Butler � Parker � Nr. 571 � 571
Curd H. Wendt �
Parker piesackt � ›Mr. Tarzan‹ �
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Butler � Parker � Nr. 571 � 571
Curd H. Wendt �
Parker piesackt � ›Mr. Tarzan‹ �
2
»Gräßlich, dieser Nebel«, monierte Lady Agatha und sah gelang weilt zum Wagenfenster hinaus. »Wenn ich an die herrlichen Tage in den Highlands denke…« Nach einer Woche Winterurlaub, den sie überwiegend dazu benutzt hatte, ihre Standfestigkeit in diversen Spielarten des ApresSki zu demonstrieren, befand sich die passionierte Amateurdetektivin auf der Rückfahrt nach London. Schon auf der Höhe von Northampton hatte Josuah Parker, ihr schwarz gewandeter Butler und Chauffeur, das Tempo gedrosselt. Seitdem hatten sich die Sichtverhältnisse auf der M1 weiter verschlechtert. In endlosen Kolonnen rollten die Fahrzeuge durch den Nebel, bis unvermittelt Dutzende von Bremslichtern aufleuchteten. Parker, der mit starrer Miene hinter dem Lenkrad saß, reagierte sofort und brachte sein altertümliches Gefährt rechtzeitig zum Stehen. Aber auf der Nachbarspur schepperte es unüberhörbar. Im selben Moment meldete sich der Verkehrsfunk zu Wort.
Die Hauptpersonen: Glen Beaton hat viele Jahre im Ausland verbracht und reitet ein nicht alltägliches Steckenpferd. Terry Hodges macht eine beunruhigende Entdeckung und sorgt sich um seine Existenz als Hotelbesitzer. Greg Frazer beansprucht Haftentschädigung und hält sich ein exotisches »Haustier«. Phil Maxwell agiert als Diener mehrerer Herren und entzieht sich durch einen Fenstersprung dem Zugriff einer Dame. Artie Perkins wickelt Spezialaufträge ab und erlebt ein wahrhaft böses Erwachen. Lady Agatha findet in einem kleinen Hotel ein achtbeiniges Raubtier auf ihrem Kopfkissen. Butler Parker benutzt einen chinesischen Seidenteppich als Verpackungsmaterial und lockt Schießwütige in eine Falle. *** Von dichtem Nebel im gesamten Großraum London war die Rede – und von einer Massenkarambolage
mit zahlreichen Verletzten auf der
M1 zwischen Toddington und
Luton. Die Fahrbahn in Richtung
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London war blockiert. »Da kann es noch Stunden dauern, bis ich zu Hause bin«, seufzte die gewichtige Dame. »Und mir ist jetzt schon schwach im Magen.« »Mylady könnten erwägen, sich in einem Gasthaus abseits der Autobahn zu stärken und dort die Auflösung des Staus abzuwarten«, schlug der Butler vor. »Daran habe ich auch schon gedacht«, ließ Agatha Simpson ihn wissen. »Können Sie mir denn in dieser Gegend was Hübsches empfehlen, Mister Parker?« »Sofern man sich recht erinnert, befindet sich in wenigen Meilen Entfernung ein kleines Hotel, dessen Küche Myladys Ansprüchen weitgehend gerecht werden dürfte«, antwortete Parker und ließ das ehemalige Taxi, das er mit einigem Aufwand zu einer regelrechten »Trickkiste auf Rädern« umgebaut hatte, wieder anrollen. Die Blechschlange setzte sich zwar in Bewegung, aber es ging nur im Schrittempo weiter. Bis zur nächsten Abfahrt waren es noch mindestens fünf Meilen. Deshalb verließ der Butler die verstopfte Piste, sobald ein Parkplatz in Sicht kam. Hier gab es zwar keine Straße, die von der Autobahn wegführte, aber eine Böschung, die nicht sonderlich steil war. Kein Problem für das hochbeinige Spezialfahrwerk seines Wagens. »Darf man Mylady höflich bitten,
sich festen Halt zu verschaffen?« ließ Parker sich vernehmen, bevor es ein paar Meter schaukelnd bergab ging. Eine hügelige Wiese schloß sich an, doch schon zwei Minuten später hatte das hochbeinige Monstrum wieder Asphalt unter den Pneus. »Puh! Dieses Geschaukel ist wirklich nichts für meinen Kreislauf«, stöhnte Agatha Simpson und tupfte sich mit einem weißen Spitzentaschentuch imaginäre Schweißperlen von der Stirn. »Aber immer noch besser, als auf der Autobahn zu verhungern.« »Eine Feststellung, der man sich nur uneingeschränkt anschließen kann, Mylady«, bemerkte der Butler und konzentrierte sich auf die zahlreichen Windungen der schmalen Straße, die immer wieder überraschend aus dem Nebel auftauchten. »Finden Sie denn in dieser Milchsuppe überhaupt den Weg, Mister Parker?« wollte die ältere Dame nach einer Weile besorgt wissen. »Sofern man nicht grundsätzlich irrt, dürfte das Ziel innerhalb weniger Minuten erreicht sein«, versicherte Parker und behielt recht. Das Restaurant, dessen Eingangstür er wenig später öffnete, war unaufdringlich elegant eingerichtet und strahlte eine behagliche Atmosphäre aus. Auf allen Tischen brannten Kerzen, und die Kellner erwiesen sich als ebenso höflich wie aufmerksam. 4
Schon beim Bestellen hellte sich die düstere Miene, mit der die majestätische Dame hereingekommen war, unübersehbar auf. Und als sie mit einem köstlich zubereiteten Rehrückenfilet erfolgreich ihre Hungergefühle bekämpft hatte, war der Ärger über Nebel und Stau vollends vergessen. Allerdings blieb auch der rubinrote Burgunder, der in Myladys Glas funkelte, nicht ohne Wirkung. Gut gelaunt schob die ältere Dame noch ein Stück Sahnetorte nach und ließ sich dann einen Mokka nebst Cognac kommen. »Jetzt fühle ich mich gestärkt für die Heimfahrt«, stellte sie schließlich fest. »Wie spät ist es eigentlich, Mister Parker?« »In wenigen Minuten zweiundzwanzig Uhr, sofern Mylady keine Einwände erheben«, teilte der Butler in seiner ungemein höflichen Art mit. »Dann sollte ich jetzt aufbrechen«, meinte Agatha Simpson. »Ich habe mir nämlich vorgenommen, die Nachtstunden zur Arbeit an meinem Bestseller zu nutzen.« »Meine Wenigkeit könnte sich beim Portier erkundigen, ob die Autobahn wieder frei ist«, bot Parker an und entfernte sich gemessen würdevoll. Die Nachrichten, mit denen er gleich darauf zurückkehrte, hörten sich aber alles andere als erfreulich an. Der Portier hatte den aktuellen
Verkehrsfunk gehört und erfahren, daß die M1 in Richtung London noch immer gesperrt war. Im übrigen gingen die Meteorologen davon aus, daß sich der Nebel im Lauf der Nacht noch weiter verdichten würde. »Nun, wenn die Autobahn nicht passierbar ist, kann ich ja auch über die Landstraße fahren«, zeigte sich die ältere Dame unbeeindruckt. »Falls Sie Schwierigkeiten mit der Orientierung haben, werde ich Ihnen den Weg zeigen, Mister Parker.« »Eine Hilfe, die man gern und dankbar in Anspruch nimmt«, erwiderte der Butler. »Allerdings sollten Mylady unter Umständen bedenken, daß die Heimfahrt wegen der unerquicklichen Sichtverhältnisse mehrere Stunden dauern dürfte.« »Stimmt. Darauf wollte ich Sie auch schon hinweisen, Mister Parker«, gab die zur Ungeduld neigende Detektivin mißmutig zurück. Doch plötzlich hellten sich ihre Züge auf. »Wissen Sie was? Ich bleibe einfach hier«, entschied sie. »Ein Zimmer wird ja wohl noch frei sein.« Parkers Nachfrage an der Rezeption ergab, daß sogar eine kleine Suite mit drei Zimmern, Bad und Teeküche zur Verfügung stand. Während er das Gepäck aus dem Wagen holte und nach oben trug, siedelte seine Herrin in die Bar über und richtete sich dort häuslich ein. Als Agatha Simpson schließlich 5
den Rückzug antrat, war es spät in der Nacht. »Wenn man’s richtig nimmt, hat sogar der Nebel sein Gutes«, schmunzelte sie auf dem Weg ins erste Obergeschoß. »Darf man unter Umständen um Auskunft bitten, wie Mylady diese Äußerung konkret verstanden wissen möchten?« fragte der Butler, während er die Etagentür aufschloß und mit einer höflichen Verbeugung zum Eintreten einlud. »Ohne den Nebel hätte ich dieses angenehme Hotel vermutlich nie kennengelernt«, antwortete die Detektivin gut gelaunt. »Wirklich hübsch, was Sie mir da empfohlen haben, Mister Parker.« Auch an der Ausstattung der Zimmer hatte die Lady nicht das Geringste auszusetzen. Sie war ausnahmsweise rundum zufrieden. Doch kaum hatte Parker eine angenehme Nachtruhe gewünscht und die Tür hinter sich zugezogen, rief ein gellender Schrei ihn wieder zurück. * Wie erstarrt stand die sonst so beherzte Detektivin in einer Ecke ihres Schlafgemachs. Sie war leichenblaß geworden und deutete mit zitternder Hand auf das luxuriöse Lager. Im ersten Moment glaubte der Butler, seine Herrin hätte sich durch
eine Maus ins Bockshorn jagen lassen. Doch bei näherem Hinsehen gewahrte auch er das beunruhigende Insekt, das regungslos auf dem Kopfkissen saß. Acht struppig behaarte Beine trugen den schwarzen, fast handtellergroßen Körper. »Mylady sollten sich möglichst ruhig verhalten, um das Tier nicht zu erschrecken«, empfahl Parker und entfernte sich gleich wieder. In der kleinen Küche fand sich schnell, was er suchte. Ein breites Glas mit Schraubdeckel in der Hand, kehrte er gemessen und würdevoll zurück. Unter den kritischen Blicken der älteren Dame, die sich noch immer nicht aus ihrer Ecke wagte, pirschte sich der Butler im Zeitlupentempo an das Insekt heran. Langsam beugte er sich vor, streckte den Arm aus und… stülpte blitzschnell das offene Glas über das Tier. Die entscheidende Aktion war gelungen, alles Weitere schon fast Routinesache. Während Parkers Linke das Glas hielt, glitt seine rechte Hand unter das Kopfkissen und preßte es fest gegen die Öffnung. Nach einer schnellen Drehung brauchte der Butler nur noch kräftig zu schütteln, bis das gefangene Insekt ins Glas purzelte. Postwendend ließ er das Kissen fallen, setzte den Deckel auf und schraubte ihn fest zu. »Ich wußte gar nicht, daß es auf 6
dem Land so gräßliche Tiere gibt«, bekannte Agatha Simpson und kam zögernd näher. »In London habe ich so was noch nie gesehen, Mister Parker.« »Nach der unmaßgeblichen Meinung meiner bescheidenen Wenigkeit dürfte es sich um eine Vogelspinne handeln, die in den Urwäldern Südamerikas beheimatet ist«, sagte Parker gelassen. »Hm. Und wie kommt das Scheusal in mein Bett?« wollte die majestätische Dame wissen, während ihre Wangen allmählich wieder Farbe bekamen. »Eine Frage, die erst nach eingehenden Recherchen zu beantworten sein dürfte«, erwiderte der Butler. »Allenfalls könnte die Vermutung in Betracht kommen, daß das Tier in einer Lieferung Bananen verborgen war und vom Wirtschaftskontrakt aus unbemerkt seinen Weg hierher fand.« »Sind… Vogelspinnen eigentlich gefährlich, Mister Parker?« erkundigte sich Mylady und beäugte argwöhnisch das gefangene Insekt. »Sofern man korrekt unterrichtet ist, führt der Biß eines solchen Exemplars nicht selten zum Tode«, informierte Parker. »Darf man im übrigen davon ausgehen, daß Mylady nach diesem unerfreulichen Vorfall in andere Räumlichkeiten umzuziehen wünschen?« »Mitten in der Nacht? Nein, ich
bleibe hier«, gab die resolute Dame nach kurzem Zögern ihren Entschluß bekannt. »Aber morgen früh werde ich mich beim Besitzer beschweren und einen Rabatt verlangen, Mister Parker.« »Ein Vorhaben, dem man die Aussicht auf Erfolg keineswegs absprechen möchte«, bemerkte der Butler und wollte sich mit dem Glas in der Hand entfernen. »Was machen Sie denn jetzt mit der Spinne, Mister Parker?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Sofern Mylady keine Einwände erheben, wird man das Glas im Kühlschrank deponieren«, ließ Parker sie wissen. »Damit das Tier frisch bleibt?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, entgegnete der Butler. »Tiefe Temperaturen dürften dazu führen, daß die Spinne zur Bewegungsunfähigkeit erstarrt und keinerlei lebensbedrohende Aktivitäten entfalten kann.« »Sehr vernünftig«, nickte die Detektivin. »Eigentlich wollte ich Ihnen dasselbe vorschlagen, Mister Parker.« Nachdem der Butler das Insekt weggebracht und Myladys Schlafgemach einer gründlichen Inspektion unterzogen hatte, kehrte endlich Ruhe ein. Bald darauf ließen einschlägige Geräusche erkennen, daß die stämmige Lady ihren Schrecken überwunden hatte und in entspan7
nenden Schlummer gefallen war. Dem Butler war allerdings nicht nach Schlafen zumute. Er machte es sich in seinem Zimmer bequem und entzündete eine seiner Lieblingszigarren, die sein einziges Laster darstellten. Dabei kreisten seine Gedanken unablässig um die Frage, wie die Vogelspinne in Myladys Bett geraten war. Daß sie aus dem Wirtschaftstrakt herübergekrochen war, erschien ihm eher unwahrscheinlich. Und um einen gezielten Anschlag gegen Myladys Leben konnte es sich erst recht nicht handeln. Zwar gab es in der Londoner Unterwelt finstere Gestalten genug, die der Detektivin die Pest und Schlimmeres an den Hals wünschten, aber keiner dieser mißgünstigen Zeitgenossen konnte auch nur ahnen, daß Agatha Simpson sich spontan entschlossen hatte, die Nacht in einem kleinen Hotel in Buckinghamshire zu verbringen. Ohne daß Parker eine schlüssige Antwort gefunden hätte, graute schließlich der Morgen. Da Mylady noch fest schlief, verließ er auf leisen Sohlen das Haus und begab sich ins Freie, um bei einem Spaziergang frische Luft zu schöpfen. Bekleidet mit seinem schwarzen, konservativ geschnittenen Covercoat, dem steifen Bowler auf dem Kopf und dem unvermeidlichen Universal-Regen schirm am ange-
winkelten Unterarm, schritt der Butler würdevoll durch das parkähnliche Wäldchen, das sich hinter dem Hotel erstreckte. In den kahlen, triefenden Ästen hing immer noch der Nebel. Aber die zähe, milchige Masse löste sich allmählich in zerfaserte Schwaden auf. Vielleicht würde es die Sonne im Lauf des Vormittags doch noch schaffen. Josuah Parker atmete tief durch und genoß die kühle Morgenluft, die sich als feiner Tau auf seiner Kleidung niederschlug. Vögel flogen auf, und ein Hase hoppelte hastig davon, als er die schwarz gewandete Gestalt bemerkte. Als das Waldstück schließlich an einem Bach endete, machte der Butler kehrt und näherte sich in weitem Bogen wieder dem Hotel. Er hatte gerade den von hohen Hecken umgebenen Parkplatz erreicht, als er auf die Stimmen zweier Männer aufmerksam wurde, die auf dem Wirtschaftshof standen und sich unterhielten. »Haben Sie eigentlich in den anderen Zimmern gründlich nachgesehen, Maxwell?« wollte einer der beiden wissen. »Natürlich, Mister Hodges«, lautete die Antwort. »Keinen Winkel habe ich ausgelassen. Aber das Vieh auf Zimmer zwölf scheint wirklich das einzige gewesen zu sein.« »Hoffentlich«, entgegnete der 8
Mann namens Hodges. »Die Gäste sind verständlicherweise sofort abgereist, ohne einen Penny zu bezahlen. Und wenn das Reinigungspersonal auf so ein Tier stößt, kann ich mir sofort neue Leute suchen.« »Mit den Viechern ist ja auch nicht zu spaßen«, hörte Parker den anderen sagen. »Haben Sie denn eine Ahnung, wie das Biest ins Hotel gekommen sein könnte, Mister Hodges?« »Nicht die geringste, Maxwell. Das ist es ja«, gab Hodges gereizt zurück. »Jedenfalls darf so was nicht wieder vorkommen. Sonst kann ich dichtmachen.« »Stellen Sie sich vor, die Presse bekommt davon Wind«, äußerte Maxwell. »Daran wage ich gar nicht zu denken«, erwiderte sein Gesprächspartner, bei dem es sich allem Anschein nach um den Inhaber des Hotels handelte. »Deshalb möchte ich, daß Sie ab sofort jedes Zimmer gründlich inspizieren, bevor neue Gäste einziehen.« »Außerdem sollten wir jede Lieferung Bananen untersuchen«, schlug Maxwell vor. »Hab’ mal gehört, daß die Tierchen sich mit Vorliebe darin verstecken.« »Stimmt«, bestätigte Hodges. »Am besten kümmern Sie sich persönlich darum. Das Küchenpersonal möchte ich nicht unbedingt einweihen.«
»Geht in Ordnung. Mister Hodges«, war als Antwort zu hören. »Ab morgen.« »Wieso ab morgen?« wollte der Hotelbesitzer verwundert wissen. »Haben Sie denn vergessen, daß ich heute meinen freien Tag habe, Mister Hodges?« erkundigte sich der Angestellte. »Ich werde nach London fahren und ein paar Freunde besuchen. Morgen mittag bin ich wieder zurück.« »Dann grüßen Sie die Queen von mir«, ließ Hodges ihn schmunzelnd gehen. »Wird gemacht – falls ich sie sehe«, schränkte Maxwell ein. »Bis morgen, Mister Hodges!« »Bis morgen, Maxwell«, erwiderte der Hotelbesitzer. Gleich darauf sprang der hochgezüchtete Motor eines italienischen Sportwagens an. Am Steuer des Fahrzeugs, das in flottem Tempo vom Hof kurvte und dann in die Landstraße einbog, nahm der Butler einen modisch gekleideten Mann um die Dreißig wahr, der sein halblanges, blondes Haar glatt nach hinten gekämmt hatte. Das ausgeprägte Kinn signalisierte Energie und Ehrgeiz. Nachdenklich kehrte Parker ins Hotel zurück. Also war die Vogelspinne in Myladys Schlafgemach keine Einzelgängerin gewesen! Hausherr und Angestellter schienen zwar vor einem Rätsel zu ste9
hen, aber wie er die passionierte Detektivin kannte, würde sie es sich nicht nehmen lassen, Licht in das mysteriöse Geschehen zu bringen. * Obwohl sie die Sechzig überschritten hatte, war Agatha Simpson noch immer eine imposante Erscheinung, die allenthalben diskretes Aufsehen erregte. Schuld daran war nicht zuletzt die extravagante Garderobe, mit der sie ihre ohnehin üppigen Formen noch zusätzlich unterstrich. Bescheidenheit und Sanftmut waren Tugenden, die Mylady nur an anderen Menschen schätzte. Sie haßte es, aus ihrem Herzen eine Mördergrube zu machen und trat zielsicher in jedes Fettnäpfchen, das der Butler nicht rechtzeitig aus dem Weg räumte. Obwohl an irdischen Gütern reich gesegnet, entwickelte die majestätische Dame eine Sparsamkeit, die selbst dem abgebrühtesten Schotten die Schamröte ins Gesicht trieb. Nur wenn es um ihr Steckenpferd – die Kriminalistik – ging, spielten Kosten keine Rolle. In seinem Zweireiher mit dem weißen Eckkragen stellte Parker schon äußerlich einen Gegensatz dar, wie man ihn sich krasser kaum vorstellen konnte. Eher als das glatte, meist ausdruckslose Gesicht ließen ein leichter Bauchansatz und ergraute
Schläfen auf seinen Jahrgang schließen. Als hochherrschaftlicher Butler alter Schule verfügte er über makellose Umgangsformen und eine geradezu stoische Gelassenheit. Er war. es, der in turbulenten Situationen den Überblick behielt und mit kühlem Kopf die richtigen Entscheidungen traf. Parker war es auch zu verdanken, daß die oft spontan agierende Detektivin nicht schon längst ihr Leben ausgehaucht hatte. Geduldig entwirrte er die Fäden der Ermittlungen, die Lady Agatha durcheinandergebracht hatte, trickste kaltblütige Killerkommandos aus und legte die Schlingen, in denen die Gesetzesbrecher sich schließlich fingen. Die Bescheidenheit, die er dabei an den Tag legte, machte es der älteren Dame leicht, jeden Erfolg auf ihrem Konto zu verbuchen. Daß es im Grund der Butler war, der ihr in der Unterwelt und bei Scotland Yard gleichermaßen Respekt verschaffte, fand Mylady nicht der Erwähnung wert. Vielleicht merkte sie es nicht mal. Als das skurrile Paar am späten Vormittag den Frühstückssalon betrat, waren die meisten Gäste schon abgereist oder zu Ausflügen in die Umgebung aufgebrochen. Aber an den wenigen Tischen, die noch besetzt waren, setzte prompt ein aufgeregtes Tuscheln ein. 10
In ihrer souveränen Art ignorierte Agatha Simpson die hämischen Kommentare und durchschritt erhobenen Hauptes den Raum. Parker wies den Weg zu einem Tisch am Fenster und rückte seiner Herrin behutsam den Sessel zurecht. Gleich darauf machte sich Mylady über die frisch geräucherten Forellenfilets auf Toast her, die der Kellner als Auftakt der Morgenmahlzeit serviert hatte. Schlagartig erlosch jedes Interesse an ihrer Umgebung. Nur als die Sonne zum ersten Mal durch die Nebelschwaden brach, hob sie kurz den Blick. Schmunzelnd vor Wohlbehagen hatte die stämmige Lady drei Gänge hinter sich gebracht und sah erwartungsvoll der reich garnierten Käseplatte entgegen, die den Abschluß bilden sollte, als ein schlanker, dunkelhaariger Mann im eleganten Nadelstreifenanzug den Frühstückssalon betrat. Er grüßte freundlich nach allen Seiten und näherte sich dann dem Fenstertisch, an dem das Duo aus Shepherd’s Market saß. »Lady Simpson?« erkundigte er sich mit einer höflichen Verbeugung. »Mein Name ist Terry Hodges. Ich bin der Inhaber dieses Hotels. Darf ich hoffen, daß Sie mit unseren Leistungen zufrieden sind?« »Außerordentlich, Mister Lodges«, gab die majestätische Dame freundlich lächelnd zurück und lud den
