegrenzt werden könnte. Ich werde mich hüten, Mister King oder seinen Butler festzunehmen, nur weil sie von dem Toten im Unterholz wußten.« »Sie haben zweierlei zu tun, McWarden«, verlangte Lady Agatha. »Erstens schicken Sie den Helikopter zurück und machen sich mit Mister Parker auf die Suche nach dem abgedrifteten Pfeil, und zweitens verfügen Sie sich unter meiner Aufsicht zum Haus dieses Mister King, wo Sie ohne Zweifel Golittles Leichnam vorfinden werden.« »Das Opfer hieß Golightly, Mylady.« »Das sagte ich doch, Mister Parker! Sobald Sie Golumback gefunden haben, nehmen Sie diesen King fest, McWarden. Ich will auch den Butler im Gefängnis wissen, Hicklist…« »Hotchkiss, dürften Mylady meinen.« »Korrigieren Sie mich nicht immer, Mister Parker! Ihr Namensgedächtnis läßt zu wünschen übrig. Suchen Sie den verschossenen Pfeil! Ich bin mit einem Dutzend Slazengers hergekommen und werde die Waldlichtung auch mit der kompletten Anzahl Slazengers verlassen.«
* Der zwölfte Pfeil wurde nicht gefunden, obwohl McWarden die beiden Helikopter-Piloten zusätzlich mit der Suche beauftragt hatte. Zu dritt durchkämmten sie das dichte Gebüsch und Unterholz, die Teilnehmer außer Josuah Parker mit deutlichem Unwillen. Inzwischen vertrieb sich der Chief-Superintendent die Zeit, um von dem vermeintlichen Sherry zu kosten. Lady Agatha genehmigte ihm einen Schluck. »Ich weiß längst, das Mister Parker die Flaschen vertauscht hat, McWarden. Bei einem Picknick, noch dazu anläßlich meines anstrengenden Trainings, hat Brandy nichts zu suchen. Wenn Sie Norman King und seinen Butler festnehmen, werde ich wohlwollend überlegen, ob ich Ihnen zum nächsten Weihnachtsfest eine Flasche aus dem eigenen Vorrat schicken lasse.« »Wofür ich Mylady schon heute verbindlichsten Dank sage.« McWarden war fast soweit motiviert, daß er sich zu Parker und den Piloten in die Büsche schlagen wollte, als der Suchtrupp im Gänsemarsch zurückkehrte, Butler Parker an der Spitze. Er hielt das abgerissene Stück einer billigen, versilberten Kette zwischen Daumen und Zeigefinger. »Meiner Wenigkeit ist nicht klar, wie lange das schon dort gelegen hat«, sagte er. »Wo… dort?« »Wo Mister Golightly lag, Mylady. Es dürfte wie immer zwei Möglichkeiten geben. Entweder hat man seinen Tod nur vorgetäuscht. Man kennt ja von Pfeilen durchbohrte Menschen durch Theater, Film und Fernsehen. Mister Golightly wandte die bekannten Tricks an und stellte sich tot. Er wollte nur von meiner bescheidenen Wenigkeit entdeckt werden, um dafür zu sorgen, daß Mylady anschließend nervlich beansprucht würden. Dies ist, wie gesagt, die eine Möglichkeit. Mister Golightly hätte seinen Auftrag erledigt und wäre nach Hause gegangen, oder…« »… ja, die andere Möglichkeit, Mister Parker?« »Die Durchbohrung vermittels jenes Pfeiles war kein Trick, sondern trauriges Faktum. In diesem Fall wäre tatsächlich Golightly geopfert worden, um Mylady in Schwierigkeiten zu bringen.« »Aber die Leiche ist doch nicht mehr da!« »Myladys zwölfter und fehlender Pfeil ebenfalls nicht«, gab Parker zu bedenken. »Das macht jenen besagten Pfeil mit hoher Wahr-
scheinlichkeit zur Mordwaffe.« »Wir werden jetzt sofort zu Kings Anwesen fahren und den Mann verhören«, wandte sich Lady Agatha an McWarden. »Es pfeifen ja die Spatzen von den Dächern, wie King in diese Sache verstrickt ist. Er war es, der uns die Polizei auf den Hals geschickt hat. Er war es auch, der dieses Schauerstück inszeniert hat – ob Golittle nun tot ist oder nicht.« »Golightly, Mylady…« »Sage ich doch! Natürlich ist auch dieser angebliche Butler beteiligt, wie heißt er doch…?« »Lionel Hotchkiss, Mylady.« »Wie sonst auch! Ich brauche keine Nachhilfe in Namen, Mister Parker. Begeben Sie sich ans Steuer und walten Sie Ihres Amtes. Mister McWarden und ich wollen schnellstens zu Kings Anwesen gefahren werden.« »Wie Mylady wünschen«, sagte Josuah Parker mit gemessener Verbeugung. »Mylady wollen indessen bedenken, daß die Gegnerschaft zwischen Mylady und jenem Mister King nicht nur auf sportlicher Ebene gegeben ist.« »Was wollen Sie damit sagen, Mister Parker?« »Mylady dürften den Vorsatz gefaßt haben, den Kontrahenten auch im Bogenschießen auf einen unbedeutenden Platz zu verweisen, wie es an der Börse bereits geschehen ist. Mister King müßte erhebliche Einbußen zu beklagen haben, nachdem Mylady ihn bei größeren Spekulationen zuvorgekommen sind.« »Das hat mit der Meisterschaft im Bogenschießen gar nichts zu tun, Mister Parker. King hat ohnehin nicht die geringste Chance gegen mich. Er weiß das auch und versucht deshalb, mich mit allen Mitteln an der Teilnahme zu hindern.« »Was ihm gelingen könnte«, mischte sich McWarden ein. »Sie haben keine Ahnung, Superintendent«, beschied Lady Agatha ihn. »Dieser Mister hat es immerhin geschafft, den Fall aktenkundig zu machen, Mylady. Das Opfer ist zwar verschwunden, aber die Aussage des Butlers wird zu Protokoll genommen.« »Ich verbiete Mister Parker, sich zu äußern!« »Ich meinte nicht Ihren hochgeschätzten Mister Parker, sondern sprach von Hotchkiss, dem Butler im Hause King. Hotchkiss erfreut sich nicht eines tadellosen Rufes, doch wenn er den Leichnam gesehen hat…«
»Parker hat ihn angeblich auch gesehen, McWarden. Aber die Leiche ist nicht mehr da! Also gibt es auch keine Konsequenzen. Mister Parker wird offiziell zu Protokoll geben, daß er sich einen Spaß erlaubt hat.« »Das dürfte nichts nützen, Lady Simpson«, erwiderte McWarden kühl. »Parkers Funkspruch ist im Yard auf Tonband aufgezeichnet worden. Damit ist der Fall amtlich geworden. Davon abgesehen wird auch Harley seinen Bericht schreiben. Ich wette sechs gegen eins, daß die Presse diesen Fall begeistert aufgreift. Dafür wird schon Mister King Sorge tragen.« »Lächerlich. Ein Mord ohne Leiche…!« »Genau, Mylady: der Mordfall ohne Leiche. Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir: Dame der Gesellschaft läßt Leiche verschwinden. Oder: Bogenschützin aus dem Hochadel benutzt menschliche Zielscheibe.« »Das soll King mal wagen! Ich werde ihn verklagen…« »Damit werden Sie wenig Erfolg haben, Lady Simpson. King besitzt eigene Zeitungen, und er kann seine Redakteure anweisen, nichts als die Wahrheit zu bringen. Und im vorliegenden Fall ist die Wahrheit übel genug. Für Sie, Mylady.« »Dann müssen wir eben Frobishers Leiche finden.« »Sie meinen Golightly?« »Nerven Sie mich nicht, McWarden! Sie sind noch schlimmer als Mister Parker, der auch alles besser wissen will. Ich weiß, was ich zu tun habe. Sie können mitkommen oder nach London zurückkehren, McWarden. Ich jedenfalls werde King aufsuchen und ihn zur Rede stellen. Es ist deprimierend und schockierend zugleich, daß eine alleinstehende Lady nicht mehr auf Unterstützung rechnen kann und immer auf sich selbst angewiesen ist…« »Ich komme mit.« Der Chief-Superintendent schien klein beizugeben. »Ich weiß zwar, daß es Ärger gibt, aber ich lasse Sie nicht allein, Verehrteste.« »Sie sind ein Opportunist, McWarden«, erwiderte Mylady bissig. * Der Herrensitz, den Norman King vor Jahren günstig gegen Ablösung der Bankforderungen einem verarmten Mitglied des Adels abgenommen hatte, befand sich in allerbestem Zustand.
