PARKER karrt den „Giftprinz“ ab Roman von Günter Dönges »Nun sehen Sie sich das an, Mister Parker«, sagte Agatha Simpso...
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PARKER karrt den „Giftprinz“ ab Roman von Günter Dönges »Nun sehen Sie sich das an, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson ein wenig schadenfroh. »Diese Leute haben doch wirklich keine Ahnung, wie man einen Lastwagen fährt! Ich denke, ich werde dem Anfänger ein paar Grundkenntnisse beibringen müssen.« Die ältere Dame, die das sechzigste Lebensjahr überschritten hatte, aber noch ungemein dynamisch war, hielt ihren leicht angebeulten Landrover an und schob ihre majestätische Fülle aus dem hochbeinigen Geländewagen. Ihr Blick konzentrierte sich auf den Sattelschlepper, der mit seinem fast riesig anmutenden Tankaufsatz in den hier flachen Graben gerutscht war. Der Beifahrer stand vorn am Fahrerhaus und signalisierte dem Fahrer Lenkausschläge. Der mächtige Motor des Sattelschleppers röhrte, die Räderpaare drehten durch und wirbelten Gras und Sand hoch. Der Tankzug schüttelte sich wie ein wütendes Tier, doch der Fahrer schaffte es nicht, das Fahrzeug vor dem weiteren Wegrutschen zu bewahren. »Das wird doch nichts, junger Mann«, stellte Lady Agatha wohlwollend und durchaus friedfertig fest. »Sie müssen den Tankzug herausschaukeln, wenn Sie überhaupt wissen, was damit gemeint ist.« »Hauen Sie ab, Madam«, erwiderte der Beifahrer, der erst jetzt auf Mylady aufmerksam geworden war. »Hauen Sie bloß ab, wir brauchen keine guten Ratschläge!« Die Hauptpersonen: Willie Wickham leitet ein dubioses Abbruch-Unternehmen und demontiert sich selbst. Paul Harling geht als Sekretär eigene Wege und betätigt sich als Privat-Entsorger. Norman Pitway hat als Schrotthändler eine Vorliebe für gebrauchte Tankzüge. Hank Sittner beschäftigt sich mit Giftmüll aller Art und zeigt sich als Ehrenmann. Lady Agatha Simpson bringt resolut einen Tankzug aus dem Kurs. 2
Butler Parker kennt sich in Chemie aus und sucht nach dem sogenannten Giftprinzen. Der Fahrer schob seinen Oberkörper durch das geöffnete Seitenfenster der Fahrerkabine, erblickte Agatha Simpson, dann Parker und klinkte die Fahrertür auf. Er stieg hinunter auf die Straße und warf dabei seine kaum angerauchte Zigarette weg. Der Mann war untersetzt, muskulös, hatte ein schwammiges Gesicht und war unrasiert. »Schon gut, Leute«, rief er Lady Agatha und Parker zu. »Wir kommen allein zurecht, klar? Sie können wieder verschwinden.« »Sie müssen mehr mit der Kupplung arbeiten«, antwortete Agatha Simpson durchaus freundlich. »Und dann natürlich nicht zuviel Gas, junger Mann. Eine Naturbegabung als Fahrer sind Sie gerade nicht.« »Ich… Ich hab’ andere Begabungen, Madam«, antwortete der Fahrer und rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Aber jetzt sollten Sie abhauen, klar? Sie stören hier nur.« »Verdrückt euch«, sagte der Beifahrer ruppig. »Wir brauchen keine Ratschläge.« »Sie sollten sich einer gewissen Höflichkeit befleißigen, obwohl Ihre momentane Lage durchaus verständlich ist«, schaltete Parker sich ein. Etwa mittelgroß und fast schlank, sah er aus wie das Urbild eines hochherrschaftlichen englischen Butlers. Sein Gesicht war glatt und ausdruckslos wie das eines professionellen Pokerspielers. Er trug über seinem schwarzen Zweireiher einen ebenfalls schwarzen Covercoat und eine Melone. Am angewinkelten linken Unterarm hing ein altväterlich gebundener Regenschirm. »Mann, wir wollen keinen Ärger«, antwortete der Angesprochene und zwang sich erstaunlicherweise ebenfalls zur Ruhe wie der Fahrer. »Wir wollen nur in aller Ruhe unseren Karren flottmachen.« »Was Sie natürlich völlig falsch anfangen, junger Mann«, erklärte die ältere Dame noch mal. »Aber bitte, ich kann warten. Sie werden mich noch um Hilfe bitten.« Der Beifahrer wollte aufbrausen, doch dann wechselte er einen schnellen Blick mit dem Fahrer und wandte sich ab. Der Fahrer ging zurück zum Tankzug, stieg ins Fahrerhaus und machte sich erneut daran, den weggesackten Sattelschlepper auf die Straße zurückzubringen. 3
»Es gibt Leute, die einfach nicht begreifen wollen«, mokierte sich Lady Agatha. »Ich kann nur hoffen, daß das Ungetüm umkippt.« »Myladys Erwartung dürfte bald in Erfüllung gehen«, meinte der Butler in seiner unnachahmlich höflichen Art. Er übertrieb keineswegs, denn das Gewicht drückte die Außenreifen immer tiefer in den weichen, wahrscheinlich morastigen Graben. Die Schräglage wurde bedrohlich. Lady Agathas Augen funkelten in Vorfreude. Die ältere Dame, immens vermögend, seit vielen Jahren verwitwet, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, war eine Frau, die stets das sagte, was sie gerade dachte. Sie pfiff auf alle Konventionen, trat in jedes erreichbare Fettnäpfchen und hielt sich unter andern für eine einmalige Kriminalistin. Es gab nichts, was sie nicht besser wußte. Und sie merkte einfach nicht, daß es ihr Butler war, der seine Hände schützend über sie hielt und die Kriminalfälle löste. Boshaft war sie dazu. So freute sie sich jetzt ungemein, als der Sattelschlepper sich mit der rechten Heckseite auf einen Kilometerstein legte, der sich in den Tankaufbau drückte. »Schade um die Milch, Mister Parker«, erklärte die passionierte Detektivin ohne Bedauern. »Sie müssen zugeben, daß ich den Lastwagen aus dem Graben gebracht hätte, nicht wahr?« »Meine bescheidene Wenigkeit würde niemals an solch einer Möglichkeit auch nur andeutungsweise zu zweifeln wagen«, gab Parker zurück. Er rechnete ebenfalls damit, daß gleich Milch auslaufen würde. Laut unübersehbarer Aufschrift auf dem Tank transportierte der Sattelschlepper Milch. Der Tank leckte tatsächlich. Josuah Parker schritt würdevoll zum aufgewühlten Straßengraben hinüber und blickte auf die ausgetretene Milch, die keine war. Statt der erwarteten weißen Köstlichkeit floß ein giftig schillerndes Gemisch aus schwarzem Altöl und Chemikalie aus dem Leck in den Graben. Worüber Parker sich verständlicherweise wunderte. * Wenige Augenblicke später wunderte er sich erneut. 4
Der Beifahrer kam um das Heck des Sattelschleppers herum und schwang sehr unternehmungslustig einen Schraubenschlüssel, der den Dimensionen des Fahrzeugs angepaßt war. Dieses Gerät war gut und gern einen halben Meter lang und sollte eindeutig als Waffe verwendet werden. Der Beifahrer wollte damit auf Parker einschlagen, der allerdings sofort reagierte und höflich einen halben Schritt zur Seite trat. Der Schraubenschlüssel zischte knapp am Butler vorüber und knallte dann mit großer Wucht gegen den Tankaufbau. Bevor der Angreifer sich neu versammeln konnte, warf Parker mit ruckartiger Bewegung des Unterarmes den Universal-Regenschirm senkrecht hoch in die Luft. Mit der rechten Hand griff er dann nach dem unteren Viertel des Schirmes und setzte den Bambusgriff seines Regendaches auf die Stirn des Beifahrers. Da dieser Schirmgriff mit Blei ausgegossen war, fiel dieses Anklopfen sehr nachdrücklich aus. Der Beifahrer produzierte einen erstickt-ächzenden Laut, warf den Schraubenschlüssel in die Luft und sich zu Boden. Er scharrte noch mit den Beinen in der aufgewühlten Erde des Straßengrabens und gab dann Ruhe. Josuah Parker hatte keine Zeit, sich um seinen Gegner zu kümmern. Der Fahrer des Sattelschleppers war ausgestiegen und stürmte heran. Auch er schwang einen Schraubenschlüssel und wollte den Butler damit niederknüppeln. Doch Parker war nicht der Mann, der sich aus der Fassung bringen ließ. Er unterband den Angriff auf fast elegante Art. Mit der Schirmspitze stach er nach dem Solarplexus des Mannes, der daraufhin sichtlich unter Luftnot litt, ebenfalls die improvisierte Waffe wegwarf und auf dem Boden Platz nahm. Er hüstelte, schnappte zwischendurch verzweifelt nach Luft und krümmte sich wie ein getretener Wurm. »Sie werden sicher begreifen, daß man Ihre Handlungsweise nur mißverstehen kann«, sagte Parker. »Ferner muß man wohl unterstellen, daß Sie sehr wohl wissen, daß Sie keine Milch transportieren.« Lady Agatha erschien am Heck des Tankzuges. »Seien Sie vorsichtig, Mister Parker«, warnte sie. »Ich habe einen dieser Lümmel mit einem Schraubenschlüssel gesehen und…« »Die Sache hat sich bereits erledigt, Mylady«, meldete Parker höflich, »die beiden Herren leiden momentan unter gewissen kör5
perlichen Schwächen.« »Ich wußte sofort, daß man den Subjekten nicht trauen kann«, redete sie weiter und blickte auf die Männer, die von der schwarzen Ölbrühe umspült wurden. Dann stutzte sie mit einiger Verspätung und runzelte die Stirn. »Das ist doch keine Milch«, konstatierte sie empört. »Man dürfte verbotenerweise chemische Abfälle transportiert haben, Mylady.« »In einem Tankzug für Milch? Nicht zu glauben!« Sie schüttelte den Kopf. »Es war also doch gut, daß ich die Abkürzung gewählt hatte, nicht wahr?« »Mylady dürften es wieder mal in den Fingerspitzen gespürt haben«, entgegnete Parker gemessen. »Ich werde den Dingen auf den Grund gehen.« Sie beugte sich vor, schnupperte ein wenig und verzog angewidert das Gesicht. »Eine undefinierbare Chemikalie, Mylady«, sagte der Butler. »Es empfiehlt sich, eine Probe zu nehmen, um sie später analysieren zu lassen.« »Genau das wollte ich gerade anregen.« Sie nickte wohlwollend. »Erledigen Sie das, Mister Parker. Ich werde die beiden Lümmel nicht aus den Augen lassen.« Während sie diese Feststellung traf, ließ sie ihren perlenbestickten Pompadour kreisen. In diesem kleinen Handbeutel, der an langen Schnürer an ihrem linken Handgelenk baumelte, befand sich ihr sogenannter Glücksbringer. Es handelte sich dabei um ein Hufeisen, das von einem massiven Brauereipferd stammte. Agatha Simpson wußte mit diesem Glücksbringer geschickt umzugehen. Parker hatte also keine Bedenken, zum Landrover zurückzugehen. Er hatte ihn noch nicht ganz erreicht, als er plötzlich einen wütenden Aufschrei hörte, der in glucksendem Klatschen unterging. Parker schritt schnell, jedoch ohne Verzicht auf Würde, zurück zum Sattelschlepper und entdeckte seine Herrin, die mit ausgebreitetem Rock wie eine riesige Glucke im bereits ölgefüllten Straßengraben saß. Von den beiden Männern war nichts mehr zu sehen. Sie waren im Gesträuch des angrenzenden Feldes verschwunden.
6
* »Mylady befindet sich im Zustand einer leichten Erregung, Sir«, meldete Josuah Parker, nachdem er Kathy Porter und Mike Rander eingelassen hatte. »Sie ist oben im Bad, Mister Parker?« fragte Kathy Porter. Sie war die Gesellschafterin und Sekretärin der älteren Dame. »Die Ölrückstände setzen einer endgültigen Reinigung hartnäckigen Widerstand entgegen, Miß Porter.« »Dann werde ich helfend eingreifen«, entschied sie. Kathy Porter, an die dreißig Jahre alt, groß, schlank, war eine attraktive Erscheinung, von einem Hauch Exotik umgeben. Dazu trugen ihre mandelförmig geschnittenen Augen und die betonten Wangenknochen bei. Sie hatte braunes Haar mit einem leichten Rotstich und wirkte damenhaft-zurückhaltend. Doch sie konnte sich in eine wilde Pantherkatze verwandeln, wenn man sie angriff. Sie war sehr erfahren in vielen Künsten fernöstlicher Selbstverteidigung und kannte keine falschen Hemmungen. Kathy Porter nickte Parker und Mike Rander zu und ging dann über die geschwungene Treppe ins Obergeschoß des Fachwerkhauses, das Lady Simpson hier in Sheperd’s Market bewohnte. »Ihre Stichworte eben am Telefon haben mich neugierig gemacht«, sagte der Anwalt, der als Vierzigjähriger äußerlich an einen bekannten James-Bond-Darsteller erinnerte. »Sie haben schon festgestellt, wem der Sattelschlepper gehört?« »Dieser Frage ging meine Wenigkeit in der Tat bereits nach«, lautete Parkers Antwort. »Das Kennzeichen des Wagens ist eindeutig gefälscht und gehört einem Lastzug, der in Southampton registriert war und an einen Schrotthändler im Londoner Osten verkauft wurde.« »Das ist doch schon was«, erwiderte Mike Rander. Er und Parker kannten sich seit vielen Jahren. Seinerzeit hatten sie zusammen in den USA viele Abenteuer überstanden, bis der Butler dann in die Dienste der Lady Simpson getreten war. Nach Mike Randers Rückkehr aus den Staaten war er von Lady Agatha wie selbstverständlich vereinnahmt worden. Er verwaltete jetzt das Vermögen der älteren Dame und fand kaum Zeit, seinem wirklichen Beruf als Anwalt nachzugehen. Seine Kanzlei und seine Privatwohnung befanden sich in der nahen Curzon Street. »Die Probeentnahme der Chemikalie, Sir, befindet sich bereits 7
in einem privaten Labor«, berichtet der Butler weiter. »Mit einem ersten Ergebnis der Analyse dürfte gegen Spätnachmittag zu rechnen sein.« »Eine tolle Schweinerei«, meinte Rander und schüttelte den Kopf. »Da benutzt man einen ehemaligen Milchtankzug, um flüssigen Abfall wegzuschaffen. Die Sache stinkt doch!« »Sie stank im wahrsten Sinn des Wortes, Sir«, gab Parker zurück. »Meiner bescheidenen Ansicht nach sollten die flüssigen Abfälle illegal verbracht werden.« »Haben Sie schon eine Vorstellung, Parker, wohin das Zeug transportiert werden sollte?« »Zu dem bereits geschilderten Zwischenfall kam es östlich von Chelmsford, Sir. Es wird festzustellen sein, ob es dort sogenannte Mülldeponien gibt.« »Das könnten Miß Porter und ich übernehmen«, schlug Mike Rander vor. »Ich denke, Sie wollen sich mit dem Schrotthändler in Verbindung setzen, wie?« »Eine Aufgabenteilung, Sir, die man nur als effektiv bezeichnen kann.« Parker nickte andeutungsweise. »Verrückt, daß Lady Simpson und Sie wieder mal per Zufall auf diesen Tankzug gestoßen sind.« »Mylady besuchte in Chelmsford ein Altersheim«, setzte Parker dem jungen Anwalt auseinander. »Während der Rückfahrt bestand Mylady auf einer Abkürzung.« »Die uns wahrscheinlich direkt in einen neuen Fall führt.« Rander lächelte, »und ich hatte schon die stille Hoffnung, daß wir mal ein paar Wochen ohne Gauner und Gangster verbringen könnten.« »Mylady pflegt Kriminalfälle anzuziehen wie der Magnet die Eisenfeilspäne, Sir.« »Na schön, Parker, packen wir’s an.« Rander zuckte die Achseln. »Seitdem ich wieder in London bin, erschüttert mich überhaupt nichts mehr. Bleibt in diesem Fall nur die Hoffnung, daß sich das alles als eine private Gaunerei herausstellt.« »Wenn Sie erlauben, Sir, möchte meine Wenigkeit anderer Ansicht sein.« »Ich fürchte auch, daß wir da nur die Spitze eines Eisberges gesehen haben, Parker. Sollten wir nicht McWarden informieren?« »Chief-Superintendent McWarden befindet zur Zeit noch auf einer Dienstreise«, entgegnete Josuah Parker. »Er wird nach Aus8
kunft seiner Dienststelle erst am kommenden Nachmittag wieder in London zurück sein.« »Na ja, bis dahin wird ja wohl kaum was passieren«, hoffte Mike Rander. »Er konnte natürlich nicht wissen, daß er sich gründlich geirrt hatte.« * Josuah Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, wie sein Privatwagen von Eingeweihten gern genannt wurde. Dieses alte, ehemalige Taxi, das vom Baujahr her wirklich nur noch in wenigen Einzelexemplaren in den Londoner Straßen anzutreffen war, zeichnete sich durch einen hohen und eckigen Aufbau aus. Unter diesem Blech befand sich aber modernste Technik, und Parker hatte dafür gesorgt, daß er mit vielen Überraschungen aufwarten konnte, falls es die Lage erforderte. Der Butler war allein. Lady Agatha meditierte in ihrem Studio, wie sie es nannte. Mit Sicherheit schaute sie sich einen Video-Film an, um die Technik des Drehbuchschreibens zu lernen, wie sie es nannte. Die ältere Dame hielt sich nämlich nicht nur für eine einmalig gute Kriminalistin, sie war auch fest davon überzeugt, Bestseller und FilmScripts schreiben zu können. Parker war auf dem Weg zu einem privaten Institut, das Analysen für die Industrie vornahm. In dieser Firma hatte man die stinkende Chemikalie untersucht und wollte ihm nun das Ergebnis mitteilen. Das Institut befand sich im Stadtteil Clerkenwell, nordwestlich der eigentlichen City. Schön nach wenigen Minuten bemerkte, Parker, daß er verfolgt wurde. Es handelte sich um einen wendigen Fiat, in dem zwei Männer saßen, sie trugen Lederjacken und Baseballmützen mit überlangen Schirmen. Der kleine Fiat blieb auch dann noch am hochbeinigen Monstrum kleben, als Parker seinen Wagen völlig regellos durch ein Gewirr schmaler Straßen lenkte. Entweder wollten die Verfolger bewußt auf sich aufmerksam machen oder aber sie kamen gar nicht auf den Gedanken, daß man sie ausgespäht haben könnte. Um den Dingen auf den Grund zu gehen, forderte der Butler seine Verfolger heraus. Er steuerte einen Parkplatz an, ließ sein 9
hochbeiniges Monstrum in eine Parktasche rollen und wartete erst mal ab. Er nutzte die Zeit, um nach einem kleinen Sprayzylinder zu langen, der sich in einer seiner vielen Westentaschen befand. Dieses kleine Gerät, wie man es zur Bekämpfung des Schnupfens verwendet, sah in seiner schwarz behandschuhten Hand völlig harmlos aus, falls man es überhaupt entdeckte. Der Fiat war gefolgt und wurde genau hinter Parkers Wagenheck abgestellt. Fast synchron stiegen die beiden Männer aus, kamen ohne jede Eile nach vorn und bauten sich links und rechts an den Vordertüren von Parkers Wagen auf. Als sie wie auf ein geheimes Kommando diese Türen öffnen wollten, erlebten sie eine erste Enttäuschung. Die Türen waren verriegelt. »Kann man Ihnen in irgendeiner Form möglicherweise dienlich sein?« Parker öffnete die vordere rechte Wagenscheibe spaltbreit und blickte den Mann höflich an. »Machen Sie mal die Tür auf«, antwortete der Angesprochene ungeduldig. »Wir haben mit Ihnen zu reden.« Während er noch seine Wünsche äußerte, zeigte er dem Butler kurz, aber deutlich, den Lauf einer schallgedämpften Automatik. »Sind Sie völlig sicher, daß Sie meine bescheidene Wenigkeit meinen?« erkundigte sich der Butler. »Los, Beeilung, sonst gibt’s Zunder«, drohte der Mann, »das hier is’ keine Show, Mann!« »Handelt es sich etwa um einen Überfall?« wollte Parker wissen. »Quatsch. Wir haben nur ein paar Sachen zu sagen, klar? Los, auf mit der Tür!« Parker nickte höflich und bewegte die rechte Hand hoch. Danach drückte er auf den Auslöseknopf des Sprayfläschchens. Begleitet von feinem, scharfem Zischen schoß eine wasserklare Flüssigkeit durch den Fensterspalt nach draußen und breitete sich dort zu einer kleinen Spraywolke aus. Der Mann wich unwillkürlich zurück, wischte sich durch das Gesicht und hüstelte. Parker schloß das Fenster und kümmerte sich um den zweiten Mann an der anderen Wagentür. Er beugte sich etwas über den Beifahrersitz und winkte den Fiatfahrer an die Scheibe heran, die sich hier ebenfalls spaltbreit öffnete. »Sie können, wenn Sie es wünschen, umgehend einsteigen«, sagte der Butler und… verabreichte auch diesem Mann eine Dosis aus der Spraydose. Auch jetzt kam es zu einem Wischen übers Gesicht, zu einem Hüsteln. Parker schloß wieder das Fenster und 10
wußte aus einschlägiger Erfahrung, daß er vielleicht zwei bis drei Minuten warten mußte, bis er sich den Behandelten intensiver widmen konnte. * Sie lächelten ihn wie abwesend an, schielten dazu abenteuerlich und hatten nichts dagegen, daß Parker ihnen die Schußwaffen und Brieftaschen abnahm. Sie saßen vorn an der Stoßstange ihres Fiats und machten einen durchaus friedlichen Eindruck. »Darf man erfahren, für wen Sie arbeiten?« fragte Parker direkt. »Willie… Willie Wickham«, sagte der Mann, der von Parker zuerst behandelt worden war. Er sprach zwar undeutlich, doch Parker konnte ihn dennoch gut verstehen. »Und wo kann man Mister Willie Wickham finden?« lautete seine nächste Frage. »Millwall Docks«, erklärte der zweite Fiatfahrer umgehend und durchaus bereitwillig. »Mister Willie Wickham geht welchem Beruf nach?« »Der macht in Abbruch«, hörte der Butler, »der macht eigentlich alles.« »Sie werden sicher gern sagen, wie Ihr Auftrag lautete?« »Wir sollen dich aufmischen«, sagte nun wieder der erste Mann und grinste dümmlich. »Mehr nich’, wirklich.« »Was muß man sich darunter vorstellen?« fragte Parker höflich weiter. »‘n paar kleine Knochenbrüche«, lautete die Antwort. »Alles ganz sauber, Mann.« »Haben Sie herzlichen Dank für die Auskunft.« Parker deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes auf den Fiat. »Sie können wieder in Ihrem Wagen Platz nehmen.« Ohne Zögern folgten sie seinem Hinweis, bewegten sich dabei aber staksig und unsicher. Sie machten einen angetrunkenen Eindruck, zeigten aber keine aggressiven Neigungen. »Sie sollten dort drüben neben dem Morris parken und ein wenig der Ruhe pflegen«, schlug der Butler weiter vor. Der Mann, der bereits am Steuer des Fiat saß, nickte, lächelte wieder tumb und steuerte anschließend den kleinen Wagen in die angewiesene 11