Hausherrn zum Platznehmen ein. Doch dann wandte sie sich mit nachdenklich gefurchter Stirn an den Butler. »War da nicht noch etwas, das ich monieren wollte, Mister Parker?« erkundigte sie sich. »Mylady äußerten die Absicht, Mister Hodges auf die Vogelspinne anzusprechen«, leistete Parker dem Gedächtnis seiner Herrin Hilfestellung. »Richtig«, nickte Agatha Simpson. »Eine Vogelspinne im Bett ist natürlich ein Grund zur Reklamation. Deshalb erwarte ich, daß Sie mir einen entsprechenden Rabatt einräumen, Mister Lodges. Immerhin sollten Sie mir dankbar sein, daß ich das Biest unschädlich gefährliche gemacht habe.« Den aufmerksamen Blicken des Butlers entging nicht, daß Hodges bei dieser Eröffnung förmlich zusammenzuckte. Sein sonnengebräunter Teint wurde aschfahl, die Mundwinkel zuckten nervös. »Ist das Ihr Ernst, Mylady?« wollte der Hotelier mit gedämpfter Stimme wissen. »Eine Vogelspinne?« »Dachten Sie vielleicht, ich wollte Sie auf den Arm nehmen, junger Mann?« reagierte die Detektivin entrüstet. »Wenn Sie wollen, kann Mister Parker Ihnen das Tier zeigen.« »Das ist ja unglaublich«, stellte Hodges kopfschüttelnd fest. »Wer jahrelang ein Hotel führt, erlebt so manches, aber eine Vogelspinne? 11
Sind Sie sich wirklich sicher, Mylady?« »Absolut, Mister Lodges«, bekräftigte die füllige Dame. »Wollen Sie mir denn unterstellen, ich könnte eine Vogelspinne nicht von einem Maikäfer unterscheiden?« »Auf keinen Fall, Mylady«, versicherte der Hausherr eilig. »Oder haben Sie etwa die Absicht, den mir zustehenden Rabatt zu verweigern?« hakte Lady Simpson in einem Ton nach, der nichts Gutes verhieß. »Nein, nein«, beteuerte ihr Gegenüber umgehend. »Es ist nur… weil… Ich habe so was noch nie erlebt, Mylady.« »Man lernt immer noch dazu, junger Mann«, erwiderte die Detektivin. »Was ist denn nun mit dem Rabatt?« »Ich werde die Kosten für Ihre Übernachtung einschließlich Speisen und Getränke in voller Höhe übernehmen, Mylady«, bot der Hotelbesitzer an. »Allerdings unter einer Bedingung.« »Und die wäre, Mister Lodges?« wollte Agatha Simpson wissen. »Ich muß Sie dringend bitten, über den Vorfall Stillschweigen zu bewahren«, antwortete Hodges. »Wenn diese Peinlichkeit an die Öffentlichkeit dringt, bin ich ruiniert.« »Sie können unbesorgt sein, Mister Lodges«, sprach Mylady ihm beruhigend zu. »Ich kann schweigen wie
ein Grab.« »Danke, Mylady«, sagte der elegant gekleidete Endvierziger mit schwachem Lächeln und erhob sich. »Im übrigen kann ich Ihnen versichern, daß so etwas nie wieder passieren wird.« »Machen Sie sich nichts draus, Mister Lodges. Pannen kommen überall vor«, erwiderte die majestätische Dame und entließ ihn mit huldvollem Nicken. * »So viel Großzügigkeit erlebt man selten heutzutage«, bemerkte Agatha Simpson, nachdem Hodges gegangen war. »Dabei kann der arme Junge noch nicht mal was dafür. Wie soll er auch ahnen, daß es skrupellose Gangster waren, die die Vogelspinne in mein Bett geschmuggelt haben, um mich kaltblütig aus dem Weg zu schaffen.« »Mylady gehen also von einem gezielten Anschlag aus?« vergewisserte sich Parker. »Natürlich, Mister Parker. Die kriminellen Subjekte müssen sich unerkannt hier im Hotel eingemietet haben«, tat Lady Agatha ihre Einschätzung kund. »Gleich nach dem Frühstück werde ich mir das Gästebuch zeigen lassen. Bestimmt stehen da bekannte Namen drin.« »Nichts liegt meiner bescheidenen Wenigkeit ferner, als Mylady zu 12
widersprechen«, meldete der Butler in seiner überaus höflichen Art Widerspruch an. »Allerdings müßten die fraglichen Unterweltler über geradezu prophetische Fähigkeiten verfügen.« »Prophetische Fähigkeiten?« wiederholte die ältere Dame erstaunt. »Sie sprechen mal wieder in Rätseln, Mister Parker.« »Daß Mylady spontan den Entschluß faßten, hier die Nacht zu verbringen, dürfte in einschlägigen Kreisen wohl kaum bekannt sein«, erläuterte Parker. »Im übrigen sieht man sich zu dem Hinweis genötigt, daß die Vogelspinne in Myladys Schlafgemach nicht die einzige war.« Anschließend berichtete er in wenigen Sätzen über das Gespräch zwischen Hodges und Maxwell, das er zufällig belauscht hatte. »Dieser Schlingel!« reagierte die ältere Dame empört. »Und mir hat er weismachen wollen, so was wäre hier noch nie vorgekommen. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Vogelspinnenplage. Ich werde Mister Lodges dringend raten, einen Kammerjäger zu bestellen.« »Eine Maßnahme, die man keinesfalls und mitnichten als abwegig bezeichnen möchte«, gab der Butler höflich zurück. »Andererseits dürfte eine Ausbreitung der Vogelspinnen auf natürliche Weise ausscheiden, da es sich – mit Verlaub – um Tiere tropischer Herkunft handelt, die im bri-
tischen Klima nur kurzfristige Überlebenschancen hätten.« »Ich hab’s!« strahlte Agatha Simpson unvermittelt und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Daß ich nicht früher darauf gekommen bin!« »Darf man fragen, worauf Mylady möglicherweise diese Äußerung beziehen?« erkundigte sich Parker. »Wie hieß der Lümmel noch, Mister Parker?« zeigte sich die ältere Dame vor lauter Freude über ihre Erleuchtung zerstreut. »Geht man recht in der Annahme, daß Mylady Mister Hodges zu meinen geruhen?« tippte der Butler an. »Natürlich. Dieser Lodges ist ein eiskalter Raubmörder in der Maske des Biedermanns, Mister Parker«, gewährte die Detektivin Einblick in ihre verblüffenden Gedankengänge. »Erst bringt er auf heimtückische Weise seine Gäste um. Dann verscharrt er sie im Garten und eignet sich ihr Gepäck an – inklusive Wertsachen, Bargeld, Scheckkarten und – Ausweispapieren, die sich in der Unterwelt gewinnbringend absetzen lassen, wie man als erfahrene Kriminalistin weiß.« »Mylady sehen meine Wenigkeit tief beeindruckt«, versicherte Parker mit undurchdringlicher Miene. »Scharfsinnige Kombinationen sind meine Spezialität«, erwiderte die majestätische Dame ohne falsche Bescheidenheit. »Da kann mir nicht 13
mal Sherlock Holmes das Wasser reichen.« »Eine Feststellung, der man nicht um jeden Preis widersprechen möchte, Mylady«, schickte der Butler voraus. »Allerdings würde sich unter den von Mylady vermuteten Umständen der Verdacht schnell auf Mister Hodges und seine Mitarbeiter konzentrieren, sofern der Hinweis erlaubt ist.« »Wieso? Hotelgäste sind doch meistens Durchreisende«, hielt Lady Agatha ihm entgegen. »Die verschwinden dann einfach spurlos, ohne daß jemand weiß, wo sie sich zuletzt aufgehalten haben.« »Andererseits dürfte es probatere Mittel geben, um wohlhabende Gäste ins sprichwörtliche Jenseits zu befördern, als ausgerechnet Vogelspinnen«, gab Parker zu bedenken. »Ich sehe schon, Sie sind mal wieder außerstande, meinen frappierenden Gedankengängen zu folgen, Mister Parker«, stellte die füllige Dame lächelnd fest. »Was man freimütig bekennen muß, Mylady.« »Genauso verhält es sich aber«, beharrte die passionierte Detektivin. »Oder haben Sie vielleicht eine andere Erklärung dafür, Mister Parker?« »Mylady könnten die Annahme in Betracht ziehen, daß Mister Hodges von Unbekannten mit Hilfe der Vogelspinnen unter Druck gesetzt
wird«, präzisierte der Butler, was ihm durch den Kopf ging. »Papperlapapp. Wer kommt denn auf die Idee, den Inhaber eines kleinen Land-Hotels zu erpressen?« wischte Mylady den Gedanken mit einer lässigen Handbewegung vom Tisch. »Ihre Phantasie treibt mal wieder üppige Blüten, Mister Parker.« »Wie Mylady zu meinen belieben«, ließ. der stets höfliche Butler das Thema ruhen. Inzwischen hatte die ältere Dame das Frühstück beendet und traf Anstalten sich zu erheben. »Bitte folgen Sie mir, Mister Parker«, sagte sie. »Ich muß mich noch umkleiden, bevor ich den Lümmel einem gnadenlosen Verhör unterziehe.« * Terry Hodges wirkte nicht sonderlich erfreut, als Lady Simpson und der Butler sein Büro betraten. »Sie wollen sich vermutlich verabschieden?« äußerte er und erhob sich. »Das könnte Ihnen so passen, mein Lieber«, entgegnete die Detektivin kühl. »Nein, Sie werden nicht umhinkommen, mir ein paar ausgesprochen unangenehme Fragen zu beantworten.« »Ist denn noch etwas unklar?« wollte der Hotelier wissen. »Ich habe doch erklärt, daß ich die Kosten für Ihren Aufenthalt in voller Höhe 14
übernehme.« »Das ist ja wohl nicht mehr als selbstverständlich, Mister Lodges«, konstatierte die gewichtige Dame. »Aber so glimpflich kommen Sie nicht davon. Ich durchschaue nämlich inzwischen, was in diesem Hause vor sich geht.« »Spielen Sie etwa auf die Spinne an, Mylady?« erkundigte sich Hodges. »Worauf denn sonst?« gab Agatha Simpson gereizt zurück. »Stellen Sie sich doch nicht so ahnungslos, junger Mann. Ich erwarte ein umfassendes Geständnis.« »Aber… das muß ein Mißverständnis sein«, geriet der Hausherr ins Stottern. »Wollen wir nicht ein Gläschen trinken und in Ruhe über die Angelegenheit sprechen?« »Das kommt darauf an, was Sie mir anzubieten haben«, entgegnete Mylady mit spitzbübischem Lächeln und nahm erwartungsvoll in dem Sessel Platz, der vor Hodges’ Schreibtisch stand. Der Cognac, den der nervös wirkende Hotelbesitzer gleich darauf mit zitternder Hand einschenkte, vereinte respektables Alter und edelste Herkunft in einer Weise, die Parkers Herrin umgehend in Entzücken versetzte. »Nicht übel«, urteilte Agatha Simpson, nachdem sie das Glas geleert hatte. Erst jetzt, als er die Flasche abgestellt und sich wieder gesetzt hatte,
wurde Hodges auf das Schraubglas aufmerksam, das der Butler in der schwarz behandschuhten Rechten hielt. »Oh, ist das die Spinne?« fragte er überrascht und musterte das erstarrte Insekt mit argwöhnischen Blicken. »Ich habe solch ein Biest noch nie aus der Nähe gesehen.« »Demnach haben Sie das zweite Exemplar gar nicht zu Gesicht bekommen, Mister Hodges?« erkundigte sich Parker. »Welches zweite Exemplar?« versuchte der Hausherr, den Ahnungslosen zu spielen. »Meine bescheidene Wenigkeit sprach von der Vogelspinne, die Ihr Mitarbeiter Maxwell unschädlich gemacht hat«, wurde der Butler konkret. »Woher wissen Sie das?« fiel sein Gegenüber aus allen Wolken. »Während eines Spaziergangs wurde man unfreiwillig Ohrenzeuge der Unterhaltung, die Sie mit Mister Maxwell auf dem Hof führten, Mister Hodges«, teilte Parker mit. »Ja, es stimmt«, räumte Hodges betreten ein. »In einem anderen Zimmer wurde ebenfalls eine Vogelspinne gefunden.« »Und das ist bestimmt kein Zufall, junger Mann«, warf die Detektivin mit strenger Miene ein. »Möglich«, gab der Dunkelhaarige zögernd zu. »Ich habe mir auch schon den Kopf zerbrochen, wo die verdammten Viecher herkommen.« 15
»Könnte es zutreffen, daß Sie Feinde haben, Mister Hodges?« fragte der Butler unvermittelt. »Feinde?« wiederholte der Hotelier und schnappte entgeistert nach Luft. »Wie kommen Sie denn darauf, Mister Parker?« »Das Auftreten der gefährlichen Insekten dürfte die Vermutung nahelegen, daß es jemanden gibt, der den Ruf Ihres Hotels ruinieren und Sie damit unter Druck setzen möchte, Mister Hodges«, teilte Parker seine Einschätzung mit. »Natürlich habe ich Konkurrenz. Das ist im Geschäftsleben normal«, erwiderte sein Gesprächspartner. »Aber darunter ist niemand, dem ich eine solche Hinterhältigkeit zutrauen würde. Höchstens…« »Höchstens, Mister Hodges?« hakte der Butler interessiert nach. »Nein, nein«, wehrte der Hotelier ab. »Der Verdacht ist wirklich zu absurd.« »Sprechen Sie sich ruhig aus, junger Mann«, ermunterte Mylady ihn und ließ sich erneut einschenken. »Andernfalls könnte es passieren, daß der Verdacht auf Sie zurückfällt.« »Auf mich, Mylady?« fragte der Hausherr mit fassungsloser Miene. »Irgend jemand muß die Spinnentiere doch ins Haus gebracht haben«, konstatierte die ältere Dame mit überlegenem Lächeln. »Also gut. Als ich das Hotel hier
gekauft habe, gab es einen Mitbewerber namens Greg Frazer«, teilte der Dunkelhaarige mit. »Er wollte sich mit der Entscheidung der früheren Eigentümer nicht abfinden und warf mir vor, ich hätte mit Bestechung oder Druck gearbeitet.« »Darf man möglicherweise um Angabe bitten, wie lange dieses Geschehen zurückliegt, Mister Hodges?« meldete sich Parker an dieser Stelle erneut zu Wort. »Bald fünf Jahre«, antwortete der Hotelbesitzer. »Und Sie halten es für möglich, daß Mister Frazer immer noch so verärgert ist, daß er Unbeteiligte in Lebensgefahr bringt, um Sie zu ruinieren, Mister Hodges?« wollte der Butler wissen. »Ich weiß nicht«, lautete die Antwort. »Jedenfalls ruft er mich von Zeit zu Zeit an und überschüttet mich mit Haßtiraden. Außerdem…« »Sie sollten sich keinen Zwang antun und weiterhin offenen Worten den Vorzug geben, Mister Hodges«, sagte Parker, als der Hotelier ins Stocken geriet. »Nun, ich möchte keinen Menschen grundlos verdächtigen«, schickte Hodges voraus. »Aber wenn ich mich nicht grundlegend täusche, ist dieser Frazer alles andere als ein seriöser Geschäftsmann mit sauberer Weste.« »Kann und muß man diese Äußerung so verstehen, daß Mister Frazer 16
Ihrer Einschätzung nach der sogenannten Unterwelt zuzurechnen ist?« vergewisserte sich der Butler. »Offen gesprochen, ja«, bestätigte sein Gegenüber. »Ich halte Frazer für einen Gangster, dem alles zuzutrauen ist.« »Also ein Fall für mich«, stellte Agatha Simpson erfreut fest. »Warum für Sie?« fragte der Hotelier überrascht. »Mylady ist Privatdetektivin und genießt einen Ruf, den man nur als außergewöhnlich bezeichnen kann, Mister Hodges«, klärte Parker ihn auf. »Ach«, war alles, was Hodges nach dieser Eröffnung herausbrachte. »Ich weiß. Das sieht man mir nicht an«, lächelte die ältere Dame. »Raffinierte Tarnung ist nun mal eins der Geheimnisse, auf denen mein Erfolg beruht.« »Sie wollen Frazer also tatsächlich unter die Lupe nehmen?« fragte der Hausherr, sobald er seine Fassung wiedergefunden hatte. »Ich werde dem Lümmel auf die Finger klopfen, daß ihm die Hinterhältigkeiten für alle Zeiten vergehen«, kündigte die Detektivin großspurig an. »Hoffentlich erwischen Sie nicht den Falschen, Mylady«, ließ Hodges verlauten. »Ich kann natürlich nicht beweisen, daß Frazer hinter der Sache steckt.« »Die Beweisführung dürfen Sie
getrost mir überlassen, junger Mann«, entgegnete die ältere Dame. »Schließlich bin ich Expertin.« »Geht man recht in der Annahme, daß Mister Frazers Anschrift Ihnen bekannt ist, Mister Hodges?« wollte der Butler abschließend wissen. »Leider nicht. Frazer ist in den Jahren mehrfach letzten umgezogen«, erwiderte der Hotelbesitzer. »Ich weiß nur, daß er irgendwo in London wohnt.« »Macht nichts, Mister Lodges. Ich werde den Lümmel schon finden«, zeigte sich Lady Simpson zuversichtlich. »Als Kriminalistin hat man da seine probaten Methoden.« »Vermutlich arbeiten Sie auch diskreter als die Polizei«, meinte Hodges. »Natürlich, mein Lieber. Diskretion ist meine Spezialität.« unterstrich die majestätische Dame mit Nachdruck. »Öffentliches Aufsehen kann ich nämlich nicht brauchen«, erläuterte der Hausherr. »Das schadet dem Geschäft.« »Sie können absolut beruhigt sein«, versicherte Lady Agatha. »Bei mir ist Ihr Problem in den besten Händen, Mister Lodges.« »Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg«, sagte der Hotelier mit einem Lächeln, das leicht gezwungen wirkte: »Geben Sie mir bitte Nachricht, sobald Sie etwas Konkretes herausgefunden haben, Mylady. 17
Und im Vertrauen, ich heiße Hodges.« »Das sage ich doch die ganze Zeit«, behauptete die füllige Dame und erhob sich. »Sie hören von mir, Mister Lodges.« »Man dankt für das ungemein offenherzige Gespräch, Mister Hodges«, ließ Parker danach verlauten und lüftete zum Abschied andeutungsweise den steifen Bowler. »Im übrigen erlaubt man sich noch einen möglichst unbeschwerten Tag zu wünschen.« »Was haben Sie denn mit der Spinne vor?« wollte Hodges wissen, als er sah, daß der Butler das Glas wieder an sich nahm. »Meine Wenigkeit erwägt, das Tier dem Londoner Zoo zu übergeben«, antwortete Parker. »Oder hätten Sie einen besseren Vorschlag, Mister Hodges?« »Nein, nein«, winkte der Dunkelhaarige ab. »Kommen Sie gut nach Hause!« * Während der Fahrt nach London riß der Nebel endgültig auf, und als der Butler in die stille Wohnstraße im Stadtviertel Shepherd’s Market einbog, die zu Myladys Anwesen führte, strahlte die Sonne vom blauen Himmel. Schon von weitem war zu erkennen, daß neben der Einfahrt eine
Austin-Limousine parkte. Vor dem Eingang des zweigeschossigen Fachwerkhauses stand ein jüngeres Paar, das offenbar gerade ausgestiegen war und jetzt die Haustürglocke betätigte. »Schön, euch mal wieder zu sehen, Kinder«, freute sich die Detektivin, während Parker ihr diskret beim Aussteigen half. »Trinkt Ihr einen Tee mit mir?« »Gern, Mylady«, antwortete der Anwalt Mike Rander, ein Mann um die Vierzig mit sportlicher Figur und sonnengebräuntem Teint. »Weil Mister Parkers Wagen nicht vor dem Haus stand, dachten wir schon, wir wären vergeblich gekommen«, berichtete Randers Begleiterin, die attraktive Kathy Porter. »Waren Sie etwa wieder auf Ganovenjagd, Mylady?« »Eigentlich nicht, Kindchen. Ich war ein paar Tage zum Skilaufen in den Highlands«, entgegnete Agatha Simpson. »Aber mein kriminalistischer Instinkt führt mich immer wieder an die Schauplätze des Verbrechens.« »Dann gibt es also doch was zu berichten«, schmunzelte der Anwalt. »Wäre ja auch das erste Mal, daß sie verreisen, ohne irgendwelchen Gangstern ins Gehege zu kommen, Mylady.« Mittlerweile hatte der Butler die Haustür aufgeschlossen und die Mäntel der Besucher in Empfang 18
genommen. Er schritt gemessen und würdevoll auf dem Weg in die Wohnhalle voran und entfachte mit einigen trockenen Scheiten das Kaminfeuer. Anschließend deckte er mit routinierten Handgriffen den Teetisch und begab sich in die Küche. Zusammen mit Mike Rander, der an der nahegelegenen Curzon Street eine Kanzlei unterhielt, hatte Parker etliche Jahre in den Staaten verbracht. Dabei war es den Männern gelungen, gemeinsam eine Reihe aufsehenerregender Kriminalfälle zu lösen. Als der Butler dann an die Themse zurückkehrte, wo er im Haus der exzentrischen Agatha Simpson einen neuen Wirkungskreis fand, war auch der Anwalt bald gefolgt. Schon der erste Besuch in der Villa hatte ihm eine Aufgabe beschert, die inzwischen den größten Teil seiner Arbeitskraft beanspruchte. Die sonst so mißtrauische Detektivin hatte den sympathischen Juristen sofort in ihr Herz geschlossen und ihm die Verwaltung ihres Vermögens anvertraut. In Shepherd’s Market begegnete Rander auch zum ersten Mal der hübschen, etwa zehn Jahre jüngeren Kathy, die als Gesellschafterin und Sekretärin der älteren Dame arbeitete. Danach waren die beiden unzertrennlich. Aber Myladys Herzenswunsch, die Kinder, wie sie sie
zärtlich nannte, vor dem Traualtar vereint zu sehen, wollte sich nicht erfüllen. Mit ihren leicht mandelförmigen Augen und dem Kastanienschimmer im dunklen Haar stellte die schlanke, hochgewachsene Kathy eine Erscheinung von exotischem Reiz dar. Obwohl von Natur aus sanft und anschmiegsam, konnte sie sich im Handumdrehen in eine fauchende Pantherkatze verwandeln, die zudringlichen Gegnern die Krallen zeigte. Gelegenheit dazu fand die junge Dame vor allem bei den turbulenten Gangsterjagden, zu denen Lady Agatha mit schöner Regelmäßigkeit zu blasen pflegte. Daß Kathy Porter schon Kerle wie Kleiderschränke aufs Kreuz gelegt hatte, sah man ihr nicht an. Aber den Fähigkeiten, die sie sich während eines langen Studiums fernöstlicher Selbstverteidigungstechnik erworben hatte, wußten ihre Gegner in der Regel nichts entgegenzusetzen. »Natürlich habe ich reagiert, den Spinnenvogel am Bein gepackt und so heftig gegen die Wand geschleudert, daß ihm Hören und Sehen verging«, berichtete Lady Simpson gerade, als der Butler mit frisch aufgebrühtem Tee und einem reichhaltig bestückten Kuchentablett in die Wohnhalle zurückkehrte. »Dadurch faßte Mister Parker Mut und sperrte das Biest in ein Glas.« 19
»Und was für ein Tier war das?« wollte die hübsche Kathy irritiert wissen. »Ein Spinnenvogel?« »Mylady dürften von einer Vogelspinne zu sprechen geruhen, falls der Hinweis gestattet ist«, griff Parker erläuternd ein. »Mister Parker vertrat eine geradezu abenteuerliche Theorie. Er glaubte an einen Mordanschlag des Hotelbesitzers, der sich auf diese Weise seiner Gäste entledigt, um sich über ihre Wertsachen herzumachen«, behauptete die majestätische Dame, während Mike Rander und Kathy Porter amüsierte Blicke tauschten. »Aber inzwischen ist er überzeugt, daß ich recht habe. Nun, Mister Parker?« »Mitnichten wird meine Wenigkeit Mylady widersprechen«, versicherte der Butler und schenkte dampfenden goldbraunen Assantee ein. Anschließend verneigte er sich höflich und trat in seiner unvergleichlichen Art einen halben Schritt zurück, aber er dachte sich seinen Teil. »Und was steckt nun hinter dieser nicht gerade alltäglichen Spinnenplage, Mylady?« erkundigte sich der Anwalt. »In Wahrheit ist Mister Lodges nicht der Bösewicht, sondern das Opfer«, ließ die Hausherrin nach einer bedeutungsvollen Pause verlauten. »Der Ärmste wird nämlich erpreßt. Von einem Nebenbuhler.
