PARKER kocht den Filmboß ab
Roman von Max Marek
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PARKER kocht den Filmboß ab
Roman von Max Marek
»Dieses Benehmen einer Lady gegenüber entspricht nicht der feinen englischen Art«, bemerkte Josuah Parker und deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes durchs geöffnete Fenster auf die Fahrbahn. Mike Rander, der sich nach dem Du schen gerade wieder angezogen hatte, hielt im Umbinden seiner Krawatte inne und beugte sich hinaus. Der Anwalt versuchte mit seinem Blick der Richtung zu folgen, in die Parkers Schirm wies. Was sich am hellen Tag auf der Straße ereignete, weckte mehr als nur beiläufiges Interesse. Auf der anderen Seite der Fahrbahn parkte ein schwarzer, ele ganter Bentley. In diesen Wagen zerrten zwei Männer eine attrak tive Blondine, die sich verzweifelt gegen dieses erzwungene Einsteigen wehrte. »Parker, wir müssen was tun«, rief Rander. »Haben wir keine Waffe, um diesem Karren die Reifen zu entlüf ten, damit wir ihn aufhalten? Wir müssen sofort die Polizei ru fen.« »Sir, mit Verlaub zu sagen, gibt es zu Punkt eins Ihrer Einwen dung das Problem, daß wir gegenwärtig über keine Waffe verfü gen, und zu Punkt zwei erweist sich als weitere Schwierigkeit, daß meine Wenigkeit mit außerordentlichem Bedauern bereits vor Minuten festgestellt hat, über ein funktionierendes Telefon nicht verfügen zu können. Es ist leider gestört, Sir.« Randers Stöhnen wehte an Parkers Ohren vorbei. Unten fuhr inzwischen der Bent ley ziemlich schnell davon. Die Hauptpersonen: Mister Fabian: Er ist der Filmboß mit dem direkten Draht zur Unterwelt. Mister Finch: Rechte Hand Fabians und »Hirn« des mächtigs ten Gangsters in London. Sheila: Die reizende Tochter Lady Annabells und Lord Winstons gerät in Fabians Krallen. Buddy Wolfe: Äußerlich ein Grizzlybär, sonst aber Parker treu ergeben. Josuah Parker, Agatha Simpson, Mike Rander und Kathy Porter: Das interessante Detektiv-Quartett macht wieder Schlag zeilen.
Rander griff trotzdem zum Telefon; aber die Leitung war tot. Dann stürmte er zur Tür. »Ich werde woanders telefonieren. Ich habe mir das Kennzei chen gemerkt, Parker.« Er hatte die Tür schon halb geöffnet, da sagte der Butler in seiner unnachahmlichen Ruhe und Gelassen heit: »Das ist nicht erforderlich, Sir, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Abgesehen davon, daß meine Wenigkeit auch das Kennzeichen registriert hat, bin ich vermessen genug, mit Verlaub sagen zu dürfen, daß mir der Besitzer des Wagens und die junge Lady durchaus bekannt sind.« Mike Rander zog die Tür wieder zu, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und blickte Parker perplex an. »Sie kennen…« Der Butler nickte. »Die von der Natur mit außerordentlicher Att raktivität beschenkte junge Dame ist Miß Sheila, die Tochter von Lady Agathas Freundin Lady Annabell und ihrem Gatten, dem, Lord Winston. Und bei dem Besitzer des Bentley handelt es sich um einen Mister Fabian, der Filme produziert mit – ich bin ver messen genug, das zu sagen – höchst unterschiedlichem Erfolg.« »Mann, Parker, aber wir müssen doch was tun.« Der Butler wirkte unbeeindruckt. »Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Sir, kann ich dem nur zustimmen. Ich habe mir indessen die Freiheit genommen, bereits diesbezügliche Überle gungen anzustellen.« Rander holte tief Atem, wie er es immer tat, wenn er rasche Antworten erwartete. »Und was für Überlegungen sind das?« fragte er in unverhüllter Ungeduld. »Dieser Mister Fabian hat im Fond des Wagens gesessen. Er ist kein – verzeihen Sie, Sir, daß ich es aussprechen muß – seriöser Filmproduzent. Er dreht sogenannte Pornofilme, Sir. Wenn ich nicht fehl in der Annahme gehe, wird Mister Fabian in absehbarer Zeit wieder in seine Villa in Westend zurückkehren. Mein Vor schlag würde also in diese Richtung gehen, Sir.« »Donnerwetter, Parker, nun wollen wir aber endlich zu Stuhle kommen. Nehmen wir Ihren Wagen oder meinen?« »Meinen, wenn ich gütigst vorschlagen dürfte.« »Sie dürfen. Beeilen wir uns.« Minuten später waren sie auf dem Weg durch die City. Trotz lebhaften Verkehrs hatte Butler Parker genug Gelegenheit, Besit
zer PS-starker Karossen vor Neid erblassen zu lassen, wenn das hochbeinige Monstrum, dem man von außen die aufgemotzte Ma schine nicht ansah, an der Kreuzung bei grün losröhrte und ab stob, als wollte Parkers Wagen wie ein Jet abheben. Sie brauchten logischerweise deshalb auch nur die halbe übliche Zeit bis zur piekfeinen Wohngegend mit den Nobelhütten der O beren Zehntausend. Eine dieser im viktorianischen Stil erbauten Prachtherbergen war das Anwesen dieses ominösen Mr. Fabian. Der Bentley stand direkt in der Einfahrt. Im schmalen Vorgarten kündeten verblühte Forsythien vom nahen Sommer. Ein bescheidenes Messingschild am Tor verriet, daß hier nicht nur jemand mit viel Geld wohnte, sondern sich auch noch die Filmstudios »Pythia« befanden. Zu ihnen wies an der Tür der Villa ein weiteres Schild. Die Studios befanden sich offenbar im hinte ren Teil des Anwesens. Zu Randers Überraschung begab sich der Butler mit ruhigem Schritt geradewegs an der Pforte vorbei zum hinteren Anbau. Aber er kam zunächst nicht sehr weit, denn zwei Gestalten preschten um die hintere Ecke, Burschen wie Kleiderschränke und angetan mit blauen Overalls, auf denen groß und breit »PythiaFilms« geschrieben stand. Daß beide Typen handfeste, massive Holzknüppel in der Hand hielten, könnte Zufall sein. Für Parker jedoch war es das ganz und gar nicht. Dennoch schritt er auf die Kerle so selbstverständ lich zu, als wären es zwei Blumenmädchen und nicht zwei seltsa me Zeitgenossen mit Gesichtern, die glatt eine Schulklasse mit ihrer Lehrerin in panische Flucht schlugen. »Heh, Mann, was wollen Sie hier?« fragte der eine Mann, des sen Stoppelhaar auf dem Schädel an einen kürzlich verlebten Zwangsaufenthalt in Dartmoor erinnerte. »Guten Tag, Gentlemen«, grüßte Parker mit vollendeter Höf lichkeit und lüftete seine Melone. »Meine Wenigkeit wünscht mit Mister Fabian zu sprechen.« »Der ist nicht zu sprechen. Verzieh dich!« fauchte der andere, der ein Gesicht hatte, als hätte er durchgehende Rinderherden zu stoppen versucht. In seiner ramponierten Visage glänzten zwei Schweinsaugen, die Parker geradezu lustvoll fixierten. Der Mann schien zu überlegen, ob er den Butler gleich durch die Luft werfen
sollte, oder ob man besser auf den anderen achten müßte, der recht durchtrainiert wirkte. Womit er Rander meinte. Daß beide nun auf Rander mehr achteten als auf Parker, sollte sich als recht kurzsichtig erweisen. Aber noch wußten sie das bei de nicht, zumal Parker immer noch ausgewählt freundlich fragte: »Darf man sich erkundigen, wann Mister Fabian die Güte hatte, uns vorzulassen?« »Spinnst du, Spaßvogel?« Die beiden sahen sich an, grinsten, lachten frei heraus und schauten wieder auf Parker, der scheinbar ein harmloses Gesicht machte. Doch dann wandten sie sich Rander zu, der weder freundlich noch harmlos wirkte. Von ihm, dachten die beiden, kommt sicher noch Ärger. »Nun gut, wenn Sie es so zu sagen belieben«, erklärte Parker. »Es würde sicher auch gar nicht in ihrem Sinn sein, wenn ich ein Gespräch mit Mister Fabian führen könnte?« »Haha!« lachte der Glatzkopf. »Nun aber Schluß. Macht, daß ihr wegkommt! Los, sonst gibt es was über den Kürbis.« Er hob sei nen Stock zum Schlag. In diesem Moment drang der schrille Schrei einer Frau aus dem Anbau nach draußen… und dann der verzweifelte Ruf: »Hilfe! Hil fe!« Der Glatzkopf sah das als eine Art Signal an, um nicht mehr bei der Vorrede zu bleiben. Er holte noch weiter aus und wollte zu schlagen. Es blieb indessen bei der Absicht. Die Spitze von Parkers Uni versal-Schirm traf ihn wie ein Schwert unter der Gürtellinie, wor auf er mit einem Schrei nach vorn klappte. Bevor der Mann mit dem zerhackten Gesicht etwas tun konnte, zuckte die Schirmspitze noch mal vor. Diesmal landete sie direkt hinter dem linken Ohr des Glatzkopfes, was ungefähr der Wirkung eines K.O.-Schlages auf die Kinnspitze gleichkam. Der Glatzkopf schlug der Länge nach hin und blieb reglos liegen. Keine Sekunde zu früh, denn nun legte der andere los. Er riß ei nen kurzläufigen Revolver aus dem Hosenbund. Im selben Augenblick zischte ihm der mit Preßluft abgeschosse ne Pfeil aus dem Rohr des Schirmes entgegen. Kaum fürs Auge zu verfolgen, flog die bunte Feder mit der mit Betäubungsgift ver sehenen Stahlspitze durch die Luft und traf den Typ unterm Hals an der optimalen Stelle.
Das Betäubungsgift wirkte in einer Sekunde. Der Kerl brachte den Revolver nicht mal in Anschlag, da wurden ihm die Knie but terweich, und er sank mit einer sanften Drehung zu Boden, die einer Schwanensee-Primadonna zur Ehre gereicht hätte. Rander stürmte an Parker vorbei zur Tür des Anbaus, während der Butler zur Sicherheit auch den zweiten mit der Glatze noch leicht betäubte, was gut zwanzig Minuten vorhalten würde. Wieder gellte der schrille Schrei nach draußen. Aber da war auch Josuah Parker schon im Anbau und warf einen Blick in die Runde. Es war eine Art Halle mit Kulissen, Scheinwer fern und einer Filmkamera. Im hinteren Teil befand sich eine Art Glaskasten, der innen als Büro eingerichtet war. Drinnen befanden sich zwei Personen, sonst war niemand weit und breit zu erkennen. Die eine Person war ein bildhübsches Mädchen, das sich ver zweifelt gegen die Zudringlichkeit eines Mannes wehrte, in dem Parker unschwer Mr. Fabian erkannte. Der Filmproduzent war ein Mann in den sogenannten besten Jahren. Sein gutes Leben hatte ihn gerundet wie ein Stück Hefe den Teig. Feist und gierig zugleich umklammerte er mit seinen großen Händen die gegen ihn zierlich wirkende Blondine. Ihre Bluse war zerrissen, der Reißverschluß ihres schlichten, aber ein wenig kurz geratenen Rockes war gelöst. Ihre Beine konnten diesen kurzen Rock übrigens gut vertragen. Sie noch mehr zu verbergen, wäre geradezu sündhaft gewesen, so hübsch waren sie. Mike Rander jagte durch die Halle und war schon an der Tür, da schoß plötzlich von rechts ein riesiges braunes Wesen zwischen den Filmaufbauten hervor und prallte so heftig gegen den Anwalt, daß er zur Seite geworfen wurde und zu Boden stürzte. Ohne jede Hast und wohl überlegt hatte Butler Parker die Situa tion sofort erfaßt und zielte mit der Schirmspitze, als der Hund – denn um einen solchen handelte es sich – mit einem Satz auf den am Boden liegenden Rander springen wollte, um ihm an die Gur gel zu gehen. Ein bunter Blasrohrpfeil traf den Hund direkt am Widerrist. Indessen hatte Fabian die Blondine bis zu einer Couch gedrängt und wollte sie gerade darauf werfen, als draußen der Hund neben Rander zusammenbrach. Aber auch Mike Rander lag reglos.