Parktasche. Parker setzte sich ans Steuer seines hochbeinigen Monstrums und verließ den Parkplatz. Dabei kurvte er leicht an dem Fiat vorbei. Die beiden Insassen hatten ihre Köpfe zurückgelehnt und waren bereits eingeschlafen. Parker war mit seiner neuen Mixtur, die aus seinem privaten Labor stammte, mehr als zufrieden. Der Patentspray tat genau jene Wirkung, die er erwartet hatte. Aggressionen lösten sich in Sekundenschnelle auf und verwandelten sich in eine heitere und friedliche Grundstimmung. Natürlich änderte Parker seinen ursprünglichen Plan. Er hatte gerade einen wichtigen Hinweis erhalten, dem man nachgehen mußte. Der Butler wollte sich diesen Willie Wickham mal aus der Nähe ansehen. Der Abbruchunternehmer mußte nämlich von dem getarnten Chemikalientransport gewußt haben. Nach einer halben Stunde Fahrt durch immer wieder verstopfte Straßen erreichte Parker die Millwall-Docks im großen Themsebogen. Er war überrascht, wie grundsolide diese Firma sich nach außen hin präsentierte. Vor einem Ziegelbau, in dem wohl die Büros untergebracht waren, gab es einen Bauhof, auf dem schweres Abbruchgerät geparkt war. Parker entdeckte einige große Schaufellader, Kranwagen und Trucks. Es gab einen einheitlichen Anstrich, alles war in bester Farbe und Verfassung. Vor dem Bürogebäude stellte Parker sein hochbeiniges Monstrum ab und schritt würdevoll in die kleine Empfangshalle. Ein älterer Portier grüßte höflich und fragte nach seinen Wünschen. »Zu Mister Willie Wickham«, erwiderte der Butler, »Es geht um den Abbruch einer alten Brauerei.« »Dann sprechen Sie wohl am bestem mit Mister Wickhams Sekretär«, schlug der Mann in der Glasloge vor. »Mister Wickham hat gerade Besuch.« »Und wie heißt der erwähnte Sekretär, wenn man fragen darf?« »Paul Harling, Sir. Soll ich Sie anmelden?« »Parker, mein Name. Josuah Parker«, stellte, der Butler sich vor und nickte andeutungsweise zu der Frage. Der Mann telefonierte, nannte Parkers Namen und bat ihn dann, sich in das Obergeschoß des zweistöckigen Bürohauses zu bemühen. Parker bedankte sich überaus höflich, bestieg die Treppe und blieb hinter der ersten Wendel stehen. Er griff in die linke Außentasche seines schwarzen Überziehers und holte einen flachen Plastikbehälter hervor, der mit einer Spritzdüse versehen war, die man durch einen Pistolen12
griff in Tätigkeit setzen konnte. Parker visierte kurz die wenigen Stufen bis zum nächsten Absatz an und spritzte dann äußerst zielsicher eine geruchlose, wasserklare Flüssigkeit auf die mit Linoleum belegten Stufen. Dann ließ er die Taschenflasche wieder im Covercoat verschwinden und harrte der Dinge, die da seiner Ansicht nach mit Sicherheit auf ihn zukommen mußten. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er oben auf der Treppe schnelle Schritte hörte. Parker sah zunächst zwei Beinpaare, dann die dazu gehörenden Körper. Danach aber wirbelten die Beine fast artistisch durcheinander, verhedderten sich, als bestünden sie aus Kautschuk und veranlaßten die Körper, im freien Flug auf ihn zuzukommen. Parker trat diskret zur Seite. * Äußerst hilfsbereit kümmerte er sich anschließend um die beiden Männer, die auf dem Treppenabsatz übereinanderlagen und hörbar stöhnten. Parker versicherte sie seiner tiefen Bestürzung und brachte gleichzeitig seine Hände ins Spiel, die von schwarzen Lederhandschuhen bedeckt waren. Ohne jede Schwierigkeit entdeckte er bei den Männern je eine Automatik, die er in der rechten Tasche seines Covercoats verschwinden ließ. Die beiden Waffenträger bekamen davon nichts mit. Parker verfügte über die Geschicklichkeit eines professionellen Taschendiebes, wie sich bei dieser Gelegenheit zeigte. »Verdammt, was ist denn?« hörte er dann eine scharfe Stimme oben von der Treppe her. Der Butler ging auf diese Frage nicht ein und blickte auf die beiden Männer hinunter, die zu seinen Füßen lagen und damit beschäftigt waren, ihre Gliedmaßen zu sortieren. »Verdammt, was ist denn los?« Die Stimme klang noch ungeduldiger. Dann waren erneut Schritte zu vernehmen. Um die Ecke der Treppe herum erschien ein drittes Beinpaar. Wenige Sekunden später war die ganze Person zu sehen. Ein junger, drahtiger und durchaus sportlich wirkender Mann von schätzungsweise fünfunddreißig Jahren warf die Beine hoch und fast kokett in die Luft und segelte dann auf Parker zu. Als er den Butler passierte, lüftete der höflich seine schwarze Melone und grüßte. 13
Der Luftsportler ging darauf allerdings noch nicht einmal andeutungsweise ein. Er knallte gegen die Wand der Treppe, fiel mit dem Steißbein auf eine Treppenkante und stieß einen schluchzenden Heulton aus. »Meine Wenigkeit kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie es besonders eilig haben«, sagte der Butler und ging nach unten, »darf man sich nach Ihrem momentanen Befinden erkundigen?« »Oh, verdammt«, stöhnte der Mann und stand mühsam auf. Er rieb sich die Kehrseite. »Mister Paul Harling?« wollte der Butler wissen. »Ich bin Harling«, quetschte der Mann hervor und holte tief Luft. »Verdammt, was ist eigentlich passiert?« »Nach Lage der Dinge dürfte man die Treppe zu ausgiebig gebohnert haben«, bot Parker als Erklärung an. »Sehen Sie sich in der Lage, einige geschäftliche Fragen zu beantworten? Mein Name ist Parker, Josuah Parker. Aber dies dürften Sie ja bereits wissen.« »Woher sollte ich das wissen?« Paul Harling schleppte sich in gebeugter Haltung zu einer Sitzgruppe. Der Mann in der Portierloge war nicht zu sehen, wie Parker bei dieser Gelegenheit feststellte. »Ihr Portier war so freundlich, Ihnen am Telefon meinen bescheidenen Namen zu nennen«, erinnerte der Butler. »Ach so, richtig.« Paul Harling nahm vorsichtig Platz und atmete erleichtert auf, als er seine Wirbelsäule entlasten konnte. »Was… Was kann ich für Sie tun?« Während er die Frage stellte, blickte er zur Treppe hinüber. Dort erschienen jetzt die beiden Männer, die nicht sonderlich fest auf ihren Beinen standen. Sie stützten sich gegenseitig und machten einen angeschlagenen Eindruck. »Es handelt sich im Grund nur um eine Kontaktaufnahme«, schickte der Butler voraus. »Man möchte ja in Erfahrung bringen, mit wem man es in dem kommenden Tagen möglicherweise zu tun hat.« »Ich verstehe kein Wort.« Paul Harling blickte wieder zu den beiden Mitarbeitern hinüber, die an der Wand der Empfangshalle standen und auf ihren Einsatz warteten. »Es geht um einen Milchtankzug, der Chemikalien enthält«, zählte Parker auf, »dann um einen kleinen Fiat, dessen beide Insassen zur Zeit kaum handlungsfähig sein dürften, und letztend14
lich geht es wohl um ein Verbrechen an der Umwelt.« »Sind Sie verrückt?« Paul Harling schüttelte den Kopf und bemühte sich um Ratlosigkeit. »Wovon reden Sie da eigentlich? Sie sind hier an der falschen Adresse, Mann.« »Dies wird sich noch mit Sicherheit herausstellen«, lautete die Antwort des Butlers. »Richten Sie Ihrem Mister Willie Wickham die besten Empfehlungen Lady Simpsons aus. Mylady wird sich zu einem späteren Zeitpunkt hier einfinden und Fragen zur Sache stellen.« »Los, worauf wartet Ihr noch?!« Paul Harling ließ die Maske fallen und bellte seine Mitarbeiter förmlich an. Er wollte aufstehen, doch sein geprelltes Steißbein hinderte ihn daran. Mit einem Wehlaut ließ er sich wieder zurücksinken. Die beiden Mitarbeiter aber reagierten prompt, langten nach ihren Schulterhalftern und griffen ins Leere. »Echauffieren Sie sich nicht unnötig«, schlug Parker gemessen vor. »Meine Wenigkeit nimmt die Absicht für die Tat, wie es in einem bekannten Sprichwort heißt. Man wünscht allerseits noch einen erholsamen Abend.« Er lüftete die schwarze Melone und verließ das Bürogebäude der Abbruchfirma. Dabei dachte er sicherheitshalber an den Portier, der so plötzlich verschwunden war. * »Lauerte er Ihnen auf, Parker?« wollte Mike Rander anderthalb Stunden später wissen. Parker war in das altehrwürdige Fachwerkhaus der Lady Simpson zurückgekehrt und erstattete Bericht. Die Hausherrin saß in einem mächtigen Ledersessel vor dem großen Kamin, Kathy Porter hatte seitlich hinter ihr Aufstellung bezogen. Mike Rander lehnte am Kamin und rauchte lässig eine Zigarette. »Der Portier bemühte sich, meine Wenigkeit am Erreichen des Wagens zu hindern, Sir«, meinte der Butler. »Dabei bediente er sich einer Schaufel, die er auf meiner Kopfbedeckung abzulegen gedachte.« »Was ihm mit Sicherheit nicht gelang, wie?« Der Anwalt schmunzelte. »Meine Wenigkeit wehrte bereits den Anfängen, Sir«, redete 15
Parker weiter. »Die erwähnte Person kapitulierte vor dem Schirm und zog es vor, neben dem Eingang zum Bürohaus eine kleine Ruhepause einzunehmen.« »Und Sie haben dieses Subjekt nicht mitgebracht?« räsonierte Agatha Simpson. »Mister Parker, Sie haben wieder mal einen Kardinalfehler begangen.« »Für den meine Wenigkeit umgehend um Vergebung bittet, Mylady.« »Ich hätte dieses Subjekt verhören können. Nach spätestens einer halben Stunde wäre der Mann zusammengebrochen und hätte ein Geständnis abgelegt.« »Ob er wirklich viel zu sagen gehabt hätte, Mylady?« fragte Mike Rander skeptisch. »Natürlich, mein Junge. Er ist der Kopf dieser Gangster«, behauptete sie. »Für mich liegt der Fall völlig klar auf der Hand.« »Könnten wir mehr dazu hören, Mylady?« erkundigte sich Kathy Porter. »Aber ja doch, meine Liebe.« Sie nickte huldvoll und wandte sich kurz zu ihrer Gesellschafterin um. »Er hat den Tankzug auf die Straße geschickt und Mister Parker von den beiden Fiatfahrern verfolgen lassen.« »Der Sekretär dürfte nur ein Handlanger dieser Öko-Gangster sein«, meinte der Anwalt. »Was hat denn die Analyse ergeben, Parker?« »Sie ist bestürzend genug, Sir.« Parker zauberte einen Briefbogen hervor und präsentierte ihn seiner Herrin. »Die beiden Chemiker haben die Grundstoffe aufgelistet.« »Lesen Sie vor, Mister Parker«, forderte die ältere Dame. »Wenn Mylady gestatten, sollte man sich auf einige Stichworte beschränken«, schickte Josuah Parker voraus. »Der Tank enthält ein Gemisch aus Arsen- und Cyanidschlämmen, aus polychlorierten Biphenylen, die ihrerseits das sattsam bekannte Dioxin freigeben, aus verunreinigten Altölen und zusätzlich noch aus Galvaniklaugen.« »Ich ahnte es«, lautete Myladys sachkundiger Kommentar. »Scheint sich um eine chemische Zeitbombe zu handeln, wie?« stellte Mike Rander in Richtung Parker fest. »In der Tat, Sir«, bestätigte der Butler, »dieser Sammeltransport ist von höchster Giftigkeit. Die einzelnen Bestandteile stammen nach Ansicht der beiden bereits erwähnten Chemiker kei16
neswegs aus einer einzigen Herstellungsanlage. Man muß die Abfälle verschiedener Produkte gesammelt und gemischt haben.« »Und zwar in dieser Abbruchfirma«, wußte die passionierte Detektivin im voraus. »Dort wird man auch den Sammeltank finden.« »Selbst solch eine Möglichkeit sollte man natürlich nicht ausschließen«, antwortete Parker höflich. »Kümmern sich denn die betreffenden Firmen nicht darum, wer ihren Giftmüll abholt und wo er dann schließlich landet?« fragte Kathy Porter. »Fragen, Miß Porter, denen man unbedingt nachgehen muß«, erwiderte Josuah Parker. »Fest steht, daß es sogenannte Entsorger-Firmen gibt, die sich mit dem Giftmüll befassen.« »Und die werden sich ja finden lassen«, meinte der Anwalt. »Wie ist das mit dem Tankzug, Parker? Steht das Ding noch draußen im Gelände herum?« »Meine Wenigkeit schickte Mister Pickett hinaus nach Chelmsford, Sir. Er wird eine mögliche Bergung des Sattelschleppers beobachten.« »Der gute Pickett«, ließ die ältere Dame sich vernehmen. »Auf ihn ist Verlaß. Mister Parker, denken Sie daran, daß ich ihn eines Tages zum Tee einladen sollte.« »Man wird es nicht versäumen, Mister Pickett diese erfreuliche Tatsache auszurichten, Mylady.« »Es muß ja nicht gerade morgen sein«, schränkte die ältere Dame ihre Einladung sofort wieder ein. »Zudem habe ich in den kommenden Tagen sehr viel zu tun. Mister Parker, was gedenke ich jetzt zu unternehmen? Ich sollte mir die Abbruchfirma ansehen, nicht wahr? Oder habe ich andere Pläne?« »Mylady rechnen durchaus mit einem Besuch der Öko-Gangster, um Mister Randers Bezeichnung zu verwenden.« »Das ist allerdings richtig«, ab sie zurück. »Man wird mich hier in meinem Haus sicher überfallen wollen. Ich denke, ich werde mir bis dahin Gedanken über den neuen Fall machen, Mister Parker. Verständigen Sie mich rechtzeitig, wenn es soweit ist und die Gangster erscheinen.« »Kathy und ich werden uns um die Entsorger kümmern«, sagte der Anwalt. »Sie erreichen uns jederzeit drüben in meiner Kanzlei, Parker.« Man trennte sich. 17
Lady Agatha ging in ihr Studio, um über den Fall nachzudenken, wie sie behauptet hatte. Tatsächlich aber wollte sie sich natürlich einen Actionfilm ansehen, den sie sich als Videokassette ausgeliehen hatte. Parker brachte Kathy Porter und Mike Rander an die Tür. »Wir sollten verdammt wachsam sein«, sagte der Anwalt, als er sich von Parker verabschiedete. »Wenn wir wirklich auf einen Giftmüllskandal gestoßen sein sollten, werden die Fetzen fliegen, Parker. Dabei geht es um Millionen.« »Man sollte vielleicht sogar davon ausgehen, Sir, daß man es mit der Mafia zu tun bekommt«, entgegnete der Butler. »Diese Organisation befaßt sich mit jedem lohnenden Geschäft.« »Und schießt jeden nieder, der diese Geschäfte stört«, fügte Kathy Porter hinzu. »Darum sollten Miß Porter und Sie, Sir, besondere Vorsicht walten lassen«, warnte der Butler. »Man dürfte inzwischen wissen, wer auch Sie und Miß Porter sind.« »Wir werden schon aufpassen, Parker«, versprach der Anwalt lächelnd. »Wenn es sein muß, können wir ganz schön zubeißen.« Parker begab sich ins Haus zurück und schloß gerade die Tür, als das Telefon sich meldete. Ein gewisser Horace Pickett rief aus der Gegend von Chelmsford an und teilte Parker mit, der Tankzug im Straßengraben stünde in Flammen und wäre mit Sicherheit nicht mehr zu retten. Parker wunderte sich nicht sonderlich. * »Sie wünschen, Sir?« fragte Josuah Parker etwa eine halbe Stunde später. Er stand vor dem geöffneten Wandschrank rechts vom verglasten Vorbau des großen Wohnraumes und blickte auf einen Monitor, auf dessen Bildschirm ein großer, etwa fünfzig Jahre alter Mann zu sehen war. Der Einlaß Begehrende hatte wohl kaum eine Ahnung davon, daß er von einer Fernsehkamera erfaßt wurde, die unter dem Dach des Vorbaues vor der Haustür montiert war. Der Mann trug einen elegant geschnittenen Mantel, zeigte weißes Haar und präsentierte ein kantiges, energisches Gesicht. »Ich bin Willie Wickham«, stellte der Besucher sich vor, der ein18
deutig allein gekommen war. »Ich habe mit Lady Simpson und mit Ihnen zu sprechen. Ich denke, es ist sehr wichtig.« »Sie brauchen die Tür nur aufzudrücken, Mister Wickham«, antwortete der Butler über die Wechselsprechanlage. Dann schloß er den Wandschrank, in dem eine Art Schaltbrett mit vielen Kipphebeln angebracht war. Er begab sich zum Vorflur und wartete auf Wickham, der gerade die Tür öffnete, eintrat und sich neugierig umblickte. Durch den verglasten Vorflur blickte er auf den Butler und dann in den großen Wohnraum. Er schien es gar nicht wahrzunehmen, daß die Tür hinter ihm sich automatisch schloß. Als er zur Glastür schritt, passierte der Besucher eine Sicherheitsschranke, die Parker angezeigt hätte, falls Wickham eine Schußwaffe trug. »Man wird Mylady umgehend verständigen«, sagte der Butler und deutete auf die Sitzgruppe vor dem Kamin. »Wenn Sie sich vielleicht ein wenig gedulden würden?« »Moment, es trifft sich gut, daß wir unter uns sind, Mister Parker«, antwortete Wickham schnell. »Ich möchte mich erst mal entschuldigen. Ich habe erfahren, daß da in meiner Firma ein paar Dinge passiert sind, die nicht ganz sauber waren.« »Mister Paul Harling hat Ihnen eine entsprechende Schilderung geliefert, Mister Wickham?« »Der Junge muß verrückt gewesen sein.« Willie Wickham schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn selbstverständlich sofort gefeuert. Vorher hat er aber noch ein recht seltsames Geständnis abgelegt.« »Sie erwecken in meiner Wenigkeit eine gewisse Neugier, Mister Wickham.« »Er hat da auf eigene Rechnung einen Tankzug unterhalten, auf den Lady Simpson und Sie wohl aufmerksam geworden sind, nehme ich an. Mit diesem Tankzug hat Harling irgendwelche Chemikalien transportieren lassen.« »Vorgänge, die Ihnen fremd und unbekannt waren, Mister Wickham.« »So ist es, Mister Parker. Ich war ahnungslos. Erst durch diese verrückte Sache in meiner Firma bin ich hellhörig geworden und habe nachgehakt. Nun gut, für mich ist die Geschichte damit erledigt. Für Mylady und Sie hoffentlich ebenfalls.« »Eine Entscheidung darüber steht einzig und allein Mylady zu, Mister Wickham.« 19
»Dieser Harling hat schlicht und einfach mein Vertrauen mißbraucht. Aber wie schon gesagt, ich habe ihn gefeuert, und zwar auf der Stelle. Und zusammen mit ihm habe ich noch zusätzlich ein paar von meinen Angestellten an die frische Luft gesetzt. Sie haben wie Harling Privatgeschäfte gemacht.« »Sie denken an zwei Männer, die meine Wenigkeit in einem kleinen Fiat verfolgten, Mister Wickham?« »Einzelheiten kenne ich nicht, Mister Parker.« Der Abbruchunternehmer hob bedauernd die Schultern. »Sie sind für mich jetzt auch nicht mehr wichtig. Hauptsache, ich konnte reinen Tisch machen.« »Es wird Sie sicher mit Genugtuung erfüllen, Mister Wickham, daß der erwähnte Tankzug in Flammen aufgegangen ist«, sagte der Butler in seiner höflichen Art. »Damit dürften alle Spuren vom Feuer getilgt werden, was die Chemikalien betrifft.« »So?« Wickhams Stimme klang völlig desinteressiert. »Dann dürfte der Schlußstrich ja endgültig gezogen sein, Mister Parker.« »Sie wissen nicht zufällig, Mister Wickham, wo man Mister Harling privat erreichen könnte?« »Er wohnt in einem Apartment in der Nähe meiner Firma.« Wickham überlegte einen Moment und nannte die Adresse. Dann blickte er auf seine Armbanduhr. »Tja, ich muß schon wieder gehen, Mister Parker. Vielleicht sagen Sie Ihrer Lady, was sich inzwischen von meiner Seite aus getan hat, ja?« »Dessen dürfen Sie versichert sein, Mister Wickham.« »Es wäre doch zu dumm, wenn man aneinandergeraten würde«, redete der Abbruchunternehmer weiter. »Wie leicht könnte sich da was hochschaukeln. Und, wissen Sie, ich bin nicht der Mann, dem man auf die Füße tritt und der sich dafür noch bedankt. Ich denke, wir haben uns verstanden.« »Sie lösen in meiner Wenigkeit eine gewisse Ratlosigkeit aus, Mister Wickham«, antwortete der Butler. »Sollte es sich möglicherweise gerade um eine Warnung gehandelt haben?« »Wer mit Sprengstoff spielt, kann dabei draufgehen«, lautete Wickhams Antwort, »und das ist wörtlich gemeint, Mister Parker.« * »Ich hätte diesen Lümmel geohrfeigt, Mister Parker«, grollte 20
Agatha Simpson eine halbe Stunde später. Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und ließ sich durch die Stadt fahren. Das Ziel dieser Ausfahrt war ein Kellerlokal in Whitechapel, in dem ein gewisser Patty einmalig gute Steaks servierte. Darüber hinaus konnte Patty aber auch noch mit Nachrichten aus der Szene dienen. Seine Beziehungen zu Lady Simpson und Butler Parker waren bekannt, denn Patty machte daraus keinen Hehl. »Gelegenheiten zu Ohrfeigen werden Mylady mit Sicherheit noch in ausreichender Zahl finden«, meinte Butler Parker. »Erkennbar ist der Umstand, daß die Öko-Gangster an Schlagzeilen nicht interessiert sind.« »Aber für diese Schlagzeilen werde ich sorgen, Mister Parker«, versprach die ältere Dame grimmig. »Man hat mich schließlich in diese Öllache gestoßen. So etwas nehme ich übel.« »Mister Willi Wickham verabschiedete sich mit einer unüberhörbaren Drohung, Mylady.« »Das klingt erfreulich«, entgegnete die energische Dame. »Vielleicht werde ich ihm noch in dieser Nacht Manieren beibringen.« »Mylady spielen sicher auch mit dem Gedanken, Mister Paul Harling aufzusuchen.« »Wer ist denn das?« fragte sie grollend. »Der angeblich entlassene Sekretär Mister Wickhams. Mylady.« »Natürlich, ich weiß, Mister Parker. Ich habe alle Details genau im Kopf. Er ist geopfert worden, nicht wahr?« »Nur zum Schein, wie Mylady es längst durchschaut haben dürfte.« »Merken Sie sich dieses Subjekt vor«, verlangte sie. »Ich glaube, ich habe eine anregende Nacht vor mir. Was machen die Kinder?« »Miß Porter und Mister Rander schirmen Myladys Haus ab.« »Wozu denn das?« wunderte sich Agatha Simpson. »Mister Wickham könnte auf den Gedanken kommen, Mylady nachdrücklich warnen zu wollen.« »Und wie stelle ich mir das vor, Mister Parker?« »Mylady haben es immerhin mit einem Abbruchunternehmer zu tun.« »Guter Gott, haben Sie aber eine Phantasie, Mister Parker«, mokierte sich die Detektivin, »jetzt geht sie aber mit Ihnen durch. Er wird sich hüten, bei mir zu Hause aufzutauchen. Denken Sie an 21
die Schlagzeilen, die er vermeiden muß.« »Mister Wickham würde im Fall einer Aktivität falsche Spuren legen, Mylady.« »Ich sollte dieses Subjekt wirklich noch in dieser Nacht attackieren«, meinte sie halblaut und in nachdenklichem Ton. »Lassen Sie sich etwas Passendes einfallen, Mister Parker. Sie haben völlig freie Hand.« Der Butler deutete ein Kopfnicken an und brauchte dann nur noch wenige Minuten, bis er den Steakkeller erreicht hatte. Er ließ das hochbeinige Monstrum auf dem Parkplatz stehen, der hinter dem Haus eingerichtet war und benutzte einen Seiteneingang, der nur besonderen Gästen bekannt war. Hier erschien plötzlich aus der Dunkelheit ein älterer Mann, der einen dunklen Mantel und eine Strickmütze trug. Es war der Parkplatzwächter. Er kannte Parker und verbeugte sich zusätzlich in Richtung Lady Agatha. »Ich hab’ den Wagen gleich erkannt«, sagte er dann. »Sie sollten tunlichst ein Auge auf ihn halten«, schlug der Butler vor und drückte dem Mann ein Trinkgeld in die Hand. »Es könnte sein, daß man sich unbefugterweise für ihn interessiert.« »Das geht in Ordnung.« Der ältere Mann winkte ab. »Ich habe alles hier genau im Blick.« »Treten Sie aber möglichst nicht in Erscheinung«, bat Parker. »Registrieren Sie nur, falls man sich für den Wagen speziell interessiert.« »Alles klar«, versprach der ältere Mann. »Machen Sie sich keine Sorgen.« »Sie haben eigentlich ein Trinkgeld verdient«, fand Lady Agatha erstaunlich großzügig. »Aber das ist doch nicht nötig«, wehrte der Mann leichtsinnigerweise ab. »Nun gut, wie Sie meinen.« Agatha Simpson schenkte ihm einen freundlichen Blick und, trat durch die Tür, die Parker geöffnet hatte. Die Lady bekam nicht mit, daß Parker dabei über das bereits gereichte Trinkgeld schmunzelte. * »Wie das bei Ihnen wieder duftet«, schwärmte die ältere Dame. 22