War es nicht so, Mister Parker?« »Sofern man sich recht erinnert, verdächtigt Mister Hodges, den Mylady zweifellos meinen, einen Mitbewerber, der ebenfalls daran interessiert war, das fragliche Hotel zu erwerben«, präzisierte Parker und versorgte seine Herrin mit einem zweiten Stück Nougattorte. »Wie auch immer«, überging Agatha Simpson souverän den kleinen Unterschied. »Ich werde dem heimtückischen Subjekt das Handwerk legen. Und zwar unverzüglich.« »Einen Verdächtigen gibt es also schon?« vergewisserte sich die hübsche Kathy. »In der Tat, Kindchen«, nickte die leidenschaftliche Detektivin. »Wie hieß der Lümmel noch, Mister Parker?« »Greg Frazer, Mylady.« »Richtig. Der Name des Betreffenden lag mir auf der Zunge«, behauptete die Detektivin. »Jedenfalls werde ich den Schurken einem verschärften Verhör unterziehen und ihm das Geständnis entreißen. Das ist dann schon das Ende des Spinnenspuks.« »Moment mal«, griff Rander erneut in die Unterhaltung ein. »Greg Frazer? Irgendwo habe ich den Namen schon gehört oder gelesen.« »Ähnlich ergeht es meiner bescheidenen Wenigkeit, Sir«, sagte der Butler, während er der kleinen Runde 20
Tee nachschenkte. »Allerdings sieht man sich außerstande, konkrete Vorstellungen mit dem Namen zu verbinden.« »Vielleicht sollte man den guten Pickett zu Rate ziehen«, schlug der Anwalt vor. »Der kennt doch Hinz und Kunz in der Unterwelt.« »Das wollte ich ohnehin gerade anordnen, mein lieber Mike«, meldete sich Mylady unüberhörbar zu Wort. »Mir fehlt ja noch die Anschrift des kriminellen Subjekts.« Im Moment war jedermann mit Naschereien und Tee versorgt. »Sofern Mylady keine Einwände erheben, würde man sich kurz entfernen, um den ehrenwerten Mister Pickett zu konsultieren«, bot Parker deshalb an und entfernte sich gemessen und würdevoll, als seine Herrin zustimmend nickte. * Horace Pickett, dessen Nummer er gleich darauf wählte, hatte sich mit seinen intimen Kenntnissen der Londoner Szene schon häufig als wertvoller Mitarbeiter erwiesen. Vor Jahren hatte Pickett selbst zu jenen Zeitgenossen gehört, die ihren Lebensunterhalt auf nicht eben legale Weise bestreiten. Damals hatte ihm seine Geschicklichkeit sogar den Ehrentitel »König der Londoner Taschendiebe« eingetragen. Allerdings hatte der mittlerweile
etwa Sechzigjährige nur dort seine flinken Finger spielen lassen, wo eine Brieftasche ohnehin unter Überfüllung ächzte. Das war der Grund, weshalb er seine frühere Tätigkeit manchmal augenzwinkernd mit »Eigentumsumverteiler« umschrieb. In einer beruflich bedingten Notlage – der gute Pickett war nichtsahnend an einen ausgesprochen humorlosen Mafiaboß geraten – sprang der Butler helfend ein. Und das war der Wendepunkt im Leben des »Eigentumsumschichters«. Seitdem wandelte Pickett, dessen gepflegtes Auftreten dem eines pensionierten Offiziers glich, auf den Pfaden des Gesetzes und zeigte seine Dankbarkeit, indem er bereitwillig seine Kenntnisse weitergab oder Aufgaben als Beobachter übernahm. Diskrete Observation zählte nämlich zu seinen Spezialitäten. »Was kann ich für Sie tun, Mister Parker?« fragte der einstige Eigentumsumschichter, sobald man die üblichen Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht hatte. »Meine bescheidene Wenigkeit würde gern erfahren, ob Ihnen der Name Greg Frazer etwas sagt, Mister Pickett«, nannte Parker den Grund des Anrufs. »Frazer… Frazer…?« dachte der Mann am anderen Ende der Leitung laut nach. »War das nicht der Bankräuber, der zusammen mit einem Komplicen die Midland Bank um 21
eine halbe Million Pfund erleichterte?« »In der Tat, Mister Pickett«, erinnerte sich der Butler sofort an den jahrelang zurückliegenden Fall. »Sofern man recht unterrichtet ist, wurde Mister Frazers Komplice nie gefaßt.« »Stimmt«, bestätigte Pickett. »Und Beute blieb auch die verschwunden.« »Könnte unter Umständen die Vermutung zutreffen, daß Mister Frazer sich mittlerweile wieder auf freiem Fuß befindet, Mister Pickett?« wollte Parker wissen. »Keine Ahnung«, mußte der Informant – einstweilen – passen. »Aber ich rufe gern ein paar Freunde an. Das kriege ich schon heraus.« »Wovon man fest überzeugt ist, Mister Pickett«, versicherte der Butler. »Sobald ich was weiß, melde ich bei Ihnen, Mister Parker«, bot Horace Pickett an. »Man erlaubt sich, für Ihre Bemühungen zu danken und noch einen möglichst angenehmen Tag zu wünschen, Mister Pickett«, beendete Parker das Gespräch. Gemessen und würdevoll kehrte er in die Wohnhalle zurück, wo erwartungsvolle Blicke ihn empfingen. Sein Bericht ließ reihum die Gesichter aufleuchten. Jeder erinnerte sich an den spektakulären Raub, der tagelang die Schlagzeilen
der Zeitungen beherrscht hatte. »Da kommt mir gerade ‘ne verrückte Idee«, äußerte Rander und setzte ein leicht verlegendes Lächeln auf. »Könnte es nicht sein, daß Hodges in Wirklichkeit Frazers untergetauchter Komplice ist?« »Ein Verdacht, den man keinesfalls und mitnichten als unbegründet von der Hand weisen sollte, Sir«, pflichtete der Butler ihm bei. »Papperlapapp.« widersprach Simpson entschieden. Agatha »Wenn Mister Lodges ein verkappter Gangster wäre, hätte mein kriminalistischer Instinkt unweigerlich Alarm geschlagen.« »Sind Sie da wirklich sicher, Mylady?« wollte der Anwalt wissen und forderte die ältere Dame geradezu heraus. »Absolut, mein lieber Junge«, beharrte die Detektivin. »Ein angeborenes Talent läßt niemand im Stich. Außerdem – nicht jeder, der von einem Gauner erpreßt wird, muß deshalb selbst ein Gauner sein. Ich habe schon vielen ehrenwerten Leuten geholfen.« »Ich weiß«, nickte Rander. »Aber diesen Hodges mal unter die Lupe zu nehmen, könnte nicht schaden.« In diesem Moment klingelte das Telefon, und Parker lenkte seine Schritte in Richtung Diele. »Hier bei Lady Simpson. Josuah Parker am Apparat«, meldete er sich. Der Eigentumsumverteiler a.D. 22
war schnell auf eine Spur des verurteilten Bankräubers gestoßen. »Frazer ist tatsächlich wieder ein freier Mensch«, wußte er zu berichten. »Insgesamt hat er nicht mal sechs Jahre gesessen.« »Eine in Anbetracht der Tat ungemein milde Strafe«, bemerkte der Butler. »Da sein Komplice verschwunden war, konnte Frazer ihn vor Gericht als Hauptschuldigen hinstellen«, erläuterte der Anrufer. »Man hat ihm sogar geglaubt, daß der andere die komplette Beute bei sich hat. Deshalb kam er mit zehn Jahren davon, und ein Teil davon wurde ihm noch wegen guter Führung erlassen.« »Konnten Sie möglicherweise auch ermittelt, wo Mister Frazer sich gegenwärtig aufhält, Mister Pickett?« erkundigte sich Parker. »Frazer hat einen Massagesalon an der Smithy Street in Stepney«, teilte Pickett mit. »Einen sogenannten Massagesalon natürlich, falls Sie verstehen, was ich meine, Mister Parker.« »Hinreichend, Mister Pickett«, versicherte der Butler, dem der Unterschied zwischen einer medizinischen Praxis und einem pikante Dienstleistungen offerierenden Salon durchaus geläufig war. »Außerdem munkelt man in der Szene, daß Frazer nach seiner Entlassung ins Drogengeschäft eingestie-
gen ist«, fuhr der frühere Eigentumsumschichter fort. »Aber das ist nicht mehr als ein Gerücht.« »Konkrete Anhaltspunkte könnten sich durch Myladys Ermittlungen ergeben«, mutmaßte Parker. »Übrigens weiß ich jetzt auch, wie Frazers untergetauchter Komplice hieß«, fiel Pickett zum Schluß noch ein. »Den Namen hat er ja vor Gericht genannt.« »Meine Wenigkeit sind ganz Ohr, Mister Pickett.« »Marc Ronson«, sagte der Mann am anderen Ende der Leitung. »Aber dieser Ronson ist bis heute verschwunden – und mit ihm die halbe Million.« »Ein Zustand, der sich möglicherweise bald ändern wird, Mister Pickett«, ließ der Butler verlauten. »Ansonsten erlaubt man sich, für die erneut bewiesene Hilfsbereitschaft zu danken.« »Wie? Mit Drogen handelt der Lümmel auch?« nahm Lady Agatha die neuesten Nachrichten über Frazer mit Empörung zur Kenntnis. »Höchste Zeit, daß ich eingreife und solch schmutzige Geschäfte stoppe.« »Ohne gründliche Nachforschungen dürfte der Vorwurf nur schwer zu beweisen sein, Mylady«, gab Parker zu bedenken, doch die resolute Dame war da anderer Ansicht. »Wenn ich den Schurken einem verschärften Verhör unterziehe, gesteht er mit Sicherheit seine 23
Schandtaten«, prophezeite Mylady selbstbewußt. »Wetten, Mister Parker?« »Nicht mal im Traum würde man sich erkühnen, Mylady zu widersprechen«, erwiderte der Butler. Er wußte aus Erfahrung, was die stämmige Dame unter einem verschärften Verhör verstand. Da legte jeder ein Geständnis ab, auch wenn er eigentlich nichts zu gestehen hatte… »Leider kann ich mich nicht länger um euch kümmern, Kinder«, eröffnete Agatha Simpson ihren Gästen und traf Anstalten, sich zu erheben. »Die Pflicht ruft.« »Wir wollten sowieso gerade gehen, Mylady«, versicherte der Anwalt. »Ja, wir haben eine wichtige Einladung zum Abendessen«, verriet Kathy Porter. »Einerseits wäre ich viel lieber dabei, wenn es Frazer an den Kragen geht. Aber wir können in dem Fall unmöglich absagen.« »Vielleicht ein anderes Mal«, tröstete ihr Begleiter. »Ja, lieber ein anderes Mal«, nickte die ältere Dame. »Drogenhändler sind skrupellose und brandgefährliche Leute, wie man aus Erfahrung weiß. Da reicht es wirklich, wenn ich meine schützende Hand über Mister Parker halte.«
der sich breitbeinig und mit verschränkten Armen vor dem Eingang zu Frazers Massagesalon aufgebaut hatte, schien das skurrile Paar überhaupt nicht wahrzunehmen. Er starrte gelangweilt geradeaus und zog in Abständen an einer Filterzigarette, die schräg in seinem Mundwinkel hing. »Steh’n Sie gefälligst nicht so herum«, raunzte Mylady den mit knapp sitzendem Jeansanzug und einer knallroten Baseballmütze Bekleideten an. »Melden Sie mich unverzüglich Ihrem Chef. Ich habe was Dringendes mit ihm zu besprechen.« Ihr Gegenüber setzte ein geringschätziges Grinsen auf. »Mach ‘ne Fliege, fette Vogelscheuche!« knurrte der Breitschultrige, ohne den Glimmstengel aus dem Mund zu nehmen. *
»Haben Sie das gehört, Mister Parker?« erkundigte sich die majestätische Dame freudestrahlend. »Wort für Wort, Mylady«, erwiderte der Butler und deutete eine Verbeugung an. »Das war eine sehr dreiste Beleidigung«, stellte Agatha Simpson lächelnd fest. Doch plötzlich verfins* terte sich ihre Miene. »Ich werde dem Flegel erst mal Manieren beiDer athletisch gebaute Türsteher,
bringen müssen, Mister Parker«, 24
setzte sie mit Nachdruck hinzu. »Eine Einschätzung, der man unter keinen Umständen widersprechen möchte, Mylady«, versicherte Parker und trat einen Schritt zur Seite. Der Athlet im Jeansanzug war mittlerweile puterrot angelaufen. Er plusterte sich zu voller Größe auf und zeigte Neigung, handgreiflich zu werden. Doch sein Schicksal war schon besiegelt. Mit energischem Schwung ließ die Detektivin ihren perlenbestickten Pompadour kreisen und zielsicher auf der Schädeldecke des Unbotmäßigen landen. Ein lautes Stöhnen war die Antwort. Für Sekunden hatte der Breitschultrige das Gefühl, von einem Pferd getreten worden zu sein. Und wenn man bedenkt, daß der an langen Lederschnüren hängende Handbeutel ein massives Hufeisen barg, war dieser Eindruck noch nicht mal abwegig. Auf einknickenden Beinen setzte sich der Türsteher schwankend in Bewegung. Die rote Kappe war ihm über die Augen gerutscht, aber er sah ohnehin nur noch grell glitzernde Sterne. Während Mylady mit schadenfrohen Bemerkungen keineswegs an sich hielt, drehte der Mann eine Pirouette, geriet dadurch endgültig aus dem Gleichgewicht und nahm unsanft in einem Abfallkorb Platz, der fünf Schritte vom Eingang entfernt stand.
Da Lady Simpsons Widersacher keinerlei Neigung zeigte, sich zu erheben oder weitere Verbalinjurien vom Stapel zu lassen, durfte er dort sitzen bleiben. Allerdings hielt Parker ihm kurz seine kleine Spraydose unter das ausladende Riechorgan, die mit einem zuverlässig wirkenden Beruhigungsmittel pflanzlicher Herkunft gefüllt war. Anschließend zog er sein zierliches Universalbesteck aus der rechten Außentasche des schwarzen Covercoats und wandte sich dem Zylinderschloß der stählernen Eingangstür zu. Auf den ersten Blick wirkte das zierliche Werkzeug, das er in der schwarz behandschuhten Rechten hielt, wie das Reinigungsbesteck eines passionierten Pfeifenrauchers. Es war jedoch ausgesprochen vielseitig zu verwenden und verwandelte sich in den geschickten Händen des Butlers zu einem regelrechten »Sesam-Öffne-Dich«. Behutsam ließ er die passende Stahlzunge in den Schlitz gleiten und schloß für einen Moment die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Sekunden später gab der Schließmechanismus seinen halbherzigen Widerstand auf. Knirschend glitt der Riegel aus der Falle. Mit einer höflichen Verbeugung öffnete Parker die Tür, und ließ seine gewichtige Herrin eintreten. 25
Rote Lampen im Flur signalisierten eindeutig, welcher Art die Behandlung war, die hier angeboten wurde. Nach wenigen Schritten neben seiner entschlossen wirkenden Herrin, zog der Butler einen schweren, undurchsichtigen Vorhang zur Seite, und der Blick auf einen mit viel Plüsch und Pomp ausgestatteten Vorraum wurde frei. Hier gab es Polstergruppen für wartende Kunden und eine kleine Bar. Dahinter führte eine vollbusige Mittvierzigerin das Regiment, die das älteste Gewerbe der Welt nicht nur vom Hörensagen zu kennen schien. »Wie… wie kommen Sie denn hier herein?« wollte die knapp-bekleidete Blondine entgeistert wissen. »Auf dem landesüblichen Weg durch die Tür, falls der Hinweis erlaubt ist, Miß«, teilte der Butler mit und lüftete zur Begrüßung seinen Bowler. »Aber Jim hat Sie doch bestimmt nicht reingelassen«, argwöhnte die üppig ausgestattete Empfangsdame. »War das der Lümmel an der Tür, Kindchen?« erkundigte sich die stämmige Lady. »Der ist ausfallend geworden. Deshalb habe ich ihm gezeigt, daß es nicht ratsam ist, sich mit mir anzulegen.« »Und was wollen Sie hier?« fragte die neugierige Blonde. »Ihrem Brötchengeber ein paar überaus peinliche Fragen stellen,
Kindchen«, gab Agatha Simpson unumwunden Auskunft. »Wo hält sich der Lümmel denn versteckt?« »Mister Frazer? Der wollte sowieso gleich herunterkommen«, behauptete die vollbusige Barkeeperin. »Sie können sich solange da hinsetzen.« »Na schön. Der Bursche soll aber nicht auf die Idee kommen, mich warten zu lassen oder gar heimlich zu verschwinden«, willigte Lady Simpson widerstrebend ein und steuerte einen der wuchtigen Plüschsessel an. »Bringen Sie mir bitte einen Cognac als Medizin für meinen Kreislauf, Kindchen. Auf Kosten des Hauses, versteht sich.« »Versteht sich«, nickte die Blondine und griff nach der Flasche. Doch Mylady fand keine Gelegenheit mehr, das hochprozentige Therapeutikum zu sich zu nehmen. * »Pfoten hoch!« In der Tür, die offensichtlich zum Obergeschoß führte, standen zwei Männer um die Dreißig, die Revolver mit supermodernen Schalldämpfern auf das Paar aus Shepherd’s Market richteten. »Höchste Zeit, daß ihr euch blicken laßt«, atmete die Blondine hinter der Bar auf. »Ich dachte schon, der Alarmknopf wäre kaputt.« »Reg dich nicht auf, Anne. Wir waren gerade beim Pokern«, brummte einer der Bewaffneten. 26
»Was wollen die Witzblattfiguren denn?« »Mit dem Chef reden«, gab seine Kollegin Auskunft. »Mit dem Chef reden?« wiederholte der Gangster und grinste von einem Ohr zum andern. »Der lacht sich ‘n Ast, wenn er das Pärchen sieht.« »Das Lachen wird dem skrupellosen Subjekt schnell vergehen«, prophezeite die majestätische Dame. »Dafür sorge ich.« Der Heiterkeitserfolg, den Mylady mit dieser Äußerung bei den kräftigen Bodyguards erzielte, war beachtlich. Aber er hielt nicht lange an. »Nehmt euch in acht, Jungs«, unterbrach Anne das Gelächter. »Mit Jim sind die beiden auch schon fertig geworden.« »Wie? Was ist mit Jim?« fragte einer der Männer entgeistert. »Den Lümmel habe ich mit einer Handbewegung außer lässigen Gefecht gesetzt, als er frech wurde«, brüstete sich die Detektivin. »Ist das wahr, Anne?« wandte sich der Gangster mit ungläubiger Miene an die Barkeeperin. »Keine Ahnung«, lautete die Antwort. »Jedenfalls hätte Jim das Pärchen nie reingelassen. Da bin ich sicher.« In diesem Augenblick wurde vom Eingang her ein Poltern hörbar. Die Baseballkappe noch immer im
Gesicht, torkelte Jim in den Raum. Daß er keinerlei Verwüstungen anrichtete, sondern praktischerweise in einen Sessel plumpste, als seine Beine nachgaben, war schon ein kleines Wunder. Mit raschen Schritten kam Anne hinter der Bar vor, ging auf den verhalten Stöhnenden zu und riß ihm wütend die Kappe vom Kopf. »Hast du dich etwa von diesen Tattergreisen aufs Kreuz legen lassen, du erbärmlicher Schlappschwanz?« fuhr sie den Bedauernswerten an. Dabei deutete sie mit ausgestrecktem Arm auf Parker und Lady Agatha. Widerstrebend folgten Jims Blicke. Doch als die gewichtige Dame in sein Gesichtsfeld geriet, stieß er einen spitzen Schrei aus, drehte hastig den Kopf weg und bedeckte die Augen mit den Händen. Seit die Bewaffneten aufgetaucht waren, hatte der Butler unablässig nach einer Möglichkeit Ausschau gehalten, das nicht gerade erfreuliche Blatt zu wenden. Aber Frazers Bodyguards waren routinierte Profis, die bei aller Lässigkeit stets wachsam blieben und die Eindringlinge nicht aus den Augen ließen. »Was ist denn? Wollt ihr die beiden nicht raufbringen?« drängelte Anne. »Ich gebe Jim einen Drink, damit er wieder auf die Beine kommt.« »Okay, Anne«, nickten die Leib27
wächter. »Frazer wird ganz schön erstaunt sein über diesen Besuch«, setzte einer von ihnen hinzu. »Aber er wäre mit Sicherheit sauer, wenn wir ihm das Pärchen vorenthalten würden«, sagte der zweite. »Ich rufe Frazer an und warn’ ihn schon mal vor«, kündigte die blonde Barkeeperin an, während das skurrile Paar zögernd die Richtung einschlug, die die Bewaffneten wiesen. Über eine steile Holztreppe, die Mylady nur unter besorgniserregendem Schnaufen bewältigte, ging es ins Obergeschoß und dann durch einen langen, schmalen Flur. Dabei bildete einer der Gangster die Vorhut, während sein Komplice die Gefangenen von hinten in Schach hielt. Auch jetzt achtete der Butler darauf, jederzeit die Machtverhältnisse zu wenden, sobald sich die Chance ergab. Doch das Duo mit den schallgedämpften Revolvern ließ in seiner Wachsamkeit nicht nach. Daß die Männer jede verdächtige Bewegung mit einer Salve beantworten würden, war nicht zu bezweifeln. Greg Frazer war schätzungsweise Mitte Vierzig und untersetzt. Sein blasses Gesicht wirkte aufgeschwemmt. Er stand in der offenen Tür seines luxuriös eingerichteten Wohnraumes und empfing die Besucher, die Anne ihm per Haustelefon gemeldet hatte, mit unbewegter Miene.