Josuah Parker chauffierte das hochbeinige Monstrum eine mit weißem Kies bestreute Auffahrt hoch. Die Rasenflächen rechts und links der Zufahrt verrieten die kundigen Hände von Gärtnern, die die Tradition ihrer Vorgänger gewissenhaft fortgesetzt hatten. Auch die mehr als 12 Fuß hohen Rhododendren schienen so ehrwürdig zu sein, als wären sie zu Zeiten der Tudors gepflanzt worden. Das Gebäude selbst mit Säuleneingang, drei Etagen und etlichen Dutzend Sprossenfenstern ließ gediegenen Reichtum erkennen. Alles war zum Besten – nur Norman King, seine Lebensgefährtin Gwendolyn Barney und sein Butler Lionel Hotchkiss paßten nicht in diesen ehrwürdigen Landsitz. Parker hatte seine Herrin rechtzeitig darüber informiert, was sie bei ihrem Besuch erwarten würde. Hotchkiss, der Butler mit krimineller Vergangenheit, war Mylady bereits ein Begriff. Norman King kannte Agatha Simpson aus eigenem Erleben. Was Miß Barney betraf, die King als seine Hausdame ausgab, würde Mylady sich in Kürze selbst einen Eindruck verschaffen können. Parker hatte dezent bemerkt, Gwendolyn Barney sei in Jugendjahren Künstlerin gewesen. Ballett und Ausdruckstanz… Daß die Dame in einer berüchtigten Striptease-Bar in Soho gearbeitet hatte, hätte Mylady zu sehr geschockt. Parkers Gefährt stoppte vor dem Portal. McWarden brachte sich allein auf den feinen weißen Kies. Mylady wünschte Parkers Arm, um ohne Sturz die Freitreppe zu erreichen. »Läuten Sie, Mister Parker! Ich finde es unerhört, wie wir empfangen werden. Als hätte das Personal unsere Anfahrt nicht längst bemerkt. Wenn alle Dienstboten von der Art dieses kriminellen Huckworth sind, beneide ich King nicht.« »Hotchkiss, Mylady.« »Schon gut, Mister Parker. Läuten Sie noch mal, diesmal aber eindringlich. Ich habe nicht vor, den Nachmittag vor dieser Tür zu verbringen.« Der Erfolg von Parkers anhaltendem Läuten war das Öffnen einer Klappe in der weißlackierten Eingangstür. »Sie wünschen?« McWarden schob sich vor. »Scotland Yard! Machen Sie bitte auf! Wir wollen zu Mister King.«
»Mister King ist nicht zu Hause.« »Dann wollen wir den Butler Hotchkiss sprechen.« »Ich bin Hotchkiss, Mister. Seit wann gehören Ihre sonderbaren Begleiter zum Yard? Reichen Sie bitte Ihren Dienstausweis herüber, Mister.« Fordernd streckte Hotchkiss eine Hand durch die Klappe. »Ich bin Chief-Superintendent McWarden«, sagte der YardGewaltige streng. »Ich habe es nicht nötig, mich auszuweisen!« Josuah Parker verfolgte das energische Auftreten des Beamten mit unverhohlenem Interesse. Er hielt es dennoch für richtig, nicht nur zu verhandeln, sondern eine körperliche Komponente ins Spiel zu bringen. Parker ergriff die Hand, die sich durch die Klappe streckte und hielt sie fest. »Sie reißen mir den Arm ab!« schrie Hotchkiss. »Man möchte Sie lediglich auf freundschaftliche Weise beeinflussen, Mister Hotchkiss, die Tür zu öffnen. Sie sind frei, sobald man eintreten kann.« Sofort ging die schwere Tür einen Spaltbreit auf. Parker setzte seinen schwarzen Schuh dazwischen und überließ den Arm seinem Eigentümer. »Sehr gütig von Ihnen, in Vertretung Ihrer Herrschaft Lady Agatha und Chief-Superintendent McWarden so freundlich zu empfangen, Mister Hotchkiss. Bemühen Sie sich nicht – man wünscht keine Erfrischungen. Meine bescheidene Person beabsichtigt vielmehr, Sie eindringlich zu verhören. Führen Sie die Herrschaften und meine Wenigkeit unverzüglich in Ihre Privatgemächer.« »Du tickst wohl nicht richtig, Parker. Was sollte ich mit deinen Leuten oder dir zu besprechen haben, verdammt noch mal?« McWarden schob sich vor. »Kannten Sie Golightly? Haben Sie ihn mit einem Slazenger-Pfeil erstochen? Wo finden wir Mister King?« »Chief-Superintendent, Sie wissen genau, daß ich darauf nicht zu antworten brauche. Ich bekam die Auskunft von Mister Alan M. Simrock, Mister Kings Rechtsberater.« »Ah, King braucht ständig einen Anwalt?« sagte Lady Agatha so liebenswürdig, daß es schon verdächtig klang. »Ich beschäftige ebenfalls einen Anwalt – sicher einen besseren als diesen ominösen Mister Simrock. Mein Anwalt hat mir geraten, Sie zu verklagen, Hotchkiss. Sie haben mich in eine unangenehme Situation gebracht und werden es auszubaden haben. Geben Sie gefälligst
dem Chief-Superintendenten Antwort!« »Ich kannte keinen Golightly. Von einem Slazenger-Pfeil weiß ich auch nichts. Wo sich Mister King aufhält, ist mir nicht bekannt. Reicht das?« »McWarden, nehmen Sie diesen Mann auf der Stelle fest! Er lügt! Er selbst war es, der den Toten als Golightly identifiziert hat. Wahrscheinlich hat er ihn auch umgebracht.« Hotchkiss rieb sich die Augen. »Spinnt die Alte?« »Vorsicht, junger Mann«, riet McWarden und dämpfte Myladys Erregung. »Sie sprechen mit Lady Agatha Simpson!« »Kenn’ ich nicht…« Josuah Parker blickte von einem zum anderen. »Es gilt, ein Mißverständnis aufzuklären. Dieser überaus zweifelhafte Gentleman trägt zwar den Namen Hotchkiss, doch er ist nicht jener Hotchkiss, der Mylady auf der Waldlichtung wegen des Toten belästigte. Er ist nicht Lionel Hotchkiss, sondern Livingston Hotchkiss, der Zwillingsbruder. Meiner bescheidenen Person sind beide hinlänglich bekannt.« »Ein Zwilling?« staunte McWarden. »In der Tat, Sir. Mister King verfügt über genügend, hm… Humor, um Zwillingsbrüder als Butler zu beschäftigen. Während der eine ungesetzlichen Machenschaften nachgeht, betreut der andere Haus und Anwesen. Schon vor Jahren begannen die Brüder Hotchkiss mit diesem Verwirrspiel. Meine bescheidene Wenigkeit hatte vor dem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten das zweifelhafte Vergnügen, die Gebrüder Hotchkiss nacheinander der Polizei und somit dem Gesetz zu übergeben. Man schätzt sich glücklich, die Gentlemen auseinanderhalten zu können. Hier hat man es zweifelsfrei mit Livingston Hotchkiss zu tun. Ihm fehlt die Kuppe des linken kleinen Fingers – wenn Sie sich überzeugen wollen, Sir.« Hotchkiss zitterte, als der Chief-Superintendent die Fingerglieder kontrollierte. »Sie haben recht, Mister Parker. Sind Sie sicher, daß dem anderen nicht auch die Fingerkuppe fehlt?« »Absolut sicher, Sir. Bei der kürzlichen Begegnung mit Lionel Hotchkiss wurde auf die Kuppe des linken kleinen Fingers größtes Augenmerk gelegt. Man hat es hier und jetzt zweifelsfrei mit Livingston Hotchkiss zu tun. Er dürfte Mister Golightly gekannt haben, doch da sein Zwillingsbruder diese Bekanntschaft schon zu-
gegeben hat, muß Livingston nach den Regeln jeglichen Kontakt bestreiten.« »Was für ein Wahnsinn«, knurrte McWarden. »Auf diesem sogenannten Wahnsinn, Sir, bauten die Brüder Hotchkiss ihre Übeltaten auf. Jahrelang haben sie die Polizei und die Geridite zum Narren gehalten. Wenn Sie im Yard die einschlägigen Akten überprüfen, wissen Sie Bescheid, Sir.« »Bleibt noch die Frage, wohin sich King verkrochen hat«, erinnerte Lady Agatha. »Ich traue dem Burschen nicht. Er weiß genau, wo seine Herrschaft steckt.« »Keine Ahnung«, reagierte Livingston überheblich. »Wenn Sie mit der Hausdame reden müssen – Miß Barney ist anwesend. Soll ich sie rufen?« »Es ist anzunehmen, daß Miß Barney bereits über Myladys Besuch informiert ist«, sagte Parker. »Selbstverständlich auch über die Anwesenheit des Chief-Superintendenten.« »Was kann uns die Hausdame nützen?« warf McWarden ein. »Sie weiß doch auch nichts.« »Hausdame!« rief Agatha Simpson verächtlich. »Ich weiß zufällig, daß dieses Flittchen alles andere ist als eine Hausdame. Holen Sie sie her, Hotchkiss. Ich werde aus dieser Person schon herausbringen, wo Norman King untergetaucht ist.« »Die Ermittlungen führe ich.« McWarden wurde deutlich. »Miß Barney wird nicht benötigt. Hingegen werde ich mit Hotchkiss sprechen, ob er nun den Toten gefunden hat oder nicht. Gehen Sie voraus und führen Sie uns in einen Raum, wo wir ungestört sind, Hotchkiss.« »Mister King wird damit nicht einverstanden sein«, gab der Mann patzig zurück. »Außerdem habe ich mit Ihnen nichts zu besprechen, Superintendent. Ich habe das Haus heute nicht verlassen.« »Genau das gilt es nachzuprüfen«, erklärte McWarden. »Ich kann auch Commissioner Harley herbitten, Hotchkiss.« »Tun Sie’s doch, Mister.« * Lady Agatha schob Josuah Parker vor, um ihre Theorie erläutern zu lassen. »Ich weiß, daß King alles daransetzt, mir diesen mysteriösen