Sie saß am Tisch einer Nische und schaute sich animiert im Steakkeller um. Sie hatte ihre Worte an Patty gerichtet, der eben zur Begrüßung gekommen war. Der Betreiber des Lokals war ein etwa fünfzigjähriger Mann mit dünnem, nach unten hängendem Schnurrbart. »Schön, Lady, daß Sie wieder mal hier sind«, sagte er. »Soll ich Ihnen ein Steak servieren lassen?« »Wenn Sie mich schon so nachdrücklich einladen, mein Bester.« Sie nickte zustimmend. Patty verzog keine Miene. Er kannte die Sparsamkeit der älteren Dame, die schon an Geiz grenzte. Er winkte nach vorn zum offenen Grill, wo zwei Angestellte dabei waren, Steaks zuzubereiten. Das Kellerlokal war sehr rustikal eingerichtet. Es gab Tonnengewölbe aus nackten Ziegeln, unverputzte Wände, einfache Tische, Stühle und Bänke. Und es gab eben die berühmten Steaks, für die Patty weithin bekannt war. »Mylady kommt nicht nur wegen der Steaks, Mister Patty«, schickte Parker voraus. »Mylady ermittelt in Sachen ÖkoGangster, um es erst mal allgemein auszudrücken.« »Öko-Gangster?« wiederholte Patty und runzelte die Stirn. »Meinen Sie damit Umweltverschmutzer?« »Sie treffen den sprichwörtlichen Nagel genau auf den Kopf, Mister Patty.« »Sind Sie etwa hinter dem Giftprinz her?« »Habe ich diesen Ausdruck nicht schon mal gehört, Mister Parker?« wollte Lady Agatha von ihrem Butler wissen. »Auszuschließen ist dies auf keinen Fall, Mylady«, erwiderte Josuah Parker, der andeutungsweise nickte. »In der Szene wird von einem Giftprinz getuschelt, der ganz toll absahnen soll«, redete Patty weiter. »Kein Mensch weiß aber, wer das ist. Die Sache scheint die Mafia aufgezogen zu haben. Nicht offiziell, verstehen Sie? Die haben da ein paar Personen und Firmen vorgeschaltet.« »Man spricht aber in einschlägigen Kreisen von einem sogenannten Giftprinz«, erkundigte sich Parker. »Diese Bezeichnung hört man, Mister Parker«, bestätigte Patty. »Und dieser Typ soll mit Müll zu tun haben.« »Gibt es eine vage Vorstellung darüber, wo dieser Giftprinz seinen Sitz hat, Mister Patty?« »Nichts, Mister Parker, wie gesagt, man munkelt nur und tu23
schelt, aber hier in dieser Gegend kümmert man sich ohnehin verdammt wenig um die Umwelt.« »Sagen Ihnen die Namen Willie Wickham und Paul Harling etwas, Mister Patty, um auch diese Frage noch abzuklären?« »Wickham ist bekannt«, lautete sofort die Antwort. »Wickham machte vor Jahren mal in Wohnungsbau. Er hatte ‘ne Baufirma und wurde dann wegen Betrug angeklagt. Er soll mieses Material geliefert und noch mieser gebaut haben. Aber er konnte sich schließlich auf einen Mann rausreden, der das alles angeblich hinter seinem Rücken durchgezogen haben soll. Dieser Mann wurde dann später gefunden. Er hatte angeblich Selbstmord begangen und hinterließ sogar ein Geständnis.« »Der arme Teufel ist bestimmt ermordet worden«, warf Agatha Simpson ein. »Anzunehmen, Mylady«, pflichtete Patty ihr achselzuckend bei. »Die Polizei ermittelte, fand aber nichts heraus und schloß die Akten. Wie das eben so geht. Wickham verschwand von der Bildfläche, seine Firma machte Pleite, bis er dann vor etwa einem Jahr wieder auf der Bühne erschien und jetzt in Abbruch macht. Paßt wohl auch besser zu ihm.« »Gibt es Verbindungen zwischen Mister Wickham und der Mafia?« warf Josuah Parker ein. »Bestimmt, Mister Parker.« Patty lächelte knapp. »Die Mafia mischt doch überall mit.« »Hat man noch nicht versucht, Sie unter Druck zu setzen?« erkundigte sich Lady Agatha. »Is’ doch klar, daß ich Schutzgelder zahlen muß«, entgegnete Patty wie selbstverständlich, »aber noch komm’ ich auf meine Kosten.« Parker wollte noch weitere Fragen stellen, doch in diesem Augenblick erschien ein Kellner vor der Nische und flüsterte Patty etwas zu, um dann zum Grill zurückzugehen. »Ist etwas mit meinem Steak?« fragte Agatha Simpson unruhig. »Nein, nein, Mylady«, versicherte Patty. »Aber an Mister Parkers Wagen haben eben zwei Leute gebastelt. Ich denke, Sie sollten das wissen.« »Weiß man, wo sich die Personen zur Zeit befinden, Mister Patty?« »Fragen wir doch mal den Mann vom Parkplatz«, schlug Patty vor. »Der Junge ist ein Durchblicker, auch wenn er nicht gerade 24
so aussieht.« »Mylady. würden meine Wenigkeit für einen Augenblick entschuldigen?« bat Parker. »Nehmen Sie sich nur Zeit, Mister Parker«, gab sie leutselig zurück. »Ich werde mit meinem Steak beschäftigt sein, das hoffentlich endlich bald auf dem Tisch steht.« * Parker hatte sich von dem älteren Mann kurz einweisen lassen. Die beiden Verdächtigen, die kurz das hochbeinige Monstrum aufgesucht hatten, waren zur Straße zurückgegangen und saßen in einem Morris, den sie etwa fünfzig Meter weiter unterhalb der Zufahrt zum Parkplatz abgestellt hatten. Parker begab sich würdevoll und gemessen hinüber zur Straße, baute sich an der Hausecke auf und nahm den Morris in Augenschein. Der Wagen stand vor einem dort ebenfalls geparkten Kleinlaster. Die beiden Insassen des Morris waren nicht zu erkennen. »Würden Sie meiner Wenigkeit freundlicherweise Ihren Mantel ausleihen?« bat der Butler den Parkplatzwächter. »Auch Ihre originelle Strickmütze könnte durchaus von Nutzen sein. Selbstverständlich wird man Ihnen diesen kleinen Dienst honorieren.« »Moment mal, das mach’ ich doch ohne Trinkgeld«, gab der ältere Mann zurück. »Sie wollen die beiden Kerle hochnehmen?« »Es ist meine Absicht, sie zu einem Gespräch einzuladen«, antwortete Parker, der bereits seinen schwarzen Covercoat auszog und dann auch noch die Melone abnahm. Er streifte sich den zu weiten und zu langen Mantel über, setzte die Strickmütze auf und langte dann nach einer Zeitung, die auf einem Sims lag. Er faltete die zu einer Tüte zusammen und verwandelte sich innerhalb von wenigen Sekunden in den Parkplatzwächter, der jetzt gerade auf der Straße erschien, offensichtlich Fisch und Chips aus der Zeitungstüte aß und an sonst nichts interessiert war. Die Verwandlung war vollendet. Parkers Füße schlurften ein wenig über den Gehweg, er zeigte einen runden Rücken und war schlicht alt geworden. Die Männer im Morris reagierten nicht, als der Butler ihre Höhe erreichte. Sie langweilten sich offensichtlich, rauchten und hatten 25
sich tief in ihre Sitze rutschen lassen. Nach Parkers Ansicht warteten sie auf das Hochgehen eines gewissen hochbeinigen Autos. In Parkers rechter Hand, die jetzt ohne Handschuh war, befand sich eine Plastikkapsel, die mehrfach perforiert war. Diese durchlöcherte Kapsel, die kaum größer war als eine etwas zu groß geratene Bohne, enthielt eine Glasampulle, die der Butler nun durch Zusammenpressen der Plastikumhüllung zerbrach. Dann warf er die Kapsel in den hinteren Raum des parkenden Morris. Keiner der beiden Männer bekam etwas mit. Sie starrten hinüber zum Eingang des Steakkellers und langweilten sich weiter. Bis der Fahrer dann plötzlich hüstelte… Aus dem Hüsteln wurde ein Japsen, dann ein ersticktes Röcheln. Der Mann richtete sich im Sitz auf und wollte aussteigen, schaffte es jedoch nicht. Ein mächtiger Hustenreiz durchschüttelte ihn bis hinunter zu den Zehen. Er klammerte sich am Lenkrad fest, schnappte wieder nach Luft und krachte dann mehrfach mit der Stirn gegen das Steuer. Seinem Mitfahrer erging es kaum besser. Er tauchte zuerst völlig weg, richtete sich dann auf, faßte mit der rechten Hand an den Hals, krächzte wie eine erkältete Krähe, schaffte es gerade noch, die Beifahrertür zu öffnen, und fiel dann seitlich aus dem Wagen. Josuah Parker hütete sich, in die unmittelbare Nähe des Morris zu gehen. Er blieb erst mal abwartend stehen und wartete geduldig, bis sich gewisse Reizdämpfe, die aus der zerbrochenen Glasampulle stammten, verflüchtigt hatten. Er kannte die Wirkung seines Hustenmittels zu genau. Es war von phantasievollen Chemikern nach seiner angegebenen Grundrezeptur entwickelt worden. Schließlich drückte und schob er den Beifahrer auf seinen Sitz zurück, schloß die Tür und ging wieder zur Einfahrt des Parkplatzes. Dort erwartete ihn der Wächter. »Das war Spitze«, sagte der Mann. »Ich hab’ gedacht, ich selbst würde da über die Straße gehen.« »Veranlassen Sie doch freundlicherweise, daß die beiden Herren von der Straße kommen und zwar zusammen mit ihrem Wagen«, bat der Butler. »Zudem müßte sich eine sichere Unterkunft für die Männer finden lassen, nicht wahr?« Während der Butler noch redete, bedachte er den Parkwächter erneut mit einem Trinkgeld, wechselte Kopfbedeckung und Mantel 26
und schritt dann gemessen-würdevoll, als wäre überhaupt nichts passiert, zurück in den Steakkeller. Butler Parker war kein Mensch, der sich unter Zeitdruck setzen ließ. * »Hab’ ich die beiden Subjekte schon mal gesehen, Mister Parker?« wollte Agatha Simpson von ihrem Butler wissen. Sie hatte ihre Stielbrille aufgeklappt und betrachtete durch die Lorgnette die beiden Morrisfahrer, die inzwischen wieder ansprechbar waren. Sie saßen auf dem etwas feuchten Betonboden, der zum Keller eines Anbaus gehörte. Beide Männer waren an den Händen gefesselt und machten einen irritiert-nervösen Eindruck. »Bisher hatten die Herren es noch nicht gewagt, Myladys Weg zu kreuzen«, beantwortete Parker die Frage seiner Herrin. »Aber nach Lage der Dinge dürfte es sich um hochkarätige Mitarbeiter des sogenannten Giftprinzen handeln.« »Aha! Nun, ich werde sie mit nach Hause nehmen und dort in aller Ruhe verhören«, erklärte Lady Agatha. »Habe ich noch Platz in Ihrem Wagen, Mister Parker?« »Man könnte die beiden Öko-Gangster im Kofferraum unterbringen, Mylady.« »Okay, Mister Parker, tun Sie das.« Sie wandte sich ab und wollte den Kellerraum verlassen. Sie hatte die Tür noch nicht erreicht, als einer der beiden Männer hüstelte. »Wollten Sie etwas sagen?« Die ältere Dame wandte sich um. »Sie… Sie wollen uns mitnehmen?« fragte der Mann und hüstelte erneut. »Rechnen Sie sich dies als eine Ehre an«, warf Parker ein. »Hören Sie, Lady«, meinte der Mann nervös. »Können Sie uns nicht gleich hier Ihre Fragen stellen?« »Ich brauche meine gewohnte Umgebung, junger Mann.« »Wegen der Fahrt brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen«, beruhigte Parker den Morrisfahrer, »der Wagen ist gut gefedert. Zudem wird die Fahrt nicht lange dauern, wie man Ihnen und Ihrem Begleiter versprechen kann.« »Wir packen auch hier aus«, stellte der zweite Mann hastig in 27
Aussicht. »Und zwar restlos«, fügte der erste hinzu und blickte den Butler treuherzig an. »Keine Diskussionen«, entschied Lady Agatha grollend und öffnete die Kellertür. »Mister Parker, ich werde im Restaurant warten, bis Sie vor dem Eingang vorgefahren sind.« Die Detektivin schlug die Tür hinter sich zu, und Parker blickte die beiden Männer abwartend an. »Wenn Sie sich vielleicht erheben würden, meine Herren? Der Wagen wartet auf Sie.« »Kapieren Sie denn nicht, Mann? Wir werden jetzt und hier reden«, fuhr ihn der erste Morrisfahrer fast wütend an. »Warum dieser ganze Umstand?« »Wie Sie hörten, ordnete Mylady diese gemeinsame Fahrt an«, gab der Butler zurück. »Es entspricht nicht der Dienstauffassung meiner Wenigkeit, Myladys Anordnungen zu widersprechen. Zur Not können Sie selbstverständlich auch im Fond meines Wagens Platz nehmen. Mylady wird mit dieser Abänderung sicher einverstanden sein.« »Haben Sie da eben was von ‘nem Giftprinz gesagt?« erkundigte sich der erste Mann. »Diese Bezeichnung fiel in der Tat.« Parker deutete ein knappes Kopfnicken an. »Wir können Ihnen da ‘nen brandheißen Tip geben, Mann.« »Mylady wird erfreut sein, ihn zur Kenntnis nehmen zu können.« »Wir reden nur hier, sonst überhaupt nicht«, sagte der zweite Mann. »Meine Wenigkeit gewinnt den Eindruck, daß Sie, aus welchen Gründen auch immer, gegen eine gemeinsame Fahrt sind.« »Weil das Zeit kostet und wir pünktlich zurück sein müssen.« »Wo, wenn man fragen darf, erwartet man Sie?« »Is’ denn das überhaupt wichtig? Wir bieten einen Tip an, mehr nicht.« »Nun, meine Wenigkeit erlaubt sich, Ihnen ein Ohr zu leihen wie es so treffend heißt.« »Was leihen Sie uns?« fragte der andere Mann und runzelte die Stirn. »Man wird Ihnen zuhören«, übersetzte der Butler. »Sie können jetzt; und hier Angaben zum erwähnten Giftprinz machen.« 28
»Wenn Sie sich beeilen, können Sie ihn noch erwischen«, behauptete der. Mann jetzt eifrig. »Der wartet in nem Privatclub auf uns.« »Un’ wir sind längst überfällig«, fügte der zweite Mann nicht weniger eifrig hinzu. »Vielleicht ist er bereits mißtrauisch geworden und abgehauen.« »Würden Sie die Freundlichkeit aufbringen, Mylady und meine Wenigkeit zum erwähnten Privatclub zu begleiten?« »Dann sind wir geliefert, dann können Sie uns auch gleich hier umbringen«, meinte der erste Gangster. »Wir kommen von hier ja nicht weg«, setzte der zweite Gangster dem Butler auseinander. »Wenn wir gelogen haben, können Sie uns ja anschließend hochnehmen.« »Und wie erkennt man den Giftprinz?« »Groß, schlank, so um die dreißig Jahre alt, Hornbrille.« »Und wie heißt, wenn man eine abschließende Frage stellen darf, der Privatclub?« »Fishers Privatclub«, lautete die prompte Antwort. »Die Zusammenarbeit mit Ihnen kann man nur als anregend bezeichnen«, erwiderte Parker. »Deshalb werden Sie auch den Vorzug haben, Mylady begleiten zu dürfen. Im Kofferraum wird der Giftprinz Sie mit Sicherheit nicht ausmachen können.« Von dieser Mitfahrt hielten beide Männer rein gar nichts. * Sie hatten sich zwar mit Händen und Füßen gegen die Verlagerung gewehrt, doch nun befanden sie sich in dem etwas engen Kofferraum von Parkers hochbeinigem Monstrum und blickten entgeistert auf den Butler, der den beiden Transporteuren höflich zunickte. Diese handfesten Männer, Kellner auf Pattys Steakkeller, grinsten und verschwanden dann wieder im Haus. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, meine Herren, meine Wenigkeit kann sich Ihren Widerstand nicht erklären«, meinte Parker zu den beiden Morrisfahrern im Kofferraum. »In spätestens einer halben Stunde werden Sie mit Sicherheit wieder frei sein.« »Verdammt, kapieren Sie denn nicht?« brüllte ihn der erste Gangster an. »Fahren Sie bloß nicht los«, hechelte der zweite Mann. »Sie ja29
gen uns alle in die Luft.« »Sollten Sie etwa eine Bombe unter diesem Wagen installiert haben?« »Verdammt, sie wartet nur darauf, hochgehen zu können.« »Eine Sprengladung, die möglicherweise durch einen Rüttelzünder zur Explosion gebracht wird?« Parker tat weiter ein wenig ahnungslos. »Mann, geht Ihnen endlich ein Licht auf?« Der erste Gangster richtete sich mühsam auf. »Sobald Sie losfahren, geht das Ding hoch.« »Meine Wenigkeit geht davon aus, daß Sie nur bluffen wollen!« »Die Bombe sitzt unter dem Schlitten«, keuchte der Gangster. »Die ist ganz scharf eingestellt.« »Und sie geht auf Ihr Konto?« »Der Giftprinz hat uns dazu gezwungen«, behauptete der zweite Gangster beschwörend. »Hören Sie, Mann, lassen Sie uns aussteigen.« »Dem steht grundsätzlich nichts im Weg«, erwiderte Josuah Parker höflich. »Aber könnten Sie anschließend nicht für die Entfernung der erwähnten Bombe Sorge tragen?« Sie schwitzten Blut und Wasser, als sie endlich wieder neben Parkers Wagen standen. Der Butler deutete mit dem Schirm auf den Wagenboden. »Wer von Ihnen die Entsorgung vornimmt, überläßt man selbstverständlich Ihnen«, meinte der Butler. »Meine Wenigkeit setzt auf Ihre Geschicklichkeit.« Der erste Gangster nickte und hielt Parker die gefesselten Hände hin. Der Butler hatte plötzlich wie durch Zauberei ein altertümlich-klobiges Taschenmesser in der rechten Hand, ließ eine Klinge hervorspringen und durchtrennte das zähe Klebeband. »Falls Sie mit dem Gedanken spielen sollten, sich mit meiner Wenigkeit anlegen zu wollen, so steht dem natürlich nichts im Weg«, meinte er. »Ich werd’ mich hüten.« Der Gangster ließ sich sofort auf die Knie nieder und schob sich vorsichtig an die linke Seite des hochbeinigen Monstrums heran. Dann legte er sich flach auf den Boden und robbte ungemein vorsichtig unter den Wagen. Nach wenigen Augenblicken kam er zurück und präsentierte dem Butler eine Art Haftmine, die aus zwei zusammengelegten Suppentellern zu bestehen schien. 30
»Ich… Ich hab’ das verdammte Ding gesichert«, sagte der Gangster und atmete tief durch. »Hoffentlich gibt es nicht noch eine zweite Mine«, antwortete Josuah Parker. »Wieso? Wie kommen Sie denn darauf?« »Die Einladung zur Mitfahrt bleibt selbstverständlich bestehen«, erklärte Parker und öffnete die linke hintere Wagentür. »Wenn die Herren es sich jetzt wesentlich bequemer machen wollen?« »Hören Sie, Mann, seit wann haben Sie von der Bombe gewußt?« fragte der Gangster, der sich nun beruhigt hatte, während sein Partner bereits einstieg. »Seit geraumer Zeit, wenn man so sagen darf«, entgegnete Parker. »Sie sollten die Haftmine übrigens mit in den Fond des Wagens nehmen. Sie dürften der geeignete Betreuer dieser Sprengladung sein.« »Und wohin wollen Sie uns bringen?« »Eine Fahrt zu jenem Privatclub, den Sie erwähnten, dürfte sich wohl erübrigen, nicht wahr?« »Klar doch, Mann, den haben wir nur erfunden. Und den Giftprinzen auch.« Parker wartete, bis auch der zweite Mann im Fond des hochbeinigen Monstrums Platz genommen hatte. Dann setzte er sich ohne Bedenken ans Steuer seines Wagens, um Lady Agatha vorn an der Straße abzuholen. Von einer zweiten Haftmine konnte keine Rede sein, sonst hätten die beiden Mitfahrer mit Sicherheit anders reagiert. * »Wie interessant, Mister Parker. Die beiden Subjekte haben eine Bombe bei sich?« Lady Agatha, die, auf dem Beifahrersitz des Wagens saß, blickte nach hinten in den Wagen. Die schußsichere Trennscheibe war von Parker hochgefahren worden. Die Gangster befanden sich in einer rollenden, ausbruchsicheren Zelle, denn die beiden hinteren Türen ließen sich nicht öffnen. »Mister Wickham sprach von Sprengstoff, Mylady«, erinnerte der Butler. »Er wollte seinen Worten offensichtlich Taten folgen lassen.« »Wer ist Mister Wickham?« fragte sie umgehend. Sie konnte 31
sich keine Namen merken und sagte Wickham. »Mister Wickham betreibt eine Abbruchfirma, Mylady.« »Ich weiß, ich weiß«, grollte sie. »Ich habe jedes Detail genau im Kopf, Mister Parker. Ich wollte nur kontrollieren, ob Ihre Übersicht noch vorhanden ist.« »Mister Wickham verwies Mylady über meine Wenigkeit an seinen Sekretär Paul Harling, den er entlassen haben will.« »Er wird ihn umgebracht haben, Mister Parker«, vermutete die ältere Dame. »Solch eine Möglichkeit sollte man in der Tat keineswegs ausschließen«, antwortete Parker. »Er wird als Selbstmörder in seiner Wohnung liegen«, wußte die ältere Dame im vorhinein. Sie verfügte über eine sehr gut ausgestattete Phantasie. »In Mister Paul Harlings Apartment könnte man bereits ungeduldig auf Mylady warten. Mister Wickham dürfte davon ausgehen, daß Mylady dort erscheinen wird.« »Eine Lady Simpson scheut nie ein Risiko, Mister Parker.« »Mylady lassen sich allerdings auch nicht von Gegnern vorschreiben, auf welchem Terrain Auseinandersetzungen stattzufinden haben.« »Das ist allerdings richtig.« Sie nickte nachdrücklich. »Ich werde diesen Sekretär also nicht aufsuchen, wenn ich Sie richtig verstanden habe?« »Dies dürfte Myladys erklärte Absicht sein.« »Richtig.« Sie hatte sich selbst umgestimmt. »Ich werde diesen Subjekten zeigen, wer die Richtung angibt. Was habe ich sonst noch vor, Mister Parker? Die Nacht hat ja gerade erst begonnen.« »Mylady planen sicher, die beiden Mitfahrer ausgiebig zu verhören.« »Genau das ist meine Absicht«, behauptete sie umgehend. »Sie müssen ja von irgendeinem Subjekt losgeschickt worden sein, um mich umzubringen.« »Die beiden Männer sprachen von einem privaten Nachtclub, der sich in dieser engeren Region befinden muß.« »Diesen Nachtclub werde ich sofort aufsuchen, Mister Parker. Aber vorher findet das Verhör statt. Wo kann ich mich ungestört mit den Lümmeln unterhalten?« »Die nahen Wapping-Docks bieten sich dazu förmlich an, Mylady. Dort müßte sich auch der Privatclub befinden.« 32
»Nun, die Einzelheiten überlasse ich Ihnen, Mister Parker.« Sie nickte wohlwollend. »Warum soll ich mir übrigens den Nachtclub ansehen?« »Er wurde von den beiden Morrisfahrern sicher nicht spontan genannt. Die betreffenden Männer standen unter psychologischem Druck. Sie wußten von der Sprengladung unter der Bombe, rechneten damit, daß meine Wenigkeit Mylady per Wagen dorthin bringen würde, und gingen mit der Nennung des Clubs also kein Risiko ein.« »So sehe ich die Dinge ebenfalls, Mister Parker. Man wird ja sehen, ob sie die Adresse wiederholen werden.« Während der kurzen Fahrt nach Wapping hielt der Butler Ausschau nach möglichen Verfolgern, doch da war nichts, was ihn alarmierte. Auf der anderen Seite dachte er natürlich an die beiden Männer im Fond des Wagens. Sie hatten ihn im Morris verfolgt bis zum Steakkeller. Sie mußten dies sehr geschickt absolviert haben, denn Parker hatte sie nicht wahrgenommen. Es war natürlich auch möglich, daß die Öko-Gangster mit mehreren Wagen gearbeitet hatten, die ihm immer nur eine kurze Strecke gefolgt waren. Die Mafia, falls sie sich eingeschaltet hatte, verfügte über alle Mittel, um auch eine so aufwendige Beschattung durchführen zu lassen. Parker suchte und fand geeignetes Gelände. Auf einer ehemaligen Werft wurde ein Fabrikneubau hochgezogen. Das Skelett der Betonträger ragte bereits zum Himmel, es gab Bauabschnitte, die bereits Form angenommen hatten. Hinter einem Zaun entdeckte der Butler Baumaschinen aller Art. Der Bauzaun war an einigen Stellen eingerissen worden. Frische Fahrspuren im Boden zeigten, daß man schweres Baugerät hier eingeschleust hatte. Parker folgte mit dem Wagen diesen Spuren und stellte sein hochbeiniges Monstrum neben einer Betonmischmaschine ab, deren Rührtrommel einige Kubikmeter Sand und Zement faßte. Er lud die beiden Männer ein, den Wagen zu verlassen. Sie wollten ihre Chance nutzen und griffen den Butler an, ohne sich weiter um Lady Agatha zu kümmern. Dies sollte sich als schwerwiegender Fehler herausstellen, wie sich unmittelbar darauf zeigte.