Mit seinen grauen Augen musterte er Lady Agatha und die schwarz gewandete Gestalt an ihrer Seite aufmerksam. Schließlich schüttelte er fassungslos den Kopf, ging voran und ließ sich auf einem ledergepolsterten Sofa nieder. »Was wollt ihr hier?« verlangte Frazer in barschem Ton Auskunft, nachdem sich Parker und Mylady mit erhobenen Händen an der Wand aufgestellt hatten. »Eigentlich hatte ich vor, mich massieren zu lasen«, behauptete die majestätische Dame. »Aber die ungehobelten Manieren Ihrer Mitarbeiter…« »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« fiel der Hausherr ihr erbost ins Wort. »Sie haben meinen Portier niedergeschlagen und sind gewaltsam in den Salon eingedrungen! So benimmt sich niemand, der eine Massage will. Außerdem behandeln wir grundsätzlich nur Herren.« »Ach, wirklich?« reagierte Mylady überrascht. »Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich gleich woanders hingegangen, junger Mann.« »Quatsch!« knurrte der Untersetzte wütend, während seine Bodyguards die Besucher mit entsicherten Waffen in Schach hielten. »Ihr wolltet hier schnüffeln. Raus mit der Sprache! Wer hat euch geschickt?« »Eine Kriminalistin meines Formats läßt sich von niemandem schi28
cken«, gab Agatha Simpson selbstbewußt zurück. »Sie sind Kriminalistin?« vergewisserte sich Frazer und musterte die ältere Dame ungläubig. »Von Scotland Yard?« »Ich verbitte mir, mit Versagern in einen Topf geworden zu werden«, wurde Lady Simpson energisch. »Mylady ist als Privatdetektivin tätig und genießt einen Ruf, den man nur als beispiellos bezeichnen kann, Mister Frazer«, setzte der Butler erläuternd hinzu. »Interessant«, bemerkte der Gangster und grinste hämisch. »Und was haben Sie bei mir zu suchen? Ich bin ein seriöser Geschäftsmann, der pünktlich seine Steuern zahlt.« »Seriös? Daß ich nicht lache!« widersprach die resolute Dame. »Ein gemeingefährlicher Erpresser sind Sie, junger Mann.« Frazer wollte aufbrausen, hielt sich dann aber doch zurück. »Und wer hat Ihnen diesen Unsinn aufgeschwatzt?« erkundigte er sich. »Wie war noch mal der Name, Mister Parker?« wandte sich Mylady hilfesuchend an den Butler. »Mylady dürften Mister Hodges zu meinen geruhen, falls man sich nicht gründlich täuscht«, half Parker in seiner höflichen Art. »Ach, der gute alte Terry Hodges alias Marc Ronson«, schmunzelte der Hausherr und warf seinen Leibwächtern einen vielsagenden Blick
zu. »Wenn er mich loswerden will, muß er sich schon was Besseres einfallen lassen.« »Vermutet man recht, daß Sie von Ihrem einstigen Komplicen zu sprechen belieben, der mit der Beute untertauchte, während Sie inhaftiert und verurteilt wurden, Mister Frazer?« hakte der Butler nach. »Kompliment! Sie sind gut informiert«, antwortete Frazer. »Aber daß Ronson die halbe Million bei sich hatte, als ich festgenommen wurde und er verschwand, stimmt nicht.« »Sie fanden also noch Zeit, die Beute zu teilen, Mister Frazer?« wollte Parker genau wissen. »Fifty-fifty«, nickte der Mann auf dem Sofa. »Insofern war alles korrekt. Aber da ich allein im Knast gesessen habe, während er sich in aller Ruhe unter anderem Namen ein neues Leben aufbauen konnte, verlange ich eine Entschädigung.« »Die Mister Ronson verweigert, wie meine Wenigkeit wohl vermuten darf?« warf der Butler ein. »Unverständlicherweise«, unterstrich Frazer. »Deshalb hab’ ich dem Gauner ein bißchen Druck machen müssen.« »Demnach sind Sie es, dem Mylady die überaus unerfreuliche Begegnung mit einer Vogelspinne zu verdanken hat, Mister Frazer?« vergewisserte sich Parker. »In der Tat«, bestätigte der Gangster grinsend. 29
»Natürlich habe ich das Scheusal unschädlich gemacht«, schmückte sich die Detektivin ungeniert mit fremden Federn. »Gratuliere, Madam«, ließ Frazer höhnisch verlauten. »Aber bei dem Tierchen, das Sie gleich kennenlernen, wird Ihnen das nicht so leicht gelingen.« »Papperlapapp! Bangemachen gilt nicht«, gab die ältere Dame trotzig zurück. »Bringt sie nach unten!« wies der Untersetzte seine Bodyguards an, ohne das Duo aus Shepherd’s Market eines weiteren Blickes zu würdigen. »Betty wird sich freuen, mal wieder was Frisches zwischen die Zähne zu bekommen.« »Und dann gleich so ‘nen fetten Brocken«, setzte einer der Bewaffneten hinzu. »Los, vorwärts!« kommandierte sein Kollege. »Und keine faulen Tricks! Sonst nieten wir euch gleich um!« * Hinter der schweren Stahltür, die Frazers Bodyguard gleich darauf öffneten, lag ein fensterloser Kellerraum. Er war kahl bis auf einen blutroten, bodenlangen Vorhang, der die Stirnwand in voller Breite verdeckte. Mit erhobenen Händen mußte das skurrile Paar aus Shepherd’s Market die Schwelle überschreiten. Kra-
chend fiel die Tür zu. Dann drehte sich der Schlüssel im Schloß. Gerade wollte Parker auf den Vorhang zugehen, als ein Elektromotor zu summen begann. Die Stoffbahnen teilten sich, glitten auseinander und gaben den Blick auf ein massives Stahlgitter frei. Dahinter setzte sich der Raum fort. Und jetzt wußte der Butler auch, woher der scharfe Geruch kam, der ihm schon beim Eintreten in die Nase gestiegen war. Hinter den Gitterstäben stand das Tier, das Frazer in fast zärtlichem Ton »Betty« genannt hatte. Ein ausgewachsenes Pantherweibchen mit kohlrabenschwarzem Fell. Die gelben Augen waren unverwandt auf das skurrile Paar gerichtet. »Der Lümmel denkt wohl, er könnte mir einen Schrecken einjagen«, spottete Lady Agatha und bedachte das Tier mit geringschätzigen Blicken. »Darüber dürften Mister Frazers Absichten weit hinausgehen, falls man eine Vermutung äußern darf«, erwiderte Parker und mußte im selben Moment feststellen, daß er die Skrupellosigkeit des Gangsters nicht unterschätzt hatte. Quietschend setzte sich das Gitter in Bewegung. Stab für Stab verschwand in einem Schlitz in der linken Wand. Dafür wurde der Durchgang an der rechten Seite zusehends breiter. 30
Wenn es überhaupt eine Chance gab, den Fängen der hungrigen Raubkatze zu entgehen, dann nur durch schnelles, entschlossenes Handeln. Und dafür war der Butler, dessen Miene auch jetzt keine Regung zeigte, durchaus der richtige Mann. Gemessen und würdevoll schritt er auf das Tier zu, das ihm mit geschmeidigen Bewegungen entgegenkam. Schon ließ Betty ein aggressives Fauchen hören, riß den gewaltigen Rachen auf und zeigte ihre scharfen Reißzähne. Das war der Moment, auf den Parker gewartet hatte. Blitzschnell ließ er den altväterlich gebundenen Universal-Regenschirm in die Horizontale wippen und stieß ihn dem Pantherweibchen tief in den Schlund. Im ersten Moment biß Betty gierig zu. Doch dann verdrehte sie die Augen und begann zu würgen. Irritiert wich das pechschwarze Raubtier einen Schritt zurück und öffnete den Rachen, um das störende Regendach loszuwerden. Im selben Augenblick spielte der Butler seinen zweiten Trumpf aus. Zischend versprühte die kleine Spraydose, die er in der schwarz behandschuhten Linken hielt, ganze Wolken betäubenden Nebels, die Betty keuchend einatmete. Der Appetit auf Menschenfleisch schien ihr fürs erste vergangen zu sein. Jedenfalls schüttelte sie unwillig den Kopf und trat den Rückzug
an. Doch schon nach den ersten Schritten knickten die Läufe der Raubkatze ein. Torkelnd schleppte sie sich noch ein Stück weiter und kippte dann unvermittelt zur Seite. Noch mal riß Betty den Rachen auf und ließ ein herzhaftes Gähnen hören. Anschließend schloß sie die, Augen und begann ein Nickerchen zu ungewohnter Zeit. »Gar nicht so übel, wie Sie das gemacht haben, Mister Parker«, atmete die ältere Dame erleichtert auf. »Man merkt doch, daß Sie bei mir was gelernt haben.« »Meine Wenigkeit dankt für das völlig unverdiente Lob«, gab Parker mit einer angedeuteten Verbeugung zurück. »Darf man im übrigen um Auskunft bitten, wie Mylady unter den obwaltenden Umständen weiter vorzugehen gedenken?« »Natürlich verpasse ich dem Lümmel eine Lektion, die er sein Lebtag nicht vergißt«, kündigte die resolute Dame an. »Dazu müßten Sie allerdings erst mal die Tür aufschließen, Mister Parker.« »Möglicherweise darf man Mylady empfehlen, den Raum auf der Käfigseite zu verlassen und sich zunächst in Sicherheit zu bringen«, entgegnete der Butler. Gleichzeitig machte er seine Herrin auf die Videokamera aufmerksam, die an der Decke installiert war. Anscheinend hatte Frazer das Geschehen am Bildschirm 31
verfolgt. Deshalb war fest damit zu rechnen, daß er seine Leute erneut in Marsch setzte, diesmal mit dem Befehl, sofort scharf zu schießen. »Aber ich laufe vor dem feigen Subjekt doch nicht davon, Mister Parker«, protestierte die ehrgeizige Detektivin. »Das ist unter meiner Würde, Mister Parker.« »Meine bescheidene Wenigkeit hatte keineswegs an Flucht, sondern an einen vorläufigen Rückzug taktischer Art gedacht«, erläuterte Parker. »Na, schön«, willigte Agatha Simpson widerstrebend ein. »Ein taktisches Manöver ist schließlich keine Schande. Außerdem fühle ich mich für Ihre Sicherheit verantwortlich, Mister Parker.« »Wofür man Mylady den tiefsten Dank ausspricht«, versicherte der Butler höflich und begab sich rasch zu der Tür am anderen Ende des Raumes. Hier griff er mit dem Arm durch eine Luke, die offensichtlich dazu diente, Betty mit Futter zu versorgen, und bekam tatsächlich den schweren Riegel zu fassen, der von außen vorgeschoben war. Dem Rückzug stand nichts mehr im Weg. Kaum hatten Parker und die ältere Dame allerdings den trübe beleuchteten Kellergang betreten und die Tür hinter sich geschlossen, als das hallende Geräusch eiliger Schritte hörbar wurde. Frazers bewaffnete Helfershelfer waren bereits im
Anmarsch. Und sie befanden sich – dank der Informationen, die die Videokamera ihnen geliefert hatte – auf dem richtigen Weg. Unverzüglich gingen Parker und Lady Agatha in einem dunklen Seitenflur in Deckung und trafen Vorkehrungen für einen wahrhaft niederschmetternden Empfang. Die majestätische Dame versetzte ihren wohlgefüllten Handbeutel in angriffslustige Schwingungen. Der Butler hielt seinen altväterlich gebundenen Universal-Regenschirm bereit, der zum Glück nur geringe Schäden an der Bespannung davongetragen hatte. Inzwischen kamen die Schritte näher. Deutlich war zu hören, wie die Männer um eine Ecke bogen. Sie befanden sich am Anfang des Ganges, der zu Bettys Käfig führte. Sekunden später tauchte der erste Bewaffnete auf und wollte an der Abzweigung vorbeistürmen. Doch da traf ihn der perlenbestickte Pompadour wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Röchelnd knickte der Gangster in den Hüften und den Knien gleichzeitig ein. Der schallgedämpfte Revolver schlug polternd auf den Betonboden. Aber noch war der zweite Mann einsatzfähig, und er würde ohne Zögern abdrücken, wenn er ein Ziel vor der Mündung hatte. Während der Attackierte im Sla32
lomkurs rückwärts taumelte, nutzte Parker geistesgegenwärtig die Chance zu einem Vorstoß, um Myladys überhastet begonnenes Werk zu vollenden, ehe die erste Kugel pfiff. Dabei war er sich des Risikos, das er einging, voll bewußt. Aber seine Einschätzung, der Gegner werde sich in diesem turbulenten Moment der Verwirrung eher zu friedfertigem Verhalten überreden lassen, erwies sich als zutreffend. Als der Butler hinter der Ecke hervortrat, sank der erste Mann gerade dem hinter ihm Stehenden in die Arme. Postwendend trat der bleigefüllte Bambusgriff des Schirmes in Aktion und sorgte dafür, daß beide sich einträchtig auf dem Boden streckten und eine längere Verschnaufpause einlegten. »Schon wieder haben Sie sich vorgedrängelt, Mister Parker«, bemängelte Lady Agatha. »Ich hätte auch dem zweiten Lümmel gezeigt, wo’s langgeht.« »Was man mitnichten im Traum bezweifeln würde, Mylady«, versicherte Parker und versorgte die Gangster mit Einwegfesseln aus zähem Plastik, die die ungemein praktische Eigenschaft hatten, sich nur noch enger zusammenzuziehen, wenn man daran zerrte. »Geht man ansonsten recht in der Annahme, daß Mylady auf den geplanten Rückzug verzichten und unverzüglich Mister Frazer zur Rechenschaft
ziehen möchten?« »Selbstredend, Mister Parker«, verkündete die ältere Dame hocherhobenen Hauptes. »Dem heimtückischen. Schurken wird das Lachen vergehen.« »Was sich meine Wenigkeit in allen Einzelheiten vorzustellen vermag, Mylady«, erwiderte der Butler und wies mit einer höflichen Verbeugung den Weg. * Wenig später standen Parker und seine Herrin wieder vor der Tür, die in Frazers Wohnraum führte, und lauschten. Offenbar hatte der Gangster inzwischen Besuch bekommen. »Keine Sorge. Dean und Mac werden das Pärchen schon stoppen«, hörte man ihn zuversichtlich sagen. »Denen ist noch keiner entwischt.« »Sind ja auch wirklich gute Leute«, pflichtete ihm ein jüngerer Mann bei, dessen Stimme dem Butler sofort bekannt vorkam. »Aber wie geht’s denn jetzt mit Ronson weiter?« »Ich werde die Schraube natürlich anziehen«, ließ der Hausherr ihn wissen. »Krabbeln eigentlich noch welche von den Vogelspinnen im Hotel herum?« »Drei müßten noch unterwegs sein«, lautete die Antwort. »Aber Ronson hat mir abgenommen, daß ich überall gründlich nachgesehen 33
und keine mehr gefunden habe.« »Okay. Daß auf Sie kein Verdacht fällt, ist wichtig«, entgegnete Frazer. »Wem er die Kuckuckseier in seinem Nest zu verdanken hat, weiß Ronson sowieso.« »Vermutlich«, meinte der junge Mann, bei dem es sich nur um den Hotelangestellten Phil Maxwell handeln konnte. »Aber mir gegenüber hat er natürlich nichts erwähnt. Angeblich ist ihm das Auftauchen der Spinnen ein Rätsel.« »Er hat panische Angst, daß seine Vergangenheit ans Licht kommt«, erläuterte Frazer. »Und diese Angst mache ich mir zunutze. Wenn Ronson nicht will, daß sein Traum vom bürgerlichen Leben wie eine Seifenblase zerplatzt, muß er zahlen.« »Klarer Fall«, stimmte Maxwell zu. »Bisher stellt er sich zwar stur«, fuhr der Hausherr fort. »Aber als nächstes werden Sie ihm ein paar hübsche Giftschlangen in die Zimmer praktizieren, Maxwell. Auch wenn einige Gäste dran glauben müssen.« »Das kommt ja überhaupt nicht in Frage!« kam der ohnehin vor Tatendrang fiebernden Detektivin die Galle hoch. »Was denken Sie sich eigentlich, junger Mann?« Gleichzeitig stieß sie ruckartig die Tür auf und betrat forsch das Zimmer. Phil Maxwell reagierte als erster. Hastig sprang er auf und hechtete zum nächsten, nur zwei Schritte ent-
fernten Fenster. Sekundenbruchteile später hatte er den Riegel geöffnet, schwang sich über die Brüstung und war verschwunden. Parker hatte die Hand schon an der Krempe seines schwarzen Bowlers, doch die halbkugelförmige Kopfbedeckung, die er wie eine schwarze Frisbeescheibe davonschwirren lassen konnte, kam nicht zum Einsatz. An Lady Simpsons Rücken war nicht vorbeizukommen. Der untersetzte Frazer war langsamer, aber nur ein wenig. Während die resolute Dame mit hektisch kreisendem Pompadour auf ihn zuschritt, glitt seine Rechte in den Jackenausschnitt und förderte eine großkalibrige Pistole zutage. Allerdings kam er nicht mehr dazu, die Waffe zu entsichern, denn inzwischen war der Butler zur Seite ausgewichen und hatte freie Bahn. Mit einer ruckartigen Handbewegung schickte er den rotierenden Flugkörper auf die Reise. Der zu allem entschlossene Gangster jaulte wie ein getretener Hund, als die Stahlkrempe des Bowlers auf seinem Handrücken niederging und von dort aus keck zum Kinn hüpfte. In hohem Bogen segelte die Pistole davon. Ihr Besitzer wankte auf schwachen Knien rückwärts und landete unter Poltern und Klirren in der Vitrine, die seine Getränkevorräte nebst Gläsern und Zubehör enthielt. 34
Während die stämmige Lady zum Ort des Geschehens eilte und den Hausherrn, der sich gerade wieder aufrappeln wollte, mit einem Volltreffer zu Boden schickte, steuerte Parker gemessen und würdevoll das Fenster an. Von Phil Maxwell war nichts mehr zu sehen. Offenbar hatte der Mann über ein nur wenig tiefer liegendes Garagendach das sprichwörtliche Weite gesucht. »Sorgen Sie bitte dafür, daß der Schurke mir umgehend für ein verschärftes Verhör zur Verfügung steht, Mister Parker«, verlangte die majestätische Dame, kaum daß sie den Unterweltler ins Reich der Träume geschickt hatte. »Darf man Mylady unter Umständen empfehlen, die geplante Unterredung mit Mister Frazer in Shepherd’s Market zu führen?« erkundigte sich der Butler. »Und warum?« fragte Lady Agatha überrascht. »Hier ist es doch recht gemütlich, Mister Parker.« »Eine Feststellung, der man mitnichten widersprechen möchte, Mylady«, gab Parker höflich zurück. »Andererseits dürfte damit zu rechnen sein, daß der entkommene Mister Maxwell kurzfristig mit Verstärkung zurückkehrt.« »Wenn schon«, erwiderte die passionierte Detektivin mit einer lässigen Handbewegung. »Die Lümmel sollen ruhig kommen. Oder haben
Sie etwa Angst, Mister Parker?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, konnte der Butler sie beruhigen. »Immerhin sollte man sich aber darauf gefaßt machen, daß die Herren versuchen werden, Myladys Gespräch mit Mister Frazer nachhaltig zu stören.« »Daran habe ich auch schon gedacht«, versicherte die ältere Dame. »Aber wie wollen Sie das durchtriebene Subjekt unbemerkt aus dem Haus schaffen, Mister Parker?« »Man könnte den hinteren Ausgang benutzen und Mister Frazer in einen Teppich rollen, um beim Überqueren der Straße kein Aufsehen zu erregen«, erläuterte Parker, was er plante. »Dasselbe wollte ich gerade vorschlagen«, behauptete Agatha Simpson prompt. »Aber den Teppich suche ich persönlich aus, Mister Parker.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen«, ließ der Butler mit unbewegter Miene verlauten und sah seiner Herrin zu, wie sie die diversen Bodenbeläge, mit denen Frazer seine luxuriöse Wohnlandschaft ausgestattet hatte, kritisch in Augenschein nahm. Zielsicher und wertbewußt entschied sie sich schließlich für einen kostbaren Seidenteppich chinesischer Provenienz, der mit Sicherheit ein Vermögen gekostet hatte: »Den nehme ich, Mister Parker.« 35
Zwei Minuten später verließ das skurrile Paar über den Hinterausgang Frazers Haus. Unbemerkt überquerten Parker und die Detektivin den dunklen Hof und schritten dann durch einen Torweg in Richtung Straße. Vor dem Eingang zum Massagesalon stand jetzt kein Türwächter mehr. Dafür waren noch einige Fußgänger unterwegs. Aber niemand schöpfte Verdacht, als der Butler den zusammengerollten Teppich, den er ohne ersichtliche Anstrengung über der Schulter getragen hatte, im Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums verstaute. Anschließend öffnete er mit einer angedeuteten Verbeugung den hinteren Wagenschlag und assistierte der fülligen Dame behutsam beim Einsteigen. Augenblicke später setzte sich das schwarze Gefährt in Bewegung und nahm rasch Fahrt auf. * Knisterndes Kaminfeuer verbreitete behagliche Wärme in Lady Simpsons Wohnhalle. Auf dem runden Tisch, an dem die Hausherrin saß und sich mit Hingabe der ebenso lustvollen wie lebenserhaltenden Kalorienzufuhr widmete, brannten Kerzen in silbernem Leuchter. »Schade. Eigentlich ist der Fall damit schon so gut wie abgeschlos-
sen«, stellte die passionierte Detektivin bedauernd fest, während sie ein Stück Forellenfilet aufspießte und in die Meerrettichsahne tunkte. »Ich kann es mir sogar sparen, den Lümmel zu vernehmen, der im Moment meine großzügige Gastfreundschaft genießt, Mister Parker.« »In der Tat hat Mister Frazer offen eingeräumt, seinen einstigen Komplicen erpreßt zu haben, als er noch glaubte Mylady und meine Wenigkeit für alle Zeit zum Schweigen bringen zu können«, pflichtete Parker ihr bei und schenkte zwischendurch Wein nach. »Andererseits dürfte die Frage zu klären sein, ob der Genannte sich seit seiner Haftentlassung weiterer Gesetzesübertretungen schuldig gemacht hat.« »Zum Beispiel durch berufsmäßige Förderung der Unzucht«, nannte Agatha Simpson, was ihr auf Anhieb einfiel. »Daß dieser angebliche Massagesalon ein getarntes Freudenhaus ist, sieht man als Kriminalistin auf den ersten Blick.« »Eine Feststellung, die man nur nachdrücklich unterstreichen kann«, ließ der Butler verlauten. »Andererseits dürften Mylady sich dafür interessieren, woher Mister Frazer die Vogelspinnen bezogen hat. Gleiches träfe für den Panther Betty und die Giftschlangen zu, die Mister Hodges endgültig zum Einlenken zwingen sollten.« »Er wird die Tiere in einem Zooge36