Mord in die Schuhe zu schieben. Aber ich habe ihn durchschaut! Norman King ist sich im klaren darüber, daß er die Britische Meisterschaft nicht für sich entscheiden kann, solange ich teilnehme.« »Das scheint mir keine Begründung zu sein, Mylady.« »Sie sind ja auch ahnungslos, McWarden. Mister Parker, erklären Sie noch mal meine Ansicht zu dem Fall.« »Sehr wohl. Mylady schlossen mit kriminalistischem Scharfsinn, daß die Brüder Hotchkiss ihre Eigenschaft als verwechselbare Zwillinge ausgenutzt haben. Während Livingston durch die Einnahme einer Mahlzeit im >Fox and Fitchew< sich ein Alibi schuf, arrangierte Bruder Lionel den Mord an Mister Golightly.« »Absoluter Schwachsinn«, rief Hotchkiss dazwischen. »Ich war heute nicht aus dem Haus.« »Das dürfte sich durch eine Gegenüberstellung mit dem Personal jenes Gasthofes leicht nachprüfen lassen. Was hatten Sie zum Lunch, Mister Hotchkiss?« »Schweinebraten. Aber hier im Haus! Mich legen Sie nicht herein…« »Wann verließen Mister King und Ihr Bruder das Haus?« »Die gleiche Antwort wie eben schon. Nämlich keine. Ich brauche auf Ihre Fragen nicht einzugehen, solange Sie nicht beweisen können, daß sich ein Verbrechen ereignet hat.« »Im Unterholz lag eine Leiche«, gab Butler Parker zu bedenken. »Mister Lionel nannte vor Zeugen den Namen des Toten: Freddy Golightly.« »Vor Zeugen! Ihre Herrin steckt bis zum Hals in dem Fall mit drin, Parker.« »Also belieben Sie es doch einen Fall zu nennen!« »Das hab’ ich nicht gesagt. Es ist solange kein Fall, wie es keine Leiche gibt.« »Wie können Sie, mit Verlaub, wissen, daß der Leichnam verschwand, Mister Hotchkiss? Weder Mylady noch Mister McWarden erwähnten dies.« Livingston fing sich rasch. »Das konnte sich sogar ein Idiot zusammenreimen, daß da ein dicker Hund begraben ist.« McWarden stand auf. »Das genügt. Ich nehme Sie fest, Livingston. Wegen Beihilfe zu einem Verbrechen.« »Wie soll ich denn beigeholfen haben, wenn ich den ganzen Tag im Haus war, verdammt noch mal?« »Das behaupten Sie! Ich möchte telefonieren. Bringen Sie mir
einen Apparat.« Hotchkiss schüttelte den Kopf. »Von Mister Kings Anwesen aus können Sie nicht telefonieren, Mister. Ich setze mich selbst doch nicht unter Druck.« McWarden wandte sich an die Detektivin. »Sie merken, wie ich mich für Sie einsetze, Mylady. Darf ich Ihrerseits mit Entgegenkommen rechnen? Mister Parker möchte den Festgenommenen zur Dienststelle der Grafschaftspolizei fahren.« Die ältere Dame nickte hoheitsvoll. »Sie haben gehört, Mister Parker. Bringen Sie Hotchkiss ins Gefängnis. Bis Sie zurück sind, werde ich mich weiter im Haus umsehen. Schließlich bin ich verdächtigt worden, mit Pfeil und Bogen auf einen lebenden Menschen geschossen zu haben. Norman King wird noch bedauern, daß er diesen Verdacht geschürt hat. »Sie werden bedauern, daß Sie Mister King in diese Geschichte reinziehen wollen, Madam.« »Ein übles Subjekt sind Sie! Mister Parker, schaffen Sie mir das Individuum aus den Augen! Zuvor unterrichten Sie Miß Barney, daß ich sie verhören will. Meine Methode lasse ich mir nicht vorschreiben.« »Was Sie vorhaben, kommt Sie teuer zu stehen, Madam«, sagte Hotchkiss. »Ich bin kein Jurist, aber da hätten wir Nötigung und versuchte Einschüchterung. Von der Freiheitsberaubung will ich nicht reden.« »Sie sind offiziell festgenommen, Hotchkiss«, fuhr McWarden dazwischen. »Mister Parker ist beauftragt, Sie in die Haftzelle zu überführen. Lady Simpson hat völlig recht, wenn sie feststellt, daß Mister Parker vorübergehend Organ der Polizei ist. Wir bleiben hier und warten die Rückkehr Ihres Herrn ab. Selbstverständlich in Anwesenheit eines Mitglieds des Personals. Ich werde Miß Barney auffordern, uns Gesellschaft zu leisten.« »Mister King reißt Ihnen die Ohren ab, wenn Sie Miß Barney belästigen. Miß Barney gehört nicht zum Personal!« »Was ich bereits sagte«, mischte sich Lady Agatha ein. »Die Unmoral in diesem Haus wird bald ausgemerzt sein. Alle wandern dann hinter Gitter.« Josuah Parker nahm Livingston Hotchkiss beim Arm. »Kommen Sie, Mister Livingston. Meine Wenigkeit erfüllt nur den Auftrag des Chief-Superintendenten, indem man Sie dem Polizeigewahrsam anvertraut.«
»Das werdet ihr alle noch bereuen!« Hotchkiss ließ sich unter Protest abführen. Er wurde von Parker in den Fond des hochbeinigen Monstrums befördert und hatte keine Chance, die Türen von innen zu öffnen. In diesem umgebauten Taxi war der Mann sicherer aufgehoben als in einer Gefängniszelle, denn die Türen ließen sich nur nach Aufhebung der Verriegelung vom Armaturenbrett aus öffnen. Der eckige Oldtimer rollte an und beschleunigte. Hotchkiss wurde förmlich in den Sitz gepreßt. Er kam nicht dazu, etwas zu unternehmen. Eine Panzerglasscheibe trennte die Kabine von Parkers Sitz. Der Butler steuerte das Monstrum zugleich rasant und konzentriert durch die engen Straßen. Er erreichte die Station der Grafschaftspolizei in Rekordzeit. Ruckartig stoppte er seinen Privatwagen neben den schwarzen Jaguars und Dienstfahrzeugen. Josuah Parker ging allein hinein und verlangte höflich und gemessen zu Commissioner Harley vorgelassen zu werden. Der diensttuende Constable beäugte den Mann im schwarzen Covercoat mit nicht geringem Erstaunen. »Waren Sie nicht kürzlich auch im Wald dabei, Mister?« Parker konnte dies nicht leugnen. »Man ist einem Auftrag des Chief-Superintendenten gefolgt und bringt einen wichtigen Zeugen, um ihn in Verwahrung zu nehmen. Mister McWarden vom Yard gab meiner Wenigkeit den Auftrag.« »Wen? Hotchkiss…?« »Einen der Gebrüder Hotchkiss, Constable. Der Festgenommene hört auf den Namen Livingston. Nicht zu verwechseln mit dem Zwillingsbruder Lionel. Wenn Sie den Gefangenen freundlicherweise übernehmen würden…« »Ohne Anweisung des Commissioners geht das nicht. ChiefSuperintendent McWarden war anscheinend etwas voreilig. Oder hat er einen Haftbefehl erwirken können?« »Soviel meiner Wenigkeit bekannt ist – nein, Sir. Livingston Hotchkiss dürfte aufgrund des Verdachts der Mittäterschaft festgenommen worden sein.« »Mittäterschaft – woran? Etwa an dem Mord an Freddy Golightly? Der Mann hat aus Brighton ein Telegramm geschickt und sich für die Albernheit entschuldigt. Das wird noch Folgen haben, denn der Commissioner versteht nicht diese Art von Humor.« »Ein Telegramm, Sir? Aus Brighton?«
»Ja. Es liegt beim Chef auf dem Schreibtisch. Leider darf ich es Ihnen nicht zeigen, Mister Parker. Der Vorgang ist streng vertraulich. Ich wollte nur vermeiden, daß sich der Chief-Superintendent noch mehr in etwas verrennt.« »Sehr freundlich von Ihnen, Constable. Haben Sie eine Erklärung dafür, wie Mister Golightly in der kurzen Zeit nach Brighton gelangt sein will? Wenn er nicht den Pilotenschein und ein Privatflugzeug besitzt, dürfte ihm die Überwindung jener hundertfünfzig Meilen in solch kurzer Zeit schwergefallen sein.« »Seit unserem Einsatz sind fast zwei Stunden verstrichen, Mister Parker. Mit einem schnellen Wagen konnte Golightly es schaffen.« »Möglicherweise hat Ihre Meinung in der Tat etwas für sich. Doch worin liegt der Sinn, nach Brighton zu fahren, um ein Telegramm ausgerechnet von dort aufzugeben? Der Commissioner dürfte offensichtlich eines übersehen haben, ein Telegramm sagt noch nichts über die wahre Identität des Absenders aus. Jedermann in Brighton hätte jene telegraphisch übermittelte Botschaft an Commissioner Harley absenden lassen können.« »Mister Parker, warum sollte das ein Außenstehender tun?« Josuah Parker hob das energische Kinn. »Selbstverständlich aus dem Grund, um der Polizei vorzutäuschen, Mister Golightly sei noch am Leben, Constable. Für meine bescheidene Wenigkeit stellt jenes Telegramm geradezu ein Beweis dar, daß Mister Golightly nicht mehr unter den Lebenden weilt. Ohne Beschuldigungen erheben zu wollen, muß gesagt werden, daß sowohl Mylady als auch meiner bescheidenen Person der Sinn für derlei Spaß abgeht. Gewisse Erfahrungen haben meine Wenigkeit gelehrt, einen Mann, der sich totstellt, von einem wirklichen Toten unterscheiden zu können.« »Sie wollen sagen, Golightly hätte es echt hinter sich gehabt, Parker?« »Dem Sinne nach ja, Constable, wenn auch die Würde es gebietet zu sagen, daß Mister Golightly immerhin verstorben ist.« »Und wie soll er sich dann aus dem Gebüsch gestohlen haben? Sie wissen selbst, daß nicht die geringsten Spuren gefunden wurden.« »Dies, Constable, gehört zu einem anderen Fragenkomplex. Indessen wäre man Ihnen zutiefst verbunden, wenn Sie das Individuum übernehmen würden, das auf Mister McWardens Geheiß herzufahren meine Person das zweifelhafte Vergnügen hatte.«