Der Butler lief zu ihm, etwas mehr als gemessen, und sah, daß Rander mit dem Hinterkopf gegen ein Eisenrohr gestürzt war, sich aber bereits wieder zu regen begann. Die in Bedrängnis geratene blonde Frau nannte sich Sheila und war die Tochter von Lady Annabell und Lord Winston. Fabian hatte im Eifer des Gefechtes und berauscht von der Nähe einer so hübschen Frau noch gar nicht mitbekommen, was drau ßen lief. Doch als Butler Parker die Tür öffnete, ging dem dicken Filmboß ein Licht auf. Er hatte sich gerade über Sheila beugen wollen, die ihn entsetzt anstarrte, als Parker eintrat, die Schirmspitze auf ihn richtete und ihn mit einer in ganz Merry Old England einmaligen Stimme sag te: »Ich wünsche den Herrschaften einen wunderschönen Tag. Eine Störung liegt keineswegs im Bereich meiner Absicht.« * Fabians Gesicht verschwamm wie ein in Wasser getauchtes Tuch. Seine Augen erinnerten den Butler an einen Corridastier im Anblick des Toreros. Rotunterlaufen starrten sie Parker an, der mit unnachahmlichem Lächeln dastand und seinen UniversalRegenschirm mit der Spitze auf Fabian gerichtet hielt. Der Filme macher ahnte nichts von den Möglichkeiten dieses Schirmes, auch nichts von dem Waterloo, das sein irischer Wolfshund und die beiden Aufpasser draußen schon hinter sich hatten. Mr. Fabian fragte sich nur, wie dieser Clown von einem Men schen in sein Allerheiligstes eingedrungen war. Seine Wut richtete sich auch gar nicht so auf den Mann im schwarzen Covercoat, den er nicht für voll nahm, sondern auf seine Helfer. »Sie Idiot, scheren Sie sich zum Kuckuck, wer hat Sie reingelas sen?« Parkers Miene nahm einen gleichmütigen Ausdruck an. Ohne überhaupt nur andeutungsweise diese Frage zu beantworten, sagte er: »O Miß Sheila! Ich hatte ja schon mal die Ehre und das Vergnü gen, Sie zu sehen. Darf ich annehmen, daß Sie möglicherweise beschlossen haben, dieses Haus zu verlassen? Ich stehe Ihnen selbstverständlich mit meinem Wagen zur Verfügung. Soweit ich
es beurteilen kann, wird sich Mister Fabian von Ihnen verabschie den wollen.« Fabian schnaufte wie ein Nilpferd. Seine Augen wurden noch kleiner und rötlicher. »Scheren Sie sich hier raus! Niemand hat Sie herbestellt, zum Henker!« Josuah Parker tat, als gäbe es diesen Mann nicht, hängte seinen Schirm über die Lehne eines Stuhles und half Sheila galant von der Couch. Die junge Dame war so überrascht und fassungslos, daß sie ü berhaupt keine Worte fand. Sie starrte den Butler, den sie von einem Besuch Lady Agathas kannte, als Parker seine Herrin mal begleitet hatte, wie einen Geist an. Als er ihr auch noch gentlemanlike eine Jacke über die Schul tern der zerrissenen Bluse legte, war es um Sheilas Fassung ge schehen. Sie brach in Schluchzen aus, fiel Parker an die Brust und hätte sich bei ihm ausgeweint, wenn ihr Fabian dazu Gelegenheit gegeben hätte. Aber der »Pythia«-Chef nutzte die Chance sofort. Mit einer Ge wandtheit, die Dicke oft wider Erwarten an sich haben, sprang er plötzlich mit einem Satz auf Parker und das Mädchen zu, packte im Vorbeigehen einen Brieföffner, der in seiner Hand wie ein Dolch wirkte. Josuah Parker reagierte sofort, schob die Schluchzende beiseite, packte seinen Universal-Regenschirm und konnte mit der spezial gehärteten Edelstahlspitze gerade noch rechtzeitig auf Fabians schütteres Haar tippen, was den Angreifer ein wenig aus der Bahn warft. er war noch im Schwung nach vorn, die Spitze des Brief öffners auf Parker gerichtet. Sheila war in Gefahr, durch Zufall noch getroffen zu werden, al so kombinierte Parker blitzschnell. Wenn er noch mal reagierte, würde Fabian weiter nach links taumeln, so daß er direkt vor Sheila stand. Möglicherweise reichte dann eine Reflexbewegung, um die Hilflose mit dem dolchartigen Brieföffner zu treffen. Also fegte der Schirm von unten nach oben, die Spitze traf den Brieföffner und mähte ihn aus Fabians Hand. Mit einem Schrei warf sich der Dicke herum, genau in dem Au genblick, als der Schirm wieder herunterkam. Es gab ein merkwürdiges Geräusch, als würde irgendwo an die Tür geklopft. Aber das war keine Faust an der Tür, das war Par kers Schirm auf der Stirnglatze des Dicken.
Josuah Parker sah gelassen, wie Fabian in Zeitlupe auf die Knie ging und dann ebenso betulich auf die Dielen kippte. Es machte noch mal »boing«, dann lag der Dicke wie ein erlegter Keiler vor seinem Jäger. »Wünsche eine angenehme Ruhe!« Parker wandte sich Sheila zu. »Ich erlaube mir zu bemerken, daß wir uns allmählich zum Gehen rüsten sollten, Miß Sheila.« Sie hörte auf zu schluchzen, sah ihn verdattert an und ließ sich von ihm nach draußen führen. Dort hatte sich Mike Rander gera de aufgerafft, stand aber noch ein wenig schwankend wie ein Be trunkener. »Sir«, blieb Parker todernst. »Wenn Sie sich uns vielleicht an schließen würden?« »Was… was ist passiert?« lallte der Anwalt, den es wohl doch etwas mehr erwischt zu haben schien, als es zuerst den Anschein hatte. Er starrte auf den betäubten Hund und fragte: »Was’n das, Parker?« »Es ist ein ausgesucht großes Exemplar des irischen Wolfshun des, dem bekannterweise größten Hund, den es gibt. Man hat sie speziell für die Wolfsjagd gezüchtet. Es handelt sich um aner kannt mutige Tiere. Diesen hier hat die geniale menschliche Intel ligenz überwunden. Der Mensch ist, wenn ich das einmal so sagen darf, eben doch das gefährlichste Raubtier.« Rander ging es nicht so gut, daß er Parkers Ausführungen tat sächlich folgen konnte. Er wankte, von Parker gestützt, an dem ebenfalls am Boden liegenden Mann vorbei, dem Glatzkopf, und wenig später an dem Hackfleischgesicht. Mike Rander, der alles nur verschwommen wie durch ein Aqua rium hindurch erkannte, hatte einige Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Die noch völlig entnervte Sheila klammerte sich links an Parker, und rechts wurde Rander von dem Butler gestützt. Wenn Josuah Parker aber hoffte, die Sache weitgehend ausge standen zu haben, sah er sich in dem Augenblick enttäuscht, als er Rander in seinen Wagen verfrachtet hatte und Sheila gerade einstieg. Parker entdeckte plötzlich einen Mann im Bentley, der in der Einfahrt parkte. Dieser Mann war vorhin nicht im Wagen zu sehen gewesen. Und der saß auch nicht so einfach da, sondern hielt etwas in Händen, womit er auf Parker zielte.
Deutlich erkennbar war eine Kalaschnikow. Die Lage war, das mußte sich Parker eingestehen, ziemlich hei kel. Da bellte der Typ im Bentley durchs offene Fenster: »Hol sie wieder raus aus der Kiste! Und wehe, ihr versucht einen Trick! Ich mache wandelnde Springbrunnen aus euch!« »Sehr wohl, Mister, nur einen Augenblick«, verkündete Parker. »Sie gestatten, daß ich die Lady zuerst…« Die dem Gangster offenbar ungewohnte Redeweise bewirkte zumindest vorübergehendes Erstaunen. Josuah Parker kannte diese Wirkung und nutzte sie sofort. Zuerst öffnete er die Wagentür, als wollte er Sheila herausbit ten, doch zugleich griff er blitzschnell ins seitliche Ablagefach der Tür, nahm eine der beiden darin liegenden Spezialhandgranaten, ließ sie geschickt zu Boden fallen, stieß sie routiniert mit kurzem Stoß auf den Bentley zu, was der Mann hinterm Steuer nicht se hen konnte. Der Butler hängte sich seinen Universal-Regenschirm an den linken Arm, hob die Hände bis in Schulterhöhe und zählte im Geist bis fünf. Als er gerade bei der Zahl ankam, gab es unter dem Bentley ei nen dumpfen Knall. Zugleich zischte es rauchend unter dem Wa gen hervor. Der irritierte Balalaikaschütze stieß die Wagentür auf, sprang ins Freie, atmete notgedrungen ein, was da immer stärker unter dem Wagen hervorquoll, taumelte und ließ seine Kalaschnikow fallen. Für den Butler war höchste Eile geboten, zu verschwinden, be vor er und seine Freunde einen Luftzug des betäubenden Gases ins Gesicht bekamen. Rasch war Parker hinterm Steuer seines hochbeinigen Monst rums und fuhr los. Sheila fragte beklommen: »Was war das? Was ist passiert?« »Eine kleine Notmaßnahme, Miß Sheila, sozusagen eine Ab wehrreaktion. Ein Geheimnis, über das ich mich nur sehr ungern auslassen möchte, wenn Sie das verzeihen können. Darf ich Sie bitten, Ihre geschätzte Aufmerksamkeit mal auf Mister Rander zu richten. Er fällt jeden Augenblick vom Sitz. Mir wäre daran gele gen, wenn Sie dies verhindern könnten.«
»Warum sagen Sie nicht gleich, daß ich ihn festhalten soll?« fragte Sheila und schubste Rander wieder fest gegen die Rücken lehne. Hierauf gab ihr Josuah Parker keine Antwort. Diese Frage über stieg seinen persönlichen Geschmack. Vielmehr nahm er zur Kenntnis, daß sie von einem dunkelgrü nen Ford verfolgt wurden. Er war auch dann noch hinter ihnen, als Parker, um sicher zu sein, daß es Verfolger waren, eine Eh renrunde um den Block fuhr. Der Ford blieb in hundert Meter Ab stand auf ihrer Spur. »Mister Parker, wie fahren Sie denn?« fragte Sheila. »Wir müs sen die nächste rechts, oder wollen Sie mich nicht nach Hause bringen?« »Nichts, verehrte Miß Sheila, was ich lieber täte, aber im Au genblick ist der schnellste Weg zum Haus Ihrer Eltern genau je ner, den ich hier zu nehmen das Vergnügen habe.« Sheila widersprach, doch Parker mußte sich knapp entschuldi gen. Der Ford kam penetrant näher, und man war noch nicht auf der wenig befahrenen Sinters-Road. Hier im Stadtverkehr würde es schwierig sein, den Verfolger ohne Beeinträchtigung anderer abzuwimmeln. Die Straße, in der sie im Augenblick fuhren, war ohnehin nicht sehr breit. Beiderseits parkten Autos, die freie Fahrbahn reichte gerade für zwei Fahrzeuge. Dennoch gelang es dem Butler, einen Bus zu überholen. Der Gegenverkehr machte es dem Ford un möglich, dies auch zu tun. Der Abstand wuchs wieder. Plötzlich fuhr vorn aus einer Seitenstraße ein Möbelwagen, nahm die Einbiegung aber nicht scharf genug und kam nicht her um. Er blieb, beide Fahrtrichtungen blockierend, quer auf der Straße stehen. Hinter ihm waren auch schon Personenwagen nachgefahren, so daß der Möbelwagen auch nicht zurückstoßen konnte. Parker entdeckte links die Einfahrt zu einem Parkhaus und fuhr kurzerhand hinein. Aber es war kein gewöhnliches Parkhaus, son dern das einer Versicherungsgesellschaft für deren eigene Ange stellte. Vor ihnen hielt gerade ein Personenwagen in der Einfahrtschleu se. Der Schlagbaum öffnete sich, der Wagen fuhr durch; Parker sofort hinter ihm her. Direkt danach klappte der Schlagbaum her
unter. Im Rückspiegel sah Parker jetzt den Ford von der Straße her in die Parkhauseinfahrt abbiegen. Parkers hochbeiniges Monstrum schoß an dem Personenwagen vor ihm vorbei, als der in eine Parkbucht einscherte. Mit aufge blendeten Scheinwerfern gelangte Parker im dunklen Parkhaus ans Ende der Etage, zog sein Gefährt um die Kurve zur Auffahrt in die nächste Etage und röhrte dann hinauf. Als er links eine freie Bucht entdeckte, bog er scharf ein, bremste abrupt und stand. »Es wäre angebracht«, sagte der Butler zu Sheila, »jetzt mög lichst zu schweigen und sich, wenn Sie mir diesen Rat erlauben, tief zu bücken. Auch Ihnen, Sir, würde ich diesen Rat geben. Mei ne Wenigkeit muß Sie für ein paar Minuten verlassen. Seien Sie aber unbesorgt.« Draußen hörte der Butler den Ford mit quietschenden Reifen um die Ecke der Auffahrt kommen und mit röhrendem Motor die Stei gung heraufschießen. Josuah Parker lauerte hinter einer Betonsäule darauf, daß der Wagen vorbeikam. Und er jagte heran, hielt aber nicht, wie Par ker befürchtete. In der Dunkelheit, die auf der Etage herrschte, konnte er nur schemenhaft etwas vom Fahrer sehen, erkannte aber nicht, ob eine zweite oder auch noch eine dritte Person im Wagen saßen. Der Ford kam zum Etagenende. Wieder quietschten die Reifen und radierten um die Kurve zur Steigung, die in die nächste Park etage führte. Dort ebbte plötzlich der Motorenlärm nach erneutem Quietschen ab. Der Butler schloß daraus, daß der Verfolger dort oben scharf gestoppt hatte und hielt. Parker nutzte die Zeit, um ein Stahlseil aus dem Wagen zu ho len, das er geschickt ein Stück entfernt um einen Betonpfosten wand, die Durchfahrt überspannte, um das Ende wiederum an einem Betonpfeiler der anderen Seite so zu befestigen, daß dieses Seil etwa in Oberschenkelhöhe die Fahrbahn überspannte. Oben wurde der Wagen offenbar gewendet und kam dann wie der die Abfahrt herunter. Das übliche Reifenkreischen war zu hö ren, da strahlten auch schon die Scheinwerfer. Aber noch war der Ford nicht um die Kurve herum. Und diese Zeit reichte Parker, um dem Verfolger ein weiteres Stück entge genzulaufen und einen Feuerlöscher, den er vorhin am letzten
Betonpfeiler vor der Kurve entdeckt hatte, aus der Halterung zu reißen. Da schoß der Ford schon in die Gerade… Josuah Parker schlug den Knopf des Löschers nach unten und spannte den Druckhebel. Schon fauchte eine Fontäne Schaum direkt auf den vorbeifahrenden Ford, breitete sich blitzschnell über der Windschutzscheibe aus, peitschte weiteren Schaum über die Seitenfenster… dann war der Wagen schon vorbei. Es kam, wie Parker vorausberechnete. Der Ford raste ins Stahl seil. Es gab einen mörderischen Schlag, Glas klirrte, Reifen heul ten, Blech schepperte… der Wagen stand. Endlich begriff der Fah rer, daß er festhing. Er stellte den Motor ab, und so war das Zi schen kochenden Wassers aus einem zerfetzten Kühler zu hören. Dampfwolken hüllten den Ford ein… und Schaum, den Parker sprühte, so lange der Löscher noch etwas hergab. Aber dann war der Butler doch leicht überrascht, als drei Gestal ten aus dem ramponierten Auto sprangen und ungeachtet des immer schwächer sprühenden Schaums zum Angriff übergingen. Als der erste Schuß krachte, tauchte Parker zwischen Fahrzeu gen unter und lief hinter ihnen entlang auf die Abfahrt zu, die der Ford gerade heruntergekommen war. Parkers Absicht war klar. Er mußte versuchen, die Verfolger von seinem Wagen wegzulocken. Sie taten ihm diesen Gefallen auch, ballerten aber in der Park etage herum, daß es von den Betonwänden des Decks widerhall te. Glas von Autofenstern klirrte. Ab und zu traf man auch Blech. Bis jetzt war Parker nicht in größere Gefahr geraten. Das sollte sich schnell ändern. Als er zum nächsten Parkdeck eilte, hatten die Kerle eine Eisen leiter entdeckt, die er wohl übersehen haben mußte. Deshalb konnten sie erheblich zum nächsten Deck hinauf abkürzen. Es kamen nur zwei. Der dritte blieb unten. Parker schien, wie er lakonisch insgeheim feststellte, eindeutig in der Falle zu sitzen. Aber er wäre nicht Butler Parker gewesen, wenn ihm jetzt nichts eingefallen wäre. Was ihm in den Sinn kam, war rot angestrichen, hatte den Umfang eines Kinderkörpers und wurde schlicht und ergreifend Hydrant genannt. Dieser Hydrant stand direkt seitlich der Auffahrt zum oberen Parkdeck. In einem Kasten darüber war ein Schlauch aufgerollt, den man der Einfachheit halber gleich angeschlossen hatte.