schäft gekauft haben«, hatte die majestätische Dame umgehend eine Erklärung parat. »Davon gibt es ja genug in der Stadt.« »Als Angehöriger der kriminellen Szene, der die erwähnten Tiere in mörderischer Absicht einzusetzen gedenkt, dürfte Mister Frazer diskretere Bezugsquellen vorziehen«, gab Parker zu bedenken. »Ich gehe also davon aus, daß es Gangster gibt, die die Unterwelt mit giftigen Tieren versorgen?« schloß die Detektivin logischerweise. »In der Tat, Mylady«, bestätigte der Butler. »Denen muß ich natürlich auch das Handwerk legen, Mister Parker.« »Ein Entschluß, zu dem man Mylady nur beglückwünschen kann. Weiterhin wäre allerdings dafür Sorge zu tragen, daß Mister Hodges seine wohlverdiente Haftstrafe absitzt, bevor der gemeinsam mit Mister Frazer begangene Bankraub verjährt ist.« Während der Butler kaltes Roastbeef mit Spargel servierte und seiner Herrin noch goldbraun geröstete Toastscheiben nachreichte, begann in der Diele das Telefon zu läuten. »Was für ein gräßlicher Apparat! Kaum freut man sich mal über ein paar Minuten Entspannung, da geht das Geklingel los«, reagierte die füllige Dame gereizt. »Hören Sie mal, wer dran ist, Mister Parker. Ich bin
aber für niemand zu sprechen und empfange auch keinen Besuch mehr. Selbst, wenn es die Queen persönlich ist.« »Eine Maßgabe, der man unter allen Umständen die gebührende Beachtung schenken wird, Mylady«, versprach Parker, deutete eine Verbeugung an und verließ gemessen und würdevoll die Wohnhalle. Es war natürlich nicht die Queen, sondern Hotelbesitzer Terry Hodges, der sich in aller Form für die späte Störung entschuldigte. »Darf man sich erlauben, nach dem Grund Ihres Anrufs zu fragen, Mister Hodges?« wollte der Butler ohne Umschweife zur Sache kommen, da die tafelnde Lady ihn schon bald vermissen würde. »Ich habe im Lauf des Tages sämtliche Zimmer gründlich durchsucht und dabei noch drei weitere Vogelspinnen unschädlich gemacht«, schickte der Anrufer voraus, bevor er auf den Punkt zu sprechen kam, der ihn am meisten zu interessieren schien: »Sind Sie eigentlich mit Ihren Ermittlungen gegen Greg Frazer schon weitergekommen, Mister Parker?« »Leider sieht man sich nicht befugt, ohne Myladys ausdrückliche Genehmigung Details mitzuteilen«, antwortete Parker. »Sie dürfen allerdings davon ausgehen, daß Mylady der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen wird, Sir.« 37
»Ach, eigentlich brauchte sie sich gar nicht mehr zu bemühen«, brachte Hodges nun sein eigentliches Anliegen vor. »Eine Äußerung, die man nicht ohne Überraschung zur Kenntnis nimmt, Mister Hodges.« »Ja, wirklich. Ihre Chefin sollte den Fall auf sich beruhen lassen, Mister Parker. Es ist nämlich… Frazer und ich – wir werden uns einigen.« »Darf man möglicherweise um Auskunft bitten, wie es zu diesem Sinneswandel gekommen ist, Mister Hodges?« »Ich habe ihn angerufen und angeboten, ihn als Teilhaber aufzunehmen. Damit schien er einverstanden zu sein. Morgen wollen wir uns treffen und über die Einzelheiten sprechen.« »Wann tätigten Sie den fraglichen Anruf, Mister Hodges?« »Gerade eben, vor ein paar Minuten«, behauptete der Hotelier, was unmöglich zutreffen konnte, da Frazer seit nahezu zwei Stunden über ein ausbruchsicheres Gästezimmer im Souterrain des Hauses verfügte. »Ich wollte Sie gleich verständigen, damit ihm keiner an den Kragen geht.« »Wofür man Ihnen ausgesprochen dankbar ist, Mister Hodges.« »Falls Ihre Chefin Auslagen geltend machen möchte, schicken Sie mir bitte eine Rechnung, Mister Parker«, kam Hodges zum Ende, nach-
dem er seine Aufgabe als gelöst ansah. »Und richten Sie bitte herzliche Grüße aus.« »Man wird es keineswegs und mitnichten versäumen, Mister Hodges«, versprach der Butler, bevor er sich höflich verabschiedete und den Hörer auflegte. »Nun, wer wollte mich sprechen, Mister Parker?« hielt die ältere Dame mit ihrer Neugier nicht hinter dem Berg. »Die Kinder etwa?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, erwiderte Parker und berichtete kurz über das Telefonat, während er seiner Herrin zum Abschluß des opulenten Dinners eine reichhaltige Käseauswahl zusammenstellte. »Ob die beiden wirklich das Kriegsbeil begraben wollen?« sinnierte Lady Simpson. »Nun, man sagt ja: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.« »Mister Hodges dürfte gelogen haben, da Mister Frazer zum Zeitpunkt des angeblichen Telefonats bereits unter Myladys gastlichem Dach weilte.« »Und in den Gästezimmern gibt es kein Telefon.« »In der Tat, Mylady. Im übrigen dürfte Mister Hodges schwerlich über den Aufenthaltsort seines einstigen Komplicen unterrichtet sein.« »Richtig. Darauf wollte ich Sie auch gerade aufmerksam machen, Mister Parker. Der Schlingel hat 38
Ihnen also ein Märchen aufgetischt. Aber warum nur? Da er nicht weiß, daß ich den Erpresser schon aus dem Verkehr gezogen habe, muß er sich doch immer noch bedroht fühlen. Oder hat er etwa Scotland Yard eingeschaltet, weil er meine Fähigkeiten nicht einzuschätzen weiß?« »Mister Hodges dürfte aus guten Gründen davon absehen, sein Problem der Polizei anzuvertrauen«, half Parker seiner Herrin auf die Spur. »Bei einer Festnahme Mister Frazers würde nämlich zwangsläufig die wahre Identität des Erpreßten ans Tageslicht kommen.« »Deshalb will er auch nicht, daß ich mich weiter um die Sache kümmere«, war die Detektivin endlich auf dem richtigen Dampfer. »Eine Einschätzung, der man sich vorbehaltlos anschließen kann, Mylady.« »Nun, das durchtriebene Subjekt entwischt mir nicht«, war die ältere Dame überzeugt. »Die Verhaftung hat Zeit bis morgen – genauso wie die Fragen, die ich an… Wie hieß der Lümmel noch, Mister Parker?« »Mylady dürften Mister Frazer zu meinen geruhen, falls man sich nicht gründlich täuscht.« »Richtig, Laser«, wiederholte Agatha Simpson, was sie verstanden hatte. »Ich werde ihm morgen nach dem, Frühstück auf den Zahn fühlen, Mister Parker.« »Wie Mylady zu wünschen belie-
ben.« »Und jetzt ziehe ich mich ein Stündchen zurück, Mister Parker«, kündigte die Hausherrin an, nachdem der letzte Käsewürfel seiner Bestimmung gefolgt war. »Nach dem Arbeitsstreß muß ich dringend Meditationsübungen einschieben und mich in mein innerstes Selbst versenken.« »Darf man fragen, ob Mylady Cognac oder Sherry als Stärkungsmittel wünschen?« erkundigte sich der Butler, der die Gepflogenheiten seiner Herrin zur Genüge kannte. »Einen Cognac«, entschied Mylady nach kurzem Zögern. »Sie können ihn gleich ins Studio bringen, Mister Parker.« Anschließend erhob sie sich und nahm ächzend die geschwungene Freitreppe in Angriff, die zu ihren privaten Gemächern im Obergeschoß führte. Gleichzeitig steuerte Parker die Anrichte an, entkorkte eine bauchige Flasche mit vergilbtem Etikett und stellte sie zusammen mit einem voluminösen Schwenker auf ein kostbares Silbertablett. * Zwei Minuten später kehrte der Butler ins Erdgeschoß zurück, räumte den Tisch ab und trug das benutzte Geschirr in die geräumige Wirtschaftsküche im Souterrain. Er war gerade damit beschäftigt, die Spül39
maschine in Gang zu setzen, als ein Summton ihn aufhorchen ließ. Die rote Kontrollampe über der Tür blinkte hektisch. Unbekannte hatten eine der Infrarot-Lichtschranken passiert, die Lady Simpsons Anwesen ringsum absicherten. Gemessen und würdevoll lenkte Parker seine Schritte in Richtung Diele und öffnete den getarnten Wandschrank, in dem die Steuerzentrale und der Monitor der hauseigenen Video-Überwachungsanlage untergebracht waren. Gleich darauf lieferte die unter dem spitzgiebligen Vordach an der Haustür installierte Kamera ein kristallklares Bild des Vorplatzes auf die Mattscheibe. Die nächtlichen Besucher, zwei Männer mittleren Alters in Jeanshosen und schwarzen Lederjacken, hatten gerade das hochbeinige Monstrum einer kurzen Inspektion unterzogen und kamen auf den Eingang zu. Zunächst nahm der Butler an, daß es sich um Greg Frazers Bodyguards handelte, denen es inzwischen gelungen war, sich von ihren Fesseln zu befreien. Aber die Gesichter, die man dann deutlich auf dem Bildschirm erkannte, waren ihm fremd. Auf den Stufen vor der Haustür machten die Unbekannten halt. Einer von ihnen hielt eine kleine Ledertasche in der Hand, die er öffnete. Dabei kam eine reichhaltige Auswahl an Einbruchwerkzeug zum
Vorschein. »Darf man sich möglicherweise nach Ihren Wünschen erkundigen?« sprach Parker das verstohlen agierende Duo über die Gegensprechanlage an. Irritiert zuckten die Männer und blickten sich zusammen suchend um, ohne den Inhaber der körperlosen Stimme entdecken zu können. Rasch wurde die verräterische Ausrüstung wieder verstaut. »Wir haben ‘ne Autopanne. Der Kühler ist undicht«, behauptete einer der Fremden, deren Jacken verdächtige Ausbuchtungen aufwiesen. »Und weil sonst nirgends Licht brennt, wollten wir gerade bei Ihnen läuten.« »Mit ‘ner Flasche Wasser war’ uns schon geholfen«, setzte sein Begleiter hinzu. »Unter diesen Umständen darf man die Herren höflich bitten näherzutreten«, sagte der Butler, schloß den Wandschrank und begab sich zur Haustür. Allerdings öffnete er nur soweit, daß sich die ungebetenen Besucher hintereinander in den Vorflur drängen mußten. Daß Parker dabei mit der Gewandtheit eines gewieften Taschenspielers in ihre Schulterhalfter griff und die schallgedämpften Waffen an sich nahm, die darin steckten, fiel keinem der Männer auf. »Darf man den Herren vorschla40
gen, hier Platz zu nehmen, bis meine Wenigkeit das Gewünschte aus der Küche geholt hat?« fragte der Butler und deutete auf das kleine Sofa, das in einer Ecke des verglasten Vorflurs stand. Doch jetzt zeigte sich, daß die Lederjackenträger von Warten nichts hielten. Sie wollten zur Sache kommen. Und zwar sofort. Mit der lässigen Routine altgedienter Profis langten die Gangster in ihre Schulterhalfter und – stutzten. Erst beim zweiten Versuch, der nicht weniger enttäuschend verlief als der erste, dämmerte ihnen, daß die würdevolle Gestalt im schwarzen Zweireiher etwas mit dem Verschwinden ihrer Waffen zu tun haben mußte. Postwendend ließen beide Männer ein wütendes Grunzen hören und gingen mit geballten Fäusten zum Angriff über. Doch Parker, der auf diesen Moment gewartet hatte, war gerüstet. Sein altväterlich gebundenes Universal-Regendach nahm er aus dem Schirmständer und ließ es ruckartig in die Waagrechte hochschnellen, als der erste Angreifer sich gerade auf ihn stürzen wollte. Für den breitschultrigen Mittdreißiger war es zum Bremsen zu spät. Heiser fauchend wie eine altersschwache Dampflok gab er seinen gesamten Vorrat an Atemluft preis, als die bleigefüllte Schirmspitze munter seinen Solarplexus kitzelte.
Gleichzeitig nahm das Gesicht des Mannes eine ungesunde Blässe an. Mit grotesk verdrehten Augen sackte er zusammen und suchte in schraubenförmiger Bewegung den Boden auf. Sein Komplice ließ sich durch dieses Mißgeschick allerdings nicht entmutigen. Er setzte zu einem kraftvollen Hechtsprung an, mit dem er den Butler zweifellos umgerissen hätte – wäre der Attackierte nicht geistesgegenwärtig einen Schritt zur Seite getreten. Mit ausgebreiteten Armen segelte der Unterweltler an Parker vorbei, setzte bäuchlings auf dem Parkett auf und rutschte noch eine beträchtliche Strecke weiter. Dabei kam ihm eine chinesische Bodenvase in die Quere, die er kurzerhand mit auf die Reise nahm, bis mit Eisen beschlagene eine Renaissancetruhe der Rutschpartie ein hartes Ende setzte. Klirrend ging das kunstvoll bemalte Porzellan zu Bruch. Entnervt blieb der Pechvögel liegen, wo er gerade war. Er leistete nicht mal Widerstand, als Parker seine Bewegungsfreiheit mit den bewährten Einwegfesseln nachhaltig einschränkte. Augenblicke später war auch der zweite Ganove transportfertig verschnürt. Nacheinander lud sich der Butler die ungebetenen Besucher auf die Schulter, trug sie ins Souterrain 41
des Hauses und wies ihnen dort das Zimmer neben Frazer an. Beide Männer schlummerten friedlich, als er die stählerne Feuerschutzleiter verriegelte und noch einen letzten Kontrollblick durch den sogenannten Türspion warf. Auch Frazer, den die Unbekannten allem Anschein nach befreien sollten, hatte sich mit seinem Geschick abgefunden. Er lag ausgestreckt auf dem ledergepolsterten Sofa und schlief. An eine Reparatur der demolierten Vase war nicht mehr zu denken. Deshalb fegte Parker die Scherben zusammen und brachte sie zum Abfall, bevor er sich in seine privaten Räume zurückzog, die im Stil einer Kapitänskajüte eingerichtet waren und unmittelbar neben den Gästezimmern lag. Mit weiteren Besuchen während der Nacht war zu rechnen. Deshalb begab er sich nicht zur Ruhe, sondern nahm in einem bequemen Lehnsessel Platz und vertiefte sich in das Studium der Abendzeitungen. * »Darf man der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß Mylady ungestört die Nachtruhe genießen konnten?« fragte der Butler, als die Hausherrin am nächsten Morgen mit blanken Augen und rosigen Wangen in der Wohnhalle erschien. »Ach, es waren mal wieder
anstrengende Stunden, Mister Parker«, seufzte die ältere Dame und schielte unauffällig zum Frühstückstisch hinüber. »Nach der kräftezehrenden Meditation habe ich noch lange an meinem Bestseller gearbeitet.« »Mylady sollte sich ein wenig mehr Schonung gönnen, falls die Anmerkung erlaubt ist«, äußerte Parker und rückte der gewichtigen Detektivin den Sessel zurecht. »Nein, nein. Wer sich schont, ist ein Schwächling«, widersprach Agatha Simpson. »Nur wer sich ständig Höchstleistungen abverlangt, bleibt bis ins hohe Alter fit.« »Eine Feststellung, die man keinesfalls und mitnichten anzweifeln möchte, Mylady«, versicherte der Butler und trug Rühreier mit kroß gebratenem Speck auf. Dazu servierte er knusprig geröstete Toastscheiben und schenkte dampfenden, kontinental gebrühten Kaffee ein. Anschließend verbeugte er sich und trat in seiner unnachahmlichen Art einen halben Schritt zurück. »Außerdem hat die Arbeit an meinem Bestseller wirklich Spaß gemacht«, fuhr die gewichtige Dame kurze Zeit später fort. »In der Stille der Nacht kann man sich am besten konzentrieren.« »Demnach fühlten Mylady sich nicht durch Geräusche gestört?« erkundigte sich Parker. »Was für Geräusche denn, Mister 42
Parker?« »Während Mylady sich der Versenkung in ihr innerstes Selbst widmeten, hatte meine bescheidene Wenigkeit es mit zwei unangemeldeten Besuchern zu tun.« »Stimmt, ich erinnere mich«, fiel Lady Agatha ihm ins Wort. »Die Lümmel haben sich ungebärdig aufgeführt.« »Was man nur mit Nachdruck bestätigen kann, Mylady.« »Ich bin noch kurz heruntergekommen, um nach dem Rechten zu sehen«, schwindelte die majestätische Dame ungeniert. »Aber es sah so aus, als würden Sie mit den Anfängern allein fertig werden, Mister Parker.« »Meine Wenigkeit fand Mittel und Wege, den Herren ihre überaus unfreundlichen Absichten auszureden, Mylady.« »Schließlich sind Sie ja auch lang genug bei mir in die Schule gegangen, Mister Parker«, bemerkte die leidenschaftliche Detektivin. »Was wollten die Burschen übrigens? Wahrscheinlich waren es gedungene Killer, die den Auftrag hatten, mich kaltblütig niederzuschießen.« »Wie man in einem klärenden Vorgespräch erfahren konnte, hatten die Herren Weisung, Mister Frazer zu befreien«, teilte Parker mit, während er eine duftende Wildpastete als nächsten Gang auftrug. »Laser? Wer ist denn das schon
wieder?« wollte Mylady mit gefurchter Stirn wissen. »Irgendwo habe ich den Namen schon mal gehört, Mister Parker.« »Mister Frazer, den Mylady unschwer meinen, ist Eigentümer eines sogenannten Massagesalons in Stepney und besaß die Unverfrorenheit, Mylady nebst meiner bescheidenen Wenigkeit einem Panther zum Fraß vorwerfen zu wollen.« half der Butler bereitwillig aus. »Seit gestern abend genießt der Genannte Gastrecht in Myladys Haus.« »Jetzt erinnere ich mich ganz genau«, behauptete die frühstückende Dame. »Wollte ich dem Lümmel nicht noch irgendwelche Fragen stellen, Mister Parker?« »In der Tat«, lautete die Antwort des Butlers. »Wahrscheinlich kenne ich die Flegel, die ihn befreien wollten«, mutmaßte Agatha Simpson. »Das können ja nur seine Bodyguards sein. Die haben Sie nämlich unvorsichtigerweise zurückgelassen, Mister Parker.« »Man handelte in der Absicht, Mylady unnötige Kosten zu ersparen.« »Na schön. Das ist ein Argument, das ich akzeptiere, Mister Parker«, erwiderte die wohlhabende Dame. »Es reicht schon, wenn ich einen gefräßigen Unterweltler durchfüttern muß. Und jetzt… jetzt sind es schon wieder drei geworden.« 43
»Mylady könnten erwägen, die Herren kurzfristig der Polizei zu überantworten.« »Nicht, bevor ich meine Ermittlungen abgeschlossen habe, Mister Parker. Sonst bringen die Trottel noch alles durcheinander.« »Eine Befürchtung, die mitunter nicht leicht von der Hand zu weisen sein dürfte. Im übrigen dürfte der Hinweis erlaubt sein, daß es sich bei den zu später Stunde eingetroffenen Herren mitnichten um Mister Frazers Leibwächter handelte.« »Woher wissen Sie das, Mister Parker?« »Man hätte die Herren mit Sicherheit wiedererkannt, Mylady.« »Vielleicht waren es andere. Bestimmt hat der Schurke mehr als zwei.« »Was man nicht grundsätzlich ausschließen sollte«, räumte Parker höflich ein und servierte als Dessert ein Orangenssouffle. »Andererseits versicherten die Herren nachdrücklich, von einem gewissen Artie Perkins bezahlt zu werden.« »Da haben die Lümmel Ihnen aber einen Bären aufgebunden, Mister Parker«, lächelte die Detektivin. »Wetten, daß es diesen… diesen… überhaupt nicht gibt?« »Um sich Gewißheit zu verschaffen, nahm meine Wenigkeit noch in dieser Nacht telefonischen Kontakt mit dem ehrenwerten Mister Pickett auf«, berichtete der Butler. »Nach
Auskünften, die dabei zu erhalten waren, ist Mister Perkins in der Szene als Vermieter von Personal für spezielle Aufgaben bekannt.« »Auch der gute Mister Pickett kann sich mal irren«, befand die Hausherrin. »Gleich nach dem Frühstück bringe ich mit ein paar gezielten Fragen Licht in dieses Dunkel, Mister Parker.« »Ein Vorhaben, das man nur nachhaltig begrüßen kann«, ließ Parker sich vernehmen. Anschließend deutete er eine Verbeugung an und entfernte sich gemessen und würdevoll. »Das ist wahrscheinlich schon das nächste Killerkommando«, argwöhnte Lady Simpson, die das Läuten der Haustürglocke ebenfalls vernommen hatte. »Rufen Sie mich zu Hilfe, falls Sie nicht allein zurechtkommen, Mister Parker!« * Die Integrität des Besuchers, den der Butler gleich darauf mit einer höflichen Verbeugung einließ, stand außer Frage. Hilferufe waren überflüssig. Chief-Superintendent McWarden, einer der leitenden Beamten von Scotland Yard, war häufiger Gast in der Villa in Shepherd’s Market. Meistens ließ er sich sehen, wenn er in der Klemme steckte und auf Parkers hilfreichen Rat hoffte. Die bissigen Kommentare, mit 44