»Reden Sie immer so, Parker? Sie wollen, daß ich Hotchkiss in Polizeigewahrsam nehme?« »Dies ist der erklärte Sinn meiner Bitte, Constable.« »Nun gut, auch wenn ich Ärger bekomme – ich werde mit Livingston reden. Wenn er sich in Widersprüche verwickelt, behalte ich ihn hier und sperre ihn ein.« »Verbindlichsten Dank. Mylady erwartet den Wagen und meine bescheidene Wenigkeit gewiß schon zurück.« * Der Chief-Superintendent richtete sich kerzengerade auf und brachte sich in Position. »Ich werde Ihnen den Tathergang exakt rekonstruieren, Mylady. Was geschehen ist, mag mysteriös erscheinen, doch für mich ist es wie ein offenes Buch.« »Der Trick mit Zwillingsbrüdern ist so alt, wie es Zwillinge gibt, McWarden. Sie brauchen nichts zu rekonstruieren. Ich weiß selbst, wie man es angestellt hat, diesen Toten ins Gebüsch zu praktizieren.« »Haben Sie denn die Leiche gesehen, Mylady?« »Natürlich nicht. Ich mag solche Anblicke nicht. Mister Parker erklärte, er hätte statt meines verschossenen Pfeils einen Toten gefunden. Warum sollte ich das bezweifeln und selbst ins Gebüsch kriechen, um diese Feststellung zu überprüfen? Ich habe es vorgezogen, einen Imbiß zu mir zu nehmen.« »Bewundernswert«, sagte McWarden. »Es zeugt von starken Nerven, in Steinwurfweite von einem Toten entfernt den Lunch zu nehmen, Lady Agatha.« »Es war etwas mehr als Steinwurfweite, McWarden. Pfeilschußweite. Die Waldlichtung war groß genug, um Ihren Helikopter landen zu lassen. Sie kennen sich ja aus. An der Westseite war der Abschußpunkt. Die Zielscheibe aus geflochtenem Stroh hatte Mister Parker am anderen Ende der Lichtung aufgestellt.« »Schön und gut«, unterbrach McWarden die streitbare Dame. »Es geht doch nicht um Ihre Schießübungen, Mylady. Überhaupt – ist das ein Damensport, Abschießen von Pfeilen?« »Die Natur hat mich dafür prädestiniert, Mister McWarden«, erwiderte Agatha Simpson nicht ohne Genugtuung. »Für Treffer auf weite Distanz muß man verstehen, die Sehne bis zum kritischen
Punkt zu spannen.« Parkers Herrin machte vor, was sie meinte. Die Natur hatte sie in der Tat großzügig ausgestattet. Myladys Oberarme wirkten eher muskulös als zierlich. »Es kann passieren, daß die Sehne reißt, oder der Bogen bricht, McWarden«, fügte sie erklärend hinzu. »Wie der Volksmund sagt, Mylady: Man soll den Bogen nicht überspannen, nicht wahr? Was nun die Rekonstruktion des Tathergangs betrifft…« »Sie langweilen mich, McWarden! Ich weiß alles – auch ohne Ihre umständlichen Erklärungen.« Der Chief-Superintendent riskierte ein dünnes Grinsen. »Sie haben unterstellt, daß der Mann bereits als Toter ins Gebüsch praktiziert worden ist. Damit sind Sie im Irrtum, Mylady.« »Ich irre mich nie, McWarden!« »Auch das dürfte ein Irrtum sein. Dieser Golightly steckte mit Ihrem Kontrahenten King und dessen Personal unter einer Decke. Man wollte Ihnen eine Lehre erteilen und zugleich Ärger bereiten. Nebenbei gefragt: Wie oft haben Sie die Lichtung schon benutzt, um Pfeile abzuschießen?« »Ich habe die Lichtung benutzt, um zu trainieren, McWarden. Pfeile abschießen… pah! Sie sind kein Sportsmann, McWarden!« »Sie waren also öfter dort?« »Regelmäßig, sozusagen. Ich bin Champion des Bogenschießens und habe keine Lust, den Titel einem Emporkömmling zu überlassen. Ich beanspruche den ersten Platz in der Britischen Meisterschaft, McWarden.« »Das ist keine Antwort auf meine berechtigte Frage. Wie oft haben sie dort trainiert, Lady Simpson?« »Ich habe es nicht gezählt. Fragen Sie Mister Parker. Er pflegt Nebensächlichkeiten in seinem Gedächtnis zu speichern. Was soll das alles?« »Das will ich Ihnen gern sagen, Mylady. Man hat Sie beobachtet – und Ihnen eine Falle gestellt. Und wenn ich sage >manHausdameVerzichten Sie auf Ihr nächstes, wichtiges Vorhaben…< Damit hat er sich verraten, Mister Parker.« »Nach meiner bescheidenen und keineswegs maßgeblichen Ansicht sind ganz andere Gesichtspunkte ausschlaggebend, Mylady. Ausgehend von der Annahme, daß Miß Porter ein solches Papier niemals zu Myladys Kenntnisnahme im Salon deponiert hätte, zumal der Adressat nicht erkennbar ist und der Informationsgehalt als dürftig bezeichnet werden muß, bleibt zur Erklärung des Vorhandenseins dieser Nachricht auf dem Tisch in Myladys Salon nur die Mutmaßung, daß sich eine oder mehrere Personen unberechtigten Zutritt ins Haus verschafft haben.« »Unerhört!« »Für diese Annahme sprechen auch Unregelmäßigkeiten in der Küche, Mylady. Meine bescheidene Wenigkeit mußte eine Rolle Klebeband entdecken, ein Material, das in diesem Haus nicht zur Verwendung gelangt. Es stellt sich ebenso wie bei der aufgefundenen Nachricht die Frage, wie die Klebebandrolle in die Küche geraten ist, Mylady. Zusätzlich ergibt sich Unsicherheit infolge des Fehlens innerer Zusammenhänge. Oder haben Mylady eine Erklärung dafür, daß jene Rolle unten in der Küche liegt?« »Bringen Sie mir das Ding herauf, Mister Parker, und meinen Tee. Ich möchte nicht bis Mitternacht warten.« »Sehr wohl, Mylady.« *
Josuah Parker hatte seine Rückschlüsse und die daraus resultierenden Mitteilungen für Myladys Ohren bewußt knapp gehalten. Ihm war klar geworden, daß während ihrer Abwesenheit im Fachwerkhaus in Shepherd’s Market Ungesetzlichkeiten vorgekommen waren. Man konnte mit einiger Berechtigung an Einbruch denken, wenn auch nichts entwendet worden, sondern – im Gegenteil – etwas hinzugekommen war. Der Butler erhitzte das Wasser, schritt in seine nebenan gelegenen privaten Räume, um die erforderliche Menge der Teemischung zu holen, die Mylady sich ausgebeten hatte. Parker stutzte, als er die Tür zu seinem Arbeitsraum und Labor halb offen fand. Mit der Teedose in der Hand, betrat Parker jenen Raum, der aus Gründen der dort gelagerten chemischen Stoffe, der Versuchsanordnungen und pyrotechnischen Materialien allein ihm vorbehalten war. Auf dem beweglichen, weil mit Rollen versehenen Laborstuhl kauerte eine Gestalt. Parker sah nur den Rücken und den nach vorn gesunkenen Kopf. Der Kleidung nach war das Opfer männlichen Geschlechts, was Parker mit einiger Erleichterung konstatierte. Es wäre ihm in höchstem Maß unangenehm gewesen, etwa Miß Porter unter diesen unwürdigen Umständen vorzufinden. Zwar hätte Miß Porters Vorhandensein gewisse Theorien erhärtet, die nunmehr aufgegeben werden mußten, doch in Parkers Innenleben gewann die Erleichterung Überhand. Er ging um den Laborstuhl herum, um sich die vermeintlich hilflose Person von vorn anzusehen. Hand- und Fußgelenke waren mit mehreren Wicklungen Klebeband an den Armlehnen und an der Fußsäule des Laborstuhls befestigt. Dieses sogenannte Lassoband hatte die Eigenschaft, in mehreren Lagen verwendet unzerreißbar zu sein. Das Opfer war ohne Bewußtsein. Parker griff dem Gefesselten unter das Kinn und hob den Kopf. Zuvor schon hatte er den Mann identifiziert. Es war Lionel Hotchkiss, der den King’schen Haushalt leitete oder dies zu tun vorgab. Aus Hotchkiss’ Mund strömte der intensive Geruch eines Betäubungsmittels, das die moderne Medizin schon lange nicht mehr benutzte.
Parker nutzte die Gelegenheit, die Taschen des Bewußtlosen zu kontrollieren. Sämtliche Taschen waren so leer wie der Hut eines Bettlers morgens um sieben. Immerhin interessant, denn Josuah Parker zweifelte keine Sekunde daran, daß Lionel Hotchkiss dieses Happening allein und ohne Hilfe inszeniert hatte. Im Salon der Abriß des Spiralblocks, in der Küche der Rest von der Bandrolle, mit der sich Hotchkiss selbst gefesselt hatte, und nun hier Hotchkiss selbst – schon durch sein Vorhandensein eine Anklage an sich. Der Mann hatte sich gut versorgt. Parker brauchte lediglich die Fesselung der rechten Hand straffer zu ziehen. Sogar ein Amateur konnte erkennen, daß Hotchkiss die Hand nachträglich unter die weit gelegten Wicklungen des Lassobandes geschoben hatte. Nun allerdings war er so wirkungsvoll gefesselt, wie er sich wirklich selbst betäubt hatte. Josuah Parker konnte ein Lächeln nicht vermeiden, als er das Labor verließ, um sich in der Küche der Zubereitung von Myladys Tee zu widmen. Er trug das Tablett in den Salon, ein Kännchen kräftigen Tees, Zitrone und Milch, je nach Wahl, ein Schälchen mit angewärmten Brandy, dazu etwas Gebäck. »Wo haben Sie gesteckt, Mister Parker? Ich mußte eine halbe Ewigkeit auf meinen Tee warten… Danke, bemühen Sie sich nicht. Ich helfe mir selbst. Ich brauche Sie heute nicht mehr.« »Vielen Dank, Mylady. Meine Wenigkeit gedachte soeben um Freizeit für den Rest des Abends zu ersuchen, Mylady.« »Was haben Sie denn noch vor?« fragte Agatha Simpson neugierig. »Es handelt sich um eine Privatangelegenheit, Mylady. Die Einzelheiten würden Mylady langweilen.« »Nun gut, Sie können gehen, Mister Parker. Ein Jammer, daß Miß Porter nicht im Haus ist.« »Miß Porter hat Myladys vorzeitige Heimkehr wahrscheinlich nicht erwartet. Es war die Rede davon, daß Miß Porter Ausgang haben sollte bis zur morgigen Frühstückszeit, Mylady.« »Vielleicht ist es auch gut, wenn ich allein bin, Mister Parker. Ich habe in der Sache, die mir heute widerfahren ist, noch einige Gedankenarbeit zu leisten. Bis morgen früh habe ich den Fall gelöst.« »Wie Mylady meinen«, erwiderte Parker und ging.