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* Mylady setzte ihren perlenbestickten Pompadour sachkundig ein. Während der erste Gangster sich mit Parker anlegte, hatte der zweite Mann die Haftmine vorsichtig auf dem Rücksitz abgelegt und wollte sich einmischen. Agatha Simpson hatte ihren Handbeutel in energische Schwingung versetzt und beförderte den darin befindlichen Glücksbringer auf die Brust des Mannes. Er glaubte mit letzter Sicherheit, von einem auskeilenden Pferd getreten worden zu sein, ächzte flüchtig und schnappte anschließend verzweifelt nach Luft. Dabei schielte er die ältere Dame an, die ihm umgehend eile ihrer gefürchteten Ohrfeigen verabreichte. Da die Lady Golf spielte und mit dem Sportbogen schoß, war ihre Muskulatur nicht gerade unterentwickelt. ihre an sich wirklich nicht kleine Hand traf die linke Backe des Gangsters, der sich daraufhin schräg seitwärts auf die Luft legte, die ihn natürlich nicht zu tragen vermochte. Er landete krachend auf dem Boden und blieb benommen liegen. »Wagen Sie es nicht noch mal, eine hilflose Dame anzugreifen«, warnte Lady Agatha den Mann. »Ich könnte sonst doch ärgerlich werden.« Sie wandte sich um und beobachtete Parker, der den ersten Angreifer bereits außer Gefecht gesetzt hatte. Der Gangster hing wie ein nasser Lappen über dem Rand der Mischbirne und merkte nicht, daß er vom Butler mit spielerischer Leichtigkeit aufgehoben und dann ins Innere der Trommel gedrückt wurde. Anschließend begab sich Parker zu seinem Wagen und beschäftigte sich mit der suppentellergroßen Haftmine. Nach wenigen Augenblicken kam er zurück und hielt auf der ausgestreckten Hand die Sprengladung, die er gegen die Außenwand der Mischbirne drückte. Das Magnet sprang sofort an und hielt die Mine fest. »Eine sehr gute Idee, Mister Parker!« Agatha Simpson nickte wohlwollend. »Ich bin ebenfalls dafür, die beiden Subjekte in die Luft zu sprengen.« »Man sollte die Herren mit solch einer Möglichkeit zumindest vertraut machen, Mylady.« Parker kümmerte sich danach um den zweiten Gangster, der inzwischen wieder einigermaßen atmete, wenn auch recht flach. Er 34
litt noch sichtlich unter der Nachwirkung des Glücksbringers, der seine Brust voll getroffen hatte. Parker deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf die Mischmaschine. »Wenn Sie sich jetzt freundlicherweise ins Innere des Gehäuses begeben würden?« »Was soll ich?« fragte der Gangster unruhig. »Sie sollten sich bemühen, Ihrem Partner Gesellschaft zu leisten.« »Moment mal, was haben Sie vor?« Der Mann stand vorsichtig auf. Seine Sprache war nicht sonderlich klar, was wohl mit dem etwas angeschwollenen Gesicht zu tun hatte. Myladys Ohrfeige verursachte eine Art Spätzündung. »Soll ich Ihnen Beine machen, Sie Lümmel?« Tief grollte die Stimme der älteren Dame. Der Gangster duckte sich unwillkürlich und verzichtete dann auf jede weitere Frage. Er kletterte ein wenig steifbeinig und umständlich in die mächtige Mischbirne. »Sie sollten sich jetzt zu Ihrem Auftraggeber äußern«, schlug der Butler vor. Die Sicht auf dem Bauplatz reichte aus, um Blickkontakt zu halten. Weiter im Hintergrund gab es einige Lampen, die den Skelettbau beleuchteten. Der Widerschein dieses Lichtes drang bis hierher zu den Baumaschinen. »Aus uns holen Sie nichts raus«, sagte der Gangster wütend. In der Mischbirne fühlte er sich erstaunlicherweise sicher. Er kam sich wohl wie eine Schnecke vor, die in ihr sicheres Haus zurückgekrochen war. »In Ihrer momentanen Situation sollte man sich nicht festlegen«, antwortete der Butler. »Nach einem gewissen Mischungsvorgang werden Sie mit Sicherheit Ihre jetzt noch starre Haltung revidieren.« »Mischungsvorgang?« Der Mann reckte den Kopf nach draußen. »Sie befinden sich in einer intakten Mischmaschine, die man jederzeit in Betrieb setzen kann«, schickte der Butler voraus. »In diesem Zusammenhang sollten Sie sich an die Haftmine erinnern, die sich an der Außenhaut der Trommel befindet. Nach Ihren eigenen Worten dürfte der Rüttelzünder sehr empfindlich eingestellt sein.« *
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»Und wie ging es weiter?« fragte Mike Rander eine Stunde später, nachdem Mylady und Butler Parker nach Shepherd’s Market zurückgekehrt waren. »Die Grenze der psychischen Belastbarkeit der beiden Männer war ungemein schnell erreicht, Sir«, erwiderte der Butler in seiner würdevoll-höflichen Art. Beide Gangster gingen ja davon aus, daß der Zünder noch vorhanden war. »Ich hätte ihn auf keinen Fall ausgebaut«, warf Agatha Simpson fast vorwurfsvoll ein, »schließlich wollte man mich ja in die Luft jagen, nicht wahr? Auge um Auge, das ist meine Devise!« »Die beiden Gangster legten Geständnisse ab, Mister Parker?« fragte Kathy Porter. »Die man wohl als echt bezeichnen kann«, erwiderte Parker. »Sie wurden tatsächlich in einen Privatclub bestellt und dort mit ihrer Aufgabe vertraut gemacht. Es scheint einen Mann zu geben, der sich als Giftprinz bezeichnet hat. Die Beschreibung dieses Mannes liegt vor. Er soll etwa dreißig Jahre alt sein, mittelgroß und eine Hornbrille tragen. Dieser Mann übergab den beiden Subjekten die Haftmine und honorierte sie mit je tausend Pfund.« »Die Kerle wußten, was sie da unter Ihren Wagen schieben sollten, oder?« Rander sah den Butler aufmerksam an. »Sie stritten es zwar hartnäckig ab, Sir, doch sie wußten sehr wohl, um was es sich handelte. Sie redeten sich darauf hinaus, an einen Peilsender gedacht zu haben, doch ihre Angst vor diesem Gerät redete eine deutliche Sprache.« »Um ein Haar wäre Mister Parker wieder mal von seinem üblichen Mitleid erfaßt worden«, warf Lady Agatha grollend ein. »Ich konnte das gerade noch verhindern.« »Mitleid, Mylady?« Kathy Porter lächelte erwartungsvoll. »Nun, er wollte um keinen Preis den Betonmischer in Tätigkeit setzen«, empörte sie sich noch mal nachträglich. »Ich mußte fast ärgerlich werden.« »Sie haben die beiden Gangster also durchgemischt, Mylady?« Rander lachte leise und auch ein wenig schadenfroh. »Woraus Sie sich verlassen können, mein Junge.« Sie nickte und lächelte boshaft. »Als ich den Mischer dann stoppen ließ, waren sie völlig durcheinander, aber sie redeten anschließend.« »Sie hatten sicher an den Rüttelzünder gedacht, nicht wahr?« »Davon können Sie ausgehen, Mike.« Die passionierte Detektivin nickte nachdrücklich. »Und sie nannten auch ihre Namen und 36
Adressen. Sie waren überhaupt sehr redefreudig, nicht wahr, Mister Parker?« »Der Redefluß der beiden Männer war kaum zu unterbinden, Mylady«, bestätigte Parker. »Sie dürften Mylady kaum vergessen.« »Sie haben sie laufen lassen?« erkundigte sich Kathy. »Ich hoffe, Mister Parker, Sie haben mit Ihrer bekannten Großzügigkeit nicht wieder einen Ihrer Fehler begangen«, räsonierte Agatha Simpson. »Sie müssen endlich lernen, hart zu werden.« »Pur Handlanger haben Mylady sich noch nie interessiert«, stellte der Butler fest. »Das stimmt allerdings. Ich konzentriere mich stets auf das Ziel«, machte sie klar. »Die unwichtigen Details sind Ihre Sache, Mister Parker.« »Wie gut, daß wir diese genaue Aufgabentrennung haben«, sagte Mike Rander und zwang sich ernst zu bleiben. »Und was ist nun mit den beiden Burschen? Gehören sie einer Gang an, oder sind es Einzelunternehmer?« »Einzelunternehmer, Sir, um bei dieser Bezeichnung zu bleiben. Gegen entsprechende Bezahlung erledigen sie jeden kriminellen Auftrag.« »Sind diese beiden Knaben wichtig für uns?« »Nicht unmittelbar, Sir«, beantwortete Parker die Frage. »Nach dem Scheitern ihrer Mission dürften sie von den eigentlichen ÖkoGangstern wohl kaum noch mal eingesetzt werden.« »Wie schafften sie es eigentlich, Mylady und Sie zu beschatten?« meldete sich Kathy Porter zu Wort. »Mister Parker dürfte wohl nicht aufmerksam genug gewesen sein«, stichelte Agatha Simpson umgehend. »Mir wäre so etwas natürlich nicht passiert.« »Mylady sehen meine Wenigkeit in einem Zustand tiefer Zerknirschung«, behauptete Parker, um sich dann wieder Kathy Porter zuzuwenden. »Man wurde tatsächlich überlappend beschattet, jedoch nicht von den beiden Haftminenlegern. Sie wurden direkt zum Parkplatz hinter dem Steakkeller beordert. Mehr wußten sie zu diesem Thema nicht zu sagen.« »Dann haben wir mit noch härteren Bandagen zu rechnen«, vermutete der Anwalt. »Die Öko-Gangster wissen sehr genau, daß wir ihnen auf der Spur sind. Sie werden jede Anstrengung unternehmen, – uns aus dem Weg zu räumen.« 37
»Konnten Miß Porter und Sie, Sir, inzwischen eruieren, ob es in der Gegend von Chelmsford Deponien für Giftmüll gibt?« fragte Parker. »Da draußen ist weit und breit keine Deponie«, beantwortete der Anwalt die Frage. »Wohin also sollte dieses Gift gekarrt werden? Man wird es ja nicht gerade zum Vergnügen transportiert haben, oder?« »Ich werde über dieses Problem intensiv nachdenken«, kündigte die ältere Dame an und gähnte langanhaltend. »Ich weiß schon jetzt, daß ich zu einem Resultat kommen werde, meine Lieben.« Sie erhob sich, winkte huldvoll und begab sich dann ins Obergeschoß des Hauses. * Der Schrotthändler machte einen sehr kooperativen Eindruck. Er war mittelgroß, hatte einen ausgeprägten Bauch, ein offenes Gesicht mit großen Kinderaugen und blickte immer wieder auf Lady Simpson, die sich ihrerseits für die ungemein vielen Autowracks auf dem umzäunten Gelände interessierte. Der Mann hieß Norman Pitway, war etwa fünfzig Jahre alt und hatte sein Büro in einem Wohn-Container vor einem wahren Gebirge aus übereinandergetürmten Autowracks. »Es gab mal goldene Zeiten, Lady«, sagte er fast traurig. »Damals wurde für Schrott wirklich noch was bezahlt, aber heute…? Da sitzt man auf dem Zeug herum und weiß nicht, an wen man’s loswerden kann.« »Sie dürften demnach am sprichwörtlichen Hungertuch nagen, Mister Pitway«, bemerkte Parker höflich. »Nee, das war’ übertrieben«, erklärte der Schrotthändler und schmunzelte. »Man kommt so gerade durch, verstehen Sie? Aber es folgt immer neuer Schrott. Das is’ wie ‘ne Lawine. Auf den Straßen in Richtung Ostküste kracht’s doch immer wieder. Und wo landet das Zeug? Bei mir und bei meinen Kollegen.« »Obwohl man Ihnen den Schrott also quasi frei Haus liefert, Mister Pitway, pflegen Sie hin und wieder dennoch schrottreife Autos aufzukaufen, nicht wahr?« »Worauf wollen Sie raus?« Pitway lächelte nicht mehr. »Sie kaufen nach Myladys Informationen hin und wieder Tankzüge auf.« 38
»Was soll ich kaufen? Das is’ doch ein Gerücht.« »Sie kauften in Southampton zum Beispiel einen sogenannten Sattelschlepper mit einer Tankauflage.« »Kann sein, aber dann war das Ding noch einigermaßen in Ordnung. Manchmal möbeln meine Leute auch was auf, das ich dann als gebrauchte Wagen wieder verscherbele. Der Mensch muß leben.« »Keine Ausflüchte, junger Mann! Sie haben einen Milchtanker gekauft«, schaltete Lady Agatha sich grollend ein. »Versuchen Sie erst gar nicht, das abzustreiten. Ich habe meine Informationen aus erster Hand.« »Donnerwetter, da bin ich einfach platt«, staunte der Schrotthändler. »Und wer hat Ihnen das verkauft?« »Der Vorbesitzer des betreffenden Tank-Sattelschleppers, Mister Pitway«, beantwortete Parker die Frage. »Es handelt sich um eine Großhandelsfirma, die Heizöl verkauft. Sie hat einen ihrer ausgemusterten Wagen an Sie hier in London verkauft. Einer Ihrer Mitarbeiter war so entgegenkommend, ihn in Southampton sogar abzuholen.« »Eben hörte ich da doch was von ‘nem Milchlaster«, wunderte sich Pitway. »Aus dem erwähnten Sattelschlepper, der dem Transport von Heizöl diente, wurde hier in London ein Tankzug, der Milch transportiert.« »Ausgeschlossen, diese Milch würde ich nicht anrühren, falls ich überhaupt so was anrühren würde. Den Ölgestank bekommt man doch nie wieder aus dem Tank.« »Sie verkauften den Sattelschlepper aus Southampton an wen weiter?« erkundigte sich Parker höflich. »Und wagen Sie es nicht, mich etwa belügen zu wollen, junger Mann«, warf die Detektivin energisch ein. »Hören Sie, Lady, um was geht’s eigentlich? Zur Polizei gehören Sie nicht, das steht fest, Privatdetektiv sind Sie ebenfalls nicht. Jetzt möcht’ ich bloß mal wissen, warum ich Ihre Fragen beantworten soll? Da könnte ja jeder kommen!« »Mylady befaßt sich mit rätselhaften Kriminalfällen«, erklärte der Butler. »Und zwar sehr nachdrücklich«, fügte sie hinzu und ließ ihren perlenbestickten Pompadour kreisen. »Ich erwarte eine Antwort. Und falls Sie mich etwa beleidigen wollen, müssen Sie es nur sa39
gen, junger Mann. Ich werde Ihnen dann Manieren beibringen.« Sie hatte den Satz noch nicht ganz beendet, als ein dunkler Ford heranpreschte und durch die Pfützen des Schrotthofes preschte. Aus sicherem Instinkt hielt der Butler es für richtig, sich um die Sicherheit von Lady Simpson und Norman Pitway zu kümmern. Er warf sich aus dem Stand gegen sie und schaffte es ohne Schwierigkeit, sie über eine einfache Sitzbank nach hinten rutschen zu lassen. Anschließend begab auch er sich in Deckung und hörte dann das häßliche Rattern einer Maschinenpistole. * »Sie übertreiben wie immer«, mokierte sich Agatha Simpson wenige Augenblicke später. Sie funkelte ihren Butler grimmig an, als er ihr seine hilfreiche Hand lieh, damit sie aufstehen konnte. Norman Pitway war kreidebleich, als er aufstand. Er blickte dem Ford nach, der gerade durch das zweite Tor des Grundstücks verschwand. »Mylady werden die spontane Handlungsweise meiner Wenigkeit sicher entschuldigen«, meinte Parker und lüftete die schwarze Melone. »Zu einer warnenden Erklärung blieb in Anbetracht der Situation keine Zeit.« »Haben Sie sich wenigstens das Nummernschild gemerkt?« fragte sie grollend. »Es war eingeschwärzt, Mylady, wie deutlich zu erkennen war.« »Man wollte mich also wieder mal umbringen«, stellte Agatha Simpson fast zufrieden fest. »Ich bin also auf der richtigen Fährte.« »Das… Das war ‘ne Maschinenpistole«, sagte der Schrotthändler mit einer Stimme, die plötzlich heiser geworden schien. »An wen verkauften Sie den Tankzug aus Southampton, um das Gespräch fortzusetzen?« fragte Parker, ohne auf Pitways Feststellung einzugehen. »Das… Das weiß ich nicht mehr.« Pitways Gesicht hatte einen nachdenklichen Ausdruck angenommen. »An einen gewissen Mister Paul Harling, Mister Pitway? Noch haben Sie die Möglichkeit, nur Mylady diese Frage zu beantworten. Die zuständigen Behörden könnten möglicherweise nachdrücklichere Fragen stellen.« 40
»Ich glaube, es war Harling«, bestätigte der Schrotthändler. »Er kaufte den Sattelzug für seine Firma und muß ihn über die Firma neu angemeldet haben.« »Mit dem Verkauf des Sattelschleppers erhielt Mister Harling alle Wagenpapiere, nicht wahr?« »Natürlich, wie’s sich gehört. Aber ich hatte den Sattelschlepper hier abgemeldet, das kann ich beweisen. Was ist mit dem Ding überhaupt los? Wieso transportiert Harling denn Milch? Das kapier’ ich nicht.« »Er kaufte bereits vor dem Sattelschlepper noch andere Tankzüge, Mister Pitway?« »Insgesamt drei«, bestätigte der Schrotthändler, »nein, vier sind’s gewesen. Das ging alles im letzten Halbjahr über die Bühne. Hören Sie, ich hab’ ne reine Weste. Ich hab’ die alten Sattelschlepper nur aufgekauft, dann aufgemöbelt und weiterverkauft.« »Ob Sie eine reine Weste haben, junger Mann, wird sich erst noch herausstellen müssen«, schaltete Lady Agatha sich drohend ein. »Dazu wird noch einiges zu sagen sein, nicht wahr, Mister Parker?« »Vier Tankzüge also«, faßte der Butler zusammen. »Und alle Sattelschlepper wurden von Mister Paul Harling gekauft. Woher stammt Ihre Bekanntschaft mit Mister Harling, um auch diese Frage noch zu klären?« »Der arbeitet doch in ‘ner Abbruchfirma. Und da fällt immer jede Menge Stahlschrott an. Und den kauf ich auf. So einfach ist das. Er hat mich etwa vor ‘nem halben Jahr auf die Tankzüge angesprochen. Macht Harling jetzt in Milch? Kann ich mir nicht vorstellen.« »Haben Sie möglicherweise schon mal von Giftmüll gehört, Mister Pitway?« »Natürlich, steht doch immer wieder in allen Zeitungen. Ich selbst hab’ ja damit zu tun, von wegen Altöl und so. Irgendwo muß ich das Zeug doch loswerden, oder?« »Und auf welchem Weg geschieht dies, um auch danach noch fragen zu dürfen, Mister Pitway?« »Wir sammeln den ganzen Mist in ‘nem Bunker. Und der wird von Zeit zu Zeit abgepumpt und zwar von ‘ner Firma, die dafür ‘ne Lizenz hat.« »Diese Firma werde ich mir umgehend ansehen, junger Mann«, entschied die ältere Dame grimmig. »Ich werde feststellen, ob Sie 41
auch die Wahrheit gesagt haben.« »Natürlich hab’ ich die Wahrheit gesagt, Lady«, verteidigte sich Pitway aufgebracht. »Was denken Sie sich eigentlich? Die Vorschriften sind verdammt scharf, wir werden immer wieder kontrolliert, wir können uns keine Zicken leisten.« »Wurde ich gerade beleidigt, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson bei ihrem Butler an. Sie brachte ihren Pompadour sicherheitshalber in leichte Schwingung. »Falls Mister Pitway sich im Ton vergriffen haben sollte, Mylady, so nur aus einer inneren Erregung heraus, die wohl noch im Zusammenhang mit dem Feuerüberfall steht«, meinte Parker höflich, um sich dann Pitway zuzuwenden. »Wo findet Mylady die von Ihnen erwähnte Entsorger-Firma?« »Die is’ auch hier in Blackwall«, lautete die Antwort, »nur ein paar Blocks weiter. Der Chef des Ladens heißt Hank Sittner.« * »Ich traue diesem Mann nicht über den Weg«, meinte Lady Agatha, als man den Schrottplatz verließ. »Natürlich hat er gelogen. Er steckt mit diesem Abbruchunternehmer unter einer Decke.« »Eine Möglichkeit, Mylady, die man auf keinen Fall ausschließen sollte«, erwiderte der Butler gemessen. »Sein Hinweis hinsichtlich der vier Tankzüge auf Mister Paul Harling war allerdings von fast wohltuender Offenheit, die allerdings einen speziellen Grund haben könnte.« »Natürlich«, pflichtete sie ihm umgehend bei. »Und an welchen Grund denke ich da, Mister Parker?« »Mister Paul Harling könnte unter Umständen bereits das sogenannte Zeitliche gesegnet haben, Mylady.« »Das sage ich doch die ganze Zeit«, erklärte die ältere Dame. »Er ist von seinem Arbeitgeber umgebracht worden und muß nun als Sündenbock herhalten.« »Ein Gedanke, Mylady, der sich förmlich aufdrängt«, erklärte Parker. »Er könnte selbstverständlich aber auch noch leben und sich nur für eine gewisse Zeit aus der Schußlinie gebracht haben.« »Ein gutes Stichwort«, schnappte die passionierte Detektivin so42
fort zu. »Mußten Sie mich eben wirklich so ohne jede Warnung über die Bank stoßen?« »Meine Wenigkeit fürchtete um Myladys Leben.« »Papperlapapp, Mister Parker, Sie hätten das mit mehr Behutsamkeit tun können. Ich erinnere an die Öllache neben jedem Tankzug. Auch bei dieser Gelegenheit schienen Sie sich gefreut zu haben.« »Solch eine emotionale Reaktion würde meine bescheidene Wenigkeit sich niemals erlauben, Mylady.« »Ich traue Ihnen in letzter Zeit nicht über den Weg«, sagte Lady Agatha und musterte ihren Butler mit einem prüfenden, mißtrauischen Blick. »Mylady können sich auf die Loyalität meiner Wenigkeit voll und ganz verlassen.« »Nun gut, Mister Parker, ich lasse mich überraschen. Und was werde ich jetzt unternehmen? Bis zum Lunch ist noch viel Zeit.« »Mylady könnten dem Entsorger Sittner einen Besuch abstatten.« »Wer ist denn das?« Sie sah ihn gereizt an. »Die Person, Mylady, die das Altöl des Schrotthändlers abpumpen läßt und für das ordnungsgemäße Verbringen dieses Stoffs garantiert.« »Und was plane ich sonst noch?« »Mylady könnten auch versuchen, Mister Paul Harling zu kontaktieren.« »Sie sprechen jetzt von dem Subjekt, das umgebracht wurde?« »Wie Mylady es zu sehen wünschen.« Parker deutete ein Kopfnicken an. »Nun gut, ich entscheide mich für diesen Entsorger, Mister Parker. Natürlich wird man dort bereits auf mich warten und mir eine Falle stellen.« »Mylady haben einen bestimmten Grund für diese Annahme?« »Aber selbstverständlich. Der Schrotthändler wird diesen Entsorger, wie immer er auch heißen mag, bereits angerufen haben. Eine Lady Simpson pflegt im voraus zu denken.« Josuah Parker verzichtete auf einen Kommentar und hielt sein hochbeiniges Monstrum kurz an, als er die Ausfahrt erreichte. Er dachte an den dunklen Ford und an die Feuerstöße aus der Maschinenpistole. Warteten die Gangster ungeduldig darauf, daß Mylady und er sich blicken ließen? Sie mußten gesehen haben, 43
daß ihr Feuerüberfall wirkungslos geblieben war. »Was ist denn?« wollte die ältere Dame ungeduldig wissen. »Darf man sich erlauben, Myladys Aufmerksamkeit auf jenen Toyota zu lenken, der dort auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkt?« »Und was ist mit ihm?« Ihre Stimme klang geringschätzig. »Rechnen Sie etwa mit einem zweiten Feuerüberfall? Ausgerechnet hier in diesem Industriegebiet? Das ist doch lächerlich!« »Die beiden Männer blättern erstaunlich intensiv in ihren Papieren, Mylady. Sie bemühen sich zu sehr, desinteressiert zu erscheinen.« »Weil sie wahrscheinlich eine bestimmte Adresse suchen, Mister Parker. Nein, nein, mein Instinkt sagt mir, daß diese beiden Leute völlig harmlos sind.« Sie hatte den Satz gerade beendet, als die harmlos eingeschätzten Männer plötzlich kurzläufige Maschinenwaffen in Händen hielten. * »Ich hätte mich von Ihnen nicht ablenken lassen sollen«, räsonierte sie wenige Augenblicke später, als Parker sein hochbeiniges Monstrum zurückstieß und in Deckung hinter einem Schrotthügel brachte. »Mylady gehen sicher davon aus, daß auch die zweite Zufahrt zum Schrottplatz überwacht wird.« Parker nahm sich nicht die Zeit, auf die Behauptung seiner Herrin einzugehen. »Natürlich ist diese Zufahrt besetzt«, antwortete sie umgehend. »Ich hatte ja sofort mit einer Falle gerechnet. Haben Sie denn wieder nicht mitbekommen, daß ich verfolgt worden bin?« »Die Mafia dürfte eine generelle Überwachung mit vielen verschiedenen Fahrzeugen eingeleitet haben, Mylady.« »Dennoch, man muß doch sofort sehen, ob in einem Wagen Gangster sitzen oder nicht«, „behauptete sie. »Wo steckt dieser Schrotthändler?« »Mister Norman Pitway dürfte das sprichwörtliche Weite gesucht haben, Mylady. Es kann natürlich auch sein, daß er sich hier auf dem wirklich sehr unübersichtlichen Schrottplatz versteckt hat.« »Nun gut, dann habe ich wenigstens freie Hand und brauche 44