Parker brauchte eine Sekunde, um den Schlauch aus dem Kas ten zu ziehen, eine weitere, um ein Rad aufzudrehen, womit das Ventil geöffnet wurde. Das war nun etwas ganz anderes als der Feuerlöscher. Hier schoß es derart wuchtig heraus, daß Parker zwei Hände brauchte, um die Spritze zu halten. Er hielt sie voll auf die beiden Kerle, die mit vorgehaltenen Pis tolen anstürmten. Den ersten traf es mit der Wucht eines rotierenden Dreschfle gels. Es riß ihn um, als der Wasserstrahl seine Schulter erwischte. Den anderen spülte es regelrecht davon. Der Wasserstrahl wisch te ihm die Füße nach hinten, und das genügte. Josuah Parker suchte nach dem dritten Mann… Es war zu spät! Plötzlich ebbte der Wasserstrom ab, und eine Stimme hinter Parker sagte eiskalt: »Das war genug für heute. Laß das Ding los und heb die Pfoten, du Komiker!« * Die beleidigende Bemerkung weckte des Butlers Unwillen. Er ließ sich allerdings nichts anmerken. Langsam drehte er sich um und sah den vermißten dritten Mann. Der hielt eine Pistole in der rechten Hand. Sein hageres Gesicht war von einem eisigen Lä cheln verzerrt. Josuah Parker hielt noch immer den Wasserschlauch in den Händen und blickte dann starr an seinem Gegner vorbei, als könnte er etwas in dessen Rücken sehen. Ein uralter Trick, dachte der Butler. Zunächst sah es nicht so aus, als würde Parkers Gegenspieler darauf hereinfallen. Doch plötzlich zischte es rechts von ihnen, als wäre ein Messer in einen Reifen gestochen worden. Der Druck entweichender Luft wurde immer stärker, das Zischen lauter. Aber weder Parker noch sein Gegner ließen sich ablenken. »Du sollst die Pfoten hochnehmen! Bist du taub, du Witzbold?« sagte der Mann vor Parker, aber er konnte ihn damit nicht aus der Ruhe bringen. In dem Augenblick, als Parker wirklich den Wasserschlauch losließ, schepperte etwas linker Hand von Parkers Gegner. Es hörte sich an wie ein Zierring von einem Rad, der dort zu Boden fiel. Und nun funktionierte es doch! Der Mann schaute
kurz nach links, gleichzeitig sank die Hand mit der Pistole nach unten. Die Männerstimme erkannte Parker. Irgendwo zwischen den Autos machte sich Mike Rander be merkbar. »Ich bin hier, Mister Parker! Wenn Sie mich brauchen sollten…« Parkers Gegner fuhr herum. Das war ein Fehler. Dem Butler reichte die Zeit, um blitzschnell die Hände herunter zunehmen, mit der Rechten in seine Covercoattasche zu greifen und etwas herauszuholen, das sich wie feinster Sand anfühlte. Gleichzeitig trat er nach vorn. Als sein Gegner sich wieder um drehte, schleuderte er ihm ins Gesicht, was die geschlossene Hand verbarg. Die Wirkung erfolgte augenblicklich und war verheerend. Der Sand hatte Parkers Gegenspieler voll getroffen. Parker selbst schlug mit der Handkante auf das rechte Handgelenk sei nes Gegners, was dem die Pistole regelrecht aus den Fingern sprengte. Der nächste Schlag wirkte wie K.O. Während der Getroffene zu Boden sank, kam Rander mit langen Sprüngen näher. Er hatte eine Axt in der Hand, wie Parker im Dämmerlicht bemerkte. Wahrscheinlich stammte sie aus einem Feuerlöschkasten, wo solches Gerät aufbewahrt wurde. »Verzeihung, Sir«, sagte Parker und putzte sich sorgfältig mit seinem Taschentuch die Hände ab, »ich glaube, Sie bemühen sich umsonst. Meine Wenigkeit hat bereits alles erledigt. Wir könnten fahren, Sir.« Rander blickte erstaunt, obgleich er im Lauf der Jahre genug derlei Überraschungen bei Parker erlebt hatte. »Wie haben Sie das nur gemacht?« Josuah Parker erlaubte sich ein Lächeln. »Sir«, erklärte er. »Gestatten Sie, daß Ihr Ablenkungsmanöver als eine große Hilfe bezeichnet wird.« Fabians Ganove kam wieder zu sich. Sofort griff er sich ins Ge sicht und rieb die Augen. »Es wird ein wenig bei ihm brennen. Eine reine Abwehrmaß nahme«, meinte der Butler trocken. »Was haben Sie gemacht, Parker? Haben Sie ihm ein Pulver in die Augen gestreut? Er ist ja ganz grau!«
»Eine umweltfreundliche Angelegenheit, Sir«, informierte Parker den Anwalt. »Es handelt sich um weißen Pfeffer. Wenn er ihn aus den Augen gespült hat, wird es keine Nachwirkungen haben.« »Und was machen wir mit ihm?« Bevor Parker antworten konnte, sagte der am Boden liegende Mann heulend: »Ich brauche Wasser. Meine Augen! Es brennt wie die Hölle!« »Sie wissen sicher, wo der Hahn zum Aufdrehen des Wasser schlauches ist. Sie haben ihn ja vorhin geschlossen«, reagierte Parker gelassen. »Es ist sicher für Sie sehr einfach, ihn wieder zu öffnen. Wir empfehlen uns bis dahin. Und herzliche Grüße an Mis ter Fabian!« Kurz darauf waren Mike Rander und Josuah Parker wieder am Wagen. Das noch immer am Seil hängende Verfolgerauto hatte platte Reifen. Parker schaute Rander nur fragend an, und der Anwalt nickte. »Ich habe einmal kurz hineingestochen. Ich dachte, sie würden knallen und könnten den Burschen von Ihnen ablenken, Parker! Aber es hat nur gezischt.« »Es hat mir sehr geholfen, Sir«, meinte Josuah Parker, setzte sich steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, hinters Steuer und blickte auf Sheila, die sich hinten im Fond duckte, als müßte sie noch immer Angst haben. Parker beruhigte sie und setzte ein paarmal hin und her, um an dem Verfolgerwagen vorbeizukommen, der die Durchfahrt blo ckierte. Dann fuhren sie hinunter, und es sah so aus, als hätten sie kei ne Probleme mehr zu erwarten. Doch als erstes zeigte sich eine Schranke an der Ausfahrt zur Straße. Diesmal war es Mike Rander, der mit wenigen Handgriffen dafür sorgte, daß diese Schran ke aufging und sie durchfahren konnten. Danach bogen sie in die Straße ein, und Parker war schon sehr optimistisch, Sheila nun endlich zu ihren Eltern ins Savoy-Hotel bringen zu können. Der Anwalt schaute immer wieder durch die Rückscheibe nach hinten. »Parker, wäre es nicht besser gewesen, die drei Kerle zu fesseln und der Polizei zu übergeben?« »Sir, wenn mir die Bemerkung erlaubt ist«, erwiderte Parker, »fühle ich mich noch nicht im Dienst der Polizei. Es ist mir im Au genblick wichtiger, Miß Sheila sicher zu ihren Eltern zu bringen.«
»Ich glaube aber doch, daß es ein Fehler war«, erklärte Rander. »Wir werden verfolgt.« Parker hatte da noch Zweifel, sah aber im Rückspiegel dennoch den Jaguar, der ziemlich rasch näher kam. Der Butler fuhr eben falls schnell, konnte aber den Jaguar nicht abschütteln. Und hier war auch viel zu viel Verkehr. Als er dann auf die vierspurige Schnellstraße, ignorierte er jede Geschwindigkeitsregelung und schoß wie der Blitz auf der Überholspur davon… der Jaguar ihm nach. Es gab eine Abzweigung, von der Parker wußte, eine Straße, die zu einem Fabrikgelände führte und eine halbe Meile nach der Ab zweigung eigentlich gesperrt war. Es stand nur ein Schild dort, und tatsächlich fuhren nur ganz wenige Leute da entlang. Meis tens junge Fahrer, die mal ihren Wagen richtig ausprobieren woll ten. Im Augenblick war die Straße leer. Als Parker einbog und sie entlangfuhr, sah er im Rückspiegel voll den Jaguar. Als der Butler mit seinem Wagen an dem Sperrschild vorbei war, startete er Aktion Nummer 1. Die Betätigung eines ganz bestimmten Druckknopfes am Arma turenbrett verursachte auf elektrischem Weg die Öffnung eines am Wagenboden befindlichen Behälters, der vollgestopft war mit sogenannten Krähenfüßen. Diese aus Chromstahl gefertigten Klammern mit äußerst spitzen Enden fielen immer so, daß we nigstens zwei Enden nach oben ragten. Als sich der Behälter öffnete, rutschten sofort genügend Stahl klammern heraus und tanzten hinter dem Wagen auf dem Beton hin und her, bis sie liegenblieben. Die letzten waren noch gar nicht zur Ruhe gekommen, da brauste der Jaguar voll in diese Klammerwüste hinein. Genußvoll beobachtete Butler Parker im Rückspiegel, was sich seiner Meinung nach gleich abspielen mußte, weil es sich jedes mal, wenn er zu diesem Mittel griff, auch abgespielt hatte. Aber das geschah diesmal nicht! Als wäre nichts geschehen, fuhr der Jaguar weiter, auch wenn sich der Abstand vergrößerte. Doch das änderte sich ebenfalls, der Jaguar holte sogar wieder auf! Rander, dem das alles nicht entgangen war, meinte überrascht: »Sagen Sie mal, Parker, dem passiert ja gar nichts. Der fährt ja immer noch.«
Der Butler hatte bereits eine Erwiderung parat. »Ich vermute, Sir«, redete er in dozierendem Ton, »daß dieses Fahrzeug soge nannte Kammerreifen hat. Eine andere Erklärung ist meiner We nigkeit im Augenblick nicht möglich.« »Kammerreifen?« »Mit Verlaub, Sir. Wie Sie Militärfahrzeuge haben. Statt eines Schlauches sind da mehrere Kammern mit einer Art Spanten aus Gummi, einer Verstärkung. Eine Entwicklung der russischen Ar mee, Sir. Warum sollte sie nicht auch hier bekannt sein?« Mike Rander schaute nach hinten: der Jaguar kam näher. Dann blitzte es dort auf. Aber Parker hatte ebenfalls in den Rückspiegel gesehen und die Gefahr rechtzeitig erkannt. Deshalb zog er den Wagen einmal von rechts nach links, fuhr sozusagen Zickzack. Rechts von ihnen tauchte ein zerfallenes Fabrikgelände auf, das bis an die Straße herangebaut war. Das Gelände ringsherum war voller Brombeeren, das Gemäuer selbst von Efeu berankt. In dem Moment, als der Butler mit seinem Wagen an dieser Ruine vorbeifuhr, betätigte er wiederum einen Schalter am Arma turenbrett. Auch jetzt geschah etwas Verblüffendes: eine Sache, die er sich erst kürzlich in seinen Wagen eingebaut hatte. Es war im Grund nichts weiter als ein Mischer in einem Behälter, der ein Gemisch aus Diesel und Wasser herstellte, was zu einem äußerst glitschigen Schaum führte. Selbst Schmierseife war nicht so gleitfähig wie dieses Produkt. Und dann spritzte es schon hinter Parkers Wagen auf die Fahr bahn. Ein regelrechter Teppich breitete sich in rasender Ge schwindigkeit aus, zum Teil stiebte es durch die Luft. Und der Jaguar raste voll in diese Schmiere hinein… Parker sah noch im Rückspiegel, wie das Fahrzeug zu schleu dern begann, wie es herumgerissen wurde und dann mit voller Breitseite gegen die Fabrikruine donnerte. »Mein Gott, Parker, Sie haben es geschafft. Wie haben Sie es diesmal gemacht? Was ist das gewesen?« »Eine Spezialmischung aus Diesel und Wasser, Sir. Man ver wendet sie gemeinhin auf Torpedobooten und in Unterseebooten, um die Torpedos besser in den Röhren rutschen zu lassen. Sie gleiten dann auch viel besser durchs Wasser. Es gibt nichts, auf dem man besser rutschen könnte.« »Donnerwetter! Den Burschen sind wir los. Müssen wir nicht drehen und wieder zurück?«