* Im Büro und in den Wohnräumen Mike Randers in der Curzon Street brannte Licht, wie Josuah Parker es nicht anders erwartet hatte. Zudem parkte Miß Porters Mini-Cooper vor dem Haus. Parker läutete in der Weise, daß Mike Rander, sein ehemaliger Herr und Brötchengeber, sofort erkannte, wer Einlaß begehrte. Rander hatte den vertrauten Code nicht verlernt. »Kommen Sie herein, Parker«, schnarrte es aus der Türsprechanlage. Der Butler wurde von dem Anwalt im bequemen Hausmantel empfangen. »Ich nehme an, es gibt Neuigkeiten, Parker. Und keine angenehmen…« »In der Tat, Sir. Wenn Sie meiner bescheidenen Wenigkeit einige Augenblicke Ihrer Freizeit widmen wollten, Sir. Miß Porter muß nicht unbedingt anwesend sein, Sir.« »Ich verstehe, Parker. Ihr Anliegen ist diskreter Natur. Keine Bange, Kathy wird uns nicht stören. Kann ich Ihnen etwas anbieten? Sie wissen ja, wo die Bar ist…« Rander gab sich sehr aufgeräumt. »Nichts Alkoholisches, Sir. Wenn Sie erlauben, daß man raucht?« »Etwa eine Ihrer Bomben in Zigarrenformat? Ich möchte hier noch wohnen bleiben, Parker. Nehmen Sie eine von meinen Zigaretten. Das Kästchen steht auf dem Tisch. Setzen Sie sich und berichten Sie.« Josuah Parker befolgte nur letzteres. Er war ein erklärter Gegner von Tabakwaren, bei denen Papier mitverbrannt und inhaliert werden mußte. Seine handgefertigten Spezialzigarren bestanden aus Tabak und sonst nichts. Myladys Butler zog es vor, stehend zu berichten. Er hatte die schwarzen Handschuhe bereits im Treppenaufgang abgestreift und die steife Melone damit gefüllt, die er in der Linken hielt. Der Universal-Regenschirm pendelte an seinem Unterarm. »Sir, in der Folge nicht abreißender unliebsamer Vorkommnisse fand man in den mir vorbehaltenen Räumlichkeiten des Souterrains eine bewußtlose gefesselte Person männlichen Geschlechts. Diese Person konnte unschwer als ein gewisser Lionel Hotchkiss identifiziert werden, angeblicher Butler im Hause King.« »Meinen Sie Norman King, den millionenschweren Geschäftema-
cher, der unbedingt Britischer Meister im Bogenschießen werden will, Parker?« »So ist es, Sir.« Josuah Parker lieferte in aller Kürze einen anschaulichen Überblick der stattgefundenen Ärgerlichkeiten dieses Tages. Mike Rander massierte sich das Kinn. »Jetzt kann ich einen Drink gebrauchen, Parker. Mixen Sie mir bitte einen Highball.« »Mit Vergnügen, Sir. Darf Ihre Bestürzung in der Weise gedeutet werden, daß Sie Mylady in der schwierigen Situation nicht allein zu lassen gedenken?« »Natürlich, Parker. Ich bin entschlossen, in die Sache voll einzusteigen. Sie sind absolut sicher, daß der Mann im Unterholz tot war?« »So sicher, Sir, wie feststeht, daß der Tote nicht Freddy Golightly gewesen sein kann. Wie erwähnt, erschien Mister Golightly gesund und munter im Hause King, um die ihm zugesagte Prämie zu kassieren. Die Hausdame war einigermaßen bestürzt, Golightly wohlbehalten vor sich zu sehen. Dies läßt den Schluß zu, daß Miß Barney in den Plan eingeweiht war, in den Plan, der offensichtlich bei der Ausführung so stark modifiziert wurde, daß sich die Beteiligten nicht mehr auskannten, Sir.« »Was wollen Sie damit sagen, Parker? Ist der Falsche ermordet worden?« »Dies zu behaupten, wäre vermessen, Sir. Jemand ist mit einem Turnierpfeil erstochen worden. Mister Hotchkiss bezeichnete den Toten, ohne ihn gesehen zu haben, als jenen Golightly, der jedoch bei bester Gesundheit ist. Fraglos sollte Mister Golightly den Toten spielen, um Mylady in Schwierigkeiten zu bringen. Daher auch Miß Barneys Bestürzung, als Golightly unvermutet auftauchte und seinen Lohn kassieren wollte. Mylady und meine bescheidene Wenigkeit hatten damit Mister Kings Intrige durchschaut.« »Moment mal!« Mike Rander hob die Hände. »Intrige, sagen Sie, Parker. Weiß Gott, das ist nicht nur eine Intrige – das ist ein dicker Hund, um Lady Agatha unmöglich zu machen. Mich wundert, daß die Presse noch nicht informiert wurde, denn logischerweise ist das ein Fressen für die Skandalblätter.« »Und dabei ohne Risiko für den Urheber, Sir. Als man weisungsgemäß jenen Livingston Hotchkiss zur Grafschaftspolizei verbrachte, erwähnte der Diensthabende dort ein Telegramm, aufgegeben in Brighton von Golightly und des Inhalts, der Absender
entschuldige sich offiziell für den üblen Scherz, den er sich erlaubt habe.« »Warum erfahre ich das erst jetzt, Parker?« »Jenes Telegramm ist selbstverständlich nicht von Mister Golightly aufgegeben worden, Sir. Nach eigenem Bekunden befand sich Frederick Golightly zur Aufgabezeit noch in tiefer Bewußtlosigkeit. Lionel Hotchkiss soll ihn betäubt haben.« »Aber das ergibt doch keinen Sinn, wenn Golightly wenig später in Kings Haus auftaucht.« »Dies ist exakt der Punkt, Sir, der zu Maßnahmen zwingt. Aus noch unbekannten Gründen wurde der angebliche Mord anders als nach Plan zu einem wirklichen Mord. Lionel Hotchkiss schien den vom Plan abweichenden Hergang nicht zu kennen, so daß er ohne weiteres erklärte, Mylady habe mit einem ihrer Turnierpfeile einen gewissen Golightly >erlegtFox and Fitchew< geluncht zu haben und direkten Weges hergekommen zu sein, Sir.« »Dann hat Hotchkiss einen Fehler gemacht, Parker.« »Nicht, wenn tatsächlich Golightly im Gebüsch gelegen hätte, Sir. Der Fall verkompliziert sich. Nach Golightlys Aussage wurde er von Hotchkiss betäubt. Er sollte als vermeintliches Opfer herhalten. Tatsächlich aber wurde Golightly von einem Dritten aus dem Unterholz entfernt und zur Uferböschung des nahen SawleenyBaches geschleppt, wo Golightly dann später aus seiner Betäubung erwachte und zum Hause King wankte.« »Bleibt die Frage, wer der Tote im Unterholz nun wirklich ist, Parker.« »Um die Antwort auf diese Frage zu erschweren, wurde der Leichnam entfernt, Sir. Lionel Hotchkiss scheint für diese Aktion auszuscheiden. Er schritt in die entgegengesetzte Richtung, um die Polizei zu verständigen. Als die polizeiliche Vorhut in Person eines gewissen Mister Lapson erschien, einem Constable auf Probe, muß der Leichnam noch vorhanden gewesen sein. Später dann, als Commissioner Harley den Fall in die Hand nahm, war
die Leiche verschwunden.« »Wie lange hat es gedauert, bis Harley kam?« »Eine knappe halbe Stunde, Sir. Mylady ruhte in der Zeit, wie es nach dem Lunch Myladys Gewohnheit ist.« »Das ist jetzt nebensächlich, Parker. Ich beschuldige ja nicht Lady Agatha der Mittäterschaft. Nach Ihren Beobachtungen kommt Hotchkiss ebenfalls nicht in Frage. Sie selbst scheiden natürlich auch aus.« »Danke für Ihr Vertrauen, Sir.« »Parker, werden Sie nicht zynisch!« »Das würde meine Wenigkeit sich nie erlauben, Sir.« »Es bleibt also der Sachverhalt, daß sie eine männliche Leiche mit einem von Lady Agathas Turnierpfeilen im Herzen gefunden haben.« »Mit Verlaub, Sir: bei dem fraglichen Pfeil handelt es sich um einen sogenannten Slazenger, wie Mylady ihn verwendete. Wie bereits ausgeführt, kann der Pfeil aus ballistischen Gründen aber nicht von Myladys Bogen abgeschossen worden sein.« »Demnach wurde der Mann am Tatort mit einem Pfeilhieb erstochen!« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir. Es wäre der korrekten Abwicklung des Falles zuträglich, wenn Sie in Ihrer Eigenschaft als Anwalt das Souterrain in Shepherd’s Market aufsuchen würden, Sir, um Mister Lionel Hotchkiss zu verhören. Dies war auch der eigentliche Grund meiner späten Belästigung, Sir.« »Klar, ich komme rüber, Parker. Fahren Sie schon voraus. Miß Kathy kann mich hinbringen. Ich möchte mich nur noch umziehen, denn so wie ich bin, kann ich Lady Agatha kaum unter die Augen treten.« * Butler Parker benutzte den Seiteneingang. Bereits von draußen hatte er in Myladys Studio noch Licht gesehen, ein flackerndes, die Farbe wechselndes Licht, das vom TV-Gerät stammte. Allem Anschein nach verfolgte Mylady den Spätkrimi. Parker schloß aus einschlägiger Erfahrung nicht aus, daß seine Herrin vor dem Bildschirm eingeschlafen war. Er entledigte Sich seiner Melone, der Handschuhe und des Universal-Regenschirms
und betrat seinen privaten Aufenthaltsraum, dessen gegenüberliegende Tür zum Labor führte. Sonderbarerweise stand diese Tür offen, obwohl Parker vor Verlassen des Hauses sie nicht nur geschlossen, sondern sogar abgeschlossen hatte. Der auf Rollen bewegliche Stuhl war nicht mehr besetzt. Am Boden lagen Knäuel von abgewickeltem Klebeband. Erst jetzt fiel Parker auf, daß im Schacht des Video-Rekorders die Kassette fehlte, die dazu bestimmt war, die Signale der Überwachungskamera am Portal aufzuzeichnen, um über Besucher Aufschluß zu geben – auch bei Abwesenheit. Parker empfand das Fehlen jener Kassette als höchst unerfreulich, mußte er doch sich selbst ein gewisses Maß an Unaufmerksamkeit eingestehen. Indessen blieb die Frage offen, wie Hotchkiss sich allein hatte befreien können. Der Butler entsann sich, das Lassoband am rechten Handgelenk des Eindringlings nachdrücklich festgezogen zu haben. Ein Entkommen ohne fremde Hilfe wäre Hotchkiss unmöglich gewesen. Hatte Hotchkiss etwa noch einen Komplizen ins Haus geschmuggelt? Kaum zu denken, aber nicht gänzlich auszuschließen. Die verschwundene Video-Kassette zeugte für Hotchkiss’ Bestreben, sein Eindringen in Myladys Fachwerkhaus zu verschleiern. Er mußte von der TV-Überwachungsanlage gewußt haben. Zwar war die Kamera optimal getarnt, doch für einen Experten, der nach dem zwangsläufig sichtbaren Objektiv suchte, war es keine große Sache, das Tele-Auge aufzufinden. Parker begab sich würdig und gemessen zum herrschaftlichen Wohnbereich, um die im Vorflur des Portals installierte VideoKamera auf Anschluß und Funktion hin zu überprüfen. Der Butler kam nicht dazu, denn in der fast dunklen Wohnhalle im Schein des sterbenden Kaminfeuers gewahrte er eine Gestalt auf dem Boden. Der Masse und dem Volumen nach handelte es sich um Mylady. Josuah Parker ging neben der Reglosen in die Hocke. Eine äußerst unwürdige Situation für die Herrin des Hauses… Parker entfernte die aneinandergereihten Klebstreifen von Myladys Lippen. Die Hausherrin stieß spitze Schreie aus. »Parker! Sie reißen mir die Haut vom Gesicht…« »Zum Entfernen von Klebeverbänden wird stets ein kurzer, energischer Ruck empfohlen, Mylady. Meine Wenigkeit hält sich ledig-