keine Rücksicht zu nehmen, Mister Parker. Was werde ich also tun?« »Man sollte vielleicht das Telefon benutzen und die Polizei verständigen, Mylady.« »So etwas will ich gar nicht gehört haben, Mister Parker. Der gute McWarden würde sich schütteln vor Bosheit und Ironie. Eine Lady Simpson benötigt grundsätzlich keine fremde Hilfe, Mister Parker.« »Der Hinweis auf das Telefon hat sich bereits erledigt, Mylady«, antwortete der Butler und deutete zu einem Rohrmast. Man konnte klar sehen, daß die Telefonleitung herausgerissen worden war. Die Drähte baumelten in der Luft. Parker nahm die Dinge nicht auf die leichte Schulter. Auf dem Industriegelände im Osten der Stadt herrschte lärmende Betriebsamkeit. Es gab viele kleine und mittlere Firmen, die sich hier angesiedelt hatten. Der Geräuschpegel war entsprechend. Falls man konzentriert feuern würde, gingen die Schüsse wohl im allgemeinen Lärm unter. Doch man mußte wohl davon ausgehen, daß die Öko-Gangster Schalldämpfer benutzen würden. Und taten sie dies, gingen sie überhaupt kein Risiko ein. Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum neben eine schwere Schrottpresse, stieg aus und ging um den Wagen herum. Er öffnete form- und stilgerecht die Tür und nahm die Melone in Brusthöhe, als Lady Agatha ihre Fülle aus dem Wagen schob. »Wollen Sie etwa, daß ich mich verkrieche?« räsonierte sie. »Nichts wäre verhängnisvoller, Mylady«, erwiderte der Butler. »Man sollte die Angreifer attackieren.« »Das hört sich gut an, Mister Parker.« Sie nickte wohlwollend. »Die Gegner dürften sich bereits nähern, Mylady.« Wahrend Parker diese Feststellung traf, öffnete er den Kofferraum seines Wagens und schob die schwarze Reisetasche aus Leder zur Seite. Hinter dem hochgestellten Reserverad befand sich ein Behälter, der etwa so groß war wie eine Zigarrenkiste. Dieser Behälter bestand aus einem Spezialstahl und war nichts anderes als ein kleiner Miniaturtresor, dessen Deckel durch ein eingelassenes Zahlenschloß gesichert war. Parker stellte die Kombination ein und öffnete den Deckel des Tresors, der mit dem Wagenboden fest verschweißt war. Dann holte er ein Kästchen hervor, das wie eine Schmuckschatulle aussah. In diesem Kästchen befanden sich, eingepaßt in Schaum45
stoff, kleine Metallkugeln, die kaum größer waren als Vollreife Kirschen. Parker nahm einige dieser Kugeln an sich, ließ sie in einer der vielen Westentaschen verschwinden, schloß das Kästchen, schob es zurück in den Wagentresor und verschloß den Deckel. »Was ist denn das?« erkundigte sich Agatha Simpson neugierig. Sie sah den kleinen Tresor zum erstenmal. »Es handelt sich im übertragenen Sinn um eine Art Hochsicherheitsbehälter, Mylady«, erklärte Parker. »Die kleinen Metallkugeln sind Spezialgeschosse besonderer Art. Sie zeichnen sich durch ungewöhnlich starke Brisanz aus.« »Das klingt doch sehr hübsch«, meinte Lady Agatha und nickte wohlwollend. Sie deutete auf den Schrottplatz. »Hoffentlich haben Sie nicht zuviel versprochen, Mister Parker. Ich glaube, man will mich jetzt endgültig einkreisen.« Der Butler hatte die beiden herankommenden Wagen ebenfalls gehört. Ohne jede Hast präparierte er seine Patentgabelschleuder, die er aus der Innentasche seines schwarzen Covercoats geholt hatte. Er war bereit, sich auf seine spezielle Art mit den Öko-Gangstern auseinanderzusetzen. Die beiden Männer aus dem Toyota tauchten kurz neben einem der vielen Schrottberge auf. Sie nahmen Maß und versuchten herauszufinden, wo Mylady und Parker sich befanden. Sie fühlten sich völlig überlegen und als Herren der Situation. Ihrer Ansicht nach hatten sie es mit reinen Amateuren zu tun. Parker hatte seine Herrin gebeten, neben der dicken Stahlwand der Schrottpresse Deckung zu suchen. Widerwillig war sie seinem Wunsch nachgekommen. Sie saß auf einer umgestülpten Kiste und beobachtete Parker, der steif und würdevoll vorn an der Schrottpresse stand und inzwischen die beiden anderen Männer aus dem dunklen Ford in Augenschein nahm. Sie wagten sich weit vor und gaben sich gewissermaßen überheblich. Sie standen neben übereinander gestapelten Autowracks und kamen gar nicht auf den Gedanken, daß man sie beschießen könnte. »Hört mal kurz zu, ihr beiden Anfänger«, rief einer von ihnen lässig. »Wir wissen, wo ihr steckt. Kommt raus und macht keine Zicken, sonst holen wir euch!« 46
»Und dann wird’s hart«, fügte der zweite Mann hinzu und schwenkte seine Maschinenpistole. »Noch habt ihr ‘ne echte Chance.« Sie wollten ihre Opfer an der Schrottpresse ablenken. Die beiden Toyotafahrer schoben sich näher heran, verließen die Deckung des Schrottberges und wechselten hinüber zu einigen noch halbwegs intakt aussehenden Autos. Von dort aus konnten sie die Schrottpresse einsehen. Und es war nur noch eine Frage von wenigen Augenblicken, bis sie die ersten Feuerstöße lösen würden. Josuah Parker kam ihnen zuvor. Er legte das kirschgroße Geschoß in die Lederschlaufe seiner Gabelschleuder, nachdem er die Ladung aktiviert hatte. Dies war durch das Eindrücken eines kleinen Stiftes geschehen. Dann strammte er die beiden starken Gummibänder, visierte dabei einen der noch halbwegs intakten Wagen an und… ließ das Geschoß fliegen. Unhörbar und kaum zu sehen jagte es durch die Luft und landete auf der hinteren Tür des ausgewählten Wagens. Das Resultat war frappierend. Während Lady Agatha vor Schreck fast von der Kiste rutschte, wurde der getroffene Wagen wie von einer Riesenfaust gehoben und durch die Luft geschleudert. Dabei löste er sich in seine hauptsächlichsten Bestandteile auf. Eine Feuersäule schoß gen Himmel, eine weißgraue Rauchwolke breitete sich aus. Der Luftdruck der Detonation war beachtlich. Staub wurde hochgewirbelt, kleinere Schrottgegenstände schienen von einem Luftwirbel gepackt worden zu sein. Sie stoben hoch und regneten als Schrotthagel wieder herab. Parker hatte natürlich nicht auf die beiden Männer gezielt. An Blutvergießen war er nie interessiert. Ihm ging es nur darum, den Gangstern eine derbe Lektion zu erteilen. Sie sollten wissen, was sie erwartete, falls sie hartnäckig wurden. Parker wandte sich den beiden Fordfahrern zu, die sich eben noch lässig und überlegen gegeben hatten. Die Männer hatten sich zu Boden geworfen und machten einen kläglichen Eindruck. Parker aktivierte einen zweiten Sprengkörper und benutzte erneut die Gabelschleuder, um für klare Verhältnisse zu sorgen. Der runde Metallkörper landete genau in der Mitte der übereinander gestapelten Autowracks. Und wiederum flogen Autoteile durch die Luft, war eine schlanke Feuersäule zu sehen und regnete es 47
Blech. Eine mächtige Staubwolke nahm auch hier die genaue Sicht. »Ich glaube, Mister Parker, ich bin fast zufrieden mit Ihnen«, sagte die ältere Dame lautstark, um das Prasseln der herunterkommenden Blechteile zu übertönen. »Das war doch endlich mal etwas, was sich lohnte. Sie sind auf dem richtigen Weg. Nur weiter so!« »Mylady lassen meine Wenigkeit erröten«, behauptete Parker. »Es kann und muß natürlich alles noch sehr viel besser werden«, schränkte Agatha Simpson umgehend ein. »Erinnern Sie mich übrigens daran, daß ich mir bei Gelegenheit von Ihnen ein paar dieser Sprengkörper geben lasse.« »Sehr wohl, Mylady.« Parker verbeugte sich knapp und deutete dann auf sein hochbeiniges Monstrum. »Einer Weiterfahrt, Mylady, steht nichts mehr im Weg.« »Weiterfahrt? Und was ist mit diesen Subjekten, die mich umbringen wollten?« »Gedungene Killer, Mylady, die mit Sicherheit nicht wissen, für wen sie letztendlich tätig werden sollten.« »So sehe ich das allerdings auch«, erklärte sie und stieg in den Fond des Wagens. »Jetzt werde ich mir diesen Entsorger kaufen, Mister Parker. Wie hieß er noch?« »Es handelt sich um einen Mister Hank Sittner, Mylady.« »Der überrascht sein wird, daß ich noch sehr munter bin«, redete sie weiter. »Ich werde ihm das mit ein paar Ohrfeigen beweisen.« * Hank Sittner war etwa fünfundvierzig, schlank und mittelgroß. Er trug einen grauen Anzug, einen Schutzhelm und kaute auf einer Zigarre. Er hatte sich gerade vorgestellt und musterte Lady Simpson und Butler Parker sehr ungeniert. Ja, er schien sogar ein wenig belustigt zu sein… Dann aber ließ er sich wieder ablenken und winkte einem Mann, der einen blauen Overall trug und wohl sein Vorarbeiter war. »Was, zum Henker, war drüben bei Pitway los?« fragte er nervös, »was ist mit dem Feuer, Mike?« »Ich hab’ ein paar von unseren Leuten rübergeschickt, Boß«, 48
sagte er. »Da muß was in die Luft geflogen sein.« »Sie kennen Mister Pitway?« fragte Parker, als der Vorarbeiter wieder gegangen war. »Mehr oder weniger«, antwortete Sittner beiläufig. »Er ist einer meiner Kunden. Hoffentlich ist sein Ölbunker nicht hochgegangen.« »Könnte so etwas passieren? Gibt es nicht gewisse Sicherheitsbestimmungen?« »Haben Sie ‘ne Ahnung, was da alles unter dem Schrott ist«, meinte Hank Sittner und verzog das Gesicht. »Vor einigen Wochen flogen ihm ein paar Handgranaten um die Ohren. Die müssen in ‘nem uralten Armee-Lastwagen versteckt gewesen sein, und das schon seit Jahren. Von Gewehrmunition und Propangasflaschen mal ganz zu schweigen. Da will ich gar nicht erst von reden.« »Sie befördern Gifte, junger Mann?« schaltete Lady Agatha sich ein. Sie hatte die Anlagen des Entsorgers ausgiebig gemustert. Es gab wannenartige Tanks, Hochbehälter, Abfüllbühnen und Betonboxen, in denen sich Fässer stapelten. Ein aufdringlicher Geruch von Chemikalien lag über dem Firmengelände. »Wir sind auf Sondermüll spezialisiert, Lady«, gab Hank Sittner zurück. »Wir karren den Dreck weg, den die chemische Industrie hinterläßt.« »Es muß sich um ein einträgliches Geschäft handeln, nicht wahr?« Agatha Simpson deutete auf die Jaguarlimousine, die vor dem einstöckigen Bürogebäude stand und offenbar Sittner gehörte. »Umsonst ist noch nicht mal der Tod, Lady«, antwortete Sittner und lächelte. »Klar, die Industrie läßt es sich was kosten, damit dieser Müll weggeschafft wird.« »Darf man fragen, wie er deponiert wird, Sir?« erkundigte sich Parker. »Warum interessiert Sie das?« Sittner runzelte die Stirn. »Mylady schreibt an einem Bericht, und zwar für die interstaatliche Kommission für den aktiven Umweltschutz«, schwindelte Parker aus dem Handgelenk heraus. »Mylady findet dabei die Unterstützung der Brüsseler und Luxemburger Behörden.« »Ich könnte es noch genauer erklären, aber das würden Sie wohl kaum verstehen, junger Mann«, warf Agatha Simpson ein. »Nein, mir reicht es bereits«, wehrte Hank Sittner ab. »Ich 49
glaube Ihnen auch so. Na ja. Umweltschutz ist ein großes Thema. Und wir als Entsorger hängen mittendrin. Sie haben wohl kaum eine Ahnung, wie genau wir kontrolliert werden. Bei uns muß alles seine Ordnung haben.« »Könnten Sie freundlicherweise die Grundzüge einer Entsorgung schildern, Sir?« erkundigte sich Parker. »Bei einer Tasse Tee und etwas Gebäck, junger Mann«, verlangte Lady Agatha. »Ich habe seit den frühen Morgenstunden nichts mehr zu mir genommen.« »Gebäck, Mylady? Ich kann Ihnen höchstens ein paar Sandwiches bringen lassen.« »Nun, ich muß zwar Diät halten, aber zur Not tun es auch Sandwiches«, entgegnete sie. »Ich schätze Rührei mit Schinken, etwas Lachs, dann ein paar nicht zu kleine Scheiben Roastbeef mit Meerrettichsauce und natürlich Käse. Also wirklich nur eine Kleinigkeit.« »Nur eine Kleinigkeit?« Hank Sittner war eindeutig überrascht. »Mylady hält strenge Diät«, warf der Butler ein, »und Mylady muß hin und wieder den Kreislauf stützen.« »Richtig, Mister Parker, gut, daß Sie mich daran erinnern«, ließ die ältere Dame sich vernehmen und bedachte Parker mit einem fast wohlwollenden Blick, um sich dann wieder auf Sittner zu konzentrieren. »Ein guter Cognac wird mir da weiterhelfen, junger Mann. Ich schätze Gastfreundschaft.« Als Hank Sittner antworten wollte, erschien sein Vorarbeiter Mike. Der untersetzte, massige Mann wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich hör’ gerade, Boß, daß da drüben bei Pitway einiges los gewesen sein muß. Da scheint man den ganzen Schrott in die Luft gepustet zu haben.« »Und was ist mit Pitway?« wollte Hank Sittner wissen. »Nicht zu sehen, Boß. Auch sonst kein Mensch weit und breit aufzutreiben.« »Wir wollen uns doch nicht in Einzelheiten verlieren«, mahnte die energische Dame ungeduldig in Richtung Hank Sittner. »Vergessen Sie nicht, die Sandwiches ordern zu lassen. Und dann können Sie von mir aus erzählen, wie dieser Giftmüll weggeschafft wird. Aber alles zu seiner Zeit.«
50
* Chief-Superintendent McWarden war etwa fünfundfünfzig. Als Mann wirkte er untersetzt und bullig. Er machte einen stets leicht gereizten Eindruck, war ein erstklassiger Kriminalist und unterstand direkt dem Innenministerium. McWarden befaßte sich mit organisiertem Verbrechertum und suchte immer wieder Butler Parkers Mitarbeit. Darüber hinaus schätzte er die unkonventionelle Art der Lady Simpson und ertrug ohne weiteres ihre vielen Sticheleien. Im Gegensatz zu ihm waren Butler Parker und Lady Agatha an keine Dienstvorschriften gebunden. Sie konnten also viel freier ermitteln als er. Man kannte sich schon seit Jahren und wußte sehr wohl, was man voneinander zu halten hatte. An diesem frühen Nachmittag hatte der Chief-Superintendent sich im Haus der älteren Dame in Sheperd’s Market eingefunden und wartete zusammen mit Kathy Porter und Mike Rander auf den Bericht des Butlers. »Ich weiß bereits in groben Umrissen, was bisher passiert ist«, sagte McWarden. »Miß Porter und Mister Ränder haben mich schon informiert. Sie dürften da ja einer tollen Sache auf der Spur sein.« »Die Sie natürlich bisher völlig übersehen haben, mein lieber McWarden«, stichelte Lady Agatha genußvoll. »Das wird sich noch zeigen, Mylady.« Der Chief-Superintendent lächelte verkniffen, aber immerhin wissend. »Ich bringe auch ein paar Informationen mit.« »Die Herkunft des Tankzuges, Sir, konnte ermittelt werden«, schickte Josuah Parker voraus. »Es ist auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen, daß vier Tankzüge den Besitzer wechselten und in die Hand eines gewissen Paul Harling übergingen, der seinerseits bei einem Abbruchunternehmer namens Willie Wickham beschäftigt ist oder war.« »Ich habe diesen Herrschaften bereits ausgiebig auf die Finger geklopft«, schaltete Agatha Simpson sich ein. »Es war sehr anregend für mich.« »Der Aufkäufer und Weiterverkäufer der vier Lastzüge ist ein gewisser Pitway, wie meine Wenigkeit bereits erwähnte«, berichtete der Butler weiter. »Dort kam es am Morgen zu einem bedrohlichen Zwischenfall. Man versuchte äußerst hartnäckig und nachdrücklich, Mylady zu ermorden.« 51
»Wogegen ich mich natürlich wehrte«, ließ Agatha Simpson sich prompt vernehmen. »Ich habe diesen Subjekten gezeigt, daß man sich mit mir besser nicht anlegt.« »Sie haben das völlig allein geschafft?« fragte McWarden. »Nun ja, Mister Parker konnte mir dabei ein wenig zur Hand gehen«, meinte sie fast beiläufig. »Er stellte sich nicht gerade ungeschickt an.« »Und was ist aus den Killern geworden?« McWarden hörte aufmerksam zu. »Was wohl, mein Bester?« Agatha Simpson lächelte mild. »Sie ergriffen die Flucht, als ich den Schrottplatz etwas in Unordnung brachte.« »Mister Norman Pitway, Sir, verwies Mylady an einen Entsorger namens Hank Sittner«, nahm Parker den Faden wieder auf. »Mister Sittner konnte Einzelheiten zum Thema Giftmüll beisteuern.« »Ich habe Dinge gehört, McWarden, die ich einfach nicht glauben will«, sagte die Detektivin. »Man ahnt ja überhaupt nicht, was es alles an Giften gibt, von denen wir umgeben sind.« »Schafft dieser Hank Sittner den Giftmüll auf spezielle Deponien, Parker?« schaltete Mike Rander sich ein. »Als Laie stellt man sich so etwas ja vor.« »Es gibt in der Tat spezielle Deponien, Sir«, bestätigte der Butler. »Der Untergrund dieser Deponien muß wasserundurchlässig sein, er wird sicherheitshalber noch mit starken Kunststoff-Folien ausgeschlagen und zusätzlich in Einzelfällen noch asphaltiert. Der chemische Müll wird in speziellen Fässern angeliefert und dann gestapelt.« »Chemische Zeitbomben, mein Bester«, rief die ältere Dame dazwischen. »Irgendwann werden die Deponien doch mal undicht. Und dann ist das Grundwasser verseucht.« »Genauer kann man dies wirklich nicht schildern, Sir«, redete Josuah Parker weiter. »Laut Mister Sittner gibt es aber saubere und wilde Deponien, was mit den Ablagerungspreisen zu tun hat.« »Was stelle ich mir darunter vor?« wollte Kathy Porter wissen. »Die sauberen Deponien, Miß Porter, kontrollieren die angelieferten Stoffe sehr genau auf ihre Ablagerungsfähigkeit. Die Benutzung solcher Deponien ist teuer.« »Gibt es Stoffe, die nicht abgelagert werden dürfen?« »In der Tat, Miß Porter«, versicherte der Butler. »Gewisse che52
mische Müllstoffe können nur bei großer Hitze verbrannt werden, ein Verfahren, das noch teurer ist. Solche chemische Umsetzungen per Feuer und Hitze übernehmen eigens dafür eingerichtete Fabriken.« »Und woran verdienen nun die Öko-Gangster?« lautete Kathy Porters nächste Frage. »Sie schaffen den Giftmüll auf sogenannte Hausmüll-Deponien, was so gut wie nichts kostet im Vergleich zu den speziellen Deponien. Dabei werden gefälschte Papiere vorgezeigt, die Produzenten des Giftmülls, nämlich eine gewisse chemische Industrie, Miß Porter, weiß von diesen Machenschaften natürlich nichts, weil für sie ja eine ordnungsgemäße Verbringung, wie es heißt, gewährleistet ist.« »Okay, man läßt sich also eine Menge Geld dafür zahlen, daß man den Giftmüll angeblich sauber wegschafft und deponiert«, faßte Mike Rander zusammen. »Und für ein Butterbrot wird dieser Giftmüll dann anschließend auf irgendeiner Deponie gelagert.« »Das ist das Verfahren, das Mister Sittner schildert.« »Haben die Öko-Gangster denn keine Angst, daß sie auffliegen?« warf Kathy Porter ein. »Mit gefälschten Papieren und Schmiergeld läßt sich da viel arrangieren, wie Mister Hank Sittner versicherte«, antwortete Josuah Parker. »Es war ja ein reiner Zufall, daß Mylady auf den Tankzug stieß, der den Giftmüll wegschaffte.« »Natürlich war es kein Zufall, Mister Parker, sondern sicherer Instinkt«, stellte Lady Agatha umgehend klar. »Mein Unterbewußtsein ließ mich diese Abkürzung nehmen.« »Und was war in diesem Tankzug genau?« wollte McWarden wissen. »Die Aufzählung allein hört sich wie ein Horror-Katalog an«, meinte der Anwalt und zog einen Zettel aus seiner Ziertuschtasche. »So etwas kann man sich nicht merken, das muß man vorlesen, McWarden. Hören Sie genau hin. Da hatten wir es mit Arsen- und Cyanidschlämmen zu tun, mit polychlorierten Biphenylen, die Dioxin enthalten, mit cyanidhaltigen Härtesalzen, phenolhaltigen Rückständen aus der Petrochemie und mit Polyvinylalkohol-Abfällen. Hört sich scheußlich an, nicht wahr, aber es ist auch scheußlich. Diese Giftbrühe im Grundwasser – und eine Massenvergiftung ist so gut wie sicher!« »Diese Giftbrühe, Mister Parker, gehörte also in spezielle Fässer 53
für ganz bestimmte Deponien?« vergewisserte sich Kathy Porter. »Sie gehörte in eine Verbrennungsanlage, Miß Porter, die mit mehr als elfhundert Grad arbeitet, wie man meiner Wenigkeit sagte«, antwortete der Butler. »Mister Hank Sittner drückte sich dementsprechend aus. Bei dieser Gelegenheit sollte man vielleicht erwähnen, daß es in der Region von Chelmsfort weder eine Deponie für Giftmüll, noch eine Verbrennungsanlage für diese Chemikalien gibt. Man sollte und muß sich also fragen, warum der Tankzug sich dort befand.« »Vielleicht kann ich da aushelfen«, warf der ChiefSuperintendent ein und blickte Lady Agatha an. »Ich hatte ja angekündigt, daß auch ich ein paar Informationen mitbringe. Uns ist mitgeteilt worden, daß man Einleitungen von flüssigem Giftmüll in die See festgestellt hat. Und das schon seit geraumer Zeit.« »Einleitungen von Giftmüll in die Nordsee?« staunte Lady Agatha. »Es wimmelt an der Ostküste doch nur so von Bädern.« »Was die Öko-Gangster offensichtlich einen Dreck schert, Mylady«, versicherte McWarden der älteren Dame. »Zwischen Southend on Sea und Harwich gibt es ja bekanntlich eine Menge Flüsse und Buchten, die weit ins Binnenland führen. Und in diese Gewässer werden ganz offensichtlich chemische Giftstoffe gekippt, die dann von der Ebbe hinaus auf See transportiert werden. Der Tankzug, der angeblich Milch transportierte, scheint uns endlich ein Stück weiterzubringen. An solch eine Tarnung haben wir natürlich nicht gedacht.« »Natürlich nicht«, mokierte sich Lady Agatha umgehend und genußvoll. »Es hätte mich auch sehr gewundert, mein lieber McWarden.« »Der betreffende Tankzug ging inzwischen in Flammen auf«, stellte Josuah Parker fest, bevor McWarden sich revanchieren konnte, »Und man kann wohl davon ausgehen, daß man den flüssigen Giftmüll vorerst regulär verbringt, wie es Mister Sittner nennt. Nach dem Zwischenfall bei Chelmsford werden die ÖkoGangster erst mal eine Pause einlegen.« »Oder sich eine andere Gegend aussuchen«, sagte Mike Rander. »Kathy und ich haben eine Liste all der Firmen, die sich als Entsorger in der Region von Groß-London anbieten.« »Diese Liste haben wir auch«, meinte der Chief-Superintendent. »Wir überwachen natürlich auch die Firmen, aber bisher sind wir keinen Schritt weitergekommen.« 54
»Was sich bereits ändert, mein lieber McWarden«, erklärte Lady Agatha. »Nicht wahr, Mister Parker, ich werde diese Machenschaften aufdecken.« »Mylady konnten in der Vergangenheit noch immer jeden noch so komplizierten Kriminalfall lösen«, lautete Parkers höfliche Antwort. * »Machen wir uns doch nichts vor, Parker«, sagte Mike Rander, der neben dem Butler im hochbeinigen Monstrum saß. »Wir wissen doch im Grund, wie der Hase läuft, oder?« »Dem, Sir, kann man nur beipflichten«, antwortete der Butler, der kerzengerade am Steuer saß und sein Gefährt durch die City steuerte. »Der Abbruchunternehmer Wickham dürfte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Mann sein, der dem sogenannten Giftprinzen nahe steht.« »Wenn er es nicht sogar selbst ist, Parker! Sein Assistent oder Sekretär Harling hat die vier Tankzüge für ihn gekauft und auch Milchtransporter umfrisieren lassen. Für mich liegt es auf der Hand.« »Wenn Sie gestatten, Sir, möchte meine Wenigkeit Ihnen beipflichten«, erwiderte Parker gemessen. »Die Rollen der Herren Pitway und Sittner hingegen bedürfen noch einer genaueren Klärung.« »Sind Sie da nicht etwas zu vorsichtig, Parker? Der Schrotthändler Pitway gehört ebenfalls zu den Öko-Gangstern. Warum besorgt ein Mann wie er schrottreife Tankzüge in Southampton, bringt sie hier wieder auf Vordermann und verscherbelt sie dann an Wickham und Harling weiter? Nein, nein, der Schrotthändler wußte und weiß genau, was gespielt wird. Daran ändert auch nichts der massierte Überfall auf Lady Simpson und Sie, Parker. Bei dieser passenden Gelegenheit wollte man wohl auch ihn aus dem Weg räumen.« »Bliebe noch Mister Hank Sittner, Sir, der ein anerkannter Entsorger ist.« »Ein Entsorger, der wahrscheinlich auch für die Öko-Gangster arbeitet, Parker. Denken Sie an den dummen Zufall mit dem Milchlaster. Wäre der nicht dazwischen gekommen und hätte sich 55
nichts getan, dann würde das verdammte Gift nach wie vor ins Meer fließen.« Die beiden äußerlich so ungleichen Männer hatten Lady Agatha und Kathy Porter in Shepherd’s Market zurückgelassen. Mylady meditierte in ihrem Studio, mit anderen Worten, sie sah sich entweder einen Video-Film an, oder aber sie schlief. Kathy Porter war als eine Art Stallwache im Haus der Lady Agatha zurückgeblieben, um sie unter Kontrolle zu halten. Mylady neigte nämlich zu jähen Entschlüssen. Parker und Rander näherten sich den Millwall Docks, wo sich das Abbruchunternehmen des Willie Wickham befand. Sie wollten ihm allerdings keinen Besuch abstatten, sondern sich mit Paul Harling beschäftigen, dessen genaue Adresse bekannt war. Willie Wickham, – der seriös aussehende Unternehmer, hatte zwar behauptet, seinen Sekretär gefeuert zu haben, doch das roch nach einer faustdicken Lüge. Parker und Rander waren sich allerdings im klaren darüber, daß Wickham nur darauf wartete, daß seine Gegner in der Wohnung Paul Harlings erschienen. Vielleicht warteten dort bereits ungeduldig einige handfeste Gangster. Das Haus, in dem sich Paul Harlings Apartment befand, stand in einer Seitenstraße am Rand der Docks. Es war eine nicht gerade vornehme Gegend. Die Häuser waren alt, verwohnt und grau. Parker fuhr an dem Bau vorüber und gab Mike Rander Gelegenheit, die betreffende Hausfassade zu mustern. »Eine Weinhandlung, ein Billardclub und ein Zeitungsladen«, zählte der Anwalt auf. »Darüber befinden sich wohl nur Wohneinheiten. Wie kommen wir ohne großes Risiko in den Bau, Parker?« »Das gesuchte Apartment befindet sich unter dem Dach, Sir«, antwortete der Butler. »So lauten die Auskünfte, die Mister Pickett meiner Wenigkeit zusätzlich verschaffte.« »Wo steckt denn eigentlich unser ehemaliger Eigentumsumverteiler zur Zeit?« fragte Rander ironisch. »Mister Horace Pickett befindet sich wieder in London, Sir. Er kontrolliert die Szene und fahndet nach dem sogenannten Giftprinz.« »Und dürfte doch sicher hier ein paar von seinen Freunden postiert haben, wie?« »In der Tat, Sir«, bestätigte der Butler. »Der Bananenverkäufer neben dem Verkaufswagen dürfte gleich einen kleinen Zwischen56