Parker hatte bemerkt, daß Sheila vor Angst wieder in der Ecke zusammengesunken war und in panischer Furcht die Hände vors Gesicht hielt. »Wenn ich mir den Hinweis erlauben dürfte, Sir«, sagte der But ler, »vertrüge unsere junge Dame sicher ihre tröstende Hilfe. Und was speziell unsere Rückfahrt angeht, Sir, da kann ich Sie beru higen. Ich werde, sollten Sie keinen anderen Wunsch haben, mir den Umweg durch die alte Fabriksiedlung zu nehmen erlauben.« Josuah Parker fuhr wieder langsamer, fühlte sich sicherer und glaubte annehmen zu können, daß der Jaguar so schnell nicht mehr von der Ruine wegkam, gegen die er geprallt war. Aber das war ein Trugschluß. Und es erwies sich als falsch zu glauben, jede Gefahr wäre vorüber. Denn plötzlich sah Parker den zwar verbeulten, aber immer noch fahrbereiten Jaguar im Rück spiegel. Im Augenblick war Parker mit seinem Wagen mitten in der Fab riksiedlung, wo ein Haus neben dem anderen stand und Kinder spielten, Frauen Wäsche aufhängten und viele Leute auf der Stra ße herumliefen oder fuhren. Es wimmelte auch von Fahrrädern. Josuah Parker konnte nicht so fahren, wie er wollte. Aber auch der Jaguar konnte das nicht. Parker jagte in Richtung Stadt zurück, genauer gesagt in Rich tung Hafen. Er hatte ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen, aber er sprach nicht darüber. Hinter ihm versuchte Mike Rander das Mäd chen zu trösten. Der Schock mit dem, was Fabian hatte tun wol len, saß noch tief in Sheila. Der Jaguar holte auf. Rücksichtslos raste er zwischen spielenden Kindern und Radfahrern hindurch. Dann folgte ein Stück freie Strecke. Hier würde er noch schnel ler fahren. Aber auch Parker drehte auf. Sein hochbeiniges Monstrum, dem man die vielen PS ja nicht ansah, erreichte weit höhere Ge schwindigkeit als die erlaubte. Der Butler versuchte es noch mal mit einem Trick. Er wurde auf einer freien Strecke langsamer und ließ den Jaguar herankom men. Deutlich konnte Rander, der immer wieder nach hinten schaute, sehen, wie sich einer der Männer aus dem Seitenfenster beugte und etwas in Händen hielt, an dessen Spitze es aufblitzte. »Er schießt!« rief Rander. Im selben Augenblick betätigte Butler Parker die Nebelanlage.
Aus dem Auspuff quoll jetzt schwarzer Rauch wie aus dem Schlot eines Mississippidampfers, wenn er angeheizt wurde. Dicke schwarze Wolken hüllten die ganze Fahrbahn ein und, machten es dem Verfolger unmöglich, noch etwas zu sehen. Im selben Moment drehte Parker wieder auf. Er schaltete den Kompressor zu, und das hochbeinige Monstrum benahm sich, als ginge es um den Großen Preis von Monza. Die Möglichkeit, so schnell zu fahren, war nur sehr kurz. Parker geriet wieder in dichten Verkehr, bog dann in Seitenstraßen ab, fuhr in engen Nebenstraßen, sogar über Industriehöfe, durch Fab rikanlagen und gelangte schließlich auf diese Weise weitab in Londons Osten. Hier bog er wieder auf eine Zufahrtstraße und hoffte, den Jaguar endgültig abgeschüttelt zu haben. Doch als er auf einer langen Geraden fuhr und einen Bus über holte, sah er im Rückspiegel erneut den Jaguar. »Da kommt er wieder!« rief auch Rander schon. Sheila schrie vor Angst. »Ich gebe mich der Meinung hin, daß Sie Verständnis dafür ha ben werden, Sir, wenn ich ein klein wenig unkonventionell fahre. Sie werden das gleich zu spüren bekommen.« Parker warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Er fuhr jetzt langsamer. Der Jaguar holte auf. Aber es waren noch etliche Autos zwi schen ihnen. Hier im Verkehrsgewühl konnte der Jaguar auch nicht so fahren, wie er wollte. Dann näherten sie sich der Themse. Die Straße führte gerade aus durch das Tor des Freihafens und mündete ins Hafengebiet. Rechts und links führten Straßen zu den verschiedensten Kais, geradeaus ging eine schmale, gepflasterte Straße direkt zur Fähre zum Kohlenhafen. Im Augenblick waren Fährleute dabei, die Trossen zu lösen, damit man ablegen konnte. Fünf Autos standen auf der Fähre, aber hinten war noch gut und gern für drei oder vier Fahrzeuge Platz. Parker gab Gas. Die Trossen der Fähre waren gelöst, sie schwenkte die Anlege rampe etwas höher. Das ganze Schiff begann sich mit der Strö mung, die die Themse verursachte, ein wenig nach links zu ent fernen. Parker fuhr noch schneller. Er schoß jetzt förmlich dahin.
Der Spalt zwischen der Anlegebohle, die sich an der Fähre selbst befand, und der Anlegestelle betrug jetzt etwa zwei Schrit te und vergrößerte sich ständig. »Was machen Sie, Parker?« rief Rander aufgeregt. »Die Fähre hat schon abgelegt. Sie können doch nicht mehr…« Der Wagen jagte wie ein Geschoß dahin. Er rumpelte nicht mehr über das schlechte Pflaster, sondern flog förmlich darüber. Und dann kam das Ende der Anlegestelle immer näher. Auf der Fähre waren Leute, die entsetzt in Parkers Richtung starrten. Das Ende der Anlegestelle war erreicht! Mit einem Mal drehten die Räder in der Luft, der Wagen schoß über das Wasser hinweg, flog direkt auf die Fähre zu und… lande te auf den Planken, rutschte mit voll gebremsten Rädern noch ein Stück weiter und stand, keine Armlänge von einem abgestellten Wagen entfernt. Das Personal der Fähre kam angestürzt. Ein Mann in Uniform mit weißer Mütze schüttelte drohend die Faust. Josuah Parker hatte keinen Blick dafür, wandte sich um und blickte durchs Rückfenster. Und ebenso magisch von dem An blick, der sich da bot, angezogen, schauten Mike Rander und Sheila nach hinten. Der Jaguar hatte so ein Tempo drauf, daß er nicht mehr halten konnte. Mittlerweile befand sich die Fähre aber gut und gern fünf zehn Meter von der Anlegestelle entfernt. Der Verfolger schoß über das Ende der Anlegestelle hinweg, flog über das Wasser und knallte unmittelbar hinter dem Heck der Fähre ins kalte Naß, so hart wie auf eine Betonplatte. Dann sank der Jaguar erst langsam, bis es immer schneller und unaufhalt sam in die Tiefe ging. Zwei Männer kamen, kurz nach dem Untergehen, an die Ober fläche. Vom Ufer aus wurden Rettungsringe geworfen, aber da befand sich die Fähre schon weit weg. Parker und seine Begleiter sahen noch, wie ein Boot abstieß und auf die beiden Schwimmer, die jeder für sich einen Rettungsring gefaßt hatten, zuhielt. »Teufel nochmal«, meinte Rander. »Ich hätte nicht gedacht; daß wir das schaffen.« Er atmete erleichtert auf. Auch jetzt zeigte Parker seine sagenhafte Gelassenheit. »Es hatte nichts mit dem Teufel zu tun, Sir, wenn ich das mal so er läutern darf. So etwas läßt sich ganz einfach berechnen, und die Herren im Jaguar scheinen seinerzeit ihre Aufgaben in Mathema
tik nicht besonders gut gemacht zu haben. Wie bedauerlich für die beiden Taucher!« * Sie fuhren im dichten Verkehr am Savoy-Hotel vorbei. Als Mike Rander bemerkte, daß der Butler keine Anstalten zum Halten machte, sagte er: »Was haben Sie vor, Parker?« »Es ist meiner Wenigkeit äußerst unangenehm, Sir, aber mit Verlaub, wir müssen wohl auf andere Weise den Weg ins Hotel suchen. Hier vorn am Eingang dürfte uns auf jeden Fall ein Emp fangskomitee erwarten. Nur zwei Gesichter besaßen einen gewis sen Erkennungsgrad. Das eine gehört dem Fahrer des Bentley, der ein wenig narkotisiert werden mußte, das andere dem Glatz kopf, der von uns auch eine kleine Betäubung erfahren hat. Es könnte die Möglichkeit bestehen, Sir, daß wir noch mit weiteren lieben Freunden rechnen müssen. Deshalb sollte man einen ande ren Weg wählen.« »Und was ist das für ein Weg?«,wollte Rander wissen, der sei nen Arm tröstend um Sheila gelegt hatte. »Ein nicht gerade standesgemäßer, Sir, aber deshalb vielleicht sicherer Weg, der durch den Hintereingang und die Küche führt.« »Durch die Küche?« fragte Mike Rander unangenehm berührt. »Durchaus, Sir, wenn es nicht zu vermessen ist, Ihnen diesen Vorschlag zu unterbreiten.« »Nein, nein, Parker, Sie haben wahrscheinlich recht. Wie kom men wir dahin?« »Empfehlenswert wäre eine Fahrt einmal um den Block. Da fän de sich auch eine bessere Möglichkeit zum Parken.« Sie mußten dann doch ein Stück zu Fuß gehen, hatten Sheila zwischen sich genommen, und der Butler achtete mit Argusaugen darauf, daß ihnen niemand, folgte. Aber der Hintereingang des Savoy-Hotels, der in der Parallel straße lag, war verschlossen. Es gab auch keine Klingel. »Jetzt stehen wir wie die Hereingelegten da«, meinte Rander, und Sheila machte wieder ein ängstliches Gesicht.