lich an Erfahrungssätze. Darf man fragen, wer Mylady dies angetan hat? War es Mister Hotchkiss, der Zwilling mit dem Taufnamen Lionel?« »Schneiden Sie die Klebestreifen auf, Parker! Sehen Sie denn nicht, daß mir die Hände auf den Rücken gebunden sind? Ich habe schon kein Gefühl mehr in den Fingern…« »Sofort, Mylady.« Parker wählte die dünne Klinge seines Zigarrenabschneiders, um die klebenden Fesseln Schicht für Schicht zu durchtrennen. »Machen Sie voran, Mister Parker…« »Gewiß… Es hat aber inzwischen geläutet, Mylady. Draußen warten Mister Rander und Miß Porter. Meine bescheidene Wenigkeit sah sich genötigt, Myladys Rechtsberater herzubitten, da gewisse Vorfälle im Souterrain des Hauses juristischen Beistand wünschenswert erscheinen ließen.« Parker trennte die Fesselung an den Fußgelenken durch und überließ es seiner Herrin, nachdem er ihr auf die Beine geholfen hatte, sich selbst von den Resten des Klebebandes zu befreien. »Sind Mylady damit einverstanden, wenn den Besuchern nunmehr geöffnet wird?« »Wieso hat Kathy keinen Schlüssel?« »Das entzieht sich der Kenntnis meiner bescheidenen Person, Mylady.« Josuah Parker schritt würdevoll zum Eingang, als er vernahm, wie der Schlüssel eingeschoben wurde. Die Sicherheitstür schwang auf. Kathy Porter trat ein, gefolgt von ChiefSuperintendent McWarden und Mike Rander, der dem YardBeamten den Vortritt ließ. Lady Agatha hatte sich in einen Sessel gesetzt und war dabei, sich von den klebenden Fesseln zu befreien Parker machte Licht. »Was ist denn passiert?« McWarden trat neugierig näher. »Warum haben Sie auf mein Läuten nicht gleich geöffnet, Mister Parker? Ich mußte warten, bis Miß Porter kam und aufschloß.« »Immer der Reihe nach«, mischte Mike Rander sich ein. »Setzen Sie sich, McWarden.« Er blickte zu Lady Agathas Sessel, vor dem Kathy kniete und ihrer Herrin beistand. »Hat es Verletzungen gegeben?« »Außer ein paar Laufmaschen ist nichts festzustellen, Mike, – äh, Mister Rander.« »Haben Sie den Täter erkannt, Mylady? Wer war’s?« »Wie soll ich das wissen! Mir wurde plötzlich ein Lappen auf Mund
und Nase gedrückt. Was dann passierte, kann ich nicht sagen. Ich erwachte erst aus meiner Ohnmacht, als Mister Parker mir das Pflaster vom Mund riß.« »Meine Wenigkeit fand Mylady hier in der Wohnhalle, Sir, wenige Minuten nach meiner Rückkehr, als festgestellt werden mußte, daß Lionel Hotchkiss nicht mehr da war.« »Nicht mehr da?« echote McWarden. »War der Mann denn überhaupt da? Ich meine, was hatte er hier im Haus verloren?« »Um dies zu prüfen und wenn möglich zu beantworten, wurde Mister Rander hergebeten, Sir. Zum Zeitpunkt des alarmierenden Gesprächs mit Mister Rander konnte allerdings nicht davon ausgegangen werden, daß Hotchkiss inzwischen das Weite gesucht hätte.« »Nachdem er mich umbringen wollte!« rief Parkers Herrin anklagend. »Purer Zufall, daß ich noch lebe. Aber das wird er mir büßen, dieser King…!« »Wer? Mister King, Lady Agatha?« McWarden hüstelte. »Der Mann war so freundlich, mich herzufahren. Den ganzen Weg von Essex bis zu Ihrem Haus. Womöglich steht sein Wagen noch unten am Tor. Mister King kann mit den Vorgängen nicht das geringste zu tun haben, Lady Agatha.« »Unsinn! King ist ein Wolf im Schafspelz, McWarden. Ich habe gesagt, was zu sagen war. Bringen Sie mich bitte hinauf, Miß Porter. Ich bin schwer mißhandelt worden… in meinem eigenen Haus! Wozu werden Sie von Scotland Yard eigentlich bezahlt, McWarden, wenn Sie eine alleinstehende Lady nicht schützen können! Ich habe Ihnen den Namen des Verbrechers bekannt gegeben. Nehmen Sie King auf der Stelle fest! Er ist der Verantwortliche und der Anstifter!« * Josuah Parker hatte gewartet, bis Kathy Porter die Herrin des Hauses zu den oberen Gemächern begleitet hatte. In der Wohnhalle brannte nun der Kamin kräftiger, die Stehlampen und Wandleuchten waren eingeschaltet. »Darf man Erfrischungen anbieten?« erkundigte sich Parker. »Fruchtsäfte, Tee oder Kaffee?« »So spät keinen Kaffee mehr, Mieter Parker«, erwiderte McWar-
den. »Ich bin nicht mehr im Dienst. Ein kleines Glas Whisky wäre nicht übel.« Parker verbeugte sich. »Sehr wohl, Sir. Nehmen Sie auch einen Whisky, Mister Rander?« Mike Rander winkte ab. »Nach allem, was vorgefallen ist, sollten wir einen klaren Kopf behalten, Parker. Kathy kann später etwas Tee bringen. Ich habe das dumpfe Gefühl, daß in dieser Nacht noch einiges fällig ist. Hotchkiss ist also geflohen?« »Es hat den Anschein, Sir. Hotchkiss muß von dritter Seite Hilfe bekommen haben, da seine angebliche Fesselung ja meinerseits korrigiert und gesichert wurde. Zudem bestätigt das Fehlen der eingelegten Bandkassette, daß in diesem Hause während Myladys und meiner Wenigkeit Abwesenheit Ungesetzliches vorgefallen ist. Lionel Hotchkiss hat sich auf illegale Weise Zutritt verschafft.« »Und er ist nicht mehr da! Duplizität der Ereignisse. Erst finden Sie unweit der Lichtung, auf der Ihre Herrin trainierte, einen Toten, Mister Parker, und dann wollen Sie Lionel Hotchkiss im Souterrain entdeckt haben, gefesselt und betäubt. Wer jedoch tatsächlich gefesselt und betäubt war, war Lady Agatha, Ihre Herrin. Würde ich Sie nicht besser kennen, müßte ich Sie festnehmen, Mister Parker!« Rander hob die Hand. »Nicht so voreilig, Superintendent! Wie mehr oder weniger gut Sie Parker kennen, steht hier nicht zur Debatte. Hotchkiss hat Spuren hinterlassen, die Parkers Aussage bestätigen werden.« »Wer außer Parker will beweisen können, daß Hotchkiss hier war, Mister, Rander?« »Beweisen kann das niemand, Sir. Nicht mal Parker. Es ist nur beweisbar, daß ein Fremder im Haus war. Parker will den Mann als Lionel Hotchkiss identifiziert haben. Das nehme ich erst mal als Faktum, um weiterzukommen.« »Sir«, unterbrach Josuah Parker das begonnene Plädoyer des Anwalts. »Mylady wurde ebenfalls betäubt und gefesselt. Wer könnte ein Interesse daran haben, so etwas zu tun, wenn nicht Hotchkiss, der sich befreien konnte oder, was wahrscheinlicher ist, von einem Komplizen befreit wurde. Bedenken Sie die Schwierigkeit, Mylady vom Souterrain die Treppe hoch zur Wohnhalle zu schaffen.« »Das überzeugt mich«, sagte McWarden, »wer kann denn Hotchkiss’ Komplize gewesen sein, Parker? Der Zwillingsbruder scheidet
aus, weil Sie ihn doch selbst auf meine Anweisung in Polizeihaft gebracht haben. King scheidet ebenfalls aus. Er persönlich hat mich hergefahren.« »Golightly?« McWarden blickte Rander scharf an. »Was wissen Sie davon? Sie waren doch gar nicht dabei.« »Ich habe Parkers mündlichen Bericht entgegengenommen, Superintendent. Was ist mit Golightly?« »Soviel ich weiß, war er noch im Haus, als ich mit King losfuhr.« »Sicher sind Sie nicht, oder?« »Golightly ist völlig unbedeutend, Mister Rander. Als Anwalt wissen Sie doch, wie sich manche Leute aufspielen. Golightly konnte, keinesfalls vor uns hier eingetroffen sein. Er hätte schon fliegen müssen.« »Bleibt noch Miß Barney. Wie lange war die Hausdame anwesend?« McWarden zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich habe meine Untersuchungen zu Ende geführt, war mit Mister King noch bei der Lichtung und habe nach Spuren geforscht. Es gab keine.« »Mit Verlaub, Sir«, sagte Josuah Parker. »Woher kannten Sie . den Tatort?« »Es war doch dieses Gebüsch. Außerdem hat mich Mister King zu der Stelle geführt.« »Interessant«, äußerte sich Mike Rander. »King kannte den Tatort, ohne je vorher dort gewesen zu sein…« »Natürlich war er dort. King hat doch den Commissioner alarmiert…« »Mit Verlaub, Sir, Mister King mag Commissioner Harley angerufen haben, nachdem er von Lionel Hotchkiss Bescheid erhalten hatte. So lautete auch die Aussage des Constables. Den Tatort oder Fundort konnte Mister King jedoch nicht kennen, da er bis zum Abrücken der Polizei nicht erschienen war. Auch nicht bis zu dem Zeitpunkt, da meine bescheidene Wenigkeit die Ehre hatte, Mylady und Sie, Sir, zum Anwesen Mister Kings zu chauffieren.« »Verdammt!« »Sie hätten King besser mit Handschellen am Tor festmachen sollen, Superintendent«, sagte Rander. »Jetzt ist er auf und davon und lacht sich eins ins Fäustchen.« »Wollen Sie mir Vorschriften machen, Mister Rander?« McWarden funkelte erbost mit den Augen.