fall provozieren, um eine Nachricht überbringen zu können.« »Und woher wollen Sie das nun wieder wissen?« Mike Rander schüttelte ungläubig-lächelnd den Kopf. »Der Verkäufer schreibt gerade eine neue Notierung auf seine Schreibtafel«, meinte Parker. Er brauchte nicht lange zu warten, bis der Bananenverkäufer plötzlich seinen zweirädrigen Verkaufskarren aus der Parklücke schob und den Butler zu einer Art Notbremsung zwang. Der Verkäufer regte sich ungemein auf und belegte den Butler mit ausgesuchten Schimpfworten in einem Slang, den selbst Rander kaum verstand. Doch zwischen den einzelnen Salven seiner Schimpfkanonade flüsterte der Verkäufer dem Butler einige wichtige Stichworte zu. * Die Atmosphäre im Billard-Club war deprimierend. Über vier alte Spieltische brannten rechteckige, tief hängende Lampen. Es roch nach schalem Bier, abgestandenem Tabakrauch und einem aufdringlichen Desinfektionsmittel. An einem Tisch spielten zwei Männer mehr als lustlos, ein dritter hockte vorn am Tresen, hinter dem sich ein Barkeeper langweilte. Nur das Klicken der Billardkugeln und das Summen einiger nervöser Fliegen war zu vernehmen. Die Szene änderte sich schlagartig, als Josuah Parker den langgestreckten Raum betrat und überaus höflich die schwarze Melone lüftete. Der Mann an der Theke riß die müden Augen weit auf und spannte seine Muskeln. Die beiden Billardspieler starrten ungläubig auf den Butler, hinter dem Mike Rander erschien. Der Barkeeper witterte Unrat und empfahl sich. Er verschwand hinter einem Vorhang, ein Vorgang, für den der Anwalt sich interessierte. »Könnten die Herren möglicherweise mit einer freundlichen Auskunft dienen?« erkundigte sich Parker. Er hielt die Melone in der rechten, schwarz behandschuhten Hand, währen Mike Rander zum Tresen wechselte. »Was haben wir denn auf Lager?« fragte einer der beiden Billardspieler und kam näher. Er hatte sich von seiner ersten Überraschung erholt und legte das Queue über die linke Schulter. Er 57
sah plötzlich wie ein Gewehrträger aus. »Man sucht einen gewissen Mister Paul Harling«, beantwortete der Butler die Frage. »Er sollte ganz in der Nähe wohnen, falls die gegebenen Informationen stimmen.« »Klar, wir kennen Harling«, meinte der Billardspieler. »Passen Sie mal genau auf! Sie gehen da rüber und...« Er wollte seinen Satz keineswegs beenden. Ihm kam es nur darauf an, Parker das Queue um die Ohren zu schlagen. Er holte blitzschnell aus und langte zu, während sein Partner sich abdrückte und Kurs auf Mike Rander nahm. Nur hatte Josuah Parker mit solch einer Reaktion gerechnet. Vom Bananenverkäufer wüßte er, daß man es mit drei wartenden Schlägern zu tun hatte, die sich seit vielen Stunden hier in der Straße aufhielten. Der Butler trat durchaus würdevoll einen halben Schritt zurück und brachte seinen Oberkörper noch zusätzlich aus dem Schlagkreis. Der Mann wurde von seinem eigenen Schwung mitgerissen, da er ins Leere traf, bot dem Butler sein Körperprofil und hatte keine Zeit mehr, sich neu aufzubauen. Aus verständlichen Gründen wollte Parker es nicht auf einen zweiten Schlag ankommen lassen. Er setzte die stahlgefütterte Wölbung seiner Melone auf den Hinterkopf des Billardspielers, der daraufhin sichtlich stutzte, dann wie erstaunt stehenblieb, um danach in die Knie zu gehen. »Ihnen dürften die Grundbegriffe der Höflichkeit fremd sein«, stellte Parker anschließend fest. Er setzte die Melone auf und klopfte mit dem Bambusgriff seines Schirmes bei dem total verwirrten Mann an. Die Bleifüllung in diesem altmodischen Griff tat seine Wirkung. Nun fiel der Billardspieler auf die Knie, um dann im Zeitlupentempo auf seiner Stirn zu landen. Parker bückte sich und entnahm der Schulterhalfter des Mannes einen Revolver. Der zweite Schläger hatte inzwischen den Tresen erreicht. Er hatte das Queue umgedreht, hielt es mit beiden Händen und wollte mit dem Griffstück auf den Anwalt eindreschen. Mike Rander zeigte, daß er als Einzelkämpfer über erstaunliche Qualitäten verfügte. Er trat gegen einen Barhocker und sorgte dafür, daß dieses hochstelzige Sitzmöbel gleichzeitig nach vorn kippte. Randers Berechnung der Fallkurve erwies sich als richtig. Die runde Sitzfläche knallte gegen die linke Kniescheibe des Angreifers, der sofort das Gleichgewicht verlor und auf den Anwalt segelte. Als er Randers Höhe erreichte, nahm er eine leere Bier58
flasche, die auf dem Tresen stand, setzte sie auf dem Hinterkopf des Luftsportlers ab und widmete sich dann dem dritten Mann, der bisher auf seinen Einsatz gewartet hatte. Dieser Gast am Tresen griff nach seiner Schulterhalfter. Er wollte retten, was noch zu retten war. Er schaffte es sogar noch, seinen Revolver andeutungsweise zu ziehen. Zu mehr reichte es jedoch nicht mehr. Mike Rander schüttete ihm eine Ladung gesalzener Erdnüsse ins Gesicht. Abgefallene Salzkörnchen landeten in den Augen, lösten sich blitzschnell auf und sorgten für nachhaltige Reizung der Schleimhäute. Bevor der Gast sich von seiner Überraschung erholt hatte, zog der Butler ihm den Sitzhocker unter dem Gesäß weg. Dazu benutzte er den Bambusgriff, den er als Greifhaken einsetzte. Der Gast flog in hohem Bogen auf den Boden, zappelte hier noch ein wenig herum und gab anschließend Ruhe. »Wenn Sie erlauben, Sir, wird man sich mit dem Barkeeper beschäftigen«, sagte Parker. »Nichts gegen einzuwenden, Parker.« Rander lächelte und zündete sich dann eine Zigarette an. »Tun Sie, was Sie für richtig halten.« * »Los, Mann, nur keine Hemmungen«, rief Mike Rander dem Tresengast zu. Der Schläger machte einen nervös-unglücklichen Eindruck. Er stand vor der Tür zu Paul Harlings Apartment und sollte laut Rander die Tür öffnen. Mehr wurde von ihm nicht verlangt. Für den Gangster konnte die Tür auf keinen Fall ein Hindernis sein, doch er zeigte keine Neigung, sich als Einbrecher zu betätigen. Der Anwalt und Parker hatten sich auf dem Treppenabsatz unterhalb der Tür aufgebaut und beobachteten von hier aus den Schläger, der inzwischen vor Verlegenheit schwitzte. »In… In Türen kenn’ ich mich nicht aus«, rief der Mann nach unten und zuckte die Achseln. »Einfach gegenwerfen, alter Knabe«, schlug Ränder ironisch vor. »Sie bringen ja genügend Gewicht auf die Waage. Die Tür springt dann von selbst auf, wetten?« 59
Parker ahnte, warum der Schläger keine Neigung verspürte, die Tür aufzudrücken. Der Mann wußte wahrscheinlich sehr wohl, daß eine Sprengladung angebracht worden war, die nur darauf wartete, im geeigneten Moment hochzugehen. Schließlich hoffte ja wohl ein gewisser Willie Wickham nur darauf, daß ein Butler namens Parker hier erschien, um sich mit Paul Harling zu befassen. »Ich fürchte, älter Junge, ich werde Ihnen Beine machen müssen«, warnte Rander den Schläger und zeigte einen der eben erst erbeuteten Revolver. »Wenn Sie nicht umgehend spuren, werde ich Ihnen ‘ne blaue Bohne servieren.« »Hören Sie«, erwiderte der Schläger und wich gegen die Wand zurück, »hören Sie, machen Sie keinen Unsinn! Verstehen Sie? Ich… Ich weiß genau, daß Harling nicht da ist. Der is’ abgehauen, ich hab’ ihn gesehen, als er sich absetzte. Er hatte sogar ‘nen Koffer bei sich.« »Dann wird man sich also in aller gebotenen Ruhe in seinem Apartment umsehen können«, antwortete der Butler höflich. »Sie sollten die Tür jetzt wirklich aufdrücken, bevor Mister Rander unwirsch wird.« »Ich werd’ mal ‘ne Ladung in die Tür setzen«, kündigte Rander lässig an. »Wenn Ihnen erst mal ein paar Holzsplitter um die Ohren wirbeln, werden Sie kapieren.« »Nicht schießen, Mann, nicht schießen!« Der Schläger kam ans Geländer und sah Parker und Rander geradezu beschwörend an. Dabei winkte er mit beiden Händen nach unten. »Nur nicht schießen, sonst gibt’s ‘ne Katastrophe.« »Aber nicht für uns, alter Freund, wir stehen hier ziemlich sicher.« »Hinter der Tür… Also hören Sie… Hinter der Tür is’ ‘ne Sprengladung angebracht«, gestand der Schläger endlich. »Okay, ich geb’s ja zu. Das Ding reicht aus, um den halben Dachstuhl in die Luft zu pusten.« »Und wer könnte die Sprengladung angebracht haben?« erkundigte sich der Anwalt. »Keine Ahnung, wirklich nicht. Moment, ich red’ ja… Also, das ist Deeping gewesen.« »Wen kann ich mir darunter vorstellen?« lautete Randers nächste Frage. »Der is’ unser Vormann«, kam prompt die Antwort. »Clark Deeping hat die verdammte Bombe gelegt.« 60
»Und wo, wenn man weiter fragen darf, kann man Mister Glark Deeping finden?« wollte der Butler wissen. »Bei uns eben, in der Firma.« Der Schläger verstand die Frage nicht. »Mann, wir wollen den Namen der Firma hören«, setzte Rander nach und hob die Schußwaffe. »Wickham… Wickham«, erfolgte die beschwörende Antwort. »Wir sind doch bei Wickham beschäftigt. Ich hab’ gedacht, das hätten Sie gewußt.« »Bleibt noch die Frage nach Mister Wickhams Sekretär«, schickte der Butler voraus. »Auch dazu würde man gern einige präzise Angaben hören.« »Paul Harling?« fragte der Schläger und schob sich langsam an die Treppe heran. Es war deutlich zu sehen, daß er von der Tür wegkommen wollte. »Also los jetzt«, drängte der Anwalt. »Zieren Sie sich nicht, guter Mann! Ich werde sonst wirklich ungeduldig. Noch etwas: Zurück an die Tür, oder sind Sie scharf auf einen gezielten Schuß?« Der Mann blieb an der Treppe stehen. »Harling ist wirklich abgehauen«, behauptete er beschwörend, »ehrlich, ich hab’ ihn doch gesehen. Der ist längst über alle Berge.« »Und wo befindet er sich jetzt?« Rander ließ nicht locker. »In Witham«, erfolgte die Antwort ohne Zögern. »Der hat da ein kleines Ferienhaus.« »Zum Teufel, alter Junge, wo finde ich dieses Witham?« »Bei Chelmsford«, lautete die Antwort. »Mehr hab’ ich aber jetzt wirklich nicht auf Lager. Sie haben mich ausgepreßt wie ‘ne Zitrone.« »Und ganz ohne Druck«, meinte Rander ironisch und zwinkerte dem Butler zu. * »Lassen wir uns bei Wickham sehen, Parker?« fragte Mike Rander. Er stieg in den Wagen des Butlers und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. »Eine Vorstellung, Sir, die ihre Reize hat«, antwortete der Butler. »Möglicherweise findet man dort den erwähnten Vormann 61
namens Clark Deeping.« »Genau an den denke ich«, redete der Anwalt weiter. »Diesen Sprengstoffburschen möchte ich mir mal aus der Nähe ansehen. Er dürfte auch für die Haftmine zuständig sein, die man unter Ihr Monstrum geklebt hat.« »Eine Auffassung, Sir, der meine Wenigkeit nicht widersprechen möchte.« Parker deutete ein knappes Nicken an. »Bis zur Firma Wickham ist es ohnehin nicht sonderlich weit. Sie befindet sich ganz in der Nähe.« »Okay, Parker, stochern wir dort mal herum. Unsere drei Billardspieler werden ja keine Vorwarnung geben können.« »Man sollte auch den Barkeeper noch erwähnen, Sir, der ebenfalls keinen Alarm schlagen kann.« »Die Kerle sitzen erst mal in einem Keller fest«, pflichtete Rander seinem Begleiter bei. »Übrigens, der Barkeeper hat mir bestätigt, daß die drei Burschen eindeutig zur Wickham-Firma gehören.« Die beiden äußerlich so ungleichen Männer verstanden sich wieder mal ausgezeichnet. Rander rauchte entspannt eine Zigarette und hatte gegen einen handfesten Wirbel überhaupt nichts einzuwenden. Von diesem neuen Fall fühlte er sich persönlich sehr berührt. Es ging schließlich um Chemiestoffe, die man aus purer Gewinnsucht ohne jede Rücksicht auf die Bevölkerung wegkippte. Diesen Öko-Gangstern war es völlig gleichgültig, ob es früher oder später zu Massenvergiftungen mit tödlichem Ausgang kam. Für sie zählte nur das schnell verdiente Geld. Solchen Männern mußte sehr nachdrücklich das Handwerk gelegt werden. »Ist dieser Wickham nun der Gift-Prinz, Parker?« fragte der Anwalt. »Die beiden Männer, Sir, die sich erdreisteten, die gerade erwähnte Haftmine unter den Wagen meiner Wenig zu legen, sprachen von einem großen und schlanken Mann, der eine Hornbrille trägt und etwa dreißig Jahre alt sein soll.« »Dabei kann’s sich um reine Erfindung gehandelt haben, oder?« »Diese Möglichkeit ist selbstverständlich keineswegs auszuschließen, Sir. Auf der anderen Seite rechneten sie damit, daß der Rüttelzünder an der Betonmischmaschine ansprechen würde. Unter diesem psychologischen Druck dürften sie die Wahrheit gesagt haben.« 62
»Hatten Sie’s bisher mit solch einem Knaben zu tun, Parker?« »Mit Mister Harling, Sir, auf den diese Beschreibung durchaus zutrifft, falls er sich eine entsprechende Hornbrille aufsetzt.« »Richtig, Parker, das wäre eine Lösung. Paul Harling spielt den Giftprinz, während sein Boß Wickham hübsch im Hintergrund bleibt und für die Mafia die Fäden zieht.« »Es könnt auch ein wenig anders sein, Sir, falls mir dieser Hinweis gestattet ist.« »Welche Variante haben Sie anzubieten, Parker?« Rander lächelte unwillkürlich. Parkers barocke Ausdrucksweise amüsierte ihn immer wieder. »Mister Raul Harling könnte der Mafiavertreter sein der in der Firma Wickham den Ton angibt.« »Wie auch immer, Parker.« Rander drückte seine Zigarette aus. »Ich schätze, wir sind dieser Öko-Gang ziemlich dicht auf den Fersen. Ob Wickham oder Harling, mir ist das egal, Hauptsache, wir heben die Gang aus. Ich fühle mich an alte Zeiten erinnert, als wir in den Staaten zulangten.« »Eine gute Zeit, Sir, wenn meine Wenigkeit sich diese Bemerkung herausnehmen darf.« »Sie dürfen, Parker, Sie dürfen!« Rander winkte ab. »Was halten Sie von dem Ferienhaus, in das Harling sich angeblich verkrochen haben soll?« »Eine Aussage, die eindeutig unter Angst erfolgte, unter der Angst, von einer hochgehenden Sprengladung in Mitleidenschaft gezogen zu werden.« »Wieso weiß dieser Schläger von dem Feriensitz? War das Zufall?« »Keineswegs, Sir, falls meine unmaßgebliche Meinung gefragt sein sollte. Dieser Hinweis auf das Ferienhaus in Witham erfolgte gezielt.« »Sie glauben, der Bursche hätte uns einen Bären aufgebunden?« »Nicht der Schläger, Sir, aber Mister Harling, Mister Wickham oder vielleicht auch Mister Clark Deeping.« »Man will uns auf dem Umweg über den Schläger nach Witham lotsen?« »Dieser Hinweis erfolgte sicher für den Fall, Sir, daß man die Falle in Mister Harlings Apartment erkannte und einen der wartenden Schläger überwältigte und dann befragte.« 63
»Ganz schön raffiniert, falls das zutrifft, Parker.« »Man sollte die Mafia niemals unterschätzen, Sir. Man arbeitet, wenn meine Wenigkeit so sagen darf, auf verschiedenen Frequenzen.« »Falls wir also nach Witham fahren und uns dem Ferienhaus nähern, dürfte die nächste Falle auf uns warten?« »Man sollte davon ausgehen, Sir, eine gewisse Vorsicht ist stets angebracht.« »Okay, rechnen wir also mit einer Falle. Werden Sie unseren guten Pickett nach Witham schicken?« »Dort würde sein Erscheinen mit einiger Sicherheit auffallen, Sir. Seine Anwesenheit hier in London dürfte effektiver sein. Man sollte vielleicht selbst in Richtung Küste fahren, um dort in Erscheinung zu treten. Da man mit einer Falle rechnet, kann man ihr natürlich entsprechend begegnen.« »Okay, Parker, erledigen Sie die unwichtigen Details…« Der Anwalt parodierte die Lady und lächelte, »Moment mal, ist das da das Abbruch-Unternehmen?« »Die Firma des Mister Willie Wickham, Sir«, bestätigte Josuah Parker. »Man scheint sich gerade einem Auftrag widmen zu wollen, der zu einer recht ungewöhnlichen Zeit erledigt werden soll.« »Wie kommen Sie denn darauf, Parker?« wunderte sich der Anwalt. »Man ist gerade dabei, zwei Tieflader mit Raupen-Kränen zu beladen, Sir, die beide sogenannte Fall- oder Pendelbirnen an ihren Auslegern tragen.« »Wieso eiliger Auftrag? Worauf wollen Sie hinaus?« »Darf man Ihre weitere Aufmerksamkeit auf einen VW-Bus richten, Sir, der der Aufnahme jener Abbruch-Arbeiter dienen soll, die noch mit den Verladearbeiten beschäftigt sind?« »Ja, natürlich, sehe ich alles. Aber warum ungewöhnliche Zeit?« »In spätestens einer Stunde, Sir, endet die reguläre Arbeitszeit«, erinnerte der Butler. »Man ist demnach also gewillt, spezielle Überstunden zu machen.« »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus, Parker?« Rander runzelte die Stirn. Er verstand den Butler wirklich nicht. »Ein vages Ahnen ergreift Besitz von meiner Wenigkeit«, erwiderte der Butler. »Wenn Sie erlauben, sollte man vor dem Besuch hier in der Firma vielleicht einige Telefongespräche führen.« »Tun Sie sich bloß keinen Zwang an, Parker.« Rander lächelte 64
wieder. »Manchmal sind Sie wirklich übervorsichtig. Man kann auch übertreiben.« * »Ich bin Clark Deeping«, stellte der Vormann sich vor. Er war zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahre alt, etwas über mittelgroß und schlank. Er trug einen weißen Overall, der über der Brust den Firmennamen aufwies. Clark Deeping machte einen sehr wachen Eindruck. Er hatte wasserhelle Augen, ein kantig geschnittenes Gesicht und strahlte Autorität aus, was die Männer anging, die die Verladearbeiten gerade beendet hatten. »Ich würde mich gern mal mit Ihrem Chef Wickham unterhalten«, sagte Mike Rander, nachdem er Parker und sich ebenfalls vorgestellt hatte. »Offensichtlich sind da ein paar Probleme zwischen uns aufgetaucht, die man aus der Welt schaffen sollte.« »Sie haben Glück«, erwiderte der Vormann und blickte zum Bürogebäude hinüber. »Der Boß ist noch da.« »Sie stammen aus New York, Mister Deeping?« schaltete der Butler sich ein. »Wie kommen Sie denn darauf?« Deeping stutzte. »Es ist der ganz spezielle Dialekt, der meine Wenigkeit zu diesem an sich völlig belanglosen Schluß kommen läßt, Mister Deeping.« »Ich komme tatsächlich aus New York«, bestätigte der Vormann und lächelte verhalten. »Sie haben ein verdammt gutes Ohr, Mister Parker. Aber kommen Sie, ich werd’ Sie rüberbringen, Mister Wickham ist im Betriebsgebäude in der Lagerhalle.« Er wandte sich ab und marschierte einfach los. Er ging davon aus, daß man ihm folgen würde. Parker und Rander tauschten einen schnellen Blick und gingen ihm nach. Sie brauchten kein Wort miteinander zu wechseln. Sie rechneten mit einem Zwischenfall. In der Lagerhalle gab es tatsächlich ein Betriebsbüro, das völlig verglast war. Deeping blieb stehen, schüttelte den Kopf und wunderte sich sichtlich. »Eben war er noch hier«, meinte er dann* »Warten Sie einen Moment, ich werde anrufen. Dauert nur ein paar Sekunden.« 65
Er betrat die große Glasbox, griff nach dem Telefon, das auf einem Schwenkarm stand, und zog mit der linken Hand gleichzeitig eine Schublade des Schreibtisches auf. Als er die Hand wieder hervorzog, zuckte er wie unter einem elektrischen Stromstoß zusammen und blickte dann ungläubig auf seinen linken Unterarm, aus dem ein kleiner, bunt gefiederter Pfeil ragte. Dieser Pfeil, kaum größer als eine kleine Stricknadel, sah ungemein giftig und lebensbedrohend aus. Ein Poltern ließ den Vormann erneut zusammenfahren. Rander, der neben dem Butler stand, blickte auf einen kurzläufigen Revolver, der gerade auf dem Boden gelandet war. Genau ihn hatte Clark Deeping aus der Lade gezogen. »Sie sollten Ihren Kreislauf nicht unnötig anregen«, schlug Josuah Parker vor, der den Pfeil aus seinem Universal-Regenschirm abgeschossen hatte. »Das Präparat an der Pfeilspitze könnte sich sonst zu schnell in Ihrem Körper ausbreiten.« »Mister Parker empfiehlt in solchen Fällen, sich erst mal hinzusetzen«, redete Mike Rander ironisch weiter. »Im übrigen können wir nur hoffen, daß Sie halbwegs gesund sind, guter Mann.« Clark Deeping starrte noch immer auf den kleinen Pfeil und nahm dann langsam Platz. Sein gebräuntes Gesicht hatte sich verfärbt, es sah nur noch schmutzig-grau aus. »Darf man in Erfahrung bringen, Mister Deeping, wohin die beiden Kräne verbracht werden sollen?« erkundigte sich der Butler in seiner höflichen Art. »Ist… Ist der Pfeil vergiftet?« fragte Deeping, als habe er die Frage nicht gehört. »Zu diesem Thema wird meine Wenigkeit sich mit Ihrer freundlichen Erlaubnis später äußern«, antwortete Parker. »Falls Sie aber an einer schnellen und möglicherweise wahren Antwort interessiert sein sollten, müßten Sie sich mit der Frage meiner Person befassen. Um sie noch mal zu wiederholen, Mister Deeping: Wohin sollen die beiden Kräne verbracht werden?« »Rüber nach Shepherd’s Market«, kam die zerdehnte und leise Antwort. »Wir wollen den Bau der Lady abreißen.« »Die beiden Tieflader sind bereits weg«, meldete Ränder, der an eines der beiden Fenster gegangen war, durch das man auf den Bauhof blicken konnte. »Ich denke, Parker, wir sollten hier nicht unnötig anwachsen.«
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* »Sie haben das geahnt, Parker?« fragte Mike Rander. Er saß auf dem Beifahrersitz und schüttelte ungläubig den Kopf. »Eine Ahnung, Sir, in der Tat«, gab der Butler zurück. »Die Öko-Gangster können mit Sicherheit nicht an Schlagzeilen interessiert sein. Einen Abriß aber, Sir, könnte man mit einem bedauerlichen Irrtum entschuldigen und darüber hinaus sogar Schadenersatz ankündigen. Die Lacher aber wären auf der Seite des Mister Wickham, oder, um genauer zu sein, auf der des sogenannten Giftprinzen.« »Nase muß man haben.« Rander nickte nachdenklich. »Und bei diesem Abriß könnten sogar noch ganz nebenbei ein paar Personen umkommen.« »Mylady und Miß Porter«, bestätigte der Butler. »Meine Wenigkeit war allerdings so frei, sie telefonisch vorzuwarnen.« »Zum Teufel, Parker, was sollen die beiden Frauen gegen diese Fall-Birnen unternehmen?« »Meine Wenigkeit verständigte selbstverständlich auch Mister Patty und Mister Pickett.« »Das hört sich beruhigend an«, gab der Anwalt zurück. »Sie werden die beiden Sattelschlepper wohl rechtzeitig abfangen und stoppen.« »Und danach an einen geeigneten Ort bringen, Sir.« »Moment mal, Parker, Sie haben Deeping ja wahrscheinlich nicht ohne Grund nach Wickhams Adresse gefragt, oder?« »In der Tat, Sir, meine Wenigkeit trägt sich mit einem Gedanken, der vielleicht ein wenig unseriös sein könnte.« »Aber überhaupt nicht, Parker.« Rander grinste wie ein Schuljunge, der einen besonders effektvollen Streich verüben will. »Ich stehe da voll auf Ihrer Seite. Und wo wohnt Wickham noch? Ich habe nur mit halbem Ohr zugehört.« »Das Anwesen des Mister Willie Wickham steht im Stadtteil Hammersmith, Sir«, gab Parker präzise Auskunft wie immer. »Es soll sich um ein frei stehendes Gebäude in Themsenähe handeln.« »Dann fahren wir jetzt durch nach Hammersmith, oder?« »Man dann davon ausgehen, Sir, daß man dort die beiden Abbruch-Kräne antreffen wird.« »Guter Gott, gibt das einen Wirbel.« Rander grinste erneut. 67