Josuah Parker sah darin kein großes Problem. Mit seinem Spezi albesteck kitzelte er das Schloß, daß es einer raschen Öffnung nicht widerstehen konnte. Als die Stahltür hinter ihnen zufiel, schloß Parker wieder ab, und sie standen in einem Hof. Der Durchgang war ein schmaler Schlauch, der ein Stück weiter vor einem Tor endete. In dieses Tor war eine kleinere Tür eingelassen, die offenstand. Tatsächlich befand sich hier hinten die Küche des berühmten Restaurants. Das Klappern von Geschirr und die Gerüche drangen bis nach draußen. Auch die Tür zur Küche, die sich linker Hand befand, stand of fen. Drinnen hantierten Köche und Köchinnen und niemand ach tete auf die beiden Gestalten, die die Küche betraten. Die ganze Art, wie der Butler sich gab, ließ keinen vom Personal auf die Idee kommen, daß er etwa hier nichts zu suchen hätte. Es sah vielmehr so aus, als käme eine Inspektion vom Gesundheits amt. Parker tat auch so, als wollte er die Küche inspizieren, blickte einmal dahin, einmal dorthin, neigte seinen Kopf über einen Topf, sah gemessen in die Runde und schritt, Rander und Sheila im Gefolge, durch die Küche hindurch bis zur Schwingtür, die zum Restaurant führte. Niemand hielt sie auf, niemand stellte ihnen eine Frage. Im Ge genteil, in der Küche schien man aufzuatmen, daß diese Inspekti on, wie man glaubte, so schnell vorüber gegangen war. Es war noch keine Essenszeit. Die Kellner standen noch im vor deren Teil des Restaurants herum, blickten aber interessiert nach den Gästen, die den Raum durchquerten. Ein Kellner kam ihnen entgegen, weil er annahm, sie suchten einen Platz, doch Parker lehnte ab. »Wir sind Abgesandte des Ordnungsamtes. Meine Wenigkeit möchte nur mal alles in Augenschein nehmen. Aber hier ist offen sichtlich alles in bester Ordnung.« Der Kellner blieb perplex stehen, schaute ihnen nach, brachte keinen Ton heraus, bis das Terzett wieder aus dem Restaurant war und das Foyer betrat. Parker führte Rander und Sheila zur Treppe. »Wir können den Lift nehmen«, meinte der Anwalt.
»Tut mir sehr leid, Sir«, widersprach Parker. »Aber Sie werden mir sicher Ihre Zustimmung geben, wenn Sie sehen, wer da drü ben steht. Noch hat man uns nicht erkannt.« »Dafür sehe ich jemand anderen«, erklärte Rander. »Schauen Sie mal nach links, Parker! Lady Agatha kommt direkt durch die Drehtür!« Der Butler zupfte den Anwalt am Ärmel. »Es tut mir sehr leid, daß ich Sie bemühen muß. Bleiben Sie dort in der Nische stehen, man kann Sie dann vom Foyer aus nicht mehr sehen. Es obliegt mir, noch eine kleine Angelegenheit zu regeln. Nur zwei Minuten dürften vergehen. Verzeihen Sie, Sir, daß ich Sie warten lassen muß.« Rander blieb mit Sheila in der Nische, die zum Teil durch Kübel pflanzen verborgen war. Josuah Parker strebte aber nicht, wie Rander annahm, auf Lady Agatha zu, er ging nur so, daß sie ihn sah, warf ihr einen kurzen Blick zu und wandte sich dann wieder ab. Agatha Simpson machte zwar einen Moment ein überraschtes Gesicht, begriff dann aber offensichtlich sofort die Reaktion ihres Butlers. Die resolut wirkende und konservativ gekleidete Sechzig jährige, deren junionisch füllige Figur an sich schon sehr ein drucksvoll wirkte, rief gerade mit sonorer Baritonstimme einem Pagen zu: »Junger Mann, zeigen Sie mir bitte den Weg zum Konferenz raum.« Der Page flitzte zu ihr und führte sie dann schräg durch das Fo yer. Ein kurzer Blick in Parkers Richtung bewies, daß sie durchaus verstanden hatte. Der Butler seinerseits steuerte auf einen Mann zu, der nahe der Tür stand. Das war kein gewöhnlicher Mann, so unscheinbar er sich in eine halbdunkle Ecke gestellt hatte, gleichzeitig aber sehr aufmerksam den Eingang beobachtete. Dieser Mann stellte nicht nur rein optisch etwas Besonderes dar, er hatte auch eine außergewöhnliche Vergangenheit. Von Statur war er an die zwei Meter groß, breitschultrig, und Parker wußte von ihm, daß er Kräfte besaß, mit denen er sich im Zirkus zeigen konnte. Und genau im Zirkus hatte er sie früher auch gezeigt und war da als Kettensprenger und Gewichtheber aufgetreten. Jetzt aller dings war Buddy Wolfe über fünfzig und arbeitete brav und red
lich als Rausschmeißer im Savoy-Hotel, den man für besondere Fälle einsetzte und der sich, wurde er nicht direkt gebraucht, ein wenig im Hintergrund zu halten hatte. Bevor Buddy im »Savoy« anfing, war er eine Zeitlang Leibwäch ter eines Gangsters der Londoner Unterwelt gewesen. Um ein Haar wäre Buddy für viele Jahre hinter Gittern gelandet, hätte ihm Butler Parker damals nicht geholfen. Geholfen vor der Polizei und vorm Gericht, so daß man Buddy mildernde Umstände zubilligte und er mit einer kleinen Strafe davonkam. Das hatte Buddy dem Butler nie vergessen und ihn beschworen, ihn zu rufen, wenn er ihn mal brauchen sollte. Im Augenblick hatte Parker für diesen vor Kraft strotzenden Mann gute Verwendung. Er trat neben Buddy, der zur Seite blickte, Parker erkannte und dann lachte. Danach zeigte er ein Gebiß wie ein Pferd. Seine Schweinsaugen verschwanden hinter Backenwülsten, und eine wie aus dem tiefsten Keller klingende Stimme röhrte: »Mister Parker, wie wunderbar, Sie zu sehen.« Josuah Parker hatte keine Zeit für lange Gespräche und Wieder sehensbekundungen. »Mister Buddy«, redete er schnell und ge messen, »könnten Sie sich hier mal entfernen? Möglicherweise gibt es Schwierigkeiten. Meine Wenigkeit möchte zum zweiten Stock empor, jemand begleiten. Es muß sicher sein, Mister Bud dy, daß nichts passiert. Dieser Jemand ist ein junges, unschuldi ges Mädchen, das in den zweiten Stock zu seinen Eltern möchte, genauer gesagt zu Lady Annabell und Lord Winston.« »Schwierigkeiten, Sir?« fragte Buddy verblüfft. »Wollen Sie da mit sagen… wollen Sie damit ausdrücken, daß jemand hier im Haus ist, der Ihnen Schwierigkeiten machen könnte?« »So könnte man es ausdrücken, Mister Buddy. Also kommen Sie bitte, wenn es sich machen läßt.« »Natürlich läßt es sich machen, Sir. Für Sie lasse ich mich in kleine Würfel schneiden, die in ein Ragout passen. Mister Parker, Sie haben mir damals einen Riesengefallen getan, das vergesse ich Ihnen nie!« »Mister Buddy«, raunte der Butler dem Hünen zu. »Keine Lob preisungen! Zeigen Sie mal zur Treppe, als wollten Sie mich auf etwas hinweisen, als zeigten Sie mir den Weg. Tun Sie es bitte mit völlig zwangloser Miene.«
Buddy Wolfe brauchte eine Sekunde, dann hatte er begriffen. Er hob den Arm und deutete zur Treppe, beugte sich dann, während er zu Parker ging, ein wenig herunter und sagte halblaut, was man aber bei seinem starken Organ dennoch im Umkreis von zwanzig Metern hören konnte: »Wir nehmen besser die Treppe, Sir, dann können Sie alles ganz genau sehen.« Parker lächelte. Dann raunte er Buddy zu: »Gut gemacht! So genügt es durchaus. Würden Sie bitte weiter mitkommen.« Wenig später hatten sie die Stelle erreicht, wo Sheila mit Rander wartete. Der Anwalt blickte überrascht auf den riesigen Kerl im Nadelstreifenanzug, der paßte wie ein Rolls-Royce zu einem Menschen im blauen Anton. »Wer ist denn das?« fragte Rander. »Darf ich vielleicht bekannt machen?« erwiderte Parker, deutete kurz auf Buddy Wolfe und sagte: »Dies ist ein lieber alter Be kannter von mir, Buddy Wolfe.« Rander streckte die Hand nicht aus und deutete nur eine kurze Verbeugung an, was bei dem riesigen Menschen ein wenig drollig wirkte, der genauso reagierte. Dann gingen sie nach oben. Rander flüsterte: »Wozu soll das gut sein, daß der Koloß mitkommt?« Parker, der wußte, wen der Anwalt meinte, erwiderte ebenso leise: »Ich gebe mich nicht der Hoffnung hin, daß meine Befürch tungen sich bewahrheiten. Aber wenn schon, wäre es äußerst nützlich für unser Unternehmen, daß er bei uns ist.« Doch diese Hoffnung wurde ihm nicht erfüllt. Als sie im zweiten Stock ankamen, lehnten rechts und links an den Wänden des Flurs vier Männer. Als Rander und Butler Parker, gefolgt von Bud dy Wolfe und Sheila, die letzten Stufen der Treppe emporgingen, lösten sie sich vom Gemäuer, stellten sich nebeneinander auf und wirkten auf Parker einen Augenblick lang wie Dressmen auf einer Herrenmodenschau. Alle trugen graue Straßenanzüge, allesamt hatten sie weinrote Krawatten und trugen Hüte. In ihrer Un scheinbarkeit wirkten sie geradezu auffällig, zumal ihre Straßen anzüge einander beinahe uniformhaft ähnelten. Nur die Gesichter sahen ganz und gar nicht aus wie die von Dressmen. Es waren kantige Visagen, und alle vier Typen wirkten außergewöhnlich sportlich und durchtrainiert. Da standen sie nun
nebeneinander, wippten auf ihren Absätzen und versperrten Par ker und seinem Gefolge den Weg. Der Butler warf erst einen Blick nach links zur anderen Gang richtung, da war niemand. Dann schaute er wieder auf die vier Figuren, die den Weg zum rechten Flügel versperrten. Von diesem Gang gingen die Zimmertüren ab, und er war natürlich mit einem breiten Läufer ausgelegt, der die Schritte dämpfte. Das »Savoy« gehörte nun mal zu den großartigsten Hotels von London. Etwas verwunderlich war nur die Leere der Flure, bis auf die vier Gestal ten. Kein Etagenkellner, kein Zimmermädchen. Aber vielleicht fand Parker dafür später noch eine Erklärung. Bevor der Butler die letzte Stufe nahm, wandte er sich über die Schulter zu Buddy Wolfe zurück und raunte ihm zu. »Den Läufer, Buddy, den Läufer!« Wolfe begriff relativ rasch, blieb dann stehen, während Butler Parker sich umdrehte, Sheila am Arm, die überhaupt nicht begriff, was da auf sie lauerte, und mit ihr zur Seite trat. Es wurde kein einziges Wort gesprochen. Die vier standen da, einer von ihnen grinste schief, die anderen machten ausdruckslo se Gesichter. Auf der vorletzten Stufe stand Sheila mit Parker, in der Mitte Buddy, der noch einen Schritt höher ging, dann etwa drei Schritte vor den vier Figuren stehenblieb, die Arme in die Seiten stemmte und die vier musterte, als wollte er sich mit ihnen prügeln. So groß und kräftig er sein mochte, vier von dieser Sorte wären in jedem Fall für ihn zuviel gewesen. Aber Buddy Wolfe dachte nicht im Traum daran, sie direkt anzugreifen. Er wußte ja von Parker, was es zu tun gab. Rander, der das ebenfalls gehört hatte, war auch am Treppen absatz stehengeblieben und blickte gespannt auf die Szene. Ohne sich zu Butler Parker umzuwenden, ergriff Buddy das Wort und sagte: »Ist es möglich, Mister Parker, daß diese Typen uns nicht durchlassen wollen?« »Ich würde sagen«, meinte Parker, »daß man das zumindest ins Kalkül ziehen sollte.« Endlich entschloß sich einer der vier etwas darauf zu erwidern, und dies war der Mann, der ganz rechts stand, der eben noch so schief gegrinst hatte. »Hört zu, Leute, wir wollen nur das Girl! Ihr anderen könnt euch verdünnisieren.«
»Welch ungehörige Ausdrucksweise«, echauffierte sich Parker. »Mister Buddy, meine Wenigkeit fühlt sich beleidigt!« Buddy Wolfe machte nicht den Fehler, sich zu Butler Parker um zudrehen. »Es ist eine Beleidigung, Mister Parker«, bestätigte er mit seiner tiefen Stimme. Die vier Männer kamen langsam auf ihn zu. Wahrscheinlich wa ren sie sich darin einig, daß sie erst mal Buddy aufs Kreuz legen mußten, wenn sie weiterkommen wollten. Aber dieser Gegner schien plötzlich zu explodieren. Eben hatte er noch mit ein wenig gespreizten Beinen und seinen gewaltigen Händen in der Hüfte dagestanden. Doch auf einmal sprang er einen Schritt zurück, bückte sich, packte den Läufer, und mit ge waltigem Ruck riß er daran. Die vier konnten sich nicht auf den Beinen halten, die wurden ihnen regelrecht unter dem Körper weggerissen. Der vorhin gegrinst und gesprochen hatte, schlug knallend auf den Rücken. Die anderen drei kamen ein wenig besser davon. Zwei gelangten sogar relativ rasch auf die Beine. Aber da war Buddy Wolfe, packte den vordersten, schleuderte ihn dem nächs ten entgegen, erwischte den dritten Mann am Haar, riß ihn zu sich, wirbelte ihn hoch, knallte ihm die linke Faust an den Körper, packte ihn dann mit zwei Händen an der Hüfte und warf ihn auf den sich eben aufraffenden Mann mit dem grinsenden Gesicht; da ging er erneut zu Boden. Der auf ihn gestürzt war, überschlug sich, kam dann aber sofort wieder hoch. Nun griffen drei gleichzeitig den Riesen an. Aber Buddy wiederholte, was seine Gegner vorhin schon aufs Kreuz gelegt hatte. Blitzschnell packte er den Teppich, riß daran, und die drei Angreifer gingen abermals zu Boden. Dann entwickelte Buddy eine erstaunliche Schnelligkeit. Er packte zwei von ihnen mit seinen Händen vorn an der Brust, riß sie hoch, schlug ihre Köpfe aneinander, stieß sie von sich, aber da hatte der dritte ein Messer gezogen. Bis zu diesem Augenblick hatte Josuah Parker zugesehen, denn er war der Meinung, daß Buddy Wolfe ganz gut mit den Leuten fertig wurde. Aber Wolfe war unbewaffnet, und dieses Messer war ein langer spitzer Dolch. Als sich der Bursche jetzt in Buddys Richtung in Bewegung setzte, griff der Butler ein.