Der Anwalt schüttelte den Kopf. »Vorschriften? Niemals! Ich gebe Ihnen einen gutgemeinten Rat, Superintendent: lassen Sie das Trio zur dringenden Fahndung ausschreiben. Norman King, Gwendolyn Barney und Lionel Hotchkiss. Ich gehe jede Wette ein, daß King nicht vor Endausscheidung der Britischen Meisterschaften zu Hause anzutreffen ist.« »Wann findet diese Endausscheidung denn statt?« »Morgen, Sir«, sagte Josuah Parker. »Wäre Mylady andernfalls heute im eigenen Haus überfallen und betäubt worden? Mylady verkörpert Mister Kings einzige ernsthafte Konkurrenz, Sir.« »Verkörpert? Ja, ja. Wenn es danach geht, hat Lady Simpson die Meisterschaft bereits gewonnen.« »Es wird sich fragen, ob Mylady am morgigen Tag gesundheitlich imstande ist, der schwierigen Disziplin des Bogenschießens zu genügen, Sir. Falls nicht, hätte Mister King sein Ziel mit unlauteren Mitteln erreicht. Mit Fug und Recht darf man Mister King für den Verantwortlichen des Nervenkrieges halten. Meine bescheidene Person möchte Mister Randers Rat eindringlich unterstützen, Sir. Lassen Sie Mister King zur Fahndung ausschreiben.« »Das bedeutete, daß er nicht an der Meisterschaft teilnehmen könnte, nicht wahr? Diese Befürchtung sprach er unterwegs aus. King hält Lady Simpson für imstande, wie er sagte, alle Gemeinheiten einzufädeln, um ihn an der Teilnahme der Britischen Meisterschaften zu hindern. Im Vertrauen – King ließ mich wissen, daß er den Fall mit dem Mord ohne Leiche für einen geplanten Bluff Ihrer Herrin hält, Mister Parker. Außer Ihnen hat niemand den Toten gesehen. Und es gab nicht die geringsten Spuren.« Rander schaltete sich ein. »Wie paßt dann Hotchkiss ins Bild, Superintendent? Hatte King auch dazu eine Erklärung parat?« »Wie sollte er! King konnte doch nicht ahnen, daß sein Butler sich betäubt und gefesselt hier im Haus befand. Wiederum ist es Mister Parker allein, der den Mann identifiziert haben will. Vielleicht wurde Hotchkiss in eine vorbereitete Falle gelockt?« »Sir…?« »Sie sind verrückt, Superintendent! Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?« Mike Rander regte sich mächtig auf. »Auf welcher Seite? Auf der Seite des Gesetzes natürlich! In meiner Position bei Scotland Yard kann ich mir keine Parteinahme erlauben, auch wenn es sich um eine Dame des Adels handelt. Ich muß die Indizien bewerten, und diese Indizien sprechen ge-
gen…« »Gegen Mylady, Sir?« unterbrach Josuah Parker mit unbewegtem Pokergesicht. »Nein! Gegen Sie, Mister Parker!« Die Miene des Butlers änderte sich nicht. »Sie wünschen Hut und Mantel, Sir. Man wird Sie zur Tür begleiten…« * »Ein dicker Hund«, sagte Mike Rander und betonte jede einzelne Silbe. »McWarden muß verrückt geworden sein, Sie zu beschuldigen, Parker.« »Aus seiner Sicht ist dies durchaus verständlich, Sir«, erwiderte der Butler. »Mister McWarden bildet sich sein Urteil nach den ihm vorliegenden Indizien. In der Tat hatte meine Wenigkeit keine Zeugen, als zum einen der unbekannte Tote und zum anderen Lionel Hotchkiss gefunden wurden.« »Das kann Absicht sein, Parker. King kann es so eingefädelt haben, daß keine Zeugen dabei waren, zumal Hotchkiss sich selbst betäubt und gefesselt hat.« »Mitnichten, Sir. Hotchkiss mag sich anfänglich selbst gefesselt haben, doch wie ist er dann nach der von mir korrigierten Fesselung allein wieder freigekommen? Er hat das Klebeband absichtlich in der Küche zurückgelassen, das auf einen fremden Täter deuten sollte. Außerdem war Hotchkiss betäubt. In seinen Taschen war nichts zu finden, womit er die Betäubung hätte vornehmen können.« »Wir werden gemeinsam hinuntergehen und alles gründlich durchsuchen, Parker. Der Mann kann die Ampulle mit letzter Kraft in eine Ecke geschleudert haben.« Josuah Parker neigte den Kopf. »Vergessen Sie nicht diese Nachricht, Sir. Mylady wurde gewarnt, auf das nächste wichtige Vorhaben zu verzichten. Damit kann nur die Endausscheidung gemeint sein, Sir.« »Das paßt doch alles ins Bild, Parker. Mit dem erstochenen Toten hatte es nicht so recht geklappt. Statt Golightly mußte ein Fremder dran glauben. Um die Panne zu vertuschen, ließ King die Leiche wegschaffen.« »Durch wen? Mit wessen Hilfe, Sir?«
»Vielleicht hat es der ehrenwerte Mister King selbst besorgt. Sie sagten, King sei von kräftiger Statur. Ich brauche Ihnen doch nicht zu erklären, daß ein Mann mit einem bestimmten Griff einen anderen Mann mühelos wegschaffen kann, Parker. Dann bleibt nichts als zerdrücktes Gras, wie Sie es vorgefunden haben, Parker. Keine Schleifspuren, keine Abdrücke von Fahrzeugreifen.« »Und jenes Telegramm aus Brighton?« »Das hat Hotchkiss in Kings Auftrag aufgegeben, ehe er von Brighton direkt hierher fuhr, um den Überfall vorzutäuschen, den McWarden Ihnen anhängen will.« »Möglicherweise, Sir. Warum aber der vorgetäuschte Überfall, wenn der Überfall auf Mylady echt war?« »Geben Sie mir jetzt doch einen Whisky, Parker. Mit dem Glas in der Hand kann ich besser denken.« »Sehr wohl, Sir. Scotch, Canadian oder Bourbon?« »Sagen Sie bloß, Lady Agatha hätte die Sorten alle!« »Meine bescheidene Wenigkeit verfügt über gewisse Vorräte. Darf man Sie in meine bescheidenen Privaträume begleiten? Sie haben die freie Auswahl, Sir. Es macht mich glücklich, Ihnen dienlich sein zu können.« »Willst du schon wieder fort, Mike?« rief Kathy von der Treppe. »Lady Agatha hat sich noch aufgeregt. Kein Wunder, nach allem, was geschehen ist. Ich soll ihr eine Milch >mit Geschmack< bringen.« »Das wird meine Wenigkeit erledigen«, sagte Parker gemessen. »Aus Erfahrung kennt man den >GeschmackszusatzHausdame
dächtigt er meine Wenigkeit gewisser Unregelmäßigkeiten. Mylady haben sich in der Vortäuschung jener Straftat keinen guten Dienst erwiesen. Sollten Hotchkiss oder die Hausdame gefaßt werden, kann es für Mylady peinlich enden. In diesem Fall existierten zwei Aussagen, daß Mylady unversehrt zurückblieben.« »Unsinn! Wer glaubt denn solchem Gesindel? Sie können bezeugen, daß Sie mich befreit und gerettet haben, Mister Parker! Ich rechne auf Ihre Aussage! Sagen Sie einfach nur die Wahrheit.« »Gewiß, Mylady.« »Gute Nacht, Mister Parker. Miß Kathy möchte mich um acht Uhr wecken. Bereiten Sie mir ein besonders kräftiges Frühstück, Mister Parker. Morgen ist Wettkampftag. Überprüfen Sie meine Ausrüstung, ehe Sie sich selbst schlafen legen.« * »Wo haben Sie so lange gesteckt, Parker? Ich habe eine Flasche Paddy gefunden und mich schon selbst bedient. Wirklich, die Iren verstehen es, einen milden Whisky zu brennen. Kathy ist schon zu Bett gegangen. Sie waren lange bei Lady Simpson, Sie Schwerenöter!« Rander drohte ironisch mit dem Finger. »Es stellt sich nunmehr die Frage, Sir, was Hotchkiss und die zweite Person in Myladys Haus wollten.« »Die zweite Person? Gehen Sie immer noch davon aus, daß Lady Agatha nicht von einem einzelnen hochgetragen werden konnte, Parker?« »Es gibt Beweise, daß eine zweite Person im Hause weilte, Sir. Leider ist es mir verboten, darüber zu reden.« »Zu mir können Sie doch offen sein, Parker.« »Bedauerlicherweise in diesem Fall nicht, Sir. Meine Offenheit würde Dritte belasten.« »Ich bin zur Verschwiegenheit verpflichtet, Parker.« »Sicher, Sir. Dringen Sie nicht weiter in meine bescheidene Person ein. Es gilt, Mister Hotchkiss ausfindig zu machen. Er hat sich in Widersprüche verstrickt, die nach Klärung den Weg zu dem Mörder jenes Opfers weisen, das meine Wenigkeit im Unterholz zu entdecken das zweifelhafte Vergnügen hatte.« »Sie reden, als wüßten Sie inzwischen, um wen es sich bei dem