»Der Giftprinz, wer immer er auch sein mag, wird schäumen.« »Man sollte damit rechnen, Sir, daß sich auch Mylady und Miß Porter einfinden werden.« »Ich habe wirklich nichts dagegen, Parker.« Mike Rander lehnte sich zurück und wunderte sich wieder mal über den Butler. Dieser bemerkenswerte Mann war unbezahlbar. Er besaß die einmalige Gabe, sich in die Gedankenwelt seiner Gegner zu versetzen. Er spielte mit ihnen Schach und schien jeden gegnerischen Zug bereits weit im voraus zu ahnen oder sogar zu kennen. Und wie recht Parker mit der Einschätzung der Lage hatte, sollte sich nach einer halben Stunde erweisen. Plötzlich kamen im Westen der City zwei Tieflader in Sicht, auf deren Ladepritschen zwei Kräne verankert waren. Parker überholte und lüftete höflich seine schwarze Melone, um die beiden Fahrer und das Abbruch-Personal zu grüßen. Am Steuer des ersten Sattelschleppers saß Patty, der Betreiber des Steakkellers. Am Steuer des anderen Gefährts hatte der vielseitige Mister Horace Pickett Platz genommen. Von beiden Fahrern wurde per Hupsignal zurückgegrüßt. Und dann war es soweit! Parker hielt an der Hauptstraße, wartete, bis die beiden Sattelschlepper heran waren, und lotste sie dann durch eine Nebenstraße auf eine Wiese, die zu einem kleinen, angrenzenden Park gehörte. Parker stieg aus und ging zurück zu Patty, der bereits aus dem Fahrerhaus kletterte. »Darf man in Stichworten erfahren, ob die Dinge einen angenehmen Verlauf nahmen?« erkundigte er sich und grüßte anschließend auch Pickett. »Das klappte wie geschmiert, Mister Parker«, berichtete Patty und lachte breit. »Wir haben die Leute abgefangen und bei ‘nem Bekannten von Pickett zurückgelassen.« »Es gab keinen Ärger, Mister Parker«, fügte Horace Pickett hinzu. »Ist es noch weit bis zum Ziel?« »Keineswegs, meine Herren«, lautete Parkers Antwort. »Sie können die beiden Kräne abladen und betriebsbereit machen. Kann meine Wenigkeit davon ausgehen, daß Sie sich in der vielleicht etwas komplizierten Technik auskennen?« »Klar doch«, beruhigte Patty den Butler. »In ‘ner Viertelstunde können wir losrollen.« »Mylady wird Ihnen zutiefst verbunden sein«, prophezeite der 68
Butler höflich. »Mylady schätzt Loyalität über alles.« * Parker ließ die tonnenschwere Eisenbirne pendeln. Sie hing an einem soliden Stahldraht, der über den Ausleger des Krans von einer Trommel kam. Der Butler saß im Fahrerhaus des Krans auf dem Bedienungssessel und hatte alles unter Kontrolle. Durch das wechselseitige Bedienen der Schalthebel sorgte er für die benötigte Schwingung der Birne und ließ sie dann mit voller Wucht gegen die Ziegelfassade des kleinen Landhauses donnern. Das Resultat war mehr als beachtlich. Der Butler hatte genau gezielt und einen Träger getroffen, der zwei breite Erdgeschoßfenster unterteilte. Auf Anhieb brach dieser Träger nach innen weg und verursachte tiefe Risse im Fenstersturz. »Sehr schön«, meinte Lady Agatha, die seitlich hinter Parker stand, »aber das muß alles natürlich noch viel besser werden.« »Mister Rander ist dabei, die Türfront in ihre Bestandteile zu zerlegen«, antwortete Parker und deutete diskret zum zweiten Kran, dessen Fall- und Pendelbirne gerade den Giebel über der Tür erwischte. Unter ohrenbetäubendem Krach stürzte der Giebel sofort ein und begrub die Türfront unter sich. Staub wallte hoch und nahm die Sicht. Doch das focht den Butler nicht an. Er hatte seine FallBirne wieder ins Pendeln gebracht und verließ sich auf sein Erinnerungsvermögen. Er ließ die Birne noch weiter auspendeln, hob dabei gleichzeitig den Ausleger und wartete dann auf den Treffer. Ein Prasseln war zu vernehmen, als kämen hühnereigroße Hagelkörner vom Himmel. Als der Staub sich verzogen hatte, war auszumachen, was dieses seltsame Geräusch verursacht hatte. Die Dachziegel waren weggerutscht und zu Boden geregnet. Der lange Fenstersturz existierte nicht mehr, das Dach hing tief durch, rutschte dann durch sein Gewicht nach und ließ die ersten Balken herausbrechen. »Ich werde Ihnen jetzt zeigen, wie man so etwas noch besser macht«, rief Lady Agatha mit sonorer Stimme in Parkers Ohr. »Passen Sie sehr genau auf, Mister Parker!« Parker, der diese Lektion erwartet hatte, räumte höflich und be69
reitwillig den Sitz, auf dem die ältere Dame ihre majestätische Fülle unterbrachte. Anschließend betätigte sie die Hebel und hatte zuerst sogar einigen Erfolg. Sie brachte die Fall-Birne tatsächlich in Pendelbewegung und blickte Parker stolz an. »Ich werde das ganze Haus auseinanderfliegen lassen«, kündigte sie an und spielte erneut an den vielen Bedienungshebeln. Parker verfolgte mit dem Blick die ein wenig nervösen Kreise, die die Birne plötzlich beschrieb und blickte dann auf den VW-Bus, den Pattys Mitarbeiter sich ausgeliehen hatten. Dieser VW-Bus, eben noch heil und auf seinen Rädern feststehend, wurde von der Eisenbirne voll erwischt. Von der Wucht mitgerissen, flog der nicht gerade leichte Wagen ein Stück über den Rasen des aufgewühlten Vorgartens und blieb dann neben der Doppelgarage des Hauses liegen. Er sah jetzt nicht mehr aus wie ein VW-Bus, sondern wie ein Haufen Blechschrott. »Genau das hatte ich gewollt«, behauptete Lady Agatha, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. »Genauer hätte ich gar nicht treffen können.« »Myladys Umgang mit der Technik ist stets richtungsweisend«, erklärte der Butler, der ebenfalls mit keiner Wimper zuckte. Sein Gesicht blieb glatt und ausdruckslos wie das eines ausgebufften Pokerspielers. »Ich werde mir ein neues Ziel aussuchen«, versprach sie munter. »Passen Sie sehr genau auf, Mister Parker.« Bevor der Butler antworten konnte, hatte Mike Rander wieder zugelangt und die Vorderfront erwischt. Das Dach rutschte nun vollends nach unten. Die Balken wirbelten durch die Luft, neue Staubwolken wallten gen Himmel. Parker stieg aus der Fahrerkabine und überließ Patty die weitere Arbeit. Der Anwalt zündete sich eine Zigarette an, als er zu Parker herüberkam, der Mylady allein im Abbruch-Kran zurückließ. »Grundsolide Arbeit, Parker«, meinte der Anwalt. »In einer Viertelstunde dürfte das Haus nur noch ein Trümmerhaufen sein. Schon was von Wickham gehört?« »Er hat sich noch nicht eingefunden, Sir«, antwortete Parker. »Seine Überraschung dürfte perfekt sein.« »Wenn man vom Teufel spricht, Parker.« Rander deutete auf einen Bentley, der gerade langsam auf das weiträumige Grundstück rollte. Die Fahrertür öffnete sich, Willie Wickham stieg aus. Er blieb wie gebannt neben der geöffneten Wagentür stehen und 70
blickte auf das fast vollendete Chaos. Er machte einen ratlosen Eindruck. Parker näherte sich ihm und lüftete höflich die schwarze Melone. Als er etwas sagen wollte, schmetterte die Fall-Birne, gesteuert von Lady Agatha, kraftvoll gegen die rechte Stirnwand, die auseinanderplatzte, als wäre sie in die Luft gesprengt worden. »Alles ist vergänglich, Mister Wickham, wie der Philosoph zu sagen pflegt«, meinte der Butler, während Wickham hustete und gequält die Augen schloß. Er war übrigens nicht allein. Sein Fahrer war ausgestiegen und wußte nicht recht, wie er sich verhalten sollte. Mike Rander schob sich vorsichtig an den stämmigen Mann heran, um ihn unter Kontrolle zu halten. »Sind Sie wahnsinnig, Parker?« krächzte Wickham endlich und wischte sich einen Staubschleier von der plötzlich schweißbedeckten Stirn. »Haben Sie das da inszeniert?« »In Analogie zu Ihrer Absicht, Myladys Haus in Shepherd’s Market umzugestalten«, erwiderte Josuah Parker. »Ihr Vormann Clark Deeping war so entgegenkommend, diesen Hinweis zu geben.« »Ist der Mann verrückt?« Wickham schnappte nach Luft. »Sie sollten diesen Abbruch auf die sprichwörtliche leichte Schulter nehmen«, schlug Parker vor. »Alles ist zu ersetzen, nur nicht die Vergewaltigung der Natur und die mutwillige Vergiftung der Mitmenschen.« »Wovon reden Sie eigentlich? Ich werde Sie gerichtlich belangen. Sie werden mir diesen Abriß bis auf den letzten Penny bezahlen, Parker, darauf können Sie Gift nehmen.« »In Sachen Gift, Mister Wickham, dürften Sie als Giftprinz zuständig sein«, entgegnete Josuah Parker. »Möglicherweise aber ist auch Ihr Sekretär Harling dieser gesuchte Umweltverschmutzer.« »Mann, haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie teuer die Einrichtung war?« schluchzte Wickham fast. »Die hat mich ein Vermögen gekostet.« »Die notwendigen Barmittel zum Erwerb dieser Dinge dürften Sie aus illegalen Geschäften gezogen haben, Mister Wickham.« »Ich… Ich werde Sie umbringen, Parker!« Wickham lehnte sich kraftlos gegen seinen Wagen. »Sie sollten diesen Ort umgehend meiden«, warnte der Butler in seiner höflichen Art. »Mylady trifft Anstalten, den Pendel-Kran 71
neu zu justieren.« »Aufhören… Aufhören«, brüllte Wickham da und rannte dem Kram entgegen, der von der älteren Dame navigiert wurde. Die beiden Raupenketten rasselten über den bereits nachhaltig zerstörten Rasen und nahm Kurs auf den Bentley. »Da kommt auf den Bentley aber einiges zu«, fürchtete Mike Rander. »Dem möchte meine Wenigkeit auf keinen Fall widersprechen«, erwiderte Josuah Parker gemessen und brachte sich aus der Gefahrenzone, denn er stand noch neben Wickhams Luxusauto. * »Erzählen Sie weiter«, bat Chief-Superintendent McWarden und beugte sich erwartungsvoll vor. Er befand sich im Haus der Lady Simpson und hielt ein halb gefülltes Glas mit Sherry in Händen. Die Hausherrin hatte ihm diese Erfrischung überraschenderweise angeboten. »Da gibt’s nicht mehr viel zu erzählen«, sagte der Anwalt. »Den Rest könnte Miß Porter liefern.« »Der Bentley wurde förmlich niedergewalzt«, sagte Myladys Gesellschafterin, » und danach geriet der Kran ein wenig außer Kontrolle.« »Moment mal, was stelle ich mir denn darunter vor?« wollte der Chief-Superintendent wissen. »Mylady verließ den Kran ein wenig überhastet«, schaltete der Butler sich ein. »Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit waren erfreulicherweise in der Lage, Lady Simpson aufzufangen.« »Was nicht gerade leicht gewesen sein dürfte.« McWarden dämpfte seine Stimme und blickte zur Galerie. Er Vergewisserte sich, daß die ältere Dame nicht in der Nähe war. Lady Agatha hatte sich zu einer Meditation in ihr Studio zurückgezogen, doch es bestand natürlich die Möglichkeit, daß sie in die große Wohnhalle zurückkehrte. »Parker und ich schafften es gerade noch«, meinte der Anwalt lächelnd. »Als Mylady den Kran verlassen hatte, rollte der auf seinen Raupenketten weiter und landete schließlich im Swimming-pool. Und da liegt er jetzt noch.« »Und was wurde aus Willie Wickham?« erkundigte sich McWar72
den. »Er erlitt eindeutig einen leichten Nervenzusammenbruch, Sir«, beantwortete Parker die Frage. »Mister Wickham legte sich auf ein noch intaktes Stück des an sich gut gepflegten Rasens und trommelte mit beiden Fäusten auf das Gras, ohne dabei allerdings einen bestimmten Grund-Rhythmus erkennen zu lassen.« »Wickham war leider nicht mehr ansprechbar«, bemerkte der Anwalt. »Er saß schließlich stumm und geistesabwesend auf den Trümmern seines Hauses und blickte ins Leere.« »Das gönne ich diesem Gangster«, sagte der ChiefSuperintendent voller Genugtuung. »Ich sage das natürlich als Privatmann. Wird er Anzeige erstatten?« »Das wird die Zukunft erweisen, McWarden«, antwortete Rander. »Aber ich denke, wir bringen ihn vorher vor einen Untersuchungsrichter. Wickham müßte eigentlich wissen, daß er auf der Verliererstraße ist.« »Und dürfte gerade deshalb sehr gefährlich sein«, warnte McWarden eindringlich. »Denken Sie daran, daß er für die Mafia arbeitet. Er muß etwas unternehmen, wenn er sein Gesicht nicht endgültig verlieren will.« »Man wird sich darauf einzurichten wissen, Sir«, versprach der Butler. »Darf man fragen, ob Ihre diversen Ermittlungen von einem gewissen Erfolg gekrönt wurden?« »Na ja, viel habe ich nicht zu bieten«, gab der ChiefSuperintendent achselzuckend zurück. »Wir haben die Entsorger noch mal kontrolliert und durchgecheckt, aber die uns vorliegenden Papiere sind durchweg in Ordnung. Theoretisch wird der anfallende Giftmüll ordnungsgemäß weggeschafft und deponiert. Aber traue einer diesen Papieren. Wir wissen doch im Grund, daß es da Fälschungen gibt.« »Wie sieht’s denn mit den Verbrennungsanlagen aus?« forschte der Anwalt weiter. »Wir haben zwei außerhalb von Groß-London.« McWarden zog einen Zettel hervor und reichte ihn an Parker weiter. »Die Adressen sind hier verzeichnet. In diesen Anlagen wird ganz spezieller Giftmüll bei hohen Temperaturen verbrannt. Natürlich haben wir auch diese Firmen noch mal kontrolliert. Wir sind auf keine Unregelmäßigkeiten gestoßen.« »Sind das private Unternehmen?« schaltete Kathy Porter sich ein. 73
»Private Unternehmen«, bestätigte der Chief-Superintendent und nickte, »Anlaß zu Klagen hat es bisher noch nie gegeben.« »Wo stehen die beiden Anlagen denn?« Mike Rander witterte Zusammenhänge. »Bei Witham«, antwortete McWarden, worauf der Anwalt einen schnellen Blick mit Parker tauschte, was McWarden aber nicht mitbekam. »Die zweite Anlage steht im Süden von London, etwa bei Grinstead.« »Das Verbrennen dieses Giftmülls ist doch sicher sehr teuer, nicht wahr?« fragte Kathy Porter. »Das kann man wohl sagen«, bestätigte der ChiefSuperintendent. »Die Temperaturen müssen über elfhundert Grad betragen, wie ich hörte, erst dann ist garantiert, daß die chemischen Giftbestandteile sich auflösen. Zu diesen Anlagen gehören natürlich auch spezielle Filter und Waschanlagen. Dennoch rentiert sich solch ein Unternehmen. Die chemische Industrie, die zum Beispiel anfallendes Dioxin verbrennen läßt, muß ganz schön zahlen, wie man mir sagte.« »Falls man jedoch nur papiermäßig verbrennt, Sir, um das Gift dann anschließend ins Meer zu verbringen, müßten die Gewinne geradezu horrend sein«, sagte Butler Parker. * »Gut, daß Sie McWarden von der Bombe hinter der Tür von Harlings Apartment berichtet haben«, sagte Mike Rander, als der Chief-Superintendent gegangen war. »Seine Spezialisten werden ja wohl für die Entschärfung sorgen, denke ich.« »Davon kann man in der Tat ausgehen, Sir. Die Erwähnung Mister Harlings wirft übrigens Fragen auf, wenn meine Wenigkeit darauf respektvoll verweisen darf.« »Fahren wir nach Witham oder nicht?« Rander nickte. »Nach Witham, wo eine der Verbrennungsanlagen steht«, ließ Kathy Porter sich vernehmen. »Was ja wohl kaum ein Zufall sein kann«, nahm der Anwalt diesen Hinweis auf. »Zählen wir doch mal zusammen, ja? Witham liegt nordöstlich von Chelmsford, wo Mylady und Sie, Packer, diesen Milch-Tankzug erwischten. Und genau dort in der engeren Region steht also die Verbrennungsanlage. Dort befindet sich 74
auch angeblich das Ferienhaus von Paul Harling.« »Und bis zur Blackwater-Bucht ist es ebenfalls nicht weit«, erinnerte Kathy Porter. »Könnte es nicht sein, daß man auf die teure Verbrennung des Giftmülls verzichtete, es in den Tankzug umfüllte und dann an die Bucht schaffen wollte? Schneller kann man kein Geld verdienen, denke ich.« »Wenn Sie erlauben, Miß Porter, möchte meine Wenigkeit Ihnen vollinhaltlich beipflichten«, entgegnete Parker. »Man scheint aber aus noch unbekannten Gründen daran interessiert zu sein, Mylady nach Witham zu locken.« »Weil man Sie und uns dort fertigmachen will«, meinte der Anwalt, »die Öko-Gangster haben die Nase voll und wollen endlich einen Schlußstrich ziehen.« Parker wollte gerade antworten, als das Telefon klingelte. Der Butler ging zum Wandtisch, hob ab und schaltete gleichzeitig den Raumverstärker ein, damit man das Gespräch verfolgen konnte. »Wickham hier«, meldete sich der Abbruch-Unternehmer, dessen Stimme seltsam verkniffen und gepreßt klang. »Parker, nicht wahr?« »In der Tat, Mister Wickham«, bestätigte der Butler. »Darf man sich nach Ihrem momentanen Gesundheitszustand erkundigen?« »Der ist bestens«, behauptete Wickham. »Es könnte mir gar nicht besser gehen, Parker. Die Sache mit meinem Haus ist überstanden. Und, verdammt, Ihre Reaktion war einmalig, muß ich offen zugeben.« »Sie dürften ein Gangster sein, der Ansätze von Humor zeigt.« »Sie können mich nicht provozieren, Parker, Sie nicht! Noch ist eine gewisse Sache nicht entschieden, Parker. Machen Sie sich da nur keine Illusionen.« »Sie rufen aus einem bestimmten Grund an?« »Suchen und finden Sie meinen Sekretär! Harling hat mir das alles eingebrockt.« »Er hat hinter Ihrem Rücken die Giftmüll-Entsorgung vorgenommen?« »Ich weiß nur, daß er auf meinen Namen vier Tankzüge gekauft hat. Was er damit anstellte, kann ich nicht sagen. Durch Harling ist dieses ganze verdammte Theater doch nur ausgelöst worden. Im Grund weiß ich noch immer nicht, um was es geht.« »Sie sind demnach das, Mister Wickham, was der Volksmund einen ahnungslosen Engel zu nennen pflegt?« 75
»Was bin ich? Ach so, ahnungsloser Engel. Richtig, Parker, genau das trifft zu. Irgendwie hat man mich da in eine Sache hineingezogen, für die ich nicht verantwortlich bin.« »Um dies mitzuteilen, riefen Sie an, Mister Wickham?« »Ich rufe wegen Deeping an, Parker. Dieser Kerl scheint mit Harling unter einer Decke zu stecken.« »Eine Erkenntnis, Mister Wickham, die Sie sicher mehr als nur erstaunte.« »Deeping ist es gewesen, der die beiden Kräne nach Shepherd’s Market schicken wollte«, schwindelte der Öko-Gangster weiter. »Und ihm hab’ ich auch die Sache mit meinem Haus zu verdanken.« »Mister Deeping dürfte inzwischen Ihre Firma verlassen haben, Mister Wickham.« »Woher wissen Sie das? Es stimmt nämlich haargenau, Parker. Deeping will zu Harling.« »Man hat die Absicht, sich im Ferienhaus Ihres ehemaligen Sekretärs in Witham zu treffen, wie zu vermuten ist.« »Wieder getroffen, Parker. Ich habe es zufällig mitbekommen, als er mit Harling telefonierte. Ich denke, das sollten Sie wissen. Ziehen Sie selbst Ihre Schlüsse daraus.« »Was umgehend geschehen wird, Mister Wickham«, entgegnete der Butler gemessen und höflich. »Man wird Mylady informieren, wie meine Wenigkeit versichern darf.« Parker legte auf und wandte sich Kathy Porter und Mike Rander zu. »Man will uns um jeden Preis aus dem Haus haben«, sagte der Anwalt, »und man tut alles, damit wir nach Witham fahren. Das muß seine Gründe haben.« »Dem, Sir, wäre in der Tat nichts mehr hinzuzufügen«, lautete die Antwort des Butlers. * »Er will sich natürlich revanchieren«, stellte Lady Agatha fest. »Dieser Gangster will mir das Haus über dem Kopf anzünden.« »Eine Möglichkeit, Mylady, die man auf keinen Fall ausschließen sollte«, antwortete der Butler, der mit Lady Agatha allein im Haus war. Kathy Porter und Mike Rander waren in die nahe Curzon 76
Street gefahren, wo sich die Kanzlei des Anwalts befand. »Ich werde diesen Subjekten eine Falle stellen«, versprach Lady Agatha nachdrücklich. »Mister Parker, ich überlasse Ihnen die Details, aber ich bitte mir aus, daß die Gangster nachdrücklich zur Ordnung gerufen werden.« »Mylady können sich auf meine Wenigkeit verlassen«, erklärte der Butler. »Man müßte bei den Gangstern, die das Haus wohl observieren, die Illusion hervorrufen, daß man London verlassen will.« Die ältere Dame nickte und begab sich ins Obergeschoß des Hauses, um sich für die Fahrt zu rüsten. Parker kontrollierte die Sicherheitseinrichtungen des Hauses und führte anschließend Horace Pickett rein. Die ältere Dame kam ungewöhnlich schnell in die große Wohnhalle des Hauses zurück. Sie bebte förmlich vor Unternehmungslust. Sie witterte wieder mal ein Abenteuer und freute sich darauf. Ihr kam gar nicht der Gedanke, daß ihr etwas passieren könnte. Parkers hochbeiniges Monstrum stand vor dem überdachten Eingang. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß der Vorplatz leer war, öffnete er die Haustür und geleitete seine Herrin in den Wagen. Sie nahm im Fond Platz und wartete ungeduldig auf den Butler, der die Tür schloß. Mit dem Zuschnappen der Riegel aktivierte er die hausumfassende Sicherung. Er setzte sich ans Steuer und rollte zum Gittertor, das sich per Funksignal automatisch öffnete. Wenig später befand man sich bereits auf der Durchgangsstraße. »Haben Sie etwas Verdächtiges bemerkt?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Momentan dürften die Öko-Gangster sich nicht zeigen«, vermutete der Butler. »Man wird sich erst mal vergewissern wollen, ob Mylady auch tatsächlich die Stadt verlassen.« »Es wird bald dunkel werden, Mister Parker.« »Ein Umstand, den Mylady außerordentlich begrüßen.« »Tatsächlich?« Sie räusperte sich. »Im Schutz der erwähnten Dunkelheit werden Mylady die Möglichkeit haben, den Wagen zu wechseln.« »Was Sie nicht sagen?!« »Mylady werden in einen Wagen überwechseln, den Mister Pickett anbieten wird. Das Umsteigen wird in einer Tiefgarage erfolgen.« 77
»Ich hoffe, Mister Parker, ich habe mir das alles sehr gründlich überlegt.« Sie war einfach zu stolz, nähere Fragen zu stellen. »Mylady pflegen stets alle möglichen Eventualitäten einzukalkulieren.« »Das ist allerdings völlig richtig«, meinte sie. »Ich überläse niemals etwas dem Zufall, Mister Parker, Sie sollten sich ein Beispiel daran nehmen.« »Myladys Reichtum an Einfällen kann man nur als schier unerschöpflich bezeichnen.« »Wem sagen Sie das!« Sie nickte wohlwollend. »Die Kinder sind in der Curzon Street?« »Miß Porter und Mister Rander kümmern sich um die Besitzverhältnisse zweier chemischer Verbrennungsanlagen«, antwortete Parker. »Mylady fragten vor wenigen Minuten nach den ÖkoGangstern, wenn man daran erinnern darf. Inzwischen ist ein Wagen aufgetaucht, der einen durchaus verdächtigen Eindruck macht. Es handelt sich um einen Ford, in dem zwei Männer sitzen.« »Rammen Sie ihn bei Gelegenheit, Mister Parker«, riet Lady Agatha ihrem Butler. »Ich möchte nicht belästigt werden.« * Bevor Josuah Parker über die Rampe in die Tiefgarage fuhr, legte er einen der vielen Kipphebel auf dem Armaturenbrett um und sorgte dafür, daß eine fette Rußwolke ausgestoßen wurde. Sie kam aus versteckt unter dem Wagenboden angebrachten Düsen und baute förmlich eine undurchdringliche Wand auf, was die Sicht betraf. Der Fahrer des nachfolgenden Ford mußte eine Vollbremsung ausführen, ob er wollte oder nicht. Bis er den Wagen dann schließlich langsam durch diese Sichtwand steuerte, verging Zeit, die Parker für sich und sein Vorhaben brauchte. Im ersten Parkdeck wartete ein kleiner Kastenwagen der Marke Renault. Ein großer, schlanker Mann stand neben dem Auto und war eindeutig ein hochherrschaftlicher Butler, wie zu sehen war. Er trug einen schwarzen Covercoat, eine schwarze Melone und war mit einem Regenschirm bewaffnet. Dieser Mann war Horace Pickett, der ehemalige Taschendieb, der seit vielen Jahren auf der 78