Parker hatte seinen Universal-Regenschirm in Aktionsstellung, mit anderen Worten, er hielt ihn mit der Spitze nach vorn. Der Bursche mit dem Messer hatte davon noch nie gehört, was man mit einer solchen Waffe alles machen konnte. Also nahm er das nicht ganz ernst, verzog grinsend das Gesicht und wandte sich nun Parker zu. Aber Parker hätte gar nicht auf seine Art einzugreifen brauchen. Buddy wurde auch mit Burschen fertig, die ein Messer in den Händen hielten, wie zum Beispiel die beiden anderen, die wieder auf die Beine gekommen waren. Auch der vierte, der einzige, der vorhin etwas gesagt hatte, kam wieder hoch. Und zwei hielten jetzt Dolche in den Händen. Der eine kam auf Parker zu, der an dere auf Buddy. Buddy wußte sich zu wehren. Als der Mann mit einem Satz auf ihn zuspringen wollte, stand Buddy mit hängenden Armen. Nicht die geringste Bewegung der Gegenwehr, wie es schien. Und dann, als sein Gegner nahe genug war, zuckte das rechte Bein hoch. Aufschreiend krümmte sich der Bursche nach vorn, hatte noch immer den Dolch in der Rechten, aber daran dachte er jetzt of fensichtlich nicht mehr. Buddy riß ihn an den Haaren zu sich heran, schlug mit der Lin ken kurz und trocken nach dem Handgelenk seines Angreifers, und das Messer flog sonstwohin. Der Mann aber bekam dann noch das Knie von Buddy zu spüren, und das reichte für ein paar Minuten Tiefschlaf. Butler Parker konnte sich nicht so sehr dem Anblick dieses Schauspiels widmen, wie er es eigentlich vorhatte. Er wurde selbst angegriffen, und der Kerl, der das Messer in der Hand hielt, schien wutentbrannt zu sein. Die Spitze des Regenschirmes traf ihn unerwartet. Er hatte wohl mit sonst etwas gerechnet, nur nicht damit, daß Parker diese Waffe auch wirklich gebrauchen würde. Die Augen des Angreifers nahmen plötzlich einen fassungslosen Ausdruck an, das Gesicht wurde schlaff, dann begann er zu schie len und sank wie in Zeitlupe vor Parker zusammen. Sein Messer begrub er unter sich. Parker nahm den Regen schirm an der Spitze, hakte mit dem Bambusgriff den rechten Arm seines Gegners unter und zog ihn so herum, daß er auf den Rücken zu liegen kam. Mit spitzen Fingern hob er das Messer, das neben dem Mann lag, auf, betrachtete es prüfend und trug es
zwischen Daumen und Zeigefinger sehr spitz haltend, zu einem Sims, wo er es ablegte. Buddy Wolfe hatte inzwischen kurzen Prozeß gemacht. Er ging zum Fahrstuhl. Als der Lift kam und glücklicherweise leer war, stellte sich Mike Rander vor die Lichtschranke, und Buddy zerrte die vier Gegner nacheinander in die Kabine. Dort blieb er breit beinig vor ihnen stehen, blickte über die Schulter zurück und fragte den Butler: »Mister Parker, wo soll ich sie hinschaffen?« Bevor der Butler antworten konnte, ertönte von der nach unten führenden Treppe her Lady Agathas markante Stimme: »Zum vierten Stock, wenn ich bitten darf. Es ist alles arrangiert. Chief-Superintendent McWarden und seine Leute stehen inzwi schen bereit.« »Mylady haben angeordnet!« Josuah Parker wandte sich seiner Herrin zu. »Einen wunderschönen guten Tag, Mylady!« begrüßte er sie. Sie ging nicht darauf ein, sondern sagte: »Mister Parker, Sie sind auf der falschen Etage. Lady Annabell und Lord Winston be finden sich seit zwei Stunden bereits im vierten Stock und warten gespannt darauf, daß ihnen Sheila gebracht wird.« Lady Agatha strebte direkt auf Sheila zu, die neben dem Butler stand. Und da die beiden sich kannten, lief Sheila der resoluten Dame und zugleich passionierten Detektivin entgegen. Sie umarmten sich, und dann sagte Lady Agatha, jeden Wider spruch von vornherein ausräumend: »Ich werde Sheila begleiten und bringe sie selbst nach oben. Aber nicht mit den Flegeln da!« Sie deutete auf den Lift. Mike Rander war inzwischen wieder auf den Flur getreten, und damit wurde die Lichtschranke des Fahrstuhls nicht mehr unter brochen. Buddy, der bei den vier, noch immer am Boden liegen den stand, nickte Parker zu. Da schloß sich auch schon automa tisch die Tür. »Erlauben Sie mir bitte die Frage, Mylady«, wandte sich Parker an seine Herrin. »Ist es auch absolut sicher, daß McWarden oben wartet?« »Es ist immer sicher, wenn ich etwas sage«, erklärte Agatha Simpson selbstbewußt. »Im übrigen ist die ganze Aktion ja wohl jetzt beendet. Ich werde den zweiten Fahrstuhl nehmen.«
»Wie Mylady meinen.« Parker ging zu dem parallelen Fahrstuhl, drückte den Knopf, und wenig später kam der Lift. Er war auch leer. Die Detektivin legte schützend ihren Arm um Sheilas Schul tern und ging mit der jungen Dame zum Fahrstuhl. Mike Rander folgte ihr wie selbstverständlich. Vielleicht hätte es auch Josuah Parker getan, aber kurz bevor er sich in Bewegung setzte, um ebenfalls zum Lift zu gehen, schaute er zum Ende des Ganges, und da entdeckte er etwas, das ihn veranlaßte zu warten. »Fahren Sie nicht mit, Mister Parker?« rief Lady Agatha. »Meine Wenigkeit wird nachkommen, Mylady, wenn Sie mir das erlauben.« Sie konnte nicht mehr antworten, denn die Tür des Fahrstuhls schloß sich, und der Butler war froh darüber. Dann ging er lang sam den Gang entlang auf den Mann zu, der dort hinten im dunk len Anzug breitbeinig stand, die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Haar glänzte im Licht der Flurlampen. Sein Menjoubärtchen ließ ihn wie einen Dandy wirken. Aber darauf waren schon viele hereingefallen. Parker wußte, wozu dieser Mann fähig war. »Hallo, Mister Finch, es ist mir eine große Freude und Ehre, Ih nen hier zu begegnen.« Finch kam einen Schritt auf Parker zu, streckte ihm die Hand entgegen, und sie begrüßten sich. »Die Freude und Ehre ist ganz auf meiner Seite, Mister Parker! Ich hatte eigentlich erwartet, daß es so kommt. Aber es gibt eben immer Leute, die nicht auf mich hören mögen.« Parker musterte ihn und fragte: »Hatten Sie die Informationen von Mister Pickett?« Finch nickte. »O ja, von wem sonst? Ich habe Mister Fabian rechtzeitig gewarnt. Aber er ist sehr eigensinnig, sein Selbstbe wußtsein viel zu stark entwickelt. Jedenfalls wird er jetzt wissen, daß wir ihm leider nicht mehr helfen können.« »Meiner Vermutung nach ist das hier kein würdiger Ort für uns. Wenn Sie erlauben, Mister Finch, um so etwas zu besprechen, sollten wir vielleicht nach unten fahren und…« Finch nickte. »Ja, das wollte ich gerade auch vorschlagen. Als ich herausbekam, auf wen Fabian losgeht und gegen wen er un sere Leute schickt, war es bereits zu spät. Ich wünschte, wir hät ten uns früher gesehen, wenigstens eine Stunde früher. Dann hätte ich das, was hier eben passiert ist, verhindern können, und
die vier Leute von uns würden nicht von Mister McWarden abge fangen und eingelocht.« »Meine Wenigkeit bedauert Ihr Mißgeschick, Sir!« Parker mach te ein Gesicht, das so leidend aussah, als meinte er das tatsäch lich ehrlich. »Ich glaube Ihnen, verehrter Mister Parker«, sagte Finch mit al lergrößtem Respekt. Sie gingen nebeneinander zur Treppe, hät ten zwar den Lift nehmen können, gingen aber die Treppe hinun ter, lautlos auf dem Teppich, der auf ihr lag. »Wissen Sie«, sagte Finch nach einer Weile. »Ich wollte Ihnen nämlich ein Geschäft vorschlagen. Schließlich gibt es in der Ange legenheit, die diesen Mister Fabian betrifft, ja nur zwei Zeugen. Das ist einmal dieses Mädchen, und der andere Zeuge sind Sie, Mister Parker. Und so gut wie wir beide uns kennen und schätzen, könnten wir doch da ein Gentleman-Agrement treffen.« Josuah Parker zeigte seine Überraschung nicht. Sein Pokerge sicht verriet nichts von dem, was er dachte. Aber das, was er dachte, war eine ganze Menge. Und das begann eigentlich damit, was seine Beziehungen zu Mister Finch betrafen und wie er diesen Mann einschätzte. Immerhin war Finch die rechte Hand des größten Gangsterbos ses von London. * Vom Foyer des Hotels abgehend gab es ein Besprechungszim mer, das wie ein Büro eingerichtet war. Ein Schreibtisch, zwei Stühle, sogar ein Fernseher standen da. Als Parker zusammen mit Finch den Raum betrat und die Tür schloß, lief Finch erst an den Wänden entlang, beugte sich tief, daß er unter, den Schreibtisch blicken konnte, hob die Stühle hoch, und Parker konnte sich den ken, was er suchte. »Mir vorzustellen, daß man hier Wanzen versteckt hat, fehlt meiner Wenigkeit jeglicher Anlaß«, meinte Parker. »Ich kann mir immer alles vorstellen«, blieb Finch hart und ließ sich dann im Sessel nieder, der auf der Rückseite des Schreibti sches stand. »Kommen wir zu unserem Geschäft.«
Josuah Parker hatte sich gegenüber niedergelassen, stützte die Hände auf seinen Universal-Regenschirm und blickte seinen Ge sprächspartner an. Finch war nicht nur die rechte Hand des Gangsterkönigs von London, er war auch so etwas wie dessen Gehirn, der Mann, der alle Dinge regelte, der Manager eines Großteils der Unterwelt. Bei ihm liefen die Fäden zusammen. Und daß er sich hier so frei be wegen konnte, lag daran, daß ihm die Polizei noch nie das Ge ringste vorwerfen konnte. Er hatte niemals etwas gestohlen oder einen Menschen nur verletzt, geschweige denn getötet. Er plante. Und er regelte Probleme auf seine Weise. Dabei floß kein Blut. Aber in Wirklichkeit taten die Bandenmitglieder genau das, was er von ihnen verlangte. Doch sie machten sich die Finger schmutzig, nicht er. Parker und Finch waren sich immer mit großem Respekt begeg net. Parker schätzte an Finch den ausgeprägten Verstand, und es bereitete ihm gewissermaßen Freude, sich mit diesem Mann nur mit geistigen Waffen auseinanderzusetzen. Es war wie ein Spiel mit einer Flamme, und Finch war eine Flamme, eine heiße, alles versengende sogar. Auf der anderen Seite ließ sich mit ihm, eben weil er intelligent war, manche Vereinbarung treffen. Parker wußte von Finch, daß der seine Aufgabe ganz anders sah als etwa die Polizei, die ihm schon lange ans Leder wollte, aber ihm noch nie etwas nachweisen konnte. Für Finch war die Gangs terbande ein Industrieunternehmen. Es gab zwar eine schlagkräf tige Truppe, und mit der hatte sich der Butler ja auseinanderset zen müssen, aber das Hauptgewicht lag auf anderen Gebieten. Vom Schmieren von Politikern und Bauspekulationen reichte die Palette bis zur Erpressung größten Stils und der Kontrolle des gesamten Vergnügungsgewerbes in den Londoner RotlichtBezirken. Um so verwunderlicher war es, daß Finch stets allein auftrat und nicht von einer handvoll Gorillas begleitet wurde. Par ker wußte, warum das so war. Finch vertraute seinem persönlichen Können, denn er war nicht nur geistig rege, sondern auch körperlich äußerst geschickt. Ein Karatekämpfer von hohem Format, dazu noch ein überdurch schnittlicher Schütze. Auch diese Dinge waren Parker bekannt. Daß Finch Parker ebenfalls respektierte und dessen Können kei ne Sekunde auf die leichte Schulter nahm, hätte er schon in vie len Auseinandersetzungen bewiesen. Und vor allen Dingen wahr