rätselhaften Toten handelt, Parker.« Der Butler verzog keine Miene, sondern blickte Mike Rander offen an. »Wenn man der kriminalistischen Methode folgt, die Unwahrscheinlichkeiten abzugrenzen und auszuschließen, wenn man Verhaltensweisen auf Indizien zuordnet, wenn man schließlich ein wenig Intuition walten läßt, bleibt nichts anderes als die Frage, Sir, ob Sie zufällig in Besitz des neuesten juristischen Jahrbuches sind.« »Was soll denn das? Ich stehe sowieso nicht drin. Die Erwähnungen sind den uralten Anwaltsfirmen vorbehalten, die seit Generationen das Recht durch den Fleischwolf drehen, Parker.« »Würde es Ihnen etwas ausmachen, Sir, in Ihrer Bibliothek nach jenem Jahrbuch zu forschen?« »Jetzt? Mitten in der Nacht?« »Es ist von einiger Wichtigkeit, Sir.« »Okay, Sie alter Geheimniskrämer. Aber Sie kommen mit! Sie können mich zur Curzon Street fahren, Parker.« »Mit dem größten Vergnügen, Sir. Können wir bald aufbrechen? Es steht zu befürchten, daß die Sache eilt.« Mike Rander kannte seinen ehemaligen Kampfgefährten gut genug, um keine überflüssigen Fragen zu stellen. Er trank aus und stellte das Glas ab. »Vamos…« »Das sagt man in Spanisch-Kalifornien, nicht wahr, Sir?« »Si, compadre. Vamos. Der Teufel soll Sie holen, wenn ich das juristische Jahrbuch umsonst hervorkramen muß!« »Dies, Sir, steht nicht zu befürchten. Was ärgerlich sein könnte, wäre die Tatsache, daß nicht alle Chefs von Simrock, Simrock & Simrock mit ihren Konterfeis abgebildet sind, Sir.« »Was haben Sie denn mit dieser versnobten Anwaltsfirma zu schaffen, Parker?« »Simrock, Simrock & Simrock vertreten die Interessen von Mister Norman King, Sir.« »Na, und…?« »Anhand des Jahrbuches erfolgen in Ihrem Büro weitere Aufschlüsse, Sir.« Josuah Parker strebte voraus und hielt seinem ExHerrn die Tür offen. Bei dem geringen Verkehr um die späte Stunde dauerte die Fahrt zurück zur Curzon Street nur kurz. In seinem Büro ging Mike Rander Vor und sperrte auf. »Das Jahrbuch«, sagte er und machte Licht. »Ich muß es bei der speziellen
britischen Fachliteratur eingeordnet haben. Ah, hier haben wir es schon. Bedienen Sie sich, Parker.« Der Butler blätterte das Register durch, schlug unter Simrock nach und fand die Erwähnung. Es gab nur noch einen Simrock. Die Seniorpartner waren verstorben, beziehungsweise ausgeschieden. Daher existierte nur ein einziges Foto. Honorable Alan Manfort Simrock lächelte huldvoll. Man hatte ihn, womöglich auf eigenen Wunsch, in Amtstracht abgebildet. Trotz der entstellenden Perücke wußte Josuah Parker sofort, daß er den Toten aus dem Unterholz identifiziert hatte. In der Brust dieses Mannes hatte einer der Slazenger gesteckt, wie Mylady sie im Training verwendete. Aber Mylady hatte Alan M. Simrock keinesfalls auf dem Gewissen. »Alles klar, Parker?« erkundigte sich Mike Rander munter. »Was die in Frage stehende Klärung betrifft, ja, Sir. Der in jener Anwaltskanzlei einzig agierende Mister Simrock weilt nicht mehr unter den Lebenden. Er ist der Mann, den meine bescheidene Wenigkeit entseelt im Gebüsch entdecken mußte. Nun handelt es sich nur noch um das Vorgehen, Mister Simrocks Mörder zu stellen und zu überführen.« »Teufel auch«, brummte Rander. »Sie haben King in Verdacht, wie? Ein harter Brocken, Parker. Hoffentlich verschlucken wir uns nicht daran. Ich möchte gern meine Zulassung als Anwalt behalten. King ist wirklich wie ein König! Er hält die entscheidenden Fäden in der Hand und kann die Puppen tanzen lassen, wann er will.« »Wenn wir ihm noch die Chance dazu geben. Sind Sie bereit und willens, Sir, trotz der späten Stunde zu Mister Kings Anwesen in Essex zu fahren?« »Ich muß ja wohl«, erwiderte Rander und kratzte sich am Kopf. * »Sie fahren völlig unvorbereitet, Parker? Kein Kaninchen im Hut, keine Tricks, keine überraschenden Effekte?« »Mit Kaninchen, Sir, wird Mister King kaum beizukommen sein. Die besten Waffen hat die Natur uns in unserem Körper verliehen. Ein scharf denkendes Hirn, gesunde Sinne und schnelle Reaktion.«
»Reaktion ist wichtig«, brummte der Anwalt. Er wurde bei Parkers Tempo von einer Ecke in die andere geschleudert. Der Butler hatte die Panzerglas-Trennscheibe herabgelassen, so daß Rander ohne elektronische Sprechanlage mit ihm Kontakt hatte. Das umgebaute Taxi raste über die ausgebaute Schnellstraße. London mit einer Glocke aus Licht und Dunst lag zwanzig Meilen hinter ihnen. »Wie wollen Sie’s bei King denn anfangen, Parker, vorausgesetzt, daß er uns überhaupt ins Haus läßt?« »Das dürfte die Gunst des Augenblicks entscheiden, Sir. Sie haben das Jahrbuch doch bei sich? Man könnte Mister King das Konterfei des toten Mister Simrock vorhalten und ihn sogleich beschuldigen, diesen Mann absichtlich und aus niederen Beweggründen vom Leben zum Tod befördert zu haben.« »Und wenn er es hohnlächelnd abstreitet, Parker?« »Dann hat Mister King immerhin zugegeben, daß Mister Simrock in der Nähe war. Man braucht nur noch Simrocks sterbliche Überreste zu finden, Sir. Der Einstich eines Pfeiles kann nicht kaschiert werden. Der Aufprallwinkel und der Wundkanal kann von Experten mit Hilfe von Sonden genau festgestellt werden. Im King’schen Haushalt hatte jedermann ein Alibi – mit Ausnahme des Hausherrn. Zusätzlich ist zu bedenken, daß Mister King den Mordfall gemeldet hat. Zwar zog Lionel Hotchkiss los, um die Polizei zu verständigen, doch verständigt wurde lediglich sein Dienstherr.« »Demnach müßte King zu Hause gewesen sein, Parker.« »Oder im >Fox and Fitchewtödlicher StichOpferFox and FitchewHausdame
»Wenn Mylady Miß Barney meinen – Miß Barney ist gestern abend noch zu ihrer Tante nach Schottland abgereist. Miß Barney hat ihren Vertrag mit Mister King gekündigt. Mit Mord wollte Miß Barney nichts zu tun haben.« »Wer will das schon! Ich auch nicht…« »Es steht fest, daß Mylady jenen Lionel Hotchkiss im Souterrain des Hauses antrafen und ihn, wie er sagte, davonjagten. Von der Anwesenheit einer dritten Person, gar einer Miß Gwendolyn Barney, kann keine Rede sein, Mylady.« »Will man mir verbieten, im eigenen Haus zu schalten und zu walten, wie ich es für richtig halte, Mister Parker? Unerhört, wie sich die Justiz in die Privatsphäre unbescholtener Mitglieder des Adels mischt!« »Mister McWarden ist tief beleidigt. Er fühlt sich von Mylady hintergangen.« »Das darf er ruhig. Ich bin ihm keine Rechenschaft schuldig, Mister Parker. Ist mein Frühstück bereit?« »In der Tat, Mylady. Es wird in wenigen Minuten serviert. Soll für Mister McWarden ein Gedeck mitaufgelegt werden?« »Ich denke, der Mann ist beleidigt, Mister Parker?« »Sicher, Mylady. Indessen hält dieser Zustand Mister McWarden nicht davon ab, Mylady eindringlich vor einer Teilnahme an den Britischen Meisterschaften zu warnen.« »Ich lasse mir das Championat nicht nehmen – jetzt, da mein größter Konkurrent ausgeschieden ist, seit er im Gefängnis sitzt. Ich bin durchtrainiert und fit. Niemand schlägt mich.« »Dem zu widersprechen steht meiner bescheidenen Wenigkeit nicht zu. Myladys Teilnahme an den Endausscheidungen würde jedoch schlafende Hunde wecken. Man würde vielleicht zu der Ansicht gelangen, Mylady hätten die leidvollen Ereignisse provoziert, um Mister Norman King an der Teilnahme zu hindern.« »Es war doch genau umgekehrt, Mister Parker.« »Gewiß, Mylady, doch wer will das nachweisen – jetzt, da Mister King dem Lauf der Gerechtigkeit anheimgegeben ist. In dubio pro reo, sagt die auf Römischem Recht basierende Jurisprudenz.« »Sie schweifen ab, Mister Parker! Man will mich also hindern, die verdiente Meisterschaft zu erringen, nur weil dieser verbrecherische King samt seinem kriminellen Butler mich mit erfundenen Geschichten belasten will? Ich stehe hoch über solchen Intrigen. Die wahre Championesse bin ich. Sollen sich die anderen doch um
die Plazierung streiten. Moralisch habe ich gesiegt – noch vor dem ersten offiziellen Bogenschuß.« »Wie Mylady meinen«, sagte Josuah Parker ergeben. »Es hat geläutet, Mylady.« »Wahrscheinlich ist das Mister McWarden… In Gottes Namen, legen Sie ein zusätzliches Gedeck auf, Mister Parker. Und vorher reichen Sie McWarden einen Drink. Ich will mit Scotland Yard keinen Ärger haben…« Ende Nächste Woche erscheint BUTLER PARKER Auslese Band 330 Gunter Dönges PARKER surft der »Qualle« nach