richtigen Seite des Gesetzes stand und für Mylady und Parker arbeitete. »Fahren Sie in Richtung Chelmsford«, sagte Parker zu Pickett. »Die Einzelheiten sagte ich Ihnen ja am Telefon, Mister Pickett.« »Sie können sich auf uns verlassen.« Pickett deutete auf eine majestätisch aussehende Dame, die im Kastenaufbau saß und nun ausstieg. Diese Erscheinung ähnelte in Umrissen der älteren Dame. Lady Agatha musterte ihr Double und runzelte die Stirn. »Maßlos übertrieben«, räsonierte sie dann, »so dick bin ich doch niemals.« »Es geht nur um eine oberflächliche Täuschung, Mylady«, versicherte Parker ihr höflich. »Wenn Mylady vielleicht im Kastenaufbau Platz nehmen würden?« Myladys Double betrat den Fond des hochbeinigen Monstrums und Horace Pickett setzte sich ans Steuer. Er nickte dem Butler zu und fuhr an. Nach wenigen Augenblicken war er mit Parkers Wagen in der Tiefe des Parkdecks verschwunden. Agatha Simpson hatte ihre Fülle in den Kastenaufbau geschoben. Parker schloß die hintere Tür und setzte sich ans Steuer. Er wechselte die Melone mit einer Lederkappe und benutzte dann noch eine Nickelbrille, um sein Aussehen zu verändern. Dann rollte er los, nahm die Rampe für die Ausfahrt und fuhr auf die Straße zurück. Als er in sie einbog, entdeckte er den Ford, dessen rechter Kotflügel sich ein wenig verformt hatte. Der Fahrer war wohl doch zu schnell in den schwarzen Nebel gestoßen und hatte dabei die Orientierung verloren. Er und sein Beifahrer mühten sich ab, das verbogene Blech vom Reifen zu lösen. Sie blickten noch nicht mal hoch, als Parker nicht weit von ihnen die Straße erreichte. »Man dürfte mit mehreren Wagen arbeiten, Mylady«, meldete der Butler nach hinten in den Kastenaufbau. »Besondere Eile legen die beiden Herren nicht gerade an den Tag.« »Hauptsache, sie hängen sich an Ihren Wagen, Mister Parker«, meinte die ältere Dame. »Und wie soll es jetzt weitergehen?« »Mylady werden nach Shepherd’s Market zurückfahren«, entgegnete der Butler. »Dort wird sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits einiges tun.« Während der Fahrt in Richtung Hyde Park blickte Parker immer wieder in die beiden Außenspiegel und suchte nach etwaigen Verfolgern. Sein stets wacher Instinkt aber sagte ihm, daß man die 79
Gangster abgeschüttelt hatte. Sie waren eindeutig auf das Täuschungsmanöver hereingefallen. Die Gangster klebten jetzt am hochbeinigen Monstrum, das sich in Richtung Chelmsford bewegte. Mißtrauen konnte vorerst wohl kaum aufkommen, zumal es immer dunkler wurde. Nach knapp zwanzig Minuten war Shepherd’s Market erreicht, jene stille Oase in der hektischen Millionenstadt London, die nur Eingeweihten bekannt war. Parker blieb auf der Durchgangsstraße und beobachtete die Mauer und das Gittertor, das den privaten Vorplatz des Hauses zur Straße begrenzte. Dieses Gittertor war weit geöffnet. Auf dem Vorplatz vor dem altehrwürdigen Haus stand ein VW-Bus, dessen Seitentür geöffnet war. Einige Männer in weißen Overalls waren damit beschäftigt, Farbeimer auszuladen. Die Öko-Gangster trafen ihre Vorbereitungen, um das altehrwürdige Haus auf ihre spezielle Art umzugestalten. * Parker fuhr ein Stück weiter, wendete und kehrte zurück. Er setzte den kleinen Renault auf den Gehweg, fuhr bis an das Gittertor heran und griff dann nach seiner Schleuder, die bereits einsatzbereit auf dem Beifahrersitz lag. Er kurbelte das Seitenfenster hinunter und brachte das erste Spezialgeschoß auf die Reise. Die hart gebrannte Tonmurmel jagte fast unhörbar durch die Luft und traf einen der vier Umgestalter, der gerade einen Farbeimer zur Fassade hinübertragen wollte. Die Tonmurmel landete haargenau im Genick des Mannes, der daraufhin nicht nur den Farbeimer verlor, sondern auch das Gleichgewicht. Der Mann absolvierte eine eindeutig mißglückte Rolle vorwärts und landete krachend auf dem Pflaster. Der zweite Mann blieb erstaunt stehen und konnte sich diese artistische Einlage nicht erklären. Er stellte seinen Farbeimer ab und rief den beiden anderen Begleitern etwas zu, was Parker wegen der Entfernung nicht verstand. Bevor der Mann sich aber näher erklären konnte, wurde er vom nächsten Spezialgeschoß erwischt und stolperte über seinen Eimer. Deshalb stieß er einen deutlich hörbaren Schrei aus, warf 80
die Arme hoch in die Luft und legte sich dann quer über den ersten Mann. Aus verständlichen Gründen wurden die beiden restlichen Männer mißtrauisch. Sie kamen um den Wagen herum, stutzten und wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Der dritte Mann griff unter den Brustlatz seines Overalls und wollte vermutlich eine Schußwaffe hervorziehen. Wenigstens nahm Parker dies an. Um den Dingen vorzubeugen, brachte er sein drittes Geschoß in die Luft und registrierte dann, daß der Getroffene seine Absicht aufgab und sich mit beiden Händen an den Nacken griff, bevor er sich um seine Längsachse drehte und zu Boden ging. Der vierte Mann geriet in Panik, verbarg sich hinter dem VWBus und wollte hier erst mal abwarten. Parker ließ ihm jedoch keine Ruhe. Er holte aus einer seiner vielen Westentaschen eine perforierte Plastikkapsel, in der sich eine dünnwandige Glasampulle befand. Diese Kapsel kam in die Lederschlaufe der Zwille und wurde dann zielsicher neben dem VW-Bus auf das Pflaster gesetzt. Die Ampulle barst auseinander und ließ umgehend einen weißen, milchig aussehenden Schwaden frei, der schon rein optisch einen etwas giftigen Eindruck machte. Dieser Schwaden enthielt allerdings einen Reizstoff, der den vierten Mann dazu brachte, sich förmlich die Seele aus dem Leib zu husten. Der vierte Gangster kam in gekrümmter Haltung um den VW-Bus herum, rang nach Luft und vergaß darüber, daß er gerade jetzt ein erstklassiges Ziel bot. Parker nahm diese Einladung an… * Die vier Männer saßen im VW-Bus und machten einen abweisenden Eindruck. Zudem waren sie sehr wütend. Parker hatte ihre Hände und Füße mit zähem Packband verschnürt. Der Butler war gerade dabei, die diversen Farbeimer in den Wagen zurückzustellen. »Es wäre Ihrer Lage ungemein dienlich, meine Herren, wenn Sie sich entschließen könnten, eine Aussage zu machen«, schickte Parker voraus. »Mylady erwartet eine eindeutige Erklärung.« »Scher’ dich zum Teufel«, tobte der Fassaden-Erneuerer, den Parker zuerst zur Strecke gebracht hatte. 81
»Vielleicht später mal«, gab Parker zurück. »Momentan besteht meinerseits keine Neigung, Ihrer Anregung zu folgen. Von wem erhielten Sie den Auftrag, die Fassade mit einem Neuanstrich zu versehen. Könnte es ein gewisser Mister Wickham gewesen sein?« »Wer is’ Wickham?« fragte der Gangster wütend zurück. »Nie von gehört.« »Oder sollte Ihr Vormann Mister Glark Deeping Ihnen diesen Auftrag erteilt haben?« »Wer is’ Deeping?« lautete die Rückfrage. »Einen Mister Harling kennen Sie selbstverständlich auch nicht, meine Herren?« »Wer is’ Harling?« wurde zurückgefragt. »Ihr Reichtum an Ausdrucksmöglichkeiten dürfte eindeutig beschränkt sein«, stellte der Butler fest. »Was ist in diesen Farbeimern?« schaltete die ältere Dame sich grimmig ein. »Man sollte unterstellen, daß es sich nur um Fassadenfarbe handelt«, schlug Parker vor. »Deshalb dürfte wohl auch kaum Brand- oder Explosionsgefahr bestehen.« »Klar is’ das Farbe«, behauptete der Wortführer. »Wenn Mylady erlauben, könnte man dann ja rauchen.« Parker hatte sich an seine Herrin gewandt. Er holte ein abgewetzt aussehendes Lederetui hervor, in dem sich einige dunkel aussehende Zigarren befanden. Er präparierte eine dieser torpedoähnlich geformten Zigarren und hatte dann plötzlich ein sehr altmodisch aussehendes Feuerzeug in der schwarz behandschuhten rechten Hand. »Mann, machen Sie keinen Blödsinn«, fuhr der Wortführer dazwischen. »Wollen Sie uns alle in die Luft jagen?« »Wie darf man Ihre Frage verstehen?« Parker betätigte das Reibrad des Zünders. »Riechen Sie denn nichts, verdammt?!« »Es könnte sich allerdings um Benzindämpfe handeln«, vermutete der Butler. »Aber Sie sagten ja vor wenigen Minuten, daß Sie nur die Fassade neu streichen sollten. Nach einschlägiger Erfahrung besorgt man dies nicht gerade mit Benzin.« »Machen Sie die Flamme aus, Mann!« »Farbe kann unmöglich explodieren, wie die Erfahrung lehrt«, lautete Parkers Antwort. Er ließ den Verschluß eines der Farbka82
nister aufspringen. Intensiver konnte der Geruch von Benzin wirklich nicht sein, doch Parker schien nichts davon wahrzunehmen. »Sind Sie wahnsinnig, Mann?« Der Wortführer schrie förmlich. »Sie sollten sich um Haltung bemühen«, schlug der Butler dem Gangster vor und betätigte erneut das Reibrad des Feuerzeugs. »Mann, das ist Benzin«, heulte der Wortführer entsetzt auf. »Sie jagen uns alle in die Luft.« »Sie wollen Mylady und meine Wenigkeit sicher nur bluffen«, vermutete der Butler höflich. »Okay, Sie haben gewonnen.« Der Wortführer fiel in sich zusammen und leckte sich die Schweißtropfen von den Lippen, die von seiner Nase tropften. »Okay, Mann, Deeping hat uns geschickt. Wir sollten die ganze Bude hier in Flammen aufgehen lassen.« »Und wo kann man besagten Mister Deeping finden?« lautete Parkers Frage. »In der Firma«, erwiderte der Mann. »Wir sollen ihn anrufen, sobald das hier über die Bühne gegangen ist.« »Warum zünden Sie nicht den Bus an, Mister Parker?« wollte Agatha Simpson wissen, die näher gekommen war. »Ich denke, diese Subjekte brauchen eine Lektion.« »Anzünden, Lady?« hechelte der Wortführer entsetzt. »Das war’ doch glatter Mord.« »Unsinn«, erwiderte die Detektivin unwirsch. »Es wäre ein Unglücksfall, mehr nicht. So etwas kann ja mal vorkommen, nicht wahr?« »Mylady bestehen darauf, das Benzin anzuzünden?« erkundigte sich Parker höflich, als wäre solch eine Aufforderung die selbstverständlichste Sache der Welt. »Warum denn nicht?« gab sie zurück. »Schließlich wollte man mein Haus in Brand setzen. Ich bin keineswegs rachsüchtig, aber ich lasse mir auch nichts gefallen.« »Vielleicht haben die Herren aber noch interessante Hinweise zu geben, Mylady. Sie könnten sich möglicherweise im Transport von Giftmüll auskennen.« »Nur dann, aber wirklich nur dann, Mister Parker, können Sie diese Lümmel vorher aus dem Wagen nehmen«, schlug Agatha Simpson vor. »Aber diese Aussagen müßten sich schon lohnen.«
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* »Dreh- und Angelpunkt ist die Verbrennungsanlage bei Witham«, sagte Mike Rander zu Chief-Superintendent McWarden, der im altehrwürdigen Haus der Lady Simpson eingetroffen war. »Miß Porter und ich haben inzwischen festgestellt, daß sowohl Wickham als auch Hank Sittner finanziell an der Anlage beteiligt sind. Darüber hinaus gibt es noch zwei Geldgeber aus den Staaten, an die wir vorerst nicht herankommen, aber wir können davon ausgehen, daß es Vertreter der dortigen Mafia sind.« »Und wie funktionierte nun dieses Gift-Geschäft?« fragte der Chief-Superintendent. »Wer ist Hank Sittner?« warf Lady Agatha grollend ein. »Der Entsorger, den Mylady bereits ausgiebig befragten«, erläuterte der Butler geduldig. »Natürlich, ich weiß«, gab sie spitz zurück. »Ich wollte mich nur vergewissern, ob Sie auch nicht die Übersicht verloren haben, Mister Parker. Aber weiter, lassen Sie sich nicht aufhalten…« »Mister Sittner ist ein lizenzierter Entsorger für die chemische Industrie«, berichtete der Butler, nachdem er sich andeutungsweise verbeugt hatte. »Er sammelt chemische Stoffe, die deponiert werden müssen, und bringt bestimmte Giftsubstanzen anschließend nach Witham zur Verbrennungsanlage.« »Die Industrie zahlt ihm dafür ein Heidengeld und verlangt auch den Beweis dafür, daß die Giftstoffe ordnungsgemäß vernichtet wurden«, schaltete Mike Rander sich ein. »Tatsächlich aber denkt Sittner nicht daran, das Zeug teuer zu verbrennen. Er läßt die Quittungen und Formulare fälschen, die er den Leuten der Industrie dann vorlegt. Für ihn ist das eine Kleinigkeit, denn er ist ja Mitinhaber der Verbrennungsanlage.« »Der Giftmüll wird also nicht verbrannt«, redete Kathy Porter weiter. »Er wandert in die getarnten Tankzüge und wird zur Küste gebracht. Dort kippt man das Gift einfach ins Meer.« »Oder packt es vorher in Fässer, die dann weit draußen auf See auf Grund gesetzt werden«, führte Mike Rander weiter aus. »Ein Riesengeschäft für die Öko-Gangster! Und sie scheren sich einen Dreck darum, was da alles passieren kann. Für sie zählt nur der Gewinn.« »Der sogenannte kleine Giftmüll, Sir, wandert hingegen auf 84
Haushalt-Deponien«, fügte Josuah Parker hinzu. »Mehr oder weniger feste Schlämme, Granulate und Feststoffe werden zu regulären Deponien gebracht und mit falschen Papieren dort gelagert. Auch in diesem Fall kümmern die erwähnten Öko-Gangster sich nicht darum, ob das Grundwasser zerstört werden könnte. Falsche Papiere, Bestechungen und Drohungen sorgen auch in diesen Fällen dafür, daß die Papiere scheinbar in Ordnung sind.« »Guter Gott«, stöhnte McWarden. »Das alles hört sich an wie eine Horror-Geschichte.« »Es ist eine Horror-Geschichte«, antwortete Mike Rander. »Die hiesige Mafia hat das alles bis in jede Einzelheit durchkonstruiert. Wenn wir zuschlagen, McWarden, erwischen wir nur ein paar von diesen Gangstern.« »Wickham, Harling und Sittner, nicht wahr?« fragte der ChiefSuperintendent. »Und Deeping und Pitway«, ließ Kathy Porter sich vernehmen. Sie wandte sich an die ältere Dame. »Mister Norman Pitway ist der Schrotthändler, der die vier Tankzüge in Southampton besorgte, Mylady.« »Wer sonst, mein liebes Kind?« Agatha Simpson nickte freundlich. »Ich habe jede Einzelheit genau im Kopf. Mir entgeht nichts, was wichtig sein könnte. Und wem haben wird das alles zu verdanken? Wer ist gezielt auf die Spur dieser Gangster gekommen?« »Das wiederum so einmalige Verdienst Myladys ist unbestreitbar.« »Natürlich, natürlich«, gab sie zurück, »aber wer ist jetzt der Giftprinz? Selbstverständlich habe ich da eine, bestimmte Ahnung, die eigentlich schon Gewißheit ist, aber ich muß dieses Subjekt schließlich beweiskräftig überführen. Ist es nicht so, mein lieber McWarden?« Der Superintendent von Scotland Yard war es nun wirklich nicht gewohnt, so freundlich angeredet zu werden. Er machte einen leicht verdutzten und irritierten Eindruck. * »Kathy ist verschwunden«, sagte Rander. Man hörte seiner Stimme an, daß er sich zur Ruhe zwang. Er hatte gerade im Haus 85
der Lady angerufen. Es war noch früh am Morgen. »Dürfte man um Einzelheiten bitten, Sir?« fragte der Butler. »Verdammt, viel gibt es da nicht zu berichten«, sagte der Anwalt. »Sie wollte frische Milch und Brötchen holen und ist seit gut einer halben Stunde nicht zurück. Sie ist bei dem Bäcker überhaupt nicht erschienen. Ich habe gerade angerufen.« »Die Öko-Gangster, Sir, könnten da ihre Hand im Spiel haben.« »Daran denke auch ich die ganze Zeit, Parker. Man scheint Miß Porter gezielt aufgelauert zu haben.« »Man wird Gegenmaßnahmen ergreifen, Sir. Der sogenannte Giftprinz dürfte reagiert haben.« »Wenn man nur wüßte, wer das ist und wo er steckt, Parker. Ich komme sofort rüber, verständigen Sie inzwischen Mylady.« Die ältere Dame nahm die Nachricht mit erstaunlicher Ruhe zur Kenntnis. Sie hatte sich einen Morgenmantel übergeworfen und nickte, als Parker die Nachricht überbracht hatte. »Ich werde sofort etwas unternehmen«, meinte sie. »Dem guten Kind darf nichts passieren, Mister Parker. Ich mache Sie dafür verantwortlich!« »Mylady sprachen bereits mehrfach den Verdacht aus, der sogenannte Giftprinz könnte mit Mister Paul Harling identisch sein.« »Tat ich das?« Sie nickte zögernd. »Wie auch immer, Mister Parker, ich verlasse mich da ganz auf Sie.« »Die Tatsachen, Mylady, reden inzwischen eine deutliche Sprache«, meinte der Butler. »Noch in der vergangenen Nacht konnte Chief-Superintendent McWarden die Herren Wickham, Sittner und Pitway verhaften. Die beiden Gangster Paul Harling und Clark Deeping befinden sich noch auf freiem Fuß. Nach Myladys Ansicht sind sie die eigentlichen Repräsentanten der Mafia. Und Mister Harling, Wickhams Sekretär, dürfte der erwähnte Giftprinz sein, wie er in der kriminellen Szene genannt wird.« »Keine Einzelheiten, Mister Parker. Wo finde ich die beiden Subjekte? Gibt es da nicht ein ganz bestimmtes Ferienhaus bei Chelmsford?« »Bei Witham, Mylady, doch dort dürfte man die beiden Gesuchten und Miß Porter wohl kaum noch antreffen. Man wird das Domizil gewechselt haben.« »Was will man erreichen, Mister Parker? Warum hat man Kathy entführt?« »Nach Lage der Dinge will man Miß Porter wohl gegen einen un86
beanstandeten Flug eintauschen.« »Die beiden Subjekte wollen also fliehen?« »Eindeutig, Mylady. Man hat sich mit diesem Kidnapping ein Faustpfand verschafft.« »Dann wird man ja wohl die Bedingungen durchgeben, oder?« Wenn Mylady wollte, konnte sie sehr konzentriert sein. »Mit einem Anruf ist fest zu rechnen, Mylady«, versicherte der Butler umgehend. »Inzwischen aber könnte man Vorbereitungen für eine Befreiung Miß Porters treffen.« »Ich hasse es, die Hände in den Schoß zu legen, Mister Parker. Tun Sie endlich etwas!« Ihre tiefe Sorge war unverkennbar. Kathy Porter war für sie so etwas wie ein eigenes Kind. Auch eine Lady Simpson wußte sehr wohl, wie brutal Gangster waren. »Ich werde sofort McWarden anrufen«, redete die Detektivin weiter. »Er soll die Festgenommenen genau verhören. Vielleicht wissen sie, wo die beiden Subjekte sich aufhalten.« »Die Gangster Harling und Deeping dürften sich an einen Ort zurückgezogen haben, Mylady, der nur ihnen allein bekannt ist«, dämpfte der Butler die Hoffnung seiner Herrin. »Aber ein Versuch kann selbstverständlich nicht schaden.« Während Parker in die große Wohnhalle hinunterging, meldete sich das Telefon. Nach wie vor gemessen und würdevoll schritt Parker an den Apparat und nannte in die Sprechmuschel seinen Namen. »Hier ist der Giftprinz«, erwiderte eine scharfe Stimme, die Parker sofort erkannte. »Mister Paul Harling, wie zu vermuten ist?« »Paul Harling«, bestätigte der Giftprinz. »Ich habe da ein paar Stichworte für Sie, Parker. Sie wissen ja wohl inzwischen, daß Miß Porter gekidnappt worden ist, ja? Schön, Sie können sie haben, aber gegen Bezahlung von fünfzigtausend Pfund in gebrauchten Scheinen. Und die werden Sie, Parker – ganz allein, verstehen Sie – sofort heranschaffen. Falls Sie die Polizei benachrichtigen und uns mit einem Trick kommen wollen, ist Miß Porter geliefert.« »Fünfzigtausend Pfund und allein«, wiederholte der Butler. »Sie brauchen demnach also Reisespesen, wie man vermuten kann?« »Reisespesen«, bestätigte Harling und lachte leise. »Sonst brauchen Sie sich. keine Sorgen zu machen. Deeping und ich kommen schon allein zurecht.« »Sie haben die Absicht, die Insel zu verlassen?« 87
»Irgendwie, Parker, irgendwie… Also, beeilen Sie sich!« »Und wo kann man Sie erreichen, Mister Harling?« Der Giftprinz nannte die Adresse. * Das kleine Landhaus befand sich in Richmond, nahe am Ufer der Themse. Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum durch die gepflegten, baumbestandenen Straßen und hatte dann das Grundstück bereits vor Augen. Der Giftprinz hatte die Lage genau beschrieben. Josuah Parker war allein, wie man es von ihm gefordert hatte. Er wollte Kathy Porter auf keinen Fall unnötig gefährden. Noch nicht einmal Lady Simpson oder Mike Rander waren eingeweiht worden, dafür allerdings ein gewisser Horace Pickett. Parker fuhr über einen schmalen Kiesweg zum anderthalbstöckigen Haus und hielt vor dem Eingang. Er stieg aus und schritt würdevoll zur Haustür. »Gehen Sie um’s Haus herum, Parker«, rief ihm eine Stimme zu. Sie gehörte dem Vormann Clark Deeping. »Wie Sie zu wünschen belieben«, meinte der Butler und machte sich auf den Weg. Als er um die Ecke herumkam, stand er plötzlich vor zwei muskelstarken Erscheinungen, die schallgedämpfte Revolver in Händen hielten und sie natürlich auf den Butler richteten. »Man erlaubt sich, einen guten Vormittag zu wünschen«, sagte Parker. »Um aber Mißverständnissen vorzubeugen, wird meine Wenigkeit es vorziehen, die Kopfbedeckung nicht anzuheben.« »Quatsch keinen Blödsinn«, sagte einer der beiden Muskeltypen und stieß den Butler weiter. Er erreichte eine Terrasse, auf der sich Paul Harling und Clark Deeping befanden. »So sieht man sich wieder«, Harling lächelte mokant. »Meine Wenigkeit muß offen gestehen, daß Sie momentan im Vorteil sind. Darf man sich nach Miß Porters Befinden erkundigen?« »Die liegt da drüben am Swimmingpool«, meinte Deeping. »Noch geht’s ihr ganz gut.« »Sie haben das Geld mitgebracht, Parker?« fragte Harling. »Wie gewünscht, Mister Harling. Sie finden es in den Innenta88
schen meines Covercoats.« »Und meine Leute werden es herausnehmen«, redete der Giftprinz weiter. »Wir kennen Ihre Tricks, Parker! Moment mal. Leute, habt ihr ihn nach Waffen abgeklopft?« Die beiden Muskeltypen holten dies umgehend nach und fanden zwei flache Automatics, die sie an sich nahmen. Dann holten sie die Geldbündel aus den Innentaschen des Covercoats und reichten sie an Harling weiter. Der Giftprinz blätterte die Banknoten durch und blickte Parker an. »Hoffentlich waren Sie nicht so dumm, die Polizei zu verständigen«, sagte er. »Meine Wenigkeit hielt sich korrekt an die gegebenen Anordnungen«, versicherte der Butler. Er nahm zur Kenntnis, daß Deeping die Banknotenbündel auf einen kleinen Tisch neben einem Sonnenschirm legte. »Wir haben nämlich noch eine persönliche Rechnung zu begleichen«, sagte Harling. »Sie, Parker, haben unser Geschäft kaputt gemacht. Und dafür werden Sie zahlen…« »Sie haben vor, meine Wenigkeit umzubringen?« »Sie werden wahrscheinlich verunglücken und im Pool ertrinken«, erwiderte Harling und blickte dann überrascht auf die beiden Muskeltypen, die plötzlich seltsame Verrenkungen machten, stöhnten, um sich schlugen und sich anschließend zu Boden warfen. »Einem Veitstanz nicht unähnlich«, kommentierte Parker die wilden Zuckungen und Verrenkungen, die auch noch auf den Steinfliesen fortgesetzt wurden. Bevor Harling etwas sagen konnte, riß er plötzlich die Hände hoch und atmete scharf ein. Sein Gesicht färbte sich blutrot, er stöhnte nun ebenfalls und zappelte. Deeping wich zurück, blickte den Butler an, wollte etwas sagen, jaulte dann auf und kratzte sich. Dann riß auch er die Hände hoch, stierte auf die angeschwollenen Finger und… warf sich kopfüber in den Swimmingpool. Er war noch unter Wasser, als Harling ihm nachhüpfte und dabei an einen ungelenken Frosch erinnerte. »Meine Wenigkeit war so frei, ebenfalls wie Sie mit Chemikalien zu arbeiten«, rief Parker den beiden Gangstern zu, als sie wieder aufgetaucht waren. »In spätestens einer Stunde werden Sie eine erste Linderung verspüren. Zeit also, meine Herren, ein wenig in 89
sich zu gehen.« Nach dieser Feststellung begab sich Parker zu einem kleinen Schuppen links von der Terrasse, wo er eine Schubkarre entdeckt hatte. Er verlud die beiden Muskeltypen und hütete sich, mit ihren Hautpartien in Kontakt zu kommen. Anschließend transportierte er die Schläger an den Rand des Pools und kippte sie ins Wasser. »Solange Sie unter Wasser bleiben, werden die Körperreize sich einigermaßen ertragen lassen«, rief Parker dann den vier paddelnden Männern zu. »Sobald Sie aber auftauchen, werden Sie das Gefühl haben, sich in der Hölle zu befinden. In diesem speziellen Fall dürfte die Chemie segensreich sein.« Parker lüftete die schwarze Melone und kümmerte sich dann um Kathy Porter, deren Hände von einer Handschelle zusammengehalten wurden. »Sie haben die beiden Waffen und die Banknoten präpariert, nicht wahr?« fragte sie. »Sehr nachhaltig sogar, Miß Porter«, gab der Butler zurück. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden die Gangster noch einige Tage das erleiden müssen, was man Höllenqualen zu nennen pflegt. Und meine Wenigkeit muß bekennen, daß dies eine ungemein angenehme Vorstellung ist.«
-ENDENächste Woche erscheint BUTLER PARKER Auslese Band 293 Jochen Kobusch
PARKER greift die Mädchenhändler
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