ten beide bei soviel Respekt voreinander auf die gesellschaftlichen Formen. »Ich sagte vorhin«, fuhr Finch fort, »daß es nur zwei Zeugen gibt. Fabian käme ein Skandal im Augenblick sehr ungelegen, denn er möchte von den Banken einen größeren Kredit. Es geht da um ein paar Millionen. Er wird sie nur bekommen, wenn sein Name nicht plötzlich wegen angeblicher Vergewaltigung oder der gleichen in der Zeitung steht.« Josuah Parker sagte kein Wort und wartete gelassen darauf, daß Finch zur Sache kam, obgleich er sich natürlich denken konnte, worauf es hinauslief. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, meinte Finch. »Das Mäd chen würde als einzige Zeugin, zudem noch als Betroffene, nicht soviel Gewicht bei einer Gerichtsverhandlung gewinnen können wie Sie, Mister Parker. Aus diesem Grund sind Sie der Zeuge, um den es geht, genaugenommen der einzige Zeuge.« »Sie scheinen da wohl ganz sicher zu sein?« fragte Parker und lächelte. »Meine Wenigkeit könnte sich vorstellen, daß es doch noch Zeugen gegeben hat. Möglicherweise sogar Leute von Fabi an selbst. Und was läßt Sie eigentlich des Glaubens sein, daß man den Mund halten wird, wenn es um soviel Geld geht, das dabei aus Fabian herauszuholen wäre.« Finch schüttelte den Kopf und machte eine nervöse Geste mit der rechten Hand. »Nein, nein, lassen wir das. Ernstzunehmender Zeuge sind nur Sie! Steigen Sie aus der Geschichte aus, Mister Parker! Ich könnte mir vorstellen, daß wir uns das etwas kosten ließen. Eine herrliche Reise nach Hawaii, alles inklusive und na türlich Bargeld genug… für sechs Wochen…« »Aber Mister Finch, entschuldigen Sie vielmals, daß ich das auch noch aussprechen muß. Wie können Sie nur annehmen, meine Wenigkeit sei käuflich?« Finch lehnte sich zurück, machte ein betroffenes Gesicht und erklärte: »Es tut mir leid. Verzeihen Sie mir, Mister Parker, Sie haben recht. Es ist, wenn ich es jetzt richtig überlege, beinahe eine Beleidigung gewesen. Verzeihen Sie mir wirklich, ich bitte Sie sehr darum! Mein lieber Mister Parker, ich bin untröstlich und werde Ihnen deshalb ein anderes Angebot machen. Als gute Freunde, die wir ja wohl sind, wenn wir auch jetzt nichts zu trinken haben und trocken sitzen, erlaube ich mir Ihnen vorzuschlagen, daß Sie vielleicht mit einer kleinen Geldspende einverstanden sind, eine Zuwendung an die Eltern der jungen
Dame. Denn wie uns bekannt ist, leiden Lady Annabell und Lord Winston aufgrund ihres doch sehr anspruchsvollen Lebensstils an chronischem Geldmangel. Wir dachten dabei an etwa zehntau send Pfund.« Josuah Parker erhob sich, lächelte verbindlich und meinte: »Mein sehr verehrter Mister Finch, Sie werden mir sicher die Ge legenheit geben, darüber nachzudenken. Es ehrt mich, ohne Zweifel, daß Sie mir einen solchen Vorschlag machen. Und wie gesagt, ein wenig Zeit würde man begrüßen.« Er ging zum Fenster und blickte nach draußen. Rein zufällig sah er, wie zwei Wagen vorgefahren waren und in diesem Augenblick mehrere Polizisten vom Hoteleingang her mit den vier mit Hand schellen gefesselten Gangstern kamen, direkt auf die Autos zu steuerten und allesamt dann in die Wagen einstiegen. Von Lady Agatha und Mike Rander war nichts zu sehen. Vermut lich, so folgerte Parker, befanden sich die beiden noch bei Lady Annabell und Lord Winston im vierten Stock. Das mußte Lady Agatha arrangiert haben, daß Sheilas Eltern nicht mehr im zwei ten Stock wohnten. Vielleicht aus Sicherheitsgründen. Josuah Parker entsann sich jetzt des Vorschlages von Mister Finch und überlegte, ob er darauf eingehen sollte. Im Grund, sag te er sich, ist Sheila nichts passiert. Und zehntausend Pfund wür den Sheilas Eltern ganz sicher mächtig auf die Sprünge helfen. Finch hatte sehr gut recherchiert, was die Vermögensverhältnisse Lady Annabells und ihres Gatten, Lord Winston, betrafen. Lady Annabell hatte mal ein riesiges Vermögen gehabt. Es war Lord Winstons außerordentliches Verdienst gewesen, mittels sei ner Spielleidenschaft dieses Vermögen nicht nur zu reduzieren, sondern eigentlich total einzuebnen. Die Ansprüche der Lady allerdings gingen weit über das derzei tige Einkommen Lord Winstons hinaus, denn das floß nur aus Verpachtungen und Vermietungen. Einen eigentlichen Beruf übte Lord Winston nicht aus. Und im Lauf der Jahre waren diese Ver pachtungen und Vermietungen bei weitem nicht mehr so einträg lich geworden, zumal viele Reparaturen an Grundstücken vorge nommen werden mußten. Diese Kosten fraßen einen Großteil der Pachtzinsen wieder auf. Dies jedenfalls schien Lady Annabell weitgehend zu ignorieren, und deshalb waren sie mächtig in den roten Zahlen. Zehntausend Pfund waren viel Geld. Auf der anderen Seite war aus dieser Sa
che womöglich noch mehr herauszuholen. Und darüber dachte Parker sehr intensiv nach. Schließlich wandte er sich um, blickte Finch, der immer noch am Schreibtisch saß, ruhig und zugleich aufmerksam an und sagte: »Ihr Vorschlag ist nicht übel. Was mich daran ein wenig ent täuscht, wenn Sie mir gestatten, dies zu bemerken, ist der nied rige Pegel dessen, was Sie da als Summe genannt haben. Ich möchte Ihnen in meinen Vorstellungen entgegenkommen: Drei ßigtausend Pfund, mein sehr verehrter Mister Finch, das wäre das Minimum dessen, was ich mir in einem solchen Fall als eine Art Schmerzensgeld vorstellen könnte.« Jeder andere hätte Parker für verrückt erklärt und dies auch lauthals hinaustrompetet. Nicht so Mister Finch, der sich im Um gangsstil kaum von Parker unterschied. Er lächelte, hob beschwörend die Hände und sagte in vorneh mer Zurückhaltung: »Mein sehr verehrter Mister Parker, es be drückt mich, es trifft mich zutiefst, aber ich bin beim besten Wil len nicht in der Lage, Ihnen da nur annähernd entgegenzukom men, sozusagen einen Kompromiß in der Mitte zu schließen, was zwanzigtausend entsprechen würde. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, daß es mich durch und durch traurig stimmt, Ihnen sagen zu müssen, daß zehntausend das äußerste Limit dessen sind, was ich verkraften kann, und – Sie sollen das bei dieser Gelegenheit auch erfahren – dies ist bereits ein Freund schaftsdienst, den ich Ihnen erweise.« »Und Ihr dritter Vorschlag lautet, mein hochverehrter Mister Finch«, fragte Parker. Finch veränderte seine Miene nicht, als er sagte: »Der dritte Vorschlag ist ganz eindeutig. Bis morgen mittag, Mister Parker, sind Sie tot! Dann haben wir das Problem mit Ih nen als Zeugen gelöst. Eine sehr unangenehme Lösung, beson ders für Sie, Mister Parker, aber unser letzter Ausweg ist zugleich der billigste…« * Butler Parker blieb völlig gelassen wie immer. Sein Pokergesicht zeigte nicht, was in ihm vorging. Angst verspürte er keine, aber ihm war völlig klar, daß sein Gegenüber dies alles sehr ernst
meinte, und wenn er mit einer Ermordung drohte, war das alles andere als eine leere Phrase. Dessen war sich Parker völlig be wußt. »Wie Sie belieben, Mister Finch«, meinte Parker. »In Kenntnis Ihrer Vorschläge geht man doch ganz sicher nicht fehl in der An nahme, daß Sie dazu auch einen Termin haben, an dem Sie wis sen wollen, wie meine Wenigkeit sich entschieden hat.« Finch lächelte geschmeichelt. »Ich danke Ihnen, daß Sie das so erkennen, Mister Parker. Wir wollen doch wie gebildete Leute miteinander reden. Natürlich habe ich einen Termin. Ich würde sagen, morgen früh, Punkt neun Uhr. Ich habe Ihnen meine Telefonnummer aufgeschrieben. Ich wer de nicht selbst am Apparat sein. Eine freundliche, sehr nette jun ge Dame wird Ihren Anruf entgegennehmen und blitzartig an mich weiterleiten. Ich muß natürlich wissen, ob Sie Vorschlag eins, zwei oder drei akzeptieren. Sie brauchen nur diese Zahl zu nennen, das genügt völlig. Und hier ist die Telefonnummer.« Er schob ein Kärtchen herüber, und Parker sah sofort, daß es ein Anschluß in der City war. Er steckte die Nummer ein, deutete eine leichte Verbeugung an und sagte: »Es ist außerordentlich freundlich, Mister Finch, daß Sie noch bis morgen früh um neun Uhr warten wollen. Für meine Person dürfte das sehr nützlich sein. Sie können sicher sein, daß Sie morgen früh meinen Anruf bekommen. Ich darf mich jetzt emp fehlen und Ihnen einen vergnüglichen restlichen Tag wünschen!« »Das wünsche ich Ihnen auch, Mister Parker.« Finch deutete ebenfalls eine leichte Verbeugung an, lächelte und fügte seinen Worten hinzu: »Es war mir eine Ehre, Mister Parker, wieder mal mit Ihnen als einem wirklichen Gentleman ins Gespräch gekom men zu sein. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie den Vorschlag drei nicht in Ihre Wahl einbeziehen würden. Ich hätte es noch sehr gern länger mit Ihnen zu tun, Mister Parker.« Der Butler nickte nur lächelnd, drehte sich um und ging. Als die Tür hinter ihm ins Schloß fiel, blieb er noch eine Sekunde stehen und dachte nach. Dann hatte er seinen Entschluß gefaßt. Parker verließ das Hotel, stieg wenig später in der Parallelstraße in sein hochbeiniges Monstrum und fuhr schnurstracks nach Shepherd’s Market zurück. Hier, in dieser Oase der Ruhe, nahe dem Hydepark, mitten in London, und doch wie auf einer Insel,
reihten sich Fachwerkhäuser aneinander, alte, sehr romantisch wirkende Gebäude. Der Platz dieses Shepherd’s Market war gesäumt von solchen Fachwerkhäusern, die meisten aber waren unbewohnt. Sie alle samt gehörten Lady Agatha Simpson, und Butler Parker wußte, daß die vermögende Lady als Besitzerin dieser Häuser niemand darin wohnen lassen wollte, weil sie innen offensichtlich sehr bau fällig waren. Das schönste dieser Häuser aber war bewohnt, ein Fachwerk haus mit überdachtem Eingang. Früher hatte hier mal eine Abtei gestanden. Die Gewölbe des Kellers waren noch erhalten und die ses Haus darauf gebaut. Josuah Parker stieg aus und hatte eigentlich erwartet, Lady A gatha noch nicht vorzufinden, aber sie war schon da. Er hörte oben im Obergeschoß den Fernseher laufen. Wenig später rief Agatha Simpson von oben herunter: »Mister Parker, sind Sie es?« »Myladys Spürsinn ist unübertroffen«, reagierte der Butler an erkennend. »Hätten Sie vielleicht die Güte, Auskunft darüber zu erteilen, ob sich Miß Sheila in Sicherheit befindet?« Die Hausherrin kam die Treppe herunter, würdig und hoheitsvoll wie eine Diva. Dann stand sie vor Parker. »Ich hatte geglaubt, es wäre Mister Rander oder Mister Pickett. Auch Miß Kathy wollte kommen. Ich habe alle hergebeten, daß wir über die Angelegenheit von heute beratschlagen. Es ist natür lich alles ganz einfach…« Parker ließ sich dazu nicht erweichen. »Meines Wissens liegen die Dinge mehr im Verborgenen.« Sie sah ihn überrascht an. »Mister Parker, ich darf doch bitten! Wollen Sie meine Arbeit in Zweifel ziehen?« »Nichts läge mir ferner als das, Mylady. Ich habe nur die Kühn heit, zu behaupten, daß der Fall nicht so simpel scheint, wie Sie des Glaubens sein mögen.« »Und warum nicht?« Sie stemmte die Arme in die Hüften, warf den Kopf in den Nacken und blickte energisch in die Gegend. »Was soll daran nicht simpel sein? Miß Sheila ist wieder in Si cherheit. Superintendent McWarden wird sich um alles küm mern.« »Meine Wenigkeit hatte ein Gespräch, wenn ich mir das zu be merken erlauben darf, mit Mister Finch.«