denen Mylady ihn zu überschütten pflegte, nahm McWarden dafür mehr oder weniger gelassen in Kauf. Da die Natur ihn mit einem etwas hitzigen Temperament ausgestattet hatte, gelang es der ehrgeizigen Hausherrin allerdings nicht selten, den Yard-Gewaltigen auf die sprichwörtliche Palme zu treiben. »Sie sind ja richtig braungebrannt, Mister McWarden«, stellte Lady Agatha verwundert fest, als der Butler den Besucher in die Wohnhalle führte. »Waren Sie etwa schon wieder in Urlaub?« »Schon wieder?« protestierte der Chief-Superintendent. »Das war mein erster Urlaub seit Jahren. Zwei Wochen Südspanien, in der Nähe von Jerez de la Frontera.« »Merkwürdig. Da muß ich auch mal gewesen sein«, geriet die ältere Dame ins Nachdenken. »Jedenfalls kommt mir der Name sehr vertraut vor.« Dabei ließ sie die in Geschenkpapier gewickelte Kiste, die der Gast seitlich auf den Tisch gestellt hatte, nicht aus den Augen. »Jerez de la Frontera dürfte Mylady als Heimat des Sherry bekannt sein«, bemerkte Parker, während er die Reste des Frühstücksgeschirrs abräumte. »Dann ist das bestimmt ein Mitbringsel aus Sherry de la Fontaneila«, tippte Mylady in ihrer Ausdrucksweise an und deutete ungeniert auf das Behältnis, das ihre
Aufmerksamkeit fesselte. »Erraten«, strahlte der Besucher. »Ich hoffe, er mundet Ihnen, Mylady.« »Eigentlich könnte ich ja gleich ein Gläschen probieren«, entschied die genußfreudige Lady, die bisweilen ihre Diät vergaß. »Möchten Sie etwa auch eins, Mister McWarden?« »Gern, Mylady.« »Alkohol im Dienst kann Ihnen aber ein Disziplinarverfahren einbringen, mein Bester. Das sollten Sie nicht riskieren.« »Ich bin gar nicht im Dienst, Mylady«, konnte McWarden sie beruhigen. »Ich war zwar kurz im Büro, aber eigentlich fange ich erst am Montag wieder an.« »Na schön. Ein Mann in Ihrem Alter sollte dennoch auf seine Figur achten«, fand Agatha Simpson. »Ich habe im Urlaub jeden Tag trainiert«, versicherte der ChiefSuperintendent. »Davon ist aber nicht viel zu sehen, McWarden«, stellte die füllige Dame nach kritischem Blick auf seine Taille fest. »Nur Ausdauer bringt Erfolg, mein Lieber.« »Ich dachte eigentlich, Sie hätten schon Besuch, Mylady«, wechselte der Yard-Beamte rasch das Thema, während Parker die Kiste auspackte und eine Flasche entkorkte. »Wie kommen Sie darauf?« zeigte Mylady sich erstaunt. »Schräg gegenüber Ihrer Einfahrt 45
steht ein weißer Ford«, berichtete McWarden. »Und da die Häuser in der Nachbarschaft bekanntlich unbewohnt sind, dachte ich…« »Sie sollten nicht so viel denken, McWarden«, unterbrach ihn die majestätische Dame. »Was weiß ich, wem der Wagen gehört.« Vermutlich wußte sie es wirklich nicht. Im Gegensatz zu Parker… »Könnte ja sein, daß Sie mal wieder irgendwelche Umweltler einquartiert haben, Mylady.« »So was kann ich mir als alleinstehende Dame, die mit dem Penny rechnen muß, nicht ständig leisten, McWarden«, behauptete die steinreiche Witwe ungeniert. »Wie war denn eigentlich Ihre Stippvisite im Büro? Wartet nach dem Urlaub viel Arbeit auf Sie?« »Es scheint sich im Rahmen zu halten«, entgegnete der Beamte Ihrer Majestät. »Nur ein Thema macht uns Sorgen.« »Bestimmt werden Sie mir verraten, weichte«, vermutete die Detektivin und nahm mit mißbilligendem Blick zur Kenntnis, daß der Butler nicht nur ihr, sondern auch dem Chief-Superintendent einschenkte. »In letzter Zeit mehren sich die Fälle, daß Leute mit Hilfe exotischer Gifttiere erpreßt oder gar um die Ecke gebracht werden«, wußte der einflußreiche Yard-Mann zu berichten. »Wenn man Gerüchten glauben darf, die unsere V-Männer aufge-
schnappt haben, soll es sogar schon vorgekommen sein, daß Menschen bei lebendigem Leib einem Tiger zum Fraß vorgeworfen wurden.« »Was das nicht ein Panther, Mister Parker?« vergewisserte sich Agatha Simpson. »Ein Panther? Wie kommen Sie darauf, Mylady?« wurde McWarden umgehend hellhörig. »Ermitteln Sie etwa schon in der Sache?« »Um Himmels willen, McWarden!« rief die Hausherrin geradezu entsetzt. »Wenn ich eine Vogelspinne nur von weitem sehe, kriege ich schon eine Gänsehaut. So was überlasse ich gerne Ihnen.« »Von den Vogelspinnen wissen Sie also auch?« stellte der Chief-Superintendent interessiert fest. »Das habe ich mir nur gedacht. Die Tiere sind ja äußerst praktisch, wenn man jemanden heimtückisch ermorden will«, wich die füllige Detektivin geschickt aus und hob ihr Glas. »Wollten Sie nicht auf mein Wohl trinken, Mister McWarden?« »Nichts lieber als das, Mylady«, versicherte der Besucher eilig und kam mit einer angedeuteten Verbeugung der Aufforderung nach. Der Sherry, den McWarden an der Quelle erstanden und sicher teuer bezahlt hatte, erwies sich als wirklich vorzüglich. Das war schon daran zu erkennen, daß die verwöhnte Genießerin zunächst in ihrem Urteil schwankte. Um zu einer 46
eindeutig positiven Bewertung zu kommen, bedurfte es dann schon einiger Gläser mehr. Und McWarden, der sich bei alkoholischen Getränken eher zurückhielt, zog tapfer mit. Verfängliche Gesprächsthemen wurden beiderseits vermieden. Die Stimmung stieg unaufhaltsam, und als der Besucher schließlich aufbrach, ließ Mylady es sich nicht nehmen, ihn bis zur Tür zu begleiten. Beschwingt schritt sie neben dem untersetzten Mittfünfziger her und wirkte fast wie ein junges Mädchen. »Stand hier nicht noch vor kurzem eine herrliche chinesische Bodenvase?« erkundigte sich der ChiefSuperintendent, während Parker ihm in der Diele in den Mantel half. »Die habe ich leider kürzlich verkaufen müssen«, behauptete Agatha Simpson. »Wenn man in wirtschaftlich ungesicherten Verhältnissen lebt, kann es immer mal zu Engpässen kommen. Da braucht man dann jeden Shilling.« »Hoffentlich bleibt die Vase das letzte Stück, das Sie veräußern müssen, Mylady«, bemerkte McWarden mitfühlend und lächelte, bevor er sich ebenso höflich wie gutgelaunt verabschiedete. »Hier stand wirklich mal eine Vase. Wo ist die eigentlich hingekommen, Mister Parker?« wollte die Detektivin dann wissen, als die Tür hinter dem Besucher ins Schloß
gefallen war. »Leider fand man noch keine Gelegenheit, Mylady mitzuteilen, daß einem Besucher vom gestrigen Abend die folgenschwere Ungeschicklichkeit unterlief, durch die die Vase in einen Scherbenhaufen verwandelt wurde«, setzt der Butler sie ins Bild. »Unerhört!« entrüstete sich Lady Agatha. »Der Lümmel wird mir den Schaden ersetzen.« »Dazu dürfte der Betreffende kaum in der Lage sein, zumal er einer nicht unbeträchtlichen Haftstrafe entgegensieht«, gab Parker zu bedenken. »Dann muß ich den Seidenteppich, den ich als grundehrlicher Mensch zurückgeben wollte, leider behalten«, konstatierte die Hausherrin hocherfreut. »Nichts liegt meiner bescheidenen Wenigkeit ferner, als Mylady zu widersprechen«, versicherte der Butler – durchaus wahrheitsgemäß – und verneigte sich höflich. »Holen Sie den Teppich doch mal her, Mister Parker«, verlangte die stämmige Dame. »Sobald ich den richtigen Platz für das hübsche Stück gefunden habe, geht es mit den Vernehmungen los.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen«, erwiderte Parker und entfernte sich gemessen und würdevoll. * 47
»Haben Sie Mister Laser eigentlich einen Imbiß angeboten?« wollte Lady Simpson einige Zeit später wissen, während man durch den langen Kellergang schritt, der zu den fensterlosen, aber sonst recht behaglichen Gästezimmern führte. »Ich möchte nicht, daß man mir vorwirft, ich wäre geizig, Mister Parker.« »Meine Wenigkeit war so frei, Myladys Gast mit Sandwiches und Tee zu versorgen«, teilte der Butler mit. »Hoffentlich haben Sie’s nicht zu üppig getrieben, Mister Parker«, ließ die sparsame Dame mit sorgenvoller Miene verlauten. »Kekse zum Tee hätten auch gereicht. Ich kann es mir nicht leisten, Geld zum Fenster hinauszuwerfen.« »Ein Umstand, der meiner Wenigkeit hinreichend bekannt ist«, erwiderte Parker und zog im Gehen seinen Schlüsselbund aus der Tasche. »Hat der Lümmel sich denn zu seinen Untaten geäußert, als Sie ihm das Essen brachten, Mister Parker?« erkundigte sich die Detektivin, als sie vor der Tür Halt machten, hinter der Greg Frazer einquartiert war. »Man unternahm zwar den Versuch, ein klärendes Gespräch anzubahnen, aber Mister Frazer schwieg beharrlich wie das sprichwörtliche Grab«, ließ der Butler sie wissen. »Auch rührte er den Imbiß nicht an, obwohl man ihn von den Fesseln
befreite.« »Also ein besonders verstocktes Subjekt«, freute sich die resolute Dame. »Genau das Richtige für eine Kriminalistin.« Als Agatha Simpson erwartungsvoll ihren perlenbestickten Pompadour wippen ließ, warf Parker einen Blick durch den Türspion. Der unfreiwillige Gast saß in der rechten Ecke des Sofas, hatte den Kopf angelehnt und schien zu schlafen. Die Sandwiches standen immer noch unberührt auf dem Tisch. Trotz des friedlichen Bildes, das sich ihm bot, war der Butler die Wachsamkeit in Person, als er das komplizierte Sicherheitsschloß aufsperrte und die gewichtige Dame eintreten ließ. Und solche Wachsamkeit zahlte sich aus. Kaum hatte das skurrile Paar die Schwelle überschritten, schnellte Frazer wie eine Stahlfeder aus dem Sitzmöbel und traf Anstalten, sich mit blanken Fäusten den Weg zum Ausgang zu bahnen. Doch sein energischer Freiheitsdrang verpuffte kläglich. Zu spät nahm der Gangster wahr, daß Parker sich verneigte, als er auf ihn zustürmte. Daß diese Geste nichts mit höflichen Ritualen zu tun hatte, wie sie bei fernöstlichen Kampfsportarten üblich sind, dämmerte ihm erst, als sich die stahlverstärkte Wölbung des Bowlers ungeniert in seiner Magengrube breit48
machte. Keuchend knickte Frazer in der Hüfte ein. Sein Teint nahm die Farbe einer frisch gekalkten Wand an. Auf weichen Beinen taumelte er zur Seite und geriet dadurch in Myladys Reichweite, die ihm spontan eine schallende Ohrfeige verpaßte. Jaulend trat der Unterweltler dann endgültig den Rückzug an. Dabei kam ihm allerdings die Orientierung abhanden, so daß er das Sofa verfehlte und – mitten in den Sandwiches – auf dem Tisch Platz nahm. Mit einer Serviette entfernte der Butler Tomatenscheiben, Schinken und Salatblätter von Frazers Hose, bevor er ihn an einen bequemeren Sitzplatz geleitete. Dort wurde der Unterweltler mit Fesseln an Händen und Füßen ausgestattet, um einem wiedererwachenden Bewegungsdrang wirksam vorzubeugen. »Inzwischen haben Sie wohl gemerkt, daß mit mir nicht zu spaßen ist, junger Mann«, sprach die majestätische Dame in strengem Ton. »Im übrigen rate ich Ihnen, umfassend und wahrheitsgemäß auf alle Fragen zu antworten, die Mister Parker Ihnen in meinem Auftrag stellt.« Frazer, der mit hängendem Kopf auf dem Sofa saß, zeigte keinerlei Reaktion. »Der Flegel scheint die Sprache verloren zu haben, Mister Parker«, diagnostizierte Lady Agatha. »Aber
dagegen gibt es ein probates Mittel.« Gleichzeitig griff sie nach ihrer phantasievollen Kopfbedeckung und zog eine der Hutnadeln heraus, deren Format schon fast an einen Gyrosspieß erinnerte. Aus dem Augenwinkel nahm der Gangster das Blitzen der geschliffenen Stahlspitze wahr und zuckte zusammen. Aber auch jetzt kam kein Wort über seine Lippen. »Schön, daß ich mal wieder Gelegenheit habe, mich in der hohen Kunst der Akupunktur zu üben«, verkündete die ältere Dame freudig. »Hoffentlich gelingt mir diesmal, die Blutverluste in Grenzen zu halten, Mister Parker.« »Was man in Mister Frazers Interesse nur hoffen und wünschen kann«, bemerkte Parker, während die füllige Lady langsam auf den sprachlosen Unterweltler zuschritt. Immer tiefer verkroch Frazer sich in die Sofaecke. Doch seine Rückzugsmöglichkeiten waren begrenzt. Unaufhaltsam näherte sich die blinkende Stahlspitze. »Nein!« brach der Mann unvermittelt sein Schweigen, als das kühle Metall sanft über seinen glattrasierten Hals glitt. »Nein, ich will nicht sterben!« »Wer redet denn von Sterben?« reagierte die Hausherrin erstaunt. »Sie sind geheilt und können endlich meine Fragen beantworten.« »Aber… eigentlich… wissen Sie 49
doch schon alles«, stammelte der Untersetzte, während die Nadelspitze weiterhin zärtlich über seine Haut glitt. »Daß Sie mich kaltblütig ermorden wollten, steht zwar fest«, entgegnete Agatha Simpson kühl. »Aber trotzdem sind noch ein paar Zusatzfragen zu klären, junger Mann.« »Unter anderem würde Mylady gern erfahren, woher Sie die Vogelspinnen beziehen, die Mister Maxwell im Hotel Ihres einstigen Komplicen aussetzt«, kam der Butler ohne Umschweife zur Sache. Frazer druckste herum. Angstschweiß stand auf seiner Stirn. »Ich… ich weiß es nicht«, behauptete er schließlich. »Sie wissen es nicht?« wiederholte die Detektivin mit spöttischem Lächeln. »Jetzt haben Sie wohl auch noch das Gedächtnis verloren. Aber keine Sorge, auch dagegen hilft Akupunktur.« Langsam glitt die Nadel, die sie inzwischen zurückgezogen hatte, wieder auf Frazers Hals zu. »Ich meine… ah… Maxwell hat die Tiere besorgt«, stotterte der Gangster hastig. »Aber auf Ihren ausdrücklichen Wunsch, wie man wohl annehmen darf, Mister Frazer«, warf Parker aus dem Hintergrund ein. »Dann müssen Sie auch wissen, wo er die abscheulichen Tiere geholt hat«, begehrte die resolute Dame zu wissen.
»Spinnenvögel gibt es schließlich nicht im Supermarkt.« »Wenn ich das ausplaudere, bin ich ein toter Mann«, prophezeite Frazer. Seine Mundwinkel zuckten. Sein Blick wirkte gehetzt. »Papperlapapp. Momentan stehen Sie unter meinem persönlichen Schutz«, widersprach die Hausherrin. »Und wenn Sie erst mal hinter Schloß und Riegel sitzen, kann Ihnen sowieso keiner mehr ans Leder.« »Ich weiß aber nur, daß der Typ ›Mister Tarzan‹ genannt wird und irgendwo am westlichen Stadtrand wohnt«, versicherte der unfreiwillige Gast. »Ich habe ihn nie persönlich kennengelernt und bin auch nie in seinem Haus gewesen.« »Und das soll ich Ihnen glauben, junger Mann?« vergewisserte sich Mylady streng. »Ehrenwort!« beteuerte Frazer, wobei seine Blicke argwöhnisch jeder Bewegung des martialischen Hutschmucks folgten. »Geht man übrigens recht in der Annahme, daß der Name Artie Perkins Ihnen etwas sagt, Mister Frazer?« wechselte der Butler unvermittelt das Thema. »Nein«, erwiderte sein Gesprächspartner, nachdem er kurz nachgedacht hatte. »Soll das der Name des Mannes sein, den man ›Mister Tarzan‹ nennt?« »Eine Möglichkeit, die man nicht grundsätzlich ausschließen möchte, 50
Mister Frazer«, entgegnete Parker. »Aber bislang hat es den Anschein, als wäre Mister Perkins auf anderen Gebieten illegaler Art tätig.« »Hab’ den Namen noch nie gehört«, bekräftigte der Unterweltler und hielt Parkers Blick mühelos stand. Falls das gelogen war, mußte Frazer über außergewöhnliches Schauspieltalent verfügen. Und diesen Eindruck hatte er bisher eigentlich nicht gemacht. »Weiterhin ist Mylady zu Ohren gekommen, daß Sie mit verbotenen Drogen, insbesondere Kokain, handeln, Mister Frazer«, schnitt der Butler ein neues Thema an. »Quatsch. Damit hab’ ich noch nie was zu tun gehabt«, widersprach der Gangster vehement. »Diesen Unsinn hat Ihnen bestimmt Ronson erzählt, um Sie richtig scharf zu machen.« »Eine Einschätzung, der man mitnichten widersprechen möchte, Mister Frazer«, ließ der Butler mit unbewegter Miene verlauten. Daß seine Informationen aus einer anderen, weit zuverlässigeren Quelle stammte, behielt er im Augenblick lieber für sich. »Darf man wissen, ob Mylady noch weitere Fragen an Mister Frazer zu richten wünschen?« wandte er sich anschließend an seine Herrin. »Ah… im Moment nicht, Mister Parker«, antwortete die passionierte Detektivin, sichtlich überrascht, daß
die Vernehmung schon beendet war. »Unter diesen Umständen erlaubt man sich, für das offenherzige Gespräch zu danken und noch einen unbeschwerten Aufenthalt unter Myladys gastlichem Dach zu wünschen«, sagte Parker mit einer angedeuteten Verbeugung und geleitete die ältere Dame zur Tür. * »Sie dürfen ein derart durchtriebenes Subjekt nicht mit Samthandschuhen anfassen, Mister Parker«, monierte die resolute Dame, während man Seite an Seite den Rückweg ins Erdgeschoß antrat. »Ich hätte mit Sicherheit mehr aus dem Lümmel herausgeholt.« »Was man keineswegs und mitnichten bezweifeln möchte«, erwiderte der Butler höflich. »Darf man deshalb erfahren, welche Gesichtspunkte Mylady für unzureichend geklärt halten?« »Daß er diesen ›Mister Tarzan‹ nicht kennt, war doch garantiert geschwindelt«, urteilte Agatha Simpson. »Eine Annahme, die durchaus zutreffen könnte, Mylady.« »Und daß er von Mister Hopkins noch nie was gehört haben will, macht mich erst recht stutzig, Mister Parker.« »Warum, wenn man fragen darf, Mylady?« 51
»Er muß doch den Mann kennen, der bewaffnete Kommandos in Marsch setzt, um ihn zu befreien.« »Unter Umständen könnte Mister Maxwell derjenige gewesen sein, der bei Mister Perkins um Hilfe für seinen in Bedrängnis geratenen Auftraggeber nachsuchte.« »Maxwell? War das nicht der Bursche, den Sie durch Ihre Ungeschicklichkeit haben entkommen lassen, Mister Parker?« »In der Tat, Mylady.« »Wie auch immer. Sie sind auf der falschen Fährte, Mister Parker. Ich habe den Schurken gründlich durchschaut.« »Vermutet man recht, daß Mylady von Mister Frazer zu sprechen geruhen?« »Natürlich, von wem denn sonst? Das gerissene Subjekt will doch nur verschleiern, daß Mister Hopkins und Mister Tarzan ein und dieselbe Person sind, Mister Parker.« »Eine Eröffnung, die Überraschung auslöst, Mylady.« »Wenn Sie meinen Gedankengängen nicht folgen können, ist das Ihr Problem, Mister Parker. Jedenfalls kehre ich sofort um und verhöre den Lümmel solange, bis er mir verrät, wo Mister Hopkins zu finden ist.« »Ein Vorhaben, das sich erübrigen dürfte, Mylady.« »Und warum?« »Weil der ehrenwerte Mister Pickett so freundlich war, die
Anschrift von Artie Perkins, den Mylady fraglos zu meinen belieben, auf telefonischem Weg zu übermitteln.« »Stimmt. Darum habe ich den guten Mister Pickett auch ausdrücklich gebeten«, glaubte die Detektivin sich zu erinnern. »Geht man übrigens recht in der Annahme, daß Mylady Mister Perkins kurzfristig einen Besuch abzustatten wünschen?« erkundigte sich der Butler. »Was heißt kurzfristig? Sofort!« demonstrierte die ältere Dame Entschlossenheit. »Es wird höchste Zeit, daß ich dem Skrupellosen das Handwerk lege, Mister Parker.« »Eine Feststellung, der man sich nur vorbehaltlos anschließen kann, Mylady«, erwiderte Parker. »Ich muß mich nur rasch für die Ausfahrt umkleiden«, kündigte die Hausherrin an und wandte sich der Treppe zu, die ins Obergeschoß führte. »Sie können schon den Wagen bereitstellen, Mister Parker.« Der Butler sorgte in der Wohnhalle für Ordnung und blätterte etliche Morgenzeitungen durch. Aber danach gab es immer noch keine Anzeichen, die auf einen baldigen Aufbruch schließen ließen. Dafür wurde an der Haustür geläutet. »Man erlaubt sich, einen möglichst guten Tag zu wünschen«, sagte der Butler gleich darauf, als er Kathy Porter und Mike Rander mit einer 52
Verbeugung einließ. »Leider dürfte der Hinweis kaum zu umgehen sein, daß Mylady im Begriff ist, eine Ausfahrt zu unternehmen.« »Bestimmt ein Einsatz gegen die aufmüpfige Unterwelt«, mutmaßte der Anwalt. »So könnte man es in der Tat nennen, Sir«, bestätigte Parker, während er die Besucher in die Wohnhalle führte. Im selben Augenblick kam die Hausherrin die Treppe herab und ließ unternehmungslustig ihren wohlgefüllten Handbeutel kreisen. »Schade, daß ihr ausgerechnet jetzt kommt, Kinder«, bedauerte Agatha Simpson. »Ich muß dringend zu einem wichtigen Fall.« »Können wir da nicht mitkommen, Mylady?« verlegte Kathy Porter sich gleich aufs Bitten. »Letztesmal mußten wir schon verzichten, und wir erleben gern was Aufregendes.« »Stimmt, Mylady«, pflichtete Rander schmunzelnd seiner attraktiven Begleiterin bei. »Wir passen auch gut auf uns auf. Ehrenwort!« »Na schön«, willigte die gewichtige Dame widerstrebend ein. »Ihr müßt euch aber aus dem engeren Gefahrenbereich heraushalten. Bis in alle Zeiten würde ich mir Vorwürfe machen, wenn euch was zustieße.« »Wir sehen nur von weitem zu«, versprach der Anwalt, obwohl er schon wußte, daß es dabei nicht blieb. Aber Mylady war’s zufrieden, und die Fahrt konnte losgehen.
Rund um Lady Simpsons Anwesen war nichts zu entdecken, was geeignet gewesen wäre, Argwohn zu erregen. Parkers Verdacht, daß Artie Perkins Scharfschützen in der Umgebung des Hauses postiert haben könnte, erwies sich nach ausgiebiger Befragung der Video-Überwachungsanlage als unbegründet. Doch als der Butler wenig später in die belebte Durchgangsstraße einbog, fiel ihm eine dunkle RoverLimousine auf, die nahe der Einmündung auf dem Gehweg parkte. Daß der Wagen sich prompt in Bewegung setzte und ebenfalls in östlicher Richtung fuhr, überraschte ihn nicht im geringsten. Kathy Porter und Mike Rander waren in dem dunkelblauen Austin des Anwalts etwas später gestartet, was sich als ausgesprochen zweckdienlich erwies. Als der Anwalt an der Einmündung kurz stoppte, waren die Männer im Rover schon unterwegs. So kam es, daß die Verfolger von Anfang an in der Falle saßen. »Darf man den Wunsch äußern, daß Sie den Herren im dunklen Rover das gebührende Augenmerk zuwenden, Sir?« meldete sich Parker über Sprechfunk bei Mike Ränder. »Schon geschehen, Parker«, antwortete der Anwalt. »Die Burschen sind uns natürlich gleich aufgefallen.« »Was man auch gar nicht anders 53
erwartet hatte, Sir«, versicherte der Butler und schaltete das Gerät vorerst wieder ab. »Endlich haben Sie die zudringlichen Flegel auch bemerkt, Mister Parker«, machte sich Lady Agatha vom Rücksitz aus bemerkbar. »Als Detektivin hat man für kriminelle Elemente einen unbestechlichen Blick.« »Was man unter keinen Umständen in Zweifel ziehen möchte«, entgegnete Parker höflich. »Darf man ansonsten die Frage stellen, wie Mylady mit den Herren zu verfahren wünschen?« »Eigentlich habe ich gar keine Zeit, mich mit subalternen Befehlsempfängern abzugeben«, machte die passionierte Detektivin deutlich. »Aber eine Lektion haben die Lümmel verdient. Lassen Sie sich was Hübsches einfallen, Mister Parker.« »Man dankt für den ehrenvollen Auftrag und wird sich befleißigen, Mylady unter keinen Umständen zu enttäuschen«, versprach der Butler. Mittlerweile hatte man die Verfolger, die einen vorsichtigen Sicherheitsabstand einhielten und sich offenbar immer noch unentdeckt wähnten, durch die halbe Stadt gelotst. Jeden Richtungswechsel hatten die Männer im Rover bereitwillig mitgemacht. Und ein Stück hinter der anthrazitfarbenen Limousine lag weiterhin Mike Randers dunkelblauer Austin.
»Unternehmen die feigen Subjekte eigentlich nichts, um mich anzugreifen, Mister Parker?« wollte die ältere Dame nach einer Weile ungeduldig wissen. »Auf den belebten Straßen der Innenstadt dürfte den Herren das Risiko zu groß erscheinen«, antwortete Parker. »Eine Gelegenheit zur klärenden Konfrontation dürfte sich jedoch kurzfristig ergeben.« Wenig später bog der Butler in Richtung Themse ab. Bald kamen halb verfallene Fabrikanlagen und längst nicht mehr genutzte Speicher in Sicht. Hier begegneten ihm nur selten Fahrzeuge. Und darauf hatten die unbekannten Verfolger wohl nur gewartet. Jetzt gaben sie Gas und schlossen dichter auf. Doch als der Roverpilot gerade zum Überholen ansetzen wollte, schlug der Butler das Lenkrad scharf nach rechts ein. Auf wimmernden Pneus kurvte das hochbeinige Monstrum in eine schmale, überdachte Fabrikeinfahrt, die vor einem rostigen, aber noch recht stabilen Eisentor endete. Die Verfolger hatten zwar einige Mühe, das unverhoffte Manöver nachzuvollziehen. Aber der Fahrer zeigte Geistesgegenwart und schaffte es. Die Gangster wähnten sich am Ziel ihrer Wünsche und grinsten siegessicher, als sie Parkers schwarzes Gefährt vor dem geschlossenen Tor 54
sahen. Doch gleich darauf stoppte dicht hinter ihrem Fahrzeug ein dunkelblauer Austin. * Beim Blick in den Rückspiegel registrierte der Butler, daß die eingekeilten Verfolger einen Moment zögerten. Doch dann sprangen sie mit gezückten Waffen aus dem Wagen. Einer von ihnen ging rasch auf den Austin zu, riß die Beifahrertür auf und zwang Kathy Porter mit vorgehaltener Pistole zum Aussteigen. Sein Komplice näherte sich dem ehemaligen Taxi und wollte entsprechend verfahren. Er konnte nicht ahnen, daß Parker bereits Vorkehrungen getroffen hatte, die sein feindseliges Vorhaben jämmerlich scheitern ließen. Mit zielsicherem Griff hatte der Butler einen der zahlreichen Kipphebel am Armaturenbrett umgelegt, deren Funktion nur ihm selbst bekannt war. Dadurch standen jetzt sämtliche Türgriffe des hochbeinigen Monstrums unter Strom. Der Gangster kreischte in den höchsten Tönen, als die elektrischen Wellen seinen Körper durchpulsten und die Muskulatur zu krampfartigen Kontraktionen zwangen. Vergeblich mühte er sich ab, die Finger der linken Hand zu spreizen, die sich um den Türgriff krallten. Verständlich, daß sein Geschrei
den zehn Schritte entfernt stehenden Komplicen alarmierte. Irritiert blickte der Mann herüber und… krümmte sich plötzlich stöhnend. Sein schallgedämpftes Mordinstrument landete auf dem Pflaster. Er selbst folgte hastig nach. Reaktionsschnell hatte Kathy Porter die kurze Unaufmerksamkeit ihres Bewachers genutzt, um einen geradezu schulmäßigen Handkantenschlag zu demonstrieren. Inzwischen heulte und zappelte der zweite Unterwelter unverändert weiter. Aber alle Verrenkungen halfen nichts. Erst als Parker den Strom abschaltete, verstummte das Gezeter und löste sich die verkrampfte Hand vom Türgriff. Schweißüberströmt sank der schätzungsweise Dreißigjährige in sich zusammen und suchte die Horizontale auf, um erst mal eine Verschnaufpause einzulegen. »Schon wieder haben Sie meine taktische Planung gestört, Mister Parker«, beklagte sich die Detektivin, als der Butler ihr mit einer höflichen Verbeugung aus dem Fahrzeug half. »Trösten Sie sich, Mylady«, meinte Rander, der inzwischen ebenfalls ausgestiegen war. »Meine Rolle war auch aufs Zuschauen beschränkt.« »Das ist ganz was anderes, mein lieber Junge«, mußte er sich umgehend belehren lassen. »Schließlich 55
bin ich die verantwortliche Einsatzleiterin.« »Aber Mister Parker hat doch richtig gehandelt, Mylady«, warf die attraktive Kathy ein. »Hauptsache, die Gangster sind überwältigt, ohne daß ein Schuß gefallen ist.« »Mit den grünen Lümmeln wäre ich auch allein fertig geworden, Kindchen«, entgegnete die majestätische Dame gereizt. »Aber Mister Parker! gönnt mir nicht das kleinste Vergnügen. Was bleibt mir denn jetzt noch?« »Mylady könnten die Herren nach ihrem Auftraggeber befragen«, schlug der Butler vor, während er das kampfmüde Duo mit den praktischen Einwegfesseln aus zähem Plastik versorgte. Das tat Mylady denn auch – mit der ihr eigenen Vehemenz. Mit angsterfüllten Blicken standen die reichlich benommenen Unterweltler der resoluten Dame Rede und Antwort. »A… Artie Perkins ist unser Chef«, gestand einer der beiden eilig, während der perlenbestickte Pompadour herausfordernd vor seiner Nasenspitze wippte. »Wir führen nur seine Befehle aus.« »Auch wenn es sich um Mord handelt?« meldete sich der Butler mit einer Zwischenfrage zu Wort. »Mord?« wiederholte der breitschultrige Gangster, als hätte er das Wort zum erstenmal gehört. »Wir
sollten Sie doch nur beschatten…« »Falls der Auftrag wirklich so lautete, was meine Wenigkeit nachhaltig bezweifeln muß, haben Sie mit dem soeben gescheiterten Angriff eindeutig gegen Mister Perkins Weisungen verstoßen«, hielt Parker ihm gelassen vor. »Genauer gesagt, hat Mister Perkins verlangt, daß wir Sie kapern und zu ihm bringen«, räumte der zweite Rover-Insasse ein. »Diese Mühe hätten Sie sich sparen können, weil ich ohnehin unterwegs war, um mir den Lümmel gründlich vorzuknöpfen«, ließ Lady Simpson ihn wissen. »Wo hält sich das feige Subjekt denn versteckt?« »Wahrscheinlich in seinem Haus in der Gill Street«, folgte nach kurzem Zögern die Antwort. »Ist das auch nicht geschwindelt?« wollte die stämmige Lady wissen. »Die Angabe stimmt mit den Informationen überein, die der ehrenwerte Mister Pickett zu übermitteln geruhte«, ließ der Butler verlauten. »Ist man übrigens recht unterrichtet, daß sich im Erdgeschoß des fraglichen Gebäudes eine Gastwirtschaft befindet?« »Ja, die ›Blinde Eule‹«, bestätigte einer der Ganoven. »Dann fahre ich jetzt weiter und zwinge das skrupellose Subjekt mit einem Überraschungsangriff in die Knie«, kündigte Lady Agatha an. »Aber was mache ich mit diesen 56
erbärmlichen Flegeln? Die kann ich doch weder mitnehmen noch frei herumlaufen lassen.« »Wir könnten die Burschen bei der Polizei abliefern und dann nachkommen«, bot Rander an. »Keine schlechte Idee. Aber verraten Sie nicht den Uniformierten meinen nächsten Einsatzort, Mike!« bat Mylady sich aus und drohte dem Anwalt – halb scherzhaft – mit dem Finger. »Bei der komplizierten Aufgabe, die auf mich wartet, kann ich keine unqualifizierten Störer gebrauchen.« »Keine Silbe wird über meine Lippen kommen«, schwor Rander. »Ehrenwort, Mylady«, setzte seine hübsche Begleiterin hinzu. Zwei Minuten später waren die handlich verschnürten Unterweltler im geräumigen Kofferraum ihrer Limousine verstaut, und der Anwalt nahm auf dem Fahrersitz Platz. Kathy Porter, jetzt am Steuer des dunkelblauen Austin, setzte bis zur Straße zurück, so daß die beiden anderen Fahrzeuge aus der Einfahrt herauskonnten. Dann trennte sich ihre Wege. Ränder nahm Kurs auf die nächste Polizeiwache, wobei die attraktive Kathy Porter in kurzem Abstand folgte. Parker bog wenig später in östlicher Richtung ab und lenkte sein altertümliches Gefährt über die breite Commercial Road in Richtung Limehouse.
* � Artie Perkins »Blinde Eule« entpuppte sich als eine jener Kneipen, um die jeder Londoner, der etwas auf sich hält, einen weiten Bogen macht. Tagsüber war das Lokal eigentlich geschlossen, aber die Tür stand halb offen, so daß der Butler einen kurzen Blick ins Innere werfen konnte, bevor er seiner gewichtigen Herrin mit einer angedeuteten Verbeugung den Vortritt ließ. Überall standen Stühle auf den Tischen. Eine hagere Frau um die Sechzig schwang Schrubber und Putzlappen und mühte sich redlich, die Spuren einer langen Nacht zu beseitigen. »Man erlaubt sich, einen möglichst angenehmen Tag zu wünschen«, sprach Parker die Bodenpflegerin an und lüftete höflich den schwarzen Bowler. »Geht Mylady unter Umständen recht in der Annahme, daß Mister Perkins persönlich anwesend ist?« »Ja. Aber jetzt können Sie ihn nicht stören«, entgegnete die Frau, die trotz ihres schmalen Körperbaus einen resoluten Eindruck machte. »Was treibt der Lümmel denn?« wollte die passionierte Detektivin wissen und taxierte mit schnellem Blick das Getränkeangebot im Regal hinter der Theke. »Er schläft«, verriet die Putzfrau 57
im Flüsterton. »Hat wieder die ganze Nacht gearbeitet. Ist halt ein vielbeschäftigter Mann, dieser Mister Perkins.« »Bald wird er mehr Zeit haben, als ihm lieb ist«, prophezeite Agatha Simpson. »Wecken Sie das lichtscheue Subjekt, Mister Parker.« »Myladys Wünsche sind meiner Wenigkeit Befehl«, versicherte der Butler und wollte gemessen und würdevoll die Tür ansteuern, die offensichtlich ins Treppenhaus führte. Doch damit forderte er den offenen Widerstand der beherzten Raumpflegerin heraus. »Nein!« schrie sie gellend. »Halt!« Gleichzeitig baute sie sich breitbeinig vor Parker auf, den Schrubber fest in der Hand. »Aus dem Weg!« herrschte Mylady ihre Geschlechtsgenossin an. »Sonst bekommen Sie es mit mir zu tun.« Doch die Furchtlose wankte nicht. Sie zeigte sich fest entschlossen, die verspätete Nachtruhe ihres Brötchengebers mit allen Mitteln zu verteidigen, die ihr zu Gebote standen. Und wenn dabei der Schrubber zu Bruch ging. Empört schnappte Agatha Simpson nach Luft, schritt wütend auf die hartnäckige Widersacherin zu und… blieb wie angewurzelt stehen. Die Tür zum Treppenhaus hatte sich geöffnet. Auf der Schwelle standen zwei finstere Gestalten in abge-
schabten Jeansanzügen. Die automatischen Waffen, die sie im Anschlag hielten, waren mit Schalldämpfern neuester Bauart ausgerüstet. »Was mischen Sie sich da ein?« monierte die resolute Dame, nachdem sie den ersten Schrecken verdaut hatte. »Stecken Sie die häßlichen Dinger weg! Der Anblick macht mich nervös.« »Verständlich, Madam«, grinste einer der Jeansträger, der sich durch einen schwarzen Vollbart und goldblitzende Beißwerkzeuge auszeichnete. »Aber jetzt erst mal die Pfoten hoch! Und keine Bewegung! Sonst knallt’s!« »Raus mit der Sprache! Was wollt ihr hier?« fragte der andere, sobald das Duo aus Shepherd’s Market widerstrebend die Hände gehoben und die bislang so beherzte Putzfrau erbleichend das Weite gesucht hatte. »Das werde ich einem ungehobelten Flegel gerade auf die Nase binden«, gab die ältere Dame bissig zurück. »Und jetzt führen Sie mich endlich zu Ihrem Chef. Ich habe dem Schurken ein paar äußerst unangenehme Fragen zu stellen.« »Moment mal. Seid ihr nicht das verrückte Pärchen, das den Boß schon fast zur Raserei gebracht hat?« dämmerte es plötzlich dem Bärtigen. »Sofern die Herren damit andeuten möchten, daß Mylady Mister Perkins einige empfindliche Nieder58
lagen zufügen konnte, sieht man keinerlei Veranlassung, Ihrer Äußerung zu widersprechen«, bestätigte Parker. »Allerdings kommt meine Wenigkeit nicht umhin, Ihre Ausdrucksweise in aller Form mißbilligen.« »Da wird Perkins uns aber bestimmt ‘ne Extraprämie zahlen«, frohlockte der Gangster und entblößte seine Edelmetallvorräte zu einem selbstzufriedenen Grinsen. »Ich geh’ gleich rauf und wecke ihn. Paß du auf die beiden auf, Hank.« Mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und stöhnte herzzerreißend. Mike Rander war es, der ihn mit einem präzise plazierten rechten Haken zu Boden schickte. Da wurde auch die hübsche Kathy sichtbar. Mit der Fußspitze kickte sie dem zweiten, völlig verdadderten Bodyguard die Waffe aus der Hand. Den Rest besorgte der Butler, der unverzüglich den bleigefüllten Bambusgriff seines schwarzen UniversalRegenschirms sprechen ließ. »Als wir ankamen, sahen wir gerade die Putzfrau aus dem Haus spurten«, berichtete der Anwalt gleich darauf. »Was wir von draußen an Gesprächsfetzen mitbekamen, signalisierte dicke Luft. Deshalb sind wir gleich über den Hof und durch den Hintereingang ins Haus.« »Ein Vorgehen, das sich als äußerst hilfreich erwiesen hat, Sir«, äußerte
sich Parker. »In diesem Falle ist es meiner Wenigkeit eine Freude, Miß Porter und Ihnen für den mutigen Einsatz zu danken.« »Nun, ich hätte es den Flegeln schon gezeigt«, meinte Lady Agatha trotzig. »Früher oder später…« »Was niemand ernsthaft bezweifeln würde, Mylady«, unterstrich der Butler und wandte sich den verhalten schnarchenden Leibwächtern zu. Augenblicke später hatte er sie mit Randers Unterstützung gefesselt und in einer Toilette eingeschlossen. Die Tür zur Straße wurde verriegelt, dann nahm das siegreiche Quartett die knarrende Holzstiege zum Obergeschoß in Angriff. * Daß der Lärm in seiner Kneipe den Hausherrn nicht geweckt hatte, war verständlich. Das Zimmer, in dem er am hellen Tag seinen Rausch ausschlief, lag in einem Seitenflügel des Gebäudes und war nur über verwinkelte Flure zu erreichen. Außerdem schnarchte Perkins, daß sich die Balken bogen. Ausnahmsweise verzichtete der sonst so diskrete Butler aufs Anklopfen, bevor er die Tür öffnete. Ein Dunst von Schweiß und Alkohol schlug ihm entgegen. Mylady hielt sich demonstrativ die Nase zu, als sie den Raum betrat. Kathy Porter und Mike Rander hat59
ten Glück. Sie durften draußen bleiben und hatten die Aufgabe, etwaige Störer fernzuhalten. Der Schlafende ließ sich nicht stören und sägte munter weiter, während der Butler die Vorhänge aufzog und das Fenster öffnete, um frische Luft hereinzulassen. Erst als sich Parker, seitlich neben dem Bett stehend, vernehmlich räusperte, schlug der Mann kurz die Augen auf, um sie sofort wieder zu schließen. »Aufwachen, junger Mann!« herrschte die Detektivin den etwa Fünfzigjährigen an. »Es wird Zeit, daß Sie Ihre Untaten bekennen.« Blinzelnd versuchte Perkins, sich ein Bild von der unerfreulichen Situation zu machen, in die er so unvermittelt geraten war. Im Zeitlupentempo richtete er den Oberkörper auf und setzte die Füße auf den Boden. Doch dann drückte er sich plötzlich mit aller Kraft von der Bettkante ab. Offensichtlich trachtete er danach, seinen mit grauen Borsten bewachsenen Schädel dem Butler in den Magen zu rammen. Allerdings hatte der Gangster nicht mit Parkers blitzschneller Reaktion gerechnet. Verblüfft schoß er an seinem Ziel, das sich im letzten Moment mit der Eleganz eines spanischen Matadors zur Seite bewegte, vorbei und nahm dafür den Fernseher auf die Hörner, der zwei Schritte weiter auf einem Tisch stand. Zum Glück erlitt die
Bildröhre keinen Schaden, aber Perkins sah nur noch Sterne und büßte seinen Kampfgeist gründlich ein. »Unter diesen Umständen wäre nur noch die Frage zu klären, wer Ihnen den Auftrag erteilte, Mylady und meiner Wenigkeit das Lebenslicht auszublasen, falls man diesen bildhaften Ausdruck benutzen darf, Mister Perkins«, stellte der Butler einige Zeit später fest. Der Hausherr saß in einem verschlissenen Sessel, die Hände auf dem Rücken gefesselt, und hatte schon munter ausgepackt. Allerdings war seine anfangs zögernde Gesprächsbereitschaft merklich gewachsen, nachdem Mylady eine ihrer bewährten Hutnadeln gezückt hatte. »Aber das liegt doch auf der Hand«, unterbrach die majestätische Dame jetzt, bevor der Gangster sich zu einer Antwort durchringen konnte. »Wie hieß noch der Lümmel mit dem Fitneßstudio, Mister Parker?« »Vermutet man möglicherweise recht, daß Mylady von Mister Frazer zu sprechen geruhen, der einen sogenannten Massagesalon in Stepney sein eigen nennt?« ahnte Parker gleich, wen seine Herrin meinte. »Richtig, Laser«, nickte Lady Simpson. »Der Name lag mir auf der Zunge, Mister Parker.« Inzwischen hatte der Butler den gefesselten Gangsterboß nicht aus 60