»Mit diesem Gangster! Der Handlanger des größten Verbrechers von London«, meinte Agatha Simpson zornig. »Mag sein, Mylady«, gab Parker zu. »Diese Formulierung ändert aber nichts an der Tatsache, daß er ein äußerst mächtiger Mann ist. Wahrscheinlich mächtiger als sein Chef, vielleicht der zweit mächtigste Mann der Unterwelt überhaupt.« »Das ist doch Unsinn! Mister Parker, schlagen Sie sich das doch aus dem Kopf! Die Polizei…« »Die Polizei hat Miß Sheila nicht vor Fabian schützen können, und Fabian bedient sich der Organisation, für die Mister Finch die Schlüsselfigur ist. Ich bedaure, Mylady, daß ich Sie davon in Kenntnis setzen muß, daß Finch offenbar zu allem entschlossen scheint. Er vertritt die Meinung, Miß Sheila allein ist kein richtiger Zeuge. Sie kann es nur im Verein mit jemand anderem sein, der ebenfalls Zeuge ist, und dieser andere wäre meine Wenigkeit.« »Und Mister Rander?« fragte Lady Agatha. »Mister Rander hat den eigentlichen Vorfall gar nicht gesehen. Und darauf kommt es an. Es gibt tatsächlich nur die zwei genann ten Zeugen.« »Wollte er Sie bestechen?« fragte Lady Agatha. »Dann ist es ja wirklich kein schwieriger Fall. Das paßt so richtig zu diesen Leu ten, einen Zeugen bestechen.« »Es ist eine seiner Versionen. Eine andere ist«, erklärte Parker, »daß er die Güte hatte, mir vorzuschlagen, eine Reise anzutreten, und die dritte…« »Und die dritte?« fragte Lady Agatha gespannt. »Diese war lebensbedrohend. Mein Ende würde vorprogram miert. Bis morgen mittag würde das geschehen sollen.« Lady Agathas Gesicht färbte sich dunkel. »Das ist ja eine Frech heit ohnegleichen. Das kann sich auch ein Mister Finch nicht leis ten!« Parker lächelte. »Mylady sollten bitte bedenken, Mister Finch leistet sich fast alles. Von der Bestechung eines Politikers bis zur Erpressung eines Bankiers. Es gibt nichts, was er nicht durchzu führen imstande wäre, ohne sich selbst die Finger schmutzig zu machen. Und wie Sie wissen, kann man nie etwas beweisen, was ihn angeht. Die Polizei, das ist Mylady ja ebenfalls bekannt, wenn ich das bemerken darf, ist gegen ihn bisher machtlos gewesen. Kein Staatsanwalt bekam genügend zusammen, um Anklage zu erheben.«
»Haben Sie Angst, Mister Parker?« fragte Lady Agatha und sah ihren Butler kritisch an. Parkers Gesicht blieb wie versteinert, als er antwortete: »Meine Wenigkeit erlaubt sich zu sagen, daß keine Angst zu haben be deutet, keine Gefühle zu besitzen. Und ich leiste mir den Luxus, welche zu haben. Auf der anderen Seite sollte jeder Gentleman imstande sein, diese Angst zu unterdrücken. Und das nennt man dann im Volksmund Mut.« »Wie treffend!« meinte Lady Agatha anerkennend. »Mut haben Sie, das weiß ich. Sie haben also Ihre Entscheidung bereits ge troffen. Aber ich bin damit nicht einverstanden! Den dritten Weg zu gehen, ist Wahnsinn. Wir sollten das wirklich beim Namen nennen. Sie werden doch Ihr Leben nicht wegwerfen! Und ich fürchte, dieser Mister Finch wird Mittel und Wege finden, sein Vorhaben auszuführen. Oder haben Sie sich etwa überlegt, wie man dem begegnen könnte? Ich meine natürlich wirkungsvoll begegnen könnte. Ich meinerseits habe bereits einen Vorschlag.« Josuah Parker lag eine Reaktion auf der Zunge, aber er schwieg. Er mochte seine Herrin jetzt nicht reizen. Also hörte er, was sie zu sagen hatte, und wartete interessiert auf ihre Antwort. »Es gibt natürlich die Möglichkeit, bei dieser Gelegenheit Mister Finch und besonders diesen Mister Fabian einmal für immer sozu sagen aus dem Verkehr zu ziehen, wenn ich das so vulgär aus drücken darf. Und diese Möglichkeit besteht darin, daß wir ihm eine Falle stellen. Ich habe da bereits einen Plan.« Dann begann die Detektivin diesen Plan zu entwickeln. Für Par ker war das in drei Sätzen zusammenzufassen. Lady Agatha woll te einen Mann, der Parker ähnlich sah und genauso gekleidet war wie Parker, als eine Art Lockvogel ausschicken. Gleichzeitig hatte sie vor, die gesamte Polizei zu alarmieren und mit Hilfe von McWardens Leuten nicht nur den Mordschützen zu fassen – sie ging einfach davon aus, daß Parker durch einen Schuß getötet werden sollte – sondern über diesen Mann auch an die Hinter männer und damit an Finch heranzukommen. Parker hörte sich diesen Plan bis zu Ende an, sagte nichts dazu, verwarf ihn aber sofort. Dieser Lockvogel war doch ebenfalls in Lebensgefahr, dachte er und faßte seinerseits einen anderen Plan. »Mylady«, sagte er. »Meine Wenigkeit ist untröstlich einen ganz anderen Entschluß gefaßt zu haben. Die zehntausend Pfund wä
ren danach anzunehmen, die Mister Finch Miß Sheila zukommen lassen will, womit er mein Schweigen erkauft.« Lady Agatha machte ein entrüstetes Gesicht. »Aber Mister Par ker, Sie enttäuschen mich. Das hätte ich nie von Ihnen gedacht! Sie sind ja sehr zurückhaltend.« Josuah Parker zog die Schultern hoch. »Ich bedaure außeror dentlich, Mylady, und bin direkt untröstlich, aber ich kann Ihre Annahme im Augenblick nicht widerlegen. Es muß natürlich so aussehen, als wäre meine Wenigkeit, wie der Volksmund sagt, ein Drückeberger.« »Und ob es so aussieht!« erklärte sie barsch. »Nein, wir verfol gen meinen Plan. Der ist sehr durchdacht.« »Wenn man mit einem Hinweis dienen darf, Mylady, dann da mit, daß ich mit der Annahme von zehntausend Pfund diesem Mister Fabian und damit auch Mister Finch leichter etwas nach weisen kann als mit einem toten Doppelgänger von mir. Und im übrigen möchte ich mitnichten verhehlen, befindet sich der Dop pelgänger in Lebensgefahr, wenn er in meiner Person auftritt.« »Wollen Sie denn lieber selber umgebracht werden?« erkundig te sich Lady Agatha fassungslos. »Ich möchte Sie nicht verlieren, Mister Parker.« Der Butler erlaubte sich ein Lächeln. »Es ist mir ein Bedürfnis, Mylady, für das mir entgegengebrachte Vertrauen zu danken. Aber mit der Annahme eines Bestechungsgeldes kommen wir nach meiner Theorie viel eher zu Nachweisen als durch einen Mord an einem völlig Unbeteiligten, der nur zufällig das Miß vergnügen hat, meiner Wenigkeit zu ähneln. Andererseits dürfte der Mordanschlag nicht durch eine Waffe erfolgen. Das wäre nicht Mister Finchs Stil. Er wird vielmehr versuchen, dies wie ein Unfall aussehen zu lassen, bei dem gar kein Täter nachzuweisen wäre und niemand von Vorsatz sprechen könnte. Würden Mylady sich meiner Theorie anschließen können?« »Nein«, beharrte Agatha Simpson, wie es ihre Art war. »Natür lich nicht, Mister Parker. Meine Theorie kennen Sie bereits, und ich halte sie für richtig. Ich werde deshalb sofort alles in die We ge leiten.« Wenig später telefonierte die Detektivin vom Obergeschoß aus mit Chief-Superintendent McWarden, während Butler Parker un ten Horace Pickett empfing.
Der ehemalige Eigentumsverteiler genoß Lady Agathas größtes Wohlwollen, kamen doch von ihm viele Hinweise, was die Unter welt betraf, mit der er nach wie vor in losem Kontakt stand. Seine Verbindungen zur Szene rissen im Grund nie ab, trotzdem hatte er sich wieder auf die Seite des Rechts geschlagen und war nicht nur Lady Agatha, sondern auch dem Butler treu ergeben. Er brachte Kathy Porter mit, die nur gekommen war, um Mike Rander zu sehen. Aber unterwegs schon hatte ihr Pickett erzählt, worum es ging, und das weckte ihr volles Interesse. Die wie ein scheues Reh wirkende, hübsche Dreißigjährige blick te mit ihren großen Mandelaugen auf Butler Parker, als sie ihn begrüßte. Ein wenig erinnerte sie jedesmal an eine Südseeschön heit. Sie hatte etwas Exotisches, das sehr apart wirkte. Sie war zierlich, und nur wer sie genau kannte, wußte, daß sich dieses scheue Reh ganz plötzlich in eine reißende Pantherkatze verwan deln konnte. Und die wenigsten glaubten, wenn sie Kathy Porter sahen, daß sie mehrfache Karatemeisterin war, und nicht nur das. Sie besaß noch eine ganze Reihe anderer Qualitäten, die man chen Mann das Fürchten lehrten. Im Augenblick sah sie aus, als könnte sie kein Wässerchen trü ben und konzentrierte sich ihr Denken auf Mike Rander. Aber der Anwalt war noch nicht da. Wie Lady Agatha von oben herunterrief, befand sich Rander im Augenblick bei McWarden. Sie bestellte Grüße von beiden. Josuah Parker bedankte sich, wie es seine Art war, sehr wort reich, wandte sich dann aber wieder Horace Pickett und Kathy Porter zu. Kathy wollte aber erst mit Lady Agatha sprechen und ging nach oben. Parker nahm Pickett mit in seine Privaträume, genauer gesagt in sein Wohnzimmer, das wie eine Kapitänskajüte eingerichtet war. Pickett machte es sich bequem. Er war im Ganzen eine sehr ge pflegte Erscheinung und sah wie ein Mann aus, dem man trauen konnte. »Was haben Sie herausgefunden, Mister Pickett? Sie verstehen sicher daß es meine Wenigkeit interessiert, wie es um die Dinge steht.« Horace Pickett fuhr sich mit der Rechten übers Kinn. »Im Grund fängt es jetzt erst an«, sagte er. »Zwar ist Miß Sheila in Sicher heit, und wie ich erfahren habe, will Mister McWarden sie mit ih ren Eltern zu den Bahamas fliegen lassen.«
Parker schien überrascht. »Ich hatte noch nicht das Vergnügen, davon zu hören! Wie verträgt sich das denn mit den Einkom mensverhältnissen von Lord Winston?« »Das habe ich mich auch schon gefragt«, meinte Pickett. »So weit ich unterrichtet bin, ist der Lord arm wie eine Kirchenmaus, lebt im Grund von den Zuwendungen seiner Freunde. Aber ich habe den Verdacht, daß Lady Agatha ihm da einen größeren Kre dit gegeben hat, von dem ich fürchte, daß sie ihn, nie wieder zu rückerhalten wird.« »Mein lieber Freund«, meinte Parker, »es sieht nicht so aus, als würde Lady Agatha dadurch nur in die geringsten Schwierigkeiten geraten. Soweit die Verhältnisse von Mylady bekannt sind, dürfte sie so reich sein, daß sie einen Verlust von hunderttausend Pfund nicht mal merken würde. Aber Sie sagten eben ganz richtig, daß der Fall im Grund jetzt erst beginnt. Was konnten Sie noch eruie ren?« »Mister Fabian erwartet eine Bürgschaft des Ministeriums von fünfzehn Millionen Pfund für seinen neuesten Film, und das sollte, wie ich erfuhr, kein Porno sein. Angeblich will er auf zehn Porno filme einen guten Film drehen, finanziert sozusagen die guten mit den Pornos. Ich weiß nicht, wie es ihm geglückt ist, aus dem Mi nisterium soviel Geld herauszuholen oder die Zusage dafür, aber er hat auch noch Aussichten, weitere fünfzehn Millionen von einer Bank zu bekommen. Und mit diesem Geld möchte er einen Film drehen, der im Zweiten Weltkrieg spielt, ein Kriegsfilm also. Aber alles soll sehr realistisch sein. Es geht da um U-Boote.« Parker schaute Pickett ungläubig an. »Ist das Mister Fabians Ernst? Da haben doch die Deutschen einen entschieden besseren Film gedreht.« »Sie meinen >Das Boot