den Augen gelassen. In seinem Mienenspiel deutete nichts darauf hin, daß er Greg Frazer tatsächlich kannte. Aber natürlich griff er die Vorlage, die Mylady ihm geliefert hatte, bereitwillig auf. »Genau. Laser heißt der Typ«, bestätigte Perkins. »Ich kenne ihn zwar nur flüchtig. Aber gestern Abend war er hier in der Kneipe.« Gerade wollte Parker sein Gegenüber darauf aufmerksam machen, daß er angebliche Auftraggeber den vergangenen Abend in gänzlich anderer Umgebung verbracht hatte, als auf dem Flur ein dumpfes Klatschen hörbar wurde. Stöhnen und Poltern folgte. Gleich darauf schleiften Mike Rander und Kathy Porter einen modisch gekleideten jungen Mann ins Zimmer, der momentan einen etwas angeschlagenen Eindruck machte. Der Butler erkannte ihn sofort: Es war Phil Maxwell, der seinem Arbeitgeber Terry Hodges alias Marc Ronson als Wolf im Schafspelz diente und am Vortag nur durch einen Sprung aus dem Fenster seiner Festnahme entgangen war. »Man ist erfreut, Sie zu sehen, Mister Maxwell«, ließ Parker in seiner höflichen Art verlauten. »Ganz meinerseits«, gab der Mann zähneknirschend zurück. »Hier ist noch die Tasche, die er
bei sich hatte«, meldete Kathy Porter und reichte dem Butler das schwarzlederne Behältnis. Es enthielt – neben persönlichen Utensilien – zehntausend Pfund in bar. »Geht man recht in der Annahme, daß Sie diese Summe Mister Perkins als Gegenleistung für seine Dienste übergeben wollten, Mister Maxwell?« erkundigte sich Parker. Der junge Mann zögerte und sah hilfesuchend zu Perkins hinüber. Doch als der nicht die geringste Reaktion zeigte, nickte er. »Darf man weiterhin um Auskunft bitten, von wem Sie das Geld erhielten, Mister Maxwell?« schob der Butler gleich die nächste Frage nach. »Von Beaton, Glen Beaton«, meldete sich der Hausherr zu Wort, als Maiwell angsterfüllt schwieg und nur den Kopf schüttelte. »Was soll die Geheimniskrämerei! Das Spiel ist sowieso aus.« »Mylady wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mitteilen würden, wer Mister Glen Beaton ist, Mister Perkins«, hakte Parker interessiert nach. »Vielleicht haben Sie schon mal von einem Mann gehört, den man ›Mister Tarzan‹ nennt«, schickte der Killervermieter voraus. »Er hat mich angerufen. Wir kennen uns schon länger.« »Mister Tarzan?« wiederholte die Detektivin nachdenklich. »Hatte ich mit dem Burschen nicht schon zu tun, Mister Parker?« 61
»Mylady dürften sich daran erinnern, daß ›Mister Tarzan‹ im Verdacht steht, die Londoner Unterwelt mit Tieren zu versorgen, die sich dazu eignen, allzu unbequeme Mitmenschen auf heimtückische Weise ins sogenannte Jenseits zu befördern«, setzte der Butler sie ins Bild. »Im Grund ist Beaton ein Verrückter. In seinem riesigen Gewächshaus schwingt er sich von Liane zu Liane und jodelt wie ein Johnny Weißmüller«, wußte Perkins zu berichten. er macht glänzende »Aber Geschäfte.« »Damit ist es jetzt vorbei, junger Mann«, verkündete die resolute Dame mit stolzgeschwellter Brust. »Lassen Sie sich die Anschrift des Schurken geben, Mister Parker. Ich habe keine Zeit zu verlieren.« Wenige Minuten später waren Parker und die unermüdliche Lady unterwegs nach West Kensington. Dort, an der noblen Charleville Road, bewohnte Glen Beaton, alias »Mister Tarzan« angeblich eine geräumige Villa mit gepflegtem Park, an die sich ein pompöses Gewächshaus aus viktorianischer Zeit anschloß. Mike Rander und Kathy Porter waren in Perkins’ Haus zurückgeblieben und hatten es übernommen, Scotland Yard auf telefonischem Weg die nächsten Delinquenten zu avisieren. Immerhin handelte es sich um vier mehr oder weniger gestan-
dene und stämmige Mannsbilder: Artie Perkins selbst, seine beiden Leibwächter, die schon länger hinter einer Tür mit dem Schild. »Besetzt« ausharrten, und der blonde Phil Maxwell. Er hatte zuletzt noch zugegeben, für »Mister Tarzan« als Vermittler auf Provisionsbasis tätig gewesen zu sein und diesen auch alarmiert zu haben, als es seinem Kunden Greg Frazer an den Kragen ging. »Bin ich denn immer noch nicht da, Mister Parker?« quengelte die gewichtige Dame wie ein kleines Mädchen, als der Butler gerade auf verhalten wimmernden Pneus in die Charleville Road einbog. »Mylady erreichen soeben den Zielort«, konnte Parker melden und hielt nach dem Haus mit der Nummer 28 Ausschau. »Das wird auch höchste Zeit«, seufzte Agatha Simpson. »Nach der langen Autofahrt brauche ich dringend ein bißchen Bewegung, Mister Parker.« »Die Gelegenheit dazu dürfte sich kurzfristig ergeben, falls meine Wenigkeit nicht völlig irrt«, meldete der Butler, während er schwungvoll in die Einfahrt kurvte und sein altertümliches Gefährt auf knirschendem Kies zum Stehen brachte. Mißtrauisch äugten die kräftig gebauten Gärtnerburschen, die mit motorisierten Heckenscheren am ohnehin gepflegten Aussehen des 62
Parks polierten, herüber. Während Parker seiner Herrin behutsam aus dem Fahrzeug half, stellten beide ihre Tätigkeit ein und kamen mit großen Schritten näher. Daß sie ihre knatternden Werkzeuge mitbrachten, schien nicht gerade für friedfertige Absichten zu sprechen. »Ich werde die Lümmel erst gar nicht herankommen lassen, Mister Parker«, entschied die ältere Dame. »Ich sehe ja, daß Sie Angst vor den Sägen haben.« Gleichzeitig ließ sie den wohlgefüllten Pompadour wie den Rotor eines Helikopters über ihrem Kopf kreisen. Diesmal hatte sie die ledernen Halteschnüre allerdings nicht um das Handgelenk gewickelt, sondern hielt die Enden fest in der Faust. Augenblicke später ließ Mylady los und… erzielte das, was sie später als pure Selbstverständlichkeit hinstellte; einen Volltreffer. Der Butler war möglicherweise eher der Ansicht, daß Fortuna ihre Hand im Spiel hatte. Aber höflich wie er war, behielt er derlei Mutmaßungen konsequent für sich. Wie ein gefällter Baum kippte der getroffene Gärtner hintenüber, als Lady Agathas lederner Handbeutel an seine Stirn klatschte. Die Heckenschere entglitt seiner Hand und blieb im Rasen stecken. Der zweite Mann stutzte zwar und hielt einen Moment inne, aber dann
wandte er den Blick von seinem wie leblos wirkenden Kollegen und setzte unbeirrt den Vormarsch fort. »Ach, könnten Sie mir nicht bitte meinen Pompadour holen, Mister Parker?« bat die ältere Dame und wich Schritt für Schritt vor der näher rückenden Heckenschere zurück. »Sofort, Mylady«, antwortete Parker. Doch bevor er der Bitte tatsächlich nachkam, griff er blitzschnell nach seinem schwarzen Bowler und schickte ihn wie eine Frisbeescheibe dem Angreifer entgegen. Der wollte sich zwar noch wegducken, als er den halbkugelförmigen Flugkörper auf sich zugleiten sah. Seine Reaktion kam aber um Sekundenbruchteile zu spät. Der unfreundliche Gartenpfleger konnte nicht mehr verhindern, daß die geschliffene Krempe des Bowlers ihm eine Schneise durch die Frisur fräste, die jedem Punker zur Ehre gereicht hätte. Mit Tränen in den Augen verlor er die Orientierung und warf das gefährliche Werkzeug in weitem Bogen von sich. Anschließend taumelte er wimmernd auf Lady Simpson zu, die ihm mit einer schallenden Ohrfeige empfing. Völlig entnervt nahm der Mann in einem Rosenbeet Platz und machte es sich zwischen dornigen Blumen zu einem Nickerchen bequem. Kurze Zeit später hatte Parker das Duo in einem Abfallcontainer ver63
staut, der zur Hälfte mit trockenem Laub gefüllt war. Eine reichlich bemessene Dosis betäubenden Nebels aus der kleinen Sprühdose sorgte dafür, daß die Männer sich nicht vorzeitig von ihrer weichen Ruhestatt erhoben. Während der Butler sich anschickte, seine von Tatendrang beseelte Herrin zum Eingang der repräsentativen Villa zu geleiten, drang unvermittelt ein Schrei an seine Ohren, ein langgezogener, aufund abschwellender Laut, der eine entfernte Verwandtschaft mit alpenländischem Jodeln nicht ganz verleugnen konnte. »Haben Sie das gehört, Mister Parker?« vergewisserte sich Mylady und beschleunigte ihre Schritte. »Ich muß sofort eingreifen. Da wird jemand gefoltert.« »Andererseits dürfte die Annahme in Betracht kommen, daß es sich um die sorgfältig einstudierten Urwaldschreie eines gewissen Mister Tarzan handelt«, gab Parker mit todernster Miene zu bedenken und öffnete mit einer höflichen Verbeugung die massive Eichentür. * Die weitläufige Vorhalle war mit allem ausgestattet, was dazu diente, die Wohlhabenheit ihres Besitzers in augenfälliger Weise zu dokumentieren von dem eindrucksvollen Kron-
leuchter über die Jagdtrophäen an den Wänden bis zu den kostbaren Teppichen, die den Boden bedeckten. Das Gebäude schien menschenleer zu sein. Aber jetzt waren wieder die langgestreckten Schreie zu hören… Zielstrebig folgte das skurrile Paar dem akustischen Wegweiser, durchmaß einen langen, mit Marmor verkleideten Flur und stand schließlich vor einer imposanten, zweiflügeligen Glastür. Dahinter wucherten Palmen, Bananenstauden und andere tropische Gewächse in üppiger Pracht. Ein grellbunter Papagei flog kreischend auf, als er die unangemeldeten Besucher entdeckte. »Wahrscheinlich hält sich der Lümmel irgendwo in den Büschen versteckt, Mister Parker«, argwöhnte die Detektivin. In der Tat: Die kehligen Urwaldlaute, die man vorher nur als fernen Widerhall wahrgenommen hatte, waren jetzt überdeutlich zu hören. Langsam drückte der Butler einen der gläsernen Türflügel auf und ließ der majestätischen Dame mit einer Verbeugung den Vortritt. Schwüle, stickige Luft schlug den Besuchern entgegen. Auf einem schmalen, mit Steinplatten belegten Weg drangen Parker und Lady Agatha ins Innere des Gewächshauses vor. Die füllige Detektivin wirkte energisch, obwohl 64
ihr schon nach wenigen Schritten der Schweiß von der Stirn rann. Doch plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen. In der Astgabel eines Baumes, der schräg über den Urwaldpfad ragte, lag zusammengeringelt eine ausgewachsene Riesenschlange. »Ist… ist die giftig, Mister Parker?« wollte Agatha Simpson mit unüberhörbar zitternder Stimme wissen. »Nach der unmaßgeblichen Meinung meiner bescheidenen Wenigkeit dürfte es sich um eine Anakonda handeln, die ihre Opfer in Ermangelung von Giftzähnen erwürgt«, teilte Parker sachlich mit. Im Moment machte das Reptil allerdings einen ausgesprochen satten und friedlichen Eindruck. Deshalb schoben sich die Eindringlinge langsam weiter, wobei der Butler die kleine, vielfach bewährte Spraydose einsatzbereit in der Hand hielt. Sekunden später öffnete sich das Dickicht. In der Mitte der verglasten Halle war eine Lichtung angelegt. Mächtige Bäume mit lederartig glänzenden Blättern rahmten einen kleinen Teich. Und jetzt entdeckte der Butler auch den Hausherrn, der hier sein nicht alltägliches Steckenpferd ritt. Glen Beaton, ein Mann von athletischer Figur, saß hoch oben in einer Astgabel, hatte eine Jodelpause eingelegt und ließ die Beine baumeln. Mit stummer Geste machte Parker
seine Herrin auf die nur mit einem Leopardenfell bekleidete Gestalt aufmerksam. »Mister Tarzan« schien die Ankömmlinge noch nicht bemerkt zu haben, aber jetzt stimmte das Schimpansenweibchen, das sich in seiner Nähe von Ast zu Ast hangelte, ein ohrenbetäubendes Gezeter an. »Kommen Sie gefälligst runter, junger Mann!« ließ Agatha Simpson ihr baritonal gefärbtes Organ erschallen und trat hinter dem Busch hervor, der ihr bislang Deckung gewährt hatte. »Ich habe mit Ihnen zu reden.« Glen Beaton, der eigentlich kein junger Mann mehr war, sondern stramm auf die Fünfzig zuging, wie die graue Farbe seiner schulterlangen Haare signalisierte, dachte jedoch nicht daran, ihr diesen Gefallen zu tun. In echter Tarzanmanier griff er nach einer Liane und segelte zur Krone des benachbarten Baumes hinüber. Dort ließ er sich mit katzenhafter Gewandtheit zwei Astgabeln tiefer gleiten und hatte plötzlich ein Blasrohr in der Hand, wie es die Indianer im brasilianischen Regenwald zur Jagd und auf dem Kriegspfad verwenden. Schnelles Handeln war gefragt. Denn daß der Vogelspinnen-Importeur keine Kirschkerne verschoß, sondern über das gefürchtete Pfeilgift Curare verfügte, stand fast außer Frage. Jedenfalls schien er sofort zu 65
wissen, wen er vor sich hatte und was dieser Besuch bedeutete. Butler Parker indes hielt seine stählerne Gabelschleuder in der Hand, lud die lederne Schlaufe mit einer hartgebrannten Tonerbse und strammte die extrastarken Gummistränge. Während »Mister Tarzan« noch nach einer Stütze für sein etwas unhandliches Kampfgerät suchte, schwirrte die zierliche Kugel davon. Sekundenbruchteile später tippte sie keck an Beatons rechte Hand, die gerade das Blasrohr auf Lady Simpson ausrichtete. Jaulend spreizte der Mann im Leopardenfell die Finger und entwaffnete sich dadurch selbst. Klatschend landete das todbringende Rohr im Teich. Und schon war die zweite Tonerbse unterwegs. Sie suchte sich Beatons Nasenwurzel als Landeplatz aus und entlockte dem Mann Laute, die an einen liebeskranken Wolf in der Taiga erinnerten. Tränen füllten die Augen des Urwaldmenschen. Aber noch gab »Mister Tarzan« nicht auf. Ruckartig riß er seinen Dolch aus dem Gürtel und klemmte ihn zwischen die Zähne. Anschließend packte er die nächste Liane und schwebte genau auf Parker zu. Doch sein schwarz gewandeter Widersacher war auf der Hut. Geistesgegenwärtig benutzte der Butler die bleigefüllte Spitze seines schwar-
zen Universal-Regenschirms, um dem heranschwingenden Angreifer gründlich den Solarplexus zu massieren. Keuchend schnappte »Mister Tarzan« nach Luft, wobei ihm natürlich der Dolch abhandenkam. Verzweifelt klammerte er sich an die Liane, die wieder zurückschwang. Aber seine Kräfte reichten nicht mehr, um den rettenden Baum jenseits des Teiches zu erreichen. Schreiend klatschte der Gangster ins Wasser. »Das war aber höchste Zeit, Mister Parker«, stellte Lady Agatha schnaufend fest, während der Butler den verhalten widerstrebenden nur Hausherrn zu einem handlichen Paket verschnürte. »Dieses Klima schlägt mir auf den Kreislauf.« »Was keineswegs und mitnichten verwundern dürfte, Mylady«, erwiderte Parker und lud sich den Mann im Leopardenfell auf die Schulter. * Zwei Tage später hatte sich in Agatha Simpsons Wohnhalle eine muntere Runde zum Tee eingefunden. Außer der Hausherrin saßen Kathy Porter, Mike Rander, Horace Pickett und Chief-Superintendent McWarden am Tisch. Der Butler servierte klassischen Früchtekuchen und schenkte duftenden Assamtee ein. »Sie haben uns mal wieder unschätzbare Dienste erwiesen, 66
Mylady«, unterstrich McWarden, der aus dem Strahlen nicht herauskam. »Natürlich haben wir sofort nach Mister Parkers Anruf auch Terry Hodges verhaftet.« »Ach, ja. Der stand eigentlich auch noch auf meiner Liste«, erinnerte sich die ältere Dame. »Aber ein bißchen Arbeit wollte ich Ihnen noch lassen, mein lieber McWarden.« »Der Junge wird jetzt bald vor Gericht kommen und dann für etliche Jahre hinter Gitter wandern«, kündigte der Yard-Beamte an. »Aus der Traum vom bürgerlichen Leben im hübschen, kleinen Hotel.« »Und was ist mit ›Mister Tarzan‹, mit Glen Beaton?« erkundigte sich Kathy Porter. »Die Ermittlungen, die die Festnahme dieses Mannes ausgelöst hat, werden uns noch Monate beschäftigen, Miß Porter«, antwortete der Chief-Superintendent. »Aber wenigstens haben wir inzwischen das Geheimnis seiner Identität lüften können.« »Das hört sich spannend an«, urteilte Mike Rander. »Nun, ja. Glen Beaton hat als junger Mann – damals war er noch Anfang zwanzig – einen aufsehenerregenden Raubmord begangen«, wußte McWarden zu berichten. »Allerdings konnte er mit der Beute untertauchen und sich nach Lateinamerika absetzen.« »Daher seine Vorliebe für Vogel-
spinnen«, warf der Anwalt schmunzelnd ein. »In der Tat, Mister Rander«, bestätigte der Yard-Gewaltige. »Beaton hat über zwanzig Jahre dort gelebt und sich eine lukrative Existenz aufgebaut. Als der Raubmord dann verjährt war, kehrte er als freier und wohlhabender Mann nach London zurück.« »Da hätte er sich ja eigentlich zur Ruhe setzen können«, meinte Horace Pickett. »Dafür war Beaton viel zu ehrgeizig. Er wollte immer mehr, wollte im Kreis seiner attraktiven Freundinnen nicht nur mit Körperkräften, sondern auch durch Reichtum und Luxus glänzen«, entgegnete der Chief-Superintendent. »Und dazu nutzte er die Verbindungen, die er während seines langen Aufenthalts in Brasilien und anderen Ländern Amerikas aufgebaut hatte.« »Sie meinen: Er hatte Geschäftsfreunde drüben, die ihm Spinnen, Schlangen und andere niedliche Tierchen lieferten?« vergewisserte sich Rander. »Das war für Beaton nicht viel mehr als ein Nebenerwerb«, teilte McWarden mit. »Bei der Durchsuchung seines Anwesens fanden wir im Keller unter dem Gewächshaus zentnerweise Kokain.« »Wollen Sie etwa behaupten, Sie hätten das Kokain entdeckt?« meldete sich die Hausherrin entrüstet zu 67
Wort. »Ich habe Ihre Leute doch extra darauf aufmerksam gemacht, mein Bester.« »Das ist das erste, was ich höre, Mylady«, versicherte der YardBeamte. »Mir war natürlich von Anfang an klar, daß ›Mister Tarzan‹ seinen aufwendigen Lebensstil nicht durch den Verkauf von ein paar Spinnenvögeln finanzieren konnte«, behauptete die ehrgeizige Detektivin. »Den größten Profit hat er mit Sicherheit aus dem Kokainhandel gezogen, wobei Frazer und Perkins seine wichtigsten Abnehmer und Verteiler waren«, bestätigte McWarden. »Aber beim Strafmaß, das ihn erwartet, schlägt der Verkauf von Giftschlangen und exotischen Raubkatzen wesentlich höher zu Buch. Schon jetzt können wir ihm Beihilfe zum Mord oder versuchten Mord in Dutzenden Fällen nachweisen.« »Da sehen Sie’s mal, Mister McWarden«, kommentierte Lady Simpson mit stolzgeschwellter Brust. »Eine Kriminalistin gibt sich nicht mit dem Fußvolk ab. Wenn ich meine Talente einsetze, müssen die Drahtzieher des Verbrechens dran glauben, denen ein schwerfälliger Apparat wie Scotland Yard nicht gewachsen ist.«
»Da haben Sie im Grund manchmal recht, Mylady«, tat der ChiefSuperintendent alles, um seiner freiberuflichen Konkurrentin die Laune nicht zu verderben. »Und deshalb sollten wir jetzt anstoßen.« Die Gläser klangen. Die Stimmung wurde immer gelöster, bis der YardBeamte unvermittelt auf den chinesischen Seidenteppich aufmerksam wurde, der vor der Anrichte lag. »Ist der etwa neu, Mylady?« wollte er wissen. »Ja«, bestätigte die majestätische Dame nach kurzem Zögern. »Ein hübsches Stück, nicht wahr?« »Der muß ein Vermögen gekostet haben«, stellte McWarden mit sachkundigem Blick fest. »Dabei habe Sie mir doch erst neulich erzählt, da Sie aus wirtschaftlichen Gründen die antike Bodenvase verkauft mußten.« »Na und? Ich habe die Vase versteigern lassen, um mir diesen Teppich leisten zu können«, entgegnete Lady Agatha ebenso geschickt wie ungeniert. »Stimmt es nicht, Mister Parker?« »Nie würde sich meine Wenigkeit erkühnen, Mylady in dieser oder anderen Hinsicht zu widersprechen«, versicherte der Butler mit unbewegter Miene und verneigte sich höflich.
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